Ludwig Camerarius (1573-1651): Eine Biographie. Die Pfälzische Exilregierung im Dreißigjährigen Krieg - Ein Beitrag zur Geschichte des politischen Protestantismus 3402130181, 9783402130186

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Ludwig Camerarius (1573-1651): Eine Biographie. Die Pfälzische Exilregierung im Dreißigjährigen Krieg - Ein Beitrag zur Geschichte des politischen Protestantismus
 3402130181, 9783402130186

Table of contents :
Title
Gesamtinhaltsverzeichnis
Vorwort
Friedrich Hermann Schubert: Ludwig Camerarius (1573 –1651). Eine Biographie (2. Auflage)
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
I. Kapitel: Lebenswerk und Quellen
II. Kapitel: Familie und Jugend
III. Kapitel: In pfälzischem Dienst
IV. Kapitel: Die böhmische Expedition
V. Kapitel: Camerarius als Publizist
VI. Kapitel: Die dänische Gesandtschaft
VII. Kapitel: Agent im Niedersächsischen Kreis
VIII. Kapitel: Leiter der pfälzischen Exilregierung
IX. Kapitel: Ausführung der unbedingten Kriegspolitik
X. Kapitel: Schwedischer Korrespondent
XI. Kapitel: Der Allianzpolitiker
XII. Kapitel: Schwedischer Gesandter, Camerarius und die Niederlande
XIII. Kapitel: Niederländisches Bündnis, Wirtschaftsverhandlungen und Cancellaria Suedica
XIV. Kapitel: Die Krise der protestantischen Sache und der Krieg Schwedens in Deutschland
XV. Kapitel: Letzte Botschafterjahre, die Auseinandersetzung mit Peter Spieringk
XVI. Kapitel: Camerarius als Sammler
Abbildungen
Friedrich Hermann Schubert: Die pfälzische Exilregierung im Dreißigjährigen Krieg (Wiederabdruck)
I. Abschnitt: Die Aufgabe
II. Abschnitt: Die konfessionelle und die dynastisch-ritterliche Tendenz
III. Abschnitt: Die Struktur der Regierung und die Folgen der böhmischen Expedition
IV. Abschnitt: Das Zusammenspiel der Kampfideale
V. Abschnitt: Die Gruppierung von 1622
VI. Abschnitt: Die Auseinandersetzung zwischen Christian von Anhalt und Camerarius
VII. Abschnitt: Die konfessionelle Kriegspolitik seit 1623, Camerarius und Rusdorf
Aufsatzteil
Frieder Hepp: Kunst und Politik. Das „böhmische Abenteuer“ Friedrichs V. von der Pfalz im Spiegel zeitgenössischer Flugblätter, Bilder und Medaillen
Gerhard Menk: Friedrich Hermann Schubert (1925–1973). Vom Schüler Franz Schnabels zum präsumtiven Erben Gerhard Ritters
Verzeichnis der Publikationen Friedrich Hermann Schuberts
Markus Gerstmeier: Otto Schubert (1878–1968), Architekt, Bauhistoriker und Ordinarius an der Technischen Hochschule Dresden
Andreas Kappelmyer: Die Rezeption von Friedrich Hermann Schuberts „Camerarius“ (1955) in Deutschland und Schweden
Notker Hammerstein: Friedrich Hermann Schubert in Frankfurt am Main (1968 bis 1973)
Orts- und Personennamenregister
Friedrich Hermann Schubert im Bild
Autorenverzeichnis

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F. H. SCHUBERT

Ludwig Camerarius (1573–1651) Eine Biographie

Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz auf dem Gipfel des Erfolgs – mit der böhmischen Königskrone sitzt er auf dem Scheitel des Glücksrads (vordere Buchklappe). Der Goldtaler, geprägt in Prag 1620, kombiniert die Wappen des Königreichs Böhmen und der Kurpfalz (hintere Buchklappe). Bekanntlich war der Aufstieg des pfälzischen Wittelsbachers von nur kurzer Dauer – er ging als „Winterkönig“ in die Geschichte ein. Im Bild ziehen holländische Fischer den Gestürzten aus dem Meer. In deren Land, in 's-Gravenhage/Den Haag, musste der Monarch fortan im Exil leben. Die Karikatur auf dem illustrierten Flugblatt zeigt zwei „böse Geister“ am Schicksalsrad drehen: den Theologen Abraham Scultetus und den gelehrten Rat und Humanisten Ludwig Camerarius, beide strenge Calvinisten und Landfremde in der Kurpfalz. Von konfessionellem Eifer befeuert veranlassten sie den jungen, unerfahrenen Kurfürsten, von Heidelberg nach Prag zu wechseln, um dort sein Glück zu versuchen. Das Flugblatt weist sie als Hauptverantwortliche des böhmischen Abenteuers und seines Scheiterns aus. Die Person des Ludwig Camerarius wurde von Friedrich Hermann Schubert 1955 in einer klassischen Biographie dargestellt. Von demselben Autor stammt eine Abhandlung über die pfälzische Exilregierung des „Winterkönigs“ in Den Haag von 1954. Diese beiden wegweisenden Studien werden in dem vorliegenden Band in zweiter Auflage erneut veröffentlicht. Hinzu kommen originale Beiträge über Leben und Werk des 1973 in Frankfurt am Main früh gestorbenen Neuhistorikers Friedrich Hermann Schubert (geb. 1925). ISBN 978-3-402-13018-6

ISBN

F RIEDRICH H ER MANN S CHUBER T

Ludwig Camerarius (1573–1651) Eine Biographie

Die Pfälzische Exilregierung im Dreißigjährigen Krieg – Ein Beitrag zur Geschichte des politischen Protestantismus 2. Auflage

Friedrich Hermann Schubert

Ludwig Camerarius (1573 –1651) Eine Biographie Die Pfälzische Exilregierung im Dreißigjährigen Krieg Ein Beitrag zur Geschichte des politischen Protestantismus 2. Auflage

Friedrich Hermann Schubert

Ludwig Camerarius (1573 –1651) Eine Biographie Die Pf älzische Exilregierung im Dreißig jährigen Krieg Ein Beitrag zur Geschichte des politischen Protestantismus 2. Auflage Mit Beiträgen zu Leben und Werk des Verfassers

Herausgegeben von Anton Schindling unter Mitarbeit von Markus Gerstmeier

© 2013 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Gesamtherstellung: Aschendorff Druckzentrum GmbH & Co. KG, Münster, 2013 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier ∞ ISBN 978-3-402-13018-6

Gesamtinhaltsverzeichnis Vorwort von Anton Schindling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Cover der Erstausgabe von Schuberts „Camerarius“ (1955) . . . . . . . . . . .

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Frontispizbild der Erstausgabe von Schuberts „Camerarius“ (1955). . . . .

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Ludwig Camerarius (1573 –1651). Eine Biographie, 2. Auflage von Friedrich Hermann Schubert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die pfälzische Exilregierung im Dreißigjährigen Krieg (Erstdruck: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Band 102 [N. F. 63], 1954) von Friedrich Hermann Schubert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kunst und Politik. Das „böhmische Abenteuer“ Friedrichs V. von der Pfalz im Spiegel zeitgenössischer Flugblätter, Bilder und Medaillen von Frieder Hepp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

589

Friedrich Hermann Schubert (1925−1973). Vom Schüler Franz Schnabels zum präsumtiven Erben Gerhard Ritters von Gerhard Menk. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnis der Publikationen Friedrich Hermann Schuberts zusammengestellt von Gerhard Menk und Markus Gerstmeier . . . . . . . . . . . . . . .

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Otto Schubert (1878−1968), Architekt, Bauhistoriker und Ordinarius an der Technischen Hochschule Dresden sowie intellektuell und weltanschaulich (vor-)prägende Persönlichkeit für seinen Sohn Friedrich Hermann Schubert von Markus Gerstmeier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Rezeption von Friedrich Hermann Schuberts „Camerarius“ (1955) in Deutschland und Schweden von Andreas Kappelmayer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Friedrich Hermann Schubert in Frankfurt am Main (1968 bis 1973). Biographische Anmerkungen zum Schicksal eines deutschen Universitätsprofessors in schwieriger Zeit von Notker Hammerstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Orts- und Personennamenregister erstellt von Maximilian Baur, Daniel Faust, Uwe Folwarczny, Antje Oswald und Patrick Schiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Friedrich Hermann Schubert im Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Autorenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort Die geschichtswissenschaftliche Literaturgattung der Biographie steht für die Epoche des Dreißigjährigen Krieges – zumindest im deutschen Sprachraum – im langen Schatten von Friedrich Schiller. Seit dessen monumentaler DramenTrilogie „Wallenstein“ ist ein Maßstab für die biographiewürdige Persönlichkeit und für die poetische Form der Problematisierung gefunden worden, an der auch eine wissenschaftliche Biographie nicht vorbeisehen kann. Golo Mann hat mit seinem kongenialen „Wallenstein“ den Vergleich mit Schiller gesucht und diesen bestanden. Einzig Carl Jacob Burckhardt ist mit seinem „Richelieu“ Ähnliches gelungen. Für Gustav II. Adolf von Schweden fehlt merkwürdigerweise die literarisch bedeutende Biographie in deutscher Sprache – obwohl oder vielleicht gerade weil der Löwe aus Mitternacht Objekt einer geradezu hagiographischen Verehrung und spezifisch konfessionalistischen Memoria wurde. Auf der bayerisch-katholischen Gegenseite widerfuhr dieses Schicksal auch der Erinnerung an Tilly. Kurfürst Maximilian I. hat immerhin exzellente fachwissenschaftliche Biographen gefunden. Die habsburgischen Kaiser und die meisten Kurfürsten und Fürsten des Reiches taugten dagegen offenbar nicht so sehr als Stoff für die Kunst der Biographie − ebensowenig wie die kämpfenden Feldherrn und die Diplomaten des Westfälischen Friedens. In der Geschichtswissenschaft wurden problembezogene Monographien, allenfalls Teilbiographien verfasst. Aber ein ganzes Lebensbild im Strudel der bewegten Zeit mit ihren zahlreichen Brüchen traute sich selten jemand zu; dies vielleicht auch, weil die Deutung der Epoche im Spiegel eines einzelnen Menschenlebens und seiner Schicksale – schon mehr als ein Jahrhundert vor Friedrich Schiller – durch Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens Simplicius Simplicissimus in der Form eines autobiographischen Romans gelungen war. Simpel wie Wallenstein ließen neben sich wenig literarischen Spielraum. Konnte das Kaleidoskop des schnellen Wandels, der jäh wechselnden Bühnen und Konstellationen, des zynischen Baldanders (Grimmelshausen) in der Erzählform der Biographie, die nach einer gewissen Einheit und Kontinuität der Persönlichkeit fragen muss, überhaupt angemessen erfasst werden? War den Menschen der Epoche des Dreißigjährigen Krieges ein solcher Kern und Schonraum ihrer Persönlichkeit überhaupt vergönnt gewesen? Bestimmte das Glücksrad der Fortuna, welches auch das Cover dieses Buches ziert, mit seiner blinden Willkür nicht alle? Wurden alle zu Narren und Opfern? Unter den wenigen Biographien zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges ragt die 1955 als Buch erschienene Studie von Friedrich Hermann Schubert über den Pfälzer Politiker Ludwig Camerarius hervor – einen gelehrten Für-

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stendiener, der zumindest für kurze Zeit, vor der Schlacht am Weißen Berg, im Zentrum des Geschehens stand. Diese Doktorarbeit eines noch nicht Dreißigjährigen zeigte entscheidende Zusammenhänge des Krieges auf und warf auch Schlaglichter auf die heikle Frage der „Kriegsschuld“, die am Ausgang des schier endlosen Krieges durch die Amnestie des Westfälischen Friedens unterdrückt wurde. Indem Schubert nicht nur die aktive Phase des Camerarius in Heidelberg und Prag untersucht, sondern seinem Protagonisten auch in die Machtlosigkeit des Exils in Den Haag folgt, erfasst er den jähen Wechsel und die Abbrüche der Epoche, aber er zeigt auch die Triebkräfte des Agierens und Ausharrens. Die religiös-konfessionelle und die gelehrt-humanistische Geisteswelt werden sichtbar, die ebenfalls untrennbar zu dem politischen und militärischen Geschehen jener Jahrzehnte gehörten – vom gescheiterten „Winterkönigtum“ des Pfälzers bis zu der Lösung durch säkulares Recht, die der Westfälische Frieden fand. Das Problem des Religionskriegs und die Europäisierung des Konflikts im Heiligen Römischen Reich durch die Intervention der außerdeutschen Großmächte sowie der Streit um die Interpretation des weltlichen wie kirchlichen Rechts bestimmen die Koordinaten eines historischen Verständnisses jener drei Jahrzehnte und aufeinanderfolgenden Kriege, welche die zurückblickende Geschichtsschreibung schon zeitgenössisch mit dem rein zählenden Namen des Dreißigjährigen Krieges belegte. Diese Komponenten bestimmten Leben und Wirken von Ludwig Camerarius – eines überzeugten Reformierten, gebildeten Humanisten und versierten politischen Publizisten und Diplomaten. Seine tragischernste Gestalt belegt, dass die Geschichte von Kriegen und Kriegserfahrungen stets auch die Geschichte von Kriegsdeutungen und Sinnstiftungen war. Der intellektuelle „Krieg der Federn“ begleitete den blutigen Krieg mit Waffen auf dem Schlachtfeld, ja entschied ihn nicht selten. Die Camerarius-Studie des jungen sächsischen Professorensohnes Friedrich Hermann Schubert wurde seinerzeit von dem Münchener Neuzeithistoriker Franz Schnabel, einem Badener aus der Kurpfalz, angeregt. Diese Themenwahl folgte keinem bloßen antiquarischen oder gar heimatkundlichen Interesse. Nach dem katastrophalen Ende des Zweiten Weltkriegs stellte sich die Frage nach Verursachung von Kriegen und nach Kriegsschuld neu – auch im Rückblick auf die ältere deutsche Vergangenheit. Schnabel wie Schuberts Familie repräsentierten die liberale bürgerliche Opposition gegen den Nationalsozialismus, sie hatten − der eine persönlich, der andere im Schicksal seines Vaters − die Unterdrückung durch den Unrechtsstaat des Dritten Reiches kennen gelernt, hatten die geistige Abschnürung Deutschlands gegenüber Europa als einen bedrückenden und demütigenden Verlust empfunden. In Schuberts Heimat, in Mitteldeutschland, begann sich eine Wiederholung unter ideologisch umgekehrten Vorzeichen zu entfalten. Als Franz Schnabel seinem Schüler Friedrich Hermann Schubert vorschlug, über den Pfälzer Rat Ludwig Camerarius zu promovieren, war damit auch eine geschichtliche Persönlichkeit gemeint, die in den besten humanistischen Traditionen Deutschlands – als Sprössling der Bamberger und Nürnberger Camerarius-Familie – stand und die einen Horizont nach Westen, nach Europa hin offen, bot. Die Niederlande und Schweden in der Zeit des Dreißigjährigen

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Krieges waren ein Teil von Schuberts Promotionsthema, die rheinische Pfalz als ein westlicher und dem Westen verbundener Teil Deutschlands trat jetzt in den Fokus. Franz Schnabel zog damit auch seine ganz persönliche Konsequenz aus dem Scheitern des borussisch-nationalistischen Geschichtsbildes zusammen mit Hitlers Deutschland, und er fand mit diesem Perspektivenwechsel bei seinem Schüler lebhafte Resonanz, war dieser doch selbst familiär in den antipreußischen Traditionen Sachsens verwurzelt. Dieser pfälzisch-sächsischen Synergie entsprach eine sehr viel positivere Sicht auf das „Alte Reich“, als sie im Zeichen des „Neuen Reiches“ von den borussischen kleindeutschen Historikern des 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vertreten worden war und auch nach 1945 noch immer von manchen weiterhin vertreten wurde. Schuberts Camerarius war so Teil eines von Schnabel angestrebten und eingeleiteten revisionistischen Paradigmenwechsels, auch ein Bekenntnis zur Verankerung der entstehenden Bundesrepublik im Westen. Der Katholik Franz Schnabel sah dabei durchaus die westliche Tradition und Anbindung des konfessionellen Reformiertentums, das seine Pfälzer Heimat in einer entscheidenden Phase ihrer Geschichte geprägt hatte: Die reformierte Kurpfalz – das war auch ein Stück gemeinsamer Geschichte Deutschlands und Westeuropas, also jener Verbindungen, die von den deutschen Nationalisten immer nur widerwillig gesehen worden waren. Freilich waren die Hohenzollern und das frühneuzeitliche Brandenburg-Preußen selbst von solchen Verbindungen geformt gewesen. Das Camerarius-Buch Schuberts steht in der bundesdeutschen Geschichtsschreibung am Beginn einer intensiveren Beschäftigung mit den Phänomenen des Calvinismus, der „Zweiten Reformation“ und der so genannten „Calvinistischen Internationalen“ in den Jahrzehnten um 1600. Damit trat eine konfessionelle und politische Tradition in den Blick, die maßgeblich zur Entstehung der Idee der Volkssouveränität und der darauf aufbauenden westlichen Demokratie diesseits und jenseits des Atlantiks beigetragen hatte. War die Studie Schuberts in den 1950er Jahren noch eher ein Solitär, so folgte doch in den 1960er Jahren mit der Durchsetzung des von Ernst Walter Zeeden formulierten Paradigmas der „Konfessionsbildung“ eine Hinwendung zu konfessionsvergleichenden und konfessionskulturellen Untersuchungen, die den methodischen Ansatz der Historischen Komparatistik systematisch im deutschen wie im europäischen Raum einforderten. Schubert war durch seine Dissertation ein früher Wegbereiter dieser innovativen Wende. Mit seiner nachfolgenden Neuentdeckung des Johannes Althusius als Theoretiker des Reichs unter dem Gesichtspunkt der Volkssouveränität und Impulsgeber der Reichspublizistik leistete er einen weiteren fruchtbaren und zielführenden Beitrag. Fast sechzig Jahre nach der ersten Drucklegung des Schubertschen Camerarius-Buches schien dem Herausgeber des vorliegenden Bandes eine Neuauflage des seit langem vergriffenen Werkes wünschenswert. Diese Neuauflage wird mit dem Wiederabdruck eines seinerzeit 1954 in der „Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins“ erschienenen Aufsatzes von Schubert über die Pfälzer Exilregierung in Den Haag verbunden. Dieser umfangreiche Aufsatz umschreibt den

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Horizont der Camerarius-Biographie auf eine eindrückliche Weise; folgerichtig schlägt er die Brücke von der Kurpfalz zu einem Kernland Westeuropas. Die Verlagsrechte an dem Schubert-Buch konnten von dem ursprünglichen Verlag – Laßleben in Kallmünz in der Oberpfalz – für einen symbolischen Betrag erworben werden. Als Schüler von Friedrich Hermann Schubert hat der Herausgeber die Aufgabe der Neuausgabe gern übernommen. Er würdigt damit die wissenschaftlichen Anregungen und die hochschulpolitische Orientierung, die er während seines Studiums und seiner Promotionszeit an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main zwischen 1968 und 1973 von seinem allzu früh aus dem Leben geschiedenen akademischen Lehrer dankbar empfangen durfte. In der geistigen Krise und den abgründigen Herausforderungen der schwierigen Jahre nach 1968 bewährte sich Schubert mit Bekennermut als ein rocher de bronce (wie er selbst seine Haltung charakterisierte). Die Erfahrungen seiner Biographie sowie der Ansatz und die Ergebnisse seiner Forschungen waren ihm hierbei ein unerschütterliches Fundament − ein fundamentum inconcussum, wie der rationalistische Vordenker des von Schubert favorisierten 17. Jahrhunderts René Descartes es (im Vorfeld der Schlacht am Weißen Berg als bayerischer Söldner!) ersann. Friedrich Hermann Schubert war nicht nur für die Universität Frankfurt „ein Glücksfall“ (Notker Hammerstein). Der Neuabdruck der beiden Schubert-Texte von 1954 und 1955 wurde durch fünf neue Untersuchungen über Friedrich Hermann Schubert und sein Camerarius-Buch ergänzt. Ich danke den Autoren Markus Gerstmeier, Notker Hammerstein, Frieder Hepp, Andreas Kappelmayer und Gerhard Menk, die sich für diese Studien gern bereitgefunden haben. Durch die fünf originalen Beiträge wird ein Stück Forschungsgeschichte des Dreißigjährigen Krieges in der Nachkriegszeit nach 1945 erstmals aufgearbeitet. Damit erweist sich aber auch, dass die klaffende fachliche Lücke, die der allzu frühe Tod Schuberts riss, nie geschlossen wurde. Der vorliegende Neudruck erscheint ziemlich genau vierzig Jahre nach dem Tod Friedrich Hermann Schuberts. Er möchte der Erinnerung dienen, aber auch kraftvolle Impulse für eine Weiterführung des Abgebrochenen geben. Mehrere Helfer und Unterstützer haben zum Erscheinen des Buches mit Rat und Tat maßgeblich beigetragen. Die Kollegen Prof. Dr. Matthias Asche (Tübingen), Prof. Dr. Manfred Rudersdorf (Leipzig) und Prof. Dr. Eike Wolgast (Heidelberg) sind hier vor allem zu nennen, dann für die Drucklegung Markus Gerstmeier, B. A. (Tübingen). Für kluge Ratschläge und engagierte Mitarbeit bin ich des Weiteren Prof. Dr. Gerhard Menk (Marburg/Gießen) verpflichtet: Er hat als erster die Anregung gegeben, zusammen mit dem „Camerarius“ auch den ZGO-Aufsatz über die pfälzische Exilregierung zum Neudruck zu bringen, und hat die privaten Fotografien von Friedrich Hermann Schubert aus dem Besitz der Familie Bannaski vermittelt. Daneben ist für wichtige Hilfen und Unterstützung Waltraud Bauknecht, Maximilian Baur, B. A., Thorsten Busch, M. A., Daniel Faust, Uwe Folwarczny, M. A., Andreas Kappelmayer, M. A., Steffen Leins, M. A., Antje Oswald, M. A., und Patrick Schiele, B. A., (alle Tübingen) sowie Dr. Armgard von Reden-Dohna (Rheden) herzlich zu danken. Der Aschen-

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dorff-Verlag Münster und sein Verlagsdirektor Herr Dr. Dirk F. Paßmann haben das Projekt gern aufgegriffen und engagiert gefördert; ein besonderer Dank gilt Herrn Lektor Winfried Daut. Besondere Akzente setzen die Abbildungen: Herr Prof. Dr. Frieder Hepp, Direktor des Kurpfälzischen Museums der Stadt Heidelberg, Herr Dr. Martin Hirsch, Konservator der Staatlichen Münzsammlung München, Frau Dr. Armgard von Reden-Dohna, Rheden, Frau Jutta Wiese und Herr Mike Heubner, Universitätsarchiv der Technischen Universität Dresden, Herr Dr. Michael Maaser und Herr Rimbert Wenning, Universitätsarchiv der Johann Wolfgang GoetheUniversität Frankfurt am Main, Herr Marinko Soldo, Pfarrgemeinde Mariä Himmelfahrt Aufkirchen (Gemeinde Berg am Starnberger See), und die mit Friedrich Hermann Schubert verwandte Familie Bannaski in München haben Fotografien beigesteuert und die Reproduktionsgenehmigungen erteilt. Bleibt am Schluss die Hoffnung, dass die Neuauflage des „Camerarius“ die Forschungsdiskussion zur komplexen Vor- und Ausbruchsgeschichte des Dreißigjährigen Krieges voranbringt und durch neue Akzentsetzungen bereichert. Tübingen, am Beginn des Sommersemesters 2013 (45 Jahre nach dem Anfang von Friedrich Hermann Schuberts Wirken in Frankfurt am Main)

Anton Schindling

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Cover der Originalausgabe von Friedrich Hermann Schubert, Ludwig Camera­ rius, aus dem Jahr 1955.

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Wilhelm Jacob Delff (1580–1638), nach Michiel van Mierevelt (1567–1641), Ludwig Joachim Camerarius (1573–1651), 1629, Kurpfälzisches Museum Heidelberg.

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Friedrich Hermann Schubert

Ludwig Camerarius (1573 –1651) Eine Biographie 2. Auflage

Zum Geleit Nach einer langen, durch den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegsjahre bedingten Pause kehrt das Historische Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München zu der alten akademischen Tradition zurück, die im Seminar entstandenen wissenschaftlichen Untersuchungen, soweit sie es verdienen, durch den Buchhandel im Kreise der Fachgenossen verbreitet zu werden, in einer lose aufeinander folgenden Serie von einzelnen Heften vorzulegen. Auch an den meisten anderen deutschen Universitäten bedienen sich die historischen Studien jetzt wieder dieser Form der Veröffentlichung. Das Historische Seminar der Universität München kann dabei anknüpfen an die älteren Serien, die aus ihm hervorgegangen sind und in der gelehrten Welt einen guten Rang sich errungen haben. In den Jahren 1891– 1900 haben Karl Theodor Heigel und Hermann Grauert „Historische Abhandlungen aus dem Münchener Seminar“ herausgegeben. In der Zeit von 1932 bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges sind dann noch „Münchener Historische Abhandlungen“ in zwei Reihen erschienen – die eine zur allgemeinen und politischen Geschichte herausgegeben von Heinrich Günter, A. O. Meyer und K. A. v. Müller, die andere zur Kriegs- und Heeresgeschichte herausgegeben von Eugen v. Frauenholz. Nun beginnen wir von neuem. Wir hoffen, daß durch unser Unternehmen der nachrückenden Generation in unserer Wissenschaft es erleichtert wird, ihre Arbeiten zu veröffentlichen, und daß zugleich auch den Fachgenossen ein Bild vermittelt wird von dem Stande der historischen Studien an unserer Universität. Die Abteilung „Neuere Geschichte“ wird gleichzeitig mit der Abteilung zur bayerischen Geschichte eröffnet. Der vorliegende umfangreiche Band, mit dem die Abteilung „Neuere Geschichte“ beginnt, führt in einen Zeitraum der deutschen Geschichte, der von der deutschen Forschung seit langem nur noch selten betreten worden ist und darum künftig breiter angebaut werden muß als bisher. Aber auch andere Gebiete der neueren Geschichte, soweit in ihnen unbekannte Quellen erschlossen oder neue Zusammenhänge gefunden werden, sollen berücksichtigt werden. Immer tragen die Verfasser der einzelnen Hefte die Verantwortung für ihre Arbeit; aber der unterzeichnete Herausgeber nimmt für sich in Anspruch, daß aus den in seinem Seminar durchgeführten und hier veröffentlichten Untersuchungen die Methode und der Geist der Forschung sichtbar werden, die er als akademischer Lehrer seinen Schülern zu übermitteln sich bemüht hat. Es ist mir bewußt, daß das hier begonnene Unternehmen fortdauernd beträchtliche Mittel in Anspruch nimmt, die im Interesse der voranschreitenden Wissenschaft und ihrer künftigen Träger, der heranwachsenden akademischen Jugend aufgebracht werden müssen. Denn eine Wissenschaft, die nicht mehr fortentwickelt wird, wird auch schon bald nicht mehr angeeignet; das aber wäre ein großer Schaden, wenn der Kenntnis der deutschen Geschichte ein solches Los zuteil würde. Ich danke an dieser Stelle dem ehemaligen Herrn Ministerpräsidenten des Landes Bayern, Dr. Hans Ehard, daß er in verständnisvoller Würdigung un-

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serer wissenschaftlichen Aufgaben uns die Mittel gewährt hat, die Münchener Historischen Studien einzurichten. Und ich darf es auch als ein günstiges Vorzeichen betrachten, daß ein angesehener bayerischer Verlag bereit ist, mit uns gemeinsam den Weg zu gehen. Universität München, im August 1955 Der Herausgeber: Prof. Franz Schnabel

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Vorwort Eine Biographie des Ludwig Camerarius wurde schon einmal, in den Siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts, geplant. Gustav Droysen in Halle, der um die Erforschung der Epoche des Dreißigjährigen Krieges so hoch verdiente Sohn Johann Gustav Droysens, vergab das Thema als Dissertation an einen seiner Schüler, Eduard Strickstrack. Doch war das Resultat der Bemühungen von Strickstrack nur gering, ganz im Gegensatz zu den übrigen Forschungsergebnissen, die Gustav Droysens Schülerkreis zu danken sind. Strickstrack lieferte lediglich ein schmales Bändchen von dreißig Druckseiten. Auch ging er bei seinen Forschungen nicht auf die Archive zurück, sondern verarbeitete nur das bis zu seiner Promotion im Jahre 1879 gedruckte Material zu einem kurzen Überblick über die äußeren Lebensdaten von Camerarius bis zum Vorabend der Schlacht am Weißen Berge bei Prag im Jahre 1620. Die in der Dissertation angekündigte Fortsetzung der Arbeit aber erschien nicht und kam, soweit sich sehen läßt, auch nicht im Manuskript zustande. Ebensowenig wurde Camerarius seitdem eine biographische Untersuchung von anderer Seite gewidmet. Nur in der Allgemeinen Deutschen Biographie und in Svenskt Biografiskt Lexikon finden sich Lebensabrisse, und die Briefe, die Camerarius in der Zeit von Ende 1624 bis Ende 1626 an den schwedischen Reichskanzler Axel Oxenstierna schrieb, hat M. G. Schybergson in seinem Werk „Sveriges och Hollands diplomatiska förbindelser 1621–1630“ herausgegeben. Bis heute besteht hier also eine Forschungslücke. Der Versuch, sie zu schließen, empfahl sich um so mehr, als die Persönlichkeit von Camerarius bei den geschichtswissenschaftlichen Anliegen der Gegenwart der Forschung vielleicht noch mehr Aufschluß liefern kann als bei den vor acht Jahrzehnten vorherrschenden Interessen. Denn seine Veranlagung und seine Lebensumstände brachten es mit sich, daß seine Lebensgeschichte nicht nur unser Wissen über das äußere Geschehen der Zeit bereichert. Ebenso sagt sie uns vieles über das Denken des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts, über die Entwicklung der politischen Ideologie des Zeitalters, über die geistigen Strömungen, die hinter dem staatlichen Leben und den politisch-kriegerischen Ereignissen der Epoche wirkten. Es ist ebenso fesselnd zu verfolgen, was Camerarius dachte, wie was er tat, und zwar aus einem doppelten Grunde: Einmal ist Camerarius in seinem Denken – wie in seinem Handeln – überaus originell. Gleichzeitig aber kann er als vollendeter Repräsentant einiger der bestimmenden ideologischen Richtungen seiner Zeit gelten. Es läßt sich in seiner Biographie das Wesen der christlichen Diplomatie des konfessionellen Zeitalters, der Charakter des protestantisch-calvinistischen Aktivismus und gleichzeitig die Weiterentwicklung des Melanchthonia-

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nismus in der Politik studieren. Originelles und Typisches stehen bei Camerarius eng bei einander, weil sich die Besonderheiten seiner Persönlichkeit zum nicht geringen Teil daraus ergaben, daß die Wesenszüge der genannten Richtungen bei ihm in höchst ausschließlicher, ja extremer Weise ausgebildet waren. Der allgemeine geschichtliche Rahmen, in den sich der Lebenslauf von Camerarius einfügt, ließ sich aus der nicht allzu zahlreichen, dafür aber in der Hauptsache um so ausgezeichneteren Literatur ableiten, die über das 16. und 17. Jahrhundert existiert. Der Lebensgang im Speziellen aber mußte fast ausschließlich aus den Quellen erarbeitet werden. Zu diesem Zweck war es nötig, das über deutsche und nordeuropäische Archive verstreute reichhaltige, aber oft nur schwer aufzufindende handschriftliche Material zu sammeln und durchzuarbeiten. Ich hatte das Glück, die Recherchen in den wesentlichen Archiven und Bibliotheken an Ort und Stelle durchführen zu können. Lediglich eine Reise in die Niederlande kam infolge der Schwierigkeiten der Nachkriegszeit nicht zustande. Ungedruckte holländische Archivalien konnten deshalb leider nicht heran gezogen werden, obwohl man mit einiger Sicherheit annehmen kann, daß sich auch im Haag und in anderen niederländischen Städten noch manches Interessante über die Lebensgeschichte von Camerarius finden wird. Andererseits freilich läßt sich mit ziemlich gleicher Wahrscheinlichkeit vermuten, daß die Materialien, die in Holland liegen, an biographischer Bedeutung bei weitem nicht den in München, Stockholm und Oranienbaum verwahrten gleichkommen; und ferner fließen auch ohne die holländischen Akten gerade in den Jahren, für die sie Bedeutung haben könnten, die Quellen so reichlich, daß sich – abgesehen von der Klärung von Einzelfragen – kaum wesentliche neue Gesichtspunkte ergeben dürften. Etwa ein Drittel der vorliegenden Biographie wurde im Sommer 1952 von der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München als Dissertation angenommen. Die Doktorschrift trug den Titel: „Ludwig Camerarius (1573–1651) als Staatsmann im Dreißigjährigen Krieg“. Die anderen zwei Drittel des Buches wurden in den folgenden Jahren geschrieben. Gleichzeitig war die Dissertation so umzugestalten, daß sie sich in den Rahmen der Gesamtbiographie einfügte. Bei meiner Arbeit wurde ich von vielen Seiten gefördert. An erster Stelle schulde ich warmen Dank meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Franz Schnabel. Er hat mich auf das Thema hingewiesen, der Untersuchung die Richtung gegeben und mir während der sieben Jahre, welche die Bearbeitung in Anspruch nahm, in größter Güte seine ständige Anleitung und Förderung angedeihen lassen, ohne die es nicht gelungen wäre, die großen Schwierigkeiten zu überwinden und die Arbeit zum Ziel zu bringen. Ich danke Herrn Prof. Schnabel gleichzeitig für die Aufnahme der Biographie in die Reihe der Münchener Historischen Studien. Ferner habe ich aufrichtig zu danken Herrn Reichsarchivar Prof. Bertill Boëthius, Herrn Prof. Nils Ahnlund und den Räten des schwedischen Reichsarchivs, Herrn Dozent Herman Brulin und Herrn Dr. Ernst Nygren in Stockholm. Die vier Herren haben die oft zeitraubende Mühe auf sich genommen, mich bei meinen Arbeiten in Schweden im Speziellen zu unterweisen und mir den Weg

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zu den schwedischen Archivbeständen zu eröffnen. Sie haben mich im akademischen Unterricht mit der von der deutschen öfters abweichenden schwedischen historischen Methode vertraut gemacht, der sich das vorliegende Buch in vielem verpflichtet fühlt. Ihre Untersuchungen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges schließlich bilden eine der wichtigsten Grundlagen für eine CamerariusBiographie. Nicht weniger herzlich danke ich Herrn Prof. Helmut Kretzschmar, Direktor des sächsischen Landeshauptarchivs in Dresden, für die mannigfache Förderung, die er meiner Arbeit zuteil werden ließ. Er hat mir in großzügiger Weise die Benützung der Archive im mitteldeutschen Raum erleichtert. Seine Ratschläge wurden für die Lösung schwieriger Fragen entscheidend. Seine Hilfe und Förderungsbereitschaft bedeutete einen wesentlichen Ansporn beim Abschluß des Buches. Ferner gilt mein Dank Herrn Prof. Franz Babinger, der die Güte hatte, sich immer wieder der Schwierigkeiten anzunehmen, die bei der Bearbeitung auftauchten. Besonders über die für die Jugend und Ausbildungszeit von Camerarius so wichtige Gelehrtengeschichte des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts und die Entwicklung des Kryptocalvinismus erteilte er mir viele wichtige Hinweise und förderte auch sonst in mehrfacher Hinsicht das Zustandekommen der Arbeit. Sehr verbunden bin ich ferner Herrn Prof. Hans Rall, Vorstand des Bayerischen Geheimen Hausarchivs in München. Er ließ mir bei meinen Arbeiten im Bayerischen Geheimen Hausarchiv und Hauptstaatsarchiv seine Anleitung und Hilfe zuteilwerden und eröffnete mir 1949 die in der schwierigen Nachkriegszeit seltene Möglichkeit zu einem ersten mehrmonatigen Studienaufenthalt in Schweden, der für den Fortgang der Arbeit ausschlaggebend wurde. Des Weiteren spreche ich meinen Dank den Direktoren der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek und des Bayerischen Geheimen Staatsarchivs, Herrn Prof. Paul Ruf und Herrn Prof. Ludwig Maenner aus, die mir nicht nur die Schätze der von ihnen betreuten Sammlungen stets offen hielten, sondern durch deren Rückführung nach München aus den Auslagerungsdepots den Beginn der Arbeit nach dem Krieg überhaupt erst möglich machten. Fernerhin bin ich sehr verpflichtet den Leitern der schwedischen Archiv- und Bibliotheksverwaltung, Herrn Reichsarchivar Ingvar Andersson und Herrn Reichsbibliothekar Uno Willers, die bei meinem Besuch in Stockholm im vergangenen Jahr in großzügiger Weise meine Recherchen in Archiv und Bibliothek förderten. Herr Reichsarchivar Andersson hatte außerdem die Güte, aus seiner reichen Erfahrung heraus mir seinen Rat bei der Lösung schwieriger Chiffrierungsprobleme zu erteilen, und Herrn Reichsbibliothekar Willers möchte ich auch an dieser Stelle noch einmal danken für die Freundlichkeit, mit der er mir schon 1949 die Publikation einer ersten Vorstudie möglich machte. Gleichfalls danke ich den Räten des schwedischen Reichsarchivs, Herrn Dr. Samuel Hedar und Herrn Dr. Einar Wendt für die Aufnahme, die sie mir in Stockholm bereiteten. Weiter danke ich herzlich Herrn Dr. Erich Angermann in München. Er unterzog sich der Mühe, die Korrekturen mitzulesen, und ich konnte, was für mich sehr wichtig war, mit ihm immer aufs neue die Probleme der Arbeit erörtern.

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Großen Nutzen zog ich auch aus den Gesprächen mit Herrn Dr. Åke Kromnow, Direktor des Archivs des schwedischen Außenministeriums, der an einer Biographie des Pfalzgrafen Johann Kasimir, des Schwagers von König Gustav Adolf und Gönners von Camerarius, arbeitet und mir deshalb viele Hinweise geben konnte, auch die Benützung verschiedener schwedischer Archivalien erleichterte und die Veröffentlichung einer ersten Vorstudie ermöglichen half. Ebenso bedeutete mir viel der Austausch mit Herrn Dozent Emil Schieche in Stockholm, dem ich außerdem für seine Hilfe bei der Durchführung eines zweiten Studienaufenthaltes in Schweden im Jahre 1954 danke, während Herrn Dozent Hermann Kellenbenz in Würzburg mein Dank für viele archivalische Hinweise gilt, die er mir 1949 in Stockholm erteilte. Schließlich gedenke ich dankbar der mannigfachen Unterstützung, die ich durch meine Stockholmer Freunde, Dr. Magnus Graf Mörner, Leiter der IberoAmerikanischen Bibliothek, Herrn Dr. Karl-Eduard Birnbaum und besonders Herrn Konrad-Maria Poellinger erfuhr. Herr Archivar Friedrich Wilhelm Euler, Insel Wörth bei Fürstenfeldbruck, hatte die Güte, mich in allen genealogischen Fragen zu beraten. Ihm verdanke ich die meisten diesbezüglichen Angaben, die in diesem Buch gemacht sind. Frau Stadtrat Hilde Socolean in Aschaffenburg endlich stellte mir durch Monate hindurch die von ihrem verstorbenen Vater, Herrn Bürgermeister Dr. John Gustav Weiß verfaßte Biographie des Winterkönigs Friedrichs V. von der Pfalz, die bisher leider nur zum Teil im Druck vorliegt, im Manuskript zur Verfügung. Ferner spreche ich meinen aufrichtigen Dank der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Stockholms studenters internationella hjälpkommitté aus, die mir 1954 beziehungsweise 1949 zwei Studienaufenthalte in Schweden ermöglichten. Gleichfalls danke ich Herrn Prof. Gunnar Heckscher und Svenska Institutet, die mir 1949 die Mittel gaben, um zahlreiche Mikrofilme anfertigen zu lassen, sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die 1954 die Anfertigung weiterer Mikrofilme möglich machte. Ferner danke ich Svenska Institutet, und hier besonders Frau Stridsberg, für die mannigfache Unterstützung, die mir das Institut auch sonst zuteil werden ließ. Der Historischen Kommission bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften in Leipzig danke ich für das ehrende Interesse, das sie an meiner Arbeit genommen hat. Als letzten aber nicht zuletzt gilt mein herzlicher Dank meinen Eltern für alle ihre große Hilfe. Soweit dies aus den Akten ersichtlich war, wurden die Daten im neuen Stil, das heißt nach dem Gregorianischen Kalender, angegeben. Oft ließ sich in den Originalen jedoch nicht ermitteln, ob es sich um den alten oder neuen Stil handelt. In diesen Fällen war ich genötigt, einfach das in dem Brief genannte Datum einzusetzen auf die Gefahr hin, daß die Datierung gelegentlich um zehn Tage differiert. Bei den Briefen von Camerarius an Oxenstierna aus den zwei Jahren von Ende 1624 bis Ende 1626 verzichtete ich, da sie sich fast sämtlich bei Schybergson finden, bei der Zitierung nach den Originalen im Schwedischen Reichsarchiv darauf, jedes Mal anzugeben, daß sie bei Schybergson abgedruckt sind. Ebenso sei hier ein für alle Mal gesagt, daß manche der Konzepte von des Camerarius

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Briefen an Oxenstierna, König Gustav Adolf und dessen Sekretäre, an Pfalzgraf Johann Kasimir und die heimische Regierung, die gleichfalls nach den Originalen im Schwedischen Reichsarchiv zitiert sind, in der Collectio Camerariana in München liegen. Die Schreiben Oxenstiernas sind nur nach „Rikskansleren Axel Oxenstiernas skrifter och brefvexling“ zitiert. Bei den Schriftstücken, die in die „Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Einflusses der Wittelsbacher“ Aufnahme gefunden haben, wurden hingegen Original und Editionsstelle vermerkt, weil hier keine durchgängige Herausgabe der pfälzischen Akten vorliegt. Ich verzichtete außerdem darauf, in den Zitaten dechiffrierte Stellen besonders zu bezeichnen, da es sich um eine Darstellung und keine Edition handelt. Ich verzichtete darauf, die in dem Latein, Französisch und Englisch, das die Diplomaten des 17. Jahrhunderts schrieben, ja nicht seltenen Fehler durch Ausrufungszeichen zu vermerken. Bei den Flugschriften sind die Zeilenenden durch Kommata angegeben. Seitenzahlen stehen ohne ein vorgängiges S. München, im August 1955

Friedrich Hermann Schubert

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Inhaltsverzeichnis Zu m G e l e it . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vo r wo r t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I n h a l ts verze i chni s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Q u e l l e n - u nd L i terat ur ver z ei chni s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A b kü r zu ng en . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I . Ka p itel: Lebenswer k und Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31–38



I I . Ka p itel: Fam i li e und Jug end . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39–58

Begabung und Leistung 31 – Die hauptsächlichen handschriftlichen Zeugnisse 34f.

Herkunft der Familie 39 – Joachim (I) Camerarius 40 – Seine Söhne. Joachim (II) Camerarius. Die Rummel von Lonerstadt und Truchseß von Grünsberg 42 – Geburt und erste Ausbildung von C. 44 – Sein Verhältnis zum Humanismus 45 – Seine Religiosität 48: Das Bemühen um einen Ausgleich unter den Protestanten 48, die Irenik von Joachim (I) Camerarius 49, späterer Widerstandsgeist der Philippisten und Kryptocalvinisten, Zusammenhang mit den Maßnahmen der katholischen Erneuerungsbewegung 50, und den Angriffen des orthodoxen Luthertums 51, Tod Maximilians II. 52, kämpferischer Geist der neuen Generation 53, weite Verbindungen der Camerarii 54, Annäherung an den Calvinismus 55, Endgültiger Sieg des Calvinismus in der Pfalz 56, Nicolaus Krell in Sachsen – Studiengang 57.

I I I . Ka p itel: In pfälz i schem Di enst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 9 –9 5 Anstellung 59 – Eignung für ein Wirken in Heidelberg 60 – Phasen der pfälzischen Außenpolitik 61 – Verhältnis zu den Heidelberger Räten und zum pfälzischen Calvinismus 62 – Heirat und Familienleben 64 – Christian von Anhalt 66 – Die Speyerer Revisionsverhandlungen von 1600 und 1601 71 – Das Appellationsgutachten von 1602 74 – Im Oberrat 77 – Teilnahme am Reichstag von 1603, an den Besprechungen von Bretten 1605 und am Fuldaer Kurfürstentag 1606 78 – Verhandlungen in Bensheim. Reichstag von 1608 79 – Union und Gesandtschaft nach Prag 1609 80 – Ernennung zum Geheimen Rat 1611 82 – Stellung in der pfälzischen Regierung 85: Vertreter des „Doctorenregiments“ 86, soziologische Position 87, Reserve gegenüber der höfisch-französischen Bildung und der dynastisch-chevaleresken Tendenz 88, Anhänger der großstaatlich-machtpolitischen Richtung 91 – Reichstag von 1613 91.

I V. Ka p itel: Di e bö hm i sche E x ped i tion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96–137 Kriegs- und Friedenswille 96 – Funktionen und Resultate zwischen 1613 und 1618 98 – Anteil am böhmischen Unternehmen 100 – Unionstage

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1613–16 105 – Gesandtschaften nach Dresden und Prag 1616/17 106 – Bemühungen um das Kaisertum Maximilians von Bayern 1616–19 112 – Der Frankfurter Kaiserwahltag von 1619. Leiter der Kriegskanzlei in Prag. Böhmischer Geheimer Rat und schlesischer Vizekanzler 113 – Die Katastrophe am Weißen Berg. Schuld am Verlust der pfälzischen Akten? 114 – Bemühungen in Schlesien im Winter 1620/21 116 – Südöstliche Orientierung im politischen System von C. 116/117 – Reise nach Norddeutschland 1621 119 – Unionsverhandlungen 1618 bis 1620. Mißtrauen gegen Frankreich 120 – Einschränkung der Kriegsziele 123 – Das Ende der Union 1621 124 – Abneigung gegen die Reichsstädte 127 – Zurücksetzungen 128 – Reise in die Niederlande Sommer 1621 129 – Gründe für die Rückschläge in seiner Laufbahn 131 – Ablehnung der englischen Politik und der Kondottieren 136.



V. Ka pi tel: Cam erar i us als Publizist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138–173 Ursprüngliche Abneigung gegen ein publizistisches Hervortreten trotz voller Erkenntnis der Wichtigkeit von Flugschriften und starker publizistischer Fähigkeiten 138 – C. infolge seiner publizistischen Tätigkeit und seines Schreibfleißes in besonderem Maß Gegenstand von Angriffen 139 – Bestimmende Gegensätzlichkeiten seines Lebens. Bedeutung der Publizistik für sein Lebenswerk 141 – Arbeiten über die Flugschriften des Dreißigjährigen Krieges 141 – Charakteristika der Publizistik von C. 143: Hervorkehrung des konfessionellen Momentes, großzügige Auffassung des Widerstandsrechtes, Gedanke des Vernichtungskrieges und der unbedingten Kriegspolitik 144, elegante Prägnanz und Würde der Darstellung 145, relativ genaue Editionsweise, interpretierende Methode 146 – C. im Apologienstreit, „Modell“ 147 – Seine Schwarzmalerei 148 – Die Anhaltische Kanzlei 149 – Die pfälzische Briefbeute von 1621. Ihre Verwertung durch C.: Literae interceptae, Prodromus und Cancellaria Hispanica 152 – Deduktives Verfahren und übrige Darstellungsweise der Cancellaria Hispanica 153 – Verbindungslinien zum Anfang der Buntbücher? 154 – C. macht mit seiner Methode Schule 155 – Hauptgedanken der Cancellaria Hispanica, Gliederung ihrer Considerationes 156 – Sinceratio Sincerationum 159 – Appendix. Gefühl erlittenen Unrechts 160 – Achtsspiegel 161 – Mysterium iniquitatis. Notwendigkeit einer Widerlegung der Anhaltischen Kanzlei 165 – „Bericht und Antwort.“ Frage der Autorschaft 166 – Entscheidender Anteil von C. an den publizistischen Erfolgen der Pfälzer 167 – Resultate der pfälzischen und bayrischen Flugschriften Ende 1622 168 – Jakob Keller und die Litura seu Castigatio 169 – Art seines Angriffes. Ludouici … Camerarii … Apologia 170 – Ihre Wirkung. Rhabarbarum und Tubus 172 – Würdigung Kellers 173.

V I . Ka pi tel: Di e d äni sche Gesandtsc haft . . . . . . . . . . . . . . . . . 174–204 C. möchte seit 1621 im Zentrum der pfälzischen Regierung verharren. Biographische Bedeutung und diplomatiegeschichtlicher Charakter der Gesandtschaftsreise vom Frühjahr 1622 174 – Pfälzische Beziehungen zu Dänemark 1621 bis 1624 175 – Hoffnungen von C. auf Christian IV. 177 – Möglichkeiten und Ansehen des dänischen Königs 178 – Verlauf der Fahrt nach Kopenhagen. Einfluß der Winterreisen auf die Stimmung von C. 179

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– Besuch beim Kanzler Ulfeldt 180 – Audienz bei Christian IV. 181 – Die Instruktion von C. 182 – Seine Proposition 184 – Deren Originalität 189 – Reaktion Christians IV. 192 – Erfolglose Verhandlungen mit Rosenkrantz, Bild und Friis 193 – Absage 194 – Depression von C. 195 – Ablehnung eines Schutzbriefes 197 – C. erkennt das Schwinden seiner bisherigen Wirkungsmöglichkeiten 197 – Spätere Hoffnungen auf Dänemark 199 – Berichte und Urteile von C. über Christian IV. von den Gegnern erbeutet und veröffentlicht 200 – Weitere Verschlechterung des Verhältnisses zum dänischen König. Negatives Urteil über Christian IV. 200 – Einfluß der Kopenhagener Erlebnisse auf die Ansichten und Stellung von C. 202 – Die Revanche von 1626 204.

V I I . Ka p itel: Ag ent i m N i ed er sächsi sc hen Kreis . . . . . . . . . . . . 205–217 Wirken in Norddeutschland in der eigentlich geplanten Weise unmöglich 205 – C. in Bremen (April–Dezember 1622) 206 – Art seiner Tätigkeit 207 – Defensive Zielsetzung. Schwierigkeit einer Rechtfertigung der Kondottieren. Der Lüneburger Kreistag von Juni 1622 208 – Publizistische Enttäuschungen und Bemühungen. Unmittelbares Kriegserlebnis 209 – Gefühl der Kaltstellung. Wunsch, Andreas Pawell statt seiner nach Niedersachsen zu bringen 210 – Nachlassen des Einflusses aller pfälzischen Geheimen Räte im Frühjahr 1622. Sieg der ritterlich-chevaleresken Tendenz. Erwägungen, sich aus dem pfälzischen Dienst zurückzuziehen 211 – Korrespondent Christians von Anhalt 212 – Scheitern des Feldzuges von 1622. Verlust der rheinischen Pfalz 213 – Erkenntnis der daraus erwachsenden Konsequenzen 214 – C. setzt seine Rückkehr in den Haag durch (Oktober/November 1622) 215.

V I I I . Ka p itel: Lei ter d er pfälz i schen Exilregieru ng. . . . . . . . . . . 218–242 Motive für die Rückberufung von C. Rechtfertigung seiner Ansichten durch den Gang der Ereignisse 189 – Publizistische Erfolge. Charakter der Exilregierung. Ihre Zusammensetzung und die sich darin aussprechenden Tendenzen 190 – C. spiritus rector der Regierung. Zurücktreten von Andreas Pawell 191 – Anlehnungsbedürfnis von C. Sieg des „alten Geistes“, der großstaatlich-konfessionellen Tendenz. Problematik ihrer Anpassung an die neuen Erfordernisse 192 – Eingehen auf die englischen Friedensbemühungen oder Widerstand? 193 – Parallelen zum Schmalkaldischen Krieg 194 – Ausgleichsmöglichkeiten auf dynastischer Ebene 195 – Verneinung durch Gegensatz zu Christian von Anhalt. Entscheidung für einen verstärkten politischen Idealismus 196 – Umformung der pfälzischen Exilpolitik durch C. 197 – Übergang zur unbedingten evangelischen Kriegspolitik 198 – Beschränktheit der Möglichkeiten von C. 199 – Widerstand gegen die Übergabe Frankenthals und den Waffenstillstand 200 – Geringe Meinung von den Friedensmöglichkeiten 201 – Das Notizbuch aus den Jahren 1623 und 1624 202 – C. und Rusdorf als die eigentlichen Träger des Widerstandes 203 – Verhältnis zu Carleton 205 – C. als Bildersammler 206 – Englisches Mißfallen über C. 207 – Erzwungenes Nachgeben Ende August 1623 208 – Trotzdem Scheitern des Ausgleichs. Freundschaft mit Rusdorf 209 – Mission Francesco della Rotas 210 – Bedeutung der Haltung von C. Seine gesellschaftliche Stellung im Haag 211.

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I X . Ka pi tel: Ausführung d er unbedingten Kriegsp olitik . . . . . . 243–265 Bündnispläne von 1621 und 1622 243 – Wandel der Zielsetzung 1623. Anknüpfen an das „klassische“ antihabsburgische Allianzsystem. Aussichten Anfang 1623. Hoffnungen auf Frankreich, italienische Staaten, Bethlen Gabor und die Niederlande 244 – Verhältnis zu Moritz von Oranien 247, zu Prinz Friedrich Heinrich 251 – Charakteristika der Kriegspolitik von C.: Betonung der Verbundenheit aller europäischen Verhältnisse, Basierung des Gemeinsamen auf der Religion, weiteres Zurückschieben der dynastisch-chevaleresken Tendenz, die Termini Causa Communis, Res Publica, Res Evangelica, Libertas Principum Germaniae, Restitutio Regis Bohemiae 253 – Verhältnis zum Fürsten. Abstrahierte Treueverpflichtung 256 – Bedeutung für die Ideologie der Zeit. Parallelen zu bayrischen Politikern und Ordensgeistlichen 257 – Optimismus und Gottvertrauen 258 – Verzweiflungsstimmung. Ernst. Humanistische Hoffnungsfreudigkeit 259 – Hohe Meinung von Koalitionen. Gegensatz zum Puritanertum und zum flammenden Zelotismus der katholischen Erneuerungsbewegung. Ästhetisches Moment 260 – Distinktion und Schwäche der Kriegspolitik von C. 261 – Schreibtischatmosphäre. Fehlen mancher spezifisch calvinischen Züge 262 – Gemeinsamkeiten mit Tschernembl 263 – Gegensätze 264.



X . Ka pi tel: S chwed i scher Ko r resp ondent . . . . . . . . . . . . . . . . 266–295 Scheitern der Allianzbemühungen von 1623. Einsicht in die Unmöglichkeit, einen großen Krieg sogleich in Gang zu bringen. Neuerliches Mißtrauen gegenüber Frankreich. Verstärkte Südostorientierung und Hinwendung zu Schweden 266 – Notgedrungener Einsatz für die Kondottieren. Gegenseitigkeit zwischen ihrer geschichtlichen Rolle und der von C. 268 – Schwedischer Korrespondent zuerst 1619. Vermittlung des Pfalzgrafen Johann Kasimir 271 – Wiederaufnahme der Berichte Anfang 1623. Zusätzliche Verwendung von Rutgers 272 – Bis Herbst 1623 nur gemäßigte Hoffnung auf schwedische Hilfe 273 – Zweck der Reise nach Schweden (Oktober–Dezember 1623) 275 – Ärmlichkeit des Landes und Empfang. Zufriedenheit Oxenstiernas 276 – Audienz bei Gustav Adolf in Gripsholm 277 – Proposition von C. 278 – Begeisterung über den König 279 – Berührungsmomente zwischen Gustav Adolf und C. 280 – Rückkehr zum böhmischen Projekt 282 – Endgültige Entscheidung für Schweden in der Kriegspolitik von C. Vager Charakter der Pläne 284 – Ausbau des Korrespondentenverhältnisses. Wahlverwandtschaft über die momentane Zwecksetzung hinaus 285 – C. bewahrt sich eine gewisse innere Selbständigkeit. Seine Bedeutung für die schwedische Großmachtpolitik 287 – Verhältnis zu Gustav Adolf und Oxenstierna 288 – Einfluß auf die schwedische Diplomatie 290 – Günstige Wirkungsmöglichkeiten für C. 291 – Rückreise 293 – Trennung von Christian von Anhalt 294.

X I . Ka pi tel: Der A lli anz po li ti ker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296–333 Charakteristik des Lebensabschnittes von 1624 bis 1626 296: Vorherrschen des Koalitionsgedankens 298, ungehinderte Äußerung des politischen Idealismus 299, Fortdauer des politischen Einflusses im Alter 300 – Englische und französische Aktionsabsichten Mitte 1624 303 –Aktivität Brandenburgs

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303 – Spens nach Schweden 304 – Hoffnungen von C. Mitte 1624 305 – C. als bevorzugter schwedischer Unterhändler im Haag. Verhältnis zu Rutgers 307 – Gemeinsamkeiten der für die evangelische Allianz tätigen Gesandten 310 – Bellin und die Aufgabe des schlesisch-böhmischen Operationszieles 311 – Widerstand und Nachgeben von C. 312 – Originalität seiner Haltung 315 – Kooperation mit Dänemark? 318 – Dynastischer Kriegsgedanke bei England und Dänemark. Stärke des religiösen Momentes bei Schweden 321 – Bellin und C. für Schweden 324 – Spens für Zurückhaltung Gustav Adolfs. Rusdorf und Mehrzahl der englischen Diplomaten für Dänemark 325 – Verhältnis Rusdorfs zu den Kondottieren 328 – Der Haager Zweiarmeenplan 327 – Entscheid für die kleine Koalition. Schicksal Bellins 331 – Demgegenüber bei C. keine eigentliche Verbitterung. Weitere Haltung gegenüber Dänemark 332.

X I I . Ka p itel: S chwed i scher Gesand ter, C amerariu s u n d d i e N i ed er land e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334–366 Veränderte Position. Aufgabe beim Haager Konzert 334 – Tod von Rutgers 335 – Auftrag zur zweiten Gesandtschaftsreise nach Schweden (Februar–Mai 1626) 336 – Wahrnahme der Interessen der kleinen Koalition und des großen Bündnisgedankens 337 – Ablehnung weiterer diesbezüglicher Diskussionen durch Oxenstierna? 338 – Audienzen bei Gustav Adolf. Ernennung zum Gesandten (April 1626) 340 – Rivalität mit Heinsius. Vorbehalt weiterer Beratung Friedrichs V. 341 – Nutzen und Problematik seines Übertritts in schwedischen Dienst für die pfälzischen Interessen 342 – Finanzielle und gesellschaftliche Besserstellung 343 – Der Haag 344 – Sinn für Repräsentation bei C. 345 – Eignung für das gesellschaftliche Leben im Haag 346 – Einfluß des niederländischen Späthumanismus 347 – Interesse für Alte Sprachen und Briefkunst gemeinsam mit Rusdorf 352 – Folgen für die pfälzische Sache und die schwedische Diplomatie 352 – Humanistische Fertigkeiten von Rutgers 354 – Unterschiedliche Einstellung der schwedischen Gesandten in den Niederlanden 355 – C. und die Heroenverehrung Gustav Adolfs 356 − Hinneigung zu Oraniern und Gomaristen 359 – Tadel des merkantilen Geistes der arminianisch-ständischen Partei 363 – Skepsis gegenüber den republikanischen Staatsformen 365.

X I I I . Ka p itel: N i ed er länd i sches Bündnis, Wirtsc haftsverh a n d lung en und Cancellar i a Su edica . . . . . . . . . . . . . . 367–387 Neue Aufgaben als Gesandter 367 – Das Bündnis von 1614 368 – Offensive Erweiterung? Der Weichselzoll von 1626 368 – Erstaunen über die niederländische Reaktion 370 – Kupferhandel. Wirtschaftliche und finanzpolitische Kenntnislosigkeit von C. 371 – Vergebliches Bemühen um größeres Verständnis 372 – Argumente für das schwedische Vorgehen 374 – Das Subsidienersuchen von Ende 1626 376 – Abneigung gegen kommerzielle Fragen und niederländischen Kaufmannsgeist 378 – Cancellaria Suedica 379 – Kompromittierung bei Generalstaaten, Dänemark und England. Schock für C. 381 – Ausbleiben hinderlicher Folgen für seine Laufbahn. Hofrat 1628. Botschafter 1629 383 – Niederländische Gesandtschaft nach Preußen 1627 384 – Scheitern der Bündnisverlängerung, aber Gewährung von Subsidien 385.

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X I V. Ka pi tel: Di e K r i se d er pro testantisc hen Sac he u nd d er K r i eg S chwed ens i n De u tsc hland. . . . . . . . . . . . . . . . . 388–414 Zusammenbruch Dänemarks und Restitutionsedikt 388 – Eintritt der Prognosen von C. 389 – Steigen seines Ansehens 390 – Tod Christians von Halberstadt, Mansfelds und Bethlen Gabors 391 – Der Kriegsentschluß Schwedens und C. 392 – Anteil an den schwedischen Bündnisverhandlungen. Sir Thomas Roe 394 – Nachlassen des Koalitionsvertrauens 396f. – Allianz mit Frankreich? 397 – Divergenzen zwischen dem politischen Idealismus von C. und den realen Erfordernissen der schwedischen Machtpolitik in den dreißiger Jahren. Die pfälzische Restitution 404 – Joachim (IV) Camerarius in schwedischem Dienst 408 – Anteil an der Neuordnung der deutschen Verhältnisse 409 – Beziehungen zu schwedischen Diplomaten 411 – Triumph in Deutschland 412 – Tod Gustav Adolfs. C. behauptet zunächst seine Stellung 412 – Verhältnis zu Hugo Grotius 414.

X V. Ka pi tel: Let z te Bo t schafterjahre, die Au seinander s e t z ung m i t Peter S pi er i ng k . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415–441 Schlacht von Nördlingen. Verschlechterung der Situation von C. 415 – Widerstand der Einheimischen. Schutz Oxenstiernas 418 – Pensionierung oder Übertritt in neue Funktionen? 419 – Der Kanzler im Haag 1635 420 – Peter Spieringk Adlatus und Resident (Ende 1636) 421 – Fehlen genauer Direktiven 424 – Der Rivalitätskampf 425 – Haltung der Generalstaaten und des Prinzen Friedrich Heinrich 428 – Unterschiedliche Verhandlungstaktik von Spieringk und C. 430 – Reise von Joachim (IV) C. nach Schweden (März 1637) 431 – Nachgeben von C. Ende 1637 432 – Gegensätzlichkeit von C. und Spieringk 433 – Befürchtungen der Jahre 1637 und 1638 435 – Abschiedsgesuch und Übersiedelung aufs Land 1639. Pensionierung 436 – Verleihung des schwedischen Geheimratstitels und Adels 437 – Laufbahn des Sohnes. Verheiratung der einen Tochter mit Paul Straßburger 438 – Gelegentlicher weiterer Einfluß auf die schwedische und pfälzische Politik 439 – Bessere Stimmung nach dem Abschied 440 – Umzug nach Leyden 1641 und weiter nach Groningen 1642 441.

X V I . Ka pi tel: Cam erar i us als S ammler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442–456 Tod der Frau. Leben in Groningen. Wahl einer Altersarbeit 442 – Beschaffenheit der Collectio Camerariana 443 – Zustandekommen der Briefsammlung 444 – Auswahlmethode von C. 446 – Ihre historische Bedeutung 447 – Anteil von Joachim (IV) Camerarius 448 – Testamentarische Bestimmungen 449 – Ansicht von C. über den Zweck der Sammlung 450 – Huberti Langueti … epistolae 451 – Verharren bei der evangelischen Idee der Jugend 452 – Einheitlichkeit des Lebens von C. 453 – Resultate 455 – Tod 456.

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Quellen- und Literaturverzeichnis A. Ung ed ruck te Qu ellen Bayerische Staatsbibliothek, München, Handschriftenabteilung, Collectio Camerariana (hinfort abgekürzt: Coll. Cam.). Schwedisches Reichsarchiv, Stockholm (hinfort abgekürzt: SRA) Oxenstiernska samlingen (hinfort abgekürzt: SRA, Ox. slg.) Diplomatica-Hollandica Stegeborgs samlingen Falkenbergska samlingen Balthasar Schörlings samlingen Banerska samlingen Adler Salvius’ samlingen Riksregistratur Diplomatica-Germanica Diplomatica-Gallica Diplomatica-Anglica Schwedisches Kammerarchiv, Stockholm Likvidationen Universitätsbibliothek Upsala, Handschriftenabteilung E 371 Handlinger till Sveriges politiska historia 1611–1632 E 379 Hammarstrands samlingen E 388 Rosenhanska samlingen Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Oranienbaum, Oranienbaum bei Dessau, Sektion Bernburg (hinfort abgekürzt: LSA) A 9a, 160 ff. Bayerisches Geheimes Staatsarchiv, München Kasten blau (hinfort abgekürzt: BGStA Mü. K. bl.) Kasten schwarz (hinfort abgekürzt: BGStA Mü. K. schw.) Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München (hinfort abgekürzt: BHStA Mü.) Akten zum Dreißigjährigen Krieg Bayerisches Geheimes Hausarchiv, München (hinfort abgekürzt: BGHA Mü.) Akt 1018 Badisches Generallandesarchiv, Karlsruhe (hinfort abgekürzt: BGLA Ka.) Abteilung 67: Kopialbücher Abteilung 77: Pfalz-Generalia Dänisches Reichsarchiv, Kopenhagen (hinfort abgekürzt: DRA) Pfalz

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Sächsisches Landeshauptarchiv, Dresden (hinfort abgekürzt: SLA) Locat 8101, 8557, 9173, 9194, 9195, 9970, 9971, 9972, 10677 Stiftsbibliothek Linköping, Handschriftenabteilung Brev 2 Illustrium et clarorum virorum epistolae Brev 3 Clarorum virorum epistolae Brev 4 Variorum epistolae Handlingar och brev tjenande til uplysning af Svenska Historien, 85, Defensores Evangelii sub Ferdinando II. Imperatore Romano Universitätsbiliothek Erlangen, Handschriftenabteilung Bestände der Briefsammlung und Bibliothek von Chr. J. Trew Universitätsbibliothek Göttingen, Handschriftenabteilung Codex manuscriptus philosophicus 89, Briefsammlung von G. Th. Strobel Staatsarchiv Nürnberg Evangelische Unionsakten Universitätsbibliothek Lund, Handschriftenabteilung Stammbuch Jakobs De la Gardie Königliche Bibliothek Stockholm, Handschriftenabteilung Briefsammlungen Public Record Office, London State Papers Foreign (in Photokopien)

B. Ged ru c k te Qu ellen Abelinus, J. Ph.: Theatrum Europaeum, Bd. 1 und 2, Frankfurt a. M. 1634 bzw. 35 und 1633. AchtsSpiegel, Das ist: Clare, helle demonstration und, außführung, darinnen gleichsam in einem Spiegel, die greifliche Nichtigkeit der partheylichen Achtserclärung wi,der Pfaltzgraven Friderichen Churfürsten gründlich, entdecket, gezeigt und an tag gestellet, wird, Zu vertröster continuation deß unlangsten außkommenen, Prodromi, und Nothwendiger abgedrungener Rettung Evangelischer, hohen und Nidern Stands personen, unschuld, So dann, das Chur-Fürsten und Ständ des Reichs darinnen, sich bespiegelen mögen, in waß eusserste gefahr die so thewer erworbe,ne libertet jetzo gerathen sey. Jam, proximus ardet, Ucalegon, Mannheim 1622. (Verfasser höchtswahrscheinlich Ludwig Camerarius) Adam, M.: Vitae Germanorum philosophorum …, Heidelberg und Frankfurt a. M. 1615. Adam, M.: Decades duae continentes vitas theologorum exterorum principum …, Heidelberg 1618. Adam, M.: Vitae Germanorum medicorum …, Heidelberg 1620. Adam, M.: Vitae Germanorum iureconsultorum et politicorum …, Heidelberg 1620. Verbaal van de Ambassade van Aerssen, Joachimi en Burmania naar Engeland 1625, 1. Bd., Utrecht 1867. Volradi Plessii, Heidelbergensis, olim, Consiliarii, Aiax, post, oppugnatam frustra Cancellariam Anhaltinam, in, spongiam incumbens, sive appendix, Cancellariae Anhaltinae, Auctore, Fabio Hercyniano, J. C., Salmenhemii, Typis Germani Rheinfelder, Anno MDCXXIV. (Verfasser Jakob Keller) Aitzema, L. van: Saken van Staet en Oorlogh in ende ontrent de Vereenigde Nederlanden, 14 Bde., ’s Gravenhage 1657–1671. Fürstlich Anhaltische geheimbde Cantzley …, 1621. Bericht und Antwort uff die vornembste Capita, Pass und Puncten der Bayer-Anhaltischen

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geheimen Cantzeley, 1623 ff. (Verfasser wahrscheinlich Ludwig Camerarius und Vollrath von Plessen) Kurtze und, Gegründete anzeig, Was es für ein beschaffenheit habe, mit der Schrifft, welche die Bayerischen erstlich unter dem, Titul Consultationes oder unterschiedliche Rahtschläge etc., Und bald hernacher unter dem Titul Böhmische geheime Cantzley, das ist, Consultationes oder unterschiedliche Rahtschläge und vota etc. und unterm schein eines in der hei,delbergischen Cantzley gefundenen Protokols im, Jahr 1624 in offenen Truck gegeben und, ausgesprengt haben, 1625. Der Römisch Spannischen Cantzley Appendix, Oder Königlich Böhmischer Friedenszug, Anno periculosissimo MDCXXV. (Verfasser möglicherweise Ludwig Camerarius) Der, Unierten Protestirenden, Archif, Darinn der Unierten Protestirenden vornembste, That­ handlungen, Anschläg, und zu des H. Röm. Reichs, der Römisch Catholischen, Kaiser, Fürsten und Stände auch anderer, höchsten praeiuditz,und verfang, vor und nach der under Churpfaltz Dire,ctorio, geführte, und von langer Zeit hero verborgen erhaltene, Consilia, auß ihren selbst aignen von wort zu wort bey,kommenden Originalschrifften an tag gelegt, werden., Zu abgetrungener notwendigister Rettung der vor disem, außgangnen Anhaltischen Cantzley, wider einen darwider, gemachten falschen Bericht und nichtige Antwort, in XIII. Capita ver,fast, und der Röm. Kays. May. deß H. Reichs Chur,Fürsten und Ständen unterthänigist, und gehorsamlich dedicirt, 1628. Bayle, P.: Dictionaire historique et critique, Rotterdam 1697 ff. (Weitere Auflagen) Bericht … Rusdorfs … Was er Anno 1621 zu Wien negotiert …, 1624. Umbständiger Bericht und Relationes etlicher gewester Churpfaltz gehaimber vertrautister Räth, Uber unterschiedliche Legationes … 1620, 1621, 1622 …, 1624. Blok, P. J.: Venetiaansche Berichten over de Vereenigde Nederlanden van 1600–1795, = Rijks geschiedkundige publicatien, Nr. 7, ’s Gravenhage 1909. Brandt, G.: Historie der Reformatie …, 4 Bde., Amsterdam-Rotterdam 1677 ff. Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Einflusses der Wittelsbacher, herausgegeben durch die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1870 ff. (hinfort abgekürzt: Br. u. Akt.) Vornehmlich folgende Bände sind für eine Camerarius-Biographie wichtig: Bd. 1 Die Gründung der Union 1598–1608, bearbeitet von M. Ritter, 1870. Bd. 2 Die Union und Heinrich IV. 1607–1609, bearbeitet von M. Ritter, 1874. Bd. 3 Der Jülicher Erbfolgekrieg, bearbeitet von M. Ritter, 1877. Bd. 10 Der Ausgang der Regierung Rudolfs II. und die Anfänge des Kaisers Matthias, bearbeitet von A. Chroust, 1906. Bd. 11 Der Reichstag von 1613, bearbeitet von A. Chroust, 1909. Außerdem die Bände der Neuen Folge. Bruchmann, K.: Archivalia inedita zur Geschichte des Winterkönigs, Programm, Breslau 1909. Holländische Bundtsverwandtnuss …, 1624. Camerarius, J.: Epistolae familiares, 3 Bde., Frankfurt 1583–1596. (Über weitere benützte Werke von Joachim Camerarius s. Kap. II) Ludouici Joachimi F.  Joachimi N., Camerarii, J. C., Consiliarii, Archipalatini, Apologia, con­ tra personati cuiusdam Fabii Hercyniani, J. C. aliorumque in se publice sparsas calumnias, Anno MDCXXIV. Camerarius, L.: Huberti Langueti … ad Joachimum Camerarium patrem et Joachimum Camerarium filium … scriptae epistolae, Leyden 1646. Camerarius, Ph.: Operae horarum subcisivarum sive meditationes historicae auctiores quam antea editae, Frankfurt 1624. Cancellaria, Hispanica., Adjecta sunt Acta publica, Hoc est:, Scripta et Epistolae authenticae, e

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quibus partim infeli,cis belli in Germania partim Proscriptionis in, Electorem Palatinum scopus prae,cipuus apparet., Adjecti sunt sub finem Flores Scop,piani, ex Classico belli Sacri. Freistadii., Anno MDCXXII. Carafa, C.: Relazione dello stato dell’ imperio e della Germania …, herausgegeben von J. G. Müller, in: Archiv für Kunde der österreichischen Geschichtsquellen, Bd. 23, Wien 1860, 101–450. Carafa, C.: Commentaria de Germania sacra restaurata, Köln 1637, – et ad annum 1641 continuata, Frankfurt 1641. Letters from and to Sir Dudley Carleton during his embassy in Holland from January 1616 to December 1620, herausgegeben von Ph. Yorke, Earl of Hardwicke, London 1757. Lettres … du Chevalier Carleton …, 1759. Sir Dudley Carletons State Letters during his embassy at the Hague A. D. 1627, herausgegeben von Sir Thomas Philipps, Middle Hill 1841. Chemnitz, B. Ph. von: Königlichen Schwedischen in Teutschland geführten Kriegs 1. Teil, Stettin 1648, 2. Teil, Stockholm 1653, 3. und 4. Teil, Stockholm 1855–1859. Tagebuch Christians II. Fürsten zu Anhalt, aus dem Jahr 1620, herausgegeben von G. Krause, Leipzig 1858. Kong Christian den Fjerdes egenhaendige breve, herausgegeben von C. F. Bricka und J. A. Fridericia, 7 Bde., Kopenhagen 1878–1891, 8., Supplementband, herausgegeben von J. Skovgaard, Kopenhagen 1947. Du Mont, J.: Corps universel diplomatique du droit des gens, Amsterdam und Den Haag 1726–1731. The Letters of Elizabeth, Queen of Bohemia, herausgegeben von L. M. Baker, London 1953. Briefwechsel des Ubbo Emmius, herausgegeben von H. Brugmans und F. Wachter, 2 Bde., Aurich-’s Gravenhage 1911–1923. Freher, P.: Theatrum virorum eruditione clarorum …, 1688. Sammlung noch ungedruckter Briefe des Churfürsten Friderichs V. von der Pfalz, nachherigen Königs von Böhmen 1612–1632, herausgegeben von J. Chr. von Aretin = Beyträge zur Geschichte und Literatur, Bd. 7, München 1806. Gardiner, S. R.: Letters and other documents illustrating the relations between England and Germany at the commencement of the Thirty Years’ War, Teil 1 und 2, 1865. Beharrlicher General Rath der Stände, so sich zu der Evangelischen Religion bekennen, Anno 1605, Sambt einer Chursächsischen Resolution, D. Ludwigen Camerario … gegeben, 1624. Die Berichte über die Schlacht auf dem Weißen Berge bei Prag, zusammengestellt von A. Gindely, Wien 1877. Groen van Prinsterer, G.: Archives ou Correspondance inédite de la maison d’Orange-Nassau, Deuxième série, Leyden-DenHaag-Utrecht 1835 ff. Hugonis Grotii … epistolae … herausgegeben von H. und J. de Groot, Amsterdam 1687. Günter, H.: Die Habsburger-Liga 1625–35. Briefe und Akten aus dem Generalarchiv zu Simancas, Berlin 1908. Konung Gustaf II. Adolfs skrifter, herausgegeben von C. G. Styffe, Stockholm 1861. Haeberlin, F. D., fortgesetzt von Senckenberg, R. K. von: Neuere Teutsche Reichsgeschichte, Bd. 22 ff., Halle 1791 ff. Hauck, K.: Die Briefe der Kinder des Winterkönigs, Heidelberg 1908. De Briefwisseling van Constantin Huygens, herausgegeben von J. A. Worp, in: Rijks Geschiedkundige Publication, 6 Bde., 1911–1917. Jöcher, Ch. G.: Allgemeines Gelehrtenlexikon, worin die Schriftsteller aller Stände nach ihren vornehmsten Lebensumständen und Schriften beschrieben werden, 4 Teile, Leipzig 1750–1751.

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Volradts von Plessen, weilandt Chur-Pfaltz gewesenen geheimben Rhats Rittersprunck …, 1625. Negotiations in the embassy of Sir Thomas Roe to the Ottoman Porte, herausgegeben von S. Richardson, London 1740. Letters relating to the mission of Sir Thomas Roe, herausgegeben von S. R. Gardiner, London 1875. Rusdorf, J. J. von: Consilia et negotia politica, Frankfurt 1725. Rusdorf, J. J. von: Mémoires et négociations sécrètes, redigées par E. G. Cuhn, 2 Bde., Leipzig 1789. Der Feldzug des Jahres 1622 am Oberrhein nach den Denkwürdigkeiten des Freiherrn Ulysses von Salis-Marschlins, mitgeteilt von K. Obser, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Bd. 46 (Neue Folge Bd. 7), 1892, 38–68. Schelhorn, J. G.: De Vita, Fatis ac Meritis Philippi Camerarii Icti … Commentarius, Accedit praeter selecta ex epistolis virorum cel. ad ipsum scriptis eius relatio de captivitate sua Romana et liberatione fere miraculosa, Nürnberg 1740. Schoppe (Scioppius), C.: Classicum belli sacri sive Heldus redivivus, Ticini 1619. Schybergson, M. G.: Sveriges och Hollands diplomatiska förbindelser 1621–1630 = Bidrag till kännedom af Finlands natur och folk, utgifna af Finska Vetenskaps-Societeten, Bd. 37, Helsingfors 1881. (Enthält: Epistolae Ludovici Camerarii ad Axelium Oxenstierna missae 22. Novembris 1624–26. Decembris 1626) Der Römisch-Spanischen Cantzley Nachtrab; Sinceratio Sincerationum, Oder Unteutsche betrügliche Zweyzüngigkeit, Das ist Alt-newe Römisch Spanische Betrug und Sincerir-Kunst die Evangelischen zu betriegen und gar auszurotten, Anno miraculosissimo 1624. (Verfasser möglicherweise Ludwig Camerarius) Lindbom, J. A., Neikter, J. F., Kolmodin, O.: Legatio Johannis Skytte in Daniam MDCXV, 1786–1828. Söltl, J. M.: Der Religionskrieg in Deutschland, Bd. 3 (mit dem Untertitel: Denkwürdigkeiten aus den Zeiten des Religionskrieges in Deutschland), Hamburg 1842. Spanheim, F.: Le soldat Suedois descript les actes guerriers merveilles de nostre temps plus que tres genereuses et tres heroiques de son Roy faicts en l’Empire despuis son entree en icelui … iusqu’ a sa mort, s. l. e. a. Calendar of State Papers, 1858 ff., Domestic: James I, Charles I, Foreign: German states, Holland, Flanders, Venetian. Svenska Riksrådets Protokoll, herausgegeben von N. A. Kullberg und S. Bergh, Bd. 1–15, Stockholm 1878–1920. Sveriges traktater med främmande magter jämte andra dit hörande handlingar, 1877 ff. Tubus, Galilaeanus, Hebescentibus, Ludovici Camerarii Oculis, In Litura Hispanicae, Cancellariae male aduertentibus, ad clarius, videndum tornatus, a, Fabio Hercyniano., Additis In Fine Testimonii, causa, et pro Tubo, et pro Rhabarbaro, ipsius Camerarii epistolis., Anno MDCXXV. (Verfasser Jakob Keller) Verbaal van de Ambassade van Gaspar van Vosbergen bij den Koning van Denemarken, den Nedersaxischen Kreits en den Koning van Zweden, 1625, uit het Archiv van Hilten, Utrecht 1867, in: Nieuwe Reeks der Werken uitgeven door het Historisch Genootschap gevestigd te Utrecht. Weller, E.: Die falschen und fingirten Druckorte …, Leipzig 1864.

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I. Kap itel

Lebenswerk und Quellen In jedem Zeitalter gibt es Persönlichkeiten, die, ohne historisch wahrhaft groß zu sein und zu den epochalen Gestalten zu gehören, doch ein starkes biographisches Interesse beanspruchen können durch das Ausmaß ihrer Tätigkeit und die anregende Wirkung ihrer Gedanken und Pläne. In diese Kategorie gehört Ludwig Camerarius. Sein Wirken war in den letzten zwei Jahrzehnten der Gegenreformation und während fast des ganzen Dreißigjährigen Krieges eng mit der Entwicklung der protestantischen Partei inner- und außerhalb Deutschlands verknüpft. Er besaß Einfluß während eines längeren Zeitraumes als die meisten Politiker seiner Epoche, und dieser Einfluß beschränkte sich nicht auf ein Land, sondern erstreckte sich weiter als der von vielen anderen Diplomaten. Die Begrenztheit seiner Begabung hinderte ihn zwar, zum wahrhaft selbständigen Staatslenker zu werden, zum Staatsmann in dem bedeutenden Sinn, den das Wort eigentlich in sich schließt. Er blieb, wenigstens die längste Zeit seines Lebens, Ratgeber und Gehilfe. Doch es waren die bedeutendsten protestantischen Staatsmänner der Epoche, denen er diente. Und gerade weil er keine überragende Begabung war und nicht zu den Titanen seiner Zeit gehörte, weil er ferner durch Herkunft und Ausbildung religiösen sowie schöngeistig-wissenschaftlichen Anliegen besonders aufgeschlossen war, wurde er ein vollendeter Exponent des Spieles geistiger Kräfte, die hinter den äußeren Ereignissen von Gegenreformation und Dreißigjährigem Krieg wirkten und diese Ereignisse bestimmten. Sein Schicksal ist mit dem geistigen Umbruch, der sich während des Krieges vollzog, eng verknüpft. Die grundsätzliche Problematik seines Lebens läßt sich aus diesem Wandel begreifen. Sie entsprang zum guten Teil dem Umstand, daß er sich vom Zeitalter der Reformation und des Humanismus nicht trennen konnte, als die neue Epoche begann, in der Rationalismus und französische Bildung herrschten. Camerarius blieb rückwärtsgewandt. Er, der gelehrte doctor juris utriusque und bürgerliche Geheime Rat, war während des ganzen Krieges unter den Politikern des protestantischen Lagers einer der ausgesprochensten Vertreter der „alten Schule“. Sein gesamtes Leben wurde maßgeblich von dem Anliegen bestimmt, die Idee christlicher Diplomatie, die starke Hervorkehrung des Religiösen innerhalb der Politik im Fortgang des 17. Jahrhunderts zu erhalten. Mit diesem Bemühen trug er nicht unwesentlich dazu bei, daß der Dreißigjährige Krieg wenigstens in seiner ersten Hälfte in starkem Maß den Charakter eines Glaubenskrieges annahm und behielt. Er scheiterte jedoch insofern, als in der zweiten Hälfte die anderen Kampfeselemente das Religiöse immer weiter zurückdrängten.

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Das unbedingte Verharren beim Geist christlicher Diplomatie wurde Camerarius möglich durch den politischen Idealismus, der ihn beherrschte. Christlicher Diplomat und politischer Idealist – das sind die beiden markantesten Kennzeichen seiner Erscheinung. Sein Idealismus ließ ihn zu einem der großen Anreger im politischen Leben seiner Epoche werden. Andererseits setzte er seinen Fähigkeiten verhältnismäßig enge Grenzen. Denn im selben Maß, in dem Camerarius Idealist war, fehlte ihm der nüchterne Realismus, der erst den wahrhaften Staatsmann macht. Der für den Diplomaten unerläßliche Sinn für das Mögliche war bei ihm im Verhältnis zu dem Einfluß, den er ausübte, und den hohen Stellungen, die er vier Jahrzehnte lang bekleidete, gering ausgebildet. Damit hing es zusammen, daß er ungleich geeigneter war, Bewegungen in Gang zu bringen und Kräfte zu mobilisieren, als sie zu verwerten und Bestehendes zu erhalten. Die Erfordernisse, vor die sich die pfälzisch-calvinische Partei und Schweden im Krieg gestellt sahen, brachten es mit sich, daß Camerarius besonders reiche Gelegenheit erhielt, anregend und mobilisierend zu wirken. Gerade der große Kampf, der ihm als humanistischem Schöngeist in vielem ein Greuel war, ließ seine Begabung erst zu voller Entfaltung gelangen. Dieser Kontrast bestimmte sein Leben noch in einem zweiten. Durch und durch war Camerarius eine Schreibtischnatur. Ferner konnte er in vieler Hinsicht als überaus empfindsamer Ästhet gelten. Er stand den Rauheiten des Krieges so fremd wie möglich gegenüber. Und doch war andererseits gerade er einer von denjenigen, denen es zuzuschreiben ist, daß der Krieg ausbrach, daß er immer wieder fortgesetzt und schließlich zu einem dreißigjährigen wurde. Den politischen Maximen jener gelehrten Anhängerschaft Melanchthons folgend, die in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts sich immer enger an den Calvinismus anschloß, arbeitete Camerarius als pfälzischer Geheimer Rat daran, die Evangelischen in Deutschland wieder zu einer festen Partei zusammenzuschließen, sie zu neuer politischer Stärke zu bringen und dem Kurfürsten von der Pfalz die Führerstellung im deutschen Protestantismus und einen festen Platz unter den großen Mächten Europas zu verschaffen. Als Mitglied der obersten pfälzischen Regierungsbehörde, als nächster Vertrauter und Gehilfe Fürst Christians von Anhalt, des leitenden pfälzischen Staatsmannes, und als Gesandter seines Kurfürsten bei den Unions- und Reichstagen trachtete er vor Ausbruch des Krieges diesen Zielen nach. Die ihn von Jugend an beherrschende Überzeugung des Kryptocalvinismus, daß die protestantische Sache in ihrer gesamten Existenz aufs äußerste bedroht sei, und der in ihm mächtige Ideenreichtum sowie die spekulative Art des gelehrten Humanisten ließen ihn dabei verhältnismäßig früh auch vor der äußersten Konsequenz nicht zurückschrecken. Eine gewisse Neigung ist bei ihm deutlich, den Gedanken der Fürstenlibertät bis zu geradezu reichs- oder doch wenigstens kaiserfremder Gesinnung zu steigern. Auch scheute er sich nicht, die großstaatlichen Ambitionen der pfälzischen Politik, so weit es an ihm war, immer höher zu schrauben, damit das Reichsgefüge ernstlich zu gefährden und durch die böhmische Expedition, an deren Vorbereitung und Ausführung er wesentlichen Anteil hatte, den Krieg auszulösen.

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Camerarius war somit in wichtiger und verantwortlicher Weise an der groß konzipierten, aber leichtsinnigen und verspielten Politik beteiligt, die zur Prager Katastrophe führte. In den folgenden Jahren jedoch war er es, der in vielem eine Rehabilitierung seiner selbst und noch mehr der pfälzischen Sache erreichte. Denn im Gegensatz zu Christian von Anhalt blieb er dem einmal begonnenen Werk auch in der äußersten Not treu. Er nahm unter den Schwierigkeiten des Exils die Leitung der pfälzischen Politik auf sich. Er vermochte seinen Herrn, den Winterkönig Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, zum Durchhalten und zur Fortsetzung des Kampfes zu bewegen. Er drängte das dynastische Element in der pfälzischen Exilpolitik zurück und stellte die religiöse Idee um so mehr in den Vordergrund, er gab dem konfessionellen Moment eine neue Bedeutung. Als erfolgreicher Publizist wirkte er gleichzeitig darauf hin, den Gedanken des Religionskrieges im protestantischen Europa aufs neue zu erwecken und gab durch die in ihrer philologischen Sachlichkeit und der Eleganz des Ausdrucks originelle Art seiner Darstellung der Flugschriftenliteratur neue Impulse. Mit seinem Bemühen um eine gesamteuropäische evangelische Allianz half er den Grund legen für die späteren großen Kriegshandlungen gegen die habsburgische Macht. Dieses Streben brachte ihn in enge Beziehung zu Schweden und schließlich auf den schwedischen Botschafterposten im Haag. Als einflußreicher Berater König Gustav Adolfs und seines Reichskanzlers Axel Oxenstierna wirkte er auf das Eingreifen Schwedens in den deutschen Krieg hin. Er arbeitete damit an der Entwicklung der schwedischen Großmachtstellung. Er half ferner, die schwedische Diplomatie den Erfordernissen gewachsen zu machen, die sich aus der neuen europäischen Machtposition des Staates ergaben. Camerarius vermochte nicht, die immerhin bedeutsame Stellung der Pfalz im Konzert der europäischen Mächte zu retten. Ebensowenig war er in der Lage, als schwedischer Botschafter im Haag in seinem unmittelbaren Arbeitsgebiet ein weitreichendes schwedisch-niederländisches Bündnis zustande zu bringen, wie die schwedische Regierung es wünschte. Doch wenngleich die pfälzischen Großmachtambitionen unerfüllt blieben und die europäische Machtstellung der Pfalz mit durch seine Schuld in die Brüche ging, konnte er doch wenigstens darauf hinwirken, daß ein Teil der Ideen und Ziele, für die man pfälzischerseits sich eingesetzt hatte, von Schweden übernommen wurde, daß die evangelische Sache in Deutschland zwar nicht zu Sieg und Triumph gelangte, wie er es sich erträumt hatte, daß der Protestantismus aber doch in seinem Bestand erhalten blieb, und daß endlich auch den Calvinisten die lang entbehrte reichsrechtliche Anerkennung zuteil wurde. Und wenn ihm als schwedischem Botschafter in seinem unmittelbaren niederländischen Wirkungskreis ein durchschlagender Erfolg versagt blieb, so ist es im übrigen doch unbestreitbar, daß er bei der Entwicklung Schwedens zur Großmacht und dem Hinübergreifen des nordischen Reiches nach Deutschland eine anregende und folgenreiche Rolle spielte. Im Alter endlich, nach seiner Verabschiedung, legte Camerarius eine große Briefsammlung an, die heute die größte von einem Privatmann zusammengebrachte deutsche Autographenkollektion zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges und des deutschen Humanismus und Protestantismus im Zeitalter von

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Reformation und Gegenreformation darstellt und darüber hinaus für spezielle Fragen, wie die noch ungeschriebene Geschichte des Kryptocalvinismus und die Biographie bedeutender Persönlichkeiten als die wichtigste Quelle überhaupt gelten kann. Camerarius erwarb sich damit für die moderne Geschichtswissenschaft eine besondere Bedeutung und dokumentierte im Alter aufs neue seinen rückwärtsgewandten Sinn. Vor mannigfachen Szenerien wird sich somit im Folgenden der Vorhang heben. Von dem Nürnberger Patrizierhaus seiner Kindheit über Padua, Basel und Speyer nach Heidelberg, von Heidelberg nach Prag, von dort über Norddeutschland und Skandinavien in die Niederlande wird uns das Lebensschauspiel führen, und vielgestaltige Aufgaben werden es sein, mit denen sich unser Held zu befassen hat. Die Weite seines Wirkungsbereiches wurde charakteristisch für sein Leben. Die Vielfalt diplomatischer und publizistischer Funktionen, die er auf weit auseinanderliegenden Bühnen ausübte, entsprach dem kosmopolitischen Geist humanistisch-protestantischen Gelehrtentums, der ihm in seinem Elternhaus mitgeteilt worden war. Nicht weniger entsprang diesem Geist die Auffassung, mit der er an die verschiedenen Aufgaben heranging. Stets empfand er sie, so unterschiedlich sie im einzelnen auch sein mochten, als Einheit. Konsequent stellte er sein ganzes, mannigfaches Bemühen unter das Hauptzeichen des Kampfes für die evangelische Sache. Obwohl er mehreren Herren diente und meistens nur Gehilfe war, erreichte er doch – und das unterscheidet ihn von vielen anderen, die sich in ähnlichen Verhältnissen wie er befanden –, daß er bei seinem Wirken in der Hauptsache stets seinen eigenen Maximen folgte. Immer blieb er sich selber treu, und stets verharrte er auf einer verhältnismäßig früh bei ihm ausgeprägten Grundlinie des Denkens und Handelns. Das gilt von seinen Zielen und Ansichten ebenso wie von den Mitteln, derer er sich bediente, und dem Temperament, das ihn beherrschte. Als Gegenstück zu seinem politischen Idealismus findet sich bei Camerarius ein ausgeprägter Optimismus, eine hochgespannte Hoffnungsfreudigkeit, die sich mit einem starken Maß von Zähigkeit verband und ihn erfüllt sein ließ von der humanistischen Überzeugung, daß sich durch beharrliche Überredung und belehrenden Schreibfleiß mit der Zeit das meiste erreichen lasse. Gleichzeitig ist von Anfang bis Ende seines Schaffens für ihn überaus charakteristisch eine sonderbare Verbindung von Wagemut, Schwung und Ideenreichtum mit ängstlicher Pedanterie, mit der Neigung, die Dinge zu zerreden und mit unbeweglicher Starrheit an vorgefaßten Meinungen festzuhalten, sowie mit einem hohen, wiederum echt humanistischen Maß persönlicher Ängstlichkeit, ja Hypochondrie. „Sic ut vere dicere mihi liceat, vitam meam perpetuam peregrinationem fuisse, quae tandem desiit in exilio“, sagte Camerarius einmal als alter Mann von seinem bewegten Leben1. Diese peregrinatio perpetua ist die hauptsächliche Ursache dafür, daß die Quellen für eine Camerarius-Biographie weit über Deutschland, Skandinavien, die Niederlande und auch England verstreut liegen. An Quellenwert obenan steht die von Camerarius selbst angelegte Briefsammlung, 1



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In der Einleitung zu: Huberti Langueti … epistolae …, Leyden 1646.

die Collectio Camerariana, die in der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek in München aufbewahrt wird. Ein großer Teil der ausgedehnten Korrespondenz von Camerarius mit seinen Kollegen im pfälzischen Geheimen Rat findet sich hier. Obenan steht der Briefwechsel mit Johann Joachim von Rusdorf, der deshalb besonders wertvoll ist, weil auch sämtliche Antwortbriefe von Rusdorf als eigene Volumina der Sammlung angeschlossen sind (Vol. 70 u. 72). Die Antwortschreiben ebenso wie die Briefe von Camerarius an Rusdorf (Vol. 25) sind chronologisch bereits geordnet, so daß nur die Mühe des Entzifferns bleibt. Die Briefe von Camerarius an den Großhofmeister Graf Johann Albrecht zu Solms befinden sich nicht in gleich gutem Zustand. Sie sind über das ganze Volumen 47 willkürlich verstreut. Die Collectio Camerariana enthält ferner zahlreiche Briefe der pfälzischen Regierungsmitglieder Andreas und Carl Pawell (besonders Vol. 23, 49 u. 69), die sich durch Bestände des Oranienbaumer Archivs in wertvoller Weise ergänzen lassen. Es wird hierdurch ebenso wie durch die gleichfalls in Oranienbaum liegende Korrespondenz zwischen Camerarius und Christian von Anhalt aus den Jahren 1622 bis 1624 möglich, ein ziemlich vollständiges Bild von den Strömungen und Gegensätzen innerhalb der pfälzischen Partei während und nach Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges zu gewinnen. Eine wichtige Vervollständigung für dieses Bild bieten ein Notizbuch von Camerarius in Volumen 68 der Collectio Camerariana aus dem Jahr 1623 sowie seine Briefe an Axel Oxenstierna aus demselben Jahr, die sich in Abschriften in der Universitätsbibliothek von Upsala fanden. Für den Studiengang von Camerarius, für seine humanistischen Arbeiten und seine religiöse Einstellung sind besonders die Volumina 1 bis 10, 27 und 28 der Collectio Camerariana von Wichtigkeit; die letzten beiden Bände und Band 29 bis 33 geben Aufschluß über sein Verhältnis zu den Niederlanden. Volumen 19 ist für die Biographie wertvoll, weil es die Briefe des langjährigen niederländischen Gesandten in Konstantinopel Cornelius Haga an Camerarius enthält, die gleichzeitig für die türkische Geschichte und die Entwicklung der osmanischniederländischen Beziehungen von Interesse sind. Camerarius’ Verhältnis zu Schweden erhellen Band 30 bis 33 der Münchner Briefsammlung. Schreiben von Gustav Adolf, Pfalzgraf Johann Kasimir, Axel Oxenstierna und anderen schwedischen Politikern finden sich hier ebenso wie die Entwürfe zu vielen der Briefe, die Camerarius seinerseits nach Schweden sandte. Nächst der Collectio Camerariana kommt den in schwedischen Archiven und Bibliotheken verwahrten Beständen für die Biographie die größte Bedeutung zu. Obenan steht unter ihnen das große Reichsarchiv in Stockholm. Die Hollandica der Abteilung Diplomatica, in der die offiziellen Gesandtschaftsberichte gesammelt sind, enthält von 1626 an die Berichte von Camerarius an König Gustav Adolf und die Mitglieder der heimischen Regierung. Im allgemeinen handelt es sich in diesen offiziellen Depeschen, die in den Jahren 1627 und 1629 einige Lücken aufweisen, um eine verkürzte Wiedergabe der intimer gehaltenen direkten Briefe an Oxenstierna. Doch findet sich auch viel Originelles in den Berichten, so gleich zu Anfang eine Aufstellung der Bedingungen, unter denen Camerarius sich bereit erklärte, den Posten des Residenten im Haag zu übernehmen. Einige

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Schreiben, die man in den Hollandica vergeblich sucht, sind in die per­sönli­­chen, ebenfalls im Reichsarchiv befindlichen Briefsammlungen der schwedischen Räte geraten, besonders in Falkenbergska samlingen. Die Oxenstiernska samling des schwedischen Reichsarchivs enthält die Briefe, die Camerarius direkt an Oxenstierna richtete. Es ist hochgradig wahrscheinlich, daß Camerarius bereits in den Jahren 1620 und 1621 mit Oxenstierna korrespondierte. Aus dieser Zeit finden sich jedoch in Oxenstiernska samlingen noch keine Schreiben von Camerarius, und auch für das Jahr 1623 und die längste Zeit von 1624 bietet der Bestand nur äußerst wenig. Um so wichtiger ist es, daß es für die beiden letzteren, so besonders bedeutungsvollen Jahre gelang, in Upsala einen Ersatz zu finden. In Rosenhanska samlingen, die in der Universitätsbibliothek von Upsala aufbewahrt wird, liegen in Abschriften Briefe von Camerarius an Oxenstierna aus den Jahren 1623 und 1624. Die Kopien wurden Ende des 17. Jahrhunderts von Laurentius Normann angefertigt und bieten einen wertvollen Ersatz für die inzwischen verschwundenen Originale. Von Oktober 1624 reichen dann die Briefe in Oxenstiernska samlingen in ununterbrochener Folge bis 1627, und nach Unterbrechung von drei Monaten setzt sich der Strom der ausführlichen Berichte bis 1633 fort. Von 1634 an werden sie von Jahr zu Jahr kürzer und weniger zahlreich. Nach 1640 liegen nur noch gelegentliche Briefe vor. Zehn Briefe aus der ersten Hälfte des Jahres 1636, die in Oxenstiernska samlingen fehlen, befinden sich als Beilagen in den Hollandica. Die Schreiben von Camerarius an den Pfalzgrafen Johann Kasimir, dessen Antworten in Volumen 32 der Collectio Camerariana liegen, enthält die nach Johann Kasimirs Schloß Stegeborg benannte Stegeborgs samling des Reichsarchivs. Sie sind für die böhmische Expedition, die erste Zeit des niederländischen Exils und die letzten fünfzehn Lebensjahre von Camerarius von höchstem Interesse. Über seine finanziellen Verhältnisse informieren Likvidationen im Schwedischen Kammerarchiv in Stockholm. Sie enthalten auch die Akten über die Verhandlungen, die bis zum Ende des 17. Jahrhunderts die Erben von Camerarius über seine noch nicht voll abgeglichenen Forderungen mit der schwedischen Regierung führten. Die Bestände der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Upsala weisen außer der schon erwähnten Rosenhanska samling in E 371 (Handlingar till Sveriges Politiska Historia 1611–1632) zahlreiche Briefe von Camerarius an verschiedene schwedische Staatsmänner auf, während E 379 die auch für eine Camerarius-Biographie interessanten Abschriften birgt, die Hammarstrand in den verschiedenen europäischen Archiven vorgenommen hat. Es entspricht dem intimen Verhältnis, das zwischen Christian von Anhalt und Camerarius bestand, daß der Nachlaß des Fürsten wahre Schätze für eine Camerarius-Biographie birgt. Dieser Nachlaß lag die längste Zeit im Schloß von Bernburg an der Saale, wurde aber nach Ende des zweiten Weltkrieges in das Schloß Oranienbaum bei Dessau überführt, in dem eine Zweigstelle des Landesarchivs von Sachsen-Anhalt untergebracht ist, das seinen Hauptsitz in Magdeburg hat. Für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges besonders interessant ist der große Faszikel A 9a 184 der Sektion Bernburg, der den hochwichtigen Briefwechsel zwischen Camerarius und Christian von Anhalt aus den Jahren 1622 bis 1624 enthält. Für

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die Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg sind besonders wichtig die Faszikel A 9a 160 bis 167 I mit Briefen von Camerarius, die bald nach der Jahrhundertwende beginnen und bis 1616 reichen. In A 9a 167 II sind seine Berichte an den Fürsten von Anhalt über seine Gesandtschaft nach Prag im Jahr 1617 gesammelt. In A 9a 167 IV endlich kann man die Depeschen finden, die Camerarius 1618 von dem folgenschweren Münchner Aufenthalt aus verfaßte. A 9a 167 IV enthält auch die Schilderungen des Winterkönigs und des Geheimen Rates Dietrich von Schönberg über denselben Aufenthalt. Interessante Vergleiche werden dadurch möglich. Die hauptsächliche Quelle aber für die Wirksamkeit von Camerarius vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, für seine Zeit als pfälzischer Geheimer Rat stellen die den Vorabend des Krieges betreffenden Kästen blau des Bayerischen Geheimen Staatsarchivs in München dar, die auch für die Jahre der böhmischen Expedition und die Zeit, in der Camerarius die pfälzische Exilregierung im Haag leitete, von großer Wichtigkeit sind2. In den hier verwahrten außenpolitischen Akten von Kurpfalz sind Zeugnisse über die Lebensgeschichte von Camerarius in den einschlägigen Jahren allerorts vorhanden. Das Material liegt weit verstreut über die einzelnen Kästen und wird in den Anmerkungen im einzelnen angegeben werden. Alles in allem reicht es aus, ein deutliches Bild von des Camerarius Tätigkeit als Geheimer Rat zu gewinnen, wenngleich, wie es bei der Natur der Sache nicht anders sein kann, die Archivalien des Geheimen Staatsarchivs in München längst nicht eine so persönliche Note tragen und so intimen Aufschluß geben, wie die Bestände der Collectio Camerariana. Das biographische Material dieser Collectio umfaßt aber außer der Studienzeit nur die Jahre nach 1622, während die Korrespondenz aus der Zeit vor dem Krieg und den Jahren der böhmischen Expedition offenbar den Kriegsereignissen, besonders wohl der Plünderung Heidelbergs 1622, zum Opfer fiel. Dieser Briefverlust und der Umstand, daß Camerarius vor 1621 nicht in dem Ausmaß wie später zu regelmäßigen schriftlichen Berichten veranlaßt war, weil er nur kürzere Gesandtschaften zu erledigen hatte und im übrigen in Heidelberg mündlich berichten und vieles verhandeln konnte, bringen es mit sich, daß die Quellen für die Jahrzehnte des Krieges sehr viel reichlicher fließen als für die Heidelberger Zeit, obwohl die Oranienbaumer Akten in vielem eine intime Ergänzung der Materialien des Bayerischen Geheimen Staatsarchivs bieten. Ferner bilden eine Ergänzung zum Material des Bayerischen Geheimen Staatsarchivs die „Akten und Tome zum Dreißigjährigen Krieg“ des Bayerischen Hauptstaatsarchivs in München. Schließlich bewahrt das Bayerische Geheime Hausarchiv überaus lebensvolle Berichte über die erste Gesandtschaftsreise von Camerarius nach Schweden im Jahr 1623, während sich in den Diener- und Kopialbüchern des Badischen Generallandesarchivs in Karlsruhe das Avancement von Camerarius in pfälzischem Dienst verfolgen läßt. 2



Ein Teil der pfälzischen Akten mit Nachrichten über Camerarius ist als „Protestantische Korrespondenz“ in die Kästen schwarz 546 bis 548 des Bayerischen Geheimen Staatsarchivs gekommen.

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Über die Bedeutung des Dänischen Reichsarchivs in Kopenhagen für die dänische Gesandtschaft von Camerarius wird im sechsten Kapitel gehandelt. Das Sächsische Landeshauptarchiv in Dresden ist für die böhmische Expedition von Wichtigkeit. Die Stiftsbibliothek von Linköping in Schweden bietet Briefsammlungen, die über das Verhältnis von Camerarius zum schwedischen und niederländischen Humanismus informieren. Dem gleichen Anliegen können die Handschriftenabteilungen der Universitätsbibliotheken von Erlangen und Göttingen dienen, während das Public Record Office in London das Verhältnis klären hilft, das zwischen englischen Diplomaten und Camerarius bestand. Die Unionsakten des Staatsarchivs in Nürnberg endlich geben über seine Tätigkeit auf den Unionstagen vielerlei Aufschlüsse.

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II. Kapitel

Familie und Jugend Die Familie, der Ludwig Camerarius angehörte, stammte möglicherweise aus Kärnten und trug ursprünglich den Namen Liebhart (Liebhard, Liebhardt u. ä.)1. Bis in die Zeiten Kaiser Heinrichs II. (oder doch mindestens Friedrichs II.) wollte sie ihre Ahnen zurückverfolgen können2. Wenngleich die Richtigkeit dieses, vom genealogischen Interesse des Humanismus zweifellos geförderten Beginnens hier nicht nachgeprüft werden kann, ist doch soviel sicher, daß es sich um eine alte und angesehene Familie handelte. Sie trat vermutlich früh in ein enges Dienstverhältnis zu den Bischöfen von Bamberg, die in Kärnten ja von alters her reich begütert waren. Wohl als Ministerialen der Bischöfe kamen die Liebharts nach Bamberg3. Bald finden wir, daß in ihrer Familie das Amt des bischöfli1

Nach Schelhorn, De Vita … Philippi Camerarii … 3, trug die Familie außerdem den Namen Pulben oder Pulmann. Bei Schelhorn weitere wichtige genealogische Einzelheiten, die jedoch bisweilen der Berichtigung bedürfen. Die folgenden genealogischen Angaben stützen sich außer auf Schelhorn auf die handschriftlichen Zeugnisse der Collectio Camerariana, auf die Publikationen der Camerarii, auf freundliche Mitteilungen von Herrn Archivar Friedrich Wilhelm Euler, Insel Wörth bei Fürstenfeldbruck/Oberbayern, und auf die genealogischen Zusammenstellungen der Schriftleitung der Neuen Deutschen Biographie (München, Arcisstraße), in die ich Einblick nehmen durfte. 2 Der Hinweis auf Heinrich II. nach A. Horawitz, Artikel Joachim Camerarius, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 3. 3 Nach einem bei Schelhorn abgedruckten Zeugnis, das der Rat von Nürnberg am 15. 6. 1620 Ludwig Camerarius ausstellte, ging aus damals noch erhaltenen Grabsteinen in Bamberg vom Jahr 1333 (dem Todesjahr der Frau eines Heinrich Kammermeister) hervor, daß bereits 1333 die Familie ihren Stammbaum bis ins Jahr 1154 zurückdatierte, aus welchem Jahr nach den Angaben des Nürnberger Rates von 1620 und von Schelhorn noch eine Urkunde existierte für ein Familienmitglied, das Schelhorn nennt „Conradus Liebhard miles Forchemii A. 1152 habitans, Eberhardi e Ducibus Bavariae Episcopi Bambergensis Camerae magister“. Hiernach hielten sich die Liebhards also bereits Mitte des 12. Jahrhunderts im Bistum Bamberg auf, und ihre Übersiedelung von Kärnten müßte vor 1154 erfolgt sein. Doch ist es nach freundlicher Information von Herrn Archivar Euler sehr wohl möglich, daß jener 1620 erwähnte Heinrich Kammermeister fingiert ist. Als Nachkomme des für 1152 belegten Conrad Liebhart läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit unter Fehlen mehrerer Zwischenglieder ein für 1264 belegter Hartmann Kammermeister und dessen Sohn Ulrich Kammermeister (Siegler einer Urkunde in Neukirchen 1302) annehmen. Der nach der gängigen Familiengenealogie nun folgende oben erwähnte Heinrich Kammermeister ist jedoch allem Anschein nach urkundlich nicht belegbar. Dies ist erst wieder 1348 der Fall bei Conrad Kammermeister, von dem an sich der Stammbaum so gut wie lückenlos verfolgen läßt. Nach dem allen und den übrigen Forschungen von F. W. Euler ist es denkbar, daß die vom 14. Jahrhundert an verfolgbaren Kammermeister und die Liebharts des 12. Jahrhunderts nicht im Mannesstamm zusammenhängen, daß es sich vielmehr um Einheirat handelt. Hierfür spricht unter anderem auch die Angabe

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chen Kämmerers erblich wurde. Die Liebharts oder ihre Erben waren von Generation zu Generation bischöfliche Kammermeister. Diese gleichbleibende, wohl vom jeweiligen Familiensenior ausgeübte Funktion gab den Anlaß, daß an Stelle des Namens Liebhart allmählich der Name Kammermeister (Cammermeister u. ä.) trat, der eigentlich nur Berufsbezeichnung war. Im 14., vielleicht auch schon Ende des 13. Jahrhunderts siedelten wahrscheinlich einige Familienmitglieder nach Nürnberg über und begründeten hier einen Familienzweig, der Mitte des 15. Jahrhunderts ins Patriziat und in den Rat Aufnahme fand, später aber nach Schelhorns Angaben nach Bamberg zurückkehrte. Johannes Kammermeister (geboren 1445), der Urgroßvater von Ludwig Camerarius, bischöflich bambergischer Erbkämmerer, Ratsherr zu Bamberg und Herr auf Buschberg, war vermählt mit Martha geborener Betzel (Wetzel) aus einem Schweinfurter Ratsgeschlecht und starb im Jahr 15274. Sein ältester Sohn Hieronymus Kammermeister (1490–1545) widmete sich zunächst wie der Vater dem Verwaltungsdienst der Bischöfe von Bamberg, trat dann aber in den Dienst des Pfalzgrafen Philipp über und starb als dessen Rat und Kanzler. Johannes Kammermeisters zweiter, 1500 geborener Sohn Joachim übernahm nicht wie Vater und Bruder Verwaltungsaufgaben, sondern wandte sich dem Studium der Alten Sprachen zu, ein Entschluß, der ihn zur Latinisierung seines Namens veranlaßte. Aus Kammermeister wurde Camerarius. Joachim Camerarius lernte an der Universität Leipzig, wirkte seit 1518 als Lehrer des Griechischen an der damals blühenden Erfurter Universität und ging 1521 nach Wittenberg, wo er sich eng an Philipp Melanchthon und die neue Lehre anschloß. Auf Empfehlung Melanchthons, der ihn auch weiterhin nach Kräften förderte, wurden ihm 1526 Leitung und Ausbau des Nürnberger Gymnasiums übertragen, eine Aufgabe, der er bis 1535 nachkam, in welchem Jahr er als Professor der Alten Sprachen an die Universität Tübingen übersiedelte. Hier wirkte er nicht weniger erfolgreich als in Nürnberg, um den Höhepunkt seiner Laufbahn dann in Leipzig zu erreichen, an dessen Universität er 1541 berufen wurde und bis zu seinem Tod im Jahr 1574 lehrte, in einer wissenschaftlich wie finanziell gleich glänzenden Position, mit breitesten Wirkungsmöglichkeiten, die er voll ausnützte. Er war es, der zusammen mit Borner das meiste für den erneuten Aufschwung der Leipziger Universität tat, der an ihr im Geiste Melanchthons und in enger Zusammenarbeit mit seinem Wittenberger Gönner den neuen philologisch-wissenschaftlichen und auch religiösen Erfordernissen Geltung verschaffte.

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Schelhorns, daß die Familie außer Liebhart und Kammermeister den Namen Pulben oder Pulmann trug. Ohne, daß hier ein genauerer Nachweis erbracht werden könnte, mag deshalb neben und entgegen der Version der Familiengenealogie des 16. und 17. Jahrhunderts die Möglichkeit aufgezeigt werden, daß es sich um mehrere Stämme handelte, bei denen das Kammermeisteramt zum Familiennamen wurde und die gemäß der im Mittelalter herrschenden Vererbungstendenz der wichtigen Ämter durch Heiraten verwandtschaftlich verbunden waren. Nach Schelhorn 1528.

Der glänzenden Universitätskarriere, der überaus fruchtbaren Tätigkeit als akademischer Lehrer und Organisator entsprach bei Joachim Camerarius ein hohes Maß bedeutender wissenschaftlich-literarischer Produktivität. Sie machte ihn zu einem der bedeutendsten deutschen Späthumanisten. Ja, nach dem Tode des Erasmus von Rotterdam, und nachdem Melanchthon sich immer mehr theologischen Anliegen zuwandte, konnte er als der hervorragendste deutsche Philologe gelten. Im speziell Philologischen, in der Herausgabe, Übersetzung und Kommentierung lateinischer und griechischer Schriftsteller und in grammatikalischen Werken liegt sein wissenschaftliches Hauptverdienst5. Doch ist es bezeichnend für Joachim Camerarius, daß er sich nicht auf die reine Sprachwissenschaft beschränkte, daß sein Gesichtskreis vielmehr fast alle Disziplinen umfaßte. Neben seinen philologischen Werken brachte er besonders als Geschichtsschreiber Interessantes hervor. Wir besitzen von ihm neben kleineren historischen Schriften eine Geschichte der böhmischen Brüder6, eine Arbeit über den Schmalkaldischen Krieg7, eine Lebensbeschreibung des Fürsten Georg von Anhalt8, vor allem aber die Biographien von Melanchthon und Eobanus Hessus9. Man sieht es, Joachim Camerarius’ Tätigkeit als Historiograph war getragen von einem starken zeitgeschichtlich-politischen Interesse, besonders aber von seiner Anteilnahme an den theologischen Auseinandersetzungen. Diese Anteilnahme ließ ihn gelegentlich auch unmittelbar in das politische Leben eingreifen. 1530 fungierte er auf dem Augsburger Bekenntnisreichstag als einer der Vertreter Nürnbergs. Auf den Reichsversammlungen von 1555 und 1556 stand er Melanchthon als Helfer und Ratgeber zur Seite, und 1568 endlich nahm er in Wien an den theologischen Verhandlungen teil, die von Kaiser Maximilian II. angestrengt wurden, um zu einer konfessionellen Einigung zu gelangen. Joachim Camerarius bediente sich dabei des hohen Ansehens, das er als Wissenschaftler auch bei Fürsten genoß, an deren Spitze Kaiser Maximilian II. selbst stand, der vergeblich versuchte, Camerarius für eine Übersiedelung nach Wien zu gewinnen10. Ganz nach den Intentionen Melanchthons suchte er, seinen Einfluß geltend zu machen, und auch im Wissenschaftlich-Philologischen blieb er mit seinem Wittenberger Gönner aufs engste verbunden, ebenso wie in seinen pädagogischen und universitätsorganisatorischen Bemühungen. 5

Die Zahl der Werke von Joachim Camerarius umfaßt 153 Titel, die einzeln aufgezählt sind in J. A. Fabricii Bibliotheca Graeca, Bd. 13, S. 493–532. Besonders wichtig wurden u. a. seine „Commentarii utriusque linguae“ von 1551, seine Erklärungen zu Homer, Sophokles, Cicero, seine Plautusausgabe, die Scaliger begeisterte, seine Übersetzungen des Homer, Herodot, Demosthenes, Xenophon, Sophokles, Thukydides, Plutarch u. a. 6 Historialis narratio de fratrum orthodoxorum ecclesiis in Bohemia …, Heidelberg 1605. 7 Belli Smalcaldici commentarius (ursprünglich griechisch) und Annotatio rerum praecipuarum (1550–61), beides in: Germanicarum rerum scriptores, herausgegeben von M. Freher, Bd. 3, Hannover 1611. 8 Narratio de … Georgio principe Anhaltino, Leipzig 1555 u. ö. 9 De Ph. Melanchthonis … vitae curriculo narratio …, Leipzig 1566 u. ö.; Narratio de H. Eobano Hesso …, Nürnberg 1553 u. ö. 10 S. über die Ehrungen, die Maximilian II. Joachim Camerarius zuteil werden ließ, u. a. Ludovici Camerarii … Apologia, a. a. O.

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Aus seiner Ehe mit Anna, der Tochter des Martin Truchseß auf Grünsberg11 und der Ursula Muffel von Ermreuth hatte Joachim Camerarius fünf Söhne und vier Töchter. Von den Söhnen waren am bedeutendsten der zweitälteste, Joa­ chim, der Vater von Ludwig Camerarius, und der dritte, der nach Melanchthon Philipp hieß. 1534 geboren, studierte Joachim (II) Camerarius an verschiedenen Universitäten Naturwissenschaften, vor allem Medizin, und wurde zu einem der gesuchtesten und berühmtesten Ärzte seiner Zeit. Er ging von 1564 bis zu seinem Tod im Jahr 1598 seiner Tätigkeit von Nürnberg aus nach, dessen Collegium Medicorum er begründete. Außer als Mediziner erwarb er sich auch als Botaniker einen bis heute gültigen Namen. Auch Philipp Camerarius (1537–1624), der dritte Sohn von Joachim (I) Camerarius, siedelte sich an der Stätte an, an der sein Vater als Gymnasialrektor seine Laufbahn begonnen hatte. Als doctor juris utriusque wurde Philipp Camerarius Nürnbergischer Ratskonsulent und wirkte gleichzeitig als erster Prokanzler der Universität Altdorf12. Von den drei weiteren Söhnen von Joachim (I) Camerarius waren Johann (1531–1592) und Gottfried ebenfalls juristisch gebildet. Ersterer wurde preußischer Regimentsrat in Königsberg und trat in enge Verbindung zur dortigen Universität, während letzterer im Dienste des Pfalzgrafen Reinhard arbeitete. Ludwig Camerarius (1542–1587) endlich, nach dem der Held dieser Biographie genannt wurde, war wie Joa­chim (II) Camerarius Arzt, starb aber bereits verhältnismäßig früh. Von seinen vier Töchtern verheiratete Joachim (I) Camerarius drei mit angesehenen Gelehrten: Anna mit seinem Schüler und engen Mitarbeiter Esrom Rudinger, Magdalene mit Johannes Hommel, Professor der Mathematik an der Leipziger Universität, und Ursula mit Caspar Jungermann, der an der gleichen Universität einen juristischen Lehrstuhl inne hatte. Aus dieser Ehe gingen Gottfried Jungermann, der bekannte Philologe, und der Botaniker und Mediziner Ludwig Jungermann hervor, die mithin Vettern ersten Grades von Ludwig Camerarius waren. Die Mutter von Ludwig Camerarius und zweite Frau des Nürnberger Mediziners Joachim (II) Camerarius endlich war Maria (1544–1577), Tochter des Balthasar Rummel von Lonerstadt, Pflegers zu Altdorf, und der Katharina Tetzel zu Kirchensittenbach. Es scheint, daß die soziologische Struktur der mütterlichen Familie der der väterlichen in vieler Hinsicht ähnelte. Auch die Rummel von Lonerstadt standen im Verwaltungsdienst als kleinere Ministerialen, die gleichzeitig als Patrizier zur obersten Schicht des Nürnberger Bürgertums gehörten. Nur hatten die Rummel 11

Der wiederum ein Sohn des Ludwig Truchseß auf Grünsberg, Kanzlers des Pfalzgrafen Otto, war. 12 Philipp Camerarius war verheiratet mit Helene Pfinzing von Henfenfeld. Aus dieser Ehe stammte u. a. Philipp (II) Camerarius, „praefectus Rockenhusius“, der seinerseits Renate, die Tochter des Rechtswissenschaftlers Dionysius Gothofredus (Denys Godefroy) ehelichte, eines der bekanntesten calvinistischen Juristen seiner Zeit, der, gebürtiger Pariser, erst in Genf und Straßburg und dann als Professor in Heidelberg wirkte. Magdalene, eine der Töchter des Nürnberger Ratskonsulenten Philipp (I) Camerarius, aber wurde in erster Ehe mit „Henricus Esthius, consiliarius Palatinus“ und in zweiter mit dem Rechtsgelehrten Paul Freher vermählt. Aus dieser Verbindung ging der gleichnamige bekannte Nürnberger Lexikograph, der Verfasser des Theatrum virorum clarorum hervor, der mithin ein Neffe zweiten Grades von Ludwig Camerarius war.

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nicht eine solche Hinwendung zum Gelehrtentum vollzogen wie die Kammermeister, sondern waren ihrem ursprünglichen Aufgabenkreis, dem Geschäft der Verwaltung, treu geblieben. Auch standen sie wohl in engerer verwandtschaftlicher Beziehung zur höheren Ministerialität der landadligen Familien Frankens. Letzteres gilt ebenfalls, sogar in noch stärkerem Maß von der Familie der Truchsesse auf Grünsberg, aus der, wie erwähnt, die Großmutter von Ludwig, die Frau von Joachim (I) Camerarius stammte. Ein Gutachten des Nürnberger Magistrats vom 15. Juni 1620, in dem Ludwig Camerarius bescheinigt wurde, daß er dank seiner Herkunft die Qualifikation besitze, zum „Landmann“ des Königreichs Böhmen „an- und aufgenommen“ zu werden und damit die Voraussetzung zur Übernahme des schlesischen Vizekanzleramtes zu erhalten, weist ausdrücklich darauf hin, daß die Truchsesse auf Grünsberg immer nur von ihrem adligen Lehensbesitz auf dem Land, „von ihren Renten und Güttern“ gelebt und niemals „Gewerb oder Kauffmanschafft getrieben“ hätten13. Nach allem zu schließen, führte Joachim (II) Camerarius in Nürnberg ein großes Haus. Es herrschte der vornehme und großzügige Lebensstil, wie er in der Nürnberger Patrizierfamilie üblich war, denen die Camerarii gleichstanden, ja zu denen sie unmittelbar gehörten. Es war die reiche und gleichzeitig biederpatriarchalische Lebensform deutscher Renaissance, die in einer Großstadt wie Nürnberg mit seiner gegensätzlichen, für die deutsche Renaissance so typischen Verbindung von hochgiebeliger Enge und Weltweite so recht ihren Nährboden und ihre Keimzelle hatte. Verschafften den Kaufleuten ihre Handelsgeschäfte in allen Teilen Europas einen kosmopolitischen Überblick, so gelangte eine Gelehrtenfamilie wie die der Camerarii auf anderen Wegen zu einem noch ungleich größeren Kosmopolitismus der Anschauungen: In ganz Europa genoß Joachim (I) Camerarius als Philologe höchsten Ruhm. Er gründete eine mächtige Schule, die an den verschiedensten Universitäten und Bildungsstätten zu Einfluß gelangte. Auch Joachim (II) Camerarius erwarb sich als Naturwissenschaftler bald großes Ansehen und übte als akademischer Lehrer und praktizierender Mediziner von Nürnberg her einen Einfluß aus, der sich ebenfalls über ganz Deutschland und bis ins Ausland erstreckte. Kleiner als heutzutage war im 16. Jahrhundert der Kreis der Gelehrten. Stärker als gegenwärtig war deshalb ihr Zusammengehörigkeitsgefühl. Es war eine sodalitas litterarum et scientiae, die weiter reichte und tiefer ging, als heute oft angenommen wird. Mitten in dieser Sodalität stand Joachim, der Vater von Ludwig Camerarius, und die mannigfachen gelehrten Beziehungen waren es in erster Linie, die seinem Haus den kosmopolitischen Geist gaben, eine Weltweite, die sich also in vieler Hinsicht aus anderen Quellen speiste, als die gleich kosmopolitische Gesinnung der Nürnberger Handelsherren. Überhaupt dürfte trotz nahen gesellschaftlichen Zusammenlebens in gewisser Hinsicht eine Schranke zwischen Kaufmannstum und Gelehrtenstand im Hause von Joachim (II) Camerarius spürbar gewesen sein, ein Umstand, der die Entwicklung seines Sohnes Ludwig nicht unwesentlich beeinflußte. 13

S. Schelhorn, a. a. O.

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Das Gelehrtentum des 16. Jahrhunderts, dem Vater, Onkel und Großvater von Ludwig Camerarius angehörten, stand in verhältnismäßig engem Kontakt mit Staatsverwaltung und Diplomatie. Es war die Zeit, da der Humanismus in starkem Maß auch das politische Leben beherrschte, die Zeit der gelehrten, juristisch und philologisch hochgebildeten, bürgerlichen Geheimen Räte, denen im Gegensatz zu den folgenden Jahrhunderten der Doktortitel den gleichen Hofrang verschaffte wie den Adligen. Ferner wurden damals Persönlichkeiten, die im Hauptberuf Wissenschaftler blieben, öfters zu diplomatischen Missionen herangezogen. Das führte dazu, daß die Kammermeister durch ihre wissenschaftliche Tätigkeit auch in Kontakt mit den politischen Vorgängen kamen, daß auch hier ihr Gesichtskreis weit reichte, was schließlich noch dadurch verstärkt wurde, daß Joachim (II) Camerarius als Arzt von weither konsultiert wurde und hohe und höchste Persönlichkeiten, wie den Kaiser und den Kurfürsten von der Pfalz, zu seinen Patienten zählte. Dieser hohe und weltweite Verkehr aber hinderte nicht, daß im Haus des berühmten und wohlsituierten Arztes das Leben in bescheidenpatriarchalischen Formen seinen Gang nahm. Besonders erfolgte die Erziehung der Kinder in einfacher und stetig-fester Weise, im Geiste ernster protestantischer Gläubigkeit, denn wie für seinen Vater stand auch für Joachim (II) Camerarius die Religion allen anderen Anliegen voran. Ludwig Camerarius wurde in Nürnberg am 22. Januar 1573 geboren. Er hatte das Unglück, daß seine Mutter, die zweite Frau von Joachim (II) Camerarius, starb, als er erst vier Jahre alt war. Doch nahm sich der Vater mit um so größerer Sorgfalt seiner Erziehung an. Auch erhielt er mit sieben Jahren, als sein Vater 1580 ein drittes Mal heiratete, in Ursula Hak von Suhl, genannt Thill (gestorben 1589) eine Stiefmutter, die um so besser für ihn sorgte, als sie selbst offenbar kinderlos blieb. Als jüngster von vier Söhnen wuchs Ludwig Camerarius auf. Sein ältester Bruder Joachim (III) (1566–1642) stammte noch aus der ersten Ehe des Vaters mit Justina Bernbeck. Die übrigen drei Söhne gingen aus der zweiten Verbindung mit Maria Rummel von Lonerstadt hervor. Außer Ludwig waren es Balthasar, der später kurpfälzischer Kammermeister und „Praefectus“ in Mundelheim wurde, und Christoph, der bei der Belagerung von Rheinberg umkam. Die Ausbildung, die der Vater Ludwig Camerarius angedeihen ließ, war vorzüglich. Mit Hilfe der altbewährten Nürnberger Bildungsanstalten und des Sulzbacher Gymnasiums14 wurde ihm eine gründliche Kenntnis der Alten Sprachen vermittelt, und hier wie im Elternhaus wurde er mit allen Fertigkeiten ausgerüstet, die das gelehrte und patrizische Bildungsideal der Zeit vorschrieb. Allem Anschein nach lernte Ludwig Camerarius leicht und gern. Er erwies sich offenbar von Anfang an den reichen geistigen Anregungen gegenüber, die sein Elternhaus ihm bot, als überaus aufgeschlossen. Damit hing es zusammen, daß vor allem die Gestalten seines Vaters und Großvaters, den er mit Bewußtsein nicht mehr kennen lernte, da Joachim (I) Camerarius bereits 1574, ein Jahr nach seiner Geburt, starb, in zweiter Linie aber auch die Figuren der übrigen in Wissenschaft und Verwaltung ausgezeichneten Verwandten – besonders sein Onkel Philipp Camerari14

Letzteres nach P. Freher, Theatrum virorum clarorum.

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us, der Nürnberger Ratskonsulent und Prokanzler von Altdorf, ist hier zu nennen – auf die Entwicklung seiner Persönlichkeit stärksten Einfluß gewannen, daß ihr Denken und Schicksal seine eigene Geistigkeit in entscheidender Weise formten. In den drei wichtigsten Momenten seiner Weltanschauung: in der besonderen Art seiner Religiosität, in seiner humanistischen Gesinnung und in seiner politischen Überzeugung ist diese Formung ganz offensichtlich. Die Analogie zum Denken seiner Vorfahren fällt in allen drei Punkten in die Augen. Es wurde zu einem Charakteristikum seines Lebens, daß er hierin bis zu seinem Tod in seltener Konsequenz an den im Elternhaus gewonnenen Eindrücken festhielt. Dabei handelte es sich nicht um eine Kopie im eigentlichen Sinn, dem ja stets etwas Oberflächliches anhaftet. Vielmehr verarbeitete Ludwig Camerarius die Einflüsse durchaus zu einer selbständigen Weltschau, die aber entsprechend seiner konservativen Gesinnung sich in vielem bemerkenswert eng an die Einstellung seiner Familie anlehnte. Wie Vater und Großvater zeigte sich auch Ludwig Camerarius sein Leben lang zutiefst vom Primat des Religiösen erfüllt, und die Religiosität ging auch bei ihm eine allerengste Verbindung ein mit dem Humanismus. Die Auffassung aber, die er vom Humanismus hatte, war ganz die von seinem Großvater entwickelte. Wie gesagt, die Leistungen, die Joachim (I) Camerarius in erster Linie als Philologe, in zweiter als Geschichtsschreiber vollbrachte, sind hochbedeutend. Seine musterhaften Editionen, seine grundlegenden grammatikalischen Abhandlungen blieben lange Zeit unübertroffen. Ebenso sprechen aus seinen biographischen Werken großes historisches Unterscheidungsvermögen, Geist und Darstellungskunst. Indem er schließlich mit seiner wissenschaftlichen Bedeutung hohe organisatorische und pädagogische Fähigkeiten verband, wurde er zu einem der anregendsten Philologen, zu einem der wirkungsreichsten Späthumanisten in ganz Deutschland. Trotzdem ist es, wie zuletzt die Untersuchungen von Friedrich Stählin dargetan haben, offensichtlich, daß die ursprünglichen Ideen und Ideale des Humanismus bei ihm in gewisser Hinsicht verblaßten15. Noch mehr vielleicht als schon bei Melanchthon wurde bei Joachim (I) Camerarius das, was bei seinen humanistischen Vorgängern uns als die ursprüngliche Kraft der Antike, als die lebenerneuernde Macht und Idee des klassischen Altertums entgegen tritt, zum pädagogischen Prinzip, zum vornehmlich erzieherisch-moralischen Bemühen16. Es hing diese Entwicklung zusammen mit der Spätform, die der Humanismus erreicht hatte. Noch mehr aber floß sie daraus her, daß Melanchthon und Camerarius den Humanismus dem Glauben unbedingt unterordneten und daß in der Religiosität beider Gelehrter, besonders aber wiederum der von Joachim (I) Camerarius, ein moralisch-ethisches, mit dem pädagogischen verwandtes Prinzip verhältnismäßig weit in den Vordergrund rückte, auf Kosten der ursprünglichen weltüberwindenden Kraft des Christentums, wie sie bei Luther noch so stark entwickelt war. 15

S. F. Stählin, Humanismus u. Reformation im bürgerlichen Raum, a. a. O. S. hierüber u. a. die sehr interessante Schrift von Joachim (I) Camerarius: Praecepta morum ac vitae accomodata aetati puerili soluta oratione et versibus quoque exposita, 1544.

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Schließlich und nicht zuletzt hatte die relative Blässe, in der die humanistische Idee sich bei Joachim (I) Camerarius darstellte, ihren Grund in der trocken-pedantischen Wesensart des Gelehrten, die immerhin so stark entwickelt war, daß sie bereits von den Zeitgenossen bemerkt und registriert wurde. Ohne Zweifel hob sich Joachim (I) Camerarius in seiner etwas schulmeisterlichen Trockenheit auch von manchen seiner nächsten Freunde und Kollegen ab, so etwa von Eobanus Hessus, an den er sich schon in seiner Erfurter Zeit eng anschloß, mit dem er dann in Nürnberg aufs neue in nahe Arbeitsgemeinschaft trat und dem er, wie es seine Hessus-Biographie dokumentiert, bis über den Tod hinaus in warmer Freundschaft verbunden blieb. Der Unterschied wird darin besonders deutlich, daß Joachim (I) Camerarius der Sinn für Satiren und pseudonyme Hervorbringungen der Zeitgenossen in weitgehendem Maße abging, soviel Wohlgefallen er auch an Satiren und Humoresken der Antike hatte. Die satirische Richtung des deutschen Humanismus, die gerade in Erfurt, also zeitweilig in seiner nächsten Nähe, durch Männer wie Crotus Rubeanus, Ulrich von Hutten und andere eine besonders starke Ausprägung fand, blieb ihm stets vergleichsweise fremd. Statt dessen war er in seinem ganzen Wirken geradezu darauf versessen, die Wahrheit zu ergründen und das ihm vorschwebende moralische Prinzip herauszustellen. Seine Freunde und Schüler schildern uns, wie er über tatsächliche oder vermeintliche Unwahrheiten in höchsten Zorn geraten konnte. Kein Zufall war es auch, daß Joachim (I) Camerarius zwar als Übersetzer von griechischen Dichtern Hohes leistete, auch mit originalen eigenen Gedichten hervortrat, daß aber trotzdem die selbständige Dichtkunst sein Schaffen nicht in dem Maß bestimmte wie das anderer Humanisten, daß er nicht zur eigentlich poetischen Richtung des deutschen Humanismus gehörte, wie sie zum Beispiel Hutten repräsentierte. Die Auffassung, die Joachim Camerarius vom Humanismus hatte, spiegelt sich in der schon im Elternhaus begründeten Gesinnung seines Enkels Ludwig Camerarius wider. Auch Ludwig Camerarius erfüllte sein Leben lang tiefe Ehrfurcht vor den Alten Sprachen. Zwar wurde er nicht zum Philologen, und sein Lateinisch und erst recht sein Griechisch ließen im Gegensatz zur Diktion seines Großvaters öfters sehr zu wünschen übrig. Immer wieder begegnet man grammatikalischen Fehlern, und die Syntax, die Ludwig Camerarius wenigstens in dem Gebrauchslatein seiner alltäglichen diplomatischen Schriftsätze anwandte, ist oft erstaunlich wenig lateinisch, sondern deutsch gedacht. Trotzdem ist es offensichtlich, daß seine Bildung in den Alten Sprachen tiefer ging als die der meisten Diplomaten seiner Zeit, und daß er besonders im weiteren Verlauf des Dreißigjährigen Krieges als einer der besten Vertreter gediegener und ausgeprägter humanistischer Bildung und Gesinnung auf den hohen Posten der europäischen Diplomatie gelten konnte. Gleichwohl, trotz seiner intensiven Beschäftigung mit den Alten Sprachen fühlte sich Ludwig Camerarius nur sehr selten bemüßigt, lateinische Gedichte zu verfassen oder sich anderweitig in gebundener Form auszudrücken17. Hierzu war er von Anfang an zu schwerfällig und zu knöchern. 17

Während zum Beispiel seine späteren Kollegen in der pfälzischen Regierung, Andreas Pawell und Johann Joachim von Rusdorf, häufiger lateinische Gelegenheitsgedichte verfaßten, ob-

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Zwar hatte er sicher ein gewisses Verständnis für die Lebendigkeit der Antike, für die Macht und Eleganz ihrer Poesie. Seine publizistische Prosa beweist das. Doch das ursprünglich Überschäumende, das die humanistischen Poeten in Deutschland erfüllte, war Ludwig Camerarius fast noch fremder als seinem Großvater. Auch für ihn beruhte die lebenerneuernde Kraft der Antike nicht so sehr in der unmittelbaren Berührung mit ihrer Schönheit als in einem mehr theoretischen Prinzip. Auch bei ihm verblaßte im Vergleich mit dem Fühlen früherer Humanistengenerationen das humanistische Erlebnis. War die Emotion also in mancher Hinsicht vergleichsweise schwach, so hinderte das nicht, daß sie bei Ludwig Camerarius gleichzeitig doch überaus tief ging. Die Überzeugung von der veredelnden Wirkung der Alten Sprachen, von der Vorbildlichkeit der Antike, soweit man sie unter die christliche Religion stellte, von der daraus herfließenden Notwendigkeit, sie zu studieren, wurde zu einem der Fundamente seiner Geistigkeit. Vor allem aber beherrschte ihn – und hierin besonders zeigt sich das Theoretische seiner Auffassung – die humanistische Idee von der Möglichkeit einer allmählichen Besserung der Menschheit, das Prinzip, durch beharrliche Unterweisung und Überzeugung die Entwicklung in der wünschenswerten Weise zu lenken. Dieser zutiefst pädagogischen Maxime diente Ludwig Camerarius in der Diplomatie mit gleicher Beharrlichkeit wie sein Großvater im Erziehungs- und Bildungswesen. Er tat es mit Hingebung und gleichzeitig mit einem hohen Maß von Pedanterie. Sie trat bei ihm noch um vieles mehr in Erscheinung als bei Joachim (I) Camerarius, sei es, weil die Veranlagung hierzu an sich bei Ludwig Camerarius größer war, sei es, weil die humanistische Verbesserungsidee sich der Politik schwerer mitteilen ließ als dem Erziehungswesen. Jedenfalls haftete der humanistischen Gedankenwelt von Ludwig Camerarius stets eine gewisse Enge an, und es scheint, daß für diese Enge, die ihn im Alter daran hinderte, sich von den Vorstellungen seiner Jugend zu lösen, bereits in Nürnberg der Grund gelegt wurde. So bemerkbar bei Ludwig Camerarius im Laufe seines langen Lebens also eine gewisse Blaßheit und Pedanterie seiner humanistischen Auffassung wurden, ist doch unleugbar, daß trotzdem seinen Bemühungen, den Humanismus in der europäischen Diplomatie lebendig zu erhalten, große Wichtigkeit zukommt, daß die von ihm vertretene und in die diplomatische Praxis umgesetzte Form des Humanismus bedeutend war und große Züge hatte, in denen er sich ebenfalls wie in der Begrenzung seiner Geistigkeit vom Großvater beeinflußt zeigte. Unter anderem wurde bei Ludwig Camerarius die Pedanterie, die ihm in seiner humanistischen Auffassung wie in anderem eignete, bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen durch einen außerordentlichen idealistischen Schwung, der bei ihm immer wieder zum Durchbruch kam. Es war ein Beieinander, dessen an sich vorhandener Gegensatz dadurch zu keinem Bruch seiner Persönlichkeit führte, daß Elan und Pedanterie in starkem Maß aus denselben geistigen Quellen gespeist wurden, daß auch der schwunghafte Idealismus, über den Ludwig Camerarius wohl ihre humanistische Bildung nicht tiefer ging als die von Ludwig Camerarius, im Gegenteil hinter derselben in vieler Hinsicht zurückblieb.

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verfügte, zum nicht geringen Teil auf seiner humanistischen, in ihrer besonderen Ausprägung vom Großvater überkommenen Gesinnung beruhte. Es ist bemerkenswert, daß auch bei dem großen Philologen die theoretisch-didaktische Auffassung verbunden war mit einem gelegentlichen außerordentlichen Elan. Der Schwung, der Ludwig Camerarius beseelte, beruhte nicht nur auf seiner humanistischen Gesinnung. Im selben, oder vielleicht sogar in noch stärkerem Maß basierte er auf der besonderen Art seiner Gläubigkeit und der sich aus ihr ergebenden politischen Anschauung. Es ist charakteristisch für seine Persönlichkeit, daß auch seine religiöse und politische Auffassung im wesentlichen bereits im Elternhaus geprägt wurde, daß ihn auch hierin das Beispiel und der Vorgang seiner Familie bestimmten. Doch wurde im Religiösen und Politischen nicht so sehr die Haltung seines Großvaters maßgebend als vielmehr das Erleben seines Vaters und Onkels und des Freundeskreises von Joachim (II) und Philipp Camerarius. Dieses Erleben aber führte dazu, daß die verhältnismäßig irenischen und auf Erhaltung des Bestehenden abzielenden Züge in der konfessionellen und politischen ganz nach dem Vorgang Philipp Melanchthons entwickelten Anschauung von Joachim (I) Camerarius sich wandelten zu kampfentschlosseneren Ansichten, zu einer aus dem Gefühl schwerster Existenzbedrohung erwachsenden Tendenz zum Umsturz der bisherigen Verhältnisse. Aus dem relativ quietis­ tischen Philippismus wurde bei Joachim (II) und seinen Gesinnungsgenossen der ungleich kämpferischere und entschlossenere Kryptocalvinismus, und dieser Kryptocalvinismus war es, der die konfessionellen und politischen Ansichten von Ludwig Camerarius für die ganze Dauer seines Lebens schon im Elternhaus prägte. Was er dabei unmittelbar von den Ansichten von Melanchthon und Joa­chim (I) Camerarius übernahm, weil es im Kryptocalvinismus unverändert erhalten blieb, war das Bemühen, innerhalb des Protestantismus die konfessionellen Gegensätze zu überbrücken, die Einheit aller Evangelischen herzustellen und aufrecht zu erhalten. Melanchthon und Joachim (I) Camerarius trachteten besonders nach dem Schmalkaldischen Krieg diesem Anliegen mit zäher Beharrlichkeit nach. Mit Weitblick erkannten sie, daß ein möglichst festes und nahes Zusammengehen aller Protestanten eines der wichtigsten Mittel war, die protestantische Sache zu bewahren und so zu kräftigen und an Macht sowie Ausdehnung gewinnen zu lassen, daß ihre Existenz als allen Stürmen gewachsen gelten konnte, die von außen her drohten. Diese Festigung zu erreichen, war für Melanchthon und Joachim (I) Camerarius ein gleich dringendes Desiderat. Doch nach den schlechten Erfahrungen, die sie im Hinblick auf ein gewaltsames Vorgehen im Schmalkaldischen Krieg hatten sammeln können, ließen sie es sich angelegen sein, die Sicherung und eventuell allmähliche Ausweitung des Protestantismus in jedem Fall auf friedlichem Weg zu erreichen. Ihr Hauptziel war die Bewahrung des Bestehenden und der möglichst gütliche Ausgleich mit den gegnerischen Kräften. Neben dem Schock des verlorenen Glaubenskrieges waren es noch mehrere andere Momente, die den beiden Humanisten nur ein friedliches Vorgehen als vertretbar erscheinen ließen. Zwei wurden für die Entwicklung besonders wich-

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tig, in die sich Ludwig Camerarius später hineingestellt sah, und seien deshalb hier genannt. Eine gewisse Ängstlichkeit, zu der mindestens Melanchthon von Haus aus neigte, wurde gefördert durch die starke Hervorkehrung des moralischen Prinzips, die sich in seiner wie in der Religiosität von Joachim (I) Camerarius findet. Indem im Glauben beider die Überzeugung von der Möglichkeit moralisch-ethischer Vervollkommnung, die sich durch allmähliche, intellektuelle Belehrung erreichen lassen sollte, eine große Rolle spielte, war es nur natürlich, daß die kämpferische Unbedingtheit, wie sie Luther eigentümlich gewesen war, bei ihnen um einiges zurücktrat. Ferner aber wurde in dem Vierteljahrhundert nach Ausgang des Schmalkaldischen Krieges auch im katholischen Lager, wenigstens in Deutschland, die Neigung zu Ausgleich und Befriedung stark, eine Richtung, die ihren ersten Ausdruck im Augsburger Religionsfrieden von 1555 fand und sich in der Reichspolitik Kaiser Ferdinands I. (1556–64) und Maximilians II. (1564–76) fortsetzte. Die Ausgleichs- oder wenigstens doch Beschwichtigungstendenz Melanchthons und seiner Anhänger, der philippistischen Partei, bildete sozusagen das Gegenstück zu ähnlichen Bestrebungen, die von Wien ihren Ausgang nahmen. Beide, die katholische wie die protestantische Irenik, hatten nicht geringen Anteil daran, daß, nachdem die konfessionellen Gegensätze Deutschland drei Jahrzehnte aufs schwerste erschüttert hatten und ein erstes Mal in einem großen Glaubenskrieg zusammengeprallt waren, nun eine im Ganzen immerhin sechs Jahrzehnte andauernde Epoche der Befriedung eintrat, einer Beruhigung der Gegensätze, die erst die Grundlage schaffte für eine der reichsten und blühendsten Friedenszeiten, die Deutschland je erlebte. In vieler Hinsicht war der Erfolg also groß, den Melanchthon und mit ihm sowie in seiner Fortsetzung Joachim (I) Camerarius und die anderen Philippisten mit ihrem friedlich-didaktischen Bemühen um die protestantische Sache zu verzeichnen hatten. Doch andererseits zeigte es sich anfangs der Siebzigerjahre des 16. Jahrhunderts, eben in der Zeit, da Joachim (I) Camerarius zu sterben kam, endgültig, daß sich der konfessionell-politische Kurs, den der Philippismus bisher gesteuert war, kaum mit Erfolg würde weiter verfolgen lassen, daß die Wogen des kriegerischen Konfessionalismus über der auf friedliche Bewahrung ausgehenden vergleichsweise konservativen Richtung zusammenschlugen, die der Philippismus zunächst vertrat. Schon Melanchthon hatte vor seinem Tod im Jahre 1560 schwerste Enttäuschungen erleben müssen, Enttäuschungen, die es ihm selbst zu guter Letzt als fragwürdig erscheinen lassen mochten, mit seinen irenischen Tendenzen seine Ideen zum Sieg zu führen bzw. sie zu behaupten. Vornehmlich aus dem protestantischen Lager selbst, also sozusagen von innen her, waren Melanchthon und seinen Anhängern die schwersten Anfeindungen erwachsen. Die geistig enge, starr-orthodoxe Richtung des Luthertums, die eine ihrer Hochburgen an der nach dem Schmalkaldischen Krieg neu begründeten Universität Jena hatte, hatte sich mit äußerster Erbitterung gegen beide Tendenzen von Melanchthon gewandt: gegen sein Bemühen, innerhalb des Protestantismus Spaltungen zu verhindern wie gegen seine verhältnismäßige Nachgiebigkeit gegenüber den Altgläubigen und sein Streben, den konfessionellen und politischen Frieden wenn irgend möglich zu erhalten. Es war zu heftigsten Konflikten

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mit den Orthodoxen, an ihrer Spitze dem streitsüchtigen und groben Flacius Illyricus gekommen. Der daraus erwachsene Haß gegen diese eng orthodoxe Richtung des Luthertums ging so tief und wirkte auch in der nächsten Generation unter den Philippisten so nachhaltig, daß er neben dem Streben zur Überbrückung der Gegensätze unter den Evangelischen das Charakteristikum der Gläubigkeit wurde, das Ludwig Camerarius unmittelbar von seinem Großvater übernahm. So zermürbend aber auch der Kampf war, den Melanchthon am Ende seines Lebens, Ende der Fünfzigerjahre des 16. Jahrhunderts, gegen den gegnerischen Flügel der Lutheraner zu bestehen hatte, verblaßte er doch gegen die Katastrophen, die anfangs der Siebzigerjahre über den europäischen Protestantismus hereinbrachen, Schlägen, denen der Philippismus in besonderem Maß ausgesetzt war. Sie erstreckten sich jetzt nicht mehr nur auf die Differenzen innerhalb des protestantischen Lagers. Sie kamen gleichzeitig auch von außen, von der altgläubigen Seite her, die in ihrer Erneuerungsbewegung zu neuer Kraft erstarkte. Es kennzeichnet die zentrale Stellung, die die „gens Camerariorum“ innerhalb des Philippismus einnahm, die nahe Verbindung, über die sie zu den führenden Kräften eigentlich des gesamten europäischen Protestantismus verfügte, sowie die Bedeutung, die sie für die ganze evangelische Sache hatte, daß sie von allen den Ereignissen, die nach 1570 die evangelische Bewegung aufs schwerste gefährdeten, unmittelbar und empfindlich betroffen wurde. Wie dunkle Schatten lagen diese Ereignisse über dem Sterbebett von Joachim (I) Camerarius und über der Wiege seines Enkels Ludwig, für den sie offenbar zu den ersten und um so bestimmenderen politischen Eindrücken wurden, die der Knabe mit allmählich beginnendem Interesse in sich aufnahm. Als sein Bewußtsein erwachte, waren die ersten Schläge zwar schon ein paar Jahre vorüber. Doch scheint es, daß sie von seiner Familie als so schwer und tiefgehend empfunden wurden und den Kreis, dem die Camerarii angehörten, nach wie vor so heftig berührten, daß sie im Lauf der Zeit nichts von ihrer Eindrücklichkeit verloren. Vielmehr zeigte sich nach einigen Jahren erst recht, welche Veränderung und Gefährdung sie für die protestantische und hier besonders die philippistische Sache bedeuteten. Bereits 1565 trat ein Ereignis ein, das zwar nur den engeren Kreis der Familie betraf und schließlich noch gut ausging, das aber den Camerarii bereits damals die Gefahren höchst fühlbar machte, die von Seiten der alten Kirche drohten, und das wahrscheinlich die Kindesphantasie von Ludwig Camerarius nicht wenig beeindruckte: Sein Onkel Philipp Camerarius wurde 1565 auf einer Studienreise in Rom von den Inquisitionsbehörden gefangen gesetzt und kam erst nach längeren Bemühungen wieder frei18. Die Gefangenschaft eines Mitgliedes bedeutete für die Familie ein gerade noch einmal gut ausgehendes Vorspiel im Kleinen zu den Katastrophen, die in den Siebzigerjahren die Evangelischen trafen. Die Pariser Bartholomäusnacht vom 23. auf den 24. August 1572 offenbarte es allen Einsichtigen im evangelischen Lager mit aufrüttelnder Deutlichkeit, welche Gefahren trotz aller zeitweisen Erfolge dem Protestantismus in Westeuropa 18

S. Relatio vera et solida de captivitate Romana, ex falsa delatione orta, et liberatione fere miraculosa Philippi Camerarii et Petri Rieteri, in: Schelhorn, a. a. O.

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drohten, zu welcher Kraft die katholische Erneuerungsbewegung wenigstens die Vertreter der alten Lehre gebracht hatte und welche Konsequenzen sie im Notfall zu ziehen bereit war. Die Pariser Bluthochzeit mußte als ein drohendes Zeichen dafür genommen werden, daß der Katholizismus in der neuen Ausprägung, die er durch die Gegenreformation erfahren hatte, entschlossen war, sich mit den Gewinnen der Protestanten und den eigenen Verlusten nicht abzufinden. Alles, was seit der Zeit des Schmalkaldischen Krieges von katholischer wie protestantischer Seite geschehen war, um die durch die Glaubenstrennung neu geschaffenen Verhältnisse zu konsolidieren und Wege zu gehen, auf denen trotz der konfessionellen Scheidung ein friedliches Nebeneinander möglich war, begann fraglich zu werden. Die Bartholomäusnacht versetzte dem ganzen Friedenswerk einen schweren, ja einen vernichtenden Stoß. Aufs neue und heller und verzehrender als vorher loderte das mit Mühe gedämpfte Feuer auf. Den Schwung und die dämonische Kraft, mit der die Vernichtung der Hugenotten ins Werk gesetzt wurde, empfand man weithin, und offenbar besonders im Nürnberger Elternhaus von Ludwig Camerarius, als ein Symbol für die kräfte- aber auch begabungsmäßige Überlegenheit, zu der die Ecclesia militans neuerdings gelangt war. Zwei Jahre später, im Sommer 1574, wenige Monate nach dem Tod von Joa­ chim (I) und anderthalb Jahre nach der Geburt von Ludwig Camerarius traf die Philippisten ein zweiter Schlag, der sie fast noch unmittelbarer berührte als das Fanal, das in der Bartholomäusnacht der neu erstarkte Katholizismus angesteckt hatte. Diesmal kam der Stoß von innen her, aus dem evangelischen Lager selbst. In Kursachsen, das bisher die Hochburg der philippistischen Richtung des Luthertums dargestellt hatte, gelangten die Orthodoxen zur Herrschaft. Von dem Verdacht beseelt, die Philippisten könnten das Land calvinisch machen wollen, ließ Kurfürst August (1553–86) alle philippistischen Ratgeber, die bisher sein unbedingtes Vertrauen genossen hatten, fallen – zum Teil kamen sie elend im Gefängnis um – und ergriff Maßnahmen, die nicht nur innerhalb der kursächsischen Regierung, sondern auch in der Kirche und an den beiden Landesuniversitäten die melanchthonianische Richtung aufs äußerste zurückdrängten. Statt dessen gelangten wie bisher schon im benachbarten Thüringen und in zahlreichen anderen evangelischen Territorien nun auch in der Vormacht des deutschen Protestantismus die Orthodoxen zur Herrschaft und triumphierten über die „Kryptocalvinisten“, wie die Anhängerschaft Melanchthons von ihnen bezeichnet wurde. Die Niederlage wurde um so vernichtender, als zwei Jahre später, 1576, auch in der Pfalz, die bisher zum reformierten Bekenntnis tendiert hatte, das orthodoxe Luthertum den Sieg davon trug. Der neue Kurfürst Ludwig VI. (1576–83) setzte mit einem Schlag einer mehr als fünfzehnjährigen Entwicklung ein Ende, in der, nachdem Kurfürst Friedrich II. (1544–56) sich 1546 für die neue Lehre entschieden hatte, immer mehr anstelle des strengen Luthertums die großzügigere Auffassung Melanchthons an Boden gewann und bald neben dem Philippismus und unter ausdrücklicher Billigung desselben auch die Lehren von Zwingli und Calvin Verbreitung fanden. Die Tendenz der Philippisten, die dogmatischen Gegensätze innerhalb des evangelischen Lagers nach Möglichkeit zu nivellieren,

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fand somit hier besonders früh einen drastischen und für die spätere Entwicklung des Melanchthonianismus zum Calvinismus hin überaus folgenreichen Ausdruck. Friedrich II. und sein Nachfolger Ott-Heinrich (1556–59) bekannten sich für ihre Person noch zu der Auslegung, die Melanchthon dem System Luthers gab, erwiesen aber den Anhängern der Schweizer Reformatoren weitestgehende Duldung und Förderung. Friedrich III. (1559–76) trat 1560 auch offiziell zu dem Genfer Bekenntnis über, was jedoch in wesentlicherer Weise die Stellung der Philippisten nicht schmälerte. Vielmehr übten sie nach wie vor in Gemeinschaft mit den Reformierten den maßgeblichen Einfluß über Kirche, Universität, Schulen und Verwaltung aus. Man begreift deshalb, welche Erregung es verursachte, als im Verlauf von nicht viel mehr als einem halben Jahr, im Winter 1576 und in der ersten Hälfte des Jahres 1577, die reformierten und philippistischen Geistlichen, Räte und Lehrer in der Pfalz beseitigt und durch strenge Lutheraner ersetzt wurden. Es war ein Triumph des orthodoxen Luthertums, wie es einen solchen noch nicht erlebt hatte. Der Philippismus und die reformierte Kirche waren in Deutschland in gleicher Weise in ihrem Bestand aufs ernstlichste bedroht, eine Bedrohung, die sie einander noch weiter als bisher annäherte und damit die Grundlage schaffen half, daß Ludwig Camerarius später der Übergang vom Melanchthonianismus zum erklärten Calvinismus eine ziemlich schwierigkeitslose Selbstverständlichkeit wurde. Daß die so erwachsene Bedrohung nicht nur eine Lebensgefahr für den einen Flügel des deutschen Protestantismus, sondern für die evangelische Sache schlechthin bedeutete, entschied sich ebenfalls 1576. Vierzehn Tage, bevor Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz starb, verschied kaum fünfzigjährig am 12. Oktober 1576 Kaiser Maximilian II., der Neffe Karls V., der Vetter und gleichzeitige Schwager Philipps II. von Spanien. Beschwörend und drohend hatten über seinem Leben die Worte gestanden, die sein Vater, Kaiser Ferdinand I., in sein Testament gesetzt hatte: „Gott weiß, daß mir auf Erden kein größeres Leid geschehen könnte, als daß Ihr, Maximilian, mein ältester Sohn, der am meisten zu regieren haben wird, von unserer Religion abfielet“19. Maximilian hatte diese Mahnung beherzigt. Er hatte es vermieden, offiziell zu der neuen Lehre überzutreten und nichts getan, die enge politische und familiäre Verbindung zu Spanien zu lösen, sondern sie im Gegenteil eher noch verstärkt. Andererseits aber war nicht daran zu zweifeln gewesen, daß Maximilian für seine Person die Augsburger Konfession vor dem Katholizismus bevorzugte. Er umgab sich mit protestantischen Geistlichen und vermied tunlichst katholische Zeremonien. Auch in seinen Erblanden förderte Maximilian das Luthertum mit vorsichtiger Zähigkeit. Derselben Unterstützung durch den Kaiser konnten sich zwar die evangelischen Stände auf den Reichstagen nicht erfreuen. Hier bestimmte Maximilian bereits wieder allzu sehr die Rücksichtnahme auf den spanischen Vetter und die anderen katholischen Bundesgenossen sowie das Streben, in der großen Politik nicht aus den von Vater und Onkel vorgezeichneten Linien herauszulenken. Immer aufs neue sahen sich deshalb die Protestanten während Maximilians Regierung enttäuscht. Doch 19

Zitiert nach Brandi, Reformation u. Gegenreformation, a. a. O. 357.

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wenngleich Maximilian II. sich scheute, durch Neuerungen den Evangelischen die erwünschten Sicherheiten im Rahmen der Reichsverfassung zu schaffen, vermied er es mit eben solcher Entschiedenheit, irgendwelche Schritte zu unternehmen, um die evangelischen Reichsstände aus ihrer einmal eroberten Stellung wieder zu verdrängen. Maximilian war vielmehr ganz der Mann des Ausgleichs, wie es seiner liebenswürdigen und friedfertigen Natur so sehr entsprach. Der Augsburger Religionsfriede von 1555, der von seinem Vater abgeschlossen und getreulich gehalten worden war, weil Ferdinand I. aus politischen Erwägungen heraus die religiöse Befriedung Deutschlands für notwendig hielt, war Maximilian gleichzeitig auch Sache des Herzens und des persönlichen Seelenfriedens. Er konnte sein im tiefsten gespaltenes Leben, das persönliches Luthertum mit politischer Anhängerschaft an Spanien und die anderen katholischen Mächte verband, nur führen, wenn der Religionsfriede im Reich gewahrt blieb. Solange aber Fürsten wie Ferdinand I. und Maximilian II. an der Spitze des Reiches standen, hatten die irenischen Hoffnungen, die Melanchthon und seine Vertrauten in sich genährt hatten, zweifellos ihre Berechtigung. Das frühe Ableben Maximilians II. – einer jener vorzeitigen Todesfälle, von denen in entscheidenden Augenblicken der Protestantismus mehrfach betroffen wurde – beraubte diese Friedenspolitik eines guten Teils ihrer Erfolgsaussichten. Wohl war es noch ein weiter Weg, der über Maximilians Söhne Rudolf II. und Matthias sowie des letzteren friedfertigen Minister Klesl zu Kaiser Ferdi­nand II. und dem bedingungslosen Kampfeseifer führte, der ihn beseelte. Allein wenngleich bei Rudolf II. und seinen Ratgebern die Ferdinand II. auszeichnende Bereitschaft, bis zu den letzten Konsequenzen zu gehen, sich noch keineswegs finden läßt, war es doch deutlich eine neue Generation, die 1576 die Geschicke des Reiches in die Hand nahm. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, da in Wien und Prag ebenso wie im übrigen katholischen Deutschland Persönlichkeiten in die entscheidenden Positionen einrückten, die bereits im kämpferischen Geist der katholischen Erneuerungsbewegung erzogen worden waren. Ohne Zweifel bedeutete für sie der Augsburger Religionsfriede von Anfang an nicht mehr das, was er ihren Vätern und Großvätern gewesen war. Damit verringerte sich in Deutschland wie kurz vorher in Frankreich die Möglichkeit einer friedlichen Lösung immer mehr, und immer krasser trat die düstere Dynamik der gegenreformatorischen Zeit hervor. Mit jedem Jahr wurde von nun an jener tiefe damals im Reich herrschende Gegensatz fühlbarer zwischen der Atmosphäre blühenden Wohlstandes, der Stimmung einer reichen Friedensepoche, wie sie Deutschland eigentlich nur in den vier Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg noch einmal erlebte, und der nicht mehr überbrückbaren konfessionell-politischen Spannung, die seit der Mitte der Siebzigerjahre mit einer gewissen Notwendigkeit zu offenem Konflikt und zu einem Krieg führen mußte, dessen Ausmaße auch im entferntesten nicht abzuschätzen waren. Es war die für die Jugend und Entwicklung von Ludwig Camerarius charakteristische Stimmung einer üppigen Hochsommerlandschaft, über der langsam, aber unaufhaltsam ein Gewitter heraufzieht, das um so vernichtender werden muß, je fruchtbarer und sonnendurchglühter die Landschaft ist, über der es sich entlädt. Alle Parteien sahen das Unwetter

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mit schwerer Sorge kommen. Begreiflicherweise jedoch war die Sorge bei dem politisch weitblickenden Teil der Protestanten besonders groß; denn sie mußten sich nach den Ereignissen, die das letzte Viertel des 16. Jahrhunderts eingeleitet hatten, darüber im klaren sein, daß sie nicht wie die katholische Partei vermocht hatten, ihre Stellung zu festigen, sondern daß sie schwächer denn je waren, eben jetzt, da das Unwetter heraufzuziehen begann. Die Bedrohung wurde von den Camerarii in ihrem ganzen Umfang erkannt. Die nächsten Freunde der Familie waren von den Katastrophen unmittelbar getroffen worden, und in aufrüttelnder Lebendigkeit gelangten deshalb die Nachrichten in das Nürnberger Gelehrtenhaus. Von der Bartholomäusnacht erhielt man ein schrecklich-deutliches Bild von Hubert Languet, einem der Lieblingsschüler von Joachim (I) Camerarius, der sich als kursächsischer Agent in Paris aufhielt und selber nur mit Mühe dem Morden entging. – Ludwig Camerarius war es, der vierundsiebzig Jahre später, als alter Mann, seine Briefe herausgab. – Auch mit anderen Hugenotten, von denen der bedeutendste Duplessis-Mornay war, stand Joachim (II) Camerarius in direkter Verbindung. Noch unmittelbarer fast war der Kontakt zu dem verhängnisvollen Geschehen in Kursachsen, von dem das Haupt der Camerarii, Joachim (I), wahrscheinlich nur deshalb nicht selbst betroffen wurde, weil er wenige Monate vor Vernichtung des Philippismus starb. Um so schwerer traf dafür das Schicksal seine guten Bekannten, den kursächsischen Geheimen Rat Georg Cracau, den Leibarzt des Kurfürsten August Dr. Peucer und den Dresdner Hofprediger Schütz. Eng scheinen auch die gelehrten Beziehungen gewesen zu sein, über die Joachim (II) Camerarius nach Heidelberg verfügte, so daß er auch über die hier 1576 eintretenden Veränderungen ein klares Bild erhielt. Neben anderen berichtete ihm besonders Wolfgang Zündelin über das Schicksal, das die Philippisten betroffen hatte. Mehrere Jahre hatte Zündelin in Heidelberg als Hofmeister des Pfalzgrafen Christoph gewirkt, der später im Kampf für die niederländische Unabhängigkeit auf der Mookerheide fiel. Dann war Zündelin als kurpfälzischer Agent nach Italien gegangen und sah sich nun plötzlich durch den neuen streng lutherischen Kurfürsten aus dem Dienstverhältnis entlassen20. Über die Veränderungen schließlich, die der Tod Kaiser Maximilians II. mit sich brachte, informierte Joachim (II) Camerarius vor allem Crato von Crafftheim, der philippistische Leibarzt Maximilians, der sich 1576 nach Breslau zurückzog, dann aber auch Kaiser Rudolf II. unentbehrlich war und deshalb zur Rückkehr an den kaiserlichen Hof bewogen wurde, hier jedoch bei dem wachsenden Einfluß der Jesuiten nicht wieder recht heimisch wurde. Es war also ein besonders genaues Bild, das man sich in Nürnberg über die anfangs der Siebzigerjahre des 16. Jahrhunderts eintretenden Veränderungen verschaffen konnte, und dementsprechend klar scheint auch die Einsicht in ihre Bedeutung gewesen zu sein. Damit hängt es zusammen, daß die Camerarii und ihre nächsten Vertrauten nun offenbar mit besonderer Energie die Konsequenzen aus der neuen Situation zogen. Besonders energisch beteiligten sie sich 20

S. hierüber F. v. Bezold u. F. Babinger, a. a. O.

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an der Schwenkung, die sich im Philippismus schon seit längerem angebahnt hatte und nun vollends ausgelöst wurde. Sie erkannten, daß angesichts der Erstarkung der Ecclesia militans und der Unversöhnlichkeit der orthodoxen Lutheraner der friedfertige Kurs Melanchthons, den im wesentlichen auch noch Joachim (I) Camerarius gesteuert hatte, kaum mehr Erfolgsaussichten bot, daß er angesichts der eingetretenen Existenzbedrohung nicht länger vertretbar war. Das Vertrauen darauf, daß sich auf Grund der getroffenen reichsrechtlichen Abmachungen die bestehenden konfessionellen Verhältnisse, die freie Existenz der Protestanten, würden erhalten lassen, begann abzunehmen. Damit verminderte sich auch das Streben nach unbedingter Loyalität gegenüber Kaiser und Reich, nach absoluter Wahrung des Friedens und Erhaltung der bestehenden Zustände. Bisher war Kursachsen die Hochburg der Philippisten gewesen, dessen Kurfürst August sich unbedingte Loyalität gegenüber der Hofburg angelegen sein ließ. Die Orthodoxen hingegen hatten zunächst den nach dem Verlust der Kurwürde im Schmalkaldischen Krieg unzufriedenen ernestinischen Wettinern in Thüringen zur Seite gestanden, die immer wieder mit der Möglichkeit bewaffneten Vorgehens gegen den Kaiser geliebäugelt hatten, und auch sonst hatten sie in den Fünfzigerjahren, etwa in Magdeburg, den bewaffneten Widerstand gegen die katholisch-kaiserliche Partei gefördert und organisiert und gleichzeitig gegen alle Ausgleichsbestrebungen angekämpft wie das Augsburger, aber auch das Leipziger Interim, welch letzteres Melanchthon unterstützt hatte. Nachdem das orthodoxe Luthertum nun in Kursachsen zur Herrschaft gelangt war, paßte es sich seinerseits rasch dem irenischen Zug des Kurfürsten August an und wurde hinsichtlich des Verhaltens gegenüber dem Kaiser und den Katholiken im selben Maß friedfertiger, in dem die Philippisten sich kriegerischer gesonnen zeigten. Gegenüber den anderen Richtungen des Protestantismus blieb die Rabies der orthodoxen Lutheraner hingegen die gleiche, während die Melanchthonianer und mit ihnen die Camerarii ihrerseits sich nicht nur von der absoluten Loyalität gegenüber dem Kaiser abzuwenden begannen, sondern sich auch noch weiter als bisher von der lutherischen Orthodoxie distanzierten. Statt dessen suchten sie noch stärkeren Anschluß als bisher bei den Reformierten, vor allem den Calvinisten im Westen des Reichs und Europas. Es begann das allmähliche Aufgehen des Philippismus im Calvinismus, ein Vorgang, der schon seit langem vorbereitet lag, unter anderem in der intellektuellen Auffassung des Glaubens, die Melanchthon und seine Schule den Ansichten Calvins nahe brachte. Die Annäherung an den Calvinismus aber mußte den Kreis, dem Joachim (II) Camerarius und seine Familie zugehörten, in seinem Abrücken von der bisherigen Irenik und dem unbedingten Festhalten am Augsburger Religionsfrieden noch bestärken. Waren die Calvinisten doch in diesen Frieden nicht eingeschlossen. Sie genossen für ihre Religionsübung nicht die reichsrechtliche Sanktionierung, die den Lutheranern zuteil geworden war, und wenn de facto gleichwohl die in Augsburg seitens des Kaisers und der katholischen Reichsstände ausgesprochene Anerkennung der Lutherischen in wichtigen Fällen auch auf sie Anwendung gefunden hatte, befanden sie sich doch in vieler Hinsicht in der

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unzufriedenen Stimmung rechtlicher Parias und waren deshalb von vornherein weniger friedlich gesonnen. Hinzu kam noch, daß die westdeutschen Calvinisten in enger Verbindung mit ihren Glaubensgenossen in Frankreich und den Niederlanden standen, die sich in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts bereits in offenem Krieg gegen ihre katholischen Oberherren befanden. Das stärkte nicht nur bei den Calvinisten im Reich den kriegerischen Geist, es weitete auch ihren politischen Blick und ließ sie die Einheit der evangelischen Sache in ganz Europa empfinden. Diese Wandlungen, die sich während seiner frühen Jugend vollzogen, prägten sich tief in die Geistigkeit von Ludwig Camerarius ein. Die Katastrophen der Siebzigerjahre und die daraus folgenden Konsequenzen für die politische Haltung der Anhängerschaft Melanchthons bestimmten seine Entwicklung ebenso, ja sogar noch in stärkerem Maß als die besondere Auffassung des Humanismus, die er von Joachim (I) Camerarius übernahm. So kam es, daß sich in der Persönlichkeit von Ludwig Camerarius bereits in seinen Jugendjahren mit einer einerseits sehr tief gehenden, andererseits etwas blaß-theoretischen humanistischen Gesinnung, mit der Anhängerschaft an ein relativ empfindsames pädagogischschöngeistiges Prinzip in konfessionell-politischer Beziehung eine verhältnismäßig weitgehende Kampfentschlossenheit verband, daß gleichzeitig zu der Atmosphäre des Reichtums und der ruhigen Gelehrsamkeit das Gefühl äußerster Bedrohtheit trat, die Überzeugung von der Möglichkeit, ja Notwendigkeit, eines Tages mit dem Einsatz der ganzen Existenz um die Lebensform kämpfen zu müssen, die ihm von Anfang an unverändert durch sein ganzes Leben hindurch als die einzig lebenswerte erschien. Die Erlebnisse und die Erziehung der Jugend schafften also in Ludwig Camerarius eine Grundhaltung, die in mancher Hinsicht der Gegensätzlichkeit nicht entbehrte. Diese Gegensätzlichkeit aber wurde überbrückt durch die tiefe Religiosität, die sowohl seinen relativ zarten und gleichzeitig etwas pedantisch-knöchernen Humanismus wie seine schwunghafte und aufs äußerste gehende politische Vorstellungswelt erfüllte. Es war, wie sich uns später des Näheren zeigen wird, ein Glauben, der ursprünglich ganz auf der Auffassung Melanchthons basierte, jedoch gehärtet war durch gewisse calvinische Grundsätze, der ferner als wesentliches Charakteristikum bei aller Tiefe eine gewisse naive Kindlichkeit und eine Abneigung gegen alle dogmatischen Differenzierungen aufwies. Die politischen Eindrücke der ersten Kindheit wurden für Ludwig Camerarius um so bestimmender, als sie in seinem neunzehnten Lebensjahr sich insofern noch einmal wiederholten, als in Kursachsen aufs neue eine Verfolgungswelle gegen die Kryptocalvinisten einsetzte. Die 1576 beziehungsweise 1574 beginnende Unterdrückung der Philippisten und Calvinisten in der Pfalz und in Sachsen hatte in dem rheinischen Kurfürstentum 1583 ein Ende gefunden, als Kurfürst Ludwig VI. starb und sein Bruder, der bedeutende Pfalzgraf Johann Kasimir die Regentschaft für den bis 1592 unmündigen Friedrich IV. übernahm. Johann Kasimir aber war calvinisch geblieben und beeilte sich nun, die alten Verhältnisse in dem rheinischen Kurfürstentum wieder herzustellen. Gleichzeitig lenkte er wieder in die großzügigen, auch vor kriegerischen Verwicklungen nicht zurück-

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schreckenden politischen Bahnen des westlichen Calvinismus ein und hatte die Genugtuung, auch in dem bisher so friedfertigen Sachsen Unterstützung bei der Ausführung seiner großen politischen Konzeptionen zu finden, nachdem Kurfürst August 1586 gestorben war. Hier führte unter Kurfürst Christian I. der Kanzler Nicolaus Krell, einer der fähigsten Politiker des deutschen Protestantismus dieser Zeit, die sächsische Politik aus der ängstlichen und kleinlichen unbedingten Loyalität gegenüber dem Kaiser heraus zu Zielen und Maßnahmen, die endlich wahrhaft geeignet waren, den drohenden Gefahren zu begegnen. Gleichzeitig gelangte im ganzen Kurfürstentum der Philippismus wieder allmählich zu Ehren, und wenigstens im Politischen war eine Hinneigung zum Calvinismus offensichtlich. Eine Konstellation begann sich abzuzeichnen, von der sich Großes für den deutschen Protestantismus hoffen ließ. Da machte in Sachsen ein zweites Mal ein plötzlicher Schlag alles zunichte. Christian I. starb unvermutet bereits 1591. Die orthodoxe Richtung triumphierte daraufhin aufs neue. Die sächsische Politik lenkte in das kaiserliche Fahrwasser zurück. Krell wurde seiner Ämter entsetzt und ins Gefängnis geworfen. Zehn Jahre später, 1601, fiel sein Kopf auf dem Jütenhof in Dresden21. Alles dies war deshalb von besonderem Einfluß auf Ludwig Camerarius, weil er sich offenbar gerade in dieser Zeit für die juristische Laufbahn entschloß und anscheinend verhältnismäßig bald hierbei politische Ambitionen spürte. Während sein Bruder Joachim (III) in die Fußstapfen des Vaters trat und Mediziner wurde, studierte Ludwig, nachdem seine gymnasial-humanistische Grundausbildung beendet war, die Rechtswissenschaft zunächst vornehmlich an den hohen Schulen von Altdorf, Helmstedt und Leipzig, wo er Gelegenheit hatte, die Verhältnisse in Sachsen aus unmittelbarer Anschauung kennen zu lernen. Darauf wandte er sich, entsprechend der Sitte der Zeit, beim Studium auch das Ausland aufzusuchen, nach Italien und setzte hier seine Studien fort. Schließlich ging er an die Universität Basel und wurde hier 1597 zum doctor juris utriusque promoviert. Er erwarb also den damals hohen akademischen Grad, der ihm ohne weiteres die wissenschaftliche Laufbahn eröffnet hätte, der ihm aber gleichzeitig auch den Aufstieg zu höchsten Regierungsstellungen in fürstlichem Dienst möglich machte. Daß Camerarius nach letzteren strebte, darauf wies bereits seine noch 1597 erfolgende Übersiedelung an das Reichskammergericht in Speyer hin, an dem in einer schon ins Politische hinüberreichenden Tätigkeit viele der maßgebenden deutschen Politiker der Zeit ihre Laufbahn begannen, unter anderem auch der spätere bayrische Gegenspieler von Camerarius, Wilhelm Jocher. Die Tätigkeit in Speyer dachte sich Camerarius offensichtlich von vornherein nur als Übergang. Für 1598 plante er eine längere Reise nach Frankreich. Sie sollte zum einen seinen Gesichtskreis erweitern; denn trotz seines Aufenthaltes in Italien und der Schweiz war Camerarius für die Maßstäbe des reiselustigen 16. Jahrhunderts, die wenigstens in den Kreisen des höheren Gelehrtentums und Adels herrschten, noch nicht eben weit herumgekommen. Gleichzeitig wollte 21

Über den Eindruck, den die Vorgänge in Sachsen von 1574, 1591 und 1601 auf Ludwig Camerarius machten, s. u. a. die Vorrede zu seiner Ausgabe der Briefe des Hubert Languet, a. a. O.

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er in Frankreich seine Sprachkenntnisse erweitern und sich die Kenntnis des Französischen aneignen, das in der Diplomatie dem Lateinischen gegenüber in allmählichem Vordringen war. Da aber, kurz bevor die Reise angetreten wurde, ergab sich für den erst Fünfundzwanzigjährigen die ehrenvolle Gelegenheit, bereits in die Dienste eines der mächtigsten deutschen Fürsten, des Kurfürsten Friedrich IV. von der Pfalz, einzutreten. Es war nur natürlich, daß Camerarius diese Möglichkeit ergriff, wenn sie auch bewirkte, daß er nie mehr dazu kam, seine Bildungslücke zu schließen und das Französische zu erlernen, daß vielmehr seine Bildung hinfort ganz den einseitigen Stempel des Humanistischen trug.

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III. Kap itel

In pfälzischem Dienst Joachim (II) Camerarius wurde 1598 zu Kurfürst Friedrich nach Neumarkt in der Oberpfalz berufen. Obwohl Friedrich IV. damals erst vierundzwanzig Jahre zählte, war seine an sich schon nicht kräftige Konstitution durch den üppigen Lebensstil der Zeit, dem er sich mit besonderer Intensität hingab, bereits so mitgenommen, daß er den Rat des bekannten Nürnberger Arztes in Anspruch nehmen mußte. Joachim Camerarius benützte die Gelegenheit, dem Kurfürsten seinen Sohn zu präsentieren. Es scheint, daß Friedrich an dem mit ihm etwa gleichaltrigen Ludwig Camerarius Gefallen fand. Ferner wirkte das wissenschaftliche Ansehen, das die Familie genoß. Auch die Dienstbeziehungen von Gottfried Camerarius, dem Onkel von Ludwig Camerarius, zum pfalzgräflichen Haus mochten das Ihre tun. Jedenfalls war der Kurfürst rasch bereit, Ludwig Camerarius eine Stelle in Heidelberg zu übertragen1. Noch im selben Jahr trat dieser seinen neuen Posten an. Er erhielt zunächst den Rang eines Rates und Beisitzers am Obersten Hofgericht, dem damals der geistvolle Hippolyt von Colli schon mehrere Jahre vorstand2. Das Gerichtswesen wurde wie in Speyer das Feld, auf dem er sich in der ersten Zeit seines Wirkens in Heidelberg vor allem zu betätigen hatte. Doch mehr und mehr zog man ihn in den folgenden Jahren auch zu außenpolitischen Geschäften heran, eine Entwicklung, die ihren Abschluß fand mit seiner Aufnahme in den kurpfälzischen Oberrat 1603 oder 16043. Vorwiegend finden wir ihn von nun an in der Außenpolitik tätig, der er offenbar von vornherein konsequent zugestrebt war, so daß ihn weder der Beruf des Wissenschaftlers noch der des hohen Richters von diesem Ziel abbringen konnte. Das Glückliche, das seiner Begabung eigentümlich war, kommt hier zum Ausdruck. Es zeigt sich darin, daß Camerarius allem Anschein nach von Anfang an über sein eigentliches Berufsund darüber hinaus Lebensziel im klaren war, trotz der Vielfalt von Kenntnissen und Fertigkeiten, über die er verfügte. Wird diese Klarheit bereits in dem konsequenten Hinstreben auf den Beruf des Politikers und Diplomaten deutlich, so offenbart sie sich nicht weniger in der 1

Die Ernennung trägt das Datum vom 24. 3. 1598, s. BGLA Ka., Abt. 67, Kopialbuch 860, 379 f. Die Ernennungsurkunde sieht von vornherein vor, daß Camerarius gleichzeitig als Rat und Beisitzer am Hof- und Ehegericht und daneben auch als Rat und Diener für außenpolitische Geschäfte Verwendung finden sollte. 3 S. Christian von Anhalt an Camerarius, 16. 5. 1604, LSA, A 9a. Ein entsprechender Vermerk in den kurpfälzischen Dienerbüchern fehlt. Doch sind auch in anderen Fällen die Dienerbücher nicht vollständig, s. a. M. Ritter, Artikel Camerarius in der Allgemeinen Deutschen Biographie. 2

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Wahl der Staaten, für die Camerarius im Lauf seines Lebens in diplomatischen Funktionen wirkte. Gewiß war es zum Teil Zufall, daß er 1598 gerade in kur­ pfälzischen Dienst trat und später, in der zweiten Lebenshälfte, als schwedischer Gesandter und Botschafter arbeitete. Zum Teil aber beruhte der Umstand, daß er sich den Interessen dieser beiden Länder widmete, auch darauf, daß die von der Pfalz und Schweden verfolgte Politik seiner Gesinnung in besonderem Maß entsprach. Denn nicht nur die Politik an sich scheint Camerarius von vornherein gefesselt zu haben. Vielmehr lag ihm offenbar von Anfang an daran, in der Diplomatie jenen Anliegen dienen zu können, die seine Erziehung beherrscht hatten. Neben die Klarheit der beruflichen Zielsetzung stellte sich das für ihn sein Leben lang charakteristische Beharren bei den bestimmenden Eindrücken seiner Jugend, das ihn stets erfüllende Streben, den Desideraten nachzutrachten, unter deren Zeichen im Elternhaus seine Entwicklung gestellt worden war. Zur Befriedigung dieser Anliegen aber hätte ihm eine Tätigkeit als reichsstädtischer Politiker, etwa im Dienst von Nürnberg, wozu vielleicht Gelegenheit gewesen wäre, nur begrenzte Möglichkeiten geboten, ebenso wie die Wirksamkeit als Rat eines kleineren oder eines quietistisch-lutherischen Fürsten. Sein humanistisches Bildungsideal zwar hätte er auch als Politiker dieser Reichsstände weiterentwickeln, seine konfessionell-politischen Wünsche jedoch schwerlich verwirklichen können. Wenn diese Wünsche, wie es scheint, ebenfalls schon vom Beginn seiner Laufbahn an von sehr weitgehender Art waren, so kam es daher, daß sich mit der Überzeugung, der aktive Protestantismus sei aufs äußerste bedroht und könne nur durch groß angelegte Maßnahmen gerettet werden, und mit der Camerarius ebenfalls durchs Elternhaus vermittelten Einsicht in die Möglichkeit länderumspannender Beziehungen, wie sie im Gelehrtentum des 16. Jahrhunderts üblich waren, ein aufs Höchste gerichtetes Streben verband. Dieses Streben aber floß nicht so sehr aus seiner Erziehung als vielmehr aus seiner Veranlagung her. Es äußerte sich in einem überaus starken persönlichen Ehrgeiz und einer Neigung, Politik großen Stils zu treiben, zwei Anliegen, die sich im Dienst eines mächtigen und aktiven Kurfürsten wahrscheinlich sehr viel besser befriedigen ließen, als bei einem kleineren oder ruhiger gesonnenen Reichsstand. Politische Konstellationen zustande zu bringen, die zu einer wirklichen Sicherung der evangelischen Sache führten, und damit notwendigerweise eine Diplomatie weitesten Formats, das war, wenn er es auch zunächst nicht aussprach, ja sich dessen vielleicht selber nicht voll bewußt wurde, von Anfang an das eigentliche Ziel von Camerarius. Sein politischer Idealismus hing mit diesen Anliegen eng zusammen, und seine Fähigkeit, anzuregen, zu kombinieren und große Pläne zu schmieden, konnte ihnen in vorzüglicher Weise dienen. Die Politik keines Fürsten in Deutschland aber entsprach des Camerarius Möglichkeiten und Zielen so wie die des Kurfürsten von der Pfalz. In keiner anderen Regierung konnte er seine Anliegen so befriedigen wie in der pfälzischen, nirgends sonst seine Fähigkeiten so voll entfalten wie hier. Für die Ausreifung der charakteristischen und bedeutenden Momente seiner Persönlichkeit und damit für seine Entwicklung zu einem Diplomaten von Format war daher sein früher Eintritt in pfälzischen Dienst zweifelsohne ein Glück, obwohl andererseits

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der Geist des Heidelberger Hofes auch alle jene Eigenschaften von Camerarius verstärken half, die seinen Qualitäten Grenzen setzten und ihn als Staatsmann schließlich in mancher Hinsicht scheitern ließen. Als Camerarius 1598 pfälzischer Rat wurde, folgte die Heidelberger Politik in allmählich wachsendem Maße schon seit fast vierzig Jahren den Tendenzen, denen seine persönlichen Absichten und Fähigkeiten so außerordentlich entsprachen. Unter dem bereits erwähnten Friedrich III. (1559–76), der sich als erster pfälzischer Kurfürst ausdrücklich für die von Calvin geprägte Form des Protestantismus entschied, war die Pfalz nicht nur in religiöser, sondern auch in politischer Hinsicht zur Vormacht des Calvinismus in Deutschland geworden. Friedrich III. betrieb als erster pfälzischer Kurfürst im Reformationszeitalter bewußt und aktiv große europäische Politik und begründete die Stellung seines Landes im Konzert der bedeutenden europäischen Mächte. Trotzdem war in seinem Trachten die Rücksicht auf seine geringen Machtmittel noch überaus stark. Sie veranlaßte ihn zu weitgehender Vorsicht und zu dem ständigen Bemühen, seine Maßnahmen in einem einigermaßen proportionalen Verhältnis zu seinen materiellen Mitteln zu halten. Hierin trat eine gewisse Änderung unter Friedrichs III. zweitem Sohn, dem Pfalzgrafen Johann Kasimir ein, der nach der lutherischen Reaktion unter Kurfürst Ludwig VI. (1576–83) dem Calvinismus in der Pfalz neuerdings und endgültig zum Sieg verhalf, als er von 1583 bis 1592 die Regentschaft für seinen noch unmündigen Neffen, Kurfürst Friedrich IV., führte. Die außenpolitische Richtung blieb zwar durchaus dieselbe wie unter Friedrich III. Doch die bisher so konsequent beobachtete Bedachtsamkeit und Rücksichtnahme auf die vorhandenen Mittel ging unter Johann Kasimir verloren. Seine Ziele waren sehr viel weiter gesteckt als die seines Vaters, und er verfolgte sie mit einer etwas unsteten Kühnheit, der neben einer beachtlichen Größe der Konzeption und einem höchst beweglichen Erfassen der Gelegenheiten ein stark abenteuerlicher Zug nicht abzusprechen war. Immer wieder versuchte Johann Kasimir, die Glaubensgenossen in den Niederlanden und Frankreich aktiv zu unterstützen. Er bemühte sich ferner vergeblich, den 1583 zum Protestantismus übergetretenen Kölner Erzbischof Gebhard Truchseß von Waldburg im Besitz seiner Länder zu halten. Dafür arbeitete er in den folgenden Jahren unermüdlich an einem großen protestantischen Bündnis, zu dem der Regierungsantritt des ursprünglich calvinischen und den evangelischen Bestrebungen stets nahe stehenden Heinrich IV. von Bourbon in Frankreich im Jahre 1589 und der schon erwähnte Übergang zu einer aktiven protestantischen Politik in Sachsen unter Kurfürst Christian I. (1586–91) und seinem bedeutenden Kanzler Nicolaus Krell die Gelegenheit bot. Vergleichsweise starr und vorsichtig wirkten demgegenüber wiederum die Maßnahmen des Gremiums der Oberräte, das nach Johann Kasimirs Tod im Jahre 1592 für den im selben Jahre erst mündig werdenden Friedrich IV. die Regierungsgeschäfte erledigte. Die Ober- und Geheimen Räte blieben der Richtung Johann Kasimirs zwar treu. Sie kamen ihm aber weder an Wagemut noch an Wendigkeit gleich. Dafür legten sie ein hohes Maß von Festigkeit an den Tag und zeigten sich in vieler Hinsicht stetiger als der Pfalzgraf. Ihrer Haltung kam um

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so größere Bedeutung zu, als Friedrich IV. sich auch in den folgenden Jahren im wesentlichen von ihnen führen ließ, wenn auch nach neueren Forschungen sein persönlicher Anteil an der Regierung etwas größer war, als früher angenommen wurde. Da später auch sein Sohn Friedrich V. (1610 bzw. 1614–32) sich in sehr viel stärkerem Maß als viele andere Fürsten seiner Zeit der geistigen Überlegenheit seiner Ratgeber beugte, wurde es von 1592 an zu einem Charakteristikum des pfälzischen Staatswesens, daß hier der Einfluß der Räte noch größer war als in vielen anderen Ländern. Die leitenden pfälzischen Regierungsmitglieder hatten somit für die deutsche und darüber hinaus die europäische Politik eine besondere Bedeutung, und an dieser Bedeutung sollte Camerarius bald teilhaben. Gelang es ihm doch offenbar rasch, das Vertrauen der maßgebenden Heidelberger Politiker zu gewinnen. Schon seine Aufnahme in den Oberrat zeigt das, die, wie gesagt, bereits 1603 oder 1604 erfolgte. Was ihn bei seiner Übersiedelung in die Pfalz von Anfang an mit den führenden Persönlichkeiten des Heidelberger politischen Lebens verbinden und dazu beitragen mochte, ihm deren Wohlwollen zu erwerben, dürften neben dem Umstand, daß sehr viele der maßgeblichen Räte wie Camerarius keine gebürtigen Pfälzer waren, vornehmlich zwei Momente gewesen sein: Camerarius stand den Leitern der pfälzischen Politik nahe in der Art seiner Religiosität. Er fand ferner bei ihnen Anklang dank des wissenschaftlichen Ansehens seiner Vorfahren, dank seiner eigenen tiefgehenden und geschliffenen juristisch-humanistischen Bildung und dank der gelehrten Interessen, die er stets an den Tag legte. – Am Ende des Buches wird von diesen Interessen im einzelnen die Rede sein. – Verfügten doch die leitenden Räte, die er 1598 in Heidelberg vorfand, über ein hohes Maß von Bildung, ja mehrere von ihnen waren bereits als Schriftsteller hervorgetreten, so der Oberhofrichter und direkte Chef von Camerarius Hippolyt von Colli4, so Michael Löfenius und Dr. Georg Michael Lingelsheim, so auch Vollrath von Plessen aus einer ursprünglich mecklenburgischen Familie, der Übersetzungen ins Lateinische vorgenommen hatte und bis in die Jahre des niederländischen Exils ein treuer Weggenosse von Camerarius blieb5. Eine merklich über dem Durchschnitt der deutschen Regierungsgremien sich haltende feinsinnige Geistigkeit, die sich die pfälzische Regierung nicht zuletzt durch das Wirken von Camerarius bis weit in den Dreißigjährigen Krieg hinein bewahrte, war schon zur Zeit seines Eintritts in pfälzischen Dienst ein Kennzeichen der Heidelberger Räte. Diese Geistigkeit stand in einem sonderbaren Gegensatz zu dem derben Lebensgenuß, dem Kurfürst Friedrich IV. huldigte, seinen lärmenden Jagd- und Tafelfreuden und besonders den wüsten Zechgelagen, denen er mit solcher Ausgiebigkeit nachging, daß sein Hof den Ruf genoß, einer der weinseligsten in ganz Europa zu sein – was in dem trinkfreudigen 16. Jahrhundert etwas heißen wollte –, und daß Justus Scaliger spotten konnte, man tränke in Heidelberg mehr als in den vier größten Städten Frankreichs zusammen. 4



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Von Colli stammen z. B. die teils pseudonym veröffentlichten Werke: „Nobilis“ (1588), „Princeps“ (1593) und „Consiliarius“ (1596). S. hierüber im einzelnen: Freher, Theatrum, a. a. O., Jöcher, a. a. O. und Reifferscheid, a. a. O.

Von diesem Lebensstil seines kurfürstlichen Herrn hielt Camerarius ebensowenig wie die meisten anderen Räte. Um so rascher eignete er sich deshalb deren Auffassung an, daß die Räte für den Kurfürsten zu regieren und ihn zu leiten hätten, eine Ansicht, die ihn bis ans Ende seiner Dienstleistungen für die pfälzischen Wittelsbacher beherrschen sollte. Um so zielstrebiger auch suchte er Anschluß an den Kreis jener feingebildeten Diplomaten, die wiederum ihrerseits mit der Heidelberger Universität in verhältnismäßig naher Verbindung standen. – Colli hatte sogar einige Zeit an der Universität als Prorektor und juristischer Lehrer gewirkt. – Es war ein Umgang, der Camerarius in seiner Neigung bestärkte, trotz seines Übertritts in die Diplomatie seine gelehrten Fertigkeiten, seine juristischen und philologischen Kenntnisse weiter zu pflegen. Ferner mußte dieser Umgang darauf anregend wirken, daß sich das bei ihm an sich schon so stark ausgeprägte religiöse Moment immer weiter entwickelte und immer mehr kräftigte. Seine bereits seine Jugend kennzeichnende Abneigung gegen allzu weitgehendes Dogmatisieren und sein Bemühen, stets das Verbindende der protestantischen Konfessionen herauszustellen, blieben ihm dabei erhalten6. Ebenso wie mit dem Umstand, daß der Philippismus Ende des 16. Jahrhunderts bereits aufs engste an den Calvinismus herangerückt war, hing es mit diesem Widerwillen gegen die dogmatischen Distinktionen unter den Protestanten zusammen, daß sein Verhältnis zur calvinistischen Staatsreligion für Camerarius in Heidelberg offenbar kein Problem wurde. Ohne daß je von einer förmlichen Konversion bei ihm die Rede ist, wissen wir, daß er am offiziellen calvinischen Gottesdienst des Hofes regen Anteil nahm, daß er später einen seiner Söhne zeitweise in Genf studieren ließ und in intimem Verkehr nicht nur mit seinen calvinischen Kollegen und Vorgesetzten im Rat, sondern auch mit den calvinischen Geistlichen, zum Beispiel dem späteren Hofprediger Abraham Scultetus, stand. Zu den schon genannten Momenten, die keine Schwierigkeiten aufkommen ließen, gesellte sich noch dieses, daß viele der pfälzischen Untertanen, vor allem die Bewohner der Oberpfalz, trotz des calvinistischen Bekenntnisses der Kurfürsten lutherisch blieben. Die Mittelstellung, die Camerarius gleichsam zwischen den beiden Konfessionen einnahm, konnte deshalb in vieler Hinsicht dem Staatsinteresse nur dienen. Eine Mittelstellung aber war es in vielem ohne Zweifel nach wie vor, in der er im Grunde seiner Seele verharrte, auch wenn er am calvinistischen Ritus teilnahm und auch innerlich überaus nah an den Calvinismus herangerückt war. Diese Position erleichterte es ihm später, sich im lutherischen Schweden durchzusetzen. Zunächst aber drückte sie sich darin aus, daß Camerarius zwar zutiefst erfüllt war von der politischen Aktivität 6

S. hierüber u. a. in des Ludwig Camerarius Vorrede zu seiner Ausgabe der Briefe von Hubert Languet, a. a. O.: „… ut ex animo doleam, quod inquieti quidam spiritus, tempore adeo alieno et in tanto omnium Protestantium discrimine, nihilominus inter eos novas divisiones diversis in locis adhuc serere machinantur, cum potius ab iis unice laborandum esset, ut fraterno inter se sancito syncretismo Antichristo et hujus propugnatoribus se fortiter opponerent“; s. a. des Camerarius Apologia, a. a. O., 15. Camerarius weist hier ziemlich deutlich darauf hin, daß ihm die dogmatischen Streitereien unsinnig schienen, und fährt fort: „Non novi aliam religionem, quam Christum crucifixum. Hic sua morte mihi acquisivit vitam. In hac spe vivo, in hac morior“.

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des Calvinismus, auch in seiner Religiosität gewisse spezifisch calvinische Züge an den Tag legte, zum Beispiel in der sehr intellektuellen Auffassung mancher Glaubensfragen, daß sich aber andere Merkmale des Genfer Bekenntnisses nur in verhältnismäßig geringem Maß bei ihm finden. So äußerte er zwar während der Notzeit des Exils im Dreißigjährigen Krieg immer wieder, die Drangsale seien die Strafe Gottes für begangene Fehler, nie aber ging er dabei so weit wie etwa der calvinische Führer der oberösterreichischen Ständeopposition Georg Erasmus von Tschernembl, angesichts der ständigen Niederlagen der Protestanten aus der Lehre der Prädestination zu folgern, daß man sich in den Sieg der katholischen Partei fügen müsse, da Gott es offenbar mache, daß er wenigstens momentan keinen Erfolg der Calvinisten wünsche7. Auch im übrigen fehlte Camerarius sein Leben lang das Düstere, das Vertretern des Calvinismus sonst oft eigentümlich war. Ferner trat seine Herkunft vom mitteldeutschen Philippismus darin hervor, daß er im Gegensatz zu vielen der pfälzischen Politiker nie in Frankreich und der Welschschweiz gewesen war, daß er keine der ausgesprochen calvinistischen Universitäten, vor allem nicht Genf, besucht hatte und das Französische nicht beherrschte. Zu der Zeit, da Camerarius in die Pfalz kam, war der Einfluß der französischen Sprache und Bildung am Heidelberger Hof zwar im Vergleich mit den kommenden Jahrzehnten noch verhältnismäßig gering. Der Einfluß des Französischen war aber doch immerhin schon merklich stärker als an anderen deutschen Residenzen. Manche der pfälzischen Räte, zum Beispiel Plessen, bedienten sich bereits ganz zu Anfang des 17. Jahrhunderts neben dem Lateinischen und Deutschen mit Vorliebe der französischen Sprache. So kam es, daß Camerarius von vornherein am pfälzischen Hof zwar als hoch gebildet erscheinen mußte, daß andererseits aber in seiner Bildung eine gewisse Einseitigkeit bemerkbar wurde, die später seine Stellung in wesentlicher Weise beeinflussen sollte. Seine Aufnahme in den Kreis der führenden Heidelberger Ratsfamilien wurde dadurch dokumentiert und vielleicht erleichtert, daß Camerarius am 17. April 1599 in Heidelberg die neunzehnjährige Anna Maria Modesta Pastoir (Pastor, Pastorius) heiratete, die Tochter des kurpfälzischen Geheimen Rates und Kanzlers Gerhard Pastoir, doctoris juris utriusque. Geboren 1534 in Köln als Sohn des Aachener beziehungsweise Kölner Ratsherren und Syndikus Johann Pastoir und der Maria Münthen, stammte Gerhard Pastoir väterlicherund mütterlicherseits aus altem Aachener Patriziat8. Nach der juristischen Ausbildung an den Universitäten von Köln und Padua war er 1560 kurpfälzischer Rat und Diener, später Geheimer Rat und Vizekanzler geworden und hatte 1584 schließlich die Kanzlerwürde erhalten, nächst dem Amt des Großhofmeisters den höchsten Rang innerhalb des Geheimen Rates, der wiederum die oberste pfälzische Regierungsbehörde darstellte9. Gerhard Pastoir amtierte als Kanzler nach Angabe der kurpfälzischen Dienerbücher bis 1587 und wurde 7



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S. Kap. IX und Sturmberger, a. a. O., 384 ff. Nach freundlicher Mitteilung von Herrn Archivar Friedrich Wilhelm Euler, Insel Wörth b. Fürstenfeldbruck/Obb. S. M. Krebs, Kurpfälzische Dienerbücher, a. a. O.

dann „Rat und Diener von Haus aus“, das heißt, man entlastete ihn von den hauptamtlichen Kanzlerpflichten und zog ihn nur noch gelegentlich zu Regierungsgeschäften heran, bis er 1592 starb10. Es war also keineswegs mehr die Protektion des mächtigen Schwiegervaters, auf die Camerarius rechnen konnte, als er Modesta Pastoir 1599 heimführte. Auch sein neuer Schwager Friedrich Pastoir (1578–1645), der später als doctor juris zum pfälzischen Hofgerichtsrat aufstieg, besaß damals noch kaum Einfluß. Nur ganz allgemein das Ansehen einer hochgeachteten pfälzischen Ratsfamilie kam Camerarius durch den Eheschluß zugute und verband sich mit der Achtung, die er sich selber zu verschaffen gewußt hatte, und dem Renommée seiner eigenen Familie. Das Ansehen, das die Familie seiner Frau in Heidelberg genoß, war um so stärker, als auch die bereits 1584 verstorbene Mutter von Modesta Pastoir aus den Kreisen der Heidelberger Ratshierarchie stammte. Margarethe Pastoir geborene Regensberger (1556–84) war die Tochter des kurpfälzischen Rates und Protonotars Wendelin Regensberger und der Barbara geborenen Harer, die ihrerseits wieder eine direkte Nichte Melanchthons war. So trat Camerarius durch seine Heirat zu demjenigen der Reformatoren, dem er sich am meisten geistig verbunden fühlte, auch in eine familiäre Beziehung. Allem Anschein nach war es eine glückliche Ehe, die Camerarius führte. Wenn er längere Zeit von seiner Familie getrennt war, pflegte er darüber heftig zu klagen, und oftmals, besonders wenn er mit Drangsalen zu kämpfen hatte, betonte er, welcher Trost ihm seine Familie sei11. Krankheiten seiner Frau beunruhigten ihn aufs höchste, ebenso wie seine eigenen Leiden. „XLIV annos in felici concordia vixit“ schreibt Freher, woraus sich wie aus einigen anderen Mitteilungen schließen läßt, daß seine Frau 1642 oder 1643 starb12. Freher gibt ferner an, daß aus der Ehe sieben Kinder hervorgingen. Von ihnen starben jedoch offenbar drei in jüngstem Kindesalter. Jedenfalls war in späteren Jahren immer nur von vier Kindern die Rede, um deren sorgfältige Erziehung sich Camerarius mit großem Ernst bemühte. Es waren zwei Töchter: Maria Modesta, die später den pfälzischen Rat Friedrich Dorvilius heiratete, während Anna Catharina den schwedischen Diplomaten Paul Straßburger ehelichte, und zwei Söhne, von denen Joachim wie der Vater die diplomatische Laufbahn einschlug und sich als schwedischer und pfälzischer Rat hervortat. Der zweite Sohn hingegen ertrank noch als Knabe Mitte der Zwanzigerjahre des 17. Jahrhunderts im Haag beim Baden. Für die damals ohnehin von allen Nöten des Exils bedrängten Eltern ein schwerer Schlag! Die Art, wie Camerarius seinen Freunden und Vorgesetzten den Verlust mitteilte, ist bezeichnend für seine Religiosität ebenso wie seinen ausgeprägten Familiensinn13. Als göttliche Schickung nahm er den Tod des Sohnes, in die er sich gehorsam fügte, und doch kam er monate-, ja jahrelang 10

Das Todesjahr wieder nach Euler, s. o., ebenso die folgenden genealogischen Angaben. Hierfür sind besonders aufschlußreich seine Briefe an Johann Joachim von Rusdorf und Axel Oxenstierna. 12 Freher, Theatrum, a. a. O. 13 Camerarius an Oxenstierna, Haag 5. 9. 1625, SRA, Ox. slg.; ders. an Rusdorf, Haag 9. 9.1625, Coll. Cam. Vol. 25. 11

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immer wieder mit Klagen auf das Unglück zurück. Immer aufs neue erfülle ihn das Schicksal des Sohnes mit Trauer, schrieb er, und noch verzweifelter sei seine Frau, die trotz des eigenen Kummers zu trösten er als seine vornehmste Pflicht betrachtete. Der schnelle Aufstieg, den Camerarius in Heidelberg nahm, beruhte also zum einen auf dem Ansehen, das er sich bei den alteingesessenen pfälzischen Räten rasch zu verschaffen wußte. Zum anderen war für ihn entscheidend, daß ihm bald auch der Staatsmann ein besonderes Vertrauen schenkte, der wie Camerarius noch nicht lange zum Kreis der pfälzischen Politiker gehörte, aber rasch zum eigentlichen Leiter der pfälzischen Politik wurde: Fürst Christian I. von AnhaltBernburg. 1595, drei Jahre früher als Camerarius, war der Fürst in die Dienste Friedrichs IV. getreten und hatte die Statthalterei der Oberpfalz übernommen. Doch nicht nur die Verwaltung der Oberpfalz war es, der er sich von seiner Amberger Residenz aus widmete. Allmählich wurde er darüber hinaus zum bestimmenden Kopf in der pfälzischen Außenpolitik. Verhältnismäßig rasch vermochte er, die Heidelberger Räte seinen Intentionen gefügig zu machen und der pfälzischen Politik wieder eine größere Kühnheit zu verleihen. Was Christian von Anhalt zunächst bewirkte, war in vieler Hinsicht ein Zurücklenken zu der im Vergleich mit den Maßnahmen der Räte Friedrichs IV. kühneren, geistreicheren und beweglicheren Staatskunst Johann Kasimirs. In vielem aber ging die Zielsetzung Christians noch über die Johann Kasimirs hinaus. Die pfälzische Politik nahm unter dem Einfluß des Askaniers größere Dimensionen an. Waren unter Johann Kasimir noch alle Verhältnisse und Möglichkeiten vergleichsweise begrenzt gewesen, so strebte Christian danach, sie auszuweiten, der pfälzischen Politik immer mehr ein europäisches Format zu geben, ihre Maßnahmen zur Sicherung der evangelischen Sache zu verstärken und der Pfalz einen Platz im Kreis der bedeutenden europäischen Mächte zu sichern. Dies wurde in aller Deutlichkeit in den späteren Jahren von Christians Wirken offenbar, als die Pfalz noch ungleich weiter ausholende Maßnahmen als um die Jahrhundertwende ergriff und schließlich energisch daran ging, ihre territoriale Machtbasis zu erweitern und mit königlichem Glanz die Politik einer Großmacht zu betreiben. Doch auch schon um 1600 trat diese Tendenz in groß konzipierten Bündnisaktionen mit den protestantischen Mächten inner- und außerhalb des Reiches hervor und in einem sich immer mehr verschärfenden Auftreten gegenüber der katholischen Partei und dem Kaiser auf den Reichstagen und bei anderen die Reichsregierung angehenden Gelegenheiten. Diesen neuen Kurs nun machte Camerarius sich offenbar sogleich zu eigen. Nach den allerdings nur wenigen Zeugnissen zu schließen, die wir über sein diplomatisches Wirken in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts besitzen, war er schon damals, als was er uns später erscheint: ein besonders treuer Gefolgsmann Christians von Anhalt. Der Grad der Verbundenheit, die zwischen beiden Männern bestand, läßt sich neben den mehr offiziellen und deshalb, was das Arbeitsverhältnis betrifft, zurückhaltenderen Schreiben und Gutachten im Bayerischen Geheimen Staatsarchiv vor allem nach der ausgedehnten vertraulicheren Korrespondenz zwischen Christian und Camerarius ermessen, die im ehemaligen

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Bernburger Archiv liegt14. Sie dauert mit einer Unterbrechung von anderthalb Jahren nach der böhmischen Katastrophe Ende 1620 bis ins Jahr 1624 hinein und liefert gerade in ihrem letzten Teil, der die große Auseinandersetzung zwischen den beiden Staatsmännern über ihre weitere Haltung in dem von ihnen mit entfesselten Krieg enthält, einen ebenso interessanten wie schlagenden Beweis für das Vertrauensverhältnis, das jahrzehntelang zwischen ihnen bestand15. Doch auch die Briefe, die in den fünfzehn Jahren vor der Expedition nach Böhmen geschrieben wurden, zeigen deutlich, daß Christian von Anhalt und Camerarius eine enge Arbeitsgemeinschaft verband. Da der Fürst sich meistens in Amberg aufhielt, war ein beständiges Korrespondieren mit den Heidelberger Räten nötig. Vornehmlich im schriftlichen Verfahren leitete Christian die pfälzische Politik. Sein Briefwechsel mit den Heidelberger Diplomaten ist deshalb außerordentlich umfangreich. Eigentlich mit allen von ihnen korrespondierte er und erreichte gerade dadurch, daß seine Ideen in der gesamten Regierung durchdrangen. Gleichwohl treten im archivalischen Nachlaß des Fürsten einige Räte hervor, mit denen er sich besonders oft schrieb und denen er offenbar ein gesteigertes Vertrauen schenkte. Bei einigen dieser Persönlichkeiten erklärt sich die Intensität des Briefwechsels zum Teil aus der hervorgehobenen Stellung, die sie innerhalb der pfälzischen Regierung einnahmen. Hier sind zu nennen der nach der pfälzischen Kanzleiordnung von 1557 noch über dem Kanzler stehende Großhofmeister Graf Johann Albrecht zu Solms-Braunfels, der dieses Amt seit 1601 oder 1602 inne hatte, ferner der wohl seit 1606 als Kanzler und vorher als Geheimer Rat tätige Christoph von der Grün – als Kanzler der Nachfolger Heinrich von Eberbachs –, schließlich der 1592 ernannte Vizekanzler Dr. Ludwig Culmann16. Bei anderen Ratsmitgliedern kann die Höhe ihres Ranges die besondere Bevorzugung weniger erklären, die sie als Adressaten Christians erfuhren. Dies ist bis zu einem gewissen Grad schon bei Vollrath von Plessen der Fall. In noch viel stärkerem Maß aber trifft es auf Ludwig Camerarius zu. War Camerarius doch dienstjünger als die anderen Räte und stand niedriger im Rang als sie. Trotzdem befand er sich anscheinend bald in genau so regem brieflichen Gedankenaustausch mit dem Fürsten wie seine Heidelberger Vorgesetzten und einige der übrigen älter eingesessenen Räte. Schon dieser Umstand weist darauf hin, daß das Vertrauen, das Christian Camerarius schenkte, ein besonderes war, ein Eindruck, der noch verstärkt wird durch den Charakter, den die Korrespondenz zwischen beiden Männern in den folgenden Jahren annahm. Die Briefe, die Camerarius verfaßte, aber auch die Antwortschreiben Christians wurden nicht nur von Jahr zu Jahr zahlreicher. Der Gedankenaustausch nahm auch immer intimere Formen an und erreichte schließlich einen Grad von vertrauter Offenheit, wie sie der Fürst 14

LSA, A 9a. S. hierüber im einzelnen: F. H. Schubert, Die pfälzische Exilregierung, in diesem Band, 543 ff. mit Belegen; über das ehemals Bernburger Archiv s. Kap. I. 16 Über die Ernennungen s. M. Krebs, Kurpfälzische Dienerbücher a. a. O. und Br. u. Akt. I; die Kanzleiordnung in Coll. Cam. Vol. 59, Nr. 40 und BGLA Ka., Pfalz Generalia, Abt. 77/1012; die Korrespondenzen alle in LSA, A 9a. 15

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nur noch wenigen anderen Heidelberger Politikern gegenüber an den Tag legte. Freilich tritt diese Intimität erst in späteren Jahren, etwa ab 1608, deutlich hervor und erreicht ihren Höhepunkt am unmittelbaren Vorabend und bei Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Sie dokumentiert sich später noch einmal in der sich von 1622 bis 1624 hinziehenden Auseinandersetzung zwischen Christian und Camerarius, die sozusagen im Nachhinein den letzten Beweis für das enge, beide Männer jahrzehntelang verbindende Vertrauensverhältnis erbringt. Die Briefe, die vor 1608 geschrieben wurden, sind dagegen weniger zahlreich. In ihnen herrscht zudem noch eine größere Reserve vor. Auch ist der Beginn des Briefwechsels zwischen Christian von Anhalt und Camerarius heute nur noch in Teilen vorhanden, und es spricht manches dafür, daß es sogar nur noch der geringere Teil ist, der uns vorliegt. Für den Anfang der Zusammenarbeit zwischen den beiden Männern muß deshalb vieles hypothetisch bleiben. Daß aber schon früh sich ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Christian und Camerarius ergab, ist immerhin mit einiger Sicherheit anzunehmen. Für diese Vermutung sprechen ebensosehr der Inhalt der Schreiben wie der Umstand, daß der Fürst überhaupt mit Camerarius bereits Briefe wechselte, als dieser in der Heidelberger Regierung noch verhältnismäßig niedrig stand, und ferner die auffällige Geistesverwandtschaft mit dem Fürsten, die Camerarius bei Gelegenheiten wie seinem noch näher zu erörternden Gutachten von 1602 bewies. Man kann also sagen, daß Christian wahrscheinlich früh sein Augenmerk auf den hochstrebenden jungen Diplomaten richtete und ihn zu einem seiner speziellen Gehilfen in Heidelberg machte. Genau ließ er sich von Camerarius über die Ratsverhandlungen in Heidelberg rapportieren, und immer wieder verwandte er ihn dazu, seine Ideen in den pfälzischen Regierungsbehörden zu vertreten. In den Schreiben an Christian von Anhalt entfaltete Camerarius zum ersten Mal die besondere Kunst des Berichterstattens, die ihn sein Leben lang auszeichnete. Deutlich machten sich hierin seine humanistische Bildung und ein ihm eigenes literarisches Vermögen geltend. Seine Briefe sind sorgfältig disponiert und geben die Vorgänge mit großer Genauigkeit wieder. Sie zeugen für eine scharfe Beobachtungsgabe und eine Freude an ausführlicher Darstellung. Eine auch für die Verhältnisse des 17. Jahrhunderts bemerkenswerte epische Breite ist von vornherein ein Charakteristikum der Epistolographie von Camerarius. Sie verbindet sich mit der etwas pedantischen Neigung, die ihn gerade beherrschenden Hauptanliegen immer wieder vorzubringen, indem er eine Idee mehrmals zu variieren pflegt. Wurden hierdurch seine Briefe leicht etwas umständlich, so erhielten sie gleichzeitig doch einen gesteigerten Grad von Genauigkeit und wirkten dank des guten Stils und der Logik des Aufbaus trotz ihrer Länge auch nicht eigentlich weitschweifig. Vielmehr stellten sie für jeden Leser ein ausgezeichnetes Unterrichtungsmaterial dar. Wenn Christian von Anhalt den Wert der Berichte von Camerarius offenbar frühzeitig erkannte und sich bald darüber klar wurde, welche vorzüglichen Dienste ihm gerade dieser gelehrte Jurist leisten konnte, so hing dies nicht zuletzt damit zusammen, daß Camerarius in seiner Geistigkeit und Zielsetzung dem Fürsten in vieler Hinsicht besonders nahe stand. Was ihn aber von Christian unter-

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schied, war ebenfalls dazu angetan, Camerarius dem Fürsten wertvoll zu machen, da es in Verbindung mit den übrigen Zügen, die beiden Männern gemeinsam waren, zu einer fruchtbaren Ergänzung führte. Vor allem dürften sich Christian von Anhalt und Camerarius verbunden gefühlt haben durch einen eigentümlichen schwunghaften Elan, der ihr beider Wesen auszeichnete und sie beide von vielen der älteren Räte Friedrichs IV. unterschied. Ferner war ihnen gemeinsam ein besonders starker Sinn für große politische Konzeptionen, für weit ausholende kühne Pläne, eine Neigung, europäische Politik großen Stils zu treiben und einer weiteren Zielsetzung zu folgen, als sie in den ersten Jahren der Regierung Friedrichs IV. und – bis zu einem gewissen Grad – auch unter Johann Kasimir die Regel gewesen war. Wir sahen es bereits: Diese Tendenz leitete sich bei Camerarius in starkem Maß aus seiner aktiven Religiosität her und seiner Überzeugung von der Bedrohtheit der evangelischen Sache. Auch in der politischen Auffassung Christians von Anhalt war das religiöse Moment überaus mächtig. Auch der Fürst zeigte sich von tiefer Gläubigkeit erfüllt, und wie Camerarius hatte er seinen Ausgang vom mitteldeutschen Philippismus genommen. Schließlich verfügte auch Christian über ein hohes Maß von Bildung und feingeistiger Gesinnung, das ihn von den meisten seiner fürstlichen Standesgenossen abhob. In ihrer tiefen Gläubigkeit und ihren geistigen Interessen und Fertigkeiten berührten Christian von Anhalt und Camerarius sich eng mit der Mehrzahl der maßgeblichen Ratgeber Friedrichs IV. Was sie von vielen von ihnen unterschied und einander besonders nahe brachte, war der Umstand, daß Bildung und Religiosität bei Christian und Camerarius in unmittelbarerer, konsequenterer und weiter gehender Weise als bei vielen anderen pfälzischen Politikern zur Basis dienten für die hochstrebenden politischen Ziele, die ihr Wirken beherrschten. War es somit sehr viel, was Christian und Camerarius verband, so lassen sich andererseits deutliche Gegensätze zwischen ihnen beobachten: Camerarius verkörperte Zeit seines Lebens den Typ des arbeitsamen, gelehrten Rates bürgerlicher Prägung mit stark pedantischen Zügen, Christian von Anhalt aber den des nonchalanten Grandseigneurs. Hierin unterschied sich Camerarius mehr von dem Fürsten als viele andere pfälzische Räte. Doch eben dieser Gegensatz führte zu wertvoller gegenseitiger Ergänzung und trug dazu bei, die Arbeitsgemeinschaft fruchtbar zu machen. Denn ein schreibfleißiger Aktenmensch wie Camerarius konnte dem in seiner Arbeitsweise stets großzügigen und unsteten Fürsten als ordnende und beharrlich das von Christian Inaugurierte weiter verfolgende Kraft besonders gute Dienste leisten. Und tatsächlich erfüllte Camerarius diese Funktion bis nach der Katastrophe in Böhmen 1620 in von Jahr zu Jahr steigendem Maße. Wie sich weiter unten im einzelnen zeigen wird, hinderte den guten Fortgang der Arbeitsgemeinschaft auch der Umstand nicht, daß Camerarius dank seiner Veranlagung und Herkunft stets ganz dem Humanismus verhaftet blieb und immer ausschließlich den Typ des gelehrten, bürgerlichen Geheimen Rates repräsentierte, während Christian im Verlauf seines Wirkens in pfälzischem Dienst großen Anteil daran hatte, das Camerarius immer fremd bleibende dynastische Moment und den höfischen Lebensstil französischer Prägung zu verstärken.

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Andererseits freilich lag in der zwischen Anhalt und Camerarius vorhandenen Gegensätzlichkeit der Grund, weshalb im weiteren Verlauf des Dreißigjährigen Krieges die Arbeitsgemeinschaft zwischen beiden Männern auseinanderging: Der schwerfälligere, geistig engere aber auch verantwortungsbewußtere Camerarius vermochte sich von der pfälzisch-evangelischen Sache nicht zu lösen, sondern hielt ihr die Treue. Der Fürst hingegen zog sich nach 1621 zurück. Er legte damit einen letzten Beweis dafür ab, was sich auch schon in der Zeit der gemeinsamen Wirksamkeit vor dem Krieg zeigte, daß er um vieles leichtlebiger war als Camerarius und daß ein starkes abenteuerliches Moment bei ihm im Vordergrund stand, das bei seinem Gehilfen nur sehr viel geringer entwickelt war. Ergänzten Christian von Anhalt und Camerarius in vielem einander und zog der eine von dem anderen Nutzen, so war es doch selbstverständlich kein gleichwertiges Verhältnis, in dem sie sich gegenüberstanden. Wenigstens bis nach der Schlacht am Weißen Berg blieb Christian stets der Vorgesetzte und geistige Führer, Camerarius der Untergebene und Gehilfe. Ja, zumindest in den zehn ersten Jahren ihres Zusammenwirkens läßt sich darüber hinaus sagen, daß der Askanier der diplomatische Lehrmeister und Gönner von Camerarius war, der durchaus als sein Schüler und Protegé erscheint. Deutlich läßt sich der Einfluß Christians auf die Entwicklung von Camerarius wahrnehmen. Im Verkehr mit dem Fürsten war es, wo er ständig großes diplomatisches Können vor Augen hatte, ebenso wie er bei seinen Heidelberger Vorgesetzten die tägliche Routine der Regierungsgeschäfte erlernte, und es ist gut möglich, daß der Camerarius von Haus aus eigene idealistische, kühne und hochstrebende Zug durch das Vorbild Christians noch verstärkt wurde. Obwohl der Fürst nur fünf Jahre mehr zählte als Camerarius, vermochte er dessen Lehrmeister und Gönner zu werden dank seiner von vornherein führenden Stellung in der pfälzischen Politik und seiner um vieles brillanteren und umfassenderen Begabung. Kann doch kaum ein Zweifel daran bestehen, daß Christian über glänzendere und reichere Fähigkeiten verfügte als Camerarius. In vielem hatte der Fürst das Zeug zu einem wahrhaft großen Staatsmann, wozu Camerarius bei allen Qualitäten, die ihn historisch wichtig und interessant machten, auf Grund seiner Begabung kaum die Möglichkeit offen stand. Daß Christian trotzdem nicht zu der historischen Größe gelangte, die er vielleicht hätte erreichen können, lag zum Teil daran, daß ihm das Maß von Ernst, Stetigkeit und Charakter fehlte, das für den Staatsmann wahrhaft großen Formates erforderlich ist. In diesen Eigenschaften übertraf ihn Camerarius. Camerarius war ein ausgesprochener Charakter. Sein ganzes Handeln war von tiefem Ernst erfüllt, und er blieb stets weit entfernt von der Verspieltheit, die Christian oft eigentümlich war. Auch ging seine Entwicklung mit großer Stetigkeit und Langsamkeit vor sich, wiederum im Gegensatz zu der raschen Karriere des Fürsten, einer Karriere, die zum Teil auf Christians hoher Geburt, zum Teil aber auch auf seiner unsteteren, sich rascher entfaltenden und in vielem etwas meteorhaften Begabung beruhte. Damit hing es zusammen, daß die politische Laufbahn von Camerarius sehr viel länger dauerte als die Christians von Anhalt. – Während der Fürst 1621 aus der großen europäischen Politik ausschied, agierte Camerarius in ihr bis 1641. –

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Dafür war er um 1600 in seiner Entwicklung noch weit hinter Christian zurück und konnte deshalb zu dem nur wenig älteren Vorgesetzten willig wie zu einem Lehrer aufsehen. Eben deshalb aber, weil Camerarius, als er mit dem Fürsten zusammentraf, noch ganz am Anfang seiner Karriere stand und noch weniger fest in die Heidelberger Verhältnisse eingewurzelt war als die anderen Räte, dürfte er für Christian einen besonderen Wert gewonnen haben. War er doch deswegen bildsamer und anschlußbereiter als viele andere der Heidelberger Diplomaten und ließ sich leichter für die Zwecke des Fürsten verwenden. Es ist, wie bereits gesagt, ein Kennzeichen des Lebensganges von Camerarius, daß er verhältnismäßig rasch aus der Rechtspflege in die Diplomatie hinüberwechselte und daß er mit ebensolcher Konsequenz und fast noch schnellerem Erfolg danach strebte, die vergleichsweise engen reichsstädtischen Verhältnisse mit den politischen Möglichkeiten zu vertauschen, die sich im Dienst eines mächtigen Kurfürsten boten. Trotz seines schnellen Überganges in die Außenpolitik aber blieb er bis in die ersten Jahre des Dreißigjährigen Krieges hinein in einem für einen Diplomaten vergleichsweise starken Maß mit juristischen Fragen betraut, und ebenso hatte er in pfälzischem Dienst reiche Gelegenheit, mit Reichsstädten und anderen kleineren Reichsständen zu verhandeln. Denn die Reichspolitik der Pfalz wurde seine eigentliche Domäne. Erst nach der Katastrophe in Böhmen fielen ihm auch Verhandlungen mit außerdeutschen Mächten zu. Innerhalb der pfälzischen Reichspolitik aber wurde wiederum die Bearbeitung reichsrechtlicher Fragen seine besondere Spezialität, und vornehmlich der Beginn seiner diplomatischen Karriere stand im Zeichen juristischer Gutachten. Als Experte im Reichsrecht und in der Kammergerichtsverwaltung – seine wenn auch nur kurze Tätigkeit in Speyer kam ihm hier zugute – vollzog er seinen Start als pfälzischer Diplomat. Der Übergang von der Rechtspflege zur Außenpolitik wurde hierdurch ein allmählicher und organischer. Dies zeigt besonders die erste Mission, in der wir Camerarius begegnen: Zusammen mit den Räten Dr. Georg Michael Lingelsheim und Dr. Leonhard Schug wurde er im Sommer 1600 damit betraut, die Pfalz bei der Untersuchung und Entscheidung der gegen kammergerichtliche Urteile nachgesuchten Revisionen zu vertreten. In Speyer fanden die diesbezüglichen Verhandlungen statt, im Anschluß an einen der Deputationstage, die der Augsburger Reichstag von 1555 eigentlich für die Anliegen des Landfriedens geschaffen hatte, die aber in wachsendem Maß auch mit der Ordnung des Münz- und Matrikelwesens sowie mit den Fragen der Rechtspflege betraut wurden, da die Reichstage sich immer ausschließlicher auf die Finanzierung der Türkenkriege und die konfessionellen Streitigkeiten beschränkten. Für den auf der Reichsversammlung von 1598 beschlossenen Speyerer Deputationstag, der infolge der pfälzischen Verzögerungspolitik erst im Juni 1600 eröffnet werden konnte, hatte Friedrich IV. am 24. April des Jahres als pfälzische Vertreter den Vizekanzler Dr. Ludwig Culmann, sowie die Räte Heinrich von Schwerin, Michael Löfenius, Paul Hochfelder und Dr. Leonhard Schug bevollmächtigt17. Jedoch wurde, wie Schug am 28. Juni 1600 an 17

BGStA Mü. K. bl. 115/1; Br. u. Akt. I, Nr. 124.

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den Kurfürsten berichtete, noch eine besondere Vertretung für die Revisionsverfahren benötigt, die bei dem Deputationstag zu behandeln, aber von den eigentlichen, vornehmlich der Visitation des Kammergerichts geltenden Deputationsgeschäften getrennt vorzunehmen waren18. Für diese Revisionen nun wurde am 29. Juni 1600 Camerarius als pfälzischer Vertreter designiert19, und da sich bald darauf zwei Spezialbevollmächtigte als erforderlich erwiesen, wurde ihm Lingelsheim zur Seite gestellt20. Obwohl Lingelsheim als Geheimer Rat einen höheren Rang hatte als Camerarius, der damals noch nicht einmal dem Oberrat angehörte, wurde er bei den Revisionsverhandlungen ihm doch nicht übergeordnet. Vielmehr hatten beide die gleichen Vollmachten und sollten sich zusammen mit Schug in die Revisionsgeschäfte teilen21. Doch da Schug gleichzeitig im Gegensatz zu Lingelsheim und Camerarius an den übrigen Deputationsverhandlungen teilnahm und in der Sessionszeit sich offenbar länger als die beiden anderen Räte in Speyer aufhielt22, wurde er in den Revisionsgeschäften der eigentliche Führer der pfälzischen Delegation. Von Schug stammen die meisten Berichte an den Kurfürsten und die Heidelberger Räte. Seine persönliche Meinung tritt dementsprechend deutlich zutage, während die speziellen Ansichten von Camerarius sich bei dieser seiner ersten Mission nicht erfassen lassen, sondern im generellen Votum und Verhalten der pfälzischen Deputierten untergehen. Läßt sich also im einzelnen die Haltung von Camerarius nicht unmittelbar erkennen, so war es jedoch auf alle Fälle für seine ganze Weiterentwicklung höchst bedeutsam, daß er seine Wirksamkeit in der pfälzischen Reichspolitik gerade bei den Speyerer Deputations- beziehungsweise Revisionsverhandlungen von 1600 begann. Geschah es doch bei diesem Anlaß, daß die trotz der konfessionellen Gegensätze und anderer großer Schwierigkeiten noch immer funktionierende ordentliche Reichsgerichtsbarkeit durch das pfälzische Verhalten lahm gelegt 18

Schug an Friedrich IV., Speyer 28. 6. 1600, in: Der Unierten Protestierenden Archif, Appendix 52 f. 19 Friedrich IV. an Leonhard Schug, Heidelberg, 29. 6. 1600: „… Also seind wir den Ersamen unsern Raht unnd lieben getrewen, Ludwig Cammerarium, der Rechten Doctorn, oder auch auff den fall wir seiner künfftig anderstwo zu bedürfftig, dich darzu zugebrauchen vorhabens, Haben demnach dich unnd ihne Camerarium in gewalt setzen lassen, …“, in: Der Unierten Protestierenden Archif, Appendix 53 f. 20 Friedrich IV. an seine Räte in Speyer, Heidelberg, 13. 7. 1600: „… Was sonsten die außthailung der Reuisionssachen under zween Räth belangt, müssen wir, dieweiln es alberait vor gut angesehen, also geschehen lassen, unnd haben demnach unsern gehaimen Raht und Lieben getrewen D. Georg Michael Lingelsheimen darzu auch gevollmechtigt, der neben D. Camerario, wann es zeit sein wird, und wir dessen von Euch berichtet, auch sich hinüber begeben soll …“, in: Der Unierten Protestierenden Archif, Appendix 60. 21 Siehe die Vollmachten vom 24. 6. und 7. 7. 1600: „… wir darauff und zu fortstellung diser Reuisionsgeschefften von unsertwegen namhafft gemacht und verordnet die Ersame unsere Räth unnd Liebe getrewen Georg Michael Lingelsheimen, Leonhard Schugen und Ludwig Camerarium, alle der Rechten Doctores …“, in: Der Unierten Protestierenden Archif, Appendix 62. 22 S. Friedrich IV. an Leonhard Schug, Heidelberg 29. 6. 1600; derselbe an seine Räte in Speyer, Heidelberg 13. 7. 1600; Michael Löfenius an die Räte in Heidelberg, Speyer, 2. 9. 1600; alle Schreiben in: Der Unierten Protestierenden Archif, Appendix 53 f., 59 f., 75 f.

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wurde. Die schon seit langem strittige Frage, ob protestantische Landesherren berechtigt seien, landsässige katholische Klöster und Stifte auch über den Besitzstand von 1552 beziehungsweise 1555 hinaus einzuziehen, kam in Speyer erneut zur Sprache aus Anlaß der Säkularisation von vier Klöstern, der sogenannten „Vierklostersache“. Der Augsburger Religionsfriede entschied eindeutig, daß alle bis 1555 erfolgten Einziehungen rechtens sein sollten. Ob jedoch die nach diesem Zeitpunkt erfolgte Aneignung geistlichen Besitzes durch evangelische Landesherren, wie im strittigen Falle der vier Klöster, auf Grund der Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens angängig sei, das war das juristische Problem. Das Reichskammergericht hatte in einem Teil der Vierklostersache negativ entschieden, das heißt die Ansicht geäußert, daß die Säkularisationen den Augsburger Bestimmungen nicht entsprächen, obwohl in dem betreffenden Senat die Katholiken in der Minderheit waren. Und auch außerhalb des Gerichtes hatte das Urteil nicht nur bei Katholiken, sondern auch bei vielen Protestanten Billigung gefunden oder war doch wenigstens als gerechtfertigt anerkannt worden. Ebenso stellten sich auch bei den Revisionsverhandlungen von 1600 nicht nur die vorsichtig-konservativen kursächsischen Vertreter auf diesen Standpunkt. Auch der an sich zur pfälzischen Partei haltende Landgraf Moritz von HessenKassel, ja selbst Leonhard Schug, neben Löfenius und Schwerin der maßgebliche pfälzische Deputationsgesandte, wandten sich gegen den kühnen, von der Mehrzahl der anderen pfälzischen Vertreter unter Führung von Löfenius und den ausschlaggebenden Regierungsmitgliedern in Heidelberg bewirkten Entschluß, zu verlangen, daß die Vierklostersache von den zu revidierenden Prozessen abgesetzt würde, und im Fall der Ablehnung den Deputationstag zu verlassen, das heißt, eine der wichtigsten Institutionen der ganzen Reichsregierung zu sprengen und damit die oberste Rechtsprechung im Reiche lahm zu legen. Nachdem im Oktober 1600 die Deputationsversammlung zunächst vertagt worden war, führte Kurpfalz im Juli 1601 in Gemeinschaft mit Kurbrandenburg und Braunschweig den Entschluß aus. Mittels sehr gewagter Rechtsdeduktionen des Inhalts, daß dem Kammergericht das Recht nicht zustehe, in der Vierklostersache zu urteilen, da die Entscheidung auf einer Bestimmung des Religionsfriedens beruhe, deren Auslegung zwischen Katholiken und Protestanten strittig sei, forderten unter Führung von Löfenius die protestierenden Mitglieder des Deputationstages die Absetzung der Vierklostersache von den Revisionsverhandlungen, kündigten, als dies abgelehnt wurde, den energischen Widerstand ihrer Fürsten gegen alle weiteren Revisionsentscheide an und verließen unter Protest Speyer. Camerarius war bei dieser Protestaktion vom Juli 1601 allem Anschein nach nicht mehr zugegen, denn er hatte zur selben Zeit die pfälzischen Interessen zusammen mit den Räten Ludwig von Hutten und Erasmus Schregel auf dem kurrheinischen Kreistag in Koblenz zu vertreten, auf dem mit den Gesandten der geistlichen Kurfürsten die Bedingungen erörtert werden sollten, unter denen die Pfalz bereit war, den nächsten Reichstag – er fand 1603 in Regensburg statt – zu beschicken23. Weisungsgemäß versuchte Camerarius hier in Gemein23

Instruktion Friedrichs IV. für Hutten, Schregel und Camerarius, Heidelberg 9. 7.1601, BGStA Mü. K. bl. 115/4; Br. u. Akt. I, Nr. 202.

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schaft mit seinen Kollegen, die drei rheinischen Erzbischöfe dafür zu gewinnen, das Erscheinen auf dem Reichstag an möglichst hohe Bedingungen zu knüpfen, wieder wie in Speyer, ohne daß seine persönliche Meinung deutlich hervortritt. Dies ist erst 1602 in einem großen Gutachten der Fall, das Camerarius auf Weisung des Oberrates anfertigte24. Soweit sich sehen läßt, ist es das erste ausführliche Zeugnis über seine persönliche politische Gesinnung, das sich unter den offiziellen pfälzischen Akten im Bayerischen Geheimen Staatsarchiv befindet. Das „Bedenken“ ist um so wertvoller, als es sich mit einigen wenig später geschriebenen Briefen von Camerarius an Christian von Anhalt inhaltlich eng berührt25. Es läßt sich deshalb mit einiger Sicherheit sagen, daß die kühnen Gedanken, die Camerarius in dem Gutachten äußerte, nicht nur der Ausfluß einer momentanen Stimmung oder das Ergebnis einer lediglich dem bestimmten Zweck des Bedenkens dienenden Zielsetzung waren. Vielmehr können wir annehmen, daß der Schriftsatz seine Grundgesinnung in den ersten Jahren seiner politischen Wirksamkeit wiedergibt. Der Tenor des Bedenkens unterstützt die Annahme einer frühen Annäherung von Camerarius an Christian von Anhalt und läßt es gleichzeitig als immerhin gut möglich erscheinen, daß sich Camerarius bei den Speyerer Revisionsverhandlungen von 1600 zu den pfälzischen Räten hielt, die im Gefolge von Löfenius die Sprengung des Deputationstages durchsetzten. Die Frage, derentwegen Camerarius vom Oberrat zu dem Gutachten aufgefordert wurde, stand insofern mit den Vorgängen von Speyer in Zusammenhang, als es um eine Fortsetzung jener zuerst bei den Deputationsverhandlungen von 1600 und 1601 eingeschlagenen Politik schärfster konfessioneller Obstruktion ging. Auch bezog sich das Problem wiederum auf das oberste Gerichtswesen im Reich. Der Reichshofrat, die ganz vom Kaiser abhängige Parallelinstanz zum Reichskammergericht, hatte dem Markgrafen Ernst Friedrich von Ansbach die Auslieferung seiner Nichten befohlen. Dieser hatte darauf den Kurfürsten von Mainz und der Pfalz eine Appellation gegen das Urteil an die Stände und den „besser zu informierenden“ Kaiser übergeben. Nur der Kurfürst von der Pfalz wagte es jedoch, die Appellation an den Kaiser weiterzubefördern. Mit dem Ausdruck schärfsten Unwillens erhielt er sie von Rudolf II. zurück. Nun kam es dem pfälzischen Oberrat darauf an, zu klären, ob gegen Rechtsentscheidungen der kaiserlichen Hofjustiz beim Kaiser oder den Ständen Berufung eingelegt werden könne. Camerarius bejahte in seinem Gutachten vom 22. Januar 1602 die Möglichkeit der Berufung so unbedingt, daß Widerstand gegen die kaiserlichen Maßnahmen in seinen Ausführungen geradezu als Notwendigkeit erschien. Und mehr noch als das: Er suchte nachzuweisen, daß der Kaiser alle Macht von den Reichsständen, vor allem den Kurfürsten habe, daß die kaiserlichen Rechte auf einem mit den Kurfürsten abgeschlossenen Vertrag beruhten und daß deshalb ein Vertragsbruch durch den Kaiser, wie er im vorliegenden Fall nach Ansicht 24

Bedenken des Ludwig Camerarius für Friedrich IV., 22. 1. 1602, BGStA Mü. K. bl. 115/2; Londorp, Acta Publica, a. a. O., Bd. I, 221; Br. u. Akt. I, Nr. 228; s. a. Ritter, Geschichte der Union I, 235 ff. 25 S. die Briefe von Camerarius an Christian von Anhalt von 1603 und 1604, LSA, A 9a.

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von Camerarius gegeben war, den Verlust dieser Rechte nach sich ziehen konnte, ja mußte. Im Weiteren wich Camerarius von der eigentlichen Fragestellung ab, ob und an wen gegen die kaiserlichen Hofprozeßentscheidungen zu appellieren sei. Nur implicite ließ er erkennen, daß seiner Ansicht nach die Stände und hier wieder das Kurfürstenkolleg und nicht der Kaiser die oberste Berufungsinstanz seien, an die man sich halten müsse. Statt genauerer Überlegungen über den modus appellandi entwickelte er ausführlich den Gedanken, auf einen Bund der Evangelischen im Reich hinzuwirken und, um Gravamina wie das vorliegende abzustellen, mit Hilfe dieser Spezialvereinigung aktivere und wirksamere Mittel zu ergreifen, als sie die üblichen Appellationsverfahren auf Reichs- und Deputationstagen böten. Im einzelnen argumentierte Camerarius in seinem Gutachten vom 22. Januar 1602 auf eine Weise, die so bezeichnend für sein Denken in den ersten Jahren seines Wirkens in pfälzischem Dienst scheint, daß sie hier wiedergegeben werden möge. Noch nie habe er, schrieb Camerarius, mit Reichsakten zu tun gehabt – man sieht, wie er noch ganz am Anfang seiner Karriere als pfälzischer Reichspolitiker stand. – Er wolle sich deshalb darauf stützen und anführen, was ihm „auß etlichen documentis publicis“ bekannt sei. Nachdem die Freiheit der Reichsstände in erfreulicher Weise durch die Goldene Bulle und die einzelnen Wahlkapitulationen gestärkt und die kaiserliche Regierungsweise durch feste Bestimmungen geordnet worden sei, habe „noch bei unser eltern gedencken“ die deutsche Libertät unter dem Schein der Religion und kaiserlicher Gewalt vielfache, zuletzt – im Schmalkaldischen Krieg – gewaltsame Anfechtung erfahren. Durch tätlichen Widerstand jedoch – gemeint ist die zum Passauer Vertrag von 1552 und zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 führende Aktion des Fürstenbundes – hätten wohlgesinnte Stände das Reich von dem ihm drohenden Joch befreit. Die vor fünfzig Jahren vereitelten Anschläge würden jetzt wiederholt. Der Zwiespalt der Stände und besonders die Uneinigkeit der Protestanten untereinander liefere die Gelegenheit, dieselben Machenschaften, die schon einmal die Freiheit im Reich aufs äußerste bedroht hätten, allmählich auf weniger auffällige, dafür aber um so wirksamere und gefährlichere Weise zu wiederholen durch juristische Manipulationen wie Reskripte, Pönalmandate, Exekutorialien, Kommissionen und ähnliches. Um hierfür die Rechtsgrundlage zu schaffen, definiere man die Macht des Kaisers über die Stände nach den Bestimmungen des Römischen Rechtes. Ein solches Unterfangen sei aber vollkommen abwegig, da es ein Unding sei, das Römische Staatsrecht auf die Reichsverfassung anzuwenden. „Ein Römisch Teutscher könig oder keiser hat sein macht nicht ex veteri lege regia, sondern auß der wal der churfürsten, welche zu solcher wal auß allen andern stenden des reichs … erkoren … sein“. Mehrfach, zum Beispiel bei Adolf von Nassau und Wenzel, hätten die Kurfürsten bereits von ihrem Recht, den Kaiser wieder abzusetzen, Gebrauch gemacht. Auch bezeuge Kaiser Maximilian in den Propositionen, die er in Konstanz den Reichsständen unterbreitet habe, daß „die iura maiestatis imperialis nicht in der person eines keisers allein, sondern und vielmehr in den churfürsten und stänt des reichs gantzem corpore beste-

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hen thun“. Die Kurfürsten, die bei der Wahl des Kaisers das gesamte Volk und alle Reichsstände repräsentierten, legten dem Erwählten gewisse Bestimmungen auf, an die zu halten sich dieser verpflichte als Bedingung, daß die Wahl rechtskräftig werde. Die Verpflichtung zwischen Kaiser und Kurfürsten sei also eine gegenseitige. Es bestehe ein Vertragsverhältnis. Demgemäß dürfe der Kaiser ohne Zutun der Stände, vornehmlich der Kurfürsten, keine Gesetze „oder Ordnung machen“. Er dürfe keinen Krieg beginnen, noch Frieden oder Bündnisse mit auswärtigen Mächten schließen, „wie dan auch vermög der güldenen Bul ein Römischer kaiser selbst in denen Sachen, darum er besprochen für einen pfaltzgraven churfürsten … andwort geben sol“. Der Kaiser dürfe nichts unternehmen oder gestatten, was gegen die Rechte der Stände und die Reichsgesetze gehe. Nichtig sei, was unter Verstoß gegen diese Bestimmungen unternommen werde. Deshalb bestehe auch die mit dem Kammergericht konkurrierende Hofgerichtsbarkeit keineswegs zu Recht. Sie sei vielmehr im Grunde ein Bruch der Reichsverfassung und deshalb abzulehnen. Daß Streitigkeiten ohne Unterschied vor das kaiserliche Hofgericht gezogen würden, verstoße gegen die Reichsgesetze und die Privilegien der Reichsstände. Besonderen Schaden verursache diese Praxis in den Glaubensfragen. Falls ein Reichsstand durch Hofprozesse oder auf andere unbefugte Weise vom Kaiser beschwert würde, dürfe er deshalb dagegen Berufung einlegen. Auf welche Weise eine solche Appellation aber durchzuführen sei, darüber könne er – Camerarius – nichts sagen, da er keine Präzedenzfälle kenne. Auch „ist doch die beisorg zu tragen, daz, dieweil diesen gravaminibus weder uf reichstaegen oder sonst abgeholfen werden wil, esz werden dermaleins die beschwerde und andere stent denen des vatterlands wolfart und der Teutschen so hoch berümbte freiheit zu hertzen gehet, beszer zusammensetzen und auf andere mittel und weg bedacht sein müszen, wie sie nemlich in gemeiner einhelligen eindraechtigkeit … diesen dingen … remediirn mögen“. So lange die Evangelischen getrennt und untereinander uneins wären, die Katholiken aber fest zusammen stünden, müsse man „wol vorher bedenken“, ob und was für ein Erfolg aus derartigen Appellationen hervorgehen könne. Damit lenkte Camerarius zum zweiten, hier weniger interessierenden Teil seines Gutachtens über, in dem er zahlreiche Mängel des Kammergerichtes darlegte. Die unbedingte Ableitung der kaiserlichen Gewalt aus der Vertragslehre und die für die Verhältnisse der Zeit besonders scharf formulierte Überzeugung, daß die Stände, repräsentiert durch die Kurfürsten, die eigentlichen Träger der Reichssouveränität seien, sind es also, die zum einen das Gutachten bemerkenswert machen. Beide Momente charakterisieren die Haltung von Camerarius und zeigen, daß er schon am Beginn seiner Laufbahn den Gedankengängen zuneigte, die sein ganzes späteres Lebenswerk bestimmten. Nicht weniger wichtig ist zum andern, daß er bereits 1602 gesonnen war oder doch wenigstens mit dem Gedanken spielte, aus seinen Deduktionen praktische Folgerungen zu ziehen, die ebenso scharf waren wie seine theoretischen Überlegungen. Plädierte er doch nicht nur für eine Vereinigung der Evangelischen, wie sie sechs Jahre später dann tatsächlich in der Union zustande kommen sollte, nachdem in den Neun-

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zigerjahren diesbezügliche Anläufe gescheitert waren. Camerarius ging bereits weiter, indem er immerhin ernstlich die Möglichkeit ins Auge faßte, den Kaiser abzusetzen und zu tätlichem Widerstand zu schreiten. Daß im Kreis der pfälzischen Staatsjuristen und Räte die Ansichten, die Camerarius 1602 vertrat, als verhältnismäßig kühn gelten konnten, oder daß er doch mindestens schon damals zum energischen und kämpferischen Teil unter den Heidelberger Politikern zu zählen war, zeigen die anderen Gutachten, die gleichzeitig dem Kurfürsten und seinem Oberrat vorlagen. Camerarius hatte nämlich sein Bedenken in seiner Eigenschaft als Mitglied des Hofgerichts, dem er damals ja noch als Rat und Beisitzer angehörte, abgefaßt, und wie an ihn war auch an die anderen Hofgerichtsräte und den Präsidenten des Gerichtshofes, den Oberhofrichter, die Aufforderung ergangen, sich zu dem Fall zu äußern26. Da ist es nun überaus interessant, daß zum Beispiel der Hofgerichtsrat Schumann sich unterm 25. Januar 1602 gegen die Möglichkeit einer Appellation erklärte, weil kein Gericht über dem des Kaisers bestehe und auch nicht von demselben Richter an denselben appelliert werden könne. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so ablehnend, äußern sich andere Gutachten, während auf der anderen Seite einige Bedenken sich wie das von Camerarius für eine Berufung aussprechen. Doch so weit wie Camerarius gehen die anderen Gutachter, die ebenfalls für eine Appellation waren, alle nicht. Sie greifen in ihren Ratschlägen nicht so ins Politische hinüber, sondern beschränken sich mehr auf das rein Juristische. Auch wagen sie es im Gegensatz zu Camerarius nicht, so scharf und eindeutig Stellung zu nehmen und die Vertragslehre so ausschließlich in den Vordergrund zu rücken. Ein Gutachten, eventuell das von Hippolyt von Colli, versucht sogar, ganz im Gegensatz zu den Argumentationen von Camerarius die Zulässigkeit der Appellation aus den Konstitutionen der römischen Kaiser und dem kanonischen Recht zu beweisen. Ferner wird die vergleichsweise sehr energische Haltung, die Camerarius gegenüber den Problemen, die anfangs 1602 zu lösen waren, einnahm, dadurch charakterisiert, daß der Oberrat es nicht wagte, über die verschiedenartigen Meinungen der Hofgerichtsräte zu entscheiden, sondern den Entschluß zunächst verschob. Trotzdem fand offenbar die Stellungnahme von Camerarius die Billigung seiner Vorgesetzten. Denn wahrscheinlich bereits im nächsten oder übernächsten Jahr, 1603 oder 1604, erfolgte seine Aufnahme in den Oberrat, wobei sich allerdings, wie weiter unten des Näheren zu erörtern sein wird, nicht sagen läßt, ob er der Behörde bereits regelrecht angehörte oder nur zu einem Teil ihrer Beratungen zugezogen wurde27. Mit der Zulassung zu den Oberratsgeschäften aber erhielt er die offenbar von Anfang an von ihm erstrebte Gelegenheit, seine diplomatischen Fähigkeiten und Ambitionen voll zu entfalten. Er tat es in einer Weise, die den 1602 entwickelten Gedankengängen entsprach und ihn mithin in enge Verbindung zu den Ansichten und Handlungen Christians von Anhalt 26

Die anderen Gutachten ebenfalls in: BGStA Mü. K. bl. 115/2. S. Christian von Anhalt an Camerarius, 16. 5. 1604, LSA, A 9a. In den kurpfälzischen Dienerbüchern findet sich kein entsprechender Eintrag; allerdings sind dieselben, wie gesagt, auch in anderen Fällen nicht vollständig.

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stellte. Zwar war es sicher zu einem guten Teil Zufall, daß Camerarius gerade 1601 in der pfälzischen Politik eine Rolle zu spielen anfing und von 1603 oder 1604 an in den obersten außenpolitischen Regierungsgremien mitzusprechen hatte. Gleichzeitig aber lag eine gewisse – gleichgültig ob kausale oder zufällige – Bedeutung darin, daß er eben zu dem Zeitpunkt in der pfälzischen Diplomatie zu wirken begann, da in größerem Stil und mit noch sehr viel mehr Stoßkraft als bisher die Vertretung der evangelischen Sache in Angriff genommen wurde und da man – was bisher im wesentlichen immer vermieden worden war – daran ging, die Reichsverfassung zu sprengen. Camerarius erscheint als Repräsentant eines neuen kämpferischen Geistes, der sich um 1600 nicht nur in der Pfalz, sondern ebensosehr im gegnerischen katholischen Lager bemerkbar machte. Diese Beobachtung wird dadurch nicht beeinträchtigt, daß bei der Wirksamkeit von Camerarius ein hohes Maß an Vorsicht und Überlegung zutage trat. Seine juristische Bildung und seine sich allmählich immer weiter steigernde Einsicht in die reichsrechtlichen Verhältnisse sowie ein gewisser ihm eigener Weitblick bewirkten es, daß seine Ratschläge in der Folgezeit oft vorsichtiger klangen als die mancher Draufgänger innerhalb der aktiv-protestantischen Partei. Auch hierin berührte er sich mit Christian von Anhalt, der ja zum Beispiel 1613 ein bedachtsameres Vorgehen durchsetzte, als es einige evangelische Reichsstände wünschten, weil er sich ein klareres Bild als sie über alle Gegebenheiten zu machen vermochte. Obwohl also Christian von Anhalt und noch sehr viel mehr Camerarius oft vorsichtiger auftraten als andere Persönlichkeiten ihrer Partei, ist es bei Camerarius zwar nicht ganz so offenkundig wie bei Christian von Anhalt, jedoch immerhin noch deutlich genug, daß er eine höchst energische Politik vertrat. Folgte Camerarius doch allem Anschein nach bei den großen diplomatischen Aktionen, bei denen er seit 1603 mitzuwirken hatte, den in dem Gutachten des Vorjahres entwickelten Gedanken. 1603 nahm er in Regensburg zum ersten Mal an einem Reichstag teil, als einer der neun kurpfälzischen Gesandten28, 1605 verhandelte er in Bretten gemeinsam mit Löfenius und dem Rat Wilhelm Peblis mit drei württembergischen Gesandten über eventuelle, auf den Kreistagen festzusetzende Bewilligungen für Feldzüge des Kaisers in Ungarn und die an solche Bewilligungen zu knüpfenden Bedingungen, die von den Pfälzern höher angesetzt wurden als von den Württembergern29. Im Spätsommer 1606 finden wir ihn zusammen mit Grün und Löfenius die pfälzischen Interessen auf dem Fuldaer Kurfürstentag vertreten30. Im November 1607 konferierte er – wieder gemeinsam mit Peblis – in Bensheim mit dem kurmainzischen Großhofmeister Kaspar von Elz und dem

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S. Instruktion Friedrichs IV. für seine Vertreter auf dem Reichstag Fabian von Dohna, Culmann, Mörle, Löfenius, Christoph Reiner, Christoph von Beulwitz, Dietrich von Winterfeld, Schug und Camerarius, Heidelberg, 6. 3. 1603, BGStA Mü. K. schw. 546/9; Br. u. Akt. I, Nr. 301. Im übrigen sind die pfälzischen Akten über den Reichstag von 1603 höchst unvollständig. 29 „Protocollum des Tags zu Bretten“ (in der Handschrift von Camerarius), 22. 3. 1605, BGStA Mü. K. schw. 543/5; Br. u. Akt. I, Nr. 340. 30 S. BGStA Mü. K. schw. 547/1; Der Unierten Protestierenden Archif, Appendix 221 ff.; Br. u. Akt. I, Nr. 416.

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mainzischen Kanzler Franz Faust31 und erschien schließlich 1608 wiederum in Regensburg auf dem Reichstag als pfälzischer Gesandter neben Graf Ludwig von Sain, Engelbert von Lautern, Christoph von Beulwitz, Dr. Christoph Reiner, Carl Pawell und Dr. Friedrich Schlöer32. Während er 1603 noch als letzter Gesandter rangierte, standen 1608 Pawell und Schlöer in den Vollmachten und Protokollen bereits hinter ihm, und auch sonst ist es deutlich, daß seine Stimme bei den Verhandlungen von 1608 bereits größeres Gewicht hatte als 1603, bis er dann bei dem Regensburger Reichstag von 1613 geradezu als Führer der pfälzischen Delegation auftreten konnte. Obwohl der Regensburger Reichstag von 1608 von vornherein überschattet wurde durch die Donauwörther Exekution, die Bayern in den Besitz der reichsfreien, überwiegend protestantischen Stadt brachte, nahm der Tag doch zunächst einen hoffnungsvollen Gang, hoffnungsvoll durch die unvermutete Einmütigkeit der Protestanten und die selten weit gehende Bereitschaft der Pfälzer zur Bewilligung von Geldern für den Türkenkrieg. Diese Bereitschaft hing zusammen mit dem Wunsch Friedrichs IV. und seiner Ratgeber, im Falle von Friedrichs Tod der Pfalz bis zur Großjährigkeit des Kurprinzen einen calvinistischen Administrator in der Person des Herzogs und Pfalzgrafen Johann von Pfalz-Zweibrücken zu sichern, wozu die 1608 bereits von Rudolf II. halb versprochene kaiserliche Bestätigung des diesbezüglichen Testamentes nötig war. Wie uns ein Brief an Grün zeigt, scheint Camerarius diese Bereitwilligkeit zwar zunächst gefördert, aber doch dafür plädiert zu haben, daß man deswegen nicht die anderen diesmal bei der Geldbewilligung zurückhaltenderen protestantischen Stände vor den Kopf stoßen, sich vielmehr die so selten eintretende Einigkeit der Evangelischen zu energischen Aktionen zunutze machen sollte33. Als der kaiserliche Vertreter Erzherzog Ferdinand, mit dem Camerarius hier zum ersten Mal in seinem Leben zusammentraf, in den Glaubensfragen immer höher geschraubte Forderungen stellte, trat er deshalb im weiteren Verlauf des Reichstages energisch dafür ein, auf die Bedingungen nicht einzugehen, sondern die Gelegenheit wahrzunehmen, den Reichstag unter Protest zu verlassen und damit die oberste Reichsversammlung, wie 1601 bereits den Deputationstag, zu sprengen, was auf dem Reichstag von 1603 noch gerade mit knapper Not vermieden worden war. Ende April 1608 wurde diese Absicht ausgeführt. Camerarius kehrte mit den anderen Räten nach Heidelberg zurück und nahm hier bald tätigen Anteil an der Ausbildung der Union, des nun endlich, sozusagen als Folge der Geschehnisse des Frühjahrs, zustande kommenden protestantischen Fürstenbundes unter Führung von Kurpfalz. Ob er bereits im Mai 1608 in Ahausen an den Gründungsverhandlungen beteiligt war, ist allerdings nicht sicher. Unter den im Mai für die 31

BGStA Mü. K. bl. 117/4; Br. u. Akt. I, Nr. 508. S. BGStA Mü. K. schw. 547/3–5; Br. u. Akt. I, Nr. 529; BGLA Ka., Pfalz Generalia, Abt. 77/8375. Auch über diesen Reichstag sind die kurpfälzischen Akten nur sehr bruchstückhaft. 33 Camerarius an Christoph von der Grün, Regensburg, 27. 1. 1608: „… Wir müßen craft habender instruction auch in diesen und dergleichen dingen unsz mit dem merern und fürnemern teil vergleichen, damit wir guten willen erhalten und Pfalz in kein suspicion bringen, das man a via recta et more veteri abweichen wolle …“, BGStA Mü. K. schw. 547/5; Br. u. Akt. I, Nr. 529. 32

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Unionsgeschäfte nominierten Räten erscheint er noch nicht. Vielmehr erfolgte die Bevollmächtigung von Camerarius erst Ende Juni 160834, am selben Tag, an dem er instruiert wurde, zusammen mit Plessen die pfälzischen Interessen in Hof bei einer Zusammenkunft mit Gesandten Sachsens und Brandenburgs zu vertreten, einem Konvent, der jedoch schließlich nicht zustande kam35. Von nun an nahm er an den wichtigsten Unionsverhandlungen ständigen Anteil, so an dem Unionstag von Schwäbisch-Hall im Mai 160936, und seine Bedeutung für das Gelingen der Versammlungen wurde schon in diesem Jahr für so groß erachtet, daß im September 1609 der Großhofmeister Graf Solms und der Kanzler von der Grün dafür plädierten, einen für Oktober in Aussicht genommenen Unionstag zu verschieben, nicht nur, weil Christian von Anhalt nicht anwesend sein konnte, sondern auch – ausdrücklich wird er genannt –, weil Camerarius nicht disponibel sei. Beide, der Fürst und Camerarius aber seien für die Verhandlungen so wichtig, daß es nicht ratsam sei, ohne sie den Konvent stattfinden zu lassen37. Christian von Anhalt und Camerarius befanden sich im September 1609 noch am Kaiserhof in Prag, wo sie bereits seit Juli mit Rudolf II., seinen Räten und den böhmischen Ständen verhandelten. Es war die letzte Phase jener schon seit mehreren Jahren laufenden diplomatischen Aktionen und Umtriebe, in denen, wie Uflacker im einzelnen aufgezeigt hat, Christian von Anhalt eine erste engere Verbindung zu den unzufriedenen und aufständischen böhmischen und österreichischen Ständen herstellte, eine Verbindung, die zunächst zwar für die Pfälzer zu keinem greifbaren Machtzuwachs führte, aber die Grundlage für die Unternehmungen zehn Jahre später legen half38. Nachdem ein Ausgleich zwischen dem Kaiser und den Ständen hergestellt und damit die Gelegenheit für die Pfalz und die Union vorüber gegangen war, die böhmischen Bewegungen zu einer großen bewaffneten Aktion auszuweiten, erschien Christian gemäß den Beschlüssen des Schwäbisch-Haller Unionstages vom Frühjahr 1609 in Prag, begleitet von den Bevollmächtigten von vier weiteren Unionsmitgliedern, um beim Kaiser aufs neue wegen der Katholisierung und Inbesitznahme der Reichsstadt Donauwörth durch Bayern vorstellig zu werden und sich für die Anliegen der böhmischen Stände zu verwenden. Der bei dieser Mission Christian zugeordnete pfälzische Gesandte war Camerarius, der, wie nach dem Schwäbisch-Haller Unionsabschied anzunehmen ist, auf Christians ausdrückliche Bitte unter den pfälzischen Räten für diese Aufgabe ausgesucht wurde39. Bei der offiziellen Audienz, die Rudolf II. Christian und seinen Begleitern am 28. Juli auf dem Hradschin erteilte, fiel Camerarius die Aufgabe zu, die eigentliche „Werbung“ zu verrichten, nachdem Christian einige 34

Friedrich IV. an Christian von Anhalt, 26. 6. 1608, BGStA Mü. K. bl. 117/5; Br. u. Akt. II, Nr. 7. Friedrichs IV. Instruktion für Plessen und Camerarius, 26. 6. 1608, BGStA Mü. K. schw. 547/6; Br. u. Akt. II, Nr. 15. 36 S. BGStA Mü. K. bl. 117/3 f.; Br. u. Akt. II, Nr. 131 f. 37 Großhofmeister, Kanzler und verordnete Räte an Friedrich IV., 18. 9. 1609, BGStA Mü. K. bl. 116/2 f.; Br. u. Akt. II, Nr. 193. 38 S. H. G. Uflacker, Christian I. von Anhalt und Peter Wok von Rosenberg, a. a. O., 37 ff. 39 S. den Unionsabschied, BGStA Mü. K. bl. 341/24, 36; Br. u. Akt. II, Nr. 132. 35

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einleitende Worte gesprochen hatte. „… ist der Vortrag durch hern dr. Camerarium geschehen, und in demselben mit miglicher kürtze die substantialia der drei hauptpuncten sonderlich aber bei dem dritten die gravamina wider das kaiserliche regiment wol und in specie von puncten zue puncten ausgefüert“, berichtete Anhalt hierüber40. Fast eine halbe Stunde habe der Vortrag gedauert – auch hier gab Camerarius seine Neigung zu ausführlichen Darstellungen nicht ganz auf –, doch „Ihre Majestät“ habe „dahero einig disgusto nit empfangen“41. Tatsächlich scheint die Audienz bei dem 1609 schon überaus schwierigen und allmählich in geistige Umnachtung versinkenden Kaiser einigermaßen gut abgelaufen zu sein, dessen auch damals noch eindrucksvolle Erscheinung Camerarius nun mit eigenen Augen sah, ebenso wie die glänzende Residenzstadt Rudolfs, die zehn Jahre später, während der pfälzischen Herrschaft in Böhmen, auf ein reichliches Jahr sein eigener Wohnort werden sollte. Auch mit den kaiserlichen Räten, unter anderem Strahlendorff, hatte Camerarius zu tun, ebenso wie mit den Führern der ständischen Opposition, vor allem Peter Wok von Rosenberg, der mit Camerarius eine lange Konferenz hatte, auf die sich Rosenberg später mehrmals bezog42. Wir finden Camerarius also wie neun Jahre später bei der endlichen Ausführung des böhmischen Unternehmens auch beim ersten Beginn der Vorbereitung in engem Kontakt mit Christian von Anhalt, während er, wie noch zu zeigen sein wird, an den Verhandlungen, die zwischen 1611 und 1617 mit den böhmischen Ständen geführt wurden, nur verhältnismäßig geringen Anteil hatte. Seine Teilnahme an der Prager Gesandtschaft von 1609 und der Umstand, daß Christian ihn ausdrücklich als Begleiter forderte, bestärkt die Vermutung, zu der sein Verhalten ein Jahrzehnt später veranlaßt, daß er, obwohl er in den folgenden Jahren in der böhmischen Politik etwas zurücktrat, von vornherein auch hinsichtlich der Wenzelskrone Christians Maßnahmen und Ziele unterstützte und an ihnen beteiligt war. Noch offensichtlicher ist seine Mitwirkung bei jener großen Aktion des Fürsten, die darauf abzielte, durch ein gemeinsames kriegerisches Vorgehen der Union, Frankreichs, der Niederlande und wenn möglich Englands den Jülicher Erbfolgefall im Sinn der protestantischen Partei zu lösen und – notfalls durch einen europäischen Krieg – eine Sicherung großen Stils für die evangelische Sache herbeizuführen und die pfälzische Machtposition auf die Dauer im Konzert der europäischen Mächte zu begründen. Es waren die wichtigen Verhandlungen mit der Union, die Camerarius bei dieser großen Aktion zufielen. An den Unionstagen von 1610 und 1611 hatte er als einer der maßgeblichen pfälzischen Gesandten wesentlichen Anteil43. Außerdem reiste er in spezieller

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BGStA Mü. K. bl. 343/16 f.; Br. u. Akt. II, Nr. 200. Christian von Anhalt an den Herzog von Pfalz-Neuburg, Prag 30. 7. 1609, BGStA Mü. K. bl. 343/16 f.; Br. u. Akt. II, Nr. 200. 42 S. z. B. Friedrich IV. an Peter Wok von Rosenberg, 22. 2. 1610, BGStA Mü. K. bl. 116/4 f.; Br. u. Akt. III, Nr. 20; Peter Wok von Rosenberg an Friedrich IV., 20. 7. 1610, BGStA Mü. K. bl. 379/7; Br. u. Akt. III, Nr. 230. 43 So an den Versammlungen von Schwäbisch-Hall Januar bis Februar, in Speyer im April und Heilbronn im Juni 1610, s. BGStA Mü. K. bl. 117/1, 2; Br. u. Akt. III, Nr. 19 f., 108 f., 182 ff. 41

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Mission im Frühjahr 1610 zu dem Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel44. Die fieberhafte Tätigkeit, die gerade in diesen Jahren Christian und die von seinem Geist erfüllte pfälzische Politik ergriff, scheint sich Camerarius vollauf mitgeteilt zu haben. Er war sich offenbar der Bedeutung der Aktionen, die 1610 im Gang waren, ganz bewußt, und sah die Möglichkeit eines großen Krieges, der in diesem Jahr zu einem guten Teil dank der pfälzischen Politik so greifbar nahe gerückt war, als die logische Folge jener politischen Notwendigkeiten an, denen er mit seiner Diplomatie dienen wollte. Ja, ernsthaft rechnete er bereits mit den großartigen Möglichkeiten, die der sich abzeichnende, ganz Europa umfassende Waffengang eröffnete. Andererseits aber sehnte er den Krieg trotzdem keineswegs herbei, sondern schreckte vor ihm als der letzten Konsequenz der Politik, an der er beteiligt war, zurück und hoffte, daß der Frieden gewahrt bleibe. – Wir werden noch sehen, wie sich das Streben, den Frieden zu erhalten, bei ihm in sonderbarer Weise mit dem Anliegen einer militanten, evangelischen Politik verband, die mit einer gewissen Notwendigkeit zum Krieg führen mußte. – Auch Camerarius atmete deshalb auf, als die Kriegsgefahr noch einmal vorüber ging, sosehr er es andererseits auch bedauerte, daß die Chance nicht wahrgenommen werden konnte, die große Auseinandersetzung unter Bedingungen zu beginnen, die für die Pfälzer selten günstig und jedenfalls sehr viel besser waren als die Konstellation, unter der man 1619 in den Kampf gehen mußte. Die Bedeutung, die Camerarius für das pfälzische Staatswesen erlangt, der Einfluß, den er sich in der pfälzischen Politik verschafft hatte, wurden nach außen hin bestätigt durch seine Ernennung zum Geheimen Rat am 24. Juni 161145. Wie gesagt, an den Sitzungen des Oberrates nahm Camerarius allem Anschein nach schon seit 1603 oder 1604 teil. Der Oberrat aber stellte ein aus der Masse der gewöhnlichen Räte beziehungsweise Nebenräte ausgeschiedenes Gremium dar. Ob dieses Gremium, wie Moriz Ritter es darstellt, mit der obersten Regierungsbehörde des Geheimen Rates identisch war, mag hier dahingestellt bleiben. Ist dies der Fall, so müßte angenommen werden, daß Camerarius schon früher an den Besprechungen der obersten Ratsbehörde teilnehmen durfte, daß die offizielle Mitgliedschaft ihm aber erst 1611 verliehen wurde, sofern es sich bei der Ernennung nicht lediglich um die Bestätigung einer früheren Beförderung handelt, wie sie eventuell nötig wurde, nachdem Kurfürst Friedrich IV. 1610 gestorben war und Herzog Johann von Pfalz-Zweibrücken als Vormund des erst vierzehnjährigen Friedrich V. die Regierung übernommen hatte. Wahrscheinlich ist freilich nach dem Ernennungstext die letztere Erklärung nicht46. Eher liegt die Annahme nahe, daß Camerarius seit 1604 an den Beratungen der obersten Behörde teilzunehmen hatte, regelrechtes Mitglied aber erst 1611 wurde, ja manches spricht entgegen der Ritterschen Ansicht sogar dafür, daß zwischen Oberrat 44

Instruktion für Ludwig Camerarius vom 27. 3. 1610 und seine Werbung an Landgraf Moritz von Hessen (ohne Datum) BGStA Mü. K. bl. 117/1; Br. u. Akt. III, Nr. 82. 45 BGLA Ka. Abt. 67, Kopialbuch 861c, f. 113b–115a „Wie Doctor Ludwig Cammermeister Camerarius genannt, zu Churfürsten Pfalz geheimen Rhatt bestellt undt angenommen worden“. 46 Auch der Umstand spricht dagegen, daß in den kurpfälzischen Dienerbüchern nichts über eine Ernennung zum Geheimen Rat in den Jahren 1603 oder 1604 vermerkt ist.

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und Geheimem Rat doch noch ein Unterschied bestand, und Camerarius mithin an den obersten Regierungsgeschäften in außen- wie innenpolitischer Hinsicht erst seit 1611 Anteil nahm. „Bis uf unser oder sein wiederrufen“ wurde Camerarius am 24. Juni 1611 zum „geheimen Rhatt unnd Diener bestellt unnd ufgenommen“, mit der Verpflichtung, „daß er alhier, oder da wir unser hofhaltunng undt Canzlei habenn, wohnen, daselbst uf unnser Canzlei warttenn, unndt unsernn Canzlei Rhatt täglich besuchen, undt in allenn der Churfürsten Pfalz sachenn undt geschefften, es sei mit rhattenn, reden … undt dienen dahin er ieder Zeit bescheidenn undt verordtnet würdt … des gleichen der Churfürsten Pfaltz Kürchen- … Polizey undt anderr ordtnungen, so an izo vorhanden, seines bestenn Vermögens helffenn befürdern“ sollte. Ferner wurde Camerarius verpflichtet, solange er Geheimrat war, ohne Genehmigung keinen Dienst für fremde Herrschaften zu leisten und in Anliegen, die sich auf den Administrator Johann oder den künftigen Kurfürsten bezogen, keine größeren Geschenke anzunehmen47. 450 Gulden sollte künftig sein Jahresgehalt betragen, wozu an jährlichen Sachleistungen noch kamen: zwanzig Malter Korn, anderthalb Fuder Wein, „item aus unserer Schneiderey ein hoffsommerkleidt, wie anderen seines glichen“48. Auch wurde Camerarius zugesichert, daß ihm auf dienstlichen Reisen Pferde und Knechte zur Verfügung gestellt würden. Desgleichen sollte die Beköstigung aus kurfürstlicher Kasse bestritten werden. Als Kündigungsfrist wurde für beide Teile ein Vierteljahr festgesetzt, angesichts der Wichtigkeit und Höhe der Stellung eines Geheimen Rates ein erstaunlich kurzer Termin49. Eine weitere Anerkennung und gleichzeitig Verbesserung seiner materiellen Lage bedeutete es, daß ihm nicht lange nach seiner Beförderung zum Geheimen Rat, wohl im Jahre 1613, die Prälatur des Klosters Reichenbach in der Oberpfalz übertragen wurde, eine der Pfründen, die nach der protestantischen Säkularisation an hohe Staatsbeamte vergeben zu werden pflegten50. Weitere 170 Gulden jährlich flossen ihm aus dieser Quelle zu; außerdem jedes Jahr 5 Viertel Weizen, 36 Viertel Korn, 34 Viertel Gerste, 10 Viertel Hafer, 10 Eimer und 20 Maß Wein, 50 Pfund Hechte, 1 Zentner Karpfen, 2 Fuder Heu, ferner Rüben, Kraut und anderes, alles Naturalien, die sicher nur teilweise für seinen eigenen Haushalt nötig waren und im übrigen ebenfalls zu Geld gemacht werden konnten. 47

„Er soll auch sonnsten die Zeit er also unser und der Churfürsten Pfalz Rhatt unndt Diener ist, ohnn unsren wissen unndt erlaubnuß keinen andernn dienst annehmen, oder einer andrenn herschaft verpflicht noch verbunden sein, auch kein schennck undt gab nehmen, in sachen unns oder die Churfürsten Pfalz berürent, oder darinn er derselben wegen zu handlen hatt, es wehre dann Pfleglichen Schennkwein, oder dergleichen geringe verehrungen“, BGLA Ka. Abt. 67, Kopialbuch 861c, f. 113b–115a. 48 BGLA Ka. Abt. 67, Kopialbuch 861c, f. 113b–115a. 49 „… und da wir oder die Churfürsten Pfalz ihne nit mehr zum rhatt und diener habenn, oder seine Gelegenheit uns lenger zu dienen nichtt sein würde, soll ie ein theil dem andern solches ein vierttel iahr zuvor uffkünden, alles treuerlich und ohn gefehrdt …“, BGLA Ka. Abt. 67, Kopialbuch 861c, f. 113b–115a. 50 BGLA Ka., Abt. 67, Kopialbuch 861c, f. 117 ff.

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So scheint es, daß sich seit 1611 die Einkommensverhältnisse von Camerarius nicht unwesentlich besserten. Das mochte für diesen um so wichtiger sein, als er noch 1609 geklagt hatte, er habe in den elf Jahren, die er damals in pfälzischem Dienst stand, 4200 Gulden aus eigener Tasche zugesetzt51. Trotzdem ging es ihm freilich auch vor 1611 nicht schlecht. Außer seinem Heidelberger Haus, dessen Preis mindestens 2400, vielleicht aber auch 3400 Gulden betrug, hatte er sich für wenigstens 1300 Gulden bereits vor 1609 ein – allerdings wohl nicht großes – Weingut gekauft, das „Gütlein Neuenheim, so D. Esthij, seliger gewest“52. Auch sonst zeigt gerade das „Verzeichnuß“, daß er bereits 1609 zwar keineswegs reich und auch nicht wohlhabend, aber andererseits doch ebensowenig mittellos war. Aus einigen Bemerkungen in dem Schriftstück geht hervor, daß Camerarius es zur Grundlage für Verhandlungen über eine Gehaltserhöhung zu gebrauchen beabsichtigte53. Alles in allem scheint es, daß er für seine persönlichen Angelegenheiten schon damals ebenso wie später als schwedischer Diplomat kein schlechter Kaufmann war, wenn er auch im Dienst seines Kurfürsten zunächst einiges zusetzte. Im Jahre 1611, mit seiner Ernennung zum Geheimen Rat, rückte Camerarius endgültig in das oberste Regierungsgremium der Pfalz ein, das die höchste, im kollegialen Verfahren arbeitende Behörde des Landes für alle Fragen der Außenpolitik und die meisten Angelegenheiten des Inneren darstellte. Mit 38 Jahren war er damit zu einer Würde gelangt, von der sich sagen läßt – soweit solche Vergleiche über die Jahrhunderte hinweg möglich sind –, daß sie derjenigen eines Ministers späterer Epochen entsprach. Abgesehen vom Posten des Kanzlers und Vizekanzlers gab es innerhalb des pfälzischen Staatswesens nun keinen höheren Rang mehr, den Camerarius hätte erreichen können, da das oberste Amt, das des Großhofmeisters, stets dem Adel vorbehalten blieb. Er gehörte zu den neun, beziehungsweise zehn obersten Beamten des Landes. Bestimmte doch die von Kurfürst Ott-Heinrich am 20. Oktober 1557 erlassene „Canzley-Ordnung“, die wieder auf früheren Verfügungen, besonders auf den von Kurfürst Friedrich I. dem Siegreichen 1462 getroffenen Entscheidungen basierte, daß sich der Geheime Rat aus neun Mitgliedern zusammensetzen soll-

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„Verzeichnuß, Was ich von dem Meinigen zöhrt, meinem dienst zugesetzt, was ich schuldig, unnd was ich dargegen erkaufft und sonst angelegt hab“ … 12. 9. 1609. Das Verzeichnis findet sich wiedergegeben in einer Schmähschrift auf Camerarius aus dem Jahr 1625 von Jakob Keller mit dem Titel: Rhabarbarum, Domandae, Bili, Quam In Apologia, Sua Proritavit, Ludovicus Camerarius, propinatum, A, Fabio Hercyniano, J. C., Anno MDCXXV 23 ff. Es fiel angeblich 1622 bei der Eroberung Heidelbergs in die Hände der Ligisten, was nach allem glaubwürdig scheint, so daß trotz aller Vorsicht, die gleichwohl geboten ist, dem Verzeichnis Quellenwert zukommt. 52 „Verzeichnuß“ 24. 53 „Und hab ich diß alles allein darumb im höchsten vertrawen verzeichnet, daß darauß zuspüren, wie treulich ich bey meinem dienst das meinig mit dargesetzt, welches ich aber ohn mein und der Meinigen eisersten schaden und verderben lenger nit zuthun vermag, auch dessen in meim Hertzen wol versichert bin, daß Churfürsten Pfalz meinem gnädigisten Herrn leid seyn würde, da ich in ein solchen schaden und unglück gerathen solte“. „Verzeichnuß“ 24.

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te54. Hierzu kam seit 1595 als zehnte maßgebende Persönlichkeit der eigentliche Leiter der pfälzischen Politik, Fürst Christian von Anhalt. Er gehörte dem Heidelberger Geheimen Rat zwar nicht offiziell an, bekleidete vielmehr den Rang eines Statthalters der Oberpfalz55. Gleichwohl bestimmte er, wie schon gesagt, in entscheidender Weise die Entschlüsse der Heidelberger Räte. Die oberste Stelle unter denselben nahm der Großhofmeister ein, der stets dem Adel anzugehören hatte. Seit 1601 oder 1602 war Großhofmeister Graf Johann Albrecht zu Solms-Braunfels, keine bedeutende, aber eine nicht nur in ihrer äußeren Grandezza, sondern ebenso in ihrer Gesinnung vornehme Erscheinung, die auch in der Notzeit dem Winterkönig die Treue hielt und ihm ins Exil folgte. Für Camerarius zeigte Solms offenbar stets eine wohlwollende Gesinnung, wenn seine Förderung vielleicht auch nicht allzu aktiv war. An geistigem Einfluß trat er im Lebenslauf von Camerarius ganz hinter Christian von Anhalt zurück, von dem Solms in seinen Entschlüssen anscheinend in noch weitergehendem Maß als manche andere der pfälzischen Regierungsmitglieder abhing, so daß er Camerarius auch aus diesem Grund wohl nicht allzu viel Eigenes zu bieten hatte. Dafür konnte dieser bei Solms stets auf größtes Verständnis für seine Gedankengänge rechnen, die ja in so starkem Maß mit denen Christians von Anhalt übereinstimmten. Das schaffte eine gesinnungsmäßige Intimität zwischen Solms und Camerarius, die sich für letzteren günstig auswirkte. Allem Anschein nach bestand keine solche Vertrautheit, wenigstens nicht in diesem Maß, zwischen Camerarius und Christoph von der Grün, der seit 1606 als Kanzler amtierte. So eindringend auch nach dem Zeugnis der erhaltenen Briefe der Gedankenaustausch zwischen dem Kanzler und Camerarius war, spricht doch vieles dafür, daß in mancher Hinsicht eine gewisse Reserve zwischen ihnen vorhanden war. Vielleicht lag für dieselbe wenigstens zum Teil die Ursache darin, daß Grün, wenn er auch im wesentlichen mit Anhalt harmonierte, offenbar öfters für eine vorsichtigere und zurückhaltendere Politik war, womit wiederum eventuell zusammenhing, daß er bei der böhmischen Expedition immerhin bemerkenswert weit im Hintergrund blieb. Die dritte Stelle im Geheimen Rat bekleidete nach den Anordnungen von 1557 der Marschall, „so mit Amptsgeschäften nit beladen ist“, dem vielmehr eine mehr repräsentative Rolle zufiel. Sechs weitere Geheime Räte folgten, von denen einer den Rang eines Vizekanzlers erhalten konnte56. Ein Teil von ihnen ist uns aus dem Bisherigen schon bekannt. Ferner sind an Persönlichkeiten zu nennen, die in den folgenden Jahren, teils früher, teils später im Geheimen Rat Kollegen von Camerarius wurden und mit ihm in enge Arbeitsgemeinschaft traten: Dr. Marquard Freher, Dietrich von Schönberg, die Schwäger und weitläufigen Vettern, der Haushofmeister Carl Pawell und der Oberhofrichter – als solcher war 54

Coll. Cam. Vol. 59, Nr. 40; BGLA Ka., Pfalz Generalia, Abt. 77/1012. In der Oberpfalz gab es ebenfalls eine Ratsbehörde mit dem Statthalter und einem Kanzler an der Spitze. Doch beschränkte sich der oberpfälzische Rat in der Hauptsache auf die innere Verwaltung der Provinz. 56 Z. B. war der Geheime Rat Dr. Ludwig Culmann am 23. 2. 1592 zum Vizekanzler ernannt worden, BGLA Ka., Abt. 67, Kopialbuch 860, f. 51. 55

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er Nachfolger Hippolyts von Colli – Andreas Pawell, von denen einer in späteren Jahren wohl ebenfalls dem Geheimen Rat angehörte57, schließlich die Freiherren und Burggrafen Christof und Achaz von Dohna, zwei Brüder. Besonders zu Achaz von Dohna fühlte sich Camerarius offenbar von Anfang an hingezogen. Bis ins Alter bewahrte er ihm eine überaus freundschaftliche Gesinnung, die sich unter anderem darin äußerte, daß er Dohna sein 1646 erschienenes Alterswerk, die Ausgabe der Briefe des Hubert Languet widmete. Die Kanzleiordnung von 1557 legte nicht nur die Anzahl der Geheimen Räte fest. Sie ordnete ferner an, aus welchen Kreisen sich die höchsten Beamten des Landes zusammensetzen, über welche Bildung sie verfügen sollten. Stets adlig hatten nach den Bestimmungen Ott-Heinrichs der Großhofmeister und der Marschall zu sein. Ferner sollten nach Möglichkeit drei oder sogar vier weitere Geheime Räte dem Adelsstand angehören58. Vom Kanzler und zwei oder drei anderen Geheimen Räten hingegen wurde verlangt, daß sie Juristen seien. Nun schlossen an sich Adel und Rechtsgelehrsamkeit einander zwar keineswegs aus. Doch so, wie die Dinge um 1560 in Heidelberg lagen, waren unter Juristen in der Regel Bürgerliche zu verstehen. Ja, die Forderung, daß wenigstens fünf der neun Geheimen Räte adlig sein sollten, konnte 1557 oder zumindestens wenig später wohl überhaupt nur als Postulat gelten. War es doch in der Hauptsache ein bürgerliches „Doctorenregiment“, das von den Sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts an die Pfalz regierte. Jene Entwicklung, die im Zug des Humanismus der Kenntnis des römischen Rechtes und der Alten Sprachen für die Staatsverwaltung höchste Bedeutung verschafft und dementsprechend rechtsgelehrte Bürgerliche, sofern sie Doktoren waren, den Adligen bei Hof gleichgestellt hatte, fand in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in der Pfalz eine besonders markante Ausprägung. Lange Jahre herrschten hier in seltener Ausschließlichkeit in der Ratsregierung bürgerliche Doktoren vor. Es dominierte in Verbindung damit die wissenschaftlich-juristische Gelehrsamkeit. Sie stand – dies ist das dritte Charakteristikum – in allernächstem Konnex mit den Alten Sprachen und mit einer sehr intensiven Religiosität. Als ausgesprochener Repräsentant jener Doktorenschicht konnte Camerarius gelten. Die Ursachen dieses für seine Lebensgeschichte hochwichtigen Umstandes wurden zum Teil schon deutlich. Es zeigte sich bereits, wie in seiner Bildung ganz die humanistischen Disziplinen dominierten: die Alten Sprachen unter Ausschluß des Französischen, sowie eine höchst vollkommene juristische Schulung. Man sah, wie er über die Fertigkeiten eines Gelehrten verfügte, und wie gleichzeitig sein humanistisch-juristisches Können in allerengster Verbindung stand mit einer tiefen Religiosität. Zu diesen Faktoren kam als weiteres bedeutsames Moment die soziologische Position, die er bezog. Als Ministerialen eines geistlichen Fürsten hatten die Camerarii jahrhundertelang gelebt. Landadlige Herren zählten zu den Ahnen 57

Auch Paul geschrieben. Beide Pawell waren mit Töchtern des württembergischen Hofkammerpräsidenten Erhard von Rammingen verheiratet; nach freundlicher Information von Herrn Archivar Friedrich Wilhelm Euler, Insel Wörth b. Fürstenfeldbruck/Obb. 58 Coll. Cam. Vol. 59, Nr. 40; BGLA Ka., Pfalz Generalia, Abt. 77/1012.

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von Ludwig Camerarius. Die übrigen gehörten der höchsten Schicht des Bürgertums, dem Patriziat an, das sozial dem niedrigeren Landadel gleichstand. Zahlreich waren die Heiraten zwischen Landadligen und Patriziern, die zum Teil selbst bereits Adelstitel besaßen oder sie in späteren Jahrzehnten und Epochen erwarben. Der Schritt war also nicht groß, der für Camerarius nötig gewesen wäre, um zum eigentlichen Adligen zu werden. Trotzdem tat er ihn nicht und strebte allem Anschein nach auch nicht ernstlich – mit der ihm sonst eigenen Energie und Beharrlichkeit – danach, ihn tun zu können59. Als er aber ganz am Ende seines Lebens, 1649, tatsächlich den schwedischen Amtsadel verliehen erhielt, ohne freilich in die regelrechte schwedische Ritterschaft aufgenommen zu werden, war dies offenbar eine Würde, die ihm ziemlich ohne sein Zutun zuteil wurde, und an der ihm höchstens im Hinblick auf die diplomatische Laufbahn seines Sohnes Joachim lag. Für sich selbst war er dagegen offenbar durchaus mit der Stellung des gelehrten Doktors patrizischer Herkunft zufrieden. Die Vorstellung erfüllte ihn vollkommen, daß der Doktortitel dem Adel entsprach. Und tatsächlich stand während der gesamten Zeit seines Wirkens ein Doktor einem Adligen im pfälzischen Hofrang gleich. Ebenso ersetzte ihm in schwedischem Dienst sein Doktorhut den Adelsbrief gänzlich oder doch wenigstens in sehr weitgehendem Maß. Mit Bildung und Weltanschauung verband sich bei Camerarius also das Moment der sozialen Stellung. Alle drei Faktoren ließen ihn geradezu zum Prototyp des gelehrten bürgerlichen Geheimen Rates werden, wie er zu weitester Herrschaft im 16. Jahrhundert gelangte, aber auch im 17. noch von hoher Bedeutung war. Sein noch näher zu erörterndes Anlehnungsbedürfnis und seine daraus entspringende Vorliebe für die kollegiale Regierungsweise, wie sie von den Geheimen Ratsbehörden ausgeübt wurde, kamen noch zu den übrigen Faktoren hinzu. Wenn Camerarius somit als Repräsentant des pfälzischen „Doctorenregiments“ der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gelten konnte, so war er damit schon vom Augenblick seines Eintrittes in pfälzischen Dienst an, vollends aber seit der Zeit, da er in den Geheimen Rat Aufnahme fand, Vertreter einer Richtung, die sich am Heidelberger Hof im Rückgang befand. Denn schon gegen den Ausgang des 16. Jahrhunderts hin und dann mehr und mehr in den ersten Jahren des 17. wurde der Adel in den obersten Regierungsstellen wieder zahlreicher. Es zeigte sich soeben, wie er im Geheimen Rat in der Zeit, da Camerarius ihm angehörte, wieder in die Überzahl gelangte. Dies bedeutete nun zwar zunächst keineswegs, daß sich an der die pfälzische Regierung seit der Mitte des 16. Jahrhunderts bestimmenden tiefen Religiosität 59

Sein publizistischer Widersacher Jakob Keller suchte ihm zwar später nachzuweisen, er habe nach der Nobilitierung getrachtet, s. Litura sive Castigatio, Rhabarbarum (genaue Titel Kap. V). Doch scheint nach allem diese Behauptung wenig begründet. Auch 1620, als es ihm, wie in Kap. II berichtet, auf den Nachweis ankam, daß seine Vorfahren schon landsässig gewesen seien, bemühte er sich nur deshalb um ein solches Testat, weil es die Vorbedingung dafür war, daß er schlesischer Vizekanzler und böhmischer Geheimer Rat werden konnte. An eine Nobilitierung im eigentlichen Sinn dachte er hingegen allem Anschein nach nicht.

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etwas geändert hätte, daß sie etwa abgeschwächt worden wäre. Die adeligen Räte zeigten sich vielmehr wie die bürgerlichen von ernstester Gläubigkeit erfüllt. Auch war es nicht so, daß viele der Kavaliere nicht über die juristisch-humanistischen Kenntnisse verfügten, welche das 16. und das beginnende 17. Jahrhundert für einen Teil der hohen Regierungsämter forderten und die dementsprechend auch die Kanzleiordnung Ott-Heinrichs vorschrieb. Auch ein Teil der Räte von Adel hatte eine juristische Universitätsausbildung erfahren und bewies eine tiefgehende Kenntnis der Alten Sprachen. Jedoch herrschte – und hierin lag der grundlegende Unterschied – in ihrer Geistigkeit das juristische und humanistische Element und das Moment des Gelehrtentums nicht so ausschließlich wie bei den bürgerlichen Doktoren vor. Auch bei den meisten gelehrten Räten von Adel machte sich neben der Jurisprudenz und den altsprachlichen Fertigkeiten die französische Bildung und das Moment des Höfischen in starkem Maß geltend, und bei den Adligen, die keine Universitätsschulung durchgemacht hatten, war es vollends stark60. Es wurde bereits gesagt, daß die schon zu Ende des 16. Jahrhunderts am Heidelberger Hof und in der pfälzischen Regierung im Verhältnis zu anderen deutschen Residenzen bemerkenswert weite Verbreitung der Kenntnis des Französischen sich zu einem guten Teil erklärte aus dem den Pfälzern, Hugenotten und Welschschweizern gemeinsamen calvinistischen Glauben und aus den Beziehungen, die sich aus dieser Konfessionsverwandtschaft ergaben. Die Verbindung, die somit wohl vor allem das gemeinschaftliche Bekenntnis hergestellt hatte, die also ganz das Produkt des konfessionellen Zeitalters war, wirkte nun aber seit den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts noch in anderer Richtung. Sie machte sich in einem Sinn geltend, der allmählich hinwegführte von der rein religiösen Ausrichtung der Politik, welcher der Konnex ursprünglich zu danken gewesen war. Trug doch die französische Bildung, die sich in Heidelberg verbreitete, zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht unwesentlich dazu bei, das höfisch-chevalereske Moment, das Streben nach königlichem Glanz und erhöhter Repräsentation, zu verstärken. Half es doch, alle jene Momente vorzubereiten, die in Frankreich wie in Deutschland dann im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts zum gesteigerten Hervortreten der dynastischen Idee, zum erhöhten Gottesgnadentum des Barockfürstentums führten und von der Glaubenspolitik des konfessionellen Zeitalters hinweg hinleiteten zur Epoche des reinen fürstlichen Absolutismus, der unbedingten Herrschaft des dynastischen Gedankens, der immer mehr Raum gewinnenden Staatsräson und des erhöhten Macchiavellismus. Es war eine Entwicklung, die selbstverständlich langsam vonstatten ging. Zunächst verblieben das Moment höfisch-französischer Bildung und die dynastische Idee mit dem konfessionellen Anliegen in engem Zusammenhang. Der königliche Glanz, den man in Heidelberg zu entfalten trachtete und das damit verbundene Streben nach einer Großmachtpolitik dienten bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein, also die ganze Zeit über, in der den Pfälzern die erhöhte 60

S. hierüber im Einzelnen F. H. Schubert, Die pfälzische Exilregierung, in diesem Band, 499 ff. mit Belegen.

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Prätension überhaupt möglich war, in weitgehendem Maß der Sicherung und Stärkung des Protestantismus. Dem entsprach es, daß jene Räte, die sich in besonderem Maß von den französisch-chevaleresken Lebensformen und dem Streben nach höfischer Repräsentation erfüllt zeigten, auch ihrereits eine aufrichtige, tiefgehende Gläubigkeit an den Tag legten. Doch allmählich begann sich neben das Moment der konfessionellen Politik als immer selbständiger und mächtiger werdender Faktor die rein dynastische Idee zu stellen. Zum nicht unwesentlichen Teil basierend auf den Momenten höfisch-französischer Bildung, wurde sie sehr viel mächtiger als in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts. Sie erschien zu Beginn des 17. Jahrhunderts immerhin bereits als so stark, daß sich die Möglichkeit abzuzeichnen begann, sie könne sich vom Religiösen eines Tages loslösen und lediglich dem Anliegen dienen, den Glanz und die Macht der pfälzischen Wittelsbacher zu erhöhen. Kein Zweifel kann bestehen, daß das dynastisch-höfische Moment und das Streben nach königlichem Glanz unter Friedrich V. und Christian von Anhalt sehr viel ausgeprägter und neben dem Religiösen bereits selbständiger waren als in den Tagen Friedrichs III., des Pfalzgrafen Johann Kasimir und der ersten Regierungszeit Friedrichs IV. Ferner war es offensichtlich, daß sich auch die Intensität des Glaubens, wie sie Ende des 16. Jahrhunderts herrschte, bei einigen der maßgebenden Persönlichkeiten in Heidelberg allmählich um einiges abschwächte, wenn die pfälzische Regierung auch nach wie vor von einer starken Religiosität charakterisiert wurde. Zu Tage lag es schließlich, daß die neuen Faktoren in wesentlicher Weise getragen wurden von der französisch-höfisch-adligen Bildung, daß dagegen die ursprüngliche Geistigkeit des bürgerlichen „Doctorenregimentes“, wie es in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts lange Zeit dominiert hatte, dazu wenig oder doch zumindest nicht in dem Maß paßte, wie die neue, höfischere Atmosphäre, die in der Pfalz ihren Einzug gehalten hatte. Indem Camerarius aber auch als Geheimer Rat, nach 1611, das bürgerliche Gelehrtentum in sehr entschiedener Weise in der pfälzischen Regierung repräsentierte, was bekanntlich so weit ging, daß er – wohl als einer von wenigen unter den hohen pfälzischen Beamten – des Französischen nicht mächtig war, geriet er notwendigerweise zu den französisch-höfisch-dynastischen Tendenzen in Gegensatz. Er erschien in Heidelberg in vieler Hinsicht als altmodisch, als Mann der alten Schule. Wenn ihm in den Nachschlagewerken und Geschichtsbüchern des ausgehenden 17. Jahrhunderts der Beiname „der Gelehrte“ gegeben wurde, so kennzeichnet das die Meinung, die man auch bereits zu seinen Lebzeiten von ihm hatte. Er mochte in Heidelberg wirken als gelehrter Doktor, als wissenschaftlich-schöngeistiger Vertreter des Humanismus und gleichzeitig als etwas knöcherner Aktenmensch, dem der höfische Glanz französischer Prägung wenig bedeutete und der die höfisch-chevaleresken Formen ablehnte. An sich fehlte Camerarius als gutem Humanisten der Sinn für Repräsentation nicht. Später, als schwedischer Gesandter im Haag, sollte sich das zeigen, und ebenso nahm er offenbar in Heidelberg und Prag an den großen Staatsanlässen, den Huldigungen, Gesandtschaftsintroduktionen und ähnlichem gebührenden

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Anteil. Was ihm abging, waren lediglich der Sinn für das spezifisch Höfische chevaleresk-französischer Ausprägung und jede Neigung, das Dynastische als Selbstzweck zu betrachten. Camerarius zeigte sich zwar stets als ein treuer Diener seiner kurfürstlichen Herren. Zu ihnen aber nur deshalb in Bewunderung aufzublicken oder sie zu verehren, weil sie das Dynastische an sich repräsentierten, lag ihm fern. Nur wenn wie bei König Gustav Adolf von Schweden hohe geistige Qualitäten hinzu kamen, war er zur persönlichen Verehrung bereit, die sich dann in einem Heroenkult humanistischer Prägung äußerte. Über die geistigen Grenzen Friedrichs IV. und Friedrichs V. von der Pfalz war er sich hingegen völlig im Klaren. Es beherrschte ihn deshalb die Auffassung, daß die Geheimen Räte für ihren Kurfürsten zu regieren hätten. Besonders dem jungen Friedrich V. gegenüber war in ihm das Gefühl der Verpflichtung stark, für den jungen Herrn sorgen zu müssen61. Es war die Einstellung des alten Dieners, der sich für das Wohl dessen, für den er arbeitet, verantwortlich fühlt. Gleichzeitig von der Person des jeweiligen und im Fall Friedrichs IV. und V. unbedeutenden Fürsten auf die an sich natürlich bedeutende dynastische Idee zu abstrahieren, die diese Fürsten repräsentierten, vermochte er nicht. Etwas anders war sein Verhältnis zu dem von 1610 bis 1614 als Vormund Friedrichs V. und Administrator wirkenden Pfalzgrafen Johann, dem Herzog von Pfalz-Zweibrücken. Doch zu bewundernder Verehrung gelangte er auch hier nicht. Ja, auch als schwedischer Diplomat, als er für einen wahrhaft genialen Herrn zu wirken hatte, bedeuteten ihm die dynastischen Gesichtspunkte an sich wenig. Sie standen hier wie in pfälzischem Dienst zum einen hinter den religiösen Idealen seiner Politik zurück. Zum anderen war ihnen übergeordnet das Streben, das Kurfürstentum Pfalz und das Königreich Schweden zu gesteigerter Macht zu führen. Dieses Trachten berührte sich freilich in vieler Hinsicht mit dem dynastischen Anliegen. Doch auch dort, wo die Berührungspunkte lagen, erschien das Dynastische bei Camerarius vergleichsweise abstrakt, in starkem Maß losgelöst vom Gottesgnadentum und dem höfischen Herrscherkult. Wie extrem in dieser Hinsicht die Stellung war, die Camerarius in Heidelberg einnahm, zeigt sich daran, daß bei einem anderen maßgebenden bürgerlichen Rat, bei Andreas Pawell, sowohl die Vorliebe für das Französische als auch der dynastische Sinn sehr stark entwickelt waren, und daß auch andere nichtadlige Doktoren sich den beiden Anliegen gegenüber aufgeschlossener zeigten62. Konnte Camerarius also hinsichtlich seiner Haltung als bürgerlicher Geheimer Rat gelehrt-humanistischer Bildung, im Hinblick auf seine Ablehnung des französisch-höfischen Lebensstiles und der dynastischen Tendenz als Vertreter der alten Schule gelten, als Repräsentant einer Richtung, von der sich annehmen ließ, daß sie dem Ende zuging, so hinderte das nicht, daß er in einem anderen, schon erörterten Belang höchst fortschrittlich war, daß er hier dazu beitrug, Neuerungen innerhalb des pfälzischen Staatswesens Raum zu schaffen. Es 61

S. hierüber des Weiteren F. H. Schubert, Zur Charakteristik des Ludwig Camerarius, a. a. O. 614 ff. 62 S. F. H. Schubert, Die pfälzische Exilregierung, in diesem Band, 522 ff. mit Belegen.

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zeigte sich bereits und wird im Folgenden noch des Weiteren deutlich werden, wie er einer der energischsten Helfer Christians von Anhalt bei dem Unternehmen war, die pfälzische Politik nach immer größeren Konzeptionen zu führen, immer umfassendere Maßnahmen zum Schutz der evangelischen Sache zu ergreifen und der Pfalz endgültig einen Platz im Konzert der europäischen Mächte zu sichern und zu diesem Zweck schließlich auch ihre territoriale Basis zu vergrößern, wie es durch den Griff nach der böhmischen Königskrone geschehen konnte. Wie gesagt, Camerarius leistete Christian von Anhalt die tatkräftigste Unterstützung bei dieser Politik, und wie sehr ihm dieselbe Herzenssache war, zeigte sich später daran, daß er, soweit es anging, auch im Exil an ihr festhielt, als er die Nachfolge des Fürsten in der Leitung der pfälzischen Politik angetreten hatte. Was ihn jedoch bei seinem kühnen Mitstreben von anderen Vertretern jener pfälzischen Politik unterschied, die man geradezu als Großmachtspolitik bezeichnen kann, war der Umstand, daß ihn das konfessionelle und das vom Dynastischen weitgehend losgelöste oder dasselbe abstrahierende machtstaatliche Interesse ausschließlicher beherrschten. Das rein dynastische Anliegen dagegen, das durch die von ihm mitvertretene Politik natürlich auch gefördert wurde – brachte die böhmische Expedition doch die ersehnte Königswürde –, trat bei Camerarius weiter zurück. Es beschäftigte ihn nur insofern, als es die gesamt­ evangelische Sache und die Macht des pfälzischen Staates verstärkte. Nur insofern – aber hier mit Intensität – bezog er auch die 1613 erfolgende Heirat Friedrichs V. mit Elisabeth Stuart, der Tochter König Jakobs I. von England, in seine persönliche politische Konzeption und sein diplomatisches Trachten ein. Nicht so sehr der königliche Glanz interessierte ihn daran als der Umstand, daß man mit einem der mächtigsten protestantischen Reiche in nahe Beziehung kam und damit neue Möglichkeiten gewann, die pfälzische Macht zu erweitern und die evangelische Sache zu sichern. Es hing mit der schon aufgezeigten größeren Vielseitigkeit Christians von Anhalt zusammen, daß der Fürst gleichzeitig sich in ähnlichem Maß wie Camerarius für die religiösen Momente der pfälzischen Politik erwärmen und jene Tendenzen vorantreiben konnte, die zur Stärkung des dynastisch-höfischen Momentes führten. Das gute Verhältnis zwischen beiden Männern litt jedoch nicht darunter, daß Camerarius in die Bereiche französischer Bildung und höfischer Gesinnung nicht zu folgen vermochte. Dies wurde bereits früher gesagt, und es ist nunmehr ferner klar, daß Camerarius durch seine religiös-gelehrt-bürgerliche Haltung nicht gehindert wurde, Christians kühne Außenpolitik aufs tatkräftigste und willigste zu unterstützen. Dementsprechend ging er auf dem großen Regensburger Reichstag von 1613 vor, der letzten Reichsversammlung vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Welchen Einfluß er inzwischen im pfälzischen Staatswesen gewonnen hatte, zeigt sich schon daran, daß er 1613 zwar nicht als Prinzipalgesandter fungierte, der ohnehin mit Repräsentationspflichten so überhäuft war, daß die eigentlichen politischen Verhandlungen dahinter zurücktraten, daß er aber als der eigentli-

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che Führer der pfälzischen Delegation, als ihr bestimmender Kopf, erschien63. Dies ist um so bemerkenswerter, als der Gesandtschaft auch Dr. Michael Löfenius angehörte, der als Geheimer Rat bedeutend dienstälter war als Camerarius und bisher in der Reichspolitik eine bestimmende Rolle gespielt hatte, nun aber, soweit sich sehen läßt, um einiges hinter ihm zurücktrat, auch den Reichstag früher verließ. Die Bedeutung von Camerarius für den Gang der Verhandlungen kommt ferner bereits darin zum Ausdruck, daß er es war, welcher der übrigen Delegation vorausgeschickt wurde und die ersten entscheidenden Gespräche allein zu führen hatte64. Lange war von den Mitgliedern der Union Ende März und Anfang April 1613 in Rothenburg ob der Tauber – Camerarius fungierte auch hier als pfälzischer Gesandter – beraten worden, ob man der Einladung zu dem neuen Reichstag überhaupt Folge leisten sollte, nachdem man die letzte Versammlung, die von 1608, unter Protest verlassen hatte65. Bei diesen Überlegungen setzte sich schließlich die Ansicht durch, daß ein Erscheinen ratsam sei, zumindest um die kaiserliche Proposition entgegen zu nehmen. Es war ein Entschluß, der vollkommen mit der Haltung übereinstimmte, die Camerarius auch sonst in der sein ganzes Leben lang immer wieder auftauchenden Frage einnahm, ob man an Konventen mit der katholischen Partei teilnehmen solle – sei es, daß es sich um Reichstage, Kongresse oder diplomatische Zusammenkünfte in engerem Rahmen handelte. So energisch im übrigen seine Politik war, vertrat er in diesem Zusammenhang doch stets die Meinung, es sei klüger zu kommen und damit einen Präzedenzfall zu vermeiden, der den Gegnern die Handhabe liefern könnte, die Pfalz auch inskünftig auszuschließen. Im Falle des Regensburger Reichstages von 1613 spielte dieser Gedankengang bei seinen Handlungen eine besonders große Rolle, weil er, wie bereits 1608, die Machenschaften von Pfalz-Neuburg – mit Recht, wie sich zeigen sollte – fürchtete, das noch immer die Vormundschaft von Pfalz-Zweibrücken über Friedrich V. bekämpfte und 1613 im Zug der Regensburger Verhandlungen allen Ernstes und bereits verhältnismäßig offen mit dem Wunsch hervortrat, anstatt der Heidelberger Hauptlinie die Kurwürde zu erhalten. Hierdurch aber sah sich Camerarius den ganzen Reichstag über ernstlich gehemmt und zu gesteigerter Vorsicht veranlaßt. Vor allem wegen dieser Schwierigkeiten und wegen seiner Haltung im Jülicher Erbfolgestreit wurde Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg eine der Personen, denen lebenslang seine besondere Abneigung galt. Vielleicht wirkte 1613 bei dem Entschluß, nach Regensburg zu gehen, außerdem der Umstand mit, daß es sich bei dem geplanten Reichstag um einen letzten, in vieler Hin63

Die Gesandten sind aufgeführt in dem Verzeichnis der beim Reichstag anwesenden Reichsstände und Ständegesandten nebst deren vornehmeren Räten, Br. u. Akt. XI, Nr. 167. Pfälzischer Prinzipalgesandter war der Burggraf zu Alzey, Philipp Freiherr zu Winneburg und Beilstein. 64 Instruktion des Administrators Johann für den nach Regensburg vorausgeschickten Dr. Ludwig Camerarius, Heidelberg 21. 7.1613, BGStA Mü. K. bl. 118/30; Br. u. Akt. XI, Nr. 149. 65 Protokoll des Unionstages zu Rothenburg o. T. 24. 3.–9. 4. 1613, BGStA Mü. K. bl. 118/14; Br. u. Akt. XI, Nr. 65.

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sicht großzügig angelegten Versuch des Kaiserhofes, und hier vor allem des leitenden Ministers, des Bischofs und späteren Kardinals Melchior Klesl, handelte, über eine Reform der Reichsgerichtsbarkeit zu einem wirklichen Ausgleich der konfessionell-politischen Gegensätze zu gelangen. Fiel also wahrscheinlich die Bedeutung dieses kaiserlichen Strebens bei der Union und den sie leitenden pfälzischen Politikern in die Waagschale, als man sich entschloß, zum Reichstag zu gehen, so ist andererseits doch auffällig, wie die pfälzischen Gesandten insgesamt, besonders aber Camerarius, Klesls Annäherungsversuchen mit höchstem Mißtrauen gegenübertraten66. Während Camerarius in späteren Jahren zeitweise den bayrischen Politikern ein starkes Vertrauen und eine geradezu erstaunliche Hoffnungsfreudigkeit entgegen brachte, blieb trotz allen Werbens von Klesl die Überzeugung in ihm beherrschend, daß der gute Wille der Hofburg im höchsten zweifelhaft sei, eine Überzeugung, die zum Teil durch den Gang der Ereignisse gerechtfertigt wurde, zum Teil aber wohl auch die Ausgleichsbereitschaft der Gegenseite zu gering anschlug. Dieser Ansicht entsprachen die Bedingungen, die er seinen Instruktionen, aber auch seiner eigenen Meinung gemäß an ein Eingehen auf die kaiserlichen Vorschläge zu knüpfen hatte. Kurpfalz und die ihnen verbundenen Reichsstände forderten 1613 in Regensburg die Abstellung all der Beschwerden, die zuletzt bei dem Reichstag von 1594 in umfassender Weise formuliert worden waren. Das heißt, man wünschte die vollkommene Sanktionierung der Auslegung, die man in Heidelberg dem Religionsfrieden von 1555 einschließlich der Ferdinandeischen Deklaration gab, und ferner die Aufgabe der Majoritätsbeschlüsse auf den Reichstagen sowie die Beseitigung all der anderen vieldiskutierten Hindernisse, welche die Reichsverfassung der Ausdehnung des Protestantismus in den Weg stellte. Die Forderungen der Union gingen mithin so weit, daß es von vornherein als fraglich erscheinen mußte, ob bei diesen Ansprüchen der von Klesl propagierte Ausgleich zustande kommen konnte. Und tatsächlich sollte es nicht lange dauern, bis auch der Reichstag von 1613 wie der von 1608 gesprengt wurde. Kaum in Regensburg angelangt, bemühte Camerarius sich als erstes, die kursächsischen Gesandten für die Entschlüsse der „Korrespondierenden“, das heißt der Pfälzer und der übrigen Vertreter des aktiven Protestantismus, zu gewinnen. Sehr deutlich wurde Camerarius offenbar schon bei diesen Gesprächen67. Es findet sich in ihnen bereits die für ihn charakteristische Äußerung, bei Kurpfalz hätten die privaten Interessen nie die öffentlichen beeinträchtigt, weil man, stehe das Privatum über dem Publicum, nie Glück haben werde, sondern nur Gottes Zorn gewärtigen müsse. Trotz aller Anstrengungen aber gelang es Camerarius nicht, die Sachsen zu gewinnen. Dafür fand er energische Unterstützung bei Kurbrandenburg, ja die brandenburgische Gesandtschaft unter der Leitung des Burggrafen und Freiher66

S. u. a. des Camerarius Aufzeichnung über seine Unterredung mit Klesl am 3. 9. 1613, BGStA Mü. K. bl. 118/4; Br. u. Akt. XI, Nr. 206; s. ferner Camerarius an Grün, Regensburg 5. 9. 1613, BGStA Mü. K. bl. 118/4; Br. u. Akt. XI, Nr. 212. 67 S. Camerarius an den Administrator Pfalzgraf Johann, Regensburg 4. 8. 1613, BGStA Mü. K. bl. 118/4; Br. u. Akt. XI, Nr. 159.

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ren Abraham von Dohna setzte im entscheidenden Moment sogar ein noch ener­ gischeres Vorgehen durch, als Camerarius es wünschte. Am 13. August erfolgte die feierliche Eröffnung des Reichstages durch die Verlesung der kaiserlichen Proposition und einen voran gehenden Gottesdienst. Hier ritten nach altem Herkommen bei dem Zug zum Rathaus die Kurfürsten beziehungsweise deren Gesandte vor dem Kaiser her, ein Brauch, den Camerarius und der sächsische Gesandte Brandenstein lieber in eine Prozession zu Fuß oder im Wagen umgewandelt hätten, da beide Herren ihren Reitkünsten nicht trauten68. Doch Dohna bestand darauf, daß sich die Gesandten der weltlichen Kurfürsten den in Person erschienenen geistlichen gegenüber nichts vergeben dürften, die offenbar bessere Reiter waren, und tatsächlich ging der Ritt vorüber, ohne daß Camerarius im Rinnstein landete. Am 17. August wurde dann die erste offizielle Sitzung abgehalten, und bereits hier kam es zum Bruch. Im Kurfürstenrat stellten Pfalz und Brandenburg die Bedingung, daß ihre Beschwerden erörtert werden sollten, bevor man an die kaiserlichen Vorschläge ging. Die geistlichen Kurfürsten und der sächsische Gesandte erklärten sich dagegen. Eine lange Debatte folgte, bei der in der Hauptsache Camerarius für die pfälzische Gesandtschaft das Wort führte69. Energisch protestierte er dabei gegen eine Übergehung der Gravamina; und doch zögerte er, die Sitzung zu verlassen. Da griff Abraham von Dohna namens Kurbrandenburgs ein, schlug Camerarius und Winneberg dringend das Verlassen der Versammlung vor und ging als erster aus dem Saal. Die Pfälzer schlossen sich ihm an, wobei Winneberg, wie Dohna berichtete, von ihm förmlich am Mantel herausgezerrt wurde: „Ich fing an zu bitten“, berichtet Dohna in seinem Tagebuch, „man wollte zur thür ausgehen, fasst den herrn von Winneberg bei dem mantel, zohe so lang, bis er sich zur thür wendet. Trier winkt mir zu, ich solt mich niedersetzen; aber ich thete ihm ein tiefe reverenz und gieng hinaus; die andern folgten; so ließen wir sie allein und giengen zu haus“70. Zwei Tage später, am 19. August 1613, schrieb Camerarius hierüber an Christian von Anhalt, er für seine Person sei nur sehr ungern „zu der vorgangenen separation kommen“71. Doch, abgesehen davon, daß die Kurbrandenburger höchst aktiv – und nach des Camerarius Ansicht vielleicht sogar etwas zu energisch – vorgegangen seien, hätten die Umstände kaum ein anderes Verhalten zugelassen, „also dass ich es wol fuer Gottes werk halten muss, so entweder zu unserer wolfart oder aber straf ausschlagen wird“. Sein weiteres Verhalten entsprach dieser Äußerung vollkommen. Bis in den Oktober verharrte er noch in Regensburg und bemühte sich ernstlich, doch noch zu einem Ausgleich zu gelangen. Von den wesentlichen Forderungen seiner Instruktion aber wich er nicht ab, wenn er auch in dem einen oder anderen zu Konzessionen bereit war. Als er endgültig sah, daß sich die Ziele der pfälzischen Politik nicht erreichen ließen, scheute er 68

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S. A. Chroust, Abraham von Dohna, a. a. O. 88. S. Protokoll der Verhandlungen der Reichsräte am 17. 8. 1613, Br. u. Akt. XI, Nr. 173. S. A. Chroust, Abraham von Dohna, a. a. O. 89. Camerarius an Christian von Anhalt, Regensburg 19. 8. 1613, BGStA Mü. K. bl. 118/9; Br. u. Akt. XI, Nr. 180.

sich nicht, den Reichstag vollends scheitern zu lassen. Auf alle Konsequenzen, die daraus seiner Ansicht nach folgen konnten, bereitete er sich sogleich vor. Er rechnete ernstlich mit der Möglichkeit, daß es zum Kriege käme und schreckte vor ihr nicht zurück. War der Kampf Gottes Wille, er war bereit, das Seine zu tun, daß er geführt werden konnte. Energisch drängte er in Heidelberg, daß bereits Kriegskredite aufgenommen würden72.

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S. u. a. Camerarius an Christian von Anhalt, Regensburg 11. 9. 1613, BGStA Mü. K. bl. 118/4; Br. u. Akt. XI, Nr. 222. Eine weitere Darstellung der Vorgänge des Reichstages zu geben, erübrigt sich an dieser Stelle, da bereits ausgezeichnete Spezialuntersuchungen vorliegen, die auch die Haltung von Camerarius erhellen; s. A. Chroust, Abraham von Dohna; Br. u. Akt. XI und A. Haas, Der Reichstag von 1613.

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IV. Kap itel

Die böhmische Expedition Als Camerarius am 24. Oktober 1613 Regensburg verließ, reiste er ein Stück Weges gemeinsam mit dem Burggrafen Abraham von Dohna, dem witzig-schwermütigen kurbrandenburgischen Reichstagsprinzipalgesandten, der in Waldsassen mit seinem Bruder Achaz von Dohna, dem Kollegen von Camerarius im kur­ pfälzischen Geheimen Rat, zusammentreffen wollte1. Beide Herren erörterten auf dieser gemeinsamen Fahrt noch einmal in vertraulichem Gespräch das Geschehene und bedachten, wie man sich in Zukunft werde zu verhalten haben. Dabei ist es außerordentlich interessant, daß Abraham von Dohna und Camerarius, die beide das Ihre getan hatten, den Reichstag zu sprengen und von denen wenigstens Camerarius in seinen offiziellen Gutachten und Berichten auch vor der äußersten Konsequenz eines Krieges nicht zurückgeschreckt war, im intimen Gespräch übereinkamen und sich versprachen, jeder an seinem Platz das irgend Mögliche zu tun, um den Frieden zu erhalten. Sie wurden sich darin einig, daß man um des Friedens willen nach wie vor zu weit gehenden Konzessionen bereit sein müsse. Besonders aber schien es ihnen unsinnig, etwa wegen der 1613 ja in vieler Hinsicht besonders spruchreifen städtischen Gravamina zu den Waffen zu greifen und um des kleinen und armen Donauwörth willen das ganze Reich in einem Krieg verarmen zu lassen. „Und wir zogen also mit friedligen gedanken von einander, wollen lieber noch etwas leiden, als viel armer leut machen“2. Camerarius zeigt hier ebenso wie in einigen vertraulichen Schreiben3 eine Tendenz, die auch in seinem offiziellen Wirken bereits hin und wieder anklang. Er offenbart, daß in seinem Denken als mächtiger Faktor ein friedfertiger Zug stand neben der besonders in seiner offiziellen Haltung als Diplomat vom Beginn seiner Wirksamkeit an zum Ausdruck kommenden harten Konsequenz, mit der er nach Sicherung der evangelischen Sache und Ausweitung der pfälzischen Macht strebte und auch einen Krieg als nicht unbedingt zu vermeidende Möglichkeit in seine Berechnungen einbezog. Dieses Nebeneinander von Bestrebungen, die den Krieg möglich, ja mit der Zeit unausweichlich machten, und dem Wunsch, den Frieden zu erhalten, kennzeichnet auch in den folgenden neun 1



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Für das Folgende s. vor allem A. Chroust, Abraham von Dohna, 96 f.; sowie Dohnas Tagebuch über den Regensburger Reichstag. Von Dohna existiert ferner ein Spottgedicht: „Historische reimen von dem ungereimten reichstag anno 1613 …“, herausgegeben von A. Chroust, in: Abraham von Dohna, 197 ff. Eine Abschrift des Gedichtes mit Anmerkungen von Camerarius liegt in Coll. Cam. Vol. 45. S. A. Chroust, Abraham von Dohna, 96 f. S. u. a. LSA, A 9a, 162, 1 ff., 163, 164, 1 ff.

Jahren noch seine Politik. Zwar wurde bei ihm von Jahr zu Jahr die Entschlossenheit stärker, aufs Äußerste zu gehen. Doch daneben beherrschte ihn nach wie vor die ernste Hoffnung, den Frieden bewahren zu können, und auch, nachdem 1619 der Krieg ausgebrochen war, glaubte er immer noch, daß sich der Friede rasch werde wiederherstellen lassen. Diese Ansicht gab er erst im Herbst 1622 auf, als auch die rheinische Pfalz verloren ging. Es war eine der wichtigsten Veränderungen, die er in seinem Leben durchmachte, daß er von nun an zum unbedingten Kriegspolitiker wurde, der mit einer nahen Verständigungsmöglichkeit nicht mehr rechnete, ja das Seine dazu tat, alle doch noch bestehenden Gelegenheiten zu einem raschen Ausgleich zu zerstören. Diese ihn seit 1623 beherrschende Überzeugung von der Notwendigkeit einer unbedingten Kriegspolitik bereitete sich vor in seinem Wirken als Publizist, das er 1621 zu entfalten begann. Die Zeit von der Schlacht am Weißen Berg bis zum Fall Heidelbergs im Herbst 1622 und dem Aufstieg von Camerarius zur Leitung der gesamten pfälzischen Exilpolitik im Frühjahr des folgenden Jahres stellt also, obwohl Camerarius in der praktischen Politik noch fest mit einem nahen Frieden rechnete, hinsichtlich seiner Publizistik schon einen allmählichen Übergang zu dem kämpferischen und bedingungslosen Vernichtungsgeist dar, der ihn seit 1623 beseelte. Der Lebensabschnitt von 1613 bis 1620 hingegen, der beherrscht wird von dem großen Problem der böhmischen Expedition, zeigt noch in der deutlichsten Weise das Nebeneinander von einem ernsten Streben, den Frieden zu erhalten, und kühnen, höchst energischen politischen Plänen und Aktionen, welche die Gefahr des Krieges immer näher rückten, ja schließlich mit einer gewissen Notwendigkeit zu ihm hinleiteten. Daß dieses Nebeneinander bis über das Jahr 1619 hinaus bei Camerarius möglich war, erklärt sich vornehmlich aus zwei für seine Entwicklung überaus charakteristischen Umständen. Der erste ist nicht nur für Camerarius kennzeichnend, sondern bestimmte die Haltung vieler der führenden Politiker im protestantischen wie katholischen Lager: Sosehr der Kampfeswille durch die Gegenreformation und als Parallelerscheinung dazu durch den allmählichen Kräftezuwachs der calvinistischen Bewegung zugenommen hatte, war auf beiden Seiten doch noch immer das Streben stark, den Frieden zu erhalten. Als der Regensburger Reichstag von 1613 sein Ende nahm, blickte man in Deutschland auf eine selten lange, fast sechs Jahrzehnte währende Epoche des Friedens zurück, die dem Reich blühenden Wohlstand gebracht hatte. Die jüngste Geschichte, die Zeit vor dem ersten Weltkrieg, hat aufs neue gezeigt, wie lange es nach einer solchen Friedensperiode dauert, bis die kriegerischen Kräfte so stark werden, daß man es wagt, Ruhe und Wohlstand in neuen Waffengängen aufs Spiel zu setzen. Wie vor dem ersten Weltkrieg währte es auch vor dem Dreißigjährigen Krieg eine geraume Zeit, bis sich die extremen Vertreter der politischen Gegensätzlichkeit, zu denen Camerarius ohne Zweifel gehörte, entschlossen, die äußerste Konsequenz aus ihrem Handeln zu ziehen. Der zweite Umstand, der bei Camerarius das Nebeneinander kriegerischer und friedlicher Momente erklärt, ist ein besonderes Charakteristikum seiner Persönlichkeit, dem wir jetzt zum ersten Mal in voller Ausprägung begegnen: Es

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ist jene schon in der Einleitung erwähnte außerordentliche Hoffnungsfreudigkeit, mit der ein mangelnder Sinn für die Realitäten verbunden war. Sie wurde von nun an ein dominierendes Moment seines Handelns. Indem sich sein Optimismus verknüpfte mit der ihn von Jugend an beherrschenden Überzeugung, daß die evangelische Sache aufs äußerste bedroht und nur durch energisches Vorgehen zu retten sei, veranlaßte er ihn, konsequent weiter danach zu streben, die pfälzische Machtstellung und damit die Position des aktiven Protestantismus auszuweiten und doch gleichzeitig ernsthaft zu versuchen, den Frieden und die reichsrechtliche Ordnung in Deutschland zu erhalten. In diesem Sinn hatte Camerarius bereits vor 1613, als kurpfälzischer Rat und seit 1611 Geheimer Rat, gewirkt: Er hatte sich an Gründung und Ausbildung der Union beteiligt. Er hatte in den Reichstagsverhandlungen erreichen helfen, daß die konfessionellen Fragen zum Dominieren gebracht wurden. Er hatte ferner das Seine dazu beigetragen, daß die Pfälzer und ihr Anhang die großen Reichsversammlungen von 1608 und 1613 sprengten. Gleichzeitig aber hatte er sich nach den anfänglichen kriegerischen Anläufen in der Jülicher Frage wie die anderen pfälzischen Politiker bemüht, eine bewaffnete Auseinandersetzung zu vermeiden und den Frieden zu erhalten. Was Camerarius nach 1613 erstreben half – wie schon in der vorhergehenden Zeit in enger Gefolgschaft Christians von Anhalt –, war noch ungleich kühner und größer konzipiert als die Zielsetzung im verflossenen Lebensabschnitt. Das gilt von beidem: von dem Streben nach Ausweitung der pfälzischen Macht sowie von den Bemühungen, die pfälzische Politik ohne Krieg an ihr Ziel zu führen und sozusagen auf legalem Weg die Verhältnisse im Reich im pfälzischen Sinn umzuformen. Da beide Tendenzen nunmehr ausgeprägter wurden und weiter auseinander gingen, ließen sie sich gleichzeitig nur noch verfolgen mit einem hohen Maß von Optimismus, der deshalb bei Camerarius nun ungleich sichtbarer wurde als in den Vorjahren. Wie in der Zeit vor 1613 blieb auch in der von der böhmischen Expedition erfüllten Periode die Reichspolitik die eigentliche Domäne von Camerarius. Erst nach der Katastrophe in Böhmen wechselte er allmählich in den Bereich der außerdeutschen diplomatischen Beziehungen über. Doch innerhalb der Reichspolitik waren es nun in vieler Hinsicht veränderte Bereiche, in denen er sich zu betätigen hatte, und neue Ziele, denen er nachstrebte. Was ganz in der alten Weise weiterging, war seine Tätigkeit auf den Unionstagen, auf denen er nach wie vor einer der maßgebenden pfälzischen Vertreter blieb. Hingegen endete 1613 das bisher für sein Leben so charakteristische Wirken auf den Reichsversammlungen, da bis zum Ausbruch des Krieges kein Reichstag mehr einberufen wurde. Nur auf dem Frankfurter Kaiserwahltag von 1619 fungierte er aufs neue bei einer Zusammenkunft der Reichsstände als einer der pfälzischen Wahlgesandten. Dafür traten seit 1613 Gesandtschaften an einzelne deutsche Höfe mehr in den Vordergrund als bisher. Die Ziele aber, denen er bei diesen Legationen nachzutrachten hatte, waren insofern neuartig, als man im letzten zwar nach wie vor die Ausweitung der pfälzisch-protestantischen Macht bezweckte und die friedliche Schaffung von reichsrechtlichen Verhältnissen, die für die calvinistische Partei

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annehmbar waren, als diesen Anliegen aber nun auf noch sehr viel kühneren Wegen als bisher nachgestrebt wurde. Zwei große und umwälzende Projekte standen im Mittelpunkt der Gesandtschaftstätigkeit, die Camerarius von 1613 bis 1619 auszuüben hatte: Einmal die Absicht, die Nachfolge Erzherzog Ferdinands von Steiermark in Böhmen zu verhindern, ja hier die Habsburger überhaupt auszuschalten und die Wenzelskrone für Friedrich V. von der Pfalz zu gewinnen, wofür die Rechtshandhabe der Umstand bot, daß Böhmen nach altem Herkommen noch als Wahlreich galt. In diesem Bemühen war der pfälzischen Politik wenigstens zeitweise ein großer Erfolg beschieden. Ein solches Resultat blieb jedoch aus in dem zweiten Hauptanliegen, das Camerarius auf seinen Gesandtschaften zu verfolgen hatte. Es gelang nicht, die Kaiserwürde dem Hause Habsburg zu nehmen und nach dem Tod von Kaiser Matthias Herzog Maximilian von Bayern zum Oberhaupt des Reiches zu erwählen. Der mehrere Jahre die Reichspolitik bewegende Gedanke, auf solche Weise die katholische Partei zu spalten, der offenbar auf Camerarius zurückging und von ihm stets mit besonderer Intensität vertreten wurde, erwies sich schließlich als unausführbar. In einer eigentümlichen, für Camerarius charakteristischen Verbindung von hochgespanntem, wirklichkeitsfremden Optimismus mit einer sehr realistischen, eindringenden Kenntnis aller reichsrechtlichen Verhältnisse hoffte er mit seltener Zähigkeit und in falscher Beurteilung der bayrischen Politik jahrelang, der habsburgisch-katholischen Partei auf friedlich-legalem Weg einen guten Teil ihrer Macht nehmen und damit die Möglichkeit eines Krieges verringern zu können, indem er alle Hebel in Bewegung setzte, Maximilian von Bayern dafür zu gewinnen, sich nach dem Ableben von Matthias zum Kaiser wählen zu lassen, und gleichzeitig sein Möglichstes tat, die anderen Kurfürsten für diesen Plan zu erwärmen. Während also das Bemühen um die Wenzelskrone zum Ziel führte, das Streben, den Habsburgern auf legalem Weg die Kaiserwürde zu nehmen und die katholische Partei dadurch zu spalten, aber scheiterte, war es im dritten Bereich, in dem sich Camerarius in der Periode der böhmischen Expedition vor allem zu betätigen hatte, im Direktorium der Union, ein halber Erfolg, den die pfälzische Politik verzeichnen konnte: Es glückte, das protestantische Fürsten- und Städtebündnis unter Führung von Kurpfalz, das entsprechend den bei Gründung der Union, 1608, getroffenen Abmachungen 1618 ablief, zu verlängern und damit die wichtigste machtpolitische Stütze am Leben zu erhalten, über welche die pfälzische Politik im Reich verfügte. Doch war es nur möglich, eine Verlängerung für drei statt wie eigentlich gewünscht acht Jahre zu erhalten. Auch gelang es nicht, die Union zu einer so kraftvollen Unterstützung der pfälzischen Politik zu bringen, wie sie für die Sicherung der pfälzischen Herrschaft in Böhmen eigentlich nötig gewesen wäre. Und ebenso mißglückte es, die Union durch Bündnisse inner- und außerhalb des Reiches in der erforderlichen Weise zu stärken. Es ist offensichtlich, daß Camerarius in der Periode der böhmischen Expedition in der Unionspolitik der Pfalz wieder eine maßgebliche, ja eine noch einflußreichere Rolle als bisher spielte, daß er – modern ausgedrückt – hierin der ausschlaggebende Sachbearbeiter war. Ferner ist es nicht weniger klar, daß die

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Verhandlungen wegen der Kaisernachfolge pfälzischerseits zu einem guten Teil in seiner Hand lagen. Auch läßt sich deutlich verfolgen, daß er dem Plan, Maximilian von Bayern für die höchste Würde im Reich zu gewinnen, unter den maßgebenden pfälzischen Räten mit besonderer Liebe nachtrachtete4. Schließlich machen es mehrere Schreiben von Camerarius, besonders ein Brief an Christian von Anhalt vom 18. August 1616, wahrscheinlich, daß er es im pfälzischen Geheimen Rat war, der das Kaiserprojekt ersann5. Den Anteil von Camerarius an der böhmischen Expedition zu bestimmen, ist schwieriger. Abgesehen von der wichtigen Legation im Jahre 1609, war er an den späteren Gesandtschaften, welche die Übernahme der pfälzischen Herrschaft in Böhmen vorbereiteten, nicht in dem Maß beteiligt wie an den Unionsverhandlungen und an den Bemühungen um die Nachfolge im Kaisertum. Dafür spielte er nach der Wahl Friedrichs V. zum König bei der Etablierung der pfälzischen Herrschaft in Böhmen eine besonders aktive Rolle: Es scheint, daß er 1619 der eigentliche Leiter des pfälzischen Kanzleiapparates für die Erledigung der Außenpolitik, der Verwaltung und Armeeversorgung wurde, den man in Prag einrichtete6. Ferner erhielt er 1620 das Amt eines böhmischen Geheimen Rats und schlesischen Vizekanzlers, so daß er auch unmittelbaren Einfluß auf die Verhandlungen der Stände nehmen konnte7. Doch nicht erst Mitte 1619, nachdem die Vorbereitung des Unternehmens schon abgeschlossen war, finden wir Camerarius wieder an dem böhmischen Projekt beteiligt. Auch in den Vorjahren geht aus seiner Korrespondenz ziemlich eindeutig hervor, daß er wichtigen Anteil daran hatte, den Plan zur Reife zu bringen, auch wenn er nicht so oft wie einige andere pfälzische Geheime Räte, vor allem die Brüder Dohna, Solms und Schönberg, mit den böhmischen Ständevertretern verhandelte, wohl vor allem, weil er durch die Unionsgeschäfte und den Verkehr mit den übrigen Reichsständen schon voll ausgelastet war8. Zwar ist es bekannt, wie die pfälzische Politik einerseits mit fiebernder Aktivität, andererseits aber mit ängstlicher Zurückhaltung der Wenzelskrone nachtrachtete, und wie insbesondere dabei der Geheime Rat vorsichtig hinter Christian von Anhalt zurücktrat. So hatte Camerarius den Buchstaben gewiß für sich, wenn er später, 1622, einmal schrieb, es sei ungerechtfertigt, ihn für die böhmische Expedition verantwortlicher zu machen als die anderen pfälzischen Räte; denn er habe zur 4



Die Verhandlungen mit Bayern spielen in den Briefen von Camerarius nicht nur eine größere Rolle als in den Schreiben mehrerer anderer Räte. Camerarius schenkt auch in seinen Berechnungen der Möglichkeit eines Überganges der Kaiserwürde an Maximilian sehr viel größere Beachtung als die meisten anderen pfälzischen Politiker. 5 S. vor allem LSA, A 9a. In dem Brief an Anhalt vom 18. 8. 1616 bezieht sich Camerarius auf vorgängige mündliche Vorträge, bei denen der Plan offenbar von ihm zuerst entwickelt wurde; s. a. M. Ritter, Deutsche Geschichte a. a. O. II, 441. 6 Camerarius an Christian von Anhalt, Heidelberg 10. 7. 1619, BHStA Mü., Akten zum Dreißigjähr. Krieg, Nr. 30; Camerarius sollte nach seinen eigenen Worten „die Kriegs Cantzley verwallten“. 7 Bestallung zum böhmischen Geheimen Rat, Brünn 15. 2. 1620, BGStA Mü. K. schw. 427/19. 8 S. wieder vor allem den Briefwechsel mit Anhalt, LSA, A 9a; manches Diesbezügliche auch in Coll. Cam. Vol. 47.

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Annahme der böhmischen Krone zu keinem anderen Zeitpunkt und auch niemals mehr geraten als alle Mitglieder des Geheimen Rates in ihrem gemeinsamen Gutachten vom Frankfurter Kaiserwahltag aus9. In diesem Gutachten aber stellten die Räte nur das Pro und Contra gegeneinander, überließen die Entscheidung aber ihrem Herrn10. Trotzdem ist nicht zu leugnen, daß der Anteil der pfälzischen Politiker an dem böhmischen Unternehmen ein unterschiedlicher war. Im vorigen Kapitel zeigten sich unter den maßgebenden Männern in Heidelberg Differenzierungen, sowohl hinsichtlich ihrer Haltung gegenüber dem höfischen Geist und der humanistischen Bildung als auch in Bezug auf die politische Zielsetzung. Bei Vorbereitung und Ausführung der pfälzischen Herrschaft in Böhmen ergaben sich weitere Unterschiedlichkeiten, die in manchem mit den bisherigen Differenzierungen übereinstimmen. In manchem aber gruppierten sich die Räte in ihrer Stellungnahme zur böhmischen Expedition auch anders als bei den bisherigen Fragen11. Wir finden, daß eine Gruppe an dem Unternehmen nur vergleichsweise geringen Anteil hatte: der Kanzler Christoph von der Grün, der Geheime Rat Dr. Georg Michael Lingelsheim, die beiden schon erwähnten Schwäger und weitläufigen Vettern, der Großhofrichter und wohl ebenfalls Geheime Rat Andreas Pawell und der Haushofmeister Carl Pawell, sowie Johann Joachim von Rusdorf, damals noch Nebenrat, später ein enger Vertrauter von Camerarius, der ihm in der Leitung der pfälzischen Exilpolitik 1627 nachfolgen sollte. So unterschiedlich im übrigen ihre Haltung sein mochte, zum Beispiel ihre Einstellung zu den modernen Formen des Hoflebens, gelangten sie alle, soweit sich sehen läßt, weder vor noch nach der Königswahl nach Prag. Ihnen wurden keine Gesandtschaften an die böhmischen Stände übertragen, und ebensowenig übernahmen sie während der pfälzischen Herrschaft in Böhmen Funktionen. Zwar war dies zum Teil zweifelsohne Zufall. Daneben aber ist die Möglichkeit einer absichtlichen Distanzierung wenigstens ins Auge zu fassen, wenn sich genaue Beweise auch nur schwerlich erbringen lassen und kaum über die Feststellung hinausführen dürften, daß die Herren nicht unglücklich darüber waren, in Heidelberg verbleiben zu müssen12. Handelte es sich also bei ihnen im Höchstfall nur um eine gemäßigt-vorsichtige Reserve gegenüber der böhmischen Politik und keineswegs um eine offene Ablehnung, so macht doch die Aktivität der anderen Gruppe unter den Geheimen Räten einen Unterschied immerhin offensichtlich. Der Großhofmeister Graf Johann Albrecht zu Solms, die Freiherren und Burggrafen Achaz und Christof von Dohna, beides Brüder des kurbrandenburgischen Geheimen Rates Abraham von Dohna, mit dem Camerarius 1613 reiste, Vollrath von Plessen, 9



Camerarius an Friedrich V., Bremen, 30. 10. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 77. Das Gutachten ist abgedruckt bei Moser, Patriotisches Archiv, a. a. O. VII, 109. 11 S. hierüber im einzelnen F. H. Schubert, Die pfälzische Exilregierung, in diesem Band, 509 ff.; hier auch die Belege. 12 Auch F. Krüner spricht in seiner Rusdorf-Biographie den Gedanken aus, daß Rusdorf sich bewußt von der böhmischen Expedition zurückhielt. 10

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Dietrich von Schönberg und Camerarius, sie alle hatten im Gefolge Christians von Anhalt ungleich größeren Anteil an der Etablierung und Ausübung der pfälzischen Herrschaft in Böhmen als die vorgenannten Räte. Die Flugschriften, in denen die katholische Partei nach der Katastrophe am Weißen Berg die Pfälzer angriff, bezeichnen Camerarius und die anderen in Böhmen tätigen Räte als zu ziemlich gleichen Teilen in das Unternehmen verwickelt. Sie rechnen dabei sozusagen die vorbereitende Gesandtschaftstätigkeit, bei der Camerarius verhältnismäßig weit im Hintergrund blieb, auf gegen die Verwaltungsfunktionen, die er nach Antritt der pfälzischen Herrschaft in Böhmen übernahm und bei denen er allem Anschein nach eine wichtigere Rolle spielte als zum Beispiel Plessen, Schönberg und Achaz von Dohna. Er erhielt im Gegensatz zu diesen Räten hohe böhmische und schlesische Staatsämter, die wohl auch noch wichtiger waren als die böhmische Oberkämmererswürde, die Christof von Dohna zufiel. Soweit ihn nicht sein Wirken auf den Unionstagen von Böhmen fern hielt, hatte er hier an der Erledigung der Geschäfte und den Versuchen, die pfälzische Herrschaft wenigstens notdürftig zu festigen, maßgeblichen Anteil, und dieser Anteil war offenbar entscheidender als der der meisten übrigen Pfälzer, die nach Böhmen kamen. Es zeigte sich bei Erörterung des Verhältnisses zwischen Christian von Anhalt und Camerarius, wie die besonders enge Arbeitsgemeinschaft zwischen beiden Männern zum guten Teil darauf beruhte, daß Camerarius mit seiner dem Anhaltiner fehlenden Pedanterie, seiner ordnenden Arbeitsamkeit und seiner genauen Kenntnis der Verwaltungspraxis und der reichsrechtlichen Verhältnisse Christian in dessen Sprunghaftigkeit ergänzte, daß Camerarius aber gleichzeitig in seinem politischen Idealismus, seiner Hoffnungsfreudigkeit und seiner bei ihm zum guten Teil aus dem Gefühl der Bedrohung erwachsenden Neigung zu einer kämpferischen Politik weitester Konzeption dem Fürsten außerordentlich nahe stand. Die Zusammenarbeit zwischen Christian von Anhalt und Camerarius während der pfälzischen Herrschaft in Böhmen bestätigt diese Feststellung. Es ist aufs neue offensichtlich, wie Camerarius mit seiner Sachkenntnis und der Nüchternheit, die ihn, ganz im Gegensatz zu seinen großen politischen Plänen, im Detail der alltäglichen Praxis beherrschte, für die Durchführung des Unternehmens unentbehrlich war. Ja, in noch stärkerem Maß als bisher gewinnt man in den Jahren der böhmischen Expedition den Eindruck, daß er an Arbeitselan die Mehrzahl der anderen Räte übertraf und deshalb zu immer größerem Einfluß auf den Gang der Geschäfte gelangte, daß er gleichzeitig Christian von Anhalt besonders nahe stand. Vor allem während seiner Tätigkeit in Böhmen, andeutungsweise aber auch schon bei Vorbereitung der Expedition, zeigte sich dabei wiederum, daß Camerarius in der alltäglichen Arbeit des diplomatischen Details über ruhige Nüchternheit verfügte: Voll ernstester Sorge äußerte er sich mehrmals über die Schwierigkeiten, der pfälzischen Herrschaft in Böhmen Dauer zu verleihen13. 13

Z. B. Camerarius an Pfalzgraf Johann Kasimir, Brünn 13. 2. 1620: „… Ihre Majestät der König von Beheim werden wol von allen ortten geängstiget, so wol von Feinden, alß ettlichen Evan-

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Doch wäre es falsch, daraus abzulesen, daß er ein Gegner der böhmischen Expedition war. Im Gegenteil: Nicht nur seine aktive Teilnahme an der Ausführung des Unternehmens, sondern ebenso seine Gesandtschaft von 1609 und die Briefe an Christian von Anhalt zeigen, daß er im Grunde, trotz mancher sachlichen Bedenken in Hinblick auf die Durchführbarkeit, das Unternehmen billigte, mehr noch: daß er das Hinübergreifen nach Böhmen als konsequente Fortentwicklung der bisherigen pfälzischen Politik empfand, ja, daß er letzten Endes darin eine Notwendigkeit sah, um der evangelischen Sache endgültigen Bestand zu verleihen und die pfälzische Macht so zu verstärken, wie es seinen tiefsten Wünschen entsprach. In diesem Zusammenhang besonders aufschlußreich sind die Briefe, die er während des Jahres 1618 an Christian von Anhalt schrieb. Mehrmals ermahnte er hier zu konsequentem Weiterschreiten auf dem einmal eingeschlagenen Weg und riet, das Möglichste zu tun, um zu verhindern, daß die Böhmen die kaiserlichen Vermittlungsvorschläge annähmen14. Läßt sich sagen, daß Camerarius in Prag mit größerem Arbeitsernst an die Geschäfte ging und viele Schwierigkeiten deutlicher sah als manche seiner Kollegen, so erscheint als ein zweites Unterscheidungsmoment dieses: Er betrachtete das Unternehmen von einer höheren Warte aus, als es zum Beispiel Dietrich von Schönberg oder Solms und andere pfälzische und englische Berater Friedrichs V. taten15. Er sah das Ereignis sozusagen abstrakter an. Er ordnete es mit größerer Konsequenz und mehr Weitblick in die große Linie der pfälzischen Politik ein und wurde sich von vornherein klarer über die aus den Vorgängen in Böhmen sich ergebenden Möglichkeiten zu einer Umwälzung des Machtverhältnisses zwischen der katholischen und protestantischen Partei in ganz Europa. Während vielen Persönlichkeiten in Heidelberg in erster Linie die Aussicht in die Augen sprang, den pfälzischen Wittelsbachern die Königswürde und ihrem Hof damit den Glanz zu verschaffen, nach dem man schon so lange strebte, beherrschte Camerarius mehr der Gedanke, daß sich die pfälzische Staatsmacht würde vergrößern lassen. Allem Anschein nach klang bei ihm öfter als bei vielen anderen pfälzischen Politikern die Idee an, daß sich durch den Erwerb Böhmens und seigelischen, die es weder bey Gott noch der posteritet verandwortten können, daz Sie durch Spanische gleyßnerey, und Jesuitische Sophisterey, Sich so schändlich hinder daz liecht führen laßen …“; an denselben Prag 22. 8. 1620: „Sollten auch draußen die Unirte den Spinolam nit zuruck hallten, Sondern auch derselbe mitt Seinem Exercitu inn dieße Land kommen, So muß Gott miracula thun, und unß conseruirn, dann menschlich die Sachen zu considerirn, wurde es alsdann de summa rei, so wol hierinnen, alß auch draußen im Reich geschehen sein …“, beide Briefe SRA, Stegeborgs samlingen; Camerarius an Grün, Prag 6. 11. 1619: „Bey der Cantzley und Cammer alles unrichtig und im üblen zustandt, daß unser gnedigister Herr in eine sehr schwere gefehrliche Regierung einsitzet, qui diligentius omnia inspicit, illi Augiae stabulum in mentem venit“, abgedruckt in: Ludovici Camerarii Epistolae selectae … 1625, 32, die als Beilage erschienen zu Jakob Kellers Tubus Gallilaeanus … 1625 (Genauer Titel s. Kap. V). 14 Z. B. Camerarius an Christian von Anhalt, Heidelberg 8. 9. 1618, LSA, A 9a. 15 Für den Unterschied der Geistigkeit von Camerarius und Schönberg besonders bezeichnend sind ihre verschiedenen Berichte an Christian von Anhalt über Friedrichs V. Besuch in München im Februar 1618, bei dem sie beide den Kurfürsten begleiteten. Während Camerarius fast ausschließlich über den Gang der Verhandlungen schrieb, stand bei Schönberg die Schilderung der Festivitäten sehr viel weiter im Vordergrund; s. LSA, A 9a, 167, 4.

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ner Nebenländer eine territoriale Machtbasis schaffen ließe, wie sie eigentlich erforderlich war, wollte die Pfalz eine wirklich gesicherte Position im Konzert der maßgebenden europäischen Mächte einnehmen. Auch in diesen Gedankengängen berührte er sich eng mit Christian von Anhalt. Als ein besonderes Charakteristikum, das er zum Teil mit dem Fürsten ebenfalls gemein hatte, das jedoch bei Camerarius stärker und einseitiger ausgeprägt war, kam bei ihm noch hinzu, daß ihm auch bei dem böhmischen Unternehmen die evangelische Sache obenan stand. Allerdings war dieselbe nunmehr mit dem pfälzischen Staatsinteresse bei ihm aufs engste verbunden. Doch ging es ihm – und dies unterscheidet ihn ebenfalls von manchen anderen Vertretern der pfälzischen Politik – bei dem Anliegen, die pfälzische Macht zu fördern, in erster Linie nicht um die Dynastie, sondern um die Religion. Insofern er einer Staatsräson diente, stand sie unter einem religiösen, nicht unter einem dynastischen Vorzeichen. Kein Zweifel kann bestehen, daß in der pfälzischen Politik am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges ein abenteuerliches Moment überaus stark war. Von Jahr zu Jahr trat es mehr hervor, bis es schließlich zur Katastrophe des Jahres 1620 führte. An anderer Stelle sind bereits die verschiedenen Ausprägungen beschrieben worden, die das Element des Abenteuerlichen in der pfälzischen Politik fand16. Es ist deshalb hier nicht der Ort, nochmals zu wiederholen, wie sich das Abenteurertum bei den im pfälzischen Dienst tätigen Kondottieren und Offizieren anders darstellte als bei den gewandten Heidelberger Hofmännern, wie sich bei den Geheimen Räten auch in dieser Hinsicht Differenzen zeigten und wie schließlich Christian von Anhalt seine Bedeutung innerhalb des pfälzischen Staatswesens auch dadurch bekundete, daß sich im Hinblick auf das Moment des Abenteuerlichen sehr verschiedene Schattierungen in seiner Person vereinigten. Nur die Stellung von Camerarius zu dem in der pfälzischen Staatskunst am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges so stark entwickelten Phänomen gilt es hier zu umschreiben. Wie des Camerarius Einfluß in der Periode der böhmischen Expedition zweifellos von Jahr zu Jahr wuchs, so ist nicht minder zweifelhaft, daß auch er wichtigen Anteil daran hatte, das Moment des Abenteuerlichen weiter zu entwickeln. Doch während es bei vielen der vor und nach der Prager Katastrophe dem Winterkönig dienenden Militärs leichtfertige Freude an einer großen aventure war, während viele der Hofleute der königliche Glanz dazu verlockte, sich in das böhmische Abenteuer zu stürzen, nahm die Abenteuerlichkeit bei Camerarius eine sehr viel schwerfälligere und sozusagen verantwortlichere Gestalt an. Auch von manchen der Geheimen Räte unterschied er sich hierin. Schönberg und Solms, bis zu einem gewissen Grad aber auch Christian von Anhalt, erschien die Möglichkeit, Böhmen an die pfälzischen Wittelsbacher zu bringen, in vieler Hinsicht als eine glückliche Gelegenheit, die Fortuna einem in die Hand spielte und die man hochgemut ergreifen oder allenfalls auch leichthin fallen lassen konnte. Camerarius hingegen – und hierin näherte er sich Achaz und besonders Christof 16

S. F. H. Schubert, Die pfälzische Exilregierung, in diesem Band.

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von Dohna – stellte sich das Ganze mehr als eine quälende Notwendigkeit dar, der man aus religiöser Verantwortung und aus der Überzeugung heraus Folge leisten mußte, daß die evangelische Sache aufs äußerste bedroht sei und daß man, um überhaupt weiter bestehen zu können, den höchsten Einsatz zu riskieren habe. „In extremis muß man extrema wagen“, dieser Ausspruch findet sich mehrmals in den Briefen, die Camerarius in den Jahren der Expedition schrieb. Er kennzeichnet die Stimmung, aus der heraus er handelte. Die ihn von Jugend an beherrschende Vorstellung von der Bedrohtheit aller ihm wertvollen Lebensgüter machte sich bei seiner Haltung gegenüber der böhmischen Expedition in stärkstem Maß geltend. Sie half, die ihm eigene Pedanterie und nüchterne Schwerfälligkeit zu überwinden, in der er viele der Schwierigkeiten und Gefahren richtig erkannte. Die Überzeugung, daß der Untergang drohe, verband sich mit der hochgespannten Hoffnungsfreudigkeit, die ihn neben dem Gefühl äußerster Bedrohtheit, sozusagen als extremer Gegensatz und Ausgleich, stets gleichzeitig beherrschte. Sein politischer Idealismus kam hinzu, der ihm die richtige Einschätzung der Kräfteverhältnisse erschwerte. Dieser Idealismus führte dahin, daß er, wenn auch mit schweren Bedenken, die Inbesitznahme Böhmens für allenfalls durchführbar und für eine Chance hielt, die man nicht auslassen durfte. Camerarius trug damit das Seine dazu bei, mit unzureichenden Mitteln ein Unternehmen ins Werk zu setzen, das die pfälzisch-evangelische Sache an den Rand des Abgrundes führte und den großen Krieg in Deutschland auslöste. Wie die anderen pfälzischen Politiker trifft auch ihn der Vorwurf des Leichtfertigen und Abenteuerlichen. Doch die Leichtfertigkeit und Abenteuerlichkeit, die er an den Tag legte, war vergleichsweise konsequent und verantwortungsbewußt. Das zeigte er ebenso bei Durchführung des Unternehmens wie später, als er auch in der äußersten Not im Gegensatz zu vielen pfälzischen Politikern, im Gegensatz vor allem zu Christian von Anhalt, der pfälzischen Sache treu blieb. Wie schon angedeutet, ist es ein Kennzeichen der Entwicklung, die Camerarius in den Jahren von 1613 bis 1620 nahm, daß er in der pfälzischen Diplomatie immer weiter in den Vordergrund trat. Dies zeigt sich bereits bei den Unionsverhandlungen, die auf den Regensburger Reichstag von 1613 folgten. Konsequent zog Camerarius hier die Lehre aus den Erfahrungen, die er auf der Reichsversammlung gemacht hatte. Es scheint, daß er energisch darauf hinarbeitete, in Heidelberg Beschlüsse zu Wege zu bringen, die ihn instand setzten, als pfälzischer Gesandter auf dem Unionstag von Heilbronn im Oktober 1614 entschieden darauf hinzuwirken, daß die Kriegsbereitschaft der Union erhöht wurde17. Tatsächlich gelang es, die Unionsmitglieder zu immerhin wesentlichen Steigerungen ihrer Beitragszahlungen zu verpflichten, eine Verpflichtung, hinter der dann allerdings die Ausführung beträchtlich zurückblieb. Ein Erfolg war es auch, daß im Laufe des Jahres 1614 ein zwölfjähriger Defensivvertrag zwischen der Union und den Niederlanden ratifiziert werden konnte, der außer zu England, mit 17

S. BGStA Mü. K. bl. 118/32 „Correspondenz des Dr. Camerarius 1614–1615“; BGStA Mü. K. schw. 548/4; Staatsarchiv Nürnberg, Evangelische Unionsakten, Tom. 52–59; s. ferner M. Ritter, Politik u. Geschichte der Union zur Zeit des Ausgangs Rudolfs II. und der Anfänge des Kaisers Matthias, a. a. O.

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dem 1612 ein Vertrag zustande gekommen war, eine Bündnisbeziehung zu einer weiteren protestantischen Großmacht herstellte. Das nächste Hauptziel, dem Camerarius sich in Sachen der Union widmete, war es, 1615 und 1616 den Beitritt der protestantischen niedersächsischen Kreisstände zu erreichen, ein Bemühen, in dem ihm im wesentlichen der Erfolg versagt blieb. Auch gelang es ihm nicht, was er wohl eigentlich, obwohl nicht allzu ausgesprochen wünschte, Kurbrandenburg als aktives Mitglied der Union zu erhalten. Die vorsichtigere Politik der Städte setzte sich wieder durch, der Camerarius als Vertreter des aktiven Flügels innerhalb der Union so oft schon entgegengesetzt gewesen war, der er aber hier wie auch schon früher mehrmals nachgeben mußte18. Dasselbe Entgegenkommen war er genötigt, den finanzkräftigen und deshalb in der Union so einflußreichen Städten in der Frage der Erneuerung des 1618 ablaufenden Unionsvertrages zu bezeigen. Nachdem schon im März 1616 in Stuttgart Vorbesprechungen stattgefunden hatten, betrieb Camerarius dann während des ganzen Jahres die Frage mit Energie weiter19, so daß auf einer Unionsversammlung – wiederum in Heilbronn – im April 1617 die Verlängerung tatsächlich zustande kam, allerdings nicht, wie Camerarius es wünschte, auf acht, sondern nur auf drei Jahre20. Als die Heilbronner Unionsversammlung im April 1617 stattfand, lagen gerade zwei wichtige Gesandtschaften hinter Camerarius, die wie sein wachsender Einfluß in der Unionspolitik zeigen, in welchem Maß seine Bedeutung für die pfälzische Politik zunahm. Gleichzeitig lassen sie erkennen, daß Camerarius in der Reichspolitik nunmehr eine Richtung einschlug, die zwar einerseits wenn irgend möglich den Frieden bewahren wollte, andererseits aber konsequent danach strebte, die habsburgische Macht auf legalem Weg einzuschränken, ja die letzten Endes auf eine Zertrümmerung dieser Vormacht abzielte und damit immer näher an den Krieg heranführte. Erzherzog Maximilian, der rührige und um Macht und Erhaltung der habsburgischen Dynastie besorgte jüngere Bruder von Kaiser Matthias, der lange Zeit die habsburgischen Vorlande mitsamt Tirol verwaltet hatte, hatte angesichts des Umstandes, daß der Kaiser kränkelte und ohne Leibeserben war und daß der katholischen Partei der ihm erforderlich scheinende militärische Rückhalt fehlte, Denkschriften aufgesetzt und seinen Brüdern – dem Kaiser und Erzherzog Albrecht, dem Statthalter der spanischen Niederlande – übergeben, in denen er in der Hauptsache für zwei für das ganze Reichsgefüge in der Tat überaus folgenreiche Maßnahmen eintrat. In dem einen, schon 1614 aufgesetzten Gutachten schlug er vor, zur Bewahrung des Hauses Habsburg und der katholischen Religion sowie zur Stärkung der kaiserlichen Autorität eine Armee von annähernd 30000 Mann – für die Verhältnisse der Zeit eine sehr hohe Zahl – aufzustellen, in

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S. Staatsarchiv Nürnberg, Evangelische Unionsakten, Tom. 60–72. Hierüber besonders aufschlußreich die Briefe von Camerarius an Christian von Anhalt vom 16. 11. 1616 u. 20. 1. 1617, LSA, A 9a. 20 S. Staatsarchiv Nürnberg, Evangelische Unionsakten, Tom. 73–76. 19

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deren Bezahlung sich der Kaiser, Spanien und Erzherzog Albrecht teilen sollten21. Der zweite Vorschlag, der von Maximilian ebenfalls bereits 1614 vorgebracht und dann in kaiserlichem Auftrag 1616 zu einem ausführlichen Gutachten ausgearbeitet wurde, richtete sich direkt an den kaiserlichen Bruder und ging dahin, Matthias möchte seinem Vetter, Erzherzog Ferdinand von Steiermark, dem Vorkämpfer der Gegenreformation und nachmaligen Kaiser Ferdinand II., schon zu seinen Lebzeiten die Nachfolge in allen habsburgischen Erblanden sichern und ihn, wenn irgend möglich, bereits zum Römischen König wählen lassen, da es, wie Maximilian sich ausdrückte, ja eine Selbstverständlichkeit sei, daß stets ein Habsburger die Kaiserwürde inne habe22. Von beiden Vorschlägen, dem über die Nachfolge Ferdinands und dem über Aufstellung einer katholischen Heeresmacht, erhielt man in Heidelberg genaue Kenntnis. Abschriften der Gutachten gingen ein und verschafften der pfälzischen Politik Gelegenheit, an Hand dieses schriftlichen Materials nachzuweisen, wie nah zwei Gefahren waren, die nicht nur von den calvinistischen, sondern ebensosehr von den lutherischen und auch den katholischen Reichsständen als besonders verderblich angesehen wurden: Die Gutachten boten die Möglichkeit, besonders überzeugend darzutun, daß die Habsburger eine ausländische, von Spanien bezahlte Armee im Reich stationieren und die Kaiserwürde erblich machen wollten. Gleichsam wissenschaftlich interpretierend konnte hier vorgegangen werden, ein Verfahren, das Camerarius besonders schätzte, dem er später als Publizist folgte und das er auch bei Gesandtschaften wenn irgend möglich zur Anwendung brachte. Anscheinend gern übernahm er es deshalb, im Mai 1616 nach Dresden zu reisen, Kurfürst Johann Georg von Sachsen und seinem Kanzler Kaspar von Schönberg insgeheim – der Auftrag ging dahin, wenn möglich dem Kurfürsten unter vier Augen Vortrag zu halten – von den Gutachten Mitteilung zu machen und zu gemeinsamem Vorgehen gegen diese Bedrohung der Reichsverfassung aufzufordern, einer Aktion, zu der Pfalz und Sachsen als Reichsvikare in gleicher Weise verpflichtet seien23. Es scheint, daß Camerarius in Dresden mit Eloquenz alle Gefahren ausmalte, die dem Reichsgefüge drohten. Vielleicht ging er in seiner Lebhaftigkeit sogar etwas weit, so daß er damit eventuell nur erreichte, daß die sächsische Antwort besonders reserviert ausfiel. Man hoffe nicht, daß der Kaiser seine beschworene Wahlkapitulation verletzen werde, hieß es lediglich. Eine gemeinsame Protestaktion wurde fürs erste abgelehnt24. Immerhin bewirkte Camerarius durch seine Vorstellungen, daß der Kurfürst von Sachsen sich an den von Mainz wandte und ihn aufmerksam machte. Auch hoffte Camerarius, der in richtiger Beurteilung der Lage mehr ohnehin nicht erreichen zu können glaubte, wenigstens bewirken 21

SLA, Locat 10676, „Erstes Buch, Succession im Römischen Reich betreffend“; das Gutachten wurde am 23. 12. 1614 Erzherzog Albrecht von Maximilian übergeben. 22 Die Ausarbeitung trägt das Datum vom 19. 2. 1616, s. Khevenhiller, a. a. O. VIII, 882 ff. 23 SLA, Locat 10676, „Erstes Buch, Succession im Römischen Reich betreffend“; s. a. HäberlinSenckenberg, a. a. O. XXIV, 62 f. 24 SLA, Locat 10676.

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zu können, daß der Kaiser nicht, wie Erzherzog Maximilian es wünschte, nach Dresden käme und dabei den Kurfürsten bearbeiten könnte25. Vornehmlich um wenigstens eine weitere Annäherung der sächsischen an die kaiserliche Politik zu verhindern, ging Camerarius Ende 1616 ein zweites Mal nach Dresden, wo sich zu diesem Zeitpunkt bereits Christof von Dohna befand26. Nach diesem nochmaligen Besuch in der sächsischen Residenz wandte er sich nach Prag, wo ihm die Aufgabe zufiel, am Kaiserhof wegen der Gutachten Erzherzog Maximilians offizielle Demarche einzulegen und um Aufklärung zu bitten, wie es zu solchen Vorschlägen habe kommen können27. Wir sind über die Prager Mission von Camerarius im Februar und Anfang März 1617 dank ausführlicher und höchst anschaulicher Berichte, die sich im Bayerischen Geheimen Staatsarchiv erhalten haben, besonders gut informiert. Die günstige Quellenlage und der Verhandlungsstoff bewirken es, daß sich unter den zahlreichen Gesandtschaften, die Camerarius im Lauf seines Lebens zu absolvieren hatte, die Prager Mission von 1617 in markanter Weise heraushebt. Sie stellt sich an Bedeutung für die Erkenntnis seiner Entwicklung neben drei weitere Gesandtschaften, die ihm in den folgenden Jahren zufielen: die nach München im Jahr 1618 in Begleitung Friedrichs V., die nach Kopenhagen im Jahr 1622 und die nach Schweden im Jahr 1623. Die Entwicklung seiner Politik und seiner Persönlichkeit läßt sich aus seinem Auftreten auf diesen vier Missionen aufs deutlichste ablesen. Sie stellen Marksteine seines Lebenslaufes dar. Wir sehen Camerarius in Prag noch ernstlich um ein erträgliches Verhältnis zum Kaiser bemüht, noch sehr viel verbindlicher gegenüber der habsburgisch-spanischen Partei als in den folgenden Jahren, aber doch bereits im Notfall zum Äußersten entschlossen, voll versteckter und auch schon offener Drohungen. Wir finden ihn ein Jahr später in München mitten im Gespinst seiner kühnen Kaiserwahlkonzeption. In Kopenhagen im Frühjahr 1622 ist seine Sprache dann ungleich energischer. Wenn auch die Hoffnung auf baldige Versöhnung noch nicht ganz geschwunden ist, klingt doch der Gedanke der unbedingten Kriegspolitik bereits so deutlich an, wie es auf dem Gebiet der praktischen Diplomatie vorher bei ihm noch keinmal der Fall gewesen war, bis ein Jahr später, 1623 in Schweden, der extreme religiöse Kriegspolitiker in reiner Ausprägung vor uns steht. In den letzten Januar- oder ersten Februartagen des Jahres 1617 langte Camerarius in Prag an, meldete sich am 3. Februar bei dem kaiserlichen obersten Kammerherren von Meggau und erhielt am 7. früh 9 Uhr bei Kaiser Matthias Audienz28. 25

Camerarius an Grün, Dresden 29. 5. 1616: „… et si nihil aliud, hoc tamen, volente Deo, effecero, ut ne procedat conventus ille, et mutuum cum Caesare colloquium, in quo omnis spes Pontificiis posita.“, zitiert nach Wolf, Gesch. Maximilians I., a. a. O. III, 658. 26 SLA, Locat 10676. Ein drittes Mal kam Camerarius Mitte 1617 nach Dresden, um im Namen von Pfalz und Brandenburg einige Punkte des Jülicher Streitfalles zu klären. 27 BGStA Mü. K. bl. 118/33 „Des Dr. Camerarius Sendung nach Prag 1616–1617“. 28 Camerarius an Friedrich V., Prag 8. 2. 1617, BGStA Mü. K. bl. 118/33.

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„Oben am Tisch stehend“, empfing ihn Matthias, indem er ihm die Hand reichte. Noch anwesend waren der Kardinal Klesl, der Geheime Rat Graf Harrach und Meggau, alles Persönlichkeiten, mit denen Camerarius schon in Regensburg und andernorts zu tun gehabt hatte. Der Reichsvizekanzler von Ulm litt am Podagra und mußte sich deshalb bei der Audienz vertreten lassen, was Camerarius wohl nicht unlieb war, da er die Abneigung der meisten pfälzischen Politiker gegen den hochfahrenden und prononciert protestantenfeindlichen Ulm teilte. „Ettwaz weyttleufftiger und ausführlicher“, als eigentlich vorgesehen, hielt Camerarius dem Kaiser Vortrag, wie es seiner auch in seinen Briefen zu beobachtenden Neigung entsprach, alles immer so ausführlich und eindringlich wie möglich darzulegen. – Die humanistische Hochschätzung beharrlicher Überzeugungskunst machte sich hier wieder geltend. – Dieselbe Breite der Ausführungen schon in der Einleitungsaudienz ist auch 1622 bei dem Auftreten von Camerarius in Kopenhagen zu beobachten. Bezeichnenderweise deckte er aber damals bereits alle gewagten Punkte seiner Anliegen sogleich vor König Christian IV. auf. Es zeigt, um wieviel gemäßigter er nicht nur in seiner Gesinnung, sondern auch in seiner Verhandlungstaktik war, daß er in Prag bei dem Einführungsvortrag vor dem Kaiser die heikelste Stelle seines Auftrages umging. Er brachte den ganzen Fragenkomplex der „Succession“ vor Matthias zunächst nicht zur Sprache, obwohl der Wunsch, die Nachfolge des den Pfälzern in seiner strengen katholischen Gläubigkeit besonders verdächtigen Ferdinand von Steiermark im Reich und in den kaiserlichen Erbländern zu verhindern, zusammen mit dem Protest gegen eine spanische Armee auf deutschem Boden der Hauptanlaß seiner Mission war29. Indem Camerarius die Sukzessionsfrage in seinem Vortrag beim Kaiser umging, setzte er sich sogar in Widerspruch zu einer Direktve Christians von Anhalt, die ihm ausdrücklich auftrug, die Frage der nach pfälzischer Ansicht rechtswidrigen Nachfolgebemühungen sogleich zur Sprache zu bringen. Überhaupt scheint es, daß Camerarius um einiges gemäßigter auftrat, als Christian von Anhalt es ihm aufgetragen hatte30. Er konnte sich dabei auf die ursprünglichen und von Anhalt erst nachträglich in schärferem Sinn modifizierten Weisungen Friedrichs V. berufen, die es ihm erlaubten, in der Sukzessionsfrage mit größter Vorsicht vorzugehen. Außerdem erkannte er von vornherein vollkommen richtig, daß der Wert seiner Prager Gesandtschaft nicht so sehr in den offiziellen Audienzen beim Kaiser und der förmlichen Antwort, die ihm dieser erteilen würde, liegen konnte, als vielmehr in den intimeren Gesprächen mit den leitenden Räten, vor allem aber mit Kardinal Klesl und Erzherzog Maximilian. Waren die Angelegenheiten, die Camerarius zur Sprache zu bringen hatte, doch von der Art, daß sich feste Zusagen schwerlich erreichen ließen und auch kaum Wert hatten, daß es vielmehr in der 29

Camerarius an Friedrich V., Prag 8. 2. 1617; „Dess Camerarij zu Onoltzbach für gut angesehene Legation nach Prag betr., Hauptpuncten, welche der Keyßerlichen Majestät von Chur Pfalz wegen vorzutragen, 10. 1. 1617“, beides BGStA Mü. K. bl. 118/33. 30 Camerarius an Christian v. Anhalt, Prag 23. 2. 1617, LSA, A 9a; Camerarius an Friedrich V., Prag 8. 2., 13. 2. 1617, BGStA Mü. K. bl. 118/33.

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Hauptsache darauf ankam, ohne den Eindruck offener Feindschaft zu erwecken, die führenden Persönlichkeiten am Kaiserhof durch einen ernsten Protest zu größerer Zurückhaltung und Vorsicht und mehr Beachtung der protestantischen Interessen zu bewegen. Schon am Tag seiner Audienz beim Kaiser, am 7. Februar 1617, bot sich ihm Gelegenheit zu einem solchen intimeren Gespräch, als er um 3 Uhr nachmittags von Kardinal Klesl empfangen wurde, der ihn in einen Samtsessel komplimentierte und weitläufig seine Ideen über einen Ausgleich zwischen den Religionsparteien entwickelte31. Zwei Mal, am 12. und 18. Februar 1617, kam Camerarius darauf noch mit Klesl zu weiterer „vertrawlicher conversation“ zusammen32. Am Schluß eines dieser Gespräche nahmen auch der Reichspfennigmeister Gaitzkoffler und Dr. Roden teil. Es scheint, daß es jedesmal ähnliche Gedankengänge waren, die Klesl vor Camerarius entwickelte, Gedankengänge, die mit dem übereinstimmen, was über die Befriedungspläne des Kardinals bekannt ist. Es zeigte sich schon während des Regensburger Reichstages von 1613, wie Camerarius und die anderen pfälzischen Politiker Klesls Programm mit größter Skepsis gegenüberstanden. Dieselbe Skepsis findet sich in den Antworten wieder, die Camerarius 1617 in Prag Klesl gab. Wir bemerkten, wie in vieler Hinsicht auch noch in dieser Zeit Camerarius’ Wille stark war, wenn irgend möglich den Frieden zu erhalten. Die kühle Ablehnung, die er Klesl gegenüber an den Tag legte, zeigt jedoch ebenso wie sein Auftreten in Regensburg die Grenzen dieses Bemühens um Bewahrung des Friedens. Sie beweist, daß Camerarius nicht willens war, dafür jene Bestrebungen aufzugeben, die zur Stärkung des pfälzischen Staatswesens und zur Ausweitung von dessen Position als Vormacht des aktiven Protestantismus Deutschlands führen sollten. In den Antworten, die er Klesl gab, argumentierte er ganz wie 1613 in Regensburg. Und wieder, wie damals, tritt in seinen Berichten aus Prag ein tiefes Mißtrauen gegen den Kardinal zutage. Seine „intention recht zu penetrieren“ ließ sich Camerarius deshalb vor allem angelegen sein33. Trotzdem war er am Ende seiner Mission der Meinung, Klesl habe es wieder verstanden, „sein endliche resolution“ zu verbergen. Alles in allem zeigen die Berichte von Camerarius aufs neue, daß es mehr als fraglich ist, ob Klesl es war, der, wie früher gelegentlich angenommen, den Pfälzern Nachricht über die Gutachten Maximilians zukommen ließ34. So weit reichte das Mißtrauen, das Camerarius Klesl gegenüber beseelte, daß er anscheinend nur wenig unternahm, den Kardinal und Erzherzog Maximilian gegeneinander auszuspielen, obwohl an sich hierzu Gelegenheit genug vorhanden war. Denn in erstaunlicher Offenheit packten die beiden Herren vor Camerarius gegeneinander aus. Am 7. Februar nachmittags war er ein erstes Mal bei Klesl und bekam da bereits zu hören, Erzherzog Maximilian gefährde mit 31

Camerarius an Friedrich V., Prag 8. 2. 1617, BGStA Mü. K. bl. 118/33. Camerarius an Friedrich V., Prag 18. 2., 6. 3. 1617, BGStA Mü. K. bl. 118/33; Camerarius an Christian v. Anhalt, Prag 23. 2.1617, LSA, A 9a. 33 Camerarius an Friedrich V., Prag 13. 2. 1617, BGStA Mü. K. bl. 118/33. 34 S. Strickstrack, a. a. O. 9. 32

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seinen Maßnahmen Klesls Friedenswerk. Schon am nächsten Vormittag, den 8. ½ 10 Uhr, wurde Camerarius zu Maximilian gebeten, der sich noch viel unverhohlener über Klesl äußerte. Bei dem zweiten Besuch von Camerarius, am 14. Februar 1617, ging der Erzherzog so weit, im Hinblick auf Klesl zu sagen: „Eß weren aber wol leudt, die nichts dann gute wortt geben, und doch zugleich daz widerspiel theten … Der Cardinal tractirte ihre Durchlaucht nicht, wie sichs gebührete. Müßte aber patientz noch zur zeytt haben, weyl Er auch Eine religion, wie die andere hiellte, wie Ich uff Meine negotiation allhier in werck hernechst verspühren würde, Sein roder rock und profession wießen ihn viel ein anders. Er hette aber weder ehr noch gewissen“35. Auch sei Klesl, fuhr Erzherzog Maximilian fort, von törichter Ängstlichkeit. Kurz nachdem Klesl sich einmal besonders unfreundlich benommen habe, sei er Maximilian im Wald mit seinem Wagen begegnet, „were er aus furcht von der Kutschen, und in daß holtz entsprungen, da er sich doch keiner gefahr zu beförchten gehabt hette“36. Maximilians Angriffe auf Klesl scheinen zum Teil als Manöver gedacht gewesen zu sein, die pfälzischen Vorwürfe wegen der von Maximilian verfaßten Denkschriften von sich abzulenken. Hiermit jedoch kam er offenbar bei Camerarius schlecht an, der ihn vielmehr deutlich, ja mit Schärfe auf die Bedeutung dieser Gutachten hinwies und die Konsequenzen darlegte, welche die protestantische Partei daraus ziehen müsse. Bei diesen Verhandlungen ließ Maximilian bis zuletzt dahin gestellt, ob er die Denkschriften wirklich selbst abgefaßt habe, versicherte dafür die Pfälzer seiner besten Gesinnung und versprach, bei einem persönlichen Besuch in Heidelberg alles Weitere zu klären. Erst ganz zum Schluß seines Besuches erhielt Camerarius von Seiten der kaiserlichen Räte die Bestätigung, daß die die pfälzische Politik so gefährdenden Pläne tatsächlich auch im einzelnen auf Erzherzog Maximilian zurückgingen. Der kaiserliche Rat und Oberste Kriegskommissär Kleinstraittl war es, der Camerarius diesbezügliche Eröffnungen machte37. Ob sie die Frucht der Bestechungsgelder beziehungsweise Ehrengaben waren, die Camerarius in Prag besonders reichlich austeilte, läßt sich nicht sagen38. Die Resolution, die Camerarius vom Kaiser erteilt wurde, war in den wesentlichen Punkten höflich-nichtssagend und befriedigte ihn wenig, wie er Klesl und Erzherzog Maximilian offen vorhielt39. Enttäuschend war es auch, daß trotz seiner Gegenbemühungen 1617 der Besuch des Kaisers in Dresden stattfand und in der Hauptsache zu den von der kaiserlichen Politik gewünschten Zielen führte, daß Erzherzog Ferdinand außerdem noch 1617 von den böhmischen Ständen als Nachfolger von Matthias anerkannt wurde. Dafür konnte Camerarius als Erfolg verzeichnen, daß die kaiserliche Regierung immerhin eingeschüchtert war. Er 35

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Camerarius an Friedrich V., Prag 18. 2. 1617, BGStA Mü. K. bl. 118/33. Camerarius an Friedrich V., Prag 18. 2. 1617, BGStA Mü. K. bl. 118/33. Camerarius an Friedrich V., Prag 6. 3. 1617, BGStA Mü. K. bl. 118/33. Camerarius an Christian von Anhalt, Prag 23. 2. 1617, LSA, A 9a; Camerarius an Friedrich V., Prag 8. 2. 1617, BGStA Mü. K. bl. 118/33.. 39 Die Resolution BGStA Mü. K. bl. 118/33; s. a. Camerarius an Friedrich V., Prag 6. 3. 1617, BGStA Mü. K. bl. 118/33 36

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konnte sich ferner sagen, daß vielleicht auch seine Mission dazu beigetragen hatte, daß Ferdinand zu Matthias’ Lebzeiten nicht zum Römischen König gewählt wurde. Verhandlungen mit der böhmischen Ständeopposition führte er offenbar während des Prager Aufenthaltes nicht. Die Gesandtschaft von 1617 ändert also nichts an der oben getroffenen Feststellung, daß er in den Jahren unmittelbar vor der böhmischen Expedition nur in verhältnismäßig geringem Maß an den direkten Gesprächen mit der böhmischen Fronde beteiligt war. Für seine eigene Entwicklung aber war es das Wichtigste, daß ihm der Aufenthalt in Prag neue Perspektiven eröffnete. Anscheinend hing es mit den Eindrücken zusammen, die er am Kaiserhof empfing, daß er nach seiner Rückkehr mit gesteigerter Intensität den schon ein Jahr früher entwickelten Plan verfolgte, die Kaiserwürde an Herzog Maximilian von Bayern zu bringen. Schon eingangs wurden die Beweggründe dargestellt, die Camerarius zu dem Projekt veranlaßten. Gleichzeitig ergab sich an dieser Stelle bereits, welche Bedeutung der bayrische Plan für das politische System hatte, dem Camerarius folgte. Es soll einer Sonderstudie vorbehalten bleiben, den Gang der Verhandlungen zu schildern. Sie gipfelten für Camerarius in dem Besuch, den er im Februar 1618 im Gefolge Friedrichs V. in München abstattete, sowie einer weiteren Zusammenkunft, die er im April des Jahres auf Eichstätter Gebiet mit dem bayrischen Geheimen Rat Dr. Wilhelm Jocher hatte. Ihren wichtigsten und interessantesten Niederschlag aber fanden die Bemühungen von Camerarius in einem ausgedehnten Briefwechsel, den er in diesen Jahren mit Jocher unterhielt. Mit aller ihm zu Gebote stehenden Beredsamkeit versuchte er darin, Jocher und durch ihn Herzog Maximilian für das Projekt zu gewinnen. Die Argumentation ist sehr theoretisch angelegt. Reichsrechtliche und allgemeinhistorische Gesichtspunkte werden ins Treffen geführt. Der Briefwechsel erhält dadurch einen besonderen Reiz. Er ermöglicht es, die uns schon bekannte ideengeschichtliche Stellung, die Camerarius kurz vor Ausbruch des Krieges einnahm, noch einmal zu überprüfen. Gleichzeitig läßt sich erkennen, wie nah sich Camerarius und Jocher in vieler Hinsicht geistig standen: Auch Jocher war wie Camerarius stark religiös bewegt, bloß durch die entgegengesetzte Konfession. Auch er, ein gelehrter, feingebildeter Jurist, zeigte sich mehr humanistisch-lateinisch als höfisch-französisch gebildet. Gleichzeitig aber wird offenbar, wie Jocher in nüchterner Beurteilung des Möglichen Camerarius überlegen war, wie er das Zeug zu einem politischen Realisten hatte, das Camerarius fehlte. Man spürt in der Auseinandersetzung der beiden Männer die letztliche Überlegenheit der bayrischen über die pfälzische Politik und lernt die Motive für die besonders tiefe Erbitterung kennen, die Camerarius später gegen Bayern erfüllte. Entsprechend der Haltung seines Herzogs stimmte Jocher zwar nie den pfälzischen Vorschlägen zu, lehnte sie aber auch nicht geradewegs ab. Diese fehlende direkte Ablehnung ermutigte Camerarius zu immer neuen Vorstößen, und sein Ärger war deshalb um so größer, als sich Mitte 1619, nachdem Kaiser Matthias Ende März des Jahres gestorben war und nunmehr tatsächlich zur Kaiserwahl geschritten werden mußte, definitiv herausstellte, daß Bayern weit davon entfernt war, sich die Würde übertragen zu lassen. Zu der alle pfälzischen

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Diplomaten in den folgenden Jahren erfüllenden Abneigung gegen das feindliche Bayern, das den pfälzischen Wittelsbachern die Kurwürde nahm, gesellte sich deshalb bei Camerarius noch der Stachel, von den bayrischen Diplomaten düpiert worden zu sein. In der nach der bayrischen Ablehnung sich erhebenden Frage, wer anstatt Maximilians zum Kaiser zu wählen sei, kam man nach mehrtägigen vom 5. bis 9. Juli dauernden Beratungen in Heidelberg, an denen Friedrich V., Solms, Grün, Plessen und Camerarius teilnahmen, dazu, die pfälzische Stimme, wenn auch widerstrebend, Ferdinand zu geben, für den Fall, daß sich nicht doch noch ein anderer Kandidat fände40. Ziemlich einhellig wurde dieser Beschluß gefaßt. Bei dem vorangehenden längeren Hin und Her war Camerarius es, der als der pfälzische Experte in reichsrechtlichen Fragen darauf hinwies, daß ein Fernbleiben von der Wahl einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen würde, und auch sonst immer wieder die praktische Durchführbarkeit der einzelnen Vorschläge klar legte. Dem Beschluß entsprechend stimmte die pfälzische Gesandtschaft am 28. August 1619 in Frankfurt für Ferdinand. Angeblich auf energisches Ersuchen des Kanzlers Grün hin nahm Camerarius an der Gesandtschaft teil, obwohl er ursprünglich, statt erst nach Frankfurt, von Heidelberg aus sogleich nach Böhmen gehen sollte, wo – ganz kurz vor der Frankfurter Kur – Friedrich V. zum König gewählt worden war41. Sobald die Kaiserwahl vollzogen war, brach Camerarius jedoch nach Böhmen auf, nachdem die finanziellen Bedingungen, die er an die Übernahme der bereits geschilderten Funktionen in Böhmen geknüpft hatte, offenbar erfüllt worden waren. In Prag nahm Camerarius vom Spätsommer 1619 ab seinen Wohnsitz, den er immerhin für so fest hielt, daß er daran dachte, sein Haus in Heidelberg und sein Landgut zu verkaufen und deshalb bereits mit dem Pfalzgrafen Johann Kasimir verhandelte42. Die Unionsgeschäfte und die Vertretung der Pfalz auf den Unionstagen besorgte Camerarius neben seinen böhmischen Funktionen her, so daß auch 1619 und 1620 ständiges Reisen für ihn die Devise blieb, zumal er an der Huldigungsfahrt Friedrichs durch Mähren, Schlesien und die Lausitz teilnahm43. In Brünn war es, wo er am 15. Februar 1620 zum böhmischen Geheimen Rat ernannt wurde. Diese Ernennung und noch mehr die Beförderung zum schlesischen Vizekanzler gelang nicht ohne Schwierigkeiten. Nur landsässige Familien konnten ein solches Amt in Böhmen bekleiden, und nur ungern überließen die böhmischen Stände zudem einem Ausländer den wichtigen Posten. Nachdem jedoch durch eine Anfrage beim Nürnberger Rat festgestellt worden war, daß die 40

S. Protocollum Consultationis Secretae Electoris Palatini cum Consiliariis suis de Electione Regis Romani, Heidelbergae habitae 5.-9. Julij Anno 1619, in: Der Unierten Protestirenden Archif, Appendix, 481–493. 41 Camerarius an Christian v. Anhalt, Heidelberg 10. 7. 1619, BHStA Mü., Akten zum Dreißigjähr. Krieg, Nr. 30. 42 Camerarius an D. Schwebel, Prag 18. 1. 1620, SRA, Stegeborgs samlingen. 43 Camerarius an Pfalzgraf Johann Kasimir, Brünn 13. 2. 1620, SRA, Stegeborgs samlingen.

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Familie der Camerarii den ständischen Erfordernissen genügte44, und nachdem das Drängen Friedrichs und Christians von Anhalt immer stärker wurde, stimmten die Stände widerwillig zu45. Über des Camerarius einzelne Maßnahmen und Bemühungen in Böhmen selbst geben die erhaltenen Akten nur wenig Aufschluß. Wir wissen lediglich, daß er eine lebhafte Tätigkeit bei den Verhandlungen mit den Ständen entfaltete und viel mit dem Oberstkanzler von Ruppa zu tun hatte, auch mit Georg Erasmus von Tschernembl, dem Führer der oberösterreichischen Ständeopposition, in diesen Jahren in Verbindung stand. Außer den außenpolitischen Fragen widmete er sich offenbar besonders der Beschaffung der nötigen Geldmittel für den bevorstehenden Krieg. Daß es ein gefährlicher Kampf war, der im Sommer bevorstand, darüber war er sich schon Anfang 1620 im Klaren46. Oft überkamen ihn in dieser Zeit düstere Ahnungen. Und doch blieb er voller Hoffnung, und sein guter Mut verließ ihn auch nicht, als die Katastrophe eintrat. Die Schlacht am Weißen Berg dauerte nicht länger als zwei Stunden. Am Mittag eines nebligen Novembersonntags, des 8. November 1620, wurde sie ausgetragen. Lange hatte man im katholischen Lager geschwankt, ob man die günstige pfälzische Stellung angreifen solle. Der kaiserliche Feldherr Bucquoy hatte abgeraten. Doch schließlich hatte Herzog Maximilian von Bayern den Kriegsrat zu kühnem Entschluß bestimmt. Seine geistlichen Berater hatten ihn in seinem Mut bestärkt. Pater Hyazinth, der einflußreiche katholische Unterhändler, hatte ihm schriftlich dringend geraten, es auf eine Schlacht ankommen zu lassen. Auch der Karmeliter Domenico a Santa Maria, der sich im Heer aufhielt und das Ansehen eines Heiligen genoß, setzte seine ganze Redegabe ein, um die Generale für den Angriff zu gewinnen. Ein Heer von Engeln mit der heiligen Jungfrau an der Spitze werde das Wagnis schützen, versicherte er im Kriegsrat, zu dem er sich Zutritt verschafft hatte. Den Truppen wußten Domenico und andere Mönche weithin eine religiöse Begeisterung mitzuteilen. Mit geweihten Fahnen und unter dem Feldgeschrei „Sancta Maria“ stürmten die Regimenter vorwärts. Als ein sichtbares Zeichen göttlicher Hilfe wurde der rasche Sieg gewertet. Herzog Maximilian hob in seinem Bericht an den Papst hervor, daß das Evangelium des Sonntags gelautet hatte: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist“, und sogar Nebel, Dunkelheit und Herbststurm, wie sie in den ersten Novembertagen des Jahres 1620 herrschten, erschienen dabei als von der helfenden Jungfrau herbeigeführte Naturereignisse, die dem Gegner die Verteidigung erschwert hatten47. Als um so bedrückender empfanden dafür Friedrich V. und seine Anhänger die düstere Novemberstimmung, in der sich ihr Schicksal entschied. Noch nach 44

S. Kapitel II. u. Schelhorn, De vita … Philippi Camerarii … a. a. O. 4 ff. Der sächsische Agent in Prag Lebzelter an den sächsischen Kanzler Kaspar von Schönberg: „D. Kamerarius ist auf Ihre Majestät schriftliche und des Herrn Obersten Kanzlers von Ruppa mündliche Interzession von den Herrn Landständen zu einem Landmann in diesem Königreich an- und aufgenommen worden, also daß er nunmehr unverhindert zum Schlesischen Vice-Kanzellariat wird installirt werden. Diess hat bei Vielen lautes Murren erregt“, zitiert nach K. A. Müller, Fünf Bücher vom Böhm. Kriege, a. a. O., 281. 46 Camerarius an Johann Kasimir, Prag 26. 1. 1620, SRA, Stegeborgs samlingen. 47 Maximilian an Paul V., 12. 11. 1620, in: Gindely, Die Berichte über die Schlacht am Weißen Berg, a. a. O., u. Riezler, Gesch. Bayerns. V, 172, 179. 45

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Jahren schrieb Camerarius einmal an den schwedischen Kanzler Axel Oxenstierna, er werde die Sorge nicht los, ein Unglück könne dem schwedischen Heer zustoßen und immer wieder müsse er sich der Prager Niederlage erinnern; denn genau so schauerlich hätte damals der Herbssturm geheult48. Auch für militärischere Naturen als Camerarius hatten die dunklen Novembertage und unheimlichen Nächte in der fremden Stadt, in der man noch nicht recht heimisch geworden war, etwas Bedrückendes. Anschaulich genug schildert uns der langjährige Führer der oberösterreichischen Opposition Georg Erasmus von Tschernembl, wie in tiefer Nacht bei Fackelschein die letzten Sitzungen des Kriegsrates stattfanden, und die Briefe, die Nethersole, der englische Sekretär Elisabeth Stuarts, der Gemahlin des Winterkönigs, schrieb, geben ein nicht weniger deutliches Bild davon, wie am Nachmittag des 8. November, im ersten Dämmern, Christian von Anhalt und die anderen pfälzischen Generale „pale as death“ im Hradschin einritten, wie darauf in großer Verwirrung das Notwendigste in Wagen gepackt wurde und der Hof noch am selben Abend den Hradschin verließ und in die Altstadt hinüberging, um die Moldau zwischen sich und den Gegner zu bringen49. Höhnisch heben gleichzeitige katholische Flugschriften hervor, daß die Königin Elisabeth dabei die gleiche Brücke passieren mußte, deren hohes Kruzifix sie hatte entfernen und in den Fluß werfen lassen im Zug der großen Vernichtungsaktion, die von den calvinistischen Theologen aus Heidelberg gegen alle Heiligenbilder und Kruzifixe in der Stadt veranstaltet wurde50. Die Pamphlete äußern den Gedanken nicht; aber konnten die Feinde nicht behaupten, daß die Natur dem strengen und freudlosen calvinistischen Sinn, der sich in einer solchen Handlung offenbarte, Rechnung trug, indem sie ihr düsterstes Kleid anlegte, als die pfälzische Herrschaft in Prag ein Ende nahm und sich im Morgengrauen des 9. November die königliche Kalvakade auf die schon verschneiten schlesischen Berge zu in Bewegung setzte? Und trifft der Spottname des Winterkönigs, der Friedrich V. alsbald beigelegt wurde, in einem gewissen Sinn nicht doch das Charakteristische, wenn die landläufige Auslegung auch falsch ist, Friedrich hätte nur einen einzigen Winter lang in Böhmen regiert? Denn weitaus die Mehrzahl der Monate, in denen das pfälzische Regiment in den Ländern der böhmischen Krone andauerte, fiel in die winterliche Jahreszeit: Im Oktober 1619 betrat Friedrich V. den böhmischen Boden, und Ende Januar 1621 verließ er Schlesien, das letzte böhmische Kronnebenland, über das er noch verfügte. So symptomatisch wie die Novemberstimmung, in der sich das Geschehen als äußerem Rahmen abspielte, war auch die Schnelligkeit, mit der die Entschei48

Auch dem schon erwähnten Rusdorf gegenüber brachte Camerarius später zum Ausdruck, wie stark ihn stürmisches Wetter beeindrucken konnte: Camerarius an Rusdorf, Haag, 20. 12. 1624: „Audimus de multis naufragiis. Ominosae mihi esse incipiunt diuturnae ventorum procellae. Certe in nostro in Bohemiam ingressu similes nihil boni nobis portendebant. Valde metuo, ne melior nobis fortuna nobis expectanda sit, quamdiu non agimus poenitentiam.“ Coll. Cam. Vol. 25. 49 Bericht Gonways an Buckingham 18. 11. 1620, in: Gindely, a. a. O., u. State Papers, a. a. O. 50 Oman, a. a. O. 225.

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dung am Weißen Berg fiel. Sie stellte jedermann deutlich vor Augen, wie die pfälzische Macht in Böhmen die ganze Zeit über auf tönernen Füßen gestanden hatte, und wie wenig die pfälzischen Politiker der Lage gewachsen gewesen waren. Es ist ein Glaubenssatz des Calvinismus, daß die von Gott Erwählten sich schon im Diesseits bewähren müssen. So gläubige Calvinisten, wie die pfälzischen Politiker in ihrer Mehrzahl waren, mußte deshalb das eigene unleugbare Versagen besonders bedrücken51. Doch auch nachdem die Schlacht am Weißen Berg verloren war, ließ des Camerarius Energie nicht nach. Während und unmittelbar nach der Schlacht zwar scheint auch Camerarius sich nicht durch Entschlossenheit hervorgetan zu haben. Doch ist es sicher übertrieben, was seine Gegner in ihren Pamphleten von ihm behaupteten. Es heißt da an einer Stelle, mit gezogenem Degen habe Friedrich V. Camerarius daran hindern müssen, vorzeitig Prag zu verlassen52. Soviel aber steht fest: Der Schlachtenlärm und der Tumult der Flucht hatten nicht für den humanistisch gebildeten und gelehrten Staatsmann getaugt, der gewöhnt war, vom Schreibtisch aus und in kultiviertem Gespräch Politik zu treiben. Auch Camerarius zeigte sich nicht fähig, für die Rettung der kostbaren pfälzischen Akten Sorge zu tragen, deren Verlust so schwere Folgen hatte und von Camerarius bald ganz besonders beklagt wurde. Auch er besaß nicht die hierzu nötige Geistesgegenwart. Dafür entwickelte Camerarius wieder ein hohes Maß an Aktivität in Breslau, wo Friedrich V. am 17. November 1620 anlangte. Als Vizekanzler von Schlesien spielte er bei den alsbald beginnenden Sitzungen der schlesischen Stände eine wichtige Rolle, ohne daß er freilich vermochte, die Schlesier zu energischen Entschlüssen zu bringen. Trotz seiner Bemühungen gaben vielmehr die schlesischen Stände den kaiserlichen und sächsischen Drohungen weitgehend nach, und Friedrichs V. Lage in Breslau wurde von Tag zu Tag bedrohlicher. Dessen ungeachtet setzte sich Camerarius dafür ein, wenn wir seinen eigenen späteren Angaben glauben können, Schlesien mit allen Mitteln zu halten und mit sehr viel größerer Intensität, als es geschah, die Operationen nach Mähren auszudehnen. Schon vom 23. November 1620 haben wir hierüber von ihm ein ausführliches Gutachten53, und am 22. März 1621 schrieb Camerarius rückblickend aus Heilbronn über diese Vorgänge: „Meo judicio hette post cladem acceptam zu Prag, König in Böhmen in Mehren ziehen und mitt König in Ungarn“ (sc. Bethlen Gabor) „sich coniungirn sollen, da man dann einen gemeinen frieden besser hette tractiren können, und würden solcher gestallt Schlesier auch in officio blieben sein. Sed fatalia fuerunt omnia.“54. Damit tritt einer der Züge hervor, die 51

Über des Camerarius besondere Einstellung zur Prädestinationslehre s. Kap. IX. S. Litura seu Castigatio Cancellariae Hispanicae …, 1623, Ludovici Camerarii Apologia…, 1624, u. Rhabarbarum domandae bili, quam in apologia sua proritavit Ludovicus Camerarius …, 1625. In der Litura auch folgende Bemerkung: „… potior“ (als das pfälzische Archiv in Prag) „Camerario vita fuit, cui metuebat, quam Cancellaria, quae tamen regno redimenda fuisset; etiam apud Catholicos Calvinistae meliores haberentur, nisi se ipsi exposuissent immortali probro.“ 53 Coll. Cam. Vol. 66, Nr. 47. 54 Coll. Cam. Vol. 47; s. a. „Vorschlag des Dr. Camerarius, wohin die proposition bei dem Für52

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des Camerarius Politik charakterisieren und ihr ihre Bedeutung verleihen: die konsequente Einbeziehung des östlichen Europa in sein politisches System, mit dem bis zu einem gewissen Grade auch bereits seine Hinneigung zu dem ganzen Projekt der pfälzischen Herrschaft in Böhmen zusammenhing. Camerarius entwickelt in seinem Gutachten vom 13. November 1620 den Plan, daß man in Mähren dem Großfürsten von Siebenbürgen und König von Ungarn Bethlen Gabor, dem mächtigen türkischen Vasallen, die Hand reiche, dem einzigen Bundesgenossen der Pfälzer, der ihnen mit einer wirklich ins Gewicht fallenden Truppenmacht in den böhmischen Ländern selbst zu Hilfe zu kommen in der Lage war, während die niederländisch-englische Hilfe, so wertvoll sie auch trotz ihrer Beschränktheit sein konnte, nur für den rheinischen Kriegsschauplatz in Frage kam. Von Bethlens Hilfe erwartete sich Camerarius 1620 Großes, und auch in den folgenden Jahren, der Zeit des pfälzischen Exils, wurde er nicht müde, auf die siebenbürgische Macht seine Pläne zu bauen, obwohl der Großfürst seine Erwartungen immer wieder enttäuschte55. War die Hoffnung auf Bethlen Gabor für die pfälzische Politik schon insgesamt charakteristisch, so findet sie sich in besonders ausgeprägtem Maß bei Camerarius. Mit am folgerichtigsten zog er unter den pfälzischen Politikern die Konsequenzen, die sich aus der Annahme der böhmischen Krone ergaben. Klarer als viele seiner Kollegen erkannte er, daß dem König von Böhmen eine andere Politik anstand als dem Kurfürsten von der Pfalz. Um die böhmischen Länder zu behaupten, konnten die Kräfte der Union nie ausreichen, die bei Verteidigung der Pfalz immerhin ins Gewicht fallen mußten, wenn die Unionsmitglieder guten Willens waren. Auch England, die Niederlande und Frankreich, auf die unter den großen Mächten das westlich orientierte Kurfürstentum bisher vornehmlich gebaut hatte, waren zu weit entfernt, seitdem man sich in Prag und Breslau aufhielt, um als einzige Bundesgenossen zu dienen. Wollte man sich die Wenzels-Krone retten und hernach den Kaiser wirklich zu Tode treffen, so war das nur möglich, wenn man Ferdinand II. in die Zange nahm, indem man enge Waffengemeinschaft mit Bethlen Gabor einging und gleichzeitig mit der Weltmacht, die hinter dem Großfürsten stand: dem Osmanischen Reich. Höchst unchristliche Gedanken waren es unbestreitbar, die Camerarius äußerte, als er in Breslau für eine derartige südöstliche Orientierung in Friedrichs V. Politik und Kriegführung eintrat, wie er sie später mit noch größerer Konsequenz vortrug. Sonderbar genug mochten sie sich im Mund gerade des Rates ausnehmen, der damals schon und noch mehr später den Gedanken des Glaubenskrieges besonders stark hervorkehrte. Doch ebensowenig läßt sich bestreiten, daß sie wie alle Allianzpläne des Camerarius eine große politische Konzeption beinhalteten, obgleich dieselbe gerade in den Zwanzigerjahren in ihrer letzten Konsequenz sich als undurchführbar erweisen sollte. Es ist bekannt, wenn auch noch längst nicht genügend erforscht und in den Darstellungen des Dreißigjährigen Krieges herausgearbeitet, daß der Krieg in stentag in Schlesien zu richten“, 23. 11. 1620, Coll. Cam. Vol. 66, Nr. 47; Camerarius an Solms, Heidelberg, 22. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 133. 55 Sehr treffend hierüber Ahnlund, Oxenstierna, a. a. O.

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Deutschland für Kaiser Ferdinand nur dadurch möglich wurde, daß zur selben Zeit, da er die Gegenreformation mit Waffengewalt zu einem wenigstens teil- und zeitweisen Sieg im Reich führte, die Türkei in einen Krieg mit Persien verwickelt war, der an Dimensionen den in Deutschland ausgetragenen europäischen Konflikt weit übertraf. Dem Sultan blieben deshalb keine Kräfte zu Operationen gegen die habsburgischen Erbländer übrig. Wie sich des Camerarius Pläne großer europäischer Allianzen, von denen später noch zu reden sein wird, im 17. Jahrhundert in vielem als verfrüht erwiesen, so waren also auch seine Hoffnungen auf die Türken in den Zwanzigerjahren des 17. Jahrhunderts verfehlt. Die Macht Bethlen Gabors aber war vorhanden und keinesfalls gering zu schätzen, wenn ihre Leistungen auch schließlich hinter den begründeten Erwartungen zurückblieben. Ebenfalls durchaus richtig war die von Camerarius in Breslau vertretene Ansicht, daß das Haupt der katholischen Partei und damit diese insgesamt viel empfindlicher getroffen würde, wenn man den Krieg in den kaiserlichen Erbländern zu führen versuchte mit der Aussieht, bei nächster Gelegenheit wieder Wien bedrohen zu können, als wenn man am Rhein oder im übrigen West- und Süddeutschland einen neuen Feldzug beginne. Wieviel Camerarius Böhmen und das böhmische Unternehmen bedeuteten und wie überzeugt er von der Notwendigkeit einer das östliche Europa einbeziehenden Politik war, zeigt sich auch daran, daß er nicht nur in den folgenden Jahren ständig mit Bethlen Gabor weiter verhandelte und sich stets an Nachrichten aus Konstantinopel besonders interessiert zeigte, wie sie ihm in den Dreißiger Jahren sein Briefwechsel mit dem niederländischen Gesandten bei der Pforte Cornelius Haga in reichem Maße brachte56. Vielmehr versuchte er auch von Ende 1623 bis eigentlich zum Jahre 1630 ernsthaft, einen neuerlichen Stoß gegen Böhmen zu veranlassen, indem er Schweden einen Angriff auf die Länder der Wenzelskrone schmackhaft zu machen trachtete. Ja sein ganzes schließlich erfolgreiches Bemühen, für ein Eingreifen in den deutschen Krieg einen so weit im Nordosten gelegenen Staat wie Schweden zu gewinnen, dessen Politik zunächst ganz auf Osteuropa zugeschnitten war, hing mit seiner Wertschätzung der osteuropäischen Verhältnisse zusammen. Wie lange Camerarius in Breslau an seinem ursprünglichen Plan festhielt, kann freilich nicht gesagt werden. Ebensowenig steht es daher auch fest, ob es geradezu eine Niederlage für Camerarius bedeutete, als man doch schließlich zu dem Ergebnis kam, daß man Schlesien nicht werde halten können und daß weder auf die eigenen Untertanen in Mähren, zu denen Friedrich sich auf kurze Zeit begeben hatte, noch auf Bethlen Gabor genügender Verlaß sei. Statt dessen ging der Entschluß dahin, daß der Winterkönig sich mit seiner Umgebung nach Norddeutschland wenden und hier versuchen sollte, neue Bundesgenossen zu gewinnen. Dieser letztere Plan aber entsprach des Camerarius Wünschen in jedem Fall, wenn er die Aufgabe Schlesiens auch vielleicht mißbilligte. Denn ebenso, wie wir ihn schon in Böhmen als Anhänger einer möglichst engen Zusammenarbeit mit Siebenbürgen und der Türkei erkennen können, so zeigen 56

S. Coll. Cam. Vol. 19, Nr. 274–353.

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sich bei ihm auch bereits 1620 die Gedankengänge, die er in späteren Jahren folgerichtig zur Perfektion entwickeln sollte: Schon 1620 war er von der Notwendigkeit einer großen Koalition gegen die habsburgisch-katholischen Mächte überzeugt. Zu den Niederlanden und England, den alten Bundesgenossen, sowie Siebenbürgen, hinter dem die Türkei stand, sollten dabei als neue Helfer die nordischen Mächte kommen: der König von Schweden, der König von Dänemark und die norddeutschen Fürsten. Eine Reise nach Norddeutschland aber konnte als wichtiger Schritt gelten, die Annäherung an die nordischen Staaten zu vollziehen. Anfang Januar 1621 verließ man Schlesien. Camerarius befand sich auf der Reise nicht in der unmittelbaren Umgebung Friedrichs, sondern fuhr gesondert zusammen mit dem schwedischen Gesandten Jan Rutgers, einem gebürtigen Niederländer, der in die Dienste Gustav Adolfs von Schweden getreten und von diesem als offizieller Beobachter und Gesandter nach Prag geschickt worden war57. Zunächst galt des Camerarius Besuch den Hansestädten Hamburg und Lübeck. Am 13. Januar 1621 finden wir ihn dann in Braunschweig, am 14. in Wolfenbüttel und am 19. in Kassel58. Camerarius erfuhr bei diesen Besuchen offenbar eine bessere Aufnahme als im folgenden Jahr. Er deutet an, daß man ihn in Braunschweig und Kassel höflich behandelte und betont, daß es ihm in den Hansestädten, die kriegerischen Aktionen an sich besonders abgeneigt waren, wenigstens gelungen sei, das bestehende Mißtrauen der Magistrate gegen die pfälzische Politik etwas zu verringern. „In Lübeck und Hamburg hab Ich Meine Werbung dermaßen beweglich abgeleget, das Ich den Magistrat an beiden ortten das hertz und die affection gegen ihre Majestät“(sc. von Böhmen) „genommen.“59. Doch positive Zusagen vermochte Camerarius nicht zu erlangen. Vielmehr lernte er auf seiner Reise zum ersten Mal in ihrem vollen Gewicht all die Schwierigkeiten kennen, mit denen er im folgenden Jahr als pfälzischer Agent im Niedersächsischen Kreis monatelang zu tun haben sollte. Neben der fehlenden Hilfsbereitschaft und Aktivität der niedersächsischen Kreismitglieder bedrückte Camerarius auf der Reise noch ein zweiter Umstand: Er mußte zu Anfang 1621 feststellen, daß sein Einfluß bei seinem Herrn nicht mehr so groß war wie vor der Schlacht am Weißen Berg. Daß er nicht in Friedrichs unmittelbarem Gefolge nach Norddeutschland reiste, mochte sich noch aus sachlichen Gründen erklären lassen. Daß man ihn dann aber ohne genauere Direktiven ließ, wie er sich an den norddeutschen Höfen verhalten und wohin er sich wenden sollte, ging doch wohl über die Flüchtigkeit hinaus, die der pfälzischen Regierung auch sonst eigentümlich war, und Camerarius konnte mit vollem Recht darüber verstimmt sein, daß er, einfach, weil man ihn ganz ohne Nachricht gelassen hatte, Hamburg einen Tag früher verließ, als unerwartet der Winterkönig dort eintraf60. 57

Nach einer Angabe des Camerarius auf einem kleinen, undatierten und unnumerierten Notizzettel, in Coll. Cam. Vol. 47. 58 Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 125, 126. 59 Camerarius an Solms, Braunschweig, 13. 1. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 125. 60 Camerarius an Solms, Heidelberg, 22. 3. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 133.

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Lange konnte sich Camerarius nicht in Norddeutschland aufhalten. Schon Ende Januar 1621 rief ihn der für den 28. ausgeschriebene Unionstag in Heilbronn nach der Pfalz zurück. Auch an dem wichtigsten Ergebnis, das die pfälzische Diplomatie 1621 in Norddeutschland erzielte, war es ihm deshalb unmöglich teilzunehmen. Er war nicht bei dem Ende Februar und Anfang März 1621 in Segeberg abgehaltenen Kongreß zugegen, bei dem Friedrich V. mit König Christian IV. von Dänemark zusammentraf, von dessen Verhalten als mächtigstem Fürsten in Norddeutschland weithin die Stellungnahme der übrigen Mitglieder des Niedersächsischen Kreises abhing. Vielmehr kehrte Camerarius über seine Vaterstadt Nürnberg Ende Januar nach Süddeutschland zurück61, um in dem folgenden Vierteljahr sich abwechselnd in Heilbronn und Heidelberg aufzuhalten. Indem Camerarius in dieser Zeit noch einmal die pfälzischen Interessen auf einem Unionskonvent wahrzunehmen hatte, wandte er sich ein letztes Mal einer der wichtigsten seiner bisherigen Funktionen zu. Nacheinander beschäftigte sich Camerarius also nach der Niederlage am Weißen Berg mit den drei großen Aufgaben, vor die sich die pfälzische Staatskunst in dieser Zeit gestellt sah: der Stärkung der böhmischen Verteidigungskraft, der Anbahnung und dem Abschluß neuer und der Erhaltung und Pflege alter Bündnisse. Darin, daß es den Leitern der pfälzischen Politik nicht gelang, diese drei Aufgaben gleichzeitig einer erfolgreichen Lösung zuzuführen, lag die Ursache der pfälzischen Katastrophe begründet. Für die versagende diplomatische Vorbereitung aber ist es in vieler Hinsicht charakteristisch, wie Camerarius erst, nachdem bei Prag die Entscheidung bereits gefallen war, an eine energische diplomatische Bearbeitung Norddeutschlands zu gehen beauftragt wurde. Als ebenso bezeichnend kann es bewertet werden, wie auch er nicht vermochte, bei der Union tatkräftige Unterstützung für die Pfalz zu erlangen. Camerarius erkannte klar, daß die pfälzische Staatskunst es versäumt hatte, rechtzeitig ein tragfähiges Bündnissystem zu schaffen und wies offen auf diesen Fehler hin62. Trotzdem vermochte auch er nicht, ihn zu beheben. In Norddeutschland fehlte ihm hierzu die nötige Zeit, in Böhmen und Schlesien aber hatte er stets eine Anzahl Höherstehender wie Christian von Anhalt und den Winterkönig sich übergeordnet. Die Vertretung seines Souveräns auf den Unionstagen hingegen war von jeher seine eigenste Domäne. Hier war seit Jahren er es gewesen, der namens des Kurfürsten die entscheidenden Verhandlungen zu führen gehabt hatte. Auch in den letzten Jahren, als die Pfalz bereits nach Böhmen übergriff, war die Vertretung bei der Union des Camerarius Geschäft geblieben. Die Feststellung, die Johannes Müller in seiner Untersuchung über die reichsstädtische Politik in den letzten Zeiten der Union trifft, daß es für einen großen Staatsmann sehr wohl hätte möglich sein müssen, wenigstens einige der Unionsmitglieder zu kräftigeren Hilfsleistungen zu veranlassen, muß deshalb als schwerer Tadel gegen Camerarius gelten. Müller vertritt die Ansicht, daß besonders die fränkischen Unionsmitglieder, und unter ihnen vor allem das 61

Camerarius an Solms, 17. 2. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 127. S. des Camerarius Schreiben in Coll. Cam. Vol. 47.

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reiche und mächtige Nürnberg, eventuell zu energischerer Unterstützung Friedrichs V. bereit gewesen wären, wenn sich ein wirklich großer Staatsmann, der am besten gleichzeitig Unionsfürst gewesen wäre, gefunden hätte, die an sich nicht unüberwindbaren Schwierigkeiten zu meistern und die Unionsmitglieder mit sich fortzureißen. An sich verfügte Camerarius als geborener Nürnberger beim Unterhandeln mit den Vertretern der Reichsstadt über eine gute Ausgangsposition. Soweit sich sehen läßt, erkannte er auch klar, daß es darauf ankam, bei den Verhandlungen einen gewissen Schwung zu entwickeln. Vielleicht ging er mit seiner Energie dabei bisweilen etwas zu weit. Sein Auftreten wurde dadurch allzu brüsk. Es gibt Berichte, die schildern, wie Camerarius zum Beispiel auf dem Unionstag von Rothenburg im Oktober 1618 über das Zögern und die Zurückhaltung der Städte so erzürnt war, daß er den reichsstädtischen Gesandten zum Abschied nicht einmal mehr die Hand gab63. Jedenfalls war seinen Bemühungen der durchschlagende Erfolg versagt geblieben. Bereits im Oktober 1618, auf jenem Rothenburger Tag, hatte sich die Union entschieden, nicht öffentlich die Böhmen beziehungsweise Friedrich V. in seinem neuen Königreich zu unterstützen. Gelegentliche Beihilfen, besonders von Seiten Nürnbergs, an Geld- und Sachwerten konnte Camerarius jedoch nach Schluß des offiziellen Konvents im Spätherbst 1618 für seinen Herrn und die Böhmen erlangen. Doch sie wogen gering gegenüber dem, was eigentlich gebraucht wurde, und was das entscheidende war: Das Unionsheer rückte nicht nur nicht in Böhmen ein, sondern es wurde, obwohl die Truppen bereits mobilisiert waren, 1620 auch für die außerböhmischen Kriegsschauplätze mit der Liga ein Waffenstillstand vereinbart, der es Maximilian von Bayern ermöglichte, die ganze militärische Macht des von ihm geleiteten Bundes nach Böhmen zu werfen, während die Unionstruppen ohne Nutzen in Franken und Schwaben postiert blieben. Daß man nicht offensiv vorgehen werde, entschied sich bereits Ende 1618. Immerhin jedoch hatte Camerarius damals zunächst noch die Hoffnung, die Unionstruppen außerhalb Böhmens zu einem solchen Auftreten zu bewegen, daß wenigstens der Hauptteil der ligistischen Armee gebunden wurde. Zunächst konnte Camerarius auch bei diesen Bemühungen den Erfolg verzeichnen, daß sich die Union zu einer Gesandtschaft an Herzog Maximilian entschloß und diese Gesandtschaft, der von pfälzischer Seite der Geheime Rat Vollrath von Plessen angehörte, im Dezember 1619 Maximilian eine von Camerarius verfaßte Denkschrift überreichte, die entsprechend der Camerarius geläufigen Diktion einen verhältnismäßig scharfen Ton anschlug. Der Grundtenor der Gesandtschaft dürfte diesem Ton entsprochen haben. Doch Herzog Maximilian war nicht der Mann, sich einschüchtern zu lassen, und so ging Camerarius nicht der Wunsch in Erfüllung, durch die Unionsarmee wenigstens die ligistischen Truppen in Franken und Schwaben zu binden und von einem Angriff auf Böhmen abzuhalten. Auf dem Unionstage in Ulm im Juni 1620, auf dem Camerarius wieder die pfälzischen Interessen vertrat, entschloß sich die Union vielmehr zu einem tota63

Staatsarchiv Nürnberg, Evangelische Unionsakten, Tom. 76–88.

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len Waffenstillstand mit der Liga. Es scheint ein erbittertes diplomatisches Duell gewesen zu sein, das in Ulm ausgefochten wurde. Auf der einen Seite wandte Camerarius seine ganze Beredsamkeit an, um die Union vom Abschluß eines Waffenstillstandes abzuhalten und vielleicht doch noch zur Absendung einer Hilfstruppe nach Böhmen zu bewegen. Auf der anderen Seite riet eine französische Gesandtschaft, die der Herzog von Angoulème anführte, von jeder Unterstützung der böhmischen Expedition ab. Die französische Gesandtschaft machte keinen Hehl daraus, daß ihre Regierung einen Verzicht Friedrichs V. auf die böhmische Krone für die beste Lösung des Konfliktes hielt. Die Politik Heinrichs IV., durch die der Pfalz tätige Hilfe geleistet worden war, war abgelöst worden von der Zeit Marias von Medici und des Herzogs von Luynes, in der Frankreich sich zwar daran interessiert zeigte, der habsburgischen Macht Grenzen zu setzen, trotzdem aber keinesfalls die gemeinsamen katholischen Anliegen gefährden wollte und deshalb vornehmlich auf Bayern rechnete und Rücksicht nahm als auf ein Fürstentum, das trotz seiner Katholizität vielleicht in der Lage war, ein gewisses Gegengewicht gegen die kaiserliche Macht darzustellen, ohne doch der gemeinsamen katholischen Idee Abbruch zu tun. Entsprechend dieser Tendenz unterstützten Angoulème und seine Begleiter in Ulm eine bayrische Gesandtschaft, die zu guter letzt ebenfalls noch auf dem Konvent erschien. Dem von den Franzosen sekundierten bayrischen Drängen aber vermochte die von Camerarius geführte pfälzische Gesandtschaft schließlich doch nicht Widerpart zu bieten. Die Union entschloß sich am Ende der Ulmer Verhandlungen, Anfang Juli 1620, den von Bayern gewünschten Waffenstillstand abzuschließen. Daß französische Diplomaten es gewesen waren, die Bayern zu diesem Erfolg verholfen hatten, vergaß Camerarius nie wieder. Die Tage in Ulm im Juni 1620 hatten nicht geringen Anteil daran, daß sich bei ihm die Ansicht festsetzte – trotz der erfolgreichen Zusammenarbeit in der Zeit Heinrichs IV. –, auf Frankreich sei nicht zu bauen. Die Erinnerung an die den calvinischen Mächten so günstige Haltung des ersten Bourbonen auf dem französischen Thron wurde bei Camerarius überschattet von den Erfahrungen, die er mit der Spanien und Rom freundlichen Politik Marias von Medici und des jungen Ludwig XIII. machte. Im Gegensatz zu seiner sonstigen traditionsgebundenen Einstellung lehnte er deshalb eigentlich während des gesamten Dreißigjährigen Krieges einen Rückgriff auf den Plan der Allianz mit Frankreich ab, der vor 1610 der pfälzisch-reformierten Sache so glänzende Aussichten eröffnet hatte. Das katholische Element sei und bleibe in Paris maßgebend, und stets werde man dort Bayern den Vorzug geben, blieb hinsichtlich Frankreichs die Quintessenz seiner Meinung. Es ist wichtig und interessant, daß sich dieselbe genau wie die für Camerarius so charakteristische Beachtung der osteuropäischen Verhältnisse schon gleich zu Beginn des großen Krieges bildete, um Camerarius für den Rest seines Lebens nicht mehr loszulassen. Er trat damit bereits 1623 in einen gewissen Gegensatz zu anderen pfälzischen Politikern wie Andreas Pawell und auch Johann Joachim von Rusdorf. Im folgenden Jahr verstärkte sich die Differenz noch, als sich bei den Verhandlungen um eine große evangelische Allianz, die schließlich zu dem im Haager Konzert Ende 1625 abgeschlossenen englisch-niederländisch-dänischen

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Bündnis führte, auch die brandenburgischen Politiker für den Versuch einer Einbeziehung Frankreichs in das Bündnis einsetzten. Zu besonderer Bedeutung aber gelangte seine bereits 1620 erwachte Skepsis gegen Frankreich dadurch, daß er sie auch zu Ende der Zwanziger Jahre nicht aufgab. Denn nicht nur, solange man in Paris noch einen vermittelnden und zurückhaltenden Kurs steuerte, zeigte sich Camerarius von der Ansicht bestimmt, daß Bündnisverhandlungen mit Frankreich schwerlich zu einem Erfolg führen würden. Auch als es offensichtlich war, daß Richelieu eine Annäherung an Schweden wollte, ließ sich Camerarius von der Ansicht nicht abbringen, daß auf Frankreich nicht recht zu bauen sei. Er wurde damit unter den schwedischen Diplomaten zu einem verhältnismäßig sehr entschiedenen Skeptiker gegenüber dem französischen Bündnis. Schlecht genug waren also bereits die Erfahrungen, die Camerarius in der Zeit der böhmischen Expedition mit der Union gemacht hatte. Trotzdem bestand ein neuer Grund zu einer gewissen, allerdings beschränkten Hoffnung, als er im Januar 1621 aufs neue die Vertretung der Pfalz bei dem Unionskonvent in Heilbronn übernahm. Von 1618 bis zum Ende des Jahres 1620 hatte es sich immer darum gehandelt, ob man Friedrich V. bei einem offensiven Unternehmen wie dem Zug gegen Böhmen unterstützen solle, bei dem die pfälzischen Erbländer zunächst nicht unmittelbar bedroht waren. Nur zu deren Schutz verpflichteten aber die getroffenen Abmachungen. Jetzt, im Frühjahr 1621 dagegen hieß der Kampf für die Pfälzer nicht mehr eine Offensive zu unterstützen, sondern die Kurpfalz zu verteidigen. Es war soweit, daß der Krieg in die Oberpfalz und in die Rheinlande hinübergriff. Den Erbbesitz der pfälzischen Kurfürsten zu schützen, war die Union aber verpflichtet, und zudem bedrohten die nach Franken und an den Rhein verlegten Operationen auch den Besitz der Unionsmitglieder unmittelbar. Camerarius konnte also wenigstens mit einer Spur von Hoffnung nach Heilbronn reisen. Um so eher erschien es nach wie vor sinnvoll, sich um die Union zu bemühen, als Camerarius allem Anschein nach seine Ziele sehr weit zurücksteckte, nachdem man Schlesien geräumt hatte. Wie gesagt, ist es wahrscheinlich, daß er zunächst auch in Schlesien noch den Gedanken vertreten hatte, man müsse versuchen, diese Landschaft zu halten und Anschluß an Bethlen Gabor zu finden. Damit hatte er sich noch einmal zu den Konsequenzen bekannt, die aus der böhmischen Expedition erwachsen waren. Doch nachdem man sich einmal entschieden hatte, die böhmischen Länder zu verlassen, zog Camerarius fürs erste einen Strich unter die bisherige Entwicklung, um den Gedanken an die Rückgewinnung Böhmens erst zwei Jahre später, von 1623 an, ganz allmählich und zuerst auch nur andeutungsweise wieder aufzunehmen. Seit Januar oder Februar 1621 war es ihm vornehmlich nur noch darum zu tun, die pfälzischen Erbländer zu bewahren und unter Verzicht auf Böhmen zu einem möglichst raschen Frieden mit den Gegnern zu kommen. Von weiteren Bemühungen um Böhmen glaubte Camerarius hingegen seit der Flucht aus Schlesien abraten zu müssen. Zwar tat er es ausdrücklich nur notgedrungen: „Da ihr Majestät die Böhemische Sache noch mantenieren wollen, und solang sie daz tun, solang versieren dero Erbland in gefahr dess verlusts, auch da man derselben prätension sich begeben wollte,

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ist alles an der rechten Zeytt gelegen.“64 Auch sprach er die Hoffnung aus, die Böhmen würden sich anstatt des Pfälzers Bethlen Gabor und nicht den Kaiser zum Herrn wählen: „König in Böhmen siehet nunmehr, daz man der Resignation halben von allen Orten einstimmet, et durum est necessitatis telum. Ess will aber zugleich bedacht sein, wie die Lande dess Eids entlassen werden, könte alsdann desto leichter geschehen, daz Sie Ungarn annehmen. Quod si fieret, so würde man sehen, waz man gethan hätte, und dazu sollte man billig under der handt ihnen anleidung gebenn“65. Doch von einer gewissen Abwendung von dem böhmischen Projekt kann in jedem Fall auch bei Camerarius gesprochen werden. Die großen Bündnisprojekte, die Camerarius in den Vormonaten beschäftigt hatten und in den folgenden Jahren aufs neue gefangen nehmen sollten, traten deshalb zunächst, seit Januar oder Februar 1621 etwa, in seinen Gedanken zurück. Möglicherweise sprachen sich in diesem zeitweiligen Zurückschieben der großen Allianzpläne auch die Erfahrungen aus, die er in Norddeutschland gemacht hatte. Hatte er hier doch erkannt, wie schwierig es sein werde, Koalitionen, wie er sie sich dachte, zustande zu bringen. Mehr auf begrenzte Hilfsleistung kam es ihm jetzt an, die zu Schutz und Verteidigung der Pfalz vielleicht ausreichte. Hierfür aber die Hilfe der Union zu gewinnen, mußte in der Tat wenigstens noch als möglich erscheinen. Allein auch die bescheidenen Erwartungen, mit denen Camerarius Ende Januar oder Anfang Februar 1621 nach Heilbronn kam, sollten nicht in Erfüllung gehen. Damit hatte Camerarius zwar recht, daß bei Beginn des Konvents die letzte Entscheidung noch nicht gefallen war. Lediglich Straßburg und einige wenige Unionsfürsten hatten sich bereits definitiv dazu entschlossen, der Union abzusagen. Doch die Mehrzahl, vorab Nürnberg, schwankte noch. Zwar stand sie schon – unter Vermittlung des Straßburger Magistrats, der soeben mit dem Kaiser übereingekommen war, sowie des geschickten Landgrafen Ludwig von Hessen-Darmstadt und des um eine Beilegung des Konfliktes ehrlich bemühten Kurfürsten Schweikhard von Mainz – mit der katholischen Partei in Unterhandlungen. Allein eine definitive Entscheidung war noch nicht gefallen. Mit großer Genauigkeit kamen vielmehr die Unionsmitglieder noch ihren einmal übernommenen Verpflichtungen nach66. Bei seinen Bemühungen wurden zwei Tatsachen für Camerarius besonders gefährlich und brachten sein Streben schließlich auch tatsächlich zu Fall. Einmal war es der Umstand, daß der Vertrag, auf dem die Union beruhte, vertragsgemäß im Mai 1621 ablief und erneuert werden mußte. Zum andern bot die Hofburg in klug abgewogener Diplomatie allen, die sich von der Union lossagten, sehr günstige Bedingungen. Immer wieder deuteten die kaiserlichen Unterhändler an und sprachen es auch offen aus, das in Prag erbeutete Aktenmaterial gebe klar genug zu erkennen, daß die Union von einigen wenigen Rädelsführern mißbraucht werden sollte, ohne daß sie gewußt hätte, worum es eigentlich ging. Ge64

Camerarius an Solms, Braunschweig, 13. 1. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 125. Camerarius an Solms, Heidelberg, 17. 2. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 127. 66 Staatsarchiv Nürnberg, Evangelische Unionsakten, Tom. 123–135; Johannes Müller, a. a. O. 65

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gen die wirklich Schuldigen gehe der Kaiser deshalb mit der ganzen Schwere der Reichsgesetze vor – Friedrich V. und Christian von Anhalt waren im Januar 1621 in die Reichsacht erklärt worden. Hingegen sei der Kaiser jederzeit bereit, sich mit den Bundesgenossen der Pfalz zu versöhnen. Nur ihren Austritt aus der Union fordere er. Dagegen erleichterte eine andere Tatsache die von Camerarius eingeleiteten Verhandlungen. Vornehmlich die Städte, und hier wieder in erster Linie Nürnberg, hatten den übrigen Unionsmitgliedern, speziell der Pfalz, trotz der von der Union im allgemeinen beobachteten Zurückhaltung immerhin beträchtliche Summen vorgeschossen. Sie flüssig gemacht zu haben, war einer der Erfolge gewesen, die Camerarius verzeichnen konnte. Eine Lösung von der Pfalz aber schloß die Möglichkeit ein, daß man in Heidelberg und vielleicht auch anderen Orts sich dann nicht mehr verpflichtet fühlen werde, die Schulden an Nürnberg zurückzuzahlen. Allein so beachtlich dieses günstige Moment auch sein mochte, so war Camerarius doch schon am Beginn des Kongresses erschreckt und enttäuscht darüber, welch kalte und unwillige Stimmung bei den Abgesandten vorherrschte. Schon am 17. Februar 1621 schrieb er: „Alles gehet zu Heidlbronn sehr kallt und langsam, und wird die Zeytt und der kosten übel angeleget“67. Wie aus demselben Brief hervorgeht, erkannte Camerarius auch bereits zu Anfang der Tagung, welch schädliche Wirkung die Ächtung seines Herrn auf die Unionsmitglieder hatte und urteilte bereits sehr pessimistisch über die Richtung von deren Politik. „Die leidige Acht hat vieler Menschen hertzen offenbart. Die unierte Kur- und Fürsten fürchten ebenmessige Prozesse, wollten gern den kopff aus der schlingen ziehen und nur sich conservirn, ess gehe Kurpfalz wie es wolle“68, eine düstere Prognose, die aber dem Gang der Ereignisse entsprach. Anfangs April 1621, nicht einmal zwei Monate später, war es entschieden, daß auch in Heilbronn Camerarius mit seinen Bemühungen nichts erreicht hatte. Im Mainzer Akkord hatte die Union Anfang April die Aussöhnung mit dem Kaiser erreicht und sich damit entschlossen, die pfälzische Sache aufzugeben. „Ich habe mich zu Heylbrunn auff das eysserste bemühet,“ schrieb Camerarius resigniert am 22. März 1621 in einem seiner anschaulichen Berichte an Solms, „aber vergebens, muß also allein es Gott befehlen. Ich will niemand, hohen oder niedern Stands beschuldigen, auch zu suspicionen und simulteten keine uhrsach geben. Gott, der da ins verborgen siehet, wird es richten. Candor apud homines res intermortua prorsus. Wo bleiben trew, ehr und zusag? Sed contineo me“69. Die Nürnberger Gesandten schildern uns in ihren Berichten, wie heiß und temperamentvoll sie von Camerarius umworben wurden, und dieser selbst gewährt uns in einem anderen Fall auch einen Aufschluß darüber, wie er mit der ihm eigenen Energie bei den Verhandlungen auftrat, in seiner leicht etwas brüsken Art. Das Unionsheer hatte Markgraf Joachim Ernst von Ansbach geführt und dabei durch seine Unentschlossenheit sogar den vorsichtigen Unionsgesandten 67

Camerarius an Solms, Heidelberg, 17. 2. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 127. Ebenda. 69 Camerarius an Solms, Heidelberg, 22. 3. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 133. 68

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Anlaß zum Ärger gegeben, Camerarius aber vollends schwer verstimmt70. Nachdem der Unionstag bereits zu Ende war, fuhren Camerarius, Plessen und Pfalzgraf Johann, der ehemalige Administrator und Vormund und in Abwesenheit des Winterkönigs in Heidelberg regierende Statthalter, am 16. April 1621 nach Mannheim hinüber, wo sich gerade Markgraf Joachim Ernst aufhielt. Bei dieser Verhandlung scheint der ganze, von Camerarius schon lange aufgespeicherte Groll zum Ausbruch gekommen zu sein. „Der von Plessen und Camerarius sind gestern mitt herrn Statthalter bey Markgraf Joachim Ernst zu Manheim gewest, da es dann alerhand discurs gegeben, und Camerarius ziemlich libere geredt, also daz der Markgraf ziemlich melancholisch und nachdenklich worden,“ schrieb Camerarius über den Besuch an Solms71. Seine Verstimmung ist nur zu verständlich. Bedeutete doch das Versagen der Union, daß auch die Stütze innerhalb des pfälzischen Bündnissystems sich als tragunfähig erwies, die zu festigen des Camerarius besondere Aufgabe gewesen war. Um so bedrückender wurde diese Tatsache, als man anfangs der Zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts es liebte, den beginnenden Dreißigjährigen Krieg mit dem Schmalkaldischen zu vergleichen, eine Gegenüberstellung, die von der Geschichtsschreibung nicht beibehalten worden ist. An sich war der Hinweis auf den Schmalkaldischen Krieg für die Evangelischen schon ein trauriger Vergleich, dessen häufige Anwendung die deprimierte Stimmung kennzeichnet, in der man in den Kampf ging. Vollends niederdrückend wurde nun aber die Gegenüberstellung dadurch, daß im Schmalkaldischen Krieg der protestantische Bündnisapparat doch wenigstens zur Führung eines Kampfes die Fähigkeit gezeigt hatte, wenn die Evangelischen auch schließlich unterlegen waren. Die Union dagegen ging auseinander, sobald sie ihre eigentliche Bewährungsprobe ablegen sollte. Er wollte, die unglückselige Union hätte nie bestanden, schrieb Camerarius abschließend am 22. April 1621 und deutete im gleichen Brief an, auch die Erinnerung an seine eigene diplomatische Wirksamkeit auf den Konventen sei ihm zuwider72. Wie verbittert sein Gemüt damals war, zeigt diese Äußerung, deren Übertriebenheit außer Zweifel steht. Denn nicht nur der große Wert, den das evangelische Bündnis trotz seines schließlichen Versagens für die gesamte protestantische Sache gehabt hatte, liegt auf der Hand. Ebenso offensichtlich sind auch die positiven Momente, die Camerarius als pfälzischer Vertreter bei der Union zu buchen hatte, obwohl ihm der entscheidende Erfolg schließlich ausblieb. Die beschränkten Hilfsleistungen kamen bereits zur Sprache, die er von den Unionsmitgliedern für Böhmen und die Pfalz erhalten hatte. Außerdem war es für die pfälzische Sache von Bedeutung gewesen, daß die Pfalz auf den Unionskonventen von einem Mann vertreten war, der die meisten Mängel und Gefahren klar erkannte und den Mut hatte, bei seinem Souverän energisch auf sie hinzuweisen. Daß es ihm hingegen versagt blieb, die Fehler, die zu erkennen er in der Lage war, auch zu beheben, lag zum einen darin begründet, daß seiner 70

Camerarius an Solms, Heidelberg, 17. 4. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 135. Ebenda. 72 Camerarius an Solms, Heidelberg, 22. 4. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 136. 71

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Begabung zweifelsohne Grenzen gesetzt waren, zum andern aber auch darin, daß ihm in der zwar einflußreichen, aber doch beschränkten Stellung eines Geheimen Rates die Macht hierzu abging. Wie die Intervention der französischen Gesandtschaft in Ulm im Juni 1620 und die Berührung, in die Camerarius hier mit französischen Diplomaten kam, nicht geringen Anteil daran hatte, auf Jahre hinaus seine schlechte Meinung von der Bündnisfähigkeit Frankreichs zu bestimmen, so gelangte er in einem begreiflicherweise noch viel stärkeren Maß durch seine vergeblichen Bemühungen um eine aktive Hilfsleistung durch die Reichsstädte zu der Überzeugung, daß mit den Stadtrepubliken nicht mehr ernsthaft zu rechnen sei. Diese Meinung wurde zu einem festen Grundsatz in all seinen politischen Maßnahmen und Ratschlägen in den folgenden Jahren. Sie wurde wichtig 1622, als er bei den Hansestädten als pfälzischer Agent zu wirken hatte, und dann wieder in der Zeit nach 1626, da Schweden in einen heftigen Gegensatz zu Danzig geriet, wenig später Stralsund gegen Wallenstein unterstützte und in den folgenden Jahren bei Gustav Adolfs Landung in Deutschland ebenso wie bei seinen Operationen im Innern des Reiches in mannigfache Berührung mit den Reichsstädten kam und in zahlreichen Fällen des Camerarius Rat zu hören wünschte. Für einen geborenen Reichsstädter urteilte Camerarius dabei, wie sich noch im Einzelnen zeigen wird, erstaunlich negativ über den Wert und die Bündniskraft der Städte. Er setzte kaum mehr große Hoffnungen auf sie. Ja, oft klingen seine Äußerungen so, als seien ihm die Städte größerer Rücksichtnahme und Beachtung nicht mehr wert. Er scheute sich nicht davor, ihre Rechte zu verletzen, und deutete in einigen Fällen sogar an, daß er ihre Einverleibung in Landesterritorien für das beste halte. In diesem Sinne beriet er Axel Oxenstierna und trug damit seinen Teil zu dem rigorosen Vorgehen Schwedens gegen viele städtische Gemeinwesen bei, wenngleich er bisweilen auch mäßigend wirkte. Durchaus modern zeigt sich Camerarius, im Gegensatz zu seiner Haltung in anderen Angelegenheiten, bei dieser Kritik an den Reichsstädten. Stellt der Dreißigjährige Krieg doch in der europäischen Geschichte den Zeitpunkt dar, zu dem die Stadtrepubliken ein letztes Mal als selbständige Faktoren in der großen Politik eine Rolle spielten, um dann endgültig vor den Territorialstaaten zurückzutreten. Seine Abneigung resultierte aus einem ihm eigentümlichen Widerwillen gegen Fragen und Anliegen von Handel und Wirtschaft und aus einer ebenso stark ausgeprägten Skepsis gegen republikanische Staatsformen. Deutlich trat die Abneigung bei diesen seinen letzten Verhandlungen mit der Union hervor. Hier zeigte sich auch, daß seine Nürnberger Herkunft daran nichts mehr änderte. Man geht nicht fehl, wenn man daran erinnert, daß erst sein Großvater sich in Nürnberg niedergelassen hatte, und er einer Familie kosmopolitisch gesinnter Humanisten entstammte, keinem ortsgebundenen Handelshause. Wie schon zwei Monate vorher, befand sich Camerarius auch nach Abschluß des Heilbronner Konvents Ende April 1621 in der ärgerlichen Lage, von seinen Vorgesetzten keine befriedigende Auskunft darüber erlangen zu können, was er nun in Angriff nehmen und wohin er sich wenden solle. Um so unangenehmer war diese Situation, als er daraus mit Recht auf eine gewisse Zurücksetzung schlie-

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ßen durfte. Nachdem Friedrich V. in Segeberg im Holsteinischen mit König Christian IV. von Dänemark Ende Februar und Anfang März 1621 zusammengetroffen war, und auch noch anderweitige Unterhandlungen in Norddeutschland geführt hatte, war er nicht in die Pfalz zurückgekehrt, wo in der Stunde der Gefahr die Gegenwart des Fürsten nötiger als je war, sondern hatte es vorgezogen, seine Gemahlin in die sicheren Niederlande zu geleiten. Am 14. April 1621 langte das flüchtige Königspaar im Haag an. Es war nur von wenigen intimen Ratgebern begleitet wie dem Obersthofmeister Grafen Johann Albrecht zu Solms. Die Aufnahme, welche die Regierungsbehörden der Vereinigten Niederlande Friedrich und Elisabeth bereiteten, war überaus entgegenkommend. Ohne Zweifel konnte der Winterkönig sich sagen, daß Elisabeth hier sicherer als in Heidelberg war. Auch ließ sich nicht leugnen, daß man sich im Haag in einem Zentrum der großen europäischen Politik befand und für mancherlei wichtige Unterstützung deshalb hier Sorge tragen konnte. Doch dies alles wog den großen Fehler nicht auf, daß Friedrich sich im Augenblick höchster Gefahr und definitiver Entscheidung von seinem bedrohten Erbland fernhielt und dadurch kostbare Gelegenheiten versäumt wurden, die notwendigen Verteidigungsmaßregeln zu ergreifen, solange noch dazu Zeit war. Gleichzeitig dokumentierte Friedrichs Rückzug in das zunächst – bis zum Verlust der Pfalz im Herbst 1622 – freiwillig gewählte Haager Exil in denkbar deutlicher Weise, daß der Winterkönig selbst seiner Sache nicht mehr viel Chancen gab, ja daß er freiwillig den Zustand der Landflüchtigkeit auf sich nahm, den seine Gegner durch Verhängung der Reichsacht ihm zugedacht hatten. Da Friedrich die Niederlande als Aufenthaltsort der Pfalz vorzog, wurden die Regierungsgeschäfte in Heidelberg wie in der Zeit der böhmischen Expedition vom Pfalzgrafen Johann weiter versehen, dem einige erprobte Geheime Räte zur Seite standen, an ihrer Spitze der pfälzische Kanzler Christoph von der Grün. Sich diesen Männern anzuschließen, nachdem seine Pflichten in Heilbronn ein Ende gefunden hatten, und sich mit ihnen in Heidelberg in die anfallenden Geschäfte zu teilen, wünschte Camerarius jedoch offenbar nicht. Noch deutlicher als schon auf der Reise durch Norddeutschland und vorher bei seiner Tätigkeit in Böhmen zeigte er sich jetzt bemüht, wieder in die unmittelbare Umgebung seines königlichen Souveräns zu gelangen. Er wollte sich im jeweiligen Zentrum der pfälzischen Politik aufhalten, wo die für das pfälzische Staatswesen wichtigsten Entscheidungen fielen. Ganz und gar erwies sich Camerarius 1621 von diesem Streben bestimmt, in dem man während dieses und der folgenden Jahre eine Grundtendenz seines Handelns sehen kann, die ihn damals in einem Maß beherrschte, wie offenbar nicht in den Vorjahren. Schon während Camerarius bei den Verhandlungen mit den Unionsgesandten noch alle Hände voll zu tun hatte, hatte er bereits mit schwerer Sorge das Ausbleiben einer Aufforderung, zu Friedrich in den Haag zu kommen, zur Kenntnis genommen. Als eine schmerzliche Zurücksetzung hatte er es empfunden, daß zwei andere Räte eine Berufung in die Niederlande erhielten, wie er sie für sich vergeblich erhofft hatte. So groß war sein Ärger über die Zurücksetzung, daß er dem Obersthofmeister Solms gegenüber seine Verstimmung offen aussprach: „Sonsten habe Ich mitt verlan-

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gen erwartet zu vernehmen,“ schrieb Camerarius bereits am 17. Februar 1621, „ob und wohin Ich ihrer Majestät folgen sollte. Bin gentzlich resolvirt gewest, gleich nach endung dess hiesigen conventus und wann Ich zu Heydelberg ein wenig zuvor zu Meinen Sachen gesehen haben würde, Mich wider in daz Land Braunschweig, da wo ihre Majestät anzudreffen, zu begeben. Allein weyl jetzo der von Plessen und Andreas Paul“ (= Pawell) „erfordert und man also Meiner vielleicht nicht begehrt, so stehe Ich an, waz Ich tun sollte, wollte ungern bey jetziger Zeytt ihrer Majestät beschwerlich sein“73. Allein auch eine so offene Beschwerde über die schlechte Behandlung fruchtete zunächst nichts. Eine Ordre, was Camerarius zu tun habe, blieb nach wie vor aus, und notgedrungen mußte dieser deshalb doch bis in den Juni 1621 in Heidelberg bleiben. Alsdann aber riß ihm die Geduld, und er wagte es, auf eigene Faust dem Winterkönig in den Haag nachzureisen. Das Einverständnis des Heidelberger Statthalters, des Pfalzgrafen Johann, ebenso wie der damals gleichfalls noch in Heidelberg befindlichen Kurfürstinmutter holte sich Camerarius zwar vorsichtshalber ein. Eine eigentliche Berufung in den Haag aber scheint auch im Juni 1621 nicht vorgelegen zu haben. Vielmehr unternahm er die Reise auf eigenes Risiko und auch auf eigene Kosten und war sich durchaus nicht im Klaren, wie sein Entschluß von Friedrich V. und Solms aufgenommen werden würde. Dies zeigt sein Brief vom 5. Juni 1621. Camerarius teilt da Solms mit, er wolle am nächsten Tag, dem 6. Juni, zusammen mit dem niederländischen Gesandten Joachimi nach dem Haag abreisen, „wie Ich davon newlich berichtet und unser gnädigster König von Herrn Statthalters Fürstlicher Gnaden und Seiner Frau Mutter, der Churfürstin, mitt mehrerm vernehmen wird. Hofft, Ihre Majestät werden es nit improbiren, sondern daraus meine getreueste devotion verspühren. Mitt den reiskosten will Ich’s so anstellen, daz Ihrer Majestät Ich nit beschwerlich sey“74. Wir wissen nicht, wie die Aufnahme war, die Camerarius bei Friedrich V. fand. Ganz ablehnend war sie sicherlich nicht; denn Friedrich behielt Camerarius und ließ ihn wiederum an den wichtigsten Beratungen teilnehmen, die hier von ihm und seiner nächsten Umgebung gepflogen wurden. Doch andererseits erreichte Camerarius mit seiner Übersiedlung in die Niederlande auch wieder bei weitem nicht das, was er wollte. Er war viel zu klug, um sich darüber hinwegzutäuschen, daß auch im Haag eine gewisse, seit der Flucht aus Schlesien eingetretene Verschlechterung in seiner beruflichen Stellung bestehen blieb. Sie trat in aller Deutlichkeit hervor, als Friedrich V. sich zusammen mit Solms im September 1621 für einige Wochen in das Feldlager des niederländischen Generalstatthalters, des Prinzen Moritz von Oranien, nach Emmerich begab und Camerarius ein zweites Mal nicht mitgenommen wurde, sondern sich im Haag zurückgelassen sah. Er sollte hier, wo auch die Königin Elisabeth geblieben war, die anfallenden Geschäfte erledigen, eine an sich recht beachtlich klingende Aufgabe, die aber doch wohl 1621 noch nicht das beinhaltete, was sie in späteren Jahren bedeutet 73

Camerarius an Solms, Heidelberg, 17. 2. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 127. Camerarius an Solms, Heidelberg, 5. 6. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 146.

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hätte, als eine regelrechte pfälzische Exilregierung im Haag etabliert war. Wohl war Camerarius jetzt vor die interessante Aufgabe gestellt, eine erste Bekanntschaft mit den maßgebenden Politikern in den Niederlanden zu schließen und mit ihnen Beziehungen anzuknüpfen, eine Obliegenheit, die er nur zu gern auf sich nahm. Doch gleichzeitig hatte er auch sehr nebensächliche Geschäfte zu erledigen, die zudem noch einen höchst unerfreulichen Charakter trugen: Handwerker und Bediente liefen ihm die Tür ein und wollten von ihm ihre noch ausstehenden Vergütungen erhalten. Nichts aber war Camerarius unlieber als derartige Verhandlungen. Er nahm es für eine Degradierung und hielt es für weit unter seiner Würde, sich um Geschäfte wie diese zu kümmern. Um große Politik zu treiben, diente er Friedrich V. als Geheimer Rat, nicht aber um wie irgendein Hofbeamter sich um die Bezahlung der Dienerschaft zu bekümmern. Sehr deutlich brachte er Solms gegenüber seine Verstimmung am 18. September 1621 zum Ausdruck: „… so lauffen die Engelander und andere hoffdiener täglich Mir nach ihr kostgeld und anders, wie auch die krämer und handwerksleut daz Ihrig zu erlangen … Ich hab desswegen keinen bevehl, keinen bericht, kein geld und ist einmal meines thuns nicht, auch ihrer Majestät selbsten weder nützlich noch reputierlich, darum Ich desswegen Mein vorig begehren widerholen muss und Euer Gnaden nachrichtung mitt verlangen erwartten“75. In dem hier erwähnten Gesuch aber hatte Camerarius darum gebeten, subalterner Aufgaben wie der Bezahlung der Diener überhoben zu werden. Wichtiger sei es da schon, hatte er gleichzeitig ausgeführt, daß er sich auf einer Rundreise die Niederlande besähe, falls man ihn tatsächlich in Emmerich nicht nötig habe76. Camerarius fand mit seiner Bitte Gehör. Schon am 22. September 1621 sprach er – wiederum in einem Brief an Solms – seine Befriedigung darüber aus, daß man ihn von der Aufgabe befreit hätte, die Hofgelder zu verwalten: „… so ist Mir sehr lieb, daz Ich der bewußten administration dess gelds enthoben worden, denn Ich die gelosia bey den Englischen bald anfangs gemerkt, und gewiss mein ingenium zu dergleichen dingen gar nit düchtig ist“77. Von der Aufgabe, die für sein Gefühl besonders erniedrigend war, wußte Camerarius sich also zu befreien. Doch eine Berufung nach Emmerich zum Winterkönig konnte er nicht erreichen. Es mochte ihn nicht wenig verbittern, wenn andere Räte immer wieder die Aufforderung erhielten, zu Friedrich zu kommen, und nur er selbst auf königlichen Befehl an den Haag gefesselt blieb. Mehrmals deutet Camerarius die Enttäuschung an, die eine solche Behandlung in ihm hervorrief: „In dessen wird der von Schönberg daz Meinig auch überandwortet haben, und Monsieur Schwertz von dem hiesigen verlauff relation thun können. Ich zöge gern einmal zu ihrer Majestät, weyl Ich sehe, daz jetzo dieselbe sich sehr perplex finden müssen, indem ess aller ortten zum stärcksten wider einander lauffet“78. Allein dieser Wunsch ging Camerarius nicht in Erfüllung. Er mußte im Haag die Rückkehr seines Herrn abwarten, die im Oktober 1621 auch erfolgte, und inzwischen mit 75

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Camerarius an Solms, Haag, 18. 9. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 154. Camerarius an Solms, Haag, 16. 9. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 150 u. 151. Camerarius an Solms, Haag, 22. 9. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 149. Camerarius an Solms, Haag, 30. 9. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 159.

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dem Großhofmeister schriftlich verkehren. Mehrere ausführliche Briefe erhielt Camerarius während des September von Solms. Trotzdem aber waren diese Informationen ihm noch nicht genug. Auch was von auswärtigen Höfen beim Winterkönig in Emmerich einging, wünschte er wenigstens in Kopien vorgelegt zu bekommen, ein Verlangen, das er mehrmals wiederholte, so am 22. September 1621: „Ich bitte Euer Gnaden nochmals, daz Mir bissweylen de praecipuis rebus, so von draussen hereinkommen, was communicirt möge werden, mitt Euer Gnaden verwilligung durch die secretarios“79. Besser mögen des Camerarius Informationen wieder geworden sein, als Friedrich V. und Solms im Oktober in den Haag zurückkehrten. Doch es ist offensichtlich, daß auch dann noch den Winter von 1621 auf 22 über viele Momente bestehen blieben, die keinen Zweifel daran ließen, daß sich des Camerarius Stellung nach der Niederlage in Böhmen merklich verschlechtert hatte. Es ließ sich nicht leugnen, daß er in seiner Laufbahn 1621 auf Schwierigkeiten stieß, die ernster waren als die, mit denen er bisher zu kämpfen gehabt hatte. Diese Schwierigkeiten ergaben sich aus dem Zusammentreffen verschiedener Momente, die in engem Zusammenhang miteinander standen, sich aber gleichwohl auf drei Hauptnenner bringen lassen: auf des Camerarius aktive Beteiligung an der böhmischen Expedition, auf sein intimes Verhältnis zu Christian von Anhalt und auf die betont konfessionell-großstaatliche Richtung seiner Politik. Es zeigte sich bereits, wie ein Teil der Räte – unter ihnen Camerarius – an der Etablierung der pfälzischen Herrschaft in Böhmen maßgeblichen Anteil genommen hatte, während ein anderer Teil dem Unternehmen gegenüber – sei es absichtlich, sei es zufällig – in sehr viel größerer Reserve verblieben war. Daß diese durch die Prager Expedition nicht belasteten Politiker nun eine erhöhte Bedeutung für die pfälzische Sache gewinnen mußten, liegt auf der Hand. Wurden sie doch nach Eintritt der Katastrophe von höchstem Wert überall da, wo es galt, mit den Gegnern zu verhandeln oder das pfälzische Interesse an neutralen Höfen zu vertreten, die ja in ihrer Mehrzahl das böhmische Unternehmen als außerordentlich diskreditierend empfunden hatten. So waren es denn auch der nun immer mehr in den Vordergrund tretende Rusdorf und die Schwäger Pawell, besonders Andreas Pawell, denen zunächst die wichtigsten Gesandtschaften zufielen. Zu der äußeren Nötigung, die während der böhmischen Expedition in Heidelberg verbliebenen Räte seit 1621 in besonderem Maß heranzuziehen, gesellte sich ein innerer Anlaß. Zwar war es keineswegs so, daß Friedrich V. und seine Gemahlin sich bewußt und ausdrücklich von der bisherigen Politik abgewandt hätten. Im Gegenteil standen sie mit viel persönlicher Würde die ganzen schweren Exiljahre hindurch zu ihrer und ihrer Ratgeber Handlungsweise, die den Krieg ausgelöst hatte. Sie brachen keineswegs generell mit den Räten, die mit in Böhmen gewesen waren. Solms und Plessen blieben, wie schon gesagt, ständig in ihrer Umgebung, ja die Bedeutung des Großhofmeisters für die pfälzische Politik steigerte sich nach 1620 noch. 79

Camerarius an Solms, Haag, 22. 9. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 149.

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Andererseits aber waren eine gewisse Resignation und ein Bedauern des Vorgefallenen bei dem Königspaar selbstverständlich, und auch von einer Abkehr von dem bisherigen Kurs läßt sich in manchem sprechen. Diese Abkehr wurde zum nicht geringen Teil dadurch veranlaßt, und gleichzeitig dokumentierte sie sich darin, daß Christian von Anhalt im Frühjahr 1621 den pfälzischen Dienst verließ. Bald nach der Abreise aus Schlesien trennte sich der Askanier von der Kavalkade des Winterkönigs und begab sich zunächst an verschiedene norddeutsche Höfe, wo er noch halb im Auftrag Friedrichs agierte, vor allem aber wohl für sich selbst Stimmung zu machen suchte80. Im Sommer 1621 setzte er dann nach Schweden über und blieb hier ein gutes Dreivierteljahr bis in den April 1622. Eventuell war der eigentliche Zweck seiner Reise, in schwedischem Dienst ein neues Unterkommen zu finden, obwohl der schwedische Kanzler Axel Oxenstierna nur von Christians Absicht spricht, sich in Schweden aufzuhalten, „bis Ihre Fürstliche Gnaden sehen, wie sich ihre Sachen in Deutschland anlassen, undt ob einige aussönungk zu vermuten“81. Schon diese vorsichtige Ausdrucksweise des schwedischen Kanzlers, noch mehr aber der geringe Niederschlag, den der Besuch im schwedischen diplomatischen Schriftwechsel gefunden hat, sind ein Zeugnis dafür, daß Anhalts Hoffnungen nicht in Erfüllung gingen. Enttäuscht kehrte er im April 1622 nach Deutschland zurück und nahm in Flensburg seinen Wohnsitz, wo Christian IV. von Dänemark ihm ein Asyl gewährte, ohne sich im übrigen in nähere Verbindung mit seinem Namensvetter einzulassen. Als dieser sah, daß er an den skandinavischen Höfen keinen Anklang fand, schob er das zweite Eisen noch weiter ins Feuer, an dem er schon seit dem Vorjahr schmiedete: In aller Stille arbeitete er seit 1621 daran, die Verzeihung des Kaisers zu erlangen. Am 12. Juli 1621 bereits richtete er an den Kaiser ein Ersuchen um Begnadigung. Noch viel enger als Camerarius, der der pfälzischen Sache treu blieb, war Christian von Anhalt mit dem Schicksal der Pfalz verbunden. Er hatte die Politik des Kurfürstentums seit fast zwanzig Jahren bestimmt. Ihm in erster Linie war die Expedition nach Böhmen zuzuschreiben gewesen. Es war sein Lebenswerk, um das es ging. Anhalt sah sich deshalb auch von den Gegnern zunächst mit ungleich größerer Feindschaft verfolgt als Camerarius. Doch für einen so wendigen Diplomaten wie Christian bedeutete dies alles kein unübersteigba80

Friedrich V. dachte Christian von Anhalt sogar noch die Vertretung seiner Interessen auf dem Kongreß von Segeberg zu, s. Friedrich V. an Christian von Anhalt, Wolfenbüttel 14. 2. 1621, BGStA Mü. K. bl. 121/3a. 81 Axel Oxenstierna an Pfalzgraf Johann Kasimir, 28. 7. 1621, OSB I, 2. Auch der vorangehende Satz deutet an, daß Christian nicht ganz das erreichte, was er wünschte: „Fürst Christian von Anhalt ist hier arriviert zu Stockholm den 21. Juli, aber I. K. M. nicht zu wortt gekommen.“ In den sehr genauen Registraturen des schwedischen Reichsarchivs in Stockholm taucht Christians Name nur vier Mal auf! Der Fürst ist im Personalkatalog des Reichsarchivs erwähnt 1. mit einem Brief an Ture Nilsson Bielke, den er im Jahre 1640 schrieb, 2. mit zwei Schreiben, die er gemeinsam mit anderen Unionsfürsten 1614 und 1619 an Gustav Adolf richtete. Im Katalog von Stegeborgs samlingen, die, wie im I. Kap. näher ausgeführt, den Schriftwechsel des auf Schloß Stegeborg ansässigen Pfalzgrafen Johann Kasimir, des Schwagers von Gustav Adolf, enthält, sind zwei Briefe Christians an Johann Kasimir verzeichnet, einer vom März 1622 aus Stockholm, der andere vom Dezember desselben Jahres aus Flensburg.

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res Hindernis. Wie man eine Liebhaberei eines Tages aufgibt, zog er sich von der pfälzischen Sache zurück, der er über zwanzig Jahre mit ganzer Kraft gedient hatte. Unbedenklich hatte er ein halbes Menschenalter lang Deutschland und darüber hinaus Europa mit seinen abenteuerlichen Plänen in Atem gehalten. Nun, da er, wenn nicht ein alter, so doch ein verbrauchter Mann geworden war, der vom Podagra geplagt wurde82, verschaffte er sich mit ebensolcher geschmeidigen Selbstverständlichkeit einen ruhigen Lebensabend, indem er durch die Unterwerfung unter den Kaiser sich wenigstens sein kleines Fürstentum sicherte und dafür getrost sein großes Werk im Stich ließ. Zwar ist es grundfalsch, in Christian nur den Intriganten und Abenteurer zu sehen, wie es gelegentlich geschehen ist. Eine hohe Bedeutung wird sich seiner Politik niemals absprechen lassen. Nicht bestritten kann ferner werden, daß er seinen geistvollen Plänen jahrelang mit Aufopferung diente. Doch die Art, wie Christian sich von der pfälzischen Sache löste, war ohne Zweifel nicht die beste. Sie liefert einen letzten Beweis für die Abenteuerlichkeit seiner Politik und verstärkt die Schatten, die auf seiner Persönlichkeit liegen. Andererseits entbehrt die bedenkenlose, geschmeidige und fast spielerische Eleganz und die ganz uncalvinische Liebenswürdigkeit, mit der sich Christian vom großen Welttheater zurückzog, nicht eines gewissen Charmes. Das der Staatskunst des 17. Jahrhunderts insgesamt, besonders aber der pfälzischen in so hohem Maß eigentümliche Abenteuerliche nimmt bei Christian eine in seiner Zeit seltene, graziöse Form an. Hierdurch unterscheidet sich der Fürst von vielen anderen Vertretern der pfälzischen Partei. Wie derb und roh wirkten demgegenüber die meisten Militärs, Mansfeld an der Spitze, und wie schwerfällig Räte wie Camerarius! – Höchstens in der Publizistik vermochte dieser die Eleganz zu entwickeln, die Anhalt im alltäglichen Leben eignete. Auch die abenteuerlichen Momente, die in des Camerarius Geistigkeit vorhanden waren, stellten sich schwerfälliger dar als bei Christian von Anhalt. Daß sie an sich aber geringer wogen als bei dem Fürsten, zeigte sich eben 1621. Denn Camerarius zögerte nicht, auch in der allgemeinen Not und unter den zusätzlichen persönlichen Schwierigkeiten, die ihm in den Weg traten, der pfälzischevangelischen Sache die Treue zu halten. Er zeigte damit, in welchem Maß er sich ihr verbunden fühlte, wie er in ihr sein Lebenswerk erblickte und an demselben mit sehr viel größerem Verantwortungsbewußtsein als Christian auch nach der Katastrophe weiter zu arbeiten willens war. Des Fürsten Vorgehen billigte er durchaus nicht. Vielmehr verurteilte er es zunächst offenbar entschieden83. Auch scheint es, daß der Konnex zwischen Came82

S. Christian von Anhalt an Camerarius, Flensburg 23. 6. 1623 u. ö., LSA, A 9a, 184. S. u. a. das Schreiben von Camerarius an Solms vom 12. 9. 1621, in dem er gegen die Übernahme eines publizistischen Auftrages Bedenken äußerst und dann fortfährt: „Euer Gnaden gedenken nur dieses, daß die unierten Fürsten und Städte so schändlich sich unterworfen; dann daß der Fürst Christian von Anhalt um Gnade und Verzeihung bittet … Lieber Gott! Wo ist denn der Muth bei den Häuptern, und wo kann oder soll doch ein geringer armer Doctor sich dergestalt vertiefen, der endlich bei einem unglücklichen Ausgang darüber das Bad ausgießen müsse?“, Coll. Cam. Vol. 47, zitiert nach der Transskription bei Söltl, a. a. O. III, 135.

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rarius und Christian im Frühjahr oder Sommer 1621 zunächst abriß, daß Anhalt jetzt, da er Zielen zustrebte, bei deren Erreichung ihm Camerarius kaum mehr helfen konnte, mit seinem bisherigen Vertrauten fürs erste keine Briefe mehr wechselte. Dieselbe bedenkenlose Geschmeidigkeit, die ihn zur Aufgabe seiner bisherigen Tätigkeit veranlaßte, ließ ihn auch mit selbstverständlicher Raschheit die Zusammenarbeit mit seinem Gehilfen aufgeben, der sich deshalb von seinem Meister bis zu einem gewissen Grad im Stich gelassen fühlen mochte. Doch so energisch des Camerarius Ablehnung auch war und so deutlich er schon 1621 genau wie später offenbarte, daß er nicht bloß das Geschöpf Christians von Anhalt war, daß er vielmehr durchaus über eigene Konzeptionen verfügte, die sich allerdings lange Zeit weitgehend mit denen des Fürsten gedeckt hatten und von dessen Gedanken beeinflußt worden waren, schädigte es offenbar doch seine Stellung, daß Christian den pfälzischen Dienst verließ. Mit Recht galt Camerarius als erklärter Protegé des Fürsten. Dessen Förderung fehlte ihm nun. Und schlimmer als das: Ein Teil der Verstimmung, die gegen Christian sicher vorhanden war, übertrug sich anscheinend, wenn auch durchaus ungerechtfertigterweise, auf Camerarius. Zwar ließ es Christian in seiner graziösen Art trotz seines Abfalles anscheinend nie zu einem Streit oder gar offenen Bruch mit Friedrich V. und dessen Gemahlin kommen, sondern verblieb auch noch in späteren Jahren in höflich-liebenswürdigen Beziehungen zu ihnen. Doch wenn man auch die menschliche Verstimmung mit diplomatischer Freundlichkeit verdeckte, bedeutete Christians Ausscheiden doch zweifelsohne einen Stachel. Es spricht demgemäß viel dafür, daß sich in der Laufbahn von Camerarius außer seiner Belastung durch die böhmische Expedition ein gewisses Ressentiment gegen Anhalt, wenn auch nur andeutungsweise, so doch immerhin spürbar in hindernder Weise geltend machte. Damit verband sich der Umstand, daß die ausgesprochen konfessionell-großstaatliche und die Gemeinsamkeit der evangelischen Anliegen vertretende Politik, in der Camerarius ganz aufging, in den ersten Jahren nach der Katastrophe von sehr viel bescheideneren und – was noch wichtiger war – das Dynastische ausschließlicher in den Mittelpunkt stellenden Tendenzen zurückgedrängt wurde. Wir sahen es bereits: Auch Camerarius gab anfangs 1621 die Hoffnung, daß Friedrich V. Böhmen behalten könnte, zunächst auf. Auch er riet, sich auf die Konservierung des ursprünglichen pfälzischen Besitzes zu beschränken und einen raschen Frieden anzustreben. Doch bei alledem blieb der Grundcharakter seiner politischen Auffassung unverändert. Wenn er auch zunächst auf die großstaatlichen Ziele verzichtete, erfüllte ihn doch nach wie vor mehr das allgemeine Interesse für die pfälzisch-evangelische Sache als für die Dynastie der pfälzischen Wittelsbacher im Speziellen. Beides deckte sich zwar weitgehend. Doch andererseits wurden gerade 1621 neue Unterschiede offenbar. Denn wenn Camerarius sich auch zunächst ganz auf die Wiederherstellung des Status quo ante bellum konzentrierte und dabei entsprechend seiner Stellung als hoher pfälzischer Beamter die Dinge natürlich weitgehend vom pfälzischen Standpunkt aus betrachtete, beherrschte ihn gleichzeitig doch stets in starkem Maß das Anliegen, für die evangelische Sache insgesamt, das heißt den aktiven Protestantismus im Reich

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einzutreten. Gleichzeitig mit den besonderen pfälzischen Anliegen wollte er die Causa Evangelica beziehungsweise die Res Publica bewahren. Auch in den Jahren von 1621 bis Ende 1622, als er seine Ziele aufs äußerste beschränkte, blieb in seinem Denken diese Verbindung bestehen, ebenso wie es auch damals stets mehr das Interesse für das pfälzische Staatswesen im Allgemeinen war als die spezielle Sorge für die Dynastie, die ihn beschäftigte. Eine solche Beschaffenheit der Anliegen aber führte mit einer gewissen Notwendigkeit dazu, die Zielsetzung noch immer verhältnismäßig weit zu halten. Anders stand es hier mit der dynastischen Tendenz. Sie hatte, wie sich schon zeigte, wichtigen Anteil an dem gewagten Griff nach der Wenzelskrone gehabt. Doch jetzt, in der Zeit der Not, konnte sie sich darauf beschränken, lediglich danach zu streben, die Dynastie der pfälzischen Wittelsbacher zu erhalten, wenn auch unter sehr viel beschränkteren Umständen. Die dynastische Tendenz innerhalb der pfälzischen Politik erwies sich in ihrer Zielsetzung flexibler, als die konfessionelle es war. Berührte sie doch nicht in dem Maß die Gesamtheit der Interessen des aktiven Protestantismus im Reich. Sie konnte sich also im Notfall auch bereits mit einer machtmäßig sehr viel beschränkteren Weiterexistenz der pfälzischen Wittelsbacher begnügen als sie annehmbar war, sollte die evangelische Sache weiter in einer Weise erhalten bleiben, wie sie Camerarius unabdingbar schien. Damit hing es zusammen, daß er auch 1621 und 1622, als er an sich ebenfalls einen möglichst raschen Friedensschluß erstrebte, stets für energischere Maßnahmen eintrat, als sie von Friedrich V. dann tatsächlich ergriffen wurden. Camerarius wollte zwar den Frieden. Er wünschte jedoch keinen Waffenstillstand, der nur eine vorübergehende Lösung schaffte, den Besitz und die Machtmittel, die man noch besaß, den Gegnern auslieferte und den endgültigen Abschluß mehr oder weniger von deren gutem Willen abhängig machte. „Pacem sub clypeo tractiren“ hieß vielmehr die Devise, der er unbedingt folgte84. Gestützt auf eine möglichst starke Armee wollte er den Frieden erlangen und durch energische militärische Maßnahmen die Vorbedingung für den Ausgleich schaffen. Zu dieser Einstellung veranlaßte Camerarius jedoch nicht nur der Umstand, daß die konfessionelle Tendenz bei ihm besonders stark entwickelt war. Ebenso wirkte sich hierin auch die Erfahrung des routinierten Staatsmannes aus. Dem entsprach es, daß in diesen Fragen in vielem ähnlich wie er Andreas Pawell urteilte, dem die dynastische Tendenz ungleich mehr bedeutete als Camerarius und der auch im übrigen gerade damals als sein Antipode gelten konnte. Doch auch Pawell vermochte sich nur in beschränktem Maß durchzusetzen. Denn unbestreitbar verlor der Geheime Rat insgesamt nach der Schlacht am Weißen Berg an Einfluß. Unter seiner vornehmlichen Führung, wenn man Christian von Anhalt dazu rechnet, war Friedrich V. in die Katastrophe hineingetrieben, die ein solches Ausmaß annahm, daß es nur verständlich ist, wenn auch eine so schwache Natur wie den Winterkönig die Lust ankam, sich von dem Einfluß der 84

S. hierüber und über die folgende Seiten des Kapitels im einzelnen: F. H. Schubert, Die pfälzische Exilregierung, in diesem Band. Dort auch die Belege.

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Geheimen Räte loszumachen und statt dessen mit Hilfe anderer Ratgeber und in größerer, nur mit seiner Gemahlin geteilter Selbständigkeit der Mißgeschicke Herr zu werden. Diese neuen Helfer aber fand er zur Hauptsache in den englischen Vertrauten seiner Frau, auf die er zudem durch die im Exil sich einstellende finanzielle Abhängigkeit von König Jakob in besonderem Maß angewiesen war. 1621 und 1622 gewannen vor allem Einfluß die englischen Gesandten und persönlichen Sekretäre Elisabeths, Conway, Morton und Nethersole. Besonders der letztere war dem Königspaar in schwärmerischer Treue ergeben und kämpfte in jugendlichem Ungestüm für Friedrichs und Elisabeths Interessen, einem Ungestüm, dem jedoch nicht nur Erfahrung, sondern auch politischer Weitblick und Takt fehlten. Größeres Format wiesen da bei aller übrigen Zweifelhaftigkeit ihrer Erscheinungen Ernst von Mansfeld und Herzog Christian von Braunschweig, der Administrator des Bistums Halberstadt, auf, in deren Hand ein großer Teil des pfälzischen Kriegswesens nach der Schlacht am Weißen Berg und nach Christians von Anhalt Ausscheiden geriet und die hierdurch neben den englischen Ratgebern in Gegensätzlichkeit zu den Geheimen Räten auf das pfälzische Staatswesen wichtigen Einfluß ausübten. Beiden aber, den englischen Ratgebern von Elisabeth und Friedrich und den Kondottieren Ernst von Mansfeld und Christian von Halberstadt, brachte Camerarius ein Mißtrauen entgegen, das noch sehr viel größer war als dasjenige, das ihnen die anderen Räte bezeigten. Wie schon gesagt, war Camerarius an sich nicht gegen die englische Heirat Friedrichs V. gewesen. Im Gegenteil, auch in seinen Augen bedeutete sie einen wichtigen Machtzuwachs und erleichterte das Streben, der Pfalz endgültig einen festen Platz im Konzert der europäischen Mächte zu verschaffen und die evangelische Sache zu sichern. Mit der englischen Haltung während des Dreißigjährigen Krieges hingegen war er, obwohl ihr letzten Endes ja die Erhaltung der pfälzischen Sache zu danken war, die längste Zeit unzufrieden. Sie erschien ihm um vieles zu schlaff und zu nachgiebig. Besonders in den ersten Kriegsjahren war es ihm zudem verdrießlich, wie König Jakob sich streng auf das Ziel der Erhaltung der Dynastie der pfälzischen Wittelsbacher beschränkte. Daß sich bei Männern wie Nethersole damit eine schwärmerische Verehrung für die Königin Elisabeth verband, war ihm vollends zuwider. Noch weniger wie für die dynastische Auffassung an sich hatte er dafür übrig, daß in dem großen Existenzkampf, in dem es ihm um die höchsten Güter seiner Weltanschauung und seines Lebens ging, vor allem ein Ritterdienst für Elisabeth Stuart gesehen wurde. Camerarius liebte es nicht, daß sich mit dem Dynastischen in den ersten Kriegsjahren noch enger fast als sonst das Chevalereske verband. Dies war wie bei einigen der englischen Ratgeber auch bei einem Kondottieren wie Christian von Halberstadt der Fall, und auch in Mansfelds Handeln spielte zwar nicht der persönliche Ritterdienst für Elisabeth, aber das ritterliche Abenteuer an sich eine große Rolle. Das Abenteuerliche, das in vieler Hinsicht schon früher der pfälzischen Politik angehaftet hatte, nahm im Wirken der Kondottieren für die pfälzische Sache besonders verhängnisvolle Formen an. Dies erkannte

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Camerarius. Wenn er im übrigen auch manchen Anteil an der Ausbildung der abenteuerlichen Züge in der pfälzischen Politik gehabt hatte, war es ihm doch nun ein Greuel, seine großen Konzeptionen in den Händen von so zweifelhaften Gestalten wie Christian von Braunschweig und Mansfeld zu sehen85. Mit Recht wandte er sich deshalb so entschieden wie möglich gegen sie. Doch der Erfolg blieb ihm zunächst versagt. Man hörte ebensowenig auf ihn wie bei seinen Zweifeln gegen die englischen Maßnahmen. Vielmehr mußte Camerarius es erleben, wie die englischen Sekretäre und die Kondottieren zeitweise in vieler Hinsicht größeren Einfluß besaßen als er selbst.

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Nur zu dem dritten Feldherren in pfälzischem Dienst, dem im Gegensatz zu Christian von Halberstadt und Mansfeld religiös tiefbewegten Markgrafen Georg Friedrich von Baden, hatte er Vertrauen.

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V. Kap itel

Camerarius als Publizist Traten Camerarius also 1621 in seiner politisch-diplomatischen Laufbahn ernste Hindernisse in den Weg, so eröffnete sich ihm gleichsam als Ausgleich im selben Jahr ein neues Arbeitsfeld: die Publizistik, für die er wohl schon immer ein ziemlich lebhaftes Interesse gezeigt, in der er sich selbst aber bisher nur wenig betätigt hatte1. Auch jetzt geschah es lediglich unter dem Druck einer unausweichlichen Notwendigkeit, daß er sich der Publizistik zuwandte und im sogenannten Kanzleienstreit der Wortführer der pfälzischen Partei wurde2. Nicht nur die pfälzischen Niederlagen und die damit verbundenen Begleitumstände, die zu dem Federkrieg zwangen, empfand er als ein hartes Geschick. Auch für sich persönlich hätte er es allem Anschein nach vorgezogen, wenn sich die bisherige Entwicklung unmittelbar fortgesetzt und ihn zu immer führenderen Funktionen in der pfälzischen Diplomatie, zu immer größerem Einfluß auf die pfälzische Politik und die gesamte Regierung hätte gelangen lassen3. Zwar erkannte er die Wichtigkeit von Schriften, welche die öffentliche Meinung beeinflußten, vollkommen. Zumal Publikationen in der Art von Buntbüchern, wie sie 1621 nötig wurden und sich nicht nur an die breitere Öffentlichkeit, sondern auch an die neutralen Fürsten und deren Ratgeber wandten, maß er von Anfang an größere Bedeutung zu als 1



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Das Interesse dürfte unter anderem zurückgegangen sein auf die engen Beziehungen, in welchen die Camerarii zu hugenottischen Publizisten wie Duplessis-Mornay standen. Es offenbart sich außer in anderen Umständen darin, daß Camerarius sich von früh an bemüht zeigte, Flugschriften zu erlangen und zu lesen. Für die Bedenken, die er dagegen hegte, selber als Publizist hervorzutreten, s. u. a. den schon angeführten Brief von Camerarius an Solms, 12. 9. 1621: „… Wegen der an mich gesonnenen Ablehnung der Anhaltischen Kanzlei hab ich sehr wichtige Zweifel, die ich lieber mündlich eröffnen als schreiben will. Euer Gnaden gedenken nur dieses, daß die unierten Fürsten und Städte so schändlich sich unterworfen; dann, daß der Fürst Christian von Anhalt um Gnade und Verzeihung bittet, wie dann geschrieben wird, daß der Graf Friedrich von Hollach“ (sc. Hohenlohe) „auch tue. Lieber Gott! Wo ist denn der Mut bei den Häuptern und wo kann oder soll doch ein geringer armer Doctor sich dergestalt vertiefen, der endlich bei einem unglücklichen Ausgange darüber das Bad ausgiessen müsse …“, Coll. Cam. Vol. 47, zitiert nach der Transskription bei Söltl, a. a. O. III, 135; s. als Beispiel ferner Camerarius an Solms, Hamburg 28. 2. 1622, Coll. Cam. Vol. 47; Camerarius an Rusdorf, Haag 29. 12. 1624, Coll. Cam. Vol. 25. In diesem Zusammenhang sei hingewiesen auf sein bereits oben berührtes ständiges Streben, in der Zentrale der pfälzischen Politik zu verharren. Ferner sei hingewiesen auf die Bereitwilligkeit, mit der er 1623, gerade als die Erwiderungsschrift auf die Anhaltische Kanzlei verfaßt werden mußte, die publizistische Arbeit an Plessen abgab, sobald sich ihm die Gelegenheit bot, die Leitung der pfälzischen Exilpolitik zu übernehmen. S. darüber u. a. Camerarius an Christian von Anhalt, Haag 1. 10. 1623, LSA, A 9a, 184.

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viele andere Politiker seiner Zeit und Umgebung. Der literarische Zug seiner Veranlagung machte sich hier geltend. Er ließ ihn nicht nur früh zu einer richtigen Einschätzung der Publizistik kommen. Er erfüllte ihn auch über den momentanen, politischen Zweck hinaus mit Interesse für das schriftstellerische Vermögen, das die Voraussetzung darstellt für eine erfolgreiche Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Selber in den Federkrieg einzugreifen, ja ihn pfälzischerseits zu leiten, entschloß er sich jedoch trotzdem offenbar nur schweren Herzens, auf das Drängen seiner Vorgesetzten und Kollegen hin, die seine schriftstellerischen Fähigkeiten kannten. Energisch legten ihm anscheinend Solms, Grün, die anderen Geheimen Räte und wohl auch der Winterkönig selbst nahe, sich der publizistischen Aufgaben anzunehmen. Dieser Auftrag war für Camerarius um so unausweichlicher, als sich ihm gleichzeitig keine befriedigenden rein diplomatischen Betätigungsmöglichkeiten boten, die ihn so ausgefüllt hätten, daß ihm die Abfassung der Flugschriften unmöglich geworden wäre. So hoch er die Publizistik auch einschätzte und so klar er sich über ihre Bedeutung für das politische Geschehen war, zogen ihn doch die unmittelbare Politik und Diplomatie mehr an. Als Gesandter die Beziehungen zwischen den Mächten zu regeln oder – noch besser – als Geheimer Rat oder gar Kanzler möglichst weitgehenden Einfluß auf die gesamte pfälzische Politik und Regierung auszuüben, erschien ihm lohnender als Rechtfertigungsschriften abzufassen und sich um deren Druck zu kümmern. Daß es ihm gelingen sollte, mit seinen Veröffentlichungen größere Erfolge für die pfälzische Sache zu erzielen, als es die Diplomatie im gleichen Zeitraum vermochte, und damit gerade durch seine politische Schriftstellerei aufs neue seine Stellung ganz entscheidend zu festigen, konnte er 1621 noch nicht übersehen. Was er hingegen richtig vorausahnte, war, daß er durch seine Aktivität in dem 1621 beginnenden publizistischen Kampf noch mehr zur Zielscheibe höchst unliebsamer persönlicher Angriffe, ja schließlich Verunglimpfungen werden würde, als er sie bereits durch die erste Veröffentlichung der katholischen Partei, die Anhaltische Kanzlei, erfahren hatte, die den Kanzleienstreit auslöste und seine eigene publizistische Aktivität veranlaßte. Zwar erfolgten die Publikationen an sich anonym. Daß es aber gelingen würde, über kurz oder lang den Autor ausfindig zu machen, lag auf der Hand. Tatsächlich wurde es zu seinem Schicksal, daß ihn der Federkrieg in viel stärkerem Maß, als es eine rein diplomatische Tätigkeit wohl je hätte tun können, zum Gegenstand des öffentlichen Interesses und lebhafter Diskussionen machte. Sie sagten einer im Grunde so sensiblen Natur wie Camerarius um so weniger zu, als die Angriffe nur zu bald ins Persönliche hinübergingen und jene groben Formen annahmen, die im 17. Jahrhundert bei solchen Auseinandersetzungen geradezu die Regel bildeten. Die Ungunst der Verhältnisse, die ihn zwang, in die publizistischen Fehden einzugreifen, ebenso wie der literarische Zug seiner Begabung führten ihn mitten in jene literarischen Kämpfe hinein, in denen die Gegensätze des großen Krieges so heftig wie kaum bisher aufeinanderprallten und in denen die persönliche Ehre der Beteiligten in besonders verletzender Weise angegriffen wurde. Es war ein Erlebnis analog dem, das er in den gleichen Jahren hatte, als er, der schon nicht unwesentlichen Anteil am Ausbruch des Krieges ge-

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nommen hatte und später energisch darauf hinarbeitete, den Gedanken der unbedingten Kriegspolitik zu entwickeln und den Kampf auszuweiten, sich immer aufs neue entsetzt fühlte von den Verheerungen und Gefahren des Krieges und mit Widerwillen die martialisch-groben Gestalten sah, die der Kampf allmählich in den Vordergrund treten ließ. Die literarischen Züge seiner Veranlagung waren, genau betrachtet, in zweifacher Weise daran beteiligt, Camerarius in den publizistischen Wirbel hineinzuziehen. Denn zu seinem Interesse und seiner Begabung für die politische Schriftstellerei gesellte sich als sozusagen passives Moment die besondere Art seiner Briefkunst. Wie schon gesagt, war sie gekennzeichnet durch eine außerordentlich eindringliche und ausführliche Darstellungsweise. Auch die gewagten und kriegerischen Gedanken, die ihn beseelten, pflegte Camerarius mit Genauigkeit zu entwickeln. Alles erörterte er, während andere Politiker, die eine ähnlich radikale Politik vertraten, teils aus Vorsicht, teils weil ihnen der Schreibfleiß fehlte, ihre Pläne und Ansichten oft nicht so bis ins einzelne darlegten. So kam es, daß Camerarius in seinen Briefen oft noch kühner erschien als viele seiner Gesinnungsgenossen und angriffslustiger, als er im Grunde war. Zwar führte die Gründlichkeit, mit der er seine Gedanken darzulegen pflegte, in vielen Fällen dazu, daß außer dem Für auch das Wider deutlicher als bei anderen zutage trat. Doch oft, und zwar vornehmlich dort, wo es sich um Pläne und erste Versuche handelte, überwog in seinen Briefen trotz aller Genauigkeit der ihm eigene idealistisch-optimistische Schwung. Außer durch größere Ausführlichkeit und Darstellungskunst zeichnete sich Camerarius vor vielen seiner Kollegen dadurch aus, daß er häufiger schrieb als sie. Die Möglichkeit, daß Briefe von ihm vom Gegner aufgefangen wurden, war also besonders groß ebenso wie die Chance, in ihnen markante und Camerarius als Kriegstreiber belastende Äußerungen zu finden. Da im Kanzleienstreit die publizistische Kampfesform darin bestand, erbeutete Briefe und Akten der feindlichen Partei mit entsprechendem Kommentar in Teilen oder vollständig herauszugeben, liegt es auf der Hand, wieviele Angriffsflächen gerade Camerarius dank der besonderen Art seiner Epistolographie bot4 . „Mea fama publicis scriptis proscinditur“5, so und in anderen Versionen klagte er in den Jahren nach 1621 immer wieder über sein Geschick, daß die Publizistik ihn zu einer der umstrittensten und bekanntesten Persönlichkeiten innerhalb der Partei des aktiven Protestantismus machte. Er empfand diese Fügung als genau so hart wie die Notwendigkeit, die ganze zweite Hälfte seines Lebens im Exil leben zu müssen und gezwungen zu sein, jahrelang alle die Schwierigkeiten durchzukosten, die sich dem Unterfangen in den Weg stellten, eine Exilpolitik großen Stils zu treiben. Besonders in den Zwanzigerjahren bedrückte ihn dieses Los schwer. Trotzdem nahm er es auf sich und trug es mit Beharrlichkeit. Sosehr er unter der Not, den 4

Hierfür typisch ist neben den Ereignissen der Jahre 1620 bis 1624 das Erlebnis, das er 1627 hatte, als neuerdings im höchsten Maß kompromittierende Briefe von ihm erbeutet und in der Cancellaria Suedica veröffentlicht wurden. S. hierüber Kap. XIII. 5 Camerarius an Rusdorf, Haag 29. 12. 1624, Coll. Cam. Vol. 25.

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Anfeindungen und den Mühen litt, die ihm Krieg und Exil brachten, hatte er im Unterbewußtsein doch offenbar ein Gefühl für das, was für uns ganz offensichtlich ist, die wir seinen Lebensgang als Einheit überschauen können. Trotz aller Klagen ahnte er allem Anschein nach instinktiv mit seinem stark entwickelten Sinn für das seiner Veranlagung Entsprechende, daß die speziellen Erfordernisse des Exils und der Publizistik in besonderem Maß geeignet waren, seine Gaben zu voller Entfaltung zu bringen. Damit aber ebenso wie mit seiner tiefen Gläubigkeit hing es zusammen, daß ihn das Los, das ihn im Krieg traf, zwar tief bedrückte, daß er aber nicht eigentlich mit dem Schicksal haderte, sondern willig und konsequent den Weg weiter ging, von dem er fühlen mochte, daß es der ihm vorgezeichnete war. Zeigte sich bereits in dem Umstand, daß Camerarius einerseits einer der treibenden Geister des Krieges war, andererseits aber in besonderem Maß die Rohheiten und Gefahren des Kampfes fürchtete, eine der Gegensätzlichkeiten, die in dieser oder jener Form wohl im Leben eines jeden auftauchen, so stoßen wir nun sogleich noch auf eine zweite Antinomie, die für die weitere Entwicklung von Camerarius eine besondere Wichtigkeit gewann: Wie schon angedeutet, stand der Last, die das Exil für ihn bedeutete, und der Abneigung, die er gegen eine Tätigkeit als Publizist empfand, die Tatsache gegenüber, daß gerade die Exilpolitik und die Aktivität im Federkrieg es waren, die ihn zu neuerlich gesteigertem Einfluß auf den Gang der Ereignisse brachten, die ihm ein Wirkungsfeld eröffneten, auf dem seine Gaben besonders glänzend hervortraten und das Originelle und damit historisch Wichtige seiner Persönlichkeit sich noch mehr als bisher ausprägen konnte, die ihn ferner zu einer verstärkten Besinnung auf die ideologischen Grundlagen seines Handelns, zu einer gesteigerten geistigen Durchdringung desselben und damit in vieler Hinsicht zu einer Läuterung seines ganzen Lebenswerkes veranlaßten. Schließlich ist zu sagen, daß die Publizistik ihm die Möglichkeit gab, die konfessionelle Tendenz weiterhin in einem Teil der Verlautbarungen der pfälzischen Regierung, nämlich in den Flugschriften, in dem ausgedehnten Maß in Geltung zu erhalten, das seiner Auffassung entsprach. Er schaffte damit eine wichtige Vorbedingung dafür, daß er später auch in der praktischen Politik das religiöse Moment wieder sehr viel mehr, als es 1621 und 1622 der Fall war, in den Vordergrund treten lassen konnte und die unbedingte Kriegspolitik auszuführen vermochte. Camerarius hatte es, wie sich noch im einzelnen zeigen wird, den besonderen Verhältnissen des Exils zu danken, daß er 1623 die Leitung der gesamten, in ihren Möglichkeiten allerdings infolge des Verlustes der eigenen Machtmittel sehr geschmälerten pfälzischen Politik übernehmen konnte, zu welcher Funktion er in Heidelberg schwerlich gelangt wäre, daß er 1623 auf einige Jahre zum erklärten Führer der pfälzischen Partei wurde, und daß er später einen der wichtigsten diplomatischen Posten erhielt, die Schweden zu vergeben hatte. Ferner führte die Einbuße der realen Machtbasis die pfälzische Politik im Exil dazu, noch mehr als sie es bisher schon getan hatte, die ideellen Momente, und hier wieder vornehmlich das religiöse Motiv ihrer Bestrebungen hervorzukehren und sich dem Entwurf großer Planungen zu widmen, also sich auf eine Weise zu

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betätigen, die den Gaben von Camerarius in besonderem Maß entsprach. Die ideellen Anliegen aber mußten notwendigerweise auch in den Flugschriften besonders herausgestellt werden, und ferner nötigte die Publizistik dazu, was auch bereits die Erfordernisse der praktischen Exildiplomatie taten, eindringliche theoretische Überlegungen über die Zielsetzung und die Grundlagen des großen Kampfes anzustellen. Auch hierzu aber eignete sich Camerarius im Grunde vorzüglich. Ist es doch das Aparte an seiner Erscheinung, daß sich in ihr die wissenschaftlich-kulturell-religiösen und die politisch-staatlichen Wirkungskräfte des Zeitalters enger berührten als bei vielen anderen Staatsmännern der Epoche. Hieraus erklärt sich seine besondere Gabe, die Diplomatie ideologisch zu unterbauen, die geistigen Grundlagen der Zeit für die Politik wirksam zu machen. Schon vor dem Krieg konnte er öfters diese Fähigkeit in Berichten, Gutachten und in den Propositionen bei seinen Gesandtschaften entfalten. Noch sehr viel größere Gelegenheit hierzu boten jedoch das beständige Werben und Mahnen, das im Exil zur Hauptbeschäftigung der pfälzischen Politik wurde, ebenso wie die publizistischen Aufgaben, in denen es gleichfalls darum ging, Kräfte zu mobilisieren und die ideologischen Grundlagen des Kampfes zu klären und darzustellen. Wenn Camerarius die politische Schriftstellerei auch nur ungern selber ausübte, mußte er sie von vornherein um so höher bewerten, als sie nicht nur seiner idealistischen und theoretischen Veranlagung entgegenkam, sondern eben­sosehr seiner humanistischen Überzeugung entsprach, daß beharrlicher Überredung und Belehrung wie überall im Leben so auch in der Politik allergrößte Bedeutung beizumessen sei. Der Gedanke, der seine diplomatische Berichterstattung und seine Briefkunst beherrschte, konnte sich in der Publizistik noch um vieles ungehinderter auswirken. Er ließ sich hier noch leichter und natürlicher als in Briefen zur Maxime erheben. Vieles, was infolge des dauernden Strebens nach Belehrung und Überzeugung in den diplomatischen Schreiben von Camerarius starr und pedantisch erschien, wirkte deshalb in seinen Flugschriften angemessen und natürlich. Es waren also verschiedene Umstände, die Camerarius, obwohl er nicht eigentlich danach strebte, zu einem Publizisten von Format machten und bewirkten, daß seine politischen Schriften zu einem wichtigen Teil seines Lebenswerkes wurden. Seiner publizistischen Tätigkeit gebührt daher im Rahmen einer Biographie ein hohes Maß von Aufmerksamkeit. Sie muß um so größer sein, als noch ein zweiter Grund ein gesteigertes Interesse nahe legt: Der Beginn der Laufbahn von Camerarius zeigte, wie er konsequent auf den Beruf des Politikers zustrebte, in dem wohl richtigen Gefühl, daß im Diplomatischen das Schwergewicht seiner Begabung lag. Die diplomatische Wirksamkeit, der er weitaus die längste Zeit seines Lebens widmete, entsprach also nicht nur seinen Wünschen, sondern gab ihm auch die Möglichkeit, die wichtigsten Momente seiner Befähigung zu entfalten. Trotzdem ist es für seine Persönlichkeit charakteristisch, daß seine Bildung ebenso wie seine Gaben ihn an sich auch zu einer mehr wissenschaftlich-literarischen Tätigkeit befähigt hätten. Es kennzeichnet ferner seine Erscheinung, daß in seinem Wirken als praktischer Diplomat das Literarische eine zwar gleichsam

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verdeckte aber trotzdem mächtige Komponente darstellte, die stärker war als bei vielen, ja den meisten anderen Politikern seiner Epoche. Dem Augenblick, da das Literarische nicht mehr nur in zweiter Linie wirkte, sondern im Kanzleienstreit auf kurze Zeit zum hauptsächlichen Lebensinhalt von Camerarius wurde, dem Moment, in dem als seine vornehmste Beschäftigung anstelle der Diplomatie die Schriftstellerei trat, kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Die Beschaffenheit seines schriftstellerischen Vermögens läßt sich in seinem publi­zistischen Wirken klarer als in seiner diplomatischen Tätigkeit erfassen. Es eröffnet sich der Blick auf jene Möglichkeiten, die in der Veranlagung von Camerarius als Eventualitäten vorhanden waren, die längste Zeit seines Lebens aber nicht zu voller Entfaltung kamen. Wenn seine Tätigkeit als Verfasser von Flugschriften hier trotzdem auf relativ engem Raum dargestellt wird, so kann diese Beschränkung deshalb erfolgen, weil im Gegensatz zu den übrigen Abschnitten seines Lebens sein publizistisches Wirken bereits eine eindringende Würdigung erfahren hat in Reinhold Kosers Monographie über den Kanzleienstreit. 1874 wohl als Erstlingsschrift veröffentlicht, trägt „Der Kanzleienstreit“ doch schon ganz das bedeutende Gepräge der späteren Werke Kosers. Die Arbeit stellt eine der wichtigsten und gelungensten Untersuchungen in der langen Reihe der Halleschen Abhandlungen zur neueren Geschichte dar, die Gustav Droysen der Jüngere herausgegeben hat, dem selbst so grundlegende Leistungen in der Erforschung der Epoche zu danken sind. Wie ein gutes Vorzeichen steht Kosers Schrift am Beginn der Halleschen Abhandlungen, die in der Folge in ihrer Mehrzahl dem hoffnungsreichen Anfang entsprachen und zusammen mit Gustav Droysens eigenen Werken und als Ergänzung derselben einen höchst bedeutsamen Bestandteil der deutschen Historiographie über den Dreißigjährigen Krieg ausmachen6. Dank Kosers Leistung kann hier darauf verzichtet werden, noch einmal dem verworrenen Gang des Kanzleienstreites im einzelnen zu folgen und den Nachweis für des Camerarius Verfasserschaft bei den verschiedenen Publikationen zu liefern. Nur wenige Male, wo die nähere Beschäftigung mit seiner Lebensgeschichte kleinere Korrekturen der Ergebnisse Kosers nötig macht, wird die Frage nach dem Autor zu stellen sein. Im übrigen jedoch können wir uns darauf beschränken, den Gedanken zu folgen, die Camerarius in seinen Schriften entwickelte, die Wesenszüge seiner publizistischen Methode zu klären und zu untersuchen, welchen Einfluß er auf die Weiterentwicklung des Flugschriftenwesens im Dreißigjährigen Krieg hatte. Betrachtet man das publizistische Werk von Camerarius als Ganzes, so charakterisieren es vornehmlich fünf Momente: An erster Stelle ist der Umstand zu nennen, daß in besonderer Eindeutigkeit die religiöse Idee in den Vordergrund geschoben wurde, daß Camerarius sich so entschieden wie möglich bemühte, die Verwicklung als einen Glaubenskrieg darzustellen 6



Gerade unsere Kenntnis der Flugschriftenliteratur der Zeit ist durch die Halleschen Abhandlungen wesentlich bereichert worden. Außer auf Koser fußt das Folgende auf den im Literaturverzeichnis des näheren aufgeführten Schriften von Gebauer, Grün, Knapp und Krebs und – von Arbeiten, die nicht zur Hallenser Reihe gehören, – auf den Untersuchungen von Böttcher, Grauers, Mayr-Deisinger, A. Müller, Lorenz und Steinberger.

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und die Ansicht zu verbreiten, daß es sich in erster Linie darum handelte, für die bedrohte Religion zu kämpfen. Zweitens vertrat Camerarius in seinen Publikationen eine sehr großzügige Auffassung des Widerstandsrechtes. Er tat es mit einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit, die es ihm erlaubte, im Gegensatz zu vielen anderen Publizisten der Zeit sich gar nicht erst auf längere Erörterungen darüber einzulassen, ob ein Widerstand gegen den Kaiser an sich angängig sei. Vielmehr setzte er dies als selbstverständlich voraus. Statt Überlegungen über die theoretische Möglichkeit der Resistenz anzustellen, konzentrierte er hinsichtlich des Widerstandes seine darstellerische Kraft auf den Nachweis, der katholischen Partei Vorgehen sei von der Art, daß die ohne Zweifel erlaubte Resistenz zum dringenden Gebot werde. Als so weitgreifend, gefährlich und rechtswidrig wie möglich beschrieb er die Ziele der Habsburger und ihrer katholischen Helfer. Dementsprechend energisch waren die Maßnahmen, zu denen er die Evangelischen aufrief. Hierin liegt ein dritter Wesenszug seines publizistischen Wirkens. Da für ihn von Jugend an die Berechtigung, ja in gewissen Fällen die Verpflichtung zum Widerstand gegen den Kaiser fest stand und da in seiner Darstellung ebenso eindeutig war, daß es in erster Linie um die Religion, also um die Bewahrung des höchsten aller Güter ging, verfügte er in seinen Schriften über ein sehr massives Fundament, auf dem sich mit einer gewissen folgerichtigen Notwendigkeit die Forderung aufbaute, daß sich alle Protestanten zu einem gemeinsamen kriegerischen Vorgehen zusammenschließen sollten. Es trat in seinen Flugschriften wieder sehr viel mehr als bisher die Idee des großen Krieges gegen die habsburgischligistische Macht in den Vordergrund, des der evangelischen Sache gewidmeten Kampfes auf Leben und Tod. Wie schon dargestellt, war dieser Gedanke im Prinzip bereits vom Beginn seiner politischen Laufbahn an in Camerarius mächtig. Doch hatte die Idee des großen Kampfes vor dem Krieg in manchem der Wunsch paralysiert, wenn möglich den Frieden zu erhalten. In den ersten Kriegsjahren aber wurde die Konzeption des Vernichtungskampfes in vieler Hinsicht überdeckt von der Absicht, den Konflikt zu lokalisieren und rasch wieder zum Frieden zu gelangen. Auch 1621 und die längste Zeit des Jahres 1622, als Camerarius an seinen publizistischen Hauptwerken arbeitete, beherrschte ihn in der praktischen Diplomatie noch immer die Hoffnung, daß sich ein baldiger Ausgleich mit den gegnerischen Kräften werde finden lassen. Zum unbedingten Kriegspolitiker wurde er erst nach dem Verlust der rheinischen Pfalz im Herbst 1622. In seinen Flugschriften aber legte er bereits in der Zeit, da er in der diplomatischen Praxis sich noch sehr viel gemäßigter verhielt, die theoretische Grundlage zu jener Haltung, die er seit 1623 in allen seinen Handlungen einnahm. Hierauf beruht zum guten Teil die Bedeutung, die für seine eigene Weiterentwicklung die Publizistik hatte: Sie veranlaßte ihn, die ideologischen Grundlagen seines Tuns zu definieren. Er war gezwungen, aufbauend auf den ihm von Jugend an geläufigen Gedankengängen eine Besinnung zu Papier zu bringen über Anlaß und Ziel des Krieges. Um für die pfälzische Sache Hilfe zu erlangen, schien es ihm dabei vorteilhaft, den neutralen Protestanten die Gefahren, die von katholischer Seite drohten,

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als möglichst groß vor Augen zu stellen. Ferner machte sich in den Publikationen von Camerarius die alte Erfahrung geltend, daß sich in theoretischen Betrachtungen die Dinge gewöhnlich radikaler darstellen als in der Praxis tätigen Handelns. Vor allem aber dürfte in der Schärfe seiner Thesen der allmähliche Durchbruch jener Radikalität zu sehen sein, die von Anfang an in seiner Weltanschauung vorhanden war. Hier, in der Flugschriftenliteratur, war es, wo sie sich über die beim Diplomaten Camerarius neben ihr noch immer starke Beschwichtigungstendenz hinwegsetzte und zum ersten Mal während des Krieges zu jenem hellen Feuer aufbrannte, das von 1623 an den unbedingten Kriegspolitiker in allen seinen Handlungen beseelte. Freilich klang, was Camerarius in seinen Publikationen aus den Jahren 1621 und 1622 entwickelte, im Vergleich mit manchen seiner späteren Verlautbarungen noch immer insofern vergleichsweise gemäßigt, als die Idee der unbedingten Kriegspolitik sich in den Flugschriften vornehmlich in indirekter Weise, sozusagen mit umgekehrtem Vorzeichen darstellte. Zwar wurde mehrmals in aller Deutlichkeit zu einem gemeinsamen Krieg aller Evangelischen gegen die habsburgisch-ligistische Macht aufgefordert. In der Hauptsache aber erfolgte der Hinweis auf die Notwendigkeit, mit ganzer Kraft den Kampf gegen die katholische Unterdrückung aufzunehmen, in der Weise, daß in ausführlichen und in ihren Folgerungen sehr weitgehenden und kühnen Deduktionen dargestellt wurde, die katholische Partei sei ihrerseits zur Vernichtung der Protestanten entschlossen. Daran knüpfte sich zwar immer wieder die Bemerkung, die Protestanten sollten einmütig zusammenstehen und Mittel gegen die drohenden Gefahren ergreifen. Daß aber ein großer Vernichtungskrieg das beste Mittel sei, wurde nur gelegentlich angedeutet. Den Gedanken in aller Breite auszuführen, ließ zum einen die Thematik der Flugschriften nicht angemessen erscheinen. Zum andern kann angenommen werden, daß Camerarius entsprechend der Tatsache, daß er sich wenigstens 1621 aber auch 1622 in der diplomatischen Praxis noch relativ gemäßigt verhielt, auch in seinen theoretischen Plänen und Gedanken noch nicht ganz so weit ging, wie er es seit 1623 tat. Alles in allem gewinnt man vielmehr den Eindruck, daß die Besinnung, zu der er als Publizist genötigt war, erst die letzte Vorbereitung und den Übergang zur unbedingten Kriegspolitik darstellte. Neben das Vorherrschen des Religiösen, neben die großzügige Auffassung des Widerstandsrechtes und die aus diesem folgende Ansicht, daß ein aufs Äußerste gehender Kampf in möglichst großen Dimensionen bevorstehe und zu wagen sei, tritt als viertes Kennzeichen der Publizistik von Camerarius eine für die Verhältnisse der Zeit selten prägnante und knappe Darstellungsweise, ein überaus eleganter Stil, der dank der vergleichsweisen Kürze des Ganzen noch flüssiger und einfacher wirkt als in seinen Briefen, schließlich eine beachtliche Vornehmheit der Diktion insofern, als alle die Unflätigkeiten und persönlichen Anwürfe fehlen, die in der Publizistik des Dreißigjährigen Krieges üblich waren und im Kanzleienstreit durch die Gegner von Camerarius aufs eifrigste gebraucht wurden. Diese Eleganz und Enthaltsamkeit von allen persönlichen Anpöbelungen steht in seinen Flugschriften in einem wirkungsvollen Gegensatz zu den ver-

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nichtenden Anschuldigungen, die gegen das kaiserlich-ligistische Lager als Ganzes vorgebracht werden, zu der Kühnheit der Behauptungen, mit welcher der Nachweis versucht wird, daß die katholische Partei im Grunde die Vernichtung aller Evangelischen erstrebte. Einen ähnlichen Kontrast zu der alle Schriften von Camerarius durchziehenden Kühnheit stellt die Verbindung dar, in die er seine gewagten und aufs Äußerste gehenden Thesen mit einer vorbildlich sorgfältigen Editionsweise der erbeuteten Schriftstücke brachte. Seine Art, die Materialien der feindlichen Partei wiederzugeben, war um vieles genauer und wirkungsvoller als die von seinen Widersachern im Federkrieg praktizierte Methode und machte weithin Schule. Hierin liegt das fünfte Kennzeichen seiner Publizistik sowie darin, daß er sich in allen seinen Schriften der interpretierenden Methode bediente. Immer waren es Schriftsätze der gegnerischen Partei, die er erklärte und damit zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen machte. Ein solches Verfahren war, wie sich gleich im einzelnen zeigen wird, in vieler Hinsicht das Gegebene. Es entsprach den Erfordernissen, die der Kanzleienstreit stellte. In manchem aber floß es auch aus der besonderen Veranlagung von Camerarius her. Zwei Tendenzen sind es, die sich hier bemerkbar machten: Zum einen kann mit einiger Sicherheit in der Vorliebe für die interpretierende Methode eine Auswirkung jener Neigung zur Anlehnung gesehen werden, die Camerarius auch als Diplomat beherrschte. Vollkommene Selbständigkeit lag ihm im Grunde nicht. Zwar war seine Begabung immerhin so stark, daß er es gegebenenfalls auch über sich brachte, ohne die Stützung durch Vorgesetzte oder Kollegen als verantwortlicher Führer zu handeln. Das sollte sich schon zwei Jahre später, 1623, zeigen, als er die Leitung der pfälzischen Exilregierung übernahm. An sich aber neigte er dazu, Anlehnung zu suchen. Er war der geborene Helfer und gleichzeitig wie geschaffen für die kollegiale Regierungsweise der Geheimen Ratsbehörden. Selbständiges Führen war hingegen im Grunde nicht seine Sache7. Wie er aber als Politiker Anlehnung an andere Persönlichkeiten suchte, so dürfte ihn als Schriftsteller dieselbe Neigung dazu geführt haben, sich bei seinen Ausführungen auf einen vorhandenen Text zu stützen und seine eigenen Gedanken auf der Erklärung der jeweils edierten Briefe und Akten aufzubauen. Als zweites machte sich bei seiner Vorliebe für das interpretierende Verfahren der ihm vom Elternhaus überkommene Sinn für den Wert von Editionen und der Drang geltend, auch Flugschriften einen möglichst wissenschaftlichen Charakter zu verleihen. Möglicherweise griff Camerarius noch in der Zeit, da die pfälzische Herrschaft in Böhmen andauerte, ein erstes Mal während des Krieges in die publizistischen Kämpfe ein. In der damaligen Auseinandersetzung, die der Apologienstreit genannt wird, ging es für die pfälzische Partei darum, die Rechtmäßigkeit der böhmischen Expedition darzutun und gleichzeitig nachzuweisen, daß des Kaisers Vorgehen gegen die Reichsgesetze verstoße. Für das letztere Anliegen war es höchst förderlich, daß den Pfälzern im Spätsommer 1620 Briefe von füh7



S. hierüber im einzelnen F. H. Schubert, Zur Charakteristik des Ludwig Camerarius, a. a. O. 74 ff. mit Belegen.

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renden Vertretern der kaiserlichen Partei in die Hände fielen. Camerarius erkannte offenbar richtig, wie sehr diese Schreiben das gegnerische Lager belasten konnten, wenn sie mit gehörigem Geschick interpretiert waren. Es ist möglich, daß die Aufgabe ihn in solchem Maß reizte und ihm so wichtig schien, daß er seine Abneigung überwand, selbst publizistisch hervorzutreten. Manches, ja vieles spricht dafür, daß er die kommentierende Herausgabe der erbeuteten Briefe selbst übernahm, während er sich im übrigen im Apologienstreit offenbar ganz zurückhielt. Noch 1620 erschien die Flugschrift unter dem Titel: „Ein denckwürdig Modell der Kayserlichen Hoff-Process, Das ist: Glaubwürdiger Abdruck, etlicher Kayserlichen und anderer Schriften, deren Originalia vorhanden sein … MDCXX“8. Man findet – und dies spricht für die Autorschaft – in dem Modell bereits einen guten Teil der Wesenszüge, die das publizistische Schaffen von Camerarius im folgenden Jahr kennzeichnen. Vor allem scheint bemerkenswert, daß – genau wie in den übrigen Schriften von Camerarius – großes Gewicht darauf gelegt ist, die Absichten des Kaisers als so gefährlich und vernichtend wie möglich zu beschreiben. Um dieses Ziel zu erreichen, zögerte Camerarius 1621 und 1622 nicht, die Übertragung der pfälzischen Kurwürde an Herzog Maximilian von Bayern als höchstwahrscheinlich, ja als sicher hinzustellen, obwohl sie erst im Februar 1623 erfolgte. Im gleichen Sinn hieß es 1620 im „Modell“, daß aufs festeste mit der Ächtung Friedrichs V. zu rechnen sei, eine Maßnahme, die ebenfalls erst längere Zeit nach Erscheinen der Flugschrift, im Januar 1621, vollzogen wurde. Wenn Camerarius bereits 1620 der Methode folgte, die Dinge so schwarz wie möglich zu malen, glaubte er offenbar schon damals, die neutralen Protestanten und vielleicht auch manche der noch nicht entschiedenen Katholiken nur auf diese Weise aufrütteln und für die pfälzische Sache gewinnen zu können. Die Gefahr, durch seine Ausführungen dazu beizutragen, daß sich die zunächst ja nur drohenden Möglichkeiten tatsächlich realisierten, schlug er demgegenüber anscheinend nur gering an. Er fürchtete offenbar nicht allzu sehr, wenn er die Absichten der gegnerischen Partei bloßstellte und darüber hinaus ihr noch manches unterschob, was die erbeuteten Briefe nicht eigentlich besagten, die Hofburg zu veranlassen, nun erst recht die Ächtung und Kurübertragung vorzunehmen. 8



S. im einzelnen Gebauer, a. a. O. 65; Placcius, a. a. O. 453. Außerdem spricht inhaltlich vieles dafür, die Schrift Camerarius zuzuschreiben. Außer den im Text aufgeführten Gründen sei hier auf Eigentümlichkeiten des Satzbaues hingewiesen, die das Modell von Johann Joachim von Rusdorfs in der ersten Hälfte des Jahres 1621 erschienener Deductio Nullitatum unterscheiden und die Stilistik der Flugschrift der im übrigen von Camerarius gebrauchten ähnlich machen. Dasselbe ist hinsichtlich der Wortspiele und Metaphern der Fall. Hingegen haben sich in den Briefen von Camerarius, die in dieser Zeit allerdings nicht zahlreich sind, keinerlei Bemerkungen über das Modell gefunden. Die endgültige Klärung der Frage, ob die Flugschrift von Camerarius stammt, muß also hier offen bleiben, da der stilistische Vergleich in keinem Fall zum Nachweis genügen kann. Von Camerarius stammt aus der Zeit der pfälzischen Herrschaft in Böhmen eventuell ferner noch die kurze gedruckte Regierungserklärung Friedrichs V.: „Unser Friedrichs von Gottes Gnaden Königs in Böheimb … offen Ausschreiben, Warum Wir die Kron Böheimb … auff Uns genommen, 7. 11. 1619“.

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An sich sprach manches dafür, daß so radikale Insinuationen, wie Camerarius sie äußerte, in Wien in dieser Richtung wirken konnten9. Andererseits freilich stand dem die Möglichkeit gegenüber, daß seine in jedem Fall aufs äußerste herausfordernden und die Wiener Staatsmänner reizenden Ausführungen, anstatt besonders entschiedene Maßnahmen herbeizuführen, erschrecken und damit Mäßigung veranlassen konnten. Hierauf rechnete Camerarius allem Anschein nach bis zu einem gewissen Grad. Auch dann, wenn er noch an Frieden dachte, war es immer eine Politik der Stärke und der Drohung, mit der er dazu gelangen wollte. Wenn seine Devise bis Ende 1622 „pax sub clypeo“ lautete, so entsprach es dieser Gesinnung, daß er im publizistischen Bereich danach strebte, die Achtserklärung und den Entzug der Kurwürde abzuwenden, indem er die diesbezüglichen Absichten des Kaiserhofes nicht als schwächer, sondern als noch fester hinstellte, als sie tatsächlich bereits gelten konnten. Doch war das Anliegen, die Führer der gegnerischen Partei von der Ächtung und dem Entzug der Kur abzuhalten, bei Camerarius offensichtlich nicht entscheidend. Als viel stärker kann das Streben gelten, die Neutralen zur Hilfe zu gewinnen. Ferner spricht sich in seiner das katholische Vorgehen so verderblich wie nur denkbar schildernden Darstellung bei der Frage der Acht und später der Kur zwar sicher bis zu einem gewissen Grad die Absicht aus, die Hofburg doch noch von diesen letzten Schritten abzuhalten. Doch ungleich mächtiger scheint bereits in Camerarius die Vorstellung gewesen zu sein, daß von katholischer Seite in jedem Fall mit den schärfsten Maßnahmen zu rechnen war, daß es deshalb keinen rechten Sinn mehr hatte, auf Nachgiebigkeit zu hoffen. Der Moment war gekommen, da bei Camerarius neben dem Streben, zu einem baldigen Ausgleich zu gelangen, die Meinung immer weiter hervorzutreten begann, daß ein großer Vernichtungskrieg das einzige Mittel sei, die evangelisch-pfälzische Sache zu retten. Die in dem „Modell“ angewandte Beweisführung und die Art, in der die erbeuteten Schreiben wiedergegeben waren, wirkte so stark, daß auch von kaiserlicher Seite die Echtheit der Briefe nicht ernstlich in Frage gestellt wurde. Dafür war der Ärger im katholischen Lager um so größer. Als „crimen laesae Majestatis“ und „felonia perfida“ bezeichnete ein der Hofburg nahestehender Publizist das Unterfangen, Briefe des Reichsoberhauptes aufzufangen und herauszugeben10. Nur zu bald sollte Camerarius die Verstimmung zu fühlen bekommen, die das „Modell“ im kaiserlich-ligistischen Lager hervorgerufen hatte. Gleichzeitig jedoch sollte sich zeigen, daß die Art des „Modells“ auch bei den Gegnern Schule machte, was indirekt ohne Zweifel eine neuerliche Anerkennung für die Flugschrift bedeutete. Es war eine der verhängnisvollen Folgen der Niederlage am Weißen Berg, daß nach der Schlacht ein großer Teil der pfälzischen Kanzleiakten den Gegnern in die Hände fiel. Diese zögerten nicht lange, das Material publizistisch zu ver9



So sagt Carafa in beiden Werken, seinen Commentaria und seiner Relatione, die diesbezüglichen publizistischen Hinweise der Pfälzer hätten den Kaiser in seinem Entschluß bestärkt, die Kur an Bayern zu geben. S. Carafa Commentaria, a. a. O. 121, Relatione, a. a. O. 342. 10 Justitia Caesarea 71, zitiert nach Gebauer, a. a. O. 65 ff.

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werten. 1621 erschien die „Anhaltische Kanzlei“11, ein umfängliches Werk, das noch im selben Jahr mehrere Neuauflagen erlebte und eine Beachtung fand wie wenige andere Flugschriften der Zeit. Und in der Tat war der Inhalt der Anhaltischen Kanzlei für jeden, den die Politik nur einigermaßen bewegte, von allerhöchstem Interesse. Handelte es sich doch um die wichtigsten Geheimakten der pfälzischen Außenpolitik, die hier in Auszügen wiedergegeben wurden. Es war also nicht wie im „Modell“ und in anderen Flugschriften nur ein gelegentlicher Fang von einigen Briefen. Vielmehr hatten die Herausgeber der Anhaltischen Kanzlei die Möglichkeit, aus einer Fülle von Material die Auswahl zu treffen. Der vornehmste Teil von allen jenen Papieren, die man in der von Camerarius geleiteten sogenannten Kriegskanzlei von Heidelberg mit nach Prag genommen hatte, sowie die Hauptsache von dem, was während der pfälzischen Herrschaft in Böhmen an Akten angefallen war, alles dies bot sich den Gegnern zur Auswertung dar. Es war eine Gelegenheit, wie sie sich nur ganz selten ergibt. Das erkannte die ligistische Partei aufs klarste und nützte deshalb die einmalige Chance voll und ganz aus. Reichlich war das belastende Material, das der Öffentlichkeit vorgelegt wurde, und schlagend die Beweisführung, die sich daran knüpfte. Die Argumentation lief im wesentlichen darauf hinaus darzutun, daß die Pfälzer Rebellen seien, welche die Reichsverfassung vernichten wollten. Es sollte klar gemacht werden, daß von ihnen ein Umsturz aller bestehenden Verhältnisse, die Zerstörung von Frieden und Ordnung erstrebt würde und daß dementsprechend das Vorgehen des Kaisers und der Liga nichts weiter bedeutete als die selbstverständliche Erfüllung der Pflichten, die dem Reichsoberhaupt oblägen. Die den pfälzischen Staatsmännern eigene kühne Auffassung und Formulierung, die in den bei Prag erbeuteten Materialien einen reichlichen Niederschlag gefunden hatte, machte eine solche Beweisführung nicht schwer. Der Anhaltischen Kanzlei wurde es dadurch möglich, einen wichtigen, ja entscheidenden Beitrag dazu zu leisten, daß die katholischen und ein Teil der neutralen protestantischen Reichsstände in die Stimmung versetzt wurden, dem Kaiser jene Änderungen der Machtverhältnisse im Reich zuzugestehen, die er dann vor allem durch die Übertragung der Kur an Bayern durchführte. Das Werk hatte für Ferdinand II. und Maximilian von Bayern unschätzbaren Wert. Endlich war es möglich, die gegen die pfälzische Partei gerichtete Publizistik viel weniger als bisher auf Hypothesen aufzubauen. Endlich konnte Schwarz auf Weiß das Abenteuerliche und auf Umsturz Abzielende der pfälzischen Politik belegt werden. Es scheint, daß in der gesamten europäischen Diplomatie sehr rasch die Bedeutung der Anhaltischen Kanzlei erkannt wurde, daß man sich bald darüber im klaren war, daß sie an Wichtigkeit die meisten Flugschriften der vergangenen Jahre übertraf. Tief deprimiert waren die pfälzischen Politiker durch all die peinlichen Enthüllungen, und allem Anschein nach fühlte sich Camerarius besonders 11

Fürstlich Anhaltische gehaimbe Cantzley, das ist: Begründte anzaig, der verdeckten, unteutschen, nachtheiligen consilien anschläg und practicken, welche der correspondierenden Union Häupter und Directores in der Böhaimischen Unruhe, geführt … und durch die Niederlage in Prag … in der Anhaltischen Cantzley gefunden und kundtbar gemacht …, s. l. 1621.

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bedrückt12. War doch bei ihm der Sinn für die Bedeutung literarischer Kampfmittel noch entwickelter als bei vielen anderen pfälzischen Räten. Mußte ihm die Verderblichkeit der Anhaltischen Kanzlei doch besonders lebhaft vor Augen treten bei der hohen Meinung, die er vom Werte brieflicher Überredung hatte13. Außerdem war er ja der Leiter der pfälzischen Kriegskanzlei in Prag gewesen. Ihr Verlust mußte ihm also in erster Linie peinlich sein. Denn wenn sich auch im einzelnen die Schuldfrage nicht klären ließ, stand doch soviel fest, daß Camerarius nicht vermocht hatte, die sichere Hinwegführung des ihm unterstellten Aktengutes zu erreichen14. Vielmehr wurde durch die Publikationen der katholischen Partei jeder aufmerksame Leser immer wieder daran erinnert, daß auch Camerarius sich in die überstürzte Flucht und die Hypnose der Angst hatte hineinreißen lassen, die nach der Niederlage am Weißen Berg im Hradschin ausbrach und sich trotz des Verlustes der Schlacht durch die strategische Lage nicht rechtfertigen ließ. Ferner war es Camerarius ein persönliches Ärgernis, daß gerade die bayrische Regierung die Anhaltische Kanzlei herausgab. In zähem Optimismus hatte er ja bis zuletzt, bis 1619 beziehungsweise 1620, gehofft, Herzog Maximilian für die Annahme der Kaiserwürde und, als dies mißlungen war, wenigstens zur Neutralität vermögen zu können. Wenn die Bayern nun mit vernichtender Kritik die Heidelberger Politik vor der Öffentlichkeit bloßstellten, so fühlte er sich hierdurch ganz persönlich düpiert. Dieses Gefühl steigerte sich noch, als er erfuhr, daß gerade sein ehemaliger Verhandlungspartner, der bayrische Geheime Rat Wilhelm Jocher entscheidenden Anteil an der Abfassung der Anhaltischen Kanzlei genommen hatte15. Die Angriffe dieses Mannes, den er so verzweifelt umworben und von dessen Klugheit und Können er eine hohe Meinung hatte, trafen ihn besonders16. Sie erfüllten ihn mit tiefem Groll, und seine Abneigung gegen 12

S. z. B. Camerarius an Christian von Anhalt, 31. 8., 13. 10., 15. 10., 30. 10., 2. 11. 1622, LSA, A 9a, 184; Camerarius an Solms 12. 9. 1621, 25. 3., 1. 4., 13. 9., 17. 11. 1622, Coll. Cam. Vol. 47; s. dagegen die gleichzeitige Korrespondenz zwischen Andreas Pawell und Rusdorff, Coll. Cam. Vol. 23 und 49. 13 S. hierzu u. a. Camerarius an Solms, Heidelberg 27. 5. 1621: „Man hatt nunmehr die Anhalltische geheimbde Cantzley mitt einer verbitterten deduction drucken lassen, darinnen viel schreiben Euer Gnaden und anderer ehrlicher Leutt begriffen, die dadurch in große gefahr gesetzt werden, darumb niemand zu verdenken, der sich etwas in acht nimmbt … Ich hab dieße ding beförchtet, so bald Ich gehöhrt, daz die acta dahinden blieben, derhalben Ich doch daz Meinige trewlich gethan, aber aliorum facta nit hab praestirn können …“, Coll. Cam. Vol. 47; s. ferner Camerarius an Solms, 13. 5. 1621: „Eß seind ietzo aus Fürst Christians intercipirter Cantzley acta gedrucket, darinnen Chur Pfaltz Räthen alle schuld beygemessen, und sonderlich daz odium wider Camerarium außgeschüttet wird, …“, Coll. Cam. Vol. 47. 14 Camerarius bezichtigte andere der Schuld am Verlust. Doch die Beharrlichkeit, mit der er dies tat, steigert nur die Vermutung, daß seine Verantwortung nicht gering war. Qui s’excuse, s’accuse. Daß es sich bei der Aktenbeute nur um das Camerarius vielleicht nicht unterstehende Privatarchiv Anhalts handelte, ist nicht wahrscheinlich. 15 Gegen F. Stieve (Allgemeine Deutsche Biographie, Artikel Jocher) scheint mir in Übereinstimmung mit Koser (Kanzleienstreit) und Riezler (Geschichte Bayerns) an Jochers Teilhaberschaft festzuhalten zu sein. 16 Jocher war schon früher mit Erfolg als politischer Schriftsteller hervorgetreten. Aus seiner Feder existieren zum Beispiel die „Donauwertische Relation …“ vom Jahre 1610 und die „Not-

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die „ungetrewen Bayern“ wuchs noch um ein Merkliches. Für die Abneigung war, wie schon gesagt, der hauptsächliche Grund bereits 1619 und 1620 gelegt worden, als Camerarius mit äußerster Enttäuschung sah, daß der Münchner Hof nicht auf seine Vorschläge einging. Jetzt verstärkte sie sich noch wesentlich. Sie begann sich bis zu dem Wunsch zu steigern, an den Münchnern Rache zu nehmen. Dieses Verlangen war zwar nicht entscheidend dafür, trug aber doch das Seine dazu bei, daß Camerarius später immer wieder dafür plädierte, den Krieg nach Bayern zu tragen,und daß er, als die Schweden sich endlich 1632 Münchens bemächtigt hatten, offenbar zu einem nicht eben glimpflichen Vorgehen riet. Gegen Jocher selbst persönliche publizistische Angriffe zu richten, vermied er freilich. So weit ließ er sich nicht hinreißen. Vielmehr offenbarte er, als er in der kommenden Zeit zur Feder griff, gerade in dieser Frage die seine Publizistik in so hohem Maß auszeichnende persönliche Zurückhaltung und Vornehmheit. Nur ein gelegentliches W. J. deutete in seinen Flugschriften an, daß er wußte, wer einer seiner hauptsächlichen Gegner in dem Federkrieg war. Die persönliche Zurückhaltung mochte ihm dadurch erleichtert werden, daß er in der Anhaltischen Kanzlei zwar als einer der führenden Köpfe der pfälzischen Partei hingestellt worden war, daß aber die bayrischen Publizisten sich noch so weit gemäßigt hatten, ihn erst hinter einigen anderen Persönlichkeiten rangieren zu lassen und ihm keinen größeren Anteil beilegten als zwei oder drei anderen Mitgliedern des Geheimen Rates auch. Sehr instruktiv ist in dieser Hinsicht bereits das „An den gutherzigen Leser“ gerichtete Vorwort der Anhaltischen Kanzlei, in dem sich der folgende Absatz findet: „So sein die Authores solcher gehaimben sache, als Fürst Christian von Anhalt, Churpfaltz, Marggraf Joachim Ernst von Brandenburg, Albrecht Graf von Solmbs, Volrath von Plessen, D. Ludwig Camerarius etc., Achatz und Christoff von Dona etc. alberait für sich selbst bekandt“. Wie schon gesagt, war sich Camerarius offenbar von Anfang an darüber im klaren, daß es bei dieser paritätischen Verteilung der Vorwürfe nicht bleiben konnte, sondern daß er mit einer gewissen Notwendigkeit in noch sehr viel stärkerer Weise, als es in der Anhaltischen Kanzlei geschehen war, zur Zielscheibe der gegnerischen Angriffe werden mußte, sobald er pfälzischerseits die Führung im Federkrieg übernahm. Wenn er sich trotzdem der Aufgabe unterzog, so kam zu all den schon genannten Gründen, die ihn dazu veranlaßten, noch der hinzu, daß 1621 selten glückliche Umstände der pfälzischen Partei für ihre publizistischen Gegenangriffe Materialien in die Hände spielten, die zwar nicht so ausgedehnt waren, wie die Aktenbeute der Ligisten in Prag, die aber trotzdem das katholische Lager kaum weniger bloßstellten, als das pfälzische kompromittiert worden war. Truppen Ernst von Mansfelds, des pfälzischen Kondottieren, griffen 1621 geheime Briefsendungen der Hofburg auf, die wohl in der Hauptsache für die Regierung in Brüssel bestimmt waren. Als Camerarius ihren Inhalt studierte, erwendige Erinnerung …“ vom Jahre 1613. Mit gutem Grund galt er deshalb 1620 auch in publizistischen Fragen in München als Autorität; und wenn er dank seiner Bildung und Begabung an sich schon Camerarius in vielem ähnlich war, so bildet sein publizistisches Können eine weitere Parallele.

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kannte er sogleich, daß sich hier die unverhoffte Gelegenheit bot, die publizistische Scharte auszuwetzen. Obwohl es sich alles in allem um kaum mehr als vierzig Briefe handelte, waren sie – ein seltener Glücksfall – von solcher Wichtigkeit, daß sie, geschickt interpretiert, fast so belastend werden konnten wie die Fülle pfälzischen Aktenmaterials, das sich in den Händen der Kaiserlichen und der Bayern befand. Camerarius vollbrachte die Leistung, die Möglichkeiten, welche die Briefbeute bot, mit so hohem schriftstellerischen Können und solchem Geschick wahrzunehmen, daß der kaiserlich-ligistischen Partei etwa derselbe Schaden zugefügt wurde, den die Pfälzer durch die Anhaltische Kanzlei erfahren hatten. Mit einer ungleich geringeren Anzahl erbeuteter Schriftstücke erzielte Camerarius also einen gleich großen Effekt. Daß er dies vermochte, beruhte, wie gesagt, zum einen auf dem besonderen inhaltlichen Reichtum der Briefe. Zum andern und vor allem aber war es seiner darstellerischen und dialektischen Kunst zu danken. Durch seine geistige Leistung machte er den hinsichtlich der Menge des Materials natürlich trotz des Gehaltes der kaiserlichen Schreiben vorhandenen Nachteil wett. Was die längste Zeit seines Lebens, besonders aber die ersten Kriegsjahre über, bei den meisten seiner Beschäftigungen sein Schicksal war, widerfuhr ihm auch in der Publizistik: Er mußte mit geringeren gegen größere Machtmittel ankämpfen und das Fehlende durch ein erhöhtes Maß von Geist und Aktivität ersetzen. Trotz größter Anstrengung waren ihm dabei viele Niederlagen beschieden. Doch auch große Erfolge wurden ihm zuteil. Zu einem der glänzendsten davon führte sein publizistisches Bemühen. Sieghaft triumphierte hier seine geistige Leistung über alle Schwierigkeiten. Camerarius verwertete die Briefbeute in drei Schriften, die allesamt im Frühjahr 1622 erschienen: Die „Literae interceptae“ brachten einen kleineren Teil des Gewonnenen mit nur knappen, lateinischen Erläuterungen. Der „Prodromus oder Vortrab nothwendiger Rettung vornehmer Evangelischer …“ war im Gegensatz dazu deutsch abgefaßt und mit einem ausführlicheren Begleittext versehen17. Die Schrift wandte sich offensichtlich an ein breiteres Publikum. Der „Vortrab“ wies auf die dritte Schrift hin, die das publizistische Hauptwerk von Camerarius darstellt, die „Cancellaria Hispanica“ von 173 Druckseiten18. Die bayerischen Publizisten hatten mit dem Titel „Anhaltische Kanzlei“ andeuten wollen, daß sich die ganze Kanzlei des Fürsten Christian in ihrer Hand 17

Eventuell erlebte der Prodromus bereits 1622 eine Neuauflage unter dem Titel: „Der RömischSpanischen Cantzley widerholt und vermehrter Vortrab. Zu trewhertziger Verwarnung vor der Päpstischen hochschädlichen anschlagen.“ 18 „Cancellaria Hispanica. Adjecta sunt Acta publica, Hoc est: Scripta et Epistolae authenticae, e quibus partim infelicis belli in Germania partim Proscriptionis in Electorem Palatinum scopus praecipuus apparet. Adjecti sunt sub finem Flores Scoppiani, ex Classico belli Sacri. Freistadii. Anno MDCXXII“. Der Druckort ist fingiert. Der Druck der Cancellaria Hispanica und mindestens auch des Prodromus, wahrscheinlich aber außerdem auch der Literae interceptae, fand in Emden statt, das insofern eine Freistadt war, als hier der kaiserliche Einfluß nicht hinreichte, um die Publikation zu hindern. Prodromus und Cancellaria Hispanica erschienen während der Reise von Camerarius nach Dänemark zwischen dem 22. Februar und 25. März 1622, s. Kap. VI und VII und Camerarius an Solms, Hamburg 25. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 199.

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befände und sie das Wichtigste ausgewählt hätten. Indem Camerarius seine Gegenschrift Cancellaria Hispanica nannte, suchte er bei dem Leser von vornherein den Eindruck zu erwecken, daß er über nicht weniger bedeutsame Akten der katholischen Partei verfüge. Ferner unterstellte er durch den Titel – und bereits dies war ein Hieb gegen den Kaiser und Bayern –, daß die Führung der katholischen Politik bei Spanien lag. Die Cancellaria Hispanica ist im Gegensatz zum Prodromus wieder lateinisch abgefaßt und gibt den Hauptteil der Briefbeute auf 120 Druckseiten wieder. 20 Considerationes, im Ganzen 44 Seiten, stehen voran. In ihnen werden die Schreiben interpretiert und die entsprechenden Folgerungen von Camerarius gezogen. Die Hauptergebnisse gehen also den beweisenden Materialien voraus. Das Verfahren kann mithin in mancher Hinsicht als deduktiv gelten. Den Abschluß des Werkes bildet eine neunseitige Blütenlese aus dem „Classicum Belli Sacri“ von Kaspar Schoppe, dem bekannten katholischen Schriftsteller ursprünglich protestantischer Herkunft19. Wie die Anhaltische Kanzlei stützt sich also auch die Cancellaria Hispanica auf Aktenmaterial. Die Art der Wiedergabe jedoch ist eine andere. Die Anhaltische Kanzlei von 1621 ist von Anfang bis Ende durchzogen von der fortlaufenden Beweisführung der Herausgeber. Nach den verschiedenen Gesichtspunkten in Kapitel geteilt, geht der von den bayerischen Publizisten verfaßte Text durch das ganze Werk hindurch. Die erbeuteten Briefe und übrigen Schriftstücke aber sind in der Art verwandt, daß zur Untermauerung der verschiedenen Thesen jeweils einzelne Stellen aus ihnen wörtlich zitiert werden. So kommt es, daß sich in der Anhaltischen Kanzlei ein reiches, in den Text eingestreutes Belegmaterial im Wortlaut findet, daß die erbeuteten pfälzischen Schriftstücke aber in der Regel nur in Teilen, selten dagegen vollständig wiedergegeben sind. Oft stehen aus einzelnen Briefen nur ein - zwei Sätze da, oder weitere Teile finden sich erst in einem späteren Kapitel, wo sie wieder zum Beweis anderer Thesen zu dienen haben. Das naheliegende Argument der pfälzischen Partei gegen eine solche Art der Wiedergabe war der Hinweis, daß die Zitate aus dem Zusammenhang gerissen seien und auf diese Art sich leicht das Gegenteil von dem beweisen lasse, was eigentlich gemeint sei. Da zudem in der Anhaltischen Kanzlei öfters die Herkunft der Belegstellen nicht genau angegeben war, wurde es den Pfälzern um so leichter, die gesamte Beweisführung in Frage zu ziehen. Camerarius nahm diese Gelegenheit voll wahr, wenn er in den Literae interceptae schrieb: „Nescio quas chartas produxerunt, sed illas adeo mutilatas, adque sensum alienum contortas, divisis connectendis, connexis dividendis, suppressis quam plurimis … tanta denique farragine glossematum interpolatis, ut nemo verum a falsis dignoscere queat“20. Der Emdener Drucker hieß Ungnad. Er stellte beim Prodromus die Bedingung, daß die pfälzische Regierung ihm 200 Exemplare abkaufte, s. Camerarius an Solms, Bremen 20. 2. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 162. 19 Über Schoppe s. Kowallek, a. a. O. 20 Literae interceptae … 55.

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Diese Kritik erhielt erst dadurch ihre eigentliche Wirksamkeit, daß Camerarius in seinen Publikationen die besprochenen Schriftstücke vollständig herausgab. Im Gegensatz zur Anhaltischen Kanzlei wurden in den Literae interceptae ebenso wie in der Cancellaria Hispanica die Briefe mit all der philologischen Sorgfalt ediert, die Camerarius geläufig war. Da er beide Schriften auf Lateinisch abfaßte, fügte er, um die Einheitlichkeit und Lesbarkeit des Ganzen zu erhöhen, bei den Briefen, die in einer anderen Sprache als der lateinischen geschrieben waren, eine lateinische Übersetzung an. Stolz rühmte sich Camerarius – wiederum in den Literae interceptae – seiner philologischen Genauigkeit: „Nos vero tibi lector heic integra ipsorum folia exhibemus, summa fide recensita et usque eo superstitiose ad autographa, ut et errata scripturae Magnatum praesertim orthographiam susque deque habentium tanto majori veritatis argumento retinuerimus“21. Schwieriger war ohne Zweifel die Argumentation, wenn die Schreiben vollständig im Druck vorlagen, höher die dialektische Anforderung, die an den Interpreten gestellt wurde. Trotzdem erfüllte Camerarius die Aufgabe vollkommen. Er zeigte sich auch bei einer genauen Wiedergabe der erbeuteten Briefe der Beweisführung gewachsen vor allem dank seiner schriftstellerischen Fähigkeit und in zweiter Linie infolge des Umstandes, daß die Schreiben, die er vorlegte, in der Tat überaus kompromittierend waren. Für seine Argumentation war es schließlich sehr dienlich, daß er die Schriftstücke und die jeweilige Interpretation nicht nebeneinander setzte, sondern die Erklärungen getrennt von den Belegen brachte. So hatte er es leichter, manche Sophismen und Silbenstechereien durchzuschleusen, da der Durchschnittsbenützer, wenn er die Considerationes las und nicht beständig hin und her blätterte, unmöglich den Wortlaut des gesamten jeweils angezogenen Briefes im Kopf behalten konnte. Mußte die Cancellaria Hispanica durch die sorgfältige Edition des Beweismaterials um einiges seriöser wirken als die Anhaltische Kanzlei, so wurde dieser Effekt noch dadurch verstärkt, daß des Camerarius publizistisches Hauptwerk zunächst auf Lateinisch erschien, in der nur den Gebildeten geläufigen Sprache, dem Verständigungsmittel der Gelehrten und Diplomaten. Beides, in erster Linie die Methode der Herausgabe und in zweiter die Wahl der Sprache entfernten die Cancellaria Hispanica noch weiter vom Charakter der üblichen Flugschriften, als es schon bei der Anhaltischen Kanzlei geschehen war. Bereits die große Publikation der Bayern hatte sich vom Durchschnitt der politischen Streitschriften dadurch unterschieden, daß hier in ganz großem Stil Aktenmaterial vorgelegt wurde. Doch hatten die nur auszugsweise Art der Wiedergabe und die Wahl des Deutschen darauf hingewirkt, daß die Anhaltische Kanzlei der bisherigen im Deutschland der Gegenreformation und des beginnenden Dreißigjährigen Krieges gängigen Publizistik noch immer näher stand als die Cancellaria Hispanica. Camerarius hingegen ging auf dem bereits von den bayrischen Publizisten beschrittenen Weg noch ein Stück weiter. Er näherte sich mit seiner Cancellaria 21

Literae interceptae … 55.

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Hispanica um einiges mehr dem Charakter jener offiziellen Veröffentlichungen, die als Buntbücher in der Staatskunst der Neuzeit eine solche Rolle spielen. Es ist bekannt, wie als erstes der eigentlichen Buntbücher das berühmte Blue Book 1624 in England herauskam. Ganz dem später üblichen Brauch entsprechend, enthielt es Akten der eigenen Regierung. In der Cancellaria Hispanica ebenso wie der Anhaltischen Kanzlei hingegen wurden Schriftstücke der gegnerischen, nicht der eigenen Partei vorgelegt. Das unterschied sie vom Blue Book ebenso wie von den meisten späteren Buntbüchern, bei denen es das übliche war, eigene Akten zu drucken, in denen aber nicht selten auch archivalisches Material der Widersacher den Hauptinhalt bildete. Trotzdem müßte, wenn einmal eine Geschichte der Buntbücher geschrieben würde, wohl auch den Kanzleien der Zwanzigerjahre des 17. Jahrhunderts Aufmerksamkeit geschenkt werden, und Camerarius käme vielleicht eine gewisse Bedeutung als einem der Initiatoren dieser literarischen Form politischer Rechtfertigung zu. Wenn hier dahingestellt bleiben muß, welche Position er innerhalb der Entwicklungsgeschichte der Buntbücher einnimmt, so steht soviel fest, daß im engeren Bereich des Kanzleienstreites seine Darstellungsweise Schule machte. Er galt bald nicht nur innerhalb der pfälzischen Partei als der anerkannte publizistische Führer, als das Vorbild, dem man nacheiferte. Er wurde nicht nur von vielen anderen Protestanten aufs höchste gelobt und als schriftstellerische Autorität behandelt22. Auch seine Gegner machten sich – im Grunde das höchste Lob, das ihm zuteil werden konnte – seine Methode zu eigen. Die wichtigsten weiteren Publikationen der Ligisten, die sich auf Akten stützten, enthielten eine vollständige wörtliche Wiedergabe der betreffenden Schriftstücke23. Auch wurde die „Anhaltische Kanzlei“ sehr bald ins Lateinische übersetzt, wobei sich allerdings nicht sagen läßt, ob hier ebenfalls der Einfluß von des Camerarius Publizistik mitwirkte. 22

S. hierüber z. B. Hugonis Grotii Epistolae, a. a. O. 540 ff. u. ö. So die auf der neuerlichen, von der katholischen Partei im Herbst 1622 bei der Eroberung Heidelbergs gemachten pfälzischen Aktenbeute aufbauenden Schriften: „Beharrlicher General Rath der Stände, so sich zu der Evangelischen Religion bekennen, Anno 1605, Sambt einer Chursächsisehen Resolution, D. Ludwigen Camerario … gegeben“, 1624; „Bericht … Rusdorfs … Was er Anno 1621 zu Wien negotiiert …“, 1624; „Umbständiger Bericht und Relationes etlicher gewester Churpfaltz gehaimber vertrautister Räth, Uber unterschiedliche Legationes … Anno 1620, 1621, 1622 …“, 1624. Alle drei Schriften wurden vereinigt zum „Nachtrab Anhaltischer Cantzley auß der geheimben Heydelbergischen Registratur“, 1624. Ferner enthalten vollständige Aktenwiedergaben die späteren, immer wieder als neue Teile der „Anhaltischen Kanzlei“ veröffentlichten Publikationen, sowie „Der Unierten Protestierenden Archif …“ von 1628. Hier ist im ersten Teil in Anlehnung an die Anhaltische Kanzlei ein ausführlicher, in Kapitel geteilter Text mit eingestreuten Aktenauszügen gegeben. Der zweite Teil aber bringt die Schriftstücke vollständig als „Appendix, in qua, Originalia Ad Hunc Librum Spectantia, Prout Illa In Qua, vis Lingua Per Adversarios scripta sunt, retentis etiam varijs, praesertim in Gallico idiomate, erroribus Orthographicis, ad longum exhibentur“. Man sieht, wie unmittelbar das Vorbild von Camerarius wirkte, der in den Literae interceptae, 55, ja ausdrücklich betont hatte, er habe selbst die orthographischen Fehler mit ediert.

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Wenn seine besondere Darstellungsart und Stilistik an sich schon, abgesehen vom Inhalt der Ausführungen, eine solche Wirkung taten, so war dies, wie sich bereits eingangs zeigte, darauf zurückzuführen, daß sich mit der sorgfältigen Editionsweise ein hohes Maß an Knappheit und Eleganz des Ausdrucks verband. Was diese Prägnanz in dem weitschweifigen 17. Jahrhundert bedeutete, zeigt sich schon daran, daß sie Camerarius selbst nicht in allen seinen Flugschriften gelang. Der weiter unten noch näher zu besprechende „Achtsspiegel“ aus der zweiten Hälfte des Jahres 1622 zum Beispiel ist in seiner Anlage und Ausführung ungleich umständlicher als die Cancellaria Hispanica. Die besondere Straffung der Darlegungen, die Camerarius in seinem publizistischen Hauptwerk glückte, kann vielleicht sogar noch origineller genannt werden als seine genaue Wiedergabe der erbeuteten Schriftstücke. Vermochten doch die Gegner seine Editionsweise zu übernehmen. Die Präzision des Stiles hingegen erreichten sie nicht. Stand die wissenschaftlich genaue und dementsprechend ausführliche Wiedergabe der Akten in einem reizvollen Gegensatz zu der stilistischen Knappheit und Eleganz der Auslegungen, so wurde der Reiz und damit die Wirkungskraft der Cancellaria Hispanica durch einen zweiten Gegensatz verstärkt. Es ist der Umstand, daß die in ihrer Einfachheit oft geradezu zierlich wirkende Diktion dazu diente, eine höchst weittragende und kriegerische politische Konzeption zu entwickeln. In dieser Konzeption stand, wie schon dargelegt, das Streben obenan, die Idee des Religionskrieges und des Vernichtungskampfes zu verbreiten. Wenn wir, was die Mühe lohnt, nun im einzelnen den Gedankengängen der Cancellaria Hispanica folgen, wie sie sich in den dem Aktenmaterial vorangestellten Considerationes finden, werden wir sehen, wie sich dazu als besonders bemerkenswert zwei weitere Anliegen gesellen: Ein ständiges, mit großem Geschick, ja mit Raffinesse durchgeführtes Trachten, auf die Uneinigkeit im katholischen Lager hinzuweisen und Spanien, Papst, Bayern und Kaiser gegeneinander auszuspielen, ohne daß der Versuch unternommen würde, gegen ein Glied der katholischen Koalition mehr als gegen das andere Anschuldigungen zu richten. Ferner ist zu nennen eine besondere Rücksichtnahme auf die Interessen der Niedersächsischen Kreisstände und hier besonders Dänemarks, die zeigt, wie große Hoffnungen Camerarius anfangs 1622 auf eine Hilfe von dieser Seite setzte. Worauf Camerarius in der Cancellaria Hispanica vor allem abzielte, das deutete er schon dadurch an, daß er die zwanzig Considerationes ebenso wie die folgende Aktenpublikation überschrieb: „Viva Demonstratio Caussarum praesentis in Germania belli, religionis ergo suscepti“. Vollends klar aber sagte es der erste Satz der Consideratio prima. Hieß es hier doch ganz lapidar: „Scopum unicum excitati in Germania infelicis civilis belli, et promulgatae inimicae proscriptionis in Fridericum Electorem Palatinum, hunc fuisse: Cum ut Romanensis Pontificia religio ubique locorum introducatur in Imperio, tum ut exstirpentur cuncti in universum Evangelici, evidentissima demonstratione evincitur“24. Im zweiten Satz wurde sogleich darauf hingewiesen, daß die Lutheraner im selben Maß be24

Cancellaria Hispanica … 1.

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droht seien wie die Calvinisten. „Haeretici enim illis omnes, quicunque sedem Romanam et primatum Papae non agnoscunt, sive illi Lutheri, sive Calvini odiosis nominibus traducuntur ab adversariis“. Nicht weniger massiv steht dann weiter unten in der ersten Consideratio: „Ad scopum autem illum nullam magis expeditam viam esse judicarunt, tam in aula Romana, quam Caesarea, quam si Electoratus Palatinus transferatur in Bavarum“25. Nur um hierfür einen Schein des Rechtes zu besitzen, sei Friedrich V. geächtet worden. Die Acht aber sei unter Verstoß gegen den Religionsfrieden und die von Ferdinand II. beschworene Wahlkapitulation erfolgt. Dieselbe Ächtung und Vertreibung aus seinem Besitz, die dem Kurfürsten von der Pfalz widerfahren sei beziehungsweise noch widerfahre, könne sehr schnell auch andere ereilen – eine neuerliche Warnung für die neutralen Protestanten. Sie wurde dadurch noch eindrucksvoller, daß die erste Consideratio auch einen ausdrücklichen Hinweis auf Kaspar Schoppes am Ende der Cancellaria Hispanica in Auszügen abgedrucktes Classicum Belli Sacri enthielt, jenes berüchtigte Werk, das den Kaiser zum Vernichtungskrieg gegen die Protestanten aufforderte. Hiermit wiederum brachte Camerarius in geschickter Weise in Zusammenhang das alttestamentliche Gotteswort, das Kaiser Ferdinand in seinem erbeuteten Schreiben an den spanischen Staatsrat Don Balthasar Zuñiga zitiert hatte: „Quia dimisisti virum dignum morte, erit anima tua pro anima illius“26. Die zweite Consideratio widmete sich ausschließlich dem Anliegen, an Hand tatsächlich nicht wenig kompromittierender Schreiben des Kardinals Ludovisi, des päpstlichen Nuntius in Deutschland Carafa, des Kaisers und des spanischen Gesandten in Wien, des Grafen Oñate, darzutun, daß der Papst mit aller Kraft an der Kurübertragung arbeite. Auf päpstliche Initiative gehe das Ganze zu einem guten Teil zurück. Wider alles Recht werde der Kurie gestattet, sich in die Verhältnisse des Reiches einzumischen. Da aber der Papst einer der Hauptanstifter der Übertragung der Kur von Friedrich V. auf Maximilian von Bayern sei, könne man leicht ermessen, daß die Vernichtung der Protestanten das eigentliche Ziel der ganzen Manipulation sei. Wenn man in Rom sich schon für ein weltliches Fürstentum so interessiere, was müßten da erst die protestantischen Inhaber der niedersächsischen Bistümer bald gewärtigen? Die Übertragung der Kur und die Vertreibung Friedrichs V. aus seinem Besitz, so legte Camerarius in der dritten Consideratio dar, sei längst beschlossene Sache gewesen, noch bevor der Pfalzgraf zum König von Böhmen erwählt worden sei. Die pfälzische Herrschaft in Böhmen sei also nicht der Anlaß des widerrechtlichen Vorgehens gegen Friedrich V. Sie diene vielmehr bloß zum Vorwand. Äußere doch der Kaiser Zuñiga gegenüber, er habe schon längst Maximilian die Kurwürde mündlich versprochen. Ein solches mündliches Versprechen aber könne nur bei dem Zusammentreffen Maximilians mit Ferdinand in München im Okto25

Cancellaria Hispanica … 1. Cancellaria Hispania … 3, 119. Es handelt sich bei dem Schreiben offenbar um ein lateinisches Exposé, das dem vorgängigen, italienischen Brief des Kaisers an Zuñiga vom 15. 10. 1621, Nr. 17 als Nr. 18 angefügt ist. Ein Datum fehlt bei dem Exposé. Trotzdem wurde seine Echtheit von den Kritikern nicht angezweifelt.

26

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ber 1619 erfolgt sein, da sich beide Fürsten seither nicht mehr gesehen hätten. Es war eine besonders kühne Behauptung. Denn zum einen war im Oktober 1619 Friedrich V. ja längst zum König von Böhmen gewählt. Zum andern kombinierte Camerarius zwei Briefe ineinander27. Im einen stand, der Kaiser habe das Versprechen mündlich geleistet, im anderen, er habe die Zusage schon vor längerer Zeit gegeben, woraus Camerarius machte, der Kaiser habe vor längerer Zeit mündlich die Übergabe der Kur Maximilian versprochen. Zudem stimmte die Briefnummer am Rand nicht28, so daß die Beweisführung der dritten Consideratio vielleicht zur schwächsten des ganzen Werkes wurde, was die Kritiker von Camerarius auch deutlich herausstellten29. Dafür gelang es ihm in der dritten Consideratio, sehr wirkungsvoll die Abhängigkeit der Hofburg von dem spanischen Gesandten Oñate herauszustellen. Die Vernichtung des Protestantismus – das also machte den hauptsächlichen Inhalt der drei ersten Considerationes aus – sei das hauptsächliche Ziel der katholischen Partei. Diesem Ziel diene auch das Streben, die Kaiserwürde im Hause Habsburg erb­ lich zu machen und für die Habsburger die absolute Weltherrschaft zu erringen, eine Absicht, die Camerarius den Gegnern in der vierten, fünften und sechsten Consideratio nachzuweisen suchte. Deutlich hob er dabei kränkende Äußerungen der katholischen Politiker über den Kurfürsten von Sachsen hervor und ging in der sechsten Consideratio – bezeichnenderweise verhältnismäßig spät – auch auf die Verletzungen des Reichsrechtes und der Wahlkapitulation ein, die der Kaiser durch die Ächtungen und die anderen Maßnahmen begangen habe. Im übrigen, heißt es anschließend im siebenten Abschnitt, vielleicht dem elegantesten des ganzen Werkes, werde das Erbkaisertum nicht eigentlich ein selbständiges deutsches sein, sondern gänzlich von Spanien abhängen30. Machten doch die wiedergegebenen Briefe es offensichtlich, daß der Kaiser in der böhmischen Frage vollkommen vom Madrider Hof abhängig gewesen sei. Auch in der Frage der Kurübertragung und der Inbesitznahme pfälzischen Territoriums durch Bayern habe sich Ferdinand an seinen spanischen Vetter gewandt. Allerdings sei dies erst geschehen, nachdem die Investitur Herzog Maximilian zugesagt gewesen sei. Erst dann – behaupteten einige „curiosi“ – habe man die Angelegenheit dem König von Spanien unterbreitet, um die spanische Unterstützung nicht zu verlieren. „Sic nempe ipse Rex Hispaniarum, quamvis inscius suis opibus et periculis Palatinatum Bavaro acquirere debet. Sed cur Pontifex Romanus huic illum malit accedere, quam Hispano, inquirant alij. An quia nimiam potentiam Hispani ipse Pontifex metuit“? Es waren, erinnert man sich an das Streben Spaniens, die Pfalz selbst in der Hand zu behalten, Sätze von einem vernichtenden Geschick, und die Eleganz verdient alle Achtung, mit der in knappster Form ein 27

Nr. 17 und 18 der Cancellaria Hispanica. Der Hinweis auf Nr. 17 fehlt. 29 S. Jakob Keller (Fabius Hercynianus), „Litura, seu, Castigatio, Cancellariae Hispanicae, a, Ludovico Camerario, Excancellario Bohemico, Exconsiliario, Heidelbergensi etc. instructae …, Brughouii MDCXXIII“, 50 ff. 30 Cancellaria Hispanica … 15 f. 28

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ganzes Bündel von Differenzen aufgezeigt wurde, die zwischen den katholischen Verbündeten bestanden. In der achten Consideratio wurden als Nebengründe für die Kurübertragung, die außer dem konfessionellen Anliegen, aber nur in zweiter Linie, eine Rolle spielten, genannt: der Wunsch der Habsburger, die gefährliche Nachbarschaft der pfälzischen Wittelsbacher in der Oberpfalz loszuwerden, ferner die Absicht, den Niederländern die pfälzische Hilfe zu entziehen und schließlich das Verlangen Ferdinands, seine verpfändeten Provinzen wieder einzulösen. Im neunten Abschnitt wurde beteuert, daß die Pfälzer keineswegs von Anfang an Widersacher der Habsburger gewesen seien. Im Gegensatz zu den übrigen Considerationes war dabei das Beweisverfahren durchaus defensiv, ebenso wie in Consideratio vierzehn, in der Camerarius jede Zusammenarbeit mit den Türken leugnete. Dabei ist bemerkenswert, wie hier ebensowenig wie an einer anderen Stelle der Versuch gemacht wird, den Nachweis der Differenzen innerhalb des katholischen Lagers dazu zu benützen, den Kaiser von aller Schuld zu entlasten. Während viele protestantischen Publizisten, vor allem während des NiedersächsischDänischen Krieges, immer wieder betonten, der Kaiser, der an sich gar nicht so schlimm sei, ja das beste wolle, werde nur von Spanien und seinen anderen Bundesgenossen zu seinen rechtswidrigen Maßnahmen verleitet, verzichtete Camerarius in der Cancellaria Hispanica sehr bezeichnenderweise auf diesen Gedankengang. Dazwischen liegen die wichtige Consideratio zehn, die den für die spätere Politik von Camerarius sehr bedeutsamen Nachweis versucht, daß die katholische Partei im Grunde weder Frieden noch Waffenstillstand, sondern einen großen Vernichtungskrieg wünsche, ein Gedanke, der in Abschnitt zwanzig noch einmal aufgenommen wird, sowie Consideratio elf bis dreizehn. Hier geht es darum, im Anschluß an die Argumentation des zehnten Abschnittes darzutun, daß die englische und sächsische Politik bei ihrem Vermittlungsstreben von der Hofburg getäuscht worden sei. Auch die neunzehnte und zwanzigste Consideratio sind diesem Nachweis gewidmet. Consideratio fünfzehn deutet in aller Schärfe auf die jesuitische Gefahr hin. Consideratio sechzehn stellt den guten Willen des Erzbischofs von Mainz in Zweifel und bezeichnet ihn und die anderen geistlichen Fürsten statt dessen als überaus schuldig am Krieg. Der siebzehnte Abschnitt schließlich wendet sich noch einmal an die Niederländer: Sobald die Pfalz erledigt sei, werde man mit aller Kraft daran gehen, die Vereinigten Provinzen der spanischen Herrschaft wieder zu unterwerfen. Die Cancellaria Hispanica erfuhr zwei Fortsetzungen. Die eine erschien 1624 und trug den Titel: „Der Römisch-Spanischen Cantzley Nachtrab: Sinceratio Sincerationum, Oder Unteutsche betrügliche Zweyzüngigkeit, Das ist Alt-newe Römisch Spanische Betrug und Sincerir-Kunst die Evangelischen zu betriegen und gar auszurotten, Anno miraculosissimo MDCXXIV“. Auf 111 Seiten wird hier in drei Kapiteln eine Art Sündenregister der katholischen Partei gegeben. Im ersten Kapitel sind die Verträge behandelt, durch die sich die Katholiken den Protestan-

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ten gegenüber verpflichtet hätten, ohne ihre Versprechen hinterher zu erfüllen. Im zweiten werden Aktenstücke vorgelegt, die wiederum zeigen sollen, wie wenig die katholische Partei ihre Zusagen eingehalten hätte. Das dritte Kapitel endlich erörtert „neueste katholische Sincerationes und trügerische Zweyzüngigkeiten“. Demgegenüber sollte die zweite Schrift, die sich an die Cancellaria Hispanica anschloß, die Loyalität Friedrichs V. ins rechte Licht stellen. „Der Römisch Spannischen Cantzley Appendix, Oder Königlich Böhmischer Friedenszug, Anno periculosissimo MDCXXV“, brachte auf 32 Seiten vier Briefe des Winterkönigs aus dem Jahr 1624 mit entsprechenden Interpretationen. Ob die beiden Veröffentlichungen ebenfalls von Camerarius stammen, hat Koser offen gelassen, und auch bei dem gegenwärtigen Forschungsstand läßt sich die Frage nicht entscheiden. Eindeutige Hinweise finden sich in den Briefen von Camerarius nicht. Auch inhaltlich-stilistische Vergleiche führen nicht zu klarem Ergebnis. Der Grundgedanke der Sinceratio Sincerationum, daß die Pfälzer von ihren katholischen Gegenspielern getäuscht worden seien und sich den geschlossenen Verträgen zufolge eigentlich eines Besseren hätten versehen können, entspricht vollkommen der damals für Camerarius charakteristischen Auffassung. Man kann es als einen Ausfluß seines in vieler Hinsicht so naiven Optimismus und seines mangelnden Sinnes für Realitäten betrachten, daß er in den ersten Kriegsjahren ernstlich der Ansicht war, von den Gegnern ungerechtfertigterweise hintergangen worden zu sein. Daß die Pfälzer selbst durch die böhmische Expedition den Anfang mit dem Umsturz der bestehenden Verhältnisse gemacht hatten, bestritt er nicht nur anderen gegenüber mit Eifer. Auch vor sich selbst ließ er es nie recht gelten. Dem entsprach es, daß er sich nicht nur, wie bereits deutlich wurde, von den Bayern in verletzender Weise düpiert fühlte, sondern allen Ernstes der Meinung war, Maximilian sei durch den Ulmer Vertrag von 1620 und andere Abmachungen verpflichtet gewesen, nichts gegen die Pfälzer zu unternehmen. Ebenso empfand er nicht bloß nach außen hin, sondern im tiefsten Herzen das Vorgehen des Kaisers als schweren Verstoß gegen die Reichsrechte. Zu dieser Auffassung aber bekannte sich die Sinceratio Sincerationum, die sich dem Nachweis der Vertragsbrüchigkeit der katholischen Partei widmete, ebenso wie „Der Römisch Spannischen Cantzley Appendix“, der es sich zur Aufgabe machte, darzutun, mit welcher Peinlichkeit demgegenüber der Winterkönig seine Verpflichtungen hielt und die Reichsverfassung respektierte. Ferner erinnert in beiden Schriften die interpretierende Methode an Camerarius. Doch treten andererseits gerade hier gewisse Unterschiede zutage. Die Editionsweise erscheint nicht so vollständig und nicht so geschickt. Auch zeigt der Stil der beiden Veröffentlichungen nicht die elegante Prägnanz, welche die Cancellaria Hispanica, die Literae interceptae und auch den Prodromus kennzeichnet31. 31

Nach allem ist immerhin als Möglichkeit zu erwägen, daß die Sinceratio Sincerationum und der Appendix im Auftrag und nach den Angaben von Camerarius sowie unter seiner Aufsicht von anderen verfaßt wurden. Für diese Hypothese spricht, daß Camerarius 1624 und 1625 als Leiter der pfälzischen Exilpolitik bereits wieder ganz mit den ihn an sich mehr als die Publizistik erfüllenden diplomatischen Aufgaben beschäftigt war, weshalb er 1623 wahrscheinlich auch die Arbeit am „Bericht und Antwort uff die … Capita … der Anhaltischen … Cantzeley“ an

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Derselbe Mangel haftet dem ebenfalls 1622, in der zweiten Jahreshälfte, wohl im Hochsommer, erschienenen „Achtsspiegel“ an, und doch steht bei dieser Schrift so gut wie eindeutig fest, daß sie von Camerarius stammt32. Auch bei der Sinceratio Sincerationum und dem Appendix kann also das stilistische Moment nicht den Ausschlag geben. Was das Ziel des Achtsspiegels war, sagt bereits der genaue Titel der Schrift: „AchtsSpiegel, Das ist:, Clare, helle demonstration und, außführung, darinnen gleichsam in einem Spiegel, die greifliche Nichtigkeit der partheylichen Achtserclärung wi,der Pfaltzgraven Friderichen Churfürsten gründlich, entdecket, gezeigt und an tag gestellet, wird, Zu vertröster continuation deß unlangsten außkommenen, Prodromi, und Nothwendiger abgedrungener Rettung Evangelischer, ho,hen und Nidern Stands personen, unschuld, Plessen abgab. Ferner ist zu berücksichtigen, daß ihm als Leiter der pfälzischen Exilregierung im Haag im Gegensatz zu seiner Agentenzeit in Bremen Hilfskräfte zur Verfügung standen. 32 S. u. a. Camerarius an Solms, Bremen 10. 6. 1622: „… und wird ietzo wieder ettwaz heimlich in diessen Landen gedrucket, nescio quo autore, ist auch nit nötig, daz mans wisse, schicke Euer Gnaden Ich hiebey die erste bogen, der Rest und mehr exemplaria sollen hernach volgen, wann Ich nur weis, wie viel man deren begerte, und ob die bezalung darfür in hagen geschehen sollte“. Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 188; Camerarius an Solms, Bremen 1. 7. 1622: „Der Achtsspiegel ist nunmehr ganz fertig, mit erster Gelegenheit will ich die übrigen Bogen und etliche Exemplare mitschicken. Man wird es sehr geheim halten müssen, woher es komme, will man anders des Autors vorhabende Sachen nicht verhindern. Zu dem größeren Werke“ (sc. „Bericht und Antwort uff die Anhaltische Canzley“) „hätte ich viele Berichte vonnöten“. Coll. Cam. Vol. 47, letzteres Zitat mitgeteilt in der Transskription von Söltl, a. a. O. III, 159; Camerarius an Rusdorf, Bremen 14. 10. 1622: „Te iterum rogo, ut si quae habes collectanea, quae ad augendum Cancellariam Hispanicam faciant, ea mecum communices. Mitto nunc libellum, de quo iudicium tuum expeto. Nescio, quis sit autor …“, Coll. Cam. Vol. 25; Gebauer, a. a. O. 73 f. Daß Camerarius sogar in diesen intimen Briefen seine Autorschaft nicht ausdrücklich zugab, muß nach allem wohl als Vorsichtsmaßregel gelten, um Solms und Rusdorf noch einmal an die Notwendigkeit strikter Geheimhaltung zu erinnern und sich ferner zu schützen, falls die Briefe in unrechte Hände fielen. Auch in den Schreiben, in denen er von der Cancellaria Hispanica, dem Prodromus und den Literae interceptae berichtete, suchte er seinen Namen als Autor so wenig wie möglich zu nennen. S. hierüber zum Beispiel Camerarius an Solms, Bremen 20. 2. 1622, Hamburg 25. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 162, 199. Auch legte er immer wieder allen, die von seiner Verfasserschaft wußten, höchste Verschwiegenheit ans Herz. S. zum Beispiel wiederum Camerarius an Solms, Hamburg 25. 3. 1622: „Die Cancellaria Hispanica, und der prodromus seind hie, me absente, distrahiert worden und under die Leutt kommen, Euer Gnaden hoffen sie sollen nutzen, daz gebe Gott, dann die Anhalltische Canzlei viel böses gewirkt hat. Ess wird aber in re tanti momenti gute circumspection gebraucht werden müssen, ne auctor periculum zu gewartten, und verhofft derselbe, König in Bemen werde auff alle fäll seiner trew eingedenk sein …“ Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 199. Außerdem sprechen folgende Umstände dafür, daß Camerarius der Autor des Achtsspiegels war, obwohl er seine Verfasserschaft selbst in vertraulicheren Briefen umging: Er nahm sich unmittelbar des Druckes an. Die einzelnen Bogen, sobald sie fertig gestellt waren, gingen an ihn. Er versandte die Schrift weiter, kümmerte sich um den Verkauf und bezeigte an ihrer Wirkung ein so starkes Interesse, wie er es nur bei eigenen Werken tat. Ferner ist zu bedenken, daß, soweit sich sehen läßt, außer Camerarius kein pfälzischer Parteigänger sich in der Nähe Bremens oder auch nur in Nordwestdeutschland befand, der zur Abfassung einer Schrift von der Art des Achtsspiegels fähig gewesen wäre. Eine Ausnahme machen höchstens die Altings in Emden. Doch ist auch ihre Autorschaft nicht wahrscheinlich.

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So dann, das Chur-Fürsten und Ständ des Reichs darinnen, sich bespiegelen mögen, in waß eusserste gefahr die so thewer erworbe,ne libertet jetzo gerathen sey.“ Darunter steht auf dem Titelblatt das Motto: „Jam proximus ardet Ucalegon“, und schließlich ist als Druckort Mannheim und als Erscheinungsjahr 1622 angegeben. Camerarius legte seinen Ausführungen den Text der Achtserklärung gegen Friedrich V. zugrunde. Genau wie in den vorangegangenen Schriften der Wortlaut der erbeuteten Briefe wurde im Achtsspiegel derjenige der Ächtung vollständig gebracht. Doch geschah im Gegensatz zu den bisherigen Veröffentlichungen die Wiedergabe nicht in einem Zug mit vorangestelltem Kommentar. Vielmehr folgte auf jeden Satz der kaiserlichen Verlautbarung sogleich die Erwiderung von Camerarius. Auf eine vorgängige Generalinterpretation verzichtete er diesmal. Dafür sind die den Schluß der Schrift bildenden Beilagen sehr viel umfänglicher als in der Cancellaria Hispanica. Dort handelte es sich nur um einige Seiten aus Schoppes Classicum Belli Sacri. Im Achtsspiegel hingegen machen die Beilagen 60 Druckseiten aus. Sie beginnen mit einem „Extract ex actis des zu Augspurg gehaltenen Reichstags im jahr 1548. das Königreich Böhmen betreffend“33. Dem folgt das ominöse Gutachten Erzherzog Maximilians aus dem Jahr 1616 über die Nachfolge Erzherzog Ferdinands in Böhmen und im Reich, das Camerarius schon Anlaß zu der Gesandtschaftsreise nach Prag von 1617 gegeben hatte34. Die Wahlkapitulation Ferdinands II. schließt sich an, die auch bereits in der Cancellaria Hispanica steht35. Bei den übrigen Beilagen handelt es sich vornehmlich um Briefe, die der Kaiser und die katholischen Kurfürsten sowie ihre Ratgeber im Jahr 1620 wechselten. Der Hauptteil des Achtsspiegels, der deutsche Wortlaut der Achtserklärung mit der Satz für Satz erfolgenden Widerlegung von Camerarius – ebenfalls in deutscher Sprache – zieht sich über 159 Seiten hin. Wie es kaum anders sein kann, wirkt bei dieser gedehnten und zerpflückenden Interpretationsweise das Ganze etwas schleppend und langatmig. Wenn die Cancellaria Hispanica höchste Beachtung fand, beruhte dies in nicht geringem Maß darauf, daß Camerarius in knapper Form, auf 44 Seiten, seine kühnen Thesen dem Leser in massivster Weise vor Augen stellte. Mit der Radikalität der Gedankengänge verband sich die für die Verhältnisse des 17. Jahrhunderts bemerkenswerte Kürze der Fassung als wichtiges Wirkungsmoment. Daß Camerarius in der Cancellaria Hispanica nicht nur zufällig zu einer besonderen Prägnanz der Formulierung gelangte, sondern sich durchaus reflektiv dessen bewußt war, wie sehr die Lesbarkeit und der Effekt hierdurch gesteigert wurden, zeigt unter anderem einer seiner Briefe an Solms, in dem es im Hinblick auf ein in Württemberg erschienenes „scriptum“ heißt: „Weyl es kurtz, werden es viel gerne lesen, und dörffte Seinen nutzen haben“36. 33

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Achtsspiegel … 160 f. Achtsspiegel … 162–168; s. ferner Kap. IV. Achtsspiegel … 168–185, Cancellaria Hispanica … 45–66. Bremen, 24. 10. 1622, Coll. Cam. Vol. 47.

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Trotzdem wich Camerarius im Achtsspiegel vom Gebot der Kürze ab. Der Grund hierfür lag einmal wohl darin, daß auch ihm nicht immer der Schwung und die Knappheit gelangen, die ihm in der Cancellaria Hispanica und ihren beiden Vorläufern geglückt waren. Erforderte diese Darstellungsform doch bei der im 17. Jahrhundert gängigen Weitschweifigkeit ein Höchstmaß stilistischer Leistung, wie es sich auch von Könnern wie Camerarius nur schwer erreichen ließ. Ferner gestaltete er im Achtsspiegel möglicherweise bewußt seine Ausführungen ein wenig langatmiger, sei es, weil er auch andere Geschmacksrichtungen befriedigen wollte, sei es aus anderen Motiven. Schließlich ist zu sagen, daß an sich schon die Thematik der Schrift eine etwas umständlichere Darstellungsweise nötig machte. Der Nachweis, daß die Acht ungerechtfertigt sei und gegen die Reichsverfassung verstoße, ließ sich kaum in der Kürze führen, in der die Considerationes der Cancellaria Hispanica abgefaßt waren. Erforderte der juristische Stil der Zeit doch eine außerordentliche Weitläufigkeit. Auf eine juristische, eine staatsrechtliche Begründung aber kam es Camerarius im Achtsspiegel allem Anschein nach in erster Linie an. Auch hierbei scheint es, daß er manche Leseransprüche befriedigen wollte, die er in der Cancellaria Hispanica, den Literae interceptae und dem Prodromus nicht in dem Maß berücksichtigt hatte. So kommt es, daß alles in allem der Achtsspiegel weniger charakteristisch für Camerarius ist, als es sich von den drei erstgenannten Schriften sagen läßt. Allerdings wurde – wir sahen es gerade – die Haltung von Camerarius während der ersten Kriegsjahre in starkem Maß von dem Gefühl gekennzeichnet, die Rechte der pfälzischen Partei seien aufs schwerste verletzt worden. Andererseits aber war für ihn typisch das absolute Vorherrschen der Ansicht, daß in erster Linie die bedrohte Religion zu retten sei, eine Meinung, mit der sich in den drei ersten Schriften des Jahres 1622 eine durchaus offensive Beweisführung verband. Im Achtsspiegel dagegen machte Camerarius zwar auch keinen Hehl daraus, daß er den Glauben für aufs äußerste gefährdet hielt und daß ihm weitausholende Maßnahmen zum Schutz der Religion als das wichtigste erschienen. Im Mittelpunkt der Darlegungen aber stand nicht so sehr wie in der Cancellaria Hispanica das Bemühen, die Gefährlichkeit der gegnerischen Machenschaften an sich darzutun, als ganz speziell die bei der Achtserklärung geschehenen Rechtsverletzungen nachzuweisen. Damit hängt es zusammen, daß in ungleich stärkerem Maß als in den bisherigen Veröffentlichungen neben die Vorstellung der bedrohten Religion die der gefährdeten Libertät trat, ja daß die Erörterung des Anliegens der reichsständischen Freiheit in das Zentrum rückte. Da es sich um eine juristische Explikation handelte, die dem Nachweis dienen sollte, daß die Ächtung des Pfalzgrafen ein schwerer staatsrechtlicher Verstoß sei, war es ferner nur natürlich, daß die Argumentation um vieles defensiver ausfiel als in der Cancellaria Hispanica. Hiermit wiederum, mit der vergleichsweise defensiven Beweisführung ebenso wie mit dem Vorherrschen rein staatsrechtlicher Gedankengänge und der starken Hervorhebung der gefährdeten Libertät hängt es, wie schon angedeutet, zusammen, daß sich der Achtsspiegel weniger von den gängigen Flugschriften

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der Zeit abhebt, als die Cancellaria Hispanica, die Literae interceptae und der Prodromus es tun. Freilich tritt trotzdem die besondere Geistigkeit von Camerarius deutlich zutage. Dies ist sowohl in stilistischer wie in inhaltlicher Hinsicht der Fall. Im letzteren Bereich springt unter anderem wieder die sehr großzügige Auslegung des Libertätsbegriffes in die Augen. Genau wie in dem Gutachten von 1602 über die Möglichkeit von Appellationen, in dem uns die politische Gesinnung von Camerarius zum ersten Mal in aller Deutlichkeit entgegentrat37, findet sich dementsprechend auch im Achtsspiegel in bemerkenswerter Konsequenz die Ansicht vom Vertragsverhältnis zwischen Kaiser und Kurfürsten entwickelt: An das Votum der in erster Linie von den Kurfürsten vertretenen Reichsstände habe sich der Kaiser in allen wichtigen Fragen zu halten. Das Kurkolleg sei oberster Träger der Souveränität38. Ferner zögerte Camerarius auch im Achtsspiegel nicht, in seinem Streben nach Religionsschutz und Libertät gelegentlich bis zu einer Haltung zu gehen, die geradezu als reichsfremd bezeichnet werden konnte39, was er allerdings in weitgehendem Maß dadurch geschickt verdeckte, daß er seinerseits den Habsburgern – wie in der Cancellaria Hispanica – vorwarf, die Erblichkeit der Kaiserwürde zu erstreben40. In stilistischer Hinsicht läßt sich, obwohl im Großen die Anlage der Schrift, wie gesagt, ein wenig weitläufig ist, im Einzelnen, zum Beispiel beim Satzbau, wiederum eine verhältnismäßige Präzision bemerken, durch die sich Camerarius im Lateinischen wie im Deutschen auszeichnete. Welche publizistische Produktivität er 1622 entfaltete, zeigt sich daran, daß er außer den Literae interceptae, dem Prodromus, der Cancellaria Hispanica und dem Achtsspiegel im gleichen Jahr höchstwahrscheinlich noch eine fünfte Schrift herausbrachte, das „Mysterium iniquitatis“41. In lateinischer Sprache erwi37

S. Kap. III. S. u. a. Achtsspiegel … 109 ff., 123 ff. 39 Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang unter anderem auf sein Bemühen, Böhmen als nur möglichst lose mit dem Reichsverband verknüpft darzustellen, eine These, die freilich bis zu einem gewissen Grad den Tatsachen entsprach. S. z. B. Achtsspiegel … 116 ff., 160 ff. 40 Achtsspiegel … 16 ff. u. ö. Das drohende Erbkaisertum beschäftigte Camerarius so, daß er 1622 mit dem Gedanken ernstlich umging, sich damit in einer eigenen Flugschrift zu befassen, den Plan aber schließlich offenbar doch nicht ausführte. Er wollte dabei wieder auf interpretierende Weise verfahren, wozu ihm Gelegenheit geboten hätte das längere Gutachten eines Kanonikus oder kaiserlichen Rates, in dessen Besitz er gelangt war. In diesem Memorandum wurde der Vorschlag gemacht und die Berechtigung des Planes begründet, die höchste Würde des Reichs beim Hause Habsburg erblich zu machen. S. Camerarius an Solms, Bremen 24. 10. 1622, Coll. Cam. Vol. 47; Camerarius an Christian von Anhalt, Bremen 13. 10., 2. 11. 1622 mit beigelegtem Gutachten, Christian von Anhalt an Camerarius, Flensburg ohne Datum (Spätherbst 1622) mit „Gedanken“ des Fürsten „zu katholischem Discurs über die Erbkaiserwürde“, LSA, A 9a, 184. Aus dem Brief an Anhalt vom 13. 10. 1622 geht übrigens ferner hervor, daß Camerarius schon früher einmal die Idee gehabt, aber dann wieder fallen gelassen hatte. Schon früher hatte er Christian von Anhalt und Friedrich V. gegenüber geäußert, es sei möglich und vielleicht nützlich, in einer Flugschrift darauf hinzuweisen, daß die Hofburg nach der Erblichkeit der Kaiserwürde strebe. 41 Mysterium iniquitatis eiusque vera apocalypsis siue secreta secretorum turco-papistica secreta, contra libellum famosum, cui ipsa calumnia titulum praefigit: Secreta Caluino-Turcica, auctore, qui se falso Theonestum Cogmandolum nominat xcv considerationibus comprehensa et 38

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derte Camerarius hier auf die 1621 erschienene, wie die Cancellaria Hispanica in Considerationes eingeteilte Schrift „Secreta Secretorum“, die es sich vor allem zum Ziel gesetzt hatte, die Verbindungen zwischen Heidelberg und der Pforte aufzuzeigen. Im Titel knüpfte Camerarius dabei – ein interessantes Zeichen, welchen Einfluß die hugenottische Publizistik auf ihn ausübte – an DuplessisMornays 1611 erschienenes „Mysterium iniquitatis sive historia papatus“ an. Des Camerarius Mysterium iniquitatis kam nach dem Achtsspiegel heraus, da derselbe häufig zitiert wird. Schon Bayle und Placcius haben Camerarius für den Autor des Mysterium iniquitatis angesehen42. Seine Briefe bestätigen diese Annahme43. Das Mysterium unterschied sich in seiner Thematik insofern grundsätzlich von den vier anderen Camerarius-Schriften des Jahres 1622, als es bereits eine direkte Erwiderung auf eine der gegnerischen Publikationen darstellt, eine der Widerlegungen, wie sie im Kanzleienstreit von protestantischer wie katholischer Seite mehrfach unternommen wurden, nachdem beide Parteien ihre ersten Angriffe ausgeführt hatten. War es nach Ansicht der pfälzischen Publizistik bereits notwendig, auf die Secreta Secretorum zu antworten, so stellte sich ihr als noch um vieles dringlicher eine Replik auf die Anhaltische Kanzlei dar, da dieses Werk ja noch weit größeres Aufsehen erregt hatte. So meinte der Unionspfennigmeister Friedrich von Berg: „Eine ausbündige Feder muß sich dahinter machen und das Gegenteil glossieren“44. Wie Berg dachten offenbar auch die anderen Mitglieder der pfälzischen Partei, einschließlich Camerarius, dem die Notwendigkeit einer Widerlegung ebenfalls vollkommen einleuchtete. Als aber Solms ihm antrug, die Aufgabe zu übernehmen, wehrte er sich zunächst heftig gegen eine solche Arbeit45. Mit seiner allgemeinen Abneigung dagegen, im Federkrieg selbst allzu aktiv zu werden, dürfte sich die richtige Einsicht verbunden haben, daß eine Antwort auf die Anhaltische Kanzlei zu verfassen sehr viel weniger reizvoll war, als in der Cancellaria Hispanica und ihren beiden Vorläufern, ohne im Einzelnen auf die gegnerischen Anschuldigungen einzugehen, mit frischem Schwung eigene Angriffe gegen das katholische Lager vorzutragen. War doch bei einer Widerlegung zunächst eine neuerliche, bei den großen Aktenverlusten sehr mühevolle Materialsammlung nötig. Ferner mußte

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totidem eiusdem inconsideratissimis fragmentis opposita … Vindice libertatis Germanicae Justino Justo Justinopolitano Acta et reuisa in Cancellaria Hispanica omnia et cum Originalibus collata, Justinopole anno Domini MDCXXII“. Bayle … a. a. O. unter Keller; Placcius … a. a. O. 405. Placcius beruft sich auf den Juristen Methobius. Camerarius an Solms, Bremen 25. 11. 1622, Coll. Cam. Vol. 47; Camerarius an Rusdorf, Haag 30. 6. 1623, 16. 5. 1625, Coll. Cam. Vol. 25. Hurter, a. a. O. VIII, 607. Camerarius an Solms, 12. 9., 15. 9. 1621, Coll. Cam. Vol. 47. In dem Brief vom 12. 9. sträubte sich Camerarius dagegen, die Widerlegung selbst zu übernehmen, und auch drei Tage später betonte er zwar die Notwendigkeit einer Erwiderung, sagte aber mit keinem Wort, daß er selbst dazu bereit sei. Es ist auch möglich, daß der 12. 9. das Datum alten Stils ausdrückt, daß es nach neuem Stil also 22. 9. heißen muß. Dann wäre anzunehmen, daß Camerarius zunächst am 15. ganz allgemein äußerte, eine Erwiderung sei förderlich, sich am 22. jedoch dagegen aussprach, dieselbe selbst zu verfassen.

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bei dem zum Teil außerordentlich kompromittierenden Charakter der erbeuteten Briefe eine Stellungnahme zu den Vorwürfen, oder gar ihre Entkräftung von vornherein als schwierig gelten. Schließlich war es auch in darstellerischer Hinsicht nicht eben erfreulich, sich an die Gedankengänge der Anhaltischen Kanzlei gekettet zu sehen. Soweit ging auch bei Camerarius die Vorliebe für die interpretierende Methode nicht. Zu guter Letzt aber fand er sich doch bereit, die „Antwort“ zu übernehmen. Am 31. Mai 1622 schrieb er an Solms im Hinblick auf die Anhaltische Kanzlei: „… und“ wenn ich „auch von anderen hülff hette, So sollte dieselbe wol refutirt, und also viel nutzen geschafft werden, dann dasselbe Buch“ (sc. die Anhaltische Kanzlei) „in his oris großen schaden gethan“46. Am 21. Juni 1622 bat er dann, Solms möge veranlassen, daß ihm von den verschiedenen beteiligten pfälzischen Räten Stellungnahmen zu den sie persönlich betreffenden Beschuldigungen zugesandt würden47, und machte sich ernstlich an die Arbeit. Dieselbe zog sich bis ins Jahr 1623 hin. 1623 aber gelang die Vollendung. Es erschien der nun schon zwei Jahre fällige „Bericht und Antwort uff, die vornembste Capita, Päß, und Puncten der Bayer-, Anhaltischen Cantzeley“. Daran schloß sich 1624 ein zweiter und 1625 ein dritter Teil an. Daß diese beiden letzteren Publikationen nicht mehr von Camerarius und auch nicht, wie zeitweise angenommen wurde, von Rusdorf, sondern von Plessen stammen, ist heute ziemlich unbestritten. Weniger geklärt ist, wer als Autor des ersten Teiles der Antwort von 1623 zu betrachten ist. Die publizistischen Gegner der Pfälzer sahen anfangs in Camerarius den Verfasser, und derselben Ansicht ist Koser. Hält man hingegen alle auf die „Antwort“ bezüglichen Stellen in den Briefen von Camerarius zusammen, so kommt man eher zu dem allerdings nicht eindeutigen Ergebnis, daß Camerarius zwar einen guten Teil der Arbeit leistete, das Vorbereitete aber dann an Plessen abgab, als er Ende 1622 in den Haag zurückkehrte und wenige Monate später die Leitung der pfälzischen Exilpolitik übernahm48. Damit stimmt überein, daß Camerarius in seiner Apologia für die „Antwort“ seine Verfasserschaft sehr viel energischer leugnete, als für die fünf Schriften des Jahres 162249, und daß die Münchner Publizisten später auch ihrerseits Plessen als Autor bezeichneten50. Schließlich weist, so wenig eindeutig auch solche stilistischen Vergleiche sind, bereits der erste Teil der „Antwort“ viele Ähnlichkeiten mit der Plessen eigentümlichen Darstellungsweise auf. Daß aber ein Unterschied zwischen der Diktion von Plessen und der von Camerarius bestand, machen die übrigen Schriften der 46

Camerarius an Solms, Bremen 31. 5. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 188. Coll. Cam. Vol. 47. 48 S. u. a. Camerarius an Christian von Anhalt, Haag 28. 7. 1623: „Monsieur Plessen … ist sehr erfreuwet, daz auff daz überschickte scriptum Fürst Christian Seine hochverständige gedanken communicirn will. Bittet sehr darumb, weyl secunda pars noch volgen solle“, 1. 10. 1623: „Monsieur Plessen treget noch ein großes verlangen nach Fürst Christians observationibus in die Anhaltische Cantzley …“ LSA, A 9a, 184. Auffällig ist auch, daß Camerarius von der „Antwort“ seltener und mit weniger Wärme spricht als von seinen anderen Publikationen. 49 Apologia … 36. 50 „Volradts von Plessen, weilandt Chur-Pfaltz gewesenen geheimben Rhats Rittersprunck …“ 1625 … 3. 47

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beiden pfälzischen Räte deutlich. Zwar waren sich Camerarius und Plessen wie in ihrer Gesinnung auch in ihrer Ausdrucksweise in vielem ähnlich. Die Flugschriften zeigen deutlich, wie stark auch Plessen von den Gedankengängen Christians von Anhalt beeinflußt war und wie nahe er in seinem politischen Denken Camerarius stand. Andererseits aber ist offensichtlich, daß der pfälzischen Publizistik die originelle Kraft und der besondere Schwung zu einem guten Teil verloren gingen, als Plessen 1623 die Führung des Federkrieges an Stelle von Camerarius übernahm. Plessens Flugschriften sind langatmiger und schwerfälliger in der Disposition. Sie entbehren der von Camerarius aufgebrachten stilistischen Präzision und Kürze, die vor allem die pfälzischen Veröffentlichungen so wirksam machte. Plessen wagt und vermag es nicht, mit gleicher Kühnheit und gleichem Reichtum der Einfälle wie Camerarius die Konsequenzen aus seinen Beweisen zu ziehen. Auch im Persönlichen zeigt er sich ängstlicher, wenn er im Gegensatz zu Camerarius beständig in ausführlicher Weise die gegen ihn persönlich ergangenen Anschuldigungen zurückweist und sehr weitschweifig darzulegen sucht, er habe an dem böhmischen Unternehmen keinen oder doch wenigstens keinen maßgebenden Anteil genommen51. Dafür hat Plessen mit Camerarius die für die pfälzische Publizistik im Dreißigjährigen Kriege so charakteristische vornehme Zurückhaltung von allen Pöbeleien gemeinsam. Es kann kein Zweifel bestehen, daß die besonderen Erfolge, welche die pfälzische Publizistik zu verzeichnen hatte, Camerarius und nicht Plessen zu danken waren. Dies offenbart sich schon darin, daß die von Camerarius verfaßten Schriften, vor allem die Cancellaria Hispanica, die Literae interceptae und der Prodromus es waren, die vor allem Verbreitung und Beachtung fanden. Sie wirkten, soweit sich sehen läßt, im Grunde auch sehr viel mehr als die Schriften Rusdorfs, die den Gedankengängen und der Stilistik von Camerarius im übrigen wesensverwandter waren als die Ausführungen Plessens. Doch so tüchtig sich Rusdorf wie als Politiker auch als Publizist zeigte, war die Ausprägung der Momente, die der pfälzischen Publizistik ihre eigentliche Bedeutung verliehen, die sie auf Jahrzehnte Schule machen ließen und ihr einen wichtigen Anteil an der ideologischen Unterbauung des Kampfes gaben, doch in erster Linie Camerarius zuzuschreiben. Er war es, der vor den anderen die zum Stil der Buntbücher hin tendierende besondere Darstellungsweise wesentlich vervollkommnete. Er verlieh den Schriften 51

Zum Beispiel Bericht und Antwort 66 f.: „An diesem orth ist auch dieses zuerinnern, dass der Compilator den von Plessen pag. 202 alss einen der vornembsten Rathgeber, antreiber, und werckzeuge in der Böhmischen sachen, item pag. 24 in secundo membro, als wenn Er neben dem D. Camerario und anderen ihrer viel in die Union hette einbäckeln helffen, aus schreyen und graviren thut, Daruff ist die antwort, dass der von Plessen nie keine direction gehabt sich auch nie zu einem antreiber dargestellet, Inmassen Er auch nie weder mit den Böhmischen Ständen, noch mit Saphoyen zu tractiren gebraucht worden ist auch nicht mit der Herrschafft nach Waltsachsen noch nach Prag noch in Mähren und Schlesien zur huldigung gezogen, sondern uff sein unterthenigstes anzuchen den selben gantzen Winter über biss in den Majum anno 1620 zu Heydelberg gelassen, und damahls allererst nach Prag erfordert worden. Welches nicht der meinung erzehlet wird, als wenn man die jenigen, so in Böhmen oder mit dero Herrschaft gezogen, dadurch graviren wolte, aldieweil dieselben, wie droben aussgeführet worden, sich wol werden zu verantworten wissen.“

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ihre hohe Eleganz und Präzision. Er erhob das religiöse Moment in einer Weise zum dominierenden Faktor, wie es bisher noch nicht geschehen war. Er stellte schließlich die Idee des Vernichtungskrieges mit gesteigerter Konsequenz heraus. „Es ist zum Erbarmen, daß solche Dinge auskommen“, schrieb im Hinblick auf die Cancellaria Hispanica der am Wiener Hof so einflußreiche Graf von Hohenzollern an den Kaiser52. Er sprach damit die in der kaiserlich-ligistischen Partei herrschende Ansicht aus. Man fühlte sich allem Anschein nach nicht weniger bloßgestellt als die Pfälzer durch die Anhaltische Kanzlei. Daß etwas gegen die Cancellaria Hispanica zu geschehen habe, war deshalb an den katholischen Residenzen die weitverbreitete Ansicht. Sie wurde noch dadurch verstärkt, daß man offenbar sehr rasch herausbekam, wer der Verfasser der Cancellaria Hispanica und ihrer beiden Vorläufer war. Eine Erwiderung eventuell persönlicher Art lag deshalb nahe, ja sie konnte vom Standpunkt des ligistisch-habsburgischen Interesses aus in vielem zweifellos als das Gegebene gelten. Bezweifelt muß hingegen werden, ob die Form, in welcher die Attacke – wieder von München aus – erfolgte, den bayrisch-ligistischen und darüber hinaus den habsburgischen sowie den päpstlichen Interessen nützlich war. Die bayrische Publizistik hatte bisher große Resultate zu verzeichnen gehabt und ebenso wie die pfälzische Außerordentliches geleistet. Kein Zweifel kann an der Güte und Wirksamkeit der Anhaltischen Kanzlei und der anderen etwa gleichzeitigen ligistischen Veröffentlichungen bestehen. Alles in allem scheint es, daß sich Ende 1622 die publizistischen Erfolge der Pfälzer und der Bayern etwa die Waage hielten. Stellten wir fest, daß Camerarius seine Aufgabe mit vielem Geist löste, so kann Ähnliches von Jocher, Leucker und den anderen bisher tätigen bayrischen Publizisten gesagt werden. Auch im Federkrieg erwiesen sich Camerarius und Jocher als annähernd ebenbürtig, wobei im einzelnen zu sagen ist, daß Camerarius vielleicht Jocher als Stilist eben so weit übertraf, wie er ihm als Realpolitiker nachstand. Mit der Erwiderung auf die Cancellaria Hispanica jedoch verlor die bayrische Publizistik deutlich an Niveau. Sie degradierte sich zu einer niedrigeren Stufe. Auf ihr konnte sie bei den Kreisen von in Politik und Wissenschaft einflußreichen Persönlichkeiten, für welche die Kanzleien eigentlich berechnet waren, schwerlich mehr die ursprüngliche Wirkung erzielen, dafür aber mit gesteigertem Effekt bei breiteren Schichten rechnen. Der niveaumäßige Abstieg der bayrischen Publizistik hing damit zusammen, daß der Federkrieg für die Münchner Politiker an Interesse verlor, nachdem Maximilian 1623 die Kurwürde erhalten hatte. Sie gaben deshalb die Aufgabe, Camerarius zu antworten, an Jakob Keller ab, den langjährigen Rektor des Münchner Jesuitenkollegs. An sich, sollte man meinen, wäre die Fortführung des Federkrieges bei einem Jesuiten in den besten Händen gewesen. Sind die bedeutenden Leistungen des Ordens auf dem Gebiet der Publizistik doch bekannt. Auch ist nicht zu leugnen, daß Keller in vieler Hinsicht höchst scharfsinnig argumentierte und viele schwache Punkte in den Ausführungen von Camerarius herausfand. 52

Hurter … a. a. O. IX, 160, Anm. 39.

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Gleichzeitig aber offenbarte er bald, daß er persönlich nicht über die Gaben zu einer geistvollen Auseinandersetzung verfügte, Fähigkeiten, durch die sich andere Mitglieder seines Ordens so sehr auszeichneten. Vielmehr repräsentierte Keller in extremer Weise den Typ der bramarbasierenden und grobschlächtigen theologischen Streiter, an denen das 17. Jahrhundert auf protestantischer wie katholischer Seite reich war. Er ersetzte den Esprit, der eigentlich nötig gewesen wäre, um wahrhaft vernichtend zu wirken, durch eine pöbelhafte Angriffsweise. Sie sollte sarkastisch sein und Camerarius lächerlich machen. An einigen Stellen erreichte sie auch tatsächlich ihr Ziel. Oft aber erschienen Kellers Ausführungen anstatt witzig und überzeugend nur gewöhnlich. Die Argumente waren häufig so derb, gemein und gleichzeitig töricht, daß es Camerarius nicht schwer fiel, sie zu entkräften53. Im Herbst 1623 – Camerarius befand sich bereits wieder seit fast einem Jahr im Haag und leitete seit einigen Monaten die Exilpolitik – erschien in lateinischer Sprache Kellers erste Schrift, die sich gegen ihn richtete, die Antwort auf die Cancellaria Hispanica: „Litura, seu, Castigatio, Cancellariae Hispanicae, a, Ludovico Camerario, Excancellario Bohemico, Exconsiliario, Heidelbergensi etc. instructae., Auctore, Fabio Hercyniano, J. C., Caluinistarum non possunt mille liturae, Emendare libros, una litura potest., Brugghovii, Typis Victoris Haußreich, MDCXXIII“. Fabius Hercynianus war ein Deckname, der auf Kellers Herkunft aus dem Schwarzwald anspielte. Seinen wirklichen Namen deutete er durch das darunter stehende J. C. an, was nicht, wie gewöhnlich, als Juris Consultus, sondern als Jakob Celler aufzulösen ist. 267 Seiten umfaßt Kellers Erwiderung, die in der Form eines Gespräches zwischen Camerarius und Fabius-Keller erfolgt. Camerarius trägt dabei satz- und abschnittsweise die Cancellaria Hispanica vor, und Keller widerlegt die Äußerungen Zug um Zug. Zu Beginn läßt er Camerarius sich dem Leser vorstellen und legt ihm unter anderem die folgenden Sätze in den Mund54: „Ludovicus Camerarius Lectori: Salutem dico, quam ipse non habeo; adeo in hac acerba fortuna humanitatis memor, ut mecum perire neminem velim: sine me omnes, qui sine me esse volunt, quales Papistae sunt, procul dubio iustam virtutem nondum adepti, quod mihi similes, factiosos homines, tolerare nesciant, materiam virtutis. Ego, mi Lector, quod iam nosti, Consiliarius Palatini Principis fui, eloquentia et ingenij gloria inter meos ferox; operam primam dedi, ut Princeps meus maior fieret, ne minor ego manerem, humilium enim est loco intra fortunam suam stare; maior indoles altiora spectat: et audendum omnino illi est, qui nobilitari cupit …“. „Sed non solus Princeps meus spectaculo Mortalibus prodit, prodeo et ego in theatrum ignominiae, relegatique personam sustineo imparem meis humeris, quibus splendidum honorem destinabam, mitius pondus …“. „Fidelem inde primo arbitrare, quod Dominum in Bohemiam iter suscipientem sequutus sim, eo fine, ut si ille regni diademate insigniretur, ego Vice Cancellarius fierem …“. 53

S. hierüber im einzelnen Koser, a. a. O. Litura … 1 ff.

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„Cautus fui, cum fugam Pragensem suasi, ne Dominus et seruus post pugnam Victori praeda staremus …“. „Secretus fui, cum domi arma suasi et foris pacem venditaui …“. Im eigentlichen Zwiegespräch wurde Keller dann noch massiver. Der Hohn der Einleitung verwandelte sich an einigen Stellen in den Ton, mit dem etwa ein Richter des 17. Jahrhunderts mit einem überführten Kriminalverbrecher sprechen mochte. So heißt es einmal, für diese Äußerung verdiene Camerarius, auf der Stirn gezeichnet zu werden55 und an einer anderen Stelle, in der deutschen Übersetzung „O unverschambte Goschen!“56. Ebenso wurden die sachlichen Anwürfe noch heftiger. Sie gingen im Zwiegespräch der Litura bereits so weit, anzudeuten, Camerarius sei der Sproß eines Prädikanten, wobei die Formulierung so vorgenommen war, daß man vermuten konnte, es handele sich um eine uneheliche Herkunft57. Was Camerarius schon immer befürchtet hatte, trat somit bereits 1623 gleich in besonders verletzender Weise ein: Er wurde zum Gegenstand heftigster persönlicher Angriffe, die weit über das hinausgingen, was die Anhaltische Kanzlei enthielt. Es erhob sich nun die Frage, wie er sich verhalten sollte. Er entschloß sich, nicht ano- oder pseudonym, sondern unter seinem vollen Namen eine Apologie zu veröffentlichen. 1624 erschien sie im Druck: „Ludouici Joachimi F. Joachimi N., Camerarii, J. C., Consiliarii, Archipalatini, Apologia, contra personati cuiusdam Fabii Hercyniani, J. C. aliorumque in se publice sparsas calumnias, Anno MDCXXIV“. Es war einer der in der Publizistik des Dreißigjährigen Krieges ganz seltenen Fälle, daß ein Autor das Visier öffnete und unter seinem wahren Namen kämpfte58. Die Art der Angriffe, die gegen ihn erfolgt waren, ließ Camerarius kaum eine andere Wahl59. Sehr viel mehr in seinem Belieben stand dagegen der Ton, den er in seiner Apologia anschlug, und die Form, die er wählte. Hierin liegt vor allem die Bedeutung der Schrift für die Weiterentwicklung der pfäl55

Litura … bei der Widerlegung von Consideratio VI. Litura … bei der Entgegnung auf Consideratio IX. 57 Wie massiv übrigens auch Camerarius trotz der ihn sonst kennzeichnenden Zurückhaltung werden konnte, zeigt die Bemerkung, die er in seiner Apologia dazu machte: „Quod si ad Romanensium morem respexit, quo Sacerdotibus ex concubinis liberos tollere licet, eo atrocior est in me Fabii injuria“. 58 Über die Analogie, die hierin zwischen Camerarius und Mansfeld bestand, s. F. H. Schubert, Die pfälzische Exilregierung, in diesem Band, 536 f. Mit Mansfeld, gegen den Camerarius ohnehin so viel einzuwenden hatte, gab es übrigens wegen der Briefbeute, auf der die Cancellaria Hispanica basierte, langwierige und höchst unerfreuliche Auseinandersetzungen. Die Schreiben waren von Truppen Mansfelds erbeutet worden. Dieser hatte sie abschriftlich der pfälzischen Regierung zur Verfügung gestellt, vermied es aber beharrlich, auch die Originale auszuliefern, obwohl Camerarius immer wieder darauf drang. Da er lange Zeit die Originale nicht vorweisen konnte, mußte Camerarius es deshalb erleben, daß die Glaubwürdigkeit seiner Publikationen am Niedersächsischen Kreistag in Frage gezogen wurde. Erst später, spätestens 1625, erhielten die Pfälzer die Originalschreiben von Mansfeld ausgeliefert, wie sich aus Vosbergens Verbaal, a. a. O. 43, ergibt. 59 Camerarius beschränkte den Kampf unter seinem eigenen Namen sorgfältig auf seine Erwiderung gegen die Anwürfe Kellers. Die Verfasserschaft der Cancellaria Hispanica und seiner anderen Flugschriften stellte er in der Apologia in Abrede. 56

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zischen Publizistik, daß Camerarius nicht auf das Niveau Kellers hinunterstieg, sondern sich seinerseits nach wie vor aller persönlichen Anpöbelungen enthielt. Indem er auch in seiner Apologia sich die Vornehmheit des Tones wahrte, machte er jene schon in der Cancellaria Hispanica zu beobachtende Distinguiertheit und persönliche Mäßigung endgültig zu einem beherrschenden Kennzeichen seines Wirkens als politischer Schriftsteller. Darüber hinaus beeinflußte er mit dieser Haltung den Stil der weiteren Verlautbarungen, die von pfälzischer Seite erfolgten. Schließlich erreichte er mit seinem Verzicht auf alle persönlichen Insultationen, daß wenigstens in den Kreisen, auf die es ihm ankam, seine Apologia wahrscheinlich vorteilhaft von Kellers Schmähungen abstach. Wichtig für die Wirkung der Verteidigungsschrift war es ferner, daß es ihm noch einmal wie in der Cancellaria Hispanica gelang, mit geradezu klassischer Kürze und Eleganz seine Gedanken zu formulieren. Den 267 Seiten der Litura stand die Apologia mit nur 38 gegenüber. Die Vornehmheit und Eleganz des Ausdrucks erleichterten es Camerarius, seinen oft von der Wahrheit ein gutes Stück abweichenden Argumenten den Anschein nüchternster juristischer Sachlichkeit zu geben. Vornehmlich drei Gesichtspunkte waren es, die seine Rechtfertigungsschrift beherrschten: Er verbreitete sich ausführlich über seine Religiosität und den Geist sowie die Bedeutung seiner Familie. Diesen Teil der Apologia baute er zu einer für seine Gesinnung höchst bezeichnenden Verteidigung des Kryptocalvinismus aus, wovon in anderem Zusammenhang bereits die Rede war und worauf später noch des Weiteren einzugehen sein wird. Camerarius stritt ferner ab, daß er mehr als andere Räte Anteil an der böhmischen Expedition genommen habe. Gleichzeitig betonte er die Friedfertigkeit der pfälzischen Politik und seiner persönlichen Absichten. Er suchte schließlich die Gegner von der Annahme abzulenken, daß er der Verfasser der wichtigsten pfälzischen Flugschriften sei. Da Camerarius es mit gutem Grund vermied, auf den Ton der Kellerschen Anschuldigungen einzugehen, lag es bis zu einem gewissen Grad in der Natur der Sache, daß er seinerseits auch alle Formen von Witz und Ironie in weitgehendem Maß vermied. Doch kann der tiefe, ja geradezu bebende Ernst, der die Apologia durchzieht, darüber hinaus wohl auch als Ausdruck eines Wesenszuges von Camerarius gelten. Es erscheint berechtigt, hierin die Auffassung des Humanisten jener für die Camerarii charakteristischen didaktischen und unsatirischen Prägung zu erblicken, der stets auf dem Kothurn seiner Würde einherschritt und dem nichts so verdrießlich war, als wenn sein Ansehen geschmälert wurde. Dementsprechend fiel auch die Reprimande aus, die Keller dafür erhielt, daß er nicht wisse, wer Joachim (I) Camerarius war: „… sed fere affirmare ausim, vere eruditum non esse, qui ignoret quis Camerarius fuerit“60. Die Wirkung der Apologia war allem Anschein nach günstig. Camerarius konnte mit dem Ergebnis zufrieden sein61. Andererseits freilich brachte die 60

Apologia. S. u. a. Rusdorf an Camerarius, London 14. 9. 1624, Coll. Cam. Vol. 25, A. Pawell an Camerarius, 14. 10. 1624, Coll. Cam. Vol. 23; Koser, a. a. O. Dahingestellt muß bleiben, ob von Plessen oder auch ebenfalls von Camerarius die Flugschrift stammt: „In Lituram, Siue Castigationem,

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Schrift den Nachteil, daß Keller durch sie zu zwei weiteren Veröffentlichungen veranlaßt wurde, dem „Rhabarbarum“ und dem „Tubus Gallilaeanus“, die beide 1625 erschienen62. Der zweiten waren unter der Überschrift „Ludovici Camerarii Epistolae aliquot selectae“ Briefe von Camerarius an Christian von Anhalt, Grün und andere beigefügt, welche die Ligisten offenbar 1622 in Heidelberg erbeutet hatten. Sie stammten vor allem aus den Jahren 1619 und 1620 und waren zum Teil für Camerarius überaus kompromittierend. Sehr deutlich äußerte er sich in ihnen zum Beispiel über die Unfähigkeit der neutralen Protestanten, vor allem des Kurfürsten von Sachsen. In peinlich helles Licht traten auch seine kriegerischen Tendenzen und seine gewagten Bündnisplanungen. Der Kommentar aber, den Keller nur durch kurze Stichworte am Rand lieferte, war geschickt und treffend, so daß der bloßstellende Charakter der Schreiben zu voller Geltung gelangte und manches von dem, was Camerarius in seiner Apologia behauptet hatte, als besonders fraglich erscheinen mußte63. Im übrigen freilich war vor allem das Rhabarbarum und in zweiter Linie der Tubus fast noch unflätiger und taktloser formuliert als die Litura. Wie schon die Titel der beiden Schriften zeigen, sind indezente Metaphern häufig. Ferner verband Keller mit der uns bereits aus der Litura her bekannten höhnischbramarbasierenden Art Beschuldigungen, die fast noch weiter ins Persönliche gingen und dadurch takt- und belangloser, aber auch verletzender wurden als in der Litura, so wenn er im Rhabarbarum die intimsten Motive des Ehrgeizes von Camerarius aufzuhellen suchte und dabei an Hand privater Aufzeichnungen, die in Heidelberg erbeutet worden waren, alle Einkünfte und Ausgaben von Camerarius erörterte64. Kellers Bemühen geht dabei dahin, neben der verbrecherischen calvinischen Weltanschauung Camerarius einen haltlosen Ehrgeiz nachzuweisen, der ihn ohne alle Rücksicht auf bestehendes Recht nach den höchsten Ehren streben lasse65. Daß die publizistische Bedeutung Kellers nicht groß war und seine Anschuldigungen alle nur zum Teil stimmten, ist offensichtlich. Ebenso liegt es auf der Hand, daß in vielem die Art der Beweisführung nicht nur geschmacklos, son-

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Cancellariae Hispanicae, Editam sub nomine Fabij Hercyniani, Observationes et Ani, madversationes, Praefatiunculae inserta est brevis admonicio de novo, artificio Bavarorum, qui memoriale quoddam Baronis de Tschernemmel, sub titulo Protocolli Heidelbergensis, Consiliariis Palatinis mala fide ascribunt, Anno MDCXXIV“. „Rhabarbarum, Domandae, Bili, Quam In Apologia, Sua Proritavit, Ludovicus Camerarius, propinatum, A, Fabio Hercyniano., J. C., Anno MDCXXV“; „Tubus, Gallilaeanus, Hebescentibus, Ludovici Camera,rii Oculis, In Litura Hispanicae, Cancellariae male aduertentibus, ad clarius, videndum tornatus, a, Fabio Hercyniano., Additis In Fine Testimonii, causa et pro Tubo, et pro Rhabarbaro, ipsius Camerarii epistolis., Anno MDCXXV.“ Beide Schriften kamen auch deutsch heraus. Auch bei Keller hatte übrigens die Editionsweise von Camerarius Schule gemacht. Die Briefe sind vollständig wiedergegeben, und neben dem deutschen Text steht jeweils die lateinische Übersetzung. Rhabarbarum … 21 ff. u. ö.; s. a. Kap. III. Vor allem nach der Nobilitierung trachtete Camerarius nach Kellers Ausführungen. Keller stellte, um den Wunsch nach Erhebung in den Adelsstand bei Camerarius erst wirklich plausibel zu machen, dessen Abkunft als so niedrig wie möglich dar.

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dern auch ohne Bedeutung war und deshalb ihr Ziel verfehlte. Gleichwohl sollte vielleicht das oft überaus scharfe Urteil über Keller um eine Spur gemäßigt werden. Denn zum einen ist es auffällig, wie er trotz aller Grobheiten und Unrichtigkeiten manche Wesenszüge von Camerarius immerhin klar erkannte und sie nur entstellt wiedergab. So erfaßte er vollkommen richtig die Ängstlichkeit seines Gegners, ferner das etwas Haltlose seines idealistischen Schwungs, sowie die abenteuerlichen Momente seiner Zielsetzung. Schließlich entwickelte Keller einen wachen Sinn für manche Charakteristika der betont konfessionellen Politik philippistisch-calvinischer Prägung, die Camerarius vertrat. Hinsichtlich der Darstellungsweise aber ist zu sagen, daß die Fabeleien des Rhabarbarum zwar sicher nicht nur die Pfälzer abstießen, daß aber andererseits der Tubus in vielen Partien ein nicht unbeachtliches stilistisches Geschick verriet. Von den treffenden Briefmarginalien war schon die Rede. Doch auch die Beweisführung ging präziser und glatter von statten als in der Litura. So unflätig und verfehlt Rhabarbarum und Tubus also auch in vielem waren, hatten sie in anderer Hinsicht trotzdem das Zeug dazu, eine gewisse Wirkung zu tun, die allerdings infolge Kellers publizistischer Fehler stets beschränkt bleiben mußte. Wie es aber auch mit der Bedeutung der Angriffe stehen mochte, war es von Camerarius wohl in jedem Fall das Klügste, was sich tun ließ, daß er jede Antwort verschmähte. Er erreichte damit zumindest, daß auch Keller weitere Angriffe gegen ihn unterließ. Hierzu wurde Keller außerdem dadurch bewogen, daß die Pfälzer 1626 endlich herausbekamen, wer es war, der sich hinter dem Fabius Hercynianus verbarg. Vorher dagegen hatten sie nur gewußt, daß der Autor zum Kreis der Münchner Publizisten gehörte66. Wenn Camerarius schwieg, konnte er sich zudem sagen, daß die Pöbeleien Kellers bei den Einsichtigen für sich selbst sprachen. Freilich war er sich andererseits im klaren darüber und bekam es in den folgenden Jahren immer wieder zu spüren, daß auch auf seinen Fall das „semper aliquid haeret“ zutraf.

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S. Koser, a. a. O. 78.

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V I . Kap itel

Die dänische Gesandtschaft Hatte Camerarius in der Cancellaria Hispanica, dem Prodromus und den Literae interceptae besondere Rücksicht auf die norddeutschen Reichsstände genommen, so erhielt er bereits Anfang 1622, kaum daß er seine publizistischen Hauptwerke abgeschlossen hatte, Gelegenheit, auf einer neuerlichen Gesandtschaftsreise wieder direkten diplomatischen Kontakt mit den niedersächsischen Kreismitgliedern aufzunehmen und diesmal auch bis zu dem mächtigsten Kreisstand, dem König von Dänemark, zu gelangen. Als zwischen dem 22. Februar und 25. März 1622 Prodromus und Cancellaria Hispanica im Buchhandel erschienen, befand er sich bereits auf der Reise. Seit mindestens 1621 ist bei Camerarius das Streben zu beobachten, in der Umgebung des Winterkönigs und damit in der Zentrale der pfälzischen Regierung zu verharren und von hier aus möglichst maßgeblichen Einfluß auf die Gesamtheit der in Friedrichs V. Namen betriebenen Politik auszuüben. Die Neigung, Gesandtschaften zu übernehmen, die ihn auf längere Zeit vom Zentrum der Regierung entfernten, nimmt dagegen deutlich bei ihm ab. Dementsprechend läßt sich annehmen, daß er lieber im Haag geblieben wäre, als eine Gesandtschaft auszuführen, bei der es von vornherein feststand, daß sie ihn mindestens auf mehrere Monate von den Niederlanden fern halten würde. Denn der pfälzische Gesandte sollte nach der ursprünglichen Absicht offenbar auf die Weise im Niedersächsischen Kreis wirken, daß er von Kreisstand zu Kreisstand reiste und wohl auf längere Zeit als pfälzischer Vertreter sich in Norddeutschland aufhielt. Obwohl sich keine Äußerung von Camerarius hierüber erhalten hat, ist es also sehr wohl denkbar, daß seine Absendung eine persönliche Niederlage für ihn bedeutete oder daß sie ihm doch zumindest nicht allzu lieb war. Höchst erfreulich ist sie hingegen für den Historiker. Denn alle Eigenarten von Camerarius traten bei dieser Gesandtschaft besonders deutlich hervor. Sie kann deshalb für sein ganzes Wirken als im höchsten Maße typisch gelten, so daß es die Mühe verlohnt, seinem Auftreten in Kopenhagen größere Aufmerksamkeit zu schenken als anderen Ereignissen seines Lebens. Um so mehr ist ein längeres Verweilen bei seiner Mission nach Dänemark und Niedersachsen am Platze, als sich hier nicht nur die schon früher für seine Tätigkeit maßgebenden Wesenszüge besonders markant ausprägten, sondern gleichzeitig durch die Begegnung mit König Christian IV. von Dänemark seine Politik auf Jahre hinaus in entscheidender Weise beeinflußt, ja bestimmt wurde. Schließlich fanden in Kopenhagen die in seinen Flugschriften entwickelten kühnen Gedanken über die Fortsetzung des Krieges ein erstes Mal auch in seiner praktischen Diplomatie Ausdruck.

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Die Reise des Jahres 1622 trug noch ganz den Charakter einer Sondergesandtschaft, wie sie auch zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch üblich waren, als es nur wenige ständige diplomatische Vertretungen gab1. Sie fügt sich vollkommen dem Stil der Missionen ein, von denen des Camerarius bisheriges Leben erfüllt war, und gewährt dem Historiker noch einmal alle die methodischen Vorteile, welche die für die Geschichte der Diplomatie bis ins 17. Jahrhundert charakteristischen Sondergesandtschaften gegenüber den ständigen Vertretungen späterer Epochen auszeichnen. Probleme, deren Erledigung Monate in Anspruch nahm, sobald sich ein Gesandter einmal fest an einem fremden Hof niedergelassen hatte, mußten bei Sondermissionen oft in wenigen Tagen gelöst werden. Die Akten solcher Gesandtschaften bieten deshalb in gedrängter, verhältnismäßig übersichtlicher Form wesentliche Inhalte. Es ist eines der letzten Male, daß wir im Leben von Camerarius dieses Vorteils teilhaftig werden. Denn die Umstände brachten es mit sich, daß er sich von 1623 an fast ohne Unterbrechung im Haag festgehalten sah. Erst hatte er hier die pfälzische Exilregierung zu leiten. Dann erhielt er den schwedischen Residentenund Botschafterposten und wurde damit einer der wenigen ständigen Gesandten, die es im damaligen Europa bereits gab. In dieser Hinsicht ist des Camerarius Erscheinung mithin hochmodern, so altväterisch sie auch sonst anmutet. Die Phase in der pfälzischen Bündnispolitik des 17. Jahrhunderts, in der ein vornehmlich auf dynastischen Gedankengängen beruhendes Zusammengehen mit England und Dänemark im Vordergrund stand, nahm in den ersten Monaten des Jahres 1621 einen erfolgversprechenden Anfang. Der Wiederbeginn des Krieges mit Spanien ließ die Generalstaaten an einer Koalition ebenso interessiert sein wie an der Erhaltung der Kriegsmacht des Winterkönigs. Auch König Jakob war von den Erfolgen der katholischen Mächte beeindruckt und äußerte kriegerische Absichten. Verhältnismäßig leicht gelang es den englischen und niederländischen Bemühungen, auch Christian IV. von Dänemark für die bedrängte pfälzische Sache zu erwärmen. Das erste Hindernis, das beseitigt werden mußte, war die wirtschaftliche Rivalität zwischen dem Königreich und den Niederlanden. Durch die Verhandlungen, die der dänische Reichskanzler Ulfeldt Mitte Mai im Haag führte, wurde sie wenigstens soweit nötig abgeschwächt. Als zweites mußte ein persönliches Verhältnis zwischen dem Pfalzgrafen und Christian IV. hergestellt werden, da bisher noch kaum Beziehungen zwischen Dänemark und der Pfalz bestanden. Streng lutherisch und eng verwandt mit den albertinischen Wettinern hatte sich der dänische Hof seit Jahrzehnten den calvinistischen Wittelsbachern gegenüber eher ablehnend verhalten. Bei Christian IV. fiel hierbei zudem noch ein überaus entwickeltes legitimistisch-monarchisches Gefühl ins Gewicht. Nichts war ihm so verhaßt wie Widerstand gegen die Obrigkeit im Innern seines Landes, wo er mit den adligen Reichsständen in dauernder Fehde 1

„Instruktion wass der gestrenge Ludwig Cammermeister, genannt Camerarius, der Königlichen Majestät zu Beheimb geheimbder Rhat etc. bey dem Könige zu Dennemarck etc. crafft Ihme zugestellten Creditifs anbringen undt verrichten soll, Gravenhagen 2. 2. 1622“, BGStA Mü. K. bl. 122/3b. Teile der Instruktion sind in Paraphrase wiedergegeben bei Söltl, a. a. O. III, 137 ff. Hier auch Auszüge aus des Camerarius Reiseberichten.

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lag, ebenso wie außerhalb. Hier schwiegen vor seinem Legitimismus sogar die konfessionellen Gefühle. Noch erinnerte man sich im Haag gut daran, daß der König einmal einer niederländischen Gesandtschaft gesagt hatte, er kenne keine Generalstaaten, ihm sei nur ein rechtmäßiger Herr der Provinzen bekannt, und das sei der König von Spanien2. Das pfälzische Vorgehen in Böhmen verurteilte König Christian unter diesem Gesichtspunkt aufs schärfste. Trotzdem gelang es den Überredungskünsten des niederländischen Diplomaten Gaspar van Vosbergen, Christian zu einer Zusammenkunft mit dem Winterkönig zu vermögen. Ende Februar 1621 fand sie in dem holsteinischen Segeberg statt. In seiner derben Art hielt Christian zwar hier mit Vorwürfen nicht zurück. „Wer ihm geraten, daß er sollte Könige verjagen und Königreiche einnehmen wollen“, fragte er Friedrich. „Hätten es seine Räte getan, hätten sie gehandelt wie Schelme.“ Auch weshalb der Bildersturm in Prag zugelassen worden sei, wollte er wissen, und auf die Antwort, ein jeder richte sein Haus so ein, wie es ihm gefalle, bemerkte er, das sei eben die Frage, ob Böhmen als das Haus des Pfalzgrafen gelten könne3. Doch nachdem er seinem Herzen Luft gemacht hatte, ließ er es an Hilfsbereitschaft nicht fehlen. Schon im Vorjahr hatte er seinem englischen Schwager 200 000 Taler geliehen und ausdrücklich sein Einverständnis damit erklärt, daß die Summe zum Schutz der Pfalz verwendet werde. Jetzt gewährte er weitere 100 000 Taler und stellte außerdem ein Kontingent von 6000 Mann ins Feld, das mit den Truppen Englands und der Union zusammen operieren sollte. Gleichzeitig schickte er eine Gesandtschaft nach Wien, deren drohende Sprache nichts zu wünschen übrig ließ, als sie beim Kaiser auf Beilegung des Konfliktes drängte4 . Da löste sich im April 1621 die Union auf, und König Jakob begann plötzlich wieder, zu schwanken. Neuerdings schien ihm friedliches Verhandeln besser als kriegerisches Dazwischentreten. So stark war plötzlich sein Friedenswunsch, daß er Christian sogar Vorwürfe machte, die von ihm aufgestellten Truppen seien seiner Aussöhnungspolitik nur hinderlich. Kein Wunder, daß der dänische König voller Verstimmung seine Absichten auf bewaffnete Hilfe zunächst wieder fallen ließ und von Neuem größere Zurückhaltung beobachtete! Mehr als drei Jahre sollten vergehen, bis England seine friedfertige Haltung aufgab und seit Ende 1624 Dänemark gegenüber das Entgegenkommen zeigte, das nötig war, um dieses zu tatkräftigem Eingreifen zu vermögen. Doch auch die Zeit, die zwischen der ersten dänischen Bewaffnung im Frühjahr 1621 und dem Beginn der englisch-dänischen Verhandlungen über die Kriegsallianz lag, war von stetigen Versuchen erfüllt, König Christian für Hilfsleistungen an den Winterkönig zu gewinnen. Besonders bis zum Ende des Jahres 1622, solange noch Hoffnung auf eine Verteidigung der Pfalz bestand, fand die pfälzische und niederländische Staatskunst immer neue Vorstöße nach Kopenhagen für gut. In diesen zweiten Abschnitt der pfälzisch-dänischen Beziehungen griff auch Camerarius aktiv ein. 1621 hatte er an den Verhandlungen noch 2

Slange-Schlegel, a. a. O. II, 88. Bericht eines Augenzeugen, SLA, Locat 9194, „Drittes Buch Kriegswesen in der Unterpfalz betreffend“ 76. 4 S. K. A. Müller, Fünf Bücher vom Böhmischen Kriege, 469. 3

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keinen unmittelbaren Anteil genommen. In Segeberg war er zu seinem Ärger nicht zugegen gewesen5, weil er in Unkenntnis der Reiseroute des Winterkönigs Hamburg verlassen hatte, wenige Tage bevor Friedrich V. dort eintraf. In den folgenden Monaten aber hatten ihn die Unionsgeschäfte wieder ganz in Anspruch genommen. Kam er also durch Zufall erst im Frühjahr 1622 in unmittelbare Berührung mit Dänemark, so hatte er doch allem Anschein nach nicht weniger als die übrigen pfälzischen Räte das Bündnis seit Kriegsbeginn befürwortet und auf seine Vorteile gebaut. Wohl stand Camerarius bereits seit Anfang 1620 in Beziehung zu Schweden6. Gleichwohl hielt er auch 1622 noch, solange der Krieg in Polen andauerte, schwedische Hilfe für sehr unwahrscheinlich. Nur die einmal bestehenden guten Beziehungen zum Haus Wasa wollte er für bessere Gelegenheiten erhalten. Noch übte die Persönlichkeit Gustav Adolfs auch nicht ihren faszinierenden Einfluß auf ihn aus. Noch zwang ihn ferner nicht das Bewußtsein, daß andere Möglichkeiten für ihn nicht bestanden, zur unbedingten Anhängerschaft an Schweden. Voller Hoffnung blickte vielmehr auch er nach dem Segeberger Treffen in erster Linie auf König Christian. Auch als Christian im Mai 1621 von einem sofortigen Eingreifen Abstand nahm, fuhr Camerarius fort, zu Gesandtschaften nach Kopenhagen zu mahnen, und zeigte damit, daß er weiterhin ernstlich mit einem dänischen Bündnis rechnete und nicht nur aus vager Propaganda in seinen Flugschriften auf Christian IV. anspielte. Selbst als dieser im August 1621 Achaz von Dohna unter Hinweis auf Englands wetterwendisches Verhalten jede Hilfe abgeschlagen hatte, hielt Camerarius an seiner Hoffnung fest. In einer ausführlichen Denkschrift, die er Anfang November 1621 gemeinsam mit Solms verfaßte, trat er noch einmal für fortgesetztes Werben um dänische Hilfe ein7. Fast scheint es so, als habe er im Winter von 1621 auf 22 diesen Gedanken unter den pfälzischen Räten mit besonderer Beharrlichkeit vertreten. Hatte er doch nicht selbst miterlebt, unter welchen Vorbehalten Christian IV. in Segeberg den Pfälzern bei aller Hilfsbereitschaft entgegen getreten war. Mußte doch auch ihm, der damals den Krieg noch rasch beenden und deshalb in engerem Rahmen halten wollte und selbst erst allmählich aus dem Gebiet der Reichspolitik in das der europäischen hinüberwuchs, eine Annäherung an den dänischen König, der als Herzog von Schleswig und Holstein Reichsfürst war und seine Söhne auf deutsche Bischofssitze bringen wollte, besonders aussichtsreich scheinen. Es entspricht dieser Auffassung ebenso wie den Gedanken, die er als Publizist geäußert hatte, wenn er Dänemark und den Niedersächsischen Kreis mit Vorliebe in einem Atem nannte und ein gemeinsames diplomatisches wie militärisches Vorgehen beider wünschte, obwohl er bereits ein Jahr zuvor, bei seiner ersten Reise nach Norddeutschland, die Gegensätze kennen gelernt hatte, die zwischen Christian und den niedersächsischen Ständen vorhanden waren. Camerarius konnte in Kopenhagen auf dassel5

Camerarius an Solms, Heidelberg, 22. 3. 1621, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 133. S. Kap. X. 7 Des Herrn Großhoffmeisters undt Camerarii underthänigst Guttachten, Haag, 6. 11. 1621, BGStA Mü. K. bl. 122/3b. 6

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be Verständnis für alle Reichsangelegenheiten rechnen wie in jeder deutschen Residenz und sah sich doch hier Hilfsmitteln gegenüber, welche die der übrigen evangelischen Reichsstände um ein Beträchtliches überstiegen. Diese Mittel aber waren nicht nur im Vergleich mit denen anderer deutscher Fürsten ganz außerordentliche, sondern standen auch im übrigen evangelischen Europa einzig da. Nicht bloß wer von den deutschen Verhältnissen ausging wie Camerarius, richtete daher sein Augenmerk auf Dänemark. Was für ein Landsmann es auch sein mochte, jeder, der Kräfte gegen die katholischen Staaten mobilisieren wollte, wurde von der Macht und dem Reichtum Dänemarks angezogen. Von den Toren Hamburgs bis nach Spitzbergen und von Helgoland über Südschweden bis Gotland reichte die Befehlsgewalt Christians IV. Der Weite des Gebietes entsprachen die Einkünfte vollkommen. Die Sundabgabe galt als einer der ergiebigsten Zölle im damaligen Europa. Man wird in der Annahme nicht fehl gehen, daß um 1621 die Einnahmen Christians IV. die Gustav Adolfs von Schweden weit übertrafen und auch etwas höher als die des englischen Königs waren. Lediglich die Niederlande verfügten unter den protestantischen Mächten über noch größere Mittel. Als würdig eines solchen Reiches mußte sein Herr erscheinen. Die gute Meinung ist bekannt, die die europäische Diplomatie in ihrer Mehrzahl bis zum Beginn des Niedersächsisch-Dänischen Krieges von Christians Fähigkeiten hatte. Waren es doch schöne Erfolge, auf die der König zu Beginn der zwanziger Jahre zurückblicken konnte. Im Innern hatte er sich als guter Volkswirt bewährt. Seine außenpolitischen Wünsche schienen in Norddeutschland in Erfüllung zu gehen, und im Norden hatte er einen siegreichen Feldzug gegen Schweden geführt. Im Kalmarkrieg war der um siebzehn Jahre jüngere Gustav Adolf von ihm niedergezwungen worden. Nur die wenigsten erkannten 1622 schon Christians Schwächen, die sein Lebenswerk schließlich zum Scheitern brachten. Sieggekrönt und ebenso reich an Mitteln wie an Erfahrungen, stand er für die meisten neben dem jungen Wasa, dessen Armut höchstens noch von der Zweifelhaftigkeit seiner Herrschaftsrechte übertroffen wurde. Wer immer für die evangelische Sache aus dem Norden Hilfe erwartete, mußte zunächst an Dänemark denken, bevor sich seine Blicke weiter nach Schweden richten konnten. Alle jene Diplomaten, denen die Bewahrung des deutschen Protestantismus zuzuschreiben ist, sind diesen Weg gegangen. Die einen fanden an Dänemark ihr Genügen. Die anderen wandten sich weiter nach Schweden. Doch fast alle Wege nach Stockholm führten über Kopenhagen. Auch des Camerarius Entwicklung folgte dieser Bahn. Hierin aber liegt das Einmalige an seiner Rolle in der evangelischen Diplomatie, daß bei ihm eine sehr viel kürzere Zeit als bei der Mehrzahl der Staatsmänner nötig war, bis die Entscheidung zugunsten Schwedens fiel. Etwa am 5. Februar 1622 brach Camerarius vom Haag auf8, über Amsterdam, Stavern und die zugefrorene Zuidersee nahm er den Weg auf Groningen und gelangte von hier am 13. über die Eisfläche des Dollart nach Emden, wo 8

Das Datum post hoc ist der 2. 2. (s. Instruktion), das Datum ante hoc des Camerarius erster Reisebrief an Solms, den er am 8. Februar in Stavern schrieb, s. Coll. Cam. Vol. 47.

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ihn Verhandlungen mit dem Drucker seiner „Cancellaria“ und einfallendes Tauwetter drei Tage festhielten, bis er über Oldenburg nach Bremen weiterreisen konnte. Seine eigentlichen diplomatischen Geschäfte begannen hier dank dem Entgegenkommen der calvinistischen Stadt in so aussichtsreicher Weise, daß er eilig nach Hamburg und Lübeck weiterreiste, ohne erst fürstliche Residenzen zu berühren. Seine Hoffnungen erwiesen sich jedoch als grundlos. Enttäuscht trat er nach dem 3. März von Lübeck aus die Weiterfahrt an9. Zwischen Bremen und Hamburg hatte er Schwierigkeiten, unbehelligt zwischen kaiserlichen Reitertrupps durchzukommen, die die Gegend unsicher machten10. Auch hinter Lübeck konnte er unerkannt beim Hofmeister des jungen Herzogs Adolf von Holstein tafeln, der eben in kaiserliche Dienste getreten war, und sich die Meinung des Herrn über den Winterkönig und seine Räte anhören11. Schon der Übergang über die Elbe war schwierig gewesen. Als letzten hatten ihn Schiffer in einem Schlitten über das bereits brüchige Eis gezogen. Ein Bote aus Köln kam am nächsten Tag schon nicht mehr hinüber12. Noch gewagter war die Überfahrt über den Belt bei Sturm und hohem Eisgang. Mehrere Tage mußte er warten, bis sie bewerkstelligt werden konnte. Schließlich überwand er aber auch dieses Hindernis ohne Unfall13, so daß er alles in allem für damalige Verhältnisse nicht einmal schlecht reiste. Ein boshafter Zufall war es freilich immerhin, daß Camerarius in den ersten Kriegsjahren alle seine Reisen im Winter unternehmen mußte. Von der Flucht aus Schlesien und der anschließenden Fahrt quer durch Norddeutschland im Winter von 1620 auf 1621 war schon die Rede. Jetzt reiste er wiederum in Schnee und Eis, diesmal nach Kopenhagen, um sich dann im März bei anhaltendem Frühlingsregen nach Bremen zurückzuwenden. Während der guten Jahreszeit hielten ihn die Geschäfte in der Hansestadt fest. Erst im Dezember konnte er nach dem Haag zurückkehren. Auch im nächsten Winter sah er sich zum Reisen genötigt. Bis nach Stockholm ging im Spätherbst und beginnenden Winter 1623 die Fahrt. Ebenso fiel die zweite Reise, die Camerarius in seinem Leben nach Schweden unternahm, in die kalten Monate. Sie fand zwei Jahre später, im Winter von 1625 auf 1626 statt. Die Beschwerlichkeiten solcher Gesandtschaften kann jeder ermessen, der die damaligen Verkehrsverhältnisse mit dem Umstand zusammenhält, daß Camerarius 1620 und 1622 die Elbe bei Hamburg im Schlitten überqueren konnte. Auch solche Zufälligkeiten wie die Reisetermine trugen dazu bei, daß Camerarius den Gegensatz zu den sonnigen Heidelberger Tagen besonders empfand, und daß die düstere Exilstimmung in ihm wuchs. Die erste Unterredung, die Camerarius auf Seeland hatte, scheint günstig verlaufen zu sein. Er sprach bei dem schon erwähnten Reichskanzler Baron Jakob 9

Camerarius an Solms, Emden 15. 2., Bremen 20. 2., Hamburg 28. 2. und 2. 3. Lübeck 3. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 161, 162, 209, 207, 210. 10 Camerarius an Solms, Hamburg 27. 2. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 163. 11 Camerarius an Solms, Kopenhagen 19. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 206. 12 Ebenda. 13 Ebenda.

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Ulfeldt vor und sah sich hier freundlich empfangen14. Der weitgereiste dänische Staatsmann, der Konstantinopel, Rhodos, Jerusalem, Kairo und Madrid gesehen hatte – des Camerarius eigene Reisen treten dem gegenüber in den Schatten –, war schon in Segeberg im Februar 1621 und drei Monate später im Haag mit dem pfälzischen Kreis in Berührung gekommen, wenn auch nicht mit Camerarius selbst. Obwohl ein Glied der Reichsratsaristokratie, die den Frieden wünschte, war Ulfeldt doch Zeit seines Lebens um einen Ausgleich zwischen König und Adel bemüht und vertrat Christians Politik während des ganzen NiedersächsischDänischen Krieges als königlicher Kanzler. Mit Recht sahen Beobachter wie der englische Gesandte Anstruther in ihm eine der Hauptstützen, die der Plan einer evangelischen Allianz im dänischen Reichsrat hatte. Auch sonst galt der Kanzler als Freund Englands und der Niederlande, der 1625 ohne Sträuben eine neuerliche Mission nach Holland übernahm und als dänischer Vertreter beim Haager Konzert das Kriegsbündnis abschloß. Gut möglich also, daß Ulfeldt nicht mit tauben Ohren Camerarius zuhörte. Mußte die Überredungskunst des pfälzischen Gesandten doch zudem bei einem so hochgebildeten Mann wie Ulfeldt, der selbst als Tacituskommentator hervorgetreten war und in seinen Schlössern eine erlesene, auch heute noch sehenswerte Bibliothek zusammengetragen hatte, in jedem Falle auf Verständnis stoßen. Freundlich gab er Camerarius über den Geschäftsgang am dänischen Hof Aufschluß und verstand sich wohl auch zu einigen Hinweisen auf die Stimmung in Kopenhagen. Es war dasselbe zurückhaltende Entgegenkommen, das er ihm dreieinhalb Jahre später beim Haager Konzert erzeigte. So hatte neben Siegfried von Pogwisch, den Grafen Rantzau und vor allem dem dänischen Agenten Johann Zobel auch Ulfeldt seinen Teil daran, daß Camerarius in den folgenden Jahren seinen Tadel lediglich gegen den dänischen König selbst richtete, dessen Räte aber nie mit angriff, sehr im Unterschied von seinem Verhalten gegenüber den englischen Staatsmännern. Bezweifelt muß jedoch werden, ob Ulfeldt ihn bewußt aufmunterte, die Lage in Kopenhagen möglichst optimistisch darzustellen, wie Camerarius es dem Winterkönig gegenüber anzudeuten versuchte, um sein eigenmächtiges Abweichen von der Instruktion zu rechtfertigen. „Ich hab bey Dennemark die Proposition etwas anders formirt als in der Instruktion begriffen“, berichtete Camerarius an Friedrich V., „weil ich unterwegs vom Dennemärckischen Cantzler und andern vornehmen Leuten, welche Euer Königlichen Majestät wohl affectioniert verstanden, daz man sich damit nach Dennemarcks humorn accomodiren und sonderlich das periculum nicht zu groß machen müßte, wie ich dann im Werck gespühret, daz man die Spanische und der Ligisten Macht fast für groß hält und da man die exaggerirt, der Muth dadurch mehr geschwächt als incitiert wird“15. Das vorsichtige „verstanden“ gibt zu denken. Man wird es besser dahin auslegen, daß Camerarius sich Ulfeldts Worte in seinem Sinn zurecht bog, ebenso wie er auch den Kanzler vorschob, um Solms gegenüber die Länge seiner Rede vor dem dänischen König zu 14

Camerarius an Solms, Kopenhagen 19. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 206. Camerarius an Friedrich V., Hamburg, 4. 4. 1622, abgedruckt in „Umbständiger Bericht und Relationen ettlicher gewester Churpfaltz gehaimber vertrautister Räth“, 1624, „Nachtrab der Anhaltischen Canzley“, 1624, und bei Londorp, a. a. O. II, 608 ff. Ich zitiere nach Londorp.

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rechtfertigen. Er berichtete insofern ehrlicher darüber, als er Ulfeldt hier nur als Gewährsmann erscheinen ließ, der seine Vermutung bestätigt habe, den Entschluß aber sich selbst zuschrieb: „… und da Ich zuvor durch den Kanzler Ulfeldt (den ich auff der Reis in seinem Ampt angedroffen) gute Nachrichtung gehabt, auch bestetiget, daz ich zu König in Dänemark nit jedesmal den Zudritt haben möchte, so hab ich alles in die Proposition ausführlich gebracht, drüber die consiliarii zu deliberiren haben möchten“16. Vielleicht hätte der Kanzler Camerarius nicht sein Wohlwollen bis zum Haager Konzert bewahrt, hätte er erfahren, wie er für die beiden Hauptfehler verantwortlich gemacht werden sollte, die der pfälzische Gesandte in Kopenhagen beging. Freilich war es nur ein schwacher Versuch, und das „qui s’excuse, s’accuse“ blieb deutlich. Der korrekte Empfang in der dänischen Hauptstadt, in der Camerarius am Abend des 15. März, einem Dienstag, einfuhr, konnte den günstigen Eindruck des Nyborger Gesprächs nur verstärken17. Als Gast des Königs wurde Camerarius in der Stadt untergebracht. Daß man ihn nicht im Schloß „behielt“, brauchte nicht als Zurücksetzung zu gelten. Es war kein fester Brauch, daß die Gesandten im Schloß wohnten. Auch Johann Skytte, nächst Axel Oxenstierna der einflußreichste der schwedischen Reichsräte, der für Dänemark gewiß wichtiger war als der pfälzische Gesandte, logierte bei seinem Besuch im Jahre 1615 in der Stadt18. Friedrich V. hatte zudem in seinem Begleitschreiben ausdrücklich gebeten, alle unnötigen Zeremonien zu unterlassen, damit die Verhandlungen in möglichster Stille vor sich gingen19. Außerdem hielt sich gerade eine russische Gesandtschaft in Kopenhagen auf, die ebenfalls nicht im Schloß untergebracht war. Von siebzig Personen waren die drei russischen Gesandten begleitet, und ihre Geschenke zeigten jene asiatische Pracht, die Camerarius sein Leben lang immer von Neuem gefangen nahm. Drei Tage vergingen, wie bei den Besuchen anderer Staatsmänner auch, bis ihn der König empfangen konnte. Am 18. März endlich wurde er gegen Abend vom Hofmarschall in sechsspännigem Wagen abgeholt. Vier Kammerjunker folgten der Kutsche zu Pferd bis zum Schloß. Im Beisein mehrerer Reichsräte erteilte Christian IV. dem pfälzischen Gesandten „patientissime“ Audienz. Für diesen war es ein großer Augenblick, als er zum ersten Mal in seinem Leben dem stattlichen Herrn mit den hellen Augen, dem schwarzen, eckig geschnittenen Bart und dem derben, von Wein und Luft geröteten Gesicht gegenübertrat, der seit Jahren in seinen Plänen eine solche Rolle spielte. Der König begrüßte ihn gnädig in seiner jovialen Art. Die Reichsräte schlossen um Camerarius einen Kreis und dieser „verrichtete“ stehend seine „Werbung“ in der lebhaften und geistvollen Weise, die ihm beim Sprechen eigentümlich war, hin und wieder mit raschen Gesten der Hand, die für seine hagere Gestalt etwas zu hastig wirkten. Er bediente sich 16

An Solms, Kopenhagen 19. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 206. Die Schilderung des Empfangs und der Audienz fußt, wo nicht ausdrücklich anders bemerkt, ebenfalls auf dem Brief vom 19. 3. 1622. 18 Legatio Johannis Skytte 8 ff. 19 DRA, Pfalz A II (Akter og dokumenter vedrörende det politiske forhold til Pfalz 1618–1633) 3 (Dokumenter vedrörende Kurfyrst Frederik V. gesandt Ludvig Camerarius sendelse). 17

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bei seiner Ansprache des Deutschen, das dem König, der eine deutsche Mutter hatte, noch geläufiger war als Latein, obwohl er auch diese Sprache verstand und sprach. Die Instruktion, die Camerarius mit sich führte, war ausführlich und wohl durchdacht. Genau schrieb sie Camerarius vor, was er am dänischen Hof vorbringen sollte20. Mit einer Darstellung der gescheiterten englischen und dänischen Friedensbemühungen sollte er beginnen. Mit schonend-respektvollen Worten gedachte die Instruktion der Gesandtschaften des Engländers Digby und des Dänen Wietersheim. Sie seien Versuche gewesen, die beste Erfolgsaussichten geboten hätten, aber infolge des bösen Willens der Gegenpartei schließlich mißlungen seien. Leider hätten die Evangelischen im Reich mancherorts es versäumt, fest zusammenzuhalten. Den Katholischen sei es deshalb um so leichter gefallen, „unter dem Deckmantel kaiserlicher Autorität“ sich überall breit zu machen. Sie hätten der spanischen Macht den Weg zu der „längst angemaßten Herrschaft“ so weit gebahnt, daß Philipp III. bzw. IV. es wagen könne, die untere Pfalz und „die unschuldigen Lande anderer benachbarter Stend an Rhein, Main und Mosel“ sich anzueignen, während der Herzog von Bayern die Oberpfalz „in vorgeschütztem nam des Kaysers inn Händen“ behalte. Außerdem solle der evangelischen Partei durch die Ächtung des Pfälzers das erste weltliche Kurfürstentum und damit „die directio bey den reichsversamblungen“ entzogen werden. „Menschlicher Vernunft nach“ – einer der Lieblingsausdrücke der pfälzischen Kanzlei taucht auch hier auf – sei kein Mittel mehr vorhanden, um dem unerträglichen spanischen und papistischen Joch zu entgehen; denn übermächtig sei die Macht der spanischen Krone. Die Instruktion durchmißt nun die weiten Gebiete der Spanischen Majestät. Von Madrid wird der Leser nach Neapel und Mailand geführt. Von da geht es über die Alpen ins Rheintal, das eine einzige spanische Zufahrtsstraße bis nach Norddeutschland bilden werde, sobald der pfälzische Widerstand gebrochen sei. Griffen doch auch schon von den Niederlanden aus die Spanier nach Köln hinüber, und auch in Köln würden sie nicht Halt machen. Man sieht bei Lektüre der Instruktion förmlich, wie die große spanische Spinne über Europa kriecht, und kein Zweifel ist gelassen, daß sie ihren Weg auf das Gebiet des Niedersächsischen Kreises nehme. Zart war damit angedeutet, daß bei einem Sieg der katholischen Partei König Christian die Hoffnung begraben könne, seine Söhne mit norddeutschen Bistümern zu versorgen. Nachdem so die materiellen Interessen wenigstens gestreift waren, beeilte sich die Instruktion, wieder in höhere politische Bahnen zurückzulenken. Was im ersten Abschnitt schon beschlossen lag, wurde jetzt explicite vorgetragen. Dabei sei auch dies wohl zu bedenken, heißt es: Obwohl die päpstliche Liga und die spanische Partei unter dem „hochgeehrten Namen“ der Kaiserlichen Majestät alles überwältige, stehe es doch keineswegs in der Macht des Kaisers, dasjenige, was auf diese oder andere Weise einmal „inns werck gericht worden“, aus kaiserli20

„Instruktion wass der gestrenge Ludwig Cammermeister, genannt Camerarius, der Königlichen Majestät zu Beheimb geheimbder Rhat, etc. bey dem Könige zu Dennemarck etc. crafft Ihme zugestellten Creditifs anbringen undt verrichten soll, Gravenhagen 2. 2. 1622“, BGStA Mü. K. bl. 122/3b.

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cher Vollmacht wieder zu ändern. Vielmehr benötige Ferdinand dazu die Zustimmung Spaniens und der Liga. In mehreren Beschlüssen gebe er ja selbst zu, daß er ohne Billigung seiner Verbündeten weder Frieden noch Waffenstillstand eingehen könne. Auch des Kaisers Verhalten gegenüber Digby zeige das. Ausdrücklich habe Ferdinand, weil er den Frieden wünschte, dem englischen Gesandten einen Waffenstillstand zugesagt. Herzog Maximilian und die Statthalterin der Niederlande seien aber trotzdem nicht auf Verhandlungen eingegangen. Ebenso hielten die Spanier die Güter des Pfalzgrafen Ludwig Philipp besetzt, obwohl der Kaiser ihre Wegnahme nicht befohlen, vielmehr als ungesetzlich verurteilt habe. So werde denn eintreten, was göttlichem und menschlichem Recht, den Reichsgesetzen und auch den kaiserlichen Versprechungen stracks zuwider sei. Man werde sich der spanischen und ligistischen Tyrannis fügen müssen und die Ausführung der Tridentiner Beschlüsse und alles dessen zu dulden haben, was zur Unterdrückung der evangelischen Sache sowie zur Beförderung Spaniens und der Liga dienlich und damit dazu angetan sei, die nationale und religiöse Freiheit gänzlich zu unterdrücken. Höchst ausführlich war hiermit der gescheiterten Friedensaktion, der bedrohlichen Macht Spaniens und der Übergehung des Kaisers durch seine Bundesgenossen gedacht, so daß die Hauptsache fast etwas versteckt wurde, auf die nach der langen Einleitung die Instruktion nun endlich einging. Dies also sei offensichtlich, hieß es, daß alle Verhandlungen nicht zum Ziel geführt hätten. So werde denn auch König Christian der Ansicht sein, daß die notwendige und von Gott und Natur erlaubte Verteidigung fortgesetzt werden müsse. Sogar der König von England habe erkannt, daß man ihn wegen seiner friedlichen Absichten verspotte und zu keinem andern Zweck mit ihm verhandle, als um Zeit zu gewinnen und sich zu rüsten. Deshalb habe Jakob sich entschlossen, seinem Schwiegersohn mit den Waffen in der Hand zu helfen. Da aber die Macht Spaniens fast unerschöpflich sei, der König von Böhmen jedoch über keinerlei eigene Kräfte verfüge – die Truppen Mansfelds und Christians von Braunschweig läßt die Instruktion ganz unter den Tisch fallen –, und England nicht alles allein tun könne, wende sich Friedrich V. an König Christian mit dem Ersuchen um monatliche Subsidien. Auch wäre er Christian dankbar, wenn dieser ihm sonst beistände und sich durch eine offizielle Verlautbarung zur pfälzischen Sache bekenne – „sich darüber eines gewissen erklärte“, wie es im Original heißt –, den anderen Evangelischen dadurch ein gutes Beispiel gäbe, besonders aber König Jakob durch Gesandte oder brieflich noch mehr ermunterte und dem englischen König deutlich machte, daß er – König Christian – fest zum Winterkönig halte. Dies sei ja überhaupt vor allem anzustreben, daß die Evangelischen ihre Religion und Freiheit genau so vereint und entschlossen verteidigten, wie die Gegner sie schon seit Langem in vereinter Allianz angriffen. Darauf wurde dem Camerarius in der Instruktion nochmals eingeschärft, daß es diesmal vor allem auf eine möglichst hohe Geldhilfe ankomme, und er Zeit und Ort aushandeln solle, an dem die Summe jedesmal zu hinterlegen sei. Es sind dunkle Farben, in denen die Instruktion die politische Lage malt. Auch die Kräfte der dem pfälzischen Lager zur Verfügung

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stehenden Mittel machen das Bild nicht heller. Lediglich auf englische Hilfe wird Bezug genommen. Wie diese Aussicht damals aber nur auf einer Bereitwilligkeit des Parlaments beruhte, keineswegs aber schon auf einer Abwendung des Königs von seiner Friedenspolitik, ist genügend bekannt. Die Ausdrucksweise der Instruktion ist dementsprechend vage. Des guten Willens der Niederlande aber gedenkt das Schriftstück mit keinem Wort, und auch die pfälzischen Kondottieren bleiben unerwähnt. Man verzichtete also darauf, auf die Vorteile hinzuweisen, welche das Vorhandensein einer so starken Truppenmacht bot. Zwar war die Grundtendenz der Instruktion kriegerisch und entschlossen. Infolge der düsteren Einleitung aber, die keine Lichtblicke kennt, sah es aus, als müsse der Kampf ganz von Neuem begonnen werden, und der Entschluß zum Widerstand bekam einen Anstrich von Verzweiflung. Unbestreitbar hat des Camerarius Ansicht etwas für sich, daß ein solches Bild unmöglich an dem ohnehin pessimistischen Hof von Kopenhagen sehr ermunternd wirken konnte. Dafür trug die Instruktion sorgfältig der legitimistischen Mentalität des dänischen Königs Rechnung. Man merkt, daß Friedrich V. und seine Begleiter in Segeberg ihre Erfahrungen gesammelt hatten. Vielleicht lag hier auch der Grund, weshalb Mansfeld und Christian von Braunschweig nicht ins Treffen geführt wurden. Waren beide Christian IV. doch im höchsten Maße verdächtig, zumal es nicht feststand, ob der Administrator von Halberstadt, obwohl er ein Neffe des Königs war, nicht etwa doch dessen norddeutschen Plänen hinderlich sein werde, und die Verwüstungen der Braunschweigischen Soldateska in Gebieten, auf die Christian IV. für seine Söhne hoffte, auf jeden Fall verstimmen mußten. Die Instruktion ist so sorgfältig formuliert, daß sie als das Ergebnis längerer Beratungen der im Haag befindlichen Räte mit dem Königspaar und seinen Sekretären erscheint. Das Schriftstück ist mithin ein wichtiger Beleg für die bedrückte Stimmung, in der sich der Winterkönig und die Mehrzahl seiner Ratgeber Anfang 1622 befanden. Es zeigt außerdem, welche Formulierungen im Plenum der Räte zu akzeptieren Camerarius allenfalls bereit war. Die eigentliche Ansicht des Camerarius kommt aber erst in der Proposition zum Ausdruck, die er in Kopenhagen überreichte und seiner Ansprache vor dem König zugrunde legte21. Es ist anzunehmen, daß Camerarius mündlich etwa dasselbe ausführte wie in dieser Niederschrift. Sie steht kaum den kühnen Gedanken seiner Flugschriften nach. Zu einem Zeitpunkt, da er als praktischer Politiker noch nicht zum Äußersten entschlossen war und deshalb sonst vorsichtigere Formulierungen bevorzugte, wagte hier Camerarius bereits Äußerungen, wie sie ihm erst in den folgenden Jahren zur Gewohnheit wurden. Mit höchster Klarheit zeigt die Proposition, daß Camerarius auch 1622 trotz seines damaligen Wunsches nach Frieden nach wie vor kriegerischer und, was das Verhältnis zum Kaiser betraf, radikaler gesonnen war als die Mehrzahl seiner Kollegen im pfälzischen Geheimen Rat. Der Brief wurde bereits herangezogen, in dem Camerarius seinem Herrn mitteilt, die Sorge wegen der Macht Spaniens sei in Dänemark bereits so groß ge21

DRA, Pfalz A II 3.

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wesen, daß es ihm falsch erschienen sei, die Furcht noch zu vermehren. Mochte es um die Stimmung in Kopenhagen stehen, wie es wollte, die Raschheit und Unbedenklichkeit, mit der sich Camerarius zum Abweichen von seiner Instruktion entschloß, zeigt jedenfalls, daß ein solcher Schritt mit seiner Denkweise in Einklang stand. Ohne Zögern verzichtete er gänzlich auf die düstere, weit ausgesponnene Einleitung des ihm mitgegebenen Entwurfes. Die von Spanien verursachten Gefahren, heißt es bei ihm, seien Christian IV. „als einem treweyf­ ferigen evangelischen König“ ja genugsam bekannt, so daß es keiner weiteren Worte bedürfe. Doch auch auf die gescheiterten Friedensbemühungen in dem freundlichen Sinn einzugehen, wie es ihm die Instruktion auftrug, fand er nicht für nötig. Ferner ließ er den in dem Haager Entwurf deutlich ausgeführten Gesichtspunkt, daß der Kaiser wider Willen von Spanien bevormundet werde, und geradezu gegen besseres Wissen zu handeln habe, gänzlich beiseite. Eines der wichtigsten Charakteristika seiner Flugschriften kehrt also hier wieder. Wie er an seine Auffassung, daß der Kaiser genau dieselben Ziele verfolge wie Spanien und Bayern, in der Theorie seine radikalen Ansichten über das Widerstandsrecht knüpfte, so sollten sich in der Praxis im nächsten Jahr seine Argumente gegen die Möglichkeit eines Teilfriedens auf dieselbe Meinung stützen. Bei den Flugschriften ließ sich nicht ermitteln, ob Camerarius mit den anderen pfälzischen Politikern übereinstimmte, wenn er die etwa besseren Absichten des Kaisers beiseite ließ. Bei der Ansprache vor König Christian aber steht es fest, daß er dieses Argument unterdrückte, obwohl er ausdrücklich beauftragt war, es vorzubringen, und die Länge seiner Rede dazu reichlich Gelegenheit geboten hätte. Nirgends findet sich der Gesichtspunkt in seiner Proposition auch nur erwähnt. Lediglich der alte Satz aus der Spanischen Kanzlei, daß die Gegenseite „vielleicht uneinig“ sei, klingt ganz am Schluß der Ansprache an, doch wiederum wie in den Flugschriften ohne jede Bemerkung, daß Ferdinand bei den Differenzen im katholischen Lager eigentlich wohlmeinender sei als seine Bundesgenossen. Des Camerarius Verhalten ist um so bemerkenswerter, als das Argument, der Kaiser sei von Spanien bevormundet und damit nicht Herr seines besseren Willens, so recht geeignet sein mußte, auf die legitimistischen Gefühle des Dänen einzuwirken. Äußerte dieser doch immer wieder, es gehe nicht an, daß ein Reichsfürst sich gegen sein von Gott gesetztes Oberhaupt auflehne. Vielleicht war die Bevormundung Ferdinands II. eigens deshalb in der Instruktion so herausgearbeitet. Dabei trug Camerarius außer in diesem Punkt dem Rechtsgefühl des Königs viel bewußter Rechnung als die Haager Vorschrift. Doch den Kaiser in Schutz zu nehmen, dazu konnte er sich bei aller Rücksichtnahme auf Christian nicht verstehen. Die Kühnheit von Camerarius’ Verhalten wird erst völlig klar, wenn man neben der pfälzischen Instruktion auch die Propositionen anderer evangelischer Gesandten mustert. Wie kaum ein zweiter Fürst wurde der dänische König ja während des Dreißigjährigen Krieges von den protestantischen Mächten umworben. Erst bot das evangelische Lager alle Kräfte auf, um Christian zum Eingreifen in den Krieg zu bewegen, und später sparte es nicht mit Überredungskünsten, um ihn zum Durchhalten zu ermutigen. Von allen Seiten fanden sich Gesandtschaf-

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ten in Kopenhagen ein. Die Propositionen im Dänischen Reichsarchiv geben deshalb in seltener Vollständigkeit die Fülle von Argumenten in ihren mannigfachen Schattierungen wider, derer man sich protestantischerseits bediente, um den Krieg zu rechtfertigen und zu seiner Fortsetzung aufzumuntern. Eine Geschichte der evangelischen Diplomatie fände an den Ansprachen ein ergiebiges Material. Auch der von Camerarius beiseite gelassene Gesichtspunkt taucht in zahlreichen Spielarten in den Kopenhagener Propositionen auf, und es zeigt sich, daß die pfälzische Fassung, die Camerarius bereits verschmähte, im Vergleich mit den Ausführungen von anderer Seite lau und gemäßigt ist. Es steht also fest, daß Camerarius darauf verzichtete, durch einen Hinweis auf die Nötigung des Kaisers, gegen besseren Willen zu handeln, den legitimistischen Anschauungen seines königlichen Zuhörers Rechnung zu tragen. Dafür ging er in anderen Punkten viel intensiver als seine Instruktion auf die Stimmung des Königs ein, und hierin ist vielleicht wirklich der Rat Ulfeldts zu sehen, so abwegig es auch wäre, im übrigen in ihm den Urheber der für Camerarius so überaus charakteristischen Ansprache zu erblicken. Statt in erster Linie auf die Durchführung der Tridentiner Beschlüsse als Folge eines katholischen Sieges hinzuweisen, nannte Camerarius die „dissolutio legum fundamentalium Imperii“ und dann erst die Überwältigung des evangelischen Glaubens. Nicht genug konnte er es außerdem bedauern, daß die dänischen Hilfspläne durch Englands Zögern vor einem Jahre nicht zur Ausführung gekommen seien, ein Gedanke, der in der Instruktion fehlt, und ganz ausdrücklich wies er gleich am Anfang seiner Rede im allgemeinen auf die Rechtlosigkeit des kaiserlichen Vorgehens, besonders aber auch darauf hin, daß Ferdinand gegen die beschworene „Kreiskapitulation“ handle. Nachdem Camerarius nämlich in nur einem Satz den gefährdeten Zustand des evangelischen Deutschland abgetan hatte, fuhr er fort: Da Friedrich V. „wider Gott und recht, wider des Heiligen Reiches constitutiones und verfassung und insonderheytt wider die geschwohrene Kreyszkapitulation, mitt eyszerstem gewalet zugesetzet worden“, werde Christian sicher sein besonderes Augenmerk auf die Restitutionsfrage gerichtet und auf die zahlreichen Briefe des Winterkönigs hin auch mancherlei Schritte unternommen haben. Er, Camerarius, sei erschienen, um zu erfahren, was bereits geschehen sei, eine vielleicht etwas anmaßende Wendung, wie sie ihm im mündlichen Verkehr bisweilen unterliefen. Alsdann ging Camerarius auch seinerseits auf die gescheiterten Friedensverhandlungen ein. Doch nahm er sich nicht den ersten Teil der Instruktion zum Vorbild, in dem die Bemühungen im respektvollsten Ton als zunächst sinnvoll und erfolgversprechend dargestellt waren, sondern knüpfte an den in der Mitte stehenden Passus an, der davon handelte, daß König Jakob mit seinen Friedensabsichten nur verspottet werde. „Esz wäre aber gleichwol Euer Majestät onverborgen“, heißt es in der Proposition des Camerarius, „welcher gestallt auff der anderen seytten durch vielfalltige tröstungen dess Friedens, so wol die Königliche Majestät in Gross Britannien, als auch die Unirte im Reich und andere evangelische ständ dahin verleydet, daz sie die nothwendige gegenverfassung und continuation rechtmässiger Defension zurück gestellet: dahero denn auch Euer Königlichen Majestät obver-

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meldes löbliches vorhaben verhindert“ – der Redner denkt an das dänische Truppenkorps –, „die gefahr allenthalben gewachsen und jetziger unleidlicher zustand eingetreten.“ Fast verächtlich sind die Worte, mit denen so der Friedensbemühungen gedacht wird, und Christian mußte ein feines Gehör dafür haben, da er selbst ja die Verhandlungen durch eigene Gesandtschaften vorwärts zu treiben versucht hatte, die Camerarius allerdings wohlweislich nicht erwähnte. Auch das Lob der dänischen Kriegsbereitschaft mochte versöhnlich wirken. Betonte Camerarius doch auch im Folgenden ausdrücklich den guten Willen seines Herrn, sich in allem den dänischen Ratschlägen zu fügen: „Ihre Königliche Majestät zu Böheim theyls hette es zu auffhebung aller weytleuftigkeytt und stabilirung beständigen wolstands und rhuhigen wesens niemals ermangelt, indem Sie Euer Königlichen Majestät trewherzigen consiliis und vorschlägen sich allenwegen bequehmet ebenso den wünschen der Königlich englischen Majestät.“ Doch die Gegenseite habe kein Versprechen gehalten, wofür die Kopien der aufgefangenen kaiserlichen Briefe den Beleg böten. Der Kaiser – ausdrücklich wird Ferdinand und nicht Spanien hier genannt – wolle nichts anderes als die „totalis dissolutio legum fundamentalium Imperii“ und zugleich die „executio des Tridentinischen concilii und Wiedereinführung des leidigen Papstthums.“ So angelegentlich Camerarius auch bemüht war, die Lage nicht allzu düster zu malen, hielt er es doch für gut, nunmehr einen seiner Lieblingsgedanken vorzubringen, den er zum Angelpunkt seiner Flugschriften gemacht hatte, und in der Tat eignete sich das Argument vorzüglich dazu, dem König noch einmal die Gefahren vorzuführen, denen die Reichsverfassung preisgegeben war. Mittels gut gewählter Zitate aus der in Abschriften mitgeführten Briefbeute bewies Camerarius, der Kaiser werde die pfälzische Kur an Bayern übertragen, und stellte eindringlich die Folgen dar, die daraus für das gesamte Reich erwüchsen. Nun stieß Camerarius so laut wie möglich in die Kriegstrompete, der die Instruktion nur so gedämpfte Klänge entlockt hatte. „Durch Gottes gnad“ – die Formulierung läßt des Camerarius wahre Wünsche erkennen – habe König Jakob endlich erkannt, in welch gefährlicher Weise seine „Christliche begierd zu dem werthen Frieden“ bisher mißbraucht worden sei. Er habe sich deshalb bereit erklärt, „so lang dieser zustand dauert“ für seinen Schwiegersohn 8000 Fußsoldaten und 1600 Reiter ins Feld zu stellen. Das genüge aber noch nicht; der Däne solle auch helfen. Wie Heinrich II. von Frankreich und Moritz von Sachsen solle Christian von Dänemark zum „Vindex libertatis Germaniae“ werden. Jetzt biete sich die beste Gelegenheit zum Angriff; denn Christian von Braunschweig und Mansfeld hätten schon ein starkes Heer auf den Beinen. Auch der Markgraf von Baden rüste sich. Die Gegenseite dagegen sei – wir erwähnten die Bemerkung schon – geschwächt und zersplittert, „vielleicht auch uneins“. Man werde es zunächst nur mit dem Herzog von Bayern zu tun haben. Es waren schwungvolle, aber auch gefährliche Sätze, denn ob sich König Jakob zum Unterhalt eines Truppenkontingentes in der immerhin beachtlichen Stärke von fast 10 000 Mann „so lang dieser zustand dauert“ verpflichtet habe, war zumindest höchst fraglich. Wahrscheinlich mit gutem Grund hatten deshalb die Instruktion ebenso wie Friedrichs V. Begleitschreiben genaue Angaben

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über die englische Unterstützung vermieden. Wohl standen im März 1622 2000 Engländer in der Pfalz und auch die deutschen Truppen wurden teilweise mit englischem Geld besoldet. Insoweit beruhten des Camerarius Äußerungen auf Tatsachen. Jedoch dürften sowohl seine Angaben über die Höhe des Truppenkontingentes wie über die feste Verpflichtung, die König Jakob eingegangen sei, auf die Dauer für die Besoldung zu sorgen, etwas übertrieben gewesen sein. Jedenfalls fand man das in Kopenhagen und auch andernorts. Die auf der Reise gewonnene Erfahrung, daß niemand an die englische Hilfe glaubte, dürfte Camerarius zu seinen gewagten Angaben veranlaßt haben. Bei der in Norddeutschland und Dänemark herrschenden Skepsis gegen die englische Hilfsbereitschaft mußte, wollte man Glauben finden, die Unterstützung als noch unsicherer geschildert werden, als Instruktion und Begleitschreiben es bereits taten; oder man mußte den verzweifelten Entschluß fassen und sie dreist als sicher hinstellen. Als eingefleischter Optimist wählte Camerarius den zweiten Weg. Die Entwicklung sollte ihm recht geben; denn tatsächlich fand sich England sehr bald schon zu einer begrenzten militärischen Unterstützung bereit. Doch das änderte nichts am Gefährlichen seines Entschlusses, da solche Behauptungen die schlechte Meinung verstärkten, die König Christian und seine Räte von Camerarius als einem der Hauptbeteiligten an dem böhmischen Unternehmen von vornherein haben mochten. Ebenso kühn waren die Worte, die auf die Bekanntgabe der englischen Hilfe folgten. Ohne daß noch einmal vom Recht zum Widerstand die Rede gewesen wäre, hieß es fast macchiavellistisch, jetzt sei die Gelegenheit zum Kampf günstig. An der Seite von Kondottieren, auf die er herabblickte, solle Christian IV. ins Feld ziehen, und seine Rolle wurde dabei mit der des Kurfürsten Moritz verglichen, dem trotz seiner Verwandtschaft mit dem dänischen Königshaus ein Verstoß gegen die Legitimität stets vorzuwerfen war. Der Vergleich war schon früher von pfälzischer Seite gebraucht worden. Bereits 1620 hatte Friedrich V. noch von Prag aus Christian IV. an die segensreiche Tätigkeit des sächsischen Kurfürsten erinnert22. Auch in Schreiben, die aus anderen Residenzen nach Kopenhagen gesandt wurden, taucht der Hinweis auf, immerhin jedoch ist der Umstand interessant, daß die pfälzische Instruktion von 1622 nicht auf Moritz anspielte, obwohl der Winterkönig 1620 den Vergleich gebraucht hatte. War es nun die Erfahrung des Segeberger Konventes oder allgemeine Vorsicht, die Instruktion vermied es jedenfalls auch hier, sich eine Blöße zu geben, indem sie den gewagten Hinweis beiseite ließ, und ebenso findet er sich nicht in den Propositionen anderer protestantischer Gesandter aus den Jahren 1621 und 2223. Die Vermutung hat also etwas für sich, daß man bei den Ansprachen am dänischen Hof in dieser Zeit die 22

Friedrich V. an Christian IV., Prag 25. 9. 1620, DRA, Pfalz A I (Breve … fra Kurfyrst Frederik V. til Kong Christian IV.). Auch bei dieser Gelegenheit erscheint die Formulierung des Winterkönigs um eine Nuance vorsichtiger als die von Camerarius gebrauchte. Friedrich beschränkt nämlich seinen Vergleich auf den Anteil des Wettiners am Passauer Vertrag, während Camerarius an Moritz’ Wirken im allgemeinen erinnert. 23 Zur Durchsicht kamen die Propositionen der englischen, niederländischen und pfälzischen Gesandten sowie der Boten des Administrators von Halberstadt.

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Parallele im allgemeinen noch nicht verwandte, so gebräuchlich sie auch bereits in Publizistik und diplomatischer Korrespondenz war. Dem imposanten Hauptteil von Camerarius’ Ausführungen entsprach der Schluß nicht ganz; denn hier sah sich Camerarius genötigt, in die Bahnen der Instruktion zurückzulenken, wodurch ein gewisser Kontrast zu dem bisher Gesagten entstand. Nachdem Christian erst mit begeisterten Worten zum Krieg aufgefordert war, hieß es jetzt, sofern er wirklich nicht mehr tun könne, solle er wenigstens mit einer monatlichen Geldsumme helfen, die deutschen Fürsten, namentlich den Kurfürsten von Sachsen, auf bessere Wege bringen und vor allem an den König von England schreiben und diesen ermuntern, mit seiner Hilfe fortzufahren, was etwas sonderbar klingen mochte, nachdem vorher behauptet war, „so lang dieser Zustand daure“ werde England in jedem Fall fast 10 000 Mann für den Winterkönig auf den Beinen halten. Ein Blick in das Begleitschreiben Friedrichs V., in dem wie in der Instruktion von einer festen Truppenzahl kein Wort gesagt war, mußte den verdächtigen Eindruck noch verstärken, daß des Camerarius Angaben über die englische Hilfe nicht ganz den Tatsachen entsprachen. Indem Camerarius die Abschriften der erbeuteten Briefe überreichte, die wir schon von seinen Flugschriften her kennen, und sich erbot, die gegen die Pfälzer geäußerten „Calumnien“ auf Wunsch noch genauer zu widerlegen, schloß er seine Ansprache, die nicht nur durch ihren Inhalt, sondern auch durch ihre Länge aus dem Rahmen der landläufigen Propositionen merkbar herausfiel. Der Entwurf des Camerarius im Kopenhagener Archiv umfaßt anderthalb bis doppelt so viele Seiten wie jede der anderen pfälzischen Propositionen. Daß Camerarius aber die in der Proposition niedergelegten Gedanken auch wenigstens in der Mehrzahl in seinem mündlichen Vortrag vorbrachte, ergibt sich aus dem Brief an Solms vom 19. März 1622, in dem er sich wegen der Länge seiner Ansprache rechtfertigte24. Offenbar war es am dänischen Hof üblich, daß die Gesandten in ihrer ersten Audienz nur die Grüße ihrer Fürsten oder Regierungen bestellten, ihr Beglaubigungsschreiben überreichten und einen summarisch gehaltenen Überblick über ihr Anliegen gaben. Der detaillierte Vortrag wurde dagegen auf eine zweite Audienz verschoben. Oft verzichtete der König darauf, sich auch den zweiten Vortrag selbst anzuhören. Lediglich einer der Kanzler und einige Reichsräte nahmen dann von den Wünschen im einzelnen Kenntnis. Hin und wieder scheint man sich auch nach der ersten allgemeinen Ansprache mit einer schriftlichen Eingabe und auf ihr fußender mündlicher Diskussion begnügt zu haben25. Wir hörten bereits, wie Camerarius es begründet hat, wenn er von diesem Brauch abwich. Ulfeldt habe seine Annahme bestätigt, daß ihn der König vielleicht nur einmal empfinge. Deshalb habe er es für gut befunden, in seiner Ansprache alle Punkte, und zwar in extenso, zu erörtern. Die dänischen Räte könnten sie nachher ja einzeln aufnehmen und in genauere Beratungen eintreten. 24

Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 206. Der Geschäftsgang am Kopenhagener Hof ist dargestellt nach den ausführlichen Berichten von Skytte (Legatio Johannis Skytte), Vosbergen (Verbaal van de Ambassade) und Rusdorf, der 1638 in Dänemark war (BGStA Mü. K. bl. 123/I).

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„… hab Ich alles in die Proposition aussführlich gebracht, darüber die consiliarii zu deliberiren haben möchten“26. Camerarius war sich also im klaren darüber, daß sein Verhalten nicht dem Brauch entsprach. Doch dies war nun einmal seine echt humanistische Überzeugung, daß sich alles zum Besseren wende, wenn man nur Gelegenheit habe, seine Ansichten ausführlich vorzutragen und ins rechte Licht zu rücken. Daß ihm der Monolog dabei stets lieber war als der Dialog, hing ebensosehr mit der starken Pedanterie zusammen, die ihm eigen war, wie mit seinem oratorischen Sinn für schöngebaute Reden, die er als Ästhet ungern zerrissen und damit ihres Effektes beraubt sah. Auch in Kopenhagen zeigte sich diese Vorliebe. Er wußte, daß die einzelnen Punkte schließlich doch von den Räten durchberaten würden. Trotzdem kam es ihm darauf an, dem König zunächst einmal in einem Zug den ganzen Schatz seiner Argumente vorzuführen. Ohne Bedenken hielt er Christian deshalb fest. In der Meinung, den König durch den Schwung seiner Rede mit sich fortreißen zu können, riskierte er es, Ideen zu entwickeln, die den Anschauungen Christians in vielem ganz entgegengesetzt waren. Nur dort trug er der Gesinnung seines königlichen Zuhörers Rechnung, wo er es konnte, ohne in seiner Rede seine Hauptanliegen unterdrücken zu müssen. Seine Eigenschaft, nie über seine Eigenarten nachzudenken und daher auch niemals diese entschuldigen zu wollen, verließ ihn auch hier nicht. Man sucht in seinen Ausführungen vergebens nach irgendeiner Rechtfertigung, daß er die Geduld des Königs so lange in Anspruch nehme. Ebensowenig fand er es nötig, den Versuch zu machen, durch direkte Komplimente die Nachsicht Christians für das Kühne und Kriegerische seiner Gedankengänge zu gewinnen. So unhöfisch wie seinem eigenen Herrn gegenüber war sein Auftreten auch am dänischen Hof. Lediglich, daß man infolge des englischen Zögerns die „löblichen“ Rüstungen Dänemarks nicht habe nützen können, hob Camerarius hervor. Dies war aber gewiß nur eine schwache Floskel, wenn man etwa bedenkt, wie ausgebreitet die Schmeichelei an den Höfen schon damals war und wie vor einigen Jahren an dem gleichen dänischen Hofe der schwedische Gesandte Johann Skytte zu König Christian gesprochen hatte. Dem Brauch entsprechend hatte damals, 1615, der schwedische Gesandte in seiner ersten Audienz nur die Grüße seines Herrn bestellt und sein Beglaubigungsschreiben überreicht. Dabei hatte er, obwohl er sich an den normalen Geschäftsgang hielt und daher gewiß weniger Grund zum Entschuldigen hatte als Camerarius, doch mit einer gewissen Affektiertheit auf sein rednerisches Unvermögen hingewiesen und seine Zuhörer deswegen um Nachsicht gebeten. Der uns erhaltene Text knüpft hieran die schmeichelhaftesten Bemerkungen über Christian IV. Es heißt zum Beispiel: Wenn schon die weisesten Männer bisweilen nicht vermocht hätten, das auszudrücken, was ihnen vorschwebte, was habe er – Skytte – dann erst zu befürchten, zumal wenn er seine Worte jetzt an den dänischen König richten müsse, der einer der ausgezeichnetsten Fürsten und Herrscher Europas sei, begabt mit übermächtigen Ländern und Königreichen, mit der größten Machtbefugnis, mit Reichtum und Herrlichkeit, ausgezeichnet 26

An Solms, Kopenhagen 19. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 206.

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außerdem durch allerhöchste Voraussicht und glänzende Fähigkeiten27. Doch er tröste sich damit, daß Personen, die über andere zum Herrschen gesetzt seien, diese weit an Tugenden, besonders auch an Milde und Nachsicht überträfen. So hoffe er denn aufs demutvollste – „på det ödmjukeligeste“ –, daß König Christian ihn gnädig anhören werde, entsprechend seinen hochzupreisenden, rühmenswerten Königstugenden – „för sine högt priselige, berömmelige Konungslige dygder“28. Im Verzicht auf alle höfischen Komplimente stand Camerarius unter den pfälzischen Gesandten nicht allein. Auch Achaz von Dohna, obwohl er an sich viel mehr Hofmann war als Camerarius, schmeichelte nicht, als er im Sommer 1621 am dänischen Hof erschien29. Es tritt hier ein gemeinsamer Zug der pfälzischen Diplomatie, gerade auch für die Exilzeit, hervor. Mochte es im übrigen um die Folgen eines solchen Verhaltens stehen, wie es wollte, den einen Vorzug hatte es in jedem Fall: Es half vermeiden, daß die pfälzische Exilpolitik etwas allzu Bettelhaft-Unterwürfiges bekam. Zwar wurde man nicht müde, um Geld und Truppen zu bitten. Doch man erniedrigte sich dabei niemals. So unvernünftig die Pfälzer bisweilen genannt werden konnten, ein gewisses Maß an Würde bewahrten sie stets. Reden wie die des Camerarius vor Christian IV. sind hierfür beispielhaft. Wie sich des Camerarius Panegyriken auf Gustav Adolf von Schweden mit seiner sonstigen Abneigung gegen höfische Schmeichelei zusammenreimen, wird in anderem Zusammenhang zu erörtern sein. Es stimmte mit der Auffassung, die Camerarius vom Kriege als einem Kampf für die allgemeine evangelische Sache, die causa communis, hatte, überein ebenso wie mit seiner unhöfischen Denkweise, daß er in seinen Ausführungen auf den Gedanken monarchischer Solidarität nicht ausführlicher einging. Den eklatanten Rechtsbruch, den die Ächtung und Vertreibung seines Herrn bedeutete, hatte er zwar mit aller Schärfe herausgestellt. Er vermied es jedoch, den Gedanken in der Richtung weiter auszuspinnen, daß ein Fürst dem andern zu Hilfe kommen müsse, zumal Dänemark und Pfalz über das Haus Stuart ja miteinander verwandt seien – die Königin-Kurfürstin Elisabeth war eine direkte Nichte Christians IV. –, daß sozusagen Christians fürstliche Familienehre getroffen sei. Gewiß wäre es ein gefährlicher Versuch gewesen, hätte Camerarius den dänischen König, der das böhmische Unternehmen so scharf verurteilte, mit seinem Familieninteresse an die Sache des Pfalzgrafen ketten wollen. Doch andere Staatsmänner wagten den Versuch. Indem Camerarius keinerlei derartige Appelle an den König richtete, blieben seine Worte in einer mehr abstrakt-allgemeinen Sphäre als die Ausführungen vieler anderer Gesandten. Das gleiche Bestreben zeigte sich auch darin, daß er die 27

„ … serdeles medan min taal skall dirigeras och lempes till Eders Konglisk Majestät then ther ähr en medh the ypperste Potentater och ledemöter uthi Europa med så mächtige Land och Konungariiken, med så stoor ähro, myndighet, Riikedom och härlighet af den aldrahögsta försedd och begäfvat?“ Legatio Johannis Skytte 53. 28 Ebenda. 29 DRA, Pfalz A II 2 (Dokumenter vedrörende Kurfyrst Frederik V. gesandt Achatius, Borggreve von Dohnas, sendelse 1621).

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Bedrohung der norddeutschen Bistümer, auf die auch seine Instruktion schon nur zart anspielte, ganz überging. Wiederum stand er hier im Gegensatz zu anderen gleichzeitigen Werbungen, so etwa zum Administrator von Halberstadt und pfälzischen Heerführer Herzog Christian von Braunschweig, der einen Monat vor der Gesandtschaft des Camerarius an seinen Onkel mit höchst konkreten Vorschlägen herangetreten war30. So verrät die Kopenhagener Ansprache jene merkwürdige Verbindung entgegengesetzter Methoden, die allen Ausführungen von Camerarius eigentümlich ist. Auf der einen Seite stehen die gewagtesten Formulierungen, die nicht davor zurückschrecken, mit überaus drastischen Worten zum Krieg aufzurufen; es findet sich ein Schwung, der allen Äußerungen eine hohe propagandistische Stoßkraft gibt. Andrerseits wird dort, wo vom eigentlichen Kriegsziel die Rede ist, die höchste Abstraktion und eine sichtliche Scheu bemerkbar, den plumpen Nutzen und praktische Ziele herauszukehren. Es ist eine Verbindung, die den Worten von Camerarius stets einen stark idealistischen Zug gab und sie trotz allen geäußerten Draufgängertums nie derb erscheinen ließ. Wie es auch im einzelnen um die Aufnahme seiner Gedanken stehen mochte, das lag schon jetzt auf der Hand: Seine große Stunde mußte kommen, wenn es galt, Nordeuropa für eine große Kriegsallianz zu gewinnen und zu begeistern. Schon jetzt läßt es sich aber auch vorausahnen, daß später, wenn die Kriegsmaschinerie einmal in Gang gebracht war, und es darauf ankam, mit praktischen, konkret-realistischen Maßnahmen an die Ausführung des Geplanten zu gehen, des Camerarius Bedeutung wieder abnehmen mußte. Ausdrücklich berichtet Camerarius, der König habe seine Ansprache „patientissime“ angehört31. Selbst erteilte er ihm sogar eine „wohl affektionierte“ Vorantwort, was im allgemeinen nur durch einen der Kanzler geschah, während der König schweigend zuhörte32. Ein gewisses Interesse hatten des Camerarius Worte also offenbar bei Christian geweckt, und auch kein ganz so negatives, daß der König seine gnädig-korrekte Haltung sofort geändert hätte. Vielmehr sah sich Camerarius zur Abendtafel geladen. Er bekam seinen Platz neben König Christian. Gleichzeitig mit diesem wurde ihm das Wasser gereicht. Doch im Augen30

S. Opel, a. a. O. I 342. Wie deutlich auch andere Gesandte die Gefahr für Christians IV. Pläne herausstellten, zeigt die Instruktion für den Unionsgesandten Dietrich von Werther, von der Rusdorf am 27. 10. 1620 an den Winterkönig berichtete: „Es solte darneben auch bemelter Werther proponendo Seiner Majestät zu erkennen geben, und weitläufftig vorbringen, wie deroselben und des gantzen Nidersächsischen Crayss interesse mercklich hierunter walte und versire: Über diss köndte auch zugleich seine Majestät der Bischofthumben, zu denen sie gut fueg unnd recht hätten, sich desto mehr assecurieren unnd versichern, auch ihre darzu habende rechtsambe würcklich erlangen …“ Londorp, a. a. O. 612, außerdem auch im „Umbständigen Bericht“ und im „Nachtrab“. 31 Das Folgende wieder nach des Camerarius Brief an Solms vom 19. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 206. 32 Auch der so hoch geehrte Johann Skytte hatte sich seinerzeit mit einer Antwort des Kanzlers Friis begnügen müssen (Legatio 10), und Vosbergen hob es später besonders hervor, als ihm der König einmal selbst auf eine Ansprache Bescheid tat: „Daerop sijne Majestät, naer seer vrundt-ende gunstlich onthael, mij selffs heeft geantwoort, twelch voordesen door Canceliers ofte Doctoren plach te geschieden“ (Verbaal 26).

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blick, da Camerarius in näheres Gespräch mit dem König kam, mußte er mit Schrecken feststellen, welch schlechtes Renommée die Pfälzer genossen. Wohl unterhielt sich Christian ausführlich mit ihm. Doch er zeigte sich dabei „sehr nachdenklich“, und als nach Tisch das Gespräch noch eine Stunde lang fortgesetzt wurde, rückte er ganz offen mit Vorwürfen heraus. Zunächst gingen seine Worte gegen England. Dieses habe zu lange gewartet und sich nasführen lassen. Darauf hieß es, „der junge Braunschweiger acceleriere seinen Ruin“. Auch Mansfeld werde nicht lange bestehen können. Doch so lange würden beide ihre Haufen immerhin noch unter den Fahnen haben, um Norddeutschland vollends zu Grund zu richten, „… und sagte Dänemark mit Bewegung, wer doch um eines andern willen sein eygen Land wolte verhergen lassen?“33. Es waren Argumente, denen Camerarius nur zustimmen konnte, weshalb er sie offenbar noch verhältnismäßig leicht nahm. Bedenklicher mochte es ihn schon stimmen, als Christian Zweifel äußerte, ob der Niedersächsische Kreis gegebenenfalls seinen Truppen den Durchmarsch gestatten werde. War es doch offensichtlich, daß der König hiermit nur einen Vorwand für seine Neutralität liefern wollte. Überaus peinlich wurde es aber, als Christian nun das Gespräch auf die Anhaltische Kanzlei lenkte. „Kam er auff die also genannte Anhaltische Geheime Kanzlei und ettliche particularia, und daz besser gewesen, daz solche Consilia verblieben weren, auch daz König in Böhmen Böhmen nit angenommen, exaggerirte dabey Königs in Spanien, Kaisers et sociorum grosse Macht“34. Einer von des Königs gefürchteten Zornausbrüchen schien zu drohen. Als Gnade Gottes empfand Camerarius es deshalb, daß er mit seinen Gegenargumenten wenigstens Christians Erregung zu beschwichtigen vermochte. „Camerarius hatt sich beflissen, mitt müglichster moderation, glimpff und bewegung auff alles neruose zu andwortten, auch von Gott die Gnad gehabt, daz es wol aufgenommen, und dabey ziemlich linderung gespühret worden“35. Doch es war nur ein symptomatisches Mittel, das Camerarius hatte anwenden können. Schon als er noch am Abend in derselben feierlichen Weise wie bei seiner Herfahrt in seine Wohnung zurückgeleitet wurde, mußte er es sich sagen, und der folgende Tag sollte es ihm vollends bestätigen. Es erschienen nämlich am 19. März in seinem Quartier die Reichsräte Baron Holger Rosenkrantz und Andreas von Bild, um mit ihm die pfälzischen Wünsche im einzelnen zu erörtern. Doktor Mezner, der in den Händeln mit den Hanseaten eine unfreiwillige Berühmtheit erlangt hatte, begleitete sie36. Der unermüdliche Camerarius hatte auch die kurze Zeit zwischen seiner Audienz und dem Besuch der dänischen Staatsmänner nicht ungenützt verstreichen lassen und dem König weitere aufgefangene Briefe aus dem katholischen Lager zugestellt. So wendete sich das Gespräch zunächst diesem Propagandamaterial zu. „… da denn ermelder Herr Rosencrantz insbesondere ganz beweglich ausgeführt, dass König zwar aus intercipirten Briefen sähe, wie schlimm es wäre. Man müsse aber Gott desto 33

Camerarius an Friedrich V., Hamburg, 4. 4. 1622, Londorp, a. a. O. II, 608 ff. Camerarius an Solms, 19. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 206. 35 Ebenda. 36 Mezner war 1616 von den Hanseaten aufgegriffen und gefangen gesetzt worden, was der Anlaß zu endlosen Streitigkeiten zwischen Christian IV. und den Städten gewesen war. 34

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sterker vertrawen, weyl gleichsam alle menschliche Mittel zerrinnen wollten. Ihr Majestät hetten eine gute intention, wann dieselbe zeyttlich umb rath gefraget worden“37. Auch zum Krieg habe Christian schon alles bereit gehabt. Doch da sei die Union abgefallen und England habe verhandelt. Jetzt könne Dänemark nichts tun, als Frieden „oder stillstand“ vermitteln, was sich am besten bewerkstelligen lasse, wenn es neutral bleibe. Noch einmal entwickelte Camerarius seine ganze Beredsamkeit. Was er in seiner Ansprache versäumt hatte, holte er jetzt nach. Ausführlich stellte er die Gefahren dar, die dem evangelischen Europa drohten, wenn es nichts zu seiner Verteidigung unternähme. Ausdrücklich betonte er auch, daß der Pfalzgraf ja zunächst lediglich um Geldhilfe bitte, was in der Audienz von der Aufforderung zum Kriegszug vielleicht zu sehr verdeckt worden war. Die Reichsräte nahmen seine Worte höflich „ad referendum“, doch eine Zustimmung war ihnen nicht abzugewinnen. Vielmehr ließen sie Camerarius „sehr perplex“, wie dieser selbst berichtet, in seinem Quartier zurück. Fieberhaft versuchte Camerarius in den beiden folgenden Tagen, den pfälzischen Wünschen doch noch Gehör zu verschaffen. Er ging mehrmals zum Hofkanzler Baron Christian Friis und stellte ihm sein Anliegen vor38. Auch auf die allmächtigen Geheimen Sekretäre suchte er einzuwirken. Es nützte alles nichts. Schon am 20. erschien Rosenkrantz mit seinen Begleitern wieder und eröffnete Camerarius mündlich den Bescheid des Königs39. Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte vermochte Camerarius die Räte, auch den Bescheid „ad referendum“ zu nehmen und um einen günstigeren Entschluß im Schloß einzukommen. Doch es war nur ein Aufschub, den er damit erreichte. Die schriftliche Resolution, die ihm Rosenkrantz am nächsten Tag überbrachte, wich in nichts von der mündlichen Antwort ab. In dem sehr kurz gefaßten Schriftstück bedauert Christian, im Augenblick weder mit Truppen noch mit Geld dem Winterkönig zu Hilfe kommen zu können40. Die durch Englands Zögern nutzlos verausgabten Rüstungsgelder vom Jahr 1621 hätten seine Finanzen allzu sehr mitgenommen. Es sei daher wohl das beste für Friedrich, sich mit dem Kaiser auszusöhnen. Hierzu wolle Christian gern seine hilfreiche Hand bieten. Könnten Mansfeld und Braunschweig doch unmöglich Nutzen stiften. Besser also ein sicherer Friede oder wenigstens Waffenstillstand! Mit Nächstem werde der König eine neuerliche Gesandtschaft nach Wien abgehen lassen, die in diesem Sinn für den Pfalzgrafen plädieren solle. Über eventuelle Aufmunterungsschreiben an England und die deutschen Fürsten ist nichts gesagt. Es war ein Entscheid, wie er zu diesem Zeitpunkt den meisten Gesandten zuteil wurde, die den dänischen König zu tatkräftiger Hilfe aufforderten, mochten sie vom Winterkönig, den Generalstaaten oder Christian von Braunschweig geschickt sein. Die Resolution, die Achaz von Dohna im August 1621 heimgebracht 37

Camerarius an Solms, 19. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 206. Camerarius an Solms, Kopenhagen, 22. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 205. 39 Ebenda. 40 DRA, Pfalz A II 3. 38

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hatte, klang sogar um Vieles gereizter41. Viel deutlicher hatte der Däne damals seinem Ärger Luft gemacht, daß ihn England und die Union im Stich gelassen hatten. Jetzt dagegen war es tröstlich, daß Christian nur für den Augenblick sich zur Hilfe außerstande erklärte. Mündlich scheinen zudem die Reichsräte für den Fall, daß England tatsächlich aktiv eingreife, es nicht als unmöglich hingestellt zu haben, daß ihr König auch seinerseits mit Truppen zu Hilfe komme. Ein Passus in des Camerarius Bericht an den Winterkönig läßt darauf schließen: „… wiewohl darbey wiederholt, im Fall der König von England, Nieder Sächsische Creyss und andere sich besser als vor diesem erzeigen würden, dass der König es bey dero vorm Jahr gefassten Resolution nochmals wollte bewenden und an sich nichts erwinden lassen“42. Freilich drängte die Zeit. Die militärischen Vorbereitungen von Mansfeld und Halberstadt waren ja so weit fortgeschritten, daß sie rasches Handeln notwendig machten, ebenso wie die Bewegungen des Gegners, und insofern war die Ergebnislosigkeit der Gesandtschaft ein harter Schlag. Es erwies sich jetzt der Plan, den Camerarius seit einem Jahr verfolgte, als undurchführbar, zum Ersatz für die durch Englands Schuld 1621 versäumte Gelegenheit 1622 eine ähnliche „occasio“ herbeizuführen, indem er, solange noch Truppen im Felde standen, neben niederländischer auch dänische Unterstützung gewann, die ihm nie ganz geheure Streitkraft der eigenen Kondottieren auf solche Weise mit der Macht fremder evangelischer Staaten verband und den für den Winterkönig eintretenden Kräften erst das Gewicht verlieh, das seinem richtigen Dafürhalten nach auch dann nötig war, wenn es sich nur um den Schutz der Pfalz handelte. Camerarius sah nunmehr, welches Geduldsspiel den pfälzischen Räten bevorstand, bis einmal wieder eine gleichzeitige Aktion verschiedener evangelischer Machtfaktoren möglich würde. Er erkannte gleichzeitig, daß auch bei so beschränkten Kriegszielen, wie sie zum Schutz der Pfalz lediglich notwendig waren und auch von ihm damals allein oder doch vor allem ins Auge gefaßt wurden, eine englisch-dänische Allianz kaum zustande kommen würde, solange der Winterkönig noch über das eigene, relativ starke Truppenpotential verfügte. Doch wenn auch von Dänemark zunächst nichts zu erhoffen stand, konnte man immer noch auf dem einmal eingeschlagenen Mittelweg zwischen großer Kriegskoalition und Unterwerfung weiter schreiten, solange die Söldnerführer im Felde standen und die Pfalz geschützt war. Als höchst bedauerlich mußte er es allerdings empfinden, daß Christian den Frieden mit den Mitteln erreichen wollte, die er ablehnte. An Waffenstillstand und Unterwerfung dachte der Däne, anstatt „sub clypeo“ verhandeln zu wollen, und dies, obwohl Camerarius sein ganzes diplomatisches Können aufgeboten hatte, um ihn für den zweiten Weg zu gewinnen. Unser Blick wird an diesem Punkt vom Sachlichen abgelenkt, und wir finden, daß die Hauptursache der tiefen Depression, in der Camerarius Kopenhagen verließ, im Persönlichen lag. Zum ersten Mal mußte sich Camerarius mit eigenen Augen davon überzeugen, wie die „Anhaltische Kanzlei“ bei den neutralen protestantischen Fürsten 41

DRA, Pfalz A II 2, abgedruckt im „Umbständigen Bericht“, „Nachtrab“ und bei Londorp II. Camerarius an Friedrich V., Hamburg, 4. 4. 1622, Londorp, a. a. O. II, 608 ff.

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gewirkt hatte, und wie man nach ihrer Lektüre von der pfälzischen Politik im allgemeinen, besonders aber von seiner eigenen Rolle in Heidelberg und Prag dachte. Man erinnere sich der Worte, mit denen Christian IV. dem Winterkönig in Segeberg entgegengetreten war: „Wer ihm geraten, dass er sollte Könige verjagen und Königreiche einnehmen wollen? Hätten es seine Räte getan, hätten sie gehandelt wie Schelme“43. Damals, im Februar 1621, waren Christian vielleicht schon einige der in Prag erbeuteten Schreiben bekannt44. Die ganze Fülle des in der bayrischen Flugschrift vorgelegten Belastungsmaterials konnte er aber noch schwerlich überblicken. Auch als Dohna in Kopenhagen war, hatte Christian die Anhaltische Kanzlei noch kaum in Händen. Camerarius war der erste pfälzische Gesandte, der dem König unter die Augen kam, nachdem die Beweise der Flugschrift in ihrer Gesamtheit auf Christian gewirkt hatten. Aufs glänzendste mußte dieser in den Ausführungen des bayrischen Rates und Publizisten Jocher seinen Verdacht bezüglich der Leichtfertigkeit der pfälzischen Räte bestätigt finden, und die Kanzlei ließ keinen Zweifel, daß Camerarius unter ihnen einer der gefährlichsten war. Wie geschickt hatte sie des Camerarius Verhalten in Dresden und Frankfurt als betrügerisch gedeutet, wie klar außerdem seine despektierlichen Worte über Kurfürst Johann Georg von Sachsen, den nahen Verwandten des Königs, herausgestellt! Daß Christian bei aller Höflichkeit Camerarius mit starken Reserven empfing, war deshalb klar. Und lieferte dieser nicht selbst in seiner Ansprache den Beweis, daß die vom katholischen Lager gegen ihn erhobenen Vorwürfe zutrafen? Die Feststellung konnte der dänischen Staatskunst nicht schwer fallen, daß des Camerarius Angaben über das englische Hilfskorps, um es milde auszudrücken, etwas zu optimistisch waren und den Tatsachen nicht ganz entsprachen. An diesem Punkt scheint Camerarius den stärksten Widerspruch erfahren zu haben; denn offen gab er Solms gegenüber zu: „… und ist mir expresse gesagt worden, sie hetten erst aus England Zeitung bekommen, daz auff Mein vorbringen, daz nunmehr König in Engellant mit ernst es angriffe, kein fundament zu setzen“45. Doch auch die anderen gewagten Passagen in seiner Ansprache konnten von einem voreingenommenen Zuhörer als Bestätigung dessen aufgefaßt werden, was die Anhaltische Kanzlei vorbrachte. So war es schon eine Kritik an den Worten von Camerarius, obwohl keine direkte, wenn der König das anschließende Gespräch auf die Flugschrift lenkte. Vielleicht wurde er auch noch deutlicher, als wir wissen. Berichtet Camerarius doch: „Kam er auff die also genannte Anhaltische Geheime Kanzlei und ettliche particularia …“46 (Sperrung vom Verfasser). Soviel aber steht fest: Camerarius mußte das deutliche Gefühl gewinnen, daß man ihm in Kopenhagen nicht traute. Zwar wurde ihm mit korrektester Höflichkeit begegnet. Nach des Camerarius Worten ist nicht zu 43

Bericht eines Augenzeugen, SLA, Locat 9194, „Drittes Buch, Kriegswesen in der Unterpfalz betreffend“, S. 76. 44 Herzog Maximilian schickte im Februar 1621 Briefabschriften an den Kurfürsten von Sachsen (SLA, Loc. 9194, „Ander Buch, Kriegswesen in der Unterpfalz betreffend“, S. 208). Ähnliches Material kam also auch wahrscheinlich gleichzeitig in Christians Hände. 45 Kopenhagen, 22. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 205. 46 Camerarius an Solms, Kopenhagen, 19. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 206.

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zweifeln, daß auch Rosenkrantz es hieran nicht fehlen ließ. Im Gegenteil, gerade dieser Reichsrat mußte in vielem ein Mann nach seinem Herzen sein: Verschwägert mit dem Astronomen Tycho Brahe, in regem Briefwechsel mit den ersten Geistern Europas und selber in den humanistischen Disziplinen fast noch bewanderter als Ulfeldt, war Rosenkrantz ein glänzender Vertreter jener Gattung hochgebildeter Diplomaten, die aus der langen Friedensepoche der gegenreformatorischen Jahrzehnte in den Dreißigjährigen Krieg hinübergewachsen waren. Doch auch hier ergab sich ebensowenig wie zum König eine nähere Beziehung, und eben dies war das Schmerzliche für Camerarius, daß ihm in Kopenhagen auch Menschen, denen er seine Hochachtung nicht versagen konnte, die kalte Schulter zeigten. Daß die katholischen Höfe, daß so bornierte Lutheraner wie Hoë von Hoënegg und seine sächsischen Anhänger ihn verurteilten, ließ sich immerhin noch verschmerzen. Daß aber auch Männer wie Christian IV. und Rosenkrantz dieselbe Ablehnung zeigten, beeindruckte ihn tief, und vielleicht machte die nach außen hin zunächst noch beobachtete Höflichkeit ihm fühlbarer, was er verloren hatte, als ein brüskes Verdikt. Doch auch ein solches sollte schließlich nicht ausbleiben. Friedrich V. hatte neben seinen übrigen Wünschen auch die Bitte um einen Schutzbrief für seinen Gesandten geäußert, damit dieser mit größerer Leichtigkeit seinen Geschäften im Niedersächsischen Kreis nachgehen könne47. Hierauf nahm die dänische Resolution in einem Schlußsatz Bezug: Ein Protektionsschreiben auszustellen, sei der König zu seinem Bedauern nicht in der Lage. Sei „bemeldter gesandt im Reich“ doch „so bekannt, exos unde suspect“, daß ein solcher Brief wenig Sinn habe. Fast sieht es so aus, als wollte Christian den Winterkönig vor seinem Rat warnen. Mündlich erhielt dieser dieselbe Auskunft: „… auch Seiner Person in specie die gesuchte Protektion abgeschlagen und ihm angedeuttet, daz er an selbigen Ortten“ – (sc. den norddeutschen Städten) – „wenig assecuration haben möchte“48. Diesem offenen Angriff hielt er nicht stand. Was dem beharrlichen Camerarius selten widerfuhr, trat jetzt ein: Er warf die Flinte ins Korn. Weder der Königin-Mutter, noch dem Herzog von Holstein-Gottorp machte er einen Besuch, wie ihm aufgetragen war49. In einem Fall entschuldigte er sich wegen grundloser Straßen, im andern weil kaiserliche Reiter in Gottorp seien. Auf dem raschesten Weg reiste er nach Hamburg zurück, wo er am 3. April tief deprimiert anlangte. „… in summa Camerarius ist gantz irr, traurig und sorgfaltig“, schrieb er noch aus Kopenhagen an Solms50 und ausführlicher dann aus Hamburg: „Aber Ich hab in Dänemark nur zu viel gespührt, daz alle Räte welche mitt König in Böhmen in Böhmen gewest, sehr verhaßt sein, sonderlich Camerarius, welchem die wortt in der Dänemärkischen Resolution stäts im sinn und hertzen sein, daz er newlich im Reich bekannt, exos und suspect sey“51, eine Bemerkung, die er einige Mo47

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DRA, Pfalz, A II 3. Camerarius an Solms, Kopenhagen, 22. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 205. Camerarius an Solms, Hamburg, 4. 4. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 204. Camerarius an Solms, Kopenhagen, 22. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 205. An Solms, Hamburg, 4. 4. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 204.

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nate später dahin abschwächte, „… dann Camerarius und andere, welche mitt in Böhmen gewesen, seind nit angenehm, nit so sehr ihrer person halben, ut opinor, alss respectu Kaysers“52. Wie tief seine Niedergeschlagenheit war, zeigt auch jene schon erwähnte Äußerung, in der er seinen Herrn unter dem Eindruck der mißglückten Gesandtschaft noch einmal und dringender als vorher zum Frieden riet. „… und muss man ja jetzo, weil das Glück nirgend zuschlagen will, aus der Noth eine Tugend und Frieden machen, wie man kan, dann wann alles verspielt, ist endlich kein remedium, wiewohl Gott die Hand nicht verkürzt ist, obgleich die Menschen ihre Hände gänzlich abziehen“53. Wenn Camerarius sich den Mißerfolg in Kopenhagen in einem Maße zu Herzen nahm, wie kaum einen zweiten in den nächsten zehn Jahren – lediglich der Verlust der Pfalz im Herbst 1622 sollte ihn noch trauriger stimmen –, so erklärt es sich daraus, daß ihm mehr noch als bloß die Hoffnung auf dänische Hilfe geschwunden war. Hand in Hand mit seinen Erfahrungen über die Wirkung der „Anhaltischen Kanzlei“ ging die Erkenntnis, daß die Bedeutung seiner eigenen „Spanischen Kanzlei“ zwar nicht geleugnet wurde, daß die Flugschrift auch ihre Wirkung tat, daß diese Wirkung aber gleichwohl nicht den vorgängigen Effekt der Anhaltischen Kanzlei entkräften konnte, wie Camerarius es gehofft hatte. Wie der erste Eindruck immer der stärkste ist, so blieben die Anklagen des katholischen Lagers trotz aller Gegenklagen mächtig. In den nächsten Monaten wurde die Erfahrung noch bitterer, als man im Niedersächsischen Kreis stets die von Mansfeld einbehaltenen Originale sehen wollte, welches Verlangen Christian IV. offenbar nicht geäußert hatte. Dafür gewann Camerarius in Dänemark von Neuem die Einsicht, daß es ein Ding der Unmöglichkeit war, seine gewohnte Tätigkeit als pfälzischer Gesandter bei den Reichstagen und an den deutschen Höfen fortzusetzen. „Wird bei so gestallten Sachen Rex auff andere Räthe dencken müssen, welche künfftig bey Reichstagen und sonsten in Legation sich mitt mehrern nutz gebrauchen lassen können“54. Doch es blieb nicht bei dieser sachlichen Feststellung. Sie steigerte sich zu höchster Sorge um die eigene Person, ja zu direkter Furcht. Die Überzeugung, innerhalb des Reiches nicht mehr verwendbar zusein, wurde dadurch noch besonders niederdrückend, daß Camerarius’ Auftrag dahin ging, im Anschluß an den Aufenthalt in Dänemark die pfälzischen Interessen im Niedersächsischen Kreis wahrzunehmen. Daß dies bei seinem geschädigten Renommée und seinem schlechten Verhältnis zu König Christian schwerlich in befriedigender Weise möglich sein würde, brachte er schon in Kopenhagen zum Ausdruck. Bereits nach dem ersten Besuch der Reichsräte schrieb er: „… dann Camerarius sehr perplex, waz er an andern ortten in Niedersächsischem Kreis werde thun können“55, und wiederholte die Befürchtung in seinen nächsten Briefen mehrmals. Mußte es doch im Niedersächsischen Kreis seine eigentliche Aufgabe sein, eine gemeinsame Aktion des Kreises und Dänemarks zu erwirken, 52

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Camerarius an Solms, Bremen, 13. 6. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 186. Camerarius an Friedrich V., Hamburg, 4. 4. 1622, Londorp, a. a. O. II, 608 ff. Camerarius an Solms, Hamburg, 4. 4. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 204. Camerarius an Solms, Kopenhagen, 19. 3. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 206.

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wobei das Bewußtsein, beim einen, und noch dazu dem mächtigeren Teil in jedem Fall mit großer Skepsis rechnen zu können, selbstverständlich im höchsten Maß hinderlich war, ebenso wie das Gefühl, bei jedem Schritt der eigenen Sicherheit wegen auf der Hut sein zu müssen. Persönlichkeiten wie Vosbergen und Voppe van Aytzema, der niederländische Agent bei den Hansestädten, die auf beiden Seiten Vertrauen genossen, gehörten auf einen solchen Platz. Auch der von Camerarius so heiß herbeigesehnte Andreas Pawell hätte vielleicht erfolgreich arbeiten können. Camerarius dagegen konnte kaum auf Erfolge hoffen, und tatsächlich wurde das ganze Dreivierteljahr in Bremen von seinem schlechten Verhältnis zum dänischen König überschattet. Doch nicht nur die Aussicht auf Wirkungsmöglichkeiten innerhalb des Reiches ging in Kopenhagen in die Brüche. Ebenso klar war es, daß auch bei einer diplomatischen Tätigkeit außerhalb Deutschlands, auf die Camerarius sich nun hingewiesen sah, ihm das Mißtrauen des dänischen Hofes im Weg stehen würde, genauso wie das Bewußtsein, daß sein Debüt in der nordeuropäischen Diplomatie mißlungen war. Zunächst gab Camerarius die Hoffnung nicht auf, schließlich doch noch die Gunst Christians IV. erlangen zu können. Eines der Motive, das ihn im August 1622 die Fühlung mit Christian von Anhalt wieder aufnehmen ließ, war die Hoffnung, der Fürst könne von Flensburg aus für ihn den Mittelsmann zum dänischen Hof hin abgeben. Oftmals schrieb er außerdem an einen der einflußreichsten Sekretäre des Königs und war enttäuscht, als er keine Antwort erhielt56. Gleich nach seiner Rückkehr aus Dänemark hatte er mit diesen Briefen begonnen57. Zur selben Zeit erwog er auch bereits eine neue Gesandtschaft nach Dänemark. Allein wollte er sich zwar nicht hinwagen. Doch in Begleitung eines so angesehenen Mannes wie des später von ihm oft befehdeten englischen Diplomaten Sir Robert Anstruther glaubte er, es allenfalls riskieren zu können, wenn auch unter schweren Bedenken58. Nicht als selbständiger „Legatus“, sondern als „Mitsollicitator und Agent des Königs“ wollte er diesmal in Kopenhagen auftreten. Auch im August 1622 schien es ihm noch nicht angezeigt, allein zu reisen: „Ich sorge, Camerarius sey daselbst“ (sc. am dänischen Hof) „nicht gar angenehme, wollte sonsten der sach und Roy de Bohème zu gutem gern eine reis in holstein tun“59. Dafür faßte er im Oktober noch einmal eine gemeinsame englisch-niederländisch-pfälzische Gesandtschaft allen Ernstes ins Auge. Offenbar hoffte er, sein Renommée werde sich bessern, wenn er als Begleiter von Staatsmännern wie Vosbergen und Anstruther erschien, die sich in Dänemark solcher Beliebtheit erfreuten. Sein Brief an Anhalt zeigt, daß er diesmal die Mission mit aller Entschiedenheit betrieb. „Camerarius hatt derselben“ (sc. der Böhmischen Majestät) „eine gesampte Legation an Dänemark vorgeschlagen, welche England, König in Böhmen, Generalstaaten zugleich solten abgehen lassen, und sich gegen König 56

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Camerarius an Anhalt, Bremen, 7. 11. 1622, LSA, A 9a, 184. Camerarius an Solms, Hamburg, 13. 4. 1622, Coll. Cam. Vol. 47. Camerarius an Solms, Bremen, 28. 4. 1622, Coll. Cam. Vol. 47. Camerarius an Anhalt, Bremen, 7. 11. 1622, LSA, A 9a, 184.

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in Böhmen dazu erbotten“60. Doch es blieb in allen drei Fällen nur bei Plänen. Vielleicht war es gut für Camerarius, daß er nicht ein zweites Mal nach Kopenhagen kam; denn kein Anzeichen stellte sich ein, daß dort eine Meinungsänderung eingetreten war. Ebensowenig wie Camerarius selbst mit seinen Briefen zeigte sich Christian von Anhalt fähig, seinen dänischen Namensvetter zu einer besseren Ansicht über Camerarius zu bringen. Statt dessen konnte ein ärgerliches Mißgeschick des Camerarius Ansehen nur weiter schädigen. Sein schon mehrfach angeführter Bericht an den Winterkönig vom 4. April 1622 nebst drei weiteren Briefen, die er in den folgenden Wochen an dieselbe Adresse richtete, fiel wahrscheinlich bei der Eroberung Heidelbergs in die Hände der Gegner. Diese wären töricht gewesen, hätten sie nicht das kostbare Material für ihre propagandistischen Zwecke benützt. In nicht weniger als drei Publikationen wurde jedermann Gelegenheit geboten, von den vier Schreiben des Camerarius Kenntnis zu nehmen. Auch für entsprechende Erläuterungen war gesorgt. Als erstes ließen bayrische Publizisten die Briefe 1624 im „Umbständigen Bericht“61 erscheinen. Dieser wurde noch im selben Jahr mit anderem Material aus der Heidelberger Aktenbeute im „Nachtrab der Anhaltischen Cantzley“62 vereinigt, den Londorp bald in sein großes Quellenwerk aufnahm. Sofern die bayrische Diplomatie nicht ihrer Gewohnheit folgend Christian IV. gleich nach Erbeutung des Materials direkte Mitteilung gemacht hatte, konnte dieser also spätestens seit 1624 durch einen Einblick in des Camerarius Brief vom 4. April 1622 an Friedrich V. sich davon überzeugen, daß der Gesandte eigenmächtig von seiner Instruktion abgewichen war. Er konnte feststellen, daß Camerarius, um die dänische Hilfe zu erlangen, Gefahren absichtlich verschwiegen hatte, und wenn dies in dem Brief auch nicht ausdrücklich gesagt war, mußte Christian in dem Schreiben doch eine neue Bestätigung sehen, daß die Angaben über die englische Unterstützung aus der Luft gegriffen waren. Noch unangenehmer fast war die Publikation eines zweiten Briefes vom 26. April 1622. In ihm berichtete Camerarius nämlich, wie er in Hamburg mit dem dänischen Diplomaten Siegfried von Pogwisch zusammengetroffen sei. Dieser habe sich gerade auf einer Gesandtschaftsreise nach Wien befunden, ihm Einblick in seine Instruktion gestattet, sich seinen Ratschlägen höchst zugänglich gezeigt und mit ihm eine laufende Korrespondenz verabredet, ein Passus, der Christian nicht bloß gegen Camerarius ärgerlich stimmen mußte, sondern auch Pogwisch kompromittierte und dazu angetan war, Camerarius’ vertrautes Verhältnis zu dem dänischen Geheimrat zu untergraben. Auch des Camerarius Feststellung, er gelte als Hauptanstifter des Böhmischen Unternehmens und seine Bedenken, ob er überhaupt im Niedersächsischen Kreis noch etwas nützen könne, vor allem aber seine Enttäuschung über den Mißerfolg am dänischen Hof, wurden durch die Publikation an die Große Glocke gehängt, was bei allen 60

Camerarius an Anhalt, Bremen, 23. 10. 1622, LSA, A 9a, 184. „Umbständiger Bericht und Relationes etlicher gewester Churpfaltz gehaimber vertrautister Räth, uber unterschiedliche Legationes, so Anno 1620, 1621, 1622 bey der Königlichen Würden in Dennemark verrichtet.“ 62 Londorp: „Nachtrab Anhaltischer Cantzley aus der geheimben Heydelbergischen Registratur“. 61

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Versuchen, einen Stimmungswandel in Kopenhagen herbeizuführen, seine Stoßkraft vermindern mußte. Katholischerseits war man so klug, das Kompromittierende der Schriftstücke klar zu erkennen und die Leser mit aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen. Die schärfsten Worte fand Londorp, bei dem sich folgende Bemerkungen finden: „Es folget daraus“ (sc. aus den Briefen) „allerhand unter andern, dass D. Camerarius ein gross odium auff sich geladen, … bey und unter seinen Glaubensgenossen nicht sicher, … dass dergleichen leut … der Gesandten Instructionen nachtrachten, sie die Gesandten auff ihren Schlag informiren, heimliche Correspondentz anstellen, diejenigen Instructionen so ihnen auffgetragen ändern: Und wie Camerarius meldet, nach den Humorn ad quos mittuntur accomodiren…“63. Doch nicht genug mit dem einen Mißgeschick. Ende 1626 beziehungsweise Anfang 1627 ereignete sich ein zweiter Vorfall gleicher, wenn auch nicht ganz so kompromittierender Art. Wiederum wurden Briefe von Camerarius aufgefangen. Diesmal waren sie an Axel Oxenstierna gerichtet und gerieten durch polnische Vermittlung Jesuiten in die Hände, die sie in der „Cancellaria Suedica“ veröffentlichten. Konnte Christian IV. nach dem „Umbständigen Bericht“ von 1624 vor allem an des Camerarius Vertrauenswürdigkeit zweifeln, so bekam er nun auch das Urteil des Pfälzers über seine strategischen Fähigkeiten vorgelegt. Gleich im ersten der veröffentlichten Briefe und noch dazu ganz am Anfang schrieb Camerarius: „Regem Daniae minus felici successu hoc bellum gesturum semper metui. Nam ab initio statim, cum in eius castris fui, a nonnullis rei bellicae peritis talia narrare audivi, quae magnam mihi spem facere non potuerunt. Suo semper ingenio Rex uti solet, consuetus recte monita spernere“64. Wiederum säumten die Herausgeber nicht, in ihrer Einleitung auf die Bedeutung solcher Äußerungen hinzuweisen65. Die Publikationen verschlechterten noch des Camerarius Verhältnis zu Kopenhagen. Die eigentliche Entscheidung war aber schon 1622 gefallen. Wie der König keine Anstalten machte, seine Meinung zu ändern, so rückte auch Camerarius bereits unmittelbar nach der Gesandtschaft von ihm ab. Die Untersuchung führt nicht weit, ob die Urteile, die er von nun an über Christian IV. fällte, nur von persönlicher Kränkung oder auch von sachlichen Bedenken bestimmt waren. Läßt sich doch bei einer Erscheinung von der Eigenart des Camerarius Sachliches und Persönliches noch weniger voneinander trennen als bei anderen Charakteren. Die ihm selbst erzeigte Ablehnung bedeutete auch eine Verwerfung der Pläne, die ihm als die allein richtigen erschienen. Zwangsläufig ging an diesem Punkt die persönliche Verstimmung in sachliche Kritik über. Seine große Menschenkenntnis erleichterte es ihm, bereits zu diesem frühen Zeitpunkt Christians 63

Londorp, a. a. O. II, 615 ff. Camerarius an Oxenstierna, Haag 16. 10. 1626, Cancellaria Suedica und Schybergson, Sveriges och Hollands … 450. 65 „Quis enim a Camerarii lingua et exitiosis dentibus integer? Quam multo melle apud Danum sermonem olim condiit, ut ambigentem ad poenitendam malitiam pelliceret: iam tamen, posita amici persona, felle Lycambeo calasmum tingit Atque in Danum fortuna destitutum quasi de plaustro Satyram consputat …“, Cancellaria Suedica. 64

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Schwächen zu erkennen, die herauszustellen er von nun an nicht müde wurde. Die anerkennend-hoffnungsreichen Äußerungen über Dänemark, die sich in seinen vor der Reise nach Kopenhagen geschriebenen Briefen finden, wurden bereits erwähnt. Nach der Rückkehr in die Hansestädte trat an ihre Stelle schärfster Tadel. „Danus ist gantz in privatis vertieft und will nicht mascule handeln“, hieß es jetzt66, und schon 1622 wird die stehende Phrase auf den König angewandt: „wann aber die intention nit da ist, daz publicum privatis vorzuziehen, so ist alles vergebens“67, ein Gedanke, der einige Monate später eine noch schärfere Formulierung erfährt: „… bezeiget leider die erfahrung ie lenger ie mehr … daz auff die nichts zu fundiren welche der Geiz und daz privatum verleyden zu der gemeinen sachen und ihrer Selbsten schaden“68. Immer pessimistischer wurde das Urteil. So heißt es, um noch zwei weitere Beispiele anzuführen, 1625: „Quid de Dano magni nobis polliceri debeamus vehementer dubito. Notum mihi est eius ingenium et terrent me vestigia“69, und ein Jahr später noch prägnanter: „De rege Daniae vero ego non mutuo sententiam, hoc defensore non restituendam paene collapsam rem publicam“70. Auch in spaßhafterer Form gab Camerarius seine Meinung kund. Spätestens im Lauf des Jahres 1624 führte er in seiner Korrespondenz mit Oxenstierna für prominente Persönlichkeiten biblische und klassische Decknamen ein71. Gustav Adolf hieß von nun an Gideon oder Scipio Africanus, Prinz Moritz von Oranien Constans, der Winterkönig David und Camerarius selbst Josephus. Christian IV. aber mußte sich mit den Namen Lentulus und Ulysses begnügen. Camerarius war eine zu aktive Natur, als daß er sich mit negativer Kritik begnügt hätte. Mit der ihm eigenen Entschlossenheit schlug er vielmehr neue Wege ein. Nicht nur um Fürsprache in Kopenhagen wandte er sich von Bremen aus an Christian von Anhalt. Noch viel mehr lag ihm an des Fürsten Protektion in Stockholm. Aus demselben Grund begann er Ende 1622 einen regen Briefwechsel mit dem nach Schweden übergesiedelten Pfalzgrafen Johann Kasimir, und wenige Monate darauf, spätestens im März 1623, vielleicht aber schon früher, kamen die regelmäßigen Berichte an den schwedischen Kanzler wieder in Gang. Es wäre eine starke Übertreibung, wollte man lediglich dem Mißerfolg in Dänemark des Camerarius neuerliche, rasche Annäherung an Schweden zuschreiben, die schließlich zum Übertritt in die Dienste Gustav Adolfs führte. Eine erste Entscheidung war ja schon in Prag gefallen72. Selbst wenn die dänische Mission besser ausgegangen wäre, die günstige Gelegenheit, über Johann Kasimir und Christian von Anhalt aufs neue in Stockholm anzuknüpfen, hätte Camerarius vermutlich trotzdem ergriffen und eine schwedische Rente angestrebt. Daß er nunmehr aber 66

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An Solms, Bremen, 5. 6. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 194. An Anhalt, Bremen, 15. 10. 1622, LSA, A 9a, 184. An Anhalt, Haag, 3. 7. 1623, LSA, A9a, 184. An Rusdorf, Haag, 1625, Coll. Cam. Vol. 25. An Oxenstierna, Haag, 25. 11. 1626, SRA, Oxenstiernska samlingen. Verhältnismäßig vollständige Verzeichnisse der Decknamen liegen unter Camerarius’ Briefen an Oxenstierna vom Jahr 1624, SRA, Ox. slg.; außerdem in Coll. Cam. Vol. 32, Nr. 170. 72 S. Kap. X. 67

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mit viel größerer Entschiedenheit als bisher sein Ziel verfolgte, darauf war das ablehnende Verhalten Christians IV. von Einfluß. Camerarius wußte seit 1622, daß für ihn in Kopenhagen nichts zu holen war. Alle Erwägungen, ob das reiche Dänemark dem armen Schweden vorzuziehen sei, waren für ihn persönlich von nun an ohne Sinn. Getreu seinem Grundsatz, daß man in extremis extrema wagen müsse, setzte er für sich selbst vielmehr alle Hoffnung auf Schweden. Wer kann sagen, ob ihm der Aufstieg zu den höchsten schwedischen Staatsstellungen gelungen wäre, wenn er am Anfang nicht diese verzweifelte Stoßkraft entwickelt hätte? Ebenso fraglich ist es, ob er zu der bedingungslosen Hingabe an die schwedische Sache, zu der oft blinden Begeisterung für Gustav Adolf gekommen wäre, hätte er von Christian IV. eine bessere Meinung gehabt. Wie seine eigene Karriere hätte sich in diesem Fall vermutlich auch seine Rolle in der evangelischen Diplomatie anders gestaltet. Der Fall der pfälzischen Festungen im Herbst des Jahres 1622 hätte ihn bei einem besseren Verhältnis zu Dänemark nur schwerlich zu den neuen, weit gespannten Allianzplänen mit radikalen Kriegszielen veranlaßt, denen er seit 1623 nachging. Kaum wäre er im darauf folgenden Jahr mit solcher Entschiedenheit dafür eingetreten, daß in der neuen Koalition Schweden anstatt Dänemark die Leitung zukäme und der Kampf in Böhmen und Österreich statt in Westfalen und am Rhein zu führen sei. Wie die anderen protestantischen Diplomaten auch hätte er vielleicht 1624 seine Hauptkraft daran gesetzt, Dänemark zum Krieg zu veranlassen und wäre nicht zu seinem eigensten Allianzplan in Opposition geraten, sobald entschieden war, daß Dänemark und nicht Schweden mit dem Kampf betraut werden sollte. Nachdem die Wahl wider seinen Willen auf Christian IV. gefallen war, bemühte er sich zwar auch seinerseits, Dänemarks Anstrengungen während des NiedersächsischDänischen Krieges zu fördern. Durch immer neue Mittel suchte er, Dänemark zu Geld zu verhelfen und zeigte sich ernsthaft bestrebt, die Einigkeit zwischen den skandinavischen Nachbarn aufrecht zu erhalten, und besuchte deshalb offenbar 1626 Christian IV. auch noch einmal in seinem Feldlager73. Seine tiefe Skepsis gegen Christians Fähigkeiten blieb jedoch bestehen, und niemals machte er aus ihr ein Hehl. So hob sich sein Ansehen außerordentlich, als Dänemark 1628 zusammenbrach. Als weitblickender Mann stand er nun da, der als einer der ersten ernste Bedenken gegen Christian geltend gemacht und vorausgesagt hatte, wohin ein Krieg unter seiner Leitung führen werde. Obwohl er in seinem Urteil über den König jetzt nicht weiter ging als in den vorangegangenen Jahren und deshalb nun fast gemäßigter schien als andere Kritiker, wußte er doch wie alle beharrlichen Naturen, seinen Triumph hoch zu schätzen. Schon bevor die dänische Niederlage offenkundig war, sollte ihm noch eine unmittelbarere Genugtuung zuteil werden. Als um die Jahreswende von 1625 auf 26 aus dem pfälzischen Exilminister und schwedischen Agenten der Gesandte und Botschafter Gustav Adolfs bei den Generalstaaten wurde, dem unter den Staatsmännern im Haag mit der erste Rang zukam, trug auch Christian IV. diesem Wandel Rechnung, indem er nichts gegen den von seinem Kanzler Ulfeldt 73

Camerarius an Oxenstierna, 16. 10. 1626, a. a. O.

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gebilligten Entschluß einwandte, Camerarius Ende Dezember 1625 als Vertreter der evangelischen Mächte nach Schweden zu schicken. Vielmehr richtete er, nachdem alle Briefe des Camerarius nach Kopenhagen jahrelang unbeantwortet geblieben waren, nunmehr ein eigenhändig gezeichnetes Schreiben an Camerarius und ersuchte ihn, einen Brief nach Stockholm mitzunehmen74. Der König ging sogar noch weiter. Er ließ Camerarius durch seinen Sohn bitten, ihn auf der Rückreise zu besuchen und über das Ergebnis seiner Gesandtschaft zu berichten. Obwohl es offenbar auch Oxenstierna lieb gewesen wäre, hätte Camerarius in Kopenhagen Halt gemacht, lehnte dieser den Vorschlag kühl ab. Die Worte, mit denen er dem Kanzler gegenüber seinen Entschluß rechtfertigte, sind bezeichnend für die Genugtuung, die es ihm bereitete, als neu ernannter schwedischer Gesandter nicht mehr von Dänemark abhängig zu sein. Jahrelang hatte er sehnsüchtig nach dem kleinsten Zeichen ausgeschaut, daß er in Kopenhagen willkommen sei. Jetzt dagegen konnte er es sich leisten, die Aufforderung als eine Bagatelle darzustellen, die mitzuteilen er fast vergessen hätte: „Haec paene oblitus fueram adiicere,“ schrieb er, „Coldingae Principem desiderasse, ut ad patrem suum proficiscerer. Sed magnae mihi causae sunt, cur me excusaverim. Metuo enim pericula et alia, quae non exprimo“75. Wer die Vorgeschichte kennt, wird nicht lange fragen, welcher Art diese anderen Gründe waren. Unter demselben Datum wie an Oxenstierna richtete Camerarius ein langes Schreiben an Christian IV., in dem er sein Fernbleiben entschuldigte76. Auf den ersten Blick klingt der Brief zwar höflich und entgegenkommend, wenn auch wiederum alle direkten Komplimente fehlen. Bei näherem Zusehen aber finden sich zwei scharfe Spitzen. Einmal konnte es dem dänischen König schwerlich behagen, daß Camerarius offensichtlich für Schweden Partei nahm und in etwas dozierendem Ton versicherte, Gustav Adolf sei besten Willens, sich der gemeinsamen Sache anzunehmen, wenn ihm die übrigen evangelischen Mächte nur das erforderliche Entgegenkommen und die nötige Achtung erzeigen wollten. Außerdem aber lag seine Gesandtschaft nach Kopenhagen noch nicht so weit zurück, als daß in der Art, wie Camerarius sein Fernbleiben entschuldigte, nicht eine Anzüglichkeit zu sehen wäre. Nichts sei ihm an sich lieber, schrieb er, als den König aufsuchen zu können. Triftige Gründe hielten ihn jedoch zu seinem Bedauern davon ab, vornehmlich die Gewißheit, „daz Meine person bey den widrigen sehr bekannt und exos ist.“ Es sind dieselben Worte, mit denen Christian IV. vier Jahre früher es abgelehnt hatte, Camerarius einen Schutzbrief auszustellen!

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Christian IV. an Camerarius, Rothenburg, 2. 1. 1626, Coll. Cam. Vol. 32, Nr. 101. Camerarius an Oxenstierna, Altona, 25. 5. 1626, SRA, Ox. slg. 76 Camerarius an Christian IV., Altona, 25. 5. 1626, Coll. Cam. Vol. 32, Nr. 102 (Konzept). 75

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V II. Ka p itel

Agent im Niedersächsischen Kreis Es dürfte, obwohl die Instruktion sich hierin nur allgemein ausdrückt, die eigentliche Absicht gewesen sein, daß Camerarius seine im Anschluß an den Besuch in Kopenhagen vorgesehene Tätigkeit in Norddeutschland in der Weise ausübte, daß er, ähnlich wie im Winter von 1620 auf 1621, von einem der Stände des Niedersächsischen Kreises zum anderen reiste, auf den Kreis- und Landtagen erschien und in direktem Vortrag und persönlichem Gespräch für die pfälzischen Interessen wirkte. Nach der Rückkehr aus Dänemark wagte er das jedoch nicht mehr. Zu sehr hatte ihn das eisige Verhalten König Christians entmutigt. Zu groß schien ihm nunmehr auch, besonders ohne dänischen Geleitsbrief, die Gefahr, aufgegriffen zu werden. Stand doch der Graf von Anholt seit März 1622 mit ligis­tischen Truppen Christian von Braunschweig in den Bistümern Münster und Paderborn gegenüber. Streifscharen beider Parteien durchzogen Niedersachsen, und wie weit hinauf nach Norden die kaiserlichen Werbeplätze vorgeschoben waren, hatte Camerarius zwischen Bremen und Hamburg ja mit eigenen Augen gesehen. Keine allzu großen Schwierigkeiten konnte es deshalb den Gegnern bereiten, ihn bei Gelegenheit aufzugreifen. Wenn die Reichsacht auch nicht über Camerarius persönlich verhängt war, bestand doch kein Zweifel, daß er von der kaiserlichen Partei als einer der Hauptanstifter des böhmischen Unternehmens und als gefährlicher Publizist betrachtet wurde. Das Argument, er sei zu „exos und widrig“, mit dem ihm in Dänemark ein Schutzbrief verweigert worden war, besaß natürlich einen wahren Kern, wenn es Christian IV. auch vornehmlich als Vorwand gedient hatte. Andere Fälle zeigten zur Genüge, daß man in Wien und München jederzeit auf den Gedanken verfallen konnte, einen so ausgezeichneten Vertreter der feindlichen Partei in die Hand zu bekommen. Das wurde Camerarius, gleich nachdem er am 3. April 1622 von Kopenhagen her wieder in Hamburg eingetroffen war, durch den Kanzler des Herzogs von Celle bestätigt1. Dieser machte ihn brieflich darauf aufmerksam, daß er von kaiserlicher Seite beobachtet werde, und warnte ihn davor, sich in Niederdeutschland allzu öffentlich zu zeigen. Ähnliches hatte man ihm vor einem Jahr auch schon in Kassel gesagt. Damals hatte er sich, wenn auch nicht ohne Bedenken, darüber hinweggesetzt. Doch 1621 waren noch das Risiko geringer und besonders sein eigener Elan größer gewesen. Bald nachdem die Warnung aus Celle eingegangen war, stellte Camerarius fest, daß seine Reise in die „curranten“ gekommen war, bei 1



Camerarius an Solms, Hamburg 13. 4. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 201.

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denen wir wohl an eine Art von Zeitung zu denken haben2. Um so größer war die Gefahr, als sich seit Mai 1622 zwei kaiserliche Abgesandte, der Freiherr von der Reck und Dr. Melander, im Kreisgebiet aufhielten und an Ort und Stelle Camerarius viel leichter nachspüren konnten, als dies vom fernen München oderWien aus möglich war. Außerdem wurde das Risiko noch verstärkt durch die publizistische Tätigkeit, die Camerarius in Niedersachsen mit unvermindertem Eifer, wenn auch nicht mit so durchschlagendem Erfolg wie im Vorjahr, fortsetzte. Zwar suchte er, bei seinen Veröffentlichungen absolute Anonymität zu wahren, doch da er beständig Druckereien in Bremen und Emden für sich arbeiten ließ und mit den Verlegern verhandelte, bot sich trotzdem nur zu viel Gelegenheit, dem Autor jener Flugschriften, die solches Aufsehen erregten, auf die Spur zu kommen, und es sollte sich zeigen, daß dies der Hofburg in den nächsten Monaten tatsächlich gelang. Nur an der nördlichen Grenze seines Wirkungsfeldes, im Mauerring der großen Hansestädte, fühlte Camerarius sich sicher. In Hamburg störte ihn jedoch die engstirnige Art der lutherischen Geistlichkeit und die auf die Dauer doch spürbare Reserviertheit des Magistrats bald wieder3. Nachdem er noch mit Achaz von Dohna zusammengetroffen war, der nach Brandenburg weiterreiste, und von Dohna offensichtlich einige Aufmunterung erfahren hatte, entschloß er sich deshalb, Bremen zu seinem Aufenthaltsort zu nehmen, wo er am 26. April eintraf, kurz nach Ostern, das 1622 spät fiel4. Camerarius brauchte seine Wahl nicht zu bereuen. In den sieben Monaten, die er in Bremen verbrachte, vermochte er zwar nicht, den Senat zu ernstlichen Schritten für die pfälzische Sache im allgemeinen zu vermögen, bei denen sich die Stadt aus ihrer vorsichtigen Neutralität hätte herauswagen müssen. Stets kam der Magistrat Camerarius mit der plausiblen Entschuldigung, er habe sich mit einer 1620 Friedrich V. gewährten Anleihe bereits so beim Kaiser exponiert, daß er beim besten Willen nicht in der Lage sei, mehr zu tun. Camerarius persönlich aber bewies man weitgehendes Entgegenkommen und glaubensverwandtes Verständnis für die Notlage, in der er sich befand. Im Februar, während der Durchreise nach Kopenhagen, hatte die Stadt ihn auf ihre Kosten beherbergt. Jetzt fand er wieder angenehmes Quartier, zuletzt im Haus des Handelsherrn Gregor Kettwig neben dem Ansgartor5. Besonders günstig war für ihn, daß er zum Bürgermeister Dietrich Hoyer in ein gutes Verhältnis kam. So groß war sein Vertrauen zu dem Stadtoberhaupt, daß er, um sich ein gewisses Inkognito zu verschaffen, viele für ihn bestimmte Briefe an Hoyer adressieren ließ. Andere Briefe dieser Zeit tragen die Aufschrift „à Monsieur Liebhardt“, eine weitere, auch in späteren Jahren hin und wieder gebrauchte Vorsichtsmaßregel, die ihn den ursprünglichen Namen seiner Familie aufnehmen ließ, den sie, wie schon gesagt, führte, bis ihr die ursprüngliche Amtsbezeichnung Kammermeister und daran anknüp2



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Camerarius an Solms, Hamburg 13. 4., Bremen 28. 4. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 201, 199. Camerarius an Solms, Hamburg 28. 2. 1622: „ … und die Obern sich vor ihrn pfaffen fürchten“, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 209. Camerarius an Solms, 13. 4. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 201. Camerarius an Solms, Bremen 15. 10. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 177.

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fend Camerarius zum zweiten Namen wurde. Gleichzeitig bat er Bekannte und Freunde, auszustreuen, er befinde sich in den Niederlanden6. Neben Hoyer zeigte sich besonders Dr. Buxdorff gefällig, der Syndikus von Bremen7, und auch der übrige Magistrat ließ es nicht an Entgegenkommen fehlen. Dieses ging immerhin so weit, daß die Stadt einen kaiserlichen Verweis auf sich nahm, weil sie des Camerarius publizistische Tätigkeit nicht behindere, und so entschlossen schien, einen eventuellen kaiserlichen Auslieferungsantrag abzulehnen und eine Ausweisung zumindest dilatorisch zu behandeln, daß im November 1622 Camerarius, dem die Drohungen aus Wien damals gerade recht kamen, förmlich Mühe hatte, Solms klarzumachen, Bremen werde sich den kaiserlichen Anordnungen schließlich doch nicht widersetzen können. Nur drei Mal verließ Camerarius während seiner Agentenzeit in Norddeutschland die schützenden Wälle von Bremen, beziehungsweise vorher die von Hamburg. Kurz vor seinem Aufbruch von Hamburg nach Bremen traf er sich in der Nähe ersterer Stadt das eine Mal mit einem Rat des Herzogs von Lüneburg, das andere Mal mit dem schon erwähnten dänischen Diplomaten Siegfried von Pogwisch, der sich auf der Reise nach Wien befand. In beiden Fällen verschaffte Camerarius sich wertvolle Informationen, ebenso wie auf der dritten Reise, die ihn im September 1622 ins Herzogtum Lüneburg führte. Dort traf er sich mit zwei lüneburgischen Räten und erreichte nicht nur Einblick in geheime Akten über Verhandlungen mit Kursachsen, sondern konnte das Wichtigste sogar in aller Eile heimlich kopieren. Im übrigen mußte Camerarius sich auf briefliche Wirksamkeit beschränken. Sein schon von jeher großer Schreibfleiß wuchs deshalb jetzt noch beträchtlich, zumal er nun auch an Solms und den Winterkönig regelmäßigere und noch ausführlichere Briefe sandte, als sie bei seinen bisherigen zeitlich begrenzteren Gesandtschaften nötig gewesen waren. Der auch für die späteren Jahre im Haag, die in vieler Hinsicht die große Zeit seines Lebens ausmachen, so charakteristische Zustand nahm jetzt seinen Anfang, daß er vornehmlich und viel ausschließlicher als bisher vom Schreibtisch aus auf die Weltbegebenheiten Einfluß zu üben hatte. Es war eine Notwendigkeit, die seine literarische Begabung weiter entwickelte und ihn zu einer hohen Form der Briefkunst gelangen ließ, nachdem der niederländische Späthumanismus und der schriftliche Austausch mit so glänzenden Stilisten wie Axel Oxenstierna und Hugo Grotius ihn zur gepflegten Latinität des Ausdrucks hatten zurückkehren lassen. Die Berichte, die er in Bremen verfaßte, sind dagegen noch in kunstloserem Deutsch geschrieben. Dafür haben die Briefe vor 1624 die Besonderheit, daß sie nüchterner und in ihrer Beurteilung der Gesamtlage illusionsloser sind als seine späteren, im Zeichen eines hochgespannten politischen Idealismus und eines Programms stehenden Schreiben. Wie im Vorjahr war Camerarius auch auf der Hinreise nach Kopenhagen der Ansicht gewesen, daß einige Aussicht bestehe, die Fürsten und Städte von Nieder6



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Camerarius an Rusdorf, Bremen 14. 10. 1622, Coll. Cam. Vol. 25; s. a. Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 166. Camerarius an Rusdorf, Bremen 14. 10. 1622: „Est vir bonus, causae bonae et meae amantissimus“, Coll. Cam. Vol. 25.

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deutschland zu mehr oder minder tätigem Eingreifen für die pfälzische Sache zu bewegen, und daß es sich lohne, diesbezügliche diplomatische Versuche zu unternehmen. Der Schreck, den er am dänischen Hof empfing, der für die pfälzischen Interessen wiederum ganz negative Ausgang des Hansetages im März 1622 und die Begrenzung seiner eigenen Bewegungsfreiheit brachten ihn jedoch zu dem Entschluß, sich bei den niedersächsischen Kreisständen auf die reine Defensive zu beschränken, lediglich danach zu trachten, „ne manifeste sint feindt“, das heißt zu verhindern, daß der Kreis dem Kaiser Hilfsgelder bezahle und bewaffnet gegen den Halberstädter vorgehe. Camerarius buchte es deshalb als Erfolg seiner Bemühungen, daß der Ende Mai 1622 abgehaltene Landtag im Erzstift Bremen die von kaiserlicher Seite beantragte „Tripelhilfe in Triplo“ glatt ablehnte8. Schwieriger war es, sich aus der Ferne auf dem ungleich wichtigeren Kreistag von Lüneburg Gehör zu verschaffen, der am 17. Juni 1622 begann; denn hier fanden sich in Person die kaiserlichen Gesandten Reck und Melander ein9. Nach ihrer Instruktion zu schließen, brachten die beiden kaiserlichen Vertreter zudem ihre Wünsche mit großem Geschick vor10. Sie schlugen denselben nüchternen und sachlichen Ton an, den die Kreismitglieder ihrerseits auch zu gebrauchen pflegten, und trugen dem Verlangen der Stände, nichts Großes und keine Veränderung zu wagen, Rechnung, indem sie die Bitte des Kaisers um Geld als eine Kleinigkeit und als altüberkommenes, vom Kreis seit Jahren anerkanntes Recht hinstellten und betonten, daß die geforderten Mittel nur dem Schutz der altehrwürdigen Reichsverfassung und dem Kampf gegen die Umstürzler und „Novatores“ Ernst von Mansfeld und Christian von Braunschweig dienen sollten. Dem gegenüber stand Camerarius in Niedersachsen stets vor der Schwierigkeit, die pfälzischen Kondottieren decken und die Rolle des „Novator“, der die Reichsverfassung bedrohe, dem Kaiser zuschieben zu müssen. Hierbei konnte er sich zwar des beliebten Begriffes von der fürstlichen Libertät bedienen und tat dies auch ausgiebig. Doch gegen das Bedenkliche eines Waffenganges mit dem mächtigen Reichsoberhaupt vermochte der Libertätsbegriff gerade bei den kleineren lutherischen Reichsständen besonders wenig. Zudem fragte es sich, ob das Vertrauen der niedersächsischen Kreismitglieder zu dem pfälzischen Vertreter verstärkt wurde durch den ideenreichen Schwung und die relativ starke Betonung des religiösen Momentes, die Camerarius trotz seiner Ernüchterung auch 1622 noch auszeichneten, besonders im Vergleich mit der trockenen Art der kaiserlichen Gesandten. So erhandelten Melander und von der Reck in Lüneburg denn auch 14 Römermonate. Allerdings knüpfte der Kreis nach altbewährter Sitte sein Versprechen an so viele Bedingungen, daß mehr als fraglich erscheinen mußte, ob das Geld jemals bezahlt werden würde. Camerarius war deshalb mit dem Ausgang auch dieses Konventes so unzufrieden nicht11. 8

Camerarius an Solms, Bremen 3. 6. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 194. Reck, der in Hamburg erkrankt war, langte allerdings anscheinend erst verspätet an. 10 SLA, Locat 9195, 8. Buch „Kriegswesen in der Pfaltz, Westphalen und im Reich betr., anno 1622“, S. 67–74 „Instruktion für Melander u. v. d. Reck“, Wien 3. 3. 1622. 11 Camerarius an Solms, Bremen 27. 6. 1622, Coll. Cam. Vol. 47. 9



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Sehr verstimmte ihn hingegen eine ihm in Lüneburg bereitete publizistische Niederlage: Zu seiner Genugtuung war auch in Niedersachsen die Erregung über die zweifelhaften Maßnahmen Kaiser Ferdinands, wie er sie in den Cancellaria Hispanica dargelegt hatte, so weit gestiegen, daß auf dem Kreistag offen und heftig darüber debattiert wurde. Den kaiserlichen Gesandten gelang es jedoch, die Stände wieder zu beschwichtigen und dazu zu vermögen, in ihrer Antwort an den Kaiser den Punkt unerwähnt zu lassen. Das Fehlen der von Mansfeld immer noch nicht herausgegebenen Originalbriefe schadete hier viel12. Solche Schlappen hielten Camerarius aber nicht davon ab, in Bremen seine publizistische Tätigkeit fortzusetzen. Aller Wahrscheinlichkeit nach veranstaltete er hier einen Neudruck der „Literae Interceptae“. Vor allem brachte er neu den „Achtsspiegel“ heraus. Von dieser Flugschrift war bereits die Rede im vorletzten Kapitel, wo es sich zeigte, wie unmittelbar der Achtsspiegel auf der im Vorjahr entwickelten besonderen publizistischen Methode aufbaute, wie er aber andererseits um einiges langatmiger, ja deprimierter klingt, was sich möglicherweise auch aus den besonders gedrückten Umständen erklärt, in denen sich Camerarius in Bremen befand. Es ist, als hätte sich die Niedergeschlagenheit, die Camerarius während seines Aufenthalts in Bremen beherrschte, und das Fehlen des sonst so mächtigen Schwunges dem Achtsspiegel mitgeteilt. Obwohl er nach dem in Kopenhagen empfangenen Schock verhältnismäßig rasch wieder zu tätiger Energie gelangte, blieb eine gewisse ihm sonst nicht eigene Skepsis während des ganzen Jahres 1622 bei ihm zurück und ein starkes Bewußtsein dafür, wie mißlich sich seine persönliche Situation gestaltet hatte. Jetzt war es, daß jene bereits hervorgetretene Zwiespältigkeit in seiner Veranlagung ihm besonders hinderlich wurde. Mit einer gewissen Konsequenz war er in den Krieg hineingesteuert, und auch 1622 klangen seine Vorschläge kriegerischer und kampflustiger als die seiner Kollegen. Trotzdem war er alles andere als dazu geschaffen, sich auf Kriegsschauplätzen zu bewegen. Durch und durch Ästhet, empfindsam und trotz allen Gottvertrauens gegenüber persönlichen Gefahren von der Ängstlichkeit des guten Humanisten, hatte es ihn seit 1618 jedes Mal tief deprimiert, wenn er mit der Kriegsfurie und der Roheit der Soldateska in engere Berührung kam. Wenn ihm sein pamphletistischer Gegner Jakob Keller vorwarf, er habe während und nach der Schlacht am Weißen Berge alles andere als eine Heldenrolle gespielt, so war daran sicher ein wahrer Kern. Während Camerarius aber bisher immer nur dem Krieg im Schutz von Armeen begegnet war, die ihm persönlich, auch wenn sich eine Niederlage ereignet hatte, einigen Schirm boten, kam nun in Niedersachsen das Moment der persönlichen Unsicherheit und Machtlosigkeit hinzu. In diesem Zustand bedrückten ihn Verhandlungen mit Vertretern der ihm schon immer verhaßten Kondottieren, so mit Christians von Halberstadt Obersten Wietersheim, besonders. Denn überaus fühlbar wurde ihm nun, wie der Krieg, zu dessen geistigen Urhebern er zählte, mit Notwendigkeit einen robusteren, kulturloseren und sehr viel weniger idealistischen Menschenschlag in den Vordergrund treten ließ, dem Schreibtischnaturen seiner Art 12

Camerarius an Solms, Bremen 27. 6. 1622, Coll. Cam. Vol. 47; Koser, Kanzleienstreit, 36 ff.

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im Grunde nicht gewachsen waren. Ohne Zweifel war es ein Glück für ihn, daß er von 1623 an ohne Unterbrechung vom sicheren Haag aus, in einiger Distanz von Schlachtfeldern und Truppenlagern, auf die Kriegsereignisse einwirken konnte. Die Frage ist so sinnlos nicht, ob Ehrgeiz und Religiosität ausgereicht hätten, seinen ästhetischen Abscheu vor dem Bild des Krieges zu überwinden und ihn zu einem so entschiedenen Kriegspolitiker zu machen, wie er es tatsächlich wurde, wenn er wie zwischen 1618 und 1622 auch später immer wieder in unmittelbare Kriegsnähe und Feindgefahr gekommen wäre. Am schlimmsten aber war für ihn, daß die persönliche Unsicherheit mit einer Kaltstellung und einem fühlbaren Rückschlag in seiner Laufbahn verbunden war. In seinem seit einigen Jahren konsequenten Streben, sich im Zentrum der pfälzischen Regierung in der unmittelbaren Umgebung Friedrichs V. zu behaupten und hier maßgeblichen Einfluß auf die Gesamtleitung der pfälzischen Politik auszuüben, anstatt allzu viele Gesandtschaften zu übernehmen, hatte er es noch im Mai 1621 gewagt, ohne Order dem Winterkönig in den Haag nachzureisen. 1622 riskierte er dasselbe nicht ein zweites Mal, vielmehr nahm er nun die pfälzische Interessenvertretung in Niedersachsen auf sich, obwohl es sich dabei nicht einmal mehr um eine regelrechte Gesandtschaft mit der offiziell-pompösen Verbrämung des 17. Jahrhunderts handelte, sondern eher von einer Tätigkeit als Geheimagent zu sprechen war. Allerdings betonte Camerarius immer wieder, daß dies nur ein Provisorium sei. Immer wieder gab er Solms und dem Winterkönig seinen Wunsch zu erkennen, man möchte ihn in den Haag zurückberufen. Wenn er damit fast jedes Mal den Vorschlag verband, statt seiner Andreas Pawell im Niedersächsischen Kreis zu stationieren, weil Pawell nicht wie er selbst durch Teilnahme an der böhmischen Expedition belastet sei und deshalb bei den Neutralen ungehinderter wirken könne, so war dieses Argument ohne Zweifel richtig. Gleichzeitig jedoch hätte es wohl auch des Camerarius persönlichen Wünschen in hohem Maß entsprochen, wenn statt seiner ins entlegene Niedersachsen der Großhofrichter entsendet worden wäre, der ihm unter den pfälzischen Räten ja am entgegengesetztesten war und in vieler Hinsicht als sein eigentlicher Konkurrent gelten konnte, anstatt daß Pawell, wie es seit 1621 der Fall war, in der Nähe des Winterkönigs dessen Entschlüsse in sehr viel maßgeblicherer Weise als Camerarius beeinflussen konnte oder als pfälzischer Vertreter bei den englischspanischen Ausgleichverhandlungen in Brüssel und als Gesandter in London näher dem Zentrum der großen europäischen Politik stand, als er es als pfälzischer Agent bei den kleinen niedersächsischen Kreisständen gekonnt hätte. Camerarius fand mit seinen Wünschen und Vorschlägen bis in den Spätherbst 1622 hinein keinerlei Gehör. Ja, er erhielt – was ihn besonders kränkte – von Friedrich V. zunächst überhaupt keine Antwort auf seine Briefe, und auch von Solms gingen Nachrichten nur so spärlich und knapp ein, daß es eigentlich ganz seinem persönlichen Ermessen überlassen blieb, wie er sich seine Tätigkeit in Niedersachsen einrichtete. Vielleicht hätte Camerarius dieses Schweigen weniger als gegen sich persönlich gerichtete Vernachlässigung gefunden, hätte er von Bremen aus in vollem Umfange überblicken können, wie im Frühjahr 1622 der Geheime Rat insgesamt an Einfluß verlor. Jetzt war die Zeit, da im April 1622 Friedrich von

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der Pfalz versuchte, seine Geschicke selbst in die Hand zu nehmen, da er, anstatt weiter seinen Räten zu folgen, selbständig beziehungsweise nur unter Beihilfe der englischen Ratgeber seiner Frau Entschlüsse faßte, da er in abenteuerlicher Weise, als Diener Nethersoles verkleidet, sich vom Haag durch Frankreich zur Armee Mansfelds in der Pfalz begab und selbst – mit Hilfe der Kondottieren – den Kampf um sein Kurfürstentum führen wollte. Brauchte Camerarius also vielleicht in dem Schweigen des Winterkönigs keine ausgesprochen ihm persönlich geltende Ungnade zu sehen, so wurde ihm, als er Anfang Mai 1622 von der Reise seines Herrn erfuhr, doch sogleich klar, daß sich damit vollends die ritterlich-chevalereske Tendenz auf Kosten der von ihm vertretenen konfessionellen durchgesetzt hatte, so daß das Gefühl einer persönlichen Niederlage also im Grunde sehr wohl berechtigt war. Denn wenn sich auch Camerarius stets dafür eingesetzt hatte, daß der Winterkönig in der Stunde der Gefahr zu seinen Landeskindern zurückkehre, so wünschte er doch diesen Schritt durch die Geheimen Räte sorgfältig vorbereitet und in Begleitung der erfahrenen Ratgeber ausgeführt zu sehen. Auch sollte Friedrich nach seiner Ansicht an der Spitze der Armee Christians von Braunschweig, der bis in den Mai ja im Münsterischen lagerte, in die Pfalz ziehen. Daß Friedrich sich nun ganz in die Gewalt Mansfelds begeben hatte, schien ihm hingegen gefährlich. Die abenteuerliche und geradezu verspielte Art, in der das Unternehmen durchgeführt wurde, war ihm ein Greuel, und ständig schmerzte und enttäuschte es ihn, daß alle Versuche, eine Koalition zustandezubringen, zunächst gescheitert waren und der Entscheidungskampf um die rheinische Pfalz mit unzureichenden Mitteln und vornehmlich von Mansfeld und Christian von Braunschweig geführt wurde, deren Gestalten so wenig mit den Idealen übereinstimmten, um die es Camerarius ging. Nur zu dem glaubensfesten Markgrafen von Baden hatte er Vertrauen und hoffte auf ihn als letzte feste Stütze in dem bevorstehenden Kampf. Vieles kam also 1622 zusammen: die publizistischen Angriffe der Gegner, die kühle Ablehnung, der Camerarius wegen seiner maßgeblichen Beteiligung an der böhmischen Expedition bei dem neutralen Luthertum begegnete, die persönliche Unsicherheit und der seiner Ansicht nach zu geringe Schutz, den ihm der Winterkönig gewährte, die Hemmnisse, ja die Zurücksetzung in seiner Laufbahn und das Dominieren der seinen Ansichten entgegengesetzten Richtung in der pfälzischen Politik und Kriegsführung. Kein Wunder, daß Camerarius im Frühjahr und Sommer 1622 ernsthaft erwog, sich mehr oder minder aus dem pfälzischen Dienst zurückzuziehen. So verhältnismäßig arm an äußeren Ereignissen die Monate in Niedersachsen sind, kommt ihnen damit für den Lebensgang von Camerarius große Bedeutung zu. Denn jetzt entschied es sich, ob er auch im Fortgang des Krieges auf der politischen Bühne verbleiben, und, indem er sein bisheriges Lebenswerk konsequent weiterführte, bis zum Ende der Dreißiger Jahre eine im Zeitgeschehen bestimmende Rolle als eine der führenden Gestalten der protestantischen Partei spielen würde, oder ob er sich mit seinem bisherigen Auftreten begnügen und wie viele der protestantischen Politiker, die den Krieg mitentfesselt hatten, von der Szene abtreten oder doch nur noch am Rande figurieren würde, so wie er das zum Ausdruck brachte, wenn er im August

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sagte, er gedenke nach seiner Rückkehr in die Niederlande, an der er ja anscheinend in jedem Fall festhielt, dem Winterkönig nur noch „von haus aus“, also als Nebenrat zu dienen. Camerarius tat diese Äußerung gegenüber seinem alten Lehrmeister und Gönner Fürst Christian von Anhalt, dem von König Christian von Dänemark seit April 1622 in Flensburg – wenn auch nicht mit allzugroßer Bereitwilligkeit – ein vorläufiges Unterkommen gewährt worden war. Nachdem sein vorangegangener dreivierteljähriger Aufenthalt in Schweden offenbar keine nennenswerten Ergebnisse für ihn erbracht hatte, betrieb der wendige Anhaltiner von Flensburg aus nunmehr mit aller Macht seine Aussöhnung mit dem Kaiser13. Obwohl Christian 1621 noch nicht so zielstrebig auf eine Verständigung mit der Hofburg lossteuerte wie ein Jahr später, hatte Camerarius damals dieses Verhalten, wie bereits gesagt, offenbar entschieden mißbilligt. Es kennzeichnet seine veränderte resignierte Stimmung, daß er in Bremen nicht nur mit größerem Eifer als bisher danach strebte, wieder mit Christian in Kontakt zu kommen. Vielmehr wünschte er, nachdem dies gelungen war, dem Fürsten ausdrücklich zu seinen Bemühungen um eine Aussöhnung guten Erfolg und bot ihm im August seine Dienste als Korrespondent an, ein Wunsch, auf den Christian einging, obwohl seine fürstlichen Brüder eine Teilnahme an der Bezahlung ablehnten. Für 100 Taler im Jahr lieferte Camerarius daraufhin ab September 1622 Christian von Anhalt alle acht bis vierzehn Tage Informationen über politische und militärische Begebenheiten; gegenseitig holten sich außerdem beide Herren beieinander Rat, und Camerarius übernahm auch gelegentlich für den Fürsten kleine Kommissionen privaterer Art, wie die Anlage von Kapitalien, das Besorgen von Büchern und ähnliches. Man kann nicht sagen, daß er damit seine Pflichten gegenüber dem Winterkönig verletzt hätte. Neben der hauptamtlichen diplomatischen Aufgabe auch noch als Korrespondent für einen anderen Auftraggeber als den eigenen Herrn zu arbeiten, verstieß nicht gegen den Brauch der Zeit und auch nicht unbedingt gegen des Camerarius Ernennungsvertrag von 1611, da Christian nicht in offenem Unfrieden von Friedrich V. geschieden war und es sich nur um ein allmähliches Auflösen des Verhältnisses handelte. Camerarius gab außerdem keine wichtigeren Geheimnisse Friedrichs preis, auch als er seit 1623 wieder sehr genauen Einblick in die Staatsgeschäfte des Winterkönigs hatte. Wenn er 1622 Christian bei seinen Bemühungen um eine Aussöhnung mit dem Kaiser Erfolg wünschte und entgegen seiner sonstigen Art seine Unterwerfungsabsichten zunächst nicht verurteilte, so heißt dies noch keineswegs, daß er selbst etwa daran gedacht hätte, bis zu einem pater peccavi vor der kaiserlichen Partei zu gehen wie der Fürst, der ja von jeher um vieles bedenkenloser und wendiger war als Camerarius. Die Möglichkeit aber, sich von der pfälzischen Sache zurückzuziehen – sei es im Schlepptau des Anhaltiners oder auf andere Weise –, so wie viele andere bisherige Ratgeber Friedrichs es taten, zeichnete sich 1622 immerhin deutlich ab, zumal er sich von Bremen aus bemühte, auch seine 13

S. hierüber im einzelnen F. H. Schubert, Die pfälzische Exilregierung, in diesem Band, 543 ff. mit Belegen.

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schon 1620 ausgeübte Korrespondententätigkeit für Schweden wieder aufzunehmen. Wohl waren diese Korrespondentenaufträge noch nicht von der Art, daß er davon leben konnte. Doch zunächst war er anscheinend noch hinlänglich mit Geldmitteln ausgerüstet und hätte also einige Zeit zur Verfügung gehabt, neue Anstellungen auszubauen. Währenddessen nahmen auf dem pfälzischen Kriegstheater die Ereignisse einen Lauf, wie Camerarius ihn schon seit Mißlingen der dänischen Gesandtschaft und der anderen Koalitionsbemühungen im stillen befürchtet hatte. Zwar vermochte Mansfeld Ende April 1622 bei Wiesloch, über Tilly zu siegen. Doch dieser schlug Anfang Mai den Markgrafen von Baden bei Wimpfen und den nun endlich von Westfalen herankommenden Christian von Braunschweig in der zweiten Junihälfte bei Höchst. Einzeln hatten sich die pfälzischen Feldherren besiegen lassen, ohne daß Friedrich V. durch seine Gegenwart es zuwegegebracht hätte, die Operationen besser zu koordinieren. Auch nach den Niederlagen vermochte er nicht, die Lage wiederherzustellen: Noch Ende Juni 1622 dankte Georg Friedrich von Baden sein Heer ab. Mitte Juli wurden Mansfeld und Christian von Braunschweig, die ins Elsaß abgedrängt worden waren, vom Winterkönig aus seinen Diensten entlassen. Friedrich selbst ging zunächst nach Sedan, zu seinem alten Erzieher, dem Herzog von Bouillon. Am 19. September 1622 fiel Heidelberg, am 2. November Mannheim. Nur noch Frankenthal hielt sich. Damit war nicht nur der Feldzug 1622 verloren. Das pfälzische Stammland war dahin und blieb auf fast zehn Jahre hinaus in feindlicher Hand. Schon die Nachricht von den Niederlagen der Kondottieren hatte Camerarius bedrückt. Als er aber hörte, daß Heidelberg und Mannheim gefallen seien, geriet er in helle, die Depression in Kopenhagen noch übertreffende Verzweiflung, wie sie durch ein plötzliches Ereignis später eigentlich nur noch einmal, gerade zehn Jahre später, beim Tod Gustav Adolfs von Schweden, bei ihm hervorgerufen wurde. Es kennzeichnet seine hypochondrische Labilität, die stets in einem eigentümlichen Gegensatz zu seiner gewagten und kriegerischen Politik stand, daß er mehrere Tage im Bett bleiben mußte, um sich von der Aufregung zu erholen. Die Briefe der nächsten Wochen aber füllte er in einem Maße mit Wehklagen an, wie er es bisher noch nie getan hatte14. 14

Von einer „grausamkeit, dergleichen in Teutschland nie gehört“ und einer „schandt und erbärmlichen occupation sonder maßen“ kann man jetzt lesen, s. Camerarius an Anhalt, Bremen 15. 10. u. 24. 9. 1622, LSA, A 9a, 184. Fast in jedem Brief machte er in nächster Zeit von seiner Niedergeschlagenheit Mitteilung. Von kurzen Paranthesen, wie „… und ist Camerarius furchtbar bekümmert, weyl es dabey nit bleyben, sonder menschlichen ansehen nach umb die Religion bald gar wird geschehen sein“ (Camerarius an Solms, Bremen 26. 9. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 172), kam er dabei bis zu langen, in seltener Depression niedergeschriebenen Auslassungen, bei denen er interessanterweise wohl einmal den Untergang der protestantischen Sache als möglich annahm, gleichwohl aber kein einziges Mal daran dachte, sich mit der Vernichtung seiner Konfession abzufinden oder eine solche gar für gottgewollt zu erachten. Auch kehrte der Glaube, daß sich der Protestantismus calvinistischer Prägung in jedem Fall würde bewahren lassen, bei ihm noch rascher zurück als die Hoffnung, auch die pfälzische Sache insgesamt zu retten, also auch die Restitution Friedrichs herbeizuführen.

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Es waren nicht nur die übersteigerte Sensibilität und der Kummer um eigene Besitzeinbußen, die Camerarius so niederdrückten – in seinem Heidelberger Haus und auf seinem Landgut saßen nun die Feinde, während wenigstens seine kostbare Briefsammlung, die damals bereits im Entstehen begriffen war, gerettet wurde. Einen wichtigen Anteil daran hatte auch der Umstand, daß er wohl weiter sah als viele andere pfälzische und evangelische Politiker. Wie ihm in Kopenhagen schlagartig aufgegangen war, daß sich mit Dänemark nichts anfangen ließ, so fühlte er nunmehr sofort, daß nach Verlust der Pfalz nicht mehr mit einem nahen Frieden gerechnet werden konnte. Er erkannte richtig, daß die von den meisten Anhängern des Winterkönigs vertretene außenpolitische Konzeption, zu der auch er sich bisher wenigstens in der Hauptsache bekannt hatte, hinfällig geworden war, nachdem zur momentanen Aussichtslosigkeit, von England und Dänemark wirklich ausreichende Unterstützung zu erhalten, der Verlust von Heer und Land getreten war. Darin zeigt sich seine Bedeutung, daß er nicht wie viele andere trotzdem noch jahrelang auf nahen Frieden hoffte und mit unzureichenden Mitteln die Wiedergewinnung des Verlorenen erstrebte. Vielmehr schlug er jetzt völlig neue Wege ein. Die erste Konsequenz aber, die er aus der veränderten Lage zog, war die, daß er nun ernstlich daranging, von seiner Agentenstellung in Niedersachsen loszukommen. Nur so lange hatte sie in seinen Augen ja noch einigen Sinn, als die Rettung der Pfalz möglich war. Nun, da der Winterkönig und sein Anhang endgültig aus Deutschland weichen mußten, mochte im Niedersächsischen Kreis zunächst geschehen, was wollte. Camerarius brauchte das fürs erste wenig kümmern! Der Botschaft vom Verlust der Pfalz folgte die Nachricht, der Winterkönig gedenke von Sedan in den Haag zurückzukehren. Damit ergab sich für Camerarius eine neue Chance, in Friedrichs unmittelbarer Umgebung wieder Fuß zu fassen und den so zäh erstrebten maßgeblichen Einfluß auf die pfälzische Politik neuerdings zu gewinnen, ja, da sich eigentlich alle seine Warnungen als begründet erwiesen hatten, im Vergleich mit früher noch zu verstärken. Mit sofortiger Entschlossenheit nahm Camerarius diese Möglichkeit wahr und zeigte damit, daß es ihm auch im Herbst 1622 nach allen Zurücksetzungen und dementsprechenden gegenteiligen Äußerungen offenbar im Grunde immer noch das liebste war, im Dienst Friedrichs V. zu verbleiben, und zwar nicht als Nebenrat, sondern in leitender Funktion, wenn ihm nur erträgliche Bedingungen geboten wurden. Offenbar bereits Ende September 1622 meldete er seinen Wunsch, wieder in die Nähe des Winterkönigs zu kommen, aufs neue energisch bei Solms an. Den erhofften Erfolg hatte er damit zunächst noch nicht. Immerhin aber erreichte er, daß ihn Friedrich nun endlich zweier direkter Schreiben würdigte. „Wir sind“, heißt es in dem einen vom 29. September 1622, „berichtet worden, der undertänigst gutten Officien, welche Du Unss bey dess Nieder-Sächsischen Creyss … biss­ hero geleistet, welches Unss zu sonderbahr-angenehmen gnädigen gefallen gereichet. Wollest darinnen also fortfahren, und Dich gegen Unss versichert halten, dass Wir dessen insskünftig eingedenk seien undt gegen Dir undt den Deinigen in allen Genaden zu erkennen nicht underlassen wollen“15. So leutselig die Worte des 15

Coll. Cam. Vol. 47. Einen zweiten Brief schrieb Friedrich V. am 18. 10. 1622 an Camerarius.

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Königs waren, das eine, was Camerarius vor allem zu hören wünschte, ließen sie vermissen: Von seiner Rückberufung in den Haag war kein Wort gesagt. Vielmehr forderte Friedrich eindeutig, daß Camerarius auch weiterhin in Niedersachsen bleibe. Kein Wunder, daß diesem nun die Geduld riß und er zur ultima ratio jedes im öffentlichen Leben stehenden Menschen griff: Er drohte mit seinem Rücktritt. Am 30. Oktober 1622 bedankte er sich zunächst in höflicher Weise für die Briefe seines Herrn. Darauf aber stellte er sehr deutlich den Ärger dar, den ihm die dauernden Anfeindungen bereiteten. Daß man ihm katholischerseits übelwolle und ihn auf die schwarze Liste setze, kümmere ihn wenig. Doch sehr schmerze es ihn, daß auch bei den Protestanten sein Ansehen so sehr gelitten habe. Um so schwieriger sei seine Lage, als auch sein eigener Fürst sich nach außen hin so verhalte, daß es den Anschein haben könne, als habe er Camerarius fallen gelassen. Das lege ihm den Gedanken nahe, „daz es für Mich und die Meinige ettwan am besten sein sollte, mitt Ew. Königlichen Majestät gnedigsten consens mich hinfüro meiner gehabten funktion und geschafften zu entschlagen und wo es Gott gefellig in exilio privatim mein leben zu schliessen“16. Am meisten kränke ihn, daß der Kurfürst von Sachsen allerorten Boshaftes über ihn ausstreue, obwohl der Winterkönig Camerarius doch zugeben müsse, daß er zur Annahme der böhmischen Krone zu keinem anderen Zeitpunkt und auch niemals mehr geraten habe als alle Mitglieder des Geheimen Rates in ihrem gemeinsamen Gutachten vom Frankfurter Wahltag aus. Es werde ihm also nichts übrig bleiben, als sich von den Geschäften zurückzuziehen, es sei denn, Friedrich fände sich bereit, ihm zu bescheinigen, daß alle solchen Anklagen aus der Luft gegriffen seien. Das schrieb Camerarius am 30. Oktober und machte durch den letzten Passus deutlich, daß ihm im Grunde immer noch viel daran lag, im Dienst des Pfälzers bleiben zu können. Im Verlauf der nächsten Woche erfuhr er, daß die Hofburg seine Auslieferung betrieb, und beantragte darauf am 28. November nochmals und dringender als das erste Mal eine „Attestation“17. Jetzt legte er sogar einen Entwurf bei, wie er sich das Schreiben des Winterkönigs wünschte. Ausdrücklich sollte Friedrich auf die sächsischen Vorwürfe Bezug nehmen und erklären, Camerarius habe stets lediglich die Direktiven seines Herrn ausgeführt. Es sei dem König daher unerklärlich, wieso man seinen Rat mit derartigen Anschuldigungen verfolgen könne. Es falle Friedrich ja schließlich auch nicht ein, den sächsischen Räten wegen des Verhaltens ihres Herrn Vorwürfe zu machen. Auf jeden Fall werde er deshalb darauf bestehen, daß Camerarius in eine Generalamnestie aufgenommen werde, womit dieser auch hier einen Lieblingswunsch zur Geltung brachte18. Es wäre nicht notwendig gewesen, daß Camerarius so schweres Geschütz auffuhr. Schon vorher hatten seine Bitten an Solms ihre Wirkung erzielt. Nach Dieser Brief ist aber offenbar verloren gegangen, ebenso wie das Schreiben von Ende September, in dem Camerarius Solms bat, seine Rückberufung zu veranlassen. 16 Camerarius an Friedrich V., Bremen 30. 10. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 77. 17 Camerarius an Solms, Bremen 28. 11. 1622, Coll. Cam. Vol. 47. 18 Camerarius an Solms, Bremen 28. 11. 1622, Coll. Cam. Vol. 47. Von der Berufung nach dem Haag ist in dem Schreiben zwar nichts gesagt. Doch ist es offensichtlich, daß die Berufuung und nicht das Attestationsschreiben das eigentliche Ziel des Ultimatums von Camerarius war.

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Randbemerkungen des Großhofmeisters zu schließen, befürwortete dieser des Camerarius Antrag auf Rückberufung bei Friedrich V. nach Kräften und mit Erfolg. Einen Tag, nachdem Camerarius am 30. Oktober 1622 mit seinem Rücktritt gedroht hatte, falls ihm keine Attestation ausgestellt werde, also noch bevor Friedrich das Ultimatum in Händen haben konnte, berief dieser am 31. Oktober Camerarius in aller Form zu sich in den Haag. „Demnach Wir daz eine Notturfft befinden, Dich allhie bey der handt zu haben, undt zu den täglich vorfallenden vielfältigen geschäften Deines Ratts undt gutachtens zu gebrauchen, alss geschehe Uns zur … gefallen, wann Du Deines hausswesens halber verordtnung gethan, undt Dein weib und Kinder in sicherheit gebracht hettest, dass Du Dich ehist zu Unss alhero begeben undt eine Zeittlang den Consiliis beywohnen thettest“19. Wie Camerarius vor allem in seinem Brief vom Vortag an dieser Berufung gelegen war, wenn er sie auch mit keinem Wort erwähnt hatte, zeigt sich daran, daß er sofort unter das soeben empfangene Schreiben des Winterkönigs die Bemerkung setzte, „hab Mich hierauff underthenig willfährig erkleret, den 30. Oct. 1622“ (sc. alten Stiles). Sein Entschluß, der Berufung zu folgen, war also gefaßt, noch bevor er das begehrte Attestationsschreiben erhalten hatte, bis zu dessen Empfang er angeblich an seinen Rücktrittsabsichten festhalten wollte. Doch auch das geforderte Entlastungsschreiben ließ nicht lange auf sich warten. Schon auf des Camerarius erste Anforderung hin wurde es am 21. November abgeschickt, lange bevor sein eigener Entwurf vom 28. November eingegangen war. Wenn die Attestation daher auch nicht auf die sächsischen Anschuldigungen zugeschnitten war, wie Camerarius es sich gedacht hatte, brachte sie doch immerhin die gewünschte Genugtuung, so daß er weitere Forderungen fallen ließ20. Statt eines Eingehens auf die Vorwürfe des Kurfürsten von Sachsen war auch in der Attestation noch einmal ausdrücklich dem Wunsch Ausdruck gegeben, Camerarius möge so rasch wie möglich in den Haag kommen. Noch verzögerte sich dessen Abreise wegen eigener Krankheit und weil er die Ankunft seiner Familie in Bremen abwarten mußte21. Nachdem Camerarius im Mai 1621 nach Holland gereist war, hatte sich seine Frau mit ihren drei jüngeren Kindern abwechselnd in Heilbronn und Schorndorf aufgehalten, wo ein Schwager von Camerarius Geistlicher war. Die eigentlich geplante Übersiedelung in das sichere Nürnberg hatte sich wegen Unsicherheit der Straßen schon nicht mehr ausführen lassen22. Mit größter Sorge verfolgte Camerarius deshalb seine Familie auf ihrer Reise nach Bremen, die auf sein Drängen hin Ende Oktober angetreten wurde. Seine eigentliche Absicht, den Seinen bis Hessen entgegenzufahren, führte er aber trotzdem nicht aus. Er sei gerade zur unrechten Zeit krank geworden, schrieb er darüber an Anhalt23. Trotzdem traf die Familie am 4. Dezember zu seiner nicht geringen Beruhigung wohlbehalten in Bremen ein24, 19

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Friedrich V. an Camerarius, Haag 31. 10. 1622, Coll. Cam. Vol. 47. Friedrich V. an Camerarius, Haag 21. 11. 1622, Coll. Cam. Vol. 47. Friedrich V. an Camerarius, Haag 31. 10. 1622, Coll. Cam. Vol. 47. Camerarius an Solms, Bremen 30. 5. 1622, Coll. Cam. Vol. 47, Nr. 196. Camerarius an Anhalt, Bremen 15. 10. 1622, LSA, A 9a, 184. Camerarius an Solms, Bremen 6. 12. 1622, Coll. Cam. Vol. 47.

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wo sie den Winter verbrachte, um ihm im März des nächsten Jahres in den Haag zu folgen. So konnte Camerarius im Gefühl, daß die Seinen in Sicherheit waren, Anfang Dezember Bremen verlassen. Über Emden gelangte er Mitte des Monats in den Haag25. Schaden an Leib und Leben hatten er und seine Familie also auch in dem so gefahrenreichen Jahr 1622 nicht erlitten.

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Camerarius an Rusdorf, Haag Mai 1623, Coll. Cam. Vol. 25 (näheres Datum fehlt).

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V II I. Kap itel

Leiter der pfälzischen Exilregierung Wenn Friedrich V. sich dazu entschloß, Camerarius im Spätherbst 1622 in seine unmittelbare Umgebung zurückzuberufen, so liegt es auf der Hand, daß dies keineswegs nur auf dessen eigenes Drängen hin geschah. Ebenso schwer dürfte vielmehr beim Winterkönig der Umstand ins Gewicht gefallen sein, daß der Gang der Ereignisse seinem Rat in auffälliger Weise Recht zu geben begann. Hatten sich doch nicht nur des Camerarius Abneigung gegen die Kondottieren und seine Sorge davor, lediglich mit ihrer Kriegsmacht die Rettung der Pfalz zu versuchen, als nur zu begründet erwiesen. Auch das Fehlen erfahrener Geheimer Räte in Friedrichs Umgebung in den kritischen Situationen des Feldzuges hatte sich bitter gerächt. Und die von Camerarius von Anfang an mit besonderer Skepsis betrachteten englischen Vermittlungsversuche verliefen durchaus unbefriedigend, was auch den sanguinischen Friedrich V. allmählich tief zu verstimmen begann. Tatsächlich war es niederdrückend zu sehen, wie das englische Parlamentieren mit den katholischen Mächten im großen und ganzen kein anderes Ergebnis gezeitigt hatte, als die pfälzische Widerstandskraft zu lähmen. Zum mindesten 1621 bei Lord Digbys Gesandtschaft war das der Fall. Im folgenden Jahre erreichte dagegen Weston in Brüssel, wo ihm Andreas Pawell als Vertreter der Pfalz beigegeben war, wenigstens die Spur eines positiven Resultates. Indem er die Verhandlungen auf das Nächstliegende beschränkte, setzte er durch, daß Spanien den Plan eines zweijährigen Waffenstillstandes, während dessen Friedrich V. der Aufenthalt in Heidelberg erlaubt sein sollte, akzeptierte und für denselben sogar dem Kaiser und Maximilian von Bayern gegenüber bei den Vorverhandlungen des Regensburger Fürstentages eintrat, wo wiederum Digby, unterstützt von Rusdorf, die englisch-pfälzischen Interessen wahrnahm. Doch indem damit der auch von pfälzischer Seite so oft erwogene Waffenstillstand in sichtbare Nähe rückte, ohne daß er übrigens in Regensburg die Gegenliebe Bayerns gefunden hätte, wo auch sonst die Dinge sich so ungünstig wie möglich entwickelten und mit der Übertragung der Kur an Herzog Maximilian am 25. Februar 1623 endeten, zeigte sich erst in aller Klarheit, wie erniedrigend und drückend dieser Waffenstillstand für den Winterkönig sein würde. Was aus der Ferne in Friedrichs Augen ein immerhin diskutables Aussehen gehabt hatte, verlor dasselbe in der Nähe zum guten Teil und wurde statt dessen geeignet, dem Winterkönig die ganze Trostlosigkeit seines Abhängigkeitsverhältnisses von England vor Augen zu führen. Zudem bekam er den englischen Druck seit Herbst 1622 um so mehr zu spüren, als er nach Verlust aller seiner Besitzungen von Jakob I. noch viel abhängiger war als vorher.

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Einzig auf dem Gebiet der Publizistik konnte die pfälzische Partei Ende 1622 mit den erzielten Erfolgen zufrieden sein. Was den Kondottieren mit dem Schwerte nicht gelungen war, war Camerarius im Federkrieg geglückt: Er hatte die pfälzischen Belange in der propagandistischen Auseinandersetzung nicht nur erfolgreich gegen alle Angriffe behauptet, sondern war selbst zur Offensive übergegangen und hatte dabei sichtbare Erfolge gegenüber seinen publizistischen Widersachern erzielt1. So stärkte denn gerade die publizistische Tätigkeit der Jahre 1621 und 1622, die Camerarius zunächst nur widerstrebend übernommen und als Zurücksetzung empfunden hatte, seine Stellung innerhalb der pfälzischen Partei und beim Winterkönig außerordentlich. Hinzu kam noch, daß er infolge seiner Kaltstellung in Bremen an den Mißerfolgen des Jahres 1622 keinen unmittelbaren Anteil gehabt hatte und die „Belastung“ durch das böhmische Unternehmen nun demgegenüber zu verblassen begann. Camerarius war zwar vielleicht der erste, aber nicht der einzige Rat, den Friedrich V. nach seiner eigenen Rückkehr in die Niederlande Ende 1622 zu sich beorderte. Außer an Camerarius erging auch an Vollrath von Plessen und Menso Alting d. J., einen Sohn des einflußreichen Emdener calvinistischen Theologen, mit dem Camerarius 1622 in Emden mehrfach zusammengearbeitet hatte, die Aufforderung, sich im Rat einzufinden2. Solms aber und Achaz von Dohna hielten sich ohnehin am Ort auf, während Andreas Pawell nach Beendigung der Brüsseler Verhandlungen im November 1622 zunächst die wichtige Aufgabe zufiel, Friedrich V. in London zu vertreten, wohin ihm Rusdorf Ende November in Lord Digbys Begleitung nachfolgte, nachdem dessen Vermittlertätigkeit in Wien und Regensburg ihr Ende gefunden hatte. Fünf Räte waren es also, die sich im Haag versammeln sollten, wozu als sechste wichtige Kraft noch der Sekretär Theobald Moritz kam, der die Leitung der kleinen pfälzischen Kanzlei übernahm, die ebenfalls im Haag errichtet wurde. Es ist vom Verfasser bei anderer Gelegenheit ausführlich dargelegt worden, wie sich in diesen Berufungen das Bestreben ausspricht, eine regelrechte pfälzische Exilregierung in den Niederlanden zu etablieren3. Ferner braucht hier nicht noch einmal des längeren nachgewiesen zu werden, wie sich dadurch zum einen entschied, daß die Zeit vorüber war, da Friedrich glaubte, selbständig handeln zu können, und zum andern, daß in der pfälzischen Politik kein so starker Bruch mit der Vergangenheit erfolgen würde, wie Camerarius es zeitweise hatte fürchten müssen. Vielmehr war es nun klar, daß die personelle Entwicklung zum mindesten in der Richtung ging, daß Teilnehmer an der böhmischen Expedition sich bei Führung der pfälzischen Exilgeschäfte hinfort vereinigten mit Männern wie Pawell und Rusdorf, denen Böhmen fremd geblieben war4. Der Platz an der 1



2

4 3

Sehr treffend heißt es von ihm in einer Distichensammlung, mit dem Titel „Defensores Evangelii Sub Ferdinando Secundo Imperatore“: „Lapsas res Domini scribax Camerarius armis / Cum nequeat reparet pennipotente manu“. S. Stiftsbibliothek Linköping, Handschriftenabteilung. Camerarius an Anhalt, Bremen 13. 11. 1622, LSA, A 9a, 184. S. F. H. Schubert, Die pfälzische Exilregierung, in diesem Band, 538 ff. Noch bevor Ende 1622 die neuen Berufungen ausgesprochen worden waren, hatte bereits ein

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Spitze der pfälzischen Regierung fiel bei dem neuen Arrangement Solms zu, der als Großhofmeister nach der alten Ordnung hierzu berufen war, vor den sich aber bis zur Prager Katastrophe noch Christian von Anhalt postiert hatte. Zum Spiritus rector der Exilregierung aber wurde nicht Andreas Pawell, sondern Camerarius. Auf den ersten Blick war es wie zur Zeit Christians von Anhalt ein nur Als-Helfer-zur-Seite-Stehen, das Camerarius zufiel. Bei näherem Zusehen aber konnte es von vornherein klar sein, daß die Stellung von Camerarius gegenüber Solms in der neuen Regierung eine ungleich selbständigere und mächtigere war als gegenüber Christian von Anhalt in den Jahren bis zur Katastrophe in Böhmen. Damals waren es die Gedanken des Fürsten, von denen sich Camerarius beherrscht zeigte. Nunmehr dagegen beherrschte er selbst mit seinen Ansichten Solms. War doch der Großhofmeister längst nicht ein Staatsmann vom Format des Askaniers und auch Camerarius an Fähigkeiten weit unterlegen. War doch dieser außerdem 1622 ein anderer als einige Jahre vorher. Jetzt hatte er seine Gaben voll entfaltet und einen Grad von innerer Selbständigkeit erlangt, wie er ihn vorher noch nicht besessen hatte. In der Monographie der Exilregierung ist ebenfalls bereits dargelegt worden und braucht hier nicht nochmals wiederholt zu werden, daß das Kollegium der Räte in der eigentlich vorgesehenen Zusammensetzung nicht lange beisammenblieb. Die Umstände brachten es vielmehr mit sich, daß im Sommer Camerarius und Plessen faktisch allein die Exilgeschäfte zu leiten hatten, und dabei nur von Theobald Moritz und einigen anderen Gehilfen unterstützt wurden. Denn Dohna verließ bereits im Februar 1623 aufs neue den Haag zu einer längeren Gesandtschaft, ursprünglich nach Siebenbürgen, dann aber nur in den Niedersächsischen Kreis, von der er jedoch auf ständig nicht in die Niederlande zurückkehrte. Solms starb, von Camerarius ehrlich betrauert, im Mai 1623. Andreas Pawell aber wurde, nachdem auf seine Gesandtschaft nach London im Sommer 1623 eine nach Paris gefolgt war, Stuttgart als ständiger Aufenthaltsort angewiesen, wo er zusammen mit seinem Vetter Carl Pawell weiterhin pfälzischerseits alle Ausgleichsverhandlungen mit dem Kaiser zu leiten hatte, die seit 1624 vornehmlich in den Händen der vermittelnden Herzöge von Württemberg und Lothringen lagen. Wenn man es auch nicht genau sagen kann, so erscheint es doch als sehr wohl annehmbar, daß Camerarius es nicht eben bedauerte, im Haag des Konkurrenten nun endgültig ledig zu sein, als welcher Andreas Pawell ja ohne Zweifel für ihn gelten konnte. Wenn auch Plessen im Sommer 1623 zwar nicht wie die andern Räte aus der eigentlichen Exilregierung schied, aber immerhin vom Haag nach Leyden übersiedelte, um gleichzeitig die Erziehung der pfälzischen Prinzen zu übernehmen, so beförderte zwar Camerarius auch diesen Plan, weil er es im Interesse seines Herrn für nötig hielt. Doch scheint es, daß es ihm persönlich angenehmer gewesen wäre, wenn Plessen im Haag geblieben wäre. Er anderes Ereignis die Möglichkeit merklich verringert, daß die Männer, die der böhmischen Unternehmung verhältnismäßig fern gestanden hatten, allein die Regierung in die Hand bekämen. Dieses Ereignis war der Tod des Kanzlers Christoph von der Grün Anfang September 1622, wodurch der Kreis derer, welche die pfälzische Politik eventuell auf bescheidenere Maßstäbe zurückgeführt sehen wollten, eines Mittelpunktes beraubt wurde.

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bedauerte es offensichtlich, daß Plessen immer einige Wegstunden entfernt war, wenn man sich mit ihm beraten wollte. Dieses Bedauern ist nur zu verständlich. Denn völlige Selbständigkeit war des Camerarius Sache im Grunde nicht. Es ist deshalb wahrscheinlich durchaus ehrlich gemeint, wenn in seinen Briefen Ende 1623 und 1624 ständig die Klage wiederkehrt, daß alle Geschäfte jetzt ihm allein auflägen und er die Last kaum allein tragen könne. Deutlich sprach er es sogar aus, daß ihm der kollegiale Rückhalt fehle, wie er ihn vom Gremium des Geheimen Rates her gewohnt war. Auch deshalb vermochte er lange nicht, über den Tod des Grafen Solms hinwegzukommen. Vielmehr redete er in seinen Briefen monatelang immer aufs neue von dem Verlust, der die pfälzische Sache betroffen habe. Er zeigte damit ein Anlehnungsbedürfnis, das sich sein ganzes Leben hindurch bei ihm beobachten läßt. Es hatte ihn zu engem Anschluß an Christian von Anhalt veranlaßt und ließ ihn später bereitwillig die Gelegenheit zur Anlehnung an Axel Oxenstierna und Gustav Adolf wahrnehmen. Camerarius mochte es fühlen, daß ihm eben dank seiner Originalität und idealistischen Anlage, die ihn historisch so interessant macht, manches fehlte, um allein an der Spitze einer Regierung zu stehen. Als spiritus rector mit Solms als repräsentativem Oberhaupt hätte er sich wohler gefühlt. Doch mit Selbstverständlichkeit übernahm er nun auch die schwerere Aufgabe und dokumentierte damit aufs neue die Stärke seines Strebens, in der pfälzischen Exilpolitik seine Ideen verwirklichen zu können, sowie das Vertrauen, das er zu seinen Fähigkeiten hatte. Und tatsächlich machte ihn seine Begabung zum Leiter einer Exilregierung in vielem geeigneter als zum Vorsteher eines normalen Staatswesens. Mußte doch von den Niederlanden aus die pfälzische Politik in besonders gesteigertem Maß mit literarischen Mitteln geführt werden und handelte es sich doch zunächst vor allem darum, Kräfte zu mobilisieren, um das protestantische Europa zu einer Gegenaktion gegen die habsburgisch-katholischen Mächte in Schwung zu versetzen. So ist es verständlich, daß Camerarius bei allem Bedauern über die Abwesenheit mancher Kollegen doch alles daran setzte, wenigstens selber im Rat bleiben zu können. Wenn schon auswärtige Höfe beschickt und Gesandtschaften erledigt werden mußten, so sollten es statt seiner lieber andere Räte tun. Als das Ergebnis der internen Entwicklung innerhalb der pfälzischen Exilregierung konnte also Ende 1622 bezeichnet werden, daß die alte Schule, das heißt jene Richtung, die die böhmische Expedition und die pfälzische Großmachtpolitik durchgeführt hatte, sich neuerdings Raum verschafft hatte, und wenige Monate später zeigte es sich, daß ihre Vertreter vollends die Oberhand gewannen. Die große Frage, vor der Camerarius nun stand und deren Lösung in den kommenden Monaten und Jahren vornehmlich von ihm abhing, war es, ob es gelingen würde, in der Notzeit des Exils dem alten Geist auch auf die Dauer Geltung zu sichern. Das aber hing davon ab, ob Camerarius die Fähigkeit beweisen würde, das, was er von Christian von Anhalt übernommen und bei ihm gelernt hatte, in einer den Erfordernissen der Situation angemessenen Weise umzubilden. War bei Friedrich V. Anfang 1623 die Enttäuschung über die englischen Ausgleichsversuche besonders groß und hatte diese Verstimmung wesentlichen An-

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teil daran gehabt, daß Camerarius zurückberufen wurde, so hinderte das die englische Politik keineswegs, 1623 die Verhandlungen weiter zu betreiben, die sie seit 1621 mit der spanisch-kaiserlichen Partei angestrengt hatte. 1623 stellten sich dabei sogar Möglichkeiten ein, die in ihrer Art größere Aussichten boten als das, was der Hof von St. James bisher zu erreichen vermocht hatte. Die englisch-spanischen Heiratsverhandlungen gelangten mit der Reise, die der Prince of Wales und der Herzog von Buckingham im Frühjahr 1623 nach Spanien unternahmen, zu ihrem Höhepunkt. Hand in Hand damit verstärkte sich nicht nur das englische, sondern nunmehr auch das spanische Streben, den vertriebenen pfälzischen Kurfürsten in einen Teil seiner Besitzungen und Rechte wieder einzusetzen. Auch der Wiener Hof trat jetzt, nachdem ein zunächst vollständiger Sieg über die pfälzische Partei errungen war, dem Gedanken näher, den erzielten Gewinn durch eine Abfindung des Pfalzgrafen endgültig zu sichern, eine Absicht, mit der sich in der zweiten Hälfte des Jahres 1623 auch Maximilian von Bayern ernstlich abgab. 1623 ist das Jahr, da der diplomatische Schriftwechsel zwischen den betreffenden Höfen von Projekten für die Abfindung des pfälzischen Wittelsbachers erfüllt ist. Mannigfache Varianten wiesen diese Absichten auf. Die für die Pfälzer ungünstigste Lösung stellte der Vorschlag dar, nur die eventuell sogar noch verkleinerte rheinische Pfalz ohne die Kurwürde an Friedrichs ältesten Sohn zurückzugeben und diesen in Wien, Madrid oder München im katholischen Glauben zu erziehen. Über eine Heirat des Kurprinzen mit einer Prinzessin aus einem der katholischen Häuser, ohne daß der Prinz unbedingt seinen Glauben hätte wechseln müssen, über die Wiedereinsetzung Friedrichs V. selbst nach feierlicher Abbitte in Wien oder mehr nur symbolischer in London und über ein Alternieren die Kurwürde zwischen Bayern und Pfalz reichten die Projekte als günstigster Lösung bis zur Errichtung einer achten Kur für Friedrich, der Rückgabe der rheinischen und dem endgültigen Verlust der oberen Pfalz, also bis zu einer Regelung, wie sie im wesentlichen der entsprach, welche die pfälzische Diplomatie nach fünfundzwanzigjährigem Kampf im Westfälischen Frieden zu erreichen vermochte. Ja, sogar von der Wiedergewinnung wenigstens eines Teiles der Oberpfalz, die 1648 in bayerischer Hand blieb, war 1623, wenn auch nur sehr gelegentlich und am Rande, die Rede. Die pfälzische Exilregierung stand im Jahre 1623 vor der Möglichkeit, im großen auf das einzugehen, was der langjährige Leiter der pfälzischen Politik, Christian von Anhalt, soeben für sich persönlich in allerdings kleinerem Rahmen und deshalb von vornherein mit größerer Aussicht auf Erfolg unternahm. Sie hatte die Chance, die sich bietende Gelegenheit mit beiden Händen zu ergreifen und zielbewußt auf eine Aussöhnung mit dem Kaiser, Spanien und Bayern loszusteuern. Ob eine solche schließlich gelingen würde, war freilich fraglich. Weitgehend, ja sogar in der Hauptsache, war die pfälzische Angelegenheit nach der totalen militärischen Niederlage ja vom Verhältnis der großen Mächte zueinander abhängig, und das englisch-spanische Einvernehmen endigte bekanntlich bereits nach Jahresfrist wieder. Andererseits dürfte Anton Gindely, der dies im besonderen hervorgehoben hat, darin zuzustimmen sein, daß 1623 auf katholischer Seite die Neigung stark oder doch immerhin beachtlich war, zu einem

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Arrangement mit den Pfälzern zu gelangen, und das Beispiel Christians von Anhalt, der nach offizieller Abbitte beim Kaiser 1624 tatsächlich in sein Fürstentum wieder eingesetzt wurde, zeigt trotz aller Unterschiedlichkeit der Verhältnisse, welche Möglichkeiten bestanden5. Allerdings mußte Friedrich V. sich von vornherein darauf einstellen, für eine Verständigung mit dem Gegner größere Opfer zu bringen als Christian von Anhalt. Es war also in der Hauptsache eine echte Alternative, vor die sich Camerarius gestellt sah, kaum daß er den entscheidenden Einfluß auf die pfälzische Politik wiedererlangt hatte. Sie stellte eine Frage von großer, historischer Bedeutung dar, deren Behandlung die erste Phase in seiner Tätigkeit als Leiter der pfälzischen Exilpolitik ausmachte. Von der Schlacht am Weißen Berg im November 1620 bis zum Verlust der Pfalz zwei Jahre später hatte die pfälzische Politik ehrlich danach gestrebt, „pacem sub clypeo zu tractiren“, das heißt als dem Kaiser gleichberechtigter Verhandlungspartner zu einem Unentschieden oder doch zu einem nicht allzu ungünstigen Kompromiß zu gelangen. In diesem Streben hatten sich alle maßgeblichen pfälzischen Politiker im wesentlichen vereinigt, so bedeutsam auch im einzelnen die Unterschiede in der Nuancierung ihrer Friedensabsichten sein mochten. Nach dem Verlust von Land und Armee war es nicht mehr möglich, auf dieser Mittellinie weiter zu operieren in der Hoffnung, zum Frieden zu gelangen und gleichzeitig zwar nicht Böhmen, aber doch im übrigen die gesamte Position zu retten, die von der Pfalz in Deutschland und Europa eingenommen worden war. Die Friedensmöglichkeiten von 1623 schlossen eine Bewahrung der europäischen Machtstellung aus. Vornehmlich auf katholischer, aber auch auf protestantischer Seite setzte man sich gerade zu Anfang der Zwanziger Jahre immer wieder zum Schmalkaldischen Krieg in Beziehung und stellte eine Analogie her, wie die spätere Geschichtsschreibung sie in diesem Maße nicht aufrecht erhalten hat. Besonders deutlich stand deshalb 1623 der europäischen Diplomatie vor Augen, daß nunmehr das Haupt des deutschen Calvinismus wahrscheinlich nur Frieden zu erlangen vermochte, wenn es genau wie acht Jahrzehnte vorher der Führer des deutschen Luthertums beim katholischen Kaiser förmlich Abbitte leistete, und daß die pfälzischen Wittelsbacher vermutlich nur nach Heidelberg zurückkehren konnten, wenn sie, wie 1552 die ernestinischen Wettiner, auf ihre Führerstellung im deutschen und europäischen Protestantismus und auf einen Teil ihrer Reichsrechte verzichteten. Gleichzeitig mußte das Beispiel des Schmalkaldischen Krieges der katholischen Partei aber auch zeigen, daß es gefährlich war, allzu weit zu gehen, und es scheint tatsächlich, daß nicht nur der Hof von Madrid, sondern auch der von München und der von Wien 1623, nachdem sie ihren protestantischen Gegner ein erstes Mal niedergeworfen hatten, bei allem Zelotismus nicht ganz so siegessicher waren, wie nach ihrem zweiten großen Sieg 1628, daß besonnene Stimmen sich vernehmbar machten und daß die Zeit solcher Übersteigerungen wie des Restitutionsediktes von 1629 noch nicht gekommen war. 5



S. A. Gindely, Friedrich V. v. d. Pfalz, a. a. O.

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Auch hatte Friedrich V., um noch bei dem im 17. Jahrhundert so beliebten Vergleich mit dem Schmalkaldischen Frieden zu bleiben, vor Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen den Vorteil voraus, daß er nicht in Gefangenschaft geraten war und daß in England sich von vornherein eine außerdeutsche europäische Großmacht seiner Sache annahm. Vornehmlich nach dynastischen Rücksichten wollte der englische Hof den Streit beilegen, der durch eine in erster Linie unter konfessionellen Zeichen stehende Machtpolitik seinen Anfang genommen hatte. Die Erhaltung der pfälzischen Dynastie in einigermaßen erträglichen Verhältnissen war König Jakobs Ziel. Die religiösen Werte der pfälzischen Großmachtpolitik dagegen kümmerten die Engländer 1623 noch weniger als zuvor schon. Wie sechs Jahre nach seinem Beginn der Schmalkaldische Krieg, der ja in fast noch stärkerem Maße als der Dreißigjährige als Glaubenskampf begonnen worden war, damit sein Ende fand, daß Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen unter dem Gesichtspunkt der bedrohten fürstlichen Libertät restituiert wurden, wie also auch im Verlauf des Kampfes gegen das deutsche Luthertum neben dem religiösen Moment von Jahr zu Jahr das reichsrechtlich-ständische stärker wurde, so neigte 1623 die englische und spanische, bis zu einem gewissen Grad aber auch die kaiserliche Politik dazu, die Streitfrage dynastisch zu lösen, das heißt vom Standpunkt der katholischen Mächte aus nach weitgehendem konfessionellem Sieg in eine Erhaltung der Dynastie der pfälzischen Wittelsbacher zu willigen, während es sich auf protestantischer Seite um einen Verzicht auf die religiösen Ideen zugunsten des dynastischen Momentes handeln mußte. Dieselbe dynastische Richtung, deren allmähliche Stärkung sich in den Vorjahren innerhalb der pfälzischen Regierung beobachten ließ, machte sich also 1623 in der ganzen europäischen Diplomatie in wirkungsvollerer Weise als bisher geltend, und es mußte deshalb in mancher Hinsicht als konsequente Verfolgung eines mehrjährigen Entwicklungsganges erscheinen, wenn die dynastische Tendenz in der pfälzischen Politik nun zu einem Eingehen auf die Friedensmöglichkeiten geführt hätte. Insbesondere seit 1621 hatte die dynastisch-ritterliche Idee in einem gewissen Gegensatz zu der pfälzischen Großmachtpolitik gestanden, während das konfessionelle Moment mit derselben fest verbunden blieb. Doch auch einer der hauptsächlichen Träger dieser Großmachtpolitik, Christian von Anhalt, gab gerade 1623 nach und zeigte damit, wie sonderbar verknüpft in der pfälzischen Machtpolitik von jeher ein Zug verspielter Abenteuerlichkeit mit ernster Religiosität gewesen war. Diese Abenteuerlichkeit aber machte es Christian leicht, das groß Begonnene in der Stunde der Not aufzugeben und sich wieder mit den ursprünglichen, viel kleineren Verhältnissen zu begnügen. Beides, die dynastische Idee in ihrer konsequenten Fortführung und der abenteuerliche Zug in dem pfälzischen Großmachtstreben wiesen also darauf hin, den 1623 gegebenen Möglichkeiten zu einer Beendigung des Konfliktes nachzutrachten. Hierin nun kam die besondere Bedeutung von Camerarius für die pfälzische Exilpolitik sogleich zum Ausdruck, daß er trotzdem, kaum daß er den maßgeblichen Einfluß wieder erlangt hatte, allen Ausgleichsverhandlungen konsequenten Widerstand entgegensetzte. 1622 war an ihn die Frage herangetreten und nach

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mehrmonatigem Zögern von ihm mit Entschiedenheit verneint worden, ob er für sich persönlich dem weltpolitischen Konflikt, in den er als Teilnehmer hineingeraten war, den Rücken kehren sollte, indem er sich von der pfälzischen Sache zurückzog. 1623 hatte er für die pfälzische Politik insgesamt eine in vielem ähnliche Entscheidung zu fällen. Neben einem starken Zug von wendiger Abenteuerlichkeit ermöglichte Christian von Anhalt die Unterwerfung ein gewisser Sinn für nüchterne Realitäten. Schon früher hatte sich mehr oder minder deutlich gezeigt, daß Camerarius sowohl dieser Realismus fehlte als auch trotz seines im übrigen so starken Aufgehens in der pfälzischen Großmachtpolitik die ihr unter dem Fürsten von Anhalt eigene Abenteuerlichkeit. Eng hatte beide Männer trotzdem das konfessionelle Ideal und das Streben zusammengeführt, die Machtposition der Pfalz zu erweitern und dem Staat seine europäische Geltung auf die Dauer zu sichern. Des Camerarius verantwortungsbewußte Pedanterie hatte zudem Christians unstetes und schwungvolles Vorwärtsdrängen in harmonischer Weise ergänzt. Jetzt wurde, was bisher Ergänzung bedeutete, allmählich zum Gegensatz, der 1624 auch die Korrespondententätigkeit von Camerarius für Christian von Anhalt schließlich zum Erliegen bringen sollte. Camerarius vermochte nicht, wie Christian über seinen eigenen Schatten zu springen. Ohne Zweifel war seine Begabung enger als die des Fürsten von Anhalt. Gerade die letzten Kapitel zeigten aufs neue, wie ihm außer Nüchternheit und Abenteuersinn auch das Verständnis für das dynastische Moment abging, dem sich Christian in starkem Maße aufgeschlossen zeigte. Wenn nach 1620 in ausgeprägterer Weise als bisher ein Gegensatz zwischen der konfessionellen und der dynastischen Tendenz sich geltend machte, so erklärt sich das neben anderem auch daraus, daß Christian von Anhalt den religiösen und den dynastischen Gedanken in seinen Maßnahmen geschickt vereinigte in der Art, daß er sich zur Verwirklichung seiner machtpolitisch-konfessionellen Pläne auch dynastischer Mittel bediente. Seine Nachfolger in der Leitung der pfälzischen Politik hingegen brachten keine so günstige Verbindung mehr zustande. Am wenigsten war hierzu Camerarius geeignet. Er verfügte nicht über soviele Ausweichmöglichkeiten wie Christian. Die den Fürsten auszeichnende Wendigkeit ging ihm ab, und das geistige Fundament, auf dem seine Diplomatie basierte, war schmaler. Dafür reichten die seine Politik hauptsächlich beherrschenden Wirkkräfte, die Sorge um die europäische Machtstellung der Pfalz und die Sicherung des Protestantismus, weiter in die Tiefe, und jener Zug der pfälzischen Staatskunst, der bei Christian von Anhalt sich als Abenteurer- und Spielerzug darstellte, erschien bei dem verantwortungsbewußteren und weniger realistischen Camerarius als politischer Idealismus. Dieser wurde vollends entwickelt in den Jahren 1622 und 1623, die zu den schwierigsten und entscheidungsvollsten seines Lebens gehören. Sie gestalteten sich zu einer regelrechten Feuerprobe, aus der Camerarius als reiner politischer Idealist hervorging. Um wieviel ausgeprägter sein Idealismus war als der der meisten anderen Diplomaten seiner Zeit, auch derer, die im übrigen wie Camerarius als Vertreter der christlichen Diplomatie zu gelten hatten, wird in den kommenden Jahren seines Lebens noch mehrfach deutlich werden.

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Mit diesem hochgespannten und zugleich etwas pedantischen Idealismus drängte Camerarius im Verlauf des Jahres 1623 in der pfälzischen Exilregierung nicht nur die dynastisch-ritterliche Tendenz zurück, er erreichte auch, daß darüber hinaus die konfessionelle Machtpolitik des abenteuerlichen und unsteten, ja leichtsinnigen Zuges weithin entkleidet wurde, den sie unter Christian von Anhalt angenommen hatte. Das religiöse Moment trat unter Camerarius wieder mehr in den Vordergrund, wie das ebensosehr seiner persönlichen Grundeinstellung wie den propagandistischen Erfordernissen des Exils entsprach, das auch hierin bedeutsamen Anteil daran hatte, seine persönlichen Eigenarten zu verstärken und weiter auszubilden. Es war in vielem ein Rückgriff auf die Zeit des Pfalzgrafen Johann Kasimir, auf jene ereignisreichen Regentschaftsjahre von 1583 bis 1592, in denen auch das rein Religiöse noch weiter im Vordergrund stand als dann unter Christian von Anhalt. Die pfälzische Politik wurde unter Camerarius geistiger, ernster und gediegener. Sie wurde konsequenter, aber auch insofern enger und beschränkter, als Camerarius mit Starrheit in der einmal eingeschlagenen Richtung verblieb und manche Gelegenheiten versäumte, die zu ergreifen die Staatsraison nahelegte. Camerarius erreichte während der Zeit, in der er die pfälzische Exilpolitik leitete, daß die pfälzische Diplomatie eindeutig dokumentierte, wie ernst es ihr auch in der Stunde höchster Bedrängnis mit den Idealen und Zielen war, denen sie sich in glücklicheren Zeiten verschrieben hatte. So gelang Camerarius in gewisser Hinsicht eine Ehrenrettung der pfälzischen Sache, indem er die Exilregierung immer wieder zum Durchhalten und zur Fortsetzung des Krieges brachte und sie eine Unterwerfung so weit von sich weisen ließ wie möglich. Mit der aus der besonderen Geistigkeit seiner Diplomatie entspringenden Kriegspolitik, deren erste Phase die Obstruktion gegen die englischen Verständigungsbemühungen von 1623 ausmachte und die hierdurch wie noch mehr durch ihre anderen Maßnahmen nicht unwesentlichen Anteil daran hatte, daß der Krieg ein gesamt­ europäischer und ein dreißigjähriger wurde, trug Camerarius ferner dazu bei, daß die ideellen Güter, denen sich die Heidelberger Politik seit den Tagen Kurfürst Friedrichs III. verschrieben hatte, vor dauernder Niederlage bewahrt, daß sie erhalten blieben und auf die Dauer rechtlich gesichert wurden. Nach dem Westfälischen Frieden war es unbestritten, was sich 1623 schwerlich hätte erlangen lassen, daß der Protestantismus als gleichstarker Faktor neben dem Katholizismus in Deutschland fortbestand. Die Freiheit der protestantischen Fürsten gegenüber dem Kaiser blieb gesichert; und gleichberechtigt und von der katholischen Partei als reichsrechtlich anerkannt, trat im Reich dem lutherischen Bekenntnis nun endlich das calvinische an die Seite. In erster Linie die veränderte politische Lage und die Ungunst der Verhältnisse, in zweiter Hinsicht aber auch des Camerarius mangelnder Sinn für handgreifliche Realitäten und für die nüchterne Verfolgung der Staatsraison ließen jedoch nicht auch die Sicherung oder gar Erweiterung der europäischen Machtstellung der Pfalz gelingen. Vielmehr war es mit ihrer großen Zeit 1648 endgültig vorbei, und der Friede von Münster und Osnabrück fand die pfälzischen Wittelsbacher mit einer Regelung ab, die, wie schon angedeutet, hinsichtlich des territorialen Besitzes wie der reichs-

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rechtlichen Stellung den günstigsten der 1623 erörterten und von Camerarius bekämpften Lösungsmöglichkeiten sehr nahe kam. So stehen die Erfolge und Mißerfolge, die der pfälzischen Diplomatie im Verlauf der fünfundzwanzig Jahre bis zum großen Remis 1648 beschieden waren, in einer deutlichen und zum Teil ursächlich bedingten Analogie zu dem Geist der 1623 von Camerarius begonnenen Kriegspolitik. Pax sub clypeo, so hatte die Devise gelautet, unter die Camerarius von der Schlacht am Weißen Berg bis zum Verlust der Pfalz im Herbst 1622 seine diplomatischen Bemühungen gestellt hatte. Weiterzugehen und den Frieden durch Unterwerfung zu erkaufen, da keine Armee mehr ein Verhandeln als gleichberechtigter Partner ermöglichte, war er hingegen nicht gesonnen, und mutig zog er sogleich die Konsequenz. Nicht mehr durch einen mit kleinen Zugeständnissen und im Schutz militärischer Machtmittel erlangten nahen Frieden wünschte er von nun an die pfälzische Sache zu retten. Von Anfang 1623 an strebte er danach, durch einen großen europäischen Krieg, durch eine Koalition der protestantischen Mächte innerhalb und außerhalb des Reiches die katholische Partei zum Nachgeben zu nötigen und niederzuzwingen. Bei den gleich nach seiner Rückkehr in den Haag Ende 1622 einsetzenden Verhandlungen mit England wurde dies zum ersten Mal in vollkommener Weise deutlich. Es zeigte sich, daß er gleichzeitig etwa, da er zum Leiter der Exilregierung aufstieg, auch in seiner Politik in eine neue Phase eintrat, daß er nunmehr auch als diplomatischer Praktiker zum evangelischen Kriegspolitiker wurde. Die gedankliche Grundlage hierzu war längst bei ihm bereitet. So methodisch wie alles in seinem Leben hatte sie sich ganz allmählich entwickelt und zu einem festen Fundament erweitert, dessen Vorhandensein ihm nun auch in der Praxis den raschen Übergang zur absoluten Kriegspolitik gestattete. Wir kennen seine Ansichten bereits hinlänglich und sahen, wie er sie in der Theorie nicht nur in diplomatischen Berichten und Memoranden, sondern auch schon vor der breitesten Öffentlichkeit in seinen Flugschriften entwickelt hatte. Wir können daher nun sogleich verfolgen, auf welche Weise Camerarius diese Gedanken in die Praxis umsetzte und welche Gestalt er ihnen gab, nachdem er der Hauptverantwortliche für die pfälzischen Angelegenheiten geworden war. Wenn Camerarius von 1623 an konsequent eine evangelische Kriegspolitik großen Stiles betrieb, so änderte er damit nicht nur die Richtung der pfälzischen Exilpolitik. Er bewies gleichzeitig, daß er nunmehr als Diplomat eine Selbständigkeit erlangt hatte, wie sie ihm bisher noch abgegangen war. Die Leitung der Exilpolitik in der von ihm für richtig befundenen Weise stellte an Camerarius die Anforderung zu völlig selbständigem und selbstverantwortlichem Handeln. Indem er diese Anforderung erfüllte, trotz des ihn eigentlich beherrschenden Anlehnungsbedürfnisses, bewies er, wie mächtig seine politischen Ideen in ihm waren. Sie zeigten sich als so stark, daß er fähig wurde, sich endgültig von dem Einfluß Christians von Anhalt loszumachen und Bahnen einzuschlagen, die allmählich mit einer gewissen Notwendigkeit zur Trennung von dem Fürsten führten. Wohl ging diese ganz langsam vonstatten. Allzu gewöhnt waren beide Männer an den gegenseitigen geistigen Austausch und nahmen deshalb

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zunächst mit großer Vorsicht aufeinander Rücksicht. Auch das ganze Jahr 1623 setzte Camerarius seine Korrespondententätigkeit für Christian von Anhalt fort und hütete sich noch immer, Anhalts Unterwerfungsabsichten offen zu widersprechen, ebensowenig wie Christian etwas gegen des Camerarius Maßnahmen sagte. Andererseits hieß Camerarius des Fürsten Bemühungen auch nicht mehr ausdrücklich gut, sondern ging der ganzen Frage in seinen Briefen offensichtlich mit Absicht aus dem Wege. Von hoher Bedeutung für des Camerarius Lebensgang waren also die Ende 1622 und Anfang 1623 sich vollziehenden Wandlungen in seiner amtlichen Stellung und seiner Handlungsweise. Mußte es deshalb das Anliegen einer Camerarius-Biographie sein, sie genau darzustellen, so bleiben gleichzeitig doch zwei Umstände zu beachten: Zum einen, daß Camerarius den neuen Kurs nur durchführen konnte, weil allgemein im pfälzischen Lager und besonders beim Winterkönig gegenüber England eine starke Verstimmung herrschte und weil auch diejenigen pfälzischen Politiker, in denen die dynastische Tendenz stärker wirkte als in Camerarius, die Friedensmöglichkeit mit Skepsis betrachteten. Zum andern hat man sich vorzuhalten, daß bei den aufs äußerste beschränkten, nur diplomatisch-propagandistischen Mitteln, die der Exilregierung zur Verfügung standen, ihr neuer kriegerischer Geist nur langsam im Weltgeschehen zu bedeutsamer Geltung kam, daß stets das Gewicht der pfälzischen Stimme vergleichsweise gering blieb und daß insbesondere 1623 bei den englisch-spanischen Ausgleichsbemühungen alles, was Camerarius tun konnte, eine begrenzte Obstruktion gegen das englische Vorgehen war, ein Widerstand, der gleichwohl immer wieder durch Zugeständnisse an die englischen Wünsche unterbrochen wurde und auf die Dauer nur deshalb Erfolg hatte, weil der Plan König Jakobs scheiterte, seinen Sohn mit einer spanischen Prinzessin zu verheiraten. Gleichwohl hat die konsequente Ablehnung durch die Pfälzer auch ihre große allgemeinhistorische Bedeutung. Ist doch nicht abzusehen, wie sich die Dinge entwickelt hätten, wenn von der Exilregierung die sich bietende Gelegenheit mit beiden Händen ergriffen worden wäre. Camerarius sah es als die alles bestimmende Folge der militärischen Niederlage von Ende 1622 an, daß auf dem Regensburger Kurfürstentag Ende Februar 1623 Maximilian von Bayern die Kurwürde übertragen worden war. Wenn der Kaiser dabei einen Unterschied gemacht hatte zwischen der Verleihung der Kur und der Übertragung des pfälzischen Territoriums und man zunächst nur den ersteren Akt vollzogen hatte, so erschien ihm das lediglich als ein vorläufiges Manöver, um England und Spanien fürs erste zu beruhigen. Nur mit Waffengewalt werde man das Verlorene zurückgewinnen können, war von vornherein seine Ansicht: „Bayer wird daz land behalten, biß einer kommt, der ihms nimmet“6. Für grundfalsch hielt er deshalb die freiwillige Übergabe Frankenthals, der einzigen Festung in der rheinischen Pfalz, die sich beim Einmarsch der ligistischen Armee Ende 1622 gehalten hatte. Die Auslieferung war spanischerseits bei den Verhandlungen in Brüssel zur Vorbedingung ei6



Camerarius an Rusdorf, Haag 28. 3. 1623, Coll. Cam. Vol. 25.

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nes Waffenstillstandes und eines anschließenden Ausgleichs gemacht worden, und England hatte bereits Ende 1622 die Übergabe definitiv zugesagt, wozu es insofern berechtigt war, als Frankenthal von britischen Truppen gemeinsam mit der Bürgerschaft des Ortes verteidigt wurde. Obwohl es sich also in der Hauptsache um englisches Militär handelte und das Zugeständnis bereits vor seiner Rückkehr in den Haag erfolgt war und zunächst pfälzischerseits anscheinend keine energischen Proteste hervorgerufen hatte, versuchte Camerarius bis in den April 1623, die Übergabe zu verhindern. Mehrere Male wurde der Winterkönig von ihm bewogen, seinem Schwiegervater seine Einwilligung zur Auslieferung der Festung zu versagen, und insbesondere sich zu weigern, den Bürgern die nötigen Befehle zukommen zu lassen. Bereits Mitte Febuar 1623 war Friedrich V. drauf und dran, nach London die geforderten Vollmachten und Erklärungen zu schicken. In letzter Minute jedoch gelang es Camerarius, wie dieser am 24. Feburar triumphierend an Rusdorf mitteilte, den Schreiben „clausulam salutarem“ anzufügen, die die Zusagen zunächst hinfällig gemacht zu haben scheint7. Auf die Dauer jedoch fehlte der Exilregierung eine wirkungsvolle Handhabe, die Übergabe zu verhindern. Vielmehr mußte Camerarius grollend mit ansehen, wie der Hof von St. James die Pfälzer im März über die Kapitulationsverhandlungen überhaupt nicht mehr informierte, weil er ihres Widerspruchs von vornherein sicher sein konnte, und wie im April 1623 die Übergabe dann tatsächlich erfolgte, ohne daß vom Haag aus sich noch Wesentliches dagegen hätte unternehmen lassen8. Camerarius mußte Ende April 1623 sogar selbst seinem Herrn – wenn auch sehr widerwillig – raten, keinen Protest gegen den Verlust der letzten noch in protestantischem Besitz befindlichen pfälzischen Stadt zu erheben. Den ersten Gang im Kampf gegen die englischen Befriedungsabsichten hatte er verloren. Um so eifriger bemühte er sich, im zweiten erfolgreicher zu sein. Die Übergabe Frankenthals sollte nach Absicht der englischen und spanischen Diplomaten den ersten Schritt zu einem generellen Waffenstillstand in der rheinischen Pfalz darstellen. In der Zeit der Gültigkeit des Waffenstillstandes sollte dann ein Weg gefunden werden, auf dem man zu einem regelrechten Friedensschluß gelangen könnte. Wie aber des Camerarius Entschluß feststand, sich jedem Unterwerfungsfrieden von der 1623 möglichen Art bis aufs äußerste zu widersetzen, so war seiner Ansicht nach auch der von England betriebene Waffenstillstand unbedingt zu verwerfen, ja er war, wie Camerarius von Anfang an richtig erkannte, sogar noch um vieles gefährlicher als ein definitiver Friede. Hätte man doch durch die vorläufige Rückkehr in den verkleinerten Besitzstand unter spanischem Schutz nicht nur seine Bereitschaft zur Unterwerfung deutlich gemacht, sondern gleichzeitig auch einen ersten Schritt getan zum endgültigen Verzicht auf die europäische Staatsgeltung als Vormacht des Protestantismus. Gleichzeitig aber – so argumentierte Camerarius ohne Zweifel mit vielem Recht – hätte man dafür noch keines7



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Coll. Cam. Vol. 25. Camerarius an Rusdorf, Haag 17. 4. 1623, Coll. Cam. Vol. 25.

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wegs wie in einem definitiven Frieden eine wirkliche Sicherung im Besitz des verkleinerten Territoriums und der geschmälerten Reichsrechte eingetauscht. Alles wäre vielmehr noch ungesicherter geblieben, und Friedrich V. und seine Berater, die jetzt im Haag feindlichen Zugriffen entrückt waren, hätten eine Abhängigkeit von Spanien auf sich nehmen müssen, die gefährlich werden konnte. Wieder tauchte in den Erwägungen der Exilregierung warnend die Erinnerung an das Schicksal Philipps von Hessen auf, der 1547 seinen Entschluß, sich in die Gewalt Kaiser Karls V. nach Halle zu begeben, um sich sein Land zu erhalten, mit mehrjähriger Gefangenschaft hatte büßen müssen. Wie aber Camerarius in zahlreichen Belangen dem 16. Jahrhundert mehr verpflichtet war als viele pfälzische und andere Diplomaten seiner Zeit, so stand ihm, der den Kampf um Böhmen und die Pfalz noch ganz als einen Glaubenskrieg auffaßte, auch das Beispiel des Schmalkaldischen Krieges besonders lebhaft vor Augen. In besonders starkem Maß empfand er den Werdegang der protestantischen Staaten von der Reformation bis zum Dreißigjährigen Krieg als eine eng zusammengehörende Einheit, und besonders mochte ihn jetzt die Erinnerung daran schrecken, wie man seinerzeit den Landgrafen von Hessen düpiert hatte. Genug, er wurde nicht müde, dem Waffenstillstandsansinnen so sehr wie nur irgend möglich Widerstand zu leisten, eine Obstruktion, in der er so weit ging und die er für so wichtig hielt, daß er ihr in den Verhandlungen der Exilregierung mit dem englischen Hof ganz die Vorhand einräumte. Es ist interessant und bezeichnend, daß bei Camerarius demgegenüber nicht nur in den Erörterungen mit den englischen Diplomaten, sondern auch den intimen Erwägungen mit Rusdorf, der seit Mai 1623 ja als alleiniger pfälzischer Vertreter in London fungierte, das Interesse für die übrigen Friedensgespräche und Ausgleichsmöglichkeiten weit in den Hintergrund trat. Für Camerarius verdeckte der Waffenstillstand wie ein Berg die Aussicht auf alle Friedensmöglichkeiten, die dahinter lagen. Diese Betrachtungsweise war insofern richtig, als der Hof von Madrid tatsächlich dazu neigte, den Stillstand zur Vorbedingung alles Weiteren zu machen, und die Gefahren offenkundig waren, die der Vertrag in sich geborgen hätte. Gleichzeitig aber ist sein Verhalten auch ein Zeugnis für seine persönliche Abneigung gegen jede Form eines Unterwerfungsfriedens, für die geringen Chancen, die er der Möglichkeit eines Ausgleichs gab, und für eine gewisse Einseitigkeit, ja Starrheit seiner Politik. War es doch keineswegs in jedem Fall ausgemacht, daß sich eine Verständigung nur im Weg über einen Waffenstillstand erreichen ließ. Hätte es doch ferner das Streben der Exilregierung sein müssen, wenn sie nur die Gefahren des Waffenstillstandes gefürchtet, aber einem Ausgleich durch Unterwerfung an sich positiv gegenüber gestanden hätte, das diplomatische Terrain nach Lösungsmöglichkeiten mit tunlicher Sorgfalt abzutasten, zu versuchen, selbst die Initiative zu übernehmen, zumindest aber nach genauer Information über die einzelnen Varianten der in London, Madrid, Wien und schließlich auch München erörterten Pläne zu trachten. Dabei war es Camerarius an sich durchaus bekannt, daß zwischen den katholischen Mächten keineswegs in jeder Hinsicht Einigkeit bestand. Wie in seinen Flugschriften und dann später bei der Gesandtschaft nach Dänemark bezog er

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deshalb die Möglichkeit, das katholische Lager zu spalten, auch 1623 öfters in seine Pläne ein9. Doch beabsichtigte er dabei stets ein militärisches Vorgehen und hoffte, den einen Gegner, meistens Bayern, zu schlagen, während Spanien aus Abneigung gegen seinen Bundesgenossen untätig zusähe oder allenfalls von England durch Verhandlungen hingehalten würde. Lediglich auf dem Verhandlungswege sich die Uneinigkeit der Gegner zunutze zu machen, schien ihm dagegen aussichtslos und gefährlich. Ein militärisches Programm stand bei ihm stets im Mittelpunkt. Außer den ausführlichen Briefen, die Camerarius von Ende 1622 an regelmäßig im Abstand von wenigen Tagen an Rusdorf schrieb in einer bis zu dessen Rückkehr in den Haag 1627 eigentlich ununterbrochenen Folge, besitzen wir ein weiteres, fast noch intimeres Zeugnis für seine Einstellung zur Friedens- und Waffenstillstandsfrage in einem nur für den persönlichen Gebrauch bestimmten Notizbuch aus den Jahren 1623 und 1624, das sich in der Münchener Collectio Camerariana erhalten hat10. In ihm scheint Camerarius, sich Notizen gemacht zu haben für seine Ausführungen vor Friedrich V. und den anderen noch im Haag befindlichen Räten. In Stichworten sind die Argumente pro et contra aufgeführt, die er in den Besprechungen der Exilregierung vorzubringen gedachte, und wir sehen aus mehreren Bemerkungen, daß es sich wenigstens bis in den Mai 1623, als Solms noch lebte und Achaz von Dohna sich noch im Haag aufhielt, um regelrechte Ratssitzungen unter dem Vorsitz des Winterkönigs handelte, wie man sie von Heidelberg her gewöhnt war. Gleichzeitig aber bestätigen die Notizen, daß Camerarius von Ende 1622 an der bestimmende Kopf in der Exilregierung war und daß der neue kriegerische Kurs vornehmlich auf seine Initiative zurückging. Besonders aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang seine Notizen über eine Besprechung, die „Donnerstags den 2. Februarii anno 1623 … in Regis Bohemiae cabinet und beysein“ zwischen Solms, Achaz von Dohna und Camerarius stattfand. Neben den englisch-spanischen Vorschlägen standen damals bereits eventuelle Möglichkeiten zur Verständigung mit Maximilian von Bayern zur Debatte, die sich in der Ferne abzeichneten, und dann Ende 1623 und Anfang 1624 bei der Mission des Kapuziners Francesco della Rota vollends spruchreif wurden. Es fragte sich, ob man eine geplante Mission Dohnas zu Bethlen Gabor von Siebenbürgen und den Abschluß eines neuen Kriegsbündnisses mit dem Großfürsten zurückstellen sollte, um die Chance eines Ausgleichs mit dem Münchener Hof nicht zu beeinträchtigen. Da ist es nun von hohem Interesse, zu sehen, wie Camerarius mit größter Ener­gie gegen einen solchen Aufschub der Gesandtschaft Stellung nahm. In dem pro und contra der von ihm aufgeführten Gesichtspunkte überwiegt gänzlich die Ansicht, daß Maximilian doch nicht zu trauen sei, weil er wahrscheinlich gar nicht einer Verständigung mit dem pfälzischen Vetter zuneige11. Unbedingt 9



Z. B. Camerarius an Rusdorf, Haag 17. 4. 1623, Coll. Cam. Vol. 25. Ebenda Vol. 68. 11 Camerarius verzeichnet, er habe „Bavari perfidia et intentio weytleuftig deducirt, druff a Rege Bohemiae damitt zu gestimmt und geschlossen worden, ipsius formalibus verbis: daz ihre Majestät beständig resoluirt, da Bethlen Gabor promissis ein gnügen tethe, bellum renovirte und 10

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sei deshalb, so resümierte Camerarius in der Sitzung vom 2. Februar 1623, zu der Gesandtschaft nach Siebenbürgen zu raten und hier ein möglichst weitgehendes neuerliches Kriegsbündnis mit Bethlen Gabor zustandezubringen. Wie ernst es ihm dabei mit einem möglichst groß angelegten Krieg gegen die katholischen Mächte war, und wie ihm die geplanten Vereinbarungen mit dem Siebenbürger keineswegs bloß als ein Druckmittel erschienen, um möglichst rasch zu einem Separatabkommen zu gelangen, illustriert der Umstand, daß er in derselben Sitzung vom 2. Februar 1623 warm dafür eintrat, Bethlen Gabor für den Fall, daß der Großfürst seinerseits seine kriegerischen Versprechen erfüllte, die Zusicherung zu geben, daß die Pfälzer keinen Sonderfrieden schließen, sondern gegebenenfalls sich mit der katholischen Partei nur unter Einschluß Bethlens in einen Frieden und ohne irgendwelche Schädigung der Bundesgenossen des Winterkönigs verständigen würden12. Wie das Notizbuch somit das Bild von der unbedingt kriegerischen Gesinnung abrundet, die Camerarius seit Ende 1622 beherrschte, so verstärkt es auch unsern Eindruck, der sich nicht nur in seiner Korrespondenz, sondern ebenso aus den übrigen pfälzischen Akten dieser Jahre gewinnen läßt, daß seit 1623 zwar bei den meisten Beratern des Winterkönigs und auch bei Friedrich selbst eine gewisse Verstimmung über die englischen Zumutungen herrschte, daß aber die weitgespannte und zum äußersten entschlossene Kriegspolitik in erster Linie die Tat von Camerarius war, daß er als die treibende Kraft in der pfälzischen Exilregierung gelten konnte. – Wie ihm hierbei Rusdorf als Helfer zur Seite trat, wird weiter unten zu erörtern sein. Die Sorge um eventuelle Möglichkeiten eines Ausgleichs mit Bayern trat zunächst noch hinter den Bemühungen zurück, die englisch-spanischen Abmachungen zunichte zu machen. Andreas Pawell war es, der bei seiner Rückkehr von London in den Haag die erste definitive Nachricht überbrachte, daß am 1. Mai 1623 in London der schon so lange erwartete Waffenstillstand für die Pfalz endgültig zwischen England und Spanien verabredet worden war. Zwei Jahre sollte er Gültigkeit haben und in dieser Zeit Friedrich V. der Aufenthalt in Heidelberg gestattet sein. Dafür wurde vom Winterkönig gefordert, in den beiden Jahren keine Truppen zu unterhalten, keinerlei Bündnisse einzugehen und die schon bestehenden Abmachungen mit den Gegnern der katholischen Partei aufzukündigen13. Beim Widerstand gegen dieses Waffenstillstandsansinnen befand sich Camerarius insofern in einer besseren Position als bei den Kapitulationsverder confoederation Seines theyls ein gnügen tethe, alsdann nisi illo incluso und den confoederatis zu schaden kein frieden einzugehen“. 12 Siehe vorausgehende Fußnote. 13 Über diese Bedingungen äußerte sich Camerarius ein erstes Mal voller Zorn gegenüber Rusdorf am 17. 5. 1623: „Omnia … perdita, nec restitutio ulla amplius speranda, quae vere restitutio nominari possit. Suspensio vero illa biennalis armorum quale monstrum est? Non entis nullae sunt qualitates, ut nos solemus dicere. Nulla nobis arma in manu, quae possimus deponere. Hostes vero omnia armis nobis eripuerunt, et vi retinere cupiunt, contra quem igitur arma suspendent? … Sed hoc impudentissimum quod etiam omnem recuperandi spem nobis praecidere volunt. Cur enim foedera cum amicis nobis inire non liceat, si non ille scopus hostibus propositus?“, Coll. Cam. Vol. 25.

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handlungen über Frankenthal im März und April, als die englische Politik die förmliche Zustimmung Friedrichs V. benötigte, um den Waffenstillstand perfekt zu machen, und nicht einfach wie im Falle von Frankenthal über die Pfälzer hinweggehen konnte. Camerarius wußte deshalb, nachdem Pawell seinen offiziellen Bericht „in senatu“ am 17. Mai erstattet hatte, den Beschluß zu erwirken, die englischen Wünsche so lange wie möglich dilatorisch zu behandeln. „Lucrari tempus quantum fieri potest“, instruierte er am 16. und 17. Juni 1623 Rusdorf, müsse das Ziel der pfälzischen Politik sein. „Bonis verbis dilationibusque“ habe man danach zu trachten, König Jakob wenigstens so lange hinzuhalten, bis man absehen könne, wie sich die Dinge in Spanien entwickelten14. Dieser Instruktion entsprechend fiel die Antwort des Winterkönigs an seinen Schwiegervater aus. Sie machte keine einzige Zusage, war im großen hinhaltend abgefaßt, an einigen Stellen aber kam die Ablehnung sogar offen zum Ausdruck. Auch begnügte sich die Exilregierung keineswegs damit, den Fall lediglich mit London zu verhandeln. Sah Camerarius doch seine von Anfang an gehegte Befürchtung sehr bald bestätigt, daß die englische und spanisch-kaiserliche Diplomatie, indem sie den Waffenstillstand als bereits definitiv geschlossen hinstellte, versuchen würde, seine Bemühungen um ein großes europäisches Kriegsbündnis gegen die habsburgisch-katholischen Mächte lahmzulegen. Dieser Allianz aber galt sein ganzes Interesse, weil er 1623 einzig von ihr eine Besserung der pfälzischen Situation erhoffte. So nahm er nicht Anstand, in einer Art von Rundschreiben Friedrich V. erklären zu lassen, daß von einer Annahme des Waffenstillstandes nicht die Rede sein könne, sondern daß der Pfalzgraf nach wie vor an seinen Bündnisvorschlägen und kriegerischen Plänen festhalte. Nicht nur an die meisten protestantischen Höfe, an Bethlen Gabor und durch Andreas Pawell nach Paris gingen diese Erklärungen. Auch der Pforte wurden sie Anfang Juni 1623 zugestellt, da Camerarius gehört hatte, die kaiserlichen Gesandten versuchten, die Türken unter Hinweis auf das Nachgeben der Pfälzer von einer tatkräftigen Unterstützung Bethlen Gabors abzuhalten, wie sie Camerarius besonders wünschenswert erschien, um dem von Südosten her gegen das Habsburgerreich zu führenden Stoß den gehörigen Nachdruck zu verleihen15. Als weitere Vorsichtsmaßregel instruierte Camerarius ferner Rusdorf bereits am 17. Mai 1623 und wiederholte die Weisung einen Monat später, besonders geheime Mitteilungen über die englischen Friedenspläne, die vor der englischen Diplomatie zu verbergen seien, ihm privat zukommen zu lassen. Denn allzu leichtfertig gehe Friedrich mit solchen wichtigen Briefen um. Nie sei man sicher, daß er sie nicht unverschlossen herumliegen lasse oder gar direkt dem englischen Gesandten zeige. Camerarius werde Friedrich diese Geheimnachrichten dann lediglich vorlesen – und zwar notfalls nur auszugsweise –, die Briefe selbst aber nicht aus der Hand geben. Rusdorf scheint bereitwillig auf diese Anregung eingegangen zu sein, so daß es offensichtlich ist, bis zu welcher Selbständigkeit Camerarius als Leiter der Exilpolitik gelangte dank seiner schon erörterten Ein14

Coll. Cam. Vol. 25. Camerarius an Rusdorf, Haag 17. 6. 1623, Coll. Cam. Vol. 25.

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stellung gegenüber seinem Herrn als dem „edel jung blut“, für den die Erfahrung seiner treuen Räte väterlich zu sorgen habe. Gleichzeitig aber zeigten die Weisungen an Rusdorf auch, mit welchen Schwierigkeiten Camerarius bei der Behandlung seines Herrn zu kämpfen hatte, und wie sich neben dem von ihm repräsentierten Einfluß des Geheimen Rates nach wie vor, wenn auch sehr viel schwächer als in den Vorjahren, die Stimmen der englischen Verwandtschaft und ihres Vertreters geltend machten. Dieser Vertreter aber war nicht mehr eine mäßige diplomatische Begabung von der Art Nethersoles, Mortons und auch Conways, die Camerarius mit richtigem Blick gering einschätzte. Seitdem er sich im Haag aufhielt, fand er sich einem englischen Diplomaten von großem, europäischem Format gegenüber, zweifellos einem der interessantesten und befähigtesten englischen Politiker der Zeit: Sir Dudley Carleton, dem späteren Viscount of Dorchester, der mit nur kurzen Unterbrechungen von 1616 bis 1627 als Gesandter in den Niederlanden wirkte und dann als Nachfolger des Herzogs von Buckingham die Führung der englischen Außenpolitik übernahm, der also des Camerarius ständiger Gegenspieler in den wichtigsten Jahren seiner Exiltätigkeit war. Seine Äußerungen über Carleton lauteten vom Beginn seiner Bekanntschaft an sehr viel positiver als das Urteil über die englischen Diplomaten, denen er vorher begegnet war. Die ganzen fünf Jahre, die er mit Carleton im Haag zu tun hatte, verharrte er bei seiner Wertung in einer eigentümlichen Mischung von Lob und Mißfallen. Hochachtung vor Carletons diplomatischen Fähigkeiten, Wertschätzung, ja Sympathie verbanden sich mit Mißtrauen, mit Ärger über die Wendigkeit und Leichtfertigkeit des Engländers, mit der dieser über die Ziele und Ideen des Krieges dachte, und mit einem Anflug von Neid. War doch die Stellung Carletons bis 1626, als Camerarius offizieller schwedischer Gesandter wurde, ungleich glanzvoller und angenehmer als seine eigene. Ungleich reicher war auch die Vielfalt der Begabung des Engländers. Wie Camerarius legte Carleton, obwohl in diesen Fragen vielleicht nicht ganz so versiert wie dieser, ein lebhaftes Interesse für die Bildungsgüter und Anliegen des niederländischen Späthumanismus an den Tag. In vieler Hinsicht zeigte auch er sich von aufrichtiger Religiosität erfüllt. Gleichzeitig aber und in erster Linie verkörperte Carleton den gewandten Hofmann, der fließend französisch sprach, fast noch mehr oder doch ebenso wie in den alten Sprachen in allen ritterlichen Künsten zu Hause war, der sich noch viel intimer als mit Generalstaaten und Gelehrten mit dem Generalstatthalter und seinem Hof stand und zusammen mit seiner liebenswürdigen Frau nahen geselligen Verkehr mit den Oraniern und dem vertriebenen böhmischen Königspaar unterhielt. Ohne Zweifel hatte Carleton mehr Möglichkeiten als Camerarius, auf die maßgeblichen Persönlichkeiten in den Niederlanden einzuwirken, und mit einem gewissen Neid sah dieser, wie Carleton auch zu Friedrich V. und der Königin Elisabeth in einem Verhältnis gesellschaftlicher Vertrautheit stand, das ihm selbst abging. Offensichtlich wurde Carleton von den pfälzischen Herrschaften viel mehr wie ihresgleichen behandelt als Camerarius. Das Altfränkische, das seiner eigenen Persönlichkeit als Diplomat stets anhaftete, kam ihm bei der Zusammenarbeit mit Carleton besonders stark zum Bewußtsein.

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Nicht, daß er sich deshalb bemüht hätte, die ihm vertrauten gelehrten Geheimratsallüren abzustreifen. Er blieb auch im Haag stets sich selber treu. Doch es hing ebensosehr mit der Notlage, in die ihn das Exil versetzt hatte, wie mit seinem gleich noch zu erörternden Hineinwachsen in die große europäische Diplomatie zusammen, daß ihm die Überlegenheit eines Mannes wie Carleton jetzt mehr zum Bewußtsein kam als in den Jahren vorher. Carleton machte seine Fähigkeiten nun keineswegs nur in negativem Sinn gegen Camerarius geltend. Im Gegenteil, er scheint persönlich Camerarius Verständnis, ja Wohlwollen entgegengebracht zu haben. So unterstützte er seine Sammlerleidenschaft, die sich damals nicht nur wie später auf das Zusammentragen von Autographen beschränkte. In den Zwanziger Jahren und früher scheint Camerarius außerdem danach gestrebt zu haben, eine Porträtsammlung führender Zeitgenossen zusammenzubringen. An 70 Stück zählte sie 1627 bereits, und Carleton versprach ihm mehrere Gemälde, ohne sie freilich später zu liefern. Auch war Carleton keineswegs ein unbedingter Anhänger der Politik König Jakobs und Buckinghams. Er hatte manche Bedenken gegen die Annäherung an Spanien. Doch andererseits stand er auch den kriegerischen Plänen von Camerarius skeptisch gegenüber, was dieser ihm übelnahm und als Opportunismus auslegte, und war weit davon entfernt, einen großen europäischen Krieg für den Protestantismus und die pfälzische Sache für unbedingt wünschenswert zu halten oder gar daran zu arbeiten, daß England in einen solchen verwickelt würde. Auch sah er sich an seine Instruktionen gebunden und deshalb noch im Juni 1623 genötigt, der Obstruktion des Camerarius gegen den Waffenstillstand entgegenzutreten. Noch am 16. Juni 1623 hatte dieser mit einer gewissen Befriedigung festgestellt, daß durch die in der Antwort nach London zum Ausdruck gebrachte hinzögernde Ablehnung, durch das Rundschreiben an die fremden Höfe und schließlich durch die Vorsichtsmaßnahme, die besonders geheimen Briefschaften hinfort direkt an ihn zu leiten, fürs erste alles geschehen sei, was sich pfälzischerseits gegen das Ansinnen des Waffenstillstandsvertrages tun ließ. Doch schon nach vier Tagen war diese vorläufige Beruhigung vorüber. Vom englischen Hof ging eine ebenso deutliche wie negative Antwort auf die dilatorischen Vorschläge der Exilregierung ein, in der auch das englische Befremden über die Mitteilung an die anderen Höfe zum Ausdruck kam. Gleichzeitig enthielt die Sendung die einzelnen Paragraphen des Waffenstillstandes und die dringliche Aufforderung, denselben zu ratifizieren16. Im selben Augenblick trat instruktionsgemäß Carleton in Aktion, und für Camerarius machte sich nun die gesellschaftliche Vertrautheit des englischen Gesandten mit dem böhmischen Königspaar sehr störend bemerkbar. Hatte Carleton doch stets bei Friedrich Zutritt und konnte ihn bei allerhand Gelegenheiten bearbeiten, bei denen Camerarius nicht zugegen war, so daß dieser bald ganz deprimiert an Rusdorf schrieb, der Winterkönig hänge allzu sehr von Carletons Rat ab, und Wichtiges werde ohne sein Wissen verhandelt17. 16

Camerarius an Rusdorf, Haag 16. u. 28. 6. 1623, Coll. Cam. Vol. 25. Camerarius an Rusdorf, Haag 28. 6. 1623, Coll. Cam. Vol. 25.

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Gleichwohl gelang es Camerarius, allen Schwierigkeiten zum Trotz seinen Herrn bis in die zweite Augusthälfte hinein von einem Eingehen auf die englische Aufforderung zur Annahme und Unterzeichnung des Waffenstillstandes immer wieder abzuhalten. Es scheint dabei sogar zu recht dramatischen Szenen zwischen Carleton und Camerarius gekommen zu sein. So unternahm Carleton am 4. August 1623 bei Friedrich aufs neue einen energischen Überredungsversuch und hatte, wie Camerarius am selben Tag noch Rusdorf berichtete, den Winterkönig auch beinahe breitgeschlagen zu ratifizieren, als Camerarius im letzten Moment Abschriften von Briefen des Kaisers und des Kurfürsten von Mainz erhielt, die ihm neue Argumente lieferten, so daß Friedrich noch einmal von der Unterzeichnung Abstand nahm18. Verwunderlich war es bei dem allen nicht, wenn man in London zumindest schon im Juni 1623 heraushatte, daß unter den Pfälzern im Haag Camerarius die Seele des Widerstandes gegen die englischen Ausgleichsabsichten war19. Eher ist es erstaunlich, daß Camerarius selbst trotz seiner so energischen Opposition dann doch sichtlich betroffen war, als er von Rusdorf Ende Juni erfuhr, man halte in England ihn für den Hauptgegner20. Da sehe man, wie böswillig Carleton Bericht erstatte, antwortete Camerarius am 30. Juni21. An den entscheidenden Besprechungen hätten auch Plessen und Andreas Pawell teilgenommen und Moritz sei es gewesen, der die Beschlüsse in die französische Form gebracht habe, in der sie dann nach England geleitet worden seien, alles Argumente, die wohl weniger auf Rusdorf wirken, als diesem Gesichtspunkte liefern sollten, Camerarius in London zu rechtfertigen. Auch ging sein Erschrecken darüber, daß man englischerseits so genau über seine Haltung Bescheid wußte, keineswegs so weit, daß er etwa erwogen hätte, seinen Widerstand aufzugeben. Vielmehr äußerte er sich: Wenn auch die wenigen Freunde des Winterkönigs seine Bemühungen mit Undank lohnten, werde es ihm nichts ausmachen, sich aufs neue nach Bremen oder anderswohin zurückzuziehen. Solange er aber die pfälzische Exilpolitik leite, werde er tun, wozu er sich verpflichtet fühle22. Doch auch die Opposition von Camerarius hatte ihre Grenzen. Sein Mut war gespeist worden von den gleich noch näher zu besprechenden Aussichten, die sich auf ein Kriegsbündnis der evangelischen Mächte und ein militärisches Vorgehen gegen die habsburgisch-katholische Koalition eröffneten. Als hier, sozusagen im positiven Teil seines Wirkens – im Gegensatz zu der negativen Obstruktion gegen die englischen Absichten –, ein schwerer Rückschlag eintrat, als Christian von Braunschweig am 9. August 1623 bei Stadtlohn vernichtend geschlagen wurde, glaubte auch Camerarius nicht, den unbedingten Widerstand gegen den Waffenstillstand weiter verantworten zu können. Er sah jetzt keinen anderen Ausweg mehr, als den englischen Wünschen einen Schritt entgegenzukommen: Am 23. 18

20 21 22 19

Camerarius an Rusdorf, Haag 10. 7. 1623, Coll. Cam. Vol. 25. Rusdorf an Camerarius, London, 25. 6. 1623, Coll. Cam. Vol. 25. Rusdorf an Camerarius, London, 25. 6. 1623, Coll. Cam. Vol. 25. Camerarius an Rusdorf, Haag, 30. 6. u. 10. 7. 1623, Coll. Cam. Vol. 25. Camerarius an Rusdorf, Haag, 10. 7. 1623, Coll. Cam. Vol. 25.

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August 1623 erklärte sich Friedrich V. zur Unterzeichnung des Waffenstillstandes bereit23. Doch er knüpfte seine Zusage an eine Reihe von Bedingungen: Nur dann gedenke er zu ratifizieren, wenn seine unverzügliche und vollständige Restitution außer aller Frage gestellt sei. Ferner forderte er, daß nichts von ihm verlangt werde, was – wie zum Beispiel eine öffentliche Abbitte – sein Ehrgefühl verletze oder seinen Bundesgenossen Schaden bringe. Diesen nach Maßgabe der Dinge äußerst hohen Forderungen entsprach die Formulierung des Schriftstückes, die kaum dem hochgespannten und trotzigen Stil nachsteht, in dem Camerarius die übrigen Schreiben der Exilregierung abzufassen pflegte. Nicht weniger weit ging die Forderung, die er namens des Winterkönigs bei den Verhandlungen zu stellen gesonnen war, die zur endgültigen Restitution im Anschluß an den Waffenstillstand zu führen waren und von der Exilregierung jetzt endlich ernsthaft ins Auge gefaßt wurden. Besonders bereitete man sich im Haag nunmehr allen Ernstes auf jenen in Köln abzuhaltenden Kongreß vor, auf dem gemäß der auf dem Regensburger Deputationstag im Februar 1623 erteilten kaiserlichen Zusage endgültig in „gütlicher Verhandlung“ über die Restitution oder Abfindung des Pfalzgrafen und die Regelung der Kurfrage für seine Kinder entschieden werden sollte. Allzu groß also war der Schritt nicht, den Camerarius Mitte August 1623 nach der Niederlage von Stadtlohn zurückweichen zu müssen glaubte. Von vornherein muß es deshalb fraglich erscheinen, ob die englische Vermittlungspolitik einen Vergleich mit der katholisch-kaiserlichen Partei würde zustandebringen können, wenn ihre pfälzischen Klienten zwar endlich auf die Präliminarien des definitiven Ausgleichs eingingen, ihre Bereitwilligkeit aber durch übergroße Bedingungen fast schon wieder illusorisch machten. Trotzdem zeigte sich die englische Diplomatie zunächst erleichtert, als sie die Zusage Friedrichs in Händen hielt, und setzte mit neuem Mut ihre Vermittlungsaktion fort. Freilich tat sie es nur, um nach mehreren Wochen feststellen zu müssen, daß durch die Stadtlohner Niederlage Christians von Halberstadt besonders die kaiserliche, aber auch die spanische Geneigtheit zu einem für die katholische Partei wenigstens mit einigen Konzessionen verbundenen Frieden im selben Maße abgenommen hatte, wie sie auf pfälzischer Seite gewachsen war, und daß nunmehr Ton und Inhalt der pfälzischen Zusagen im katholischen Lager besonders befremdeten. Auch fielen gerade im Hochsommer der Hofburg Briefe der Exilregierung in die Hand – wieder einmal spielt die Erbeutung vertraulicher Schreiben im Leben von Camerarius eine Rolle –, die Belege lieferten für die nahen pfälzischen Beziehungen zu den kriegerischen Aktionen Bethlen Gabors und Christians von Halberstadt. Während man bisher in Wien und Madrid vielleicht geneigt gewesen wäre, über solche Beweise hinwegzusehen, stach man jetzt die Koalitionsbemühungen der Pfälzer auf, ebenso wie den Umstand, daß sie im Mai die Ratifikation des Waffenstillstandes in Zirkularschreiben an die europäischen Höfe dementiert hatten. Kurzum, die Verhandlungen rückten auch im Spätsommer 23

BGStA Mü. K. bl. 121/3.

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1623 nicht recht voran, und der von England so heiß ersehnte Ausgleich war auch im Oktober noch nicht zustandegebracht, als Prinz Karl und Buckingham in Madrid die Geduld riß, als sie den spanischen Hof verließen, ohne daß es zu einer Heiratsverbindung zwischen den Stuarts und den spanischen Habsburgern gekommen wäre, und als darauf eine deutliche Abkühlung in den englischspanischen Beziehungen eintrat. Die Verhandlungen über die Abfindung der pfälzischen Wittelsbacher wurden zwar auch nach Oktober 1623 noch fortgesetzt, doch nicht mehr mit solcher Aktivität wie in den Vormonaten und deshalb begreiflicherweise mit noch geringerem Erfolg. Der günstigste Moment für die von England erstrebte Einigung mit Spanien und dem Kaiser auf dynastischer Grundlage war Ende 1623 offensichtlich bereits vorüber. So lag im Oktober 1623 der erste große diplomatische Waffengang, den Camerarius als Leiter der Exilpolitik zu bestehen hatte, im wesentlichen hinter ihm, und er konnte als Ergebnis verzeichnen, daß die Dinge im großen einen Gang genommen hatten, der seinen Wünschen entsprach. Der in seinen Augen als Erfolg zu betrachtende negative Ausgang der Ausgleichsverhandlungen war in erster Linie dadurch entschieden worden, daß das englisch-spanische Einverständnis sich als nicht dauerhaft erwies und daß sich besonders in Wien nach dem vollständigen Sieg allzu viele Stimmen gegen einen Kompromißfrieden mit den Pfälzern erhoben. In zweiter Linie aber hatte zweifellos auch die durch und durch negative Haltung der von Camerarius geleiteten pfälzischen Exilregierung zum Scheitern der Verhandlungen merklich beigetragen. Es liegt auf der Hand, wie bedeutsam es war, daß die Pfälzer die für eine Verständigung in vieler Hinsicht besonders günstigen Sommermonate verstreichen ließen, ohne die geringste Initiative zu entfalten, ihrerseits der katholischen Partei einen Schritt entgegenzugehen und mit ihr ins Gespräch zu kommen. Und ebenso klar ist es, daß ihre Opposition gegen die englischen Bemühungen ein wichtiges Verzögerungsmoment darstellt, dem es neben anderen Umständen mit zuzuschreiben ist, daß die Zeit der Möglichkeiten vorüberging, ohne daß eine Verständigung erzielt wurde. Die Energie, mit der Camerarius opponierte, ging, wie gesagt, wahrscheinlich um einiges weiter, als die, die Plessen oder Pawell als Leiter der Exilpolitik an den Tag gelegt hätten. Rusdorf in London hingegen stand ihm in entschiedener Ablehnung der englischen Ansinnen in nichts nach, ja er neigte manchmal sogar zu einem noch schärferen Vorgehen, als es von Camerarius dann tatsächlich beschlossen wurde. Rusdorf ist es, der nächst Camerarius als die Seele des Widerstandes gegen die Ausgleichsabsichten der englischen Politik vom Jahre 1623 gelten kann. Es findet sich in der Hinterlassenschaft von Camerarius kein Zeugnis dafür, daß ihn schon vor 1622 mit Rusdorf eine besondere Intimität verbunden hätte. Die nahen dienstlichen Beziehungen, in die beide Männer seit Ende 1622 traten, als fast gleichzeitig Rusdorf die Vertretung der pfälzischen Interessen in London übernahm und Camerarius im Haag den maßgeblichen Einfluß in der Leitung der Exilgeschäfte erhielt, scheinen dann jedoch sehr rasch auch zu einem engen persönlichen Vertrauensverhältnis geführt zu haben, das sich bald zu einer warmen, bis zu Rusdorfs Tod im Jahre 1640 gepflegten Freundschaft

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steigerte, offensichtlich der innigsten und fruchtbarsten, über die Camerarius in der zweiten Hälfte seines Lebens verfügte. Es mag für die beiden pfälzischen Politiker gerade angesichts der Notlage des Exils etwas Beglückendes gehabt haben, als es sich für sie beide in der Plötzlichkeit, in der Freundschaften oft zustandekommen, ergab, daß sich ihre beiderseitigen Eigenschaften aufs glücklichste miteinander verbanden, ja ergänzten. Rusdorf und Camerarius stimmten überein in der Religiosität ihres Wesens, in der aufgeschlossenen und großzügigen Art ihrer Frömmigkeit ebenso wie in dem starken Einfluß, den sie dem konfessionellen Moment in der Politik einräumten. Ferner begegneten sie sich in ihren starken literarischen Neigungen. Auch Rusdorf war als erfolgreicher Verfasser von Flugschriften hervorgetreten und hatte sich dabei mit gleichem Können wie Camerarius des Lateinischen bedient. Ja, er schrieb gelegentlich sogar elegante Gedichte, was dem schwerfälligen Camerarius weniger lag. Überhaupt erwies Rusdorf sich in vielen Belangen als wendiger und leichtblütiger und übte damit auf den sechzehn Jahre älteren Camerarius eine stets erfrischende Wirkung aus. Ein Zeichen dieser Wendigkeit war es auch, daß Rusdorf außer der humanistischen auch die französische Bildung in weitgehendem Maß beherrschte, so daß er seine Berichte an den Winterkönig und die anderen pfälzischen Politiker für gewöhnlich in französischer Sprache abfaßte. Ferner ergänzte Rusdorf Camerarius durch einen größeren Sinn für die Realitäten und für das Mögliche. Es war eine Haltung, die in späteren Jahren oft zu einer gewissen Gegensätzlichkeit in der Anschauung und dem Urteil beider Männer führte, jedoch nie die einmal geschlossene Freundschaft ernstlich gefährdete. Hingegen scheint vor 1623 die realistischere Gesinnung Rusdorfs dazu beigetragen zu haben, ihn ein gutes Stück von Camerarius fernzuhalten. Rusdorf nahm nicht an der Expedition nach Böhmen teil, und sein Biograph Krüner vermutet, daß er sich mit Absicht zurückhielt, aus einer gewissen Ablehnung der pfälzischen Großmachtpolitik heraus. Auch die Ausgleichs-Verhandlungen scheint er, soweit es an ihm war, zunächst mit besonderem Eifer vorangetrieben zu haben. Erst die schlechten Erfahrungen, die er im Lauf des Jahres 1622 machte, ließen ihn dann offenbar zu derselben Auffassung gelangen wie Camerarius. So herrschte, nachdem die Frühjahr, Sommer und Herbst 1623 füllenden englischen Unterwerfungsattacken im wesentlichen abgeschlagen waren, auch im Winter von 1623 auf 1624 sofort Einigkeit zwischen Camerarius und Rusdorf, als anstelle der bisher von Spanien gemachten Vorstöße allem Anschein nach nunmehr Maximilian von Bayern versuchte, den die Haltung seiner kaiserlichen und spanischen Bundesgenossen enttäuscht hatte und der offenbar fürchtete, übergangen zu werden, mit der englischen und pfälzischen Politik zu einer Einigung zu gelangen oder doch wenigstens zunächst das Terrain für einen Ausgleich zu sondieren. Im Oktober 1623 erschien in London, wie ein vermögender Kaufmann gekleidet, der Kapuzinerpater Alexander Hales, der sich Francesco della Rota nannte. Der gewandte und diplomatisch hochbegabte Geistliche konnte zu seiner Legitimation nur Schreiben des päpstlichen Nuntius in Brüssel vorweisen. Er ließ aber durchblicken, und die spätere Forschung hat dies zwar nicht endgültig geklärt, aber doch wahrscheinlich gemacht, daß ihn im Grunde Maximilian

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von Bayern selbst, sei es direkt, sei es indirekt, über den Vatikan beauftragt hatte, die Restitution Friedrichs mit bayerischer Hilfe in die rheinische Pfalz und – gegen Geldentschädigung – eventuell sogar in die Oberpfalz vorzuschlagen, falls der Winterkönig sich bereit erklärte, seine Söhne in München – jedoch im protestantischen Glauben – erziehen zu lassen, den einen mit einer Nichte Maximilians zu verheiraten und auf die Bayern übertragene Kur zu verzichten, wofür Maximilian sich indessen bemühen wollte, die Errichtung einer achten Kur für den Pfalzgrafen zu erwirken. Wenngleich die Vorschläge also immerhin diskutabel waren, und obwohl Rota sich, nachdem er einige Zeit mit der englischen Regierung verhandelt hatte, auch direkt an Rusdorf wandte und dann sogar bei der pfälzischen Exilregierung im Haag vorsprach, waren sich Camerarius und Rusdorf jedoch von vornherein darin einig, auch diesem Vermittlungsversuch die kalte Schulter zu zeigen, und gingen nach einigen Konferenzen mit Rota auch tatsächlich auf keinerlei weitere Verhandlungen ein. Immerhin ist es bemerkenswert, daß sie zwar auch den bayerischen Vorschlägen nicht trauten, sie aber doch relativ ernster nahmen als die von englischer und spanischer Seite gemachten Ausgleichsversuche. Es war somit höchste Konsequenz, die von der pfälzischen Exilpolitik 1623 und 1624 bei der Behandlung der Friedensfrage an den Tag gelegt wurde. Damit verlieh Camerarius seinen Maßnahmen auch bei einem diplomatischen Vorgang, der an sich angesichts der so weitgehenden Abhängigkeit von England nur geringen Spielraum ließ, einen sehr individuellen und charakteristischen Zug. Hierin eben, weitab von der Frage des praktischen Nutzens mit seinem bereits erörterten Für und Wider, liegt das historisch Interessante seiner Persönlichkeit und seines diplomatischen Wirkens, daß er, ohne irgendwie genial zu sein und als wahrhaft großer Staatsmann gelten zu können, doch stets in seinen Äußerungen und Taten entweder eine beachtliche Originalität aufwies oder für eine Richtung seiner Epoche überaus typisch war, daß uns seine Gestalt also nie blaß, sondern in ihrer Art immer lebensvoll und ausgeprägt vor Augen tritt. Um so größer war die Leistung, als die äußere Stellung eine überaus gedrückte und bescheidene war, die Camerarius als Leiter der Exilregierung im Haag einnahm. Die Führung der pfälzischen Politik hatte er zwar 1623 übernommen und insofern die Nachfolge von Christian von Anhalt und Solms angetreten. Die gesellschaftliche Stellung beider Herren war ihm damit jedoch keineswegs zuteil geworden. Auch als Leiter der pfälzischen Exilpolitik blieb er der gelehrte Doktor, der bürgerliche Geheime Rat und Aktenmensch, dem die pfälzischen Herrschaften zwar im wesentlichen die Führung ihrer Angelegenheiten anvertrauten, der aber wie in Heidelberg kaum Anteil hatte an den auch in den Niederlanden, wenngleich in sehr viel bescheidenerem Rahmen stattfindenden höfischen Vergnügungen und am geselligen Verkehr Friedrichs und Elisabeths mit ihren oranischen Verwandten, deren Gastfreundschaft sie genossen. Während Solms noch kurz vor seinem Tod die Genugtuung erlebte, seine Tochter Amalie mit dem späteren Generalstatthalter Friedrich Heinrich von Oranien, dem jüngeren Bruder des Prinzen Moritz, verheiraten zu können und damit zur first lady der Niederlande zu machen, hatte Camerarius auch zur Geselligkeit

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der Oranier, bei der das ihm nicht geläufige Französisch die übliche Umgangssprache war, und zu dem höfischen Kreis, der den Generalstatthalter und seinen Bruder umgab und dem die pfälzischen Herrschaften ebenso wie Solms und seine Familie so nahe standen, anscheinend kaum Zutritt, wenn er auch rasch von Moritz von Oranien zu gelegentlichen politischen Geschäften herangezogen wurde. Vielmehr müssen wir uns besonders in den ersten Jahren des Exils seine äußere Lage als außerordentlich bescheiden, ja gedrückt vorstellen, und hierin eben lag für Camerarius eine der größten Schwierigkeiten, daß er zwar tatsächlich die pfälzische Politik zu leiten hatte, aber nicht die gesellschaftliche Stellung einnahm, die für diese Aufgabe eigentlich nötig war, ja anfangs nicht einmal über die materiellen Mittel verfügte, um seine Existenz in einigermaßen gesicherter Weise zu fristen. Friedrich V. hatte ihm zwar feste Bezahlung in Aussicht gestellt und ihn veranlaßt, im April 1623 seine Familie von Bremen in den Haag nachkommen zu lassen. Hier hatte Camerarius inzwischen ein kleineres Haus käuflich oder mietweise an sich gebracht. Nach dem Verlust seines ganzen Heidelberger Besitzes richtete er es nun mit seiner Frau neu ein und freute sich der Wiedervereinigung mit ihr und den Kindern, wie ihm ja stets das harmonische Zusammenleben mit seiner Familie eine wesentliche Beruhigung in stürmischen Epochen des Lebens war. Doch die Gehaltszahlung zögerte sich zunächst hinaus – die Kassen des Winterkönigs waren allem Anschein nach 1623 besonders leer. Trotzdem verzichtete Friedrich zu des Camerarius Ärger nicht auf manche höfische Vergnügung, sondern sistierte lieber die Vergütung seiner Räte. Erst vom Spätsommer des Jahres an scheint eine regelmäßige Bezahlung erfolgt zu sein. So war Camerarius am Beginn seiner Tätigkeit als Chef der Exilregierung zwar wohl keineswegs bereits aller Mittel entblößt, wurde aber von der Sorge bedrängt, wie er sich und die Seinen würde weiter erhalten können, wenn einmal seine Ersparnisse aufgebraucht wären, da das Salair, das er von Christian von Anhalt bis in den Frühling 1624 für seine Berichte erhielt, ja nicht mehr als ein Zuschuß war. So sehr bedrückte Camerarius die materielle Frage, daß er in denselben Monaten, in denen er die englische Aussöhnungspolitik bis aufs äußerste bekämpfte, mit der gewissen Naivität, die ihm eigen war, ernstlich, aber vergeblich auf eine Pension von König Jakob hoffte. Ferner scheint selbst in den Niederlanden Camerarius seine Stellung anfangs dadurch erschwert worden zu sein, daß ihm das Renommée eines der Hauptakteure des böhmischen Abteuers vorausging. Jedenfalls sah hierin Jan Rutgers eine Erschwerung seiner Stellung, sein alter Bekannter von Prag her, der seit 1623 im Haag als schwedischer Gesandter wirkte und sich hier als warmer Förderer von Camerarius erwies: „Ut optimi viri status misericordiam mihi moveat“, schrieb er über Camerarius am 9. Mai 1624 an Oxenstierna, „cuius virtuti campus iam non est, exuto fortunis domino suo ipsoque Camerario hic neglecto, Principique Mauritio … inviso quod inter primos auctor arreptor Bohemiae ex eaque manantium cladium habeatur. Si fortuna favisset,“ fügte Rutgers noch hinzu und unterstrich damit noch einmal seine eigene optimistischere Auffassung von den Chancen, die sich den Pfälzern in Böhmen geboten hatten,

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„poterat eo sapientius nihil videri. Nunc id onus fert, quod fatalis necessitas ei imposuit.“24 Die bis 1626 andauernde Gedrücktheit seiner gesellschaftlichen Stellung stand in einem sonderbaren und für sein Leben im Haag charakteristischen Kontrast zu dem Umstand, daß das Exil ihn in vieler Hinsicht noch sehr viel mehr ins Zentrum der großen europäischen Politik stellte, als es schon in Heidelberg und Prag der Fall gewesen war. Wie das Exil zwar einerseits seine ganze Existenz ins Wanken brachte, andererseits aber dazu angetan war, ihm die volle Entfaltung seiner Gaben zu ermöglichen und ihm den Platz an der Spitze der pfälzischen Regierung zu verschaffen, den er in Heidelberg oder Prag schwerlich hätte erlangen können, so ergab sich für Camerarius hier auch in einem dritten, daß, wie alles im Leben, auch sein Emigrantenschicksal seine zwei Seiten hatte. So weit seine Pläne vor dem Krieg bereits gingen und sosehr sein diplomatisches Denken schon ganz Europa umfaßte, war seine persönliche Tätigkeit doch in der Hauptsache auf Deutschland beschränkt geblieben. Die Pflege der Beziehungen zu den deutschen Reichsständen, die Vertretung der Pfalz auf den Reichs- und Unionstagen, war seine eigentliche Domäne gewesen. Im Haag änderte sich dies. Jetzt lagen nicht mehr vornehmlich nur die Verhandlungen mit den deutschen Ländern, sondern ebenso die mit den übrigen Mächten Europas in seiner Hand, mit Staaten wie England, den Niederlanden, Frankreich und Schweden, die an Bedeutung die meisten der deutschen Reichsstände übertrafen. Hierdurch hatte er nicht nur noch bessere Gelegenheit als in Heidelberg oder Prag, unmittelbar in der großen europäischen Diplomatie seine Ideen wirksam zu machen. Auch sein eigenes Blickfeld wurde bedeutend erweitert. Sein diplomatisches Können nahm zu, und er gelangte als Politiker zu einem Format, wie er es zuvor noch nicht besessen hatte. Die Formen großer, westeuropäischer Diplomatie erschlossen sich ihm noch weiter als in den Vorjahren, und die Bedeutung, die für ihn die Bekanntschaft mit Dudley Carleton hatte, liegt zum guten Teil darin, daß er hier in nahe Berührung kam mit dem ganzen Schliff westeuropäischer Staatskunst. Wie gesagt, er übernahm diese Formen nicht, aber er ließ sich doch von ihnen anregen, und die Eigentümlichkeit der Situation lag darin, daß diese Wirkung in stärkerem Maß gerade in einer Zeit begann, da er sich selbst in ärmlichsten Verhältnissen befand und zu Männern wie Carleton also stets mit einem gewissen Neid aufsehen mußte. Wie das Jahr 1623 in mehrfacher Hinsicht von besonderer Bedeutung für sein Leben war, so auch in dem Umstand, daß es ihn mit Persönlichkeiten in Verbindung brachte, die auf sein künftiges Leben großen Einfluß hatten. Bis zu einem gewissen Grad läßt sich dies bereits von Carleton sagen. Sehr viel stärker war bereits die Bedeutung, die Rusdorf für seine weitere Entwicklung gewann. Am wichtigsten aber wurde für ihn der persönliche Kontakt mit drei der ganz Großen des Weltgeschehens, den er ebenfalls 1623 herzustellen vermochte, die Verbindung mit Moritz von Oranien, Axel Oxenstierna und Gustav Adolf von Schweden. 24

SRA, Ox. slg.

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IX . Kap itel

Ausführung der unbedingten Kriegspolitik Die Originalität, die Camerarius 1623 beim Widerstand gegen die englischen Friedensabsichten an den Tag gelegt hatte, kam in gleichem Maß bei seinen Bemühungen zum Ausdruck, die europäischen Mächte für ein militärisches Vorgehen gegen die habsburgisch-katholische Koalition zu gewinnen und ein möglichst machtvolles Kriegsbündnis zustandezubringen. Er legte hierin dieselbe Konsequenz wie in der Friedensfrage an den Tag, gleichzeitig aber wurden, so starr er sich auch später in vieler Hinsicht verhielt, dank des weiteren Spielraumes, über den er verfügte, bei den Allianzbemühungen seine Maßnahmen beträchtlich vielgestaltiger und flexibler. Es zeigte sich bereits, wie bei den von Camerarius 1620 und 1621 vorgeschlagenen und zum Teil selbst geführten Bündnisverhandlungen deutsche Reichsstände mit Einschluß des Königs von Dänemark im Vordergrund standen, so wünschenswert es ihm auch damals schon erschienen war, die großen Mächte außerhalb Deutschlands zu gewinnen. Norddeutschland und Kopenhagen galten seine beiden großen Gesandtschaftsreisen von 1621 und 1622, und in allen seinen Plänen spielte die erhoffte Hilfe der protestantischen Reichsstände eine wichtige Rolle, wie er sich 1621 ja auch noch bemühte, die Union aufrechtzuerhalten und von ihr Unterstützungen bei Verteidigung der Pfalz zu erlangen. Es war ein Streben, das der auch bei ihm bis Ende 1622 vorherrschenden Hoffnung entsprach, mit beschränkten kriegerischen Mitteln und deshalb auch nur kleineren Hilfsleistungen der Bundesgenossen auszukommen und in einem baldigen Frieden den Status quo ante bellum wieder herstellen zu können. So lange hatte es auch in seinen Augen Sinn, ein Bündnissystem fortzusetzen, wie es sich am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges ausgebildet hatte, nachdem Frankreich nach der Ermordung Heinrichs IV. im Jahre 1610 als Bundesgenosse ausgefallen war, nachdem 1609 die Niederlande mit Spanien einen Waffenstillstand geschlossen hatten und es sich immer deutlicher zeigte, daß England nur zu einem sehr beschränkten Schutz der pfälzischen Unternehmungen bereit war. Nach dem Verlust der Pfalz änderte Camerarius hingegen wie seine Meinung von den Friedenschancen und den Kriegszielen auch seine Ansicht über die Bündnisse, die zum Erfolg führen konnten. Für den Großkampf gegen die habsburgisch-katholische Macht, der nun aufzunehmen war, reichten deutsche Reichsstände als hauptsächliche Helfer nicht mehr aus, zumal diese nach dem vollständigen militärischen Sieg der gegnerischen Partei auch noch um vieles eingeschüchterter waren als bisher schon. So verschob sich 1623 in der pfälzischen Exilpolitik mit einer gewissen Notwendigkeit der Akzent auf Hilfsgesuche

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bei außerdeutschen Mächten. Wohl blieb auch die Hoffnung besonders auf Sachsen und Brandenburg bestehen, doch entsprechend der neuen, kriegerischeren Konzeption der von Camerarius geleiteten Exilpolitik trat in den Bündnisangelegenheiten nunmehr wieder mehr das Streben in den Vordergrund, Staaten außerhalb Deutschlands zu gewinnen. Damit lenkte Camerarius die pfälzische Politik zurück zu den in vieler Hinsicht im Vergleich mit später gesünderen Verhältnissen, wie sie vor 1610 geherrscht hatten, als neben den deutschen auch ausländische Bündnisse standen, ein Zustand, wie er freilich auch später durch die 1613 hergestellte nahe dynastische Verbindung zu England noch bis zu einem gewissen Grad aufrechterhalten wurde. Nicht nur in dem Umstand, daß man sich an sich wieder mehr ans Ausland wandte, kam 1623 eine Rückwendung zu der Bündnisrichtung zum Ausdruck, wie sie am Ende des 16. und bis ins erste Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts dominiert hatte. Die Verhältnisse und sich bietenden Möglichkeiten brachten es mit sich, daß Camerarius auch in der Auswahl der Mächte, an die man sich 1623 vornehmlich wandte, zunächst noch durchaus altüberkommenen Bahnen folgte, indem er aufs neue mit Frankreich in Konnex zu kommen versuchte. Seitdem das Haus Habsburg nach Spanien hinübergegriffen hatte, war die sozusagen klassische Koalitionsform gegen dasselbe ein Zusammengehen Frankreichs mit einigen der italienischen Staaten und dem Großtürken oder einem seiner Vasallen gewesen. Trotz des konfessionellen Unterschiedes hatte der Protestantismus Deutschlands und der Niederlande, kaum daß er zu politischer Macht erstarkt war, vornehmlich hier Anlehnung gesucht und gefunden. Die Schmalkaldischen Fürsten hatten bereits bald nach Gründung ihres Bundes ein erstes Mal mit Frankreich paktiert. Moritz von Sachsen hatte dann an der Spitze der reichsständischen Libertätsbestrebungen auf dieselbe Möglichkeit zurückgegriffen. Ein Gleiches taten die Niederlande in ihrem Freiheitskampf gegen Spanien, und auch die Pfalz als Führerin des deutschen Calvinismus stützte sich auf Frankreich, als sie in die große europäische Politik hinaustrat. Sie begann also im Konzert der bedeutenden europäischen Mächte eine Rolle zu spielen, indem sie an der seit Beginn der Renaissance maßgeblichen Bündniskonstellation teilnahm. Diese änderte sich erst nach 1610, als Frankreich nach der Ermordung Heinrichs IV. unter der unsicheren Vormundschaftsregierung Marias von Medici den habsburgischen Mächten nicht mehr den Widerstand wie in den Jahrzehnten vorher leistete und seine Politik wieder sehr viel mehr als bisher unter ein konfessionelles Zeichen stellte, als die Pfalz sich, wie gesagt, einerseits noch mehr als bisher auf den innerdeutschen Fürstenbund stützte, andererseits durch die 1613 vollzogene Heirat Friedrichs V. mit Elisabeth Stuart Anlehnung an der Großmacht England fand. So kam es, daß Camerarius von der Zeit an, da er als Geheimer Rat entscheidenden Anteil an der pfälzischen Außenpolitik nahm, sich an Bündniskonstellationen gewöhnte, in denen Frankreich nicht mehr die maßgebliche Rolle spielte. Seine Fremdheit gegenüber allem Französischen wurde hierdurch noch verstärkt. Die enttäuschenden Erfahrungen, die er 1620 auf dem Unionstag in Ulm mit der französischen Gesandtschaft des Herzogs von Angoulème gemacht hat-

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te, durch den in entscheidender Weise die Abgabe des für Bayern so günstigen Neutralitätsversprechens der Union beeinflußt worden war, wirkten auch noch Anfang 1623 mächtig in ihm und ließen ihn zögern, ob es gut sei, den Nachrichten Glauben zu schenken, die aus Frankreich im Haag eintrafen. Und doch kam gerade aus Paris die Botschaft, daß sich nun endlich, was Camerarius schon seit langem erhoffte, wenigstens ein Teil der an den bisherigen Kriegsereignissen nicht unmittelbar beteiligten und neutralen europäischen Länder vom Vordringen der habsburgisch-ligistischen Macht bedroht fühlte und Schritte unternahm, sie wieder einzudämmen. Die Exilregierung erfuhr, daß Frankreich, Savoyen und Venedig am 7. Februar 1623 eine Allianz geschlossen hatten, deren Nahziel es war, den Fortschritten des Hauses Habsburg in Oberitalien und Graubünden, wo es die wichtigsten Alpenpässe des Veltlin und Engadin unter seine Kontrolle zu bringen vermocht hatte, ein Ende zu machen und die Alpenübergänge wenn möglich ihrer Herrschaft wieder zu entziehen, die aber auch die Hoffnung auf spätere größere Aktionen gegen die habsburgisch-ligistische Koalition offen ließ. Nahe lag es deshalb, daß man pfälzischerseits versuchen sollte, Frankreich und seine italienischen Bundesgenossen für die Restitution Friedrichs zu interessieren und bei ihnen Hilfe zu gewinnen. Bezeichnenderweise scheint der Gedanke nicht direkt von Camerarius ausgegangen und die Ausführung des Planes von ihm auch nicht mit der Energie betrieben worden zu sein wie die anderen Bündnisvorhaben dieser Zeit. Vielmehr dürfte die erste Initiative der Winterkönig direkt ergriffen haben, und vielleicht waren es Prinz Moritz von Oranien und seine Ratgeber, die als erste den Hinweis gegeben hatten1. Immerhin nahm sich auch Camerarius nach einigem Zögern des Planes warm an und setzte in seinen Kombinationen große Hoffnungen auf französische Hilfe, als Mitte Mai 1623 endlich der eigens zu diesem Zweck aus London zurückberufene Andreas Pawell nach Frankreich abging, um in Paris für die pfälzischen Interessen zu wirken. Bei aller berechtigten Skepsis, die Camerarius hinsichtlich einer Annäherung an Frankreich erfüllte, weil er, wie sich zeigen sollte mit Recht, noch immer den bayrischen Einfluß für zu stark am französischen Hof erachtete, dürfte es doch zunächst die Koalition Frankreichs mit den italienischen Staaten und die Hoffnung, sich diesem Bündnis anschließen zu können, gewesen sein, die ihn bei allem Druck, mit dem ihn 1623 das englische Friedensstreben belastete, mit einer gewissen freudigen Erwartung erfüllte und mit der für ihn überaus tröstlichen und für sein ganzes eigenes Durchhalten entscheidenden Feststellung, daß es sich im neutralen Europa gegen die wachsende habsburgisch-ligistische Übermacht zu regen begann, eine Regsamkeit, von der seiner nunmehrigen politischen Konzeption nach allein die Wiedergewinnung des Verlorenen für Friedrich V. zu erwarten war. Jetzt ist es zum ersten Mal, daß er am 3. Mai 1623 hoffnungsvoll an Axel Oxenstierna in Schweden schrieb: „res magnae ubique in motu“, ein Schlagwort, dessen er sich auch künftig immer wieder bediente und

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Über das besondere Gewicht, das Friedrich V. der Mission nach Paris beilegte, s. Camerarius an Rusdorf 28. 3. u. 25. 4. 1623, Coll. Cam. Vol. 25.

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das ihm immer wieder neue Kraft gab2. Daß sich eine große europäische Kriegskoalition werde zusammenbringen und mit ihr ein Vernichtungskrieg gegen das Haus Habsburg führen lassen, wurde von nun an seine Hoffnung, an der er bis über das Jahr 1626 hinaus festhielt. Zwar war Camerarius sich im Frühling und Frühsommer 1623 darüber im klaren, daß die Dinge sich erst im Anfangsstadium befanden und man noch einige Geduld aufbringen mußte, bis zu entscheidenden Schlägen ausgeholt werden konnte. Immerhin hoffte er außer auf ein Eingreifen Frankreichs und seiner italienischen Bundesgenossen 1623 auch bereits fest auf Hilfe von anderer Seite. Kaum, daß er im Haag wieder zu maßgeblichem Einfluß auf die Exilgeschäfte gelangt war, ging er daran, mit allen Mitteln Bethlen Gabor von Siebenbürgen, der sich 1622 durch den Frieden von Nikolsburg ja zunächst von der pfälzischen Sache zurückgezogen hatte, zu einem neuerlichen Kriegszug gegen den Kaiser zu ermuntern. Der siebenbürgische Gesandte Berbisdorf erschien schon im Januar 1623 im Haag, um Bethlens diesbezügliche Absichten anzukündigen3. Sogleich wurde daraufhin im Februar Achaz von Dohna zu Bethlen entsendet, und als Dohna sich durch noch dringlichere Geschäfte in Niedersachsen aufgehalten sah, zögerte Camerarius nicht, im schriftlichen Verkehr noch offener als bisher zu werden, ein Beginnen, das Bethlen tatsächlich in seinen kriegerischen Absichten stärkte, andererseits aber bewirkte, daß der Hofburg einige der pfälzischen Schreiben in die Hände fielen und Camerarius aufs neue erleben mußte, wie sein Schreibeifer dazu führte, die kriegerischen Absichten der pfälzischen Regierung im gegnerischen Lager offenbar zu machen und die Pfälzer jedermann als eigentliche Kriegstreiber und als noch gefährlicher erscheinen zu lassen, als sie es im Grunde waren. Doch dies berührte Camerarius in diesem Fall nicht in dem Maß wie sonst; denn die Briefe an Bethlen Gabor waren zwar wahrscheinlich von ihm aufgesetzt, aber nicht von ihm, sondern von Friedrich unterschrieben, und sein Name trat auch im Text der Schreiben nicht direkt in Erscheinung. Entsprachen 1623 seine Absichten auf Frankreich, Savoyen, Venedig und Siebenbürgen ganz dem klassischen Vorbild antihabsburgischer Koalitionen und knüpften sie an das erste Auftreten der Pfalz in der großen europäischen Politik an, so fügte sich nicht weniger dem alten System sowohl der pfälzischen wie der altüberkommenen antihabsburgischen Politik der Umstand ein, daß Camerarius nicht nur eine Zeitlang versuchte – während des Jüterboger Kongresses –, wieder auf ein Erstarken der kursächsischen Politik hinzuwirken, sondern vor allem noch viel engeren Anschluß als an Frankreich und Siebenbürgen an die Niederlande zu gewinnen, das Land, das durch seine Gastfreundschaft ja auch überhaupt erst die Basis für all sein Bemühen schaffte. Noch früher und energischer als Frankreich und die italienischen Staaten durch ihre Allianz vom Februar 1621 hatten die Vereinigten Provinzen gegen die wachsende habsburgische Macht aufs neue Front gemacht und 1621 nach zwölfjährigem Waffenstillstand den Krieg gegen Spanien wieder aufgenommen. Nun, 1623, waren die Operationen bereits in 2



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SRA, Ox. slg. Erste Eröffnungen hatte der Großfürst bereits im November 1622 machen lassen.

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vollem Gang, und wenn Camerarius die Beobachtung, daß das neutrale Euro­pa allmählich zu einem kriegerischeren Kurs überzugehen begann, mit Trost und geradezu Begeisterung erfüllte, so hatte ebenfalls nicht geringen Anteil daran der Umstand, daß die Niederlande, deren Neutralität während des Entscheidungskampfes um Böhmen so ungünstig gewesen war, nun wieder den Kampf aufgenommen hatten, ein Umstand, der der Sache des Winterkönigs außerordentlich förderlich war. Führte dies doch dazu, daß die niederländische Regierung sich mit wärmerem Interesse der pfälzischen Anliegen annahm, als dies wahrscheinlich bei ihrer während des Waffenstillstandes herrschenden friedlicheren Stimmung der Fall gewesen wäre. Camerarius sollte es 1629 und später noch zu erfahren bekommen, wie unangenehm es sich bei seiner Wirksamkeit bemerkbar machte, als der kriegerische Geist in den Vereinigten Provinzen wieder nachließ und – jedenfalls bei den General- und Provinzialstaaten – der Friedenswunsch immer mächtiger wurde. Als Camerarius den Exilgeschäften vorstand, zeigten sich die zuständigen niederländischen Stellen hingegen bemüht, nicht nur dem Winterkönig und seinem Gefolge den Aufenthalt einigermaßen erträglich zu machen. Auch der Restitutionsfrage nahm man sich an, weil beim damaligen Stand des niederländischen Krieges die pfälzischen Anliegen von Interesse, ja von einem gewissen Wert waren. Diese Unterstützung erfolgte zwar mit Zurückhaltung, aber gleichzeitig auch mit einem sozusagen vorsichtigen Eifer. Besonders beim Generalstatthalter, Prinz Moritz von Oranien, war das der Fall. Immer wieder griff er ratend und lenkend in die pfälzischen Exilgeschäfte ein, und wenn sich bereits von Carleton sagen ließ, daß er dank seiner in vieler Hinsicht intimeren Beziehungen zu Friedrich und Elisabeth öfters in der Lage war, über des Camerarius Kopf hinweg auf die Entschlüsse des Winterkönigs einzuwirken, so trifft dies in noch viel stärkerem Maß auf den Generalstatthalter zu. Während aber Carleton bei seinem Bemühen, einen Ausgleich zwischen den pfälzischen Wünschen und den Ansichten König Jakobs herzustellen, gemäß seinen Instruktionen sich nur zu oft gegen Camerarius stellen mußte, entsprachen dessen Wünschen die Ratschläge, die Moritz von Oranien erteilte, in sehr viel stärkerem Maß. Im einzelnen ist der Einfluß, den Moritz und später sein Stiefbruder und Nachfolger Friedrich Heinrich von Oranien auf die pfälzische Exilpolitik nahmen, noch nicht geklärt. Soviel jedoch scheint festzustehen, daß 1623 Moritz von Oranien daran gelegen war, daß der von England gewünschte Ausgleich und besonders der Waffenstillstand unterblieben, daß durch die Werbung der Pfälzer und, indem die Restitutionsfrage in den Vordergrund gestellt wurde, das Interesse für eine große Allianz und für gemeinsame kriegerische Aktionen gegen die habsburgisch-ligistischen Mächte in Europa sich verstärkte, und daß schließlich die pfälzischerseits bereits mobilisierten schwachen, aber doch immerhin schätzenswerten Hilfsmittel gegen die habsburgische Macht der gemeinsamen Sache erhalten blieben. Bei allem Interesse für die Koalitionsentwicklungen aber scheint es für die niederländischen Staatsmänner und besonders für Moritz von Oranien bei seiner verantwortungsvollen Stellung an der Spitze der Vereinigten Provinzen

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ausgemacht gewesen zu sein, sich selbst und die Niederlande nicht mit allzu weitgehenden Verpflichtungen zu belasten, sich bei dem unsicheren und unübersichtlichen Charakter, den die ganze Entwicklung zunächst noch hatte, so sehr wie tunlich zurückzuhalten, zunächst lieber andere Figuren vorzuschieben, um die Bewegung noch mehr in Gang zu bringen, und selber fürs erste noch möglichst hinter den Kulissen zu bleiben. Bei diesem Streben gewann nicht nur die pfälzische Exilpolitik an sich, sondern auch ihr Leiter für den Generalstatthalter einen gewissen Wert. Moritz scheint von Anfang an klar erkannt zu haben, daß die propagandistische und idealistische Art, in der Camerarius seine Aufgabe auffaßte, seinem Wunsch vorzüglich entsprach, zunächst noch im Hintergrund zu bleiben und fürs erste andere vorzuschicken. Manchen Vorschlag und manche Anregung konnte man durch Camerarius und die von ihm geleitete Behörde an die übrigen europäischen Höfe heranbringen, und allem Anschein nach machte Moritz von dieser Möglichkeit in zurückhaltender, aber konsequenter Weise Gebrauch. Es ist schwer, im einzelnen die Verhandlungen zu verfolgen, die zwischen dem Generalstatthalter und Camerarius von 1623 bis zu Moritzens Tod Ende April 1625 geführt wurden, und alle Direktiven und Ratschläge aufzuzeigen, die Prinz Moritz dem Pfälzer gab. Hielten sich beide Männer doch in derselben Stadt auf. Der Gedankenaustausch konnte also mündlich geführt werden und brauchte nicht erst einen schriftlichen Niederschlag zu finden. Anderen aber allzu häufig Mitteilung von seinem Einverständnis mit Moritz zu machen, hielt Camerarius die ihm von dem Oranier, wie er selbst einmal sagt, streng aufgetragene Diskretion ab. Vieles ließ Moritz Camerarius wohl auch nur durch seine Sekretäre eröffnen, so daß nach außen hin, wie wir aus der Bemerkung von Rutgers sahen, das Verhältnis zwischen dem Generalstatthalter und Camerarius als ein sehr kühles erschien. Läßt sich im einzelnen also der Gang der Verhandlungen zwischen dem Oranier und Camerarius nicht genau verfolgen, so langt das vorhandene Material doch, um uns zu zeigen, wie stark und unmittelbar der Einfluß war. Am offensichtlichsten ist die Zusammenarbeit 1624 und 1625 bei den Bemühungen um die evangelische Allianz. Doch auch 1623 ist das Eingreifen des Generalstatthalters deutlich zu spüren. Als erstes steifte er Camerarius den Rücken beim Widerstand gegen die englisch-spanischen Friedensansinnen. Dies zeigt sich uns einmal deutlich: Als Rusdorf Camerarius mitteilte, in England halte man die beiden Räte für die Hauptverantwortlichen an dem so heftigen pfälzischen Widerstand, ließ der Schreck hierüber Camerarius seine sonstige Diskretion aufgeben, und er schrieb am 10. Juli 1623, alles sei auf Anraten des Prinzen Moritz geschehen und auf ihn gehe seine eigene Initiative in der ganzen Angelegenheit zurück4. Dies dürfte nun freilich übertrieben gewesen sein. Immerhin weist die Äußerung darauf hin neben all den vorsichtigeren und versteckteren diesbezüglichen Bemerkungen, die sich in anderen Briefen von Camerarius verstreut finden, daß der Einfluß von Moritz von Oranien beim Widerstand der pfälzischen Exilregierung gegen die englische Aussöhnungspolitik nicht zu unterschätzen ist und daß 4



Coll. Cam. Vol. 25.

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der Generalstatthalter insbesondere für Camerarius eine Stütze und einen Halt bedeutete. In derselben zurückhaltenden Weise wie bei den Auseinandersetzungen mit England unterstützte Moritz Camerarius auch bei den pfälzischen Bündnisbemühungen. Er half, nach Frankreich die Verbindung herzustellen. Er griff bei den neuerdings in Sachen der Kondottieren notwendig werdenden Verhandlungen ein und versah Camerarius auch persönlich, wie er es schon 1622 bei dessen Reise nach Kopenhagen getan hatte, mit Empfehlungsschreiben bei der Gesandtschaft nach Schweden im Herbst 1623. So war also bereits 1623 ein für Camerarius fruchtbarer Konnex mit einem der ganz großen Staatsmänner des damaligen Europa hergestellt. Camerarius erkannte sogleich mit dem ihm eigenen Vermögen, das für ihn Wichtige und seinen Möglichkeiten Entsprechende instinktiv zu erfassen und alles andere von sich wegzuschieben – eine Eigenart, von der einmal die Enge seiner Persönlichkeit, zum anderen aber auch deren Originalität und begrenzte Bedeutung mitbestimmt wurde –, daß Moritz von Oranien nicht nur dank der augenblicklichen Richtung der niederländischen Politik ihm mehr bedeutete als die meisten Diplomaten seiner Zeit. Camerarius fesselte auch nicht nur die staatsmännische und strategische Größe des Oraniers, der bereits 1584, erst 17jährig, seinem Vater Wilhelm, dem „Schweiger“, in der schweren Aufgabe nachgefolgt war, an der Spitze der niederländischen Provinzen den Freiheitskampf gegen Spanien weiter fortzusetzen und das eben erst entstandene Staatswesen zu festigen und zu konsolidieren, und der nun nach dreißigjährigem Wirken auf der Höhe seines Ruhmes stand, anerkannt von Freund und Feind als einer der bedeutendsten Staatsmänner und Feldherren seiner Zeit. Camerarius dürfte darüber hinaus gespürt haben, daß Moritz einen Typ der Diplomatie repräsentierte, der ihm sehr viel mehr zu sagen hatte als die höfischgeschliffene Weitläufigkeit, wie Carleton sie verkörperte. Zwar war auch Moritz ein Anhänger der feinen höfischen Gesittung, die von Frankreich herüberkam, und bestrebt, seiner Hofhaltung möglichst fürstlichen Glanz zu geben. Auch er war erfüllt von der Idee der Staatsraison, und die Religion trat wenigstens in Staatsgeschäften auch bei ihm hinter einem kühlen Macchiavellismus zurück, der merklich weiterging als der in der pfälzischen Politik feststellbare Sinn für die Erfordernisse der Staatsraison, auch in jener Zeit, als Christian von Anhalt energischer als vor- und nachher versuchte, mit diesen Erfordernissen das religiöse Moment der pfälzischen Politik in Einklang zu bringen. Andererseits aber war Moritz von Oranien auch der Träger der Tradition eines ganz Europa mit Achtung und Interesse erfüllenden konfessionellen Freiheitskrieges. Wie sein Vater ging auch ihm der Ruhm eines servator et defensor fidei evangelicae voraus, der er dank seiner Rolle im Kampf gegen Spanien ja auch tatsächlich war. Mochte seine persönliche Religiosität vielleicht auch geringer sein, als sie für einen solchen Glaubensretter eigentlich zu denken war, Moritz war viel zu klug und taktvoll, dies in Erscheinung treten zu lassen, wie er auch trotz seiner höfischen Neigungen mit Vorsicht und Takt auf den republikanischen Geist der Provinzial- und Generalstaaten stets Rücksicht nahm. Er erkannte voll die Bedeutung des konfessionellen Momentes und der religiösen

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Werte in der weltpolitischen Auseinandersetzung, die er an der Spitze des niederländischen Staatswesens führte. So hatte es denn seine Berechtigung, wenn sich ein so betont christlicher Diplomat wie Camerarius zu Moritz mehr hingezogen und von ihm stärker beeinflußt fühlte als zum Beispiel von Carleton, und wenn es für Camerarius ein großes Erlebnis bedeutete, dieser Führergestalt des europäischen Protestantismus persönlich zu begegnen. Um so stärker war die Beachtung, die Camerarius dieser Begegnung schenkte, als er vielleicht nur zu deutlich fühlen mochte, daß für die pfälzisch-evangelische Sache ein Führer vom überragenden staatsmännischen Format der Oranier in den Jahrzehnten seines bisherigen Lebens nicht vorhanden gewesen war. Denn so eng Camerarius sich auch Christian von Anhalt angeschlossen hatte, war er doch nie blind für die großen Schwächen des Fürsten, die es Christian bei allen seinen hohen Fähigkeiten und genialen Zügen eben letztendlich doch unmöglich machten, zum großen Staatsmann aufzusteigen. Der Führer der Vereinigten Provinzen übte auch deshalb eine besonders mächtige Wirkung auf Camerarius aus, weil sich bei seinem Schaffen langsame, aber stetige Erfolge feststellen ließen. In den Niederlanden war es, wo sich die evangelische Sache allmählich konsolidierte und stärkte, wo sie sich einmal nicht im Zurückschreiten befand, wie sonst stets, seit Camerarius denken konnte, ein Umstand, der ihn stets besonders bedrückte. Wie das Exil Camerarius weiter in die große europäische Politik hineinführte, brachte es ihn – diesem Vorgang entsprechend – in Berührung mit epochalen Führergestalten des europäischen Protestantismus. Und wie die Bündnispolitik der von ihm geleiteten Exilregierung zunächst wieder der altüberkommenen Orientierung des Anschlusses an Frankreich und die Niederlande folgte, so war es der niederländische Generalstatthalter Moritz von Oranien, in dem ihm als erster einer der ganz großen Meister einer Staatskunst begegnete, in der das konfessionell-protestantische Moment einen starken, ja, wie Camerarius zunächst glaubte, absolut beherrschenden Platz einnahm. Der unmittelbare Eindruck, den Moritz auf Camerarius machte, war so stark, daß in des Camerarius Briefen zum ersten Mal ein Epitheton Ornans auftaucht, mit dem er vorher noch niemanden ausgezeichnet hatte, und das er später, soviel ich sehe, nur noch König Gustav Adolf von Schweden beilegte. Camerarius nannte Prinz Moritz einen „Magnus Heros“. Doch während Camerarius Gustav Adolf noch bei dessen Lebzeiten häufig als Heros herauszustellen und zu glorifizieren liebte, findet sich im Zusammenhang mit Prinz Moritz diese Bezeichnung erst nach dessen Tod. Zuerst begegnet sie in einem Brief an Axel Oxenstierna vom 18. September 1625. Es heißt da, Daniel Heinsius werde in Leyden eine Trauerrede halten „de magno illi Heroe, Principe Mauritio, quem libenter audiam“5. Gleichzeitig betonte Camerarius, welchen Verlust die evangelische Sache durch den Tod des Generalstatthalters erlitten habe, und setzte diese Klagen durch Jahre fort, so wenn er am 12. Januar 1627 an Oxenstierna schrieb: „Mauritii successor 5



SRA, Ox. slg.

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non est Princeps Auraicus, ut quanta in hoc viro iactura facta sit nunc primum apparere incipiat“6. In den beiden Jahren der Zusammenarbeit mit Prinz Moritz kommt des Camerarius Anerkennung dagegen mehr in indirekter Weise zum Ausdruck, wenn er zum Beispiel den Ratschlägen des Generalstatthalters stets größtes Gewicht beimißt, oder wenn er sich immer wieder auf das diplomatische Können und auf die strategischen Lehren des Oraniers beruft. Camerarius wurde von der defensiven Ermattungsstrategie, wie sie der Generalstatthalter bevorzugte, förmlich gefangen genommen. Im Militärischen, wo er, wie er selbst immer wieder betonte, ganz Laie war, fehlte ihm die Möglichkeit zur Kritik viel mehr als im Politischen. Die verlorenen Schlachten in Böhmen und der Pfalz hatten ihn zudem skeptisch gegen das Schlachtenglück gemacht. Sehr viel sicherer erschien ihm daher die vorsichtige Defensive, in der Moritz volle Meisterschaft entwickelte. Camerarius, der in der Diplomatie das Offensive so entschieden bevorzugte, wurde damit im Militärischen zu einem Befürworter der Ermattungsstrategie und ging in der Achtung vor der Feldherrnkunst des Prinzen so weit, daß er, besonders als er Mitte der zwanziger Jahre Schweden so schnell wie möglich aus dem polnischen Krieg herauslösen wollte, aber auch später während der Feldzüge in Deutschland Gustav Adolf immer wieder eindringlich bat, sich die oranische Methode zum Vorbild zu nehmen. Sozusagen in einem Atem riet er damals Oxenstierna und Gustav Adolf zu gewagtesten politischen Unternehmungen und redete ihnen gleichzeitig dringend zu, nur ja keine Schlacht zu wagen und sich ganz auf vorsichtiges Manövrieren und auf die Verteidigung zu verlegen7. So groß der Einfluß war, den Moritz auf ihn übte, bedeutete die Begegnung für Camerarius andererseits doch auch eine Enttäuschung. Der soeben angeführte Umstand ist für des Camerarius Denken im höchsten Maß bezeichnend, daß er dem Prinzen zwar neben Gustav Adolf als der einzigen Persönlichkeit, die ihm im Lauf seines Lebens begegnete, das Epitheton „Magnus Heros“ beilegte, daß dies aber erst nach dem Tod des Generalstatthalters geschah. Anscheinend mußte Camerarius durch den Vergleich mit dem ebenfalls hochbefähigten, aber schwächeren und als historische Figur blasseren Nachfolger Friedrich Heinrich erst aufs neue erkennen, welche Persönlichkeit und welche Autorität die evangelische Sache in Moritz verloren hatte. Er mußte fühlen, wie Friedrich Heinrich zwar oft sehr viel liebenswürdiger zu ihm war als sein älterer Bruder, wie er an ihm aber doch nicht den autoritativen Halt hatte wie an Moritz. Ferner mußten alle die Schroffheiten verblassen, durch die der Verkehr mit Moritz für ihn offenbar noch weniger behaglich gewesen war als für andere im Haag anwesende Diplomaten. Daß Moritz Zeit seines Lebens, besonders aber in seinen letzten Jahren, im persönlichen Verkehr schwierig und launisch war und ebenso unliebenswürdig wie entgegenkommend sein konnte, ist bekannt. Während der Generalstatthalter aber höhergestellten Besuchern gegenüber in dieser Hinsicht Rücksicht nahm, 6



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SRA, Ox. slg. Z. B. Camerarius an Oxenstierna, Haag 24. 7. u. 18. 9. 1626, SRA, Ox. slg.

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scheint er sich bei Camerarius keinen Zwang auferlegt zu haben. Vielmehr ließ er es diesen offenbar fühlen, daß er in ihm zwar gelegentlich einen brauchbaren Helfer, gleichzeitig aber doch nur einen armen Exilanten sah. Auch machte sich hier der Umstand geltend, daß Prinz Moritz zwar die pfälzische Sache zu retten strebte, daß er aber trotzdem sich über das Bedenkliche der gewagt abenteuerlichen pfälzischen Politik sehr im klaren war, die zu der böhmischen Expedition geführt hatte. Und auch gegen die Kühnheit, mit der die Pfälzer am liebsten ganz Europa in einen Krieg gerissen hätten, mochte er manche Bedenken hegen, sosehr andererseits das Streben der pfälzischen Exilregierung den niederländischen Interessen entgegenkam. Ebenso scheint Moritz einerseits zwar bewußt den politischen Idealismus, der Camerarius beherrschte, die Kühnheit und Weite seiner Ansichten benützt und es gefördert zu haben, wenn Camerarius in der ihm eigenen idealistisch-religiösen und wagemutigen Art das übrige protestantische Europa für Wünsche der niederländischen Politiker zu gewinnen suchte. In dem politischen Idealismus von Camerarius lag zum Teil der Wert begründet, den er für den Oranier als Mittelsmann besaß. Andererseits aber war es auch gerade wieder dieser Idealismus und gedankliche Mut, der Camerarius von Moritz von Oranien entfernte und den Generalstatthalter dem pfälzischen Politiker gegenüber menschlich zurückhaltend machte. Entsprach doch der Reserve, die der Oranier einer Persönlichkeit wie Camerarius gegenüber an den Tag legen mußte – infolge der äußeren Verhältnisse ebenso wie nach seiner inneren Veranlagung –, auf des Camerarius Seite eine nicht minder große Enttäuschung oder doch Ernüchterung, die für ihn die nahe Zusammenarbeit mit dem Generalstatthalter erbrachte. Zwar fühlte er, daß er einem großen und seinen Idealen in vielem kongenialen Staatsmann gegenüberstand. Doch gleichzeitig wich dieser eisig-kalte Macchiavellist und vorsichtig-zögernde Politiker, dem alle Begeisterung fremd war, dieser müde Skeptiker und lebemännische Junggeselle mit seinen Geliebten und unehelichen Kindern allzu weit von dem Bild ab, das Camerarius sich von dem wahrhaft idealen Führer des europäischen Protestantismus machte. Was Camerarius später noch viel heftiger bei den übrigen niederländischen Behörden, besonders den Generalstaaten, beanstandete, das störte ihn auch bereits an der Gestalt des Generalstatthalters. So zeigten Camerarius denn die Persönlichkeit von Moritz von Oranien und – wie sich noch herausstellen wird – die in den Niederlanden herrschenden Verhältnisse insgesamt, mit welcher Vorsicht und nüchternen Zurückhaltung eine der anerkannten Vormächte des europäischen Protestantismus und ihr leitender Staatsmann Politik trieben, wie sie wirtschaftliche und religiöse Fragen aufs engste miteinander verknüpften, wie sie sich völlig illusionslos in ihrem Handeln ganz von den Gegebenheiten leiten ließen, wie sie ihre Maßnahmen unter das Zeichen eines kühlen Realismus stellten und dem Sinn für das Mögliche die größte Bedeutung beimaßen. Eben hierin aber unterschied sich die niederländische in hohem Maß von der pfälzischen Politik. So eng in vieler Hinsicht seit Jahrzehnten die Gemeinsamkeit der Interessen zwischen den Niederlanden und der Pfalz war, stellten der Heidelberger Hof und die Behörden im Haag doch innerhalb des protestantischen Lagers

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hinsichtlich der Art, wie sie Politik trieben und den oft gemeinsamen Zielen zustrebten, in vielem sozusagen Antipoden dar. Bedeutete also die Bekanntschaft mit den Niederlanden in vieler Hinsicht eine Ernüchterung für Camerarius, so ist es wiederum überaus bezeichnend für die unbeirrbare und starre Konsequenz seines Denkens, daß ihn das trotzdem nicht darin hemmte, seine Kriegspolitik fortzuentwickeln. Die Wirkung der niederländischen Verhältnisse war nur die, daß die Ausbildung seiner Kriegspolitik von ihnen mäßigend und damit überaus fruchtbar beeinflußt wurde. Vor allem machte sich dabei auch die Besonderheit der niederländischen Kultur geltend, was sich zeigen wird, wenn wir nunmehr versuchen, die Charakteristika der Gesinnung zu erfassen, in der Camerarius seine Kriegspolitik durchführte. Die internationalen wissenschaftlichen Beziehungen ebenso wie das umfassende Interesse für die Gesamtheit der protestantischen Anliegen, das in seinem Nürnberger Elternhaus vorherrschte, hatten in ihm schon früh den Sinn für die Allgemeinheit der kulturellen und politischen Verhältnisse Europas entwickelt. Es war jene starke Betonung des Gemeinsamen in Kultur und staatlichem Leben der Gebildeten des Kontinents, die für Humanismus und Kryptocalvinismus so überaus charakteristisch ist und sich in einer ausgebreiteten Kenntnis der Zustände in den verschiedenen europäischen Ländern und in mannigfachen persönlichen Beziehungen über die Landes- und Nationalitätengrenzen hinaus äußerte. Solche Verbindungen hatten Camerarius den Eintritt in kurpfälzischen Dienst erleichtert, in dem er dem gleichen auf die Allgemeinheit der Anliegen gerichteten Sinn begegnete und das Seine dazu tat, ihn noch zu verstärken. Basierte die Heidelberger Politik doch mehr als die von vielen anderen Höfen betriebene darauf, die gemeinsamen Interessen eines Teiles der europäischen Mächte hervorzukehren und zu verfolgen und so dazu beizutragen, der europäischen Machtstellung der Pfalz das zu ersetzen, was ihr an territorialem und finanziellem Rückhalt eigentlich fehlte. Gleichwohl brachten, besonders nach 1620, verschiedene Umstände es mit sich – vor allem die Nöte nach der Schlacht am Weißen Berg und das auch Camerarius zunächst beherrschende Streben, durch beschränkte Aktionen den status quo ante bellum möglichst schnell wieder herzustellen –, daß auch in seinen Handlungen die Pflege der allgemeinen Interessen und der Sinn dafür um einiges zurücktrat. Im Exil dagegen, nachdem man allen territorialen Besitzes fürs erste verlustig gegangen war, gelangte bei Camerarius der Sinn für die Allgemeinheit der europäischen Verhältnisse zu neuer Ausprägung. Nur durch ständige Hinweise auf die verbindenden Momente und auf das Gemeinsame der Interessen konnte die pfälzische Exilregierung ja noch zum Ziel gelangen. Während aber die Geschichte des 17. Jahrhunderts wie diejenige anderer Epochen immer wieder zeigt, wie es das Los vieler Exulanten ist, jenen zur Förderung ihrer Angelegenheiten notwendigen Sinn für das Allgemeine nicht ohne weiteres in schlagender Weise zum Ausdruck bringen zu können, wußte Camerarius seiner Überzeugung hiervon eine seltene Intensität zu geben und das die Staaten Verbindende in einer Deutlichkeit darzutun, wie sie bei anderen Exilregierungen selten war. Hierin lag ein erster wichtiger Wesenszug seiner Kriegspolitik.

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Ein zweiter kommt in dem Umstand zum Ausdruck, daß Camerarius das verbindende ideelle Moment, auf dem in seiner Politik die Gemeinsamkeit der Interessen basierte, ganz im Religiösen sah. An sich wäre es sehr wohl denkbar gewesen, daneben auch der dynastisch-legitimistischen Idee nach wie vor einen starken Anteil zu belassen, so wie es die Vertreter der chevaleresken Tendenz in der pfälzischen Politik ja auch im Exil noch tun wollten. Zugkräftig und verbindend mußte auch das dynastische Moment an den Höfen Europas wirken, und in seinen Flugschriften ebenso wie bei seiner Gesandtschaft nach Kopenhagen im Jahr 1622 hatte Camerarius es auch noch in zwar vergleichsweise begrenztem, aber immerhin doch beachtenswertem Maße berücksichtigt, obwohl er diesen Vorstellungen von jeher fremder gegenübergestanden hatte als andere pfälzische Politiker. 1623 dagegen trat das dynastische Moment noch weiter als bisher schon in seinen Maßnahmen und Äußerungen zurück. Somit ging Hand in Hand mit der Entschlossenheit zur unbedingten Kriegspolitik, zu der Camerarius die Exilregierung brachte, der Sieg der religiösen Tendenz über die dynastisch-ritterliche, der ebenfalls Camerarius zuzuschreiben ist und in der pfälzischen Exilpolitik für die nächsten Jahre ein ziemlich vollständiger war. Erst später, nach 1631, als die Leitung der Geschäfte schon in Rusdorfs Händen lag, sollte das Dynastische wieder stärker hervortreten. Camerarius zeigte sich also an sich schon fähiger als viele andere Exilpolitiker, das Allgemeine der Anliegen hervorzukehren, und verlieh bereits damit der von ihm geleiteten Exilpolitik eine besondere Stoßkraft. Ferner verstärkte den allgemeinen Charakter seiner Propaganda der Umstand, daß er den Kampf ganz unter das Zeichen des evangelischen Glaubens stellte. Die bedrohte protestantische Sache hob er hervor, um den Mächten, die er zum Kampf gegen die habsburgisch-ligistische Koalition bringen wollte, die Gemeinsamkeit ihrer Interessen darzutun. Ohne Zweifel erhielten die mit so viel konfessionellem Geist erfüllten Koalitionsbemühungen eine besonders starke ideelle Bedeutung und eine gewisse hochstehende und aparte Geistigkeit, die ihnen vielleicht nicht in dem Maß zu eigen gewesen wäre, wenn statt der konfessionellen die dynastische Tendenz vorgeherrscht hätte. Indem Camerarius das religiöse Moment verstärkte und an sich hohe Fähigkeit bezeigte, das allgemein Verbindende herauszuarbeiten, vereinigten sich mithin bei ihm zwei Umstände, die der Exilpolitik ein besonderes Gewicht verliehen. Die Begriffe, unter denen Camerarius den allgemeinen Charakter der von pfälzischer Seite vertretenen Interessen und deren religiösen Gehalt zusammenfaßte, hießen Causa Communis, Res Publica und Res Evangelica. Es waren damals im protestantischen Lager beliebte Schlagworte, derer er sich damit bediente, ebenso, wie wenn er es bis 1622 immer wieder als sein Ziel bezeichnet hatte, „pacem sub clypeo zu tractiren“. Auch vor 1623 finden sich die Schlagworte von den allgemeinen und religiösen Kampfesgründen schon in seinen Briefen. Doch bezeichnenderweise werden sie von dem Zeitpunkt an, da er zur unbedingten Kriegspolitik überging, sehr viel häufiger gebraucht, so oft, wie bisher höchstens in seinen Flugschriften. Restitutio Regis Bohemiae hingegen nannte er als Ziel bedeutend weniger oft. Camerarius ließ die Restitutio hinter den allgemeineren

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Kriegsanliegen zurücktreten. Für ihn stand es fest, daß allein, um Friedrich V. in seinen Besitz zurückzuführen, sich die europäischen Mächte schwerlich zu einem großen Krieg würden bewegen lassen. Man mußte ihnen vielmehr klarmachen, daß Anderes und Wichtigeres als nur das Recht des Pfälzers auf dem Spiel stand. So gliederte denn Camerarius in seinen Flugschriften schon früher, als Praktiker aber seit 1623, das Ziel der Restitutio Palatini dem Oberbegriff der Causa Communis oder Res Publica ein. Öfters in seinen Briefen und Memoranden führte er, nachdem das generelle Schlagwort der Res Publica genannt war, die einzelnen Momente auf, die er darunter verstanden wissen wollte. Da finden sich dann, so stark auch der Gebrauch in den einzelnen Briefen wechselte, in der Hauptsache drei Gesichtspunkte. Sie lauten, geordnet nach dem Gewicht, das Camerarius in seinen Argumentierungen ihnen beimaß: Religio Evangelica, Libertas Principum Germaniae, Restitutio Regis Bohemiae. Die Res Publica figurierte an sich also auch als Oberbegriff für die Religio Evangelica. Doch das religiöse Moment bedeutete Camerarius so viel und schien ihm so wichtig, daß er es nur ungern, nur wenn die Kürze der Zeit es unbedingt erforderte, in der allgemeinen Vorstellung der Res Publica oder Causa Communis untergehen ließ. Lieber brachte er es in seinen Briefen direkt zum Klingen. Dies geschah für gewöhnlich in der Weise, obwohl er es gelegentlich auch anders handhabte, daß er Causa Communis und Religio Evangelica nicht als etwas sozusagen Getrenntes aneinandersetzte und durch ein „et“ verband. Vielmehr zog er es vor, das eine gleichsam durch das andere zu variieren, in einem Satz von der Causa Communis, um die es gehe, zu reden, und im andern von der Religio Evangelica. Bisweilen stellte er beide Begriffe auch unmittelbar nebeneinander, als wolle er einundderselben Sache nur zwei Bezeichnungen geben. Viel seltener sind die Fälle, in denen Camerarius in derselben Weise den Gesichtspunkt der Libertas aus dem der Causa Communis herauslöste und beide nebeneinander stellte; und kaum ein einziges Mal kam ihm in den Sinn, zwischen Res Publica und Restitutio Regis Bohemiae abzuwechseln. Wohl wird öfter auch die Zurückführung Friedrichs in seinen Besitzstand gesondert genannt, doch dann, sei es, daß vorher die Religio Evangelica oder die Causa Communis aufgeführt worden ist, wird die Restitutio Regis Bohemiae jedesmal durch ein deutliches „et“ vom übrigen gesondert. Sie ist in diesen Fällen sozusagen aus den Hauptidealen ausquartiert; denn wenn sie schon bei den weitgespannten Plänen, zu denen sich Camerarius seit 1623 mit solcher Entschiedenheit bekannte, extra aufzuführen war, so schien es ihm doch offenbar ratsam, stets darzutun, daß es daneben noch um andere, höhere Güter ging. Die von Camerarius gewählte Terminologie war also nur die konsequente und natürliche Folge der Richtung, die er der pfälzischen Politik einmal gegeben hatte, und konnte als probates Mittel gelten, Friedrich V. die Wiedererwerbung des Verlorenen zu erleichtern und zu sichern. Gleichzeitig aber kommt hier bereits deutlich zum Ausdruck, und seine übrigen Äußerungen weisen in gleicher Weise darauf hin, daß ihn seit 1623 wieder von Jahr zu Jahr mehr das Interesse für die Gesamtheit der evangelischen Anliegen erfüllte. Die Restitution der pfälzischen Wittelsbacher blieb zwar selbstverständlich ein Hauptanlie-

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gen seiner Tätigkeit. Doch während bei ihm das rein pfälzische Interesse von 1620 bis Ende 1622 ganz im Vordergrund gestanden hatte und Camerarius auch vorher, seitdem er wesentlichen Einfluß auf die pfälzische Politik nahm, gewohnt gewesen war, mehr als er es dann im Exil tat, die Verhältnisse vom Bereich der pfälzischen Machtmittel aus zu betrachten, trat nun wieder das allgemeinevangelische Interesse beherrschend hervor. Es stellte sich sozusagen gleichberechtigt dem Streben nach der Wiedererlangung des pfälzischen Besitzes an die Seite und wurde allmählich so stark, daß sich 1626, wie sich noch im einzelnen zeigen wird, der vollständige Übertritt in schwedischen Dienst für Camerarius organisch vollziehen ließ. Es war eine Entwicklung, die dem Umstand entsprach, daß Camerarius sich auch schon vor dem Krieg nicht in dem Maß wie andere der Person seines Fürsten, sondern der von dem Fürsten vertretenen Sache, dem Machtpotential der politischen Idee und dem Land, worüber der Fürst verfügte, verpflichtet gefühlt hatte. Auch später, in schwedischem Dienst, als er zu einem im Gegensatz zu Friedrich V. wirklich hochbedeutendem Herrscher aufblicken konnte, war es bei aller Verehrung, die er für Gustav Adolf empfand, ja bei dem Heroenkult, den er geradezu mit dem König trieb, doch nie der persönliche Gefolgschaftsdienst, dem er sich verschrieb, sondern immer der Kampf für den Protestantismus, die Macht der evangelischen Staaten im allgemeinen und die Größe des schwedischen Reiches im besonderen, eines Reiches, in dem er den Beschützer aller seiner Ideale sah. Das religiöse Moment verband sich also bei Camerarius mit einem mehr abstrakten Sinn für die Macht der Staaten und Fürsten, die er vertrat, und nicht, oder doch nicht in erster Linie, mit dem Gefühl persönlicher Verpflichtung und persönlichen Dienstes für den Monarchen. Diese abstrahierte Treueverpflichtung fügte sich in viel konsequenterer Weise der starken Betonung des religiösen Momentes in seiner Politik ein, als es die persönliche Gefolgschaftsgesinnung getan hätte. Die unpersönliche Auffassung trug dazu bei, daß die von ihm vertretene Kriegspolitik einen überaus umfassenden und idealistischen Zug bekam und noch weiter gespannt wirkte, als es bei einer Exilpolitik wahrscheinlich gewesen wäre, die zu ihrer tragenden Idee vornehmlich den bedrohten fürstlichen und ständischen Freiheitsgedanken erhoben hätte. Dafür hätte in ihr naturgemäß das persönliche Treuegefühl für den vertriebenen Fürsten stärker zum Ausdruck kommen können, wie das die Haltung des englischen Diplomaten Sir Thomas Roe illustrieren kann, bei dem sich das Religiöse eng mit persönlicher Hingabe für die Königin Elisabeth verband, eine Gesinnung, die ihm ebenfalls zu einer effektiven und Camerarius sympathischen Wirksamkeit für den vertriebenen Pfalzgrafen kommen ließ, besonders während und nach der böhmischen Katastrophe und dann wiederum 1629. Camerarius hingegen ging einen anderen Weg und nahm eine Haltung ein, die in der Reformationsgeschichte bereits Vorbilder hatte, also keineswegs absolut neuartig war, die aber gleichwohl 1623 insofern für das protestantische Lager eine beachtliche prinzipielle und neuartige Bedeutung besaß, als es im Verlauf des Krieges ein erstes Mal war, daß sich bei der evangelischen Partei eine so ab-

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strahierte und idealisierte Auffassung in so deutlicher Weise geltend machte und der Gedanke des Religionskrieges in so reiner Form zum Ausdruck gelangte. Handelte es sich also hierbei im protestantischen Lager 1623 um etwas relativ Neues, so fällt ein Gegenstück zu des Camerarius politischem Denken bei der katholischen Partei auf. Schon früher traten uns die Ähnlichkeiten entgegen zwischen der konfessionellen Auffassung der pfälzischen und bayrischen Diplomatie. Es zeigte sich, daß Männer wie Camerarius und sein politischer und publizistischer Gegenspieler Wilhelm Jocher nicht nur typenmäßig als gelehrte Geheime Räte bürgerlicher Herkunft und Gesinnung auf einer Ebene standen, sondern daß sie sich auch in der starken Religiosität ihrer Politik berührten. Freilich ging bei Jocher wie bei der bayrischen Diplomatie insgemein in glücklicherer Weise als bei mehreren Heidelberger Räten, besonders Camerarius, ein gesunder Realismus mit dem konfessionell-idealistischen Zug Hand in Hand. Das Exil aber verstärkte, wie gesagt, noch des Camerarius politischen Idealismus. Das führte dazu, daß 1623 und in den folgenden Jahren eine Parallele zwischen Camerarius und jenen katholischen Ordensgeistlichen auffällig ist, die teils in bayrischem, teils in kaiserlichem und päpstlichem Auftrag gerade im ersten Jahrzehnt des Dreißigjährigen Krieges eine so bedeutsame Rolle in der europäischen Politik spielten und nicht müde wurden, die katholisch-religiöse Idee in den Maßnahmen der habsburgisch-ligistischen Mächte hervorzukehren und zu versuchen, sie zu möglichster Vorherrschaft im politischen Geschehen zu bringen. Sie spielten bereits in des Camerarius Lebensgeschichte eine Rolle, diese Männer wie Alexander Hales, dessen Verhandlungen im Haag und in London wir soeben verfolgten, Domenico a Santa Maria, der das ligistische Heer in der Schlacht am Weißen Berg anfeuerte und seinen Führern zum Angriff riet, Pater Lamormain, der vertraute Beichtiger und Berater Kaiser Ferdinands II., und vor allem der Kapuzinerpater Hyazinth. Seit mehr als zwei Jahrzehnten beeinflußte dieser geborene Graf Federigo Natta, Doktor beider Rechte von Bologna, als wichtiger Verbindungsmann zwischen München, Wien, Rom und Madrid die Politik der katholischen Mächte. Nicht viel später als Camerarius, in den kritischen Jahren 1607 und 1608, war Pater Hyazinth zum ersten Mal in der Politik hervorgetreten. Er hatte damals schon einen Namen als bedeutender Volksprediger und war bekannt durch eine Schrift, in der er jede Religionsübung der Ketzer verurteilte und sich zu dem Satz bekannte, daß erzwungene Zugeständnisse in religiösen Fragen für die katholischen Fürsten nicht bindend seien. Nun erwies er sich als ebenso entschlossener Ratgeber der Fürsten in der praktischen Politik, und seine anfängliche diplomatische Unerfahrenheit ließ ihn, wie Brandi gesagt hat, in allen Staatsgeschäften nur um so ungehemmter der Inbrunst seiner katholisch-kirchlichen Überzeugung folgen und ihn seine Politik ganz unter das religiöse Zeichen stellen8. Dank seiner großen Begabung gewann Pater Hyazinth im Laufe der Jahre ziemlich rasch die Routine des gewiegten Diplomaten. So verband er Anfang der zwanziger Jahre den alten religiösen Enthusiasmus mit hoher staatsmännischer Erfahrung und politischem Weitblick. Wie in einer gött8



Brandi, Reformation u. Gegenreformation, 469.

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lichen Mission fühlte er sich9. Seine ganze Kraft setzte er ein, um die katholische Partei fest zusammenzuhalten, die habsburgisch-ligistische Koalition zu stärken und zu erweitern. Jede Differenz suchte er zu überbrücken, alles im Kampf für den katholischen Glauben zu vereinen und der religiösen Idee unterzuordnen. „Geistliches und Weltliches gingen völlig in eins“. Groß war ohne Zweifel der Schwung, den Hyazinth wie die anderen in einflußreichen diplomatischen Funktionen tätigen Geistlichen der katholischen Sache mitteilten. Ihr Anteil daran, daß der Dreißigjährige Krieg wenigstens in seiner ersten Hälfte den Charakter eines Glaubenskampfes erhielt, war ein außerordentlicher. Eben hierin liegt der Berührungspunkt zwischen der Tätigkeit der Ordensleute im katholischen Lager und der von Camerarius im protestantischen. Wohl war, wie gleich noch zu erörtern sein wird, die Kirchlichkeit und Religiosität bei Camerarius geringer. Er zeigte sich ferner in vielem sehr viel weniger schwärmerisch aufgelegt als ein Mann wie Domenico a Santa Maria. Camerarius hielt, was den politischen Idealismus betraf, sozusagen die Mitte zwischen den bayrischen Politikern und den Ordensleuten. Auch war die Wirkung seiner Ansichten im protestantischen Lager zunächst schwächer. Gleichwohl aber ähnelte, was die Entwicklung des idealistischen Schwunges und der Vorstellung des Glaubenskrieges betraf, die Funktion, die er auf evangelischer Seite hatte, derjenigen, die Pater Hyazinth und die anderen Geistlichen auf katholischer Seite ausübten. Nicht nur in der größeren politischen Konzeption, in der Stoßkraft und im Schwung seines Vorgehens zeigte Camerarius sich ihnen verwandt. Auch der Optimismus, der ihn bei aller im kleinen bei ihm zu beobachtenden Hypochondrie als Grundstimmung seines Wesens im Exil beherrschte und seine ganze Aktivität in dieser Notzeit erst möglich machte, weist eine gewisse Parallelität zu der Gesinnung der Patres auf, wenngleich sich bei ihnen mit dieser Hoffnungsfreudigkeit ein großes Maß an persönlichem Mut verband, über das Camerarius nicht verfügte. Mit welchem Gottvertrauen hatte Pater Hyazinth nicht in den ersten, schweren Kriegsjahren in Maximilian von Bayern den Siegesglauben wach gehalten! Mit welcher hochgemuten Energie drang Domenico a Santa Maria vor der Schlacht am Weißen Berg trotz zunächst ungünstiger strategischer Aussichten auf den Entscheidungskampf! Die endliche Hilfe Gottes und der schließliche Sieg ungeachtet der anfangs so bedenklichen Lage schienen ihm gewiß. Einen ähnlichen Optimismus entwickelte Camerarius im Exil, und hierin liegt ein weiterer Wesenszug seiner Kriegspolitik beschlossen. Wir kennen bereits den hochgespannten Optimismus, der Camerarius in früheren Jahren bisweilen überkam, und wir sahen, wie diese Hoffnungsfreudigkeit in mancher Hinsicht sozusagen eine Reaktion darstellte auf die ihn von Jugend an bedrückende Erkenntnis, daß die Kräfte der protestantischen Partei denen der katholischen nicht gewachsen waren. Ebensosehr entsprach und entsprang sein Optimismus ohne Zweifel der alten Leichtfertigkeit der pfälzischen Politik, der Unbekümmertheit, mit der man unter Christian von Anhalt kühnen Plänen folgte. Dieser Optimismus kam bei Camerarius im Exil zu neuer Geltung. Er 9



Brandi, Reformation u. Gegenreformation, 495.

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nahm eine in manchem veränderte Gestalt an, und Moriz Ritter hat als einen Grund hierfür treffend festgestellt, daß sich im Charakter der Politik, die von der pfälzischen Regierung im Haag getrieben wurde, die alte Leichtfertigkeit mit der verzweifelten Stimmung der Verbannten verbunden habe. Die Pfälzer hätten die Empfindung gehabt, daß nur ein großer Umsturz bestehender Staaten und Staatenverbindungen ihnen wieder aufhelfen konnte, und die Gebrechlichkeit, die sie an ihrem eigenen Machtgebäude erfahren hatten, hätten sie auch bei fester begründeten Staaten und Staatensystemen vorausgesetzt10. Wie die pfälzische Politik also insgesamt im Exil unter Camerarius einen ernsteren und stetigeren Zug annahm, so hatte auch der Optimismus, den er ihr mitteilte, etwas Ernsteres und Gesetzteres als die Hoffnungsfreudigkeit, die sich vor dem Krieg in Heidelberg geltend machte. Dieser größere Ernst entsprang, wie gesagt, einmal der Verzweiflung des Exilanten. Zum andern dürfte er darauf zurückzuführen sein, daß des Camerarius ganz persönliche Gesinnung nun zu freierer Entfaltung kam als bisher und daß seine eigentliche Veranlagung im Exil noch markanter hervortrat als in den Jahren in Heidelberg und Prag. Zumindest wirkten sich in den Niederlanden in ihm besonders mächtig die beiden hauptsächlichen Bildungsmomente seines Lebens aus: das protestantische Bekenntnis und der Humanismus. Beide Momente übten stärksten Einfluß auf die Ausbildung der Wesenszüge seiner Kriegspolitik. Ja, diese Haltung wird erst aus der Verbindung des Religiösen mit den Anschauungen humanistischen Gelehrtentums so recht verständlich, und hier liegt auch der Punkt, an dem der Unterschied zu der Geistigkeit der katholischen Ordenspolitiker besonders hervortritt. Das Element der Gläubigkeit trat bei allen bisher erörterten Charakteristika der von Camerarius betriebenen Kriegspolitik bereits hervor. Auch an dem Optimismus, der ihn beherrschte, hatte sein festes Gottvertrauen entscheidenden Anteil. Nicht minder aber kam in seiner Hoffnungsfreudigkeit nunmehr auch seine zutiefst humanistische Gesinnung zur Geltung: Es war die so ganz humanistische Ansicht, die sich hier Raum verschaffte, daß alles sich werde zum Guten wenden lassen, wenn man nur mit Beharrlichkeit danach trachte und nicht müde werde, in Wort und Schrift die zuständigen Stellen auf den richtigen Weg und auf die wahrhaft erstrebenswerten Ziele hinzuweisen. Stets zeigte sich Camerarius trotz aller anfänglichen Rückschläge davon überzeugt, allmählich vom Schreibtisch aus durch immerwährendes Mahnen und ständige Belehrungen die Weltbegebenheiten in der ihm erwünschten Richtung lenken zu können. Seine schwungvolle Publizistik und seine Briefkunst erschienen ihm deshalb so wertvoll wie handgreifliche Machtmittel, und diese Überzeugung half ihm, über den an sich so entmutigenden Mangel an letzteren hinwegzukommen oder ihn doch geringer zu achten, als es anders gesonnene Politiker in seiner Lage wohl getan hätten. Es war jener humanistische Optimismus, der sozusagen den Ausgleich darstellte zu der ebenfalls ganz humanistischen Hypochondrie und der ständigen Ängstlichkeit, die ihn im kleinen beherrschte. Wie Erasmus von Rotterdam zitterte er 10

Ritter, Deutsche Geschichte, III, 241.

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stets um seine Gesundheit, und jede Art persönlicher Gefährdung war ihm ein Schrecknis – ganz im Gegensatz zu den eben erwähnten Ordensgeistlichen, die hierin sehr viel größeren persönlichen Mut an den Tag legten. Wie Erasmus von Rotterdam hatte Camerarius aber gleichzeitig das Vertrauen, daß durch ruhigen Schreibfleiß alles gebessert und zum Guten geführt werden könne. Mit diesem humanistischen Optimismus und der Haltung humanistischen Gelehrtentums hing die Koalitionsfreudigkeit zusammen, die seine Kriegspolitik bis über das Jahr 1626 hinaus beherrschte. Ganz auf der überredenden Schreibtischarbeit vermittelnder Diplomaten hatte ja ein Bündnis zahlreicher Mächte aufzubauen. Es ließ sich zustandebringen nur mit höchster Geduld und mit der Überzeugung, daß durch beharrliches Werben sich mit der Zeit alle einer Koalition im Wege stehenden Gegensätzlichkeiten überwinden ließen. Die Allianz, die bei dem Fehlen eigener Machtmittel in den ersten Jahren für die pfälzische Sache ratsam, ja notwendig war, entsprach mithin über diese Notwendigkeit hinaus ganz besonders des Camerarius Geistigkeit. Das in Camerarius von jeher sehr starke und unter dem Einfluß der niederländischen Kultur noch mehr als bisher hervortretende humanistische Moment war also eine der Ursachen für seine Hoffnungsfreudigkeit. Es verstärkte den kühnen und mutigen Zug in seiner Kriegspolitik und half ihm, genau wie seine Gläubigkeit dies tat, einen gewissen Enthusiasmus zu entwickeln, durch den sich seine Haltung im Exil auszeichnete. Andererseits trug das Moment des Humanismus dazu bei, daß Camerarius nicht eigentlich zum Zeloten wurde trotz der Religiosität seiner damaligen politischen Gesinnung und trotz der Bitternis des Exils, die alles Extreme fördern mußte. Camerarius blieb weit entfernt von dem düsteren Fanatismus, in dem sich zwei Jahrzehnte später im englischen Puritanertum die protestantische Diplomatie der Zeit darstellte. Er gelangte auch nicht zu jenem weniger düsteren, sondern mehr flammenden Zelotismus, wie er in der katholischen Diplomatie jener Jahre verbreitet war und eben von Politikern vertreten wurde, denen Camerarius sonst in manchem ähnelte oder die doch als seine Gegenspieler figurierten, Männern wie Pater Hyazinth, Domenico a Santa Maria und Jakob Keller, den aber auch katholische Berufsdiplomaten wie manche spanische und päpstliche Räte an den Tag legten; selbst der in vielem im Vergleich mit Camerarius nüchternere Kurfürst Maximilian von Bayern und sein Kreis zeigten zu Zeiten um vieles zelotischere Züge. Mehr als bei diesen prononcierten Vertretern christlicher Diplomatie im katholischen und protestantischen Lager blieb bei Camerarius, sosehr im übrigen auch er die religiös bestimmte Staatskunst repräsentierte, neben dem Konfessionellen der Sinn für die Anliegen des Humanismus, für das Ästhetische und Wissenschaftliche, mächtig. Und zwar war es jene im zweiten Kapitel näher umschriebene, für die Camerarii kennzeichnende etwas nüchtern-didaktische und vergleichsweise rationalistische Form des Humanismus, die sich hier geltend machte. Sie wirkte insbesondere darauf hin, einen allzu feurigen Zelotismus abzuschwächen. Statt dessen führte der humanistische Faktor seiner Gesinnung zu einem bemerkenswerten, seine Kriegspolitik charakterisierenden Maß von Schöngeistigkeit. Diese Schöngeistigkeit wiederum verstärkte den bei ihm trotz

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allen kriegerischen Geistes ohnehin von jeher starken Wesenszug einer gewissen Empfindlichkeit und Zartheit. Hiermit sowie mit der Tradition der pfälzischen Staatskunst und Publizistik hing es zusammen, daß seiner Kriegspolitik trotz der Radikalität seiner Zielsetzung manche Schärfen fehlten, zu denen sie wohl sonst gelangt wäre. Es zeigte sich bereits bei dem Kanzleienstreit, wie Camerarius den derben Ton seiner Gegner, Jakob Keller an der Spitze, vermied und nicht mit gleichen Unflätigkeiten antwortete. Ähnlich handelte er als Leiter der Exilpolitik. Damit erreichte er zusammen mit den anderen Mitgliedern der Regierung – Rusdorf, Plessen, die Dohnas und die Pawells dachten hierüber ganz so wie er und verhielten sich so –, daß der pfälzischen Politik auch im Exil eine gewisse distinguierte und zurückhaltende Vornehmheit gewahrt blieb, was sie vorteilhaft von vielen anderen politischen Äußerungen der Zeit unterschied. War die Kriegspolitik von Camerarius vornehmer als die Diplomatie mancher anderer Regierungen, so war sie bei aller Energie und Weite der Konzeption und allem historischen Interesse, das sie verdient, zweifelsohne auch unbedeutender und kraftloser. Eine gewisse pedantische Enge macht sich in ihr immer wieder bemerkbar. Gerade auch in der Ausschließlichkeit kommt sie zum Ausdruck, mit der Camerarius seinen weitgespannten und religiös bestimmten Koalitionsplänen nachtrachtete. Es wird sich noch im einzelnen zeigen, wie seiner Diplomatie auch im Exil die Gelenkigkeit und der Sinn für das Mögliche fehlten, die erst eine Staatskunst zu wirklicher Größe führen. Stärker als in den Vorjahren und als unter Christian von Anhalt trat, wie gesagt, in der seit 1623 betriebenen Kriegspolitik der konfessionell-idealistische Zug hervor, und dies bewirkte, daß ihr vom ideen- und diplomatiegeschichtlichen Standpunkt aus ein besonderes Interesse und Gewicht zukommt, daß sie im Dreißigjährigen Krieg in entscheidender Weise den konfessionellen Kriegsgedanken auszubilden und den Krieg auf ganz Europa auszuweiten half. Eben in dieser Betonung des Ideellen und der Konzentrierung auf die große evangelische Kriegskoalition lag aber auch wiederum ihre Begrenzung. Die Einseitigkeit, die Camerarius’ Staatskunst im Exil einerseits so interessant machte, schränkte andererseits ihre historische Bedeutung ein und ließ sie hinter der Könnerschaft anderer Diplomaten und Regierungen zurücktreten. Wie es mit der Distinktion der von Camerarius im Exil betriebenen Kriegspolitik zusammenhing, daß sie in ihrer Bedeutung beschränkt war, so war in noch stärkerem Maß damit verbunden ein Zug der Schwäche und einer besonders im Vergleich mit den Maßnahmen seiner katholischen Gegenspieler auffälligen Kraftlosigkeit. Die Politik und Propaganda von Camerarius wirkte oftmals blutleer. Bei allem Schwung und aller Energie, die seine Maßnahmen auszeichneten, fehlte ihnen doch eine gewisse Glut, über die viele seiner katholischen Gegenspieler verfügten. Sein Enthusiasmus blieb immer irgendwie papieren, wie das der Pedanterie und Nüchternheit seines Wesens und einer gewissen gedanklichen und gefühlsmäßigen Enge entsprach. Es waren Züge, die durch die Gesinnung humanistischen Gelehrtentums noch verstärkt wurden. Die Schreibtischatmosphäre des latinistischen Wissenschaftlers machte sich geltend.

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Sie kam im Positiven wie Negativen nicht minder zum Ausdruck in der Religiosität, die Camerarius im Exil beherrschte. Fragen wir nach den Besonderheiten derselben, so erkennen wir als ein erstes Charakteristikum, daß Camerarius auch unter der Belastung dieser Notzeit und bei der Intensivierung des konfessionellen Momentes in seiner Diplomatie an der großzügigen Form der Gläubigkeit festhielt, die ihm vom Elternhaus her vertraut war, und zu der er in Heidelberg gestanden hatte11. In seiner Apologia von 1624 legte er für sie aufs neue ein eindeutiges Bekenntnis ab. Wenn er auch vom Haag aus und hier sogar noch mehr als bisher ständig das Gemeinsame der protestantischen Bekenntnisse betonte, so entsprach das ebensosehr seiner tiefen im Philippismus und Kryptocalvinismus wurzelnden Überzeugung wie dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit. War es doch sein Hauptanliegen, eine Koalition zustandezubringen zwischen calvinistischen und lutherischen Staaten und den der englischen Hochkirche anhängenden Stuarts. Später sollte sich für ihn noch ein persönlicher Nutzen aus seiner nur auf den Gemeinsamkeiten des Protestantismus aufbauenden Frömmigkeit ergeben; denn diese Gesinnung erleichterte es ihm, im lutherischen Schweden Fuß zu fassen. Mit seinem Sinn für die Gemeinsamkeiten im Protestantismus, mit den trotz seines persönlichen Calvinismus noch von Nürnberg her starken Relikten lutherischer Gesinnung und mit der auch im Exil bei Camerarius zu beobachtenden relativen Gleichgültigkeit gegenüber dogmatischen Fragen mag es zusammenhängen, daß die spezifisch calvinischen Vorstellungen bei ihm nicht in dem Maß zum Tragen kamen wie bei anderen calvinistischen Exulanten der Zeit. Wenigstens tauchen bei Camerarius nur relativ selten die düsteren, depressiven und herben Momente auf, wie sie die Lehre Calvins an sich stets und in einem Notfall in besonderem Maße im Gefolge hatte. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Vergleich mit der Haltung, die Georg Erasmus von Tschernembl einnahm, der tatkräftige Führer der oberösterreichischen Ständeopposition, mit der Camerarius in Böhmen viel zu tun gehabt hatte. Tschernembl fand Ende 1622 in Genf ein Asyl und trat von hier aus im März 1623 noch einmal mit einer umfassenden Denkschrift hervor, den „Betrachtungen jetzigen Wesens und Aufrichtung eines beständigen Friedens im Römischen Reich“12. Das Memorandum scheint nicht, wie Tschernembl eigentlich wünschte, im Druck erschienen zu sein. Dafür gelangte ein handschriftliches Exemplar in die Hände der pfälzischen Exilregierung und dürfte besonders von dem publizistisch so interessierten Camerarius beachtet worden sein, in dessen Briefsammlung das Elaborat noch heute zu finden ist. Berührte es sich doch in vielem eng mit seinen eigenen Ansichten. Ganz Camerarius’ Meinung entsprechend fand Tschernembl es gut, im ersten Drittel seiner „Betrachtungen“ darzulegen, daß sich das Reich noch nie in einem gefährdeteren Zustand befunden habe. Er setzte damit in Kausalzusammenhang den ausführlichen Beweis, daß es sich in erster Linie ja ausschließlich um einen 11

S. Kap. II. Coll. Cam. Vol. 66, Nr. 22; s. a. Sturmberger, a. a. O. 384 ff.

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Religionskrieg handele und daß vor allem und als schlimmstes der möglichen Übel die Vernichtung der Gesamtheit der protestantischen Bekenntnisse zu befürchten sei. Die Argumente, derer sich Tschernembl dabei bediente, ähnelten denen in vielen Punkten stark, die Camerarius in den beiden Vorjahren 1621 und 1622 in seinen Flugschriften benutzt hatte, ebenso wie es Camerarius’ publizistischer Propaganda entsprach, daß Tschernembl in engsten Zusammenhang mit der gefährdeten Religion die bedrohte Libertät stellte. Freilich ging er weiter als Camerarius, wenn er die Libertät mehrmals ausdrücklich als gleich hohes Gut wie die Religion bezeichnete. Man merkt in den „Betrachtungen“, wie auch sonst in Tschernembls Briefen und Denkschriften, daß er dem Freiheitsideal in manchem näher stand als Camerarius, daß die Libertät für ihn, der stets auch an die ihm so naheliegenden und Camerarius fremderen ständischen Freiheiten gegenüber dem Fürsten dachte, eine andere, wärmere und vertrautere Schattierung besaß. Ebenso vertritt Tschernembl im zweiten Teil seines Memorandums eine Auffassung, wie sie Camerarius 1623 nicht mehr hegte, wie er ihr aber noch im Vorjahr anhing, und wie sie im großen auch 1623 noch durchaus zu seiner kriegerischeren Konzeption paßte. Tschernembl war sich nämlich mit Camerarius darin einig, daß man mit höchster Kraft den katholischen Plänen zur Vernichtung von Protestantismus und Libertät widerstehen müsse. Wie Camerarius glaubte er, dabei auch vor äußersten Mitteln nicht zurückschrecken zu sollen. Er legte die Notwendigkeit dar, die Kräfte der Osmanen zu mobilisieren, und rechtfertigte ausführlich ein solches Vorgehen. Lediglich darin wich Tschernembl von des Camerarius Kriegspolitik ab, daß er auch 1623 noch vorgängige Vermittlungsverhandlungen vorschlug, obwohl er sich nicht allzu viel davon erhoffte, und außer mit der türkischen Armee vornehmlich mit der militärischen Kraft Niederdeutschlands und Dänemarks rechnete, die Camerarius seit 1622 nur noch gering anschlug. Im übrigen aber harmonierten Tschernembl und Camerarius durchaus in ihren kriegerischen Plänen, so wie sie in Prag in ihren Maßnahmen im Großen zusammengestimmt hatten. Freilich war es auch während der pfälzischen Herrschaft in Böhmen im Verhältnis zwischen Camerarius und Tschernembl immer wieder offenbar geworden, daß bei aller Gemeinsamkeit des Denkens doch auch außerordentlich viel Fremdes zwischen beiden Männern lag, daß Tschernembl als Führer der ständischen Opposition gegen den Fürsten sich nur allzu sehr von Camerarius unterschied, der mehr zu absoluteren Regierungsformen tendierte. Genau so offenbart Tschernembls Exilschrift, daß er in seiner Religiosität dem dogmatischen Calvinismus näher stand als Camerarius. Entschiedener als dieser zeigte er sich von den Specifica des calvinischen Dogmas beeinflußt. Vor allem trat das Herbe und Düstere der Lehre des Genfer Reformators in den von Tschernembl im Exil entwickelten Gedanken mehr in den Vordergrund als bei Camerarius. Jeden prädestinationsgläubigen Calvinisten mußten ja die Katastrophen, die den Calvinismus und darüber hinaus den Protestantismus insgesamt seit 1619 in Deutschland betroffen hatten, besonders tief niederdrücken, zumal wenn er damit die schweren Rückschläge zusammen hielt, denen die evangelische Sache in den letzten

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Jahrzehnten in ganz Europa ausgesetzt gewesen war. Wenn Gott allen Personen und Anliegen, die ihm wohlgefällig waren, schon im Diesseits Erfolg gewährte, so erhob sich für den dogmenstrengen Calvinisten angesichts der jahre-, ja jahrzehntelangen vernichtenden Niederlagen in allmählich immer drängenderer Weise die Frage, ob Gott das Unterfangen, an dem die calvinistischen Politiker arbeiteten, gutheiße, ob er die Herrschaft der protestantischen Staaten, ja, ob er überhaupt ihr Bestehen wünsche. Wohl gab es bei dieser Überlegung stets den Trost, daß sich ja noch alles zum besseren wenden könne, doch die Dinge lagen 1623 so hoffnungslos, daß dieser Trost zumindest nicht mehr selbstverständlich war, daß er ernste Bedenken nicht ohne weiteres verscheuchen konnte. Tschernembls Denkschrift illustriert, wie tief diese Zweifel bei an sich mutigen und kämpferisch gesonnenen calvinistischen Politikern gingen. Sie zeigt gleichzeitig, wie sehr die Not des Exils dazu angetan war, alle derartigen Bedenken zu verstärken. Tschernembl widmet nämlich das ganze letzte Drittel seines Memorandums der Frage, was zu tun sei, wenn Gott auch diesen letzten in Aussicht genommenen Bemühungen wiederum wie den vorhergegangenen seinen Segen versage. Überaus lebhaft steht Tschernembl diese Möglichkeit vor Augen, ja er scheint voller Resignation geradezu mit ihrem Eintreten gerechnet zu haben. Entwickelt er doch in ausführlicher Weise, daß es sehr wohl denkbar sei, daß Gott wiederum alle Bemühungen scheitern lasse, ein Fall, in dem es ihm ratsam scheint, die Konsequenz aus den vielen Mißerfolgen zu ziehen. Man habe dann anzunehmen, erklärt Tschernembl mit Bestimmtheit, daß Gott ein Sieg der protestantischen Sache momentan unerwünscht sei. Das führt den Verfasser zu der Folgerung, daß die pfälzisch-calvinistische Partei sich in diesem Fall in Gottes Willen schicken, weiteren Widerstand aufgeben und einen Unterwerfungsfrieden schließen müsse. Gottes Ratschluß und seine Gedanken seien ja oft nicht die der Menschen. Der Herr werde also schon seine Gründe haben, obwohl sie für seine Anhänger zunächst nicht erkennbar seien, wenn er wünsche, daß seine Kirche und die wahre Lehre fürs erste wenigstens niedergedrückt blieben. Auch hätten die Protestanten ja genug Sünden auf sich geladen, um noch weitere Strafen zu verdienen. Allerdings – so setzt Tschernembl sogleich einschränkend hinzu – seien die Sünden der Katholiken nicht minder groß. Doch des Herrn Wege seien eben oft unerforschbar. Auch Tschernembls Bedenken gingen also nicht so weit, daß er zweifelte, ob der Calvinismus die richtige Religion sei. Er hielt es lediglich für möglich, daß Gott den Niedergang seiner Kirche und eine lange Notzeit für seine Gläubigen wolle, ähnlich der Bedrängnis, der das Urchristentum ausgesetzt gewesen war. Doch hierin eben unterschied er sich grundsätzlich von Camerarius. Diesem war es im Gegensatz zu Tschernembl eine ausgemachte Sache, daß in jedem Fall der Widerstand fortzusetzen sei. Nie äußerte Camerarius den Gedanken, daß Gott etwa eine Weiterführung des Kampfes nicht wünschen könne. Im Gegenteil, ihm schien es wahrer Gottesdienst, auch in der größten Bedrängnis den Krieg nicht aufzugeben. Daß die ständigen Niederlagen eine Strafe für begangene Sünden seien, glaubte auch Camerarius. Nie hingegen ventilierte er ernsthaft, ob die schweren Schicksalsschläge, die die pfälzisch-evangelische Par-

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tei erlitten hatte, ob die nun schon jahrelange Erfolglosigkeit ein Zeichen dafür sei, daß Gott die Erhaltung der protestantischen Kirche und ihren Sieg nicht wünsche. Ganz unmöglich schien ihm dies. Selbst in einem Zustand tiefster Depression, als er in Bremen im Herbst 1622 die Nachricht vom Fall Heidelbergs erhalten hatte und als vielleicht tatsächlich in ihm Zweifel aufstiegen, wies er dieselben doch sogleich energisch von sich. Anstatt also eine nach dem Willen Gottes erfolgende endgültige Niederlage ins Auge zu fassen und sich innerlich darauf vorzubereiten, auch im Verzicht auf den Erfolg dem Herrn zu gehorchen, hielt Camerarius auch im Religiösen an dem ihn stets auszeichnenden Optimismus fest, der so eng mit seinen humanistischen Gedankengängen verbunden war. Camerarius ließ sich nicht auf die düsteren Spekulationen ein, die aus dem konsequenten Weiterdenken der calvinischen Glaubenssätze folgen mußten. So sehr er in der praktischen Politik zum Theoretisieren neigte, so wenig lag es ihm im Religiösen. Vielmehr wußte er sich hier, indem er auf alle tiefergehenden Überlegungen verzichtete, ein oft geradezu naiv anmutendes Gottvertrauen zu bewahren. Seiner Religiosität blieb immer etwas Sonniges anhaften. Auch in den schwersten Momenten der ersten Exiljahre herrschte in ihm jene fröhliche und sieghafte Gläubigkeit vor, jene Stimmung, wie sie in dem bekannten Feldlied der schwedischen Armee aus den dreißiger Jahren zum Ausdruck kommt: „Verzage nicht, Du Häuflein klein, Obschon die Feinde willens sein, Dich gänzlich zu zerstören, Und suchen Deinen Untergang, Davon Dir wird recht angst und bang Es wird nicht lange währen!“ Diese Freudigkeit war dazu angetan, Camerarius in seinem Glauben und in der Religiosität seiner Politik einen außerordentlichen Schwung zu verleihen, obwohl ihm ein tiefer gehender Sinn für die Dogmatik und ihre Konsequenzen und besonders für dogmatische Spitzfindigkeiten ebenso fehlte, wie ihm der düstere Zelotismus oder flammende Fanatismus mancher anderen Vertreter der christlichen Staatskunst abging. Wie aber bei aller Abneigung gegen das allzu Dogmatische die Religion seine Tätigkeit in entscheidender Weise formte und bestimmte, so hinderten die aus seinem humanistischen Gelehrtentum, seiner Pedanterie, seiner ängstlichen Empfindlichkeit und anderem herzuleitenden Einschränkungen nicht, daß seiner Politik eine außerordentliche Kühnheit eigentümlich blieb. Ein Umsturz, eine völlige Veränderung der bestehenden Machtverhältnisse war und blieb ihr Hauptziel. Wie groß diese Kühnheit war, und welche Energie dazu gehörte, an ihr festzuhalten, das zeigt sich, wenn wir uns jetzt dem Fortgang der von Camerarius 1623 angestrengten Verhandlungen zuwenden und sehen werden, wie gering die handgreiflichen Erfolge waren, die sich zunächst erzielen ließen.

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X . Kap itel

Schwedischer Korrespondent Entsprechend der neuen Konzeption der pfälzischen Politik, bei dem Kampf gegen das Haus Habsburg und die Liga hinfort einen möglichst weitgespannten und vernichtenden Krieg zu erstreben, ging der eigentliche Wunsch von Camerarius dahin, daß die Staaten, auf deren Bündnis und Unterstützung er hoffte, offen den Krieg erklären und mit ihrer ganzen Macht in denselben eintreten sollten. Im Mai und Juni 1623 hoffte er in seiner optimistischen Art noch ernstlich, daß sich ein solcher großer Krieg trotz aller im Wege stehenden Schwierigkeiten verwirklichen lassen werde. Tief war er deshalb enttäuscht, als er etwa Ende Juni erkennen mußte, daß ein offener, zu großen Dimensionen sich entfaltender Krieg der gegen die habsburgische Übermacht eingenommenen Staaten sich zunächst nicht zustandebringen ließ. Lediglich Bethlen Gabor zeigte sich entschlossen, mit seiner ganzen Macht zu Felde zu ziehen. Die Pforte jedoch beschränkte sich darauf, der Armee des Großfürsten ein allerdings beachtliches, vornehmlich bosnisches Hilfskorps anzugliedern. Ebenso mußte Camerarius im Haag feststellen, daß die Niederlande zwar im höchsten Maß an einer möglichst weitgespannten kriegerischen Aktion gegen das Haus Habsburg interessiert waren. Doch nahm der Kampf gegen Spanien an ihrer Südgrenze sie so in Anspruch, daß es über ihre Kraft ging, auch noch direkt in den deutschen Krieg einzugreifen, zumal die Generalstaaten befürchten mußten, dann auch die ligistischen und kaiserlichen Truppen auf ihr Gebiet herüberzuziehen. Immerhin jedoch taten die Vereinigten Provinzen durch den Kampf, den sie mit aller Kraft und zeitweilig auf Leben und Tod gegen Spanien führten, das Ihre, einen Krieg in großen Dimensionen zu entwickeln. Um vieles mehr enttäuschte Camerarius deshalb die Haltung von Frankreich und dessen italienischen Bundesgenossen. Wohl hatten diese Mächte im Februar 1623 ein Kriegsbündnis abgeschlossen. Es hatte bekanntlich den nächsten Zweck, das Veltlin der spanischen Herrschaft wieder zu entziehen und die alten Verhältnisse hier aufs neue herzustellen. Doch bestand zunächst berechtigter Anlaß zu weitergehenden Hoffnungen, wenn Frankreich, Venedig und Savoyen einmal offen gegen Spanien und Österreich aufgetreten und ihre Streitkräfte vorgerückt wären, welche die für die damalige Zeit Achtung gebietende Stärke von 40 000 Mann haben sollten. Es konnte als gut möglich gelten, daß dann ein weiteres Vorgehen gegen die spanisch-österreichischen Positionen erfolgen und ein großer Krieg sich entspinnen würde, der sich gegen die Zentren der habsburgischen Macht richtete und in dessen Verlauf Frankreich notwendigerweise daran interessiert sein mußte, die Spanier auch vom Mittelrhein und damit aus der Pfalz zu verdrängen. Allein im Sommer des Jahres 1623 zeigte es sich,

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daß die französisch-italienische Koalition einen Krieg mit Spanien im Grunde scheute. Begierig griff sie deshalb nach einem Ausgleich in der Veltliner Frage, den der Papst vermittelte, und nahm von nun an, nachdem in der Ostschweiz die spanische Macht wenigstens wieder etwas eingeschränkt war, von allen direkten kriegerischen Aktionen entschieden Abstand. Andreas Pawell konnte daher in Paris nicht das ausrichten, was Camerarius wünschte. Die pfälzischen Vorschläge und Bitten fanden taube Ohren. Camerarius war mit Recht der Ansicht, daß in Paris die pfälzische Politik von der bayrischen überspielt worden war. Das bis in die dreißiger Jahre hinein zu beobachtende Streben Frankreichs hatte sich aufs neue geltend gemacht, in Deutschland ein Gegengewicht gegen die habsburgische Macht lieber dadurch zu schaffen, daß man mit dem glaubensverwandten Bayern zusammenarbeitete, anstatt die calvinistischen Pfälzer zu unterstützen. Schon 1620 hatte diese Tendenz Camerarius’ Politik vereitelt, als unter französischer Vermittlung die Union in Ulm den Neutralitätsvertrag mit Bayern schloß. Jetzt sah er seine Absichten zum Teil aus demselben Grund ein zweites Mal zunichtegemacht. Seine eigenen, von jeher gehegten Bedenken gegen das Bündnis mit einer katholischen Macht, wie sie bei der starken und einseitigen konfessionellen Bindung seiner Diplomatie nur zu erklärlich waren, wurden durch die Feststellung verstärkt, daß dieselbe konfessionelle Abneigung auch im französischen Kabinett bestand. Seine Politik nahm daraufhin einen noch um vieles einseitigeren evangelischen Charakter an. Seitdem 1623 der neuerliche Annäherungsversuch an Paris gescheitert war, wandte Camerarius sich in seiner Bündnispolitik bewußt von der klassischen Form der Anlehnung an Frankreich ab und bezweifelte auch als schwedischer Gesandter Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre die Möglichkeit des für Stockholm so wichtigen Zusammengehens mit Paris. Daß seine Politik 1620 und 1623 von Frankreich gestört und abgelehnt worden war, war sozusagen Wasser auf seine Mühlen. Hatte er als Leiter der Exilregierung zunächst versucht, die unbedingte Kriegspolitik durchzuführen, indem er sich an Frankreich anschloß und dadurch in vielem zu dem Bündnissystem zurückkehrte, das bis 1610 geherrscht hatte, so sah er sich nunmehr genötigt, bei seinen Allianzbemühungen bisher noch selten begangene neuartige Wege einzuschlagen. Diese Änderung äußerte sich zunächst darin, daß sich das Interesse, das er stets für den böhmischen Raum an den Tag gelegt hatte, bei ihm weiter verstärkte. Ebenso wuchs noch sein trotz aller schlechten Erfahrungen immer wieder hervortretendes Vertrauen auf die östlichen Bundesgenossen, vor allem Bethlen Gabor. Die eigentliche Bedeutung der Abkehr von Frankreich lag aber darin, daß Camerarius in den folgenden Jahren um so intensiver danach strebte, Schweden für die pfälzische Sache zu gewinnen und mit diesem Bemühen auch schließlich Erfolg hatte. Damit führte er eine Bündniskonstellation herauf, die sich der um die Jahrhundertwende vorhandenen in vielem an die Seite stellen konnte, gleichzeitig aber durchaus neuartig war. Das sich vornehmlich auf kleinere Mächte stützende Bündnissystem, das zur Zeit der böhmischen Expedition vorgeherrscht hatte, ebenso wie das Vertrauen auf eine begrenzte und dadurch von vornherein nicht ausreichende

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Hilfe Englands und Dänemarks, das von 1620 bis 1622 auch Camerarius erfüllte, wurde schließlich abgelöst von einer Allianz, die der pfälzischen Sache endlich wieder einen machtvollen Rückhalt gab. Wieder fand sich wie einst in Heinrich IV. von Frankreich in Gustav Adolf ein großer Führer im Kampf gegen den habsburgischen Block, und man trachtete nicht mehr mit kleinlichen Mitteln vergeblich nach großen Zielen. Das Zusammengehen mit Frankreich, das nach 1610 ein Ende fand, hatte den konfessionellen Gegensatz an die alte politische Rivalität zwischen Frankreich und Spanien geknüpft. Camerarius dagegen rief in Schweden eine neue Großmacht auf den Plan, die bisher in Mitteleuropa noch nie mitgesprochen hatte. Damit traten die religiösen Ideen, um die gekämpft wurde, nicht nur klarer als in der Zeit des Anschlusses an England und Dänemark, sondern auch noch eindeutiger als vor 1610, der ersten Phase der pfälzischen Bündnispolitik des 17. Jahrhunderts, hervor. Die staatlichen Interessen der Pfalz in dem neuen Bund zur Geltung zu bringen, war jedoch viel schwieriger, und wir werden im Folgenden sehen, wie Camerarius zwar die Ideen, um die es ihm ging, durch den Anschluß an Schweden zu retten vermochte, dem Neckarstaat aber nicht den Platz unter den europäischen Mächten erwirken konnte, auf den in den ersten beiden Dezennien des Jahrhunderts gehofft werden konnte. Nur der staatliche Fortbestand des Kurfürstentums in beschränktem Umfang ließ sich erreichen. Die großen politischen Aussichten der Jahrhundertwende hingegen blieben undurchführbar. Weniger im Zug seines üblichen Denkens lag die zweite Lehre, die 1623 aus dem Scheitern des großen Kriegsplanes folgte, die Feststellung, daß die Mühen unabsehbar waren, die es kosten mußte, bis eine große europäische Kriegskoalition gegen die habsburgische Macht wirklich in Aktion trat, und daß bei allen kriegerischen Regungen 1623 noch nicht das Jahr war, in dem die Dinge zur Perfektion gelangten. Trotzdem hielt Camerarius, mochten dem großen Krieg noch soviele Schwierigkeiten im Wege stehen, unverrückt an dem Ziele fest, daß die antihabsburgischen Reiche mit ihrer ganzen Kriegsmacht in den Kampf eintreten müßten. Es bedeutete deshalb im Grunde eine Enttäuschung für ihn, daß er 1623 als das einzige handgreifliche Resultat seiner Koalitionsbemühungen ansehen konnte, daß – abgesehen von dem Vorgehen Bethlen Gabors – es möglich wurde, den Kampf durch Kondottieren aufs neue aufzunehmen. Erkannte Camerarius doch klarer als viele zeitgenössischen Politiker, daß die Kräfte dieser Söldnerführer kaum ausreichten, um befriedigende Erfolge zu erzielen. Zudem hegte er infolge seiner von der der meisten Kondottieren so überaus unterschiedlichen Gesinnung gegen sie eine noch größere Abneigung als viele andere Diplomaten seiner Zeit. Als besonders lästig empfand er deshalb sein Geschick, daß auch 1623 und in den beiden folgenden Jahren jene Gegenseitigkeit zwischen seiner und der Kondottieren Tätigkeit bestehen blieb. Gerade in seinem Verhältnis zu Moritz von Oranien hatte sich aufs neue gezeigt und alle anderen Ereignisse machten es ebenso klar, wie seine Bedeutung bis zur Übernahme des schwedischen Gesandtenpostens im Haag 1626 und auch dann noch zum Teil darauf beruhte, daß er Vorschläge machen und Gedanken äußern konnte, die andere Staatsmänner zwar ebenfalls hegten, die in aller Schärfe und Öffentlichkeit zu

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verbreiten für diese aber im Augenblick noch zu gefährlich war. Auf derselben einstweiligen Zurückhaltung der antihabsburgischen Mächte aber beruhte es, daß diese Staaten auch 1623 noch lieber Söldnerführer gegen die habsburgischligistische Koalition vorschickten, beziehungsweise deren selbständiges Vorgehen guthießen und mehr oder weniger unterstützten, als selbst in den Kampf einzutreten. So groß sein Widerwille aber auch sein mochte, bei der Notlage der pfälzischen Sache mußte Camerarius froh sein, daß 1623 dank englisch-französischer Unterstützung wenigstens die Tätigkeit von Mansfeld und Christian von Braunschweig wieder auflebte. Er verfolgte deshalb, je mehr er sah, daß ein direktes Vorgehen der großen Mächte, besonders Frankreichs und seiner italienischen Bundesgenossen, vorerst kaum in Frage kam, auch diese zweite, wenngleich längst nicht so aussichtsreiche Möglichkeit, gegen die kaiserlich-ligistische Macht militärische Kräfte zu mobilisieren und dadurch die Restitution herbeizuführen, nicht mit Begeisterung, aber doch mit Eifer. Unter der Voraussetzung, daß der Administrator von Halberstadt und Mansfeld sich wie im Vorjahr in den Dienst der bewaffneten Restitution Friedrichs V. stellten, bemühte sich Camerarius, bei den verschiedenen Mächten Geldmittel für den Unterhalt ihrer Streitkräfte flüssig zu machen. Zeitweise hoffte er sogar, König Jakob von England trotz dessen damaliger Friedensabsichten dazu zu vermögen, daß er seinem Schwiegersohn finanziell ermögliche, mit einer eigenen Armee gemeinsam mit den Söldnerführern zu Felde zu ziehen, eine Hoffnung, die sich nur zu bald als vergeblich erwies1. So blieben 1623 außer den auf die Operationen an ihren Grenzen sich beschränkenden Niederländern nur Mansfeld und Christian von Braunschweig als aktive militärische Faktoren im Westen und Norden übrig, die, um die habsburgischligistische Macht ernsthaft zu treffen, entweder mit Prinz Moritz zusammenwirken oder entsprechend der eigentlichen Konzeption von Camerarius im selben Moment, da Bethlen Gabor die Stammlande Kaiser Ferdinands von Südosten her angriffe, gegen diese von Nordwesten vorgehen konnten. Bereits bald nachdem die beiden Kondottieren von Friedrich im Sommer 1622 abgedankt worden waren, hatten sie die Niederlande zur Übernahme ihrer Armee zu verpflichten vermocht. Sie hatten sich darauf nach den spanischen Niederlanden und von hier auf das Gebiet der Generalstaaten durchgeschlagen, und im Winter von 1622 auf 1623 erschienen Mansfeld und Christian von Braunschweig persönlich im Haag, um die Generalstaaten zu neuen Leistungen zu veranlassen und damit die Erhaltung und Ergänzung ihrer Armee zu ermöglichen. Bereits damals verwandte sich offenbar die pfälzische Exilregierung für sie bei Prinz Moritz und setzte diese diplomatische Unterstützung in den folgenden Monaten fort, in denen Mansfeld mit niederländischem Geld eine neue Armee aufbaute und mit ihr in Ostfriesland Stellung nahm, während sich der Administrator von Halberstadt weiter südwestlich im Gebiet der Bischöfe von Münster und Paderborn und in den welfischen Besitzungen lagerte. Die Söldnerführer hatten also eine Ausgangsposition inne, von der aus es durchaus möglich war, 1



Rusdorf an Friedrich V., London 4. 5. 1623, Mémoires 21.

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Operationen zu beginnen, wie Camerarius sie allenfalls für sinnvoll hielt. Da aber machte sich aufs neue der Einfluß Frankreichs in ungünstiger Weise geltend, das seit Juni 1623 Mansfeld finanzierte. Denn die Richtung, die den Kondottieren für ihre Aktion von der französischen Politik vorgezeichnet wurde, lief seinen Ansichten ebenso zuwider, wie an sich das nur indirekte Eingreifen Frankreichs in die deutschen Verhältnisse durch Vorschieben der Söldnerführer seinen Wünschen durchaus nicht entsprach. Mansfeld erhielt als Operationsgebiet seiner Armee für später die Franche-Comté zugewiesen. Zunächst aber sollte er sich lediglich für alle Fälle bereithalten, womit es denn auch sein Bewenden hatte, bis Mansfeld im Frühjahr 1624 seine noch immer in Ostfriesland stehende Armee abdankte, ohne nach Burgund gezogen zu sein oder auf dem deutschen Kriegsschauplatz etwas Wichtiges ausgerichtet zu haben. Mansfeld fiel also ab Juni 1623 für eine gemeinsame Aktion mit Bethlen Gabor aus. Und auch Christian von Braunschweig, der somit hierfür als einziger übrig blieb, vermochte weder zu einer wirksamen Zusammenarbeit mit Bethlen Gabor noch mit Moritz von Oranien zu gelangen. Noch bevor eine gemeinsame Aktion zustandekam, wurde vielmehr seine Armee von den ligistischen Truppen Anfang August 1623 bei Stadtlohn annähernd vernichtet. So hatten sich die Söldnerführer zum zweiten Mal unfähig erwiesen, die pfälzische Sache in der von Camerarius gewünschten Weise zu fördern. Als einziges von dem, was er geplant hatte, blieb die Aktion des Großfürsten von Siebenbürgen übrig. Sie wurde zwar mit Kraft begonnen, konnte aber allein der pfälzischen Sache keine Rettung bringen. Nach anfänglichen Erfolgen sah Bethlen sich im November 1623 genötigt, in einen Waffenstillstand zu willigen und im Mai des folgenden Jahres Frieden zu schließen, in dem er sogar auf die schlesischen Fürstentümer Oppeln und Ratibor verzichten mußte, die Erwerbungen des Feldzugs von 1621 und des Friedens von Nikolsburg. So mußte Camerarius sich zu Beginn des Herbstes 1623 sagen, daß fürs erste wenigstens alle seine Bemühungen gescheitert waren. Ein großes Kriegsbündnis hatte sich als zunächst undurchführbar erwiesen, und der von Christian von Braunschweig und Bethlen Gabor mit begrenzten Kräften vorgetragene Angriff war aufs neue abgeschlagen worden. Kühn war das System von Gedanken und Zielen, das Camerarius entwickelt hatte, und mit Mut, Beharrlichkeit und einer gewissen Eleganz vertrat er mit seiner ganzen Diplomatie diese Konzeption. Allein der Erfolg, den er bei den übrigen Höfen und Regierungen bisher mit seinem Werben zu erzielen vermocht hatte, konnte alles andere als befriedigend oder auch nur ermutigend genannt werden. Wohl ließ sich vielerorts eine kriegerische Regung spüren. Doch damit war es bei weitem noch nicht getan, und wenn ihm sein Optimismus auch nie verloren ging, so drückte es ihn doch nieder, daß er für seinen politischen Idealismus eigentlich bei keiner der europäischen Mächte – abgesehen höchstens von den Niederlanden und Siebenbürgen – das Verständnis gefunden hatte, das er sich erhoffte. Seit fast drei Jahren, seit der Schlacht am Weißen Berg, hatte er erst als Gesandter, dann als Leiter der pfälzischen Exilpolitik der Reihe nach fast allen Regierungen, die für eine Hilfsleistung in Frage kamen, seine Ideen vorgetragen und sie für seine Pläne vergeblich zu erwärmen versucht. Die Unionsmitglieder, die niederdeutschen Reichsstände, die Kurfür-

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sten von Sachsen und Brandenburg, die Könige von Dänemark, England und Frankreich, sie alle hatten seinen Anliegen und Wünschen die kalte Schulter gezeigt. Und nicht nur im Verkehr mit den fremden Höfen stand Camerarius mit seinen Plänen und Gedanken allein. Auch im Kreis der pfälzischen Politiker galten seine Pläne als so kühn, daß sie nur von den Allergetreuesten geteilt wurden. Es bedeutete für Camerarius deshalb keinen geringen persönlichen Trost, daß ihm bereits im Frühjahr 1623 eine wichtige andere Bindung und Unterstützung erwuchs, die auch eine Aufbesserung seiner Einkünfte versprach: Seine Berichterstattung nach Schweden kam wieder in Gang. Schon in Prag hatte er ihr eine Zeitlang obgelegen. Wahrscheinlich bereits seit der zweiten Hälfte des Jahres 1619 war er gehalten, gegen eine feste Jahrespension nach Schweden regelmäßige Berichte zu senden2. Es war eine Nebentätigkeit, wie sie dem Brauch der Zeit nicht widersprach und wie sie sich ebenfalls mit den Zusagen vereinbaren ließ, die Camerarius bei seiner Ernennung zum Geheimen Rat, und auch schon früher, gegeben hatte, ohne Erlaubnis seines Herren keine Dienstverpflichtungen Dritten gegenüber einzugehen. Denn allem Anschein nach wurde Friedrich V. über das neue Korrespondentenverhältnis von Camerarius in Kenntnis gesetzt und um seine Einwilligung gebeten, die offenbar ohne Widerstreben erfolgte. Auch war es ein naher Verwandter des Winterkönigs, der schon erwähnte Pfalzgraf Johann Kasimir von Pfalz-Zweibrücken-Kleeburg, der wahrscheinlich in erster Linie die nebenamtliche Anstellung vermittelte. Mit Johann Kasimirs gleichnamigem bedeutendem Vorfahr, dem zweiten Sohn Kurfürst Friedrichs III. und Administrator der Pfalz in den er eignisreichen Jahren von 1583 bis 1592, war Camerarius nicht mehr persönlich bekannt geworden. Des Administrators Johann Kasimir Lebenswerk aber hatte, wie sich bereits zeigte, großen Einfluß auf seine eigene Entwicklung als Politiker gehabt. Mit dem um eine Generation jüngeren zweiten für die Geschichte der Pfalz und darüber hinaus der evangelischen Sache im 17. Jahrhundert bedeutsamen Träger des Namens Johann Kasimir stand Camerarius dagegen offenbar schon seit langem in relativ naher persönlicher Beziehung, und dieser Konnex wurde für seinen Lebensgang ebenso wichtig wie das Vorbild, das ihm der Administrator Johann Kasimir gegeben hatte. War Johann Kasimir von Pfalz-Zweibrücken-Kleeburg es doch, der 1615 Katharina, König Gustav Adolfs von Schweden ältere Schwester, heiratete und dadurch zum Stammvater der schwedischen Könige aus dem Haus der pfälzischen Wittelsbacher wurde3. Die alten Beziehungen zwischen den Wasas und dem Heidelberger Hof realisierten sich in dieser Verbindung aufs neue, und die Stellung, die Johann Kasimir bald in Schweden einnahm, wurde für den ganzen weiteren Lebensgang von Camerarius von großer Wichtigkeit, da der Pfalzgraf sich ihm gegenüber stets als warmer Gönner erwies. 2

Camerarius an D. Schwebel, Prag 15. 1. 1620, SRA, Stegeborgs samlingen; Oxenstierna an Pfalzgraf Johann Kasimir, Stockholm 14. 2. 1620, OSB I, 2. 3 An dieser Stelle sei nochmals verwiesen auf die im Entstehen begriffene Biographie des Pfalzgrafen von Herrn Dr. Åke Kromnow, Direktor des Archivs des schwedischen Außenministeriums.

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Nicht weniger bedeutsam war das wohlwollende Interesse, das Gustav Adolf an der böhmischen Expedition nahm. Geradezu mit einer gewissen Dankbarkeit erkannte Camerarius schon früh, daß die pfälzische Großstaatspolitik, die im Griff nach der Wenzelskrone gipfelte, in Stockholm mehr Verständnis fand als in den meisten anderen Residenzen. Diese Bejahung und gleichzeitig der Widerstand, den er andernorts erfuhr, dürfte der erste Anlaß für die Hinneigung gewesen sein, die Camerarius schon früh Schweden gegenüber empfand. Andererseits lag in der vergleichsweise positiven Einstellung Gustav Adolfs gegenüber dem böhmischen Unternehmen einer der Gründe dafür, daß dem König von vornherein ein Berichterstatter lieb war von der Gesinnung, die Camerarius an den Tag legte. Wie überhaupt die Depeschen von Jan Rutgers, dem Gesandten, den der schwedische König nach Prag schickte, zwar ebenfalls bedenklich, aber im Vergleich mit den Berichten der anderen ausländischen Vertreter doch immerhin relativ günstig lauteten, so war in ihnen von Camerarius ganz im Gegensatz etwa zu den Darstellungen des kursächsischen Agenten Lebzelter stets nur mit Achtung die Rede4. Nach der Flucht aus Böhmen schlief des Camerarius Tätigkeit als Korrespondent in schwedischem Dienst zunächst wieder ein, wohl vor allem, weil das anfängliche unruhige Wanderleben ihn nicht mehr zum Berichten kommen ließ und er vielleicht auch nicht mehr über so viel Berichtenswertes verfügte wie in Prag. Schon in Bremen aber, seit dem Sommer 1622, hatte er sich aufs neue bemüht, wieder in Verbindung mit Stockholm zu kommen. Wie schon 1619 und 1620 dürfte dabei auch diesmal wieder Pfalzgraf Johann Kasimir der wichtigste Vermittler und Fürsprecher gewesen sein, der inzwischen ganz nach Schweden übergesiedelt war und hier immer größeren Einfluß auf das Staatswesen gewann. Nächst Johann Kasimir war es wahrscheinlich Jan Rutgers, der sich aufs neue für Camerarius verwandte. Die Nöte einer Winterreise nach Norddeutschland, die sie nach der böhmischen Katastrophe auf weiten Strecken gemeinsam bewerkstelligten, hatten sie einander noch näher gebracht als die Prager Zeit. Camerarius empfand es deshalb mit Recht als ein Glück, daß er schon Anfang 1623 damit rechnen konnte, daß Rutgers offizieller schwedischer Resident in den Niederlanden wurde, nachdem er hier schon von Oktober 1621 bis Sommer 1622 gewirkt hatte. Wir können es für die wahre Meinung von Camerarius halten, wenn er an Oxenstierna über Rutgers schrieb: „… Amo et observo virum optimum et eruditissimum“5. Wie positiv Rutgers seinerseits über Camerarius urteilte, zeigte sich schon früher. Außer der Fürsprache von Johann Kasimir und Rutgers glaubte sich Camerarius 1622 auch noch der Verwendung Christians von Anhalt bedienen zu sollen, der sich ja, bevor er von Flensburg aus seine Aussöhnung mit dem Kaiser betrieb, ein halbes Jahr in Schweden aufgehalten hatte. Camerarius hoffte offensichtlich, als er im Sommer 1622 in neuerliche Verbindung mit Christian von Anhalt trat, dadurch auch weitere Kontaktmöglichkeiten mit Stockholm und Kopenhagen zu erlangen, und brauchte immer4 5



Die diesbezüglichen Briefe von Rutgers, in: SRA, Ox. slg. Haag 25. 5. 1623, Universitätsbibliothek Upsala, Handschrift E 388.

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hin einige Monate, bis er erkannte, wie wenig Christian noch an beiden Höfen galt. Im Frühjahr 1623 erhielt Camerarius von Pfalzgraf Johann Kasimir die Weisung, nicht mehr, wie er es offenbar seit dem Herbst des Vorjahres getan hatte, nur an den Pfalzgrafen zu schreiben, sondern Oxenstierna auch direkt zu berichten6. Von diesem Zeitpunkt an erhielt er offenbar auch wieder, wie schon 1620, von Schweden ein festes jährliches Salaire, das immerhin schon für das Jahr 1623 400 Imperialen betrug, also das Vierfache von dem, was er jährlich von Christian von Anhalt für seine Korrespondententätigkeit empfing7. Seine Berichte an Oxenstierna setzten wahrscheinlich im Februar 1623 ein und nahmen von nun an in ununterbrochener Folge über mehr als fünfzehn Jahre ihren Fortgang8. Zunächst scheint Camerarius noch nicht so oft geschrieben zu haben wie später als Gesandter oder auch, nachdem Ende 1623 sein Anstellungsverhältnis als Korrespondent ein noch festeres wurde. Nach den vorhandenen, in dieser Zeit allerdings nicht vollständig, und zum Teil nur durch Abschriften in Upsala überlieferten Depeschen zu schließen, rapportierte er vom Frühjahr bis zum Herbst 1623 nur ein- oder zweimal im Monat. Außer seiner ein erstes Mal im September 1623 an ihn abgeschickten Bezahlung wurden Camerarius noch spezielle Gelder zur Verfügung gestellt, um sich Nachrichten aus Italien zu verschaffen. Solche Nachrichten waren ja von besonderem Gewicht bei der Bedeutung, die die Veltliner Frage und die Haltung der italienischen Mächte für die gesamte europäische Politik besaß. Camerarius gab, was er aus Italien erfuhr, in seinen Briefen an Oxenstierna weiter und verband damit das, was ihm aus den anderen Ländern Wissenswertes zugegangen war. So entwarf er in jedem seiner Berichte ein meist anschauliches Bild von der Gesamtlage, und gewöhnlich fehlte diesem Bild auch die Originalität nicht, da Camerarius mit seiner eigenen Meinung nicht zurückhielt. Er vertraute Oxenstierna auch bereits so weit, daß er ihm einen Überblick wenigstens über die große Linie der pfälzischen Exilpolitik verschaffte, ohne ihm freilich bereits alle Einzelheiten darzulegen. Hin und wieder ließ Camerarius auch schon einfließen, daß er auf Gustav Adolf als Retter aus aller gegenwärtigen Not hoffe. Schon am 11. März 1623 findet sich eine diesbezügliche versteckte Andeutung, wenn es heißt „actum est de libertate principum, nisi Deus veluti e machina herculem aliquem nobis submiserit“9. Sie ist charakteristisch für seine optimistische Überzeugung, daß eines Tages ein völliger Umsturz eine schlagartige Rettung aus der momentanen verzweifelten Situation bringen werde, ein Glaube, an dem er unverrückt festhielt, bis nach sieben Jahren tatsächlich Gustav Adolf als der langersehnte Vindex und Liberator nach Deutschland kam. Bis es so weit war, lag noch ein langer Kampf vor Camerarius, und auch bis er seine hauptsächlichen und festen Hoffnungen gerade 6

Camerarius an Johann Kasimir, Bremen 17. 11. 1622, SRA, Stegeborgs samlingen. Oxenstierna an Camerarius, Gripsholm 16. 9. 1623, OSB I, 2. 8 Der erste Brief, den ich finden konnte, trägt das Datum Haag 19. 3. 1623 (Universitäts­ bibliothek Upsala, E 388). In ihm erwähnt Camerarius aber bereits mehrere frühere Schreiben. 9 Camerarius an Oxenstierna, Haag 11. 3. 1623, Universitätsbibliothek Upsala, E 388. 7

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auf Schweden und dessen König zu setzen anfing und alle Überredungskunst aufwandte, ihn zum Eingreifen in den deutschen Krieg zu bringen, vergingen noch einige Monate. Immerhin, der Gedanke begann sich schon seit dem Frühjahr 1623 allmählich bei ihm zu bilden, so wie er auch schon in seiner Prager Zeit gelegentlich aufgetaucht war. „Deus fortissimo prudentissimoque regi Sueciae Domino Nostro Clementissimo tanquam salutari instrumento utetur ad compescendam hostium insolentiam …“10. Dies war die noch ganz allgemein formulierte Hoffnung, die Camerarius im Hinblick auf Schweden seit dem Frühjahr 1623 wieder zu hegen anfing, ein Wunsch, in dem, wie die beiden Zitate andeuten, auch bereits leise eine religiös bestimmte und dadurch zwar gemäßigte, aber doch starke Heroenverehrung für Gustav Adolf anklang, die in den folgenden Jahren ein weiterer Wesenszug der nunmehr in der Hoffnung auf Schweden gipfelnden Kriegspolitik von Camerarius wurde. Wenn er also schon zu Beginn des Jahres 1623 wieder persönlichen Kontakt mit den schwedischen Staatslenkern gewann und hin und wieder sich hoffnungsvoll über Gustav Adolf äußerte, so stand Schweden doch in seinen Bündniskombinationen zunächst noch hinter anderen Mächten zurück. Die französischitalienische Koalition, die Hilfe der Niederlande, der Angriff Bethlen Gabors, die Haltung der deutschen Fürsten und Dänemarks beschäftigten ihn zunächst mehr. Wohl durfte er bereits die Hoffnung hegen, daß man in Schweden mehr Verständnis für seine Ideen aufbrachte als an vielen anderen Höfen, und 1619 und 1620 war der Gedankenaustausch zwischen Schweden und der Pfalz über ein Bündnis bereits ein lebhafter gewesen. Doch der Krieg gegen Polen, den Schweden 1621 aufs neue begann, entrückte es zunächst wieder den deutschen Angelegenheiten. Allzu abenteuerlich, weit hergeholt und undurchführbar erschien damals selbst Camerarius der Gedanke einer gemeinsamen großen militärischen Aktion der schwedischen und restlichen pfälzischen Macht gegen den von der habsburgischen Ländermasse und Polen gebildeten katholischen Block. Zunächst dachte auch er an Bundesgenossen, die näher waren und allem Anschein nach über eine bedeutend größere Macht und Erfahrung verfügten als der junge Wasa mit seinen immerhin angezweifelten Thronrechten und seinem armen und dürftigen Land, fern im höchsten Norden, das bisher noch nie die Kraft bezeigt hatte, in die mitteleuropäischen Verwicklungen einzugreifen. Auch Camerarius erschien deshalb der mächtige und im Kalmarkrieg gegen Schweden siegreiche Christian IV. von Dänemark zunächst als der wertvollere und gegebenere Bundesgenosse, bis ihn die persönliche Abfuhr, die er im Frühjahr 1622 in Kopenhagen erhielt, und die Eindrücke, die er hier gewann, über die Möglichkeit und den Wert dänischer Hilfe früher eines Besseren belehrten als die meisten europäischen Diplomaten. Nachdem im Verlauf des Jahres 1623 auch die Aussichten, Bundesgenossen im Westen und Süden zu gewinnen, für Camerarius nur Enttäuschungen gebracht hatten, und nachdem gleichzeitig bekannt wurde, daß der schwedisch-polnische Krieg zu einer Beruhigung gelangt und mit einem Waffenstillstand abgeschlos10

Camerarius an Oxenstierna, Haag 3. 7. 1623, SRA, Ox. slg.

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sen war, richteten sich aber seine hilfesuchenden Blicke mit einer gewissen Notwendigkeit doch wieder nach Stockholm. Was man schon mehrmals erwogen hatte, wurde von der pfälzischen Exilregierung im Oktober 1623 zur Ausführung gebracht: Eine Gesandtschaft sollte wieder direkte Fühlung mit Gustav Adolf aufnehmen, und Camerarius übernahm es, selbst nach Schweden zu reisen. Er tat es trotz seiner für die Exiljahre charakteristischen Abneigung, sich von der Zentrale der pfälzischen Politik zu entfernen und Gesandtschaften wie früher noch selbst auszuführen. Damit zeigte er einerseits, wie sehr ihm aus persönlichen Gründen daran lag, mit den Lenkern des schwedischen Reiches, die er persönlich noch nicht kannte, für die er aber nun wieder arbeitete, in direkten Konnex zu kommen. Zum anderen dokumentierte er, welche besondere Bedeutung für die pfälzische Sache er dieser Mission beimaß. Zum äußeren Anlaß der Gesandtschaft wählte man die an Gustav Adolf, dessen Gemahlin Eleonore von Brandenburg und die Königinmutter zu richtende Bitte, bei dem jüngstgeborenen Kind des Winterkönigs Pate zu stehen. Im Gegensatz zu seiner Mission nach Dänemark anderthalb Jahre früher und auch zu den meisten anderen pfälzischen Gesandtschaften dieser Zeit, auf denen lediglich direkte Hilfsersuchen gestellt werden mußten, hatte Camerarius also diesmal den Vorteil für sich, daß er im Notfall das unverfängliche höfische Anliegen vorschieben und sich hierauf beschränken konnte. Doch zielte seine offenbar von ihm selbst aufgesetzte und eigenhändig korrigierte Instruktion von vornherein darauf ab, auch ein Gespräch über die Gesamtlage herbeizuführen, wenn möglich schwedische Hilfe zu gewinnen und gemeinsame Aktionen zu verabreden11. Freilich waren in dieser Hinsicht seine Ziele noch keineswegs so fest wie bei den anderen pfälzischen Gesandtschaften dieser Jahre. Es kam ihm zunächst vor allem auf eine allgemeine Fühlungnahme an. Wenn sich auch seine Kriegsziele erweitert hatten, war er durch die vielen Mißerfolge in dieser Hinsicht doch resignierter geworden. „Ut … aliquid agam in publicis, et ne illos quoque amicos perdamus …“, schrieb er am 12. September 1623 etwas müde an Rusdorf12. Der Reise unmittelbar voraus ging eine Fahrt nach Arnheim ins Feldlager des Prinzen Moritz, der Camerarius zu der Gesandtschaft ermuntert zu haben scheint, einer der Fälle, in denen der Einfluß des Generalstatthalters deutlich wird. Guten Zuspruch aber konnte Camerarius in diesen Wochen gebrauchen. Nicht nur alle Kriegs- und Koalitionsbemühungen waren ja gescheitert, nach wie vor drohte auch Mitte September 1623 der englisch-spanische Waffenstillstand und Ausgleich. Eben erst begann sich die Erkaltung des englisch-spanischen Verhältnisses anzubahnen, und Camerarius konnte davon bei seiner Abfahrt noch nichts bekannt sein. Kein Wunder, daß er die Reise trüben Sinnes antrat. Am 13. September 1623 verließ er den Haag13. Am 1. Oktober war er in Hamburg. Von dort ging es ohne Aufenthalt weiter nordwärts, die längste Strecke offenbar zu Schiff, quer über die Ostsee, ohne Kopenhagen zu berühren. Die 11

Instruktion: BGHA Mü., Akt 1018, s. a. Camerarius an Anhalt, Hamburg 1. 10. 1623, LSA, A 9a, 184. 12 Coll. Cam. Vol. 25. 13 Camerarius an Rusdorf, Haag 12. 9. 1623, Coll. Cam. Vol. 25.

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zweite Winterreise nach Skandinavien und diesmal noch 500 Kilometer höher in den Norden hinauf als 1622! Noch größer als das erste Mal waren deshalb nun die Unbequemlichkeiten – besonders auf der Rückreise. Und wenn Camerarius 1622 zwar auch bereits mit den Unbilden des nördlichen Winters zu kämpfen hatte, lernte er doch gleichzeitig ein überaus reiches Land kennen und sah in Kopenhagen einen der wohlhabendsten und größten nordeuropäischen Handelsplätze, eine Stadt voll üppiger Renaissancekunst, mit hohen Kirchen, Kaufmannshallen und den noch heute berühmten Prachtschlössern des kunstsinnigen Christian IV. Ärmlich und gottverlassen mußte demgegenüber Schweden wirken. Andere Reiseberichte schildern uns, wie trostlos, zumal in der nördlichen Dunkelheit des Herbstes und Winters, die meilenweiten schwedischen Wald- und Mooreinöden dem mittel- und südeuropäischen Beschauer vorkamen, wie arm und bescheiden ihn die wenigen Dörfer mit ihren engen Holzhäusern anmuteten, wie auch die Hauptstadt Stockholm auf ihren Inseln zwischen Meer und Mälarsee, mit ihren kleinen, ebenfalls meist noch aus Holz gebauten Häusern, eng und armselig wirkte und den Vergleich mit Kopenhagen ganz und gar nicht aushielt. Zu alledem grassierte in Stockholm im Herbst 1623 eine Seuche, angeblich die Pest, weshalb der Hof die Stadt verlassen hatte und es auch Camerarius zunächst nicht ratsam schien, sie zu betreten. Vielmehr nahm er, als er am 15. Oktober in Mittelschweden anlangte, zunächst in Telga Quartier, im Haus eines Offiziers, mit dem er von Travemünde an gemeinschaftlich gereist war. Hier erwartete er die Weisung Gustav Adolfs, wo er empfangen werden könnte, und war nicht wenig erleichtert, als ihn der König nach wenigen Tagen, sobald er von einer Flottenbesichtigung zurückgekehrt war, mit großer Höflichkeit zu sich bat14. Seit seinem Mißerfolg in Kopenhagen und nach der Ablehnung, die ihm persönlich ebenso wie der von ihm vertretenen Politik seit drei Jahren an den verschiedensten Stellen entgegengebracht worden war, überaus empfindlich und bei neuen Verhandlungen voller Skepsis, tat ihm die anerkennende und aufrichtige Freundlichkeit überaus wohl, mit der die Einladung erfolgt zu sein scheint. Um so mehr beeindruckte sie ihn, weil er infolge des Umstandes, daß sich die Ankunft von Rutgers im Haag bis in den Winter 1623 hinein verzögerte, vor seiner Abreise nach Schweden allem Anschein nach noch nicht in den Besitz eines Briefes von Oxenstierna vom 16. September gelangt war, den Rutgers mit sich führte, ebenso wie die erste Jahresbezahlung von 400 Talern15. Hätte dieses Geld ihm bereits die Zufriedenheit seiner schwedischen Auftraggeber beweisen können, so hätte der Inhalt von Oxenstiernas Schreiben ihm das noch viel deutlicher gemacht. Schon der Beginn des Briefes war überaus schmeichelhaft. „Plurimas abs Te accepi litteras“, schrieb Oxenstierna, „summa cum diligentia scriptas, quae clementissimo Regi meo gratae fuerunt, me autem ob rerum, quas comprehendebant, varietatem 14

Camerarius an Friedrich V., Telga 16. 10., Gripsholm 24. u. 28. 10. 1623, BGHA Mü., Akt 1018. Am 1. 12. 1623 schrieb Camerarius aus Göteborg an Oxenstierna (Universitätsbibliothek Upsala, E 388), daß Rutgers erst vor drei Wochen in Göteborg durchgereist sei.

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ac pondus maxima jocunditate affecerunt“16. Ebenso tröstlich und aussichtsreich klang der Schluß von Oxenstiernas Brief. Hieß es doch hier: „De me hoc velim tibi polliceri, nihil me intermissurum quo animum meum et fortunae tuae vel potius communis adversae condolentem et rebus tuis cumprimis faventem testari queam, sique tibi ulla in re gratificari potero, senties me paratissimum“. Daß dies keine leere Höflichkeit, sondern eine Anerkennung von höchstem Wert bedeutete, zeigte der weitere Inhalt des Schreibens. In ihm wurde Camerarius nicht nur aufgefordert, seine Berichte fortzusetzen, und zwar in verstärktem Maß. Oxenstierna ersuchte ihn auch, Rutgers bei dessen Gesandtentätigkeit zu unterstützen. „Habet“ (sc. Rutgersius) „etiam magni momenti negotia isthic“ (sc. Hagae Comitis) „conficienda, in quibus si tuo consilio atque opera ipsi quandoque opus fuerit, haud ambigo, quin sis illi adfuturus“. Welch nahe Zusammenarbeit aber Oxenstierna bereits im Sommer 1623 zwischen Rutgers und Camerarius wünschte, daß er letzterem geradezu die Funktion eines Adlatus für Rutgers zudachte, zeigt die Instruktion für Rutgers vom 17. August 1623, die mit dem Satz anfängt: „Cum Ludovico Camerario communicabit sua consilia, sub fide silentii, ipsique significabit et aperiet …“, worauf die gesamten Vorschläge angeführt wurden, die Rutgers den Generalstaaten unterbreiten und also insgesamt Camerarius mitteilen sollte17. Da Rutgers erst nach des Camerarius Rückkehr von Schweden im Haag ankam, beide Männer sich auch offenbar nirgends auf halbem Weg trafen, da Camerarius ferner in keinem seiner vor oder während der Reise geschriebenen Briefe etwas von Oxenstiernas Lob erwähnt, liegt also die Annahme nahe, daß er nach Schweden kam, noch ohne im einzelnen zu wissen, ob man hier mit seiner Berichterstattung zufrieden war und wie man von ihm und der pfälzischen Sache weiter dachte. Kein Wunder also, daß er mit größter Spannung der ersten Audienz bei Gustav Adolf entgegensah und schon durch die freundliche Formulierung der Einladung sich erleichtert fühlte. Camerarius wurde am Montag, den 23. Oktober 1623, auf Schloß Gripsholm empfangen, jenem ehrwürdigen und sagenerfüllten Zentrum schwedischer Geschichte, dessen vier rote Backsteintürme sich noch heute im Mälarsee spiegeln18. Neben Vadstena, Kalmar und dem Stockholmer Stadtschloß war Gripsholm damals wohl das größte der königlichen Schlösser in Schweden, und doch erschien es Camerarius, als er Gripsholm vor sich sah, eng und klein. Seine Reiseberichte enthalten sich im allgemeinen der Bemerkungen über die Beschränktheit der schwedischen Verhältnisse. Hierauf besonders hinzuweisen lag ja nicht in seinem und seiner Pläne Interesse, nachdem er spürte, daß man ihm und seinen Ideen in Schweden, so ärmlich das Land auch sein mochte, soviel Entgegenkommen und Verständnis erwies wie nirgendwo anders. 16

Oxenstierna an Camerarius, Gripsholm 16. 9. 1623, OSB I, 2. Auch die in OSB herausgegebenen und dort nach dem Alten Stil angegebenen Schriftstücke sind im Folgenden nach dem Neuen Stil zitiert. 17 OSB I, 2. 18 Über die Audienz s. Camerarius an Friedrich V., Gripsholm 28. 10. 1623, BGHA Mü., Akt 1018, u. Camerarius an Rusdorf, Haag 24.12.1623, Coll. Cam. Vol. 25.

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Von Gripsholm aber erwähnte Camerarius in einem seiner Briefe an den Winterkönig, daß es hier im Vergleich mit deutschen Schlössern, besonders mit dem, was die Pfälzer von Heidelberg und Prag her gewohnt waren, nicht wenig beengt zugehe19. Ein zweites Mal deutete er dem Vertrauten Rusdorf gegenüber 1626 bei seinem zweiten Aufenthalt in Schweden an, wie sehr auch ihn die nördliche Kälte und die unermeßliche Weite und winterliche Öde des Landes beeindruckten. „Nihil … de Septentrionali hoc frigore dicam, quod facile illum“ (sc. Camerarium) „posset penitus exstinguere“, und er fügt mit einem gewissen Schaudern bei, daß er beinahe noch weiter hätte reisen müssen, um den König zu treffen, von Stockholm „per immensa illa terrarum spatia, cum sinus Finnicus et Bodnicus, nec per glaciem, nec per aquas sine periculo transmitti posset per Russiam in Livoniam“20. Eigentlich sollte Camerarius eine eigens von Stockholm herbeorderte repräsentative Staatsgaleere von Telga auf dem Mälarsee nach Gripsholm bringen. Sie langte jedoch nicht zur Zeit an, so daß ein anderes Schiff genommen werden mußte. Die letzte Wegstrecke wurde in zwei sechsspännigen königlichen Leibkarossen zurückgelegt. Camerarius, der aus Raummangel in einem Haus neben dem Schloß untergebracht wurde, traf den König zu guter Stunde. Während er in Gripsholm war, wurde Gustav Adolf das erste Kind, eine Tochter, geboren, und der ganze Gripsholmer Hof befand sich in der freudigen Hochstimmung und Unruhe, die ein solches Ereignis hervorzurufen pflegt, wenn auch ein Sohn noch willkommener gewesen wäre und die Freude sich schon in den nächsten Tagen mit Sorge verband, weil das Kind von vornherein überaus schwächlich war – es starb bereits nach einem Jahr wieder. In Gegenwart des Reichskanzlers Axel Oxenstierna, den Camerarius wie den König bei dieser Gelegenheit offenbar zum ersten Mal sah, des Reichszeugmeisters Bengt Bengtsson Oxenstierna, des Reichsadmirals Karl Karlsson Gyllenhielm und des Reichsrates Johann Skytte, also vier der höchsten Würdenträger, erteilte Gustav Adolf die Audienz „mitt unbedecktem Haupt, bey einem Disch stehend, nit weytt von der thür“21. Camerarius nahm auf die Erregung Rücksicht, die von der Geburt verursacht worden war, ebenso wie darauf, daß es schon kurz vor 12 Uhr war, als er vorgelassen wurde, und die Zeit zur Mittagstafel also heranrückte. Im Gegensatz zu seinem Verhalten in Kopenhagen anderthalb Jahre früher gestaltete er deshalb seine mündliche Proposition vor den König so kurz, wie es ihm bei der Überfülle seines Herzens möglich war22. Die Straffung seiner Gedankengänge führte dazu, daß seine Vorschläge und Anträge zwar allgemeiner formuliert blieben, andererseits aber in vielem kühner klangen als in Kopenhagen. Waren doch auch seit seinem Übergang zur unbedingten Kriegspolitik sein Denken und seine diplomatische Terminologie noch um einiges radikaler geworden. Freilich war Camerarius insofern 19

Camerarius an Friedrich V., Gripsholm 28. 10. 1623, BGHA Mü., Akt 1018. Camerarius an Rusdorf, Stockholm 11. 3. 1626, Coll. Cam. Vol. 25. 21 Camerarius an Friedrich V., Gripsholm 28. 10. 1623, BGHA Mü., Akt 1018, der Admiral hier nur Carl Carls genannt, doch ist anzunehmen, daß es sich um Gyllenhielm handelt. 22 Die Proposition in: BGHA Mü., Akt 1018, für Einzelheiten s. d. Briefe an Rusdorf. 20

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vorsichtiger als im Vorjahr in Dänemark, als er das Hilfsgesuch allgemeiner formulierte, sehr geschickt Gustav Adolf um Rat bat, wie der evangelischen Sache wieder aufzuhelfen sei und die Bereitschaft des Winterkönigs hervorhob, sich der Ansicht des schwedischen Königs zu fügen. Weniger als vor Christian IV. nahm Camerarius bei seinem Vortrag in Grips­ holm auf den Gesichtspunkt der Legitimität Rücksicht. Seinem Denken entsprechend stellte er die Bedrohung der evangelischen Sache als das zentrale Gefahrenmoment in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Dies gehe – so führte er eingangs aus – Schweden genau so an wie Deutschland, und ebenso bedrohe Habsburg das schwedische wie das pfälzische Interesse. Sodann wies er auf die Bemühungen hin, die von der pfälzischen Exilregierung unternommen worden seien, gegen diesen übermächtigen Druck die evangelischen Kräfte zu mobilisieren. Großes sei im Gang und viel stehe zu hoffen. Gleichwohl – relativ offen bekannte er es – sei die bisherige Erfolglosigkeit aller pfälzischen Bündnisbemühungen enttäuschend, vor allem wegen des Versagens der bisherigen Bundesgenossen. Sie lasse für die Causa Communis das Schlimmste befürchten, wenn Schweden sich nicht nunmehr der evangelischen Sache annehme. Dann jedoch könne man erwarten, daß auch die anderen evangelischen und antihabsburgischen Länder, durch das pfälzische Drängen vorbereitet, sich aufrafften und eine große, europäische Kriegsaktion gegen die habsburgisch-ligistische Übermacht zustandekomme. Camerarius richtete darauf die Anfrage an Gustav Adolf, in welcher Weise er zu helfen bereit sei, und deutete offenbar noch an, daß alles von der Entschlußkraft und Energie Schwedens abhänge und sich nur durch einen wirklich kraftvollen Krieg gegen den Katholizismus, einen Kampf mit dem Einsatz aller Kräfte, etwas ausrichten lassen werde. Dann aber, wenn man nur den Mut zum Großangriff habe, sei der Erfolg auch sicher zu erhoffen. Keine Rede also war mehr wie in Kopenhagen von einer nur begrenzten militärischen Aktion. Auch dachte Camerarius in Gripsholm nicht daran, die Berechtigung zum Widerstand zu erörtern und denselben gar mit den gescheiterten Friedensbemühungen zu entschuldigen. Ohne große Präliminarien steuerte er vielmehr auf den Vorschlag eines Krieges in großem Stil los. Und eben diese kriegerische Kühnheit, die seinen Ausführungen zugrundeliegende weite politische Konzeption und der gedankliche und rhetorische Schwung, alles Besonderheiten, die ihm bei Christian IV. außerordentlich geschadet hatten, waren es offenbar vor allem, die ihm sogleich das Herz Gustav Adolfs gewannen. Camerarius war von der Huld, mit der ihn der König empfing, und von dem Verständnis, das er ihm bezeigte, geradezu überwältigt. In seinen Berichten und Briefen über die Reise schildert er Gustav Adolf mit einer solchen Begeisterung, wie er sie in seinem Leben kein zweites Mal einer Persönlichkeit gezollt hat. Man kann es sagen: Diese Begegnung war die eindrucksvollste seines Lebens. Sie wurde es umsomehr, als Camerarius hier in Skandinavien sein Kopenhagener Mißerfolg naturgemäß besonders vor Augen stand. Umsomehr konnte er deshalb als Triumph empfinden, daß er nun an dem benachbarten schwedischen Hof Anerkennung fand, ohne daß er von seiner Ansicht abgewichen wäre, daß im Gegenteil die Anerkennung vornehmlich eben seinen in Kopenhagen verurteil-

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ten kühnen Plänen galt. Es hatte sich gelohnt, sich selber treu zu bleiben, und es war nur natürlich, daß eine so pedantische und ganz auf eine konsequente innere Entwicklung abgestellte Natur wie Camerarius darüber eine besondere Befriedigung empfand. Welch starken, ja faszinierenden Eindruck Gustav Adolf auf seine Verhandlungspartner zu machen pflegte, ist bekannt. Zahlreich sind die Berichte von Gesandten, die zuerst enttäuscht waren von der Ärmlichkeit des Landes und mit einer gewissen Skepsis der Begegnung mit dem König entgegensahen, dann aber sogleich gefangen wurden von dem liebenswürdigen Charme, den Gustav Adolf zu zeigen wußte, und von der Genialität, die sein ganzes Wesen offenbarte. Und tatsächlich ist es merkwürdig genug, wie dieser auch für den Geschmack des 17. Jahrhunderts, das ja ein anderes Schönheitsideal hatte als das unsere, sehr beleibte Monarch mit den langsamen und schwerfälligen, ja phlegmatischen Bewegungen dicker Leute, noch dazu stark behindert durch seine hochgradige Kurzsichtigkeit, sogleich, bei der ersten Unterhaltung bereits, seine Gesprächspartner nicht nur zu faszinieren, sondern ihnen auch das Gefühl mitzuteilen wußte, daß ein Tatmensch von seltenem Schwung, ein Feuergeist von genialem Format vor ihnen stand. Daß Camerarius vom Charme des Königs in besonderem Maß berührt wurde, erklären verschiedene Umstände. Vor allem folgt es daraus, daß seine Ausführungen sich mit den Plänen begegneten, die Gustav Adolf gerade Ende 1623 aufs neue und in stärkerem Maße als jemals hegte. Die Berichte des Pfälzers hatten es den schwedischen König bereits vermuten lassen, und der mündliche Vortrag machte es anscheinend vollends klar, daß Camerarius ihm bei der Ausführung seiner Absichten von großem Nutzen sein konnte. Diese Absichten aber gingen Ende 1623 dahin, den Krieg in Polen auszuweiten. Schon früher hatte Gustav Adolf ja der Gedanke beschäftigt, in die mitteleuropäischen Verhältnisse einzugreifen – die Verhandlungen mit der Pfalz 1619 und 1620 und die Gesandtschaft des Jan Rutgers nach Prag standen damit im Zusammenhang. Der Kampf mit Polen an der Ostseeküste und in Litauen und das Streben, das Dominium maris Baltici weiter auszubauen zunächst nur durch Kriege auf Operationsfeldern, die Schweden näher als Deutschland oder das mittlere Europa lagen, hatten den König jedoch zunächst wieder von dem Gedanken abgezogen. Die zweijährigen Operationen gegen Polen brachten Gustav Adolf zu der Einsicht, daß man gegen den Süden des Landes vorgehen mußte, um das polnische Reich vernichtend zu treffen. Gleichzeitig beobachtete er, daß der Sieg der katholischen Waffen und die erhöhte Macht des kaiserlichen Deutschland Polen neuen Halt gewährten. Das verstärkte seinen schon von jeher ausgeprägten Sinn für die Verbundenheit der gesamtevangelischen Interessen. Das Streben, den schwedischen Ostseestaat aufzubauen, verknüpfte sich somit wieder enger mit Gustav Adolfs schon drei Jahre früher bemerkbarer Neigung, auch in Deutschland und im übrigen Mitteleuropa Einfluß zu gewinnen, und beides trat in den im Denken des schwedischen Königs so überaus engen Zusammenhang mit dem Streben, die Religion zu schützen und die allgemein-evangelischen Anliegen zu vertreten. Gustav Adolf plante seit dem Sommer 1623, nach Südpolen zu marschieren und sich von hier aus gegen die böhmischen Kronländer der Habsburger zu wen-

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den. Man hoffte dabei in Stockholm, die Bundesgenossenschaft anderer habsburgfeindlicher Mächte gewinnen und diese zu selbständigem militärischem Vorgehen oder finanzieller Unterstützung vermögen zu können. Rutgers wurde im August beauftragt, hierfür die Geldhilfe der Niederlande zu erbitten und sich zu bemühen, daß Mansfeld und Christian von Braunschweig ebenfalls Böhmen zum Operationsziel nahmen. Gustav Adolf dachte also an einen Krieg, der die habsburgisch-ligistische Macht so sehr wie möglich bedrohen, der sie ins Herz treffen sollte. Eben dies aber war seit Anfang 1623 auch das Ziel von Camerarius. Ohne Bundesgenossen – das wußte Gustav Adolf – ließ sich sein Plan bei der damaligen Beschaffenheit seiner Machtmittel nicht durchführen. Alles kam also 1623 darauf an, daß er bei den Staaten im Westen Hilfe gewann. Um aber diese zu erlangen, war es nötig, daß für die schwedischen Absichten in den westlichen Hauptstädten, und besonders im Haag, Stimmung gemacht und für sie geworben wurde. Es lag auf der Hand, daß hierbei Camerarius viel nützen konnte mit seinen offensichtlichen Fähigkeiten als diplomatischer Propagandist, mit der Ähnlichkeit seiner Kriegspläne und mit seinen engen Beziehungen zu den Generalstaaten und zum Generalstatthalter, zum englischen Hof und zu den protestantischen deutschen Reichsständen. Was Gustav Adolf sich von Camerarius versprechen konnte, war also dem ähnlich, wozu Prinz Moritz von Oranien den pfälzischen Exilpolitiker verwandte. Es war dem ähnlich, ging aber gleichzeitig um vieles weiter. Denn einmal lagen die kühnen Angriffspläne und der Schwung des schwedischen Königs den eigensten Absichten von Camerarius noch näher als das vorsichtige Vorgehen des Generalstatthalters. Zum andern brachten es die Umstände mit sich, daß die Argumentationen, derer sich die schwedische Regierung bei ihrem Werben um Bundesgenossen bediente, teils aus propagandistischer Notwendigkeit, teils, weil sie ihren eigensten Ansichten entsprachen, der Gesinnung und diplomatischen Ideologie von Camerarius in ganz besonderem Maß entgegenkamen. Begründete doch der Stockholmer Hof seinen Plan, der habsburgischen Macht in Mitteleuropa entgegenzutreten, in ausschließlicherer Weise, als andere Regierungen – auch die niederländische – es taten, mit der Gemeinsamkeit des religiösen Interesses, mit der Bedrohung des Glaubens sowie mit dem Wunsch, die Restitution des Pfalzgrafen wieder herbeizuführen. Zu diesen zwei Anliegen fügten die Stockholmer diplomatischen Verlautbarungen noch ganz offen als drittes die Besorgnis, daß die freie Entwicklung und Ausdehnung der protestantischen Staaten Europas durch die wachsende habsburgische Übermacht behindert werde. Damit klingt auch hier der Gedanke der bedrohten fürstlichen Libertät an. Doch er ist in der schwedischen diplomatischen Propaganda von Anfang an des legitimistischen Zuges so gut wie ganz entkleidet, und auch sonst fehlt der besonders von Dänemark und England so hervorgekehrte Legitimismus. Keinerlei unmittelbare Rechte oder legitime Ansprüche des schwedischen Königs waren ja durch das bisherige habsburgische Vorgehen beeinträchtigt worden. Und die hochfürstliche Solidarität allzu sehr hervorzukehren, empfahl sich kaum für Gustav Adolf, dessen Herrschaftsrechte beständig von seinem königlichen Vetter in Polen angefochten wurden und gegen die auch anderorts Bedenken genug

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bestanden. Die evangelische Idee als das notwendige verbindende Moment und gemeinsame Anliegen bei den Bündnisbemühungen zu wählen, lag deshalb um vieles näher, zumal eine solche Argumentation auch ungleich mehr der Gesinnung der schwedischen Staatslenker entsprach. Wie vorzüglich sich aber die Haltung von Camerarius diesem Vorgehen der schwedischen Staatskunst einfügte, ist offensichtlich. So kühn und weitgespannt die kriegerischen Absichten waren, die Camerarius seit Anfang 1623 hegte, wollte er mit dem großen, gesamteuropäischen Feldzug, auf den er hoffte, doch offenbar zunächst nur die Restitution Friedrichs V. in seine Stammlande erreichen. Zumindest nannte er auch Vertrauten gegenüber nur dieses Ziel, und die Entschiedenheit, mit der er 1621 dazu riet, auf Böhmen endgültig zu verzichten, sowie die Deutlichkeit, mit der er Ende 1623 die Änderung seiner diesbezüglichen Ansicht kundgab, legt die Vermutung nahe, daß er auch nach seinem Übergang zur unbedingten Kriegspolitik die böhmischen Aspirationen noch begraben sein ließ. Der Angriff auf Bayern und eventuell habsburgisches Territorium als das Zentrum der feindlichen Macht war also zwar von Anfang an der Grundsatz seiner Kriegspolitik. Doch die Rückeroberung Böhmens zu dauerndem Besitz schloß dieser Grundsatz noch nicht ein, wie auch die Angriffsrichtung keineswegs feststand. Camerarius sprach deshalb vor Gustav Adolf nur von der Wiedereroberung der pfälzischen Stammlande und einer Eindämmung der katholischen Macht durch Operationen gegen kaiserliches Gebiet. Dies nun war neben dem Eindruck der genialen Persönlichkeit das geradezu Überwältigende für Camerarius, daß Gustav Adolf seinen Darlegungen nicht nur zustimmte und die Vorschläge – freilich ohne sich zu ihrer Ausführung zu verpflichten – als das beste, ja einzige Mittel bezeichnete, die pfälzischen und evangelischen Anliegen zu retten, sondern daß er hinsichtlich des Kriegs- und Operationszieles noch über das, was Camerarius umschrieben hatte, hinausging. Zunächst präzisierte der König in seiner Antwort das Angriffsziel auf die böhmischen Kronländer, gegen die gleichzeitig von Polen und dem mittleren Deutschland aus vorgegangen werden sollte. Darüber hinaus aber scheint er die Ansicht geäußert zu haben, daß, wenn man sich einmal Böhmens bemächtigt hätte, es das Gegebene sei, wenn Friedrich V. aufs neue die Herrschaft über die Länder der Wenzelskrone übernähme. Der Angriff auf das Zentrum der kaiserlichen Macht sollte also nicht mehr bloß sozusagen als Repressalie dienen, als Mittel, um die Hofburg aufs schwerste zu treffen und dadurch zur Herausgabe der pfälzischen Stammlande und zu einem Frieden auf dem Status quo ante bellum gefügig zu machen. Gustav Adolf zog vielmehr sogleich die Konsequenz aus dem Gedanken der totalen Kriegspolitik und dokumentierte damit, wie sehr er jene Veränderung der europäischen Machtverhältnisse bejaht hatte und wieviel er noch jetzt davon hielt, die zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges durch die pfälzische Herrschaft in Böhmen für kurze Zeit verwirklicht beziehungsweise angebahnt worden war. Wie gesagt, Camerarius hatte einen neuerlichen Erwerb Böhmens als Konsequenz seiner Kriegspolitik bisher noch nicht nach außen zu vertreten gewagt und sich dieser Folgerung wohl auch in seinen persönlichen Ge-

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danken bei den mannigfachen Nöten der pfälzischen Exilregierung kaum hinzugeben die Zeit gehabt. Daß ihm gleichwohl die pfälzische Großstaatpolitik nach wie vor überaus am Herzen lag, und daß diese Politik und die daraus entspringende Expedition nach Böhmen seinem tiefsten Denken entsprochen hatte und noch immer entsprach, zeigt sich an der Bereitwilligkeit und Freude, mit der er Gustav Adolfs Vorschlag sogleich aufgriff und sich zu eigen machte: „Immo (quod tamen tibi in aurem dictum volo)“, berichtete er mit einer gewissen Begeisterung am 13. Januar 1624 an Rusdorf, „ausurus esset restitutionem nostri in Bohemia armata manu“23, und im vorhergehenden, am Weihnachtsabend 1623 geschriebenen Brief heißt es: „Gratissimus fuit illi Regi meus adventus, gratissima invitatio“ (wohl zur Übernahme der Patenschaft). „… Non possum satis laudare heroicas illius Regis virtutes, pietatem, prudentiam, fortitudinem, profecto sine pari est in tota Europa. Utinam Rex Angliae eo esset animo iam Rex Bohemiae non tantum Palatinatum haberet, sed simul etiam Königreich Behmen“24. Ein neuer Gesichtspunkt taucht damit in Camerarius’ Kriegspolitik auf und behauptet sich in den folgenden Jahren, bis nach dem Tod Gustav Adolfs, mit Beharrlichkeit in ihr. Es ist der Wunsch, mit der Großoffensive gegen die habsburgisch-katholischen Positionen die Rückeroberung Böhmens zu verbinden. Noch stärker als bisher trat seit dem Aufenthalt in Schweden in seiner Diplomatie die östliche Orientierung hervor, der schon das ganze Jahr über sein Bemühen um Bethlen Gabor und um einen Angriff gegen die österreichischen Erblande entsprochen hatte. Jetzt erstarkte das alte Interesse am Besitz Böhmens neu, weil es sich mit der Erkenntnis verknüpfte, daß Gustav Adolf sich für die pfälzische Sache täglich einzusetzen nur oder doch in erster Linie nur dann gesonnen war, wenn er sein Eingreifen in die deutschen Angelegenheiten mit seinen Operationen gegen Polen verbinden und von der dortigen militärischen Basis ausgehen konnte. Der Gedanke faßte so schnell bei Camerarius Wurzel, daß er noch auf schwedischem Boden auch dem Winterkönig bereits über die neue Möglichkeit berichtete, dem gegenüber er sonst mit seiner Begeisterung über Gustav Adolf etwas zurückhielt, was nur zu verständlich ist, wollte er Friedrich nicht fühlen lassen, wie sehr ihn der schwedische König in seinen Augen an Bedeutung übertraf. Über die böhmische Frage jedoch schrieb Camerarius am 22. November 1623 von einer schwedischen Grenzstation aus an seinen pfälzischen Herrn: „Soviel ist es, daß, wann diessem löblichen König zu Seiner rechten heroischen begier auch von andern die Hand gebotten werden sollte, kein erwünschter Mittel sein könte, Euer Königlichen Majestät wider in Böhmen und die Länder einzubringen“25. Noch wichtiger fast als das neuerliche Streben nach der Wenzelskrone war es, daß die Kriegspolitik von Camerarius durch die Gesandtschaft eine zweite neue Besonderheit annahm: Während Camerarius bisher zwischen verschiedenen Bündnismöglichkeiten geschwankt hatte, gab er von nun an mit großer Konsequenz Schweden vor allen anderen möglichen Koalitionspartnern den Vorzug. 23

Coll. Cam. Vol. 25. Camerarius an Rusdorf, Haag 24.12.1623, Coll. Cam. Vol. 25. 25 Camerarius an Friedrich V., Markere 22.11. 1623, BGHA Mü., Akt 1018. 24

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Er wurde innerhalb der europäischen Diplomatie zu einem der frühesten und entschiedensten Vertreter der Meinung, daß auf Gustav Adolf größte Hoffnungen zu setzen seien, und daß die Rettung der evangelischen und pfälzischen Sache sich am ehesten von Schweden erwarten lasse. Indem Camerarius von nun an diese Ansicht mit der ihm eigenen Beharrlichkeit vertrat, kam zu dem übrigen Originellen, das seine Kriegspolitik auszeichnete, noch dies hinzu, daß er jahrelang im Gegensatz zur Mehrzahl der gegen Habsburg und die Liga agierenden Diplomaten vornehmlich auf Schweden baute, eine Haltung, deren Richtigkeit sich nach Jahren erwies – nach dem Verlust des Dänisch-Niedersächsischen Krieges 1628 und dem endlichen Eingreifen Gustav Adolfs in den deutschen Krieg 1630 – und des Camerarius Ansehen außerordentlich hob. Mit der Hinneigung zu Schweden hing zusammen, daß der Gedanke an gemeinsames Handeln mit katholischen Mächten wie Frankreich nun immer weiter bei ihm zurücktrat und seine Bündnispolitik einen noch konfessionelleren Zug bekam, als sie ihn bisher schon getragen hatte. Empfing seine Kriegspolitik bei dem Aufenthalt in Schweden sogleich neue und wichtige Impulse, so waren es doch nur Eventualzusagen, die Camerarius erhielt. Den Angriff auf Südpolen und die böhmischen Kronländer stellte Gustav Adolf, wie Camerarius ausdrücklich an Rusdorf schrieb, nur für den Fall in Aussicht, daß er keinen Frieden mit Polen zu erlangen vermöchte26. Ferner scheint er sein eventuelles Eingreifen von der Hilfe anderer Mächte abhängig gemacht zu haben. Einen durchaus vorläufigen und fürs erste mehr akademischen Charakter dürften also die Verhandlungen getragen haben, die Camerarius 1623 mit Schweden führte. Doch auf unmittelbare greifbare Ergebnisse hatte er ja auch von Anfang an nicht gerechnet. Und ferner neigte er bei der optimistischen Grundstimmung seines Wesens stets dazu, auch bereits Aussichten hoch anzuschlagen. Der schließliche Gang der Ereignisse sollte zeigen, daß seine Hoffnungsfreudigkeit diesmal sehr wohl begründet war. In einem Sanguiniker wie Camerarius mag in Schweden jenes Gefühl besondere Stärke gewonnen haben, das einen befällt, wenn nach vielem vergeblichem Mühen und Suchen plötzlich der rechte Weg sich öffnet. So unsicher auch die Umrisse zunächst nur sind, in denen der neue Pfad sich vor dem Blick des Suchenden abzeichnet, weiß doch jeder von uns aus eigener Erfahrung, wie sehr das fürs erste oft nur ganz instinktive Gefühl beglückt, daß nun der richtige Ansatz- und Ausgangspunkt erreicht ist. Es ist ein Empfinden, das mehr befriedigt, als noch so handgreifliche vorläufige Resultate auf einem Weg, von dem man im stillen überzeugt ist, daß er im letzten nicht zum Ziele führt. Um so tiefer geht der Eindruck, je düsterer und ärmlicher die Umgebung ist, über der plötzlich die Sonne scheint. Auf die erste Audienz bei Gustav Adolf in Gripsholm, am 23. Oktober 1623, scheinen eine oder zwei andere in dem Schloß am Mälarsee gefolgt zu sein, sowie in Stockholm zumindest ein nochmaliger Empfang zur Verabschiedung. 26

Camerarius an Rusdorf, Haag 13. 1. 1623, Coll. Cam. Vol. 25.

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Hinzu kamen noch mehrere Unterredungen mit dem Reichskanzler27. Über fünf Wochen sah Camerarius sich in Stockholm festgehalten und als geehrter Gast behandelt. Ein schwedischer Hofkavalier, Otto Schulmann, gab ihm auf der Rückreise mit stattlicher Dienerschaft das Ehrengeleit – er kam bis in die Niederlande mit –28, und reichlich scheint das Abschiedsgeschenk gewesen zu sein, das Camerarius empfing. Noch wichtiger war für seine persönlichen Verhältnisse, daß seine Korrespondentenstellung offenbar gefestigt und erweitert wurde. Wie Oxenstierna es ihm schon am 16. September 1623 geschrieben hatte, forderte man ihn auf, seine Berichterstattung auszudehnen und beauftragte ihn außerdem, hinfort als Adlatus des schwedischen Gesandten im Haag zu fungieren. Seine weitere jährliche Bezahlung wurde hierdurch gesichert, wenn nicht sogar vermehrt; und wie die kriegerische Hilfe Gustav Adolfs in der allgemeinen Bedrängnis der pfälzisch-evangelischen Sache als hoffnungsvoller Silberstreif am Horizont auftauchte, so öffneten die vermehrten Aufträge Camerarius für seine persönliche nicht weniger bedrängte materielle Position die Aussicht, allmählich zu größeren diplomatischen Aufträgen und damit auch Vergütungen durch die schwedische Regierung zu gelangen. Auch im Persönlichen lag also der Gewinn der Reise zum großen Teil in einer Aussicht. Doch waren daneben die bereits handgreiflichen Resultate zweifellos zahlreicher. Auch sollte es kürzer dauern, bis die persönlichen Aussichten sich erfüllten, als bis die allgemeine politische Lage durch das schwedische Eingreifen in den deutschen Krieg in der von Camerarius erstrebten Weise geändert wurde. Auch im Hinblick auf seine Laufbahn war für die Beglückung, mit der Camerarius Schweden verließ, das Erlebnis entscheidend, bei einem mächtigen europäischen Monarchen und seinen Beratern Plänen und Anschauungen begegnet zu sein, wie er sie selbständig in sich entwickelt hatte und bei anderen Regierungen schon lange suchte. Camerarius empfand mit Recht, daß die Resonanz, die er gefunden hatte, tiefer als nur bis zu der Erkenntnis der schwedischen Staatslenker ging, daß Camerarius Gustav Adolfs Plänen nützen konnte, daß vielmehr das ihm bezeigte Interesse auf einer zutiefst verwurzelten Gemeinsamkeit in der religiösen Gesinnung beruhte, auf einer Gleichheit des staatsmännischen Denkens und der diplomatischen Haltung. Kein Zweifel kann bestehen, daß die pfälzische und schwedische Staatskunst insgesamt in der starken Betonung des religiösen Momentes am Vorabend und während des Dreißigjährigen Krieges Ähnlichkeiten aufwiesen. Nicht minder zeigten sie in der Kühnheit ihrer politischen Konzeption eine gewisse Verwandtschaft, und schließlich bestand eine weitere Parallele darin, daß Protestantismus und Humanismus in der Pfalz wie in Schweden eine enge Verbindung eingingen in den Zeiten, da beide Länder – Schweden einige Jahrzehnte später als die Pfalz – auf den Höhepunkt ihrer Macht gelangten. Die Elemente, auf denen die Gemeinsamkeit beruhte, waren aber in der Persönlichkeit von Camerarius beson27

Auch den Pfalzgrafen Johann Kasimir traf Camerarius in Gripsholm. Camerarius an Oxenstierna, Haag 6. 1.1624, SRA, Ox. slg.; Camerarius an Friedrich V., Markere 22. 11. 1623, BGHA Mü., Akt 1018.

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ders stark entwickelt, stärker als bei vielen anderen pfälzischen Politikern. Man kann deshalb sagen, daß Camerarius unter den pfälzischen Diplomaten einer der geeignetsten war, sich der schwedischen Staatskunst anzupassen. Gilt dies bereits ganz allgemein, so ist die geistige Verwandschaft besonders stark und offensichtlich in des Camerarius Verhältnis zu Gustav Adolf. Es ist nur zu erklärlich, daß Camerarius von 1623 an höchste Bewunderung an den schwedischen König kettete, während Gustav Adolf seinerseits Camerarius von Anfang an großes Wohlwollen entgegenbrachte und ihm dies bis zu seinem Tod unvermindert erhielt. Wir wissen bereits, daß Camerarius im Grunde seines Wesens der Anlehnung bedurfte, wenn er auch gerade 1622 und 1623 die Kraft zu völliger Selbständigkeit gefunden hatte. Die jahrelange Zusammenarbeit mit Christian von Anhalt bewies ferner, daß jene sonderbare Verbindung von Pedanterie mit politischem Wagemut und Idealismus ihn als Gehilfen kühner Staatsmänner in höchstem Maß geeignet machte. An Kühnheit und Größe der politischen Konzeption ließ es aber auch Gustav Adolf wahrlich nicht fehlen. Nur stand bei dem König anstelle jenes Abenteurertums und jener verantwortungslosen Verspieltheit Christians, die Camerarius immer wieder abgestoßen hatte, sosehr er sich andererseits selber von diesen Zügen berührt zeigte, wahrhafte staatsmännische Größe und schwungvolle Genialität. Diese Genialität entkleidete Gustav Adolfs Beginnen, Schweden zur Großmacht zu erheben und das gesamte europäische Mächtesystem zu ändern, des Abenteuerlichen, das der pfälzischen Politik insgesamt eigentümlich gewesen war. Selten kühn blieb das Unterfangen des schwedischen Königs aber gleichwohl. Es zielte, so wie es im Lauf der Jahre Gestalt annahm, im Letzten auf einen Umsturz der Machtverhältnisse im nördlichen und mittleren Europa ab, ein Streben, das im Endeffekt noch deutlicher geworden wäre, hätte nicht der Tod Gustav Adolf gehindert, seine Pläne zur Neugestaltung Deutschlands auszuführen. Eine Tendenz zum Umsturz des Bestehenden aber hatte auch des Camerarius Denken und Empfinden schon seit langem bestimmt – besonders hinsichtlich der Stellung des Kaisers in der Reichsverfassung – und die Not des Exils und die aus ihren Erfordernissen entwickelte Kriegspolitik verstärkte, wie sich zeigte, diese Tendenz wesentlich. In diesem Zusammenhang ist eine Äußerung von Interesse, die Camerarius am 13. Januar 1624 Rusdorf gegenüber tat. Noch einmal pries er hier die hohen Fähigkeiten des schwedischen Königs und steigerte sich dabei bis zu dem Wunsch: „Utinam Imperator esset!“29 Aller Wahrscheinlichkeit nach hat Imperator aber an dieser Stelle nicht Oberfeldherr, sondern Kaiser zu bedeuten30. Noch war des Camerarius Gedanke, Gustav Adolf möchte Kaiser des Reiches sein, sicher nur rhetorischer und ganz allgemeiner Art, und doch ist es von Wichtigkeit zu sehen, wie der später eventuell so sehr viel ernstlicher gehegte, aber durch des Königs plötzlichen frühen Tod nie zur Reife gediehene Plan bei Camerarius bereits 1624 ein erstes Mal ganz beiläufig auftaucht, zu einem Zeitpunkt also, 29

Coll. Cam. Vol. 25. Imperator ist die von Rusdorf vorgenommene Entschlüsselung der Chiffre 2075, die in den folgenden Briefen jedesmal sinngemäß für Kaiser steht. Daß Camerarius in unchiffrierten Briefen den Kaiser gewöhnlich Caesar und nicht Imperator nannte, hat also nichts zu sagen.

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da anderwärts, und auch in Schweden noch nicht im entferntesten an so weitgehende Vorhaben gedacht wurde. Schon bei seiner ersten Gesandtschaft wird damit eine weitere Schattierung jener besonderen Bedeutung sichtbar, die Camerarius für die Geschichte Schwedens gewann: Er wurde für die schwedische Politik nicht nur dadurch wichtig, daß er sich besonders gut dazu eignete, die Ideen Gustav Adolfs und Oxenstiernas im Ausland zu vertreten. Es gelang ihm darüber hinaus, seinerseits einen gewissen Einfluß auf die Entschlüsse seiner Auftraggeber und die Richtung der schwedischen Politik auszuüben. Wohl war dieser Einfluß bei so großen Staatsmännern wie dem schwedischen König und seinem Kanzler nur gering. Doch immerhin ist eine Wechselwirkung zu bemerken, und es ist sicher, daß Camerarius nicht nur Werkzeug war. Indem die Vertretung schwedischer Interessen auf wichtigsten diplomatischen Posten Camerarius überlassen wurde und man sich seiner Berichte zur Orientierung bediente, hatte er mannigfache Gelegenheit, seine Ansichten zur Geltung zu bringen. Dies aber war ihm möglich, weil er, so groß seine Bewunderung für Gustav Adolf und Axel Oxenstierna und seine Anlehnungsbereitschaft waren, doch deshalb nie seine eigensten Anschauungen aufgab. Wohl mußte er dieselben später oft gegenüber anderslautenden Stockholmer Direktiven zurückstellen. Noch öfter aber versuchte er, seine Meinungen mit der schwedischen Politik dadurch in Einklang zu bringen, daß er sich nur diejenigen Weisungen des Königs und Kanzlers ganz zu eigen machte, die seinen Wünschen entsprachen, daß er nur für diese Pläne in Stockholm eintrat und sie in seinem Handeln mehr berücksichtigte als andere Entschließungen, die der Grundkonzeption seiner Politik zuwiderliefen. Diese Haltung, die er oft ganz unbewußt mit der ihm eigenen instinktiven Naivität einnahm und die sich in weitgehendem Maße auch aus der Starrheit und Zähigkeit seines Charakters erklärte, stürzte Camerarius in späteren Jahren in viele Konflikte und Schwierigkeiten. Andererseits aber bewirkte sie, daß er bei den schwedischen Staatslenkern zu einem der konsequentesten Verfechter des Eingreifens in den deutschen Krieg und des Gedankens der schwedischen Großmachtpolitik wurde. Immer wieder trat er in seinen diplomatischen Berichten und Denkschriften für diesen Plan ein und zögerte gemäß der Kühnheit, die ihn in solchen Dingen auszeichnete, nicht, in seinen Gedanken und Vorschlägen bis zu den äußersten Konsequenzen zu gehen. Er sprach dieselben offen aus und befürwortete sie. Wie stets bei Camerarius waren in diesen Vorschlägen und diplomatischen Bemühungen der propagandistische Schwung und ein gewisses poetisches Moment der Ausdrucksweise stark. Es steht damit im Zusammenhang und wird uns später noch mehr beschäftigen, daß Camerarius einer der ersten und vielleicht der erste schwedische Politiker war, der Gustav Adolf mit dem Gideon des Alten Testamentes verglich, ein Vergleich, der später weite Verbreitung fand. Bekanntlich hatte Gustav Adolf starke Bedenken dagegen, als alttestamentlicher Rächer gefeiert zu werden. Mehrmals verbat er sich deshalb den Vergleich, und doch vermochte er nicht zu hindern, daß sein Bild in der öffentlichen Meinung von Deutschland und darüber hinaus in der des evangelischen Europa Züge annahm, wie sie dem von Camerarius und anderen entwickelten, ebenso religiös wie humanistisch beeinflußten Heroenkult entsprachen. Wie Camerari-

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us in dieser Weise auf mehr propagandistischem Gebiet gestaltend und originell in die schwedische Geschichtsentwicklung eingriff, so machte sich auch in der nüchterneren reinen Diplomatie bisweilen sein selbständiger Einfluß geltend. Wohl blieb er in der Hauptsache das Werkzeug der schwedischen Staatslenker, doch bisweilen wußte er dieselben auch hinter sich herzuziehen, und der Umstand, daß sie sich eines solchen Werkzeuges bedienten, bedeutete im Grunde bereits ein Programm, einen Entschluß und ein Bekenntnis zur Großmachtpolitik. Ein gleiches Bekenntnis lag auch in dem Umstand, daß Camerarius für den schwedischen Staat und seine Leiter ferner dadurch wertvoll wurde, daß er als gelehrter Humanist und routinierter mitteleuropäischer Diplomat am Ausbau der schwedischen Diplomatie, an ihrer Umstellung auf die gesteigerten Erfordernisse der Großmacht mitwirken konnte. Der Umsturz des Bestehenden, auf den Gustav Adolf wie Camerarius letzten Endes abzielten, und die gesamte von ihnen geplante Kriegspolitik sollten bei beiden Männern, die in ihrer Gesinnung einander in vielem so ähnelten und sich nur an staatsmännischer Größe außerordentlich unterschieden, unter die Idee des Kampfes für den bedrohten Glauben gestellt werden. Sehr viel intensiver als die Mehrzahl der protestantischen Staatsmänner anderer Länder durchtränkten sie ihr politisches Handeln und Planen mit dem religiösen Moment. Und was noch wichtiger ist: Gustav Adolf und Camerarius zeigten sich nicht nur in der Entschiedenheit einig, in der sie den evangelischen Gedanken hervorkehrten. Auch die Art ihrer Gläubigkeit war in vielem dieselbe. Beide durch und durch Sanguiniker, verfügten sie in ihrer Frömmigkeit über den gleichen sonnigen Optimismus. Sie zeigten dieselbe Abneigung gegen die spitzfindige Dogmatik ihrer Zeit. Statt dessen legten sie ein ruhiges Gottvertrauen und eine gewisse Naivität der Gläubigkeit an den Tag, die sie dazu veranlaßte, vor allem das Gemeinsame von Luthertum und Calvinismus zu sehen und stets eine gesamtevangelische Politik zu treiben – nur für die Gemeinsamkeit des Protestantismus gegenüber dem Katholizismus Sinn zu haben. Die Zusammenarbeit mit Lutheranern, sofern sie nicht der eng orthodoxen Richtung angehörten, bedeutete ja an sich schon keine große Schwierigkeit für Camerarius, der, obwohl selbst Calvinist, doch aus dem Luthertum melanchthonianischer Prägung herausgewachsen war und eigentlich Zeit seines Lebens jene Zwischenstellung zwischen Calvinismus und Luthertum beibehielt, jene Gesinnung des Philippismus und Kryptocalvinismus, die in seinem Elternhaus geherrscht hatte. Die großzügige Auffassung des konfessionellen Unterschiedes, die im lutherischen Schweden von den Staatslenkern – auch Oxenstierna dachte in seinen späteren Lebensjahren in der Hauptsache so – an den Tag gelegt wurde, beseitigte vollends irgendwelche konfessionellen Schwierigkeiten, die sich der Zusammenarbeit entgegenstellen konnten. Schließlich war bei Gustav Adolf wie bei Camerarius mit der Naivität der Gläubigkeit ein gewisser rationalistischer Zug verbunden. Dieser ganzen Art der Religiosität entsprach es, daß die im 17. Jahrhundert so verbreitete Astrologie im Denken beider Männer keine sonderliche Rolle spielte. Neuere Untersuchungen haben es nachgewiesen, daß Axel Oxenstierna zumindest in späteren Jahren, vor allem seit 1625, zu dem Eingreifen seines königli-

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chen Herrn in den deutschen Krieg und zu den diesbezüglichen vorangehenden Plänen in einem gewissen, zwar gemäßigten, aber doch immerhin fühlbaren Gegensatz stand31. Von vorsichtigerer und bedächtigerer Wesensart als der König, hätte der Kanzler an sich lieber in methodischem Vorgehen, das heißt in Kriegen, die sich auf den Ostseeraum, Rußland und Polen beschränkten, das Dominium maris Baltici weiter ausgebaut, anstatt den Kaiser in dessen Erbländern anzugreifen, sich an den mitteleuropäischen Verwicklungen und dem deutschen Krieg zu beteiligen und damit Aufgaben zu übernehmen, welche die Kräfte Schwedens eigentlich überstiegen. Deshalb wollte Oxenstierna auch 1629 noch, als an sich zwar auch er von der Notwendigkeit eines Kampfes gegen den Kaiser überzeugt war, dem Krieg in Polen den Vorrang eingeräumt sehen, und es ist anzunehmen, daß er in den Vorjahren ähnlich dachte. Ebenso haben schon frühere Arbeiten es angedeutet, und die moderne Forschung ist dabei, es des weiteren aufzuzeigen, daß ein im Lauf der Jahre sich bis zu beachtlicher Stärke steigernder Gegensatz vorhanden war zwischen Axel Oxenstierna, dem Repräsentanten der einheimischen Aristokratie, und Pfalzgraf Johann Kasimir, der als Schwager des Königs zu hohen Stellungen im schwedischen Staatswesen gelangte, der dabei das neue und fremde deutsche Element vertrat und besonders in den ersten Jahren seines Aufenthalts in Schweden sich für Gustav Adolfs Eingreifen in den deutschen Krieg und die kühne Großmachtpolitik einsetzte32. Als ausgesprochener Protegé Johann Kasimirs aber konnte Camerarius gelten, und sein ganzes Trachten ging dahin, die schwedische Macht nach Deutschland herüberzuziehen. Gleichwohl erwarb er sich schon zu Beginn seiner Tätigkeit in schwedischem Dienst auch das warme Wohlwollen Axel Oxenstiernas. Durch alle Schwierigkeiten der folgenden Jahre hindurch erhielt ihm der Kanzler unverändert seine Gunst, und in schöner, bei großen Staatsmännern seltener Treue bewahrte er ihm auch lange über Gustav Adolfs Tod hinaus Anerkennung und Schutz – in einer Zeit also, als der König ihn nicht mehr daran hätte hindern können, Camerarius fallen zu lassen. Daß dieser also 1623 außer dem König auch Oxenstierna, den zweitmächtigsten Mann im Staat, für sich einzunehmen wußte, wurde für den späteren Ausbau seiner Position in der schwedischen Diplomatie entscheidend und sicherte erst den vollen Erfolg seiner Gesandtschaft. Es war ein Ereignis, das bestätigt, daß der Gegensatz in der außenpolitischen Auffassung des Königs und seines Kanzlers sich in engen Grenzen hielt, besonders im Jahr 1623, als der Plan des Angriffs auf Mitteleuropa ja noch in besonders nahem Zusammenhang mit dem polnischen Krieg stand. Die Annäherung an Oxenstierna beweist ferner, daß auch der Gegensatz zwischen dem Kanzler und Johann Kasimir begrenzt war, zumal zu Lebzeiten des Königs und besonders in den ersten Jahren von Johann Kasimirs Aufenthalt in Schweden. Vor allem aber zeigt das von Anfang an bestehende gute Verhältnis zu dem Kanzler, daß Camerarius in der günstigen Lage war, sich aus vielen internen 31

S. vor allem Ahnlund, Oxenstierna. Nach freundlicher Angabe des Herrn Direktors des Archivs des Ministeriums des Äußeren in Stockholm, kansliråd Åke Kromnow.

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Differenzen unter den führenden Persönlichkeiten im schwedischen Staatswesen heraushalten zu können. Er verdankte das – zunächst wenigstens – der geringen Bedeutung seiner Stellung sowie dem Umstand, daß er, abgesehen von wenigen Gesandtschaftswochen – nur im Winter von 1625 auf 1626 besuchte er noch einmal Schweden –, stets weit entfernt vom schwedischen Mutterland zu tun hatte. Etwa dieselben Eigenschaften, die Gustav Adolf beeindruckten, dürften auch Oxenstierna für Camerarius eingenommen haben: der politische Idealismus, die Größe und Weite der Konzeption, die Religiosität der Gesinnung, die Verwendbarkeit für die außenpolitischen Ziele Schwedens. Wie bei Gustav Adolf waren ja auch bei Oxenstierna das Moment der Gläubigkeit und der Sinn für einen weitgespannten politischen Idealismus außerordentlich stark ausgeprägt, und die im Gegensatz zum König so gehaltene Ruhe des Kanzlers, seine Stetigkeit und staatsmännische Größe verfehlten ihren Eindruck auf Camerarius nicht. Wenn er auch nicht in so helle Begeisterung für Oxenstierna geriet wie für Gustav Adolf, so zollte er doch bis zu seinem Tod dem Kanzler höchste Achtung, ja geradezu Ehrfurcht. Oxenstierna beeinflußte seine ganze Weiterentwicklung in stärkstem Maße. Neben Gustav Adolf und Christian von Anhalt war der Kanzler es, der unter allen europäischen Staatsmännern den bedeutsamsten Einfluß auf Camerarius ausübte, und dieser scheint sich darüber im klaren gewesen zu sein, daß die Staatskunst Oxenstiernas die des Fürsten von Anhalt übertraf. Der Einfluß, den Gustav Adolf und Oxenstierna auf Camerarius ausübten, ist um so bemerkenswerter, als beide bereits einer jüngeren Generation angehörten. Der König war um 21, der Kanzler um 10 Jahre jünger als Camerarius. Zeigte es sich, daß Camerarius in den Augen der schwedischen Staatslenker Wert hatte, weil sie ihn für besonders geeignet hielten, für die schwedischen politischen Ideen im westlichen Europa Stimmung zu machen, so dürfte man ferner in Stockholm von Anfang an erkannt haben, daß Camerarius noch in einem zweiten von Nutzen für die schwedische Diplomatie sein konnte: in der Kunst seiner auf der humanistischen Bildung beruhenden Berichterstattung und in seiner routinierten Kenntnis diplomatischer Gepflogenheiten. Wie die Dinge aber einmal lagen, mußte dieser Wert besonders Oxenstierna in die Augen fallen, da er es ja war, der die diplomatische Apparatur des Königreichs zu leiten hatte. Im Augenblick, da Schweden sich anschickte, sehr viel tätiger als bisher in die große, gesamteuropäische Politik einzugreifen, als es eine Großmachtstellung anzustreben begann, konnte kein Zweifel daran bestehen, daß die gesamte schwedische Staatsverwaltung, besonders aber die Diplomatie, des Ausbaues bedurften. Diese Erweiterung und Vervollkommnung durchzuführen, reichten aber die einheimischen Kräfte nicht aus. Sie waren nicht zahlreich genug, und es fehlte ihnen die diplomatische Routine33. Wollte man die Stellung Schwedens im Konzert der europäischen Mächte in der gewünschten Weise verstärken, so brauchte man Fachleute, die das Zusammenspiel dieses Konzertes besser kannten, als man im entlegenen Schweden das tat, Diplomaten, die in diesen mitteleuropäischen Verhältnissen seit langem zuhause waren, die auch die Formen mitteleuropäischer 33

S. z. B. Oxenstierna an Camerarius, Elfsborg 1. 11. 1624, OSB I, 2.

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Diplomatie voll beherrschten und über alle die Bildungsgüter verfügten, auf denen die Staatskunst der Zeit basierte. Wenigstens einen Teil dieser geistigen Grundlagen der großen europäischen Diplomatie begann die schwedische Staatsverwaltung zu Anfang des dritten Jahrzehntes des 17. Jahrhunderts, sich in noch stärkerem Maß als bisher zu eigen zu machen. Und zwar war es nicht die französische Sprache und höfische Geistigkeit, der man wie an anderen Höfen nachtrachtete. Vielmehr baute die schwedische Diplomatie bei dem Aufstieg des Landes zur Großmacht noch ganz auf den altüberkommenen Bildungsformen des Humanismus, auf dem Lateinischen und der gelehrten Kenntnis des römischen Rechtes auf. Jener große, von der italienischen Renaissance ausgelöste abendländische Entwicklungsprozeß, von dem die Staatskunst aller Länder so entscheidende Impulse empfing, fand in Schweden später statt als weiter im Süden. Und damit hing es zusammen, daß hier auch zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch der Humanismus stärker war und ausschließlicher herrschte als in den meisten Teilen des übrigen Europa. Noch ganz in humanistischem Geist waren Männer wie Oxenstierna und Gustav Adolf erzogen worden. Sie beherrschten die lateinische Sprache ziemlich vollkommen, genau wie sie es auch im Deutschen so weit gebracht hatten, daß sie sich hierin nicht nur in Prosa ausdrücken, sondern sogar Gedichte fabrizieren konnten. Das Französische hingegen war ihnen weniger geläufig, und wenn die schwedische Diplomatie sich jetzt mehr als bisher einer Sprache bedienen mußte, die weiter verbreitet als die schwedische war, so war es selbstverständlich, daß das Lateinische und nicht etwa das Französische gewählt wurde. Bis die französische Sprache auch am Stockholmer Hof ihren Einzug hielt, dauerte es noch eine Generation. Erst Königin Christine, sosehr auch sie im übrigen noch die humanistischen Disziplinen beherrschte, neigte sich der französischen Bildung und der höfischen Eleganz Frankreichs zu. Vorerst jedoch herrschte in der schwedischen Residenz noch ein altväterischerer Geist. Ein gelehrter Doktor galt deshalb hier noch mehr als anderwärts. So kam es, daß Camerarius mit seinem humanistischen Gelehrtentum, das ihn an vielen anderen Höfen schon ein wenig antiquiert erscheinen ließ, in Schweden beim Ausbau einer den Erfordernissen einer Großmacht genügenden Diplomatie noch eine höchst anregende und wichtige Funktion ausüben konnte. Nicht nur als Kenner der staatlichen Verhältnisse Deutschlands und des übrigen Eu­ r­opa, sondern als gewandter Latinist besaß er daher für die schwedische Regierung Wert. Seine Berichte wurden ebensosehr wegen ihres Inhaltes wie wegen ihres gepflegten lateinischen Stils geschätzt. Sie sollten auch in dieser Hinsicht anregend wirken. Es war dieselbe Wertschätzung, die man in den dreißiger Jahren auch Hugo Grotius entgegenbrachte, den für den schwedischen Botschafterposten in Paris zu gewinnen man sich glücklich schätzte. Und wie gegenüber Grotius ist es auch gegenüber Camerarius immer wieder erstaunlich, mit welcher Geduld und welchem Verständnis Oxenstierna auf die gelehrten Eigenheiten und Eitelkeiten der beiden Herren einging und über den Mangel an Realismus und staatsmännischer Einsicht hinwegsah, den Grotius und Camerarius nur zu oft an den Tag legten.

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Es scheint geradezu, daß Oxenstierna und auch Gustav Adolf bei Camerarius den politichen Idealismus und die Neigung, das religiöse Moment so sehr wie möglich hervorzukehren, bewußt gepflegt haben – wenigstens zeitweise. Vornehmlich in den ersten Jahren der Korrespondenten- und späteren Gesandtentätigkeit von Camerarius, etwa bis 1628, fällt es auf, wie der schwedische Kanzler in seinen Briefen an Camerarius das Element der Gläubigkeit und das Interesse für die Causa Communis mehr hervorkehrt als in anderen Schreiben. Man hat den Eindruck, als habe er geflissentlich danach gestrebt, in des Camerarius Diplomatie und seinem Wirken für die schwedischen Interessen zunächst wenigstens das Ideell-Religiöse, die Betonung der Gemeinsamkeit des Anliegens, zu erhalten, wie es ja im Interesse der schwedischen Bündniswerbung lag. Gleichzeitig aber spürt man, wie Oxenstierna über den Gesichtspunkt des Nutzens weit hinaus von dem unrealistischen Schwung und der Gläubigkeit von Camerarius berührt wurde, wie beide Eigenschaften in ihm verwandte Saiten zum Klingen brachten. Offenbar sahen der Kanzler ebenso wie sein königlicher Herr mit einem gewissen inneren Gefallen den politischen Idealismus von Camerarius sich entfalten, und nicht nur, weil es ihnen nützte, sondern auch, weil es ihnen lag, gingen sie auf diese Geistigkeit ein. Sie schätzten sie so sehr, daß Oxenstierna später jahrelang alles wirtschaftspolitische Versagen von Camerarius im Haag deckte und ihn auf einem der wichtigsten diplomatischen Posten beließ. Es zeigt sich hier wieder, wie stark auch bei Oxenstierna und Gustav Adolf diese idealistischen Momente entwickelt waren, bloß daß sie dank ihrer soviel größeren und umfassenderen staatsmännischen Begabung gleichzeitig auch kühle Realisten und nüchterne Rechner zu sein vermochten. Schon zu Beginn seiner Reise nach Schweden hatte Camerarius die Absicht geäußert, auf dem Rückwege in Kopenhagen vorzusprechen und auch hier für die pfälzischen Interessen zu werben. Trotz der Abfuhr, die er vor anderthalb Jahren am dänischen Hof erhalten hatte, wollte er mit der ihm eigenen Beharrlichkeit hier noch einmal sein Heil versuchen, und die persönlichen Erfolge, die er in Schweden erzielte, ermunterten ihn in seinem Vorsatz34. Von Stockholm ging die Rückreise zunächst nach Kalmar. Da gerade keine Schiffsgelegenheit nach Kopenhagen sich bot, entschloß Camerarius sich, zu Lande weiterzureisen, und langte trotz mannigfacher Unbequemlichkeiten, wie sie schlechte Wege und Kälte verursachten, noch immer in hochgemuter Stimmung etwa am 21. November 1623 an der Grenze der Provinz Blekingen und damit von Dänemark an35. Kaum jedoch, daß er aufs neue mit dänischen Behörden in Berührung kam, wurde ihm die gute Laune sogleich wieder verdorben, denn ihm wurde erklärt, daß die Grenze für alle Reisenden aus Schweden gesperrt sei, weil man verhindern wollte, daß die in Schweden grassierende Seuche eingeschleppt würde. Mit Befremdung wies Camerarius auf seine hohe Stellung und die Wichtigkeit seiner Mission hin. Diese aber fruchtete bei den Grenzwächtern gar nichts. Er schickte darauf einen seiner Diener mit einem Brief an den dänischen Gouverneur von 34

S. Camerarius an Oxenstierna, Markere 22. 11.1623, Universitätsbibliothek Upsala, E 388. Camerarius an Oxenstierna, Markere 22. 11. 1623, Universitätsbibliothek Upsala, E 388.

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Schonen, Andreas Bild, dessen eisige Kühle ihn schon vor anderthalb Jahren in Kopenhagen gedemütigt hatte. Doch der Gouverneur ließ dem Diener erklären, auch wenn der König von Böhmen in Person durchwolle, bleibe die Grenze geschlossen. Ja, bevor man den Diener mit der abschlägigen Antwort zurückschickte, wurde er erst eine Weile in Eisen gelegt, offenbar, damit seinem Herrn die Lust verging, ebenfalls ohne Erlaubnis die Grenze zu überschreiten. So blieb Camerarius nichts übrig, als sich in mehreren mühsamen Tagesreisen entlang der dänischen Grenze nach Göteborg zu begeben, wo er zu Schiff ging und direkt nach dem Haag weitersegelte. Groß war wiederum seine Indignation über die Behandlung durch die dänischen Behörden, die als persönlichen Affront, oder doch wenigstens als bewußte Ablehnung aufzufassen nahelag nach dem Empfang, der ihm im April 1622 in Kopenhagen bereitet worden war, wenngleich Camerarius in seinem Bericht an Oxenstierna hervorhob, daß der schwedische Sondergesandte Gustav Horn – der spätere bekannte Feldherr –, der wenig früher in die Niederlande reiste, ebenfalls nicht durchgelassen worden war36, und kein Zweifel bestehe, daß die dänische Grenze generell gesperrt sei. Um das Maß der Reisebeschwerden vollzumachen, geriet das holländische Schiff, auf dem Camerarius reiste, in heftige Herbststürme. Acht Tage lang war es ihnen bis zum Einlaufen in den Amsterdamer Hafen ausgesetzt. Nierenbeschwerden – „nephritici et colici dolores“ – waren bei Camerarius die Folge der Strapazen37. Sie wurden so stark, daß er zehn Tage fast unfähig zu aller Arbeit das Bett hüten mußte und sich auch hinterher noch so schlecht fühlte, daß er, wie wir in seinem detaillierten Krankenbericht an Oxenstierna lesen können, kaum, nur mit zitternder Hand, die Feder führen konnte38. Doch die äußeren Gebresten, so unangenehm sie auch sein mochten und so laut Camerarius über sie klagte, fielen wenig ins Gewicht gegenüber dem Gefühl innerer Gehobenheit, in dem er auch nach seiner Rückkehr verharrte. Die Nachrichten, die er im Haag vorfand, gaben ihm guten Grund dazu. Die englischspanischen Heiratsverhandlungen waren im Oktober 1623 gescheitert, und der englische Hof zeigte sich über den spanischen aufs höchste verstimmt. Damit aber war es entschieden, daß des Camerarius Widerstand gegen die Ausgleichsbemühungen seinen Sinn gehabt hatte. Der Gedanke an Frieden und Unterwerfung wurde jetzt von König Jakob aufgegeben. Statt dessen ging der englische König nunmehr zu kriegerischen Plänen über, um die Restitution seines Schwiegersohnes endlich herbeizuführen. Und auch anderwärts stärkten sich, wie sich im nächsten Kapitel zeigen wird, die kriegerischen Kräfte. So erklärt es sich, daß Camerarius trotz aller Bedrängnisse, die das Exilleben beibehielt, in das Jahr 1624 in gehobenerer Stimmung eintrat als in das Vorjahr. Als wie stark er schon seit Ende 1623 die Lichtpunkte empfand, zeigt sich daran, daß er, sobald er in Schweden neuen Halt gewann, die Kraft aufbrachte, 36

Camerarius an Oxenstierna, Markere 22. 11. 1623, Universitätsbibliothek Upsala, E 388; Camerarius an Friedrich V., Gripsholm 28., 30. 10. u. 4. 11. 1623, BGHA Mü., Akt 1018. 37 Camerarius an Oxenstierna, Haag 6. 1. 1624, SRA, Ox. slg. 38 Camerarius an Oxenstierna, Haag 6. 1. 1624: „… certe manu titubante calamum vix guberno …“, SRA, Ox. slg.

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sich von seinem alten Gönner und Lehrmeister, Fürst Christian von Anhalt, vollständig und endgültig zu lösen. Nach wie vor arbeitete er ja noch als Christians Korrespondent. Zwar hatten sich beide Männer, seitdem Camerarius im Sommer 1622 diese Tätigkeit aufgenommen hatte, in ihrer Handlungsweise immer weiter voneinander entfernt. Camerarius entwickelte seit 1623 eine immer energischere Kriegspolitik, während Christian von Anhalt immer entschiedener und deutlicher danach strebte, sich mit dem Kaiser auszusöhnen. Trotzdem blieb der gegenseitige Gedanken- und Informationsaustausch zunächst für Camerarius und Christian noch von hohem Wert, und die alte, in langjähriger Zusammenarbeit erwachsene Vertrautheit und Gesinnungsverwandtschaft war noch immer so stark, daß beide Männer auf die wachsenden Gegensätzlichkeiten ihrer Anschauungen nach wie vor Rücksicht nahmen. Diese Rücksicht lag ja zudem Camerarius nahe bei dem Respekt, mit dem er seit seinen ersten Schritten in der Politik gewohnt war, den Fürsten zu betrachten. Freilich läßt sich, besonders auf der Seite von Camerarius, deutlich beobachten, wie im Laufe des Jahres 1623 die Rücksichtnahme auf das gegensätzliche Verhalten des Gesprächspartners eine immer künstlichere und bewußtere wurde. 1622 war Camerarius ja so weit gegangen, dem Fürsten von Anhalt ausdrücklich Erfolg bei seinen Aussöhnungsbemühungen zu wünschen. Was wahrscheinlich schon damals eine Überwindung für Camerarius bedeutet hatte, sich aber allenfalls noch mit den Friedensabsichten vereinigen ließ, die er 1622 ja auch für die pfälzische Sache insgesamt hegte, ließ sich 1623 kaum mehr mit seinen erneuten Kriegsplänen in Übereinstimmung bringen. Deshalb zog Camerarius es 1623 vor, die Frage der Unterwerfung des Fürsten geflissentlich totzuschweigen. Auch dann ging er lange Zeit nicht auf das Problem ein, als Anhalt seit Juli 1623 öfter als vorher von seinen Verhandlungen mit dem Kaiser schrieb und den Rat von Camerarius anforderte. Sogar die Schreiben und Unterlagen, die aus Wien eingetroffen waren, teilte er ihm mit, um ihm den nötigen Überblick über den Stand der Verhandlungen zu verschaffen. Welche Gelegenheit für Camerarius, nun den Versuch zu machen, seinen neuerlichen kriegerischen Geist Christian von Anhalt mitzuteilen und danach zu streben, den Fürsten mit allen Mitteln der ihm in so starkem Maß eigenen Beredsamkeit von der Unterwerfung abzuhalten! Doch so gut die Gelegenheit auch sein mochte, Camerarius nützte sie bemerkenswerterweise nur in geringem Maß, zögernd und in einer ihm sonst nicht eigenen Zurückhaltung. Zunächst schwieg er sich noch einige Wochen völlig über die Unterwerfungsfrage aus. Das monatelange, gänzliche Ignorieren dieser Mitteilungen konnte einem gewiegten Diplomaten wie dem Fürsten zwar bereits vieles sagen. Gleichwohl ist es auffällig angesichts der entschiedenen, aktiven und wortreichen Ablehnung, die Camerarius im übrigen allen Unterwerfungsabsichten gegenüber bekundete, wie er sich im Briefwechsel mit Christian von Anhalt auf Schweigen beschränkte. Man hat den Eindruck, daß die alte Achtung vor dem Fürsten und der Einfluß, den dieser auf Camerarius übte, noch immer so stark waren, daß Camerarius sich nicht entschließen konnte, das von früher gewohnte Respektsverhältnis zu durchbrechen und seine inzwischen völlig gegenteilige Ansicht Christian gegenüber offen zu vertreten. Ferner scheint es, daß er durch

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Widerspruch nicht seinen Korrespondentenauftrag verlieren wollte, der ihm 1623 ja noch viel bedeutete. Schließlich läßt sich nicht sagen, wenngleich dieser Gedankengang vielleicht allzu kompliziert ist, als daß man ihn Camerarius in der Not des Exils unterstellen könnte, inwieweit es auch 1623 noch Camerarius erwünscht war, sich selbst durch die Wiedereinsetzung des Askaniers in sein Land nach erfolgter Unterwerfung einmal für den äußersten Notfall ein Refugium zu eröffnen und zum anderen Christian endgültig von der pfälzischen Regierung zu entfernen, in der Camerarius ja seine Nachfolge angetreten hatte. So kam es, wie an anderer Stelle bereits ausführlich dargelegt wurde und deshalb hier nicht noch einmal wiederholt zu werden braucht, daß Camerarius den Unterwerfungsabsichten Christians mit aller Entschiedenheit und Energie erst dann opponierte, als er im Herbst 1623 an Schweden einen neuen festen Rückhalt gefunden hatte39. Erst dann wagte er es, dem Fürsten mit der ihm sonst eigenen Deutlichkeit seine Meinung zu sagen und ihm von seinem Vorhaben abzuraten. Wenn es überhaupt sehr fraglich ist, ob Camerarius durch energischeres Auftreten zu einem früheren Zeitpunkt Christians Entschlüsse hätte beeinflussen können, so war Ende 1623 in jedem Fall die rechte Gelegenheit schon vorüber. Christian war dem Kaiser gegenüber bereits so weit gegangen, und gleichzeitig war offenbar seine Situation in Flensburg so untragbar geworden, daß er kaum mehr zurück konnte. So wies er Anfang 1624 die Warnungen von Camerarius zurück, und wie des letzteren Schreiben einen ebenso beschwörenden wie energischen Ton angenommen hatten, so zeigte nun auch der Fürst Entschiedenheit in der Art, in der er die Vorwürfe widerlegte. Fast sah es so aus, als könne ein plötzlicher Bruch zwischen beiden Männern eintreten. Doch hierzu erwies sich das alte Vertrauensverhältnis als zu fest. Beide lenkten in ihren nächsten Schreiben wieder ein, und der Ton ihrer Briefe wurde wieder intimer und liebenswürdiger. Gleichwohl änderte diese neuerliche Freundlichkeit nichts an der Tatsache, daß Christian von Anhalt und Camerarius sich auseinandergelebt hatten und daß ihre Wege sich im Frühjahr 1624 trennten. Beide waren zwar viel zu sehr gewiegte Diplomaten und standen einander zu nahe, als daß sie es trotz ihres immer entgegengesetzteren Verhaltens in der großen Unterwerfungsfrage zu einem regelrechten Bruch hätten kommen lassen. Dafür aber ließen sie ihren Briefwechsel in der Stille einschlafen. Zwar blieben sie in gelegentlicher Verbindung. Mit dem regelmäßigen Gedankenaustausch und der Korrespondententätigkeit aber war es allem Anschein nach vorbei, nachdem der Askanier in sein Fürstentum zurückgekehrt war. Wenn Camerarius auch Christian nur verhältnismäßig geringen und spät einsetzenden Widerstand gegen dessen Unterwerfung geleistet hatte, fand er doch – und dies war für seine eigene Entwicklung das Wichtigste – Ende 1623 die Kraft, sich innerlich endgültig von seinem alten Lehrmeister und Protektor zu lösen. Der letzte Schritt in die unbedingte Kriegspolitik hinein war damit getan.

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S. F. H. Schubert, Die pfälzische Exilregierung, in diesem Band, 543 ff.

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X I. Kap itel

Der Allianzpolitiker Mit der endgültigen Trennung von Christian von Anhalt schließt jener relativ kurze Lebensabschnitt von knapp anderthalb Jahren, der die Monate von Ende 1622 bis Anfang 1624 umfaßt, jene Zeit, die, so kurz und vergleichsweise arm an äußeren Resultaten sie war, doch für des Camerarius Leben die allergrößte Bedeutung hatte. Die selbständige Leitung der pfälzischen Exilregierung, der Übergang zur unbedingten Kriegspolitik, die verschiedenen Koalitionsversuche und endlich der Anschluß an Schweden, es waren alles Entscheidungen und Vorgänge, die seinem gesamten künftigen Leben die Richtung wiesen. Nicht weniger wurde sein weiterer Lebensgang bestimmt von den neuen personellen Bindungen, die er in dieser Zeitspanne einging. Führte doch der Kontakt mit Gustav Adolf von Schweden, Axel Oxenstierna, Rusdorf und Moritz von Oranien, den er 1623 gewann, eigentlich sogleich zu den für die zweite Hälfte seines Lebens maßgebenden menschlichen Beziehungen, auf denen seine weitere Tätigkeit basierte. Man kann es sagen: Von ähnlicher Bedeutung für die Entwicklung seiner Diplomatie wie der Einfluß der beiden schwedischen Staatslenker, Rusdorfs und bis zu einem gewissen Grad auch des niederländischen Generalstatthalters war vorher nur die Zusammenarbeit mit Christian von Anhalt gewesen. Die Wichtigkeit der Zeitspanne, die wir soeben durchmaßen, wird dadurch noch gesteigert, daß Camerarius in ihr nicht nur die für sein weiteres Leben entscheidenden neuen personellen Bindungen einging. Indem er sich endgültig von Christian von Anhalt trennte, fand er zur gleichen Zeit auch die Kraft, die menschliche Bindung zu lösen, die bisher für seine diplomatische Tätigkeit bestimmend gewesen war und lange Zeit sozusagen als letztes Relikt vergangener Lebensabschnitte in die neue Phase der Kriegspolitik hineinragte. An den die Zeit von Ende 1622 bis Ende 1623 beziehungsweise Anfang 1624 umfassenden Lebensabschnitt schließt sich eng die folgende Periode an, die sich bis Anfang 1626 hinzieht, bis zu dem Zeitpunkt etwa, da das Haager Konzert zum Abschluß kam und Camerarius von seiner zweiten Gesandtschaftsreise nach Schweden in den Haag zurückkehrte. Die besonders enge Verbindung wird äußerlich schon dadurch gekennzeichnet, daß die neue Lebensphase die zweite Hälfte der Zeit ausmacht, in der Camerarius sich hauptamtlich der Leitung der pfälzischen Exilpolitik widmete. Doch reicht die nahe Zusammengehörigkeit der beiden Abschnitte noch sehr viel weiter. Sie geht um vieles mehr in die Tiefe: Die Kriegspolitik großen Stiles und der Gedanke einer weitgespannten Koalition, die Camerarius seit 1623 offen vertrat und im engen Kreis seiner anfänglichen Möglichkeiten bereits ausführte, gelangten nun zu sehr viel weiterer Entfaltung. Sie wurden unter des Camerarius tätiger Anteilnahme zu einem beherrschenden Moment in der Politik der evangelischen und antihabsburgischen Mächte Europas.

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Beträchtlich sind jetzt die Möglichkeiten gewachsen, über die Camerarius verfügt, und hierin liegt der Unterschied zu der vorangegangenen Lebensphase. Denn der kriegerische Geist, der 1623 nur eben gerade und erst ganz allmählich zu spüren war, regt sich im nördlichen und westlichen Europa nun in kräftiger Weise. Die 1623 noch so vagen Aussichten nehmen greifbare Gestalt an. Camerarius braucht 1624 nicht mehr gegen die Friedensabsichten König Jakobs anzukämpfen, sondern kann mit der militärischen Hilfe Englands rechnen und diese Aussicht in seine Pläne einbeziehen. Ferner kommen kriegerische Aktionspläne des bisher so ganz neutral gesonnenen Königs Christian von Dänemark und des vor 1624 nicht minder friedfertigen Kurfürsten von Brandenburg seinen Wünschen entgegen. Vor allem aber hat Camerarius nunmehr Gelegenheit, nicht nur die pfälzischen Angelegenheiten zu vertreten, sondern in einigen Fällen auch das schwedische Interesse zu repräsentieren und auf die schwedische Politik einzuwirken. Diese Einflußnahme ist zunächst noch gering, solange Rutgers als offizieller schwedischer Gesandter in den Niederlanden ihm vorgesetzt ist, wenn auch Oxenstierna bei den Koalitionsverhandlungen Rutgers übergeht und statt dessen Camerarius betraut, wie sich noch zeigen wird. Der Einfluß weitet sich nur allmählich aus und geht auch in den folgenden Jahren nicht über ein begrenztes Maß hinaus. Wenn Camerarius also seit 1624 seine Kriegspolitik auf einer breiteren Basis fortsetzen kann und ein Unterschied zum vorangegangenen Lebensabschnitt damit offensichtlich ist, wenn er bereits Gelegenheit hat, hin und wieder auf die schwedische Politik einzuwirken, so ist es doch noch ganz die alte Verbindung pfälzischen und gesamtevangelischen Interesses, die er bis 1626 vertritt. Noch sieht er die ihm in seiner Kriegspolitik von Anfang an in erster Linie am Herzen liegende evangelische Sache nur vom pfälzischen Standpunkt aus. Noch herrscht jene in den beiden vorangegangenen Lebensabschnitten erreichte Entwicklungsphase vor, in der das gesamtprotestantische Moment zwar noch mehr als am Vorabend und zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges in des Camerarius Denken im Vordergrund steht, in der ihn aber daneben als besonderes staatliches Interesse nur oder doch vor allem das pfälzische erfüllt. Hierin tritt erst seit 1626 eine grundlegende Änderung ein. 1626 bringt es der Übergang in hauptamtlich schwedischen Dienst, die hohe diplomatische Würde eines ordentlichen schwedischen Residenten und seit 1629 Ambassadeurs ganz zwangsläufig mit sich, daß nun neben allem ihn nach wie vor beherrschenden protestantischen Gemeinsinn und neben den weiteren Bemühungen um die pfälzischen Angelegenheiten, für die nebenher zu wirken er sich ausdrücklich vorbehält, das schwedische Staatsinteresse einen weiten Platz in seinem Handeln beansprucht. Seine Gegner behaupteten später, daß sein Einsatz für die speziell schwedischen Anliegen und sein Sinn für die Erfordernisse der schwedischen Staatsraison zu gering gewesen seien. Und tatsächlich ist dies ein Charakteristikum seiner Tätigkeit als schwedischer Gesandter. Sein Interesse und seine Wirksamkeit für die Res Evangelica bleiben so stark wie bei kaum einem anderen schwedischen Diplomaten, und oftmals neigt er dazu, die Anliegen der Causa Communis denen des schwedischen Staates überzuordnen, beziehungsweise das schwedische Interesse so aus-

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zulegen, daß es mit dem allgemeinen übereinstimmt. Wenn auch sein Einsatz für die evangelische Sache im Vergleich mit den Vorjahren nachläßt, ist er also auch nach 1626 noch immer überaus stark. Dagegen wirkt Camerarius nicht mehr mit solcher Intensität für die speziell pfälzischen Angelegenheiten. Wohl setzt er sich immer wieder für sie ein, und sie bleiben ihm ein Herzensanliegen. Doch ist es die Konsequenz seiner Aufgaben als schwedischer Gesandter, daß er sich den speziell schwedischen Interessen nun öfter und länger zu widmen hat als den speziell pfälzischen. Das führt dazu, daß Camerarius seit 1626 die Weltbegebenheiten und den Kampf für die ihn vor allem beschäftigende Causa Communis immer mehr vom schwedischen Standpunkt aus sieht, so wie er sie bisher vom pfälzischen aus betrachtete. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal tritt damit zu Tage. Es trennt die Zeit nach 1626, als Camerarius als schwedischer Gesandter zu fungieren begann, von den beiden vorangehenden Jahren und bringt diese in nahen Zusammenhang mit dem Lebensabschnitt, in dem Camerarius die Leitung der Exilgeschäfte übernahm und die Kriegspolitik begann. Die Jahre 1624 und 1625 erhalten ihr Gepräge für die gesamte Politik des nördlichen und westlichen Europa ebenso wie für des Camerarius Lebensgeschichte durch die großen Verhandlungen über eine Koalition der protestantischen Mächte, durch den Plan der „evangelischen Allianz“, den Magnus Schybergson zum ersten Mal in aller Deutlichkeit herausgestellt und eingehend untersucht hat. Ganz ist Camerarius in diesem Lebensabschnitt wie in dem vorhergehenden von dem Gedanken einer Vereinigung der antihabsburgischen Mächte erfüllt. Eine große Kriegsallianz ist der Kern seines diplomatischen Strebens. Der Koalitionsgedanke bestimmt 1624 und 1625 sein Handeln ebenso, wie er es bereits seit 1623 beherrschte. Nach 1626 hingegen, nachdem es sich entschieden hat, daß Schweden, auf das er vor allem Hoffnungen setzt, dem Bündnis fernbleibt, und nachdem er sieht, wie fragwürdig für eine wirklich effektive Kriegführung, wie er sie sich vorstellt, der Wert der dänisch-englischen Bundesgenossenschaft ist, tritt das Koalitionsstreben bei ihm allmählich um einiges zurück. Es bleibt zwar vorhanden, doch Camerarius setzt von nun an um vieles ausschließlicher als bisher seine Hoffnungen auf Schweden. Freilich ist es ihm noch immer um die Hilfe anderer Mächte zu tun. Doch diese Unterstützung soll einen sehr viel sekundäreren Charakter tragen als in der Zeit der evangelischen Bündnisverhandlungen. Schon damals, während der beiden Jahre der Allianzbemühungen, ist es charakteristisch für seine Politik im Vergleich mit dem Vorgehen anderer an den Bündnisverhandlungen in ausschlaggebender Weise beteiligter evangelischer Diplomaten, daß er danach strebt, Schweden die Führerrolle in der Koalition zu verschaffen. Aber im Gegensatz zu seiner Haltung nach 1626 handelt es sich 1624 und 1625 auch bei Camerarius stets um eine Koalition gleichberechtigter Partner, die ziemlich denselben militärischen Beitrag zu leisten haben. Alles baut sich bei ihm in dem von den evangelischen Allianzverhandlungen erfüllten Lebensabschnitt noch auf dem Koalitionsgedanken auf, auf der Hoffnung, daß tatsächlich ein gemeinschaftliches militärisches Vorgehen der evangelischen und antihabsburgischen Mächte zu erreichen sei, und zwar ein Vorgehen von solcher Wirksamkeit, wie es seinen Absichten eines Vernichtungskrieges entsprach. Der

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Ausgang der evangelischen Bündnisverhandlungen in der Haager Konferenz im Dezember 1625 und die schlechte Art, wie Dänemark und England den 1626 beginnenden sogenannten Niedersächsisch-Dänischen Krieg führen, belehren dann Camerarius endgültig, daß die Höfe von Kopenhagen und London zu schwach sind, um wirkliche Erfolge zu erzielen, und lassen ihn zu der Erkenntnis kommen, daß in einer gleichberechtigten Koalition der evangelischen Mächte die Gegensätzlichkeiten solches Gewicht behalten und die retardierenden Momente sich so machtvoll bemerkbar machen, daß wahrhaft entscheidende Schläge stets fraglich sind. Deshalb hofft er nach 1626 zwar auch noch auf Bundesgenossen, ist sich jedoch darüber im klaren, daß nur Schweden das Zeug dazu hat, einen Vernichtungskrieg zu führen, wie er ihn für nötig hält. Es ist somit ein größerer Realismus, der sich nach 1626 in des Camerarius Einstellung gegenüber der Bündnisfrage bemerkbar macht, und andererseits ist es offensichtlich, wie sehr der Glaube an den Segen einer großen Koalition, den Camerarius vor 1626 hegte, mit seinem politischen Idealismus zusammenhing. Sein Koalitionsvertrauen basierte auf ihm ebenso wie auf seiner humanistischen Gesinnung, die selber ja wieder in engster Wechselwirkung mit seiner idealistischen Auffassung der Politik stand. Wie im ersten Jahr seiner Tätigkeit als Leiter der Exilpolitik und auch schon in dem Lebensabschnitt, der auf die Katastrophe in Böhmen folgte, wurde auch 1624 und 1625 noch Camerarius in seinem Handeln durch die Hoffnung bestimmt, daß das ideelle Moment, das Anliegen, die evangelische Sache, den evangelischen Glauben und darüber hinaus die fürstliche Freiheit zu schützen, eine solche Stärke gewinnen könne, daß es die Mächte trotz ihrer oft entgegengesetzten übrigen staatlichen Interessen zu einer Einheit verbinden werde. Das Typische für sein Vorgehen in dieser Zeit war also ebenso sehr wie das Streben nach einer Kriegsallianz an sich das idealistische Moment, das diese Koalition nach seinem Wunsch bestimmen sollte. Es war ohne Zweifel sehr viel stärker ausgeprägt als bei den späteren Bündnissen, die Schweden schloß, Bündnissen, an deren Zustandekommen Camerarius zum Teil ebenfalls Anteil hatte, wenn auch oft, wie zum Beispiel bei den Verträgen mit Frankreich, nur widerstrebend. In den Koalitionsabsichten der Jahre 1624 und 1625 äußerte sich somit der politische Idealismus noch unverhohlener als in der Folgezeit, so stark und charakteristisch er auch für Camerarius während seines ganzen Lebens blieb. Ferner aber konnte sich dieser Idealismus in dem uns hier beschäftigenden Lebensabschnitt deshalb noch immer besonders frei und mächtig entfalten, weil Camerarius sich nach wie vor gänzlich in der Stimmung des Vertriebenen und Exilministers befand. Noch immer war er als Vertreter der pfälzischen Sache aller eigenen Machtmittel beraubt und deshalb auch zu keiner Rücksichtnahme auf dieselben verpflichtet. Ohne sich um den Besitz seines Fürsten sorgen zu müssen, konnte er sich vielmehr ganz seinen kühnen Plänen und seinem idealistischen Schwung hingeben. Als schwedischer Gesandter hingegen blieb ihm der Grundzug seines politischen Idealismus zwar voll erhalten, gleichwohl mußte er von 1626 an wieder mehr gewisse staatliche Interessen und Gegebenheiten respektieren als in den Jahren, da er nur Exilpolitiker war. So kommt es, daß den Höhepunkt seines

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politischen Idealismus die beiden Lebensabschnitte von Ende 1622 bis Anfang 1626 darstellen und bis zu einem gewissen Grad auch die vorangegangene Zeit von der Katastrophe in Böhmen bis zum Ende der Agententätigkeit im Niedersächsischen Kreis, insofern nämlich, als Camerarius damals seine kriegerischen und idealistischen Gedanken in seinen Flugschriften ein erstes Mal in aller Breite und in ihrer ganzen Kühnheit entwickelte. Wenn, wie aufgezeigt, die durch den Eintritt in die hohe schwedische Diplomatie im Jahre 1626 bedingten Umstände manche Änderungen in der Haltung von Camerarius veranlaßten, bedeuteten diese Wandlungen doch, wie ebenfalls bereits gesagt, keineswegs ein Abweichen von den grundsätzlichen Lebenslinien, denen seine Entwicklung bisher gefolgt war. Deshalb läßt sich sagen, daß die Entschlüsse, die Camerarius in der Notzeit des ersten Exils gefaßt, die Einstellung, zu der er sich durchgerungen hatte, auf sein ganzes künftiges Leben gestaltend einwirkten. Daß dies der Fall sein würde, stellte sich in den Jahren 1624 und 1625 heraus. Es erwies sich jetzt, daß seine Kriegspolitik trotz aller anfänglichen Schwierigkeiten Aussichten hatte, sich auf die Dauer durchzusetzen. Ferner war es nunmehr deutlich, daß er mit seinem Widerstand gegen einen Ausgleich Erfolg gehabt hatte und mit dem Entschluß nicht gescheitert war, der pfälzischen Sache persönlich die Treue zu bewahren und die pfälzische Exilpolitik in vielem zu den alten Ambitionen zurückzuführen. Freilich konnte eine endgültige Katastrophe noch eintreten. Fürs erste aber schien die Feuerprobe, die das Jahr 1623 dargestellt hatte, bestanden, und es war beglückend für Camerarius, zu sehen, wie sich ihm für seine Ideen nun wieder ein weiteres Wirkungsfeld zu erschließen begann. Er mochte es mit Recht als Ergebnis seiner mutigen Konsequenz empfinden, daß es 1624 spürbar wurde, wie der Entschluß zum Durchhalten und zur Kriegspolitik, den er Anfang 1623, gerade am Ende seines 50. Jahres, im Lebensmittag und an der Schwelle des Alters, gefaßt hatte, ihm eine Position in der europäischen Politik und die Möglichkeit bewahrte, weiterhin, auch im letzten Drittel seines Lebens, eine seiner Schaffenskraft und seinem Tätigkeitstrieb entsprechende Rolle zu spielen. 1624 klärte es sich, daß das oft nicht leichte Sich-selber-treu-Bleiben der Vorjahre dazu führte, daß sein politisches Wirken nicht mit dem fünften Lebensjahrzehnt aufhörte wie bei vielen anderen Politikern einer Epoche, in der ein Fünfziger ja schon im Gegensatz zum Empfinden des zwanzigsten Jahrhunderts ein alter Mann war, und in der die Niederlage des Protestantismus am Beginn des Krieges vielen diplomatischen Karrieren ein Ende setzte – erinnert sei nur an ihm so nahestehende Politiker wie Christian von Anhalt und Georg Erasmus von Tschernembl. Camerarius hingegen hielt sich auf der politischen Bühne und schied erst als hoher Sechziger aus der europäischen Diplomatie aus. Seine Laufbahn dehnte sich also, wie es schon zeitgenössische Beobachter bemerkten, für die Verhältnisse des 17. Jahrhunderts sehr lang hin. Diese lange Wirksamkeitsdauer aber war für seine Veranlagung zweifellos das Gegebene, und es bedeutete für Camerarius besonders viel, daß ihm auch im beginnenden Alter ein großes Tätigkeitsfeld erhalten blieb. Stand doch mit der Zähigkeit, Konsequenz und Pedanterie seiner ganzen Veranlagung eine stetige

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Langsamkeit der Entwicklung in engem Zusammenhang. Camerarius war das, was man heutzutage einen Spätentwickler nennt. Wie sich der Schwung seiner Gedanken und Pläne immer wieder mit pedantischer Zähigkeit koppelte, so war dieser Schwung ebenso mit einer gewissen Langsamkeit des ganzen Lebensablaufes verbunden. Auch daraus erklärt es sich, daß Camerarius nicht wie Christian von Anhalt und andere Diplomaten nach der böhmischen Katastrophe plötzlich mit seiner Kraft und Lust zu Ende war, sondern daß ihm der alte Elan der pfälzischen Staatskunst erhalten blieb und er die Fähigkeit und den Drang in sich fühlte, sein Werk fortzusetzen. Camerarius hat darüber niemals reflektiert, doch er scheint es im Unterbewußtsein gefühlt zu haben, daß er noch über große Energien und Möglichkeiten verfügte, daß er mit seinem Leben noch durchaus nicht fertig war. Deshalb, so oft er bisweilen – vor allem 1622 – mit seinem Rückzug aus der Politik kokettierte, drängte es ihn im Grunde doch geradezu übermächtig, diese Möglichkeiten auszuschöpfen und die in ihm noch ruhenden Kräfte zu entfalten. Obwohl er auch dies nie äußerte, ist es deutlich, wie ihn trotz aller Bedrängnisse des Exils, sobald nur wie 1624 ein Silberstreif der Hoffnung am Horizont sich abzeichnete, ein Empfinden der Befriedigung, ja des Glückes beherrschte, daß es ihm vergönnt war, an seinem Werk weiterzuarbeiten, daß sein Schaffen sich organisch fortentwickeln konnte und erst kurz vor seinem natürlichen Ende zum Halten gebracht wurde. Mit dem Camerarius eigenen sicheren Instinkt für das, was ihm lag und für ihn wichtig war, hatte er, so wenig er dies auch aussprach, doch allem Anschein nach ein starkes Gefühl für die Bedeutung, die jene Jahre von 1621 bis etwa 1625 für sein ganzes Leben hatten. Paßte es doch durchaus in das Pathos, mit dem er als echter Humanist sein ganzes Leben zu betrachten pflegte, daß die „feierliche Zeit“ des Lebensmittags und beginnenden Lebensherbstes ihn vor besonders schwere Aufgaben stellte und vor besonders weitreichende Entscheidungen, daß sich hier mehr wohl noch als in anderen Lebensläufen wichtigste Momente der gesamten Entwicklung vereinigten. Bei aller Not und Bedrängnis, die das Exil ihm nach wie vor brachte, und bei aller manchmal geradezu hektischen Geschäftigkeit, die Camerarius während der evangelischen Bündnisverhandlungen an den Tag legte, kennzeichneten 1624 und 1625 sein Handeln und seine Haltung eine gewisse feierliche Gelassenheit und ein ruhiges Vertrauen, sich auf dem rechten Wege zu befinden. Beide Momente traten 1624 bei ihm noch sehr viel deutlicher und stärker hervor als in den Vorjahren, obwohl sie auch damals schon, besonders in seinen Flugschriften, sein Schaffen charakterisierten. Wie sehr jedoch die innere Ausgeglichenheit 1624 noch zugenommen hatte, zeigt sich besonders klar, wenn man seine in diesem Jahr veröffentlichte Apologia betrachtet. Wir sahen es schon früher, wie jene für die pfälzische Publizistik überhaupt so kennzeichnende ruhige Vornehmheit in besonderem Maß in dieser Verteidigungsschrift hervortritt. In raffinierter Sachlichkeit und unter Verzicht auf alle Invektiven werden hier die Anwürfe widerlegt. Jede Seite der Apologie ist darauf abgestellt, den Eindruck zu erwecken, daß Camerarius zu hoch über seinen publizistischen Gegnern steht und vor allem seiner Sache zu sicher ist, um sich auf Pöbeleien einlassen zu müssen. Ja, die Gelassenheit, die Camerarius an den Tag legt und die ihn auch tat-

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sächlich beherrscht, geht so weit, daß er es in der Apologia zum ersten Mal in dem Federkrieg wagt, die Maske der Anonymität fallen zu lassen und offen unter seinem eigenen Namen in die Schranken zu treten. Mehr seinen Hoffnungen als bereits konkretem Wissen folgend, hatte Camerarius in Stockholm die Ansicht vertreten, das evangelische und antiösterreichische Europa rüste sich zu ernsthaften Schlägen gegen die habsburgisch-katholische Übermacht, derer man nur werde Herr werden können, wenn man den Zusammenhang der Interessen richtig würdige und ein gemeinsames Vorgehen der beteiligten Staaten zustandebringe. Camerarius war mit seiner Meinung am schwedischen Hof sofort auf Zustimmung gestoßen, weil Gustav Adolf selber – gerade 1623 – ähnliche Ansichten hegte und seinerseits Jan Rutgers, der allerdings erst zu Beginn des Jahres 1624 sich seines Auftrages entledigen konnte, bereits am 17. August 1623 beordert hatte, den Generalstaaten unter Hinweis auf die enge Verbindung des Krieges in Polen mit dem in Deutschland und auf die Gemeinsamkeit der evangelischen und antihabsburgischen Interessen einen Subsidienvertrag vorzuschlagen von der Art, daß Schweden in den Stand käme, durch Polen einen Angriff auf das Zentrum der habsburgischen Erblande zu führen und dadurch eine große Kriegsbewegung in Gang zu bringen. Doch darüber hinaus verstärkte es noch sein Ansehen in Schweden, daß das, was er, vor allem seinen Plänen, Wünschen und Berechnungen folgend, in Aussicht gestellt hatte, tatsächlich eintrat, ganz im Gegensatz zu ähnlich kühnen Prophezeiungen, die er im März 1622 in Kopenhagen gemacht hatte. Das Verhältnis Englands zu Spanien kühlte sich seit September 1623 merklich ab, und zu Beginn des Jahres 1624 wurde der Bruch vollkommen. In Frankreich kam im April 1624 Richelieu ans Ruder und gab der französischen Politik bald den großen und mutigen Stil Heinrichs IV. zurück. Dies hatte offenbar nicht geringen Anteil daran, daß auch Brandenburg im Sommer 1624 kriegerische Pläne zu hegen begann. Zur selben Zeit kehrte sich ebenfalls Christian IV. von Dänemark von seiner bisherigen Neutralität ab. Dasselbe taten die meisten anderen Mitglieder des Niedersächsischen Kreises, denen, wie dem dänischen König, das ligistisch-kaiserliche Heer an den Grenzen ihres Gebietes allmählich allzu bedrohlich wurde. Indem aber alle diese Staaten nunmehr zu ernsthaften kriegerischen Aktionen gegen die habsburgisch-katholische Partei neigten, empfanden sie das Bedürfnis, miteinander in Verbindung zu treten und ein gemeinschaftliches Vorgehen, ja wenn möglich eine Allianz zu vereinbaren. Nach dem schwedischen Vorstoß im Frühjahr 1624 nahmen, was die Einbeziehung der nordischen Reiche in die geplanten Unternehmungen betraf, Frankreich und England die Initiative in die Hand. Sie wurden dabei von Brandenburg unterstützt. Im August 1624 erschien in Stockholm als englischer Abgesandter Sir James Spens, der gleichzeitig auch in schwedischem Dienst stand, und zwar 1624 bereits in einem engeren Verhältnis als Camerarius, woran aber gleichwohl keinerseits ein Anstoß genommen wurde, da es den Gepflogenheiten der Zeit nicht widersprach, gemäß der Entwicklungsstufe, auf der sich die europäische Diplomatie des 17. Jahrhunderts befand.

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Wenig später, Mitte August 1624, stellte sich der kurbrandenburgische Geheime Rat Christian von Bellin in Schweden ein, und auch das Kommen eines französischen Gesandten stand in Aussicht1. So eröffnete des Camerarius Vorstoß nach Schweden am Stockholmer Hof eine überaus rege gesandtschaftliche Tätigkeit, und Camerarius erlebte die Genugtuung, daß Gustav Adolf und Axel Oxenstierna ihn in ihren Briefen als einen der wichtigsten Initiatoren der nun beginnenden Bündnisverhandlungen bezeichneten und auch wirklich als solchen anerkannten2. Tatsächlich war es auch anderenorts offensichtlich, daß die pfälzische Exilregierung innerhalb der europäischen Diplomatie an Geltung gewann. Die Pfälzer hatten trotz aller noch so intensiven diplomatischen Propaganda kaum oder doch nur in sehr unwesentlichem Maß vermocht, auf den Entschluß der großen Mächte über Krieg oder Frieden, auf die Grundlinie des Verhaltens dieser Staaten gegenüber der habsburgisch-ligistischen Koalition einzuwirken. Wohl hatte Camerarius an diplomatischer Aktivität 1623 das Höchstmaß des Möglichen entwickelt und die pfälzischen Anliegen den verschiedenen Höfen so oft und deutlich vor Augen geführt, den seiner Ansicht nach einzig richtigen Weg eines Vernichtungskrieges so klar dargelegt, wie es nur immer denkbar war. Das Ergebnis seiner Bemühungen hatte deshalb 1623 nicht nur darin bestanden, daß er den Winterkönig selbst von Unterwerfung und Ausgleich abhielt und die pfälzische Exilpolitik in neue Bahnen lenkte. Darüber hinaus war es Camerarius gelungen, das pfälzische Interesse so deutlich wie nur möglich in Europa anzumelden und den Gedanken des Vernichtungskrieges protestantischerseits zum Klingen zu bringen. Mochte sich aber die pfälzische Exilregierung noch so laut bemerkbar machen, der Bruch Englands mit Spanien, die veränderte Haltung Frankreichs, die kriegerischen Ambitionen der norddeutschen Fürsten und skandinavischen Könige erwuchsen aus den eigensten Interessen der Staaten und ihrer Monarchen, ohne daß die Pfälzer darauf einen besonderen Einfluß zu nehmen vermochten. Nachdem jedoch die kriegerische Bewegung sich durchgesetzt hatte und eine allgemeine geworden war, lenkte die nord- und westeuropäische Diplomatie mit einer gewissen Notwendigkeit auf den von der pfälzischen Exilregierung bereiteten Boden über. Da die Pfälzer überall so beweglich ihre Anliegen vorgetragen und mit den ideellen Momenten von allgemeinem Interesse, mit den Gedanken der Religion und Libertät verbunden hatten, da ferner die pfälzische Diplomatie bereits so zahlreiche, eingehende Projekte für gemeinsame militärische Aktionen der habsburgfeindlichen Staaten entwickelt hatte, war es das Gegebene, die pfälzische Restitution in die sehr verschiedenen Kriegsziele der einzelnen Staaten aufzunehmen, ja sie in vieler Hinsicht zu einem Generalnenner der Vereinigung zu machen, und die pfälzischen Aktionsprojekte aufzugreifen. Oder anders ausgedrückt: Die pfälzische Staatskunst hatte alle Kriegsmöglichkeiten schon so oft zur Sprache gebracht, daß man nun, da ein großer Krieg wirklich spruchreif 1



2

Es war der Agent Des Hayes, der Anfang 1625 in Schweden erschien. Oxenstierna an Camerarius, Stockholm 3. 9., Vadstena 20. 10. 1624, OSB, I, 2.

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wurde, notwendigerweise zu Projekten kam, die pfälzischerseits schon erörtert und vorgeschlagen worden waren, daß man in die durch die Exilregierung vorgezeichneten Bahnen einlenkte. Knüpfte die europäische Diplomatie also 1624 zum Teil, ohne es zu beabsichtigen, an Gedanken an, die von der pfälzischen Exilregierung entwickelt worden waren, so wurde der Anschluß oft auch ganz bewußt hergestellt. Besonders von Seiten Schwedens und Englands war dies der Fall. Als der Prinz von Wales, der schon im April des nächsten Jahres, 1625, als Karl I. zur Regierung kommen sollte, im Herbst 1623 gekränkt aus Spanien zurückkehrte, lieh er plötzlich den pfälzischen Vorschlägen, die Camerarius durch Rusdorf in London unterbreiten ließ, ein bereitwilliges Ohr. So war für Camerarius die Gelegenheit günstig, nach seiner Rückkehr aus Schweden im Januar 1624 am englischen Hof für die Projekte Propaganda machen zu lassen, die ihm Gustav Adolf entwickelt hatte und die so ganz mit seinen eigensten Gedanken und Wünschen übereinstimmten. Camerarius erreichte mit seinen Bemühungen, für die er offenbar Rusdorf zunächst vollständig gewann, daß der von Gustav Adolf und ihm selbst vertretene Plan eines Vernichtungskrieges gegen das Zentrum der habsburgischen Macht, eines schwedischen, von den anderen Mächten zu unterstützenden Angriffs auf Schlesien und die übrigen Länder der Wenzelskrone, die volle Zustimmung des Prinzen von Wales fand, während der alte, von Monat zu Monat starrer und wunderlicher werdende König Jakob sich nunmehr zwar ebenfalls zum Krieg und zu bewaffneter Restitution entschlossen zeigte, aber sich noch nicht auf ein bestimmtes Programm festlegen wollte. So waren es zwei Aufträge, derer sich Spens Mitte August 1624 in Schweden zu entledigen hatte. Einmal lag es ihm ob, im Namen Jakobs I. König Gustav Adolf zur Schilderhebung gegen die habsburgisch-ligistische Koalition aufzufordern, auch englische Hilfe in Aussicht zu stellen, jedoch eine Präzisierung derselben und feste Zusagen zu vermeiden und sich auch noch nicht auf ein bestimmtes Aktionsprogramm festzulegen. Zum anderen fiel ihm die Aufgabe zu, dem schwedischen König und dessen Ratgebern eine geheime Botschaft des Prinzen von Wales zu überbringen, die ganz im Gegensatz zur Haltung des königlichen Vaters ausdrücklich das von der pfälzischen Exilregierung in London vertretene schwedische Programm guthieß und König Gustav Adolf zum Angriff auf Schlesien und andere österreichische Erbländer ermunterte. Die Botschaft des Prinzen von Wales stellte ferner für den geplanten Angriffskrieg englische Hilfsgelder, monatlich 20 000 Pfund Sterling, in Aussicht. Sie sollten entweder Gustav Adolf direkt zufließen oder Verwendung finden zur Aufstellung eines gesonderten Heeres, das seinen Angriff ebenfalls gegen die habsburgischen Erbländer zu richten und also mit der schwedischen Armee zusammen zu operieren gehabt hätte. Schließlich war noch gesagt, daß man auch auf niederländische Hilfe hoffen, ja sogar mit ihr rechnen könne. Diese geheimen Ausführungen machte Spens nicht nur im Namen des Prinzen von Wales. Er hob hervor, daß auch der Winterkönig die Verwirklichung des Projektes aufs wärmste wünsche. Was Camerarius ein halbes Jahr früher Gustav Adolf bereits mündlich und dann immer wieder schriftlich versichert hatte, fand

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damit durch den Mund eines anderen Gesandten eine nochmalige Bestätigung. Vor allem aber zeigte die Mission von Spens Gustav Adolf und Oxenstierna, daß Camerarius sein Versprechen erfüllt und einen Erfolg bei seinen Bemühungen um die Unterstützung des schwedischen Projektes durch andere europäische Mächte erzielt hatte. Wohl war es zunächst nur der Prinz von Wales, der sich zu festen Zusagen bereitfand, doch seine prinzipielle Bereitwilligkeit hatte ja auch König Jakob erklärt, und es war zumindest gut möglich, daß sich der alternde König, auf den der Thronfolger immer größeren Einfluß gewann, auch in dieser Frage dem Prinzen beugen würde. So beantwortete man denn in Stockholm die englischen Vorschläge in zwar ebenfalls noch nicht bindender, aber doch durchaus entgegenkommender Weise3. Man brachte zunächst eine feste Abmachung zwischen dem König von Schweden, dem Prinzen von Wales, dem Winterkönig und, wenn möglich, auch Prinz Moritz von Oranien in Vorschlag, für die dann möglichst viele weitere Fürsten gewonnen werden sollten. Die Vertragschließenden sollten sich zu gemeinsamem Vorgehen im Sinne von Operationen gegen die kaiserlichen Erbländer verpflichten. Schweden übernahm dabei die Aufgabe, vorher noch Polen niederzuwerfen. Sobald Polen aber am Boden lag, sollte auch bereits die englisch-pfälzischniederländische Armee zur Hand sein, um mit dem konzentrischen Angriff auf die kaiserlichen Erbländer beginnen zu können. Ferner sollten sich die Vertragschließenden gegenseitigen Schutz vor Angriffen Dritter versprechen, wodurch Schweden sich besonders vor Dänemark sichern wollte. Die Bündniskonstellation, die sich somit im Sommer 1624 deutlich abzeichnete, erfüllte Camerarius mit größter Genugtuung. Entsprach sie doch in jeder Hinsicht seinen eigensten Gedanken: Ein großer Schlag gegen das Zentrum der katholischen Macht sollte erfolgen. Gustav Adolf war als der ausschlaggebende Führer des Unternehmens zu denken, dem ferner eine von Camerarius so verehrte Persönlichkeit wie Moritz von Oranien seine Unterstützung leihen würde. England wandte sich endlich vom Aussöhnungsstreben auf rein dynastischer Grundlage und von dem Gedanken an kleinliche und begrenzte militärische Aktionen ab, für deren Aussichtslosigkeit Camerarius von vornherein ein so richtiges Gefühl hatte. Die Möglichkeit wurde 1624 sichtbar, Schweden, England und vielleicht auch die Niederlande in einem Maß für die pfälzische Großstaatpolitik und besonders für die böhmischen Aspirationen zu gewinnen, wie dies 1619 und 1620 nicht gelungen war. Da aber Schweden sich anschickte, an die Spitze der Koalition zu treten, und man nicht mehr, wie es England bisher ausschließlich gewünscht hatte, lediglich die Wiedererlangung des altüberkommenen Besitzes erstrebte, sondern auch die rechtlich soviel weniger begründete Herrschaft über Böhmen aufs neue antreten wollte, war damit zu rechnen, daß zum ideellen Fundament des Kampfes nicht mehr nur die dynastisch-rechtliche Idee dienen konnte, sondern daß in viel stärkerem Maße als bisher das religiöse Moment hervortreten mußte, ob England dies im einzelnen wünschte oder nicht. Schließlich konnte Camerarius es als nicht geringen Erfolg betrachten, daß der Winterkönig 3



Oxenstierna an Spens, Stockholm, August 1624, an Camerarius 3. 9. 1624, OSB, I, 2.

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in dem vorgesehenen Bündnis als selbständiger und wenigstens in juristischer Hinsicht gleichberechtigter Vertragspartner erscheinen sollte. Befriedigten somit in sachlicher Hinsicht der Beginn und Verlauf der Verhandlungen um eine evangelische Allianz vom Winter 1623 bis zum Beginn des Herbstes 1624 Camerarius vollkommen, so war er nicht weniger froh über die allmähliche Besserung, die seine persönliche Stellung durch die Unterhandlungen erfuhr. Tatsächlich wurde er in Sachen des großen Allianzplanes zum eigentlichen Vertrauensmann Gustav Adolfs und Axel Oxenstiernas im Haag, dem Oxenstierna, was bei dem mit Arbeit überlasteten Kanzler viel heißen wollte, 1624 und in den folgenden Jahren so oft schrieb wie nur wenigen anderen Diplomaten. Camerarius fiel nach dem Wunsch der schwedischen Staatslenker vor allen anderen beteiligten Diplomaten die wichtige Aufgabe zu, das in Stockholm Gewünschte nicht nur beim Winterkönig, sondern ebenso bei Prinz Moritz, beim Prinzen von Wales und den Gesinnungsgenossen im Reich zu vertreten und an all diesen Stellen dafür zu werben, wie es Oxenstierna in einem Brief an Camerarius vom 28. September 1624 formulierte: „Tuum … erit instigare ac hortari cum Regem tuum, … tum per illum Principem Walliae, Principem Mauritium ac denique amicos per Germaniam, ut animum viresque colligant atque restituere collapsas res, idque quod reliquum est, conservare contendant.“4 So weit ging das Vertrauen zu Camerarius und so geheim wünschten die schwedischen Staatslenker den Plan einer evangelischen Allianz unter schwedischer Beteiligung, ja Führung zu halten, daß sie im August 1624 nicht einmal Rutgers von der Mission von Spens Mitteilung machten, ebensowenig wie von den gleich darauf einsetzenden kurbrandenburgischen Bemühungen. Während Camerarius Ende August sogleich über die neuen Bündnisabsichten Schwedens informiert wurde und wichtige Aufträge erhielt, die schwedischen Interessen bei den beginnenden Verhandlungen zu vertreten, setzte man Rutgers zunächst nicht ins Bild über die neuen Möglichkeiten, mit England, Brandenburg und anderen evangelischen Mächten zu einer Einigung zu kommen5. Erst am 20. Oktober 1624 erhielt Camerarius Ordre, Rutgers über die laufenden Verhandlungen zu unterrichten, und erst am 1. November informierte Oxenstierna auch seinerseits Rutgers wenigstens in großen Zügen von dem Plan eines schwedischen Zusammengehens mit England und Brandenburg, erst zu einem Zeitpunkt also, da die Verhandlungen schon weit fortgeschritten waren6. Weil der Brief, wie alle Post aus Schweden, einige Wochen brauchte, bis er im Haag anlangte, blieb Rutgers bis zum Ende des Jahres 1624 im Unklaren über die neuen Pläne seiner Regierung, und Camerarius wie die inzwischen im Haag eintreffenden englischen und brandenburgischen Gesandten mußten ihren ganzen Takt aufwenden, um ihr Geheimnis vor Rutgers nicht preiszugeben und doch ihr Auftreten und ihre Verhandlungen so einzurichten, daß dieser sich nicht gekränkt fühlte. Die Aufgabe 4

6 5

OSB, I, 2. S. Schybergson, Underhandlingarna, 67. Oxenstierna an Camerarius, Vadstena 20.10.1624: „Adhibite quoque Ruthgersium, ut si illius opera isto in negocio forsam utendum sit, ne sit ignarus, et sui neglecti alias causas suspicetur ac indigne ferat.“ OSB, I, 2.

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war so delikat, daß Camerarius seinerseits mehrmals bei Oxenstierna vorstellig wurde, ob es nicht besser sei, Rutgers von dem Geplanten Mitteilung zu machen, zumal dieser ja schon seit August 1623 beauftragt war, die Niederlande zur Unterstützung der geplanten schwedischen Operationen gegen Schlesien zu vermögen und sich 1624 dieser Aufgabe mit aller Energie unterzog, und da Rutgers ferner zwar nicht um die schwedischen, aber doch die englischen Bemühungen um ein Kriegsbündnis seit Juli 1624 wußte7. Camerarius scheint den nötigen Takt und Rutgers die nötige Großzügigkeit besessen zu haben, so daß bei letzterem die verspätete Information tatsächlich keine Verstimmung hervorrief, wenigstens nicht eine solche, die sich gegen Camerarius richtete. Vielmehr verharrte Rutgers in den zwei Jahren, in denen ihm bis zu seinem Tod Ende Oktober 1625 Camerarius als Adlatus zur Seite stand, in derselben freundschaftlichen Gesinnung, die er ihm auch schon in Böhmen bewiesen hatte. Ja, diese Freundschaftlichkeit steigerte sich angesichts der bedrängten Lage, in der er Camerarius im Haag wiederfand, zu Wohlwollen und energischer Förderung. Camerarius hatte also das Glück, daß ihm bei seinem Debüt in der schwedischen Diplomatie ähnliche Mißhelligkeiten wie am Ende seiner Laufbahn erspart blieben, als ihm, wie seinerzeit Rutgers, ein Adlatus in der Person Peter Spieringks zur Seite gesetzt wurde, mit dem es Unzuträglichkeiten in Fülle gab. Weiter oben wurde schon der Brief zitiert, in dem Rutgers am 9. Mai 1624 Camerarius noch einmal aufs wärmste an Oxenstierna empfahl und betonte, daß es ihn schmerze, einen so verdienten und tüchtigen Mann Bedrängnissen und Anfeindungen ausgesetzt zu sehen. Von besonderem Interesse war es, wie Rutgers sich in diesem Brief auch noch einmal ausdrücklich zu der böhmischen Politik von Camerarius bekannte, indem er sagte, Camerarius werde auch deshalb besonders angegriffen, „quod inter primos auctor arreptor Bohemiae ex eaque manantium cladium habeatur. Si fortuna favisset poterat eo sapientius nihil videri. Nunc id onus fert, quod fatalis necessitas ei imposuit“8. So blieb Rutgers auch nach der Katastrophe dem relativ positiven Urteil getreu, das er von Prag aus über die pfälzische Politik abgegeben hatte. Er war sich 1620 nicht im Unklaren darüber gewesen, daß seine Gesandtschaft an den pfälzischen Hof auf dem Hradschin einen der ersten Schritte Gustav Adolfs dargestellt hatte, die schwedische Politik in engeren Kontakt mit den mitteleuropäischen Verhältnissen zu bringen, als er bisher bestanden hatte. Tätigen Anteil hatte Rutgers also bereits an den ersten Regungen schwedischer Großmachtpolitik genommen. Er hatte diese Regungen nicht einzudämmen versucht. Vielmehr hatte er durch seine relativ positiven Berichte das Seine getan, das schwedische Interesse an der pfälzischen Politik wachzuhalten. Auch weiterhin bewies Rutgers einen starken Sinn für die großen europäischen Zusammenhänge der Politik und für die Absichten Gustav Adolfs, seinem Land eine bedeutendere Stellung im Konzert der Mächte zu verschaffen, als es sie bisher besessen hatte. Auch das 7



8

Camerarius an Oxenstierna, Haag 19. 12. 1624, 24. 1. 1625, SRA, Ox. slg. Rutgers an Oxenstierna, Haag 9. 5. 1624, SRA, Ox. slg.

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religiöse Empfinden, das Verständnis für die Gemeinsamkeit der evangelischen Anliegen waren bei Rutgers stark ausgeprägt, ebenso wie ein ästhetischer Sinn für die Schöngeistigkeit des Humanismus, in dessen Disziplinen auch er sich gut bewandert zeigte. Dies alles erklärt es, daß Rutgers Camerarius’ kühnen Plänen mit Verständnis entgegenkam. Gleichzeitig aber war ein Unterschied in der Auffassung beider Männer offensichtlich. Neben dem Wunsch, die neuen gewagten und weitgespannten Pläne zunächst nur einem möglichst kleinen Kreis Allervertrautester zu eröffnen, zu dem Camerarius schon deshalb notwendigerweise gehörte, weil ja das Vorhaben mit von ihm ausging, dürfte auch dieser Unterschied der Ansichten Oxenstierna veranlaßt haben, Rutgers von dem neuen Beginnen zunächst keine Mitteilung zu machen. Denn so großes Verständnis Rutgers für das erwachende schwedische Großmachtstreben hatte und für die Gemeinsamkeit der evangelischen Anliegen, so war doch bei ihm der Sinn für das Mögliche und für die Realitäten der Politik stark entwickelt. Rutgers war im Gegensatz zu Camerarius durchaus ein politischer Realist9. Wie Camerarius verfügte er zwar über einen starken Optimismus. Dieser hatte ihn zum Beispiel in Böhmen die positiven Momente der pfälzischen Herrschaft öfter und stärker, als andere Gesandte es taten, hervorheben lassen, wenngleich er sich dabei – wie übrigens auch Camerarius – keineswegs dem Bedenklichen der Situation verschlossen hatte und in seinen Berichten somit nicht von einer Darstellungsweise abgewichen war, die bei aller positiven Schattierung den Tatsachen entsprach und ihnen Rechnung trug. Doch schon damals zeigte es sich, und bei der neuerlichen und im Vergleich mit der gemeinsamen Zeit in Böhmen sehr viel engeren Zusammenarbeit im Haag wurde es vollends offenbar, daß Rutgers bei allem Optimismus die Dinge ungleich nüchterner beurteilte als Camerarius, daß die Art, in der er seinen diplomatischen Aufgaben nachkam, um vieles vorsichtiger und weniger schwungvoll war. Traten doch im Haag zu der unterschiedlichen inneren Veranlagung beider Diplomaten deutlich differenzierte äußere Lebensumstände hinzu: Rutgers befand sich während der evangelischen Bündnisverhandlungen nicht in der etwas hektischen Stimmung des Exilanten, die Camerarius trotz der ein wenig gebesserten Lage nach wie vor beherrschte. Rutgers war außerdem 1624 wohl bereits ein kranker Mann und betrachtete die Dinge deshalb mit einem Anflug von Mattigkeit und Resignation, was seine Vorsicht noch steigerte und ihn von des Camerarius schwungvoller Energie besonders weit entfernte. Schließlich kannte Rutgers als Mitglied einer angesehenen niederländischen Familie die Verhältnisse in den Vereinigten Provinzen besser als Camerarius und wies deshalb, obwohl er mit Eifer und auch nicht ohne Erfolg die diesbezüglichen Verhandlungen führte, von vornherein auf die Schwierigkeiten hin, die es kosten würde, gemäß seinem Auftrag vom August 1623 die Generalstaaten zur Unterstützung der geplanten schwedischen Aktion gegen Schlesien zu vermögen. Ebenso stellte er, nachdem man ihn endlich über den großen Bündnisplan ins Bild gesetzt hatte, deutlicher als Camerarius die Schwierigkeiten heraus, die sich seiner, wie 9



S. Schybergson, a. a. O., u. Ahnlund, a. a. O.

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sich zeigen sollte, berechtigten Meinung nach der Koalition in den Weg stellten. Zwar erkannte auch Rutgers die Größe und Bedeutung des Geplanten vollkommen an. Aber bei der ihm eigenen nüchternen Abschätzung des Möglichen erschienen ihm die Hindernisse, die der Ausführung des Projektes entgegenstanden, größer, als sie sich Camerarius darstellten oder als dieser sie wenigstens wahr haben wollte. Wie gesagt, nur auf manche den Koalitionsplan hemmende Schwierigkeiten wies Rutgers hin. Ob er darüber hinaus trotz allen vorgängigen Verständnisses für die schwedische Großmachtpolitik 1624 und 1625 auch gegen das kühne Beginnen insgesamt Bedenken hegte, gleichzeitig Polen niederzuwerfen und die habsburgische Macht anzugreifen oder mit Polen im Rücken nach Deutschland überzusetzen, äußerte er nicht. So läßt sich nicht endgültig entscheiden, ob im kleinen der Unterschied der Ansichten von Rutgers und von Camerarius dem Unterschied ähnelte, der wenigstens später zwischen den Wünschen von Oxenstierna und Gustav Adolf bestand. Soviel aber ist sicher, daß es die veränderte Richtung, die sich allmählich steigernde Kühnheit und die sich weitende Zielsetzung der schwedischen Politik kennzeichnet, daß seit 1624 ein Teil der wichtigsten im Haag zu führenden Verhandlungen nicht mehr vornehmlich in den Händen von Rutgers, sondern in denen von Camerarius lag. Des Camerarius allmähliches Hervortreten in der schwedischen Diplomatie bedeutete sozusagen ein Programm. Zu seiner großen Befriedigung erfuhr Camerarius durch ein ausführliches Schreiben von Oxenstierna vom 3. September 1624, daß Spens sich seines Auftrages ganz in der Art entledigt hatte, wie sie des Camerarius Wünschen entsprach, der von nun an Spens stets weitgehende Hochachtung zollte. Ein „vir sane optimus“ heißt Spens in den Briefen an Rusdorf10, in denen Camerarius sich aus keinerlei Gründen der Konvention, wie etwa Oxenstierna gegenüber, zu lobenden Bemerkungen bemüßigt fühlte. So bedeutet diese Anerkennung um so mehr, und ohne Zweifel war neben Sir Thomas Roe, mit dem er Ende der zwanziger Jahre viel zu tun hatte, Spens derjenige englische Diplomat, dem Camerarius das meiste Vertrauen schenkte, wie es auch dem Umstand entsprach, daß Spens außer für England gleichzeitig auch für Schweden arbeitete. Überhaupt bedeutete es für Camerarius eine höchst angenehme Folgeerscheinung des Interesses, das die evangelischen Mächte des nördlichen und westlichen Europa 1624 und in den folgenden Jahren an einer großen Kriegskoalition nahmen, daß im Zug der Verhandlungen, die sie darüber führen ließen, Diplomaten in den Vordergrund traten, die Camerarius in ihrem Denken in vieler Hinsicht verwandt waren. Was diese Männer verband, war eine gewisse Großzügigkeit der Auffassung. Sie alle waren, sosehr ihre politische Zielsetzung auch im einzelnen Unterschiede aufwies, erfüllt von der Ansicht, daß die wachsende Übermacht des habsburgisch-katholischen Staatenblockes energische kriegerische Schläge und eine Allianz der evangelischen und antihabsburgischen Mächte nötig machte, und daß die staatlichen Gegensätzlichkeiten unter den protestan10

Z. B. vom 11. 8. 1625, Coll. Cam. Vol. 25.

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tischen Mächten zugunsten der großen Koalition zurückgestellt werden mußten. Bei Betonung des Gemeinsamen aber kamen sie notwendigerweise dazu, ihre Bemühungen auf einer starken ideellen Grundlage basieren zu lassen, die im einzelnen wiederum viele Unterschiede aufwies, von der sich im allgemeinen aber doch sagen läßt, daß in ihr das religiöse Moment stärker war als in der in den Vorjahren herrschenden Diplomatie. Gaspar van Vosbergen und der Gesandte Joachimi von niederländischer Seite, Camerarius, Rusdorf und Plessen von pfälzischer, Spens und bis zu einem gewissen Grad Sir Robert Anstruther von englischer, von brandenburgischer Seite aber Christian von Bellin, Siegismund von Götzen und Samuel von Winterfeld: Sie alle waren Politiker, die sich als Typen in vielem nahestanden. Wie weit bei aller Ähnlichkeit die politische Zielsetzung dieser Hauptakteure der neuen kriegerischen Bewegung und des Bündnisplanes auseinanderging, bekam Camerarius nur zu bald zu spüren. Noch als Spens sich in Stockholm aufhielt, langte hier Anfang September 1624 als Abgesandter des Kurfürsten von Brandenburg der brandenburgische Geheime Rat Christian von Bellin an, einer der Führer der kriegerischen Partei im brandenburgischen Geheimen Rat. Wie Götzen und Winterfeld Calvinist und hinsichtlich der Stärke des religiösen Momentes in seinem diplomatischen Handeln den Pfälzern und besonders Camerarius verwandt, hatte Bellin schon von jeher einen warmen Sinn für die Gemeinsamkeit der evangelischen Interessen und jenen mutigen Elan an den Tag gelegt, den sich Camerarius unter den evangelischen Diplomaten stets wünschte. Mehrfach war Bellin bereits für eine tatkräftige und mutige Förderung der protes­tantischen Sache eingetreten, und 1624 vermochten er und seine Gesinnungsgenossen am Berliner Hof tatsächlich, die vom katholischen Grafen Adam zu Schwarzenberg geführte Friedenspartei zurückzudrängen und Kurfürst Georg Wilhelm für eine energischere Politik zu gewinnen. Daß dies gelang, schrieben zeitgenössische Beobachter, unter anderen Oxenstierna selbst, nicht zuletzt dem ständigen Drängen der pfälzischen Exilregierung zu11. Des Camerarius Ansehen wurde durch Bellins Mission also in Stockholm weiter gehoben, und es bedeutete für seine Politik an sich ein positives Moment, daß nun Brandenburg sich ebenfalls anschickte, in Aktion zu treten. Die Richtung aber, in die diese Aktion zu lenken die brandenburgische Politik für gut fand, entsprach des Camerarius Wünschen sehr viel weniger, und es kam dahin, daß eben die zum Teil durch pfälzisches Drängen herbeigeführte und an sich des Camerarius Ansichten so entgegenkommende Gesandtschaft Bellins die geplante Aktion von der Richtung und den Zielen wieder abbrachte, die Camerarius am meisten am Herzen lagen und deren Erreichung sich abzeichnen zu sehen ihn so glücklich gemacht hatte. Als nämlich Bellin in Schweden von dem Plan hörte, gegen Schlesien und Böhmen zu operieren, trat ihm offenbar sogleich sehr deutlich vor Augen, daß das Ziel eines solchen Vorgehens nicht nur die Restitution Friedrichs V. in seinen 11

Oxenstierna an Camerarius, Vadstena 20. 10. 1624, OSB, I, 2; Schybergson, Underhandlingarna, 40.

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pfälzischen Besitz sondern die Rückeroberung Böhmens sein mußte, und daß der von der schwedischen und pfälzischen Politik entwickelte Plan eines Vernichtungskrieges gegen das Zentrum der kaiserlichen Machtstellung geradenwegs zurücklenkte in die Bahnen der kühnen und wilden pfälzischen Großmachtpolitik von 1618 und 1619. Sosehr Bellin aber von der Notwendigkeit überzeugt war, daß gegen den habsburgisch-katholischen Block nunmehr ernsthafte Schläge geführt werden mußten, schreckte er doch davor zurück, die direkte Wiederaufnahme der weitgespannten pfälzischen Pläne von 1618 zu unterstützen, die, wie er wußte, den Wünschen seines kurfürstlichen Herrn und des Grafen Schwarzenberg wie auch der ganzen bisherigen brandenburgischen Politik diametral entgegengesetzt gewesen waren. Bellin entwickelte deshalb in Schweden einen Gegenplan. Nicht durch Polen gegen Schlesien sollte der Stoß geführt werden. Vielmehr hatten nach Bellins Vorschlag die Operationen an der Westgrenze des Niedersächsischen Kreises zu beginnen. Hier sollte Tilly verjagt werden. Alsdann sollten die Operationen rheinaufwärts nach Oberdeutschland gehen und so die Stammlande des Pfalzgrafen zurückerobert werden. Es waren also die alten, 1621 und 1622 auch in der pfälzischen Politik maßgebenden Gedankengänge, die, wenn überhaupt von einer bewaffneten Restitution die Rede war, bisher die englische Regierung und die evangelischen Reichsstände bestimmt hatten. Freilich durfte es sich nach Bellins Ansicht jetzt nicht mehr um so beschränkte und dadurch nutzlose Aktionen handeln, wie sie bisher von englischer und deutsch-protestantischer Seite geplant und von den Kondottieren 1622 auch tatsächlich ins Werk gesetzt worden waren. Vielmehr dachte Bellin an eine wirklich große Armee. Er beabsichtigte, wenn auch nicht auf Breslau, Prag und Wien marschiert werden sollte, doch im Gebiet des rheinisch-oberdeutschen Raumes mächtige und offensive Schläge zu führen. Unter der Voraussetzung eines Krieges wirklich großen Stiles gelang es Bellin erstaunlich rasch, Gustav Adolf für den Plan zu gewinnen. Ohne sich lange zu besinnen, erklärte sich der König noch im September 1624 bereit, auf die vorgängige Niederwerfung Polens und die Operationen durch Polen hindurch, also auf die methodische Ausweitung des bisher geführten baltischen und osteuropäischen Krieges zu einem zentraleuropäischen, zu verzichten und statt dessen mit Polen im Rücken direkt nach Deutschland von Schweden aus überzusetzen und rheinaufwärts zu operieren. Wie sehr er allerdings auch diesen Krieg im Gegensatz zu den bisher am Rhein betriebenen Operationen in großem Stil führen wollte, zeigt die Bedingung, daß er den Plan nur ausführen würde, wenn England und die protestantischen Fürsten Deutschlands ihm bis zum 1. März 1625 die Geldmittel überwiesen, um eine Armee von etwa 50 000 Mann anzuwerben, die sich mit schwedischen Truppen zu vereinigen und unter Gustav Adolfs alleinigem Kommando zu stehen hatte. Am 20. Oktober 1624 unterrichtete Oxenstierna in einem langen Schreiben Camerarius von den mit Bellin geführten Unterhandlungen und von der Änderung des schwedischen Operationszieles. Aus Rücksicht auf Schweden brauchte Camerarius nun also nicht mehr für das Projekt des Angriffs gegen Schlesien und die übrigen habsburgischen Erbländer zu werben. Gleichwohl hielt er im Be-

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reich des Möglichen an dem bis zu Bellins Kommen in Stockholm gehegten Plan fest. Er dokumentierte damit zum einen, wie sehr ihm das alte pfälzische Streben nach der Wenzelskrone und der Gedanke des unbedingten Vernichtungskrieges gegen das Zentrum der habsburgischen Macht Herzenssache waren. Zum anderen bewies er ein erstes Mal, was sich in späteren Jahren immer wieder herausstellte, daß er sich bei aller, wie sich noch zeigen wird, oft ans Devote grenzenden Bewunderung für Gustav Adolf und Axel Oxenstierna und allem Respekt, den er ihnen entgegenbrachte, doch stets sehr persönliche Ansichten bewahrte und selten Anstand nahm, dieselben in Stockholm vorzutragen, auch wenn er wußte, daß man hier im Augenblick anders dachte. Vielmehr ist auch noch später mehrmals die Großzügigkeit auffällig, mit der Camerarius nach eigenem Ermessen handelte. Auf die Änderung des schwedischen Operationsplanes, die ihm im Oktober 1624 mitgeteilt wurde und seine schönsten Hoffnungen zerstörte, antwortete Camerarius am 2. Januar 1625 mit einem ausführlichen Schreiben an Oxenstierna, in dem er noch einmal mit großer Offenheit für den schlesischen Plan plädierte12: „… fortissimi Regis heroica prorsus et divinitus inspirata consilia oblationesque cum devotissima admiratione eius Maiestatis continuo mecum revolvi“, schrieb er und fuhr ganz offen fort: „aperiam paucis intima sensa animi et obversantes sollicitudines.“ Noch einmal resümierte er darauf in seinem Brief alle Gründe, die nach seiner Ansicht und nach dem bisherigen Dafürhalten der schwedischen Regierung für den Angriff auf Schlesien und gegen Operationen in Westdeutschland sprachen: Der Kaiser werde durch einen Kriegszug gegen Breslau und weiter gegen Prag und Wien sehr viel mehr bedrängt werden als durch noch so machtvolle Schläge am Rhein. Spanien werde den deutschen Habsburgern in den Ländern der Wenzelskrone nicht helfen können, während es in Westdeutschland leicht Unterstützung zu bieten vermöchte. Ebensowenig werde in den östlichen Stammlanden der Habsburger die Hilfe der Liga ins Gewicht fallen, während die ligistische Macht am Rhein ja überaus stark sei. Sehr groß würden ferner die Schwierigkeiten sein, die sich der schwedischen Forderung entgegenstellten, als Ausgangsbasis für die Operationen in Westdeutschland die Städte Wismar und Bremen in Besitz zu nehmen. Auch die anderen Hemmnisse des Nachschubs unter gehörigen Sicherungen der Rückverbindungen nach Schweden waren bei einem Zug nach Westdeutschland nach des Camerarius Darstellung hoch anzuschlagen und übertrafen die Schwierigkeiten, die der Krieg in Ostdeutschland bieten würde, wo man von der gesicherten Ostseebasis aus vorgehen konnte. Um seinen Gegenargumentationen die rechte Stoßkraft zu verleihen, begann Camerarius dieselben mit einer Nachricht aus der Hofburg, die ihm angeblich zugegangen war. Mochte er diese Mitteilung tatsächlich erhalten haben, oder mochte sie fingiert sein, die Art, wie er sie mitteilte, ebenso wie der ganze Beginn seiner Argumentation kennzeichnen jedenfalls, wieviel ihm daran lag, das schlesisch-böhmische Angriffsprojekt doch noch zu retten. Camerarius schrieb: „Postquam ex Suecia discessit Camerarius, nunquam ex mente deposuit sanctis12

SRA, Ox. slg.

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sima illa colloquia, quae ipse Rex Sueciae de transferendo per Poloniam in Silesiam exercitu cum ipso habuit. Nam etsi hic acta cum Auraico per Rutgersium ex voto non succederent, non desperavit tamen melioris temporis felicem ocasionem oblatam iri tam praeclaris desideriis. Quin etiam nunc in ea sententia est, si aliorum modo eo inclinarent animi, longe faciliorem in omnes eventus, et maioris efficaciae illam expeditionem fore. Habemus enim per hominem fidum ex ore Caesaris, cum dixit, parum se curare, etiamsi adimatur Palatinatus iniustis possessoribus; eam nunc suam et Imperii conditionem esse, ut quotiescunque velit, neque causa, neque facultas ipsi deesse possit, ad hanc recipiendam. Verum si Bohemia aut huic coniunctae Provinciae petantur, tum actum fore de Caesare et sua domo funditus … Sane existimo, Caesarem vera dixisse, et hanc viam esse potissimam ad ipsam rerum summam. Sed quis Regem Angliae eo perducat, ut saltem jure belli Bohemiam peti posse aut debere statuat. Video etiam Electorem Brandeburgensem et alios in eadem sententia esse, ex causis, quae tamen veras rationes non habent.“13 Eindeutig lautete somit das Bekenntnis, das Camerarius noch einmal zum Vernichtungskrieg in Böhmen ablegte. Auch seinen pfälzischen Kollegen, vor allem Rusdorf gegenüber, nicht weniger wie im Gespräch mit Moritz von Oranien und anderen maßgebenden niederländischen Politikern ließ er offenbar durchblicken, daß sein eigentlicher Wunsch nach wie vor auf einen Schlag gegen die kaiserlichen Erbländer ging14. Ebenso entwickelte Camerarius seine Bedenken auch vor Spens und Bellin, die in der zweiten Dezemberhälfte 1624 im Haag eintrafen, um weiter nach England zu reisen. – Die Weihnachtstage 1624 brachten dem Haag und Camerarius diplomatischen Hochbetrieb. Besonders mit Bellin, dem eigentlichen Urheber der Aufgabe des von Camerarius gewünschten Planes, scheint es zu längeren Erörterungen gekommen zu sein; und sosehr Camerarius die überzeugt evangelische Gesinnung des brandenburgischen Diplomaten schätzte, der ihm, was Initiative und Größe der politischen Konzeption betraf, unter allen Unterhändlern vielleicht am nächsten stand, vermochte er ihm doch nie ganz zu verzeihen, daß er seine Intentionen in Stockholm zu Fall gebracht hatte. Mit großer Achtung und warmen Erfolgswünschen, aber doch gleichzeitig mit einem Anflug von Mißtrauen beobachtete Camerarius deshalb Bellins weitere Schritte, und es ist auffällig, wie hinfort sein Urteil über die beiden anderen um die große evangelische Allianz bemühten brandenburgischen Unterhändler, besonders über Winterfeld, um einiges wärmer klang als über Bellin, dem Camerarius es nicht nur übelnahm, daß er als erster gegen den Plan auf Schlesien gestimmt hatte, sondern auch, daß Bellin in den folgenden Monaten mit besonderer Energie dafür eintrat, auch Frankreich zu gewinnen15. Meldete Camerarius also entgegen den Beschlüssen der schwedischen Regierung seine Bedenken an, so veranlaßten ihn doch mehrere Gründe, es mit einer 13

SRA, Ox. slg. Camerarius an Rusdorf, 30.12.1624, Coll. Cam. Vol. 25. 15 S. hierüber besonders des Camerarius Briefe an Rusdorf vom Januar 1625. 14

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nochmaligen Darlegung seiner Ansichten bewenden zu lassen und im übrigen auch dem neuen Plan eines Krieges in Westdeutschland seine volle Unterstützung zu leihen, wenn er auch nach wie vor in der ihn stets auszeichnenden Beharrlichkeit im letzten danach strebte, doch noch die Expedition gegen Böhmen und Schlesien zustandezubringen. Mit Eifer unterzog er sich deshalb der ihm von Oxenstierna übertragenen schwierigen Aufgabe, für den schwedischen Zug nach Westdeutschland an den deutschen Höfen in vorsichtiger und vorfühlender Weise Stimmung zu machen und insbesondere die heiklen Verhandlungen einzuleiten, die mit den mecklenburgischen Fürsten und den Reichsständen an der Weser wegen der schwedischen Wünsche auf Wismar und Bremen zu führen waren16. Wie die Dinge lagen, mußte die pfälzische Exilregierung ja mit jeder Art von Hilfe zufrieden sein, wenn diese nur einigermaßen eine wirklich groß angelegte Kriegführung garantierte, und dies war ohne Zweifel auch bei den neuen schwedischen Vorschlägen der Fall. Ferner konnte schon der gesunde Menschenverstand Camerarius sagen, daß es gefährlich war, in Stockholm allzu hartnäckig gegen Operationen in Westdeutschland zu opponieren. Hing doch 1625 genau wie in den beiden Vorjahren ein Eingreifen Schwedens in die mitteleuropäischen Verwicklungen ganz von der Hilfe ab, die es dabei von den anderen evangelischen und antihabsburgischen Mächten erhielt. Zu seinem Kummer aber mußte Camerarius feststellen, daß, wenngleich der Prinz von Wales sich für den Plan einer neuerlichen böhmischen Aktion hatte gewinnen lassen und ebenfalls in den Niederlanden eine gewisse Geneigtheit für das Projekt bestand, im Grunde und auf die Dauer doch bei der Mehrzahl der in Frage kommenden Bündnispartner des nordwestlichen Europa das Interesse für Operationen in Westdeutschland das für einen Krieg in Böhmen und Schlesien überwog. Wenn Schweden auf östlichen Operationen beharrte, zeichnete sich deshalb die Gefahr ab, daß die anderen Mächte keinerlei Hilfe leisteten und der ganze Kriegsplan ins Wasser fiel. Vor allem aber wurde Camerarius der Widerstand dadurch schwer gemacht, daß nicht nur Bellin, sondern die Mehrzahl der Unterhändler, die bei den Bündnisbemühungen den Verkehr zwischen den Regierungen vermittelten, dem Gedanken von Operationen am Rhein jedenfalls nicht weniger freundlich gesonnen waren, ja ihm näher standen als einem Kriegszug gegen Schlesien und daß Camerarius in seiner unbedingten Bevorzugung des schlesisch-böhmischen Planes und in seinem Festhalten an demselben unter den Unterhändlern allein war. Auch Winterfeld und Götzen scheinen einen Krieg in Westdeutschland vorgezogen zu haben. Da sie es jedoch nicht waren, die den Ostplan in Schweden zu Fall gebracht hatten, wurden sie von Camerarius auch nicht mit jenem gewissen Mißtrauen verfolgt, das er zeitweise gegen Bellin hegte. Wie die brandenburgische dachte aber offenbar auch die englische Diplomatie in ihrer Mehrzahl. In dieser Hinsicht besonders ausgeprägt war die Ansicht von Sir Robert Anstruther, dem englischerseits die Verhandlungen mit Dänemark oblagen, von denen gleich noch zu reden sein wird. Anstruther und mit ihm die, wie sich zeigen sollte, im 16

Oxenstierna an Camerarius, 2. 2. 1625, OSB, I, 3.

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Endeffekt ausschlaggebenden Ratgeber der englischen Könige gingen so weit, daß sie nicht nur Operationen am Rhein wünschten, sondern auch solche für die besten hielten, die beschränkter waren und geringere Kosten verursachten als die von Schweden geplanten. Kein Wunder, daß Anstruther und den gleichdenkenden Diplomaten in London während der Allianzverhandlungen die spezielle Ablehnung von Camerarius galt. Das Interessante und für die Besonderheit der Stellung, die Camerarius einnahm, Wichtige aber ist, daß auch Spens, der ursprünglich so warme Zustimmung für den schlesisch-böhmischen Plan an den Tag gelegt hatte, mit gleicher innerer Willigkeit das westdeutsche Kriegsprojekt in sich aufnahm und daß sich ähnlich Rusdorf verhielt, des Camerarius nächster Kollege und engster Gesinnungsgenosse bei Herausbildung des Gedankens der unbedingten Kriegspolitik sowie beim Widerstand gegen die englischen Friedenspläne. Stärkeres Gewicht als bei Camerarius hatte offensichtlich bei beiden Männern die Erwägung, daß zumindest die Höfe von Berlin und London ebenso wie der dänische Hof, an dessen Mitwirken man ja von vornherein dachte, im Grund mehr zu einem Krieg im Westen als im Osten des Reiches neigten. Wie diese Höfe meinten auch Spens und Rusdorf, daß, auch wenn der Krieg in großem Stil geführt werden sollte, am Rhein und in Oberdeutschland das Kriegs- und Operationsziel ja doch immerhin begrenzter wäre als bei einem neuerlichen Zug gegen Schlesien, Böhmen und Österreich. Schläge, die zunächst nicht zur Rückeroberung Böhmens, sondern zum Wiedergewinn der rheinischen Pfalz führen mußten, erschienen daher auch ihnen praktischer. Sie erkannten zwar die Größe und höhere Bedeutung des böhmischen Projektes im wesentlichen an. Gleichzeitig aber ist es offensichtlich, daß ihnen das ganze etwas weit hergeholt vorkam. Zeigten zudem doch weder Spens noch Rusdorf die altüberkommene Verbundenheit mit dem böhmischen Projekt und mit dem Gedanken des pfälzischen Großmachtstrebens. Daß bei dem der pfälzischen Politik bisher fernstehenden Spens kein wärmeres Gefühl für die böhmische Expedition vorlag, ist selbstverständlich und bedarf keiner Erklärung. Daß auch Rusdorf dem Gedanken eines neuerlichen Griffes nach der Wenzelskrone offensichtlich kühler gegenüberstand als Camerarius, trägt sozusagen im Nachhinein zur Bestätigung der schon früher erwähnten, von dem Rusdorf-Biographen Krüner vertretenen Ansicht bei, daß Rusdorf am Vorabend und zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges zu den pfälzischen Räten gehörte, die sich tunlichst von der Expedition nach Böhmen zurückhielten und keine allzu große Wärme für den böhmischen Plan zeigten. Wenn Camerarius 1625 als einziger der Unterhändler mit Wärme an dem schlesisch-böhmischen Plan festhielt, so sprach daraus, wie gesagt, zweifellos aufs neue der in ihm seit langer Zeit mächtige Gedanke, durch den Erwerb Böhmens den pfälzischen Wittelsbachern die territoriale Grundlage und damit die Sicherung für eine europäische Machtstellung zu verschaffen. Insofern war angesichts der Notlage, in der sich Friedrich V. und seine Getreuen befanden, und angesichts dessen, daß es als fraglich gelten mußte, ob das beim ersten Mal gescheiterte Projekt beim zweiten Mal gelingen würde, die Haltung von Camerarius uto-

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pischer und weniger realistisch als die Stellung, die Rusdorf und die anderen Unterhändler einnahmen. Überaus kühn, ja phantastisch mochte in den Augen Vorsichtiger auch der zweite Gesichtspunkt wirken, der des Camerarius Festhalten an dem böhmisch-schlesischen Plan bestimmte, daß es nämlich ratsamer sei, einen Vernichtungsschlag gegen das Zentrum der feindlichen Machtstellung zu führen, als am Rand derselben Operationen vorzunehmen, die geringere Gefahren boten, aber auch in keinem Fall so durchschlagende Erfolge erhoffen ließen wie ein Stoß gegen das Kernstück der katholischen Macht. Und doch lehrt die Geschichte immer wieder, welche Gefahren nicht nur, sondern auch welche Erfolge ein Vernichtungskrieg heraufzuführen vermag, wie Camerarius ihm das Wort redete. Mehrfach zeigte sich bereits, wie bei Camerarius mit einer idealistischen Weite und Originalität der politischen Konzeption immer wieder ein Fehlen von nüchternem Realismus, ein oftmals nur geringer Sinn für das Mögliche verbunden waren. Auch in dem Einsatz für den böhmischen Plan kam dies zum Ausdruck, und daß der Schlag gegen das Zentrum der habsburgischen Macht die vorhandenen Möglichkeiten übersteige, war einer der Hauptgründe, mit denen für Operationen am Rhein plädiert wurde. Auch dieser Einwand gegen die Vorschläge, die Camerarius vor allem am Herzen lagen, hatte einerseits seine volle Berechtigung. Andererseits aber zeigt eben sein Eintreten für die Operation in Ostdeutschland, wie unvermerkt der Übergang sein kann von dem, was allzu kühn und phantastisch erscheint, zu dem, was eben durch die Kühnheit des Planes das eigentlich Erfolgversprechende ist und dadurch im letzten die realistische Lösung darstellt, und wie im besonderen im Festhalten an dem böhmischen Plan vom Standpunkt der schwedischen Politik aus in manchem ein größerer Realismus lag als im Übergang zu den westdeutschen Operationen. Denn wenn es gelungen wäre, unter den evangelischen Mächten die nötigen Kräfte für einen machtvollen Stoß gegen Böhmen unter schwedischer Führung zu gewinnen, wären die Chancen für die pfälzische und die gesamtevangelische Sache ebenso wie für das Großmachtstreben Schwedens ganz unabsehbar gewesen. Und ferner: Ein Angriff auf Schlesien und Böhmen nach vorgängiger Niederwerfung Polens mußte zwar vom englischen, dänischen, niederländischen und bis zu einem gewissen Grade auch pfälzischen Standpunkt aus als von zu weit hergeholt und als zu kühn erscheinen. Im Hinblick auf den bisherigen Gang der schwedischen Politik hingegen konnte er sehr viel mehr als logische Fortentwicklung des Bisherigen wirken als das gewagte Übergreifen der schwedischen Waffen über die Meere hinweg nach Westdeutschland. Indem Camerarius sich also mit seinem Eintreten für Schläge in Ostdeutschland von den vorsichtigeren westeuropäischen Allianzunterhändlern entfernte, näherte er sich im Bereich der schwedischen Diplomatie der im Vergleich mit dem Denken Gustav Adolfs bedächtigeren Konzeption Oxenstiernas. War doch vom schwedischen Standpunkt aus der Plan, nach Westdeutschland überzusetzen, noch um vieles weiter gespannt und kühner, entfernte man sich dabei doch noch sehr viel mehr von der Ostseebasis der schwedischen Macht, als wenn man sich durch Polen nach Schlesien wandte.

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Indem Camerarius aber 1625 als einziger der Unterhändler als unbedingter Anhänger des kühnen, unmittelbaren Vernichtungsschlages gegen die kaiserlichen Erbländer auftrat, verstärkte sich noch die originelle und besondere Bedeutung, die ihm bei den evangelischen Allianzverhandlungen und darüber hinaus bei den gesamten, schon vom Beginn des Krieges an betriebenen Bemühungen zukommt, die in Deutschland begonnene Auseinandersetzung zu einer gesamteuropäischen auszuweiten. Jahrelang, seit der Katastrophe in Böhmen, hatte Camerarius sich bemüht, die evangelischen und antihabsburgischen Kräfte zu einem gemeinsamen großen Krieg zu bringen. Nun trat endlich die Konstellation ein, um die er so lange gekämpft hatte, allerdings hinsichtlich des Operationszieles in einer Form, wie sie nicht ganz seinen Gedanken entsprach. Es beweist die außerordentliche Spannkraft, über die Camerarius verfügte, daß er die Energie aufbrachte, sich im Moment, da er endlich wenigstens für einen Teil seiner Wünsche in der evangelischen und antihabsburgischen Diplomatie eine Majorität gefunden hatte, sogleich zu dieser Majorität wieder in eine gewisse Opposition zu stellen, um die Erfüllung auch des restlichen Teiles seiner Wünsche und damit eine wirklich großzügige Ausführung seiner Ideen zu erreichen. Aus demselben Grund scheute er auch in einem zweiten eine ähnliche Opposition nicht, nämlich in der Anfang 1625 spruchreif werdenden Frage, wie das Verhältnis zwischen Schweden und dem plötzlich am Krieg ebenfalls Interesse gewinnenden Dänemark zu gestalten sei und welchem von den beiden Ländern die Rolle der Führungsmacht in dem geplanten Kampf zufallen sollte. So klar sich Camerarius seit Ende 1623 darüber war, daß Gustav Adolf der ideale Führer des europäischen Protestantismus gegen die habsburgisch-ligistische Koalition war, und daß die kriegerische Stoßkraft Schwedens die aller anderen möglichen Bundesgenossen übertraf, hielt er doch grundsätzlich an dem Plan einer großen Koalition der evangelischen und antihabsburgischen Mächte fest, dem er in großen Dimensionen seit Anfang 1623 und in kleinerem Stile seit der Schlacht am Weißen Berg nachtrachtete. Getragen war dieses Koalitionsstreben ebensosehr durch die besondere Lage der Mittellosigkeit, in der sich die Exilregierung befand, wie durch die humanistische Hoffnungsfreudigkeit, die Camerarius beherrschte. Zwar war es bei der Hilfe Englands und der Niederlande, die Camerarius seit 1623 entsprechend dem ihm in Schweden entwickelten Plan erstrebte, klar, daß es sich bei einer Unterstützung von dieser Seite in erster Linie um Subsidien oder doch allenfalls nur um eine Armee handelte, die von vornherein mehr oder minder zur Unterordnung unter schwedischen Befehl bestimmt war. Gleichzeitig aber scheint Camerarius es durchaus gebilligt zu haben, daß man sich auch in Kopenhagen weiter um Unterstützung bemühte. Nach seinem Besuch in Schweden hätte er ja am liebsten selbst noch einmal am dänischen Hof vorgesprochen. Daß es sich aber bei einer Beteiligung Dänemarks am Krieg nicht um eine Unterordnung unter Schweden, sondern höchstens um eine Kooperation handeln konnte, war im Grunde klar. Gleichwohl hielt Camerarius 1623 und 1624 im großen an dem Kooperationsgedanken fest. Dachte er doch auch vornehmlich nur an schwedische Operationen in Ostdeutschland, wo eine Kollision mit den dänischen Interessen

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nicht so fühlbar werden konnte. Entsprach doch ferner das Koalitionsvertrauen, das Camerarius hegte, nicht nur seinem Optimismus, sondern auch dem frühen Stadium, in dem sich 1624 und 1625 das Allianzbemühen auf protestantischer Seite befand. Erst, als die Schwierigkeiten bereits auf der Hand lagen, begann Camerarius die Problematik des Koalitionsplanes so zu bedrängen, daß er sie in seinen Briefen an Vertraute ausführlich erörterte. Freilich machte es auch eine eigentümliche Ungunst der äußeren Umstände besonders schwer, die kommenden Komplikationen vorauszusehen – die Tatsache nämlich, daß König Christian von Dänemark sich ganz plötzlich und unvermutet zur Beteiligung an dem geplanten Krieg entschloß. Ausgesprochen kühl und zurückhaltend hatte sich im Juli und August 1624 Christian IV. gegenüber Bellin und Sir Robert Anstruther gezeigt, der von englischer Seite nach Kopenhagen entsendet wurde, im gleichen Augenblick, da Spens nach Stockholm abging. Zusammen mit der Ablehnung, die kriegerische Pläne bisher im allgemeinen in Kopenhagen erfahren hatten, ließ sich aus dem Empfang, der den brandenburgischen und englischen Diplomaten im Sommer 1624 bereitet wurde, nur schließen, daß aller Wahrscheinlichkeit nach der dänische König in seiner Neutralität beharren würde. Um so größer war deshalb die allseitige Verwunderung, als sich bei einem nochmaligen Vorstoß Anstruthers in Kopenhagen im Januar 1625 Christian IV. plötzlich zum Kriegseintritt bereit erklärte. Den König dürfte hierzu bewogen haben die in Niederdeutschland immer weiter anwachsende kaiserliche Macht, ein allmählich sich steigerndes Interesse für die gemeinsamen Anliegen, das Drängen Frankreichs, und, was Oxenstierna und andere schwedische Diplomaten wohl zu Unrecht als einzigen Grund hinstellten, die Eifersucht auf Schweden, das sich durch die Allianzvorbereitungen anschickte, in die deutschen Verhältnisse einzugreifen. Plötzlich, und zwar mit Eifer, erklärte Christian sich im Januar 1625 für den Beitritt zur Koalition, und es geschah das Überraschende, daß die um das große Bündnis bemühten Unterhändler nun mit einem Mal den Erfolg für sich buchen konnten, auch die fünfte der in Frage kommenden großen Mächte – neben Schweden, den Niederlanden, England und, wie es Anfang 1625 freilich nur scheinbar noch aussah, Frankreich – auch Dänemark für die Allianz oder doch wenigstens den Koalitionsgedanken gewonnen zu haben. Die Konstellation, die sich um die Jahreswende von 1624 auf 1625 anbahnte, stellte in vielem auf den ersten Blick den höchsten Triumph der Koalitionsidee dar, an deren Ausbildung Camerarius so entscheidenden Anteil genommen hatte. Camerarius als derjenige der unterhandelnden Diplomaten, der bei den Bündnisbemühungen von Anfang an als der erklärteste Anhänger Schwedens gelten konnte, und Anstruther als derjenige, der seine ganze Kraft darauf verwandte, Dänemark zu gewinnen, konnten sich nunmehr scheinbar gleicher Erfolge freuen und nach vollbrachter Leistung die Hand reichen. Doch im Moment, da das Koalitionsbemühen sozusagen einen Gipfelpunkt erreicht hatte, zeigte es sich sogleich, welche kaum übersteigbaren Schwierigkeiten einer Allianz in dieser Ausdehnung entgegenstanden. Denn allzu groß war die Rivalität zwischen Schweden und Dänemark. Dieser Umstand aber führte dazu, daß mit einer gewissen Notwendigkeit Camerarius und Anstruther unter

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den Allianzunterhändlern zu Antipoden wurden, weil Camerarius unbedingt daran festhielt, daß Schweden unter allen Bundesgenossen der Vorzug zu geben sei, während Anstruther nicht minder hartnäckig für Dänemark eintrat, teils weil ihm nun einmal englischerseits die Aufgabe zugefallen war, König Christian zu gewinnen, teils, weil seine Überzeugung dahin ging, daß Dänemark als führende Bündnismacht vor Schweden zu bevorzugen sei. Diese Überzeugung Anstruthers aber beruhte nicht nur auf dem Bild, das er sich von der Stärke Dänemarks und Schwedens machte und auf der hohen Meinung, die er, entsprechend der gängigen Ansicht dieser Jahre, von den Fähigkeiten Christian IV. hatte. Sie ging tiefer und erklärte sich außerdem aus Anstruthers Auffassung von den Kriegszielen und den Kampfanliegen, einer Auffassung, die den Anschauungen von Camerarius in vieler Hinsicht ebenfalls sehr entgegengesetzt war. Kein Wunder, daß beide Herren sich öfters etwas spitz übereinander äußerten – „Totus est Danicus“ heißt es zum Beispiel im April 1625 bei Camerarius über Anstruther – und daß mündliche Unterhandlungen, die sie im April 1625 im Haag und im Mai 1626 in Altona miteinander führten, offenbar in einem etwas gereizten Ton verliefen und Anstruther und Camerarius sich dabei gegenseitig vorwarfen, jeder die Pläne des anderen gekreuzt zu haben. Der Kriegsentschluß Dänemarks im Januar 1625 stellte Camerarius also bald vor neue, große Schwierigkeiten. Im Herbst 1624 hatte Bellins Eingreifen die Weiterverfolgung des Planes eines Vernichtungskrieges in Ostdeutschland verhindert, und mit einem Anflug von Mißtrauen folgte Camerarius seitdem den Handlungen des brandenburgischen Diplomaten. Doch auch Bellin wünschte, wenigstens zunächst noch, daß Schweden, wenn auch am Rhein, die Rolle der Führungsmacht zufallen sollte, und in der starken Religiosität und vergleichsweisen Kühnheit seiner Gedankengänge stand Bellin Camerarius nahe. Anstruther hingegen mußte Camerarius als derjenige der Unterhändler erscheinen, der im Frühjahr 1625 durch seine erfolgreichen Bemühungen um Dänemark das Eingreifen Schwedens überhaupt in Frage stellte, und im selben Moment wurde auch die weit ins Gebiet der politischen Ideengeschichte hinein greifende Frage nach der Zielsetzung des ganzen Kampfes aufs neue akut, von der Camerarius zunächst gehofft hatte, daß sie sich wohl mehr in seinem Sinne würde lösen lassen. Es war das Entscheidende an der kriegerischen Haltung, die Christian IV. plötzlich einnahm, daß er den anderen Mächten sogleich feste Vorschläge unterbreitete und daß diese Vorschläge beträchtlich geringere Leistungen erforderten, als sie von Gustav Adolf verlangt wurden. Während Gustav Adolf eine Armee von im Ganzen 50 000 Mann für erforderlich hielt, glaubte Christian IV. sich mit knapp 30 000 Streitern begnügen zu können, und England sollte zu dieser Heeresmacht nur 7000 Mann beitragen. Bei der beständigen Finanzkalamität aber, in der die Stuarts sich befanden, bedeutete diese Differenz für sie außerordentlich viel. Das Moment der Ersparnis bewahrte, wie Anstruther offenbar von vornherein richtig einschätzte, seinen gewinnenden Charakter auch gegenüber dem von Camerarius interessanterweise nie in seiner Gegenargumentation verwerteten Nachteil, daß Christian IV. selbst auch nur sehr viel geringere Ausgaben auf sich zu nehmen gedachte als Gustav Adolf – 16 000 Mann eigener Truppen wollte

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Schweden stellen, Dänemark dagegen nur 6000 –, ein Nachteil, der immerhin so weit ging, daß entsprechend diesem Verhältnis zwar die absolute Leistung König Jakobs sich nach den dänischen Vorschlägen verringerte, der relative Anteil Englands an der aufzustellenden Macht aber zunahm17. Anstruther sprach es in seinen ersten Mitteilungen zwar noch nicht deutlich aus, aber alsbald wurde es offenbar und lag nach dem, was bisher von Christians Denken bekannt war, auf der Hand: Wie die Armee, die der dänische König ins Feld führen wollte, beträchtlich geringer war als die Streitkraft, die Gustav Adolf für notwendig hielt, so steckte Christian auch die Ziele der geplanten Operationen sehr viel enger. Auch bei seinem Projekt eines Vorgehens in Westdeutschland hatte Gustav Adolf noch an einen Vernichtungs- und Offensivkrieg großen Stils gedacht, wie er ihn 1630 und 1631 dann auch tatsächlich ausführte, an einen mit der Rückeroberung des Verlorenen Hand in Hand gehenden großzügigen Angriff auf die katholischen Positionen am Rhein und in Oberdeutschland. Dänemark hingegen zielte offensichtlich von vornherein auf eine sehr viel vorsichtigere Kriegführung ab. Camerarius mußte von Anfang an annehmen, daß dabei kaum mehr erreicht werden sollte und auch bestenfalls erlangt werden konnte, als die Liga und den Kaiser aus dem Niedersächsischen Kreis und den angrenzenden Gebieten zu verdrängen und die Pfalz zurückzuerobern. Abgesehen von einigen Veränderungen, die Christian IV. zugunsten seiner Söhne in den norddeutschen Bistümern vorzunehmen gedachte, war, wie der dänische König in seiner diplomatischen Propaganda auch stets betonte, der Status quo ante bellum das einzige, was er zu erreichen gedachte. Gleichzeitig mit diesem Hervortreten der beschränkteren dänischen Kriegsziele wurde es 1625 wieder sehr viel fühlbarer für Camerarius als in dem für ihn so hoffnungsreichen Vorjahr, daß die ideellen Grundlagen, auf denen die dänischen und die Mehrzahl der englischen Diplomaten das Bündnis und den Krieg basieren wollten, sich weit von seinen eigenen Vorstellungen entfernten. Schon in der Instruktion, die Spens im Juni 1624 nach Schweden mitgegeben worden war, hatte der für das rein dynastisch-legitimistische Denken des englischen Königs und seiner Regierung bezeichnende Satz gestanden: „In this work“ (sc. der geplanten Allianz- und Kriegsaktion) „wee intend onely the maintayning of every prince and state in their souveraynetie, enterprizing nothing for respecte of Religion, but leaving the work of faith to God, the onely Lord of that kingdom“18. Ein fast wörtlich gleicher Passus findet sich in der unter dem gleichen Datum ausgefertigten Instruktion für den nach Dänemark abgehenden An17

Für die geradezu bebende Begeisterung Anstruthers über seine Erfolge in Dänemark ist charakteristisch sein Schreiben an Carleton vom 23. 1. 1625. Hier heißt es: „My honorabile good Lord, for Gods cause, and for the maintaining of that woorthie name you have gained, put to your hand now, and with your best counsell help us, for before God almightie this king“ (sc. von Dänemark) „is in good earnest and haith alreadie his proposition, withall that belonge to it in readiness“, Public Record Office, State Papers, Danmark. Anstruthers Stimmung ähnelt hier der Begeisterung, die Camerarius Ende 1623 über die ihm in Schweden gemachten Vorschläge erfüllte. 18 Public Record Office, State Papers, Sweden; Schybergson, Underhandlingarna, 28, hier irrtümlich 1625 statt 1624.

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struther. Die englische Regierung zeigte damit, wie sie durch den nun endlich gefaßten Kriegsentschluß keineswegs von der Basis ihres bisherigen politischen Denkens abwich, sondern gesonnen war, wie bisher die friedlichen Ausgleichsbemühungen, so jetzt die Kriegshandlungen vornehmlich im Zeichen der dynastischen Idee und des Legitimismus zu führen. Schon Schybergson hat nachgewiesen, daß im Gegensatz hierzu die schwedische Politik vom Anfang der Bündnisverhandlungen an das religiöse Motiv zum hauptsächlichen unter den ideellen Faktoren zu machen strebte. Liest man die Schreiben Oxenstiernas aus dieser Zeit, so findet man, daß weitaus am häufigsten als Ziel und Anlaß der schwedischen Bündnisbemühungen und der Absicht, in die mitteleuropäischen Verwicklungen einzugreifen, „Salus ac restitutio collapsae rei Evangelicae“ angegeben wird oder eine dementsprechende Bezeichnung19. Und zwar stellte Oxenstierna nicht nur in Briefen an Camerarius und andere Diplomaten, von denen er wußte, daß sie dem Religiösen den Vorrang gaben, die evangelische Idee als den Mittelpunkt aller Bemühungen hin. Vielmehr steht auch in dem Spens im August 1624 als Antwort auf seine das religiöse Anliegen so entschieden ausschließende Instruktion übergebenen Memorandum der bezeichnende Passus: „Rex quidem Sueciae pro summo suo studio in Evangelicam Ecclesiam nihil exoptat magis aut ulli rei majori sedulitate incumbit, quam ut erigere jacentes amicos et sustinere collabentem rerum statum queat“20. Ein Gegensatz zu der englischen Auffassung ist also offensichtlich. Er wird noch stärker dadurch, daß Gustav Adolf und Oxenstierna sich nicht nur in der Zielsetzung ihres Handelns ganz wie die pfälzische Exilregierung in erster Linie der evangelischen Sache verschrieben, sondern auch immer wieder betonten, daß sie ein Bündnis der protestantischen Mächte wünschten. Einen ausgesprochen evangelischen Charakter sollte die Koalition tragen. Wohl schloß dies nach der Meinung der schwedischen Staatslenker eine ergänzende Hilfe Frankreichs und dessen italienischer Bundesgenossen nicht aus. Doch die Aktion dieser katholischen Mächte sollte höchstens eine Ergänzung bilden, so daß Rusdorf nach einem Gespräch mit Bellin während dessen Besuch in London im Januar 1625 an den Winterkönig, wenn auch vielleicht etwas übertreibend, so doch in der Grundauffassung den Tatsachen entsprechend berichten konnte: „quant à la France, il sera plus à propos qu’elle soit seulement invitée et engagée de donner assistance, vu que le roi de Suède prétend, que cette alliance pour le rétablissement de la cause Evangélique soit entre les princes Evangéliques sans qu’un Catholique-Romain y entrevienne“21. Noch sehr viel ausschließlicher als in den dreißiger Jahren bemühte sich also Gustav Adolf 1624 und 1625, dem Bündnis einen rein konfessionellen Charakter zu geben. Es bedurfte der Erfahrung, die er gemeinsam mit Camerarius machte, daß die protestantischen Mächte sich schwerlich zu einer festen und wirklich wirkungskräftigen Einheit zusammenfügen ließen, bis er sich bereitfand, 19

Z. B. Oxenstierna an Camerarius, Stockholm 3. 9. 1624, OSB, I, 2; u. ö. OSB, I, 2. 21 Rusdorf, Mémoires, I, 454. 20

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Frankreich als mit gleichem Einfluß ausgestatteten Genossen im Kampf gegen die habsburgisch-ligistischen Mächte anzuerkennen. Gustav Adolf und Oxenstierna zogen dann 1630 sehr realistisch die Konsequenz aus dem Scheitern ihrer evangelischen Bündnispläne fünf Jahre vorher und näherten sich der katholischen Macht, während Camerarius 1630 gegen diesen Schritt Bedenken hegte und mehr für den Versuch war, auch in den dreißiger Jahren noch möglichst streng auf den evangelischen Charakter der antihabsburgischen Front zu sehen. Dafür zeigte er sich 1623 infolge seiner Notlage insofern weitherziger als die schwedische Politik, als er zunächst, solange er noch nicht auf die schwedische Kriegsbereitschaft rechnen konnte, darauf hin arbeitete, Frankreich zum Kampf zu gewinnen. Sobald er aber 1624 sah, daß Schweden den rein protestantischen Charakter der Koalition gesichert haben wollte, griff er diese ihm im Grunde zutiefst liegende Beschränkung auf und war deshalb eigentlich nur angetan davon, daß Bellin im Januar 1625 in Frankreich keine bemerkenswerten Fortschritte erzielte und daß sich Richelieu im Laufe des Jahres 1625 mit großer Vorsicht wieder um ein Stück von dem Allianzplan zurückzog. Neben anderen Gründen schreckte auch der Kardinal noch genau wie die schwedischen Staatslenker und Camerarius vor dem konfessionellen Gegensatz zurück. England konnte auch 1624 noch an der dynastisch-legitimistischen Tendenz festhalten, da es, abgesehen von der ersten weitergehenden, aber unverbindlichen Zusage des Prinzen von Wales, nach wie vor nur an „the maintayning of every prince and State in their souveraynetie“ festhielt. Die schwedische Politik mit ihren soviel weitergehenden Plänen konnte hingegen den notwendigen ideologischen Halt unmöglich an der dynastischen Idee finden, jedenfalls nicht, solange diese mit der Vorstellung des Legitimismus verbunden wurde, wie es in der englischen und dänischen Diplomatie der Fall war, aber darüber hinaus stets als das Gegebene gelten mußte. Die ideologische Basis der geplanten Aktion und Veränderungen konnte vielmehr nur das religiöse Moment bilden. Tatsächlich erschien die konfessionelle Idee der schwedischen Politik als so stark, daß sie es sich leistete, auf alles legitimistische Beiwerk zu verzichten. Sie ging darin während der Bündnisverhandlungen noch weiter, als Camerarius es 1623 gewagt hatte, solange er die pfälzische Exilregierung leitete, ohne auf den Schutz Schwedens fest hoffen zu können, und als er es auch noch in den folgenden Jahren riskierte. Neben dem auch ihn in erster Linie erfüllenden religiösen Moment nannte Camerarius immer noch das der bedrohten fürstlichen Libertät und der gefährdeten Freiheit der einzelnen Staaten. Auch bei Camerarius war dabei der Gegensatz zur englisch-dänischen Auffassung ganz offensichtlich, nicht nur, weil er den evangelischen Gedanken allem voranstellte, sondern auch, weil er bei seiner Konzession an das dynastische Denken nicht wie die Engländer präzise von der Aufrechterhaltung der Souveränitätsrechte redete, sondern immer nur so weit ging, sich bei seinen Bemühungen außer der evangelischen Sache auch dem im Vergleich mit den englischen Formulierungen sehr viel vageren Begriff der Libertät zu verschreiben. Noch stärker also als schon bei Camerarius war bei den Verlautbarungen der schwedischen Regierung der Kontrast zu den englischen Formulierungen.

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Er wurde dadurch noch stärker, daß gegenüber dem ganz im Vagen bleibenden Libertätsbegriff und dynastischen Moment die politische Zielsetzung schwedischerseits zwar ebenfalls nur sehr allgemein umschrieben wurde, es jedoch, da Wiederherstellung und Sieg der evangelischen Sache so deutlichen Ausdruck fanden, keinem Zweifel unterliegen konnte, daß die politischen Absichten nur so vorsichtig und allgemein bezeichnet wurden, weil man die Möglichkeit zu sehr weitgehenden Veränderungen gewinnen wollte. Wenn zwischen den ständigen Versicherungen, die salus Ecclesiae und restitutio rei Evangelicae müsse erstrebt werden, die Absicht vermerkt ist, die recuperatio rerum amissarum, die restitutio rerum Germanicarum, besonders aber die restitutio regis Bohemiae herbeizuführen, so reichte dies für geschulte Diplomaten offenbar aus, das Weitgehende der schwedischen Pläne zu erkennen. Durch eben diese Haltung aber, die Camerarius mit Freude erfüllte, wurde die Mehrzahl der englischen Diplomaten allmählich bedenklich gestimmt. Auf des Camerarius Betreiben hin, der sich auch hierin als warmer Förderer erwies und Rusdorf 1626 sogar eine feste schwedische Pension verschaffte, hatte Oxenstierna eingewilligt, daß Rusdorf in London zur Hilfe herangezogen wurde, als sich hier Spens und Bellin im Januar 1625 um die Annahme der schwedischen Vorschläge bemühten. So erfuhr Camerarius noch Genaueres, als wenn er nur mit Spens und Bellin korrespondiert hätte, von allen Verhandlungsphasen und mußte sich spätestens im März 1625, wahrscheinlich aber schon früher, darüber im klaren sein, daß in England der Widerstand gegen die von der schwedischen Politik und ihm selbst vertretene, vornehmlich konfessionelle Auffassung des Krieges fast ebenso groß war wie die Bedenken gegen die weitgespannten politischen Ziele und die Abneigung gegen die Höhe der Mittel, die Schweden zur Kriegführung für nötig hielt. Ebenso sah Rusdorf von Anfang an klar und stellte es in seinen Schreiben deutlich heraus, daß an sich am englischen Hof das Vertrauen zu dem dänischen König größer war als zu dem schwedischen. Vor allem aber erkannte Rusdorf offenbar früher als Camerarius, daß von vornherein die Schwierigkeit ans Unmögliche grenzte, Christian IV. und Gustav Adolf zu gemeinschaftlichem Handeln zu bewegen. Es charakterisiert die besonders hoffnungsfreudig-idealistische Haltung, die Camerarius bei den Allianzverhandlungen einnahm, ebenso wie seine Hinneigung zu dem ostdeutschen Krieg, bei dem Schweden nicht in dem Maße wie in Westdeutschland mit Dänemark kollidieren konnte, daß im Gegensatz zu Camerarius sich nicht nur Rusdorf um einiges früher den Kopf zerbrach, was geschehen sollte, wenn auch Dänemark sich zum Krieg entschlösse und eine Einigung zwischen beiden Königen nicht herbeizuführen wäre. Auch Bellin fragte bei seinem Besuch am schwedischen Hof im September 1624 Gustav Adolf bereits ganz offen, was der König wohl für die gemeinsame Sache tun wollte, falls der Oberbefehl über die geplante Kriegsaktion einem anderen übertragen würde, und erhielt prompt von Gustav Adolf die nicht weniger klare Antwort „Gar nichts“22. 22

„Wie nun die frage ihrer Maiestät unvermuthet vorkahm, also erlangte ich auch eine unverhoffte andwort, nemblich: Gar nichts“, Preußisches Geheimes Staatsarchiv-Zentralarchiv II,

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Daran hielt sich Gustav Adolf, als Anfang 1625 der Beitritt Christians IV. zu dem geplanten Bündnis tatsächlich spruchreif wurde. So war bei den Unterhändlern bald guter Rat teuer, da auch Christian sich Schweden gegenüber durchaus nicht entgegenkommend zeigte, vielmehr auch seinerseits das Oberkommando in Westdeutschland beanspruchte und höchstens eine untergeordnete Beteiligung einer begrenzten Anzahl schwedischer Truppen zulassen wollte. Von großem Interesse ist es nun zu beobachten, wie verschieden sich Bellin, Rusdorf und Camerarius gegenüber diesem Problem verhielten und welche besondere Position Spens einnahm. Wenn Bellin frühzeitig die durch die dänischschwedische Rivalität drohenden Schwierigkeiten voraussah, so bewies er damit den für Diplomaten so wichtigen und Camerarius oft nicht in der wünschenswerten Weise eigenen Sinn für das Mögliche. Daß aber bei allem Realismus, der ihn bestimmt hatte, Gustav Adolfs Gedanken nach Westdeutschland hinüberzuziehen, auch Bellin sich vom religiösen Anliegen zutiefst erfüllt zeigte, erwies schon sein im Grunde den schwedischen Intentionen durchaus entsprechendes Auftreten in Paris, und vorzüglich illustriert diesen Umstand eine wahrscheinlich von Bellin selbst verfaßte Instruktion, in der es heißt, Brandenburg wolle, daß das geplante Bündnis sich einsetze „pro defensione et gloria religionis, libertatis, jurium cuique competentium et reductione sani equilibrii inter status in imperio“23. Wie in dieser Instruktion die konfessionelle Idee obenan stand, so hielt er auch in England unbedingt daran fest, und ebenso konnte Camerarius zu seiner Beruhigung konstatieren, daß Bellin bei der Alternative, ob Dänemark oder Schweden als Führungsmacht zu bevorzugen sei, von Anfang, das heißt seit Februar 1625 an unter Einsatz seiner ganzen Kraft für Schweden eintrat. Man kann es sagen: Mit Feuereifer kämpfte Bellin dafür, daß England und die anderen beteiligten Mächte Gustav Adolf den Vorzug gaben. So entschieden und hellsichtig wie sonst unter den Unterhändlern eigentlich nur noch Camerarius wies er immer wieder darauf hin, daß der schwedische König als Oberfeldherr und Führer der ganzen Aktion ungleich geeigneter sei als der dänische. So standen in dieser für den ganzen Allianzplan so besonders wichtigen Frage Camerarius und Bellin wiederum eng beieinander, genau wie in der starken Ausprägung, die bei beiden das religiöse Moment gefunden hatte: zwei Vertreter der christlichen Diplomatie, die auf die in vieler Hinsicht wendigeren und moderneren französischen Diplomaten ein wenig steif, puritanisch und altväterisch wirken mochten, wie denn der französische Gesandte D’Espesses, der im Haag im Mai 1625 mit Bellin zusammentraf, über diesen urteilte: „… Cet homme un peu grave bien que je le juge habille“24. Wie nahe sich Bellin und Camerarius bei den Allianzverhandlungen im Grunde standen, wird erst vollkommen deutlich, wenn man ihre Haltung mit der von Spens und Rusdorf vergleicht. So sehr sich Spens ursprünglich um die Pläne bemüht hatte, eine große evangelische Allianz abzuschließen, sah er die Dinge Merseburg, Des H. v. Bellin ambassade an die Königl. Maiest. in Schweden, Rep. Schweden, 23. 10. 1624. 23 S. „Des H. v. Bellin ambassade …“ 24 D’Espesses an D’Oquerre, 1.5. 1625, Schybergson, Underhandlingarna, 58.

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viel mehr vom schwedischen Nützlichkeitsstandpunkt als Camerarius und Bellin und plädierte, sobald die Schwierigkeiten mit Dänemark auftauchten, in seinen Berichten an Oxenstierna dafür, sich in keinem Bündnis und keinem Aktionsplan in Deutschland festzulegen, bis man nicht genau absehen könne, ob man durch die Beteiligung Dänemarks nicht allzu sehr in Nachteil gerate. Ja, Spens riet sogar, sich solange nicht einmal allzu feste Hoffnungen zu machen25. Hielt Spens doch eine Aufgabe des ganzen Bündnisprojektes eventuell für durchaus ratsam, und stellte das spezifisch schwedische Interesse allem voran. Das, was Gustav Adolf dienlich war, beschäftigte ihn in erster Linie, während bei Bellin und Camerarius im Grunde die evangelische Sache im Mittelpunkt stand. Tendierte also Spens im Februar 1625 dahin, daß Schweden vielleicht gut täte, dem Bündnis fernzubleiben, so glaubte seit demselben Zeitpunkt aus ganz anderen Motiven heraus auch Rusdorf, daß Schweden die Teilnahme an der geplanten Kriegsaktion kaum möglich sei. Wie Rusdorf hinsichtlich des Operationszieles für den westdeutschen Kriegsschauplatz plädiert hatte, so erkannte er, wie es ihm von seinem Londoner Beobachterposten aus natürlich besonders leicht fiel, daß vornehmlich England sich kaum zu so großen finanziellen Leistungen bereitfinden würde, wie Schweden sie forderte. Ferner sah Rusdorf, daß Christian IV. von der Mehrzahl der englischen Politiker höher eingeschätzt wurde als Gustav Adolf, und auch Rusdorf selbst, der noch nicht in Schweden gewesen war, empfand nicht solche Bewunderung für den Wasa wie Camerarius. So schien es Rusdorf, wie die Dinge einmal lagen, Anfang 1625 das Richtigere zu sein, sich damit abzufinden, daß Dänemark den Oberbefehl übernahm. „Pro Sueco plurimae causae militant, plurimae etiam pro Dano, praesertim si Anglum respicis, qui huic inclinatior quam illi“26. Wie Rusdorf es unter den obwaltenden Umständen für das Richtigste hielt, sich für Dänemark zu entscheiden, so stand er auch Mansfeld um vieles positiver gegenüber als Camerarius. Im September 1624 war Mansfeld aufs neue gemeinschaftlich von England und Frankreich in Sold genommen worden, die damit einen ersten Schritt tun wollten zu kriegerischem Vorgehen gegen den habsburgisch-katholischen Block. Sehr unterschiedlich – ein Zeichen, wie unentwickelt der ganze Allianzplan noch war – waren dabei die Operationsziele, an die die Höfe von London und Paris dachten. Richelieu wünschte, Mansfeld im Veltlin einzusetzen, König Jakob wollte ihn hingegen zur Wiedereroberung der Pfalz benützen und wandte, auch als Frankreich in der Unterstützung des Kondottieren nachließ, große Mittel auf, die Mansfeldschen Truppen schlagbereit zu machen. Daß Mansfeld schon wieder seine Bahn kreuzte, war Camerarius alles andere als lieb, und wir finden in seinen Briefen aus dem Jahre 1625 alle die alten Be25

„Itaque … consultum mihi videtur, ut S. R. Sueciae dominus meus clementissimus nihil certo sibi de hoc negotio persuadeat, neque sumptus preter ordinarios exponat, donec viderit conclusionem conuentionis habendae Hagae Comitis tutius determinationi, ut utriusque offensionem evitet.“ Spens an Oxenstierna, London 24. 2. 1625, s. a. die Briefe vom 18. 12. 1624 u. 8. 1. 1625, SRA, Ox. slg. 26 Rusdorf an Camerarius, London 22. 2. 1625, s. a. den Brief vom 12. 4. 1625 u. ö., Coll. Cam. Vol. 70.

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denken wieder, die er von jeher gegen den Kondottieren geäußert hatte, zumal er im Auftrag der unterhandelnden Mächte Anfang Juli 1625 selbst in Mansfelds Lager am Niederrhein reisen mußte, um festzustellen, in welcher Weise sich der Graf am besten für die gehegten Pläne einsetzen ließ. Der Zustand der Mansfeldschen Truppen war damals alles andere als gut, und so erfüllte es Camerarius aufs neue mit Schrecken, daß solchen Horden die pfälzisch-evangelische Sache anvertraut werden sollte, wenn er auch jetzt, da er hoffen konnte, daß Mansfeld dem schwedischen Oberkommando über kurz oder lang unterstellt würde und nicht mehr ganz sich selbst überlassen blieb, über die Anstellung Mansfelds um einige Nuancen positiver urteilte als in den Vorjahren27. Rusdorf hingegen setzte stets und so auch in den Jahren 1624 und 1625 sehr viel größere Hoffnungen auf Mansfeld. Wiederum wirkte hier bei ihm der Umstand, daß er von vornherein nur ein geringeres Ziel für erreichbar hielt. Um aber lediglich die Pfalz in Besitz zu nehmen, war mit Mansfeld allenfalls – obwohl er vor drei Jahren auch hierbei versagt hatte – noch eher etwas anzufangen als bei Plänen, wie Camerarius sie verfolgte. Stark wirkte offenbar bei dem realistischeren Rusdorf auch die Erwägung, daß Mansfeld nun einmal da war und man sich notgedrungen mit dem begnügen mußte, was zur Verfügung stand. Darüber hinaus aber ist es offensichtlich, daß Rusdorf Mansfeld höher einschätzte, als Camerarius es tat. Ihm war er nicht so sehr der vom Teufel besessene Dämon, dem die Nemesis auf Schritt und Tritt folgte. Im Gegenteil, Rusdorf hielt viel von Mansfelds strategischen Qualitäten, und der größere Sinn für das Höfisch-Chevalereske, über den Rusdorf verfügte, erlaubte ihm, Mansfeld und damit den Typ des abenteuernden Kondottieren zu goutieren, was Camerarius seiner ganzen Einstellung nach nicht möglich war. Für Rusdorfs Haltung Mansfeld gegenüber ist es bezeichnend, daß ihm, was bei Camerarius unmöglich wäre, die Verfasserschaft für jenes Distichon zugeschrieben wird, das Mansfeld offen verteidigt: „Hostis me timuit, sed non dilexit amicus, Nec me, quem merui, laudis honore tulit.“ Mehrmals verteidigte Rusdorf den Feldherrn Camerarius gegenüber. Er ging darin soweit, daß er sich, als Mansfelds Operationen dann schließlich doch ergebnislos verliefen und Camerarius Recht behielt, bei diesem geradezu rechtfertigte, ja entschuldigte. Wie positiv das Verhältnis zwischen Mansfeld und Rusdorf war, zeigt sich ferner daran, daß in dieser Zeit Mansfeld einmal anregte, Rusdorf möchte ihn als Bevollmächtigter der Alliierten begleiten. Während also Bellin sich Anfang 1625 mit aller Kraft dafür einsetzte, daß Gustav Adolf doch den Oberbefehl über die Aktion in Westdeutschland erhielt, und Rusdorf statt dessen dahin tendierte, sich mit Christians IV. Direktorat abzufinden, arbeitete Camerarius auf eine andere Lösung hin, die in vielem einen Kompromiß zwischen dem von Bellin und Rusdorf Beförderten darstellte und von dem sonst so extremen Camerarius deshalb erstrebt wurde, weil dieser Ausgleich zu seinen ursprünglichen Wünschen zurückführte. Unter seiner tätigen Anteilnahme entwickelten 27

Camerarius an Rusdorf, 12. 7. 1625, Coll. Cam. Vol. 25.

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im Haag niederländische Politiker, an ihrer Spitze der Generalstatthalter Prinz Moritz, dessen Gesundheitszustand, wie Camerarius an Oxenstierna im Februar 1625 in aufrichtiger Sorge mitteilte, immer beängstigendere Formen annahm, und dessen Tod im April des gleichen Jahres für Camerarius einen schweren Verlust bedeutete, einen im März 1625 fertigen Plan, demzufolge zwei getrennte Armeen, jede etwa 20 000 Mann stark, aufgestellt werden sollten. Die eine Streitmacht hätte unter dem Oberbefehl des dänischen Königs in Westdeutschland zu operieren gehabt. Die andere Armee aber sollte von Gustav Adolf geführt werden und sich statt Westdeutschland Schlesien und die übrigen kaiserlichen Erbländer zum Angriffsziel setzen28. Der Plan griff also auf Gustav Adolfs ursprüngliche Vorschläge zurück, und man kann sich denken, mit welchem Feuereifer sich Camerarius der ihm von dem Generalstatthalter und den Generalstaaten übertragenen Aufgabe unterzog, Stockholm von den neuen Absichten zu unterrichten und Gustav Adolf und Oxenstierna für sie zu gewinnen. Während Carleton an seine Regierung nur in nüchterner Sachlichkeit über die neuen Aspekte berichtete, an deren Herausbildung er übrigens offenbar in fördernder oder doch wohlwollender Weise beteiligt gewesen war, warb Camerarius in Schweden für den Kompromiß, der die Rettung seiner ursprünglichen Wünsche bedeutet hätte, „mit einem Eifer, würdig eines der hingebensten Anhänger der Reformation,“ wie Schybergson es formuliert hat29. Um so größer wurde der Elan, mit dem er für den niederländischen Vermittlungsvorschlag eintrat, als eben im März 1625 Bethlen Gabor neuerdings einen gemeinschaftlichen Kriegszug gegen die kaiserlichen Erbländer vorschlug. Vor Camerarius, der wie stets so auch jetzt ein vergleichsweise hohes Vertrauen auf Bethlen Gabor setzte – ein Vertrauen, das ebenso anfechtbar war und ihn ebenso charakterisierte wie Rusdorf die Zuneigung zu Mansfeld –, zeichnete sich dank der siebenbürgischen Hoffnungen noch einmal in besonders verführerischer Deutlichkeit die Kriegskonstellation eines Angriffs von zwei Seiten gegen das Zentrum der kaiserlichen Macht ab, wie sie seinen innersten Wünschen und Ansichten entsprach30. In denselben Wochen, in denen Camerarius dafür kämpfte, daß zwei getrennte Armeen aufgestellt würden und die Operationen in Ostdeutschland unter schwedischer Führung doch noch zustandekämen, setzte er sich auch noch für ein zweites Anliegen mit aller Kraft ein, das für sein Denken und seine Haltung bei den gesamten Bündnisverhandlungen nicht minder charakteristisch ist: Camerarius hoffte, daß möglichst bald – er nannte den 30. April 1625 – eine große Konferenz der am Allianzplan beteiligten Mächte im Haag abgehalten würde 28

Es presentes ouvertures secretes, SRA, Ox. slg., Camerarius; Carleton an Conway, Haag, 5. 3. 1625, Public Record Office, State Papers, Holland. 29 Underhandlingarna, 79. 30 Camerarius an Oxenstierna, Haag 27. 3. 1625, „Ingens momentum in accessione Bethleni Gaboris situm“, 28. 3. 1625, „Camerarius adhuc semper ad primum illud propositum respicit, transferendi a Gustavo Adolpho ex inopinato in Silesiam. Nam si vicinum haberet Bethlen Gabor ad eundem scopum tendentem, certe Caesar exiguo tempore cunctarum victoriarum fructum amissurus esset“, SRA, Ox. slg.

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und daß Schweden hierzu einen eigenen Sondergesandten delegierte. Auf diesem Konvent sollten alle Differenzen beseitigt werden und die große Koalition zu festem Abschluß kommen. Mit Beharrlichkeit vertrat er die Notwendigkeit der Zusammenkunft nicht nur Oxenstierna, sondern auch Spens und Anstruther gegenüber, die sich von dem Konvent nicht so viel versprachen, und zeigte damit, wie bei ihm tiefer als bei anderen die humanistische Hoffnungsfreudigkeit und die Überzeugung ging von der Macht der Belehrung und Überredung. Doch so energisch und hingebungsvoll sich Camerarius für den Kongreß und noch mehr für das Kompromißprojekt zweier getrennter Heere einsetzte, bisweilen zeigt der Unterton seiner Briefe doch, daß er selbst daran zweifelte, ob Schweden sich würde gewinnen lassen. Mußte sich doch unter anderem auch Camerarius sagen, daß, wenn England die ursprünglichen schwedischen Forderungen deshalb abgelehnt hatte, weil es die Mittel zu ihrer Befriedigung nicht besaß, es von vornherein nicht ersichtlich war, wieso plötzlich die Mittel für zwei Armeen vorhanden sein sollten, die zusammen mindestens ebensoviel kosteten wie das eine ursprünglich von Gustav Adolf geforderte Heer. Bald nachdem Camerarius nach Stockholm von dem niederländischen Vermittlungsvorschlag berichtet hatte, wurde ein Teil seiner Hoffnungen definitiv zerstört. Oxenstierna äußerte, ohne Kenntnis von dem Kompromißgedanken zu besitzen, in zwei Briefen vom 23. März und 19. April 1625 auf die ihm inzwischen zugegangene Februarnachricht von der Kriegsbereitschaft Dänemarks hin stärkste Bedenken gegen eine gemeinschaftliche Aktion mit Christian IV. und lehnte es rund heraus ab, Schweden auf der geplanten Konferenz durch einen besonderen Gesandten vertreten zu lassen, der unmittelbar bevollmächtigt wäre zum Abschluß eines Bündnisses unter dänischer Beteiligung, ja Führung31. Des Camerarius Bemühen, die Situation in der von ihm gewünschten Weise dadurch zu retten, daß eine große mündliche Beratung bevollmächtigter Vertreter stattfände, in der die Überredungskunst und der Elan der Vermittler dann doch noch alle Differenzen beseitigen und die Teilnahme Schwedens am Kriege erreichen konnte, war damit der besten Erfolgsaussichten beraubt. Denn ohne einen mit gleichen Rechten wie die anderen Verhandlungspartner ausgerüsteten schwedischen Gesandten mußte es noch schwerer als ohnehin schon sein, durch die Konferenz ein Bündnis zustandezubringen, bei dem Schweden doch noch eine entscheidende Rolle zufiel. Es muß dahingestellt bleiben, ob es ferner des Camerarius Wünschen ganz entsprach, oder ob er dies als eine, neben die sachliche tretende, persönliche Niederlage zu empfinden hatte, daß der Kanzler in dem Brief vom 23. März 1625 Spens und Rutgers und erst in weiterem Sinne Camerarius selbst als offizielle schwedische Beobachter, die statt des bevollmächtigten Gesandten zu dem Kongreß immerhin delegiert werden sollten, bezeichnete. Dafür waren im übrigen die beiden Absagebriefe von Oxenstierna mit großer persönlicher Rücksichtnahme und Anerkennung für Camerarius abgefaßt. Nicht nur im allgemeinen belobigte Oxenstierna Camerarius wegen seiner un31

OSB, I, 3.

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ermüdlichen Bemühungen. Noch mehr wird es diesen gefreut haben, daß der schwedische Kanzler ihn ausdrücklich zu einer zweiten Gesandtschaftsreise nach Schweden aufforderte für den Fall, daß die bei der geplanten Haager Konferenz durch bevollmächtigte Gesandte vertretenen Mächte sich, wie Schweden es wünschte, oder wozu es noch die Möglichkeit offen ließ, entschlossen, einen Gesandten nach Stockholm zu schicken, um die schwedische Regierung über die getroffenen Beschlüsse zu informieren und eventuell doch noch auf die schwedischen Vorschläge einzugehen32. So persönlich anerkennend und freundlich aber auch Oxenstiernas Zeilen klangen, geriet Camerarius durch die Briefe des Kanzlers vom 23. März und 19. April 1625 angesichts der völligen Ablehnung einer Zusammenarbeit mit Dänemark und einer Teilnahme an dem Konvent doch in Sorge, ob er mit dem in der Zwischenzeit Oxenstierna unterbreiteten Vermittlungsplan zweier getrennter Armeen nicht zu weit gegangen war. Es erscheint als ein Beweis dafür, daß Camerarius am Zustandekommen des großen Planes neben Moritz von Oranien entscheidenden Anteil hatte und dabei nicht lediglich als Berichterstatter nach Stockholm fungierte, wenn seine Bedenken so weit gingen, daß er es vorbeugend für richtig fand, sich wegen etwaigen Überschreitens seiner Instruktionen am 25. April 1625 bei Oxenstierna zu entschuldigen33. So trat Camerarius bereits den Rückzug von seinen eigenen Vorschlägen an, und doch war dieser Rückzug noch nicht nötig. Höchste Skepsis legte Oxenstierna zwar in der Antwort an den Tag, die er Camerarius am 26. April 1625 auf den Vorschlag gab, zwei getrennte Armeen ins Feld zu stellen. Ausdrücklich äußerte er am Eingang des 10 Druckseiten umfassenden Briefes – des längsten, den Oxenstierna in diesem Jahr schrieb – die auch für Camerarius persönlich nicht eben schmeichelhafte und für seinen Scharfblick nicht sehr anerkennende Befürchtung, ja Meinung, der Haager Zweiarmeenplan sei nur ein zu nichts führender Versuch, sich die schwedische Hilfe neben der dänischen zu erhalten, und laufe auf nichts weiter hinaus, als – den dänischen Absichten entsprechend – England und den anderen in Frage kommenden Bundesgenossen einen gangbaren Weg zu eröffnen, sich schließlich doch noch auf gute Art von der Unterstützung Schwedens zu lösen34. So skeptisch, ja gereizt aber auch diese Einleitung des Briefes vom 26. April 1625 formuliert war, zeigte Oxenstierna sich im Folgenden nicht abgeneigt, den Plan zu akzeptieren, vorausgesetzt, daß England die vorgesehenen Subsidien wirklich zahle, die für die Ostarmee unter Schwedens Führung veranschlagt wa32

„Nihil certe nobis gratius esset, quam si tu, vel legatus a Rege tuo vel ceteris legatis adiunctus, ad nos venias.“ 33 Camerarius an Oxenstierna, Haag 25. 4. 1625, „Submisse autem sibi veniam petit, si forte ex imprudentia peccaverit, aut si ex nimio desiderio tam diu speratae deliberationis plus exoptaverit, quam forte praestari posset. In hoc autem acquiescit, quod exacte novit, Gustavum Adolphum tam magno et heroico animo esse, ut cunctas suas vires atque adeo se ipsum pro Republica ac communi salute semper devoverit. Causae sane graves et verae sunt, cur legatum ad conventum hic futurum non miserit.“ SRA, Ox. slg. 34 OSB, I, 3.

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ren. Ja, die eingangs geäußerte Skepsis war offenbar eben deshalb so kräftig herausgearbeitet, weil Schweden trotz allen Ärgers darüber, daß Dänemark sich in das Bündnis hineingedrängt hatte, doch in ernsthafte Erwägung zog, auf den im Haag entwickelten Kompromiß einzugehen. So hatte Camerarius bei den Allianzverhandlungen noch einmal einen unbestreitbaren Erfolg für seine eigensten Absichten zu verzeichnen, und die große Angriffsaktion gegen die kaiserlichen Erbländer wurde im April 1625 noch einmal so spruchreif, wie sie es nur im Frühling und Sommer des Vorjahres gewesen war. Selbst Bellin, der 1624 den Plan zu Fall gebracht und auch im Februar 1625 zunächst dafür weitergekämpft hatte, Gustav Adolf doch noch den Oberbefehl in Westdeutschland zu verschaffen, trat, als er sah, daß dies sich tatsächlich nicht bewerkstelligen ließ, seit April 1625 für des Camerarius Projekt zweier getrennter Armeen und des Angriffs auf Schlesien ein. Noch einmal also konnte Camerarius bei den Allianzverhandlungen einen beachtlichen Erfolg verzeichnen, und doch reichte dieser Erfolg nicht dafür aus, die Dinge wirklich in der von ihm gewünschten Weise zu regeln. Vielmehr zeigte es sich nur zu bald, daß England über die von Dänemark geforderten 7 000 Mann hinaus schwerlich etwas leisten würde, und nachdem dies aufs neue offenbar geworden war, war auch die Geduld der schwedischen Staatslenker erschöpft: Seit Ende Mai 1625 stand es fest, daß Schweden sich in keiner Weise an dem deutschen Krieg beteiligen würde, und in einem ausführlichen Schreiben vom 20. Juni 1625 teilte Oxenstierna an Camerarius den Beschluß definitiv mit, den Krieg in Polen wieder aufzunehmen und auf ein Eingreifen in die deutschen Verwicklungen vorerst zu verzichten35. Ohnehin – so wurde Camerarius rücksichtsvoll von Oxenstierna getröstet, der schon früher, bei der Absage vom 19. April 1625 einmal beruhigend geschrieben hatte, „ego isthaec non scribo, quod te velim desperare“ – ohnehin sei die Beendigung des polnischen Krieges ja die Vorbedingung dafür, daß die Operationen in Ostdeutschland begonnen werden könnten, deren Aufnahme in der Zukunft durchaus möglich sei. Doch trotzdem bestand fürs erste kein Zweifel mehr, daß vorerst der Plan, Schweden zu tätigem Einsatz für die pfälzisch-evangelische Sache in Deutschland zu gewinnen, gescheitert war. Camerarius mußte sich im Frühsommer 1625 sagen, daß von seinen Kriegswünschen nur ein Teil in Erfüllung ging. Es war zu diesem Zeitpunkt klar, daß weder die Beteiligung oder gar Führerschaft Schwedens zustandekommen, noch ein großer Angriff gegen die kaiserlichen Erbländer ausgeführt werden würde. Die Möglichkeit, die alte pfälzische Großmachtpolitik wieder aufzunehmen, war damit – wenigstens fürs erste – dahin. Gleichfalls war es sicher, daß die beschränktere Kriegsaktion, auf deren Realisierung sich nunmehr wenigstens sicher hoffen ließ, bei weitem nicht in dem Maße unter einem konfessionellen Zeichen stehen würde, wie Camerarius es eigentlich erhofft hatte. Und schließlich mußte man aus dem bisherigen Gang der Allianzverhandlungen die Lehre ziehen, daß sich eine so weitgespannte Koalition, wie sie Camerarius vorschwebte, nicht ausführen ließ, daß die Gemeinsamkeit der Interessen hierfür nicht ausreichte, weil 35

OSB, I, 3.

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sich die ideellen Momente nicht in einem Maß stärken ließen, daß die staatlichen Gegensätzlichkeiten hätten überwunden werden können. Es stand seit Juni 1625 so gut wie fest, daß jener Teil der Allianzunterhändler, an deren Spitze Camerarius und Bellin standen, jener Teil, der gehofft hatte, „den schlummernden protestantischen Gemeinsinn zu neuem Leben zu erwecken“36 und auf dieser Basis alle protestantischen Mächte Europas zu einem Kampf auf Leben und Tod gegen den habsburgisch-katholischen Block zu vereinen, unterlegen war dem Kreis vorsichtigerer und nüchternerer Diplomaten, die wie Anstruther und die meisten englischen Regierungsmitglieder, aber auch wie Rusdorf von vornherein nur eine beschränktere Aktion für möglich gehalten hatten. Bei der Auseinandersetzung zwischen den vermittelnden Diplomaten selbst, die in vieler Hinsicht alle von dem gleichen Elan beseelt waren, hatte es sich dabei oftmals nur um Nuancen gehandelt, und doch war es eine Entscheidung von großer Tragweite, war es ein Kampf, der immerhin so schwer war und so viele Gefahren in sich schloß, daß Bellin an ihnen zerbrach und diesen Gefahren zum Opfer fiel. Zeitgenössische Beobachter, wie der schon oben zitierte französische Diplomat D’Espesses schildern uns, welche tiefe Verbitterung Bellin im Sommer 1625 erfüllte, wie er in seinem Auftreten verschlossen, unverbindlich, ja sarkastisch wurde, und tatsächlich wollte es die Ungunst der Verhältnisse, daß Bellins Karriere mit den evangelischen Allianzverhandlungen ihr Ende nahm. Nicht nur zog sich Brandenburg in der zweiten Hälfte des Jahres 1625 wie kurz vorher Schweden von dem Koalitionsplan ganz zurück und lenkte wieder in die von Bellin so erbittert bekämpfte Neutralitätspolitik ein. Der neuerliche Sieg der von Schwarzenberg geführten kaiserlichen Partei am Berliner Hof führte ferner dazu, daß Bellin wegen des ganzen Bündnisprojektes und seiner energischen Bemühungen Vorhaltungen gemacht wurden, daß er sich immer mehr zur Seite gedrängt sah und an Ansehen verlor. Kein Jahr verging, und Bellin starb, verbittert und innerlich gebrochen. Sehr viel freundlicher war dagegen das Los, das Camerarius in den folgenden Jahren traf. Einmal führte bei Camerarius der Umstand, daß das auch von ihm so heiß begehrte Schweden nicht zur Teilnahme gebracht und seine Bündniskonzeption nur in sehr abgeänderter und abgeschwächter Form verwirklicht wurde, nicht wie bei Bellin zu einer eigentlichen Verbitterung. Des Camerarius im Grunde sonniges Naturell und seine Hoffnungsfreudigkeit machten sich vielmehr auch hier geltend. Zwar war auch er über den immer wieder so unbefriedigenden und kleinlichen Ausgang all der groß gedachten und angelegten Pläne momentan geradezu verzweifelt. Auch blieb er hinsichtlich eines nur von England und Dänemark geleiteten Krieges düsterer Ahnungen voll und äußerte auch weiterhin, daß seiner Ansicht nach ein Kampf, der mit so geringen Mitteln geführt wurde, wie England und Dänemark sie aufwenden wollten, schwerlich zu einem nennenswerten Erfolg führen konnte. Ebenso beharrte Camerarius bei seinem Zweifel an der Feldherrntüchtigkeit Christians IV. Es sollte wenige Jahre später, als Dänemark am Boden lag, sein Ansehen außerordentlich heben, daß 36

Schybergson, Underhandlingarna.

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er gegen die communis opinio der europäischen Diplomatie auch dann, als auf Schweden nicht mehr zu hoffen war, seine Bedenken weiter äußerte. Doch trotz seiner Enttäuschung und seiner Zweifel gelangte Camerarius nicht wie Bellin zu einer eigentlichen Verbitterung. Seine starke und heitere Gläubigkeit gab ihm auch hier wiederum die Elastizität, die nötig war, um über den Rückschlag hinwegzukommen. Dem entsprach es, daß Camerarius trotz aller Bedenken gegen Dänemark nicht so weit ging, nun etwa gegen die Führerschaft Christians IV. in den kommenden Feldzügen Obstruktion zu treiben. Im Gegenteil, nachdem es einmal geklärt war, daß Schweden sich nicht beteiligen würde, suchte er mit ehrlichem Eifer auch die beschränktere Lösung zu unterstützen. Bedeutete doch die englisch-dänisch-niederländische Koalition, wie sie sich in der zweiten Hälfte des Jahres 1625 immer deutlicher abzeichnete und auf einer Zusammenkunft der leitenden Minister im Haag im November und Dezember 1625, dem sogenannten Haager Konzert, definitiv abgeschlossen wurde, wenigstens die Verwirklichung eines Teiles von dem, was Camerarius erstrebte. Ranke sagt einmal – in seiner Wallenstein-Biographie – über die Jahre 1624 und 1625, der Moment sei einer der wichtigsten in der europäischen Geschichte gewesen, in dem der große Kampf zwischen Österreich-Spanien und den Mächten der europäischen Opposition, die den Protestantismus erhalten wollten, zum Ausbruch gekommen sei. Daß diese Auseinandersetzung erfolgte und über die Grenzen Deutschlands hinausgreife, war das Anliegen des Camerarius gewesen, und hierin beruht, auch wenn seine besonderen Wünsche während der Verhandlungen nur Anregungen blieben, der nächste, greifbare Erfolg seines Anteils an den Allianzverhandlungen, daß ein größerer Krieg als bisher nun zum Ausbruch kam. Zwar sah Camerarius die Kräfte, die zum Einsatz gelangen sollten, von vornherein mit vollem Recht als ungenügend an, und es lief seinen Ansichten diametral entgegen, wenn bei dem Haager Konzert Kriegsgrund und Kriegsziel ganz im legitimistischen Sinn formuliert wurden, wenn es hieß, man kämpfe für die Herstellung der Rechte und Freiheiten des Reiches, und wenn das religiöse Moment nur am Rande und auch da nur sozusagen in legitimistischer Umkleidung zur Geltung kam, indem die Verletzung des Religionsfriedens als einer der Kriegsgründe genannt wurde. Gleichwohl war in des Camerarius Augen trotz aller Mängel die nun beginnende englisch-dänische Kriegsaktion noch immer besser als die vorangegangene Zeit der Versuche, Friedrich V. zur Unterwerfung zu bringen. Dieser Einstellung entsprach es, daß Camerarius im Großen zwar die Haltung Englands weiter verurteilte, daß er aber die allmählich wachsende Kriegsbereitschaft des Londoner Hofes immerhin als beachtliches Positivum, als keinen geringen Erfolg der pfälzischen Bemühungen wertete. Es erschien ihm deshalb auch zumindest als kein Nachteil, als König Jakob I. im April 1625 starb und der Prinz von Wales als Karl I. den englischen Thron bestieg. Camerarius trauerte dem skurrilen alten Herrn nicht nach, obwohl er in seiner Pedanterie und seinen schriftstellerischen Neigungen so viele Züge mit Jakob I. gemeinsam hatte. Vielmehr scheint Camerarius die stille Hoffnung gehegt zu haben, daß sich unter dem jungen König manches bessern würde.

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Nicht nur dem Vertrauten Rusdorf gegenüber äußerte Camerarius diese Meinung. Auch in den Berichten an Oxenstierna deutete er sie an. Und wie er so zunächst wenigstens die schwedische Regierung keineswegs gegen die englische scharf zu machen versuchte, zielten seine Briefe an den schwedischen Kanzler während des nun beginnenden Niedersächsisch-Dänischen Krieges auch nicht darauf ab, Schweden noch mehr gegen Dänemark einzunehmen, als dies schon ohnehin der Fall war. Schon im Winter von 1624 auf 1625 hatte Camerarius Oxenstierna nach Kräften beruhigt, als man in Stockholm den Verdacht geschöpft hatte, zwischen Dänemark und Polen könnte eine Verständigung zustandegekommen sein, und deshalb bei Camerarius anfragte. Als wenig wahrscheinlich hatte dieser von vornherein ein solches Geheimabkommen bezeichnet, und die Entwicklung sollte seine Prognose bestätigen37. Auch künftig beruhigte er immer wieder und versuchte, soweit es an ihm war, die Kriegsaktion Dänemarks zu unterstützen und zu erreichen, daß nun, da die Würfel einmal in einer seinen Wünschen nicht unbedingt entsprechenden Weise gefallen waren, die dänischenglisch-niederländische Koalition wenigstens das leistete, was ihr irgend möglich war. Daran, daß er selbst eine Bitternis gegen Christian IV. empfand, ließ er zwar nach wie vor in Stockholm keinerlei Zweifel und entsprach damit vollkommen dem Ressentiment, das auch die schwedischen Politiker gegen Dänemark empfanden. Um so mehr wirkte es am schwedischen Hof, daß er in sachlicher Hinsicht der nun zustandegekommenen kleinen Koalition in vielem die Stange hielt.

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Camerarius an Oxenstierna, 2. 1. 1625 u. ö.

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X II. Kap itel

Schwedischer Gesandter, Camerarius und die Niederlande Im Gegensatz zu dem Schicksal Bellins gab für Camerarius seine Tätigkeit bei den Koalitionsverhandlungen sozusagen das Sprungbrett ab, von dem aus er zu den höchsten diplomatischen Funktionen aufstieg, die Schweden zu vergeben hatte. Wenn es auch nicht gelungen war, Schweden bei der Koalition die gewünschte Stellung zu verschaffen, war doch die Zufriedenheit mit des Camerarius unermüdlichen Bemühungen und den dabei an den Tag gelegten Fähigkeiten und Ansichten eine solche, daß Gustav Adolf und Oxenstierna sich entschlossen, ihm – als Rutgers im Sommer 1625 schwer erkrankte – immer weitergehende Funktionen einzuräumen und ihn nach Rutgers Tod zum offiziellen schwedischen Gesandten im Haag zu ernennen. Für sein ganzes künftiges Leben bestimmend war somit der persönliche Erfolg, den ihm seine schon 1621 literarisch begonnenen und seit 1623 auch in der Praxis der pfälzischen Exilregierung konsequent betriebenen Bemühungen um eine evangelische Kriegspolitik großen Stils einbrachten. Dieser persönliche Aufstieg erleichterte ihm, sich mit der Position gegenüber den europäischen Kriegsbestrebungen abzufinden, die sich für ihn aus dem Ausgang der Allianzverhandlungen mit Notwendigkeit ergab. Camerarius mußte auf vier Jahre hinaus die zentrale Stellung, die er während des Zustandekommens der Koalition eingenommen hatte, aufgeben, statt dessen während des ganzen Niedersächsisch-Dänischen Krieges vom Rande her, allerdings mit dem Äquivalent hoher diplomatischer Funktionen in schwedischem Dienst, dem Gang der Entwicklung in Deutschland zusehen und konnte erst wieder auf dieselbe einen unmittelbaren Einfluß nehmen, als Gustav Adolf 1630 doch noch in den deutschen Krieg eingriff. Allein es erfolgte dieses Eingreifen, das Camerarius von 1625 an mit aller Kraft weiter erstrebte, und für das er sich immer wieder in Stockholm einsetzte, dann schließlich unter Bedingungen, die in vielem nicht mehr so des Camerarius Ideen entsprachen, wie die Pläne, die während der Zeit der evangelischen Allianzverhandlungen von der schwedischen Regierung gehegt worden waren. Jene veränderte Situation, in der Camerarius sich seit Mitte 1625 dem Allianzgedanken gegenüber befand, kam beim Haager Konzert im November und Dezember 1625 zu deutlichem Ausdruck. Seine Aufgabe war es jetzt, da in der Konferenz die Koalitionsbesprechungen einen äußeren Gipfelpunkt erreichten, nur noch an ihrem Rande Stellung zu beziehen, insoweit er das schwedische Interesse und seine eigenen Ideen zu vertreten hatte, an sich gerade für Camerarius, dem die Allianz nach wie vor so sehr am Herzen lag, keine leichte Pflicht.

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Dieselbe wurde noch dadurch erschwert, daß er in seiner Eigenschaft als Leiter der pfälzischen Exilpolitik im Gegensatz dazu auch das nun zum Abschluß kommende beschränktere Bündnisprojekt, soweit es an ihm war, notgedrungen forcieren mußte. Zu dem allen gesellte sich für Camerarius während des Kongresses noch eine besondere Schwierigkeit. Obwohl er sich im klaren darüber war, daß Gustav Adolf vorerst schwerlich in den deutschen Krieg eingreifen würde, plädierte er doch mit großer Entschiedenheit dafür, daß, wenn Schweden es schon ablehnte, bei dem Kongreß sich durch einen Sondergesandten vertreten zu lassen, wenigstens eingehende Instruktionen und Vollmachten in den Haag geschickt würden, damit durch Rutgers die Haltung Schwedens ausführlich dargelegt werden könne. Schien es Camerarius doch entsprechend seiner ganzen Einstellung überaus wichtig, daß wenigstens der Kontakt zu der sich nun bildenden kleinen Koalition und damit die Möglichkeit gewahrt blieb, daß Schweden vielleicht später doch noch zu einer Rolle beim Austrag der deutschen Angelegenheiten gelangte. Er und der niederländische Diplomat Gaspar van Vosbergen, der gerade damals sich auf einer Gesandtschaftsreise nach Schweden befand und sich ganz in derselben Richtung wie Camerarius einsetzte, hatten wenigstens mit diesem Drängen bei Oxenstierna Erfolg1. Am 29. Oktober 1625, also eine gute Zeit, bevor in der letzten Novemberwoche die Konferenz begann, trafen die an Rutgers adressierten Vollmachten ein, und doch kamen sie zu spät; denn drei Tage früher, am 26. Oktober 1625, war Rutgers gestorben, nach langer und schmerzhafter Krankheit, die ihn wochenlang bettlägerig gemacht und in den letzten 14 Tagen auch noch fast vollständig des Gebrauchs der Sprache beraubt hatte2. Zwei Jahre hatte Camerarius nun schon als Adlatus von Rutgers im Haag fungiert und war in der ganzen Bündnisangelegenheit, zu der ja auch noch die nun im Haag beginnenden Abschlußverhandlungen gehörten, von der schwedischen Regierung oft mehr ins Vertrauen gezogen worden als Rutgers selbst. Auch hatte ihm Oxenstierna angekündigt, Rutgers sei beauftragt, ihm die Vollmacht mitzuteilen und sich genau mit ihm darüber zu beraten3. Ferner konnte es als offensichtlich bezeichnet werden, daß es im schwedischen Interesse lag, besonders wie er selbst es auffaßte, daß, wenn Rutgers nicht mehr die Instruktionen Gustav Adolfs auf der Konferenz ausführen konnte, Camerarius dies an seiner Stelle tat. Trotzdem bedeutete es für ihn einen schweren Entschluß, die nicht an ihn gerichteten Mandate zu öffnen. Würde er dadurch nicht zu weit gehen, das Vertrauen überschätzen, das ihm bisher in Stockholm geschenkt worden war, und sich die Gunst Gustav Adolfs und Oxenstiernas verscherzen? Eine Woche zögerte er, und als er schließlich den Mut faßte, die Vollmachten zu erbrechen, hatte er es so eingerichtet, daß er erklären konnte, der Winterkönig, Carleton und Vosbergen hätten ihn zu dem Schritt gedrängt und es übernommen, ihn gegebenenfalls deswegen bei Gustav Adolf und Oxenstierna in Schutz zu nehmen4. 1

Vosbergen, Verbaal van de Ambassade … Oxenstierna an Camerarius, 14. 9., an Rutgers, 16. 9. 1625, OSB, I, 3. 3 Ebenda. 4 Camerarius an Oxenstierna, 30. 10., 7. 11. 1625, SRA, Ox. slg.; Schybergson, Sverige och Hol2

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Die Vollmachten enthielten freilich nicht viel mehr, als was Camerarius schon bekannt war. Doch hatte er nun den Vorteil, der Konferenz die Stellungnahme der schwedischen Regierung offiziell übermitteln zu können. Das brachte ihm neben anderem den persönlichen Gewinn, jetzt als regelrechter schwedischer Vertreter zu fungieren, indem er die offizielle schwedische Botschaft an die Konferenzversammlung gelangen ließ, der neben den führenden niederländischen Politikern die leitenden Minister Englands und Dänemarks, der Herzog von Buckingham und der ihm schon von seinem Besuch in Dänemark im Frühjahr 1622 her bekannte und für dänische Verhältnisse offenbar noch relativ gewogene dänische Kanzler Baron Jakob Ulfeldt angehörten. Freilich gelangte Camerarius, trotzdem er sich nun zum offiziellen Sprecher Schwedens machte, keineswegs so weit, daß er an der Konferenz teilgenommen hätte. Nur die Botschaft König Gustav Adolfs richtete er offenbar noch in der letzten Novemberwoche persönlich aus, sei es vor dem Kreis der versammelten Gesandten, sei es nur einigen der Bevollmächtigten gegenüber5. Im übrigen blieb er, während das Haager Konzert seinen Lauf nahm, durchaus am Rande des Geschehens, wie es den Erfordernissen der schwedischen Politik ja auch entsprach, weniger hingegen dem entgegenkam, was für die pfälzische Sache wünschenswert war, und wohl auch, was Camerarius für seine eigene Stellung erstrebenswert schien. Dafür hatte er am Ende des Kongresses die Genugtuung, daß er von den versammelten Gesandten damit betraut wurde, Gustav Adolf von den Beschlüssen des Haager Konzerts zu unterrichten, da von den beiden Diplomaten, an die nach des Camerarius Darstellung ursprünglich von der Versammlung gedacht worden war, Vosbergen die Aufgabe ablehnte und Spens noch nicht aus England zurück war6. So hatte Camerarius es denn im Verlauf von vier Jahren ein drittes Mal auf sich zu nehmen, in Schnee und Eis nach Skandinavien zu ziehen; und wie die beiden ersten Reisen Wendepunkte dargestellt hatten für seinen Lebensgang und für seine ganze Einstellung zum politischen und militärischen Geschehen, so war auch der dritte Besuch für sein Leben von hoher Bedeutung. Auf der Reise von 1622 war Camerarius in einem Maß wie vorher anscheinend noch nicht all der kaum bezwingbaren Schwierigkeiten innegeworden, die sich der Rettung der pfälzischen Sache entgegenstellten. Es war ihm mit einem Schlage aufgegangen, wie tief sein Ansehen sowie das der von ihm vertretenen Politik gesunken war, und die in Kopenhagen empfangene Niederlage war einer der Ansatzpunkte für die Änderung seiner ganzen politischen und kriegerischen Konzeption geworden, eine Änderung, die ihm anderthalb Jahre später in Schweden einen hohen persönlichen Triumph einbrachte und die schönsten Aussichten eröffnete. Auch was er Anfang 1626 in Schweden erreichte, war von der Niederlage seiner ersten Skandinavienreise weit entfernt. Vielmehr war ihm wieder ein schöner und großer persönlicher Erfolg beschieden, der ihn wenigstens für seine persönli-

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land, hier auch alle weiteren Briefe von Camerarius an Oxenstierna aus der Zeit von 22. 11. 1624 bis 26. 12. 1626. Camerarius an Oxenstierna, Haag, 28.11., 10.12.1625, SRA, Ox. slg. Camerarius an Oxenstierna, 10. 12. 1625, SRA, Ox. slg.

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che Laufbahn das in die Scheuer bringen ließ, was er seit 1623 erhoffen konnte und erstrebte. Andererseits aber waren die Resultate der Gesandtschaft von 1626 weit von der glänzenden und erhebenden Aussicht entfernt, die sich 1623 über das Persönliche hinaus Camerarius eröffnet hatte, der Aussicht nämlich, daß die allgemeinen Anliegen der pfälzisch-evangelischen Sache ganz nach seiner Konzeption gefördert und gerettet werden könnten. Was die Verhandlungen der vorangegangenen drei Jahre gezeigt hatten, fand bei der dritten Gesandtschaft nach Skandinavien eine letzte Bestätigung: Die Mission zeigte, daß wie meist im Leben auf glänzende Aussichten nur eine teilweise Erfüllung folgte. Daß Camerarius 1626 in Schweden höchstens einen teilweisen Erfolg erlangen konnte, war von vornherein ziemlich klar angesichts der Aufgabe, die er von den im Haag versammelten Bevollmächtigten der Niederlande, Englands und Dänemarks sich hatte übertragen lassen7. Sein Auftrag ging dahin, Gustav Adolf über die Verhandlungen und Beschlüsse der Haager Konferenz zu informieren sowie den schwedischen König zum Beitritt zu dem Bündnis aufzufordern. Doch führte Camerarius keinerlei Auftrag mit sich, feste Zusagen zu machen oder gar den Vertrag definitiv abzuschließen. Seine Mission hatte vielmehr einen vorerst lediglich informativen, allgemeinen, ja unverbindlichen Charakter. Wie die Verhandlungen mit Schweden aber bisher gelaufen waren, lag es von vornherein auf der Hand, daß Gustav Adolf und Oxenstierna wenig Lust bezeigen würden, auf so allgemeine Eröffnungen des Näheren einzugehen. Gleichwohl scheint es, daß Camerarius sich in Schweden, wo er Anfang März 1626 eintraf, ehrlich bemüht hat, daß Gustav Adolf die Verhandlungen mit der kleinen Koalition fortsetzte und dem Plan, doch noch in die deutschen Verhältnisse einzugreifen, möglichst nahe blieb. Ausführlich legte Camerarius zu diesem Zweck dar, wie wichtig es auch für den polnischen Krieg sei, daß die englischdänisch-niederländische Allianz die katholische Partei erschrecke und Schweden an sie nahen Anschluß finde, zumal wenn sich das Gewicht der Koalition noch durch den Beitritt Bethlen Gabors vermehren lasse, dessen von ihm geforderte Unterstützung möglichst von Schweden übernommen werden sollte, da den übrigen Verbündeten hierzu die Mittel fehlten. Trotz aller dieser Vorstellungen aber fiel die schwedische Antwort, die Camerarius in der endgültigen Resolution vom 2. Mai 1626 erteilt wurde, zurückhaltend und ebenso unverbindlich aus, wie es seine Vorschläge bei allem Eifer ihres Überbringers im Grunde ja auch waren8. Aufs neue zwar versicherte Schweden die kleine Koalition seiner besten Absichten für die allgemeine Sache. Irgendetwas über einen eventuellen Beitritt zu dem Haager Vertrag entscheiden könne es aber nur, wenn durch einen wirklich ausreichend bevollmächtigten Gesandten greifbare Vorschläge gemacht würden. Auch um ein unterstützendes Zusammenwirken mit Bethlen Gabor zustandezubringen, sei eigentlich das persönliche Erscheinen des siebenbürgischen Gesandten nötig, doch allenfalls könnten hier schriftliche Verhandlungen zwischen 7

Instruktion für Camerarius, 18. 12. 1625, SRA, Hollandica; s. a. Coll. Cam. Vol. 48, Nr. 139– 143. 8 S. a. Oxenstierna an Spens, 12. 5. 1626, OSB, I, 3, hier ebenfalls die Resolution.

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Gustav Adolf und Bethlen zum Ziele führen. Im übrigen könne der schwedische König sich nur der aufs neue geäußerten Ansicht des siebenbürgischen Großfürsten anschließen, daß die ganze Aktion nur Sinn habe, wenn man auch die Wiederaufrichtung der pfälzischen Herrschaft in Böhmen, nicht nur die Restitution Friedrichs V. in seine rheinischen Stammlande anstrebe. Bedeutete dieser letzte Passus ein offenes Kompliment für die von Camerarius vertretene Politik, so war auch er gleichzeitig nicht minder als die übrige Resolution, ja fast mehr noch eine Absage an die im Haag getroffenen Beschlüsse. Im Dezember 1625 war zeitweise noch einmal die Hoffnung aufgetaucht, daß Schweden vielleicht doch noch zu einem Bündnis mit den westlichen Mächten gelangen könnte. Des Reichskanzlers Bruder Gabriel Oxenstierna war damals von einer Reise durch Nord- und Westeuropa zurückgekehrt, auf der ihm im Haag auch Camerarius aufgewartet hatte, und hatte die Nachricht mitgebracht, daß im September 1625 zunächst ein englisch-niederländisches Bündnis abgeschlossen worden war, dem dann erst im Dezember im Haag der offizielle Beitritt Dänemarks folgte. Es zeigt, wie nahe Gustav Adolf nach wie vor dem Bündnisgedanken stand und wie mithin alle diesbezüglichen Hoffnungen von Camerarius noch immer einen gewissen Grund hatten, daß der König, kaum daß er hörte, die Allianz werde nun tatsächlich zustandekommen und Dänemark vielleicht nicht in dem Maße im Vordergrund stehen, wie anfänglich zu befürchten war, und wie es dann auch tatsächlich eintrat, in der ihm eigenen beweglichen Art sogleich den Gedanken faßte, das Bündnis werde sich vielleicht doch noch in einer für Schweden annehmbaren Weise arrangieren lassen. Sogleich dachte er daran, den Reichsrat Per Banér als Sondergesandten in den Haag zu schicken, wie Camerarius es so beharrlich forderte. Dem hatte schon im Dezember 1625 Axel Oxenstierna energisch widersprochen, und die bereits oben umrissene Gegensätzlichkeit zwischen dem König und seinem Kanzler in der Frage des deutschen Krieges hatte sich ein erstes Mal verdeutlicht. Dabei vermochte Oxenstierna seinen königlichen Herrn zu überzeugen, daß, wie die Dinge einmal lagen, die Ausführung der deutschen Pläne nicht ratsam war. Daß die Mission Banérs schließlich unterblieb, war ein erster Beweis dafür, daß sich bei dieser internen Debatte Oxenstiernas Ansicht durchsetzte. Die Resolution, die Camerarius erhielt, stellte den vollständigen Sieg der von Oxenstierna vertretenen Zurückhaltung dar9. Hing es damit zusammen, wenn der Kanzler Camerarius während dessen zweiten Besuches in Schweden nur ein einziges Mal am Beginn des Aufenthaltes empfing? Oder veranlaßte Oxenstierna dazu nur der Umstand, der in jedem Fall der Hauptgrund war, daß er nach jahrelanger ununterbrochener Tätigkeit, an deren Ende der anstrengende Feldzug in Livland gestanden hatte, von dem er im März 1626 eben erst zurückgekehrt war, so sehr an der Grenze seiner Kräfte war, daß er nicht anders konnte, als im März und April 1626 auf seinem Landsitz procul negotiis Erholung zu suchen? Auch fast alle anderen Geschäfte schob er in dieser Zeit von sich ab. Gleichwohl enttäuschte es Camerarius 9



Oxenstierna an Spens, 12. 5. 1626, OSB, I, 3.

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nicht wenig, nach den langen Reisemühen Oxenstierna nur ein einziges Mal zu sehen, und auch da offenbar nur in einer flüchtigen und vorbereitenden Audienz, bei der er glaubte, den Kanzler bald ein zweites Mal sprechen zu können, und deshalb davon Abstand nahm, ihm gleich mit den wichtigsten Fragen, vor allem auch denen persönlicher Art nach der Nachfolge von Rutgers, ins Haus zu fallen10. Sosehr Camerarius auch sein Verständnis für das Erholungsbedürfnis des Kanzlers hervorkehrte, deutete er in den Briefen an Oxenstierna doch deutlich an, daß ihm alles daran liege, Oxenstierna noch einmal zu sprechen, und daß er zu diesem Zweck nur zu gern auf Oxenstiernas Landsitz hinausgekommen wäre. Doch so beweglich Camerarius auch schrieb, ging Oxenstierna auf eine zweite Audienz nicht ein. Der Kanzler zeigte damit – so dürfte sich die Frage am richtigsten beantworten lassen, ob es sich nur um Erschöpfung oder auch um eine gewisse Abneigung gegen die momentane Fortsetzung der Allianzpolitik handelte –, daß sein Ruhebedürfnis im Augenblick so groß war, daß er nicht die Kraft zu haben glaubte, mit Camerarius lange mündliche Verhandlungen zu führen und dabei – wie mit Sicherheit anzunehmen war – sich vor die Notwendigkeit gestellt zu sehen, noch einmal seine Politik der momentanen Zurückhaltung gegenüber des Camerarius beharrlichem Werben für das Eingreifen Schwedens in die deutschen Angelegenheiten zu verteidigen beziehungsweise zu erklären und darzulegen. Vielmehr überließ er die mündlichen Verhandlungen mit Camerarius diesmal ganz dem König. Dieser war, als Camerarius in Schweden eintraf, noch nicht vom livländischen Kriegsschauplatz zurückgekehrt. Man kann sich die Erregung vorstellen, in die Camerarius deshalb bei seiner Ankunft geriet: Der Kanzler so erschöpft, daß er zum Verhandeln sich nicht zur Verfügung stellte, und der König außer Landes. Camerarius befürchtete, die ganze anstrengende Reise umsonst gemacht zu haben, oder nach Livland weiterfahren zu müssen, wozu sich kurz vorher Vosbergen genötigt gesehen hatte. Das erregte ihn so, daß er krank wurde: „Fateor enim ingenue me ex incertitudine de Suae Regiae Maiestatis praesentia et ex sollicitudine cum de publicis tum de privatis rebus ad morbum corporis aegritudinem nonnullam mentis accessise“11. Hier nun griff der Kanzler ein. Die einzige Unterredung, zu der er es mit Camerarius kommen ließ – sie fand vor dem 11. März 1626 statt12 –, diente von Oxenstiernas Seite vor allem dem Zweck, Camerarius zum Warten aufzufordern. Der König werde in Bälde kommen, und mit ihm werde er alles in der gewünschten Ausführlichkeit erörtern und erledigen können. Sosehr es Camerarius auch bedrückte, nicht noch einmal Gelegenheit zu erhalten, Oxenstierna zu sprechen und alles zu klären, was er auf dem Herzen hatte, scheint das erste Gespräch

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Camerarius an Oxenstierna, Stockholm 30. 3. 1626, SRA, Hollandica. Camerarius an Oxenstierna, 30. 3. 1626, SRA, Hollandica; s. a. Camerarius an Rusdorf, Stockholm 11. 3. 1626, Coll. Cam. Vol. 25. 12 Das ergibt sich nach dem Brief an Rusdorf vom 11. 3. 11

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doch genügt zu haben, ihn wieder von Oxenstiernas Wohlwollen zu überzeugen. Das ließ ihn neuen Mut schöpfen13. Camerarius tröstete sich mit Recht, daß er nach wie vor das Wohlwollen Oxenstiernas genoß. Wie groß dasselbe geblieben war, zeigt einmal der Brief des Kanzlers an Spens vom 12. Mai 162614, in dem er von des Camerarius Besuch berichtet. Vor allem aber spricht sich die Gönnerschaft des Kanzlers ebenso wie die hohe Gunst, die er nach wie vor bei Gustav Adolf genoß, im Gang der Verhandlungen aus, die Camerarius mit dem König nach dessen Rückkehr bei mindestens zwei Audienzen, einer in Upsala und einer in Stockholm, führen konnte15. Für die von ihm vertretene Haager Koalition vermochte er zwar, wie gesagt, nichts zu erreichen. Für ihn persönlich waren dafür die Resultate durchaus günstig. Zunächst mochte es Camerarius schon befriedigen, daß Gustav Adolf ihm wieder seine volle Anerkennung aussprach. Noch wichtiger war es, daß die Frage der Nachfolge von Rutgers ganz in dem von Camerarius erstrebten Sinn entschieden wurde. Schon während der Krankheit von Rutgers hatte Camerarius es angedeutet und dann sechs Tage später nach Rutgers’ Tod in dem schon oben erwähnten Brief an Oxenstierna vom 30. Oktober 1625 offen ausgesprochen, daß er erhoffte, als Nachfolger von Rutgers zum offiziellen schwedischen Gesandten bei der Republik der Vereinigten Niederlande ernannt zu werden. Interessanterweise bezog Camerarius sich in diesem Brief auf Gespräche, die Oxenstierna deswegen bereits 1623 in Gripsholm mit ihm geführt habe16. Eventuell wurden ihm also schon damals für spätere Jahre Aussichten auf den Gesandtenposten gemacht; und wie er sich vor 1623 der Hilfe des Pfalzgrafen Johann Kasimir bedient hatte, um eine Korrespondentenstelle zu erlangen, so spannte er Gustav Adolfs Schwager offenbar auch 1626 wieder für seine Interessen ein17. Die Quellen lassen es nicht genau erkennen, in welchem Ausmaß seine Befürchtungen, die Stelle könne statt seiner einem anderen Diplomaten übertragen werden, berechtigt waren. Soviel aber ist sicher, daß der Gesandtenposten im Haag – eine der wenigen ständigen diplomatischen Vertretungen, die Schweden damals im Ausland unterhielt – eine hohe und wichtige, relativ gut bezahlte und dementsprechend begehrte Funktion innerhalb des schwedischen Staatsapparates darstellte. Camerarius nahm an, der Humanist Daniel Heinsius, des Rutgers Schwager und seit 1618 schwedischer „Historiograph“, mit dem er bei Verwahrung des diplomatischen Nachlasses von Rutgers offenbar aneinandergeriet, mache ihm die Stelle streitig, und es ist wahrscheinlich, daß Heinsius tatsächlich ebenfalls gern Gesandter geworden wäre18. Andererseits ist es bemerkenswert, 13

Camerarius an Oxenstierna, 30. 3. 1626, „Nunc apparente tam illustri sole cunctae dispulsae nebulae. Vis morbi desiit, vires paulatim redeunt, sed nondum appetitus integer ob imbecillitatem ventriculi. Spero diaeta exactiori etiam hunc me recuperaturum esse.“ SRA, Hollandica. 14 OSB, I, 3. 15 Nach dem 23. 3. 1626, s. Camerarius an Rusdorf, Stockholm 23. 3. 1625, Coll. Cam. Vol. 25. 16 „Illustris vero Generositas Tua sine dubio accurate adhuc meminit, quae mecum Gripsholmii in ultimo congressu nostro egerit, quid ego tum responderim …“, SRA, Ox. slg. 17 Camerarius an Oxenstierna, Stockholm 30. 3. 1626, SRA, Hollandica. 18 S. u. a. Camerarius an Oxenstierna, 30. 10. 1625, SRA, Ox. slg.

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daß Camerarius zwar in seinem Briefe an Oxenstierna ziemlich offen andeutete, Heinsius mache ihm Schwierigkeiten, die für Schweden wichtigen Briefschaften von Rutgers sicherzustellen und erstrebe den Posten, für den er – Camerarius – sich sehr viel besser eigne. Heinsius hingegen führte, soviel zu sehen ist, keinerlei Klagen über Camerarius und bewarb sich auch nicht offen um die Stelle, sei es, weil er nicht so vertraut mit Oxenstierna war wie Camerarius, sei es, weil er nicht über solche Ellbogen verfügte wie dieser. Ebenso findet sich keinerlei Anhalt, daß Rutgers vor seinem Tod seinen Schwager als Nachfolger empfohlen hätte. Vielmehr verhielt Rutgers sich allem Anschein nach noch über das Grab hinaus Camerarius gegenüber loyal und fördernd. Auch das Interesse von Mitgliedern der großen schwedischen Familien – der Name eines Bruders des mächtigen Reichsrates Johann Skytte tauchte auf – konnte des Camerarius Kandidatur nicht zu Fall bringen. So stark war das Streben des schwedischen Adels nach Auslandsposten 1626 noch nicht, daß es bei Gustav Adolf und auch Oxenstierna gegen all die Momente aufgekommen wäre, die für Camerarius sprachen. Neben seiner diplomatischen Erfahrung und Vergangenheit, sowie seinen humanistischen Fähigkeiten dürfte sich dabei in den Augen der schwedischen Staatslenker als drittes, entscheidendes Positivum der Umstand dargestellt haben, daß er über gute Beziehungen zu den Oraniern verfügte, während sowohl Rutgers als auch dessen Vorgänger Jakob van Dyck dem Generalstatthalter offensichtlich ferner gestanden hatten als Camerarius. Vielmehr fiel offenbar relativ rasch die Entscheidung zu seinen Gunsten, und er verließ Ende April 1626 Schweden als offizieller Gesandter – „residens“ – König Gustav Adolfs bei der Republik der Vereinigten Niederlande. So sehnlich Camerarius den Gesandtenposten auch erstrebte, hatte er die Annahme doch an eine Bedingung geknüpft und sie wohl noch im Februar 1626 durch den Pfalzgrafen Johann Kasimir an Gustav Adolf und Oxenstierna gelangen lassen19. Camerarius behielt sich vor, trotz seiner neuen hohen Funktion im schwedischen Staatsdienst auch weiterhin den Winterkönig beraten zu dürfen, und die schwedische Regierung ging auf diese Bedingung ein, ebenso wie sich Friedrich V. mit der Übernahme des schwedischen Gesandtenpostens, wenn auch wohl nur widerstrebend, einverstanden erklärte, wahrscheinlich auf ein von Camerarius erbetenes offizielles Ersuchen Gustav Adolfs hin. Camerarius zeigte sich also willens, sich die engere Verbindung zu wahren, die schon seit 1623 sein Leben bestimmte: Gleichzeitig wollte er dem schwedischen und pfälzischen Interesse dienen, nur mit dem Unterschied, daß er von nun an den größeren Teil seiner Zeit nicht mehr den pfälzischen, sondern den schwedischen Angelegenheiten widmete. Und tatsächlich gelang es Camerarius, nachdem er am 16. Juni 1626 wieder im Haag eingetroffen war, diese doppelte Tätigkeit in den nächsten Jahren auszuüben in der Weise, wie sie ihm vorschwebte20. Er behielt die Oberleitung eines großen Teils der pfälzischen Exilgeschäfte 19

Der Schriftsatz trägt das Datum Starkenburg (= Stegeborg) 8. 2. 1626, SRA, Hollandica; s. a. Camerarius an Oxenstierna, Stockholm 30. 3. 1626, SRA, Hollandica. 20 Das Ankunftsdatum ergibt sich aus einem Brief an Rusdorf vom 17. 6. 1626, Coll. Cam. Vol. 25.

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bei. Zwar erledigte nun vieles der Sekretär Theobald Moritz selbständiger als vorher, und auch andere Ratgeber traten in der Umgebung des Winterkönigs mehr hervor als in den Vorjahren. Die wichtigsten Fragen aber blieben allem Anschein nach zunächst weitgehend in der Hand von Camerarius, beziehungsweise seine Stimme gab weiterhin meistens den Ausschlag. Erst Mitte 1627, als Rusdorf aus London zurückkehrte und der Winterkönig auf Schloß Rhenen in der Provinz Groningen übersiedelte, trat er weiter zurück, und Rusdorf wurde nun der eigentliche Leiter der Exilregierung, während Camerarius von jetzt an mehr am Rande stand, allerdings in allen wichtigen Fragen nach wie vor konsultiert wurde. Es lag auf der Hand, daß eine Tätigkeit, in der die Interessen zweier Fürsten wahrzunehmen waren, jederzeit zu ernsten Konflikten führen konnte. Die Möglichkeit hierzu war um so größer, seitdem Schweden seine Stellung außerhalb, ja in einem gewissen Gegensatz zu der Koalition genommen hatte, die sich die Restitution des Pfalzgrafen zum Ziel setzte. So stark trat deshalb auch Camerarius die eventuelle Problematik vor Augen, daß er es für nötig fand, sich ausdrücklich erlauben zu lassen, auch weiterhin den Winterkönig zu beraten. Im übrigen aber zeigte sich Camerarius der besten Hoffnung, daß sein gleichzeitiges Bemühen um die pfälzische wie die schwedische Sache für beide Teile nur nützlich sein würde. Seine Auffassung des Weltgeschehens, die so ganz beherrscht war von der Idee der Gemeinschaft der evangelischen Interessen, machte sich hier geltend. Deutlich zeigt das die Formulierung seiner Bedingungen. Heißt es doch in dem Schreiben an den Pfalzgrafen Johann Kasimir vom 8. Februar 1626 mit Bezug auf die von Gustav Adolf geforderte Erlaubnis: „… welches dann meines ermessens auch mit sondern nutzen ihrer Königlichen Majestät in Schweden selbsten geschehen würde. Indem dadurch auch daß gemyne wesen (deßen konservation und … auffnehmen Seine Königliche Majestät Sich so treueyffrig angelegen sein laßen) desto mehr befürdert, und die consiliia allenthalben, soviel müglich zu deroselben heroisch intention durch mich dirigiert werden könnten …“ Indem Camerarius Friedrich V. beriet, war er überzeugt, Gustav Adolf zu nützen, und indem er die schwedischen Interessen vertrat, glaubte er, gleichzeitig die pfälzischen Anliegen zu fördern. Beim Dienst für Gustav Adolf wie für Friedrich V. aber stand im Mittelpunkt seines eigentlichen Interesses, wenn er auch von Jahr zu Jahr mehr auf die schwedische Staatsräson Rücksicht zu nehmen lernte, die Causa Communis, die Res Evangelica. Dieses Interesse, das im Grunde stärker war als die Anhänglichkeit an die pfälzischen Wittelsbacher, erleichterte ihm den Übertritt in schwedischen Dienst. Denn für die ihn vor allem erfüllenden gemeinsamen Anliegen einer protestantischen Politik konnte er auch als schwedischer Gesandter weiterwirken, ja in vieler Hinsicht sogar mit sehr viel größerem Nachdruck. So gestaltete sich dank seiner Veranlagung und der besonderen Umstände, unter denen der Übertritt erfolgte, die Situation so, daß Camerarius seinem eigensten Werk nicht eigentlich untreu zu werden brauchte, um die lockenden Möglichkeiten wahrnehmen zu können, seine diplomatischen Fähigkeiten in weiterem Rahmen zu betätigen. Ernst sollte der Konflikt werden, in den er zwischen den pfälzischen und schwedischen Interessen geriet, nachdem Gustav

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Adolf 1631 die Pfalz zurückerobert hatte. Doch auch dann noch war es für die endliche Restitution der pfälzischen Wittelsbacher in ihren Besitz zweifelsohne ein Vorteil, in Camerarius einen Fürsprecher bei der schwedischen Regierung zu haben. In den Jahren von 1626 bis 1630 aber fiel ihm neben Pfalzgraf Johann Kasimir die für die pfälzische Sache wichtige Aufgabe zu, die Verbindung zu Schweden nicht abreißen zu lassen und hier das Interesse für die Angelegenheiten Friedrichs V. wach zu halten. Es war angesichts des Scheiterns des von Dänemark und England unternommenen Versuches einer kriegerischen Restitution im Niedersächsisch-Dänischen Krieg eine Funktion, die für die pfälzische Geschichte von nicht geringer Bedeutung war und für dieselbe eine immerhin beachtliche Wichtigkeit, wenn auch nicht die gleiche hat, wie das, was Camerarius vor dem Krieg tat, um die pfälzische Großmachtpolitik zu entwickeln, und das, was er unternahm, um in den ersten Kriegsjahren den Kampfgedanken aufrechtzuerhalten und die kriegerische Restitution zu sichern. Die Rücksicht auf die pfälzische Sache hinderte ihn also nicht, in den Genuß der Sicherungen einzutreten, die ihm der schwedische Gesandtenposten bot und die gegenüber der Not der Exilregierung so groß waren, daß er sie wohl in keinem Fall hätte abschlagen können. Statt wie bisher alles in allem wohl höchstens 900 Taler jährlich standen Camerarius nun 5–6000 Reichstaler zu. Auf 14 Reichstaler pro Tag, das sind 5110 Reichstaler im Jahr, wurde im April 1626 sein Residentengehalt festgesetzt, und auf 1200 Reichstaler jährlich beliefen sich die Vergütungen, die ihm als schwedischem Hofrat zustanden, welchen Titel er spätestens 1628 erhielt. Zwar gingen diese Summen unregelmäßig, stockend und oft wohl auch nicht vollständig ein21. Immerhin lassen die in des Camerarius Personalakte im schwedischen Kammerarchiv erhaltenen Zusammenstellungen den Schluß zu, daß er von 1626 bis 1631 tatsächlich jährlich 5110 Reichstaler überwiesen erhielt, zu denen mindestens seit 1628 noch jährlich 738 Reichstaler kamen22. Nach 1631 aber, nachdem er 1629 vom Residenten zum „Ambassadör“ aufgerückt war, sind in den Akten für Camerarius jährlich 7300 plus 800 Reichstaler angesetzt. Vielleicht gelang es Camerarius sogar, zeitweise sein Gehalt noch höher hinaufzuschrauben. Jedenfalls wurde er vom schwedischen Reichsrat in diesen Jahren neben Hugo Grotius, der damals schwedischer Botschafter in Paris war, als der höchstbezahlte schwedische Auslandsvertreter bezeichnet, und es ist offensichtlich, daß Camerarius für sich selbst ein sehr guter Kaufmann war, sosehr er auch in größeren wirtschaftspolitischen Fragen versagte. Wie sein Einkommen besserte sich auch seine gesellschaftliche Stellung 1626 ziemlich schlagartig. Während er bisher als armer Exilminister und halboffizieller Korrespondent weder am oranischen Hof noch bei den Generalstaaten gesellschaftlich eine große Rolle spielte, nahm er von 1626 an in der Haager Diplomatie einen der ersten Plätze ein. Seine Stellung hob sich um so mehr heraus, 21

Camerarius hatte bei seiner Verabschiedung 1641 seiner Rechnung nach noch 20 242 Reichstaler Außenstände, von denen aber seitens der schwedischen Regierung nur 6000 Reichstaler anerkannt wurden. S. Kammerarchiv Stockholm, Liqvidationen Nr. 24. 22 Kammerarchiv Stockholm, Liqvidationen Nr. 24.

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als damals nur vier der großen europäischen Mächte: England, Frankreich, Venedig und Schweden in den Niederlanden ständige Gesandtschaften unterhielten. Nichts kennzeichnet seinen äußeren Aufstieg so wie der Umstand, daß er seit 1626 gleichberechtigter Kollege Dudley Carletons war, zu dem er bisher stets halb wie zu einem Gönner, halb wie zu einem übermächtigen Gegner aufgeblickt hatte. Des Camerarius venezianischer Kollege aber war 1626 zunächst noch Alvariso Contarini, dessen Berichte und Relationen zu den besten Darstellungen gehören, die wir über die niederländischen Verhältnisse besitzen. Es mochte einen Ansporn für Camerarius bedeuten, in seiner neuen Stellung Diplomaten von solchem Format wie Carleton und Contarini zu Kollegen zu haben, und wir bemerken, wie er kein geringes Gefallen daran fand, nun auch nach außen hin wieder eine repräsentative und herausgehobene Stellung in der europäischen Diplomatie einzunehmen, ja in den diplomatischen Verhältnissen außerhalb des Reiches sogar fast noch mehr hervorzutreten als in den Jahren vor dem Krieg. Trug die geringe Anzahl ständiger Gesandter dazu bei, des Camerarius gesellschaftliche Stellung zu stärken, so übte eine ähnliche Wirkung auch die Kleinheit des niederländischen Regierungszentrums. Zumindest als Camerarius sich in den Vereinigten Provinzen niederließ, wachten die anderen niederländischen Städte noch eifersüchtig darüber, daß der Haag keine Stadtrechte erhielt. So war der Ort in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts wahrscheinlich das größte und sicher das wichtigste Dorf Europas, ein Dorf voll von Politikern, Ständevertretern und Diplomaten. Wohl wird die Eifersucht der anderen Städte eine große Rolle gespielt haben, wenn dem Haag Stadtrechte verweigert wurden. Doch die Kleinheit der Niederlassung bot jedenfalls auch eine gute sachliche Handhabe für die Ablehnung. Bestand der Haag doch damals im Grunde aus nicht mehr als einem großen Straßenkreuz, an das sich einige Seitenstraßen anfügten. Läßt sich schon ganz allgemein feststellen, daß im 17. Jahrhundert die Orte, an denen die Regierungen der protestantischen Mächte ihren Sitz hatten, um einiges bescheidener und ärmlicher aussahen als die großen katholischen Residenzen – analog der Tatsache, daß an materieller Kraft die evangelischen Staaten ja überhaupt den katholischen nachstanden –, so trifft das in besonderem Maß auf den Haag zu. In fast ebenso ausgeprägter Weise aber gilt es auch von Stockholm, dem zweiten Ort, den Camerarius während des Krieges als Zentrale seiner Tätigkeit betrachten, und dem er sich besonders zugehörig fühlen mußte, so selten er auch nach Schweden kam. Man sollte das Dürftige der unmittelbaren äußeren Umgebung neben den anderen Gründen nie vergessen, wenn es das Phänomen zu erklären gilt, daß Camerarius in so besonderem Maß von der allgemein im protestantischen Lager vorhandenen Stimmung beherrscht wurde, in einer schwächeren Position als die katholischen Gegner zu stehen. Zwar boten viele Städte der niederländischen Republik ein Bild höchsten Reichtums und waren deshalb geeignet, das Gefühl von der Beschränktheit der evangelischen Machtmittel in manchem Lügen zu strafen. Doch diese Mittelpunkte niederländischen Wohlstandes besuchte Camerarius nur selten, teils, weil ihn die Geschäfte an den Haag fesselten, teils auch, weil ihm der merkantile Geist der großen Städte nicht angenehm war. Lieber verharrte er in seinem Diplomatendorf, nährte in

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der dürftigen Umgebung seine Überzeugung von der Bedrohtheit der evangelischen Sache und verstärkte dadurch seine Stoßkraft bei seinen Bemühungen, neue Kräfte gegen die katholische Partei zu mobilisieren. Wie sehr in der zahlenmäßig kleinen, in seltener Ausschließlichkeit aufs Politische ausgerichteten Gesellschaft von Gravenhagen die vier ständigen Gesandten im Vordergrund des Interesses stehen mußten, liegt auf der Hand. Wie gesagt, Camerarius konnte sein Leben lang kein wärmeres Verhältnis gewinnen zu den höfischen, von französischer Bildung beeinflußten Formen, wie sie sich im 17. Jahrhundert immer mehr an den europäischen Residenzen durchsetzten. Das hinderte aber nicht, daß er an sich einen starken Sinn für Repräsentation besaß. Diesen Sinn betätigte er 1626 nach seiner Rückkehr aus Schweden sogleich, indem er danach trachtete, das kleine Haus, das er seit 1623 mit seiner Familie im Haag bewohnte, gegen eine stattliche Residentenwohnung einzutauschen. Zu diesem Zweck erwarb er als schwedisches Ministerhotel ein Gebäude, eine „domus splendida et spectabilis“, in dem bereits des Camerarius Vorvorgänger Jakob van Dyck residiert hatte, der erste Gesandte, der Schweden von 1614 bis 1620 ständig im Haag vertrat. Anfang November 1626 erfolgte der Umzug in das neue Quartier, dessen hohen Kaufpreis Camerarius bei Oxenstierna damit entschuldigte, daß das Gebäude das schwedische Wappen über dem Portal trug und im Volksmund das „schwedische Haus“ hieß. Ein für Camerarius zwingender Grund, wie er Oxenstierna gegenüber nicht unbedingt überzeugend argumentierte, vor dem hohen Kaufpreis nicht zurückzuschrecken23. Wagen und Pferde waren offenbar schon früher angeschafft worden – aus der Hinterlassenschaft von Rutgers –, so daß Camerarius bereits zu seiner Antrittsrede vor den Generalstaaten am 10. August 1626 in eigener Karosse fahren konnte und es vielleicht sogar eine Zeitlang so aussehen mochte, als werde Camerarius die Repräsentation allzu weit treiben, wie es der oben erwähnte Jakob van Dyck getan hatte. Dieser, wie Camerarius Doctor Juris und von großen Verdiensten um die schwedische Diplomatie, Rechtspflege und Wirtschaftspolitik, hatte einen wachen Sinn, ja Begeisterung für die Kunst der niederländischen Renaissance gezeigt und versucht, die schwedische Macht zu repräsentieren, indem er die verschwenderischen Allüren eines Renaissance-Mäzens und Grandseigneurs entfaltete24. Wohl war nicht zu leugnen, daß Schweden, wenn es in die Reihe der europäischen Großmächte eintreten wollte, seine staatliche Repräsentation steigern und die für diese Repräsentation so wichtigen Momente der bildenden Kunst beachten mußte, wie sie die niederländische Renaissance in vollendeter Weise entwickelt hatte. Insofern lag auch in Dycks Auftreten Berechtigung. Gleichwohl aber gab die Art, wie er repräsentierte, Anlaß zu Mißfallen, und es war so falsch nicht, wenn seine Gegner Dyck als einen großsprecherischen und verschwendungssüchtigen arrivierten und reich gewordenen Advokaten bezeichneten, dessen Handeln immer wieder aufs neue verstimmte. 23

Den Svenska Utrikesförvaltningens Historia … 70 f.; s. a. Camerarius an Oxenstierna, Haag 18. 8. 1626, SRA, Hollandica. 24 Über Dyck s. den ausgezeichneten Artikel in Svensk Biographisk Lexikon; ein Brief von Dyck an Camerarius, in: Coll. Cam. Vol. 19, Nr. 262.

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Bei aller Liebe für kostspielige Repräsentation und aller Fähigkeit, seine persönlichen Finanzinteressen wahrzunehmen, war eine etwaige Befürchtung jedoch unbegründet, Camerarius werde in Dycks Prunksucht und Parvenuallüren verfallen25. Vielmehr zeigte es sich, daß er mit seiner Art des Auftretens und mit der gesellschaftlichen Repräsentation, wie er sie beherrschte, in vieler Hinsicht in den Niederlanden nicht schlecht und jedenfalls mehr am Platze war, als er es an den meisten der großen europäischen Residenzen gewesen wäre. Der Haag war einer der wenigen Orte, wo Camerarius sich an der großen europäischen Politik beteiligen und doch ganz der bleiben konnte, der er war. Am sichtbarsten wurde dieser Vorteil zunächst in dem Umstand, daß Camerarius des Französischen und – zur Not – auch der höfischen Formen französischen Gepräges im Haag entraten konnte, hingegen besten Gebrauch von seinen lateinischen Kenntnissen zu machen vermochte. Dies erklärte sich einmal daraus, daß – länger als im übrigen Europa – auch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch der Humanismus in den Niederlanden in Blüte stand. Zum andern folgte es aus dem Umstand, daß die Vereinigten Provinzen von einer Ständeoligarchie regiert wurden, in der das höfische Element bei weitem nicht so stark war wie in denjenigen europäischen Fürstentümern und Königreichen, die den Niederlanden an Macht gleichkamen. Zwar residierte im Haag der Generalstatthalter, und die nächste Umgebung der Oranier war in starkem Maße der französischen Bildung aufgeschlossen und von höfischen Sitten erfüllt. Die Spitze des Staates aber stellten die im Haag tagenden Generalstaaten dar, und die Weisheit der Oranier lag eben darin, daß sie bei allen höfisch-monarchischen Allüren, die sie im kleinen an den Tag legten, die Ständevertreter mit Takt und Klugheit als oberstes Regierungsgremium respektierten. Den Generalstaaten aber war wenigstens in ihrer Mehrzahl die humanistischlateinische Bildung geläufiger als die französische. Ein selber aus städtischem Patriziat hervorgegangener humanistisch aufs äußerste gebildeter Jurist aus einer berühmten Gelehrtenfamilie lag ihnen deshalb in vieler Hinsicht mehr und stand ihnen näher als ein gewandter Hofmann, und auch die Oranier und ihr nächster Kreis hatten bei aller Vorliebe für das Französische mehr Verständnis für den Wert der humanistischen Disziplinen als viele andere europäische Potentaten. Die von Camerarius an den Tag gelegte Verbindung von großer Repräsentation mit dem Lebensstil der humanistischen Diplomatie des 16. Jahrhunderts war also im Haag sehr viel mehr am Platz, als sie es zum Beispiel in Paris oder auch in London gewesen wäre. Welche Bedeutung die konservative, vom Humanismus und der Religiosität der Reformation geprägte Form der Diplomatie, die Camerarius vertrat, für den Werdegang des schwedischen Staatswesens hatte, wurde schon oben gesagt. Es zeigte sich bereits, wie die schwedische Diplomatie, um den Erfordernissen einer Großmacht gewachsen zu werden, Kräfte und Einflüsse von außen her benötigte, und wie sie ihre Entwicklung nicht auf der Pflege der französischen, sondern der 25

Sein Nachfolger Peter Spieringk warf ihm sogar vor, er sei zu karg aufgetreten; s. Spieringk an Oxenstierna, Haag 27. 3. 1637, SRA, Ox. slg.

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lateinischen Sprache aufbaute, wie auch der schwedische Hof zur Zeit Gustav Adolfs aufgeschlossener für die humanistische Bildung war als für die moderne französische. Des Camerarius Wert für Schweden, so wurde ferner bereits gesagt, beruhte von Anfang an zum einen darauf, daß er für die Ideen der schwedischen Politik bei den anderen Mächten Propaganda machen konnte und gleichzeitig in der Lage war, die schwedische Regierung mit wertvollen Nachrichten über das Weltgeschehen zu versehen. Zum andern aber lag für Schweden sein Wert darin, daß er in wirkungsvoller Weise mithelfen konnte, die Kunst gepflegter Berichterstattung in der schwedischen Diplomatie einzuführen und der schwedischen Staatskunst das Können und die Routine mitzuteilen, auf denen seine eigene staatsmännische Wirksamkeit beruhte. In Schweden wie in den Niederlanden, den beiden Ländern, mit denen er es seit 1623 in erster Linie zu tun hatte und von denen er vor allem abhing, war Camerarius mit seiner konservativen Art der Diplomatie also in einem Maß am Platze, wie er es bei keiner der anderen europäischen Großmächte gewesen wäre. Insofern war die Gunst der Umstände eine außerordentliche, die ihn in Beziehungen zu Schweden gebracht und in die Niederlande geführt hatte, noch bevor sich im einzelnen absehen ließ, daß sich für seine diplomatischen Fähigkeiten in beiden Ländern in vieler Hinsicht besonders günstige Entwicklungsmöglichkeiten boten. Die Gunst der Konstellation wurde durch ein weiteres Moment noch verstärkt: Die Begegnung mit dem niederländischen Späthumanismus gab seiner Begeisterung für die alten Sprachen einen neuen Auftrieb. Durch die aufs neue verfeinerte Latinität des Ausdrucks aber konnte Camerarius nun auf den Stil der schwedischen Diplomatie einen besonders großen Einfluß üben. Von außerordentlichem Nutzen war für seine Entwicklung die Bekanntschaft mit Moritz von Oranien und die Förderung und Unterweisung gewesen, die er durch ihn empfing. Man kann in dem Zusammentreffen die eine große Bereicherung sehen, die Camerarius das Leben in den Niederlanden brachte. Die zweite war die Begegnung mit dem niederländischen Späthumanismus. Diese beiden Momente waren die Grundlage für die Erfolge, die er in den Niederlanden erzielte. Sie stehen als Positiva dem Negativen gegenüber, das daraus erwuchs, daß Camerarius der Sinn für wirtschaftspolitische Fragen und das Verständnis für den merkantilen Geist eines Kaufmannsstaates in selten weitgehendem Maße abging, wovon im nächsten Kapitel zu reden sein wird. Bei den Vertretern des niederländischen Späthumanismus und den von dieser Geistesrichtung bewegten Kreisen ein gewisses Entgegenkommen zu finden, fiel ihm bei dem Ansehen, das der Name Camerarius damals in der Gelehrtenwelt genoß, allem Anschein nach nicht schwer. Wenn Hugo Grotius später einmal des Camerarius Sohn Joachim gegenüber von den „genuina signa eruditionis“ der „gens Camerariorum“ sprach, und 1635 die Korrespondenz mit Ludwig Camerarius selbst mit den Worten eröffnete: „quantam semper Camerarii nominis, tuique imprimis ac tuorum, prae me tulerim tum reverentiam, tum amorem no­ runt omnes, qui me norunt“, so waren dies zwar die glatten Liebenswürdigkeiten des Weltmannes einem einflußreichen Kollegen gegenüber, an dessen Entgegen-

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kommen dem Schreiber gelegen sein mußte26. Gleichzeitig aber zeigen die Worte von Grotius, der, wie sich noch ergeben wird, als Arminianer zu der Richtung im politischen und religiösen Leben der Niederlande gehörte, der Camerarius ablehnend gegenüberstand, wie dessen Name und die wissenschaftliche Leistung seiner Vorfahren bei den Gelehrten aller Parteien geachtet wurden. Kein Wunder also, daß wir Camerarius ziemlich rasch mit der nahen Universität Leyden ebenso wie mit der Universität Groningen Kontakt gewinnen sehen. Immer wieder fährt er vom Haag nach Leyden hinüber, wenn hier ein akademischer Aktus stattfindet, etwa wenn Daniel Heinsius eine Gedächtnisrede hält. Mit einzelnen der Leydener Professoren scheint er auch über die offiziellen Festakte hinaus in Beziehung gestanden zu haben, so mit dem Juristen Jacob Gothofredus, dessen Verwandter, der bekannte Genfer Jurist, mit Camerarius verschwägert war. Enger noch war seine Verbindung mit dem ihm geistig näherstehenden Groningen, wo er in dem Gelehrtenkreis um Ubbo Emmius und Heinrich Alting Fuß faßte, der schon von Heidelberg her sein Bekannter war27. Alle diese Beziehungen waren freilich nicht allzu ausgedehnt. Es ist auffällig, wie Camerarius nur immer dann wärmer wurde, wenn er sich alter Heidelberger Verbindungen bedienen konnte. Auch gingen seine Bekanntschaften, einschließlich der mit den Professoren der Universität Groningen, wohl meist nicht allzu sehr in die Tiefe. Sie führten nicht etwa dazu, daß er an den wissenschaftlichen Diskussionen nachweislich einen tätigen Anteil genommen hätte. Camerarius zeigte sich zwar am Gelehrtenleben und besonders an der Universitäts-Repräsentation außerordentlich interessiert, blieb aber, solange er amtierte, in der Hauptsache der außenstehende Botschafter, der zwar große wissenschaftliche Ambitionen hatte, aber zunächst keine eigene Produktion entfaltete. Was für seinen ganzen Lebenslauf charakteristisch ist, ergab sich in den Niederlanden aufs neue. Stets wirkte Camerarius auf seine Kollegen in der Diplomatie als hochgebildeter Doktor, und es umschrieb genau das Bild, das die zeitgenössischen Politiker sich von ihm machten, wenn Historiker und Lexikographen des ausgehenden 17. Jahrhunderts ihm den Beinamen „Der Gelehrte“ gaben. Gleichwohl wurde er nicht zum eigentlich produktiven Wissenschaftler und betätigte sich als Humanist zunächst nicht über den Bereich der Zweckpublizistik und diplomatischen Stilistik hinaus. Auch das neuerliche Interesse für die Belange des Humanismus, zu dem er in den Niederlanden gelangte, äußerte sich in produktiver Weise bei Camerarius zunächst nur in der Wiederaufnahme des Lateinischen, in der politischen Stilistik und in einer verfeinerten diplomatischen Briefkunst. Erst später lösten sich seine Gelehrtenneigungen von der praktischen Diplomatie ein wenig los. Auch dann aber handelte es sich in der Hauptsache nicht um ein produktives wissenschaftliches Schaffen. Vielmehr beschränkte sich Camerarius darauf, Autographen zu sammeln: seine und seiner Voreltern Briefe, die Schreiben von deren Freunden und Bekannten, die ja in ihrer Mehrzahl im 26

Grotius an Camerarius, 7. 3. 1635 u. ö., Amsterdamer Grotiusbriefsammlung v. 1687, hier außerdem wichtig S. 788. 27 S. über diese Beziehungen bes. Coll. Cam. Vol. 9, 10, 11 u. 12.

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Geistesleben ihrer Zeit eine Rolle gespielt hatten, sowie andere Briefe von Theologen, Wissenschaftlern und Politikern, die er gerade erwerben konnte. Erst ganz spät, nachdem er in den Ruhestand übergetreten war, wurde er – losgelöst von der Diplomatie und Tagespolitik – zum wirklichen Ausüber humanistischer Disziplinen: Er gab 1646 die Briefe des Monarchomachen Hubert Languet heraus und versah sie mit einer längeren lateinischen Einleitung. Die neuerliche Latinität des Stils trat bei Camerarius ungefähr zur selben Zeit hervor, da er die Leitung der pfälzischen Exilregierung übernahm, also im Verlaufe des für sein Leben so wichtigen Jahres 1623. Vom Elternhaus, der Studentenzeit und der anfänglichen Gerichtstätigkeit her war er vollkommen an den Gebrauch des Lateinischen auch in alltäglichen Briefen und in Gesprächen gewöhnt gewesen. Doch in den Heidelberger Jahren war es bei ihm mehr und mehr hinter dem Deutschen zurückgetreten. Nicht nur an Friedrich V., Christian von Anhalt und andere Fürstlichkeiten hatte Camerarius gewöhnlich deutsch geschrieben. Auch in seinen Briefen an seine Kollegen im Geheimen Rat und sonst in der pfälzischen Verwaltung hatte er dem Deutschen den Vorzug gegeben. Mit zunehmender Arbeitsbelastung und wachsender politischer Notlage hatte Camerarius dann offenbar immer mehr die Muße gefehlt, sich an wohlstilisierten lateinischen Briefen zu freuen. Nur noch an Gelehrte und Geistliche hatte er zu Kriegsbeginn lateinisch geschrieben, Politikern gegenüber sich dagegen fast immer des Deutschen bedient. Sogar seine ersten Briefe an Axel Oxenstierna scheinen deutsch abgefaßt gewesen zu sein28. Hierin brachte das Jahr 1623 eine gründliche Änderung. Trat doch zu dem neuerlichen gelehrten Einfluß des Humanismus nun auch die praktische Notwendigkeit, sich des Lateinischen zu bedienen. Denn wenn Camerarius das Niederländische zwar mit der Zeit verstehen lernte, beherrschte er es doch niemals so, daß er es selbst ohne größere Schwierigkeiten sprechen konnte. Auch mit den Persönlichkeiten, mit denen er bisher deutsch korrespondiert hatte, mit denen ein lateinischer Gedankenaustausch also kein unbedingtes Erfordernis war, begann er nun, sich lateinisch zu unterhalten. Nur der erste Brief, den Camerarius aus dem Haag am 23. Januar 1623 an Rusdorf richtete, ist noch in deutscher Sprache formuliert29. Alle späteren Schreiben dagegen sind lateinisch abgefaßt. Auch an seine übrigen pfälzischen Kollegen scheint er seit dem Frühjahr 1623 lateinisch geschrieben zu haben, und dasselbe ist im Verkehr mit anderen deutschen Politikern der Fall. Ebenfalls wurde Camerarius offenbar im mündlichen Gespräch das Lateinische seit 1623 wieder zur Gewohnheit, wie seine im Haag oftmals lateinisch abgefaßten Randbemerkungen zeigen. Auch in den Briefen an Oxenstierna bediente Camerarius sich bald des Lateinischen. Was gegenüber seinen pfälzischen Kollegen nur reines, neu gewecktes Interesse für den Humanismus und Bequemlichkeit war, dürfte Oxenstierna gegenüber aus der Erkenntnis heraus geschehen sein, daß dem Kanzler bei seinen Bemühungen, den schwedischen Staatsapparat auf Großmachterfordernisse um28

Universitätsbibliothek Upsala, E 388. Coll. Cam. Vol. 25.

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zustellen, mehr mit der lateinischen als der deutschen Sprache gedient war. Es war gleichsam eine Renaissance des Humanismus im kleinen, die sich bei Camerarius in den Niederlanden vollzog, ein Vorgang, der besonders deutlich am neuerlichen ausschließlichen Gebrauch seiner latinisierten Namensform wird. Langjähriger Dienst bei den Bischöfen von Bamberg hatte, wie erinnerlich, dazu geführt, daß den fränkischen Liebharts die Berufsbezeichnung Kammermeister als Familienname beigelegt wurde. Eine Übertragung dieses Namens in eine der alten Sprachen war sozusagen eine Selbstverständlichkeit bei einem Humanisten wie Joachim Camerarius, dem sein Freund und Beschützer Melanchthon hierin vorangegangen war, trotzdem er über einen deutschen Namen verfügte, der der Gräzisierung größere Schwierigkeiten in den Weg stellte. Als gelehrter Naturforscher und Arzt hielt auch des Joachim Camerarius gleichnamiger Sohn an der humanistischen Namensgebung fest. So wuchs unser Ludwig denn als Camerarius und nicht als Kammermeister in Nürnberg auf und wurde auch am Beginn seiner Laufbahn, die ihn zunächst in gelehrte Universitäts- und Gerichtskreise führte, wohl stets so genannt. Nach seinem Eintritt in die pfälzische Regierung aber trat in dem Maß, in dem er sich in seiner Korrespondenz des Deutschen bediente, auch der Name Kammermeister wieder hervor. Die Bezeichnung wechselte jetzt. Einmal wurde er Camerarius, einmal Kammermeister genannt. In offiziellen Schreiben finden sich auch seine beiden Namen vermerkt, so zum Beispiel in dem Beglaubigungsschreiben, das Camerarius 1622 in Kopenhagen überreichte. Friedrich V. habe an Christian IV. seinen Geheimen Rat „Ludwig Cammermeister genandt Camerarius“ abgesandt, heißt es da. Auch Camerarius selbst gebrauchte in Heidelberg nicht selten bei Unterschriften die deutsche Form seines Namens30. Im Haag dagegen verschwindet die deutsche Benennung wieder vollständig. Nur noch von Camerarius ist jetzt nicht bloß in den Briefen ausländischer Diplomaten, sondern auch in den Schreiben der pfälzischen Kollegen die Rede, und auch Camerarius unterzeichnet nur noch in der lateinischen Form. Eine jede Sprache hat ihre besondere Atmosphäre. Wer sie verwendet, muß sich ihr anpassen. Besonders beim Lateinischen, wie Camerarius es sah, war das der Fall. Seine Erziehung hatte ihn in der Sprache der Römer eine vollendetere Ausdrucksform erblicken gelehrt als im Deutschen. Das Lateinische war für ihn ein Verständigungsmittel, das man nur als eine hohe Kunst gebrauchen durfte. Hiermit hängt es zusammen, daß seine Berichte und Briefe von dem Zeitpunkt an ein anderes Gesicht und, wie mir scheint, auch ein höheres Niveau erhielten, zu dem er sie lateinisch formulierte. Wie sehr seine Relationen bereits in Bremen durch den Umstand gewonnen hatten, daß bei Camerarius seit 1622 an Stelle der kurzen Sondergesandtschaften lang dauernde Missionen traten, bei denen er zu fortlaufenden Berichten gezwungen war, zeigte sich bereits. Der 1623 erfolgende Übergang zur lateinischen Sprache stellt gleichsam eine zweite Stufe der Vervollkommnung dar. Solange Camerarius deutsch schrieb, war es stets nur 30

DRA, Pfalz A II 3; ferner z. B. Camerarius’ Unterschrift in Briefen an Johann Kasimir vom 12. u. 29. 5.1620.

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sein Ziel, den jeweiligen Adressaten ins Bild zu setzen und für seine Ansichten zu gewinnen. Nur an den jeweiligen Gesprächspartner wendete er sich, und nur darauf, wa s er sagte, kam es an. Dies änderte sich, als er zur lateinischen Sprache zurückkehrte. Von Kindheit an daran gewöhnt, im lateinischen Ausdruck eine Kunst zu sehen und in dieser Meinung durch die geistige Haltung der Niederländer noch bestärkt, gelangte er ganz unwillkürlich dazu, daß er in seinen lateinischen Depeschen auch die äußere Form berücksichtigte. Es interessierte ihn nunmehr auch, w i e er einen Vorgang darstellen könnte. Wenigstens einigermaßen elegant und formvollendet wollte er ihn schildern. Gleichzeitig begann er, für seine Briefe auch an andere Leser als die eigentlichen Adressaten zu denken. Dieser neuen Einstellung entsprach es, daß er von nun an seine Relationen zunächst im Konzept niederschrieb und dann eigenhändig ins Reine übertrug. Da er wöchentlich an den schwedischen Kanzler mindestens einen ausführlichen Bericht sandte und außerdem jede Woche einen ebenfalls wohlgeformten, sehr detaillierten Brief an Rusdorf schrieb, sowie auch noch mit anderen Politikern korrespondierte, ist es offensichtlich, wie literarisch nun seine politische Tätigkeit wurde, und wie er einen guten Teil des Tages als Stilist verbrachte. Die schöngeistig-literarische Art, in der Camerarius im Exil die Geschäfte betrieb, stellte den Ausgleich zu der Kriegspolitik dar, um die er sich gleichzeitig bemühte, einen Ausgleich, der einer im Grunde so empfindsamen Natur vielleicht unerläßlich war und den kriegerischen Kurs erst möglich machte, den er steuerte. Der Stil von Camerarius kam bereits zur Sprache. Es trat dabei eine immerhin beachtliche Schwerfälligkeit und umständliche Pedanterie zu Tage, die seiner Briefkunst im Gegensatz zu seiner Publizistik eigentümlich war. Sie finden sich in gleicher Weise in seinen deutschen wie lateinischen Episteln. Auch gegen sein Latein selbst sind mancherlei Einwendungen zu erheben. Es ist nicht ganz frei von Fehlern und kommt in syntaktischer Hinsicht ciceronianischer Klassizität bei weitem nicht so nahe wie der Stil der großen Humanisten. Joachim Camerarius wäre gewiß über manche Sätze seines Enkels entsetzt gewesen. Der Satzbau bleibt bei Ludwig Camerarius immer vergleichsweise einfach und dem Deutschen verwandt. Er ist oft sozusagen deutsch gedacht. Doch trotzdem ist die stilistische Höhe, auf der Camerarius sich bewegt, für einen Staatsmann des Dreißigjährigen Krieges immerhin beachtlich. Bei aller epischen Breite, die auch seinen lateinischen Äußerungen anhaftet, wenigstens im Vergleich mit solchen Meistern der Prägnanz wie Axel Oxenstierna, sind seine Berichte doch stets sorgfältig gegliedert und oft kunstvoll aufgebaut. Man merkt ihnen eine Freude daran an, die Vielfalt der politischen Erscheinungen zu einem bunten Bild des großen Welttheaters zu vereinigen, und sie sind deshalb nicht eigentlich weitschweifig. Camerarius verstand es, allen Äußerungen der pfälzischen Exilpolitik ein gewisses stilistisches Niveau und Gewicht zu geben. Es ist auffällig, wieviel sorgfältiger seit 1623 als in der Zeit, da Solms allein dem Geschäftsbetrieb vorstand, unter des Camerarius Aufsicht die Schreiben des Winterkönigs abgefaßt sind, und wieviel mehr in ihnen von diesem Zeitpunkt an auch auf ein gewisses Maß an Eleganz des Ausdrucks Gewicht gelegt ist. Dies gilt in erster Linie von den la-

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teinisch abgefaßten Schriftstücken, die der unmittelbaren Redaktion des Camerarius unterlagen. Doch auch, wo man sich der französischen Sprache bediente, und wo der Sekretär und Kanzleichef Moritz der eigentliche Verfasser war, ist das Bemühen um einen geschliffenen Stil augenfällig. Entscheidend dafür, daß die stilistischen Ambitionen des Camerarius sich so gründlich in der pfälzischen Exilpolitik durchsetzten, war der Umstand, daß Rusdorf ebenfalls als ein Stilist ersten Ranges gelten kann. Dies zeigt schon sein Französisch, in dem er der pfälzischen Hofsitte entsprechend mit Friedrich V. und mit Ausnahme von Camerarius mit seinen Kollegen in der pfälzischen Regierung verkehrte. Fast noch mehr ist es aber bei seinen lateinischen Briefen der Fall. Wie Camerarius war er von humanistischer Gesinnung durchdrungen und ging mit Bereitwilligkeit auf seines Vorgesetzten neu erwachte Vorliebe für gepflegte lateinische Berichte ein. Die Folge war, daß im pfälzischen Lager das Lateinische das seit mehr als zwanzig Jahren im Vordringen befindliche Französisch wieder um ein gutes Stück zurücktreten ließ. Erfolgte doch von 1623 an nicht nur der Gedankenaustausch der beiden maßgebenden pfälzischen Politiker und die Korrespondenz mit den Generalstaaten und der schwedischen Regierung in lateinischer Sprache, sondern des Camerarius Einfluß führte auch dazu, daß sich die pfälzische Exilregierung in den meisten Fällen, in denen es ihr offen stand, ob sie eine französische oder lateinische Formulierung wählen wollte, für den letzteren Weg entschied. Es kennzeichnet die humanistische Auffassung, die in der pfälzischen Exilregierung herrschte, daß Camerarius und Rusdorf offensichtlich damit rechneten, ihre Berichte dermal einst der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Von Rusdorf ist ein druckfertiges Manuskript aus dem Jahre 1629 erhalten geblieben, das die Mehrzahl seiner aus London in den Jahren 1622 bis 1628 geschriebenen Briefe umfaßt. Die Abschriften sind mit großer Sorgfalt meistens eigenhändig von Rusdorf angefertigt worden. Auch ein kalligraphisch formvollendetes Titelblatt liegt dem Manuskript bereits bei. Nur wenige Briefe fehlen. Hingegen finden sich Streichungen einzelner Sätze, die kompromittierend hätten wirken können. Da diese Streichungen noch in den sauberen Abschriften vorgenommen sind und das Manuskript heute einen Teil der Collectio Camerariana bildet, hat die Annahme etwas für sich, daß es sich um nachträgliche Korrekturen des vorsichtigen Camerarius handelt, dem Rusdorf seine Arbeit zur Begutachtung zugesandt haben dürfte. Er hätte sich die Mühe sparen können; denn die Briefe sind, soviel ich sehe, zuguterletzt doch nicht gedruckt worden. Vorsichtiger als Rusdorf, trug Camerarius sich anscheinend nicht mit dem Gedanken, seine Briefe bereits in den Zwanziger- und Dreißigerjahren zu publizieren31. Er dachte erst an spätere Generationen. Mit ihnen aber rechnete er dafür fest, wie der Fleiß zeigt, mit dem er seine und seiner Vertrauten Briefe zusammentrug. Wenn Rusdorf auch den Druck seiner Briefe nicht erlebte, ging doch 31

Die Vorsicht von Camerarius ging gelegentlich so weit, daß er bei einigen besonders geheimen Schreiben die Adressaten bat, sie möchten die Briefe verbrennen, nachdem sie vom Inhalt Kenntnis genommen hätten, was dann aber nicht ausgeführt wurde.

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in Erfüllung, was er und Camerarius erstrebten. Dank des Camerarius Sorgfalt und Sammlersinn war sein und Rusdorfs schriftlicher Nachlaß für alle Historiker leichter zu benützen als das Briefgewirr, das die Mehrzahl ihrer Gegner in unübersichtlichen Archiven hinterließ. Rusdorf hatte außerdem das Glück, daß schon zu Ende des 18. Jahrhunderts ein Teil seiner Briefe an Friedrich V. ediert wurde. Das erklärt es, daß die Ansichten der pfälzischen Exilpolitiker in der vielfach ohnehin antiklerikal und liberal gesonnenen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts verhältnismäßig größere Beachtung fanden als die ihrer Feinde. Die in den Niederlanden neu auflebenden humanistischen Neigungen von Camerarius hatten für die pfälzische Sache also eine doppelte Folge: In Verbindung mit anderen Ursachen bewirkten sie zum einen in jeder der benützten Sprachen eine sorgfältigere Pflege des Stils als bisher. Zum anderen verschafften sie dem Lateinischen in den Verlautbarungen der pfälzischen Regierung wieder einen breiteren Raum. Dieser Vorgang hat eine gewisse Bedeutung ebenso für die Geschichte der evangelischen Sache, wie auch für die Geschichte der Staatskunst im Dreißigjährigen Krieg. Indem nämlich Camerarius sowie seine Mitarbeiter und Untergebenen größtes Gewicht darauf legten, das, was die pfälzische Politik beschäftigte, in möglichst geschliffener Weise auszudrücken, und indem Camerarius als echter Humanist sich gänzlich von der Überzeugung beherrscht zeigte, daß die schöne Form eines Schriftstückes für dessen Erfolg entscheidend sein konnte, bildeten die pfälzischen Exilpolitiker eine der im Dreißigjährigen Krieg besonders in Deutschland nicht übermäßig zahlreichen Gruppen von Diplomaten, die in allen Kriegsnöten und Forderungen des Alltags an einer kultivierten Berichterstattung festhielten. Gerade der Kreis von Staatsmännern, der notgedrungen seine ganze Kraft daran setzte, daß der Krieg fortgeführt und ausgeweitet wurde, der also nicht geringen Anteil an dem kulturellen Verfall hatte, der eine Folge des Kampfes war, trug somit andererseits dazu bei, daß ein gewisses Niveau auch in der Kriegsdiplomatie erhalten blieb. Es wäre ein äußerst schwieriges, obwohl vielleicht fruchtbares Unternehmen, die Stilistik der europäischen Kabinette vergleichen zu wollen. Eine Geschichte der evangelischen Diplomatie, wie sie noch aussteht, müßte sich der Aufgabe wohl in jedem Fall unterziehen. Für uns hier genügt die Feststellung, daß die diplomatischen Verlautbarungen der pfälzischen Exilregierung in stilistischer Hinsicht ohne Zweifel höher standen als die ihrer unmittelbaren Gegner. Was von der von Camerarius geleiteten Exilregierung gilt, trifft bis zu einem gewissen Grad auch auf den Einfluß zu, den er mit seiner von humanistischer Latinität bestimmten Stilistik auf die schwedische Diplomatie ausübte. Es muß einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben, in dieser Frage im einzelnen Klarheit zu schaffen. Ist es dazu noch nötig, den Einfluß des Späthumanismus auf die schwedische Diplomatie im gesamten zu erforschen, ein noch ungeschriebenes Kapitel in der Geschichte der europäischen Staatskunst des 17. Jahrhunderts. Einige Andeutungen und verstreute Beobachtungen müssen deshalb zunächst genügen. In der pfälzischen Exilregierung lag das hauptsächliche Wirkungsmoment der von Camerarius ausgeübten Stilistik darin, daß in aller Polemik und all dem

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verzweifelten Bemühen, die pfälzische Sache zu retten, den Verlautbarungen Friedrichs V. und seiner Vertreter stets eine gewisse Vornehmheit gewahrt blieb. Als schwedischer Gesandter war es des Camerarius Aufgabe nicht mehr, sich so wie bisher mit Fragen der politischen Propaganda zu befassen, sei es in der diplomatischen Korrespondenz, sei es in der Publizistik. Soweit ich sehe, stammt keine der Flug- und Denkschriften von ihm, mit denen Schweden in späteren Jahren, besonders als Gustav Adolf in den deutschen Krieg eingriff, sein Handeln rechtfertigte. Dafür wirkten in Stockholm seine Berichte in anderer Weise, die insofern vielleicht unmittelbarer und ursprünglicher war, als es sich um das Moment des gepflegten Ausdruckes und eines kunstvollen Berichtens an sich handelte, das sowohl stilistisch einwandfrei war, als auch mit der Routine altüberkommener zentraleuropäischer Diplomatie alle Verhältnisse im politischen Geschehen Europas berücksichtigte. Eine solche Berichterstattung aber war in Schweden noch nicht so eine Selbstverständlichkeit wie in dem pfälzischen Staatswesen. Zwar waren auch in Schweden die Verbindungen zu den anderen europäischen Mächten von jeher stark. Verbreitet und gründlich war in Stockholm auch bereits die Kenntnis ihrer staatlichen Verhältnisse sowie ihrer diplomatischen Gepflogenheiten, und auch im hohen Norden hatte der Humanismus bereits so lange gewirkt, daß das Lateinische weithin als Bildungsgut gelten konnte. Nur dadurch war es unter anderem ja möglich, daß Camerarius hier so warmen Anklang fand. Trotzdem ist es offensichtlich, welch außerordentlichen Wert für Oxenstierna und Gustav Adolf, die beide die Disziplinen des Humanismus ja in hohem Maß beherrschten, ein gewandter lateinischer Stilist besaß, der mit den diplomatischen Gepflogenheiten und politischen Verhältnissen des mittleren Europa aufs beste vertraut war. Es fehlt nicht an Briefen, in denen der König und sein Kanzler es offen aussprechen, wieviel ihnen an einem Diplomaten mit solchen Fertigkeiten lag. Und ebenso zeigen die im schwedischen Reichsarchiv verwahrten diplomatischen Korrespondenzen dieser Zeit deutlich, daß es noch nicht allzu viele Diplomaten in schwedischem Dienst gab, die über nähere Beziehungen zu den Regierungen des mittleren und westlichen Europa verfügten, die an den dortigen Höfen Erfahrungen gesammelt hatten und außerdem die Fähigkeit zu einer gehobenen lateinischen Stilistik besaßen. Jan Rutgers hatte allen diesen Erfordernissen, vornehmlich auch den sprachlich-stilistischen, in weitgehendem Maß entsprochen. Seine Depeschen in flüssigem Latein, das öfters sogar philologisch richtiger und in der Syntax weniger deutsch gedacht ist als das von Camerarius, gehören zu den besten schwedischen Gesandtschaftsberichten dieser Jahre. Wie Camerarius im Mittelpunkt des deutschen war Rutgers im Zentrum des niederländischen Humanismus aufgewachsen. Wie jener ließ Rutgers es sich angelegen sein, seinen Berichten eine ästhetisch vollendete Form zu geben und war, ganz wie Camerarius, nicht nur um den sachlichen Inhalt, sondern auch um eine möglichst schöne Form seiner Berichte bemüht. Während van Dyck sich in seinen Briefen an Oxenstierna noch für gewöhnlich des Niederländischen bediente, war Rutgers der erste und neben Camerarius und nach Grotius bedeutendste Politiker, der die Latinität

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des niederländischen Humanismus in der schwedischen Diplomatie zur Wirkung brachte. Es ist im Gegensatz zur Haltung der venezianischen Gesandten eine Eigentümlichkeit der Residenten, die Schweden vor und während des Dreißigjährigen Krieges im Haag vertraten, daß sich keiner von ihnen jeweils die ganze Fülle der für sein Land anregenden und lehrreichen Momente erschloß, sondern immer nur einen Teil davon für Schweden fruchtbar zu machen verstand32. In kultureller Hinsicht äußerte sich dieser Umstand in der Weise, daß Dyck einen außerordentlichen Sinn für die bildende Kunst in den Niederlanden aufbrachte, während Rutgers und auch Camerarius, obwohl letzterer Bilder sammelte, dem spezifisch Renaissancen nicht mit solchem Eifer nachtrachteten. Dafür zogen beide mannigfache Anregungen aus Geisteswissenschaften und Literatur, also sozusagen dem literarischen Pendant der bildenden Kunst. Eng stehen auch hier Rutgers und Camerarius in der Geschichte der schwedischen Diplomatie beieinander. Gleichzeitig aber zeigt sich auch in der Kunst ihrer Berichterstattung, in ihrem vom Humanismus getragenen Einfluß auf die schwedische Diplomatie, ein zweifacher Unterschied. Diese Unterschiedlichkeit weist eine Parallelität zu dem auf, was Rutgers und Camerarius in ihrem außenpolitischen Dafürhalten voneinander trennte. Wie hier erwies sich Rutgers im Vergleich mit Camerarius auch in seiner Berichterstattung und in der Weise, in der er sich vom Humanismus anregen ließ, als nüchterner, realistischer, aber auch als um einiges begrenzter. Dies machte sich zum einen sowohl in der Darstellungsweise wie in dem Inhalt der Berichte geltend. Ist sein Stil elegant, so vermeidet Rutgers es im Gegensatz zu Camerarius doch stets, pathetisch oder schwungvoll zu werden. Ferner folgte Rutgers nie, wie sein Nachfolger dies bisweilen tat, bei seiner Berichterstattung einem persönlichen außenpolitischen Programm. Deshalb neigte er auch nicht dazu, die ihm zugegangenen Tatsachen so zu gruppieren und zu beleuchten, daß sie dazu beitragen konnten, seine eigensten außenpolitischen Ziele erreichbar zu machen. Schließlich war bei Rutgers auch der Umfang dessen, was zur Berichterstattung kam, weniger groß als bei Camerarius. Rutgers erlangte nicht so viele Nachrichten über Ereignisse, die jenseits der niederländischen Grenzen stattfanden. Wie seine ganze außenpolitische Konzeption nicht so weit ging wie die von Camerarius, fand Rutgers sich auch nicht veranlaßt, so viele Nachrichten aus dem übrigen Europa nach Stockholm zu übermitteln, wie Camerarius das tat. Dafür verfügte Rutgers innerhalb der Niederlande über mehr Informationsquellen und brachte eindringenderes Verständnis auf für die innerpolitischen Verhältnisse der Vereinigten Provinzen und für die merkantilen Probleme der Republik. Zum andern kam die größere Nüchternheit von Rutgers auch in dem unmittelbarsten Bereich des Humanismus zum Ausdruck. In gleichem Maß waren die beiden Gesandten daran beteiligt gewesen, der Latinität des Ausdrucks und der Kunst einer stilistisch gepflegten Berichterstattung in der schwedischen Diplo32

S. F. H. Schubert, Die Niederlande zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges im Urteil des Diplomatischen Korps im Haag, a. a. O.

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matie Eingang zu verschaffen. In einem weiteren Wirkungsmoment hingegen hielt Rutgers sich ganz zurück, und nur Camerarius zeigte eine Aktivität, die für die ganze schwedische Geschichte wichtig wurde: Er entwickelte für die Person König Gustav Adolfs einen ausgesprochenen Heroenkult. Den Beginn dieser Verehrung konnten wir schon im vorletzten Kapitel verfolgen. Schon hier zeichnete es sich ab, und seitdem Camerarius bei den evangelischen Allianzverhandlungen und dann als Gesandter in noch engeren Kontakt mit Gustav Adolf gekommen war, wurde es vollends offenbar, daß er bei seinem Heroenkult aus zwei Quellen schöpfte: Mit der antiken Begeisterung für den Helden verband sich bei Camerarius aufs innigste die biblische Vorstellung des gottgesandten Befreier- und Rächerkönigs. Neben den Heros und Heracles trat die alttestamentarische Figur des Gideon, jenes Richters von Israel, der, durch göttliche Offenbarung angetrieben, den Götzendienst des Baal zerstörte, Israel von der Herrschaft der Midianiter befreite und die Besiegten mit grausamer Rache bis über den Jordan verfolgte. Spätestens 1624, wahrscheinlich aber bereits 1623, bediente sich Camerarius dieses Vergleiches, also weit vor der Zeit, da während der großen Krise des deutschen und europäischen Protestantismus am Ende der zwanziger Jahre die Hoffnung auf den rächenden und rettenden Gideon, den „Löwen aus Mitternacht“, in der evangelischen Diplomatie des Kontinents weite Verbreitung fand und auch in den Liedern der Zeit zum Ausdruck kam33. Schwerlich wird sich je feststellen lassen, ob Camerarius als der erste unter den schwedischen und europäischen Politikern Gustav Adolf mit Gideon verglich. Soviel aber steht fest, daß er einer der ersten war. Und ebenso sicher ist es, daß er nicht nur das Bild des Rächerkönigs 1624 und in den folgenden Jahren sehr viel öfter als alle anderen schwedischen Diplomaten gebrauchte, sondern auch im übrigen schon damals einen ungleich intensiveren Heroenkult als seine Kollegen trieb. Man kann es sagen: Camerarius hatte wesentlichen Anteil daran, daß die Heldenverehrung Gustav Adolfs ihren Anfang nahm, die nach 1630 weite Kreise erfüllte und im Protestantismus sich bis zum heutigen Tage erhalten hat. Es ist charakteristisch für die besonders enge Verbindung, in die Camerarius seine politischen Ideen mit den nüchternsten Alltagsanliegen zu bringen pflegte, daß er bereits 1624 die Persönlichkeit Gustav Adolfs nicht nur dann glorifizierte, wenn er mit hochgemutem Schwung seine großen Pläne entwickelte. Er gab vielmehr seiner Heldenverehrung auch auf einem so trockenen Gebiet wie dem von ihm in der Korrespondenz mit den schwedischen Stellen eingeführten Chiffrensystem Ausdruck. Neben den Zahlengruppen, durch die sich jedes Wort ausdrücken ließ, bediente sich Camerarius für Personen, die in seinen Berich33

Zum Beispiel lautet eine Strophe von „Verzage nicht, Du Häuflein klein“: „Tröste Dich nur, daß Deine Sach Ist Gottes, dem befiehl die Rach Und laß es ihn nur walten. Er wird durch seinen Gideon, Den er wohl weiß, Dir helfen schon, Dich und sein Sach erhalten.“

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ten immer wieder vorkamen, besonderer Decknamen34. Diese Decknamen aber waren nicht willkürlich gewählt, wie es bei den in früheren Jahrzehnten in Stockholm verwendeten Schlüsseln zwar nicht durchgängig der Fall, aber doch die Regel gewesen war35, sondern hatten einen sehr programmatischen Sinn. Setzte Camerarius doch für Gustav Adolf abwechselnd Gideon und Scipio Africanus. Er bediente sich also nicht nur gelegentlich und in erklärendem Zusammenhang des immerhin kühnen Vergleichs mit dem Rächer Israels, sondern nahm keinen Anstand, vor allem Oxenstierna und dem König selbst, aber auch anderen schwedischen Politikern gegenüber durch den ständigen Gebrauch des Decknamens auf das Idealbild anzuspielen, das er sich von dem König machte, fast durch jeden Bericht dazu beizutragen, daß die Gideonvorstellung in der schwedischen Diplomatie allmählich Eingang fand und immer wieder anzudeuten, was er sich von Gustav Adolf erhoffte. Dem diente nicht minder der Hinweis auf Scipio Africanus. War er es doch gewesen, der der Übermacht der Karthager Herr geworden war, der, was Camerarius sich so heiß von Gustav Adolf ersehnte, das Meer überquert und den mächtigen Hannibal in seinem eigenen Lande vernichtend geschlagen hatte. Auch daß der Scipione neben allem Kriegsmut ein Förderer der Kultur gewesen war, daß er die griechische Sprache gepflegt hatte, so wie Camerarius das Lateinische gefördert zu sehen wünschte, fügte sich gut zu dem Bild, das er sich von dem schwedischen König machte. Nicht weniger bedeutsam und für sein Denken aufschlußreich waren die Namen, mit denen er andere Persönlichkeiten belegte: Für Bethlen Gabor standen die Bezeichnungen Alexander und Spartacus, wodurch einerseits die großen Hoffnungen Ausdruck fanden, die Camerarius auf den Herrscher von Siebenbürgen setzte, andererseits die Zweifel hervortraten, die auch ihn hinsichtlich Bethlen Gabors beherrschten trotz aller Geduld, mit der er immer wieder auf den Großfürsten rechnete. Friedrich V. aber nannte Camerarius in seinen Berichten David, sich selbst Josephus und den König von England Menelaos, alles Namen, die seine Auffassung von sich selbst und den Vertretern der protestantischen Partei vorzüglich illustrieren. Über Gustav Adolf aber blieb seine unumstößliche Ansicht: „Non possum satis laudare heroicas illius Regis virtutes, pietatem, prudentiam, fortitudinem, profecto sine pari est in tota Europa …“36 Sie wurde zu einer der Grundstützen seines ganzen politischen Denkens. Von Jahr zu Jahr baute Camerarius den He­r­o­­enkult weiter aus und gelangte dabei bis zu so gewagten und konstruierten Gedankengängen wie dem, den er in einem Brief an Oxenstierna vom 15. August 1625 entwickelte. Nachdem er hier dargelegt hatte, daß seinem Dafürhalten nach König Christian von Dänemark unfähig sei, die protestantische Sache zu retten, fuhr er fort: „Plane sic apud me statuo, Deum huic“ (sc. Regi Sueciae) „reservasse hanc laudem, ut vindex sit oppressorum in Germania, nec velle hanc 34

Ein Verzeichnis der Decknamen in: Coll. Cam. Vol. 32, Nr. 170; weitere Verzeichnisse in: SRA, Hollandica. 35 Nach freundlicher Auskunft von Herrn Reichsarchivar Andersson, Stockholm, s. a. I. Andersson, Hemligskrift, a. a. O. 36 Camerarius an Rusdorf, Haag 24. 12. 1623, Coll. Cam. Vol. 25.

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illis concedere, qui non Dei gloriam ac reipublicae conservationem, sed privata emolumenta quaerunt“37. Es war bezeichnend für des Camerarius Tätigkeit als pfälzischer Staatsmann und für die Rolle, die er in Heidelberg und Prag gespielt hatte, daß seine Verehrung für die Person des pfälzischen Souveräns nur eine vergleichsweise geringe war. Unbedeutend wie Friedrich V. war, konnte sich eine Wirksamkeit, die den unbedingten Respekt für ihn in ihren Mittelpunkt stellte, im Grunde nur aus der dynastischen Idee, aus der Vorstellung des Gottesgnadentums und der Ansicht herleiten, daß die Dynastie unabhängig von den Fähigkeiten ihres jeweiligen Repräsentanten verehrungswürdig sei. Für diese Tendenz aber vermochte Camerarius Zeit seines Lebens kein tieferes Verständnis aufzubringen, weil sie ihm in allzu enger Verbindung mit den Formen höfisch-französischer Eleganz vor Augen trat, und er den gedanklichen, besonders ja auch erst für spätere Zeiten charakteristischen Schritt bei der unmittelbaren Art seiner Religiosität zu tun keinen Anlaß fand, das Gottesgnadentum als hohe Emanation der religiösen Idee aufzufassen. Camerarius geriet deshalb innerhalb des pfälzischen Staatswesens in einen gewissen Gegensatz zu der von anderen Politikern am Hof und im Rat vertretenen unbedingten Reverenz vor dem Pfalzgrafen, in einen Gegensatz zu der Auffassung, die in dem ausgebrochenen Kampf das Eintreten für die Erhaltung der Dynastie der pfälzischen Wittelsbacher für das wichtigste hielt. Die Überzeugung, daß es notwendig sei, dem religiösen Moment den Vorrang in der pfälzischen Diplomatie zu bewahren, stellte sich bei ihm dem entgegen. An sich war Camerarius kein Gegner des sich entwickelnden Absolutismus. Im Gegenteil, er stand, gerade auch dank seiner Schulung im Römischen Recht, einer Regierungsweise, in der die Stände nur noch geringe Macht hatten, sehr viel freundlicher gegenüber als einer solchen, in der ihnen noch eine größere Bedeutung zukam38. Man kann es sagen: Camerarius war in der Pfalz, in der für ihn die Verhältnisse insofern günstig lagen, als die Stände hier keine beachtlichere Bedeutung mehr besaßen, Anhänger des werdenden Absolutismus, und doch lehnte er die eng damit verbundene dynastische Tendenz entschieden ab. Er war mithin in dieser Frage sozusagen altmodisch und modern in einem. Anders lagen für ihn die Dinge in Schweden. Ganz im Gegensatz zu seinem Verhältnis zum Winterkönig erfüllte ihn die Persönlichkeit Gustav Adolfs von der ersten Bekanntschaft an ja mit höchster Begeisterung. Um sich ihr zu verschreiben, brauchte er nicht die Idee des dynastischen Momentes zu bemühen. Die Gestalt Gustav Adolfs wirkte vielmehr an sich und das um so mehr, als in ihr für Camerarius sozusagen der Schutz des Glaubens verkörpert war und die Möglichkeit, das konfessionelle Moment des Krieges zu erhalten. In Schweden vermochte Camerarius also die Verehrung für den Monarchen mit seinem religiösen Anliegen aufs innigste zu verbinden, während in der Pfalz die besonderen 37

SRA, Ox. slg. Hierin unterschied er sich, wie auch die anderen pfälzischen Politiker es taten, grundsätzlich von den Vertretern der böhmischen und österreichischen Ständeopposition, ein Gegensatz, der angesichts der gemeinsamen Bedrängnis aber nicht zum Tragen kam und wenigstens das gemeinschaftliche Vorgehen gegen die katholischen Mächte nicht hinderte.

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Verhältnisse es mit sich brachten, daß die Zelebrierung des Fürsten und die Betonung der religiösen Idee jedenfalls für Camerarius in einem gewissen Gegensatz zueinander standen. Nachdem er dagegen in einer speziellen Persönlichkeit den Gottgesandten zu sehen vermochte, war das Hemmnis, das ihn in der Pfalz daran hinderte, einen weiteren wichtigen Schritt zum Absolutismus hin zu tun, sogleich beseitigt. Nunmehr wurde Camerarius auch in den an sich für die Epoche altmodischen Formen humanistisch-religiöser Heroenverehrung zu einem letztendlichen Beförderer jenes unumschränkten Auftretens des Monarchen, wie es sich am Ende seines Jahrhunderts vollkommen durchsetzte. Sein Heroenkult ging also zum einen und in der Hauptsache aus objektiver Bewunderung für Gustav Adolf hervor. Zum andern aber ist es offensichtlich, daß die Heldenverehrung bei ihm nicht frei war von dem subjektiven Streben, die Gunst, die ihm die schwedischen Staatslenker entgegenbrachten, noch zu verstärken und sich dauerndes Wohlwollen zu sichern. Camerarius gelangte bei seinen Lobeserhebungen bis zu deutlicher Schmeichelei, und seine Haltung hatte ausgesprochen devote Züge an sich. Er nahm somit in schwedischem Dienst Allüren an, die denen eines schmeichelnden Höflings in vielem sehr nahe kamen, Allüren, die er in der Pfalz, soviel sich sehen läßt, weder dem Kurfürsten noch Christian von Anhalt gegenüber an den Tag gelegt hatte. Freilich war auch in Schweden die blanditio bei ihm nicht das Primäre. Sie stand nicht allein, sondern war die Begleiterscheinung ehrlicher Bewunderung. Auch handelte es sich deshalb nur in verhältnismäßig begrenztem Maß um Schmeichelei im landläufigen Sinn, als Camerarius bei seinen devoten Lobeserhebungen auch dann, wenn er sich in Gunst setzen wollte, daneben und in erster Linie mit seinen panegyrischen Auslassungen stets darauf hin zu wirken suchte, daß Gustav Adolf sich doch noch der pfälzisch-protestantischen Sache annähme und in den deutschen Krieg eingriffe. Hiermit aber entsprach er keineswegs immer den Wünschen der schwedischen Staatslenker, und sein Schmeicheln barg also meist ein Risiko in sich, besonders dort, wo er die Gideonvorstellung verbreitete, die dem König bekanntlich im Grunde nicht lieb war. Gleichwohl findet sich kein Anzeichen, daß er oder Oxenstierna, was ihnen ja leicht gewesen wäre, Camerarius das ständige, panegyrische Insistieren auf seinem Programm verwiesen hätten, was wiederum den Schluß nahe legt, daß sich auch bei der Gideonvorstellung ihre Ablehnung in Grenzen hielt. Die Haltung, die Camerarius im Gegensatz zu Rutgers in seiner Verherrlichung Gustav Adolfs einnahm, entsprach dem Umstand, daß er auch im niederländischen Staatswesen, offenbar wiederum im Unterschied von Rutgers, der monarchistischen Partei mehr Sympathien entgegenbrachte als der oligarchischständischen. Von großem Einfluß auf seine Parteinahme war, was er schon in Deutschland über die Niederlande gehört hatte, und zwar bestimmten ihn dabei nicht so sehr die Eindrücke, die er im Elternhaus vom niederländischen Gelehrtentum empfangen, als das, was er von den Niederlanden in der Pfalz erfahren hatte. Die calvinische Republik mit ihrem Freiheitskrieg gegen Spanien bedeutete ja im calvinischen Westdeutschland, zumal in der selber stets kampfbereiten Pfalz, mehr noch als in des Camerarius vorheriger philippistischer, mitteldeutscher Umgebung. Der Pfalz erschienen die Niederlande als einer der festesten

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Rückhalte, der sich unter den europäischen Mächten finden ließ. Mit Achtung blickten die Heidelberger Politiker zu den großen Führern der niederländischen Freiheitsbewegung, zu Wilhelm von Oranien und seinem Sohn und ersten Nachfolger Moritz hinüber. Die Bewunderung war um so größer, als im pfälzischen Geheimen Rat kein Zweifel daran bestanden haben dürfte, daß Friedrich V. von der Pfalz und auch sein Vater nicht entfernt über gleich hohe staatsmännische und strategische Fähigkeiten verfügten wie diese beiden Oranier. In die Ferne wirkt immer die Tat eines einzelnen mehr als die Leistung eines Gremiums von Männern. Außerdem war es bekannt, daß die Generalstatthalter im Gegensatz zu vielen der Stände das kriegerische Prinzip in den Niederlanden vertraten. Schließlich waren es monarchische Grundsätze, zu denen man sich in der pfälzischen Regierung bekannte. Von vornherein dürften deshalb in Heidelberg die Generalstatthalter mehr gegolten haben als die Generalstaaten. Vielleicht noch enger als die politischen Beziehungen zwischen der Pfalz und den Niederlanden waren zunächst die wissenschaftlich-theologischen. Die theologische Fakultät der Universität Heidelberg sprach als Ratgeberin ein gewichtiges Wort mit bei den Auseinandersetzungen, die sich kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg innerhalb der calvinischen Kirche der Niederlande vollzogen. Auf der entscheidenden Synode von Dordrecht stimmten die Heidelberger Theologen, unter ihnen nahe Bekannte des Camerarius wie Scultetus, mit Entschiedenheit für die relativ strenggläubige Richtung der sogenannten Gomaristen oder Antiremonstranten und gegen die gemäßigtere Lehre der Arminianer oder Remonstranten. Es kennzeichnet das Ausmaß des Einflusses, den die pfälzischen Theologen auf die Synode ausübten, daß gerade der sogenannte Heidelberger Katechismus zur Grundlage des in den Niederlanden hinfort gültigen gereinigten calvinischen Glaubensbekenntnisses genommen wurde. Indem aber die Theologen der Neckaruniversität für die Ansichten des Gomarus eintraten, dürften sie den politischen Wünschen der pfälzischen Staatsmänner durchaus entsprochen haben. Ist es doch bekannt, wie Hand in Hand mit der dogmatischen Auseinandersetzung eine innenpolitische ging. In ihr versuchte mit Erfolg der Generalstatthalter Moritz von Oranien, der sich zu den Gomaristen hielt und die ärmeren Volksklassen hinter sich hatte, in dem unfertigen Staatsgebilde der Niederlande das monarchische und kriegerische Prinzip gegenüber dem republikanisch-aristokratischen durchzusetzen, das die militärischen Anstrengungen möglichst einschränken wollte. Für die oligarchisch-republikanische Regierungsweise traten dagegen jene wohlhabenden Schichten ein, die in den ganz oligarchisch gefärbten General- wie Provinzialstaaten den Ton angaben. Sie hatten ihren Mittelpunkt in dem reichen Patriziat der großen, vornehmlich in der Provinz Holland gelegenen Städte. Diese Schichten bildeten gleichzeitig die hauptsächliche Stütze der liberaleren und gemäßigteren Auffassung des Calvinismus, die Arminius in Leyden begründet und vorgetragen hatte. Sie war aufs engste verbunden mit der erasmischen Weltanschauung des niederländischen Humanismus, die um ein gutes Stück liberaler und religiös indifferenter war, als die Haltung jener mitteldeutschen Humanistenschulen, von denen eine der berühmtesten sich um Joachim Camerarius geschart hatte.

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Es ist deshalb verständlich, daß Camerarius sich auch durch seine humanistische Herkunft nicht davon abgehalten fühlte, seiner politischen und religiösen Grundhaltung und den in Heidelberg empfangenen Einflüssen folgend seine Sympathien von Anfang an Moritz von Oranien und den Gomaristen zuzuwenden. Allerdings hatte gerade sein Sinn für die humanistischen Wissenschaften wichtigen Anteil daran, daß er gleichfalls den Arminianern viel Verständnis entgegenbrachte und nie ein blinder Anhänger der Oranier wurde. Vielmehr blieb seine Parteinahme immer eine sehr gemäßigte. Camerarius bezog damit eine Position, wie sie sich für den Vertreter einer ausländischen Macht empfahl: Moritz von Oranien hatte 1619 den Sieg davongetragen und den Führer der Gegenpartei, den greisen Oldenbarnevelt, aufs Schafott geschickt. Es war für fremde Diplomaten ein Gebot der Klugheit, sich zur siegreichen Gruppe zu halten. Andererseits aber war die arminianisch eingestellte oligarchisch-republikanische Richtung nach wie vor mächtig. In den Generalstaaten, noch mehr aber in den Staaten von Holland besaß sie noch immer gewichtigen, ja oft entscheidenden Einfluß, soviele Anhänger Moritz auch in die Ständevertretungen hineingebracht hatte. Auch zur arminianischen Partei mußte daher eine gewisse Verbindung bestehen bleiben. Camerarius lernte mit der Zeit diese Notwendigkeit klar erfassen und formulierte sie einmal Oxenstierna gegenüber in einer prägnanten Form: „Camerarius postquam statum huius Reipublicae penitius exploratum habet, ex utraque factione amicos habet, et maxime unum omnium amicum, intimus qui Principi Henrico est, nec se ulla ratione immiscere solet ipsorum discordiis, cum etiam Reformatorum theologiis maiorem moderationem desiderat“39. Seine bereits in Heidelberg gewonnenen Eindrücke und die allgemeinen politischen Ansichten entsprachen also ganz dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit und wurden von diesem verstärkt. Wenn Camerarius trotz allen Bemühens um Neutralität sich im Grunde doch zur gomaristisch-oranischen Richtung hingezogen fühlte, so war auf diese Parteinahme wohl auch der Umstand von Einfluß, daß er 1621 und 22 bei seinem ersten Aufenthalt in den Niederlanden sogleich in Fühlung mit den an sich entlegeneren östlichen Provinzen der Republik kam, in denen die Partei der Oranier dominierte. Seine Gesandtschaftsreise nach Dänemark hatte ihn zweimal durch Groningen geführt. An der dortigen Universität aber hatte lange Jahre Gomarus gewirkt und sehr viel größeren Anklang als in Leyden gefunden. Das ganze Jahr 1622 über hatte Camerarius dann von Bremen aus in ständiger, enger Verbindung mit Emden gestanden und sich auch mehrmals persönlich in der Stadt aufgehalten. Seine nächsten Bekannten in Emden aber waren die Mitglieder und Vertrauten der Familie Alting, und was von Emden schon ganz allgemein gelten mochte, traf in jedem Fall auf diesen Kreis zu: Er fühlte sich eng der strenggläubigen Richtung in den Niederlanden verbunden. In welch nahen Beziehungen der 1613 bereits verstorbene Menso Alting der Ältere, der mächtige und bedeutende Führer der calvinistischen Kirche und zeitweise auch des gesamten Stadtregiments in Emden, zu dem geistigen Leben in Groningen gestanden hatte, ist 39

Camerarius an Oxenstierna, Haag 16. 10. 1629, SRA, Ox. slg.

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bekannt, und ebenso weiß man, daß sein Sohn, der Heidelberger Theologieprofessor und Freund des Camerarius Heinrich Alting, mehrere Jahre in Groningen studiert hatte. Es läßt sich als sicher annehmen, daß die Emdener Gastfreunde, von denen Camerarius ja einen guten Teil seiner Informationen über die einzelnen Verhältnisse in den Niederlanden beziehen mußte, ihm die Dinge in gomaristisch-oranischem Sinn schilderten und seine bereits bestehende Sympathie noch verstärkten. Ein Empfehlungsbrief hat sich erhalten, den Heinrich Alting dem Camerarius bei dessen Reise von Heidelberg nach den Niederlanden im Juni 1621 an Ubbo Emmius mitgab, den bekannten friesischen Historiker, der eine Professur an der Universität Groningen inne hatte40. Zur selben Zeit empfahl Alting den Camerarius an den Bürgermeister von Groningen, ebenso wie an den Bürgermeister von Emden und den Emdener Syndikus Johannes Althusius. Mit Althusius scheint Camerarius im folgenden Jahr mehrmals zusammengetroffen zu sein und auch noch als schwedischer Botschafter vom Haag aus in Beziehung gestanden zu haben41. Ob Camerarius bei seinen Verhandlungen mit Althusius von den staatstheoretischen Untersuchungen des Syndikus etwas erfahren hat, wissen wir nicht. Bei der geringen Beachtung, die Althusius mit seinem System der Volkssouveränität bei den meisten seiner Zeit genossen gefunden hat, ist es nicht sehr wahrscheinlich. Wie verbunden sich Camerarius Zeit seines Lebens den friesisch-gomaristischen Provinzen fühlte, zeigt nichts so deutlich, wie die Tatsache, daß er 1642 nach kaum einjährigem Aufenthalt in Leyden seinen Ruhesitz in Groningen 40

Heinrich Alting an Ubbo Emmius, Heidelberg 6.6.1621: „Caeterum qui has tibi reddi curat, est amplissimus et vere magnus ac de republica universa optime meritus vir Dominus D. Ludovicus Camerarius, serenissimo nostro a consiliis secretioribus, et utriusque Silesiae nuper vice-cancellarius. Is cum magnifico viro, Domino D. Joachimi illustrissimorum Dominorum Ordinum legato Hagam proficiscitur ad regem nostrum. In transitu autem amicos quaerit, quibus familiariter innotescat. Dedi ipsi petenti literae ad consulem et syndicum Althusium, ad te vero et consulem Altingium, propatruelum, Groningae“. Brugmans Briefwechsel des Ubbo Emmius II, 245. 41 Das zeigt ein Brief von Althusius an Camerarius vom 24. April 1629 (Coll. Cam. Vol. 11, Nr. 266), in dem der Syndikus Camerarius dankt, daß Camerarius ihm den Besuch des schwedischen Sondergesandten Dietrich von Falkenberg angekündigt hatte. Der Brief hat folgenden Wortlaut: Nobilissimo et magnifico viro Domino Ludovico Camerario regio consiliario et legato dignissimo, Domino et amico meo plurimum colendo, Gravenhagen. Tuas, nobilissime et magnifice vir Domine et amice plurimum colende, accepi atque ex iis de strenui et nobilissimi viri Domini Theodorici Falckenbergii equitis Aurati et praefecti aulae regiae Suecicae profectione ad nos cognovi, adventus tanti viri nobis gratissimus erit. Cuius desideriis, utinam quantum ego accipio et volo, satisfacere possemus. Experietur magistratus noster benevolentiam et de regia Majestati benemerendi voluntatem et studium. Ita enim et causae communis, benemerendi religionis orthodoxae periclitantis conditio et regia majestatis optimi parentis Caroli beneficia, nostris civibus olim praestita postulant. Faciam quantum potero, ut nobilissimus vir intelligat, commendationem tuam apud me magnum habuisse pondus. Bene vale vir nobilissime atque me inter eos, qui te colunt et observant, reputa. Dabam Embdae 14. Aprilis anno MDCXXIX. Tuae magnificentiae observans Johannes Althusius, Doctor.

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nahm und dort ausharrte, bis ihm der Westfälische Friede die Heimkehr in die Pfalz ermöglichte. Wohl veranlaßten ihn zu der Übersiedelung auch rein äußerliche Gesichtspunkte, wie die Erwägung, daß man in Groningen billig leben könne. Das Entscheidende war aber doch wohl das Gefühl, in Westfriesland in einer Atmosphäre zu leben, die Camerarius sympathischer war als die des arminianisch und aristokratisch-oligarchisch gesinnten Holland, in dem der merkantile Geist so starken Einfluß besaß. Wie aus dem obigen Zitat bereits hervorgeht, waren es in erster Linie politische und nicht religiöse Gründe, die Camerarius in das gomaristisch-oranische Lager führten. Immer wieder äußerte er, dogmatische Gegensätze dienten nur zum Vorwand für geplante politische Maßnahmen, und machte auch in den Niederlanden keinen Hehl daraus, daß ihm die Meinungsunterschiede der evangelischen Theologen gleichgültig waren, und er ihre Haarspaltereien für gefährlich hielt. So schrieb er zum Beispiel am 12. Januar 1627 an Oxenstierna: „… Arminiani sub pallio religionis ipsam Rempublicam mutare satagunt, id quod sine motu et sanguine fieri non potest“, und noch ärgerlicher äußerte er sich, um noch ein Beispiel zu nennen, zwei Jahre später: „… litigium religionis zelum praetendere nonnulli solent, et fieri potest, ut Theologi frigidam“ (!) „affundant, quod quantum damni in Germania dederit, notum est …“42 Was Camerarius gegen die arminianisch-ständische Partei einnahm, war vor allem ihr merkantiler Geist und ihre damit verbundene Abneigung gegen kriegerische Anstrengungen. Obwohl selbst geborener Reichsstädter und in eigenen Geldgeschäften keineswegs ungewandt, konnte Camerarius für den Kaufmannsgeist der großen Städte doch nie rechtes Verständnis aufbringen. Vielmehr zeigte er in den Niederlanden wieder denselben Ärger, den er auch bereits den norddeutschen Hansestädten gegenüber an den Tag gelegt hatte. Nur äußerte sich seine Mißstimmung über die niederländischen Handelsherren noch viel unverhohlener. Ungleich größer waren ja auch die geschäftlichen Möglichkeiten, die sich in den Niederlanden boten, sehr viel freier als in den Reichsstädten konnte sich hier der homo oeconomicus mit seinen wirtschaftlichen Anliegen entwickeln, und der Korruption waren in der unübersichtlichen Ständehierarchie Tür und Tor geöffnet. Camerarius andererseits war in der Zwangslage des Exils noch empfindlicher für alles, was seinen Plänen im Weg stand. Auch mußte er gerade in den Niederlanden den Widerspruch besonders stark empfinden, der zwischen den materiellen Gesichtspunkten der Gemeinwesen und den ideellen Zielen bestand, für die sie gleichzeitig kämpften oder zu kämpfen vorgaben; denn beide Momente waren in der aufblühenden, Politik größten Stiles treibenden Republik besonders stark entwickelt. Aber zu erkennen, daß die weltgeschichtliche Bedeutung der Niederlande eben auf der Verbindung beider Momente beruhte, vermochte Camerarius nicht. Von den ersten Monaten seines Aufenthaltes in den Niederlanden an zeigte sich Camerarius als Anhänger der Oranier und Gegner ihrer Feinde. Schon im März 1623, als eine von arminianischen Kreisen ins Werk gesetzte Verschwörung 42

Camerarius an Oxenstierna, Haag März 1629, SRA, Ox. slg.

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gegen Prinz Moritz aufgedeckt wurde, nahm er Christian von Anhalt gegenüber eindeutig Stellung. Seine Worte richteten sich dabei auch gegen den damals in Frankreich im Exil befindlichen Hugo Grotius, den Parteigänger Oldenbarnevelts, mit dem er später noch in engen beruflichen Kontakt kommen sollte. Camerarius schrieb am 12. März 1623: „Von der schendlich coniuratio wider Printz Moritz und das Land wird Achaz von Dohna guten Bericht gethan haben. Der praedicant Slatius (der vornembste director) ist auch gefangen … Apparet, daz die factio (celata tamen machinatione in necem Principis et aliorum) bey Frankreich einen anhang mediante Grotio gesucht, daz aber mit Spanien colludirt worden, will sich nit finden. Gott wolle ferner unglück verhüten“43. Es ist interessant, wie Camerarius hier das Wohlergehen des Staates mit dem des Generalstatthalters gleichsetzt und sofort bereit ist, in den Gegnern des Prinzen Anhänger und Helfershelfer des feindlichen Auslandes zu sehen. Wie seine Parteinahme für die Oranier, so trat 1623 auch bereits seine Sorge um die inneren Schwächen des niederländischen Staatswesens zutage. Doch gleichzeitig wird deutlich, wie er damals noch von der außenpolitischen Haltung der Generalstaaten befriedigt war. Geradezu lobend schrieb er am 25. Mai 1623 an Oxenstierna: „Domini Ordines Generales vigilant pro Republica … Si internis malis carerent hae provinciae, ab externis hostibus tutae essent“44. Noch herrschte auch in den Ständevertretungen die kriegerische Stimmung, die 1621 zur Wiederaufnahme des Kampfes gegen Spanien nach elfjährigem Waffenstillstand geführt hatte. In dem Maß aber, als der für die pfälzisch-schwedische Sache so günstige Kriegseifer nachließ und die in den ersten Jahren nach Oldenbarnevelts Hinrichtung offenbar auch in den General- und Provinzialstaaten zurückgedrängte ständisch-oligarchische Partei wieder hervortrat, nahm des Camerarius Kritik an den Ständen zu, um einen Höhepunkt zu erreichen, als Ende 1629 aufs neue ein Waffenstillstand mit Spanien geschlossen wurde, und Camerarius immerhin mit Sorgen in Erwägung ziehen mußte, ob Gustav Adolfs Entschluß, in den deutschen Krieg einzugreifen, durch die holländische Friedfertigkeit ins Wanken gebracht werden könnte. Wieder bezeichnete er dabei diejenigen, die dem Waffenstillstand von Anfang an das Wort redeten, als Arminianer: „… nullum dubium factionem Arminianorum et quibus commodum propria consilia praebet, ut induciae fiant consuetis molitionibus sedule laborare“45, eine Ansicht, der er zwei Monate später eine noch schärfere Form gab: „Sane Remonstrantes in ea persuasione sunt Arminianos maiori fere calore quam Hispanum ipsum inducias expetere … factio illa praevalet, quae Reformatorum subtilitatem et prudentiam superat“. Indem er in anderen Briefen betonte, vornehmlich die Amsterdamer Kaufleute wünschten die Beendigung des Krieges, zeigte er aufs neue, daß der Arminianismus ihm mehr ein politischer als ein religiöser Begriff war, und ließ gleichzeitig keinen Zweifel daran, daß er Amsterdam als den Hauptsitz der seinen Plänen feindli43

Camerarius an Christian v. Anhalt, Haag 12. 3. 1623, LSA, A 9a, 184. Universitätsbibliothek Upsala, E 388. 45 Camerarius an Oxenstierna, Haag 4. 12. 1629, SRA, Ox. slg. 44

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chen Richtung betrachtete46. Bei diesen Urteilen ist es nicht verwunderlich, daß Camerarius trotz seiner eingangs wiedergegebenen Versicherung, mit beiden Parteien Verkehr zu pflegen, doch vor allem mit jenen Politikern unter den Generalstaaten besser bekannt war, die zum Anhang der Oranier gehörten. Wenn deshalb der Generalstatthalter mit den ihm näher stehenden Ständevertretern den Haag verließ, fiel es Camerarius schwer, neue Nachrichten zu erlangen47. Doch soviele Bekannte und Freunde Camerarius auch unter den oranisch gesinnten Angehörigen der Generalstaaten haben mochte, so galten seine Angriffe trotzdem nicht bloß der arminianischen Richtung innerhalb der Ständeregierung. Seine Bedenken galten vielmehr dem ständisch-oligarchischen Regiment an sich, das in den Niederlanden trotz der Machtstellung, die Moritz von Oranien sich erobert hatte, nach wie vor herrschte. In der arminianischen Partei erschienen ihm diese allgemein vorhandenen Mißstände des Regimes nur am deutlichsten ausgeprägt. In den Arminianern sah er mit Recht die Stützen der republikanischen Regierungsweise, gegen die ihn in erster Linie die außenpolitische Schwäche einnahm, die jeder Republik im Vergleich mit der Monarchie anhaftet. Die bekannte Tatsache verdroß ihn, daß eine Vielzahl von Köpfen immer weniger leicht groß gedachte und gewagte Entschlüsse faßt, als ein einzelner, und die Generalstaaten schienen ihm insbesondere schwach und tatenscheu. „Optandum esset, ut plures haberent virtute, prudentia et autoritate praeditos in sua ordine, nam multi sunt viles uno verbo“48. Mit Ärger sah er, wie einer die Verantwortung auf den anderen schob, wie den Abgeordneten die rechte Sachkenntnis fehlte und wie zudem der bei den Generalstaaten übliche schwerfällige Geschäftsgang, der auch alle Nebensachen vor das Plenum brachte, jede Entscheidung ewig hinauszögerte. Sosehr er im kleinen Kreis eines Geheimen Rates Anhänger der kollegialen Regierungsweise war, lehnte er die sehr viel größeren Ständegremien ab. So deutliche Kritik Camerarius an den republikanischen Einrichtungen der Niederlande übte und so offensichtlich er nicht nur im Hinblick auf die Vereinigten Provinzen, sondern ganz allgemein als Anhänger der sich herausbildenden absoluten Monarchie zu gelten hat, war sein Tadel abgesehen von seiner Verachtung des merkantilen Geistes, in dem er alle anderen Beobachter übertraf, doch nicht so scharf, daß er darin nicht von manchen anderen Zeitgenossen übertroffen worden wäre. Ebensowenig wie gegenüber den Reichsstädten ist bei ihm gegenüber den Generalstaaten ein wirklicher Haß zu spüren. Vielmehr wies er Zeit seines Lebens nüchtern und ruhig auf die Mängel hin, die seiner Ansicht nach den republikanischen Staatsformen anhafteten und entschied sich wegen dieser Nachteile für die Monarchie. Der praktische Gesichtspunkt der Nützlichkeit machte ihn zu deren Anhänger, keineswegs aber irgendein höheres Motiv, wie ihn solche auf dem Gebiet des Religiösen beherrschten. Dem Tadel an der republikanischen Regierungsform der Niederlande stand eine offensichtliche Bewunderung für die Prinzen von Oranien und die Über46

Camerarius an Oxenstierna, Haag 13. 10. 1629, SRA, Ox. slg. Camerarius an Oxenstierna, Haag 18. 7. 1627, SRA, Ox. slg. 48 Camerarius an Oxenstierna, Haag 18. 9. 1626, SRA, Ox. slg. 47

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zeugung gegenüber, daß die Niederlande ihre großen außenpolitischen Aufgaben nur dann erfüllen könnten, wenn sie das monarchische Element in ihrem Staatskörper noch weiter verstärkten. Von der Hochachtung, die Camerarius vor Moritz von Oranien empfand, war schon früher die Rede. Seinen Tod im Oktober 1625 betrachtete er als einen schweren Verlust. Um so mehr bedauerte er das Ableben von Moritz, als dessen Halbbruder und Nachfolger Friedrich Heinrich in des Camerarius Augen zunächst nicht über die Fähigkeiten verfügte, die Moritz besessen hatte. „Illius enim frater neque autoritate, neque animi robore Mauritio par esse videtur“49. Mit der Zeit konstatierte aber Camerarius, daß Prinz Friedrich Heinrich seinen Aufgaben gewachsen wurde. Ein gewisses zu weit gehendes Entgegenkommen und eine bisweilen allzu große Nachgiebigkeit, wie Moritz sie nicht gezeigt hatte, tadelte er jedoch auch noch in späteren Jahren an Friedrich Heinrich, zum Beispiel, wenn er am 24. Februar 1627 mit großer Skepsis von des Generalstatthalters Versuchen berichtete, der inneren Schwierigkeiten Herr zu werden. „Principis Mauritii frater sua lenitate et humanitate remedia adhibere conatur, sed apud exulceratos variis plagis animos mitiora nihil obtinent“50. Doch gerade die humanitas Friedrich Heinrichs, die größer war als die seines älteren Bruders, war es, die Camerarius andererseits auch wieder für den neuen Generalstatthalter einnahm und ihm die Zusammenarbeit mit ihm in mancher Hinsicht angenehmer machte als mit seinem Bruder. Allerdings war er sich darüber im klaren, an Friedrich Heinrich nie ganz die Stütze zu haben, die ihm Moritz bedeutet hatte. Allein Camerarius wußte, daß daran ebenso wie der verschiedene Charakter der beiden Brüder die veränderte politische Gesamtlage schuld war. Ließ doch nach 1626 der Kriegseifer in den Niederlanden immer mehr nach, und auch Prinz Friedrich Heinrich verschloß sich nicht der Ansicht, daß ein Waffenstillstand mit Spanien manche Vorteile bot. So blieb Camerarius also auch in späteren Jahren in politischer Hinsicht oranisch gesonnen und im Grunde ein Gegner der oligarchisch-republikanischen Regierungsweise und der Generalstaaten, mit denen ihn dagegen in soziologischer Hinsicht so vieles gegenüber der höfischen Lebensart der Generalstatthalter verband.

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Camerarius an Oxenstierna, Haag 26. 9. 1625, SRA, Ox. slg. Camerarius an Oxenstierna, Haag 24. 2. 1627, SRA, Ox. slg.

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X III. Ka p itel

Niederländisches Bündnis, Wirtschaftsverhandlungen und Cancellaria Suedica Camerarius hatte sich, als seine Ernennung zum Gesandten erfolgte, in dreifacher Hinsicht um das schwedische Staatswesen verdient gemacht und seinen Wert erwiesen: Er hatte bei den Bündnisverhandlungen eine hohe und den damaligen Zwecken besonders entsprechende Fähigkeit an den Tag gelegt. Er hatte ferner dank seiner weitreichenden Beziehungen vermocht, in seinen Berichten ein besonders reiches Informationsmaterial zu liefern über Vorgänge in den verschiedensten Ländern Europas. Schließlich hatte er sich geeignet gezeigt – dank seiner Routine in den Gepflogenheiten der mitteleuropäischen Diplomatie ebenso wie auf Grund seiner tiefgehenden humanistischen Bildung und der neuerlichen Belebung, die er hierin durch den niederländischen Humanismus erfahren hatte –, einen gewissen Einfluß zu üben auf die Fortentwicklung der schwedischen Staatskunst, das heißt die Umstellung der schwedischen Diplomatie auf die Erfordernisse einer Großmacht. Schon angedeutet wurde, wie Camerarius in all diesen Wirkungsmomenten als Gesandter und Botschafter in stärkstem Maß bis ins Jahr 1632, aber darüber hinaus in schwächerer Weise bis ans Ende der Dreißigerjahre seine fruchtbare Tätigkeit innerhalb des schwedischen Staatswesens fortsetzte. Sobald er aber Gesandter geworden war, trat zu all diesen Aufgaben, die er weiterhin mit Erfolg löste, ein neuer Komplex von Pflichten und Anliegen hinzu, mit dem er sich als schwedischer Agent und pfälzischer Exilminister noch nicht zu befassen gehabt hatte: Die Pflege des schwedisch-niederländischen Verhältnisses lag, da die Vereinigten Provinzen damals noch keinen ständigen Gesandten in Stockholm stationiert hatten, nun vornehmlich in seiner Hand. Diese Aufgabe aber unterschied sich von den bisher, seit der Flucht aus Böhmen ausgeübten Funktionen insofern, als es sich nicht mehr so sehr darum handelte, erste Anregungen zu weit gespannten Bündnisplänen zu geben, mit Schwung große Aktionen in Bewegung zu setzen und ideologisch zu unterbauen, als vielmehr darum, ein seit 1614 bereits bestehendes Handels- und Defensivbündnis, das auf fünfzehn Jahre abgeschlossen war, wirksam zu erhalten, seine Verlängerung zu erwirken und von der Basis dieses Bündnisses ausgehend die Zusammenarbeit mit den Niederlanden über den Text der Allianzparagraphen hinaus zu erweitern und die Vereinigten Provinzen für eine möglichst starke Unterstützung Schwedens zu gewinnen. Während Camerarius bisher damit beschäftigt gewesen war, die Gesamtheit der Bündnismöglichkeiten zu überschauen und die vorhandenen internationalen Kräfte in ein Kriegssystem zusammenzuschmieden, war es nun seine Pflicht, sich

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in vieler Hinsicht mehr auf den Einzelfall eines einzigen zwischenstaatlichen Verhältnisses zu konzentrieren und hier nach Kräften alle die aus staatlicher und kommerzieller Gegensätzlichkeit entspringenden Schwierigkeiten beiseite zu räumen, die sich seinem Hauptanliegen in den Weg stellten, daß die protestantisch-pfälzische Sache gerettet und Schweden zur Großmachtstellung geführt würde. Als 1614 das schwedisch-niederländische Bündnis abgeschlossen wurde und dadurch als unmittelbar greifbares Ergebnis die Vereinigten Provinzen ihre Handelsfreiheiten in der Ostsee schwedischerseits garantiert erhielten und beide Länder sich gegenseitige Rückendeckung gegen Angriffe Dritter versprachen – jeder der Vertragschließenden verpflichtete sich in diesem Fall, dem anderen 4000 Mann zu stellen, oder das Geld zu zahlen, das zu ihrer Anwerbung und ihrem Unterhalt nötig war –, hatten die Lenker beider Staaten gehofft, das Bündnis werde die Grundlage zu einem sehr viel weiter gehenden gemeinsamen Handeln bieten, als es in den Paragraphen vorgesehen war, und sich eines Tages in diesem Sinne erweitern lassen. Es war eine Hoffnung, die zum Teil in Erfüllung ging, zum Teil aber auch nicht realisiert werden konnte. Besonders in den ersten auf den Bündnisabschluß von 1614 folgenden Jahren gestaltete sich das gegenseitige Verhältnis überaus hoffnungsreich. Die Generalstaaten fanden sich zu hohen Anleihen bereit – 1618 belief sich die schwedische Schuld auf insgesamt 757 504 Gulden, ohne die Gustav Adolf nicht die Möglichkeit gehabt hätte, die nach dem für ihn unglücklichen schwedisch-dänischen Krieg von 1611 bis 1613 an Christian IV. verpfändeten Festungen wieder einzulösen und damit die Grundlage für seine künftigen Erfolge zu schaffen. Die Anleihen waren ein Ausdruck des warmen Interesses, das Oldenbarnevelt an der Stärkung Schwedens nahm aus dem Wunsche heraus, die Übermacht Dänemarks einzuschränken, die ihm gefährlich zu werden schien. Nach dem Sturz Oldenbarnevelts erfuhr das niederländisch-schwedische Verhältnis zunächst eine Trübung. War das Bündnis doch das eigenste Werk des Ratspensionärs gewesen, der eine weit ausgreifende niederländische Politik in Nordeuropa anstrebte, während Moritz von Oranien 1619 und 1620 ganz in Anspruch genommen war durch die Kriegsvorbereitungen gegen Spanien und zunächst – im Gegensatz zu seiner späteren Haltung – die anderweitigen Verpflichtungen der Niederlande eher einzuschränken strebte. Auch besserte sich in dieser Zeit das Verhältnis der Vereinigten Provinzen zu Dänemark wieder. Gleichwohl gelang es van Dyck und später Rutgers, weitere nicht unbeträchtliche Mittel als Anleihegelder der Generalstaaten für Schweden zu erhalten. Auch das Interesse an einem politischen Zusammengehen mit Schweden wuchs aufs neue, und es zeigte sich bereits, welch tätigen Anteil an den verschiedenen diesbezüglichen, zum Teil vom Generalstatthalter ausgehenden Planungen Camerarius genommen hatte, auf den dank seiner guten Beziehungen zu den Oraniern und Teilen der gomaristischen Partei die schwedische Regierung offenbar nunmehr besondere Hoffnungen setzte in ihrem Wunsch, das Verhältnis zu den Vereinigten Provinzen so gut wie möglich zu gestalten.

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Die Situation, der Camerarius sich als Gesandter gegenübersah, war schwierig. Der Entschluß Schwedens, dem Kriegsbündnis unter dänischer Führung fernzubleiben, hatte auch dem auf ein gemeinsames Eingreifen in die deut­schen Angelegenheiten abzielenden niederländisch-schwedischen diplomatischen Aus­tausch ein Ende gesetzt, der seit 1623 wieder in starker Intensität gepflogen worden war. Damals war Rutgers, als er im August 1623 seine Bestallung zum ordentlichen schwedischen Residenten im Haag erhielt, aufgetragen worden, „ett anfalls- och försvarsförbund“, das heißt eine Allianz zustande zu bringen, die sich über den rein defensiven Charakter des Bündnisses von 1614 hinaus auch ein offensives Vorgehen gegen die katholischen Mächte durch den Angriff über Polen auf Schlesien zum Ziel gesetzt hätte. An so weitreichende Abmachungen war nun nicht mehr zu denken. Vielmehr mußte Camerarius bald erkennen, daß das Optimum, das sich allenfalls erreichen ließ, eine Ausweitung der 1614 getroffenen Abmachungen war in der Weise, daß die Niederlande bei dem schwedischen Krieg in Polen den Bündnisfall trotz Gustav Adolfs offensivem Vorgehen als gegeben erachteten oder sich auf andere Art zu finanzieller Unterstützung bereit fänden. Auch diese Möglichkeit aber wurde in Frage gestellt durch ein Ereignis, das von 1626 bis 1630 das niederländisch-schwedische Verhältnis überschattete und den schwedischen Vertreter im Haag naturgemäß vor die größten Schwierigkeiten stellte: den Entschluß Gustav Adolfs, im Krieg gegen Polen den Kampfplatz von Livland nach Preußen zu verlegen, eine Maßnahme, deren Folge es war, daß Schweden Danzig blockierte und die Weichselschiffahrt zu kontrollieren sowie Zoll zu erheben begann, wodurch der niederländische, für die Vereinigten Provinzen lebenswichtige Handel mit Korn und anderen Waren schwer beeinträchtigt wurde1. Es charakterisiert des Camerarius schon berührte Verständnislosigkeit in Fragen der Wirtschaft und die auf das allgemein-evangelische Interesse ausgerichtete Einstellung, die ihn noch immer in weitgehendem Maß beherrschte, daß er auf Oxenstiernas erste Mitteilung von dem Angriff auf Preußen hin aufrichtig erfreut war2. Lag doch Preußen dem deutschen Kriegsschauplatz sehr viel näher als Livland und Litauen. Es bestand für Camerarius jetzt also mehr Hoffnung, die Schweden mit der Zeit doch noch von Preußen aus nach Deutschland hereinzulocken, als wenn sie im hohen Norden geblieben wären. Zudem entsprach das Übergreifen nach Preußen den Ansichten vollkommen, die Camerarius in diesen Jahren über die schwedische Großmachtpolitik entwickelte. Auch unabhängig von dem in ihm nach wie vor so mächtigen protestantisch-pfälzischen Anliegen tendierte er hinsichtlich des schwedischen Großmachtstrebens in Gemeinschaft mit Gustav Adolf und in einem gewissen Gegensatz zu Oxenstierna dahin, daß es auf die Dauer nicht ratsam sei, sich auf das nördliche Baltikum zu beschränken, daß es sich vielmehr empfehle, auf den Bereich der südlichen Ostsee und von dort aus nach Norddeutschland und Zentralpolen überzugreifen. Der Gedanke hingegen kam 1



2



S. hierüber im einzelnen: E. Wendt, Det Svenska Licentväsendet i Preußen, u. A. Krannhals, Danzig und der Weichselhandel. Camerarius an Oxenstierna, Haag 24. 7. 1626, SRA, Hollandica.

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ihm zunächst nicht, daß eine Handelsmacht wie die Niederlande, wenn auch ihr Interesse für die allgemein evangelischen antihabsburgischen Angelegenheiten stark war, in Harnisch geraten mußte – und zwar mit gutem Recht –, wenn die schwedische Großmachtpolitik ihre Handelsmöglichkeiten einschränkte. Camerarius fiel deshalb sozusagen aus allen Wolken, als die Nachricht vom Übergreifen Schwedens nach Preußen eine allmählich immer bedrohlichere Entrüstung in den Niederlanden hervorrief und die Mißstimmung nur allzu rasch bis an die Mauern seines Ministerhotels heranbrandete. Auch dann aber war ihm die Berechtigung der niederländischen Klagen im Grunde zunächst noch immer unverständlich. Mit seiner wirtschaftlichen Unzulänglichkeit verband sich hier seine Abneigung gegen die republikanisch-oligarchische Regierungsform, eine Abneigung, der die rückhaltlose Bewunderung für Gustav Adolf gegenüberstand und die hieraus entspringende, nicht ausgesprochene, aber im Unterbewußten vorhandene Ansicht, daß sich die Krämer dem zu fügen hätten, was das Genie des Gideon zu seiner Entfaltung beanspruchte. Sehr bezeichnend hierfür ist es, wie Camerarius über die ersten Regungen der Mißstimmung am 30. Juli 1626 an Oxenstierna berichtete: „Cuncti …“, schrieb er, „maxime prudentiores consilium et magnanimitatem Suae Regiae Maiestatis extollunt, et coeptis applaudunt. Nonnullae viles animae, quas privata cupiditas stimulat, et quibus vile decus publicum est, sollicitae sunt, ne lucra, quae ex frumenti advectione ex illis locis sperant, ipsis intercipiantur“3. In den nächsten Tagen freilich wurde im Haag und besonders im nahen Amsterdam der Widerstand so fühlbar, daß es sich auch Camerarius offenbarte, wie seine Stellung als Gesandter und die Lösung der ihm übertragenen Aufgabe, das niederländisch-schwedische Bündnis am Leben zu erhalten und auszudehnen, durch den schwedischen Kriegszug in Preußen aufs äußerste erschwert wurde. Das bewirkte, daß entgegen seiner anfänglichen, weitgehend rückhaltlosen Zustimmung Camerarius nun doch allmählich Bedenken gegen den preußischen Feldzug äußerte, das erste Mal in einem Brief an Oxenstierna vom 11. August 1626. Es ist für sein ganzes Denken dabei bezeichnend, daß er, gleichgültig ob aus wirklicher Überzeugung oder aus Taktik, seine Einwände wieder so formulierte, daß die Schädigung des niederländischen Wirtschaftsinteresses erst als dritter Grund aufgeführt wurde und davor zwei andere Gesichtspunkte figurierten, nämlich die, daß erstens ein energischer Angriff auf Polen, wie er durch die schwedischen Operationen in Preußen ins Werk gesetzt wurde, Polen so reizen könnte, daß es alle Kraft zusammennähme und jeden Friedensgedanken von sich wiese, wodurch Gustav Adolf der Einmarsch in Deutschland dann auf lange Zeit unmöglich würde, und zweitens, daß der Kurfürst von Brandenburg durch den Einfall der Schweden in sein Herzogtum nicht bloß verstimmt würde, sondern – ein für Camerarius charakteristisches Bedenken – daß Preußen im Lauf des Feldzuges wieder in polnische Hand geriete und dann der evangelische Glaube dort zugrunde ginge4. 3 4



SRA, Hollandica. SRA, Hollandica.

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Ganz allmählich erschloß er sich erst die wirtschaftliche Problematik, die aus der Blockade Danzigs und der Besetzung Preußens für die holländischen Handelsherren erwuchs. Ebenso suchte er 1626 mit großer Mühe, sich mit dem ganzen Anleihesystem vertraut zu machen, welches das schwedisch-niederländische Verhältnis weitgehend beherrschte. Noch schwerer fiel es ihm, die damit eng zusammenhängenden speziellen Erfordernisse des schwedisch-niederländischen Kupferhandels zu verstehen, der ebenfalls im diplomatischen Verkehr beider Staaten eine wichtige Rolle spielte, sowie in die Absatzschwierigkeiten einzudringen, denen die schwedische Kupferproduktion damals begegnete, Schwierigkeiten, deren Behebung kaum ohne Zutun des niederländischen Handels möglich waren. Waren es doch zum guten Teil holländische Handelsplätze, in denen das wichtigste Rohprodukt der schwedischen Wirtschaft an die west-, süd- und mitteleuropäischen Abnehmer weitergegeben wurde. Holländische Kaufleute hatten in weitgehendem Maß den Zwischenhandel in der Hand. Auf dem Kupfer und der übrigen Metallproduktion sowie dem reibungslosen Absatz dieser Rohstoffe aber beruhte in der Hauptsache die schwedische Valuta und die Wirtschaftskraft des Landes. Auch als der Krieg Schwedens mit dem Kaiser bereits in vollem Gang war, duldete es die schwedische Regierung deshalb schweigend, daß unter holländischer Vermittlung schwedisches Kupfer weiter an Spanien verkauft wurde, ebenso wie es im schwedischen Wirtschaftsinteresse lag, daß trotz des niederländisch-spanischen Krieges der Kupferexport über Amsterdam nach Spanien weiterging, soweit dies noch möglich war, nachdem seit 1626 der Absatz in dieser Richtung auf Schwierigkeiten stieß. Schließlich kam dem Handel mit diesem Rohstoff auch insofern noch eine besondere Wichtigkeit zu, als nur mit Kupfer ein Teil der schwedischen Schulden an die Niederlande zurückbezahlt werden konnte. Eben dies, daß mit dem Erzfeind des Protestantismus, dem Bedränger niederländischer Freiheit die Amsterdamer Handelsherren ihre Geschäfte ruhig weiter verfolgten, erbitterte Camerarius Zeit seines Lebens in höchstem Maß. Er brauchte lange, bis er einsah, daß der Handel mit Spanien zum Teil auch im schwedischen Interesse lag, und ebensolche Mühe kostete es ihn, sich mit den Anforderungen und Finessen des ganzen Kupfergeschäftes vertraut zu machen. Ehrlich schrieb er darüber an Oxenstierna am 11. Juli 1626: „… Inquirere nunc incipio in mercatorum mysteria, quae tamen litterati difficulter assequuntur“5. Litteratus hat in diesem Zusammenhang wahrscheinlich nicht den etwas abschätzigen Sinn, der dem Wort in der Gegenwart eigentümlich ist. Vielmehr dürfte es Gelehrter und Humanist im Gegensatz zum Ungebildeten bedeuten. Wiederum also zeigt sich gegenüber den Anliegen des Kaufmannsstandes eine gewisse Anmaßung, wenn die Äußerung auch gleichzeitig ein Bekenntnis ist, daß sich Camerarius über die Grenzen seines Könnens im Klaren war. Richtig erfaßte er, daß ein hauptsächlicher Grund für sein in vieler Hinsicht unbestreitbares Versagen in den finanziellen und kommerziellen Fragen, mit denen er es als Gesandter zu tun hatte, in seiner wirtschaftspolitischen Kenntnislosigkeit lag, die sich 5



SRA, Ox. slg

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nicht nur aus seiner Veranlagung, sondern auch aus seinem Werdegang erklärte. Nie war er in seinem bisherigen Beruf mit Handel und Industrie in nähere Berührung gekommen. Der Nürnberger Kaufmannsgeist hatte offenbar wenig auf ihn gewirkt. – Dies zeigte sich bereits bei den Unionsverhandlungen. Ganz war er vielmehr in seiner Jugend allem Anschein nach in der wissenschaftlich-schöngeistigen Atmosphäre seines engeren Elternhauses aufgegangen. Seine Ausbildung war dann eine rein juristische gewesen. Im Gerichtswesen hatte er seine Laufbahn begonnen und war danach sogleich in die reine Außenpolitik übergewechselt. Auch als Leiter der pfälzischen Exilregierung hatte er mit den Finanzfragen nur am Rande zu tun gehabt. Denn die Regelung seiner Einkünfte war auch im Haag das einzige geblieben, was der Winterkönig im Wesentlichen selbst in der Hand behielt. Subsidienverhandlungen hatte Camerarius zwar gleichwohl als pfälzischer Minister zu führen gehabt. Doch solche Bemühungen hatten, da das Objekt ja begrenzter und die wirtschaftliche Fragestellung viel simpler waren, längst nicht solches kommerzielles Können verlangt wie die Funktionen eines schwedischen Gesandten. So stand er als Gesandter im Haag, was die merkantilen Fragen betraf, in vieler Hinsicht vor Neuland. Wie gesagt, er war bis zu einem gewissen Grad bemüht, es sich zu erschließen, und doch gelang ihm dies nur in unvollständiger Weise. Eigentlich lag es in der Natur der Sache, daß der schwedische Gesandte einen gewissen Einfluß auf die Kupfergeschäfte nahm und sie im Sinn der Stockholmer Regierung zu dirigieren suchte, das heißt bei der schwierigen Erschließung von Absatzmöglichkeiten mitwirkte6. Sehr ausgebreitet war die Tätigkeit, die in dieser Hinsicht Peter Spieringk, der Nachfolger von Camerarius, entfaltete. Auch seine Vorgänger hatten bei dem Kupferabsatz eine Rolle gespielt. Besonders Jakob van Dyck hatte mit Ener­gie eingegriffen. Allerdings war er dabei keineswegs immer glücklich gewesen. Vielmehr war er in mannigfache Streitigkeiten verwickelt worden, besonders mit dem Dordrechter Hugo Muys, einem Onkel von Rutgers, eine für den Gesandten höchst peinliche Auseinandersetzung, die sich über Jahre hinzog und auch noch die Gesandtschaftszeit von Camerarius beschattete. Etwas zurückhaltender war dann Rutgers beim Kupfergeschäft gewesen, wenn auch seine Berichte noch voll genauer Angaben sowie Darstellungen seiner Maßnahmen beziehungsweise der Ratschläge, die er erteilte, sind. In den Depeschen von Camerarius hingegen ist von den auf den Kupferhandel bezüglichen Vorgängen kaum die Rede. Zwar versuchte Camerarius, sich mit den Fragen des Kupferhandels vertraut zu machen. Doch blieb seine Unsicherheit hier offenbar so groß, daß er sich von aller Aktivität fern hielt, zumal ihn die schlimmen Resultate schrecken mochten, die Dycks Einsatz erbracht hatte. Was in der Angelegenheit von schwedischer Regierungsseite zu besorgen war, erledigten anscheinend Wirtschaftsbeauftragte, die wenigstens nach 1630 für Schweden in Amsterdam und anderen niederländischen Handelsplätzen arbeiteten. 1634 aber traf Oxenstierna eine neue Lösung, indem er einen seiner ersten Wirtschaftsexperten, Peter 6



S. hierüber im einzelnen G. Wittrock, Svenska handelskompaniet och kopparhandeln … 121 ff.; über Louis De Geers späteren Anteil an diesen Fragen s. E. W. Dahlgren a. a. O.

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Spieringk, nach Amsterdam schickte, der hier wohl ab 1635 als schwedischer Agent unter der nominellen Oberaufsicht des Botschafters im Haag, tatsächlich aber völlig selbständig alle Handelsfragen zu bearbeiten hatte. Es ist offensichtlich, daß hierin eine Kritik an Camerarius lag. Gleichzeitig aber zeigt auch diese Maßnahme, daß Oxenstierna hinsichtlich des kommerziellen Unvermögens seines Botschafters eine außerordentliche Großzügigkeit bewies. Dessen am Eingang dieses Kapitels noch einmal zusammengefaßte Meriten wogen offenbar in den Augen des Kanzlers das Versagen in den Fragen des Kupferhandels und auch in den übrigen Wirtschaftsproblemen auf, wenigstens in den ersten sechs Jahren seiner Gesandtentätigkeit. Aufs neue wird damit deutlich, wie außerordentlich viel Gustav Adolf und Oxenstierna in den Jahren vor und zu Beginn des schwedischen Krieges in Deutschland daran lag, Ratgeber zu besitzen, die über das politische Geschehen auch außerhalb ihres nächsten Wirkungskreises reiche Informationen beizubringen wußten und über die ganze Routine europäischer Diplomatie verfügten. Ferner zeigt sich wiederum das große Verständnis, ja Wohlwollen, das neben Gustav Adolf auch Oxenstierna für die literarische und utopische Veranlagung von Camerarius aufbrachte, die sich wie an allen Realitäten der Politik natürlich an den in besonderem Maß so nüchternen Fragen von Handel und Finanzen stieß. Konnte Camerarius es sich allenfalls leisten, sich in seinen Berichten ebenso wie in seiner Tätigkeit eines näheren Eingehens auf die Fragen des Kupferhandels zu enthalten, so war ihm bei seiner Stellung eine gleiche Reserve nicht möglich in Sachen der Anleihen, die Schweden erhalten hatte, der Subsidien, die es noch zu erlangen hoffte, sowie all der Schwierigkeiten, die sich aus der Störung des Weichselhandels ergaben. Das Schicksal hatte es gewollt, daß seine aus seinem politischen Idealismus erwachsenen Fähigkeiten ihn 1626 gerade auf ein Amt gehoben hatten, dessen Obliegenheiten zum Teil einen besonders realistischen Sinn verlangten. Besonders groß war also die im Grunde erforderliche Umstellung. Daß Camerarius sie trotz eines gewissen Bemühens nicht in der eigentlich notwendigen Intensität zustande bringen würde, stellte sich noch während des Jahres 1626 heraus. War schon von jeher eine vergleichsweise Starrheit ein Grundzug seiner Veranlagung, so machte sich diese nun neuerdings fühlbar. Sie hinderte ihn an wirklich tiefem Eindringen in den Komplex der Wirtschaftspolitik. Vor allem aber ließ sie ihn in einer ans Arrogante streifenden Weise auch bei den Finanz- und Handelsverhandlungen mit den Generalstaaten stets am Primat der religiösen Idee und dem der Causa Communis festhalten, so wie Camerarius sie verstand, und auf diese Momente pochen. Was Camerarius sich an volkswirtschaftlichem Verständnis aneignete, wurde immer wieder durch diese betonte Unterordnung des Kommerziellen unter das Religiöse und Allgemein-Politische zurückgedrängt und überdeckt. Auch in der Zeit, in der Camerarius nur für die pfälzische Exilregierung zu sprechen hatte, ließ sich über die Richtigkeit eines solchen Vorgehens den niederländischen Handelsherren gegenüber streiten. Vollends anfechtbar wurde es, seitdem er das schwedische Interesse vertrat. Stand doch nun zwar nicht in seinen Augen, aber in denen der nüchternen Holländer hinter der Causa Communis nicht

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so sehr das religiöse, allgemein-protestantische Anliegen wie die schwedische Staatsräson. Es fragt sich deshalb, ob es geschickt war, wenn Camerarius im Spätsommer und Herbst 1626 auf die Klagen, durch die Blockade Danzigs und durch den Weichselzoll werde der niederländische Handel ruiniert, ohne viel Federlesens zu antworten pflegte, die Generalstaaten müßten ihr Privatinteresse den Erfordernissen der gemeinschaftlichen Sache unterordnen, „debere Dominos Ordines publicum privato anteponere“, und außerdem dafür sorgen, daß die Feinde Schwedens nicht dadurch gestärkt würden, daß ihnen Holland Kriegsmaterial liefere, „et praecavere, ne hostes Suae Regiae Maiestatis potiori loco sint, quibus hactenus plaeraque ad usum belli necessaria Amstelodamo advecta et suppeditata fuerint“7. Eine solche Forderung mußte um so mehr verstimmen, als Camerarius gleichzeitig während der gesamten preußischen Feldzugsjahre dabei beharrte, Gustav Adolf handle seinerseits nicht im geringsten gegen den Geist und erst recht nicht gegen die Bestimmungen des bestehenden Bündnisses. Daß aber die Erschwerung des niederländischen Getreidehandels dem Tenor der Abmachungen von 1614 nicht entsprach, wurde von niederländischer Seite immer wieder und offensichtlich mit nicht geringem Recht vorgebracht. Hatte doch, wie es in dem Text auch ausdrücklich verankert ist, die Generalstaaten bei der Allianz von 1614 unter anderem der Gedanke geleitet, die Freiheit ihres Handels in der Ostsee zu sichern. Andererseits war, und insofern hatte Camerarius den Buchstaben für sich, von Danzig und der Weichsel damals nicht weiter die Rede gewesen, da die schwedische Macht 1614 noch nicht so weit reichte. Nur für Livland und im Hinblick auf Riga hatte Gustav Adolf ausdrückliche Garantien erteilt. Gleichwohl ist es verständlich, daß man sich im Haag düpiert fühlte, und es ist zu zweifeln, ob angesichts dieser nicht unberechtigten Gefühle die etwas auftrumpfende Art die richtige war, in der Camerarius vorging. Freilich fragt es sich, ob bei der in jedem Fall ja außerordentlich delikaten Situation ein anderes Verhalten des schwedischen Vertreters mehr Erfolg gebracht hätte. Auch muß noch ein weiteres Moment gewürdigt werden: Die Nichtachtung merkantiler Anliegen erklärte sich zwar zum einen und in erster Linie aus der persönlichen Veranlagung von Camerarius. Andererseits aber entsprach sie auch dem damaligen Grundzug schwedischer Politik. Ist es doch bekannt, welch geringe Rücksicht die schwedische Regierung gerade 1626 und in den folgenden Jahren in Preußen und andernorts auf die Wirtschaftsinteressen der Niederlande und auch anderer Staaten nahm. Diese Rücksichtslosigkeit stellte in weitgehendem Maß die unvermeidbare Konsequenz der Macht- und Ausdehnungspolitik dar, zu der die schwedischen Staatslenker sich nun einmal entschlossen hatten. Daneben aber entsprang sie einer gewissen Verachtung, die wie Camerarius offenbar auch Oxenstierna und wohl nicht weniger Gustav Adolf für das Krämertum beseelte, und der Neigung, bei anderen Ländern die wirtschaftlichen Momente und die Anliegen der Kaufmannskreise dieser Staaten nicht allzu wichtig zu nehmen. Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang die Antwort, die Oxenstierna 7



Camerarius an Oxenstierna, Haag 7. 8. 1626, SRA, Hollandica.

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am 22. Februar 1627 Camerarius zugehen ließ auf dessen Berichte, wie er sich gegenüber den Klagen wegen der Schädigung des niederländischen Weichselhandels verhielt. „Nemini vero exterorum noxium esse hunc nostrum in Borussiam ingressum“, äußerte der Kanzler hier fast ebenso naiv wie sein Gesandter, „si spectes non singulos mercatores, sed integros status“8. Oxenstierna stand also nicht an, auch bei einer so ausgesprochenen Handelsmacht wie den Vereinigten Provinzen einen Unterschied zwischen der Staatsräson und dem Wirtschaftsinteresse eines ausschlaggebenden Teils ihrer Bevölkerung zu postulieren. Nicht weniger bezeichnend ist es, daß Oxenstierna als zweiten Gesichtspunkt, den Camerarius den holländischen Beschwerden gegenüber geltend machen sollte, den Vorschlag nannte, daß die niederländischen Kaufleute, die wirklich durch den Weichselzoll und die Blockade Danzigs Schaden erlitten, ihren Handel künftig über Königsberg und Stettin betreiben sollten. Im übrigen müßten sie bedenken – fast wörtlich stimmt Oxenstierna hier mit Camerarius überein –, daß das Privatinteresse dem Wohl der Allgemeinheit manchmal aufzuopfern sei. Auch solle man in Holland erwägen, daß Schweden selbst der Handel mit halb Europa versperrt sei, während die Niederländer durch die der allgemeinen Sache dienenden Maßnahmen nur an dem einen oder anderen Hafen behindert würden. Als Oxenstierna Anfang 1627 endlich auf die Probleme einging, die für den schwedischen Vertreter im Haag aus dem Angriff Gustav Adolfs auf Preußen erwuchsen, zeichnete er Camerarius also einen Kurs vor, der in vieler Hinsicht mit dessen eigenster antimerkantiler Auffassung übereinstimmte, und machte deutlich, wie weitgehend des Camerarius persönliches Denken auch in den Fragen der niederländischen Wirtschaftsanliegen dem ganzen Tenor der damaligen schwedischen Großmachtpolitik entsprach. Was sich schon bei der ersten Begegnung der schwedischen Staatslenker mit Camerarius herausgestellt hatte, zeigte sich hier aufs neue: Die Berührungspunkte zwischen der Gesinnung von Camerarius, die durchaus selbständig, ohne schwedische Einflußnahme erwachsen war, und der Denkungsart Oxenstiernas und Gustav Adolfs sowie den Tendenzen der schwedischen Großmachtpolitik waren außerordentlich zahlreich und stark. Zumindest galt dies bei den wirtschaftspolitischen Problemen, die das Verhältnis zu den Niederlanden in den ersten Jahren der Gesandtschaft von Camerarius aufgab. Es ist mithin offensichtlich, daß die Einstellung der schwedischen Regierung es Camerarius zunächst leicht machte, bei seiner Abneigung gegen die merkantilen Momente zu beharren, daß sie für ihn bei seiner starren Wesensart geradezu etwas Verführerisches hatte. Freilich entlastet ihn dies nicht von dem Vorwurf, daß er in vielem die eigentliche Aufgabe jedes Gesandten nicht erfüllte, Vermittler zwischen zwei Ländern zu sein und die Wünsche der eigenen Regierung in einer Weise vorzubringen und zu vertreten, daß sie bei dem anderen Staat möglichsten Anklang finden. Es steht auch fest, daß beide, sein Vorgänger Rutgers und sein Nachfolger Spieringk, nicht nur sehr viel mehr Verständnis für wirtschaftspolitische Probleme aufbrachten, sondern auch die Handels- und Finanz8



OSB I, 3.

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anliegen, welche die Generalstaaten und die holländischen Kaufleute bewegten, in ihren Berichten eingehender beschrieben und mit mehr Entschiedenheit in Stockholm zur Geltung brachten. Das heißt nicht, daß sich nicht auch Rutgers und Spieringk an ihre Instruktionen hielten und es auf sich nahmen, im Haag schwedische Maßnahmen zu vertreten, die den holländischen Wirtschaftsforderungen gleichfalls zuwider liefen, obwohl die Situation beider Diplomaten insofern günstiger war als die von Camerarius, als Rutgers wie Spieringk zu einer Zeit amtierten, da die schwedische Politik nicht so unmittelbar mit den Handelsinteressen der Vereinigten Provinzen kollidierte wie in den ersten Jahren, in denen Camerarius im Haag als Gesandter wirkte. Um so nötiger wäre es gerade damals gewesen, auch wenn die schwedische Regierung bei der ganzen Lage der Dinge sich zunächst zu keiner besonderen Rücksichtnahme auf die Wünsche der Niederländer bereit finden konnte, daß sie von ihrem Vertreter möglichst eingehende und sachkundige Berichte über die Lage der niederländischen Wirtschaft und die Wünsche und Absichten der geschädigten Handelskreise empfangen hätte. – Die Verstimmung, die Camerarius durch seine Mahnungen, den allgemeinen dem persönlichen Nutzen voranzustellen, hervorgerufen zu haben scheint, dürfte Ende Juli und Anfang August 1626 noch dadurch vergrößert worden sein, daß er, solange er von der schwedischen Regierung nicht offiziell über das Vorgehen in Preußen und die Blockademaßnahmen informiert worden war, daran festhielt und immer wieder versicherte, Gustav Adolf werde in jedem Fall allerstärkste Rücksicht auf den Nutzen seiner Bundesgenossen nehmen und keineswegs etwas Unbilliges tun. Camerarius argumentierte so – zumindest weitgehend – in gutem Glauben. Denn bezeichnenderweise ging ihm ja erst ganz allmählich auf, welche Bedeutung Danzig und der Weichselhandel für die niederländische Wirtschaft hatten. Eine solche nationalökonomische Naivität aber hielten viele niederländische Politiker offenbar für kaum glaubbar, und die Beteuerungen von Camerarius erschienen ihnen daher unehrlicher, als sie tatsächlich waren, zumal diese Beteuerungen sich mit der soeben aufgezeigten Mißachtung der ökonomischen Anliegen verbanden. Hatten Gustav Adolf und Oxenstierna ihren Gesandten über die Haltung, die er angesichts der von Schweden im Sommer 1626 neu geschaffenen Lage einnehmen sollte, längere Zeit ohne genauere Instruktionen gelassen, so erhielt Camerarius Ende September 1626 endlich feste Direktiven. Eine königliche Instruktion vom 27. Juli 1626 besagte, daß er darauf hinweisen solle, daß der Angriff auf Preußen nur dem Zweck diene, Polen so rasch wie möglich niederzuwerfen, um dann freie Hand zum Angriff auf die katholischen Positionen in Deutschland zu haben, einen Angriff, durch welchen die Vereinigten Provinzen in ihrem Ringen gegen Spanien nicht wenig entlastet werden würden9. Es war also im Wesentlichen der seit 1624 so oft erörterte Plan, den Camerarius noch einmal vorbringen sollte, und ganz in den alten Bahnen bewegte sich auch der daran zu knüpfende 9



S. Camerarius an Oxenstierna, Haag 25. 9. 1626, Kopie SRA, Ox. slg., abgedr. außer in Schybergson in Cancellaria Suedica; s. a. „Mandatum L. Camerario datum ut cum Ordinibus Generalibus de renovando foedere tractet“, Dirschau 15. 6. 1627, Coll. Cam. Vol. 30, Nr. 19.

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Vorschlag, daß die Niederlande ungeachtet ihrer 1625 mit Dänemark und England geschlossenen Allianz den seit 1614 mit Schweden bestehenden Vertrag in der Weise erweitern möchten, daß sie an Gustav Adolf Subsidien zahlten, damit der König ihnen möglichst rasch im Kampf gegen Habsburg zu Hilfe kommen könnte. Ferner hatte Camerarius die Generalstaaten aufzufordern, dafür einzutreten, daß Danzig neutral bleibe und Polen keine Unterstützung leiste. So warm und begeistert Camerarius sich in den Vorjahren für den Plan eingesetzt hatte, daß die schwedische Armee weichsel-, beziehungsweise oderaufwärts gegen die habsburgischen Erbländer vorrücken sollte, hatte er bis in den Oktober 1626 doch schon so viele Erfahrungen gesammelt, daß er von vornherein die Schwierigkeit erkannte, die Generalstaaten zu geldlicher und diplomatischer Unterstützung des schwedischen Vorgehens zu gewinnen angesichts der Schädigung, die ihr Weichselhandel dabei erfuhr. Schon im Oktober 1626 machte er deshalb den König und Oxenstierna darauf aufmerksam, daß momentan bei den Generalstaaten kaum eine befriedigende Annahme der schwedischen Vorschläge zu erreichen sein würde. Gleichwohl setzte sich Camerarius mit aller ihm zu Gebote stehenden Energie für dieselben im Haag ein. Mit seinem unermüdlichen Drängen erreichte er wenigstens, daß die Stände von Holland und darauf die Generalstaaten schon im Lauf des Dezember 1626 auf die schwedischen Wünsche eine wenigstens relativ definitive Antwort erteilten. Diese Antwort fiel nun freilich so aus, daß Camerarius sie als einen Fehlschlag seiner Bemühungen auffaßte und mit einiger Niedergeschlagenheit darüber an die schwedische Regierung berichtete10. Wegen des Ersuchens um Subsidien erklärten die Generalstaaten, sich erst mit England verständigen zu müssen und nur gemeinsam mit der Londoner Regierung etwas leisten zu können, was seinem richtigen Dafürhalten nach einer Ablehnung gleichkam. Denn es war gerade zu Ende des Jahres 1626 und dann noch besonders das ganze Jahr 1627 über für Camerarius überaus enttäuschend zu sehen, wie auch unter Karl I., von dem er eine kurze Zeit gemeint hatte, der König werde sich mehr für die evangelische Sache einsetzen als sein Vater, England weit von der gewünschten Aktivität entfernt blieb. Ausführlich berichtete Camerarius nach Schweden, wie die Zahlungen an Dänemark, zu denen sich England im Haager Bündnis verpflichtet hatte, nur zögernd und unvollkommen erfolgten und wie Karl I. statt dessen unter dem Einfluß des Herzogs von Buckingham, den Camerarius auf Grund von Rusdorfs Berichten von Monat zu Monat ungünstiger beurteilte, auf einen Krieg mit Frankreich lossteuerte, der 1627 dann auch tatsächlich ausbrach und auf zwei Jahre alle evangelisch-antihabsburgischen Bündnispläne aufs empfindlichste störte. Wenn die „Hochmögenden“ im Haag ihre etwaige Hilfe von einer gleichzeitigen Unterstützung durch England abhängig machten, war es deshalb offensichtlich, daß die Subsidienzahlungen, die Gustav Adolf wünschte, nie zustande kommen würden. Ebenso klar war es Camerarius, daß die niederländische Reaktion auf das zweite von ihm vorgebrachte Anliegen den schwedischen Wünschen kei10

Camerarius an J. Adler Salvius, Haag 16. 1. 1627, SRA, Hollandica, an Oxenstierna, Haag 26. 12. 1626, SRA, Ox. slg.

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neswegs entsprach. Um die Mißhelligkeiten zwischen Schweden und Danzig zu beseitigen, beschlossen die Generalstaaten, eine Gesandtschaft nach Preußen zu schicken, die zwischen Gustav Adolf, den Danzigern und Polen vermitteln und wenn möglich einen Friedensschluß oder Waffenstillstand herbeiführen sollte. Keine Rede war also von einer niederländischen Pression auf Danzig zugunsten Schwedens, wie sie Gustav Adolf wohl eigentlich mit seinem Ersuchen erstrebt hatte. Völlig unparteiisch sollten vielmehr die niederländischen Gesandten vorgehen. Sie sollten nicht so sehr die schwedischen Pläne unterstützen, als für die niederländische Wirtschaft retten, was zu retten war, und den Versuch machen, die Erschwerungen zu beseitigen, die den Getreidehandel in seiner Fortexistenz bedrohten. Empfand Camerarius auch diesen Beschluß als eine Niederlage, weil er den schwedischen Wünschen zuwider lief, so scheint es, daß er selbst in diesem Fall insofern für das holländische Streben Verständnis aufbrachte und es bei Oxenstierna und Gustav Adolf in einer gewissen, allerdings beschränkten Weise zu unterstützen suchte, als er mehrmals in seinen Depeschen anregte, ob es nicht das Ratsamste sei, den Krieg in Preußen tunlichst einzuschränken und durch eine defensive Strategie zu lokalisieren. Im Gegensatz zu seiner bisherigen Ansicht hatte er diesen Gedanken in der zweiten Augustwoche 1626 ein erstes Mal geäußert und ließ ihn auch in den folgenden Monaten immer wieder anklingen. In diesem Punkt machte er also dem niederländischen Wirtschaftsinteresse eine Konzession. Im übrigen aber blieb es durch all die Jahre hindurch, in denen er Schweden im Haag vertrat, für ihn charakteristisch, daß er zu jener Kategorie von Gesandten gehörte, die besonders geringes Verständnis für die Anliegen des Landes aufbringen, in dem sie akkreditiert sind. Seine unbedingte und manchmal geradezu blinde Begeisterung für Gustav Adolf wirkte hierbei ebenso mit wie sein selten tief gehender Widerwille gegen den merkantilen Geist von Handelsstaaten. Es wurde für sein weiteres Leben entscheidend, daß trotz der oben näher umschriebenen Bemühungen, sich in den Jahren 1626 und 1627 mit wirtschaftspolitischen Fragen vertraut zu machen, diese Abneigung doch in seinem Denken in seltener Intensität vorherrschend blieb. Eigentlich schon im Lauf des Jahres 1627 ergab es sich, daß seine Starrheit und Einseitigkeit so groß waren, daß er es nicht vermochte, in die nüchternen finanz- und handelspolitischen Bahnen einzulenken, die zu beschreiten seine Gesandtenaufgabe eigentlich von ihm forderte. Vielmehr dominierte bis an sein Lebensende in seinem Denken eine ans Hochmütige grenzende Ablehnung des niederländischen Handelsgeistes. Sie verband sich aufs engste mit seiner Kritik an der republikanischen Staatsform und den Arminianern. Denn nur zu bald erkannte er, daß der Arminianismus und Republikanismus seine Anhänger besonders in den Kaufmannskreisen und den Provinzen hatte, in denen Industrie und Handel vor allem entwickelt waren. In erster Linie gegen die mächtigste unter den Vereinigten Provinzen, gegen Holland und hier wieder vor allem gegen Amsterdam, richtete sich deshalb seine Mißstimmung. Schon am 13. Juni 1625 schrieb er darüber an Oxenstierna: „Hollandia amore privati publica negligit. Pauci etiam sunt inter Ordines, qui

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prudentia et rerum experientia pollent et puras manus a corruptionibus habeat. Hinc metuenda aliquando periculosa aliqua conversio…“11. Genau so urteilte er noch 1629: „Indies profecto hic status fit corruptior“12, und wurde niemals müde, hervorzuheben, wie der merkantile Sinn sich im Staatswesen in einer hochgradigen Bestechlichkeit äußere. Immer wieder bedauerte er ferner, daß auch in den obersten Regierungsbehörden der Kaufmannsgeist überaus mächtig sei. So heißt es in einem Brief an Oxenstierna vom 25. September 1626: „Sunt vero non pauci in collegio, qui cum mercatores sint, verentur, ne hoc horreum“ (sc. die Weichselmündung) „ipsis occludatur, atque ita intercipiatur privata utilitas. Quae sane, proh dolor fere cynosura est hoc loco in consiliis et actionibus. Pauci sunt qui prudentia aut auctoritate valeant, pauci, qui publica privatis praeferant“13. So nahe Camerarius den niederländischen Ständevertretern durch seine patrizisch-humanistischen Lebensformen stand, so sehr trennte ihn von den General- und Provinzialstaaten nicht nur seine antirepublikanische Einstellung, sondern mehr noch seine Abneigung gegen den Kaufmannsgeist. Diese Kluft aber machte sich bei seinem Wirken als Gesandter um so mehr geltend, als trotz allen innenpolitischen Machtzuwachses, den der Generalstatthalter seit 1619 erfahren hatte, die Generalstaaten die oberste Regierungsbehörde blieben und gerade die von Camerarius so besonders wenig geschätzten Holländer unter den Ständen den Ausschlag gaben. Dem Vorteil, den die guten Beziehungen von Camerarius zu den Oraniern und weiten gomaristischen Kreisen Schweden erbrachten, stand deshalb, wie sich 1626 und 1627 zeigte, der Nachteil gegenüber, daß ihm die Mehrzahl der holländischen Vertreter allem Anschein nach immer kühl gegenüberstand. Wenn sie es noch nicht wußten, sollten es die Generalstaaten nur zu bald schwarz auf weiß und in aller Öffentlichkeit erfahren, was für einen scharfen Kritiker sie an Camerarius hatten. Sein eben zitierter Brief vom 25. September 1626, in dem er so scharf gegen die von Kaufmannsgeist erfüllte Ständeregierung Stellung nahm, wurde zusammen mit zwei weiteren Schreiben an Oxenstierna vom 1. und 16. Oktober und einem Brief an den König vom 25. September auf dem Transport nach Preußen von einem Danziger Schiff aufgebracht, und die Danziger säumten nicht, im Frühjahr 1627 die beiden Briefe in einer Flugschrift publizieren zu lassen, die mehrere Auflagen erlebte. Die Art, in der die Veröffentlichung geschah, bedeutete nun freilich eine indirekte Anerkennung für den Publizisten Camerarius. Sie zeigte, wie weit bekannt sein Name war und wie sehr sein schriftstellerisches Können und sein besonderer Stil im Federkrieg Schule gemacht hatten. Denn obwohl in der Flugschrift auch Schreiben anderer prominenter Persönlichkeiten an die schwedischen Staatslenker veröffentlicht wurden, wählten die Herausgeber der Briefe doch einen Titel, der ganz auf seinen Namen und den von ihm geführten publizistischen Kampf abgestellt war. Die Flugschrift hieß: „Cancellaria Suedica, id est Ludovici Came11

SRA, Ox. slg. Camerarius an Oxenstierna, Haag März 1629, SRA, Ox. slg. 13 Kopie SRA, Ox. slg., s. Anm. 5b. 12

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rarii, J. C., aliorumque“ (zu den alii gehörte auch der Herzog von Mecklenburg) „epistolae nuper post pugnam maritimam in Suedica navi capta captae a Victore Polono“. Es ist offensichtlich, daß die Herausgeber damit rechneten, der Name Camerarius und die Erinnerung an den Kanzleienstreit würden so viele Assoziationen hervorrufen, daß weitere Hinweise im Titel unterbleiben konnten. Wie man aber seinen Namen gebrauchte, um die Flugschrift zugkräftig zu machen, so hielt man sich auch an die von ihm im Kanzleienstreit zum ersten Mal entwickelte genaue Editionsweise und die Prägnanz der Darstellung, wenn auch die Art der Erklärungen und der wiederum zum nicht geringen Teil gegen ihn persönlich gerichteten Angriffe gröber war als die Kampfweise, die Camerarius seinerseits in den schriftstellerischen Auseinandersetzungen befolgt hatte. Konnte Camerarius die Cancellaria Suedica also als Bestätigung seines publizistischen Ansehens auffassen, so war dies ein geringer Trost gegenüber der neuerlichen schweren Kompromittierung, die der Inhalt der Flugschrift für ihn bedeutete. Nachdem er 1624 ein letztes Mal mit seiner Apologia hervorgetreten war und 1625 Keller mit dem Rhabarbarum und dem Tubus einen letzten Schlag geführt hatte, der so sehr den Gipfel des Unflätigen darstellte, daß er in seiner Wirkung begrenzt blieb, hatte Camerarius zu seiner Befriedigung feststellen können, daß es allmählich um die unglückselige Briefbeute von 1620 und seine Rolle bei Ausbruch des Krieges ruhiger wurde. Da stellte ihn die Cancellaria Suedica aufs neue und wieder in der kompromittierendsten Weise ins Rampenlicht des öffentlichen Interesses. Wenn Nietzsche einmal sagt, man habe immer dasselbe Erlebnis, so traf dies auf Camerarius nun in besonderem Maß zu. Es deprimierte ihn aufs tiefste, daß es ihm geradezu vorbestimmt schien, nie aus dem Tagesgespräch herauszukommen, daß seine geheimsten Ansichten immer wieder jedermann offenbar wurden, daß ihm daraus zahlreiche Feinde erwuchsen und er überall als gefährlicher und verdächtiger erschien, als er es im Grunde war. Wenn die Bloßstellungen von 1620 und 1621 zum Teil auf seine eigene Fahrlässigkeit zurückzuführen gewesen waren, so traf ihn 1627 am Verlust der Briefe wohl nicht eine unbedingte Schuld. Er hatte sie mit allen üblichen Vorsichtsmaßregeln an Andreas Svensson, den schwedischen Agenten in Hamburg, beziehungsweise direkt per Schiff nach Elbing an Oxenstierna expediert. Zwar klagte Camerarius sich selbst an, nachdem das Unglück eingetreten war, er hätte noch vorsichtiger zu Werke gehen müssen. Doch Oxenstierna und Gustav Adolf scheinen demgegenüber der Ansicht gewesen zu sein, daß bei der ständigen Bedrohung der Verbindungswege zwischen den Niederlanden und Preußen durch feindliche Streitkräfte eine absolute Sicherheit der Briefbeförderung kaum zu erreichen war und Verluste gegebenenfalls eben in Kauf genommen werden mußten. Waren also die äußeren Umstände, die 1620 und 1627 zur Einbuße der Schreiben führten, anderer Art, so waren es in beiden Fällen doch der Schreibfleiß von Camerarius, seine hohe epistolographische Darstellungskunst und seine pedantische Ausführlichkeit, in der er auch seine diskretesten Beobachtungen mitteilte und seine gewagtesten Gedanken entwickelte, die seine Briefe zur Wiedergabe im Druck besonders geeignet machten und dank ihrer großen Zahl die Möglichkeit steigerten, in ihren Besitz zu gelangen.

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Schon was Camerarius in den in der Cancellaria Suedica veröffentlichten Briefen über die Generalstaaten sagte, war, wie gezeigt, bloßstellend genug. Noch schärfer lautete darin jedoch sein Urteil über Dänemark und England. Seine abschätzigen Worte über Christian IV. und dessen geringe Feldherrnkunst wurden schon im VI. Kapitel wiedergegeben, und man kann sich danach denken, wie unangenehm es Camerarius war, daß die Danziger bzw. Polen sein Verdikt über Christian nicht nur publizierten, sondern offenbar eine Abschrift der Briefe auch noch direkt nach Kopenhagen, beziehungsweise ins dänische Feldlager schickten14. Über die Verhältnisse in England aber standen in seinem Brief vom 25. September 1626 unter anderem die folgenden Bemerkungen: „Quo autem nunc loco cuncta sint in Anglia, non dubito, Agentem Regis Bohemiae, qui in Anglia est“ (sc. Rusdorf) „diligenter ad Illustrem Generositatem tuam perscribere. Uno verbo sunt miserrima … Quamdiu apud regem Angliae Dux“ (sc. Buckingham) „clavum tenet, nihil boni expectandum est. Si minister regis Hispaniae esset, non posset accuratius ad regis Hispaniae rationes cuncta dirigere.“ Ausführlich werden darauf alle Verpflichtungen des Haager Bündnisses aufgezählt, denen König Karl infolge seiner trostlosen Finanzlage noch nicht nachgekommen sei. Im übrigen verwies Camerarius neben den Berichten Rusdorfs auch auf die von Spens, der somit durch den Brief ebenfalls bloßgestellt wurde. In dem Schreiben vom 16. Oktober heißt es sogar noch deutlicher: „In Anglia vero uno superbo nomine“ (sc. Buckingham) „Rex juvenis veluti captivus tenetur, ut recta monentibus nullus ad ipsum accessus sit … Si Hispani iuratus minister esset, non posset utiliorem ei navare operam“. Wenn Camerarius mit seinen Ausführungen die Generalstaaten zumindest nicht wenig befremdete, wenn er seinen Stand bei Christian IV. noch weiter verschlechterte, so machte er sich den Herzog von Buckingham, der gerade 1627 immer mehr zum allmächtigen englischen Minister wurde und mit dem er bisher noch keine unmittelbaren Zusammenstöße gehabt hatte, durch seine Worte zum Todfeind. Und nicht genug damit: Auch Rusdorfs Stellung in London wurde durch die Danziger Flugschrift aufs äußerste erschwert. Wenn Rusdorf im Sommer 1627 den englischen Hof verlassen mußte, weil er von Buckingham geradezu zur persona ingrata erklärt wurde, so ist es möglich, daß Anteil hieran die Briefe von Camerarius hatten, ebenso wie an der Verschlechterung, die das Verhältnis zwischen König Karl und dem böhmischen Königspaar erfuhr, das ja nach wie vor von der englischen Unterstützung abhängig war. Man kann mithin den Schrecken verstehen, in den die Veröffentlichung seiner Briefe Camerarius versetzte, zumal hierdurch auch offenbar wurde, welche Ziele die schwedische Politik den Niederlanden gegenüber verfolgte, und über welche Informationsquellen er verfügte. Dieselben machten ihm nun zwar gerade in den von den Danzigern gedruckten Schreiben alle Ehre. Die Briefe stellen in ihrem Aufbau und in der Art der Darstellung Meisterwerke diplomatischer Berichterstattung dar. Sie lassen ferner erkennen, wie Camerarius aus Deutschland 14

Camerarius an Oxenstierna, Haag 11. 3. 1627, Kopie in SRA, Ox. slg.

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und dem ganzen westlichen Europa ebenso wie aus Siebenbürgen und Ungarn sich Nachrichten zu verschaffen wußte und sie kunstvoll zu einem Überblick über das politische Geschehen in ganz Europa verwob. Auch zeigt er sich in den beiden Briefen fast besser als sonst über interne Vorgänge in den Niederlanden unterrichtet. Wurde also durch die Flugschrift seine Kunst der Berichterstattung ins beste Licht gerückt, so wurde ihm mancherorts auch gerade der Reichtum seiner Informationen verübelt, und es hieß, er habe sich nicht als Gesandter, sondern als Spion betätigt15. Die Mißstimmung und die Vorwürfe, die durch die Cancellaria Suedica ausgelöst wurden, trafen Camerarius so schwer, daß er ein ganzes Vierteljahr lang, vom März bis in den Juni 1627, so gut wie gar nicht mehr Berichte abzusenden wagte. Zu unsicher schienen ihm nach dem erfahrenen Mißgeschick plötzlich alle Beförderungsmöglichkeiten, und tatsächlich war nun besondere Vorsicht am Platz. Denn auch dies war bei dem Briefverlust überaus niederdrückend für Camerarius, daß es den Herausgebern gelungen war, alle in den Schreiben angewandten Chiffren zu entschlüsseln. Das ganze Chiffrensystem, das er in seiner Korrespondenz mit der schwedischen Regierung eingeführt, das er zum Teil selber entwickelt hatte, das dann offenbar mündlich von ihm in Stockholm erklärt worden war und auch anderwärts im schwedischen diplomatischen Dienst Anwendung gefunden hatte – auch hier erwies sich Camerarius als überaus anregend für die gesamte schwedische Diplomatie –, mußte nun abgeändert und umgebildet werden. Es war ein regelrechter Schock, den Camerarius erlitten hatte, und den er selbst sehr treffend Oxenstierna am 26. März 1627 beschrieb: „Ego ob hanc ad­ uersitatem adeo animo consternatus sum, ut me colligere non possim, nisi Suae Regiae Maiestatis et Illustris Generositatis tuae consolatio nonnihil me errexerit. Amisi maiorem facultatum mearum partem, diuturni exilii graues molestias sensi, sed nec illa iactura, nec harum onus adeo me affecit, ut huius sinistri casus e­uentus. Itaque quod Illustris Generositatis tuae litteris nihil nunc rependo, enixe oro, ut imbecillitati meae adscribat“16. Wiederum zeigt sich hier, wie seine im Grunde empfindliche und in vieler Hinsicht sensitive Natur immer aufs neue kollidierte mit allen Härten, die der Krieg mit sich brachte. Ferner wird die zum Teil aus dem Stil der Zeit erklärliche, zum Teil aber für Camerarius ganz speziell charakteristische Naivität deutlich, in der er seine Vorgesetzten an seinen Kümmernissen teilnehmen ließ und ihren Trost erbat, eine Naivität, in der wohl der eigentliche Grund dafür zu sehen ist, daß er sich den Rauheiten des Kampfes zuguterletzt doch immer wieder gewachsen zeigte und über die Gegensätzlichkeit zwischen Krieg und Schöngeistigkeit hinwegkam, die sein Wesen erfüllte. Ohne Zweifel war das Unglück, das Camerarius 1627 getroffen hatte, wenigstens in der Hauptsache, wahrscheinlich aber vollständig, unverschuldet. Trotzdem mochte er mit Recht empfinden, daß es nicht unbedingt ausgemacht war, 15

Camerarius an Oxenstierna, Haag 11. 3. 1627, Kopie in SRA, Ox. slg. SRA, Ox. slg.

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ob Gustav Adolf und Oxenstierna zu ihm stehen würden. Zwar hatte er nur seine Pflicht getan. Andererseits aber war es klar, daß durch die Cancellaria Suedica sein Ansehen vielerorts gelitten hatte und seine Verwendbarkeit dadurch geringer geworden war. Daß die schwedischen Staatslenker ihren Gesandten, der an einigen Höfen nun nicht mehr ganz das wünschenswerte Vertrauen genoß, fallen lassen, daß sie sich von ihm distanzieren würden, um ihr eigenes Renommée keine Einbuße erfahren zu lassen, rückte deshalb wenigstens in den Bereich des Möglichen, obwohl ein solches Verhalten bei Gustav Adolfs ganzer übrigen Politik und Haltung von vornherein nicht eben wahrscheinlich war. Es beruhigte Camerarius nicht wenig, daß der König ihm bereits unter dem 14. April 1627 seinen Wunsch erfüllte und ein durchaus gnädiges Schreiben zugehen ließ17. Gustav Adolf versicherte ihn darin der Fortdauer seines Wohlwollens und Schutzes und ermunterte ihn, sich die neuerlichen Anfeindungen nicht zu Herzen zu nehmen. Könnten sie doch kaum schlimmer sein als die Angriffe, denen er bisher schon so vielfach ausgesetzt gewesen sei, und die doch nicht seinen Aufstieg in der schwedischen Diplomatie gehindert hätten. Mit seiner eindringenden Berichterstattung habe er nur seiner Pflicht genügt. Er, Gustav Adolf, sei überzeugt, daß die in den Briefen kritisierten Regierungen im Grunde dafür Verständnis haben würden und von ihren eigenen Gesandten nichts anderes forderten. Ähnlich wie der König scheint sich Oxenstierna geäußert zu haben und unbedingt zu seinem Gesandten gestanden zu sein. Camerarius bekam jetzt zum ersten Mal die große persönliche Treue zu spüren, die der Kanzler ihm auch in der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre immer wieder erwies, als er sich in vieler Hinsicht in einer noch angreifbareren Position befand als 1627, eine Treue, die Oxenstierna auch vielen anderen Mitarbeitern gegenüber an den Tag legte und die ihn vor manchen anderen großen Staatsmännern auszeichnete. Stand in den letzten Jahren der Wirksamkeit von Camerarius unter den Motiven, die Oxenstierna bewogen, ihn immer wieder zu decken, die Treue – allerdings auch da noch neben anderen Gesichtspunkten – vielleicht tatsächlich in der ersten Linie, so spielte sie nach Erscheinen der Cancellaria Suedica sicher nur eine untergeordnete Rolle neben Wichtigerem. Denn abgesehen davon, daß seine nun offenbar gewordene Ablehnung des merkantilen Geistes der Generalstaaten dem Tenor der damaligen schwedischen Politik entsprach, konnte Camerarius das Mißfallen, das die Cancellaria Suedica in Kopenhagen und London erregte, dadurch aufwiegen, daß 1627 bei der allmählichen Ausdehnung der kaiserlichen Macht seine Berichte über die politischen Vorgänge in ganz Europa immer mehr an Bedeutung gewannen und seine negativen Prognosen alle einzutreten begannen: Die dänische Armee war geschlagen, die Haager Koalition erwies sich als unfähig, der kaiserlich-ligistischen Macht Herr zu werden, und in bedenklicher Weise schob diese sich gegen den Nord- und Ostseeraum und damit das unmittelbare Interessengebiet Schwedens vor. So ist es denn erklärlich, daß trotz der polnisch-Danziger Veröffentlichungen und trotz der nicht eben großen Bewährung in wirtschaftspolitischen Fragen des 17

Coll. Cam. Vol. 32, Nr. 177.

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Camerarius Karriere im schwedischen diplomatischen Dienst zunächst einen raschen Fortgang nahm: Am 22. April 1628 erhielt er den Titel eines königlichen Hofrats, der an verdiente Diplomaten in schwedischem Dienst, die ursprünglich Ausländer waren, öfters verliehen wurde. Wie schon gesagt, war mit dem Hofratstitel eine zusätzliche Vergütung von 1200 Reichstalern jährlich verbunden. Am 14. März 1629 aber avancierte er zum „ordinari Ambassadör“, das heißt, modern gesprochen, er rückte vom Gesandten zum Botschafter auf und erreichte damit die höchste diplomatische Rangstufe, die Schweden zu vergeben hatte, wieder unter bedeutenden Gehaltszulagen, die ebenfalls im vorangegangenen Kapitel im einzelnen aufgeführt wurden. Dabei ist zu beachten, daß bei der geringen Zahl von Auslandsvertretungen, die Schweden damals erst unterhielt, ein Ambassadeur in vieler Hinsicht fast noch mehr bedeutete als heutzutage. Entsprechend seinem Aufstieg in der schwedischen Ranghierarchie wuchs Camerarius immer mehr in den Staatsapparat des Königreichs hinein. Schon von 1626 an berichtete er außer an Oxenstierna auch regelmäßig unmittelbar an den König und die heimische Regierung, was unter anderem deshalb nötig wurde, weil der Kanzler 1626 und in den folgenden Jahren fern von Stockholm und zeitweise auch fern vom König in Elbing residierte und von hier aus die Verwaltung des in Besitz genommenen preußischen Gebietes und bei Abwesenheit Gustav Adolfs die militärischen Maßnahmen gegen Polen leitete. Oxenstierna seinerseits aber überließ von 1626 an mehr als in den beiden Vorjahren die Korrespondenz mit Camerarius den Trägern der Regierung in Stockholm, teils, weil er sich in Elbing mehr auf die speziell preußischen Angelegenheiten konzentrieren mußte, teils, weil Camerarius nun doch nicht so im Zentrum der schwedischen Politik und damit seines Interesses stand wie während der evangelischen Allianzverhandlungen. Nie wieder sollte er so oft von dem Kanzler Briefe erhalten wie während der Jahre 1624 und 1625. Doch läßt sich daraus nicht ableiten, daß Oxenstiernas Wohlwollen für Camerarius nachgelassen hätte. Daß er ihn in den Vorjahren mit so vielen Briefen bedacht hatte, war eine aus den besonderen Umständen erklärliche Ausnahme, während sich andere, beim Kanzler hoch in Gunst stehende schwedische Diplomaten stets mit einer vergleichsweise geringeren Anzahl von Schreiben begnügen mußten. Wurde also das Ansehen, das Camerarius in Schweden genoß, durch die Cancellaria Suedica nicht zerstört, ja allem Anschein nach nicht einmal wesentlich beeinträchtigt, so brachte es das vierteljährige Schweigen, das er sich von März 1627 an auferlegte, doch mit sich, daß er beim Fortgang der niederländischschwedischen Verhandlungen zunächst noch um einiges mehr in den Hintergrund trat, als es ohnehin der Fall sein mußte, nachdem die niederländische Gesandtschaft im Frühling 1627 nach Preußen aufgebrochen war und im Juni die direkten Verhandlungen mit Oxenstierna und Gustav Adolf aufgenommen hatte. Camerarius bedauerte es lebhaft, daß Gysbert van Boetslaer sich an der Mission nicht, wie eigentlich vorgesehen, beteiligte. Von den drei anderen Gesandten der Vereinigten Provinzen van der Honart, Simon van Beaumont und dem Bürgermeister von Amsterdam Andreas Bicker hingegen hielt er nicht sonderlich viel und hatte mit seinen Prognosen insofern recht, als ihre Vermittlungsversuche, die sie ein gutes Dreivierteljahr, bis in den Frühling 1628, in Preußen,

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Danzig und im polnischen Hoflager fortsetzten, zu keinen nennenswerteren Resultaten und für Schweden jedenfalls zu keinem Erfolg führten. Trotzdem dürfte Oxenstierna bei den Gesandten nicht ganz solcher Ablehnung begegnet sein, wie Camerarius vorausgesagt hatte. Jedenfalls scheint der Kanzler einen der drei niederländischen Herren immerhin so positiv beurteilt zu haben, daß er ihn als Korrespondenten in seinen Dienst nahm. Am 22. Oktober 1627 wurde Simon van Beaumont zum „consiliarius“ mit einer festen Bezahlung bestellt und vielleicht auch mit dem Titel eines Hofrats versehen. Sein Auftrag ging dahin, der schwedischen Regierung aus den Niederlanden Berichte zukommen zu lassen, gelegentlich aber auch Verhandlungen mit den Ständevertretungen, den Generalstaaten und vor allem den Staaten von Holland zu übernehmen, weshalb Beaumont mit einem eigenen Kreditivschreiben ausgerüstet werden sollte18. Ein Schritt in der oben bezeichneten Richtung war damit von Oxenstierna getan, für die Erledigung mancher Aufgaben neben Camerarius in den Niederlanden noch andere Persönlichkeiten zu gewinnen. Indessen bedeutete dies, wie gesagt, keineswegs, daß Camerarius das Wohlwollen von König und Kanzler eingebüßt hätte, oder daß ihm die Hauptgeschäfte entzogen worden wären. Im Gegenteil, 1628 und noch mehr im folgenden Jahr sah er sich mit Fragen betraut, die für den ganzen schwedischen Staat besonders schwerwiegend waren: Im April 1629 lief das 1614 abgeschlossene und auf fünfzehn Jahre befristete schwedisch-niederländische Bündnis ab, auf dem das bisherige Verhältnis der beiden Länder und die bei aller Zurückhaltung im Ganzen doch immerhin beachtliche finanzielle Hilfe basierten, die Schweden von den Vereinigten Provinzen geleistet worden war. Gleichzeitig lag Gustav Adolf angesichts des Vordringens der katholischen Macht bis an die Ostsee und der deswegen sich immer deutlicher abzeichnenden Möglichkeit eines Krieges mit dem habsburgisch-ligistischen Block von Monat zu Monat mehr daran, sich durch Bündnisse zu stärken, bevor er eventuell den Kampf in Deutschland aufnahm. Und nicht nur das: Gustav Adolf wäre ein neuer Vertrag lieber gewesen, eine Allianz, die in ihrer Zielsetzung über die Bestimmungen von 1614 hinausging und den neuen Verhältnissen Rechnung trug. In diesem Sinn wurde Camerarius am 14. März 1629 instruiert und am selben Tag zum Ambassadeur befördert, so daß er bei den wichtigen Verhandlungen mit noch größerem Nachdruck auftreten konnte19. Nachdem er, um dem schwedischen Ansehen nichts zu vergeben, gewartet hatte, bis von Seiten der Generalstaaten ein erster Schritt getan worden war, ging er mit Elan an die Aufgabe heran und war im Frühjahr 1629 nicht ohne Hoffnung auf einen guten Ausgang trotz der schlechten Erfahrungen, die er in den Vorjahren gemacht hatte. Instruktionsgemäß versuchte er zunächst, anstatt des bisherigen Verteidigungsbündnisses eine Allianz zustande zu bringen, die über den rein defensiven Zweck hinaus die Restitution der vom Kaiser ihres Besitzes beraubten oder in ihren Rechten gefährdeten Fürsten und Städte an Ost- und Nord18

OSB I, 3; Camerarius und Beaumont standen schon seit 1621 in gelegentlichem Briefwechsel, s. Coll. Cam. Vol. 11, Nr. 267, 271–74. 19 Das Original der Instruktion in Coll. Cam. Vol. 30, Nr. 9, s. a. Vol. 32, Nr. 201.

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see sich zum Ziel setzte und, ähnlich wie die schwedischen Vorschläge von 1627, sehr viel größere gegenseitige Leistungen vorsah als die Abmachung von 161420. Der Beitritt von England, Frankreich, Dänemark, Siebenbürgen und anderen Ländern, die gegen die habsburgische Macht Front zu machen beabsichtigten, sollte möglich sein. Noch einmal zeichnete sich also bei den Vorschlägen Gustav Adolfs, die Camerarius im Haag zu vertreten hatte, in der Ferne der Gedanke an eine große Koalition ab, für die er sich bis 1625 mit solcher Hingabe eingesetzt hatte. Es kennzeichnet seine Entwicklung zu einem in gewisser Hinsicht größeren Realismus hin, die er bei aller ihm eigentümlich bleibenden Neigung für das Utopische in den folgenden Jahren durchmachte, daß ihm zwar auch 1629 noch eine große Allianz theoretisch als das Ideale erschien, daß er aber bei jeder Verbindung der habsburgfeindlichen Mächte die Führerstellung Gustav Adolfs von vornherein sehr viel eindeutiger festlegen wollte als 1623 und 1624 und ungleich größere Zweifel in die Möglichkeit setzte, daß die Koalition wirklich zustande käme. Dabei zeigten sich gerade 1629 ohne Zweifel wieder neue Chancen. Der englisch-französische Krieg nahm ein Ende, und aus London erschien der schon öfters erwähnte Sir Thomas Roe, aus Paris aber Hercule de Charnacé im schwedischen Hauptquartier in Preußen, um zunächst einen Frieden mit Polen zu vermitteln, des Weiteren aber die Grundlage für Verhandlungen über ein gemeinsames Vorgehen gegen den Kaiser herzustellen, ein Bemühen, das tatsächlich die Basis für den schwedisch-französischen Allianzvertrag von 1631 schuf. Die wichtigste Stärkung aber, die Schweden 1629 zunächst von auswärts für die Expedition nach Deutschland und den Entscheidungskampf gegen den Kaiser erfahren konnte, war die Verlängerung und Erweiterung des Vertrages mit den Niederlanden. Hieran ließ Gustav Adolf Camerarius gegenüber keinen Zweifel, der sich mithin ein zweites Mal vor der Aufgabe sah, an Bündnissen zu arbeiten, die den von ihm so heiß ersehnten Kriegszug der Schweden nach Deutschland erleichtern sollten. Doch war seine Funktion nun insofern eine andere wie während der evangelischen Allianzverhandlungen, als er nicht mehr dabei mitzuwirken hatte, die erste Anregung zu einem großgedachten Bündnissystem zu geben und mit dem ihm eigenen idealistischen Schwung die Verhandlungen in Gang zu bringen und zu vorläufigen, allgemeinen Ergebnissen zu führen. Vielmehr erforderte wie schon in den Vorjahren seit 1626 auch 1629 seine Aufgabe insofern sehr viel mehr Realismus, als es jetzt um die Neufassung einer schon bestehenden Abmachung ging und darum, im Detail alle die Schwierigkeiten beiseite zu räumen, die dem im Wege standen, eine Tätigkeit, die ihm weniger lag als die ersten Ideen zu Koalitionen zu entwickeln. Wieviel schwerer es ist, einen Vertrag endgültig abzuschließen als die diesbezüglichen Verhandlungen in Gang zu bringen, sollte Camerarius jetzt aufs neue erfahren. Am 18. April 1629 hatte er vor dem Plenum der Generalstaaten in einem längeren Vortrag die schwedischen Vorschläge entwickelt, worauf die Angelegenheit 20

Eine Kopie der offiziellen Instruktion in SRA, Hollandica, der beigefügten „Instructio Secreta“ in SRA, Ox. slg. („Förhandlingar mellan Sverige och Nederländerna“); nach diesen Kopien Wiedergabe der Instruktion bei Schybergson, Sveriges och Hollands …

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einer Kommission übertragen worden war, mit der er nun des Weiteren zu verhandeln hatte. Ihn unterstützte dabei der schwedische Oberst und Hofmarschall Dietrich von Falkenberg, der spätere Verteidiger Magdeburgs, der die königliche Instruktion vom 14. März Camerarius überbracht hatte, ihm bei den Unterhandlungen als militärischer Sachverständiger zur Hand gehen und außerdem in den Niederlanden für Schweden Truppen werben sollte. Schon bei den ersten Gesprächen, die er mit den Kommissionsdeputierten hatte, zeigte sich dabei, wie groß die Bedenken der niederländischen Politiker waren, durch das Bündnis mehr Nach- als Vorteile einzuhandeln, und wie ihnen trotz der Bemühungen von Camerarius, das Gegenteil zu beweisen, die schwedischen Forderungen zu hochgespannt schienen: Für Subsidien in Höhe von monatlich 50 000 Reichstalern, also einem Mehrfachen von dem, was die Erhaltung von 4 000 Mann erheischte, zu der man sich 1614 – und damals nur für den Angriffsfall – verpflichtet hatte, fand Schweden sich doch keineswegs bereit, auf die für den niederländischen Handel so hinderlichen Zölle an der Weichsel und anderwärts zu verzichten, weil es ohne diese Zölle den Krieg nicht finanzieren konnte. Außerdem sollten die Generalstaaten sich darein fügen, daß Gustav Adolf das Direktorium des Feldzuges innehatte. Mit höflichen Worten machten die Mitglieder der staatischen Kommission Baß und Beaumont, der, obwohl er als schwedischer Korrespondent arbeitete, doch hier pflichtgemäß nur das niederländische Interesse im Auge hatte, Camerarius auf das Ungünstige der schwedischen Anerbietungen aufmerksam, der darauf, da er nun sah, daß er mit der Erweiterung des Bündnisses nicht durchkam, wenigstens die Verlängerung des 1614 abgeschlossenen Vertrages mit einigen wenigen sinngemäßen Abänderungen zu erreichen versuchte. Doch auch dabei mußte er es erleben, daß die Generalstaaten in ihrer Resolution vom 15. Mai 1629 die ganze Angelegenheit zunächst einmal an die Provinzialstaaten verwiesen und damit auf die lange Bank schoben. Trotz ständiger Erinnerungen von Camerarius zögerten sich darauf die Verhandlungen von Monat zu Monat hinaus. Erst im März 1630 trat eine neue Deputation der Generalstaaten zusammen, mit der Camerarius nunmehr nur noch über die Verlängerung der Abmachungen von 1614 verhandelte. Hierbei schien es zunächst, als werde sich ein Erfolg erzielen lassen. Schließlich aber scheiterte auch die Bündniserneuerung an der Frage des Weichselzolls, und die ganze Frage blieb in der Schwebe. Es fand keine offizielle Verlängerung des Vertrages von 1614 statt. Andererseits betrachteten sich die beiden Länder als nach wie vor im Bündnis befindlich. Dem entsprach es, daß Camerarius in den folgenden Jahren die Generalstaaten wenigstens zu öfteren, wichtigen Subsidien für die Feldzüge Gustav Adolfs in Deutschland zu gewinnen vermochte. So blieben seine Bemühungen wenigstens nicht ganz ohne Erfolg. Für eine weitergehende feste Allianz aber – das war die enttäuschende Erfahrung, die Camerarius in seinen ersten vier Gesandtenjahren machte – war der wirtschaftliche Gegensatz zu groß und das Streben der Generalstaaten zu stark, ihren Konflikt auf Spanien begrenzt zu halten und mit dem Kaiser in wenigstens scheinbarer Neutralität zu verharren, um nicht in noch weiter gehende Auseinandersetzungen hineingezogen und der Möglichkeit zu einem baldigen Waffenstillstand beraubt zu werden.

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X IV. Kap itel

Die Krise der protestantischen Sache und der Krieg Schwedens in Deutschland Während Camerarius so mit höchster Anstrengung nach der Bündnisverlängerung, nach einer Festigung und Erweiterung der niederländisch-schwedischen Zusammenarbeit und einer Überbrückung aller drohenden Gegensätze strebte, nahmen auf dem großen Kriegstheater die Dinge einen Verlauf, wie er sich kaum ungünstiger und gefahrdrohender für die gesamte evangelische Sache denken ließ: Dänemark wurde niedergeworfen. Bis an die Nord- und Ostsee reichte seit 1628 die Herrschaft der kaiserlich-ligistischen Waffen. Nur einige Seestädte, vor allem das wichtige Stralsund, wehrten sich noch. Das übrige Deutschland, soweit es aktiven Widerstand geleistet hatte, lag am Boden. Die neutralen Protestanten aber mußten sich zwar nun angesichts der Siege der katholischen Armeen und bei den bald offenbar werdenden weitgehenden Konsequenzen, welche die Hofburg aus ihren Erfolgen zog, in stärkerem Maß als bisher überlegen, ob nicht auch ihre Existenz eines Tages gefährdet sein würde. Sie mußten deshalb allmählich aufgeschlossener werden für die Erkenntnis, daß Schritte gegen die katholische Macht nötig sein könnten. Andererseits jedoch schüchterte sie der Triumph der Altgläubigen vollends ein. Ein Triumph aber war es in der Tat, den vornehmlich der Kaiser erlebte. Glänzender als seit langem stellte sich seine Herrschaft dar. Sie erschien so siegreich, wie es die kaiserliche Macht eigentlich nur in einigen Regierungsjahren Karls V., am Ende des Schmalkaldischen Krieges, gewesen war. So weit 1547 und 1548 die kaiserlichen Forderungen gingen, so hoch geschraubt waren sie auch jetzt wieder; und wiederum sollte darin eine der wichtigsten Ursachen dafür liegen, daß auf die Dauer die Habsburger ihre Erfolge nicht bewahren konnten. Doch fürs erste ließ sich mit diesem Endresultat noch keineswegs rechnen. Vielmehr hatte, wie die Dinge 1628 und 1629 lagen, das im März 1629 erlassene Restitutionsedikt sein volles, die protestantischen Anliegen aufs schwerste beeinträchtigendes Gewicht. Alle nach dem Passauer Vertrag von 1552 durch die Reichsstände erfolgten Säkularisationen sollten rückgängig gemacht werden. Gleichzeitig verordnete das Restitutionsedikt die strikte Einhaltung des geistlichen Vorbehaltes, nach dem geistliche Fürsten, die zum Protestantismus übertraten, ihr Bistum oder ihre Abtei aufzugeben hatten und sinngemäß die Wahl protestantischer Administratoren nicht zulässig war. Die Ferdinandeische Deklaration aber, die in geistlichen Gebieten den Bewohnern ihr Bekenntnis im Gegensatz zu dem im übrigen Reich herrschenden Grundsatz des „cuius regio, eius religio“ faktisch frei stellte, sollte keine Gültigkeit mehr haben, vielmehr die

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Ausweisung der Protestanten angängig sein. Schließlich wurde 1629 ausdrücklich festgestellt, daß der Religionsfriede von 1555 außer die Katholiken nur die Anhänger der ungeänderten Augsburger Konfession beträfe. Obwohl ihr Name nicht genannt wurde, sahen sich damit die Calvinisten noch einmal und aufs neue in nachdrücklichster Weise von allen Rechten ausgeschlossen, die das große Befriedungswerk von 1555 den Protestanten gebracht hatte. Was aber das bedrohlichste war: Es blieb nicht nur beim Erlaß des Restitutionsediktes. Vielmehr ging die Hofburg sogleich an seine Ausführung und zwar mit solcher Energie, daß selbst so große Reichsstände wie Württemberg und Braunschweig-Wolfenbüttel den kaiserlichen Exekutionskommissionen nicht widerstehen konnten, sondern, wenn auch unter Protest, die Restitution der von ihnen eingezogenen Klöster an die katholische Kirche geschehen lassen mußten. So trat 1628 und 1629 das ein, was Camerarius von Jugend an befürchtet und auf welche Gefahr hin er in weitgehendem Maß sein ganzes Lebenswerk abgestellt hatte: Nicht nur der deutsche Calvinismus, dessen Vormacht er jahrzehntelang mit ganzer Kraft gedient hatte, war aufs neue und in noch empfindlicherer Weise als früher jeder reichsrechtlichen Sanktionierung beraubt, war zum guten Teil bereits vernichtet und mußte dort, wo er sich noch gehalten hatte, in allernächster Zeit die Unmöglichkeit seines Fortbestandes befürchten. Darüber hinaus sah sich der gesamte aktive Protestantismus des Reiches in seiner Existenz unmittelbar bedroht, und auch die Neutralisten unter den Evangelischen, denen unbedingte Loyalität gegenüber dem Kaiser die vornehmste Maxime ihrer Politik gewesen war, erfuhren großenteils durch das Restitutionsedikt schwere Einbußen und mußten, was noch mehr war, für die Zukunft Schlimmes fürchten. Es war eine Entwicklung, die Camerarius einerseits aufs tiefste deprimierte. Voll tiefer Sorge sah er den Zusammenbruch der evangelischen Sache bereits über Deutschland hinausgreifen. Ernstlich fürchtete er den Sieg und die Herrschaft der habsburgisch-katholischen Macht auch im nördlichen und nordwestlichen Europa. Andererseits ließ der Gang der Ereignisse seine eigene Bedeutung in glänzender Weise hervortreten. Alle seine Prognosen bewahrheiteten sich, und er mußte im protestantischen Lager als so weitblickend wie wenige erscheinen. Mit seltener Konsequenz und Schärfe hatte er ja stets die Ansicht vertreten, daß der König von Dänemark unfähig sei, den Krieg gegen die habsburgischligistische Koalition zu führen. Selbst von den übrigen, ihm sonst zum Teil so nahe stehenden hauptsächlichen Unterhändlern bei dem großen evangelischen Allianzprojekt der Jahre 1624 und 1625 hatte er sich in der Entschiedenheit seiner Skepsis gegen Christian IV. unterschieden. Mit gleicher Intensität hatte er ferner darauf hingewiesen, daß die Aufwendungen der dänisch-niederländischenglischen Allianz unzureichend, und die Operations- und Kriegsziele falsch gesteckt seien. Vor allem aber bestätigte die habsburgische Politik, indem sie danach trachtete, ihre Macht in den Ostseeraum und nach Polen vorzuschieben, die alte These von Camerarius, daß die Verhältnisse Nord- und Osteuropas mit denen Deutschlands in unlöslichem Zusammenhang ständen, daß der vollständige Sieg der katholischen Waffen im Reich die schwedischen Interessen im Baltikum in äußerstem Maß beeinträchtigen würde. Seit 1620 war er nicht müde

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geworden, diese Ansicht in Stockholm immer wieder zu vertreten, ebenso wie er in London und im Haag unablässig auf die enge Verbindung der englischen und niederländischen Interessen mit denen der aktiven Protestanten im Reich hingewiesen hatte. Von jeher war Camerarius mit seinen Vorstellungen, daß die politischen Interessen des gesamten europäischen Protestantismus aufs engste miteinander verbunden seien, in Schweden einem besonderen Verständnis begegnet. Und doch hatte er bis 1629 nicht zu hindern vermocht, daß die Träger der schwedischen Reichsgewalt sich nach langem Schwanken immer wieder den speziellen Zielen des Staates im Baltikum und in Polen zuwandten, daß auch sie, so stark ihr Sinn für die von Camerarius vertretene Gemeinsamkeit der evangelischen Anliegen war, sich in praxi doch immer wieder dafür entschieden, zunächst nicht unmittelbar in die großen zentraleuropäischen Verwicklungen einzugreifen, sondern sich fürs erste auf den näher liegenden Ostseeraum und die Auseinandersetzung mit den polnischen Wasas zu beschränken. Daß sehr viel für die Thesen von Camerarius sprach, würdigte man zwar in Stockholm früher und in weiter gehendem Maß als anderwärts. Trotzdem mochten auch hier seine Ausführungen eines Eindrucks des Utopischen nicht entbehrt haben. Wie sehr aber ein solches Urteil, daß die Denk- und Handlungsweise von Camerarius überaus idealistisch und unrealistisch sei, berechtigt war, zeigte sich bereits zur Genüge. Nun 1628 und 1629 jedoch stellte sich heraus, daß trotz des utopischen Momentes, das den Darlegungen von Camerarius ohne Zweifel anhaftete, seine Prognosen in weitgehendem Maß den Tatsachen entsprachen: Die Habsburger siegten vollständig und wurden darauf in ihrer Zielsetzung so maßlos, wie viele es nicht erwartet hatten. Es erwies sich, daß Camerarius zwar nach wie vor als höchst extrem zu gelten hatte, daß aber die Absichten der in der katholischen Partei immer maßgebender werdenden Richtung nicht weniger hochgespannt waren. Der Extremismus von Camerarius erfuhr seine Rechtfertigung durch den der Gegenseite. Man bemerkte ferner aufs neue, wie stark, ja beherrschend auch bei den Feinden der von Camerarius so unermüdlich herausgestellte religiöse Faktor wirkte. So stieg notwendigerweise das Ansehen, das Camerarius in der europäischen Diplomatie genoß. Die Richtigkeit seiner Voraussagen trug dazu bei, daß sein Einfluß in Schweden auf Jahre hinaus in vollem Maß fortbestand, obwohl seinen Bündnisverhandlungen mit den Generalstaaten der erwünschte Erfolg versagt blieb. Der Umstand, daß alle seine Prognosen zutrafen, lieferte ihm ferner gleichsam ein persönliches Äquivalent für den ihn aufs schwerste bedrückenden scheinbar völligen Zusammenbruch der protestantischen Sache. Er empfand es sichtlich als Genugtuung, als einer der ersten die Katastrophe vorausgesagt und auf die Unzulänglichkeit der ergriffenen Maßnahmen hingewiesen zu haben. Es befriedigte ihn, daß es 1628 offenkundig wurde, daß nur so großzügige Mittel, wie er sie bereits seit 1623 als einzig sinnvoll hingestellt hatte, überhaupt als Grundlage eines Kampfes gegen die habsburgisch-katholische Macht in Frage kommen konnten. Trotz der Freude über die Rechtfertigung, die seine Konzeption 1628 und 1629 erfuhr, überwog aber in der Stimmung von Camerarius in diesen Jahren

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ganz die schwere Sorge um das weitere Schicksal der evangelischen Sache. Schon die Niederlage Christians IV. deprimierte ihn, so wenig er auch von Anfang an von den Fähigkeiten des dänischen Königs gehalten hatte. Weniger schmerzte ihn der Tod seiner beiden alten Gegner, Christians von Halberstadt und Ernst von Mansfelds, die beide im selben Jahr, 1626, starben. Doch so groß seine Abneigung gegen die beiden Kondottieren war, kam auch deren Tod ihm 1626 nicht eigentlich gelegen. Wenigstens Mansfeld hätte er gerade damals gerne weiter in Aktion gesehen. War Mansfeld doch 1626 quer durch Brandenburg nach Schlesien marschiert, um sich hier mit Bethlen Gabor zu vereinigen und den gegen Dänemark kämpfenden Kaiserlichen in den Rücken zu fallen. Camerarius hatte eventuell diesen Plan immerhin so merklich gefördert, daß er beziehungsweise Männer wie Bellin, die ihn dabei unterstützt haben sollten, sich deswegen in Berlin mißliebig machten1. Mansfelds Aktion war möglich geworden, weil es gelungen war, Bethlen Gabor noch einmal zur Teilnahme am Kampf zu vermögen. Läßt sich des Camerarius Anteil an der Vorbereitung von Mansfelds Zug durch Brandenburg nach Schlesien nicht eindeutig feststellen, so ist es sicher, daß er an den Bemühungen, den Großfürsten von Siebenbürgen neuerdings zum Krieg zu gewinnen, in starkem Maß beteiligt war. Jetzt, wo die Verwirklichung seines alten Planes zu glücken schien, ein gleichzeitiges Vorgehen gegen den Kaiser von Nordwesten und Südosten her zustande zu bringen und einen Stoß gegen die habsburgischen Erblande und damit das Zentrum der kaiserlichen Macht zu führen, wo es möglich war, hierfür die Kondottieren einzusetzen, war deren Existenz ihm daher allenfalls lieber als in den Zeiten vorher. Auch deshalb goutierte er Mansfeld 1626 um einiges mehr als früher, weil bei dem Feldzug nach Schlesien und Ungarn sein Mitfeldherr Herzog Johann Ernst von Sachsen-Weimar war, der ältere Bruder Bernhards von Weimar, des großen protestantischen Feldherren aus den Dreißigerjahren. Nächst Georg Friedrich von Baden aber schenkte Camerarius Johann Ernst von Weimar unter den deutschen Kondottieren das meiste Vertrauen. Wie bei dem Markgrafen von Baden erklärte sich auch bei Johann Ernst die vergleichsweise Zuneigung von Camerarius aus der starken Ausprägung, die das religiöse Moment bei beiden Feldherren gefunden hatte. Daß auch Johann Ernst im Dezember 1626 in Ungarn umkam, erfüllte Camerarius mit aufrichtiger Betrübnis. Gleichzeitig enttäuschte es ihn tief, daß Bethlen Gabors Aktion, die mit Unterstützung der Kondottieren auszuführen der Großfürst unternommen hatte, aufs neue scheiterte und Bethlen Ende Dezember 1626 mit dem Kaiser in Preßburg wieder Frieden schloß. Zum dritten Mal hatten sich die auf Bethlen gesetzten Hoffnungen als irrig erwiesen. Trotzdem hörte auch nach 1626 Camerarius in der ihm eigenen Beharrlichkeit nicht auf, weiter mit dem Großfürsten zu rechnen. Allerdings geschah es von nun an immerhin mit einer noch größeren Reserve, und als Bethlen dann drei Jahre später, im November 1629, an der Wassersucht starb, ging Camerarius ohne ein Zeichen der Trauer über diesen Todesfall hinweg2. 1



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S. u. a. Camerarius an Oxenstierna, Haag 18. 8. 1626, SRA, Hollandica. Camerarius an Oxenstierna, Haag 24. 12. 1629, SRA, Ox. slg.

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Ein Lichtblick in den Nöten des Jahres 1629 war es, daß der englisch-französische Krieg, der nun schon zwei Jahre in Gang war, ein Ende nahm. Die Möglichkeit zeichnete sich ab, die beiden westeuropäischen Königreiche oder doch wenigstens eines von ihnen für die evangelisch-schwedischen Interessen zu gewinnen. Vor allem aber beherrschte, was die Rettung der protestantischen Sache betraf, Camerarius nach wie vor die Hoffnung auf Schweden; und bald sollte sich zeigen, wie berechtigt diese Hoffnung war. Hatte sich Gustav Adolf doch, nachdem er bereits im November 1627 kurze Zeit drauf und dran gewesen war, zu Gunsten Christians IV. in den Krieg einzugreifen, schon seit Juli 1628 durch ein Hilfskorps in Stralsund engagiert. Ferner kam im September 1629 in Altmark ein sechsjähriger, günstiger Waffenstillstand mit Polen zustande, der Schweden freie Hand für eventuelle Aktionen in Deutschland verschaffte. Schon im Juli 1629 hatte der schwedische Reichstag und im November des gleichen Jahres der Reichsrat einem eventuellen Krieg in Deutschland zugestimmt. Im Winter von 1629 auf 1630 kamen Gustav Adolf und Oxenstierna nach langen Erwägungen dann zum endgültigen Kriegsentschluß. Im April 1630 begannen die schwedischen Waffenhandlungen gegen die kaiserlichen Truppen auf Rügen. Ende Mai verabschiedete sich Gustav Adolf in Stockholm von den Reichsräten. Anfang Juli 1630 landete er mit einer starken Armee in Pommern. Der große Krieg in Deutschland unter schwedischer Führung nahm seinen Anfang, für den Camerarius unermüdlich geworben und den er jahrelang ersehnt hatte. Man hat den Eindruck, daß er 1628 und 1629 trotz aller Beharrlichkeit, mit der er nach wie vor mit dem endlichen Eingreifen Schwedens rechnete und dasselbe anstrebte, zuguterletzt nach den vielen Enttäuschungen und immer wieder erfolgten Verschiebungen der Aktion selber nicht mehr so fest und mit solchem Schwung auf die Hilfe Gustav Adolfs für den deutschen Protestantismus zu hoffen wagte wie in den Vorjahren. Es mochte hierbei der Umstand mitwirken, daß er 1628 und 1629 während der aufreibenden Bündnisverhandlungen mit den damals ja sogar einen neuerlichen Waffenstillstand mit Spanien erwägenden Generalstaaten klarer als früher die Schwierigkeiten erkannte, die sich dem Unterfangen in den Weg stellten, andere Mächte zur Unterstützung Schwedens zu vermögen. Wie in dem Anflug von Skepsis, der 1629 auch sonst trotz aller nach wie vor für ihn charakteristischen Hoffnungsfreudigkeit bei ihm zu beobachten ist, machte sich auch hier die Tatsache geltend, daß er als schwedischer Gesandter wieder um eine Spur realistischer dachte als in der Zeit, da er die pfälzische Exilpolitik zu leiten hatte. Ferner fühlte sich Camerarius, obwohl, wie dargelegt, die gesamtevangelischen, die pfälzischen und die schwedischen Interessen in seiner Vorstellung aufs engste verbunden waren, 1629 vielleicht doch etwas mehr zur Rücksichtnahme auf die Belange Schwedens und einer daraus sich folgernden Vorsicht bei dem Rat zu so weitreichenden Entschlüssen wie dem Krieg in Deutschland verpflichtet als in den Jahren, da er noch kein offizielles Amt als hoher schwedischer Diplomat bekleidete. Anders ausgedrückt: Für den amtierenden schwedischen Botschafter war in vieler Hinsicht eine größere Zurückhaltung geboten als für den pfälzischen Exilminister, wenn andererseits auch sein Einfluß in Stockholm

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jetzt um vieles größer war. Doch schlankweg Vorschläge machen und versuchen, den König, den Kanzler und die Reichsräte zur Ausführung der eigenen Ideen zu bereden, ging nun nicht mehr so ohne Weiteres an wie früher. Wie es aber auch im einzelnen um die Motive für die verhältnismäßige Zurückhaltung stehen mag, die Camerarius übte, soviel ist offensichtlich: Er wagte es in seinen Schreiben an Oxenstierna, an Gustav Adolf und dessen Sekretäre 1628 und 1629 nicht mehr, mit derselben Intensität und gleichen Beredsamkeit und deutlichen Offenheit wie in den Vorjahren für das Eingreifen Schwedens in den deutschen Krieg zu plädieren. Daran freilich ließ er keinen Zweifel, daß er dasselbe nach wie vor für notwendig hielt. Doch er gab seine Ansicht nur noch in behutsamerer Weise kund als bisher. Offener wäre er wahrscheinlich geworden, hätten Gustav Adolf oder Oxenstierna eine direkte Anfrage an ihn gerichtet und ausdrücklich seinen Rat eingeholt. Doch allem Anschein nach unterblieb ein solcher Schritt. Daran ließen die schwedischen Staatslenker zwar Camerarius gegenüber keinerlei Zweifel, daß die Bündnisverhandlungen, denen er sich zu widmen hatte, zu einem guten Teil dem Ziel dienen sollten, die vordringende katholische Macht wieder einzudämmen; und auch dies wurde in ihren Direktiven deutlich, daß sie zu diesem Zweck noch ernstlicher als früher an eine große schwedische Kriegsexpedition nach Deutschland dachten. Doch im einzelnen erwogen sie mit Camerarius nicht noch einmal das Für und Wider und ließen ihn auch zunächst über ihre definitiven Entschlüsse und den Termin ihres Eingreifens noch im Unklaren. Camerarius aber war offenbar so klug, sich zu sagen, daß seit 1628 die Entwicklung zur Genüge für sich selbst und seine Thesen sprach, daß jetzt nicht mehr so intensive Hinweise wie in den Vorjahren nötig waren3. Hiermit dürfte es auch zusammen gehangen haben, daß König und Kanzler, soweit sich sehen läßt, darauf verzichteten, noch einmal die Meinung von Camerarius einzuholen, so wie sie es während der evangelischen Allianzunterhandlungen von 1624 auf 1625 und auch später noch häufig getan hatten. Die Ansichten von Camerarius über die Notwendigkeit des Eingreifens in den deutschen Krieg ebenso wie über die Art eines eventuellen Vorgehens waren durch die vorgängigen Diskussionen ja bereits zur Genüge bekannt. Ferner hatten die langen Vorverhandlungen, an denen Camerarius maßgeblich beteiligt gewesen war, schon in weitgehendem Maß alle jene für die Vorbereitung und die ersten Handlungen des Feldzuges nötigen Fragen geklärt. So konnte Camerarius sich mit Recht sagen, daß er am Eingreifen Schwedens in den deutschen Krieg einen immerhin nicht ganz unwesentlichen Anteil hatte, auch wenn er bei der letzten Entscheidung nicht mehr ausdrücklich befragt worden war. Und es war deshalb so unberechtigt nicht, wenn ein gewisser Stolz über das Gelingen einer lange gehegten Absicht in der Ansprache anklang, in der er am 26. Juli 1630 den Generalstaaten 3



Nach manchem läßt sich annehmen, daß Gustav Adolf und Oxenstierna in der Zeit kurz vor dem Eingreifen Schwedens in den deutschen Krieg Camerarius, anstatt im einzelnen ihre Kriegspläne mit ihm zu beraten, dazu gebrauchten, ihre kriegerischen Absichten verschleiern zu lassen, so, wenn sie durch ihn ausstreuen ließen, eine schwedische Besatzung in Stralsund sei Wallenstein lieber als eine dänische; s. hierüber Ahnlund, Oxenstierna, 499 u. ö.

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offizielle Mitteilung vom Angriff Gustav Adolfs auf die kaiserlichen Positionen in Norddeutschland machte4. Wurde Camerarius bei dem endlichen Entschluß zum Eingreifen in den deutschen Krieg nicht konsultiert, so forderte man um so ausführlicher seinen Rat bei den Verhandlungen über die Bündnisse, die das große Beginnen Gustav Adolfs unterstützen sollten. Die Auseinandersetzung mit den niederländischen Behörden lag naturgemäß vornehmlich in seiner Hand. Doch auch bei den Unterhandlungen mit England und Frankreich hatte er mitzusprechen. Es kennzeichnet die Wertschätzung, die er in Schweden nach wie vor genoß, daß ihm nach dem Wunsch Gustav Adolfs und Oxenstiernas nicht nur weiter das niederländische Bündnisgeschäft obliegen sollte, sondern daß er eigentlich auch dazu ausersehen war, im Haag die Allianzverhandlungen mit Frankreich zu führen, ein Plan, der sich dann freilich nicht verwirklichte, weil die Umstände es mit sich brachten, daß das Wichtigste direkt am Hofe Gustav Adolfs und in seinem Feldlager erledigt wurde. Ferner half Camerarius die englisch-schwedischen Verhandlungen einleiten, die 1629 und 1630 ihren Gang nahmen. Ja, von allen diplomatischen Geschäften, die ihm in dieser Zeit oblagen, galt dem englischen Vermittlungsversuch vielleicht seine wärmste Anteilnahme. Daß dem so war, hing damit zusammen, daß er der Persönlichkeit, die König Karl von England mit der Aufgabe betraute, ein gesteigertes Vertrauen entgegen brachte, daß die Gesinnung des englischen Vermittlers Sir Thomas Roe in hohem Maß mit seiner eigenen harmonierte. Schon Anfang Januar 1629 äußerte sich Camerarius Oxenstierna gegenüber ein erstes Mal äußerst angetan über Roe: „Cum ante paucos dies, pro more inter Legatos recepto, Britannicum, qui diu Constantinopoli fuit, inuiserem, multus inter nos sermo fuit de Republica et Sua Regia Maiestate Domino nostro clementissimo. Vir est humanus, prudens, multa experientia prudens, et, quod caput est, erga communem causam nunc adeo periclitantem suamque Regiam Maiestatem optime animatus“5. Roe war 1629 Camerarius schon lange als ein warmer Freund der pfälzischen Sache bekannt. Bereits zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges hatte Roe ja in einer Flugschrift für Friedrich V. zu werben gesucht und sich in England stets aufs wärmste für die pfälzischen Interessen eingesetzt. Bei seinem Bemühen um die pfälzische Sache hatte ihn von Anfang an zum Teil das gesamtevangelische Interesse bestimmt. Noch mehr aber hatte anfangs die ritterliche Begeisterung für die schöne Elisabeth Stuart mitgesprochen, der chevalereske Wunsch, ihr und ihrem bedrängten Gemahl zu helfen, und den pfälzischen Wittelsbachern ihre dynastischen Rechte zu erhalten. Diesen Geist atmet ein Brief, in dem Roe auf den Dank der Königin für seine Flugschrift antwortete: „I am ready to serve your Majesty to deathe, to poverty, and if you shall ever please to command, I will be converted to dust and ashes at your Majesties feet … Perhaps here I may blow up fires or doe somewhat … With all humility I beseech you give me leave to kiss the hands of his Majesty, whose acceptance of my little labour in the defence of his 4 5



Über die Rede im einzelnen s. Aitzema, a. a. O. 1029. Camerarius an Oxenstierna, Haag 5. 1. 1629, SRA, Ox. slg.

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cause in writing cannot farther oblige mee, for I am as ready to dye in his cause as any man living, and rather to shed blood than inck. I have this reason, besides that he is your Majestie’s, that I thinke him the bravest Prince on earth“6. Roes Brief offenbart Gedankengänge, wie sie Camerarius durchaus nicht lagen, ja wie sie seinen eigenen in vieler Hinsicht geradezu entgegenliefen. Es war die dynastisch-chevalereske Tendenz in reiner Ausprägung, die Roe hier vertrat. Mächtig stand sie bei ihm stets neben den konfessionellen Gesichtspunkten. Wie stark aber auch die letzteren waren, erfuhr Camerarius vielleicht erst in aller Deutlichkeit bei dem Diplomatenzirkel im Haag um die Jahreswende von 1628 auf 1629. Mit lebhaftem Interesse nahm er hier ferner Roes Mitteilungen über die südosteuropäischen Verhältnisse entgegen. Bis 1628 hatte Roe als englischer Gesandter bei der Pforte gewirkt7. Auch mit Bethlen Gabor hatte er in dieser Zeit immer wieder verhandelt. Es war sozusagen Wasser auf Camerarius’ Mühlen, als Roe ihm eröffnete, Bethlen Gabor plane einen neuen Kriegszug gegen den Kaiser und wolle gern dabei mit Schweden zusammenarbeiten8. Für eine gemeinsame schwedisch-siebenbürgische Operation gegen die kaiserlichen Erblande trat Roe ein, die Dänemark und die Niederlande bei ihrem Kampf entlasten sollte. Roe wollte sich für eine finanzielle Unterstützung dieses Unternehmens bei seinem König einsetzen, und in langen Gesprächen suchte er auch Prinz Friedrich Heinrich von Oranien für die Wiederaufnahme des alten Projektes zu gewinnen. Gleichzeitig sagten Camerarius, wie schon angedeutet, höchlich die aktiv protestantischen Anschauungen zu, die Roe an den Tag legte, sowie sein ausgeprägter Sinn für die Gemeinsamkeit der Anliegen aller evangelischen Länder. Ebenso zog ihn der politische Idealismus des Engländers an, wenn derselbe auch einen romantisch-chevalereskeren Zug hatte, als er Camerarius eignete. Es erfüllte ihn deshalb mit immerhin lebhafter Anteilnahme und warmer Hoffnung, als Roe in England tatsächlich bei König Karl Interesse für seine Planungen fand und ihm im Mai 1629 aufgetragen wurde, nach Preußen in das Feldlager Gustav Adolfs zu reisen, um zunächst einen Waffenstillstand zwischen Schweden und Polen vermitteln zu helfen, der dem Wasa freie Hand für größere Unternehmungen gegen die Habsburger verschaffen sollte, und weiter das Terrain für etwaige Abmachungen zu sondieren. Die Möglichkeit zu einer betont konfessionellen Allianz und gleichzeitig zu einem Stoß gegen das Zentrum der kaiserlichen Erblande oderaufwärts sowie von Südosten her, die Möglichkeit einer neuerlichen Inbesitznahme Böhmens tauchte damit noch einmal in der Ferne auf. Es war eine Aussicht, die den eigensten und ursprünglichsten Wünschen von Camerarius entsprach. Nur natürlich ist es deshalb, wenn er das Projekt mit warmem Interesse verfolgte und förderte, soweit es ihm möglich war. Doch wird hier sogleich ein bemerkenswerter Gegensatz zu der Haltung deutlich, die er fünf Jahre früher einnahm. Geradezu mit Begeisterung hatte er sich 6

Zitiert nach Oman, a. a. O. 212 f. Seinen Scharfblick und Witz erwies er in dieser Zeit unter anderem dadurch, daß er als einer der ersten oder vielleicht sogar überhaupt als der erste vom kranken Mann am Bosporus sprach, s. Ahnlund, Oxenstierna 544. 8 S. Camerarius an Oxenstierna, Haag 5. 1. 1629, SRA, Ox. slg. 7

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damals dem Gedanken einer großen evangelischen Allianz gewidmet, und seine Pläne waren nicht weniger utopisch gewesen als diejenigen, denen Roe 1629 nachtrachtete. Nun hingegen stand er dem Vagen an einem Plane gemeinsamen Vorgehens und einer umfassenden Koalition, den Roe hegte und für den auch er selbst im Grunde seines Wesens noch immer außerordentlich viel übrig hatte, bei allem sonstigen Wohlwollen mit offener Reserve gegenüber. Dementsprechend hatte er schon im Januar 1629 Roe gesagt, „nisi Regis Sueciae consilia maiore respectu in Anglia quam antea haberentur, et subsidia pecuniaria parata ac certa essent, Suam Maiestatem excusationem in promptu habituram, cur aliorum defensionem aut restitutionem propriae saluti praeferre nequeat“9. In gleichem Sinn äußerte er sich auch fernerhin Roe ebenso wie Oxenstierna und Gustav Adolf gegenüber. Bei den beiden letzteren erwies sich, was Camerarius nicht voraussehen konnte, in Sachen der Aktion von Roe eine gewisse Zurückhaltung auch deshalb als nicht unvorteilhaft, weil der englische Gesandte in seiner etwas prompten und zugleich auch wieder schulmeisterlichen Art und angesichts des Fehlens wirklich greifbarer Zusagen von Seiten König Karls Gustav Adolf und die anderen schwedischen Herren in manchem verstimmte, soviel Verständnis sie auch andererseits für Roes ehrliche Begeisterung und seinen glühenden Eifer für die protestantische Sache aufbrachten. Wenn Roe vielerorts ein wenig aneckte und keinen rechten Erfolg mehr zu verzeichnen hatte, so hing dies einerseits mit besonderen Eigenheiten seiner Persönlichkeit zusammen, die Camerarius nicht mit ihm teilte und die ihn deshalb durchaus nicht berühren brauchten. Vieles erklärte sich aber auch aus dem für Roe wie Camerarius charakteristischen politischen Idealismus. Indem derselbe sich bei Roe mit einem ungleich romantischeren Zug verband, als er sich bei Camerarius fand, nahm er eine in mancher Hinsicht ungebärdigere Form an und führte noch leichter zu Komplikationen, als das schon bei der Einstellung von Camerarius der Fall war. Doch in der Anlage sozusagen war das diplomatische Handeln von Camerarius stets gleichen Gefahren ausgesetzt, ein Tatbestand, den dieser richtig gefühlt zu haben scheint. Hieraus erklärt sich zum Teil die warme Sympathie, die er mit Roes Schicksalen hatte. Seine Zuneigung dürfte ferner aus dem Umstand hergeflossen sein, daß sich bei Roes Aktion endgültig zeigte, wie jener Plan einer alle großen protestantischen Mächte einbeziehenden Allianz und in zweiter Linie die Absicht eines Vorgehens gegen das Zentrum der kaiserlichen Erbländer gleichzeitig von Norden und Südosten, zwei Anliegen, die Camerarius so lange gänzlich erfüllt hatten und die ihm noch immer am Herzen lagen, sich in der Weise, wie sie den evangelischen Allianzpolitikern eigentlich vorgeschwebt hatte, schwerlich verwirklichen ließen. Camerarius erkannte an Roes Mission aufs neue, daß seine Abkehr von dem festen Vertrauen auf Koalitionen richtig war. Von einer solchen Abkehr aber läßt sich sprechen, wenn man den immerhin weitgehenden Allianzglauben, der Camerarius während der evangelischen 9



Camerarius an Oxenstierna, Haag 15. 3. 1629, SRA, Ox. slg.

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Bündnisverhandlungen beseelte, vergleicht mit der relativen Skepsis, die er in dieser Frage Ende der Zwanzigerjahre an den Tag legte. Es wurde schon gesagt, wie ihn vornehmlich die Schwierigkeiten, die er bei den niederländischen Bündnisverhandlungen durchzukosten hatte, erkennen ließen, welche Hindernisse einem so effektiven Zusammengehen der protestantischen Mächte im Wege standen, wie er es noch 1625 bei geringerem Einblick in den Sachverhalt für erreichbar oder doch mindestens ernstlich erstrebenswert gehalten hatte. Die Ansicht, daß es das beste sei, wenn Gustav Adolf die Oberleitung des Feldzuges möglichst allein übernähme, hatte er allerdings auch schon damals vertreten. Doch allenfalls hatte er bei den evangelischen Allianzverhandlungen 1624 und 1625 zwei getrennte Armeen unter verschiedenem Kommando gelten lassen, und was das Wichtigste war, er hatte an sehr weitgehende Hilfsleistungen aller großen protestantischen Mächte gedacht, so daß finanziell die Kriegslast ziemlich gleich verteilt gewesen wäre. 1629 hingegen hielt Camerarius es nicht mehr für möglich, bei den protestantischen Mächten Hilfsleistungen zu erlangen, die zu einer derartigen annähernd paritätischen Übertragung der Kriegskosten geführt hätten. Er sah es vielmehr kommen, daß Schweden allein die Hauptlast auf sich zu nehmen haben würde. Denn von der Leistungsfähigkeit der deutschen Fürsten hielt er, jedenfalls für den Beginn des Feldzugs, nicht allzu viel. Die Aufgabe, die Gustav Adolf zufiel, erschien ihm damit 1629 um vieles schwerer als vier oder fünf Jahre vorher, zumal die katholische Macht inzwischen noch gewachsen war. Auch dieser Gesichtspunkt dürfte mitgesprochen haben, wenn Camerarius 1629 bei seinen Ratschlägen eine vergleichsweise Zurückhaltung übte. War also, wie Camerarius Ende der Zwanzigerjahre zur Genüge erprobt hatte, von den großen protestantischen Ländern fürs erste kaum entscheidende Hilfe zu erwarten, so stand er ebenfalls sehr skeptisch der Möglichkeit gegenüber, von Frankreich wesentliche Unterstützung zu erlangen. Diese Skepsis teilte er zunächst mit zahlreichen schwedischen Persönlichkeiten, unter anderem mit Oxenstierna und dem König selbst. War man doch seit 1610 an den schwankenden und schwachen Regierungskurs Marias von Medici gewöhnt gewesen. Seit 1624 lagen allerdings die Geschicke des Staates in den festen Händen Richelieus. Doch ob seine Macht wirklich stark und von Dauer war, ließ sich 1629 noch keineswegs unbedingt sagen. Zumal ferner stehende Beobachter konnten es schwerlich eindeutig erkennen, da ja auch in Frankreich selbst immer wieder mit dem Sturz des Kardinals gerechnet wurde, und Richelieus Macht 1630 tatsächlich noch einmal beinahe zu Ende gewesen wäre. Daß jedoch die neue Politik Frankreichs nur auf Richelieus Persönlichkeit basierte, stand fest. Was nun aber den politischen Kurs des Kardinals betraf, so war es zwar vom schwedisch-protestantischen Standpunkt aus höchst erfreulich zu sehen, wie er 1629 und dann wieder 1630 Frankreich zu energischem kriegerischen Vorgehen gegen die habsburgische Macht bei dem mantuanischen Erbfolgestreit in Ober­ italien brachte. Jedoch fragte sich, ob es sich dabei nur um eine zeitlich und räumlich begrenzte kleinere Aktion handelte oder wirklich, wie es dann tatsächlich der Fall war, um einen beginnenden Kampf großen Stils. Der Verdacht lag

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zunächst noch nahe, daß der katholische Glaube, den Richelieu und die Bourbonen mit den Habsburgern teilten, den territorialen Gegensatz wieder überbrücken würde. Gerade bei einem Minister wie Richelieu, der gleichzeitig Kardinal war, sprach viel für die Vermutung, daß bei ihm das konfessionelle Moment so stark sein würde, daß es ihn auf die Dauer an einem energischen Zusammengehen mit der schwedisch-protestantischen Partei hinderte. Die scharfen Maßnahmen, die der Kardinal soeben gegen die Hugenotten ergriffen hatte, mußten diese Annahme verstärken. Kein Wunder also, wenn zunächst die Sorge, daß sich auf Frankreich nicht fest bauen ließ, in Schweden von vielen gehegt wurde. Obwohl mithin ein starkes Mißtrauen anfangs am schwedischen Hof und in der schwedischen Regierung weit verbreitet war, scheint es jedoch, als habe Camerarius von Anfang an besonders starke Bedenken gehabt und geltend gemacht. Diese Bedenken aber wogen offenbar bei Gustav Adolf und Oxenstierna schwer. Denn mehrmals wurde ausdrücklich sein Rat in Sachen des Bündnisses mit Frankreich gefordert. Ihm fiel die Aufgabe zu, diesbezügliche Erkundigungen einzuziehen und lange Gutachten zu verfassen. Ja, auch ein Teil der direkten Bündnisverhandlungen sollte, wie schon erwähnt, eigentlich in seine Hand gelegt werden. Man kann es mithin sagen: Wenn die schwedische Politik nur mit äußerstem Zögern die Annäherung an Frankreich vollzog und mit besonderer Genauigkeit darauf sah, daß die Abmachungen, die schließlich zustande kamen, so sorgfältig und für Frankreich bindend wie möglich formuliert wurden, so hatte Camerarius an dieser gesteigerten Bedachtsamkeit nicht unwesentlichen Anteil. Es ist, wenn man seine Persönlichkeit und Entwicklung kennt, nicht schwer, die Motive aufzufinden, aus denen sein gesteigertes Mißtrauen herfloß. Vor allem ist der Umstand zu nennen, daß in seinem Denken nach wie vor ganz das religiöse Moment vorherrschte. So stark war die konfessionelle Tendenz noch immer bei ihm – und so mächtig sollte sie bis zum Ende seines Lebens bleiben –, daß es ihm im höchsten Maß gefährlich schien, sich auf einen Kardinal und – in zweiter Linie – einen katholischen König zu verlassen. Ferner machten sich in seiner Skepsis die Enttäuschungen geltend, die er als pfälzischer Geheimer Rat bei allen Bemühungen um französische Unterstützung immer wieder erlebt hatte. Damit verband sich die Erfahrung, daß Frankreich, auch wenn es Aktionen gegen Spanien und den Kaiser unternahm, sich in Deutschland lieber auf die katholischen als die protestantischen Reichsstände stützen wollte. Mit Recht fürchtete Camerarius, daß Frankreich auf Kosten der pfälzischen die bayrische Macht zu erhalten suchen würde und daß die pfälzischen Anliegen in Gefahr waren, bei einem französisch-schwedischen Bündnis zu kurz zu kommen. Schließlich spielte, wenn auch wohl nicht in entscheidender Weise, seine Fremdheit gegenüber allem Französischen mit sowie seine Abneigung gegen die glatte höfische Bildung französischer Provenienz und die macchiavellistisch-rationalistische Form der Diplomatie, die in Frankreich zu verstärkter Ausbildung gelangte. Mit dieser Abneigung dürfte vor allem die scharfe Kritik zusammengehangen haben, die Camerarius an dem französischen Abgesandten Hercule de Charna-

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cé, einem Verwandten Richelieus, übte, der 1629, gleichzeitig mit Roe – Charnacé langte sogar einige Wochen früher an – bei König Gustav Adolf erschien, um in Richelieus Auftrag die Verhandlungen über ein Zusammengehen gegen das Haus Habsburg einzuleiten und den schwedisch-polnischen Waffenstillstand vermitteln zu helfen. Ganz im Gegensatz zu Roe fand Charnacé, obwohl er soviel erfolgreicher war als der Engländer, durchaus nicht die Sympathie von Camerarius. „Charnasseus, Cardinalis Richelij patruelis … non admodum sincerus esse dicitur exploratoris potius quam Legati officio functurus. Sed Rex Sueciae procul dubio iam ipsius ingenium perspectum habet, et nisi … obtulerit, aut cambij literas a Rege Galliae attulerit, Suae Regiae Majestati imponere non poterit“, schrieb Camerarius schon am 15. Mai an Oxenstierna10. Die Warnungen setzten sich dann das ganze Jahr über fort und verbanden sich mit ausführlich vorgetragenen Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit Richelieus und der Möglichkeit, zu einem wirklich tragfähigen Bündnis mit Frankreich zu gelangen. In besonders anschaulicher Weise treten die Ansichten von Camerarius zutage in einem ausführlichen Gutachten an Oxenstierna, das wohl in der Mitte oder in der zweiten Hälfte des Jahres 1629 abgefaßt wurde11. Datum, Absendeort und Unterschrift des Briefes sind in Chiffren angegeben, die sich nicht eindeutig entschlüsseln lassen. Trotzdem ist anzunehmen, daß es sich um ein direktes Schreiben von Camerarius handelt und nicht etwa um die von ihm angefertigte Kopie eines Berichtes von einem Dritten. Das genaue Datum des Berichtes muß hingegen offen bleiben ebenso wie die Frage, ob der Brief etwa während oder nach einer kurzen Reise nach Frankreich geschrieben wurde, was nach dem ersten Satz des Gutachtens allenfalls denkbar wäre – sofern kein Schreiboder Chiffrenfehler vorliegt –, wofür aber in den übrigen Briefen und Äußerungen von Camerarius keine Anhaltspunkte vorhanden sind. Falls tatsächlich eine Frankreichreise von Camerarius – es wäre die einzige seines Lebens – angenommen werden muß, läßt sich vermuten, daß sie mit den Bündnisverhandlungen in Zusammenhang stand. „Significavi nuper, cum Hagae discederem, me non prius scripturum quam cum Lutetiam venirem“, begann Camerarius seinen Bericht, dessen hauptsächliche Passagen hier wiedergegeben werden sollen, weil das Schreiben so klar wie kaum ein zweiter Brief die Stellung erhellt, die Camerarius zu Beginn der Allianzgespräche mit Frankreich einnahm. „Illud nunc exsequar“, fuhr er fort, „quaedam de rerum et consiliorum statu in Gallia scripturus“. In erster Linie interessiere sich die französische Politik für den mantuanischen Streitfall, heißt es weiter, nicht so sehr, um den zu Unrecht vertriebenen Fürsten zu helfen, als um für Frankreich selbst einen Schnitt zu machen. Auch sei es offensichtlich, daß man in Paris ernsthaft bestrebt sei, den Habsburgern eins am Zeuge zu flicken, „sed ipsi auctores et patratores tantae rei esse nolunt. Aliorum labores et arma ad id advocare, ipsi tantum sub axilla, quod aiunt, et clam aliquid opis et consilij subministrare, hoc est bellum metaphysicum, ut sic dicam, gerere, et castaneas tostas ungula felis et 10

SRA, Ox. slg. SRA, Ox. slg.

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prunis extrahere, sicuti vernaculo adagio loquuntur.“ Man sieht, wie treffend Camerarius die Methode von Richelieus Vorgehen zu erfassen wußte. „Cardinalis“, fuhr er fort, „fons et origo omnium in Gallia deliberationum quamuis magnitudine et calliditate ingenij omnia se superare posse credat, successu audacior factus, tamen in Italia viam non tam facilem experitur qualem habuit in Gallia. Praeceps et inconsideratus zelus in papatu cuius incrementum omnibus rebus etiam conservationi Regni praeponunt, tantus est, ut nefas putent saniora consilia amplecti, et bellum in Hispanum munendo subinde timentes, ne per nouos motus occasionem dent, ut papatui damnum haeretici commodum accipiant“. Deshalb und aus anderen Gründen sehe Richelieu sich in Italien aufgehalten. Um so eifriger versuchten die Franzosen, in Deutschland protestantische wie katholische Reichsstände von der Freundschaft mit dem Kaiser abzubringen und neue Aktionen zu veranlassen. „Regem Sueciae inprimis ad arma in Germaniam ferenda amplissimis conditionibus propositis inuitare et exstimulare satagunt: sed nihil ex amore et intentione, ut velint res protestantium et in Germania saluas, sed ut Imperatori solummodo negotium facessant, ne manum extra Imperium protendere, et vires suas in Italiam contra Gallos effundere queat. Optarent quidem, ut Rex Sueciae et Elector Saxoniae et alij Euangelici status cum Duce Bauariae et Ligistis amicitiam amplecterentur, atque ita coniuncti (in ?) Imperatoris potentiam refraenent, sed non animaduertunt, illam coniunctionem fieri non nec Ligistas moueri posse, ut contra Caesarem insurgant“ – die Furcht von Camerarius, daß Bayern in das Bündnis einbezogen werden könnte, wird hier deutlich. Sie zeigt sich auch im Folgenden, ja sie kommt hier noch zu speziellerem Ausdruck, wenn es heißt, Frankreichs Gönnerschaft für die Liga und die ganze übrige Richtung seiner Politik, werde, wenn man sich nicht feste Zusagen geben lasse, die Restitution der unterdrückten deutschen Protestanten gefährden, ebenso wie Schweden ohne bindende Abmachungen es riskiere, von Frankreich nur ausgenützt zu werden. Im einzelnen steht hierüber in dem Bericht von Camerarius zu lesen: „In Regem Sueciae autem singularem fiduciam ponunt, persuasi Suam Majestatem facta cum Rege Poloniae pace quam suis auspicijs potissimum in eum finem promotum esse dicunt et gloriantur, bellum in Germaniam translaturum ad quod exstimulare nullo non argumentorum et promissionum genere conantur, pecuniam, arma, viros, amicitiam offerentes. Verum animus non est arcto foedere se coniungere, sed solum pecuniam menstrualem promittere, minime vero pacisci directis verbis volunt restitutionem communem (omnium?), qui in Germania oppressi sunt, quod tamen facere necesse habent, si velint sincere et seriose bellum gerere et finire. Nemo enim tam fatui cerebri est, qui non videat, nihil cum fundamento et certitudine successus, nihil cum candore et integritate agi posse, nisi prius cum iis socientur, qui restituendi sunt, et quorum interest, ut arma pro libertate et patria in Germaniam melioribus quam hactenus factum est consilijs et auspiciis transferantur. Ita autem Regem Sueciae cum Gallis acturum esse persuademur, ut ipsis integrum amplius non sit poenitere nec ullos praetextus inuenire et excogitare, quibus se ab obligatione extricent aut euoluant. Nisi

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pecuniam, quam stipulantur, realiter anticipare et deponere velint, semper in arbitrio erit causas differendi et eludendi solutionem adferre“. Denn die in Frankreich maßgebenden Persönlichkeiten seien von notorischer Wetterwendischkeit. „Nihil autem impedit magis, ne regiam et rectam viam insistant, nec cum iis, quorum maxime interest, et quos restituere debebant, se coniungere velint, quam religionis Pontificiae promouendae impetus, et quod timent offendere Ducem Bauariae cum quo arctam amicitiae et consiliorum communicationem inire occoeperunt persuasi eum in secreto cum Caesare simultates exercere, et ad Coronam Imperij exclusis Austriacis adspirare“. Ein eventuelles Kaisertum Maximilians von Bayern, um das er sich vor und bei Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges so eifrig bemüht hatte, erschien ihm also unter den veränderten Umständen durchaus nicht mehr wünschenswert. Vielleicht beherrschte ihn, was in den folgenden Jahren so entscheidend wurde, schon damals die Vorstellung, daß angesichts der inzwischen zutage getretenen Unversöhnlichkeit der Katholiken ein katholisches Kaisertum nicht mehr angängig sei, falls es tatsächlich gelingen sollte, die Habsburger zu stürzen. Vor allem aber machte sich bei Camerarius die Überlegung geltend, daß durch eine gesteigerte Machtfülle des Bayern ebenso wie durch seine Teilnahme an dem eventuellen schwedischfranzösischen Bündnis für die Pfälzer die Restitutionsmöglichkeiten allzu sehr geschmälert würden. In diesem Sinn fuhr er in seinem großen Gutachten von 1629 im Hinblick auf die Ansicht der Franzosen fort: „Si autem cum Palatino et aliis protestantibus se jungerent, aut in horum fauorem arma expedirent, non modo catholicos in imperio offensum iri, sed etiam Pontificiam religionem magnum dispendium … accepturam“. Im übrigen halte er es für so gut wie ausgeschlossen, daß es je gelingen könnte, die Liga und an ihrer Spitze Bayern vom Kaiser abspenstig zu machen. Die schlechten Erfahrungen, die er vor zehn Jahren bei diesem Unterfangen gemacht hatte, verbanden sich hier mit der Sorge, daß bei einer solchen Aktion die Pfälzer zu kurz kommen könnten. Maximilian von Bayern halte – dasselbe, was er mit den Pfälzern gemacht hatte – Frankreich nur hin, um in die Pläne der französischen Regierung einzudringen und sie an einer Unterstützung der deutschen Protestanten zu hindern. Ferner sei es seine Absicht, dabei auf den Kaiser und Spanien einen Druck auszuüben. Ernstlich aber denke er keineswegs an Abfall vom Kaiser. Höchst schwerwiegende Bedenken waren es also, die Camerarius gegen die Möglichkeit eines Bündnisses mit Frankreich ins Treffen führte. Trotzdem ging bereits der Tenor des langen Gutachtens von 1629 dahin, daß ein Bündnisvertrag durchaus förderlich und deshalb anzunehmen sei, wenn sich wirklich die bezeichneten Sicherungen erlangen ließen und wenn sich tatsächlich die französische Hilfe als vertrauenswürdig und nützlich erwies, zwei Vorbedingungen, an denen Camerarius allerdings entschieden zweifelte. Diese ernsten Bedenken, die so schwer wogen, daß Camerarius stets kurz davor stand, zu einem gänzlich negativen Urteil zu kommen, andererseits aber die Ansicht, daß, wenn die Vorbedingungen erfüllt würden, die Allianz allenfalls zu wagen sei, ziehen sich durch alle seine Schreiben in den folgenden Monaten hindurch. Allerdings fällt auf, daß er

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seine Zweifel allmählich nicht mehr ganz so deutlich hervortreten ließ. Merkbar genug klangen sie aber trotzdem noch immer an. Sehr bezeichnend für diese seine Haltung während des Jahres 1630 ist eine nur einen Satz umfassende nochmalige Stellungnahme, die er Gustav Adolf auf dessen Auffordeurng hin am 14. März 1630 übersandte12. Da der König auch seine Meinung über das Bündnis zu hören wünsche, schrieb Camerarius hier, so könne er nur das eine sagen: Er werde neuerdings Hoffnung auf die Rettung der Respublica Christiana fassen – während momentan nicht viel fehle, daß er sie ganz aufgebe –, wenn er sehe, daß Frankreich in einen wirklich ernsthaften Krieg gegen Spanien und den Kaiser eintrete. „Cum vero … Regia Majestas Tua iudicium etiam meum de tractatu foederis cum Gallia clementissime expetat, hoc tantum ex sincero corde paucis dico, si videro regem Galliae serio bellum regi Hispaniarum et Caesari facturum, me spem qua de Republica Christiana parum abest quin exciderim, denuo recepturum esse“. Nur noch auf besonderes Drängen hin und längst nicht mehr so ausführlich wie in den Vormonaten gab Camerarius hier seine Meinung kund. Ferner sind die negativen Momente seiner Beurteilung sehr viel vorsichtiger und versteckter formuliert. Zum einen scheint es, daß Camerarius Rücksicht darauf nahm, daß man in Schweden trotz aller Bedenken mit der Zeit immer mehr einer Allianz mit Frankreich zuneigte. Zum andern verschloß auch er selbst sich offenbar immer weniger der Notwendigkeit, die französische Unterstützung wenn irgend möglich zu gewinnen, da sich von anderer Seite keine entscheidende Hilfe bot. Dementsprechend war er besten Willens, soweit es an ihm war, die Allianz zu fördern, und, als ihm Ende 1629 die Aufgabe zuteil wurde, im Namen Gustav Adolfs die Bündnisverhandlungen im Haag mit dem französischen Vertreter zu führen, als der Charnacé in Aussicht genommen war, bereitete er sich, wenn auch nicht gerade mit Begeisterung, so doch mit großem Eifer auf dieses schwierige diplomatische Geschäft vor13. Eifer zu bezeigen wurde ihm dadurch erleichtert, daß in der ihm als Verhandlungsgrundlage übergebenen Zusammenstellung Oxenstiernas bereits im ersten Paragraphen ausdrücklich die Restitution Friedrichs V. als eines der Kriegsziele genannt war. Lautete doch der Artikel: „Restituantur Ordines Germaniae in pristinum jus ac libertatem, et principes suis bonis dejecti, ut Elector Palatinus, Pomeraniae, Megapoleos, Holsatiae, Duces, Marchio Badensis, Comites Oldenburgenses, Ostfrisiae atque alii, tum civitates Imperiales atque aliae, tam ad mare Balthicum et Oceanum, quam in superiori Germania, restituantur in eundem statum, in quo ante hoc bellum fuerunt“14. Von der Wiederherstellung der pfälzischen Herrschaft auch in Böhmen, auf die Gustav Adolf 1623 Camerarius Hoffnungen gemacht hatte, war in dem Memorandum freilich nichts gesagt. Doch 12

SRA, Hollandica. S. die Instruktion für Camerarius vom 19. 12. 1629 bei Moser, a. a. O. VI, 136 ff.; s. ferner die in Oxenstiernas Schrift erhaltene Zusammenstellung: „Finis seu scopus, ad quem foedus iniri debere videtur inter Reges Suecorum et Francorum, ut ei insistatur nec ab hoc recedatur nisi negocio confecto“, OSB I, 1, 536 f. 14 OSB I, 1, 536. 13

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nach den schweren Schlägen, welche die evangelische Sache inzwischen erlitten hatte, konnte selbst ein Optimist wie Camerarius auf so Hohes nicht mehr hoffen. Dementsprechend gab er 1630 offenbar auch ein weiteres Drängen auf, die schwedischen Operationen möchten nach seinem alten Lieblingsplan oderaufwärts gegen Schlesien und Böhmen erfolgen. – Außerdem war die Formulierung „quo ante hoc bellum“ gegebenenfalls ja dehnbar, da sich, wenn man es wünschte, als Kriegsbeginn auch erst die Monate nach dem Antritt der pfälzischen Herrschaft in Böhmen annehmen ließen. Ferner mußte es ihn ermuntern, daß nicht auf französischen Vorschlag hin, sondern auf das ausdrückliche Verlangen der schwedischen Regierung die Verhandlungen in den Haag verlegt werden sollten, worin Camerarius mit Recht einen Vertrauensbeweis Gustav Adolfs und Oxenstiernas sah. Voller Aktionsbereitschaft erkundigte er sich in den ersten Monaten des Jahres 1630 immer wieder, wo der französische Unterhändler bleibe15. Sein Möglichstes wollte er tun, ihn zu festen Zusagen zu bringen. Als Camerarius dann, wohl Ende März 1630 erfuhr, daß Charnacé, anstatt in den Haag zu gehen, noch einmal direkt an den schwedischen Hof gereist war, so daß aus den von Camerarius zu führenden Bündnisgesprächen nichts wurde, war er gleichwohl über diese Entwicklung nicht böse. Es beherrschte ihn damals hinsichtlich der französischen Allianzfrage eine gewisse Genugtuung darüber, daß man nicht zuletzt dank seines beständigen Mahnens und Warnens auf möglichst bindenden und weit gehenden Zusagen bestanden habe und es nun so aussähe, als müsse Richelieu auf die schwedischen Forderungen eingehen16. Was aber seine eigene Teilnahme an der Fortführung der Allianzunterhandlungen betraf, so scheint es, daß er auf dieselbe nicht gesteigertes Gewicht legte, oder es doch zumindest für ratsam fand, sich nicht über seine ausdrücklichen Aufträge hinaus darum zu bewerben, weiter an den diplomatischen Auseinandersetzungen mit Frankreich Teil zu haben. Wenn er hier Zurückhaltung übte, so dürfte neben anderem dieser Umstand mitgesprochen haben: Camerarius sah zwar ein, daß für Schweden und letzten Endes auch für die evangelische Sache ein Zusammengehen mit Frankreich erforderlich war. Er verschloß sich der Notwendigkeit einer französisch-schwedischen Allianz nicht und unterstützte das Projekt, soweit es seine Amtspflicht erforderte. Trotzdem aber war ihm das Bündnis nach wie vor zutiefst unsympathisch. Es stellte sich dabei heraus, daß seine Abneigung gegen Richelieu und das von einem Kardinal geführte Frankreich größer war als die der meisten anderen maßgebenden schwedischen Staatsmänner. Sie war – das zeigte sich ebenfalls endgültig Ende der Zwanziger- und anfangs der Dreißigerjahre – bei Camerarius so stark, daß es manchmal nicht überspitzt scheint, geradezu von einer Aversion zu reden. 15

So z. B. Camerarius an Gustav Adolf, Haag 14. 3. 1630; ders. an Adler Salvius, Haag 19. 3.1 630, SRA, Hollandica. 16 Camerarius an Adler Salvius, Haag 27. 5. 1630: „Nunc autem Gallorum res ita comparatae sunt, ut ipsa necessitas adactura eos videatur, ne Suae Regiae Majestatis praeclaras oblationes ullo pacto respuant. Sed nisi in manibus habeatis a Gallis promissa, nunquam vos ita faciles futuros esse puto, ut verba pro argento accepturi sitis“. SRA, Hollandica.

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In jedem Fall aber kann man feststellen, daß Camerarius auch in der Folgezeit, und zwar eigentlich die ganzen Jahre hindurch, die er noch als Botschafter wirkte, unter den schwedischen Diplomaten einer der größten und ständigsten Zweifler an der Aufrichtigkeit der französischen Politik war. Mit seinem Intellekt erkannte er zwar die Notwendigkeit und das Förderliche des Bündnisses mit Frankreich an. Gefühlsmäßig aber blieb er gleichwohl ein versteckter Gegner der Allianz. Wenn Camerarius es sich vielleicht auch selbst nicht eingestand, war es für ihn im Grunde doch stets ein Ärgernis, daß anstatt mit Hilfe der großen evangelischen Koalition, um die er sich jahrelang so verzweifelt bemüht hatte, die endliche, ihn in der Hauptsache trotzdem höchlich beglückende Rettung des Protestantismus in Deutschland durch Gustav Adolf nun mit Unterstützung des katholischen Frankreich und zum Teil unter den Auspizien eines Kardinals erfolgte. Der politische Idealismus und das religiöse Moment blieben in Camerarius so stark, daß er trotz der Not, in der sich die evangelische Sache befand, und obwohl unter diesen Umständen jede Hilfe hochwillkommen sein mußte, doch stets dazu neigte, es als stilwidrig zu empfinden, daß Frankreich der hauptsächliche Bundesgenosse war. Es ist bezeichnend für seine extrem protestantischcalvinische Einstellung und beweist die Richtigkeit der Vorwürfe, welche die katholische Partei gegen die Gesinnung von Männern wie Camerarius erhob, daß diesem im Grunde die gemeinsame Aktion mit dem Allerchristlichsten König mehr Skrupel bereitete als das Zusammengehen mit dem Großtürken. Allerdings ist hierbei zu sagen, daß das oft angestrebte Bündnis mit der Pforte sich nie in dem Maß realisierte wie das mit Frankreich. Solange aber die Dinge noch hypothetisch waren und sich erst in Vorbereitung befanden, machten etwaige Skrupel sich noch nicht so fühlbar geltend, traten eventuelle Schwierigkeiten noch nicht so deutlich zutage wie im Augenblick, da das Geplante in die Tat umgesetzt werden mußte. Überhaupt war 1630 und später die Realisierung alles dessen das Gebot der Stunde, was in dem Jahrzehnt vorher theoretisch, in der Form von anregenden Projekten zu erarbeiten Camerarius wichtigen Anteil gehabt hatte. Es ist für seine Persönlichkeit und Veranlagung überaus kennzeichnend und macht einen hochwichtigen Wesenszug seines ganzen Lebenswerkes aus, daß er bei der praktischen Durchführung des Geplanten nicht mehr eine so wichtige und einflußreiche Rolle spielte wie bei der Vorbereitung und bei der ersten Konzeption, obwohl er sich 1630 in einer nach außen hin sehr viel bedeutsameren Position befand als zum Beispiel 1623 und obgleich er nach wie vor das hohe Vertrauen Gustav Adolfs und Oxenstiernas genoß. Verfolgt man im einzelnen sein Verhalten in den Dreißigerjahren, so wird es offensichtlich, daß es ihm längst nicht so lag, das Projektierte in die Tat umzusetzen, als die entsprechenden Pläne schmieden und jene Konzeptionen schaffen zu helfen, auf denen schwedischerseits die 1630 beginnenden Aktionen zu einem guten Teil aufbauten. In seiner Veranlagung und nicht oder doch nur ganz untergeordnetermaßen in dem Umstand, daß ihm hinlängliche Gelegenheiten fehlten, liegt die vornehmliche Ursache dafür, daß, was ebenfalls unbestreitbar ist, Camerarius in den Dreißigerjahren innerhalb der schwedischen und darüber hinaus der pro-

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testantischen, ja der europäischen Diplomatie zwar nach wie vor eine wichtige und noch immer anregende Rolle spielte, aber gleichwohl an Bedeutung für die Geschichte der Zeit verlor. Die äußeren Zurücksetzungen, die er dann ein halbes Jahrzehnt später, nach 1634, erfuhr und die dazu führten, daß er schließlich kalt gestellt und in den Ruhestand versetzt wurde, waren zum Teil die Folgen dessen, daß seine Veranlagung und sein Können im dritten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts bessere Entfaltungsmöglichkeiten hatten als im vierten. Zwar kamen auch zu Beginn der Dreißigerjahre seine besonderen Gaben in vieler Hinsicht noch zu vollem Auftreffen. – Der betont religiöse Geist, in dem Gustav Adolf den Krieg begann, und seine Bemühungen um die Kreierung eines mächtigen Corpus Evangelicorum entsprachen durchaus den Intentionen von Camerarius, und sein Anteil am Zustandekommen dieser Haltung und dieser Maßnahmen ist wahrscheinlich immerhin bemerkenswert. – Andererseits aber zeigte sich bereits damals, daß sein vergleichsweise geringer Sinn für Realitäten und sein politischer Idealismus mit der so überaus ausgeprägten religiösen Komponente zu Schwierigkeiten führten, seitdem seit 1630 das immer wieder Geplante in wirklich effektiver Weise realisiert wurde. Es ergab sich, daß die schwedische Staatsräson in vielem rücksichtslos über seine Bestrebungen und Ideen hinwegging. Zwar hatte er, seitdem er Gesandter war, gelernt, der Staatsräson größere Rechnung zu tragen, als er es in den ersten Exiljahren getan hatte. Gleichwohl aber tat sich nun in manchem eine merkliche Divergenz auf zwischen seinen Ansichten und der schwedischen Machtpolitik. Es mußte einen so hoffnungsfreudigen Idealisten wie Camerarius enttäuschen, als er die Erfahrung machte, wie anders und weniger vollkommen die hohen Gedanken aussahen, als sie in die Tat umgesetzt wurden. Diese Enttäuschung lernten wir soeben kennen bei der Frage des französischen Bündnisses. Sie trat allem Anschein nach nicht weniger stark in Erscheinung bei dem mit dem Problem des Zusammengehens mit Frankreich in vielem zusammenhängenden Fragenkomplex der Restitution Friedrichs V. Es muß einer gesonderten Untersuchung vorbehalten bleiben, im einzelnen die Haltung zu klären, die Camerarius bei den Verhandlungen über die Rückführung der pfälzischen Wittelsbacher in ihren Besitz einnahm. Erst in dieser Sonderstudie kann auch Endgültiges gesagt werden über den Anteil, den er an der sonstigen von Schweden durchgeführten Neugestaltung der Verhältnisse im Reich hatte. In beiden Fragen seien an dieser Stelle nur Zusammenfassungen verstattet, auf deren noch nicht definitiven, sondern in manchem hypothetischen Charakter ausdrücklich hingewiesen sei. Nachträgliche Korrekturen sind hier durchaus möglich. Man weiß, welche Enttäuschung es für den Winterkönig bedeutete, als Gustav Adolf, nachdem er als Vindex Rei Evangelicae in zwei hoffnungsreichen Feldzügen bis Oberdeutschland vorgedrungen war und auch einen großen Teil des pfälzischen Besitzes zurückerobert hatte, sich 1632 nur bereit zeigte, Friedrich V. unter den drückendsten Bedingungen sein Land zurückzugeben. Geradezu ein Lehnsverhältnis zur schwedischen Krone sollte der Winterkönig eingehen und zugunsten Gustav Adolfs auf wichtige landesherrliche Rechte verzichten. Kaum

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konnte mehr ein Zweifel bestehen, daß unter so bewandten Umständen nicht nur die pfälzischen Aspirationen auf einen festen Platz im Konzert der europäischen Mächte, sondern ebenso auch die Führerrolle von Kurpfalz im deutschen Protestantismus endgültig aufzugeben seien. Nach außen hin verblieb der Umgang zwischen den pfälzischen Wittelsbachern und den Wasas zwar in den höflichsten Formen. Gustav Adolf behandelte Friedrich V., als dieser im Februar 1632 in seinem Feldlager erschien und dort, vor allem um bessere Bedingungen zu erlangen, mehrere Monate verblieb, mit hohen Ehren. Er titulierte ihn nicht nur als Kurfürst, sondern als König. Die Bedingungen, die Gustav Adolf stellte, wurden aber mit der Zeit nur immer härter. Zuguterletzt war in einigen Schriftstücken selbst von der Kurwürde nicht mehr die Rede. Tief enttäuscht und deprimiert war deshalb der Winterkönig. Hatte er doch große Hoffnungen auf das Erscheinen der Schweden in Deutschland gesetzt und sah nun plötzlich die wesentlichsten Aussichten, die sich seinem Dafürhalten nach eröffnet hatten, schwinden. Wie unbefriedigend für Friedrich die schwedischen Anerbietungen beziehungsweise Zugeständnisse waren, zeigt sich daran, daß er es ablehnte, ihnen definitiv zuzustimmen. Beim Tode Gustav Adolfs am 16. November 1632 und Friedrichs eigenem Ableben, das schon dreizehn Tage darauf erfolgte, waren die Dinge vielmehr noch in der Schwebe. Indem der Winterkönig den schwedischen Ansinnen gegenüber fest blieb, bewies er ein letztes Mal, wie er bei aller Unbedeutendheit, die ihm eignete, doch gleichzeitig über ein hohes Maß an persönlicher Würde und Festigkeit verfügte. So enttäuscht und verstimmt wie Friedrich V. selbst waren auch diejenigen seiner nächsten Vertrauten, die damals vornehmlich die pfälzische Exilpolitik zu leiten hatten. Es scheint ferner, daß auch Camerarius das schwedische Vorgehen gegen seinen ehemaligen pfälzischen Herrn unlieb war, und es liegt auf der Hand, daß er durch die Haltung Gustav Adolfs in eine schiefe Lage kam. War er es doch gewesen, der im pfälzischen Lager am entschiedensten den Anschluß an Schweden und die Hoffnung auf Gustav Adolf propagiert hatte. Nun zeigte sich plötzlich, daß die speziellen pfälzischen Interessen längst nicht in dem Maß befriedigt werden sollten, wie Camerarius es als wahrscheinlich hingestellt hatte. Sein Übergang in schwedischen Dienst war ihm neben anderem auch deshalb leicht gefallen, weil er überzeugt war, gleichzeitig weiterhin die pfälzischen Anliegen vertreten zu können. Stets hatte ihn in den folgenden Jahren die Ansicht beherrscht, daß protestantisches, schwedisches und pfälzisches Interesse im wesentlichen in eines gingen. Wenn er auch wohl manchmal die Möglichkeit geahnt hatte, daß diese Interessen eines Tages divergieren könnten, hatten ihn die Not der Zeit und die Aufgabe, zunächst einmal die Aktion in Gang zu bringen und zu diesem Zweck vornehmlich das Verbindende aller Anliegen herauszustellen, nie dazu kommen lassen, die künftig möglichen, ja wahrscheinlichen Schwierigkeiten sich voll klarzumachen und bis zu Ende zu durchdenken. Sein Idealismus und seine Hoffnungsfreudigkeit hatten ihn zudem veranlaßt, die eventuellen Differenzen als sehr viel geringer zu veranschlagen, als sie sich dann tatsächlich erwiesen. Mit Enttäuschung und gleichzeitig mit Überraschung mußte er deshalb jetzt erleben, wie eng im Raume sich die Dinge stießen, wie schwierig und

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unerfreulich es war, groß konzipierte Gedanken in die Tat umzusetzen. Durchaus bona fide hatte Camerarius stets dafür plädiert, bei der pfälzischen Restitution vornehmlich auf Schweden zu bauen. Die Intensität, mit der Camerarius immer wieder geraten hatte, sich in erster Linie an Gustav Adolf zu halten, machte angesichts der großen Enttäuschung, die das endliche Eingreifen Schwedens den Pfälzern brachte, seine Stellung gegenüber dem Winterkönig und den pfälzischen Exilpolitikern wahrscheinlich in mancher Hinsicht geradezu peinlich, ja, wenn Camerarius nicht in allen Dingen seinen Eifer für die pfälzische Sache so deutlich dargetan hätte, hätte es sogar nahe gelegen, seine bona fides in etwa in Zweifel zu ziehen. Daß solche Gedanken offenbar nicht aufkamen, hing außer mit dem Bemühen für das pfälzische Interesse, das Camerarius weiterhin in eindeutiger Weise an den Tag legte, damit zusammen, daß, wenn auch die Ausführung enttäuschte, das Eingreifen Gustav Adolfs in den deutschen Krieg pfälzischerseits gleichwohl als Erlösung empfunden wurde. So verbittert man über Gustav Adolfs harte Bedingungen und eventuell auch über die Hoffnungsfreudigkeit, der sich Camerarius in dieser Hinsicht hingegeben hatte, auch sein mochte, dies mußte man anerkennen: In glänzender Weise erfüllten sich die Voraussagen von Camerarius, daß der schwedische König in der Lage sein werde, die katholische Macht zu Boden zu werfen und den Protestantismus in Deutschland zu retten. Was des Camerarius Bemühungen um die Restitution Friedrichs V. durch die Schweden betrifft, so zeigt schon seine Stellungnahme zu dem Bündnis mit Frankreich, daß er das pfälzische Interesse stets im Auge zu behalten bemüht war. Das undatierte Gutachten für Oxenstierna von 1629, dessen wichtigste Stellen im Wortlaut wiedergegeben wurden, macht es offensichtlich, wie seine Bedenken gegen die Annäherung an Richelieu zum nicht geringen Teil von der Sorge diktiert wurden, Frankreich werde der Restitution des Pfalzgrafen Schwierigkeiten in den Weg legen und statt dessen versuchen, die bayrische Macht zu erhalten, die ja zum Teil auf Kosten der Pfälzer zustande gekommen war. Der Fortgang der Entwicklung sollte zeigen, wie berechtigt diese Befürchtung war. Auf französischen Wunsch wurde im Januar 1631 in der endlichen Formulierung des französisch-schwedischen Bündnisses, an der Camerarius offenbar keinen Anteil mehr hatte, die Verpflichtung zur Restitution der verdrängten Reichsstände so allgemein und unverbindlich wie möglich abgefaßt. Im Gegensatz zu den Artikeln, die Camerarius Ende 1629 als Verhandlungsgrundlage dienen sollten, wurde jetzt die pfälzische Restitution nicht mehr ausdrücklich genannt, und es war offensichtlich, daß Gustav Adolf in den folgenden Monaten die französische Rücksichtnahme auf Bayern in manchem teilte. Hatte Camerarius auf die Formulierung des schwedisch-französischen Bündnistraktats keinen direkten Einfluß mehr und war er offenbar auch nicht unglücklich, des Allianzgeschäftes entledigt zu sein, so brachte er doch im übrigen die pfälzischen Anliegen immer wieder in zwar vorsichtiger, aber doch beharrlicher Weise bei Oxenstierna, bei Gustav Adolf und bei dessen Sekretären zur Geltung. Schon am 15. Juli 1630 schrieb er an Oxenstierna im Hinblick auf einen damals eventuell möglich scheinenden schwedisch-kaiserlichen Ausgleich: „Si Rex Sue-

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ciae in tractatibus cum Imperatore … Regis Bohemiae quoque aliquam rationem habere vellet et posset fortassis maior huic spes esset de meliori conditione“17. Der weitere Wortlaut des Briefes macht deutlich, daß ihm eine Verständigung mit dem Kaiser ohne vorgängige Restitution Friedrichs V. nicht angängig schien. Im selben Sinn äußerte er sich in den folgenden Monaten. Nachdem dann die katholischen Armeen aus der Pfalz vertrieben waren, ging das Bemühen, eine Verständigung mit dem Kaiser vor der Restitution Friedrichs V. zu verhindern, offenbar in ein sanftes Mahnen über, den Winterkönig in den von Schweden befreiten Besitz wieder einzusetzen und die Bedingungen annehmbar zu gestalten. Es scheint, daß Camerarius mit Beharrlichkeit an das pfälzische Anliegen erinnerte und hierbei den schwedischen Staatslenkern fast bereits ein wenig lästig wurde. Diesem vergleichsweise immerhin starken Einsatz für das pfälzische Interesse entsprach es, das er Friedrich V., als dieser im Februar 1632 ins Feldlager Gustav Adolfs reiste, ein Stück Weges das Geleit gab18. Setzte sich Camerarius also in mancher Hinsicht für das pfälzische Interesse stark ein, so ist es andererseits doch offensichtlich, daß er dabei mit großer Vorsicht verfuhr. Verglichen mit dem Elan, den er in anderen ihm am Herzen liegenden Anliegen zu entwickeln pflegte, ist die Zurückhaltung auffällig, die er in der pfälzischen Angelegenheit übte. Ferner ist bemerkenswert, daß nach Johannes Kretzschmars Angaben sein Sohn Joachim (IV) Camerarius es war, der nach Gustav Adolfs Tod im Auftrag Oxenstiernas einen Teil der Restitutionsverhandlungen mit den pfälzischen Vertretern zu führen hatte19. Nach Beendigung seiner juristischen Studien war Joachim (IV) Camerarius anfangs der Dreißigerjahre unter Vermittlung seines Vaters in schwedischen Dienst getreten. Er begleitete Gustav Adolf als Page und Sekretär auf dessen Feldzügen und fungierte nach des Königs Tod als Sekretär Oxenstiernas weiter, um allmählich zu höheren Posten im schwedischen diplomatischen Dienst aufzusteigen. In Erfüllung dieser Sekretärspflichten, ziemlich am Anfang seiner diplomatischen Laufbahn war es, daß Joachim (IV) Camerarius mit den pfälzischen Unterhändlern zu tun hatte. Die Funktionen, die ihm in der Restitutionsfrage zufielen, dürften also keineswegs allzu selbständiger, sondern untergeordneter Art gewesen sein. Gleichwohl spricht es für das Vertrauen, das Gustav Adolf und Oxenstierna auch in der Frage der Wiederherstellung des pfälzischen Kurfürstentums zu Ludwig Camerarius trotz dessen Eintreten für die Interessen Friedrichs V. hegten, daß der Kanzler gerade seinen Sohn zur Ausführung diesbezüglicher Aufträge heranzog. Das Vertrauen, das die schwedischen Staatslenker auch in der für Camerarius so intrikaten pfälzischen Restitutionsfrage zu ihrem Botschafter im Haag hegten, war durchaus begründet. Zwar war es diesem, wie soeben dargelegt, überaus schmerzlich, daß die offenbar auch in seinen Augen nur zu berechtigten Wünsche der pfälzischen Wittelsbacher nur zögernd und sehr unvollständig erfüllt wurden, und er dürfte es mit Enttäuschung empfunden haben, wie über seinen 17

SRA, Ox. slg. Camerarius an Oxenstierna, Haag 13. 2. 1632, SRA, Ox. slg. 19 J. Kretzschmar, Der Heilbronner Bund, a. a. O. I, 127 u. ö. 18

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Idealismus nun die schwedische Staatsräson hinwegzugehen begann. Ferner setzte er sich zwar mit auffälliger Vorsicht, andererseits aber auch wieder mit solcher Beharrlichkeit für die Anliegen Friedrichs V. ein, daß er offenbar die Geduld der schwedischen Staatslenker bis an die Grenze und vielleicht auch schon darüber hinaus beanspruchte. Trotzdem aber ließ er keinen Zweifel daran, daß er den Tatsachen Rechnung trug und sich im Zweifelsfalle in erster Linie als Diener Schwedens betrachtete, daß er in seinem Handeln das pfälzische hinter das schwedische Interesse zurückstellte. Camerarius gelangte zu dieser Einstellung anscheinend verhältnismäßig rasch. Vielleicht vermochte er deshalb, ohne größere Schwierigkeiten diese innere Position bald einzunehmen, weil zu dem Gesichtspunkt, daß Gustav Adolf sein Brotgeber ebenso wie derjenige war, der ihm ein diplomatisches Betätigungsfeld verschaffte, wie er es sich wünschte, noch zwei weitere Momente traten: Zunächst ist hier zu nennen eine persönliche Abneigung gegen England und die Abhängigkeit von den englischen Verwandten und Ratgebern, in die Friedrich V. sich begeben hatte. Eine Antwort auf das fehlende Eingehen König Karls I. auf die schwedischen Aktionsvorschläge aber bedeuteten zum Teil die drückenden Forderungen, die Gustav Adolf an die pfälzische Restitution knüpfte. Ferner und vor allem aber dürfte der Umstand ins Gewicht gefallen sein, daß Camerarius zwar Gustav Adolfs Maßnahmen gegenüber den pfälzischen Wittelsbachern wahrscheinlich nicht behagten, daß dafür jedoch im übrigen die schwedischen Maßnahmen in Deutschland seinen Anschauungen und Wünschen durchaus entsprachen. Ja, allem Anschein nach nahm er auch noch anfangs der Dreißigerjahre einen jedenfalls bemerkenswerten tätigen Anteil daran, das System zu entwickeln, nach dem Gustav Adolf seine Stellung in Deutschland zu sichern und die Verhältnisse im Reich neu zu gestalten gedachte. Wie gesagt, endgültige und eingehendere Angaben müssen auch in dieser Frage einer gesonderten Untersuchung vorbehalten bleiben. Hier jedoch kann bereits das Folgende gesagt werden: Es ist erinnerlich, wie schon vor dem Dreißigjährigen Krieg Camerarius die fürstlichen Freiheitsrechte gegenüber dem Kaiser besonders großzügig auffaßte, wie ihm der eventuelle Widerstand gegen das Reichsoberhaupt auffällig wenig Skrupel bereitete und wie alles in allem seine Auffassung des Libertätsbegriffes zugunsten der religiösen Idee oft geradezu als reichsfremd gelten konnte. Die Verfolgung der pfälzischen Partei in den Zwanzigerjahren und die weitgreifenden, ja hybriden Maßnahmen, welche die Hofburg nach 1627 ergriff, lockerten die an sich schon nicht starke innere Bindung, die Camerarius gegenüber dem Kaiser empfand, noch mehr. So wurde es ihm nicht schwer, die Absichten gut zu heißen, ja sie entwickeln und durchführen zu helfen, die Gustav Adolf hinsichtlich einer Neuordnung der deutschen Verhältnisse hegte. Zwar liegen bekanntlich die letzten Ziele des schwedischen Königs nicht deutlich zutage. Dementsprechend wurde auch Camerarius nicht in die Notwendigkeit versetzt, sich in seinen diesbezüglichen Anschauungen endgültig festzulegen. Gleichwohl läßt sich soviel sagen, daß er offenbar bereit war, den Intentionen Gustav Adolfs bei einer Neuordnung der deutschen Verhältnisse sehr weit zu folgen, ja, daß

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es sich nicht nur um ein gedankliches Folgen, sondern oft um ein Vorangehen gehandelt haben dürfte. Bedeutete doch ein relativ fest gefügtes Corpus Evangelicorum unter schwedischem Schutz und unter schwedischer Führerschaft die endgültige Sicherung und wenigstens teilweise den Sieg des Protestantismus in weiten Teilen Deutschlands. Daß darüber das Reichsgefüge gedroht hätte, auseinander zu brechen, berührte Camerarius nicht allzu sehr. Zumindest nahm er diesen Verlust gern in Kauf für die Aussicht, daß die Causa Evangelica und die Res Publica jene schützende Stärkung erfahren würden, nach der er lebenslänglich gestrebt hatte. Ein hohes Maß an Konsequenz ist ein Kennzeichen für alle Äußerungen von Camerarius ebenso wie für die äußeren, von seinem eigenen Willen weitgehend unabhängigen Geschicke, die ihn trafen. Auch im Fortgang seines Verhältnisses zu Schweden und zu den Bestrebungen Gustav Adolfs in Deutschland legte er diese Folgerichtigkeit allem Anschein nach an den Tag. Als ein ausgesprochen scharfer Vertreter der calvinistischen Aktionspolitik hatte er das Seine dazu beigetragen, die bewaffnete Auseinandersetzung in Deutschland in Gang zu bringen. Er hatte nach Kriegsausbruch unermüdlich den Gedanken des Glaubenskrieges fortentwickelt und verstärkt. Als einer der ersten unter den protestantischen Politikern in Deutschland hatte er sein Augenmerk auf Schweden gerichtet. Früh hatte er erkannt, daß von Gustav Adolf die nachdrücklichste Hilfe zu erwarten war, und ohne Unterlaß hatte er danach gestrebt, diese Unterstützung zu erlangen und die schwedische Macht nach Deutschland herüberzuziehen. Nun stieß zwar auch er sich in der pfälzischen Restitutionsfrage an der Härte der schwedischen Staatsräson. Im übrigen aber schritt er konsequent auf dem einmal eingeschlagenen Weg weiter und tat sein Möglichstes, die evangelischen Kräfte in Deutschland zu einem festen Bundeskörper zusammenzufassen und die schwedische Vorherrschaft im protestantischen Deutschland und Europa zu etablieren. Wie er es schon bei seinen Bemühungen um die Festigung der Union und die Sicherung der protestantischen Anliegen auf den Reichstagen in Kauf genommen hatte, daß das Reichsgefüge dabei Schaden litt und die kaiserliche Macht geschmälert wurde, so war er offenbar jetzt erst recht bereit, eine noch weitergehende Lockerung der Reichsverfassung, ja geradezu eine Zerstörung derselben hinzunehmen. Sosehr er in anderem an überkommenen Formen hing, hier zögerte er nicht, das Seine dazu beizutragen, daß ganz neue Verhältnisse geschaffen wurden. Außer durch die Briefe an Oxenstierna, die er in gleicher Regelmäßigkeit und Ausführlichkeit fortsetzte, hatte Camerarius während Gustav Adolfs deutscher Feldzüge Gelegenheit, durch zahlreiche direkte Schreiben an den König und dessen Sekretäre seine Gedanken zu entwickeln. Diese Briefe, durch die Camerarius unmittelbar mit Gustav Adolfs Feldlager in Verbindung stand, erhielten eine erhöhte Bedeutung dadurch, daß, wie auch schon Ende der Zwanzigerjahre, der Kanzler sich monatelang nicht in Gustav Adolfs Umgebung befand. – 1630 blieb Oxenstierna in Preußen zurück, um die Verwaltung der hier von Schweden besetzten Gebietsteile zu leiten und die laufenden Unternehmungen zu beendigen. – Des Königs Aufenthaltsorte waren nun also, bis auch der Kanzler sich Ende

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1631 ins Reich wandte, nur noch halb so weit vom Haag entfernt als Oxenstiernas damalige Residenz. So war es nur natürlich, daß viele Direktiven von Gustav Adolf 1630 und 1631 direkt an Camerarius gingen und dieser zu der nächsten Umgebung des Königs in ein noch intimeres Verhältnis kam, als es schon in den Jahren nach 1626 bestanden hatte. Zahlreich sind jetzt seine Schreiben an Lars Grubbe, an Filip Sadler, soweit dieser sich bei Gustav Adolf aufhielt, und vor allem an Karl Banér und Johan Adler Salvius, von denen der letztere in späteren Jahren so hohen Einfluß auf das ganze schwedische Staatswesen gewinnen sollte. „Illustris vir, amicorum optime“ pflegte Camerarius ihn zu nennen, und es ist offensichtlich, daß der Gedankenaustausch mit Adler Salvius ein fruchtbarer und beide Seiten anregender war20. Doch auch mit den anderen Sekretären kam es zu wesentlichen gegenseitigen Mitteilungen. Camerarius hatte dabei vorzügliche Gelegenheit, auf diese noch relativ jungen und aufstrebenden Diplomaten einzuwirken, und wir können hier besonders gut beobachten, welchen Einfluß er auf die Entwicklung der schwedischen Staatskunst und der diplomatischen Praxis hatte. Immer wieder legte er der Umgebung des Königs seine politischen Ideen dar. Häufige Hinweise auf die besonderen Verhältnisse gab er ihr. Gleichzeitig nahm er entscheidenden Anteil an der Ausbildung von Angelegenheiten der diplomatischen Routine. Ein wesentlicher Teil der gerade damals in Gustav Adolfs Feldlager, in der Residenz des Kanzlers und in Stockholm gebrauchten Chiffreschlüssel stammte, wie schon früher gesagt, von Camerarius. Der Verkehr mit Gustav Adolfs Hauptquartier und den dort tätigen Persönlichkeiten wurde Camerarius außerordentlich dadurch erleichtert, daß sich sein Sohn Joachim damals dort befand. So konnte er vieles mündlich vorbringen lassen und wurde über alle Vorkommnisse immer auf schnellstem Weg informiert. Auch mit zahlreichen anderen Diplomaten und Agenten in schwedischem Dienst, vor allem, sofern sie deutscher Abkunft waren, stand Camerarius in dieser Zeit in nahem Konnex. Unter ihnen seien besonders der geistvolle Christopher Ludwig Rasche genannt, der Ende der Zwanzigerjahre auch als erfolgreicher Publizist hervortrat, sowie Martin Chemnitz, der Bruder von Bogislaus Philipp Chemnitz. Ferner bemühte sich Camerarius in dieser Zeit wie wohl auch schon früher, mit den höheren Staatswürdenträgern, die Schweden von Geburt waren, in nähere Berührung zu kommen. Immer wieder ließ er sich Männern wie Bielke und Skytte empfehlen21. Bei diesem letzteren Streben scheint sein Erfolg freilich nicht allzu groß gewesen zu sein. Den alteingesessenen schwedischen Reichsräten ebenso wie den im Reichsrat zum Teil repräsentierten einflußreichen schwedischen Adelsfamilien blieb Camerarius immer fremd, soweit er nicht durch Oxenstierna und dessen im Staatsdienst ja ebenfalls zum Teil hohe Stellungen bekleidende Brüder und übrige Verwandte in einige Beziehung zu diesen Kreisen gelangte. Nicht lange, und es sollte sich zeigen, welch schädliche Folgen dies für ihn hatte. 20

Der Briefwechsel befindet sich teils in SRA, Hollandica, teils in SRA, Salvii samlingen. S. z. B. Camerarius an Grubbe, Haag 11. 2. 1630, SRA, Hollandica.

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Doch fürs erste waren dieselben noch keineswegs zu spüren. Vielmehr erlebte Camerarius anfangs der Dreißigerjahre noch einmal eine Zeit, die man als einen der Höhepunkte seines Lebens bezeichnen kann. Trotz der Sorgen und Enttäuschungen, die ihm die niederländische und französische Bündnisfrage und das Problem der Restitution der pfälzischen Wittelsbacher bereiteten, und obwohl, wie dargelegt, seine Bedeutung für das allgemeine Geschehen im Vergleich mit den Zwanzigerjahren in vieler Hinsicht allmählich nachließ, genoß er des ungeachtet den Triumph in vollen Zügen, daß nun endlich der große, religiös betonte Vernichtungskrieg gegen den Kaiser und seine katholischen Bundesgenossen geführt wurde. Es befriedigte ihn tief, daß Gustav Adolf alle die hohen strategischen Fähigkeiten und die staatsmännische Genialität entwickelte, die er vorausgesagt hatte, und daß sich zeigte, wieviel sich durch ein wirklich kraftvolles Vorgehen erreichen ließ. Als dann, im Laufe des Jahres 1632, selbst Bayern erobert wurde, als Gustav Adolf – und an seiner Seite der Winterkönig – triumphierend in München einziehen konnten und das Camerarius so verhaßte Bayern zeitweise geradezu vernichtet schien, war seine Genugtuung vollkommen, und mit Eifer riet er zu möglichst scharfen Maßnahmen gegen Kurfürst Maximilian. Da machte Gustav Adolfs Tod bei Lützen im November 1632 der Hochstimmung ein plötzliches Ende. Die Nachricht erschütterte Camerarius zutiefst. Er geriet so außer sich wie vorher eigentlich nur im Herbst 1622, gerade zehn Jahre früher, als er vom Fall Heidelbergs und der Eroberung der rheinischen Pfalz hörte. Sein Entsetzen war nur zu berechtigt. Es zeigte, daß Camerarius die Dinge richtig und weitblickend beurteilte. Denn für beides, die allgemeinen politischen Anliegen, die Camerarius erfüllten, und seine eigene Laufbahn bedeutete der Tod Gustav Adolfs den Verlust der wesentlichsten Stütze. War doch der Angriffskrieg in Deutschland und die ganze forcierte Hinentwicklung Schwedens zur Großmacht, woran Camerarius für die politischen Ziele, die er verfolgte, so viel lag und worauf sich seine eigene Stellung im schwedischen Staatswesen zum guten Teil gründete, des Königs eigenstes Werk. Entsprach doch ferner die Wesensart von Camerarius den Wünschen und der Geistigkeit Gustav Adolfs in besonderem Maß. Sein Tod führte dazu, daß die schwedischen Kriegsziele eingeschränkt werden mußten. Die großen Planungen für eine Umgestaltung aller Verhältnisse in Deutschland, in die Camerarius anscheinend in wesentlicher Weise verwickelt war, wurden zum Teil hinfällig; und vor allem trat mit einer gewissen Notwendigkeit die religiöse Idee in der schwedischen Politik wieder weiter zurück. Statt dessen kamen die speziellen schwedischen Nationalinteressen wieder in reinerer Weise zur Geltung. Eine Entwicklung nahm damit vom Tode Gustav Adolfs ihren Ausgang, die mit der Zeit dazu führte, daß Camerarius an Einfluß verlor und schließlich zurücktreten mußte, womit freilich nicht unbedingt gesagt ist, daß er in jedem Fall länger reüssiert hätte, wenn Gustav Adolf am Leben geblieben wäre. Gut möglich ist es aber immerhin. Für die nächsten, wenigstens die folgenden zwei Jahre blieb sein Einfluß freilich ohnedies in ziemlich vollem Maß erhalten. Es bewährte sich jetzt außerordentlich, daß Camerarius nicht nur in Gustav Adolf, sondern auch in Oxenstier-

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na einen warmen Gönner besaß. Wenn er im übrigen auch nicht mit dem nach des Königs Tod wieder maßgebender werdenden heimischen Adel und den aus diesem hervorgegangenen Reichsräten warm geworden war, so war ihm doch wenigstens das fördernde Wohlwollen des Kanzlers sicher. Bis an sein Lebensende blieb es ihm erhalten, und zunächst führte es dazu, daß sein Einfluß in der schwedischen Diplomatie fortbestand. Hatte doch auch unter den neuen Verhältnissen sein Rat für Oxenstierna offenbar keinen geringen Wert. Denn die Kriegsziele mußten zwar eingeschränkt werden. Trotzdem aber war es für Oxenstierna eine beschlossene Sache, daß die in Deutschland unternommenen Anstrengungen auf die Dauer für Schweden fruchtbar gemacht werden mußten. Es galt, ein System zu schaffen, wie es im Heilbronner Bund dann tatsächlich zustande kam, das es Schweden ermöglichte, mit geringeren eigenen Mitteln den Krieg fortzusetzen und die Führung der deutschen Protestanten weiter in der Hand zu behalten. Bei dieser Umstellung aber scheint Oxenstierna auch Camerarius in wesentlicher Weise herangezogen zu haben. Lebhaft war die diesbezügliche Korrespondenz, die dieser in Oxenstiernas Auftrag mit deutschen Fürsten unterhielt, und mehrere Gutachten mußte er dem Kanzler über die neuen Bündnismöglichkeiten liefern. Auch suchte er weiterhin, und allmählich offenbar mit wenigstens etwas besserem Erfolg, in der pfälzischen Angelegenheit zu vermitteln, die ihm auch nach Friedrichs V. Tod Ende November 1632 ein Herzensanliegen blieb. Immer wieder suchte er, Friedrichs Witwe, Elisabeth Stuart, zu helfen und für den jungen Karl Ludwig, den Sohn und Nachfolger Friedrichs, das beste herauszuholen. Entsprechend der Bedeutung, die Camerarius in den ersten Jahren nach Gustav Adolfs Tod für die schwedischen Interessen behielt, wurde er Anfang Februar 1633 vom Reichsrat in seiner Stellung bestätigt und feierlich dazu aufgefordert, in seinen treuen Diensten für die schwedische Krone fortzufahren22. „In quo maerore et animi aegritudine versemur ob immaturam mortem Sacrae Regiae Majestatis Domini nostri beatissimae gloriosissimaeque memoriae“, hieß es, „qui … pro communi Evangelicorum salute fortiter dimicans proh dolor occubit, id rectius D. T. considerandum relinquimus. Nos certe obitum tanti Regis eo vehementiori affectu prosequimur, quo ille ampliandis patriae incrementis et vindicandis oppressis Evangelicis in Germania intentior fuit. Sed quia nihil in rebus humanis est fixum aut stabile, et Deo placuit immensae cladis huius mixtura omnium bene animatorum spem ac vota turbare, merito divinam curam veneramur, inque eius voluntate acquiescimus. Quandoquidem autem rebus sic stantibus non defuturi sunt quietis nostrae turbatores, qui quocunque modo poterint statum Regni huius evertere conabuntur, amice itaque a D. T. requirimus, ut concreditas ei vivente divae memoriae Rege Nostro officij partes, non minus in posterum sibi commendatas esse patiatur, et si quid inclyto huic Regno imminere periculi, vel adversum illud agitari deprehenderit, mature indicare, et pro qua industria inque rebus gerendis dexteritate, quantum in ea fuerit, avertere 22

Jakob de la Gardie, Gabriel Oxenstierna, Peter Banér und Nicolas Flemings an Ludwig Camerarius, Stockholm, 2. 2. 1633, SRA, Hollandica.

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non amittat. Nos vicissim operam daturi sumus, ut condigna D. T. ratio habeatur, sicuti etiam ad declarandam ei amicam nostram benevolentiam quovis tempore et occasione prompti paratique erimus …“. Camerarius blieb also vorerst sein Einfluß gewahrt, ebenso wie sich die Personalpolitik der Vormundschaftsregierung für die erst sechsjährige Thronerbin Christine in anderen Fällen zunächst weiterhin an die noch von Gustav Adolf getroffenen Beschlüsse hielt. Das gilt unter anderem von der Ernennung von Hugo Grotius zum schwedischen Botschafter in Paris, die bereits vom König ins Auge gefaßt, aber erst 1634 definitiv vollzogen wurde. Noch einmal berief man hier einen Mann auf einen der höchsten diplomatischen Posten, die Schweden zu vergeben hatte, der dem Staatswesen ähnliche Vorteile bringen, aber auch ähnliche Nachteile bereiten mußte, wie Camerarius dies tat. Viel war es, was Grotius und Camerarius in der Geschichte der schwedischen Staatskunst eng aneinander rückt, so unterschiedlich sie auch sonst in manchem erscheinen: Wie Camerarius war Grotius kein gebürtiger Schwede. Wie jener war er ein Schöngeist, ein hochgebildeter Humanist und – sogar noch viel mehr als Camerarius – ein Gelehrter. Sehr ähnlich war deshalb in mehreren Punkten der Einfluß, den Grotius auf die Entwicklung der schwedischen Diplomatie ausübte, und seine Ernennung zeigt, wieviel Diplomaten von den Möglichkeiten von Camerarius an sich auch Mitte der Dreißigerjahre noch in Schweden galten. Für Camerarius brachte die Berufung von Grotius in seinen letzten Botschafterjahren die Bereicherung, mit einem der größten Gelehrten seiner Epoche in nahen Gedankenaustausch zu kommen. Lange Zeit war Grotius, der als Arminianer im Exil lebte, dem den Gomaristen und Oraniern nahestehenden Camerarius nicht wenig verdächtig gewesen23. Nachdem jedoch die Ernennung von Grotius erfolgt war – 1629 hatte Camerarius offenbar einmal daran gedacht, Rusdorf den Pariser Gesandtenposten zu verschaffen24 –, stellte sich rasch, zum Teil dank der Vermittlung von Joachim (IV) Camerarius, ein Verhältnis gegenseitiger Wertschätzung her. Die von Grotius geschickt benützte gemeinsame humanistische Provenienz half, bald mannigfache Brücken zu schlagen25. Der Briefwechsel wurde lebhaft, und es zeigte sich, daß Grotius und Camerarius in den anfallenden politischen Fragen weitgehend harmonierten.

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S. z. B. Camerarius an Christian von Anhalt, Haag 12. 3. 1623, LSA, A 9 a, 184. Camerarius an Oxenstierna, Haag 20. 11. 1629, SRA, Ox. slg. 25 Die Briefe von Grotius an Camerarius, in: Hugonis Grotii Epistolae, a. a. O. 24

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X V. Kap itel

Letzte Botschafterjahre, die Auseinandersetzung mit Peter Spieringk Noch bevor sich jedoch jener für Camerarius ebenso angenehme wie anregende kollegiale Gedankenaustausch mit Grotius herstellte, traf die schwedisch-protestantische Sache auf dem deutschen Kriegsschauplatz ein neuer schwerer Schlag. Die vernichtende Niederlage der von Bernhard von Weimar und Horn geführten schwedischen Armee bei Nördlingen im Herbst 1634 drängte den schwedischen Machtbereich bis an den Rhein zurück und machte es zeitweise fraglich, ob sich Schweden überhaupt im Reich würde behaupten können. Zwar wurde diese äußerste Konsequenz glücklich verhütet. Die schwedische Position in Deutschland blieb aber seit 1634 noch ungleich eingeschränkter als seit Gustav Adolfs Tod. Wie somit 1634 mit der Schlacht bei Nördlingen der Zusammenbruch der schwedisch-protestantischen Stellung im Süden und in der Mitte des Reiches eintrat und damit die Katastrophe vollständig wurde, die der Tod Gustav Adolfs knapp zwei Jahre früher für die politischen Ziele und Ideen von Camerarius bedeutet hatte, so führte das Jahr auch zu einer bedenklichen Verschlechterung seiner persönlichen Stellung in der schwedischen Diplomatie. Verschiedene Ursachen wirkten hier zusammen. Wir sahen, wie es sich schon in der ersten Zeit seiner Gesandtentätigkeit herausstellte, daß Camerarius den wirtschafts- und finanzpolitischen Aufgaben, die mit seinem Amt verbunden waren, in vieler Hinsicht nicht gewachsen war. Über diese Mängel wurde von seiten der schwedischen Regierung jahrelang hinweggesehen, weil Gustav Adolf und Oxenstierna das wirtschaftliche Moment verhältnismäßig gering einschätzten und um so mehr Sinn hatten für jene Bereiche des diplomatischen Dienstes, in denen Camerarius eine originelle Bravour entwickelte. Auch hatte sein Wert – das letzte Kapitel zeigte dies – sowohl während der großen Krise der evangelischen Sache Ende der zwanziger Jahre wie während der Feldzüge Gustav Adolfs in Deutschland nicht nur auf seiner Tätigkeit innerhalb des niederländischen Staatswesens beruht. Vielmehr hatten die schwedischen Staatslenker auch seinen Berichten über das politische Geschehen im übrigen Europa sowie seiner Kenntnis der deutschen Verhältnisse und den darauf fußenden Ratschlägen Bedeutung beigemessen. Vor allem aber war es für die Stellung von Camerarius entscheidend gewesen, daß in diesen Jahren die Tendenz der schwedischen Politik im wesentlichen in der Richtung ging, auf die seine eigensten Pläne hinzielten. Wenigstens bei den Bestrebungen der wichtigsten Persönlichkeit im schwedischen Staatswesen, bei König Gustav Adolf selbst, war dies der Fall. Ferner hatte es die Entfaltung der Möglichkeiten gefördert, über die Camerarius dank seiner Begabung verfügte, daß es sich bei dem

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Übergreifen der schwedischen Macht nach Deutschland und damit Mitteleuropa bis 1632 um das Planen eines großen Unternehmens und dessen erste Ausführung gehandelt hatte, Entwicklungsphasen, in denen er stets mehr brillierte, als wenn es galt, das Erworbene zu erhalten und das Begonnene zu Ende zu führen. Nun war der König tot und Camerarius hatte damit – daran kann kein Zweifel sein – seinen mächtigsten und im Grunde wärmsten Protektor in Schweden verloren. Zwar erwies es sich jetzt als ein besonderes Glück, daß Camerarius sich auch der Gunst Oxenstiernas in hohem Maß erfreute, daß offensichtlich auch der Kanzler große Stücke auf ihn hielt, und daß mannigfache Momente vorhanden waren, in denen sich Oxenstierna und Camerarius geistig nahe standen. Dem entsprach es, daß Camerarius auch 1633 immer wieder zu den deutschen Angelegenheiten gehört wurde und daß man seinen ausführlichen Berichten über die allgemeine Lage in Europa offenbar nach wie vor Bedeutung beimaß. So groß aber auch das Wohlwollen und das Verständnis waren, das der Kanzler Camerarius entgegen brachte, ließ sich doch nicht leugnen, daß seine hochgespannten Konzeptionen den Gedanken Oxenstiernas nicht so wesensverwandt waren wie denen des Königs. Von jeher war die Zielsetzung des Kanzlers in vielem eine engere gewesen. Jetzt machte sich dies wieder mehr als in den Vorjahren bemerkbar. Mußte doch der Kanzler nach dem Tod des Königs die schwedische Politik notwendigerweise in ihren Ausmaßen beschränken. Im letzten Kapitel wurde bereits gesagt, wie auch bei dieser Beschränkung für Oxenstierna der Rat von Camerarius nach wie vor Wert besaß. Allein es ergaben sich hierbei andererseits offenbar auch bald Differenzpunkte. Denn obwohl Camerarius – jedenfalls in vielen Fällen – die Notwendigkeit zur Beschränkung vollkommen einsah und es im Lauf der Jahre gelernt hatte, das speziell schwedische Staatsinteresse mehr und mehr zu berücksichtigen, billigte er die Aufgabe der großen Ziele im tiefsten Grunde seines Herzens doch keineswegs. Er opponierte deshalb dem neuen Kurs bei immerhin einigen Gelegenheiten. Vor allem aber verharrte er trotz der veränderten Situation im wesentlichen beim alten Tenor seiner Berichterstattung. Für die großzügige und in der Stoffwahl weitgespannte Art der Darstellung, die Camerarius bevorzugte, hatte man aber offenbar in Schweden, seitdem man sich auf engere Kreise zurückzog und die Schwierigkeiten wuchsen, nicht mehr solches Verständnis wie früher, und ebenso ließ das Interesse nach am politischen Geschehen in – von Schweden aus gesehen – weiter entlegenen Ländern, über das Camerarius so viel zu berichten wußte. Andererseits wurde bei den steigenden eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten die Notwendigkeit immer dringlicher, die finanziellen und kommerziellen Beziehungen zu den Niederlanden möglichst günstig zu gestalten. Und eben dies war der Punkt, an dem Camerarius die wenigsten Erfolge zu verzeichnen hatte. Mit der veränderten Zielsetzung der schwedischen Politik ebenso wie mit dem Umstand, daß die Zeit voranschritt und im Fortgang der ideengeschichtlichen Entwicklung während des Krieges das religiöse Moment mehr und mehr an Stoßkraft verlor, hing es zusammen, daß die konfessionell-gemeinevangelischen Ideale, mit denen Camerarius seinerzeit in Schweden solchen Anklang gefunden hatte, nun auch hier nicht mehr so verfingen wie früher. Wohl blieb, besonders

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bei Oxenstierna, das religiöse Moment stark. Doch die Notwendigkeit der Beschränkung ließ es auch bei ihm zurücktreten. Bei Camerarius hingegen blieb es in viel ausgeprägterem Maß das beherrschende Prinzip. Zwar mäßigte sich auch sein idealistisch-religiöser Schwung. Trotzdem machte er keinen Hehl daraus, daß er in dem gesamtevangelischen Anliegen weiterhin die Grundlage seines politischen Handelns und Denkens sah. Das aber führte anscheinend dazu, daß auch in Schweden seine Ansichten allmählich als ein wenig überholt und altmodisch galten, daß auch hier die Zeit über ihn hinwegging. Schließlich begann noch ein dritter Umstand seine Stellung zu erschweren. Camerarius war in Schweden zu Einfluß gelangt nicht zuletzt wegen seiner diplomatischen Routine und der Bedeutung, die seine Kenntnisse für die Entwicklung der noch jungen schwedischen Staatskunst, für ihre Anpassung an die mitteleuropäischen Verhältnisse und ihre Umstellung auf die Erfordernisse einer Großmacht hatten. Er hatte dazu beigetragen, einem akuten Mangel an geschulten einheimischen Kräften abzuhelfen, die über die für hohe diplomatische Funktionen erforderlichen Kenntnisse verfügten. Es scheint, daß die Ausländer auf hohen Posten, zu denen Camerarius gehörte, schon immer von manchen altschwedischen Kreisen scheel angesehen wurden. Solange aber der König noch lebte und besonders solange der Mangel an geeigneten Einheimischen, die die nötige Erfahrung besaßen, noch ein allerakutester war, fiel diese Ablehnung nicht weiter ins Gewicht. 1634 zwar dauerte dieser Mangel im Grunde noch an. Doch war er nicht mehr ganz so drückend wie acht Jahre früher, und das Interesse der schwedischen Aristokratie am diplomatischen Dienst war gewachsen. Vor allem aber stand jetzt nicht mehr der König an der Spitze des Staates, sondern das Gremium der fünf höchsten Reichsbeamten, das unter dem Präsidium Oxenstiernas die Vormundschaft über die achtjährige Königin Christine ausübte und die Regierung leitete. In dieser Regentschaft aber machte das altschwedische Element sich sehr viel stärker geltend als zu Zeiten des Königs, und dies gab der Opposition gegen die Ausländer in höchsten Staatsstellungen neue Kraft. Es war für Camerarius ungünstig, daß der Pfalzgraf Johann Kasimir dem Gremium nicht angehörte, sondern selbst an Einfluß verlor. Ferner erwies es sich jetzt als Nachteil für ihn, daß er nur über wenige Beziehungen zu den maßgebenden altschwedischen Familien ebenso wie den in vieler Hinsicht damit identischen Stockholmer Regierungskreisen verfügte. Noch immer beruhte ja seine Stellung im wesentlichen auf dem Vertrauen, das er bei Oxenstierna und, solange dieser lebte, beim König genoß. Was ihn früher davor bewahrt hatte, allzu sehr in die internen Gegensätzlichkeiten hineingezogen zu werden, beraubte ihn nun der Möglichkeit, die sich regende Opposition von innen heraus zu dämpfen. Zwar war der Widerstand der Einheimischen 1634 und 1635 noch keineswegs eindeutig und so stark, daß er, angesichts dessen, was Männer von den Fertigkeiten von Grotius und Camerarius auch Mitte der Dreißigerjahre noch für den schwedischen Staat bedeuteten, die Ernennung von Grotius zum Botschafter in Paris hätte unmöglich machen können. Allein, bei Grotius lagen 1634 die Dinge günstiger als bei Camerarius. Er war als Diplomat noch nicht näher erprobt. Die Mängel, die er als Gesandter bald zeigte und die in vieler Hinsicht denen ähnel-

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ten, die bei Camerarius ausgesetzt wurden, lagen deshalb 1635 noch nicht zu Tage. Statt dessen bestrickte sein großes wissenschaftliches Ansehen, worin Grotius Camerarius ja weit übertraf. Deshalb gelang es Oxenstierna, die Ernennung von Grotius durchzubringen, ebenso wie er zunächst auch Camerarius zu decken vermochte. Die Anstrengungen, die Oxenstierna gegenüber dem Drängen der einheimischen Kräfte in Sachen von Grotius und Camerarius auf sich nahm, waren immerhin beachtlich, zumal man bedenken muß, daß er zwar der eigentliche Leiter der schwedischen Politik war, aber doch längst nicht über die Machtvollkommenheit Gustav Adolfs verfügte. Man sieht daran, wieviel höher er persönlich die Fähigkeiten der beiden humanistischen Diplomaten einschätzte, als die übrigen Reichsräte es taten, und welcher Gegensatz der Auffassungen in diesem Belang unter den höchsten Würdenträgern Schwedens bestand. Bei der Treue und jahrelangen Beharrlichkeit, mit der Oxenstierna Camerarius deckte, dürfte neben allen anderen Momenten auch der Gesichtspunkt eine Rolle gespielt haben, daß Oxenstierna nicht nur nach wie vor die Fähigkeiten von Camerarius schätzte, obwohl er andererseits offenbar vollkommen klar erkannte, daß sein Wert nachließ, sondern daß er sich auch in besonderem Maß auf die bedingungslose Anhänglichkeit von Camerarius an seine Person verlassen konnte, eben weil dieser sonst kaum über Beziehungen zu den anderen einheimischen Inhabern der obersten Regierungsstellen verfügte. Ob auch dieser Umstand mit ein Anlaß war, daß der Widerstand gegen Camerarius immer mächtiger wurde, läßt sich nicht sagen. Die Opposition nun bediente sich der oben aufgezeigten Umstände, die auch beim Kanzler zu einem Nachlassen des Einflusses von Camerarius geführt hatten, und kehrte gleichzeitig sein finanzpolitisches Versagen hervor. Sie brachte es so weit, daß der Reichsrat bereits 1634 in aller Form Oxenstierna die Abberufung von Camerarius vorschlug. „Skall och i lijka motto aviseras Rijkzcantzlern“, heißt es im Reichsratsprotokoll vom 8. Mai 1634, „… om Camerario, dhet han inthet annat än frivola hijt communicerer“1, und bereits zwei Tage später beschäftigte sich der Reichsrat nochmals mit dem Fall: „Befaltes skrifva Rijkz-Cantzleren till uthi ett postscripto, att effter Camerarius i Holland ähr försummeligh att avisera hijt, och de aviser hijt komma af ingen importans eller staten angående, och doch hafver af Cronan 10 000 Rdr. åhrligen, han ville fördenskuldh med manier dragan till någon annan beställningh och förordna någon capabel Svensk i hans ställe igen, som för fast ringare gage rijket bettre tjenst gjöra kunna“2. Man sieht es, die Art seiner Berichterstattung und sein geringes Eingehen auf die speziell niederländischen und damit wirtschaftlichen Angelegenheiten war es zunächst, was der Reichsrat gegen Camerarius ins Treffen führte, und wenn es auch befremdet, daß die Schreiben des frommen Botschafters als frivol bezeichnet wurden, ist doch im übrigen die Kritik angesichts der soeben dargelegten Momente verständlich, ebenso wie es klar ist, daß das besonders hohe Gehalt von 1 2



Svenska Riksrådets Protokoll, 1634, 111. Svenska Riksrådets Protokoll, 1634, 113.

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Camerarius geeignet war, besonderen Neid zu erwecken. Mit dieser Demarche des Reichsrates oder doch mit dem steigenden allgemeinen Widerstand, den Oxenstierna in Schweden gegen Camerarius zu spüren bekam, dürfte es zusammengehangen haben, daß er durch seinen Sohn Johannes Oxenstierna, der 1634 nach England geschickt wurde, und im März und Juli auf der Hin- und Rückreise im Haag Station machte, bei Camerarius allem Anschein nach sondieren ließ, ob dieser bereit sei und Lust habe, in schwedischem oder anderem, wohl wieder pfälzischen Dienst eine neue Funktion zu übernehmen oder ob es ihm recht, beziehungsweise lieber sei, sich nach einiger Zeit mit einem angemessenen Jahresgehalt in den Ruhestand versetzen zu lassen3. Die Antwort, die Camerarius Johannes Oxenstierna erteilte, ging offenbar dahin, daß er bis ans Lebensende im Dienst der schwedischen Krone zu bleiben wünschte und nur dann allenfalls sich in den Ruhestand zurückzuziehen gedachte, wenn es von seiten der Regierung ausdrücklich gefordert würde4. Nachdem Oxenstierna so festgestellt hatte, daß Camerarius an einer Fortsetzung seiner Botschaftertätigkeit alles gelegen war, ließ er die Klagen und Vorstellungen des Reichsrates zunächst auf sich beruhen und Camerarius weiter in seinem Amt schalten. Damit jedoch die kommerziell-finanziellen Interessen Schwedens in den Niederlanden besser als bisher wahrgenommen wurden, beorderte er Ende 1634 seinen Wirtschaftsexperten Peter Spieringk als Agenten nach Amsterdam. Hier blieb Spieringks Tätigkeit jedoch zunächst noch auf rein wirtschaftliche Anliegen beschränkt – wenn er auch gelegentlich über allgemeinpolitische Fragen berichtete –, so daß Camerarius sich offenbar durch Spieringk zunächst eher entlastet als beengt fühlte. Die Fortsetzung der Bündnisverhandlungen mit den Generalstaaten wurde nach wie vor ganz Camerarius überlassen. Er erhielt 1635 noch einmal diesbezügliche ausführliche Instruktionen des Inhalts, daß er einen neuerlichen energischen Vorstoß unternehmen sollte, um wieder ein regelrechtes Bündnis zustande zu bringen5. Noch einmal legte damit Oxenstierna ausdrücklich eine der damals für Schweden wichtigsten diplomatischen Aufgaben in die Hände von Camerarius. Auch unternahm er zunächst offenbar keine Anstalten, die zum Ersatz von Camerarius hätten führen können. 3

S. Camerarius an Oxenstierna, Haag 21. 4. 1634, SRA, Ox. slg. S. Camerarius an Oxenstierna, Haag 24. 6. 1634: „Waß sonsten mitt dem herrn Ambassadeur“ (sc. Johannes Oxenstierna) „Er Camerarius wegen continuation Seiner charge in dem haagen wie auch auff den fall einiger Veränderung von einer gnadenbestallung ad dies vitae vertrawlich geredet, Weil er einmal beständig resoluirt ist, biß in Seinen todt in Königlicher Schwedischer deuotion zubeharren und keine andere herrendienst zu suchen oder anzunehmen: daß ist zuverzeichnen unnotig erachtet, und wird deßen allen bey begebender gelegenheit der herr Ambassadeur für sich selbsten eingedenk bleyben, deßen beständiger fauor Er sampt den Seynigen Sich cum spontione perpetuae gratitudinis trewlich und fleißig bevehlen thut“, SRA, Ox. slg. 5 „Regiae Maiestatis regnique Sueciae Tutorum et Administratorum epistolae ad Ordines Generales et ad Ludovicum Camerariusm de foedere renovando“, Stockholm 8. u. 11. 7. 1635, Coll. Cam. Vol. 30, Nr. 41 f.; s. a. Protokoll der Verhandlungen zwischen den Deputierten der Generalstaaten Huygens und Buhorst und den schwedischen Abgesandten J. Skytte und L. Camerarius, 20. 3. 1635, Coll. Cam. Vol. 30, Nr. 35; u. Axel Oxenstiernas Instruktion für den Gesandten im Haag, Amsterdam 22. 5. 1635, Coll. Cam. Vol. 30, Nr. 130. 4



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Er dokumentierte damit, wie große Stücke er von seinem Botschafter hielt und zeigte aufs neue, daß sein Vertrauensverhältnis zu Camerarius ein ganz persönliches war und daß es nicht nur auf der Vermittlung Gustav Adolfs beruht hatte. Die Instruktionen von 1635 übermittelte er Camerarius nicht nur schriftlich, sondern hatte Gelegenheit, sie seinem Botschafter auch mündlich zu erläutern. Nachdem im März bereits Johann Skytte auf der Durchreise nach England eine Weile im Haag verweilt und mit den Generalstaaten unter Assistenz von Camerarius verhandelt hatte, kam in der zweiten Maihälfte 1635 der Kanzler im Anschluß an seinen Besuch in Paris in Person in die Niederlande, um auch hier für die bedrängte schwedische Sache Hilfe zu schaffen und den von Camerarius dann weiterzuführenden Bündnisverhandlungen durch sein persönliches Erscheinen einen möglichst kräftigen neuen Impuls zu geben. Es war das letzte Mal im Leben beider Männer, daß sie persönlich zusammentrafen und miteinander mündlich verhandeln konnten. Wie ihre Gespräche im einzelnen verliefen, wissen wir nicht. Wir können nicht sagen, ob Oxenstierna bei Gelegenheit seines Besuches noch einmal, wie er es ein Jahr zuvor durch seinen Sohn hatte tun lassen, die gegen Camerarius herrschende Opposition und die Möglichkeit seiner Pensionierung zur Sprache brachte, ob auch Skyttes Aufenthalt unter anderem dem Zweck dienen sollte, sich an Ort und Stelle ein Bild von der Leistung von Camerarius zu machen. Immerhin läßt sich annehmen, daß auf irgendeine Art das Problem erörtert wurde. Vollkommen fraglich ist hingegen, ob beziehungsweise inwieweit Oxenstierna bereits im Frühjahr 1635 entschlossen war, in der Weise, in der er das seit Ende 1636 durchführte, Camerarius allmählich abzulösen und ob er ihm im Haag bereits konkrete diesbezügliche Eröffnungen machte. Jedenfalls ist es offensichtlich, daß dem Kanzler zunächst noch an der Tätigkeit von Camerarius viel lag, auch wenn er seinen Berichten wohl nicht mehr solche Bedeutung wie früher beimaß und eventuell bereits die feste Absicht hatte, ihn im Lauf der nächsten Jahre zu ersetzen, und daß er fürs erste Camerarius mit Entschiedenheit gegen die heimische Opposition deckte, die immerhin schon einen beachtlichen Grad erreicht haben mußte, bis sie sich in offiziellen Demarchen des Reichsrates äußerte. Um so bemerkenswerter ist es, daß Oxenstierna, wenngleich er selbst sicher bereits vieles an Camerarius auszusetzen hatte, diese Opposition zunächst noch zwei Jahre ignorierte, obwohl auch 1635 und 36 der Reichsrat aufs neue den Wunsch äußerte, daß Camerarius abberufen wurde6. Oxenstierna hatte also durch das Ignorieren der beiden Reichsratsbeschlüsse von 1634 nicht erreicht, daß die ganze Angelegenheit wieder in Vergessenheit geriet. Vielmehr mußte er der obersten Regierungsbehörde gegenüber Camerarius immer aufs neue decken, sich immer wieder schützend vor ihn stellen. Er tat es und zeigte damit, wieviel ihm noch immer an Camerarius lag, wie sehr er ihn schätzte und wie er sich ihm verpflichtet fühlte. 6



Svenska Riksrådets Protokoll, 18. 12. 1635, 385: „Skall skriffvas R. Cantzleren till, att Chronan intet ähr tilldrögeligt att fournera åhrligen så store poster till Grotium och Camerarium; hvadh honom synes, quomodo dee medh maneer kunde affskaffas“.

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Besonders prägnant und instruktiv ist die Formulierung, mit der die Stockholmer Regierung am 27. September 1636 noch einmal auf die Ersetzung von Camerarius drang. Es sei nicht länger vertretbar, Camerarius im Haag fungieren zu lassen, heißt es, denn er sei „der föga nyttigh, medan han intet kan penetrera i alle saker, som sigh borde, och intet förstår commercierne“7. Auf diesen neuerlichen Vorstoß des Reichsrates hin begann Oxenstierna nun endlich, nachzugeben. Freilich ließ er Camerarius keineswegs fallen. Vielmehr war es ein ausgesprochener Kompromiß, dem Oxenstierna zustrebte, eine Lösung, die für sein Verhältnis zu Camerarius ebenso charakteristisch ist wie für das oft etwas Vage im Stil der damaligen schwedischen Diplomatie. Es scheint, daß der Kanzler jetzt den Gedanken endgültig akzeptierte, Camerarius zu verabschieden. Doch hielt Oxenstierna daran fest, daß die Pensionierung erst in einigen Jahren erfolgen sollte, so daß immer noch die Möglichkeit erhalten blieb, sie eventuell ganz zu sistieren. Fürs erste sollte Camerarius Botschafter bleiben. Um aber den bisherigen Mängeln in der Vertretung der schwedischen Interessen im Haag zu steuern, wurde Camerarius nunmehr ein Adlatus zur Seite gegeben, der de facto die gleichen Vollmachten hatte wie der Botschafter selbst. Es war also ein Duumvirat, das Oxenstierna schuf, eine Einrichtung, bei der wohl von vornherein die Teilung der Funktionen in der Weise erfolgen sollte, daß Camerarius vor allem die repräsentativen Funktionen weiter ausübte, daß ihm das ganze Decorum seiner hohen diplomatischen Stellung erhalten blieb, daß er aber in der Bündnis- und Subsidienfrage hinfort nur in Gemeinschaft mit seinem Adlatus zu handeln hatte. Es war eine Lösung, die zum guten Teil aus dem Wunsch erwachsen sein dürfte, Camerarius möglichst wenig zu verletzen, die aber eben deshalb, durch das Nebeneinander von zwei gleichberechtigten Vertretern mit gegenseitig nicht fest abgegrenzten Kompetenzen, reiche Möglichkeit zu Konflikten bot. Der bisherige Agent in Amsterdam, Peter Spieringk, war es, der im Herbst 1636 zum regelrechten Adlatus von Camerarius aufrückte. Während eines Aufenthaltes in Schweden im Sommer und Herbst 1636 wurde er von dem soeben gleichfalls wieder von seinem jahrelangen Aufenthalt in Deutschland nach Stockholm zurückgekehrten Kanzler beauftragt, nunmehr über seine bisherigen wirtschaftlichen Obliegenheiten hinaus auch eigentliche Residentenfunktionen im Haag zu übernehmen. Am 3. Oktober 1636, sechs Tage nach der neuerlichen Mahnung des Reichsrates, erhielt Spieringk die Ernennung zum offiziellen schwedischen Residenten und Finanzrat mit Sitz nicht mehr vornehmlich in Amsterdam, sondern im Haag und mit 1000 Reichstalern Gehalt, also zunächst noch bedeutend weniger als dem, was Camerarius gezahlt wurde8. De facto war Spieringk damit Camerarius gleichgestellt. De jure aber sollte letzterer als Ambassadeur noch immer über dem Residenten stehen. Das äußere Decorum wollte also Oxenstierna Camerarius erhalten. Auch 1636 deckte der Kanzler seinen alten Ratgeber noch immer in weitgehendem Maß gegen die Angriffe des Reichsrates und die Attacken, die von anderer Seite kamen. 7



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Svenska Riksrådets Protokoll, 27. 9. 1636, 611. SRA, Hollandica; SRA, Tyska Riksregistratur.

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Zwar schrieb Oxenstierna ihm kaum noch, und auch Camerarius hatte offenbar deutlich gemerkt, daß seine Berichte und sein Rat längst nicht mehr soviel galten wie früher, weshalb er schon seit 1634 seine Rapporte an den Kanzler mehr und mehr einschränkte9. Trotzdem hielt ihm Oxenstierna, soweit es die Staatsräson irgend erlaubte, auch weiterhin die Treue und legte damit einen Charakterzug an den Tag, wie man ihn bei großen Staatsmännern nicht allzu häufig trifft. Es ist offensichtlich, daß Oxenstierna Camerarius bis an dessen Tod großes Verständnis und eine weitgehende Rücksichtnahme bezeigte. Auch war Camerarius 1636 zweifellos für die schwedische Sache noch immer von Wert trotz der gegenteiligen Ansicht des Reichsrates. Zunächst lag es auch bei der negativsten Beurteilung von Camerarius auf der Hand, daß Peter Spieringk, der zusammen mit seinen Brüdern das schwedische Lizenzsystem in Preußen aufgebaut hatte, mit nichts weniger als Wohlwollen von den Generalstaaten aufgenommen wurde, die in ihm einen der Hauptschuldigen an den ihnen so lästigen Zöllen sahen. Spieringk stellte diesen Sachverhalt selbst bereits Anfang April 1636 in einem Bericht an Oxenstierna mit großer Ehrlichkeit dar10. Camerarius hingegen, obwohl auch er mit seiner Einseitigkeit die niederländischen Behörden oft genug verstimmt hatte, war in den Vorjahren nicht so sehr wie Spieringk für die Vereinigten Provinzen Gegenstand des Ärgers gewesen. So deutlich seine Insuffizienz in vielen Fragen hervorgetreten sein dürfte, hatte er sich andererseits in den zehn Jahren, in denen er nun schon Schweden im Haag vertrat, doch ein gewisses Vertrauen verschafft, über das Spieringk keineswegs verfügte. Zudem fehlte letzterem, der bisher vornehmlich in der Finanzverwaltung tätig gewesen war und auch bei seinen bisherigen Missionen in Amsterdam und im Haag sich eigentlich nur in wirtschaftlichen Fragen betätigt hatte, die eigentliche diplomatische Routine. Es konnte also bereits aus diesen Gesichtspunkten heraus als ratsam gelten, ihm zunächst noch Camerarius als pro forma Vorgesetzten zur Seite zu lassen. Doch auch aus anderen Erwägungen dürfte Oxenstierna bei der großzügigen Auffassung, die er von den Interessen des von ihm geleiteten Staatswesens hatte, eine gewisse Bedeutung von Camerarius nach wie vor als gegeben erachtet haben. Wenn auch die Entwicklung in vielem über Camerarius hinweggegangen war, schätzte der Kanzler doch noch immer in ihm den christlichen Diplomaten und den Vertreter einer verfeinerten humanistischen Staatskunst. Noch immer war die religiöse Auffassung des Kampfes, die Camerarius vertrat, seinen persönlichen Anschauungen überaus verwandt, und trotz der im Vergleiche mit den Vorjahren bescheideneren Ziele, die von der schwedischen Regierung jetzt erstrebt wurden, lag es noch immer im Staatsinteresse, daß auch das gesamtevangelische Moment hervorgehoben wurde, ja die Umstände brachten es mit sich, daß dies gerade 1636 wieder besonders wichtig wurde. Wie hoch Oxenstierna aber auch in der Mitte und am Ende der Dreißigerjahre noch den Humanismus als Gestaltungselement für die schwedische Diplomatie bewertete 9

Interessanterweise bediente Camerarius sich in den von 1634 an nicht mehr zahlreichen Schreiben an Oxenstierna wieder öfters des Deutschen anstelle des Lateinischen. 10 Spieringk an Oxenstierna, ohne Datum, SRA, Ox. slg.

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und wieviel ihm daran lag, gelehrte Humanisten unter seinen Ratgebern zu haben, zeigt das Entgegenkommen, das er in derselben Zeit Hugo Grotius in Paris bewies, ein Entgegenkommen, das in Stockholm ebenfalls auf einen gewissen, wenn auch zunächst noch nicht so wirksamen Widerstand stieß. Wie das hohe Gehalt von Camerarius und Grotius vom Reichsrat in einem Atem angegriffen wurde, zeigte sich soeben11. Ferner trat zu den anderen, schon dargestellten Parallelen zwischen der diplomatischen Wirksamkeit von Grotius und Camerarius bald noch die hinzu, daß Oxenstierna 1635 seinen bisherigen Geheimsekretär Smaltze als gelegentlichen Adlatus Grotius attachierte, der, wie Spieringk es seit 1634 für Camerarius tat, Grotius in Fragen zur Hand zu gehen hatte, die dieser nicht in der wünschenswerten Weise zu lösen vermochte. Schließlich kam es auch in Paris so weit, daß bei mehreren Vorkommnissen aus dem Gehilfen der eigentliche Leiter der Gesandtschaft wurde. Doch erfolgte diese Entwicklung bei Grotius später als bei Camerarius, der ja auch schon neun Jahre früher seinen Gesandtenposten angetreten hatte; und allem Anschein nach kam es in der schwedischen Botschaft in Paris auch dann nicht zu so heftigen Konflikten, wie sie noch 1636 im Haag zwischen Camerarius und Spieringk ihren Anfang nahmen. Wie schon gesagt, scheint es, daß Camerarius es anfangs als eine gewisse Unterstützung empfand, daß Spieringk in Amsterdam die Erledigung der schwierigen Kupferfragen und anderer kommerzieller Anliegen übernahm. Zwar wird ihn vielleicht trotzdem und gleichzeitig auch schon damals die Sorge überkommen haben, seine eigene Position durch Spieringk gemindert, ja gefährdet zu sehen. Doch fand diese Besorgnis in seinen Briefen zunächst noch keinen deutlicheren Ausdruck. Auch als Spieringk Ostern 1636 im Haag ein erstes Mal mit Vollmachten erschien, die denen eines Gesandten schon beinahe gleichkamen, betrieb, nach Spieringks Berichten zu schließen, Camerarius noch keine Obstruktion gegen ihn und beklagte sich offenbar auch nicht bei Oxenstierna. War Spieringks Auftrag im Frühling 1636 doch auch nur ein begrenzter. Er sollte im Rahmen der bestehenden Subsidiärabmachungen lediglich drei Monatsraten erlangen, mit denen die Generalstaaten im Rückstand waren, und die Camerarius bis dahin nicht zu erhalten vermocht hatte. Nachdem die Zahlungen gesichert schienen und noch einige Verhandlungen wegen Weitergewährung der Hilfsgelder geführt waren, brach Spieringk dann Anfang Juni 1636 sogleich wieder nach Stockholm auf, so daß auch diesmal noch Camerarius sich mit der Begrenztheit von Spieringks Auftrag trösten konnte. Im November 1636 hingegen war ein solcher Trost nicht mehr möglich. Sehr bald merkte Camerarius jetzt, daß Spieringks Auftrag nunmehr dahin ging, die hauptsächlichen Gesandtenfunktionen zu übernehmen. Das Eigentümliche ist dabei, daß Oxenstierna Camerarius von dieser Anordnung und Veränderung allem Anschein nach selbst keine schriftliche Mitteilung machte. Lediglich ein königliches Schreiben wurde an Camerarius aufgesetzt12. Dieses 11

S. Svenska Riksrådets Protokoll, 18. 12. 1635, 385. SRA, Riksregistratur: Das Original fehlt in der Coll. Cam.; s. a. Camerarius an Oxenstierna, Haag 18. 11. 1636, SRA, Ox. slg.

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aber erreichte ihn keineswegs vor Spieringks Ankunft, sondern wurde erst von dem Konkurrenten selbst in den Haag mitgebracht. Auch war es so schonend und allgemein formuliert, daß nur zwischen den Zeilen die Übertragung der hauptsächlichen Geschäfte an Spieringk zu erkennen war. Eine direkte Weisung hingegen, Spieringk nun walten zu lassen, scheint nicht ausgesprochen gewesen zu sein. Vollends ungeklärt blieb die Frage im letzten persönlichen Schreiben Oxenstiernas an Camerarius vom 24. Juni 1636 aus Stralsund. Hierin ersuchte der Kanzler Camerarius nur, der Winterkönigin in der Restitutionsfrage einiges zu übermitteln13. Ferner zeigte Oxenstierna seinem Botschafter in dem Brief seine bevorstehende Rückkehr nach Schweden an, forderte ihn auf, in seiner Berichterstattung und Tätigkeit fortzufahren, und sich, solange Oxenstierna nicht zu erreichen sei, an Sten Bielke als Bevollmächtigten zu halten. In einer Nachschrift war schließlich noch gesagt, Oxenstierna habe mit Interesse den Bericht über den Gedankenaustausch („discursus“) mit Spieringk zur Kenntnis genommen und werde sich die daraus hervorgehenden weiteren Verhandlungsmöglichkeiten mit den Generalstaaten noch näher überlegen. Eine Mitteilung aber, daß Spieringk dauernder Adlatus von Camerarius werden sollte, findet sich in Oxenstiernas Brief vom 24. 6. 1636 nicht, da sich die eben erwähnte Nachschrift ziemlich eindeutig auf die Bündnisfrage bezieht14. Freilich bleibt die Möglichkeit bestehen, daß Briefe verloren gegangen sind, daß Oxenstierna genauere Direktiven, wie Camerarius sich hinfort verhalten sollte, mündlich überbringen ließ, oder daß schon bei des Kanzlers eigenem Besuch im Haag vieles abgesprochen wurde. Trotzdem hat es den Anschein, daß der Kanzler wenigstens Camerarius gegenüber von einer näheren Umschreibung der neuen Kompetenzen von Spieringk und der Konsequenzen, die sich daraus für Camerarius ergaben, Abstand nahm, daß er das neue Verhältnis seinem Botschafter gegenüber weitgehend in der Schwebe ließ. Weshalb Oxenstierna keine genaueren Direktiven gab, läßt sich nicht bestimmt sagen. Es ist gut möglich, daß eine starke Rolle dabei der Wunsch spielte, Camerarius so wenig wie möglich zu kränken. Gleichzeitig aber zeigt die Unterlassung auch eine gewisse Unklarheit der dienstlichen Verhältnisse, die damals noch im diplomatischen Verkehr überhaupt, besonders aber im Staatswesen der jungen schwedischen Großmacht herrschte, und derer sich Oxenstierna offenbar gelegentlich mehr oder minder bewußt bediente. Wenn er vielleicht hoffte, Camerarius das allmähliche Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst weniger schmerzlich zu machen, indem er, wenigstens 13

Coll. Cam. Vol. 30, Nr. 62. „Accepi literas Dominationis Tuae quibus mentionem facit discursuum cum Domino Spiringio a quibusdum ibi privatim habitorum: Rediit Dominus Spiringius et quae acta sunt ordine retulit; affirmat a quibusdam foederis iniectam mentionem. Habet quidem res suas difficultates et meminit sine dubio Dominatio Tua iam ante me perscripsisse quid mihi esset hac de re animi … Nunc ubi venerim in Sueciam, ubi resolutiones de summa rerum sumptae fuerint, huius rei quoque non omittetur cura, et quae e re visa fuerint ilico cum Dominatione Tua communicentur …“.

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ihm gegenüber, die neuen Verhältnisse möglichst in der Schwebe ließ, war, sollte dieser Wunsch in Erfüllung gehen, bei Camerarius ein hohes Maß an menschlicher Einsicht und Überwindung die Voraussetzung. Der im Jahre 1636 Dreiundsechzigjährige, der trotz seiner häufigen „catarrhi“ und „nephritici et colici dolores“ im Grunde noch vollkommen rüstig und sehr viel leistungsfähiger war, als es für das siebente Lebensjahrzehnt im 17. Jahrhundert die Regel darstellte, in dem man ja früher alterte als heutzutage, sollte die Selbstkritik aufbringen, zu erkennen, daß nach Ansicht der schwedischen Regierung seine Funktionen durch einen anderen Diplomaten besser wahrgenommen werden konnten, und aus dieser Erkenntnis die Konsequenz ziehen. Ohne daß er hierin von Oxenstierna noch einmal ausdrücklich instruiert worden wäre, sollte er sich hinfort vornehmlich auf die repräsentative Oberleitung der schwedischen Botschaft im Haag beschränken, die eigentlich entscheidenden Verhandlungen aber Spieringk überlassen. Ein solcher Rückzug lag natürlich insofern im wohlverstandenen Interesse von Camerarius, als er, wenn er bei dem neuen Arrangement keine Schwierigkeiten machte, vielleicht die meisten Aussichten hatte, sich auf die Dauer wenigstens das repräsentative Decorum des Botschafters und obersten schwedischen Vertreters in den Niederlanden zu erhalten. Gleichzeitig aber hätte diese Beschränkung ein Maß von Selbstbescheidung erfordert, wie es von Persönlichkeiten, die im aktiven Leben stehen, nur sehr selten aufgebracht wird, und besonders Camerarius mit seiner zähen Betriebsamkeit durchaus nicht lag. Auch hätte sich die neue Regelung so glatt, wie Oxenstierna es offenbar wünschte, nur dann durchführen lassen, wenn Spieringk seinerseits ebenfalls großen Takt und weitgehendes Entgegenkommen an den Tag gelegt hätte. Doch auch in dieser persönlichen Frage erwies sich Spieringk als der nüchterne und brutale, wenn auch andererseits in seiner Ehrlichkeit nicht unsympathische Geschäftsmann, als der er sich bereits in Preußen gezeigt hatte. Allzu große Rücksichten zu nehmen, lag ihm nicht, zumal nicht einem Mann gegenüber, der seinem eigenen Wesen eigentlich in jeder Hinsicht entgegengesetzt war. So vergingen denn seit Spieringks Ankunft in den Niederlanden Ende Oktober 1636 kaum mehr als acht Tage, bis die ersten ernsten Differenzen mit Camerarius sich einstellten. Letzteren verstimmte es außerordentlich, daß Spieringk ihn vor seiner Antrittsaudienz bei den Generalstaaten und dem Generalstatthalter nicht aufsuchte, sondern das königliche Schreiben durch einen Diener überbringen ließ15. Ohne sich also mit dem amtierenden Botschafter verständigt und über den momentanen Stand der Dinge informiert zu haben, überreichte Spieringk am 13. November 1636 dem in dieser Woche den Generalstaaten präsidierenden Herrn van Norderijk sein Beglaubigungsschreiben und erhielt am folgenden Tag vor dem Plenum der Generalstaaten Audienz. Hier entwickelte Spieringk zunächst das, was in dem Beglaubigungsschreiben und seiner anscheinend ebenfalls vorgezeigten offiziellen Instruktion stand16: Er sagte, daß die schwedische Regierung beschlossen habe, Camerarius einen Adlatus beizugeben, der sich allmählich in 15

Camerarius an Oxenstierna, Haag 18. 11. 1636, SRA, Ox. slg. Spieringk an Oxenstierna, Haag 18. 11. 1636, SRA, Ox. slg.

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die Botschafterpflichten einarbeiten solle, und trug die Bitte vor, einige weitere Monatsraten im Zuge der Subsidienabmachungen zu bewilligen. Über diese schriftlichen Aufträge hinaus bat er jedoch bereits bei der ersten Audienz, um die Zahlung des Geldes tunlichst zu beschleunigen, die Generalstaaten möchten sogleich oder doch möglichst bald Deputierte für die Kommission bestimmen, die entsprechend dem üblichen Geschäftsgang die Bewilligung der Monatsraten weiter behandeln mußte. Ferner teilte er mit, was schriftlich offenbar ebenfalls nicht ausgesprochen war, daß er der künftige Resident sei und über die gleichen Verhandlungsvollmachten verfüge wie Camerarius17. Ja, er scheint angedeutet zu haben, daß man sich in den wichtigeren Fragen hinfort an ihn halten möge. Ob besonders diese zweite Eröffnung mit vorgängigem Einverständnis oder gar auf einen Auftrag Oxenstiernas hin geschah, oder ob Spieringk sich dabei auf die Direktive anderer Regentschaftsmitglieder stützen konnte, muß dahingestellt bleiben, ebenso wie nicht feststeht, ob es im Sinne des Kanzlers war, daß Spieringk, bevor er die entscheidenden Verhandlungen mit den Generalstaaten begann, einen Besuch bei Camerarius unterließ. Sowohl über diese Unterlassung wie über seine die Instruktion beziehungsweise Beglaubigung überschreitenden Eröffnungen vor den Generalstaaten berichtete er vier Tage nach der Audienz, am 18. November 1636 an Oxenstierna18. Er tat es im wesentlichen, ohne sich zu entschuldigen. Er habe Camerarius nicht vorher sprechen können, hieß es nur ganz allgemein, und ebenso generell, er habe bei der Audienz deshalb mehr gesagt, als in den mitgeführten Schreiben stand, weil er es so für gut befunden habe19. Doch beweisen weder der Umstand, daß Spieringk überhaupt hiervon berichtete – er konnte sich ja denken, daß Camerarius sich beschweren würde20, und mußte deshalb sein Verhalten irgendwie darlegen –, noch die Tatsache, daß er sich in seinem Bericht nicht des Längeren entschuldigte, daß er sich bei dieser Art des Vorgehens mit Oxenstierna im unbedingten Einverständnis befand. Wenn man alle erreichbaren Belege zusammenhält, kommt man eher dazu, daß der Kanzler Spieringk über das Verhalten, das er von ihm Camerarius gegenüber wünschte, nicht bis ins Detail instruiert hatte, wie diese Frage überhaupt im einzelnen offenbar nur mündlich zwischen ihnen erledigt worden war. Wenn Oxenstierna hier bei Spieringk auf Takt und auf menschliches und diplomatisches Einfühlungsvermögen rechnete, täuschte er sich in weitgehendem Maß. Im Frühjahr 1636 hatte Spieringk noch die von Oxenstierna gewünschte Rücksicht auf Camerarius beobachtet, und die ihm aufgetragenen Verhandlungen mit den Generalstaaten in engstem Einvernehmen mit Camerarius geführt, so daß dieser einmal sogar gebeten haben soll, Spieringk möchte noch etwas bleiben, bis die Subsidien wirklich gezahlt seien21. Die beiden schwedischen Vertreter waren im Frühjahr 1636 den niederländischen Behörden gegenüber als wenigstens im wesentlichen einig erschienen. 17

Spieringk an Oxenstierna, Haag 18. 11. 1636, SRA, Ox. slg. SRA, Ox. slg. 19 Ebenda. 20 S. Camerarius an Oxenstierna, Haag 18. u. 25. 11. 1636, SRA, Ox. slg. 21 Spieringk an Oxenstierna, Haag 2. 5. 1636, SRA, Ox. slg. 18

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Es zeigt, wie fest die Zusagen gewesen sein müssen, die Spieringk inzwischen für den Gesandtenposten erhalten hatte, und daß sein Auftrag von einem vorläufigen in einen dauernden verwandelt worden war, daß er sich mit einem Wort jetzt in der starken Position fühlte, wenn er im November 1636 solche Rücksichten nicht mehr nahm und – nicht eben ein Zeichen für sein diplomatisches Feingefühl – auch nicht davor zurückschreckte, daß die Differenz mit Camerarius vor Generalstaaten und Generalstatthalter ausgetragen wurde. Ja, er unternahm sogar die ersten und entscheidenden Schritte hierzu. Gleich bei der ersten Audienz am 14. November 1636 führte er nämlich vor den Generalstaaten nicht nur aus, daß er selbst es sei, der hinfort im Haag neben Camerarius zu residieren haben werde, sondern setzte hinzu, er mache diese Mitteilung zu dem Zweck, „auf daz Innfall alhier in einen oder andern Sachen etwas vorfallen solte, Sie alsdann wißen möchten, das Ich eine Dublicque Persohn sey.“ Was das Beglaubigungsschreiben mit gutem Grund nur vorsichtig angedeutet hatte, entwickelte Spieringk damit sehr viel offener. Die Folge war, daß Camerarius in eine noch ungleich peinlichere Lage geriet, als es nach den Direktiven Oxenstiernas nötig gewesen wäre, und daß auch das Ansehen der schwedischen Diplomatie in den Niederlanden durch die überenergische Art, in der Spieringk seinem Kollegen gegenüber vorging, nicht eben befördert wurde. Im gleichen Augenblick, da Camerarius die erste definitive, aber noch immer offenbar nur allgemein und sehr schonend abgefaßte diesbezügliche Mitteilung durch die schwedische Regierung erhielt, wurden auch bereits die niederländischen Behörden im Detail über die geplanten Veränderungen informiert. Den nach den Stockholmer Intentionen anscheinend ganz allmählich und möglichst unmerklich zu vollziehenden Übergang suchten Spieringks Eröffnungen abzukürzen und vorzeitig publik zu machen. Camerarius, der sich im Gegensatz dazu mit großer Starrheit, wie sie seinem Charakter entsprach, aber auch nach den ihm zugegangenen Weisungen mit Berechtigung an die Intention des allmählichen, über Jahre sich hinziehenden Überganges hielt und nicht gesonnen war, auf seine Botschafterfunktionen zu verzichten, sah nunmehr plötzlich seinen Kredit und sein Ansehen bei den Regierungsbehörden der Vereinigten Provinzen hinter seinem Rücken aufs ernstlichste gefährdet. Die zuständigen niederländischen Stellen selbst scheint die Veränderung, die ihnen Spieringk so plötzlich ankündigte, nicht wenig erstaunt zu haben. Obwohl die neuzeitliche Diplomatie mit ihren feststehenden Gepflogenheiten sich soeben erst entwickelte, empfand man doch allem Anschein nach auch damals die Art, wie Spieringk die Ablösung von Camerarius vorantrieb und wie sich die Auseinandersetzung zwischen den beiden Diplomaten vollzog, als ungewöhnlich. Etwas zögernd und erstaunt fiel deshalb bei Spieringks erster Audienz am 14. November die Antwort der Generalstaaten aus: „Das Sie nemlich … so viel verstünden, undt es dahin gemeinet wehre, das ich“ (sc. Spieringk) „mitt der Zeit alhier residiren, undt dagegen Herr Camerarius diese seine Charge quittirenn solte, … worüber denn die Herren Staaten General in gesambt, als auch ein ieder absonderlich mit guter affection mir glücke gewünschet habenn, Sagten auch darbey, das Sie meineten, Solches zu besserer freundtschafft undt Alliance zwi-

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schen der löblichen Crone Schweden undt den vereinigten Niederlanden gereichen solte“22. Trotz ihrer im Frühjahr gezeigten Abneigung gegen Spieringk fanden sich also jetzt die Generalstaaten in den bevorstehenden Personenwechsel. Allerdings geschah es mit nicht geringer Verwunderung, zumal ihnen von Camerarius keinerlei vorgängige Anzeige gemacht worden war, und es ihnen deshalb sonderbar vorkam, sich nun plötzlich an einen anderen beziehungsweise nebeneinander her an zwei Vertreter halten zu sollen23. Noch erstaunter scheint der Generalstatthalter Prinz Friedrich Heinrich gewesen zu sein. Offenbar hatte er bei Spieringks Aufenthalt im Haag im Frühling 1636 diesen mit merklicher Reserviertheit behandelt, weil er – nach Spieringks Bericht – nicht wollte, daß neue Gelder an Schweden gezahlt würden, vielleicht aber auch aus persönlichen Gründen24. Besonders viel lag Spieringk deshalb im November daran, den Generalstatthalter für sich zu gewinnen. Er erwirkte sich schon am 14. die Einwilligung der Generalstaaten, sogleich auch dem Prinzen seine Anliegen vorzutragen, und veranlaßte, daß noch am gleichen Tag dem Generalstatthalter sein Kreditiv zugeleitet wurde. Dieser nun begnügte sich nicht wie die Generalstaaten damit, seine Verwunderung auszudrücken, sondern ließ bereits eine Stunde, nachdem er das Beglaubigungsschreiben erhalten, und einen Tag, bevor er Spieringk die gewünschte Audienz erteilte, anspannen und machte Camerarius einen halbstündigen Besuch, allem Anschein nach, um sich zu erkundigen, was es mit Spieringks Anliegen und dem neuen Arrangement auf sich habe25. Der Prinz zeigte damit, wie Camerarius sich noch immer eines besonderen Vertrauens von Seiten der Oranier erfreute. Entgegen seiner sonstigen Gepflogenheit berichtete Camerarius über diese Visite nicht an Oxenstierna26. Es spricht viel dafür, den Grund für dieses Schweigen darin zu sehen, daß der Charakter des Gespräches so persönlicher und vertraulicher Art war, daß Camerarius die Unterredung nicht zur Kenntnis des Kanzlers zu bringen wünschte. War doch, wenn Oxenstierna ihm auch nach wie vor seinen Schutz gewährte, seine Position dem Kanzler gegenüber längst nicht mehr die wie in den zwanziger Jahren und offensichtlich um vieles schwächer als die von Spieringk. Deshalb hielt sich Camerarius nicht nur mit einem Bericht über den Besuch des Generalstatthalters zurück, sondern wagte es auch nicht, so offen über Spieringk zu klagen, wie sich dieser seinerseits über Camerarius beschwerte. Zu solchen Beschwerden aber sah sich Spieringk noch im November 1636 veranlaßt. Am 16. November, einem Sonntag, am Nachmittag, zwei Tage nach der Audienz bei den Generalstaaten, einen nach dem Empfang durch Prinz Friedrich Heinrich, holte Spieringk seinen Besuch bei Camerarius nach. Doch auch jetzt vermied er es, Camerarius seine Absichten zu eröffnen oder nähere Mitteilung 22

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Spieringk an Oxenstierna, Haag 18. 11. 1636, SRA, Ox. slg. Spieringk an Oxenstierna, Haag 18. 11 . 1636, SRA, Ox. slg. Spieringk an Oxenstierna, Haag 9. 5. 1636, SRA, Ox. slg. Spieringk an Oxenstierna, Haag 18. 11. 1636, SRA, Ox. slg Obwohl er am 18. 11. 1636 ein ausführliches Schreiben an den Kanzler richtete, s. SRA, Ox. slg.

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über die mit Generalstaaten und Generalstatthalter begonnenen Verhandlungen zu machen. Nur Komplimente und gegenseitige konventionelle Liebenswürdigkeiten wurden ausgetauscht27. Camerarius ließ sich dabei seine Verstimmung nicht merken, sondern tat so, als sei Spieringk zu dem Zeitpunkt noch nicht im Haag gewesen, da er ihm durch seinen Diener das königliche Schreiben hatte überbringen lassen28. Trotzdem gab offenbar gerade der Umstand, daß Spieringk auch bei dem nun endlich absolvierten Besuch Camerarius nichts von seinen Maßnahmen und Plänen sagte, bei diesem den Ausschlag zu dem Entschluß, nunmehr auch seinerseits ohne Rückverständigung mit dem Kollegen seine Botschafterfunktionen fortzusetzen, ja sogar neue Verhandlungen anzustrengen. Cameraius konnte sich dabei ebenso wie auf seine bisherigen Instruktionen auf den Wortlaut des letzten königlichen Schreibens stützen, das ihm auftrug, weiter das schwedische Interesse zu vertreten und die Art des Zusammenwirkens mit Spieringk nur sehr allgemein umschrieb. Zwar war in dem Schreiben auch die Direktive, die schwedischen Interessen im Haag weiter zu verfolgen, nur allgemein formuliert. Doch eben die Weite der Formulierung gab Camerarius die Möglichkeit, nach wie vor Oxenstiernas ausführliche Instruktion vom Juli 1635 als maßgebend zu betrachten, in der ihm ja aufgetragen worden war, die Bündnisfrage mit aller Macht voranzutreiben. Ferner ermutigte ihn das Vertrauen, das ihm der Generalstatthalter durch seinen Besuch bezeigt hatte, und nicht weniger gab es ihm einen Auftrieb, daß auch die Generalstaaten, nachdem sie zunächst Spieringks Eröffnungen vorerst akzeptiert und den neuen Vertreter Schwedens beglückwünscht hatten, bedenklich wurden, weil bei der Audienz vom 14. November Spieringks Ausführungen über seine schriftliche Vollmacht hinausgegangen waren. Bereits am 25. November 1636 konnte Camerarius nicht ohne Triumph an Oxenstierna berichten, Mitglieder der Staaten hätten ihn besucht, um sich deswegen zu erkundigen29, und auch Spieringk schrieb ehrlich nach Stockholm, schon bald nach seiner ersten Audienz seien den Generalstaaten manche Bedenken wegen seiner Eröffnungen und Vorschläge gekommen, und sie hätten sich überlegt, welche Schwierigkeiten einer ersprießlichen Zusammenarbeit zwischen Spieringk und Camerarius im Wege ständen, „dieweill ich alhier residiren solte, so würde Herr Camerarius vielleicht, so viel Ihme immer möglich wehre, mir contraminiren“30. Und ein Kontraminieren war es tatsächlich, das Camerarius nun begann. Der Anfrage der Generalstaaten gegenüber hatte er zwar Spieringk allem Anschein nach noch gedeckt, ebenso wie die Erkundigungen, die Prinz Friedrich Heinrich bei seinem Besuch bei Camerarius einzog, nicht bewirkt hatten, daß der Generalstatthalter Spieringk einen ungnädigen Empfang bereitet hätte. Vielmehr betonte dieser, daß der Prinz ihm diesmal sehr viel mehr Freundlichkeit 27

Camerarius an Oxenstierna, Haag 25. 11. 1636, SRA, Ox. slg.; Spieringk an Oxenstierna, Haag 18. 11. 1636, SRA, Ox. slg. 28 Spieringk an Oxenstierna, Haag 18. 11. 1636, SRA, Ox. slg. 29 SRA, Ox. slg. 30 Spieringk an Oxenstierna, Haag 18. 11. 1636, SRA, Ox. slg.

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bezeigt hätte als im Sommer31. Im übrigen aber nahm er keinen Anstand, Spieringk nach Kräften entgegen zu arbeiten und, indem er sich an seinen Posten und seine politischen Ideen klammerte, dem schwedischen Ansehen ebenso zu schaden, wie Spieringk es durch die Robustheit tat, mit der er sämtliche Gesandtenfunktionen an sich zu bringen versuchte. Um nur einige weitere Monatsraten war Spieringk bei den Generalstaaten eingekommen. Zur Erfüllung dieser gemäßigten Forderung, meinte er, würden sie sich am ehesten gewinnen lassen. Eine anfängliche Beschränkung in den Vorschlägen war seinem gewiß richtigen Dafürhalten nach der sicherste und kürzeste Weg, möglichst rasch zu Geld zu kommen32. Wenn aber erst einmal einige Mittel flüssig gemacht seien, würden, so rechnete Spieringk, weitere Subsidien folgen und ganz allmählich auch die Allianzverhandlungen wieder in Gang kommen, die ja seit 1629 trotz zahlreicher Vorstöße von Camerarius noch immer in der Schwebe waren und durch die seit 1630 laufenden vorläufigen Subsidiarabmachungen hatten ersetzt werden müssen. Er ging dabei von der Annahme und dem Wunsch aus, Schweden werde bald zu einem Waffenstillstand beziehungsweise Frieden mit seinen Gegnern gelangen, und alsdann werde die Republik der Vereinigten Provinzen Schweden nötiger haben als umgekehrt Schweden die Niederlande, oder zumindest werde sich doch die Verhandlungsposition Schwedens merklich verbessern. Konnten doch seiner Ansicht nach die Niederlande nicht so rasch den Krieg beenden wie Schweden. Mehrmals ließ er deshalb im Frühjahr 1637 bei den Generalstaaten durchblicken, wie gut möglich und nahe liegend ein Sonderfriede zwischen Schweden und dem Kaiser sei, und tatsächlich scheint eine solche Möglichkeit, bei der die Niederlande dann gegen die habsburgische Macht nicht mehr hätten auf Schweden zählen können, einen gewissen Eindruck bei den Generalstaaten nicht verfehlt zu haben. Spieringk hoffte deshalb, daß mit der Zeit die Generalstaaten ihrerseits Allianzvorschläge machen würden. Es störte daher seine Pläne nicht wenig, als er im Lauf des Dezember 1636 feststellte, daß Camerarius mit dem ganzen Elan, der ihm noch immer eigen war, einen neuen Vorstoß bei den Generalstaaten und dem Generalstatthalter unternahm, und sie zu bewegen versuchte, auf ein weitreichendes Bündnis mit Schweden einzugehen33. Schon im November hatte er beunruhigt an Oxenstierna berichtet: „Ditto Herr Camerarius beginnet nun auch alhier in dem Haag, gleich ich thue, fleißig mit seiner Karehte herumb zu fahren, und die Herren von den Staaten General einen nach dem andern zu visitiren“34. Im Dezember 1636 wurde er sich dann über die Richtung dieser Aktivität vollends klar, und es war nun so weit, daß die beiden schwedischen Vertreter mit unterschiedlichen Vorschlägen an die niederländischen Regierungsbehörden herantraten. Für die ohnehin so zögernden und langsamen Generalstaaten war diese Gegensätzlichkeit der willkommene Vorwand, die Dinge noch langsamer zu behandeln und die Rivalen gelegentlich sogar gegeneinander auszuspielen. Andererseits aber wurde auch 31

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Spieringk an Oxenstierna, Haag 18. 11. 1636, SRA, Ox. slg. Spieringk an Oxenstierna, Haag 16. u. 23. 12. 1636, SRA, Ox. slg. Camerarius an Oxenstierna, Haag 25. 11. 1636, SRA, Ox. slg. Spieringk an Oxenstierna, Haag 18. 11. 1636, SRA, Ox. slg.

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den niederländischen Stellen das dauernde Gegeneinander der beiden schwedischen Diplomaten so hinderlich, daß sie es von sich aus unternahmen, ihr Verhältnis zu bessern und wenigstens zu erreichen, daß Camerarius bei den von ihm angestrengten Allianzverhandlungen in die Zuziehung Spieringks einwilligte, ein Bemühen, dem sich Camerarius zunächst hartnäckig widersetzte35. Es war ein ebenso unerfreuliches wie dem schwedischen Ansehen abträgliches Schauspiel, das sich so über Monate, ja Jahre hinzog und nicht nur im Haag, sondern auch in anderen Residenzen Beachtung fand. Voller Bedauern und doch nicht ohne einen gleichzeitigen leichten Anflug von Schadenfreude äußerte sich in Paris Grotius über die Differenz, der es weder mit Camerarius noch mit Spieringk verderben wollte, wenn ihm auch seiner ganzen Geisteshaltung nach Camerarius näher stand36; und auch in Stockholm machte man sich selbstverständlich Sorgen. Trotzdem nahm die schwedische Regierung interessanterweise zunächst offenbar davon Abstand, durch einen Machtspruch und definitive Weisungen die Kompetenzen zu klären. Es scheint, daß Oxenstierna an seiner ursprünglichen Idee festhielt und noch immer hoffte, es werde sich, ohne daß er noch einmal eingriff, mit der Zeit ein passables Verhältnis zwischen Spieringk und Camerarius entwickeln und der von ihm gewünschte ganz allmähliche Übergang der Botschafterfunktionen von diesem auf jenen doch noch möglich werden. Jedenfalls erreichte Spieringk bis zum Ende des Frühjahrs 1637 durch seine Beschwerden nicht, daß von Stockholm aus Camerarius verboten wurde, die Allianzbemühungen fortzusetzen. Ja, in den ersten Monaten des Jahres 1637 hat es sogar den Anschein, als habe Spieringk eine Weile das Gefühl gehabt, zu weit gegangen zu sein, als sei er in diesen Monaten wieder vorsichtiger aufgetreten37. Dann aber bereitete es ihm nicht geringe Genugtuung, als er am 3. März 1637 an Oxenstierna berichten konnte, die Generalstaaten hätten zwar nun endlich dem Drängen von Camerarius statt gegeben und Deputierte bestellt, die mit ihm die Einzelheiten eines etwaigen Allianzvertrages erörtern sollten, doch die erste Frage dieser Deputierten sei gewesen, ob Camerarius die Aufhebung aller seit 1614 eingeführten Ostseezölle zusagen könne, und als er das habe verneinen müssen, seien die Spezialverhandlungen schon bei der ersten Sitzung gescheitert38. Und tatsächlich war es die leidige, durch seine ganze Gesandtenzeit sich hinziehende Zollfrage, die zu verhältnismäßig raschem Scheitern auch dieses letzte, verzweifelte Bemühen von Camerarius brachte, noch einmal die Verhandlungsinitiative in die Hand zu nehmen und seine Stellung durch einen Bündniserfolg zu retten. Da ihm ein solches Resultat auch 1637 versagt blieb, verringerten sich von vornherein die Erfolgsaussichten einer Reise, die sein Sohn Joachim auf väter35

Spieringk an Oxenstierna, Haag 7. 1. 1637, SRA, Ox. slg. Hugo Grotius an Peter Smaltze, Paris 17. 4., 22. 5., 17. 8. 1637, in: Hugonis Grotii … epistolae …, 1687. 37 S. Spieringk an Oxenstierna, Haag 21. 1., 3. 2. 1637, SRA, Ox. slg 38 Spieringk an Oxenstierna, Haag 3. 3. 1637, SRA, Ox. slg.; „Protocollum der conferentz mit den Stadischen Deputirten den 15./25. Februarii Anno 1637“, von Camerarius aufgesetzt, Coll. Cam. Vol. 30, Nr. 77. 36

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liche Weisung hin Mitte März 1637 nach Schweden antrat39. Nach mehrjähriger Tätigkeit in der Umgebung Gustav Adolfs und Oxenstiernas assistierte Joachim (IV) Camerarius seit 1636 als schwedischer Legationssekretär seinem Vater im Haag, und wenn dieser schon von seinem Botschafteramt zurücktreten sollte, wäre es ihm gewiß lieber gewesen, anstatt Spieringks seinen Sohn zum Nachfolger zu erhalten, obwohl er dies nicht aussprach. Es mochte damit zusammenhängen, daß Spieringk bald gegen Joachim noch mehr als gegen Ludwig Camerarius eingenommen war und des ersteren Reise nach Stockholm mit großen Sorgen entgegensah. Oxenstierna möge sich nur ja nicht gegen ihn einnehmen lassen, schrieb Spieringk, und etwas anderes glauben als das, was er in seinen Berichten dargelegt habe; denn sicher würden Vater und Sohn Camerarius versuchen, „bei der hochlöblichen Regirung und Ewer Excellenz mir eines anzusetzen unnd sehen, ob sie mich mit solcher manier konnten von hinnen bringen“40. Spieringk konnte getrost sein; denn wenn Joachim Camerarius in Stockholm vielleicht auch ähnliches versuchte, war in dieser Hinsicht doch keine Rede von einem Erfolg. Zwar scheint es, daß Oxenstierna Joachim Camerarius noch einmal die repräsentativen Botschafterrechte seines Vaters bestätigte. Noch immer hielt der Kanzler daran fest und setzte dies auch nach wie vor dem Reichsrat gegenüber durch, daß Camerarius vorerst noch das Decorum des Botschafters gewahrt blieb. Gleichzeitig aber machte er offenbar nunmehr Joachim Camerarius deutlicher, als er es in seinen und der übrigen Regierung Schreiben bisher getan hatte, daß Camerarius sich bei allen Verhandlungen mit Spieringk zu verständigen und – mehr als das – daß er sich nach diesem zu richten habe. Dem entsprach es, daß sehr verspätet im April 1637 im Haag die Weisung einging, wegen der Allianz nicht weiter zu „urgiren“41. Im August 1637 wurde dann auch Spieringk zu Oxenstierna zitiert42, und bei diesem Besuch scheint sein Verhältnis zu Camerarius endgültig geklärt worden zu sein. Jedenfalls lassen seit Herbst 1637 die Differenzen nach, oder treten doch wenigstens nicht mehr so offen in Erscheinung. Einerseits nahm Spieringk von nun an auf die äußeren Rechte von Camerarius mehr Rücksicht. Andererseits hielt dieser sich sehr viel mehr als bisher zurück und überließ in der Hauptsache die eigentlich wichtigen Geschäfte Spieringk. Wenn auch Camerarius die äußeren Ehren gewahrt blieben, ist doch nicht zu zweifeln, daß Spieringk bei dem Streit von 1636 und 1637 auf die Dauer Sieger blieb und daß Camerarius sein verbissener Widerstand nichts genützt hatte. Ganz ohne Reibungen ging es freilich auch weiterhin nicht ab. Besonders im April 1638 glaubte Spieringk noch einmal, Camerarius arbeite ihm entgegen. Allzu groß war der Gegensatz zwischen beiden Männern, als daß bei der notwendigerweise nach wie vor vorhandenen Überkreuzung ihrer Funktionen ein wirk39

Camerarius an Pfalzgraf Johann Kasimir, Haag 30. 3. 1637, SRA, Stegeborgs samlingen; Die Reiseberichte von Joachim Camerarius Coll. Cam. Vol. 30, Nr. 84 ff.; das Begleitschreiben an die Königin, Coll. Cam. Vol. 30, Nr. 83. 40 Spieringk an Oxenstierna, Haag 10. 3. 1637, SRA, Ox. slg. 41 Oxenstierna an Spieringk, Stockholm 28. 2. 1637, s. Spieringk an Oxenstierna, Haag 17. 4. 1637, SRA, Ox. slg. 42 Spieringk an Oxenstierna, Haag 8. 5. 1637, SRA, Ox. slg.

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lich annehmbares Verhältnis möglich gewesen wäre. Auch Rutgers und Camerarius hatten seinerzeit aufs engste miteinander zu wirken gehabt, und trotzdem war ihre Zusammenarbeit stets harmonisch verlaufen. Doch war damals, abgesehen von dem Fragenkomplex der evangelischen Allianz, Rutgers noch eindeutig Camerarius übergeordnet gewesen und außerdem schon nach knapp zweijähriger Zusammenarbeit gestorben, so daß zum Austrag etwa doch allmählich möglicher Differenzen kaum die Zeit blieb. Vor allem aber standen Camerarius und Rutgers sich nach Bildung und Charakter nahe, während Camerarius von Spieringk Welten trennten. Beide, Camerarius und Rutgers, wurden ja in ihrer Erscheinung bestimmt von der Geistigkeit des Humanismus, die sich beim einen in ausgesprochenem Maß, beim anderen weniger verband mit einer tiefgehenden Religiosität. Lag in der Intensität der Gläubigkeit ein gewisser Unterschied, so war derselbe noch merklicher in einem größeren Realismus des politischen Urteils, über den Rutgers verfügte. Doch diese Gegensätzlichkeit im Verhältnis von Camerarius und Rutgers wurde überbrückt nicht nur durch das Gemeinsame der Bildungsgrundlagen, sondern ebensosehr durch gemeinschaftliche Charakterzüge und ein daraus erwachsendes großes gegenseitiges Verständnis. Spieringk hingegen stand der Welt des Humanismus selten fremd gegenüber. Sproß einer niederländischen Kaufmannsfamilie, hatte er eine einseitig kommerzielle Ausbildung empfangen. Er hatte seine Laufbahn begonnen im Dienste des Familienunternehmens, war dann durch den Ostseehandel seiner Firma allmählich in Kontakt mit den schwedischen Regierungsstellen gekommen und hatte es gemeinsam mit seinen Brüdern, vor allem Isak und Abraham Spieringk, 1626 in Oxenstiernas Auftrag übernommen, das schwedische „Lizenzwesen“ im Ostseegebiet, besonders in Preußen auf- und auszubauen43. Er hatte sich dabei als Finanzexperte von hohem Rang erwiesen, dem es nicht zuletzt zu danken war, daß Schweden seine Großmachtpolitik finanziell durchstehen konnte. Mit gutem Grund hielt deshalb Oxenstierna große Stücke auf ihn. Der Kanzler war sich im Klaren darüber, daß Spieringk dem schwedischen Staatswesen im Bereich der Wirtschafts- und Finanzverwaltung ebenso wichtige und vielleicht noch bedeutsamere Impulse gab, als Camerarius es auf dem Gebiet diplomatischer Routine und humanistisch kultivierter Staatskunst tat. Wie bei diesem nahm Oxenstierna auch bei Spieringk angesichts seiner Meriten eine weitgehende Einseitigkeit in Kauf. Er fand sich damit ab, daß die Berichte aus dem Haag nun nicht mehr in flüssigem Latein geschrieben waren und keine kultivierte Schilderungskunst mehr zeigten. Vielmehr rapportierte Spieringk in einem ziemlich ungeschlachten Deutsch, ohne auf eine gepflegte Darstellungsweise Gewicht zu legen. Nachrichten über das politische Geschehen außerhalb der Niederlande, an denen die Depeschen von Camerarius so reich gewesen waren, fanden sich nur noch in ungleich geringerem Maß. Auch bei Schilderung der Vorkommnisse in den Vereinigten Provinzen standen wirtschaftliche Fragen sehr viel mehr im Vordergrund als bei Camerarius. Alles in allem erscheint die Art, in der Spieringk seinen Gesandtenpflichten nachkam, 43

S. E. Wendt, Det Svenska Licensväsendet i Preußen 1627–1635, Uppsala 1933.

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fast noch einseitiger als die von Camerarius praktizierte Methode. Nachdem die zehnjährigen Versuche von Camerarius nicht zum Erfolg geführt hatten, das schwedisch-niederländische Verhältnis auf eine breite Bündnisbasis mit weiten politischen Zielen zu stellen, und nachdem in seiner Botschafterzeit die Fragen des Kupferhandels zweifellos vernachlässigt worden waren, mußte es zwar für jeden Nachfolger von Camerarius als das Gegebene gelten, ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, wenigstens begrenzte Subsidien zu erhalten und sich der Problematik des Kupfergeschäftes zu widmen. Für eine so einseitig wirtschaftspolitische Begabung wie Spieringk aber bedeutete diese Notwendigkeit geradezu eine Versuchung, und es ist kaum zu bestreiten, daß er dieser Versuchung bis zu einem gewissen Grad erlag. Camerarius erfüllte die Auffassung, die Spieringk von der Gesandtenaufgabe hatte, mit der ihn noch immer beherrschenden Verachtung alles Kommerziellen, während andererseits Spieringk bei seiner ganzen Veranlagung keinerlei Sinn für die Schöngeistigkeit und den politischen Idealismus von Camerarius hatte, und diese für seinen Rivalen so wesentlichen Züge ihm nur lächerlich schienen. Bei dem nüchtern-merkantilen Sinn, der Spieringk persönlich ebenso wie im Hinblick auf das schwedische Staatsinteresse beherrschte, war es Ende der dreißiger Jahre nur natürlich, daß er einen baldigen Frieden für das Erstrebenswerte hielt und zwar gegebenenfalls einen Sonderfrieden, bei dem Schweden für die eigene Großmachtstellung möglichst viel gewann und sich alsdann, wenn nötig ohne Rücksicht auf die übrigen protestantischen Länder, vom großen Kriegstheater zurückziehen konnte. Es ist bekannt, wie dieser Gedanke sich damals, hier schärfer, dort weniger scharf formuliert, in schwedischen Regierungskreisen mehr und mehr verbreitete. Indem Spieringk ihn vertrat, repräsentierte er in vieler Hinsicht eine im Aufstieg befindliche Richtung. Camerarius hingegen versuchte, wie nach allem anzunehmen ist, auch Ende der dreißiger Jahre und in den vierziger Jahren noch dahin zu wirken, daß Schweden nur Frieden schließe, wenn die protestantische Sache in Deutschland und besonders die pfälzische Restitution gesichert seien. Er befand sich somit auch in seiner allgemeinen außenpolitischen Konzeption im Gegensatz zu Spieringk. Zwar waren beide an sich Anhänger und Vertreter der schwedischen Großmachtpolitik. Doch Spieringk wünschte, dieselbe sich viel mehr auf das spezielle schwedische Staatsinteresse konzentrieren zu sehen. Er wertete die internationale Gemeinsamkeit der evangelischen Interessen und den Nutzen, der aus der machtpolitischen Wahrnahme dieser die Mehrzahl der protestantischen Mächte betreffenden Anliegen für Schweden entsprang, sehr viel geringer als Camerarius. Insofern und in der stärkeren Beachtung, die er den wirtschaftlichen Anliegen widmete, entsprach Spieringk den Wünschen derer, die in Schweden Camerarius opponiert hatten. Gebürtiger Schwede hingegen war er ebensowenig wie Camerarius, und in diesem Punkt war die Opposition bei Oxenstierna also nicht durchgedrungen44. 44

Während der Reichsrat noch 1634 einen gebürtigen Schweden als Vertreter im Haag verlangt hatte, scheint er 1636 Spieringks Ernennung gebilligt zu haben, der in diesem Jahr ja auch Aufnahme in den schwedischen Adel fand. S. Svenska Riksrådets Protokoll v. 27. 9. 1636, 611: „Tyekte och väll radeligitt, man behåller Spieringk uthi Chronones tjenst, och meente honom

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Vielmehr zeigte Spieringks Ernennung, wie unumgänglich es dem Kanzler nach wie vor schien, Ausländer für hohe Staatsämter zu verwenden. Das gegenteilige Verhalten von Spieringk und Camerarius in der niederländischen Bündnisfrage entsprang zum Teil dieser unterschiedlichen Auffassung von den allgemeinen Zielen der schwedischen Politik: Im Urteil von Spieringk, der einen baldigen Sonderfrieden ins Auge faßte, hatte ein großes, Schweden neue Verpflichtungen auferlegendes Bündnis nicht mehr solchen Wert wie nach Meinung von Camerarius, der nur einen solchen Frieden für tragbar hielt, in dem die Anliegen aller Evangelischen geregelt wurden. Es kam zu seinen persönlichen Mißgeschicken als weiteres deprimierendes Moment hinzu, daß Camerarius gerade 1637 und 1638 offenbar das Gefühl hatte, daß es fraglich war, ob sich der weitere Schutz der deutschen Protestanten und die Rettung der pfälzischen Sache durch Schweden würden erwirken lassen. So waren es denn schwere Sorgen, die ihn bedrückten. Besonders in dem 1637 nach mehrjähriger Pause wieder aufgenommenen Briefwechsel mit dem Pfalzgrafen Johann Kasimir kamen sie zum Ausdruck, der damals ebenfalls über einen starken Verlust an Einfluß zu klagen hatte. Der Stern der beiden Pfälzer stieg und sank in Schweden zu gleicher Zeit45. Nicht nur Sorge trat in den Briefen an den Pfalzgrafen hervor, sondern darüber hinaus eine tiefe Resignation, die Camerarius bisher fremd gewesen war und die nun bewirkte, daß er 1638 tatsächlich den Widerstand gegen Spieringk aufgab und sich in sein allmähliches Scheiden von der politischen Bühne fügte. Sehr bezeichnend für seine damalige Stimmung ist ein Brief an Johann Kasimir vom 30. März 1637, in dem sich die folgenden tief resignierten Sätze finden: „Und seind sonsten die Sachen also beschaffen, daß ohne betrübnuß und Hertzeleyd davon nicht viel zuschreiben ist, unnd bekümmert mich zwar in meinem zimlich hohen Allter sehr starck, daß ich nit allein unser geliebtes Vatterland, die Deutsche Nation vast undergehen sehe, Sonder daß hernach die verderbliche consequentz auch andere Land und Provincien betreffen möchte, Über alles aber gehet mir tieff zu Hertzen, daß nun mehr in der Welt es so weit kommen, daß weder treue noch ehr bey dem mehrentheil der Menschen in acht genohmen wirdt, darumb Ich desto mehr in allem trübsall getrost bin, daß vielleicht meine mir von Gott bestimbte Jahr zum end lauffen möchten. E. F. D. versichern sich, daß die Cron Schweden an mir einen trewen Diener halt, und daß Ich auch in derselben devotion bestendig verharren werde, Ob Ich wohl spühre, daß Leuth sein, die durch verleumbdung mich gern in ungelegenheit bringen wollen. Mich tröstet aber mein guttes gewissen, und bevehle dem lieben Gott die Sache, der wirdt es wohl machen“46. kunde brukas i Hollandh och giffves honom en löhn vom Hauss aus, …“. Falls allerdings die Bezeichnung „Lohn von Hauss aus“ hinsichtlich der Intensität des Dienstverhältnisses dieselbe Bedeutung hatte wie der damals gängige Begriff des „Dieners von Haus aus“, so ist als möglich anzunehmen, daß der Reichsrat ursprünglich an kein so festes Dienstverhältnis dachte, wie es durch Oxenstierna dann für Spieringk als Gesandten geschaffen wurde. 45 Nach freundlicher Information von Herrn Archivdirektor Dr. Åke Kromnow, Stockholm. 46 SRA, Stegeborgs samlingen. Es ist interessant, wie hier, was aber in der Hauptsache Zufall sein dürfte, stärker als in den meisten übrigen Schreiben, der Gedanke an die Nation hervortritt.

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Noch ist in diesem Brief, entsprechend seinem übrigen Verhalten im Frühjahr 1637, die Absicht deutlich, seine Stellung soweit irgend möglich zu behaupten. Doch verglichen mit der Camerarius früher eigenen Energie klingt auch hier diese Absicht bereits vergleichsweise müde, und es ist ein neuer, seiner bisherigen Haltung durchaus fremder Zug, wenn er sich jetzt einen baldigen Tod wünscht, um aller Enttäuschungen und Sorgen überhoben zu werden. Freilich dürfte dieser Wunsch nicht allzu ehrlich gewesen sein. Gleichwohl ist er für die Stimmung, in der Camerarius sich befand, überaus bezeichnend. Spiegelt sich hier doch die bisher bei ihm noch nie bemerkbare Ansicht oder doch Besorgnis wider, daß die Ziele, denen er sein Leben lang nachgetrachtet hatte, sich nicht würden erreichen lassen. Ja, noch mehr als das, er schien zeitweise geradezu die Vernichtung alles dessen zu befürchten, was ihm in der Politik wert war. Indem aber die Resignation im Laufe der Jahre 1637 und 1638 von Monat zu Monat bei ihm fortschritt, wurde sie für sein Leben allmählich von einem nur negativen zu einem auch positiven Moment. Brachte sie ihn doch mit der Zeit dazu, sich hinsichtlich seiner eigenen Laufbahn in das Unvermeidliche zu schicken, und, nachdem er dies erst einmal vollbracht hatte, kehrte ihm auch eine gewisse Heiterkeit des Geistes zurück. Von Ende 1638 ab klingen seine Briefe wieder froher und freier. Jetzt kämpfte er nicht mehr um die Bewahrung seiner Stellung, sondern nur noch darum, daß ihm die in Aussicht gestellte ausreichende Altersversorgung wirklich zuteil wurde. Zwar ließ diese zwei Jahre auf sich warten. Doch erwuchs ihm insofern daraus kein Schaden, als er ja bis zu seiner Verabschiedung Botschafter blieb und somit weiter über die ihm zustehenden hohen, allerdings immer stockender eingehenden Bezüge verfügte. Wohl anfangs 1639 ersuchte Camerarius offiziell um seine Verabschiedung und um Gewährung eines Ruhegehaltes47. Daraufhin entschloß er sich, sein großes, 1626 bezogenes Ministerhotel aufzugeben und an die Generalstaaten abzutreten, und, um nicht erst ein neues Haus im Haag beziehen zu müssen, nahm er eine Zeit lang auf dem Land Wohnung48. Doch der Entscheid der schwedischen Regierung blieb länger als vermutet aus, und die Ungewißheit schaffte einige Verlegenheit. Endlich, am 11. August 1640, wurde in Stockholm seine offizielle Abberufung ausgefertigt. Allein dieselbe bedeutete zunächst wiederum eine Enttäuschung; denn die finanzielle Weiterversorgung blieb in ihr zunächst noch ungeklärt, und die wenigen diesbezüglichen Bestimmungen, die die Abberufung enthielt, befriedigten Camerarius keineswegs. Er entschloß sich deshalb, Anfang Mai 1641 noch einmal seinen Sohn nach Schweden zu schicken49. Dieses Vorgehen bewährte sich: Am 21. September 1641 folgte der sich nur auf die Enthebung von den Botschafterfunktionen beziehenden Abberufung die förmliche Verabschiedung aus dem schwedischen Staatsdienst, und dieser Abschied brachte Bestimmungen, die Camerarius durchaus befriedigen konnten. In gnädigen Worten sprach ihm Königin Christine ihren Dank für seine langjährigen Dienste aus. Es wurde 47

S. Camerarius an Johann Kasimir, Alphen 12. 5. 1639, SRA, Stegeborgs samlingen. Camerarius an Johann Kasimir, Alphen 12. 5. 1639, SRA, Stegeborgs samlingen. 49 Die Korrespondenz zwischen Ludwig und Joachim Camerarius aus den vierziger Jahren, auch über die zweite Reise des Sohnes nach Schweden, Coll. Cam. Vol. 28, Nr. 96–160. 48

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ihm auf Lebenszeiten ein Jahrgehalt von 1800 Hamburger Talern ausgesetzt, und ferner erhielt er, der seit 1628 schon den Titel eines königlichen Hofrats führte, nunmehr die Würde eines schwedischen Geheimen Rates50. Die so herbeigeführte Lösung scheint dem entsprochen zu haben, was Camerarius glaubte, sich erhoffen zu können, und es dürfte ehrlich gewesen sein, wenn er in einem Dankbrief nach Schweden die getroffenen Bestimmungen als solche bezeichnete, „quae senectutem meam consolentur … et necessitatibus meis privatis liberaliter consulant“51. Soviel Rücksicht und noch immer vorhandene Anerkennung schon in der Bestimmung von 1636 gelegen hatte, daß der Rückzug von Camerarius von dem Botschafterposten nur ganz allmählich erfolgen sollte, so ehrenvoll war nach der dazwischen liegenden zeitweiligen Vernachlässigung nun auch die neue Titulierung, und ebenso ließen sich 1800 Taler als Jahrespension hören. Freilich sollte dieses Gehalt alles andere als regelmäßig eingehen, und Camerarius mußte in den folgenden Jahren wiederholt vorstellig werden52. Trotzdem scheint es, daß die Summen, die er erhielt, hinreichten, ihm einen in finanzieller Hinsicht im wesentlichen sorgenfreien Lebensabend zu verschaffen53. Am 1. August 1649 erfolgte dann als letzte Ehrung die Erhebung in den schwedischen Adelsstand, freilich ohne daß Camerarius in die eigentliche schwedische Ritterschaft Aufnahme gefunden hätte. Man sucht deshalb auch heute noch das Wappen der Camerarii vergeblich unter den bunten Täfelchen im Festsaal von Riddarhuset in Stockholm, in dem sich die Wappen aller schwedischen „introduzierten“ Adelsfamilien vereinigt finden. Allein dies bedeutete für Camerarius die geringste Sorge. Zeigte sich doch bereits zur Genüge, wie er noch der alten Auffassung anhing, nach der ein Doktortitel ebensoviel wie ein Adelsprädikat bedeutete und gelehrte Bürgerliche, zumal wenn sie patrizischer Herkunft waren, ohne Nobilitierung sehr wohl hohe Staatsämter bekleiden konnten. Auch noch im Alter scheint er an dieser Ansicht festgehalten zu haben. Wie früher findet sich auch in den vierziger Jahren nicht, daß er mit besonderer Energie die Nobilitierung betrieben hätte. Camerarius stand hierin wiederum in entschiedenem Gegensatz zu Spieringk, dem außerordentlich viel daran lag, geadelt zu werden54. Der Gegensatz erklärt sich daraus, daß Spieringk nicht über gelehrte Würden verfügte und wie in seiner ganzen Lebensauffassung, so auch im Hinblick auf das neuerliche Vordringen des höfisch-adligen Elementes in der Gesellschaft sich sehr viel moderner gesonnen zeigte als Camerarius. Das Ergebnis von Spieringks Bemühungen war, daß er und seine Nachkommenschaft schon sehr viel früher als Camerarius die erwünschte gesellschaftliche Rangerhöhung erhielten. Spieringk wurde dabei 50

Schwedisches Kammerarchiv, Stockholm, Likvidationen, Ludwig Camerarius, S. 233–236. Zitiert nach: Den Svenska Utrikesförvaltningens Historia, 71 52 Schwedisches Kammerarchiv Stockholm, Likvidationen, Ludwig Camerarius, S. 236 ff.; Coll. Cam. Vol. 28. 53 Camerarius war sogar in der Lage, der Winterkönigin Elisabeth gelegentlich Geld vorzustrecken (s. Hauck, Elisabeth v. Böhmen), außerdem konnte er nicht geringe Summen für die Vervollständigung seiner Briefsammlung ausgeben. 54 S. SRA, Peter Spierinck-Silvercronas samlingen. 51

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schließlich zum Freiherrn von Silvercrona erhoben und gelangte damit nicht nur zu niedrigem Amtsadel wie Camerarius, sondern fand mit seiner Familie wirkliche Aufnahme in die schwedische Nobilität. Es war die verdiente Anerkennung für die dem schwedischen Staatswesen bei der Finanzorganisation geleisteten Dienste, die Spieringk damit zuteil wurde. Gleichzeitig bedeutete die Nobilitierung einen Ausdruck der Hoffnung, daß er ähnliche Erfolge im Haag, auf diplomatischem Parkett würde erlangen können. Wenn Camerarius es auch nicht aussprach, so dürfte es ihn doch mit einem Anflug von Genugtuung erfüllt haben, daß bei Spieringks Tätigkeit in den Niederlanden ein durchschlagender Erfolg zunächst ausblieb, daß in den ersten Jahren die Dinge ähnlich schleppend weitergingen wie zur Zeit, da er das schwedische Interesse allein zu vertreten gehabt hatte: Nur stockend und langsam ließen sich einzelne, weit rückständige Monatsraten der Subsidien erwirken. Erst das Jahr 1640 brachte eine Wandlung. Jetzt gelang es Spieringk endlich, den von der schwedischen Politik so lange erstrebten Bündnisvertrag unter Dach zu bringen. Zwar war die nun unterzeichnete Allianz sehr viel begrenzter als eigentlich gewünscht. Immerhin stellte die Erneuerung des altüberkommenen Vertrages in einem den veränderten Verhältnissen angepaßten Sinn ein wichtiges Ergebnis dar. Spieringk konnte sich sagen, daß seine Methode, zunächst sich auf die nächstliegende Frage monatlicher Subsidienraten zu beschränken und im übrigen die Dinge sich langsam entwickeln zu lassen, Erfolg gehabt hatte. Camerarius andererseits mochte trösten, daß die Verhältnisse 1640 um einiges günstiger lagen als in der Zeit, da er sich vergeblich bemüht hatte, und daß letzten Endes auch sein damaliges unermüdliches Streben wichtige Vorarbeit geleistet hatte. Keine geringe Befriedigung bedeutete es auch für Camerarius, daß sein Sohn im schwedischen diplomatischen Dienst blieb und hier zwar nicht sein Nachfolger im Haag wurde, aber immerhin 1637 seine Ernennung zum königlichen Rat erhielt und in nicht unwichtigen Funktionen Verwendung fand, bis er – auch dies eine Genugtuung für den Vater – 1645 mit Einwilligung der schwedischen Regierung einer der beiden bevollmächtigten pfälzischen Gesandten auf dem westfälischen Friedenskongreß wurde und später ganz in pfälzischen Dienst überging, in dem er 1687 hochbetagt starb55. Es war eine Laufbahn, die Joachim (IV) Camerarius zwar nicht zu einem solchen Grad des historischen Interesses brachte, wie es sein Vater verdient, oder die ihn gar über die Rolle hinausgehoben hätte, die Ludwig Camerarius in der europäischen Diplomatie spielte. Immerhin aber waren es hohe und ehrenwerte Stellungen im schwedischen und pfälzischen Staatswesen, die Joachim Camerarius erreichte. Ferner war es wichtig und angenehm für Camerarius, daß er 1642 auch noch seine damals bereits einundvierzigjährige Tochter Anna Catharina verheiraten konnte. Nicht eben allzu taktvoll – jedenfalls für unser modernes Gefühl – hatten die Generalstaaten sich im November 1636 auf die Nachricht, daß Camerarius in absehbarer Zeit abgelöst werden sollte, dahin geäußert, er würde gut tun, solange er Botschafter wäre, noch seine Kinder, besonders seine Tochter, zu 55

S. Coll. Cam. Vol. 28, Nr. 26.

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verheiraten56. Nun war es so weit, und Paul Straßburger war es, der Anna Catharina Camerarius 1642 heimführte. Wohl kaum ein lieberer Schwiegersohn hätte sich für Camerarius denken lassen. Aus einer sächsischen Berggewerkenfamilie stammend, hatte Paul Straßburger schon früh die wohlwollende Aufmerksamkeit von Camerarius erregt. Ende der Zwanzigerjahre war diese Aufmerksamkeit dann zu energischer Förderung gesteigert worden. Camerarius hatte Straßburger warm an Oxenstierna empfohlen und nicht geringen Anteil daran gehabt, daß Straßburger in den schwedischen diplomatischen Dienst übernommen wurde57. Hier fiel ihm zunächst die Vertretung der schwedischen Interessen in Siebenbürgen zu, eine Aufgabe, an deren guter Erfüllung Camerarius bei der Bedeutung, die er den südosteuropäischen Verhältnissen beimaß, besonders viel lag. Dann übernahm Straßburger wichtige Funktionen als schwedischer Agent und Gesandter in Deutschland. Er beriet Oxenstierna während dessen Aufenthaltes in Frankfurt, wandte sich darauf mit dem Kanzler nach Schweden und blieb bis in die Fünfzigerjahre einflußreich. Es bedeutete keine geringe Genugtuung für den nun pensionierten Botschafter, somit seine drei am Leben gebliebenen Kinder gut versorgt zu sehen – die andere Tochter, Maria Modesta war schon seit Längerem mit dem pfälzischen Rat Friedrich Dorvilius verheiratet –, Sohn und Schwiegersohn weiterhin im schwedischen Staatsdienst in angesehenen Stellungen zu wissen und sich sagen zu können, daß er sie selbst dahin gebracht hatte. Auch über diesen familiären Einfluß hinaus rissen nach 1641 die Beziehungen zur Politik nicht vollständig ab, obwohl sie nur noch gering waren. Johan Adler Salvius, der Schweden auf dem westfälischen Friedenskongreß vertrat, bat Camerarius 1645 und 1647 um Gutachten58. Vornehmlich um reichsrechtliche Probleme und um die pfälzische Restitutionsfrage ging es in den Schreiben, die Camerarius daraufhin lieferte, und derselbe Fragenkomplex scheint es gewesen zu sein, in dem er auch sonst von schwedischer Regierungsseite noch gelegentlich konsultiert wurde. Dieser Einfluß war um so stärker, als man sich auch pfälzischerseits immer wieder, und zwar öfter als von Schweden aus an ihn wandte. 1640 starb sein alter Freund Rusdorf, und die dadurch ihres bisherigen Leiters beraubte pfälzische Exilregierung holte sich deshalb nun offenbar noch öfter bei Camerarius Rat, als sie es schon in den Vorjahren getan hatte. Jedenfalls lassen sich die Konsultationen von 1641 an im einzelnen verfolgen, da sie – Camerarius verließ 1641 den Haag – schriftlich vorgenommen wurden. Zahlreiche Briefe schrieb von 1641 an Theobald Moritz an Camerarius59. Er berichtete ihm darin über die politischen Ereignisse und erkundigte sich ebenfalls vor allem in der Restitutionsfrage nach der Meinung von Camerarius. Dasselbe tat natürlich Joachim (IV) Camerarius, und auch mit Meisterlein, dem anderen pfälzischen Gesandten bei den Verhand56

Spieringk an Oxenstierna, Haag 18. 11. 1636, SRA, Ox. slg. Über Straßburger s. die Arbeit von M. Mörner, die demnächst in den Südost-Forschungen erscheint. 58 Camerarius an Adler Salvius, Groningen 16. 5. 1645, 5. 11. 1647, SRA, Johan Adler Salvius samlingen. 59 S. Coll. Cam. Vol. 29, Nr. 153–325. 57

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lungen von Münster und Osnabrück, scheint Camerarius in Beziehung gestanden zu haben. So war es immerhin noch ein gewisser, wenn auch nur noch sehr gelegentlicher und begrenzter Einfluß, den er auf das politische Geschehen, besonders bei den westfälischen Verhandlungen, ausüben konnte. Dieser Einfluß aber ging dahin, daß man die Wiederherstellung des Status von 1618 versuchen sollte. Ein Unterschied zu seinen bis weit in die dreißiger Jahre, zumindest bis nach dem Tod Gustav Adolfs, gehegten Hoffnungen ist mithin offensichtlich. Nicht mehr von der Herrschaft der Pfälzer in Böhmen60 und der Vernichtung des habsburgisch-katholischen Kaisertums ist die Rede, was bei Lage der Dinge ja auch schlechterdings unsinnig gewesen wäre. Vielmehr bescheidet Camerarius sich jetzt, und er erachtet wie in der Zeit zwischen 1620 und 1623 als das einzig Erreichbare und mithin Erstrebenswerte, für die Pfalz den ganzen angestammten Besitzstand und für den deutschen Protestantismus all die Positionen zu retten, die er bis 1618 gewonnen hatte. Zwar hielt auch er es für möglich, daß sich nicht einmal mehr der Stand von 1618 würde wahren lassen. Auch ihm schien es bei seinen Ratschlägen denkbar, daß man hinsichtlich des pfälzischen Besitzes wie der Stellung der übrigen Protestanten eine Verschlechterung im Vergleich mit der Lage zu Kriegsbeginn in Kauf nehmen müßte. Immerhin plädierte er mit Entschiedenheit dafür, zunächst in dem Bemühen nicht nachzulassen, alles seit 1618 Verlorene wiederzugewinnen, ein Rat, mit dem er sich aufs neue optimistischer zeigte als manche andere Politiker im protestantischen Lager. Blieb also eine Resignation bei Camerarius vorhanden, so erscheint sie jetzt, Mitte der vierziger Jahre, sehr viel gemäßigter und nicht mehr so trübe wie die, der wir 1637 und 1638 begegneten. Camerarius fürchtete nun nicht mehr ernstlich, Schweden werde sich durch einen Sonderfrieden aus den europäischen Verwicklungen zurückziehen und die Protestanten, besonders die Evangelischen im Reich, ihrem Schicksal überlassen. Ihn beherrschte nicht mehr die Sorge vor der völligen Niederlage des Protestantismus in Deutschland, vor der Zerstörung und Außerkraftsetzung aller seiner politischen Ideale. Ja, seine Resignation wurde nach seiner Pensionierung bereits wieder anspruchsvoll und vergleichsweise optimistisch. Es war eine neu erwachte Hoffnungsfreudigkeit, die insofern enttäuscht wurde, als man von einer völligen Erreichung des Status quo ante bellum im Frieden von Münster und Osnabrück weit entfernt blieb. Doch als es dann endlich so weit war, als die pfälzischen Wittelsbacher wenigstens wieder in den Besitz ihrer rheinischen Stammlande und einer achten Kurwürde gelangten, als der Protestantismus im Reich sich in der Hauptsache eine ähnliche Macht bewahrte wie vor dem Krieg und als sich für Camerarius als Folge des Friedens die Möglichkeit zur Rückkehr in die Pfalz eröffnete, gab er sich, wie es scheint, innerlich mit der Lösung, die der Westfälische Friede brachte, zufrieden. Wohl blieb die Enttäuschung darüber bei Camerarius groß und ein vorherrschender Zug seines Alters, daß so viele, ja in gewisser Hinsicht die Mehrheit seiner großen Ziele nicht erreicht worden, so zahlreiche Ideen und Planungen gescheitert waren. Doch im Vergleich mit der Verbitterung 60

Sie wurde, wie schon gesagt, auch bereits in den letzten Lebensjahren Gustav Adolfs von Camerarius kaum mehr gefordert.

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und Resignation, die ihn aus Ärger über seine bevorstehende Entlassung in den Jahren erfüllt hatte, in denen ihm Spieringk den Platz im Haag ernstlich streitig zu machen begann, war seine Stimmung jetzt abgeklärter, ja bis zu einem gewissen Grad freudiger. Seine Resignation entsprach am Ende des Krieges in vieler Hinsicht durchaus derjenigen, die damals weite Kreise der europäischen Diplomatie erfüllte. Es war nicht mehr so sehr eine Stimmung der Verbitterung als ein Gefühl der Ermüdung, die ermattete und resignierte Erkenntnis, daß sich mehr nicht erlangen ließ, daß man über den Frieden froh sein mußte. Bevor sich jedoch für Camerarius nach dem Friedensschluß die Möglichkeit zur Heimkehr eröffnete und er 1651, im Jahr seines Todes, tatsächlich wieder in die Pfalz übersiedeln konnte, verging vom Zeitpunkt seiner Verabschiedung an gerechnet noch ein Jahrzehnt. Weitreichende Bedeutung hatte deshalb der Entschluß, der 1641 von ihm zu fassen war, wo er hinfort leben, wie er seine Zeit verbringen sollte. Nicht ohne Wehmut hatte er sich am 30. Januar 1641 von den Generalstaaten offiziell verabschiedet und war seitdem aller diplomatischen Bürden ledig. Im Haag zu bleiben, war seitdem seine Absicht nicht mehr. Allzu sehr aufs rein Diplomatische beschränkt waren hier die Verhältnisse. Bei seiner Abneigung gegen Spieringk, bei der teils peinlichen Erinnerung, die sein Widerstand gegen die Aufgabe des Botschafteramtes hinterlassen hatte, erwartete er sich, und wohl mit Recht, wenig Ersprießliches von einem Weiterleben in dem Diplomatendorf, in dem nichts als Politik getrieben wurde. Ohnehin, auch abgesehen von der störenden Anwesenheit des Rivalen, hatte hier Camerarius, der gerne weiter tätigen Anteil an den politischen Vorgängen genommen hätte und es doch nicht mehr tun durfte, immer aufs neue mit schmerzlichen Gefühlen zu rechnen. In einer der großen Handelsstädte mit dem ihm verhaßten Kaufmannsgeist sich niederzulassen, konnte ihm aber noch weniger in den Sinn kommen. Vielmehr war es bei seiner ganzen Einstellung und seinem Verhältnis zu den Niederlanden nur natürlich, daß er, solange der Krieg die Rückkehr nach Deutschland nicht ratsam machte, sich den niederländischen Universitätsstädten zuwandte. Zunächst war es Leyden, in dem er seinen Wohnsitz nahm. Doch nach einem Jahr, 1642, siedelte er nach Groningen über. Was ihn zu diesem Wechsel des Wohnorts bestimmte, waren, wie er äußerte, einerseits finanzielle Gründe. Nach den Erkundigungen, die er eingezogen hatte, war das Leben in Groningen bedeutend billiger als in Leyden. Andererseits aber dürfte ihn, wenn er dies auch nicht in aller Deutlichkeit aussprach, zu der Übersiedelung seine Zuneigung zu der glaubensstrengen Form der Wissenschaft veranlaßt haben, die im gomaristischen Groningen herrschte. Wenn seine dortigen Bekannten aus den zwanziger Jahren auch nur noch zum Teil lebten, war ihm der Geist Groningens und seiner Universität doch nach wie vor sympathischer als der des liberaleren Leyden, und noch immer bedeuteten ihm anscheinend auch die persönlichen Beziehungen, über die er in Friesland verfügte, mehr als diejenigen, die er inzwischen in Holland angeknüpft hatte. Mit der Übersiedelung nach Groningen bewies er, wie auch 1642 noch seine Geisteshaltung und seine Einstellung zu den Strömungen in den Niederlanden im wesentlichen dieselbe war wie in den Jahren, in denen er in den Vereinigten Provinzen Fuß faßte.

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X VI. Kap itel

Camerarius als Sammler Camerarius lebte in Groningen als Witwer. Seine Frau Anna Modesta geborene Pastoir war bereits tot, als die zweite Tochter heiratete. So wurde es nun, da die diplomatischen Pflichten ihn nicht mehr in Anspruch nahmen, da seine Frau fehlte und Töchter und Sohn das Haus verlassen hatten, sehr viel stiller um ihn als im Haag. Er begann das geruhsame Leben des Pensionierten zu führen, und wie es oft bei älteren Menschen geht, scheint es sich auch bei Camerarius verhalten zu haben: Solange er im Dienst war, zeigte er sich von höchster Frische und Leistungsfähigkeit. Nachdem man ihm aber die Bürde seiner Berufspflichten genommen hatte und er nicht mehr genötigt war, mit Anspannung aller seiner Kräfte seinen dienstlichen Pflichten zu genügen, alterte er zusehends. Wie oft in solchen Fällen entsprang auch bei Camerarius der zähe Widerstand gegen seine Pensionierung dem richtigen Gefühl, daß er nur im Dienst sich seine jugendliche Energie würde bewahren können. Seine Schrift wurde in den Jahren nach seinem Übergang in den Ruhestand allmählich zittrig, und er erschien nun in noch viel stärkerem Maß als schon in seinen letzten Botschafterjahren den meisten als alter Mann, der einer vergangenen Zeit angehörte. Der „alte Herr Camerarius“ heißt es jetzt immer wieder in Briefen Dritter, eine Bezeichnung, die zwar zum Teil der Unterscheidung von seinem Sohn diente, die aber doch gleichzeitig, wenn man sie mit den übrigen Urteilen zusammenhält, ziemlich eindeutig zeigt, wie man das Altern von Camerarius allerorts bemerkte1. Freilich blieb Camerarius, auch wenn er unter mancherlei Beschwerden zu leiden hatte, für einen Siebziger noch immer verhältnismäßig frisch, und obwohl es stiller um ihn geworden war, so war er doch keineswegs vereinsamt. Er pflegte in Groningen mannigfachen, ihm sympathischen Verkehr, korrespondierte ferner mit zahlreichen bedeutenden Zeitgenossen, und hatte außerdem die für einen alten Mann stets große Genugtuung, daß sein Sohn nicht nur in einem Beruf gut vorwärts kam, der den Wünschen des Vaters durchaus entsprach, sondern auch sonst in seinen Interessen und Ansichten mit Ludwig Camerarius in hohem Maß harmonierte, so daß er ihn bei der Anlage der großen Briefsammlung, seiner gleich näher zu beschreibenden Altersbeschäftigung, in verständnisvoller Weise unterstützte. Diese Altersarbeit aber sollte für die Geschichtswissenschaft der kommenden Jahrhunderte von großer Bedeutung werden. Indem sich Camerarius ihr widmete, zeigte er, wie groß seine Energie und seine geistige Spannkraft im Grunde noch waren. Gleichzeitig bewies er noch mehr als durch die Wahl von 1



S. z. B. SRA, Johan Adler Salvius samlingen.

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Groningen als Wohnsitz, daß er nach wie vor der Geistigkeit des Gomarismus und jener Religiosität anhing, die seine Persönlichkeit geprägt und sein Leben beherrscht hatte. Mit seiner Pensionierung, mit der Unmöglichkeit, sich weiter in der Politik, seinem eigentlichen Lebenselement, bewegen zu können, trat an Camerarius die in allen Lebensläufen schwere Frage heran, mit welcher Art von Arbeit er sein Dasein weiter gestalten, wie er ihm hinfort einen geistigen Inhalt geben sollte. Bei der hohen Bildung, über die er verfügte, bei der Neigung zu Wissenschaft und Schriftstellerei, die ihn von jeher beherrschte, boten sich ihm an sich mannigfache Möglichkeiten dar, vielgestaltig in zweierlei Hinsicht: Einmal in dem, was die zeitliche Richtung betraf, die er seinen Studien und Bemühungen gab. Er konnte sich entweder der Vergangenheit zuwenden, oder, soweit seine Fähigkeiten das zuließen, den Versuch machen, Werke zu schaffen, die, aufbauend auf dem Geisteserbe der Vergangenheit, in die Zukunft wiesen und auf deren Gestaltung Einfluß übten, also nach dem Vorgang seines großen Pariser Kollegen Grotius verfahren, der durch sein wissenschaftlich-schriftstellerisches Wirken den Grund für das moderne Völkerrecht legte. Zum andern standen ihm verschiedene Wege offen hinsichtlich der Art seiner Betätigung. Er konnte, um nur einige Möglichkeiten zu nennen, wissenschaftliche Bücher schreiben, er konnte schöngeistige Schriftstellerei treiben, er konnte sammeln, er konnte das Zusammengetragene im Druck durch Editionen der Allgemeinheit zugänglich machen. Die Entscheidung, die Camerarius traf, paßt in jeder Hinsicht zu dem Bild, das wir im Bisherigen von seiner Persönlichkeit gewannen. Er zögerte nicht, wie es scheint keinen Augenblick, sich in seiner Beschäftigung ganz auf die Vergangenheit zu verlegen. Noch mehr als schon sein bisheriges Leben verbrachte er auch seine letzten Jahre rückwärtsgewandt. Er widmete in ihnen seine Arbeitskraft dem Anliegen, die Erinnerung an die Reformation und den deutschen Humanismus zu erhalten, an die beiden großen geistigen Bewegungen, die sein Leben bestimmt hatten und nun in ihrer Wirkungskraft dem Ende zugingen. Den Geist der Epoche, der er sich noch zugehörig fühlte, versuchte er aber nicht in der Weise zu verewigen, daß er sich zu ihrem Historiographen machte. Er unternahm es nicht, wie sein Großvater Joachim Camerarius, der Biograph von Melanchthon und Eobanus Hessus, es getan hatte, Lebensbeschreibungen zu verfassen, und noch viel weniger wagte er sich an eine andere Art der historischen Darstellung. Die Art, wie Camerarius dem ihn bewegenden Anliegen diente, war – es trat schon in anderem Zusammenhang hervor – weniger produktiv und in wissenschaftlicher Hinsicht ungleich bescheidener. Eben durch diese Bescheidung aber gewann sein Wirken für spätere Zeiten, für die Geschichtsschreibung kommender Epochen, eine Wichtigkeit, die er mit einer produktiven Historiographie kaum hätte erreichen können. Camerarius legte eine Sammlung von Briefen aus dem 16. und 17. Jahrhundert an, die in Deutschland, aber auch, soweit ich sehe, im übrigen Europa die für die Geschichte der beiden Jahrhunderte bedeutsamste Autographen-Sammlung eines Privatmannes darstellt und heute eine der großen Schätze der Handschriftenabteilung der Münchner Bibliothek bildet. 78 starke Foliobände umfaßt heute die Collectio Camerariana, über die

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Karl Halm im einzelnen gehandelt und deren Bedeutung für die schwedische Geschichte Herman Brulin untersucht hat. So kann die Camerarius-Biographie sich hier Beschränkung auferlegen. Halm gelangt zu dem Ergebnis, daß 11 der 78 Volumina erst später, lange nach dem Tod von Camerarius, mit der Sammlung vereinigt worden sind. Er zählt hierzu auch die Bände 69 bis 73, die Briefe an und von Rusdorf enthalten, und zwar Volumen 69 die Schreiben, die Andreas Pawell an Rusdorf richtete, Volumen 70 Rusdorfs Briefe an Camerarius, Volumen 71 und 72 seine Schreiben an verschiedene andere Persönlichkeiten und schließlich Volumen 73 das schon früher erwähnte Druckmanuskript „Joachimi Rusdorfii nobilis Germani litterae de re publica ad Ludovicum Camerarium consiliarium Palatinum, postea regis Sueciae legatum ad Ordines confoederati Belgii, anno 1629“2. Über den bis heute erhaltenen Bestand der Collectio Camerariana hinaus gehörten ihr ursprünglich einige weitere Volumina an, die in späteren Jahrzehnten von den Erben einzeln verkauft worden sind. Vor allem handelt es sich dabei um die sechs, heute in der Erlanger Universitätsbibtliothek verwahrten Bände, die der Nürnberger Arzt Christoph Jacob Trew im 18. Jahrhundert käuflich an sich brachte und seiner Sammlung einfügte. Die Untersuchungen von E. Schmidt-Hertling geben hier im einzelnen Aufschluß3. Auch fehlen in den einzelnen Bänden hin und wieder Stücke, die wohl schon entwendet wurden, bevor die Sammlung nach München kam. Daß Camerarius die Sammlung anlegen und in Zusammenarbeit mit seinem Sohn zu dem machen konnte, was sie heute für die Geschichtswissenschaft darstellt, verdankte er zum Teil der Bedeutung und der Ordnungsliebe seines Vaters 2



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Halm stützt seinen Nachweis, daß auch die Rusdorfiana erst später zur Sammlung gelangten, vornehmlich auf diese Tatsachen: Erstens figurieren die betreffenden Bände nicht in einem Verzeichnis, das die Erben von Camerarius sine loco et anno für Kaufinteressenten der Sammlung drucken ließen. Zweitens weisen die Bände im Gegensatz zu den übrigen Volumina keinerlei Spuren einer früheren Signatur auf. Drittens sind die Folianten, die den Rusdorfschen Briefwechsel enthalten, anders eingebunden als die ursprünglichen Volumina der Collectio Camerariana. Was das dritte Beweismoment betrifft, so ist dagegen zu sagen, daß bei dem Interesse, das auch Rusdorf für seine literarisch-epistolographischen Produkte hatte, es an sich gut möglich ist, daß er selbst bereits seine Briefe binden ließ und auch wenn die Schreiben doch bereits von Ludwig Camerarius erworben wurden, mithin kein Anlaß bestand, sie in die sonst in der Sammlung üblichen Einbände umzuheften. Hingegen bleiben Punkt eins und zwei der Halmschen Beweisführung bestehen, und besonders das erste Moment erscheint als im höchsten Maß stichhaltig. Es soll deshalb keineswegs der Versuch unternommen werden, Halm zu widerlegen. Nur die Bemerkung mag hier stehen, daß, wären nicht die beiden von Halm aufgeführten Tatsachen, angesichts der ganzen Lebensgeschichte von Camerarius und Rusdorf an sich doch viel für die Annahme spräche, daß die Rusdorfschen Briefschaften noch zu Lebzeiten von Camerarius oder sehr bald danach der Sammlung eingefügt werden konnten. Starb Rusdorf doch 1640 als Junggeselle. Nächste Erbansprüche von Frau und Kindern bestanden also nicht. Dafür war er bis an sein Lebensende eng mit Camerarius befreundet, und zwei Fünftel (vgl. Vol. 70 und 73) seiner nachgelassenen Papiere waren Briefe an Camerarius, die er seinerzeit wohl von diesem zurückerlangt hatte, um das dann nicht veröffentlichte, in Volumen 73 enthaltene Druckmanuskript herzustellen. Camerarius mußte also in allerhöchstem Maß an dem Nachlaß interessiert sein. Schließlich ist auch noch zu bedenken, daß Rusdorf stets mit freundschaftlichem Interesse die Sammeltätigkeit seines Freundes verfolgte. A. a. O.

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und Großvaters. Mit vielen der bedeutendsten Gelehrten ihrer Zeit standen diese beiden Männer ja in Briefwechsel und wenigstens einen Teil der Schreiben, die sie erhielten, hatten sie sorgfältig aufgehoben und ihrem Sohn beziehungsweise Enkel hinterlassen. Es war ein Glück für das Zustandekommen der Collectio, daß Camerarius von Jugend auf ein lebhaftes Interesse für die Geschichte seiner Familie hatte, daß er von Anfang an einen starken Sinn, ja Begeisterung zeigte für die Bedeutung von Reformation und Humanismus, und daß schließlich schon ziemlich früh eine Neigung zum Sammeln bei ihm erwachte. Bereits von 1605 besitzen wir einen Brief von Camerarius, aus dem hervorgeht, daß er sich um eine Ausgabe der Reden seines Großvaters bemühte4. Was er an Schriftstücken ererbte, befand sich also bei ihm in guter Hut und wurde wahrscheinlich noch in seiner Heidelberger Zeit von ihm geordnet und sorgfältig gesichtet. Auch brachte er die Briefe rechtzeitig in sicheren Gewahrsam – vielleicht nach Nürnberg –, so daß sie der Plünderung Heidelbergs im Jahre 1622 nicht zum Opfer fielen5. Vielmehr wurden sie in den Niederlanden zum Grundstock seiner Sammlung zusammen mit dem, was im Lauf der Jahre anfiel von seinem eigenen Schriftwechsel. Den eigenen Briefen von Camerarius gegenüber verhielt sich das Kriegsglück nicht so freundlich wie im Hinblick auf die Korrespondenz seiner Ahnen. Das meiste, was vor der böhmischen Expedition von ihm und an ihn geschrieben wurde und sich in seinem Privatbesitz befunden haben muß, scheint 1622 in Heidelberg verloren gegangen zu sein, da Camerarius seine persönliche Korrespondenz offenbar nicht „ausgelagert“ hatte. Dafür sammelte sich in den Jahren des Exils, von 1621 ab, ein reicher Bestand an. Schon in Bremen und dann noch mehr im Haag scheint Camerarius von vornherein alle wichtigeren Briefe mit bewußter Sorgfalt aufgehoben zu haben. 1623, nach dem Tod des Großhofmeisters Sohns versuchte er auch ein erstes Mal und zwar mit Erfolg, eigene Briefe, in diesem Fall die in den beiden Vorjahren an den Großhofmeister geschriebenen, zurückzuerlangen, die jetzt in Volumen 47 der Sammlung enthalten sind. Auch legte er als Leiter der Exilregierung wie später als schwedischer Gesandter den Unterschied zwischen persönlichen und solchen offiziellen Schreiben, die eigentlich in die betreffenden Regierungskanzleien gehörten, zu seinen Gunsten großzügig aus, wie das bei der damaligen Art des diplomatischen Verkehrs und besonders bei dem intimen Stil, in dem im Exil pfälzischerseits die Geschäfte notgedrungen abgewickelt wurden, allenfalls angängig war. Viele Stücke, die für das pfälzische, aber auch für das schwedische Staatswesen von allgemeinster, ja zentraler Bedeutung waren, gelangten so in die Collectio Camerariana. Etwa von der Mitte der dreißiger Jahre an ging Camerarius dann in größerem, über bisherige nur gelegentliche Bitten hinausreichendem Maß daran, die von ihm verwahrte eigene Korrespondenz ebenso wie den Schriftwechsel seiner Ahnen zu ergänzen und zu vervollständigen. Er versuchte, von ihm selbst oder seinem Vater, Großvater und seinen übrigen Vorfahren verfaßte Briefe zurück4

Camerarius an Gottfried Jungermann, Heidelberg 28. 9. 1605, Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Göttingen, Codex manuscriptus philosophicus 89, Briefsammlung von G. Th. Strobel. 5 S. Ludovici Camerarii … Apologia, a. a. O.

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zuerlangen. Das Wichtigste, was er dabei im Hinblick auf seine eigene Lebensgeschichte der Sammlung wohl noch selbst einzufügen vermochte, waren außer seinen ihr, wie gesagt, schon früher einverleibten Berichten an Solms seine Briefe an Rusdorf. Sie füllen heute ein ganzes Volumen, Band 25, und stellen eine der aufschlußreichsten Quellen für die Lebensgeschichte von Ludwig Camerarius dar. Auch einige Schreiben von Vater, Onkel und Großvater scheint er zurückerlangt zu haben. In der Hauptsache aber vervollständigte und erweiterte er seine Sammlung nicht dadurch, daß er nach Briefen trachtete, die von den Camerarii selbst geschrieben waren. Vielmehr wurde die Ergänzung der Collectio vornehmlich durch Briefe anderer Persönlichkeiten vorgenommen, die nicht Mitglieder der Familie waren. Dies gilt sowohl für die Zeit des 17. als des 16. Jahrhunderts, wobei zu bemerken ist, daß Camerarius, als er nach seiner Pensionierung sich die Ergänzung im Großen angelegen sein ließ, sein hauptsächliches Bemühen dem 16. Jahrhundert widmete. Unermüdlich wandte er sich – und sein Sohn half ihm dabei – an die verschiedensten Persönlichkeiten, von denen er annahm, sie könnten Schriftstücke aus jenem Kreis von Gelehrten und Politikern besitzen, dem sein Vater und Großvater angehört hatten. Oft handelte es sich um die Erben jener Männer, die ein Interesse daran hatten, daß die Schreiben der Nachwelt erhalten blieben, die sich auch noch dem Hause Camerarius verbunden fühlten und deshalb die Briefe gerne und kostenlos abgaben. In anderen Fällen aber zögerte Camerarius auch nicht, Briefe, an denen ihm lag, für Geld zu erwerben, und ebenso beschränkte er sich nicht darauf, solche Schreiben an sich zu bringen, die an seine Vorfahren oder deren nächste Vertraute gerichtet gewesen waren6. Vielmehr interessierten ihn auch andere für die Geistesgeschichte und das politische Geschehen vornehmlich des 16. Jahrhunderts wichtige Schriftstücke, die von bedeutenden Persönlichkeiten eigenhändig zu Papier gebracht waren. Camerarius wurde zum Autographensammler im eigentlichen Sinne. An den verschiedensten Stellen forschte er nach geeigneten Objekten oder ließ durch seinen Sohn suchen. So gab er ihm den Auftrag, auch auf einer seiner Reisen nach Schweden, wohl der von 1637, Ausschau zu halten, ob er etwa in nördlichen Gegenden Briefe erwerben könne7. Vor allem sollte er nach Autographen von Luther, Bugenhagen, Olaus Petri und anderen Theologen suchen. Bereits diese Direktiven zeigen, daß Camerarius mit Methode und historischem Feingefühl sammelte. Er verfiel nicht der in solchen Fällen immer vorhandenen Versuchung, alles Interessante und Erschwingliche zu nehmen, was sich ihm bot. Zwar findet sich in der Collectio heute, ohne daß sich sagen ließe, ob es von Camerarius selbst erworben wurde, das eine oder andere Stück, wie zum Beispiel drei Briefe Herzog Karls des Kühnen von Burgund und einer Herzog Philipps des Guten, die nur um ihrer Rarität willen Aufnahme gefunden haben8. In der Hauptsache aber sah Camerarius konsequent darauf, daß seiner Samm6

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S. z. B. Camerarius an Joachim (IV) Camerarius, ohne Datum, Coll. Cam., Vol. 28, Nr. 99 ff. Camerarius an Joachim Camerarius, Coll. Cam. Vol. 28, Nr. 99. Coll. Cam. Vol. 19, Nr. 1–3, 5.

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lung nur solche Briefe einverleibt wurden, die in Zusammenhang mit seinem eigenen Lebenslauf beziehungsweise Beschäftigungsgebiet oder dem von einem seiner Vorfahren standen. Mit dieser Konzentration erreichte er, daß sein Handschriftenschatz zu einer organischen Einheit und einer der wichtigsten Quellen wurde für zentrale Probleme des Zeitalters der Reformation und Gegenreformation. In zeitlicher Reihenfolge gesehen ist das erste, worüber die Sammlung uns wesentliche Aufschlüsse gibt, die Lebensgeschichte der Reformationstheologen und Humanisten. Melanchthon steht dabei obenan. Ein dicker Band, Volumen 6, enthält lediglich seine Briefe, über 450 an der Zahl. Doch auch die anderen Reformatoren sind vertreten: Luther, Zwingli, Oekolampad, Wimpfeling, Capito, Martin Bucer und so weiter, im ganzen heute noch 247 Schreiben, zur Zeit von Camerarius noch um 100 Stück mehr. Ebenso finden sich zahlreiche Schreiben bedeutender Humanisten des 16. Jahrhunderts, angefangen von Erasmus von Rotterdam und Thomas Cranmer, dem Erzbischof von Canterbury, bis zu Johannes Brenz und anderen. Noch sehr viel reichhaltiger wird das Material, wenn man die Verbindung untersuchen will, die das Luthertum mit der Wissenschaft der Zeit, vor allem mit der Pflege der alten Sprachen einging. Hierbei war ja Joachim (I) Camerarius der wichtigste und vertrauteste Gehilfe Melanchthons. Viele der Briefkonzepte von Joachim Camerarius befinden sich in der Sammlung, da er die Gewohnheit hatte, den Entwurf seiner Antworten gleich auf die Rückseiten der eingegangenen Briefe zu schreiben, wenn da Platz war. Weil jedoch die Briefe von Joachim Camerarius zum Teil gedruckt sind, sind für das Anliegen, die Verbindung lutherischer Theologie und humanistischer Wissenschaft kennen zu lernen, noch wichtiger die Schreiben dritter Personen, Briefe, die es dank ihrer Vielfalt erlauben, ein ziemlich vollständiges Bild zu gewinnen von dem Kreis der Philippisten. Schon für die Jahre, in denen Luther noch lebte und die ganze Bewegung zusammenhielt, ist es von Wichtigkeit, durch die Collectio das Denken und Trachten der von Melanchthons Geistigkeit bestimmten Reformationsanhänger im einzelnen erkennen und ihre gegenseitigen Beziehungen überblicken zu können. Noch bedeutsamer wird diese Möglichkeit für die Jahrzehnte, in denen nach Luthers Tod seine Anhängerschaft sich zu entzweien begann, in denen Melanchthon und sein Kreis in Streit gerieten mit der orthodoxen Richtung. Es ist für den Historiker ein Glück, daß gerade in dieser Zeit die Zahl der Briefe in der Sammlung von Camerarius noch beträchtlich zunimmt. Die Menge der Zeugnisse steigert sich nun von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Die Reichhaltigkeit der Collectio Camerariana erreicht einen Höhepunkt für die Zeit, in der der Gegensatz zwischen Philippisten und Orthodoxen in besonderem Maß ein weltpolitisches Problem darstellte, in der als Bewegung und historische Frage der „Kryptocalvinismus“ immer mehr hervortrat und auf einige Jahrzehnte zu einem der entscheidenden Gestaltungsmomente der deutschen und darüber hinaus der europäischen Geschichte wurde. Wir sahen schon, wie die Vorfahren von Ludwig Camerarius mitten in dieser Bewegung darin standen. Allerwichtigstes Material für die Erhellung der diesbezüglichen Vorgänge bietet deshalb die Sammlung, ja, für eine Geschichte des Kryptocalvinismus, wie sie momentan ein dringendes, bis-

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her noch ganz unerfülltes Desiderat der historischen Wissenschaft darstellt, würde die Collectio Camerariana eine der bedeutsamsten, vielleicht sogar die hauptsächliche Quelle darstellen9. Nicht mehr vor allem auf Theologie und die philologisch-schöngeistigen Disziplinen des Humanismus ist für die letzten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts die Sammlung beschränkt. Für den Ausgang des 16. Jahrhunderts finden sich in ihr und in den heute in Erlangen befindlichen Teilen auch wichtige naturwissenschaftliche Korrespondenzen entsprechend dem medizinischen Beruf von Joachim (II) Camerarius. Gleichzeitig nehmen auch die Schriften rein politischen Inhaltes zu. Immer mehr Mitglieder des großen Kreises der Philippisten, besonders die Vertreter der jüngeren Generation, widmeten sich diplomatischen Geschäften. Vor allem aber war die Verbindung von Gelehrtentum und Diplomatie damals eine so enge, daß viele der Männer, die in der Hauptsache Gelehrte blieben, hin und wieder auch diplomatische Funktionen erfüllten oder durch ihre Stellung als medizinische Berater von Fürsten notwendig auch mit Politik in mehr oder weniger tätige Berührung kamen. Crato von Crafftheim, der protestantische Leibarzt Kaiser Maximilians II., ist hier zu nennen, aber auch Joachim (II) Camerarius selbst. Für die ersten beiden Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts bietet die Sammlung dann nicht mehr eine solche Materialfülle. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Joachim (II) Camerarius starb 1598. Was von jetzt ab an interessanten Schreiben anfiel, kam nicht mehr zu seinen Briefschaften, sondern zur persönlichen Korrespondenz seines Sohnes, und diese ging, wie gesagt, allem Anschein nach während des Krieges verloren. Dafür läßt dann die Sammlung von Schriftstücken, die Ludwig Camerarius nach 1621 wieder zuwuchs, erkennen, wie sich der Geist seiner Väter in seinem eigenen Wirken und der Tätigkeit seiner Gesinnungsgenossen in der hohen Politik des großen Kampfes fortsetzte; eigentlich die gesamte Literatur zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges tut dar, welchen Wert die Sammlung auch für diese Periode hat, eine Bedeutung, die derjenigen für das 16. Jahrhundert nicht nachsteht. Sie wird um so größer, als Ludwig Camerarius selbst sich zwar bei den Briefschaften seiner eigenen Zeit auf das beschränkte, was sich ohnehin in seinem Besitz befand oder was er unschwer erlangen konnte, als sein Sohn aber in späteren Jahren der Sammlung außerdem einige größere, auf die allgemeine pfälzische Geschichte und die Westfälischen Friedensverhandlungen bezügliche Bestände einverleibte10. Zwar stehen diese Materialien an Wichtigkeit der diplomatischen Korrespondenz von Ludwig Camerarius nach. Doch bilden sie immerhin eine wertvolle Ergänzung und zeitliche Ausdehnung bis über die Mitte des 17. Jahrhunderts hinaus. Wie Joachim (IV) Camerarius für den letzten Zeitraum, den die Collectio umfaßt, eine wesentliche Bereicherung zu danken ist, so ist auch für die früheren Epochen seine den Vater unterstützende und dessen Werk fortsetzende Sammlertätigkeit nicht zu unterschätzen. Es wäre eine schwierige Arbeit und sich ihr hier zu unterziehen würde zu weit führen, im einzelnen feststellen zu wollen, was von 9



S. F. Babinger, Johannes Lewenklaws Lebensende, a. a. O.; u. Wolfgang Zündelin, a. a. O. Z. B. Vol. 61–63.

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Ludwig Camerarius, was erst von seinem Sohn zusammengetragen wurde. Soviel steht fest, daß die Idee der Sammlung trotz der Vorarbeit, die Joachim (I) und Joachim (II) Camerarius geleistet hatten, von Ludwig Camerarius ausging, daß er als der eigentliche Schöpfer der Collectio Camerariana zu gelten hat. Nicht minder klar aber ist, daß ohne die Hilfe und Weiterarbeit des Sohnes die Sammlung nicht zu dem geworden wäre, was sie heute darstellt. Im Jahre 1643 äußerte Camerarius einmal, er habe es bereits auf 15 Volumina voll Briefen gebracht11. Da er in den folgenden acht Jahren eifrig weiter sammelte und die längste Zeit seiner Sammlertätigkeit 1643 erst vor ihm lag, ist anzunehmen, daß sich die Zahl der Bände bis zu seinem Tod noch beträchtlich vermehrte. Allerdings handelte es sich damals nicht durchgängig bereits um die jetzige Bandeinteilung. Sie wurde in vielen Fällen erst von Joachim (IV) Camerarius durchgeführt. Immerhin zeigt auch dieses Zitat von 1643, daß die Collectio beim Tod von Ludwig Camerarius noch nicht ihren heutigen Umfang hatte, daß mithin das Verdienst des Sohnes um ihre Fortsetzung ein großes war. Es war deshalb sozusagen selbstverständlich, daß Camerarius – ebenfalls bereits 1643 oder früher – die Bestimmung traf, sein Sohn solle die Sammlung erben12. Wiesehr er sich aber gleichzeitig der allgemeinen Bedeutung bewußt war, die die Collectio besaß, und die Verpflichtung spürte, sie der Wissenschaft zu erhalten und zugänglich zu machen, zeigt die weitere Anordnung, daß nach dem Tod von Joachim (IV) Camerarius die Sammlung an die Universität Altdorf übergehen sollte. Doch entweder wurde die 1643 oder früher getroffene Bestimmung später wieder von Camerarius selbst aufgehoben, oder, was wahrscheinlicher ist, von seinen Enkeln nach dem Tod von Joachim (IV) Camerarius nicht ausgeführt. Die Sammlung blieb jedenfalls im Besitz der Familie und gelangte später auf Umwegen durch rechtmäßigen Kauf nach München. – Wahrscheinlich kaufte der Mannheimer Bibliothekar Lamey die Collectio in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts den Erben der Camerarii ab im Auftrag des Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz, der bald auch die Herrschaft in Bayern erhielt und die Sammlung mit anderen Kulturgütern nach München mitnahm. Die Sammlertätigkeit von Ludwig Camerarius blieb schon zu seinen Lebzeiten bei Gelehrten und Staatsmännern nicht unbemerkt. Sie erregte weithin Anerkennung; man würdigte, wie es scheint, nicht nur die Energie, sondern auch die Methode, mit der er sammelte. Vielleicht hatte man bereits ein Gefühl dafür, daß dank der methodischen Beschränkung auf gewisse historische Fragenkomplexe und des damit – gleichgültig ob bewußt oder unbewußt – bewiesenen wissenschaftlichen Verständnisses und Sinnes für das Wesen geschichtlicher Zusammenhänge die Sammlung erst ihre eigentliche Bedeutung und ihren besonderen hohen Wert erhielt. Dieser Wert war in den Augen der Zeitgenossen entspre11

Camerarius an Nicolas Rittershaus, Groningen 1. 3. 1643, Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Göttingen, Codex manuscriptus philosophicus 89, Briefsammlung von G. Th. Strobel. 12 S. Camerarius an Nicolas Rittershaus, Groningen 1. 3. 1643, Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Göttingen, Codex manuscriptus philosophicus 89, Briefsammlung von G. Th. Strobel.

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chend der herrschenden Rechtskontinuität nicht nur ein wissenschaftlich-historischer, sondern ebensosehr ein gegenwartspolitischer. Friedrich Spanheim, der 1642 von Genf nach Leyden auf eine theologische Professur übergewechselt und mit Camerarius seit Jahrzehnten bekannt war, brachte dies zum Ausdruck, wenn er ihm zurief und sich damit zum Sprecher vieler machte: „Du sammelst einen Schatz für den Staat, der demselben bei Deinen Lebzeiten oder nach Deinem Tode zugute kommen wird“13. Camerarius selbst urteilte interessanterweise über seine Bemühungen sehr viel bescheidener. Bewirkte es die Weisheit und Abgeklärtheit des Alters, daß er ganz im Gegensatz zu seiner bisherigen Art, sich immer so ernst und wichtig wie möglich zu nehmen, jetzt, in den letzten Jahren seines Lebens, dazu kam, seine Tätigkeit geradezu ein wenig zu bagatellisieren, ja einen Anflug von Selbstpersiflage anklingen zu lassen? Er schrieb über seine Sammlertätigkeit: „Inter alias litterarias delicias collegi multis voluminibus ingentem numerum epistolarum a claris doctisque viris, tam Theologis quam Politicis omnium nationum superioris seculi, propriis ipsorum manibus exaratarum, in primis ad utrumque Joachimum, avum et patrem meum p. m. Camerarios, ut et ad alios eruditos complures, qui illa aetate floruerunt. Quod si quis forte puerilem in hac parte ludum ludere me putet, facile feram, et adagii dictum in me quoque lubens agnoscam, di.j pai/dej oi`` ge,rontej. Possem tamen me, si res exigeret, tueri aliorum exemplis qui non minus ivdioceiri,a magnorum virorum se delectarunt, et in eo studio amicorum ope et liberalitate libenter usi fuerunt … Ad me quod attinet, fateor profecto, me in legendis et considerandis sanctorum bonorumque prisci aevi candore et integritate eximiorum virorum epistolis summam voluptatem pereipere. Nam quod est in veteri versu, VAndro.j carakth.r lo,gou gnwri,zetai, idem omnino statuendum est de epistolis, in quibus, cum non erubescant, saepius maiori confidentia expromi solent animorum motus et affectus quam in familiaribus colloquiis. Itaque cum tantorum virorum litteras lego, quorum animas nunc in aeterna luce et beatitudine esse statuo, non tam ipsos coram intueri ac audire mihi videor de pulcherrimis rebus mecum disserentes, quam me ad eandem felicitatem evocantes; ut eo indies in me crescat majus desiderium eivj to. avnalu/sai kai. su.n Cristw/| ei=nai“14. Fällt an diesen Ausführungen auf, wie Camerarius als alter Mann es über sich brachte, entgegen seiner bisherigen Gewohnheit, über sich selbst zu scherzen, wenn er von der zweiten Kindheit der Greise sprach, so ist nicht minder aufschlußreich, wie er sein Sammeln als eine litteraria delicia empfand, wie er bei dieser Tätigkeit das Vergnügen obenan stellte. Allerdings ist, gerade bei der Auffassung, die der Humanismus von den deliciae litterariae hatte, auch ernstes wissenschaftliches Bemühen unter dieser Art des literarischen Genießens zu verstehen, und vermutlich nahm Camerarius den Begriff in diesem Sinn. Immerhin ist es bemerkenswert, auch wenn man die von der unseren verschiedene Vorstellung berücksichtigt, die das 17. Jahrhundert von der Pflege der Geisteswissen13

Zitiert nach Artikel Ludwig Camerarius, in: Allgemeine Deutsche Biographie (M. Ritter). Ludwig Camerarius: Huberti Langueti … ad Joachimum Camerarium patrem et Joachimum Camerarium filium … scriptae episitolae, Leyden 1646.

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schaften hatte, daß Camerarius von einer wissenschaftlichen oder politischen Aufgabe bei der langen Darlegung, ja Verteidigung seiner Sammlertätigkeit nicht ausdrücklich, getrennt von den deliciae, sprach. Ebenso interessant, wenn auch nicht minder aus dem Geist der Zeit zu erklären, ist es, daß er nicht etwa die Ansicht entwickelte, durch Lektüre der Briefe einer wichtigen historischen Epoche nahe kommen, große geschichtliche Vorgänge klären zu können. Vielmehr stellte er als das Bedeutsamste hin, das Wesen bedeutender Persönlichkeiten an sich kennen zu lernen und hieraus, aus dieser sozusagen pädagogischen Belehrung, Nutzen für sich selbst ziehen zu können. Die Beschäftigung mit seiner Briefsammlung bedeutete für Camerarius noch nicht wie für den Historiker der Gegenwart in erster Linie die Möglichkeit, den Ablauf der Ereignisse und die einzelnen Geistesrichtungen erkennen und diese historischen Erscheinungen gegeneinander abgrenzen zu können. Er betrachtete die großen Männer an sich, losgelöst von der Frage der Epochen, und sah den Nutzen seiner Collectio noch in einem altertümlicheren Sinn, so etwa, wie Plutarch und andere antike Schriftsteller die Geschichte auffaßten. Er wollte, daß man sich an der Größe der einzelnen Persönlichkeiten erfreue und erbaue; und gleichzeitig, ja in erster Linie – und hierin ging Camerarius über die Auffassung der Antike hinaus und entfernte sich von ihr – nahm er an, daß die Sammlung einen vom christlichen Glauben bestimmten religiösen Wert besitzen werde, der ihm höher stand als der wissenschaftlich objektive. Er suchte, aus den gleichsam zeitlosen Vorzügen des Charakters der Briefschreiber zu lernen, sich daran zu erbauen und zu vervollkommnen, eine Vervollkommnung, die er nicht zuletzt deshalb für wichtig hielt, weil sie in seinen Augen dazu beitrug, ihn auf das jenseitige Leben vorzubereiten. Zeigte Camerarius darin, daß er das Sammeln nicht allzu wichtig nahm, eine Änderung zu seiner bisherigen Haltung, so erwies er sich in seiner Religiosität vollkommen als der alte. Auch bei seinem Sammlertum räumte er ihr einen weiten Raum ein, ja er stellte auch diese Tätigkeit insgesamt im letzten unter das Zeichen des Glaubens. Wir sehen also: Camerarius beschränkte sich zwar bei seinem Sammeln mit Feingefühl auf das Material zu bestimmten historischen Erscheinungen und legte damit in mancher Hinsicht einen durchaus modernen geschichtlichen Sinn an den Tag. Trotzdem stellte er die moralische und charakterliche Belehrung obenan. Ferner äußerte er offen, das Sammeln sei ihm in erster Linie ein Steckenpferd, eine Erheiterung für die Muße des Alters. In wie weitgehendem Maß aber diese Vergnügung mit eigentlicher Wissenschaft gleichzusetzen war, zeigt eben der Anlaß, aus dem er die oben zitierten Bemerkungen niederschrieb. Die ausführliche Rechtfertigung seiner Sammlertätigkeit findet sich in der Einleitung des Werkes, in dem Camerarius die Briefe von Hubert Languet edierte. „Huberti Langueti … ad Joachimum Camerarium patrem et Joachimum Camerarium filium … scriptae epistolae“ heißt das Buch, das 1646 in Leyden erschien. In der schon in seinen Flugschriften geübten und jetzt entsprechend dem wissenschaftlichen Zweck noch vervollkommneten sauberen Editionsweise legte Camerarius hier der Öffentlichkeit die Schreiben des regen und einflußreichen Hugenotten an seinen akademischen Lehrer Joachim (I) und seinen Freund Joachim (II) Ca-

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merarius vor. Lange Zeit wurde später die Verfasserschaft von Duplessis-Mornays „Vindiciae contra tyrannos“ irrtümlicherweise Languet zugeschrieben, ein Irrtum, an dessen Zustandekommen Camerarius offenbar keine Schuld trug. Jedenfalls findet sich in seiner Briefausgabe keine Bemerkung, die zu der Annahme der Autorschaft hätte Anlaß geben können. Dafür strich Camerarius im übrigen in der Einleitung zu dem Briefwerk, das er Achaz von Dohna, seinem früheren Kollegen im pfälzischen Geheimen Rat widmete, die Bedeutung der gesamtevangelischen Gesinnung Languets heraus und betonte, für wie wichtig er es halte, daß gerade die schriftliche Hinterlassenschaft eines Mannes wie Languet veröffentlicht wurde, der für die evangelische Sache solche Bedeutung habe durch seine Bemühungen, den deutschen und westeuropäischen Protestantismus zu gemeinsamem politischen Vorgehen zu bringen. Aus dem gleichen Grund äußerte Camerarius den Wunsch, daß gelegentlich auch die in seiner Sammlung befindlichen Briefe von Zündelin und Bongars ediert würden. Vor allem aber wies er auf die Notwendigkeit einer Veröffentlichung der von ihm verwahrten Schreiben Melanchthons hin und ließ dabei anklingen, wie er in Melanchthons Werk nach wie vor einen der hauptsächlichen Ausgangspunkte seines eigenen Schaffens sah. So lenkte Camerarius in seinem Alterswerk noch einmal zu den bestimmenden Eindrücken seiner Jugend zurück. Er deutete selbst in der Einleitung zu seiner Briefausgabe an, daß es kein Zufall und keine Willkür war, wenn er nächst den Briefen Melanchthons gerade die Schreiben von Languet, Zündelin und Bongars zur Edition zu bringen wünschte. Vielmehr drängte es ihn deshalb, das Denken dieser Männer einem möglichst weiten Kreis zugänglich zu machen, weil ihre Tätigkeit in seinen Augen im Mittelpunkt jener großen Kette von Ereignissen stand, von denen er sein ganzes Leben bestimmt fühlte. Er sprach es – wenn auch nur andeutungsweise – in der Vorrede zu den Epistolae des Hubert Languet aus, für wie wichtig er für die ganze Weiterentwicklung des Protestantismus die Vermittlerrolle zwischen Hugenotten und deutschen Evangelischen hielt, die Languet als sächsischer Agent in Paris gespielt hatte. Nicht weniger bedeutsam schienen ihm Zündelins Bemühungen, eine Einheitsfront des europäischen Protestantismus zu schaffen, indem er an der großen Konzeption von Nikolaus Krell, dem kursächsischen Kanzler, mitwirkte. Ähnlichen Zwecken hatte schließlich auch ein guter Teil des Lebenswerkes von Bongars gedient, der als Gesandter König Heinrichs IV. von Frankreich in Deutschland, England und den Niederlanden eifrig an einer großen Koalition gegen das Haus Habsburg arbeitete. Alle drei Männer hatten jener Bewegung im Protestantismus gedient, die nach der ersten großen Niederlage der Evangelischen im Schmalkaldischen Krieg und dem weiteren Erstarken des Katholizismus in der Gegenreformation zu versuchen begann, den Protestantismus zu einer politischen Stärke und Einheit zu bringen, die ihn den altgläubigen Gegnern gewachsen gemacht hätte. Die Anhänger dieser Richtung suchten ihr Ziel zu erreichen, indem sie den politischen Sinn des Calvinismus verbanden mit jener großzügigen, vom wissenschaftlichen Geist des Humanismus beseelten Richtung im Luthertum, die von Melanchthon ihren Ausgang genommen hatte. Insofern stand der Wunsch von Camerarius, auch

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Melanchthons Schreiben im Druck zu verbreiten, sosehr ihn hierzu auch noch andere Gesichtspunkte bewogen, ebenfalls in Zusammenhang mit dem Streben, die Erinnerung an jene große Bewegung der Nachwelt zu überliefern, von der nur einen Teil der sogenannte Kryptocalvinismus ausmachte. Indem Camerarius den Stoff für seine Edition gerade aus dem Bereich jener Ereignisse nahm, die seine Entwicklung bestimmt hatten, setzte er gleichsam noch einen Akzent auf die besondere Bedeutung, die er in seiner Sammlung der gesamtevangelischen Bewegung der letzten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts eingeräumt hatte. Wie gesagt, in weitgehendem Maß veranlaßten ihn die äußeren Gegebenheiten dazu. Das ererbte Material war über die Zeit ohnehin besonders reichhaltig, und es war deshalb nur natürlich, beim weiteren Sammeln sich in dieser Richtung zu spezialisieren. Daß es darüber hinaus aber ein besonderes Gefühl der Verpflichtung an den von den Gegnern sehr einseitig und verengend als Kryptocalvinismus bezeichneten Geist jener großen Strömung des ausgehenden 16. Jahrhunderts war, die Camerarius bewog, sein besonderes Augenmerk auf deren schriftliche Zeugnisse zu richten, dafür liefert einen letzten Beweis ebensosehr die Wahl des Editionsstoffes wie die Formulierung der Einleitung. So bekannte sich Camerarius an seinem Lebensabend nicht nur unbewußt, ohne weiter darüber nachzudenken, nochmals zu der großen gesamtevangelischen Idee, die seinen Geist und seine Persönlichkeit geformt hatte. Er reflektierte sogar bis zu einem gewissen Grad über seine auch im höchsten Alter noch andauernde feste Bindung an jene parallel mit der Gegenreformation entwickelte Richtung des Protestantismus. So öffentlich und ernsthaft wie möglich legte er für sie auch in der Mitte des 17. Jahrhunderts noch einmal Zeugnis ab. Aufs neue bekannte er sich zu jener Form christlich-reformatorischer Diplomatie, über die 1650 die Entwicklung nun schon ein so weites Stück hinaus war. Nur wenige waren es, die mitten im Barock diese Gedankengänge noch in solcher Ausschließlichkeit vertraten. Wie ein rocher de bronce verharrte Camerarius bei den Maximen, die am Anfang seines Lebens gestanden hatten. Dieses Verharren war ein so unbedingtes, daß er selbst offenbar ein wenn auch nur dunkles Gefühl dafür besaß, in welch seltener Einheitlichkeit sein ganzes Leben den Richtungslinien gefolgt war, die er sich in seiner Jugend gezogen hatte. Was dem drei Jahrhunderte später lebenden Betrachter, der über den dem Zeitgenossen noch fehlenden historischen Abstand und die daraus folgende Klarheit des Überblickes verfügt, am Ende des Lebenslaufes von Camerarius noch einmal in besonderer Deutlichkeit entgegen tritt und damit zu einem der wichtigsten Kennzeichen seiner gesamten Wirksamkeit wird, das scheint Camerarius selbst bereits gespürt zu haben. Er selbst liefert uns die letzte Bestätigung dessen, was sein ganzes, fast acht Jahrzehnte umfassendes Handeln bereits eindeutig genug offenbart, und was das letzte Decennium, das bei Camerarius gleichsam eine einzige, große Rückschau auf die vergangenen Lebensabschnitte darstellt, in besonders markanter Weise uns vor Augen führt. Die Bartholomäusnacht und die Katastrophe des Kryptocalvinismus in Sachsen hatten seine Jugend beschattet. Früh war dadurch die Vorstellung von der Übermacht des immer weiter erstarkenden Katholizismus in ihm geweckt wor-

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den. Es hatte sich bei ihm die Überzeugung gebildet vom unbedingten Vernichtungswillen der Altgläubigen und der unausweichlichen Notwendigkeit, einst einen Kampf auf Leben und Tod zu bestehen. Als schwerste Bedrohung der Existenz des europäischen Protestantismus schlechthin hatte sich diese Notwendigkeit für Camerarius von vornherein dargestellt angesichts der Uneinigkeit und Schwäche, die im eigenen Lager herrschte, besonders angesichts des politischen Versagens der orthodoxen Lutheraner. Düster waren somit von Anfang an die Aspekte, und dunkle Gewitterwolken lagerten über dem Lebensweg, der sich vor ihm abzeichnete. Gleichzeitig aber stand schon von der ersten Zeit an der hellste Glanz von großen Hoffnungen, von hochfliegenden Plänen und Unternehmungen darüber, und der scharfe Kontrast, das ohne Übergang nebeneinander erscheinende Hell und Dunkel machte durch alle Entwicklungsphasen hindurch ein Kennzeichen seines Lebens aus. Das Gebot, angesichts der vermeintlichen und tatsächlichen Gefahren, die nahten, das Äußerste zu versuchen, um den Protestantismus doch noch zu Einheit, zu Macht und zum Siege zu führen, verband sich in Camerarius mit dem politischen Idealismus und der Weite des Planens, wie sie Philippismus und Calvinismus eigneten. Es ließ ihn auch seinerseits konsequent eine große Umwälzung anstreben, durch die er den Protestantismus zum Endsieg zu führen hoffte, bei der er aber auch die schwersten Gefahren und Niederlagen, ja den Untergang von vornherein für möglich hinnahm. Durch drei Jahrzehnte eines trotz aller Konfliktsstoffe blühenden und satten Friedens und eines in weiten Teilen des Reiches herrschenden vorsichtigen Quietismus hielt Camerarius an dieser Konzeption fest. Er half an entscheidender Stelle mit, die große Veränderung vorzubereiten, und als dies endlich zum Krieg auf Leben und Tod führte, fügte er sich in den Kampf als in eine Notwendigkeit. Ebenso schickte er sich in den Kontrast von hohen Erfolgen und schwersten Bedrängnissen, dem seit Kriegsbeginn sein ganzes Leben erst recht in raschem Übergang ausgesetzt blieb. Er konnte ein erstes Mal hoffen, daß die protestantische Macht im Reich so vergrößert und gestärkt war, wie er es auf Grund der Ereignisse seiner Jugend von Anfang an für eine Notwendigkeit hielt, als die Union geschaffen war und die pfälzische Großmachtposition in Böhmen sich bildete. Er hatte Anlaß, sich dieser Hoffnung ein zweites Mal hinzugeben, als es, wie das erste Mal nicht zuletzt dank seiner Tätigkeit, gelang, die schwedische Macht nach Deutschland herüberzuziehen, als Gustav Adolf sich zum Herrn über halb Deutschland machte und daran ging, ein evangelisches Großreich zu bilden. Beide Male mußte Camerarius erleben, daß die neuen Verhältnisse keinen Bestand hatten. Die jeweils so großartigen und für ihn hoffnungsreichen Konstellationen brachen in zwei schweren Katastrophen zusammen, und die Institutionen und Ideen, in deren Dienst Camerarius sein Leben gestellt hatte, waren nun wirklich jedes Mal in ihrem Fortbestand aufs schwerste und unmittelbarste bedroht, ja Camerarius mußte ihren teilweisen Untergang erleben. Die Stellung der Pfalz als Vormacht des deutschen Protestantismus, der sie ihre Position im Konzert der europäischen Mächte verdankte, ging infolge der Maßnahmen, an denen Camerarius mitgearbeitet hatte, in die Brüche und ließ sich nicht wiedergewinnen. Keine Rede auch konnte mehr von einem Sieg des Protestantismus in Deutschland sein. Da-

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für hatte Camerarius die Genugtuung, einen Teil der Ziele und Ideale, denen er als pfälzischer Minister nachgetrachtet war, an Schweden weitergeben zu können und zu sehen, daß sie durch diesen mächtigeren Staat verwirklicht wurden. Er konnte sich sagen, nicht unwesentlichen Anteil daran gehabt zu haben, daß in dem großen Ringen das religiöse Moment stark blieb. Da sein Streben, die evangelische Sache zum Triumph zu führen, stets aufs engste verbunden war mit dem Wunsch, sie wenigstens vor dem Untergang zu retten, war es ferner bei der Rückschau auf sein Leben ein wichtiges Positivum für ihn, daß durch den Krieg die Evangelischen innerhalb und außerhalb des Reiches wenigstens vor dem Untergang bewahrt blieben, daß ihre gleichberechtigte Existenz auf die Dauer gesichert wurde und daß endlich auch die Calvinisten im Reich die so lange entbehrte staatsrechtliche Anerkennung fanden. Schließlich mußte es ihn befriedigen, in entscheidenden Funktionen mitgewirkt zu haben, daß Schweden zur europäischen Großmacht wurde mit einer Machtposition, die bis weit nach Deutschland hineinragte. Es mußte ihm eine Genugtuung sein, Anteil daran genommen zu haben, daß ein neuer protestantischer Großstaat einen festen Platz im Konzert der großen europäischen Mächte gewonnen hatte. So standen denn wie während seines ganzen Lebens auch in der Bilanz, die Camerarius am Ende ziehen konnte, Negatives und Positives aufs engste beieinander, und obwohl bei der Rückschau vielleicht eine gewisse Resignation überwiegen mußte, so handelte es sich zwar teils um persönliche Erfolglosigkeit, teils aber auch nur um die allgemeine Resignation, die Deutschland am Ende des Krieges beherrschte. Wie es für das ganze Reich das Ergebnis eines dreißigjährigen Ringens war, daß beide Parteien sich auf die Dauer an Stärke die Waage hielten, daß keine den Sieg erringen konnte, so führten die reichlich sieben, einer großen Idee gewidmeten Lebensjahrzehnte von Camerarius zu demselben Ergebnis. Wie immer es aber um das bleibende Resultat seines Schaffens stehen mochte, es war trotz der Beharrlichkeit und Einseitigkeit der grundsätzlichen Gedankengänge ein überaus reiches Leben, auf das Camerarius zurückblicken konnte, ein Leben, reich an wichtigen Handlungen und Ereignissen und reich vor allem auch deshalb, weil Camerarius eine selten lange Zeit führende Stellungen innehatte. Betrachtet man das Lebensschicksal anderer Persönlichkeiten der Zeit, so sieht man, wie wenigen es gleich Camerarius vergönnt war, während fast des gesamten dreißigjährigen Ringens und noch dazu während der zwei Jahrzehnte am Vorabend des großen Krieges die Ereignisse zu beeinflussen. Camerarius war einer der wenigen, die Gelegenheit hatten, eine historische Epoche von Anfang bis Ende tätig mitzugestalten. Auch dies war eine der Originalitäten, die ihn als historische Erscheinung interessant machen. Diese Originalität war um so ausgeprägter, als die lange Wirksamkeitsdauer in einem bemerkenswerten Kontrast stand mit der Beharrlichkeit, in der Camerarius an den Gedankengängen seiner Jugend festhielt. Wie es kaum anders gehen konnte, führte die für sein Leben kennzeichnende Verbindung von festem Verharren bei den religiös-politischen Maximen des Philippismus mit einer politischen Tätigkeit, die sich bis ins fünfte Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts hinzog, dazu, daß Camerarius in vielem auf ver-

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lorenem Posten kämpfte und die schmerzlichen Erlebnisse dessen hatte, über den die Zeit hinweggeht. Doch er hatte das Glück, daß ihn dieses Geschick auf die Dauer nicht einer gewissen heiteren, durchaus humanistischen Gelassenheit beraubte. Zwar beherrschte ihn zeitweise, in den Jahren seiner Entlassung, eine ausgesprochene Bitterkeit. Sie wurde aber nicht zu einem solchen Dauerzustand und ging nicht so tief wie die Enttäuschung und daraus entstehende Weltverachtung, die sich bei anderen Persönlichkeiten findet, die wie Camerarius erleben mußten, daß ihre Lebensmaximen von der Zeit und von jüngeren Generationen beiseite geschoben wurden. Ebensowenig vermochten Camerarius die Nöte des Exils dauernd zu verbittern, die ferner einerseits zwar höchst hinderlich für Camerarius waren, andererseits aber – er erkannte das am Ende seines Lebens selber15 – ihn vor den unmittelbaren Schrecknissen des Krieges bewahrten und dazu beitrugen, seine Gaben voll zur Entfaltung und ihn selbst zu in vieler Hinsicht gesteigertem Einfluß zu bringen. Es hing mit seiner im Grunde glücklichen und sonnigen Veranlagung zusammen, daß trotz aller Mißerfolge und Nöte die positiven Momente immer wieder zum Durchbruch kamen, und man kann es als Zeichen des ihn nie ganz verlassenden Glückes nehmen, daß es Camerarius vergönnt war, im letzten Jahre seines Lebens in die Heimat zurückzukehren. Anfang 1651 konnte er von Groningen nach Heidelberg übersiedeln und sich noch einmal der alten Umgebung freuen, bis ihn am 4. Oktober 1651 der Tod abrief.

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S. Huberti Langueti … epistolae, a. a. O.

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Abbildungen

Zu den Abbildungen vgl. den Aufsatz „Kunst und Politik“ von Frieder Hepp, S. 589–608.

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Abbildung 1: Jan Brueghel d. Ä. (1568–1625), Allegorie der Fruchtbarkeit der Pfalz mit Ansicht des Heidelberger Schlosses, um 1604, Kurpfälzisches Museum Heidelberg.

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Abbildung 2: Franz Hogenberg (um 1540 – nach 1610), Hochzeitszug zur Kirche. Vermählung Friedrichs V. mit der englischen Prinzessin Elisabeth Stuart am 14. Februar 1613, Kurpfälzisches Museum Heidelberg.

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Abbildung 3: Georg Keller (1568–1634), Empfang der englischen Prinzessin Elisabeth Stuart bei Ladenburg, 1613, Kurpfälzisches Museum Heidelberg.

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Abbildung 4: Jacques Fouquières (1590/91–1659), Der „Hortus Palatinus“, vor 1620, Kurpfälzisches Museum Heidelberg.

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465

Abbildung 5: Flugblatt Der Sibenköpffige CaluinistenGeist, um 1619, Kurpfälzisches Museum Heidelberg.

466

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