Schöpfergeist und Weltstoff oder die Welt im Werden: Ein Beitrag zu der Frage: Welche religiösen Vorstellungen gewinnt unsere Zeit aus einer denkenden Betrachtung des Weltganzen 9783111456669, 9783111089249

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Schöpfergeist und Weltstoff oder die Welt im Werden: Ein Beitrag zu der Frage: Welche religiösen Vorstellungen gewinnt unsere Zeit aus einer denkenden Betrachtung des Weltganzen
 9783111456669, 9783111089249

Table of contents :
Vorwort
Einleitung
I. Der Weltraum
II. Die Erbe
III. Der Mensch

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Schöpsergeist und Weltstoff oder

die Welt im Werde». Ein Beitrag zu der Frage: welche religiösen Vorstellungen gewinnt unsere Zeit aus einer denkenden Betrachtung des Weltganzen. Von

Di'. Christian German.

Alles Vergängliche 3ft nur ein Gleichniß.

G ö t b e.

Berlin. Druck und Verlag von Georg Reimer. 1862.

Vorwort. Um in das Wesen der Natur einzudringen muß man nicht müde werden, den widerstrei­

tenden äußersten Enden der Dinge nachzu­ forschen. Den Punkt der Bereinigung zu fin­ den ist nicht das Größeste, sondern aus dem­ selben auch sein Entgegengesetztes zu entwickeln, dieses ist das eigentliche und tiefste Geheimniß der Kunst. Es ist Ein Weltprincip, das in den Metallen, Pflanzen und Thieren bildet

und tu den Menschen wirkt und denkt.

Das

Denken ist darum die Kunst der Seele im Innern durch eine innere Schrift das darzu­ stellen, was die Natur äußerlich durch die Gegenstände als eine äußere Schrift offenbart, und sowohl diese äußere Schrift in sich auf­ zunehmen, als jene innere in ihr abzubilden

und zu verwirklichen.

Giordano Bruno.

Was in den frühesten Entwicklungsstufen der geistigen Vergangenheit unseres Geschlechtes an tiefsinnigen metaphysi­ schen Ideen einer zum Seher- und Prophetenthum sich stei­ gernden religiös-begeisterten Gemüthsstimmung mit den physicalischen Ahnungen dichterischer Tempelweisheit unter einem

IV

gemeinschaftlichen Schleier träumerisch zusammenfloß, — was, mit dem Heiligenscheine einer in unmittelbaren Acten göttlicher

Empfängniß erhaltenen Offenbarung umgeben, von dem phy-

sico-theologischen Religionsgemälde des Orientes dem erst spä­ ter sich selbstständig cnltivirenden Occidente überliefert wurde

und hier lange Zeiträume hindurch in unangefochtener Gül­

tigkeit seiner pontifical-monarchischen Ausprägung die religiö­ sen, sittlichen und metaphysischen Gedankenkreise der Menschen

beherrschte,



das

um

ist von dem,

die Erklärung der

Grundlage seines Wesens sich allmählig selbstständig bemühen­ den Sinnen des europäischen Geistes zu keiner Zeit mit kri­

tischerem Blicke und überraschenderen Erfolgen geprüft worden als in unserem, allesdurchforschenden Jahrhundert.

Bei jedem Schritte nun,

mit welchem uns namentlich

die großen physicalischen Entdeckungen der neueren Culturpe­

riode

tiefer in

das Verständniß

des Zusammenhanges

der

schaffenden Kräfte des Lebens und des in den großen Natur­

organismus versenkten Wcltgedankens

uns vom Orient überlieferte

und

hineinführten,

ist das

biö dahin mit frommer

Glaubenstreüe an seine Echtheit festgehaltene Bild der All­ mutter Natur, den sich langsam entschleiernden originalen Zü­

gen ihres Wesens immer unähnlicher geworden. sagt man sich jetzt,

welches

die

Man sieht,

daß von dem Natur- und Weltgemälde,

alte Gottes- und Weltweisheit

in speculativen

Träumen entwarf, dasselbe ausgesagt werden muß, wie, nach Haller'S Ausdruck, von einem aus der Einbildungskraft hin­

gemalten Kopfe eines Acneas,

eines RomuluS oder Phara-

mond: der Maler und der Weise haben da« Urbild nie ge­

kannt. — „Was sich sonst dem Blick empfohlen, mit Jahr­ hunderten — ist hin!" — Unter dieser Erkenntniß,

welche mit dem Glauben an

die cosmogonischen Vorstellungen der alten Welt

auch den

Glauben an die auf sie begründeten theogonischen Vorstellungen erschütterte (alle Lehrsystcme deS Glaubens, d. h. alle Reli­ gionssysteme sind physico-theologischen Ursprungs), spaltete sich natürlicherweise und zerfiel allmählig jene heilige TriaS

der

alten Tempelweisheit:

Naturwissen­

schaft, Philosophie und Theologie, aus deren Ber-

einigung und Uebereinstimmung von jeher die Re­

ligionen der Erde hervorgegangen sind. Die Naturwissenschaft, darauf angewiesen sich durch eigene freie Menschenkraft und Arbeit in sich selbst zu er­

neuern und durch Beobachtung und Experiment ihren Gegen­ stand gleichsam noch einmal von vorn zu entdecken und zu er­ obern, gelangte mit raschen Schritten auf einen Punkt, von welchem aus sie die, auf ihrem alten und unwahr gewordenen

specnlativeu Fundament errichtete Philosophie und Theologie nicht mehr anznerkennen vermochte.

Aber, allzusehr in die

Geheimnisse der Materie sich vertiefend, überrascht, aufgeregt,

geblendet von dem Reichthum der Erkenntnisse, die sich ihnen während

der Spanne

weniger Jahre

in den freieren An-

schamlngskreisen einer neu einziehenden Gedankenwelt erschlos­

sen, wurden viele ihrer begabtesten Jünger zu einseitigen An­ hängern der Materie.

Die Materie, behaupteten sie, ist die

VI

Mutter des Geistes ,

das primitive Schöpfungselement und Sie sind

der Geist ist nichts anderes als fublimirte Materie. es, welche Göthe in den Worten characterisirt:

„Was ihr nicht tastet steht euch meilenfern, „was ihr nicht faßt das fehlt euch ganz und gar,

„was ihr nicht rechnet glaubt ihr sei nicht wahr, „waS ihr nicht wägt hat für euch kein Gewicht,

„was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht!" Die Philosophie, ihren alten innigen Zusammenhang

mit der Naturwissenschaft verlierend, zog sich von der Natur

überhaupt in sich selbst zurück,

glaubend die Probleme deS

Geistes aus ihm selber erklären und lösen zu können.

Dem

Studium deS „Absoluten" sich zuwendend verloren ihre her­

vorragendsten Jünger aber allmählig so sehr den Blick für

die reale und concrete Welt, daß sie, diese gleichsam mehr für eine optische Täuschung zu halten geneigt, in einen einseitigen

Spiritualismus geriethen.

Der Geist, sagten diese, ist der

Bater der Materie, ist das einzige, primitive Schöpfungsele­

ment und alle Materie ist nichts als condensirter Geist. „Aus den alten Bücherkrusten

„logen sie nun was sie wußten, „was sie wußten, selbst nicht glaubten

„sich und uns das Leben raubten."

Da, wo an ihren extremen Angelpunkten angelangt alle menschlichen Richtungen

wieder

einander Naturwiffenschast und

zusammenstoßen,

begegneten

Philosophie zuletzt in einem

Streite um „Geist oder Materie", wie er in den vorsocrati-

schen Zeiten schon einmal die Ionier und Eleaten bewegte:

VH

„sie hatte« die Theile in ihrer Hand, „fehlt aber immer das geistige Band."

Die Theologie, welche vordem die Krone der Ober­ herrlichkeit über die beiden Anderen zu tragen gewohnt ge­

wesen, die sonst, „der Sonne vergleichbar, alle Knospen und alle Triebe des menschlichen Geistes- und Seelenlebens nach

stch hingebogen", deren Hand einst in das grobe Gewebe, wel­ ches ihr die Anderen aufschlugen,

jene himmlischen Bilder

hineinwebte, die dem Gemüthe de« menschlichen Geschlechtes

die tiefste Befriedigmlg gewährten, sie, die einst die bewun­ dernswürdigsten Blicke in das Göttliche und in sein Verhält­

niß zur Menschheit geworfen, auf deren heiligem Heerde die Flamme des Wiffcns reiner und lauterer genährt und gehegt zu werden pflegte als irgend anderwärts, — sie verweigerte

von vornherein den neuen Mächten des Geiste-, welche ihre eigene Macht bedrohten, jede Anerkennung, abwartend:

dum defluat amnis, at ille labitur et labetur in omne volubilis aevum. Allen Verkehr mit Naturwiffcnschaft und Philosophie möglichst

meidend, ja sie gänzlich verwerfend, gerieth sie unter diesen Berhältniffen allmählig in eine fast völlige Unbekanntschaft mit

denk sich in vollem Strome entwickelnden Leben der Zeit. In geistverletzender Buchstabentreue bemüht, das menschliche Füh­ len, Denken und Forschen nur in den Bannkreis ihrer Dog­

men (inter terminos) zurückzuziehen, verlor sie jene religiöse

Genialität, jene wahre Virtuosität des Gemüthes, die sie zu einem zeitgemäßen Denken göttlicher Dinge zu befähigen ver-

vm möcht hätte und damit freilich auch jenes innere Leben, wel­ ches über daS Wesen und Wirken des Geistes ewig weiter­ gehende Aufschlüsse verleiht.

Einer Person gleich, deren Ge­

danken, Sprache, deren Kleider und Manieren zeigen, daß sie schon lange nicht mehr mit der Welt verkehrt hat, lebt sie,

im Widerspruch mit dem Leben und mit sich selbst,

einsam

zwischen den halbversunkenen Ruinen ihres alten Baues. „Die

Pforte knarrt und Nieniand kommt herein."

Darin nur noch zeigen die drei Schwestern, Naturwis­ senschaft, Philosophie und Theologie, einen gleich starken Zug der Familienähnlichkeit, daß jede nur auf ihre Selbsterhaltung

sinnt, denn „fest im ererbten Sinne wöhnlich „erweisen sie sich unversöhnlich."

Die Folge dieser Sprengung der alten, heiligen Trias, aus deren Bereinigung die menschliche Gemüth

Religion entstand,

spaltete daS

auf Jahrhunderte hinaus vielfach unter

bitteren Schmerzen mit Kämpfen.

Denn es versiel damit

bei einem großen Theile der menschlichen Gesellschaft die alte

Einheit

des Glaubens

überhaupt.

an die fiihrende

Macht des Lebens

Aber der Hanch, der die alten, einst so nahe bei

einander wohnenden Ideen au- einander blies, war dennoch ein göttlicher.

Denn langsam brach aus all dem Weh hervor

eine der größten Segnungen des menschlichen Geschlechtes: die Freiheit seines Denkens, die Vorläuferin seiner freien Tha­

ten. — Inmitten des dreispaltigen Widerstreites der Haupt­ elemente, welche das geistige Leben zusammensetzen, wurde je-

IX der einzelne Geist, der, um dem Bewußtsein seine- höheren

Sein- zu genügen, sich über die schlaffe Gleichgültigkeit gegen die höchsten Güter des Leben-, über die indolente Beschrän­

kung auf das Nächste erhob und von etwas Mächtigerem, Er­ habenerem und Ergreifenderem als dem Strome bloßen, ma­

teriellen Daseins, einheitlich getragen zu werden verlangte, nunmehr genöthigt, sich, ein Prometheus, „auf des Denkens freigegebeueu Bahnen" seine Welt selber zu erschaffen.

Eine

Segnung ohne Gleichen; denn erst wenn der Einzelne selbst­

denkend die ewigen Grundsätze des Lebens erprobt, kann das

Ganze zu

jener innigen und festen

Gemeinschaft gelangen,

welche die Herrschaft des Göttlichen ans Erden begründet.

Der Weltgedanke, so sagte sich allmählig der zur Selbst­ ständigkeit des Denkens erwachende Menschengeist, bedarf keiner

übernatürlichen Offenbarung, sondern muß als ein gött­ licher nothwendig seine Darstellung und seine Lösung in ihm

selber tragen.

ihre Gesetze,

Der geistigen Bewegung

der Gedanken sind

wie den Gestirnen ihre Bahnen vorgezeichnet:

sie sind die «nwidersprechlichen Ergebnisse der allgemeinen Ver­ nunft und unser Geschlecht wird in dem sittlich geordneten

Gange

seiner

geschichtlichen

Entfaltung

durch

einen immer

richtigeren Gebrauch seiner geistigen Kräfte auch zu einer im­ mer richtigeren Erkenntniß jener Gesetze und damit des Gött­ lichen und Guten,

so wie zu dessen Darstellung ans Erden

gelangen. Ans diesem Boden religiöser Anschauung

Zeit.

steht

unsere

Und wie nach dem Bericht de- FlavmS JosephuS der

Zerstörung von Jerusalem jenes tiefernste Wunderzeichen von allgemein symbolischer Bedeutung voranging, „daß die Thore deS Tempels plötzlich durch unsichtbare Hand auffprangev, von

übermenschlicher Stimme der Ruf „„die Götter ziehen von hinnen!"" — und zugleich ein gewaltiges Geräusch wie von

Weggehenden vernommen wurde",

so auch vernehmen wir in

unseren Tagen „ein gewaltiges Geräusch wie von Weggehen­ den!" — Aber „zerstreutes Wesen führt nnS nicht zum Ziel, wir

müssen in der Faffung unS versühnen".

Unter den Forde­

rungen unserer Zeit steht obenan die der W i e d e r v e r e i n i g u n g jener drei

großen Gebiete

deS geistigen Lebens,

denn jener Bruch der Wissenschaften ist ein sittlicher Bruch; in der Wiederherstellung ihres Zusammenhanges muß die Stärke der einen wiederum die der anderen werden und

ihre höchsten und letzten Ergebnisse müssen von Neuem ver­ bunden werden mit den Freuden und Schmerzen deS mensch­ lichen Herzens,

mit den Erfahrungen deS Lebens von heute

und mit den Thatsachen der Menschennatur unserer Zeit.

Anstatt von den unhaltbar gewordenen Traditionen der Vergangenheit

Malerei der

wie

von Palimpsesten

die sinnig allegorische

obersten Decklagen schonend abzuheben,

um die

tiefere Grundschrift in ihrer ursprünglichen Reinheit herzustel­ len, hat man in unseren Zeiten vielfach mit den Bildern die

Ideen,

mit der entwcrtheten Faffung die ewig werthvollen

Gedankenjuwele deS alten Erbes verschleudert.

„Keimt ein

Glaube neu, wird oft Lieb' und Treu' wie ein böses Unkraut

xr ausgerauft." —

So ist der entfliehenden Gluth des alten

GotteSbewußtseinS unter uns die Kälte eines alleszersetzenden

Zweifels, eine scharfe, schneidende Berstandsklugheit, eine ge­ meine

Nützlichkeitsphilosophie

gefolgt.

Wer

aber

nur

ein

Mann allein mit dem Verstände ist, der, hat Friedrich Hein­

rich Jacobi mit vollem Rechte gesagt, Mann,

denn

der

bloße

Verstand

ist ein blos gemeiner ist eine

Flamme ohne

Wärme. — Im großen Ganzen ist zwar auch diese Richtung kein Unglück für die Erziehung des menschlichen Geistes über­

haupt.

Es liegt eben in der Natur des menschlichen Wesens,

daß es nicht zu

der vollen Harmonie seiner Gestaltung ge­

langen kann, bevor nicht auch alle in ihm verborgenen Wi­ dersprüche und Gegensätze hervor Kampf gezogen worden sind.

an das Licht und in den

Es muß, ehe es Ruhe finden

kann, daS Unstete, Unzulängliche der Einzelkräfte seiner ganzen

Natur nach allen Seiten hin erfahren haben, auch die Qual

und den Fluch deS Widerspruches in sich durchmachen, ehe eS mit vollem Bewußtsein seine- Selbst, seines Seins und Ver­

langens, seine stolze Kraft in stiller Demuth vor dem Geiste aller Geister zu beugen, sich

an Gott und sein Wesen hin­

zugeben und in dieser beständigen, vollen, stets erneuten Hin­

gabe das ewige

Bedingniß

der Vollendung seines Friedens

empfangen kann.

Aber andererseits wächst inzwischen in dem gegenwärtig lebenden Geschlechte der unheilvolle Eindruck des in den obe­

ren Schichten zwischen Wissenschaft, Religion und Leben ausgÄrochenen Zwiespaltes.

Es wird das Volk an der Auto-

xn rität der Religion selbst, an der Lehre, an der Schule, an den Personen, ja am Leben selber irre. — Bildung, hat man geglaubt,

könne die Religion ersetzen.

Aber ist der Geist,

der Bildung schafft, nicht selbst Religion?

Aus göttlichem

Stoff und nach göttlichem Bilde geschaffen ist der Mensch nur insofern gebildet als er daS Bild seines höheren Lebens, sein

göttliches Urbild lebendig in und aus sich hervortreten und in den Formen seiner Kraft daS Göttliche erscheinen läßt.

Alle andere Bildung ist nur ein Mittel mehr

Aller gegen Alle.

zum Kampf

Wo also wahre Bildung da sein soll, muß

Religion da sein.

Da eS nun eine erfahrungsmäßige Thatsache ist, daß in der Religion das bewegende Lebenselement der Menschenwelt

liegt, gleichsam wie der Jnstinct das Bewegmde der Thier­

welt ist,

so

muß es als eines der obersten Bedürfnisse un­

serer Zeit angesehen werden, die aus den Fluthen der geisti­

gen Bewegung anstauchenden Ideen- und Wahrheiten

unter

dem Brennpunkte deS Gottesbewußtseins zu einem religiösen

Fundamentalgedanken zu vereinigen.

Ohne dieß werden wir

das Schicksal der Titanen theilen, in deren leiblichen Riesen­ unternehmungen wir auch ein Bild der Vergeblichkeit für alle

Geistesarbeit schauen mögen,

welche „ohne

oder wider die

Götter" begonnen wird.

Wer aber, so werden sich nicht

als

ein

wahrhafter

vielleicht Biele fragen,

Seher

Gottes

dazu

der

gesendet

wäre, ist unter Allen, die da leben, geistesmächtig genug, die

neuen Errungenschaften des Geistes zu einer neuen Lehre zu-

xnr sammenzufaffen?

wer soll, den Blitz des Freimuthes in ge­

weihter Hand, eS sich zutrauen dürfen, Apostolat und Hohe-

priesterschast deS Jahrhunderts zu übernehmen, auf daß „der Zaun deS Irrthums hinweggenommen werde aus dem Munde der Völker" und Allen, die gutes Sinnes sind, die neue Zeit

sich verkündige und daS Göttliche in ihr sich über sie ver­ breite? — Getrost! der rechte Held und Retter ist noch je­

desmal erschienen, die Zeit und der Genius der Menschheit haben ihn noch jedesmal aus ihrem Schooß erzeugt, wenn die höchste Noth

ihn forderte.

Man frage nicht nach dem Wie

oder Wann; aber ein Jeder an seinen! Orte arbeite ihm vor.

Denn

er springt nicht gleich fertig wie Pallas Athene aus

dem Haupte deS Kronion.

Wie daS Wort eines tiefen Den­

kers, der Meißelschlag eines Michel Angelo, der Pinselstrich

eines Rafael, die Note eines Sebastian Bach nicht plötzliche

Früchte eines flüchtig zufälligen Augenblickes, sondern die lang­

sam gereiften Erzeugnisse, die lange vorbereiteten Züge eines vorangegangenen,

in

angestrengtem

Denken,

Arbeiten

und

Streben zngebrachten Lebens sind: so auch treten die Erschei­ nungen jener großen Botschafter des Göttlichen, über deren

Leben daS Licht eines höheren, weltgeschichtlichen Berufes leuch­

tet, nicht mit unvermittelter Plötzlichkeit unter uns auf.

Sie

werden durch aufsteigende Reihen unter Sehnsucht nud Hoff­ nung

nach

dem Göttlichen

geborener

Menschen

eingeleitet.

Sie sind die Kronen und Palmen der Kämpfe, die der Ge­

nius der Menschheit in sich durchlebt,

die Früchte der mit

aller Macht auf die Notbwendigkeit Hingerichteten ZeugungS--

xnr fräste seines Geistes.

Wenn also die Zeit einen Helden ge­

bären soll, so muß sie ihn zuvor im höchsten Sinne deS Wor­

tes: wollen, ihn in ihrem Geiste empfangen und auStrageu,

sich auf ihn richten,

Dann, aber

auf ihn hin arbeiten.

auch nur dann wird er erscheinen, wenn seine Zeit erfüllt

ist.

Also — nicht sehnsüchtiges Verlangen,

nicht stumpfes

Abwarten der Erscheinung eines Erretters, sondern Arbeit,

allgemeine Arbeit an den höchsten Aufgaben deS Lebens lautet die Losung.

Wenn das Todte bildend zu beseelen Mit dem Stoff sich zu vermählen

Thatenvoll der Genius entbrennt:

Da, da spanne sich des Fleißes Nerve Und beharrlich ringend unterwerfe

Der Gedanke sich das Element.

Nur dem Ernst, den keine Mühe bleichet

Rauscht der Wahrheit tiefversteckter Born: 91ur des Meißels schwerem Schlag erweichet

Sich des Marmors sprödes Korn.

Bon dieferi Gedanken ist der nachfolgende Versuch aus-

gegangen, nämlich:

in einer freien Verbindung der aus den

naturwissenschaftlichen Arbeiten der neueren Zeit abzuleitenden

Vorstellungen mit den metaphhsischen Ueberzeugungen der äl­ teren Religionslehren ein vermittelndes UebergangSprincip auf­

zusuchen zwischen der älteren orientalischen und der neueren occidentalischen Gestalt des menschlichen Gottes-, Welt- und

XV

Selbstbewußtseins, in der Weise, daß die Ideen der Vergan­

genheit von den Erkenntnissen der Gegenwart, der alte Glaube vom neuen Misten und das neue Wissen vom alten Glauben

geistesverwandtschaftlich beleuchtet und aus ihrer Bereinigung

die einheitliche Anschauung eines aus Einem Gusse gegossenen Weltganzen gewonnen werde, der bewegte Vordergrund

dessen körperliche Sphäre als

einer sie von innen her erregenden

geistigen Sphäre angeschaut und beide großen Zwillingshemi­ sphären des Doppelreiches alles Seienden, „die äußere, durch

die Sinne wahrnehmbare und die innere,

reflectirtc Welt",

in unser Bewußtsein ausgenommen werden als unter einander verbunden und mit einander versöhnt

durch die Lebenskraft

und daS königliche Gesetz Einer ewigen Liebe. Wenn nun auch,

nach dem entmnthigenden Ausdrucke

des größten Forschers unserer Zeit, der völligen Lösung einer solchen Aufgabe unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen­ stehen,

so ist doch,

wie er selbst tröstend hinzufügt,

„das

Große und Feierliche, welches einer solchen Geistesarbeit inne­ wohnt, in dem frohen Bewußtsein des Strebens nach dem Unendlichen enthalten, nach dem Erfassen dessen, was in un­ gemessener, unerschöpflicher Fülle daS Seiende, daS Werdende,

daS Geschaffene uns offenbarte."

Uud so soll auch des großen

Meisters warnendes Wort, „daß wie in der Sinnenwelt vor­ zugsweise an dem

Meereshorizonte Trugbilder aufdännnern,

die den erwartungsvollen Entdecker eine Zeitlang den Besitz eines neuen Landes verheißen,

so auch am idealen Horizonte

in den fernsten Regionen der Gedankenwelt dem ernsten For-

XVI scher manche Hoffnungen vielverheißend aufgegangen und Wiwieder verschwunden sind" — uns nicht abhalten, gegenüber detden

großen physischen Leistungen, welche die Geister unserer Zetzeit vornehmlich in Bewegung setzen, von einer doppelt erneuterten

Sehnsucht nach den göttlichen Urbildern der Dinge getriebenen,

uns zu jenen Arbeiten deö metaphysischen Erkenntnißvermünögens znrückzuwenden, welche, nicht geringer als jenes gigauan-

tische

Schaffen

Stoffe,

uns

einst

den hohen

Namerien

und Ruhm einer philosophischen Nation erwarben,

um di die

im

Schläfe unserer Borfahren im Geiste den Lorbeer der UiUnsterblichkeit wanden und zu denen in allen Zeiten diejenigeizen,

welche

unabhängigen Geistes sind, sich zuriickgctrieben fühleüen,

um von ihnen her Erhebung, Trost und Ersatz, sei es füfür

das allgemeine Unglück der Zeiten oder

finden. —

für das eigene zi zu

Wohl mag, wie von Jacobi gesagt worden ist ist,

der von den letzten Fragen bewegte Mensch noch lange einenem einsamen Denker gleichen,

der am Morgen des Tages ehern

uraltes Räthsel fand, in einen ewigen Felsen gehauen.

E Er

glaubt an das Räthsel, aber er bemüht sich vergeblich es aufmf-

zulösen.

Er trägt es den ganzen Tag mit sich umher, lockockt

wichtigen Sinn heraus, prägt ihn aus zu Lehren und Bilöildern, welche die Hörer Wünschen beleben



erfreuen, mit edlen Ahnungen unUnd

aber die Auflösung mißlingt

legt am Abend sich nieder mit der Hoffnung,

daß

und

c er

ein göttött-

licher Traum oder das nächste Erwachen ihm das Wort seisei-

ner Sehnsucht nennen werde, Und dennoch hält er

an

das er so fest geglaubtlbt.

xvrr • — diesen Drang vergebens auf,

„der Tag und Nacht in seinem Busen wechselt:

„wenn er nicht sinnen oder dichten soll „so ist das Leben ihm kein Leben mehr!

„Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen — „wenn er sich schon dem Tode näher spinnt „das köstlichste Geweb' entwickelt er

„aus seinem Innersten und läßt nicht ab „bis er in seinen Sarg sich eingeschlossen."

Ja was, wie wir gesehen haben, in unseren Tagen vor Allem ein den metaphysischen Erkenntnissen sich wieder zuwen­ dendes Streben heiligen und für das öffentliche Wohl be­ deutsam machen muß, ist die immer wachsende Erkenntniß, daß die Herstellung eines solchen Weltbewußtseins, in wel­ chem der Einzelne seine Beziehnngen zum göttlichen Ganzen von Neuem inne wird, der nächste, mächtige Hebel zu einem neuen, inneren Aufschwünge der menschlichen Gesellschaft sein wird. Die Grundlinien des in nachstehendem Entwurf enthal­ tenen Gedankens, welcher übrigens das Gott es bewußtsein, d. h. den Glauben an die Existenz eines höchsten Wesens als etwas selbstverständlich im vernünftigen Menschen zu Stande kommendes voraussetzt und die in der Menschheit gegen­ wärtig vorhandene Stufe desselben als das bisher vollzogme Ergebniß dep Selbstthätigkeit des menschlichen Geistes betrachtet, welches als solches verstanden und weiter entwickelt fein will, sind nun folgende:

xvrn „DaS menschliche Anschauungsvermögen, welches wir als

„den natürliche« Ausgangspunkt unserer Erkenntniß betrachten

„müssen, wird erfahrungsmäßig inne, daß alle Wahrnehmung „durch das Medium der sinnlichen Anschauung und Erfahrung

„der Dinge hivdurchgehen muß. „Indem der Mensch auf diese Weise die Materie als „die vom Geist überall unzertrennliche Begleiterin desselben

„erkennt,

hat er den Schwerpunkt des Seins weder in die

„Materie allein noch in den Geist allein zu legen,

sondern

„in die Einheit Beider, als aus demselben Stamm hervor„gewachsener Zweige.

„Vernunftgemäß vermögen wir uns demnach das Über-

„haupt Seiende überall auch nur als aus einer allgemeinen,

„primitiven Verbindung von Geist und Materie,

einem von

„Anfang der Dinge her geistig-leiblichen Elemente her-

„vorgegangen zu erklären. „Beide Urelemente des Seins, das centrale des Geistes

„und das peripherische der Materie, sind demzufolge also von „Uranfang her gleichzeitig bestehende, einheitlich mit einander

„verbundene, unaufhörlich auf einander bezogene Theile, Cor„relata deS allgemeinen Wesens des Ganzen, deren Berhält„niß zu einander gedacht werden muß,

nicht als das zweier

„mit Ketten an einander geschloffenen Gefangenen,

sondern

„als dasselbe wie es sich unter uns bei zweien durch die Liebe „zu Einem verbundenen Wesen zeigt,

daß nämlich bei aller

„Freiheit der persönlichen WesenSauSprägung jedes Einzelnen,

XIX „dennoch überall da- zusammenhaltende Band tiefster innerer „Zueinandergehörigkeit die Verbindung Beider darstellt als die

„dem Wesen nach überall unauflösliche Einheit eines Ganzen, „als ein System sittlicher

und physischer Wechselwirkungen,

„als die in einer Einheit sich begegnende Freiheit und Roth„wendigkett. „Die Welt geht beständig als ein ewig Geistig-Leibliches

„hervor aus der ewig schöpferischen Aufeinanderbeziehung und

„Bewegung des zeugenden, geistigen und des daffelbe ewig in aufnehmenden und empfangenden leiblichen Elementes:

„sich

„ein Medium, steht sie

in ewiger Bestimmbarkeit durch die

„Wechselwirkung jener beiden Urelemente ihres Seins

recht

„eigentlich in der Mitte zwischen den beiden Elementen „Geist „und Materie".

„Die Welt ist nichts Ruhendes und Stabiles, d. h. in „einen

bloßen Zustand UebergegangeneS;

in eben jener Be-

„stimmbarkeit durch die sie in jedem Augenblick gestaltenden

„Factoren des Geistes und der Materie trägt sie gleichzeitig „das Moment der Bewegung und das Moment der Behar„rung in sich. „Aus

„einander

den

einander

umsetzenden Momenten

„harrung geht eine, „gehenS

auf

ewig

wirkenden uud sich in

der Bewegung

und Be-

im Flusse ewigen Werdens und Ber-

fortschreitende

Grundform

ihres

LebenSproceffeS

„hervor,

„Der

gegenwärtige Zustand der Welt

ist die in

XX „Raum «ab Zeit erreichte Stufe,

bi- zu welcher hin

die beiden Urelemente des Geistes und der Materie

,^ich

„bisher

innerhalb

her

Kräfte

Bewegung

der

und Behar-

„rupg zu einer einheitlichen Darstellung zu bringen vermocht „H-Len.

„Unser Planet erreicht in dem, materiell und spirituell „noch sehr vervollkommnungsfähigen

des

Gebilde

Menschen

„die höchste ihm zukommende geistig-leibliche Organisatiors„stufe.

Er erhebt sich in dem denkenden Wesen „Mensch"

,^von man, denken) selbst auf die Stufe de« Gedankens und „wird in die göttliche Gedankenwelt ausgenommen.

„Der Mensch,

im wachsenden Bewußtsein seines We-

„sens auS den blos äußerlichen und concreten DerstandeSbe-

„griffen sich zu den höheren,

allgemeinen Bernunftbegriffen,

„zum Symptom des höchsten Lebens,

wußtseins seiner selbst erhebend,

des

geistigen Be­

gelangt in diesem seinem

„vernünftigen Selbstbewußtsein zum GotteSbewußtfein und zur

„Erkenntniß

eines ihm innewohnenden geistigen Bildes des

„Göttlichen.

„Indem der Mensch auf diese Weise erkennt, nicht blos „daß, sondern was er ist und wozu er ist, tritt er in die

„Gemeinschaft ,^Quelle

„benS,

mit

Gott;

unmtttelbarer

seine

göttlicher

Seele

wird

Offenbarung

die

primitive

höheren

der Erlösung auS dem bloßen, natürlichen Leben;

Le-

er

„erkennt als Ursprung, und Ziel seines Wesens ein „Mensch

,,in Gott"

zu

sein.

Im Lichte dieser Idee

gewinnt der

XXI

„Mensch sich selbst in Gott und GM gewinnt sich selbst im

„Menschen. „Die in der physischen sich entfaltende sittliche Ordmlüg

„der Dinge dieses Lebend wächst nun aus dem Unvollkommenen

„ins BoAommnere hinein, bis ihre höchste Aufgabe in ihrer „höchsten Form geistig-leiblich vollendet fein wird,

„stand der realen Körperwelt die ideale Welt

der Zu-

des Geiste«

„abfpiegett und dieser sich in ihr der völligen Freiheit und „Nothwendigkeit seines Wesens in der erreichten Einheit fei«

„nes Denkens und Seins bewußt wird.

Auf diesem Wegt

„des Ganzen gibt es weder einen wirklichen Stillstand noch „einen wirklichm Rückschritt — es ist eine einzige, große,

„allgemeine Arbeit des Fortschrittes im Universum. „Diese fortschreitende, göttliche Arbeit ist eS, zu welcher

„Welt,

Erde und Mensch berufen sind:

„hin soll der Mensch wirken und handeln „seiueö Leibes und Geistes.

„schritt:

Weltprincipe

nach

diesem Ziele

mit den Kräften

Darum sind Arbeit und Fort-

von unwiderstehlicher Kraft.

Darum

„muß die "Religion des menschlichen Geschlechtes eine Religion

„der Arbeit und des Fortschrittes sein. „Der große Gedanke also, welcher der Welt dorschwebt

„und daS große Ziel,

nach welchem der Mensch mit allen

„Kräften streben muß, ist die Verbindung seines Lebens „mit dem göttlichen."



*

*

XXII

Es

sAbstredeud,

ist

daß

eine

Weltan­

intellectuelle

schauung, welche in dem Streben zeitgemäß über die höchsten Fragen des LebegS zu denken, nur aus einer freien speculativen Verbindung

der

physikalischen Erkenntnisse mit den

metaphysischen Bedürfnissen des menschlichen Geistes gewon­ nen werden konnte und daß ein Entwurf

wie

der

vorlie­

gende, der die Darstellung des Weltganzen als eines geistig­ leiblichen Organismus im engsten Raum zusammenhält, mit

keinem anderen Anspruch auftritt, als dem eines individuel­ len Gedankens über Fragen,

eines

wecken,

Versuches,

allgemein-menschliche Erdendinge,

über

die

über

in jeder Brust ein Echo

dessen

Bernunftanschauung

dessen Qualität

als

Werth

der eines

für

die

Welt-

und

das

Ge­

in

müth der Zeit einzugehen fähigen Hauches erst der Censor

aller Dinge, der Geist, der Genius der Zeit selbst entschei­

den kann.

Ich halte eS fiir nicht überflüssig hinzuzusetzen, daß bei

dieser Arbeit vor

meiner Seele gestanden hat daS Bild des

nach Klarheit und Umsicht,

nach Geistes- und Gemüthsfrie-

den strebenden Mannes unserer Zeit, der daS natürliche und sittliche

Bildungsmaterial,

welches

sie

ihm

darbietet,

zu

einem einheitlichen und zeitentsprechenden GotteS-, Welt- und Selbstbewußtsein in sich zu verarbeiten strebt, damit er mit einem

durch Erforschung und Erkenntniß des Göttlichen innerlich be­ festigten höheren Lebensgeiste sich den practischen Forderungen der

ihn umgebenden Welt mit verdoppelten Kräften züzüwenden

vermöge und ausgehend von dem Standpunkte eines höheren Gedankens über alles Seiende, an dem Alles gemessen,

prüft und beurtheilt werden muß, heit

ge­

die bloße BerstandeSklug-

den Dienst der höheren Bernunstwahrheiten treten

in

lasse. -

Die erwachende Begeisterung für das öffentliche Leben

wird bald genug inne werden,

daß

über die Nützlichkeits­

welche nur die materiellen Intereffen

theorien hinaus,

Gesellschaft zu vereinigen im Stande sind,

der

die Gesinnung,

welche eine auf den allgemeinen Bernunstwahrheiten ruhende Religion

kann,

einflößt,

welches

das

allein

einende Band sein

wahrhaft

alle Formen des Lebens in sich aufnimmt

und daß eine auf das sinnliche Leben allein sich beziehende Cultur weit entfernt ist ein Fortschritt zu sein, wenn

nicht

Hand in Hand mit der neuen Stufe materieller und intel-

lectueller

Entwicklung,

Gesellschaft

sich

auch

erweiterte Selbstbewußtsein der

daS

einem

zu

und

erweiterten

vertieften

Gottesbewußtsein entwickelt.

„Die Aufgabe der Wiffenschast ist, Philosophie

der Menschheit

zu finden.

Erziehung deS menschlichen Geschlechtes

Entwicklung deS Gottesbewußtseins.

teSbewußtseinS aber sind

die Methode der Die

ist

Aufgabe der

die harmonische

Die Krisen des Got-

polittsche Krisen."

Dieses

wahre

XXIV

Wort Btmsen's möge die gestellte Aufgabe rechtfertigen, wo­ fern sie, rücksichtlich ihres practisch en Zweckes, ein weiteres Fürwort bedarf.

C. G.

Die

Welt im Werden.

• ttman, Die Well im Werde».

1

O Adam, Ein Allmächt'ger ist, von dem Die Dinge staoimen und zu dem zurück Sie alle wiederum hinauf sich wenden. Wenn nicht entartet von der ersten Güte. Denn zur Bollkommenheit ist all und Jedes So wie es ist geschaffen worden. Alles Ein gleicher erster Stoff, der mannigfach In Formen und Gestalt verfchiedne Grade Des Seins und Wesens und in dem was lebt DeS Lebens blicken läßt; doch feiner Und geistiger und reiner in dem Maße Als Jedes näher Ihm gestellt ist oder näher Zu ihm hinanstrebt. Jedes in die Sphäre DeS Wirkens die Ihn» eignet, eingewiefen — Bis sich der Leib hinaus zum Geist erhebt — In Schranken welche jeder Art geziemen. So dringt aus dunkler Wurzel Heller schon Der grüne Stiel empor, noch lustiger Entsprießen ihm die Blätter, bis zuletzt Lichtvoll die Blume in vollkommner Schöne Die geist'gen Düfte haucht. Die Blume dann Und ihre Frucht, des Menschen Nahrung, streben Sich stufenweis zu höhrer Form gestaltend Zum Lebensgeist, zum Geiste des Empfindens Zur denkenden Bernunft sich zu erheben. Milton. Parad. lost. V. 469 egg.

Wer darf sagen

Ich glaub' an Gott?

Wer darf ihn nennen? Und wer besamen:

Ich glaub' ihn.

Wer empfinden Und sich unterwinden

Zu sagen: ich glaub' ihn nicht? Der Allumfasfer,

Der Allerhalter, Faßt und erhält er nicht

Dich, mich, sich selbst? Wölbt sich der Himmel nicht da droben?

Liegt die Erde nicht hier unten fest?

Und steigen freundlich blinkend Ewige Sterne nicht herauf? Schau ich nicht Aug' in Auge dir,

Und drängt nicht Alles

Nach Haupt und Herzen dir, Und webt in ewigem Geheimniß

Unsichtbar sichtbar neben dir?

Erfüll' davon dein Herz so groß e» ist, Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist

Nenn' eS dann wie du willst, Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott!

Ich habe keinen Namm Dafür!

Gefühl ist AlleS;

Name ist Schall und Rauch,

Umnebelnd HimmelSgluth. Göthe, Fanst.

I. D e r Weltraum.

„Die Wirklichkeit liegt hinter den endlichen Erscheinungen."

Plato.

«jvetite menschliche Wissenschaft gibt uns Kunde über den Urgrund alle- Sein-, über da- Sein ehe die Welt und die Erde

Dennoch ist nur von dorther eine annäherungsweise Lösung

war.

de- „uralt qualvollen Räthsel- de- Leben-" zu hoffen.

Mit tiefem Verlangen trachtete der menschliche Geist von An­ beginn seine- Denken- her nach der Möglichkeit einer Vorstellung über den Ursprung der Dinge.

Denn e» ist der ewige Elementar­

trieb aller göttlichbewegten Seelen, sehnsuchtsvoll nach der Erkenntniß jener ersten Wesen-einheit zu streben, welche da- Ehao- der Erschei­ nungen beherrschend „die Welt im Innersten zusammenhält" und jene geheime Triebfeder aufzusuchen, die alle Dinge in ihrem Grund­

zusammenhang auf ein einzige- Princip bewegender Thätigkeit de-

Ganzen zurückzuführen gestattet. Aber vergeben- bemüht da- feierliche Bild de- Seienden und Werdenden mit menschlichem Auge zu umspannen und den großen

Gedanken der Schöpfung noch einmal zu denken, umkreisten Jahr­

tausende lang die Weisesten und Besten der Völker den geheimniß­ vollschweigenden Urgrund der Dinge.

Je mehr sie ihn mit den

vielgestaltigen Nebelbildern ihrer eigenen Vorstellungen umgaben, mit

desto majestätischerem Dunkel schien er sich vor ihren Augen zu um­

lagern.

8 Fruchtbarer an Systemen al- jede andere, hatte namentlich die griechische Philosophie, anscheinend zu langer Herrschaft über die

abendländische Geiste-welt berufen, zahlreiche Lösung-versuche deWeltgedanken- au- ihrem Schooße geboren.

In der Idee de»

Maße- und der Harmonie de- All- glaubten die Pythagoräer daProblem zu lösen, Empedocle- im geheimnißvollen Wechselspiel der

Kräfte der Liebe und de- Hasse-, die Atomisten in der Naturnoth­ wendigkeit, Anaxagora- im ideellen Princip.

Die ionische Natur­

philosophie hatte e- unter Thales im Wasser, unter AnaximeneS in

der Luft, unter Anaximander im qualität-losen, unzerfallenen, un­ erschöpflichen Urstoff gesucht.

ParmenideS glaubte e- in der Einheit

de- Sein- mit dem Denken, Democrit, ein Leibnitz der Borzeit, in

bot Atomen, Anaxagora- im ordnenden Verstände, die Sophisten im subjectiven Rationalismus zu erkennen.

Aber in der socratifchen

„Tugend", im aristotelischen Geiste-begriff anscheinend zu den letzten

Höhen menschlicher Denkfähigkeit gelangt, sank die abendländische

Philosophie, an der Möglichkeit verzweifelnd, ihre Aufgabe auf dem Wege teilten Denken» lösen zu können, von der Weisheit der Stoa

zum Eclectici-mu-, Skepticismus und EpicuräiSmuS herab und auch von den späteren Systemen de- in das Erbe getretenen germanischen

Geiste» hat bisher noch keine» eine mehr als vorübergehende Geltung

zu erreichen vermocht. So fühlt denn, nachdem er „die Welt am Wanderstabe durchmeffen", der menschliche Geist, unbefriedigt von seinen weitesten und

kühnsten Ausflügen in da- Reich der Gedanken, ein natürliches Ver­

langen den Erinnerungen au feine ersten und ältesten Gedanken wie­ der nachzugehen und von Neuem zu prüfen, ob von ihnen her wohl

ein Lichtstrahl de» VerständniffeS fallen möchte auf die Welt von heute. Die älteste Ahnung de» schöpferischen Weltgedankeu» findet sich

aber in der indische» Religion-lehre von der „ahnua vairya" dem „ewig heiligen Worte" ausgesprochen. Sie pflanzt sich in der Lehre

9 vom Logos auf die alexandrinische Philosophie de- Philo fort, welche die den Juden im babylonischen Exil bekannt gewordene zoroastrische Emanation-theorie mit pythagoräisch-platonischen Ideen verband. In dem Johanneischen Evangelieneingange „im Anfang war da-

Wort" sehen wir sie in die christliche Welt einmünden. Gleichsam erst in einen dunkelen Schacht hinabzutauchen ge­ zwungen, unterscheidet unser Auge anfangs zwar nur mühsam dain der Tiefe dieser Lehre lebendig werdende Urbild der Dinge: aber einmal eindringend wird die das Weltgeheimniß in sich aufzuuehmen

fähige Seele inne, daß das „Wort" allerdings die alleslöfende Zau­

berformel ist, welche ihr den Vorhang aufzurollen vermag vor dem Beginne der großen Bewegung de- Seienden und sie hineinschauen läßt in die Tiefen und Höhen ihre- ewigen Ursprunges.

Denn die Lehre vom Wort enthält unter allen ihren mystischen Verhüllungen nichts andere-, als wie wir weiter unten sehe» werden, die einfache Formel für das in feierlicher SklbstbetrachtUNg dem menschlichen Geiste aufgegangene Gotik-bewußtsein

und sein im Lichte desselben in ihm erst wahrhaft le­ bendig gewordene» Selbstbewußtsein. Unser Gotte-bewußtsein

gab uns erst Selbstbewußtsein, sagten unsere älteren Brüder, die Söhne de- Morgens.

In dieser vereinfachten Auffassung werden wir uns im „Wort" dem Ursprung des ältesten Religion-gedanken- der Erde nähern und versuchen von ihm au- unsere Aufgabe einer erklärenden Darstellung

de- Weltgedankens zu lösen. Die Geistesbrücke, welche da- „Wort"

einst au- der sichtbaren hinüber in die unsichtbare Welt schlug, ist freilich im Dunkel der Zeiten langsam verfallen, Pfeiler und Bogen

vielfach durchbrochen, hie und da nur noch auf schwankenden Planken von unsicherer Tragfähigkeit zu betreten, drunten rauscht, in schweren Wogen anschlagend, der gewaltige Zeitstrom und ein Sturmhauch

feindlichen Geistes bedroht die Fackel in der Hand de- Wanderers, der sie heute betreten will.

Wenn aber auf dieser Brücke eine ehr-

10 würdige Borwelt friedlich „au- dem Thal der Zeit in die Höhen der

Ewigkeit" hinüberwandelte — wer möchte nicht sein Leben wagen, zu prüfe« ob sie auch unsere Zeit noch trüge? Derjenige aber, welcher

inne würde, daß sie noch immer herüber- und hinüberträgt, welche heiligere Pflicht kann er haben als die Arbeiter und Baumeister her­ beizurufen, die Verfallene wiederherzurichten, damit die in einem neuen Lichte wandelnden Geschlechter da» alte ewig gleiche Ziel de«

menschlichen Geiste« auch wieder in einer lebensfrohen Rückkehr zu einem gemeinsamen Glauben auf der alten ewig gleichen Heer- und

Weltstraße der Verbindung de« Menschlichen mit dem Göttlichen

erreichen. Solche« fordert die Zeit.

Denn so wahr unsere Erde schwebt

in dem unendlichen Luftraume der Welt, nicht durch sich selbst, son­ dern getragen von der unsichtbaren Kraft eine« unsichtbaren, allge­

meinen Elemente«, in welchem sie eingeschloffen ist und so wahr sie auch ihr Licht empfängt, nicht durch sich selbst, sondern durch ein von

jenseit« ihrer Grenzen in sie eingehende«: so wahr auch lebt die

Menschheit, welche der Planet au« seinem Schooß gebiert, nicht durch sich selbst, sondern getragen von der unsichtbaren Kraft eine­

unsichtbaren Elemente« allgemeinen Leben« in welchem ihr Sein

eingeschlossen ist und so auch empfängt ihr Geist sein Licht nicht durch sich selbst, sondern durch seine ewige Verbindung mit einem

Elemente geistigen Lichte«.

Diese« Element der Elemente ist der

heilige, der göttliche Geist. Ein Geschlecht aber, welche« droht

die uralte Brücke zwischen ihm und sich zerfallen zu lassen, um nur in und für sich selber zu leben — zerfiele mit sich selbst! —

1. Geschrieben steht: „Im Anfang war da» Wort!" Hier stock' ich schonl wer hilft mir weiter fort? Ich kann da« Wort so hoch unmöglich schätzen — Ich muß t« ander« übersetzen Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. Göthe, Faust.

— Wie?! — fragt sich allerdings zuerst der Mensch — „im

Anfang war daS Wort?!" — wer kann das verstehen? freilich nicht, wer nur den tönenden Laut der Zunge im Sinne hat, wie er im gewöhnlichen Leben so genannt wird. Wohl aber, wer zu den Quel­ len des Wortes zurückgehend, sich die Entstehung und damit die tie­

fere Bedeutung dieses leiblichen Elementes unserer geistigen Thätig­ keit zum Bewußtsein bringt. Wir vermögen dies durch Selbstbeobachtung der beiden

Momente deS Entstehens und des Vergehens unserer Ge­ danken*). Es ist selbstredend, daß wir zur Beobachtung deS Entstehens

unserer Gedanken uns nicht Rath erholen werden bei den, durch

längere Gewohnheitsrichtung in gleichsam mechanischer Schnelligkeit

sich wiederholenden, oberflächlichen Alltagsgebilden unseres Denken-, *) Dem folgenden liegt die aristotelische Anschauung -u Grunde, daß die all­ gemeinen Begriffe nicht a-getrennt von den sinnlichen Dingen existiren und jeder Gedanke mithin von einem Denkbild begleitet sei.

12 sondern vielmehr bei jenen tiefer gehenden Gedanken ernster und langsamer Ueberlegnng, in denen der Mensch seiner eigenen Geister­

welt Inhalt und Richtung gibt oder die Welt der äußeren Dinge vor­ bedenkend von seinem Innern aus gestaltet. Nicht etwa als ob diese

Gedanken auf eine andere Weise entständen al- jene, sondern weil

ihr Entstehungsgang durch eine sorgfältige Selbstbeobachtung deut­ licher ermittelt und vergegenwärtigt werden kann, als bei jenen in rascherem Wechsel auf und nieder tauchenden; und dann auch, weil

sie unö ein treueres Abbild jener ältesten, in feierlicher Selbstbetrach­

tung sich versenkenden Denkthätigkeit zu geben scheinen, welche als eine gleichsam noch nicht so behende Gewohnheitsfähigkeit der geisti­

gen Kräfte in jenen altindischen Brahminenköpfen, in denen die Lehre vom Wort entstand, langsamer, feierlicher und so zu sagen brütender

vor sich gehen mochte, als bei uns rascher fühlenden, denkenden und handelnden, rascher lebende» Menschen. Das Werden seiner Gedanken verfolgend erkennt der mensch­

liche Geist, in den tiefsten Schacht der Betrachtung des eignen We­

sen» herabsteigend, da- Werden seiner Welt. Denn wie da» Ge­ stirn de- Tage- im Aufgang an den äußersten Grenzen de- physi­

schen Horizonte- zuerst nur in unsicher schwankendem Schein durch wallendes Nebelgewölk des dämmernden.Morgens hindurchdringt,

dann an Umfang und Helligkeit wächst bis es in deutlicheren Um­

riffen emporsteigend sich mit Entschiedenheit erhebt und endlich unter einem Fluthstrom von Licht den Himmel ruhig und siegreich in Be­

sitz nimmt; — so auch erscheint, um an ein erhabene- Bild Arago'S zu erinnern, an den äußersten Grenzen unseres geistigen Horizontes der

Gedanke „zuerst nur beschränkt, mit unsicher schwankendem Schein,

wie durch dichte Rebel zu uns dringend, dann wachsend an Umfang und Helligkeit bis alle seine Einzelheiten zu erkennen sind": endlich

sich „mit leisem Finger geistiger Gewalten" gleichsam au» einem dtchtgewebten materiellen Flor zu den deutlicheren Umrissen einer

durchsichtigen Gestalt loslösend überschreitet er die plastische

13 Schwelle des Wortes und damit von Allem sich absondernd,

was ihn umgibt, und nicht er selber ist, zieht er verkörpert in die

Welt hinaus und nimmt das Beste unseres Innern mit sich fort in die Lust, die unsere Sprache spricht.

Jeder Gedanke, der jemal-

in hoher und herrlicher Leuchtkraft vor die Welt tretend den Hori­

zont der Zeiten erhellte, jede That wurde zuvor in solch schattenhaft

ans verborgenster Sülle heraufsteigender Gestalt einem aus solch dnrcheinanderwogendem Nebelmeer aufschimmernden Dämmerlichte geistigleiblichen Werdens abgerungen.

Dort spinnt gleichsam der

Geist, seinem innersten Zuge überlaffen, die geheimnißvollen Fäden

deS Zusammenhanges zwischen der sinnlichen und

übersinnlichen

Sphäre und, in den Abgrund des Selbstbewußtseins hinabsteigend,

seine Tiefe ermessend, umfaßt und gestaltet er das dort nebelhaft Aussteigende mit divinatorischem Blicke zu schöpferisch weltbewegenden

Kräften: die sinnlichen Thatsachen vorausschauend und leitend ent­ wirft er, die Vorsehung im Irdischen abbildend, aus all diesem, ihm entgegenströmenden Leben und Weben die klaren Ziele der Zu­

kunft, welche dem nüchternen Begriff-leben de- gemeinen Manne­ seiner Zeit immer ttäumerisch und irre zu erscheinen pflegen, bi- sie

al- große geist- und weltbewegende Thatsachen in feierlichem Auf­ gang vor den leiblichen Augen, dastehen.

Jede That, deren Größe

je bewundert worden, mußte bewußt oder unbewußt diese undurch­ sichtig traumartige, irdische Hülle einer „Götterdämmerung" durch­ brechen, in welcher der dem Menschen innewohnende Geist gleichsam

zuerst vor ihm selber verborgen zu halte« scheint, was doch hienieden einzig und allein nur durch den Menschen und für ihn offenbart

werden kann. — Solcherart ist da- geistige EhaoS, au- welchem eine geistig geordnete Welt erst hervorgeht durch da- schöpferische

Wort deS Gedanken-. Haben wir uns in dieser Weise den Gedanken im Aufgang ver­

gegenwärtigt, so werden wir ihn un- nun im Untergehen zu verge-

14 genwSrtigen haben, d. h. in feinem Versinken in die Bewußtlosigkeit

deS Schlafe-. Wenn nämlich in jenem eigenthümlich träumerischen Zustande

de» Halbwachen», ehe noch der Schlaf uns überkommt, unsere Seele sich au» ihrem Einzelbewußtsein hinan» zu verlieren, im Gefühl ihre» eignen, besondern Ich gleichsam aufgehoben, traumhaft in da» all­

gemeine, all- eine Leben aufzugehen scheint und nur noch ein beweg«

lich ans und nieder wogende» Gaukelspiel u n willkührlicher und darum ungeordneter Vorstellungen den Raum ansfüllt,

der Schlaf und

Wachen von einander trennt, so fühlen wir, wie da» bewußte Den­ ken, da» Selbstbewußtsein, die ganze von unserem vernünftigen Wil­

len regierte wirkliche Gedankenwelt unsere» Wesen» sich in un» allmählig zu einem chaotisch durcheinander wallenden Nebelmeer anflöst.

Bon der plastischen Schwelle de» Worte» sich zurückzie­ hend, sieht der Geist damit gleichsam jene eigenthümliche Brücke vor sich versinken, welche die beiden Ufer seine» Strome»: Gedanke

und Wort, im Wachen so innig mit einander verbindet, daß selbst jede geistige Bewegung unwillkührlich in eine heimliche Mitbewegung

de» Reden» übergeht, welche sogar das körperliche Organ der Zunge, wie „den Griffel eine» schnellen Schreiber»", in gleichem Schritt zu

beständiger sympathischer Begleitung treibt, so in der Einheit de»

Denken« mit dem Reden körperlich schon das Gesetz ihrer inneren, geistigen Einheit vorbildend.

Wa» also, wie wir gesehen haben, die unwillkührlich in itn» auf- und niedertauchenden Nebelbilder der sinnlich empfangenen Bor-

stellungswelt in dem geistigen Gebilde de» Gedanken» erst zur Höhe selbstständiger, persönlicher Bernunftanschauung erhebt, wa», von un­ serem selbstbewußten Denken überall unzertrennlich, als leibliches Clement parallel mit unserem geistigen geht, da» Element, was mit unserem Geiste steht und fällt — ist: das Wort.

Deshalb ist das

Wort heilig bei Gott und den Menschen.

Die Welt des Geistes und die Welt des Wortes entsprechen

16 einander also wie etwa eine bestimmte Wellenlänge der Aetherbewe«

gung der materielle Begleiter einer bestimmten Farbe ist und eine bestimmte Zahl von Schwingungen wägbarer Materie jeden Ton der

Schöpfung begleitet. Da- „Wort" ist also die den geistigen Vorgän« gen parallel gehende Berleiblichung derselben, e- ist die sich realtsi-

rende Idee, da- schöpferische Element de- geistigen Chaos, die Da­ sein-bezeugung unsere- Geiste-, die plastische Gestalt und der Träger

de» persönlichen Selbstbewußtsein- unserer denkenden Bernunft. Un­ ser Geist schafft sich mithin erst seine Welt, indem er da-

Wort au- sich gebiert. In dieser Weise spiegelte sich schon in der Tiefe uralt indischer

Selbstcontemplation der Urgrund der Dinge im „Wort" al- in der

Erkenntniß zurück, daß da- Gesetz de- Denken- da- Gesetz de» Sein» sei.

In der Erkenntniß, daß also da- vor den Augen de»

menschllchen Geschlechte- au-gebreitete Sein au- einem Denken her­

vorgegangen sein müsse, gelangte mau zu dem Begriff de- höchsten Wesen- al- eine» Denkenden und indem man sich de» Denken- und Sein- überhaupt al- de- Ausflusses einer höheren, göttlichen Thä­

tigkeit bewußt wurde, erhob sich der menschliche Geist in dem er­ langten Bewußtsein eine- Unendlichen erst zur Höhe seiner Selbst­

erkenntniß, denn nun erst verstand er sein Dasein, wa- ihm al» Selbstzweck ewig räthselhaft bleiben mußte, al- ein Moment in einem höheren Ganzen geistigen Leben». An die Entfaltung diese- Bewußtsein- seine- eigenen al- in einem höheren Sein gesetzmäßig eingeschlossenen Wesen- knüpfte sich

die geistige Genest» der Menschheit.

Von hier au- gelangte sie erst

zu einem richtigen Zusammenhang-verständniß der Dinge und an da- Festhalten dieser Thatsache ihrer inneren Geschichte knüpft sich

hinfort die Bürgschaft ihre- Fortschritte».

Denn erst mit diesem

Bewußtsein, daß da» menschliche Dasein sich gründet auf ein Höhere-

Dafein, tritt der heilige Geist, der Geist ewigen Leben- auf gegen den Wellgeist, den in die bloße Endlichkeit de- natürlichen Leben»

16 versenkten Geist der Creatur.

Die ganze irdische Welt, der Körper,

der Sinne und der Außenwelt, die ganze Gestalt aller sinnlichen und geistigen Erscheinung tritt damit erst heraus al- das was sie

ist, — der sinnliche, sichtbare, zeitliche und äußere Vordergrund eines

unsichtbaren, übersinnlichen, ewigen und inneren Hintergrundes eines

allgemeinen Gotte-reiches. Erst jetzt wurde alle- in die Form zeit­ licher Erscheinung Rückende erkannt als hervorgehend aus einem un­

sichtbaren, allgemeinen Reiche des Lebens in Gott als au- seiner

wahren Ursache und seinem eigentlichen Grunde, aus dem Alle- wada ist geboren, zu welchem Alles, was da geboren wird, wieder zu­ rückkehren muß und in welchem ewig alles Seiende erst seine be­

geisternde Erklärung zu finden vermag.

Dazu freilich stellte man sich daS göttliche Wesen selbst schwer­ lich wie später in der starren Schärfe jüdisch-monotheistischer Ab­ straction als nur außerweltlich, noch wie im zerfließenden hellenischen

Pantheismus als nur innerweltlich sich verhaltendes Wesen vor.

Man dachte zu tief um so einseitig zu denken.

Denn eine Welt,

außerhalb deren Gott nur sein könnte, würde ihn ja durch ihr Sein außer ihm ebenso begrenzen und beschränken, wie eine Welt, inner­

halb deren er nur sein könnte al- bloße Summe aller ihrer Er­ scheinungen, die bedingungslose Einheit seines Wesens aufheben, ihn

auflösm müßte.

Als Geist aber, dem alle Aggregatzustände de-

SeinS, vom verdichtetsten bis zum aufgelöstesten zukommen, mußte

er damals schon gedacht werden als alle Formen des Sein- gleich­

mäßig in sich befassend und damit sowohl al- in der Welt wie auch außer ihr, hoch über der Natur und allem irdischen Wechsel

der Erscheinung-welt stehende-, von ihr unabhängige-, aber sie be­ stimmende- Wesen begriffen werden. So verstanden ruht dann aber auch im letzten Grunde thatsächlich Alle» wa- ist, da- Sinnliche

wie da- Ueberfinnliche, das Zeitliche wie das Ewige, ruht Alle», wa- uns in der Form de- Gegensatze- erscheint, in dieser seiner

Gegensätzlichkeit aufgehoben, einheitlich verbunden und gegenseitig auf

17

einander bezogen in ihm — in Gott verborgen — und dennoch ist er ein Wesen für sich, wie ja auch unter unS der wahrhaft starke Geist ein Wesen für sich ist, möge mit seiner Welt vorgehen Wa­ da wolle. Diesen Begriffen nach erfüllt und durchdringt der Geist Gottes den Weltkreis als Universallebenögrund alles Erfchaffnen, als Universallebenskraft der Welt und alles Lebendigen: er umgibt das Weltall und durchdringt es in ewiger Einkehr, wie die Luft den Erdball umgibt und in alle seine Poren eindringt. Zöge sein Hauch sich auch nur einen Augenblick von dieser Welt zurück, so versänke sie in die Finsterniß und in das Schweigen ewigen Todes. „WaS wär' ein Gott, der nur von außen stieße? „Im Kreis das All am Finger laufen ließe?

„Ihm ziemt die Welt im Innern zu bewegen, „Natur in sich, sich in Natur zu hegen, „So daß waS in ihm lebt und webt und ist „Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt. Indem der Mensch nun im „Wort" der menschlichen Sprache daS Element erkannte, in welchem sich die Welt seines Geistes ver­ leiblicht und indem er seine innere Welt und die ihn umgebende äußere — Geist und Materie — als einander wie Gedanke und Wort entsprechende OffenbarungSweiseu eines und desselben höheren, allgemeinen göttlichen Seins verstehen lernte, in welchem sein eigen­ stes Wesen befaßt liegt, erhob er mit Recht das „Wort" zum Sym­ bol des weltenbildenden Anfangs der Dinge. Und indem er den­ selben Borgang, den er in seinem eigenen Wesen beobachtet, wenn diese- die schöpferische Thätigkeit des Denkens in Bewegung setzt, als den Abglanz und das Nachbild eines im allgemeinen, göttlichen Wesen selbst gleichweis sich zutragenden Borgaiige« ahnungsvoll ver­ stehen lernte, gelangte er allmählig in der Beobachtung der geheim­ nißvollen Kraft, die seinen eigenen Geist zum Schaffen treibt, auch zu einem vergleichendeil Rückschluß auf jene gewaltige Bewegung, in Hermen, Die Welt im Werden.

2

18 welcher der weltenbildende Geist sein Dasein in ewig schöpferischer

Thätigkeit verkündigt. So wurde da» „Wort" des menschlichen, die Quelle der Offen­

barung deS göttlichen Wesens.

Nicht als wäre jemals eine laut­

vernehmliche Stimme des persönlichen Gottes durch die bewegte Luft an das Ohr irgend eines Menschen erschollen, um in hörbarer Rede

ihm das Geheimniß des Seienden und Werdenden anzuvertrauen, sondern es offenbarte sich dem Menschen göttliche Erkenntniß in der Selbstbetrachtung seines Wesens als eines Ausflusses der Gottheit *).

2. O Gnadensülle, die den Muth mir nährte Daß ich, des Lichtes Anblick zu gewinnen, Mein eignes Sehen gern daran verzehrte! In seiner Diese schaut' ich wie sich innen Durch Liebe das in Einen Bund verflicht Was sich im Weltall muß zerstreut entspinnen:

Substanz und Accidenz im Gleichgewicht Des Wechselbundes also eng verschmolzen Daß was ich sehe wird ein eiuz'ge- Licht. Dante, Paradiso.

Canto XXXIII.

Einmal auf dem Wege der Selbstbetrachtung de- menschlichen Wesens als der natürlichen und gesetzmäßigen Quelle alles unseres unmittelbaren Erkennens zur Erkenntniß eines in der Natur und im menschlichen Wesen sich offenbarenden göttlichen Wesens ge­ langt, ist es nur das angemessene Ergebniß eines folgerichtigen Den­ kens, das allgemeine göttliche Sein sich nun auch, ebenso wie das eigene, als ein geistig-leibliches, den göttlichen WeltsphäroS als einen aus Geist und Materie sich ursprünglich zusammensetzenden zur Vor­ stellung zu bringen. DaS Grundverhältniß dieser Coexistenz des Geistes uud der Materie in Gott kann aber folgerichtig kein anderes sein als das der Harmonie. Darin muß also zuletzt die eigentliche, göttliche und gottebenbildliche Bestimmung der Wett lie­ gen, daß sie das, was in der göttlichen Sphäre in seiner Gegen­ sätzlichkeit aufgehoben, in der Wrltsphäre aber bis in die äußersten 2*

20 Pole des möglichen Gegensatzes hinein entfaltet ist, durch die Ber­

einigung der in ihr wirkenden Kräfte mit den göttlichen auch in die­

ser Welt zur Einheit und Harmonie des Ursprungs zurückführt und, das göttliche Leben im Leben der Welt nachbildend, dieses zum Spie­ gel seines alleinheitlichen Urbildes gestaltet:

dies eben ist die ewig

unsere Welt durchdringende Idee, die Arbeit des Geistes in den Grenzen des Raumes und der Zeit.

Natürlich und folgerichtig wird es also sein, Geist und Materie als durch eine ursprüngliche Einheit verbunden ;u verstehen.

Wie

Gedanke und Wort also auch kommen und gehen diese Beiden mit­ einander, sind einander adäquat, entsprechen einander, wie eine be­

stimmte Wellenlänge der Aetherbewegung gleichzeitig der materielle Begleiter einer gewissen Farbe ist und jeder Ton von einer bestimm­

ten Zahl gleichzeitiger Schwingungen wägbarer Materie begleitet wird.

ES darf weder die Materie als Product, Folge, Function

oder Eigenschaft des Geistes verstanden werden, noch der Geist als

Product, Folge, Function oder Eigenschaft der Materie. mit einander entsteht, entsteht eben nicht durch einander.

Denn was

Sie sind

gleichzeitige Phänomene, die mit einander kommen und gehen, folg­

lich nicht Ursache und Wirkung, weil diese ein Nacheinander, kein

Miteinander bedingen und sie lassen sich daher in ihrem Ursprung auch nicht auseinander, sondern nur aus einer über ihnen ste­

henden und sie in sich befassenden höheren Einheit ur­ sächlich erklären.

Auf dem Uebergange aus einer unbedingten, uns

unnahbaren Sphäre in die Categorien eines sich bedingenden Seins,

einer zeit- und raumerfüllenden Darstellungsstufe ihrer Verbindung wird ihr Zusammenhang an Intensität und Bestimmtheit der Er­

scheinung wechseln.

In den Combinationen ihrer Verbindung wird

bald da- eine, bald das andere Element überwiegen, sie werden sich von einander unterscheiden. Nach der einen Seite hin sich abstoßend, trennend und auseinanderfallend, nach der andern hin sich anziehend, zusammenschließend, werden sie hier sich mehr auf die Darstellung

21 des Leiblichen, dort des Geistigen richtend, sich beständig ineinander umsetzen und verwandeln, bis sie, von Stufe zu Stufe sich zu immer harmonischeren Verbindungen läuternd, da- Geistig-Leibliche in der

Reinheit seiner Erscheinung erreichen ’).

Der Gegensatz aber kann

auf keiner Stufe als ein anderer betrachtet werden wie der magne­

tische Gegensatz der Pole, der sich in einer höheren Einheit auflöst. Nur au- dieser Verbindung von Geist und Materie in einer unbe­ dingten, höheren Einheit, welche in die Eategorien de- sich bedin­

genden Seins eingehend innerhalb derselben sich bis zu ihrem Ge­

gensatze hin entwickelt, nicht aber aus dem Gegensatze an und für sich ist das Wesen der Dinge zu erklären, so daß nur über da» Wie

ihrer Bereinigung und Wechselwirkung gestritten werden kann.

Er­

kennen wir also die Materie in ihrem ursprünglichen Verhältniß zum

Geist als das ihm unmittelbar verwandte Element, so folgt hiernach, daß jemehr die Materie aus ihrer unmittelbaren Geistesverwandt­

schaft so zu sagen sich in die Tiefe herabsenkt, in die dichteren For­ men bestimmter Körperbildung übergeht, sich damit auch ihre ur­ sprüngliche Beschaffenheit an ihren letzten, körperlichen Schwingungs­

grenzen in die Finsterniß und Schwere der bloßen Maffe hinaus­

verlieren wird.

Denn die Selbstunterscheidung de- „Geist und

Materie" in sich befassenden höheren Einheitswesens fordert eine polare Auseinanderlegung, einen polaren Gegensatz beider Urelemente

seines Sein«.

So entwickeln sich Geist und Materie aus der ur­

sprünglichen Form idealer Einheit bis zur realen Entzweiung hin, hin bis zu den au-gebildetsten Formen des Gegensatzes, des Con­ flictes miteinander, als eigene Mächte mit eigenen Gesetzen, jedes

als eine Herrschaft, als ein Agens für sich, Eins ankämpfend gegen das Andere.

Die erreichte Stufe der Polarität ist aber nur eine

Crisis, durch welche die Elemente hindurchgehen.

Selbst an ihren

äußersten, in der Schwerheit und Trägheit ihrer eigenen Masse er­ starrenden Grenzen wird die Materie noch vom Geiste beherrscht und durchwaltet: siegreich die dunkle Larve der Umnachtung durch-

22 brechend wirft er sie ab und kleidet sich wieder in die blühenden

Gewänder des LebenS:

der alte ewige Lebenshauch*),

die Psyche,

öffnet den Panzer den ihr der Stoff umgewcrfen hat und, die er­

starrte Materie wieder zu den ersten Schwingungen des träumerisch

feiert der sie von Ewigkeit beglei­

in ihr ruhenden Lebens rufend,

tende Geist das Fest ihrer Vermählung in ewigem Werden, in un­ versiegbar

hervorbrechenden Strömen

unsterblicher Lebenskraft,

in

„So aus den untersten Be­

ewiger Wiederauferstehung zum Licht.

zirken schmiegt sich herauf lebend'ge Spur, die holde Kraft sich selbst zu

zeichnen,

ist

also,

erst Nächstes,

wenn

dann

der Lichtäther

sich

auf

Fremdes

anzueignen."

Es

seinem langen Wege zuletzt in

den metallnen Adern einer nur von galvanischen Pulsen deS Lebens durchzogenen Steinwelt erstarrt, nichts anderes geschehen, als daß

der große Proceß bis in seine letzten, möglichen Formen hinein voll­ zogen ist,

innerhalb dessen sich durch allmählige Uebergänge Geist

und Materie bis in die letzten, bedingtesten, schroffsten Formen des Seins hinein unterschieden und auseinandergelegt haben. „Im Kristall

und seiner ewigen Schweigniß, erblicken wir der Oberwelt Ereigniß". Ohne jene Crisis aber,

welche die Bereinigung der diametral aus­

einandergeflohenen Elemente in leise wieder herbeiziehenden Verbin­ dungen herbeiführt, würde einerseits die Materie in die Erstarrung ewigen Todes verfallen,

zum todten Gegensatze des lebendigen

Geistes, zur ausgebrannten Schlacke werden:

der Geist andererseits

würde kein Mittel besitzen, welches fähig wäre ihn darzustellen.

*) Psyche, von i/'v/Ei)’ athmen;

bedeutet zunächst Hauch; ebenso zeu­

gen die übrigen Benennungen der Alten für „Seele" alle davon, daß sie „leben"

und „athmen" für identisch hielten, z. B. in anima von dvtfiog der Wind, nvevfia von nvtio ich wehe. — In den Veden heißt es „Atma (d. i. die Seele der See­

len, Athem) webte sich aus Einschlag und Faden der drei Kräfte: Hervorbringuug, Erhaltung und Zerstörung ein Gewebe,

zog dieses über sich und hat sich unter

ihm verdeckt und verborgen: alle Erzeugungen der Welt sind aus diesen drei Kräf­ ten gewebt und Atma hat sie zu ihrem Schleier gemacht." Lieft athmendes Lebml

Also: überall in der

23 Aus dieser Verbindung darf unsere Vorstellung Geist und Ma»

terie nirgends absolut isoliren wollen.

Die Functionen Beider sind

überall auf das Innigste miteinander verbunden. Der Geist ist da»

Leben der Materie: die Materie daS Leben des Geistes. Ohne Geist wäre die Materie todte Schlacke: ohne Materie der Geist ohne Dar­

stellung, ohne Existenz — ein Nichtsein. — In diesem Sinne er­ kennen wir Beide als überall zusammengehörig, zusammen und auf­

einander wirkend und rückwirkend, sich ineinander umsetzend, verdich­

tend und auflösend. Ueberall und immer Einer des Andern bedürftig

um sich in seiner Kraft äußern zu können, verkündigt sich der Geist in der Materie als in seiner leiblichen Erscheinungsform und ist

hinwiederum die Materie der Herold des Geistes, der sie in sich

trägt, der sie fortwährend belebt, der alle Körper ihrer Welt zu kraft- and lebenserfüllten Räumen macht und deffeu immer in sie hinüberströmende Vernunft, die sich in ihr al» BilduugStrieb des

weisheitsvollsten Schaffens auözufprechen strebt, das verbundene We­

sen Beider offenbart als von Einem in Gott ruhenden Lebensgesetze durchwaltet, welches alle» Seiende in sich befaßt.

So bildet, den

ewig sie von innen her bewegenden Geist begleitend, die Materie in sichtbarem Schaffen die unsichtbare Welt des Gedankens symbolisch

ab und spiegelt im Wechsel ihrer eigenen, sichtbaren Gestalt die ewig feststehenden höchsten Ideen des Geistes, die Wahrheit, Weisheit, Schönheit, die Gerechtigkeit, die Freiheit und die Liebe in sich wieder.

So verstanden ist e» in seinem tieferen Grunde Ein und das­ selbe Leben Beider in Gott verbundenen Elemente, das sich hier «ach seiner leiblichen Seite hin bis zu den bewußtlosen Grenzen der Träg­

heit und Schwerkraft herabsenkend, in dem nur vom unsichtbaren

Walten der Dynamide durchströmten Stein scheinbar erstarrt, in Pflanze und Thier traumartig erwacht, endlich in der Form der bewußten Einzelverbindnng von Materie und Geist, die wir

menschliche Seele nennen, sich im Einzelwesen wieder der Natur der ersten, ursprünglichen Verbindung in Gott nähert, in der e» al«

24 allgemein«- Leben de- Geiste- in der Materie lebt und webt, um

sich nach seiner geistigen Seite hin zuletzt in den bewußten Schöpfun­ gen de- Menschengeistes, in seinem Wollen, rtöniien und Vollbringen

frei au-einanderzulegen. Solchergestalt erscheint uns das Grundverhältniß des Geistes zur Materie als das einer göttlich bewegten Einheit,

welche den

Kreislanf beider innig und unzertrennlich miteinander verwebten Ele­

mente in ewige Bewegung setzt.

Wir fragen wohl, wenn wir die Zusammensetzung eines Salzes analhsiren, welche- ist die Basis, welches ist die Säure? aber Nie­ mand wird Eines von Beiden als den alleinigen und wesentlichen

Bestandtheil deS Salzes hinstelleu wellen, denn eben nur in der Ber­

einigung Beider Elemente besteht das Object der Untersuchung selbst,

daS Salz, welches außerhalb dieser Verbindung nicht existirt.

So

bilden Geist und Materie in ihrer ewigen Berührung Ein Salz

— die Welt! — Sie geht als ein Drittes, beiden gleich Angehöri­

ges aus der Basis der Materie und der Säure des Geistes hervor, die Elemente, aus denen sie zusammengesetzt ist, folgen leiblich-geisti-

geu Gesetzen,

in denen

geistigen parallel gehen.

ihre

materiellen Verbindungen

mit den

Ein Medium, steht sie zwischen Beiden

ewig in der Mitte: in ewiger Bestimmbarkeit durch die Wechselwir­

kung, in welcher sich innerhalb ihrer die Grundelemente ihres Da­ seins begegnen.

Es

gibt keine jemals fertig erschaffen gewesene Welt.

Die

Schöpfung ist ein Vorgang ewigen Werdens, wie auch jener Vor­ gang ein ewiger ist, in welchem Gott die Freiheit seines bedingungs­

losen Seins umwandelt in die Nothwendigkeit eines an Ranm und

Zeit gebundenen, an welches sich unsere Welt, unser Dasein, unsere Arbeit, unser Lohn knüpft. Ja, ewig vollendet jener erste in Gott geschehende Vorgang

schöpferischer Bewegung, in welcher er sich selbst denkt und will, sich hernieder bis in ilnsrre Weltensphäre; ewig fließe« Geist und Ma-

26 terie ineinander hinüber und steigen, wenn sie ihre irdischen Ver­ bindungen eingegangen, sich in ihnen mitgetheilt und offenbart, wie« der hinauf, zurück in sich selbst. Ewig taucht der Geist Gotte- sich in diese Fluth, die er ewig erneuert, um Millionen und Millionen Geschlechter von Wesen au- ihr schöpfen und in ihr sein eigeneSein mitgenießen zu lassen, al- wäre es nicht sein, sondern ihr Eigenthum. Alle- Leben tritt un- ans diese Weise al- eine fortwährende Berendlichung de-Göttlichen entgegen: alle Leben-zwecke al- auf das Endliche aber in seiner Verbindung mit dem Unendlichen gerichtet. Daran- folgt also, daß alle- vom Göttlichen Belebte auch von ihm geheiligt sein muß. Leib und Seele, ja alle Dinge bi- zu jener äußersten Consequenz hin, welche der Prophet (Sach. 19. 20) zieht, wenn er von einer Zeit spricht, zu welcher „die Rüstung der Roffe dem Herrn heilig sein wird, und die Kessel im Hause wie die Becken vor dem Altar." So verstanden wird nun auch die zu dem ihr gebührenden glei­ chen Range mit dem Geiste in den göttlichen Sphäro- aufgenom­ mene Materie, die wir in ihrer irdische«« Gestalt Natur zu nenne« pflegen, zu einer gleich reinen und gleich tiefen Quelle der Offen­ barung de- Göttlichen wie der Geist selbst. Nur aus jener Einheit geht da- alleslöfende „Wort" hervor. Und so sehen wir, neben der unsichtbaren Unmittelbarkeit der Selbstbezeugung Gotte- im Inner­ sten unsere- Geiste-, auch überall eine sichtbare Offenbarung feine» Wesens in der uns umgebenden Natur einhergehen. Wahrhafte Gottes-, Welt- und Selbsterkenntniß kann nur da sein, wo Beide Stimme«« der Gottheit miteinander übereinstimmen. Wer den Geist ander- auslegen will, als die Natur ihn auszulegen gestattet, irrt ebenso wie derjenige irrt, der die Natur ander- au-legen will, als der Geist sie auszulegen erlaubt. Und wer nur die Offenbarung Gotte» im Geiste als die allein wahre Quelle aller Offenbarung ansieht, irrt ebenso wie derjenige, welcher dasselbe nur von der Of-

26

fetibantng in der Natur behauptet. Geist und Natur sind nur in­ sofern als sie sich miteinander verbinden das alleSlösende Wort. Den« wir können au- dem Geiste nichts inne werden, was nicht durch die Natur in ihn gelegt ist, wie wir aus der Natur nichtinne werden können, was nicht durch den Geist in sie gelegt wäre. Rur wenn wir eö vermögen die aus Natur und Geist hervorbrechen­ den Laute zu Einem Worte zu verschmelzen, werden wir unsere Welt erkennen als Gotteswort und GotteSthat, als Spiegel des höchsten Wesen-, als da- unendliche millionenfache Du zu dem Einen großen Ich, als einen Ocean von Leben, aus dein ihm, obwohl darin nie­ mals die Gleichheit mit ihm erreicht wird, Alles wieder entgegen­ strömt, was er au- der unerschöpflichen Fülle seines Wesens, an­ der Tiefe seiner Gottheit zuvor selbst hineingelegt. Wann wird, von Ihm durchglüht, diese Fluth sein reines Bild zurückstrahlen, wann Ihm sein eigener Geist aus ihr entgegenwehen? — Wird jemals die Welt zum Echo dieses „Wortes" werden?! —

3. Faust:

Wohin der Weg?

Meph.: Kem Weg!

Jus Unbetretene

Nicht zn Betretende:

ein Weg ins Unerbetene

Nicht zu Erbittende. — Bist du bereit?

Nichts wirst du sehn in ewig leerer Ferne, Den Schritt nicht hören dm du thust.

Nichts Feste- stndm wo du ruhst! Faust:

Nur immerzu! wir wollen es ergründe«;

In deinem Nichts hoff' ich mein All zu stndm. Meph.:---------------------------------------------------------------------------------

Versinke denn! ich könnt' auch sagen: steige!

-'ist Einerlei — Entfliehe dem Entstandnen

In der Gebilde lo-gebuudne Räume!

Faust:

Und nun? was jetzt? —

Meph.: Dein Wesen strebe nieder!

Göthe'S Faust.

2. Theil.

Wa- nun im unsichtbaren göttlichen SphäroS die letzten Prin­

cipien, gleichsam die Elemente der Elemente sind, das weiß, wie Plato sagt, „nur Gott allein und wer unter den Menschen von ihm

geliebt wird". Jene in schwankem Nebel verschwimmenden und ver­ schwindenden Grenzen der Lategorie des Grunde- auch nur annähe­ rungsweise vorstellbar zu machen, an welchen in den unermeßbaren Räumen des Anfangs der Hauch der ersten göttlichen Willen-bewe-

28 in den unsichtbaren und ungreifbaren ersten Bildungen der

gung

Materie webt und weht, bis, aus einem unfaßbaren Urgründe her­ niederthauend, das noch unwägbare, unsichtbare und unauSeinandergelegte Sein feine geistig-leibliche Sphäre in den ersten uns sinnlich

wahrnehmbar Raum und Zeit erfüllenden Formen des Urstoffe»

wiederspiegelt, jene Regionen zu durchdringen, in denen die gesetz­ mäßigen Kräfte des herrschenden Weltprincips in die ätherische Däm­ merung de» Universums einziehend die Substanzen ineinander über­ führen und die Darstellung des wirkliche» Seins in alle Gestalten

des möglichen Seins überzuleiten beginnen — dies zu erkennen ist uns versagt.

In diese Sphäre „dringt kein Nachen, keiner Brücke

Bogen und kein Anker findet Grund" — „senke nieder, Adlergedank, dein Gefieder, kühne Seglerin, Phantasie, wirf ein muthloseö Anker

hie." — Eö hieße das Unfindbare finden, das Unaussprechliche auösprechen, das Unbeschränkte in deS menschlichen Begriffes enge Schran­ ken fesseln wollen, wenn wir glaubten, unsere Vorstellung könne sich

zu jenen feierlichen Höhen der ersten Schwingungen des Lebens mit dem vermessenen Gedanken hinanwagen,

dort auch nur eine Falte

an dem Schleier zu lüften, in welchen die Gottheit dieses ihr eigen­ stes, innerstes Schaffensreich vor jedem sterblichen Auge in ein er­

habenes Dunkel gehüllt hat.

An diesen Grenzen muß vernünftiger­

weise jeder noch so kühne Flug menschlichen Denkens sich niederwärts

senken,

um die aus den ewigen Höhen herniedersteigende Entwick­

lungssphäre des Seins in die irdischen Regionen hinunterzubegleiten, in welchen sie uns, an den äußersten Grenzei« des menschlichen Ho­

rizontes zuerst als sinnlich wahrnehmbar sich ablagernde Weltmaterie

begegnend,

schon einen BerdichtungSgang durch ungeheure Reihen

von Medien und Aggregatzuständen, Zeiten und Räumen hindurch­ gegangen ist. Nur soviel werde«« wir uns zur Vorstellung bringen können:

was unmittelbar aus jener Region einer unö unsichtbaren gestalt­

losen Verbindnngsstufe geistig-materiellen Seins hervorgehend, sich

2» allmählig zn einer un- sinnlich wahrnehmbaren Stufe des Sein­

verdichtet, da- wird auf seinem Uebergange au- der Sphäre bedin­ gungsloser Freiheit in die Sphäre sich bedingender Nothwendigkeit

zunächst einen, wenn auch un- Physisch noch nicht wahrnehmbaren

Aggregatzustand de- Sein- einnehmen müssen.

Unmittelbar au-

einem eigenschaft-losen, ewigen und unendlichen Sein sich zu einem

beginnenden körperlichen, eigenschastannehmenden sich zusammenziehend wird diese- gestalterlangende Sein zunächst ZeitundRaumbildend,

in diese beiden ersten Urformen und Categorien der sinnlichen Welt­ gestaltung al- in seine sinnlichen Behälter und ersten allgemeinen

Qualitäten ufern.

Beide aber in einer über die Grenzen unserer

sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit weit hinau-rcichenden Weise er­ füllend, nähert sich da- geistig-leibliche Sein damit au- der Sphäre

bedingungsloser Allverbreitung der Sphäre sich bestimmender Ge­

staltung, leise werdender Formenbildung, in einer Weise, deren Grenz­ unterscheidung nicht nur unseren Sinnen auf ewig entzogen bleibt, sondern welche überhaupt gar nicht al- eine bestimmte, unverrückbar

irgendwo feststehende Grenzlinie zwischen den sich auseinanderentfal­ tenden Elementen des unendlichen und de- endlichen Seins wird vor­

gestellt werden dürfe».

Wir werden uns den UmfetzungSproceß bei­

der Aggregatzustände vielmehr in feinem vollen Entwicklungsgänge

zu denken haben unter dem Bilde eines ununterbrochenen UmfetzungS-

procesies, wie wir ihn als Experiment der Chemie vollziehen können, nämlich: der fortwährenden Verdichtung eine- luftförmigen Körper-

zu einem festen und gleichwiederstattfindender Wiederauflösung des­

selben auS

seiner festen zurück in seine luftförmige Gestalt.

So

lange dieser Umsetzung-proceß in Bewegung bleibt, werden wir die

unaufhörlich sich verschiebende Grenze zwischen den einzelnen Aggregatzuständen in keinem Augenblick so ruhend finden, daß wir sagen

könnten: jetzt ist dieses Atom fest, flüssig oder luftförmig, denn wäh­

rend wir es an-sprechen, ist es ja schön in der großen Bewegung

des Ganzen mit unzähligen andern wieder in andere Aggregatzu-

30 stände übergegangen.

Das Atom selbst freilich, hätte e» Be­

wußtsein, würde in dem EntwicklungS- und Wandelgange

dieses Processes sich seiner als eines Momentes in der allgemeinen Bewegung des Ganzen bewußt werden und eine Vergangenheit,

Gegenwart und Zukunft für sich

wegen seiner unendlichen Kleinheit sehr wohl unterschei­

den können.

So auch steht,

nicht an sich,

sondern nur durch

das wunderbar von der alleSvorbedenkenden Vernunft und göttlichen Weisheit mathematisch berechnete

Verhältniß

unserer menschlichen

Größe zur Größe des Universums, der ungeheure Schwung der

großen Bewegung alles Seienden vor unserem Wesen still genug, um uu» die in ihm schwingenden, ewig in sich verbundenen Categorien des unendlichen Seins im endlichen Bewußtsein unserer mensch­

lichen Natur wieder erkennen zu lassen; so nur zwingt das Atom

„Mensch" die ewig fliehende Welt der Erscheinung vor ihm stille zu steheu» und ihm Antwort zu geben auf seine Fragen und so nur

vermögen wir da- Ewige in Allem festzuhalten und das Zeitliche davon zu sondern. — Aehnlich gibt es nirgendwo eine absolute,

starre Grenzscheide zwischen der geistigen und materiellen Sphäre: in einem ewig regen Herüber- und Hinüberneigen der einen in die andere gehen die Wagschaalen ewig auf und nieder, ohne daß je hier

nur Geist dort nur Materie gewogeu würde.

Was nun unmittelbar aus der vollkommensten Bedingungslos

sigkeit des ersten Seins hervorgehend, sich zum bedingte» Sein ver­ dichtet, das, deuteten wir schon oben an, muß zwischen dem was

unsere Sinne „Nichts" (es gibt überhaupt kein „Nichts" im abso­

luten Sinne des Wortes) und dem was sie „Etwas" nennen, zu­ nächst einen Aggregatzustand des Seins einnehmen,

den wir uns

kaum vorzustellen, vielweniger sinnlich wahrzunehmen vermöchten und

der von Allem, was wir unter einem höchst expandirten Aggregat­ zustande des Sems uns physisch zu veranschaulichen vermögen, vom

„Aether" selbst noch immer ebenso unterschieden sein kann, wie dieser

31 sich von der atmosphärischen Luft unterscheidet. Ja, wenn selbst di« erste sinnlich erkennbare Stufe de- Sein- unserer physikalischen Bor­ stellung schon in einem Grade der Berdichtung entgegentritt, auf

welchem sie, «ach Euler'- Berechnung, „einen einzigen Gran wäg­ baren Stoffe- in vielen Millionen Cubikmeilen Raum aufgelöst ent­ haltend" dargestellt wird, so haben wir damit schon — die Substanz selbst.

Zwischen Materie und Substanz oder Stoff lassen sich aber

Unterschiede denken wie zwischen Gedanke, Wort und That: die letzteren sind Potenzen, Entwicklungsgrade der ersteren. Verdichtung-zustände.

Au- diesen unfaßbare« Regionen der Weltsphäre tritt uns nun

an den äußersten Grenzen des physischen Horizontes die sich zu uns herabsenkende Materie als im Weltraum verbreiteter „Aether" (aei diro in ewiger Bewegung sein) entgegen, — die aura eoelestis der

Alten, die dünne und heitere Weltluft der höchsten Region«.

Ein

Element, nach Euler'- Berechnungen, 39 Millionen mal dünner und

mehr als 1200 mal elastischer als die atmosphärische Luft, die un»

umgibt.

Und dennoch substantiell Hinreichmd, um von dem größt«

Entdecker im Weltraum, Newton, als Ursache der Berlangsamnng der Cometenbahnen betrachtet zu werden; — substantiell genug, um

Arago (ddit. Barral. XIV.) sagen zu lassen, „die ätherische Sub­

stanz, welche das ganze Weltall erfüllt, deren Schwingungen daLicht bilden und welche, wie jedes widerstehende Vehikel, in dem sich

ein Körper bewegt, die Dimensionen der von ihm durchlaufenen Bahnen zu verringern strebt, werde, wofern es, mathematisch aus­

gedrückt, nicht gelingt für den erlittenen Widerstand eine compenst» rende Kraft zu finde», nach Verlauf von hinreichend großer Zeit, die vielleicht au- mehreren Milliarden von Jahren besteht, die Erde

wieder mit der Sonne vereinigen."

Ein Element, welches schon

Giordano Bruno „das erste, allerhaltende, allumfassende, allverbindeode Sein im Raume" nannte.

„Es ist, sagt er, eine unermeßlich

ätherische Region, in welcher die unzähligen Weltkörper fich befinden und sich beweg«.

Und dieser Aether, dieser LebmShauch umgibt

32 nicht blos die Körper, sondern er durchdringt sie und ist allen Din­

gen eingeboren. Er ist der Seele wie dem Leibe gegenwärtig. Die­ sen unendlichen Himmel, fügt er mit kindlicher Frömmigkeit hinzu,

nennen wir den Sitz Gottes, des Vaters des Lichte-, seinen Leib,

sein Sein im Raume, die erste älteste Offenbarung seine- Sein-. Er enthält alle Kräfte in seinem allverbindenden Element, er fällt in sie auseinander wie da- Licht in seine Farben."

Bon dieser in der Unendlichkeit de- Weltraum- verbreiteten Materie, deren Atonie durch die ihnen innewohnende Anziehungs­

kraft sich einander nähernd, sich zum „Weltdunst" verdichten, wie Humboldt sich anschaulich au-drückt, beginnen nun die ersten, sinnlich

faßbar sich äußernden Anfänge allgemeinen Entstehen- und Werden-. Da- erhabene Gemälde der in die Gestaltung-form unsereWeltsystem- übergehenden Materie haben un- in seinen großartigen

Umrissen die Neueren entworfen.

Sei e- nun daß, von der Kraft

der Anziehung zur mittelpunktsuchendcn Bewegung getrieben,

der

Weltstoff, unter Entwicklung von Wärme und Licht, zu einem un­ ermeßlichen Nebelball zusammentrat, a»S deffen rotirenden, mittel­

punktfliehenden Ringen sich in verschiedener Dichtigkeit und Größe die Planeten und au- diesen, im fortgesetzten Schwünge der großen

Bewegung de- Ganzen wieder in gleichweis sich abtrennenden Ringen

ihre Trabanten und Monde sich bildeten, bi- sie in unabsehbaren Zeiträumen au« dem luftigen leuchtenden Nebel, dessen erster Bil­ dung sie entsprangen,

in jene festen Aggregatzuftände übergingen,

innerhalb deren wir das Ganze heut als unser, den Weltraum durch­ wandelnde- Sonnensystem erblicken (Laplace).

Oder möge»,

von

noch heut ähnlich am Himmel sich begebenden Vorgängen zurück­

schließend, diejenigen Recht haben, welche Arago folgen, wenn er sagt (I, c. 15.), „über den ganzen Raum eine- ausgedehnten Nebelball­

zerstreute Mittelpunkte der Anziehung bedingen ein stellenweise- Ver­

schwinden de- phoSphore-cirenden Schimmers; nach den anziehenden Mittelpunkten drängend entstehen Lücken in dem lichten Vorhang der

33 Materie; so verwandelt sich in fortschreitenden Zerreißungen ein ein­

ziger Nebelfleck in mehrere gesonderte, die nahe beieinander liegenden

oft durch bfimte NebelfLden verbunden bleibend: der äußere Umfang

der einzelnen Nebelflecke gewinnt Rundung; schneller oder langsamer wächst die Lichtstärke vom Umfang zum Mittelpunkte hin. E» bildet

sich ein Kern, sehr auffällig durch Größe und Glanz.

Jeder Kern

geht über in den sternichten Zustand und e» bleibt nur ein dünner Nebel um ihn her übrig.

Endlich fällt auch diese letzte Hülle und

da» Ergebniß de» ganzen Vorgänge» sind ebensoviel Sterne al» in

der ursprünglichen Nebelmaterie gesonderte Mittelpunkte der Anzie­ hung vorhanden waren."

So wohnt jene erste Kraft, welche die Materie solchergestalt in Bewegung setzte, ewig weltenbildend und auflösend ihr heute noch inne. Der strengen Forschung sinnlich wahrnehmbar, tritt un» eine

höchst bewegliche Verbreitung au» den Tieftn de» göttlichen Welten­ baue» unerschöpflich heraufquellenden Stoffe» entgegen. Bon den fern­ sten Himmel-regionen her, bald formlos zerstreut, bald vielgestalttg

begrenzt; von den ersten zartesten Gebilden de», in frei umherschwe­

benden Lichtwölkchen zur Verdichtung übergehenden Nebel» bi» zu den näheren Gruppen dichtgedrängter Sonnenschwärme; vom noch

dunstförmig umhüllten, aber schon fest gewordenen Nebelstern 6t» zum irrenden, seinen Ort im Weltraum erst suchenden Cometen; durch alle Stadien der Verdichtung, Gestaltung und Combination

überall zu Wellen zusammenrinnenden Stoffe» geht sie bi» in unser Sonnensystem hinein, in bessert Milchstraße wir endlich, wie Hum­

boldt sich au»drückt, „die fernzusammenstoßenden Rändel der lin­ senförmigen Hohlgestalt jener „Sterneninsel" erkennen, von der wir selbst nur da- Sonnenstäubchen de» Erdstern» bewohnen.

Indem

un- nun die Materie von der Warte diese» Weltatome» au» un­ gleichzeitige Vorgänge nebeneinander im Welttaum statthabend zeigt,

tritt un» eine im großen Ganzen ewig in ihr thättge Kraft entgegen. Gestirne entstehen und vergehen; wir sehen jene wie Embryonen zuOer man, Die Welt im Werden.

Z

34 nehmen,

diese wie Greise altern und sich auflösen,

großen Bewegung

ausgenommen,

die

derte unserer Erdemneilen zurücklegt,

um von der

wenigen Secunden

in

Hun­

als zersallender Staub spur­

los sich im Weltenraume zu zerstreuen.

Ganze Farbenscaleu ab-

und zunehmender Lichtveränderungen durchlaufend geben Andere in wechselnder Schönheit des Glanzes

und

schwankender Stärke der

Leuchtkraft Zeichen nie ruhender Schwingungen des Lebens in den

himmlischen Räumen, eine Veränderung des ganzen gestirnten Him­ mels in ferne Aussicht stellend.

So tritt uns die Materie in der cosmischen Sphäre entgegen, in Sterneninseln, in Weltkörpern auftauchend aus dem Schooß des Urdynamids und in ihn zurücksinkend,

wie wir aus den dunkelen

Fluthen unseres Weltmeers hie und da inselförmige Festlandgruppen,

Eilande emporsteigen, Andere wieder entschwinden sehen. —

Die Materie aus welcher die im Weltraum schwebenden Kör­ per gebildet sind, ist nach unserer Anschauung also der

ungeheure Reihe von Medien,

durch eine

Zeiträumen und Aggregatzuständen

hindurchgegangene Niederschlag eines allgemeinen und ewigen Pro­ cesses, in welchem sich das All-Eine, Allgemeine, welches wir das Göttliche nennen, in einem sichtbaren äußeren Elemente von seinem

unsichtbaren inneren Elemente unterscheidet.

Der Geist ist in diesem

Proceß der ewig zeugende Vater, die Materie die ihn ewig empfan­

gende und wiedergebärende Mutter der Dinge. Mit dem Uebergange der Verbindung beider Elemente iv die verdichtete Gestalt

frei im Weltraum schwebender Körper

ist der

Weltraum selbst, d. h. sind die Zwischenräume zwischen den Welt­ körpern darum nicht leer geworden,

sondern

diese

sind vielmehr,

gleichsam nur Poren in dem großen, leuchtenden Schwamme, noch

immer mit dem allgemeinen, ursprünglichen Weltstoff erfüllt geblie­ ben, welcher, wie er die großen Weltkörper umfließt und durchdringt,

so auch, den Dunstkreis der planetarischen Atmosphäre durchdringend, jedes Molecül unseres eigenen Leibes, jedes Blutkügelchen und Gan-

35

glion desselben umhüllt und durch seine Allverbreitung alle Dinge beständig in Eins mit dem All setzt

in ihm, wie in einem unend­

lichen Vehikel, schwebt alles Stoffliche und es sind in ihm die großen

Massenkörper wie die Atome so sehr demselben Gesetze unterworfen, daß dieselbe ihn durchwaltende Kraft es ist, welche die in Ruhe sich

anziehenden und abstoßenden Gestirne zu den stillen Verschlingungen ihrer Bahnen treibt, wie sie in der Welt des Kleinen uns das be­ wegtere Bild leidenschaftlich und unruhig einander suchender

und

fliehender Atome zeigt. — Es sind, physisch und moralisch, dieselben

Gesetze, welche Sonnensysteme und Welten von Wesen wie die Atome und die Einzelnen regieren

im unendlich vergrößerten wie im un-

mdlich verkleinerten Maaßstabe erfährt jedes derselben nur das überall flch spiegelnde Zeugniß seiner Allgültigkeit in der Welt des Raumes und der Zeit.

Dieser im allumgürtenden Tcean des Weltenraumes verbreitete

allgemeine, geistig-leibliche Urstoff, von welchem Alles ausgeht, in welchen Alles zurückströmt, mit welchem Alles zusammenhängt und

welcher, beständig erregt, der Träger einer allesdurchströmenden Fun-

damentalbewegnng ist, fällt in seiner Niederschlagssphäre als sinn­ lich wahrnehmbare Materie der Einzelweltkörper in Systeme von Jndivchualstoffen und Jndividualkräften auseinander,

deren unter dem

Bande einer gemeinschaftlichen Einheit des Ursprunges durch Alles

hindurchgehendes Zusammen- und Auseinanderwirken die schaffende

Ursache einerFortpflanzung jener allgemeinen Bewegung des Ganzen auf die Sphäre des in den einzelnen Weltkörpern abgelagerten Stof­ fes wird — eine Bewegung, vermöge deren die Weltkörper wie die

Moleküle unseres Leibes in beständigen Schwingungen erhalten wer­ den, durch welche sie, sich unaufhörlich in Eins mit dem All setzend, einem

ewigen

Wechsel der

Combinationen,

einem unaufhörlichen

KrÄstauft und Läuterungsprocesfe unterworfen werden.

Ein System

zufammenwirkender, einigender oder polarisch trennender Thätigkeiten

fetzt aber, wie Humboldt sagt, die Abhängigkeit jedes Theiles des 3*

36 Naturganzen von dem Andern in dem elementaren Processe der an-

organischen Formbildung wie in dem Hervorrufen und der Unter­

haltung de- Leben-. Bon diesen Schwingungen einer allgemeinen Weltatmosphäre

durchdrungen, welche durch die unaufhörliche Mittheilung der in ewi­ ger Wirkung begriffenen Grundkraft beständig erregt und unterhalte«

werden, entwickelt nun unser, in verschiedenen Abstufungen der Stärke, Dauer und Dichtigkeit der Niederschläge im Grunde al- au- jenem

allgemeinen Weltstoffe gewebt zu betrachtende Planet die wärmeer­ zeugende Bewegung de- Alllebens, unter welcher Geist und Ma­

terie, da- Geistig-Leibliche, in unendlicher Fülle der Combinationen, sich trennend, au-breitend oder zusammenziehend, sich anziehend oder ab­

stoßend, sich bald auf die äußere, bald auf die innere Sphäre rich­ tend, sich in einander umsetzend und verwandelnd, sich von Stufe

zu Stufe läuternd, zusammentreten und je nach der jeder Einzelver­

bindung zukommenden Kraft und Grenze der Dauer darin erhalten werden bi- in der, zum Bewußtsein ihrer selbst gelangendeu Ein­ zel Verbindung der Materie mit dem sie von innen her erregenden

Geiste, d. h. im menschlichen Wesen, in welchem sich auf unserer Erde endlich die Universal Verbindung, die allgemeine Einheit von

Geist und Materie bewußt indivtdualisirt wiederfindet, die

Krone dieser Verbindung in ihrer irdischen Gestalt erreicht ist. „— Klar ist der Aether, und doch von unendlicher Tiefe, „Offen dem Aug': dem Verstand bleibt er doch ewig geheim.

(Schiller.) Nach dem Borangegangenen tritt uns also da- große Welt­

ganze al- ein Geistig-Leibliche-, eine Verbindung von Geist und Ma­

terie entgegen, in welcher die Materie die Hülle de- Geiste- ist, die, von nie ruhender Leben-bewegung getrieben, sich in den wechselnden

Formen der irdischen Erscheinung-welt ewig wiedergebärend, überall

da- Leben de- Geiste- al- sein co-mischer Schatten begleitet.

An­

den äußersten Grenzen ihrer ursprünglichen, noch eigenschaft-losen

37 unkörperlichen Gestaltlosigkeit nebelförmig die Eigenschaft der Körper«

leit und damit auch raum« und zeiterfüllende Eigenschaft annehmend,

— von dem undurchsichtig und fest gewordenen Erdstoff wieder zu den ätherischen Verbindungen aufsteigend, in welchen sich da- Geistige

zu bethätigen vermag, empfängt die Materie die Weihe ihrer Be­

deutung als die plastische Grundbedingung aller Erscheinung. Ewig von dorther bewegt, wo sie sich dem ersten Werden entringt, ent­

strömt ihr in Myriaden von Medien, Zeiten und Gestalten das un­ aufhörlich quillende Leben alles Geschaffenen. Was unbewußt durch die dich umgebende Welt, dort im stillen Reigen der Gestirne, hier

im Fliehen und Suchen der Atome, was im Wehen des Winde-,

in den Schwingungen des Schalles und des Lichtes wie im Blühen uud Dusten der Pflanze; oder bewußt in dem alles Unbewußte über­

ragenden Menschenwesen gefühlt und gedacht durch sich selbst hin­ durchgeht, — efl heiße dort Harmonie, Klang oder Duft, hier Ge-

fühl oder Gedanke — überall ist es an Stoff gebundene- Leben.

Sich fliehend und suchend leben die Atome, geistergleich im Dust durch die Räume ziehend lebt die Pflanze, leuchtend und tönend

leben Licht und Schall wie du selbst fühlend und denkend lebst: nur

bricht sich in Jedem, wie das Licht, so die Lebenskraft je nach dem Medium und Stoff, den sie ergriffen, in verschiedenartigem AnSdruck

der Daseinsform.

Ueberall macht sich da- innere Leben dieser Ma­

terie geltend, ob die Wirkung ihrer Kräfte sich hier als bloßer Druck

ihre- Gewichte- im verhärteten Steine vollendet, oder dort zum fei­

neren Spiel magneto-elektrischer Strömungen erwacht, oder, zuletzt, als Gedanke den Geist wieder zurückstrahlt, der ihr innewohnt. Alles „lebt" innerhalb dieses Stoffes fein besonderes Leben, aber es ist

Ein Leben in Allem. Es sind mancherlei Wirkungen, aber Eine Ur­ sache.

Und zum Zeichen gleichsam, daß sie nicht da- allein alles-

beherrschende Element selber sei, löst die Materie ihre wandelbaren Gebilde ewig wieder zu unsichtbarer Gestaltlosigkeit auf, um in im­ mer neuen Verbindungen zur Erfüllung neuer Daseinsbedingungen

38 auferstehend von Neuem sichtbar gestaltet immer wieder den geisti­

gen Lebenshintergrund all ihrer Bewegung zu enthüllen.

So treibt,

was im fallenden Blatt und der welkenden Blume, was in verwit­

ternden Mauern

und

versinkenden Reichen, was

im Moder der

Grüfte und im Thau der Gräber die Auflösung der alternden Zu­

sammensetzung der Atome des Ganzen bewirkt, im Dienste des Gei­

stes immer wieder die Keime neuer, lebensfähiger,

wenn auch wie­

derum vergänglicher Combinationen; und so wirkt dieselbe unversieg­

bare Kraft des in Gott beseelten Stoffes,

die wir schaffend und

erhaltend als Leben, auflösend als Tod uns zu bezeichnen gewöhnt haben,

in Wahrheit ewig umschaffend und neu beseelend nur Ein

und dasselbe ewig auferstehende,

unsterbliche Leben.

Im rastlos in

einandergreifenden Suchen und Fliehen die Atome fesselnd und ent­ fesselnd, im unermüdlich Leben bindenden und lösenden Schaffen, im

beständigen Wechsel der Hüllen sich erneuernd

umkreist im Dienste

Gottes der Stoff das Leben des Geistes, den er umschließt und der, hier ewig seiner bedürfend, ihn dankbar beseelt.

So sind uns Materie und Geist als die unzertrennlichen Ele­

mente des Daseins Eines höchsten Wesens in den Beziehungen ihrer unauflösbaren, höheren Einheit wie in ihrer Polarität entgegenge­ treten, und obgleich das Leben erst in den Dingen, der Geist erst im Menschen zu entstehen scheint, sehen wir wie vielmehr die Dinge

in das Leben, der Mensch in den Geist hineingeboren wird-

Erweiterung unseres irdischen Horizontes,

die uns lehrt,

Eine

unseren

idealen zu erweitern! denn vor uns liegt, ihres göttlichen Ursprungs

sich erinnernd und ihr göttliches Ziel ahnend,

eine Welt,

die sich

nun nicht mehr die allein wirkliche nennt, weil sie die allein sicht­

bare ist.

Die Welt der Körper erkennt sich wieder als eine Welt

des Geistes: sich fühlt sich geistig bewegt und entschließt sich

ihrem geistigen Bewegungsgrunde

nach der Höhe, zu werden.

heraus zu handeln.

aus

Sie strebt

voll Verlangen ihres Ursprungs wieder theilhaftig

39 Auf diesem Wege sind wir zu einer Weltanschauung gelangt,

welche daö Universum als einen ewig geschehenden SchöpfungSproceß des Gottesgeistes betrachtet, als eine ewige Selbstunterscheidung sei­

nes Wesens. In diesem ewigen Selbstunterscheidungsprocesse voll­ zieht sich die ewige Wesenheit Gottes und der Welt. Die Welt aufhebend müßte Gott sich selbst aufheben, um als unbedingtes We­ sen nur unbedingt zu sein, d. h. er müßte sich im Bewußtsein seiner Persönlichkeit aufheben.

Dieses aber ist undenkbar.

Da nun an­

dererseits dies Freiwerden der Selbstunterscheidung in Gott nur da­

durch geschehen kann, daß er sich selbst will, sich selbst schafft, und

da dies Alles aus der inneren Nothwendigkeit seines Wesens her­ vorgehende That seines Willens ist, so liegt darin auch die Stellung

natürlich und deutlich ausgesprochen, welche Gott zur Welt einnehmen

muß.

Die Welt ist sein ewig thatwerdender Gedanke, sein ewiges

Werk; als solches aber ebensowenig identisch mit ihm wie irgend ein Werk identisch ist mit seinem Meister; noch wohnt Gott anders in ihm als ein Meister in dem Werke wohnt, welches er schafft. Der Meister bezeugt sich in seinem Werke aus der Fülle seines Wesens,

aber er ist noch ein Wesen für sich auch außerhalb seines Werkes. Gott ist Herr der Welt, die er erschaffen, sie gehört unmittelbar ihm; er hat sie keinem anderen Eigenthümer, auch dem Menschen nicht anders als zu Lehen abgetreten: im Dienste seines Willens und seiner Kraft rollen die Sphären durch die Unendlichkeit des

Weltraums. — Gott wohnt also weder in einer Region außerhalb der erschaffenen Welt, von welcher aus er etwa die Erde, in der er nicht ist und den Menschen, in dem er nicht ist, von Außen her re­ giert: noch ist er etwa nur in die Sphäre der erschaffenen Welt hineingebannt, als in die bedingte Stätte seines Schaffens und Wir­ kens. Sondern er ist, wie er Alles in Allem und überall ist, inner«

wie außerhalb der erschaffenen Welt, ein Wesen, welches die

Welt in sich trügt, wie hier die Mutter ihr Kind, — welches sie rings umfließt wie die Luft die Erde und zugleich sie allgegenwärtig

40 durchdringt. In diesem ungeheuren, in unzähligen Punkten der An­

ziehungskraft von seinem Geiste durchwalteten Leibe schrumpfe« die uu- unermeßlich scheinenden Räume, die Weltkörper von einander trennen, zu Entfernungen zusammen, nicht größer als die — welche im menschlichen Körper ein Blutkörperchen, ein Atom vom Anderen trennen. — So dürfen wir uuS Gotte- Geist weder, wie den end­

lichen in unserem Leibe, ähnlich in Welt, Erde und Menschen ein­

geschloffen denken, und nur von dorther die Bedingungen seine- Da­ sein- und Wirken- empfangend: noch dürfen wir ihn seiner Welt

entrücken.

Zwischen ihm und der Welt besteht die innigste, tiefste,

allgegenwärtige, wechselseitige Durchdringung und Beziehung.

Er

sprach nicht: „nun rollet hin durch meine unermeßlichen Räume, ihr

Welten, die ich erschaffen, ihr seid vollendet, nach meinem Plan ent­ standen und eingeprägt meinen Gesetzen; geht! lebt für euch, ich bleibe für mich, um von meinen Werken ruhend mich ihrer zu

freuen!" — Sondern er sprach: zieht hin! ich bleibe in euch, euer

ewiger Urgrund, und ich behalte euch Alle in meinem Sein! — So sind alle diese funkelnden Welten nicht bunte Seifenblasen, an deren

leichtbeweglichem Durcheinanderspiel de- fernen Schöpfer- Auge sich weidet, sondern die ewigen Räume Hallen un-, wie einst dem Pro­

pheten Israel-, da- erhabene Wort wieder: „bin ich denn nicht ein

Gott der nahe sei und nicht ein Gott der ferne sei? bin Ich es nicht der Himmel und Erde füllt?" — So lebt Er in der Welt,

in uns — ein Gott, der unsere Freuden theilt wie unsere Schmerzen. Leihen wir un- zur weiteren Erhellung de- VerhältniffeS zwi­

schen Gott und Welt au- dem näheren und zuttaulicher betretenen Gebiete der Kunst und de- Lebens die Hülfe einer unserem Auge

gewöhnteren Leuchtkraft, um da» Verhältniß als ein recht einfaches wieder zu erkennen. — Niemand zweifelt, daß de» Künstler- schöpfe­

rischer Gedanke da» Hauptmoment des Kunstwerks selber sei und daß in ihm sein eigentliche» Werthmaaß beschlossen liegt. Zum voll­

kommenen Gedanken gehört aber, wie wir überall sehen und erfahren,

41 daß er plastisch wird, daß er von sich zeugt, daß er sich seine- un­ sichtbaren Schaffen- in sichtbarer Form, al- That, al- Werk ent­

äußert. Dadurch aber bekundet sich alle schöpferische Kraft de- Gei­ ste- al- eine Kraft der Liebe, daß der Geist sein Schaffen und Leben

nicht in sich allein festhalten kann, sondern au- sich heraus einem Anderen als er selber ist, mitzutheilen getrieben wird: sein und sich mfttheilen, sich offenbaren ist für den Geist eine Nothwendigkeit:

darum drängt die schöpferische Kraft so unwiderstehlich zur schaffen­ den That.

Dem Gedanken selbst aber, indem er nun au- innerer

Nothwendigkeit zur That wird, im Künstler zum Kunstwerk, geschieht damit ja nicht- Andere-, al- daß er selbst zuletzt auch wieder in Anderen zu dem wird, wa- er ursprünglich nur im Haupte seine»

Erzeuger- gewesen — zum Gedanken.

Da- Werk wird also da-

Medium, in welchem die Welt die e- sieht, sich de» Meister- be­

wußt wird, der e- geschaffen: und durch diese» Medium hindurch­ gehend wird der Gedanke de- Einen, der e- erzeugt, in denen, die e- sehen und verstehen, zu ihrem eigenen Gedanken. So verhalten

sich nun Künstler und Welt zu einander wie Prometheus und Epi-

metheu-, der Bor- und der Nach-denker.

(So übrigen- löst sich

auch jener scheinbar tiefe Widerspruch aristotelischer und platonischer

Philosophie in einer höheren Einheit auf: stellt nämlich der plato­

nische Satz die Idee vor ihrer Erscheinung al- seiend, der ari­ stotelische sie erst in derselben al- werdend hin, so erkennen wir

die Idee ebensowohl vor ihrer Erscheinung al- eine seiende, wie auch

in ihr al» eine werdende und au- ihrer Erscheinung wieder in sich

zurückkehrende.)

Aber da- vollkommenste Werk, in welchem der

menschliche Gefft die ihm vorschwebenden Ideale abbildet, wird be­ kanntlich in all seiner Schönheit noch immer übertroffen von der geistigen Gestalt selber, in der e-, irdisch noch unvermittelt, in de-

Künstler» Seele stand.

Ja, hoffnungslos wäre jeder Versuch de»

schaffenden Genius in einer Berstnnlichung da» Verständniß seine­

inneren Schaffen» zu vermitteln und mit fester Hand die Schwin-

4» gütigen der großen und zarten Bilder festzuhalten, die in zitternden Reflexen sein innere- Auge schaut, — wenn nicht, ahnung-voll be«

rührt von dem Bewußtsein diese- Schicksals die übrige Welt in den Werken, die sie vom Genius empfängt, auch die ursprünglich- Gei­ stesgestalt, die dem sichtbar gewordenen Werke im Haupte de- Mei­

ster- voranging, verständntßvoll wieder in sich selbst zu verklären

vermöchtt, so daß nun Künstler und Welt einander doch in den Tie­

fen ihre- Wesen- verstehen können.

Wohlan! da- Verständniß der

Kunst, welche- uns zum Bewußtsein bringt wie der Geist da- voll­ kommene Erreichen

seiner Bersinnlichung im

Endlichen

erst im

Verständniß gleichgestimmter Wesen erreicht, hebt im- empor

zum Verständniß de- göttlichen Wesen- selber. Der Künstler ist e-, der un- lehrt, wie der Schöpfer der Welt, wenn er sich auch voll­ kommen in seinem Werke an-drücken wird, dennoch immer gleich sei­

nem irdischen Rachbtldner al- höhere- Selbst über seinem vollendeten

Werke steht.

Ander- verhält sich Gott nicht zu seinem Werke der

Welt, nur mit dem Unterschiede, daß die Welt kein fertig vollendete-

Werk ist, sondern ein von ewigem Schaffen-hauch de-

göttlichen

Weltenmeisters durchdrungene-, von dem er sich nie zu beschaulicher

Ruhe zurückzieht.

Wer jemals in die Welt der Töne oder der Farben hineinge­ zogen, ein innerweltliches Leben in sich erwachen gefühlt, das ihn

über die wirkung-kundig in einander gefügten Ordnungen von Linien,

Wellen, Farben oder Tönen hinau-zog ins Gefühl eine- Unendlichen;

wer dort den alleSdurchleuchtenden Geist, die alle-erwärmende Seele mitfühlte und, vom Strahl der genialen Kraft berührt, sich mitent­ zünden ließ von dem Lichte einer höheren al- der blo- sinnlich reflectirten Welt, der wird die in ewige Dämmerung gehüllten Gren­

zen, mi denen Gott und Welt in einander übergehen und sich von einander trennen, wenn er den angedeuteten Vergleich verfolgt weder mit allzu zudringlichem Lichte beleuchtet, noch mit dunkleren Schleiern

al- vordem verhüllt finden.

„Das UeLermaaß der Schätze, das, erstarrt „In unsrer Erde tief im Boden harrt „Liegt ungenutzt. Der weiteste Gedanke „Ist solches Reichthums kümmerlichste Schranke: „Die Phantafie in ihrem höchsten Flug „Sie strengt fich an und thut fich nie genug; „Doch fassen Geister, würdig tief -n schauen „Zum Grenzenlosen grenzenlos Vertrauen.

„Wenn der Bergmann die im Verborgenen „streichende Erzader suchend, in den finsteren „Schacht hinabsteigt, so befestigt er da- Gru„benlicht au seinem Haupte; so fährt er in die „dunklen Gänge ohne Gefahr und weiß, daß „er fich wieder zum Lichte de- Tage- in die „obere Welt zurückfinden und dort unten nicht „verlieren wird. Wer, die verborgene Geiste-„aber suchend, in die Schachte der Natur hinab« „steigen will, der muß die Leuchte Gotte- über „seinem Haupte befestigen und diese brennend „erhalten, sonst wird er nicht wieder empor „kommen." ***

ere Aufgabe führt un- au- der Weltsphäre herab zur pla­ netarischen, zum Entwurf der ältesten durch naturwissenschaftliche

Forschung wieder erkennbar gewordenen Züge der Vergangenheit un­ serer Erde bi- in die innere Werkstätte der in der Gegenwatt sie

durchwittenden Leben-kraft und in die Gestaltung ihrer Zukunft

hinein. Au- leuchtendem Nebel znm glühenden Fenerball fich rundend, nachdem er vielleicht einst selbst im Anfang eigenen Werden- come-

tenarttge Bahnen durch den Welttanm gezogen bi- er, von der Kraft de- Gravttatton-gesetze- gefesselt, sich zu regelrechtem Laufe

einschob in den harmonischen Reigen der Gestirne, sehen wir unsern

Plantten, langsam erkaltend, sich aümählig die Rinde bilden, au»

46 deren dunkler Scholle die wechselnden Geschlechter seiner Wesen ent­

sprießen sollten. — Berstend vom glühenden Inhalt, der in gewal­

tigen Strömungen Gebirgsmassen zu den späteren Regionen ewigen Schnees emporhob, wie er jetzt an dünneren Stellen der Erdschicht noch immer seinen feuerflüssigen Inhalt aus den Kratern der Vul­

kane emportreibt, — von einem ungeheuren Dunstkreise umhüllt, der ihn nach unabsehbaren Abkühlungszeiträumen seiner'Rinde erst, aus

gasförmigem Dampf

in

wässrige Niederschläge übergehend (deren

Zeiten noch in die Periode der Sindfluth hineinragen), als wässrige

Hülle umgab, — aus dieser, zum Weltmeer gewordenen Wasserhülle durch unaufhörliche Gegenwirkung des Erdinnern gegen die immer fester werdende Decke allmählig in einer Gestalt emporgehoben, die erst nach Jahrtausenden in den allgemeinsten Grundzügen ihrer ge­

genwärtigen Gestaltung des Festlandes auftrat, und dann in lang­

samem Erkalten allmählig die Atmosphäre klärend,

vom Luftmeer

umspült — so tritt, den feurigen Muth austobend, der zum Erd­

ball geformte Urstoff feinen erhabenen Gang unter den Sternen­

brüdern an.

Noch

lächelt in jenen ersten Zeiten des Elementar­

kampfes dem Schöpfer nicht der leiseste Zug zum Bewußtsein ge­

kommenen Lebens von ihm her entgegen; durch seine unwirMchen Schluchten, über seine kahlen Ebenen dahin jagt der heulende Orkan

und peitscht den jungen Ocean, oder durch die in unermeßlichen Mederschlägen sich abklärende atmosphärische Nebelhülle brechen nur hin und wieder vereinzelte Blicke der Sonne hindurch,

eine Welt be­

leuchtend, die dem halbverhüllten Gestirn des Tages nur im eintö­ nigen Rauschen ihrer Fluthen und im dumpfen Rollen ihrer unter­

irdischen Donner antwortet, aber noch in keinem friedlich lebensfroh

bewußten Ton entgegenjauchzt.

Erst als in der Reihe der großen,

über unberechenbare Zeiträume

sich hinausziehenden Entwicklungs­

zeiträume die dem organischen Leben nothwendigen Bedingungen ge­ milderter Grade der Wärme und des Lichtes sich erfüllten — da erschienen,

nicht Plötzlich,

sondern allmählig nach dem wachsenden

47 Maaß der Erfüllung ihrer Daseinsbedingungen,

langsam sich dem

Schooß deS Unorganischen entringend, die ersten Keime organischen Lebens und überziehen den bis dahin nur in seinen schroffen und starren Umrissen ausgemeißelten metallnen Leib der Erde allmählig

mit der „farbenreichen Decke vegetabilischen Wachsthums". Diese Bewegung der arbeitenden Erdmaterie ist nun mit dem

heutigen Tage noch nicht erloschen und niemals in das ruhige Be­ harren eines fertigen Zustandes übergegangen:

nach den ungeheuren

Stürmen, deren es bedurfte, um den Planeten zur Erzeugung le­ bensfähiger Wesen geeignet

zu

machen,

dauerte

nur in

den gemäßigteren Schwingungen fort,

Existenz

der

lebendigen Geschöpfe

vertragen,

sie

von

da

an

welche sich mit der

aber noch immer in

einer Weise, welche unverkennbar anzeigt, daß der Planet noch nicht

in seinen definitiven Zustand eingetreten ist.

Noch ist, hier sich sen­

kend, dort sich hebend, hier dem Meere Gebiet abgewinnend,

dort

es abtretend, ein großer Theil der Erdoberfläche in beständiger Be­

wegung begriffen.

(In Mittelitalien, Sardinien, Schweden versanken

schon von Menschen bewohnte Gegenden und wurden durch plutonische Gewalten wieder emporgehoben: langsam steigt ganz Schweden

über das von seinen austrocknenden Ufern sich zurückziehende Bal­ tische Meer, während die Küsten Grönlands sich seit vier Jahrhun­

derten auf einen Lauf senken.

von 200 französischen Meilen fortwährend

Durch das plötzliche Erscheinen eines Erdrückens von 20 Mei­

len Länge und 6 Meilen Breite und durch das Einsinken eines pa­ rallelen Erdgürtels wurde vor noch nicht einem halben Jahrhundert

der untere Lauf des Indus plötzlich verändert.

In der neuen Welt

aber sinken, während heftige Erdbeben die Küste von Chili empor­

heben, die südlichen Chiloe-Jnseln allmählig unter den Spiegel des Oceans.

„Die erstaunten Eingebornen finden ein tiefes Wasser wo

jüngst noch die Muschelbank war,

die sie mit ihren Reichthümern

ernährte und der Wald, der ihnen das Holz lieferte, ist mit meh­

reren Fuß Wasser bedeckt oder von irgend einer ungeheuren Welle

48 mit fortgerissen, die vom Erdbeben in Bewegung gesetzt, den Boden hoch mit den Produkten des Ocean- bedeckt hat" (Rougemont). Von

Otaheiti bi- MadagaScar find, wenn man fich auf die Beobacht«», gen »erfassen kann, auf welche eine kühne Hypothese begründet wor» den ist, alle Länder in Bewegung: die Gesellschaft-- und die niedri­

gen Inseln senken fich allmählig auf einen Raum von 500 Meilen Länge und 150 Meilen Breite.

Die neuen Hebriden,

die Salo­

mon-inseln und die Inseln von Reuirland heben sich dagegen und

in den weiten Seestrecken zwischen diesen Heerde» entgegengesetzter Thätigkeit sieht man steigende und sinkende Inseln regello- unter einander zerstreut und durch Erdbeben Alle gleichmäßig in Bewegung

gesetzt. nungen.

Auch nach Westen hin wiederholen sich alle diese Erschei­ Neuguinea, Timor, Java, Sumatra steigen empor wie e»

ihre Ufer bezeugen, während an der Ostküste des australischen ContinenteS infolge eine- langsamen Sinken- der Canal, der sie von

der ungeheuren Vormauer der Corallenbänke trennt, sich mehr und mehr erweitern soll.)

So deutet Alle- diese- die Beschäftigung un­

sere- Planeten mit einer unaufhörlich weitergehenden Umbildung sei­ ner Form an und e- entspricht, wie wir sehen, jener oben beschriebenen

siderischen Bewegung eine tellurische, welche in den unabsehbaren Zeiträumen der Zukunft unseren Planeten und da- die coSmischen

Bewegungen deffelben überall begleitende Menschengeschlecht einst un­ ter so ganz andere Verhältniffe setzen kann al- die gegenwärtigen

sind, daß kein im Glanz prophetischer Vision von einem Propheten der irdischen Weltordnung in dichterischer Einbildungskraft heut ent­

worfene- Bild zu hoch und zu erhaben sein dürste,

um nicht von

der Wirklichkeit in Zukunft noch übertroffen werden zu können —

(mögen wir im Uebrigen auch weder, wie die Einen, an eine schließ­

liche Wiedervereinigung unsere- Planeten mit der Sonne, noch, wie die Anderen,

an unsere immer weitere Entfernung von derselben

und den Uebergang

unsere- dunklen Erdgestirn» zu dem höheren

Range einer, selbstleuchtende Sonnennatur annehmenden Planeten-

49 sonne glauben). — „Du aber Herr hast von Anfang die Erde ge­ gründet und die Himmel sind deiner Hände Werk.

Dieselbigen

werden vergehen, du aber wirst bleiben: und sie werden alle veralten

wie ein Kleid und wie ein Gewand wirst du sie wandeln und sie werden sich verwandeln: du aber bist derselbige und deine Jahre werden nicht aufhören", sagt der Apostel (Hebr. 1, 10 ff.).

2. „WaS durch die Berührung feuchter und „ungleichartiger Theile erweckt in allen Orga„nen der Thiere und Pflanzen umtreibt, was „die weite Himmelsdecke donnernd entflammt, „was Eisen an Eisen bindet und den stillen, „wiederkehrenden Gang der Magnetnadel lenkt, „Alle-, wie die Farbe deö getheilten Lichtstrahls, „fließt aus Einer Quelle, Alles schmilzt in „eine ewige, allverbreitete Kraft zusammen. Humboldt.

Als die großen Nebel von dem noch jungen Crdplanetcn auf­ gegangen waren und die galvanischen Strömungen seines Körpers jene ersten, gallertartigen Niederschläge durchzitterte«, mit welchen

das sich zurückziehende, noch warme Meer sein starres Skelet über­ zogen hatte, finden wir die in das biologische Atom der „Zelle" ’)

(wie vordem in Weltkörper) übergehende Materie als homogene

Keimschicht, Plasma, sich organisirenden Lebens wieder. In den er­ sten Formen wahlverwandtschaftlichen Zusammentretens mochten die

frühesten Verbindungen der sich von hier aus organisirenden Materie die homogene plastische Lymphe in formloser Allgemeinheit in die häutigen Wandungen ungestaltiger Zellenconglomerate einschließen.

Aber auch hier wohnt dem, von den Eigenschaften der Grundmaterie durchwalteten Stoffe die wetten- und wesenbildende Kraft gött-

51 lichen Ursprunges inne und treibt ihn, die Mittelpunkte der Anzie­ hung immer regelmäßiger gestaltend und verbindend, dem Gesetz des

Ursprungs folgend, durch Theilung, Sporung, durch Besaamung und durch die Eibildung hindurch, der höchsten Vervollkommnung, Zweck­ mäßigkeit und Schönheit seiner Gestaltung und Individualisation

entgegen *)• — Wie also dort die Materie in die sphärische Form

der Weltkörpcr, so zerfällt sie hier, als irdische Keimschicht, in die

sphärische Form der Zelle, welche nun im verkleinerten Maaßstabe ebenso zur Trägerin de- individuellen Leben- wird, wie die Welt­

kugeln zu Trägern de- Universallebenö wurden, und in der Ein­ und Au-Hauchung ihrer Wandungen die Stoffe mischend und ent­ mischend jene Jneinösetzung mit dem All Herstellen, durch welche die

fortgesetzte Umänderung der Materie im Organi-mu- erreicht wird, welche zum Leben und zur Stufenleiter jener Steigerung desselben

nothwendig ist, auf deren oberster Sprosse da- Ganze zuletzt in der Herstellung de- menschlichen Organi-mu- gelangen wird. Au- jener gemeiuschaftlichen Keimschicht hervorbrechend spaltete sich der neue Leben-strom in die beiden großen Arme vegetabilischer und animalischer Organisation. Die ersten Wege, in deren späterem

Verlauf wir dort der Geber hier dem Mammuth begegnen, liegen in ihren ersten Ursprüngen ununterschieden neben einander. Ja, da­ erste Substrat der vegetabilisch-animalischen Organisation, die In­

fusorienwelt mit ihrer an- Unglaubliche grenzenden Vervielfältigung-» fähigkeit sinkt gleichsam wieder in die nur galvanisch lebende Stein­

welt zurück (Ehrenberg hat bekanntlich berechnet, daß eine einzige

Galionelle durch bloße Selbsttheilung binnen 24 Stunden wieder einen halben Kubikfuß Stein soll erzeugen können).

So leise sind

die ersten Anfänge de- Leben- der organischen Zelle, daß sie selbst

wieder zum Stein znrücksinkt, bi- sie, stärker aufathmend, sich zur Selbstständigkeit zu erheben vermag *). Aber auf diesem ersten Substrat einer gleichsam milliardenfach

fort und fort hervorquellenden, immer regelmäßiger sich um br-

4*

52 stimmte Mittelpunkte der Anziehungskraft gruppkrenden Universallebensschicht entwickelt sich in langsam heraustretenden Zügen — das individuelle Leben.

Stellen seine untersten Lagen nur ein Konglomerat von Zellen

dar, in denen weder Blut kreist noch ein Herz schlägt und eine Brust athmet, weder Muökel noch Nerv zuckt und nur die allgemeinen

Eigenschaften der Sensibilität und Contractilität und des Austau­

sches der Gase das von Luft und Wasser umspülte organische Ge­

webe des beginnenden athmenden Lebens bezeichnen — so bildet sich

von da ab, immer vom Allgemeinen heraufsteigend zum Besonderen, vom Einfachen übergehend zum Zusammengesetzten, in schöpferischer Weiterbildung und Entwicklung der vorhandenen Lebenskeime, eine

unabsehbare Stufenfolge von Gliederungen höherer Reihen und Ord­ nungen von Geschöpfen.

Was zuerst nur die Gewebsoberfläche der

Zelle vollzieht, Einathmung und AuSathmung vollzieht sich allmählig in den besonderen Geweben der Eingeweide, was

als

allgemeine

Eigenschaft selbstständiger Bewegungsfähigkeit des organischen Lebens

sich im flüssigen Inhalt der Zelle als Contractilität offenbarte, legt sich aus einander in dem kunstvoll die complicirtesten Bewegungen

au-führenden MuSkelshstem.

Und was als unbewußtes, dumpfes

Gemeingefühl die wesentliche Bestimmung der Ueberleitung des un­ bewußten in das bewußte Leben vermittelnd, zuerst nur in der Sen-

sibilität der Zelle als Eigenschaft des allgemeinsten Leben- angedeutet

lag, da- legt sich allmählig aus einander im Nervensystem, dem

Vermittler des, feines Daseinsgefühls immer bewußter werdenden, individuellen Lebens, in dessen zuerst resonanzbodenartig auSgespann-

ter Hülle und Zellenwandung sich allmählig, wie die einzelnen Tasten der Claviatur, immer feinerer Unterscheidungen fähige Sinne ein­

setzen (das Auge z. B. von der einfachsten Unterscheidung zwischen Hell und Dunkel bis zur schärfsten Empfindung der Farbenscala sich

entwickelnd, daS Ohr von der dumpfen Wahrnehmungsfähigkeit für die durch große Detonationen erregten Erschütterungswellen der Luft

53

bi- zur Unterscheidung einer Tonleiter von neun Octaven mit dem,

528 Schwingungen in der Secunde machenden C). So folgt wie im treibenden Rohre Knoten auf Knoten, eine

Gruppe der andern.

Zuerst seltsame Gebilde, eine in vielfacher

Blätterpracht und gigantischen Schaftformen machtvoll emporschießende Pflanzenwelt, ihr allmählig nachrückend das Geschlecht pflanzen« und fleischfressender Thiere. Alles unter dem Einfluß gewaltig arbeiten­ der Zeugungökräfte der Natur bis ins Riesenhafte hinein wachsend,

einer nur in den großen Umrissen zu ihrer später maßvollen Aus­ bildung vorarbeitenden Triebkraft folgend.

Wiederholt ließen rast­

los schaffende und umschaffende Naturkräfte diese ersten colossalen Beseelnngöformen deS Naturlebens wieder ganz von der Erdober­

fläche verschwinden, um unterstützt von immer gemäßigteren Aeuße­

rungen der planetarischen Triebkraft durch immer höhere, in Wan­ dung und Inhalt sich immer vollkommener aus einander faltende, um immer systematischer sich gruppirende Mittelpunkte der Anziehung

lagernde Ordnungen und Reihen von Zellen, auch immer zweckmäßi­

gere und harmonischere Gestalten zu erzeugen.

Schöpfungswelten

tauchten auf und sanken unter: von ihren, wie mit einem Schwamme

von der Erdtafel wieder hinweggewischten Umrissen hat der Planet nur in einigen seiner ältesten, versteinerten Ruinen eine Spur jener

wunderbaren Schöpfungöabdrücke bewahrt.

Ein ungeheurer, über

unermeßliche Zeiträume sich hinziehender HäutungSproceß, in welchem

der Bildungstrieb des Zelleninhaltes sich seine Wandungen gestaltet!

— Dieser bisher in seiner tieferen Beziehung zur Verfeinerung der

ganze», geistig-leiblichen Erscheinungswelt der tellurischen Sphäre überhaupt bisher noch nicht vollkommen gewürdigte MäßignngS- und BildungSproceß der plastischen Materie feffelt hier in hohem Grade

unsere physiologische Betrachtung. Wir sehen nämlich zuerst die Materie gleichsam mit noch zweck­

los unbändiger Elementartriebkraft in der ersten Gestalt ihrer a«S

dem organischen Keimlager hervorgehenden Lebensäußerung zu einem

54 ungeheuren GährungSproceß anschwellen, wie der Hefe haltende Teig

über die ihm bestimmten Formen und Gefäße zuerst hinau-zuschwellen

und dann erst, langsam erkaltend, sich der vorgezeichneten Gestaltung zu fügen pflegt.

ES ist nun selbstredend weiterzuschlleßen, daß mit

der allmähligen Temperirung der Materie

auch

eine entsprechend

verfeinerte Umwandlung in der Beschaffenheit und Zusammensetzung der Nahrungsstoffe der Geschöpfe der einzelnen Epochen verbunden

und daß die allmählige Veränderung der Nahrungsstoffe auch mit

der Zeit eine veränderte und immer feinere Verarbeitung derselben

in den Organismen und dadurch schließlich auch sich allmählig ver­ ändernde und vervollkommnende,

bedingen mußte.

Denn waö,

verfeinerte Organe der Geschöpfe

den ersten gährenden Elementarver-

bindungen als erster nahrungsfähiger Stoff abgewonnen,

große

Ernährungsrohr

des

urweltlichen

das konnte aus dem in entsprechenden

neren Organe angelegten, pfungSformen

auch

erst

vegetativen

allmählig

ThierleibeS

in das überging,

Elementarformen der in­

Lebensprocesse

aus

jener Schö-

gröberen BerarbeitungS-

und Aggregatzuständen des Stoffes die edleren Lebenspotenzen, die

feineren, reineren und ätherischeren Products der äußersten StoffVerwandlungsgrenze irdischer Elemente heranbilden, an deren Uebergang aus dem Blut in ein höheres Nervenleben die Erscheinung des

Geistigen im Leiblichen in immer feineren Organen durchzubrechen

vermochte.

Daß der Erfüllung eines solchen Zweckes, der Heran­

bildung einer Rückverwandlung deö Erdstoffes aus seinen roheren

GährungS- und Elemcntarzuständen in einen höheren und feineren Aggregatzustand, der ihn innerhalb möglichst vollkommen sich heraus­ arbeitender Organe befähigt, der unmittelbare Begleiter des in der

organischen Welt durchbrechenden geistigen Principes zu werden, eine planvolle Bemühung in der Architektonik der Materie überhaupt durchgehend gewidmet ist, zeigt uns noch heute die vergleichende Ana­

tomie.

Denn je näher dem Menschen,

diesem letzten Gebilde der

Schöpfung, desto vervollkommneter ist die Construction de- Gehirns,

SS als des CentralsttzeS jenes äußersten, sich au- dem Nervensysteme

(wie im Herzen aus den Canälen der Adern) sammelnden und von

da au» den Körper um» und durchkreisenden TraoSsubstantionSpro» cesseS.

Mit einem, die glücklicheren Resultate späterer Zeitalter vor» auSerfaffendeu, naturphilosophischen Scharfblicke schloß schon, aristo»

telischen Ideen sich anschließend') u. ’), der christliche Bischof Ne» mesiuS von Emesa in Phönicien, in seinem Bliche über die Natur deS Menschen, worin er die altgriechischen und neuplatonischen An­

sichten über Anthropologie mit dem christlichen Lehrbegriff in einer

specnlativen Physiologie zu bereinige» strebte — an- der „Vollkom­ menheit deS Menschen an Leib und Seele" auf gewisse, ihm voran­

gehende Uebergänge und Stufenfolgen der Geschöpfe unter einander und verfolgte von diesem Standpunkte au- die ganze Entwicklungs­ geschichte der Natur,

von den Steinen an durch die Pflanzenwelt

hinauf zu den Zoophyten und weiter bis zu den höheren Thierklaffen und bis zu dem vernünftigen Thiere, dem Menschen, „diesem letzten

Gewächse des Himmels", diesem und

den

indem er behauptete,

daß auch zwischen

vernunftlosen Thieren kein plötzlicher Fortschritt

stattfände, sondern „die natürliche Klugheit der letzteren sich an die Vernunft des Menschen als Vermittlungsstufe anschließe."

„Im

Menschen aber, sagt er, brachte erst der Schöpfer alle» Erkennliche und Sichtbare zur Einheit zusammen und darum erhielt der Mensch

den Namen „MicrccoSmuS".

Eine Ansicht, bei der man lebhaft an

Plato und Galen, ja sogar an die neueren Naturphilosophen erin­

nert wird (Lessing, Gesch. d. M.).

Daß die wachsenden Formen und Grade der Beseelung ’) mit dem Lebensstrom der Ernährungsflüssigkeit selbst, d. h. mit der pla­ stischen Materie auf da- Innigste Zusammenhängen, davon durchzog

eine aprioristische Ahnung schon die frühesten Zeiten.

In den ägyp­

tischen Hieroglyphen bedeutet der Habicht daS Zeichen für die Seele, weil er, der Sage nach, sich vom Blute nährt.

Ebenso betrachteten

66 die Indier und Perser, wie auch die ältesten griechischen Aerzte und

Philosophen das Blut als den Sitz der Seele.

Critia- behauptete,

das Blut sei die Seele; Pythagoras: die Seele nähre sich vom

Blut; die Stoiker: sie sei eine AuShauchung de- BluteS; desgleichen

HippocrateS. So geht die durch die ganze orientalische und classische Welt verbreitete Ansicht vom Sitze der Seele im Blut namentlich auch durch die Bibel hindurch, tiefmystisch verwebt mit der Lehre

von der Versöhnung und Erlösung der Menschheit durch da- Opfer­

blut Christi. — Diesen ältesten Weltvorstellungen über da- Leben zufolge, ist das Blut der Urquell aller leiblichen LebenSSußerung, Grundbedingung des Lebens, seiner Entstehung, seiner Entwicklung und Erhaltung.

In ihm ist da- Leben.

„Der Herr", sagt die

Schrift, „hat gemacht, daß der Mensch e£ atfimtov, auS dem Ge­ blüts, entstehe." — Während auf diese Weise von jeher da- Blut

als da- organische Substrat, als die Basis hingestellt wurde, auf welcher der animalische Organismus sich entfaltet, ebenso wie an­ der vegetabilischen Zellenschicht sich der Pflanzenorganismus erhebt, wurde andererseits auch der Tod des Fleisches nur int Blute ge­ sucht.

Da- mit dem Blute ausströmende Leben, welche- Blutver­

gießen und Sterben identisiciren ließ, und da-, unter den letzten

flatternden Pulsen im stockenden Schlage de- Herzens (primum wo­

rein, ultimo moriens) sich ankündigende Erlöschen de- Lebens, wur­

den als physicalifch unumstößliche Zeugen der Wahrheit dieser An­

schauung aufgerusen.

Die spätere Erkenntniß, wie die äußersten

erkennbaren Entwicklungsanfänge des embryonalen Lebens von dem

zum Embryo überströmenden mütterlichen Blute auSgohen, wie die

Bewegungen des Herzens, an welche die Erhaltung de- Leben- ge­

knüpft ist, ihren beständigen Grund in dem vom Blut ausgehenden Reize erhalten und die Gesammtthätigkeit des animalischen Körper-, Irritabilität, Sensibilität und Contractilität mit dem Verlust de-

BluteS verloren geht, die Nerven aufhören zu leiten, die Muskeln

keine Reflexbewegung mehr au-führen und an die Stelle warmen.

57 biegsamen Leben- die kalte Starre de- Tode- tritt, da- Alle- schien

diese Annahme vom Sitz der Seele im Blute nur noch mehr 6e< Wahrheiten zu müssen. In eigenthümlicher Uebereinstimmung mit dieser physiologischen

Vorstellung der alten Welt vom Sitze der Gesammtleben-kraft im Blut, wurzelte auch ihre innere, ahnungsvoll bewegte Vorstellungs­

und Gemüthswelt in dein Centralorgane dieser Sphäre, im Herzen.

Aber „Gefühle sind Sterne, die nur bei hellem Himmel leuch­ ten" und so gewiß eö ist, daß die Gefühlswelt die eigentliche Grund­

lage des Lebens ist, so muß sie doch erhellt werden durch das höhere

Licht der Vernunft.

Zu dieser Erkenntniß aus der Sphäre des Ge­

fühlslebens heraustretend ging der menschliche Geist zu immer ex­

akteren Forschungen über, in deren Verlaufe er zu einer dritten Schicht der leiblichen Organisation vordrang, welche sich ihm zu er­ kennen gab als die innerste Werkstätte körperlichen Lebens und Schaf­

fens, gleichsam als der Sitz der höchsten, der vernünftigen Thätig­ keit feines Wesens.

Es ist dies das Nervensystem, der eigentliche

Leib unseres Ich, von dem Reil sagt, „die anderen Theile seien nur der Leib dieses Leibes, die nährende und schützende Borke seines zar­ ten Markes".

So unzweifelhaft es nämlich auch ist, daß durch das Blut die seelischen Eindrücke hindnrchgehen, so unzweifelhaft ist eö erfahrungs­

mäßig für die beobachtende Forschung geworden, daß Alles was uns seelisch berührt nicht zum Bewußtsein gelangt, ohne daß sowohl bei

seiner Entstehung als seinen Folgen sich daS Gehirn betheiligt. Daß das Gehirn das Organ aller bewußten Thätigkeit des Geistes sei

und also

der eigentliche C-entralsitz

deS geistigen Bewußtseins

selbst, lehrt nicht nur jeder unser Denkvermögen behindernde Andrang

von Blut nach demselben, jedes Gefühl seiner Ermüdung nach an­ strengenden Gedankenarbeiten, sondern die physiologische Thatsache,

daß nach Zerstörung desselben und seines Anhanges die willkührlich gehorchenden Muskeln in völlige Unthätigkeit versinken, aus der sie

58 nur durch äußere Reize gerissen werden können, — ein Beweis, daß Hirn und Rückenmark die Centralorgaue sind, von denen alle jene

Reize auSgehen,

welche die animalischen Muskeln vom Willen her

in Bewegung setzen. Da nun der Umsetznngsproceß der Materie im Blute ’) nicht die

letzte Grenze der Stoffverwandlnng und somit nicht letzter Aggregat­ zustand der Materie im Organismus ist, sondern daö Blut nur eine

Niederlage von assimilirbaren und ausscheidbaren Stoffen darstellt, welche erst durch weitere,

der siunlicheu Beobachtung indessen noch

nicht zugänglich gewordene Verwandlungöreihen zur Aneignung des

Lebens brauchbar werden, so dürfen wir mit Recht schließen, daß der UmsetzungSproceß der Materie, aus dem Blute in daö Nerven­

system übergehend, in letzterem erst unter AuShauchuug der letzten und feinsten materiellen Producte in einer inneren Atmosphäre jenen

elastischen Aggregatzustand der Materie herbeiführt, an dessen Schwin­ gungen (wir erinnern hier an den mit dem Galvanometer nachge­ wiesenen Innervationsstrom, der, dem Blutkreislauf ähnlich, in den Nerven circulirt) die bewußte Lebenöthätigkeit der in die Individua­ lisation eingegangenen Berbindung von Geist und Materie gebunden

ist.

Eine Metamorphose, welche die ersten irdischen Formen auS

ihrer Dichtigkeit, Schwere und Trägheit wieder znrückführt zu jener

Stufe, auf welcher wir die Materie im Anfänge unserer Betrachtung als das erste, allgemeine geistig-leibliche Medium, als die ursprüng­

liche Trägerin alles Seienden kennen gelernt haben. Der Hinweisung auf ein solch unwägbar elastisches Fluidum, einen aus den edelsten Stoffen entstandenen Auszug aller feinsten Lebenssäfte, welche der Körper aus den Ernährnngs- in die Ader­

und von da in die Nervenröhren überführt, einen Stoff, welcher in den Nerven auf- und niedersteigend den ganzen Körper durchströmt, belebt, regiert und zusammenhält, so daß in ihm Materie und Geist

in ihrer höchsten irdischen VerbindungSstnfe auftreten,

kommt der

innere Bau des Centralorganes der Nerven auf bestätigende Weife

59 entgegen.

Denn im fettumhüllten Phosphorlager desselben, zu wel­

chem anS vier großen Quellen sauerstoffreiches Blut emporströmt, liegt allerdings eine phhsicalische Andeutung ausgesprochen, daß der

große BerbrennungSproceß, welcher, die Materie von Stufe zu Stufe läuternd,

alles athmende Leben begleitet,

auch in seinen feinsten,

neuroelectrischen Schwingungen unter einer, die Entstehung der Ge­

danken begleitenden Stoffzersctzung vor sich geht (deren Bild wir in

dem Abschnitt über die Entstehung und das Vergehen der Gedanken niedcrzulegen versuchten). — Freilich können wir diesen Stoff nicht als LcbcnSstoff in Phiolen sammeln und mit ihm experimentiren —

aber was nach dem Tode an feuchten Niederschlägen sich im Körper vorfindet, was unter dem MicroScop sich im gerinnenden Fette der

Nervencylinder darftcllt, jener feineren Kräfte,

ist mir der todte Rest und grobe Träger

die im Leben das jetzt Entgeistigte beseelten.

Und wenn wir denselben ätherischen Stoff, den wir in seiner Ver­

breitung durch den Weltenraum als den ersten und ursprünglichen Begleiter des Geistes kennen lernten, auf seinem Wege durch die

Weltkörper und ihre Molecüle hindurch nun auch im Nervenleben des beseelten Menschenleibes

als

den

leiblichen Begleiter unseres

schaffenden Geistes wieder erkennen, als das Medium unseres Em­

pfindens, Denkens und Wollens, durch welches der Mensch sich in Eins mit dem All und das All in Eins mit sich zu setzen vermag, so wiederholt sich damit vor den Augen desjenigen, der bis hierher

gefolgt ist, jene erste allgemeine geistig-leibliche Verbindungsform des göttlichen Ganzen in der Sphäre ihrer indi­

viduellsten Begrenzung.

So viel wenigstens ist sicher,

daß

wir die Kette unserer Anschauung sich hier von selbst auf

das vollkommenste wieder schließen sehen. —

„Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen, „Als daß sich Gott-Natur ihm offenbare

„Wie sie das Feste läßt zu Geist zerrinnen,

„Wie sie das Geisterzeugte fest bewahre.

(Rückert.)

3. „Bon den ewig regsamen Schwingungen „deö Ganzen mitbewegt, empfängt die stoss, „artige Urform den ihr aus jeder ihrer Ent„wicklungSstufen zukommenden Antheil des „Mitempfindens, bis das Seiende, auf der „höchsten irdischen Stufe geistiger Umbildung „der Naturkraft, stch im Menschen zu der Be„wegung deutender Mitempfindung der „Gottheit erhebend, sich in Freiheit wieder „zum Weltgeiste gesellt und dieser, durch das „Medium der Materie sich selbst anschauend, „in einer Welt sreiwollender Intelligenzen in „sich selbst zurttckkehrt."



Wir haben uns von hier aus der weiteren Betrachtung jener merkwürdigen Entwicklungsstufe der allgemeinen Verbindung von Geist und Materie zuzuwenden, welche dazu bestimmt ist, eine Weile den

Tempel zu bilden, in welchem sich der an Raum und Zeit ge­ bundene, d. h. der menschliche Geist darftellt und wir werden

es versuchen jene geheimnißvolle Verbindungsstelle zu beleuchten, an welcher die äußere Welt der Materie und die ihr verbundene innere Welt des Geistes einander berühren, um mit verborgenen Kräften

da- Sichtbare und Unsichtbare in einander hinüberziehend sich ein­

ander zum Bewußtsein zu bringen als eine Einheit, in welcher sich die körperliche Welt nur als eine verhüllte geistige Welt erkennen

lernt.

61 Dort nämlich, wo im Contact mit einer, wie wir zuvor gesehen, in ewigem Flusse der Bewegung beharrenden Welt das int mensch­

lichen Organismus sich ausspannende Polychord des Nervennetze-, als vollkommenster und feinster Leiter, jene Schwingungen des Gan­ zen aufnimmt und auf die, aus ihren gröberen Aggregatzuständen

befreite, in den Ausströmungen der Nerven zu ihrer ursprünglichen Reinheit mehr oder weniger annäherungsweise zurückgeführte Materie

überträgt und reflectirt, erreicht diese in ihrem nunmehrigen geistig­

leiblichen Aggregatzustande, in den Oscillationen des Nervenäthers die höchste Stufe ihrer Erregbarkeit und empfängt damit in einer, der sinnlichen Wahrnehmung unserer Organe sich entziehenden Ge­

stalt (wie eilte unmeßbar rasch schwingende Saite ja auch so au- der Masse in die Bewegung übergeht, daß sie zuletzt unseren opti­

schen Sinnen entflieht) die Fähigkeit, die im farbigen Abglanz der

Dinge einfallenden Empfindungseindrücke der äußeren Welt in größ­ ter Reinheit ihrer „Ein-Bildung" in sich aufzunehmen und sie dem ihr verbundenen geistigen Elemente zu reflectiren, als auch dem das

Leibliche von Innen her erregenden Denken und Wollen de- letzte­

ren, als fehl irdisch vollkommenstes Werkzeug gehorsam zu werden.

So ist die, in den inneren Oscillationen des Nervenfluidums leichtest

bewegbar und erregbar gewordene Materie zu der Stufe der Ver­

feinerung wiederum heraufgeführt, auf welcher sie sich in ihrer Ver­ bindung mit dem Geist und der Geist sich in feiner Verbindung mit ihr offenbaren, da- Natürliche sich als ein Geistige- und in einem Geistigen, da- Geistige sich als Natürliches und in einem Natürlichen

verkündigen kann *). *) Die physiologischen Thatsachen sind dieser Erklärung vollkommen ent­ sprechend. Wie der Funke schlummert im Stahl und Kiesel und erst durch die Reibung geweckt wird, so schlummert die Nervenerregbarkeit und wird erst durch dm Reiz geweckt: mit dem Aushören de« Reize« hört auch die Wirkung auf, d. h. tritt Ruhe ein. Der Reiz ist entweder physischer oder psychischer Natur. Der größeren Erregbarkeit genügt ein geringerer Reiz, die geringere Erregbarkeit ver­ langt einen größeren Reiz, wmn beiderseits gleiche Wirkungm ersolgm sollen.

62 So empfängt in den aufsteigendcn Entwicklungsstufen ihrer Ver­

bindungen der die Materie überall begleitende Geist, welcher sie von ihrer trägen, stofflichen Erstarrung wieder hinaufträgt zu den ewigen Wallungen deö Lebensstromes,

in den Schwingungen der Nerven­

sphäre unseres Leibes die Freiheit seiner Bethätigung und mit der

Fähigkeit den Reflex der ihn umgebenden Welt in sein Bewußtsein aufzunehmen, auch die Macht die in seine Vorstellung ausgenommen« Welt wieder zu einem Reflexe seines Wesens werden zu lassen,

d. h. sie nach ihm selber und damit sich selbst in ihr zu

gestalten.

So wirft, was in der geheimnißvollen Ver­

einigung unsere- Geistes mit der Natur von unseren erd­

gemäßen Sinnesorganen in den schwingenden Bewegun­

gen deS NervenäthcrS anS der allgemeinen Welt des sinnlich Wahrnehmbaren überhaupt empfangen wird, auf seinem Uebergange

aus

der

sinnlichen

Schwingung-«

sphäre in die geistige unseres Wesens, seine Eindrücke mit bildnerischer Thätigkeit in die Werkstätte einer in­

neren Welt, deren Vermittlung den Rohstoff aller ihr

sinnlich überlieferten Vorstellungen umschmilzt zu Ge­

bilden geistiger Kraft, zu Gedanken, in denen die letzten Spuren der Materie die Region eines allgemeinen, un­

sichtbaren Lebens berühren, in dessen Sphäre Bewußt­ sein und Denken, die Grundeigenschaften jenes eigen­

thümlichen Elementes fallen, welches wir „Geist" nennen, weil ihm die Eigenschaft des Bewußtseins seiner Dop­ pelnatur innewohnt.

Fragen wir danach, wie das „mysterium rnagnum“ diese„nexns metaphysicus oder iuternus“ sich vollzieht, wie die- Hin­

überspielen der Phänomene aus einer in die andere Region die

Ideen beider Welten mit einander in Gemeinschaft läßt, wie dageistig-leibliche Medium unsere- Empfinden-, Denkens und Wollenagirt, wie die Kette sich schließt, aus welcher der Gedanke hervor-

63 geht, so haben wir für besten Genest- al- letzte Thatsache der Selbst­ beobachtung unsere- Wesen- eben nur die Antwort, die wir im Ein­ gang vom „Wort" gelegentlich der Darstellung de- in schwankender

Erscheinung au- der feinen Nebelschtcht der Materie hervorgehenden

Gedanken- bi- zu seinem Eintritt in die Sphäre de- ihn befestigen­ den Worte- gegeben haben. Je mehr nun mit der Ausdehnung seiner sinnlichen Wahrneh­

mungskreise unser Geist die ihn umgebende Hülle der Materie sich auf diese Weise gleichsam in ihm selber auflösen läßt und umschmilzt, desto verklärter spiegelt sie ihm Bild und Gesetz des Ganzen zurück. Und so gelangen, denkend in die innere Betrachtungssphäre des Gei­ stes ausgenommen, alle in der Natur und Geschichte seiner Welt

physisch durchlaufenen Bahnen allmählig in ihm zum Verständniß und zum Bewußtsein einer in der physischen sich entfaltenden geisti­

gen und sittlichen Ordnung der Dinge, die festzuhalten und immer vollkommner darzustellen der nienschliche Geist, dem innern Zuge

seiner Gottesverwandtschaft folgend, zum Ziele seiner Arbeiten in den ihm angewiesenen Grenzen des Raumes und der Zeit macht — ein Ziel, dem die Menschheit von der Erinnerung ihres Ursprunges

und der Ahnung ihrer Zukunft bewegt sich zu nähern immer klarer von innen her getrieben wird.

So wenig aber als jemals Blumen

und Früchte der Erde fertig uiib reif vom Himmel herab auf die Aecker und

Fluren

fallen,

sondern

vielmehr die alle-belebenden

Strahlen der Sonne, die Güte des Bodens und die Gunst der zum Wachsthum nöthigen Bedingungen die in allerlei Saamen ruhenden

Kräfte zum Blühen entfalten und zur Reife der Frucht treiben: so

wenig auch sind jemals Früchte des Geiste- fertig und reif von einem geistigen Himmel herab in den Mcnschengeist gefallen: sondern von

dem wachsenden Lichte der göttlichen Vernunft geweckt, durch Fleiß

gefördert, wachsen auch die Kräfte der menschlichen Erkenntniß in

natürlicher, selbstthätiger Entfaltung auf dem geistigen Grund und Boden au- dem Keim in die Blüthe und Frucht.

84 In der Bewegung denkenden Empfindens ist also der Welt-

organiSmuS in der Erde als GedankenorganiSmnS ausgesprochen: die geistig-leibliche Wandlung aus ihrer ersten bedingungslosen Uni­

versalsphäre in die bedingte Sphäre der Individualität hinüberge­

gangen.

Der, sich in der Materie entfaltende Geist ist erwacht zum

völligen Bewußtsein seiner selbst, erinnert sich seines bedingungslosen Wesens und gestaltet sein an Raum und Zeit gebundenes Leben nach

den Gesetzen ewigen Seins.

„Geister reifen in dem Weltgebäude"

und „das Wort" ward „Fleisch". So ist es also nicht etwa Stoff und Stoffwechsel, welche fort­ während den Geist und das Denken erzeugen, sondern es sind jene nur die gleichzeitigen Bewegungen der Materie, unter deren Mit-

thätigkeit der Geist in seine sinnliche Function tritt, die Träger,

deren Kraft eS bedarf, um das Geistige in Raum und Zeit darzu­ stellen.

Geist und Gedanke find also nicht chemischer Stoffwechsel,

wenn sie auch unter einem solchen in Erscheinung treten.

Wohl

mag eS Gedanken geben, die wie Nebelwolken von der Erde, so aus

dem Boden des Gehirnes emporsteigen als Ueberschuß und Product

rein körperlicher Zustände (wie wir dies auch von Träumen wissen), aber der eigentliche Gedanke wird vom Geiste her erregt und er­ zeugt und bestimmt, in ihm wirkt der Geist geistig auf den Körper,

mit der Macht des Willens bemächtigt er sich der Welt des StoffeS und, seinen Willen in ihr zu erfüllen strebend, prägt er ihr die ge­ staltenden Züge seines eigenen Wesens ein und so werden im mensch­

lichen Körper nicht blos materielle Bewegungen durch körperliche,

sondern auch durch geistige Einwirkung hervorgebracht. Der menschliche Organismus (d. h. also die zum Bewußtsein

ihrer selbst gelangte, geistig-leibliche Jndividualverbindung von Geist und Materie) besteht hiernach in Wahrheit nur als eine substantielle, persönliche Einheit der inneren und äußeren Thätigkeiten, in welchen

Körper und Geist zusammenschmelzen zu der höheren Stufe einer

leiblich-geistigen, bewußten Lebensform. Indem wir das innere Ein-

66 heitSprincip bewegender Thätigkeit unsere- geistig-leiblichen OrganiS-

mvs mit dem Namen „Seele" bezeichnen, so haben wir darunter als» nicht etwa einen besonderen, selbstständigen Theil unsereOrgani-mu- zu verstehe«. Der Mensch hat vor den übrigen Orga­ nisation-stufen der Schöpfung nur die Vollkommenheit der Besee­

lung voran-, welche ihn im denkenden Empfinden zum vernünf­ tigen Wesen erhebt. Bon dem schlafartigen Schattenleben der ersten sinnlich empfindenden Beseelungöformen, von den ersten Spuren der Reizempfänglichkeit und de- Allgemeingefühls, von den unwillkühr-

lichen Impulsen traumartigen Empfinden-, von den schwachen, dum­ pfen, niedern, weder zum eigentlichen Bewußtsein, noch zur Herr­

schaft sich emporrankenden dunklen Empfindung-kreisen und schwachen Borstellung-regungen der niederen und höheren Thierwelt bi- zur zarten Erregbarkeit und der klaren Vorstellungswelt de- höheren,

geistigen Menschen, bi- znr Idee und zum alleebesiegenden Willen

hinauf ist da- Ganze eine fortgesetzte Leiter, auf deren oberster Stufe wir stehen, au- der Finsterniß der Bewußtlosigkeit zum Hellen Tage de- Selbstbewußtsein- auftauchende Wesen, in denen die Natur ihre

Erscheinung auf die Stufe eine- geistigen Co-mo- erhebt — ein in

dem Realen sich darstellender idealer Organismus. In uns über­ schreitet die allverbreitete Verbindung von Geist und Materie die halbdunkle Schwelle de- in der Thier- und Pflanzenwelt geführten

Traumleben-; zum klaren Wahrnehmen gelangend kommt das Seiende erst in un- zum Bewußtsein seine- Sein-. Und indem das mensch­

liche Wesen nun die allgemeine Lebensverkettung der Dinge unter einander, ihr Verhältniß zu dem großen Ganzen und der Beziehun­

gen deffelben auf einen ewigen Urgrund der Welt inne wird, ent­ ringt sich in ihm da- höhere Element von dem ersten, die Begeben­

heiten seiner Träume noch nicht von denen der wachen Wirklichkeit zu unterscheiden fähigen und auch im Wachen erst sehen, hören, wie

denken, reden u. s. f. lernenden Kinde bi- zum Physisch und geistig vollerwachte« Manne, und setzt sich, seine räumlichen und zeitlichen Vermau, Die Welt im Werden.

5

66

Schranken durchbrechend, an die Spitze der Dinge.

„Umringt von

einer Welt verkörperter Gedanken empfindest schrankenlos du dich in Körperschranken." Da- Princip denkenden Empfinden-, auf wel­

chem da- bewußte Leben de- Menschen beruht, ist also da- Re­

sultat der Verbindung von Geist und Materie, welche in dem au-« gereiften menschliche» Or-ani-mu- ihre höchste Steigerung erreicht. Der Leben-proceß der im Menschen zur Individualität gelangenden

Universalverbindung von Geist und Materie geht hervor, wird un­ terhalten und hängt im Wesentlichen ab von dem Grade, bi- zu

welchem sich diese Steigerung im Einzelnen zu erheben vermag. Bon der mehr oder weniger gleichmäßig andauernden Feinheit «ad Stärke, mit welcher jeder einzelne zu einem Individualorgani-mu- gebun­

dene Theil der Universaleinheit, jede- geistig-leibliche Einzelwesen jene Wandlung zu vollziehen und zu unterhalten vermag, unter wel­

cher die seine geistige» wir seine leiblichen Thätigkeiten (also Em­ pfinden, Denken ebensowohl wie die körperlichm Arbesten) begleitende

Zersetzung jene- zugleich geistigen und leiblichen Agen- geschieht, welche- wir im Nervenfluidnm kennen lernten, hängt nun auch der

natürliche Character der Leistungen ab, zu welchen jeder Einzelne, sei e- durch den Zug ursprünglicher Anlage, oder durch den Zwang der Verhältnisse, oder durch die freie Wahl de- Willen- gelangt. Da- geistig-leibliche Wesen „Mensch" erstarkt nach der Seite, nach

welcher hin die treibende Thätigkeit seiner Kräfte oder der selbstbestimmrnde Zug seiner Wahl hingerichtet ist. Alle Individualisation de- an- und abschwellenden leiblich-geistigen Leben-processe-, vom

Klotz bi- zum Elf, von den rohesten bi- zu de« zartesten, gleichsam

überirdischen Wesen, vom Idioten und Somnambule« bi- zum Seher und Propheten läßt sich au- dem Wechselspiel der Combinationen

zwischen Idee und Stoff und der unendlichen Verbindung-fähigkeit

Beider mit einander im menschlichen Orgaui-«u- erklären. Leben ist Kraft. Jene» letzte und feinste „seelische" Product de- -roßen Um-

67 setzung-proceffe- zwischen Geist und Materie, welche-, di« Elemente unseres Wesen- beständig zerstreuend, dem lebendigen Meuschenleibe in einer ihn fortwährend umziehenden Emanation-sphäre entströmt, mögen wir e- nun, wie die Aelteren: nephesch, Spiritus, pneuma, anima oder wir die Neueren: Seelen-, Nervenstoff oder sonstwie nen­ nen, fließt in ununterbrochenrr AuShauchung, den geistigen Athem bildend, der überall die Natur wieder durchdringt, in da- ewig schaf­ fend und auflösend un- umwallende, allverbindende Medium deLustoceanS zurück, macht ihn zu einem nicht nur leiblich, sondern auch geistig erfüllten Raume, zu einem ewigen Vehikel, au- welchem sich immer neue Ströme der Beseelung in alle Adern der Schöpfung ergießen. Denn die Luft ist e-, die eingeathmet und in unsern Körper wie in einen Cylinder eintretend, in abwechselnder Hebung und Senkung de- Athem- bi- in die kleinsten Haargänge de- Kör­ per- sich verbreitend« Leben-bewegung erzeugt und — im letzten Athemzuge au-gehaucht da- ihr entströmende Leben wieder in sich zurücknimmt. Wir wiffen nicht, welche Keime de- Leben-, welche de- Tode-, welche mephitischeu Giftnebel, welche ätherisch reinen Strömungen sich in diesem in jeder Minute von über tausend Mil­ lionen Menschen au-strömenden elastischen Fluidum dem iu der Him­ mel-klarheit ewiger Aetherbläue durch alle Welträume fließenden, heiligen Strome de- Lichte- sich beimischen. Daß aber die, unsere Erd« umgebende und von der Erregung der Geister und Gemüther beständig erschütterte Atmosphäre der sinnliche Träger jener eigen­ thümlichen, großen Strömungen, jener theil- langsam fortwirkenden, theil- oft sturmartig sich entzügelnden Richtungen und Bestrebungen großer Gruppen de- menschlichen Geschlechte- ist; daß sie hier, gleich­ sam ein am Boden hinfließende- psychisches Ansteckung-mittel verderblicher spiritueller Epidemien, dort da- reinste Medium gei­ stiger Fortpflanzung-kräfte wird und so gleichsam den Schauplatz für die Arbeit de- die Weltatmosphär« durchdringenden Geiste- abgibt, ist kein ganz unwahrscheinlicher Gedanke speculativer Physiologie. 5*

68 Dieser Gedanke atmosphärischer Verbreitung, geistig-leiblicher Strö­

mungen schien auch Göthe vorzuschweben: „wa- in der Lust ist, schreibt er an Zelter (II. 336), und was die Zeit fordert, da- kann in hundert Menschen aufeinmal entstehen, ohne daß Einer dem An­

dern abborgt." Und wer genauer beobachtet wird, nach einer ander«

Seite hin, Lamartine'- feine- Wort bestätigen müssen: daß die Mehr­

zahl der Menschen weit mehr „Ablagerung-stätten eine- geistigen Fluidum-" sind, welche- durch die Welt streicht, al- daß sie e-

selbstthätig erzeugten, so daß man sieht der Geist entsteht nicht in

ihnen, sondern sie müssen vielmehr in den Geist und fein Lebe« erst In diesem Sinne ist da-, wa- die Alten

hineingetaucht werden.

sich unter einem Himmel und einer Hölle, al- Behälter de- Lebenund de- Tode- vorstellten, nicht- andere- al- — da- un- umgebende

Luftmeer, der Wahlplatz der Solidarität alle- Menschlichen, im Gu­ ten sowohl wie im Dösen. „Ewig lebendige Natur macht auf un-

Geister, wir auf sie vollgültigen Anspruch!" — aber: „Geheimnißvoll am lichten Tag

„läßt sich Natur de- Schleier- nicht berauben „und wa- sie deinem Geist nicht offenbarm mag,

„da- zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben. An jenem Punkte de- vollendeten Kreislaufes angelangt wo die

Verbindung von Geist und Materie im Menschen zu ihrer ursprüng­

lichen Gestalt wieder unsichtbar in einander rinnt, wiederholt der Mensch nun in sich und aus der Erde, was Gott zuvor in sich und in der Welt gethan.

Kraft des göttlichen Hintergrundes, au- dem

der Mensch hervorgegangen, gestaltet er sich die Erde, in die er ein­ tritt, nach seinem Geiste und macht sie zu einem Bilde seine- We­

sen-, seiner Kraft und seines Willen-, er setzt da- göttliche Schaffen fort.

Damit haben wir die zum planetarischen Leben gehörige Seite

de- Menschen vollendet.

Wir betrachten nun ihu selbst und de«

Gang seiner weiteren Entwicklung.

in. Der Mensch.

Nehmt die Gottheit aus in euren Wille« und sie steigt für euch von ihrem Weltenthrone herab.

1.

Mr hatte« Materie und Geist bis zu der höchsten irdischen Organisation-stufe ihrer Verbindung, biö zum Menschen hin begleitet.

Jenen Eristallen ähnlich, die zerfallend sich nur in ihren Ur­

formen wiederholen können, muß da- unendliche geistige Allwesen,

in die Endlichkeit eingehend, sich innerhalb derselben in endlichen geistigen Einzelwesen wiederholen, in denen sich da-Bewußtsein der

Gemeinschaft ihre- Ursprung- wiedersindet im Erwachen de- Triebe-, der Fähigkeit, Kraft und Erkenntniß ihrer obersten Bestimmung — nämlich die Schöpfung und sich selber mit dem Geiste, dessen Leben sie itt sich tragen auch geistig wiederum durch Ein Wollen und Voll­

bringen zu verbinden. E- ist damit nicht gesagt, daß da- Bewußtsein gottmenschlicher Wesen-einheit sich nun von jeher a priori fertig ausgesprochen in

den Urzuständen der Menschheit vollendet vorfinden mußte: sondern wie da» Aug« de» Kinde- anfang- nur einen unbestimmten Licht­ eindruck empfängt und fich nur allmählig zum unterscheidenden Sehen entwickelt — so hat auch da» geistige Auge zuerst nur ein nnbe-

stimmtc» Innewerden de- an fich Guten.

Ja, ebenso wie die Er-

gebniffe der phhficalischeir Forschung UN» belehre», daß di« erste«

72 Aeußerungen der in die Schöpfungsbewegung gesetzten Materie au-

gewaltsam ungeheurem, chaotischem Drängen erst allmählig zu den harmonischeren und reineren Entfaltungen der ihr innewohnenden

Gesetze übergingen bi- sie zuletzt in der höchst geregelten Nothwendig­ keit ihrer Bewegung da- höchste Maß ihrer Freiheit sanden, ebenso

belehren uns bei unbefangener Prüfung die Ergebnisse der Geschichte der Menschheit, daß AehnlicheS sich mit ihr begeben und daß da-

Erwachen des Geistes zum Bewußtsein erst allmählig durch die Trieb­ kraft innerer Nothwendigkeit zur Erkenntniß und Darstellung de-

Principes hindurchdringen mußte, welches, wie e- dort als Natur­ gesetz die Materie in ihre äußere, so hier als Sittengesetz den Geist in seine innere Gestalt kleidet.

Wie wir im Thierreich eine aufsteigende Stufenfolge der Be­

seelung, vom Schlafwachen, vom überwiegenden Schlafleben, vom

beständigen Halbschlummer bis zum überwiegenden Wachen unter­

scheiden können, so mochte ähnlich eine aufsteigende Beseelung-reihe die Entwicklung de- menschlichen Geschlechte- begleiten. Ja, e- ist sogar eine hohe Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß ein langer Zeit­ raum nach seinem ersten Auftreten vorzüglich einer immer vollkomm-

neren Heranbildung aller seiner vitalen Körperfunctionen gewidmet gewesen und zahlreiche Versuche der schaffenden Naturkraft vorher­ gingen, ehe die letzt vollendete menschliche Körperform sich heran--

bildete, in welcher die Schöpfungen der gegenwärtigen Erdepoche ihren Höhepunkt erreichten. Mit Einem Wort, daß e- für den al-

Geschlecht auftretenden Menschen zuerst eine Zeit gegeben, in welcher er überwiegend in dem seiner irdischen Seite zugewendeten Theile

seiner Doppelnatur gelebt, nur ein leiblich-animalische-, seine- hö­ heren Zusammenhanges und seiner edleren Fähigkeiten noch unbe­

wußte- Leben geführt hat — da- Bild der Entfaltung de- Wesen-, zu dem er erschaffen und berufen, uoch tief verhüllt in sich tragend,

wie wir e- heut noch bei wilden Autochthonenstämmen sehen. Denn, gleichsam immer auf die Erklärungen aller ihrer Erscheinungen selbst

73 mitbedacht läßt die Natur in ungleichartig neben einander Bestehen­ dem da» unbefangene Auge überall in den natürlichen Zusammen­

hang der Dinge hineinblicken.

Wenn einst, in die Civilisation hin­

eingeführt, jene wilden Urvölker, welche sich heut noch tättowlren,

mit den rohen Hörnern, Klanen und Fellen der Thiere schmücke« u. s. w., al» uns in Aussehen, Sitte, Kenntniß und Gebräuche« gleichartige (wahrscheinlich durch ihre frischeren Sinne un- noch über­

treffende) Wesen austreten werden, so wird nur da» positiv beglau­ bigte GeschichtSzeugniß feststellen können, daß diese- cultivirte Ge­

schlecht au- so thierischen, allmählig au-gestorbenen Zwischengene­ rationen hervorgegangrn ist.

Weist übrigen- nicht jetzt noch, wie

schon 3. Baptista Porta in seinem Buch de physiologia humana

andentet, in unserer eigenen Race eine vergleichende Physiognomie bei der größten Mehrzahl der Menschen die deutlichsten Züge einer

correspondirenden Thiergattung nach? — Ihre überlegene Kraft und

Fähigkeit zur Beherrschung der Erde erst im Kampf mit ihren thie­

rischen Mitbewohnern erprobend, im Uebrigen von den Thieren ler­

nend, die sie bekämpften oder zähmten, ohne Erkenntniß de- Guten und Bösen, zunächst durch einen ihrer höheren Organisation ent­

sprechend sich höher entwickelnden Instinct geleitet, so mochte diese-

Geschlecht manch Jahrtausend vergehen sehen ehe e», au- chaotischen

Urzuständen heraustretend, sich au- regellosen Hecrden zu Stämmen ordnete, die dem gewaltigsten Bändiger gehorchten, ehe eS sich seine

Sprache den Stimmen und Borgängen in der Natur und den un«

willkührlich au- seinem Inneren hervorbrechenden Bewegungen nach­

bildete, ehe e», sich selbst immer deutlicher von der Thierwelt unter­ scheidend, sich diese- Unterschiede- bewußt zu werden begann „und der Thterwelt dumpfe Schranke fiel".

Auf diese Weise allmählig

menschliche Eigenschaften annehmend und au-bildend, mochten die

Bewohner naturgesegneterer Gegenden raschere Fortschritte machen. Denn der Mensch entwickelt sich überall im Einklang mit der ihn umgebenden Natur.

Noch heut «zeugt der, von den scheitrlrechte»

74 Strahlen der tropischen Sonne getroffene Boden ein andere» Ge­ schlecht al» der hohe Norden: hier scheint da», gleichsam zu Einem

einzigen Tag- und Nachtwechsel werdende Jahr schwächere Kräfte der Zeugung zu entwickeln al» ein Tag unter dem Aequator. — In

dieser Weise erklärt e» sich wohl auch natürlich, daß auf jenen ge­ segneten Ebenen Hochasten», wo der ganze Reichthum der Schöpfung sich in harmonischer Pracht und Fülle entfaltend die Erde zu einem

„Garten Gotte»" zu machen schien, dort auch zuerst der Mensch zu reinerer Gesittung, zum schuldlosen Genusse der Natur, al» harm­ lose-, kindliches Geschöpf auftritt, welche» in seinem einfachen und

glücklichen Naturzustände die Anfänge seiner höheren ethischen Ent­ wicklung begründet. Seit die Anthropologie durch da» Studium der Natur uncivitisirter Bölkerracen bereichert worden ist, kann für den einfach Den­

kenden wohl kaum noch ein Zweifel obwalte» über die Art, wie wir un» auch da» Wesen der ersten Zeiten de» menschlichen Geschlechte»

vorzustellen haben.

Wie e» heutzutage gute und böse Menschen,

reißende Wölfe und Schafe gibt, so wird e» auch damals solche ge­

geben haben, die gut und solche, die böse waren. Die ganze Mensch­ heit war weder jemals ganz gut, noch ganz böse. Beide Elemente

lagen naturgemäß von vornherein in ihr, wie sie heute noch in ihr liegen, uud entwickelten sich naturgemäß, wie sie sich heute noch na­ turgemäß entwickeln. E» irrte, scheint un», die altorientalische Psy­

chologie, wenn sie in Adam den vollendet reinen Menschen al» Aus­ gangspunkt und Anfang prototypisch für den Beginn unseres Ge­

schlechte- hinstellt und e- irrten auch unter den Neueren Hobbe- und

Rousseau ebenso wie Montesquieu und Locke, wenn die Eine« den Naturzustand nur als einen Krieg Aller gegen Alle, die Anderen ihn nur al- Zustand der Gleichheit, Freiheit, des Friedens, der Liebe und einer vollkommenen Glückseligkeit auf Erden darstellten.

So findet, an der sagenreichen Grenze des Menschengebiete-, die ethnographische Forschung unser Geschlecht (etwa 5000 Jahre

76 vor der vom Abt Dionysius ExigunS eingeführten kirchlichen oder christlichen Zeitrechnung) auf den Hochebenen EentralasienS, zwischen

dem 40fte« und GOfteii Grade nördlicher Breite.

Uralte Traditionen

lassen von den nordöstlichen Gegenden Asien- herandrängend, dunkel­ farbige Moygolenheerden die weißen Bewohner der Hochebenen nach

einem furchtbaren und langen Kampfe zwischen „dem schwarzen und

dem weißen Geiste" nach dem Süden und Westen herunterdrücken und von ihren Binnensitzen nad;

jenen küstenreichen Säumen de-

asiatischen Festlandes herabtreiben, von denen her auf kühn betretener Woge daö Volk der Jndoatlanten aus den dunklen, über den Erd­

ball rauschenden Bölkerfluthen an den Gestaden der Geschichte landet. Ans die vielaufgeworfene Frage, wie nnd woher die civilisatorischen

Urideen zuerst an den Nil gekommen seien, gibt eS noch immer keine andere Antwort als jene schweigende Bewegung, mit

welcher die

ägyptischen Priester den fragenden Herodot (450 v. Chr.) auf eine Reihe von 345 Mumienkästen verstorbener Oberpriester, der Herr­

scher Thebens von Vater auf Sohn während ebensovieler Menschen­ alter, hinwiesen *°).

Wie nun in dem beginnenden, deS menschlichen Geschlechtes

geistigen SchöpfungSprocesse

eine Culturstnfe der anderen folgte,

welche Völker nach einander auftraten nnd welche Aufgabe» sie lö­ sten, welche Organe sich das geistige Leben schuf, wie der ungeheure

Lebensstamm die Erde überschattete, wie er Zweig an Zweig, KnoSpe

an Knospe, Frucht an Frucht ansetzte,

dies aus einander zu legen

ist hier ebensowenig der Ort, wie wir die leibliche Sphäre der Schö­

pfung in ihre einzelnen Familien, Gattungen u. s. w. des Natur­

reiche- hineinzubegleiten hatten.

Es münden hier vielmehr jene Ar­

beiten al- eine natürliche Fortsetzung de- bisherigen Gedankenganzes

ein, deren Gegenstand es war, das Gemälde von den Fortschritten

de- menschlichen Geschlechtes zu entwerfen.

In England hat Baco,

in Frankreich Pascal, Descartes, Bofsuet, Condorcet (in seinem Pro­

gramme d’un tableau hißtorique du progröß de l’esprit humain

76

1795), Cousin, Senneniet, Pierre Leroux u. A., in Deutschland Lessing (Erziehung de» Menschengeschlechte-), Kant (ein letzte- Geschlecht genießt die Früchte der Anstrengungen aller vorangegangenen Gene­ rationen), Herder (Ideen zur Philosophie der Geschichte der Mensch­ heit), Schelling, Hegel (in seiner metaphhsischen Theorie de- Fort­

schritte- und der Entwicklung de- allgemeinen Geiste- in der Welt)

da» Thema ausgenommen.

2. Gott hat alle Dinge gegeben, daß sie eia Weg »u Ihm seien und er soll allein da- Ende sein.

Tanker'« Predigten. III. 120.

Au- der „traumverklärten Zaubernacht" des bloßen Empfin­

dung-- und Trieblebens hinaustretend und unvermögend sich auf die

Dauer al- eine bloße Aeußerung planetarischer Leben-thätigkeit zu

verstehen, vielmehr allmählig nach höheren Vorstellungen und Er­ kenntnissen über fein eigene» und da- Wesen der Dinge verlangend,

lernte allmählig der höher entwickelte Mensch sich von allen seinen Mitgeschöpsen zu unterscheiden al- da- sie überragende Wesen, wel­

che» die Bestimmung in sich trägt, die Welt, in der e» lebt, mit dem Urgründe ihre- Entstehen» in seinem eigenen Bewußtsein und

Leben wieder zu verbinden und al- Band zweier Welten, der leib­

lichen und geistigen, die große Kette der Einheit alle» Seienden auf dieser Erde leiblich ebensowohl wie geistig zu schließen.

Bon dem

ersten Erwachen diese- höheren Leben-processe- bi» zu jener von der

Menschheit noch unerreichten Stuse, auf welcher einst alle Menschen al- nach Gotte» Ebenbilde geschaffene, mit Vernunft begabte, in Gott den Urheber ihre- Dasein» erkennende Wesen, von seinem

Lichte erfüllt, hier ein in ihm selige» Leben führe« werden — ist der Weg ein weiter, wie e- ein weiter Weg ist au- der Nacht der

78 Höhlentempel, in deren dämmernden, in den Schooß der Erde ein­ gehauenen Räumen die ältesten Beter sich mit den schaurigen Ahnungen

deS dunklen Urgrundes der Dinge erfüllten — bis zu jener Zeit,

von der „geschrieben steht", daß in ihr die Gottheit nicht mehr in den Tempeln der Berge, sondern im Geist und in der Wahrheit angebetet werden wird.

Die Grundgedanken aber, in denen sich das

höhere LebenSbewußtsein auöspricht, sind folgende:

Auf die denkende Betrachtung deS geistigen und leiblichen We­ sens unserer selbst und der Dinge dieser Welt und auf die göttliche

Stimme

der Vernunft gestützt, gelangt der Mensch zu dem Be­

wußtsein, daß eS einen Gott gibt, durch welchen Alles ist, daß auch der Mensch aus Gott hervorgegangen und daß Gott und Mensch

durch Einen Geist mit einander verbunden sind.

(Dieser in der

nicäanischen Trilogie von Vater, Sohn und heiligem Geist dogma­ tisch ausgedrückte Satz enthält die unerschütterliche Gruudüberzeugung

de- menschlichen Geistes.)

Gleichwie nun Gott selbst da- Bild des Menschen als eines ihm ähnlich werden sollenden Geschöpfes, eines „Gottes-Menschen" zuvor in seinem eigenen Geist getragen hat, ehe es in der Form

des menschlichen Geschöpfe» in Erscheinung trat, also soll nun auch die Menschheit diese» Bild in ihr verwirklichen und sich zu der Geisteügestalt verklären, in welcher sie al» göttliches Geschöpf, als „gött-

llcher Mensch" von Anfang her im Geiste Gottes gelebt hat.

So

liegt Gottmenschlichkeit al- Anfang und als Ziel vor der yatllrlicheu Menschheit.

Die Menschwerdung Gottes ist hiernach ein Vorgang, der in jedem einzelne» Menschen geschehen muß,

eine ewig fortdauernde

That der gesammten Menschheit, vermöge deren sie, sich zu immer reinerem Bewußtsein ihrer Einheit mit Gott erhebend, der völlige»

Erkenntniß und Liebe Gotte» entgegenwächst:

in jedem Menschen

muß Gott e- sein, der in ihm zum Menschen wird.

So ist denn

jeder innerlich große Mensch in Wahrheit ein Gottessohn, jeder hö-

79 Here göttliche Mensch ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, Impuls und Organ zum Aufschwung der Menschheit. — Bon Anfang

her «beitete der Mensch, geschaffen nach dem Bilde Gottes, diesem ähnlich zu werden und von Anfang her war Gott thätig, den ewigen

Gedanken, nach welchem er den Menschen geschaffen, auch in ihm

zu verwirklichen. Der „Gottmensch" ist die uralte Arbeit, in der sich Gott und Mensch von jeher berühren. — Dieser Gedanke de„Menschen in Gott", des Gott menschen, die höchste Idee für die Er­ fassung deS Menfchengeiste- ist ein, durch die ältesten Zeiten de» ganzen menschlichen Geschlechte- mehr oder weniger verhüllt hindurch­

gehender Gedanke.

In ihn ist, wie 4n einen Aufschlag, da­

von der Kirche verkärte Bild de- historischen Christus hineingewebt als die Verkörperung dieser Idee.

Die Erziehung des menschlichen Geschlechte- geschieht durch die Offenbarung deS Göttlichen im Menschlichen.

Diese Offenbarung

ist ein ewig lebendig fortschreitender Vorgang zwischen Gottheit und Menschheit, in welchem sich auf eine ununterbrochene und natürliche

Weise da- Göttliche dem Menschlichen mittheilt.

Sie ist zu allen

Zeiten dieselbe, aber sie spiegelt sich verschieden in den verschiedenen

Characteren der Völker und Zeitalter, durch welche al- durch mehr oder weniger Helle Medien ihr Licht hindurchdringen muß. Diese Offenbarung deS göttlichen an den menschlichen Geist ge­ schieht durch unsere wachsende Erkenntniß der Welt und unsere* eige­

nen Wesen-, ist also Selbstoffenbarung. JhreQuelle ist eine dop­

pelte. Die Natur, durch welche jede unserer Wahrnehmungen, also auch jede Offenbarung de- göttlichen Wesen- an uns hindurchgehen

muß, weil wir mit unseren an den Stoff gebundenen Sinnen Allenur durch da- Medium bestimmter Aggregatzustände der Materie

begreifen können.

Der Geist: dessen innere Erkenntniß durch die

äußere geweckt, da- in der Natur Erkannte vermöge seine- göttliche»» Ursprünge- zu höheren Bewußtsein-formen erhebt.

Durch diese Selbstoffenbarung natürlichen und geistigen Leben-

80 erkennen wir wie da-Göttliche sich in der physischen Weltordnung

al- Naturgesetz, in der geistigen al- Sittengesetz entfaltet. Die Physische wie die in ihr sich entfaltende sittliche Wett sind

dergestalt von Anfang der Dinge her au» dem göttlichen Wesen her­ vorgegangen, von ihm durchdrungen und mit ihm verbunden, daß

sie au- ihrem eigenen Schooß unter der fortwährenden Mitwirkung ihre- göttlichen Grundprincipe- Alle- zu erzeugen vermögen, wa»

der Weltgeist bedarf, um zum Gotte-geiste zu werden.

Und so ist

die moralische Welt ebenso wie die Physische von den einer jeden eigenthümlichen, ewigen, an da- Sein und Leben überhaupt gebun­

denen Gesetze« getragen, daß sich auf dieselben Alle- zurückführen läßt, wa- geschieht, die sittlichen Erscheinungen ebenso auf Sitten­

gesetze wie die Naturerscheinungen auf Naturgesetze.

So wird da­

menschliche Leben von einer doppelten Sttömuog sittlicher und na­

türlicher Gesetze-entfaltung durchdrungen, daß von beiden innig ver­ bundenen Kräften die eine die andere zu durchwalten strebt.

Im

Kampf ihrer Elemente von dem elementaren Widerstände materieller

Schwere bis zum feinsten Spiel geistiger Macht- und Kraftentwick-

lung herauf einander noch wechselvoll berührend, gehen Beide dem

Einen letzten, gemeinschaftlichen Ziele entgegen: in dem erreichten Gleichgewicht ihrer Kräfte einst die Einheit und Harmonie der gei­ stig-leiblichen Weltschöpfung zu vollenden.

Die Herstellung einer wachsenden Verbindung de- Menschen­

geiste- mit dem Gotte-geiste al- eine au- unserem freien Wille» hervorgehende That göttlicher Selbstbestimmung unsere- Wesen» ist

die Arbeit, der Zweck und der Lohn de» menschlichen Dasein». Und da- eben ist da» Zeichen de- götllichen Hauche-, welcher, wie ein

höherer Jnstinct, die Menschheit durchweht, daß nicht Gott, sondern

der Mensch selbst in freiem Willen und Wirken die Wege wählt und die Mittel aufsucht, welche znm großen Ziele der Wiedervereinigung

de» Irdischen mit dem Ewigen führen.

Der Kraftanstrengung,

welche die menschliche Gesellschaft für diese Arbeit macht, entspricht

81 der größere oder geringere Fortschritt der Zeiten und ihrer Erkenntnißformen. Au- der frei gewollten und gewählten Verbindung des Men­ schen mit Gott kommt nun da- Göttliche, da- Gute — aus ihrem

Gegensatz, der bloßen einseitigen Entscheidung de- Menschen für sich

selbst, kommt da- Ungöttliche, Böse — die Sünde über Jeden, der Böse- thut und durch ihn über die Welt, wie die Natur sich selbst überlassen au- einer Wildniß in die andere hineinwächst. Da- Gute

beschleunigt die Entwicklung der Welt zum Ziel ihrer vollkommenen Verbindung mit Gott; da- Böse hält diese Entwicklung zurück. Aus

dem Machtverhältniß beider Kräfte zu einander beruht

wesentlich da- raschere oder langsamere Tempo de» Fort­ schritte- der Weltarbeit. Da aber da- Gute als die mit Gott

in Uebereinstimmung stehende und au» ihm geschöpfte Kraft die stär­ kere sein muß, da» Böse al- die mit Gott in Widerspruch stehende,

bloße Kraft de» endlichen Geschöpfe- nur die schwächere sein kann, so überwindet da- Gute kraft seine- Ursprung- zuletzt da- Böse. Diese

Ueberwindung aller Gegensätze de- Bösen in allen seinen zahllosen Formen und der völlige Sieg de» Guten über da- Böse muß der Erreichung

de» höchsten Ziele- vorangehen. Je mehr nun die Kraftanstrengung de- menschlichen Geschlechte- für da- Gute wächst, desto ohnmächtiger

wird da» Böse, je mehr die Kraft de- Guten abschwillt, desto stärker schwillt da- Böse an wie Kraut und Unkraut nach dem Maß de»

Boden- und der Arbeit wachsen. Da aber da- Böse al- da» selb­ stische Princip de- Geschöpfes in der Verneinung seine- höheren Zusammenhänge- mit Gott auch seinen wahren Zusammenhang mit der Welt und mit seinen Mitgeschöpfen verneint, um nur da- eigene

Selbst an die Spitze aller Interessen zu stellen, da e- Alle- was

ihm in den Wurf kommt zum Zweck der Selbsterhaltung mit ihm in die Schranken ruft — Böse- mit Bösem vergelten, Unkraut auf Unkraut säe«, die in der Welt schon vorhandene Summe von Bösem überhaupt nur noch vermehren kann, so folgt: daß nicht die Gerne»», Die Welt im Werde».

ß

82 gleiche Kraft des Bösen, sondern die überlegene Kraft de- Huten die einzige,Waffe sein kann, welche, indem sie das Böse am Ende der Dinge besiegt, der Welt den Frieden zu geben vermag und daß

mithin die höchste Tugend ist für daS Gute zu leiden und selbst den

Tod lieber zu wählen als in eine Sünde zu willige». Mit der Willensfreiheit, durch welche Gott es Jedem anheim« gegeben hat, sich selbst und sein Leben inner- oder außerhalb der

Verbindung mit ihm zu setzen, verhält es sich so, daß dem Menschen innerhalb der allgemeinen und ewigen Verbindung des

Ganzen mit Gott, ein für sein endliches Wese« unendlich weiter

Spielraum gelassen ist zur Geltendmachung vollkommenster Freiheit persönlicher Uebereinstimmung

oder persönlichen Gegensatze- jede»

Einzelnen gegen die göttliche Ordnung der Dinge.

Jenseit- die­

ser Freiheit innerhalb gewisser Grenzen, die desto enger werden, je

weiter sich die Einzelpersönlichkeit au-dehnt, tritt sie zurück unter die Herrschaft der unveränderlichen Gesetze de- Ganzen, in denen, undurch­

kreuzbar und unstörbar, der ewig reine Wille Gotte- waltet. — Di-

Kraft der Verbindung Einzelner mit dem Endlichen kann

also niemals dieKraft derVcrbindungdeS Ganzen mit dem Unendlichen

zu überwinden oder aufzuheben vermögen.

Eben deshalb kann ein dauerndes, durchgängiges Ablassen der ganzen Menschheit von Gott, eine dauernde und allgemeine Aushebung und Loslösung der gesummten Menschheit au- ihrer Verbindung mit Gott

niemals stalthaben, weil an die Erhaltung und Darstellung dieser Ver­ bindung der göttliche Zweck unseres Geschlechtes geknüpft ist, der von

Seiten de- Geschöpfe« niemals ganz und vollständig aufgehoben wer­ den kann. Wohl vermag da«, au- dem freien Willen hervorgehende Be­

streben der Einzelkräfte ihre Selbstständigkeit und Kraft nach Möglich­ keit geltend zu machen, jenen Zusammenhang der allgemeinen Ordnung

in Einzelfällen wie in ganzen Gruppen mannigfach zu stören und zu trüben, ja scheinbar umzukehren.

Wohl mag e«, so lang- von

uu- zurückgehalten, jene höchste Ordnung der Dinge noch nicht völlig

SS unter uns hergestellt ist, noch geschehen, daß der Sieg auf der Seite der selbstischen Principien steht, das Göttliche zu erliegen, das Un­

göttliche zu siegen scheint, daß viel edles Streben und Leben ohne

glücklichen Au-gang bleibt, — allein nie hebt die Macht jener nie­ deren Gesetze, wie sie individuelle Handlungen bestimmen, die jener höheren auf, welche das Ganze beherrschen, sondern es läßt dieselbe gleichsam mir in immer neuen Modificationen jene grenzenlose Man­

nigfaltigkeit hervortreten, deren die Anwendung de- Sittengesetze» auf die Unendlichkeit der Erscheinungen fähig ist.

DaS Verhältniß der Menschheit zu Gott ist hiernach folgende»: die Menschheit ist Gedanke und Geschöpf Gottes. Wie das Kind

Fleisch vom Vater nnd Geist vom Vater, so die Menschheit von Gott, recht eigentlich, wie die Schrift sie schon betrachtet, ist ihr Leib ein Tempel Gottes darinnen der Geist Gottes wohnt.

Wie

nun der Vater im Kinde und das Kind im Vater, so ist Gott in der Menschheit und die Menschheit in Gott: aber wie da» Kind-

nicht selbst der Vater ist, so ist auch die Menschheit nicht selbst Gott. Soudern, wie das Kind nur insofern Eins mit dem Vater ist al»-

e» Wesenöeinheit mit ihm trägt, so auch ist die Menschheit nur Ein»

mit Gott al» ihm wesensähnlich. So ist die natürliche Einheit zwi­ schen Vater und Kind ganz dieselbe wie die zwischen Gott und

Menschheit. „Er ist unser rechter Vater und wir sind seine rechten Kinder."

Wie aber die in der Person de» Kinde» erfolgte Wesens­

unterscheidung de» Vater» anS ursprünglicher Wesenseinheit mit der Erzeugung de» Kinde» selbst schon in einen bloßen Causalzu-

sammenhang beider Persönlichkeiten übergeht, so auch zwischen Gott und Menschheit.

Wie, wenn da» Kind zu eigener Denk- und An-

schanmigSfähigkeit heranwächst, dann Vater und Kind, so Ein» und untrennbar Beide in den letzten Gründen ihre» Wesens auch seien,

zuletzt der Natur der Sache nach. Jedes auch wieder sür da» Andere

al» ein Ich, ein Besondere» für sich auftritt, jedes als ein Wesen,

welches neben dem gegenseitigen Zusammenhänge noch ein Selbst für 6*

84 sich ist, so Gott und die Menschheit.

Da» Kind tritt bewußt, frei,

verantwortlich für sich selbst vor den Baler und bekennt sich entwe­

der ganz zu ihm (dann „kennt der Vater den Sohn und der Sohn den Vater, wie die Schrift sagt, denn der Sohn ist im Bater und der Vater im Sohn") — oder, sich lo-sagend vom Wesen und Wil­ len de- Bater- will da- Kind nur sich selber. Hält die Menschheit,

dem ihren Entwicklungsgang begleitenden unüberhörbaren Rufe ihre»

Innern folgend, den Gotte-zusammenhang fest, so bleibt sie auch im

Willen GotteS: will sie sich nur al» ein Ich für sich, in welchem nur sie selber und nicht zugleich da» Göttliche sein soll, so kann der

Wille GotteS eben auch nicht in ihr herrschen: sie ist dann „ gott­ los".

Der bloße Selbstwille, welcher sich mit dem Göttlichen in

Widerspruch setzt, muß nun natürlich dort wo er herrscht die reine Entfaltung der gottgewollten Ordnung der Dinge bi» zu gewissen

Grenzen hin trüben, stören, trennen und verwirren, und die mensch­ liche Gesellschaft unter die Strafgewalt de» verletzten Gesetzes brin­ gen: die Uebereinstimmung der Menschheit dagegen mit dem, in

ihrem Innern stet- erkennbaren Willen GotteS fördert und entwickelt da» Reich Gotte» auf Erden.

In dieser Weise breitet sich die au» Gott hervorgegangene Welt und da» Leben der Menschheit vor unseren Augen au». Der Mensch,

kraft der Gottesverbindung seine» Wesen» auf natürliche Weise alle Mittel und Wege in sich selbst tragend, deren er bedarf, um die Einheit mit Gott zu finden und zu erhalten und in der Erkenntniß feine» Wesen» rin gottgefällige» Leben zu führen.

Gott — kraft

seiner natürlichen Verbindung mit Allem wa» er erschaffen, überall die Menschheit durchleuchtend, überall rinkehrend wo von Liebe zu

ihm getrieben ein menschliche» Herz sich frei von Selbstsucht und, dem allgegenwärtigen Strome ewigen Leben» die Schleusen öffnend,

sich zu einem Mittelpunkte der Anziehung de» Göttlichen macht. Auf Grund solcher, überall den natürlichen Berhältniffen ent­

nommener Anschauungen, war der religiöse Leben-gedanke zu allen

85

Zeiten im Grunde ein sehr einfacher.

Die- ist er auch in seiner

christlichen Fassung. Ihr znfolge ist des Menschen Leben ein heili­ ge- Geschenk Gotte-: au- Gotte» eigenem, ewigen Wesen hervor­

gegangen, al- ein an» Gotte» eigenem Sein dem Menschen zu eigen

gegebener Theil trägt e» Gottebenbildlichkeit al» Siegel feiner in­ nersten Bestimmung in sich.

So als Lehn-ttäger eine» Gute-, da»

er von Gott empfangen und da- er ihm auch wieder zurückgeben

soll, muß der Mensch sein Leben heilig halten, da» ihm hier al» göttlicher Stoff anverttaut ist, den er au-arbeiten und zur Ehre Gottes darstellen soll.

Diese» Leben de» göttlichen Geiste», Gotte»

im Menschen, ist da- Princip de» Leben» Überhaupt, nicht da- bloße Leben im „Fleisch", in der Materie, — da» bloße natürliche vergäng­

liche Leben in seiner irdischen Erscheinung. — Diese» „Reich Gotte»" im Menschen muß im Kampf mit den Gewalten der Selbstsucht und der Sinnenanhänglichkeit dem natürlichen Leben erst abgerungen wer­ den.

Der natürliche Mensch, d. h. der Mensch blo» von Seite«

seiner irdischen, zeitlichen Natur her lebend, wird zunächst nur von feinen natürlichen, irdischen und sinnlichen Trieben bestimmt, in deren Befriedigung er allein die Bedingungen seine» natürlichen Dasein­

erfüllt sieht. In diesem, von der menschlichen Natur unzertrennlichen

Grundtriebe der Selbstsucht und Sinnlichkeit liegt aber die Wurzel alle» Uebel». Hier ist die Wahlstatt. Im Kampf mit diesen seinen

elementaren Natnrgewalten soll und muß der zu höherem Bewußtsein

erwachende Mensch sich da» Bürgerrecht eine» höheren, ewigen Le­ ben» erringen, in geistiger Durchdringung de» blo» Sinnlichen sich

und sein natürliche» Leben zum Dienste Gotte» verklären, nicht nach

dem sinnlich Angenehmen oder Unangenehmen, sondern nach dem handeln, wa» vor Gott recht ist und wa» sich ihm in seinem eigenen Gewissen al» Gotte» Wille offenbart. Der Sieger in diesem Kampf, der neue geistige Mensch, der darin ersteht, wird der göttlichen Natur theilhaftig, Kind Gotte-, neuerschaffen durch die Wiedergeburt

in dem Bilde seine- himmlischen Vater»: er hat da» ewige Leben,

86 alle- Andere ist bloße physische Existenz im erborgte», vergänglichen Scheine de- Leben- — lebendiger Tod. — Diesen Gott nun, der

un- au- Liebe erschaffen und deffen Reich hienieden in unsern See­ len ist, den sollen wir lieben von ganzem Herzen, von ganzem Ge­

müth und au- allen unseren Kräfte» und unseren Nächsten wie unselbst.

In einem so erhöhten Verständniß seine- Leben- erkennt der Mensch nun al- seine höchste Aufgabe — Kind Gotte- zu sein.

Einfacher, reiner, wahrer Mensch zu sein ist unser höchster irdischer

Rang.

Mit dieser Erkenntniß kann der Mensch nicht mehr unter­

gehen im Streben nach Irdischem: er fühlt sich al- ein Ich darüber

und zwar al- sein eigentliche- Ich darüberstehend.

Und al- ebenso

berufene Wesen sieht er nun auch alle seine Nebenmenschen an: auch

ihr höchster Rang für ihn ist der der Brüderschaft in diesem Geiste. Au- den Schranken deö Kasten-, Partei- und Nationalgeistes führt

dieser Gedanke in de» Weltbürgergeist der allgemeinen Liebe: die Erde wird durch ihn Ein Land voller Kinder Einer Vaters, Eines

Haufe- — die Menschheit ein Volk von Brüdern.

Die äußere Ge­

stalt de- zeitlichen Leben- tritt zurück al- die unwesentlichere, weil vom Vergänglichen bedingte, unfreie Seite deö höheren Seins. Da­ volle Gewicht fällt auf das Innere.

Nicht zwar, wie irrthümlich

gefolgert worden ist, als ob die ganze äußere Lebenserscheinung und Einrichtung der Menschen nun gleichgültig und entwerthet werden sollte, sondern sie gilt fortan nur insoweit als sie der materielle Aus­

druck einer wahrhaft göttlichen inneren Lebenskraft und der von dieser ausgegangenen Macht ist, die sich auch in der äußeren Welt

eine ihr entsprechende Gestalt herbeizuziehen und die Güter der sinn­ lichen Welt zum Dienste ihre- höheren geistigen Leben- zu unter­

werfen gewußt hat. — In dieser Erkenntniß tauscht jede- Mißver­

hältniß de- äußeren Leben- zum inneren Gemüth seinen Stachel gegen ein unerschütterliche- Gefühl von Ergebung auS.

Der Ab­

hängigkeit seine- äußere» Schicksal- von der Kette natürlicher Ur-

87 fachen und Wirkungen des großen Ganzen, in das er eintritt, da­

rr fertig vorfindet und als dessen Glied er sich fühlt, tritt der Mensch mit einer Welt von Unabhängigkeit und Freiheit in fich sel­ ber entgegen, deren unbeschränkter und glücklicher Gebieter einzig und allein er selber ist und für deren immer höhere und weitere Ent­ wicklung er sich selbst die härtesten Mißgeschicke seines Lebens dienst­

bar zu machen weiß.

Und dies gerade wird nun mit zu

einem

Hauptunterschiede von der blos weltlichen Lebensauffassung, daß die

letztere an der äußeren Lebensgestalt,

am Erfolge im Leben,

am

Schein den Werth des Menschen zuerst bemißt, wäre er im Uebrigen

auch daS willkührlichste Product der glücklichen Umstände, die sich

zufällig uni seine Person gruppirt haben, während hier daö Wesen, die Lebenögestalt angesehen wird, welche als freier Ausdruck innerer Tugend und göttlicher Selbstbestimmung die äußere Form von In­

nen her verklärt, und sie in ihren anspruchslosesten Erscheinungen und in ihren ärmlichsten Beziehungen über allen Glanz der Welt

verklärt. So ist der religiöse Gedanke in seiner einfachsten Gestalt zugleich auch der Gedanke der Versöhnung, der Erlösung vom Uebel und —

der wahrhaften Glückseligkeit des menschlichen Lebens.*)

*) Vergleiche Abschnitt IV. (der christlich« Leben-gedanke) in meiner Schrift: in „Zeitgeist und Kirche" (Berlin, Georg Reimer 1861).

3. In Ltbnirfluthm und Thatenpurm

Wall' ich auf und ab, Wehe hin und her!

Geburt und Grab

Ein rw'ge« Mrer Ein wechselnd Web« Ein glühend Leben So schass' ich am sausenden Debstnhl der Zeit Und wirke der Gottheit lebendige» -leid.

Der „Geist". Göthe'« Faust. DH. I. 6c. 1.

E- bleibt übrig, nach dem vom Standpunkte der Gegenwart

au- auf die gemeinschaftliche Vergangenheit unsere- Planeten und seiner Bewohner gethanen Blick nunmehr noch den Gedanken an die gemeinschaftliche Zukunft Beider zu entwickeln. Um diese letzten Ideen darzülegrn werden wir zunSchst einen

Rückblick werfen müssen auf die älteren Borstellung-kreise.

Die älteste Naturphilosophie, die der Indier, sprach in der Annähme einer Seelenwanderung (abgesehen von den populären Ver­

zerrungen, auf welche wir bei dieser wie bei jeder ursprünglich noch

so reinen Idee sehr bald stoßen) den Gedanken einer fortlaufenden,

stufenweisen Theilnahme de- Einzelnen an einer fortlaufenden, stu­ fenweis sich vervollkommnenden Reihe von Daseinsformen au», bi»

die Seele geläutert und rein in die „Nirvana“ einging. Erst später

gestaltete sich der Au-druck de- allen vernünftigen Wesen tnnewoh-

SV nenben Triebe- nach Ewigfeit zu der Gemüth-vorstellung einer Un­

sterblichkeit, welche den einzelne« Menschen nach seinem Tode z« einem persönlichen Genossen in einem jenseitigen Gotte-staat macht.

— Bon der Vorstellung ausgehend daß der Geist zwar in die Ma­

terie eintrete und in ihr lebe, aber nicht in ihr aufgehe, sondern einmal in ihr zur Persönlichkeit seine» Wesen» gelangt, dieselbe hin­

fort al- unverlierbaren Kern bei seinem Wiederaustritt au- der leib­ lichen Erscheinung im Tode festhalte und demnach nicht zerfließend in da- All zurückkehre, sondern als eine für ewig unversehrbare Per­

sönlichkeit, — nahm man an, daß mit der Bildung des äußeren Ge­

fäße- des menschlichen Leibes die bildende Gestaltungskraft de» Gei­ ste- in der Materie noch nicht zu Ende, sondern daß da- schlechthin körperliche Gewebe de- menschlichen Leibe- nur die nach außen hin

schwerer und gröber au-gearbeitete Form eine» gleichgestalteten in­ neren, aber feiner begabten Leibe- fei, welchen man die „Seele"

nannte.

Man dachte sich letztere, dem Lichtäther ähnlich zwischen

den wägbaren Molecülen de- Leibe- schwebend, von den Ausströ­ mungen de- Nervengeiste- gebildet und die Form des menschlichen

Gefäße- bi- in seine äußersten GewebStheile hinein auSfüllend, jedes

Molecül umhüllend, als den eigentlichen leiblich-geistigen Behälter,

in welchen sich der rinströmende Hauch de» Geistes ergieße, al» da­

eigentliche verklärte Organ des Geiste-, welcher durch dasselbe hin­ durch seine Wirkung auf den Körper hinüberleite — einen innere»,

geistigen Lichtkörper also, welchen sich der Geist de» Menschen wäh­ rend seine- Erdenlebenö bilde und der schon während diese» Leben­

beständig eine Art von seelischer Dunsthülle um ihn her verbreite.

Don dieser, de» eingekörperten Geiste- unmittelbarster und innerster, eigentlicher Hülle sagte man, sie streife im leiblichen Tode ihre äußere, verwesliche Schaale als den irdischen Rest ihre- Organi-mu-

ab, sie selbst sterbe im Tode nicht mit, sondern werde al» der, an» einem unverweslichen Urstoff gebildete Auferstehung-leib und eigent­ liche Träger der Persönlichkeit entweder in die Höhe getragen, in

90 den höheren himmlischen Weltraum, in welchem er zu neuen Ent­ wicklungen au das höhere Ganze und Allgemeine geknüpft werde,

oder, wa- dem Fluge der höheren Seelen nicht folgen könne, senke

sich zu neuem Kreislauf wieder nach den Tiefen der Erde herab. (Plutarch, de sera numinis vindicta c. 27. gibt un- in der Be-

kehrungSgefchichte des

heidnischen Freigeistes TheSpesioS von Soli

durch eine Vision während Starrkrampfes, ein anschauliches Bild da­

maliger Vorstellungsweise überhaupt. Als seine vernünftige Seele, so wird vom TheSpesioS erzählt, den Körper verlassen, fühlte sie sich

wie ein Steuermann, der auö seinem Fahrzeug in die Tiefe des Meeres geschleudert wird.

Dann richtete sie sich auf und Plötzlich

schien sein ganzes Ich zu athmen und überallhin um sich zu blicken als hätte sich die Seele wie ein einziges Auge anfgethan.

früheren Gegenständen sah er Nichts,

Von den

sondern die ungeheuren Ge­

stirne in ungeheurer Entfernung von einander, begabt mit wunder­

barem Glanz und wunderbarem Getön.

Und die Seele glitt sanft

und leicht wie in einer Windstille von einem Lichtstrom getragen

nach allen Richtungen hin.

Die Seelen der eben Verstorbenen er­

blickte er aus dem Erdkreis heraufsteigend: sie bildeten flammenartige Blasen; wenn diese zerrisien so gingen daraus ruhig die Seelen her­ vor, prächtig, in menschlicher Gestalt.

Es bewegten sich aber die

Seelen nicht alle gleich; einige schwangen sich mit wunderbarer Leich­

tigkeit aufwärts und stiegen unaufhaltsam in die über ihnen liegende Höhe,

andere hatten eine gemischte und unruhige,

bald aufwärts­

steigende, bald abwärtssinkende, drehende Bewegung.) — Dieser in­

nere, seelische Leib (acozia ipvxixov) galt als da- Erzeugniß der im Menschen stattfindenden individuellen Berührungsweise von Geist und Materie.

Er geht gleichsam wie ein in das Gewebe der organischen

Stoffbildung eingefügter Einschlag aus dieser individuellen Berührung hervor als ein in sich abgeschlossenes Wesen, ein Organismus, eine

Welt für sich, ein Besonderes im Allgemeinen, obwohl er durch die,

allen Dingen jtt Grunde liegende Verbindung der ihn bildenden hei-

91 den großen und allgemeinen Factoren alle- Seins „Geist und Ma­

terie" auch wiederum mit allen anderen Organismen zusammenhängt

und insofern al- er hier mit ihnen auf einem gemeinschaftlichen Bo­ den steht, auch wieder da- Allgemeine im Besonderen, Theil und

Ganze- zugleich und mit dem geistigen Athem, welcher überall die Natur durchdringt, in innigster Verbindung, ebensowohl sich in das

All wie da- All in sich zu versetzen vermag.

Diese Seelengestalt

ist nun ebensowenig wie unsere leibliche als etwa- im Leben völlig Starres und Unbewegliches zu denken. Sondern wie wir etwa von unserem Körper wissen, daß er im Stoffwechsel seine organische Zu­

sammensetzung beständig verändert und dennoch, weil die alten Atome

nicht eher scheiden biö sie die neuhinzvkommenden gleichsam in ihre

Functionen eingeführt haben, innerhalb der ihm gesteckten Zeitgrenzen sich als persönliche Einheit bewährt, so auch, dachte man sich, trägt

die Seelengestalt dasselbe Gesetz einer beständigen inneren Erneuerung in sich und ist in der ewig zwischen Geist und Materie geschehenden

Verbindung das sich unablässig erzeugende und durch die Willens­ richtung unsere- Wesens sich als dessen innerster, materieller Be­

gleiter fixirende, seine Persönlichkeit bestätigende Product der LebenS» thätigkeit unseres Ich, welches die ab- nnd znfließenden Stoffe zu

feiner gleichzeitigen äußeren nnd inneren Erscheinung gestalte (ähnlich nennt Savignh das Volk „ein unsichtbares Naturgauzcö mit unbe­

stimmten Grenzen, welches feine unsichtbare Einheit beständig in sichtbarer und organischer Erscheinung offenbaren will).

So wurde

die „Seele" al- ein besonderer Bestandtheil de- menschlichen Wesens angenommen.

Aus der dreifachen Zusammensetzung von Körper,

Seele, Geist, sagte man, gehe der Mensch hervor: sie seien, wie

Modell, Form und Guß drei Mittel für Einen Zweck, die drei

Schichten für da- Wesen „Mensch". Auf diesem, spekulativ gewonnenen, Boden schloß man mm wei­ ter, wurzele das Wesen de- Menschen: in welche Schicht desselben

nun fein Wille einseitige Wurzeln hineinschicke, darauf wachse er

92 denn auch vorwiegend empor: würden die leidlichen Wurzeln am

stärksten getrieben, so wüchse er auch vorwiegend in da- Sinnliche

hinein, während die seelische und geistige Sphäre verkümmere; seien die seelischen Wurzeln die stärksten, so geschähe e- wohl, daß sie sich auf -osten der leiblichen entwickelten u. s. f.

Ungemein einfach und

leichtfaßlich war die sittliche Idee, welche sich an die Vorstellung einer Dreitheilung des menschlichen Wesen- knüpfte und in einer Zeit, deren Blick sich noch weniger auf den Begriff einer Gesammt«

Menschheit und einer gemeinsamen organischen Entwicklung derselben

richtete al- vielmehr auf da- Individuelle, höchst geeignet der Volk-» thümlichen Faffung-kraft au- dem scheinbar so wirren Durcheinander der Erscheinung-welt die großen inneren Züge der Gesetzmäßigkeit

und vergeltenden Ordnung der Dinge vorzuführen, in welcher sich der ewige Weltplan vollendet.

Wie, so dachte man nämlich', um in der Sprache unserer Zeit zu reden, dein leibliche- Antlitz allmählig den Ausdruck der Grund­

stimmung annimmt, welche dein Innere- zu beherrschen pflegt, und

selbst jene weichsten und höchst beweglichen Mu-keln deine- Ange­ sichte- durch da- gleichförmig wiederkehrende Spiel sympathisch von Innen her erregter und sie bewegender Nerven zuletzt in diesen ihren

stereotypen Bewegungen gleichsam mechanisch stehen bleiben und den Typus deiner inneren Bewegungen, deiner Gesinnung-richtung in

immer plastischeren Zügen herau-treten lassen: so geschieht dasselbe auch in deinem inneren, seelischen Leibe, der durch den körperlichen

hindurchschimmert. An- dem Widerschein der Grundrichtung, welche

dein Wille deinem Fühlen und Empfinden, deinem Anschaucn, Bor­ stellen und Denken (der Richtung deine-„Sinnen-" daher: der Ge­ sinnung) gibt, webt jener innere Leib, ein allzeit treuer Spiegel dei­

ne- ganzen Wesen-, sich seine Gestalt, licht oder dunkel, edel oder

unedel, je nachdem du selber bist. Wenn nun der Geist die schwere Hülle seine- irdischen Leibe- abstreift und nur da- Seelische mit sich hinwegführt alä den Träger deiner zukünftigen höheren Lebensform,

SS wie der irdische Leib der Träger der irdischen Lebensform gewesen, so wird diese deine nunmehrige Gestalt, da- Bild dessen wa- du

hienieden gewesen, in da- Jenseit- hinübergehend, ein untrügliche» Zeugniß von dir ablegen. Du wirst ebenso wie du dann gezwungen

bist dich selbst zu erkennen, also auch in der Gemeinschaft derjenigen

erkannt werden, die du dort al- Genossen deine- zukünftigen Leben» wiedersinden wirst. Du wirst nicht etwa, waS du hienieden auch gethan haben magst, für besondere Vergehungen besondere Strafen

(etwa wie ein SishphuS oder Tantalus oder im Styl der Dante«

fchen Hölle) von einem höchsten Todtenrichter auferlegt bekommen,

sondern dein Gericht vollzieht sich ganz von selbst, denn da durch den Tod deine jetzige, undurchsichtige und grobe Hülle von dir ab­

gestreift ist und dein nunmehriger Naturorgani-mu- da- vollkommen entsprechende Organ deiner Persönlichkeit und ein völlig untrüglicher Abdruck deine- sittlichen Gesammtzustande- ist, so liegt da- hienieden verborgen gewesene Bild deine- Innern nunmehr unmittelbar auf­

gedeckt und klar da vor allen denjenigen, die dich umgeben.

Der

untergeordnete Zustand deiner eigenen Erscheinung also ist e-, der

dich schon an und für sich richten wird. Und wie groß, wie mächtig und wie bewundert du auch immer hienieden dagestanden haben wagst, so wird doch der Geringste auf Erden, wofern er sich durch die selbsterrungeneu Vorzüge seiner Seele zu einer vollkommneren

Gestalt emporgeschwuugen hat, in jenem Reiche größer sein al- du, höherer Segnungen theilhaftig, eines höheren geistigen Verkehr- ge­ würdigt und du wirst, geringer als er, unter den Dornen deine» Wege- eine Beute seine- Mitleids und seine» Erbarmen- mit dir werden.

Da nun die- da- Schicksal ist, welche- dir bevorsteht, so

wirst du in diesem deinem zeitlichen Leben nur dann wahrhaft für dich und dein ewige- Wohl sorgen, wenn du deine Seele rein und unbefleckt erhältst.

Habe also Gott vor Augen und im Herzen und

hüte dich, daß du in keine Sünde willigest, d. h. daß du mit deinem Willen nicht- thust wa- du erkennst al- der Stimme Gotte- zu-

94

wider, die du al- etwa» Gewisse- allezeit in deinem eigenen Gewissen vernimmst. Nnr indem du in deinem zeitlichen Leben so für dein ewige- Leben Sorge trägst, liebst du dich selber; jede andere Selbst­ liebe ist in Wahrheit eine Feindschaft wider dich selbst und jeder so­ genannte zeitliche Segen, der nicht auf diesem Grunde ruht, ver­ wandelt sich für dich in einen dir durch die ewigen Räume folgenden Fluch. Diesem Gedankengange, dessen hoher sittlicher Werth heilig ge­ halten werden muß, stand der Gedanke an eine allgemeine Schick­ sal-entwicklung der Erde in folgender Gestalt zur Seite. In dem Kampfe zwischen den beiden da- Leben bewegenden Principien de- Guten (Gott, Geist, Licht, Himmel) und de- Bösen (Teufel, Natur, Finsterniß, Hölle), dessen Schauplatz unsere Erde ist, entwickeln sich, dachte man, jene beiden großen Gegensätze in gleichen Proportionen und treiben mit gleichen Schritten einer ge­ waltsamen Entscheidung entgegen, welche sich unter einer furchtbaren Naturkatastrophe vollziehen wird, in welcher diejenigen, welche daLeben im Ewigen und in der Liebe zn Gott gefunden und diejenigen, welche e- nur im Zeitlichen und in selbstsüchtiger Eigenliebe gesucht haben, nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich von einander ge­ trennt, die Guten in ihr ewige- Erbe eingesetzt und die Bösen auSgestoßen, der Schluß de- gegenwärtigen Weltalters nnd der Be­ ginn eine- zukünftigen in der höchsten Stufe creatürlicher Entwicklung de- Diesseits als eine- wahren Gottc-reicheS auf Erden erreicht wird. In der Derfchmelznng dieser ältesten, ans der Annahme der Seele al- einer im Körper wohnenden selbstständigen geistig, leib­ lichen Gestalt beruhenden naturphilosophischen Anschauungen (die wir übrigens hier nur in ihrer von mancherlei dunklen Nebcnvorstelluugen befreiten Gestalt wiederzugeben versucht haben), mit dem theosophi­ schen Element der verschiedenen Tempelbrüderschafte«, erhielten jene sehr einfachen und schönen Ideen in den verschiedenen Zeiten und

96

td den verschiedenen Böllern eine verschieden mythisch-theosophische Gewandung. An die Stelle eines zukünftigen Weltalteds höchstmög­ licher irdischer Vollendung, welches aus der allmähligen Ausscheidung und Umwandlung aller rohen und unvergcistigteu Elemente hervor­ gehen und ein einst verklärtes Diesseits in die Hoffnung des mensch­ lichen Geschlechtes stellen sollte — wurde eine jenseitige, über dem die Erdscheibe umspannenden Himmelsgewölbe thronende, seraphische Sphäre gerückt, als Sitz Gottes und als der Ort der Aufnahme für die Seelen seclig entschlafener Menschen. Ein Orens, eine Hölle nahm die Verdammten zu ewigen Qualen auf. Und der Proceß der Scheidung der Elemente, die große Krisis gipfelte sich in einen von den Schauern des letzten Ernstes umlagerten Gerichtstag, an welchem tubft mirum spargens sonum per sepulcra regionum

coget omnes ante thronum: judex ergo dum sedebit

quidquid latet apparebit nil in ult um reinanebit;

das große Buch wird aufgcfchlagen, welches die Geschichte aller Men­ schen enthält und Jeglichem sein Urtheil verkündigt. Die Theologie, welche, um auf die Sinne zu wirken, in den früheren Zeiten thatsächlich zu einer starken Contrastmalerei gezwun­ gen war, weil nur kräftige Bilder die rohen Massen zu bewegen vermochten, malte mit immer lieblicheren und glühenderen Farben ein Jenseits aus, dessen Abstand von dem schweren, unerträglichen Joch des irdischen Lebens die Sehnsucht der Herzen hinlenken mußte zu dem verheißenen Lande der Freiheit, Gerechtigkeit, der Seligkeit des Genusses aller auf Erden entbehrten Güter im ewigen Beisanm mensein mit Gott. Als aber der Geist der Herrschsucht in die Kirche einzog, wurde die Masse beunruhigt durch ein Gegenbild voll Fin­ sterniß, voll Trübe und Schwere, voll Sünde und Fluch, das sie van einem Diesseits entwarf, über welches die Kirche allein zu re-

96 gieren wünschte. So geschah es, daß die ursprüngliche naturphi­ losophische Anschauung einer einstigen Verklärung alle-

Irdischen aus dem Bewußtsein der Menschen verdrängt wurde durch eine kirchlich-dogmatische, welche für unsere Erde nur ein Zukunftsbild voll Schrecken aufstellte, die sich in furchtbare» Gerichten des Himmel­

auf ihr erfüllen sollten.

Die socialen Folgen einer solchen einseiti­

gen Verlegung des Schwerpunktes des menschlichen Lebens in die Sphäre des Jenseits, als dessen Schließerin sich die aus den einst zerstreuten Tempeln hervorgegangene „Kirche" mit demselben Rechte

aufwarf, wie schon 2000 Jahre vor dem ersten Nachfolger Petri der ägyptische Oberpriester in Theben unter dem Titel „bestellter

Hüter der beiden Himmelspforten" sich die oberste Schlüsselgewalt beigelegt hatte, erwiesen sich einer freien und kräftigen Entwicklung

des Lebensgefühles der Gesellschaft ungünstig.

Ueber den Einen la­

gerte, durch das von der Kirche immer stark angefachte „Sünden­

bewußtsein" hervorgerufe», ein unbestimmtes Gefühl von Druck und Scheu vor der großen Zukunstsentscheidung „des jüngsten TagcS", bange Beforgniß und bewegter Zweifel über die eigene Aussicht der­ einst die Thore des Himmels geöffnet zu bekommen, wenn die Heim­

gegangene Seele an St. Peters Pforte klopfe; Andere suchte» sich,

von Furcht getrieben, die Fürsprache der Kirche durch irdische Opfer

und Vermächtnisse zu erkaufen, noch Andere fühlten sich, von einer schwärmerischen Sehnsucht nach dem Jenseits getrieben, zur Gering­ schätzung und Vernachlässigung ihrer irdischen Angelegenheiten ge­ trieben.

Die einfachen, guten, die höheren Menschen, deren innerr-

Leben im Wesentlichen zu allen Zeiten unberührt bleibt von den

verschiedenartigen Entstellungen der Religion, werden freilich auch

unter der Herrschaft solcher Anschauungen so gelebt haben, wie zu allen Zeiten im Vertrauen auf Gott und auf die eigene, freie Men­

schenkraft diejenigen leben, welche wiffen, daß der Mensch seine in­ nere Welt in sich selber trägt , und daß, was die Wirklichkeit nicht aus ihr selber zu erklären gestattet, auch durch die edelsten Schöpfun-

97 gen

einer frommen Einbildungskraft unerklärt bleibt.

Wer aber

feinem Zweifel an der Unsterblichkeit und an der Gestalt des ewigen Lebens in der Art, wie das Kirchengemälde sie darstellte, Ausdruck lieh, der wurde, wie Vaniui, — verbrannt. Als von großen Entdeckungen im Raume neuerweckt, die mensch­

liche Gesellschaft das Buch der Natur wieder aufschlng, als ihren staunenden Blicken die wahre Gestalt der Erde kund ward, als Co-

pernicnS an die Stelle einer feststehenden Erde, um welche sich der ganze Himmel bewegt, ihre eigene Bewegung um die Sonne bewies, als das raumdurchdringende Fernrohr die feste Himmelödecke, welche

bisher als Vorhang vor dem hinter ihr liegenden Reiche des Jen­ seits gegolten, in die unendlichen Tiefen eines weltentragenden Luft­

raumes auflöste, in welchem unsere ans dem bisher in der Vorstel­

lung eingenommenen Mittelpunkte des sie umkreisenden Himmels

hinausgewiesene und in diesen „Himmel" selbst ausgenommen Erde

erkannt wurde als freischwebender, durch unsichtbare Kräfte getrage­ ner und gleichzeitig mit ähnlichen, nur in verschiedenen Höhen, Tie­ fen und Bahnabständen dieselbe Sonne umkreisender Weltkörper, als

unsere Erde als ein Planet unter den Planeten, als eine Weltkugel unter tausenden von Weltkugeln erkannt, gleichsam erst ihr coSmischeS Selbstbewußtsein im Geiste ihrer Bewohner empfing, als die Ge­

schichte ihres

eigenen Werdens sich dem tief in sie eindringenden

Forscherblick zu erschließen begann, und die denkende Betrachtung deS

Menschen sich nun auf ein so ganz verwandeltes Bild „Himmels

und der Erden" zu wenden hatte, da begann der Geist der mensch­ lichen Gesellschaft auch darüber nachzudenken, ob auf die drei großen Fragen, „woher komme ich — was bin ich — und wohin gehe ich" — die Antworten der aus Naturwissenschaft, Philosophie und Theo­

logie der Vergangenheit hervorgegangeneil Gottes-, Welt- und Selbst­ anschauung in ihrer bisherigen Form noch die alte Gültigkeit be­

hielten oder nicht. — In dem Einsturz der alten physischen Welt­ anschauung auch

den ihres

German, Die Welt im Werden.

eigenen,

ans ihr errichteten nnd für

'J

98 unfehlbar erklärten metaphysischen Lehrgebäudes voraussehend, legte die Kirche ihren Bann ans die neue Physik der Erde.

Sie wider»

spreche, sagte man, der „Offenbarung Gottes": sie sei eine Feindin der geoffenbarten Religion.

Wohlan! heutzutage gibt eS keinen ein»

zigen vernünftigen Menschen mehr, der an der mathematisch bewie­

senen Thatsache einen religiösen Anstoß nehme, daß der Erdstern als selbstständiger Weltball unter anderen seine Bahn im Weltraum um die Sonne beschreibt — obwohl die Bibel eine andere Anschauung

davon hat.

lind wofern wir nicht das Ansehen eines herrschenden

theologischen Lehrsysteme- mit der Religion und dem Glauben de» menschlichen Geschlechte- selbst verwechseln wollen, wird heutzutage

schwerlich Jemand die Behauptung wagen, eS habe jene, der „Offen» barung" widerstreitende Thatsache seitdem die Religion selbst unter­ graben.

Wohl aber zeigt unS, unter vielen anderen, dieses Beispiel,

daß die menschliche Gesellschaft die Schritte zu neuen Stufen der

Erkenntniß nicht abhängig machen kann von der Zustimmung oder Nichtzustimmung der bestehenden Kirchenlehre, sondern daß umgekehrt eS vielmehr deren Aufgabe ist, jeden als wahrhaft festgestellten Fort­

schritt der Erkenntniß deö menschlichen Geistes in sich aufzunrhmen und jeder neugewonnenen Thatsache der menschlichen Erfahrung und

Speculation den Geist religiöser Verklärung einzuhauchen und sie mit der Glorie der Heiligung zu umgeben.

Wie nun erfahrungömäßig aus jeder neuen Stufe der Erkennt­

niß de- physischen Weltorganismus auch eine neue Stufe metaphy­ sischer Speculation über den, ihm zu Grunde liegenden und in ihn versenkten Weltgedanken hervorgeht,

so mußte sich auch eine neue

Welt von Anschauungen bilden über das Verhältniß, in welchem die

menschliche Gesellschaft dem Weltganzen gegenüber zu betrachten sei. Wie CopernicuS dem Planeten seinen Platz in dem, sonst nur al„JenseitS" angeschauten „Himmel" angewiesen, so wurde, ein an­

derer CopernicuS, der menschliche Gedanke sich nun des Lebens un­

seres Geschlechtes bewußt als einer „himmlischen" Begebenheit, welche

99 sich a»f unserem Planeten selbst

vollziehen solle. Und was ihm sonst

ahnungsvoll vorgeschwebt unter dem Bilde eines über dem Wolken­ himmel sich ihm öffnenden Reiche deS Jenseits, gleichsam eines christ­

lichen Olympe», das wurde allmLhlig in fein Bewußtsein ausgenom­

men

als das natürliche Ziel seines eigenen, sich in wachsender Fort­

schrittsarbeit verklärenden Diesseits, als der einzigen und ewigen Heimath deö menschlichen Geschlechtes. — „Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm, er stehe fest und sehe rings sich um: was

braucht er in die Ewigkeit zu schweifen? — waS er erkennt läßt sich ergreifen!" —

„Woher das Seiende seinen Ursprung hat, in dasselbe hat eS „rechtmäßiger Weise auch seinen Untergang."

Anaximauder. Diejenigen nun unter den Neueren, welche sich nicht für berech­ tigt halten, daö Vorhandensein der „Seele" alö eines besonderen,

selbstständigen substantiellen corpus acternum int menschlichen Leibe anzunehmen, vermöge dessen die Todten in eine jenseitige, himmlische

Sphäre entrückt werden, hat der allen vernünftigen Wesen innewoh­ nende Trieb nach Verbindung mit dem Ewigen zu folgenden Vernunftschlüssrn geführt:

Seit unser Planet, sagen sie, einmal auS dem dunklen Hinter­ gründe des allgemeinen göttlichen UrstoffeS in die Einheit eines selbst­

ständig

sich entwickelnden,

individuellen WeltkörperS übergegangen

und aus seiner lebensvollen Rinde ein Geschlecht denkender Wesen

hat emporsteigcn lassen, müssen wir, um folgerichtig jit denken, die

sich in unserer Erde entfaltende ErscheimingSwelt auch überall von

Seiten dieser ihrer inneren individuellen Planeinheit her erfassen und die Erklärung de- Alllebens, welches sie ans sich hervorgehen läßt,

also unsere» eigenen Lebens eingeschlosieu,

auch in einem inner­

halb dieser individuellen Sphäre deS Erdballdaseinö sich

fortschreitend begebenden und vollendende» Cyklus suchen. WaS nun die Betheiligung des Einzelnen an diesem großen

7*

100 Cyklus des Ganzen betrifft,

so ist sie die eines Momentes in

der Ewigkeit. — In dem Maße, als die das Leben bedingende Steigerung der organischen Thätigkeit jener geistig-leiblichen Indi­ vidualeinheit sinkt, welche wir „Mensch" nennen, in dem Maße sinkt

auch daS seiner höchsten Leistung nicht mehr gewachsene Individuum

zu einem immer mehr vegetirenden Leben herab.

Mit dem letzten

Hauch, der, entfliehend, die Atome deS Leibes aus der Bewegung

des Lebens in die Ruhe des Todes hinübergehen läßt, beginnen die Moleküle aus einander zu fallen, welche jene Jndividualeinheit bil­ deten. Leibes,

Kein „Geist" entschwebt der im Tode brechenden Hülle des

denn der Geist ist nichts anderes als das klar ge­

wordene, denkende Leben.

Die Quelle aber des steten Stromes

vergeistigter Materie, welcheii der beseelte Körper in den Luftraum

entsendete, versiegt mit dem Augenblicke der aufhörenden Thätigkeit

deS Stoffwechsels, d. h. des in ihm beständigen Umsetzungsprocesses zwischen Materie und Geist.

Mit dem Leben deS Körpers ist nun

eine Individualverbindung von Geist und Materie, eine er­

reichte Form der Berleiblichuug des Geistes — aufgehoben,

eine

physische und psychische Formel, gleichviel ob der, dem sie aufgegcben,

sie gelöst oder ungelöst gelassen hat, — ansgelöscht, um in dem großen Exempel des Ganzen fortgeführt oder von neuen, besseren Kräften wieder aufgenomnien und ersetzt zu werden.

DaS Leibliche

verwest und verweht, „der sie einenden Fessel entbunden folgen die

irdischen Stoffe ihren geselligen Trieben".

Zm dunklen Schooß der

Erde zu Staub zerfallend, im Schlafe einer Nacht, der auch für sie eine neue Morgenröthe folgt, harren die Atome, neue Kräfte sam­

melnd, ihrer neuen Auferstehung, bis der alleSdurchdringende und wiederbelebende Hauch deö Geistes

„wurzelauf des Lebens Quellen

nach den Zweigen leise lockend" sie zu einem neuen Kreislauf wieder in seinem Dienst hineinzieht und auch daS letzte und geringste Atom

wieder zur höchsten Aufgabe geistiger Function heranführt.

(So ist

die Materie der AntäuS der Mythe, der immer wieder besiegt zu

101 Boden nicdergeworfen, immer wieder von dem ihm aus der Tiefe der Mutter Erde neu heraufsteigenden Geisteshauche belebt, zu neuem

Ringkampf neu gekräftigt aufersteht.) — So geht, von geistiger Le­ benskraft immer wieder neu beseelt, die Materie durch eine zahllose

Reihe von Geschlechtern und, um mit Humboldt in seinem „rhodischeu Genius" zu reden, derselbe Stoff umhüllte vielleicht den gött­

lichen Geist eines Pythagoras,

in welchem vormals ein dürftiger

Wurm im augenblicklichen Genusse sich seines Daseins erfreute. — Immer wieder in den Schooß der Erde zurücksinkend,

wird da-

Leibliche dort wieder von den Wurzeln des Lebens aufgesogen und steigt wieder empor zu den Blüthen, Früchten und höheren Bildun­

gen der

die Menge deS

Oberwelt:

bleibt dieselbe,

vorhandenen Stoffes

aber die Atome, ihre Lage zu einander

wechselnd, läutern sich in beständigem Kreislauf und Um­

schwung.

So bewährt sich der alte Spruch des Anaxagoras, daß

daS Seiende sich

weder vermehrt noch

vermindert

im

Weltall.

Aber, wenn auch die Personen, die Familien, die Geschlechter, die Böller und Racen sterben, wenn ihr Dasein, dem flüchtig durch die Wolke dahinfahrenden Blitze vergleichbar, nicht» anderes zu sein

scheint als ein kaum geborener und rasch verlorener Augenblick,

so

bleibt doch der ewig feste Inhalt der über Raum und Zeit beweglich

ausgegossenen Formen;

eS bleibt die Menschheit und eS bleiben

die über dem Ganzen stehenden ewigen Ideen: sie sind unsterblich,

sie schweben unversehrt über den Trümmern der Gestalten. — Wa» du gefühlt, gedacht, gewollt, gethan, genützt, zu welchen Wirkungen immer du jemals die bewegende Ursache gewesen, daS lebt, segens­

reich oder verderblich, dir nach. der ins Waffer werfen,

Wie die Steine, die spielende Kin­

um sich an den weitkreisenden Ringwellen

de- glatten Spiegels zu ergötzen, so zieht der Mensch, wenn er längst

in den dunklen Schooß der Tiefe herabgesunken, seine Kreise noch

in der Welt der Menschen hinter sich her.

Wer Wenigen wenig

102 war, nur kleine, rasch verschwindende; wer Bielen BieleS gewesen, die großen, über Jahrhunderte und Jahrtausende hinauöreicheuden.

— Ju diesem Bewußtsein haben zu allen Zeiten die stärkeren Gei­

ster ihr Genüge gefunden: viele von den „Unsterblichen" in der Ge­

schichte haben sich dafür entschieden.

(Man vergleiche u. a. Friedrichs

des Großen Unterredung mit Sulzer vom 31. December 1771 und die berühmte Epistel an Keith, „er (der Mensch) weiß, er wird un­

sterblich sein in Wirkungen, die sich an feine Thaten reih'n; dies ist

die einzige und wahre Unsterblichkeit, die nie der Tod zerstört. WaS

mau von einer andern hört, kommt hier auf Erden nie ins Klare" rc. — Und Schiller:

„vor dem Tode erschrickst du? du wünschest un­

sterblich zu leben? — Leb' im Ganzen! Wenn du lange dahin bist,

eS bleibt.")

In diesem Sinne das Diesseits und nicht das Jenseits

„von dessen unentdeckten Grenzen kein Wanderer je zurückgekehrt" (Shakesp.), zum Schauplatz der ewigen Beziehungen des menschlichen

Geschlechtes machend, hat neuerdings auch Buckle nicht mit Unrecht,

wenn schon in einseitiger Auffassung, gesagt: „über Allem bewegt sich eine höhere Welt und wie die Fluth weiter rollt, jetzt vor und

jetzt zurück geht in ihrem endlosen Hin- und Herschwanken, gibt eS Eins und nur Eines was ewig währt.

Die Thaten schlechter Men­

schen bringen nur zeitweiliges Uebel hervor, die Thaten guter nur zeitweiliges

Gutes, endlich

sinkt

Gut und

Uebel

völlig zu

Bo­

den, wird aufgehoben durch nachfolgende Generationen und geht in der unaufhörlichen Bewegung nachfolgender Jahrhunderte auf.

Aber

die Entdeckungen großer Männer verlassen unö nie, sie sind unsterb­

lich, sie enthalten jene ewigen Wahrheiten, die den Sturz von Rei­ chen überleben, die länger dauern als die Kämpfe streitender Reli-

gionSpartcien, ja eine Religion nach der anderen in Verfall gerathen

sehen.

Alle Religionen haben ihr eigenes Maß und ihre eigene Re­

gel, eine gewisse Meinung gilt für ein Zeitalter, eine andere für ein anderes.

Sie schwinden dahin wie ein Traum, sie sind das Geschöpf

der Phantasie, von dem selbst die Umrisse nicht stehen bleiben.

Nur

103 die Entdeckungen des Genius bleiben,

Alles was wir haben.

ihnen allein verdanken wlr

Sie sind für alle Zeitalter und für immer,

nie jung und nie alt tragen sie den Samen ihres eigene» Lebens, sie fließen fort in einem ewigen, ununterbrochenen Strome, sie sind

wesentlich vermehrend, gebären ihre Fortsetzungen, die später gemacht

werden, und wirken so auf die entfernteste Nachkommenschaft, ja nach

dem Verlauf von Jahrhunderten wirken sie stärker als sie es im Augenblick ihres Bekanntwerdens vermochten."

Wir werden aber,

um nicht in einen ausschließlichen Cultus des Genius zu verfallen,

hierbei immer eingedenk bleiben müssen, daß diese großen Leistungen

eben nicht zu dem gehören, was der Mensch sich selbst geben kann. Und so werden wir auch diese großen Männer, in denen der Wider­

schein des in der ganzen Menschheit entfalteten Göttlichen so stark

ward, daß cS sich in ihnen am mächtigsten abspiegelte, auch nur als die Organe der hoch über den zerrinnenden Menschengebilden wal­ tenden Macht der Gottheit, als die Werkzeuge ihrer Kraft, als pro-

videntielle Erscheinungen verstehen müssen, welche, zu ihrer Zeit auf­

tretend, die Werke des das Ganze von innen her treibenden Geiste­

vollziehen.

So wird dann auch ans der anderen Seite Schiller!-

echteS Dichterwort zur Wahrheit, „gemeine Naturen zahlen mit dem was sie thun, edle mit dem waö sie sind", und wird der unbedeu­

tendste einzelne Mensch, deffen Andenken kein weithinauSschallender RuhmeSklang in die Welt hinauSträgt,

zu einem nicht geringeren

Organe der göttlichen Macht, wenn er an seiner Stelle und mit

seinen Gaben das Geschenk deS Lebens anstatt mit dem zu bezahlen

waö er thut, mit dem bezahlt was er ist, nämlich mit dem, was wir Alle sein sollen und sein können — einfache und wahrhaftige

Menschen unter einfachen und wahrhaftigen Menschen.

„Nicht nur

Verdienst, auch Treue wahrt uns die Person" und nur wer we­

der Edles gethan noch gewollt,

gehört dem bloßen Spiel der

Elemente an.

Indem wir aber dem Menschen keine andere Unsterblichkeit zu-

104 erkennen als diejenige ist, welche er in der Familie, im Staat, in

der Wissenschaft, Kunst u. s. w. hat, und indem wir jede in einem

Menschen zur Darstellung gelangende Jndividualcinheit von Geist und Materie alö eine sich im Tode in die allgemeine Einheit wieder auflösende, aus dieser aber zu immer neuen Jndividnalcinheiten wie­

der heranbildende betrachten, wird der dem menschlichen Wesen inne­ wohnende Trieb, und das Gefühl seiner Verbindung mit dem Ewigen und seiner Beziehung auf dasselbe dennoch erfüllt.

Denn jeder Ein­

zelne hat an der fort und fort geschehenden Erneuerung des ganzen

Geschlechtes in sich selbst einen solchen Antheil, daß auch seine im Tode auS einander tretenden Atome je nach ihrer,

innerhalb der

von ihm erreichten höheren oder niederen LebcnSgestalt, gröber ge­ bliebenen oder feiner und vergeistigter gewordenen Beschaffenheit, die

Fähigkeit mit sich hinwegnchmen, immer höheren Verbindungen, einer

Darstellung immer höherer Ordnungen von Jndividualeinheiten ent­ gegen zu streben, d. h. die Träger einer vollkommneren Bildungs­

und LebenSstufe der menschlichen Gesellschaft zu werden.

In dieser

Weise genießt dann Jeder daö Gleichartige, die Früchte seines vor­ angegangenen Seins, die geläuterten Erzeugnisse seines vorigen Wir-

kens unanfhörlich mit.

Alles das aber, was der Mensch während

seines Lebens in sich selber gemein, niedrig und schlecht ließ, strebt

in- seinen im Tode sich auflösendeu Elementen mit wahlverwandtschaftlichen Kräften hinfort auch den niedrigen Verbindungen zu, de­ nen es im Leben angehörte und, den dunkleren,

vom Geist wenig

durchleuchteten Schichten der niederen Materie anheimfallend, kann eS

jene Stufe höherer Ordnungen des plastischen Seins, zu dem Alles gelangen muß, nur in den langsamen und schmerzvollen Kämpfe» eines neuen, schwierigen Kreislaufes erreichen.

So trägt auch ma­

teriell Jeder die Keime und Prineipicn seines künftigen Daseins in sich eingeschlosfen, wie die Anfänge der künftigen Pflanze im Samen­

korn. — So empfängt die Welt das sie von innen her unwider­ stehlich treibende Element ihres beständigen Fortschrittes und wird

105 das ganze menschliche Geschlecht immer aus sich selbst wiedcrgeberen bis eS in sich zur Ruhe der Vollendung und Gottseligkeit gelangt ist, jede seiner neuen Erscheinungsformen ist geistig und materiell die Frucht seiner vorangegangenen Zustände, welche aus chaotischem

Beginn immer feinere, geistige, ethischere und gesetzmäßigere Gebilde hinzustellen strebt.

So findet jede neue Zeit ihre Wiege umgeben

von den „Stiftungen und Vermächtnissen der Vorangegangenen". So trägt der Tod wieder die Bedingungen deö neuen Lebens in sich, wie das Leben die des Todes: beide wandeln sich ewig in ein­ ander um und während das Leben in unaufhaltsamen Schwung ent­

eilt, nimmt cö das Erstrebte mit hinüber in die neuen Gestaltungen. So reicht ein Geschlecht dem anderen,

eine Zeit der anderen,

ein

Mensch dem anderen die Hand zum ewigen Bunde des Ganzen und

so auch trägt am Ende,

was in jedem Einzelnen wie im großen

Ganzen Gut und Böse war, Lohn und Strafe unabwendbar in sich selber und eö zeigt sich wie, eineö anderen Lohnes und einer andere»

Strafe von außen her nicht bedürftig,

das Gute die Freundschaft

eines jeden Wesens mit sich selber, das Böse aber Niemandes Feind

so sehr sein kann wie sein eigener. — Jene- belohnt, dieses bestraft sich im Diesseits durch sich selbst,

cs bedarf dazu keines „jüngsten

Gerichtstages". Nur in diesem Sinne scheint uns der Einzelne unsterblich zu

fein, als ein Moment in jener unendlichen Reihe von Momenten,

welche die Ewigkeit bilden.

Was im klebrigen sich von der Seele

des Menschen sagen läßt, geht nicht über Göthe'S schöne Worte in

dem „Gesang der Geister über dem Wasser" hinaus: Des Menschen Seele Gleichet dem Waffer:

Bom Himmel kommt es

Zum Himmel steigt es

Und wieder nieder Zur Erde muß es Ewig wechselnd.

106 Was nun die in unserem Planeten sich darstellende Individual­

verbindung von Geist und Materie und das von ihr überhaupt zu erreichende Ziel anbetrifft, so haben wir allen Grund zu der An­

nahme, daß wir uns erst innerhalb der ersten Anfänge unsere- We­

ge- zum Ziel befinden.

Unsere Erde ist noch mit einer beständigen

Umbildung und Vervollkommnung ihrer Form beschäftigt, sie ist gleichsam

erst au- dem Rohesten herausgearbeitet.

Ihre künftige

organische Beschaffenheit im Voraus entwerfen zu wollen,

wie e-,

auch außerhalb der Apokalypse, in naturphilosophischen Visionen ver­

sucht wurde, ist eine vergebliche Anstrengung der Einbildungskraft. Nur so viel können wir schon jetzt sagen, daß den im Innern der

Erde arbeitenden Kräften, schon jetzt in ihrem Einfluß deutlich er­ kennbar, die Kraft der Arbeiten uiib Unternehmungen des mensch­

lichen Geiste- in einer ihre und unsere Umgestaltung unberechenbar weiterfördernden Weise entgegcnkcmmt.

Denn indem der Mensch

die Wildnisse urbar macht, die Sümpfe trocknet, die Wüsten bewäs.

sert und bewaldet, indem er die Fruchtbarkeit des Bodens durch eine immer einsichtsvollere Bewirthschaftung desselben erhöht, so klärt er damit da- den Planeten umgebende Luftmccr ab "), erleichtert und

verstärkt er die Zuströmung der lichl- und wärmeerregenden Wal­ lungen der Luft- und Wasserhülle unseres Planeten und — das or­ ganische Leben in der Ein- und AuSathmung der Zellenwandungen,

in dem Gewebe der Muskel- und Nervenfaser unsere- eigenen Or­ ganismus dadurch in letzter Instanz mitbestimmend, erregt er damit

feinere electro-magnetische Strömungen des Lebens und steigert er zuletzt die geistige Erregbarkeit unseres Organismus.

So empfängt,

die Natur mit dem Zauberstabe der Cultur berührend, der Mensch, je mehr er sie befreit, in ihr ein immer vollkommneres Organ für

den Willen seines Geiste- und, ihren Bildungen den Ausdruck seiner

eigenen Gedanken einprägcnd, wird sie ihm ein immer reinerer Schau­ platz für die Entfaltung seine- Wesens.

Dahin wirkt Alles zusam­

men. — „Der Zweck der thätigen Mcnschengilde ist

die Urbar-

107 machung der Welt, ob du Pflügest deö Geistes Gefilde, oder bestellest daS Ackerfeld." Im Mensche» selbst arbeitet eine nie und nirgends stillstehende

Naturkraft immer weiter fort, um auf dem Grundpfeiler seines Baues einen in immer feineren und harnionischeren Formen seiner

architcctonischen Umrisse herauStretendcn Tempel für die Wohnung

seines Geistes zu wölben.

Das Alter des menschlichen GeschlechteS

nimmt im Verhältniß znm Alter der Erde etwa, wie man berechnet

hat, den kurzen Zeitraum einer Minute ein und, so paradox eS klin­

gen mag, so ist doch nicht mit Sicherheit zn bestimmen, ob seine ge­ genwärtige Körperformation schon den Schlußpunkt der ihr bestimm­ ten Vollendung erlangt hat.

Wir wollen hier nur an die Spann­

kraft des Gehirns erinnern, welche, den Camperschcn Gesichtswinkel

vergrößernd und eine Zunahme des GesammtflächenumfangeS

und

kubischen Inhaltes des Schädelgewölbes ermöglichend, die zurückflie­

gende und eingedrückte Stirn der Anthropoiden und niederen Racen im Lauf der Zeit cmporhob zu jener gleichförmig schönen Wölbung, welche wir vorerst nur an einzelnen,

vollendeten Köpfen hochent­

wickelter Typen des Menschlichen bewundern, so daß die Erhebung

des

intellectnellen

über den physischen Menschen auch unter einer

anatomischen Arbeit im Organismus selbst vor sich geht “).

Die­

selbe Spannkraft, welche in den mäandrischen Hallen des Gehirnes

oöciüirt, „wo ein Tritt tausend Fäden regt, die Schiffleiu herüber

und hinüber schießen, die Fäden ungesehen fließen, ein Schlag tau­ send Verbindungen schlägt", strebt zweifelsohne ihre umhüllende Decke immer vollkommener auSzuwölbcn.

Ihr Ziel ist cs, das innere Ge­

setz der Harmonie der Kräfte auch in ihren festen körperlichen For­ men organisch immer vollkommener auSzndrücken und, die noch un­

gleiche Vertheilnng derselben einheitlich vollendend,

die Menschheit

allmählig auch in organischer Beziehung zu einem, der Vervollkomm­ nung möglichst gleichmäßig entgegenwachsenden WesenSgeschlecht zu mache».

(GS finde hier die erklärende Anführung der bisher ange-

108 stellten anatomischen Messungen Platz, denenznfolge z. B. die germa­ nische Race bei stark entwickeltem Border- und

Mittelkopf einen

im Verhältniß durchschnittlich geringer ausgebildeten Hinterkopf, also von Natur mehr Intelligenz und Gemüth als Thatkraft besitzt, wo­ her es sich denn auch organisch erklären würde, daß der Deutsche,

der so leicht große Gedanken faßt, bisher nicht die entsprechende Ge­ staltungskraft für dieselben zeigte, sondern, wie von ihm gesagt wor­

den ist, „seine großen Bewegungen verrinnen ohne große Wirkungen zurückzulassrn": die romanische Race dagegen zeigt überwiegende Ent­ wicklung deS Hinterhauptes, also des Sitzes der Executivkraft. —

Der entwickelte Gedanke ist also der, daß solche natürlichen Unter­ schiede und Ungleichheiten im Bau der Individuen und Racen sich

allmählig durch die inneren, treibenden Kräfte unter einander auS-

gleichen werden zu einer größeren physischeir und psychische» Har« monie in einer, die coSinischen Bewegungen begleitenden Veränderung

deS menschlichen Organismus überhaupt.) An eine solche, mit den eigenen Anstrengungen des

menschlichen Geistes Hand in Hand gehende und unver­ kennbar innerhalb unseres Planeten nach allen Seiten hin im großen Ganzen fortschreitende, bisher erst in den nngefährsten Andeutungen ihrer späteren Gestalt her­ vortretende Vervollkommnung dcö Ganzen ist nun nach

der Meinung der Neueren auch ei-ne naturgemäß fort­ schreitende Lösung der sittlichen Aufgabe für das mensch­

liche

Geschlecht,

die

vollständige Verwirklichung des

„höchsten Gutes", deS durch die „Menschwerdung" Got­

tes in der gesammten Menschheit vollendeten GotteöreicheS auf Erden als die notnrnothwendige, geschichtliche

Bollendnng des Planeten und einzige Bestimmung seiner

Bewohner geknüpft. — Der im großen Ganzen ununterbrochene Proceß der Erlösung und Erhöhung der Menschheit ist also nicht

in einer allmähligen, objectiven Entrückung der Individuen von der

109 Erde und in einem, unter völligem Abbrechen mit den Bedingungen der irdischen Sphäre geschehenden successiven Entrücken derselben in.

ein Jenseits zu suchen, sondern derselbe vollzieht sich vielmehr inner­

halb einer im Ganzen immer größer werdenden Befreiung von den

materiellen Schranken, in einer ftnfenweis und regelrecht fortschrei­ tenden Ausreifung und Vergeistigung des planetarischen Gesammt-

organiSmnS, in einem innerhalb desselben sich immer mehr herstellenden Gleichgewicht zwischen den stofflichen und geistigen Kräften nnd einer dadurch immer mehr sich verwirklichenden Willensfreiheit

der Wesen.

Und indem auf diese Weise die Macht der menschlichen

Natur immer mehr aufhört mit der Stimme deS sie durchwaltenden

göttlichen Geistes zu streiten, bricht zuletzt der Bildungsdrang gott­ menschlichen Lebens durch das ganze Geschlecht hindurch.

Statt des

sinnlich-materiellen wird der Grundzug der Menschheit der geistige

unh der „freie Gehorsam der Kinder Gottes" thut das Gute weil eS das Gute ist, dessen Nothwendigkeit sie erkennen.

Und wenn am Ende der Arbeit dieses göttliche Ziel einer voll­ kommenen harmonischen Darstellung deS Geistes in der Materie auf

unserem Stern erreicht sein wird,

überall ewige, heilige Ordnung

an die Stelle blinden Zufalles getreten, jede Seele znr Erkenntniß

des lebendigen Gottes und höchsten Gutes gelangt ist, wenn die in jedem Einzelnen sich wiederholende Idee der gefammten Menschheit unsere Erde zu einem wahrhaften Pantheon gemacht haben wird und

sie, in ihrer höchst geläuterten Gestalt, nunmehr wahrhaft geistige Wesen auS sich herausreifen läßt, welches andere Schicksal kann dann

unserer Erde bevorstehcn,

als daß auf dieser letzten Stufe seiner

Läuterung der Planet sich durch seinen eigenen Proceß aufhebt und, in seiner letzten Wandlung aus der gegenwärtigen Weltsphäre ent­

schwindend,

als ein vollendeter Theil des göttlichen Allwesenö zu­

rücktritt in den Weltraum, aus dem er hervorgegangen, wie sich die Wolken der Atmosphäre in Luft auflösen,

Neuem hervorzugehen.

um auS ihr wieder von

Alles aber nicht wirklich geistig gewordene

110 wird als Schlacke und Auswurf an-gestoßen, um, von der Bewegung

der noch in Schöpfungsarbeit begriffenen Weltsphären aufgenounnen, noch einmal den Kreislauf der Läuterung zu beginnen, bis auch da­ letzte Atom seine Bestimmung erreicht nnd die große Arbeit de-

Aeon- in einer vollkommenen Darstellung des Geistes in der Ma­ terie im ganzen Weltenraume erfüllt ist, bis

ausgestritten, ausgerungen

ist der lange, schwere Streit, ausgefüllt der Kreis der Zeit

und das große Werk gelungen. Wir dürfen dieser Vernunftauffassnng der Unsterblichkeit und der „letzten Dinge" keinen geringeren sittlichen Werth für den Ein­

zelnen wie für das Ganze zuerkennen als jener älteren, deren Schau­ platz das himmlische Jenseits ist.

Indem der Mensch sich bewnßt

wird, daß seine Individualität in die Gattung aufgeht, daß die Er­

haltung des Allgemeinen nicht des Einzelnen die Hauptsache ist, tritt er aus den engen Schranken feines Selbst heraus in Hingabe an das

dessen Anfrücken in die Kreise einer höheren

moralischen

Weltordnung an- der Regellosigkeit ersten Triebleben-

er als die

Ganze,

allgemeine Arbeit des menschlichen Geschlechtes erkennt, an weicher­ er selbst sich bethciligt in dem Bewußtsein, daß daö Wirken einer jede» einzelnen Persönlichkeit sich in einem offenbaren,

sichtbaren,

durch Ursache und Wirkung verketteten historischen Niederschlage ab­

setzt nnd daß auf diese Weise sein eigenes, wenn auch noch so vor­

übergehende- und kurzdauerndes Dasein ein Mittel mehr zum Fort­ schritt de- Ganzen, Mitbedingung für die Lage de- nach ihm gebo­

renen Geschlechtes wird, al- dessen Bestimmung er erkennt ein wie­ derum höheres Geschlecht von Menschen,

eine noch edlere geistige

Verbrüderung zu bilden. — Indem diese Anschauung das nach einem

zukünftigen Leben im Jenseits gerichtete Träumen der früheren Zei­ ten iu den Hintergrund treten läßt, indem sie die Unabsehbarkeit

der fortschreitenden Entwicklung des Diesseits, das Bild einer histo-

111

rischen Zukunft dieses unseres Planeten statt des eines metaphysi­ schen Jenseits vor die Seele der Menschheit stellt, indem sie jeden Einzelnen zum selbstständigen Bildner und Schöpfer nicht zum re« signirenden Sclaven der Verhältnisse macht, fordert sie auf zu einem thatkräftigen und frischen Handeln in der Gegenwart, spornt sie an zu unsterblichen Werken der Hingebung, der Selbstverleugnung und Aufopferung für die Zwecke des Ganzen, steigert sie das Gefühl der Verantwortlichkeit des Einzelnen für die Gesammtheit, treibt sie zu einer frohen und freien Entfaltung aller gottverliehenen Kräfte auf Erden, zu einem daseinöfrohen Genuß der durch die Arbeit errun­ genen Güter, zeigt sie die höchsten Ziele inner- nicht außerhalb der eigenen Sphäre des Planeten erreichbar und in die ahnungsvoll von dem sich ausspannenden Bilde der Zukunft bewegte Seele der Mensch­ heit leitet sie die ewig lebenspendenden, heiligen Kräfte und Gedan­ ken deS alleSbewegenden Geistes, welcher das Göttliche des Ganzen ist. „Wo die Natur in reinem Kreise waltet, ergreifen alle Wel­ ten sich." „Je mehr aber, hat man gesagt, auf diese Weise die Menschen an daS Diesseits, an das irdische Leben angewiesen werden, als an den einzigen Ort der Glückseligkeit, desto höhere Ansprüche werden sie insgesammt erheben, desto begieriger und heftiger nach Befriedi­ gung ihrer Ansprüche an daS Glück des Lebens streben, desto be­ stimmter von der gesellschaftlichen Ordnung' fordern, daß sie befrie­ digt werde. Und da die Staaten nicht im Stande find, das ver­ langte irdische Glück für Alle zu begründen, da dies, wie die mensch­ lichen Verhältnisse einmal sind, überhaupt unmöglich ist und selbst wen» es möglich wäre, durch die Unersättlichkeit der augenblicklich Befriedigten wieder unmöglich würde — so werden die Völker, wem solche Ansichten sich Bahn brechen, bald die Staaten znr Rechen­ schaft ziehen darüber, daß sie ihnen das gebührende Glück, das ein­ zige, daS für sie möglich sein soll, nicht verschaffen. Man wird andere Ordnungen der Staaten, des gesellschaftlichen Lebens ver-

112 suche«, ob sich eine finde, die Alle befriedigt; so wird zuletzt Jeder

in seiner Weise dem Glücke nachjage», und wo die Theile von ein­

ander streben und nicht mehr znsammenwirkeich da tritt Auflösung, Verwesung ein."

Staat nur den

Wir haben dieser Warnung der Kirche an den Einwand entgegcnzusetzen, daß es eben nicht da­

bloße Diesseits ist, auf welche- daö Auge der Mensche» gerichtet werden soll, sondern da- Gott geheiligte Diesseits.

Es scheint uns

ein sicherere- Mittel für die Erziehung des menschliches Geschlechtes zu fein, wenn man dem irdischen Leben seine volle Weihe gibt,

anstatt daß man eS, einem himmlischen gegenüber, heruntersetzt. „WaS euch nicht angehört, müsset ihr meiden;

Innre stört, dürft ihr nicht leiden." weder für die eine,

waS euch das

Zwingende Beweise gibt cs

noch für die andere Anschauung von der Un­

sterblichkeit, deshalb ist die Wahl frei nnd nur der Gebrauch ent­ scheidet.

Wer aber mit der richtigen Liebe nnd mit einem von dog­

matisch-theologischer Erstarrung ebensowohl wie von bloßer verstandS-

wifienschaftlicher Einseitigkeit unbefangenen Gemüth beide naturphilosophischcn Anschauungen (etwas Anderes ist keine von beiden) über

Unsterblichkeit nnd Zukunft, ihrem inneren Kerne und Wesen nach,

mit einander vergleicht, dem wird es nicht entgehen, daß eine tiefere Einheit Beide mit einander verbindet — die Gemeinschaft nämlich des allgemeinen Zieles, nach welchem Beide steuern:

völliger Sieg

deS Guten über das Böse, Darstellung eines allgemeinen göttlichen Reiches, Harmonie der Menschheit

mit Gott.

Bon beiden

An­

schauungen wendet sich die ältere überwiegend an daS Gemüth des Einzelnen, die neuere an die allgemeine Bernunft.

Welchen von

beiden Wegen nun aber auch ein Jeder einzuschlagen getrieben wird, sei eS durch die innere Verfassung seines Lebens, durch die persönlich

ihm zukommende Grenze der in unserem Geschlecht ja so unendlich verschiedenartigen Erkenntnißfähigkeit für daS große Ganze, möge der

Eine seinen Frieden und seine Klarheit finden in dem Glaube» an die concrete, persönliche Fortdauer seiner Seele in einem jenseitigen

113 Leben oder möge der Andere,

sich als Moment in einem höheren

Ganzen geistigen Strebens fühlend, in der immer wieder zn neuen

Verbindungen übergehenden Vereinigung, zu welcher einander Geist und Materie über den Tod des Einzelnen hinweg immer wieder von

sein und der Seinigen Leben froh und

Neuem die Hand reichen,

freudig übergehen lassen in das große gute allbarmherzige All, mit

dem Bewußtsein,

es habe auch sein und der Seinigen Leben dazu

beigetragen, daß das Ganze sich seinem großen Ziele nähert — möge jener die Stätte seines Heiles suchen in einem himmlischen Jenseits,

dieser in unserem eigenen, durch große materielle und geistige Ver­ änderungen hindurch sich selbst

in den Himmel hineinverklärenden

Planeten — wenn nur ein Jeder, überall getragen von dem erha­

benen Gedanken seiner Mitarbeiterschaft am Reiche Gottes auf Er­ den, an dem ewigen Werke der Darstellung des Göttlichen, sich des

hohen Zieles, der hohen Mission treubewußt bleibt, zu der ein Je­ der berufen ist, nämlich:

ein Hoherpriester der göttlichen Güter zu

sein, — so wird Keinem von Beiden und den Werken Keines von

Beiden auch nur eine jener Segnungen fehlen, welche aus dem Ur­ quell der Liebe deinjenigen entgegenströmen, der Gott liebt und Recht

thut.

Wer aber eine von beiden Anschauungen, gleichviel ob die eine

oder die andere, herausheben wollte aus den Angeln ihres Zusam­

menhanges mit Gott, wer in der einen oder der anderen eine Spalte

suchen wollte, durch welche sich die Schlange seiner Selbstsucht hin­ durchringeln könnte, wer etwa glauben wollte das Diesseits verachten zu dürfen um des Jenseits willen oder wer,

weil er kein Jenseits

erwartet, das sichere Diesseits ohne Schaden für sich zum straflosen Tummelplatz selbstsüchtiger Leidenschaften machen zu können glaubt,

der entflieht,

wie wir gesehen haben,

in

keiner

von

beiden An­

schauungen über die Zukunft, dem Fluche, welcher auf Allem lastet

was sich in Feindschaft setzt Dinge;

wider die gottgewollte Ordnung der

denn diese Ordnung ist unter allen Umständen so fest ge­

fügt, daß Jeden, der sie verletzt, die Vergeltung mit fernreichender German, Die Welt im Werden.

g

114 Schleuder trifft, — die Nemesis, von der schon die Alten redeten

al» von

— de» Lebens Entscheiden«, der Göttin mit ernstem Blick, der Gerechtigkeit Tochter, die der Sterblichen stolzschnaubenden Lauf mit ehernem Zügel lenket und hastet den verderblichen Uebermuth. Ring» um ihr Rad, das immer bewegliche spurlose, wendet sich um der Menschen lachende» Glück: verborgen geht sie ihrem Fuß« nach und beugt der Stolzen Nacken.

Die Wahrheit, so müssen wir schließlich sagen, spiegelt sich im Geiste jeder Zeit auf eine andere Weise, wie die Sonne im helleren

oder trüberen Spiegel des Wasser-: sie selbst ist ewig dieselbe: aber wir erblicken sie ebenso vielfach verschieden als es die Medien sind,

unter denen sie unser Auge berührt.

Und wenn nun der thalesische

über den Wassern schwebende Gott, wenn Jehovah und die anderen

mythischen Gebilde längst Heimgegangener Zeiten den Vorstellungen nicht mehr entsprechen, welche die Gegenwart sich von dem Wesen

der Dinge entwirft — welche Macht will eS hindern? — Wird auch wohl Einer so thöricht sein und mit den Planeten rechten, daß

sie nicht Alle in gleichem Abstand und Umlauf ihrer Bahnen die

Sonne umkreisen? wird Einer wohl sagen: sieh! jener dort beschreibt

allein die rechte Bahn um die Sonne, alle anderen wandeln irre?! — Wissen wir denn nicht vielmehr wie Jeder dieser Weltkörper, der allgemeinen Anziehung folgend, seine Bahn um den gemeinschaftlichen

Mittelpunkt des Ganzen nach ihm besonder- innewohnenden Gesetzen

zu vollbringen strebt?

Ahnungsvoll erkennt der Mensch, au- dem ersten Dunkel seine­ scheinbar nur um sich selbst kreisenden Leben» herau-tretend in jener

115

Doppelbewegung der Weltkörper, welche mit jeder Drehung um bk eigene Achse auch zugleich in ihrer Bahn um die Sonne fortrücken, — das Borbild der ihm selbst zukommenden Bewegung um den ge­ meinschaftlichen Mittelpunkt des Ganzen — um Gott. Wie nun aber auch immer eine Gott in Wahrheit suchende Zeit die große Bewegung alles Erschaffenen um die große geistige Weltachse theilen mag — ob sie ihre Bahn in vertrauterer Nähe der Erde dahinzieht oder in kühnerem Fluge die äußerste Grenzbahn mittelpnnktsuchendrr Kräfte berührt, wen» sie nur überall das Gött­ liche wirklich zum Mittelpunkte ihrer Bewegung hat, so ist die Bahn, die sie jetzt wandelt, die rechte für sie. Ueberall die Selbst­ gegenwart Gottes als tragenden Hintergrund und bewegende Ursache, als Wurzel und Band alles Lebens, des Allgemeinen wie des Ein­ zelnen, als die Vis vitalis erkennend, die den bloßen todten Mecha­ nismus der Dinge erhebt zum lebendigen Organismus eines zusam­ menhängenden Ganzen, müssen wir vor Allem und in Allem die Gemeinschaft des Ursprungs lieben, damit unserem Herze» der Frie­ den, unserem Geiste die Klarheit wird, durch welche allein der Mensch die Befähigung empfängt, jener großen Einheit aller Dinge immer weiter nachzuforschen, deren wachsende Erkenntniß das ewig« Bedürfniß, die ewige Sehnsucht und darum das ewige Ziel aller denkenden Wesen auSmacht. Wie langsam aber nähert sich die Welt jenem großen Ziele einer höchsten und innigsten Verbindung alles Seienden mit Gott, dessen fortschreitende Verwirklichung die Krone der viel tausend mal tausendjährigen Arbeit des Weltganzen sein wird! „Gehe deinen unmerklichen Schritt, ewige Vorsehung! nur laß „mich dieser Unmerklichkeit wegen an dir nicht verzweifeln; laß mich „an dir nicht verzweifeln, wenn selbst deine Schritte mir scheinen „sollten zurückzugehen." (Lessing).

Einige erläuternde Anmerkungen.

Srite 18, Zeile 9.

Nr. I.

ftfyoi xai dnoppoia &tov

Ausfluß der Gottheit. (M. Aurel. V. 27)

nvivfta unoonaoftu)

(Plut. de plac. philos. IV. 3. 3), — ein Theil (/«opioe, oder ei« Ausfluß

(ändppoia)

der Weltseele, wir die Stoiker eS nannten.

Nach ihnen ist die menschliche Seel«, Substanz, warmer Hauch

wie die Weltseele, eine Ltherische

(nrivpa 'Mhp(iov)

de« Körper wie die Weltscele durch die Welt.

und verbreitet sich durch

Daß die Seele übrigens

körperlich ist, folgt nach den Stoikern schon au» ihrer Verbindung mit dem menschliche« Leibe:

denn Unkörperliches kann mit Körperlichem nicht in

Verührung oder Wechselwirkung flehen. — Die einzelne Menscheuseele ist,

nm hier gleich der stoischen Anschauung zu gedenke«, welcher wir später

begegnen werden, vergänglich (yfrapTq): sie kehrt in den Urstoff zurück. DaS Opfer ewiger Existenz muß somit bei den Stoikern da» Individuum

bringen, ewig ist nur der oberste Gott. ausgesprochen,

Dagegen wird um so bestimmter

daß der Mensch als vernünftige» Wesm der Zweck der

Natur, der erste Gegenstand der göttlichen Vorsehung, Gott selbst eben­

bürtig und wesensverwandt ist. schend«

(^ytpovixdf)

Die Vernunft ist von Natur da» Herr­

in der menschlichen Seel«; der Mensch hat durch sie

die Kraft all« Dinge zu erkennen, und die niedere« natürliche« Trieb« zu bemeistern, der Mensch ist geschaffen zu vernünftiger Lebensführung, zu

geistiger Vollkommenheit und Freiheit.

Schließlich hobm die Stoiker al»

eine wesentliche Seite der menschlichm Natur hervor, daß sie auf Ge­

meinschaft angelegt ist; di« Mmschm sind Eine» Geschlechte», sie sind

derselbm vernünftigen Natur theilhaftig, sie sind von Natur de» gemein-

117 fernen LebmS fähig imb bedürftig; der Mensch ist nicht blos um seiner selbst, sondern auch um der Andern willen geschaffen; er ist nicht nur ein fyiov Xoyixov, sondern ein fyuov noXmxov, xoiHoyixor; kurz auch daS menschliche Geschlecht bildet ein zusammengehöriges Ganzes im -leinen, wie da- Universum im Großen (cfr. Schwegler, griech. Philos.).

Nr. 2. Seite 21, Zeile 4. Die Gegensätzlichkeit.

Schon Heraclit läßt sein Princip de- Werden- auS der Erzeugung von Gegensätzen hervorgehen, die einander gegenüber treten, einander so­ wohl anziehen al- abstoßen, sich sowohl mit einander zu vereinigen aleinander zu verdrängen suchen: nur zwischen Entgegengesetztem gibt e- le­ bendige Wechselwirkung, nur durch diese Leben und Bewegung Überhaupt, ein Gedanke, den Heraclit am entschiedensten in seinem berühmtm Aus­ spruch „der Streit ist der Vater der Dinge" auSgedrllckt hat. Er tadelte auch den Homer wegen seine- Wunsche-, daß der Streit auS der Welt verschwinden möge, denn ohne Unterschied wäre keine Harmonie, ohne Ge­ gensätze kein Proceß de- Leben» in der Welt. DaS Universum hat sein Bestehen nur in dem steten sich Erzeugen gegensätzlicher Kräfte und Erschei­ nungen und in dem steten Gegeneinanderlauf derselben, und man soll daher auch erkennen, daß Vieles, wa- vnS ein Uebel scheint, vielmehr gut ist, weil eS zu den Gegensätzen gehört, durch deren Zusammensein und sich Begegnen der Fortbestand de- Leben» bedingt ist. Zudem aber löst sich dieser Widerstreit der Elemente und Kräfte immer wieder in Harmonie auf, so daß, obwohl au» ihr auch die Gegensätze immer wieder neu sich entwickeln, da- Universum doch ebenso Harmonie ist als es Streit und Widerspruch ist. Heraclit hat diesen Gedanken in dem tiefsinnigen Aus­ spruch niedergelegt, „sich mit sich selbst entzweiend stimmt da- Eine mit sich fiterem wie die Harmonie de» Bogen- und der Leier", ein AuSspruch, der jedenfalls besagen will, die Harmonie de- Weltlebens fei keine einfache und gegensatzlose, sondern sie habe Gegensätze zur Voraussetzung, in deren Ausgleichung und Vermittlung sie eben bestehe und ohne welche sie selbst gar nicht möglich wäre (cfr. Schwegler, griech. Philos.). Nr. 3.

Seite 50, Zeile 5. Die Pflanzenzelle.

Die Grundlage für den Bau aller auch noch so sehr von einander abweichenden Gewächse ist ein kleine», au» einer meist durchsichtigen ma­ teriellen Haut gebildete», ring- herum geschloffene- Blä-chen. Seine Wand

118 besteht au- einer doppelten Schicht, einer festeren, farblosen, der eigentlichen Zellenhaul und einer halbflüssigen, zähm, etwa- gelblichm Substanz, welche die innere Fläche jener Zellenhaut vollkommen überzieht und so die Zelle au-kleidet. Diese letztere Schicht ist auf- Engste mit dem Leben der Zelle verknüpft. Die eigentliche Zellenwand ist eine au- Kohlmstoff, Wasserstoff und Sauerstoff gebildete Substanz, der Zellstoff; die halbflüssige Au-klei» düng dagegen enthält außerdem noch Stickstoff. Diese Zellen schließm sich nun bei weiterer Entwicklung dicht an einander und bilden so die ganze Masse der Pflanze, da- Zellgewebe. Die Zelle stellt einen kleinen, selbst­ ständigen, für sich lebenden Organismus dar. Aus seiner Umgebung nimmt derselbe flüssigen Nahrung-stoff auf, au- demselbm bildet er durch chemische Proceffe, die im Innern der Zelle beständig rege sind, neue Stoffe, die er theil- zur Ernährung und zum Wachsthum seiner Wandung ver­ wendet, theils für zukünftige Bedürfniffe in sich aufbewahrt, theils al- un­ brauchbar gewordene Stoffe wieder ausscheidet, um statt deffen abermalneue Stoffe aufzunehmen. In diesem regm Spiel der Aufnahme und Ausscheidung von Stoffen, der chemischen Bildung, Umbildung und Zer­ setzung von Steffen besteht eigentlich da- ganze Lebm der Zelle und da die Pflanze eigentlich nichts ist als die Summe vieler Zellen, die zu einer bestimmtm Gestalt verbunden sind, — das Leben der ganzen Pflanze. Ernühruug und WachSthunr dieser Zellen verändern ihrm Umfang und Ge­ stalt, verdicken die Zellenwand u. s. f. Bermehrt sich in der Zelle der Nahrung-stoff über ein gewiffeS Maß hinaus, so bilden sich 2, 4, 8 u. s. f. Tochterzellen, während meist die Mutterzelle schwindet. (An einem sehr rasch wachsenden Pilze, der Bovists gigantea, bilden sich in jeder Minute an c. 20,000 neue Zellen.) — AuS dieser weichen Zelle wird der Baum. — (cfr. Schleiden.) Ueber die Zelle al- Grundlage de- menschlichen Drgani-mu- liegen die berühmten Arbeiten von Virchow vor. Nr. 4. Seite 51, Zeile 6: durch Theilung, Sporung rc.

Die Darwinsche Theorie über die Entstehung der Arten, welcher hier gefolgt ist, ruht in der Kürze auf folgenden Sätzen: 1) Elternlos entstand und entsteht wahrscheinlich noch heutzutage eine Gruppe von vrganischen Formen, welche zu den mit dem populären Wort „Infusorien" bezeichneten Wesen gehört. 2) Diese pflanzen sich zuerst auf sogenanntem ungeschlechtlichen Wege fort — ein einfacher, blo-durch Theilung complicirter Wach-thum-proceß.

119 3) Iu dem Maße al- die Theilung diese- elterulo- entstandenen In­ dividuum- fortschreitet, ändern die Theilproducte allmählig ihre Beschaffen­ heit und gehen zu einer zweitm Fortpflanzung über, der sogenanteu Sporuug, wobei da- Wesen nicht im Ganzen in zwei Theile getheilt wird, sondern blos sein Inhalt in eine große Anzahl von Sporen oder Keim­ körnern zerfallt, die nach Durchbrechung der zurückbleibenden, absterbenden Hülle zu neuen Wesen heranwachsen. 4) Die sporenerzeugenden Wesen gehen im Laufe einer größeren oder geringeren Anzahl von Generationen über in eierlegende und saamenerzeugeude Wesen, auS denen sich dann unter fortwährender Abänderung der Nachkommenschaft alle anderen Thiere und Pflanzen, die je die Erde bewohnten und noch bewohnen, entwickelt haben. Nr. 5.

Seite51, Zeile 30. Unterschied zwischen der Or­ ganisation der Pflanzen und Thiere.

Den Unterschied zwischen der Organisation der Thiere und Pflanzen hat bisher noch Niemand so kritisch genau angeben können, daß mit Ent­ schiedenheit zu sagen wäre, das und daS Geschöpf gehört ausschließlich der Thierwelt an. „DaS Thier" existirt nicht, ebensowenig wie „die Pflanze": beides sind Abstractionen, allgemeine Ausdrücke, wie Farbe, Güte, Tu­ gend rc., die gewisse gemeinsame Merkmale umfassen, aber nur in unserer Vorstellung vorhanden sind. Bogt z. B. in seinen zoologischen Briefen sagt: „der Forscher, welcher sich namentlich mit den niederen Pflanzen„und Thierklaffen beschäftigt hat, wird gestehen müssen, daß eS kaum mög­ lich sei die Grenze zwischen Thier und Pflanze mit Sicherheit zu ziehen. „Ein Merkmal nach dem andern verschwindet je tiefer man in die einfach„sten Formen des Thier- und Pflanzenreiches hinabsteigt; waS uns kaum „noch einen sicheren Halt gewährt, muß im nächsten Augenblick als unzu„reichend erkannt werden, endlich finden wir uns einer Gruppe von Or„ganiSmen gegenüber, welche hier von dem Botaniker, dort von dem Zoo„logen als sein ihm rechtmäßig zustehendeö Eigenthum beansprucht wird." — Bei den einfachsten Organismen gibt eS kein einziges Merkmal, wo­ durch sich daS Thier absolut von der Pflanze unterscheidet; nur die Contractilität der äußeren Hülle läßt die Entscheidung zu, daß der contractile Organismus ein thierischer sei, während auf der anderen Seite der Man­ gel dieser Contractilität, die Starrheit der äußeren Hülle durchaus nicht mit Sicherheit beweist, daß wir e- mit einem pflanzlichen Organismus zu

120 thun haben. Bei den höheren Thierformen werdm die characteristischen Unterscheidungsmerkmale zahlreicher und bestimmte Gruppen derselben kön­ nen zu größerer Bequemlichkeit al- solche gelten, welche zur Aufnahme in daS Thierreich berechtigen, die Natur aber weiß nichts von einer scharfen Grenzlinie zwischen Thier- und Pflanzenreich: nur der Forscher unterschei­ det sie subjectiv. — In den ersten Fermen deS thierischen Lebens, wie in den Urzuständen der Gesellschaft, thun Alle Jedes, thut Jeder Alles. Da gibt eS kein besonderes Verdauungssystem, kein besonderes AthmungS-, Muskel- und Nervensystem, jeder Theil deS Thieres nimmt Fremde- auf, athmet, zieht sich zusammen, bewegt sich, gerade wie bei wilden Völker­ stämmen jeder sein eigener Schneider, Baumeister it. s. w. ist. Hier ist ein Thier ohne Her;, dort einS ohne Leber, nichts als eine Menge von Leberzellen an dem ganzen Laufe des DarmcanalS entlang vertheilt. Hier athmet ein Thier mittelst seiner Beine und daö da athmet gar nicht. End­ lich taucht daS Princip der Theilung der Arbeit auf. AuS den Geweben bilden sich allmählig Organe. Die Entwicklung geschieht überall vom All­ gemeinen zum Besonderen, vom Gleichartigen zum Ungleichartigen, vom Einfachen zum Zusammengesetzten und zwar durch eine Stufenfolge von Differenzirung und Specialisirung (vgl. LeweS, Naturstudien am See­ strande. Berlin 1859 bei Duncker). Nach Bichat (recherches sur la vie et la mort und Anat. gen. I. 7) hat das Leben im Ganzen zwei verschiedene Zweige, daS Thier- und daS Pflanzenleben. Animalisch ist daS Leben, welches den Thieren aus­ schließlich zukommt, das welches beiden, Thieren und Pflanzen, gemeinsam ist, nennt man organisches Leben. Während die Pflanzen nur ein Leben, daS organische haben, hat der Mensch zwei verschiedene Leben, die unter ganz verschiedenen Gesetzen und, obwohl innig verbunden, fortdauernd im Gegensatz zu einander stehen. Im pflanzlichen oder organischen Leben existirt der Mensch einzig für sich; in dem animalischen Leben kommt er mit anderen in Berührung. Die Functionen deS ersteren sind rein inner­ lich, die deS zweiten äußerlich. Sein organisches Leben beschränkt sich auf den doppelten Proceß der Erschaffung und Zerstörung: der erschaffende Proceß ist der der Assimilation, der Verdauung, Circulation und Ernäh­ rung. Der ZerstörungSproceß ist der der Aussonderung, der AnSathmung, Ausdünstung rc. Diese hat der Mensch mit den Pflanzen gemein und im natürlichen Zustand hat er von diesem Leben kein Bewußtsein. Dagegen ist daS charaeteristische seines thierischen Lebens Bewußtsein, er kann sich

121 bewegen, fühlen und urtheilen in Folge seine- thierischen Leben-. Durch da- erstere existirt er nur vegetabilisch, durch da- Hinzutreten de- zweiten Leben- wird er ein Thier. Die Organe de- pflanzlichen Leben- sind unregelmäßig (Magen, Eingeweide, Drüsen), die de- thierischen (Gehirn, Auge, Nase, Ohr, Hände und Füße) sehr symmetrisch. Da nun da- ani­ malische Leben zwiefach, da- organische einfach ist, so wird eS dem erstem möglich zu ruhen, d. h. eine Weile einen Theil seiner Functionen einzustellen und sie nachher wieder aufzunehmen. Aber im organischen Lebm heißt aufhören — sterben. Da- Leben, welche- wir mit den Pflanzen ge­ mein haben, schläft nie und wenn seine Regungen nur für einen Augen­ blick innehalten, so thun sie eS für immer. Da unser thierische- Leben wesentlich intermittirend, unser organische- wesentlich continuirlich ist, so mußte, schließt Bichat, da- erstere einer Entwicklung fähig sein, deren dazweite unfähig ist. Nr. 6 u. 7.

Seite 55, Zeile?: aristotelischen Ideen folgend.

Aristoteles umfaßt immer da- Ganze der Natur und den inneren Zusammenhang der Kräfte nicht blos, sondern auch der organischen Ge­ stalten. In dem Buche über die Theile (Organe) der Thiere spricht er deutlich seinen Glauben an die Stufenleiter der Wesen au-, in der sie von niederen zn höheren Formen aufsteigen. Die Natur geht in ununterbro­ chenem fortschreitenden Entwicklung-gange von dem Unbelebten (Elementa­ rischen) durch die Pflanzen zu den Thieren über, zunächst zu dem, waS zwar noch kein eigentliche- Thier, aber so nahe mit diesem verwandt ist, daß eS sich im Ganzen wenig von ihm unterscheidet. In dem Uebergange der Bildungen sind die Mittelstufen fast unmerklich. Da- große Pro­ blem de- CoömoS ist dem Stagiriten die Einheit der Natur. „In ihr", sagt er mit sonderbarer Lebhaftigkeit, „ist nicht- zusammenhangSloS EingeschobeneS wie in einer schlechten Tragödie", (cfr. Humboldt, CoSmoS Bd. III.) Einen trefflichen Ueberblick über die aristotelische Weltanschauung über­ haupt gibt Schwegler in seiner Geschichte der griechischen Philosophie (Tü­ bingen 1859). Die Natur int engeren Sinne de- Wortes umfaßt nach Aristoteles die Fülle de- organischen Leben-, da- die Oberfläche unserer Erde bedeckt. Alle diese Produkte der organischen Natur weisen in ihrem Bau und ihren Leben-functionen große Zweckmäßigkeit auf. Er schließt hieran-, daß die Urheberin derselbm, die Natur, nicht nach Zufall und

122 mit blinder Arast, sondern nach Zwecken handelt, daß sie ein möglichst Beste- hervorzubringen sucht und ein Ideal vor Augm hat, daS sie zu verwirklichen bestrebt ist. Wenn sie nichtsdestoweniger ihren Zweck häufig verfehlt, UeberflüssigeS, Unzweckmäßiges und Mißlungene- hervorbringt, so hat die- einen doppelten Grund. Der eine ist die Bewußtlosigkeit ihreThun-. Sie handelt nicht nach vernünftiger Ueberlegung und klarer Ein­ sicht, sondern sie ist eine nach unbewußtem Triebe wirksame Künstlerin (Phys. II. 8). Der zweite Grund ist der Widerstand der Materie, die dem auf Verwirklichung der Form gerichtetm Bestreben der Natur sich ent­ gegensetzt: eine Folge dieses Widerstandes ist das viele Zufällige, Unvollkomniene, Ueberschüssige und Abnorme, waö die Natur hervorbringt. Ja nicht nur die eigentlichen Mißgeburten, sondern auch die niederen Natur­ stufen erscheinen dem Aristoteles als die Folge jene- Widerstandes der Materie. Die Natur will oft BeffereS hervorbringen als sie hervorbringt, sie vermag es aber nicht. Wäre es der Natur gelungen, gleich beim ersten Anlauf über die Materie vollständig Herr zu werden, so hätte sie ihr Ziel, die Schöpfung deö Menschen, sogleich erreicht: so aber vermochte sie, wie die Kunst, daS Beste erst nach längerer Uebung hervorzubringen und sie mußte, ehe sie ihr Ziel erreichte, erst eine Anzahl vergeblicher Versuche machen und unvollkommnere Geschöpfe erzeugm. So aufgefaßt erscheint die Natur als ein Proceß der stufenweisen Ueberwindung der Materie. Diesen Proceß nun verfolgt Aristoteles nach seinen einzelnen Stufen, wo­ bei sein leitender Gedanke ist, die stufenweise Entwicklung der Natur, den stetigen Fortschritt vom Unvollkommenen zum Vollkommenen nachzuweisen. Die Stufen, die Aristoteles innerhalb der organischen Natur unterscheidet, sind drei: Pflanze, Thier, Mensch. 91(len dreien kommt eine Seele zu, denn die Seele ist es nach ihm, waS die organische Natur von der unor­ ganischen unterscheidet: aber zwischen ihren Seelen findet ein stufenweiser Unterschied statt. Die Seele der Pflanze ist nur ernährend, diejenige des Thieres ernährend und empfindend, beim Menschen endlich kommt zu die­ sen beiden Ausrüstungen als dritte noch daS Denken oder der vov$ hinzu (de anim. II. 2). — Der Mensch ist der Zweck der gesammteu Natur, er hat den vollkommensten Leib und die vollkommenste Seele. Die er­ nährende Seele hat er mit den Pflanzen, die empfindende mit den Thieren gemein, vor beiden aber die Vernunft voraus. Dies sind die drei Ent­ wicklungsstufen der Seele, die Aristoteles unterscheidet. Nimmt man jedoch die Au-drücke genauer, so gehören nur die beiden erstgenannten Functtonen,

123 die Ernährung und Empfindung, dem Seelenleben an, wogegen die Bernnnft wesentlich von der Seele unterschieden werden soll. Die Seele im engeren Sinne ist nach Aristoteles Form und Lebensprincip des organischen LeibeS, die innere centrale Einheit der Lebensfunctionen. Sie verhält sich zum Leib wie die Form zur Materie. Es folgt hieraus von selbst, daß die Seele ohne Leib oder getrennt vom Leibe ebensowenig existiren kann als die Form getrennt Dom Stoff. Eine Seele ohne Leib kann so wenig gedacht werden als ein Sehen ohne Augen. Die Frage aufwerfen, ob Seele und Leib eins seien, findet Aristoteles ebenso verkehrt wie wenn Je­ mand fragen wollte, ob das Wachs und seine Form eins seien. Sie sind eins und sind es nicht. Ihrem Begriff nach sind sie verschieden, denn die Seele ist kein Körper und keine ausgedehnte Größe, aber ihrem Dasein nach sind sie untrennbar und es kann weder die Seele ohne den Leib, noch der Leib ohne die Seele existiren; beide entwickeln und verwirklichen sich mit einander. ES folgt hieraus von selbst, daß von einer per­ sönlichen Unsterblichkeit bei Aristoteles nicht die Rede sein kann. Er sagt ausdrücklich: die Seele sei vergänglich, nur der vovg un­ vergänglich ; der vovg aber ist nach ihm nicht mit dem Individuum iden­ tisch, sondern er kommt von außen frvyathr in den Menschen und ist von deffen leiblichem Dasein unabhängig und überdauert den Untergang des Individuums. Wesentlich verschieden von der Seele ist nach Aristote­ les — die Vernunft oder das Denken (rovg). Die Seele ist in der Zeit entstanden, sie kann nicht ohne den Körper bestehen und geht mit ihm zu Grunde. Der vovg dagegen hat kein Entstehen und Vergehen: er ist ewig und vom Körper völlig unabhängig. Während die Seelenkräfte sich stufenweis aus einander entwickeln, ist der vovg nicht als Entwicklungsstufe des psychischen Lebens zu begreifen, sondern er ist ein ganz eigenthümlicheund selbstständiges Princip. Er ist schlechthin einfach und immateriell, leidenloS und unzerstörbar, etwas ganz Fremdartiges in der Natur. Er kommt, wie Aristoteles ausdrücklich sagt, von außen in den Menschen Quihv), gehört also nicht dem einzelnen Individuum an und wird vom Tode der Seele nicht berührt. Er ist daS allgemeine, in allen Individuen sich gleichbleibende Wesen deS Geistes. Sein Denken der Dinge ist ein sich selbst Denken, da er es nicht mit dem Stoff der Dinge, sondern mit ihrem Begriff, mit dem Denkbaren an ihnen und folglich mit Dem zu thun hat, was mit dem Denken selbst identisch ist. Alle diese Merkmale, die Aristoteles dem rovg zuschreibt, lassen nicht daran zweifeln, daß dieser

124 im Menschen thätige v