Münster im Gregorienthal: Ein Beitrag zur politischen, kirchlichen und kulturhistorischen Geschichte des elsässischen Münsterthales [Reprint 2022 ed.] 9783112640005

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Münster im Gregorienthal: Ein Beitrag zur politischen, kirchlichen und kulturhistorischen Geschichte des elsässischen Münsterthales [Reprint 2022 ed.]
 9783112640005

Table of contents :
Vorwort
Inhalts-Verzeichniß
Kapitel I. Land und Leute im Münsterthal
Kapitel II. Die Abtei des heiligen Benedikt in Münster
Kapitel III. Der Stadt Münder alte Gedichten
Kapitel IV. Wie die Reformation ins Münsterthal kam
Kapitel V. Das Münsterthal während dem 30jähr. Krieg
Kapitel VI. Wie die römische Kirche wieder Boden im Münsterthal gewann
Kapitel VII. Zwei wackere Münsterthäler aus dem achtzehnten Jahrhundert
Kapitel VIII. Die Stürme der französischen Revolution
Kapitel IX. Nie neue Seit und was sie mit brachte
Schlußbetrachtungen
Anhang
Vorwort
I. Quellen für die Geschichte des Münsterthales
II. Münsterthäler Ephemeriden oder Reihenfolge wichtiger Jahrgange aus der Geschichte des Münsterthales
III. Münsterer Reformationsgeschichte, aus einer ungedruckten Chronik
IV. Verordnung die Kirchenstühl der Evangelischen Kirche der Gemein Münster Seid dem Jahr 1701 und 1709 und folgente
V. Verzeichniß der Pfarrer in alter wie in neuer Zeit

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Münster t ttt

Gregorienthal. —*-aVAzyav^—

Munster

im Gregorienthal. Ein

Beitrag

zur politischen, kirchlichen und kulturhistorischen Geschichte des

elsässischen Münsterthales von

Julius Rathgeber,' ehemaligem Pfarrer in Sultzern (MUnsterlhal), nunmehr in Ernolsheim

bei Elsaß.Zabern.

Bevorwortet von

August Ktööer, Professor a. D. und Stadtbibliothekar in Mülhausen.

Straßburg. Verlag von Karl I. Trübner.

1874.

Wenn schon seine herrliche Naturbeschaffenheit das Münsterthal zu einem der beachtungswürdigsten Theile

des Heimatlandes macht, den man stets mit neuem Ge­ nusse durchwandert, so wird das Interesse an demselben

noch erhöht durch dessen Geschichte, dessen Verhältnisse

zu der einst so mächtigen Abtei, durch die Freiheiten, welche sich

die Stadt

als

freie Reichsstadt unter

verschiedenen Kaisern erworben hatte,

durch die eigen­

thümliche bis in die neueste Zeit (1847) hereingehende Verwaltung der Stadt Münster und der Jahrhunderte

hindurch mit ihr gleiche Vorrechte genießenden „sechs großen und drei kleinen Dörfer", jene im Groß­

thal, diese im Kleinthal gelegen. Das Thal und seine Bewohner, deren Sitten, Ge­

wohnheiten,

Sprache, Betriebsamkeit, kirchliche, bürger­

liche und politische Verhältnisse; deren Leben und Treiben unter sich und im Verkehr mit den andern neun Reichs­

städten und Ortschaften deS Elsasses, mit den verschiedenen Oberherrschaften, unter welchen sie nach und nach ge­

standen, von den ftühesten Zeiten bis zur Gegenwart:

dieß Alles wird unserm Geiste in anziehender Form lebendig und wahrheitstreu vorgeführt und gestaltet sich zu einem festen, anschaulichen Gesammtbilde.

Der Herr Verfasser hat mir die unverdiente Ehre

erwiesen, mich um ein Vorwort zu dieser vaterländischen Schrift zu ersuchen, um ihn, wie er sagt, in den Kreis der elsässischen Geschichtsforscher und Geschichtsfreunde einzuführen. liches

Buch

Er bedurfte dessen nicht.

„Straßburg

im

16.

Durch sein treff­

Jahrhundert.

Reformationsgeschichte der Stadt Straßburg,

dem

evangelischen

Volke

erzählt

(Stuttgart

1871)" hat er sich den Weg zu jenem Kreise bereits

selbst eben und anmuthig gemacht und nimmt schon in demselben eine ehrenvolle Stelle ein.

Ich konnte daher

die Ehre, sein Vorredner zu sein, nicht sowohl als Geleits­ mann, denn als Mitwanderer durch das schöne Münster­

thal und zu dessen fleißigen, kernhaften Bewohnern, so wie durch die wechselvollen Zeitläufe ihrer Geschichte, dankbar annehmen.

Möge der geneigte Leser nun selbst die Wanderung beginnen und sich dabei ebenso erquicken, wie ich es ge­

than habe! Mülhausen im Oberelsaß, den 25. November 1873.

August Stöber.

Inkakts-Verzeilöniß. V-VI Kapitel Vorwort I.

,z „ „ ■ ,

Land und Leute im Münsterthal .

.

.

1—15

II. Die Abtei des heiligen Benedikt in Münster 16—26 37—41 HI. Der Stadt Münster alte Geschichten . . IV. Wie die Reformation ins Münsterthal kam 42—57 V. Das Münsterthal während dem 30jähr. Krieg 58—78 VI. Wie die römische Kirche wieder Boden rm 79—92

Münsterthal gewann

,, VII.

Zwei wackere Münsterthäler aus dem acht­

, VIII. „ IX.

Die Stürme der französischen Revolution

110—120

Die neue Zeit und was sie mit sich brachte

121—133

93—109

zehnten Jahrhundert

Schlußbetrachtungen

134—142

Anhang. Vorwort *.................................. 143 I. Quellen für die Geschichte des Münsterthals . . 145—147 II. Münsterthäler Ephemeriden

148—153

HI. Münsterer Reformationsgeschichte, aus einer unge­ druckten Chronik

153—159

IV. Münsterthäler Kirchenstuhlordnung V. Verzeichniß sämmtlicher Münsterthäler Pfarrer

160—167 .

168—190

Kapitel 1.

£nml und Leute im Münjicrtfiiif. Das Münsterthal, oder wie man es auch im Elsaß nennt, die „kleine Schweiz der Vogesen", ist eines der schönsten, reichsten und bevölkersten Thäler des Wasgaus. In einer Ausdehnung von sechs Stunden Wegs trifft der erstaunte Reisende drei Städtchen, worunter zwei ehemalige Reichsstädte, Türkheim und Münster, so wie achtzehn Ortschaften und ein halbes Dutzend Schloßruinen an, welche die waldigen Berggipfel krönen. Die Fecht, welche auf dem mächtigen Hohneckkopf, ans zwei Quellen, dem Ammelbach und dem Kalten Born entspringt, durch­ strömt das Münsterthal in seiner ganzen Länge und fließt, ohne besondere Windungen, durch den grünen Thalgrund

hin, um nach einem Laufe von zehn Stunden sich bei Jllhäusern, in die Jll zu ergießen. Das Städchen Türkheim, sowie der Flecken Wintzen­ heim bilden gleichsam die beiden Thorflügel des Münster­ thals. Türkheim, mit seinen geschichtlichen Erinnerungen und mit seinen freundlichen Rebbergen, streckt sich am Fuße

des Berges aus, auf dessen Spitze sich der viel besuchte Wallfahrts- und Luftkurort „zu den dreien Aehren"

2 (Trois Epis) erhebt. Wintzenheim liegt gerade gegenüber;

in seiner Nähe ist der stille, dem ehemaligen Kloster von

Sankt Aegidius gehörige Meierhof von Sankt

dien (Saint-Gilles) gelegen, von welchem aus

Aegischattige

Waldwege auf die Bergschlösser von Plixburg und von

Hohenlandsberg,

dem einstigen Wohnsitze des edlen

und wohlwollenden Ritters

Schwendi,

von

Lazarus

hinaufführen.

Weiter im Thale drin ragt auf der nördlichen Berg­

wand, weithin sichtbar durch den rothen Sandsteinfels, der Hohnack (nicht zu verwechseln mit dem noch gewaltigeren Berggipfel Hohneck) empor.

Dort erhob sich einst ein

stattliches Schloß, den Grafen von Rappoltstein gehörig, das Ludwig

XIV abbrechen ließ; am Fuße des Hohnack

breitet sich das Dorf Weier (Wihr) aus, mit der freund­ lichen Kapelle auf sonniger .Höhe.

Weier (im Thal, in

der Ebene bei Colmar ist ein gleichnamiges

Dorf) war

der einstige Sitz des rappolsteinischen Amtes im Münster­ thal; zu demselben gehörten noch die beiden Dörfer Günsbach und Griesbach.

Gerade Weier gegenüber erhebt sich in einem Seiten-

thale das alte Städtchen Sulzbach mit seinem bekannten Sauerbrunnen.

Das Thal hat hier etwa eine Viertel­

stunde Breite; es wird jedoch enger, je mehr man sich der Stadt

Münster

nähert.

vor

Unmittelbar

der

letzteren

breitet sich der Schloßwald aus, mit den Trümmern der Schwarzenburg,

Stättmeister

in

Kolmars,

Rösselmann, sein

deren Thürme der

einem,

freiheitsmuthige

bewegtes Leben

endete.

einst

ein

Walther

Nicht weit

von der mittelalterlichen Ruine erhebt sich in herrlicher,.

parkähnlicher Umgebung, ein lieblicher Meierhof, dem Bür­ germeister und Fabrikbesitzer Fritz Hartmann gehörig;

demselben gegenüber zeigen hohe Schornsteine und rauchende

3 Kamine

die

Industrie

der Neuzeit

an,

die

ge­

Besitz

nommen hat von dem einst Jo stillen und abgeschlossenen

Thale. Hinter der Stadt Münster fängt

das Hintere Thal,

das eigentliche Gregorienthal an, von dem in unserm Buche hauptsächlich die Rede sein wird.

In

der obern

Stadt zweigt sich das Thal in ein sogenanntes Großthal, mit vier Gemeinden

Gemeinden ab.

und

Das

in ein

Kleinthal,

mit drei

Großthal ist von der Fecht durch­

strömt; im Kleinthal fließt der sogenannte Thalbach, der

aus zwei Quellen entspringt, deren eine aus dem Sultzereroder Darensee fließt.

Dieser See ist fünf Viertelstunden

von dem Dorfe Sultzern entfernt; er hat eine sehr roman­

tische Lage; von drei Seiten ist er von felsigen Waldhöhen begrenzt, die einen Halbkreis bilden, auf der vierten Seite ist er offen und leicht zugänglich, weil er eingedämmt ist;

durch eine Schleuße kann das Wasser des Sees ins Thal geleitet werden, was bei Wassermangel sehr werthvoll ist. Der See hat in der Mitte bis 180 Klafter Tiefe.

Im Großthal erhebt sich

König unter

den

Bergen

'

der mächtige Hohneck, der des

Münsterthals;

nach dem

Bölchen ist er der höchste Gipfel der Vogesen; feine Höhe beträgt über 4000 Fuß (1366 Meter) über der Meeres­ fläche. Sein Gipfel ist mit nahezu immerwährendem Schnee bedeckt, der nur in den heißesten Sommertagen schmilzt.

Wenn man sich

vom Hohneck

gegen Westen wendet, so

erreicht man nach einer starken Viertelstunde den sogenannten Herzig eburn (Herzogsborn) also geheißen, weil in alten Zeiten, ein Herzog von Lothringen, der auf jenen einsamen und wilden Höhen

dem

edlen

Waidwerk

nachging, mit

seinem Jagdgefolge manchmal etliche Tage unter lustigen Zelten zubrachte. der Mosel.

Der Herzogsborn ist die Hauptquelle

Einige hundert Schritte davon, gen

Osten

4 zu, entspringt der Ammelbach, die Hauptquelle der Fecht*). Die Münsterthäler führen von Alters her, und nament­ lich als es noch-keine Fabriken im Thale gab, ein Alpen­ leben. Sebastian Münster sagt in seiner berühmten Cosmographei: „Ihr Handel und Nahrung ist mehrer„theils von dem Vieh, denn sie vast gute Weid haben, „treiben auch im Sommer ihr Viehe auf alle Höhe der „Berge, gleichwie im Schweitzer Gebürg." Und der alte Jchtratzheimer schreibt in seiner 1710 herausgekommenen Topographia des Elsasses: „Die Höhe haben zwischen „den Gipfeln große Horizontelflächen und Weidgäng, daher „vom End Maji biß zu End September viel Stück Rind

«„Vieh (weilen sie von denen Fliegen und Ungeziefer wegen „Kühler Luft, Ruhe, auch Genuß und die herrliche Kräutter „zur Weid nach der Genüge habe) gehalten, auf denen „Melker und Sennereien der Menge Butter und Käs „gemacht, nicht nur im flachen Lande selbst verdebit„tiret, sondern auch in weit entlegene Länder verführet „wird, weilen sie denen Schweitzer Butter und Käsen, wo „nicht vor, doch wenig nachgeben." Und in der That eignen sich die breiten Ränfte des

Gebirgskammes, welche von Alters her die Wasserscheide**) * Anmerkung.

Vergleiche über den Ursprung, den Lauf und

die schließliche Vereinigung der Mosel und der Fecht, das hübsche Gedicht: Die Mosel und die Fecht, in Johann Breschs: Vogesen­

klängen. ** Anmerkungen. Diese Berggipfel heißen in den alten Ur­ kunden Vir st en, und die Wasser- und Grenzscheide war angegeben

durch die Richtung, in welcher der „snee smilzt."

Die Allmenden,

die längs den Abhängen dieser Berggipfel liegen, und von armen Leuten vermittelst einer Gemeindevergütung von anderthalb Franken per Jahr und pro Acker, angebaut werden,

hießen vor Alters

5

und zugleich die Grenge

zwischen Elsaß und Lothringen

bilden, trefflich zu Waidgängen.

Etwa gegen den Sankt

Urbanstag (25. Mai), selten früher, ziehen die Hirten mit

ihren KäSbuben, den breiten Milchzuber auf dem Rücken,

mit ihren stattlichen Rinderheerden, unter dem Hellen Ge­ läute der Glocken, welche die Kühe am Halse tragen, auf

ihre Bergfirsten hinauf.

Dort bleiben sie in stiller Abge­

schiedenheit den Sommer über; zählt man doch über 200

Melkerhütten

auf

den

sogenannten,

dem

Waidgang so

reichen Melkerbergen. Der Bau dieser Berghütten ist höchst

einfach; sie sind meist von Holz; auf den niedrigen Schin­ deldächern liegen mit großen Steinen beschwerte Dielen,

damit die heftigen Sturmwinde das Dach nicht wegreißen.

Das erste Gemach dieser Hütten ist

gewöhnlich eine als

Wohnstube dienende Küche und Käserei, in welcher Einem

die blank gescheuerten Melkgeschirre entgegen blinken. Neben

der Küche befindet sich meist eine kleine, sehr niedrige und schwach beleuchtete Kammer, in welcher ein in der Wand angebrachtes Bett sich befindet, das von außen einem Wand­

schranke nicht unähnlich sieht.

Ein Tisch,

Bank, ein Gesimse, auf welchem sich

eine hölzerne

neben dem Segen-

büchel (Gebetbuch) noch die nothwendigsten Küchengeräth-

schaften befinden, bilden das einfache Mobiliar dieser länd­ lichen Hütten.

Neben der Melkerei dehnt sich gewöhnlich

der niedrig gebaute Viehstall aus, in welchem, je nach dem

Wohlstände des Eigenthümers **), man Halbdutzende und Dutzende, ja Halbhunderte und bis Hunderte von Stücken H o ch v e l d e n, heutzutag nennt man sie K r i e t e r (Kräuter), wäh­ rend die Bergwiesen Wasen genannt werden.

* Anmerkung. Viele Melker miethen für den Sommer noch Kühe zu ihren eigenen. Außer der Verantwortlichkeit, die sie für diese Thiere tragen, zahlen sie dem betreffenden Eigenthümer für die Sommermonate den Preis, den der. Centner Käs-gilt.

6 Rindvieh antrifft.

Die beiden

größten Melkerberge im

Münsterthal sind der Kahlen Wasen (Petit Ballon) mit hundert Stück und Gärtlen (Gazon du Marti?) mit achtzig Stück.

Die Melkerhütten, nebst den dazu gehö­

rigen Stallungen, sind gewöhnlich windstillen Orten, gebaut.

am Bergesabhang, an

Die Melker sind meistens junge

kräftige Leute; sie tragen runde,

schwarze Lederkäppchen,

und sind sehr einfach, ja leicht gekleidet; sie können große Strapatzen ertragen und jedem Welter trotzen.

Im Alter

freilich spüren sie die Nachwehen ihrer rauhen Lebensart.

Im Knabenalter sind

dieselben meistens als Käsbuben

angestellt gewesen, das heißt, sie sind mit dem Esel täglich

aus dem Dorfe in die Melkerhütte hinausgekommen, um die daselbst zubereiteten Käse auf dem Rücken der lastbaren

Thiere Abends wieder herabzubringen.

Im Münsterthal

werden nämlich die weit und breit bekannten und gesuchten

Münsterkäse*) verfertigt,

sind, weil, außer

heerden

die deßhalb so schmackhaft

der sorgfältigen Zubereitung, die Kuh-

eine vortreffliche Weide auf

den hohen Bergen

finden, auf welchen Alpenkräuter in Menge wachsen.

Im

Sommer sind die Heerden einen Theil der Nächte über im Freien; erst um Mitternacht, wenn die Luft kühler wird,

läßt man sie in den Stall.

Gegen Michaeli, oder etwas

später noch, kehren die blöckenden Heerden unter Schellen­ geläute und fröhlichem Jodeln der Hirten, aus ihrer luf­

tigen Höhe wieder in ihr

stilles Thal hinunter.

Voran

geht die Führerin der Heerde, die durch eine größere Schelle sich auszeichnet; ihr folgen, in langer Reihe,

Kühe,

die übrigen

die sämmtlich mit größeren und kleineren Schellen

Anmerkung.

Im Münsterthale werden wohl jährlich 200,000

Pfund (20,000 Centner) Käse fabrizirt. Den Centner zu 80 Franken,

den höchsten Preis gerechnet, macht das eine jährliche Einnahme

von 16 Millionen Franken.

7 versehen sind.

Zuletzt kommt der Melker mit seinen Käs­

die den blank gescheuerten Milchkessel tragen, und

buben,

die Luft mit ihrem Jodlen erfüllen.

So ziehen die freien

Bewohner der Berge wieder hinab in die heimischen Thä­

ler, um die Wintermonate im Kreise der Ihrigen zu ver­

leben.

Manche

gelegene

Berge,

Melker

wo

jedoch

sich

begeben

Stallungen

sich

und

auf niedrig

Bergscheunen

befinden; dort harren sie, bis das Futter aufgezehrt ist, aus,

und kehren, gegen Weihnachten, allmälig ins Dorf herab. Sehr oft geschieht es auch, daß die Melker ihr Vieh allein

lassen, und dann zweimal täglich sich

in den Bergställen

Ist das

hinauf begeben, um die Fütterung vorzunehmen.

Futter aufgezehrt, so wandelt man in eine niedriger gelegene Scheune, und mit dem ersten Schnee vollends in die hei­

mischen Dorfställe hinunter.

Durch seine eigenthümliche Lage ist das Münsterthal von Alters her

gewesen.

ganz

besonders

zur Viehzucht

geeignet

Denn einmal war das Thal durch steile, unzu­

gängliche Felswände von Welsch-Lothringen, an welches es

grenzt, völlig abgeschnitten, zum Andern sind viele Berg­ hohen im Thale kahl und unbewaldet und deßwegen, weil gegen Osten gelegen, vortrefflich für den Waidgang geeignet,

zum Letzten bildete das Thal, so

lange es ohne Fabriken

war, eine gänzlich abgeschlossene Welt und die Thalbewohner waren zur Fristung ihres Lebens genöthigt, Viehzucht und

Ackerbau zu treiben.

Und der Feldbau wird fleißig von

ihnen, wenn auch mit großer Anstrengung, betrieben; bis auf die steilsten Berge hinauf sind

die Abhänge

ange­

pflanzt, besonders mit Kartoffeln, die in dem leichten Boden trefflich gedeihen.

Freilich ist der Ackerbau im Thale ein

viel mühsamerer als in der

Ebene, und wenn irgendwo,

so gilt hier das Schriftwort:

Im

Schweiße

Angesichts sollst du dein Brod essen.

deines

8 Die Bevölkerung

des

Münsterthales

(wir verstehen

darunter, wie schon oben gesagt, die Stadt Münster mit den

früher dazu gehörigen Gemeinden des Groß- und Kleinthales), beträgt etwa fünfzehn tausend Seelen, wovon wohl

zwei Drittheile evangelisch sind.

Die alten Münsterthäler

zeichnen sich durch ihr ernstes und sittsames Wesen, durch ihren Fleiß und ihre Frömmigkeit, und durch ihre Aühänglichkeit aus.

Man findet unter ihnen ein Gefühl der

Gemeinsamkeit, ein kräftig ausgeprägter Gemeinsinn und eine innige, an diejenige der Schweizer Sennhirten erin­

nernde Liebe zu ihren Bergen. Ihre Tracht, die leider am Verschwinden ist, war ernst und einfach; die Männer trugen den Dreispitz, einen langen braunen Rock, schwarzes Brust­

tuch, kurze graue Kniehosen, lange Strümpfe und Schnall­ schuhe.

Die Frauen gingen und

gehen zum Theil noch

einher in der sogenannten schwarzen Nebelhaube (Kopf­

haube), im schwarzen Rock und schwarzen Mieder. Ernst der äußerlichen Tracht

Glaubens und der Sitte.

Der

deutele auf den Ernst des

Beide jedoch haben unter dem

jüngern Geschlechte stark abgenommen. Die Lebensweise der Münsterthäler ist höchst einfach; Kartoffeln, Kraut (sogenannter Gumbiscb) und Käse sind ihre Hauptnahrungsmittel.

Manchen alten Leuten im Thal

gedenkt noch 'die Zeit, wo der Kaffee ein unbekannter Trank war; dazumalen, sagen sie, sey man viel gesünder gewesen, und hörte man nicht so viel klagen über „schwache Erve" (schwache Nerven). Auch im geistlichen Leben sind

die Münsterthäler vor

Andern ein bevorzugtes Völklein; gute Erbauungsbücher findet man in Menge in den Häusern;

es ist ein Segen

von der Väter Zeit vorhanden, wie nicht leicht sonst anderswo. Die Liebe zum Worte Gottes und zu den treuen Predigern desselben ist eine große.

In den meisten Häusern im Thal

9 wird noch am Morgen und am Abend der Segen gebetet. Mit Gebet setzt man sich an den Tisch, und mit Dank­ sagung steht man von der Mahlzeit auf. Gerade durch ihre frühe Abgeschlossenheit von der Außenwelt, haben sich unter den Bewohnern des Münsterthales alte, gute Sitten länger denn sonst, erhalten, obwohl auch hier wie allüberall die Alten klagen, es sehe heutzutage nicht mehr wie ehedem, und die Jugend seye viel roher, unwissender und wilder, denn zu ihrer Zeit. Merkwürdig ist es, daß man im Münsterthale keine Wiedertäufer findet. Während man auf einsamen Berg­ hohen im Markircher, Rappoltsweiler, Gebweiler und Maßmünsterthal Wiedertäufer in größerer oder kleinerer Anzahl begegnet (in Markirch bilden sie eine förmliche Gemeinde), trifft man im Münsterthale keinen einzigen an. Juden gibt es gleichfalls, mit ganz geringen Ausnahmen, keine im Münsterthal. In Münster durften sich vor der französischen Revolution, keine Juden niederlassen, welches Recht der Stadt Münster durch eine Urkunde Kaisers Marimilian I., vom Jahre 1570, bestätigt ward. Wer in alter Zeit von den Juden Geld lieh, dem wurde das Wasser und das Feuer untersagt. Bis auf den heutigen Tag findet man,mit Ausnahme Winzenheims, keine Juden im Münsterthal; blos in der Stadt Münster sind einige Judenfamilien seßhaft; doch kommen sie jeden Tag, um Viehhandel und Schacher zu treiben, in das Thal, das sie in allen Richtungen durchwandern. Weil das Münsterthal in alter Zeit eine völlig abge­ schlossene Welt, gleichsam einen kleinen Freistaat im Elsaß bildete, hat sich auch in demselben eine eigenthümliche Sprache gebildet und erhalten. Wir lassen hier eine Reihe von Redensarten*) und Sprüchwörtern folgen, die im *) Anmerkung. Herr Pfarrer Bresch, in Mühlbach, hat ein Idiotikon, das heißt eine Sammlung von Münsterthäler Redensarten und Ausdrücken angelegt, womit er einst die Alsatia bereichern sollte.

10 Münsterthal gäng und gäbe sind, im übrigen Elsaß jedoch

fremdartig klingen.

Münsterthaler Redensarten. „I hab iwli Zit ghet", ich habe viel arbeiten müssen.

„I bin glatt erschrecke", ich bin sehr erschrocken. „Sie kenne nit mit nander gschirre", sie können nicht mit einander auskommen.

„Eywe" (unübersetzbar).

„I könnts gänzli nit saje", ich tonnte es ganz und gar nicht sagen.

„'S Kind isch Hit pfisi und müdri", das Kind ist heute verdrossen und mürrisch.

„Unser Mejele isch ferne am Kaiser Heinris Da gebore", unsere Maria Anna ist voriges Jahr am Kaiser

Heinrichstag (den 13. Juli) geboren.

„Alle ledige Da will min Froi stroße gehn", jeden Tag den Gott gibt, will meine Frau

über die Straße (zu

Nachbarsleuten) gehen. „Wander gwelten gehn"? Wollt Ihr gwelten, d. h.

den Abend in einem fremden Hause zubringen?

„Er isch, eige".

Eigen kann entweder heißen: er ist

apart, oder er gehört zur Familie.

„Gang dapfer uf de Pfarrer los, geh' schnell den Pfarrer rufen.

„Die Dörfer und die Berjer", die Dorf- und die Berg­ bewohner.

„Sie hen Wechselwort mit nander gha", sie hatten Streit mit einander.

„Mer hette noch's erscht ungrad Wort mit n'ander ze wechsle", Wir hätten noch das erste Zankwort mit einander zu wechseln. •

11 „Biebli lauf weidli", Bübleiu, lauf schnell.

„Jr Han e Stroßer bekumme", Ihr habt einen Straßer

(Besucher) bekommen.

„Er isch iwel feil un übri wore", er ist unwerth und überflüssig geworden.

„I hab em d'Zit

geböte,

er het

awer nit gedankt",

ich habe ihn gegrüßt, er hat aber nicht gedankt. „Bisch wider ungatti"? Bist du wieder unartig?

„Huk di hin", setz dich hin.

„Bisch mer e koschbarer Kerle"! Du bist mir ein theurer Kamerad!

„Los mi unkeit"! „Hesch gegobt" ?

Laß mich in Ruh!

Hast Du gegabt, das heißt hast Du

eine Gabe bei einer Taufe oder einer Hochzeit gegeben? D'Atte sin hertbeini gsi, d'Junge awer sin bal bufelli",

die Alten waren kräftig und dauerhaft,

die Jungen hin­

gegen sind schwach und gebrechlich.

„Bet usi, bet auf, sag5 deine Leküon her!

„Mer het im Jwerdrang thon", man'hat ihm Ueber-

drang, Gewalt angethan. „Wur mer nit hoffen", werde mir nicht hoffärtig.

Es het Betzit gelite", es hat die Abendglocke zur Bet­ zeit geläutet.

„Der Lichebiter isch bim gsi",

der Leichenbitter war

bei ihm. „Chagrinir mi nit", Leb' mir nicht zu leid. „Si hen mit'nander parisert", sie haben mit einander

in wilder Ehe gelebt.

„Tra Besserung uf's Feld", trage Mist auf's Feld. „Lut siner USsag", nach seiner Aussage.

„Mer hän Nußkern gekirnt", wir haben Nußkerne auf­

geschlagen..

12 „Es dicht mi s'ijch'nir Lehes", es däucht mich es sey nichts Unrechtes. „Mer sin in eim Wasser getauft wore", wir sind mit einander getauft worden. Unser Sit un d'ander Sit", unsere Seite (die evan­ gelische) und die andere (die katholische).

Münsterthaler Apruchwörter. 1) Wenn ein alter Vogel aus dem Neste fliegt, lebt er nicht mehr lange. 2) Wenn man zwanzig Jahre mit einander gschirrt hat, so gibts auch manchi krumme Furchen. 3) Wenn die Tage langen, kommt die Kälte gangen. 4) So der Acker, so die Rüben, So der Vater, so die Buben, So die Mutter, so die H.... 5) Er wird keinen Sester Salz mehr essen. 6) Wenn der Bär am Lichtmeß (2. Februar) d'Sunn erblickt, so mueß er sechs Wuche in'$ Loch. 7) Im Hornung sieht mer lieber e Wolf als e Mann in Hemdärmel. 8) Der Jerri un der Marr (23. und 25. April), die bringe oft was Args (Unwetter). 9) Wenn Gott Einem eine Krankheit schickt, so hat Er schon die Wärterin bestellt. 10) Mathis (25. Februar) bricht's Js, Findt er keins, so macht er eine-: 11) Wenn es dünnere thut uf de blute Hirte (Höhen) Derfe sich d'Melker nit freje uf früij Firste. 12) Es ist ken Meje (Maimonat) noch so guet, Es schneit dem Schäfer uf de Huet. 13) Uff e narrichti Red ghert e narrrichti Antwort.

13

14) So viel Newel im Merz So viel Wetter im Summer.

15) Unversucht schmeckt nit. Unerfahren glaubt nit.

Wenn wir nun von den Redensarten und Sprüchen auf die Familiennamen übergehen, so finden wir, daß im Münsterthale etliche Geschlechtsnamen eine ungewöhnlich große Verbreitung haben. Wir errinnern nur beispiels­ weise an die Namen Kempf (auch Kämpf), Ertle, Iltis, Wodey (auch Woday), Hadey (auch Haday), Spenle, Jägle u. s. w. Daher rührt auch die Sitte, den Leuten Zunamen zu geben, unter welchen sie meist besser bekannt sind als unter ihren eigentlichen Familiennamen. Solche Zunamen entstehen auf mannigfaltige Weise z. B. durch Vornamen wie Wolt (Theobald), Seite (Valentin), Lüre (Lukas), Hansjob (Hans Jakob), Christle (Christian), Märte (Martin), Bernet (Bernhard), Hansjerri (Hans Georg), Clause (Nikolaus); beiden Frauen kommen viele Sälm (Salome), Meje (Maria), Annemeje (Anna Maria), Mejberb (Maria Barbara), Bäwele) deminutiv von Barbara), Bäwi, (Babette), vor. Manchmal haben Familien ihren Zunamen von dem Amte oder der Beschäftigung eines ihrer Vorfahren her, z. B. Schulzewolt's,Büchsenmachers, Pfarrwolts, Stein­ hauers, Mürers (Maurers), Orgelschläger (Orgel­

spieler) Endlich entsteht der Zuname oft durch eine örtliche Lage eines Wohnhauses, z. B. Kilchröse (Rös wohnhaft

bei der Kirche), Kilchbeck (der Bäcker bei der Kirche), Mattehanns (Johannes in den Matten) u. s. f.

14 Auch

die verschiedenen Berge haben ihre besonderen

Namen. Sehr oft kommt unter andern der Name Bühl*) (Bühel, so viel als Erhöhung) als Berggipfel vor. So gibt es im Münsterthal einen gewöhnlichen Bühl, einen Kirchbühl (Kilwel), einen Mittelbühl, einen Nächstenund einen Lundenbühl, bei dem Hohneck. Zur Bezeichnung der Berggipfel kommt auch der Name Kopf im Münsterthal häufig vor, z. B. der Schalllern­ kopf (bei dem Hohneck), der Rinnkopf, der Lauchen­ kopf, die Spitzeköpf, der Rappenkopf u. s. w. Auch den Ausdruck Born (Quelle) findet man nicht selten. So gibt es einen Hahnenborn, einen Kalten­ born, einen Herzigeborn, einen Glasborn, auch einen Bornacker. Auch die Bäche dienen zur Bezeichnung der Berghöhen, wie folgende Namen beweisen: „Selbach", „Bächle", „überm Bach", „Eschtenbach" (schon auf der wälschen Seite gelegen), „Schierbach" (der Bach bei der Scheuer), „Lundenbach", „Heidenbach"**), u. s. w. *) Anmerkung.

findet sich der

Name

Im Elsaß und in der benachbarten Schweiz, Bühl ungemein häufig,

ebenso

auch im

Badischen, in den ehemaligen alemannischen Gegenden, sowohl als

Orts- als auch als Bergname, z. B. bei Weißenburg.

Bühl bei Gebweiler,

Bühl

In der Nähe von Basel kommt der Maienbühl

(bei Riehen) und der Schönbühl (bei Augst)

vor.

Bei Eschbach,

im MUnsterthal, ist ein Dombühl, im Barrer Thal ein einfacher

Bühl; in Straßburg gab es früher, in der Weißthurmstraße, einen Michaelsbühl mit einer Kapelle, und der allen Straßburgern wohl­ bekannte Lingolsheimer-Buckel, war ein ehemaliger Bühl.

**) Anm erkung. Dem Namen Heiden begegnet man öfters in den Vogesen und derselbe ist

eine

Erinnerung

einwohner dieser Gebirge, die alten Celten.

an die Ur­

So gibt es „Heiden­

mauern", „Heidenstraßen", „Heidenfelsen", „Heidenlager", „Heiden­

städte" im Wasgau.

15 Ein eigenthümliches

Wort,

das man im Münsterthal

als Benennung antrifft, ist das

Runs.

Wort

Dieses

auch im benachbarten Orbeythal aus ru

Wort, das sich

erhalten hat (z. B.

Blaru,

Noru, weißer und schwarzer

See), scheint eine Höhlung zu bezeichnen, auch eine solche,

die ausgetrocknet ist.

So gibt

es einen Hellenrun.s

Runs) unweit

(einen ausgehöhlten

Gasch nei, dem Meierhofe am Fuße des

Schallernkopfs, einen Wüsten-Runs im Großthal, einen Sauruns (salv. ven.) zwischen dem Herrenberg und dem Kolben, ein Rinnsel, bei Breitenbach.

Auch der sonst im Gebirge wenig gebräuchliche Name Ried

kommt

im

Münsterthale

sumpfigen Gegend vor.

als

Bezeichnung

einer

Raine und Ränfte als Namen

von Bergabhängen findet man auch wie z. B. der Schäferthalrain am Hohneck und

der Heidenraw

(ranft) bei

dem Wurzelstein. Da die Berge im Münsterthal bei Weitem nicht alle

bewaldet sind, sondern oft gewaltige Felsmassen bilden, so begegnet man auch

oft dem Ausdrucke

Stein.

So der

„Glitzerstein", der „Wetstein", der „Wurzelstein", der „Ra­

benstein" u. s. w. Aus all' dem Gesagten geht hervor, daß das Münster­

thal bis in die neueste Zeit, vornämlich durch seine eigen­

thümliche Lage, durch welche es lange von außen her wie abgeschlossen war, gleichsam eilte Welt für sich bildete, in

welcher

ein

eigenartiges,

welches lange hindurch bewahrt hat, und

naturwüchsiges

Völkchen

lebt,

der Väter Art und Sitten treu

deßwegen auch einen unwiderstehlichen

Reiz auf den Ankömmling samen Beobachter ausübt.

und später auf den aufmerk­

Kapitel II.

Nie Äötei des Reisigen Benedict in RünRer.

Um das Jahr 634 kamen einige Mönche unter der Führung des frommen Priesters Oswald, eines Schülers des Papstes Gregor des Großen, aus Rom über die Alpen herüber, um den heidnischen Völkern Deutschlands die gute Botschaft von Christo zu bringen. Ihr Weg führte sie durch Lothringen, und von dort herüber gelangten sie über steile und gefährliche Pfade, die sich am Hohneck vorüber und am Rande gähnender Abgründe hinzogen, in ein waldbedecktes Thal, das den Anblick einer völligen Wildniß darbot. In diesem einsamen Gebirgsthal hausten nur die Bewohner der Berge, Bären und Auerochsen, Wild­ schweine und Wölfe, aber von Menschen fand sich keine Spur. Der Sage nach soll der römische Feldherr Julius Cäsar, bei seinem Aufenthalte im Elsaß, in altersgrauen Zeiten den Auerochs im wilden Münsterthale gejagt haben. Darüber schreibt der Münsterthäler Dichter Johannes Bresch in seinen „Vogesenklängen" Folgendes: In altersgrauen Zeiten War's öd' im Münsterthal;

Gebirg und grüne Weiden Bedeckten Moor und Haiden Und Waldesnacht zumal.

17

Es stürmten Wölf, und Bären Wild durch des Urforst's Nacht.... Im Thal, dem menschenleeren, Auf Auerochs und Bären, Macht Cäsar lustig Jagd. Oswald ließ sich mit seinen Gefährten in einer engen

Thalschlucht nieder, am sogenannten Schweinsbach (von

den Wildschweinen also benannt).

Sie bauten sich einfache

Hütten und errichteten eine Kapelle, welche Jahrhunderte lang bestand, bis die Stürme der französischen Revolution ihr den Untergang brachten.

Jetzt erhebt sich dort der aus

der Klosterzeit stammende Meierhof, in dessen Nähe man

bis in die vierziger Jahre noch die spärlichen Trümmer des bescheidenen ersten

konnte.

Gotteshauses

Dieser Meierhof

war bis

im Thale

erblicken

1793 ein sogenanntes

Pfaffengut.

Oswald, von Abkunft vermuthlich ein Irländer, siedelte sich in der Folge mit seinen Gefährten, bei dem Zusam­

menfluß der beiden Kleinthalbäche (des Ampfersbaches und des Sultzerer Wassers) an.

Der

Ort an welchem sie,

neben ihren schlichten Einsiedlerhütten, ebenfalls eine, jedoch spurlos verschwundene Kapelle, errichteten, heißt jetzt noch

der Kirchbühl, oder wie die Thalleute sagen, der Kilbel*). In der Folgezeit entstand

dort

ein Dorf,

das schon in

einer Urkunde des Jahres 817 vorkommt, und wegen seiner

aus

der

Ferne

hergekommenen

Bewohner,

den

Namen

Schottenweiler (Scottenwilre) empfing. Das ist der Ur­

sprung des heutigen Dorfes Stoßweyer oder S1 o ß w i h r. *) Anmerkung. Auf dem Kilbel ist keine Spur einer früheren Kapelle mehr vorhanden, doch nach der Volksüberlieferung soll das Helle GlLcklein, welches auf dem Giebel des daselbst befindlichen Gemeindehauses ertönt, einst einer früheren dort stehen­ den Kapelle angehört haben.

18 Schotten nannte man nämlich dazumal ausnahms­

los alle aus Großbritannien, auch aus Irland herüberge­

kommene Missionare, von denen etliche das Christenthum Oswald starb schon im Jahre

in die Vogesen brachten*). 642.

Noch

erinnert

in

der

Stoßweier, der Name eines

Nähe des

Kirchbühls von

gegenüber liegenden Berges,

den Wanderer an den frommen Einsiedler,

der einst mit

dem Evangelium christliche Gesittung in dieses Vogesenthal brachte; es ist der Mönchberg, ein lang gedehnter Höhen­ zug, der sich von Münster aus, in starker Steigung, nach-

dem Hohneckkopf hinzieht. Nicht lange blieben Oswaldos

Gefährten im Hintern

Thalgrunde; schon im Jahre 660 finden wir sie an einem

neuen Orte, unweit des Zusammenflusses

des Kleinthal­

baches mit der Fecht. Dort errichteten sie ein Kloster (ein

„Gotzhuß" wie sie es nannten), das sie dem Papste Gregor dem Großen widmeten; sie selbst aber wohnten beisammen

nach der Regel des heiligen Benedikt.

So legten sie den

ersten Grund zur nachmaligen berühmten Abtei Münster

im Gregorienthal.

Münster (Monasterium) heißt so

viel als Kloster, nach dem Lateinischen, und der Zusatz im Gregorienthal erklärt sich einmal dadurch, daß dieses Kloster zu Ehren des Papstes Gregor war gegründet wor­ den, und zum andern, um es von den verschiedenen gleich­

namigen Münsterthälern (3 in der Schweiz und 1 im Schwarzwald) zu unterscheiden. Die Klosterbrüder von Münster beschlossen die Regel

des heiligen Benedikt zu befolgen. Benedikt von Nursia, in Italien, ist der Gründer des abendländischen Mönchs­

wesens

gewesen.

Um

dem sündlichen

Weltleben

seiner

Genossen zu entgehen, entfloh er dem elterlichen Hause in *) Anmerkung. Auch die Thomaskirche in Straßburg hieß zum Beispiel ursprünglich die Schott en kirche.

19 Rom, um ein einsiedlerisches Leben zu führen.

Er grün­

dete das berühmte Kloster von Monte Cassino, in Süd-

italien, das die Mutteranstalt aller Klöster des Ordens Er starb im Jahre 543.

wurde.

Seine Klosterregeln

hatte Benedikt im Jahre 529 entworfen.

Nach denselben

sind das die Bedingungen des klösterlichen Lebens l 1) die

Beharrlichkeit, 2) die Abkehr von der Welt, 3) der unbe­

dingte Gehorsam gegen die Obern. Das Leben der Mönche, die in jedem Kloster unter einem Abte stehen, den sie Vater nennen, ist getheilt jeden Tag zwischen siebenmaligem Got­

tesdienst und fleißiger Arbeit. die goldene Ordensregel.

Bete und arbeite ist also

Jedes

Kloster soll eine Welt

für sich bilden; wo möglich soll in demselben Alles gepflanzt und bereitet werden, was zur Nothdurft und Nahrung des

Leibes und der Seele dient; auch arme Kinder sollen von den Mönchen unterrichtet und für das Klosterleben erzogen werden.

Lange Zeit war der Benediktinerorden ein Segen

für Europa, denn die Benediktinerabteien, deren es auch

im Elsaß viele gab, waren Stätten der geistigen Bildung

und Sitte, und Träger des christlichen Lebens. Doch zuletzt arteten sie auch aus und verweltlichten allmälig.

In der neu entstandenen Abtei von

Münster sollten

also diese Regeln des heiligen Benedikt zur Geltung kom­ men.

Und in den ersten Jahrhunderten ihres Daseyns

war dies auch

der Fall.

Unter den fränkischen Königen

erreichte sie ihre Blüthezeit.

Der Frankenkönig Childe-

rich II, der oft in seinen Meierhöfen im Elsaß, besonders in Marlenheim weilte, kam

dann und wann auf seinen

Jagdzügen*) ins einsame, aber wildreiche Gregorienthal. Er

*) Anmerkung.

Von

diesen

Jagdzügen

der

fränkischen

Könige ist wahrscheinlich der Name Frankenthal entstanden, den

das

hinter

Ampsersbach am Fuße

der Schlucht

gelegene Wald-

20

nahm dann gewöhnlich seine Herberge im gastfreundlichen Kloster von Münster, dessen Geist und Einrichtungen ihm

so wohl gefielen, daß er beschloß, ihm einige Schenkungen zu machen.

Im Jahre 673, den 4. März, machte er dem

Abte Valedius

für die Abtei einige Waldungen

und

Güter zum Geschenk, die in dem Banne von Muntzen­

heim, unweit Kolmar, und von Onenhe im, bei Schlettstadt, gelegen waren.

Eine Abschrift dieser Schenkungs­

urkunde ist noch vorhanden. Der Ruf der Benediktinerabtei Münster wurde bald im

ganzen Elsaß

ein

so

vortheilhafter,

daß

im Laufe von

einem Jahrhundert, nicht weniger als sechs Klostergeistliche

aus dem Gregorienthal auf den Bischofssitz von Straß­ burg

erhoben

(693—710),

wurden.

Es

dies

waren

Justus II. (710—712),

1)

Ansoald

Marimin

II.

(712—720), Heddo(734—776), Remigius(677—783)

und Rachion (783—815).

Rach einer alten Ueberlieferung soll auch der Franken­ könig Dagobert II, vor seinem Abscheiden,

der Abtei

von Münster seine Krone, nebst Schwert und Reichsscepter,

vermacht haben. Der Abt hatte das Recht, wenn er Messe

las, diese Krone aufzusetzen, während zwei Meßdiener, die Dauer des Gottesdienstes hindurch, an seiner Seite standen mit dem Scepter und

dem Schwert.

Den geschichtlichen

Werth dieser Ueberlieferung wollen wir hier nicht erörtern; Thatsache ist jedoch, daß bis zum vorigen Jahrhundert, im Klosterschatz von Münster eine silberne Krone zu sehen war.

Auch Karl der Große, der

auf seinen Jagdzügen

mehr denn einmal das Münsterthal besuchte, war der Abtei

sehr gewogen, und sein Sohn, Ludwig

bestätigte in einer Urkunde von 823

der Fromme,

alle Vorrechte und

that bis auf den heutigen Tag trägt. Noch heißt ein Pfad, der aus dem Frankenthal auf den Hohneck führt, Königspfad.

21 Freiheiten, welche die Abtei schon besaß, und machte ihr einige neue Schenkungen. So gab er ihr große Waldungen in der Nähe von Kolmar zum Geschenk, und auch den Meierhof Meteral (das heutige Meheral) im Großthal.

Drei Jahre nachher, Anno 826, gab derselbe Kaiser im Einverständniß mit seinem Sohne und Mitregenten Lothar, von seinem Palaste Ingelheim aus, der in einer Rheininsel bei Mainz sich befand, eine Urkunde, durch welche er alle früheren Schenkungen der Abtei Münster im Gregorienthal, bestätigt, und dieselbe von allen Abgaben und Steuern befreit und ihr schließlich erlaubt ihre Aebte frei zu wählen. Das waren in jener Zeit große und wichtige Vorrechte. Endlich, im Jahre 843, ertheilte Kaiser Lothar dem Abte Berthold von Münster das Recht, das Salz, dessen das Kloster bedürfe, steuerfrei in der Saline von Marsal*), in Lothringen, beziehen zu können. Im Jahre 856 räumte Lothar II. der Abtei von Münster das wichtige Recht ein, auf ihrem Gebiete eigene Gerichtsbarkeit auszuübeu.

Endlich, gegen Ausgang des neunten Jahrhunderts, Anno 896, machte der Herzog Zwentibold von Lothringen, dem Gotteshause zu Münster mehrere neue Schenkungen. Die darauf bezügliche Urkunde ist insofern merkwürdig, als in derselben zum ersten Male von Türinheim (Thüringheim, Türkheim) und von Bonifaziusweiler (Weier**, Wihr), sowie von M eli s (dem heutigen Mühlbach), darin

die Rede ist. *) Anmerkung.

Bei dem Städtchen Marsal, das unter

Ludwig XIV. von Vauban befestigt wurde, befanden sich Salinen,

welche der Abtei von Münster gehörten.

**) Anmerkung. Wir haben die neue offizielle Orthographie angenommen, obwohl man vor Alters nicht Weier, sondern Weyer schrieb.

22 Sämmtliche obenerwähnte Urkunden sind noch verhan-

den, theils im Original, theils in Abschrift.

Im Jahre 1068 wurde in Mühlbach eine Kapelle erbaut, deren Umfang ungefähr den vierten Theil der heu­ tigen Kirche einnimmt. Dieselbe wurde dem heiligen Bar­ tholomäus gewidmet und von dem Bischof Berengar von Basel eingeweiht. Zu Ende^ des zwölften Jahrhunderts war, nach des berühmten Daniel Specklins leider im Brande der straßburgischen Stadtbibliothek untergegangenen ungedruckten Chronik, ein großes Sterben und eine entsetzliche Theuerung im ganzen Elsaß. Die Pest wüthete auch unter den Ein­ wohnern des Münsterthals. Der Sage nach starben die Leute des damals wenig bevölkerten Thales sämmtlich weg; als das Sterben aufgehört hatte, kamen aus der Ebene Kohlenbrenner ins Thal, welche zu Lutenbach, unweit Münster, einen Weiler errichteten und das Thal wieder bevölkerten. Im folgenden Jahrhundert, den 4. März 1182, brach in der Abtei von Münster eine gewaltige Feuersbrunst aus, wodurch das ganze, in Holz gebaute Gotteshaus ein Raub der Flammen wurde. Glücklicherweise konnten jedoch alle wichtigen Dokumente und Urkunden gerettet werden. Im dreizehnten Jahrhundert beiheiligte sich die Abtei von Münster an dem Bau der Sankt Martinskirche in Kolmar. Wie bereits erwähnt, hatte Kaiser Ludwig der Fromme im Jahre 823 dem Abte Gottfried von Münster den Zehnten in der Gegend von Kolmar übergeben. Um denselben einzufammeln, ließ die Abtei von Münster in Kolmar, das dazumalen aus wenigen Häusern bestund, ein Haus erbauen, in welchem Münsterer Mönche ihren Sitz hatten. Man nannte dasselbe den Münsterer Hof. Daran anstoßend wurde eine Kapelle errichtet, in welcher

23 die Benediktiner ihre Gottesdienste hielten.

Dies ist der

Ursprung der Sankt Martinskirche in Kolmar.

Als die

Kapelle später erweitert wurde, erlangte der Abt des Got-

teshausis Münster im Gregorienthal das Recht, die erste Pfarrstelle daran versehen zu

lassen und

den jeweiligen

Pfarrer zu ernennen. Als Kolmar allmälig zu einer Stadt Heranwuchs und von

den

deutschen

erlangte, b-rschlossen die Bürger

Kaisern Stadtrechte

daselbst eine geräumige

Pfarrkirche an die Stelle der zu klein gewordenen Kapelle

zu erbauen. Der Abt von Münster Friedrich II. war ihnen

dazu behülflich. Mit Bewilligung des Bischofs von Basel*), Hein­

rich Grafen von Thun,

eine Stiftskirche.

wurde die Sankt-Martinskirche

Das Stift bestand ursprünglich aus vier

Stiftsherren, welche ihren Propst erwählten; dieser Propst,

der zugleich Stadtpfarrer in Kolmar war,

wurde vom

Abte von Münster bestätigt und in seine Würde eingesetzt. Ferner hatte der Abt das Recht einen der übrigen Stifts­

herren zu ernennen.

Einmal im Jahre war der Abt von

Münster berechtigt mit einem Gefolge von zwölf Berittenen in die Stadt Kolmar einzureiten, und an einem der großen

kirchlichen Festtage das Hochamt am Hochaltar zu singen. Das Martinsstift mußte ihn mit seinem Gefolge den Tag über frei halten.

Dagegen sollte hinwiederum jedes Jahr

die Bürgerschaft von Kolmar, in feierlicher Prozession, nach der Stadt Münster im Gregorienthal wallfahrten.

Der

Abt war seinerseits verbunden die Kolmarer Stiftsherren, doch

diese

allein,

zum

Mittagessen

einzuladen.

Endlich

*) Anmerkung. Die Stadt Kolmar sowie das Münster­ thal gehörten bis zur französischen Revolution zur geistlichen Gerichtsbarkeit des Bischofs von Basel. Dieses Bisthum erstreckte sich bis zum sogenannten Land graben, der heutigen Grenze des Ober- und Unterelsasses.



24

mußte das Martinsstift dem Abte von Münster auf Weih­ nachten ein Schwein verehren und auf den Gregorientag (12. März) in der Fastenzeit, fünf Schillinge für Fische.

Solche Verordnungen wurden gegeben im Jahre 1237

und liefern den Beweis, wie der Einfluß der Benediktiner­ abtei im Gregorienthal dazumalen nach Außen hin ein

war.

sehr bedeutender

Doch wenige Jahrzehnt nachher,

im Jahr 1261, bemächtigte sich

gegen das übliche Land­

recht, ein Ritter von Geroldseck des sogenannten Schwar­ zenberges, der, eine Viertelstunde von der Abtei entfernt, den Zugang des Thales nach der Ebene zu beherrscht. Er

erbaute daselbst ein Schloß, die Schwarzenburg,

welches,

den Klosterleuten großen Abbruch that. Umsonst legte Abt

Gebhard

Protest

dieses eigenmächtige Ver­

ein wider

fahren; umsonst war es, daß

er sich

allen seinen

mit

Mönchen in feierlichem Zuge nach der Schwarzenburg begab,

um des harten Ritters

Herz zu erweichen; er mußte der

Gewalt weichen.

die Edlen von Geroldseck bemäch­

Ja,

tigten sich sogar der Fischerei vor der Stadt und thaten dem Gotteshaus allen möglichen Schaden.

In jener Zeit verarmte auch das Kloster zusehends; die Ursachen dieser

Verarmung waren große Sterben (1348

die schwarze Pest) und große Kriege (1356

die wilden

Engelländer), deren Nachwehen selbst das stille Münster­

thal empfand.

So war es auch

im Laufe

des folgenden

Jahrhunderts; dazumalen, im Jahre 1444 nämlich, wurde

das Elsaß während mehreren Jahren von den sogenannten Armen Gecken, die nichts als verwilderte und zügellose Söldnerschaaren waren, gebrandschatzt und verwüstet, und

als deren Verheerungen aufgehört hatten, fingen die blu­

tigen Burgunderkriege an,

die unsägliches Elend ver­

breiteten, die Leute in Furcht und Schrecken versetzten und das

Land aussaugten.

Auch im Münsterthale

empfand

25 man die Nachwirkungen dieser Ereignisse, und die Prälaten

des Gotteshauses mußten, um der schweren Zeiten willen, nothgedrungen ihren Unterhanen einen Theil der Steuern und Abgaben erlassen.

Doch gerade die allgemeine Noth und

die Drangsale

der bösen Zeirläufe trieben die Leute im Münsterthal desto mehr zu Gott.

Denn eben um jene Zeit, in der zweiten

Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts,

wurden

gorienthale zwei neue Gotteshäuser erbaut.

im

Gre-

Bekanntlich

war die Kirche von Mühlbach schon im Jahre 1068 gestiftet worden; im Laufe der Zeiten wurde sie vergrößert und ein Chor daran gebaut, welches der heiligen Katharina gewidmet

wurde.

Im Jahre 1463 wurde zu Su ltz er h eim*) (dem

heutigen Sultzern), im Kleinthal,

ein hölzernes Kirchlein

erbaut, das dem heiligen Benedikt geweiht war; der Abt

von Münster, Rudolph von Laubgaß ertheilte dazu die nachgesuchte Erlaubniß, doch unter der Bedingung, daß darin keine Messen gestiftet würden,

Münster Abbruch thäten.

neues Gotteshaus.

welche der Abtei in

Auch im Großthal entstand ein

Ums Jahr 1450 siedelte sich ein Ein­

siedler auf einer Anhöhe zwischen Metzeral und Sondernach an, auf der sogenannten Emm, und führte dort ein

gottgeweihtes, beschauliches Leben.

Nach seinem Tode ließ

ein frommer Melker aus der Umgegend in der leer stehen­ den

Einsiedelei manchmal durch

einen Mönch aus

Kloster von Münster eine Messe lesen.

Diese

dem

Gottes­

dienste erhielten eine größere Regelmäßigkeit, als im Jahre

1500 eine Kapelle daselbst erbaut und die Messe durch den

Anmerkung. In Sultzern, das sich auch Sulzern schreibt, soll sich in alter Zeit eine Salzquelle befunden haben, daher der Name. Alte Leute erinnern sich noch, daß in der sogenannten Butzematt eine salzige Quelle entsprang, die sich bei „Becks Mühle", in den Thalbach ergoß. Dieselbe ist aber seitdem eingegangen.

26 Helfer der Kirche von Mühlbach versehen wurde.

Diese

Kapelle wurde dem heiligen Valentin gewidmet, und der im Jahre 1550 daran gebaute Chor, der heiligen Barbara.

Die Emm soll, einer alten Sage nach, die aber aller Wahrscheinlichkeit entbehrt, ihren Namen von der Prinzessin Emma, der Tochter Kaiser Karls des Großen, haben. Außer diesen Kirchenbauten wurde im Jahre 1470 auch die Abtei Münster erneuert und erweitert. So war denn im Gregorienthal ein neues, geistiges Leben erwacht, das im Groß- und im Kleinthal sich regte; an die alte Benediktinerabtei hatten sich vier kleinere Gottes­ häuser gereiht, Schweinsbach und Sultzern im Klein­ thal, Mühlbach und die Emm im Großthal. Doch unter dem Volke waren auch neue geistige Bedürfnisse erwacht; ein Hunger und Durst nach der lauteren Lehre des Evangeliums hatte sich allenthalben eingestellt, und dieses Sehnen der gläubigen Herzen, das immer mächtiger wurde, konnte die römische Kirche, in welcher das Salz dumm geworden war, nicht befriedigen. Nur eine Refor­ mation an Haupt und Gliedern konnte dieselbe zu Stande bringen. Doch ehe wir von dieser großen That Gottes im Münsterthal sprechen, ist es an der Zeit auf das Volks­ leben im Thal und auf die bürgerliche Verfassung der Bewohner desselben einen Blick zu werfen.

Kapitel III. Der Stadt Münder aste Gedickten.

Die beiden ältesten Orte im Münsterthal sind Stoß­ weier (Schottenweiler), im Kleinthal, und Metzer al (Meteral, Metzerol), im Großthal. Beide Dörfer kommen zuerst als zwei der Abtei Münster zugehörige Meierhöfe

in Urkunden des achten und neunten Jahrhunderts vor. Der Name Schottenweiler (Scotenwilre) legt die Ver­ muthung nahe, daß ein Theil der ursprünglichen Ansiedler, die sich im Münsterthal niederließen, aus Irland und Schottland, welche Länder die Heimath der ersten Benedik­ tinermönche waren, ins Elsaß herüberkamen. Diese Ver­ muthung gewinnt eine große Wahrscheinlichkeit durch einige Geschlechtsnamen, mit irischer Endung, die bis auf die Gegenwart im Münsterthal vorkommen, und im übrigen Elsaß völlig unbekannt sind, z. B. Wodey, Wärey,

Mägey, Lamey, Hadey, Haberey*), Näff, Iltis (ursprünglich Mae-Jltis); die Endung ey, ursprünglich ay, weist auf Irland hin. Auch kommen einige eigen­ thümliche Ortsbenennungen hier in Betracht wie Son*) Anmerkung. Diese Namen alle werden von denen, die sie tragen, bald mit ey, bald mit ay unterschrieben.

28 dernach

Mitla (Mitlach),

Sondernah),

(eigentlich

Wormsa und andere mehr, die nicht deutschen, sondern fremdländischen (celtischen) Ursprungs sind.

Die

entstand

Münster

Stadt

allmälig

vom

achten

Jahrhunderte an, um das Kloster („Gotzhus") herum. Es wohnten hier Klosterleute, die Leibeigene oder Eigene,

wie man sie nannte,

Nach und nach

der Abtei waren.

jedoch wanderten auch

Fremde ein, ließen sich im Thale

nieder,

den

und bebauten

Bergabhänge.

Thalgrund

die

und

nächsten

Zweierlei Beweggründe zogen sie an; ein­

mal bot ihnen das Münsterthal, bei den beständigen Ver­

heerungen der Rheinebene durch fremde Kriegsvölker, eine sichere Zufluchtsstätte, da es, im Gegensatz zu den übrigen

Wasgauthälern, durch keinen Paß mit Lothringen verbun­ den war, sondern durch die zackigen und steilen Felswände der Schlucht, von diesem Herzogthume völlig abgeschlossen

war.

Zum andern genossen die Einwanderer manche Vor­

theile; sie bekamen unentgeltlich den Grund hatten

Holz,

zudem

mancherlei

freien Weidgang,

geringe Steuern.

und

Freiheiten Benützung

der

und Boden,

Vorrechte,

als

Allmenden und

Auch fremde Handwerksleute kamen ins

Thal; unweit der Kapelle von Schweinsbach wurde von den Prälaten ein Silberbergwerk angelegt,

das wohl mit

der Zeit einging, doch bis auf den heutigen Tag lebt im Volsmunde die Bezeichnung Silberwald fort, sowie die Benennung

(die Wiese),

der Schmelzwasen,

auf welcher

das heißt der Wasen

das Silber

in

Schmelzhütten

geschmolzen und von den unreinen Schlacken befreit wurde.

So bildeten sich

allmälig im Münsterthale *) neun

*) Anmerkung. Nochmals bringen wir in Erinnerung, daß wir unter dem Namen Münsterthal nur das engere, hinter der Stadt Münster gelegene, und früher unter dem Namen Gregorienthal bekannte Thal verstehen.

29

welche

Ortschaften,

abhingen, und

unmittelbar

dem

von

Gotteshause

diesem Grunde auch

deren Bewohner aus

Die zehnte Ort­

Gotteshausleute geheißen wurden.

schaft im Thal war die Stadt Münster selbst.

Letztere wird erst im dreizehnten Jahrhundert als Stadt erwähnt und als- solche anerkannt, und zwar aus folgender

Veranlassung.

In jener Zeit besaßen die deutschen Kaiser

im Münsterthal nur ein

Drittel

übrigen zwei Drittel gehörten

1235 jedoch beschloß der Abt

der

Einkünfte,

dem Prälaten.

die

Anno

Friedrich II. sich seines

Rechtes zu begeben, und dem Kaiser, dessen Schutz er nöthig

hatte, die zwei andern Drittel auch unter

der

blieben.

Bedingung,

daß

zu

überlassen,

Klostergüter

alle

aber

steuerfrei

Der Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen, ein

Enkel des großen Barbarossa, ging mit der größten Bereit­

willigkeit in diese Bedingung Vergünstigung, erhob

ein, und zum Danke der

er in genanntem

Jahre die Abtei

Münster zu einem reichsunmittelbaren Stift, so daß von

da an die Prälaten des Gotteshauses im Gregorienthal Sitz und Stimme in den Reichstagen hatten.

Da aber

des Kaisers Bestreben darauf ausging, die Macht der Geist­ lichkeit zu vermindern und dagegen den Einfluß der Städte

im Reich zu vermehren, so überließ er die erlangten Rechte der Stadt Münster, die er gleichzeitig

telbaren

Reichsstadt

erhob.

Durch

zu einer unmittel-

diesen

Machtspruch,

welcher die Stadt von der Oberherrschaft der Abtei befreite,

wurde der Grundstein der bürgerlichen Freiheiten Münsters gelegt.

Denn von diesem Jahre

an begann das weltliche

Ansehen der Prälaten zu schwinden,

dasjenige der Stadt

hingegen zu wachsen; Beide, Stadt und Abtei, standen von nun an aus gleichem Fuß. Die Schlüssel der Stadt, welche

bisher in der

Stube des

Prälaten hingen, ohne dessen

Erlaubniß die Thore weder geöffnet noch geschlossen wer-

30 den durften, wurden nunmehr dem Stadtrath übergeben; die Thürme und Mauern der Stadt wurden nicht mehr, wie bisher, auf Befehl des Prälaten, von Klostersöldnern bewacht, sondern die Bürger waren deren treueste und eifrigste Wächter. Immer mehr entwickelte sich unter der Bürgerschaft ein bisher unbekannter Gemeinsinn und eine glühende Freiheitsliebe, und immer mehr trachtete sie danach, das Joch des Krummstabes gänzlich abzuschütteln, was ihr endlich nach langen, mitunter heißen Kämpfen, völlig gelang. Schon ein Jahrhundert später, im Jahre 1354, erhob Kaiser Karl IV. die Stadt Münster im Gregorienthal, zu einer freien Reichsstadt, und ertheilte ihr dieselben Rechte, wie den Städten Kolmar und Schlettstadt. Er gab ihr eine Verfassung in sechs und vierzig Artikeln, welche sich noch im Stadtarchiv von Münster vorfindet. Münster trat auch in den elsässischen Zehnstädtcbund ein, der in demselben Jahre auf Veranlassung Karls VI. ge­ schlossen wurde. Anderthalb Jahrhunderte nachher war die Macht und das Ansehen der Stadt Münster so sehr gestiegen, daß 1550 die Bürgerschaft das heute noch bestehende und mit dem alten Reichsadler gezierte Rathhaus, die sogenannte Herrenstube erbaute, in welchem von nun an die „Räth der Stat und Thal zu Münster", ihre Sitzungen hielten. Denn nicht die Stadt Münster allein, sondern auch die neun dazu gehörigen Dörfer im Gregorienthal, hatten zusammen Antheil an allen Freiheiten und Vorrechten, die einer freien Reichsstadt zu Gute kamen. Diese Gemeinden waren die sogenannten sechs großen und drei kleinen Dörfer. Die großen Dörfer waren: Mühlbach, Brei­

tenbach, Metzeral und Sondernah im Großthal, nebst Stoßweier und Sultzern im Kleinthal. Die kleinen Dörfer waren: Eschbach, Lutenbach und

31 Hohroth.

Diese neun Dörfer,

von

denen jedes

seinen

Schultheiß (Schultzen) besaß, und in deren jedem das Gotteshaus zu Münster einen Einnehmer hatte, der den Zehnten und die übrigen Steuern erhob, waren aufs Engste

mit der Stadt Münster verbunden.

Rechte und die

gleichen

Sie genossen dieselben

wie

Freiheiten,

die Stadt; sie

Rath und eine gemein­

besaßen zusammen den nämlichen

same Verwaltung, und bildeten unter dem Namen Stadt

und Thal zu Münster einen wahren Freistaat im hei­ ligen römischen Reiche deutscher Nation.

Der Rath von

Münster bestand aus 17 Mitgliedern, nämlich aus einem

Reichsvogt, aus zwei

von

dem

den

gebornen Vorstände des Magistrats, Stadtbürgern

Bürger­

erwählten

meistern, ferner aus drei von dem Prälaten ernannten Beisitzern, sodann aus

welche die

vier Beisitzern,

Stadt bezeichnete, zum Weitern aus den sechs Schulzen

der großen Dörfer, und

endlich

aus

einem Beisitzer,

den die drei kleinen Dörfer gemeinsam erwählten*).

Alle

Jahre, den 1. Januar, trat einer der beiden Bürgermeister dem andern die Regierung ab.

Münster waren in

vier

Die Bürger der Stadt

Zünfte

getheilt;

jede

Zunft

ernannte zwei Zunftmeister auf ein Dorf, also zwölf

zusammen; die kleinen Dörfer hingegen, die zusammen als ein großes Dorf angesehen waren, hatten deren zwei

mit

einander.

Die

Gesammtzahl

der

Zunftmeister

im

Thale belief sich also auf zwei und zwanzig; außerdem

war noch in jeder Gemeinde ein Schultheiß,

oder wie

das Volk sagte, ein Schulze. Ohne die Erlaubniß des Abtes

konnte der Rath kei­

nerlei neue Steuern auflegen; erhob sich einmal eine Zwi-

*) Anmerkung. Dieser Rath vertrat, wie schon gesagt Stadt und Thal Münster, die als ein unzertrennbares Ganze angesehen wurden.

32

Magistrat und

stigkeit zwischen dem

den

Bürgern, so

wurde der Span gewöhnlich von dem Rathe der Stadt Kolmar geschlichtet.

Stadt und Thal zu Münster lie­

ferten dem Reich in Kriegszeiten zwölf Mann zu Pferd,

oder 48 Gulden monatlich, und bezahlten in Friedenszeiten 25 Gulden jährlich an die kaiserliche Schatzkammer.

So war allmälig die Stadt Münster zu Ehren und Würden, zu Macht und Ansehen gelangt.

Werfen wir

nochmals einen kurzen Rückblick auf ihre Geschichte während verflossenen

den

und erwähnen wir die

Jahrhunderten,

merkwürdigsten Begebenheiten, welche stch in jener Zeit in

Stadt und Thal zugetragen haben.

Es wird dies eine

Art von Münsterthäler Chronik für den geneigten Leser, bilden.

Zu Anfang Fräulein

des

zwölften Jahrhunderts erbaute ein

von Schwarzenburg vor den Stadtmauern

eine Kapelle,

die später vergrößert wurde; dieselbe war (Saint Läger)

dem heiligen Leodogarius

Die Kapelle wurde in ein Chor und

die eigentliche Kirche verwandelt.

gewidmet.

der neue Anbau in

Diese neue Kirche diente,

namentlich seit dem Brande der alten Klosterkirche im Jahre 1182,

als

Pfarrkirche.

Im

Jahr

1260

begehrte

Abt

Gerhard vom Papste Alexander IV., daß die Pfarrkirche mit dem nahe daran gelegenen Kloster vereinigt würde.

Solches geschah auch wirklich fünf Jahre nachher (1265) durch den Bischof Heinrich II. von Basel.

Der Anschluß des

Gregorienthals an das Bisthum

Basel war bereits im Jahre 1262 geschehen. Das zog der

Stadt und. dem Thal eilf Jahre einen

unwillkommenen

Besuch

von

nachher, Anno 1273,

Seiten des

Grafen

Rudolf von Habsburg zu, der den Bischof von Bafel

befehdete.

Doch wurde er noch

in demselben Jahre zum

deutschen Kaiser erkoren und schloß großmüthig mit seinen Feinden.

Frieden

33 Zwanzig Jahre später (1293) nahmen die Bürger von Münster Partei für den Kaiser Adolf von Nassau und zogen gegen die Stadt Kolmar und die Herren von Rap­ pollstein, welche zu Kaiser Albrecht, dem Sohne Rudolfs von Habsburg hielten, zu Felde. Sie überrumpelten den rappoltsteinischen Ort Weier im Thal, und drangen in die Keller ein, wo sie sich gütlich thaten. Doch die Kolmarer kamen den bedrängten Weirern zu Hülfe; sie schickten ihnen Verstärkung zu, und nun ging's über die betrunkenen Münsterthäler her, die theils nieder­ gemacht, theils gefangen wurden. Uebrigens nahm dieser Krieg in der Folgezeit für die Kolmarer und den mit ihnen verbundenen Herrn Anselm von Rappoltstein ein schlimmes Ende. Denn Kaiser Adolf belagerte bald darauf die Stadt Kolmar, welche sich, aus Mangel an Lebensmitteln, ergeben mußte. Der unternehmende, aber nicht ganz lautere Bürgermeister von Kolmar Walther Rösselmann, der die Seele des Widerstandes wider den Kaiser war, fiel in die Hände Adolfs, der ihm zwar, auf die Verwendung des Bischofs von Basel, das Leben schenkte,

aber unweit Münster, auf der Schwarzenburg, im soge­ nannten Pfaffenthurm, der noch in diesem'Jahrhundert sichtbar war, einkerkern ließ. Dort endete Rösselmann, in

den letzten Jahren des dreizehnten Jahrhunderts, sein viel­ bewegtes, abenteuerliches Leben. Im vierzehnten Jahrhundert erhoben sich zwischen der Stadt Münster und dem Gotteshause mancherlei Streitig­ keiten wegen der zu erhebenden Steuern und deren Ver­ wendung. Der Abt Marquard gab in Folge derselben, im Jahre 1339, eine vollständige Verordnung heraus, welche den beständigen Reibungen zwischen der weltlichen und der geistlichen Macht ein Ende machen sollte. Diese Verordnung ist sehr merkwürdig, weil wir durch dieselbe die Sitten, 8

34 Rechte und alten Bräuche die im Gregorienthal gäng nnd

gäbe waren, gründlich kennen lernen.

Nach dieser Ueber-

einkunft besaß der Abt die hohe Gerichtsbarkeit über Per­ sonen und Güter, sowie die Aufsicht und Strafgerechtrgkeit

über Wiesen und Weiden, bis

und setzte sie in ihr Stadt

der Berge.

Höhe

auf die

ernannte in den Dörfern die Schultheißen

Der Abt

Amt ein; auch

den Vogt

Solches der Kaiser.

in der

später that

Münster ernannte er in alter Zeit;

Die Schultheißen, die zugleich Recht

sprachen, also die Dorfrichter waren, mußten zu Weihnach­ ten, Ostern und Pfingsten dem Kämmerer,

dem Koch und

dem Thorwächter des Abts von Münster jedem ein Paar korduanlederne Schuhe verehren. Zu jedem SommerWinter- oder Brachfeld gaben die Schultheißen, im Namen

des Abts, ein Pflugeisen, wenn man ihnen das alte zurück­ brachte. Am Gregorientag (12. März) mußte jeder Schult­

heiß aus dem Thal einem jeden Mönche fünf Schillinge

auszahlen. Jeder Schulze ernannte zwei W a i b e l *) oder Ge­

richtsdiener, denen das Einsammeln der Steuern übergeben war; am Martinstag

zahlten

heißen 2 Pfund Pfenning

die

Waibel dem Schult­

Der Vogt von

(8 Franken).

Münster durfte das Kloster nur dann betreten, wenn der

Abt ihn rufen ließ, dann erhielt er fünf Schilling zum Willkomm. Jeder

säßhafte

Thalbürger

Jahre Frohndienste für

das

mußte

Tage mit der Haue, zwei mit der

dem Pflug, zwei mit der Sense, Pferd.

neun

Gotteshaus

Tage im

leisten,

Art,

drei

einen mit

einen

mit dem

Die Tage konnten die Bürger selbst bestimmen;

*) Anmerkung. Münsterthale erhalten.

Der Name Waibel hat sich bis heute im

35 nur den Samstag *) durften sie nicht wählen.

An Frohn-

tagen hatte der Waibel jedem Fröhner ein Brod zu reichen von der Größe, daß dreißig auf ein Viertel Roggen gingen;

verlor er ein Brod, so mußte er, als Strafe, fünf Pfund Pfenning bezahlen oder sein Amt ablegen.

Im Sommer

erhielt jeder Schnitter, außer seinem Brode, noch ein Viertel

Käs und einen Labetrunk Thalwein. Was letzteren betrifft, so hatte der Abt drei Male

im

Jahr, zu Weihnachten,

Ostern und Pfingsten, vierzehn Tage lang, den sogenannten Weinbann, das heißt,

das

ausschließliche Vorrecht, daß

während dieser Zeit kein anderer Wein als aus dem Kloster­

keller

im

Gregorienthal

durfte

verkauft werden.

Den

Wirthen wurden in dieser Zeit die eigenen Fässer in den

Kellern mit Stöcken verrammelt und für jede Uebertretung des Verbots

des Prälaten mußten sie

sechzig und einen

halben Schilling Strafe erlegen (eine damals nicht unbe­

deutende Summe).

Ferner hatte dazumalen der Abt das Recht des Vogel­ fangs und der Jagd im ganzen Münsterthal, das Rohr­ wild ausgenommen.

Auch

ein

Fisch recht besaß er; er

hatte einen sogenannten Frohnfischer, der drei Stunden

jede Woche für

das

Gotteshaus

fischen

durfte und des

*) Anmerkung. Am Samstag Nachmittag durfte nach alter Thalsitte nicht mehr gearbeitet werden, sondern da traf man bereits alle Voranstalten zur Vorbereitung auf den Sonntag. Es ertönte vom Klosterthurme das sogenannte Einuhr- oder Feierabend­ glück lein, nach welchem, bei Strafe, alle Thalbewohner, Katho­ liken wie Protestanten, die Arbeit einstellen mußten. Solcher Brauch hat sich erhalten bis zur französischen Revolution. Ein wackerer Fabrikant aus dem Großthale, Herr Benj. Gitzendann er aus Breitenbach, ist der guten alten Sitte treu geblieben, und verabschiedet seine Arbeiter am Samstag, um 3 Uhr Nach­ mittags, zahlt ihnen jedoch den vollen Lohn aus. Sein Beispiel verdient Nachahmung.

36 Prälaten Tisch mit Forellen versah.

Ferner erhielt der

Abt von jedem im Thal erlegten Bären und Wildschweine,

deren es früher eine große Menge in den Waldungen des Münsterthales gab,

als Ehrengeschenk den Kopf und die

Vordertatze.

Ueberhaupt war der Abt von

Münster der Herr im

Thal; er war ein kleiner Fürst, der wie jedweder weltliche

und geistliche Würdeträger im heiligen römischen Reiche,

seine Beamten und Diener hatte. Nach Schöpflin,

in

dessen berühmten zweibändigen Werke: Das erläuterte

Elsaß (Alsatia illustrata) waren die Hauptbeamte des Prälaten von Münster: der Mar sch all, der Schultheiß, der Quästor, der Kellermeister, der Kämmerer, der

Koch, der Fischer, der Förster, der Zoller, die Wai-

bel, der Meier, der Hengysel und der Stadeler. Der Mar sch all hatte die Aufsicht über die Stallungen

und die Pferde des

Klosters,

der Schultheiß war die

Hauptperson im Rathe; früher ernannte ihn zu Münster der Abt, später der Kaiser; in den Dörfern des Thales

behielt jedoch der Abt sein Recht.

Der Quästor besaß

ein Aufsichtsrecht, Kellermeister und Koch führten das

Scepter in Küche und Klosterkeller, der Kämmerer hatte im Hause zu walten. Der Fischer oder Frohnfischer, wie er eigentlich hieß, besorgte den Fischfang in den Stun-

den, wo dem Abte das Recht dazu stand.

Der Förster

hatte die Aufsicht über die Waldungen, dem Zoller lag das Zollwesen ob; jeder Fremde, der des Kaufs oder Ver­

kaufs halber in das Münsterthal kam, mußte vom Pfund vier Pfennige Zoll entrichten. Wer Wein ausführte, mußte

das Gleiche bezahlen, auch jedes Pferd zahlte einen Pfennig. Von jedem neu erbauten Hause erhielt

Pfennige und der Abt den Zins.

der Zoller vier

Jedes Jahr hatte der

Zoller dem Abte und jedem seiner Mönche, und zwar in

37 zwei Terminen, zwei Viertel Salz und vier Schilling Geld für Schuhe zu bezahlen.

Eine ähnliche Verpflichtung hatte

der Förster zu erfüllen; er mußte jährlich in die Kloster­ küche eine Art und ein zweischneidiges Spitzmeffer liefern,

für die neuen erhielt er die alten gebrauchten zurück.

Die

Waibel waren die Gerichts- und Gemeindediener; der

Meier hatte die Aufsicht über die verschiedenen Meierhöfe des Klosters.

Ein besonderes, sonst nirgends im ganzen

-Elsaß unter diesem Namen vorkommendes Amt, hatte der Hengysel*).

Derselbe hatte

die Aufsicht über Maaß

und Gewicht; von jedem Pfund

Pfennig.

Gewicht bezog er einen

Der Hengysel dingte auch alljährlich die Hirten

und sammelte ihren Lohn ein; dafür zahlte ihm jeder alle Jahre vier weiße Brode und ein Viertel Wein. das Recht diejenigen,

Er hatte

welche den Hirten den Lohn vorent­

hielten, um sechs Pfennige zu strafen.

Endlich hatte der

Abt noch einen Stadeler oder Scheunenvorsteher, welchem bei der Ernte die Aufsicht über den eingehenden Zehnten

oblag. Der Wt von Münster hatte bedeutende Güter, meist

Rebhügel, in Türkheim; er besaß daselbst auch einen Ding­

tz oi

(Gerichtshof).

Rath zu Münster

Ferner waren Bannherren

der Prälat und

der

von Günsbach und

Griesbach, welche vormals Reichsdörfer waren, und nach­ dem in

den Besitz

der

Grafen

von Rappoltstein kamen

(weßhalb sie, um es im Vorbeigehen zu sagen, evangelisch

waren).

*) Der Name Hengysel kommt zum ersten Urkunde des Abtes Marquard

vom Jahre

Male in der

1339 vor.

Der

Name mag wohl daher rühren, daß der betreffende Beamte ein Eisen (Maßstab) zur Prüfung der Maaße und Gewichte an seiner

Seite hängen hatte.

38 Ein alter Brauch im Thal, der durch die Verordnung

des Abtes Marquard gleichsam eine gesetzliche Bestimmung

erhielt, war folgender: Da die Metzger,

Schuster und Gerber der Rappolt-

steinischen Orte Waldbach und Weier im Thal, dem Zoller des Abtes für ihre Waaren den ziemlich hohen Zoll von

zwei Schillingen entrichten mußten, so hatte derselbe die

Verpflichtung,

nach Martini, ihnen einen

am Montag

Schmaus zu geben, wo auf zwei Mann fünf Pfund Fleisch, kamen, theils Rind- theils Schweinefleisch, dieses in einer Pfesferbrühe, jenes mit Kraut gespickt,

und Brod nach Belieben.

außerdem Wein

Dabei hatten diese Handwerker

das Vorrecht den Tag unter Spiel und Tanz und anderer

Kurzweil zu begehen.

Entstand

ein Streit unter ihnen,

der jedoch nicht mit Blutvergießen endete,

so durften die

Parteien, um des Unfugs willen, nichHvor Gericht geladen

werden, wenn sie sich noch verglichen.

bei

Tag

gütlich mit einander

In der Verordnung des Abtes Marquard, um

damit zu schließen, kommt zum ersten Male Sultzern im Kleinthal unter

das Dorf

der Benennung Sultzers-

heim vor. Diese höchst merkwürdige Urkunde, ist, gewährt einen lebensvollen

die noch vorhanden

Einblick in die damaligen

Zustände und Verhältnisse, in die alten Sitten und Bräuche,

und in das

ursprüngliche

Volksleben

im Münsterthale.

Manche Spuren dieser Verordnungen lassen sich bis auf

die neueste Zeit im Münsterthale verfolgen und nachweisen *). Im Laufe

eines

Jahrhunders brachen in der Stadt

Münster drei gewaltige Brände aus,

welche den größten

*) So hatte z. B. in alter Zeit der Abt das Recht demjenigen, der seine Steuern oder den Zehnten nicht zahlte, durch den Waibel die Thüre und die Fenster ausheben zu lassen. Diese^ Sitte hat, als ein altes Thalrecht, bis in unser Jahrhundert fortbestanden.

39 Theil der Häuser, die dazumalen aus Holz erbaut waren, in Schult und Asche legten. Anno 1354, am Sonntag vor Palmarum, brach eine Feuersbrunst aus, welche bei­ nahe alle Häuser nebst der Abtei und die beiden Kirchen, die Klosterkirche und die Pfarrkirche zu St. Leodegar, ver­

zehrte. Zehn Jahre nachher, als die Stadt zum größten Theil neu aufgebaut war, brach in dem Hause des Johannes Malter, am Oberthor, auf den Michaelistag (29. Sep­ tember 1364), ein so mächtiges Feuer aus, daß wiederum die halbe Stadt eine Beute der Flammen wurde. Im Jahre 1446 endlich, in den Armagnakenkriegen, verbrannte das Gotteshaus sammt Thurm und Glockenhaus, und der

Nikolaikapelle. Die Münsterer Bürger waren vor Alters gar streit­ bare Helden, deren Kriegsthaten jedoch nicht immer mit Sieg gekrönt wurden. Denn als sie im Jahre 1465 die edlen Ritter Bock von Staufenberg, die von Hattstatt und die von Reguisheim, nebst den Edlen von Stör*), die von einem Streifzuge aus Lothringen kamen, und fried­ lich durch das Thal zogen, angriffen, so bekam ihnen das übel. Sie wurden geschlagen, verloren die Stadtfahne, und der Bannerträger von Münster, Theobald Stör, auch einer von Adel, fiel im Handgemenge, von einem tödtlichen Pfeil getroffen. Ein Jahr darauf, 1466, waren die Münsterthäler glück­ licher. Sie rückten in Helm und Harnisch gegen den Grafen

*) Die Störenburg erhob sich unweit dem Städtchen Sultzbach, wo der altberühmte Sauerbrunnen sich befindet, im vordern Münsterthale.

Der Name Stöhr (mit h)

kommt noch heute

häufig im Münsterthale vor, nur ist die Sylbe von Stör oder Stöhr

weggefallen,

und

diejenigen, die diesen

gereichen dem Bürger- und Bauernstande zur Ehre.

Namen tragen,

40

von Lupfen aus,

erstürmten dessen Burg Hoh - Hatt-

statt, und zerstörten dieselbe von Grund aus.

von Münster

Im Jahre 1502 hatte die Bürgerschaft von dem Prälaten neue

der Wochenmärkte

wegen

Rechte

erlangt, die auf dem Platze zwischen dem Kloster und dem

Dieselben fanden unter den

Rathhaus gehalten wurden.

sogenannten Lauben*) statt. Anno 1516 ertheilte Kaiser

Maximilian I. bene Urkunde

durch eine in Konstanz am Bodensee gege­

der Stadt Münster

Gregorienthal das

im

Recht, vier Jahrmärkte im Jahr zu halten, jedes Viertel­ jahr einen, und zwar in folgender Reihenfolge: um Weih­ nachten,

Gregorientag

am

(12.

Fastmarkt, um Mittfasten),

am

Bartholomäustag (24. August).

noch heutzutage zur

den sogenannten

März,

Pfingstmontag

und am

Diese Jahrmärkte finden

angegebenen Zeit

statt,

nur sind sie

regelmäßig auf den Montag der betreffenden Woche verlegt.

Nahe bei der

Stadt Münster

welche geeignet sind,

traurige

sind

noch

Erinnerungen

zwei

Orte,

zu erwecken.

Der eine, einst dem Gotteshaus gehörig, ist die alte Pfister­ matt

(Pfister

ist

der

ehemalige

Name für

Bäcker),

auf dem Platze wo sich der heutige geschmackvolle Bahnhof

erhebt; dort Jahre des

wurden in

alter Zeit,

vorigen Jahrhunderts,

bis

die

in die achtziger

Hexen verbrannt.

Der andere ist eine, an der Straße von Günsbach gelegene,

öde und unheimliche Anhöhe, und heißt noch heutzutage im Volksmunde

der

Galgenberg.

Dort

stand einst

das

Hochgericht, dort wurden die Missethäter in der Morgen­

frühe gehenkt.

Vor wenigen Jahren lebte noch im Groß­

thal eine Frau, der es wohl gedachte, wie sie als Kind, in

*) Das Haus, in welchem sich die früheren Lauben befand, und welches als katholische Kleinkinderschule diente und unter dem Namen Haube bekannt war, wurde erst in den sechziger Jahren abge­ brochen.

41

den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, eine Kinds­ mörderin dort hatte aufhängen sehen. Vom alten Münster selbst sind nur wenige Ueberbleibsel geblieben. Ein uralter Glockenthurm war bis zum Jahre 1872, allwo er abgebrochen wurde, in der Oberstadt vor­ handen. Man nannte ihn den Thorglöckelthurm; vermuthlich diente er als Stadtthor, und bis in die neueste Zeit wurde daselbst die Morgen- und die Abendglocke geläutet. In der Nähe desselben soll sich an der Groß­ thalstraße ein ehemaliges Nonnenkloster befunden haben. Die neuen Häuser gegen dem Großthal zu, bilden eine Vorstadt, welche man den Birken nennt, weil dort in früheren Zeiten sich bis unmittelbar an die Stadtmauer an, ein Birkenwald soll befunden haben. Vom alten Kloster sind ganz wenige Ueberreste geblieben; leider ist auch keine

Abbildung von der ehemaligen Abtei mehr vorhanden. Doch im Münsterer Stadtarchiv finden sich noch manche werthvolle und bis jetzt unbenützte und ungedruckte Urkunden der wichtigsten Denkmale einer reichen Vergangenheit.

Kapitel IV.

lUie die Reformation ins Jfllün^erfRnf Irnn.*)

Man bezeichnet gemeiniglich den 31. Oktober 1517, an

welchem Doktor Martin Luther seine weltberühmten

Sätze an die Schloßkirche von Wittenberg den Gründungstag

der Reformation.

95

anscklug, als

Und in der That,

die Kunde von dem kühnen, glaubensmuthigen Schritte des Augustinermönches von Wittenberg verbreitete sich so schnell

durch das ganze deutsche Reich, daß, wie ein Zeitgenosse

bemerkt, man meinen konnte „die Engel Gottes seyen dabei

Botenläufer gewesen."

Auch im Elsaß sprach man häufig

von Luther und dessen neuen Lehre; bald war sein Name

in den Gegenden am Rhein vielfach genannt; mit Bewun­ derung vernahmen Viele, wie er in der Leipziger Dispu­

tation mit seinem Gegner Doktor

Eck heiß gestritten und

denselben überwunden habe durch die Macht der Wahrheit,

wie er schon früher in Augsburg dem römischen Kardinale *) Anmerkung.

Der

geneigte Leser

vergleiche

mit diesem

Kapitel noch den Anhang Nr. III., wo eine kurze, ungedruckte Schilderung der Reformationsgeschichte des Münsterthals zu lesen ist.

43 Kajetan unerschrocken gegenüber gestanden, so daß der

schlaue Italiener selbst erklären mußte, es sey ihm, in Gegenwart des ernsten Mönches, ganz eigenthümlich zu Muth geworden, denn den Blick der „deutschen Bestie" könne er nicht ertragen. Mit wahrer Begeisterung endlich sprach man auch im Elsaß von dem heldenmüthigen Auftreten Luthers auf dem Reichstage zu Worms, und von seinem herrlichen Glaubensbekenntniß vor Kaiser und Reich. Daß Luthers Schriften mit Begierde von Tausenden, auf den stattlichen Ritterburgen, wie in den behäbigen Bürgerswohnungen, in den einsamen Klosterzellen, wie in den bescheidenen Bauernhütten gelesen wurden, ist eine bekannte Thatsache. Im Jahre 1520 waren drei berühmte Streitschriften von dem deutschen Glaubenshelden erschienen. Sie waren betitelt: An den Adel teutscher Nation. — Von der Freiheit eines Christenmenschen und Die babylonische Gefängnis der römischen Kirche. Sie fanden großen Beifall bei Allen denen, welche den Verfall der Kirche, die Verderbniß der Sitten und die Unwissenheit der Priester beklagten. Ein Jahr nachher erschien auch eine Erbauungsschrift Luthers für das deutsche

Volk, nämlich seine köstliche Kirchenpostille. Auch das Elsaß wurde von dieser mächtigen geistigen Bewegung tief ergriffen. Die elsässischen Kaufleute, welche auf die Kankfurter oder Leipziger '.Messe kamen, kauften

dort Luthers Schriften, brachten sie nach Hause und ver­ breiteten sie allenthalben. Da auch dazumalen die edle Buchdruckerkunst im Elsaß blühte, so druckten die straßburgischen Buchdrucker Luthers Schriften nach; sie fanden einen großen Absatz im Unter- und Ober-Elsaß, und drangen bis in die Schweiz hinein, allwo sie in Basel, durch die berühmten Buchdrucker Frobenius, Amor­ bach und Petri nachgedruckt wurden.

44 Auch in der freien Reichsstadt Kolmar, wo zu Anfang Jahrhunderts

des sechzehnten

zwei

druckte schon im Jahre 1523,

gewonnene

Buchdrucker

Buchdrucker lebten*),

der für die Reformation

Farkall

Amandus

Kirchenpostille nach, und von Kolmar aus

Luthers

verbreitete sich

dieses ausgezeichnete Erbauungsbuch in die Umgegend, und drang auch in das einsame Münsterthal,

wo man noch

heute Eremplare davon findet, die, wie natürlich, in hohen

Ehren gehalten werden.

Doch scheint um jene Zeit das

Evangelium in Münster noch nicht viele Bekenner gefunden zu haben, wenigstens weiß die Geschichte aus jenen Jahren

noch nichts zu berichten.

Es brach übrigens bald darauf

der unselige Bauernkrieg aus, welcher den Fortschritten der Reformation im Elsaß so hemmend in den Weg trat, und

erstickte an vielen Orten die junge, so frisch und fröhlich

aufkeimende Saat des neuen Glaubens.

Die Stadt Mün­

ster zwar und das dahinter liegende Gregorienthal, wurden,

wohl wegen ihrer abgeschlossenen Lage,

von den Stürmen

des Bauernkrieges weniger berührt, als die meisten übrigen

elsässischen Orte, allein dennoch wurde

Reformation

dadurch

wesentlich

der Fortgang der

gehindert

und nur mit

großer Vorsicht traten von nun an die Bekenner der neuen *) Anmerkung. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts lebten zu

Kolmar zwei nichtunberühmte Buchdrucker. Der eine war Amandus Farkall, der Nachdrucker von Luthers Kirchenpostille, der andere war Bartholomäus Grüninger oder Grieninger. Da letzterer Schriften des Colmarischen Augustinerpriors Johannes

Hofmeister

wider

Luther druckte, so liegt die

nahe, daß er der katholischen Partei angehörte.

Vermuthung

Dieses ist um so

wahrscheinlicher, als in derselben Zeit sich auch zu Straßburg ein

katholischer Buchdrucker

dieses Namens,

Grüninger, befand.

Derselbe stammte eigentlich aus Schwaben,

und hieß Johann

Schwaben.

Reinhard

Johann Reinhard

von Grüningen,

einem

Dorf in

45 Lehre auf.

Denn im Ober-Elsaß hatte das Haus Habs­

burg mächtige Besitzungen, welche einen Theil der soge­ nannten vorderösterreichischen Lande bildeten, und die Land­ vögte der Erzherzoge von Oesterreich übten von Ensisheim, dem Sitze der Regierung, auf die anstoßenden Gebiete einen großen geistigen Druck aus. ' Die Anfänge der Reformation im Münsterthal fallen in die dreißiger Jahre des sechzehnten Jahrhunderts, und merkwürdigerweise gingen sie von dem Gotteshause in Münster selbst aus. Im Jahre 1514 nämlich war Burkard Nagel, von Alten-Schönenheim, Abt des Klo­

sters geworden; derselbe war ein gelehrter, frommer Herr, der gerne in den Büchern forschte und einen stillen und gottseligen Wandel führte. Luthers Schriften kamen in seine Hände; nach und nach ward es Licht in seinem Innern, und er bekannte sich frei vor seinen Mönchen zur reinen Lehre des Evangeliums. Obwohl damals nur wenige Mönche im Kloster waren, so fand der Prälat dennoch einen heftigen Widerstand, ja seine Lage wurde zuletzt eine so schwere, daß er im Jahre 1536 das Kloster verließ, und mit den Klosterleuten einen Vertrag abschloß, durch welchen er, gegen einen jährlichen, ihm von der Abtei gereichten Gehalt, auf alle seine geistlichen Ehren und Würden verzichtete. Er zog sich hierauf nach Mülhausen zurück, woselbst er das Bürgerrecht erlangte, bekannte sich öffentlich zum evangelischen Glauben und trat in den Ehe­ stand. Auf diesen Schritt hin verweigerten ihm die Mönche die Auszahlung seines Jahrgehalts, und weil die Stadt

Mülhausen Partei für ihren neuen Bürger nahm, und die Abtei zwingen wollte, ihxe Verpflichtungen zu halten, so verklagten die Mönche den Rath von Mülhausen bei dem Kaiser. Mitten unter diesen Mißhelligkeiten segnete Burkard Nagel das Zeitliche, und die als Schiedsrichterin

46 ernannte Stadt Kolmar bestimmte, daß die Abtei Münster im Gregorienthal alle Schulden ihres ehemaligen Prälaten zahlen und den Erben Nagels ein für allemal 240 Gulden entrichten sollte. Dies geschah sofort und so erreichte der lange* Hader sein Ende. Burkard Nagels Nachfolger, Konrad von Ruost,

war ein entschiedener Gegner der Reformation, und verbot im Kloster die freie Verkündigung des Evangeliums, allein in der Stadt Münster war der Same, den der Abt Bur­ kard ausgestreut hatte, auf einen guten Boden gefallen. Der Stadtpfarrer Thomas Wiel war für die Wahrheit

gewonnen worden und bekannte sich im Jahre 1543 öffent­ lich zur Reformation; er veränderte, mit Genehmigung des Magistrats ohne Aufsehen den Gottesdienst, schaffte die Messe ab, theilte das heilige Abendmahl unter beiden Ge­ stalten aus, und predigte, unter dem Beifall der Bürger­ schaft zu Münster, das reine Evangelium. Die Stadt Münster war nun der Mittelpunkt der geistigen Bewegung, deren Nachwirkungen sich bald im Thale kund gaben, denn

von allen Seiten des Groß- und Kleinthals strömten an den Sonntagen die Thalleute in die Münsterer Pfarrkirche, um daselbst Gottes Wort rein und lauter verkündigen zu

hören. Im Jahre 1559 that auch der Pfarrer von Mühl­ bach Georg Jung den entscheidenden Schritt und trat mit seinem Kirchsprengel, der das ganze Großthal umfaßte, zur evangelischen Kirche über. Da das Kleinthal keine eigentliche Pfarrkirche besaß, sondern zur-Stadt Münster gehörte, so nahmen die Bewohner desselben wohl mit den Münsterer Bürgern das Evangelium an. Unter den Kleinthälern zeichneten sich durch ihren Eifer besonders die Hohrothberger und die Sultzerer aus; letztere nannte man, weil sie so gerne Psalmen sangen, die Psalterer. Unter diesem Namen bezeichnet man sie, zum Theil spottweise, bis

47

auf den heutigen Tag.

Wohl legten die Aebte von Mün­

ster, der oben genannte Konrad von Ruost und dessen

beide Nachfolger, Petermann von Aponex und Joachim Breuning Einsprache gegen diese Neuerungen ein, aber

nichts destoweniger blieben die Münsterthäler der einmal

erkannten Wahrheit treu und bekannten

sich zur neuen

Lehre mit Wort und Wandel. Doch es sollte auch für

die Bewohner des Münster­

thales die Zeit der Läuterung und der Bewährung des Glaubens kommen.

Im Jahre

1563 verbot Kaiser Fer­

dinand I., der entschiedene Gegner der Reformation, als

Landvogt der zehn elsässischen Reichsstädte, die Ausübung des evangelischen Gottesdienstes im Gregorienthal.

Allein

der Magistrat von Münster achtete nicht auf diesen Befehl,

sondern bestimmte,

laut einem Beschluß vom 22. Februar

desselben Jahres, daß die Pfarrkirchen von Münster und von Mühlbach den Bekennern des evangelischen Glaubens

auch fernerhin dienen sollten. Ja er that noch einen Schritt

mehr; zu Anfang des Jahres 1564 berief er einen jungen Prediger aus Straßburg, Paul Leckdeig*), **) als Stadt­

pfarrer

nach

Buches,

des

Münster.

Derselbe

hat

am Rande

eines

„Geschichtskalenders" *) von Paul Eber,

einige Ereignisse jener tiefbewegten Zeit selbst niederge­

schrieben. Anfänglich

konnte Leckdeig sein Amt

hindert versehen, allein im Jahre

ziemlich

1569 ward

unge­

ein neuer

Abt ernannt, Heinrich von Jestetten mit Namen,

den Leckdeig als einen „schlimmen, zornmüthigen und fleisch­

lichen Menschen" bezeichnet; derselbe betrachtete es als seine *) Anmerkung. Das Geschlecht der Leckdeig blüht, unsers Wissens, noch heute im Hessenlande. **) Anmerkung. Der Titel dieses Kalenders ist: Eberi Calendaricum historicum.

Pauli

48 Aufgabe die Münsterthäler

durch

Gewalt

oder List, zum

Den 20. Wintermonat

römischen Glauben zurückzuführen.

1569 machte er an der Spitze von etlichen dreißig Berit­

tenen, worunter mehrere Herren von Adel, seinen Einzug in die . Stadt Münster, und ließ_durch seine Söldner augen­

blicklich die Pfarrkirche besetzen und darin Meffe lesen. Auf diese Gewaltthat hin läuteten die Bürger die Sturmglocke,

worauf die Thalleute, namentlich

die Hohrothberger, mit

Speeren und Knütteln bewaffnet, in Menge in die Stadt ritten, und sich mit den Bürgern vereinigten, um dem

Abte Widerstand zu leisten.

Nach Beendigung der Messe

befahlen die Evangelischen ihrem Prädikanten die Kanzel zu besteigen und das Wort Gottes auszulegen.

erhob der Abt mit seinem Anhang

Umsonst

die Stimme dagegen;

Leckdeig ließ sich nicht einschüchtern, sondern predigte, trotz

aller Einwendungen der Mönche, muthig weiter. Der Abt blieb jedoch, wider alles Recht und alle Billigkeit, noch

vierzehn Tage im Besitz der Kirche; er behielt dieselbe bis

zum 8. Christmonat, und gestattete die evangelische Predigt darin nicht.

Der Stadtpfarrer Leckdeig mußte, da ihm

während diesen Tagen der Drangsal ein Söhnlein geboren

ward, seinem Kinde zu Hause die Nothtaufe ertheilen. Mittlerweile hatte der Münsterer Magistrat Abgeordnete nach Straßburg und Hagenaü gesandt, um sich bei diesen befreundeten Städten Raths zu erholen.

ordneten nach Münster zurückkamen und

Als die Abge­

der Abt zufällig

abwesend war, so benützte der Rath diesen Umstand, um die Kirchenthüren mit Gewalt zu eröffnen und den evan­

gelischen Gottesdienst wie zuvor feiern zu lassen. Am Tage

darauf, den 11. Dezember, ließ der zurückgekehrte Abt den Magistrat von Münster um die Erlaubniß ersuchen in der Kirche wieder Messe lesen zu dürfen. gehren abgeschlagen wurde, so bat

Als ihm dieses Be­

er

um die Vergün-

49 stigung noch eine katholische Predigt halten zu

und zwar durch einen Priester,

dürfen,

den er eigens zu diesem

Zwecke mitgebracht hatte. Auch dies wurde ihm verweigert.

Trotz diesen Fehlbitten ließ sich der kecke Abt nicht abschrecken; am dritten Adventssonntage erschien Weltpriester und einigen Klosterleuten und wollte mit denselben in das

um darin Messe zu lesen.

er wieder mit seinem

vor der Kirchthüre

Gotteshaus eindringen,

Die von der Bürgerschaft auf­

gestellte Wache wehrte sich jedoch ritterlich, und

da der

Abt Gewalt brauchen wollte, kam es zu einem Handge­

menge, worin die Klosterleute

den Kürzeren zogen und

abziehen mußten; hätte der Prälat selbst nicht schleunig die Flucht ergriffen, so hätte es ihm übel ergehen können, so groß war die Erbitterung. Wegen dieser beständigen Ueber -

griffe des Abtes befahl der Rath die Brücke, die aus der Stadt ins Kloster führte,

abzubrechen, und ließ an das

untere Stadtthor Bürger aufstellen,

die Tag und Nacht

Wache hielten.

Diese Kämpfe dauerten mehrere Jahre; die Sachlage besserte sich erst im Jahre 1573, als Heinrich von Jestetten abdaukte. Um den immerwährenden Streitigkeiten ein Ende zu machen, legte sich der hochherzige Lazarus von

Schwendi*) ins Mittel, und brachte, den 19. März 1575, einen Vergleich zwischen beiden Parteien zu Stande. Dieser

Vertrag wurde im Schlosse zu Kientzheim, wo Schwendi wohnte, abgeschlossen, und ist deßwegen unter dem Namen Kientzheimer Vertrag bekannt. Durch denselben erkannte der Abt von Münster das Daseyn der evangelischen Kirche *) Anmerkung. Vergleiche über Lazarus von Schwendi, die gedrängte

aber treffliche Biographie, die ihm Tim. Will). Nöhrich in seinen

Mittheilungen aus der Geschichte der evangelischen Kirche des Elsasses, im dritten Bande, unter den „evange­ lischen Ritterbildern widmet.

— 50 — im Münsterthal, als zu Recht bestehend an, laut dem Reli­ gionsfrieden von Augsburg, vom Jahre 1555, nach welchem es jedem Reichsstande gestattet war, sich zur Augsburgischen Konfession zu bekennen; somit war gesetzlich den Evange­ lischen die freie und ungehinderte Ausübung ihres Gottes­ dienstes zugesichert. . Dagegen verpflichtete sich Meister und Rath einer Freien und Reichsstadt Münster in Sankt Gregorienthal alle Rechte und Freiheiten Eines Ehrwür­ digen und Edlen Abts zu Münster anzuerkennen und zu beschirmen. Nur mit Mühe entschloß sich der damalige Verweser des Klosters, Herr Adam Holzapfel, diesen Vertrag zu unterzeichnen. Lazarus von Schwendi, selber ein Katholik, aber gemäßigt und freisinnig, mußte alle seine Beredsamkeit aufbieten, bis er ihn bewogen hatte, die Urkunde zu setzen. Durch diesen dessen Original noch als eine seltene wurde der Bestand der evangelischen gesetzlich anerkannt und der Grund­ stein zu den verbrieften und versiegelten Rechten derselben gelegt, was um so wichtiger wär, als damals die deutschen Kaiser aus dem Hause Habsburg in Religionssachen sehr willkührlich verfuhren und den Evangelischen Abbruch thaten, wo sie nur konnten. Vom Jahre 1575 an diente, nach dem Wortlaut des Kientzheimer Vertrags, die Pfarrkirche Sankt Leodegar in Münster, ausschließlich dem evangelischen Gottesdienste, und zwar während einem Zeitraum von hundert eilf Jahren (1575—1686), bis im Jahre 1686 Ludwig XIV. befahl den Chor derselben den Katholiken einzuräumen, und die Mitbenützung der Kirche ihnen durch einen königlichen Machtspruch erwirkte. Wenn wir auf die gottesdienstlichen Einrichtungen und auf das kirchliche Leben während dieses Zeitraumes hin-

seine Unterschrift unter denkwürdigen Vertrag, Urkunde vorhanden ist, Kirche im Münsterthal

51 blicken, so gewähren dieselben ein höchst erfreuliches Bild. Vom sechzehnten Jahrhundert an bis zur französischen Revo­ lution, waren in Stadt und Thal Münster vier Kirchen­ diener angestellt, nämlich in Münster selbst ein Pfarrherr sammt einem Helfer (Diakonus), und in Mühlbach eben­ falls zwei Kirchendiener. Der Helfer von Münster mußte jeden Sontag Nachmittag in Sultzern im Kleinthal Gottes­ dienst halten; der Helfer in Mühlbach mußte die Woche über Schule halten und zwar in seinem Wohnhaus (dem heutigen Gemeindehaus) und an den Sonntag Nachmit­ tagen auf der Emm**) predigen. Die evangelischen Pfarrer wurden von dem Gotteshaus bezahlt; ihre Besoldung bestand für die Pfarrherren in „Vierhig Gulden an Geltt, zehen Vierthell waitzen, zehen „Vierthell Rockhen, fünsf Vierthell gersten, fünff Vierthell „Habern/zwei fuoder Wein, Ein Matten, ein Hanffland, „Ein fester Salz, Eiu Krautgartten, Ein fester Erbsen, »Ein fester bonen und dann daß gewonnlich Pfarrhauß." **) Die Helfer und Schulmeister bekamen, wie natürlich, weniger. Schulmeister gab es nur in Münster und in

Mühlbach; in den übrigen Thalgemeinden fanden sich einige Männer, meistens die Hirten des Orts, die etwas mehr Lehre hatten als die Anderen, welche im Winter die Dorf­ jugend unterrichteten. Sie blieben gewöhnlich einige Wochen in einem Hofe, wo sie den Kindern des Hauses und den Nachbarskindern Unterricht ertheilten, und wanderten dann in einen andern. Dafür bekamen sie als Lohn, die täg­ liche Kost, ein Kleidungsstück und etwas Geld. Solches *) Anmerkung. Die Emm ist, wie schon früher bemerkt, ein Kirchlein,

das hinter Metzeral, auf

einer freundlichen Anhöhe,

unmittelbar vor Sondernah sich erhebt. *) Anmerkung.

Aus einer ungedruckten Handschrift.

52 geschah nur im Winter; im Sommer dagegen war der

arme Schulmeister gezwungen eine andere Heerde zu hüten.

Paul Leckdeig ist im sechzehnten Jahrhundert der bedeu­ tendste unter den Münsterthäler Predigern gewesen;

Gelehrsamkeit und auch an

an

Glaubensmuth fehlte es ihm

keineswegs und er blieb auch mit

Marbach, dem Präses

des straßburgischen Kirchenkonvents, dessen einstiger Schüler er gewesen, in einem regen urd beständigen Verkehr.

Jahre 1577 unterschrieb er mit seinem Helfer

Im

Theodo­

rich Eckhart*), die Konkordienformel; dasselbe that auch

der Pfarrer von Mühlbach, Georg Carl, der Nachfolger

Jungs, dessen Wittib er geheirathet hatte.

Durch diesen

Schritt schloffen sich die Münsterthäler eng an die luthe­

rische Kircbe an,

obwohl ihr Gottesdienst höchst einfach

blieb und z. B. bis in die

neuere Zeit kein Kruzifix auf

den Altären zu sehen war,

eben so wenig bildliche Dar­

an den Kirchwänden.

stellungen aus der heiligen Schrift

Eine kirchliche Sitte, welcke im Münsterthal vorkommt,

und im übrigen Elsaß, mit Ausnahme der vormals Würt­ tembergischen und der nassau-saarwerdenschen Gebiete, un­ bekannt ist,

Bettagen.

besteht in

der Abhaltung

von Buß-

und

Früher feierte man deren vier im Thale,

jetzt nur noch einen, und zwar zu Anfang des neuen Kirchen­

jahrs, am ersten Adventssonntag.

Mach einer mündlichen

Ueberlieferung soll, in altersgrauen Zeiten, einst eine Ueber-

schwemmung

im

Thale

stattgefunden

jenem Sonntag die Gewässer wieder

Erinnerung an dieses

haben,

und

gefallen seyn.

an

Zur

göttliche Strafgericht und an diese

wunderbare Rettung, wurde von da anf am ersten Advents*) Anmerkung. Das Geschlecht der Eckard, die aus Winds­ heim in Franken stammen, und die von Vater zu Sohn, während zwei vollen Jahrhunderten, das Pfarramt im Münsterthal bekleide­ ten, blüht noch heute.

53 sonntag, ein Buß- und Bettag gehalten. Auch die Apostel­ tage, sowie Epiphaniä wurden früher im Thale gefeiert, dagegen der Gründonnerstag, als halber Feiertag, erst in

neuerer Zeit.

Die Aposteltage sind seit der kirchliche Feiertage

(1789) als

französischen Revolution

eingegangen.

Es haben

sich im Münsterthale noch die Wochengottesdienste erhalten;

finden

vornämlich

solche

der Passionszeit statt.

in

der

Adventszeit

und

in

In diesen beiden heiligen Zeiten

des Kirchenjähres wurde auch vor Alters kein Ehepaar*)

alten kirchlichen Sitten

eingesegnet; doch schwinden diese

immer mehr. 1575

Im Jahre

ließ

der Rath

von Münster eine

Kirchenordnung herausgeben, welche jedoch nie gedruckt

wurde, aber dennoch

in Rechtskraft lange Zeit hindurch

im Münsterthale bestand.

Die Handschrift dieser Kirchen­

ordnung befand sich zur Zeit im Kirchenarchiv von Straß­ burg, und ist leider, bei dem Brande

der straßburgischen

Stadtbibliothek in der Nacht vom 24. Augnst 1870, wie

so manche

andere

aufgegangen.

werthvolle Urkunde,

Glücklicherweise hat

in den Flammen

der gelehrte elsässische

Kirchenhistoriker T. W. Röhrich, im ersten Bande seiner

„Mittheilungen aus der Geschichte der evangelischen Kirche des Elsasses", einige Auszüge davon gegeben, aus denen

wir Folgendes entnehmen **): *) Anmerkung. Merkwürdigerweise sind im Münsterthale die

sogen, silbernen nnd goldenen Hochzeiten völlig unbekannt. **) Anmerkung. Wie schon Röhrich bemerkte, fehlt leider diese Münsterth äl er Kirch en ordnung in der werthvollen Sammlung

Dr.

Richters:

Die

evangelischen

des sechzehnten Jahrhunderts.

Kirchenordnungen

Doch glücklicherweise hat sich

noch eine Abschrift dieser Kirchenordnung erhalten, die im Besitze des Verfassers ist.

54

„Die Kirchen- und Schuldiener zu Münster und zu „Mühlbach sollen nach der Augsburgischen Confesston lehren, „die Laster ernstlich bestrafen, doch sich alles unaufbau„lichen (sic) Schmähens, Hohlhippens und Lästerung ent„halten; die alten Mandate (Verordnungen) von 1556 und „1570 sollen fortbestehen, also, daß kein Bürger, Weib, „Knecht, Magd, Sohn, Tochter aus der Predigt bleibe, „ohne triftigen Grund. — Wer die Kinderlehr ohne Noth „versäumt, soll unter die Steg oder ins Narrenhausgesetzt werden, wozu man überdies die Eltern „nach Gebühr strafen soll. Den Wochengottesdiensten soll „wenigstens Eine Person aus jedem Haus beiwohnen, bei „fünf Blappert (eine kleine Münze) Straf. — Kein „Welscher*)**)darf sich mit einer Bürgerstochter'verhei„rathen, bei Straf der Verweisung und Verlust des Bür„rechts. — Gweltstuben (verdächtige abendliche Zusammen„künfte von Burschen und Mädchen) sind bei Geld und „Thurmstrafe verboten. — Die der Hurerey überführten „Männer sollen mit Geld und Gefängniß gestraft werden,

„den Lasterstein tragen, und aus ehrlichen Gesellschaften „und Wirthshäusern ausgeschlossen werden. Huren, die „sich in ehrliche Gesellschaften und auf Tänze begeben, und *) Anmerkung. Bei dem Eingang in die Kirche, unter der Treppe, die zur Emporbühne führte, war eine stark vergitterte Kammer, die als

Gefängniß diente; diesen Verließ nannte man unter die Steg.

— Das Narrenhäuslein war ein vergitterter Ort unter der Treppe, auswendig am Rathhaus, eine Art Pranger, wo man von Jedermann gesehen war.

**) Anmerkung. Da das Münsterthal an Welsch-Lothringen (heu­ tiges Departement des Vosges) grenzt, so hießen allefranzösisch-redenden Lothringer, und auch die romanischen Bewohner des nahen Orbeythales kurzweg Welsche.

Wohl weniger der Nationalität,

als der Religion wegen, waren solche Ehen untersagt.

55 „Kränze, wie die ehrlichen Jungfraven, um es auch zu „scheinen, tragen, sollen die Kränze vom Kopf genommen „werden und sie selber männiglich zum Spott unter die „Steg gesetzt werden." Am Tage vor Allerheiligen, den 31. Oktober 1578, gab der Rath von Münster als Anhang zu seiner früheren Kirchenordnung vom Jahre 1575, auch ein Mandat über den christlichen Bann oder die Ercommunication heraus, und desgleichen eine ungedruckte Schulordnung. Letztere ist im großen Brande der Straßburgischen Stadt­

bibliothek rettungslos untergegangen. Das Wenige, was wir aus derselben noch wissen, entnehmen wir den Mit­ theilungen Röhrichs (Band I.) Es kommen in dieser Schulordnung, unter Anderm, folgende Bestimmungen vor: „Die zwei Schulmeister (der Helfer von Münster und „derjenige von Mühlbach), sollen den Katechismus den „Knaben fleißig einüben, und darauf sehen, daß sie ihn „verständlich in der Kirche recitiren (aufsagen), damit er so „auch den Alten bekannt gemacht werde. Sie sollen lehren: „Lesen, Schreiben, Rechnen, latein und deutsch, wie es von „den Eltern begehrt wird, auch den Gesang, Psalmen und „andere geistliche Lieder, so sie nach Gelegenheit der Zeit „Vorhabens zu singen, in der Wochen, so oft es seyn kann, „mit ihnen übersingen und das Gesang in der Kirche also

„führen, daß nit allein die Schüler, sondern auch das „gemein Volk mitsingen können. Sie sollen die Schüler „in guter Zucht halten, auch in der Kirchen. Die Schul„ meistern sollen den Pfarrern helfen beim heiligen Abend„mahl, bei Taufen und Kinderbericht (Kinderlehre), im „Nothfall auch beim Predigen, ihnen schuldigen Gehorsam

„leisten, auch sollen sie geistliche Kleidung tragen. „Viermal jährlich sollen beide Schulen (zu Münster und „zu Mühlbach) visitirt werden, Die Visitatoren sind der

56

„Bürgermeister, der eben im Amte steht, der Pfarrer und „der Stadtschreiber." So sorgten unsere Vorfahren für das Kirchen- unb Schulwesen, und suchten schon von Jugend auf den Kin­ dern die Liebe zum Worte Gottes und den Geist der Zucht und Frömmigkeit einzuprägen, und der ausgestreute Same fiel auf ein gutes Land, denn von Alters her hatte das Gregorienthal den wohlbegründeten Ruf, daß darin ein fromm und gottselig Volk wohne. Daß die Münsterthäler keine sonderlichen Freunde der in dem Kloster zurückgeblibeenen Benediktinermönche waren, bedarf wohl keiner besondern Erwähnung. Doch äußerte sich ihre Abneigung, so lange die Klosterleute in ihren Schranken blieben, nie durch offene Feindseligkeiten oder durch Haß, sondern höchstens einmal durch irgend einen harmlosen Schwank, wie folgender humoristische Zug beweiset. Im Jahre 1550 bauten, wie schon erwähnt, die Münsterer Bürger das noch heute bestehende Rathhaus, das noch im Volksmunde die Herrenstube heißt. Fünf Jahre nach­ her, Anno 1555, errichteten sie auf dem Platze zwischen dem Rathhaus und der Abtei, einen Röhrbrunnen und wollten den Röhrenstock, der einen Scepter darstellte, mit einer Zierrath versehen. Da kam den ehrsamen Bürgern ein, daß sich im Zeughaus das Bild eines steinernen Löwen befinde, in stehender Stellung und einen Schild in der Tatze, den ihre Väter einst auf einem Streifzug gegen irgend eine Ritterburg erbeutet hatten. Flugs ward der Löwe aus seinem Winkel hervorgeholt und auf den Röh­ renstock gestellt; doch begingen die muthwilligen Münsterer die Bosheit, daß sie den Löwen so aufstellten, daß er sein Antlitz mit der Mähne dem Rathhaus, den Rücken aber dem Kloster zukehrte. Darob wurden die Klosterleute sehr erbittert, und die Aebte von Münster führten oft Klage

57 wegen der unehrerbietigen Stellung des Platzlöwen, allein ihre' Vorstellungen fanden bei dem Magistrate taube Ohren. Ein Münsterthäler Dichter, Johannes B re sch, hat in seinen Vogesenklängen des Löwen Geschichte und Ge­ schicke im Liede besungen, und sagt unter Anderm: Der Löw' im Glanzesschimmer

Blieb steh'n, wie sich's versteht, Und hat dem Kloster immer

Die Fersen auch gedreht.

Im Jahre 1842 wurde der alte Platzbrunnen, der eine geschichtliche Merkwürdigkeit des alten Münster war, seiner Baufälligkeit wegen, abgebrochen, und durch einen ziemlich geschmacklosen Röhrbrunnen ersetzt. Was auS dem Löwen geworden, darüber schweigt die Geschichte.

Kapitel V. 3ns Ullüti|brtW während des

Wenn das sechzehnte Jahrhundert im Münsterthal, in

Folge der mächtigen geistigen Bewegung, welche durch die Reformation hervorgerufen ward, große Veränderungen nach sich zog, so brachte das siebzehnte Jahrhundert, nach einem langen und verheerenden Kriege, der über ein Men­ schenalter dauerte, nicht minder große Umgestaltungen in den bürgerlichen Verhältnissen hervor. Denn in diesem Jahrhundert brach der verhängnißvolle dreißigjährige Krieg aus, ber eine Geißel Deutschlands ward, unter

dessen Drangsalen und Schrecken auch das schöne Elsaß lange seufzte, indem das fruchtbare und gesegnete Land oft und viel von fremden Kriegsvölkern heimgesucht wurde. Bekanntlich nahm der dreißigjährige Krieg 1618 seinen Anfang und erreichte erst mit dem Jahre 1648 sein Ende. Die bedeutendste Wirkung dieses Krieges, der bas Elsaß in seinem innersten Volksleben am Tiefsten berührte, war die Trennung-vom deutschen Reiche und die Vereinigung

mit der Krone Frankreich.

59 Zu zweien verschiedenen Malen wurde, in jener bewegten Zeit das Elsaß der Kriegsschauplatz der feindlichen Heere,

das erstemal im Jahre

1621,

später (1631 und 1632).

das anderemal zehn Jahre

Im Wintermonat des Jahres

1621 rückte der Graf Ernst von Mansfeld, ein Feld­

herr des unglücklichen Churfürsten Friedrich von der Pfalz, der in der Schlacht vom Weißen Berg, unweit Prag, den 8.

November

1630, die böhmische Krone und

ins Elsaß ein, um

bald darauf auch den Churhut verlor, dort die Winterquartiere zu beziehen. Schaaren blieben bis

reiche

Scharmützel

Die Mansfeldischen

1623 im Lande, und hatten zahl­ mit

den

Reitern

Leopold von Oesterreich zu bestehen.

des

Erzherzogs

Wenn diese Ver­

heerungen sich auch zumeist auf das Unter-Elsaß erstreck­ ten, so machten sie doch die obern Gegenden unsicher, indem

der Feind Streifzüge nach Kolmar, nach Ensisheim, ja bis vor die Thore von Basel unternahm. In Folge der Kriegs­

noth

und

der daraus entspringenden

Theuerung, stiegen

auch die Preise der Lebensmittel, einmal, weil das geprägte Geld so schlecht war und viele Münzen unter ihrem Werthe standen, und

zum

Andern,

weil elende Wucherer,

die

Wipperer und Kipperer, wie die damaligen Chronisten

sie nennen, sich bei der allgemeinen

Noth

zu bereichern

suchten. Folgende Zahlen mögen dem geneigten Leser einen

Begriff von

der damaligen Theuerung

der Lebensmittel

geben: Ein Viertel Waizen galt 46—60 Gulden — Korn, Erbsen und Linsen 30—40

Gulden.

— Haber 10—14

Ein Ohmen Wein 10, 20 bis 40 Gulden.

Ein

Pfund Rindfleisch 4 und 5 Schilling, Hammelfleisch

das

Gulden.

gleiche,

Kalbfleisch 6 und

7 Schilling, Schweinefleisch 6

Schilling, ein Pfund Butter

15

Schilling,

ein Ei einen

Schilling, ein Pfund Lichter 10 Schilling, ein Klafter Holz

60

16—24 Gulden, für

100 Köpfe Kraut zahlte man 120

Gulden. so waren dennoch oft

So unerschwinglich diese Preise,

die unentbehrlichsten Dinge ums Geld nicht zu bekommen.

In der Stadt Straßburg, wo damals Tausende von Land­ leuten sich hinflüchteten, standen vor jedem Bäckerladen bis

auf hundert Menschen,

die mit großer Ungeduld warteten,

bis die Reihe an sie kam, da sie um zween Gulden fünf Pfund schlechtes Brod bekamen.

Das Münsterthal wurde in jenen Jahren nicht un­

mittelbar vom Kriege berührt, da seine abgelegene Lage es

schützte, allein als zehn Jahre später „der Schwed ins Land kam", da gestalteten sich die Dinge anders.

Die Noth der vom Kaiser Ferdinand II. überwundenen Evangelischen

in

Höchste gestiegen.

tigte

Deutschland

war um jene Zeit aufls

Den 6. März

Restitutionsedikt

1629

war das berüch­

herausgegeben worden, nach

dessen Wortlaut die Protestanten alle Kirchengüter herausgeben sollten, in deren Besitz sie, seit dem Passauer Vertrag von 1552,

getreten waren.

Wäre dies

Edikt streng durchgeführt worden, so hätte der Protestan­

tismus in Deutschland den Todesstoß

erhalten.

Doch der

Herr wachte sichtbarlich über seine Kirche, denn als die

Noth ausis

Höchste gestiegen war,

so erschien

auch der

Helfer, und zwar aus dem fernen Norden. Von Schweden herüber kommend, landete den 24. Juni 1630, gerade hun­

dert Jahre nach der feierlichen Uebergabe der Augsburgi­ schen Confession, König von 15,000

Gustav Adolf an der Spitze

auserlesenen Kriegern an Pommerns Küste,

und ward unter Gottes sichtbarem Gnadenbeistand, der Retter der evangelischen Kirche und der Glaubensfreiheit in Deutsch­ land.

In der Hosburg zu Wien spottete man anfänglich

über die

Schnee-Majestät und den Winterkönig,

61 wie man verächtlich Gustav Adolf nannte, allein, als der Heldenkönig in mehreren Treffen die Kaiserlichen schlug und sie von Ort zu Ort, von Provinz zu Provinz vertrieb, ja,

als er den greisen Tilly, den unmenschlichen Zerstörer Magdeburgs, in der Schlacht von Leipzig aufs Haupt schlug, da fing man selbst in der kaiserlichen Hofburg an zu zittern und zu beben. Nach dem Leipziger Siege, 7. September 1631, dran­ gen die Schweden bis an den Rhein vor, und im folgenden Jahre finden wir sie im Elsaß. Schon den 7. Mai 1632 kam ein schwedischer Gesandter, Nikodemus von Ahau­ sen, nach Straßburg, um mit dieser wichtigen Reichsstadt, im Namen der Krone von Schweden, ein Bündniß zu schließen. Dies Anerbieten nahm Straßburg mit Freuden an, denn die evangelischen Stände in Deutschland, nament­ lich die Reichsstädte, blickten mit wahrer Begeisterung zu dem Schwedenkönig auf, dessen ritterliches Wesen Alle anzog, und in welchem sie mit Recht den Retter der evangelischen Freiheit erkannten. Bald darauf rückten die ersten schwedischen Schaaren, unter dem Kommando des Pfalzgrafen Christian von Birkenfeld ir?s Unter-Elsaß ein; ihnen folgte auf dem

Fuß die Hauptarmee, unter dem Oberbefehle des umsich­ tigen Feldmarschalls, Gustav von Horn und des Rhein­ grafen Otto Ludwig. Eines jedoch kam den Elsässern bei dem Anzuge der Schweden in ihre Provinz bedenklich

vor, daß nämlich gleichzeitig mit ihnen auch französische Truppen über die Zaberner Steig in's Elsaß einrückten. Solches piar in Folge eines Bündnisses geschehen, welches die Schweden, die ihre Machtstellung im deutschen Reiche nicht allein hätten behaupten können, den 13. Jänner 1631, mit Frankreich, dem Erbfeinde Oesterreichs, geschloffen hatten. Der Kardinal Richelieu, der damals in Frank-

62 reich,

unter

dem schwachen Könige Ludwig

XIII., mit

straffer Hand die Zügel der Regierung führte, beabsichtigte

schon um jene Zeit, durch dieses Bündniß, das schöne Elsaß dem deutschen Reiche zu entreißen.

Im Elsaß fanden die drei schwedischen Feldherren drei

kaiserliche Generäle, welche, ihnen

gegenüberstanden.

mit wechselndem Kriegsglück,

Es

waren

der

dies

Italiener

Montecuculi, der spanische Oberst Ossa und der Mark­ graf Wilhelm von Baden.

ihrem

Besitze

die

festen

Die Kaiserlichen hatten in

Plätze

von

Benfelden,

von

Schlettstadt, von Kolm ar und besonders das starke Breysach*), welches der Schlüssel des Ober-Elsasses war.

Es galt nun schwedischerseits ihnen diese Festungen zu ent­

reißen.

Gustav Horn schritt deswegen auch ungesäumt an

die Belagerung von Benfelden; dieselbe begann den 2. Sep­

tember 1632; nach tapferer Gegenwehr und vergeblichen Versuchen der Kaiserlichen, die Festung zu entsetzen, mußte

sich der Kommandant, Herr von Bulach, zur Uebergabe

der Stadt entschließen. . Er kapitulirte den

30.

Oktober

1632 und erhielt mit seinen Truppen freien Abzug. Nach der Einnahme von Benfelden, richtete Feldmar­ schall Horn sein Absehen auf Schlettstadt.

Die Belage­

rung dieser Festung begann in den ersten Tagen des Monats

November, und bereits vier Wochen nachher, den 4. De­ zember 1632, mußte der Kommandant, der kaiserliche General­

lieutenant von Breitenbach, die Stadt an die Schweden

übergeben. Während der Belagerung von Schlettstadt langte im schwedischen Lager

die

Trauerkunde

Gustav Adolf, am 10. November 1632,

der Schlacht von Lützen

gefunden hatte.

an,

daß König

den Heldentod in Er hatte zwar

seinen Gegner, den bisher unüberwundenen Wallenstein

*) Anmerkung. Es war dies die Stadt Altbreisach, Neubreisach wurde bekanntlich erst später erbaut.

63 besiegt, allein der Sieg kostete ihm das Leben. Groß war der Jubel der katholischen Partei bei dieser Nachricht, tief

die Bestürzung glaubten

in den Reihen dem Tode

mit

gewonnen, und

diese wähnten Alles sey verloren, allein auf beiden Seiten zu viel, denn

man hoffte und fürchtete

Gott ist es,

Jene

der Evangelischen.

des Schwedenkönigs sey Alles

der nach

Seinem

Rathschlusse, sowohl die

Geschicke der Völker, als die Schicksale der einzelnen Menschen lenkt.

Nach dem Falle von Schlettstadt kam die Reihe bela­ gert zu werden an die Stadt Kolm ar.

Die Anstalten

zur Vertheidigung dieser ansehnlichen oberelsässischeu Reichs­

stadt waren

sehr gering; Kolmar war im Jahre 1552

durch den berühmten Straßburgischen Baumeister Daniel Specklin,

der auch

Chronist*) war, befestigt worden

und war mit neunzehn Hornwerken und acht starken Thür­

men umgeben, allein

geborner

Belforter

der Kommandant der Stadt,

Namens

ein

Vernier, war wegen seiner

Leidenschaftlichkeit und Rücksichtslosigkeit höchst unbeliebt,

und die Garnison,

welche blos

burgundischer Reiter, aus

600

aus

einigen Kompagnien

sundgauischen Milizen und

aus 260 kaiserlichen Soldaten bestand,

lässig.

war wenig zuver­

Zudem war der Magistrat schwach und

schlossen, und die Bürgerschaft zwiespältig;

unent­

die Katholiken

waren gut kaiserlich, die Evangelischen hingegen, welche in Gustav Adolf den Retter der Glaubensfreiheit erblickten,

schwedisch gesinnt.

Zu Anfang des

Christmonats

1622 kamen die ersten

Schweden in die Umgegend von Kolmar.

Rheingraf Otto

^*) Anmerkung. Specklins Chronik Collectaneen genannt, zwei Foliobände, die noch ungedruckt war, ging leider im Brande der Straßburgischen Stadtbibliothek mit so vielen anderen werth­ vollen Handschriften zu Grunde.

64 Ludwig besetzte mit seinen Reitern das Städtchen Türk­ heim am Gebirg und Horburg in der Ebene; er schickte hierauf einen Trompeter in die Stadt, um sie zur Uebergabe aufzufordern. Derselbe erhielt abschläglichen Bescheid, doch war die Angst der Bürgerschaft in Kolmar groß, denn allgemein war man davon überzeugt, daß die Stadt sich nicht halten könne. Die Befürchtungen nahmen noch zu, als man den Fall von Schlettstadt erfuhr, und als die schwedische Hauptarmee unter dem Feldmarschall Horn heranrückte. Da hielt der Magistrat Rath, um zu erwägen, was zu thun sey; doch die Herren, in ihres Herzens Bedrängniß, konnten zu keinem rechten Entschluß kommen. Endlich ließen sie einen protestantischen Bürger aus der Stadt, H e i n r ich B ö h r li n, der wegen seines Verstandes und seiner Einsicht bekannt war, rufen, und fragten ihn um seinen Rath. Böhrlin legte hierauf dem Magistrate folgende Fragen vor: „Haben „meine gnädigen Herren Hoffnung, daß die Stadt entsetzt „werde? Ist die Entsatzarmee zahlreich, und wird dieselbe „bald eintreffen?" Darauf erwiederte der Stadt Syn­ dikus: „Man hat uns schon lange damit vertröstet, es ist

„aber nichts erfolgt, und wir haben jetzt gar nichts zu „hoffen, was sagt Ihr dazu, Meister Heinrich "? Da wäre meine einfältige Meinung, „versetzte dieser, meine gnädige „Herren nähmen ein Exempel an Schlettstadt. Der dortige „Kommandant hat nicht akkordiren (kapituliren) wollen, „bis aller Vorrath aufgezehrt, und er sich nicht mehr halten „konnte; darüber sind aber die Bürger zu Grund gegangen, „und die Stadt ist größtentheils zerstört worden. Der „Kommandant zieht jetzt mit Ehren davon, und die Bürger„schaft ist ruinirt; gerade so wird es uns auch gehen; unser „Kommandant sucht auch nur seine Ehre, und fragt nichts „darnach, ob die Stadt darüber zu Grunde geht oder nicht;

65 „wenn er nicht mehr anders kann, so macht er einen Akkord, „wie es ihm beliebt, zieht davon und läßt uns im Elende „sitzen; es ist also besser, die Herren akkordiren bei Zeiten, „alldieweil die Stadt noch nicht verschossen, und die Häuser „und Köpfe der Bürger noch ganz sind. Dieses gebe ich „meinen gnädigen Herren wohl zu bedenken." Dieser Rath leuchtete dem Magistrat sofort ein und er fing nun an mit

dem Feldmarschall Horn zu unterhandeln; doch kaum hatte Vernier, der Stadtkommandant, Kunde davon erhalten, als er in das Rathhaus stürmte, und dem Magistrale die

heftigsten Vorwürfe machte, und ihn durch seine Drohungen bewog, die Unterhandlungen wieder abzubrechen. Darob ward die Bürgerschaft gegen Vernier sehr entrüstet, um so mehr, als man ihm, der Religion wegen, nicht recht traute. Es kam nun noch ein Umstand dazu, welcher der Sache den Ausschlag gab. Nach einer stürmischen Rathsitzung, wo der Magistrat fich wieder unentschlossen und schwankend gezeigt, hatte der Kommandant auf eine verzweifelte Gegen­

wehr angetragen, und als er aus dem Rathhaus, dem soge­ nannten Wagkeller, Heraustral, sagte er zu seinen ihn auf der Straße erwartenden Offizieren: „Um zwölf Uhr „an den bestimmten Posten" ! Diese Worte hörte zufälliger­ weise ein protestantischer Bürger, und in der Meinung, daß Vernier mit seinen Soldaten gewisse Anschläge ausführen und zuvor die Bürgerschaft entwaffnen wolle, machte er Lärm und lief durch die Stadt mit dem lauten Rufe: „Auf Bürger! Man will Euch Alle ermorden"! Auf das hin gab es in der Stadt einen unbeschreiblichen Tumult, der zwei Stunden lang dauerte. Die Bürger versammelten fich in Waffen; wo sich nur ein Soldat blicken ließ, wurde

er niedergemacht ader gefangen genommen. Schließlich streckte die ganze Garnison das- Gewehr, Vernier wurde mit seinen Offizieren in sicheren Gewahrsam gebracht, und 5

66

um Mittag wehte bereits die weiße Fahne auf dem Thurme der Sankt Martinskirche, zum Zeichen, daß die Stadt Kolmar kapituliren wolle. Den 20 Christmonat 1632 hielt die schwedische Armee ihren Einzug in die eroberte Stadt; den 24. wurde die Barfüßerkirche (die heute noch zum protestantischen Gottesdienste dient) den Evangelischen wieder eingeräumt, der katholische Magistrat abgedankt und durch einen protestantischen ersetzt*). Nun richteten die Schweden ihr Augenmerk auf Breys ach, welches dazu­ malen einer der festesten Plätze am Rhein, ja in ganz Europa war. Nach der Einnahme von Kolmar kamen auch Schweden inS Münsterthal. Drei Reiterregimenter, diejenigen von Nassau, von Kahlenbach und von Püllbusch, besetzten die Stadt Münster und das Gregorienthal, das die gewöhn­ lichen Drangsale des Krieges in reichem Maße empfand. Der Abt Gregorius Blater hatte schon vorher das Kloster verlassen und sich bis nach Wien geflüchtet; die Schweden setzten daher, zur Besorgung der laufenden Ge­ schäfte, einen Verwaltungsrath ein, der zur Hälfte aus Kolmarer, zur Hälfte aus Münsterer Rathsherren bestand, und der, so viel in seinen schwachen Kräften stand, in dieser verhängnißvollen Zeit, die Ordnung zu erhalten suchte. Später, im Jahre 1635, kamen auch Lothringer ins Thal; dieselben ließen ein böses Andenken zurück; sie plünderten die Abtei aus, und gingen mit der Bürgerschaft nicht säu­ berlich um; den Landleulen raubten sie das Vieh. Schon ♦) Anmerkung. Vergl. über diese Vorfälle in Kolmar: Lerse:

„Geschichte der Reformation der ehem.Reichsstadt Kolmar." Mülh.1856

(2 Aufl.) und Hunkler: „Geschichte der Stadt Kolmar und der

umliegenden Gegend". Kolm. 1838, und über das Elsaß während dem dreißigjährigen Kriege.

A.

W.

Strobels

„Geschichte des

Elsasses" und Frieses: „Vaterländische Geschichte".

67 vorher waren die Kaiserlichen ebenso rücksichtslos mit den Leuten umgegangen, als später die Lothringer. Schon im Jahre 1630 hatte der Rath zu Münster bei dem Landvogt von Hagenau, eine Klage wider den kaiserlichen Obristen Ossa in Brehsach eingereicht, weil er der Stadt Münster eine monatliche Kriegskontribution von 1348 Gulden (nahezu 3000 Franken) aufgelegt hatte, eine damals beinahe uner­ schwingliche Summe. Unbeschreiblich groß war die Noth und das Elend in

jenen schweren Jahren. Wenn die feindlichen Truppen in die Dörfer kamen, so ergriffen die Bewohner gewöhnlich

die Flucht in die Wälder. So ist noch auf dem Wege nach dem Sultzerer See, eine mächtige Felsplatte in einem Walde, dem sogenannten Bisteinwald (Deichtsteinwald), wo in jener Zeit das Wort Gottes im Freien gepredigt und das heilige Abendmahl ausgetheilt wurde.

In der geräumigen Felsenhöhle, am Abhang des Hoheneck, hinter dem Frankenthal, sollen mehrmals die Klosterleute von Münster, eine sichere Zufluchtsstätte gesucht haben, in jenen gefährlichen Zeitkäufen. Und die Besorgniß der armen Leute war nur zu sehr begründet, denn wo die feindlichen Truppen hinkamen, da raubten und mordeten sie, schän­ deten die Weiber, und wo sie Widerstand fanden, zündeten sie die Häuser an. Darum hatten auch die Münsterthäler, am Eingänge jedes Dorfes, eine Schildwache stehen, welche, sobald sie den Feind erblickte, einen Alarmschuß gab, worauf Alles in die Wälder flüchtete. Es soll, nach einer alten Ueberlieferung, eine Mutter mit fünf Kinsern, sich einst in der Todesangst auf einen Außbaum geflüchtet haben, und sich Wochenlang nur mit Heidelbeeren erhalten haben. In einer Wildniß, unweit dem Altenberge, auf den soge­ nannten Schlüpfelmatten, hatten sich zwei Familien in eine große Höhle geflüchtet; beide Mütter kamen zur selben

68 Zeit, in der heiligen Christnacht, nieder, und gebaren, die eine ein Knäblein, die andere ein Mägdlein. Weil es nun

in jener Nacht grimmig kalt war,

so

thaten die Mütter

die neugebornen Kindlein in einen Schlüpfer, um sie zu

erwärmen.

Später, als sie erwachsen waren, heiratheten

die Kinder einander, und ihr Geschlecht blüht noch heute

in Sultzern*).

In den ersten Jahren des dreißigjährigen Krieges hatte in Sultzern ein Mann ein Haus

angefangen zu bauen,

unweit der Kirche; schon erhob sich das Gemäuer aus dem

Boden, allein plötzlich trat ein Stillstand ein, der Eigen­

thümer, aus Furcht vor den Kriegsunruhen, wagte nicht

fortzubauen; so standen die vier Mauern, ohne Dachstuhl, während zehn Jahren, unvollendet da, allen Unbilden der Witterung ausgesetzt.

Erst als der

war, wurde das Haus fertig gebaut.

Krieg zu Ende

Ebenso war es mit

dem Feldbau bestellt; Niemand wagte es, seinen Acker zu

pflanzen und zu besäen, Andere ernten würden.

weil man ja doch wußte, daß

Der Same war deswegen selten,

Alles war verwüstet und geplündert und das Elend gren­

zenlos.

Vieh sah man fast keines mehr, denn der Feind

hatte alles geraubt.

Nach einer alten Ueberlieferung war

in jenen Schreckensjahren im Dorfe Sultzern kein Stück

Vieh mehr, außer einer einzigen Kuh,

die gekälbert hatte,

und welche die Eigenthümer in einer einsamen Bergscheuer vermauert

hatten;

des

Nachts brachte man ihnen das

Wasser **). *) Anmerkung. rührende

und heilige

Ich ha-e diese Geschichte,

Familientradition

die sich wie eine

erhalten

hat, aus

dem

Munde eines höchst achtbaren Mannes aus Sultzern, Herrn Andreas

Bresch (Schleife Andres), dem Urenkel einer dieser Familien. **) Anmerkung. Diese beiden geretteten Stücke Vieh bildeten den Grundstock des späteren Nachwuchses im Münsterthale.

69

Daß das Elend namenlos war und die Theuerung der Lebensmittel zunahm, und auch die Pestilenz nicht aus­ blieb, bedarf wohl keiner weiteren Erwähnung. Schätzt man doch den Verlust der Münsterthäler in dem dreißig­ jährigen Kriege, nur allein in Bezug auf das Vieh, auf die Summe von hunderttausend Gulden. Darum ist auch die Schwedenzeit im Volksmunde und in der Volkssage lebendig geblieben. In Sultzern hatten die Schweden eine Bäckerei und Metzig eingerichtet, und zwar in dem Hause zunächst der Fabrik des Herrn Jacques Immer, das die Jahrzahl 1557 trägt, und das älteste Haus in Sultzern ist. Noch sieht man an demselben ein Beil eingehauen. Sie hatten auch Pferde im Dorfe stehen, und noch ist, in der Nähe des Hauses vom ehemaligen Adjunkte Kempf ein Haus vorhanden, das die Jahrzahl 1627 trägt, und eine Scheune, die man kurzweg die Schwedenscheuer heißt. Selbst auf dem gewaltigen Hohneck hat sich das Andenken an die Schweden erhallen durch die sogenannte Schwedenschanze. Der einzige Paß aus Lothringen ins Münsterthal, war nämlich vor Alters, der von schaurigen Abgründen rechts und links umgebene Berggipfel Hohn eck. Um daselbst einem etwaigen feindlichen Angriff des Herzogs von Lothringen zuvorzu­ kommen, machten die Schweden, ums Jahr 1636, Schanz­ gräben, und befestigten den ohnehin schwer zugänglichen Berg. Die Spuren dieser Schanzgräben sind bis auf den heutigen Tag deutlich sichtbar*). *) Anm'erkung. Auch im letzten deutsch-franz. Kriege, besetzte eine

Kompagnie französischer Mobilgarden, im Oktober 1870, den Hohneck,

und ihr Hauptmann ließ auf dem hohen Berge, der im Spätjahr von dichten Nebeln umringt ist, und dazu wenig

Wasser besitzt

die Armen ebenfalls Schanzgräben aufwerfen, an derselben Stelle,

wo die Spur der alten noch sichtbar war.

Diese, allem Anschein

nach vergebliche Arbeit, unterblieb nach wenigen Wochen.

70 Die Schweden blieben einige Jahre im Lande, ja der Kriegsschauplatz zog sich wieder in die Nähe des Münster­ thals. Denn im Sommer des Jahres 1637 kam Herzog Bernhard von Weimar mit 18,000 Mann ins Elsaß. Er hatte schon im Jahre 1634 einen Vertrag mit der Krone Frankreich geschloffen, nach welchem er dem Könige Ludwig XIII. ein Heer von 18,000 Mann zur Verfügung stellte und dagegen einen jährlichen Sold von 4 Millionen französischen Livres und den Besitz der Landgrafschaft Elsaß, sowie der Landvogtei Hagenau zugesagt erhielt. Nach ver­ schiedenen Kriegsthaten im Elsaß, schlug Herzog Bernhard die Kaiserlichen bei Rheinfelden, unweit Basel, aufs Haupt, eroberte diese Stadt, und zog dann gen Freiburg, im Breisgau, welche Stadt er gleichfalls einnahm. Hierauf begann die denkwürdige Belagerung^von Drey­ fach ; diese Festung wurde den 30. Juli 1638 eingeschloffen; sie hatte nur für sechs Wochen Lebensmittel, und doch hielt der Kommandant zwanzig Wochen lang Stand; end­ lich wurde die Noth in der Stadt so groß, daß die Bela­ gerten die Leichen ausgruben, um ihren Hunger zu stillen, und die Festung endlich den 19. Dezember 1638 kapitulirte. Dem mit der Krone Frankreich geschloffenen Vertrag zu Folge, behielt der Herzog von Weimar die im Elsaß gemachten Eroberungen, doch nicht lange durfte er die Früchte seines Sieges genießen, denn schon den 4. Juli 1639 starb Bernhard, in Neuenburg am Rhein, unweit Breysach, in seiner vollen Manneskrast, noch nicht völlig 35 Jahre alt, wie man im weimarischen Lager behauptete, an Gift, das ihm eine französische Hand gereichet. Seine Offiziere, durch französisches Geld erkauft, traten mit den weimarischen Truppen, in den Dienst Frankreichs. Solchergestalt gewann Frankreich, ohne Schwertstreich, durch

71

die Besetzung Breysachs, einen festen Fuß am Rhein, und einen Waffenplatz ersten Ranges im Elsaß. Von dieser Zeit an spielte Frankreich im ganzen Elsaß den Meister, und Alles deutete darauf hin, daß es darnach trachtete, sich dieser Provinz völlig zu bemächtigen, und daß die Annexion des Elsasses nur eine Frage der Zeit wäre. Daß wäh­ rend dieser kriegerischen Vorgänge das Münsterthal von

Streifzügen der Weimaraner und der Franzosen, sowie der Kaiserlichen und der Lothringer, nicht ganz verschont blieb, läßt sich denken. Den 14. Oktober 1648 wurde endlich der von den Völkern so heiß ersehnte Frieden zu Münster und zu Osnabrück, in Westphalen, unterschrieben. Derselbe brachte für das Elsaß bedeutende politische Veränderungen, denn der deutsche Kaiser trat für sich und das gesammte Haus Habsburg, alle Ansprüche, Eigenthumsrechte, Be­ sitzstand und Gerichtsbarkeit, welche Kaiser und Reich bisher in Breysach und dessen Gebiet, in der Landgraf­ schaft des obern und untern Elsasses und in der Land­ vogtei der zehn elsässischen Reichsstädte bisher besessen hatten, an die Krone Frankreich ab. Dagegen verpflichtete sich der König letzteren Landes die Reichsstände im Elsaß in ihren Freiheiten und Privilegien zu belassen, und auch die Abtei Münster im Gregorienthal, sowie Stadt und

Thal Münster in dem Besitze ihrer verbrieften und ver­ siegelten Freiheiten als unmittelbare Reichsstände zu lassen. Da die Bestimmungen des Westphälischen Friedens in Bezug auf das Elsaß so unklar ausgedrückt waren, so gab es bald mancherlei Reibungen zwischen den elsässischen Reichsständen und der Krvne Frankreich. Jene wollten ihren Verband mit dem deutschen Reiche nicht preisgeben und blos die Oberhoheit des Königs von Frankreich aner­ kennen, dieser hingegen, der ehrgeizige Ludwig XIV.,

72 behandelte das Elsaß nach seiner Willkür einfach wie eine

eroberte Provinz, deren Rechte und Freiheiten er ohne Scheu mit Füßen trat. Das zeigte sich nur zu bald, denn wenn noch der Graf von Harcourt, der im Jahre 1653 zum französischen Statthalter des Elsasies ernannt wurde, die provinziellen Freiheiten ehrte, so that dies schon sein Nachfolger, der bekannte Kardinal von Ma za rin nicht mehr. Als derselbe, der ihm im Jahre 1667 nachfolgte, ins Elsaß kam, so berief er die Abgeordneten der zehn elsässischen Reichsstädte, worunter auch diejenigen von Stadt und Thal Münster, nach Hagenau, und begehrte von ihnen, daß sie dem Könige von Frankreich, ihrem Herrn, den Eid der Treue und des Gehorsams sollten leisten. Da wachte in den elsässischen Abgeordneten die deutsche Vaterlandsliebe mächtig auf; sie verweigerten den Eid, und erst nach zwei und zwanzig Tagen eines hart­ näckigen Widerstandes, leisteten sie denselben, nachdem die Eidesformel bedeutend gemildert worden war. Als Ludwig XIV. immer selbstherrlicher und willkührlicher im Elsaß auftrat, wandten sich die zehn Reichsstädte 1665 um Abhülfe an den Reichstag von Regensburg. Was konnte ihnen aber das ohnmächtige, in tiefem Ver­

falle darniederliegende deutsche Reich für eine Hülfe anbie­ ten? Gutgemeinte Tröstungen und leere Versprechungen, das war Alles was sie dort erlangten. Der König von Frankreich aber gelangte zu der Ueberzeugung, daß, um den Besitz des Elsasses zu sichern, er sich aller Festungen des Landes bemächtigen müsse. In der Wahl der Mittel

nahm er es nicht genau, wie sich Solches im Jahre 1673 herausstellte. Ein Jahr zuvor (1672) war nämlich der Krieg mit

den Niederlanden ausgebrochen, und da der König von Frankreich fürchtete, daß der. deutsche Kaiser Partei für die

73 Niederländer nehmen würde, was auch später wirklich geschah, so reiste er eigens nach, der Einnahme von Mast­ richt vom Kriegsschauplatz in Flandern ab, um sich über Metz und Ranzig, nach dem Elsaß zu begeben und dort seine langgehegten Absichten durchzuführen. Er kam über Ranzig, Lunöville, Sankt-Dittel (Saint-Die), über Markirch nach Kolmar. Diese Stadt ließ er durch seine Sol­ daten besetzen und ihre Mauern schleifen; in Schlettstadt legte er eine starke Garnison; die Mauern von Kaysersberg und von Münster im Gregorienthal befahl er abzu­ brechen und zu schleifen. Er selbst besichtigte nur die durch seinen Baumeister Vauban angelegte Festung Reu-Breisach,

und verließ hierauf, von Vielen verwünscht, das Elsaß. Bald darauf, im Jahre 1674, brach der Krieg zwischen dem deutschen Reich und Frankreich wirklich von Neuem aus, und das schöne Elsaß wurde wieder der Schauplatz des Kriegsgetümmels. Im September besagten Jahres rückte zuerst, aus der Pfalz kommend, welche sie auf eine schauderhafte Weise verwüstet hatte, die französische Armee, unter der Führung des Marschalls Tu renne, ins Elsaß ein und bezog ein festes Lager in der Nähe von Straß­ burg. Kurz darauf erschien die verbündete kaiserliche und

Reichsarmee, unter dem Kommando des Herzogs von Bournonville. Den 24. September kam es bei Entzheim, unweit Straßburg, zu einer blutigen, aber unentschiedenen Schlacht. Turenne, dessen Armee der deutschen nicht gewachsen war, besonders seit der letzterer; ein Korps von 20,000 Brandenburgern, unter dem Befehle ihres Churfürsten

Friedrich Wilhelm, zu Hülfe gekommen war, zog sich über die Zaberner Steige nach Lothringen zurück, und die deutschen Truppen wandten sich nach dem Ober-Elsaß, um dort ihre Winterquartiere, in der Umgegend von Kolmar, zu beziehen.

74 Ein Theil der deutschen Armee, namentlich Branden­

burger, kamen in das Münsterthal,

wo sie einige Wochen

im Quartier blieben, und von den Bürgern, wie vormals die Schweden, als Glaubensgenossen aufs Freundlichste aus­

genommen und beherbergt wurden.

Während ihrer Anwesenheit trug sich folgende Bege­ benheit zu.

Der Abt von Münster hatte, wie er behaup­

tete, nothgedrungen,

weil

er

seine

Mönche

nicht

mehr

erhalten konnte, zwei Klosterleute nach Lothringen geschickt,

bis wieder bessere Zeiten kämen. Nun war aber Lothringen von den Franzosen besetzt, und da der Abt, wie man wußte,

französisch gesinnt war, die Bürger von Münster hingegen

gut deutsch, so fürchteten letztere es sehe Verrath im Spiel

und gingen zum brandenburgischen Kommandanten, um ihn

zu bitten wohl auf seiner Hut zu seyn. die Rede, daß

die beiden Mönche

Es ging nämlich

mit den Franzosen in

der Nacht über die Berge kommen würden, um die Bran­ denburger zu überfallen, und daß der Abt ihnen durch das Läuten

der Klosterglecke das Zeichen zum Angriff geben

würde.

Um zwei Uhr Morgens nämlich läutete es im

Kloster zum ersten Frühgottesdienste.

ließ nun alle seine Leute

Der Kommandant

in Bereitschaft setzen, und war

entschlossen, wenn die Glocke wirklich ertönen würde, sich der Benediktinermönche zu bemächtigen und

verbrennen zu lassen.

Doch der Abt,

das Kloster

der Wind von der

Sache bekam, ließ klüglich in jener Nacht nicht läuten, und

so erwies sich Alles als tin blinder Lärm. Morgen begab sich

Den andern

der Prälat zum Kommandanten, um

sich zu rechtfertigen, und ihm die Ursache des Wegzugs der

beiden Mönche auseinander zu setzen. Gegen Weihnachten verließen die Brandenburger das Münsterthal, um zu der Hauptarmee bei Kolmar zu stoßen,

denn das Gerücht hatte sich verbreitet, daß Turenne mit

75 den Franzosen bei Belfort ins Elsaß eingefallen sey, um

die Kaiserlichen aus dieser Provinz zu verjagen. Die Branden­ burger wurden in Münster durch lothringische Reiter abge­

löst die, trotz ihres kurzen Aufenthaltes, kein gutes Andenken im Thal hinterließen.

Denn sie raubten und plünderten

allenthalben; sie verschonten weder die Abtei, noch

das

Rathhaus, aus welchem sie werthvolle Urkunden, die sich

darin befanden, entwendeten.

Viele Papiere, welche einen

geschichtlichen Werth hatten, gingen bei dieser Plünderung

verloren.

Daß die Noth und das Elend im Thale damals

sehr groß gewesen, geht unter Anderm auch daraus hervor,

daß der

damalige

Pfarrer von Mühlbach,

Balthasar

Rimbach, um nicht Hungers zu sterben, gezwungen wurde, im Jahre 1674 auszuwandern. Vaterstadt Straßburg,

Er begab sich nach seiner

wo er bald

darauf in dürftigen

Umständen starb. Zum Glücke blieben die rohen Lothringer nicht lange im Münsterthale.

Schon in den ersten Tagen des Jahres

1675, bekamen sie Befehl auf's Schleunigste nach Türkheim zu ziehen, weil eine Schlacht zwischen den Kaiserlichen und

den Franzosen bevorstünde.

Und so war es in der That.

Durch einen kühnen, in der

Kriegsgeschichte

Marsch, war Turenne, ganz unerwartet,

berühmten

bei Belfort ins

Elsaß eingedrungen; er hatte bei Mülhausen mehrere kai­ serliche Truppenabtheilungen überfallen und aufgehoben, und

zog nun über Meyenheim und Pfaffenheim nach Kolmar

zu.

Die

kaiserliche Armee hatte eine sehr vortheilhafte

Stellung in der Ebene inne; sie dehnte sich zwischen Kol­ mar, dem Logelbach und Türkheim aus,

und hatte sich in

der Eile durch Verschanzungen zu decken gesucht.

Turenne hatte mit den Seinen bei Wettolsheim und Wintzenheim, gefaßt.

den

Kaiserlichen

gerade

Da er jedoch bald einsah,

gegenüber,

Posto

daß es schwer wäre,

76 die Kaiserlichen von vorn anzugreifen, so zog er mit einigen tausend Mann, die er selbst befehligte, bei Wettolsheim, ins Gebirg hinein, umging das alte Schloß Hohen-Landsburg und brach unterhalb der Plirburg durch die Schlucht von Willspen ins Münsterthal ein. Er überfiel das schwach besetzte und noch schwächer vertheidigte Städtchen Türkheim und machte dann einen Flankenangriff auf die kaiserlich-brandenburgische Armee, deren Führer leider uneins waren. Das Treffen dauerte bis sieben Uhr Abends, worauf die Deutschen sich in Unordnung zurückzogen und Turenne Meister des Schlachtfelds blieb. Solches begab sich den 5 Jänner 1675, am Vorabende des h. Dreikönigs­

tages. Den andern Morgen zog Turenne mit der siegreichen französischen» Armee in Kolmar ein, wo Alles, im Ange­ denken an die jüngst stattgefundene Verwüstung der Pfalz zitterte und bebte. Doch diese Furcht erwies sich ganz und gar ungegründet, denn es wäre ja gegen Ludwig XIV. eigenste Interessen gewesen, eine Provinz, die Frankreich behalten wollte, zu Grunde zu richten. Turenne flieg in dem damals berühmtesten Gasthofe von Kolmar, im Schwarzen Berg*) ab, und meldete von da aus seinen Sieg in schlichten Worten dem Hofe von Versailles. Und

dieser Sieg war von der höchsten Bedeutung, denn durch die Schlacht von Türkheim wurde das Loos des Elsasses auf zwei Jahrhunderte hinaus entsch den. Die Kaiserlichen wurden aus dem Lande vertrieben und Frankreichs Herr­ schaft im Elsaß war eine unumschränkte. *) Anmerkung. Der Schwarze Berg ist heute ein Eigenthum des Herrn Knöri in Kolmar. Er befindet sich an der Ecke der Korngasse und der Langen Straße. König Gustav Adolf hat auch

als Prinz dort logirt, und noch zeigt man das Zimmer, das ihm zum Aufenthalt diente.

77 In jene Kriegszeit fällt noch eine Begebenheit, bereit Andenken im Münsterthal lebendig geblieben ist.

Droben

aus dem Hohneckkopf zieht sich, zwischen dem Hohneck und

dem Lundenbühl, ein schauriger Abgrund hin, dessen grau­

sige Tiefe ein wildes, einsames Thal bildet, welches das

Frankenthal

heißt.

Am

Abhang

dieses

Abgrundes

befindet sich eine Stelle, die man den Soldat enschl alt en*) nennt.

Dort fand einst eine entsetzliche Scene statt. Etliche

fünfzig Reiter, Kaiserliche und Lothringer, waren in jenen bewegten

Kriegszeiten,

aus

dem

Welschen

(Welsch-

Lothringen) herübergekommen ins Münsterthal. Sie hatten nach Herzenslust geplündert und den wehrlosen Bauern ihr

Vieh weggenommen, das führen wollten.

des Hohneck

sie über den Paß

Allein die zur Verzweiflung

getriebenen

Thalleute waren entschlossen den Feinden, koste es was es

wolle, den Raub wieder abzujagen. Droben auf den zackigen Felsenriffen des Hohneck erwarteten sie ihre Gegner, und

als die feindlichen Reiter in später Abendstunde sorglos auf dem kahlen Berggipfel ankamen, da brachen aus ihrem

Versteck hervor die Bergbewohner mit wildem Geschrei auf

sie los.

Die Scene, die nun folgte, war eine unbeschreib­

liche; rechts und links der gähnende Abgrund, vorn und

hinten der unerbittliche Feind, überall der Tod in seiner

grausigen Gestalt, und um den Schrecken zu erhöhen, brei­

tete die Nacht ihre dunkeln Schatten aus

Gebirgspaß.

den einsamen

Der Widerstand der Kaiserlichen war kurz;

Einige, worunter der Hauptmann, ergaben sich nach ver­

geblicher Gegenwehr, die Anderen, die Widerstand leisteten, fanden den Tod,

aber nicht im blutigen

Handgemenge,

sondern in der Tiefe des Frankenthals, in das sie, von *) Anmerkung. Schlatten nennt man gewöhnlich in den Vogesen einen Schlittweg, mit hölzernen Sprossen, um das Holz bequemer aus der Waldeshöhe in die Niederungen zu bringen.

78 allen Seiten gedrängt, hinuntergestoßen wurden. Das Frankenthal wurde für die Reiter und Roste ein schauriges Grab, aus welchem, bis in die Nacht hinein, Seufzer und Schmerzensrufe emporstiegen, die immer leiser wurden, bis sie endlich gegen Morgen verstummten. Ein einziger Reiter kam, durch ein wahres Wunder, wohlbehalten drunten an. Gegen Sonnenaufgang langte er schweißtriefend mit seinem todesmüden Pferde in Türkheim an, und erzählte in ab­

gebrochenen Sähen die nächtliche Schreckensscene auf dem Hohneck. Das sind die alten Erinnerungen welche jene bewegte Kriegszeit im Münsterthal zurückgelassen hat, und daher schreibt es sich, daß der Wanderer, der den einsamen Hohneck besucht, noch heutzutage sich nach der Schwedenschanze umsieht, und mit stillem Grausen in den schlatten hinunterblickt.

Soldaten-

Kapitel VI. Äie die rötnififie düirdie wieder Jßoden im Äünflertftaf gewann. Durch die Vereinigung des Elsasses mit Frankreich war in den Verhältnissen dieser Provinz eine gewaltige Um­ gestaltung, nicht nur in politischer, sondern auch in kirch­ licher Beziehung entstanden. Denn Ludwig XIV. war da­

mals ein mächtiger Schutz- und Schirmherr des Katholizis­ mus, und den evangelischen Glauben aus seinem Reiche auszurotten, sah er als eine Hauptaufgabe seines Lebens an. Darum zitterten denn auch alle Evangelischen im El­ saß für die so theuer errungene Glaubensfreiheit, und sie hatten alle Ursache dazu, denn der König, der das Edikt von Nantes, das den Hugenotten in Frankreich die freie Ausübung ihres Glaubens gewährleistet hatte, im Oktober des Jahres 1685 widerrief, und dadurch den Grund zu Frankreichs sittlichem und materiellem Verfall legte, dieser König konnte es mit den Evangelischen im Elsaß, trotz aller möglichen Betheuerungen unmöglich gut meinen. Das stellte sich nur zu bald heraus, denn es erschienen nach ein­ ander eine Menge von Verordnungen, welche die Aus-

80

rottung des evangelischen Glaubens zum Zweck hattendarum traten auch Jesuiten und Kapuziner im Elsaß als Missionäre für den Katholizismus und zugleich als Sendboten für die Sache Frankreichs auf, und da die fran­ zösische Regierung sie nach Kräften unterstützte, so gelang es auch, viele Seelen, besonders durch weltliche Interessen, für die römische Kirche zu gewinnen. Und nur zu gut be­ trieben sie das verderbliche Spiel, denn in den französischen Archiven noch vorhandene Register führen nicht weniger als dreitausend vierhundert sechsundzwanzig Personen auf, die allein in den Jahren 1685 und 1686 in dem Jesuitenhaus zu Straßburg ihren Glauben ab­ schworen! Und im Jahre 1699 legte der französische Ge­ sandte, ein Herr von Chamoy, auf dem Reichstage zu Re­ gensburg ein Verzeichniß aller der Ortschaften vor, die entweder ganz oder doch theilweise den katholischen Glauben angenommen hatten. Dieses Verzeichniß umfaßt — wer sollte es glauben? — in dem kurzen Zeitraum von fünfzig Jahren neunzehnhundert einundfünfzig theils pfälzische, theils elsässische, früher ganz evangelische Ortschaften. Auch im Münsterthale zeigten sich bald die schlimmen Nachwirkungen der neuen Lage der Dinge. Schon im Jahre 1657 kam der erste französische Abt, Charles Mar­ chand, nach Münster, und beschloß, das in Trümmer zer­ fallene Kloster wieder aufzubauen und bedeutend zu ver­ größern. Man ging rüstig an's Werk und durch den Kloster­ bau kam wieder Verkehr und Leben in's abgeschiedene Thal, indem die Leute einen großen Verdienst hatten. Doch we­ gen der mittlerweile ausgebrochenen Kriegsunruhen konnte der Klosterbau nicht vollendet werden. Er war es noch nicht, als der Abt 1681 mit Tod abging, doch sein Nach-

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81

-

folger Louis de la Grange führte das angefangene Werk weiter fort.*) Im Jahre 1675, mitten in dem Entscheidungskampf, dessen Preis der Besitz des Elsasses war, stieg die allgemeine Noth im Münsterthal so sehr, daß der Magistrat die sechs Glocken der Münsterer Pfarrkirche versetzen und nach Straß­ burg führen ließ; erst fünf Jahre später (1680) schoß die Familie Wiedemann aus Sultzern dreihundert Thaler vor, um welche Summe man sie wieder einlöste. Solches erzählt der Diakonus Nicolaus Klein in seiner Großen Colmarer Chronik. Im Jahre 1686 geschah ein Ereigniß, durch welches das Münsterthal in keine geringe Aufregung versetzt wurde. Es verbreitete sich das, zuerst mit Unglauben aufgenom­ mene Gerücht, daß die Katholiken Theil haben sollten an dem Gebrauch der evangelischen Kirche. Und dies Gerücht bestätigte sich in der That, denn König Ludwig XIV. hatte

eine Verordnung herausgegeben, laut welcher in allen evan­ gelischen Gemeinden des Elsasses, in welche sieben katho­ lische Familien einwandern würden, das Chor der Kirche den Katholiken zum ausschließlichen Gebrauch sollte über­ lassen werden. Nun hatten die römischen Priester nichts *) Anmerkung. In der Zeit, da die Abtei Münster unter fran­ zösischen Aebten stand, lebte in den ersten Jahren des 18. Jahrh,

der gelehrte Dom Calmet (der für die Geschichtsforschung Loth­

aringens dieselben Verdienste sich erwarb, wie Schöpflin für das El­

saß), als Unterprior in der Abtei Münster.

Er schrieb im Gre-

gorienthal eine bisher noch ungedruckte und im Colmarer Stadtarchiv

befindliche Chronik des Klosters von Münster.

Dom Calmet war

in Lothringen im Jahre 1682 geboren und starb Anno 1757. Er liegt in der Kirche von Senones, im Departement des Vosges, be­

graben.

Vor einigen Jahren wurde daselbst sein Grabmal wieder

aufgefunden.

82 Eiligeres zu thun, als katholische Ansiedler in die Ort­

schaften anzuziehen, und wenn ihnen solches gelang, und sie nicht sieben Familien, wie das Gesetz wollte, son­ dern sieben Personen ihres Glaubens in einem Orte aufweisen konnten, so begehrten sie nicht denMitgebrauch, sondern den Besitz des Chores und die Hälfte der evan­ gelischen Kirchengüter zur Unterhaltung ihres Kirchenschmucks. So geschah es, daß die sogenannten Simultankirchen

oder gemischten Gotteshäuser im Elsaß aufkamen, eine Ein­ richtung, die zu vielen Reibungen Anlaß gab, durch welche die Evangelischen an ihrem väterlichen Rechte verkümmert und be inträchtigt wurden. Dazu kamen noch schwere Naturereigniffe, welche die Gemüther erschütterten und sie zum Ernst trieben. So erzählt ein Colmarer Chronist: „Anno 1693, am St. Lo-

rentzi (10. August), ist so ein Entsetzlicher sturm wieder „Entstandten, der viele 1000 bäume im Elsaß auß den „wurtzeln gerissen. Es ist fast kein Nußbaum stehen ge­ blieben, unndt hadt Mann im Münster Thal dieselbe frohnsweiß auß den straßen räumen müssen." Jn's Großthal

wanderten die Katholiken erst im achtzehnten Jahrhundert ein. So bildete sich zu Anfang dieses Jahrhunderts in Mitla, am Ende des Großthals, eine kleine katholische Kolonie. Sie bestand aus Kohlenbrennern, welche, man weiß nicht aus welcher Ursache, aus Tyrol eingewandert waren. Bis auf den heutigen Tag bilden die Nachkommen dieser Tyroler ein Völklein für sich. Schon den 5. Christ­ monat 1727 mußte das Chor der Kirche zu Mühlbach den Katholiken eingeräumt werden, weil die sieben gesetzlich er­ forderlichen Familien sich vorfanden; zwölf Jahre später, den 1. Wintermonat 1739, am Tage Allerheiligen, wurde in Mühlbach ein katholischer Pfarrer eingesetzt und täglich wieder Messe gelesen.

83 Das schöne, fruchtbare Land, die auf die langen, ver­ heerenden Kriegsjahre Ludwigs XIV. eingetretenen Friedens­ zeiten und die gesegneten Frucht- und Weinjahre zogen viele fremde Einwanderer in den ersten Regierungsjahren Lud­ wigs XV. in's Elsaß. Schreibt doch ein Chronist im Jahre 1719: „Hat der Ohmen Wein, das Viertel Frucht, „der Centner Heu gleichviel gegolten, nehmlich 1 Gulden „12 bazen. thut an Franken 3 fkn." Was die Münsterthäler bei dieser fremden Einwande­ rung am meisten verdroß, war nicht der Umstand, daß die neuen Ankömmlinge einen anderen Glauben hatten als fle, sondern weil sie die Furcht hegten, die Religion ihrer Väter und den freien Besitz der evangelischen Wahrheit zu ver­ lieren. Gerade die Verordnungen Ludwigs XIV. hinsicht­ lich der Evangelischen und die betrübenden Thatsachen, welche man täglich von Glaubensverfolgungen im Elsaß hörte, nährten bei den Münsterthälern diesen nur allzugegründe­ ten Verdacht. Folgende gedruckte Verordnungen*) des Königs von Frankreich, mögen dem geneigten Leser einen Begriff davon geben, wie derselbe gegen seine protestanti­ schen Unterthanen im Elsaß gesinnt war. Außerdem gab Ludwig seinen Beamten noch geheime Instruktionen, die noch viel weiter gingen, als die gedruckten öffentlichen. Im Jahre 1660 erschien ein Gesetz, welches bestimmte, daß alle Gerichtsstellen im Lande zur Hälfte mit Katho­ liken sollten besetzt werden. Vom Jahre 1662 an mußten alle unehelich erzeugten Kin­ der protestantischer Väter oder Mütter katholisch getauft

*) Der Präsident des Conseil souverain d’Alsace, Herr de

Boug, gab im Jahre 1775 in Colmar in zwei großen Foliobänden

die vollständige Sammlung dieser gedruckten Verordnungen heraus; sie sind bekannt unter dem Namen: Ordonnances d’Alsace.

84

und

erzogen werden,

ausgenommen

wenn sich die Eltern

vor dem fünften Lebensjahre des Kindes verheirateten.

Anno 1683 wurde den lutherischen Pfarrern verboten, Katholiken anzunehmen,

welche gesonnen wären, zur evan­

Wenn ein Katholik sich den­

gelischen Kirche überzutreten.

noch zum Glauben des Evangeliums bekannte, so wurde er verbannt und aller seiner Güter beraubt.

Im Jahre 1685

rischen Religion, von

Befreiung

wurde denen von der luthe­

dagegen

welche katholisch wurden, eine dreijährige

Einquartierungen und

Abgaben,

ja eine

dreijährige Sicherheit vor der Schuldforderung ihrer Gläu­ biger zugesagt.

Wenn in einer lutherischen Ehe

1686 wurde befohlen:

ein Theil den Glauben ändert, so müssen alle Kinder diesem Theile

nachfolgen,

wenn sie

noch nicht zum ersten

Male communicirt haben.

Die lutherischen

1722.

und reformirten Konsistorien

dürfen keine Ehe mehr scheiden.*)

1740.

Kein Evangelischer

darf, bei Strafe von 500

Livres, in einem katholischen Gottesacker beerdigt werden. Kein Protestant

1762.

darf sich — nicht einmal als

Pächter — in einem ganz katholischen Dorfe niederlassen. Diese,

im Laufe

von

anderthalb Jahrhunderten unter

drei Königen erschienenen Religionsgesetze begünstigten allzu

augenscheinlich die katholische Kirche, um den Evangelischen nicht Mißtrauen einzuflößen.

thal zu Ende

des

Es erschien auch im Münster­

siebenzehnten Jahrhunderts

unter dem

*) Anmerkung. Ehemals bestand auch im Elsaß das

in der

ganzen evangelischen Kirche übliche Recht der Ehescheidung und Wieder-

verheirathung.

Vom Jahre 1722 an wurde dieses Recht im Elsaß,

welches die sogenannten Ehegerichte ausübten, aufgehoben, und der katholische Grundsatz der Unzertrennbarkeit der Ehe behielt, im

Interesse der Sittlichkeit, die Oberhand.

85

Namen

eines

königlichen

PrLtors

ein

Kommissa-

rius der französischen Regierung, der den früheren Reichs­ schultheißen

ersetzte,

und

Stadt Münster Vorstand.

von

da

an

dem

Rathe

der

Auch mußten von dieser Zeit

an die Hälfte der Rathsherren katholisch sein.

Manche

Bedrückungen, die im Thale vorfielen, erbitterten die Ge­ müther.

So gab eS böses Blut, als die Katholiken Besitz

von den Kirchen von Münster und Mühlbach nahmen. Ein

Vorfall, der sich im Großthal ereignete, erregte im ganzen

Münsterthale ein ungemeines Aufsehen.

Der evangelische

Pfarrherr von Mühlbach, Tobias Rücker, der das geist­ liche Amt daselbst von 1735 bis 1750 bekleidete, begegnete

einer katholischen Prozession in seinem Pfarrdorfe, und weil er den Hut vor dem Allerheiligsten (der Monstranz) nicht

abziehen wollte, so wurde er aufs Gröblichste beschimpft. Die Sache wurde sogar bei Gericht angezeigt, und der gute

Pfarrer wurde um 20 Livres gestraft. Das erbitterte selbst­

verständlich

die

lutherische Bevölkerung, die sich in ihren

heiligsten Ueberzeugungen verletzt sah, gewaltiglich.

Trotz dem äußeren Glanz und Schimmer, mit welchem die katholische Kirche im Münsterthale auftrat, und trotz der Macht, welche sie besaß,

und

der

weltlichen Mittel,

welche ihr zu Gebote standen, blieben die Münsterthäler

doch, dem Glauben ihrer Väter treu.

Man hörte nicht,

daß Einer oder der Andere sich blenden oder bethören ließ,

und

daß er von der erkannten Wahrheit abgefallen wäre;

im Gegentheil,

das

kirchliche Leben befestigte sich immer

mehr, und die geistigen Bedürfnisse erwachten stärker denn zuvor.

Denn die Sultzerer, welche in der Reformations­

zeit, im Jahre 1550, ihr Kirchlein abgerissen und

wie­

der aufgebaut halten, erneuerten ihr Gotteshaus im Jahre 1735 und ein zweites Mal im Jahre 1781, jedesmal

ohne

fremde Beiträge

und ohne Hülfe

der Regierung,

86 lediglich durch freiwillige Frohndienste. Die Mühlbacher besserten ihre Kirche auch mehrmals aus und vergrößer­ ten sie. Im Jahre 1735 erbauten sie auch eine Pfarr­ wohnung (das obere Pfarrhaus) für den evangelischen Pfarrer, und im Jahre 1751 kauften sie dem Ackersmann Nikolaus Iltis sein Haus ab, das von da an die Woh­ nung des Helfers (das untere Pfarrhaus) wurde. Den Kirchendienst versahen dazumalen im Münsterthale vier Pfarrer, zwei Oberpfarrer (je einer in Münster und einer in Mühlbach) und zwei Diakonen oder Helfer an denselben. Orten. Das Schulwesen wurde von zwei Schul­ meistern geleitet, die auch lateinisch lehrten. Gewöhnlich versahen die Helfer, bis in die Mitte des achtzehnten Jahr­

hunderts, das Schulamt. Die deutschen Volksschulen hiel­ ten Leute, welche etwas mehr Lehre als ihre Mitbürger hatten; sie wurden von den Gemeinden erwählt. Diese Schulzustände dauerten bis in unser Jahrhundert hinein.*) Wenn wir, um es hier im Vorbeigehen zu erwähnen, die Gemeinde Günsbach mit ihrem Filiale Griesbach so wenig berücksichtigen, so geschieht es darum, weil dieselbe eigentlich in alter Zeit nicht zum kleinen Freistaat gehörte, der bekannt war unter dem Namen Stadt und Thal Mün­ ster im Gregorienthal. Günsbach und Griesbach gehörten zum rappoltsteinischen Amte Weier im Thal. Sie wurden evangelisch, weil sie den Grafen von Rappoltstein als Eigenthum gehörten, während die übrigen Ortschaften des Amts Weier (Wihr) sämmtlich rappoltsteinische Lehen wa- * ren, welche katholischen Herren gehörten. Daß die Münsterthäler in den Zeilen der Trüb- und Drangsal so treu an Gottes Wort hielten, geschah auch

♦) Anmerkung. Der verstorbene Pfarrer Schillinger in Mühlbach bereitete noch in den zwanziger Jahren Zöglinge vor, um der Schullehrernoth im Münsterthale abzuhelfen/

87 darum, weil sie von Kindheit auf in der reinen Lehre des

Evangeliums waren unterrichtet worden, und es im Thale

an guten Büchern keineswegs mangelte.

Vor Allem war

es die heilige Schrift, welche sich schon in der Reformations­

zeit in vielen Häusern einbürgerte, und zwar die Bibel mit kurzen und kernhaften Auslegungen; namentlich war es die

in Nürnberg

gedruckte sogenannte Churfürstenbibel,

also benannt wegen der Bildnisse der sächsischen Churfürsten, welche sie zieren,

die man noch heutigen Tages in vielen

Häusern vorfindet. Um eine gute Bibel zu bekommen, gibt

der Münsterthäler gern ein Goldstück und auch zwei aus, aber das Wort Gottes ist den Meisten auch um Gold nicht

feil.

Ferner war es das treffliche Gebetbuch von Stark

(Starks Großes Handbuch), welches als „Segenbuch" in vielen Häusern täglich gebraucht wird, und das die neue­

ren, oft durch Veränderungen oder Zusätze abgeschwächten

Gebetbücher nicht haben verdrängen können.*)

Auch die in den Schulen gebräuchlichen Lehrbücher wa­ ren gediegen, und haben sich theilweise bis in die neueste Zeit erhalten.

Da war unter Anderem der Große Ka­

techismus,

darinnen die fürnehmsten Haupt­

stücke Christlicher Religion mit kurzer Erklä­ rung, samt derHaustafel und etlichen Gebeten verfasset sind u.s.w. Für die Jugend der evan­

gelischen Kirchen zu Colmar, Münster im St. Gregorienthal, Mühlbach und anderswo zu ge­

brauchen.

Dieser Katechismus, der ursprünglich aus der

Agende von Schwäbisch-Hull entlehnt war, und den würt-

*) Anmerkung. In neuerer Zeit ist auch das Betkämmerlei nvonLenz, leider mit allerlei unnöthigen Zusätzen versehen, im Thale viel verbreitet worden. Wer ein Freund des alten Buches ist, dem empfehlen wir die von der Chrischona-Anstalt herauSgegebene unveränderte Ausgabe deS BetkämmerleinS.

88 tembergischen Reformator Johannes Brentz zum Ver­ fasser hat, wurde zuerst in der Württembergischen Herrschaft Reichenweyer-Horburg im Elsaß eingeführt, dann nahm ihn die Stadt Colmar an, und an letztere schlossen sich die Münsterthäler an. Als Anhang zu diesem Katechismus findet sich ein Biblisches Spruch büch lein von Christ­ lichem summarischen Bericht, der reinen, wah­ ren, evangelischen, seligmachenden Lehre,- nach Inhalt der heiligen göttlichen Schrift, des christlichen Catechismi und der Augsburgi­ schen Confession, mit klaren Zeugnissen der H. Schrift erwiesen. Dieses Spruchbuch ist auch unter dem Namen Schatzkämmerlein bekannt. Das alte Colmarische, unter dem Namen Colmarisches Lobopfer bekannte Gesangbuch bürgerte sich gleichfalls im Münsterthale ein. Es war dasselbe, welches am Ende des vorigen Jahrhunderts vielfache Veränderungen, oder besser gesagt, Verwässerungen erlitt,*) bis, in den vierziger Jah­ ren im Münsterthal, nebst dem alten Colmarischen Kate­ chismus gebräuchlich. Jetzt find beide Bücher durch neuere ersetzt; nur in den beiden Gemeinden Sultzern und Stoßwihr haben sich die beiden alten bewährten Lehr- und Ge­ sangbücher bis zur Stunde erhalten. Die Münsterthäler Geistlichen, von denen etliche geborene Straßburger waren, führten auch bei dem Gottesdienste

die Straßburgische Revidirte Kirchenordnung von 1670 ein, die sich im Münsterthal bis in die ersten Jahr­ zehnten dieses Jahrhunderts erhalten hat, bis sie durch das Württe mb er gische Kirchenbuch verdrängt worden ist. *) Anmerkung.

Der

bekannte

Conrad Pfeffel aus Colmar

blinde

Dichter

Gottlieb

veränderte es zu Ende des vor.

Jahrhunderts nach dem Geiste und Geschmacke der Zeit.

89 Im Jahre 1712 gab der bekannte Johannes Hüb­ ner, Rektor des Johanneums in Hamburg, seine viel­ aufgelegte und in ganz Deutschland früher mit besonderer Vorliebe gebrauchte Historienbibel mit den zweimal zweiundfünfzig auserlesenen biblischen Historien und den alten Holzschnitten heraus. Diese Historienbibel, die in ihrer Anlage höchst lehrhaft und erbaulich ist,*) drang auch in's Münsterthal ein und wurde ein .Lieblingsbuch bei Jung und Alt. Der alte Hübner mit seiner treuherzigen Sprache, seinen einfachen Fragen, seinen kernigen Nutz­ anwendungen und seinen, wenn auch wenig feinen, Kupfern, wurde nicht nur ein Schulbuch, sondern ein Hausbuch, eine kleine Familienbibel zu Nutz und Frommen aller Haus­

genossen. Heute ist er im Münsterthale abgeschafft und durch neuere Biblische Geschichten ersetzt, allein die lieben Alten, die in der Bibel meist mehr bewandert sind als das junge Geschlecht, verdanken es zumeist der Historienbibel, und wenn sie von derselben reden, so verklärt sich ihr Angesicht. Auch an guten, lehrhaften und geschichtlichen Erbauungs­ büchern fehlt es im Münsterthal nicht; es gibt wohl im ganzen Elsaß wenige Gegenden, die in dieser Hinsicht so gesegnet sind, wie gerade das Thal des Sankt Gregorius. Schon in alter Zeit sanden sich in vielen Bauernhäusern Bücher vor wie S leid ans Reformation sge schichte, Magnus Roos Historia Lutheranismi, das Märtyrerbuch, Luthers Kirchenpostille, Arndts Wahres Christenthum, Scrivers Seelenschatz, *) Anmerkung. Schade, daß man bei den neueren Biblischen Geschichten

die

treffliche Methode

geeignete Fragen,

heilsame

Lehren,

Hübners,

jeden Abschnitt durch

Nutzanwendungen und Reim­

sprüche zu erläutern, nicht mehr befolgt hat. Solche Dinge prägen sich der Jugend für's Leben ein.

90 Heinrich

Müllers

Schlußkette

und

Erquick­

stunden, Valerius Herbergers Predigten und an­ dere treffliche Erbauungsbücher, die fleißig gelesen wurden. In der jüngsten Zeit sind zu den alten viele neue Bücher hinzugekommen, und die Colporteure, welche das Elsaß land­ auf, landab bereisen, umgehen wohl selten das Münsterthal. Und die Leute im Thal sind durch ihre Bücher in der Schrift bewandert, und ist das religiöse Gefühl bei ihnen ein sehr ausgeprägtes. Wie bibelfest sie einst waren und theilweise noch sind, und wie sie ihr biblisches Wissen zur Zeit und zur Unzeit an den Tag legen, mag folgender kleine, aber charakteristische Zug beweisen. Ein Bauersmann aus Sultzern ließ einst den Helfer von Mün­ ster bitten, sich zu ihm zu begeben und ihm das heilige Abendmahl zu reichen. Da die Wege dazumalen nicht im besten Stande waren, so ließ ihm der Helfer sagen, er möge ihm, wie üblich, seinen Esel schicken, damit er in's Dorf reiten könne. Hierauf ließ ihm der Bauersmann zurück­ sagen: „Unser Herr Christus hat gesprochen, Matthäi am Letzten: Gehet hin in alle Welt, nicht aber reitet hin,

darum möge der Herr Pfarrer nach der Schrift sich rich­ ten." Und der Pfarrer ging hin. Vermeldte Geschichte aber hat sich zugetragen, da man zählte nach Christi Ge­ burt siebzehnhundert und achtzig.*) Ein Zeugniß von dem frommen Sinne der Thalbewoh­ ner legen auch die Inschriften ab, die vor Alters häufig über den Hausthüren, an Tafeln oder an den Wänden an­ gebracht waren, und wovon noch etliche im Dorfe Sultzern sich erhallen haben. *) Anmerkung.

Der Verfasser

hat diese Geschichte aus dem

eigenen Munde des Enkels dieses Bauersmannes,

demselben nach.

und

erzählt es

91 An den beiden ersten Häusern des Dorfes stehen fol­

gende beide Reimschriften: Gott allein die Ehr!

Sonst keinem mehr. Die Menschen bauen- sich Oft Häuser und Paläste, Und sind doch in der Welt

Nur Pilgrim und nur Gäste,

Die durch dies Jammerthal Gen Himmel sollen geh'n.

Wer fragt nach Haus und Hof? Auf dieser schönen Erde.

Wenn ich nur dermaleinst Ein Himmelsbürger werde.

Die Inschrift am Nebenhause lautet: O Mensch, o Mensch, bedenk' dein End, Denn du weißt, daß du sterben mußt.

Ja ich lebe, und weiß nicht wie lang, Ich muß sterben und weiß nicht wann,

Ich fahr, und weiß nicht wohin,

Mich wundert's daß ich so freudig bin. In der Kirch andächtig,

Bei großen Herren vorsichtig. Auf der Gasse züchtig, Ueber Tisch Mässig,

Zu Haus freundlich. Wer diese fünff Stück hüllt (sic!)

Gott und Menschen wohlgefällt.

O Mensch, bedenk dein letztes End. Bescher uns Allen ein seliges End!

Renov. 1833. Die dritte Inschrift, welche mitten im Dorfe, am Hause des Glaser Chr ist les (Christian) angebracht ist, heißt

also:

92 Gott bewahre dieses Haus,

Und alle, die gehn ein und aus. Herr steh' uns btt mit deiner Gnad, Daß uns nichts Böses schaden mag.

Erhalte uns zu jeder Zeit

Gesund in Fried' und Einigkeit, Daß wir die Tagen bringen zu

In Freuden und in guter Ruh. Verleih uns allen hier auf Erden

Daß wir mögen selig werden!

Wenn diese Reime keinen Anspruch

dichterischen Werth machen können,

auf einen großen

so legen sie doch ein

beredtes Zeugniß ab von der frommen Gesinnung, welche

die alten Münsterthäler beseelte, und von dem Ernste, mit welchem

sie

das irdische Leben

und seine

Eitelkeit be­

trachteten. So blieben denn die Münsterthäler auch unter der Re­

gierung Ludwigs XIV. und seiner Nachfolger dem Glauben ihrer Väter beständig treu, und bewahrten in einem feinen und guten Herzen den Samen des Evangeliums,

den sie

einst im Zeitalter der Reformation von ihren Väter über­

kommen hatten.

Kapitel VII.

$roei modere JHün|terfHäfer aus dem odizekntm Jahrhundert. Im Laufe des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts

erblickten im Münsterthale zwei treffliche Männer das Licht der Welt; ihre Namen, sowie ihr Andenken sind es werth,

in treuer Erinnerung bewahrt zu werden.

Den 8. April 1688 ward dem Schultheißen Johannes Kämpf*) in Sulzern, der zugleich Beisitzer des Raths zu

Münster war, ein Knäblein geboren, das in der heiligen Taufe den Namen Johann Philipp

empfing.

Des Knaben

Vater war ein rechtschaffener, verständiger Mann und zu­ gleich ein ernster Christ, wohl gelehrt in der heiligen Schrift. Nachdem der junge Kämpf in seinem Geburtsorte die Schule

fleißig besucht und ordentlich Lesen und Schreiben,

dazu

etwas Rechnen und die Historienbibel nebst dem Catechismum Lutheri gelernt hatte,

besuchte er in Münster die

*) Anmerkung. Wir haben die alte Orthographie des Namens Kämpf mit L derjenigen mit e vorgezogen. I. W. Nöhrich, in seinen Mittheilungen, Band III., und Pfarrer Coulmann in Bifchweiler haben dem merkwürdigen Manne eine biographische Notiz gewidmet.

94 Schule des Diakonus Johann Philipp Arnoldi, seines Herrn Pathen, zu dessen Ehre er seine beiden Vor­ namen empfangen hatte. Da der Knabe fleißig und streb­ sam war, machte Arnoldi dessen Vater auf seine trefflichen Anlagen aufmerksam, und bewog denselben, ihn dem Stu­ dium der Theologie zu widmen, damit er einst ein hoch­ würdiger Pfarrherr im Münsterthal würde. Im Jahre 1701 bezog der jugendliche Kämpf das nicht unberühmte evangelische Gymnasium von Colmar, dessen Zögling einst Dr. Philipp Jakob Spener gewesen war. Dasselbe stand unter der Leitung des frommen und gelehrten Rektors

Magister Ziegler, unter dessen Anweisung Kämpf be­ deutende Fortschritte machte. In Colmar genoß der junge Münsterthäler viele Liebe und Freundschaft; man kam ihm überall so freundlich und achtungsvoll entgegen, daß er sich nach und nach überhob und Gefahr lief, hofferig (hof­ färtig), wie die Thalleute sagen, zu werden. Doch sein Herr Vater gab ihm eine so derbe Lehre, daß er Zeitlebens daran dachte, und durch dieselbe von Hochmuth gründlich kurirt wurde. An einem Sonntag Mittag nämlich kam der junge Kämpf auf Besuch nach Sultzern. Er traf seinen ehr­ würdigen Vater am Tische sitzend, vertieft im Lesen des Propheten Jesajas. Beim Eintreten in die Stube machte der Jüngling ein zierliches Kompliment, wie man es ihn in Colmar, wo damals die französischen Sitten zu herr­ schen anfingen, gelehrt hatte. Der jugendliche Student dachte, der Vattzr würde darob die größte Freude haben. Allein dem alten, ehrlichen Münsterthäler war das glatte, wälsche Wesen von Herzen zuwider, drum that er anfänglich, als bemerkte er den sich tief verneigenden Sohn nicht. Dieser wiederholte mehrmals seine Bücklinge Endlich richtete sich der Vater hoch aus, warf auf den eiteln Jüngling einen

95 ernsten, strafenden Blick und sprach zu ihm mit feierlicher

Stimme: „Meinst du, daß ich Gefallen an dir habe, weil „du der Welt gefällst?

Weißt du nicht, daß geschrieben

„steht: Der Welt Freundschaft ist Gottes Feindschaft. —

„Sieh' Bub', hier steck' ich dir das Messer!*)

Leg'

„ab Deine stolzen Gedanken und vertausche sie mit bessern, „die deiner künftigen Bestimmung angemessener sind, dann

„wird „fährst

dir Gott ein doppelt Maß

der Gnade beilegen;

du aber fort der Welt zu gefallen,

so kann es

„dir gelingen, groß und vornehm vor der Welt zu werden, „aber ein doppelt Maß

des Unsegens

wird

dich treffen.

„Merk' dir das, mein Sohn! Behalt's im Herzen und geh'

„nun wieder, wo du her kommen bist." Diese

ernsten Worte machten auf den Jüngling einen

tiefen und bleibenden Eindruck.

Wie sehr er sich auch vor

seinem Vater demüthigte und ihn um Verzeihung bat, er

mußte dem strengen Befehle

gehorchen und-sein Angesicht

wieder stracks gen Colmar wenden.

einem gründlich

ge-

demüthigten Herzen setzte Kämpf seine Studien fort.

Er

die Universität Straßburg und widmete sich

dem

Mit doppeltem Eifer

bezog

Studium

der

Theologie.

und

mit

Nebenbei

jedoch beschäftigte er

sich viel mit Naturwissenschaften und Arzneikunde, für welche

er eine große Vorliebe hatte.

Nachdem er seine Studien

vollendet und ein Kandidat der Theologie geworden war, lebte er einige Jahre als Privatlehrer**) in Colmar und

in Straßburg. *) Anmerkung. Das Messer Einem stecken ist ein im

Elsaß noch hin und wieder üblicher Kraftausdruck, wodurch ein fester, unwiderruflicher Entschluß durch einen Stoß des Messers

in den Tisch bekräftigt wird. **) Anmerkung. Bis in unser Jahrhundert hinein wirkten protestantische Candidaten der Theologie an den protestantischen Schulen zu Colmar und bildeten einen tüchtigen Mittelstand heran.

96 In jener letzteren Stadt hatte sich, hauptsächlich durch die mächtige, von Dr. Spener angeregte geistige Be­ wegung des Pietismus, ein Häuflein von Separatisten ge­ bildet, welche mit der bestehenden Kirche und ihren Ge­ brechen unzufrieden waren, und in Privatversammlungen mehr Erbauung als in öffentlichen Gottesdiensten suchten und fanden. Die Seele dieser Separatisten war ein junger straßburgischer Geistliche, mit Namen Johann Fried­ rich Haug, der wegen seiner Angriffe gegen Kirche und Predigtamt aus dem geistlichen Amte ausgeschloffen worden war. Natürlich war E. E. (Einem Ehrwürdigen) Kirchen­ konvent in Straßburg dieses Convertikelwesen ein Dorn im Auge, und er sah es höchst ungern, wenn Studenten oder Kandidaten der Theologie sich daran betheiligten. Ein großes Aufsehen erregte es in Sultzern, als sich die Kunde verbreitete, der junge Kämpf werde eine Predigt dort halten. Er wurde mit inniger Erbauung von seinen Landsleuten angehört, die ihn mit Freuden in ihrer Mitte behalten hätten. Als Kämpfs Eltern in der Folge ihr fünfzigjähriges Ehejubiläum*) (ihre goldene Hochzeit) feier­ ten, hielt ihnen der glückliche und dankbare Sohn die Jubel­ predigt über Psalm 128. Im Jahre 1712 wurde der kaum fünfundzwanzigjährige Kandidat von dem Freiherrn Heinrich Jakob von Fleckenstein, dem Letzten seines altadeligen und berühm­ ten Geschlechts, als sein Hofprediger und als Consistorialrath nach Bühl**) berufen. Mit aller Treue und Ge*) Anmerkung.

Wie bereits früher gesagt, ist die Sitte der

silbernen und goldenen Hochzeiten seitdem imMünsterthale

abgegangen. **) Anmerkung.

Bühl ist ein kleines, freundliches Dorf,

auf einer Anhöhe gelegen,

ohnweit Hatten und Niederrödern. in

der Umgegend von Weißenburg.

97

wissenhaftigkeit verwaltete der junge Pfarrer dort im Segen während mehreren Jahren das evangelische Pfarramt. Er suchte im Sinne und Geiste des von ihm hoch verehrten seligen Dr. Speners zu wirken, und sorgte, laut einem ihm später gegebenen öffentlichen Zeugnisse, unter anderem auch dafür, „daß in jedem Hause seiner Gemeinde das Wort

„Gottes gelesen wurde." Kämpf schloß sich auch, der christlichen Gemeinschaft wegen, an die Separatisten und Pietisten von Bischweiler an, zu welchen letzteren vornehmlich die beiden Ortspfarrer der lutherische Pastor Johann Daniel Germann, der auf der pietistischen Universität Halle a./S. studirt hatte, und der reformirte Prediger Gottfried Geysel*) ge­ hörten. An Anfeindungen fehlte es Kämpf und seinen Ge­ sinnungsgenossen nicht. Zuerst brach der Sturm der Ver­ folgung in Bischweiler los, und nachher in Bühl. Im Jahre 1717 wurde Kämpf vor den straßburgischen Kirchen­

konvent vorgeladen und mußte sich dort vertheidigen; bald darauf ward allen benachbarten lutherischen Pfarrern jeder Umgang mit dem „Ketzer in Bühl" untersagt, und zuletzt, als Kämpf eine Standesperson wegen grober und offen­ barer Sünden vom heiligen Abendmahle ausschloß, erhielt er in demselben Jahre 1717 seine Entlassung. Da Kämpf sich in seiner pfarramtlichen Wirksamkeit gehemmt sah, verließ er den geistlichen Stand und widmete sich von da an ausschließlich der Medizin. Er wurde mit der Zeit ein sehr geschätzter und berühmter Arzt, der nicht

*) Letzterem widmete der reformirte Pfarrer Coulmann in Bischweiler eine geschichtliche Darstellung in seiner Schrift: Skizzen aus Ph. Gottfrieds Geisel Leben und Wirken in der reformirten Gemeinde zu Bischweiler von 1708 bis

1726.

Straßb. 1857.

98 nur die Gebrechen des Leibes, sondern auch die Schäden

der Seele zu heilen verstand. Nachdem er zuerst einige Jahre in Bergzabern zugebracht, ließ er sich Anno 1720 in Zweibrücken nieder, wo er 1727 von dem Herzog Gu­ stav Samu.el, in ehrenvoller Anerkennung seiner Ver­ dienste zum Stadtphysikus oder Oberarzt ernannt wurde. Neben seinem amtlichen Berufe pflegte Kämpf noch religiöse Versammlungen in seinem Hause zu halten, die er persönlich leitete. Mit dem Regierungswechsel, der 1734 eintrat, wurden alle religiösen Versammlungen oder Conventikel vom neuen Herzog streng verboten; deßwegen wurde Kämpf, der seinen Ueberzeugungen treu blieb, gezwungen, im Jahre 1735, abermals seine Stelle niederzulegen und das Land zu

verlassen. Er begab sich mit seiner Familie nach Homburg vor der Höhe, unweit Frankfurt, wo er, nach einem kurzen Aufenthalt in Rußland, sich bleibend niederließ. Hier wirkte er in separatistischem Geiste ruhig und ungehindert fort; hier gründete er auch eine. kleine medizinische Schule, aus welcher, unter seiner Leitung, ausgezeichnete Aerzte hervor­ gingen. Daneben war er, vom Jahre 1745 an, churmainzischer Hofrath und Leibarzt. Philipp Jakob Kämpf starb den 21. Juli 1753, im Alter von 65 Jahren, als Christ wie als Mensch gleich beliebt und verehrt in engeren wie in weiteren Kreisen. Auch als Arzt hat er nicht Unbedeutendes geleistet. So hat er, um nur Eines zu erwähnen, ein Heilmittel an­ gewandt, durch welches er Vielen, die von wüthenden Hunden gebissen worden waren, geholfen hat. Dieses Mittel ist ein einfaches Kraut, das sogenannte Gauchheil oder der rothe Meyerig (an manchen Orten auch das faule Lieschen genannt, wahrscheinlich weil das Kraut erst gegen acht Uhr Morgens sein Blümchen aufthut, und es

99 schon um vier Uhr Abends schließt). Dieses einfache Kraut ist geschmack- und geruchlos, hat aber in unzähligen Fällen,

schon an Solchen,

die

an

der

Hundswuth

litten, wahre

Wunder gethan.

Wilhelm Ludwig Kämpf, ein Sohn des früheren Pfarrers von Bühl, gleichfalls ein geschickter Arzt, erzählt

darüber Folgendes: „Als ich um das

Jahr

„Gregorienthal aufhielt, wo

1750 mich

zu

Münster im

die Hundswuth fast jährlich

„viele Verwüstungen anrichtet,

wurden von einem tollen

„Hunde ein Kind, ein Hühnerhund und eine Kuh gebissen.

„Das wenige Kraut des

Gauchheils, das ich

„Vorsorge mit auf die Reise

gerade zur

genommen, ließ ich sogleich

„in Gestalt von Pulver und Aufguß innerlich und äußer-

„lich bei dem Kinde anwenden, und den Rest dem Hunde „geben.

„Mangel

Beide wurden gerettet, die Kuh aber wurde aus

dieser

Arzneien wüthend

und mußte

getödtet

werden."

So ist Philipp Jakob Kämpf, auch nach seinem Tode,

ein Wohlthäter füt seine Landsleute geworden. In der Stadt Münster erblickte im achtzehnten Jahr­

hundert ein Mann, der ebenfalls von bescheidener Herkunft

war, aber in Wissenschaft und Staatskunst Großes leistete, das Licht der Welt. Es war dies der berühmte Andreas

Lamey.

An einem heißen Sommertage des

Jahres 1739 be­

wegte sich ein Wagen, der mit einem zweiöhmigen Fäßchen

beladen war, auf der staubigen Landstraße*), der Stadt

Münster zu.

Der Fuhrmann, der denselben geleitete, kam

von Reichenweier her; er hatte vön einem ehrsamen Bürger *) Anmerkung. Vier Jahre zuvor, i. I. 1735, war erst die Straße von Münster nach Kolmar durch die Thalbauern gemacht worden. (Kleine Kolmarer Chronik.)

100 von dort den Auftrag

erhalten, zwei Ohmen „edlen Cle-

vener", von dem besten, der im Elsaß wächst, seinem Sohne, zu dessen fünf und zwanzigjährigem Geburtstage zu über­

bringen.

Dieser Sohn aber

war kein anderer als der

wohlbeleumundete Herr Andreas

Münster.

Brauer, Diakonus in

Glücklich war der Wagen mit seiner kostbaren

Fahrt bis in die Stadt hineingekommen, und schon auf

dem Marktplatz angelangt; kaum war er noch einige hundert Schritte von der Pfarrwohnung entfernt, da wurde eines

der Pferde plötzlich scheu, und warf in seinen heftigen Be­

wegungen das Fäßchen so unsanft auf das

Pflaster, daß

mehrere Reife desselben sprangen und der edle Rebensaft

in immer dichteren Tropfen aus dem Faß rann. Der gute Diakonus, der an seiner Hausthüre stehend, das Schiff im

Angesicht des Hafens noch scheitern sah, überschaute sogleich die Größe des Unglücks; er schickte sofort die Hausmagd zum Küfer. Unglücklicherweise war derselbe nicht zu Hause,

ein anderer zu dem die Magd lief, war auch ausgegangen. So war denn die Noth groß, aber auch der Helfer erschien

im rechten Augenblicke und zwar in der Gestalt eines drei­ zehnjährigen Knaben.

Es kam nämlich des Weges munter

dahergeschritten der jugendliche Sohn des ehrsamen Küfer­

meisters Lamey, umkränztes

der

Häuschen

drunten

am Unterthor ein reben-

bewohnte.

Kaum

geweckte Knabe das gebrochene Faß

hatte

erblickt,

ein Wort zu sagen heim lief um andere

der auf­

als er, ohne

Reife zu holen

und seinen Vater, der ein geschickter Handwerksmann war, herbeizurufen.

Schleunig legten die Beiden Hand an, und

nach wenigen Augenblicken waren die Reife wieder befestigt,

der Schaden gut gemacht und das

Fäßchen glücklich im

Keller untergebracht. Der Herr Diakonus lud hierauf die beiden Helfer in

der Noth freundlich ein in die Wohnstube einzutreten und

101 that es nicht anders, sie mußten eine Flasche Clevener mit ihm leeren.

Der Küfermeister konnte sich nickt lange

aufhalten, sein Geschäft rief ihn nach Haus; sein Sohn

Andreas hingegen mußte noch bleiben, und der Herr Dia­ konus fand

ein

Wohlgefallen an ihm.

herzliches

Denn

der Knabe hatte einen aufgeweckten Sinn; sein Gesicht war

offen und liebenswürdig, und seine Antworten zeugten von einem gesunden Urtheil. Darum lud ihn Diakonus Brauer

ein, ihn am folgenden Tage wieder zu besuchen und gewann ihn in kurzer Zeit so

lieb, daß

der Knabe

gesehener Hausgenosse täglich bei ihm

als ein gern

aus- und einging.

Der Diakonus unterrichtete ihn in den Sprachen, in der Mathematik, in der Erdkunde und auch in der Geschichte, und besonders

in

der

elsässischen

Vaterlandskunde, von

welcker er ein großer Freund war. Unter seiner umsichtigen Leitung machte der Küferssohn die schönsten Fortschritte

und seinem Lehrmeister die größte

Ehre.

Das stellte sich

in nicht allzulanger Zeit deutlich heraus. Etwa ein Jahr nachher kam nämlich ein Mann nach Münster, von dem Lobe dessen Gelehrsamkeit ganz Europa

damals erfüllt war. Es war dies der berühmte Geschichts­ forscher Johann Daniel Schöpflin, dessen Familie das Münsterthal

bewohnte.

Schöpflin

hatte

nämlich

einen

Bruder Joseph, der ,im Jahre 1738 mit dem baslerischen

Buchdrucker I. Decker sich

verbunden und eine Papier­

fabrik *) in Lutenbach bei Münster errichtet hatte. Schöpflins Vater, der früher markgräflicher Einnehmer in der oberen

*) Anm erkung. Die Familie Decker existirt noch als eine bekannte Buchdruckerfamilie in Kalmar. Auch in Mümpelgard sind Decker, gleichfalls Buchdrucker. — Die Papierfabrik Schöpfli n°D ecker in Lutenbach ging später an die Gebrüder Kiener aus Kalmar und zuletzt, durch Heirath, an den Herrn Papierfabrikanten Braun über.

102 Markgrafschaft Baden war,

hatte

anlassung in Mühlbach angesiedelt, (er und seine Frau sind

Pfarrer geheirathet,

dieser

aus

Ver­

dem dortigen Kirchhof be­

auf

graben), und seine beiden Töchter thäler

sich

woselbst er auch starb

die

hatten zwei Münster­

ältere den

Johann Karl Eccard, oder wie sich

Oberpfarrer

der Name heut­

zutage schreibt, Eckard, Stadt- und Oberpfarrer zu Mün­

ster,

die

jüngere

Brauer, aus

den

Diakonus

Andreas

der später nach

Sundhofen

dortigen

Reichenweier,

versetzt wurde und in einem hohen Alter Hunaweier starb.

als

Pfarrer zu

Um seine Familie im Thale zu besuchen,

kam daher der berühmte Schöpflin von Zeit zu Zeit nach Münster.

Im Hause seines

die Geschichte

des

Schwagers Brauer hörte er

Wunderfäßchens erzählen;

dieselbe

gefiel ihm so wohl, daß er begierig ward, den aufgeweckten Küferssohn kennen zu lernen.

Andreas Lamey wurde ihm

die Antworten des

vorgestellt, und Scköpflin wurde durch aufgeweckten Knaben so befriedigt, daß

danke in ihm

aufstieg,

denselben

Riesenarbeit zu verwenden, seines Lebens beschäftigte.

einer vollständigen,

alsobald der

als

die ihn

Ge­

Gehülfen bei der

volle

dreißig Jahre

Schöpfflin nämlich arbeitete an

auf urkundlichen Quellen beruhenden

Geschichte des Elsasses, von den ältesten Zeiten an, bis zu seinem (dem achtzehnten) Jahrhundert.

werk, dessen erster Theil im Jahre

Sein Geschichts­

1751 in Kolmar bei

I. Decker erschien, und dem zehn Jahre später der zweite Folioband nachfolgte, ist weltbekannt geworden unter dem

Namen das Erläuterte Elsaß*).

Da es

eine wahre

Riesenarbeit war, die Schöpflin unternommen, eine Arbeit, *) Anmerkung.

Schöpflins

Werk

ist

eigentlich lateinisch

geschrieben und trägt den Titel: Alsatia illustrata (das erläu­ terte Elsaß). Im Jahre 1849—1852 erschien zu Mülhausen eine

französische Uebersetzung desselben von Navenez.

103 die

eines

Weitem

gewöhnlichen

so

überstieg,

von Herzen froh,

Menschen Leben und Kräfte bei war

der

Geschichtsforscher

große

einen Gehülfen zu

bekommen, der ihm

einen Theil der Last abnehmen würde.

Er bat daher seine

beiden Schwäger, Eccard und Brauer, den hoffnungsvollen Jüngling noch ferner zu unterrichten.

treulich, und

nach etlichen

jungen Freund nach

Sie thaten das ge­

Jahren ließ

Schöpflin seinen

Straßburg kommen; derselbe wurde

ihm bald als Hausgenosse und als

Gehülfe unentbehrlich.

Er schickte ihn häufig in das Ober-Elsaß, theils um dort Nachforschungen

zu machen, theils

um

Urkunden

abzu­

schreiben, oder auch um die reichen Archive der Städte und

der Klöster zu

durchsuchen.

Lamey schrieb mehrere Ma-

nuscripte in Kolmar und in Münster ah, und jedesmal

wenn er ins schöne Münsterthal kam, war es ein Freuden­ tag für seinen väterlichen Freund

und Gönner, den, wür­

digen Diakonus Brauer.

Endlich kam das Riesenwerk, an dessen Abfassung Lamey keinen geringen Antheil hatte, zu Stande, und die Alsatia

illustrata, die Fundgrube der elsässischen Vaterlandskunde, das unvergleichliche Werk, das Schöpflins Name unsterblich

gemacht hat, erblickte das Licht der Welt.

Um dieselbe Zeit wo

solches

geschah, im Jahre 1754,

war noch ein anderer Gast ins Münsterthal gekommen, und hatte seinen einstweiligen Wohnsitz in der Papierfabrik

von Lutenbach genommen. als

der

berühmte

Es war dies kein geringerer

Freigeist Voltaire*),

aus Frankreich.

*) Anmerkung. Vergleiche über den Aufenthalt Voltaires im Münsterthal und später in der Nähe von Straßburg die fran­ zösische Schrift von Neyremand: S6jour en Alsace de quelques hommes celebres. Extrait revu et augmentd de la Petite Gazette d’Alsace, publiöe par M. de Neyremand.Colm. 1861. Ferner Straßburger Zeitung: Voltaire im Elsaß. (5. Februar 1874 Nr. 30 und folgende Nummern.)

104 Derselbe war seiner freien Reden und Schriften wegen aus seinem 'Vaterlande verbannt worden; er war ins Elsaß

gekommen und wollte sich zuerst in Horburg, niederlassen.

bei Kolmar

Schon hatte er Unterhandlungen wegen dem

Kaufe des dortigen, den Grafen von Württemberg gehörigen Schlosse angeknüpft, als er von dem Jesuitenpater Crust in Kolmar angefeindet und verfolgt wurde. Derselbe hatte, wie man behauptete, seinen Obern das Gelübde abgelegt,

nicht zu ruhen bevor er

den gottlosen Voltaire aus dem

Elsaß vertrieben hätte.

Hierauf zerschlug sich

die Sache

in Horburg wieder.

Während seinem Aufenthalte in Kol­

mar und Umgegend,

erfuhr Voltaire,

daß

Herr Joseph

Schöpflin eine Papierfabrik in Lutenbach besäße und da er aus derselben Papier für den Druck einer seiner Schriften,

die Reichsannalen (les Annales de FEmpire) beziehen

wollte, so beschloß er hin zu reisen. Er kam demnach im Herbste des besagten Jahres ins Münsterthal und blieb während einigen Monaten in Luten­

bach.

Er lebte auf der Papierfabrik wie ein Einsiedler,

sah keine Menschenseele, konnte auch, weil er nicht deutsch

verstand, mit Niemanden verkehren und langweilte sich ent­ setzlich.

Am

Tage

machte

er Einsame Spaziergänge in

den grünen Tannenwäldern; Abends spielte er Schach mit

einem' Franzosen Namens Bellon, dem einzigen mit dem er

in seiner Muttersprache verkehren konnte.

Solches Leben

scheint aber auf die Länge dem französischen Philosophen nicht

zugesagt zu haben, denn er packte seine sieben Sachen wieder

zusammen, und zog später nach Ferney, in die Nähe von Genf.

Während diese Dinge

sich

im Münsterthal

zutrugen,

setzte Andreas Lamey seine arbeitsame aber ehrenvolle Lauf­

bahn wieder fort.

Der Churfürst von Baden (aus einem

Markgrafen wurde der badische Fürst später ein Chur­

fürst und zuletzt, zu

Anfang

dieses Jahrhunderts, ein

105 Großherzog) hatte Schöpflin, der ein geborner Badenser war*), beauftragt, die Geschichte der Markgrafschaft Baden und der Herzoge von Zähringen, der ursprünglichen Landes­ herren, zu schreiben. Schöpflin machte sich auch an diese Arbeit, in welcher Lamey ihn wiederum aufs Treulichste

unterstützte. Auch der Churfürst Karl Theodor von der Pfalz, wünschte für sein Land ein ähnliches Gesckichtswerk zu besitzen, und ließ bei Schöpflin anfragen, ob er noch die Kraft hätte, sich einer solchen Arbeit zu unterziehen. Doch dieser, der schon im höhern Lebensalter stand, fühlte sich dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen; er schlug aber dem Churfürsten vor, zur Erreichung seines Zweckes, eine gelehrte Gesellschaft in Mannheim zu gründen, welche Fachmänner beauftragen würde, die, nöthigen Urkunden in der ganzen Pfalz zu sammeln. Der Churfürst befolgte diesen weisen Rath, und auf diese Weise wurde die churfürstlich-pfälzische Akademie der Wissenschaften in Mannheim ins Leben gerufen. Schöpflin wurde zum Ehren­ präsidenten derselben ernannt, und sein jüngerer Freund Lamey, aus Münster, zum beständigen Schriftführer. In Folge davon siedelte sich Lamey in Mannheim an **), und veröffentlichte in seiner neuen Lebensstellung eine Menge von gelehrten und gemeinnützigen Aufsätzen. *) Anmerkung.

Johann Daniel Schöpflin war den

7. September 1694 in Sulz bur g, in der obern Markgrafschaft

Baden geboren. hause, auf dem

Er starb zu Straßburg, in seinem KanonikatsThomasplatz

(am

Eck der Schuhmachergasse) den

7. August 1771. Das Haus sollte, um dieser geschichtlichen Erinne­

rung willen, mit einer Gedenktafel versehen werden. **) Anmerkung. Der Name Lamey kommt noch heutzutage im Badischen vor. Auch im Münsterthale ist er nicht ausgestorben.

106 So stieg der schlichte Küferssohn aus Münster von einer Ehrenstufe zur andern empor, und wurde allmählig in ganz Europa als eine wissenschaftliche Größe bekannt. Doch ein schöneres Verdienst noch um die Menschheit hat sich Andreas Lamey erworben; er hat, als ein Kind des Friedens, einen blutigen Krieg zwischen zwei großen Völ­ kern verhütet, und der Wahrheit zu ihrem Rechte verholsen. Das aber ging folgendermaßen zu. Den 30. Christmonat 1777 hatte der Churfürst von Bayern Marimilian Joseph, das Zeitliche gesegnet, ohne Kinder zu hinterlassen, ©ein nächster Erbe war Karl Theodor, Churfürst von der Pfalz, Lameys Landes­ herr, welchem alle Länder des Hauses Wittelsbach von Bayern als rechtmäßiges Erbe zufallen sollten. Allein Kaiser Joseph II. erhob seinerseits Ansprüche auf sehr be­ deutende Theile des Landes und stand auch im Begriff die­ selben mit bewaffneter Hand in Besitz zu nehmen. Doch der alte Fritz, Preußens greiser Heldenkönig, legte Ein­ sprache dagegen ein, weil das lhaus Habsburg in früheren

Zeiten durch einen feierlichen Vertrag und gegen entsprechende Vergütungen dieser Erbschaft entsagt hatte. In der Hof­ burg zu Wien stellte man diese Behauptung in Abrede, und läugnete das Daseyn einer solchen Urkunde. Joseph II. erklärte er sehe bereit allen seinen Ansprüchen zu entsagen, wenn ihm das Dokument, auf das sich der König von

Preußen und der Churfürst von der Pfalz beriefen, vor­ gewiesen werden könnte. Unglücklicherweise fand sich dasselbe nicht mehr vor, denn als man auf dem Archiv in München Nachforschungen anstellte, fand sich die wichtigste Urkunde nirgends mehr vor. Die Sachlage wurde immer ernster; der alte Fritz zog mit seinen Preußen nach Schlesien; die kaiserliche Armee, unter der Führung des kriegstüchtigen Feldmarschalls Laudon, rückte nach Böhmen vor. Zu

107 einem ernsten Treffen war es zwar noch nicht gekommen; allein täglich fanden kleine Scharmützel statt, und wie zwei gewitterschwangere Wolken standen die beiden feindlichen Heere einander gegenüber, und es schien der Ausbruch eines Krieges bevorzustehen, der über Deutschland unsägliches Elend gebracht, und ganz Europa in Flammen versetzt hätte. Da verbreitete sich mit einem Male die wunderbare

Mähre, die wichtige Urkunde sehe ganz unerwartet gefunden worden. Der glückliche Finder derselben, der ein Friedens­ engel für zwei Völker geworden, war kein anderer, als der schlichte Küferssohn aus Münster, Andreas Lamey. Lamey war nämlich einst von einem adelichen Freunde, dem Freiherrn von Senkenberg aus Darmstadt, gebeten worden, eine ganze Kammer voll alter Familienpapiere in Ordnung zu bringen. Er machte sich unverzüglich an die mühsame Arbeit, und da der Vater des Freiherrn früher Reichöhofrath in Wien gewesen war, fanden sich unter seinen Papieren auch mehrere wichtige Dokumente vor, welche sich auf das deutsche Reich bezogen, und unter anderm die wichtige, längst gesuchte Entsagungsurkunde, die man längst verloren geglaubt. Als der Streit um die bairische Erbfolge seinen Anfang nahm, machte Lamey den Baron von Senkenberg auf die Urkunde aufmerksam; es wurden in aller Eile Abschriften davon genommen und gleichzeitig nach Wien und Berlin geschickt, und nach langen Verhand­ lungen kam zuletzt die Wahrheit ans Licht. Das Recht

der pfälzischen Ansprüche wurde anerkannt, und es kam schließlich den 13. Mai 1779 der Friede von Teschen zu Stande. Durch diesen Frieden wurde unsäglicher Jammer von zwei blühenden Ländern abgewendet, Ströme von Menschenblut gespart und Tausenden von Sterblichen, Gebornen und Ungebornen, das Leben erhalten. Und diesen Frieden verdankte die Welt, nächst dem Rathschluß Gottes,

108 der Alles wohl und weislich regieret, dem schlichten Küfers­ sohn aus Münster, dessen herrliche Anlagen durch ein Fäßchen ans Licht gefördert wurden. Diese ganze Geschichte hat der Pfarrer Luce aus Münster, auf eine unnachahmliche Weise in dem Alsatischen Taschenbuch für das Jahr 1807 erzählt, unter dem Titel: Die Wunder des Fäßchens oder der Abend zu Hunaweyer. Pfarrer Lucs kam näm­ lich als Kandidat der Theologie, auf einer Fußreise durch die Vogesen, über Markirch und Altweier nach Hunaweier,

wo er seinen älteren Freund, den trefflichen Andreas Brauer, Schöpflins Schwager, der Pfarrer zu Hunaweier war, besuchen wollte. Er traf im dortigen Pfarrhause eine heitere Gesellschaft an, welche das fünf und sechzigjährige Geburtsfest des geist- und gemüthvollen Pfarrherrn feierlich beging. An diesem Festabende erzählte der liebenswürdige Greis die Wunder seines noch vorhandenen Fäßchens, und faßte die ganze merkwürdige Geschichte in einen Lob­ gesang auf Gott und seine anbetungswürdige Weltregierung zusammen. Der Münsterthäler Dichter Johannes Bresch, auch ein Sohn des Volkes, hat diese Geschichte in seinen Vogesenklängen poetisch verwerthet in drei Gedichten, welche die Wunder des Fäßchens verherrlichen. Er sagt darinnen: So führte einst ein Fäßchen, das dort zerbrochen lag Ein Kind aus dunkelm Volke herauf zum lichten Tag; Und gab der Welt, zur Achtung, den Denker und den Geist, Und zeigt' wie oft so Großes am Kleinen sich erweist. Das Fäßchen war gefertigt aus einem Eichenstamm, Den auf des Wasgaus Höhen ein Blitz zerschmettern kann;

Ein Küfer hat die Splitter für's Fäßchen sich erwählt; Das Holz durst' er nicht fällen, der Himmel hat's gefällt.

Wer war der Held des Fäßchens? so fragt ihr wohl dabei: Der wackre Sohn des Küfers hieß Andreas Lamey.

109 Zu Münster an dem Thore stand seines Vaters Haus, Doch tönt der Schlag des Küfers schon lang nicht mehr heraus, Das Haus ist abgebrochen, der Küfer ging ins Grab;

Man senkte auch den Helden des Fäßchens längst hinab.

Zu Mannheim fand er Ruhe, dort steht sein Leichenstein, Es soll darin gehauen ein kleines Fäßchen seyn. Ich rief dich von den Todten mit einem schlichten Sang, Du Held des Wunderfäßchens beim hellen Harfenklang;

Ich sang das Lied zu Ehren, dir Brauer, dir Lamey!

Dir Schöpf!in soll es tönen! Uns Enkeln ist es neu.

Um

dies

Kapitel

mit

dem Namen eines berühmten

Mannes *) zu schließen, dessen Aufenthalt im Münsterthale demselben zur Ehre gereicht, bemerken wir noch, daß der bekannte

straßburgische

Kanzelredner

Johann

Lorenz

Blessig seine erste Predigt auf der Emm, im Großthal,

gehalten hat. *) Anmerkung.

Hier ist noch zu erwähnen, daß der bekannte

gemüthvolle Botaniker Friedrich

Kirsch leger, der mit seinen

Schülern eine Art Vogesenklub gebildet hatte und die interessantesten

Punkte des Wasaaus durchzog, das Licht der Welt in 'Münster erblickte.

Er ist auch als Schriftsteller bekannt; seine Flore d’Al-

sace enthält viel Interessantes, und als Magister Friedreich, schrieb er manchen hübschen Aufsatz in das Samstagsblatt und

in den Niederrheinischen Kurier.

Kapitel VIII.

Nie Sturme der französischen

Das weltgeschichtliche Ereigniß, welches am Ende des vorigen Jahrhunders ganz Europa in Brand versetzte und die ungeheuersten Umwälzungen nach sich zog, war die französische Revolution. Auch das Münsterthal wurde tief davon berührt und machte mit dem übrigen Elsaß jene Sturm- und Drangperiode durch. Schon am 25. Juli des denkwürdigen Jahres 1789 kam die Kunde von der Einnahme der Bastille, des berüch­ tigten Pariser Staatsgesängnisses, nach Münster, und wurde von vielen Bürgern mit dem lautesten Jubel begrüßt. Doch der Rückschlag dieser Begebenheit wurde bald im Thale fühlbar, denn am folgenden Tage schon, brach auch eine Revolution im kleinen Maaßstabe, im Münsterthal aus. Die Bauern aus Sondernah kamen in Haufen, stark angetrnnken, mit Sensen, Knütteln und Aerten bewaffnet, nach Münster, um die dortige kleine Bastille, nämlich das

Rathhaus, zu erstürmen und dem königlichen Prätor, einem Herrn von Barth, den Garaus zu machen. Glücklicher­

weise war derselbe abwesend; doch die beiden Bürgermeister der Stadt geriethen in die Hände der wüthenden Bauern,

111

welche sie arg mißhandelten und sie getödtet hätten, wenn nicht einige beherzte Bürger, mit eigener Lebensgefahr, sie aus den Händen der Rasenden befreit hätten. Mit genauer Noth entkamen die Bürgermeister und flohen nach Kolmar; der Rath der Stadt aber, der keinen Vorstand mehr hatte, löste sich sofort auf. Woher kam die Erbitterung der Son­ dernaher? Im Jahre 1770 hatte der Rath zu Münster, auf den Vorschlag des königlichen Prätors, eine Verordnung erlassen, nach welcher die Thalbewohner nicht mehr willkührlich, wie bisher, das Holz dessen sie bedurften, in den Waldungen holten, sondern die Gemeinden darüber zu verfügen und jedem Bürger sein Loos zuzuweisen hätten. Darob ent­ stand, bei den Thalbewohnern, welche in dieser Verordnung

eine Beschränkung ihrer Freiheit erblickten, ein gewaltiger Unwille, der sich gegen den allgemein verhaßten französischen Prätor richtete, und durch den oben erwähnten Tumult sich Luft machte. Durch die Auflösung des ehemaligen Rathes waren Stadt und Thal ohne Oberhaupt und Verwaltung.

Deswegen versammelten sich die vornehmsten Bürger der Stadt und der Thalgemeinden zu Münster und beschlossen, nach alter väterlicher Sitte und Weise vereint beisammen zu bleiben mtb eine gemeinsame Verwaltung, wie vor Alters, beizubehalten. Nur die Sondernaher sonderten sich ab und wollten eine selbständige Gemeinde bilden. Ohne auf ihre Widerreden zu achten, schritten die versammelten Bürger zur Bildung eines provisorischen Gemeinderathes, welcher einstweilen die laufenden Gescbäfte besorgte. Diese Wahl geschah in Gegenwart des Generals von Witt inghofen, den Ludwig XVI. ins Münsterthal geschickt hatte, um darin die Ruhe wiederherzustellen. Es wurden nun in den zehn Münsterthäler Gemeinden, die aber nach außen

112 hin als ein unauflösliches Ganze vereinigt blieben, zehn Maires ernannt, deren Oberhaupt der Maire von Münster,

Andreas Hartmann, wurde, ferner bezeichnete man eine gewisse Anzahl von Munizipalräthen. Zwei Mal jeden Monat, den ersten und den fünfzehnten, versammelten sich diese Maires, jeder begleitet von zwei seiner Gemeinderäthe, in Münster zu einer gemeinschaftlichen Sitzung. Man ging dann alle Rechnungen durch, die aus einer gemeinsamen Kasse flössen, man prüfte alle Vorschläge, man besprach alle Gemeindeangelegenheiten. Mehrere Jahre lang wollten sich die Sondernaher in die neue Ordnung der Dinge nicht fügen; sie fuhren fort auf eine unverantwortliche Weise die Waldungen zu verwüsten und wollten sich gänz­ lich von den übrigen Thalgemeinden trennen; ihr Treiben wurde zuletzt so toll, daß die Obrigkeit gezwungen wurde, Maßregeln gegen sie zu ergreifen; schließlich fügten sich,

wohl oder übel, die Widerspenstigen in das Unabänderliche. Und wie erging es mittlerweile den guten Klosterleuten? Noch arbeitete man an dem Prachtbau der Prälaten­

wohnung, die ein wahrer Palast zu werden versprach, als der Ruf nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, wie die schwunghafte Sprache der damaligen Patrioten lautete, von den Ufern der Seine erscholl, und der Klosterherrlich­ keit in Münster ein Ende machte. Wie Spreu im Winde, so zerstreuten sich die Mönche, den Abt an der Spitze, in alle Himmelsgegenden, und im Münster sah man die geist­ lichen Herren niemals wieder. Der Abt flüchtete sich mit einem Theil der Mönche nach Jnsbruck, in Tyrol, und nahm das reiche Archiv mit seinen werthvollen Urkunden mit sich. Das Kloster aber wurde als Nationalgut mit Beschlag belegt und im Jahre 1793 öffentlich versteigert. Viele Bürger aus Münster kauften um einen Spottpreis Theile des Klostergebäudes; das sogenannte Prälaten-

113 Haus, dessen Fronte noch jetzt dem Marktplatz von Münster zur Zierde gereicht, ist heute im Besitz der Herren Eckaro

und Jakob Hartmann. Im Jahre 1796 wurde in den alten Klosterräumen ein Militärspital errichtet. Die Kirche der Abtei stand noch bis zu Anfang dieses Jahrhunderts, dann wurde sie abgebrochen; ihre Materialien dienten zum Bau der beiden schönen Häuser Christmann und Luc6. Der Thurm der Klosterkirche blieb, als ein ehrwürdiger Zeuge ver­

gangener Tage längere Zeit stehen, bis auch seine Stunde schlug; im Jahre 1842 wurde er abgetragen. Heute noch heißt der ausgedehnte, ein weitläufiges Ganze bildende Raum der alten Abtei von Münster, das Kloster; es ist das Stadtviertel der Arbeiterbevölkerung. An die Zeit der Klosterherrschaft erinnern noch der Herrenberg im Groß­ thal, und der Abtswald, der sich hinter Ampfersbach, im Kleinthal erhebt, und am Abhang der Straße der Schlucht sich hinzieht; diese ehemalige Klosterwaldung ist im Besitze der Familie Hartmann. Daß im Münsterthale die französische Revolution mit tiefen Spuren in das Volksleben eingriff, läßt sich geschicht­ lich nachweisen. Wenn die heißblütige Jugend die neue Zeit mit lautem Jubel begrüßte, und in der ersten Begeiste­ rung bereit war Gut und Blut zur Vertheidigung des Vaterlandes dran zu geben, so schüttelten der gereifte Mann und der erfahrene Greis bedächtig das Haupt und weis­ sagten dem jüngeren Geschlechte den Verfall alter Zucht und Sitte im Münsterthale; ja viele religiös angeregte Gemüther sahen in den welterschütternden Ereignissen, die Schlag auf Schlag aufeinander folgten, den Anbruch der letzten Zeiten und das Kommen des Antichristen. Wir theilen hier unten Auszüge aus zwei Tagebüchern jener bewegten Zeit mit; das eine ist von Friedrich «

114 Wilhelm Michel (1768—1837), der während vierzig Jahren Schulmeister in Sultzern war, das andere ist von

Friedrich Bernhard Balzweiler (1773—1850), dem ersten Pfarrer und Seelsorger in Sultzern. Der Schulmeister Michel, ein frommer Mann, schreibt in seinem kurzen Tagebuche über die französische Revolution Folgendes:

„1789 traf die Revolution ein; ich glaubte Ursache zu „haben und trat aus der Lehre, und ging freywillig unter „die Truppen oder Vaterlandsvertheidiger, unter welchen „ich sechs Wochen weniger als sechs Jahre blieb, wo ich „in jenen gefährlichen Zeiten, durch Gottes Schutz und „unverdiente Gnade, unbeschädigt wieder nach Hause kehrte, „auf eine merkwürdige Weise, welche ich noch jetzt be„wundere und dafür Gott meinen Heyland preise." Michel war ein gottseliger Mann, davon legen folgende Sätze aus seinem Tagebuch ein schönes Zeugniß ab: „Im Jahre 1800, den 9. Hornung, wurde ich von der

einstimmig „gewählt, in welcher ich aber nur eine Woche Schul„meister war, indem am Freytag dieser Woche, der Schul„meister von Sultzern, Georg Köbele, starb, und ich „wurde am Sonntag darauf, nach dem Vormittagsgottes„dienst, von den Bürgern der Gemeinde Sultzern zu ihrem „Schulmeister durch die Mehrheit gewählt, in welcher An„stellung ich nun acht und dreißig Jahre (er schrieb diese „Worte im Jahre 1833) angestellt bin. — Der Herr mein „Gott, und durch Jesum Christum versöhnte Vater, wolle „meine Schwachheiten und Vergehungen im Schuldienst und „als Christ, mir um seines lieben Sohnes Jesu Christi „willen, verzeihen und vergeben, und in den Abgrund „seiner Barmherzigkeit versenken! — Mein Leichentert soll „Gemeinde Stoßwihr zu ihrem Schulmeister

115 „seyn Luk. 23 V. 46:

„deine Hände!

Vater, ich befehle meinen Geist in

Das Gesang:

Herr, meinen Geist befehl ich dir,

Im Leben und im Sterben u. s w."

Diese Auszüge genügen, um dem geneigten Leser zu

zeigen, welches Geistes Kind "ber alte, ehrwürdige Schul­

meister von Sultzern war, der unter dem Volk (den Sol-

daten) das Beten gelernt hatte.

Sein Andenken steht noch

heutzutage in Sultzern im Segen. Sein Pfarrherr, Friedrich Bernhard Balzweiler,

war ein Geistesverwandte seines Schulmeisters. Aus seinem reichhaltigen, in seiner Familie

wie ein Heiligthum auf­

bewahrten Tagebuche, entnehmen wir folgende interessante

Stellen, die zugleich

als

ein

Beitrag

zur Revolutions­

geschichte im Münsterthale dienen können:

„In dem Jahr 1793 wurde ich

als Pfarrer in das

„Münsterthal berufen, nemlich von den Gemeinden Sultzern, „Stoßwihr und Ampfersbach. „Advents-Sonntag dieses

Die Wahl ging am ersten

obgemeldeten Jahres vor.

In

„diesen Gemeinden, worinn die Anzahl der Seelen sich über

„2000 (heutzutage über

3000)

„Predigten nicht ohne Segen.

beläuft, sind nun meine

Der Herr steht mir bey,

„und ist mitten unter uns mit seinem Geist und mit seiner „Gnade,

wofür ich ihm herzlich Lob und Dank sage

„Der Monat Julius in diesem Jahr „mich

(und

„Monat.

alle

gläubige Christen)

ein

(1794) war für sehr

trauriger

Denn in demselben wurden alle gottesdienstliche

„Verrichtungen aufgehoben. Alle Priester wurden zusammen-

„geholt; einige kamen wieder los, Viele aber wurden ein„gesteckt.

Man schalt uns als Verführer des Volks.

Den

„28 July hielt ich die letzte Predigt, nemlich eine Leichen-

„predigt über die Worte:

Ich bin beydes, dein Pilgrim

„und dein Bürger, wie alle meine Väter. Psalm 39, V. 13.

116 „Gleich den andern Tag wurde ich durch die Gendarmen

„nach Kolmar geführt; alsdann mußten wir nach Straß„burg, wo man uns wieder nach Kolmar schickte und in

„das

Augustinerkloster *)

Endlich

einsperrte.

„wieder losgelassen, den 27. „zu meiner Gemeinde nach

wurde

ich

Augst, wo ich

dann wieder

Sultzeren gieng,

aber leider,

„wie andere Geistliche, nichts verrichten durfte. Die Kinder

„werden nun in

den

Häusern von den Eltern

getauft;

„Kirchen und Schulen sind geschlossen, bis (wie ich denke) „die Leute eine größere Lust und einen Hunger nach dem „Worte Gottes bekommen werden, denn nur das fehlt, und

„daher straft uns der gerechte Gott,

wie Off. 2, V. 5 zu

„lesen: Gedenke wovon du gefallen bist,

und thue Buße,

„und thue die ersten Werke. Wo aber nicht, werde ich dir „kommen bald, und deinen Leuchter wegstoßen von seiner „Stätte, wo du nicht Buße thust.



Betrübt ist jetzt,

„höchst betrübt, vor das kleine Häuflein der Gläubigen, „denn die stehn jetzt wie verlassen!

Wir halten uns aber

„fest an die schönen Verheißungen der heiligen Schrift und

„singen als die Traurigen, aber doch allzeit im Geist Fröh„lichen und in Gott getrosten: „Ein veste Burg ist unser

„Gott." „Ich kann nicht unterlassen noch diese merkwürdige Be-

„wahrung Gottes unsers Heilandes, mitten unter meinen

„Feinden, zur Zeit

der Verfolgung, bekannt zu machen.

„Die Jakobiner in jener Zeit, die hier in der Nähe wohn­ ten, halten mir völlig

den Tod geschworen und

ließen

„mich zu dem Ende ins Gefängniß führen, mit der Aus-

*) Anmerkung. Das ehemalige Augustinerkloster ist in ein Gefängniß verwandelt worden, wird aber noch vom Volk unter seinem alten Namen bezeichnet. Es befindet sich hinter dem Ge­ bäude des Appellationsgerichtshof, dem ehemaligen Sitze des Con­ seil souverain in Kolmar.

117 „sage:

Man würde mich hiör nicht mehr

„wurde ich

aber

doch

endlich zu

Nun

sehen.

Straßburg durch einen

„Volksrepräsentanten frei gesprochen.

Aus Furcht wagte

„ich es aber nicht am Tage nach Hanseln gehen, denn ich „wußte, daß wenn mich

nur Einer von diesen Menschen

„sehen würde, ich wieder aufs neue würde verfolgt und „von ihnen mißhandelt werden;

daher war es mitten in

„der Nacht, als ich in die Stadt Münster eingieng. „aber arretirte mich sogleich die

Hier

Wacht; man führte mich

wie erschrack ich! — hier sah

„in die Wachtstube — und

„ich gerade zween meiner ärgsten Feinde, die als Chefs „hier seyn mußten.-

„Leben

Da dachte ich:

lassen müssen!

„vorgab, er hätte einen Fanatiker

„Geistlichen

Jetzt wirst du dein

bestrafte

(denn man

Hier war

todtgeschlagen).

keinen,

der

oder Aristokraten oder

es

aber wo der

„Heiland mich auf eine recht wunderbare und mir selbst

„unbegreifliche

„herkäme?

Art bewahrte.

Ich sagte es.

„lesen; ich gab was ich

Man fragte mich

wo ich

Man begehrte meinen Paß zu in Straßburg bekommen.

Der

„Chef las, und als er an meinen Namen kam, buchstabirte „er daran, und konnte ihn gar nicht lesen, und sonst doch

„alles übrige, folglich kannten sie meinen Namen nicht. „Noch mehr aber; sie zündeten mir auch noch mit einem

„Licht ins Gesicht, indem mich zween Wächter hielten, aber „ihre Augen wurden gehalten, daß sie mich nicht kannten.

„Sie konnten also weder meinen Namen lesen, noch meine „Person erkennen, und ließen mich hierauf wieder weiter

„gehen.

Wäre nun hier mein Gott nicht gewesen, hätte

„mich sein Angesicht nicht geleitet, wär' ich nicht aus so „mancher

Angst

genesen.

Tausend,

tausendmal sey dir,

„liebster Heiland, Dank dafür!"

Diese Auszüge gewähren eine lebendige Anschauung in

den tiefen Ernst jener gewaltigen Zeit, in die damaligen

118 Nöthen und Aengsten, aber auch in die wunderbare Be­ wahrung Gottes, unter dessen mächtigen Schutze sie stehen,

und der zu den Gottlosen spricht: Bis hieher und nicht weiter! Es möge hier noch ein Zug aus der Revolutionszeit folgen, der ein Helles Licht auf die Glaubenstreue der Münsterthäler wirft. In dem Dorfe Sultzern, gerade der Kirche gegenüber, wohnte ein frommer Mann, Theobald Kempf, der „Büchsenmacher" genannt, weil er von Jugend auf mit Büchsen und Schießwaffen wohl umzugehen und dieselben, wenn sie gebrochen waren, zu repariren verstand. Als die Tage der Schreckenszeit kamen, und man die Sonntags­ feier verbot nnd dagegen die Dekadi einsetzte, blieb Kempf dem alten Glauben treu und fuhr ruhig fort den Sonntag

zu feiern; er hielt an demselben mit den Seinen Haus­ gottesdienst, las mit ihnen das Evangelium oder die Epistel des Tages, dazu eine gute Predigt und sang hierauf mit Heller Stimme ein Kirchenlied. Darob ward er zuerst ver­ spottet und verhöhnt; als er sich aber daran nicht kehrte, sondern in seiner gewohnten Weise fortfuhr, wurde er ver­ klagt und nach Münster ins Gefängniß geführt. Dort wurde er verhört und als man ihn wegen seines Unge­ horsams zur Rede stellte, gab er zur Antwort: „Den „Feiertag hat Gott in Seinem Worte eingesetzt, den Dekadi „die Menschen in ihrer Afterweisheit. Dieweil aber ge„schrieben steht: Man soll Gott mehr gehorchen als den „Menschen, so bleibe ich bei Gottes Wort und feiere den

„Sonntag." Hierauf entließ ihn der Richter als einen Sonderling und Psalterer, wie man im Thale spottweise die Sultzerer nannte. Daran kehrte sich aber der wackere Büchsenmacher

119 nicht, sondern ging fröhlich und getrost seines Weges, voll

Lob und Dank gegen Gottes gnädige Durchhülfe. Im Jahre 1795

wurde

der

öffentliche Gottesdienst

wieder erlaubt und die früheren Bedrückungen hörten all-

mälig auf.

Während den mörderischen Kriegen des ersten Kaiser­ reichs zogen viele Münsterthäler Söhne der französischen Fahne auf den blutigen Schlachtfeldern nach; viele fanden ein frühes Grab in fremder Erde, manche kamen, mit

Wunden bedeckt, oder als elende Krüppel, nach jahrelanger Abwesenheit, zu den Ihrigen, die sie todtgeglaubt hatten, zurück. Als die Alliirten in den Befreiungskriegen den Rhein überschritten, um den Krieg nach Frankreich zu

bringen, wurde auch das Münsterthal besetzt. Den 4. Jänner 1814 kamen hundert und fünfzig Mann bayerische Infanterie und nahmen ihr Quartier in der Stadt Münster. Den folgenden Tag kam der Befehl vom Hauptquartier in Kolmar, daß das Münsterthal eine Kriegscontribution von 30,000 Franken zu bezahlen hätte. Um eine Erleickterung zu erlangen, reisten zwei angesehene Bürger aus Münster ins russische Hauptquartier nach Basel und erlangten vom Großfürsten Konstantin eine bedeutende Ermäßigung.

Trotzdem empfand in jener Zeit der Drangsal das Münsterthal des Krieges Lasten und Nöthen, denn täglich kamen von Kolmar her bayerische clievau - lögers ins Thal, mit allerlei Forderungen und Requisitionen. Um die vielen Ansprüche befriedigen zu können, verordnete der Gemeinderath von Münster, daß die uralten Eichen, welche den Gipfel des Mönchberges und des Galgenberges krön­ ten und, wie die Sage ging, aus dem siebenten Jahr­ hundert stammten, abgehauen und das Holz öffentlich ver­ steigert würde.

120 Nach der Schlacht von Belle-Alliance (Waterloo) be­ setzte die österreichische Armee das Ober-Elsaß. Es kamen einzelne Truppenteile ins Münsterthal; auf der Pfister­ matt (in der Nähe des heutigen Bahnhofs) in Münster, schlugen sie ihre Zelte auf und wurden von den Bürgern mit Lebensmitteln reichlich versehen. Als in der Folge eine deutsche Occupationsarmee das Elsaß für mehrere Jahre besetzte, kam auch eine Garnison nach" Münster; die Municipalität ließ für dieselbe das große Gebäude vor der Stadt errichten, das noch heute unter dem Namen des badischen Hofes bekannt ist, und jetzt für Arbeiter­ wohnungen benützt wird. Das sind den Hauptzügen nach die Ereignisse jener wichtigen Zeit, die in ganz Europa so gewaltige Um­

wälzungen nach sich zog und in allen Verhältnissen des bürgerlichen und hes staatlichen Lebens neue Ordnungen und Zustände schaffte, von denen selbst die abgelegensten Gebirgsthäler berührt wurden.

Kapitel IX.

Nie neue Seit und wlw fte mit

ßrne&fe.

Die erste große Veränderung, welche die neue Zeit brachte, war das Eindringen der Industrie und der Bau von Fabriken im Münsterthale. Die älteste Fabrik in Münster stammt aus dem Jahre 1775; es war eine Kattun­ fabrik, deren Besitzer die Herren Herbster und Rigus waren. Zehn Jahre später trat ein Färbermeister aus Kolmar, Andreas Hartmann, in dieselbe ein; erhalte in Ungarn, in den Jahren seiner Wanderschaft, die Zube­ reitung der schönen hellrothen und der blauen Jndigofarbe kennen lernen, die damals im Elsaß unbekannt war. Durch seine Kenntnisse und seine Leistungen, machte er sich in der Fabrik bald unentbehrlich und im Jahre 1790 war er der alleinige Besitzer derselben. Er ist der eigentliche Begründer

des Fabrikwesens im Münsterthale; er erbaute bei dem sogenannten Graben, in der untern Stadt, eine große Kattunfabrik, nebst Färbereien, mit allem Zubehör. Herr Andreas Hartmann (gestorben 1837), wurde in seinen industriellen Bemühungen aufs Beste von seinen drei Söhnen, den Herren Jakob, Friedrich und Heinrich unterstützt; der älteste, Herr Jakob Hartmann, baute im Jahre 1818, die Baumwollspinnerei vor der Stadt, die ungefähr 1200

122 Arbeiter beschäftigt.

Eine aus Erde ausgeführte Wasser­

leitung führt das Wasser der Fecht von dem Vereinigungs­ punkte der beiden Bäche des beträchtlicher Höhe bis zur

Groß- und Kleinthales, in

Spinnerei

wo sich der

hin,

Kanal in zwei Arme theilt, und zwei große Räder in Be­ wegung

setzt,

die alle Maschinen treiben.

Hartmann stand mit

Herr Jakob

den berühmtesten französischen Zeit­

genossen in Verbindung. Im Jahre 1821 lud er den bekannten General Foy, einen der. bedeutendsten, zur Opposition gehörigen Redner

der Pariser Kammer zum Besuche ein, Ehren wurde die Stadt Münster

aufs

und

demselben zu

Glänzendste illu-

minirt. Die beiden anderen Brüder, die Herren Fritz und Hein­

rich Hartmann führten die Kattunfabrik zuerst fort; die­

selbe ging jedoch im Jahre 1857 ein. dem geschickten Chemiker

seinem Ableben

Löwel

Sie hatten sich mit

verbünden, welcher bei

einen namhaften Theil seines bedeutenden

Vermögens zur Gründung eines städtischen, für beide Con-

fessionen dienenden Spitals vermachte, mit der Bedingung jedoch,

daß

die Kranken

ausschließlich

von

evangelischen

Diakonissen besorgt würden.

Herr Fritz Hartmann gelangte zur hohen Würde eines Pairs von Frankreich; schönerte das frühere, von Barth gehörige

liegt.

er zog käuflich

an sich und ver­

dem ehemaligen königlichen Prätor

Haus, das

am Eingang

der Stadt

Gegen demselben über legte er den Schloß Wald

an, in dessen Mitte sich, umgeben von prachtvollen Park­

anlagen eine nach Schweizerart erbaute Meierei erhebt, die zugleich als Landhaus dient und eine reizende Aussicht ge­ währt.

Herr Fritz Hartmann starb kinderlos, während

sein Bruder Heinrich Fritz,

den

jetzigen

vier

Söhne hinterließ,

Bürgermeister

die

Herren

der Stadt Münster,

123 Herrn Henri, Herrn Alfred und den meist in England weilenden Herrn Jacques Hartmann. Das Beispiel der Familie Hartyrann fand bald Nach­ ahmer im Münsterthale; allenthalben erhoben sich Fabriken; die bekanntesten Fabrikanten des Münsterthals sind die Herren Johannes Kiener und Söhne in Günsbach, Gietzendanner , Egli, Pfeffer, Direktor der Fabrik Hirn und Jordan und Klein, im Großthal, sowie die Herren Jakob Immer und Söhne, Gebrüder Graf und Fritz Ertle, im Kleinthal*). Die zweite Veränderung, welche die neue Zeit dem Münsterthal brachte, war die Theilung des Gemeindegutes, Güter, Waldungen und Waidgänge, welche Jahrhunderte

lang ein unzertrenntes Ganze gebildet hatten. Bekanntlich halten die Stadt und das hintere oder sogenannte Gregorienthak mit seinen neun Thalgemeinden nicht nur eine gemeinsame Verfassung, sondern auch eine gemeinschaftliche Verwaltung. Alle Waldungen und Waidgänge waren ein ungetheiltes Besitzthum, ebenso waren die Einnahmen und die Ausgaben gemeinschaftlich. Als sich im Jahre 1793 neue Municipalitäten in Frankreich bildeten, und die Stadt

Münster zu einem Kantonorte erhoben wurde, da trat an Stelle des alten Raths der Maire mit einem neuen Municipalrath und aus jeder Thalgemeinde drei Vertreter. Dieselben begehrten den Fortbestand der alten Zusammen­ gehörigkeit und die Fortdauer der gemeinschaftlichen Ver­ waltung. Das wurde ihnen von der Departementalbehörde gestattet, und so bildete das Münsterthal, nach wie vor, in Frankreich einen kleinen Freistaat, dessen Verfassung einzig*) Anmerkung. Fabrik des

Zu erwähnen ist

noch

im

Herrn Köchlin, aus Mülhausen, der

sehr geschmackvoll eingerichtete, und

von

zeller geleitete Baumwollspinnerei besitzt.

Kleinthal

die

daselbst eine

Herrn Direktor Appen­

124

artig war und an diejenige des Val d’Andorre in den Pyrenäen erinnerte.

Indessen

wurde

man doch

in den

Regierungskreisen auf diese eigenthümliche Verhältnisse auf­ merksam, und im Jahre 1833 erließ der französische Mi­ nister des Innern eine Verordnung des Inhalts die Thei­

lung des gemeinsamen Vermögens vorzunehmen und jeder

Gemeinde den ihr zukommenden Antheil anzuweisen. Diese Theilung hätte auf eine friedliche Weise stattfinden können, allein, da die Menschen zu allen Zeiten und in allen Ländern

die gleichen sind, so kam es zu einem langwierigen Prozeß,

der im Jahre 1847, durch einen Machtspruch des Appell­ hofes von Kolmar zum Abschluß kam. Derselbe fällte das

Erkenntniß, daß sämmtliche bis dahin ungetheilte Gemeinde­

güter, nach Verhältniß der Seelenzahl der Gemeinden, im Normaljahre 1789, vertheilt werden sollten.

Somit war

dem langen Streit und Hader ein Ziel gesetzt. Jetzt bildet

zwar jede Gemeinde ein Ganzes für sich, allein die Stadt Münster ist dennoch , der Hauptort des

Thales geblieben,

und das Gefühl der Zusammengehörigkeit von Stadt und Thal, hat sich im Volksbewußtseyn lebendig erhallen. Das dritte Ereigniß, welches Bewegung und Leben ins einsame Münsterthal brachte, und die Verkehrsmittel bedeu­

tend erleichterte, war der Bau der schönen Bergstraße, die

unter dem Namen: die Straße ist.

In alter Zeit war das

der Schlucht bekannt

Münsterthal, im Gegensatz

zu den meisten übrigen Vogesenthälern, durch eine gewaltige

Felswand von Lothringen ganz abgeschlossen.

Die Natur

hatte hier gleichsam die

Reiche und

Grenzscheide zweier

zweier Völker deutlich bezeichnet; denn zwischen dem Münster­ thal und dem Herzogthum Lothringen erhob sich eine steile Granitwand, die Spitzen Felsen genannt.

Diese unzu­

gängliche Felswand streckt sich in einer Ausdehnung von über einer Stunde aus, von dem engen Gebirgspaß der

125 an (3450 Fuß über

Schlucht

Meeresfläche), bis

der

an den wilden Lundenbühl zur Linken und Altenberg zur Rechten;

die

dem hohen

Spitzen Felsen, die einen

grausigen Anblick darboten, gingen senkrecht hinunter in die Tiefe des einsamen Frankenthals.

Und war die Gegend

schon schaurig an sich, so war es die Umgebung nicht min­

der; dunkle Tannenwälder, hohe, kahle Felsmassen, gewal­

tige Berggipfel, an

deren Rande gähnende Abgründe sich

hinzogen und an die sich schreckhafte Sagen knüpfen, um­

gaben die Schlucht Linken der zwischen ragte

einsame

der Spitzen Hohneck

Da erhob zur

Felsen.

sein Riesenhaupt empor,

dem Rächsten-Bühl und dem Lunden-Bühl, da

zur Rechten der Wurzelstein

die Lüfte,

in

der

Felsenberg, von dem der Münsterthäler Dichter (Johannes

Bresch) singt: Auf dem Berge steht der Wurzelstein

Und schaut so finster ins Thal hinein

Von der Höh';

Dort sollen die Hexen vom Münsterthal Zusammen kommen die Woche zweimal.

Schon seit Jahrzehnten ging man im Münsterthal mit

dem Gedanken um, eine Kunststraße über die Schlucht an­ zulegen,

obwohl

man

sich

die

Schwierigkeiten

und die

Unkosten des Unternehmens keineswegs verhehlte. Endlich, im Jahre 1842, wurde der Bau angefangen, und zuerst der schwierigste Theil der Straße, die Strecke zwischen dem

Gebirgspaß der Schlucht und dem Altenberg in Angriff

genommen.

Das Haus Hartmann ließ

diese Strecke auf

seine Kosten durchbrechen; durch die Gewalt des Pulvers

wurden die Felsen gesprengt und ein von den Ingenieuren in den lebendigen Felsen gehauener Tunnel von 45 Fuß

Länge und 15

Fuß

Höhe, bezeichnet dem Wanderer die

Hindernisse, die es zu

überwinden

galt.

Von dort an

126 baute man die Straße abwärts und bis zum Jahre 1847 war dieselbe bis hinter dem Dorfe Sultzern vollendet, allein hierauf gerieth die Sache einige Jahre ins Stocken, zum Ersten weil bald darauf die Februarrevolution (1848) in Paris ausbrach, zum Andern, weil die Leute wegen dem Verkauf ihrer Aecker und Wiesen, durch welche die Straße sich hinziehen sollte, Schwierigkeiten erhoben. Endlich wurde die herrliche Kunststraße, welche von der Höhe der Schlucht bis nach der Stadt Münster eine Länge von vierthalb Stunden (17 Kilometer und 400 Meter) hat, zu Anfang

der fünfziger Jahre vollendet. Jetzt erhebt sich auf der Schlucht, noch auf deutschem Boden, ein in geschmackvollem Style erbautes Schweizerhaus, das seinen Ursprung einem. Besuche des Er-Kaisers Napoleon III. verdankt. Derselbe war nämlich den 24. Juli 1858 auf der Schlucht und machte von dort aus einen Besuch nach Münster. Darauf hin wurde von dem Hause Hartmann das Schweizerhaus, das sogenannte Chalet auf der Höhe der Schlucht, mit bedeutendem Kostenaufwand, auf einer Unterlage von Granit erbaut. Zwei Male noch wurde dasselbe vom entthronten Kaiser besucht und jetzt ist das Chalet, in dem eine empfehlenswerthe Restauration zu finden ist, nicht nur für die vielen Gebirgswanderer und Naturfreunde, sondern auch für eine löbliche Bürgerschaft von Münster, ein beliebter Ausflug geworden. Da die Schluchtstraße auch auf der lothringischen Seite fortgebaut ward, wodurch der Verkehr mit Remiremont und Epinal auf der einen, und mit SaintDie und Nancy auf der andern Seite vermittelt wurde, so gewann die Straße der Schlucht, hinsichtlich der Ver­ kehrserleichterung, eine ziemliche Bedeutung. Das vierte namhafte Ereigniß der neuen Zeit, das sich im Münsterthale zutrug, war der Bau einer Eisenbahn. Seit Jahren, und besonders seit der Vollendung der

127 Schluchtstraße, machte sich das Bedürfniß

einer unmittel­

baren und raschen Verbindung mit Kolmar und der Rhein­ ebene, immer mehr geltend.

Die schwerfälligen Verkehrs­

mittel per Achse waren zeitraubend und unbequem, und

eine Eisenbahn schien

Nach

ein dringendes Bedürfniß zu seyn.

langen Berathungen kam

endlich

Jahren der Bau einer Eisenbahn

zur

in

den sechziger

Ausführung;

da

keine großen Terrainschwierigkeiten, wie droben auf der Schlucht zu überwinden waren, so

ging das Unternehmen

rasch vorwärts, und nach achtzehn Monaten war die Eisen­

bahn, deren Betrieb die Stadt Münster übernahm, vollendet. Den 3. Christmonat 1868 wurde sie, wenn auch nicht, wie man sich erwartet hatte, feierlich eingeweiht, doch zum ersten

Male befahren.

Seitdem ist der Verkehr des Thales mit

der Ebene ein

viel

Durcb

die

bedeutenderer

Vereinigung

geworden als früher.

mit dem deutschen Reiche, dem

letzten, weltgeschichtlichen Ereigniß der Neuzeit, ist die Stadt

Münster wegen der Nähe der Grenze und ihrer Eisenbahn und der Schluchtstraße zu einem Hauptzollamt erster

Klasse erhoben worden; die Nebenzollämter befinden sich in

den Dörfern Metzeral, Ampfersbach und Sultzern.

Nachdem wir von den äußern Ereignissen geredet, die sich in der neuen Zeit zutrugen, müssen wir auch die Vor­

gänge erwähnen, welche uns einen Einblick in das Leben des Volkes im Münsterthale gestatten.

Wir glauben dies

am Besten thun zu können, wenn wir einige Auszüge aus dem Tagebuche eines höchst achtbaren und frommen Mannes aus Sultzern, des verstorbenen Herrn Theobald Ertle*),

*) Anmerkung. Derselbe war bei seinen Lebzeiten nur unter dem Namen Pfarrw olt bekannt. Er hatte nämlich eine der vier Töchter des ehrwürdigen Pfarrers Balz weil er, von Sultzern, zur Frau. Die Familie des Verstorbenen hat seine Papiere, so wie diejenigen des Pfarrers Balzweiler, wie ein Heiligthum auf­ bewahrt.

128 gewesenen Fabrikanten in Sultzern, miltheilen. Diese Aus­ züge zeigen wohl am Deutlichsten die Umgestaltung der Menschen und der Dinge, die sich in unsern: Jahrhundert

im Münsterthale vollzogen hat.

1816 und 1817. „Das Jahr 1816 fing gleich Frühlings an mit Kälte und Nässe, welche mit Regen und Schneewetter abwechselte.

Da kam der Mangel und Hunger zuerst unter das Vieh, das Futter war aufgezehrt und auf den Matten lag Schnee auf der Weide (im Monat May). Der Zentner Heu galt damals zehn Franken und war sehr selten mehr zu bekommen; es kam so weit, daß manches Vieh Tage lang nichts zu freffen bekam; es war betrübt das Vieh von einem Berg in den andern schreien zu hören und nach Nahrung schmachten und rufen. Da hörte man oft von den alten Leuten sagen: Wenn Hunger und Mangel kommen soll, so kommt er zuerst in die Krippe unter das Vieh und hernach unter die Menschen. — Die Witterung war den ganzen Sommer naß und kalt, so daß es jeden Monat auf den Bergen schneiete. Dies kündigte allenthalben Theuerung an, denn die Früchte konnten nicht zur Zeitigung gelangen. Der Sommerroggen und Haber ist auf dem Felde gestanden bis an den Wintermonat und viele Erdäpfel sind noch erfroren in der Erde. „Da nun einige Jahre vorher unser Land voll fremder Völker war, welche den gesammelten Vorrath zum Theil aufgezehrt hatten, so fieng gleich nach der Erndte Alles an, theurer zu werden und die Preise der Lebensmittel stiegen immer höher und höher, so daß im darauf folgenden Jahr 1817, in den Monaten Jenner, Hornung, Merz und April eine Theuerung war, welche vielleicht viele Jahr­ hundert nie erhört worden war und wovon man keinen

129 Bericht gelesen noch gehört hat.

Hier in unserm Elsaß

waren die Preise der verschiedenen Nahrungen folgende: „Ein Viertel Weizen galt

100 bis

110 Franken. —

Der Sack Erdäpfel 24 und 30, bis gegen 40 Franken. —

Das Pfund Butter wenig).

1

Franken

(damals

viel,

heute

Man kann sich vorstellen, daß das Fleisch uner­

hört theuer war, das gemeine Volk dachte nicht mehr an Fleisch zu kaufen, sie waren froh, wenn sie einige Erdäpfel

haben konnten. Viele mußten sich sogar mehrere Tage und

Wochen lang

mit

Brennesseln und

andern Feldkräutern

erhalten, um ihr Leben von dem Hungerstode zu erretten. — „Endlich wollten die armen Leute diesem Uebel abhelfen,

und fiengen an auszuwandern; sie verkauften Alles was-sie

hatten: Häuser, Güter, Hausrath und Lebensmittel, welche noch etwas hatten, in der Absicht nach Amerika zu reisen,

wo Alles im Ueberfluß sein soll; so

geschahe es, daß den

15. May 1817 sehr viele Familien aus unserm Münster­ thal, aus allen Dörfern, auch aus der Stadt sich reisefertig machten und fortzogen.

Sie ließen sich

auf dem Rhein

einschiffen und fuhren bis nach Koblenz und Köln, wo sie alsdann einsahen, daß sie betrogen waren.

Nun von aller

Welt verlaßen, kehrten sie wieder zurück; Viele hatten ihr Vermögen verzehrt; Verschiedene sind aus Ungeduld krank

worden und auch gestorben, ihre Lage war äußerst traurig und betrübt; man kann sichs vorstellen; in fremden Ländern

umherirren, in Scheunen und Ställen, oft auch in Feldern

und Wäldern übernacht sein, und noch dazu verspottet und

verhöhnt werden, wie es Einem da zu Muthe sein muß.

„Sie wollten der Hungersnoth und den Strafen Gottes entweichen, aber sie stürzten sich nur desto mehr ins Un­

glück.

Wer dem Arme Gottes entrinnen will, der betrügt

sich sehr, aber so ist des Menschen Herz; es ist ein trotzig

und verzagtes Ding; es will der Züchtigung des Höchsten v

130 nicht Unterthan sein und sich nicht unter die gewaltige Hand GotteS demüthigen. 1829-1830.

„Dieses Jahr fieng mit

Kälte an;

die Frühlings­

monate waren trocken, aber etwas kalt bis im Heumonat. Im August fieng es an zu regnen und regnete beynahe jeden Tag, dann und wann gab es wieder Sonnenschein und etliche warme Tage, daß man noch ziemlich Frucht und Ohmet einsammeln konnte. Allein durch fast immer­ währendes Regnen gieng es langsam damit, so daß das meiste vierzehn Tage bis 3 und 4 Wochen auf den Matten

liegen mußte. „ Am Michaelistage war nahe am Dorf viel Ohmet zu machen, und wurde auch am nehmlichen Tage vieles eingebracht, denn es waren einige warme Tage; allein, gleich Anfangs Oktober fieng es wieder an zu regnen und hernach zu schneyen, so daß in der Mitte Oktober auf den Dorfmatten, so wie in den Bergen, sehr viel Ohmt und Früchte drey bis vier Tag unter dem Schnee lag. „In Oberhütt (Hautes-Huttes) und im Hohrothberg (zwei benachbarten Gebirgsdörfern) lag an verschie­ denen Orten 3, 4 bis 5 Scbuh tief Schnee auf der Frucht, nämlich auf Weizen, Haber und Rocken (Roggen). „Da gieng es an ein Jammern und Klagen, da fieng man an zu sagen: Was werden wir essen, was werden wir trinken? was wird das bedeuten? u. s. f. Aber bey all' diesem Gerichte Gottes wollte dennoch Niemand über seine Sünden klagen und jammern; es gieng wie der Prophet sagt: „Du schlägst sie, aber sie fühlens nicht; du züchtigest sie, aber sie bessern sich doch nicht." Es war doch Niemand, der in sich gienge und Buße thäte vor dem Angesicht des Herrn.

131 „Bey allem Anscheine, als ob man die Früchte nicht mehr einsammeln könnte, so gab es doch wieder Anfangs Oktober schönes und warmes Welter. Es wurde noch Alles eingeerntet und durfte nichts über Winter außen

bleiben. „Nachdem nun bereits Alles eingesammelt war, so fieng es gleich nach Martini an kalt zu werden und dauerte unaufhörlich fort bis Anfangs Hornung 1830. „Diese Kälte, welche also 11 Wochen lang dauerte, stieg so hoch, daß keinem Menschen solche Kälte gedenkt. Es lag wenig Schnee auf der Erde, deßwegen drang die Kälte sehr tief in die Erde hinein. Es sind sehr viele Erdäpfel verfroren in den Gruben und fast in allen Kel­ lern, wo man noch niemals von Kälte etwas bemerkt hatte. Den 2. und 3. Hornung 1830 war die Kälte aufs Höchste gestiegen; sie erreichte 23 Grade hier im Münsterthal. Der Rhein war mit 6 bis 7 Schuh dick Eis ganz zugefroren, daß man mit Lastwagen ohne Furcht darüber fuhr. Das Klafter Buchenholz kostete in Kolmar 60 Franken (heu­ tiger Preis) und in Paris, heißt es, bis 200 Franken. Es gab allenthalben großer Wassermangel, daß man mit Vieh von einem Berg in den andern fliehen mußte, um Wasser zu finden, weil die Brunnen und Bäche fast überall zugefroren waren. „Es gab auch Mangel an Brod, denn es kam so weit, daß beynahe keine Mühle mehr gehen konnte und der Mehlvorrath gieng zu Ende; würde die Kälte noch länger gedauert haben, so hätte man kein Brod mehr bekommen können. Allein, den 7. Hornung 1830, fieng der Südwind an zu wehen (denn vorher war immer der Nordwind oben an (den 8. und 9. regnete es, und gieng ein warmer Wind und gab in einigen Tagen ein sehr großes Wasser, und so erfolgte doch wieder ein ziemlich fruchtbares Jahr.

132 Doch sind viele Nußbäume erfroren, die nachher verdorreten."

1847 und 1848. „Das Jahr 1847 war eins der fruchtbarsten und segensreichsten als man sich erinnern mag; alle Obstbäume, ausgenommen die Zwetschgen, hiengen so voll Früchte, daß sich dergleichen beynahe kein Mensch gedenken thut. Die Feldfrüchte, als Weizen, Korn, Gerste und Erdapfel waren

ganz besonders gut und kräftig. Wein gab es sehr viel und auch ziemlich gut, und weil das Spätjahr ausnehmend gut war und bis gegen den Christmonat gut und warm blieb, so gab es auch sehr viel Gemüse, als Rüben, Kraut, gelbe Rüben und dergl.; nur die Nahrung für das Vieh war, weil der Sommer etwas trocken war, nicht ganz gerathen und war daher etwas theuer. „Den 24. Heumonat hat die Frau Anna Maria Stöhr, welche schon mehrere Jahre vorher verrückt war, im Kalten­ born eine Scheuer angezündet und hat sich darin verbrennen lassen; es war an einem Samstag, gleich nach Mittag. Es war erschrecklich den verbrannten Körper anzusehen. „Den 17. Christmonat Abends um sieben Uhr zeigte sich eine Nöthe am Himmel, wie Blut, gegen Norden und Nordwesten. Aehnliche Erscheinungen zeigten sich noch etliche Mal den Winter hindurch, des Abends von 7 bis 9 Uhr. Was es bedeutet, wird die Folge lehren. Das Jahr 1848 war mit einem besondern Unglück bedrohet und beklaget; den 23. und 24. Hornung brach eine Revolution in Paris aus. Der König und seine Familie flüchteten nach England; in ganz Frankreich wurde die Republik ausgerufen. Da kam sogleich eine Stockung in Handel und Fabrikation; der Verdienst hörte auf; Tau­ sende von Menschen waren ohne Arbeit und somit ohne Brod; man war einige Monate in großer Furcht vor

133 einem Bürgerkriege.

Doch der liebe Gott hat solches ver­

hütet und wieder dafür gesorgt, daß

die armen Menschen

dennoch ernährt wurden, indem

alle Lebensmittel im

er

O möchte man Ihn nur recht

Ueberfluß geschenket hat.

innig dafür loben und Ihm alle Ehre geben. „In den Monaten März und April 1848

waren die

Preise der verschiedenen Lebensmittel folgende: Das Viertel Weizen galt 15

Viertel Korn 12 bis 14 Fr.

bis 4 Fr. —



bis

20

Fr..



Das

Das Viertel Erdäpfel 3

Der Ohmen Wein 7 bis 9 Fr. — Der

Zentner Heu 4 bis 5 Fr.

Gott wieder reichlich.

Dieses Jahr segnete der liebe

Alle Feldfrüchte geriethen ausneh­

mend wohl, ausgenommen Obst gab es nicht viel.

Wein

gab es viel und war vortrefflich."

Zum Schlüsse des Jahres 1848 hat der Chronist fol­ genden frommen Reim beigefügt, mit welchem auch wir

diese Auszüge seines Tagebuchs beschließen: So wechseln denn Zeilen und Jahren

So wechselt denn Glück und Gefahren. So wechselt auch Leben und Tod

Nur ohne Veränderung ist Gott!

SdifußßetrnAfungen. Wenn wir am Schluffe unserer Mittheilungen ange­ langt, einen Rückblick auf die geschichtliche Vergangenheit des Münsterthales werfen und dieselbe mit der Gegenwart

vergleichen, so finden wir eine große Verschiedenheit zwischen

der alten und der neuen Zeit.

Beide haben ihre gute wie

ihre schlimme Seite, also daß man keiner vor der andern

den Vorzug einräumen könnte,

allein immerhin bleibt ein

solcher Rückblick für den aufmerksamen Beobachter höchst lehrreich.

Die neue Zeit hat vor der alten den Vorzug, daß das leibliche Leben ein erleichtertes und

weniger beschwerliches

geworden ist als in früheren Jahrhunderten.

Durch die

Entstehung zahlreicher Fabriken ist mehr Geld unter die

Leute gekommen und der Verdienst ein leichterer und reich­ licherer geworden.

Allein das Fabrikwesen hat auch dem

Münsterthale manche Nachtheile gebracht; dadurch sind dem

Ackerbau viele Arme entzogen worden, dadurch haben auch die Armuth und das Elend in den letzten Jahrzehnten in einem erschrecklichem Maße zugenommen. leichter verdiente Geld ward

gabt;

Denn gerade das

auch leichter wieder veraus­

der Arbeiter hat jetzt viel

mehr Bedürfniffe als

früher; er hat sich angewöhnt seine Waare bei dem Krämer

135 voraus zu holen und somit Schulden zu machen, und erstaun­ lich ist es, wie im Grunde so wenige Fabrikarbeiter, bei reichlichem Verdienste, Ersparnisse machen. Wenn das Alter und die Krankheiten kommen, fallen fle meistens den Gemeinden zur Last*). Zum Andern ist der Aufenthalt in den Fabriksälen der Gesundheit nichts weniger als zuträglich und wenn man bedenkt, wie schlecht die Fabrikarbeiter sich nähren, wie Kraut oder Gum bisch**), Kartoffeln in der Schale und scharfer Münsterthäler Käse, ihre Hauptnahrung bilden, wie sie dann zur Steigerung der gesunkenen Kräfte sich an den Genuß des schädlichen Branntweins (und zwar von der

allergeringsten Sorte) gewöhnen, so nimmt es Einen nicht Wunder, daß das heutige Geschlecht, in körperlicher Be­

ziehung, viel elender ist als das frühere. In alter Zeit waren die Leute hartbeinig, wie sie im Thale sagen; neunzigjährige Greise waren keine Aus­ nahme; heutzutage sind die jungen baufällig (Thal­ ausdruck) und neunzehnjährige Greise mit blassen Wangen und eingefallenen Gesichtszügen sind keine Seltenheit. Wirklich ausfallend ist die Menge der an schwachen Nerven leidenden Frauen im Münsterthale und die Länge des *) Anmerkung.

Münster und in

Doch verdient erwähnt zu werden, daß in

Stoßwihr

gegenseitige

kranke Arbeiter vorhanden sind.

Unterstützungskassen

für

So viel uns bekannt, zahlt auch

das Haus Hartmann, in Münster,

nach

einer gewissen Dienst­

zeit, den alten und gebrechlichen Arbeitern eine jährliche Pension. **) Anmerkung.

Gumbischist eingemachtes, feingeschnittenes

überhaupt viel

Kraut, das im Münsterthal und

im

gegessen wird.

kochen sich ihren

Die Fabrikarbeiter

Ober-Elsaß

Gum bisch

(im Altdeutschen kommt das Wort Gump ost vor) für die ganze Woche und wärmen ihn alsdann in der Fabrik, wo er ihnen, mit

Kartoffeln in der Schale, zum Mittagsmahle dient.

136 Lebens hat in unserm Jahrhundert daselbst entschieden ab­

genommen.

traurigen Erschei­

Die Hauptursacken dieser

nungen sind, nach unserm Dafürhalten,

die oft zu frühe

angefangene FabrikÄrbeit bei Kindern, ferner die elende Lebensweise, endlich der Mißbrauch starker Getränke. Auch

die Kleiderpracht hat, durch

die Leichtigkeit des

Geldver­

dienstes, im Thal gewaltig zugenommen: die Jugend, na­ mentlich die weibliche, will sich nicht mehr th alisch, das

heißt einfach und züchtig, sondern lieber modisch kleiden. Das

ist übrigens eine Erscheinung,

die allenthalben in

Stadt und Land vorkommt. Wenn wir, in Bezug auf die Kirche und Schule im

Münsterthal die alte Zeit mit

der neuen vergleichen, so

tritt uns auch auf diesem Gebiete manche Verschiedenheit

entgegen. .In alter Zeit gab es im Münsterthale weniger Kirchen,

aber sie waren besser besucht; in neuerer Zeit

gibt es deren mehr, allein der Kirchenbesuch ist nicht mehr

so erfreulich wie früher, immerhin aber noch besser als in vielen andern Gegenden des Elsasses. sachen schreiben wir die Schuld

Neben andern Ur­

davon der gemeinsamen

Benützung der Kirchen in Münster*) und in Mühlbach durch die Protestanten und

die

Katholiken zu.

Dadurch

gibt es viele Störungen und

Reibungen und werden die

Leute von dem Kirchenbesuch

abgehalten.

Im Großthal,

zum Beispiel, haben vier große Dörfer, Breitenbach, Mühl­ bach,

Metzeral und Sondernah nur eine gemeinschaftlich

mit den Katholiken benützte Kirche.

Von 8 bis 10 Uhr

Vormittags und von Mittag bis 2 Uhr haben die Evan*) Anmerkung.

In Münster wird

übrigens das Simul-

taneum aufhören; denn die schöne romanische neue Kirche auf dem Marktplatze soll für den evangelischen Gottesdienst der Protestanten

von Münster, von Eschbach,

von Lutenbach, von

von Hohrothberg künftighin dienen.

Hohroth und

137

gelischen das Recht ihre Gottesdienste zu halten; diese Stunden sind aber für den Gottesdienst nichts weniger als bequem, besonders wenn man bedenkt, daß manche Großthäler eine Stunde Wegs und drüber noch zurücklegen müssen, um in die Kirche zu kommen. Daß der Kirchen­ besuch unter solchen Umständen Noth leidet, ist selbstver­ ständlich, uüd liegt es auf der Hand, daß eine zweite evangelische Kirche im Großthal, in Metzeral etwa gebaut, welche die Emmkirche ersetzen würde, einem wahren Be­ dürfnisse entsprechen würde. Und wie es im Münsterthale kirchliche Nothstände gibt, so finden sich auch solche im Schulwesen vor. Daß die Münsterthäler Kinder im'Unterrichte etwas zurück'sind, ist leicht begreiflich. Im Sommer führen die Leute ein Alpenleben; die Männer brauchen in ihren Melkereien Käsbuben, und diese Käsbuben, die auf Bergen weilten, welche oft zwei bis drei Stunden weit vom Dorfe entfernt waren, versäumten, so lange die Schulpflichtigkeit nicht eingeführt war, den Sommer über, die Schule und ver­ wilderten bei dem lieben Vieh. Und wenn sie vom Spät­ jahr an kamen, wie wenig konnten sie in den kurzen Winter­ monaten lernen! Jetzt ist es in dieser Hinsicht besser geworden, allein cs hat sich, gerade durch die streng durch­ geführte Schulpflichtigkeit ein anderer Uebelstand heraus­ gestellt, nämlich eine übermäßig große Schülerzahl, und dem entsprechend, eine ungenügende Zahl von Lehrern. Was kann z. B. ein Lehrer mit 100, 120, ja bis 140 Kindern (wie in Sultzern) ausrichten? Darum, weil das Lehrerpersonal offenbar ungenügend ist, ist kein anderer Ausweg übrig geblieben, als die Hälfte der Kinder nur während drei Stunden täglich zu unterrichten. Das ist aber nur ein Nothbehelf, und wenn es wirklich mit dem Schul­ unterricht im Münsterthal besser kommen soll, so müssen

138 mehr Lehrer angestellt und stufenmäßige Klassen gegründet

werden. Der Staat wie die Gemeinden müssen diese An­ gelegenheit ernstlich ins Auge fassen und betreiben*). Wenn wir noch schließlich auf das geistige Leben im Münsterthale einen Rückblick werfen und die Gegen­ wart mit der Vergangenheit vergleichen, so fällt es auch hier schwer zu sagen, welcher Zeit vor der andern der Vorzug gebührt. In alter Zeit war die Frömmigkeit mehr eine kirchliche und eine häusliche; in neuerer Zeit dagegen hat sie eine andere Gestalt angenommen und entfaltet sich besonders im Konventikel- oder wie man im Thale sagt, im Vereins- und Versammlungswesen. Die Entstehung der Vereine läßt sich, nach einem schriftlichen Berichte des verewigten Pfarrers Balzweiler aus Sultzern, wo sie gegründet wurden, geschichtlich nachweisen. Der erwähnte Pfarrer trat im Monat März 1801 mit den Herrnhutern in Verbindung; er richtete mehrere Briefe an

die Prediger-Conferenz in Herrnhut und erhielt darauf auch Antwortschreiben. Diese Verbindung veranlaßte auch die Gründung eines christlichen Vereins in Sultzern. Den ersten Montag in jedem Monat war nämlich Abends zwischen 7 und 8 Uhr eine Gebetsstunde in Herrnhut, an welcher sich alle hin- und herzerstreuten Mitglieder der Brüdergemeinde vor dem Gnadenthrone Gottes im Geiste vereinigten **). Diese Gebetsstunde hielt Pfarrer Balzweiler strenge inne, aber zuerst allein und in der Stille. Es ward aber *) Anmerkung.

Für den höheren Unterricht ist besser gesorgt,

denn das neu gegründete Collegium in Münster zählt bereits 100

Schüler mit 6 Lehrern.

**) Anmerkung.

Es war also eine Einrichtung, ähnlich der

durch die evangelische Allianz hervorgerufene Gebetswoche (gewöhnlich die erste Woche im Januar).

139

allmälig der Wunsch bei ihm rege,

auch einige fromme

Seelen aus seiner Gemeinde zur Beiheiligung daran einzu­ laden und so legte er im Monat November 1803 den ersten

Grund zu den Privatversammlungen oder dem Konventikelwesen im Münsterthal.

Er schreibt hierüber in seinem obenerwähnten Tagebuche Folgendes: „Am 3.

November

dachte ich

(1803)

nach meinem

Morgengebet an den künftigen Montag, welcher der erste in diesem Monat November ist, und es entstund bey mir

der Wunsch: Wenn ich doch nur die bekannten gläubigen Seelen allhier, welche so einzeln

dahingehen, — wenn ich

doch nur einige zu einem gemeinschaftlichen Gebet ermun­

tern könnte, daß ste sich

miteinander vereinigen und mit

einem Herzen und Mund den Herrn anrufen würden, ich

dachte nun vor dem Herrn darüber nach und der Herr gab

mir Rath. „Nach einem abermaligen Gebet, dabey mein Herz recht

zerschlagen und zerknirscht war, weil mir meine Sünden

vorkamen, verlangte ich in Demuth und im Vertrauen auf

die Gnade, die aus Jesu Wunden fließt, von Ihm dem l. Heiland eine Loosung, bekam auch, nachdem ich den Vers gebetet: „Gedenk an deinen bittern Tod, sieh' an, u. s. w.

Erlaubniß und schlug auf:

„Saget den verzagten Herzen:

Seyd getrost, fürchtet Euch nicht! Jes. 35, 4. Ach gib uns hier,

So lange wir Abwesend von Dir wallen, Daß der Trost

Aus deinem Tod, Uns nie mög' entfallen!

„Ich nahm mir dann vor, den solidesten un9 redlichsten

Seelen, von diesem gemeinschaftlichen Gebet am Montag,

140 zu welchem sich viel tausend allenthalben ^vereinigen, etwas zu sagen und sie zu mir zu bitten; ich

gieng

dann heute

noch in ein Haus, darin Bruder Keck (ein Mitglied der Brüdergemeinde aus Straßburg, der manchmal das Mün­ sterthal besuchte) schon gewesen, und lud

die Leute darum

ein, zu mir ins Haus zum Gebet zu kommen; man fragte

mich, ob ich auch noch andern etwas davon sage, ich ant­ wortete ja, aber nur denen, die ich für die besten und rechtschaffensten Christen halte

die Frau, da darf ich nicht kommen,



ach, antwortete

ich bin gar schlecht.

Eben solche, sagte ich, die ihr Elend fühlen und daher das hochzeitliche Kleid der Gerechtigkeit Jesu Christi, in wahrem

Glauben anziehen und sich nicht auf ihre Werke, sondern einzig und allein auf Christum und sein Verdienst und seine Gnade, als arme Sünder verlassen, Ihm allein in wahrem

Glauben anhangen, und sich von seinem Geist regieren und

treiben lassen — solche halte ich für die besten Christen. Des andern Tags sagte ich zween Männern *) etwas davon

und jeder sagte sogleich ja, ja, ich komme gewiß mit Freuden. „Es kamen alsdann den 8. November zum erstenmal

zwei Männer und zwei Weiber, welche mit mir und den lieben Meinigen und Magd auf die Kniee fielen — ich betete die Kirchenlitaney

aus dem Brüder-Gesangbuch. —

Nach diesem Gebet sangen wir noch einige bekannten Verse, und alle waren freudig und himmlisch vergnüget." So war denn der Grund zu dem Versammlungswesen

gelegt, das seit über einem halben Jahrhundert im Münster thale, in welchem es einen ergiebigen und fruchtbaren Boden

*) Anmerkung. Der eine dieser beiden Männer war der vor einigen Jahren verstorbene Johannes Knörr, der zur Er­ weckung des christlichen Lebens im Münsterthale viel beigetragen hat und dessen Andenken, besonders in der Gemeinde Sultzern, wo er gelebt hat, verdient in Ehren gehalten zu werden.

141 gefunden hat, blüht und sich

entfallet.

Denn von da an

bildeten sich in jeder Gemeinde, kleine Häuflein, welche sich

unter Gesang und Gebet und mit Betrachtung des Wortes Und heutzutage

Gottes erbauten.

sind

in

den

meisten

Thalgemeinden Häuser, in welchen theils von durchreisenden Evangelisten

sogar

oder

Amerika herübergeschickten

von

Sendboten, Versammlungen gehalten werden.

In Münster,

in Stoßwihr, vornämlich in Sulhern,

dem Gründungsorte, in Mühlbach, werden solche Versamm­ lungen regelmäßig

Welches ist die Stellung

abgehalten.

der Pfarrer, solchen Versammlungen gegenüber? Die meisten lassen dieselben ruhig gewähren;

angeschlossen und sie zu leiten

einzelne haben sich daran

gesucht, sind es aber bald

inne geworden, daß ihre Zeit und Kraft, wenn sie ihr Amt in der Gemeinde wollen treulich versehen,

nicht auöreicht,

um noch an Versammlungen sich zu betheiligen.

Und wie

steht es mit den Früchten, welche solche Vereine zu Tage fördern? denn an der Frucht soll man den Baum erkennen.

Dieselben sind dem Herrn allein bekannt.

Und wie lautet

das Urtheil der Welt, über diese Versammlungen und die­

Darüber sind

jenigen, die sie besuchen? sehr getheilt.

Ansicht

die Meinungen

Unsers Bedünkens, wenn wir unsere eigene

aussprechen

sollen,

können

diese Vereine

stiften unter folgenden zwer Bedingungen:

Segen

Zum Ersten,

wenn dadurch das Ansehen der Kirche nicht geschwächt und das von Gott eingesetzte Predigtamt nicht gering geachtet wird, und zum Andern, wenn die Versammlungen im Geiste der Demuth gehalten werden, damit sie nicht in Separa­

tismus

und

Sektirerei

Klippen glücklich

ausarten.

Werden

diese beiden

vermieden, so sehen wir für die Kirche

keine Gefahr in der freien Entfaltung des Versammlungs­

wesens.

-

142



So nehmen wir denn Abschied von dem schönen Münsterthale und dem Völklein, welches dasselbe bewohnet. Glücklich dieses Volk, wenn es die Gnadenmittel, die ihm Gott gegeben, erkennt und zu würdigen weiß, denn vor vielen andern Gegenden des sckönen Elsasses, ist das Münsterthal eine von Gott begünstigte, von der man in aller Wahrheit sagen kann: Es ruht darauf, noch von der Väter Zeit her, ein reicher Gottessegen.

In diesem Anhänge fügen wir zur gründlicheren

Spezialgeschichte des Münsterthales noch einige weitere

Belege bet, und zwar: 1) ' Das Verzeichnis« sämmtlicher uns bekannten hand­ schriftlichen und gedruckten Quellen für die Geschichte

des Münsterthales. 2) Münsterthäler Ephemeriden oder Reihenfolge wich­ tiger Jahrgänge aus der Geschichte des Münster­ thales.

3) Münsterthäler

Reformationsgeschichte,

aus einer

ungedruckten Chronik entnommen.

4) Die Münsterthäler Kirchenstuhlordnung vom Jahre . 1701. 5) Das Verzeichniß

der Münsterthäler Pfarrer

alter, wie in neuer Zeit.

in

I.

fliessen für die $efttoe des Rün^ert^afes. Handschriftliche Ourllen.

1) Stadtarchiv von Münster, namentlich das Rothe Buch *). 2) Bezirksarchiv von Kolmar. 2) Chronique manuscrite de Münster, par Dom Calmet, im Stadtarchiv von Kolma befindlich. 4) Nikolaus Klein (Diakonus): Große Kolmarer Chronik bis zum Jahre 1701. (Im Besitze von Herrn Jgnace Chauffour). 5) Kirchenprotokoll, angefangen den 9. Juny 1753— 1757, von Johann Karl Eckard, Stadt- und Oberpfarrer in Münster. (Im Besitze von Herrn Consistorialpräsidenten Pfarrer D. Steinbrenner, in Münster). * Anmerkung.

Das

sogenannte

Rothe

Buch

ist

eine

Sammlung von handschriftlichen Urkunden, vom Jahre 1339 an,

wo der Marquardsche Vertrag geschlossen wurde. Den Namen hat das Rothe Buch davon, weil es in Safian gebunden und mit

schönen jetzt abgerissenen Beschlägen versehen war.

io

146 6) Kirchendisciplin und Verordnungen von der Obrig­ keit und Rath der Stadt Münster in Hinsicht des öffentlichen Gottesdienstes und Außenwesens. MS. des Jahres 1555. (Auszüge davon gibt Röhrich in seinen Mittheilungen, Band I.) 7) Etliche Aufzeichnungen des verstorbenen Pfarrers Lues

in Münster. 8) Aufzeichnungen vom verstorbenen Pfarrer Binder, aus Münster, die Geschichte der Stadt Münster betreff. 9) Aufzeichnungen von Herrn Pfarrer D. Steinbren­ ner aus Münster. Derselbe besitzt werthvolle Ma­ teriale zur Geschichte des Münsterthales.

Gedruckte Ouellen. 1) Johann Daniel Schöpflin: Alsatia illustrata, 2 Bände. Kolmar 1751 und 1761.

2) Grandidier (abbö) et Walter: Vues pittoresques de FAlsace. Strasb., 1785. 3) Historische Merkwürdigkeiten des ehemaligen Elsasses,

aus den Silbermännischen Schriften gezogen, von dem Verfasser der Vaterländischen Geschichte der Stadt Straßburg und des ehemaligen Elsasses (Johannes Friese). Straßb. 1804. 4) Elsässisches Taschenbuch von 1807, den hübschen Auf­ satz von Pfarrer Luce enthaltend: Die Wunder des Fäßchens (in welchem der Lebensgang von An­ dreas Lamey, aus Münster, dem Mitarbeiter Schöpflins, erzählt wird). 5) Johann Friedrich Aufschläger: Das Elsaß. Neue historisch-topographische Beschreibung der beiden Rhein-Departemente. Straßb. 1825. 2 Bände. (Ist auch 1826 in französischer Sprache erschienen).

147

6) Ignace Chauffour: Notes et Documents sur la ville de Münster et les neuf communes du val de SaintGrögoire. Colm. 1836. 7) Bartholdi (Ch.): Notice statistique sur la vallöe de Münster, dans le Journal des Travaux de la Sociötö fran^aise de Statistique universelle. Numöros 10, 11 et 12 (avril, mai et juin 1845). — Selten. 8) Bresch, Johannes: Vogesenklänge. Gedichte von Joh. Bresch. Mit einem biographischen Vor­ wort von Th. Klein. Kolmar, 1851. 9) A. W. Strobel: Vaterländische Geschichte des Elsasses. Straßb. 1851. (2 Ausl., besonders Band II). 10) Schriftlicher Aufs atz für die Stadt Münster u. s. w., autographirt bei Hoffmann, in Kolmar. 46 Seiten.

11) Ignace Chauffour: Resumö et conclusion de ma discussion sur les Colonges. (Extrait de la Revue d’Alsace). Colm. 1866, pag. 54—58. 12) Louis Spach: (Euvres choisies, tome troisiöme. Mölanges d’histoire alsatique. (L’abbaye de Mün­ ster). Paris et Strasbourg, 1867. 13) Bresch Jean: La Vallöe de Münster et les Vosges centrales. Guide du touriste. Colm. 1871.

II. MmArtkl^ec Sp^cmerideii oder

Keihenfolge wichtiger Jahrgange aus der Geschichte des Münsterthales. 634. Erste Ansiedelung im Münsterthal. Gründung der Kapelle von Schweinsbach durch Oswald und dessen Gefährten. 660. Gründung der Abtei Münster, am Zusammenfluß der beiden Thalbäche.

817. Entsteht das Dorf Schottenweiler (Scottenvillare), später Stoßweier (Stoßwihr). 823. Macht Kaiser Ludwig der Fromme den Meier­ hof Met er al (Metzeral) der Abtei von Münster zum Geschenk. 826. Werden alle früheren Vorrechte der Abtei von Mün­ ster durch Ludwig den Frommen bestätigt. 856. Erhält die Abtei von Münster durch Lothar II. das Recht eigener Gerichtsbarkeit. 896. Kommen zum ersten Male in einer Urkunde Zwentib olds die Dörfer Türkheim, Weier und Mühl­ bach vor. 1068. Wird die Kirche von Mühlbach erbaut. 1182. Brennt das Kloster von Münster völlig ab.

149 1235. Erlangen die Abtei und die Stadt Münster zugleich durch Kaiser Friedrich II., die Reichsunmittelbar­ keil. 1260. Wird die zu Anfang des zwölften Jahrhunderts gegründete Pfarrkirche von Münster mit der Abtei vereinigt. 1273. Verheerung des Münsterthals durch Graf Rudolf von Habsburg. 1293. Ueberrumpelung der Münsterer Bürger durch die von Kolmar, zu Weier im Thal. 1339. Uebereinkunft des Abtes Marquardt mit den Bürgern von Münster wegen der Thalrechte. 1354. Wird Münster zu einer freien Reichsstadt erhoben und tritt in den elsässischen Städtebund ein. 1354. Erster großer Brand in Münster. 1364. Zweiter großer Brand in Münster. 1446. Dritter großer Brand in Münster. 1463. Wird die Kirche von Sultzern erbauk.

1465. Unglücklicher Kriegszug der Münsterer Bürger gegen die Ritter von Stöhr und andere Edelleute. 1466. Zerstörung der Burg Hoh-Hattstatt durch Bürger von Münstar.

die

1500. Wird die Kirche auf der Emm erbaut. 1516. Ertheilt Kaiser Maximilian I. der Stadt Mün­ ster das Recht vier Jahrmärkte im Jahr zu halten. 1536. Tritt der Abt Burkard Nagel, der das Evan­ gelium angenommen hatte, aus dem Kloster aus uud zieht nach Mülhausen. 1543. Wird die Reformation in Münster durch den Stadt­

pfarrer Thomas Wiel eingeführt. 1550. Wird das Münsterer Herrenstube, erbaut.

Rathhaus,

die sogenannte

150

1559. Bekennt sich der Pfarrer Georg Jung, in Mühl­ bach, zur Reformation, und führt sie im Groß­ thal ein. 1563. Verbietet Kaiser Ferdinand I. den evangelischen Gottesdienst 'im Münsterthal. 1564, Trotz dieses Verbots beruft der Münsterer Magistrat den evangelischen Prediger Paul Leckdeig, aus Straßburg. 1569. Versuche des Abtes Heinrich von Jestetten, den evangelischen Glauben in Münster zu unterdrücken. 1570. Verbietet Kaiser Maximilian I. den Juden sich in der Stadt Münster niederzulassen. 1575. Wird

durch die Vermittlung des Lazarus von

Schwendi, der Vertrag von Kientzheim, zwischen der Stadt und der Abtei von Münster geschlossen und die Reformation, als zu Recht bestehend, im

Münsterthal anerkannt. 1575. Wird die Kirche Sankt Leodegar, in Münster, zur evangelischen Pfarrkirche erhoben. 1575. Wird die bis jetzt noch ungedruckte Kirchenordnung von Münster durch den dortigen Magistrat heraus­ gegeben. 1577. Unterschreiben sämmtliche Pfarrer des Münsterthals die Concordienformel. 1636. Wird die Schwedenschanze aufgerichtet.

auf

dem Hohneck

1657. Kommt der erste französische Abt Charles Marchand nach Münster.

1673. Werden auf Befehl des Königs Ludwigs XIV. die Mauern von Münster abgebrochen. 1674. Beziehen die Brandenburger ihre Winterquartiere im

Münsterthale.

151

Schlacht von Türkheim, welche über das Schicksal des Elsasses während zwei Jahr­ hunderten entscheidet. 1675. Wurden die sechs Glocken von Münster nach Straß­ burg geführt und daselbst versetzt. 1680. Sind dieselben für 300 Thaler durch die Wiede­ männer in Sultzern wieder gelöst worden. 1686. Werden auf Befehl Ludwigs XIV. die Kirchen von Münster und von Günsbach in Simultankirchen 1675. 5. Jänner.

umgewandelt. 1688. Wird zu Sultzern der fromme Arzt und Theologe

Johann Philipp Kämpf geboren. 1693 Schrecklicher Sturm, der im Münsterthale viele Bäume entwurzelt. 1701. Den 7 September wird die Münsterthäler Kirchen­ stuhl-Ordnung herausgegeben. 1719. Hat der Ohmen Wein, das Viertel Frucht und der Centner Heu im ganzen Elsaß und auch im Münster­ thale gleichviel gegolten, nämlich einen Gulden, zwölf Batzen (3 Franken). 1726. Wird zu Münster der gelehrte Mitarbeiter Schöpflins, Andreas Lamey, geboren.

1727. Den5.Dezember müssen die Protestanten in Mühl­ bach den Katholiken den Chor ihrer Kirche ein­ räumen. 1735. Wird die Kirche von Sultzern erneuert und das obere Pfarrhaus in Mühlbach erbaut. 1735. Wird die Straße von Kolmar nach Münster durch die Thalbauern gemacht. 1751. Wird das zweite untere Pfarrhaus in Mühlbach eingerichtet. 1753. 21. Juli stirbt zu Homburg vor der Höhe der Arzt Philipp Jakob Kämpf aus Sultzern.

152

1753. Kommt der berühmte Voltaire ins Münsterthal und bringt einige Monate auf der Papierfabrik von Lutenbach zu. 1775. Wird die erste Fabrik (eine Kaltunfabrik) im Mün­ sterthal errichtet. 1781. Wird die Kirche von Sulhern durch freiwillige Frohnarbeiten in ihre jetzige Gestalt umgebaut. 1793. Wird das Kloster zu Münster als Nationalgut versteigert. 1793 Im Monat Juli wird der öffentliche Gottesdienst im Münsterthal untersagt. 1795. Wird der öffentliche Gottesdienst wieder abzuhalten gestattet. 1796. Wird in den alten Klosterräumen ein Militärspital errichtet. 1803. Den 7. November hält Pfarrer Balzweiler-in Sultzern den ersten Verein und legt somit denGrund zum Vereinswesen im Münsterthal. 1814. Den 4. Januar rücken die ersten alliirten Truppen, bayerische chevau-legers, ins Münsterthal ein. 1816. Fehljahr im Münsterthal wie im ^übrigen Elsaß;

große Kälte. 1817. Mißwachs und große Theuerung; viele Münster­ thäler wandern nach Amerika aus. 1821. Kommt der berühmte General Foy ins Münster­ thal und wird auf das Glänzendste empfangen. 1829. Sehr kalte und nasse Witterung im Münsterthale. 1830. Der Anfang des Jahres war so kalt, daß man mit Lastwagen über den Rhein fahren konnte. 1833. Erläßt der Minister des Innern in Paris eine Verordnung, daß das bisher ungetheilte Gemeingut im Münsterthale, unter die verschiedenen Thalge­

meinden vertheilt werde.

153 1837. Stirbt Herr Andreas Hartmann, der Begrün­ der der Industrie im Münsterthale. 1842. Wird der Thurm der alten Klosterkirche in Münster abgebrochen. 1842. Wird die Straße der Schlucht, zwischen letzterer

und dem Altenberg, angefangen. 1847. Wird durch ein Urtheil des Appellationsgerichtshofs von Kolmar das bis dahin ungetheilte Münsterthäler Grundvermögen unter die verschiedenen Gemeinden des Gregorienthals, nach dem Verhältniß der Seelen­ zahl im Jahre 1789 vertheilt. 1847. Wird die Straße der Schlucht von ihrem Gipfel an bis hinter Sultzern vollendet; die Strecke von Sultzern nach Münster wurde erst zu Anfang der fünfziger Jahre fertig. 1848. Bricht die Februarrevolution aus; in Folge davon bleiben die Fabriken im Münsterthal stille stehen. 1858. 24. Juli. Erster Besuch Napoleons III. auf der Schlucht. Derselbe kam von Plombiöres aus noch zweimal dahin. 1867. Zu Anfang dieses Jahres wird die Eisenbahn von Münster nach Kolmar in Angriff genommen. 1868. Den 3. Dezember wird die Eisenbahn von Münster nach Kolmar zum ersten Mal befahren. 1871. Wird zu Münster ein Hauptzollamt erster Klasse errichtet. 1872. Wird ein Collegium in Münster gegründet. 1874. 1. Januar. Mrd die protestantische, in romanischem Baustyl erbaute Kirche von Münster, unter dem Zulauf einer großen Menschenmenge eingeweiht. Die Baukosten kommen aufmindestens eine Million Franken.

III.

Münsterer HeformtdioiiggeftMie, aus einer ungedruckten Chrowk*) entnommen.

„Sonderlich gedenke allhie, wie die lehr des heiligen Evangelii Ihren Anfang genommen, was massen auch die-

selbige continuirt und fortgesetzet worden. Als Anno 1542 Arbogast Schirman, gewesener leutpriester zu Münster mit todt abgegangen, ist demselbigen ein anderer mit Na­

men Thomas Wiel im folgendem 1543 Jahr succedirt

und zu der Pfarre befürdert worden,

welcher, wie aus

allen seinen ,Handlungen und seiner geführten lehr zu ver­ nehmen, der Christlichen Religion Augspurgischer Confes-

sion zugethan gewesen.

Jnmassen auch sonsten allerhand

clare argumenta und Zeugnisse vorhanden, daß umb die-

selbige Zeit bey der Stadt Münster albereit das liecht (sic)

des H. Evangelii aufgangen gewesen; den es befindet sich bey den Actis ein Altes Protocoll von gedachtem 1542 Jahr, daraus zu ersehen, daß weyland Herr Peter man von Ayyoner damalen Abt zu Münster, nach absterben

obernanten Arbogast Schirmans, *) Anmerkung. Großen Kolmarer fasser den Diakonus

bey

Einem E.

Diese Chronik ist unter

Chronik bekannt.

Nicolaus Klein,

(Ehr-

dem Namen der

Sie hat zum Ver­ aus Kolmar

(1662—

1703) und ist höchst wahrscheinlich im Jahre 1702 geschrieben.

155

samen) Raht erschienen, und mit demselbigen unterred ge­ pflogen,- wie solche Stell mit

Pfarrer widerum zu ersetzen; wechselten Reden,

sich dahin erklärt:

ein

daß er

da dan under andern ge­ gegen Ihme Herrn Prälaten

Rhat

Opfers und beichtgeldts,

einem andern taugenlichen

die Ihrigen zu ersetzung des

deßgleichen der ®eer gerechtig-

keiten, nicht zu zwingen, oder anzutreiben wüßte: Sondern Einem jeden sein gewissen frey lassen wolte: Hat auch auf

den Reichsabscheid, so in Anno 1520 zuvor beschlossen, und

daselbst die Augspurgische

Confession übergeben worden:

wie auch auf dem Reichsschluß Anno

1532

zu Regens-

purg gemacht, sich austrucklich beruffen, und

dadurch die

freiheit der gewissen behaupten wollen. „Anno 1553 ist die Päpstische Religion gentzlich und volkommenlich

abgeschafft,,

.und

vorgenommen worden, und

die

völlige reformation

also zur

Zeit

aufgerichteten

Religionsfriedens de Anno 1555 bereits in öffentlicher

Übung der Augsp. Confession gewesen, und völlig und un­ gehindert in der Kirche getrieben worden wie dan in be­ sagtem Religionsfriden § „Dieweil aber", Clärlich und

mit ausgedruckten Worten versehen, daß

es

bey dem, wie

Ein oder der ander Stand, in seinem gebiet der Religion

halben, und was deroselbigen anhängig, vor solchem frieden,

Verordnung gethan, allerdings

verbleiben, und

derenthalb weder In- noch Außerhalb

die Ständ

rechtens nicht be­

sprochen, noch angefochten — werden sollen.

Deßgleichen

in § „Und darmit", daß weder die kays. Mit. noch auch

Churs. Fürsten und Ständ, keinen andern Stand des Reichs, wegen der Augsp. Confession, und

deroselben lehr, Reli­

gion und glaubens halben, wider sein conscienz (Gewissen), wissen und willen, von solcher bekendnis, glauben, kirchengebräuchen, Ordnungen und Ceremonien, in Ihren landschafften und Herrschaften, tringen oder durch Mandat, oder

156 einiger anderer gestalt, beschweren oder verachten, Sondern

bey allem solchem, Ihne ruhig und fridlich bleiben lassen sollte rc. rc.

Anno

ist zwischen Herrn Joachim Abten

1556

Münster und der Statt ein vertrag

zu

aufgerichtet worden,

der Erbbachische Vertrag genannt, darinnen der Stadt bewilligt und zugelassen Einen Schulmeister der Evangelischen

Religion anzunemen, welchen der Prälat zu besolden schuldig. In gedachtem 1556 Jahr hat der Evangelische Pfarrer zu

Reichenweiler (sic) Einem E. Rhat der Statt Münster zu Ihrem Christi. Aufnehmen in der Evangel. Warheit schrift­

lich geantwortet, auch eine formulam doctrinae, und was bey der Kirche zu Münster zu lehren sey, überschickt. „In Anno

1559 hat

sich

wegen der

Caplaney zu

Mülbach etwas streit erhoben, darüber ein Abt von Mün­

ster die Collatur hergebracht.

Es ist aber doch die Sach

endlichs dahin ansgeloffen, daß die Stadt solche FilialKirch, auch mit einem Evangel. Prediger bestell und ver­

sehen.

„Nachdem in Anno 1563 obernendter Thomas Wiel tods verfallen, so hat zwar Herr landvogt in Under Elsaß,

der Statt inhibirt und verboten, keinen Predigern anzunehmen oder aufzustellen.

andern Evang. Darauf aber ein

Rhat hinwiderum gebürlich geantwortet und begehrt; Ihnen

entweder an stat des Prälaten (dessen stell selbiger

Zeit

vacirt, und vou der landvogtey administrirt worden) Einen

Evangel. lehrer zu Präsentiren, oder aber zu gestatten, daß Sie selbsten Ihre Kirch der Gebühr nach versehen mögen;

Es hat aber

dasselbige so wenig

verfangen mögen, daß

vielmehr Herrn landvogt, Regenten und Rhät.im Obern Elsas sich unterstanden, einen Papistischen Priester de facto

Ihnen aufzutringen; Jnmassen die Commissarii, samt den

geistlichen

bereits

zu

Münster

ankommen

gewesen,

ein

157

Nachdem aber

solches vorhaben ins werck richten wollen.

E. E. Rhal sich demselbigen widersetzet, und mit untergegen einander

schidlch en Wechselschreiben, die hinc inde

abgeloffen, der fachen nicht geholffen werden möge.

So

hat die Etat sich sehr rühmlich und dapfer entschlossen, un­ geachtet aller bevorstehenden difficulteten und widersprechens

für sich selbsten einen Evangel.

genommen.

Prediger

auf

und

an-,

Zu welchem end Hieronymus beyer von

Straßburg erfordert, und von hn. d. (Doktor) Johann

Marbachen sel. der Gemeind präsentirt und vorgestellt Dabeneben gleichwol E. Rhat dem hn. von Boll-

worden.

weil (Bollweiler), als

landvogt, eine Präsentation in-

sinuiren lassen, darin Er sich mit mehrem erklärt, aus was

Ursachen, und zu was und solche Pfarrbestellung angenommen

werde.

Worauf eine harte und betrohliche und gefährliche

antwort erfolgt.

Dieweil nun die Sachen sich je lenger

gefehrlicher angelassen; So hat ein Rhat zu Münster sel­

bigen Jahrs an Pfalzgraf Wolfgangen, und Herzogen

Christophen zu Würtenberg, wie auch die Statt Straß­ burg Seine Rhatsbotschaft abgeordnet, und um gedeylichen

Als aber keine güt­

Rhat und beystand bittlich angesucht.

liche Mittel verfangen wollen: So ist Ein

E. Rhat ge-

trungen worden an dem hochlobl. kays. Kammergericht ein Mandatum de non offendendo neque turbando, wider

den hn. landvogt auszuwürken: zu wegen gebracht,

daß

welches

den

auch so viel

die Statt bis Anno 1569 bey

Ihrem angenommen Pfarrer und

öffentlichem Exercitio

ruhig gelassen worden. „Nach dem aber in gedachtem 1569 Jahr, Abt Hein­

rich von

Jestetten zu

der Prälatur kommen, so hat

derselbige solche Evangel. Religionsübung mit offenem ge-

walt und thätigkeit understanden abzuschaffen, Papstischen

Meß Priester einzusetzen.

und einen

Jnmassen Er im

158 Novemb. besagten Jahrs mit achtzehn armirten Mannen, die Kirch zu Münster gewaltsamer weiß occupirt, und darin seinen Gottesdienst celebriren und halten lassen. Es hat aber hingegen ein Rhat incontinenti darauf Ihren Pfarrer auch wider aufgestellt, und ihre Ceremonien nach Ordnung der Augsp. Confession verrichten lassen. Auch welches der Prälat wider zugefahen, der Kirchen sich anderwerts be­ mächtigt uyd bis auf den 7. Dez. Seinen Gottesdienst darin angeordnet. Den 8. Decembris aber hat ein Rhat zu Handlung seiner Possession und abtreibung deß Abts unzimlichen Gewalts, die Kirchen widerum eröffnet, die Schloß abgeschlagen, und dann Evangelische Prediger aufs neue aufgestelt, und daselbst öffentlich predigen lassen: Und ob­ zwar den 11. Decembr. der Prälat abermal die Kirch ein­ genommen, und den Priester eintringen wollen; So hat doch die Statt denselbigen abgehalten, und mit ihrem Exercitio fortgefahren, dabey es auch volgender Zeit ver­ blieben. „Anno 1570 hat die Statt abermahls ein Mandatum de non offendendo ausgewürket: hingegen hat der Prälat Anno 1571 Citationem et Mandatum de restituendo, wider die Statt erhalten. In welchen beiden fachen auch so lang rechtlich verfahren worden, biß daß Anno 1575 von der Röm. Kays. Mtt. eine Commission auf hn. Lazarum von Schwendi und die Stadt Hagenau, zwischen beiden streitigen Partheyen zu handlen, ausgehen lassen; welche auch in bemeltem Jahr sich dererselbigen gutwillig unternommen, und in allen streitigen Puncten Ein satten Commissions Abschied und vergleich aufgerichtet: Da den undern andern in dem Hauptpuncte der Statt Münster Ihre öffentliche Religions Uebung Augsp. Confession austrucklich confirmirt und bestetigt worden: also und dergestalt, daß auch der Prälat für sich und seine Nachkommen be-



159

-

willigt, versprochen und zugesagt, den Pfarr- und Schul­

meister, jedoch das

jederzeit

der Prediger dem Abt,

Collatori präsentirt werde, mit soldung zu versehen.

Von

als

gewisser competenz und

welcher

Zeit

au

die

Statt

Münster bei dem Exercitio Augsp. Konfession so vil mir

bewußt, ruhig und ungehindert verblieben."

IV.

Verordnung btt Kirchenstühl der Evangelischen Kirche der Gemein Münster

Seid dem Jahr 1701 und 1709 und folgente.

Diese Kirchenstuhlordnung, die noch heutzutage im Münsterthal zu Recht besteht, ist im Jahre 1701 heraus­

gegeben, seitdem oft erneuert worden, so- namentlich in den Jahren 1709 und 1813. Im Jahre 1846 ließ das Konsistorium von Münster dieselbe anfs Neue drucken, und zwar unter dem Titel: Kirchenstuhlordnung des Kon­ sistoriums von Münster, von den Jahren 1701, 1708, 1813. Kolmar 1846. — Unsers Wissens ist die­ selbe vergriffen und nicht wieder aufgelegt worden. Die Münsterthäler Kirchenstuhlordnung ist, so viel uns bekannt, die einzige im Elsaß im Druck erschienene; in der früheren Grafschaft Hanau Lichtenberg wurden die Kirchenstühle auch vermiethet, ob aber eine schriftliche oder gedruckte Kirchenstuhlordnung dort existirte, bezweifeln itir, Da die Münsterthäler Gemeinden wenige Kirchengüter besaßen, mußten sie ihr Einkommen durch den Verkauf oder die Miethe der Kirchenstühle zu vermehren suchen.

161 Erneuerung oder BedLchtliche Limitation und Erklärung der Kirchenstühlordnung so anno 1701 den 7. Sebtember von einem Löbl. Ehrsamen Rath und Ministerio alhier zu Münster aufge­ setzt und bestättiget worden, geschehn und unter­ schrieben den 9 february a'nni 1709 a.uch von der Cantzel wieder abgelessen; unterschrieben sind: andreas schwartz burger und Meister, M. Joh. Phil. Arnoldi, Pastor in Münster, Leonhardt Eccard, Pastor in Mühlbach, Isaac Muhrbach,

Johannes Johner, Paul Friedrich schott. Diese Kirchenstuhlordnung wurde zu verschiedenen zeiten Erneuert, wiederholt und von der Cantzel abgelessen. Wo eine kleine Veränderung ist vorgenommen worden und etwas hinzuge­ fügt worden, soll neben den.artikeln bemerkt werden.

1. Soll Niemand in dieser Eidlen Einbiltung stehen, noch sich darin verleiten lassen, als stünde ihnen frey mit seinem in der Kirch habenden Stuhl gleichwie mit andern seinen Eigenthümlichen Gü­ ter nach seinem Belieben mit vertau­ schen, verkaufen, verlehnen, verschenken oder testamentlicher vermächniß zu ver­ fahren, sondern alles das soll hiemit schlechterdings abgestellet, verbotten und Niemanden hinführo, nach dieser publi-

cierung Erlaubet sein.

2. Wann auf absterben eines oder des andern Ehgatten, desselben Sitz sich Er-

Anmerkung.

Es Sollen sich die­

jenigen, welche deß

162 lediget: Soll dem Ersten

Vatters, und

der

Ersten

Sohn des

tochter

der

Mutter Sitz ohne einige Widerrette zufomen;

wann aber die

Eldern (sic)

nicht mehr bey Leben: so sollen Solche

Plätze denen hinterlassenen Kinder auf­ behalten werden.

Vat­

verstorbenen ters

oder

Mutter

blatz haben wollen, gebührender Massen bey

Pfarrer

den:

anmelten, und wo­

fern man sich inerhalb 14 tagen nicht anmeldet, So solle

der blatz der Kirche

verfallen Sein, die blätze

sollen

zwar

den Hinderbliebenen Kinder aufbehalten

doch

werden, einen

um

gebührlichen

Zinß an christliche Persohnen verlehnt

auch

werden,

der

darvon fallende zinß

welchem

nicht dem

der blatz aufgehoben der

wird,

sondern

Kirch

bezahlt wer­

den.

3.

Wann keine Lei­

Wann auf absterben eines oder des

andern,

keine Leibes Erben seines Ge­

bes Erben vorhan­

ist zwar

den,

So

schlechts vorhanden, So ist der Sitz der

der

verkauf

und

Kirche anheim und zugefallen, doch ist

Vorrecht den

näch­

denen

nächsten

Blutsverwandten

Verkauf Erlaubet und gestattet.

der

sten Blutsverwand­

ten erlaubt und ge­ stattet,

aber

denen

vorgesetzten

von

Pfarrer und

Kir­

chenpflegern

kann

163 taxiert werden, nach

gestalt der Sachen und Persohnen.

4.

Berichtigung.

Von dieser Publication an zu rech­

Solche Stuhlbe­

nen, sollen diejenigen so bey zehn oder

sitzer sollen aber nur

mehrern Jahren ihren Kirchen Sitz ge­

in Sofern mit Ruhe

nossen, ohne einige ausnahme,

in ihrem Stuhl ge­

es Sey

nun eine Vergönnung oder Sonsten ein recht,

noch

ferner mit Ruhe

werden; wo aber einem

gelassen

andern

ver­

lassen werden, als

kein betrug, vorurtheil oder arglistig-

keit

mit

unterge-

gönnet, seinen blatz zu besitzen, soll sich

lofen

deswegen bescheinigen lassen, solches bey

unmündige Waisen­

vorfallenden Streid vorzulegen.

kinder

vorhanden

Sind.

Wann eine

oder

keine

vergönnung insge­

heim, ohne vorwis­

sen

des

Pfarrers

geschieht, und man

keinen

auf­

schein

weisen

kann,

Sollen

die

blätze

weidere

ein­

ohne

so

rette (sic) dem all-

mossen

und

heim

verfallen sein. Wenn aber

auch

jemand

einen falschen schein aufzuweisen

hätte,

allein nach genauer

Untersuchung befun­ den würde, daß das besitzungsrecht,

oben

wie

gesagt, nicht

richtig wäre, so Soll

164 der besitzer oder die

in

besitzerin

den

blatz gelassen wer­

den, aber der Kirche einen Lider (Livre)

zu

zahlen

schultig

Sein.

5.

Wann jemand sich anders wohin be­ gibt, wohnhaft niederzulaffen und mit den Seinigen sich einer anderen Kirch zu bedienen, so Sind ihre Sitz und Stühle der Kirche anheim und zuge­ fallen.

Berichtigung.

Die Kirchen blätze

insofern

der

Kirche anheim

ge­

sind

fallen, als sich keine

verheyrathete

Kin­

der in dem Kirchen­ spiel, wo man weg­ gegangen, befunden;

in diesem Falle soll

der älteste Sohn des

Vaters,

und

die

älteste Tochter der Mutier blatz haben und besitzen; wann aber die Kinder mit

wegziehen,

so

soll

kein Erb- oder Zug­

recht oder den jeweil-

ligen anverwandten

ein Vorrecht gestat­

tet werden, sondern der blatz schlechter­

dings

der

Kirche

heim und zugefallen

sein und bleiben.

In der Folge wurden folgende Artickel beygesügt:

165 6. In Vergebung der Kirchenblätze sollen allezeit

verheurathete bürger

die

und

bürgerweiber den Letigen (ledigen) Per-

sohnen

vorangehn,

mit

doch

Einschränckung,

dächtlicher

wohlbedaß

den

Kirchenvorsteher in diesem Fall nach der billigkeit zu verfahren frey stehn solle, jedoch um angesetzte bezahlung.

7. Wann

eine

Persohn zwey

Manns oder

einer Kirche haben

oder

mehrere sollten

nur einen gebrauchte, und

Weibs-

blätze in

und

aber

den andern

nicht mit Kindern entweder jetzt oder ins künftige besitzen könnte, so Soll er

oder Sie Mans oder Weibs Persohn die Wahl haben und ihm oder ihre (sic) frey stehn,

nach Willen und Wohlge­

fallen einen zum Eigenthum besitz zu erwählen und zu behalten der oder die übrigen es

Sey

einen

oder mehrere

blätze sollen dem allmossen anheim und zufallen Sein und bleiben.

8. Die Kirchen Sitze Sind eingetheilt

in Ersterer Mitlerer und geringerer und können nach gutbefinden tariert werden. Solle sich oder Weibs

9. jemand befinden Manns persohnen

welcher

oder

welche sich einen Platz als Eigenthüm­

lich .zugeeignet, und aber sich nicht in

166 daß Stuhlregister hat einschreiben lassen, und der Nahmen nicht darin befindlich

seyn, so Soll der blatz nach dessen ab­

sterben

oder

Sicher

ander

erfahrung

noch ohne einige Wiederrette dem allmossen anheim und zugefallen Sein und bleiben, auch wann Kinder vorhanden,

nicht einmahl ein Vorrecht gestattet wer­

den, es Seye dann, daß Sie denselben doppelt bezahlen.

10. Weil

es

öfters

sich

zuträgt,

daß

Vatter oder Mutter stirbt und eigen­

thümliche

Hinderlassen, auch zu

blätze

zeiten der älteste Sohn

oder

Tochter

bereids einen eigenthümlichen Kirchen-

blatz haben, mithin nicht zwey blätze besitzen mögen.

In diesem Fall soll der

älteste Sohn oder

haben

Tochter den

entweder

die Wahl

bisher gehabten

blatz zu behalten oder den durch Vatter

oder Mutter entledigten zu wählen und zu nehmen,

einer aber fält dem all-

mossen anheim,

doch

mit

dieser

Be-

d'ngung, daß wann der Sohn oder die

Tochter Kinder hätte, die eines blatzes

benöthiget wären,

ein solcher den Vor­

zug haben mag den Endletigten blatz zu kaufen, und mit dem gewöhnlichen

Preis zu bezahlen.

11. Wann der älteste

Sohn

von

dem

Vatter oder die älteste Tochter vor der

167 Mutter stirbt, So hat der jüngere Sohn oder Tochter kein Erbrecht, sondern muß

dem

allmossen

Halbe

das

bezahlen,

nachdem der Kirchenplatz werth ist, dir

Enckel aber haben gar kein Recht, son­ dern wann sie des großvatters oder der

gros Mutter blatz

haben wollen,

So

sollen Sie denselben bezahlen wie ein

frembter. 12. Endlich wird sich niemand verwundern

wann noch andere, nicht in dieser Stuhl­ ordnung begrifen oder Enthalten, aber

hie

und da

eingeschlichene

oder

noch

einzuschleichende Unordnungen und Miß­

bräuche abgeschaft werden, sondern viel­ mehr, damit alles in der Kirche Ehrlich

und ordentlich

zugehe, selbst behülflich

Seyn, und sich dieser Stuhlordnung ge-

zimerter (sic) Massen zu unterwerfen,

und

vor

alle

ungelegenheit zu hüten

wissen. Aus

Erneuerten

und

Wiederholten

Abschriften

und

Originalien gezogen durch Herrn Georg Heinrich Heyland,

Pastor et Präsident des Konsistoriums in Münster 1808. Zum Schluffe bemerken wir noch, rium von

Münster,

in seiner

daß

Sitzung

das

Consisto-

vom 6. Oktober

1813, zu diesen unsprünglichen zwölf Artikel der Münster­ thäler Kirchenordnung, sechs

weitere beigefügt hat.

Die

ganze Kirchenstuhlordnung, die alten und die neuen Artikel

wurden, wie oben bemerkt, im

durch den Druck veröffentlicht.

Jahre- 1846 in Kolmar

»eießniß der jMün^ertHäfer Pfarrer in alter wie in neuer Zeit. Vorbemerkung. Vor allen Dingen müssen wir die Bemerkung voran­ schicken, daß die beiden Kirchenarchive von Münster und von Mühlbach, die wichtigsten im Münsterthale, in Bezug

auf die alte Zeit, wenige Urkunden mehr besitzen. schiedene Ursachen, Kriege, Brände und

Ver­

die Stürme der

französischen Revolution, haben dazu beigetragen, die Do­

kumente früherer Jahrhunderte zu vernichten. ersten

Verzeichnisse der Pfarrer

von

Die beiden

Münster und von

Mühlbach verdanken wir den freundlichen Mittheilungen

der Erben des verewigten Pfarrers Fr. Binder und dem verstorbenen Pfarrer Schillinger.

Was Sultzernund

Stoß weier betrifft, so war das Verzeichniß der Pfarrer, die dort gewirkt haben, leicht zu machen,

da beide Pfar­

reien noch nicht allzulange bestehen.

In Betreff der

Pfarrei Günsbach, war

uns das

Verzeichniß der dortigen Pfarrer nicht zugegangen, und da

wir in unserer Geschichte des Gregorienthals diese, außer­ halb Münster gelegene, und eigentlich nicht zu den zehn

Thalgemeinden zählende Pfarrei nicht geschildert haben, so wird man uns die jetzige Lücke unter den Pfarrverzeichniffen des Münsterthals zu Gute halten.

169

1.

Pfarrei Münster. Verzeichniß derer Lutherischen Pfarrer, Helffer und Schuhldiener, wie dieselbigen von Zeit zu Zeit, von jähr zu jähren bey der Kirch zu Mün­ ster in officio beysammen gestanden, und auß denen noch vorhandenenKirchenbüchern fideliter ertrahirt und zusammen gesammlet worden.

Das exercitium religionis Augustanae confessionis wurde allhier zu Mün­ ster eingeführet Anno 1542. Da nach absterben deß damaligen Catholischen Pfarrers Arbogast Scheuermanns vovente senatu zu einem Lutherischen der Augspurgischen Confession zugetha-

Anmerkung en.

nen Pfarrer erwehlet wurde Thomas Wiel. Diesser verwaltete das Pfarr­ amt nach innhalt denen constitutionibus Augustanaae confessionis’Anno 1563. Nach dieses tödlichen Hintritt Anno 1563 wurde zu einem Lutherischen Pfar­ rer' beruffen Hieronymus Bayer, sind keine Kirchenbücher vorhanden, und ist nach damaligen Zeiten gewohnheit nichts auffgeschrieben worden. Nun folget der dritte Lutherische Pfar­ rer, nahmens Paulus Legdey (ge­ wöhnlich Leckdeig geschrieben). Dieser wurde Pfarrer zu Münster Anno 1564.

Er fieng aber die gebohrnen und getaufften auffzuschreiben erst Anno 1576 an, wie zu sehen in dem Kirchenbuch

Oder es sind die

Kirchenbücher damahligen

in

ver­

wirrten Zeiten ver-

lohren gangen.

170 in-4to von Paulus Legtey angefangen

Dieses Kirchenbuch ist aufs der decke mit Nr. 11 bezeichnet. So war also Anno 1564 Pfarrer zu Münster Paulus Lecktey, neben diesem Paulus Legtey stunden

als Helffer und Schuhldiener in officio zugleich Theodoricus Eckard, dessen ge­

dacht wird Anno 1576, Nr. 76, daß er Paulus Leytey ein Kind getaufft.

eben diesem Jahr 1576

In

83 wird

Nr.

auch Dieterich Eckard gedacht, und 1577

Nr. 17, wird Dieterich Eckard Schuhlmeister genannt: Stunden also in die­ sen jähren neben einander zu Münster

in

officio:

Paulus

Legtey,

Pfarrer,

Theodoricus Eckard, Helffer, und Dietericus

Eckard,

Helffer

Schuhl­

und

diener. Nach dem Tod eines von diesen zweyen

Eckard oder daß einer translocirt wor­ den, blieb ein Eckard, aber an deß ver­ storbenen

oder

translocirten

Stelle.

Wurde als Helffer und Schuldiener eingesetzet Cyriacus Doppius,

dessen ge­

dacht wird Anno 1579 Nr. 47.

Diß-

mahl stunden neben dem Pfarrer Pau­

lus Legtey als Helffer Dieterich Eckard

und als Helffer und Schuhldiener Cy­

riacus Poppius.

Hierauff folget Cas­

par Poppius, dessen gedacht wird Anno

1581 Nr. 73 und 1584 Nr. 38 nehmlich 1584, Nr. 38,

Hier

wird Caspar

Poppius Schuhlmeister genennet; dieses

171 Caspar Poppius wird ferneres gedacht 1585, Nr. 71, ferners Anno 1586, Nr. 66, und dann Anno 1587, Nr. 26. Anno 1587, in dem Ehenregister Nr. 18 wird eines gedacht, nahmens Haluerius, welcher Hn. Frantz Schwei­ zer, Amtschreiber zu Jsenheim, mit Sa­ lome, Paulus Legteys tochter, copulirt

habe. Sind also in diesen jähren neben einander in officio gestanden: Paulus Legtey, als Pfarrer, Caspar Poppius und Haluerius, Helffer und Schuhldiener. Anno 1588, Nr. 26: wird eines Helf­ fers gedacht, mit dem Vornahmen Chri­ stophorus, daß er getaufft und Anno 1589, Nr. 36, da seiner frau unter denen Gevattern gedacht wird, wird er genannt Christoph Weißenbrunner. Nun folget das Kirchenbuch mit Nr. 2 in-folio, und fängt an Anno 1591. Anno 1591, Nr. 35, hat Christophorus dem Pfarrer Leytey einen Sohn ge­ taufft. Stunden also in diesen jähren, neben dem Pfarrer Paulus Legtey, Helffer und Schuhldiener Christophorus Weißenbrunner nnd Haluerius. Anno 1599 starb Paulus Legtey und wurde an dessen Statt zu einem Statt Pfarrer beruffen David Funccius (Fun-

ckius (Anno 1599, den 27. Septembris, wie in hoc libro et anno zu sehen. Dieses Pfarrers Helffer und Schuhl­ diener waren Christophorus Weißen-

Haluerius wurde

Pfarrer zu Mühl­ wie zu sehen

bach,

in dem Mühlbacher

Kirchenbuch, 1589.

N. B. bey

Es wird

denen Prote­

stanten keinem Schuhlmeister

laubt,

als

er­

pastoralia

Kindertauffen,

Ehe einsegnen und

dergleichen zu ver­

richten, es sey denn, daß er geschickt und tüchtig

sey,

Pfarramt zu

ein ver-

172 Brunner und Samuel Jßrael', beffen gedacht wird 1603, Nr. 18. War also in diesen jähren Pfarrer zu Münster David Funck, Helffer Christoph Weißen­ brunner und Samuel Jßrael. Dieses Samuel Jßraels wird auch gedacht Anno 1610, Nr. 59. Anno 1610 starb der Pfarrer David Funck und wurde an dessen Statt als Pfarrer beruften und eingesetzt, der Helf­ fer Samuel Jßrael*), wie zu sehen 1610, den 15 Septembris, Nr. 61. An die­ ses seine Stelle wurde Helffer Bartho­ lomäus Holinger, dessen gedacht wird 1612, Nr. 44 und Martin Andrea, dessen gedacht wird 1621, den 29. July. Von diesen zweyen muß einer, nehmlich Bartholomäus Holinger gestorben oder weggekommen seyn. Martin Andreä aber lebte noch wie dann dessen Anno *) Anmerkung.

Samuel Israel ist

auch als kirchlicher Volksdichter bekannt.

verfaßte

im Jahre

1603:

Ein

Er

Schöne

gantz 9letoe Comoedia von der From­ men Keuschen

und

Gottesfürchtigen

Susanna, in Teutsche Reymen Gestell Durch

Samuel Israel von Straßburg,

Jetziger

zeit Schul- und Kirchendiener zu

Münster in St. Gregory Thal.

Ge­

halten daselbst zu Münster des 7. Augusti

Anno 1603. Schröter,

Getruckt zu Basel, By Johann

1616.

48 Bl. 8.

(Vergleiche

Gödecke: Grundriß der Geschichte der deutschen Dichtung.)

sehen; es wird auch keinem

Studioso,

der nicht ordentlich zum ministerio be-

ruffen und ordinirt ist, zugelassen.

Hier fängt das

Kirchenbuch in folio mit No. 2 miss der

Decke bezeignet, mit Anno 1621 an.

173

1622 Nr. 14, in dem Ehenregister, und Anno 1627, Nr. 17, nochmals als Helffer gedacht wird. Neben diesem Mar­ tin Andrea stunde als Helffer und Schuhldiener Justus Löscher, dessen ge­ dacht wird 1626, Nr. 12. Also war 1624 Pfarrer zu Münster Samuel Israel, Helffer aber und Schuhldiener Martin Andrea und Justus Löscher. Anno 1633 starb Samuel Israel der Pfarrer und wurde an dessen statt zu einem Pfarrer beruffen Wilhelm Weber, wie zu sehen Anno 1633, den 21. July. Neben Wilhelm Weber stun­ den als Helffer und Schuhldiener Isaac Löscher, dessen gedacht wird Anno 1635

Rr. 13 und Peter Degen, dessen ge­ dacht wird Anno 1639, den 14. Hor­ nung, daß er entlassen worden. War allso Anno 1633 Pfarrer Willhelm Weber, Helffer und Schuhldiener aber Isaac Löscher und Peter Degen. Wil­

helm Weber war nur ein Jahr zu Münster Pfarrer, und wurde nach Collmar beruffen; an seine Statt aber wurde zu einem Statt Pfarrer zu Mün­ ster beruffen Johannes Scheurer. Neben diesem Johannes Scheurer stunden als Helffer und Schuhldiener Isaac Löscher

und Peter Degen. Nun wurde Isaac Löscher, Anno 1637, wie in dem Kir­

chenbuch zu Mühlbach, Anno 1637, Nr. 2, unter den Gevattern zu sehen,

NB. JustusMschers wird auch ge­ dacht 1627 Nr. 21,

im Taufbuch. Ju­ stus Löschers wird

ferner gedacht 1627 No. 66.

Er wurde

Pfarrer zu Mühl­

bach 1629 No. 20. Warumb er ent­ lassen worden? ob

wegen eingerissenem

mangel

be­

oder

gangener unfug,

weiß man nicht.

NB.

Johannes

Scheurer wurde

Pfarrer zu Münster Anno ab

1634,

wie

initio hujua

anni zu sehen.

174

Pfarrer zn Mühlbach, und wurde an

dessen Stelle Helffer zu Münster Cas­ par Carolus, dessen gedacht wird 1642, Nr. 28, wiederumb 1645 Nr. 14, ferners 1647, Nr. 23.^Peter Degen wurde Anno 1639 entlassen, und wurde Helffer und Schuhldiener an dessen Statt, Jo­ hannes Strüntz, dessen gedacht wird Anno 1648, Nr. 56, deßgleichen 1651, Nr. 13. In diesen Zeiten nun war Pfarrer zu Münster Johannes Scheurer. Helffer aber und Schuhldiener Caspar Carolus und Johannes Strüntz. Johannes Scheurer war also noch Pfarrer zu Münster in Anno 1660, und hatte in diesen Jahren zu Helffern und Schuhldienern, Wilhelm Lufft, des­ sen gedacht wird 1665, Nr. 35, und Theobald Müller, dessen gedacht wird 1671, Nr. 45. Waren also in diesen Zeiten beysam­ men in officio Pfarrer Johannes Scheu­ rer, Helffer und Schuhldiener, Wilhelm Lufft und Theobald Müller, Anno 1674, Nr. 45. Wie in dem toden register zu sehen, starb Wilhelm Lufft, ein Helffer, und wurde an dessen Statt Helffer und Schuhldiener Johannes Müller, dessen gedacht wird Anno 1676, Nr. 17. War

also Johannes Scheurer noch Pfarrer, seine Helffer aber und Schuhldiener Theobald Müller und Johannes Müller. Johannes Scheurer, der Pfarrer zu

Nun folget das Kirchenbuch mit No

4 bezeignet, welches

anfängt Anno 1665

175

Münster, starb Anno 1677, und wurde an dessen statt zu einem Pfarrer nach Münster beruffen Carolus Haber; dieser hatte zu Helsfern und Schuhldienern beysammen Johannes Müller und Phi­ lippus Arnoldi. Anno 1703, Nr. 51, nach dem todenregister starb Johannes Müller, und kam an dessen statt als Helffer und Schuhldiener nach Münster, Valentinus Gradwohl. War also in diesen Zeiten Pfarrer zu Münster Ca­ rolus Faber, Helffer und Schuhldiener aber, Philippus Arnoldi und Valenünus Gradwohl. Dieser Gradwohl starb Anno 1708, den 21. Septembris, und kam an seine Statt, als Helffer und Schuhldiener nach Münster Tobias

Rückert. Anno 1708, den 3. Juny, starb Ca­ rolus Faber, der Pfarrer, und wurde

an dessen statt zu einem Pfarrer zu Münster beruffen, der damahlige Helf­ fer Philippus Arnoldi; an dieses Ar­ noldi Helfferstelle wurde beruffen zu einem Helffer, Johann Heinrich Reinemer. War also in diesen Zeiten Pfar­ rer zu Münster Philippus Arnoldi, Helffer und Schuhldiener aber, Tobias Rückert und Johann Heinrich Reinemer. Joh. Heinr. Reinemer starb 1713, den 5. Aprilis; an dessen statt wurde Helffer und Schuhldiener zu Münster Balthasar Holler. Waren also in officio

176 in diesen jahrszeiten beysammen, Phi­ lippus Arnoldi, Pfarrer, Tobias Rü­ ckert und Balthasar Holler Helffer und Schuhldiener. Anno

1714, als Philipp Arnoldi

emeritus worden, wurde zu einem Pfar­ rer nach Münster beruffen Leonhard Eckard, damahliger Pfarrer zu Mühl­ bach; dieser hatte zu Helsfern*) und Schuhldienern Tobias Rückert und Bal­ thasar Holler. Balthasar Holler aber wurde Pfarrer zu Mühlbach und kam an seine Helffers stelle nach Münster

Hieronimus Heumann. Also waren umb diese fZeit in officio beysammen Leonhard Eckard, Pfarrer, Tobias Rü­

ckert und Hieronimus Heumann, Helffer und Schuhldiener.

als

Anno 1735, den 17. Mertz, starb der Pfarrer Leonhard Eckard und wurde an dessen stelle zum Pfarrer nach Mün­ ster beruffen Johann Carl Eckard. Dieser hatte zu Helffern und Schuhl­ dienern von anfang Tobias Rückert und *) Anmerkung. Der Name Helfer, statt Diakonus, kommt — um es hier im Vorbeigehen zu sagen — noch heutzutage in der Landeskirche von Württemberg als Amts­

titel vor. Vielleicht hatte sich dieser Name, der in der oberelsässischen Kirche bis zur französischen Revolution üblich war, aus der

Herrschaft

Reich en w eier, die

württem-

bergisch war, ins Münsterthal eingebürgert.

177 Hieronimus

Heumann.

Tobias

Rü­

ckert wurde Anno 1735 Pfarrer zu Mühlbach, an deß verstorbenen Nicolaus Mittnachts stelle; Hieronimus Heumann aber starb 1735, den 18. Mey (sic). Hierauf wurden zu Helsfern und Schuhldienern beruffen nach Münster Georg Heinrich Martin und Martin Mols­ heim. Georg Heinrich Martin, der Helsfer, kam weg und wurde Pfarrer zu Waßlenheim; an dessen Statt wurde Helsfer zu Münster Christoph Heller, Martin Molsheim kam auch weg und wurde Helsfer zu Mittelberckheim; an dessen statt wurde Helsfer und Schuh ldiener zu Münster Andreas Brauer*),

1738. Dieser Andreas Brauer wurde Pfarrer zu Sundhoffen und kam an seine statt als Helsfer und Schuhldiener nach Münster Johannes Kiener. Dieser Johannes Kiener kam wieder weg und wurde Helsfer zu Reichenweyer; an dessen statt wurde Helsfer und Schuhl­ diener zu Münster Ludovicus Heumann. Stehen also dießmal zu Münster in officio beysammen: der Pfarrer, so genannt Carl Eckard, Helsfer und Schuhldiener Chri­ stoph Heller und Ludwig Heumann. Zu erforderlicher Nachricht hat man hier berichten wollen: *) Anmerkung.

war der

Schwager

Dieser Andreas Brauer

Schöpflins

Gönner des Andreas Lamey.

und

der

178 NB.

Es wurden die abgestorbenen nicht aufgezeignet,

und die gewohnheit solche aufzuschreiben ist erst Anno 1638 von Johannes Scheurer angefangen und eingeführet wor­ den, wie in dem Kirchenbuch mit Nr. 3 aufs der decke bezeignet; es sängt an mit Anno 1721, mit denen, die gebohren und getaufft worden und endiget sich Anno 1664. Hierauff folget das angefangene loden register.

Hier höret das Verzeichniß derer Lutherischen

Pfarrer zu Münster auf. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat es zum Verfaffer den Stadtpfarrer Johann Carl Eckard, der dasselbe aus alten Kirchenbüchern, die seitdem verloren gegangen sind, gesammelt hat. Um es bis in die neuere Zeit zu vervoll­ ständigen und eine leichtere Uebersicht dem Leser zu geben, theilen wir nachstehend die Reihenfolge der Münsterer Pfarrer in der Kürze mit.

Reihenfolge der evangelischen Pfarrer;u Münster. 1) Thomas Wiel, früherer katholischer Pfarrer, nimmt die Reformation an und ist der erste evangelische Pfarrer zu Münster im Gregorienthal . 1543—1563. 2) Hieronymus Bayer 1563—1564. 3) Paul Leckdeig, von Straßburg durch den Rath von Münster dorthin berufen 1564—1599. 4) David Funck 1599—1610. 5) Samuel Israel 1610—1633. 6) Wilhelm Weber 1633—1635. 7) Johannes Scheurer (wahrscheinlich aus Kolmar gebürtig) 1635—1678. 8) Karl Faber 1678—1708. 1708—1714. 9) Philipp Arnold!

179

10) Leonhard Eckard (früher Diakonus in Mühlbach) 11) Johann Carl Eckard (des Obigen Sohn) '. . 12) Johann Ludwig Heumann. . . 13) Samuel Glack (blieb zu Münster bis

1714—1735. 1735—1760. 1760—1779.

zur französischen Revolution, wo er sich nach Reichenweier zurückzog und daselbst 1795 starb) 1779—1793. Während der Revolutionsjahre 1793-1795 1793—1795 war kein Gottesdienst in Münster; in letzterem Jahre wurden die Kirchen wieder eröffnet und in Münster zwei

neue Pfarrer erwählt, nämlich: 14) Elias Stutz, aus Münster. . . . 15) Friedrich Lucs, ebenfalls aus Mün­ ster 16) Georg Heinrich Heylandt (der Nachfolger von Stutz) 17) Georg Friedrich Binder, aus Kolmar (LucsS Nachfolger) 18) Christian Meyer, aus Miltelweier, früherer Pfarrer von Günsbach (Heylands Nachfolger) 19) Johann Jakob Blind, aus Straß­ burg (Meyers Nachfolger) .... 20) David Steinbrenner(Blinds Nach­

folger), aus Waßlenheim, früherer Pfar­ rer von Cernay 21) Johann Iltis (PH. Binders Nach­ folger) 22) Theophil Schäffer, aus Rappoltsweiler (Nachfolger von PH. Iltis) .

1795—1796.

1796—1808. 1796—1828.

1808—1869

1828—1833.

1833—1848.

1848-------1869—1873.

1873--------

180

2.

Pfarrei Mühlbach. Verzeichniß der Pfarrer und Helfer von Mühlbach. *)

A. Pfarrer von Mühlbach.

1) Georg Jung, 1159. 2) Georg Carl, Meiningensis, antecessoris sui viduam uxorem duxit 7 Juny 1575. Dieser hat das Con­ cordienbuch unterschrieben. 3) Hieronymus Haluerius, 1586 m. (mense) apr. t 1594. 4) M. (Magister) Conrad Caesar**), 1595 den 26. Ja­ nuar, f 1623. 5) M. Abraham Volmar 1624 m. sept. f 1628. 6) Justus Loescher, 1628, antea diac. monast. 7) Isaac Loescher, 1636, antea diac. monast. 8) M. Georg Adam Schott, 1640. f die ultimo anni 1665 act. 53. 9) M. Jo. Balthazar Rimbach, argent. 1666. Dieser ist A. 1674, da die Brandenburger ins Thal kamen, von hier weg, und wieder nach Straßburg gezogen. 10) Christian Henr. Monachus 1675. f 1791 den 20. Nov. aet. 49. 11) Leonhard Eckard, Windshemio-Francus 1691, den 6. Dezember. Antea ab. a. 1Ö87 diac. Muhlb. et *) Anmerkung.

Dieses Verzeichniß verdankt der Verfasser

der Freundlichkeit des verstorbenen Pfarrers

Schilling er,

der

dasselbe eigenhändig für ihn aus dem Kirchenarchiv von Mühlbach

abschrieb. **) Anmerkung.

Es

gibt

noch

heutzutag in der

Brandenburg Geistliche, die den Namen Cäsar führen.

Provinz

181

12)

13)

14)

15)

16)

17)

18)

postea 1714 pastor Monast. f 1735 den 17. Mart, aet, 73. Jo. Balthasar Holler Idstenio-Nassovicus 1714, den 9. Sept, antea ab. a. 1711 diac. Muhlb. et ab. a 1713 diac. monast. f 1716 den 21. Dez. aet. 31. M. Jo. Nicol. Mittnacht *), Beblenheimensis 1717, den 24. jen. f 1735 den 24 apr. aet. 49. Jo. Tobias Rücker, von Strintz Margaretha, aus dem Fürstenthum Nassau-Idstein. Präsent. 1735 die festo Joh. Baptist, antea ab a. 1705 diac. Muhlb. et ab. a. 1708 diac. monast. f 1750, den 17. Nov. aet. 72. Samuel Glack, Richovillanus, voc. den 2. Dez. 1750, antea ab a. 1741 diac. Gunspacensis — past. monast. den 22. Dez. 1779. Dan. Frider. Eccard, Leonh. Eccard nepos, Caroli Eccard, past. monast. filius, voc. den 22. Sept. 1779. Antea ab. a. 1762, den 3 Jan. diac. Gunspacens. — Concionem accessoriam habuit Muhlb. 1780, den 6. Febr. Dom. Quinquag. j* 1805. Carol. Frid. Eccard, Gunspacensis, antecessoris filius, patris diac. pastor nom. 7. jen. 1806 f 1844 19. apr. (nat. 1773, mense aug.). Carol. Lud. Henr. Heylandt **), nom. 7. oct. 1806, postea past. Hunav.

*) Anmerkung.

Die Familie Mittnacht, aus dem Würt-

tembergischen, zur GrafschaftNeichenweier gehörigen Dorfe Beblen-

heim, blüht daselbst noch heutzutag.

Auch in Alt-Württemberg

findet sich dieser Name noch vor; wir erinnern z. B. an den Mi­

nister Mittnacht in Stuttgart.

Vermuthlich stammt auch der

würtlembergische Zweig dieser Familie aus dem Elsaß.

**) Anmerkung.

Die

aus der Pfalz stammende

Familie

Heylandt blüht noch heut in Kolmar und nimmt unter den Fa­

brikanten im Ober-Elsaß eine ehrenvolle Stelle ein.

182 19) Joh. Georg Ritteimeyer, mediohusanus, nom. 6 sehr. 1816, antea ab. a. 1814 vic. Muhlb. ä. 1829 past. Sulz. (Sulzern). 20) Joh. Jac. Schillinger argent. nat. 13 Aug. 1801 nom. 11. aug. 1829. f sehr. 1872. 21) Georg. Henr. Aug. Ritteimeyer, Muhlbacensis, nat. 27. juny 1817, nom. 2. Juli 1843 prsesent. 20. Oct. ejusdem anni. Nunc. past. Graffenst. abiit. 11. jan. 1856. 22) Frider. Theod. Stahl arg. antea past. Blidah (Al­ gerien), nomin 8. jan. 1856, nunc past. Markirchensis, abiit Jan. 1873. 23) Frider. Bresch, past. administr. Berstettensis, successor pastoris Jo. Jac. Schillinger, nomin. 23. Juli 1872. 24) Emil Theophil. Leonhard, Colmar, vic. monast. successor Frider. Theod. Stahl, nom. 4 Mart. 1873.

B.

Helfer von Mühlbach.

NB. Der jeweilige Helfer war auch zugleich Schul­ meister, bis auf Hrn. Dieffenbach, in dessen lehtern Jahren die Schule von der Helferstelle getrennt worden. 1) Caspar Spohn, Ravenspergensis; dieser' hat Sonn­ tag, den 4. Sept. 1580, hier taufen lassen. Unde absque dubio primus Diaconus er^t atque Ludimoderator, nam Schola in valle hac majori fundata et restaurata est a. ehr. 1578. Pastor Andolsh. 1583-1586 den 8. Juli. 2) Christoph Weissenbrun. Dieser hat den 2. mart. und den 3. apr. 1586 hier getauft. Kam von hier nach

183

Münster, denn es wird seiner in den dortigen Kirchen­

büchern gedacht A. 1588, 89 und 91. 3) Christoph Schmidt. Dieser ist mense octob. 1666 hier copulirt worden. 4) Nicolaus Lucae *), Hungarus. Dieser ist den 31. Au­

gust hier copulirt worden. Pastor Mietersholzensis 1686 t ibid. 1717. 5) Leonhard Eckard, Windshemio-Francus, 1687. Fast. Muhlb. 1691 Fast, monast. 1714, f 1735. (Die Fa­ milie Eckard oder Eccard, aus der Reichsstadt Windsheim, in Franken, abstammend, hat derMünsterthäler Kirche vier Pfarrer geliefert, zwei in Mün­ ster und zwei in Mühlbach). 6) Martin Pabst, Munzenh. 1693. Fast. Ostheim. 1701,

adjunctus pastoris Mediovillani, Zachariae Woborsky, 1708. Fast, mediov. 1709 den 10 mart.

1728. 7) Jo. Georg Resch, Hunnovillanus, 1701 Vicarius Richovillae 1705. Fast. Hunnov. 1709 f 1734. 8) Jo. Tobias Rücker, von Strintz-Margaretha, im Fürstenthum Nassau Idstein. Praesent. Dom XI p. Trin. A. 1702. Diac. monast. 1708. Fast. Muhlb. 1735 f 1750. 9) Stephan Kuhlmann, Beblenheimensis, 1708. Diac. Gunsp. 1711, den 24. jun. Fast. Osth. 1728 ob senilitatem dimissus 1757. f 1763 den 17. jul. aet. a. 80 m. 9, d. 11. 10) Io, Balthasar Holler, Idstenio-Nassovicus, 1711. Diac. monast. 1713, past. Muhlb. 1714. f 1716.

*) Anmerkung. Dieser Nicolaus Lucae (das ist die eigent­ liche Schreibart des Namens) ist also der Stammvater der ehren­ haften Familie Luce in Münster, deren Nachkommen noch heutzutag, durch weibliche Familienglieder fortgepflanzt, daselbst existiren.

184

11) Hieronymus Heymann, ülmensis, 1713. Diac. monast. 1720 t 1735 den 18. maj. 12) M. Jo. Philipp. Rapp, Durlacensis, 1720. Pastor Gertavillanus 1735. f 1750. 13) Jo. Caspar Dieffenbach, aus der Pfalz, praesent. 1735 die festo Job. Bapt. f 1757 den 29. jan. aet. 71 m. 4, d. 6. 15) Jo. Henr. Graff argent. praesent. dom. sexag. 1757 diac. monast. 1760, pastor Bofzheimens. m. majo 1779. f ibid. 1782 m. febr. 15) M. Jo. Petrus Emmerich, argent. praes. dom. 2 post. trin. 1760. 16) Carol. Frid. Eccard, Gunspacensis, ultim. diac. Muhlb.

3.

Pfarrei Sulhern. Vorbemerkung.

In Sultzern bestand, laut

den alten Kirchenbüchern,

vom Jahre 1755 an, ein regelmäßiger evangelischer Got­ tesdienst an jedem Sonntage.

von

einem

Kirchhof

In dem kleinen, hölzernen,

umgebenen Gotteshause,

vereinigte

sich jeden Sonntag Nachmittag die evangelische Gemeinde

von Sultzern;

den

Gottesdienst versah abwechselnd der

Pfarrer oder der Diakonus von Münster, ebenso die Easualfälle.

In den siebziger Jahren des vorigen Jahr­

hunderts wurde die Kirche so baufällig, daß die Münsterer Geistlichen, wegen der Gefahr des Einsturzes, keinen Gottes­

dienst mehr darin Hallen wollten. die Bürger

des

Darauf hin beschlossen

damals ganz evangelischen Dorfes, aus

eigenen Mitteln ihre Kirche zu erbauen.

Solches geschah

185 im Jahre 1782. (Noch steht im Kirchthurm ein Stein, der die Jahrzahl 1782 trägt). Die Evangelischen erbauten also, auf ihre Kosten und ohne Staatshilfe, ihre Kirche, unter der Bedingung, daß dieselbe ausschließlich zum evangelischen Gottesdienste dienen würde. Dies wird durch den weiter unten folgenden notariellen Akt bestätigt, der im Kirchenarchiv von Sultzern sich befindet, und den Rechts­ titel der evangelischen Gemeinde von Sultzern, ultramontanen Angriffen gegenüber bildet. Bald nach Vollendung des Kirchenbaus wünschte die Gemeinde Sultzern auch einen Ortspfarrer zu erhallen. Diesem Wunsche wurde erst im

Jahre 1793, mitten unter den Stürmen der französischen Revolution, entsprochen. Auf die Empfehlung des Pfarrers Glack, von Münster, erwählte die Gemeinde Sultzern, zu ihrem ersten Seelsorger, Herrn Johann Friedrich Bernhard Balzweiler, geboren zu Muntzenheim, den 9. September 1773, Sohn eines aus dem benachbarten Badischen stammenden Wundarztes. Derselbe hatte die Pfarrei Sultzern, sammt den beiden Dörfern Stoßweier und Ampfersbach, als Filialen zu versehen, eine Pfarrei die eines Seelsorgers Kräfte, durch ihren Umfang und ihre weit in den Bergen herum zerstreuten Häuser, bei Weitem überstieg. In welchem Sinne Pfarrer Balzweiler wirkte, ist schon angegeben worden. Ihm verdankt die Kirche von Sultzern ihre freilich jetzt baufällig gewordene Orgel, die von einem straßburgischen Orgelbauer, Namens Sauer im Jahre 1806 erbaut wurde.

A.

Verzeichnis^ der evangelische« Pfarrer von Sultzern. 1) Johann Friedrich Bernhard Balzweiler, von 1793—1811, allwo er nach Muntzenheim, seinem Geburtsorte, berufen wurde, und bis zum Jahre 1813

186 blieb. Während dieser Zeit wurde die Gemeinde Sultzern wieder, von Münster aus, bedient. Im Jahre 1813, kehrte Pfarrer Balzweiler nach Sultzern zurück, wo er bis 1829 blieb, und dann, weil ihm die Pfarrei zu beschwerlich wurde, nach Sundhoffen versetzt wurde, wo er den 12 Juli 1850 im sieben und siebenzigsten Lebensjahre starb. 2) Johann Georg Rittelmeyer, aus Kolmar, früher Diakonus in Mühlbach, verwaltete das Pfarr­ amt in Sultzern, vom 28. Juli 1829 an, bis zu seinem Tode, der im September 1853 erfolgte. 3) Friedrich Karl Höffel, früher Pfarrer in der unirten (halb aus Reformirten, halb aus Luthe­ ranern bestehenden) Gemeinde Altweier (Aubure), wurde von der obern Kirchenbehörde, den 6. Dezember 1853, als Pfarrer nach Sultzern ernannt. Seine Bestätigung erfolgte den 31. März 1854, und von da an wirkte er in Sultzern bis zum 21. März 1865, wo er auf seine Meldung und auf sein Begehren hin, als Pfarrer nach Breuschwickersheim ernannt wurde. 4) Sein Nachfolger in Sultzern wurde Julius Frie­ drich Emil Rathgeber, ebenfalls früherer Pfarrer von Altweier (Aubure); derselbe wurde den 16. Mai 1865 bestätigt, und verwaltete sein Pfarramt in be­ sagter Gemeinde, unter mancher Schwierigkeit, bis zum Jahre 1873, wo er nach achtjähriger Wirksamkeit, den 11. März 1873, nach Ernolsheim, Ki Zabern, berufen wurde. 5) Der fünfte Pfarrer von Sultzern ist Karl Bach,

seit 1867

Pfarrer

*) Anmerkung.

in

Eyweiler, bei Drulingen *),

Topographisch gehören diese Orte unstreit­

bar zu Lothringen, allein bis jetzt bilden sie noch einen Bestandtheil

des Kreises Zabern, im Unter-Elsaß.

187 in Deutsch-Lothringen; derselbe wurde den 4. Juli 1873,

durch Beschluß der Kirchenbehörde, nach Sultzern er­

nannt.

B. Abschrift eines alsRechtstitel anzusehenden Notariats­ aktes, die evangelische Kirche von Snltzern betreffend.

ACTE DE

NOTORIEtL

22. Oct. 1845. No. 2583. Pardevant Me Jean-Guillaume Allemand et son collögue, notaires ä Münster, sont comparus MM. Georges Fritsch, cultivateur, demeurant ä Sul­ tzern, ägö de quatre-vingt-dix ans; Nicolas Kempff, cul­ tivateur, demeurant ä Stosswihr, ägö de quatre-vingtsept ans; Andrä Ertlö, cultivateur, demeurant ä Sultzern, äge de qiiatre-vingt-six ans; Jacques Hadey, cultivateur, demeurant audit lieu, ägö de quatre-vingt-cinq ans, et Jean Fritsch, cultivateur, demeurant au möme lieu, äge de quatre-vingt-quatre ans. Lesquels ont, par ces präsentes, certifie et atteste pour vörite et notoriätö ä tous qu’il appartiendra: 1° Qu’avant Fexistence ä Sultzern du temple actuel pour le culte evangelique Protestant, il s’en trouvait un autre en ötat de vetustö compläte et menagant ruine; 2° Que dans ce m6me ancien temple de Sultzern il ne sc trouvait ni choeur, ni autel pour le culte catholique et qu’il ne s’y celöbrait point de Service divin catholique, mais bien seulement un seivice divin övangelique prote/tantf, pour lequel, attendu que Sultzern et Stosswihr formerent anciennement une annexe de

188 Föglise protestante de Münster, un pasteur de cette dernidre eglise se rendait tous les dimanches aprösmidi ä Sultzern. 3° Que Fdglise protestante actuelle de Sultzern a dtö construite en dix-sept-cent-quatre-vingt-deux sur Femplacement de l’ancienne dglise ci-dessus mentionnöe. 4° Que la construction en dix-sept-cent-quatre-vingtdeux de Föglise actuelle a ät6 falte uniquement et exclusivement des deniers et moyens des fideles protestants des communes de Sultzern et Stosswihr, en y comprenant toutefois le produit des quötes kaltes au* prds de leurs coreligionnaires. 5° Que les habitants de Sultzern ont elu quatre et ceux de Stosswihr deux de leurs concitoyens pour surveiller et diriger la construction de cette mßme dglise. Dont acte requis et octroye pour servir et valoir ce que de raison. Fait et passd ä, Sultzern au presbytdre L’an mil huit Cent quarante-cinq, le vingt-deux octobre, ä deux heures de relevee, Et aprös lecture falte par Interpretation en allemand les comparants ont signe avec les notaires ä la Minute des presentes au bas de laquelle est dcrit «Enregistrd ä Münster, le vingt-huit octobre mil «huit cent quarante-cinq, folio 24, recto Ce 4. Re$u »deux francs et vingt Centimes pour decime. Signe «Durion.» Pour expedition Signe Allemand. Pour copie conforme, dont Fexpedition est ddposde aux archives de Feglise. Ritteimeyer, pasteur.

189 4.

Pfarrei Stoßweier. Vorbemerkung. Die Pfarrei Stoßweier mit dem Dorfe Ampfersbach gehörte in früherer Zeit zur Pfarrgemeinde Sultzern. Von 1793 an bis 1858 hatten diese Dörfer dieselbe Kirche und denselben Pfarrer. Unter Pfarrer Höffel, fand die Los­ trennung der Dörfer Stoßweier und Ampfersbach, von der Muttergcmeinde Sultzern statt, weil diese beiden Filiale, die an Bevölkerung stark gewachsen waren, für den Pfarrer von Sultzern zu beschwerlich wurden. Die evangelischen Bürger von Stoßweier und von Ampfersbach fingen zuerst damit an eine Kirche zu bauen, und als diese vollendet war, wurde die Gemeinde Stoßweier durch eine Verord­ nung vom 24. Februar 1858, von der französischen Re­ gierung zu einer evangelischen Pfarrei erhoben.

Derzeichnttz -er evangelischen Pfarrer von Stoßweier. 1) August Kayser, licent. theolog. wurde durch Erlaß der Kirchenbehörde vom 4. Mai 1858 zum ersten Pfarrer von Stoßweier ernannt und am darauf fol­ genden 22. Mai von der französischen Regierung be­ stätigt. Derselbe wurde den 1. Juli 1868 zum Pfar­ rer vom Neuhof ernannt und legte im Jahre 1873 diese Stelle nieder, um einen Ruf als professor extraord. an der Kaiserlichen Universität von Straß­ burg anzunehmen.' 2) Sein Nachfolger in Stoßweier wurde Wilhelm Erb, früher Pfarrvikar zu Saar-Union, in DeutschLothringen. Den 25. August 1868 wurde er von der Kirchenbehörde nach Stoßweier ernannt, empfing die

190 kaiserliche Bestätigung den darauf folgenden 12. Ok­

tober und wirkte in reichem Segen in seiner Gemeinde,

bis ihn im September 1871 der Tod seinem irdischen Wirkungskreise und seinen zahlreichen Freunden entriß.

Sein Andenken bleibt aber im Segen, nicht nur bei seinen

früheren

Gemeindegliedern,

sondern

bei

all'

denen, die ihn gekannt haben, denn er war ein edler

Mensch im vollen Sinne deS Wortes. 3) Nach einem dreivierteljährigen, in Folge der Kriegs -

ereignisse eingetretenen Interim, folgte ihm in Stoß­

weier nach, Karl Eduard Woringer,

früher in

Hohwald, ernannt durch einen Beschluß der Kirchen­ behörde vom 16. April 1872.

Mit diesem Namen schließen wir die näheren Mitthei­

lungen über die Geschichte des Münsterthales.

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