Konflikte und Krisen im Neuen Testament und ihre Bewältigungsstrategien: Herausgegeben:Breuer, Saskia; Paul, Clarissa; Schmidt, Eckart David 9783161614422, 9783161614439, 3161614429

Die Schriften des Neuen Testaments geben Zeugnis von unterschiedlichen Konflikten und Krisen unter den frühen christusgl

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Konflikte und Krisen im Neuen Testament und ihre Bewältigungsstrategien: Herausgegeben:Breuer, Saskia; Paul, Clarissa; Schmidt, Eckart David
 9783161614422, 9783161614439, 3161614429

Table of contents :
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Hinführung
Friedrich Wilhelm Horn — Konflikte und Krisen – Geburtshelfer frühchristlicher Theologie
Matthias Berghorn — The Kings and the Messiah: A Contribution to the Conflict History in the Gospel of Matthew
Martin Bauspieß — Das letzte Wort Jesu (Mk 15,34): Das Markusevangelium als Konfliktgeschichte
Clarissa Paul — ἔκραζεν υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με: Krise und Krisenbewältigung in den lukanischen Heilungserzählungen
Nils Neumann — Soziale Konflikte und Errettung in den lukanischen Schriften
Tanja Forderer — Πορνεία in der korinthischen Gemeinde: Zur Argumentation des Paulus in 1 Kor 5,1–13; 6,12–20
Jan Quenstedt — „Folgt meinem Beispiel wie ich dem Beispiel Christi“ (1 Kor 11,1): Paulinische Mimesisvorstellung als Konfliktlösungs- und Konfliktpräventionsstrategie
Saskia Breuer — Onesimus im Konflikt mit Philemon und Paulus als Vermittler? Eine Diskussion zu den Theorien vom fugitivus, erro und amicus domini
Eckart David Schmidt — Glauben, wenn es schwierig wird: Beobachtungen zu (k)einem Schlüsselbegriff im 1. Petrusbrief vor dem paulinischen Hintergrund
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Autorenregister
Sachregister

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Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament ∙ 2. Reihe Herausgeber/Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber/Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) ∙ James A. Kelhoffer (Uppsala) Tobias Nicklas (Regensburg) ∙ Janet Spittler (Charlottesville, VA) J. Ross Wagner (Durham, NC)

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Konflikte und Krisen im Neuen Testament und ihre Bewältigungsstrategien Herausgegeben von

Saskia Breuer, Clarissa Paul und Eckart David Schmidt

Mohr Siebeck

Saskia Breuer, geboren 1988, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für biblische Theologie – Neues Testament an der Universität Paderborn. Clarissa Paul, geboren 1985, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Eckart David Schmidt, geboren 1969, Privatdozent für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

ISBN 978-3-16-161442-2 / eISBN 978-3-16-161443-9 DOI 10.1628/978-3-16-161443-9 ISSN 0340-9570 / eISSN 2568-7484 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nati­onal­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Times New Roman gesetzt, von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.

Inhaltsverzeichnis Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Friedrich Wilhelm Horn Konflikte und Krisen – Geburtshelfer frühchristlicher Theologie . . . . . . . . 9 Matthias Berghorn The Kings and the Messiah: A Contribution to the Conflict History in the Gospel of Matthew . . . . . . . 31 Martin Bauspieß Das letzte Wort Jesu (Mk 15,34) Das Markusevangelium als Konfliktgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Clarissa Paul ἔκραζεν υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με Krise und Krisenbewältigung in den lukanischen Heilungserzählungen . . 77 Nils Neumann Soziale Konflikte und Errettung in den lukanischen Schriften . . . . . . . . . . 133 Tanja Forderer Πορνεία in der korinthischen Gemeinde Zur Argumentation des Paulus in 1 Kor 5,1–13; 6,12–20 . . . . . . . . . . . . . . 157 Jan Quenstedt „Folgt meinem Beispiel wie ich dem Beispiel Christi“ (1 Kor 11,1) Paulinische Mimesisvorstellung als Konfliktlösungs- und Konfliktpräventionsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Saskia Breuer Onesimus im Konflikt mit Philemon und Paulus als Vermittler? Eine Diskussion zu den Theorien vom fugitivus, erro und amicus domini . 195

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Inhaltsverzeichnis

Eckart David Schmidt Glauben, wenn es schwierig wird Beobachtungen zu (k)einem Schlüsselbegriff im 1. Petrusbrief vor dem paulinischen Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

Hinführung Der vorliegende Band geht auf die 22. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft neutestamentlicher Assistenten und Assistentinnen an theologischen Fakultäten (AG-Ass), zurück, die vom 3. bis 5. Mai 2019 in den Räumlichkeiten der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg zum Thema Konflikte und Krisen im Neuen Testament und ihre Bewältigungsstrategien stattfand. Die Beiträge dieses Bandes enthalten die überbearbeiteten Vorträge dieser Tagung sowie einige ergänzte Beiträge gegenwärtiger und ehemaliger AG-AssMitglieder. Das Neue Testament ist angefüllt mit Erzählungen über Krisen und Konflikte und hält – allerdings nur teilweise – Bewältigungsstrategien zum Umgang mit diesen bereit. Dies erfolgt auf unterschiedlichen methodischen und inhaltlichen Ebenen, sei es z. B. in Erzähltexten durch Auseinandersetzungen von Erzählfiguren untereinander oder in Briefen durch die direkte Austragung von Differenzen in theologischen Positionen und/oder Forderungen zu konkreten Konsequenzen der Jesusnachfolge, sei es durch Auseinandersetzungen mit zeitgeschichtlichen Begebenheiten nach außen oder durch Fragen der Grenzziehung nach innen. Zu nennen sind beispielsweise die Konflikte Jesu mit seinen Gegnern, die sozialen sowie theologischen Konflikte und Krisen, auf die Paulus und andere Briefautoren in ihren Briefen reagieren, die vielfältigen Krisen der ersten Christen, von denen die Apostelgeschichte erzählt, aber auch die Gleichnisse Jesu, die intratextuell von vielfältigen Konflikten erzählen. Im bekannten Gleichnis vom verlorenen Sohn etwa tut sich anhand der Figurenkonstellation massives Konfliktpotential auf, der jesuanische Erzähler enthält sich aber auffälligerweise einer eindeutigen Positionierung, so dass die Beurteilung bezüglich der angemessenen Reaktion auf die Krise den Leser*innen überlassen bleibt. Dieser Vielfalt von Konflikten und Krisen sowie ihren Bewältigungsstrategien  – bzw. wenigstens dahingehenden Versuchen – spüren die vorliegenden Beiträge nach. Friedrich Wilhelm Horn, der auf der oben genannten Tagung den Eröffnungsvortrag hielt, beginnt seinen Beitrag Konflikte und Krisen – Geburtshelfer frühchristlicher Theologie mit grundsätzlichen Überlegungen zur Verwendung der Begriffe „Konflikte“ und „Krisen“ in aktuellen gesellschaftlichen Bereichen. Er stellt fest, dass dem gegenüber im Neuen Testament viel pointierter nur in extremen Situationen eines drohenden Zusammenbruchs von „Konflikten“ oder „Krisen“ gesprochen wird. Nichtsdestotrotz geben schon die frühesten neutestamentlichen Schriften Zeugnis von vielen Konflikten, die teils explizit

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genannt, teils auch nur indirekt erschlossen werden können: angefangen von einem konkreten Ereignis wie dem sog. „Antiochenischen Zwischenfall“ über die schroffe Ablehnung der Meinungen und Überzeugungen anderer in Blick auf Kult, Gemeinschaft, Identität, Ethos usw., bis hin zu kanonischen Fragen, wie dem Verhältnis von Mt zu Mk oder der Eschatologie von 2Thess zur Eschatologie von 1Thess. Eine „plurale Identität“ ist damit schon in den ältesten christlichen Zeugnissen erkennbar. Klar reflektierte Bewältigungsstrategien sind in dieser Zeit hingegen noch nicht erkennbar. Stattdessen reagiert man mit Polemik, Lasterlisten, Verfluchungen oder Verzicht auf Gemeinschaft. Krisen wie der Tod von maßgeblichen Führungspersönlichkeiten haben jedoch auch zu Kreativität und Produktivität geführt, wie sie in der sog. apokryphen und pseudepigraphen Literatur kenntlich werden. – Im zweiten Teil seines Beitrags konkretisiert Horn seine Beobachtungen anhand einer Analyse der Positionierungen im johanneischen Schisma, also derjenigen Situation, in der eine gewisse Gruppe von Gläubigen die johanneische Gemeinde verlassen hat und von dieser nun als Abweichler und Dissidenten betrachtet wird – wobei beide diese Begriffe tendenziös sind und genauso gut auch von der jeweils anderen Seite aus verwendet werden können. Horn kommt schließlich zum Ergebnis, dass das gesamte Neue Testament ein Dokument unterschiedlicher Selbstfindungsprozesse des frühen Christentums ist. Konflikte gehören zu diesen Prozessen natürlicherweise dazu; heute ist daraus der Wert „pluraler Identität“ zu erkennen, Konfliktlösungen innerhalb des Neue Testaments dürfen nicht simplistisch, sondern nur hermeneutisch reflektiert „auf allen Ebenen kirchenleitenden Handelns“ in die heutige Zeit übertragen werden. Matthias Berghorn betrachtet in seinem Beitrag The Kings and the Messiah: A Contribution to the Conflict History in the Gospel of Matthew das Matthäusevangelium aus dem Blickwinkel des das Evangelium bestimmenden Führungskonflikts, exemplarisch anhand von Mt  1,1–4,16. Schon in diesen ersten Kapiteln des Evangeliums werden Herodes bzw. nach dessen Tod die jüdischen Autoritäten auf der einen Seite und Jesus als Messias auf der anderen Seite als diametral unterschiedliche Herrscher gegenübergestellt: Herodes lässt für seinen Machterhalt die Kinder von Bethlehem töten (2,16), die jüdischen Autoritäten ordnen sich Gott und dessen Willen nicht unter (3,7–12). Jesus hingegen ist der gute Hirte, der ganz anders als Herodes sein Leben für die Schafe gibt (1,21; 2,6), der sich dem Willen Gottes unterordnende Messias (3,13–4,11), wird daher mit Herrschaftstiteln wie Messias (1,1.18; 2,4) und König der Juden (2,2) bezeichnet und hat den gleichen Anfang und das gleiche Wirkungsgebiet wie die alttestamentlichen Könige. Die Genealogie konzentriert sich besonders auf David und Jerobeam sowie auf die Epoche des Endes der Königreiche. Dabei wird Jesus als neuer, anderer David bzw. Davidssohn sowie Jerobeam gezeichnet, der ein gerechter und barmherziger Herrscher ist. Die Katastrophe des Endes der Königreiche wird hingegen auf Herodes und die jüdischen Auto-

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ritäten übertragen, auf die Zerstörung Jerusalems ausgeweitet, und entsprechend inhaltlich begründet: Sie übten keine Barmherzigkeit, ließen Kinder töten und töteten den Messias. Martin Bauspieß deutet in seinem Beitrag Das letzte Wort Jesu (Mk 15,34). Das Markusevangelium als Konfliktgeschichte das zweite Evangelium – eben als Konfliktgeschichte. Das Wort Jesu am Kreuz in Mk 15,34 ist für ihn entscheidend für die narrativ entfaltete Bedeutung des Sterbens Jesu. Über die kleinen Konflikte – z. B. den Konflikt mit den Dämonen in 1,21–28 sowie den Konflikt mit den Schriftgelehrten u. a. in der Streitgesprächsammlung 2,1–3,6 – wird die Szene von Jesu Kreuzigung narrativ als Schlüsselszene des eigentlichen Konflikts fixiert. Dabei muss 15,34 intertextuell unter Rückbezug auf Ps 22,2 gelesen werden. Bauspieß diskutiert sowohl Ps 22 als Ganzen als auch exklusiv V. 2 als Bezugsgrößen für das mk Zitat, spricht sich aber für die zweitere Option aus. Auf der Basis des Feindmotivs aus den Psalmen sowie der Motive vom Zerreißen des Tempelvorhangs (Mk  15,38), der hereinbrechenden Finsternis (15,33) und dem Bekenntnis des Hauptmanns (15,39) erschließt er das Thema des gesamten Evangeliums von 15,34 her: Mit dem Tod Jesu bricht die Stunde der Rettung als einem neu eröffneten Zugang zu Gott an. Die Bekenntnisworte des Hauptmanns in 15,39 führen zum Evangeliumsanfang zurück: zur Identifizierung Jesu als Gottessohn in der Taufe (1,9–11) sowie zu seiner Botschaft vom Reich Gottes (1,14 f.). Besonders legt aber der Blick auf den Schluss des Mk (16,8) die mk Konzeption einer Lektüreanweisung an die Leser*innen fest, das Evangelium nochmals mit Blick auf den Gekreuzigten zu lesen. Das ist wiederum mit der Lektüre der Konfliktgeschichten verbunden, die innerhalb des Evangeliums das Kreuz offenlegen. Die Reflexion über die verschiedenen Ebenen der Konflikte in Mk führt zu dem Ergebnis, „dass die Rede von Gott nicht möglich ist ohne die Wahrnehmung der menschlichen Konflikte“ (73). Clarissa Paul betrachtet in ihrem Beitrag ἔκραζεν υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με. Krise und Krisenbewältigung in den lukanischen Heilungserzählungen zunächst Krankheiten allgemein unter physischen, sozialen, finanziellen und religiöskultischen Gesichtspunkten. Diese Aspekte üben einen umfassenden Einfluss auf die Erkrankten sowie teilweise auch ihr näheres Umfeld aus und können daher als Krisen erfahren werden. Im weiteren Fortgang ihrer Studie analysiert Paul Heilungserzählungen von erkrankten Figuren im Lukasevangelium (bzw. Erzählungen von solchen, die den Erkrankten nahestehen). Diese Erzählungen schildern das Bemühen der Betroffenen, die Krise aktiv zu bewältigen, indem sie sich für sich selbst oder für andere an Jesus wenden im Vertrauen darauf, dass er sie heilen kann. Einige von ihnen zeigen ihr Vertrauen, indem sie eine Handlung ergreifen (die Freunde des Gelähmten  [5,17–26]; die blutflüssige Frau [8,43–48]), andere richten sich verbal an Jesus und bitten um seine Hilfe. Zum Teil verleihen sie ihren Bitten durch körperliche Gesten nonverbal Nachdruck. Innerhalb dieser Erzählungen greift der Erzähler wiederholt auf sog. kom-

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munikative Gebetstermini zurück, sowie auf in alttestamentlichen Gebeten auftauchende Wortverbindungen und Motive. Mehrfach wertet Jesus das Verhalten der sich an ihn wendenden Erzählfiguren als πίστις bzw. er fordert den Jairus zur πίστις auf (8,50). So zieht Jesus eine Verbindung zwischen der πίστις der Figuren und ihrem Gerettet‑ bzw. Geheiltwerden (σῷζω), was sich insbesondere in dem wiederholten Zuspruch ἡ πίστις σου σέσωκέν σε niederschlägt (8,48; 17,19; 18,42; außerhalb einer Heilungserzählung auch 7,50). – Als Beispiel für den Umgang einer Erzählfigur mit ihrer Krisensituation und ihrer inständig an Jesus gerichteten Bitte um Heilung betrachtet Paul schließlich die beiden Erzählungen vom blinden Mann vor Jericho (18,35–43) und  – komplementär und kontrastierend dazu – von Zachäus (19,1–10). Diese beiden Männer veranschaulichen zwei verschiedene zur Rettung (σωτηρία) führende Wege: Der Blinde setzt sich hartnäckig für seine Begegnung mit Jesus ein, zeigt Glauben und bittet Jesus eindringlich um Erbarmen; Zachäus lässt sich durch die Begegnung mit Jesus zur Umkehr und zur Buße veranlassen. In seinem Beitrag Soziale Konflikte und Errettung in den lukanischen Schriften liest Nils Neumann im lukanischen Doppelwerk Jesu Botschaft von Heil als Botschaft von Konflikten: Nicht nur Armen, Zöllnern, Sündern und anderen Marginalisierten gilt sie, sondern auch die Pharisäer, Schriftgelehrten und religiösen Führer hören sie und werden von ihr herausgefordert. Die Leserschaft der lk Schriften scheint heterogen zu sein und sich in einer angespannten Situation zu befinden, und zwar sozial und ökonomisch. Im Gespräch mit aktuellen, soziologischen und sozialphilosophischen Analysen übernimmt Neumann mittels narratologischer Methodik die Einsicht eines typisch lk „dramatischen Dreiecks“ (ursprünglich von G. Sellin), einer häufigen Figurenkonstellation in Perikopen des lk Werks: An der Spitze dieses Dreiecks steht Gott oder ein anderer Repräsentant der himmlischen Welt als maßgebliche Autorität, an den beiden anderen Ecken des Dreiecks stehen zwei analoge, aber diametral gegensätzliche Personen, mit denen Gott oder der Repräsentant interagiert, so z. B. mit Maria und Marta (Lk 10,38–42), den „neun-plus-einem“ geheilten Aussätzigen (17,11–19), den beiden Verbrechern am Kreuz (23,39–43) u. a. Anhand dieser narrativen Struktur portraitiert Lk Konfliktparteien und konkretisiert das „Heil“, das Jesus bringt: Es begegnet Menschen mit hohem und niedrigem sozialen Prestige und beeinflusst den Umgang der Konfliktparteien miteinander. Am konkreten Beispiel der Erzählung von der Sünderin Lk 7,36–50 analysiert Neumann schließlich dieses Vorgehen des dritten Evangelisten und verdeutlicht, wie für den lk Jesus Theologie und Soteriologie immer auch Soziologie und Therapie sind. Der Beitrag Πορνεία in der korinthischen Gemeinde. Zur Argumentation des Paulus in 1 Kor 5,1–13; 6,12–20 von Tanja Forderer nimmt die Problemlage sowie die paulinische Argumentation von 1 Kor  5,1–13 und 6,12–20 in den Blick, in denen Paulus die Vorkommnisse in Korinth als πορνεία interpretiert

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und diese für die Christusbeziehung der Gemeinde und/oder des Einzelnen in der Gemeinde reflektiert. Die Darlegung der Probleme, auf die Paulus in den beiden Abschnitten reagiert, nämlich die sexuelle Beziehung eines Gemeindemitglieds zu seiner (Stief-)Mutter sowie der Sexualkontakt einzelner Gemeindemitglieder zu Prostituierten, zieht Forderer zur Charakterisierung der Korinthischen Gemeinde heran. Aus Paulus’ Perspektive fehlt dieser ein hinreichendes sexualethisches Problembewusstsein, daher toleriert sie sogar einen konkreten Vorfall von πορνεία in ihrer Mitte (5,1–13). Für Paulus geraten die betroffenen Gemeindemitglieder dadurch in einen Konflikt mit ihrem Christusglauben, da die πορνεία ihre Christusbeziehung, aber auch die Gemeinde selbst gefährdet. Forderer problematisiert zugleich den uneindeutigen Begriff der πορνεία. In einer Argumentationsanalyse der beiden Abschnitte stellt sie heraus, dass Paulus überaus differenziert argumentierend zur Lösung bzw. Bewältigung des Konflikts eine strikte Ablehnung jeglicher Form von πορνεία innerhalb der Gemeinde zeigt. Abschließend reflektiert die Verfasserin die Ergebnisse mit Blick auf die heutige Lebenswelt. Jan Quenstedt analysiert in seinem Beitrag „Folgt meinem Beispiel wie ich dem Beispiel Christi“ (1 Kor 11,1). Paulinische Mimesisvorstellung als Konfliktlösungs- und Konfliktpräventionsstrategie an Beispielen aus 1 Kor, 1Thess und Phil, wie Paulus in Konfliktsituationen die Aufforderung zur Mimesis seiner selbst zur Stabilisierung der Gemeinde einsetzt. Diese Strategie erfolgt z. B. in der Gottesdienstparänese 1 Kor 11, wo Paulus zur Nachahmung statt argumentativer Exposition aufruft (11,1) oder in 1 Kor 4, wo er den Mimesisgedanken hin zu Christus selbst lenkt (4,15 f.): „Insofern ist Paulus als Vorbild in Bezug auf seine Orientierung an seiner eigenen Predigt des Gekreuzigten und damit letztlich an Christus selbst zu verstehen“ (184). In 1Thess werden die Gläubigen bereits als „erfolgreich Nachahmende des Paulus und Gottes“ bezeichnet (1,6), die Mimesis wird hier mit Blick auf das Leiden für das Evangelium weitergeführt. In Phil schließlich stellt Paulus seinen Adressat*innen seine eigene Person als Vorbild vor Augen (3,12–16). Auch hier steht die Erfahrung von Bedrängnissen und Leid im Glauben im Vordergrund des Mimesisgedankens, der seinen argumentativen Höhepunkt im Leiden Christi erreicht, wie er im Christushymnus geschildert wird. Saskia Breuer diskutiert in ihrem Beitrag zum Philemonbrief Onesimus im Konflikt mit Philemon und Paulus als Vermittler. Eine Diskussion zu den Theorien vom fugitivus, erro und amicus domini die verschiedenen in der exegetischen Forschung diskutierten Theorien zur Dreiecksbeziehung von Onesimus, Philemon und Paulus. Neben den eher randständigen Ansätzen, Onesimus sei der Bruder des Philemon oder ein Gemeindegesandter, werden auch die prominenteren Theorien von Onesimus als fugitivus und als erro neben der Rolle des Paulus als amicus domini gegeneinander abgewogen. Während die ersten beiden Ansätze aufgrund mangelnder Textgrundlage ausgeschlossen werden,

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wird auch die These von Onesimus als fugitivus an ihre Grenzen geführt. Zwar überzeugt die letztgenannte Theorie hinsichtlich eines nicht näher bestimmbaren Konfliktfalls zwischen Onesimus und Philemon (vgl. V. 18), wobei eine finanziell dem Philemon durch Onesimus entstandene Schuld anzunehmen ist. Sie überzeugt jedoch nicht in Bezug auf die dieser Theorie zugrundeliegenden Definition. Die Rücksendung von Onesimus an Philemon durch Paulus schließt die Definition vom fugitivus aus, allerdings nicht die vom erro. Als Herumtreiber ist eine Rückführung des Sklaven zu seinem Herrn vorgesehen, verschafft ein erro sich doch – wenn auch unerlaubt – Freizeit anstatt dauerhaft zu fliehen. Der Ansatz, Onesimus sei ein erro, schließt dabei einen zugrundeliegenden Konflikt keinesfalls aus. Ein finanzieller Schaden wäre mit einem Verlust an Arbeitskraft erklärbar, der durch das Fernbleiben des Sklaven entsteht. Ebenso dafür spricht die Fürsprache des Paulus für Onesimus. Diesbezüglich diskutiert Breuer schließlich die Rolle des Paulus in dem vorliegenden Konflikt: Paulus ist als amicus domini Vermittler zwischen den Konfliktparteien. Diese Theorien wägt die Verfasserin schließlich gegeneinander ab und führt ihre Ergebnisse in einer Stellungnahme zusammen. Eckart David Schmidt untersucht in seinem Beitrag Glauben, wenn es schwierig wird. Beobachtungen zu (k)einem Schlüsselbegriff im 1. Petrusbrief vor dem paulinischen Hintergrund schließlich die Verwendung des Glaubensbegriffs in 1 Petr als einem Schreiben, dem nach allgemeinem Dafürhalten die paulinischen Briefe (insbes. Röm) bekannt sind, das aber an Gemeinden in mittlerweile (mutmaßlich) staatlich organisierten Pressionssituationen geschrieben wurde. Die Frage dieses Beitrags ist also, wie die neue Lebens‑ und Leidenssituation der „Christen“ (1 Petr 4,16) das Glaubensverständnis gegenüber Paulus verändert. In einem ersten Schritt und in Auseinandersetzung v. a. mit Bultmann, Horn, Schnelle und Wolter systematisiert Schmidt dafür nochmals das Glaubensverständnis des Paulus als ein bei ihm statistisch sehr prominenten Begriff, der die gesamte Existenz der Christusnachfolger umfassend bezeichnet: die Hingabe an Gott, das Zutrauen in Kreuz und Auferstehung Christi als heilsentscheidend auch für hellenistische Nicht-Juden, das konkrete Bekenntnis dazu, die Ausrichtung der konkreten Lebensführung sowie die Hoffnung aufs Eschaton. In einem zweiten Schritt analysiert er sodann den Glaubensbegriff in 1 Petr: Die Rede vom Glauben ist in diesem späteren Schreiben statistisch längst nicht so herausragend wie bei Paulus, wird aber innerhalb der neuen Lebenssituation genauso zentral, aber in flexibler Kontinuität angepasst weitergeschrieben. Gott und sein Handeln an Christus sind Objekte des Glaubens, der Begriff bleibt soteriologisch pointiert, an die eschatologische Hoffnung gekoppelt und wird gegenüber der paulinischen Verwendung sogar doxologisch verstärkt. Gleichzeitig bleibt er ein absoluter Begriff: Es ist Glaube an sich, durch den die Gläubigen zur Rettung bewahrt werden (1,5). In der krisenhaften Situation der Gemeinden des 1 Petr tritt zu diesem Assoziationsfeld die Vorstellung des Glaubens als Kraft des

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Widerstands im Leiden oder das Charakteristikum der Drangsalierten, aus dem sie ihre Standhaftigkeit beziehen. Wir danken Herrn Prof. Dr. Jörg Frey herzlich für die Aufnahme des Bandes in die Reihe WUNT II und sein wertvolles Feedback zu mehreren Beiträgen. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Mohr Siebeck, insbes. Betina Burkhart, Bettina Gade, Markus Kirchner, Elena Müller und Tobias Stäbler danken wir für die stets freundliche Kommunikation und professionelle Betreuung der Publikation. Herrn Prof. Dr. Jens Schröter danken wir für seine Initiative, wertvolle Anregungen und seine vielfältige Hilfe zur Entstehung dieses Bandes. Für ihre Hilfe bei der Registererstellung danken wir Marie Ingeborg Elisabeth Vossel und Lucas Froemberg von der Theologischen Fakultät Halle-Wittenberg. Wir widmen diesen Band Herrn Dr. Jens Börstinghaus († 23. 02. ​2021), zuletzt Assistent am Lehrstuhl für Neues Testament I der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen und einem immer aktiven und engagierten Mitglied der AG-Ass. Paderborn, Halle-Wittenberg, Heidelberg  im August 2022 

Saskia Breuer Clarissa Paul Eckart David Schmidt

Konflikte und Krisen – Geburtshelfer frühchristlicher Theologie Friedrich Wilhelm Horn 1. Konflikte und Krisen – zum Verständnis der Begriffe Die Leitbegriffe, die dieser Tagung der AG-Ass1 vorgegeben wurden, entstammen nicht der Theologie, sondern der Psychologie und der Medizin, sodann sekundär auch der Soziologie und der Ökonomie. In einem weiteren Sinn haben sie auch Eingang in die Beschreibung komplexer politischer und gesellschaftlicher Phänomene gefunden: Ölkrise (1973), Weltwirtschaftskrise (2007), Krimkrise (2014), Flüchtlingskrise (2015), Missbrauchsskandal-Krise der Kirche (seit 2010), Coronakrise (2020/2021). Wir sprechen in diesen Zusammenhängen sodann oft von ‚Konfliktanalyse‘ und ‚Krisenmanagement‘, mittels derer alle Ereignisse untersucht werden, durch die Gefahren für die Menschheit, die Ökologie, die politischen Institutionen, die Kirchen oder die Unternehmen drohen, und durch die sie möglicherweise bewältigt werden. Obwohl die Begriffe Konflikt, Krise, Bewältigung und Bewältigungsstrategien mittlerweile etwas inflationär in einen allgemeinen Gebrauch übergegangen sind, um Lebenssituationen zu beschreiben, zu verstehen und zu deuten, lohnt es sich, zunächst die wissenschaftliche Ebene in den Blick zu nehmen, um das gesetzte Thema der Tagung adäquat anzugehen. In der deutschen Sprache ist das Wort Krise als Lehnwort des griechischen bzw. lateinischen Wortes κρίσις/crisis seit dem 16. Jahrhundert zunächst in medizinischen Zusammenhängen nachweisbar, etwa bei fieberhaften Erkrankungen. Hier bezeichnet es diejenige entscheidende Krankheitsphase, der bei glücklichem Infektionsverlauf ein Ende des Fiebers innerhalb eines Tages folgte.2 Im 18. Jahrhundert setzt dann eine allgemeine Verwendung des Begriffs in unterschiedlichen Bereichen ein und wurde im 20. Jahrhundert grundlegend innerhalb der Psychologie und der Ökonomie, kurzzeitig dann auch in der durch die Dialektische Theologie, insbesondere durch Emil Brunner vor etwa 100 Jahren beschworene ‚Theologie der Krise‘.3 1 Der vorliegende Beitrag war der Eröffnungsvortrag auf der 22. Tagung der AG-Ass am 03. 05. ​2019 in Heidelberg. Der Vortragsstil wurde in dieser Publikation weitgehend beibehalten. 2 Vgl. Brockhaus 10, 670 f.; Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 540. 3 Vgl. Huxel, Art. Krise, 1777; Schnurr, Art. Krise.

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Friedrich Wilhelm Horn

Innerhalb der Psychotherapie, der Psychologie und der Psychiatrie spricht man von einer psychischen Krise oder einer Krisensituation, wenn durch ein überraschendes Ereignis oder ein akutes Geschehen ein schmerzhafter seelischer Zustand oder Konflikt innerhalb einer Person (innerpsychische Krise) oder zwischen mehreren beteiligten Personen hervorgerufen wird. Dieser entsteht dann, wenn sich eine Person oder eine Gruppe spezifischen Hindernissen auf dem Weg zur Erreichung wichtiger Lebensziele oder bei der Alltagsbewältigung gegenübersehen und diese nicht mit den gewohnten Problemlösungsmethoden bewältigen können. Eine Krise in diesem Sinne äußert sich dann als plötzliche oder fortschreitende Verengung der Wahrnehmung, der Wertesysteme sowie der Handlungs- und Problemlösungsfähigkeiten. Eine Krise stellt bisherige Erfahrungen, Normen, Ziele und Werte in Frage und hat oft für die Person einen bedrohlichen Charakter. Sie ist zeitlich begrenzt. Innerhalb der Psychologie und der Psychiatrie wurden Modelle entwickelt, die den typischen Verlauf einer Krise in Phasen nachzeichnen. Verena Kast spricht in einem Phasenmodell von einer Vorbereitungs-, einer Inkubations-, einer Einsichts- und einer Verifikationsphase der Krise.4 Das Beachten der Phasen und ihrer Bedeutung stelle die Voraussetzung für die therapeutische Krisenintervention dar. Wesentlich scheint mir, dass für Kast ein Krisenprozess kreative Potentiale beinhaltet, etwa musischer Art, die spätestens in der letzten Phase, der Verifikationsphase, zum Tragen kommen. Wenn es allerdings nicht zu dieser positiven, kaum ohne therapeutische Hilfe denkbaren Verarbeitung kommt, dann droht ein völliger Zusammenbruch, in der sich der in einer Krise Befindliche vollkommen zurückzieht und in absoluter Desorientierung und Hilfslosigkeit verbleibt. Schließlich ist von Krisenbewältigung zu sprechen und damit von der Möglichkeit eines positiven Ausgangs aus der Krise. Kommt es nicht dazu, sprechen wir von posttraumatischen Belastungsstörungen. Wenn allerdings die Krise, in der Regel mit Hilfe therapeutischer Begleitung, verarbeitet wird, kann es sogar dazu kommen, dass in dem auslösenden Geschehen ein Sinn erkannt wird. In Krisensituationen ist es dringend geboten, sich Unterstützung zu suchen. Das kann das Gespräch mit Vertrauten und Freunden oder die Inanspruchnahme professioneller Hilfe sein. Diese ist unabdingbar, wenn der Betroffene keinen Ausweg mehr aus seiner Situation sieht und er nicht in der Lage ist, eine neue Strategie zur Problemlösung zu entwickeln.

4 Vgl.

Kast, Sprung, 24–28.

Konflikte und Krisen – Geburtshelfer frühchristlicher Theologie

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2. Konflikte und Krisen – omnipräsent im Neuen Testament Kann diese sehr grob gehaltene Begriffsklärung helfen, mit dem Problem der Krisen und Konflikte im Neuen Testament und im frühen Christentum angemessen umzugehen? Zunächst lerne ich, dass der Begriff der Krise in Situationen des drohenden absoluten Zusammenbruchs gewählt wird, sonst nicht. Wir sollten den Begriff also nicht inflationär verwenden, sondern ihn ausschließlich für solche Situationen reservieren, in denen ein einzelner oder eine Gruppe vor einer unüberwindbar erscheinenden Herausforderung stehen. Der Begriff des Konflikts (lat.: confligere, conflictum) hingegen ist demgegenüber anders ausgerichtet. Er wird verwendet, wenn Interessen, Ziele, auch Wertvorstellungen von einzelnen Personen oder Gruppen aufeinanderprallen. Wir sprechen dann von einem sozialen Konflikt und einem inhärenten Konfliktpotential, fragen nach den Konfliktursachen und dem jeweiligen Konfliktverhalten und differenzieren zwischen unterschiedlichen Formen der Konfliktlösung.5 Es wäre eine Versuchung, bestehende gegenwärtige Konfliktforschungsmodelle auf die Schriften des Neuen Testaments anzulegen, um somit besser zu verstehen, was hier in Konfliktfällen angesprochen wird. Das ist jedoch nur sehr begrenzt sinnvoll, da wir in der Regel nur eine der beteiligten Personen oder Gruppen hören, und das nicht direkt, sondern mittelbar in einer Schrift (überwiegend in Briefform). Überdies leben wir in einer theologischen Tradition, die es sich zu eigen gemacht hat, die von den Verfassern der neutestamentlichen Schriften abweichenden Positionen gleich zu Irrlehren, Häresien und Gegnerschaft abzuwerten.6 Immerhin zeigt das Phänomen der literarischen Polemik in fast allen neutestamentlichen Schriften, dass massive Konflikte vorhanden sind und dass sie auch vehement, polemisch, ja bösartig ausgetragen werden.7 Einvernehmliche Kompromisslösungen scheinen nicht die Sache der frühen Christen gewesen zu sein, wohl aber Ausgrenzungen, auch wenn Paulus vor allem in 1 Kor 13 die Liebe als das einende Band innerhalb der Gemeinde hochhält oder wenn 1 Petr  2,17 das Festhalten der Bruderschaft betont. Selbst die Existenz eines Kanons neutestamentlicher Schriften ist nichts anderes als das Resultat einer Konfliktgeschichte, da die Lektüre der später als kanonisch bewerteten Schriften empfohlen, gleichzeitig jedoch eine Reihe weiterer Schriften abgewertet oder gar definitiv ausgeschlossen wird.8 5 Vgl.

Heesch, Art. Konflikt/Konfliktforschung. nenne ich Schmithals, Paulus und die Gnostiker, Vorwort: Es gebe nur einen durchgreifenden Gegensatz in der Urchristenheit, und das sei – gegen Ferdinand Christian Baur – nicht derjenige zwischen dem paulinischen und dem judaistischen Christentum, sondern derjenige des Paulus zu den Gnostikern, der in allen Briefen des Paulus begegne. 7 Vgl. Wischmeyer/Scornaienchi (Hg.), Polemik. 8 Sehr lesenswert ist Lührmann, ‚Was einem jeden offenbart wird […]‘. Grundlegend zur Geschichte des biblischen Kanons: Markschies, Haupteinleitung. 6 Exemplarisch

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Ein Blick in die neutestamentliche Wissenschaft zeigt, dass mit den Begriffen Konflikt, Krise und Bewältigung oft und gerne gearbeitet wird, aber in einer hermeneutisch nicht immer zufriedenstellenden Art. Beliebt sind die Beispiele ‚Antiochenischer Konflikt‘, ‚Gnostische Krise‘, ‚Irrlehrer-Konflikte‘, ‚Judaistische Krise in Galatien‘ oder die Rede von der Johannesoffenbarung als Krisenliteratur, die mit hohen theologischen Konstruktionen befrachtet werden. Prominent ist die oftmals zitierte Aussage, dass wer den Antiochenischen Konflikt nach Gal 2,15–21 verstanden hat, im Grunde die gesamte rechtfertigungstheologische Ausrichtung des westlichen Christentums verstanden hat. Ferdinand Christian Baur, der im 19. Jahrhundert am Anfang der kritischen Geschichtsschreibung des frühen Christentums steht, begriff die frühkatholische Kirche als Ergebnis eines Konflikts zwischen dem jüdisch geprägten Messiasglauben und dem Paulinismus.9 In Karl Heussis seit der Erstauflage im Jahr 1907 und sodann in weiteren 18 Auflagen erschienenen Kirchengeschichte hingegen begegnet der Begriff Krise erstmals im Kapitel über Marcion und dann im Kapitel über die gnostische Krise, also eigentlich noch jenseits oder allenfalls am Rand des Neuen Testaments, das damit noch als krisenfrei erscheint.10 Anders heute in der Darstellung der Geschichte des Urchristentums durch Dietrich-Alex Koch, der das Wirken des Paulus in Kleinasien in eigenen Paragraphen, überschrieben mit „Konflikte“ und „Krisen“, beschreibt.11 Die Aufgabe, der sich der hier vorliegende Beitrag gestellt sieht, ist es primär, das Thema der Tagung einleitend in gewisser Breite aufzunehmen und in seinen unterschiedlichen Aspekten zu beschreiben. Bereiche, in denen Konflikte entstehen, sind vermutlich primär alle Aspekte, die im engeren Sinn mit der eigenen Religion und Religionsausübung zu tun haben. Sie beziehen sich, was hier einleitend nur beispielhaft angezeigt sein soll, zunächst auf die Identität der eigenen Gruppe, auf deren Kult (Kol 2,18; 2 Petr 2,10; Jud 8: Frage der Engelverehrung bzw. der Ablehnung der Engelverehrung), die korrekte Form der Rituale (Did. 7: Beschaffenheit des Wassers bei der Taufe und der Vollzug des Ritus) und das Ethos (Jak  2,2; 1 Tim  2,9: Auftreten reicher Christen in der Gemeinde; Schmuck der Frauen). Vermeintlich niederschwellige Konflikte, in denen es um persönliche Animositäten, sodann um Machtfragen, um Ansehen und Status geht, sind ebenso wichtig. Paulus reklamiert etwa, um Macht zu gewinnen, seinen Geistbesitz, um dann ein ethisches Urteil abzugeben (1 Kor 7,40). Konflikte sind im Neuen Testament omnipräsent, nicht immer an der Oberfläche der Texte, aber auch in deren Tiefenschichten. Wenn Matthäus das Markusevangelium letztlich korrigieren oder ersetzen will,   9 Vgl.

dazu Bauspiess/Landmesser/Lincicum (Hg.), Ferdinand Christian Baur. Heussi, Kirchengeschichte, § 13. 11 Vgl. Koch, Geschichte, Kap. 11.4 (Konflikte) und 11.5 (Krisen); ebenso Schnelle, Die ersten 100 Jahre, 194–201 (§ 6.5 Konkurrenten und Konflikte).419–429 (§ 11.3 Kontroversen/ Falschlehren/Gegner). 10 Vgl.

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dann liegt hier ein massiver Konflikt zugrunde.12 Wenn 2 Thess 2,2 die Eschatologie des 1 Thess korrigieren oder vielleicht sogar diejenigen, die sich auf sie berufen, verdrängen will und überdies vor möglichen weiteren Schriften im Namen des Paulus warnt, dann ist das ebenso ein massiver Konflikt.13 Natürlich haben die einzelnen Autoren des Neuen Testaments unterschiedliche Einstellungen zu Konflikten. Während Paulus diejenigen, die anders als er denken, massiv polemisch angeht, ebnet Lukas Konflikte ein, indem er die Konfliktpunkte wegbricht und harmonisierend den Weg der Kirche als eine von Gott und dem Geist geleitete Heilsgeschichte beschreibt. Im Folgenden beschränke ich mich schwerpunktmäßig auf Krisen und Konflikte der frühen Gemeinden, überwiegend auf der Basis der Briefliteratur. Das Thema ist freilich ebenso präsent in den Evangelien, in denen mit der Gattung der Streitgespräche die Sache sogar eine literarische Form gefunden hat. Diese Texte sind ganz wesentlich im Kontext der Absetzung der frühen Gemeinden von der jüdischen Gemeinde in konkreten, in der Regel halachischen Sachfragen zu verstehen.14 Ich nenne beispielhaft und nur stichwortartig typische Konfliktfelder in Verbindung mit ausgewählten Schriften/Texten und Themen.15 Die Liste kann leicht und schnell ergänzt, ausgeweitet, verlängert werden: − Christologie (1 Joh 4,2): Bekenntnis dazu, dass Christus im/ins Fleisch gekommen ist; Vorformen der altkirchlichen Diskussion um die Zwei-NaturenLehre − Gemeindeordnung (Mt 18,15–18): Anfänge von Kirchenzucht und Gemeindeausschluss, Anfänge des Bußinstituts in den Gemeinden − Mahlgemeinschaft (Gal  2,11–14): Relevanz der Speisegesetzgebung in gemischten Gemeinden; Antiochenischer Streit − Festkalender (Kol 2,16): Relevanz jüdischer oder paganer Festtage; Sabbat − Beschneidung (1 Kor  7,17–24): Verzicht auf die Beschneidung in heidenchristlichen Gemeinden − Imperium Romanum (Apk 13; Röm 13,1–7): Verhältnis zum römischen Staat; der heidnische Staat als von Gott eingesetzte Größe oder als satanische Macht 12 Konradt, Mt, 21: „Er wurde durch das Mk nicht lediglich zu einer Weiterführung der Idee, die Jesusgeschichte zusammenhängend niederzuschreiben, inspiriert, sondern wollte das Mk verdrängen, weil er es für ungeeignet hielt, um in seinen Gemeinden benutzt zu werden“; ders., Matthäus und Markus; ders., Matthäusevangelium. 13 Die neuere Kommentarliteratur verlagert den Konflikt in ein Gegenüber zu Christen, die auf der Grundlage des 1 Thess eine enthusiastische Naherwartung vertreten, begreift den 2 Thess hingegen eher als eine interpretierende Fortführung des 1 Thess, so etwa Hoppe, 2 Thess. 14 Vgl. Scornaienchi, Der umstrittene Jesus. 15 Die im Folgenden angesprochenen Sachfragen sind unbedingt in größere sozialgeschichtliche Kontexte einzuordnen. Hilfreich ist Markschies, Christentum.

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− Gender (1 Kor 14,33–36; 1 Tim 2,12): Frage der Beteiligung von Frauen im Gottesdienst − Geld (Texte aus Lk, Apg, Jak): Mammon, Besitzverzicht, Wohltätigkeit durch Geld, Pauperismus − Tabuisierungen und Reinheitsvorschriften (Kol 2,21): Religiöse Bewertung der Materialität von Kleidung, Nahrung, Gegenständen des Alltags − Amtsträger (Pastoralbriefe): Amtsspiegel zur Frage der Lebensführung der Amtsträger; klare Zuweisungen von Aufgaben; episkopale oder presbyteriale Ausrichtung − Eschatologie (2 Thess 2,2): Position gegen die Eschatologie des 1 Thess; Naherwartung, Fernerwartung − Glaube/Werke (Jak 2,14; Röm 3,28): Der Einspruch des Jakobusbriefs gegen Paulus − Sakrament (1 Kor 11,18): Spaltungen beim Abendmahl − Sexualität (1 Kor): Bewertung des Leibes als Tempel (1 Kor 3,16; 6,19) oder als Adiaphoron (1 Kor 6,12); Askese oder Sex (1 Kor 7,1) − Das Verhältnis zur Synagoge (Apk 2,7; 3,7): Synagoge des Satans; dagegen Paulus in Röm 11: Hoffnung für Israel − Anpassung an das pagane Umfeld (Apk 2,14): Freiheitspotential des christlichen Glaubens − Die frühe christliche Tradition: In welchem Verhältnis stehen die Evangelien Mt und Lk zu Mk und zu Q?; 2 Thess zu 1 Thess?; Eph zu Kol?; Jak zu Gal? etc. Wesentlich ist zur Einordnung der Krisen und Konflikte die Bestimmung ihres Ortes. Handelt es sich um endogene oder exogene Konfliktfelder? Ein exemplarischer stichwortartiger Überblick: 1. Endogene Konflikte (innerhalb der christlichen Gemeinden) a. Lehre (Judenchristentum vs. Heidenchristentum) i. Geltung der Tora und der Halacha ii. Zugehörigkeit zum Volk Gottes b. Ethos (Polemik betreffs der Lebensführung) i. Distanz zum paganen Ethos ii. Darstellung der Heiligkeit der gesamten Gemeinde c. Leitung (Machtansprüche: Diotrephes [3 Joh 9–11]; Ämter wie Diakone, Presbyter, Aufseher) d. Strukturen (Wandermissionare, Ortsgemeinden, Zentren wie Jerusalem oder Antiochia) 2. Exogene Konflikte (der christlichen Gemeinden mit dem Imperium Romanum, dem Synedrium, den Synagogen sowie der Öffentlichkeit und paganen Gesellschaft) a. Gegenüber dem Imperium Romanum

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i. Christenverfolgung (Rom) ii. Kriminalisierung der Christen (Claudius-Edikt, Briefwechsel zwischen Plinius d. J. und Trajan) b. Gegenüber dem Jerusalemer Synedrium i. Verhöre der Apostel (Apg) ii. Prozess des Paulus iii. Fragen der Toraobservanz (Verbindlichkeit der Beschneidung) c. Gegenüber den Synagogengemeinden i. Konflikte der Mission des Paulus (Apg) ii. Aposynagogos (Joh) iii. Fragen der Toraobservanz (Reinheitsfragen, Sabbatobservanz) iv. Zusammenleben gemischter Gemeinden d. Gegenüber der städtischen Öffentlichkeit und Gesellschaft i. Denunziation, Vorwürfe, Kriminalisierung (1 Petr) ii. Beteiligung am öffentlichen Leben (Sendschreiben der Apk) iii. Gerichtsbarkeit (1 Kor 6,1–6)

3. Drei methodische Forderungen a) Als erste Forderung möchte ich formulieren, von dem alten Geschichtsbild Abstand zu nehmen, Konflikte und Krisen seien ein sekundäres Phänomen in der Geschichte des Urchristentums, sozusagen eine Folge fortwährender Entfernung von den zunächst konfliktfreien Anfängen der frühen apostolischen Zeit. Dieses Geschichtsbild ist im 18. Jahrhundert entstanden, als das Ursprungsdenken der reinen Anfänge in allen Wissenschaftsbereichen um sich griff.16 Wirksam ist dieses Denken immer noch, etwa in der Aufforderung evangelikal ausgerichteter Kreise, „zurück zu den Anfängen“ zu gehen, aber auch in solcher wissenschaftlicher Theologie, die Frühkatholizismus, Deuteropaulinismus, pseudepigraphes Schrifttum und Gnostizismus als Abfallprodukt von der Höhe der Theologie des Paulus betrachtet. Verdienstlich ist sicher immer noch der Einwurf Walter Bauers17 aus dem Jahr 1934, der das Verhältnis von Rechtgläubigkeit und Ketzerei umgedreht und gezeigt hat, dass sich in vielen Kirchengebieten das Bewusstsein von vermeintlicher „Rechtgläubigkeit“ überhaupt erst in der Folge von vordem häretischen Bewegungen ausbildet. Aber auch Bauers Modell ist zu einfach. Christoph Markschies hat sich ausführlich, grundlegend und unbedingt lesenswert mit diesem Problem beschäftigt und dabei den Begriff der „pluralen Identität“ in den Raum gestellt, auf den später nochmals zurückzukommen sein

16 Vgl. 17 Vgl.

Alkier, Urchristentum. Bauer, Rechtgläubigkeit.

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wird.18 Ganz ähnlich spricht auch Udo Schnelle von der Pluralität als der Signatur des Anfangs der Geschichte des frühen Christentums.19 b) Eine zweite Forderung lautet, möglichst exakt zu erheben, ob Konflikte und Krisen innerhalb der entstehenden christlichen Gemeinden angesiedelt sind – in der Regel Hausgemeinden mit vielleicht 30 Personen – oder ob sie den Außenraum, also das Verhältnis zur jüdischen, paganen oder imperialen Umgebung betreffen. Gewiss, klare Grenzen, vor allem zur jüdischen Synagoge, können in der Frühzeit nur selten gezogen werden. In der Absetzbewegung von der Synagoge gehörte man dieser zunächst noch an und suchte doch gleichzeitig eine neue Identität, die in einem veränderten Ritus und Ethos Ausdruck fand. Wenn es um Konflikte innerhalb der christlichen Gemeinden geht, bedarf es dringend einer Hermeneutik des Umgangs mit Positionen, die hier gebrandmarkt werden. Die angesprochenen Gegner befinden sich ja innerhalb der christlichen Gemeinde, vertreten aber Positionen, die derjenigen des Verfassers eines Briefs entgegenstehen, oder dieser entwirft eine maßlos überzeichnete Position zur besseren Positionierung der eigenen Sicht der Dinge. Sind die angesprochenen Gegner immer real existent oder sind sie fiktiv entworfen? Repräsentiert der Briefschreiber die Mehrheit oder die Minderheit in den Gemeinden? Mit der Kanonisierung der Schriften und der Bindung der Kirchen an den Kanon jedenfalls kommt den Positionen der neutestamentlichen Schriften und ihrer Verfasser eine normativ verbindliche Kraft zu. Es ist daher seitdem theologisch eben wegen der Bindung an den Kanon nicht mehr möglich, heute etwa die Position der sogenannten Gegner des Paulus in Galatien oder der Gegner der Johannesbriefe zu vertreten, auch wenn diese vermeintlichen Gegner Christen sind. c) Und als dritte Forderung möchte ich formulieren, die Sprache, mit der Konflikte und Krisen besprochen werden, ihre rhetorische Absicht und ihre kommunikative sowie pragmatische Funktion, genau zu erfassen.20 Vor allem in den neutestamentlichen Briefen, deren Abfassung teilweise bis in die Mitte des 2. Jahrhunderts reicht, scheint das Thema omnipräsent zu sein, da die Absetzung von theologischen Positionen, die oftmals mit beißender Polemik karikiert werden, immer mitschwingt. Ob diesen literarischen Konfliktkonstruktionen allerdings immer ein reeller Konflikt zugrunde liegt, ist unsicher. 18 Markschies,

Kaiserzeitliche christliche Theologie, 382. Schnelle, Die ersten 100 Jahre, 221 f. Als die großen Strömungen des Anfangs benennt er die Jerusalemer Gemeinde, die galiläische Jesus-Bewegung und drittens Antiochia und Paulus. Später wird noch das johanneische Christentum als vierte große Strömung hinzutreten. Schnelle würdigt die unterschiedlichen Subsysteme als Voraussetzung für die erfolgreiche Missionsgeschichte, da diese Systeme anpassungsfähig an die Erfordernisse der Missionsfelder waren. 20 Grundlegend für die sprachanalytische Arbeit ist Luther, Sprachethik; außerdem die Beiträge im Sammelband Wischmeyer/Scornaienchi (Hg.), Polemik. 19 Vgl.

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4. Konfliktbewältigungen Der Begriff der Bewältigungsstrategie, innerhalb der Psychologie und Medizin gerne auch Coping Strategie oder einfach Coping genannt, beschreibt den Umgang mit bedrohlichen Situationen und kennt Bewältigungsmuster, Lernprozesse und das Erlangen bestimmter Kompetenzen, um einen Weg aus der als bedrohlich empfundenen Situation zu finden. Gleichwie es bewältigte und unbewältigte Konflikte gibt, begegnen gelungene und misslungene Bewältigungsstrategien. Wir legen die Fragestellung nach Konflikten und Krisen sowie nach Bewältigungsstrategien auf die Literatur einer Zeit an, die ich als Dokument einer sich erst formierenden zunächst innerjüdischen, zunehmend aber heidenchristlichen Bewegung im 1. und 2. Jahrhundert verstehe.21 Wir blicken in den neutestamentlichen Schriften in den Gestaltwerdungs- und Selbstfindungsprozess einer neuen Religion hinein, die noch keine einheitliche und verbindliche lehrmäßige, institutionelle, ethische, rituelle Ausrichtung hat, und die sich in Bewegungen der Adaption und der Abgrenzung zu ihrem jüdischen, hellenistischen und römischen Umfeld bewegt. Das Neue Testament, dessen Schriften sich gegenwärtig zunehmend Spätdatierungen bis tief in das 2. Jahrhundert hinein erfreuen, ist das Dokument dieses Prozesses.22 Die entgegengesetzte ältere Vorstellung, die neutestamentlichen Schriften hätten sich aus vorgängigen, relativ verbindlichen Credo-Formulierungen entfaltet, ist damit abgewiesen.23 Christoph Markschies spricht daher von dieser Zeit des 2. Jahrhunderts als dem Laboratorium christlicher Theologie und er erkennt, wie bereits gesagt, eine plurale Identität. Dass hier Konflikte und Krisen begegnen, ist geradezu selbstverständlich und 21 Fruchtbar

gemacht werden die sozial-psychologischen Theorien der Bewältigungsstrategie etwa durch Holloway, Coping with Prejudice. An der Universität Bern existiert seit 2018 (angelegt bis 2022) unter der Leitung der Patristikerin Katharina Heyden eine Interfakultäre Forschungskooperation (IFK) Religious Conflicts and Coping Strategies: Struktur, Ziele, Konzepte und Methoden, an dem Forscher und Forscherinnen aus Theologie, Psychologie, Rechtswissenschaften, Religionswissenschaften, Judaistik, Islamwissenschaften, Politikwissenschaften, Geschichtswissenschaften, Kommunikations‑ und Medienwissenschaften, Philosophie, Politikwissenschaften, Gender Studies und Germanistik zusammenarbeiten. 22 Sehr eindeutig in dieser Hinsicht Schröter, „Harnack revisited“, 499: „Das Christentum der ersten drei Jahrhunderte erweist sich damit […] als polymorphe Erscheinung, deren Identität erst im Entstehen begriffen ist. Das ließe sich durch eine Betrachtung der Herausbildung des Kanons der christlichen Bibel ebenso untermauern wie durch diejenige der frühchristlichen Bekenntnisbildung und der Entstehung der Institutionen und übergreifenden Organisationsstrukturen.“ 23 Vgl. Seeberg, Katechismus, hatte ausweislich des Vorworts den Nachweis führen wollen, „daß bald nach Christi Tod ein aus Herrenworten gebildeter Katechismus entstanden ist.“ Ferdinand Hahn schreibt in seiner Einführung zu diesem Band: „Alfred Seebergs Konzeption einer umfassenden Lehreinheit, die neben den drei Lehrstücken, die vollständige Glaubensformel und die wichtigsten liturgischen Texte enthalten haben soll, hat sich nicht bewährt. Nicht einmal für die nachapostolische Zeit ist ein derartiger Komplex nachzuweisen, geschweige denn für die allererste Periode der Urchristenheit“ (XXXII).

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ist für die Gestaltwerdung der christlichen Religion und für die Profilschärfung notwendig, gut, ja unerlässlich. Die Konflikte sind daher (auch) positiv zu bewerten. Wie anders hätte christliche Theologie entstehen sollen als durch kontroverstheologische Gedankenarbeit? Michael Wolter hat die anstehenden Herausforderungen des im Entstehen begriffenen Christentums als Kohärenzkrise und als Kontinuitätskrise begriffen. Beide Krisen führten nach Markus Öhler dazu, „dass die unterschiedlichen Identitätskonstruktionen im frühen Christentum in Frage gestellt, weiterentwickelt und neue ausgebildet wurden.“24 Wir sollten also nicht für unsere Zeit heute klare verbindliche neutestamentliche Antworten erwarten, wie mit Krisen und Konflikten zu verfahren ist, sondern aus einer gewissen Distanz heraus beobachten, wie mit diesem Thema damals umgegangen wurde. Bewältigungsstrategien, Strategien (!) im strengen Sinn erkenne ich in dieser Zeit noch gar nicht. Denn diese Begrifflichkeit setzt doch voraus, dass es einen klar definierten Weg und ein definiertes Ziel gibt, auf das hin die Bewältigungsstrategie sich bewegen soll, und dass die Beteiligten, möglichst unter externer Begleitung, auf diesem Weg geleitet werden. Es setzt auch Institutionen mit klar definierten Aufgaben voraus, die sich der Bewältigung der Konflikte annehmen. Ich sehe vielmehr die maßlose Polemik etwa des 2 Petr gegen Andersdenkende, die Anhäufung der Laster zur Beschreibung deren Lebensstils (Phil 4,19), die Verfluchung der christlichen Gegner durch Paulus (Gal 3,10), die Etikettierung Andersdenkender zu „Antichristen“ (1 Joh 2,18.22; 4,3; 2 Joh 7) oder zu „Feinden Christi“ (Phil 3,18), die den Verzicht auf Bewahrung der christlichen Gemeinschaft (2 Joh; 3 Joh) als Bewältigungsstrategie deklarieren. Dies stellt jedoch eher den Verzicht auf eine im Ansatz gewollte und gewünschte Bewältigung dar. Die Strategie lautet nicht Bewältigung, sondern Ausgrenzung und Trennung, da die rhetorische Pragmatik nicht auf Verstehen und Versöhnung zielt.25 Wir können diese Frage auch in einen größeren Kontext stellen. Es ist üblich geworden, die frühchristliche Mission unter dem Label ‚Kommunikation‘ zu besprechen. Das ist sinnvoll, da so alle Formen der verbalen und nonverbalen Begegnung sachgemäß erkannt und besprochen werden können. Das Ergebnis zeigt im Blick auf Paulus jedoch den deutlichen Anstand zu gegenwärtig bestimmenden Konzepten:

24 Öhler, Geschichte, 299, sowie grundsätzlich § 15: Innere Krisen im frühen Christentum zwischen 60 und 135 n. Chr. 25 Der Band Wischmeyer/Scornaienchi (Hg.), Polemik, spricht von einer kulturellen Form polemischer Rede, die die frühchristlichen Texte mit der literarischen und philosophischen agonalen Kultur ihrer Zeit und ihren Kommunikationsregeln und ‑strukturen verbinden. Der Band mündet aus in der Frage nach dem Umgang mit ethnischer und religiöser Alterität innerhalb und außerhalb der jeweils eigenen Religion (vgl. Wischmeyer/Scornaienchi, Einführung, 11 f.).

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Kommunikation war für Paulus stets und immer und zuerst nicht etwa solidarische oder demokratische, sondern – hier im Sinne moderner Kommunikationskonzepte verstanden – autoritative Kommunikation: Verkündigung des Evangeliums und Errichtung der Herrschaft des Glaubens.26

5. Krisen Gab es Krisen im frühen Christentum? Situationen des drohenden Zusammenbruchs? Die frühe Kirchengeschichtsschreibung betont eher, dass es schwer erklärlich ist, welch rasante Ausbreitung das Christentum in den ersten beiden Jahrhunderten genommen hat, was eben nicht für eine krisengeschüttelte Religion spricht. Die Johannesoffenbarung auf der anderen Seite stilisiert die politische Situation zu einer massiven Krise für die christliche Gemeinde in einer kosmischen Dramatik, die im frühen Christentum unvergleichlich ist, insofern ist die Johannesoffenbarung zumindest auch Krisenliteratur.27 Das aber ist sozusagen ein Sonderfall. Der Tod Jesu war nicht der Tod des Religionsstifters und seiner Bewegung, vielmehr wurde der Tod sehr früh als heilvolles Ereignis verstanden und das Kreuz wurde zu einem positiven Zentralsymbol des christlichen Glaubens. Überdies galt der Gekreuzigte unbeschadet seines Todes als gegenwärtig anwesend, als der himmlische Kyrios, der zur nahen Parusie in machtvoller Gestalt erwartet wird. Der Tod der Apostel Paulus (62  n.  Chr.), Petrus (64 n. Chr.), Jakobus (ca. 43 n. Chr.) und des Herrenbruders Jakobus (62 n. Chr.) hingegen hat im Neuen Testament fast keinen direkten Niederschlag gefunden. Der Tod der Apostel war folglich der Rede nicht wert.28 Auch das scheint mir bedeutsam zu sein, da in anderen zeitgenössischen religiösen Bewegungen des Frühjudentums der Tod des religiösen Anführers oder seiner Nachfolger in der Regel in eine tiefe Krise führte oder gar das Ende der Bewegung bedeutete (vgl. den Rat des Gamaliel in Apg 5,36–38).29 Schauen wir im Blick auf den Tod des Paulus und des Petrus einmal genauer hin. Es ist bis heute eine offene Frage, wann und wo und unter welchen Umständen beide Apostel gestorben sind.30 In der christlichen Literatur begegnen erste 26 Wischmeyer,

Mission, 119. der Forschung herrscht bezüglich dieser Gattungsbezeichnung keine Einheit. Neben solchen Positionen, die eine scharfe Krise, verursacht durch das Auftreten des Imperium Romanum annehmen, stehen mittlere Positionen, die auf Konflikte durch Anpassungstendenzen der christlichen Gemeinden an die pagane Gesellschaft verweisen. Schließlich begegnen daneben auch solche Ansätze, die ganz auf die Annahme einer wie auch immer gearteten Konflikt- oder Krisensituation verzichten; vgl. dazu Tóth, Erträge und Tendenzen. 28 Vgl. hierzu Guttenberger, Tod. 29 Vgl. Riedo-Emmenegger, Provokateure. 30 Vgl. dazu Koch, Geschichte des Urchristentums, 611–613 (Exkurs 16: Grundsätzlich vertrauenswürdig: Die vermutliche Grabstelle des Paulus an der Via Ostiense in Rom). 616–621 (Exkurs 18: Dringend gesucht: Das Grab des Petrus). 27 In

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Hinweise erst spät zum Ende des 2. Jahrhunderts hin. Der Tod beider Apostel begründete allem Augenschein nach keine Krise, sondern setzte produktiv eine breite pseudepigraphische und apokryphe Literatur im Namen beider Apostel frei. Neben dem 1 Petr und 2 Petr stehen im Blick auf Petrus-Literatur das Kerygma des Petrus, die Apokalypse des Petrus, das Evangelium des Petrus, die Petrusakten, ein Brief des Petrus an Philippus, eine koptische Petrusapokalypse, ein Buch der Taten des Petrus und der zwölf Apostel, ein Brief des Petrus an Jakobus und die Kerygmata Petri in den Pseudoklementinen.31 Der Umfang der pseudepigraphischen und apokryphen Paulus-Literatur ist noch weit umfangreicher.32 Ob es gar Paulus- und Petrus-Schulen während und nach dem Tod der beiden Apostel in Ephesus und Rom gegeben hat, wurde eine Zeitlang mit großer Überzeugung behauptet, ist aber zumindest im Blick auf eine Petrus-Schule in Rom sehr unsicher.33 Schließlich haben, ausweislich der frühchristlichen Quellen, weder der Brand der Stadt Rom und des damit verbundenen Übergriffs auf etliche der stadtrömischen Christen im Jahr 64 n. Chr. noch der Fall Jerusalems und des Herodianischen Tempels sowie das Geschick der christlichen Gemeinde in Jerusalem im Jahr 70 n. Chr. unmittelbar krisenhafte Reaktionen der Christen nach sich gezogen.34 Verhöre, Bestrafungen und erste Verfolgungen der Christusgläubigen durch jüdische Instanzen, Gruppen oder Personen (Synedrium, Synagogen, Sadduzäer, Pharisäer, Saulus) werden im Neuen Testament angesprochen (Apg  4,1–22; 5,17–42; 8,1.3; 9,2; 22,4.19); sie begleiten den Weg der jungen Jerusalemer Gemeinde, werden aber von Lukas in der Apostelgeschichte nicht als Krise, sondern als Durchsetzung des Evangeliums gegen Widerstände bewertet. Dies betrifft sowohl den Tod des Stephanus (Apg 7) und das Aufkommen der Hellenisten (Apg  6–7), deren theologische Impulse eine Brücke für das Erstarken des Heidenchristentums darstellen, als auch die von Lukas erwähnte große Verfolgung in Jerusalem, die aber ausschließlich den hellenistischen Flügel der Urgemeinde betrifft (Apg  8,1). Zur Bewertung der Vorgänge muss in Betracht gezogen werden, dass die Geschichtsperspektive des Lukas in Evangelium und Apostelgeschichte Krisen und Konflikte nicht ausblendet, aber doch in eine heilsgeschichtlich orientierte Perspektive einordnet und ihnen von daher einen übergeordneten Wert beimessen kann.35 Bond/Hurtado (Hg.), Peter. Santos Otero/Scholten, Art. Paulus. 33 Vgl. Horn, Petrus-Schule. 34 Anders Schnelle, Die ersten 100 Jahre, 310–327, der die angesprochenen Ereignisse (Tod der Apostel, erste Verfolgungen, Zerstörung des Tempels, Untergang der Jerusalemer Gemeinde) als grundlegende Krise des frühen Christentums bewertet und sodann die Evangelienschreibung und die Pseudepigraphie als darauf bezogene innovative Krisenbewältigung versteht. 35 Schröter, Stellung, 35: „Die Ereignisse der Vergangenheit werden vielmehr durch Versprachlichung und Einordnung in einen aus späterer Perspektive entworfenen Zusammenhang stets einer Interpretation aus der Sicht des Geschichtsschreibers unterworfen.“ 31 Vgl. 32 Vgl.

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Eine veritable Krise hingegen hat es innerhalb der johanneischen Gemeinden gegeben, sowohl nach innen (s. u.) als auch nach außen. Die AposynagogosTexte (Joh  9,22; 12,42; 16,2) blicken auf eine förmliche Ausgliederung der Christen aus der Synagoge zurück, auch wenn diese nicht sicher mit einem expliziten Beschluss auf der Synode von Jabne (85–90 n. Chr.) in Verbindung zu bringen ist (Einfügung des sog. Ketzersegens birkat ha minim in das Achtzehngebet).36 Diese Ausgrenzung bezog sich auf das Christusbekenntnis derer, die noch zur Synagoge gehörten. Dieser Ausschluss hat in den johanneischen Schriften keine aktuelle Bedeutung (das Thema begegnet in den Johannesbriefen gar nicht mehr), er liegt bereits in der Vergangenheit, muss aber eine tiefgehende Krise impliziert haben. Mit der Ausgliederung aus der Synagoge verloren die Christen all das, was Teil der religiösen Identität bedeutete und was gegenseitige Fürsorge innerhalb der Synagogengemeinschaft und geschützten rechtlichen Status durch sie im Imperium Romanum implizierte.37 Ein anschauliches Beispiel solcher Trennung von der Synagoge bietet auch Apg 18 für die Stadt Korinth. Ausgerechnet der Synagogenvorsteher Krispos nimmt den christlichen Glauben an und in der Folge seines Vorbilds schließen sich etliche weitere aus der Synagoge dem an. Paulus wohnt in dieser Zeit bei einem Gottesfürchtigen (σεβομένος) namens Titius Justus, dessen Haus direkt an die Synagoge angrenzte. Blicken wir auf die Missionsstationen des Paulus nach dem Bericht der Apg, so führt sein Auftreten fast immer zu erheblichen massiven Konflikten mit der örtlichen Synagoge (Apg 13,50; 14,2.19; 17,5.13; 19,8 u. a.). Die Logienquelle stellt solche Feindseligkeiten in die Tradition des gewaltsamen Geschicks der Propheten (Mt 5,11 f. par). Es wäre dies jetzt allerdings eine eigene Aufgabe, Konflikte und Krisen im Umgang mit der jüdischen und paganen Gesellschaft darzustellen und den Weg nachzuzeichnen, der zwischen Öffnung und Abgrenzung verläuft. Im Folgenden möchte ich jedoch stärker innerhalb der frühchristlichen Gemeinden verbleiben.

6. Das johanneische Schisma Die interne Krise innerhalb des johanneischen Kreises möchte ich mit Blick auf 1 Joh 2,18 f. aufnehmen: Kinder, es ist die letzte Stunde! Und wie ihr gehört habt, dass der Antichrist kommt, so sind nun schon viele Antichristen gekommen; daran erkennen wir, dass es die letzte Stunde ist. Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns. Denn wenn sie von uns gewesen wären, so wären sie ja bei uns geblieben; aber es sollte offenbar werden, dass sie nicht alle von uns sind. 36 Vgl. dazu Theobald, Joh, 647–649 (Exkurs: Der Synagogenausschluss und die sog. Birkat-ha-Minim). 37 Vgl. Wander, Trennungsprozesse.

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Mit dem oder den Antichristen hat der Autor des 1 Joh Gegner vor Augen, Dissidenten, die einmal zur Gemeinde gehörten, sich aber – jedenfalls in seiner Sicht der Dinge – abgewandt haben. Sie vertreten eine von seiner auf die Bedeutung des irdischen Jesus und des Sakraments hinweisenden Position abweichende Christologie. Was hier im Text kurz aufleuchtet, wird in der Literatur als das johanneische Schisma angesprochen, das wohl auch in Joh 6,60–66 verarbeitet wird (nach der Brotrede ziehen sich etliche Jünger von Jesus zurück).38 Innerhalb der Literatur wird nun diskutiert, ob der Autor des 1 Joh gegen reale Gegner vorgeht, die einmal zur Gemeinde gehörten, sich aber aufgrund christologischer Differenzen abwandten, oder ob der Verfasser einen Gegnerkonflikt konstruiert, um sozusagen eine Plattform zu erhalten, von der aus er seine Argumentationen vortragen kann. Die neueren Kommentare deuten eindeutig darauf hin, dass hier reale Konflikte bearbeitet werden, die die johanneische Literatur durchziehen und die im Kern mit dem Verständnis der Christologie und dem Sakrament zusammenhängen. Dies bedeutet, um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, dass hier im johanneischen Kreis ein Schisma stattgefunden hat, eine Trennung, eine Krise. Ich möchte im Corpus Johanneum bleiben, aber etwas ausführlicher ein Fallbeispiel vorführen, eigentlich ein klassisches Fallbeispiel für einen grundlegenden Konflikt, vielleicht sogar für eine Krise im Neuen Testament. In den beiden kleinen Johannesbriefen steht fraglos die Auseinandersetzung mit den Dissidenten im Mittelpunkt, sie war der eigentliche Anlass der Schreiben. Im 1 Joh hingegen ist diese Auseinandersetzung bereits in eine grundsätzliche theologische Abhandlung eingeordnet, so dass dieser Brief nicht alleine aus der polemischen Situation heraus zu verstehen ist. Der Ausdruck ‚Irrlehrer‘ für diese Dissidenten ist bislang mit Bedacht vermieden worden. Nach 1 Joh 2,19 haben die Dissidenten einmal demjenigen Gemeindeverband angehört, dem sich auch der Schreiber der Briefe zurechnet. Es hat also zu einem zurückliegenden Zeitpunkt eine Gemeindespaltung gegeben. Dies bedeutet: auch wenn der Schreiber jetzt nachträglich erklärt, dass die Dissidenten in seiner Perspektive nie zur eigentlichen Gemeinde gehört haben, so entspricht dies nicht den faktischen Gegebenheiten. Wir wissen nicht, welche Gruppe jetzt die Mehrheit darstellt. Der Vorwurf, Dissident zu sein, mag von beiden Seiten erhoben worden sein. Diese Dissidenten haben nach Auskunft der Briefe aus dogmatischen Erwägungen einen Bruch vollzogen, sie stellen aber nach wie vor auch einen Teil der johanneischen Schule dar, die sich demnach in unterschiedliche Richtungen entwickelt hat. Dass die Dissidenten in ihrer Perspektive die Lehre des Brief38 So jetzt Schnelle, Johannesbriefe, 103 f.; ders., Die ersten 100 Jahre, 358–374. Vgl. außerdem Schenke, Schisma; Theobald, Häresie. Zumstein, Joh, 280, verweist zu Recht darauf, dass die Identifizierung der abgefallenen Jünger als narratives Element für ein Geschehen in der Geschichte der johanneischen Gemeinde davon abhängig ist, wo man die Adressaten des Evangeliums verortet.

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schreibers und diejenige des Presbyters gleichfalls als Abweichen oder als „wenig fortschrittlich“ (2 Joh  9) betrachtet haben, ist wahrscheinlich, da den Boten des Presbyters der Zugang zu ihrer Gemeinde verweigert wird und sie sich verbalen Angriffen ausgesetzt sehen. Es haben folgerichtig in der Auslegung des 3 Joh unterschiedliche Zuweisungen von ‚Rechtgläubigkeit‘ und ‚Ketzerei‘ stattgefunden. War für Walter Bauer Diotrephes ein Ketzerhaupt und der Presbyter, der Verfasser der beiden kleinen Johannesbriefe, Zeuge der Rechtgläubigkeit39, so hat Ernst Käsemann das Verhältnis umgedreht: Diotrephes sei ein rechtmäßiger monarchischer Bischof und der Presbyter ein christlicher Gnostiker.40 Udo Schnelle, die Position Bauers wieder aufnehmend, beschreibt den Konflikt auf vier Ebenen: a) als lehrmäßige Kontroverse um das rechte Verständnis Jesu Christi, b) als einen Machtkonflikt um Leitungs‑ und Weisungsfunktionen, c) als einen Konflikt zwischen Ortsgemeinden und Wandermissionaren41 und d) um einen persönlichen Konflikt zwischen dem Presbyter und Diotrephes.42 Um die Frage zu beantworten, wo genau die Differenz zwischen den ‚Dissidenten‘ und den Briefschreibern liegt, sind zunächst einmal diese und alle weiteren wertenden Etikettierungen zurückzustellen. Zur Beantwortung dieser Frage gehen wir überdies von einer relativen Einheitlichkeit der Position der Dissidenten in allen drei Briefen aus. Nach 2 Joh  7 bekennen die Dissidenten nicht, dass Jesus Christus in das Fleisch kommt (ἐρχόμενον ἐν σαρκί im Part. Praes.). Wie aber kann ein gegenwärtiges Kommen Jesu Christi verstanden werden? Manche Ausleger beziehen den Ausdruck auf das gegenwärtige Kommen Jesu Christi im Sakrament, andere hingegen interpretieren das Verb der Bewegung futurisch und denken an die Parusie Jesu Christi.43 Eine Mehrzahl von Exegeten jedoch zieht diese Aussage mit 1 Joh 4,2 zusammen, wo es nun positiv heißt: „Ein jeder […], der bekennt, dass Jesus Christus im Fleisch gekommen ist […]“.44 Die Dissidenten lehren demnach eine doketische Christologie, die eine klare Trennung zwischen dem Menschen Jesus und dem Geistwesen Christus vollzieht.45 Der Differenzpunkt zu den Dissidenten liegt also in jedem Fall in der Christologie, kann aber nicht darauf beschränkt werden. Die Dissidenten erkennen nach 4,3 den irdischen, menschlichen Jesus nicht an, sondern allein und aus39 Vgl.

Bauer, Rechtgläubigkeit, 95–98. Käsemann, Ketzer und Zeuge. 41 Vgl. zu dem Konflikt zwischen sesshaften Ortsgemeinden und Wandermissionaren auch Did. 11–13; zur Sache: Schmeller, Brechungen. 42 Vgl. Schnelle, Einleitung, 534; ders., Johannesbriefe, 44 f.; ders., Die ersten 100 Jahre, 360–363. 43 Vgl. Strecker, Johannesbriefe, 332–337. 44 Vgl. exemplarisch div. andere Autoren bei Schnelle, Johannesbriefe, 28. 45 Die folgenden Ausführungen gehen mit der Position, die Udo Schnelle verschiedentlich publiziert hat, weitgehend konform; vgl. zuletzt ders., Die ersten 100 Jahre, 363–368. 40 Vgl.

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schließlich den himmlischen Christus. Nach 1 Joh 2,22 leugnen sie, dass Jesus, der Mensch, der Christus ist. Diese Position muss, wenn sie konsequent gelehrt wird, der Inkarnation und dem Kreuzestod, und damit unlöslich mit dem Sakrament des Herrenmahls verbunden, jegliche soteriologische Relevanz absprechen. Eine dieser – vermuteten – Position der Dissidenten ähnliche Haltung schreibt Irenaeus seinem Gegner Kerinth zu, der zu Beginn des 2. Jahrhunderts eine ähnliche Trennungschristologie vertreten hat: Das himmlische Geistwesen Christus verbindet sich in der Taufe mit dem Menschen Jesus für begrenzte Zeit bis vor die Kreuzigung (Haer. 1,26,1). Solch eine Position ist aus „großkirchlicher“ Sicht der Dinge als doketisch einzustufen, da nur eine scheinbare, aber keine wesensmäßige Verbindung zwischen dem himmlischen Christus und dem irdischen Jesus besteht. Eine Inkarnation, in der sich das Himmlische und das Irdische verbinden, kann nach doketischer Anschauung nicht nachvollzogen werden. Demgegenüber tritt der Autor des 1 Joh als Vermittler der überkommenen Tradition (1 Joh 1,1–4) auf und empfindet den Weg der Dissidenten als ein Verlassen der Tradition (1 Joh 2,19). Nach 2 Joh 9 gehen die Dissidenten als Neuerer über die bislang bestimmende gemeinsame Lehre hinaus. Wir wissen nicht, was den Schritt der Dissidenten angeregt oder begünstigt hat. Da aber noch das Johannesevangelium massiv einer doketischen Position entgegentritt (herausragend Joh 1,14), werden christologische Auseinandersetzungen innerhalb der johanneischen Schule stattgefunden haben. Die theologischen Traditionen des johanneischen Kreises ließen demnach offenkundig zunächst sowohl eine realistische Inkarnationschristologie als auch eine doketische Position möglich sein. Nun aber scheinen die Dissidenten eine Verbindung von Jesus und Christus allein im Wasser gelehrt zu haben, da hier in der Taufe die geistige Verbindung hergestellt wird. Der Verfasser der Johannesbriefe hingegen betont mit καὶ ἐν τῷ αἵματι („[…] und im Blut“) die physische Verbindung (1 Joh 5,6). Diese Korrektur geht dem analogen Ausdruck ἐν σαρκί („im Fleisch“, 2 Joh  7; 1 Joh  4,2) parallel und will sagen: Die Verbindung hat eine physische, nicht nur eine scheinbare Realität. Jedoch: Obschon sich diese christologische Differenz ja im Sakramentsverständnis geradezu wiederholt  – haben die Dissidenten nicht die Taufe Jesu, wie sie in Joh  1,32–34 berichtet wird, ganz richtig interpretiert? Erst in der Taufe kommt der Geist auf Jesus von Nazareth. Dieser Geist ist der präexistente Christus, der Logos. Aus Sicht der Dissidenten ist demnach sowohl für Jesus, als auch für die Glaubenden die Taufe der entscheidende Akt, weil hier die irdische Existenz in der Begegnung mit dem himmlischen Geist verwandelt wird. Der Autor des 1 Joh scheint an etlichen Stellen zitatähnliche Grundüberzeugungen der Dissidenten wiederzugeben, die problemlos als Folge des neuen pneumatischen Bewusstseins erklärbar sind: „Wir haben Gemeinschaft mit Gott“ (1,6), „Wir haben keine Sünde“ (1,8), „Wir haben nicht gesündigt“ (1,10), „Ich kenne

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Jesus Christus“ (2,4), „Ich bleibe in ihm“ (2,6), „Ich bin im Licht“ (2,9). Mit diesen Positionen setzt er sich daher ausführlich auseinander, obwohl es für ihn außer Frage steht, dass die Lehre der Dissidenten Lüge (2,4) und Verführung (3,7) darstellt, von der Welt ist (4,5) und den Geist des Antichristen repräsentiert (4,3). Es ist ja bezeichnend, dass er in der Lehre der Dissidenten nicht mehr einen bloßen Schulstreit erkennt, sondern die geschichtliche Vergegenwärtigung der apokalyptischen Gestalt eines Lügenpropheten. Der Verfasser erkennt in der Gruppe der Dissidenten die in der endzeitlichen Erwartung auftretende feindliche Einzelgestalt des Antichristen. Es gehört zum Wissen der Gemeinde, dass in der Endzeit ein Gegenspieler Jesu Christi, ein Antichrist kommen soll. Diese mythische Gestalt wird ausgeweitet auf eine Gruppe, sie wird jetzt personifiziert durch die Dissidenten (1 Joh  2,18; 4,3). War das Kommen eines endzeitlichen Gegenspielers in der Erwartung der jüdischen und christlichen Apokalyptik den letzten Tagen vor dem Kommen des Messias vorbehalten, so ist dieser Zeitpunkt nun im Auftreten der Dissidenten eingetreten. Er impliziert die Gefahr der Verführung (1 Joh 1,8; 2,26; 3,7; 2 Joh 7). Die Botschaft des Autors des 1 Joh ist durch das Auftreten der Irrlehrer mitbestimmt, aber nicht allein davon abhängig. Er entfaltet Grundüberzeugungen der johanneischen Schule in spezifischen Zuspitzungen. Schon der Briefprolog erscheint wie eine Lektüreanweisung. In der Situation möglicher Verführung durch die Verkündigung der Dissidenten tritt der Autor als der verlässliche Zeuge auf. Er ist einerseits Vermittler derjenigen Tradition, die den irdischen Jesus gehört und gesehen, zugleich aber den auferstandenen Christus „berührt“ (ἐψηλάφησαν 1 Joh  1,1, vgl. auch dasselbe Verb ψηλαφήσατέ με Lk  24,39). Sein Zeugnis stiftet, wo es gehört und angenommen wird, Gemeinschaft nicht nur mit dem Autor, sondern darüber hinaus mit dem Vater und dem Sohn. Dieses im Prolog bereits zum Ausdruck kommende Bemühen um das Festhalten der Gemeinschaft zeigt auch an, dass sie innerhalb des johanneischen Kreises zu zerbrechen droht bzw. in der Abspaltung der Dissidenten ja bereits zerbrochen ist. Die gleich im ersten Satz des Prologs betonte Inkarnations-Christologie wird in dem Brief mehrfach wieder aufgenommen (1 Joh 2,22 f.; 4,2 f.; 5,6–8), wiewohl hier keine Argumente beigebracht werden, aus welchem Grund dem doketischen Ansatz zu widersprechen sei. Hingegen wird das andere Thema des Prologs, die Stiftung der Gemeinschaft, durchgehend in den Briefen angesprochen.

7. Bewältigungsstrategien Eine klassische Position lautet dahingehend, dass in der Alten Kirche im 2. Jahrhundert mit Kanon, Amt und Regula fidei Instrumente gefunden werden, die als Bewältigungsstrategien im Blick auf Konflikte und Krisen eingesetzt werden.

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Gab es in der Frühzeit bereits ein synodales Prinzip? Der Begriff ‚Konzil‘ für die Apostelversammlung in Jerusalem im Jahr 48 n. Chr. ist ganz sicher anachronistisch. Erst vom 2. Jahrhundert an gab es lokale Konzile, in denen sich die Bischöfe einer Region versammelten, um über Fragen der Lehre oder Kirchenstruktur zu entscheiden. Diese Entscheide galten nur für die betreffende Region und hatten keine Allgemeingültigkeit. Das betrifft dann die sog. Regula fidei, die folglich nicht am Anfang der Geschichte des Christentums steht, sondern im Kontext der Ausbildung der Kirchenstruktur Gestalt gewinnt.46 Wenn der Begriff ‚Bewältigungsstrategie‘ überhaupt sinnvoll im Blick auf das Neue Testament verwendet werden soll, dann m. E. im Kontext aller Fragen, die um den Kanon und die Kanonisierung der Schriften kreisen. Hier erkenne ich strategische Dimensionen und Bewältigungen vorhandener Konflikte. Jedoch geschieht dies in einer bis heute hermeneutisch wegweisenden Form. Der Begriff ‚Kanon‘ insinuiert zwar die Vorgabe einer klaren und verbindlichen Norm. Der neutestamentliche Kanon ist aber in seiner Vielgestaltigkeit zugleich die Legitimation für die Ausbildung unterschiedlicher Glaubensrichtungen und Konfessionen gewesen. Der Kanon wird also Norm, aber eine Norm für das Recht und die Möglichkeit der Ausbildung einer pluralen Identität. Christoph Markschies zeigt, dass die antike christliche Theologie stets mit Blick auf ihren spezifischen institutionellen Kontext verstanden werden muss: So hatte beispielsweise der Kanon biblischer Schriften bei Apokalyptikern, freien Lehrern, in der Schule des Origenes oder in den verschiedenen Liturgien nicht nur einen unterschiedlichen Umfang, sondern auch eine unterschiedliche Funktion. Diesen Funktionen jetzt in den verschiedenen Lagern nachzugehen, wäre eine lohnende Aufgabe, die aber doch bereits deutlich den zeitlichen Rahmen des Neuen Testaments sprengt und daher in den Bereich der Kirchengeschichte gehört. Kanonisierung meint nach Markschies jedenfalls „das Verbindlichmachen von Texten für eine Gruppe durch eine bestimmte Elite“.47 Ich möchte als Ausblick nur ganz wenige Beobachtungen ansprechen.48 Zunächst ist festzuhalten, dass in den alten Canones völlig unstrittig die vier 46 Kinzig, Faith in Formulae, hat insgesamt 863 frühchristliche Glaubensbekenntnisse und verwandte Texte aus der Zeit vom 4. bis zum 9. Jahrhundert im lateinischen oder griechischen Original zusammengetragen, übersetzt und kommentiert. Eines der Ergebnisse ist, dass Glaubensbekenntnisse zunächst nicht die in Stein gemeißelten dogmatischen Fundamente waren, als die der Laie sie sich vorstellt. Die hier gesammelten Dokumente zeigen, dass es sich anfangs um atmende, lebende Texte handelte. Selbst wenn man glaubte, eine Formulierung sei allgemein akzeptabel, ging die Entwicklung weiter. Sobald eine Formel fertig war, setzte sie neue Diskussionen über ihre Auslegung in Gang. So hätten die altkirchlichen Denker im 4. Jahrhundert im Ringen um konsensfähige Formulierungen immer wieder Textpassagen umgestellt, ergänzt oder weggelassen  – wie bei einem Baukastensystem (Presseerklärung der Universität Bonn vom 27. 06. ​2017); außerdem ders., Neue Texte. 47 Markschies, Kaiserzeitliche christliche Theologie, 217 (im Original kursiv). 48 Grundlegend erneut Markschies, Haupteinleitung; ders., Das antike Christentum, 94–104.

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Evangelien den Einstieg bilden. Die Entscheidung, vier unterschiedliche und sich auch widersprechende Evangelien aufzunehmen und nicht auf ein einziges Evangelium oder ein einziges Diatessaron (z. B. die Vierevangelienharmonie Tatians, um 170 n. Chr.) zu reduzieren, ist auch ein Bekenntnis zur Vielgestaltigkeit. Es kann sodann für die Zeit des 4. und 5. Jahrhunderts festgehalten werden, dass die Katholischen Briefe in den älteren Kanonverzeichnissen und Codices (A, B, C und in der Mehrheit der Handschriften) im Anschluss an die Apostelgeschichte standen und dass in der Reihenfolge der Schriften der 1. Petrusbrief in der westlichen Theologie zeitweilig die Kopfstellung hatte, diese dann aber an den Jakobusbrief abtreten musste. Der Ort der Katholischen Briefe im Kanon war allerdings noch variabel. In etlichen Kanonlisten und im Vaticanus und Alexandrinus folgen sie im Verbund mit der Apostelgeschichte (Praxapostolos) direkt nach den Evangelien. Diese Stellung der Katholischen Briefe im Kanon im Anschluss an die Apostelgeschichte, aber vor den Paulusbriefen unterstreicht deren theologischen Anspruch. In ihnen kommen mit Jakobus, Petrus und Johannes diejenigen Apostel zu Wort, die als Säulen der Urgemeinde (neben Gal 2,17 auch Apg 3,1; 8,14; 12,2.17; 15,13; 21,18 u. a.) anerkannt waren. Die theologische Bewältigungsstrategie des frühen Christentums im Blick auf die unterschiedlichen Stimmen des Kanons findet sich folglich in Auswahl und Anordnung und damit verbunden in der Bewertung. Die Bewältigungsstrategie, auf Differenzen innerhalb des frühchristlichen Schrifttums mit einer Auswahl und Anordnung in einem Kanon zu reagieren, war damit aber nicht abgeschlossen: Bekanntlich hat die Luther-Bibel im Jahr 1534 aus theologischen Gründen eine Umstellung dahingehend vollzogen, dass der Jakobusbrief und der Judasbrief die Schlussstellung vor der Offenbarung des Johannes einnehmen und überdies durch den Hebräerbrief von den fünf anderen Katholischen Briefen abgeschnitten werden. Luther nummerierte im Inhaltsverzeichnis nur die ersten 23 Schriften durch und fügte dann Hebräerbrief, Jakobus- und Judasbrief sowie Offenbarung des Johannes nach einer Leerzeile ohne Ziffer an.49 Diese Abwertung des Jakobusbriefs innerhalb des Siebenerkorpus der Katholischen Briefe durch Luther wird in den modernen Bibelausgaben nochmals dadurch verschärft, dass die im griechischen Osten übliche Zuordnung von Apostelgeschichte und Katholischen Briefen vor den Paulusbriefen seit den Vulgata-Ausgaben und wirkungsgeschichtlich bedeutsam durch Erasmus aufgebrochen wird, indem jetzt die dreizehn Paulusbriefe im Anschluss an die Apostelgeschichte und vor den Katholischen Briefen bzw. die Apostelgeschichte im festen Verbund mit den Katholischen Briefen im Anschluss an die Paulusbriefe geboten werden.

49 Vgl.

Füssel (Hg.), Luther-Bibel.

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8. Drei Wünsche Als erstes möchte ich den Wunsch aussprechen, bei der Lektüre des Neuen Testaments die Brille und die Sprache, die Konflikte und Krisen nach Rechtgläubigkeit und Ketzerei, nach Orthodoxie und Häresie sondiert, abzulegen, um in dieses Laboratorium der Ausbildung christlicher Theologie überhaupt gedanklich erst einsteigen zu können. Das Neue Testament ist dasjenige Dokument, das den Selbstfindungsprozess des frühen Christentums darstellt. Konflikte und Krisen gehören notwendig dazu und sie sind die Geburtshelfer der christlichen Theologie. Zweitens wünsche ich mir, dass der Begriff der pluralen Identität, auch wenn er als Selbstwiderspruch erscheinen mag, wertgeschätzt wird. Die Vielfalt des Neuen Testaments ist ein Gewinn, nicht aber eine Schwäche, der durch eine strenge Bekenntnisbildung und -bindung entgegenzutreten sei. Die Pluralität bietet überdies unterschiedlichen Kirchen und Konfessionen Raum, sich ihrem Selbstverständnis entsprechend wiederzufinden und zu verorten. Drittens denke ich, dass das Studium von frühchristlichen Konflikten und Krisen zu einer reflektierten theologischen Sensibilisierung in gegenwärtigen kirchlichen Auseinandersetzungen beitragen kann. Deren Bewältigungsstrategien können wir nicht dem Neuen Testament als einer Handlungsanweisung entnehmen. Hierzu bedarf es einer professionellen Schulung in der Seelsorgeausbildung und auf allen Ebenen kirchenleitenden Handelns.

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The Kings and the Messiah: A Contribution to the Conflict History in the Gospel of Matthew Matthias Berghorn 1. Introduction In the Gospel of Matthew, the story of Jesus is one of a conflict, more precisely a conflict of leadership.1 In essence, there are two opposing parties. On the one hand, the “established leaders,”2 namely the group comprising the ruling class amongst the people of God. Although this group is composed of several subgroups, such as high priests, Pharisees and literary experts,3 Matthew portrays the group as a single character4 without providing further clarification. This group’s teachings and behavior illustrate a lack of understanding of God’s central demands – primarily charity and mercy5 – and that both do not correspond to God’s will and are also considered πονηρός (e. g., Matt 12:34).6 In interpreting Scripture, the “tradition of the elders,” the established leaders set completely different priorities when their παράδοσις puts cultic questions first.7 Their behavior towards the people is not characterized by compassionate devotion since those in need are even excluded (9:11–13); it instead focuses on their own well-being and maintaining their own strength.8 God’s people thus resemble a “shepherd1 See

Repschinski, Controversy Stories, 319; Saldarini, Community, 44–67. prefer the term “established leaders” for the group of opponents of Jesus in the Gospel of Matthew rather than Jewish leaders for two reasons. First, when referring to the origin of the opponents, the term “Jewish leaders” could not include King Herod since he was probably an Idumean (for discussion Vogel, Herodes, 210–232). Second, the conflict between Jesus and his opponents also deals with the aspect that the ruling leaders will be replaced by the newborn King of the Jews (Matt 2:2). In the following, “Jewish leaders” is a collective term for the groups of high priests, literary writers, Sadducees, Pharisees, etc. whereas the term “established leaders” also includes Herod. 3 A distinction must be made here. Historically, the group does not designate a homoge­neous structure, but consists of several sub-groups such as Pharisees, Sadducees and elders, who, however, act as a single front against Jesus in the Matthean representation. 4 About the term see Gielen, Konflikt, 15; Kingsbury, Conflict, 72. 5 Konradt, Israel, 120, speaks of an “Unkenntnis der Barmherzigkeit.” 6 See Konradt, Israel, 147; Poplutz, Studien, 50. 7 See Konradt, Israel, 149. 8 See Kingsbury, Conflict, 64; Poplutz, Studien, 51. 2 I

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less flock” (9:36).9 On the other hand, there is Jesus, who feels obliged to God’s demands – especially mercy – and thus brings “laws and prophets” to fulfillment in doctrine and deeds: He teaches the priority of mercy (12:1–8)10 and acts according to this maxim when healing the sick, feeding the hungry, and freeing sinners from their guilt.11 Several references are made to the desire to eliminate Jesus, who has a high reputation12 among the people (e. g., 12:14; 26:4).13 Although Jesus can escape his opponent’s grasp at first (12:15), they seem to have achieved their goal of arresting Jesus (26:50). However, by saving Jesus through death, God identifies him as his authorized representative.14 This conflict of leadership is already visible in the prologue to Matthew (1:1–4:16),15 even though the evangelist partly adds his own touches.16 Firstly, in addition to the Jewish leaders in 2:4–6 and 3:7–12, one can note that Herod, who is referred to several times as βασιλεύς (2:1, 3, 9), is depicted as a competitor of Jesus. In the prologue, the conflict in leadership also unfolds between two kings. Secondly, Scripture is of paramount importance for the prologue. This is already shown quantitatively in the ten express quotations that make the reference to writing clear through a preceding phrase (1:22 f.; 2:5 f., 15, 17 f., 23; 4:4, 6, 7, 10, 14–16).17 Thirdly, the prologue to Matthew can be understood as the beginning part18 of an ancient vita,19 which introduces positive and discouraging persons,20 whereby especially in the first part of the vita this representation can be closely  See Poplutz, Mt, 107.  See Konradt, Erfüllung, 304–306. 11 On these three aspects of Jesus’ merciful care see Berghorn, Herkunft Jesu, 129–188. 12 See Konradt, Israel, 147. 13  See Popa, Konflikt, 108. 14  See Konradt, Mt, 443. 15 The delimitation of the prologue and its structure are disputed. In my opinion, there is a meaningful connection that includes 1:1 and ends with 4:16. The first verse is the heading to the prologue, which is taken up again in 1:18a after the “excursus” of genealogy (1:2–16, 17). The designation of Jesus as son (1:1, 21, 23, 25; 2:15; 3:17; 4:3, 6) determines the entire prologue with the exception of the genealogy, but does not appear again until the eighth chapter after the prologue. The parallelism in 2:22 f. and 4:12–16 form a double conclusion of 2:1–4:16. See Berghorn, Herkunft Jesu, 37–64. 16 See Poplutz, Anfang, 16. In addition, Konradt, Israel, 110–115. 17 A total of half of the ten Fulfillment Quotes (Matt 1:22–23; 2:15, 17–18, 23; 4:14–16) can thus be found in the prologue (see Luz, Mt/1, 190). Five further quotations introduced by a formula (γέγραπται) are used by the characters in the narrative (2:6; 4:4, 6, 7, 10). 18 For a detailed description of important elements of the first part of the ancient lives see Frickenschmidt, Evangelium, 240–277. 19 On the Gospel of Matthew as Vita see Dormeyer, Geschichtsschreibung, 27. Luz, Mt/1, 41, believes this is possible from the perspective of the recipient. The assignment to the genre “Vita” cannot be limited to the first Gospel, but also appears possible and justifiable for the other Jesus stories. The Gospel of John begins with the indication of origin in John 1:1–18 (see Schreiber, Vita, 131). In the first verse of his Gospel, Mark offers the name and the divine origin of Jesus Christ (see Ebner, Viten, 56–59). 20 See Ebner, Viten, 40 f.  9

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linked to their origins. Particularly in the political field, rulers who were defined by a certain policy can be brought into the picture and can thus be presented as a positive or negative model for the rulers of the current age.21 Taking all three observations together, it is not surprising that the conflict between Jesus on the one hand and the established leaders on the other, is viewed in the context of the Old Testament kings, i. e., their history, actions and origins. Accordingly, this essay will show that the prologue takes account of various Old Testament concepts of rulership and relates these to each other in pairs. The first pair focuses on the rule of the Davidides in Jerusalem,22 which in principle23 is viewed in a negative manner in the dtr depiction of books of Kings – the kings ultimately acted against the required cult centralization24 and thus took responsibility for the disaster of the Babylonian exile. This picture of the Davidides is counteracted in the post-exilic period, for example, by the “messianische Triptychon”25 in the book of Isaiah. It looks at the rule of a Davidide, who frees the people from their plight,26 casting a positive light on this ruler figure.27 Both different representations of the Davidides are referred to in the prologue to Matthew, applied to the established leaders and Jesus as parties to the conflict, so that their rule is assessed either positively or negatively. A second pair concerns the royal epoch,28 concerning Judah (= southern kingdom) and Israel (= northern kingdom). Biblical tradition considers their first rulers, David and Jeroboam, as descendants of Judah and Joseph. Their rulership over the “House of Judah” and the “House of Joseph” is legitimized29 by their descent,30 for both Judah and Joseph grant Jacob rulership over their brothers (Gen 49:8–12, 22–26).31 However, Judah and Joseph do not become kings themselves, but their descendants. If this concept expresses the competition for rulership over the family of Jacob or the twelve tribes of Israel, Matthew will portray Jesus as  See Ebner, Viten, 41 f. the rule of the Davidides see Albertz, Religionsgeschichte I, 174–184. 23 Certain attention is evident in the assessment of the Kings of Judah, insofar as, prior to Josiah, only Manasseh is clearly portrayed negatively (see Jeremias, Theologie, 227), while the kings after Josiah, namely in temporal proximity to the destruction of Jerusalem in 587 bce, are in principle depicted as “evil.” 24  See Gertz, Tora, 304. 25 Dyma, Erwartungen, 40. 26 Fabry/Scholtissek, Messias, 29 f. 27 See Scharbert, Jes/1, 6. 28 For the history of the two kingdoms see the work of Schmitz, Geschichte, 70–119; Frevel, Geschichte, 97–327. 29 Thus, regarding the genealogy of 1 Chr 2, Willi, Juda, 160, states: “nicht David macht Juda, sondern Juda macht David zu David.” 30 The term “House of Joseph” in 1 Kgs 11:28 denotes the northern kingdom over which Jeroboam rules (see Lisewski, Studien, 27 f.), while the southern kingdom is both called “House of David” (e. g., 1 Kgs 12:20) or “House of Judah” (e. g., 1 Kgs 12:23). See Knauf, 1 Kön, 379. 31 On the blessing of Jacob in Gen 49 see Ebach, Gen/3, 564–641. 21

22 On

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a King, descended from Judah and (a) Joseph, while the Jewish leaders have no claim to rule over Israel.

2. The concentric structure of the “genealogical chapter” Matt 1 The first chapter of the Gospel of Matthew is defined by a volume of genealogi­ cal information.32 Formally, a distinction can be made between the genealogy in 1:2–16, 17 on the one hand and 1:1 and 1:18–25 on the other hand, insofar as the headings (1:1, 18a) and the birth history (1:18b–25)33 use the noun υἱός to denote the represent genealogical relationships (1:1, 20, 21, 23, 25), while genealogy as the center of Matt 1 presents a genealogical line from Abraham and Jesus with the help of the verb γεννάω. In this way, 1:1 and 1:18–25 thus form the framework of genealogy from a formal perspective. The texts from Matt 1 serve not only to provide genealogical information but also to present various depictions of rulers. Jesus is thereby introduced as Christ in two instances (1:1, 18–25) and thus declared as ruler. Both texts are linked by the portrayal of Jesus as Son of David.34 While 1:1 explicitly designates Jesus as υἱὸς Δαυίδ,35 the birth story shows why Joseph, who himself descends from David (1:20), can be considered the father of Jesus.36 Due to his origins, Jesus has the genealogical right to be considered King. The name Jesus is connected with the salvation of God’s people from sins (1:21: αὐτὸς γὰρ σώσει τὸν λαὸν αὐτοῦ ἀπὸ τῶν ἁμαρτιῶν),37 thus also outlining the rule of Jesus: Jesus is a Davidide who frees Israel from its plight. The genealogy38 in 1:2–16, 17 is a sequence of forty individuals, briefly describing the biblical story from Abraham to Jesus. This story is divided into three epochs at 1:17, with each epoch assigned to fourteen generations.39 The counting method has always been an crux interpretum: The number of generations appears incompatible with the counting method from 1:17.40 A solution emerges 32 In Matt 1 there is no location information, while from 2:1 the geographical information clearly shapes the Jesus story. Stendahl, Quis, 105, understands the first two chapters as “an apologetic and scriptural answer to the question Quis et Unde.” It should be added that the significance of the geographical perspective from 2:1–23 is continued in 3:1–4:16. 33 To the genre of a birth story see Berghorn, Herkunft Jesu, 65–128; Finlay, Birth Report Genre, 23–42. 34 See the study by Burger, Jesus, 72–106. 35 See Baxter, Healings, 37. 36 See Luz, Mt/1, 148. 37 See Carter, Matthean Soteriology, 508. 38 On the genus of biblical genealogy see Berghorn, Herkunft Jesu, 196–222. 39 See Fiedler, Mt, 44. 40 Matt 1:2–16 names forty-one generations. Three epochs with fourteen generations, how-

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by noting that in 1:17 the beginning and end of the phases are marked, on the one hand, by persons (Abraham, David, Christ) and by the event of the Babylonian exile, on the other.41 According to 1:17, the first part of the genealogical line extends from Abraham to David and comprises fourteen generations.42 The second part begins with David43 and leads to Josiah, (in the Matthew account) the last King of Judah before the exile (the birth of Josiah’s sons in 1:11 already takes place during the exile: Ἰωσίας δὲ ἐγέννησεν τὸν Ἰεχονίαν καὶ τοὺς ἀδελφοὺς αὐτοῦ ἐπὶ τῆς μετοικεσίας Βαβυλῶνος). The Kings of Judah in Jerusalem belong to the second epoch of the history of Israel,44 spanning from the first king, David, to the beginning of the Babylonian exile. The third epoch covers the post-exilic period, namely from the end of exile to Jesus; according to 1:17 this also includes fourteen generations. The last section of the history of Israel begins with Jechonias (and his brothers), who fathered a son after the exile (1:12: μετὰ δὲ τὴν μετοικεσίαν Βαβυλῶνος Ἰεχονίας ἐγέννησεν τὸν Σαλαθιήλ),45 and ends with the fourteenth generation (Jesus).46 The time of exile marks a clear break in the history of Israel, despite the genealogical continuity over this time. The postexilic period thus constitutes a new beginning in the history of Israel analogous to the event concerning Abraham in 1:2. This double new beginning is similar in that the genealogical line of the first epoch (from Abraham to David) and the third epoch (from Jechonia to Jesus) have four common aspects that distinguish them from the royal period. First, at the end of the genealogical lines of the first and third epoch there is a ruler, namely King David (1:6a: ὁ βασιλεύς) and Jesus, who is called the Messiah (1:16b: ὁ λεγόμενος Χριστός). The genealogical line within these epochs is aimed at these two rulers, so that they complete the new beginning under Abraham and the post-exilic period. Second, in both cases there is emphasis on the selective character of this line, which runs towards the respective ruler. Although several sons of Jacob are named (1:3: Ἰακὼβ δὲ ἐγέννησεν τὸν Ἰούδαν καὶ τοὺς ἀδελφοὺς αὐτοῦ), only the line that extends from Judah to the king is continued. The formula from 1:3 is resumed in 1:11, when only the line of Jehoiachin leading to Christ is continued from the generation of Jehoiachins and his brothers. Third, there are four instances in which both parents of a member of the genealogical line are introduced by name (1:3, 5a, 5b, 6a, 16), whereby ever, require either forty-two generations or, if one counts the same person as the last of the preceding and the following sections, forty generations. See Luz, Mt/1, 129. 41 See Häfner, Texte, 145. 42 See Luz, Mt/1, 129. 43 Davies/Allison, Mt/1, 165, state: “The name, David, is the key to the pattern of Matthew’s genealogy.” 44 See Brown, Birth, 70. 45 See Ebach, Josef, 29. 46 See Häfner, Texte, 145.

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the mother is introduced with ἐκ. The names of the parents and the children are reminiscent of biblical stories in which one of the parents is cast in an especially positive light due to his or her behavior.47 In Gen 38, Tamar campaigns for her late husband’s right to have offspring. Despite having intercourse with her father-in-law, which is forbidden according to Lev 18, she is justified in her actions (Gen 38:26: ‫ ִמ ֶֶּ֔מִּנִ י ָ ֽצ �ד ָ ְ֣קה‬ / Δεδικαίωται Θαμαρ ἢ ἐγώ). Rahab and Ruth are two pagan women who not only profess the God of Israel (Josh 2; Ruth 1) but also show their mercy (ἔλεος / ‫ )חסד‬towards Israelites and thereby break the boundaries of their own group solidarity. Rahab reaches an agreement with the spies and expects them to be merciful to their family during and after the conquest of Jericho as she did before the Israelites (Josh 2:14: Ὡς ἂν παραδῷ κύριος ὑμῖν τὴν πόλιν, ποιήσετε εἰς ἐμὲ ἔλεος καὶ ἀλήθειαν). Naomi asks God for retribution for Ruth’s merciful deed (Ruth 3:10). Joseph, the father of Jesus, is referred to in 1:19 as righteous (δίκαιος), because he is not only guided by the law, in that he wants to divorce Mary according to Deut 24:1–4 and the update in Matt 5:31 f.,48 but applies this right altruistically by keeping an eye on Mary’s fate and refraining from a public trial. Joseph is thereby the “erste Repräsentant einer besseren Gerechtigkeit.”49 In addition, Joseph carried out the order of the messenger of God (e. g., 1:24; 2:21, 22) and the prophets (e. g., 1:25; 2:15) precisely and was thus completely obedient to the divine will. A fourth common feature between the first and third epochs is that in each case an ancestor of the ruler is called Jacob, whereby the line of the first epoch runs from the patriarch Jacob to David via Judah, while Jesus is genealogically derived from a Jacob and his son Joseph. The repetition of the name Jacob50 from 1:2 in 1:16 reminds of Joseph from the Old Testament: “[D]er doppelte Jakob verweist implizit auch auf den anderen Josef.”51 In this way, Jesus’ origin is particularly emphasized by Joseph in the post-exilic epoch and placed alongside the descent of King David from Judah in the time before the royal period. Overall, it shows how the two rulers, David and Jesus, are defined more closely through their ancestors: David comes from Judah and is portrayed as a merciful king, Jesus, on the other hand, has (a) Joseph as his father and can be considered a righteous messiah. The second epoch begins with David and lists the Kings of Jerusalem up to and including the Babylonian exile. In 1:6b, Matthew adds directly that David begat Solomon “from that of Uriah.” The reference to “that of Uriah” in 1:6b 47 See

Berghorn, Herkunft Jesu, 234–246.

48 The interpretation from Deut 24:1–4 in Matt 5:31 f. that a divorce is legal due to fornication

of the woman is applied earlier in Matt 1: Joseph must assume that Mary has committed fornication if she is pregnant before the cohabitation (1:18: συνέρχομαι). This enables him to remove her from the marriage according to 5:31 f. 49 Thus the title of the essay by Ebner, Josef. 50 See Davies/Allison, Mt/1, 182. 51 Ebach, Josef, 20.

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reminds of the story from 2 Sam 11:1–27 (and 12:1–25) in which the focus is on David’s double52 guilt and the resulting consequences. David killed the innocent Uriah and took his wife, which God explicitly condemns as “evil” (11:27: ‫רעע‬ / πονηρός).53 If David’s two sins mark the beginning of the second phase, it ends with Josiah, who is connected with the exile and the destruction of Jerusalem and the temple. The time of the Jerusalem kings is thus framed by these two adverse events, with David and Josiah as two kings who are portrayed as ideal rulers in the dtr representation of the books of Kings and are therefore viewed in a positive light.54 One can suspect a causal link between David’s behavior and exile for the account in Matthew, so that the two references to exile points back to David’s two sins against Uriah: “In der Genealogie Jesu bei Matthäus ist Davids doppelte Sünde bei der Zeugung Salomos letztendlich der Grund für das Ende des Königshauses im Exil.”55 Thus, Matthew portrays the kings era as a negative epoch throughout. Accordingly, the link between the wrongdoing of the kings and the resulting exile corresponds to the “Tun-Ergehen-Zusammenhang” of the dtr theology, but the representation in Matthew criticizes David’s actions not from a cultic but rather an ethical perspective. These observations clarify how genealogy, through its tripartite division and the similarities of the first and third epochs, further refines the concentric structure of the first chapter in the Gospel of Matthew. Overall, there are four different images of rulers. The formal center of the structure is the royal rule of the Davidides (1:6b–10), which based on its representation in Matthew is to be viewed in a negative light. It begins with David’s double guilt and ends with Josiah, who is linked to the Babylonian exile. The second epoch is framed by the genealogical lines from Abraham to King David on the one side (1:2–6a) and from Jehoiachin to the Messiah Jesus on the other (1:12–16). The first epoch of genealogy presents the image of a ruler from Judah who shows solidarity based on his origin and who approaches others with mercy. In contrast, the third epoch looks at the Messiah, who is derived from (a) Joseph and can be regarded as an obedient ruler due to his descent. The passages 1:1 and 1:18–25 form the outer framework of the “genealogical chapter”; these are closely related and link Jesus’ descent from David to his intervention for the people (1:21). The rulers of the Davidides are thus at the center of the “genealogical chapter,” facing three positive models of rule:

52 See

Bar-Efrat, 2 Sam, 117. Oswald, Nathan, 119 f. 54 See Jeremias, Theologie, 227. 55 Wucherpfennig, Josef, 70. 53 See

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Son of David as the savior of the people (1:1, 18–25)

Son of David as the savior of the people (1:1, 18–25) Son of Joseph as a righteous ruler (1:12–16)

Son of Judah as merciful ruler (1:2–6a) Davidides as evil rulers (1:6b–10)

3. The competing politics and their consequences In the Gospel of Matthew, Herod and Jesus are introduced as the first set of competitors. Already at the beginning of Matt 2, Herod and Jerusalem (2:3)56 react in dismay to the birth of the Jewish King57 and want to eliminate him (2:13). Jesus first had to flee to Egypt, but after Herod’s death returned from Egypt and settled first in Nazareth (2:22 f.), then Capernaum (4:12 f.). In the main part of the Gospel, the Jewish leaders also attempt to kill Jesus (12:14; 26:4; 27:1),58 taking on the role of Jesus’ opponents. While Herod and the Jewish leaders are closely linked to Jerusalem in Judea (2:3; 15:1), Galilee becomes the area in which Jesus as Messiah approaches his people.59 However, a further difference between Jesus and the established leaders lies also in their respective politics, i. e., the way in which they rule the people of God as kings, and their consequences for the people of God in Judaea and Galilee. 3.1 Herod, the Jewish leaders and the destruction of Jerusalem The second epoch of genealogy begins with David and lists the Jerusalem kings up to Josiah, who is closely connected with the beginning of the Babylonian exile.60 Thus, in Matthew, the kings’ time is portrayed as a negative epoch, whereby the depiction of David is particularly striking: He killed the innocent Uriah and took Bathsheba, Urija’s wife (Matt  1:6b; 2 Sam  11:1–27). The re­ presentation of David in the Matthean genealogy, together with its allusion to scripture, corresponds in several respects to the picture Matthew paints of Herod and the Jewish leaders. To begin, David and the established leaders kill innocent 56 Matt 2:3 is resumed at 21:10 when the “whole city” (πόλις) reacts to the coming of Jesus. See Konradt, Deutung, 224. 57 See Konradt, Israel, 12. 58 See Poplutz, Studien, 126. 59 See Konradt, Mt, 58. 60 See Davies/Allison, Mt/1, 186.

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people to maintain their own power. David, who reigns in Jerusalem according to 2 Sam 11:1–27, sends his soldiers away (11:1: ἀποστέλλω) and kills Uria, one of his servants (11:1, 24: παῖς), with the sword to secure his power.61 Herod also rules Jerusalem (2:3),62 sends (2:16: ἀποστέλλω) his soldiers away and murders all innocent children (παῖς) in Bethlehem in order to secure his throne.63 In 27:1 f., the Jewish leaders plan to execute Jesus, i. e., the παῖς of God (12:18), and thus hand over αἷμα ἀθῷον (27:4) to Pilate.64 Second, Matthew links the behavior of David and the established leaders to the destruction of Jerusalem. If Matthew makes this connection in the genealogy by twice naming the exile (1:11, 12), in 2:18 and 27:9 f. he quotes the prophet Jeremiah,65 which is closely connected with the destruction of Jerusalem.66 In 2:18, the evangelist looks at Rachel’s grief for her children (τέκνον) in Rama (Jer 31:15/MT // 38:15/LXX). According to Jer 40:1, after the destruction of Jerusalem in 587 bce, prisoners were sent from Rama to Babylon.67 In 2:18, Rachel does not actually mourn the children in Bethlehem,68 but rather looks at the fate of her children after the fall of the city Jerusalem.69 In 27:9 f., Matthew offers a text by Zechariah,70 which he allows to be interpreted in light of the message of Jeremiah (τότε ἐπληρώθη τὸ ῥηθὲν διὰ Ἰερεμίου τοῦ προφήτου λέγοντος). When at 27:9 f. Matthew briefly summarizes the entire scene from 27:1–871 and contrasts it with the message of Jeremiah, he raises the link between the wrongdoing of the Kings of Judah and the judgment of Jerusalem in 587 bce to Jer 19:1–13.72 Analogously to this, the evangelist shows that the destruction of Jerusalem in 70 ce can be understood as a consequence of the handing over of the innocent children in 2:16 and of the innocent Jesus in 27:1 f. by Herod and the Jewish leaders. Overall, the observations show how, as portrayed by Matthew, the behavior by David, Herod and the Jewish leaders is based on a common policy of rulers, whereby the interest lies in maintaining one’s own power and not in the wellbeing of the people,73 even bringing harm to the people of God. By taking David  

61 See

Zach, Ambivalenz, 80. Meister, Dimension, 132. 63 See Gielen, Konflikt, 30; Konradt, Mt, 44. 64 On the parallel structure of Matt 2:(13)16–18 and 27:1–10 see Berghorn, Herkunft Jesu, 57–59. 65 The prophet Jeremiah is mentioned next to Matt 2:17 and 27:9 in 16:14. See Davies/ Allison, Mt/1, 266. 66 See Konradt, Deutung, 241; Meister, Dimension, 69–182. 67 On this connection see Becking, Fear, 201 f.; Knowles, Jeremia, 47. 68 Knowles, Jeremiah, 47, puts it differently: “In Matthew’s eyes Rachel weeps above all for the slaughtered children of Bethlehem.” 69 See Konradt, Deutung, 243. 70 See Böttrich, Rätsel der Judasgestalt, 168. 71 For the mutual influence of the narrative and the quotation see Menken, Quotation, 309. 72 See Fiedler, Mt, 406 f. 73 See Konradt, Israel, 149. 62 See

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as an example, the competitors of Jesus bring double suffering to the people of God, thus showing themselves to be “evil” leaders. 3.2 Jesus as the savior of God’s people The first and last fulfillment quotes in Matthew’s prologue (1:22 f.; 4:14–16) are closely related: They are both underpinned by a text from the prophet Isaiah and look at the healing intervention of a Davidide for the people of God.74 The first fulfillment quote traces back to Isa 7:14 and comes from the “Immanuel Oracle” (7:10–14).75 Here, God gives the House of David a sign that is supposed to show trust in his support:76 Through the promise of the birth of a son77 with the “speaking” name Immanuel, which can be found in 8:8, 10 in translated form (μεθ᾽ ἡμῶν [κύριος] ὁ θεός), God wishes to express his saving closeness with Judah.78 The last quote of fulfillment within Matt  1:18b–4:16 comes from the passage Isa  8:19–9:6, which functions as an epilogue to the “Immanuelschrift” (5:1–9:6).79 The passage consists of two parts (8:19–22; 8:23–9:6): When 8:19–22 takes into account the plight of the people, 8:23–9:6 is considered to be “Prophetie über das Nordreich,”80 which justifies the turn to salvation (8:23–9:4) with the appearance of a Davidic prince (9:5 f.).81 8:23–9:4 focuses on the divine liberation of the people of God who sit in darkness (9:1). The darkness and oppression are contrasted with light and joy and the liberating action is represented symbolically.82 In contrast, 9:5 f. reflect on the birth and enthronement of the heir from the House of David,83 through whose presence the transcendent God works.84 The formulation in 9:5 (παιδίον ἐγεννήθη ἡμῖν, υἱὸς καὶ ἐδόθη ἡμῖν) shows through the “us” an allusion to Immanuel (7:14): The special sign that God once gave King Ahaz has now been fulfilled.85 74 In

detail on this connection see Berghorn, Herkunft Jesu, 133–139.  See Beuken, Jes/1, 189 f., 201–207. 76 See Beuken, Jes/1, 202 f. 77 From Isa 36–37 it can thus be assumed that the Immanuel is Hezekiah, the successor of Ahaz, since the salvation of Jerusalem told in the two chapters is to be understood against the background of the promise. See Beuken, Jes/1, 204 f. On the comparison of Ahaz and Hezekiah see Broer, Ankündigung, 172 f. 78  Broer, Ankündigung, 176. 79 See Beuken, Jes/1, 130, 233–257. 80 Beuken, Jes/1, 240. Not only the geographical information in Isa 8:23 speak for the reference to the northern kingdom, but also the mention of the “Tag von Midian” in 9:3. 81 See Beuken, Jes/1, 249. In contrast, Kilian, Jes/1, 70, emphasizes that Isa 8:23 has the function of a transition section. 82 Kilian, Jes/1, 70: “Die Not derer, an die das Wort gerichtet ist, wird dadurch gewendet, daß ihnen im Lichte die gnädige, hilfreiche Gegenwart Gottes aufstrahlt.” See Beuken, Jes/1, 247. 83 See Beuken, Jes/1, 249; Seebass, Herrscherverheißungen, 51. 84 See Wildberger, Jes/1, 387. Isa 8:23–9:4 is thus updated, when salvation starts entirely from God, in 9:5 f. however the Davidic ruler appears as savior. 85 See Beuken, Jes/1, 250. 75

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For Matthew, both prophetic expectations are fulfilled in Jesus. On the one hand, Matt  1:1, 18–25 clarify that Jesus is descended from David and can genealogically thus be considered the Son of David.86 Through the salvation of sins, which is closely connected with the name of Jesus (1:21: αὐτὸς γὰρ σώσει τὸν λαὸν αὐτοῦ ἀπὸ τῶν ἁμαρτιῶν αὐτῶν), he shows himself as the expected Immanuel through whom God is with his people (1:23).87 On the other hand, in Jesus’ arrival in Nazareth and Capernaum in Galilee,88 the appearance of the promised Son of David from Isa 8:23–9:6 is fulfilled. Galilee is therefore the place of Jesus’ exclusive approach to Israel.89 The portrayal of Jesus as the Son of David who freed the people from existential distress90 is recorded several times outside of the prologue and is particularly associated with the salvation of sins and healings (e. g., 9:27; 12:23).91 At the end of his life, Jesus will even be ready to sacrifice himself on the cross for the forgiveness of sins (26:28).92 It is to be noted that in 1:1 Jesus is referred to not only as the Son of David but also as the descendant of Abraham93 (βίβλος γενέσεως Ἰησοῦ Χριστοῦ υἱοῦ Δαυὶδ υἱοῦ Ἀβραάμ).94 With the origin of Abraham, the commitment of Jesus to the Gentiles is brought into view.95 It is taken up by speaking of the “Γαλιλαία τῶν ἐθνῶν” (4:15):96 Jesus’ devotion applies to all people, not only to the people of God.97 For example, not only Israel sees a light according to 4:16 (ὁράω) and a light rises (ἀνατέλλω) but also the wise men see the star of the King of the Jews at its rising (2:2, 9: ὁράω/ἀνατολή): They come before the King of the Jews and worship him (ἤλθομεν προσκυνῆσαι αὐτῷ). In Galilee,98 Jesus’ work is not exclusively for the people of God: He also serves the Gentiles, whereby this becomes visible in the time before his resurrection extra ordinem in the healing of the centurion’s servant in Capernaum (8:5–13).99

 See Carter, Matthean Soteriology, 510. the identification of λαός with Israel in Matt 1:21 see Luz, Mt/1, 149. 88 See Fiedler, Mt, 96. 89 See Konradt, Mt, 58. 90 Such saving actions are not just limited to the forgiveness of sins but will also focus on liberation from other forms of human misery. See Fiedler, Mt, 98. 91 See Konradt, Mt, 7. 92 See Repschinski, Christology, 265. 93 Vgl. Wilk, Jesus, 84; Konradt, Mt, 34. 94 See Fiedler, Mt, 40. 95 See Konradt, Israel, 288. 96 See Ziethe, Völker, 237. 97 See Ebner, Jesus, 35. The meaning of the Old Testament text is probably reinterpreted, the reference to the people in Galilee refers to the pagan population settled there. 98 At the end of the Jesus story, the mission to the Gentiles will begin from Galilee (28:16– 20). See Gundry, Mt, 60. 99 See Poplutz, Mt, 87. 86

87 For

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3.3 Summary As portrayed in Matthew, Jesus and the established leaders clearly differ in their politics with differing resulting consequences for the people of God. Jesus is presented as the Son of David who, as Immanuel, makes the presence of God visible to the people; this is particularly evident in the forgiveness of sins through Jesus (1:21, 23).100 Moreover, Jesus saves the people in Galilee from their plight, when, on his arrival in Nazareth and Capernaum, the people see a light shining in the dark (4:16: ὁ λαὸς ὁ καθήμενος ἐν σκότει φῶς εἶδεν μέγα). With his descent from David, Jesus is presented not only in his claim to rule but also in his manner of appearing as ruler. At the end of the Matthew story, Jesus will even sacrifice his own life for the forgiveness of sins and thus for the good of the people when he dies on the cross for the sins of the many (26:28).101 On the other side are Herod and the Jewish leaders. Matthew shows how they are guided by their own well-being and maintaining their own power in their way of ruling.102 They – like David in 2 Sam 11 – are not only prepared to kill others to secure their own status, at the same time, they are also responsible for the destruction of Jerusalem in 70 ce as God’s punishment and thus bring suffering to God’s people. In this way, Herod and the Jewish leaders present themselves as evil leaders of the people.

4. The righteousness of the competitors and its consequences The leadership conflict between Jesus and the Jewish leaders is rudimentarily addressed within the prologue. With the high priests, scribes, Sadducees and Pharisees, there are references to four important groups of Jesus’ opponents who are negatively framed by the fact that they appear alongside Herod in 2:4–6103 and exclusive addressees of John the Baptist’s sermon in 3:7–12. They are juxtaposed with Jesus as a contrasting figure – a descendant of Judah and (a) Joseph, and as a Shepherd who approaches mercifully to the people of God and shows himself to be an obedient Son of God. 4.1 The Jewish leaders and their inadequate righteousness The Jewish leaders appear in the Matthew Prologue in 2:4–6 and 3:7–12. After Herod had brought the high priests and scribes together as advisors, the Baptist

100 See

Luz, Mt/1, 150. Repschinski, Christology, 265. 102 See Poplutz, Studien, 126. 103 Luz, Mt/1, 173. 101 See

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talks to the Sadducees and Pharisees in 3:7–12.104 Like the crowd in 3:5 f., they come to John’s baptism, but are the only addressees of his judgment speech in 3:7–10105 and are thus contrasted with the crowd.106 The leaders’ motivation to come to John is not very clearly defined: Do they want to be baptized107 or do they just seek to acquire an understanding of the situation?108 Regardless of the decision, the text focuses on the leaders’ unwillingness to repent, to submit to the divine will and to bear fruits. Jesus states this unequivocally in 21:32: John came on the path of righteousness and thus tried to lead people to righteousness with his message. However, the leaders did not believe his message and thus did not declare themselves ready to do the divine will.109 This is defined in more detail in the further course of the Jesus narrative, whereby two points must be distinguished. First, the Jewish leaders have insufficient righteousness (5:20). They therefore practice the commandment of tithing, even if they refer to garden herbs according to Lev 27:30,110 but at the same time neglect the important, socio-ethical commandments of the Torah, such as mercy (23:23).111 The approach by the Jewish leaders is thus incorrect. Nonetheless, the second allegation emerging from 15:1–9 is more serious. Using the example of the Decalogue of parental honor, Jesus shows how the Pharisaic interpretation of the Torah even overrides God’s commandments. Indeed, the possibility of being released from the obligations of care that the Pharisees created through a vow practice prevents the application of the duty to honor parents.112 For Matthew, the clear prioritization of the socio-ethical obligation can be established, while the Pharisees in their interpretation make it possible to disregard the Torah as God’s will.113 It is therefore hardly surprising that the Jewish leaders are also unwilling to practice mercy (12:9–14).114

104 The representation of Jesus’ opponents in groups of two is typical, as Poplutz, Studien, 114 f., shows. 105 See Müller, Johannes, 126; Davies/Allison, Mt/1, 301; Fiedler, Mt, 74 f.; Konradt, Israel, 110. 106 See Konradt, Israel, 115. 107 So Gnilka, Mt/1, 68 f.; Gielen, Konflikt, 52. 108 See Poplutz, Mt, 35; Davies/Allison, Mt/1, 304; Konradt, Israel, 114. In Matt 3:7, ἐρχομένους ἐπὶ τὸ βάπτισμα αὐτοῦ in no way indicates that the leaders come to John to be baptized, as Luke in 3:7 explicitly understands. 109 See Konradt, Mt, 332. 110 See Fiedler, Mt, 352 f. 111 See Konradt, Israel, 116. 112 See Konradt, Mt, 242 f. 113 The Matthean presentation is of course exaggerated and marked by polemics. Fiedler, Mt, 279, even describes Jesus’ statement as a “bösartigen Vorwurf.” 114 See Konradt, Israel, 122.

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4.2 The merciful Shepherd from Judah In the first epoch of Matthew’s genealogy (1:2–6a), David’s royal origin forms the focal point of the genealogical line, whereby the image of David is determined by his ancestors, which, according to ancient understanding, determine one’s own personality.115 David is legitimized by his male and female ancestors in his claim to kingship and at the same time his rule is depicted positively. His origin from Judah is proof that David is legitimized as king, the naming of Jacob and his sons is reminiscent of the story from Gen 37–50,116 in which Judah was appointed ruler among his brothers and at the same time a line of rulers from Judah is installed. Particular reference should be made here to the end of Gen 37–50, where Jacob promises Judah to rule.117 Within the proverb about Judah (49:8–12), the difficult verse 10 has a specific meaning. In Hebrew, the scepter of Judah’s scepter and the ruler’s staff will not leave their feet until ‫ ׁשילה‬comes.118 The peoples should obey him. The passage is best understood through the continuation in verses 49:11 f. when speaking of the coming of a ruling figure from the descendants of Judah, whose rule is determined by a life in paradisiacal fullness (49:11 f.).119 The rule of Judah is raised to a new level insofar as it is no longer only related to the brothers, but to the peoples, which is only possible under the rule of a king and was valid for David.120 The Greek text makes particular reference to David at this point when he connects 49:10 with the promise made by Nathan.121 In addition to the legitimation, Matt 1:2–6a characterizes David’s reign through his female ancestors Tamar, Rachab and Ruth, who have presented themselves as merciful in biblical narratives (Gen 38; Josh 2; 6; Ruth). They advocate the welfare of the weak, the dead, strangers, elderly and widows, and thus embody a trait that makes a good ruler. This positive image of the kingdom of David corresponds to the royal ideology as it is drawn, for example, in the texts of the royal psalms. Thus, according to Ps 72, a king protects the personae miserae122 and has compassion for the poor.123 The exercise of law and justice is part of the foundation of his rule.124 115 See

Frickenschmidt, Evangelium, 244. Ebach, Josef, 28 f. 117  The primacy of Judah can be justified by the fact that his older brothers Ruben, Levi and Simeon failed for various reasons for the first position among the sons of Jacob. 118 The entire discussion on the position and various translation options cannot be traced here. Please refer to the detailed descriptions in the comments. 119 See Ebach, Gen/3, 602. 120 See Scharbert, Gen/2, 293. 121 See Ebach, Gen/3, 600–605. 122 See Loretz, Psalm, 171; Salo, Königsideologie, 251. The underlying idea is that protecting the weakest link in a community ensures the community’s existence. See Saur, Königspsalmen, 138. 123 See Salo, Königsideologie, 257 f. 124 See Krusche, Königtum, 299 f. 116 Vgl

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The representation of King David from 1:2–6a is taken up again by the mixed quotation in 2:6, in which Mic 5 and 2 Sam 5125 are combined, and at the same time supplemented, without express reference to the name David. Firstly, the text promises the appearance of a ἡγούμενος from Bethlehem in the land of Judah (γῆ Ἰούδα).126 Bethlehem recalls David’s origins from Bethlehem (1 Sam 16).127 If the first epoch of genealogy concerns the genealogical origin of the ruler from Judah, 2:6 shows his geographical origin from Bethlehem in Judah. In addition, the naming of a ἡγούμενος from Judah can be seen in the light of Matt 1:2–6a as a reference to Gen 49:10,128 where Jacob looks at a ruler from the descendants of Judah (ἡγούμενος ἐκ τῶν μηρῶν αὐτοῦ).129 In this respect, 2:6, with the help of Mic 5, does not focus on a Davidide,130 but on a descendant of Judah. David’s election in Bethlehem (1 Sam 16) takes place during the reign of King Saul. For Herod, this message of Scripture must be seen as a warning signal, for the recipients of the Gospel it is clear that the true reign has already passed to someone else.131 In this way, Matthew installs an alternative to royalty, “das nach prophetischem Urteil eigenen Maßstäben gefolgt ist und an angemaßter Machtvollkommenheit und Rechtslosigkeit gescheitert ist.”132 Second, the ἡγούμενος in 2:6 is presented as shepherd of God’s people.133 The shepherd’s talk is found specifically in relation to David’s rule over Israel134 in Hebron,135 i. e., at a time before David became king in Jerusalem.136 It therefore looks at the dominion over the northern territories.137 The image of a shepherd is documented in the Old Testament,138 but its meaning is quite ambivalent, as shown by Jer 23:1–4, for example:139 On the one hand, there are the bad shepherds who pasture in God’s place, Israel, but fail in their task because they do not take care of their 125 See

Berghorn, Herkunft Jesu, 141. Matt 2:6 γῆ Ἰούδα replaces the speech about Bethlehem as ‫הא ְפ ָ ֗ר ָת‬ ֶ  / οἶκος τοῦ Εφραθα from Mic 5:1. See Schweizer, Mt, 17; Willitts, Shepherd-king, 104. 127  Even if the connection between David and Bethlehem is not established in the Matthew rulership genealogy, in my opinion it can be assumed that the recipients of the Gospel are aware of this. 128 Heater, Matthew, 396, also establishes a connection between Gen 49:10 and Matt 2:6. 129 See Gundry, Mt, 29. 130 See Seebass, Herrscherverheißungen, 51. 131 Herod is referred to as king in Matt 2:1, 3, 9, then only by his name: the rule has already passed to Jesus. 132 Jeremias, Mi, 186. 133 See Konradt, Davids Sohn, 153. 134 Konradt, Israel, 34. 135 See Willitts, Shepherd-king, 110. 136 See Ebach, Josef, 119. 137 See Konradt, Davids Sohn, 135. 138 Various Old Testament texts play a role here, describing the relationship between God and Israel with the image of the shepherd and the flock. These include Ezek 34:25, 27 f. and Ps 78:25 f. See Konradt, Israel 37, fn. 114. 139 On Jer 23:1–4 see Fischer, Jer/1, 676–679. 126 In

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flock (23:1 f.).140 On the other hand, God himself will appear as a good shepherd by taking care of the sheep and protecting them (23:3 f.),141 or, as Ezek  34 promises, appointing his servant David as shepherd (34:23). Matthew applies the image of a ruler, which 1:2–6a and 2:6 sketch together, to his representation of the person of Jesus. Four aspects are especially noteworthy here. First, Jesus comes from Bethlehem in Judea (2:1: τοῦ δὲ Ἰησοῦ γεννηθέντος ἐν Βηθλέεμ τῆς Ἰουδαίας) and descends from Judah (1:2–16), thus has the same origin as the ruler described by 1:2–6 and 2:6. Second, as Matthew continues his Gospel, he adopts the image of the shepherd, when the sheep of the House of Israel, to whom Jesus was sent,142 appear next to Jesus (15:24: τὰ πρόβατα τὰ ἀπολωλότα οἴκου Ἰσραήλ) and his disciples (10:6: πορεύεσθε δὲ μᾶλλον πρὸς τὰ πρόβατα τὰ ἀπολωλότα οἴκου Ἰσραήλ). However, the sheep are in poor condition because they are abandoned by the shepherds: They appear like sheep without a shepherd (9:36: ὡσεὶ πρόβατα μὴ ἔχοντα ποιμένα).143 Third, Jesus proves himself to be a merciful Shepherd, taking on the characterization of King David from 1:2–6a. Jesus’ mission and that of his disciples144 to the sheep is closely linked through Matthew with the care for the sick and possessed (4:23 f.; 9:35).145 Fourth, the shepherdess of David and Jesus is related to the northern territories of the country. As according to 2 Sam 5:2 // Matt 2:6 the ἡγούμενος appears as shepherd over Israel, i. e., the northern kingdom, Galilee will be the preferred place where Jesus addresses the people.146 In this respect τὰ πρόβατα τὰ ἀπολωλότα οἴκου Ἰσραήλ (10:6; 15:24) takes the Jewish inhabitants of the northern areas in view, while there is a double break in 15:21–28 when Jesus heals the daughter of a non-Jew outside of Galilee. Overall, Jesus is thus presented as the new David who comes from Judah and shows himself to the people of God as a merciful Shepherd. 4.3 The obedient Son of God from Joseph The third epoch of the genealogy at 1:12–16 focuses on the origin of Jesus as the Messiah, presenting him as a righteous ruler based on his parentage. A look at other texts in the prologue to Matthew shows that in 3:13–4:11 the evangelist 140 The

shepherds tend the sheep on God’s behalf. See Fischer, Jer/1, 676 f. the notion of God as a Shepherd see Janowski/Scholtissek, Art. Gottesbilder, 244. 142 The exclusive mission to Israel is justified in the scripture quotation Matt  2:6. See Konradt, Israel, 36. On the sending of the shepherd to Israel see Poplutz, Bedeutung, 258. 143 The flock only appears to be without a shepherd. However, an actual lack thereof cannot be determined because there are shepherds. See Konradt, Israel, 39. 144 In this way, according to Konradt, Davids Sohn, 156, the disciples are placed in the service of the messianic concern of the Shepherd of Israel to his flock. 145 See Konradt, Mt, 163. 146 Although the crowds according to Matt 4:25 bring sick people from all parts of Israel (and beyond) to Jesus, Galilee is the area in which he acts as Messiah. See Konradt, Mt, 63. 141 On

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presents Jesus as the obedient Son of God,147 who completely submits to the divine will. In the baptismal pericope (3:13–17), Jesus refers to the divine will to counters John’s objection that Jesus should baptize him: In Jesus’ baptism every righteousness is fulfilled (3:15: πληρῶσαι πᾶσαν δικαιοσύνην).148 The wording refers to 5:17 f.: Jesus did not come to dissolve Torah and Prophets, but to fulfill (μὴ νομίσητε ὅτι ἦλθον καταλῦσαι τὸν νόμον ἢ τοὺς προφήτας οὐκ ἦλθον καταλῦσαι ἀλλὰ πληρῶσαι).149 The whole law applies without restriction, even if there are lesser and greater commandments (5:18).150 The concept of righteousness thus generally refers to doing the divine will,151 i. e., the “Übereinstimmung von Handeln und Gottes Willen.”152 The temptation story follows the baptismal pericope in 4:1–11. Here, in the first and third temptation, it is concretely shown that Jesus acts as the Son of God in accordance with God’s will manifested in the Torah.153 The first temptation in 4:1–4 is determined by Jesus’ fast for forty days and nights, which leads to Jesus’ hunger. At the end of this time, the tempter approaches him154 and points out that as the Son of God it would be easy for him to make bread out of stones and thereby satisfy his hunger.155 For Jesus, as the obedient Son of God, this is not an option, as the Spirit (of God) has brought him into this situation (4:1): Fasting and the associated starvation thus correspond to God’s will.156 In the third temptation at 4:8–10, the διάβολος takes Jesus up a high mountain, presents him all the kingdoms of the world and their glory and promises to hand them over to him if he will worship him (4:9: ταῦτά σοι πάντα δώσω ἐὰν πεσὼν προσκυνήσῃς μοι). Jesus refuses, referring to the Scriptures: God alone is to be worshiped and served (4:10: κύριον τὸν θεόν σου προσκυνήσεις καὶ αὐτῷ μόνῳ λατρεύσεις). The double temptation by John the Baptist and Satan thus remains unsuccessful, so that the adversary finally abandons Jesus (3:15; 4:11: τότε ἀφίησιν αὐτόν […]). Finally, Jesus is confirmed by God (3:16 f.; 4:11):157 The confirmation is taken up in the heavenly voice in 3:17, which Jesus identifies as his beloved son (οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου 147 See

Luz, Mt/1, 215, 228; Konradt, Mt, 57. Matt 3:15, Jesus connects the claim to himself with that of John the Baptist, even if this results in two different profiles. John came to lead people to repentance (3:11) on the “path of righteousness” (21:32). In some cases, he was successful, but, as 3:7–12 shows, met with rejection among the Jewish leaders. 149 See Konradt, Mt, 52. 150 See Konradt, Erfüllung, 292 f. 151 See Müller, Johannes, 128. 152 Deines, Gerechtigkeit, 126. 153 See Luz, Skizze, 231. 154 In Mark 1:12 f., on the other hand, a temptation of Jesus is portrayed by Satan all the time. See Konradt, Mt, 55. 155 In the miracle stories Matt 14:13–21 and 15:32–39, Jesus makes it clear that he has the authority to provide food. 156 See Konradt, Mt, 55. 157 See Konradt, Mt, 54. 148 In

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ὁ ἀγαπητός ἐν ᾧ εὐδόκησα). One can hardly avoid identifying the speaker with God himself. In 4:11, the angels come and wait on Jesus.158 Research has already noticed several times that there are clear parallels with the Old Testament Joseph in Matthew’s portrayal of the father of Jesus.159 First of all, this includes dreams.160 While the Old Testament Joseph has two symbolic dreams in Gen 37,161 there are four instances in the New Testament in which through a dream Joseph receives a commission (1:20; 2:13, 19, 22: κατ᾽ ὄναρ), which he immediately carries out.162 Like the Old Testament Joseph, Mary’s husband also has a father named Jacob (Matt 1:16). Another common aspect between the namesakes is that they both have to travel to Egypt163 to keep their respective family alive.164 In Gen 45:7, Joseph indicates his way to Egypt in that God sent him there to keep his family alive (‫[ חיה‬Hi.] / ἐκτρέφω). The New Testament Joseph is also sent by God to Egypt to protect his son, who is in mortal danger because of Herod’s murder.165 A look at early Jewish and rabbinical literature reveals further links between Joseph and Joseph.166 This includes, for example, Joseph’s righteousness (Matt 1:19) as a connecting element between the two Joseph figures, but also Joseph’s chastity towards his wife (Jos. Asen. 8; Matt 1:25).167 In addition to the apparently deliberate similarities between the figure of Joseph in Matthew to the Old Testament namesake, there are also similarities in the portrayal of Jeroboam and Jesus as descendants of Joseph.168 The parallels between the biblical presentation of Jeroboam in 1 Kgs 11:26–14:20 and that of Jesus in Matt 2:1–4:16 emerge clearly.169 Both flee to Egypt to escape the enemy king (Solomon / Herod) who wants to kill them (1 Kgs 11:40; Matt 2:13–15). After the death of this king, they come from Egypt to the north of Palestine (1 Kgs 12; Matt 2:19–21) and rule (κατοικέω)170 there, first in a city (1 Kgs 12:25; Matt 2:23) until they found a new royal seat (1 Kgs 12:25; Matt 4:12 f.).171 158 See

Konradt, Mt, 57.  See especially Ebach, Josef, 19–27. 160  See Davies/Allison, Mt/1, 182; Wucherpfennig, Josef, 209–212. 161 See Wucherpfennig, Josef, 210. 162 See Ebach, Josef, 15. 163 See Lisewski, Studien, 82. 164  See Davies/Allison, Mt/1, 182. 165 See Ebach, Josef, 96. 166 See Ebach, Josef, 22–27. 167 Joseph’s righteousness (Matt 1:19) can only be found explicitly for the Old Testament Joseph in rabbinical literature, which is significantly younger than the Gospel of Matthew. See Ebach, Josef, 22 f. 168 Jeroboam is presented in 1 Kgs 11:26 as an Efratite and thus as a descendant of the Old Testament Joseph. He is placed above all the labor of the “House of Joseph” (11:28). 169 See Ebach, Josef, 84. 170 On κατοικέω in connection with πόλις in the sense of “rule” see Liddell/Scott, Art. κατοικέω, 928. 171 The correspondence between Jesus and Jeroboam on the one hand and Joseph and Joseph on the other seem to have been deliberately introduced by Matthew, which is also shown by the 159

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The conscious allusions to the Old Testament figure of Joseph and the king from Joseph can also help in deciphering the fulfillment quote in 2:23 that he will be called Ναζωραῖος.172 The analysis of the fulfillment quote in Matt 2:23 has always presented the exegetes with difficulties.173 The following three observations can be made. First, a look at other New Testament scriptures shows that the term Ναζωραῖος for Jesus is also used elsewhere (e. g., John 19:19; Acts 2:22). It therefore comes from Christian tradition, not from Scripture. Second, the introductory formula in 2:23 differs from those of the other four quotes of fulfillment in the prologue (1:22 f.; 2:15, 17 f.; 4:14–16) in that Ναζωραῖος κληθήσεται in 2:23 refers to an indefinite number of prophets (διὰ τῶν προφητῶν).174 The unspecific formula in 2:23 may prove that Matthew did not have a specific Old Testament passage in mind.175 Thirdly, the typical λέγοντος in 2:23 is replaced by ὅτι: The wording “will offenbar einen Bibelbezug behaupten, ohne ihn konkretisieren zu können.”176 Two questions can be distinguished in dealing with the term exactly. The first relates to the etymological origin, the second to the meaning of Ναζωραῖος. Various suggestions have been made for the derivation of the term Ναζωραῖος. This applies, for example, to the assumption that Ναῖωραῖος would originally177 identify Jesus as a resident of Nazareth.178 However, this theory would first have to explain why the final ‫ ת‬or τ/θ has been omitted from the city name,179 and secondly show how the ω in Ναζωραῖος could have originated.180 The derivation from the Hebrew ‫( נצר‬e. g., Isa 11:1) leaves it unclear why the ‫ צ‬in Ναζωραῖος is rendered with ζ and not with σ.181 There is also the problem here with the ω in Ναζωραῖος. In contrast, the derivation of the Hebrew ‫נְ זִ יר‬, as it can be found comparison with Luke 1–2: the father of Jesus only plays a subordinate role there – Luke tells nothing about Joseph’s dreams and the flight to Egypt. 172 See Ebach, Josef, 17. 173 Luz, Mt/1, 181, refers to Matt 2.23 as “vollends rätselhaft.” 174 See Fiedler, Mt, 68. 175  See Luz, Mt/1, 191. 176  See Fiedler, Mt, 69. 177 A secondary connection to Nazareth, as shown by Matt 2:23, can of course hardly be ruled out. 178 So Sanders, Ναζωραῖος, 127: “Ναζωραῖος in Mt.  2:23 clearly means ‘inhabitant of Nazareth.’” 179 R üger , ΝΑΖΑΡΕΘ, 258 f., works out that the Hebrew name of the hometown of Jesus was ‫נצרת‬. 180 Of course, solutions were found for both. First of all, the observation should be mentioned that the feminine ending (‫ת‬- and ‫ה‬-) occasionally changes in Hebrew place names (evidence in Rüger, ΝΑΖΑΡΕΘ, 259 f.; so also Ναζαρά in Matt 4:13; Luke 4:16). Second, Schaeder, Art. Ναζαρηνός, 882, assumes that the ω is the full spelling of a vowel developed between ‫ צ‬and ‫ר‬. But: Nazareth ends almost exclusively with a t-sound in various independent biblical writings, Ναζαρά is the absolute exception. Accordingly, in my opinion, the considerations are invalid. 181 See Luz, Mt/1, 187.

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in Judg 13; 16, causes little etymological problems. Firstly, Ναζωραῖος has the typical adjective ending (-αῖος), which is also documented by Judg 13:5/LXXA and 13:7/LXXA (ναζιραῖος) for their rendering of ‫נזיר‬. Secondly, Ναζωραῖος offers with the consonants Ν-ζ-ρ the same stock as Judg 13:5/LXXB (ναζιρ) and can be understood from here as a transcription of ‫נזיר‬.182 The decisive difference to the LXX tradition is the vocalization of Ναζωραῖος (ω instead of ι). The Christian designation Ναζωραῖος,183 which can also be found in other New Testament passages (Matt 26:71; Mark 10:47184; Luke 18:37; John 18:5, 7; 19:19; Act 2:22; 3:6; 4:10; 6:14; 22:8; 26:9),185 offers a special rendition of the Hebrew noun ‫נְ זִ יר‬, which is also shown by a look at other Greek translations in Aquila, Theodotion and Symmachus186 and by Josephus (Ant. 4:72; 19:294): They mostly include ‫ נזיר‬ναζιραῖος or ναζεραῖος.187 How could the vocalization of Ναζωραῖος be explained if it is to be considered a rendering of ‫ ?נזיר‬Klaus Berger states that “bei der Transkription hebräischer Eigennamen eine Wiedergabe des plene geschriebenen Jod durch das griechische Omega relativ häufig belegt ist,”188 and cites various examples from LXX.189 In addition, Berger points out that the suffix -ωραῖος corresponds to the formation of Greek adjectives. From a purely etymological point of view, Ναζωραῖος can be understood as a rendering of ‫נזיר‬, in which the consonants were transcribed and vocalized with the typical adjective ending. Difficulties, however, are the meaning and application of the term ‫נזיר‬ to Jesus, because figures like Samson who are characterized by their abstinence are presented as such (Judg 13:5).190 Doubts have rightly been expressed that the designation Ναζωραῖος represents Jesus as a Nazarite.191 Samson’s hallmark, namely his long hair, is also not mentioned in relation to Jesus, and the mother’s renouncement of alcohol, who makes Samson the ‫ נזיר‬from the womb, is missing here. This also applies to other typical characteristics of a Nazarite. The picture which the traditions of the New Testament paints of Jesus shows that the assumption that Jesus is a ‫ נזיר‬in the sense of Samson brings “große historische und theologische Schwierigkeiten mit sich.”192 When Jesus is called a φάγος καὶ οἰνοπότης193 (Matt 11:19 // Luke 7:34) and the first sign is the wine miracle 182 Such

a transcription can already be found in relation to Ἐμμανουήλ in Matt 1:23. Berger, Jesus, 325, assumes that Ναζωραῖος has always existed next to

183 However,

Ναζιραῖος. 184  The place is text-critically uncertain. 185 See the overview at Ebner, Jesus, 96 f.; Zuckschwerdt, Nazōraîos, 65, fn. 1. 186 See Frankemölle, Frühjudentum, 78, 82 f. 187 Provides a detailed overview Zuckschwerdt, Nazōraîos, 71 f., fn. 30–34. 188 Berger, Jesus, 324. 189 See Berger, Jesus, 324, fn. 6. 190 See the remarks are attached Gross, Ri, 665–668. 191 So Wucherpfennig, Josef, 164: “Jesus war kein Nasiräer.” 192 Berger, Jesus, 324. 193 See Wucherpfennig, Josef, 162.

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(John 2:1–11), “durchbricht er das Nasiräat programmatisch.”194 According to Matt 9:25 he also touches a corpse,195 which according to Num 6:7 a ‫ נזיר‬was not even allowed in the event of the death of a family member.196 It results that the decisive and actual problem of the designation of Jesus as Ναζωραῖος does not lie in an etymological derivation of ‫נזיר‬, but in the inconsistencies in the content of such an idea, as is documented by Samson, for example, with the entire tradition about Jesus as it is offered in the New Testament. A look at the context of the use of Ναζωραῖος in relation to Jesus in the New Testament can help. First, in some places the title ὁ Ναζωραῖος can be found in the context of references to Jesus as a ruler. So John 19:19 places ὁ Ναζωραῖος and ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων parallel to one another197 and in Mark 10:47 the blind person recognizes according to ‫ א‬and C in Jesus ὁ Ναζωραῖος, the Son of David. Secondly, it is noticeable that Luke introduces the term Ναζωραῖος in Acts, where “Petrus in seiner Pfingstpredigt von der himmlischen Inthronisation Jesu als Messias spricht.”198 Jesus is linked to the handing over of the throne of David to Jesus (Luke 1:34).199 So can Ναζωραῖος for Jesus be understood in the sense of a ruler? To look back once more: If it is correct that Ναζωραῖος can be considered a Greek rendering of the term ‫נזיר‬, it is notable that the Hebrew term with its derivatives can certainly point in the direction of a ruler. The noun ‫ נזר‬can also mean the crown as a badge of royal dignity (e. g., 2 Sam 1:10; 2 Chr 23:11: τό βασίλειον)200 and ‫ נזיר‬itself can indicate a ruler: When Jacob in Gen 49:26 describes Joseph as ‫נזיר אחיו‬, LXX reproduce this with ἡγήσατο ἀδελφῶν, “denkt also an eine Position Josefs, in der er die Brüder leitet.”201 Sir 49:15 takes up this idea when Joseph is called ἡγούμενος of the brothers.202 This results in the following: First, Ναζωραῖος can be understood as an etymological derivation of ‫נזיר‬. Second, ‫ נזיר‬in LXX can be rendered with a derivative of the verb ἡγέομαι (see Gen 49:26). Thirdly, in some passages of the New Testament Ναζωραῖος is seen in the context of the designation of Jesus as ruler (John 19; Act 2). In the assumption of power of Jesus Christ in Nazareth (Matt 2:23: κατοικέω), it was fulfilled for Matthew that Jesus was called Ναζωραῖος.203 Jesus, 332. Wucherpfennig, Josef, 162. 196 However, this is not one of the prohibitions that affect Samson and Samuel. 197 See Berger, Jesus, 333. 198 Ebner, Jesus, 97. 199 See Ebner, Jesus, 97. 200 See M ayer , Art. ‫נזר‬, 330. 201 Ebach, Josef, 133, fn. 474. 202 See Lux, Josef, 268. 203 From here, Peter’s denial of Jesus appears in a new light in Matt 26:69–71. If the high priest’s maid identifies him as the companion of Jesus, the Ναζωραῖος (26:71: οὗτος ἦν μετὰ Ἰησοῦ τοῦ Ναζωραίου), then the ruling dignity of Jesus would be brought into play. If Peter still confesses Jesus as Messiah in 16:16, he now no longer knows who this Jesus Christ is. 194 Berger, 195 See

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The Old Testament Joseph is promised rule over his brothers in Gen 49:26 (‫אחיו נזיר‬ / ἡγήσατο ἀδελφῶν). This promise is not felt in Joseph, however, instead in Jeroboam, the ruler of the tribe of Joseph. According to 1 Kgs 12:25 he resides in Shechem (κατοικέω).204 When Jesus, like Jeroboam, comes to northern Palestine and resides there in a city, he becomes the ruler out of Joseph, according to Matthew in the promise that Joseph himself heard. As a representation of Hebrew, Ναζωραῖος takes into account the ruling dignity of Jesus. The term comes from the Christian tradition, in Matt 2:23 it can be specifically related to Gen 49:26. Despite the recording of Jeroboam at the beginning of the Gospel of Matthew, it can be stated that the biblical tradition of Jeroboam paints a thoroughly negative picture. The rule of the first king of the northern empire is assessed in the dtr perspective of the books of Kings as a double apostasy from the House of David and from God.205 The political apostasy from the House of David is made clear after the failed negotiations with Rehoboam and the installation of the new King Jeroboam (1 Kgs 12:1–25) and explicitly recorded in 12:19.206 In the cultic area, the dtr theologians207 claim that Jeroboam have to seduced the people to sin by having foreign gods worshiped and the foreign cults of Bethel and Dan, hiring non-Levitic priests and postponing the date of the autumn festival (12:25–33).208 These measures, as the text in 12:31–33 emphasizes several times, are not commanded by God, but arise from the king’s own will.209 The “theologische Verselbstständigung des Nordreiches”210 thus becomes the yardstick for evaluating the rule of Jeroboam, the “Sünde Jeobeams” from now on determines the fate of the kingdom until its end, even if the conquest of Samaria is traced back to these mistakes (2 Kgs 17).211 With his assumption of government, Jeroboam also gambled away his divine election (1 Kgs 11:29–39), which is reminiscent of 2 Sam  7,212 but already connected to the requirement that Jeroboam, as king, must adhere to God’s will (1 Kgs 11:38).213 It is therefore 204 The interpretation of the second dream of Joseph in Gen 37:8, that he wants to rule as king, “erfüllt sich für Josef selbst nicht, wohl aber realisiert sie sich bei Jerobeam aus dem ‘Haus Josef’ und dabei aus dem Stamm Efraim, der wirklich König wird” (Ebach, Josef, 84 f., fn. 277). 205 This negative assessment can be understood from a Judean perspective, but does not correspond to the historical circumstances, which understood the separation from the House of David as a liberation from compulsory labor and as an update of the Exodus event. See especially Albertz, Religionsgeschichte Israels I, 215–226. 206 On the special role of the tribe of Benjamin in this context see Frevel, Geschichte, 176 f. 207 See Albertz, Religionsgeschichte Israels I, 213. 208 See Schmitz, Prophetie, 130. 209 See Schmitz, Prophetie, 131. 210 Schmitz, Prophetie, 132. 211 See Schmitz, Prophetie, 131. 212 Knauf, 1 Kön/1, 337, notices: “Jerobeam wird zu einer Kleinausgabe Davids als Begründer einer irdischen ‘ewigen Dynastie.’” 213 See Schmitz, Prophetie, 124.

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necessary to make a clear distinction between the representations of Jeroboam and Jesus. In Matthew, Jesus declares himself ready to fulfill every justice (3:15: πληρῶσαι πᾶσαν δικαιοσύνην), i. e., to submit oneself completely to the divine will.214 In the third temptation 4:8–10, Jesus refuses to worship the διάβολος and thus orientates himself on Deut 6:13. In this way Jesus proves to be a completely different son of Joseph. 4.4 Summary The Jewish leaders appear in two places within the prologue to Matthew (2:4–6; 3:7–12). The sermon by John the Baptist in particular clarifies the explications elsewhere in the Gospel: deficient focus by the Jewish leaders on the divine will both in teaching and in practice (5:20), which is particularly evident in the fact that they attribute only a minor role to the importance of mercy and charity (12:1–8, 9–14; 23:23).215 In doing so, they appear as blind leaders (e. g., 15:14; 23:16)216 who can in no way claim leadership over the people of God. Jesus, however, is presented as the obedient Son of God and merciful Shepherd, whereby his representation is placed in relation to the first King of Judah (David) and Israel (Jeroboam). On the one hand, according to 1:2–6a and 2:6 David is derived genealogically from Judah and comes from (ἐκ) Bethlehem in the land of Judah. He appears as a Shepherd over the northern kingdom Israel and shows solidarity with the people of God. This ruler model is incorporated into Jesus when he is born in Bethlehem in Judea (2:1), descends from Judah (1:2–16) and approaches to Israel as a merciful Shepherd in Galilee (9:35 f.). On the other hand, the story of Jeroboam (1 Kgs 11:26–12:33) is recorded in the Matthean prologue, who flees to Egypt from Solomon, but comes to the north after the death of the enemy ruler and installs a kingdom there that is politically and cultically independent of Jerusalem. Like Jeroboam, Jesus also descends from (a) Joseph, flees from (ἐκ) Egypt after the death of the enemy king and establishes his own kingdom in the land of Israel (Matt  2:15, 22 f.; 4:12 f.). Through his forgiveness of sins (e. g., Matt 9:1–8) he creates an alternative to the Jerusalem temple and its cult. However, the dtr depiction draws Jeroboam in dark colors, as he acts against the first commandment and cult centralization according to 1 Kgs  12:26–33, while Jesus is represented as the obedient Son of God (3:13–17; 4:1–11): he lets himself be guided in teaching and practice by the divine demands for mercy (9:13; 12:7) and thereby fulfills every righteousness (3:15).217 In him the history

214 See

Luz, Mt/1, 212 f. Konradt, Israel, 149. 216 See Poplutz, Studien, 126. 217 See Cabrido, Mark of the Shepherd, 165. 215 See

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of the two realms is connected, while the Jewish leaders cannot claim rulership over the people of God.

5. Conclusion In the Jesus story of the Gospel of Matthew, a leadership conflict becomes visible, which takes place between Jesus and the established leaders, i. e., Herod on the one hand and the Jewish leaders on the other. It particularly concerns the twofold question surrounding which of the conflicting parties can claim to lead the people of God and at the same time implement this as a good shepherd. Matthew already refers to essential features of this conflict at 1:1–4:16, albeit with his own emphases. By using different Old Testament forms of royal rule, he attempts to evaluate the conflicting parties in the Jesus story in their claim to the leadership of Israel and their underlying politics. In relation to Jesus, he is given various titles of ruler. He is referred to as (the) Messiah (1:1, 18; 2:4) and can be identified with the “King of the Jews” (2:2: ὁ τεχθεὶς βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων). Furthermore, Jesus has the same origins and the same area of activity as different Old Testament kings. On the one hand, he descends like David from Judah and Jeroboam from (a) Joseph and comes like David from (ἐκ) Bethlehem and like Jerobeam from (ἐκ) Egypt to rule over the northern territories (2:6, 15, 22 f.; 4:12 f.). On the other hand, as the Son of David (1:1), like the Davidide according to Isa 8:23–9:6, he establishes his rule in the northern parts of the country (2:22 f.; 4:12–16). In addition, Jesus’ policy of rule is evaluated positively throughout. As the Son of David, he approaches the people in need, for example by saving them from their sins (1:21; 4:14–16), realizing the image of David as a Shepherd of solidarity and mercy and showing himself – unlike Jeroboam – as obedient Son of God, fully guided by divine will, teaching the prioritization of mercy (12:1–8, 9–14, 35 f.). Matthew paints a completely different picture of the established leaders as competitors of Jesus. In contrast to Jesus, they lack any genealogical prerequisites to lay claim to rule over the people. Although there are references to Herod as king (2:1, 3, 9), Matthew also shows that Herod, as an Idumean, cannot have any claim to rule. Furthermore, the portrayal of the leaders differs from Jesus in the fact that the Jewish leaders are not ready to submit to the divine will to the fullest extent, i. e., to teach and practice mercy and charity in the first place (23:23). Their righteousness is only insufficient (5:20), their teaching closes the kingdom of heaven to the people (23:13). Herod is particularly associated with the murder of young children (2:16) and is thus presented as a ruler who, unlike Jesus, does not save the people of God but instead tries to secure his position of power by eliminating the competitor and thereby causing unimaginable suffering to innocent people. With the handover of the innocent Jesus to Pilate in 27 f., the

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Jewish leaders follow in Herod’s footsteps and in this way finally reach their goal of eliminating. The representation of the established leaders is reminiscent of the rule of the Davidides, as presented by the evangelist in the second epoch of genealogy. With Uriah (1:6b; 2 Sam 11), David also has an innocent man killed to secure his throne, and consequently brings the Babylonian exile with the destruction of Jerusalem in 587 bce over Judea. For Matthew, this connection is repeated in his time. With the help of the prophet Jeremiah in 2:16–18 and 27:1–10, he establishes a causal connection between the behavior of Herod and the Jewish leaders on one side and the fall of Jerusalem in 70 ce on the other. With this, the opponents of Jesus bring double suffering to the people by killing innocent children and the innocent Messiah and so thereby reveal themselves to be evil leaders.

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2. Eine Geschichte des Konflikts Der Verfasser des Markusevangeliums erzählt die Geschichte Jesu als eine vielschichtige Geschichte des Konflikts. Jesu Auftreten führt von Beginn an zu Konflikten. Schon bevor von den ersten Auseinandersetzungen mit bestimmten Menschen geredet wird, kommt es zum Konflikt mit den Dämonen, die sich Jesus entgegenstellen (Mk  1,23 f.34, 3,11; vgl. 5,7). Neben dem Anspruch, Sünden zu vergeben (Mk  2,1–12), ist es auch seine Tischgemeinschaft mit „Sündern“ (Mk  2,15–17), die zur Auseinandersetzung mit Schriftgelehrten führt. Hinzu kommt Jesu souveräner Umgang mit dem Fasten (Mk 2,18–22) und mit dem Sabbatgebot (Mk 2,23–28; 3,1–6), der am Ende der markinischen „Streitgesprächsammlung“ (Mk 2,1–3,6) zu dem Beschluss der Gegner führt, Jesus zu töten (Mk  3,6).5 Damit wird sehr schnell deutlich, dass Jesu Weg ihn an das Kreuz führen wird. Die drei Leidensankündigungen im zweiten Hauptteil des Evangeliums (Mk  8,31–33; 9,30–32; 10,32–34) unterstreichen die Zwangsläufigkeit mit Nachdruck. So erreicht das Markusevangelium in der Kreuzigungs- und Sterbeszene (Mk  15,22–39) seinen erzählerischen Höhepunkt. Eine nähere Betrachtung zeigt, dass die im Markusevangelium geschilderten Konflikte auf verschiedenen Ebenen anzusiedeln sind, die sich zu einer zusammenhängenden Konzeption verbinden. Durch diese vielschichtige Konzeption lässt sich differenziert beschreiben, was man als die markinische „Kreuzestheologie“ bezeichnen kann. Es ist theologisch bedeutsam, dass die Jesus-Erzählung des Markusevangeliums im Zentrum einen Konflikt thematisiert. In der Wahrnehmung des Konflikts geht es um die Wahrnehmung der Wirklichkeit der Menschen und der Wirklichkeit Gottes in unserer Welt. Der Evangelist führt seine Leser über die Darstellung der an der Oberfläche liegenden Konflikte bis hin zu dem Ort, an dem der eigentliche Konflikt sichtbar wird und gleichzeitig seine Heilung erfährt: am Kreuz Jesu Christi. Das Verständnis dieser Szene kann deshalb als ein Schlüssel zum Verständnis des gesamten Markusevangeliums gelten.

nem Psalmwort auf den Lippen sterben (Lk  23,46; Ps  31,6). Das johanneische Sterbewort (τετέλεσται, Joh 19,30) signalisiert, dass der Weg Jesu am Kreuz zu seinem von Anfang an intendierten Ziel gekommen ist (vgl. bereits Joh 1,14; 2,20–22; 3,14–16 u. ö.). 5 Es folgen weitere Tötungsbeschlüsse, die vom Evangelisten jeweils an Schnittstellen der Erzählung gesetzt werden: Nach dem Einzug Jesu in Jerusalem und der „Tempelreinigung“ in Mk 11,18 und als Auftakt der Passionsgeschichte in Mk 14,1.

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3. Was geschieht auf Golgatha? Die markinische Erzählung vom Tod Jesu Die Passionserzählung ist von Anspielungen auf das Alte Testament und insbesondere auf die Psalmen durchzogen.6 Bereits diese Beobachtung zeigt, dass die Erinnerung der Ereignisgeschichte mit ihrer theologischen Durchdringung und Interpretation immer schon verbunden ist. Zwar sind Versuche unternommen worden, einen ältesten Passionsbericht von späteren redaktionellen Bearbeitungen abzusondern.7 Aber diese Unterscheidungen belasten die Exegese mit strittigen Hypothesen, die nicht immer durchsichtig gemacht werden. So ist es etwa keineswegs zwingend, dass wir es dort, wo eindeutige theologische Akzentsetzungen in der Erzählung vorliegen, nicht auch mit zutreffenden historischen Erinnerungen zu tun haben.8 Fest steht, dass die Evangelisten die Geschichte Jesu im Stil einer theologischen Erzählung darbieten, weil es in dieser Geschichte immer schon um Gott geht.9 Deshalb greifen sie auch auf Texte der Hebräischen Bibel und ihrer griechischen Übersetzung, der Septuaginta, zurück, die in diesem Rezeptionsprozess zum „Alten Testament“ werden. In der Auslegung ist freilich genau zu klären, in welcher Weise das geschieht und was dieser Rückgriff bedeutet. 3.1 Das letzte Wort Jesu (Mk 15,34) Die signifikanteste Anspielung auf einen alttestamentlichen Text findet sich in Mk 15,34: Jesus stirbt mit den Worten von Psalm 22,2 auf den Lippen, die in Aramäisch wiedergegeben und dann ins Griechische übersetzt werden: ελωι 6 Dibelius, Formgeschichte, 9, hat das Alte Testament deshalb als „das älteste Passionsevangelium“ der frühen Christenheit bezeichnet: „Wo die Erinnerungen von Augenzeugen versagten, mußte das älteste Passionsevangelium aushelfen, das Alte Testament.“ 7  S. dazu Pesch, Mk/2, 1–27. 8 Die Problematik wird exemplarisch deutlich bei Öhler, Geschichte, 116–118.120.123 u. ö. So ist es keineswegs plausibel, dass der Blasphemievorwurf gegen Jesus im Verhör vor dem Hohepriester in Mk 14,64 allein deshalb unhistorisch sei, weil er der nachösterlichen Darstellungsabsicht der frühen Christen entspreche (ebd., 120). Ebenso wenig einleuchtend ist es, den Blasphemievorwurf in Mk 2,7 im Streit mit den Schriftgelehrten aus dem Kontext 2,1–12 auszuscheiden (ebd., 117). Selbst wenn es sich in Mk 2,6–10 um einen redaktionellen Einschub handeln sollte, dann erhebt der Evangelist eben doch den Anspruch, zu erzählen, was der eigentliche Grund für den Konflikt zwischen Jesus und den Schriftgelehrten ist. Und schließlich ist es ebenso wenig plausibel, das Sterbewort Jesu in Mk 15,34 // Mt 27,46 allein deshalb für historisch zu erklären, weil es sich nicht „als frühchristliche Deutung“ begreifen lasse (ebd., 123). Wir werden sehen, dass gerade dieses Wort sich eben auch als christliche Interpretation des Kreuzestodes Jesu verstehen lässt. 9 Zur Diskussion um die Gattung des Markusevangeliums s. unten. Boring, Mk, 8 formuliert treffend: „The Gospel of Mark is narrative Christology.“ Auch Donahue/Harrington, Mk, 13–16, argumentieren überzeugend gegen eine Gattungsbestimmung als „Biographie“ und für eine Bestimmung als „gospel“.

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ελωι λεμα σαβαχθανι; ὅ ἐστιν μεθερμηνευόμενον·ὁ θεός μου ὁ θεός μου, εἰς τί ἐγκατέλιπές με; – „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ In der Auslegung ist umstritten, wie diese letzten Worte Jesu zu verstehen sind. Sind sie Ausdruck abgrundtiefer Verzweiflung, ja eines „Zusammenbrechens“ Jesu in der Stunde seines Todes?10 Oder spricht sich in der Anrufung mit „mein Gott“ ein tiefes Vertrauen Jesu aus, der bis zuletzt an seinem Gottesglauben festhält?11 Damit zusammen hängt die Frage, ob mit dem Sterbewort Jesu der gesamte Psalm 22 in Erinnerung gerufen werden soll12 oder ob sich die Zitation auf den einzelnen Vers konzentriert. Diese Frage ergibt sich aus der Beobachtung, dass sich in der Mitte von Psalm 22 mit V. 23 eine „Wende“ ereignet, in der das Klagelied in einen Dankpsalm „umschlägt“. Am Ende des Psalms (Ps 22,28–32) wird dann ein eschatologischer Ausblick gegeben, der von der universalen Durchsetzung der Gottesherrschaft spricht.13 Ist also auch in Mk 15,34 bereits an diesen „Umschwung“ gedacht? Dann wäre das letzte Wort Jesu kein Ruf der Verzweiflung, sondern ein letztes Festhalten an Gott und damit exemplarisch für die Haltung eines „leidendenden Gerechten“, als den einige Ausleger Jesus im Markusevangelium dargestellt sehen. Bernd Janowski hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die damit eröffneten Alternativen zu kurz greifen.14 Wir werden allerdings sehen, dass sie sich dennoch auf unterschiedlichen Ebenen relativ klar beantworten lassen. Blicken wir zunächst auf den unmittelbaren Kontext des Sterbewortes Jesu, dann ist auf das „Missverständnis“ aufmerksam zu machen, das sich an dieses Sterbewort anschließt. „Einige der Dabeistehenden“ – so heißt es in V. 35 – sagen: „Siehe, er ruft den Elia!“ (ἴδε Ἠλίαν φωνεῖ). Dieses „Missverständnis“ ist nur durch einen direkten Bezug auf V. 2 von Psalm 22 verständlich. 10 Berühmt

ist die Vermutung Rudolf Bultmanns, der in Anspielung auf das markinische und matthäische Sterbewort Jesu zum Tod Jesu erklärt: „Schwerlich kann diese Hinrichtung als die innerlich notwendige Konsequenz seines Wirkens verstanden werden; sie geschah vielmehr aufgrund eines Mißverständnisses seines Wirkens als eines politischen. Sie wäre dann – historisch gesprochen – ein sinnloses Schicksal. Ob oder wie Jesus in ihm einen Sinn gefunden hat, können wir nicht wissen. Die Möglichkeit, dass er zusammengebrochen ist, darf man sich nicht verschleiern“ (Bultmann, Verhältnis, 453). Kritisch dazu Riesner, Messias Jesus, 346; ähnlich wie Bultmann Donahue/Harrington, Mk, 450. 11 So – bei unterschiedlicher Deutung der Gesamtszene – etwa Lohmeyer, Mk, 345; Pesch, Mk/2, 495; Schweizer, Mk, 194, vgl. Gnilka, Mk, 322. Zur Diskussion s. Klumbies, Mythos, 269–271. 12 Das betont insbesondere Gese, Psalm 22. 13 Ps 22,28 f.: „Es werden daran gedenken und zu JHWH umkehren alle Enden der Erde; vor dir werden niederfallen alle Geschlechter der Nationen. Denn JHWH gehört das Königtum (‫לּוכה‬ ָ ְ‫)ּכי ַליהוָ ה ַהּמ‬, ִ er herrscht über die Nationen.“ Diese und die folgenden Übersetzungen aus der Hebräischen Bibel werden in Anlehnung an die Elberfelder Übersetzung gegeben. 14 Janowski, „Mein Gott, mein Gott …“, 391. Harmonisierend kommentiert auch Evans, Mk/2, 507: „Perhaps Jesus did have the whole of the psalm in mind, including the optimistic conclusion […], but the reality of his sense of abandonment must not be minimized.“ Die folgenden Überlegungen dazu, ob Jesus sein Gottvertrauen verloren habe, zeigen exemplarisch die immer wieder vorgenommenen historisierenden Auslegungen der Erzählung.

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Dass der Evangelist nahelegen wolle, Jesus habe den gesamten Psalm 22 am Kreuz gebetet,15 erscheint schon von hier aus ausgeschlossen.16 Dem Erzähler geht es vielmehr darum, Jesus in der Stunde seines Todes in der Gottverlassenheit darzustellen. Bereits Hartmut Gese hat nun allerdings bemerkt, dass die Klage über die Gottverlassenheit des Beters „nichts Besonderes, sondern eher etwas Typisches“ sei und von hier aus die These zurückgewiesen, in Mk 15,34 par. Mt 27,46 solle nur auf Ps 22,2 angespielt werden.17 Vielmehr ist es gerade der Ausblick auf die in der Stunde des Todes Jesu hereinbrechende βασιλεία τοῦ θεοῦ, die die Aufnahme von Ps 22 motiviert.18 Betrachtet man allerdings die von Gese in diesem Zusammenhang aus den Psalmen zusammengetragenen Belege,19 dann fällt ein entscheidendes Proprium von Ps 22,2 ins Auge: Während an all den genannten Stellen das Vertrauen ausgesprochen wird, dass Gott den Beter nicht verlässt20 bzw. Gott darum gebeten wird, den Beter nicht zu verlassen21 oder aber gesagt wird, dass andere behaupten, Gott habe den Beter verlassen,22 sagt Ps 22,2, dass der Beter tatsächlich von Gott verlassen ist.23 Die  So etwa Pesch, Mk/2, 494. lässt sich allerdings darauf hinweisen, dass das „Missverständnis“ sehr viel besser zur hebräischen Fassung von Ps 22,2 (‫)א ִלי‬ ֶ als zur aramäischen Version (‫)א ַל ִהי‬ ֶ passt (vgl. Pesch, Mk/2, 495). Das könnte m. E. darauf hinweisen, dass Psalm 22 bereits zur theologischen Interpretation der Szene herangezogen wurde. Der Text bewahrt die Erinnerung, dass Jesus Aramäisch gesprochen hat, die theologische Interpretation aber wird anhand des hebräischen Textes der Heiligen Schrift Israels vorgenommen. In diesem Sinne erklärt Schweizer, Mk, 193: „Wahrscheinlich hat also erst die griechisch redende Gemeinde den Schrei V. 34a übersetzt (34b) und V. 36 als törichtes Mißverständnis und Verspottung dargestellt.“ 17 Gese, Psalm 22, 180. 18  „Wir verstehen jetzt, warum Ps 22 im Neuen Testament zitiert wird: nicht die Formulierung des ersten Stichos, die Rede davon, dass Gott den Beter verlassen habe, als Ausdruck der eigentlichen Not, ist der Anknüpfungspunkt zum Golgathageschehen, sondern der in diesem Psalm mit der Errettung aus dem Tod verbundene Einbruch der βασιλεία τοῦ θεοῦ“ (Gese, Psalm 22, 193). 19 Ps 9,11; 16,10; 27,9; 37,28.33; 38,22; 71,9.11.18; 94,14; 119,8. 20 Ps 9,11: „Auf dich vertrauen, die deinen Namen kennen; denn du hast nicht verlassen, die dich suchen, JHWH“; Ps 16,10: „Denn meine Seele wirst du dem Scheol nicht lassen, wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Grube sehe.“ Ps 37,33: „JHWH lässt ihn nicht in seiner Hand (sc. des Gottlosen) zurück“ (‫ביָ ֹדו‬ ‫ּנּו‬ ְ ‫לֹא־יַ ַעזְ ֶב‬ ‫ ;)יְ הוָ ה‬Ps 37,28: „Denn JHWH liebt Recht und wird seine Frommen nicht verlassen.“ Ps 94,14: „Denn JHWH wird sein Volk nicht verstoßen, er wird sein Eigentum nicht verlassen.“ Vgl. Ps 27,10: „Sogar mein Vater und meine Mutter haben mich verlassen, aber der Herr nimmt mich auf.“ 21 Ps 27,9b: „Du bist meine Hilfe gewesen. Gib mich nicht auf und verlass mich nicht, Gott meines Heils!“; Ps 38,22: „Verlass mich nicht, JHWH; mein Gott, sei nicht fern von mir!“; Ps 71,9: „Verwirf mich nicht zur Zeit des Alters; beim Schwinden meiner Kraft verlass mich nicht!“; Ps 71,18a: „Und auch bis zum Alter und bis zum Greisentum verlass mich nicht, o Gott […]“. Ps 119,8: „Deine Ordnungen will ich halten. Verlass mich nicht ganz und gar!“ 22 Ps 71,11: „Sie sagen: Gott hat ihn verlassen! Verfolgt und ergreift ihn, denn kein Retter ist da!“ 23 Diese Interpretation wird durch den Vers selbst unterstützt, da es in dem parallel zu V. 2a formulierten Vers 2b heißt: „Fern von meiner Rettung sind die Worte meines Gestöhns“. Auch 15

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Frage: „Warum hast du mich verlassen?“ zielt nicht auf eine Antwort.24 Sie ist als rhetorische Frage zu verstehen, die die Aussage impliziert: „Mein Gott hat mich verlassen!“ Die Frage von Ps 22,2 führt in die denkbar größte Tiefe: in den Abgrund der Gottverlassenheit – und damit: in den Abgrund des Todes.25 Hier wird der theologische Charakter der markinischen Sterbeszene sichtbar, in der der tiefe Konflikt, in den das Markusevangelium hineinführt, erkennbar wird. Ein Vergleich mit Ps 71 macht deutlich, worin der Unterschied zum Motiv eines „leidenden Gerechten“ besteht. Während die Spötter in Ps 71,11 sagen: „Gott hat ihn verlassen! Verfolgt und ergreift ihn, denn es gibt keinen Retter!“, heißt es in Mk 15,30 (vgl. V. 32): „Rette dich selbst, steig herab vom Kreuz!“ In Ps 71,11 kommen die „Feinde“ (‫ֹאויְבי‬ ַ = „meine Feinde“, V. 10) des Beters zu Wort, die, wie in den Klagepsalmen üblich, nicht genau identifiziert werden. Sie schmähen den Beter dadurch, dass sie seine Gottverlassenheit behaupten (V. 11). Angesichts dessen bittet er: „Gott, sei nicht ferne von mir; mein Gott, eile mir zu helfen!“ (V. 12).26 Angesichts der vermeintlichen Gottverlassenheit stellt sich die Frage nach „Rettung“.27 Es ist dieselbe Frage, die in Mk 15,29–31 im Raum steht. Aber sie wird dort in einer ganz anderen Weise gestellt: Zwei Mal wird Jesus dazu aufgerufen, sich selbst zu retten, indem er vom Kreuz herabsteigt (V. 30; V. 32a). Während die Spötter in V. 29 f. noch anonym bleiben – was ganz dem Feindmotiv in den Psalmen entspricht –, werden in der zweiten „Spottrede“ in V. 31 die Oberpriester und Schriftgelehrten eingeführt. Die γραμματεῖς begegnen im Markusevangelium bereits ganz zu Beginn der Wirksamkeit Jesu in Galiläa, gemeinsam mit den ἀρχιερεῖς repräsentieren sie die Gegner Jesu, deren Gegnerschaft sich an dem mit seinem Wirken verbundenen Anspruch entzündet.28 Mit ihnen ist der mit dem Wirken Jesu verbundene Konflikt in der Kreuzigungsszene präsent, denn ihre Aussage: „andere V. 3 macht die Verlassenheit des Beters deutlich: „Mein Gott, ich rufe bei Tage, und du antwortest nicht; und bei Nacht, und mir wird keine Ruhe.“ 24 Die hebräische Fragepartikel ‫ ָל ָמה‬wird in der Septuaginta mit ἵνα τί wiedergegeben, während Mk 15,34b mit εἰς τί übersetzt. Pesch, Mk/2, 495 weist darauf hin, dass hier „typisches Übersetzungsgriechisch“ vorliege und deshalb kein finaler Sinn („Wozu hast du mich verlassen?“) unterstellt werden dürfe, der dann soteriologisch „ausgebeutet“ werden könne („Wozu ist Jesus gestorben“). In diesem Sinne aber Janowski, „Mein Gott, mein Gott …“ im Titel seines Aufsatzes; zur Begründung dieser Übersetzung s. ders., Konfliktgespräche, 360, Anm. 56. 25 Bengel, Gnomon, 196 bemerkt treffend zur Parallele Mt 27,46: „Diese Verlassung ist das Tiefste vom Leiden Jesu.“ 26 ‫חּיׁשה‬ ‫י‬ ָ ‫ל ֶעזְ ָר ִת‬ ‫י‬ ְ ‫ֹלה‬ ַ ‫א‬ ‫י‬ ֱ ִ‫מ ֶּמּנ‬ ‫ק‬ ִ ‫ל־ּת ְר ַח‬ ִ ‫א‬ ‫ים‬ ַ ‫ֹלה‬ ִ ‫א‬. ֱ 27 In ganz analoger Weise ist in Sap. Sal. 2,10–20 vom „leidenden Gerechten“ die Rede. Dort heißt es: „Wenn nämlich der Gerechte (wirklich) Gottes Sohn ist, wird er sich seiner annehmen und ihn retten aus der Hand seiner Gegner“ (εἰ γάρ ἐστιν ὁ δίκαιος υἱὸς θεοῦ, ἀντιλήμψεται αὐτοῦ καὶ ῥύσεται αὐτὸν ἐκ χειρὸς ἀνθεστηκότων). 28 Die γραμματεῖς treten in Mk 2,6 erstmals als Gegner Jesu auf (vgl. 1,21!), dann in 2,16; 3,22; 7,1.5; 9,14 (vgl. 9,11; 12,38), 12.28.31 tritt ein einzelner „Schriftgelehrter“ auf. Nach dem Einzug Jesu in Jerusalem (Mk  11,1–11) treten sie dann gemeinsam mit den ἀρχιερεῖς

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hat er gerettet“ (ἄλλους ἔσωσεν) kann sich im Markusevangelium nur auf die zuvor erzählten Heilungswunder beziehen, die mit dem Verb σῷζειν verbunden werden.29 Die markinische Kreuzigungsszene thematisiert demnach nicht, ob Jesus von Gott gerettet wird oder ob er selbst an seinem Gottesglauben festhält. Sie thematisiert vielmehr, was für eine Art „Rettung“ Jesus bringt.30 Gegen ein Verständnis Jesu als eines „leidenden Gerechten“ in der Markuspassion spricht bereits, dass Jesus bei Markus nie ὁ δίκαιος genannt wird.31 An den Tod Jesu schließt sich indes ein Zeichen an, das für das markinische Verständnis der Kreuzigung Jesu zentral ist: In der Stunde, in der Jesus stirbt, zerreißt „der Vorhang des Tempels“ (Mk 15,38). 3.2 Der zerrissene Vorhang des Tempels (Mk 15,38) In der Auslegung ist umstritten, wie das Motiv des Zerreißens des Vorhangs im Tempel genau zu verstehen ist. Zunächst einmal wird diskutiert, welcher „Vorhang“ hier genau gemeint ist. Aufgrund der doppelt determinierten Formulierung (τὸ καταπέτασμα τοῦ ναοῦ) und der kultischen Bedeutung, die dem Vorhang vor dem Allerheiligsten im Jerusalemer Tempel zukommt, ist m. E. deutlich, dass an dieser Stelle nur dieser Vorhang gemeint sein kann.32 Mit dem Allerheiligsten trennt dieser Vorhang den Ort der Gegenwart Gottes von den Menschen, und er wird vom Hohenpriester nur einmal im Jahr, am Versöhnungstag, durchschritten, um das Sühnopfer darzubringen und so die zerstörte Beziehung zwischen Gott und Mensch zu heilen.33 Wie aber ist es zu verstehen, dass der Tempelvorhang in der Sterbestunde Jesu zerreißt? Manche Ausleger deuten das Motiv als ein Gerichtszeichen, das die Zerstörung des Tempels markiert.34 Auf die Tempelzerstörung wird in der Kreuzigungsszene tatsächlich angespielt, wenn es in V. 29 heißt: „Wehe, der du den Tempel zerstörst und in drei Tagen aufbaust!“ Aber dieser Wehe-Ruf erweist sich im Kontext des Markusevangeliums als auf: Mk  11,18.27; 14,1.43.53; 15,1.31. Die ἀρχιερεῖς werden vorher nur in den Leidensankündigungen genannt (8,31; 10,33) und dann beim Verrat des Judas (14,10). 29  Mk 3,4; 5,23.28.34; 6,56. 30 Der Evangelist Lukas hat diesen Aspekt in seiner Rezeption der markinischen Kreuzigungsszene vertieft, v. a. dadurch, dass er die in Mk 15,24.32b genannten Mitgekreuzigten in Lk 23,39–42 zu Wort kommen und auch Jesus mindestens ein weiteres Wort am Kreuz sprechen lässt (Lk 23,43). S. dazu Bauspiess, Gegenwart, 132–136. 31 Anders ist dies im Lukasevangelium (Lk 23,47, vgl. Apg 3,14; 7,52; 22,14) und im Matthäusevangelium (Mt 27,10.24 v.l.). Hier wäre die These Jesu als des „leidenden Gerechten“ eigens zu diskutieren. 32 Mit Hofius, Art. καταπέτασμα, 657; Pesch, Mk/2, 498. 33 Dieses Motiv wird bekanntlich im Hebräerbrief christologisch interpretiert (Hebr 6,19; 9,3; 10,20). Dies sind die einzigen Stellen, an denen das Wort καταπέτασμα im Neuen Testament neben Mk 15,38 par. Mt 27,52; Lk 24,45 begegnet. Ein gedanklicher Zusammenhang zwischen den genannten Texten legt sich m. E. nahe. 34 So etwa Gnilka, Mk/2, 320.

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unberechtigt, denn Jesus hat zwar die Zerstörung des Tempels angekündigt (Mk 13,2), nicht aber, dass er selbst ihn zerstören wolle. Der Vorwurf begegnet bereits beim Prozess Jesu vor dem Synedrium in Mk 14,58, er artikuliert aber im Markusevangelium keinen von Jesus selbst erhobenen Machtanspruch.35 Für Markus geht es an dieser Stelle um etwas anderes: Es geht um die Frage, wo genau es zur heilsamen Begegnung mit Gott kommt. Die Formulierung in Mk 15,38 ist auffällig, v. a. der Hinweis, dass der Vorhang „von oben nach unten“ zerreißt. Sie macht deutlich, dass der Vorhang von Gott zerrissen wird.36 Das aber ist kaum als Strafzeichen zu deuten, sondern vielmehr im Sinne einer von Gott her erfolgenden Öffnung. Sie erfolgt in der Stunde, in der Jesus stirbt.37 Dass die Stunde, in der Jesus stirbt, für Markus die Stunde der Rettung ist, wird durch ein weiteres Motiv unterstrichen: In Mk 15,33 wird gesagt, dass zwischen der sechsten und der neunten Stunde eine Finsternis hereinbricht. Diese Finsternis lässt sich vor alttestamentlichem Hintergrund als Gerichtszeichen verstehen, wofür oft auf Am 8,9 hingewiesen wird.38 In V. 34 wird die neunte Stunde noch einmal ausdrücklich genannt: Es ist die Stunde, in der die Finsternis endet.39 Die Stunde, in der Jesus stirbt, ist die Stunde, in der die Finsternis weicht. In dieser Stunde ruft der sterbende Jesus aus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ In dieser Stunde zerreißt der Vorhang im Tempel, und in dieser Stunde spricht der Hauptmann unter dem Kreuz: „In Wahrheit: Dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!“ (Mk 15,39).40 Damit spricht im Markusevangelium zum ersten Mal eine Person innerhalb der Erzählung aus, was die Leser spätestens seit der Erzählung von der Taufe Jesu wissen (Mk 1,11).41 Dort ist 35 Freilich lässt sich aufgrund des Drei-Tage-Motivs ein Bezug zu den Leidensankündigungen Jesu herstellen (Mk 8,31; 9,31; 10,34), und in diesem Sinne hat schließlich das Johannesevangelium das Logion interpretiert (Joh 2,19.21 f.). 36 So auch Boring, Mk, 432. 37 In diesem Sinne erklärt Hofius, Art. καταπέτασμα, 657: „Jesus hat durch seinen stellvertretenden Sühnetod den Menschen ein für allemal den Zugang zu Gott erschlossen, so daß sie weiterer Sühnopfer nicht mehr bedürfen.“ Auf das Ende des Tempelkults sieht auch Schweizer, Mk, 193.195 mit dem Motiv hingewiesen. 38 „Und an jenem Tage wird es geschehen – ist der Spruch des Herrn JHWH – da lasse ich die Sonne untergehen am Mittag und die Erde finster werden am hellen Tag.“ In V. 10 heißt es: „Ich […] will ein Trauern schaffen, wie man trauert über den einzigen Sohn.“ Zum Motiv vgl. auch Joel 2,2.10; 3,4; 4,15; Jes 13,10; 24,23. 39 Das bemerkt etwa auch Pesch, Mk/2, 493; Lohmeyer, Mk, 343. 40 υἱὸς θεοῦ ist hier Prädikatsnomen. Wenn die Kopula, wie in diesem Fall, dem Prädikatsnomen folgt, steht es häufiger ohne Artikel (BDR, § 273 mit Anm. 2). Deshalb kann hier übersetzt werden: „Dieser Mensch war Gottes Sohn“ (nicht: „ein Sohn Gottes“), s. dazu Kammler, Verständnis, 488 mit Anm. 20. Auch an anderen Stellen steht der Sohn-Gottes-Titel ohne Artikel (Mt 14,33; 27,40.43; Joh 10,36; vgl. Schweizer, Mk, 195). Ob Jesus der „Sohn Gottes“ sei, stand bereits im Verhör vor dem Hohepriester zur Debatte (Mk 14,61). 41 Ob die Bezeichnung Jesu als υἱὸς θεοῦ in Mk 1,1 ursprünglich ist, ist textkritisch umstritten. Die äußere Bezeugung ist gespalten und lässt kaum ein Urteil zu. Nach inneren Kriterien müsste die lectio brevior als die ursprüngliche Lesart gelten. Es wäre aber auch denkbar, dass aufgrund der Schreibung der nomina sacra (ΙΥΧΘΥΥΘΥ) mit jeweils gleicher Endung der

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es – wie in Mk 9,7 bei der „Verklärung“ Jesu – Gott selbst, der Jesus als seinen Sohn bezeichnet. Der Evangelist Markus macht damit deutlich, dass Jesus am Kreuz für die Menschen als Sohn Gottes offenbar wird. Am Kreuz stirbt er mit dem Ruf, der seine Gottverlassenheit benennt (V. 34) und haucht schließlich sein Leben mit einem lauten Schrei aus (V. 37), der anzeigt, dass der Gottessohn bewusst und freiwillig in den Tod in der Gottverlassenheit geht. So wird auch die Frage nach der Gegenwart Gottes, wie sie durch das Tempel-Motiv aufgerufen wird, in einem bestimmten Sinne beantwortet: Anstatt dass Jesus den Tempel zerstört, wie ihm die Ankläger unterstellen (Mk 14,58; 15,29), eröffnet er durch seinen Tod einen ganz neuen Zugang zu Gott: Indem Jesus als der Gottessohn offenbar wird, wird deutlich, dass Gott selbst in der Gottverlassenheit da ist und sie so überwindet. So wird auch deutlich, welche theologische Bedeutung dieses Geschehen hat: Jesus ist nicht als ein exemplarisch „leidender Gerechter“ dargestellt,42 dessen Glaubenshaltung für uns vorbildhaft wäre. Er ist vielmehr die Person, in der Gott selbst als Mensch unter den Menschen da ist und an ihnen handelt. Weil die Geschichte Jesu als Gottesgeschichte erzählt wird, ist sie eine Geschichte, die sich für die Menschen ereignet und ihr Gottesverhältnis wandelt. Um das zu verdeutlichen, schlägt der Evangelist Markus einen erzählerischen Bogen vom Beginn der Wirksamkeit Jesu mit der Taufe durch Johannes im Jordan (Mk 1,9–11) bis zur Sterbeszene (Mk 15,33–39) und an das Ende des Evangeliums (Mk 16,1–8). 3.3 Der zerrissene Himmel (Mk 1,10) Aufgrund mehrerer motivischer Berührungen lässt sich annehmen, dass der Evangelist einen direkten Zusammenhang zwischen der Sterbeszene und der Tauferzählung (Mk  1,9–11) herstellt. Es sind die beiden einzigen Stellen im Markusevangelium, an denen der Evangelist das Verb σχίζεσθαι verwendet.43 Wörter eine Auslassung passiert ist (vgl. Metzger, Textual Commentary, 62). Handelt es sich um eine Hinzufügung, dann hat der Schreiber die Bedeutung des Sohn-Gottes-Titels für das Markusevangelium jedenfalls zutreffend erkannt. 42 Die Interpretation der Markuspassion vor dem traditionsgeschichtlichen Hintergrund des „leidenden Gerechten“, wird etwa von Pesch, Mk/2, 495 u. ö. vertreten, v. a. aber von Janowski, „Mein Gott, mein Gott …“; vgl. auch ders., Konfliktgespräche, 360–365. Kritisch dazu bereits Kammler, Verständnis, passim. Pesch, Mk/2, behauptet, dass der Schrei Jesu, mit dem er sich „im Dunkel der ,Gottverlassenheit‘ […] im Gebet an Gott“ wende, „wohl Anlaß zur Verarbeitung von Ps 22 (und anderer Texte der passio-iusti-Traditionen) in der Passionsgeschichte“ gewesen sei. M. E. ist sehr viel wahrscheinlicher, dass die Gemeinde den Tod Jesu mit Ps 22,2 interpretiert hat, wie etwa Schweizer, Mk, 193 annimmt. Jedenfalls hat der Vers im vorliegenden Text eine theologische Bedeutung und darf nicht historisierend als Jesuswort entkontextualisiert und dann in einen eigenen – spekulativ konstruierten – Kontext eingetragen werden, wie es in Peschs und Janowskis Interpretation faktisch geschieht. 43 Darauf weist auch Boring, Mk, 432 hin. Im Neuen Testament sonst nur noch in den synoptischen Parallelstellen Mt 27,51a; Lk 23,45 sowie in Mt 27,51b (die Felsen werden zerrissen); Lk 5,36; Joh 19,24; 21,11 (vom Zerreißen von Kleidern bzw. von Netzen); Apg 14,4; 23,7.

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Auch wenn die Übersetzung nicht ganz eindeutig ist, so lässt sich doch behaupten, dass an beiden Stellen von einem „Zerreißen“ gesprochen wird.44 In der Tauferzählung ist es der Himmel, der zerreißt, als Jesus aus dem Wasser wieder heraufsteigt.45 Mk 1,10: καὶ εὐθὺς ἀναβαίνων ἐκ τοῦ ὕδατος εἶδεν σχιζομένους τοὺς οὐρανοὺς καὶ τὸ πνεῦμα ὡς περιστερὰν καταβαῖνον εἰς αὐτόν· Mk 15,38: Καὶ τὸ καταπέτασμα τοῦ ναοῦ ἐσχίσθη εἰς δύο ἀπ’ ἄνωθεν ἕως κάτω. Die Tauferzählung berichtet keine „Berufung“ Jesu,46 sondern eröffnet den Lesern die christologische Perspektive des Evangeliums: Jesus ist der Sohn Gottes, der nach Mk 1,2 f. aus der Welt Gottes herkommt und dem Johannes der Täufer als Bote vorausgesandt wird. Findet sich eine Entsprechung zwischen der ersten und der letzten Proklamation Jesu als „Sohn Gottes“ innerhalb der Erzählung (Mk  1,11; 15,39), so lässt sich eine ähnliche Entsprechung im unmittelbaren Kontext zwischen dem ersten und letzten von Jesus gesprochenen Wort feststellen (Mk 1,15; 15,34). Nach seiner Taufe (1,9–11) und der Versuchung in der Wüste (1,12 f.) tritt Jesus in Mk 1,15 auf mit den Worten: ἤγγικεν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ: „Die Gottesherrschaft ist gekommen!“47 Auf diese Weise wird die gesamte Wirksamkeit Jesu unter das Stichwort der βασιλεία τοῦ θεοῦ gestellt: In seinem Auftreten wird die Gottesherrschaft realisiert.48 Als Jesus stirbt, wird der Zugang zu Gott frei, Gott wird gegenwärtig. 44  Möglicherweise liegt hier eine Anspielung auf Jes 63,19b vor (so etwa Gnilka, Mk/1, 52), wo von einem „Zerreißen“ (‫ )קרע‬allerdings nur im hebräischen Text die Rede ist: ‫לּוא־‬ ‫ׁש ַמיִ ם‬  ָ ‫ק ַר ְע ָּת‬ – ָ „Ach, dass du den Himmel zerrissest […]“. Die Septuaginta formuliert mit dem Verb ἀνοίγειν: ἐὰν ἀνοίξῃς τὸν οὐρανόν […] – „Wenn du doch den Himmel öffnetest […]“. Auch in Ez 1,1b ist von einem „Öffnen“ des Himmels die Rede, die dort im Zusammenhang mit der dem Propheten von Gott eröffneten Visionen steht: καὶ ἠνοίχθησαν οἱ οὐρανοί, καὶ εἶδον ὁράσεις θεοῦ – „und der Himmel wurde geöffnet, und ich sah Gesichte Gottes“. Das Verb σχίζεσθαι ist im Zusammenhang mit einer Visionsschilderung auffällig. Pesch, Mk/1, 90 f. verweist allerdings auf Jos. Asen. 14,2 (καὶ ἰδοὺ ἐγγὺς τοῦ ἐσφόρου ἐσχίσθη ὁ οὐρανός – „Und siehe, nahe dem Morgenstern wurde der Himmel geöffnet“). An dieser Stelle geht es um eine Gottesbegegnung, die Bekehrung der Aseneth. Im Markusevangelium legt sich allerdings nahe, dass das Verb σχίζεσθαι ganz bewusst gewählt wird, um zwischen Mk 1,10 und 15,38 eine motivische Verbindung herzustellen. 45 Eine Verbindung zwischen den beiden Stellen sehen auch Boring, Mk, 432; Klumbies, Raumverständnis, 42 f.; Janowski, „Mein Gott, mein Gott …“, 399; Wypaldo, „Wahrhaftig …“, 198, und bereits Lohmeyer, Mk, 21. 46 Eine solche Deutung wird immer wieder vertreten, zuletzt von Riesner, Messias Jesus, 87–111. 47 Die Formulierung im Perfekt lässt sich resultativ übersetzen, vgl. dazu Adam, „Der Anfang vom Ende“, 113 f. 48 Es ist deshalb eine falsche Alternative, wenn gesagt wird, im Markusevangelium verkündige Jesus das Reich Gottes, im Johannesevangelium aber sich selbst. Denn auch im Markusevangelium ist bereits deutlich, dass die βασιλεία τοῦ θεοῦ an die Person Jesu gebunden ist. Der Verfasser des vierten Evangeliums hat diesen Zug in seiner Erzählung freilich ausgeführt und etwa mit den „Ich-bin-Worten“ und der Rede von den „Zeichen“ Jesu narrativ in

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3.4 Vom Ende zum Anfang Es ist bekannt, dass der kanonisierte Schluss des Markusevangeliums (Mk 16,9– 20) nicht zum ursprünglichen Textbestand des Evangeliums gehört hat, da die ältesten Textzeugen ihn nicht enthalten und er zudem inhaltlich aus Traditionen, die aus den anderen Evangelien bekannt sind, gespeist ist. In letzter Zeit ist immer wieder erwogen worden, dass der ursprüngliche Schluss des Markusevangeliums verloren gegangen sein müsse, da das Markusevangelium unmöglich mit Mk  16,8  – der Flucht der Frauen vom Grab  – geendet haben könne. Diese These wird gerade auch von solchen Auslegern vertreten, die das Markusevangelium als eine Biographie bestimmen.49 Besonders aufschlussreich ist die Begründung, die Ben Witherington in seinem Kommentar gibt: So könne Mk 15,34 – der Schrei des Gottverlassenen am Kreuz – unmöglich das letzte Wort Jesu sein.50 De facto zeigt Witheringtons Bemerkung, wie wenig die Bestimmung des Markusevangeliums als Biographie dem Charakter dieses Textes gerecht wird. Denn in Wirklichkeit liegt in dem vermeintlich „abbrechenden“ Schluss mit Mk 16,8 die eigentliche Pointe der Erzählung, die noch einmal auf das Kreuz verweist. So spricht der Engel am leeren Grab die beiden Frauen ausdrücklich auf den Gekreuzigten an (Ἰησοῦν ζητεῖτε τὸν Ναζαρηνὸν τὸν ἐσταυρωμένον, Mk  16,6).51 Er schickt die Frauen schließlich nach Galiläa, wo Jesus ihnen vorangehen werde (16,7, vgl. 14,28), mit dem Hinweis: „Dort werdet ihr ihn sehen! (ἐκεῖ αὐτὸν ὄψεσθε, 16,7). Spekulationen darüber, auf was für eine Tradition hier angespielt wird,52 erledigen sich, wenn man erkennt, dass Szene gesetzt. Der Verfasser des Lukasevangeliums schließlich hat das Motiv der βασιλεία τοῦ θεοῦ auf seine Weise ausgearbeitet, die aber ebenfalls deutlich macht, dass die Gottesherrschaft in der Person Jesu besteht. 49 So etwa von Riesner, Messias Jesus, 401; Witherington III, Mk, 44–46. Zur Gattungsbestimmung ebd., 3–7; auch Collins, Mk, 22–33, die allerdings eine andere Erklärung für das ursprüngliche Ende mit Mk 16,8 findet: Markus habe keine Ostererscheinungen erzählen müssen, weil seine intendierten Leser diese aus der mündlichen Tradition gekannt hätten. Erst vom Standpunkt der Großevangelien aus sei der Markus-Schluss als unvollständig erschienen (vgl. ebd., 801). 50 Witherington III, Mk, 44 f.: „Anyone who has read Plutarch’s Lives or other ancient biographical literature knows that it was widely believed that how a person’s life ended revealed a person’s true character. It must be doubted that the final impression Mark wanted to leave in reader’s minds about Jesus he believed in as Son of God and Christ was his cry ,My God, my God, why have you forsaken me?’“ Allerdings argumentieren Donahue/Harrington, Mk, 450 mit demselben Hinweis vor dem Hintergrund eines Verständnisses des Markusevangeliums als „gospel“: „Why would Mark write a ,gospel‘ (,good news‘) about a tragic figure whose life ends in total dispair?“ Sie nehmen deshalb ebenfalls an, dass das ursprüngliche Ende des Markusevangeliums verloren gegangen sei (ebd., 460). 51 Es ist bemerkenswert, dass gerade der Verfasser des Matthäusevangeliums, der das Sterbewort Ps 22,2 von Markus in Mt 27,46 übernimmt, auch diese Aussage des Engels wiedergibt (Mt 28,5), während Lukas an beiden Stellen (Lk 23,46; 24,5) ändert. 52 Vgl. Collins, Mk, 796 f. Das Nicht-Erzählen der Erscheinungen erklärt Collins mit der Absicht des Erzählers, zu betonen „the absence of Jesus in the time of Jesus and audiences“ (ebd., 797).

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der Evangelist hier eine Lektüreanweisung gibt, die die Leser auf den Beginn des Markusevangeliums verweist:53 Sie sollen die Geschichte Jesu, die in Galiläa beginnt, noch einmal neu lesen: als die Geschichte des Gekreuzigten. Wenn sie die Geschichte so lesen, dann öffnet sich für sie der Himmel (Mk 1,10) und dann hören sie von Gott selbst, wer Jesus ist (1,11).54 Wenn sie sie so lesen, dann zerreißt für sie der Vorhang im Tempel und es öffnet sich der Zugang zu Gott (15,38), damit sie nun selbst das Bekenntnis sprechen können, das der Hauptmann unter dem Kreuz spricht (15,39). Die Gottesherrschaft bricht demnach nicht nur in der Vergangenheit an. Sie bricht auch jetzt an: in dem Moment, in dem die Leser in dem gottverlassen am Kreuz sterbenden Jesus den Sohn Gottes erkennen. Denn damit begreifen sie, dass in dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus Gott selbst in ihrem Leben ist und sie ihn erkennen können.55 Als Gegenbild zu den mit dem Evangelium angesprochenen Glaubenden fungieren die Oberpriester und Schriftgelehrten, die Jesus dazu auffordern, vom Kreuz herabzusteigen, „damit wir sehen und glauben“ (ἵνα ἴδωμεν καὶ πιστεύσωμεν, Mk 15,32). Für die Gegner Jesu ist die Erfüllung der Hoffnung auf den Anbruch der Gottesherrschaft nur am Kreuz vorbei denkbar. Für die Glaubenden realisiert sie sich aber gerade in Jesu Tod am Kreuz. Verständlich ist das nur, weil hier nicht ein Mensch „wie du und ich“ stirbt, sondern der Gottessohn, in dem Gott selbst da ist. Insofern ist denkbar, dass die Gemeinde bei dem letzten Wort Jesu durchaus auch an den eschatologischen Ausblick in Ps 22,28–32 gedacht hat, der vom Anbruch der Gottesherrschaft redet. Dieser Anbruch der Gottesherrschaft ereignet sich aber gerade darin, dass der Gottessohn an den Ort geht, an dem der Mensch endgültig von Gott getrennt ist: in den Tod. Es ist nicht der Gottesglaube Jesu, der hier gezeichnet wird, sondern der Glaube an Jesus als die Gegenwart Gottes in unserer Welt. 3.5 Der Vorwurf der Blasphemie Dass es dem Evangelisten Markus mit der Erkenntnis, wer Jesus ist, zugleich um die Gotteserkenntnis geht, wird daran erkennbar, wie er die Verspottung Jesu in Mk  15,29 einleitet. Dort heißt es: Καὶ οἱ παραπορευόμενοι ἐβλασφήμουν αὐτὸν κινοῦντες τὰς κεφαλὰς αὐτῶν, was übersetzt werden kann: „Und die Vorübergehenden lästerten ihn, indem sie ihre Köpfe schüttelten“. Auch diese Geste lässt sich als ein Motiv aus Ps  22 identifizieren, wo es in V. 8 heißt: 53 So etwa Boring, Mk, 446 f. Zur narrativen Funktion von Mk 16,1–8 s. auch Klumbies, Mk 16,1–8 als Verbindung, 129–143. 54 Vgl. Klumbies, Mk 16,1–8 als Verbindung, 134: „Das Evangelium wird bei Markus zum Ort der Begegnung mit Jesus.“ 55 Dietrich Bonhoeffer, Widerstand, 191, hat die Pointe des markinischen Sterbewortes Jesu sehr gut getroffen, als er bemerkte: „Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verlässt (Mk 15,34). […] Gott lässt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns.“

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„Alle, die mich sehen, verspotten mich; sie verziehen die Lippen, schütteln den Kopf“.56 Auffällig ist, dass der Erzähler im Markusevangelium an dieser Stelle das Verb βλασφημεῖν verwendet, um die Aktion der vorbeigehenden Menschen zu beschreiben. Kann das Verb grundsätzlich auch „schmähen“ oder „verunglimpfen“ bedeuten, so hat es im Neuen Testament meistens die religiöse Bedeutung „lästern“. In Mk 15,29 scheinen beide Bedeutungen anzuklingen.57 Da der Blasphemievorwurf im unmittelbar zuvor erzählten Verhör Jesu vor dem Hohenpriester der Grund für die Verurteilung Jesu war (Mk 14,64), ist die Wortwahl in Mk 15,29 kaum ein Zufall, zumal der Evangelist das Wortfeld an den wenigen Stellen, an denen er es aufruft, immer im religiösen Sinn gebraucht.58 Auch in Mk 15,29 ist also daran gedacht, dass diejenigen, die Jesus verspotten, ihn und damit Gott „lästern“.59 Das Thema der Gotteslästerung ist bereits in der ersten Szene der Streitgesprächsammlung, in Mk  2,7, präsent: Die Schriftgelehrten stoßen sich dort an Jesu Anspruch, dem Gelähmten in eigener Vollmacht die Sünden zu vergeben.60 Deutlich wird: In den Heilungswundern Jesu geht es mit der Beseitigung körperlicher Leiden um die Heilung der gestörten Gottesbeziehung. Die Schriftgelehrten stoßen sich nicht an der Vergebungsbereitschaft des Menschen Jesus. Sie stoßen sich daran, dass er die Sündenvergebung in göttlicher Vollmacht zuspricht. Was der Evangelist hier narrativ darstellt, lässt sich durchaus auch als eine historische Aussage begreifen: Jesus stirbt nach dem Zeugnis des Markusevangeliums nicht aufgrund eines Missverständnisses oder aufgrund einer Bösartigkeit der Schriftgelehrten. Er stirbt deshalb, weil er den Anspruch erhebt, an Gottes Stelle zu handeln. Dieser Anspruch kann nur als Gotteslästerung empfunden werden, solange ein Mensch dafür verschlossen ist, wer Jesus dem Markusevangelium zufolge ist: der Sohn Gottes.61 In diesen 56 Ps 22,8: ‫רֹאׁש‬ ‫יָ נִ יעּו‬ ‫ׂש ָפה‬ ָ ‫ב‬ ‫ירּו‬ ְ ‫יַ ְפ ִט‬ ‫לי‬ ‫גּו‬ ִ ‫יַ ְל ִע‬ ‫ּכל־ר ַֹאי‬, ָ vgl. Ps 21,8 LXX: πάντες οἱ θεωροῦντές με ἐξεμυκτήρισάν με, ἐλάλησαν ἐν χείλεσιν, ἐκίνησαν κεφαλήν: „Alle, die mich sahen, verspotteten mich, sie redeten mit den Lippen, schüttelten den Kopf.“ 57 Mit Hofius, Art. βλασφημία κτλ., 529. 58 Das Verb βλασφημεῖν verwendet Markus nur an drei Stellen: Mk 2,7; 3,28 f. und hier, in 15,29. Das Nomen βλασφημία ist ebenfalls an drei Stellen belegt: in Mk 3,28; 7,22 und 14,64. 59 Diesen Zusammenhang sieht auch Gnilka, Mk/2, 320, der deshalb bemerkt: „Dem Wort ist die volle Bedeutung der Gotteslästerung zu belassen.“ Ebenso Boring, Mk, 429. 60 S. dazu Hofius, Jesu Zuspruch. Hofius begründet hier ausführlich, weshalb die häufig vertretene These, Jesus rede in Mk 2,5b in einem passivum divinum (im Sinne von: „Gott vergibt dir deine Sünden“) falsch ist. Im Text selbst zeigt nicht zuletzt die Reaktion der Schriftgelehrten in 2,7, dass die Aussage als ein Vergebungszuspruch in eigener Vollmacht verstanden ist. 61 Auch die zweite Stelle, in der von Blasphemie die Rede ist, fügt sich in diesen Zusammenhang. Es ist die schwierig zu interpretierende Passage über die „Lästerung gegen den Heiligen Geist“ in Mk  3,28. Auch hier steht im vorliegenden Erzählzusammenhang ein Konflikt mit den Schriftgelehrten im Hintergrund: Die γραμματεῖς behaupten, Jesu treibe die Dämonen mit dem „Obersten der Dämonen“, dem Teufel, aus (3,22). Mk 8,30 macht deutlich, dass das die „Lästerung gegen den Heiligen Geist“ ist, die nicht vergeben werden kann (V. 29). Die „unvergebbare Sünde“ besteht in der Bestreitung dessen, dass in Jesus Gott wirkt, bzw. in der Perver-

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Zusammenhang fügt sich, dass Jesus nach Mk 14,64 aufgrund des Vorwurfs der Blasphemie zum Tode verurteilt wird. Auch hier ist es der von Jesus erhobene Hoheitsanspruch, der zu diesem Urteil führt.62 Für diesen Anspruch aber sind die Gegner Jesu gerade verschlossen. Sie sind damit für Gott selbst verschlossen. So lässt sich begreifen, weshalb der Evangelist die Verspottung Jesu als „Gotteslästerung“ beschreiben kann (Mk 15,29). 3.6 Glauben und Sehen In der Sterbeszene ist nun das Thema von „Sehen“ und „Glauben“ explizit präsent, und es ist wieder mit der Gruppe der γραμματεῖς verbunden: Sie wollen „sehen“, was Jesus vermag und wer er demzufolge ist, um so „glauben“ zu können (V. 32). Aber sie verengen ihre Sicht von vorne herein darauf, dass Jesus vom Kreuz herabsteigen müsste, damit sie glauben könnten. Das Kreuz ist für sie mit Gott schlechterdings unvereinbar.63 Derjenige, der in der Sterbeszene wirklich sieht, ist der Hauptmann unter dem Kreuz: Ἰδὼν δὲ ὁ κεντυρίων ὁ παρεστηκὼς ἐξ ἐναντίας αὐτοῦ ὅτι οὕτως ἐξέπνευσεν – „Als aber der Hauptmann, der ihm gegenüberstand, sah, dass er so starb […]“ (Mk 15,39a). Er sieht, wie Jesus mit einem lauten Schrei stirbt, der seine Gottverlassenheit dokumentiert. Er sieht dabei aber zugleich, wer der ist, der die unaussprechlichen Worte des 22. Psalms spricht: der Mensch, in dem Gott selbst gegenwärtig ist, sein Sohn.

4. Glaube im Konflikt Über die verschiedenen Ebenen des Konflikts führt Markus seine Leser zum Kreuz: die Dämonen (Mk 1,23 f.34; 3,11, vgl. 5,7) zeigen an, dass sich der Weg Jesu gegen die lebenszerstörenden Mächte wendet, die in der Menschenwelt wirksam sind. Der Konflikt mit den Schriftgelehrten (Mk 2,6–10) erweist gerade die theologischen Autoritäten als verschlossen für Gottes Wirklichkeit. Wie sich

sion dieser Tatsache, die Jesus mit dem Teufel im Bund sieht. Auch an dieser Stelle ist deutlich, dass sich der Konflikt mit den Schriftgelehrten am Vollmachtsanspruch Jesu entzündet, dass in ihm Gott selbst da ist. 62 Es bezieht sich auf die Aussage von V. 62, in der Jesus sich selbst als den aus dem Himmel kommenden „Menschensohn“ (vgl. Dan 7,13) beschreibt, der zum Gericht kommt. In dem Motiv des „Menschensohns“ ist eine weitere Verbindung zwischen Mk 14,60–64 und Mk 2,1–12 gegeben (2,10; 14,62). Der Verfasser des Markusevangeliums versteht die Aussage über den „Menschensohn“ vor dem Hintergrund von Dan 7,13. Inwiefern das Wort Jesu seinen Ursprung in diesem Text hat, wäre eigens zu diskutieren. 63 Ähnlich ist das mit den Versen 35 f. eingespielte Elia-Motiv zu verstehen: „Einer“ kommt daher und tränkt Jesus – hier liegt eine deutliche Anspielung auf Ps 69,22 vor – um zu „sehen“, ob Elia komme, um ihm zu helfen. Auch hier wird die Sicht eingeschränkt: Dass Jesus selbst die Rettung bringt, kommt nicht in den Blick.

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beim Petrusbekenntnis (Mk 8,27–30) zeigt,64 sind aber auch Jesu Jünger für das Kreuz als integralen Bestandteil der Gottesgegenwart verschlossen. Auch die nachösterliche Gemeinde wird diese Erfahrung der menschlichen Verschlossenheit machen (Mk  4,1–34).65 Indem der Verfasser des Markusevangeliums diese verschiedenen Ebenen miteinander verknüpft, legt er den zentralen Konflikt frei, in dem sich die Menschen nach seiner Auffassung befinden: den Konflikt mit Gott. Die Menschen sind verschlossen für Gottes Wirklichkeit in der Welt. Und sie können ihre eigene, von Konflikten und Brüchen gezeichnete Gegenwart nicht mit Gottes Wirklichkeit verbinden. Damit aber sind sie abgeschnitten von der Quelle ihres Lebens, wie sich an denen, „die zu leiden haben“ (οἱ κακῶς ἔχοντες, Mk 1,32) exemplarisch zeigt. Neben den Leidensankündigungen sind es das betont am Ende des zweiten Hauptteils stehende „Lösegeldwort“ (Mk 10,45), aber auch die Abendmahlsworte in der Nacht vor Jesu Tod (Mk 14,22–24), die verdeutlichen, dass der Tod Jesu für die von Gott getrennten Menschen geschieht.66 Indem das Kreuz als der Ort tiefster Gottverlassenheit und gleichzeitig tiefster Präsenz Gottes erzählt wird, erschließt Markus, was auf Golgatha geschah. In dem letzten Wort Jesu am Kreuz wird sichtbar, dass die Rede von Gott nicht möglich ist ohne die Wahrnehmung der menschlichen Konflikte. Nur so kommt Gott in die Wirklichkeit der Menschen.

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ἔκραζεν υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με Krise und Krisenbewältigung in den lukanischen Heilungserzählungen Clarissa Paul 1. Einleitung Heilungserzählungen1 spielen innerhalb des Lukasevangeliums eine wichtige Rolle und Jesu Heiltätigkeit zieht sich durch die gesamte Zeit seiner öffentlichen Wirksamkeit. Das besondere Interesse des Lk an Heilungserzählungen wird u. a. an den vier Heilungserzählungen des lk Sonderguts (Lk  7,11–17; 13,10–17; 14,1–6 und 17,11–19) deutlich. In Lk werden mit relativ geringen erzählerischen Details Auswirkungen von Krankheiten für die Betroffenen und/oder ihre Angehörigen expliziter geschildert als in Mk oder Mt, indem u. a. die Schwere der Krankheit und/oder ihre lange Dauer betont werden, so leidet zum Beispiel die Schwiegermutter des Petrus an einem großen Fieber (4,38 f.), die gekrümmte Frau ist seit 18 Jahren von einem Geist der Schwäche gebunden (13,10–17) und der besessene Junge wird ausdrücklich als einziger Sohn bezeichnet (9,37–43a). Die Krankheit erscheint für die Betroffenen als Krise, zum einen in körperlicher, aber auch in sozialer, religiöser/kultischer und zum Teil auch in finanzieller Hinsicht. Ein nicht geringer Teil der Heilungserzählungen schildert, dass die Kranken selbst oder ihre Angehörigen sich aktiv um die Bewältigung dieser Krise bemühen, indem sie sich an Jesus wenden und darauf vertrauen, dass er sie heilen kann, so zum Beispiel die Freunde, die einen Gelähmten zu Jesus bringen (5,17–26), ein Vater, der Jesus – nachdem Jesu Jünger dazu nicht in der Lage waren – bittet, sich seines Sohnes anzunehmen (9,37–43a), oder der Blinde, der Jesus darum bittet, zu sehen. In diesem Beitrag wird zunächst auf die Beschreibung der Krankheiten als Beschreibung von Krisen eingegangen und dargestellt, auf welche Aspekte des Lebens sie sich auswirken können und welche Auswirkungen sie auf die Betroffenen haben. Daran anschließend wird dargestellt, wie sich Erzählfiguren 1 Exemplarisch zu Heilungserzählungen vgl. Weissenrieder, Heilungen; dies., Images; Kollmann Jesus; ders., Wundergeschichten; ders., Exorzismen; Prieto, Jésus; Schröter, Jesus, 163–177; ders., Heilungen; Van der Loos, Miracles; Zimmermann (Hg.), Wunder; Busse, Wunder; Pilch, Sickness.

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für sich selbst oder für andere zur Behebung der Krise an Jesus wenden, dabei wird auf auch auf kommunikative Gebetstermini, nonverbale Sprache sowie auf die Begriffe πίστις und σῷζω in Heilungserzählungen eingegangen. Abschließend wird exemplarisch die Erzählung des blinden Mannes vor Jericho für den Umgang einer Erzählfigur mit einer Krisensituation und ihrer Bewältigungsstrategie betrachtet.

2. Die Beschreibung von Krankheiten als Beschreibung von Krisen Krankheiten im NT müssen mit Blick auf unterschiedliche Referenzen betrachtet werden, da ihre Darstellung im Text auf dem Krankheitskonzept der jeweiligen Verfasser beruht und dieses (sowie dasjenige der intendierten Leserschaft) indirekt reflektiert. Krankheit ist keine unwandelbare, ontologische Konstante, sondern ist immer wandelnden Deutungen und sozialen Konstrukten sowie persönlichem Verständnis unterworfen:2 Krankheit konstituiert sich als ein durch verschiedene Wahrnehmungen und Grundgegebenheiten bestimmtes Gefüge. Jede Identifikation eines Leidens basiert auf dem komplexen Verbund einer physisch, sozial und religiös präfigurierten Wirklichkeitsdeutung.3

Das bedeutet, dass für das Verständnis der Krankheitskonstrukte und der Auswirkungen auf die Betroffenen physische, soziale und religiös-theologische Parameter und Implikationen herangezogen werden müssen.4 Eine Krankheit betrifft die im Text geschilderten Erzählfiguren nicht allein körperlich, sondern hat auch soziale (hierzu zählen auch finanzielle Gesichtspunkte) und religiöse Auswirkungen, die zusammen einen sehr umfassenden Einfluss auf die einzelnen Figuren und zum Teil ihr näheres Umfeld ausüben. Innerhalb der Erzählungen sind diese Faktoren in unterschiedlicher Stärke ersichtlich, der Erzähler legt den Fokus auf unterschiedliche Aspekte, so dass ein breites Bild entstehen kann. Die Beschreibung der Krankheiten erfolgt bei Lk anhand extern wahrnehmbarer Krankheitsmerkmale5 und sozialer wie religiöser Zurücksetzungen bzw. Diskriminierungen.

2 Vgl. Weissenrieder, Images, 36; Pilch, Healing in the New Testament, 41; Bendemann, Many-Coloured Illnesses, 101; ders., Christus der Arzt, 109. 3 Bendemann, Christus der Arzt, 109. Vgl. ders., Christus der Arzt I, 43. 4 Vgl. Bendemann, Many-coloured Illnesses, 101; Kollmann, Krankheitsbilder, 87. 5 Für die Evangelien spricht Bendemann, Christus der Arzt I, 43, von „vorrangig ästhetisch-extern“.

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2.1 Physische Auswirkungen Die physischen Auswirkungen bzw. die Symptombeschreibungen fallen innerhalb der Heilungserzählungen vor den anderen Einschränkungen und Auswirkungen ins Auge. Wie Bendemann treffend festgestellt hat, erfolgt die Beschreibung häufig leitsymptomatisch;6 aber obwohl die Symptome die augenfälligsten Auswirkungen darstellen, fällt die Krankheitsbeschreibung i. d. R. knapp aus, wobei es z. T. schwer fällt, auf ein antikes Krankheitskonstrukt zurückzuschließen: Besessenheit (z. B. ἔχων πνεῦμα δαιμονίου ἀκαθάρτου [Lk  4,33]; πνευμάτων ἀκαθάρτων [6,18]; πνευμάτων πονηρῶν [7,21; 8,2]; ἔχων δαιμόνια [8,27]), großes Fieber (πυρετῷ μεγάλῳ [Lk  4,38]), Aussatz (πλήρης λέπρας [5,12]; λεπροί [7,22; 17,12]), gelähmt sein (ἦν παραλελυμένος [Lk 5,18]), Lahme (χωλοί [7,22]), eine verdorrte Hand (ἡ χεὶρ αὐτοῦ ἡ δεξιὰ ἦν ξηρά [6,6]), Taubheit (κωφοί [7,22]), Blutfluss (ἐν ῥύσει αἵματος [8,43]), niedergebeugt sein und sich nicht aufrichten können (dies im Zusammenhang mit der Aussage, dass die Erzählfigur einen Geist der Schwäche hat7: πνεῦμα ἔχουσα ἀσθενείας […] ἦν συγκύπτουσα καὶ μὴ δυναμένη ἀνακύψαι εἰς τὸ παντελές [13,11]), Wassersucht (ὑδρωπικός [14,2]), Blindheit (τυφλοῖς [7,21]; τυφλός [18,35]) und eine Schwertverletzung am Ohr (ἀφεῖλεν τὸ οὖς αὐτοῦ τὸ δεξιόν [22,50]). Die längste Symptombeschreibung findet sich in 9,39.42: πνεῦμα λαμβάνει αὐτὸν καὶ ἐξαίφνης κράζει καὶ σπαράσσει αὐτὸν μετὰ ἀφροῦ καὶ μόγις ἀποχωρεῖ ἀπ’ αὐτοῦ συντρῖβον αὐτόν […] ἔρρηξεν αὐτὸν τὸ δαιμόνιον καὶ συνεσπάραξεν. Ein Vergleich der in 9,39.42 geschilderten Symptome mit antiken medizinischen Schriften – insbes. Hippokrates, Morb. sacr. und Flat.; Galen, Puer. epil. consil. und Loc. aff. 3,11 und 5,6; Caelius Aurelianus, Chron. 1,4; Celsus, De medicina 3,23 sowie Anonymus Parisinus, De morbis acutis et chroniis – lässt einen Rückschluss auf das antike Krankheitskonstrukt der sog. heiligen Krankheit bzw. des großen Leidens oder der Mondsucht zu.8 Als eine besonders gesteigerte Form einer physischen Auswirkung kann in den Heilungserzählungen bzw. Totenerweckungen das ImSterben-Liegen (κακῶς ἔχων ἤμελλεν τελευτᾶν [7,2]; ἀπέθνῃσκεν [8,42]) bzw. der Tod (τεθνηκώς [7,12]; τέθνηκεν [8,49]; vgl. auch νεκροί [7,22]) aufgefasst werden. In den Summarien ist generalisierter von Krankheit, Schwäche und Plagen die Rede (ἀσθενοῦντας νόσοις ποικίλαις [Lk 4,40]; τῶν ἀσθενειῶν [5,15]; τῶν νόσων [6,18]; νόσων καὶ μαστίγων [7,21]; ἀσθενειῶν [8,2]).

6 Vgl.

Bendemann, Christus der Arzt I, 40.45. Krankheitsbilder, 88, deutet dies als eine Rückführung der Krankheit auf einen Dämon. 8 Vgl. Weissenrieder, Images, 267–282; Bendemann, Heilige Krankheit?, 125, mit weiteren Bezeichnungen; Temkin, Sickness, 3–80; Leutzsch, Vermögen, 354 f. 7 Kollmann,

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2.2 Soziale Beeinträchtigungen9 Neben den physischen Einschränkungen müssen mögliche soziale Beeinträchtigungen bedacht werden, um die Auswirkungen einer Erkrankung/körperlichen Beeinträchtigung auf unterschiedliche Erzählfiguren (und ihr enges Umfeld) erfassen zu können. Am Aussatz (λέπρα) Leidende sind sozial isoliert, müssen außerhalb leben und sind aufgrund ihrer Bewertung als kultisch unrein stigmatisiert. Der Umgang mit λέπρα, ihre Feststellung, das Reinigungsritual und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft werden in Lev 13 f. besprochen, die Absonderung der Aussätzigen im Speziellen in Lev 13,45 f.10 Bereits die Kleidung der Aussätzigen macht ihren Zustand der Unreinheit für andere deutlich, darüber hinaus müssen sie ihr Kommen mit dem Ruf „unrein“ ankündigen, sollen abgesondert sitzen und sich außerhalb des Lagers aufhalten. Aufgrund dieser Regelungen folgt aus der Feststellung des Aussatzes für die davon betroffenen Personen zusätzlich der (vorübergehende) gesellschaftliche Tod, da diese aufgrund der Angst vor der Übertragung der Unreinheit isoliert wurden. Nach Num 12,12; Hiob 18,13 und 4 Reg 5,7 ist ein Aussätziger wie ein Toter, und auch für Josephus sind Aussätzige in nichts von einem Toten zu unterscheiden.11 Er schreibt, dass aussätzige Personen, menstruierende Frauen sowie weitere als unrein geltende Personen abgeschieden leben müssen (A. J. 3,261; vgl. auch 11QT 48,23–26 und 11QT 48,14–17).12 11QT 48,14–17 fügt der Auflistung weitere genitale Ausflüsse hinzu. Die Dauer des Blutflusses der blutflüssigen Frau (Lk 8,43–48) kann einen Schluss auf eine unregelmäßige weibliche Blutung zulassen,13 so dass Lev 15,25–30 zur Bewertung heranzuziehen wäre. Da aber das Wortfeld καθαρός/ἀκάθαρτος nicht verwendet wird und die Quelle des Blutflusses anders als in der mk Version14 (Mk 5,25–34) nicht genannt wird, ist die Annahme der Unreinheit der Frau nicht gesichert.15 Texte, die sich auf die Menstruation beziehen, sind Lev 15,18.20, einige weitere Verse des Alten Testaments, die Mishna-Traktate Niddah und Kelim, einige Passagen bei Josephus

  9 Nils Neumann betrachtet in seinem Beitrag in diesem Band die sozialen Konflikte innerhalb der Gemeinde. Zu Konflikten innerhalb von Wundererzählungen aus soziologischer Sicht vgl. auch Vledder, Conflict (anhand von Mt 8.9). 10 Vgl. hierzu u. a. bei Weissenrieder, Images, 129–225; Kazen, Scripture, 113–194; ders., Jesus, 98–127; Thyen, Art. καθαρότης, 538 f.; Frenschkowski/Kreuzer, Art. καθαρός, 898–907. 11 Vgl. Jos., B. J. 5,6; C. Ap. 1,31; A. J. 3,264. 12 Vgl. Kollmann, Krankheitsbilder, 92. 13 Vgl. Wolter, Lk, 325 f. 14 Die Verwendung des Nomens πηγή als Bezeichnung für die Quelle des Blutes in der Erzählung verweist auf Lev 12, wo πηγή den Uterus bezeichnet. Demnach ist der Blutfluss unter dem die Frau leidet (zumindest in der mk Variante) wahrscheinlich als genitaler Ausfluss aufzufassen, so dass die Frau gemäß Lev 15 als unrein zu bewerten ist. 15 Hierauf weist insbes. Weissenrieder, Images, 248; dies., Plage, 85, hin.

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und ein Abschnitt der Tempelrolle aus Qumran.16 Lev 20,18 und 18,19 stellen Gesetzestexte dar, die den Verkehr von Männern mit menstruierenden Frauen verbieten. Lev  15 diskutiert zwei Fälle von männlichen und zwei Fälle von weiblichen genitalen Ausflüssen. Der jeweilige Fall wird zu Beginn beschrieben, dann werden die Konsequenzen aufgeführt und die Rituale beschrieben, die zur Wiederherstellung der Reinheit notwendig sind. Zu den Konsequenzen zählen eine mögliche Übertragung der Unreinheit auf Personen und Gegenstände und eine Wartezeit.17 Während bzw. nach einer normalen Menstruation gilt eine Frau für sieben Tage als unrein, nach einer anormalen Blutung muss sie zusätzliche sieben Tage abwarten und am darauf folgenden Tag zwei Tauben als Opfer darbringen. Ihr Bett und ihr Sitz werden als unrein angesehen, auf jeden, der sie berührt, wird ihre Unreinheit übertragen, diese Person wird bis zum Abend als unrein angesehen. Ob dies auch auf Personen zutrifft, die die Frau berührt, wird kontrovers diskutiert.18 Die Regelungen in Lev 15 enthalten keine Regel über den Ausschluss aus der Gesellschaft, dies könnte darauf schließen lassen, dass Personen mit genitalem Ausfluss nicht isoliert bzw. ausgestoßen wurden.19 Neben den kultischen Bestimmungen in Lev 15 gibt es Texte, die eine Angst vor der Berührung einer menstruierenden Frau spürbar werden lassen und von einer Aussonderung der menstruierenden Frauen und von Frauen mit Blutfluss sprechen. Ein Teil der Texte setzt die Annahme voraus, dass die menstruierenden Frauen einen schädlichen magischen Effekt besäßen.20 2 Sam 3,29/LXX wertet den anormalen Ausfluss als göttliche Bestrafung. Die blutflüssige Frau wird deswegen gemäß den Reinheitsvorschriften regelmäßig als unrein betrachtet, sozial ausgeschlossen und der „Kontakt mit ihr vom Gesetz verboten“21. Ob die sozialen Beeinträchtigungen für die blutflüssige Frau aber wirklich so streng waren, ist Gegenstand von Diskussionen, da auch die Quellentexte nicht vollkommen eindeutig sind.22 Marla Selvidge und Monika Fander sind überzeugt, dass die blutflüssige Frau einem alle Lebensbereiche umfassenden Bann sozialen Kon-

16  Vgl. Jos., A. J. 3,261; B. J. 5,227; 6,427; C.Ap. 2,103. Für eine Interpretation von men­ struierenden Frauen und Frauen mit einem unregelmäßigen Blutfluss in Mischna und Talmud vgl. Cohen, Purity. 17 Vgl. Milgrom, Lev, 904; Batmartha (Petermann), Geburt, 46. 18 Zur Diskussion vgl. z. B. Metternich, Wahrheit, 82–86; Kazen, Jesus, 138–144; Kahl, Glauben, 286 f.; Fonrobert, Woman, 131–133; Milgrom, Lev, 936–953; Wright, Disposal; Batmartha (Petermann), Geburt. 19 Vgl. Kazen, Jesus and Purity, 147; Wright, Disposal, 173. 20 Vgl. Num 5,1–14 insbes. 2 f.; Ez 7,19 f.; Esra 9,11; 11QT 48,14b–17a; 4Q274 1 1,4–9; b. Pesah 111a; Plinius, Nat. 7,15,64; Diosc. Mat. med. 2,79; McDaniel, Significance, 531 ff.; Trummer, Frau, 109–118; Kollmann, Jesus, 230; Kazen, Jesus and Purity, 149 f. 21 Bovon, Lk/1, 447; ähnlich auch bei Stare, Stress, 589; Kollmann, Jesus, 230. Vgl. auch Selvidge, Woman, 88; Fander, Stellung, 193. Levine, Responsibility, 381–383, widerspricht der angenommenen Unreinheit der blutflüssigen Frau. 22 Vgl. Metternich, Wahrheit, 78–100; Kahl, Glauben, 286.

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takts unterlag.23 Fonrobert24 und Metternich25 dagegen nehmen geringere soziale Einschränkungen an26 und Kazen nimmt an, dass sich diejenigen mit genitalem Ausfluss in den Städten aufhalten durften, aber dort isoliert wurden.27 Der Besessene von Gerasa (Lk 8,26–39) wird durch die Erwähnung seiner Herkunft eingeführt, mit der auch (nicht benannte) soziale Kontakte verbunden sind bzw. waren (V. 27). Er trägt schon eine längere Zeit lang keine Oberbekleidung mehr, wird aber nicht als völlig unbekleidet geschildert. ἱμάτιον steht für Obergewand/Umhang, das/der über der Tunika getragen wird.28 Dass der Mann seit längerer Zeit kein Obergewand trägt, bedeutet, dass er nicht den sozialen Normen gemäß gekleidet ist, und zwar bereits über einen längeren Zeitraum. Er hebt sich also bereits rein äußerlich von anderen Personen ab. Eine weitere soziale Unangepasstheit zeigt sich darin, dass er in keinem Haus bleibt. Diese Aussage impliziert, dass er zwar in einem Haus wohnen könnte, dies aber aufgrund des Getriebenwerdens durch die Dämonen nicht aushält. Dies wird in scharfer Abgrenzung zur sozialen Norm noch dadurch gesteigert, dass er in den Grabhöhlen/Grabstätten bleibt, sich also an einem unreinen Ort aufhält. Er wurde mit Ketten und Fußfesseln gefesselt (was auch ungenannte körperliche Auswirkungen hat), mindestens eine Person muss die Fesseln angelegt und versucht haben, den Mann gefangen zu halten, was eine Form von Gewalt darstellt. Dies kann aber zugleich auch darauf hinweisen, dass er zumindest zeitweise noch in ein soziales Netzwerk eingebunden gewesen war. Der Ort der Gefangenschaft scheint an einem anderen Ort gelegen zu sein, möglicherweise in der Stadt, da der Mann anschließend vom Dämon in die Einöde getrieben wird. Das Besessensein hat als eine weitere Auswirkung für den Mann soziale Unterschiedenheit zur Folge, die sich zur sozialen Isolation steigert. Er erleidet Gewalt, Bewegungsbeschränkung und Eingesperrtsein, ist also auch der Macht anderer Personen ausgeliefert. Die Besessenheit resultiert in einer völligen Loslösung von sozialen Bindungen, er ist abgeschnitten, hat kein Heim, der Aufenthalt in den Gräbern dürfte einen erschwerten Zugang zu Nahrung zur Folge haben und das den Elementen ausgesetzt sein, so dass der Mann auch anfällig für weitere Krankheiten sein dürfte. Er wird also als deutlich sozial isoliert geschildert. Die sog. Heilige Krankheit bzw. morbus comitialis führt nach römischem Recht zu einer Einschränkung der Rechtsfähigkeit.29 Plinius beschreibt in Nat. 23 Unter Verweis auf Zabim 3,1 f. und Niddah 3,2. Vgl. Selvidge, Woman, 88; Fander, Stellung, 193. 24 Vgl. Fonrobert, Woman. 25 Vgl. Metternich, Wahrheit. 26 Vgl. Paul, Art. Menstruation II, 664. 27 Vgl. Kazen, Jesus and Purity, 156–159. 28 Vgl. Montanari, Brill Dictionary, s. v. 29 Vgl. Iav. Dig. 21,1,53; Ulp. 23,8,1,1; Cod. Iustin 6,23,28; Bendemann, Heilige Krankheit?, 131.

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28,35, dass vor an morbus comitialis erkrankten Personen ausgespuckt wurde. Dieses Ausspucken kann entweder als Schutz vor Ansteckung vorgenommen worden sein oder als ein apotropäischer Ritus, es trägt für die Betroffenen aber den Beigeschmack der „Ausgrenzung und Geringschätzung“30 ihrer Person,31 wodurch die davon Betroffenen in eine sozial zumindest isoliertere Position geraten. Diese Geringschätzung zeigt sich auch bei Aret., 3,4, der schreibt, dass die Betroffenen ehrlos lebten.32 Innerhalb der lk Erzählung führt der Vater des Jungen an, dass dieser sein einziger sei, so dass durch die Erkrankung des Jungen der Erhalt der Familie und die Erbnachfolge bedroht vorgestellt werden müssten. Aber nicht alle Krankheiten und Beeinträchtigungen führen zur sozialen Isolation und zum gesellschaftlichen Ausschluss; das soziale Umfeld kann auch helfend beistehen.33 In Lk finden sich mehrere Erzählungen, in denen nahestehende Erzählfiguren den kranken Erzählfiguren helfen und für sie eintreten,34 so dass eine soziale Isolation nicht für alle kranken Personen anzunehmen ist. 2.3 Religiöse und kultische Folgen Die Kultfähigkeit einiger Kranker ist aufgrund ihrer Krankheit/Behinderung beeinträchtigt. Lev 13 stellt dar, dass an Aussatz Leidende als kultisch unrein angesehen werden, woraus religiöse bzw. kultische Einschränkungen folgen.35 Dieser Zustand hält nicht nur an, bis sie genesen sind, sondern – wie Lev 14,1– 32 darstellt  – bis ein Priester ihre Reinheit festgestellt hat und sie ein Reinigungsritual vollzogen haben. Die Relevanz dieser religiösen bzw. kultischen Beeinträchtigung für das Verständnis des Lk ist daran erkennbar, dass in beiden Aussätzigenheilungen (Lk  5,12–16; 17,11–19) das Wortfeld Reinheit herangezogen wird (καθαρίσαι [5,12]; καθαρίσθητι [5,13]; τοῦ καθαρισμοῦ [5,14]; ἐκαθαρίσθησαν [17,14]; ἐκαθαρίσθησαν [17,17]) sowie dass Jesus die Aussätzigen zu den Priestern schickt. Erst im Anschluss werden die (ehemaligen) Aussätzigen als rein anerkannt und wieder in die Gesellschaft integriert. Blinde und Lahme durften nach 2 Sam 5,8 den Tempel nicht betreten und nach Lev 21,16–21 bzw. 4QMMTa sind Blinde und Gelähmte bzw. Blinde und Taube vom Priesterdienst ausgeschlossen. Nach 1QSa 2,3–8 verweigert die Qumrangemeinde Blinden, Gelähmten und weiteren Personen, die nach der Ansicht der Gemeinschaft nicht der priesterlichen Reinheit entsprechen und mit „Makel(n) behaftet[…]“ sind, die Aufnahme.36 30 Bendemann,

Heilige Krankheit?, 131. Bendemann, Heilige Krankheit?, 130 f. 32 Vgl. Bendemann, Heilige Krankheit?, 131. 33 Vgl. Kollmann, Krankheitsbilder, 91 f. 34 Vgl. u. unter Abschnitt 3.1. 35 Vgl. Bendemann, Christus der Arzt, 110; ders., Christus der Arzt I, 43; Tannehill, Lk, 257. 36 Vgl. Kollmann, Krankheitsbilder, 91. 31 Vgl.

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Blutfluss bzw. die Monatsblutung wird in Lev 15 und 11QT 48,23–26 unter ein kultisches Konzept subsumiert und zu den kultisch verunreinigenden Leiden gezählt, die eine siebentätige Absonderung notwendig macht. In der Heilungserzählung der blutflüssigen Frau wird der Kontext von kultischer Unreinheit/ Reinheit dagegen anders als bei den Aussätzigenheilungen nicht einmal erwähnt.37 Ob das Konzept von Reinheit/Unreinheit trotzdem in der Erzählung der blutflüssigen Frau mitschwingt, wird diskutiert,38 u. a. unter dem Gesichtspunkt, ob die Frau ihre mögliche Unreinheit durch aktive oder passive Berührung überträgt.39 In Bek 7,5 wird die sog. Fallkrankheit, die auf Epilepsie gedeutet wird, als Teil einer Reihe von „Makeln“ und körperlicher Merkmale genannt, die die betroffene Person zum Priesterdienst untauglich machen.40 2.4 Finanzielle Folgen Längerfristig kranke oder körperlich beeinträchtigte Personen waren in der Regel nicht in der Lage sich selbst zu versorgen, sondern waren auf die Unterstützung anderer angewiesen.41 „Daher waren Blinde im Alten Testament mit Schwangeren, Wöchnerinnen, Armen oder Waisen auf eine Stufe gestellt, die der Unterstützung durch ihr Umfeld bedürfen (Jer 31,8; Hi 29,12–16)“.42 Insbesondere wenn sie nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr arbeiten konnten, drohte ihnen die Armut und das Betteln als Mittel des Überlebens und damit als zusätzliche soziale Folge der gesellschaftliche Abstieg.43 Sie müssten zur Gruppe der absolut Armen gerechnet werden, die unterhalb des Existenzminimums lebten.44 Der blinde Mann (Lk 18,35–43) wird vom Erzähler als bettelnd eingeführt. Er scheint also arm zu sein und darauf angewiesen zu sein, sich auf diese Weise zu versorgen. Damit steht er in einem deutlichen Kontrast zum Reichtum des Zöllners Zachäus (Lk 19,1–10) und der Stadt Jericho. Ein in der Antike häufig angeführter Topos ist, dass sich eine (gute) medizinische Behandlung nur bessergestellte und wohlhabende Personen leisten konnten, eine kostenlose Behandlung kam dagegen seltener vor.45 Die blutflüssige Frau hat ihren gesamten Besitz für Ärzte ausgegeben (Lk 8,43), die ihr nicht 37 Vgl. Weissenrieder, Plage, 85; Stegemann/Stegemann, Sozialgeschichte, 326 f. Zum AT vgl. Erbele-Küster, Art. Menstruation I, 661–663. 38 Vgl. Weissenrieder, Plage; Metternich, Wahrheit. 39 Vgl. Metternich, Wahrheit, 84–86 mit Verweis auf die Unklarheiten in Lev 15; Jos., A. J. 3,261; B. J. 5,227; 6,427; C. Ap. 2,103; bZav; bNid; bKet 61a. 40 Vgl. Bendemann, Heilige Krankheit?, 145 f. 41 Vgl. Kollmann, Krankheitsbilder, 91. 42 Kollmann, Krankheitsbilder, 91. 43 Vgl. Kollmann, Krankheitsbilder, 92. 44 Vgl. Stegemann/Stegemann, Sozialgeschichte, 179. 45 Vgl. Bendemann, Christus der Arzt I, 44; Popkes, Antikes Medizinwesen, 84.

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helfen konnten. Ihre Erkrankung bzw. der Versuch sich behandeln zu lassen, hat sie demnach zusätzlich um ihren Besitz gebracht. Sie ist also auch zur Gruppe der Armen zu rechnen. Der Besessene von Gerasa wird als seit längerer Zeit nicht mal ein Obergewand tragend beschrieben und in den Grabhöhlen wohnend, so dass implizit zu erschließen ist, dass er seit Längerem auch nicht in der Lage gewesen ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und wahrscheinlich mittellos sein dürfte. 2.5 Die Not verstärkende Aspekte Es ist auffällig, dass die im NT geschilderten Krankheiten vorwiegend chronische Krankheiten darstellen, bei denen nach Platon keine Heilung durch Ärzte mehr zu erwarten ist (Plat. Resp. 405c–406d) und die in den medizinischen Schriften seltener abgehandelt werden.46 Ein Teil der in den neutestamentlichen Heilungserzählungen genannten Krankheiten – insbesondere Lähmungen und Blindheit/Augenkrankheiten – findet sich allerdings auf den Iamata von Epidauros wieder,47 wodurch ihre Heilung mit dem religiösen Bereich und dem Heilgott Asklepios verknüpft ist. Die Notsituation der kranken Personen wird in Lk erzählerisch verstärkt mittels der Betonung von Schwere und Dauer der Erkrankung: 12 Jahre währender Blutfluss (ἀπὸ ἐτῶν δώδεκα [8,43]), schweres Fieber (πυρετῷ μεγάλῳ [4,38]), voll Aussatz (πλήρης λέπρας [5,12]), 18 Jahre einen Geist der Schwäche haben (πνεῦμα ἔχουσα ἀσθενείας ἔτη δεκαοκτώ [13,11]) bzw. 18 Jahre vom Satan gebunden (ἣν ἔδησεν ὁ σατανᾶς ἰδοὺ δέκα καὶ ὀκτὼ ἔτη [13,16]), die ausführliche Beschreibung der Besessenheit des Besessenen von Gerasa und deren Auswirkungen (8,27.29) oder die ausführliche Schilderung der Krankheitsgeschichte des besessenen Jungen (9,39.42). Die Zeitangaben betonen „das Andauern und damit die Hoffnungslosigkeit der Erkrankung.“48 Bevor sie sich zu Jesus wendet, hat die blutflüssige Frau bereits mehrere Ärzte aufgesucht, die nicht in der Lage waren, sie zu heilen. Dadurch, dass sie durch die erfolglosen Heilungsversuche ihren gesamten Besitz verloren hat, hat sich ihre Situation zusätzlich verschlechtert. Der Vater des besessenen Jungen berichtet ebenfalls von einem vorherigen gescheiterten Heilungsversuch, in seinem Fall sogar durch die Jünger Jesu (9,40). In mehreren Fällen hat sich also ein vorheriger menschlicher

46 Vgl. Bendemann, Christus der Arzt, 111; ders., Christus der Arzt I, 44; vgl. Cael. Aur. Chron. praef. 3. 47 Vgl. Bendemann, Christus der Arzt, 111; ders., Christus der Arzt I, 45. Zum Asklepiuskult und den Iamata vgl. z. B. Edelstein/Edelstein, Asclepius, passim; LiDonnici, Inscriptions, passim; Temkin, Hippocrates, 79–85; auch Herzog, Wunderheilungen; Krug, Heilkunst, 120–188, insbes. 129–141; Popkes, Medizinwesen, 79–82; Steinhart, Art. Epidauros, 256 f. 48 Weissenrieder, Heilungen, 299.

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Heilungsversuch als nicht wirksam erwiesen.49 Auch dem besessenen Gerasener kann durch menschliches Einwirken nicht geholfen werden.50 Die Notsituation der Angehörigen wird besonders mittels der Verweise auf die Erkrankung des einzigen Kindes betont. Dass die einzige Tochter (8,42) bzw. der einzige Sohn (9,38) erkrankt sind, verstärkt die emotionale Not der Angehörigen, die Erkrankung des einzigen Sohnes bringt darüber hinaus die Erbnachfolge in Gefahr. Besonders schwerwiegend ist die Auswirkung des Todes des jungen Mannes von Nain auf seine verwitwete Mutter, um derentwillen Jesus den jungen Mann auferweckt. Dass der einzige Sohn der Witwe gestorben ist, bedeutet, dass die Witwe in ihrer Versorgung bedroht ist, da ihr Sohn nun nicht für ihre Versorgung sorgen kann und innerhalb der Erzählung 7,11–17 von keinen weiteren Familienangehörigen berichtet wird. All diese Aspekte betonen und verstärken die Krise/Notsituation, in der die Lesenden die erkrankten Figuren und Angehörige sehen.51 Dass vorwiegend chronische und als nicht von Ärzten heilbare Erkrankungen geschildert werden, sowie die teils weitgehenden Einschnitte und Diskriminierungen gegen die betroffenen Personen auf sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Gebieten lassen die kranken Erzählfiguren in Krisen erscheinen, die (zumindest zum Teil) aus menschlicher Sicht hoffnungslos erscheinen.

3. Aktivwerden zur Bewältigung der Krise Einige der im Lukasevangelium porträtierten Erzählfiguren versuchen, diesen Krisen aktiv zu begegnen und sie zu beheben, indem sie sich in der Hoffnung auf Hilfe und Heilung an Jesus wenden. Reinhard von Bendemann schreibt über den mk Jesus: Er wird als Anlaufstelle für diejenigen erzählt, die sich mit ihren vielfältigen Krankheiten auf der Suche nach einem Arzt sonst nicht mehr zu helfen wissen und die ihm darum ein in sonstiger Kommunikation unübliches antizipatorisches Vertrauen entgegenbringen. Solches Vertrauen kann Markus auf der Basis einer bereits geprägten frühchristlichen Sprachkompetenz als qualifizierten Glauben interpretieren.52

Dies gilt nicht nur für den mk Jesus, sondern auch für den lk Jesus. Hierbei betrifft es nicht allein diejenigen Erzählfiguren, von denen explizit vorausgehende gescheiterte Heilungsversuche wiedergegeben werden, sondern auch solche Erzählfiguren, von denen solches nicht berichtet wird. Auf eine Figurengruppe 49 Vgl. Weissenrieder, Heilungen, 299 f.; mit Bezug auf Mk bei Bendemann, Christus der Arzt, 112. 50 Vgl. Weissenrieder, Heilungen, 299. 51 Vgl. Weissenrieder, Heilungen, 299 f.; ähnlich mit Bezug auf Mk bei Bendemann, Christus der Arzt, 112. 52 Bendemann, Christus der Arzt, 124.

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geht Bendemann in dem zitierten Abschnitt nicht ein: Es sind nicht allein die Kranken selbst, die sich in Hoffnung auf Heilung an Jesus wenden, sondern auch andere Erzählfiguren wenden sich an ihn, um Hilfe für kranke Erzählfiguren zu bitten. Viele lk Heilungserzählungen und auch Summarien stellen dar, dass Erzählfiguren sich an Jesus wenden, um selbst geheilt zu werden und so ihre Krankheit zu beenden oder ihn um Heilung für andere Erzählfiguren, u. a. für ihre Kinder, zu ersuchen. Im Abschnitt 3.1 soll daher zunächst auf diejenigen Erzählungen eingegangen werden, in denen sich die nicht erkrankten Erzählfiguren an Jesus wenden, und anschließend im Abschnitt 3.2 auf die Erzählungen, in denen sich erkrankte Erzählfiguren selbst an Jesus wenden. 3.1 Andere Erzählfiguren wenden sich für die/den Kranke(n) an Jesus Im Lukasevangelium finden sich fünf Heilungserzählungen und ein Summarium, in denen sich Erzählfiguren nicht für sich selbst, sondern für andere Figuren an Jesus wenden, um Heilung zu erbitten/erwirken. Diese Erzählungen sind die Heilung der Schwiegermutter des Petrus (4,38 f.), die Heilung eines Gelähmten (5,17–26), der Hauptmann von Kafarnaum (7,1–10), die Heilung der Tochter des Jairus (8,40–42.49–56) und die Heilung des besessenen Jungen (9,37–43a). Das Summarium findet sich in 4,40 f. im Anschluss an die Heilung der Schwiegermutter des Petrus. Das Wenden der Erzählfiguren an Jesus findet sich in folgenden Abschnitten der Erzählungen bzw. des Summariums: Im Folgenden sind Gesten bzw. Taten der sich an Jesus wendenden Erzählfiguren mit Wellenlinie unterstrichen; Jesus bzw. Referenzen auf Jesus sind doppelt unterstrichen; mit weiterem Abstand gestrichelt sind die Angaben zur Erzählfigur, der die Zuwendung gegen Jesus gilt; eng gestrichelt ist das, um was Jesus gebeten wird; einfach unterstrichen ist die Beschreibung bzw. Zusammenfassung der Rede durch den Erzähler. 4,38

πενθερὰ δὲ τοῦ Σίμωνος ἦν συνεχομένη πυρετῷ μεγάλῳ καὶ ἠρώτησαν αὐτὸν περὶ αὐτῆς.

4,40

Δύνοντος δὲ τοῦ ἡλίου ἅπαντες ὅσοι εἶχον ἀσθενοῦντας νόσοις ποικίλαις ἤγαγον αὐτοὺς πρὸς αὐτόν·

5,18 f.

καὶ ἰδοὺ ἄνδρες φέροντες ἐπὶ κλίνης ἄνθρωπον ὃς ἦν παραλελυμένος καὶ ἐζήτουν αὐτὸν εἰσενεγκεῖν καὶ θεῖναι [αὐτὸν] ἐνώπιον αὐτοῦ. 19 καὶ μὴ εὑρόντες ποίας εἰσενέγκωσιν αὐτὸν διὰ τὸν ὄχλον, ἀναβάντες ἐπὶ τὸ δῶμα διὰ τῶν κεράμων καθῆκαν αὐτὸν σὺν τῷ κλινιδίῳ εἰς τὸ μέσον ἔμπροσθεν τοῦ Ἰησοῦ.

7,3–8

ἀκούσας δὲ περὶ τοῦ Ἰησοῦ ἀπέστειλεν πρὸς αὐτὸν πρεσβυτέρους τῶν Ἰουδαίων ἐρωτῶν αὐτὸν ὅπως ἐλθὼν διασώσῃ τὸν δοῦλον αὐτοῦ. 4 οἱ δὲ παραγενόμενοι πρὸς τὸν Ἰησοῦν παρεκάλουν αὐτὸν σπουδαίως λέγοντες ὅτι ἄξιός ἐστιν ᾧ παρέξῃ τοῦτο· 5 ἀγαπᾷ γὰρ τὸ ἔθνος ἡμῶν καὶ τὴν συναγωγὴν αὐτὸς ᾠκοδόμησεν ἡμῖν. 6 ὁ δὲ Ἰησοῦς ἐπορεύετο σὺν αὐτοῖς. ἤδη δὲ αὐτοῦ οὐ μακρὰν ἀπέχοντος ἀπὸ τῆς οἰκίας ἔπεμψεν φίλους ὁ ἑκατοντάρχης λέγων αὐτῷ· κύριε, μὴ σκύλλου, οὐ γὰρ ἱκανός εἰμι ἵνα ὑπὸ τὴν στέγην μου εἰσέλθῃς·

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διὸ οὐδὲ ἐμαυτὸν ἠξίωσα πρὸς σὲ ἐλθεῖν· ἀλλ’ εἰπὲ λόγῳ, καὶ ἰαθήτω ὁ παῖς μου. 8 καὶ γὰρ ἐγὼ ἄνθρωπός εἰμι ὑπὸ ἐξουσίαν τασσόμενος ἔχων ὑπ’ ἐμαυτὸν στρατιώτας, καὶ λέγω τούτῳ· πορεύθητι, καὶ πορεύεται, καὶ ἄλλῳ· ἔρχου, καὶ ἔρχεται, καὶ τῷ δούλῳ μου· ποίησον τοῦτο, καὶ ποιεῖ. 7

8,41

καὶ ἰδοὺ ἦλθεν ἀνὴρ ᾧ ὄνομα Ἰάϊρος καὶ οὗτος ἄρχων τῆς συναγωγῆς ὑπῆρχεν, καὶ πεσὼν παρὰ τοὺς πόδας [τοῦ] Ἰησοῦ παρεκάλει αὐτὸν εἰσελθεῖν εἰς τὸν οἶκον αὐτοῦ

9,38–40 καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ ἀπὸ τοῦ ὄχλου ἐβόησεν λέγων· διδάσκαλε, δέομαί σου ἐπιβλέψαι ἐπὶ τὸν υἱόν μου, ὅτι μονογενής μοί ἐστιν. 39 καὶ ἰδοὺ πνεῦμα λαμβάνει αὐτὸν καὶ ἐξαίφνης κράζει καὶ σπαράσσει αὐτὸν μετὰ ἀφροῦ καὶ μόγις ἀποχωρεῖ ἀπ’ αὐτοῦ συντρῖβον αὐτόν· 40 καὶ ἐδεήθην τῶν μαθητῶν σου ἵνα ἐκβάλωσιν αὐτό, καὶ οὐκ ἠδυνήθησαν.

a) Lk 4,38 ist Teil der kurzen Heilungserzählung der Heilung der Schwiegermutter des Petrus. Der Erzähler stellt die Erkrankung der Schwiegermutter mittels der periphrastischen Konjunktion aus ἦν (Imperfekt) mit Partizip Präsenz Passiv (συνεχομένη) dar und hebt auf diese Weise die andauernde Ergriffenheit der Schwiegermutter durch das Fieber hervor; er bestimmt das Fieber zusätzlich als „großes“ Fieber, was eine Steigerung gegenüber der mk Version der Erzählung (Mk 1,29–31) darstellt. Die Schwiegermutter ist dadurch von Erzähler als ernsthaft erkrankt vorgestellt, ohne dass das Fieber näher klassifiziert würde.53 Der Erzähler fährt fort, indem er zusammenfassend berichtet, dass eine unbenannte Figurengruppe „sie“ (ausgedrückt durch die Verbalendung der 3. Person Plural) „ihn“ (d. h. Jesus) für sie fragt bzw. bittet (ἠρώτησαν). Das Verb bedeutet in seiner Grundbedeutung „fragen“, „nachfragen“, „erfragen“, kann aber in der biblischen Tradition auch die Konnotation von „bitten“ oder „fordern“ annehmen.54 Für diese Konnotation verweist Montanari ausschließlich auf das AT und Lukasstellen im NT. In 4,38 führt der Erzähler den Inhalt der Frage bzw. Bitte nicht aus, weder als indirekte noch als direkte Frage, er muss von den Lesenden aus dem Kontext erschlossen werden. Die Zweideutigkeit des Verbs in der biblischen Tradition führt dazu, dass die Lesenden unter den möglichen Konnotationen wählen müssen – oder das Verb bewusst doppeldeutig auffassen können. Dominik Mahr schreibt: Die „fragende ‚Bitte‘ (ἠρώτησαν ērōtēsan [38c]) galt im neutestamentlichen Judentum als eine bedeutungsvolle, häufig spontane Form des Gebetes. Gemeinschaften und Einzelpersonen suchten mit ihr verschiedene Anliegen direkt vor Gott zu bringen.“55

Dies bedeutet, dass die Verwendung von ἐρωτάω zur Zusammenfassung der Frage bzw. Bitte diese als eine besonders qualifizierte Bitte kennzeichnet. Karl53 Zu antiken medizinischen Klassifizierungen von Fieber vgl. z. B. Bendemann, Hitze, insbes. Abschnitt 3. 54 Vgl. Montanari, Brill Dictionary, s. v. 55 Mahr, Heilende Macht, 537; Verweis auf Untergassmair, Art. Bitte, 56 f.

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Heinrich Ostmeyer geht in seiner Monographie zur Kommunikation dagegen im Zusammenhang des lukanischen Doppelwerks nicht auf ἐρωτάω ein, dafür aber im Kontext des Joh. Wie Ostmeyer richtig feststellt, entstammt das Verb der Alltagssprache und stellt keinen ursprünglichen terminus technicus für ein an Gott gerichtetes Bitten dar. Ostmeyer führt aus, dass das Verb in der LXX verwendet wird, um das hebräische ‫( שאל‬Qal) zu übersetzen, wenn es für „fragen“ steht; wenn ‫ שאל‬dagegen für „bitten“ steht, wird es mit αἰτέω übersetzt. Er verweist auf diese Weise auf die zwei Bedeutungsaspekte des Verbs ἐρωτάω (fragen und bitten) und darauf, dass diese nicht eindeutig unterscheidbar sind, so dass der Fragenaspekt innerhalb der LXX auch kein bloßes Erfragen von Informationen sei, sondern häufig dem Erkennen des Wesens des Gefragten dienen solle, insbes. bei Fragen nach dem Namen, in dem sich das Wesen seines Trägers manifestiert.56 Da sich das Wesen im Namen manifestiere und der Name deswegen Macht über den Namensträger verleihe, sei das Recht zu fragen eingeschränkt und die Namensfrage an himmlische Mächte werde abgewiesen, wie die Erzählung von Jakobs Kampf im Fluss Jabbok in Gen 32,23–33 zeige. Jakob wird von seinem Gegenüber nach seinem Namen gefragt und antwortet diesem auf die Frage. Auf Jakobs Frage nach dem Namen seines Gegenübers antwortet ihm dieser aber nur mit einer Gegenfrage, in der er sich nach dem Grund seiner Frage erkundigt.57 Daneben könne Fragen auch zugleich die Konnotation von InFrage-Stellen beinhalten. So führe Hiobs Anklage zu einer Befragung durch Gott (Hi 38,3; 40,7; 42,4), die Hiob seine Nichtigkeit erkennen lasse. Fragen können das Wesen der Befragten offenlegen, weswegen auch nur ausgesuchten Personen bzw. Gruppen Gott gegenüber ein Fragerecht zuerkannt werde.58 ἐρωτάω gebe demnach innerhalb der LXX keinen reinen Kommunikationsakt bzw. keine reine Frage dar.59 Stattdessen stellt es in der jüdischen Tradition eine besonders qualifizierte Frage dar. Daher ist es bezeichnend, dass der lk Erzähler hier gegenüber der mk Erzählung, in der λέγουσιν (Mk 1,30) verwendet wird, das Verb ἐρωτάω wählt, welches die Konnotationen von „fragen“ und „bitten“ in sich trägt, wodurch es besser als das mk λέγουσιν geeignet ist, um den impliziten Wunsch der Figurengruppe auszudrücken. b) Im Summarium Lk 4,40 findet sich eine kurze generalisierte Handlungsbeschreibung: Alle bringen Kranke zu Jesus. Das Zu-Jesus-Bringen wird dann in einer der nächsten Heilungserzählung (5,18 f.) exemplarisch breit ausgestaltet. Eine wörtliche oder indirekte Rede der die Kranken Bringenden oder der Kranken selbst findet sich innerhalb des Summariums nicht. Der lk Erzähler stellt das 56 Vgl. Ostmeyer, Kommunikation, 329 f. Als Frage an Gott und Engel: Gen 32,30; Ex 3,13; Ri 13,6.18; bei an Menschen gerichteten Fragen als Frage nach der Herkunft: Gen 24,47; 32,18, 43,7; vgl. Tob 7,3. 57 Vgl. Ri 13,6.18. 58 Hier verweist Ostmeyer auf Ri 18,5; 20,18.23; 1 Chr 14,10.14. 59 Vgl. Ostmeyer, Kommunikation, 330.

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Bringen als aktive Handlung dar, in der sich der implizite Wunsch äußert, dass Jesus den Kranken helfen und sie heilen könne. c) Lk 5,18 f. ist Teil der Heilung des Gelähmten (5,17–26). Männer bringen den Gelähmten zu Jesus. Der Erzähler benennt ihr Ziel, der Versuch scheitert jedoch zunächst an der Menge und der durch sie verursachten Enge. Der Erzähler beschreibt hierbei ausführlich und kleinschrittig das Bringen, das auftretende Hindernis, ihre Handlungen, ihren Einfallsreichtum und den von ihnen betriebenen großen Aufwand, den gelähmten Mann vor Jesus zu bringen. Der Fokus der Erzählung hierbei (unter Ausblendung von Jesus Diskussion mit den Schriftgelehrten und Pharisäern) liegt auf den Handlungen der Männer, es werden keine wörtliche oder indirekte Rede wiedergegeben oder durch den Erzähler zusammengefasst. Die Intention des Zu-Jesus-Bringens ist indirekt aus dem Kontext und aus vorangegangenen Heilungserzählungen und dem Heilungssummarium zu erschließen. d) In der Erzählung des Hauptmanns von Kafarnaum (Lk 7,1–10) wird der bittenden Hinwendung zu Jesus sehr breiter Raum gewidmet und in der dahinterliegenden Intention findet sich ein Hauptmerkmal und ‑aspekt der Erzählung. 7,3–8 stellt sehr breit ausgestaltet dar, was der Hauptmann unternimmt, um Jesus dazu zu bewegen, seinen kranken, im Sterben liegenden δοῦλος (7,2; in V. 7 innerhalb der Wiedergabe der Rede des Hauptmanns durch die Boten ὁ παῖς μου) zu heilen, hierauf liegt der Fokus der Erzählung. Der Erzähler führt den Hauptmann, der als treibende Kraft innerhalb der Heilungserzählung fungiert, ein, indem er ihn in seinem Verhältnis zu seinem δοῦλος vorstellt, der ihm ἔντιμος (V. 2) ist. Wahrscheinlich motiviert von den mittels ἔντιμος ausgedrückten Gefühlen wünscht der Hauptmann die Heilung seines δοῦλος, von dem er selbst als ὁ παῖς μου (V. 7) spricht. Das, was er von Jesus gehört hat (V. 3) scheint ihn davon überzeugt sein zu lassen, dass Jesus hierzu in der Lage ist. Der Hauptteil der Erzählung (V. 3–9) lässt sich anhand des Gliederungssignals δέ und entlang der Handlungen des Hauptmanns, die darin bestehen, dass er zwei Gruppen als Boten aussendet, sowie Jesu jeweilige Reaktion darauf gliedern. V. 3–6a stellen den ersten größeren textsemantischen Abschnitt dar, V. 6b–9 den zweiten Abschnitt. Im ersten Abschnitt beschreibt der Erzähler, dass der Hauptmann eine erste Gruppe von Boten aussendet, die aus den Ältesten der Juden bestehen. In seinem Wunsch um Heilung für eine andere Person ist der Hauptmann einem Teil der anderen Erzählfiguren vergleichbar, die Jesus um Hilfe und Heilung für kranke Erzählfiguren ersuchen. Er bittet Jesus aber nicht selbst für eine bereits anwesende kranke Erzählfigur oder für einen von ihm selbst zu Jesus gebrachten Kranken, stattdessen bleibt er lokal von Jesus entfernt und schickt seinerseits Boten aus, die er Jesus fragen bzw. bitten lässt, zu kommen und den δοῦλος zu heilen bzw. zu retten (διασώσῃ60). Der Erzähler verwendet in 7,3 60 Zu

diesem Verb vgl. Abschnitt 3.4.

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erneut ἐρωτάω in einem 4,38 vergleichbaren Kontext, um auszudrücken, dass Jesus um etwas gefragt bzw. gebeten wird. Hier wird ausdrücklich ausgeführt, worum Jesus gebeten wird: ὅπως ἐλθὼν διασώσῃ τὸν δοῦλον αὐτοῦ.61 In der von der zweiten Botengruppe wiedergegebenen wörtlichen Rede des Hauptmanns, verwendet dieser stattdessen das Verb ἰαθήτω, das verwendet wird, um die erfolgreiche medizinische Behandlung auszudrücken. Es ist dieses Verb, das auch in den literarischen Belegen aus Epidauros, Athen, Kos und Pergamon genutzt wird, um das heilende Eingreifen des Gottes Asklepios zu beschreiben.62 Da in der Rede der Boten von „heilen“ die Rede ist, trägt διασώσῃ als Wiedergabe des Wunsches des Hauptmanns wahrscheinlich eher die Konnotation von „heilen“ statt von „retten“. Die Ältesten der Juden attestieren Jesus gegenüber in wörtlicher Rede den Charakter des Hauptmanns und bezeugen, dass er es wert sei, dass Jesus ihm seine Bitte erfülle. Der Erzähler fasst die direkte Rede der ersten Botengruppe mit παρεκάλουν zusammen, womit er zugleich eine Bewertung der Rede vornimmt, und bewertet ihre von ihm als παρεκάλουν zusammengefasste Rede darüber hinaus als inständig (σπουδαίως [7,4]), was deren Qualität intensiviert. Das Verb παρακαλέω kann in Lk die Bedeutungen „ermahnen“ (3,18), „trösten“ (16,25) und „bitten“ annehmen.63 Die Bedeutungskonnotationen „ermahnen“ und „trösten“ passen vom Kontext der Erzählung bei der Verwendung in 7,4 nicht, so dass die Konnotation von „bitten“ am wahrscheinlichsten erscheint. Παρακαλέω drückt ein intensiveres Bitten aus als δέομαι,64 was hier mittels der Qualifizierung als σπουδαίως explizit verstärkt wird. Eine mittels παρακαλέω zusammengefasste Bitte an Jesus findet sich bei Lk neben 7,4 noch in der Bitte der Dämonen in der Heilungserzählung des besessenen Geraseners (8,31 f.) und in der Bitte des Jairus in der Heilungserzählung der Tochter des Jairus (8,41). Allen drei Bitten ist gemein, dass sie mit einer Anerkennung der Autorität Jesu und Unterwerfung unter sie verbunden sind.65 Auffällig ist, dass die Ältesten auf die Würdigkeit des Hauptmanns nachdrücklich hinweisen, die Person aber, um deren Heilung gebeten wird und die todkrank ist, nicht einmal erwähnen. Die erste Reaktion Jesu beschreibt der Erzähler ausgesprochen knapp: Jesus entspricht der Bitte, indem er die Gruppe der Ältesten begleitet (V. 6a). Der zweite Abschnitt (V. 6b–9) setzt zeitlich später und mit einem Orts- und Figurenwechsel ein. Die Gruppe der Ältesten verschwindet aus der Erzählung, stattdessen nimmt der Erzähler nun nur noch Bezug auf Jesus, obwohl er die Äl61 Die Wahl des Verbs διασώσῃ innerhalb der Darstellung des Erzählers ist auffällig und wird in Abschnitt 3.4 näher betrachtet. 62 Wells, Greek Language, 100 f. 63 Vgl. Ostmeyer, Kommunikation, 310. 64 Vgl. Ostmeyer, Kommunikation, 310. 65 Vgl. Ostmeyer, Kommunikation, 310 f.

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testen begleitet. Der Hauptmann sendet eine zweite Gruppe von Boten aus, nun die Gruppe seiner Freunde, die er Jesus ehrerbietend als κύριε66 (V. 6) anreden und sagen lässt, dass er unwürdig sei67, dass Jesus sein Haus betrete oder dass er selbst zu Jesus komme. Auf diese starke Betonung seiner eigenen Unwürdigkeit Jesus gegenüber, der demgegenüber mit der Ehrenbezeichnung „Herr“, in der auch eine Unterordnung unter seine Autorität und Anerkennung derselben enthalten ist, angesprochen wird, folgt der Wunsch um Heilung des παῖς, die das Vertrauen erkennen lässt, dass der Hauptmann der Autorität und Macht Jesus entgegenbringt. Er sagt, dass, wenn Jesus nur ein Wort (λόγῳ, V. 7) spreche, sein παῖς geheilt (ἰαθήτω) werde. Dies scheint für ihn unabhängig davon gegeben, ob Jesus sich räumlich beim παῖς befindet oder das Wort aus der Distanz spricht. Er erklärt seine darin ausgedrückte Überzeugung in Jesus Heilungsautorität mittels eines seiner Erfahrung entstammenden Vergleichs mit der militärischen Befehlsstruktur, Autorität und Gehorsam gegenüber der Autorität (V. 8). e) Die nächste Erzählfigur, die sich stellvertretend für eine andere, kranke Figur an Jesus wendet, ist Jairus innerhalb der Heilungserzählung der Heilung seiner Tochter. Jairus ist ein Vorsteher einer Synagoge,68 dementsprechend eine Autoritätsperson und ein wichtiges Mitglied der jüdischen Gesellschaft, der einem Haus vorsteht. In 8,41 wendet er sich mit einer Bitte an Jesus. Er vollzieht zwei Handlungen, um Jesus dazu zu bewegen, seiner Bitte nachzukommen.69 Die erste Handlung besteht in einer körperlichen Geste, die er vor der Menge – also in aller Öffentlichkeit – vollzieht: Er fällt zu Jesus Füßen nieder, was eine Unterwerfungsgeste darstellt und körpersprachlich seine Unterordnung70 unter Jesu Autorität ausdrückt. Die zweite Handlung besteht in seiner als indirekte Rede wiedergegebenen an Jesus gerichteten Bitte, die der Erzähler mit παρακαλέω71 im Imperfekt zusammenfasst. Mittels der Imperfektform wird ausgedrückt, dass die Bitte des Jairus eine länger anhaltende Handlung darstellt. Als Inhalt der Bitte wird zunächst allein der Wunsch geäußert, dass Jesus in sein Haus kommen möge. Jairus’ Motivation, die Bitte zu äußern, wird in einer mittels ὅτι eingeführten Erklärung (V. 42) ausgeführt: Seine einzige Tochter

66 Vgl. Fitzmyer, Lk/1, 647.652. Zu κύριε vgl. Abschnitt 4.3; Toit, Hoheitstitel, 516 f.; Rowe, Christology, passim; Zimmermann, Namen, 187–193. 67 Man beachte den Gegensatz zur Rede der Rede der ersten Botengruppe und deren Bewertung des Hauptmanns. 68 Ein ἄρχων τῆς συναγωγῆς ist für die generelle Leitung der Gemeinde zuständig, während ein ἀρχισυνάγωγος für das Abhalten des Gottesdienstes zuständig war. Es war aber möglich, dass eine Person beide Positionen bekleidete. Eine Gemeinde konnte auch mehr als einen ἄρχων und ἀρχισυνάγωγος haben. Vgl. Schürer, History II, 434–436; Wolter, Lk, 325; Kahl, Glauben, 285. 69 Vgl. Kahl, Glauben, 280. 70 Vgl. Wolter, Lk, 325. 71 Zu παρακαλέω s. o.

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liegt im Sterben.72 Die der Bitte zugrundeliegende Intention wird dagegen nicht explizit benannt,73 sie kann aber aus dem Kontext der Erzählung und den vorausgehenden Heilungserzählungen, insbesondere 7,3, erschlossen werden.74 Da die Tochter im Sterben liegt (hierin ist sie dem Sklaven des Hauptmanns vergleichbar), ist sie nicht in der Lage, selbst zu Jesus zu kommen und kann auch nicht zu ihm gebracht werden; folgerichtig muss Jesus sie aufsuchen75 oder wie in 7,1–10 eine Fernheilung vornehmen. Jairus agiert hier als Stellvertreter seiner Tochter, übernimmt die Initiative und wendet sich an Jesus. Eine Begründung für den Zustand der Tochter oder eine Angabe der Dauer dieses Zustands wird nicht genannt.76 Der lk Erzähler konzentriert sich auf die lebensbedrohliche Situation der Tochter und das Leiden des Jairus, das dadurch intensiviert wird, dass es sich bei ihr um seine einzige Tochter handelt. Dies ruft nach einem unverzüglichem Eingreifen Jesu. f) Die letzte Erzählfigur, die sich für eine erkrankte Erzählfigur an Jesus wendet, findet sich in 9,38–40 beim Vater des Erkrankten innerhalb der Heilungserzählung des besessenen Jungen (9,37–43a). Der Vater des Jungen wendet sich mit einer langen direkten Rede an Jesus, die der Erzähler als βοάω zusammenfasst. Das Verb βοάω drückt aus, dass jemand laut ruft oder schreit;77 im Kontext einer Not- oder Leidensäußerung oder -klage wird es bei Lk noch in 18,7 (als Anrufung Gottes78) und 18,38 (an Jesus gerichtet) verwendet, so dass es im dritten Evangelium die Konnotation eines eine Not kommunizierenden Schreis79 erhält.80 Der Mann beabsichtigt mit seinem Rufen, Jesu Aufmerksamkeit zu erregen und wünscht – unter Berücksichtigung des Inhalts seiner in direkter Indikativ Imperfekt stellt ein imperfectum de conatu dar, vgl. BDR § 326.  Vgl. Kahl, Glauben, 280. 74 Vgl. Wolter, Lk, 325. 75 Vgl. Fischbach, Totenerweckungen, 12: „Sofern der Wundertäter nicht auf einen Leichenzug trifft (so Lk 7,11f; Vit Ap 4,45), stellt das Herbeirufen/-holen des Wundertäters ein Typikum für Totenerweckungen dar, weil es dort erzählerisch und sachlich eine Notwendigkeit ist“. Vgl. auch Wolter, Lk, 324. 76  Vgl. Kahl, Glauben, 280. Schiffer, Identität, 151–158, nimmt an, dass das Mädchen an Anorexia nervosa leidet. Sie erschließt dies vom Alter des Mädchens und daher, dass der Text über ihre Nahrungsaufnahme schweigt, nachdem Jesus befohlen hat, ihm Essen zu bringen. Weissenrieder, Images, 257–267, dagegen vermutet, dass das Mädchen am hystera phenomena leiden könnte. Diese Interpretationen sind aber beide nicht eindeutig; der Text weist zu wenige Hinweise auf, als dass auf ein Krankheitskonstrukt geschlossen werden könnte. Die Krankheit der Tochter wird weder genannt noch beschrieben. Dies stellt einen großen Unterschied zu vielen Heilungserzählungen dar, die von antiken Ärzten berichtet werden. In diesen wird regelmäßig die Krankheit als auch ihre Unheilbarkeit beschrieben, um zu erklären, warum die Behandlung fehlgeschlagen ist. Vgl. Müri, Arzt, 16–19. 77 Vgl. Louw/Nida, Lexicon, Bd. 2, 33.81; Liddell/Scott, s. v. βοάω; Montanari, s. v. βοάω. 78 Vgl. Ostmeyer, Kommunikation, 312. 79 Vgl. Kirchschläger, Jesu exorzistisches Wirken, 138 f.; Bovon, Lk/1, 509. 80 In der Apg 25,24 hat das Verb eher die Konnotation eines Zornschreis. Vgl. Bovon, Lk/1, 509. 72 Dieser 73

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Rede geäußerten Bitte –, Jesus die Notsituation seines Sohnes sowie seine eigene zu schildern und um Hilfe zu bitten. Der Vater beginnt seine direkte Rede mit einer ehrenvollen Anrede Jesu als διδάσκαλε und einer betonten Hervorhebung, dass er sich mit einer ausdrücklich an Jesus adressierten (σου) Bitte (δέομαι) an ihn wendet, bevor er den eigentlichen Inhalt seiner Bitte benennt. Die Anrede als διδάσκαλε anstelle eines Hoheitstitels sieht Ostmeyer als bewusstes Zur-Seite-Drängen einer religiösen Deutung81 des die Not kommunizierenden Rufes. Denn δέομαι stellt ein eher neutrales Verb dar, dass sowohl im profanen als auch im religiösen Kontext verwendet wird, es stellt eine weniger intensive Bitte dar, als mit παρακαλέω ausgedrückt werden würde. Bei der Verwendung als bittende Hinwendung wird bei Lk jeweils der Zweck und der Inhalt der Bitte genannt.82 Ostmeyer wertet die Nutzung in an Jesus gerichteten Bitten als keine terminologische Hervorhebung, es ginge „dezidiert nicht um die Hervorhebung seiner Person oder um das Akzentuieren eines Geschehens.“83 Der Vater bittet Jesus, auf seinen Sohn zu schauen. ἐπιβλέψαι ἐπί bedeutet „to look upon, to look attentively“84 bzw. „to turn one’s gaze, look carefully“ und „to examine, observe, consider“.85 Louw/Nida, die die Begriffe anhand semantischer domains ordnen, verstehen ἐπιβλέπσαι ἐπί als „to take special notice of something, with the implication of concerning oneself“86 oder „to provide help, with the implication of having taken special notice of“.87 ἐπί weist dabei auf die Person hin, die spezielle Aufmerksamkeit erhält.88 Die Wortverbindung ἐπιβλέψαι ἐπί stellt ein häufig verwendetes Motiv in alttestamentlichen Texten89 dar, wo es als ein Motiv der positiven Zuwendung Gottes zu Personen, Personengruppen oder Israel erscheint, das einen Platz in Gebetsäußerungen und in Heilsverheißungen einnimmt.90 Beate Ego schreibt, „das Schauen Gottes ist Ausdruck seines Rettungshandelns.“91 In medizinischen Texten der griechisch-römischen Antike kann ἐπιβλέπειν die medizinische Untersuchung eines Patienten und seiner physischen Konstitution beschreiben.92 Die Wortverbindung kann dem81 Vgl.

Ostmeyer, Kommunikation, 313. Ostmeyer, Kommunikation, 305 f. 83 Ostmeyer, Kommunikation, 307. 84 Lust/Eynikel/Hauspie, A Greek-English Lexicon of the Septuagint, s. v.; vgl. ebenso Liddell/Scott, s. v. 85 Montanari, Brill Dictionary, s. v. 86 Louw/Nida, Lexicon, Bd. 2, 30.45; vgl. Bd. 1, 97. 87 Louw/Nida, Lexicon, Bd. 2, 35.8, vgl. Bd. 1, 97. 88 Vgl. Bovon, Lk/1, 509. 89 Z. B. 1 Reg 1,11; 9,16; 3 Reg 8,28; Jdt 6,19; 13,4; Tob 3,3.15; Ez 36,9; Jes 66,2; Ps 14,16; 68,17; 83,10; 101,18; 118,132 (alle Stellen beziehen sich auf die LXX). 90 Vgl. Marshall, Lk, 390 f.; Wolter, Lk, 357; Bovon, Lk/1, 509. 91 Ego, Tob, 1329. 92 Vgl. Galen, In Hp. Hum. comm. 1,1 (K 16, 13.58); In Hp. Hum. comm. 1,18 (K 16, 176); In Hp. Epid. 2 comm. 3,8 (K 17 A. 402); In Hp. Epid. 3 comm. 2,6 (K 17 A. 627); et al. Vgl. Hobart, Language, 18 f. 82 Vgl.

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nach auch einfach die Untersuchung einer erkrankten Person ausdrücken und muss nicht notwendigerweise eine religiöse Konnotation besitzen. Seine eigene emotionale Betroffenheit und Notlage hebt der Mann hervor, indem er anführt, dass der Sohn sein einziger Sohn ist. Er schildert ausführlich die Ergriffenheit seines Sohnes durch den Dämon und einen vorangehenden – erfolglosen  – Versuch, Hilfe von Jesu Jüngern zu erhalten, die er bereits um einen Exorzismus gebeten hatte. Hier verwendet er zur Kontrastierung der Bitte an Jesus mit der gescheiterten Bitte an die Jünger ebenfalls δέομαι. Die ausführlichen Ergänzungen zur eigentlichen Bitte (ἐπιβλέψαι ἐπὶ τὸν υἱόν μου) innerhalb der direkten Rede des Mannes dienen der Betonung der Notlage, sollen Jesu Mitgefühl wecken und ihn zur Heilung bewegen. 3.2 Die Kranken wenden sich selbst an Jesus Im Lukasevangelium finden sich vier Heilungserzählungen und ein Summarium, in denen sich Erzählfiguren für ihre eigene Heilung an Jesus wenden. Diese Erzählungen sind die Heilung des Aussätzigen (5,12–16), die Heilung der blutflüssigen Frau (8,43–48), die Heilung der zehn Aussätzigen (17,11–19) und die Heilung des Blinden (18,35–43). Das Summarium findet sich in 6,17–19: 5,12

Καὶ ἐγένετο ἐν τῷ εἶναι αὐτὸν ἐν μιᾷ τῶν πόλεων καὶ ἰδοὺ ἀνὴρ πλήρης λέπρας· ἰδὼν δὲ τὸν Ἰησοῦν, πεσὼν ἐπὶ πρόσωπον ἐδεήθη αὐτοῦ λέγων· κύριε, ἐὰν θέλῃς δύνασαί με καθαρίσαι.

6,18 f.

οἳ ἦλθον ἀκοῦσαι αὐτοῦ καὶ ἰαθῆναι ἀπὸ τῶν νόσων αὐτῶν· καὶ οἱ ἐνοχλούμενοι ἀπὸ πνευμάτων ἀκαθάρτων ἐθεραπεύοντο, 19 καὶ πᾶς ὁ ὄχλος ἐζήτουν ἅπτεσθαι αὐτοῦ, ὅτι δύναμις παρ’ αὐτοῦ ἐξήρχετο καὶ ἰᾶτο πάντας.

8,44

προσελθοῦσα ὄπισθεν ἥψατο τοῦ κρασπέδου τοῦ ἱματίου αὐτοῦ καὶ παραχρῆμα ἔστη ἡ ῥύσις τοῦ αἵματος αὐτῆς.

17,13

καὶ αὐτοὶ ἦραν φωνὴν λέγοντες· Ἰησοῦ ἐπιστάτα, ἐλέησον ἡμᾶς.

18,38 f.41 καὶ ἐβόησεν λέγων· Ἰησοῦ υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με. […] καὶ οἱ προάγοντες ἐπετίμων αὐτῷ ἵνα σιγήσῃ, αὐτὸς δὲ πολλῷ μᾶλλον ἔκραζεν· υἱὲ Δαυίδ, ἐλέησόν με. 41 ὁ δὲ εἶπεν· κύριε, ἵνα ἀναβλέψω.

a) Die erste Erzählfigur, die sich um Heilung bittend an Jesus wendet, ist ein Mann, der an Aussatz leidet (5,12). Der Aussatz scheint stark zu sein, da der Erzähler die Krankheitsbeschreibung um πλήρης ergänzt. Als der Mann Jesus sieht, trägt er sein Anliegen zweischrittig an Jesus heran. Er fällt (vor Jesus) auf sein Angesicht nieder, was eine Unterwerfungsgeste93 darstellt. Außerdem richtet er seine Bitte an Jesus, die der Erzähler als direkte Rede wiedergibt und als ἐδεήθη94 zusammenfasst. Er beginnt seine Rede mit einer ehrenvollen 93 Vgl. 94 Vgl.

Wolter, Lk, 217. o. zu δέομαί.

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Anrede Jesu als κύριε95, wodurch er ihm Respekt zollt96 und seine Autorität anerkennt. Sein Verhalten (Unterwerfungsgeste) und seine Anrede Jesu korrespondieren miteinander.97 Obwohl der Erzähler die direkte Rede als „bitten“ bewertet und sie vom Satzgehalt her auch eine Bitte darstellt, ist sie nicht als Bitte formuliert,98 sondern verweist auf Jesu Entscheidungsmacht und Willen. Der Mann drückt sein Vertrauen in Jesu Macht und Autorität aus, indem er sagt, dass Jesus ihn καθαρίσαι (rein machen) könne, wenn er es wolle. Die Aussage impliziert die aktuelle Unreinheit des Mannes sowie seinen Wunsch, diesen Status zu verlassen und rein zu werden. Seine Heilung vom Aussatz erbittet er damit nicht explizit, sie ist aber implizit in die Bitte integriert. Die gewählte Formulierung der Bitte korrespondiert mit den von dem Mann bereits gezeigten Zeichen seiner Anerkennung von Jesus Autorität und vervollständigt seine Wahrnehmung von Jesus Person. Wolter schreibt treffend, „dass seine Heilung durch Jesus keine Frage des Könnens, sondern lediglich des Wollens ist; die Bitte ist also in die sprachliche Gestalt einer christologischen Prädikation gekleidet“.99 Ob die christologische Prädikation aber auch auf der Erzählebene in den Gedanken der Erzählfigur des aussätzigen Mannes präsent ist, ist zumindest zu bezweifeln. Auf der Ebene des Erzählvorgangs zwischen Verfasser und Lesenden ist sie jedenfalls gegeben. b) Das Summarium 6,17–19 zeigt einen deutlichen Fokus auf die Motivation und Intention der zu Jesus Gekommenen. Eine große Menge ist aus ganz Judäa, Jerusalem, dem Küstengebiet von Tyros und Sidon gekommen. Sie sind von ihrem Wunsch, von ihm von ihren Krankheiten geheilt zu werden (6,18), motiviert. Sie werden alle als aktiv handelnd geschildert, denn sie alle versuchen, Jesus zu berühren. Ihre Intention, ihn zu berühren, erklärt der Erzähler damit, dass eine Kraft (δύναμις) von Jesus ausgeht und alle heilt (6,19). Die Vorstellung, der von Personen (oder auch Gegenständen) ausgehenden Dynamis findet sich im lk Doppelwerk neben 6,19 noch in 8,44 und in Apg 5,15; 19,22. Die Dynamis wurde als eine Art Ladung verstanden, mit denen Personen oder Gegenstände aufgeladen sind. Über Berührung kann die Dynamis übertragen werden und dabei sowohl eine heilende als auch eine schädigende Wirkung entfalten.100 Die ausgehende Kraft erscheint dabei als umso größer, je geringer die Berührung ausgefallen ist. Die Vorstellung findet sich z. B. auch bei Plutarch, der berichtet, dass Pyrrhus Milzsüchtige mit seinem Fuß geheilt habe (Pyrrh. 3,7–9).101   95 Zu

κύριε vgl. Abschnitt 4.3. z. B. Marshall, Lk, 209.   97 Vgl. Wolter, Lk, 217.   98 Wolter, Lk, 217, schreibt, dass sie als Aussage formuliert ist.   99 Wolter, Lk, 217. 100 Vgl. Theissen, Wundergeschichten, 71; Grundmann, Art. δύναμαι, 288–292; Wolter, Lk, 244 f.; vgl. van der Horst, Peter’s Shadow, 204–212; ders., Schatten, 27–36. 101 Vgl. Theissen, Wundergeschichten 71 f.   96 Vgl.

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c) Die Heilungserzählung der blutflüssigen Frau stellt eine beispielhafte, narrative Ausgestaltung dessen dar, was im Summarium in 6,19 narrativ verdichtet und generalisierend geschildert wird. Auch hier liegt der Fokus auf der Handlung, die die erkrankte Erzählfigur vollzieht,102 nämlich dem Berühren des Saums des Gewandes Jesu. Die Frau leidet seit 12 Jahren an Blutfluss, konnte von keinem Arzt geheilt werden103 und hat ihren gesamten Besitz für die erfolglosen Heilungsversuche ausgegeben,104 was bedeutet, dass sie zusätzlich als arm gekennzeichnet ist, wodurch ihre Notsituation umso dringlicher erscheint. Sie nähert sich Jesus anders als die bisherigen Erzählfiguren aus dem Verborgenen und tritt von hinten an ihn heran. Die Frau berührt (ἥψατο [8,44]) einen Zipfel von Jesus Gewand. Im Gegensatz zur mk Version berichtet der lk Erzähler die Gedanken der Frau nicht, weswegen ihre Motivation und Intention aus dem Kontext zu erschließen sind; sie kann möglicherweise aus dem Summarium 6,19 erschlossen werden. Erst in V. 47 – als geraffter Bericht ihrer öffentlichen Aussage ihrer Begründung und konstatierten Heilung – wird darauf verwiesen, dass sie Jesus bewusst berührt hat. Den Grund hält der Erzähler aber scheinbar auch in V. 47 für so offensichtlich, dass er es nicht für notwendig erachtet, ihn zu nennen. Die Frau und Jesus haben keinen sprachlichen Austausch, bevor die Heilung erfolgt; ebenso wenig wird ein Augenkontakt hergestellt oder findet eine sonstig geartete Form des Kontakts zwischen ihnen statt.105 Die Erzählung beschreibt eine Kontaktheilung, die ohne Jesus Handeln und sogar Wissen erfolgt,106 der verbale und nonverbale Austausch zwischen der Frau und Jesus findet erst im Anschluss an die Heilung und Jesus Nachforschung statt. Das Verb ἅπτομαι stellt ein Schlüsselwort in Heilungserzählungen dar, die Heilungen berichten, die durch Berührung erfolgen. Wenn ἅπτομαι in Heilungsgeschichten von Jesus verwendet wird, wird es i. d. R. auf zwei alternative Arten eingesetzt: Entweder berührt Jesus die erkrankte Person und heilt sie mittels der Berührung, oder die erkrankte Person berührt Jesus und wird augenblick-

102  Vgl. bei den Erzählfiguren, die sich für andere an Jesus wenden, die Männer, die den Gelähmten zu Jesus bringen. 103 Die Erwähnung gescheiterter Heilungsversuche stellt einen regelmäßig verwendeten Topos in antiken Heilungserzählungen dar. Vgl. Aelian, Nat. an. 9,33; Tob 2,10; Weinreich, Heilungswunder, 195 f.; Kollmann, Jesus, 230. 104 Ich betrachte den Text, wie er im Haupttext des NTG28 präsentiert wird, auch wenn der Halbvers ἰατροῖς προσαναλώσασα ὅλον τὸν βίον (43b) textkritisch umstritten ist. Nur ein Teil der Handschriften enthält diese Aussage. Sie fehlt in p75 B (D) 0279 sys sa armen georg, Orig, so dass es denkbar ist, dass der Halbvers als Angleichung an Mk 5,26 ergänzt wurde. Die Lesart von NTG28 ist dennoch gut bezeugt und stellt inhaltlich eine zusätzliche Verdeutlichung der Notlage der Frau dar, was sich in das lk Profil einfügen lässt, weswegen der Halbvers hier mit einbezogen wird. Vgl. Metzger, Commentary, 145; Wolter, Lk, 326; Bovon, Lk/1, 445 f. Anders Stare, Stress, 585. 105 Vgl. Stare, Stress, 585 f. 106 Vgl. Wolter, Lk, 326.

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lich geheilt.107 Die Berührung bzw. der Körperkontakt hat „in erster Linie den Zweck, den körperlich oder geistig Schwächeren zu stärken.“108 Gerd Theissen stellt fest: „Je geringer der heilende Kontakt ist, umso größer erscheint die überfließende Kraft.“109 Dieser Vorstellung entsprechend fügt der lk Erzähler τοῦ κρασπέδου in die aus Mk übernommene Erzählung ein, wodurch der Kontakt der Frau zu Jesus weiter minimiert wird ohne dass sich das Ergebnis (ihre augenblickliche Heilung) ändert. Die Einfügung hebt die Macht bzw. Wirkungsmacht von δύναμις hervor. Die Frau berührt ausschließlich einen Zipfel von Jesus Gewand – sie hat weitestgehend keinen Kontakt mit Jesus – und wird trotzdem augenblicklich geheilt. Die von den anderen Erzählfiguren eingesetzten Mittel, Jesus Hilfe zu erhalten, finden sich in der Erzählung der blutflüssigen Frau erst, nachdem Jesus nach der Person fragt, die ihn berührt hat. Sie kommt zitternd heran und fällt vor Jesus nieder. Nun begegnet sie Jesus direkt, wie es auch Jairus getan hat. Ihr Verhalten ihm gegenüber lässt auf ihre Wahrnehmung seiner Person schließen. Das Vor-ihm-Niederfallen drückt als Mittel nonverbaler Kommunikation aus, dass sie sich unter seine Autorität unterordnet.110 Die Emotion der Angst und das Zittern stellen ein angemessenes menschliches Verhalten in der Gegenwart Gottes dar.111 Die Frau reagiert mit diesem Verhalten und dieser körperlichen Reaktion auf die Gegenwart von und direkte Begegnung mit Jesus. In geraffter Erzählweise berichtet der Erzähler, dass sie vor dem Volk (λαός) ihre Motivation erklärt und dass ihre Heilung unmittelbar eingetroffen ist. d) In Lk 17,11–19 wenden sich zehn Aussätzige an Jesus. Der Erzähler lokalisiert den Ort des Geschehens am Rande eines Dorfes, als Jesus hineingehen will. Die Männer bleiben in Distanz zu Jesus stehen, womit sie den in Lev 13 festgelegten Regelungen nachkommen. Wie der einzelne aussätzige Mann (Lk 5,12–16) ergreifen aber auch sie die Initiative und richten eine inständige Bitte an Jesus, die der Erzähler in direkter Rede wiedergibt und von der er sagt, dass sie zu ihrer Äußerung ihre Stimme erheben (ἦραν φωνὴν [17,13]), also lauter sprechen oder rufen. In direkter Rede adressieren sie Jesus zweifach, indem sie ihn mit seinem Namen und dem Titel ἐπιστάτης im Vokativ ansprechen. Dieser Titel findet sich als Anrede Jesu in Lk noch in 5,5; 8,24.45 und 9,33.49. Mit Ausnahmen von 17,13 sind es immer Jesu Jünger, die sich mittels des Titels ἐπιστάτα an Jesus wenden.112 ἐπιστάτης bezeichnet eine Person, die eine höhere Position bekleidet als die Person, die den Titel zur Anrede nutzt.113 Dies zeigt sich auch in griechischen Texten der Antike, in denen ἐπιστάτης in 107 Vgl.

Rupprecht, Art. ἅπτομαι, 1198. Contactus, 405. 109 Vgl. Theissen, Wundergeschichten, 71. 110 Vgl. Stare, Stress, 586. 111 Vgl. Lohmeyer, Mk, 103; Gnilka, Mk/1, 216; Metternich, Wahrheit, 214–216. 112 Vgl. Grimm, Art. ἐπιστάτης, 93 f.; Glombitza, Titel, 276. 113 Vgl. Grimm, Art. ἐπιστάτης, 93 f. 108 Wagenvoort, Art.

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unterschiedlichen Kontexten zur Anwendung kommt. Es kann einen ägyptischen Aufseher,114 einen hochrangigen Offizier,115 einen Mahut,116 oder einen Aufseher von Herden bezeichnen.117 Der Erzähler des Lk scheint seine Erzählfiguren den Titel ἐπιστάτης nutzen zu lassen, um ihre Unterordnung unter Jesus Stellung innerhalb der Jüngergruppe und ihre Anerkennung seiner Autorität zeigen zu lassen. Wenn seine Jünger Jesus als ἐπιστάτα ansprechen, dient dies als Hinweis auf Jesus Autorität und Verantwortungsrolle innerhalb einer spezifischen Personengruppe.118 Die Verwendung in 17,13 fällt aus diesem Bild zunächst heraus, da es hier die zehn Aussätzigen sind, die Jesus unter Benutzung dieses Titels anreden und sie nicht zum Kreis der Jüngergruppe gehören. Indem sie aber Jesus im Inhalt ihrer Rede inständig und flehend um Hilfe bitten, erkennen sie seine Autorität und Macht an und unterstellen sich seiner Macht,119 so dass sich ihre Anrede Jesu als ἐπιστάτης in das Konzept einfügt, das der Verwendung von ἐπιστάτα in Lk zugrunde liegt. Die Männer bitten, dass Jesus sich ihrer erbarme (ἐλέησον ἡμᾶς)  – nicht, dass er sie heile oder rein mache (worum der aussätzige Mann in 5,12–16 bittet). Indem sie Jesus darum bitten, sich ihrer zu erbarmen, greifen sie eine Wortverbindung/ein Motiv auf, das besonders in den Psalmen häufig auftritt. Dort wird ἐλέησον ἡμᾶς oder ἐλεησόν με regelmäßig verwendet, um die Bitte verschiedener Personen an Gott um Rettung auszudrücken.120 Damit lässt der Erzähler die Figurengruppe der zehn Aussätzigen eine Wortwahl nutzen, die sich an die Gebetssprache der Psalmen anlehnt und somit als gebetsartige Sprache erscheint. Die Bitte um Erbarmen stellt den eigentlichen Inhalt der inständigen Bitte dar.121 e) Die letzte Erzählfigur, die sich mit einer Bitte um Heilung an Jesus wendet, ist ein blinder Mann, der an einer Straße zu Jericho bettelt. Auf diese Erzählung wird unter Abschnitt 4 noch ausführlicher eingegangen. Er trägt seine Bitte zweifach in Form eines Rufes bzw. Schreis an Jesus heran. Der Erzähler charakterisiert die erste Bitte mit dem Verb ἐβόησεν122 (18,38), die zweite, erneut vorgetragene Bitte mit dem Verb ἔκραζεν (18,39). Dies stellen vom Erzähler vorgenommene Zusammenfassungen der Bitten dar, deren Inhalt je als direkte Rede wiedergegeben wird. ἔκραζεν wird ergänzt um πολλῷ μᾶλλον, was eine ausdrückliche Steigerung zur vorherigen verbalen Äußerung signalisiert. Ost114 Vgl.

Philo, Post. 54; Ex 1,11; 5,14. 4 Reg 25,19; PRyl 2,68,2. 116 Vgl. Polyb 1,40,11. 117 Vgl. Sophoc., Aj. 27. Vgl. Oepke, Art. ἐπιστάτης, 619, mit weiteren Beispielen. 118 Vgl. Grimm, Art. ἐπιστάτης, 94; Wolter, Lk, 213. 119 Vgl. Grimm, Art. ἐπιστάτης, 94. 120 Vgl. Ps 6,3; 9,14; 24,16; 25,11; 26,7; 30,10; 40,5.11 (alle LXX); Wolter, Lk, 572 mit weiteren Stellenangaben. 121 Vgl. Staudinger, Art. ἔλεος, 1048 f.; vgl. auch Esser, Art. ἔλεος, 112. 122 Zu βοάω s. o. bei Anm. 77. 115 Vgl.

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meyer nimmt an, dass ἐβόησεν und ἔκραζεν synonym verwendet werden,123 ich sehe dagegen bereits in der Wahl der Verben eine gesteigerte Intensität ausgedrückt, die der Erzähler mittels πολλῷ μᾶλλον verstärkt. Wenn Jesus der Adressat der mittels κράζω formulierten Rede ist, sprechen ihn die Erzählfiguren entweder mit einem Hoheitstitel an (8,28; 18,39) oder identifizieren ihn mit einem Hoheitstitel (4,34.41).124 Hierbei ist auffällig, dass es sich mit Ausnahme des blinden Mannes immer um Dämonen handelt, deren Rede der Erzähler mittels κράζω zusammenfasst und die eine besondere Kenntnis Jesu Person besitzen, die über das Wissen der menschlichen Erzählfiguren hinausgeht. Beide Bitten richtet der blinde Mann ausdrücklich an Jesus, den er in der ersten Bitte namentlich anspricht und in beiden Bitten als Sohn Davids125 anredet, womit er auf Jesus Herkunft und Abstammung verweist. Wie die zehn Aussätzigen bittet der blinde Mann Jesus (zunächst) in beiden Bitten nicht explizit um Heilung, sondern darum, sich seiner zu erbarmen (ἐλέησόν με). Der Erzähler lässt den blinden Mann demnach ebenfalls eine gebetsartige Sprache sprechen. Auf Jesu Rückfrage, in der er explizit nach dem Wunsch des Mannes fragt (ἐπηρώτησεν αὐτόν τί σοι θέλεις ποιήσω; [18,40 f.]), konkretisiert der Mann seine Bitte in direkter Rede – eingeleitet mit dem kommunikativen Terminus εἶπεν –, in der er Jesus erneut explizit anspricht, wobei er nun den Titel κύριε126 im Vokativ verwendet. Die Bezeichnung Jesu als κύριε zeigt die Unterordnung des Mannes unter Jesu Autorität und sein Wissen um Jesu Autorität. Seine Bitte konkretisiert er nun als ἵνα ἀναβλέψω (18,41), womit er zuvorderst um physische Heilung (um die Herstellung seiner Sehkraft) bittet, die aber dadurch auch seine Arbeitsfähigkeit (wieder-)herstellt und seine Gesamtsituation verbessert. In den Erzählungen, in denen die Erzählfiguren ihren Wunsch um Hilfe durch Jesus entweder für sich selbst oder andere verbal (vom Erzähler zusammengefasst, als indirekte oder direkte Rede) zum Ausdruck bringen, kommt eine Terminologie zur Anwendung, mit der entweder lautes Rufen oder Schreien ausgedrückt wird oder bitten und betteln. Die Erzählfiguren, die rufen bzw. schreien, befinden sich in einer gewissen Distanz zu Jesus und versuchen verzweifelt, Jesu Aufmerksamkeit zu erregen; sie müssen die Distanz überbrücken und setzen hierzu als Mittel das Rufen ein. Diejenigen Erzählfiguren, die mittels des vom Erzähler gewählten Kommunikationsterminus als bittend bzw. bettelnd geschildert werden, befinden sich bereits in Jesu Nähe und unterstützen ihre Bitten z. T. mit körperlichen Gesten, indem sie ihr Gesicht zu Boden beugen (5,12) oder zu Jesu Füßen niederfallen (8,41). Dass sich der aussätzige Mann nicht in Distanz zu Jesus befindet, lässt sich insbesondere daraus schließen, dass Jesus nahe genug ist, ihn zu berühren – ohne dass der Erzähler berichtet, 123 Vgl.

Ostmeyer, Kommunikation, 311. Ostmeyer, Kommunikation, 313. 125 Zum Titel „Sohn Davids“ s. u. in Abschnitt 4 (Anm. 221). 126 Hierzu s. u. in Abschnitt 4. 124 Vgl.

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dass er herantritt oder sich ihm auf andere Weise nähert (5,13). Die Schilderung des An-Jesus-Wendens gewinnt dabei an Intensität. Vom relativ vagem ἐρωτάω in 4,38 (für sie fragen/bitten) steigert sich die Darstellung über die Ergänzung von nonverbaler Sprache in Form von Gesten, der Verwendung von expliziter Ruf- und Bittterminologie und der Einfügung von indirekter oder wörtlicher Rede, in denen der Inhalt der Bitten wiedergegeben wird. Ein besonderer Fokus auf der Hinwendung zu Jesus liegt dabei in der Erzählung des Hauptmanns von Kafarnaum und dem Vertrauen des Hauptmanns darauf, dass Jesus selbst eine Fernheilung vollbringen könne. Die Erzählungen und Summarien, in denen sich die Erzählfiguren nicht mit verbalen Mitteln an Jesus wenden, zeigen eine Fokussierung auf die von ihnen vollzogenen Handlungen und z. T. auf ihrer hinter ihrem Agieren liegenden Motivation. 3.3 Kommunikative Gebetstermini, nonverbale Sprache und der Umgang mit den Ebenen Diesem Beitrag liegt ein inklusives Verständnis von Gebeten zugrunde, was bedeutet, dass die Kategorie Gebet sowohl Bitt- als auch als Dankgebete inkludiert.127 Gebete stellen eine Kommunikation mit einer Gottheit dar, in der diese adressiert bzw. angesprochen oder gepriesen werden kann.128 Uri Ehrlich hat demonstriert, dass Gebete nicht ausschließlich aus gesprochener oder geschriebener Sprache bestehen, sondern auch nonverbale Sprache miteinbeziehen.129 In seiner Monografie zur Kommunikation analysiert Ostmeyer, wie die Autoren des Neuen Testaments spezifische Terminologie verwenden, um die Kommunikation mit Gott und bzw. Christus zu beschreiben, die als Gebet bezeichnet werden könnte. Dem Ansatz seiner Untersuchung entsprechend konzentriert er sich auf die Form der Kommunikation, nicht auf den Inhalt.130 Hier sollen diese Einsichten zum Gebet bzw. zur Kommunikation bedacht werden, es soll also nicht allein die Form der Kommunikation betrachtet werden, sondern auch deren Inhalt und die nonverbale Sprache, die einige Erzählfiguren innerhalb der Heilungserzählungen zeigen. Nonverbale Sprache, die sich innerhalb der Erzählungen zeigt, stellt das Sich-vor-Jesus-Niederbeugen bzw. -Niederwerfen dar, das sich in Lk 5,12 und 8,41 findet. Hiermit drücken die beiden Erzählfiguren jeweils ihre eigene Niedrigkeit gegenüber Jesus aus sowie ihre Anerkennung seiner Autorität und ihre 127 Vgl. Grol, Psalm, 45; Kilney, Prayer, 1; de Long, God, 20; Newman, Book. Generell zu Gebet vgl. Ostmeyer, Kommunikation; Cullmann, Gebet; Ehrlich, Language; Ott, Gebet; Fenske, Gebete; Hvalvik/Sandnes, Prayer; McDowell, Prayers; Manns, Prayer; Hinson, Persistance. 128 Vgl. Kilney, Prayer, 1; Ostmeyer, Kommunikation. 129 Vgl. Ehrlich, Language. 130 Vgl. Ostmeyer, Kommunikation.

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Unterwerfung unter sie. Diese Geste findet sich jeweils in Verbindung mit einer von ihnen vorgebrachten Bitte, wobei die Unterwerfungsgeste erfolgt, bevor sie ihr Anliegen vorbringen. In einigen der Erzählungen, in denen sich Erzählfiguren mit der Bitte um Heilung für sich selbst oder andere an Jesus wenden, wird in der Darstellung der Bitten um Hilfe eine Terminologie verwendet, die auch als sog. kommunikative Gebetstermini verwendet wird. Verwendete kommunikative Gebetstermini sind: ἐρωτάω (4,38; 7,3), παρακαλέω (7,4; 8,41), δέομαί (5,12; 9,38); βοάω (9,38; 18,38) und ἔκραζεν (18,39). Weitere kommunikative Termini, die verwendet werden, sind: λέγω (7,6; 18,41) und ἦραν φωνὴν (17,13). Bis auf Einbindung von δέομαί innerhalb der Figurenrede des Vaters in 9,38 finden sich die Verben, die auch als kommunikative Gebetstermini aufgefasst werden können, immer als vom Erzähler vorgenommene Zusammenfassung der an Jesus gerichteten Bitte der Erzählfiguren. Inhaltlich enthalten die Bitten selbst: die Bitte, dass Jesus kommen möge (7,3; 8,41), die Bitte um Heilung (oder Reinigung) (5,12; 7,3; 18,41 [implizit auch 4,38]), Aussagen zur Autorität Jesu (7,6–8), die eigene Unwürdigkeit gegenüber der Autorität Jesu (7,6), die Anerkennung der Autorität Jesu über die Verwendung von Titeln/Hoheitstiteln (5,12; 7,6; 9,38; 17,13; 18,38.39.41) und der Aussage, dass die Erfüllung der Bitte allein eine Frage des Wollens Jesu darstelle (5,12), die Macht von Jesu Wort (7,7, erklärt in 7,8), eine Explizitmachung der Bitte (9,38), ἐπιβλέψαι ἐπί (9,38), ἐλέησον ἡμᾶς oder ἐλέησόν με (17,13; 18,38.39) sowie Aussagen, die die Notlage unterstreichen (9,38–40). Die Erzählungen zeigen eine starke Konzentration auf die kommunikativen Gebetstermini und die eigentlichen Inhalte der Bitten, wobei die beiden aber nicht zwangsläufig zusammen auftreten; als kommunikativen Terminus der Rede der zweiten vom Hauptmann ausgesendeten Botengruppe und für den auf Jesu Nachfrage hin konkretisierten Wunsch des Blinden wählt der Erzähler Formen von λέγω. Es gibt aber auch (wenige) Erzählungen, in denen sich der Wunsch bzw. die Intention der Figuren darin äußert, dass sie agieren, ohne dass von ihnen eine mittels eines kommunikativen (Gebets)terminis zusammengefasste Bitte, eine die Bitte ausdrückende (in-)direkte Rede oder eine nonverbale Sprache narrativ entfaltet wird. Diese Erzählungen sind die Heilung des Gelähmten und die Heilung der blutflüssigen Frau, die je narrative Ausgestaltungen der Heilungssummarien 4,40 und 6,18 f. darstellen. Ostmeyer schlussfolgert regelmäßig für die Verwendung der sog. kommunikativen (Gebets-)termini, dass ihr Auftauchen in den Bitten der heilungssuchenden Erzählfiguren kein Gebet darstellt, da diese Bitten nicht an Gott oder den erhöhten Christus adressiert sind.131 Blickt man rein auf die Erzählebene und 131 Vgl.

z. B. Ostmeyer, Kommunikation, 310.

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die an den irdischen Jesus gerichteten Bitten der Erzählfiguren, insbesondere die Verwendung von δέομαί in der Figurenrede des Vaters, ist Ostmeyer zuzustimmen; dies wäre aus der Sicht der Erzählfiguren heraus nicht denkbar. Bedenkt man aber, dass mit Ausnahme von δέομαί in 9,38 alle herangezogenen sog. kommunikativen Gebetstermini als beurteilende Zusammenfassung des Erzählers erscheinen und Lk einen bewusst gestalteten Erzählvorgang für eine Leserschaft darstellt, eröffnet sich eine weitere Sichtweise auf die Begriffswahl. Hierzu trägt z. T. auch die in den geäußerten Bitten herangezogene Wortwahl und Motivik bei (ἐπιβλέψαι ἐπί, ἐλέησον ἡμᾶς bzw. ἐλέησόν με, Autorität der angesprochenen Erzählfigur, eigene Unterordnung unter die angesprochene Erzählfigur, Beschreibung der Notlage), die Vokabular und Vorstellungen nutzt, die in der LXX in an Gott gerichtete Gebete verwendet werden.132 Das vom Erzähler gewählte Vokabular erscheint als bewusst gewählt, da es ihm einerseits auf der Erzählebene ermöglicht, die an Jesus gerichteten Bitten um Heilung auszudrücken, es andererseits aber auch auf der Ebene des Erzählvorgangs mehr zu transportieren in der Lage ist und eine christologische Aussage an die Leserschaft tätigt. Die gewählten Formulierungen wecken Anklänge an die alttestamentlich an Gott gerichteten Bittgebete. Dies insbesondere, wenn die Hinweise auf die Unterwerfung unter die Autorität Jesu und ihre Anerkennung miteinbezogen werden. Mittels seiner Wortwahl ist der Erzähler somit in der Lage auf den unterschiedlichen Ebenen und den mit diesen Ebenen verbundenen Kommunikationssituationen unterschiedliche Kommunikationsaussagen zu tätigen. Die auf der Erzählebene geäußerten Bitten sind auf der Ebene des Erzählvorgangs durchlässig für die christologische Aussage, dass die Erzählfiguren sich in einer solchen Form an Jesus wenden, wie sich traditionell an Gott gewandt wird und Jesus somit als Stellvertreter Gottes und mit göttlicher Autorität ausgestattet erscheint. Indem der Erzähler also die sog. kommunikativen Gebetstermini, die nonverbale Sprache und weitere/s, der Gebetssprache entstammende/s Motivik bzw. Vokabular einsetzt, zeigt er einen kunstvollen Umgang mit den unterschiedlichen Kommunikationsebenen seines Textes. 3.4 Πίστις und σῷζω In mehreren dieser Erzählungen, in denen sich Erzählfiguren zur Behebung einer durch Krankheit verursachten Notlage an Jesus wenden, spielt der Glaube (πίστις) eine wichtige Rolle. Jesus heilt, weil er den Glauben der sich an ihn wendenden Erzählfiguren wahrnimmt bzw. eine von ihnen vollzogene Handlung als Ausdruck von Glauben bewertet. Wem dieser Glaube gilt, den Jesus wahrnimmt, wird in den Heilungserzählungen nicht explizit gemacht, so dass 132 Vgl. beispielsweise 1 Reg 1; 9; 3 Reg 8; Jud 6; 13; Tob 3; Ez 36; Jes 66; Ps 6; 9; 14; 24; 25; 26; 30; 40; 68; 83; 101; 103; 118; Sir 2; PsSal 2; 13 (alle Stellen beziehen sich auf die LXX).

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der Erzähler geschickt offenlässt, ob der Glaube der Erzählfiguren Gott oder Jesus zum Gegenstand hat:133 „Damit erreicht der Erzähler, dass Jesus in einer Art Funktionseinheit mit Gott erscheint“.134 Das erste Vorkommen von „Glaube“ in einer Heilungserzählung findet sich in der Heilung eines Gelähmten (Lk 5,17–26). Mehrere Männer bringen einen Gelähmten, decken das Dach ab, als sie nicht zu Jesus kommen können und lassen den gelähmten Mann durchs Dach herab, um ihn vor Jesus legen zu können. Diese Handlungen werden vom Erzähler und in der Wahrnehmung Jesu als πίστις bewertet (ἰδὼν τὴν πίστιν αὐτῶν, 5,20), was Jesu Aussage der Sündenvergebung und im weiteren Verlauf auch die Heilung des Gelähmten (entwickelt über das Streitgespräch) veranlasst. Es ist umstritten, auf welche Figuren sich das Personalpronomen αὐτῶν in V. 20 bezieht und wessen Glaube Jesus demnach wahrnimmt. Wolter bezieht die Beurteilung auf das Abdecken des Dachs, so dass er wohl den Glauben auf die Freunde bezieht,135 und auch Bock, Böttrich und Marshall beziehen das Personalpronomen allein auf diese;136 Bovon, Fitzmyer und Konradt – letzterer mit Blick auf die mt Parallele – verstehen hingegen den Gelähmten als in das Personalpronomen miteinbezogen.137 Am Handeln der Männer zeigt der lk Erzähler anschaulich, dass Glaube aktiv werden und handeln lässt: „Die vier Träger sprechen in der Erzählung kein einziges Wort, aber sie handeln auf eine zielstrebige, auf den Erfolg ihrer Unternehmung vertrauenden Weise“,138 die einen sichtbaren Beleg ihres Glaubens darstellt. Auch in der Erzählung des Hauptmanns von Kafarnaum (7,1–10) findet sich eine von Jesus vorgenommene Beurteilung als Glaube, die sich hier auf die Botschaft des Hauptmanns bezieht. Den Glauben des Hauptmanns bewertet Jesus in Figurenrede in komparativer Weise als größer als andere Vorkommen von Glauben, die ihm in Israel unterkommen.139 Die direkte Rede richtet Jesus aber nicht wie bei anderen Heilungserzählungen („dein Glaube hat dich gerettet/ geheilt“) als eine Zusage an den Hauptmann oder seine Boten, sondern an die anwesende Menge (ὄχλῳ [7,9]), die er mittels „ὑμῖν“ ausdrücklich adressiert. Seine Rede stellt eine positive Bewertung des vom Hauptmann gezeigten Verhaltens dar. Die besondere Größe des Glaubens des Hauptmanns könnte darin bestehen, dass dieser Jesu Wort eine solche Macht zutraut, sowie darin, dass er Jesu Vollmacht erkennt bzw. um ihrer weiß und überzeugt ist, dass, wenn Jesus in seiner Vollmacht einen Befehl erteilt, dieser befolgt werden muss – so wie

133 Vgl.

Böttrich, Glaube, 407. Glaube, 407. 135 Vgl. Wolter, Lk, 222. 136 Vgl. Bock, Lk/1, 481; Böttrich, Glaube, 419; Marshall, Lk, 213. 137 Vgl. Bovon, Lk/1, 247; Fitzmyer, Lk/1, 582; Konradt, Rede, 430. 138 Böttrich, Glaube, 419. 139 Vgl. Konradt, Rede, 428 (mit Bezug auf Lk und Mt). 134 Böttrich,

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auch die Soldaten des Hauptmanns seine Befehle befolgen.140 V. 8 erläutert über die Aufnahme des semantischen Schlüsselworts ἐξουσία, warum der Hauptmann der Überzeugung ist, dass Jesus Wort seine Wirkmacht auch aus der Distanz entfalten kann.141 Weil Jesus ἐξουσία besitzt, wird sein Wort befolgt. Über das Stichwort ἐξουσία wird eine Verbindung zu 4,32 (Jesu Wort [λόγος] in Vollmacht) und 4,36 („Was ist dies für ein Wort, denn in Vollmacht und Kraft befiehlt er den unreinen Geistern und sie fahren aus?“) hergestellt, wo eine explizite Verbindung von Jesus Wort und seiner Vollmacht gezogen wird. In der Erzählung von der blutflüssigen Frau (8,43–48) liegt der Grund, wegen dessen die Frau den Zipfel von Jesus Obergewands berührt, in einer narrativen Lücke. Der Ablauf der Heilungserzählung sowie deren Semantik rufen bei den Lesenden aber das vorangegangene Heilungssummarium in Lk  6,18 f. in Erinnerung. Dort versuchen alle Anwesenden, Jesus zu berühren, weil eine Kraft von ihm ausgeht und er alle heilt. Es ist anzunehmen, dass die semantische Verbindung das Summarium aufrufen soll, so dass der Grund für das Handeln der Frau implizit aus dem Summarium zu erschließen ist und die Heilung der Blutflüssigen eine Beispielerzählung zum generalisierten Geschehen des Summariums darstellt. Jesus wertet die Handlung der Frau und ihren impliziten Wunsch bzw. ihre implizite Erwartung durch die Berührung geheilt zu werden, als Glaube (8,48). Diese Bewertung Jesu erfolgt innerhalb einer an die Frau gerichteten Rede Jesu, innerhalb derer er sie als Tochter bezeichnet und ist in Form des Zuspruchs „dein Glaube hat dich gerettet/geheilt“ formuliert. Jesus verstärkt diesen Zuspruch, indem er ihn um den Zusatz „Geh hin in Frieden“ ergänzt. Im darauffolgenden Fortgang der Jairuserzählung wird der Glaube erneut thematisiert, nun als von Jesus gefordertes Verhalten des Jairus (8,50). In der Heilungserzählung der zehn Aussätzigen findet sich eine weitere von Jesus vorgenommene Beurteilung als Glaube. Bei Wiederkehr des Samaritaners lobt dieser Gott und beugt sich vor Jesus nieder (ἔπεσεν ἐπὶ πρόσωπον παρὰ τοὺς πόδας αὐτοῦ [17,16]). Diese körperliche Geste macht seine sichtbare Unterordnung kenntlich und zeigt seine Jesus entgegengebrachte Ehrerbietung, die er zusätzlich um sein Ausdrücken seiner Dankbarkeit ergänzt, welche der Erzähler als εὐχαριστῶν (V. 16) zusammenfasst. Jesus wertet auch die vom Samaritaner gezeigten Handlungen innerhalb einer an den Samaritaner gerichteten Figurenrede als Glauben, wobei er erneut die Formulierung in Form einer Zusage wählt: ἡ πίστις σου σέσωκέν σε (V. 19). Hier ist das Verhältnis zur körperlichen Heilung nicht so klar wie bei den anderen Heilungserzählungen, da auch die anderen neun Aussätzigen rein wurden und vom Samaritaner ausgesagt wurde, dass er merkt, dass er geheilt (ἰάθη [17,15]) wurde. Von den anderen neun sagt Jesus dagegen aber explizit nicht aus, dass ihr Glaube sie gerettet habe. Hier 140 Vgl. 141 Vgl.

Konradt, Rede, 442 f. (mit Bezug auf Mt 8,5–13). Konradt, Rede, 444.

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scheint σῷζω auch auf der Erzählebene mehr als eine rein körperliche Heilung zu bezeichnen. In Lk 18,42 wertet Jesus die Handlung des Blinden, die in seinem hartnäckigen Rufen besteht, als Glaube; auch diese Beurteilung nimmt Jesus erneut in Form eines an den blinden Mann gerichteten Zuspruchs vor, den er hier mit dem Heilungsbefehl (ἀνάβλεψον) verknüpft. Wie der Überblick gezeigt hat, interpretiert der lk Jesus die Zuversicht und das Vertrauen, die die sich an ihn wendenden Erzählfiguren in Jesus heilende und rettende Vollmacht und Kraft zeigen und welche ihm entgegengebracht werden, als Glaube (πίστις),142 wie Bendemann es auch im oben angeführten Zitat für Mk ausdrückt: Er wird als Anlaufstelle für diejenigen erzählt, die sich mit ihren vielfältigen Krankheiten auf der Suche nach einem Arzt sonst nicht mehr zu helfen wissen und die ihm darum ein in sonstiger Kommunikation unübliches antizipatorisches Vertrauen entgegenbringen. Solches Vertrauen kann Markus auf der Basis einer bereits geprägten frühchristlichen Sprachkompetenz als qualifizierten Glauben interpretieren.143

Dieser Aspekt des Glaubens entspricht dem jüdischen Verständnis, das sich in Schriften der jüdischen Tradition zeigt.144 Hier zeigt sich menschlicher Glaube als festes, glaubendes Vertrauen (auf Gott) und als „Haltung unerschütterlicher Zuversicht darauf, daß Jahwe Schutz gewährt“145 und korrespondiert damit der Treue Gottes zu seinem Volk Israel.146 Zum Teil wird der in den Heilungserzählungen gezeigte Glaube mit dem (bittenden) Gebetsglauben in Verbindung gesetzt,147 weil er der Heilung vorangeht148 und sich darin äußert, dass in Jesu heilende Macht vertraut wird.149 Den von den Erzählfiguren implizit oder explizit vorgebrachten Bitte um Heilung sowie ihren darauf ausgerichteten Handlungen antwortet Jesus, indem er ihren Bitten entspricht und Heilung wirkt. Konradt schreibt, dass Jesus als Gottes „agent“ Wunder wirke, wo ihm Glauben begegne,150 – für Lk ist dem zuzustimmen, aber hinzuzufügen, dass er nicht nur dort heilend wirkt, sondern auch selbst Heilungen initiiert. 142 Vgl. auch Neumann, in diesem Band, 149 (mit Bezug auf 7,50); Wolter, Lk, 222. Dieses Phänomen findet sich auch in Mk und Mt. Zu Mk vgl. Toit, Heil, 193; zu Mt vgl. Konradt, Rede, passim; vgl. auch Bendemann, Christus der Arzt, 124. 143  Bendemann, Christus der Arzt, 124. 144 Vgl. Kaiser, Art. Glaube, 944–947; Hieke, Glaubt ihr nicht, 27–41; Konradt, Rede, 425; Barth, πίστις, 217 f. 145 Lührmann, Art. Glaube, 56. 146 Vgl. Kaiser, Art. Glaube, 945; Klein, Art. Faith I, 690. Wichtige alttestamentliche Texte zum Glaubensverständnis sind insbes. Jes 7,9; 28,16; Gen 15,4; Hab 2,4 und 2 Chr 20,20, vgl. Kaiser, Art. Glaube, 944. 147 Vgl. Bultmann, Art. πιστεύω κτλ., 206; Lohse, Glaube, 343–345; Konradt, Rede, 426. 148 Vgl. Konradt, Rede, 426; Barth, πίστις, 224. 149 Hierauf kommt Abschnitt 4.3 zurück. 150 Vgl. Konradt, Faith, 696.

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In den Heilungserzählungen stellt der lk Erzähler Glaube und Rettung bzw. Heilung in einen kontextuellen Zusammenhang und stellt eine Verbindung zwischen Glaube und Rettung/Heilung her.151 Das erste Mal, dass der Erzähler die beiden Begriffe bzw. Motive  – da beide Begriffe Vorstellungskomplexe transportieren  – gemeinsam in einer Heilungserzählung verwendet, stellt die Erzählung des Hauptmanns von Kafarnaum dar (7,1–10). Der Erzähler beschreibt die hinter der Aktivität des Hauptmanns liegende Intention als Wunsch, dass Jesus den δοῦλος διασώσῃ. Aufgrund der Bedeutung, die dem Verb σῷζω innerhalb der kommenden Heilungserzählungen beikommt, ist die vom Erzähler vorgenommene Wahl des Verbs διασώσῃ auffällig. In der wiedergegebenen direkten Rede des Hauptmanns wählt dieser stattdessen das Verb ἰαθήτω welches nicht die Konnotation von „retten“ trägt, so dass der Hauptmann mit seiner Rede die Heilung des δοῦλος beabsichtigt. Da in der Rede von „heilen“ die Rede ist, trägt διασώσῃ als Wiedergabe des Wunsches des Hauptmanns wahrscheinlich eher die Konnotation von „heilen“ anstelle von „retten“; die Wortwahl des Erzählers bezweckt darüber hinaus aber wahrscheinlich auch das Aufrufen der Konnotation „retten“ und der damit bei Lk verbundenen Vorstellungskomplexe.152 Innerhalb der Erzählung stellt der Erzähler (oder auch Jesus) aber noch keine logische, semantische Verknüpfung zwischen den Begriffen Glaube und διασώσῃ sowie den damit transportierten Vorstellungen her. Einen expliziten Zusammenhang zwischen Glaube und σῷζω lässt der lk Erzähler Jesus herstellen, wobei insbesondere auf den als Heilszusage in Figurenrede Jesu formulierten Satz „Dein Glaube hat dich gerettet/geheilt/gesund gemacht“ (ἡ πίστις σου σέσωκέν σε) zu verweisen ist, den Jesus viermal spricht.153 Der Erzähler berichtet diesen Satz dreimal als Teil der die Erzählung prägnant abschließenden Figurenrede Jesu (Lk 7,50; 8,48; 17,19) und einmal als letzte Figurenrede vor dem Bericht des Eintretens der Heilung und der Reaktion des Geheilten und der Menge (18,42): 7,50

εἶπεν δὲ πρὸς τὴν γυναῖκα· ἡ πίστις σου σέσωκέν σε· πορεύου εἰς εἰρήνην.

8,42

ὁ δὲ εἶπεν αὐτῇ· θυγάτηρ, ἡ πίστις σου σέσωκέν σε· πορεύου εἰς εἰρήνην.

17,19 καὶ εἶπεν αὐτῷ· ἀναστὰς πορεύου· ἡ πίστις σου σέσωκέν σε. 18,42 καὶ ὁ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτῷ· ἀνάβλεψον· ἡ πίστις σου σέσωκέν σε.

Diese Zusagen erfolgen je an Erzählfiguren, die sich auf eigene Initiative hin an Jesus gewendet haben. An drei von ihnen erfolgt die zusätzliche Aufforderung „hinzugehen“ (πορεύου [7,50; 8,42; 17,19]), womit die Vorstellung eines Aufbruchs verknüpft ist.154 Bezeichnenderweise berichtet der Erzähler von der Er151 Vgl.

Böttrich, Glaube, 409. zur Verwendung von σῷζω zur Beschreibung der Heilung auch Lk 8,36. 153 Vgl. Böttrich, Glaube, 409. 154 Vgl. Böttrich, Glaube, 410. 152 Vgl.

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zählfigur, die Jesus nicht zum „hingehen“ auffordert, dass sie Jesus nachfolgt (ἠκολούθει αὐτῷ [18,43]). Neben dieser prägnanten Aussage stellt Jesus in einer weiteren Heilungserzählung (der Heilung der Tochter des Jairus)155 eine Verbindung zwischen Glaube und Rettung/Heilung her, wobei diese Verknüpfung nicht erneut in Form einer Feststellung bzw. Zusage vorgenommen wird, sondern als eine Handlungsaufforderung. In 8,50 fordert Jesus Jairus auf „μὴ φοβοῦ, μόνον πίστευσον, καὶ σωθήσεται.“ Jesus stellt den Glauben (πίστις) nicht als Tatsache fest, sondern benennt ihn als geforderte Handlung des Jairus, weswegen er die Verbform πίστευσον und nicht das Substantiv πίστις wählt. Wenn Jairus Jesu Aufforderung nachkommt, so stellt er ihm in Aussicht, wird seine Tochter gerettet/geheilt. Der Glaube des Jairus wird somit zur Bedingung der Rettung/Heilung seiner Tochter gemacht. Dennoch ist Glaube bei Lk nicht generell als Bedingung der Heilung/ Rettung misszuverstehen,156 dies ist bereits an den Heilungserzählungen erkennbar, in denen Jesus die Initiative ergreift. Die Deutung des Verbs σῷζω in Heilungserzählungen wird regelmäßig diskutiert, was auf seine Polysemie zurückzuführen ist.157 Insbesondere wird gefragt, ob der Satz ἡ πίστις σου σέσωκέν σε eine soteriologische Aussage darstellt. Grundlegend auf die Polysemie des Verbs und seine Deutungsmöglichkeiten geht Bärbel Bosenius in ihrem Aufsatz „,Retten‘ oder ,Heilen‘“ ein, in dem sie als mögliche Lösung der Problematik die kognitive Semantik158 ansieht.159 Bei Heranziehung dieser Methodik evoziert σῷζω drei Frames: 155 Vgl.

auch 8,12 in der Deutung des Sämannsgleichnisses. Böttrich, Glaube, 413 f., mit Verweis darauf, dass die Verbindung von Glaube und Rettung als Teil eines Beziehungsgeschehens begriffen werden müsse und dass die Erzählungen, in denen der Zusammenhang thematisiert werde, als Begegnungsgeschichten formuliert seien. 157 Vgl. z. B. das Eingehen auf die Problematik und die unterschiedlichen Deutungen bei Schrage, Heil, 197; Bendemann, Krankheit, 165; Bruce, Acts, 321; Petersen, Acts, 407; Den Heijer, Portraits, 108; Lindemann, Einheit, 242; Schreiber, Paulus, 72 f. Johannes Nützel, Jesus, 177 f., versteht es als (endzeitliche) Rettung, deren Zusage häufig „an den Glauben gebunden“ (177) sei und die in den von Jesus gewirkten Heilungen bereits erfahrbar werden. Vgl. auch Toit, Heil, 191 f., der in Mk einen inneren Zusammenhang zwischen Jesus irdischen Heilungen und dem endzeitlichen Heil erkennt, da die von Jesus vollzogenen Heilshandlungen eine Prolepse des endzeitlichen Heils darstellten: „Die als Glaubenserzählungen erzählten Heilungserzählungen (2,1–12; 5,21–43; 9,14–29; 10,46–52) illustrieren dies in episodischer Entfaltung: Jesu Verkündigung des Evangeliums provoziert Glauben als ein uneingeschränktes, beharrliches Vertrauen darauf, dort, wo Gottes geistbegabter Bote auftritt, Heilung bzw. Heil durch Gottes Schöpfungsmacht erfahren zu können. Die Erfahrung endzeitlichen Heils ist also eine Erfahrung des endzeitlichen Handelns des Schöpfergottes – die Heilungen und Speisungen sind als Prolepsen von Gottes endzeitlicher Neuschöpfung verstanden!“ (193) 158 Grundlegend zur kognitiven Semantik vgl. Busse, Frame-Semantik. 159 Vgl. Bosenius, Retten, 170–173 (generell zur kognitiven Semantik) sowie 174–183 (Anwendung auf Mk). 156 Vgl.

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1. den Heilungs-Frame, 2. den innerweltlichen Rettungs-Frame und 3. den eschatologischen Rettungs-Frame. Die Entscheidung für den primär vorherrschenden Frame ist abhängig vom unmittelbaren Kontext, vom bisherigen Erzählverlauf, von einer möglichen re-lecture des Evangeliums und vom Weltwissen der Lesenden.160 Im Kontext von Heilungserzählungen wird σῷζω zur Bezeichnung des Endes einer Krankheit bzw. eines körperlichen Leidens genutzt161; es muss aber bei jeder Verwendung des Verbs geprüft werden, welche Aspekte wahrscheinlicher vorherrschend sind und in welchem unmittelbaren Kontext es verwendet wird.162 Die erste Verwendung des Satzes ἡ πίστις σου σέσωκέν σε in 7,50 findet nicht innerhalb einer Heilungserzählung statt und kommt somit eindeutig nicht im Kontext einer physischen Heilung vor. Bei der dritten Verwendung innerhalb der Heilungserzählung der zehn Aussätzigen scheint es sich ebenfalls nicht rein auf eine körperliche Heilung beziehen zu können,163 da der Erzähler aussagt, dass der Samariter umdreht, nachdem er seine Heilung festgestellt hat. Die Figurenrede Jesu mit dem Zuspruch „Dein Glaube hat dich gerettet“ ergeht allein an ihn, nachdem Jesus das Verhalten der anderen neun kritisiert hat. Diese Verwendung von σῷζω kann sich demnach nicht (allein) auf eine physische Heilung beziehen. Der Samariter ist darüber hinaus ein religiöser Außenseiter (gewesen), der nun von Jesus diesen Zuspruch und die Annahme, die auch als soziale aufgefasst werden kann, erhält, wodurch der Zuspruch mit der Verwendung in 7,50 zumindest teilweise korreliert.164 Jesu Wirken bewirkt nicht allein die körperliche Heilung, sondern auch die soziale Re-Integration,165 die in Lk ebenfalls unter σῷζω gefasst werden kann. Auf eine Verschiebung des Akzents bezüglich der Bedeutung von σῷζω bzw. auf dessen Mehrdeutigkeit verweist auch Sellner.166 Jantsch geht bei den Stellen von einem anderen Bedeutungszusammenhang aus,167 und Nils Neumann schreibt: M. E. zeigt die wiederkehrende Formulierung, die sich bei Lk innerhalb der unterschiedlichen Kontexte findet, hingegen168 gerade an, dass der dritte Evangelist nicht zwischen Heil und Heilung differenziert, sondern vielmehr in den verschiedenen Szenen unterschiedliche Situationen erblickt, in denen sich dasselbe Heil auf unterschiedliche Weise ereignet. […] In diesen wie in jenen Szenen geschieht Rettung, die sich dahingehend auswirken soll, dass diese Menschen die Möglichkeit erhalten, wieder in die Gemeinschaft 160 Vgl.

Bosenius, Retten, 172–183. hierzu auch Neumann, in diesem Band, Abschnitt 4, 149−151. 162 Vgl. Bosenius, Retten, 174–183; Neumann, in diesem Band, Abschnitt 4. 163 S.o. 164 Vgl. Neumann, in diesem Band, 149−151. 165 Vgl. bezogen auf Mk bei Toit, Heil, 195. 166 Vgl. Sellner, Heil, 211 f. 167 Vgl. Jantsch, Jesus, 38. 168 Das „Hingegen“ bezieht sich auf die vorab bei Neumann besprochene Beurteilung des Verbs von Jantsch. 161 Vgl.

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integriert zu werden und Anerkennung zu erfahren. Heil und Heilung sind bei Lk somit zwei Seiten derselben Münze. Sie gegeneinander abzugrenzen oder gar das eine gegenüber dem anderen für theologisch bedeutsamer zu halten, liegt nicht im Interesse des dritten Evangelisten.169

Wegen der Polysemie und der Verwendung des Verbs in unterschiedlichen Kontexten ist eine eindeutige Entscheidung für allein einen Bedeutungsaspekt nicht möglich,170 insbesondere wenn das Evangelium bereits mindestens einmal vollständig gelesen wurde und die Leserschaft auf diese Weise um die Verwendung nicht allein im Heilungskontext, sondern auch im Kontext des (endzeitlichen) Heils weiß und dies  – vor allem innerhalb einer Figurenrede Jesu  (!)  – mitbedenkt. Für die Lesenden werden also beide Aspekte aufgerufen: körperliche Heilung und das Heil, das Jesus bringt, welches in den Heilungserzählungen physisch erfahrbar wird.171 Bosenius’ Vorschlag, die kognitive Frame-Semantik zum Verständnis von σῷζω heranzuziehen, hat sich als weiterführend erwiesen. Daneben sollte aber eine stärkere Verknüpfung mit der Narratologie vorgenommen werden, da es von Bedeutung ist, ob der Erzähler oder eine Erzählfigur eine Aussage tätigt, weil auch dies einen Hinweis auf eine mögliche primär vorherrschende Deutung liefern kann. Vor allem in der Figurenrede Jesu ist anzunehmen, dass die Wahl des Verbs σῷζω aus der Sicht der Erzählfigur Jesu nicht allein körperliche Heilung ausdrücken soll, sondern im Kontext seiner seine Sendung und sein Wirken deutenden Aussagen (Lk 4,16–30; 7,18–23) zu verstehen ist und diese für Jesu Verständnis von σῷζω als Interpretationsrahmen herangezogen werden sollten. Auf die Frage zurückkommend, ob der Satz ἡ πίστις σου σέσωκέν σε eine soteriologische Aussage darstelle, ist festzuhalten, dass dies mit Blick auf die Polysemie des Verbs,172 die Verbindung mit πίστις und der Tatsache, dass er als Figurenrede Jesu formuliert ist, zumindest für die Ebene der Narration und für die von Erzähler intendierte Botschaft an die Leserschaft zu erwägen ist. Die Verwendung des Verbs mit der in ihm enthaltenen Mehrdeutigkeit erscheint beabsichtigt, um sich die semantische „Ambiguität“173 zu Nutze zu machen und geschickt mit den Ebenen der Erzählung174 umzugehen, so dass der Erzähler die Heilungserzählungen „weit über sich hinaus(weisen)“175 lassen kann.

169 Neumann,

in diesem Band, 149−151. Bosenius, Retten, 182 f.; Neumann, in diesem Band, Abschnitt 4. 171 Bezogen auf die Verwendung in der Apg vgl. auch Lindemann, Einheit, 242; Schreiber, Paulus, 72 f.; bezogen auf Mt 9,20–22 bei Konradt, Rede, 431 f. 172 Hierauf geht Bosenius, Retten, passim, ausführlich ein. 173 Konradt, Rede, 434, bezogen auf „nachfolgen“. 174 Vgl. Abschnitt 3.3. 175 Böttrich, Glaube, 411. 170 Vgl.

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4. Die Heilung des blinden Mannes vor Jericho Die Hinwendung einer Erzählfigur an Jesus als Form der Krisenbewältigung soll am Beispiel des blinden Mannes vor Jericho gezeigt werden. Die Heilung des blinden Mannes vor Jericho176 stellt die letzte Heilungserzählung des Lk dar, aber nicht die letzte von Jesus gewirkte Heilung; diese ereignet sich innerhalb der Erzählung des Verrats und der Verhaftung von Jesus in Lk 22,47–53. Die lokale Verortung des Geschehens vor Jericho rahmt die Heilungserzählung des blinden Mannes: Der Erzähler beschreibt, dass Jesus sich Jericho nähert (Lk 18,35) und führt dann den blinden Mann ein. Nach der Heilung und der Reaktion des Mannes und der Menge auf die Heilung, sagt der Erzähler, dass Jesus Jericho betritt (19,1), was den Übergang zur Erzählung von Zachäus darstellt (Lk  19,1–10), in der der reiche Zachäus zugleich als kontrastierende und komplementäre Erzählfigur zum blinden Mann, der betteln muss, fungiert. Die Verortung beider Erzählungen außerhalb bzw. innerhalb Jerichos haben Bedeutung für die Charakterisierung beider Erzählfiguren, weswegen zunächst auf Jericho eingegangen werden soll. 4.1 Jericho In der lk Darstellung kann Jericho als städtischer Raum177 aufgefasst werden, da es als Raum präsentiert wird, in dem menschliche Aktivitäten und Interaktionen stattfinden, wie z. B. Zollerhebung, das Vorhandensein eines Oberzöllners, und der von sozialen Beziehungen geprägt ist178 (Zöllner/Oberzöllner – Juden), die Jericho von anderen special formations179 abgrenzen. Dies ist insbesondere in der in Jericho lokalisierten Erzählung in Lk 19,1–10 wahrnehmbar. Von archäologischen und literarischen Zeugnissen ist bekannt, dass Herodes der Große Jericho zu der Stadt erkoren hatte, in der er den Winter verbrachte und in ihr öffentliche Gebäude im Stil einer hellenistischen Stadt mit Hippodrom, Theater und Amphitheater errichten ließ.180 Strabon,181 Plinius182 und 176 Zu dieser Heilungserzählung vgl. Prieto, Jésus, 521–536; Wolter, Lk, 607–610; Van der Loos, Miracles, 422–425; Busse, Wunder, 327–334; Carroll, Lk, 368–371; Levine/ Witherington III, Lk, 501–506; Tannehill, Lk, 274–275; Green, Lk, 661–665; Marshall, Lk, 691–694; Fitzmyer, Lk/2, 1211–1217; Nolland, Lk/3, 897–902. Köhnlein, Wunder, 73–91; Boring, Mk, 304–307, und Dormeyer, Nachfolge, passim, diskutieren Mk 10,46–52. 177 Zu städtischen Räumen vgl. Urciuola/Rüpke, Religion, 25–41; Soja, Postmetropolis, 8; dies., Cityscapes. 178 Zu sozialen Beziehungen vgl. Urciuola/Rüpke, Religion, 25–41; vgl. auch Bendemann/Tiwald, Christentum. 179 Zu special formations vgl. Urciuola/Rüpke, Religion, 25–41. 180 Vgl. Jos. B. J. 1,659; 1,666; A. J. 17,161; 17,194; Finegan, Archeology, 148; vgl. auch Wolter, Lk, 608; Kopp, Stätten, 313–319; Kenyon, Excavations; Netzer, Art. Jericho, 682–691; Dormeyer, Nachfolge, 363. 181 Vgl. Strabon, Geogr. 16,2,41. 182 Vgl. Plinius, Nat. 5,15,70.

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Josephus183 beschreiben Jericho äußerst vorteilhaft: Die Stadt hatte Quellwasser; Dattelpalmen, Balsambäume und Zypressen gediehen.184 In neutestamentlicher Zeit stellte die Stadt Jericho einer der Hauptsitze der fünf Toparchien mit einem Synhedrion und Verwaltungszentrum dar,185 woraus zu schließen ist, dass Jericho eine wohlhabende Stadt gewesen sein muss.186 Freyne nimmt an, dass antike Städte „were obviously the centers of wealth in the ancient world, in terms of both wealth-generating and wealth-amassing activities.“187 Diese Annahme trifft zumindest auf die Informationen zu, zu denen wir zu Jericho in neutestamentlicher Zeit Zugang haben und sie lässt sich auch mit dem lk Porträt Jerichos verbinden. Mk erwähnt Jericho nur zweimal zu Beginn der Erzählung des blinden Bettlers Bartimäus (Mk 10,46–52) in V. 46: Καὶ ἔρχονται εἰς Ἰεριχώ. Καὶ ἐκπορευομένου αὐτοῦ ἀπὸ Ἰεριχὼ καὶ τῶν μαθητῶν αὐτοῦ καὶ ὄχλου ἱκανοῦ ὁ υἱὸς Τιμαίου Βαρτιμαῖος, τυφλὸς προσαίτης, ἐκάθητο παρὰ τὴν ὁδόν. In Mk wird innerhalb Jerichos kein Geschehen berichtet; der Erzähler stellt gerafft innerhalb zweier aufeinanderfolgender Sätze dar, dass sie (d. h. Jesus und seine Jünger) nach Jericho kommen und Jericho wieder verlassen. Lk dagegen erwähnt Jericho nicht nur in zwei weiteren Erzählungen, sondern lokalisiert eine dieser Erzählungen sogar innerhalb Jerichos. Die erste dieser beiden Erzählungen stellt die Parabel des barmherzigen Samariters in Lk 10,25–37 dar, wo Jericho das Reiseziel des Mannes darstellt, der auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho (V. 30) ausgeraubt wird.188 Die nächste Nennung Jerichos findet sich in der Heilungserzählung des blinden Mannes vor Jericho (Lk 18,35–43) und dann direkt daran anschließend in Lk 19,1–10. Im Unterschied zu Mk lokalisiert Lk die Heilungserzählung des blinden Mannes vor Jericho und somit im Erzählablauf, bevor Jesus Jericho betritt, und ergänzt eine direkt in Jericho lokalisierte Erzählung, in der ein integraler Bestandteil von Jesu Wirken stattfindet (19,1–10).189 Lk beschreibt – vor und in Jericho lokalisiert – von Erzählfiguren vorgenommene Aktivitäten, zu Beginn beider Erzählungen auf der Straße nach Jericho und in Jericho selbst einengende Bedingungen, die in Verdichtung und sozialen Beziehungen resultieren. In Lk  19,1–10 wird Jericho als ein mit Massen an Erzählfiguren eng gefüllter Raum gezeichnet; als Jesus die Stadt betritt, zieht er 183 Vgl.

B. J. 4,459–475. Finegan, Archeology, 148; Dormeyer, Nachfolge, 363. 185 Vgl. Jos., B. J. 1,170; A. J. 14,91. Vgl. auch Dormeyer, Nachfolge, 363. 186 Vgl. Dormeyer, Nachfolge, 363. 187 Freyne, Relations, 86. 188 Vgl. zu dieser Parabel z. B. Wolter, Lk, 390–398. 189 Zu dieser Erzählung vgl. Hotze, Jesus, 47–73; Tannehill, Story, 201–211; Parsons, Stature, 50–57; Wolter, Lk, 610–616; Carroll, Lk, 371–374; Bovon, Lk/3, 264–280; Nolland, Lk/3, 902–908; Levine/Witherington III, Lk, 507–513; Fitzmyer, Lk/2, 1218–1227; Green, Lk, 666–672; Tannehill, Lk, 275–279. 184 Vgl.

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eine Menge an, die ihn umringt (V. 1.3). Jericho weist dadurch ein Phänomen der Verdichtung auf,190 das so ausgeprägt ist, dass Zachäus einzige Möglichkeit Jesus zu sehen darin besteht, auf einen Baum zu klettern und ihn von einem Ast aus zu beobachten. Das am Ende der Heilungserzählung des Blinden erfolgende Dankgebet der Menge (18,43) kann sowohl zur dicht gedrängten Menge um Jesus beigetragen haben wie zur Neugier des Zachäus, Jesus zu sehen. Aber bereits auf Jesu Weg nach Jericho wird Jesus von einer Menge begleitet, so dass sich die Menge nicht erst in Jericho um ihn versammelt; sie kann aber in Jericho weiter angewachsen sein, worauf aus dem Beispiel der Neugier des Zachäus geschlossen werden kann. Der Erzähler erwähnt das Detail, dass Jesus in Jericho eine Menge anzieht, erst nachdem er Zachäus als Erzählfigur eingeführt hat; die Menge interessiert ihn hier vor allem in ihrer Funktion als Hindernis für Zachäus. 4.2 Zachäus als Kontrast und zugleich als komplementäre Erzählfigur zum bettelnden Blinden Zachäus erscheint sowohl als kontrastierende als auch komplementäre Erzählfigur191 zum bettelnden, blinden Mann, weswegen näher auf diese Erzählfigur eingegangen werden soll. Der Erzähler charakterisiert Zachäus mittels 1) seines Berufs, 2) seiner monetären Umstände (jeweils Lk 19,2) und im nächsten Satz 3)  seiner Körpergröße192 (19,3). Durch die Berufsbezeichnung wird Zachäus der Gruppe der Zöllner zugeordnet, mit denen Jesus in Lk bereits in Kontakt gewesen ist.193 Der bisherige Erzählverlauf hat Jesus als Freund der Zöllner gezeichnet, der gemeinsam mit ihnen speist und trinkt,194 auch wenn – oder gerade weil – sie als zur Gruppe der Sünder gehörend angesehen werden. Jesu Motivation für seinen Umgang mit ihnen wird in 5,27–39 erklärt: Nachdem die Pharisäer und ihre Schriftgelehrten kritisieren, dass Jesus mit Sündern und Zöllner gegessen hat, stellt Jesus in einer Figurenrede fest, dass es zu seinem Auftrag gehört, Sünder zur Umkehr zu rufen: καὶ ἀποκριθεὶς ὁ Ἰησοῦς εἶπεν πρὸς αὐτούς· οὐ χρείαν ἔχουσιν οἱ ὑγιαίνοντες ἰατροῦ ἀλλ’ οἱ κακῶς ἔχοντες·οὐκ ἐλήλυθα καλέσαι δικαίους ἀλλ’ ἁμαρτωλοὺς εἰς μετάνοιαν (5,31 f.). Zugleich führt der Erzähler Zachäus aber als reich ein und weist ihm demnach eine weitere Gruppenzugehörigkeit zu: Die Gruppe der Reichen. Auch mit Vertretern dieser Gruppe hat Jesus im Erzählverlauf des Lk bereits Kontakt gehabt. In seinen Begegnungen mit verschiedenen Erzählfiguren, deren Hauptcharakteristikum 190 Zum Phänomen von Verdichtung (density) vgl. Uricuola/Rüpke, Religion, 25–41; Löw, Stadt, 19–21. 191 Vgl. Bock, Lk/2, 1501; Jantsch, Jesus, 58. 192 Vgl. Parsons, Stature, 50–57. 193 Vgl. 5,27–32; 7,29.35; 15,1–32, vgl. auch 18,9–14. Vgl. Wolter, Lk, 611 f.; Tannehill, Story, 202. 194 Zu Jesus als Gast und Gastfreundschaft vgl. Hotze, Jesus; Nolland, Lk/1, 239–250.

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ihr Reichtum ist, und in seinen Äußerungen über sie, trifft Jesus negative Aussagen über die Vertreter dieser Gruppe und ihre Fähigkeit ins Königreich Gottes zu gelangen.195 Aufgrund dieser zwei Gruppenzugehörigkeiten stellt Zachäus dadurch eine für die Lesenden nicht sofort eindeutig einzuordnende Figur dar, wodurch der Erzähler eine Spannung schafft, wie Jesus Zachäus bewerten wird. Zachäus arbeitet als Oberzöllner; unabhängig von der Nennung Jerichos lokalisiert der Beruf des Zöllners die Erzählung im städtischen Kontext. Die Existenz nicht nur eines Zöllners, sondern sogar eines Oberzöllners196 in Jericho weist darauf hin, dass (zumindest) nicht alle ihre Bewohner ihren Lebensunterhalt durch Ackerbau oder Fischerei bestreiten, sondern von anderen kommerziellen und professionellen Möglichkeiten profitieren können, was auf die Existenz eines Verwaltungszentrums hinweist197 sowie darauf, dass die Stadt als reich genug angesehen werden kann, als dass sie als Sitz eines Oberzöllners fungieren kann.198 Dies passt auch mit den außerlukanischen Quellen zusammen. Die Ergänzung von ἀρχι- vor τελώνης in V. 2 zeigt an, dass Zachäus ein Oberzöllner ist, was eine höhere hierarchische Stellung als die eines ‚gewöhnlichen‘ Zöllners199 darzustellen scheint und möglicherweise mit einer Autorität über andere Zöllner verbunden ist. Lk 19,8 scheint darauf hinzuweisen, dass Zachäus’ Reichtum zumindest anteilig auf seinen Beruf zurückzuführen ist. Aufgrund von Zachäus kleiner Statur fungiert die Menge als Hindernis. Zachäus scheint wie die bisher angeführten Zöllner ein sozial Ausgestoßener zu sein; die jüdische Bevölkerung von Jericho meidet ihn; er ist ausgeschlossen, weil er aufgrund seines Berufs als Sünder angesehen wird (V. 7),200 obwohl er selbst ein Jude ist, wie Jesu Aussage über ihn – dass auch er ein Sohn Abrahams sei (V. 9) – deutlich macht. Er gelangt nicht nach vorne, um Jesus zu sehen, wie es sein Wunsch ist; dies könnte daran liegen, dass die Menge verweigert, ihn durchzulassen.201 Zachäus’ Status als von seiner jüdischen Kultur Ausgestoßener beruht auf seinem Beruf als Zöllner. Sein Reichtum und seine Berufswahl entfremden202 ihn von der jüdischen Gemeinschaft wie an ihrer Reaktion bzw. der Reaktion  Vgl. z. B. Lk 18,18–27; vgl. Marshall, Lk, 696. Zöllnern vgl. Horn, Zöllner; Herrenbrück, Zöllner; ders., Jesus; ders., Steuerpacht; Wolter, Lk, 162. 197 Zur Aufteilung von Arbeit und ein Verwaltungszentrum als charakteristische Merkmale von Städten vgl. Uricuola/Rüpke, Religion, 25–41. 198 Vgl. Freyne, Relations, 80. 199 Vgl. Wolter, Lk, 611–612; Bovon, Lk/3, 272; Marshall, Lk, 696. 200 Vgl. Carroll, Lk, 372; Tannehill, Lk, 276. 201 Vgl. Tannehill, Story, 208: „People might allow a respected member of the community to come to the front in order to see, but they would not do this for Zacchaeus. Zacchaeus’ short stature reinforces his helplessness with respect to the crowd, and his position up in a tree symbolizes his isolation from it“. 202 Vgl. Freyne, Relations, 80. 195

196 Zu

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der Menge auf Jesus Aussage, dass er (d. h. Jesus) in Zachäus Haus bleiben müsse, ersichtlich wird. Zu Beginn der Erzählung erscheint er als deutlich im städtischen Rahmen zu verortende Erzählfigur, da sein Reichtum und sein Beruf stadtgebunden sind. In seiner Reaktion auf das Hindernis, das die Menge darstellt, macht Zachäus sich die lokalen Gegebenheiten zu Nutzen und klettert auf einen Baum, um Jesus sehen zu können. Das Vorhandensein von Bäumen in Jericho deutet auf eine Stadtplanung mit Plätzen und breiteren Straßen hin, wo Bäumen genügend Platz zum Wachsen haben.203 Dies verweist darauf, dass Jericho wie Lk es zeigt, nicht mit engstehend Häusern und schmalen, engen Straßen, sondern großzügiger bebaut ist; dass Zachäus trotzdem nicht in der Lage ist, Jesus zu sehen, deutet auf Jesu große Anziehungskraft hin. Der Erzähler porträtiert Zachäus als Erzählfigur mit gemischtem sozialem Status – er ist gleichzeitig Teil der Gruppen der Zöllner und der Juden sowie der Reichen – und als eine Mischung von drei Figurengruppen mit denen Jesus bereits in Kontakt gekommen ist und die er unterschiedlich bewertet und wahrnimmt.204 Somit erscheint Zachäus als komplizierte und spannungsvolle Erzählfigur,205 deren Schicksal vom bisherigen Erzählverlauf des Lk nicht erschlossen werden kann. Dies ist erst möglich nachdem Jesus ihn angeredet hat und Zachäus Bereitwilligkeit demonstriert, Jesus in seinem Haus willkommen zu heißen und umzukehren.206 In Jesu zwei Reden (V. 5.9 f.) verwendet er Schlüsselbegriffe seiner Äußerungen über seinen göttlichen Auftrag und seiner Selbstinterpretationen: 1) σήμερον (V. 5.9),207 2) σωτηρία (V. 9),208 3) δεῖ (V. 5)209 und 4) ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου (V. 10)210: Lk 19,5 καὶ ὡς ἦλθεν ἐπὶ τὸν τόπον, ἀναβλέψας ὁ Ἰησοῦς εἶπεν πρὸς αὐτόν· Ζακχαῖε, σπεύσας κατάβηθι, σήμερον γὰρ ἐν τῷ οἴκῳ σου δεῖ με μεῖναι. Lk 19,9 f. εἶπεν δὲ πρὸς αὐτὸν ὁ Ἰησοῦς ὅτι σήμερον σωτηρία τῷ οἴκῳ τούτῳ ἐγένετο, καθότι καὶ αὐτὸς υἱὸς Ἀβραάμ ἐστιν· ἦλθεν γὰρ ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ζητῆσαι καὶ σῶσαι τὸ ἀπολωλός.  Vgl. Finegan, Archeology, 150. Carroll, Lk, 374. 205 Vgl. Carroll, Lk, 371. 206 Vgl. Tannehill, Story, 204. 207 Vgl. Lk 4,16–30; 9,57–62; 12,54–59; Nolland, Lk/1, 188–202; ders., Lk/2, 538–544 und 710–714. 208 Vgl. Jantsch, Jesus; Schröter, Heilungen. 209 Vgl. Lk  2,49; 4,43; 13,16; sowie die drei Leidensankündigungen 9,21–22; 9,44–45; 18,31–34. Zu δεῖ als Schlüsselbegriff zur Beschreibung des Planes Gottes bei Lk vgl. Sellner, Heil, 413–424. 210 Zum Titel des Menschensohns vgl. Kreplin, Selbstverständnis; Hahn, Hoheitstitel, 13–53; Theissen/Merz, Jesus, 470–480; Schröter, Jesus, 274–284; Toit, Hoheitstitel, 521–525. Carroll, Lk, 372, übersetzt als „Son of Humanity“. 203

204 Vgl.

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Indem der Erzähler diese Schlüsselbegriffe verwendet und Zachäus’ Umkehr zeigt, wird dieser als positive Erzählfigur, komplementär zum blinden Mann vor Jericho gezeichnet. Die Begegnung von Jesus und Zachäus führt zu σωτηρία. In Jericho ereignet sich ein integraler Bestandteil von Jesu Wirken und seinem Auftrag.211 4.3 Der Blinde vor Jericho (Lk 18,35–43) Der Erzähler charakterisiert den blinden Mann einführend über die Bezeichnung seiner Beeinträchtigung (τυφλός [Lk 18,35]) und über seine Tätigkeit des Bettelns, die er am Wegesrand zu Jericho ausübt. Wie oben ausgeführt erscheint Jericho im Lukasevangelium als eine reiche Stadt. Die Positionierung des Blinden am Weg vor Jericho zur Ausübung seiner Tätigkeit ergibt also Sinn, wenn man den Reichtum der Stadt bedenkt, hier ist ein reger Menschenfluss zur und aus der Stadt zu erwarten. Die Tätigkeit des Mannes (ἐπαιτῶν [V. 35]) verweist auf seine schlechte monetäre Situation und darauf, dass er auf diese Weise seinen Lebensunterhalt bestreiten muss. Er kann also in die Figurengruppe der Armen gerechnet werden, womit er als kontrastierende Erzählfigur zum reichen Zachäus erscheint. Die Gruppe der Armen wird in Lk durch die Erzählfigur Jesus positiv konnotiert, sie sind eine der Gruppen, denen Jesus Auftrag gilt (Lk 4,18 f.) und sie werden in den Seligpreisungen genannt (Lk 6,20). Die Auswirkungen seiner Blindheit liegen in einer narrativen Lücke, können aber über das Weltwissen erschlossen werden. Seine Blindheit stellt eine grundlegende Beeinträchtigung seines Lebens dar, weil sie seine Orientierung im Raum erschwert und er deswegen vermutlich auf Hilfe angewiesen ist. Seine Notsituation besteht also nicht allein in seiner körperlichen Beeinträchtigung, sondern zumindest auch in finanzieller Hinsicht und möglicherweise auch in sozialer Perspektive. Kultisch ist er vom Priesterdienst ausgeschlossen,212 also zumindest diesbezüglich sozial bzw. religiös-kultisch marginalisiert. Der blinde Mann gehört also – wie auch Zachäus  – mehr als einer in Lk bereits aufgetauchten Figurengruppe an: einerseits der Gruppe der Kranken, andererseits der Gruppe der Armen. Beide Gruppenzugehörigkeiten weisen auf seine Beeinträchtigung hin und bilden zusammen das Bild einer Notlage, in der sich der Mann befindet. Anders als bei Zachäus sind in Lk aber beide Gruppen, denen der Mann zugerechnet werden kann, positiv konnotiert; beide Gruppen benennt Jesus explizit innerhalb seiner programmatischen Antrittspredigt als Gruppen, zu denen er gesandt ist (4,18 f.), so dass für die Lesenden vom Beginn der Erzählung zweifelsfrei feststeht, dass sich Jesus des blinden Mannes erbarmen werde.

211 Vgl.

212 Vgl.

Tannehill, Story, 204. Lev 21,16–21; 4QMMTa.

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Der Erzähler gestaltet den Erzählablauf so, dass die Lesenden von der Anwesenheit der Menge (ὄχλου) erst zusammen mit dem Blinden erfahren. Dies geschieht anhand einer Sinneswahrnehmung des Blinden (ἀκούσας, 18,36); er wird durch Geräusche aufmerksam auf die vorbeigehende Menge, die innerhalb der Perikope an dieser Stelle zum ersten Mal genannt wird. Davor blendet der Erzähler die Menge aus und spricht über das Personalpronomen αὐτόν (18,35) allein von Jesus. Sein Hören veranlasst den Mann nachzuforschen; er reagiert auf das Vorbeiziehen der Menschengruppe. Dies weist darauf hin, dass dies nicht die Norm darstellt und ihr Vorbeiziehen mit einem größeren Geräuschpegel verbunden zu sein scheint als gewöhnlich. Seine Erkundigung gibt der Erzähler in indirekter Rede wieder. Auf die Auskunft hin, welche Person vorbeigehe – und implizit eine so große Menge versammle –, reagiert der Mann mit einem Jesus adressierenden Ruf. Sein Versuch, Jesus um Hilfe anzuflehen, deutet darauf hin, dass er bereits von Jesus gehört hat und ihm bekannt ist, dass Jesus Heilungen vollbringt; Jesus Ruf hat sich scheinbar bis zu ihm verbreitet.213 Der blinde Mann adressiert Jesus zweifach mit einer Bitte, wobei er die zweite Bitte in einer gesteigerten Form vorbringt. Zur Einführung und als Zusammenfassung der Bitten verwendet der Erzähler Verben, die Ostmeyer als „kommunikative Gebetstermini“ bezeichnet:214 ἐβόησεν (18,38) und ἔκραζεν (18,39); sie stellen Ruf-Termini dar,215 die der Erzähler verwendet, um Anreden und sprachliche Hinwendungen zu Jesus zu beschreiben. Die Steigerung innerhalb der Vorbringung der Bitten bewirkt der Erzähler, in der er zuerst ἐβόησεν (rufen/ laut rufen) nutzt216 und anschließend das intensivere ἔκραζεν217 (schreien), das der Erzähler zur Hervorhebung der Intensivierung der verbalen Äußerung um πολλῷ μᾶλλον ergänzt. ἐβόησεν und ἔκραζεν werden also nicht rein synonym verwendet.218 Der Erzähler verwendet das Verb κράζω mit Bezug auf Jesus in Lk fast immer in Verbindung mit einem Hoheitstitel,219 mit dem Jesus angeredet wird oder mit dem er identifiziert wird. In der ersten Bitte spricht der blinde Mann Jesus mit seinem Namen direkt an, wobei der Eigenname gegenüber der mk Erzählung vorgezogen wird, was eine größere Betonung des Namens bewirkt.220 213  Vgl. die verschiedenen Ausbreitungsnotizen von Jesus Ruf sowie die Stellen, in denen ausgesagt wird, dass eine (große) Menge zu ihm kommt (z. B. Lk 4,14.37; 5,15; 6,17 f.). 214 Vgl. Abschnitt 3.3. 215 Ostmeyer, Kommunikation, 311–314, definiert sie als „Ruf-Termini“ (311). 216 Liddell/Scott, s. v.: „cry aloud, shout“; Montanari, s. v.: „to shout, scream, to communicate by shouting“. 217 Liddell/Scott, s. v.: „scream, shriek, cry out“; Montanari, s. v.: „to cry, scream“. 218 Gegen Ostmeyer, Kommunikation, 311. 219 Vgl. Lk 4,33–34; 4,41; 8,28; 18,39. Eine Ausnahme stellt 9,38 dar, wo das Verb innerhalb der Wirkungsbeschreibung des πνεῦμα auf den Jungen verwendet wird; in 18,39: Sohn Davids; vgl. Ostmeyer, Kommunikation, 313. 220 Vgl. Gustafsson, Aspects, 171.

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In beiden Bitten adressiert der blinde Mann an Jesus als Sohn Davids221 und beide Male bittet er Jesus darum, dass er sich seiner erbarme (ἐλέησόν με). Die Bitte um Erbarmen stellt den Inhalt der inständigen Bitte dar.222 Der jüdische Traditionshintergrund der Davidsohn-Bezeichnung liegt in der Nathansweissagung (2 Sam 7,12–16), dass aus dem Samen Davids ein Nachfolger erweckt werde. In PsSal 17,21 erscheint der Sohn Davids als politische, messianische Gestalt, die Davids Königsherrschaft erneuern solle.223 Daneben verbreitet ist die „Vorstellung von Salomo als dem idealen und weisen Nachkommen Davids, der der Tradition zufolge über Wissen über Dämonen bzw. die Heilkraft von Pflanzen verfügt (Sap. Sal. 7,20) und vor allem als Dämonenbezwinger galt.“224 Vor diesem Traditionshintergrund ergibt die Nutzung des Davidsohntitels im Heilungskontext Sinn. Die Verwendung des Hoheitstitels stellt einen Hinweis auf Jesu Abstammung und Herkunft her; sie könnte aber auch zusätzlich als Hinweis auf die christologische Einsicht des Blinden gedeutet werden.225 In Lk findet sich der Titel Davidsohn sonst aber nur noch in 20,41.44 und dem Sinn nach in 1,32 in der Figurenrede des Engels in der Ankündigung der Geburt Jesu, wo es mit königlicher Konnotation verwendet wird („[…] und geben wird ihm Gott der Herr den Thron Davids seines Vaters, [V. 33] und er wird als König herrschen über das Haus Jakob in die Aionen, und seines Königtums wird nicht sein ein Ende“). Die Zurückführung der Abstammung Jesu auf David findet sich sonst noch innerhalb der lk Vorgeschichte in 1,26.69; 2,4; 2,11 und 3,31. In der Frage nach dem Messias (20,41–44) problematisiert Jesus die Identifizierung des Messias mit dem Sohn Davids („Wieso sagen sie, der Christus sei Davids Sohn?“ [V. 41]) und lehnt diese Identifizierung mittels eines Schriftbeweises aus Ps 110,1 ab („David ruft ihn also Herr, und wie ist er (dann) sein Sohn?“ [V. 44]).226 Aus Jesu Sicht stellt diese Bezeichnung seiner Person also eine zumindest unzulängliche Identifizierung dar. Daniel Gustafsson sieht nicht Salomo als Heiler und Exorzist als Hintergrund des Titels an, sondern verweist auf die davidische Abstammung Jesu und die Motivik von David als Hirten, in die sich Jesu Heilungstätigkeit sowie sein Suchen und Finden des Verlorenen, das im Anschluss an die Blindenheilung in der Erzählung von Zachäus thematisiert wird, einfügen ließe.227 Des Weiteren bereite der Titel das erneute Aufgreifen der Motivik von Jesus als König vor, welche innerhalb der Erzählhandlung 221 Zum Titel „Sohn Davids“ vgl. Hahn Hoheitstitel, 242–279; Toit, Hoheitstitel, 525 f.; Karrer, Jesus Christus, 187–190. 222 Vgl. Staudinger, ἔλεος, 1048 f.; Esser, ἔλεος, 112. 223 Vgl. Michel, Art. υἱός Δαυίδ, 1076–1078; Karrer, Jesus Christus, 188 f. 224 Toit, Hoheitstitel, 525, mit Quellenangaben; vgl. auch Karrer, Jesus Christus, 189. Gustafsson, Aspects, 172, lehnt diesen Traditionszusammenhang für Lk ab und verweist stattdessen auf das Motiv von David als Hirte. 225 Bezogen auf Mt 9,27–31 vgl. Konradt, Rede, 434. 226 Vgl. Gustafsson, Aspects, 171; Karrer, Jesus Christus, 189. 227 Vgl. Gustafsson, Aspects, 172.

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längere Zeit nicht verwendet wurde und nun der Leserschaft wieder in Erinnerung gerufen werden solle; in dieses Bild füge sich auch der Umstand ein, dass Jesus mit einer „Entourage“228 reise sowie die Formulierung, wie Jesus den Blinden zu sich bringen lasse, da dies der Herbeizitierung von Personen durch einen König entspreche.229 Die Bitte ἐλέησόν με greift wie unter Abschnitt 3.2 angeführt auf eine Wortverbindung und ein damit transportiertes Motiv zurück, das insbesondere in den Psalmen für die Formulierung einer an Gott gerichteten Bitte um Rettung und Erlösung genutzt werde.230 Die Erzählfigur des blinden Mannes verwendet in seinen an Jesus gerichteten Bittrufen eine in den Gebeten der Psalmen genutzte Sprache, wodurch seine Bitten – vor allem unter Einbeziehung der sog. kommunikativen Gebetstermini und der Anrede Jesu mittels eines Hoheitstitels – in der Darstellung des Erzählers als gebetsartige Sprache erscheinen. Die Menge (ὄχλου  [18,36]) bzw. die Jesus Vorausgehenden (προάγοντες) fungieren in 18,39 erneut als Hindernis. Hier fungieren sie aber nicht wie in der Heilungserzählung des Gelähmten als stummes Hindernis, das den Weg zu Jesus versperrt, sondern sie versuchen, den Mann aktiv daran hindern, Kontakt mit Jesus aufzunehmen. Er solle schweigen (ἵνα σιγήσῃ, V. 39). Sie versuchen also genau das vom Mann gewählte Mittel der Kommunikation zu unterbinden. Auffällig ist hier das vom Erzähler gewählte Partizip mit dem er ihre auf den Mann gerichtete Handlung zusammenfasst: ἐπετίμων (18,39). Dies stellt einen Begriff dar, der vor allem Machtausübung signalisiert. Montanari nennt im Brill Dictionary als Wortbedeutungen im Aktiv „to do honor, honor s. o.“, „to inflict“, „to condemn, punish“, „to condemn, blame, reproach s. o./sthg.“ oder auch „order s. o. to“.231 In der LXX bezeichnet ἐπιτιμάω den Umgang Gottes oder der von ihm Beauftragten (z. B. Abraham, Henoch und Elia) mit (bösen) Mächten und Gegnern.232 Das Verb ἐπιτιμάω erscheint in den Synoptikern regelmäßig innerhalb der Exorzismuserzählungen, in Lk drückt es Jesu Machtausübung aus233 228 Gustafsson, Aspects, 173. Jesus Umgeben sein von einer Menge und begleitet werden stellt aber ein häufig auftauchendes Motiv bei Lk dar, ist hier also keine Besonderheit. 229  Vgl. Gustafsson, Aspects, 171.173. 230 Vgl. Ps 6,3; 9,14; 24,16; 25,11; 26,7; 30,10; 40,5.11 (alle LXX); Wolter, Lk, 572, und Jantsch, Jesus, 58, beide mit weiteren Stellenangaben. Außer in den Bitten der zehn Aussätzigen (17,13) und den Bitten des blinden Mannes (18,38 f.) findet sich die Bitte um Erbarmen in Lk noch in 16,24 innerhalb des Gleichnisses vom reichen Mann und armen Lazarus. Dort richtet sie der sich im Hades befindende Reiche an Abraham. 231 Montanari, Brill Dictionary, s. v., 798. 232 Vgl. Ps 9,6; 66,15; 67,29–31; 68,31; 76,6; 78,6; 80,16; 103,7; 105,8 f.; 106,9; 118,21; Sach 3,2; Hi 26,11. Das aramäische Verb findet sich z. B. in 1QM 14,10; 1 QapGen 20,28 f. Vgl. Stauffer, Art. ἐπιτιμάω, 620–622, mit Beispielen; Wolter, Lk, 202 f.; Kee, Terminology, 236; Busse, Wunder, 81; Fitzmyer, Lk/1, 546; Kirchschläger, Jesu exorzistisches Wirken, 61 f. 233 Lk 4,35.39.41; 8,24; 9,21.42.55.

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sowie seinen Umgang mit Dämonen, dem Wind, den Wogen des Wassers und auch mit seinen Jüngern.234 Jesu Machtausübung und sein autoritatives Auftreten wird immer als erfolgreich geschildert. Das Verb wird aber in Lk nicht ausschließlich in diesem Kontext verwendet. Auch andere Erzählfiguren handeln in solcher Art, dass der Erzähler zu ihrer Beschreibung das Verb ἐπιτιμάω wählt. Die Figurengruppe der Jesus Vorangehenden (προάγοντες [18,39]) befiehlt dem Blinden, er solle schweigen  – der hört aber nicht auf sie. Hierin liegt eine Beurteilung des Erzählers. Er beschreibt ihr Handeln mit einem Begriff, den er regelmäßig für Jesu Handeln nutzt und präsentiert ihr Handeln nun im Gegensatz zu Jesu Handeln als nicht erfolgreich. Sie versuchen eine Rolle einzunehmen, die ihnen nicht zusteht.235 Der Mann schreit daraufhin nur umso lauter und lässt sich von ihnen nicht einschüchtern. Der Erzähler gewährt ihnen hier, anders als dem Mann, keine direkte Rede, dies dient als weiterer Hinweis darauf, welcher Erzählfigur der Erzähler mehr Gewicht beimisst. Mittels des erneuten bittenden Rufes des Mannes zeigt der Erzähler dessen inständigen Wunsch, dass Jesus sich ihm zuwende sowie seine Hartnäckigkeit; er lässt sich von der Menge nicht einschüchtern und ist beharrlich. Indem der blinde Mann Hartnäckigkeit beweist, zeigt er ein Verhalten, dass Jesus in der Parabel des ungerechten Richters (18,1–8) als positives und wünschenswertes Verhalten beschrieben hat. In dieser Parabel wendet sich eine Witwe wiederholt mit der Forderung, ihr bei dem Erreichen von Gerechtigkeit zu helfen, an einen Richter.236 Der negativ charakterisierte Richter237 reagiert allein auf Grund ihrer Hartnäckigkeit.238 Snodgrass ordnet diese Parabel zusammen mit den Parabeln vom bittenden Freund (11,5–8) und vom Pharisäer und Zöllner (18,9–14) einer Gruppe zu; diese Gruppe setze sich aus „Parables concerning God and Prayer“239 zusammen. Der lk Erzähler führt die Parabel von der Witwe und dem Richter 234 Vgl. Mk 11,25par.; 9,25; Bovon, Lk/1, 512; Wolter, Lk, 202 f.358; Poplutz, Dämonen, 102 f.; Kirchschläger, Jesu exorzistisches Wirken, 146. 235  Vgl. kurz vorher Lk 18,15: Die Jünger versuchen die Kinder (αὐτοῖς) daran zu hindern, zu Jesus zu kommen; sie bedrohen sie bzw. fahren sie an. Dort schreitet aber Jesus ein, und korrigiert das Verhalten seiner Jünger. 236 Zu dieser Parabel vgl. Merz, Stärke, 667–680; Hultgren, Parables, 252–262; Snodgrass, Stories, 449–455; Wolter, Lk, 585–591; Cotter, Parable; Curkpatrick, Disso­ nance; ders., Parable; Marshall, Lk, 669–677; Tannehill, Lk, 262–265; Penny, Persistence. 237 In V. 2 führt der Parabelerzähler Jesus den Richter als κριτής τις ἦν ἔν τινι πόλει τὸν θεὸν μὴ φοβούμενος καὶ ἄνθρωπον μὴ ἐντρεπόμενος ein. In V. 4 bestätigt die Erzählfigur des Richters diese negative Charakterisierung in seinen Gedanken, die Jesus als direkte Rede wiedergibt: εἰ καὶ τὸν θεὸν οὐ φοβοῦμαι οὐδὲ ἄνθρωπον ἐντρέπομαι. Jesus bestärkt dieses negative Portrait in V. 6, wo er den Richter als ungerecht charakterisiert: ὁ κριτὴς τῆς ἀδικίας. 238 Vgl. Hultgren, Parables, 255.258; Merz, Stärke, 667–680. Generell zu Parabeln vgl. Zimmermann, Kompendium der Gleichnisse; ders., Hermeneutik; ders., Gleichnisse; Heininger, Metaphorik; Hultgren, Parables; Scott, Parable; Sellin, Lukas (1974); ders., Lukas (1975); Snodgrass, Stories; Schröter, Jesus, 231–243. 239 Vgl. Snodgrass, Stories, Table of Content.

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ausdrücklich als Parabel über das Gebet ein (18,1), was zeigt, in welchem Kontext die Parabel interpretiert werden soll. B. B. Scott schreibt, dass die most important use of parabole is in the introductory phrases by which he creates interpretive contexts for his readers. He does this in two distinct but related ways. In four cases he introduces a parable with its implied point, parallel to but not identical with the illustrand in the rabbinic parable.240

Lk  18,1 stellt eine der Stellen dar, bei denen der lk Text eine Parabel241 mit ihrer intendierten Aussage einleitet: Ἔλεγεν δὲ παραβολὴν αὐτοῖς πρὸς τὸ δεῖν πάντοτε προσεύχεσθαι αὐτοὺς καὶ μὴ ἐγκακεῖν. Die Erzählfigur der Witwe fungiert als beispielhafte Figur für Hartnäckigkeit im Gebet.242 Da diese Parabel im Erzählverlauf kurz zuvor berichtet und ausdrücklich mit ihrer beabsichtigten Deutung eingeführt wird, dürfte das positiv charakterisierte Verhalten der Witwe der Leserschaft noch in Erinnerung sein. Genau das exemplarisch von der Witwe gezeigte wünschenswerte und erstrebenswerte Verhalten nicht aufzugeben, sondern hartnäckig in der Gebetsausübung zu sein, taucht in der Handlung des blinden Mannes in Lk 18,38 f. auf und wird im Verhalten sowie in der Handlung des Mannes demonstriert, wodurch die Motivik der gebetsartigen Sprache und des gebetsartigen Verhaltens erneut betont wird. Als Jesus die Schreie des Blinden hört, befiehlt er, dass er zu ihm gebracht werde, und fragt ihn, was er für ihn zu tun wünsche. In seiner Antwort auf Jesu Frage adressiert der blinde Mann Jesus als κύριε,243 bevor er seinen Wunsch äußert: Er möchte sehen können (ἀναβλέψω, 18,41). Die Anrede Jesu mittels der Vokativform κύριε könnte einerseits als Anrede Jesu als höherstehende Autoritätsfigur244 aufgefasst werden, mit der der blinde Mann Jesus Respekt zolle, sie könnte aber auch auf eine (noch unvollständige) christologische Einsicht des Blinden hinweisen.245 Die Unklarheit ist auf die Ambiguität der Verwendung des Begriffs in Lk zurückzuführen, die nicht allein in der Anwendung des Begriffs als Bezeichnung für Jesus auftaucht, sondern zusätzlich in der Dualität bezüglich der Referenz des Begriffs auf Gott und Jesus, wodurch in Lk eine narrative Verbindung zwischen Gott und Jesus geschaffen wird.246 Des

240 Scott,

Parable, 28. Stärke, 667–679, spricht in ihrer Auslegung des Textes wechselnd von Parabel und Gleichnis. 242 Vgl. Heininger, Metaphorik, 208. 243 Zu κύριε vgl. Zimmermann, Namen, 169–232; Hahn, Hoheitstitel, 67–125; Schröter, Jesus, 344–345; Toit, Hoheitstitel, 516–517; Rowe, Christology, passim; Karrer, Jesus Christus, 340–349; Bietenhard, Art. κύριος, 926–933. 244 Vgl. z. B. Schreiber, Anfänge, 71.179; Rowe, Christology, 85.87; Toit, Hoheitstitel, 516; Zimmermann, Namen, 187–193. 245 Bezogen auf den Aussätzigen vgl. Rowe, Christology, 88. 246 Vgl. hierzu grundlegend Rowe, Christology. 241 Merz,

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Weiteren ist den Lesenden die von der Erzählfigur247 intendierte Konnotation nicht zugänglich, solange die Erzählfigur selbst oder der Erzähler sie nicht erklären würde. Hierauf weist auch Rowe hin, wenn er bezogen auf den Aussätzigen schreibt „his knowledge about Jesus on the basis of his one spoken line is an unrewarding field of speculation.“248 Er verweist zur Verwendung des Titels κύριε in Figurenrede auf das literarische Mittel der dramatischen Ironie, mittels derer der Erzähler seine Figuren mehr auszusagen lassen in der Lage ist, als sie wissen oder wissen können.249 Hinzu kommt auch hier wieder, dass der Erzähler auf den unterschiedlichen Erzählebenen unterschiedliche Konnotationen mit der Begriffsverwendung evozieren wollen könnte bzw. dass die Lesenden die unterschiedlichen Konnotationen wahrnehmen könnten. Auf Erzähl- bzw. Textebene kann es einfach eine respektvolle Anrede aus Sicht des Blinden darstellen, auf der Ebene der Narration aber (zwischen dem Erzähler und seiner Leserschaft) schwingt  – insbesondere zu diesem fortgeschrittenen Punkt innerhalb des Erzählverlaufs – die Konnotation des Hoheitstitels mit, der die Hoheit und Vollmacht Jesu evoziert.250 Rowe ist in seinem Urteil zuzustimmen, wenn er bewertet: „As elsewhere, Luke here exploits the semantic range and ambiguity of the vocative such that within the same word readers can hear both ‚sir/master‘ and ‚Lord‘ simultaneously.“251 In der folgenden Erzählung von Jesus und Zachäus (19,1–10) erfolgt die erste Benennung Jesu als „Herr“ (19,8) durch den Erzähler, so dass dort von einer eindeutig christologischen Würdenbezeichnung ausgegangen werden kann, bevor innerhalb der Figurenrede des Zachäus erneut der Vokativ κύριε zur Anwendung kommt. Nachdem Jesus dem Mann befohlen hat, wieder zu sehen, interpretiert er in seiner Figurenrede, mit der er dem blinden Mann antwortet, die Handlung des blinden Mannes, sich an Jesus zu wenden und um Hilfe zu bitten, als einen Akt des Glaubens und konstatiert, dass der Glaube252 des Mannes ihn geheilt/gerettet habe (ἡ πίστις σου σέσωκέν σε [18,42]). Nachdem der Mann wieder in der Lage ist zu sehen, preist er Gott, was der Erzähler mit dem Partizip δοξάζων (18,43) zusammenfasst, und folgt Jesus nach (ἠκολούθει). Ostmeyer deutet diesen Begriff als einen editorischen Gebetsbegriff

247 Dies gilt nicht allein für die Erzählfigur des blinden Mannes, sondern auch für den Aussätzigen (5,12–16) und den Hauptmann (7,1–10). 248 Rowe, Christology, 91. 249 Vgl. Rowe, Christology, 91 f. 250 Vgl. Rowe, Christology, 90.92.115 f. Auf die semantische Spannung weist auch Schreiber, Anfänge, 179, hin. 251 Rowe, Christology, 116. 252 Vgl. 5,20; 7,9.50; 8,25.48.50; 17,19. Zum Thema Glauben und Rettung in Heilungserzählungen vgl. Abschnitt 3.4 sowie Böttrich, Glaube, 399–421; Konradt, Rede, 423–450; Nolland, Lk/1, 349–362.415–423; Nolland, Lk/2, 843–848; Wolter, Lk, 222.272– 273.297.315.328.610.

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und als Schlüsselbegriff im Kontext von Jesus messianischen Taten.253 Die einzigen Erzählfiguren, die reagieren, indem sie Gott preisen, sind diejenigen, die Empfänger von Jesus messianischen Taten sind.254 Der Erzähler des Lk zeigt mittels dieses Begriffs, dass der Mann seine Heilung als Tat Gottes interpretiert, Gott also durch Jesus wirke.255 In seiner Antrittsrede in Nazareth (Lk 4,16–30) kündigte Jesus die Heilung von Blinden an und sagt dies in seiner Antwort auf die Täuferanfrage (Lk 7,22) als geschehen aus. Das Heilungssummarium, das der Erzähler direkt vor dieser Figurenrede Jesu einfügt, enthält die Erwähnung, dass Jesus Blinden das Augenlicht geschenkt habe (Lk  7,21). Die Heilungserzählung Lk 18,35–43 stellt aber die einzige exemplarische Blindenheilung bei Lk dar; in ihr stellt der Erzähler diesen spezifischen Teil von Jesu Wirken dar und verbindet ihn mit dem Lobpreis Gottes, wie er es auch in anderen Beispielen von Jesus messianischen Taten tut.256 Hier ist die prophetische Heilsverheißung, die Jesus in seiner Antrittsrede zitiert, nun in Jesu heilendem Wirken erfüllt. Zusätzlich zum geheilten Mann preist auch das Volk (λαός) Gott (ἔδωκεν αἶνον τῷ θεῷ [18,43]). Sie teilen die Ansicht des Mannes, dass Gott durch Jesus in der Heilung des blinden Mannes gehandelt habe. Das Nomen αἶνος taucht allein hier in einer Heilungserzählung auf; der Lobpreis, den dieses Nomen sowie das Verb αἰνέω anzeigen, ist allein für Gott reserviert.257

5. Fazit Die Krankheitsbeschreibungen werden nicht allein physisch auf eine Person einwirkend gezeigt, sondern als Krankheitskonstrukte darstellend, die sich aus verschiedenen Aspekten zusammensetzen zu denen physische, soziale, zeitliche,258 religiöse und kultische Parameter zählen sowie finanzielle Auswirkungen. In ihrer Gesamtheit bewirken sie eine umfassende Notlage für die Betroffenen (und z. T. deren Angehörige), die auch als Krisensituationen wahrgenommen werden kann. Einige der im Lukasevangelium als von einer solchen Krisensituation betroffen porträtierten Erzählfiguren versuchen diesen Krisen aktiv zu begegnen und sie zu beheben, indem sie sich in der Hoffnung auf Hilfe und Heilung für sich selbst oder andere Erzählfiguren an Jesus wenden. Das Wenden an Jesus geschieht dabei auf unterschiedliche Arten, die sich in einfallsreichen Handlungen, wie dem Aufdecken eines Daches oder dem Berühren seiner Kleidung, zeigen 253 Vgl.

Ostmeyer, Kommunikation, 313 f. Ostmeyer, Kommunikation, 281. 255 Vgl. zu Gott als Protagonist im Hintergrund: die Beiträge des Sammelbandes Eisen/ Müllner, Gott. 256 Vgl. 5,25 f.; 7,16; 13,13; 17,15; 18,43. Ostmeyer, Kommunikation, 281, ergänzt 2,20. 257 Vgl. Lk 2,13.20; 18,43; 19,37; Ostmeyer, Kommunikation, 300.313. 258 Z. B. die Dauer der Krankheit betreffend. 254 Vgl.

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können oder in verbalen Äußerungen, die von körperlichen Gesten begleitet werden können. Die sich verbal an Jesus wendenden Erzählfiguren schildert der Erzähler regelmäßig eine gebetsartige Sprache und Gestik nutzen lassend und unter zur Hilfenahme sog. „kommunikativer Gebetstermini“. Dieses Gestaltungsmittel ermöglicht es dem Erzähler, diese Hinwendung zu Jesus nach dem Vorbild der Hinwendung zu Gott in alttestamentlichen Gebeten zu gestalten, womit der Erzähler narrative Christologie zeichnet, die bewirkt, dass die Lesenden Jesus als Repräsentanten Gottes wahrnehmen, der in göttlicher Vollmacht Heilungen wirkt. In mehreren Erzählungen deutet Jesus das Vertrauen ausdrückende Verhalten der sich um Hilfe an ihn Wendenden als Glaube (vgl. Abschnitt 3.4). Innerhalb der Heilungserzählung des blinden Mannes vor Jericho (18,35–43) verwendet der Erzähler vier unterschiedliche sog. „kommunikative Gebetstermini“, um den blinden Mann sowohl Jesus um Hilfe bitten zu lassen als auch um Gott im Anschluss an die Heilung preisen zu lassen. Der blinde Mann muss seine intensive Bitte um Erbarmen, die in gebetsartiger Sprache formuliert ist, ein zweites Mal wiederholen, bevor Jesus ihn hört und zeigt mit dieser Wiederholung – auf die der Erzähler mittels der doppelten Figurenrede ein besonderes Gewicht legt – seine Hartnäckigkeit. Der Erzähler beschreibt die Kommunikation mit ἐβόησεν (18,38) und ἔκραζεν (18,39). Indem er 1. diese Terminologie verwendet, 2. den Mann seine Bitte in wörtlicher Rede, die beide Male sowohl die Bitte um Erbarmen in Verbindung mit dem Hoheitstitel Sohn Davids enthält, vortragen lässt und 3. ein besonderes Gewicht auf die Hartnäckigkeit des Mannes legt, porträtiert er den blinden Mann in seiner Kommunikation mit Jesus als deutliche Anklänge einer betenden Haltung aufweisend. Der Erzähler zeigt, dass der Mann diese Form der Kommunikation auch nach seiner Heilung beibehält; der Mann reagiert auf seine Heilung, indem er Gott preist, was eine Form des Gebets darstellt. Der Mann versteht seine durch Jesus gewirkte Heilung als Handlung Gottes. Das Volk reagiert in vergleichbarer Weise und wählt ebenfalls eine Form des Gebets, um ihre Reaktion auszudrücken. Der blinde Mann und Zachäus erscheinen als sowohl vergleichbare als auch als komplementäre und kontrastierende Erzählfiguren; beide zeigen Neugier, handeln ihr entsprechend und geben bei auftretenden Hindernissen ihren Wunsch nicht auf, wobei sich ihre Wege zum Erfolg aber als komplementär erweisen: Der blinde Mann zeigt Hartnäckigkeit und ruft erneut, Zachäus findet einen kreativen Lösungsweg. Der Kontrast spiegelt sich auch in ihrer grundlegend anderen finanziellen Situation wider (sie bleiben aber trotz allem vergleichbar, da beide zu Figurengruppen gerechnet werden können, die aus unterschiedlichen Gründen am Rande der Gesellschaft stehen und denen sich Jesus in besonderer Weise zuwendet) und in ihren deutlich unterschiedenen Wünschen: Der Blinde wünscht Erbarmen und Heilung, Zachäus wünscht, Jesus zu sehen. Beiden widerfährt Heil. Der Blinde wird geheilt und erhält die Zusage, sein

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Glaube habe ihn gerettet; Zachäus reagiert auf die Begegnung mit Jesus mit seiner Umkehr, auf die Jesu Aussage zur σωτηρία folgt. Der blinde Mann und Zachäus sind insofern komplementär, als sie zwei unterschiedliche zur Rettung führende Wege verkörpern: Der Blinde tritt aktiv für seine Rettung ein, indem er die Begegnung mit Jesus initiiert, Jesus um Erbarmen anfleht und Glauben zeigt; Zachäus kehrt aufgrund seiner Begegnung mit Jesus um und zeigt Buße.259 Die in den Reden Jesu auftauchenden zum Wortfeld „Rettung“ gehörenden Begriffe σωτηρία und σῷζω stellen eine zusätzliche semantische Verknüpfung zwischen beiden Erzählfiguren her.

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Soziale Konflikte und Errettung in den lukanischen Schriften Nils Neumann Die theologischen Aussagen der neutestamentlichen Schriften verdanken sich je ganz konkreten Entstehungssituationen. Vielfach erlauben die Texte selbst einen Blick auf diese Situationen, die sie widerspiegeln. Die Auffassung, der biblische Text sei ein Spiegel seiner Entstehungsumstände, darf allerdings nicht dazu verleiten, hinter jeder kleinen Bemerkung einen akkuraten Reflex auf die historische Situation anzunehmen. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass die Verfasser der Schriften mit Übertreibungen, mit Verallgemeinerungen und mit Polemik arbeiten, oder dass sie sich von ihrer subjektiven Wahrnehmung der Gegebenheiten leiten lassen. Plausibel ist das Bild von der Entstehungssituation einer Schrift insbesondere dann, wenn sich auch außerhalb dieser Schrift Indizien finden, die die gewonnene Hypothese bestätigen.1 Wird sie mit solcher Behutsamkeit betrieben, lohnt sich die Frage nach der historischen Verortung der neutestamentlichen Schriften. Seine spezifische Pragmatik kann der jeweilige Text ja erst dadurch entfalten, dass er eine theologische Aussage in eine ganz konkrete historische Situation hinein artikuliert. Diesen Zusammenhang möchte ich im Folgenden anhand der lukanischen Schriften demonstrieren, wobei ich in erster Linie das Lukasevangelium in den Blick nehme. Genauer gesagt wird es um die lk Soteriologie gehen. Und wo in Lk und Apg von der Errettung die Rede ist, ist in der Regel auch der soziale Konflikt nicht fern. Besonders deutlich machen dies die Textabschnitte des sog. ‚Sonderguts‘ in Lk. Sie erzählen von sozialen Konfliktsituationen, innerhalb derer das Heil sich ereignet, und lassen dadurch auch Rückschlüsse auf die Situation des sozialen Konflikts zu, in der sich die Adressatenschaft der Schriften befindet.2

1 Zu den Chancen und Grenzen des „Mirror-Reading“ vgl. Martyn, Law-Observant Mission; Barclay, Mirror-Reading. 2 Grundsätzlich zur Analyse von Konflikten in den lk Schriften vgl. auch Malina/Neyrey, Conflict. Die Autoren bieten eine sehr gute Einführung in die Analyse von Konflikten mit soziologischen Mitteln, konzentrieren sich in der exegetischen Umsetzung aber auf den Konflikt zwischen Jesus und den religiösen und politischen Autoritäten.

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1. Die lukanische Gemeinschaft Es ist ein Charakteristikum des Jesus des Lukasevangeliums, sich besonders häufig und dezidiert solchen Menschen zuzuwenden, die eine sozial schwache Position bekleiden. Diese Beobachtung lässt sich verstärkt in den Sondergut-Texten feststellen: Dazu gehören einerseits Menschen, die aus religiösen Gründen dubios sind, nämlich neben Zöllnern wie Zachäus (Lk 19,1–10; ferner 15,1 f.) und der Sünderin, die Jesus salbt (7,36–50), auch verschiedene andere Sünderinnen und Sünder sowie ein Krimineller (23,39–43) und ein Samaritaner (17,11–19; vgl. auch 10,25–37). Ebenfalls bezieht Jesus Position zugunsten von wirtschaftlich Schwachen. Zu den Armen weiß er sich programmatisch gesandt (4,16–30) und spricht sie in seinen Seligpreisungen an (6,20–23). Er erweckt den Sohn einer Witwe vom Tod, damit diese materiell abgesichert ist (7,11–17). Besonders wenig scheut Jesus den Kontakt zu Frauen: Zu den bereits genannten Begegnungen kommt sein Besuch bei Maria und Marta (10,38–42) sowie die Bemerkung, dass einige Jüngerinnen Jesus nachfolgen (8,1–3). Aus diesen Beobachtungen nun jedoch zu folgern, Lk sei ein reines „Evangelium für die Armen“ (nach 4,18) oder für die sozialen Außenseiterinnen und Außenseiter,3 ist zumindest eine einseitige Sicht. Denn obgleich es offenbar stimmt, dass Jesus auf Menschen am Rand der Gesellschaft zugeht, wirbt er gleichzeitig dafür, diese Menschen in die Gemeinschaft zu integrieren. Ein solcher werbender Appell richtet sich an die Adresse derer, deren Status als anerkannte Glieder der Gruppe unstrittig ist, die der Integration von Außenseiterinnen und Außenseitern aber offenbar skeptisch gegenüberstehen. So artikulieren die „Pharisäer und Schriftgelehrten“ regelmäßig ihr Missfallen darüber, dass Jesus den Kontakt zu „Zöllnern und Sündern“ sucht und mit ihnen Tischgemeinschaft hält. Besonders deutlich ist dies in Lk 15,1 f. der Fall, wo das murrende Missfallen der religiös Angesehenen gegenüber der Praxis Jesu den Anlass gibt, die drei Gleichnisse vom Verlorenen zu erzählen. Etwas Ähnliches wiederholt sich in der Zachäus-Episode: Auch hier wird ein „Murren“ laut, als Jesus sich in das Haus des Oberzöllners begibt und seine Gastfreundschaft annimmt. Allerdings handelt es sich bei den Murrenden an dieser Stelle um eine nicht näher charakterisierte Gruppe (19,7). Dass es sich bei diesem narrativen Muster um ein von Lk planvoll eingesetztes Mittel handelt, wird vollends mit Blick auf Lk  5,27–32 deutlich. Der Verfasser übernimmt die Szene von der Berufung des Zöllners Levi aus seiner Markus-Vorlage, ergänzt jedoch redaktionell die Bemerkung vom „Murren“ der Pharisäer und Schriftgelehrten (V. 30; diff. Mk 2,16). 3 Vgl. insbes. Degenhardt, Lukas – Evangelist der Armen; Schmithals, Lukas – Evangelist der Armen. Ähnlich auch Rüggemeier, Strategisches Erzählen, 68. Differenziert dazu Lohse, Evangelium.

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Durch die wiederholte Verwendung der Vokabel (δια)γογγύζω nimmt die lk Erzählung ein verbreitetes Motiv auf. Menschliches Murren entsteht da, wo die Mitglieder der Gemeinschaft sich von den als frustrierend empfundenen Gegebenheiten dazu verleiten lassen, Kritik am göttlichen Heilshandeln zu üben. Paradigmatisch in diesem Sinne ist das „Murren“ Israels während der Wüstenwanderung (Ex  15–17; Num  14–17). Die unbequeme Zeit in der Wüste lässt das Volk gegen Mose und Aaron aufbegehren; die Texte werten dieses Murren jedoch als eine letztlich gegen Gott gerichtete Haltung. Entsprechend dazu entzündet sich das Murren der Pharisäer und Schriftgelehrten in Lk an der Praxis Jesu. Dieser jedoch legt sodann auf unterschiedliche Weise dar, wie seine Begegnung mit den Zöllnern und Sündern dem Heilswillen Gottes gerade entspricht. Aufgrund der Bedeutung, die die lk Schriften dem narrativen Muster zumessen, muss dies auf ein für die lk Gemeinschaft relevantes Thema verweisen. Auch die Leserschaft, für die Lk bestimmt ist, befindet sich in einer angespannten Situation. Die Gemeinschaft ist heterogen:4 Sie umfasst neben Personen, die ein hohes soziales Ansehen besitzen, eben auch Angehörige von Randgruppen, deren Legitimation als Glieder der christlichen Gemeinschaft von den Angesehenen hinterfragt wird.5 Wäre dies nicht der Fall, müsste Lk nicht immer wieder einen solchen Grundkonflikt thematisieren. Dass nach lk Auffassung im frühen Christentum auch Pharisäer vertreten sind, geht aus Texten der Apg hervor. Es steht mit Paulus nicht nur ein pharisäisch geprägter Christ im Mittelpunkt des zweiten Hauptteils der Schrift (zur pharisäischen Identität des Paulus vgl. Apg 23,6; 26,5); darüber hinaus treten christliche Pharisäer auch als Rädelsführer der Forderung nach allgemein obligatorischer Toraobservanz beim sog. „Apostelkonzil“ in Erscheinung (15,5).6 Neben diese religiöse Dimension des sozialen Konflikts tritt eine ökonomische: Auch der Kontrast zwischen Armen und Reichen durchzieht das gesamte Lk – besonders prominent im Gotteslob der Maria (Lk 1,51–53), in den Seligpreisungen und Weherufen (6,20–26) sowie im Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (16,19–31) – und beschäftigt dann in seiner expliziten Konkretion auf die christliche Gemeinde auch die Apostelgeschichte. Dort kommen der Umgang mit Besitz und das Miteinander von Armen und Reichen programmatisch in Apg 4,32–5,11 zur Sprache, wo die Erzählung die ideale Praxis anhand eines positiven und eines negativen Beispiels erläutert. Später bricht an der Versorgung der Bedürftigen auch der Konflikt zwischen den hebräisch und den griechisch sprechenden Gliedern der Gemeinschaft auf (Apg  6,1). Wiederum berühren sich damit verschiedene Dimensionen des Konflikts: die ökonomische 4 Ausführlich dazu Robbins, Social Location, 318; zur Relevanz von Reinheitsvorstellungen in diesem Kontext siehe auch ebd., 328. 5 Vgl. hierzu auch Neumann, Überwindung, 144 f. 6 Vgl. darüber hinaus auch Apg  5,34–40, wo sich der Pharisäer Gamaliel im Synedrium zugunsten der Apostel einsetzt.

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Dimension und die Dimension der kulturellen Herkunft. In der Analyse sozialer Konflikte lassen sich diese Dimensionen zwar unterscheiden; die einzelnen Texte erlauben es hingegen häufig nicht, die Ursache der Konflikte auf eine dieser Ebenen zu beschränken. Das wird exemplarisch auch am Auftreten der gierigen Pharisäer deutlich (Lk 16,14), die Jesus durch das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus zum Nachdenken herausfordert. Zwar treten die Pharisäer sonst häufig als stereotype Gegenspieler der Zöllner und Sünder auf; hier jedoch tritt Jesus ihrer Geldgier (φιλαργυρία) entgegen. Die lk Gemeinschaft zeichnet sich somit durch ihre Heterogenität aus. Menschen von unterschiedlicher kultureller Herkunft, unterschiedlichem religiösen Ansehen und aus unterschiedlichen ökonomischen Verhältnissen kommen zusammen. Doch gerade auf Seiten derer, deren sozialer Status allgemein anerkannt ist, wittern die lk Schriften Widerstände, die dort laut werden, wo soziale Außenseiterinnen und Außenseiter zur Gemeinschaft hinzukommen. Besonders Lk thematisiert permanent soziale Konflikte. Die Apg erwähnt sie auch, rückt aber andere Themen stärker in den Fokus. Die Zusammensetzung der lk Gemeinden weist damit Parallelen zu derjenigen der paulinischen Gemeinden auf, wie sie etwa 1 Kor erkennen lässt. Nach der schlüssigen Hypothese von G. Theißen sind die Gruppe der Starken und die der Schwachen, welche Paulus im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den Genuss von Götzenopferfleisch anspricht (1 Kor  8,1–13), zumindest teilweise identisch mit den sozial Schwachen bzw. Starken, die an anderen Stellen des Briefs angesprochen werden (insbes. 1,26 f.).7 Ein einleuchtendes Argument für die Korrelation zwischen Fleischgenuss und Wohlstand ist die Tatsache, dass sich die sozial Schwachen im antiken Kontext selten Fleisch leisten können und den Genuss von Fleisch daher in erster Linie mit paganen religiösen Festen in Verbindung bringen.8 Im Gegensatz zu ihnen partizipieren die sozial Starken ausgiebiger am gesellschaftlichen Leben und hegen deshalb auch weniger Scheu vor entsprechenden Praktiken öffentlicher Anlässe.9 Die Schwachen (ἀσθενέω κτλ.) aus 1 Kor 8 heben sich also nicht nur durch ihr schwaches Gewissen von der Gruppe ab, die Paulus zum Umdenken auffordert, sondern auch durch ihre sozial schwache Position. Eine ähnliche Differenzierung zwischen Starken und Schwachen kennt auch die synoptische Überlieferung. In der mk Version der schon angesprochenen Szene von der Berufung des Zöllners Levi rechtfertigt Jesus sein Verhalten 7 Vgl. Theissen, Die Starken und die Schwachen, 158. Vgl. weiterhin ders., Soziale Integration, insbes. 185–200. Theissen rechnet damit, dass die korinthische Gemeinde den anderen hellenistischen Gemeinden im frühen Christentum  – zu denen ja auch die lk Gemeinschaft zählt – hinsichtlich ihrer sozialen Zusammensetzung ähnelt. Vgl. ders., Soziale Schichtung, 232. 8 Belege bei Theissen, Die Starken und die Schwachen, 158–162. 9 Vgl. Theissen, Die Starken und die Schwachen, 164–165.

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mit dem Ausspruch: „Nicht die Starken haben einen Arzt nötig, sondern die Kranken“ (Mk  2,17: οὐ χρείαν ἔχουσιν οἱ ἰσχύοντες ἰατροῦ ἀλλ’ οἱ κακῶς ἔχοντες). Lk ersetzt in seiner Redaktion ἰσχύω durch ὑγιαίνω (Lk  5,31) und spitzt die Differenz zwischen Stärke und Schwäche dabei stärker in Richtung von Gesundheit und Krankheit zu. Interessanterweise beobachtet auch der Sozialphilosoph A. Honneth in seiner Analyse des gesellschaftlichen „Kampfes um Anerkennung“10, dass in modernen Kontexten häufig Bilder der physischen Verletzung sprachlich zum Ausdruck bringen, was diejenigen empfinden, denen soziale Anerkennung verweigert wird.11 Das vorliegende Beispiel aus der synoptischen Tradition zeigt, dass das Phänomen zumindest an dieser Stelle auch in der antiken Welt des Neuen Testaments existiert. Die gemeindliche Situation, die der Verfasser des Lk vor Augen hat, lässt sich ebenfalls als die eines Ringens um die Anerkennung von Außenseiterinnen und Außenseitern erklären. Ob man hier von einem veritablen Kampf sprechen möchte, ist eine Ermessensfrage. Deutlich ist jedoch, dass Jesus sich gegenüber den stereotypen Kritikern klar für die Integration von „Zöllnern und Sündern“ einsetzt und sich auch entgegen der Gepflogenheiten nicht vor dem Kontakt zu Samaritanern, Frauen und Kriminellen scheut. Der Diskurs um Armut und Reichtum in den lk Schriften läuft insgesamt sogar auf die Position zu, dass eine menschliche Haltung, die auf Besitz fixiert ist und diesen nicht mit anderen teilen will, sich als schädlich für die betreffenden Menschen erweist (Lk 12,13–21; 16,19–31; Apg 4,32–5,11). Mit Blick auf vormoderne Kulturen merkt auch Honneth an, dass diese zwar eine vergleichbare gesellschaftliche Dynamik erkennen lassen, soziale Anerkennung hier jedoch treffender im Sinne von „Ehre“ verstanden werden sollte.12 Dass Ehre und Schande überaus wichtige Motoren antiker gesellschaftlicher Interaktion darstellen, hat auch die neutestamentliche Wissenschaft seit einiger Zeit erkannt.13 Antike Vorstellungen von Ehre und Schande wiederum hängen eng damit zusammen, welchen Platz eine Person innerhalb der sozialen Hierarchie einnimmt und welche soziale Position sie bekleidet.14 Nach der klassischen 10 So der Titel von Honneths Hauptwerk Kampf um Anerkennung. In seiner Analyse moderner sozialer Strukturen geht Honneth davon aus, dass sich Anerkennung insbesondere auf drei Ebenen zeigt, nämlich Liebe, Recht und Solidarität (vgl. ebd., 148–211). Wo gesellschaftlichen Gruppen oder Individuen die Anerkennung verweigert wird, kommt es zum „Kampf“ um Anerkennung. Diesen betrachtet Honneth als entscheidenden Motor gesellschaftlicher Änderungsprozesse (ebd., 149). Innerhalb der neutestamentlichen Forschung hat Popp, Kunst, die Theorie Honneths für seine Analyse des 1. Petrusbriefs fruchtbar gemacht. 11 Vgl. Honneth, Kampf, 218. 12 Vgl. Honneth, Kampf, 199. 13 Vgl. insbes. Malina, New Testament World, 27–57. Patterson, World, 9 f., erklärt die antiken Vorstellungen zu Ehre und Schande im Licht jüngerer soziologischer Forschungen zur „sozialen Dominanz“. In dem menschlichen Bedürfnis nach sozialer Dominanz erblickt Patterson eine anthropologische Konstante. 14 Vgl. dazu insbes. Rohrbaugh, Honor, 111.

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Einteilung von G. Lenski sind Macht und Privilegien, die die Verteilung von Wohlstand und Prestige regeln, entscheidende Indikatoren, an denen ablesbar ist, welcher gesellschaftlichen Schicht Personen angehören.15 Vor dem Hintergrund der bisherigen groben Beobachtungen zu den lk Schriften lassen sich einige Merkmale für gesellschaftliches Ansehen identifizieren, die in diesen Texten wesentlich sind. Es ergibt sich eine offene Skala sozialer Hierarchie. Auf der linken Seite der folgenden Übersicht finden sich die Merkmale, die einer Person Chancen auf ein hohes Maß an Macht, Privilegien und Prestige ermöglichen, während umgekehrt die Merkmale auf der rechten Seite geringere Chancen auf Macht, Privilegien und Prestige eröffnen. Gerechtigkeit ↔ Sünde Reichtum ↔ Armut Männlichkeit ↔ Weiblichkeit Gesundheit ↔ Krankheit Dabei können mehrere dieser Merkmale sich verstärkend zueinander verhalten, wie etwa im Fall des Pharisäers Simon (Lk 7,36–50), dessen Aktivität als Gastgeber Jesu einen gewissen Wohlstand impliziert; oder im Fall der Witwe, die nicht nur eine Frau, sondern durch den Tod des Sohnes auch von Armut bedroht ist (7,11–17). Andererseits treten bei Lk aber auch viele Figuren auf, bei denen sich ambivalente Merkmale miteinander verbinden: So ist die Sünderin von Lk 7,36–50 offenkundig wohlhabend, da sie ein kostbares Salböl besitzt; und der Oberzöllner Zachäus (19,1–10) verfügt über größere Geldsummen. Die religiöse Beurteilung dieser zuletzt genannten Personen als Sünderin bzw. Sünder gibt für die Gesprächspartner Jesu den entscheidenden Grund dafür ab, weshalb sie ihnen kritisch gegenüberstehen und auch das Verhalten Jesu ablehnen, der den Kontakt zu ihnen nicht scheut. Für das Sozialprestige16 der genannten Personen sind also manche Merkmale stärker ausschlaggebend als andere. Insbesondere die religiöse Beurteilung menschlichen Verhaltens entscheidet darüber, ob die gesellschaftlich bestimmende Meinung einzelnen Personen mit Wertschätzung oder mit Geringschätzung begegnet. Folglich genießen die lk „Zöllner und Sünder“ kein gutes Ansehen, auch wenn es sich bei ihnen bisweilen um wohlhabende Leute handelt.17 Ganz generell sind die antiken Konstrukte von Ehre und Schande eng mit dem menschlichen Verhalten assoziiert.18 Die Zuerkennung von Ehre oder Schande entscheidet sich nicht in erster Linie daran, welcher sozialen Schicht jemand angehört, sondern insbesondere daran, ob die Person sich ihrer sozialen Po15 Vgl.

Lenski, Power. Vgl. dazu auch Stegemann/Stegemann, Sozialgeschichte, 64 f. dazu Stegemann/Stegemann, Sozialgeschichte, 61; ferner auch Honneth, Kampf, 201. 17 So auch Adrian, Mutuum date, 172 f. 18 Vgl. dazu auch Honneth, Kampf, 199; Rohrbaugh, Honor, 115; Patterson, World, 6. 16 Vgl.

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sition gemäß verhält. Als ehrenhaft werden Personen wahrgenommen, die eine angesehene gesellschaftliche Position bekleiden und sich den an diese Position geknüpften sozialen Erwartungen entsprechend verhalten; als schandhaft hingegen gilt es, wenn eine Person sich nicht gemäß der geltenden Normen verhält.

2. Das „dramatische Dreieck“ bei Lukas Deutlich geworden ist bereits, dass der lk Jesus sich unkonventionell verhält. Er sucht regelrecht den Kontakt zu gesellschaftlich marginalisierten Personen und handelt sich dafür immer wieder Schelte von Seiten derer ein, die die Einhaltung der geltenden Normen fordern. Lk lässt dabei ein narratives Lieblingsschema erkennen, durch das er dieses unkonventionelle Verhalten Jesu kontinuierlich thematisiert.19 In seiner Studie Lukas als Gleichniserzähler hat G. Sellin bereits vor guten 50 Jahren nachgewiesen, dass die lk Sondergut-Gleichnisse ein wiederkehrendes Schema von Figuren-Konstellationen erkennen lassen.20 Sellin nennt dieses Schema das „dramatische Dreieck“21: An der Spitze des Dreiecks steht Gott oder ein anderer Repräsentant der himmlischen Welt als maßgebliche Autorität, der mit zwei diametral verschiedenen Personen interagiert. Diese „ungleichen Zwillinge“22 befinden sich gewissermaßen an der Basis des Dreiecks und repräsentieren die unterschiedlichen Haltungen, die Menschen Gott gegenüber an den Tag legen können. Im Mittelpunkt des Interesses steht bei Sellin das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das in den Diskurs über Barmherzigkeit zwischen Jesus und dem Schriftgelehrten eingebettet ist (Lk 10,25–37). Die von Gott gewünschte menschliche Haltung der Barmherzigkeit kristallisiert sich hier im barmherzigen Verhalten, in der konkreten Hilfsbereitschaft gegenüber dem Mann, der unter die Räuber gefallen war. Der Mann aus Samaria bringt dem Verletzten diese tätige Hilfsbereitschaft entgegen, während zuvor der Priester und der Levit vorübergegangen sind, ohne zu helfen. Das ungleiche Zwillingspaar wird in diesem Gleichnis somit von dem Samaritaner auf der einen und vom Priester und dem Leviten auf der anderen Seite gebildet. Als Repräsentanten des gleichen Verhaltens lassen sich letztere dabei als Einheit begreifen.23 Das Kriterium, anhand dessen das Verhalten der ungleichen Zwillinge beurteilt wird, ist die aktive bzw. unterlassene Barmherzigkeit gegenüber dem Verletzten. Diese 19 Zu den erzählerischen Vorlieben lk Sondergut-Gleichnisse vgl. auch Rüggemeier, Strategisches Erzählen, 66–68. 20 Sellin, Lukas als Gleichniserzähler. 21 Sellin, Lukas als Gleichniserzähler 1, 182. 22 Sellin, Lukas als Gleichniserzähler 1, 180, spricht von einem „antithetischen Zwillingspaar“. 23 So auch Sellin, Lukas als Gleichniserzähler 2, 32 f.

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spiegelt eben nicht nur das Verhältnis, das die auftretenden Figuren zu dem hilfsbedürftigen Mann einnehmen, sondern nach der Logik des Gesprächs zwischen Jesus und dem Schriftgelehrten auch ihr Verhältnis zu Gott. Die Interaktion zwischen den drei Akteuren (a) verletzter Mann bzw. Gott, (b) Priester und Levit und (c) Samaritaner bestimmt damit die Handlung. Eine entsprechende dreieckige Handlungsstruktur weisen weitere Gleichnisse des lk Sonderguts auf. Zu ihnen zählen die folgenden Textsequenzen: – das Gleichnis von den beiden Schuldnern (7,41 f.), das in die Szene von der Salbung durch die Sünderin integriert ist: Hier geht es um die Interaktion zwischen den beiden Schuldnern und ihrem Gläubiger; – das Gleichnis vom „Verlorenen Sohn“ (15,11–32): Es erzählt vom Verhältnis des Vaters zu seinen beiden Söhnen; – das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (16,19–31): Beide gelangen nach ihrem Tod in den Hades und treten dort mit Abraham in Kontakt; – das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (18,9–14): Beide kommen in den Tempel, um zu beten, und suchen damit zumindest implizit den Kontakt zu Gott. Obwohl die Narratologie in der neutestamentlichen Wissenschaft seiner Zeit noch keine allgemeine Verbreitung gefunden hat,24 entwirft Sellin hier bereits ein aktantiales Modell lk Gleichnisse. Ähnlich wie V. Propp dies in seiner Analyse russischer Zaubermärchen unternommen hat,25 identifiziert auch Sellin 24 Dafür ist es auch noch etwas zu früh, denn auf breiter Ebene etabliert sich die Narratologie ja erst Anfang der 1980er Jahre innerhalb der exegetischen Forschung. 25 Ursprünglich in russischer Sprache bereits 1928 veröffentlicht, wird Propps Buch ab den 1960er Jahren durch Übersetzungen ins Englische, Französische und Deutsche auf noch breiterer Basis rezipiert (deutsch: Propp, Morphologie). Propp führt die Struktur der von ihm untersuchten Märchen in seinem Buch auf eine Abfolge von insgesamt 31 „Funktionen“ zurück (ebd., 31–66). Nicht jede Funktion wird in jedem Märchen aktualisiert, jedoch bleibt die Reihenfolge stabil. In Propps „Funktionen“ verbinden sich handelnde Personen und Handlung miteinander. Propp formuliert sie so, dass in den meisten Fällen genau eine handelnde Figur und ein Ereignis benannt werden, z. B. „Der Held verlässt das Haus“ (43), „Der Held wird zum Aufenthaltsort des gesuchten Gegenstands gebracht, geführt oder getragen“ (52), „Der Gegenspieler wird besiegt“ (54) oder „Der Held vermählt sich und besteigt den Thron“ (64). In den passivischen Wendungen deutet sich dabei an, dass auch andere Figuren an der erzählten Handlung beteiligt sind. Noch stärker als den Ansatz von Propp wurde in der biblischen Wissenschaft das Modell wahrgenommen, das Greimas, Semantik, vorschlägt. Unter expliziter Bezugnahme auf Propp stellt dieser ein weniger komplexes Schema vor. Seinem Ansatz nach lassen sich in „mythischen“ Erzähltexten insgesamt sechs typische Handlungsträger („Aktanten“) identifizieren, die einander paarweise in binären Oppositionen zugeordnet sind: Subjekt und Objekt – Helfer und Gegner – Sender und Empfänger (vgl. ebd. 157–177, insbes. 165). Zur Anwendung dieses Ansatzes in der Exegese vgl. Feder, Aktantenanalyse. In seiner Analyse von James-Bond-Romanen hat schließlich auch Eco, Erzählstrukturen, ein aktantiales Modell aufgestellt, welches damit rechnet, das eine gegebene Anzahl von Funktionen in variierender Abfolge die Tiefenstruktur der Erzählungen bilden. In Ecos Funktionen interagieren jeweils zwei der auftretenden Figuren miteinander.

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wiederkehrende und damit typische Personen in den Texten, die er bearbeitet. Zwischen diesen ereignet sich eine Abfolge charakteristischer Handlungsschritte. Propp bezeichnet diese Handlungsschritte als „Funktionen“; sie bilden die Bausteine der konkreten Erzählung. Mit der typischen Abfolge der Funktionen gewinnt Propp einen Einblick in die „Tiefenstruktur“ der Texte.26 Durch die gewählte Beschränkung auf lk Gleichnisse ist es Sellin entgangen, dass die dreieckige Tiefenstruktur sich auch noch auf weitere Textabschnitte des lk Sonderguts und auch der Apostelgeschichte erstreckt.27 In der Regel nimmt hier Jesus die Position an der Spitze des Dreiecks ein: – Beim Gastmahl des Pharisäers Simon interagiert Jesus mit dem Gastgeber und der Sünderin (7,36–50). – Im Haus von Maria und Marta positioniert sich Jesus gegenüber dem ungleichen Verhalten der beiden Schwestern (10,38–42). – Nach der Heilung der zehn Aussätzigen kehrt nur ein einziger von ihnen zu Jesus zurück, um ihm seine Dankbarkeit auszudrücken; dieser aus Samaria stammende Geheilte steht damit im direkten Kontrast zu den anderen neun (17,11–19). – Anlässlich des Besuches Jesu beim Zöllner Zachäus regt sich der Unmut einer namenlosen Menge; mit ihrem stereotypen „Murren“ befindet sich diese im Kontrast zum Verhalten des Oberzöllners (19,1–10). – Am Kreuz hängt Jesus zwischen zwei Verbrechern, von denen einer in den Spott der Menge einstimmt, während der andere sich die eigene Schuld eingesteht und die Unschuld Jesu betont (23,39–43). – In Apg rücken dann die Apostel und namentlich Petrus an die Position an der Spitze des Dreiecks. Den wünschenswerten Umgang mit Landbesitz in der christlichen Gemeinschaft verdeutlichen dort das positive Beispiel des JosefBarnabas und das negative Beispiel von Hananias und Saphira (Apg 4,32– 5,11), die erkennbar antithetisch parallel zueinander aufgebaut sind. Eine weitere Beobachtung mag die Einsicht zusätzlich plausibilisieren, dass die genannten Gleichnisse mit den anderen genannten Szenen eine übereinstimmende Tiefenstruktur aufweisen: Sellin hat die lk Gleichnisse wegen ihrer wiederkehrenden Anfangs-Wendung als ἄνθρωπός-τις-Gleichnisse28 bezeichnet: ἄνθρωπός τις κατέβαινεν ἀπὸ Ἰερουσαλὴμ εἰς Ἰεριχώ (10,30); ἄνθρωπός τις εἴχεν δύο υἱούς (15,11); ἄνθρωπος δέ τις ἦν πλούσιος (16,19); ähnlich auch 18,10: ἄνθρωποι δύο ἀνέβησαν εἰς τὸ ἱερόν; und 7,41: δύο χρεοφειλέται ἦσαν δανιστῇ τινι. Die lk Vorliebe der Einführung neuer Figuren in die Erzählung mit 26 Zum Begriff der „Tiefenstruktur“ vgl. Busse, Analyse. Schon Sellin, Lukas als Gleichniserzähler 1, 172–174, bezieht sich in seiner Analyse lk Gleichnisse auf die Methodik Propps. 27 Vgl. hierzu auch Neumann, Bewegungen, 377 f. 28 Sellin, Lukas als Gleichniserzähler 1, 175.

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τις findet sich nun mehrfach auch in den genannten Szenen, die nicht zu den Gleichnissen gehören. Wie auch in den Gleichnissen kann die Formulierung dabei leicht variieren: γυνὴ δέ τις ὀνόματι Μάρθα ὑπεδέξατο αὐτόν (10,38); ἀνὴρ δέ τις Ἁνανίας ὀνόματι σὺν Σαπφίρῃ τῇ γυναικὶ αὐτοῦ ἐπώλησεν κτῆμα (Apg  5,1); vgl. auch Lk  7,36: ἠρώτα δέ τις αὐτὸν τῶν Φαρισαίων ἵνα φάγῃ μετ’ αὐτοῦ. In Lk 17,12 schließlich bezieht sich das Indefinitpronomen auf die Ortschaft, die den Schauplatz der Handlung abgibt, da hier nicht nur einer oder zwei Handlungsträger eingeführt werden, sondern deren zehn: καὶ εἰσερχομένου αὐτοῦ εἴς τινα κώμην ἀπήωτησαν αὐτῷ δέκα λεπροὶ ἄνδρες. Neben der Figurenkonstellation teilen die genannten Gleichnisse und Begegnungen Jesu auch einen weiteren inhaltlichen Zug, nämlich ihre Pointe. Diese besteht regelmäßig darin, dass der Kontrast zwischen den ungleichen Zwillingen eine überraschende Wendung erfährt. Die Zwillingspaare sind in der Regel so konstruiert, dass hier eine Person oder Gruppe mit hohem Sozialprestige einer einzelnen Figur gegenübergestellt wird, die am Rand der Gesellschaft steht und von der stärkeren Fraktion darum nicht als legitimer Teil der Gemeinschaft akzeptiert wird. Gerade diese zuletzt genannte Person zeigt dann jedoch ein Verhalten, das Jesus gutheißt, während die sozial etablierte Kontrastfigur dieses Verhalten vermissen lässt: Die Sünderin wird im Haus des Pharisäers Simon nicht gern gesehen; jedoch bringt sie mit ihrem Verhalten Jesus eine Aufmerksamkeit entgegen, die der Gastgeber nicht in diesem Maße gezeigt hat (7,44–46). Der Mann aus Samaria ist aus judäischer Perspektive in religiöser Hinsicht überaus suspekt;29 jedoch sieht Jesus seine Hilfsbereitschaft bzw. Barmherzigkeit als entscheidend an. Darin unterscheidet sich der Samaritaner von dem Priester und dem Leviten im Gleichnis (10,36–37). Maria kommt ihren Pflichten als Gastgeberin nicht nach; jedoch erfährt ihre lernbegierige Haltung eine positive Bewertung durch Jesus (10,41 f.). Als der Sohn, der sich im Gleichnis vom Vater entfernt hatte, nach Hause zurückkehrt, wird er durch den Vater freudig empfangen.30 Sein Bruder nimmt eine abwehrende Haltung ein und wird durch 29 Die Entwicklung in der Bewertung der Samaritaner aus judäischer Perspektive hat Hensel, Von „Israeliten“ zu „Ausländern“, sehr differenziert untersucht. Mit der Charakterisierung des Samaritaners als „Ausländer“ (ἀλλογενής) teilt Jesus eine Einschätzung, die sich auch bei Josephus findet (vgl. ebd., 483–486). Erst Josephus habe nach Hensel durch seine Schriften eine abschätzige Sichtweise verfestigt, deren Ursprünge in der hasmonäischen Zeit zu suchen sind, als das Verhältnis zwischen Judäern und Samaritanern durch den Konflikt beschädigt wurde, der mit der Zerstörung des Garizim-Heiligtums einen Höhepunkt erreicht. Erst infolge dieses Konflikts sei es zu einer Dynamik wechselseitiger Abgrenzung gekommen, in der beide Seiten für sich beanspruchten, die einzige legitime Kultstätte zu besitzen (ebd., 479 f.). Vgl. auch Sellner, Heil Gottes, 209 f.; Rüggemeier, Strategisches Erzählen, 68 f. 30 Alle drei Gleichnisse vom Verlorenen zielen darauf ab, die Freude über das Wiederfinden zu begründen und anschaulich zu schildern. Das Verhalten des jüngeren Sohnes daher auf ganzer Linie als vorbildhaft zu bezeichnen, liefe an dieser Akzentsetzung vorbei. Seine reumütige Rückkehr steht im Mittelpunkt und löst die Freude des Vaters aus, die ihn dazu bewegt, den zurückgekehrten Sohn ehrenvoll zu behandeln und ein Fest zu veranstalten. Zwar

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den Vater zur Mitfreude eingeladen (15,25–32). Nach ihrem Tod gelangen sowohl Lazarus als auch der reiche Mann in den Hades. Lazarus empfängt dort Trost in Abrahams Schoß, während der ehemals Reiche unter Feuershitze leidet (16,22–24). Von den zehn vom Aussatz geheilten Männern kehrt nur einer zu Jesus zurück, und dieser ist auch noch Samaritaner. Durch seine Frage zeigt Jesus am Schluss der Szene an, dass er das Verhalten der anderen neun als mangelnde Ehrerbietung gegenüber Gott betrachtet (17,18). Im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner sprechen beide ein kurzes Gebet. Während der Pharisäer dabei seine Geringschätzung gegenüber dem Zöllner ausdrückt, weiß dieser um seine Stellung als Sünder und bittet Gott um Gnade. Angesichts dessen bekräftigt Jesus die Gerechtigkeit des Zöllners, welche dem Pharisäer fehlt (18,14). Der Zöllner Zachäus schließlich nimmt Jesus als Gast in sein Haus auf und zeigt sich zudem freigiebig. Dem Missfallen der Menge begegnet Jesus mit dem Hinweis auf die Abrahamskindschaft des Zöllners (19,9). Auf diese Weise kommt es zu einer Neubewertung derer, die als Außenseiterinnen und Außenseiter gelten. Sie werden durch Jesus mit Wertschätzung bedacht, fungieren darüber hinaus aber vielfach auch als Vorbilder.31 Was sich hier vollzieht, lässt sich als „Statuswechsel“ beschreiben. In einigen Fällen greift Jesus den Kontrast am Ende der Szene explizit auf und konstatiert noch einmal die für die Leserschaft überraschende neue Bewertung. Das von Lk bevorzugte narrative Schema umfasst  – trotz aller zweifellos vorhandenen Ausnahmen – also eine erkennbare Abfolge wiederkehrender Ereignisse. Es lässt sich durch die folgenden Funktionen charakterisieren: 1. Zwei Konfliktparteien stehen einander gegenüber: eine Person oder Gruppe (A), deren Merkmale sie als Figur mit hohem Sozialprestige ausweisen, und eine Person oder Gruppe (B), die kein gutes Ansehen genießt. 2. Der genannte soziale Unterschied wird allgemein als gegeben hingenommen. Manche der genannten Szenen steigern diesen Aspekt dahingehend, dass sie erzählen, wie B die Anerkennung durch A verweigert wird. 3. Es kommt zu einer gelingenden Begegnung zwischen B und Jesus bzw. Gott. Dabei ist nicht festgelegt, von welcher der beiden Seiten die Initiative ausgeht. Entweder sucht Gott bzw. Jesus die Gemeinschaft zu B, die sich häufig als hat der ältere Sohn nach eigener Auskunft ein solch großes Fest noch nicht für sich in Anspruch genommen. Nach der Ansicht des Vaters hätte dem jedoch nichts entgegen gestanden. Daher wirbt dieser gegenüber dem älteren Sohn für Verständnis und lädt ihn zur Mitfreude über die Rückkehr des Bruders ein – so wie auch Jesus in der Rahmenhandlung gegenüber den Pharisäern und Schriftgelehrten für die Mitfreude angesichts des Wiederfindens des Verlorenen wirbt. Treffend charakterisiert darum Inselmann, Freude, 253, die Mitfreude in Lk  15 als „Gemeinschaftsfreude“. 31 So sieht auch Sellin, Lukas als Gleichniserzähler 2, 51, den Samaritaner als „Identifikationsfigur“. Zu der lk Vorliebe für die Inszenierung von unerwarteten Charakteren als Vorbild-Figuren vgl. ferner auch Bindemann, Ungerechte.

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Tischgemeinschaft realisiert, und zeigt B damit Anerkennung oder B bewegt sich auf Gott bzw. Jesus zu und erfährt infolgedessen Anerkennung. 4. Einige der Szenen heben dieses erstaunliche Moment noch weiter hervor, indem sie erwähnen, wie A sich gegen Jesus bzw. Gott oder gegen die gelingende Begegnung empört. 5. Die B entgegengebrachte Wertschätzung erhebt nun den Anspruch, sich auch positiv auf das Verhältnis zwischen A und B auszuwirken: Entweder erklärt Jesus B zum Vorbild für A oder Jesus lädt A zur Mitfreude über die Anerkennung von B ein. Die beiden letzten Elemente des lk Handlungsschemas zeigen deutlich an, dass es der Erzählung an diesen Stellen darum geht, zwischenmenschliche Verhältnisse zu beeinflussen und zu gestalten. Die Gemeinschaft, für die die lk Schriften bestimmt sind, umfasst angesehene und weniger angesehene Glieder. Lk rechnet seitens der Angesehenen mit Vorbehalten gegenüber der Integration von Sünderinnen und Sündern, die in die Gemeinschaft umkehren (Lk 15,1 f.). Deswegen führt er den sozial Starken die himmlische Freude über das Wiederfinden der Verlorenen vor Augen (Kap. 15) und lädt sie zur Mitfreude ein. Mit der Zielsetzung, das Verlorene zu finden und zu erretten, lässt sich die Mission Jesu für Lk programmatisch beschreiben (19,10). Der Verfasser rechnet darüber hinaus auch vereinzelt mit Überheblichkeit der religiös etablierten Gruppe gegenüber den reumütigen Sünderinnen und Sündern (18,9). Wo dies der Fall ist, stellt er das Verhältnis zwischen vermeintlich sündigen und vermeintlich gerechten Menschen vom Kopf auf die Füße (18,14).

3. Vertiefung: Die Liebe der Sünderin (Lk 7,36–50) Das dreieckige Handlungsschema, für das insbesondere Lk eine Vorliebe erkennen lässt, liegt also sowohl einigen Gleichnissen als auch einigen Begegnungen Jesu zugrunde. Auffällig ist dabei, dass beide Elemente – Gleichnis und Begegnung – sich in der Episode von der „Salbung Jesu durch die Sünderin“ (Lk  7,36–50) miteinander verbinden und sich wechselseitig erläutern. Diese Szene verdient daher eine nähere Betrachtung. Als ungleiche Zwillinge treffen hier zwei Figuren von ganz unterschiedlichem Sozialprestige aufeinander. Sowohl der Pharisäer Simon als auch die Frau verfügen über überschüssige Ressourcen32. Dies impliziert die Erzählung, indem sie Simon als Gastgeber fungieren lässt und das Alabastergefäß mit Salböl erwähnt, das die Frau mitbringt. Doch obwohl folglich beide wohlhabend sind, genießen sie nicht das gleiche öffentliche Ansehen. Als Angehöriger der Gruppe 32 So

der Terminus nach Friesen, Poverty, 341.

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der Pharisäer hat Simon ein hohes soziales Prestige.33 Die bei Lk ausgedrückte Kritik am pharisäischen Selbstbewusstsein ist ja nur deshalb erforderlich, weil die öffentliche Meinung in ihnen die Gerechtigkeit idealtypisch verkörpert sieht. Auch Jesus erkennt dies grundsätzlich an, wenn er die Gruppe der „Pharisäer und Schriftgelehrten“ (Lk 15,2) in den Gleichnissen vom Verlorenen mit den „Gerechten, die keine Umkehr nötig haben,“ (15,7) identifiziert. Im Unterschied dazu handelt es sich bei der Frau um eine Person, die aus religiösen Gründen marginalisiert ist. Der Text charakterisiert sie sofort als „Sünderin“ (7,37). Als solche nimmt sie auch der Gastgeber wahr, der es als nicht statthaft empfindet, dass Jesus dieser Frau gestattet, sich ihm zu nähern. In seinem inneren Monolog34 drückt sich die Reserviertheit des Pharisäers aus. Die Etikettierung der Frau als „Sünderin“ wird noch einmal wiederholt (V. 39). Ohne dass das Stichwort (δια)γογγύζω an dieser Stelle fällt, entspricht die Haltung des Pharisäers damit anderen typisch lk Darstellungen vom Widerstand religiös etablierter Gruppen gegen die Begegnung zwischen Sünderinnen bzw. Sündern und Jesus (vgl. 5,30; 15,2; 19,7). Die beschriebene Reaktion Simons deutet an, dass die Frau öffentlich als Sünderin bekannt ist. In exegetischen Arbeiten zu der Szene wird gern darüber diskutiert, welches konkrete Verhalten diese Frau denn nun als Sünderin ausweise. Einerseits stilisiert Lk die Szene als Symposion,35 so dass hier die Anwesenheit von Hetären zu erwarten wäre.36 Andererseits ist die Frau vom Gastgeber ja gerade nicht gern gesehen. Überlegungen zur konkreten Sünde dieser Frau bleiben also spekulativ. Dem Text ist nicht daran gelegen, ihre Verfehlungen genauer zu spezifizieren. Der Sprachgebrauch zeigt jedoch an, dass es sich bei ihr um eine Person handelt, die gewohnheitsmäßig ein sündhaftes Verhalten zeigt.37 Viel wichtiger als die Frage nach der Art ihrer 33 Den hohen gesellschaftlich-politischen Einfluss der Pharisäer thematisiert auch Josephus, etwa in A. J. 18,16 f. 34  Interessanterweise führen Charaktere der lk Sondergutgleichnisse regelmäßig Selbstgespräche, durch die die Leserschaft Anteil an ihren inneren Entscheidungsprozessen erhält. Der reiche Kornbauer fragt sich, was er mit seiner üppigen Ernte anfangen soll (Lk 12,17–19), der verlorene Sohn erwägt, als Lohnarbeiter wieder zu seinem Vater zurückzukehren (15,17– 19), und der ungerechte Verwalter überlegt, wie er angesichts seiner bevorstehenden Entlassung vorausschauend handeln kann (16,3 f.). Sellew, Interior Monologue, nennt als weitere Belege die Gleichnisse vom ungerechten Richter (18,1–5), vom Weinbergbesitzer (20,9–16 // Mk 12,1– 9) sowie vom treulosen Diener (Lk 12,42–46 // Mt 24,45–51) und weist darauf hin, dass die lk Texte die inneren Monologe mehrfach mit der Wendung „er sprach bei sich selbst“ o.ä. (εἶπεν ἐν ἑαυτῷ in Lk 18,4; ähnlich auch 12,17; 15,17) einleiten. Eine entsprechende EinleitungsWendung findet sich nun auch in 7,39 (εἶπεν ἐν ἑαυτῷ), auch wenn es sich hier weder um ein Gleichnis handelt, noch der Pharisäer explizit darüber nachsinnt, was er als nächstes zu tun gedenkt. Dennoch zeigt sich in der Parallele die lk Vorliebe für narrative Innenansichten durch das Mittel des Selbstgesprächs. 35 So auch insbes. Smith, Table Fellowship; ferner Corley, Private Women, 124. 36 Vgl. v. Bendemann, Liebe, 165–167. 37 Zur Wortbedeutung von ἁμαρτωλός vgl. S anders , Jesus and the Sinners, der die ἁμαρτωλοί, mit denen Jesus sich umgibt, auf den hebräischen Begriff ‫ רשעים‬zurückführt, der

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Sünde ist im vorliegenden Text das überraschende Verhalten der Frau, das Jesus positiv bewertet. Es besteht unter den Anwesenden freilich kein Konsens darüber, ob das Verhalten der Frau zu begrüßen sei oder nicht. Jesus erkennt oder erspürt das Missfallen des Pharisäers, das die Erzählung mit seinem inneren Monolog thematisiert, und nimmt darauf Bezug. Die an Simon gerichtete Rede Jesu fungiert als Antwort (V. 40: ἀποκριθείς) auf dessen inneren Monolog. Interessanterweise ergeht diese Antwort nicht in einer expliziten Affirmation; vielmehr erzählt Jesus seinem Gastgeber ein Gleichnis. Dieses wird ebenfalls durch eine dreieckige Figurenkonstellation geprägt (V. 41 f.): Ein Gläubiger hat zwei Schuldner, von denen einer ihm einen höheren, der andere einen geringeren Geldbetrag schuldet. Aus Gründen der Zahlungsunfähigkeit erlässt der Gläubiger beiden ihre Schulden. Jesus beschließt die kurze Erzählung mit einer an den Pharisäer gerichteten Frage: „Welcher von beiden wird ihn nun mehr lieben?“ (V. 42). Die Antwort liegt auf der Hand: „Ich nehme an, der, dem er mehr geschenkt hat,“ sagt Simon. Und Jesus bekräftigt seine zutreffende Einsicht (V. 43), um sie dann auf die vorliegende Situation anzuwenden. Damit verläuft das Gespräch in dieser Szene parallel zu dem Dialog zwischen Jesus und dem Schriftgelehrten, dem er das Gleichnis vom „barmherzigen Samariter“ erzählt (Lk 10,25–37). Die Frage des Schriftgelehrten: „Und wer ist mein Nächster?“ (10,29) beantwortet Jesus nicht einfach. Stattdessen nutzt er die eingeschobene Erzählung von dem Mann, der unter die Räuber gefallen ist, um daran anschließend seinen Gesprächspartner, den Schriftgelehrten, nach dessen eigener Einschätzung zu fragen: „Wer von diesen dreien, meinst du, ist Nächster geworden für den unter die Räuber Gefallenen?“ (V. 36). Die naheliegende Antwort spricht dieser dann auch umgehend aus: „Derjenige, der ihm Erbarmen erwiesen hat“ (V. 37). Daraufhin bekräftigt Jesus wiederum die Antwort und

sich in Texten der hebräischen Bibel auf Personen bezieht, die willentlich und wiederholt vom Willen Gottes abweichen (so etwa in Ps 1,1; vgl. ebd. 8). Explizit merkt Sanders an, dass auch Lk diesem Sprachgebrauch folgt (10). Zur Semantik von ἁμαρτωλός bei Lk vgl. auch Jantsch, Jesus, 48 f. Allerdings begreift Jantsch die Sünde als menschlichen „Wesenszug“ (49), der aus menschlicher Initiative heraus schlechterdings nicht überwunden werden könne. Damit wendet er sich gegen den Vorschlag von Taeger, Mensch, 225, sowie ders., Paulus, 104, der in seinen Arbeiten zur lk Anthropologie und Soteriologie die Möglichkeit des Menschen zur Mitwirkung am eigenen Heil erblickt (54). Zugunsten von Taegers Interpretation lässt sich mit Lk 7,36–50 festhalten, dass sich dieser Text nicht auf eine fixe Abfolge von Vergebung und Liebe festlegen lässt. Beides bedingt sich vielmehr wechselseitig: Während das Gleichnis die Liebe als Folge der Vergebung beschreibt, spricht Jesus der Sünderin die Vergebung infolge ihres Liebeserweises zu. Die Annahme, dass sich bereits vorher eine Begegnung zwischen beiden ereignet haben müsse, bleibt hypothetisch und hat keinen Anhalt am Text. Auch andere Figuren innerhalb der lk Erzählung ergreifen die Initiative und gehen auf Jesus zu, um dadurch Heil zu erfahren, wie etwa der samaritanische Aussätzige (Lk 17,12 f.15 f.) oder Zachäus (19,3 f.). Zurückhaltend gegenüber der Initiative des Zachäus ist Sellner, Heil, 110 f.

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bindet sie an die Ausgangsfrage zurück (V. 37).38 Die Gesprächsverläufe in Lk 7,36–50 und 10,25–37 gleichen einander somit in den folgenden Punkten: 1. Ein Problem tritt auf: Eine Frage wird implizit oder explizit an Jesus herangetragen (7,36–39; 10,25–29). 2. Jesus reagiert darauf, indem er ein Gleichnis erzählt (7,40–42; 10,30–35). 3. Das Gleichnis schließt mit einer Rückfrage Jesu an den Fragesteller (7,42; 10,36). 4. Dieser beantwortet die Frage zutreffend, da sich die Antwort vor dem Hintergrund des Gleichnisses überaus nahelegt (7,43; 10,37). 5. Jesus bekräftigt die zutreffende Einsicht und wendet sie auf das Ausgangsproblem an (7,43–47; 10,37). In mehreren Publikationen hat bereits P.-G. Klumbies darauf hingewiesen, dass Jesus in Lk 10 einen sokratischen Gesprächsstil pflegt.39 Ebenso, wie Sokrates es in seinen Dialogen praktiziert hat, gibt Jesus seinen Gesprächspartnern hier keine Antwort vor, sondern unterstützt sie dabei, eigenständig zur Erkenntnis zu gelangen. Er wirkt somit als Geburtshelfer der Einsicht, indem er die sokratische Hebammenkunst (Maieutik) anwendet. Die parallele Gesprächsdynamik in Lk 7,36–50 bekräftigt, dass Klumbies hier etwas für Lk Charakteristisches beschrieben hat. Dafür spricht ferner die Beobachtung, dass Lk auffällig häufig die konkrete Problemsituation schildert, für die die Gleichnisse Jesu bestimmt sind: Das Gleichnis vom reichen Kornbauern (12,16–21) richtet sich an den Mann, der einen Teil des Erbes von seinem Bruder erstreiten möchte; Jesus warnt ihn durch das Gleichnis vor Habgier (12,13–15). Die Gleichnisse vom Verlorenen (15,3–32) spricht Jesus zu den murrenden Pharisäern und Schriftgelehrten, um sie zur Mitfreude über das Wiederfinden zu gewinnen (15,1 f.). Und das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (18,10–14) erzählt Jesus solchen Menschen, „die davon überzeugt sind, selbst gerecht zu sein, und die anderen verachten“ (18,9). Auch wenn diese zuletzt genannten Beispiele keinen expliziten Rückbezug auf die jeweilige Ausgangssituation beinhalten, verfolgen sie dennoch deutlich auch ein konkretes didaktisches Ziel. Die lk Gleichnisse zeichnen damit das Bild von einem Jesus, der um Verständnis wirbt und auf die Einsicht derer setzt, die seiner Haltung gegenüber kritisch sind. Jesus verzichtet regelmäßig darauf, autoritativ vorzugeben, was richtig ist, sondern aktiviert die Fähigkeit seiner Gesprächspartner zum Verständnis. In der Szene im Haus des Simon versteht der Pharisäer den Zusammenhang zwischen vergebener Schuld und Liebe hinsichtlich ihres Ausmaßes. Nach der Logik des 38 Der Imperativ σὺ ποίει ὁμοίως (V. 37) greift dabei die Frage auf, die der Schriftgelehrte Jesus zu Beginn des Gesprächs gestellt hatte: τί ποιήσας (V. 25). 39 Klumbies, Sterben, 292; ders., Himmelfahrt, 152 f.; ders., Nachhall, 45. Skeptisch hingegen Rüggemeier, Strategisches Erzählen, 82, Anm. 11.

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Gleichnisses begründet die Erfahrung der erlassenen Schuld die Liebe dessen, dem sie vergeben wurde, gegenüber demjenigen, der vergibt.40 Solche Liebe erblickt Jesus bei der Frau, die ihm die Füße gesalbt hat (7,47). Anlass zur Diskussion und vereinzelt auch zur Spekulation ergibt sich dabei jedoch in der Forschungsliteratur aufgrund der inkohärent wirkenden Reihenfolge von Vergebung und Liebe (V. 41–43). Im Gleichnis und in dessen Deutung durch Simon ist die Liebe sehr deutlich die Folge der Vergebung. Innerhalb der Situation im Haus des Pharisäers, auf die Jesus das Gleichnis überträgt, wirkt es hingegen so, als spreche Jesus der Sünderin die Vergebung erst infolge des Liebeserweises zu, welchen sie ihm entgegengebracht hat (V. 47 f.). Die Inkohärenz bewegt manche Fachleute zu der Annahme, es müsse bereits zuvor eine durch Lk unerwähnte Begegnung zwischen Jesus und der Frau gegeben haben, anlässlich derer Jesus ihr die Sünden vergeben habe.41 Diese bereits geschehene Vergebung bekräftige er dann in V. 48 nur noch einmal. Andere, die eine solche Hypothese zu Recht als für zu voraussetzungsreich erachten, erklären die Inkohärenz literarkritisch42 und rechnen mit einer etwas ungelenken Verbindung von Gleichnis und Erzählstoff durch den Redaktor. Diese Hypothese ist wiederum deshalb schwer zu plausibilisieren, da sie dem Verfasser des Lk eine gewisse Unachtsamkeit unterstellen muss, obwohl dieser – wie gezeigt – seine Erzählung und insbesondere die Einbettung der Gleichnisse sehr planvoll gestaltet. Näher liegt aus diesen Gründen m. E. die Erklärung, dass es hier gar nicht beabsichtigt ist, eine fixe und verbindliche Abfolge von Liebe und Vergebung zu lehren. Vielmehr begünstigt beides sich nach lk Auffassung wechselseitig. Die Szene beschreibt, wie „Anerkennung“ sich ereignet. Dazu bedarf es von vorn herein mehrerer Beteiligter. Zwar initiiert die Frau im vorliegenden Text die Begegnung, doch zeugt ihr Verhalten von der Zuversicht, bei Jesus auch Annahme zu finden, die sich dann im Zuspruch der Vergebung explizit artikuliert. Von dieser Zuversicht mobilisiert benetzt die Frau Jesu Füße mit ihren Tränen, trocknet sie mit ihren Haaren, küsst sie und salbt sie mit Öl (7,38). Jesus deutet dies als ein von Liebe motiviertes Verhalten. Die ursächliche Verknüpfung zwischen Vergebung und Liebe, die in V. 47 durch die mehrdeutige Konjunktion ὅτι ausgedrückt wird, will nicht in die eine oder andere Richtung aufgelöst werden. Der Szene geht es zentral darum, ein Musterbeispiel für Liebe und Annahme zu geben. Dieser Vorbildhaftigkeit, die dem Verhalten der Frau zugemessen wird, widmet sich die Erzählung vergleichsweise ausgiebig. Zug für Zug stellt Jesus das Verhalten der Frau dem Verhalten des Gastgebers gegenüber, um damit zu 40 Damit lässt das Lukasevangelium eine Haltung erkennen, die über marktwirtschaftliche Interessen hinausgeht und auch das antike Reziprozitätsdenken sprengt, da es ein theologisch begründetes Ideal zeichnet, das spendabel gegenüber den sozial Schwachen agiert. Vgl. dazu Adrian, Mutuum date, insbes. 338. 41 In diese Richtung denkt auch Corley, Private Women, 125–127. 42 So etwa Braumann, Schuldner, 488 f.; Taeger, Mensch, 189 f.

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zeigen, dass ihre Zuwendung die Bemühungen des Pharisäers in allen Punkten übertrifft: Während dieser Jesus nicht die Füße gewaschen, ihn nicht geküsst und nicht gesalbt hat, hat die Frau dies alles getan (V. 44–46). Dabei handelt es sich nicht um einen Vorwurf, als habe Simon seine Pflichten als Gastgeber verletzt; vielmehr liegt die Pointe darin, dass die von der Frau gezeigte Liebe die Bemühungen seines Gastgebers noch übertrifft. In puncto Liebe wird die Frau damit zum Vorbild. Zwar reicht ihr Sozialprestige nicht an das des Pharisäers Simon heran; ihr Verhalten jedoch geht über die Zuwendung, die der Pharisäer Jesus entgegengebracht hat, hinaus. Mit seiner abschließenden Äußerung deutet Jesus das Geschehen dann noch einmal in soteriologischer Hinsicht: „Dein Glaube hat dich gerettet“ (7,50). Die Zuversicht, mit der die Frau auf Jesus zugegangen ist, und ihre tätige Liebe können als Glaube (πίστις) beschrieben werden.

4. Heil bei Lukas Die zugewandte Haltung und die Heilszusage Jesu gegenüber der Sünderin von Lk 7,36–50 verhält sich stimmig zu anderen lk Szenen, die den Umgang Jesu mit sündigen Menschen und Leuten aus dem Zollgewerbe thematisieren. In Lk 15 verdeutlichen die Gleichnisse vom Verlorenen die himmlische Freude über die Sünderinnen und Sünder, die umkehren (15,7.10). Das Motiv vom Suchen und Finden nimmt auch der Programmsatz auf, mit dem die Zachäus-Szene endet: „Der Menschensohn ist gekommen, um das Verlorene zu suchen und zu retten“ (19,10).43 Mit der Zusammenstellung von „Suchen“ (ζητῆσαι) und „Retten“ (σῶσαι) betont dieser Ausspruch wiederum die soteriologische Tiefe des Vorgangs von Suchen und Finden, so wie auch die Szene von der Salbung durch die Sünderin in einer explizit soteriologischen Aussage gipfelt. Allerdings weisen die Vokabeln der Gruppe σῷζω κτλ. ein gewisses Bedeutungsspektrum auf. An vielen Stellen der synoptischen Evangelien bezeichnet 43 In der Mitte des 20. Jahrhunderts stand das Lukasevangelium aufgrund seines vermeintlichen soteriologischen Defizits in der Kritik. Herausragend war dabei etwa Vielhauer, „Paulinismus“, insbes. 11 f.15, mit dem Urteil, der Verfasser der Apg halte das Kreuz für einen „Justizirrtum“ und stehe insgesamt auf dem Boden des „Frühkatholizismus“. Differenziert dazu auch Kümmel, Lukas. Ein Argument für diese These war die Beobachtung, dass Lukas das „schöne“ kreuzestheologische Jesuswort auslasse, das er in Mk 10,45 doch vorgefunden habe. Vgl. zu dieser Auslassung auch Sellner, Heil, 410. M. E. eliminiert Lk dieses Logion jedoch nicht vollständig, sondern prägt es deutlich um, wobei er es auch in einen anderen Kontext verpflanzt. Das Schlusswort der Zachäus-Perikope greift den Anfang von Mk 10,45 auf und beansprucht nach lk Logik, ebenso programmatisch zu sein wie Mk 10,45 im zweiten Evangelium. Den Satzanfang führt Lk 19,10 dann jedoch in charakteristisch lk Manier fort. Inhaltlich hat Lk dabei evtl. noch die Berufung des Levi im Kopf, die in einer ähnlichen Pointe gipfelt (s. o.; vgl. Mk 2,17 // Lk 5,32).

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σῷζω die Heilung einer Krankheit oder eines körperlichen Gebrechens durch Jesus. In einem luziden Aufsatz hat B. Bosenius an mk Texten demonstriert, dass die Schrift die Vokabeln σῷζω κτλ. schillernd verwendet, so dass für jeden Fall diskutiert werden kann, welche Aspekte sich vom jeweiligen Kontext her besonders nahe legen, ohne dass sich dabei immer ein abschließendes und eindeutiges Urteil gewinnen ließe.44 Ebenso ist auch bei den lk Aussagen zu fragen, welches Geschehen genau gemeint ist, wo von „Rettung“ die Rede ist. Auffälligerweise gehört der Satz: „Dein Glaube hat dich gerettet“ (7,50: ἡ πίστις σου σέσωκέν σε) zu den Lieblingsformulierungen des Lk. Insgesamt viermal spricht Jesus diesen Satz als Schlusswort am Ende einer Szene. Zwei dieser vier Belege übernimmt Lk aus seiner Markusvorlage, nämlich als Abschluss der Heilung der blutflüssigen Frau (Mk  5,34  //  Lk  8,48) und als Abschluss der Heilung des blinden Bartimäus (Mk 10,52  //  Lk 18,42). Beide mk Belege gehören also in den Kontext von Heilungswundern. Ähnlich gelagert ist die Verwendung des Ausspruchs in dem Sondergut-Text Lk 17,19, wo Jesus sich an den vom Aussatz geheilten Mann aus Samaria wendet.45 Demgegenüber überrascht es, dass sich die Aussage ἡ πίστις σου σέσωκέν σε in 7,50 innerhalb eines Kontexts findet, in dem es nicht um körperliche Heilung geht.46 Lk findet die Lieblingswendung „Dein Glaube hat dich gerettet“ folglich in mk Heilungsepisoden vor. Schon dort ist der Begriff „retten“ schillernd.47 Lk verwendet den Satz im Sondergut nun austauschbar innerhalb seines Lieblings-Erzählschemas vom dramatischen Dreieck.48 Deutlich geht es in 7,50 um Errettung im Sinn von Anerkennung und Annahme durch Jesus. Soziale Grenzen werden durchbrochen; Jesus macht sich zugunsten von Menschen mit geringem sozialem Prestige stark. 44 Bosenius,

„Retten“. Heil, 211 f., weist darauf hin, dass in dieser Szene das Heil des Samaritaners sich von der Heilung der anderen neun Aussätzigen abhebt. Auch hier verschiebt sich also bereits der Akzent gegenüber den mk Belegen. Im Ergebnis verwendet die Szene das Verb σῷζω damit mehrdeutig. 46  Daher geht Jantsch, Jesus, 38, davon aus, dass an dieser Stelle ein „anderer Verwendungszusammenhang“ von σῷζω vorliegt. M. E. zeigt die wiederkehrende Formulierung, die sich bei Lk innerhalb der unterschiedlichen Kontexte findet, hingegen gerade an, dass der dritte Evangelist nicht zwischen Heil und Heilung differenziert, sondern vielmehr in den verschiedenen Szenen unterschiedliche Situationen erblickt, in denen sich dasselbe Heil auf unterschiedliche Weise ereignet. Zum lk Gebrauch dieser Formulierung vgl. auch Taeger, Mensch, 189. 47 Vgl. Bosenius, Retten, insbes. 182 f. 48 Schon Braumann, Schuldner, 489 f., nimmt die Belege für die Formulierung bei Mk und Lk wahr. Da er aber mit einer großen Treue von Lk gegenüber der Überlieferung innerhalb des lk Sonderguts rechnet, kann er nur schlussfolgern, dass die Wendung auf eine ältere Tradition zurückgehen müsse, aus der sich sowohl die mk Belege wie auch diejenigen des lk Sonderguts speisen. Ich hingegen halte es für wahrscheinlich – wie auch Braumann es in einem Nebensatz erwägt (490) –, dass Lk sich größere Freiheiten gegenüber seinem Material genehmigt (vgl. dazu auch die Beiträge in Müller/Tang Nielsen [Hg.], Luke’s Literary Creativity) und entsprechend auch die Worte ἡ πίστις σου σέσωκέν σε am Ende der genannten Sondergut-­ Episoden platziert. 45 Sellner,

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In der Episode von den zehn Aussätzigen durchdringen die beiden Ebenen der Heilung und der Anerkennung einander.49 Es ist kein Zufall, dass Jesus die Worte einem Samaritaner zuspricht. Denn dadurch wird wieder ein sozialer Außenseiter zum Vorbild (wie schon der Samaritaner in 10,25–37 u. ö.). Auch in der Zachäus-Szene ereignet sich Heil (19,9 f.: σωτηρία und σῷζω) ohne Heilung. Sowohl in den Heilungs-Episoden als auch in den Begegnungen mit Sünderinnen und Sündern sowie Samaritanern begibt sich Jesus in die Nähe von Menschen, die  – aus unterschiedlichen Gründen  – am Rand der Gesellschaft stehen. In diesen wie in jenen Szenen geschieht Rettung, die sich dahingehend auswirken soll, dass diese Menschen die Möglichkeit erhalten, wieder in die Gemeinschaft integriert zu werden und Anerkennung zu erfahren. Heil und Heilung sind bei Lk somit zwei Seiten derselben Münze. Sie gegeneinander abzugrenzen oder gar das eine gegenüber dem anderen für theologisch bedeutsamer zu halten, liegt nicht im Interesse des dritten Evangelisten.50

5. Das Programm des lukanischen Jesus Besonders die Beachtung sowohl der Soziologie als auch der Soteriologie in den lk Schriften ermöglicht es, die Pragmatik der diskutierten Texte präzise zu begreifen. „Einleitung“ und „Theologie“ sind gemeinsam in den Blick zu nehmen: Lk schreibt für eine heterogene Leserschaft. Zu der christlichen Gemeinschaft, die er vor Augen hat, zählen neben einer vermutlich kleinen aber einflussreichen Gruppe von sozial angesehenen und selbstsicheren Leuten51 auch solche, die nach geltenden Anschauungen am Rand der Gesellschaft stehen und daher nach Ansicht der Starken lieber nicht zur christlichen Gemeinschaft gehören sollten. Doch gerade den sozialen Außenseiterinnen und Außenseitern wendet Jesus sich zu. Es kommt immer wieder zu heilvollen Begegnungen. Heil und Heilung wird denen zuteil, die nach der vorherrschenden Meinung für gering erachtet werden. Insbesondere Sünderinnen und Sünder, die umkehren, lösen im Himmel große Freude aus (Lk 15,7.10) und sind dazu in der Lage, demjenigen Liebe zu zeigen, der ihnen vergibt (7,36–50). Die „Gesunden“ hingegen, die 49 So auch Gaiser, „Your Faith …“, 300; anders Jantsch, Jesus, 45 u. ö., der Heilung und dem „vollen Heil“ bei Lukas differenziert. 50 Freilich hat die spätere systematische Theologie dann unter dem Einfluss der paulinischen Soteriologie eine Differenzierung für wichtig erachtet. So erklärt es sich, dass auch in der exegetischen Fachliteratur häufig eine solche Unterscheidung eingezogen wird. Weniger schillernd als σῷζω sind in den lk Schriften die Verben θεραπεύω und ἰάομαι: Beide betonen den körperlichen Aspekt von Heilung. Dabei hat jedoch Totsche, „Sie kamen …“, gezeigt, dass auch ἰάομαι soteriologisch geprägt ist, da die betreffenden Aussagen Gott als Subjekt der Heilung voraussetzen. 51 Mit Blick auf die korinthische Gemeinde der Paulusbriefe spricht Theissen, Soziale Schichtung, 235, hier von der „dominierende[n] Minorität“.

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gerecht sind (5,31 f.), haben keine Umkehr nötig (15,7). Ihnen muss weniger vergeben werden, und daher zeigen sie auch weniger Liebe (7,47). Sie stehen in Gefahr, in überheblicher Weise auf andere herabzuschauen (18,9). Diese in der christlichen Gemeinschaft vorhandenen Vorbehalte, die sich narrativ vor allem in der Haltung der Pharisäer und Schriftgelehrten artikulieren, begegnet Lk durch den Hinweis auf die ganz anders geartete Praxis Jesu. Jesus lässt die Nähe gerade der marginalisierten Menschen nicht nur zu, sondern sucht sie sogar aktiv (konkret etwa 19,5). Dies drückt sich in den bildhaften Aussprüchen vom Suchen und Finden aus (19,10; ferner Lk 15). Mit dieser Charakterisierung Jesu bemüht sich Lk darum, für Verständnis zu werben. Die himmlische Freude über das Wiederfinden will geteilt werden. „Freut euch mit mir“ (συγχάρητέ μοι), sagen die Hauptfiguren in den lk Gleichnissen (15,6.9; vgl. auch 15,31 f.). Diesen Appell richtet Lk insbesondere an den pharisäisch geprägten Teil seiner Leserschaft.52 Ein mehrfach benutztes theologisches Argument, das die Praxis Jesu legitimiert, ist der Verweis auf die Abrahamskindschaft aller Menschen, die zum Gottesvolk gehören  – einschließlich der gesellschaftlich Marginalisierten. So hält Jesus mit Blick auf den Zöllner Zachäus fest: „Auch er ist ein Sohn Abrahams“ (19,9). Abraham ist es auch, der im Hades für den armen Lazarus Partei ergreift und ihn tröstet (16,22–25). Noch bevor Jesus geboren wird, führt Marias Lobgesang (1,46–55) den Statuswechsel zwischen sozial Starken und sozial Schwachen umfassend aus. Seine Parteinahme zugunsten von Geringen und Hungernden gegenüber den Mächtigen und Reichen (1,51–53) hat Gott bereits den Vätern angekündigt. So schließt das Magnificat mit dem Hinweis, dass diese Zusage Gottes ewig gilt, und zwar für „Abraham und seine Kinder“ (V. 55). Der Lobgesang der Maria macht deutlich, dass die Zuwendung Jesu zu Außenseiterinnen und Außenseitern sich nicht nur konkret auf sündige Menschen beschränkt  – auch wenn Lk dieser Thematik besonders breiten Raum gewährt.53 Auch Arme und Kranke erfahren Heil und können auf diese Weise in die Gemeinschaft integriert werden. So erklärt es Jesus bereits in seiner „Antrittspredigt“ mit Jes  61,1 f.: Sein Wirken ist eine „Frohbotschaft für die 52 Ich sehe in der offenkundigen hellenistischen Prägung der Leserschaft kein Argument dafür, dass die lk Gemeinschaft die im Text geschilderten Ressentiments gleichsam nur aus der Außenperspektive zur Kenntnis nähme. Lk macht die pharisäische Position derartig häufig und dezidiert zum Thema, dass er m. E. mit einem entsprechenden Einfluss innerhalb seiner Adressatenschaft rechnen muss. Anders Rüggemeier, Strategisches Erzählen, 70. Allerdings sieht auch Rüggemeier, ebd., 76, wie ausgiebig der lk Jesus sich mit den Pharisäern und ihren Ansichten auseinandersetzt. Zur sozialen Verortung der lk Schriften siehe auch Robbins, Social Location, 326. 53 Auch Samaritaner, die im Lukasevangelium trotz der bestehenden Widerstände mehrfach als Vorbilder fungieren, gehören ausdrücklich zu der christlichen Gemeinschaft, wie die lk Schriften sie sich vorstellen (siehe insbes. Apg 1,8). Vgl. Rüggemeier, Strategisches Erzählen, 77.

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Armen“ (Lk 4,18 f.). Während Jesus Kranke heilt,54 macht er die Armen nicht wohlhabend. Vielmehr wirkt er darauf hin, dass diese durch die Gemeinschaft versorgt werden, indem er die Vorläufigkeit des Besitzes betont und Habgier kritisiert. Diese Sicht auf den Reichtum, die die Gefahr des Besitzes unterstreicht und dazu anregt, freigiebig zu sein, drückt sich besonders in den Gleichnissen des Lk aus (insbes. Lk 12,13–21; 16,19–31; aber auch 16,1–9). Apg schildert sodann die Umsetzung dieser Überzeugungen in der christlichen Gemeinde (v. a. Apg 4,32–35,11; 6,1–3). Dass auch Frauen ihren Platz in der Gemeinschaft haben, machen die lk Schriften auf mehrfache Weise deutlich: Einerseits befinden sich unter den sozial Schwachen, denen die Zuwendung Jesu gilt, auch Frauen (Lk 7,11–17; 8,43–48 // Mk 5,25–34). Darüber hinaus nennt Lk explizit auch Jüngerinnen Jesu (8,1–3)55 und bringt in der Episode von Maria und Marta ein Beispiel dafür, dass es für eine Frau legitim ist, bei Jesus zu sitzen, um ihm zuzuhören (10,38–42). Nebenbemerkungen der Apg zeigen ferner, dass die christliche Gemeinde, wie die lk Schriften sie beschreiben, selbstverständlich auch Frauen umschließt, die auf unterschiedliche Arten Verantwortung übernehmen (etwa Apg  5,1; 9,36; 12,12; 16,14 f.; 21,9). Mit diesen Akzenten verfolgen die lk Schriften die Zielsetzung, die christliche Gemeinschaft zu stärken, die eine heterogene Gemeinschaft ist. Sie wissen um die Konflikte, die das Miteinander belasten. Vor dieser Folie zeichnen sie in parallelen Handlungsverläufen ein Bild vom Wirken Jesu und von der Ausbreitung seines Zeugnisses, die soziale Grenzen überwinden. Mit seinen Gleichnissen führt Jesus auch die Leserinnen und Leser zur Einsicht. Soziale Unterschiede werden dabei nicht nivelliert; wohl aber wirken die Schriften auf die Anerkennung der Außenseiterinnen und Außenseiter durch die Gemeinschaft hin, so wie die Schriften selbst es exemplarisch vorführen.

54 Vom heutigen Standpunkt aus ist es zumindest problematisch, dass die Kranken geheilt werden müssen, um sozial integriert werden zu können. Für die Vision, dass Menschen auch mit ihren körperlichen Beeinträchtigungen vollwertige Glieder der Gemeinschaft sein können, reicht die Phantasie des dritten Evangelisten innerhalb seines antiken Kontexts offenbar nicht aus. Zur Kritik der lk Heilungen als „Normalisierungs“-Episoden vgl. insbes. Wilhelm, Wer heilt hier wen? Wilhelm bezieht sich mit ihrer Kritik neben den Heilungswundern insbes. auch auf Lk  14,12–14, wo die Armen, Verkrüppelten, Gelähmten und Blinden als Gäste zweiter Klasse zum Mahl geladen werden (vgl. ebd., 11). 55 Vgl. dazu Bieberstein, Verschwiegene Jüngerinnen, insbes. 25–75; vgl. ferner Corley, Private Women, 108–119.

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Πορνεία in der korinthischen Gemeinde Zur Argumentation des Paulus in 1 Kor 5,1–13; 6,12–20 Tanja Forderer Der 1. Korintherbrief befasst sich in den Kapiteln 5–7 mit einzelnen Vorfällen in der korinthischen Gemeinde, die für Paulus πορνεία sind: In 1 Kor 5,1–13 lebt ein Gemeindemitglied mit seiner Stiefmutter zusammen, während es nach 1 Kor 6,12–20 sexuelle Beziehungen von Gemeindegliedern mit Prostituierten gibt. In 1 Kor  7,1–9 hingegen führt Paulus πορνεία als Argument an, um die Korinther davon zu überzeugen, dass es unter bestimmten Umständen doch gut sei, zu heiraten.1 Das Besondere an den drei genannten Texten ist, wie unterschiedlich Paulus und die Korinther mit den geschilderten Situationen umgehen. Das zeigt sich besonders gut an 1 Kor 5,1–13; 6,12–20. In beiden Texten wird deutlich, dass Paulus die Vorkommnisse in Korinth als πορνεία interpretiert, während seine Gemeinde diesbezüglich nicht unbedingt ein Problembewusstsein zu besitzen scheint. Die Argumentationen, die Paulus in 1 Kor  5,1–13, 6,12–20 und 7,1–9 entwickelt, zeigen ferner, dass Paulus differenziert und pragmatisch orientiert nach Lösungen sucht. Paulus liegt nicht nur daran, die Korinther von seiner Meinung zu überzeugen, sondern auch daran, die Vorfälle zu beheben. Er möchte die Situation vor Ort ändern, indem er seiner Gemeinde alternative Verhaltensweisen aufzeigt oder Ratschläge für einen angemessenen Umgang mit πορνεία gibt.2 Die folgenden Ausführungen gehen mit einem Fokus auf 1 Kor 5,1–13; 6,12– 20 den hier genannten Beobachtungen nach und wollen die Argumentationen sowie die von Paulus vorgeschlagenen Lösungen darlegen. Hierfür werde ich in einem ersten Schritt auf die Problemlage und -einschätzung eingehen. Dies 1 Zur Begrifflichkeit: Ich verwende in diesem Beitrag mehrere Begriffe, die von Leser*innen heute inhaltlich anders gefüllt werden als von Leser*innen in der Antike. Zu diesen zählen etwa Begriffe wie „Ehe“, „Sexualität“, „sexualethisch“, „Prostituierte“ usw. Die von mir hier eingeführten Begriffe gehören zur „Beschreibungssprache“. 2 Ich setze einen konsensualistisch und pragmatisch orientiertes Verständnis von „Argumentation“ voraus. Eine Argumentation ist eine „verbal, social, and rational activity aimed at convincing a reasonable critic of the acceptability of a standpoint by putting forward a constellation of propositions justifying or refuting the proposition expressed in the standpoint“ (Eemeren/Grootendorst, Systematic Theory, 1). Zur Anwendbarkeit dieses Ansatzes und den Ergebnissen siehe meine Dissertation: Forderer, „Was Gott zusammengefügt hat …?“.

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schließt auch die Frage mit ein, was eigentlich πορνεία zur Zeit des Neuen Testaments meint (1.). Hieran anschließend schreitet der nächste Abschnitt die Argumentationen des Paulus in den beiden Texten ab. Ziel ist es, neben den Prämissen und Argumenten, die in den Argumentationen vorkommen, den differenziert-pragmatischen Umgang des Paulus mit πορνεία aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang ziehe ich auch 1 Kor 7,1–9 heran (2.). Eine abschließende Zusammenfassung bündelt die Ergebnisse und endet mit einem hermeneutischen Ausblick (3.).

1. Unterschiedliche Lebensweisen in Korinth und ihre Einschätzung oder: Was eigentlich ist πορνεία? In einem ersten Schritt gilt es, zu klären, worin genau das Problem oder die Probleme bestehen, die 1 Kor 5,1–13; 6,12–20 zugrunde liegen. Damit geht auch die Frage einher, ob diese Probleme von beiden Konfliktseiten  – den Korinthern wie Paulus – gleichermaßen überhaupt als Probleme interpretiert werden. Hierfür soll zunächst die argumentative Ausgangssituation, also das Problem, das nach Paulus vorliegt, erörtert werden (1.1). Ein nächster Schritt widmet sich der Charakterisierung der Korinther, wie sie in 1 Kor 5,1–13; 6,12–20 von Paulus vorgenommen wird (1.2). Diese gibt – wenn auch nur aus der Perspektive des Paulus  – Aufschluss über ein „Problembewusstsein“ in der korinthischen Gemeinde in Bezug auf die von Paulus kritisierten Vorfälle.3 In einem dritten Schritt sollen die implizit als Prämissen vorliegenden sexualethischen Überzeugungen benannt werden, wobei in diesem Zusammenhang auch die Frage gehört, was in neutestamentlicher Zeit unter πορνεία verstanden werden konnte (1.3). 1.1 Die argumentative Ausgangssituation Für 1 Kor 5,1–13; 6,12–20 lässt sich die argumentative Ausgangssituation wie folgt bestimmen: Paulus setzt sich in beiden Abschnitten mit zwei verschiedenen Möglichkeiten, πορνεία zu leben, auseinander. In beiden Fällen ist es Paulus, der das Verhalten von korinthischen Männern problematisiert, als πορνεία beschreibt und dadurch negativ qualifiziert: So heißt es in 1 Kor 5,1, dass ein Gemeindemitglied die „Frau seines Vaters habe“ (γυναῖκά τινα τοῦ πατρὸς ἔχειν). Es handelt sich für Paulus um einen 3 Die folgenden Ausführungen zielen nicht auf eine historische Rekonstruktion der Gemeindesituation in Korinth, sondern auf die von Paulus in den Argumentationen jeweils angenommenen Vorfälle oder Meinungen in der Gemeinde und auf die aus seinen Argumentationen erkennbaren Überzeugungen. Ob die Einschätzungen des Paulus bezüglich seiner Gemeinde, wie sie in 1 Kor 5,1–13; 6,12–20; 7,1–9 vorliegen, historisch zuverlässig sind, ob sich also tatsächlich in Korinth alles so zugetragen haben mag, lässt sich nicht nachweisen.

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besonders schwerwiegenden Fall von πορνεία,4 wie u. a. sein polemischer Vergleich mit der von ihm unterstellten Toleranz von πορνεία unter den Völkern zeigt. Selbst unter den Völkern gebe es so etwas nicht. Die Wendung γυναῖκά τινα τοῦ πατρὸς ἔχειν spielt auf Lev  18,7 f. an. Paulus beschreibt mit Hilfe dieser Anspielung eine dauerhafte Beziehung zwischen einem Mann und seiner Stiefmutter.5 Eine solche Beziehung war sowohl nach frühjüdischer wie auch nach römischer Auffassung illegitim.6 In 1 Kor  6,12–20 hingegen führt Paulus keinen konkreten Einzelfall an, sondern formuliert allgemeiner. Das vorliegende Problem begegnet erst in 1 Kor 6,15: ἄρας οὖν τὰ μέλη τοῦ Χριστοῦ ποιήσω πόρνης μέλη. Was genau aber seine Kritik findet, hängt von der Interpretation von πόρνη ab. Das Substantiv kann je nach griechisch-römischem oder frühjüdischem Verständnis unterschiedliche Sexualbeziehungen beschreiben. Nach griechisch-römischem Verständnis war eine πόρνη eine Prostituierte, im Judentum zur Zeit des zweiten Tempels etablierte sich demgegenüber ein weites Verständnis von πορνεία: Als πόρνη konnte jede Frau bezeichnet werden, mit der ein Mann nicht sexuell verkehren durfte.7 Ob Paulus in 1 Kor  6,12–20 ein weites oder enges Verständnis von πόρνη voraussetzt, ist nicht eindeutig aus dem Kontext erschließbar. Für Ersteres spräche, dass im 1. Korintherbrief sonst ein antik-jüdisches Konzept von πορνεία zu finden ist. Für eine Interpretation von πόρνη als Prostituierte spricht hingegen die Kaufmetaphorik in 1 Kor 6,20, die möglicherweise den Aspekt der Käuflichkeit im Zusammenhang mit Prostitution konterkariert.8 Darüber hinaus kann man aufgrund sozialgeschichtlicher Erkenntnisse annehmen, dass Prostitution in der Stadt Korinth, die eine Hafenstadt war, sicherlich verbreitet war und zum Stadtbild gehörte. Es ist daher denkbar, dass Paulus in 1 Kor 6,12–20 von Sexualkontakten von einzelnen Gemeindemitgliedern mit Prostituierten ausgeht.9 Eine enge Deutung von πορνεία hat m. E. für sich, dass sie die Lebenswelt der Korinther besser trifft; zugleich schließt diese Annahme nicht aus, dass Paulus  Vgl. Konradt, Gericht, 299.328.  Vgl. Zeller, 1 Kor, 199 f. 6 In der Forschung wird immer wieder darauf hingewiesen, dass auch nach römischer Auffassung eine sexuelle Beziehung zwischen Stiefmutter und ‑sohn verboten gewesen sei, vgl. Zeller, 1 Kor, 200; Schrage, 1 Kor/1, 370, der allerdings auch auf Belege aus hellenistischer Zeit verweist. Loader, New Testament, 162 f., hingegen rät bezüglich der Frage nach einem rechtlichen Verbot von einer Beziehung zwischen Stiefmutter und -sohn in der römischen Gesetzgebung zur Vorsicht. Es bestehe eine gewisse Unsicherheit, ob nach römischer Auffassung ein solches Verhältnis überhaupt illegal gewesen sei. Darüber hinaus sei der Fall auch als Konkubinat interpretierbar und wäre dann rechtlich erlaubt gewesen. 7 Vgl. Kirchhoff, Sünde, 35. Differenzierter Wheeler-Reed/Knust/Martin, Man 387–390.398: Auch Philo und Josephus verwenden πορνεία κτλ. im griechischen Sinne ausschließlich für Prostituierte und Prostitution. 8 Vgl. Loader, New Testament, 169. 9 Zur sozialgeschichtlichen Perspektive vgl. Schottroff, 1 Kor, 102.115–117. 4 5

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Sex mit Prostituierten ausgehend von seinem jüdisch geprägten sexualethischen Verständnis als πορνεία beurteilen und demnach als illegitimen Sex bewerten kann.10 Die Korinther sollen keinen Sex mit einer Prostituierten haben. Problematisch ist dieser deshalb, weil er eine neue Bindung hervorruft, die sich mit der Christusbeziehung ausschließt. Diese Ausschließlichkeit formuliert Paulus bereits in V. 13 antithetisch (οὐκ – ἀλλά): Der Körper gehört nicht zur πορνεία, sondern zum Herrn und umgekehrt der Herr zum Körper. In V. 15 zeigt Paulus nun mit Hilfe der Relationsmetapher μέλος ein Spannungsfeld auf, in dem der Körper des Einzelnen steht. Der Körper steht in zwei Beziehungen, wobei Paulus zuerst die Christusbeziehung und dann die Bindung an die πόρνη nennt. Die Verben „wegnehmen“ (αἴρω11) und „machen“ (ποιέω) verdeutlichen eine Bewegung von einer metaphorisch gemeinten Loslösung des Körpers aus dem Körper Christi hin zu seiner ebenfalls im übertragenen Sinn gemeinten Neuangliederung an den Körper der Prostituierten. Paulus postuliert einen Relationswechsel, der Folgen für das Christusverhältnis hat: Aus den μέλη Χριστοῦ werden πόρνης μέλη.12 Zugleich betont Paulus hierdurch die Exklusivität der Christusbeziehung. 1.2 Problemeinschätzung in Korinth – aus der Sicht des Paulus Von der korinthischen Gemeinde ist uns keine Einschätzung der von Paulus kritisierten Verhaltensweisen bekannt. Lediglich die von Paulus vorgenommene Charakterisierung der Korinther gibt Aufschluss darüber, ob die Gemeinde aus der Sicht des Paulus ein ähnliches Problembewusstsein wie er besitzt oder nicht. In 1 Kor 5,1–13; 6,12–20 setzt Paulus voraus, dass seine Gemeinde die Lage anders und vor allem weitaus harmloser einschätzt als er. 1 Kor  5,2 beschreibt die Korinther mit Hilfe eines Partizips im Perfekt als „aufgeblasen“ (πεφυσιωμένοι). Diese Eigenschaft begegnet mehrfach im 1. Korintherbrief und ist negativ konnotiert.13 Es ist ihre Überheblichkeit14, die den Korinthern den Blick auf die Brisanz der Lage verstellt. In 1 Kor  5,2 stellt Paulus der Überheblichkeit der Korinther eine alternative Reaktion gegenüber, die er angesichts der Situation für angemessener hält und deren Bevorzugung 10 Vgl.

Loader, New Testament, 169. αἴρω, das hier mit „wegnehmen“ wiedergegeben ist, ist wertneutral zu verstehen; es geht hier nicht um einen Diebstahl des Menschen weg von Christus, sondern lediglich um eine Neuzuordnung, vgl. Arzt-Grabner u. a., 1 Kor, 235 f., gegen Schrage, 1 Kor/2, 26, Anm. 320; Zeller, 1 Kor, 225. 12 Vgl. Schrage, 1 Kor/2, 25 f.; Scornaienchi, Sarx, 91 f. Nach Kirchhoff, Sünde, 145.151–158, handelt es sich mit der Nennung von Christus und der Prostituierten nicht um Herrschaftsbeziehungen oder Machtbereiche, in die der Glaubende eingegliedert wird. Vielmehr seien unter πορνεία die Folgen bzw. die Auswirkungen von Sex mit einer Prostituierten zu verstehen. 13 Vgl. z. B. 1 Kor 4,6.18.19; 5,2; 8,1. 14 Vgl. Zeller, 1 Kor, 181. 11 Das Verb

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er mit μᾶλλον formuliert.15 Denn eigentlich haben die Korinther allen Grund zur Klage (πενθεῖν). Paulus rückt den Einzelfall in Korinth in den Kontext der Trauer über erfolgtes Unglück oder Fehlverhalten, die mitunter die Umkehr angesichts begangenen Fehlverhaltens ausdrücken kann.16 Mit der Gegenüberstellung dieser beiden Verhaltensweisen verdeutlicht Paulus, dass der Vorfall von der Gemeinde anders, unproblematischer, aufgefasst wird als es seiner Meinung nach angemessen wäre.17 In 1 Kor 6,12 spricht Paulus die Korinther nicht direkt an, sondern beginnt mit einer allgemeinen Aussage über die Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Handelns, worauf in V. 13 zwei Beispiele folgen, um diese zu veranschaulichen. Diskutiert werden kann, ob sich hinter V. 12 ein korinthischer „Slogan“ verbirgt. Dafür spricht etwa, dass die Formulierung in Teilen erneut in 1 Kor 10,23 begegnet.18 Alternativ wäre auch eine allgemeine Hinführung denkbar, die Paulus vornimmt, um die Grenzen des individuellen Handelns sichtbar zu machen.19 Eindeutig entscheidbar ist die Frage nicht; 1 Kor 6,12 f. liefert keine Hinweise für die eine oder andere Interpretation. Paulus verbindet die vorgenommene Zuordnung von Speise und Bauch, die die Notwendigkeit und „natürliche Zugehörigkeit“ von bestimmten alltäglichen Handlungen wie z. B. Essen deutlich macht, mit einer eschatologischen Perspektive, die auch betont, dass weder Speise noch Bauch Bestand haben werden. Hierdurch macht Paulus die Vorläufigkeit und in gewisser Weise auch die Relativität der alltäglichen Nahrungsaufnahme sichtbar.20 Der sich in V. 13b anschließende „Transfer“, dass der Körper zu Christus gehört und nicht zur πορνεία scheint eine gewisse „Selbstverständlichkeit“ vorauszusetzen. Diese ließe sich möglicherweise analog zu der Zuordnung von Speise und Bauch formulieren und könnte vielleicht eine in Korinth vertretene Meinung sein: Wie der Bauch zur Speise gehört und umgekehrt, so auch der Körper zur Sexualität und umgekehrt.21 Eine solche Nützlichkeit der Sexualität für den Körper22 konterkariert Paulus in V. 13b, indem er den zweiten Aspekt von V. 12 betont: die Grenzen der Handlungsmöglichkeiten. Der Körper wird nun  Schärfer im Urteil Zeller, 1 Kor, 200. Bayer, Art. θρηνέω κτλ., 531 f.; Zeller, 1 Kor, 200 f. 17 Worin genau die Überheblichkeit der Korinther bestanden haben könnte, ist ungewiss und geht aus dem Text nicht hervor. Möglicherweise haben die Korinther die Lebensweise des Einzelnen in ihrer Gemeinde toleriert, vgl. Zeller, 1 Kor, 200. Schrage, 1 Kor/1, 371, lässt offen, ob die Korinther trotz oder wegen des Vorfalls hochmütig sind (gegen Schottroff, 1 Kor, 83, nach der die Gemeinde den Vorfall akzeptiere und sogar darauf bestehe). 18 So z. B. Zeller, 1 Kor, 221 f.; Schrage, 1 Kor/2, 17; Fee, 1 Cor, 278; Wolff, 1 Kor, 12. 19 Vgl. Schottroff, 1 Kor, 103; Kirchhoff, Sünde, 82 f. 20 So auch Zeller, 1 Kor, 223 f., der auf die „sittliche Bedeutungslosigkeit von Speisen und Bauch“ abhebt (Zitat ebd., 223). 21 Ähnlich Zeller, 1 Kor, 224; Schrage, 1 Kor/2, 20. 22 Vgl. Zeller, 1 Kor, 224. 15

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nicht mehr einem Gegenstand bzw. Handlung, sondern einer Person zugeordnet, nämlich Christus. Paulus macht deutlich, dass es im Fall von Sexualität um mehr als nur um Gegenständliches geht. Es geht um Beziehungen oder „Zugehörigkeitsbereiche“, die im Falle der Christusbeziehung auf die gegenseitige Bezogenheit von Körper und Christus hinausläuft. 1.3 Was ist das Problem oder: Was bedeutet eigentlich πορνεία? Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, ist die Problemformulierung in 1 Kor  5,1 und 6,15 interpretationsoffen; es ist nicht eindeutig, was genau Paulus unter den soeben skizzierten Verhaltensweisen, die er problematisiert, versteht. Zudem kann zumindest für 1 Kor 6,12–20 angenommen werden, dass verschiedene sexualethische Normen im Hintergrund stehen: Der Argumentationsaufwand, den Paulus für seine Position betreibt, lässt zusammen mit der oben skizzierten impliziten Prämisse hinter 1 Kor 6,13 darauf schließen, dass in Korinth möglicherweise eine andere Einstellung zu Sexualkontakten mit einer Prostituierten vorherrscht als von Paulus vertreten wird. Während Paulus in 1 Kor 5,1–13; 6,12–20 von πορνεία spricht, kann sich der Sachverhalt für die korinthische Gemeinde anders darstellen. Für die Zeit vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zum 2. Jahrhundert n. Chr. lässt sich ein Diskurs festmachen, innerhalb dessen u. a. debattiert wurde, was unter πορνεία fallen konnte. Dabei schwankt das Verständnis von πορνεία je nach Sozialisation und kulturellem Umfeld erheblich. Dieser Umstand spiegelt sich auch in der Bedeutungsvielfalt des Substantivs πορνεία wieder. Grundsätzlich festgehalten werden kann, dass πορνεία außereheliche sexuelle Beziehungen, die legitim, aber auch illegitim sein konnten, bezeichnete.23 Subjekt von πορνεία konnten sowohl Frauen als auch Männer sein; von beiden Geschlechtern konnte sexuelles Fehlverhalten ausgesagt werden (πορνεύω).24 Nach griechisch-römischem Verständnis bezog sich πορνεία auf nichteheliche sexuelle Beziehungen, die zwar nicht verboten waren, aber gesellschaftlich moralisch verurteilt wurden. Der geschlechtliche Umgang eines Mannes mit einer Prostituierten war rechtlich nicht untersagt; ebenso konnte ein Mann sich seinen Sklavinnen und Sklaven sexuell nähern, ohne juristisch belangt zu werden. Das galt auch dann, wenn er verheiratet war. Allerdings wurde ein solches Verhalten gesellschaftlich unter der Frage nach einem angemessenen Umgang mit sexueller Lust diskutiert.25 23 Vgl.

Reisser/Niebuhr, Art. Πορνεύω, 298; Hauck/Schulz, Art. Πόρνη κτλ., 580 f. Hauck/Schulz, Art. Πόρνη κτλ., 580f, wobei eine Anwendung auf beide Geschlechter erst für das antike Judentum nachweisbar ist (vgl. ebd., 584.587–589); Reisser/ Niebuhr, Art. Πορνεύω, 298 f., bestätigen für den griechischen und hellenistischen Bereich die Verwendung von πόρνη ebenso wie πόρνος und damit die Vorstellung von Frauen wie Männern als Prostituierte. 25 Zum Gebrauch des Wortfeldes πορνεύω κτλ. im moralisch abwertenden Sinn siehe Reisser/Niebuhr, Art. Πορνεύω, 298. Vgl. als Beispieltexte etwa Plut. Conj. Praec. 16; 42; Mus. Diatr. 12, die allerdings nicht von einer πόρνη, sondern von Hetären oder Sex mit Sklavinnen sprechen. Seneca verurteilt in seinen Briefen 94 und 95 den ungleichen Umgang mit außerehelichen Affären (Sen. ep. 94,26; 95,37). Als ein Beispiel für eine positive Einstellung zur 24 Vgl.

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Im antiken Judentum stand πορνεία hingegen für alle illegitimen sexuellen Beziehungen.26 Hierunter fiel nicht nur Sex mit einer Prostituierten, sondern auch Ehebruch (Sir 23,22–23; T. Jos. 3,7–4,6; 5,1; Philo Jos. 44 f.) oder eine Ehe zwischen Mutter und Sohn, bzw. Stiefmutter und -sohn.27 T. Sim. 5,3 bezeichnet πορνεία grundlegend als Mutter allen Übels, weil sie den Menschen von Gott trenne und Belial näherbringe.28 Diese Aussage zeigt, dass auch Götzendienst als πορνεία bezeichnet werden konnte. Der Begriff meint in diesem Kontext im metaphorischen Sinne die Hinwendung zu einer anderen Gottheit, die der eigentlichen Gottesbeziehung widerspricht.29 Im Neuen Testament findet πορνεία ausschließlich als Negativbegriff Verwendung und bezeichnet im Anschluss an seine Verwendung in außerneutestamentlichen Texten eine ethisch zweifelhafte Bindung zwischen zwei Menschen, die sexuell konnotiert ist (bspw. Mt 5,32; 19,9; 1 Kor 5,1–13; 6,12–20). Zusammen mit Götzendienst (bspw. 1 Kor 6,9; 10,14) gehört πορνεία zu den schwersten Vergehen gegen den Gotteswillen.30 Paulus hat, wenn er in 1 Kor 5,1–13; 6,12–20 von πορνεία spricht, auch die potentiellen Gefahren von πορνεία für die Gottes- bzw. Christusbeziehung im Blick. Darüber hinaus steht die Verwendung von πορνεία in den Kap. 5–7 einem weiten, antik-jüdischen Verständnis von πορνεία im Sinne von illegitimem Sex nahe.31 In Korinth hingegen scheinen die Vorfälle nicht zwingend als πορνεία bewertet zu werden. Das von Paulus geschilderte Verhalten von einigen in der Gemeinde in Korinth könnte darauf zurückzuführen sein, dass diese auch nach ihrer Hinwendung zum Christusglauben an den ihnen bekannten sexualethischen Grundsätzen festhalten.

In 1 Kor 5,1–13; 6,12–20 geht Paulus in den Konflikt, indem er die Beziehung zur Stiefmutter und den Umgang mit Prostituierten als Problem benennt. Die Meinung der Korinther hingegen bleibt vage, da es keine direkte Antwort von der Gemeinde gibt, sondern nur einen Eindruck, den wir von Paulus in den Texten vermittelt bekommen. Möglicherweise duldete die Gemeinde den Einzelfall in ihrer Mitte, möglicherweise war es für manche Männer in der Gemeinde vertretbar, Sex mit Prostituierten zu haben.

Prostitution kann Horaz gelten, der in seinen Satiren die Haltung Catos ins Visier nimmt (Hor. Serm. I 2,31–35). Zu den Quellen vgl. auch Reisser/Niebuhr, Art. Πορνεύω, 299; Szarek, Ehe und Askese, 80 ff.; Johnson/Ryan, Sexuality, 88–109 (zu Horaz vgl. ebd., 95). 26 Vgl. Kirchhoff, Sünde, 22–31, die von „regelwidrige[m] Sexualverkehr“ spricht. Ähnlich auch Reisser/Niebuhr, Art. Πορνεύω, 299 f. 27 Vgl. zu Letzterem Kirchhoff, Sünde, 31. Zur Ehebruchsthematik und der genannten Stelle bei Philo vgl. Loader, Philo, Josephus, 191 f. 28 Vgl. zur Stelle Reisser/Niebuhr, Art. Πορνεύω, 300. 29 Vgl. Hauck/Schulz, Art. Πόρνη, 586 f. Anders Zimmermann, Geschlechtermetaphorik, 703 f.; ders., Logik 143 f. 30 Sowohl πορνεία als auch Götzendienst sind u. a. darum Teil der Lasterkataloge im Neuen Testament (Mk 7,21; 1 Kor 5,11; Gal 5,19 u. a.). Vgl. Reisser/Niebuhr, Art. Πορνεύω, 302; zur negativen Konnotation des Begriffs Zimmermann, Logik, 144 f. 31 Vgl. Reisser/Niebuhr, Art. Πορνεύω, 302; Kirchhoff, Sünde, 31–33.

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2. Wider πορνεία, aber bitte differenziert! Die Argumentationen des Paulus in 1 Kor 5,1–13; 6,1–12 Das von Paulus festgestellte Vorkommen von πορνεία in Korinth zeigt ein Problem an, das behoben werden muss. In seinen Ausführungen versucht Paulus, seine Gemeinde nicht nur davon zu überzeugen, dass es tatsächlich Missstände in ihren Reihen gibt. Er sucht gleichsam nach Lösungen, wie die πορνεία-Vorfälle beseitigt werden können. Seine Positionen, die er dabei einnimmt, variieren je nach Vorfall und zeigen einen differenzierten Umgang mit πορνεία. Letzteres soll im Folgenden aufgezeigt werden, indem die einzelnen Argumentationen in 1 Kor 5,1–13; 6,12–20 mit ihren Argumenten und Positionen vorgestellt werden (2.2). Grundlegende Prämissen, die allen drei Texten gemeinsam sind, werden diesem Abschnitt vorangestellt (2.1). Eine Auswertung mit den von Paulus vorgenommen Differenzierungen in Bezug auf πορνεία schließen diesen Abschnitt ab (2.3) 2.1 Wiederkehrende Prämissen Paulus argumentiert nicht voraussetzungslos. In 1 Kor 5,1–13; 6,12–20 nimmt er jeweils eine ekklesiologisch-christologische Perspektive ein. Diese Beobachtung wird etwa daran ersichtlich, dass Paulus die Gottes- oder Christusbeziehung der Gemeinde oder des Einzelnen immer wieder als Argument anführt (1 Kor 5,6–8; 6,19–20; 7,5). In 1 Kor 5,1–13 ist die Wahrung der Besonderheit der korinthischen Gemeinde implizit in der Forderung der Beseitigung von πορνεία auch als ein Ziel der Argumentation des Paulus enthalten, das zuletzt mit einem abschließenden Zitat aus Dtn 17,7/LXX in 1 Kor 5,13 anklingt.32 Und so dient auch die Argumentation in 1 Kor 6,12–20 nicht allein der Aufforderung, πορνεία zu entfliehen, sondern ebenso dem Aufweis der Exklusivität und des ganzheitlichen, den Körper des Glaubenden mit einschließenden Anspruchs der Christusbeziehung auf den Einzelnen.33 Der Grund hierfür ist in beiden Texten, dass πορνεία die Gottes- und Christusbeziehung des Einzelnen und der Gemeinde gefährdet. Eine zweite Prämisse, die alle drei Argumentationen gemein haben, ist: Paulus macht in den Texten nicht die Handlung selbst, die er als πορνεία bezeichnet, zum Gegenstand seiner Argumentation, sondern er reflektiert die Folgen von πορνεία für den Einzelnen und/oder für die ganze Gemeinde. So zeigt er in seiner Argumentation in 1 Kor 5,1–13 die Folgen für die gesamte Gemeinde auf, wenn sie den Übeltäter weiter in ihrer Mitte duldet. In 32 Zur

Rezeption von Dtn 17,7/LXX vgl. Konradt, Gericht, 327; Zeller, 1 Kor, 208 f. ist es besonders die Zugehörigkeit des Körpers des Glaubenden zu Christus, die Paulus stark mache, vgl. Zeller, 1 Kor, 221; ähnlich und mit ekklesiologischer Zuspitzung Schrage, 1 Kor/2, 37. 33 So

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1 Kor 6,12–20 wiederum macht er auf die Folgen für die Christusbeziehung des Einzelnen aufmerksam und in diesem Zusammenhang auch auf die Ganzheitlichkeit der Christusbeziehung, die auch den Körper mit einschließt. Diesem Sachverhalt entspricht auf der anderen Seite, dass Paulus in 1 Kor 7,1–9 in positiver Weise eine Ehe als eine Möglichkeit ansieht, πορνεία zu vermeiden: In 1 Kor 7,1–9 macht Paulus deutlich, dass die potentielle Gefahr der Unbeherrschtheit, die letzten Endes zu πορνεία führen kann, über die Ehe in Grenzen gehalten werden kann. 2.2 Suche nach Lösungen: Die paulinische Argumentation in 1 Kor 5,1–13; 6,12–20 Wie soll die korinthische Gemeinde mit den Vorfällen in ihrer Mitte umgehen? Und welche Argumente bringt Paulus für seine Positionen, die er den Korinthern als Lösungen für die von ihm benannten Probleme anbietet, vor? Der folgende kurze Durchgang konzentriert sich auf die vorgebrachten Argumente und die von Paulus vertretenen Lösungen. 1 Kor 5,1–13 Paulus greift in 1 Kor 5,3–5 zu drastischen Maßnahmen: Das Gemeindeglied, das mit seiner Stiefmutter zusammenlebt, soll aus der Gemeinde ausgeschlossen werden. Seine Meinung macht Paulus in V. 5 explizit. Dass diese möglicherweise auf Widerstand in den korinthischen Reihen stoßen könnte, lässt sich aus seinem Argumentationsweg in den V. 3 f. schließen: Beinahe apologetisch beginnt er in V. 3 mit seiner Abwesenheit. Mit diesem rhetorischen Topos aus antiken Freundschaftsbriefen signalisiert er seine Anwesenheit und damit auch seine Verbundenheit mit der Gemeinde: Er ist, vermittelt über seine Zeilen, die den Korinthern vorliegen, anwesend (V. 3).34 Zugleich bleibt er trotz aller Verbundenheit hart in der Sache: Er, Paulus, hat den Übeltäter schon verurteilt (κρίνειν) und fordert nun die Vollstreckung des Urteils (V. 4)35 Paulus beruft sich in seinem Urteil auf eine höhere Autorität, die des „erhöhten Herrn“.36 Die Gemeinde soll das Gemeindemitglied ausschließen. Den Ausschluss formuliert Paulus in V. 5 so, dass der Einzelne durch den Ausschluss in eine neue Relation gesetzt wird: Seine Beziehung zur Gemeinde 34 So

auch Zeller, 1 Kor, 201. sich ἐν τῷ ὀνόματι τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ in V. 4 bezieht, ist allerdings nicht eindeutig. Conzelmann, 1 Kor, 117, nennt vier unterschiedliche Bezugsmöglichkeiten: 1. Der Ausdruck gehört zu συναχθέντων ὑμῶν in V. 4; 2. Die Formulierung ist auf παραδοῦναι in V. 5 zu beziehen; 3. Der Versteil gehört zu beiden genannten Bezugsmöglichkeiten; 4. Der Ausdruck schließt an κέκρικα in V. 3 an. 36 Vgl. Zeller, 1 Kor, 201 f., nach dem der „gemeinsame κύριος […] der Entscheidung Durchschlagskraft [verleiht]“ (Zitat ebd., 202). 35 Worauf

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wird gelöst und er dadurch offenbar dem Bösen samt seinen Folgen, der Zerstörung der σάρξ, anheimgegeben.37 Die σάρξ des Glaubenden wird mit einem räumlichen Außerhalb von der Gemeinde verbunden, womit Paulus ein Leben außerhalb des Glaubens meint (vgl. 1 Kor 3,1–3). Durch den Ausschluss wird der Betroffene nicht nur räumlich von der Gemeinde getrennt, sondern auch in seiner Körperlichkeit einem Außen übergeben und damit in eine andere, negative Relation gesetzt.38 Worin diese genau besteht, lässt Paulus unausgesprochen. Der argumentative Zusammenhang scheint aber darauf hinauszulaufen, dass mit der Entscheidung des Glaubenden zur πορνεία für Paulus auch eine Entscheidung für eine Lebensführung nach seiner σάρξ einhergeht, mit der sich das Gemeindeglied von der Gemeinde entfernt hat. Der Gemeindeausschluss rückt in diesem Fall das Bezugssystem zurecht: Zur Lebensführung des Betroffenen passt keine Beziehung zur Gemeinde, sondern die zu einem fleischlichen Leben.39 1 Kor 5,5 lässt zudem eine Perspektive für das auszustoßende Gemeindeglied erkennen. Paulus nennt mit πνεῦμα ein positives Gegenstück zur σάρξ. Dem Geist ist die Aussicht auf endzeitliche Rettung nicht verwehrt (ἵνα τὸ πνεῦμα σωθῇ ἐν τῇ ἡμέρᾳ τοῦ κυρίου). Aufgrund der Gegenüberstellung von σάρξ und πνεῦμα liegt es nahe, πνεῦμα als den im Glaubenden nach wie vor vorhandenen Gottesgeist zu interpretieren, der einen dem Glauben gemäßen Lebenswandel ermöglicht.40 Der Ausschluss aus der Gemeinde ist also zeitlich beschränkt. Er endet mit der Parusie, die für Paulus und die Gemeinden noch für die nahe 37  Dies scheint nach Zeller, 1 Kor, 202, Anm. 39, eine ernsthafte leibliche Bedrohung des Sünders mit sich zu bringen, da dieser außerhalb des schützenden und heilvollen Bereichs der Gemeinde gestellt werde, um so dem Satan ausgeliefert zu werden. Zudem meine ὄλεθρος den „eschatologischen Untergang der Selbstsicheren“. Anders Schottroff, 1 Kor, 85, die zwar den Verlust der schützenden Gemeinschaft der Glaubenden und eine Übergabe an die feindliche Umwelt der Gemeinde postuliert, aber eine Verurteilung zum eschatologischen Tod ausschließt. 38 Vgl. Zeller, 1 Kor, 202; Schrage, 1 Kor/2, 374–376; ähnlich auch Schottroff, 1 Kor, 85. Ob dieses außerhalb, wie Schottroff annimmt, mit der Gesellschaft wie etwa der Stadt Korinth gleichzusetzen ist, oder ob es sich nicht eher um ein pauschales „nicht mehr zur Gemeinde gehörig“ handelt, kann nicht eindeutig geklärt werden. M. E. spricht die Aufnahme von σάρξ im Kontext des Gemeindeausschlusses dafür, dass mit dem Ausschluss des Glaubenden seine Preisgabe an eine andere Lebensweise gemeint ist. Diese entspricht seiner Lebensführung vor dem Glauben und zugleich seiner Entscheidung zur πορνεία. 39 Zum Gegenüber von Gemeinde und dem Bösen vgl. El Mansy, Exogame Ehen, 227. Eine interessante Perspektive zur Übergabe des Übeltäters an den Satan durch die Gemeinde bietet Arzt-Grabners (u. a.) papyrologischer Kommentar. In Vereinstexten, die nur wenige Jahre vor 1 Kor geschrieben wurden (P. Mich. V. 243 und 244), wird mit παραδίδωμι die Verhaftung eines Verschuldeten ausgedrückt bzw. die Auslieferung des Beschuldigten durch den Verein. Letzterer konnte sich offenbar in schwerwiegenden Fällen das Recht vorbehalten, das schuldige Vereinsmitglied zu übergeben. Die Übergabe des Einzelfalls an das Böse in 1 Kor 5,5 könne darum als Auslieferung durch die Gemeinde verstanden werden, wobei Vorstellungen von einer Auslieferung eines Schuldigen an einen Gefängniswärter o.ä. im Hintergrund stehen (vgl. Arzt-Grabner u. a., 1 Kor, 207 f.). 40 So auch Konradt, Gericht, 318 f.328.

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Zukunft erwartet wird.41 Damit erhält der Ausschluss auch den Aspekt eines pädagogischen Vorgehens im Sinne einer Läuterung.42 Für seine Position führt Paulus in den V. 6–13 drei Argumente an. Die Verse zeigen, dass für Paulus nicht nur das mangelnde Problembewusstsein seiner Gemeinde ein Anlass zur Kritik bietet, sondern auch ein mangelndes Identitätsbewusstsein als Gemeinde Gottes.43 Seine Argumente reflektieren die Wechselwirkungen zwischen dem Verhalten des Einzelnen, den Auswirkungen auf die Gemeinde und der Gottesbeziehung der Gemeinde: a) In 1 Kor  5,6–8 bestimmt Paulus das Verhältnis zwischen dem Verhalten eines Einzelnen, den Auswirkungen auf die Gemeinde und den Folgen für das Selbstverständnis der Gemeinde. Hierfür greift er auf ein Bild aus dem Kontext des Pesachfestes zurück und beschreibt die Gemeinde und den Einzelfall im übertragenen Sinn als ungesäuerten Teig und Sauerteig.44 Die rhetorische Frage (οὐκ οἴδατε) in V. 6 greift auf eine Alltagserfahrung zurück: Bereits eine kleine Menge (μικρός) eines Sauerteigs reicht aus, um den ganzen Teig zu durchsäuern; schon ein kleiner Bestandteil als Teil des Ganzen kann Auswirkungen auf das Ganze haben.45 In V. 7 wendet Paulus die Teigmetapher auf die Gemeinde an und legt den argumentativen Fokus auf die Beseitigung der Ursache für eine drohende „Durchsäuerung“, was wohl einen Übergriff von πορνεία meint, und liefert damit die erste Begründung für seine Position in V. 5: Mit dem Imperativ ἐκκαθάρατε fordert er seine Gemeinde auf, sich des alten Sauerteigs, d.i. der Einzeltäter, zu entledigen. Im Kontext der Pesachvorbereitungen bedeutet dies, dass der in diesem Kontext als verunreinigend geltender Sauerteig beseitigt wird.46 Darüber hinaus macht er mit Hilfe der Charakterisierung der Gemeinde als ungesäuerten Teig (καθώς ἐστε ἄζυμοι) im Gegensatz zum „alten Sauerteig“ (ζύμη παλαιή), mit dem Paulus wohl den Einzeltäter meint47, 41 Vgl.

Konradt, Gericht, 320 f.; Fee, 1 Cor, 228–233. Zeller, 1 Kor, 202, der mit dem Gemeindeausschluss die mögliche endzeitliche Rettung des Glaubenden zwar nicht ausschließt, aber nur auf dessen Geist beschränkt. Ich schließe mich an dieser Stelle Fee, 1 Cor, 210–213, an, der ebenfalls davon ausgeht, dass der Gemeindeausschluss einer Überwindung der fleischlichen Lebensweise dienen solle und damit eine Rückkehr zur Gemeinde nicht ausgeschlossen sei. Ähnlich auch Konradt, Gericht, 317.328. 43 Ähnlich Konradt, Gericht, 323 f., der allerdings die Identität der Gemeinde über ihre Heiligkeit und ihre Abgrenzung gegenüber der Welt bestimmt sieht, was ein christliches Ethos nach sich ziehe. 44 Nach Zeller, 1 Kor, 204 f., deutet Paulus das Pesachfest und den im Rahmen dieses Festes als unrein angesehenen Sauerteig moralisch aus. Nach Schottroff, 1 Kor, 86, stellt das Pesach-Mazzotfest den traditionsgeschichtlichen Vergleichspunkt dar. 45 Vgl. Schottroff, 1 Kor, 86. 46 Vgl. Zeller, 1 Kor, 204. 47 Wen Paulus mit dem „alten Sauerteig“ meint, ist umstritten. In der Forschung werden zwei Deutungsmöglichkeiten diskutiert. Zum einen kann der alte Sauerteig die gesamte Gemeinde 42 Anders

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darauf aufmerksam, was die Gemeinde im Bezug auf das Pesachfest eigentlich sein soll: ein „ungesäuerter Teig“. Auf welche Eigenschaft der Gemeinde Paulus damit konkret anspielt, wird aus dem Kontext nicht ersichtlich. Der Zusammenhang von Pesachfest und ungesäuertem Teig, der anders als durchsäuerter Teig fester Bestandteil des Pesachfestes ist und der erst über das Pesachfest seine besondere Bedeutung erhält, könnte im übertragenen Sinn auf das anspielen, was die Gemeinde erst zur Gemeinde Gottes macht, nämlich ihre Gottes- bzw. Christusbeziehung. Zur Begründung führt Paulus darum auch in V. 7b Christus als Pesachlamm an.48 Dabei wird die Gemeinde mit Christus über die Pesachthematik in bestimmter Weise in Beziehung gesetzt: Zum Pesachfest gehört neben einem Pesachlamm auch ungesäuerter Teig. Die Gemeinde soll sich demnach ihrer Zugehörigkeit zu Christus entsprechend verhalten und sich nicht durch πορνεία verunreinigen lassen.49 Dies gilt umso mehr als sich die Gemeinde samt ihren Eigenschaften Christus verdankt. Um diesen Sachverhalt zu verdeutlichen, interpretiert Paulus das Bild vom Pesachlamm soteriologisch. Mit dem Verb θύω verweist er auf den stellvertretenden Tod Jesu für die Glaubenden, der die Gemeinde erst mit Christus in eine heilvolle Beziehung setzt und sie erst zur Gemeinde Jesu Christi macht.50 Durch den Verweis auf die Bedeutung des Todes Jesu motiviert er seine Gemeinde: Sie ist dazu aufgefordert, sich ihrer Beziehung zu Christus angemessen zu verhalten und die ihr verliehenen Eigenschaften nicht zu gefährden, sondern beides durch einen Ausschluss ihres Gemeindemitglieds zu bewahren.51 sein, zum anderen aber auch das einzelne Gemeindemitglied meinen. So vertritt bspw. Schott­ roff, 1 Kor, 86, die erste Deutungsvariante: Die gesamte Gemeinde sei in V. 7 als eine ungesäuerte Teigmenge angesprochen. Der alte Sauerteig stellt für sie ebenfalls die Gemeinde dar: Sie solle sich als neu geworden und damit als zu Christus gehörend verstehen. Schrage und Konradt identifizieren den alten Sauerteig mit dem Unzuchtsfall in der Gemeinde, aber auch mit all dem, was ein Leben vor dem Glauben charakterisiert. Nach Schrage, 1 Kor/1, 380 f., geht es darum, alles, was zur alten Lebensweise gehöre, von der Gemeinde fernzuhalten, um das Neue nicht zu gefährden. Dementsprechend meine der alte Sauerteig zwar auch den in V. 1 erwähnten Einzelfall, aber auch alles, was sonst noch zu der „alten“ Lebensweise vor dem Glauben gehöre (ähnlich auch Konradt, Gericht, 323). 48 Innerhalb des Bildvergleichs kommt Jesus Christus aufgrund des Kreuzestodes die Bedeutung des Pesachlamms am Pesachfest zu. Mit Schottroff, 1 Kor, 87; Zeller, 1 Kor, 205 f., sehe ich trotz der Opferthematik, die der Tötung des Pesachlamms inhärent ist, keine Bezüge zum Konzept des Sühnopfers als Deutungsmodell des Todes Jesu. Der Vergleichspunkt von 1 Kor 5,8 liegt vielmehr in der Ausrichtung der Gemeinde auf Jesus Christus, die mit dem Tod Jesu begründet wird. 49 Die Analogie ergibt sich nach Schrage, 1 Kor/1, 382 f., aus dem Gegenüber von Pesach­ lamm und ungesäuertem Teig auf der einen Seite und Christus und der Gemeinde auf der anderen. 50 Vgl. Schlund, Deutungen, 404 f.; auch Schrage, 1 Kor/1, 382 f.; zur traditionsgeschichtlichen Grundlage der Schlachtung des Pesachlamms, die auch mit θύειν formuliert wird, siehe Konradt, Gericht, 322, Anm. 638. 51 Vgl. Schlund, Deutungen, 405, nach der die Gemeinde durch das Blut Jesu analog zur Pesachtradition vor dem Bösen geschützt sei und darüber hinaus über den Ausschluss des

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In 1 Kor 5,8 zieht Paulus eine Schlussfolgerung; die Rede vom gesäuerten und ungesäuerten Teig wird hierfür neu angewandt und betont nun die ethische Haltung, die die Gemeinde innerhalb ihrer Gottesbeziehung einnimmt.52 Mit beiden Teigsorten werden unterschiedliche Verhaltensweisen verbunden. Der ungesäuerte Teig wird durch die Substantive εἰλικρίνεια und ἀλήθεια weiter spezifiziert, dem der alte Sauerteig der Schlechtigkeit und Lasterhaftigkeit (ἐν ζύμῃ παλαιᾷ μηδὲ ἐν ζύμῃ κακίας καὶ πονηρίας) konträr gegenübersteht.53 Durch die Gegenüberstellung von zwei sich ausschließenden Verhaltensoptionen veranschaulicht Paulus seiner Gemeinde, dass es ein ihrer Gottesbeziehung entsprechendes und ein ihr nicht entsprechendes Verhalten gibt.54 Damit nimmt Paulus indirekt auch eine Einordnung des Einzelfalls in der Gemeinde vor: Das Gemeindemitglied verhält sich nicht entsprechend seiner Gottesbeziehung (V. 8).55 b) In 1 Kor 5,9–11 bringt Paulus sein zweites Argument vor. Hierfür verweist er auf einen Brief an die Gemeinde, in dem er schon einmal davor gewarnt hatte, sich auf πόρνοι einzulassen.56 Zudem unterscheidet er in den V. 10 f. zwischen dem sozialen Umfeld der Gemeinde (τοῦ κόσμου τούτου, V. 10) und der Gemeinde selbst (V. 11). In beiden Bereichen kann es πόρνοι geben, wobei Paulus diese in einem Lasterkatalog mit Habgierigen, Räubern und Götzendienern auf eine Ebene stellt.57 In seiner Formulierung in V. 10 konkretisiert Paulus, was er in seinem einstmaligen Schreiben eigentlich gemeint hat. Es sei ihm nicht um die πόρνοι im Umfeld der Gemeinde gegangen, wie die Formulierung in V. 10 mit οὐ πάντως nahelegt. Von Beziehungen mit lasterhaften Menschen in ihrem Umfeld muss Paulus seiner Gemeinde nicht abraten, weil sich ein solcher Kontakt kaum Gemeindemitglieds ihren „Zustand […] als reine, der Pesach-Situation angemessene Gruppe“ erhält (vgl. auch Schrage, 1 Kor/1, 382). 52 Für Zeller, 1 Kor, 204–206, geht es um eine grundsätzliche moralische Einstellung der Gemeinde, die in V. 8 eingefordert werde und das Leben der Glaubenden als zu Christus gehörig kennzeichnen solle. Für Schrage, 1 Kor/1, 384 f., geht es um den richtigen Modus der Gemeinde in ihrer eschatologischen Heilszeit. 53  Die Deutung des Sauerteigs in ethischen Kategorien wie κακία und πονηρία in V. 8 findet sich auch im antiken Judentum. Bspw. bringt Philo in QE II 14 den Sauerteig u. a. mit sexuellen Lastern in Verbindung. Zur Quellenangabe s. Berger, Manna, 55, Anm. 84 (die Quellenangabe findet sich auf S. 146), aber auch Zeller, 1 Kor, 204. 54 Nach Konradt, Gericht, 322 f., findet in den V. 7 f. eine Verschiebung vom Übeltäter zu der Haltung bzw. dem richtigen Handeln als Christusglaubender statt. 55 Ähnlich Merklein, 1 Kor, 38–41, der die V. 6–8 ebenfalls als Aussagen für den Einzelnen auffasst. 56 Vgl. Zeller, 1 Kor, 206; Schrage, 1 Kor/1, 388; Schottroff, 1 Kor, 88 f. 57 Nach Zeller, 1 Kor, 206 f., verhält es sich genau umgekehrt: Paulus weite den Begriff πόρνοι um die im Lasterkatalog angeführten Laster. Nach Schottroff, 1 Kor, 89, handelt es sich um einen frühjüdisch geprägten Lasterkatalog, „der Sexualgesetze (der Tora), […] Gesetze gegen Eigentumsdelikte und die Anbetung fremder Götter“ beinhalte. Zu stoischen und antikjüdischen Lasterkatalogen allgemein vgl. Wibbing, Tugend- und Lasterkataloge, 14–42, und zur Textstelle Merklein, 1 Kor, 43–45.

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vermeiden lässt, es sei denn, die Gemeinde bräche jegliche Beziehungen zu ihrer Außenwelt ab.58 Paulus versucht daher erst gar nicht, seine Gemeinde zu isolieren, sondern mahnte – und mahnt nun erneut –, auf das Verhalten der Gemeindeglieder untereinander zu achten.59 Darauf verweist die Einleitung von V. 11 mit νῦν δὲ ἔγραψα mit antithetischem νῦν δὲ. Auf einen Glaubenden (ἀδελφός), der ein Verhalten, wie es in dem vorherigen Lasterkatalog aufgeführt wurde, annimmt, soll sich die Gemeinde nicht einlassen und auch keine Tischgemeinschaft haben (τῷ τοιούτῳ μηδὲ συνεσθίειν).60 Denn dieses Gemeindemitglied wird zwar „Bruder“ genannt, aber es verhält sich nicht wie ein solcher. Das bedeutet für Paulus, dass ein solches Gemeindemitglied in letzter Konsequenz nicht als Teil der Gemeinde behandelt werden sollte; vielmehr ist eine Gemeinschaft mit ihm zu vermeiden.61 c) In den abschließenden V. 12.13 führt Paulus ein letztes Argument an. Er verweist auf die Urteilskompetenz der Korinther und argumentiert mit dem Gegenüber von Gemeinde und ihrer Umwelt mittels der Begriffe „innen“ (ἔσω) und „außen“ (ἔξω). Da der Einzeltäter Teil der Gemeinde ist, ist die Gemeinde für das Urteil zuständig.62 Dabei ist es unerheblich, dass es auch in der Umwelt πορνεία gibt und dass diese in der Umwelt nicht verurteilt wird. Dieser Umstand soll die Gemeinde nicht weiter angehen (τί γάρ μοι τοὺς ἔξω κρίνειν).63 Die darauffolgende rhetorische Frage οὐχὶ τοὺς ἔσω ὑμεῖς κρίνετε zielt ergänzend darauf ab, dass sich die Korinther um ihre eigenen Mitglieder sorgen sollen. V. 13 schließt letztlich mit der Behauptung des Paulus, dass auch diejenigen, die nicht zur Gemeinde gehören, nicht urteilsfrei bleiben werden. Die Maßstäbe wie auch die Zuständigkeit des Urteils werden aber Gott überlassen.64 Paulus schließt seinen Argumentationsgang ab, indem er seine Position nochmals mit einem Zitat aus Dtn 17,7/LXX bekräftigend anführt: Der Einzelne, der sich aufgrund seiner Lebensführung selbst außerhalb die Gemeinde gestellt hat, ist aus der Gemeinde auszuschließen.65 58 Vgl.

Zeller, 1 Kor, 207; Schrage, 1 Kor/1, 389.  Vgl. El Mansy, Exogame Ehen, 229; ähnlich Konradt, Gericht, 325, nach dem Paulus an dieser Stelle ein Zugeständnis mache. 60 Zur Frage, ob die Verweigerung von einer Mahlgemeinschaft das Abendmahl oder das gemeinschaftliche profane Essen meint vgl. Zeller, 1 Kor, 207 f., aber auch Schrage, 1 Kor/1, 393 f. 61 Vgl. Arzt-Grabner u. a., 1 Kor, 219 f. 62 Ähnlich Zeller, 1 Kor, 208, wobei für ihn die Zuschreibung der Urteilskompetenz an die Gemeinde mit einer gleichzeitigen Abgrenzung der Gemeinde zur Umwelt einhergeht. Vgl. auch Loader, New Testament, 166. Zum Geltungsbereich des πορνεία-Falls wie auch zu dem der paulinischen Argumentation auf die Gemeinde siehe auch Zimmermann, Logik, 242. 63 Ähnlich Zeller, 1 Kor, 208. Schrage, 1 Kor/1, 394, betont insbesondere die Urteilskompetenz der Gemeinde in ihren Grenzen. 64 Zur Richterfunktion Gottes über die Welt vgl. Schrage, 1 Kor/1, 394; Loader, New Testament, 166; Zimmermann, Logik, 242. 65 Paulus greift wieder auf atl. Sprache zurück. Die Formulierung ἐξάρατε τὸν πονηρὸν ἐξ 59

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1 Kor 6,12–20 In 1 Kor 6,15 vertritt Paulus die Position, dass die Christusbeziehung des Einzelnen exklusiv ist und auch das σῶμα des Einzelnen betrifft. Sex mit einer Prostituierten gefährdet diese ganzheitliche Beziehung, da sie eine körperliche Bindung bedeutet, mit der nach Paulus auch der Anspruch einer dauerhaften Bindung einhergeht. Zur Unterstützung seiner Meinung führt Paulus drei Argumente an. a) In den V. 16 f. argumentiert Paulus mit den jeweiligen Beziehungen, in denen ein korinthisches Gemeindeglied stehen kann, und nimmt eine Verhältnisbestimmung zwischen der Bindung an eine πόρνη, die durch Sex entsteht, und der Beziehung zum κύριος, in der der Glaubende bereits steht, vor. Dabei beschreibt er die sexuelle Beziehung eines Mannes zu einer Prostituierten in Anlehnung an Gen 2,24/LXX als eine sexuelle Einheit. Durch die Anwendung des Schöpfungstextes, den Paulus seiner Argumentation entsprechend verändert,66 auf eine nicht als dauerhaft intendierte Beziehung entsteht ein Bedeutungsüberschuss. Dieser besteht darin, dass Paulus mit Hilfe des Zitats die Entstehung einer dauerhaften Einheit (κολλάω67) postuliert, die trotz der zeitlichen Begrenztheit des Arrangements entsteht und die über das zeitlich befristete Beisammensein der Beteiligten hinausreicht.68 ὑμῶν αὐτῶν in V. 13 stammt aus Dtn 17,7/LXX und spielt auf den Ausschluss von Übeltätern aus Israel an, der in kasuistischen Gesetzen, wie sie etwa in Dtn 13,6; 17,7; 19,19; 21,21 u. ö. vorkommen, gefordert wird. Vgl. hierzu und zu den Stellen Zeller, 1 Kor, 208, aber auch Loader, New Testament, 166. Zur Bedeutung von πονηρός in 1 Kor 5,13 vgl. Arzt-Grabner u. a., 1 Kor, 221 f. 66 Vgl. zu V. 16 und zum Septuagintazitat Schrage, 1 Kor/2, 26–28, besonders Loader, New Testament, 173–178, der die argumentative Relevanz des Zitates für den gesamten Textabschnitt nachzeichnet. Nach Loader, New Testament, 173, hat Paulus den Bezug zur Frau in Gen 2,24/LXX ausgelassen, um den Fokus auf die Auswirkungen von Sex besser beschreiben zu können und den Eindruck einer vorgegebenen Ordnung zu vermeiden. 67 Das Verb κολλάω bedeutet wörtlich eigentlich „kleben“ und kann im Medium/Passiv nicht nur eine eheliche Bindung bzw. sexuelle Vereinigung von Mann und Frau, sondern auch das feste Anhängen an eine Gruppe (Ruth 2,8/LXX; 2,23/LXX) oder an Einzelpersonen (2 Sam 20,2/LXX; 1 Makk 3,2; 6,21) meinen (vgl. Seebass/Walber/Haacker, Art. Κολλάω, 1367 f.; Schmidt, Art. Κολλάω, προσκολλάω, 822). Darum möchte ich die These vertreten, dass Paulus in seiner Argumentation in 1 Kor 6,16 mit den Bedeutungsnuancen des Verbs spielt und schlage vor, κολλάω in einem weiteren Sinn als eine durch eine Handlung aktiv herbeigeführte Zugehörigkeit, bzw. als eine Bindung, die jemanden durch eine Handlung dauerhaft herbeiführt, zu verstehen. Durch ein solches weites Verständnis lässt sich die doppelte Übertragbarkeit des Verbs auf die Beziehung des Glaubenden mit einer Prostituierten und auf die Beziehung mit Christus erklären. Dies könnte die crux interpretum, warum ein sexuell, und daher körperlich konnotierter Begriff wie κολλάω in V. 17 überhaupt auf die Christusbeziehung eines Glaubenden und dann noch auf eine Einheit mit Christus im πνεῦμα angewandt werden kann, entschärfen. Das Verb κολλάω bedeutet die dauerhafte Bindung an Christus im Glauben. 68 Dies verdeutliche die Verwendung von σῶμα anstelle von σάρξ, so Loader, New Testament, 174 f., nach welchem die entstehende Bindung als „Herrschaftswechsel“ zur πορνεία hin interpretierbar sei. Auch für Tiedemann, Erfahrung, 212 f., spricht u. a. die Bedeutung von

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Demgegenüber formuliert Paulus, ebenfalls mit κολλάω, die individuelle Bindung an Christus als eine Einheit in einem Geist. Aus dem unmittelbaren Kontext mit dem Genesiszitat wird deutlich, dass Paulus auch die Beziehung des Einzelnen zu Christus als dauerhaft versteht. Die Verwendung von πνεῦμα könnte in seiner Funktion als Gegenpart zur σάρξ darauf hindeuten, dass Paulus auf das jeweilige Vorzeichen der Lebensführung des Glaubenden anspielt. Denn Paulus drückt mit πνεῦμα und σάρξ u. a. auch aus, ob ein Mensch aus dem Glauben oder aus menschlichen Überzeugungen heraus lebt. Mit Christus ein Geist zu sein, bedeutet einen Lebenswandel im πνεῦμα orientiert an Christus;69 mit einer Prostituierten ein Fleisch zu sein bedeutet hingegen eine Lebensführung in πορνεία. b) Als zweites Argument bringt Paulus in V. 18 die Auswirkungen von πορνεία auf den Körper des Einzelnen vor. Die in diesem Zusammenhang fallende Mahnung, der πορνεία zu fliehen, findet sich auch in T. Reu. 5,5 und bedeutet die Meidung jeglichen sexualethischen Fehlverhaltens.70 Denn die Ausübung von πορνεία betrifft direkt den Körper. In V. 18 stellt Paulus πορνεία in ein Verhältnis mit anderen möglichen Fehlverhalten, die er wie πορνεία auch als „Verfehlung“ (ἁμάρτημα/ἁμαρτάνειν) interpretiert.71 Unter allen möglichen Verfehlungen, die ein Mensch tun kann, nimmt die Ausübung von πορνεία allerdings eine Sonderrolle ein. Diese bestimmt Paulus über die Folgen der Verfehlungen für das σῶμα des Handelnden. Während πᾶς ἁμάρτημα außerhalb des Körpers bleiben, diesem keinen Schaden zufügen können, betrifft πορνεία den Körper des Glaubenden direkt. Hieraus zieht Paulus den Schluss, dass πορνεία zu tun gleichsam bedeutet, gegen den eigenen Leib (τὸ ἴδιον σῶμα) zu sündigen (ἁμαρτάνειν).72 Was mit „dem Sündigen gegen den eigenen Körper“ gemeint sein kann, wird m. E. aus den relationalen Folgen von πορνεία ersichtlich, die Paulus in 1 Kor  6,17–18 formuliert. Paulus hatte bis V. 17 Sex mit einer Prostituierten explizit nur über die Folgen als eine Bindung oder ein Anhaften an einer πόρνη entgegen der eigentlichen Bindung des Glaubenden an Christus beschrieben. Dabei hatte er über die Handlung des Glaubenden selbst noch nicht weiter κολλάω dafür, dass Paulus von einer dauerhaften Verbindung zwischen einer Prostituierten und dem Gemeindemitglied ausgehe. 69 Ähnlich Wolter, Paulus, 252–254, der die Zugehörigkeit zu Christus allerdings noch grundlegender formuliert: Für Paulus sei die Beziehung zu Christus „eine reale existenzielle Verbundenheit“ (ebd., 253). 70 Vgl. Loader, New Testament, 175. 71 Vgl. Günther, Art. ἁμαρτάνω κτλ. 72 Was der Ausdruck „Sünde gegen den eigenen Leib“ meint, ist in der Forschung umstritten. Zu den möglichen Interpretationsmöglichkeiten vgl. Kirchhoff, Sünde, 178 f. Zu den Auswirkungen von πορνεία auf den eigenen Körper siehe Loader, New Testament, 175–177; Scornaienchi, Sarx, 99–103, wobei letzterer die paulinischen Aussagen zum Körper in 1 Kor 6,12–20 ausgehend von der in V. 20 zu findenden Sklavenmetaphorik interpretiert.

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reflektiert. Dies holt Paulus nun nach, indem er über das substantivierte Partizip ὁ πορνεύων, das im Aktiv gebildet ist, den Glaubenden als jemanden, der aufgrund seiner sexuellen Handlung mit einer Prostituierten (πόρνη) selbst πορνεία betreibt, negativ qualifiziert. Damit macht Paulus explizit, was in seiner Argumentation ab V. 15 implizit mitlief: Wie eine πόρνη durch ihr Handeln πορνεία übt, ihr πορνεία gewissermaßen „anhaftet“, so wird der Glaubende durch Sex mit einer Prostituierten auch zu jemanden, der πορνεία begeht (ὁ πορνεύων), indem er der Prostituierten „anhaftet“.73 Der Ausdruck „sündigen gegen den eigenen Leib“ reformuliert nochmals das, was Paulus in V. 15 mit μέλη formuliert hatte: Durch πορνεία ent-bindet sich der Glaubende in körperlicher Weise Christus und hängt der Person an, mit der er πορνεία begeht.74 Mit dem Argument in V. 18 macht Paulus die „Gefahr“ die von πορνεία für die Christusbeziehung des Einzelnen ausgeht, deutlich: Πορνεία vereinnahmt den Menschen und seinen Körper und führt zu einer neuen Bindung und einer neuen Lebensweise. Der, der πορνεία ausübt, setzt den Körper in ein neues Verhältnis. Die von Paulus eingangs postulierte Zugehörigkeit von Christus und Leib wird aufgehoben und das σῶμα in eine neue Beziehung gestellt – in diesem Fall zur πόρνη. c) Drittens und abschließend nimmt Paulus in den V. 19 f. die Gottesbeziehung in den Blick und stellt den Körper des Einzelnen in diese hinein.75 Das dritte Argument betont nochmals die Relevanz des Körpers und eines der Gottesbeziehung angemessenen Umgangs mit diesem. Die Glaubenden sollen sich deshalb nicht auf πορνεία einlassen, da der Körper ebenfalls Teil der Gottesbeziehung ist. Paulus formuliert den Anspruch eines Lebenswandels im Glauben ganzheitlich. Der Mensch als Ganzes gehört zum Herrn: nicht nur das πνεῦμα des Menschen, sondern auch das σῶμα. Um das Verhältnis zwischen σῶμα und Christus bzw. Gott zu verdeutlichen, verwendet Paulus eine weitere Metapher. Er beschreibt 73  Scornaienchi, Sarx, 100–103, sieht zwar den Bezugsrahmen zur Prostitution, wertet die von ihm angeführten Quellen aber nicht hinsichtlich der Bedeutung von ὁ δὲ πορνεύων in V. 18 aus. Loader, New Testament, 175 f., interpretiert V. 18 ausgehend von V. 16 f. und dem dortigen Genesiszitat. Für Loader entsteht eine neue Realität, die sich aufgrund der Einheit im Fleisch ereigne. Er betont damit m. E. zu Recht, dass Paulus auf die Folgen von Sex mit einer Prostituierten abzielt, interessiert sich allerdings wenig für den Moment des Perspektivwechsels, der in V. 18 vorliegt. Vahrenhorst, Sprache, 170, erwähnt den Wechsel und auch, dass das Gemeindemitglied selbst zu einem πόρνος werde, geht aber auf die Wendung ὁ δὲ πορνεύων ebenfalls nicht weiter ein. 74 Ähnlich Fee, 1 Cor, 290 f., nach dem πορνεία aufgrund ihres besonderen Charakters und ihres Körperbezugs Sünde gegen den eigenen Körper bedeute. Zum Verb ἁμαρτάνω vgl. Günther, Art. ἁμαρτάνω κτλ. 75 Die Perspektivverschiebung in der Metaphorik passt zu Wolters These einer Entsprechung zwischen Ekklesiologie und Anthropologie im paulinischen Denken. Diese werde bspw. in der Verwendung der Tempelmetaphorik in 1 Kor 3,16; 6,19 erkennbar, wobei Paulus seine ekklesiologischen Einsichten von 1 Kor 3,16 drei Kapitel weiter nun auf den einzelnen Menschen übertrage; vgl. Wolter, Paulus, 332.

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in V. 19 den Körper als Tempel des Geistes (ναός). In dem Vers wird dabei die Perspektive dessen eingenommen, dem der Tempel gehört, nämlich Gott. Der Leib ist Ort der Gottesgegenwart.76 Die Gottesbeziehung wird in V. 19 analog zu 1 Kor 3,16 f. über das Bild des Tempels als Eigentumsverhältnis beschrieben: Der Körper „gehört“ als „Tempel“ Gott.77 Mit der Tempelmetapher impliziert Paulus deshalb, dass der Körper des Menschen für die Gottesverehrung gedacht ist.78 Hierdurch wertet Paulus den Körper in seiner Bedeutung auf. Denn ein Tempel ist kein minderwertiges oder mangelhaftes Bauwerk, sondern im Gegenteil, eines von herausragender Bedeutung und architektonischer Besonderheit. Tempel prägten zudem das antike Stadtbild und hoben sich hinsichtlich ihrer religiösen Bedeutung von anderen Gebäuden ab.79 Wenn Paulus demnach den Körper als Tempel beschreibt, so will er auf die Besonderheit des Körpers hinaus, die sich aus der Funktion als Wohnstätte des Geistes und als Ort der Verehrung Gottes ergibt. Umgekehrt bedeutet dies: Der Körper ist Teil der Gottesbeziehung, weshalb ein dementsprechender, guter Umgang mit dem Körper notwendig wird. Und das schließt πορνεία aus. Die Zugehörigkeit von Körper und Gott, die in der Tempelmetapher implizit angelegt ist, wird in V. 20 mit einer weiteren Metapher expliziert: Um das dauerhafte, auch körperliche Verhältnis zwischen Gott und den Korinthern zu verdeutlichen, verwendet Paulus eine Metapher aus dem Bereich der antiken Sklaverei.80 Die Korinther wurden gekauft (ἀγοράζω) und sind daher Gottes Eigentum.81 Das schließt auch den Körper der Glaubenden mit ein; auch er gehört Gott.82 Paulus schließt folglich mit der sich hieraus ergebenden Aufforderung, 76 Vgl. Schrage, 1 Kor/2, 33 f.; Vahrenhorst, Sprache, 171. Nach Zeller, 1 Kor, 227, war diese Auffassung in der Antike recht selten, da eigentlich nicht der Körper, sondern die Seele als Ort göttlicher Präsenz im Menschen gegolten habe. 77 Ähnlich Zeller, 1 Kor, 166 f.227. Vgl. auch Böttrich, „Ihr seid der Tempel Gottes“, 416 f.419 f. Zur Tempelmetaphorik in 1 Kor 3,16 f. mit unterschiedlicher Akzentuierung vgl. Gerber, Paulus und seine „Kinder“, 378–391; Vahrenhorst, Sprache, 147–153; Wassen, Do You Have, 55–86. 78  Vgl. Zeller, 1 Kor, 227 f.; Böttrich, „Ihr seid der Tempel Gottes“, 419. 79 Dies galt für den gesamten Kulturraum des Mittelmeers und gehörte auch für die korinthische Gemeinde zum Alltag, vgl. Ebner, Stadt, 21–27; Böttrich, „Ihr seid der Tempel Gottes“, 411–414, der allerdings den Jerusalemer Tempel als Vorlage für die Ausführungen des Paulus in den V. 19 f. annimmt. 80 Vgl. Schottroff, 1 Kor, 108–110. Im Kontext der Tempelmetapher weckt dieser Zweck, zu dem die Korinther als Sklaven gekauft wurden, den Eindruck, als spiele Paulus auf Tempelsklaven an, die in der Antike ausschließlich zur Verehrung der Gottheiten an Tempeln anzutreffen waren. Zu ἱερόδουλοι in antiken Tempeln vgl. Lanci, Stones, 210 f.; Hepding, Art. Hieroduloi; Graf, Art. Hieroduloi, 536 f., wobei die beiden letzten Autoren auch heute kritisch gesehene Quellentexte zur Sakralprostitution angeben. Das gleiche gilt auch für Loader, New Testament, 179 f., der die Verbindung zwischen Tempelmetapher und Sklavenmetapher mit Tempelsklaven in Verbindung bringt, aber auch von einer möglichen Sakralprostitution ausgeht. 81 Dabei sei Gott das kaufende Subjekt, während der Kaufpreis das Blut Christi (Apk 1,5; 5,9; 1 Petr 1,18 f.; Apg 20,28, aber auch 1 Kor 7,23) meine, so Zeller, 1 Kor, 228. 82 Vgl. Schrage, 1 Kor/2, 36; Zeller, 1 Kor, 229; Fee, 1 Cor, 292 f.

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auch den Umgang mit dem eigenen Körper als Ausdruck der Gottesbeziehung zu verstehen. 2.3 Paulus’ differenzierter Umgang mit πορνεία Die einzelnen Argumentationsdurchgänge in 1 Kor  5,1–3; 6,12–20 zeigen, dass Paulus je nach Problemlage unterschiedliche Lösungen für Vorfälle von πορνεία in der korinthischen Gemeinde entwickelt. Für Paulus gibt es offenbar unterschiedliche Schweregrade von πορνεία und dementsprechend auch eine unterschiedliche Härte im Vorgehen. Während in Bezug auf den Einzelfall in 1 Kor  5,1–13 für Paulus ein striktes Vorgehen durch einen radikalen Schnitt zwischen dem Einzelnen und der Gemeinde geboten ist, kommt ein Gemeindeausschluss in 1 Kor  6,12–20 nicht in den Blick.83 Der Fokus liegt in dieser Argumentation auf der Christusbeziehung des Einzelnen, die auch das σῶμα des Glaubenden mit einschließt und die ein Fehlverhalten gegen das σῶμα ausschließt. In 1 Kor 7,1–9 nennt Paulus, das sei abschließend skizziert, eine andere Art und Weise, um mit πορνεία umzugehen. Geht es in den Versen eigentlich um die Frage, ob es überhaupt gut sei, zu heiraten und präferiert Paulus eigentlich die Einstellung einiger in Korinth, dass es besser sei ledig zu bleiben als zu heiraten, so sind die verschiedenen Arten von πορνεία doch ein triftiger Grund, um doch eine Ehe einzugehen. Paulus setzt dabei zweierlei implizit voraus: Erstens ist eine Ehe ein geeigneter Ort, sexuelle Lust und Bedürfnisse zu leben. Zweitens ist eine mangelnde Selbstbeherrschung Ursache dafür, dass jemand πορνεία auslebt. Folgt man den Ausführungen des Paulus in den V. 2–9, so ist die Ehe ein geeignetes Mittel, um πορνεία zu meiden.84 Das besagt jedoch nicht, dass wer verheiratet ist, vor πορνεία gefeit wäre. Paulus deutet in V. 5 an, dass übermäßige Enthaltsamkeit, die nicht im gegenseitigen Einverständnis der Ehepartner erfolgt, Einfallstor für die „Unbeherrschtheit“ sein kann, die nach antikem Verständnis auch zu πορνεία führen kann.85 Zwar ist eine gegenseitig anerkannte, zeitlich begrenzte Trennung zur Ausübung der individuellen Gottesbeziehung möglich, darüber hinaus aber sollen sich beide Ehepartner das geben, 83 Auch nach Konradt, Gericht, 326 f., gewichtet Paulus hinsichtlich der Schwere von πορνεία. 84 In der Forschung wird dabei richtigerweise immer wieder darauf Wert gelegt, dass Paulus die Ehe nicht als reine Abwehr oder als wirksamen Schutz vor πορνεία ansieht. Vgl. hierzu Schrage, 1 Kor, 60 f.; ähnlich Merklein, 1 Kor, 105; Wolff, 1 Kor, 135. Dass Paulus eine Ehe dennoch auch über ihren „Nutzen“ beschreibt, kann dennoch nicht bestritten werden. Nach Zimmermann, Logik, 185, werde die Ehe als eine „Möglichkeit, die zu erwartenden Übel ohne Ehe zu vermeiden oder zu minimieren“ angesehen. Der Argumentation liege eine „Übelminimierungsregel“ zugrunde. 85 Zur Übersetzung von ἀκρασία mit ‚Unbeherrschtheit‘ bzw. ‚fehlender Selbstbeherrschung‘ vgl. Zeller, 1 Kor, 240.

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was sie einander schulden (V. 3 f.). Dabei soll jeder Partner so handeln, als wenn er das σῶμα des anderen Partners „besäße“ (ἐξουσιάζειν). Dieser Begriff, der auch Eigentumsverhältnisse beschreiben kann,86 ist hier metaphorisch zu verstehen und lässt sich am besten als eine Perspektivübernahme interpretieren, die die Bedürfnisse des anderen zu den „eigenen“ macht.87 Wer ehelos lebt, ist im Zweifel noch anfälliger für πορνεία, besonders dann, wenn er sich eigentlich nicht enthalten kann. Ein Leben ohne Ehe führt im Falle einer mangelnden Selbstbeherrschung zu einer problematischen Verleugnung der individuellen Sexualität. Paulus umschreibt diesen Zustand mit dem Bild „brennen“ (πυρόω)88. Wer sich für ein eheloses Leben entscheidet, so setzt Paulus in V. 9 implizit voraus, aber nicht die nötige Selbstbeherrschung besitzt, wird an seiner Sexualität leiden.89 Das gilt es zu vermeiden, weshalb Paulus in diesem Fall doch zur Ehe rät.90 Letztendlich nimmt Paulus eine Abwägung vor: Ehelos zu leben ist besser als verheiratet zu sein, aber verheiratet zu sein ist besser als zu „brennen“.

3. Zusammenfassung und Ausblick Paulus geht in 1 Kor  5,1–13; 6,12–20, aber auch in 1 Kor  7,1–9 situationsbezogen vor und holt die Korinther – wenn auch unterschiedlich – in der jeweiligen Situation ab. Diese liegt ihm nur vermittelt vor, da er abwesend ist. Im 1.  Korintherbrief übersendet er seiner Gemeinde seine Interpretation der vorliegenden Sachlage und übermittelt sowohl eine Problemanzeige als auch Lösungsangebote. Letztere entwickelt er mit Hilfe mehrerer Argumente, die seine Gemeinde von seiner Deutung der Situationen überzeugen und zu einer 86 Für Zeller, 1 Kor, 239, gehört das Verb zu den in V. 3 f. aufgenommenen Rechtsbegriffen.

87  Ähnlich Schrage, 1 Kor/2, 65 f., bes. 66, der von einer Übergabe der Verfügungsgewalt spricht. Instone-Brewer, Divorce, 193, merkt zu Recht an, dass hier keine realen Besitzverhältnisse und -ansprüche formuliert werden. Die Verse sagen keine „obligation to demand love“ aus, sondern eine „obligation to give love“. Es gehe Paulus also nicht darum, Liebe zu erzwingen bzw. die eigenen Bedürfnisse zu negieren. Für Instone-Brewer ist allerdings die aktive Rolle der Ehepartner wichtig, so dass er das Verhältnis zwischen Mann und Frau ausgehend von den V. 3 f. im Sinne gegenseitiger Rechte und Pflichten bestimmt. Zimmermann, Logik, 181, rückt hingegen radikal die Bedürfnisse des jeweils anderen Ehepartners ins argumentative Blickfeld. 88 Nach Zeller, 1 Kor, 242 f., findet sich πυρόω in der antiken Liebesdichtung und meint die „ungestillte erotische Leidenschaft“ (ebd., 242). Auch nach Zimmermann, Logik, 181, ist „brennen“ ein in der paganen wie frühjüdischen Tradition verbreiteter Topos für sexuelle Leidenschaft. Vgl. hierzu des Weiteren Bietenhard, Art. Πῦρ κτλ., 465 f. 89 Ähnlich Schrage, 1 Kor/2, 96; Zeller, 1 Kor, 242 f. 90 Vgl. Schrage, 1 Kor/2, 96 f.; Loader, New Testament, 199 f. Die Bewertung „besser“, die Paulus in den V. 9 vornehme, um eine Ehe dem „Brennen“ vorzuziehen, zeige auf, dass Paulus eine „qualitative Verbesserung“ darin sehe, zu heiraten, anstelle den eignen sexuellen Bedürfnissen ausgeliefert zu sein, so Arzt-Grabner u. a., 1 Kor, 266, Zitat ebd.

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dem Problem angemessenen Reaktion bewegen sollen. Das Problem beschreibt Paulus in 1 Kor 5,1–13 drastischer als in 1 Kor 6,12–20: Es gibt Vorfälle von πορνεία in Korinth. Sowohl seine Interpretation der Vorfälle als auch seine Argumentation sind von seinen sexualethischen Überzeugungen antik-jüdischer Provenienz geprägt. Zudem leitet eine ekklesiologische und christologische Perspektive seine Argumentationen. Paulus verurteilt die Vorfälle in der Gemeinde, da sie πορνεία sind und daher zu einem Leben vor bzw. außerhalb des Glaubens gehören. Paulus rückt in seiner Argumentation in 1 Kor 5,1–13 mit seiner Forderung nach einem Gemeindeausschluss folglich das Beziehungssystem des in der Kritik stehenden Gemeindeglieds zurecht: Wer in πορνεία lebt, kann nicht Teil der Gemeinde sein. Anders sieht dies in 1 Kor 6,12–20 aus. Zwar scheint der Vorfall in 1 Kor 6,12–20 nicht so schwer zu wiegen, dass ein Gemeindeausschluss nötig ist. Aber Paulus macht die relationalen Folgen von πορνεία deutlich: Wer Sex mit einer Prostituierten hat, gefährdet seine Beziehung zu Christus, indem er eine andere, der Christusbeziehung entgegengesetzte Beziehung eingeht. In beiden Texten setzt Paulus voraus, dass πορνεία anders „funktioniert“ als andere Verfehlungen (1 Kor 6,18). Sie hat Folgen auf der Beziehungsebene: Sie widerspricht und gefährdet die Gottesbeziehung des Einzelnen, in schweren Fällen sogar der gesamten Gemeinde. Dementsprechend votiert Paulus dafür, der πορνεία zu entfliehen (1 Kor  6,18). Das bedeutet für ihn in erster Linie keinen Kontakt zu Gemeindegliedern, die πορνεία ausüben (1 Kor 5,11–13), und einen Lebenswandel, der auch den Körper als Teil der Gottesbeziehung begreift (1 Kor 6,19–20). Auch wenn Paulus bestimmte Formen von Beziehungen und Möglichkeiten, Sexualität zu leben, als πορνεία negativ qualifiziert, vertritt Paulus keine Leibfeindlichkeit. Auch tritt er nicht für ein Leben in Askese ein, auch wenn er ein eheloses Leben präferiert. Aber: Sexualität sollte nach Paulus in einem angemessenen Beziehungskontext stattfinden. Dieser ist für Paulus die Ehe (1 Kor 7,1–9). Diese Ergebnisse scheinen aus heutiger Perspektive wenig zufriedenstellend – zu groß ist der Abstand zwischen den sexual- und eheethischen Konzepten im Neuen Testament, wie sie an 1 Kor 5,1–13; 6,12–20; 7,1–9 zutage treten, und unseren heutigen, modernen Vorstellungen darüber, wie wir Beziehungen leben wollen. Hinzu kommen folgende Beobachtungen: 1. Paulus geht auf wesentliche Aspekte der Beziehungen, die er in 1 Kor 5,1–13; 6,12–20 verurteilt, nicht ein. Zum Beispiel kommt die Prostituierte und ihr Alltag samt den mit Prostitution verbundenen Problemen in 1 Kor 6,12–20 nicht in den Blick. Auch scheint er wenig Sinn dafür zu haben, dass nicht jede

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und jeder aus seiner Gemeinde eine nach römischer Auffassung rechtsgültige Ehe eingehen konnte oder wollte.91 2. Paulus argumentiert aus der Sicht der Gemeinde bzw. des einzelnen Glaubenden für die Gemeinde bzw. den einzelnen Glaubenden. Diese gemeindeorientierte Perspektive, die die sexualethischen Verfehlungen eines Einzelnen in ihren Folgen für die gesamte Gemeinde reflektieren, sind uns heute – zumindest in volkskirchlich geprägten Kreisen – fremd. Sexualethische Fragestellungen werden, auch im Raum der Kirche, in den Verantwortungsbereich des Einzelnen gestellt. Ungeachtet der Differenzen, sind die Argumentationen des Paulus in 1 Kor 5,1– 13; 6,12–20 und 7,1–9 zumindest partiell an unsere heutige Lebenswelt anschlussfähig. Auf zwei Punkte möchte ich abschließend hinweisen: 1. Die von Paulus in 1 Kor 6,16–17 betonte bleibende Bindung auch über einen kurzweiligen Kontakt hinaus, lässt sich reformulieren, gehört es doch zu den grundlegenden menschlichen Erfahrungen, dass Beziehungen auch über ihr tatsächliches Bestehen hinaus Spuren hinterlassen, die wir auch als dauerhaft und prägend erfahren können. Dieses anthropologische Verständnis von Beziehungen, das in dem Argument des Paulus hervortritt, kann auch heute noch dafür sensibilisieren, dass sich Beziehungen nicht rein pragmatisch oder formalistisch verstehen lassen. 2. Was ist πορνεία? Die Texte des 1. Korintherbriefes haben verdeutlicht, dass mit dem Begriff Grenzziehungen bezüglich „gut“ und „nicht gut“ gelebter Sexualität verbunden sind. Diese Grenzziehungen sind kulturell und historisch bedingt und sehen heute anders aus als zur Zeit des Neuen Testaments. Dass diese Grenzziehungen diskutierbar sind, wie aus den Argumentationsanalysen von 1 Kor  5,1–13; 6,12–20 exemplarisch hervorgeht, bedeutet auch, dass sie hinterfragt werden können und letztlich auch, dass sie veränderbar sind. Und das heißt wiederum, dass wir uns mit unseren aktuellen sexualethischen Debatten stellen können und müssen – und uns in diesem Sinne in neutestamentlicher „Tradition“ befinden. Es gibt wohl kein Patentrezept, um mit sexualethischen Frage- und Problemstellungen umzugehen. Das wird auch schon an den Texten des Paulus erkennbar. Aber die Argumentationen des Paulus zeigen auch, dass sexualethische Fragen komplexer sind und nicht pauschal beantwortet werden können. Der differenzierte Umgang des Paulus mit πορνεία kann in unserer Zeit zum Appell dafür werden, bei allen Grenzziehungen auch die Vielfalt der Möglichkeiten eines gelingenden Zusammenlebens (an)zuerkennen. 91 Vgl. hierzu die umfassenden Studien von Treggiari, Roman Marriage; Mette-Dittmann, Ehegesetze.

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„Folgt meinem Beispiel wie ich dem Beispiel Christi“ (1 Kor 11,1) Paulinische Mimesisvorstellung als Konfliktlösungs- und Konfliktpräventionsstrategie Jan Quenstedt In1 den Protopaulinen nimmt die Auseinandersetzung mit Problemfeldern breiten Raum ein: In Korinth herrschen theologische und soziale Spannungen, die ihren Kulminationspunkt im Herrenmahl (1 Kor  11,17–34) erreichen; in Philippi muss sich Paulus mit Irrlehren auseinandersetzen (Phil 3,12–21) und die Gemeinde in Thessalonich ringt um ihre Identität (1 Thess 2,13–16) – um nur einige Beispiele zu nennen. Vor diesem Hintergrund ist Paulus, der Apostel, auch Konfliktlöser, Erzieher und Krisenmanager. Das paulinische Einwirken auf gruppendynamische Prozesse lässt den Eindruck entstehen, dass die paulinische Theologie zu einem Großteil aus der Bewältigung von Problemen heraus entspringt, insofern sie in den Protopaulinen als Motor theologischer Meinungsbildung wahrgenommen werden können. Der vorliegende Beitrag fokussiert auf eine ausgewählte Art des Umgangs mit Problemen und Konflikten: Mit dem paulinischen Konzept der Mimesis verbinden sich Hinweise zur Konfliktlösung und zur Konfliktprävention gleichermaßen. Anhand einer Betrachtung der maßgeblichen Zusammenhänge im 1 Kor (1.), im 1 Thess (2.) und im Phil (3.) zeigt dieser Beitrag, was die Mimesis zum Umgang mit Konflikten und Krisen im Neuen Testament austrägt. Abschließend (4.) wird skizziert, welche individuellen, ekklesiologischen und öffentlichen Dimensionen sich mit ihr verbinden lassen.2

1 Ursprünglich vorgetragen als Werkstattbericht. Die Vortragsform wurde beibehalten und lediglich um notwendige Angaben ergänzt. 2 Die Überlegungen fokussieren auf Formen expliziter Mimesis, d. h. auf Perikopen, in denen das Lexem μιμέομαι oder eines seiner Derivate innerhalb der Protopaulinen vorkommt. Vgl. zur Bedeutung der Mimesis-Vorstellung für weitere Bereiche paulinischer Theologie Quenstedt, Diakonie, passim.

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1. Mimesis, Autorität und Lebenswandel im Kontext des 1. Korintherbriefs Innerhalb des 1 Kor greift Paulus zweimal auf das Lexem μιμέομαι zurück und verwendet es als Imperativ mit paralleler Wortwahl: μιμηταί μου γίνεσθε (1 Kor 4,16b.11,1a). 11,1a wird fortgeführt von der Präzisierung καθὼς κἀγὼ Χριστοῦ, so dass das Motiv einer Christusnachahmung anklingt, die im weiteren Fortgang des Kapitels durch Hinweise zum Gottesdienst und der darin stattfindenden Feier des Herrenmahls praktische Gestalt gewinnt.3 Der Imperativ in 11,1a verbindet den Abschluss der Ausführungen zum Götzenopferfleisch in 1 Kor 10 mit dem Themenkomplex in 1 Kor 11.4 Die verbindende theologische Grundlinie formulierte Paulus bereits in 10,23 durch den Hinweis, dass zwar alles erlaubt sei, aber nicht alles der Erbauung der Gemeinde diene. Persönliche Freiheit meint vor diesem Hintergrund eine solidarische Selbstbegrenzung, deren Maßstab die Freiheit des Gegenübers darstellt.5 Es geht Paulus demnach nicht darum, „daß die Korinther ihn in allen Punkten seines Lebenswandels kopieren sollen, sondern seine Grundeinstellung teilen mögen: den Verzicht auf eine Freiheit, die nur den eigenen Vorteil sucht, und die Rücksichtnahme auf die anderen, besonders die Schwachen.“6

Die Motivation zur Nachahmung des Paulus formuliert 1 Kor 10,33: μὴ ζητῶν τὸ ἐμαυτοῦ σύμφορον ἀλλὰ τὸ τῶν πολλῶν, ἵνα σωθῶσιν. Ein entsprechendes nachahmendes Verhalten dient nicht eigensüchtigen Interessen, auch nicht denen des Vorbildes, sondern es zielt darauf ab, Menschen „zur Ergreifung des eschatologischen Heils zu verhelfen.“7 Paulus stilisiert sich mit der Aufforderung zur Nachahmung zum Pädagogen, der positiv und stabilisierend auf das Miteinander innerhalb der Gemeinde einwirken will. Dafür greift er auf seine Autorität als Gemeindegründer zurück. 1 Kor  11,17–34 zeigt eindrücklich die Notwendigkeit der paulinischen Intervention auf: Die Feier des Herrenmahls verläuft alles andere als würdig und traditionsgemäß. Um diese Problemlage zu beheben, führt Paulus ein bekanntes Herrenwort an (11,23–25). Der Rekurs darauf lässt die paulinische Autorität als fraglich erscheinen, erklärt aber den Gebrauch des Imperativs in 11,1 als ein ordnungsstiftendes Moment und kennzeichnet das in 11,2 formulierte Lob als captatio benevolentiae zur Vorbereitung der Ermahnung. Im Kontext des Briefes wird anschaulich, dass es sich bei der in 1 Kor 11 geschilderten Problematik nicht um eine Lappalie handelt. Vielmehr insistiert Paulus auf eine Stabilisierung des 3 Vgl.

Kremer, 1 Kor, 223. 1 Kor, 243. 5 Vgl. Wolff, 1 Kor, 237. Vgl. ausführlich auch Quenstedt, Paulus, passim. 6 Kremer, 1 Kor, 222. 7 Wolff, 1 Kor, 242. 4 Wolff,

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Gemeinschaftsgefüges, weil sie eine Relevanz für das Fortbestehen der Gemeinde besitzt (vgl. 1,10–16). Aus diesem Grund ist der Aufruf zur Mimesis als kollektives Geschehen zu verstehen, dem sich alle Gemeindeglieder anzuschließen haben. Es zeigt sich, dass Paulus keine individuelle Entscheidung zur Ablehnung oder Zustimmung intendiert, sondern konsequente Nachahmung erwartet. Auch in 1 Kor 4 verbindet sich mit der Mimesisaufforderung ein pädagogischer Impetus (vgl. 4,14: νουθετῶ[ν]). Abermals bedient sich Paulus seiner Autorität als Gemeindegründer (4,15), die für ihn eine liebende Autorität darstellt.8 Als pater familias besitzt er die Autorität, seine Familie bzw. Gemeinde zu ermahnen.9 Darüber hinaus betont die Familienmetaphorik die enge Zusammengehörigkeit von Paulus und der Gemeinde und die damit einhergehende existenzielle Beziehung des Apostels zu ihr. Umso gravierender erscheinen die Konflikte in Korinth, zu deren Lösung er in 4,16 mit dem Aufruf zur Nachahmung eine Orientierung an seiner Person anmahnt.10 Im Kontext mit dem paulinischen Verständnis seines Apostolats (vgl. 3,5–17) wird deutlich, dass seine Autorität als eine gebrochene verstanden werden muss, insofern die Person des Paulus sowohl hinter seinem Auftrag als auch hinter seinem Auftraggeber zurücktritt. D. h. die Nachahmung der Christusgläubigen in Korinth soll sich an Christus orientieren, wie Paulus sich selbst an ihm orientiert. Der Apostel verweist durch sich auf Christus: Paulus ruft also konkret dazu auf, ein Leben in der Konformität zum Gekreuzigten zu führen. Zwar wird nicht ein bestimmtes partikulares Verhalten und schon gar nicht eine minutiöse oder schablonenhafte Kopierung von allem und jedem angemahnt, wohl aber die conformitas zum gekreuzigten Christus […].11

Erneut drängt sich der Eindruck auf, dass die Autorität des Paulus fraglich ist. Ausgelöst wird dieser Eindruck durch die Ankündigung in 1 Kor 4,17, Timotheus nach Korinth zu senden. Dieser soll vor Ort an das Verhalten und die Lehre des Paulus erinnern und ist in dieser Funktion als ein Zeuge für die Einheitlichkeit der paulinischen Lehre ([…] καθὼς πανταχοῦ ἐν πάσῃ ἐκκλησίᾳ διδάσκω, 4,17) zu verstehen, die zugleich auch Paulus’ eigenen Lebensweg bestimmt (τὰς ὁδούς μου, 4,17).12 Die „paränetische Autorität“13 des Paulus entspringt  8 Vgl. Wolff, 1 Kor, 93. Zur Verwendung der Vatermetaphorik in 1 Kor 4 vgl. weiterhin Hwang, Mimesis, 93–101; außerdem Gerber, Paulus, 351–436.   9 Zum Gebrauch der Familienmetaphorik vgl. Gerber, „Gott Vater“; dies., Paulus, passim. 10 Augenscheinlich war auch verschiedenen Abschreibern nicht deutlich, in welcher Hinsicht Paulus die Korinther zur Nachahmung aufruft, so dass sekundäre Handschriften in Analogie zu 1 Kor 11,1 καθὼς κἀγὼ Χριστοῦ ergänzen, vgl. den textkritischen Apparat in NA28 zur Stelle. 11 Schrage, 1 Kor I, 358. Vgl. zum Gedanken der conformitas Wolff, Niedrigkeit, passim. 12 Zum Verständnis der „Wege“ als Lehre des Paulus vgl. Conzelmann, 1 Kor, 119. Auf den jüdischen Hintergrund der Formulierung verweist Hwang, Mimesis, 137–143. Vgl. ferner zur Rolle des Timotheus Gerber, Paulus, 414 f. 13 Wolbert, Vorbild, 250.

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also zunächst seiner Funktion als Gemeindegründer. Weiterhin fußt sie aber auf seinem eigenen Lebenswandel, weil Paulus selbst vollzieht und vorlebt, was er zur Nachahmung anordnet. Insofern ist Paulus als Vorbild in Bezug auf seine Orientierung an seiner eigenen Predigt des Gekreuzigten und damit letztlich an Christus selbst zu verstehen.14

2. Mimesis, Mission und Bedrängung im Rahmen des 1. Thessalonicherbriefs 1 Thess 1,2–10 fokussiert auf das Lob des Paulus für den Glauben der Christusgläubigen in Thessalonich. Ihr Glaube wird in 1,3 durch eine duale Trias näher beschrieben: τοῦ ἔργου τῆς πίστεως καὶ τοῦ κόπου τῆς ἀγάπης καὶ τῆς ὑπομονῆς τῆς ἐλπίδος.15 Die Würdigung des Paulus bezieht sich demnach auf einen aktiven, tätigen Glauben, der auch mit missionarischen Erfolgen verbunden ist (1,7).16 Inhaltlich bezogen sind diese Erfolge auf die paulinische Predigt des Evangeliums (1,5), deren Effektivität sich aus ihrer Verbindung mit δύναμις und Heiligem Geist ergibt. Ferner ist die duale Trias aus 1,3 auf τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ ἔμπροσθεν τοῦ θεοῦ καὶ πατρὸς ἡμῶν bezogen. Insofern sind die Bemühungen der Christusgläubigen in Thessalonich christologisch fundiert. Im Gegensatz zur Verwendung einer Formulierung im Imperativ innerhalb des 1 Kor weist die Wendung καὶ ὑμεῖς μιμηταὶ ἡμῶν ἐγενήθητε καὶ τοῦ κυρίου (1 Thess 1,6) durch eine indikativische Formulierung im Aorist darauf hin, dass die Christusgläubigen aus Thessalonich bereits erfolgreich Nachahmende des Paulus und Gottes geworden sind. Anders als in den präskriptiven Formulierungen gegenüber der Gemeinde von Korinth kann der Apostel innerhalb des Proömiums von 1 Thess die Genese dieser Gemeinde mit deskriptiven Formulierungen loben. Konkret thematisiert Paulus die Annahme des Evangeliums durch die Christusgläubigen in Thessalonich und die damit einhergehende Bedrängnis. Diese Bedrängnis ist wohl als soziale Ausgrenzung, Stigmatisierung oder Diffamierung zu verstehen.17 Wie bereits mit Bezug auf 1 Kor 4 aufgezeigt wurde, bezieht sich die besprochene Mimesis auf die Person des Paulus und darin auf den Herrn (καὶ ὑμεῖς μιμηταὶ ἡμῶν ἐγενήθητε καὶ τοῦ κυρίου, 1 Thess 1,6), ohne dass eine unvermittelte Nachahmung Christi angestrebt ist.18 Wenn Paulus es wagt, sich selbst als Vorbild hinzustellen, so versteht er sich nicht als Verkörperung eines abstrakten Ideals von Menschsein, sondern als Typos des von Gott 14 Vgl.

Kremer, Brief, 95. traditionsgeschichtlichen Hintergrund der dualen Trias vgl. exemplarisch Haufe, 1 Thess, 23 f. 16 Vgl. Holtz, 1 Thess, 44. 17 Vgl. Holtz, 1 Thess, 49.63; vgl. fernerhin Haufe, 1 Thess, 27. 18 Vgl. Holtz, 1 Thess, 48. 15 Zum

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und seinem Christus ergriffenen, in Dienst genommenen, berufenen Apostels, der sich seiner Schwachheit und Mängel durchaus bewusst bleibt (Phil 3,12), seine Verfolgungen, Gefährdungen, Leiden aber aus der Kraft Gottes heraus erträgt für seine Gemeinden, die zur Nachahmung des Apostels aufgefordert werden (1 Kor 4,16).19

Mit Bezug auf Paulus und vermittelt durch Christus ist der Vorgang der Mimesis nicht abgeschlossen. Paulus würdigt die Gemeinde, weil sie selber zu einem Vorbild (vgl. τύπος, 1 Thess 1,7) geworden sei. So würden andere Gemeinden und Christusgläubige in Mazedonia, der Achaja und darüber hinaus dem Vorbild der Gemeinde in Thessalonich nacheifern (1,8).20 Mit diesem Verhalten reiht sie sich „in die orientierende Reihe Gott-Christus-Apostel ein.“21 Auffällig ist, dass Paulus von anderen Gemeinden, die sich am thessalonischen Vorbild orientieren, Informationen über deren Glauben und seinen Inhalt erhält (1,9 f.). Mit der Nachahmung ist demnach ein dynamischer Prozess verbunden, der seinen Ausgangspunkt in der Evangeliumsverkündigung des Paulus und seinem persönlichen Verhalten nimmt und sich über die Gemeinde in Thessalonich hin zu weiteren Gemeinden fortsetzt. Der ausgeführte Dank des Paulus für die Gemeinde bindet diese zugleich an Gott, indem ihr vor Augen gestellt wird, was an ihr geschah und geschieht. […] Ihr wird die eigene Aufgabe bewußt gemacht, die sie den anderen Gemeinden gegenüber wahrnimmt, nachdem sie selbst Nachgestalter der Apostel geworden sind: darzustellen, wie Bedrängnis als Vorgriff der eschatologischen Erfüllung und damit als Freude erlebbar ist. Und schließlich wird ihr vergegenwärtigt, welches Echo sie in der Welt findet.22

Auch 1 Thess  2,13–16 führt die Form der Danksagung weiter.23 Analog zu 1,2–10 dient in den genannten Versen eine Formulierung im Indikativ Aorist dazu, das Verhalten der Adressatinnen und Adressaten zu loben (2,14), welches sich an Gemeinden in Judäa orientiert. Eine Erweiterung gegenüber 1,2–10 ist in den Hinweisen wahrnehmbar, die die Bedrängnis thematisieren, welche mit der Annahme des Evangeliums verbunden gewesen ist 2,14–16).24 Die Verwendung des Aorists von πάσχω zeigt an, dass Paulus auf vergangene Ereignisse anspielt. In diesem Zusammenhang weist Haufe darauf hin, dass „[d]as Gotteswort selbst [Widerspruch] provoziert […] dank der ihm eigenen Intoleranz, speziell dank des ihm immanenten Widerspruchs zum hellenistischen Herrscherkult.“25 Demgegenüber erweist das gepredigte Wort, welches den Christusgläubigen in Thessalonich als ein Wort Gottes erschien (ἀλλὰ καθώς ἐστιν ἀληθῶς λόγον 19 Müller,

1/2 Thess, 109. Begriff der „Gläubigen“ in 1 Thess 1,7 vgl. Trebilco, Self-designations, 79. 21 Müller, 1/2 Thess, 112. 22 Holtz, 1 Thess, 62. 23 Vgl. Haufe, 1 Thess, 43. 24 Vgl. Haufe, 1 Thess, 45. 25 Haufe, 1 Thess, 45. 20 Zum

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θεοῦ, 2,13), seine Effektivität, indem es Glauben wirkt (ὃς καὶ ἐνεργεῖται ἐν ὑμῖν τοῖς πιστεύουσιν, 2,13). Im scharfen Kontrast zum eben besprochenen Abschnitt steht die heftige Polemik gegenüber den „Judäern“ (2,14–16),26 denen Paulus neben der Verantwortung für die Hinrichtung Jesu eine grundsätzliche Menschenfeindlichkeit und die Verhinderung der Heidenmission vorwirft.27 Vor diesem Hintergrund konstatiert Paulus, dass der Zorn Gottes bereits über sie gekommen sei (ἔφθασεν δὲ ἐπ᾽ αὐτοὺς ἡ ὀργὴ εἰς τέλος, 2,16). Verbunden sind beide Themenkomplexe durch 2,14, der die Bedrängnisse in der Annahme des Evangeliums auf das Wirken der „Judäer“ zurückführt und damit die Möglichkeit zur Anklage des Verhaltens dieser Personengruppe eröffnet. Inhalt dieser Anklage ist die Einschätzung des Paulus, dass die Judäer die Annahme des Evangeliums unter den Heiden verhindern wollten, ungeachtet der soteriologischen Dimension (2,16), die dieses besitzt.28 Bei dieser Bewertung lässt Paulus außer Acht, dass aus einem jüdischen Blickwinkel das Evangelium als Wort zum Unheil verstanden werden kann, und die Hinderung der Mission demensprechend aus jüdischer Perspektive geschieht, „um die Menschen nicht unter den Fluch Gottes ziehen zu lassen.“29 Die Perikopen aus 1 Thess zeigen, dass sich das Lob für die Nachahmung auf eine persönliche Einstellung gegenüber dem Evangelium und der damit verbundenen Leiden bezieht. An Paulus und anderen Gemeinden orientiert werden die Christusgläubigen in Thessalonich zu Nachahmerinnen und Nachahmern, deren Verhalten christologisch fundiert ist, weil es sich auf das Evangelium gründet. Damit sorgt die gelobte Mimesis für eine Vermeidung von Konflikten, die somit zur Konsolidierung der Gemeinde beiträgt. Diese Zusammenhänge werden noch einmal deutlicher im Zusammenhang der Betrachtung von Phil 3,12–21.

3. Mimesis, Erniedrigung und Irrlehrer im Umfeld des Philipperbriefs Der Phil ist einer der sog. Gefangenschaftsbriefe des Paulus (vgl. Phil 1,7), der damit rechnen muss, nicht lebend aus seiner Gefangenschaft freizukommen (vgl. 1,20–26). Positiv stimmt den Apostel aber die erfolgreiche Ausbreitung des Evangeliums (1,14–20), die sich allerdings auch in Philippi nicht ohne Probleme

26 Zu

traditionsgeschichtlichen Hintergründen vgl. Haufe, 1 Thess, 45–49. traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Polemik vgl. u. a. Müller, 1/2 Thess,

27 Zum

145.

28 Zur Verwendung von ἔθνος bzw. τα ἔθνη als „outsider and insider designation“ vgl. Trebilco, Creativity, 194–201. 29 Holtz, 1 Thess, 106.

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und Komplikationen vollzog (vgl. 3,2–21).30 In dieser Situation ruft Paulus die Gemeinde dazu auf, seine Mitnachahmenden zu werden (3,17). Wie auch im 1 Kor verwendet Paulus hier einen Imperativ, was durch die Auseinandersetzung mit den Irrlehrern zu erklären ist. Zugleich dürfte sich mit dem Imperativ abermals der Versuch einer pädagogischen Einflussnahme auf die Gemeinde verbinden.31 Der Aufruf zielt demnach darauf ab, „die theologische Argumentation im Blick auf die Bedrohung der Gemeinde paränetisch zusammenzufassen.“32 Zur Erreichung seines Ziels bietet der Phil einen argumentativen Dreischritt auf: Primär malt Paulus seinen Adressatinnen und Adressaten seine eigene Person als Vorbild vor Augen (3,12–16). Seine Person verstehe sich hinsichtlich ihrer christlichen Existenz als eine, die im Werden begriffen ist: Paulus „jagt“ Christus nach, obgleich ihn Christus bereits ergriffen habe (3,12). Als Ziel und Endpunkt dieser Jagd definiert Paulus den himmlischen Siegespreis, der in einer Berufung Gottes in Jesus Christus (3,14) bestehe. Paulus greift zur Verdeutlichung seines Anliegens auf Wettkampfmetaphorik zurück, mit der die Motivation untermauert werden soll, ein συμμιμητής zu werden. Auch hier rekurriert Paulus auf seinen eigenen Lebensweg: „Damals bei seiner Berufung durch Christus hat dieser ihn ‚eingeholt‘ (wie ein Läufer einen anderen Läufer) und hat ihn auf eine andere Bahn gestellt, auf der zu laufen und nach dem Kampfpreis zu greifen, ihm nunmehr aufgetragen ist.“33 Mit dieser Jagd verbunden ist das Vergessen dessen, was zurückliegt (3,13), also die je individuelle Herkunft und Tradition einer Person. Mit der Wettkampfmetaphorik entzieht er zugleich einer Kritik die Grundlage, die ihm unterstellt, er verstehe sich selber als einer, der bereits das eschatologische Ziel erreicht habe.34 Stattdessen stilisiert sich Paulus als eine Person, deren Lebensweg christologisch und als im Werden bestimmt ist. Aus der nachgezeichneten Perspektive heraus fordert er seine Adressatinnen und Adressaten im zweiten argumentativen Schritt dazu auf, seine Mitnachahmenden zu werden (Phil 3,17). In Kontrast zu 1 Kor 4,16; 11,1 ist der Imperativ dort aber anders konnotiert und mit einer differierenden Zielrichtung verbunden: Paulus ruft im vorliegenden Kontext dazu auf, ein συμμιμητής zu werden.35 Anhand des Präfixes συμ- wird deutlich, dass Paulus in der vorliegenden Perikope für die Gemeinde in Philippi eine Christusnachahmung 30 Zur Gegnerfront im Kontext der Gemeinde von Philippi vgl. Müller, Phil, 186–191; ferner auch Holloway, Phil, 178. 31 Vgl. Eastman, Imitating, 430. 32 Müller, Phil, 173. 33 Müller, Phil, 166. 34 Eventuell steht hier der Vorwurf eines „pneumatisch-enthusiastischen Christentums“ im Hintergrund, wie es Paulus im 1 Kor abgewehrt hat, vgl. Müller, Phil, 168. 35 Löhr, Gemeinschaftsmahl, 640, verweist darauf, dass es sich bei dem Lexem συμμιμητής um eine paulinische Neubildung handele, obgleich in Phil 3,17 der Sache nach dasselbe ausgesagt werde wie in 1 Kor 11,1.

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anstrebt, die sich unmittelbar an Christus selbst gebunden weiß.36 Er selbst kann mit seinem Lebenswandel für diese Orientierung auf dem „Lebensweg in der Nachfolge Christi“37 „Wegmarken“ aufzeigen. Deutlich wird dieses Verständnis durch das Bedeutungsspektrum von συμμιμέομαι als „join in imitating“ bzw. von συμμιμητής als „joint imitator“38. Wie diese Nachahmung Gestalt gewinnt, verdeutlicht Paulus an seiner eigenen Person (3,12–16): In other words, like spectator-participants at a Roman theatre or arena, the Philippians are to learn from watching the ways in which Paul himself has learned, thus receiving and hearing and seeing what has happened ‚in‘ him and is thereby displayed to them.39

Der Gesamtzusammenhang des Briefes legt die Annahme nahe, dass auch hier das Konzept der Mimesis mit Bedrängnissen und Problemen verbunden ist. Das zeigt die Erwähnung von Feinden (3,18) ebenso wie der Umstand der Abfassung des Briefs in Haft (1,7). Insbesondere die Formulierung ὥστε τοὺς δεσμούς μου φανεροὺς ἐν Χριστῷ γενέσθαι ἐν ὅλῳ τῷ πραιτωρίῳ καὶ τοῖς λοιποῖς πᾶσιν (1,13) unterstreicht, dass die Inhaftierung des Paulus in einem direkten Zusammenhang mit seiner Verkündigungstätigkeit steht. Für andere Missionare ergibt sich daraus, dass sie das Evangelium ohne Furcht verkündigen sollten (1,14), weil auch Paulus zur Verteidigung des Evangeliums in Haft liegt (1,16). Formen der Mimesis im Raum der Gemeinde sind also nicht in jedem Fall problemfrei, sondern können auch zu Kontingenzerfahrungen bzw. in Oppositionsstellungen gegenüber staatlichen Instanzen führen. Mit diesen Erfahrungen der Erniedrigung bzw. des Leidens vollziehen die Nachahmenden eine Bewegung, wie sie auch Christus vollzogen hat. Ausgeführt und kontextualisiert wird diese Bewegung durch den sog. Christushymnus (2,6–11) in den Kategorien von Erniedrigung und Erhöhung der Person Jesus Christus.40 Der Christushymnus kann als inhaltlich-christologische Füllung der paulinischen Vorstellung von Mimesis verstanden werden. Vice versa ist diese Vorstellung als praktische Konkretion des Hymnus zu verstehen.41 Diese Einschätzung ergibt sich durch 36 Anders Marchal, Phil, 34: „The community should have the same struggle, the same attitude, the same joy and, in the end, do the same things as Paul. This sameness is even stressed in the act of imitation: they should become co-imitators of Paul.“ Gegen die vorgetragene Deutung votiert auch Ernst, Phil, 106. Auffällig ist, dass seine Übersetzung (ebd., 103) das Präfix συμ- übergeht. 37 Eckey, Phil, 134. 38 Liddell/Scott, Art. συμμῖμέομαι, 1679. Vgl. fernerhin Michaelis, Art. μιμέομαι κτλ., 669, Anm. 13, der daran festhält, dass συν- nicht „mit mir zusammen“ bedeuten könne, sondern höchstens „ihr alle zusammen, ihr einer wie der andere“. 39 Eastman, Imitating, 451. 40 Für eine Deutung der Perikope im Sinne eines antiken Dramas vgl. Eastman, Imitating, passim. Nach Eckey, Phil, 206, sei in 2 Kor 8,9a im Zusammenhang mit der Kollektenempfehlung eine sachliche Parallele zur ersten Strophe formuliert. 41 Vgl. Fowl, Phil, 107: „In a much more systematic way than in 1:19–26, Paul will offer an account of his own life in 3,2–16 as a manifestation of a form of practical reasoning based on the story of Christ in 2:6–11.“

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2,5, wo eine Reaktion von Seiten der Adressatinnen und Adressaten erwartet wird, obwohl 2,6–11 genuin theologische Aussagen formuliert: „Es geht um die Christusgemeinschaft als Norm, das Einbezogensein in das Christusgeschehen und damit den Herrschaftsbereich Jesu Christi, der das Leben der Gemeindeglieder bestimmen soll.“42 Mit dem Philipperhymnus wird den Adressatinnen und Adressaten des Philipperbriefs Jesus als nachzuahmendes Vorbild vor Augen gestellt, welcher durch Selbsterniedrigung seine göttliche Gestalt aufgab, um den Menschen gleichzuwerden. 2,8 bezeichnet den Gehorsam in den Tod als den Punkt tiefster Erniedrigung, aus dem sich die Erhöhung des Auferstandenen ergibt, die auf die Ehre Gottes abzielt (2,11). Der Hymnus stellt insofern die christologische Grundlage des erwarteten Verhaltens der Gemeinde in Philippi dar und schlägt einen inhaltlichen Bogen zur Aufforderung zur Mimesis in 3,17: The call to become fellow imitators […] is primarily a call to understand, what God has done in Christ in the way Paul has understood, embodied and articulated it. From this one can then walk as someone who is a friend of the cross.43

Damit wird deutlich, dass das „in den Kategorien von Gehorsam und Erhöhung dargestellte Heilgeschehen […] auf Nachfolge ausgelegt [ist].“44 Das Todesschicksal Jesu steht paradigmatisch für die Erkenntnis, dass sich eine Erhöhung am Erniedrigten und Erhöhten auch auf das eigene Leben auswirken kann, insofern die Orientierung der Christusgläubigen an Christus mit Kontingenzerfahrungen einhergehen kann. Der Hymnus besitzt vor diesem Hintergrund eine doppelte Bedeutung für die Adressatinnen und Adressaten: Die Betonung des Kreuzes gilt einer Gemeinde, die sich mit der Herausforderung des Leiden-müssens konfrontiert sieht (1,27–30); sie wendet sich an eine Gemeinschaft, die wegen innerer Mißstände (2,1–4) auf das christologische Grunddatum verpflichtet wird, die äußerste Selbsterniedrigung ihres Herrn am Kreuz.45

Wenigstens in Bezug auf die Erniedrigung kann der paulinische Lebensweg in Analogie zum Hymnus und damit auch in Analogie zum Gekreuzigten und Auferstandenen verstanden werden.46 Zugleich ist aber auch festzuhalten, dass das Kreuz eben auch als Transzendierung des Vorbildaspekts zu verstehen sein kann, insofern dessen Erwähnung im Hymnus (Phil 2,8) auf eine „grundsätzliche Infragestellung menschlichen Strebens abhebt.“ 47 Die vollzogene Mimesis trägt weiterhin zu einer Differenzierung zwischen den Christusgläubigen und den sog. Feindinnen und Feinden des Kreuzes Christi (3,18) bei, welche im dritten Schritt der Argumentation (3,18–21) den 42 Müller,

Phil, 90. Phil, 108. 44 Ernst, Phil, 78. 45 Müller, Phil, 106. 46 Vgl. Eastman, Imitating, 436. 47 Müller, Phil, 113. Vgl. ebenso Eckey, Phil, 135. 43 Fowl,

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συμμιμηταί gegenübergestellt werden. Ihre Feindschaft ergibt sich aus einer Vermeidungsstrategie heraus, die zur Verhinderung möglicher Nachteile von einem christuskonformen Leben absieht: „In practice, one would expect that enemies of the cross would seek to avoid suffering that might come their way as the result of their convictions about Christ.“48 Für die Christusgläubigen verbindet sich mit ihrer Mimesis die Hoffnung auf das Erscheinen des Retters und Herrn Jesus Christus (3,20), der die endzeitliche Verwandlung seiner Nachahmerinnen und Nachahmer wirken wird (3,21). Mit dieser Hoffnung verbindet sich zugleich die Gewissheit des himmlischen Bürgerrechts (3,20). In krassem Gegensatz dazu besteht das endzeitliche Ziel der Feinde des Kreuzes Christi in der Verdammnis (3,19). Es wird deutlich, dass sich mit der Aufforderung, ein συμμιμητής zu werden, ein Moment der Identitätsstiftung verbindet, welches umso deutlicher wird im Gegenüber zur Gegnerschaft des Kreuzes. Insofern sorgt die paulinische Aufforderung zur Mimesis für eine theologische Grundlage innerhalb der Gemeinde, die Konflikte zu vermeiden sucht und sich gegenüber Irrlehrern positioniert. Zugleich verbindet sich mit der Aufforderung die Entscheidung zwischen zwei Optionen, wobei Paulus deutlich die Annahme der ersteren, an Christus orientierten Möglichkeit anmahnt bzw. mit dem Imperativ sogar anordnet.49

4. Mimesis, Reputation und Konfliktlösung: eine Zusammenschau Die paulinische Vorstellung von Mimesis ist auf Christus bezogen und wird von diesem Bezugspunkt her inhaltlich gefüllt. Eine praktische Gestalt erhält sie durch die Annahme des Evangeliums, d. h. durch eine gläubige Bezugnahme auf Christus. Dabei haben die voranstehenden Überlegungen gezeigt, dass sich mit dieser Annahme auch Repressalien verbinden können.50 Mimesis ist ein Geschehen, das die Gegenwart der Christusgläubigen umfasst, sie gleichzeitig transzendiert und übersteigt, insofern sie ein soteriologisches Movens (Phil 3,20 f.) besitzt und damit die Perspektive eschatologischer Rettung (vgl. 1 Thess 1,10; 1 Kor 10,33) vor Augen stellt. Exemplarisch können abschließend drei Dimension zur Mimesis festgehalten werden, die implizit und explizit Einsichten zur paulinischen Art von Konfliktlösung und -prävention vermitteln:

48 Fowl,

Phil, 171. Fowl, Phil, 175–176. 50 Eingedenk ihrer Deutung des Philipperhymnus als antikes Drama kommt Eastman, Imitating, 450, zu der Einschätzung, dass Paulus seine Adressatinnen und Adressaten als „socially mixed audience of a Roman Theatre“ anspricht und sie einlädt, eine Gruppe von „mimes“ zu werden. 49 Vgl.

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1. Die paulinische Vorstellung von Mimesis besitzt eine individuelle Dimension, insofern sie auf alle Christusgläubigen bezogen ist und einen je individuellen Effekt zeitigt, der als soteriologisch zu kennzeichnen ist (vgl. 1 Thess  1,3; Phil  3,14.20). Dieser Aspekt kann als individuelle Motivation verstanden werden, Anteil am Wohlergehen der und des Nächsten zu nehmen und darin [dem] lebendigen und wahren Gott zu dienen, und seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten, welchen er auferweckt hat aus [den] Toten, Jesus, der uns rettet aus dem kommenden Zorn (1 Thess 1,9 f.). Die Hoffnung auf den kommenden Herrn kann somit als Motivation verstanden werden, Werke des Glaubens und der Arbeit der Liebe und der Standhaftigkeit der Hoffnung (1 Thess  1,3) zu vollbringen und damit der persönlichen Hoffnung einen praktischen Ausdruck zu verleihen. Dies wiederum führt zu einem positiven Gemeinschaftsgefüge, das Konflikten keinen Vorschub leistet, insofern es dazu anleitet, nicht den eigenen Vorteil zu suchen. 2. Der Einfluss der Mimesisvorstellung auf das Gemeinschaftsgefüge wurde besonders anhand der Thematisierung korinthischer Konfliktfelder sichtbar. Der Umgang sowohl mit dem Götzenopferfleisch als auch mit dem Herrenmahl besitzt das Potenzial, Gemeindeglieder zu beschämen bzw. zu exkludieren. Zur Vermeidung dieser Problemfälle mahnt Paulus zur Mimesis, also zur Orientierung an seiner Person, insofern er sich in seinem Verhalten an Christus orientiert. Für die Christusgläubigen bedeutet diese Mimesis, sich im Bereich der Gemeinde in einer Selbstzurücknahme zu üben, die die Freiheit anderer Gemeindeglieder achtet und fördert und dadurch zu einem solidarischen Gruppenklima beiträgt, das Konflikten aufgrund unterschiedlicher Sozialisation oder theologischer Einsicht keinen Vorschub leistet. Im Christushymnus Phil 2,6–11 begegnet die christologische Begründung der erwarteten Selbstrelativierung. Sie gewinnt ihre praktische Gestalt im geschwisterlichen Miteinander im Raum der Gemeinde, insofern die Orientierung am erniedrigten und erhöhten Christus persönliche Ambitionen von Autorität, Anerkennung, Macht und Hierarchie relativiert und ad absurdum führt. Die Orientierung an Christus besitzt eine lebens- und gemeinschaftsdienliche Funktion, weil sie nicht den persönlichen Vorteil sucht, sondern die Gemeinschaft fördert. Deswegen führt kollektive Mimesis zu einer Herrenmahlfeier, die ohne die Beschämung und Exkludierung einzelner Gemeindeglieder auskommt, d. h. ohne die von Paulus thematisierten Probleme (vgl. 1 Kor  11). Dass diese positive Gruppendynamik über die Grenzen der eigenen Gemeinde hinausweist und eine Anziehungskraft besitzt, zeigt 1 Thess eindrücklich: Andere Gemeinden orientieren sich an der Gemeinde in Thessalonich und werden so selbst Nachahmende und Vorbilder gleichermaßen. Es verbindet sich mit ihr demnach ein missionarischer Erfolg, der in besonderer Weise auf Paulus als Gemeindegründer zurückzuführen ist. Aus der aufgezeigten christologischen Fokussierung entspringt demnach eine ekklesiologische Konsequenz, die

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sich in einer theologischen Konsolidierung der Gemeinde ausdrückt und die Gemeinde in Thessalonich auszeichnet. 3. Theologisch virulent wird die öffentliche Dimension (vgl. 1 Thess  1,2–10) auch im Kontext des Phil. Paulus ruft in Phil 3,17 gegenüber Irrlehrern dazu auf, seine Mitnachahmerinnen und Mitnachahmer zu werden. Damit situiert er die Gemeinde in einem Gegenüber zu den Feinden des Kreuzes Christi und somit als eine abgegrenzte Gruppe, die aus der Perspektive der Gegner eine gemeinsame theologische Grundlage bzw. Identität besitzen51, obgleich Phil 3,17 präskriptiv zu verstehen und die gemeinsame theologische Identität als im Werden zu begreifen ist. Deutlich wird, dass diese Identität auch zum Erleben von Kontingenzerfahrungen führen kann, die sich aus der öffentlichen Wahrnehmung der Christusgläubigen als Fremdkörper ergeben. Dennoch trägt Paulus durch die Aufforderung zur Mimesis zur theologischen Problemlösung bei, weil er der Gemeinde eine Orientierung und Argumentationsbasis vermittelt. Ziel der Mimesis ist die Verheißung des himmlischen Bürgerrechts (Phil 3,20). Diese öffentliche Dimension erfordert die Entscheidung für einen Lebenswandel in der Orientierung oder in der Gegnerschaft des Kreuzes und damit eine Positionierung. Es wird deutlich, dass die Mimesis im Bereich der Gemeinde zur Lösung und zur Prävention von Konflikten zwischen den Christusgläubigen beiträgt und darin theologische und ethische Fragestellungen gleichermaßen bearbeitet. Darüber hinaus bedeutet die damit einhergehende Gruppendynamik aber auch, möglicherweise in einen Gegensatz zu weltlichen Autoritäten und Instanzen zu geraten. Hier trägt die Mimesis nicht zur Lösung von Problemen bzw. den konkreten Konflikten bei. Jedoch vermittelt sie eine persönliche eschatologische Perspektive, die eine Kontingenzbewältigung möglich macht und damit zu einer Relativierung irdischer Widerfahrnisse beiträgt. Insgesamt hat sich aber gezeigt, dass Paulus mit seiner mimetischen Konfliktlösungs- und Konfliktpräventionsstrategie alles daran setzt, dass seine Adressaten unanstößig gegenüber Juden und Hellenisten und der Gemeinde Gottes werden, wie auch er allen in allem gefällig ist, indem er nicht seinen eigenen Vorteil sucht, sondern den der Vielen, damit sie gerettet werden (vgl. 1 Kor 10,32 f.).

51 Vgl. 1 Thess 1,7 f. Vgl. ferner die Abgrenzung gegenüber den Feinden des Kreuzes Christi in Phil 3,18–21 und den Hinweis auf die öffentliche Reputation in 1 Kor 10,32.

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Onesimus im Konflikt mit Philemon und Paulus als Vermittler? Eine Diskussion zu den Theorien vom fugitivus, erro und amicus domini Saskia Breuer 1. Einleitung Der Philemonbrief ist mit einem Umfang von 25 Versen der kürzeste Brief des Neuen Testaments. Als echter Paulusbrief wird er dem Apostel Paulus aus Tarsus in Kilikien zugesprochen, der ihn in Gefangenschaft schrieb, vermutlich als er sich in Untersuchungshaft1 in Ephesus2 (vgl. Phlm  1.9) befand.3 Der exakte Zeitpunkt seiner Abfassung wird in Abhängigkeit von Paulus’ Aufenthalt in Ephesus (bei Annahme desselben als Abfassungsort), unter Berücksichtigung der Dauer seines dortigen Aufenthalts entsprechend der relativen Chronologie (vgl. Apg 19) und in Bezug auf die Gallio-Inschrift entsprechend der absoluten Chronologie unterschiedlich angesetzt. So variiert sein vermuteter Abfassungszeitpunkt also zwischen 51/52 n. Chr.4, 52–55  n.  Chr.5, 53–55 n. Chr.6 oder 55  n. Chr.7 Wird allerdings aufgrund des von Paulus selbst gegebenen Verweises auf seine Gefangenschaft (vgl. Phlm  1.9) von Rom als Abfassungsort

1 Vgl.

Reinmuth, Phlm, 19. als gängigste These, die ein Großteil der Kommentatoren vertritt Ebner, Philemonbrief, 404; Arzt-Grabner, Phlm, 64.70.77; Wengst, Phlm, 29; Reinmuth, Phlm, 17; Stuhlmacher, Phlm, 21; Suhl, Phlm, 16; McKnight, Phlm, 21; Müller, Phlm, 84. Gegen: Ebner, Phlm, 134. 3 Angenommen werden im Rahmen der relativen Chronologie darüber hinaus (aufgrund eines andauernden Aufenthaltes von Paulus) Caesarea (vgl. Apg 24,23.27) sowie Rom (vgl. Apg 28,16). Für Caesarea sprechen sich nur wenige Theologen aus, u. a. Dibelius/Greeven, Phlm, 107; Binder, Phlm, 32; Thornton, Zeuge, 212. Für Rom argumentieren u. a. Weiss, Urchristentum, 294; Lightfoot, Phlm, 312; Grünzweig, Phlm, 277 f.; Schnelle, Paulus, 407 f.; Ebner, Phlm, 134–137. 4 Vgl. Arzt-Grabner, Phlm, 64.70.77. 5 Vgl. Wengst, Phlm, 29. 6 Vgl. Reinmuth, Phlm, 18; Lampe, Phlm, 205; Müller, Phlm, 84; Schnelle, Paulus, 31–40. 7 Zur nach Ephesus am meisten vertretene Annahme von Rom als Abfassungsort vgl. hinsichtlich der Datierung Ebner, Philemonbrief, 404; Müller, Phlm, 80–84 (bes. 84). 2 Vgl.

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ausgegangen,8 so wäre der Philemonbrief nach Ebner auf Anfang der 60er Jahre n. Chr. zu datieren.9 Paulus wendet sich in diesem Brief an Philemon, der Vorsteher eines Oikos ist, einer christlichen Hausgemeinschaft in seinem Haus (vgl. V. 1 f.), und tritt aufgrund eines Konflikts zwischen Philemon als Sklavenhalter und seinem Sklaven Onesimus für letzteren ein. Weil Onesimus dem Haus seines Herrn einige Zeit fern geblieben ist, verhandelt Paulus mit Philemon über die (Konsequenzen der) Rückkehr des Onesimus in das Haus seines Herrn (vgl. V. 12): Da Onesimus inzwischen zum Christen geworden ist (vgl. V. 10), soll es die Rückkehr „eines geliebten Bruders“ (V. 16) werden. Philemon soll Onesimus also aufnehmen, wie er Paulus aufnehmen würde, als κοινωνός, als gleichgestellten Teilhaber an der christlichen Hausgemeinschaft (vgl. V. 17a).10 Das führt mitten in die Diskussion um das Beziehungsgeflecht von Philemon, Onesimus und Paulus samt ihrer jeweiligen Situation und ihren je eigenen Interessen. Der Brief entfaltet nicht einzig durch die Sklaventhematik einen „faden Beigeschmack“, sondern offenbart neben Problemen seiner Rezeption11 noch weitere Fragen rund um seine Vorgeschichte und seinen Anlass. Onesimus ist zwar ein Sklave im Haushalt des Philemon, jedoch macht ihn dieser Umstand nicht gleich zu einem Mitglied der Hausgemeinde seines Herrn, denn ein Sklave ist nach römischem Recht keine Rechtsperson. Er gehört als Sache zum Eigentum des Herrn12 und untersteht seinem Gehorsam. Onesimus hat sich nun aus Philemons Haushalt entfernt (vgl. V. 15) und weilt, als Paulus den Brief schreibt, bei dem Apostel im Gefängnis (vgl. V. 10–12). Paulus weist dunkel auf eine dem Philemon durch Onesimus entstandene Schuld hin (vgl. V. 18). Ob hier vielleicht eine materielle Schuld13 des Onesimus vorliegt (z. B. ein Diebstahl)14 oder der Sklave sich ob eines Rechtsverschuldens15 zurückzukehren scheut oder ob es der in zweiter Instanz durch seinen Arbeitsausfall entstandenen Schaden ist, den er fürchtet, ist unklar. Der Brief selbst gibt mit seinen knappen Anspielungen für die heutigen Leser*innen kaum Hinweise darauf, wie die angedeuteten Ereignisse mit der Abfassung des Briefes in Beziehung stehen. Sie müssen mühsam rekonstruiert werden, wobei sich je nach der Gewichtung und dem Verständnis der einzelnen Hinweise (unter Bezug auf weitere paulinische  8 Gegen Baumert, Freundesbrief, 131; Reinmuth, Phlm, 18, der Rom als Abfassungsort aufgrund der großen Distanz zurückweist.   9 Vgl. Ebner, Philemonbrief, 404. 10 Vgl. Wolter, Phlm, 233. 11 Die breite Rezeption des Philemonbriefs, seine Rezeptionsgeschichte, kann im Rahmen dieses Artikels nicht verhandelt werden. Einen guten Überblick dazu bieten: Priesching/ Grieser, Sklaverei, in: dies. (Hg.), Theologie und Sklaverei, 231–279. 12 Vgl. Weber, Sklaverei, 99; Finley, Sklaverei, 86. 13 Vgl. Ebner, Philemonbrief, 401. 14 Zu dieser Annahme vgl. Gnilka, Phlm, 84. 15 Zum rechtlichen Verschulden der Sklavenflucht vgl. Bieberstein, Brüche, 118.

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Briefe sowie zeitgenössische Analogien etc.) durchaus unterschiedliche Perspektiven und Thesen plausibel formulieren lassen.16 Sie betreffen in aller Regel den zugrundeliegenden Konflikt, die Frage nach Onesimus’ Abwesenheit vom Haus seines Herrn sowie nach dessen Grund bzw. Ziel und nach der Rolle des Paulus innerhalb des Konflikts.17 Eines bleibt mit Arzt-Grabner in Bezug auf die Vorgeschichte des Briefes vorab zu konstatieren: Onesimus  – ein typischer Sklavenname, der mit „der Nützliche“ zu übersetzen ist18 – trägt seinem Namen keinen Zoll, wenn er sich unerlaubt aus dem Haus seines Herrn entfernt (vgl. V. 11). In diesem Verhalten gründet schließlich der Konflikt, der innerhalb dieses Beitrags im Zusammenhang mit der Frage, wie dieses unerlaubte Entfernen zu beurteilen ist, diskutiert werden soll: War Onesimus ein flüchtiger Sklave, war er ein Herumtreiber oder war er gar der Bruder des Philemon, wie abgelegene Interpretationen einsichtig machen wollen? Wie also das Beziehungsverhältnis von Philemon und Onesimus sowie das des Paulus zu den beiden zu denken ist, ist zu diskutieren. Um diese Fragen zu beleuchten, werden im Folgenden die derzeit in der Forschung diskutierten Theorien zum rechtlichen und sozialen Status des Sklaven Onesimus vorgestellt (2), um dann kritisch beleuchtet zu werden (3). Daran knüpft eine Darstellung und Abwägung aller Vorzüge der Theorien an (4). Die abschließende Auswertung (5) soll einen kleinen Beitrag zur Diskussion liefern, der eine andere Perspektive eröffnen kann.

2. Status Quo oder: Fünf Hypothesen zum rechtlichen und sozialen Status des Onesimus Die Diskussion um das Beziehungsverhältnis von Philemon, Onesimus und Paulus hängt unmittelbar an der Frage nach dem Anlass und dem Ziel des Entfernens von Onesimus aus dem Haus Philemons sowie dem Grund dafür, warum Onesimus Paulus aufsucht. Diese Frage wurde lange Zeit nicht diskutiert. Unangefochten und unhinterfragt galt bis ins 20. Jahrhundert hinein die These von Johannes Chrysostomus, Onesimus sei ein flüchtiger Sklave, der entläuft, um seinem Sklavendasein zu entgehen (1).19 Erst durch John Knox wurde 1935 eine neue These gegenüber der des fugitivus Onesimus in die Forschung eingespielt, die von Sara Winter 1987 schließlich aufgegriffen und verarbeitet wurde: Onesimus sei ein Gemeinde-Gesandter (2). Etwa um dieselbe Zeit wurde durch Peter Lampe 16 Einen Hinweis darauf sowie auf die Notwendigkeit einer Annäherung an die historische Situation geben u. a. Wengst, Phlm, 20 und Suhl, Phlm, 22. 17 Vgl. Ebner, Phlm, 9. 18 Vgl. Arzt-Grabner, Phlm, 86. 19 Vgl. Hom. Phlm 2 (PG 62,711,11–15).

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(1985) eine weitere Theorie in die Diskussion eingebracht. Er versuchte unter Rückgriff auf römische Rechtstexte plausibel zu machen, dass Onesimus sich eines Vermittlers (amicus domini) behilft, um zu seinem Herrn zurückkehren zu können (3). Ganz anders positioniert sich hingegen Allan C. Callahan 1993 mit seiner These, Onesimus sei Philemons leiblicher jüngerer Bruder (4). Peter Arzt-Grabner variiert 2004 schließlich den Ansatz von Peter Lampe, indem er die These von Onesimus als erro, d. h. eines Herumtreibers, in den Forschungsdiskurs einführt (5). Diese fünf in der heutigen Forschung diskutierten Theorien werden im Folgenden kurz chronologisch vorgestellt, bevor sie kritisch beleuchtet werden. (1) Vor allem die ältere Forschung, aber auch noch neuere (Kommentar-) Literatur geht hinsichtlich des rechtlichen Status des Onesimus von Sklavenflucht aus.20 Onesimus sei ein fugitivus, der sich aufgrund eines Konflikts vom Haus seines Herrn entfernt, so dass nach ihm gefahndet wird.21 Denn mit der Sklavenflucht sind nach römischem Recht harte Strafen verbunden, die von Prügel bis hin zu Brandmarkung oder einer Versetzung in härtere Arbeitsbereiche wie z. B. den Bergbau reichen (vgl. Apuleius, Metamorphosen IX 12,3 f.).22 Ein aufgefundener Sklave muss zudem in einem öffentlichen Akt an seinen Herrn übergeben werden.23 Es ist also fraglich, warum, wenn Onesimus Philemon dauerhaft entkommen wollte, er sich zu Paulus, einem Bekannten seines Herrn, flüchtet. Zum anderen ist eine von Paulus vorgenommene Überstellung von Onesimus an seinen Herrn nicht möglich: Er kann ihn rechtlich nicht einfach zurückschicken, eben weil die Überstellung eines flüchtigen Sklaven ein öffentlicher Akt ist.24 Dieser Vorbehalte zum Trotz findet dieses Modell viele Fürsprecher. So schließen sich dieser These neben Dunn25 z. B. auch Nordling26 und Bieberstein27 an, in der neueren Forschung Anfang der 2000er Jahre v. a. auch Wengst28 und McKnight29.

20 Das Modell des fugitivus ist m.W. das bis dato am häufigsten vertretene Modell. Vgl. u. a. Binder, Phlm, 32–36; Egger, Phlm, 78; Gnilka, Phlm, 2 f.; Grünzweig, Phlm, 279 f.; Lohmeyer, Phlm, 190 [bes. Anm. 2.]; Stuhlmacher, Phlm, 21 f.; Suhl, Phlm, 21–23. Sowie einige Vertreter*innen der postkolonialen Theologie, u. a. Lewis, Road, 232–246. 21 Vgl. Llewelyn, Government’s Pursuit on Runaway Slaves, 9–26. 22 Verfügbarer Text in: Müller, Römischer Alltag, 40. Zur Darstellung der Strafen für entlaufene Sklaven vgl. Wengst, Phlm, 37. Zur Arbeit im Bergbau vgl. Herrmann-Otto, Sklaverei, 110–113, bes. 112. 23 Vgl. Arzt-Grabner, Phlm, 107. 24 Vgl. a. a. O., 105–108; Ebner, Phlm, 10. 25 Vgl. Dunn, Phlm, 293–349, bes. 304. 26 Vgl. Nordling, Onesimus fugitivus, 97–119. 27 Vgl. Bieberstein, Brüche, 119. 28 Vgl. Wengst, Phlm, 30–39. 29 Vgl. McKnight, Phlm, 21.

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(2) Die Rückkehr des Onesimus zu Philemon zum Anlass nehmend, vertreten Winter30 wie Ollrog31 die These,32 Onesimus sei Philemon eben nicht entlaufen, sondern sei von der Hausgemeinde des Philemon zu Paulus entsandt worden, um ihn im Gefängnis aufzusuchen. Onesimus sei also absichtlich zu Paulus gestoßen, um ihm in der Missionsarbeit zu dienen. Ollrog geht so weit anzunehmen, dass Paulus Onesimus nicht wieder fortschickt, sondern ein Bittschreiben an Philemon und die Gemeinde schickt, um Onesimus bei sich zu behalten (vgl. V. 12).33 Elliott knüpft in seinem 2011 erschienenen Philemon-Aufsatz v. a. an die These Winters an, modifiziert diese allerdings: Philemon habe Onesimus als „Geschenk“ zu Paulus gesendet. Paulus aber lehne dieses Geschenk ab, indem er Onesimus wieder zu Philemon zurück schickt.34 (3) Neben dem rechtlichen Status auch das soziale Gefüge Onesimus – Philemon – Paulus betrachtend, verfolgen u. a. Wolter,35 Reinmuth,36 Lampe37 und Ebner38 die These von Paulus als amicus domini.39 Gemeint ist damit, dass Onesimus sich aufgrund eines häuslichen Konflikts an Paulus als einen Freund seines Herrn wendet, damit er ihm als Vermittler hilft, in dessen Haus zurückkehren zu können. (4) Im Rahmen der postkolonialen Exegese kommt Callahan40 zu einer gänzlich anderen Schlussfolgerung, die auch Baumert41 aufnimmt und unterstützt. Ihrer beider Ansicht nach ist Onesimus kein Sklave, sondern der Bruder des Philemon, der sich wegen eines Streits mit Philemon an Paulus wendet.42 Grundlage dieser These bildet bei Baumert die syntaktische Analyse von V. 15 f., bei der er ὑπὲρ δοῦλον in V. 16a zu ὑπὲρδουλον im Sinne von „übersklavisch“ verbunden wissen will. Alle sozialen Daten symbolisch deutend43 kommt Baumert zu dem Schluss, dass δοῦλος nicht im zivilrechtlichen Sinne verstanden werden kann, sondern Onesimus „unter seine Leidenschaften ‚versklavt‘ war“44. Trotz einiger Bedenken hinsichtlich der deutlich zu Tage tretenden Abhängigkeit des Onesimus von Philemon unterstützt Baumert die These Callahans.

 Vgl. Winter, Letter, 1–15, bes. 3. Ollrog, Mitarbeiter. 32 Wolter, Brief, 229 splittet die Thesen von Winter und Ollrog zu zwei Thesen auf. 33 Vgl. v. a. Ollrog, Mitarbeiter, 103–106. 34 Vgl. Elliott, ‚Thanks, but no Thanks‘, 51–64. 35  Vgl. Wolter, Phlm, 227–241, bes. 229–234. 36 Vgl. Reinmuth, Phlm, 10. 37 Vgl. Lampe, Sklavenflucht, 137; Lampe, Phlm, 206. 38 Vgl. Ebner, Phlm, 133. 39 Vgl. in Andeutung dessen: Schreiber, Begleiter, 143. 40 Vgl. Callahan, Embassy. 41 Baumert, Freundesbrief, 131–160. 42 Vgl. Baumert, Freundesbrief, 148. 43 Vgl. Ebner, Phlm, 14. 44 Baumert, Freundesbrief, 148. 30

31 Vgl.

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(5) Ein gegenüber der Sklavenflucht abgemildertes Modell stellt das des Herumtreibers dar. Ein Herumtreiber (erro) ist ein Sklave, der sich (sozusagen) eigenmächtig Freizeit verschafft. Durch Lampe in den Diskurs eingebracht45 wurde das Modell von Onesimus als erro vor allem im englischsprachigen Raum untersucht. Grundlage dafür bieten römische Rechtstexte, die in ihrer Kompilation im 6. Jahrhundert n. Chr. unter Justinian zusammengestellt wurden.46 Diese zeigen eine Unterscheidung zwischen einem erro und einem fugitivus: Handelt es sich bei einem erro um einen Sklaven, der sich (immer wieder) unerlaubt vom Haus seines Herrn entfernt, kehrt dieser jedoch gegenüber einem fugitivus wieder zu seinem Herrn zurück. Für den vorliegenden Fall des Onesimus ließe sich die Hypothese des erro so lesen, dass sich Onesimus als Herumtreiber selbstständig unerlaubt vom Haus seines Herrn entfernt, was den Konflikt zwischen Sklavenhalter und Sklave auslöst. Im Rahmen seines Daseins als erro sucht Onesimus Paulus als Mediator auf. Diese These verfolgt im deutschsprachigen Raum v. a. Arzt-Grabner, an dem sich die folgenden Ausführungen orientieren.47

3. Kritische Beurteilung der Theorien Alle fünf genannten Theorien bieten mehr oder minder Angriffsfläche für eine mögliche Widerlegung. Sie bleiben Rekonstruktionsversuche einer „historischen Wirklichkeit“48 hinter dem Philemonbrief, die sich nicht mehr gänzlich erschließen lässt. Dennoch sind diese Theorien notwendig, um dem Philemonbrief Konturen zu verschaffen.49 Aufgrund der wenigen gar spärlichen Hinweise zu seiner Vorgeschichte lassen sich die Theorien nicht gänzlich innerhalb des Briefes verifizieren, doch können sie durchaus gegeneinander abgewogen werden. Die Theorien werden im Folgenden nicht wie zuvor chronologisch aufgeführt, sondern – nach meinen Erwägungen – ihrer Plausibilität entsprechend dargelegt, um ihre jeweiligen Vorzüge herauszustellen.

45 Vgl.

Lampe, Sklavenflucht, 135–137. dazu Reinmuth, Phlm, 11; Arzt-Grabner, erro, 133. Zur vertiefenden Auseinandersetzung vgl. Bellen, Studien, 18.78. 47 Vgl. Arzt-Grabner, erro, 141–143. So auch in seinem Philemonkommentar: ArztGrabner, Phlm. 48 Von einer solchen ist hier und im Folgenden natürlich nur mit aller Vorsicht zu sprechen, bleibt jede Rekonstruktion doch immer hypothetisch. 49 Das betont v. a. Wengst, Phlm, 20: „Wenn man auf die Erörterung solcher Möglichkeiten verzichtet und weitere Fragen als bloße Spekulation abtut, verbleibt nur eine blasse Vorstellung der Wirklichkeit, und die paulinischen Ausführungen hängen in der Luft und bleiben abstrakt. Sie gewinnen erst Kontur, wenn man Möglichkeiten erschließt, wie es hätte sein können, aber im bestimmten Fall nicht unbedingt gewesen sein muss.“ 46 Vgl.

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3.1 Onesimus als Bruder Philemons Die von Callahan im Rahmen der postkolonialen Exegese vertretene Theorie setzt an dem Beziehungsverhältnis von Philemon und Onesimus an. Callahan geht davon aus, Onesimus sei kein Sklave, sondern der Bruder des im Brief angesprochenen Philemon. Beide seien zerstritten, so dass Onesimus sich Hilfe suchend an Paulus wendet.50 Die Grundlage seiner Argumentation, die Sklaventhese abzulehnen, findet er zum einen im Sprachgebrauch des Philemonbriefs („in no place are the two names conjoined in any possessive construction, nor is Philemon referred to anywhere as kurios, ‚lord,‘ or despotēs, ‚master‘“51). Darüber hinaus beruft er sich auf Studien Horsleys, der in Inschriften den Namen Onesimus für „borne by free persons of no insignificant status“52 nachweisen konnte. Die Annahme, Onesimus sei ein Sklave, würde innerhalb des Briefes ausschließlich aufgrund von V. 16 behauptet, so Callahan. Das Schlüsselwort sei aber eben nicht das Lexem δοῦλος. Das ὡς begründe in V. 16 die Auslegung – und diese ließe neben den genannten Argumenten nicht (zwingend – S. B.) auf Onesimus als Sklaven schließen: „Likewise, in verse 16a hos indicates that Paul is speaking not of Onesimus’s actual status, but of Philemon’s attitude toward Onesimus and thus Onesimus’s virtual status in Philemons eyes.“53 Callahan baut daher auf die Hypothese John Gregg Fees auf, Paulus benenne Onesimus in V. 16 als geliebten Bruder (ἀδελφὸν ἀγαπητόν), so dass Onesimus als Bruder Philemons anzusehen sei.54 Dieser Argumentation wehrt v. a. ArztGrabner in seiner papyrologischen Forschung um den Namen und die Herkunft des Onesimus.55 Innerhalb seiner Studien weist er den Namen Onesimus m. E. überzeugend als Sklavennamen aus und entzieht dadurch der Argumentation Callahans (und Fees) ihre Grundlage. Callahans These basiert auf dessen Ansicht, dass ὡς δοῦλον in Phlm 16 im Sinne von ‚als ob er ein Sklave wäre‘ aufzufassen sei. Dagegen ist festzuhalten, dass das adverbiale ὡς einen Vergleich oder eine Gleichsetzung zum Ausdruck bringen kann. Die Frage, ob dies im tatsächlichen Sinn erfolgt (einen Sklaven ‚wie einen Sklaven‘) oder im übertragenen (einen Nicht-Sklaven ‚wie einen Sklaven‘), lässt sich allein durch die Verwendung von ὡς noch nicht entscheiden. […] Die Entscheidung, in welchem Sinn der mit ὡς konstruierte Vergleich zu verstehen ist, kann […] erst aus dem Kontext heraus gefällt werden, was auch in Phlm 16 möglich ist: durch das auf ὡς δοῦλον folgende ἀλλ’ ὑπὲρ δοῦλον ist beides nur in Bezug auf einen Sklaven im eigentlichen Sinn verständlich. Dazu kommt

50 Vgl.

Callahan, Embassy. Embassy, 9 f. 52 Ebd., 10. 53 Ebd. 54 A. a. O., 11. 55 Vgl. Arzt-Grabner, Phlm, 84 f. 51 Callahan,

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noch, dass die Sklaven-Deutung von zahlreichen weiteren Begriffen und Wendungen im Text gestützt wird.56

Das ergänzend ist die von Fee und Callahan als Ausgangspunkt ihres Ansatzes genannte Wendung in Bezug auf die Anrede ἀδελφός eine von Paulus innerhalb seiner Briefe viel genutzte Anrede für die Christgläubigen in den Gemeinden (vgl. u. a. Röm 1,13; 7,1; 14,1; 1 Kor 1,26; 2,1; 8,13; 2 Kor 1,8; 2,13; 8,18.22; Gal 1,2; 3,15; 4,12; Phil  1,12.14; 2,25; 1 Thess  1,4; 2,1; 3,2). Die Verwendung des Attributs ἀγαπητός lässt sich durch den Anlass und Zweck des Briefes hinreichend erklären: Paulus appelliert in seinem Brief an Philemon um die (Wieder-)Aufnahme von Onesimus in dessen Haus. Philemon soll trotz des Verhaltens von Onesimus – nachdem und weil er bei Paulus zum Christgläubigen geworden ist, wie auch Philemon einer ist (vgl. V. 10) – diesen wie einen ἀδελφὸν ἀγαπητόν zurücknehmen. Diese Forderung gründet in dem gemeinsamen Christsein, da auch Gott die Seinen, die er erwählt hat, liebt (vgl. 1 Thess 1,4: ἀδελφοὶ ἠγαπημένοι ὑπὸ [τοῦ] θεοῦ) und er diese brüderliche Liebe auch von den Christgläubigen untereinander fordert (vgl. 1 Thess 4,9). Aufgrund dessen zeigt sich die Theorie, Onesimus sei der Bruder Philemons, m. E. wenig plausibel und ist als am wenigsten wahrscheinliche Rekonstruktion einzustufen. Auch die chronologisch zweitgenannte Theorie des Onesimus als Gesandter der Hausgemeinde stellt sich für mein Dafürhalten zumindest als problematisch dar. 3.2 Onesimus als Gesandter der Gemeinde Ollrog und Winter nehmen sich im Rahmen ihrer Theorie, die sich von der fugitivus-These absetzen will, dem berechtigten Einwand an, warum Onesimus sich zu Paulus flüchtet. Pauli Aufenthalt im Gefängnis in Ephesus angenommen, legt Onesimus nicht nur eine weite Strecke von Kolossä aus zurück, um zu ihm zu gelangen. Er kann als flüchtiger Sklave keine Rückführung zu Philemon im Blick haben. Dabei stellt sich auch die Frage, warum Onesimus gerade Paulus aufsucht. Diesem Problem versuchen beide Autoren zu entgehen, indem sie Onesimus als Gesandten bzw. Delegierten der Hausgemeinde einstufen.57 Doch ist auch diese Theorie m. E. nicht ganz unproblematisch. Das größte Problem bei der Annahme, Onesimus sei von der Hausgemeinde um Philemon bewusst zu Paulus entsandt worden, um ihm in der Missionsarbeit als Gemeindegesandter zu dienen, liegt nicht nur im rechtlichen Status von Onesimus nach geltendem römischen Recht. Es liegt vielmehr noch in seinem religiösen Status. Onesimus, so konnte Arzt-Grabner nachweisen, ist 56 Arzt-Grabner,

Phlm, 84. Winter, Letter, 3: „It is proposed here that Onesimus was with Paul in prison because the former had been sent by the congregation in Colossae. This thesis fits with what can be concluded from the text about the nature of Paul’s imprisonment: under a loose house arrest visitors were not only allowed, they were necessary to provide food and services for the imprisoned.“ 57 So

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ein typischer Sklavenname,58 der nach Solin auch unter stadtrömischen Sklaven gut bezeugt ist.59 Ob Onesimus ein hausgeborener Sklave, ein Kriegsgefangener oder ein Sklave anderen Hintergrunds aus einem Sklavenkauf 60 ist, lässt sich dabei nicht eindeutig erschließen. Arzt-Grabners Untersuchung von Papyri weist nur eine Belegstelle des Namens für einen versklavten Kriegsgefangenen auf,61 wohingegen die Abstammung von einer Sklavin sowie die Aufnahme eines Findelkindes62 gut bezeugt sind.63 Wenn Philemon Onesimus gekauft, als Findelkind aufgenommen hat oder dieser von einer Sklavin in seinem Haushalt geboren wurde, dann untersteht Onesimus ihm rechtlich und dient ihm in seinem Haushalt. Allerdings ist der Haushalt Philemons nicht mit der Hausgemeinde gleichzusetzen, für die Philemon sein Haus zur Verfügung stellt. In dem Philemonbrief geht zudem aus der Metapher in V. 10 deutlich hervor, dass Onesimus erst bei einem Zusammentreffen mit dem sich in Gefangenschaft befindenden Paulus zum Christen wird (ὃν ἐγέννησα ἐν τοῖς δεσμοῖς, V. 10b). Ausgehend von V. 10b gehörte er vor dem Zusammentreffen mit Paulus eindeutig nicht bereits zur Hausgemeinde des Philemon.64 Wieso sollte also gerade der (zuvor) nicht-christliche Onesimus als ein Gemeindegesandter, als Delegierter der Hausgemeinde zu Paulus geschickt werden? Winters Theorie wird an der Stelle brüchig, an der sie Onesimus nicht als „simplen Briefträger“, sondern in der genannten Funktion annimmt. Eine christliche Gemeinde würde mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen heidnischen Sklaven als Delegierten entsenden.65 Angenommen es wäre so, dann bliebe jedoch die Frage offen, warum Paulus den Onesimus gerade dann dem Philemon  Vgl. Arzt-Grabner, Phlm, 86 f. Ebenso Eckey, Phlm, 149. Solin, Sklavennamen, 465–468. 60 Der mit dem Sklavenkauf oft in Verbindung stehende Menschenraub ist Arzt-Grabner zufolge für Onesimus wenig wahrscheinlich. Betreffs eines Verkaufs von Kindern durch den Vater gibt es papyrologisch keine Bezeugungen, doch finden sich für den Raum Kleinasiens in kaiserlicher Zeit in der Vita Apollonii von Philostrat Belege für diese Praxis [vgl. ArztGrabner, Phlm, 87, Anm. 143]. 61  Hierbei ist anzumerken, dass der Kriegsgefangene den Namen als typischen Sklavennamen anstelle seines ursprünglichen Namens nachträglich im Rahmen seiner Versklavung erhalten haben müsste. Inwiefern eine Umbenennung gebräuchlich war, wird an dieser Stelle nicht diskutiert. Es sei jedoch mit Blick auch auf die geringe Anzahl an Belegstellen für versklavte Kriegsgefangene zu bedenken anzumerken. Die Funde Arzt-Grabners müssen entsprechend vorsichtig gewertet werden. 62 Zur weiteren Erörterung der Findelkind-Thematik vgl. Arzt-Grabner, Phlm, 88 f. 63 Vgl. ebenso Buckland, Roman Law of Slavery, 397–401. Auf Grundlage von Bucklands Ergebnissen geht Eckey davon aus, Onesimus sei von einer Sklavin geboren worden. Onesimus dagegen als hausgeborenen Sklaven anzunehmen, übt er Distanz [vgl. Eckey, Phlm, 149]. 64 Ähnlich Baumert, Freundesbrief, 134. Baumert stellt zudem kritisch infrage: „Außerdem hätte Philemon (oder Archippus, wie Winter vermutet) ihn eigentlich schon vorher freilassen müssen, weil er ja Christ war. Und wieso wäre Onesimus dem Philemon nun auch ‚Bruder im Fleisch‘? Schließlich bleibt V. 18 ungeklärt (‚Schädigung‘, ‚Schulden‘).“ [ebd., 134 f.] 65 Vgl. ebenso Arzt-Grabner, Phlm, 102. 58

59 Vgl.

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so entschuldigend anempfiehlt, wo dieser doch Grund zur Freude hätte. Das würde voraussetzen, dass Philemon ein Problem damit hätte, dass sein Sklave nun zu seiner Hausgemeinschaft gehört, die er aber doch gerade vor Paulus repräsentieren soll. Darüber hinaus ist Ollrogs Annahme, Paulus hätte Onesimus bei sich behalten, durch V. 12–14 deutlich zu falsifizieren. Das zeigt sich sprachlich durch zweierlei: 1. Der Aorist im Relativsatz ὃν ἀνέπεμψά σοι (V. 12a)66 verweist eindeutig auf eine Rücksendung des Onesimus (durch Paulus samt dem Brief) an Philemon. 2. Das Kompositum ἀνέπεμψα ist auffällig,67 da es einen personalen Bezug zum Ausdruck bringt. Sowohl Nordling als auch Arzt-Grabner konnten überzeugend nachweisen, dass ἀνέπεμψα den Aspekt des Übersendens bzw. des Zurückgebens deutlich macht, bei dem die betreffende Person selbst mitgeschickt wird.68 Unterstützt wird dieses Verständnis von ἀνέπεμψα durch das Imperfekt in V. 13a: ἐβουλόμην69 (πρὸς ἐμαυτὸν κατέχειν). Ferner stehen beide für diese These sprechenden Argumente in Kontrast zu Paulus’ Bemühungen gegenüber Philemon, den Sklaven Onesimus wie einen Bruder, d. h. in Aufhebung der gesellschaftlichen, Status bedingten Trennung, in die christliche Gemeinde aufzunehmen (vgl. V. 15–17: τάχα γὰρ διὰ τοῦτο ἐχωρίσθη πρὸς ὥραν ἵνα αἰώνιον αὐτὸν ἀπέχῃς, 16οὐκέτι ὡς δοῦλον ἀλλ’ ὑπὲρ δοῦλον, ἀδελφὸν ἀγαπητόν, μάλιστα ἐμοί, πόσῳ δὲ μᾶλλον σοὶ καὶ ἐν σαρκὶ καὶ ἐν κυρίῳ. 17Εἰ οὖν με ἔχεις κοινωνόν, προσλαβοῦ αὐτὸν ὡς ἐμέ). V. 15 f. ist nicht erklärbar, wenn von einer bereits bestehenden Gemeindezugehörigkeit des Onesimus samt seiner Delegiertenfunktion ausgegangen wird und zudem (laut Ollrog) keine Rücksendung des Onesimus erfolgen soll. Zudem verweisen V. 15–17 darauf, dass vor der Rücksendung keine „Harmonisierung“ der gesellschaftlichen Hierarchie in der Gemeinde Philemons praktiziert wurde (vgl. οὐκέτι ὡς δοῦλον, V. 16a). Die zuvor angeführten textbasierten Argumente gegen die These von Onesimus als Gemeindegesandten zeigen nicht nur deutlich ihre Schwierigkeiten auf, sondern lassen diese scheitern. Dennoch lässt die Auseinandersetzung eine Frage deutlich hervortreten, nämlich danach, warum, wenn 66 Winter, Letter, 7 zeigt überzeugend die im ἀνέπεμψα geäußerte Rechtssprachlichkeit im Sinne eines „(einen Fall) an eine höhere Instanz übersenden/überweisen“ auf. 67 Paulus hätte durchaus das einfache Verb πέμπο, das häufig für das Senden von Briefen, Waren etc. gebraucht wird, verwenden können [vgl. Arzt-Grabner, Phlm, 105], tut dies aber zugunsten von ἀνέπεμψα nicht. 68 Nordling, Onesimus, 108; Arzt-Grabner, Phlm, 105. 69 Nach Baumert liegt hier kein ohne ἄν gebrauchter Irrealis vor, sondern ein real andauernder Wunsch, bei dem das Imperfekt die Schroffheit des Präsens mildert [vgl. Baumert, Freundesbrief, 143]. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Winter, Letter, 8. Baumert konstruiert V. 13 entsprechend: „ihn würde ich gerne … behalten, damit er …; aber ohne dein Einverständnis […] war ich keineswegs bereit, es (!) zu tun (nämlich ihn hier zu behalten)“ [Baumert, Freundesbrief, 143 f.]. Diese nach eingehender sprachlicher Analyse überzeugende Übersetzung stützt das zuvor genannte Argument.

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Onesimus Paulus aktiv aufsucht, er sich ausgerechnet an Paulus (im Gefängnis) wendet und dafür einen langen Weg auf sich nimmt. 3.3 Onesimus als fugitivus Die Annahme, Onesimus sei ein Sklave70, wird – abgesehen von einer Analyse seines Namens – aus V. 16 geschlossen: οὐκέτι ὡς δοῦλον ἀλλ’ ὑπὲρ δοῦλον, ἀδελφὸν ἀγαπητόν, μάλιστα ἐμοί, πόσῳ δὲ μᾶλλον σοὶ καὶ ἐν σαρκὶ καὶ ἐν κυρίῳ. Dabei ist die Einleitung des Verses οὐκέτι ὡς δοῦλον entscheidend für die Frage, ob Onesimus ein Sklave Philemons ist (oder zumindest war), der zu diesem zurückgesandt wird. Syntaktisch wie inhaltlich steht V. 16 bezüglich der Zeit einer Abwesenheit des Onesimus in Zusammenhang mit V. 15. Darüber hinaus deutet V. 16 auf ein Abhängigkeitsverhältnis zumindest aber auf ein Beziehungsverhältnis beider hin. An die in V. 15 genannte Zeit der Trennung knüpft die Frage nach der Vorgeschichte des Sklaven Onesimus an: Warum ist Onesimus nicht bei seinem Herrn (geblieben)? Die traditionelle These lautet, Onesimus sei ein flüchtiger Sklave71, ein fugitivus. Anlass dazu gibt schließlich V. 18. Paulus weist in geschäftlichem Ton auf eine etwaige Schuld des Onesimus gegenüber Philemon hin, die er (Paulus) zu tilgen gedenkt (vgl. εἰ δέ τι ἠδίκησέν σε ἢ ὀφείλει, τοῦτο ἐμοὶ ἐλλόγα, V. 18). Es bleibt angesichts der Formulierung von V. 18 aber offen, ob ein Konflikt aufgrund eines materiellen Vergehens vorliegen könnte, das Onesimus zu einer Flucht gezwungen hat, oder ob Philemon durch das unerlaubte Entfernen ein Schaden aufgrund des Arbeitsausfalls entstanden ist. In jedem Fall aber liegt zwischen beiden ein Konflikt vor. Dieser Konflikt macht Pauli Fürsprache notwendig. Als Flüchtiger befindet Onesimus sich in einer für ihn gefährlichen Situation der Illegalität, denn es ist nachgewiesen, dass nach geflohenen Sklaven gefahndet und Anzeige gegen sie erstattet wurde.72 Wurden sie gefunden, so drohten ihnen harte Strafen, die im Ermessen ihres jeweiligen Sklavenbesitzers lagen.73 Neben der Prügel (vgl. Horaz, Epistulae I 16,46–47; II 2,14–15) war das Brandmarken, die Verstümmelung (vgl. Sueton, Caligula 32,2) sowie die Versetzung in einen anderen, härteren Arbeitsbereich möglich (vgl. Plutarch, Moralia 144a).74

70 Gegen

Winter, Letter; Callahan, Embassy. mit der Sklavenflucht als in der Antike bekanntes und häufiges Phänomen setzt sich unter Rückgriff auf Bellen, Studien zur Sklavenflucht im römischen Kaiserreich, Wiesbaden 1971 auch Gnilka, Phlm, 68–71 auseinander. 72 Einen Steckbrief aus Ägypten über die Fahndung zweier Sklaven von 165 v. Chr. hat u. a. Wengst, Phlm, 34 abgedruckt. 73 Vgl. Gnilka, Phlm, 70. 74 Vgl. hierzu Anm. 22. 71 Ausführlich

206

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Vereinfacht und pauschalisiert gilt als ein fugitivus, wer dauerhaft von seinen bzw. seinem Herr(e)n flieht. Für sie gab es dann die Möglichkeit, sich in eine Großstadt oder ins Ausland abzusetzen oder auch, sich einer Räuberbande anzuschließen.75 Onesimus jedoch scheint sich keiner dieser Alternativen zu bedienen. Vielmehr wendet er sich auf seiner vermeintlichen Flucht an Paulus. An dieser Stelle gerät die fugitivus-Theorie an ihre Grenzen, denn warum tut Onesimus dies, wenn er von seinem Herrn fliehen will? Lampe stellt unter Rückgriff auf einen Rechtstext des stadtrömischen Juristen Proculus (Dig. 21,1,17,4) aus dem 1. Jahrhundert Folgendes fest: Ein Sklave, der sich angesichts einer ihm bevorstehenden Strafe an einen Freund wendet, damit dieser sich für ihn einsetze, gilt rechtlich nicht als ein fugitivus.76 Weitere Nachweise finden sich auch in den Jahrhunderten nach Proculus. So in Trajans Herrschaftszeit z. B. bei Vivianus (Dig. 21,1,17,5) und im 2./3. Jahrhundert n. Chr. beim Juristen Paulus77. Speziell bei Letzterem findet sich der Vermerk vom Aufsuchen eines Freundes sowie der Hinweis, dass nicht der Vorsatz einer Flucht den Sklaven zu einem Flüchtigen mache, sondern die vollzogene Tat selbst (vgl. Dig. 21,1,43,1). In einem solchen Fall verlässt der Sklave das Haus seines Herrn nicht, um zu fliehen. Er geht, um einen Freund seines Herrn mit dem Ziel um Hilfe zu bitten, in dessen Haus zurückkehren zu können. Wengst, der sich für das Modell des fugitivus ausspricht, hält angesichts der Belege von nur stadtrömischen Juristen dementgegen, dass sie v. a. die Stadt Rom im Blick hatten, d. h. die Rechtsnormen lokal beschränkt sind.78 Jedenfalls werden diese Juristen an eine Vermittlung im innerstädtischen Bereich und nicht an eine wochenlange Entfernung des Sklaven von seinem Herrn gedacht haben. Eine solche längere Zeit währende eigenmächtige Entfernung eines Sklaven musste aus der Sicht seines Herrn als Flucht gedeutet werden.79

75 Lampe, Sklavenflucht, 135. Wengst, Phlm, 34 f. ergänzt, dass sie zudem die Möglichkeit haben, sich einen neuen Herrn zu suchen, bei dem sie unter besseren Arbeitsbedingungen wirtschaften können. Doch auch bei einem solchen Vorgehen befinden sie sich nach römischem Recht im Bereich der Illegalität. Ausnahme davon bildet das Ersuchen um Asyl. Dafür konnten sie einen so genannten Asyltempel als Vermittlungsinstanz in Anspruch nehmen [vgl. Tacitus, Annalen III 60,1–2]. 76 Vgl. Lampe, Phlm, 206; erstmalig kritisiert von Knox, Philemon, 17 f. 77 Auch die angeführten Texte von Vivianus und Paulus sind solche stadtrömischer Juristen. 78 Anders als z. B. Ebner (dieser nimmt Rom als Ort der Gefangenschaft des Paulus an) geht Wengst davon aus, dass Paulus sich in Ephesus im Gefängnis aufhielt und Onesimus aus einer christlichen Hausgemeinschaft in Kolossä stammt, was für seine Auswertung der Belege entsprechende Konsequenzen hat. 79 Wengst, Phlm, 32. Diesem Argument zugrunde liegt die These, dass die Gemeinde des Philemon und somit sein Haus, aus dem Onesimus entflohen ist, in Caesarea liegt und Onesimus sich in das über 100 km entfernte Ephesus begeben hat, von dem er annimmt, Paulus schreibe von dort aus seinen Brief [a. a. O., 29]. Als Städte Kleinasiens, weit entfernt von Rom, nimmt Wengst an, habe sich die rechtliche Bestimmung nicht verbreitet.

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Wengsts Einwand liegt die Präzisierung einer Definition von Flucht nach Marcus Antistius Labeo zugrunde (ca. 54 v. Chr. bis ca. 10/11 n. Chr.). Die im von Ofilius (1. Jahrhundert v. Chr.) erstellten Konzept zugrundeliegenden Kriterien der Abwesenheit, d. h. des Verbleibens außer Haus (1) und des Verbergens vor dem Herrn (2) wurden durch die nachfolgenden Juristen um den Beweggrund des Fernbleibens (3) und um die Dauer der Abwesenheit (4) ergänzt. Für Labeo war bei einer solchen Festlegung das vierte Kriterium der Dauer entscheidend (vgl. Dig. 21,1,17, 14).80 Die Sicht des Herrn ist bei der Beurteilung einer Sklavenflucht insofern zu bedenken, als dieser nach längerer Abwesenheit des Sklaven das Recht zu einer Fahndung hat. Sie wird dadurch eingeleitet, dass der Herr Anzeige gegen den Geflüchteten erhebt. Nimmt man für die Hausgemeinde den Standort Kolossä und für Paulus den Aufenthalt in dem über 100 km entfernten Ephesus an, so ließe sich der von Wengst vorgebrachte Einwand – unter Berücksichtigung einer vermeintlich von der rechtlichen Kategorie abweichenden sozialen Praxis – zumindest erwägen. Allerdings gibt es für diese Überlegung Wengsts keinen Anhaltspunkt innerhalb des Philemonbriefes. Es bedarf also der Prüfung, um aus dem genannten Material hier nicht zu voreilig einen künstlichen und normativen Charakter als soziale Beschreibung auf Onesimus anzuwenden. Die Kritik, die drei genannten Belege entstammten dem stadtrömischen Bereich und galten deshalb auch nur hier, kann zunächst dadurch entschärft werden, dass „das Besprechen [der fugitivus-Thematik – Anm. S. B.] in einem Rechtstext zeigt, daß der Fall häufiger vorkam“81. D. h., dass ein solcher Fall und seine angesprochene Handhabung keineswegs nur auf die Stadt Rom beschränkt gewesen sein muss. Darüber hinaus konnte Arzt-Grabner belegen, dass auch in einigen Sklavenkaufverträgen aus Side und Dacia Superior ein entsprechender Vermerk gesetzt war. Dieser sollte dem Verkäufer versichern, dass der/die Sklave/in nicht zur Flucht neigt.82 Gamauf stellt unter Bezug auf Georg Klingenberg83 heraus, was auch Arzt-Grabner zu bedenken gibt: Als Terminus technicus verwenden römische Juristen das Wort nur dann, wenn die Qualifikation eines Sklaven als fugitivus Voraussetzung für eine Rechtsfolge ist, die gerade an die Eigenschaft als fugitivus anknüpft [d. h. sowohl den sich aktuell auf der Flucht befindlichen Sklaven als auch in Folge einer Flucht die Charaktereigenschaft  – Anm. S. B.]. In solchen Texten bringt die Bezeichnung eines Sklaven als fugitivus das Ergebnis einer juristischen Subsumtion unter einen technischen fugitivus-Begriff zum Ausdruck 80 Vgl.

Gamauf, Erro, 275 f. Sklavenflucht, 135. 82 Vgl. Arzt-Grabner, Phlm, 103 [Anm. 218]. Gegen: Harrill, Jurists, 137, der mangels römischer Bürokratie nicht davon ausgeht, dass sich die römischen Gesetze bis in die Provinzen verbreitet haben. Erschwerend hinzu kommt dann der Synkretismus griechischer, indigener sowie ggf. römischer Gesetze und Gewohnheiten. 83 Klingenberg, Servus fugitivus, 1. 81 Lampe,

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[…]. In der überwiegenden Mehrzahl der Rechtstexte dagegen stehen Ausdrücke wie servus fugitivus, fugitivus, in fuga esse, fugere in Sachverhaltsschilderungen und bringen damit in erster Linie die Tatsache zum Ausdruck, dass ein Sklave sich der Macht seines dominus entzogen hatte, als er einen Rechtsakt setzte, dessen Auswirkungen den Juristen beschäftigten.84

Der Vermerk in einem Sklavenvertrag setzt folglich zwar das Verständnis einer dauerhaften Abwesenheit als Flucht voraus, muss aber nicht zwingend auf einem zugrundeliegenden Rechtsverständnis beruhen. Er kann auch eine soziale Kategorie ausweisen (die Neigung zur Flucht), die schließlich einen Rechtsakt nach sich zieht bzw. ziehen kann. Interessant ist jedoch, dass Arzt-Grabner in diesen Verträgen eine Unterscheidung zwischen einem fugitivus und einem so genannten erro feststellen konnte.85 Das legt ein durchaus differenziertes juridisches Verständnis bei der Terminologiewahl offen.86 Bestätigt wird dies von Gamaufs Untersuchung über das aedilizische Edikt (vgl. Dig. 21,1) angesichts der Erwartungshaltung von Sklavenkäufern, die eine Wandelung87, Preisminderung o.ä. erwirken konnten,88 wenn beim Kauf eines zur Flucht neigenden Sklaven oder erros dieser (aufgrund hoher Abwesenheitszeiten) hinter ihren Erwartungen zurückblieb.89 Es ist folglich festzuhalten, dass das Rechtsbefinden im Falle des fugitivus vermutlich nicht auf Rom beschränkt war. Problematisch – und das bleibt einzuräumen – bleibt die fehlende Systematik, namentlich eine normativ gültige Definition des fugitivus, die Rückschlüsse auf eine soziale Praxis erlauben würde. Mit Vorsicht lässt sich die o.g. genannte Definitionen um das 1. Jahrhundert anwenden: Ein fugitivus ist der, der sich mit der Absicht der Flucht verbirgt und dem Haus seines Herrn fernbleibt, um nicht wieder dorthin zurückzukehren bzw. zurückkehren zu müssen. Wird die juridische Kategorie fugitivus (bei allen methodischen Schwierigkeiten)90 zugrunde gelegt, dann birgt sie für den im Philemonbrief vorliegenden Fall ein Problem. Als fugitivus (mit allen Einschränkungen!) würde sich Onesimus an Paulus nicht als Freund seines Herrn wenden, damit dieser für ihn eintritt, um zu seinem Herrn zurückkehren zu können (vgl. Phlm 12 f.). Denn der fugitivus flieht definitionsgemäß ohne das Ziel einer Rückkehr.

84 Gamauf,

Onesimus, 163 f. Arzt-Grabner, Phlm, 103–105. Ebenso: Gamauf, Erro, 269. 86 Vgl. in Bezug auf den fugitivus auch so: Gamauf, Onesimus, 164. 87 Vgl. dazu: Klingenberg, Servus fugitivus, 109–130; Gamauf, Onesimus, 164 f. 88 Oder hätten erwirken können. Dem zugrunde liegt keine eigenständige gesetzgeberische Entscheidung, es wird auf die Verkaufspraxis zurückgegriffen. Zur weiteren Diskussion vgl. Gamauf, Erro, 269–288. 89 Vgl. Gamauf, Erro, 269. 90 Vgl. Harrill, Jurists, 135–138. 85 Vgl.

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In Onesimus’ Fall gilt es hinsichtlich der von Wengst angesprochenen Komponente der Zeit im Sinne einer „wochenlangen Entfernung des Sklaven von seinem Herrn“ vielmehr V. 15 zu beachten. Neben der syntaktischen Gegenüberstellung des πρὸς ὥραν (wörtlich: eine Stunde) als Ausdruck einer sehr kurzen Zeitspanne mit dem Adjektiv αἰώνιον (also dauerhaft, ewig) in V. 1591 ist vor allem auch das (medial) passivische ἐχωρίσθη desselben Verses zu beachten. Arzt-Grabner verweist darauf, dass χωρίζω in Zusammenhang mit Personen in den überwiegenden Fällen in seiner passiven Form (als „getrennt werden“ hier: hat sich getrennt) verwendet wird, die jedoch überwiegend aktiv zu verstehen ist (als „trennen, weggehen, fortgehen“). Während zahlreiche Beispiele mit einer passiven Form eindeutig auf die aktive Bedeutung „weggehen, fortgehen“ schließen lassen, sind für die eindeutig passive Bedeutung nur Beispiele in Verbindung mit Sachwerten […] oder mit der Streichung einer Person aus einer Liste beizubringen. Für die traditionelle Übersetzung von Phlm 15 „er wurde getrennt“ findet sich also in den dokumentarischen Papyri keine einzige Parallele.92 Von diesen Forschungsergebnissen Arzt-Grabners ausgehend, ist die traditionell (medial) passive Übersetzung zugunsten der aktiven Bedeutung von „(trennen,) weggehen, fortgehen“ zu überdenken. Wenn ἐχωρίσθη in Phlm 15 aktiv mit „Weggehen“ aufgefasst wird, dann bezeichnet es (unter Beachtung des πρὸς ὥραν) das zeitlich begrenzte „Weggehen“, bei dem es sich um Onesimus unerlaubtes Entfernen, nicht um eine dauerhafte Flucht (als Passiv: „hat sich getrennt“) handelt.93 Ansonsten müsste der Terminus χωρίζω eine euphemistische Betonung bekommen, die aus V. 15 allerdings nicht herauszulesen ist. Letztlich spricht gegen die These des fugitivus, dass Paulus in V. 12 von der Rücksendung des Onesimus an seinen Herrn spricht. Wäre Onesimus rechtlich als fugitivus einzuschätzen, so käme eine Rückkehr zu seinem Herrn nicht nur nicht in Frage, sondern die Überstellung eines Entflohenen als ein öffentlicher Akt machte eine einfache „Übersendung“ des Entlaufenen gar nicht möglich. Darüber hinaus birgt die These der Sklavenflucht des Onesimus ein anderes Problem: Paulus befindet sich im Gefängnis. Wieso sollte ein flüchtiger Sklave, der mit (schlimmen) Strafen zu rechnen hat, sich in ein Gefängnis und damit 91 Im αἰώνιον schwingt durch die Gegenüberstellung bei Paulus der Gedanke eines neuen Äons, einer dauerhaft himmlischen Existenz mit – im Gegensatz zur irdischen Qualität einer Stunde (vgl. τάχα γὰρ διὰ τοῦτο ἐχωρίσθη πρὸς ὥραν ἵνα αἰώνιον αὐτὸν ἀπέχῃς, V. 15). Zwar hebt πρὸς ὥραν eine kurze Zeit der Trennung hervor, es kann aber nicht als das Argument gegen eine dauerhafte Sklavenflucht herhalten, da im Begriff Äon eine stark theologische Komponente mitschwingt [gegen Arzt-Grabner, Phlm, 105]. Vgl. dazu: Baumert, Freundesbrief, 144 f. 92 Arzt-Grabner, Phlm, 103–105. 93 „Der verwendete Begriff [ἐχωρίσθη – Anm. S. B.] passt tatsächlich gut zur Annahme, Onesimos sei nicht ein flüchtiger Sklave, sondern ein Herumtreiber gewesen, denn im Zusammenhang mit einer Sklavenflucht nur von einem Weggehen zu sprechen, wäre verharmlosend (beachte auch das einleitende τάχα!)“ [Arzt-Grabner, Phlm, 105].

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in Gefahr begeben? Selbst wenn angenommen würde, Onesimus habe Paulus nicht aktiv gesucht, sondern sei bei seiner Flucht nach Ephesus gefasst worden und aus Zufall auf Paulus als den Freund seines Herrn gestoßen: Wie kommt Onesimus wieder aus dem Gefängnis heraus (vgl. ἀναπέμπω in V. 12)? Für die Theorie, Onesimus sei ein fugitivus, finden sich letztlich keine Anhaltspunkte im Philemonbrief.94 Zeigte die Theorie von Onesimus als Gemeindegesandter einen Lösungsversuch zumindest für ein gezieltes Aufsuchen des Paulus, so kann die Theorie vom fugitivus ein solches Handeln nicht erklären. Erklären kann sie auch nicht, wie Onesimus, wenn er zufällig bei seiner Gefangensetzung auf Paulus stieß, wieder aus dem Gefängnis entkam. Vielmehr stellt aber noch die Mittlerrolle des Paulus mit der beabsichtigten Rückführung des Onesimus in das Haus Philemons die fugitivus-Theorie infrage. 3.4 Onesimus als erro Anstelle der traditionellen und in der heutigen Forschung z. T. kritisch betrachteten Theorie des fugitivus soll nun die v. a. im englischsprachigen aber auch im deutschsprachigen Raum (insbesondere von Arzt-Grabner) vertretene These von Onesimus als erro diskutiert werden. Sie setzt voraus, dass Onesimus sich zeitweilig aus dem Haus seines Herrn entfernt, um sich dessen Zugriff auf bestimmte Zeit zu entziehen.95 Wie beim fugitivus ist aber auch hier zunächst kritisch zu hinterfragen, welche juridische Definition der These zugrunde gelegt wird und inwieweit die Quellen eine klare Unterscheidung von fugitivus und erro zulassen. Der Jurist Labeo schafft Anfang des 1. Jahrhunderts n. Chr. über das Kriterium der Dauer eine (nur) minimale Differenzierung zwischen fugitivus und erro.96 Gamauf hält diesbezüglich fest: Labeo sah zwischen fugitivus und erro keine grundlegenden Unterschiede, sondern nur verschieden intensive Formen von manere extra domum. […] Bei geringerer Fluchtintensität wurde der Sklave nach Labeo zu einem erro. Auch diese Differenzierung war […] qualifizierend und entsprach den unterschiedlichen sozialen Bewertungen von Flucht und Herumstreunen.97 Ihre praktische Relevanz zeigt sich bei der freiwilligen Rückkehr eines Sklaven, dessen Qualifizierung als fugitivus oder erro danach erfolgte, für wie lange er sich der Aufsicht entzogen hatte.98 94 Vgl.

auch Arzt-Grabner, Erro, 132. Arzt-Grabner, Phlm, 101–108. 96 Erronem ita definit Labeo pusillum fugitivum esse, et ex diverso fugitivum magnum errornem esse, vgl. [zitiert nach Uplius 1 ed. aed. cur.] Dig. 21,1,17,14. Vgl. Gamauf, Erro, 269 f. 97 Hierin muss bedacht werden, dass sowohl das eine als auch das andere eine gewisse Form des Widerstands impliziert, wobei nicht gedacht sein will, dass es ein (aktiver) Widerstand gegen die Institution der Sklaverei als solches war. Diese stand außer Frage. Es kann mehr als eine Art Protest gegenüber dem (Verhalten des) Herrn gesehen werden. 98 Gamauf, Erro, 276. 95 Vgl.

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Den Grund für eine zeitlich beschränkte Abwesenheit eines Sklaven von seinem Herrn nimmt Labeo dabei jedoch nicht in den Blick. Er präzisiert einzig das von Ofilius in seiner fugitivus-Definition aufgestellte Kriterium der Dauer. Auch wenn diese Differenzierung eine minimale ist, erhält sie aufgrund ihrer praktischen Relevanz Bedeutung, so dass sie auch für die Qualifizierung von Onesimus zu bedenken ist. Als ausschlaggebendes Kriterium für eine Differenzierung von fugitivus und erro wurde der Aspekt der Dauer des Fernbleibens für den Philemonbrief in Punkt 3.3 für die Frage des Onesimus als fugitivus bereits diskutiert.99 Ob jedoch darüber hinaus über Onesimus als erro zu sprechen ist, wird im Folgenden diskutiert. Außer Frage steht nach den vorangehenden Ausführungen, dass für Onesimus der rechtliche Status eines fugitivus nach der Definition von Ofilius und Labeo auch deshalb ausscheidet, weil Onesimus bei Paulus Hilfe sucht, um zu Philemon zurückzukehren (vgl. V. 12). Dabei ist unter Berücksichtigung von V. 18 f. m. E. der Umstand unbestritten, dass zwischen Onesimus und Philemon ein Konflikt besteht, der sich auf die Abwesenheit von Onesimus gründet.100 Arzt-Grabners Theorie geht davon aus, dass Onesimus aufgrund seines Herumtreibens in einem dauerhaften Konflikt mit seinem Herrn stand. Paulus greife im Sinne der Schlichtung intervenierend ein und sende Onesimus mit einem Empfehlungsbrief 101 an Philemon zurück.102 Dabei verweist Paulus in V. 18 auf eine etwaig entstandene Schuld des Onesimus. Im Rahmen der Theorie vom erro lässt sich diese Anmerkung mit einem dem Philemon durch die Abwesenheit seines Sklaven entstandenen finanziellen Schadens erklären. Ausgehend von V. 11 (τόν ποτέ σοι ἄχρηστον νυνὶ δὲ [καὶ] σοὶ καὶ ἐμοὶ εὔχρηστον), dem Wortspiel um die Nützlichkeit des Onesimus („der Nützliche“) für Philemon, interpretiert Arzt-Grabner v. a. das ποτέ (σοι ἄχρηστον) als „einst/ früher dir unnütz gewesen“. Er verweist darauf, dass die negative Beurteilung des Onesimus durch Philemon, die dieser Paulus übermittelt hat, nicht womöglich von einer erstmalig erfolgten Flucht des Onesimus herrühren kann. Denn in einem solchen Fall könnten weder Onesimus noch Paulus bereits wissen, wie Philemon darüber korrekt denkt. Dass dieser einen Sklaven als ἄχρηστος einschätzt, muss also mit einem oder sogar mehreren bereits weiter zurückliegenden Ereignissen zusammenhängen.103

Bei einer syntaktischen Analyse, die den Bezug zu V. 10 zum einen sowie das vorliegende Wortspiel in V. 11 zum anderen berücksichtigt, überzeugt diese Argumentation m. E. nicht gänzlich. V. 10 stellt metaphorisch als Zeugung des   99 Vgl.

bes. Anm. 92. auch Dunn, Phlm, 302 f.338. 101 Vgl. Arzt-Grabner, Phlm, 59 f. 102 Vgl. a. a. O., 101–108. 103 Arzt-Grabner, Erro, 135 f. 100 So

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Kindes in den Fesseln (d. h. jene im Gefängnis erfolgte) die Hinwendung und Aufnahme des Onesimus in den christlichen Glauben dar. Thema ist also, dass Onesimus im Gefängnis bei Paulus christusgläubig geworden ist. Daran schließt sich V. 11 mit einem Wortspiel um seine Nützlichkeit an. Onesimus als „der Nützliche“ hat sich in der Vergangenheit (einst) seinem Herrn als nicht nützlich erwiesen. Nun aber, als Christ, wird er  – und dieses bereitet schon V. 15 f. vor – als Teil der Gemeinde, zu der er zurückgeschickt wird (vgl. V. 12), für Paulus und Philemon nützlich sein. Paulus nimmt in seiner Einschätzung eine zeitliche Differenzierung vor. Diese wird durch ποτέ zum einen und νυνὶ δὲ zum anderen ausgedrückt. Die Einschätzung, dass Onesimus einst (ποτέ) dem Philemon unbrauchbar gewesen ist, setzt nicht zwingend voraus, dass Paulus Philemons Meinung über Onesimus wiedergibt. Es wäre auch denkbar, dass Paulus den Konflikt mit dem unerlaubten Entfernen selbst als „einst unnütz“ einschätzt, zumal, wenn man annimmt, dass Paulus im Gefängnis von Ephesus sitzt und Onesimus über 100 km aus Kolossä zu ihm reisen musste. Die Dauer dieser Strecke rechtfertigt die zeitliche Differenzierung von ποτέ und begründet mit der Christ-Werdung des Onesimus das νυνὶ δὲ als anhaltendes Faktum. Diese Einschätzung negiert allerdings nicht den rechtlichen Status des Onesimus als erro. Diesbezüglich stärker zu gewichten ist Arzt-Grabners Auseinandersetzung mit dem χωρίζω aus V. 15. Dieses wird in Bezug auf Personen passiv gebildet, ist aber als „Weggehen“ überwiegend aktiv in den untersuchten Quellen bezeugt.104 Wird χωρίζω derart auch für V. 15 gelesen – was aufgrund der Quellenlage m. E. nur naheliegend ist – so ist konsequenterweise für V. 15 zu schlussfolgern, dass es sich bei Onesimus’ unerlaubtem Entfernen nicht um ein dauerhaftes Geschehen handeln kann, wie das πρὸς ὥραν (V. 15a) bestätigt.105 Auf die Analyse von Arzt-Grabner bauend lässt sich die theologische Bedeutung der Gegenüberstellung von πρὸς ὥραν mit αἰώνιον in V. 15b, die Arzt-Grabner noch zu wenig berücksichtigt, gewinnbringend einbeziehen. Der Rückbezug von V. 15 f. auf V. 10 f., welche die Christ-Werdung des Onesimus thematisieren, unterstützt die semiotische Betrachtungsweise der von Paulus verwendeten Begrifflichkeiten. Arzt-Grabners Theorie weiter gedacht, stellt Paulus das ἐχωρίσθη πρὸς ὥραν in V. 15a geschickt dem αἰώνιον in V. 15b gegenüber und hebt auf diese Weise den Status von Onesimus als erro und damit seine zeitliche Trennung von Philemon von der ewigen Verbindung der beiden aufgrund ihres religiösen Status als Christen ab. Dabei hebt er den rechtlichen Status von Onesimus keineswegs auf, aber gewichtet den religiösen Status stärker: Vielleicht war der Zweck bzw. das Ziel der Trennung ihrer beider Zu104 Vgl.

Arzt-Grabner, Phlm, 103–105; Arzt-Grabner, Erro, 136–140. bezieht sich mit der Formulierung von V. 15 als einem sich temporär vom Haus seines Herrn entfernenden Sklaven auf die Diktion bei Ulpian (vgl. Definition von Labeo, Dig. 21,1,17,14). 105 Arzt-Grabner

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sammenführung als Christen (vgl. V. 15), die nun von Philemon fordert, ihn wie einen geliebten Bruder aufzunehmen. Auf dieser argumentativen Grundlage erklärt die Theorie vom erro besser als die vom fugitivus, warum Onesimus sich an Paulus als Vermittler wendet: Als fugitivus strebt Onesimus keine Rückkehr zu seinem Herrn an. Als erro aber, vor allem wenn dieses Dasein als Ursache für den Konflikt angenommen wird, ist die Hinwendung des Onesimus zu Paulus plausibel, um zurückkehren zu können. Arzt-Grabner wertet den Brief sodann als ein Empfehlungsschreiben des Paulus an Philemon, den ihm entlaufenen Sklaven Onesimus wieder bei sich aufzunehmen. Dieses allerdings nicht – und das ist zu bedenken – im Sinne eines von Paulus gesetzten Rechtsaktes,106 der Übersendung eines flüchtigen Sklaven im Auftrag eines Präfekten, sondern im Sinne einer freiwilligen Rückkehr des Onesimus zu Philemon.107 Die Theorie vom erro schließt folglich die aktive Handlung, Paulus aufzusuchen, ein. Diese lässt sich allerdings textlich nicht verifizieren, was wiederum ein Problem aufwirft: Warum wendet sich Onesimus gerade an den sich mehrere Tagesmärsche weit entfernt in Ephesus befindenden Paulus? Die weite Reise und sein damit verbundenes Fortbleiben könnte bei Philemon vielmehr noch den Verdacht der Sklavenflucht erwecken, die harte Strafen nach sich zieht. Das muss auch Onesimus bewusst gewesen sein. Warum sucht er also nicht eine andere dem Philemon nahestehende Person auf, die sich in der Nähe befindet? An die Funktion des Paulus als Vermittler setzt die folgend vorgestellte Theorie von Paulus als amicus domini an. 3.5 Paulus als Amicus Domini Einen gänzlich anderen Ansatz als ihn die Theorien vom fugitivus und erro bieten, verfolgt Lampe. Anlass zur Diskussion um Pauli Funktion als amicus domini und die damit verbundene rechtliche Bewertung des unerlaubten Entfernens eines Sklaven aus dem Haus seines Herrn gab Lampes 1985 erschienener Aufsatz zur Sklavenflucht.108 Sein Ziel war die Falsifizierung der These, Onesimus 106 Zumal Paulus dies als einem Gefangenen (vgl. V. 10 und unter Berücksichtigung seiner Doppeldeutigkeit in V. 1) auch nicht möglich gewesen wäre. 107 Arzt-Grabners These umfasst jedoch mehr als die Rücksendung. Einzig bei ihm findet sich die Interpretation, Paulus habe dem Philemon vorgeschlagen, seinen Sklaven zukünftig nicht nur im Glauben als geliebten Bruder anzuerkennen, sondern ihn als „Geschäftspartner“ und Teilhaber (κοινωνός V. 17) zu behandeln. Dabei berücksichtigt er unter Rückgriff auf dokumentarische Papyri, dass es nicht zwingend unüblich war, bestimmten Sklaven einen gewissen wirtschaftlichen Handlungsspielraum (als Wirtschaft für den Herrn) zuzugestehen, der auch im Falle des Onesimus vorausgesetzt wäre [vgl. ders., Phlm, 230]. 108 Gegen Lampes Vorgehen, aber unter Berücksichtigung seines Ergebnisses, wendet sich Harrill, Jurists, 135 kritisch: „The first methodological question with this exegesis concerns the difficulty of making monlithic claims about Roman slave law.“ Er bemängelt: „This difficulty [einer Definition des fugitivus – Anm. S. B.] leads to a second, larger methodological

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sei ein fugitivus, wobei er sich  – wie zuvor erwähnt  – auf Rechtstexte von Proculus, Vivianus und Paulus dem Juristen stützte.109 V.a. der Hinweis auf die Epistulae von Plinius dem Jüngeren eröffnete ein neues Diskussionsfeld in der damaligen (und auch der heutigen) Forschung.110 In seinen Briefen an Sabinianus (vgl. Ep. IX 21.24) bittet Plinius in Fürsprache für dessen freigelassenen Sklaven darum, diesen – trotz eines begangenen Deliktes und trotz des Zornes, den dieses Delikt bei Sabinianus hervorgerufen hat, – wieder in seinen Haushalt aufzunehmen. Der Sklave habe reumütig seine Schuld erkannt und bitte nun ihn, Plinius, um Fürsprache (vgl. Ep. IX 21). Dass dieser Freigelassene daraufhin wieder in das Haus des Sabinianus zurückkehren konnte, belegt ein weiteres Schreiben des Plinius (vgl. Ep. IX 24).111 Lampes Grundannahme stützt sich nun auf besagtes Schreiben: Onesimus habe sich aufgrund eines Konflikts mit seinem Herrn aus dessen Haus entfernt (vgl. V. 18 f.), um einen Freund (seines Herrn) um Hilfe zu bitten.112 Dass V. 18 f. terminologisch deutlich der Geschäftssprache zuzurechnen ist (vgl. ὀφείλει/ τοῦτο ἐμοὶ ἐλλόγα, V. 18b–c; ἐγὼ ἀποτίσω V. 19b), bietet Lampe die Basis dafür zu schlussfolgern, dass Onesimus seinem Herrn einen materiellen Schaden zugefügt haben muss, der diesen ärgerlich gegen Onesimus gestimmt habe.113 Das schließlich sei der Auslöser für das unerlaubte, nur temporäre Entfernen des Onesimus gewesen. Es diene Onesimus dazu, sich angesichts des durch den materiellen Schaden entstandenen Konflikts an Paulus als Freund seines Herrn (amicus domini) zu wenden, um um dessen Fürsprache zu bitten. Eine Entfernung aus dem Haus des Herrn wäre Lampe zufolge also nicht als eine Flucht zu werten. Sie diene vielmehr dazu, durch Paulus Fürsprache Philemon milde zu stimmen, damit Onesimus in dessen Haus zurückkehren könnte, ohne eine Strafe fürchten zu müssen.114 question about the use of legal evidence in historical inquiry. Our access to the opinions of the various classical jurists is depend largely on the sixth-century Justinianic compilation, the Corpus Iuris Civilis“ [a. a. O., 136]. 109  Gegen Harrill, Jurists, 135–138. Bei einer Rückkehr des Sklaven in das Haus des Herren sprechen (so Harrill) die römischen Rechtstexte von einem erro [vgl. ebd., 135]. 110 Vgl. Lampe, Sklavenflucht, 135, Anm. 4. 111 Vgl. bereits den einleitenden Satz des Briefes: Bene fecisti quod libertum aliquando tibi carum reducentibus epistulis meis in domum in animum recepisti [verfügbar unter: Lateinheft. de, http://www.lateinheft.de/plinius-der-jungere/plinius-epistulae-%E2 %80 %93-liber-nonusepistula-24-ubersetzung/ Stand: 26. 03. ​2020]. 112 Vgl. Lampe, Phlm, 206. 113 Vgl. a. a. O., 224 f. 114 Bezüglich der in V. 19 vorliegenden Schuldverschreibung argumentiert Lampe, dass diese allen rechtlichen Anforderungen (vgl. Eigenhändigkeitsvermerk) entspreche, so dass Philemon den Brief als „juristische Verschreibung akzeptieren und mit diesem Dokument in der Hand alle Sachansprüche gegenüber Paulus geltend machen kann und gegebenenfalls einklagen [könnte]. Aber es ist deutlich, dass Paulus sich damit lächerlich gemacht hätte: So etwas tut man nicht gegenüber jemandem, dem man seine christliche Existenz verdankt. […] Unter dem Strich

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Die von Lampe als recht eindeutig gezeichnete Art des vorliegenden Konflikts ist m. E. allerdings weitaus weniger eindeutig. Das bestätigt auch ein Blick in die Kommentare zum Philemonbrief. So geht z. B. Gnilka von einem Diebstahl aus,115 den auch Lampe anzunehmen scheint, wenn er neutraler formuliert von einem materiellen Schaden spricht. Lüdemann zieht hingegen eine (unbestimmte) andere Straftat in Erwägung,116 während Wengst eine gänzlich andere Perspektive einnimmt. Letztgenannter sieht den Grund des Konfliktes im unerlaubten Entfernen von Onesimus. Dieses habe für Philemon zu einem (erheblichen) finanziellen Schaden durch den Ausfall seiner Arbeitskraft geführt. Die Einschätzung dessen (im Sinne einer Schädigung oder Schuld seines Sklaven) oblag aber Philemon.117 Von einem derartigen Schaden geht sodann auch Lohmeyer aus.118 Weiterhin ist zu bedenken, was Arzt-Grabner bezüglich des Vermerks erro in den Sklavenkaufverträgen nachweisen konnte,119 nämlich, dass sich durch das unerlaubte Verhalten des Onesimus im Falle eines Weiter- oder Wiederverkaufs auf dem Sklavenmarkt zugleich auch dessen Verkaufspreis mindert. Diese Bandbreite an Interpretationen für sich genommen verweist bereits auf die mit V. 18 verbundene Problematik, die auch Wolter wahrnimmt, wenn er davon ausgeht, dass Onesimus zwar eines Vergehens beschuldigt wird, sich selbst jedoch für unschuldig hält.120 Das Problem liegt in der syntaktisch-sprachlichen Gestaltung von V. 18 f. begründet: εἰ δέ τι ἠδίκησέν σε ἢ ὀφείλει, τοῦτο ἐμοὶ ἐλλόγα: 19ἐγὼ Παῦλος ἔγραψα τῇ ἐμῇ χειρί, ἐγὼ ἀποτίσω: ἵνα μὴ λέγω σοι ὅτι καὶ σεαυτόν μοι προσοφείλεις. Bereits V. 18a eröffnet das Problem durch die Formulierung εἰ δέ τι ἠδίκησέν σε. Während ἠδίκησέν (ἀδικέω = Unrecht tun bzw. Unrecht erleiden) eindeutig bleibt, daß Philemon seinen Ärger über den erlittenen materiellen Schaden herunterschlucken und auf Schadensersatz verzichten muss […]“ [Lampe, Phlm, 225]. 115 Vgl. Gnilka, Phlm, 84. Auch so Stuhlmacher, Phlm, 49, der von einem Diebstahl von Geld angesichts der geplanten Sklavenflucht des Onesimus ausgeht, während Paulus für den monetären Verlust angesichts der Abwesenheit des Sklaven sowie für die gestohlene Summe an Geld aufkommen möchte. 116 Vgl. Lüdemann, Paulus, 77. 117 Vgl. Wengst, Phlm, 33. 118 Vgl. Lohmeyer, Phlm, 190. 119 Vgl. Arzt-Grabner, Phlm, 103 f. Ebenso: Ebner, Philemonbrief, 402. Zum Sklavenkauf und den Sklavenkaufverträgen vgl. a. a. O., 89–96. 120 Vgl. Wolter, Phlm, 231 f.: „Wenn V 18 nicht einfach nur eine Schädigung Philemons durch den Arbeitsausfall seines Sklaven im Auge haben sollte, läßt sich aufgrund der Formulierung des Satzes erwägen, daß Onesimus im Hause seines Herrn eines Vergehens beschuldigt wurde, sich selber aber für unschuldig hielt und Paulus darum um Vermittlung bat. Der Wortlaut dieses Verses macht sichtbar, daß Paulus die Berechtigung der Anschuldigung für möglich hält (für mehr aber auch nicht); er räumt aber das Sachproblem aus der Welt, indem er großzügig anbietet, eventuelle Schadensersatzansprüche oder Forderungen Philemons an Onesimus aus eigener Tasche zu begleichen […].“ Ähnlich: Dunn, Phlm, 338.

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ein dem rechtlichen Bereich zuzuschreibender Terminus ist121 und im juridischen Zusammenhang auch mit der Bedeutung des „schuldig seins“ zu übersetzen ist, ist dieses rechtlich eindeutige Verb in einen konditionalen Satz eingebunden („Wenn aber irgendein Unrecht / etwas Unrechtes er dir getan hat“). Diese konditionale Formulierung im Zusammenhang mit dem unbestimmten Pronomen (τι [ἠδίκησέν]) lässt die rechtlich noch so eindeutige Terminierung ἠδίκησέν, die sich auch im (syntaktisch durch die Konjunktion „oder“ angeschlossenen) ὀφείλει122 zeigt, offen. Somit bleibt sie in V. 18 uneindeutig.123 Bezüglich des vielfach angenommenen Diebstahls – oder der von Lüdemann vertretenen These einer wie auch immer gearteten Straftat –, stellt Wengst deshalb zu Recht infrage: „Hätte dieser [Onesimus] einen Griff in die Kasse getan [oder eine sonstige Straftat begangen – Anm. S. B.], müsste Paulus dann nicht anders formulieren, nämlich nicht in einem Bedingungssatz, sondern feststellend?“124 Das syntaktisch durch die Konjunktion „oder“ angeschlossene ὀφείλει scheint allerdings zunächst auf eine geldliche Schuld hinzuweisen. Allerdings ist auch dies in den Konditionalsatz eingebunden und stellt neben eines möglichen, dem Philemon durch Onesimus zugetragenen Unrechts eine weitere Möglichkeit eines Schadens vor. Das ὀφείλει (schulden) zeigt bei näherer Betrachtung eher ein rechtliches Verhältnis auf 125 und weist noch nicht unmittelbar eine Schuld aus. Die Einbindung in einen Bedingungssatz in Phlm 18 unterstützt diese semiotische Betrachtungsweise. „Natürlich bedeutet das Schulden von Geld oder Sachwerten noch kein Unrecht, solange dieses Schuldverhältnis im vereinbarten Rahmen verläuft. Erst das Nicht-Zurückzahlen des Geschuldeten begründet einen rechtswidrigen Tatbestand und somit Unrecht.“126 Dem begegnet Paulus damit, dass er in V. 18c (τοῦτο ἐμοὶ ἐλλόγα) selbst als Bürge für einen etwaigen Schaden bzw. eine Schuld eintritt (und das mit Nachdruck im Imperativ).127 121 Vgl. Arzt-Grabner, Phlm, 234 f.: „Das Verb bringt dabei [im rechtlichen Zusammenhang – Anm. S. B.] zum Ausdruck, dass nach Meinung des Geschädigten jemand gegen ihn in rechtlich nicht gedeckter Weise vorgegangen ist.“ 122 Vgl. Arzt-Grabner, Phlm, 237 f. 123  Vgl. auch so: Wolter, Phlm, 275; Schenk, Phlm, 3475. Zum gleichen Ergebnis kommt auch Arzt-Grabner, Phlm, 236. Gegen Lampe, Phlm, 224. 124 Wengst, Phlm, 33. 125 Dieses deutet Arzt-Grabner in besonderer Weise aus, wenn er für ὀφείλω auf Grundlage von Belegen aus dokumentarischen Papyri eine mögliche verstärkte Deutung im Sinne eines „eigentlich schuldest du dich mir“ in Betracht zieht, das dann wiederum starke Auswirkungen auf die von Paulus ausgedrückten sozialen Beziehungen hätte. Denn so würde Paulus Philemon sich selbst gegenüber in den Rang eines Sklaven (gleich dem Onesimus gegenüber Philemon) setzen. Das wiederum steht jedoch in starker Spannung zu V. 18. Diesen will Arzt-Grabner darin aufgelöst wissen, dass er der Aufforderung an Philemon diene, Onesimus als Teilhaber und Partner in der Gemeinde zu empfangen. Diese bei Arzt-Grabner einzigartige Deutung ergibt sich aus der Analyse von κοινωνός in V. 17 [vgl. Arzt-Grabner, Phlm, 226–246]. 126 A. a. O., 237. 127 Hierzu bedient er sich ebenfalls Geschäftsterminologie, wenn er ἐλλογέω (V. 18c) verwendet und weiterhin in V. 19 sein Schreiben in einen Vertragsrang erhebt, indem er bekundet,

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D. h. also: Auch wenn Lampe sich nicht auf die in V. 18 formulierte (bloße) Möglichkeit beschränkt wissen möchte, so kann durch die verwendete Terminologie kein materieller Schaden bezeichnet werden, da sich dieser durch das Bedingungsgefüge relativiert. Sich auf diese Möglichkeit eines dem Philemon entstandenen Schadens oder einer Schuld stützend, gewinnt m. E. die These einer durch Onesimus Herumtreiben entstandenen Schuld bzw. eines Schadens im Rahmen seines Arbeitsausfalls an Raum. Die sowohl von Lohmeyer und perspektivisch leicht abweichend von Wengst vertretene Annahme ist von diesem Standpunkt aus folglich vertretbar: Eine eindeutige Bestimmung des Konflikts ist aus einer Analyse von V. (17.)18–19 und ihrem Kontext heraus – so sollte deutlich geworden sein – jedoch nicht möglich. Ein Konflikt  – und das bleibt Konsens  – ist es aber, der Onesimus dazu bewegt, sich nach Lampes These an Paulus als Freund seines Herrn (amicus domini) zu wenden. Lampe stützt sich hierbei auf die These Bellens, dass ein entlaufener Sklave, „der von selbst zu seinem Herrn zurückkehrte und Reue über seine Flucht zeigte, auf Nachsicht rechnen konnte [sic!], möchte der Herr sonst auch noch so grausam und unversöhnlich sein.“128 Ein Sklave, der sich ob eines Vergehens mit der Bitte um Fürsprache an einen amicus domini wendet, konnte mit der Nachsicht seines Herrn rechnen, um (vielleicht) straffrei in dessen Haus zurückkehren zu können. Lampe zufolge ist der Zweck des Briefes, Philemon zum Verzicht auf eine Bestrafung zu bewegen, indem Paulus für den entstandenen Schaden eintritt. Es sei an dieser Stelle noch einmal erwähnt, dass Lampe mithilfe der oben genannten Rechtsquellen aus dem 1.–3. Jahrhundert (Proculus, Vivianus, Paulus der Jurist) nachweisen konnte, dass das Aufsuchen eines so genannten amicus domini nicht als Flucht zu bezeichnen ist (vgl. Punkt 3.3 und 3.4).129 Das bestätigt auch Reinmuth: „Zwar ist die Entfernung vom Haus des Herrn illegal und solange auch gefährlich, bis das Ziel, diesen Freund zu finden, erreicht ist, doch ist dieses zweckgebundene, gezielte Entfernen nicht als Sklavenflucht misszuverstehen“.130 diesen mit eigener Hand verfasst zu haben (als Cheirographon) [vgl. Lampe, Phlm, 225]. ArztGrabner spricht hier von einem von Paulus gesetzten juristischen Akt [vgl. Arzt-Grabner, Phlm, 240 f.]. Zur damit verbundenen rhetorischen Geschicklichkeit, Philemon den Schaden Paulus nicht in Rechnung zu stellen, die an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden kann, vgl. u. a. Lampe, Phlm, 225. Anders: Arzt-Grabner, Phlm, 240–246. Anders auch: Dunn, Phlm, 339–341 (bes. 340). 128 Bellen, Studien, 18. 129 Vgl. Lampe, Sklavenflucht, 133–137. Gegen Harrill, Jurists, 135 f. 130 Vgl. Reinmuth, Phlm, 11 f. Entgegenzuhalten wäre hier jedoch, dass, wenn ein solcher Sklave gefasst wird, es im Ermessen seines Herrn liegt, sein unerlaubtes Entfernen als eine Sklavenflucht zu qualifizieren. Dabei ist nach Labeo die Dauer entscheidend. Spätere Juristen fokussierten auf den Aspekt der Absicht und strichen ihn aus ihren Definitionen, so dass die Bestimmung einer Sklavenflucht verschärft wurde [vgl. Gamauf, Erro, 277 f.].

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Lampes Annahme, Ziel des Briefes sei der Verzicht auf Strafe/Bestrafung durch die Fürsprache des amicus domini,131 muss hingegen für den Philemonbrief durchaus bedacht werden. Lampe hebt damit V. 18 angesichts der Frage eines entstandenen Schadens/einer Schuld ins Zentrum der Perikope. Zu bedenken ist zuerst einmal, dass V. 18 – sollte er der Skopus des Briefes sein – nicht von einer Strafe oder Bestrafung ausgeht. Es heißt dort vielmehr in V. 18a: εἰ δέ τι ἠδίκησέν σε ἢ ὀφείλει. Zentral sind die Begriffe ἠδίκησέν, das auf ein Unrecht hinweist, und ὀφείλει, das mit „jemandem etwas schulden“ wiederzugeben ist. Wie bereits zur Frage eines vorliegenden Konfliktes diskutiert, ist beides eingebettet in einen Konditionalsatz. Dieser zieht lediglich die Möglichkeit eines dem Philemon durch Onesimus entstandenen Unrechts bzw. einer Schuld in Betracht, zeigt aber keine Übernahme einer Strafe durch Paulus auf (V. 18c). Ebenso fehl geht die Annahme, V. 18 sei das Thema, d. h. das Zentrum im Sinne der Hauptintention des Briefes. Über die syntaktische Analyse ist festzustellen, dass der erste Imperativ des Briefs (als Aufforderung des Paulus an Philemon) in V. 17 zu finden ist: Εἰ οὖν με ἔχεις κοινωνόν, προσλαβοῦ αὐτὸν ὡς ἐμέ. Paulus weist Philemon an, Onesimus als κοινωνός, als (Geschäfts-) Partner oder Teilhaber, bei sich aufzunehmen.132 Dieses, so konstatiert Wolter folgerichtig, lässt sich nicht als ein Aufruf zum Verzicht auf eine Bestrafung interpretieren.133 Er steht vielmehr im Zusammenhang mit V. 16, der die Aufnahme des Onesimus durch Philemon nicht als seinen Sklaven, sondern als einen geliebten Bruder propagiert. V. 16 und V. 17 sind mit dem Bericht Paulus’ in V. 10 darüber in Verbindung zu setzen, dass Onesimus bei Paulus im Gefängnis zu einem Christen geworden ist. Und als einen Christen soll Philemon Onesimus (Paulus zufolge) aufnehmen, nämlich wie einen Bruder.134 Hierin liegt m. E. 131 Vgl.

Lampe, Sklavenflucht 137 und dessen Kritik bei Wolter, Phlm, 231. Roth, Paul, Philemon, and Onesimus, 102–130, die dieses infrage stellt [107] sowie zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt, nämlich, dass Paulus „co(owner)“ [128] von Onesimus ist und ihn deshalb für sich beanspruchen konnte, wobei sie keinen Widerspruch zur paulinischen Theologie sieht. Vielmehr kreiert der Brief „two communication layers at time“ [104]. D. h. für das paulinische Konzept der κοινωνία, dass „in this Pauline version of Christianity there was no ‚tension between the realities of slavery and the demands of brotherhood‘. [...] Slavery, understood as the polar opposite to citizenship, was equally irrelevant in this Christian endeavour. But, whilst slavery, like citizenship, was irrelevant in the new world order, it was the order of the ‚old‘ world, which acknowledged slavery, that allowed Paul a double coup: in his dealings with Philemon and Onesimus, Paul embraces the order of both this world and the next, creating parallel universes that, with regard to slavery, could only have been understood by non-Christians (and probably also by some fellow Christians) as an expression of a complete an unreserved acceptance of the slave system“ [128]. 133 Vgl. Wolter, Phlm, 231. 134 Wichtig festzuhalten ist an dieser Stelle, dass Paulus hier nicht das System der Sklaverei infrage stellt oder abgeschafft wissen will. Sklaverei war im Denken und in den gesellschaftspolitischen Strukturen seiner Zeit fest verankert und eine feste Institution. Es geht – so geht aus der obigen Analyse des Briefes samt seiner Vorgeschichte hervor – um die Gleichstellung des Onesimus in der Gemeinde (καὶ ἐν σαρκὶ, V. 16), weil er nämlich im Glauben vor dem Herrn 132 Gegen

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die Hauptaussage und das Ziel des Briefes.135 V. 18 ist dabei ein mit der Aufforderung des Paulus verbundener Nebenaspekt, um ein (möglicherweise) bei der Rückkehr des Onesimus entstehendes juristisches Problem schon im Vorfeld aus dem Weg zu räumen und Philemon von der Aufnahme des Onesimus als Bruder in dessen Hausgemeinde endgültig zu überzeugen. Die These Lampes stützt sich schließlich darauf, dass Onesimus zum Ziel hatte, sich aufgrund eines (materiellen) Schadens an Paulus zu wenden.136 Bliebe der Konflikt bestehen, so kann aus dem Kontext des Briefes ein klares Ziel des Onesimus, Paulus als amicus domini aufzusuchen, nicht mehr herausgelesen werden.137 Möglich wäre auch, dass Onesimus den Paulus (zufällig) getroffen hat oder, dass dieser aufgegriffen und festgesetzt wurde. Bei letztem stellt sich dann die Frage, wie Onesimus aus dem Gefängnis entkommen bzw. von Paulus aus dem Gefängnis heraus entsandt werden konnte. Abweichend von dem mit Lampe angenommenen materiellen Konflikt und abweichend von der von ihm festgesetzten Zielsetzung des Briefes lässt sich nach der Analyse von V. 11 und V. 18 die These, Onesimus habe Paulus aufgrund eines bestehenden Konfliktes als amicus domini aufgesucht, als wahrscheinlich annehmen. Unsicher bleibt, ob Onesimus wirklich das Ziel verfolgte, Paulus aufzusuchen oder ob dieser ihn nicht doch (zufällig) im Gefängnis getroffen hat. Dann ist allerdings anzufragen, ob von Paulus als amicus domini die Rede sein kann.

4. Abwägungen und Erwägungen Jede der zuvor diskutierten Theorien weist gewisse Probleme auf, die im Folgenden gegen ihre Vorzüge abgewogen werden, um der Rekonstruktion der möglichen historischen Wirklichkeit hinter dem Philemonbrief näher zu kommen. Die Auseinandersetzung mit der postkolonialen Perspektive Callahans fordert es, die über Jahrhunderte vertretene These von Onesimus als Sklaven neu zu Jesus Christus (καὶ ἐν κυρίῳ, V. 16) allen in der Hausgemeinde Glaubenden gleichgestellt ist. Dass das zwangsläufig Konsequenzen für den Alltag im Haushalt des Philemon hat, dem Onesimus angehört, bleibt unbestritten. 135 Eine interessante These zum Ziel des Briefes an Philemon bietet Arzt-Grabner, Phlm, 226–230. 136 Das setzt i.A. voraus, dass Paulus und Philemon (gut) miteinander bekannt waren und auch Onesimus Paulus getroffen hat. Diese Frage wird in der Forschung vielfach diskutiert, kann aber aufgrund des Briefkontextes nicht gänzlich ausgeräumt werden. V.a. das Präskript spricht u. a. in der Anrede des Philemon für eine solche Annahme. 137 Das Problem liegt auch darin, dass nicht bekannt ist, ob Onesimus in der Gemeinde des Philemon aufgenommen wurde. Alle Versuche, aus dem deuteropaulinischen Kolosserbrief, der den Onesimus erwähnt (vgl. Kol 4,7–9), ein Ergebnis abzuleiten, bleiben äußerst fraglich. Und auch der bei Ignatius von Antiochien (60 Jahre später) erwähnte Onesimus, kann kaum als jener aus dem Philemonbrief identifiziert werden.

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hinterfragen und zu prüfen. Der Versuch, ihn zu Philemons Bruder zu machen, kann einer kritischen Analyse schließlich aber nicht Stand halten. Der Philemonbrief deutet u. a. in V. 18 ein Abhängigkeitsverhältnis des Onesimus zu Philemon an, das das einer biologisch-brüderlichen Beziehung weithin übersteigt. Auch das Hauptargument, Philemon solle Onesimus der Anweisung des Paulus entsprechend als geliebten Bruder aufnehmen, erwies sich als auf der Textbasis nicht haltbar. Die Theorie scheitert schließlich an zu vielen Problemen, die sich mit ihr und für sie aus dem Text ergeben (s. Punkt 3.1). Ähnlich verhält es sich bei der von Winter und Ollrog vorgebrachten Theorie, Onesimus sei ein Delegierter, ein Gesandter der Hausgemeinde in Kolossä. Ihr Problem liegt jedoch im religiösen Status von Onesimus. Erst im Gefängnis bei Paulus zum Christen geworden (V. 10), ist es nicht plausibel, dass Onesimus als Delegierter, als Vertreter der Hausgemeinde zu Paulus entsandt wurde. Warum sollte die Hausgemeinde einen nichtchristlichen Sklaven entsenden? Selbst wenn Onesimus rechtlich seinem Herrn untersteht, ist nicht zu erklären, warum er als Nichtchrist die Interessen der Hausgemeinde bei und vor Paulus vertreten sollte. Anders läge der Fall, wenn Onesimus nicht von der Hausgemeinde, sondern von Philemon selbst (als Privatperson und Herr seines Sklaven) zu Paulus gesendet wurde, z. B. um eine Nachricht zu überbringen. Wenn Onesimus dann unerlaubt lange fern geblieben ist, so dass Philemon davon ausgehen musste, dass er ihm abhanden gekommen ist, ließe sich Paulus Anmerkung über eine etwaig entstandene Schuld in V. 18 erklären. Diese These entbehrt jedoch mit Ausnahme des genannten V. 18 jeglicher Textgrundlage und lässt sich nicht einsichtig machen. Was die These Winters etc. hingegen leistet, ist es, im Rahmen der Theorie das Aufsuchen Paulus’ verständlich zu machen, d. h. warum Onesimus eine weite Wegstrecke auf sich nimmt, um zu Paulus zu gelangen.138 Natürlich steht hier eine bewusste Handlung des Onesimus und kein zufälliges Zusammentreffen im Hintergrund. Ein Hinweis im Text selbst, der für eine der beiden Optionen spricht, findet sich nicht. Sicher ist, dass Onesimus Paulus im Gefängnis angetroffen hat, wo er zum Christen wurde (V. 10) und dass Paulus Onesimus zu Philemon zurückgeschickt hat (V. 12) und mit dem Brief Fürsprache für Onesimus betreffs seiner Aufnahme bei Philemon leistet (V. 16–18). An diesem letztgenannten Punkt scheitert schließlich auch die Theorie von Onesimus als fugitivus. Ist er ein flüchtiger Sklave, lässt sich zum einen nicht erklären, warum Paulus Onesimus wieder zu seinem Herrn zurückschickt, wo dieser doch harte Strafen zu erwarten hat. Zum anderen bleibt offen, warum dies nicht in einem im 1. Jahrhundert n. Chr. vorgesehenen und üblichen öffentlichen Rechtsakt geschieht. Noch problematischer wird es, wenn davon ausgegangen 138 Auch hier wird von der meist vertretenen Meinung ausgegangen, Paulus halte sich in Ephesus im Gefängnis auf und Onesimus gehöre zum Haushalt Philemons, dessen Gemeinde in Kolossä ansässig ist.

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wird, Onesimus habe Paulus gezielt aufgesucht. Selbst wenn der flüchtige Onesimus im Gefängnis festgesetzt wurde, dort zufällig auf Paulus traf und Paulus ihn zurückschickt: Warum formuliert dieser V. 18 einen Konditionalsatz? Letztlich verbleiben auch bei der fugitivus-Theorie zu viele Probleme. Trotzdem leistet sie einen wichtigen Beitrag, nämlich die – sofern möglich – rechtliche Fixierung der Kategorie fugitivus, aus deren weiterer Untersuchung eine neue rechtliche Kategorie erschlossen werden konnte: der erro, der Herumtreiber, der zeitlich begrenzt das Haus seines Herrn verlässt, um sich unerlaubt Freizeit zu verschaffen. Beide Kategorien sind in den Untersuchungen ArztGrabners zu den Sklavenkaufverträgen nachgewiesen. Durch das unerlaubte temporäre Entfernen des Sklaven entsteht seinem Herrn ein finanzieller Schaden mit dem Verlust der Arbeitskraft, so dass der erro, wenn in den Sklavenkaufverträgen vermerkt, dem Herrn zudem beim Verkauf einen minderen Verdienst einbringen kann. In Anwendung auf den Philemonbrief und unter besonderer Berücksichtigung der Beziehung von Philemon und Onesimus ließe sich das unerlaubte Entfernen von Onesimus und – sofern angenommen – das Aufsuchen von Paulus durch sein Dasein als erro begründen. M. E. ist der lange Weg, den Onesimus zurückgelegt hat, dann nur dadurch zu rechtfertigen, dass Onesimus Paulus bewusst aufgesucht hat. So gedacht wird auch V. 18 verständlich: Durch das ständige unerlaubte Entfernen ist Philemon ein finanzieller Schaden entstanden, der umso größer wird, wenn Onesimus Paulus aufsucht und dadurch länger als gewohnt fort bleibt. Zumindest rechnet Paulus in V. 18 mit einer entstandenen Schuld, die sich mit der Theorie vom erro über das Ausbleiben der Arbeitskraft erklären ließe. Erklären ließe sich zudem die Rücksendung von Onesimus an Philemon samt der Aufforderung um Nachsicht v. a., weil Onesimus im Gefängnis Christ geworden ist. Die temporäre Abwesenheit von Onesimus lässt sich aus V. 15 mit der Gegenüberstellung von „einst getrennt“ zu „ewig bei dir“ ableiten. Kritisch zu bedenken ist bei der von Arzt-Grabner vertretenen Theorie, dass er bei der Herleitung aus V. 15 der theologischen Ebene dieser paulinischen Aussage nicht genügend Beachtung schenkt. M. E. hebt Paulus durch diese Gegenüberstellung den Status von Onesimus als erro und damit seine zeitliche Trennung von Philemon von der ewigen Verbindung der beiden aufgrund ihres religiösen Status als Christen ab, ohne damit den rechtlichen Status zu negieren. Ihr beider Christsein fordert von Philemon vielmehr die (Wieder-)Aufnahme des Onesimus als einen geliebten Bruder (V. 16) unter Verzicht auf Strafen, die dem christlichen Ethos widersprechen würden. Der rechtliche Status wird hingegen nicht berührt. Paulus tritt so gesehen als Mittler und Fürsprecher des Onesimus auf. Das führt zur letzten vorgestellten Theorie von Paulus als amicus domini, die in Bezugnahme auf Lampe die These vom fugitivus infrage stellt und zugleich zu erklären versucht, warum Onesimus sich Paulus zuwendet und dieser in seiner Mittlerrolle für ihn eintritt. Lampe nimmt ausgehend von V. 18 eine ent-

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standene Schuld  – konkreter einen finanziellen Schaden  – des Onesimus vor Philemon als Grund dafür an, warum Onesimus Paulus aufsucht. Er soll als Freund Philemons Fürsprache für Onesimus halten. Dass Paulus und Philemon einander bekannt sind und Paulus auch die Hausgemeinde in Philemons Haus kennt, geht aus V. 1 f. hervor: Παῦλος δέσμιος Χριστοῦ Ἰησοῦ καὶ Τιμόθεος ὁ ἀδελφὸς Φιλήμονι τῷ ἀγαπητῷ καὶ συνεργῷ ἡμῶν 2καὶ Ἀπφίᾳ τῇ ἀδελφῇ καὶ Ἀρχίππῳ τῷ συστρατιώτῃ ἡμῶν καὶ τῇ κατ’ οἶκόν σου ἐκκλησίᾳ. So kann im Anschluss an die These Lampes angenommen werden, dass Onesimus Paulus gezielt aufsucht und dabei eine lange Strecke zurücklegt. Auch wenn dies illegal und gefährlich ist, gilt er nach der damaligen rechtlichen Definition nicht als flüchtiger Sklave, da er sich vom Haus des Herrn mit dem Ziel entfernt hat, zu diesem zurückzukehren. Das setzt aber einen konkreten Anlass voraus, den Lampe in der finanziellen Schuld sieht, die er aus V. 18 herausliest. Problematisch ist, dass Lampe V. 18 als Zentrum des Briefes festsetzt, was sich nach einer syntaktischen Analyse nicht halten lässt. Im Zentrum des Briefes stehen V. 16 und V. 17: Da Onesimus bei Paulus im Gefängnis zu einem Christen geworden ist, soll der Christ Philemon Onesimus wie einen Bruder aufnehmen. Mit V. 18 legt Paulus Fürsprache ein, um ein etwaig entstehendes Problem zwischen beiden schon im Vorfeld aus dem Weg zu räumen.139 Auch wenn sich Lampes Grundannahme einer in V. 18 begründet liegenden Schuld nicht gänzlich halten lässt, so gewinnt die Theorie vom amicus domini dadurch Gewicht, dass sie unter der Voraussetzung eines gezielten Aufsuchens Paulus’ nicht nur dessen Fürsprache erklären kann, sondern auch die lange Wegstrecke, die Onesimus dafür zurücklegen muss. Wenn Paulus sich in V. 16 für die Aufnahme von Onesimus wie eines geliebten Bruders gegenüber Philemon ausspricht, dann impliziert das m. E. eine möglicherweise finanzielle Schuld Onesimus’ gegenüber Philemon sowie die Notwendigkeit (s)einer Entlastung. Diese kann aber eben nicht in der Weise, wie Lampe es tut, aus V. 18 geschlossen werden. Mir erscheint es plausibler, diese mit Arzt-Grabner aus einem Verlust herzuleiten, der sich aus Onesimus temporärer Abwesenheit ergibt, aus seinem Dasein als erro. Im Folgenden möchte ich nach allen Abwägungen und Erwägungen eine Auswertung und meine Stellungnahme kurz darlegen.

5. Auswertung und Stellungnahme Aus dem Philemonbrief geht in Bezug auf das Beziehungsverhältnis von Onesimus und Philemon hervor  – und darüber gibt es in der Forschung Einigkeit  –, dass zwischen Philemon und Onesimus ein Konflikt bestanden hat. 139 Paulus appelliert also an ein christliches, auf dem Prinzip der Nächstenliebe basierendes Verhalten des Philemon, so dass hierin der Schwerpunkt des Briefes gesehen werden kann. Das bestätigt auch die syntaktische Analyse.

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Nach den vorangehenden Erwägungen ist m. E. die Annahme eines Konfliktes zwischen beiden wahrscheinlich, der darauf basiert, dass Onesimus sich unerlaubt „Freizeit“ von seinem Herrn verschafft hat. In Folge dessen ist Philemon ein (finanzieller) Schaden entstanden, der sich aus dem Verlust an Arbeitskraft ergibt, so dass der Auslöser des Konflikts in Onesimus Verhalten als erro zu suchen ist.140 In Ansehung der problematisierten Aspekte erscheint mir ein so begründeter Konflikt für eine Rekonstruktion der „historischen Wirklichkeit“ hinter dem Philemonbrief am wahrscheinlichsten. Dieser Ansatz erhält v. a. auch dann Gewicht, wenn davon ausgegangen wird, dass Onesimus Paulus gezielt aufgesucht hat. Selbst aber, wenn Onesimus zufällig (im Gefängnis) auf Paulus gestoßen ist, kann mit der Theorie vom erro plausibler als mit der Theorie vom fugitivus erklärt werden, warum eine Rückführung zu Philemon stattfindet. Angesichts des Konfliktes steht im Zentrum des Brief Paulus Fürsprache für den Sklaven Onesimus. Paulus tritt gegenüber Philemon für Onesimus ein (vgl. V. 12.15–17). Dieser Einsatz hat zum Ziel, dass Philemon seinen Sklaven, der im Gefängnis bei Paulus Christ geworden ist, als einen geliebten Bruder (vgl. V. 16), gar als κοινωνός (vgl. V. 17) bei sich aufnimmt. Paulus appelliert folglich an ein christliches, auf dem Prinzip der Nächstenliebe basierendes Verhalten des Philemon, so dass hierin der Schwerpunkt des Briefes gesehen werden kann. Das impliziert – unter der Annahme, dass Onesimus ein erro ist – dann auch, dass eine etwaige Bestrafung, die rechtlich bei Philemon als Onesimus Herrn liegt, entfällt bzw. Paulus fordert, ihm selbst diese anzulasten (V. 18). In dieser Rolle, die Paulus innerhalb des Briefes als Vermittler zwischen den ihm bekannten Personen Philemon (vgl. V. 1 f.) und Onesimus einnimmt, agiert er ganz im Sinne eines amicus domini. Auch wenn das eigentliche Ziel des Briefes nicht ist, eine Bestrafung des Onesimus zu verhindern – zumal von einer solchen nicht die Rede ist (vgl. V. 18) –, sondern sich eben seine Aufnahme als Bruder in die Hausgemeinde des Philemon zum Ziel setzt, so übernimmt Paulus die Funktion des Fürsprechers, des amicus domini. Dabei muss eingeräumt werden, dass fraglich bleibt, ob Onesimus sich wiederholt, aber nun mit dem Ziel aus dem Haus des Herrn entfernt hat, Paulus als Fürsprecher für sich zu gewinnen oder ob er ihn quasi zufällig getroffen hat. Letzteres ist meiner Meinung nach recht unwahrscheinlich, denn wie soll Onesimus zu Paulus ins Gefängnis gekommen sein (selbst bei erleichterten Haftbedingungen des Paulus), wenn er nicht selbst dort eingeliefert wurde? Zudem hat Onesimus eine derart weite Strecke zurückgelegt, dass unwahrscheinlich ist, dass er ziellos durch die Gegend lief. Und warum geht Paulus innerhalb seines 140 Harril, Jurists, 135 konstatiert bei seiner Kritik an Lampes Vorgehen (Sklavenflucht): Für Lampe war Onesimus, da er nicht in die Freiheit floh, sondern zu Paulus, um Fürsprache für irgendeine Missetat zu suchen, nur ein straffälliger erro und kein krimineller fugitivus [vgl. ebd.].

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Briefes darauf ein, dass Onesimus einst für Philemon unbrauchbar gewesen sei? Woher soll er das wissen, wenn nicht Onesimus Paulus selbst davon erzählt und ihn um Vermittlung gebeten hat. Eine solche Aussage wird von dem rhetorisch gewandten Paulus gewiss nicht bloß aufgrund eines Wortspiels mit dem Namen Onesimus getätigt, wenn sich dahinter nicht ein Argument verbirgt. Die Theorie von Paulus in der Funktion des amicus domini kann am plausibelsten erklären, warum Onesimus Paulus im Gefängnis getroffen hat. Sie setzt darüber hinaus einen Konflikt zwischen dem Sklaven und seinem Herrn voraus, der innerhalb des Briefes gut nachweisbar ist (vgl. V. 11.18) und sich über Onesimus Dasein als erro erklären lässt. Ich spreche mich deshalb für eine Verbindung der Theorien vom erro und vom amicus domini zur Rekonstruktion des Beziehungsverhältnisses von Onesimus, Philemon und Paulus aus. Der Grund liegt – um es nochmals deutlich zu benennen – darin, dass das Konstrukt sowohl den Konflikt zwischen Onesimus und Philemon als auch das Aufsuchen des Paulus und die Rückführung von Onesimus erklären kann. Auf diese Weise lassen zumindest einige der angesprochenen Probleme lösen, auch wenn dennoch nicht alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden können. Problematisch gestaltet sich bei einer Verbindung der Modelle – zugegebenermaßen – trotzdem die Entfernung zwischen der Hausgemeinde des Philemon, die in Kolossä vermutet wird, und dem Gefängnisaufenthalt des Paulus, für den Ephesus angenommen wird. Die Reisedauer zwischen beiden Orten beträgt in etwa eine Woche, was eine (zu) lange Reise für ein Gesuch voraussetzt. Das kritisierte Ebner zurecht für die von ihm präferierte Theorie vom amicus domini. Hierfür kann die Reiseroute nicht als derart lang angenommen werden.141 Das veranlasste ihn schließlich dazu, sich für Rom sowohl als Sitz der Hausgemeinschaft als auch des Gefängnisaufenthalts von Paulus auszusprechen. Unterstützt wird seine These durch das Syntagma in Phlm 9, das auf Paulus Alter verweist (ὡς Παῦλος πρεσβύτης). Doch lässt sich auch diese Annahme kritisch hinterfragen: Wie z. B. ist Philemon mit Paulus, der als Gefangener nach Rom gebracht wurde, in Kontakt getreten? Ebner liefert zu dieser Fragestellung ein umfassendes Denkmodell des Kennenlernens (auf der Schiffsreise nach Rom). Letztlich bleibt auch dieses Denkmodell hypothetisch und lässt sich am Text selbst nicht festmachen. Seine Rom-These als Abfassungsort bleibt zumindest in Erwägung zu ziehen, selbst wenn auch sie nicht alle der genannten Probleme zu lösen vermag. Die in diesem Beitrag forcierte Verbindung der Theorien vom erro und vom amicus domini würde der Vorschlag Ebners allerdings weithin stärken. Eine Verortung nach Rom als dem Ort der Gefangenschaft des Paulus und als dem Sitz der Hausgemeinde des Philemon könnte dann das Problem der räumlichen Distanz ausräumen. Das allerdings nicht, ohne weitere Probleme aufzuwerfen. Letztlich 141 Vgl.

Ebner, Phlm, 134 [Anm. 7].

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sind und bleiben die verschiedenen Theorien (notwendige!) Rekonstruktionsversuche einer historischen Wirklichkeit hinter dem Philemonbrief.

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Glauben, wenn es schwierig wird Beobachtungen zu (k)einem Schlüsselbegriff im 1. Petrusbrief vor dem paulinischen Hintergrund Eckart David Schmidt 1. Einleitung: Was ist klar an der Situation des 1 Petr? – und Themenstellung Nicht allzu viele der gängigen Einleitungsfragen zu 1 Petr lassen sich mit wünschenswerter Sicherheit beantworten, so dass sich für weitere Forschungsfragen und Untersuchungen zum Brief gut darauf aufbauen ließe. Zur These, dass es sich bei dem Brief um ein Pseudepigraphon handelt und der Autor damit nicht der Apostel Petrus ist, als der er sich ausgibt (1 Petr  1,1), findet sich in der Exegese zwar große Übereinstimmung,1 wer aber den Brief stattdessen verfasst hat, ist damit nicht geklärt.2 Die beiden häufigsten Antworten auf die Frage, wo der Brief verfasst wurde, Rom oder Kleinasien, scheinen sich mehr oder weniger im Gleichgewicht zu halten.3 Die Datierung des Briefes schließlich hat in letzter Zeit sogar noch eine Ausweitung erfahren: Während man hierfür lange Zeit die Regierungszeit des Kaisers Domitians (81–96) oder Trajans (98–117) annahm,4 1 In der amerikanischen Exegese mehren sich allerdings die Stimmen, die doch wieder für eine petrinische Autorschaft oder sein Diktat votieren, so jüngst in Jobes, 1 Petr, 5–19; Keener, 1 Petr, 8–16. 2  In der älteren Exegese hat man gelegentlich Silvanus als historischen Autor des Briefes betrachtet (vgl. 1 Petr  5,12), heute ist man dieser These gegenüber sehr zurückhaltend und konzediert ohne weitere Umschweife Unkenntnis der Verfasserschaft: „Der 1 Petr ist ein pseudepigraphisches Schreiben, bestimmt durch urchristliche Traditionen, die von ihrem Trägerkreis Petrus und Silvanus zugeschrieben wurden“ (Schnelle, Einleitung, 480). 3 Der Brief will in „Babylon“ verfasst sein (5,13), doch besteht keine Einigkeit darüber, ob diese Angabe eine Chiffre für Rom ist (so belegt etliche Male in apokalyptischer Literatur wie z. B. Apk  14,8; 16,19; 17,5 u. a., syrBar  11,1; 67,7; 4 Esr  3,1.28.31 u. a. m.) oder eine metaphorische Bezeichnung für das Leben der Verfasser (sowie ggf. auch der Adressaten) in einer als glaubensfeindlich wahrgenommenen Fremde. Für Rom als historischen Abfassungsort des Briefes votieren Elliott, 1 Petr, 131–134; Feldmeier, 1 Petr, 27 f.; Goppelt, 1 Petr, 65 f. Kleinasien präferieren hingegen Broer, Einleitung, 641–643 (mit der gebührenden Vorsicht); Pokorný/Heckel, Einleitung, 704 f. (sehr zögerlich und mit „immer noch […] besondere[m] Interesse an der Verbindung nach Rom“, ebd., 705); Schnelle, Einleitung, 480 f. Brox, 1 Petr, 42 f., bleibt mit guten Gründen ganz unentschieden. 4 Eine Datierung unter Domitian favorisieren (teils mit beträchtlicher Vorsicht) u. a. Feldmeier, 1 Petr, 26 f.; Pokorný/Heckel, Einleitung, 704; Schnelle, Einleitung, 481. Gop-

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hat M. Gielen unlängst sogar erst die Regierungszeit Hadrians (117–138) vorgeschlagen.5 Die Indizien für diese unterschiedlichen Entscheidungen sind allerdings in jedem Fall nicht viel mehr als induktiv: Die Einordnung des Briefes zu einer der genannten Regentschaften hängt maßgeblich davon ab, in welcher davon man die im Brief vorausgesetzte Situation von Anfeindung und Verfolgung am plausibelsten verortbar hält. Die Grenztermini werden überall gleich gesehen: Der terminus ante quem setzt sich zusammen aus 2 Petr, der 1 Petr voraussetzt (2 Petr 3,1), Zitaten und Anspielungen bei Polykarp, Phil 1,3; 2,1 f.; 5,3; 7,2; 8,1 f., sowie eine Notiz bei Eusebius, Hist. eccl. 3, 39, 17, nach der Papias 1 Petr gekannt haben soll. Alle diese Hinweise führen für die Abfassung des 1 Petr in die Mitte oder ans Ende des ersten Drittels des 2. Jahrhunderts n. Chr., also grob zwischen 130–150. Als terminus a quo stehen die in 1 Petr offenkundig als bekannt vorausgesetzten Traditionen – wenigstens – aus Paulus, Eph und Mt. Gegenfalls lässt sich auch die im Brief anklingende Gemeindestruktur (Charismenverfassung [1 Petr 4,10 f.] bei gleichzeitiger Presbyterialstruktur [5,1–4]) für Datierungsvermutungen heranziehen, doch empfiehlt sich hier aufgrund der wenig eindeutigen Angaben Zurückhaltung. Im Gegensatz zu diesen Unwägbarkeiten geht die Situation der Gemeinde aus dem Brief jedoch recht plastisch hervor. Der Brief richtet sich lt. der Aufzählung der Provinzen in 1,1 an Christen in einem enorm großen geographischen Gebiet, das fast ganz Kleinasien umfasst.6 Der Verfasser scheint sie vorwiegend als Heidenchristen zu betrachten (am deutlichsten 2,10; 3,6; 4,3; vielleicht auch 1,14.18; 2,25), obschon von Apg 2,9 sowie Philo, Legat. 281 her auch mit jüdischen Christusgläubigen in der Region zu rechnen ist.7 pelt, 1 Petr, 63–65, äußert sich offener („Der Brief setzt […] eine Situation voraus, wie sie grundsätzlich zwischen 65 und 90 ständig gegeben war“), datiert den Brief aber letztlich innerhalb der im Zitat genannten Zeitspanne eher früher, also wohl noch während der Regierungszeiten Neros (54–68), Vespasians (69–79) oder Titus (79–81). Ganz ähnliche Zeitspannen legen Elliott, 1 Petr, 134–138; Brox, 1 Petr, 40 f., (zwischen 70 und 100 n. Chr.) und Achtemeier, 1 Petr, 49 f., (zwischen 80 und 100 n. Chr.) vor. Eine Datierung unter Trajan hingegen nehmen an Koch, Geschichte, 477–479, (zum berühmten Briefwechsel zwischen Trajan und Plinius d. J., Statthalter von Pontus und Bithynien, ebd., 470–477) und Broer, Einleitung, 639–641 („am ehesten um die Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert n. Chr.“). 5 Gielen, Der erste Petrusbrief, 529 f. Ihre Indizien sind nicht von der Hand weisen; sie hat sie ausführlicher in dies., Kaiser Hadrian, ausgeführt. 6 Die einzigen kleinasiatischen Provinzen, die nicht genannt sind, sind die südlichen Gebiete Lykien, Pamphylien und Kilikien. 7 Dem widerspricht auch Guttenberger, „… nun aber Volk Gottes“, nicht, sieht für den Brief aber eine Situation, „in der eine Trennung von frühen Christen und Juden nicht einmal in den Blick genommen worden ist und eine Kommunikationssituation voraussetzt, in der die christliche Gemeinde als Bestandteil der jüdischen Bevölkerungsgruppe konstruiert wird“ (ebd., 117).

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Für unser Thema relevant ist, dass die Gemeinden offenkundig enormen Repressalien von außen ausgesetzt sind, so dass das Leiden um Christi Willen beinahe schon „als konstitutiver Bestandteil christlicher Existenz, [und] die natürliche Folge der Fremdlingschaft der Glaubenden in dieser Welt“ betrachtet wird.8 In keiner anderen neutestamentlichen Schrift tritt das Leiden aufgrund der Lebenssituation als Gläubige so prominent in den Vordergrund wie in 1 Petr, und nirgendwo wird es so stark auf die Mimesis Christi hin ausgedeutet wie hier (2,20–23; 13,17 f., 4,1 f.). Leiden und fremd sein in der Welt, πάσχειν und παρεπίδημοι, aber auch erwählt und geliebt sein, ἐκλεκτοί und ἀγαπητοί, sind die Parameter, die das Lebensgefühl der Gläubigen bestimmen.9 4,13–16 und wohl auch 3,14 weist darauf hin, dass die Konflikte, mit denen die Christen konfrontiert sind, nicht (nur) aufgrund ihres aus der Sicht des Verfassers rechtschaffenen, von der heidnischen Umwelt aber als anstößig betrachteten Verhaltens entstehen (der gesamte Abschnitt 2,11–25, aber auch 3,17 f.; 4,1 setzen dies wohl voraus), sondern aufgrund ihres Christseins an sich. 4,12 deutet das Leiden aufgrund dieser Konflikte als erwartbare Läuterung, derer man sich in Nachahmung Christi sogar freuen kann. In 3,16 sind bereits öffentliche Anklagen vorausgesetzt, die die Gläubigen zu „apologetischer Rede“ nutzen sollen.10 1,6 f.: Darin jubelt ihr, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es nötig ist, in mancherlei Versuchungen betrübt worden seid, 7 damit die Bewährung eures Glaubens viel kostbarer befunden wird als die des vergänglichen Goldes, das durch Feuer erprobt wird, zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi. 3,13–17: Und wer wird euch Böses tun, wenn ihr Eiferer des Guten geworden seid? 14 Aber wenn ihr auch leiden solltet um der Gerechtigkeit willen, glückselig ‹seid ihr›! Fürchtet aber nicht ihren Schrecken, seid auch nicht bestürzt, 15  sondern haltet den Herrn, den Christus, in euren Herzen heilig! Seid aber jederzeit bereit zur Verantwortung jedem gegenüber, der Rechenschaft von euch über die Hoffnung in euch fordert, 16 aber mit Sanftmut und Ehrerbietung! Und habt ein gutes Gewissen, damit die, welche euren guten Wandel in Christus verleumden, darin zuschanden werden, ‹worin› euch Übles nachgeredet wird. 17 Denn es ist besser, wenn der Wille Gottes es will, für Gutestun zu leiden als für Bösestun. 4,12–16: Geliebte, lasst euch durch das Feuer ‹der Verfolgung› unter euch, das euch zur Prüfung geschieht, nicht befremden, als begegne euch etwas Fremdes; 13 sondern freut euch, insoweit ihr der Leiden des Christus teilhaftig seid, damit ihr euch auch in der  8 Schnelle,

Einleitung, 482. zu dieser Situation in Elliott, 1 Petr, 97–103; Feldmeier, 1 Petr, 1–12; Guttenberger, Passio; Müller, Diaspora; Schneider, Fremde; die meisten Beiträgen in Söding (Hg.), Hoffnung (dort insbes. Weihs, Teilhabe), bis hin zu Schnelle, Einleitung, 482 f.490 f. 10 1 Petr 3,15 gilt daher v. a. in römisch-katholischer Provenienz bis heute als locus classicus zur Begründung einer christlichen Fundamentaltheologie, so z. B. Verweyen, Gottes letztes Wort, 37–49; Böttigheimer, Lehrbuch, 96–100; Wenzel, Offenbarung, 30.   9 Ausführlich

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Offenbarung seiner Herrlichkeit jubelnd freut! 14 Wenn ihr im Namen Christi geschmäht werdet, glückselig ‹seid ihr›! Denn der Geist der Herrlichkeit und Gottes ruht auf euch. 15 Denn niemand von euch leide als Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder als einer, der sich in fremde Sachen mischt; 16 wenn er aber als Christ ‹leidet›, schäme er sich nicht, sondern verherrliche Gott in diesem Namen. 5,10: Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus, er selbst wird ‹euch›, die ihr eine kurze Zeit gelitten habt, vollkommen machen, stärken, kräftigen, gründen.

Ebenso besteht in der Forschung grundsätzliche Einigkeit darüber, dass 1 Petr überdurchschnittlich viele intertextuelle Bezüge zum AT und anderen neutestamentlichen Schriften aufweist. Keine neutestamentliche Schrift zitiert das AT bzw. die LXX so häufig wie 1 Petr bzw. spielt auf seine/ihre Texte an.11 Was neutestamentliche Schriften anbelangt, wird die Kenntnis des Mt und Eph durch 1 Petr diskutiert,12 insbes. aber des Paulus, und bei ihm v. a. Röm. Die wesentlichen der in der Literatur genannten Parallelen sind folgende13: 1 Petr 1,14 1,22 2,2.5 2,4–10 2,13–17 2,24; 4,1 f. 3,8–11 3,16; 5,10.14 4,10 f. 4,13 5,14

Röm 12,2 12,9 12,1 9,25.32 f. 13,1–7 6,1–11 12,16–18 „in-Christus-Formel“ (häufig) 12,6 (auch 1 Kor 12,4.9.28 u. ö.) 8,17 16,16a (auch 1 Kor 16,20; 2 Kor 13,12a; 1 Thess 5,26)

Dazu kommen Anleihen im Briefformular (1 Petr 1,3 // 2 Kor 1,3), Aussagen zur Freiheit (1 Petr 2,16 // 1 Kor 9,19; Gal 5,13), Zentralbegriffe wie χάρις,14 δικαιοσύνη (1 Petr 2,24; 3,12.14.18; 4,18, allerdings weniger profiliert als bei Paulus), ἀποκάλυψις (nur 1 Petr 1,7.​ 13; 4,13), καλεῖν im spezifisch bekehrungstheologischen Sinne (1 Petr 1,15; 2,9.21; 3,9; 5,10), das Motiv der Erwählung (1 Petr 1,1; 2,9), u.U. auch die Nennung der Paulusmitarbeiter Silvanus 5,12 f. (vgl. 1 Thess 1,1; 2 Kor 1,19; 2 Thess 1,1; Apg 15,22.27.32.40; 16,19–25.29; 17,4.10.14 f.; 18,5) und Markus (vgl. Phlm  24; Kol  4,10; 2 Tim  4,11; Apg 12,12.25; 13,5.13; 15,37.39).

Die textlichen Berührungen sind, abgesehen von atl. Zitaten, allerdings nie im Ganzen wörtlich, ebenso werden in der Literatur immer wieder leicht von11 Vgl.

Achtemeier, 1 Petr, 12 f.; Elliott, 1 Petr, 12–17; Müller, Schrift. etwa Metzner, Rezeption; Schmidt, Gnade. 13 Zusammengestellt nach Achtemeier, 1 Petr, 16; Goppelt, 1 Petr, 49; Broer/Weidemann, Einleitung, 636; Konradt, Antipaulinismus, 555; Schnelle, Einleitung, 488; Zeller, „Tod […]“. 14 Vgl. nochmals in den Abschnitten 3.1 und 4. 12 Vgl.

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einander variierende Parallelstellen und Allusionen genannt, so dass in der 1 Petr-Forschung eine gewisse Übereinkunft erreicht worden ist, von 1 Petr die Kenntnis paulinischer Schriften (gewiss jedenfalls des Röm), aber keine literarische Abhängigkeit anzunehmen und ihn auch nicht zu einem Schreiben des Paulinismus zu rechnen.15 Gleichzeitig fehlen in 1 Petr bekanntermaßen Motive, die man für Paulus i. d. R. als zentral einschätzt wie die Gesetzesthematik, die Rede von der ἐκκλησία, dem „neuen Adam“ oder Formulierungen wie „mit Christus mitleiden, mitgekreuzigt-werden, mitsterben“ (selbst nicht in 4,13; 5,1, wo es gut passen würde).16 Ebenso ist 1 Petr weder historisch noch theologisch mit der Israel-Thematik befasst und vertritt eine andere Position zum Verhältnis zum Staat als Paulus. Brox fasst zusammen, „dass der Verfasser [von 1 Petr] in einer teils paulinisch eingefärbten Theologie ganz einfach lebt und spricht und zum guten Teil in deren Diktion oder ‚Systematik‘ sein Thema (Leiden – Hoffnung – Herrlichkeit) durchführt“.17 Angesichts dieses differenzierten Befundes ist es eine auffällige Leerstelle, dass das Motiv des Glaubens in diese Überlegungen bislang praktisch überhaupt nicht mit einbezogen worden ist. Lediglich Brox stellt apodiktisch fest, dass der πίστις-Begriff in 1 Petr „nirgends spezifisch paulinisch gefaßt“ sei.18 Diese Leerstelle ist auch mit Blick auf die 1 Petr-Forschung an sich zu beobachten. Zwar ist in den letzten Jahren eine stattliche Anzahl an großformatigen Monographien und Sammelbänden zu 1 Petr erschienen, die eine Vielzahl von Themen behandeln19 und durch etliche längere und kürzere Einzelstudien ergänzt werden.20 Gewisse Schwerpunkte der Forschung der letzten Jahre scheinen 15  Hierzu knapp Konradt, Antipaulinismus, 555. Insbesondere Herzer, Petrus, will 1 Petr – wohl zu sehr – aus der paulinistischen Klammer lösen. 16 Brox, 1 Petr, 49, rechnet zu diesen Motiven auch die Rede vom κύριος Christus und σάρξ, also wohl näherhin die σάρξ-πνεῦμα-Dichotomie. Die Rede vom κύριος Christus erscheint aber immerhin in 1,3 in übernommener Formel, sowie in 2,13; 3,15. In 1,25; 2,3; 3,12 bezieht sich κύριος auf Gott, in 3,6 auf Abraham; die σάρξ-πνεῦμα-Dichotomie scheint in 1 Petr 3,18 aufgegriffen zu sein (vielleicht auch in 4,1 f.). 17 Zur Thematik insgesamt vgl. Brox, 1 Petr, 47–51. 18 Brox, 1 Petr, 49. 19 Alkier (Hg.), Strategien, und Ebner/Häfner/Huber (Hg.), Der Erste Petrusbrief, sammeln schwerpunktmäßig Beiträge zur Soziologie und Identität der Christen in 1 Petr; Horrell, Becoming Christian, bietet Untersuchungen zu Einleitungsfragen und Fragen der Pseudepigraphie, der Kanonsgeschichte, dem sozio-ökonomischen und „ethnoracial“ Status der Briefadressaten sowie weiteren Einzelfragen zu 1 Petr. Söding (Hg.), Hoffnung, sammelt schwerpunktmäßig Beiträge zu an dogmatischen Loci ausgerichteten Untersuchungen (zur Soteriologie, Eschatologie, Ekklesiologie, Ethik, zur Funktion öffentlichen Bekenntnisses und der Leidensthematik). Müller, Fußspuren, bietet Beiträge zu einer Reihe von Einzelfragen zu 1 Petr sowie seinem weiteren thematischen Umfeld. Toit (Hg.), Bedrängnis, ist thematisch sehr breit aufgestellt. 20 Etwa zur Kanonsgeschichte (Horn, Kanonsgeschichte), Ekklesiologie (Horn, Christen in der Diaspora), Ethik (Horn, Gute Staatsbürger; ders., Missbrauch; Luther, Sprachethik, 171–186.422–428), gemeindlichem Leben (Popp, Kunst); Doxologie (Schmidt, Dienen), Traditionsgeschichte (Metzner, Rezeption; Sargent, Written), Emotionen (Hockey,

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dabei auf Fragen zur Identität der „Christen“ (1 Petr 4,16) als Diasporagläubige sowie einer Theologie bzw. Ethik des Leidens zu liegen.21 Doch trotz dieses beachtlichen Reichtums an jungen Publikationen zu 1 Petr ist speziell zum Glaubensbegriff kaum gearbeitet worden.22 Gewiss ist dieses Motiv vom Thema der Identität der Gläubigen kaum zu trennen, doch gerade angesichts der enormen Zentralität, die dieses Motiv bei Paulus spielt, und angesichts der Einmütigkeit, mit der die Kenntnis des Paulus – insbes. Röm – von 1 Petr akzeptiert ist, ist dies ein verwunderlicher Umstand. Wir werden uns in diesem Beitrag noch einmal kurz das paulinische Glaubensverständnis vergegenwärtigen (2.), diesem sodann dasjenige des 1 Petr gegenüberstellen (3.) und abschließend ein kurzes Resümee fassen (4.).

2. Hintergrund: Glaube bei Paulus Vielleicht ist Glaube ein abstraktes Thema. Paulus schreibt viel davon, erklärt aber nie definitorisch, was er damit eigentlich meint.23 Einmütigkeit besteht darin, dass Paulus zwar bereits auf Glaubensformeln zurückgreifen konnte,24 doch erst er den Begriff des Glaubens zu einem, ja zu dem Kernbegriff derjenigen Existenz gemacht hat, die durch Anerkennung des Todes und der Auferweckung/ Auferstehung Jesu zur Vergebung der Sünden zu neuem Leben/Rettung zum Ausdruck kommt. Immer wieder wird bis heute Bultmann zitiert, nach dem Paulus „den Begriff der πίστις in den Mittelpunkt der Theologie gestellt“ habe.25 Und auch ohne Rückgriff auf Bultmann formuliert etwa Schnelle: „Bei Paulus werden πίστις/πιστεύειν zur exklusiven Bezeichnung für das Christus‑ bzw. Gottesverhältnis und damit auch zu dem herausragenden Identitätsmerkmal“.26 Role), Narratologie und Rhetorik (Joseph, Reading; Schmidt, Mahnung), zu unterschiedlichen Aspekte der Einleitungsfragen und zur Pseudepigraphie (Horn, Why Peter?; Schmidt, Mahnung) u. a. m. 21 Neben Einzelbeiträgen in den in Anm. 19 genannten Sammelwerken (v. a. von Alkier, Ebner/Häfner/Huber, Horrell, Müller und Toit) verweise ich insbes. auf Guttenberger, Passio; Klein, Bewährung; LeRoux, Ethics; Williams, Good Works. 22 In kürzeren Gesamtüberblicken über ntl. Glaubensverständnisse, wie Horn, Glaube, oder Schnelle, Glaube, bleibt 1 Petr vollkommen ausgespart. Dasselbe gilt aber sogar für das große „Kompendium zur Rede vom Glauben im Neuen Testament“ Frey/ Schliesser/Ueberschaer (Hg.), Glaube, wo ebenfalls kein Beitrag zu 1 Petr aufgenommen ist. Die einzige spezifische Publikation zum genannten Thema scheint der nicht prominent publizierte und auch kaum rezipierte Aufsatz Martin, Faith, zu sein. 23 Im Gegensatz zum vielzitierten Satz aus Hebr 11,1: „Der Glaube aber ist eine Wirklichkeit dessen, was man hofft, ein Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.“ 24 Z. B. Schnelle, Paulus, 568. 25 Bultmann, Art. πιστεύω κτλ., 218, zitiert u. a. in Horn, Glaube, 45; Schliesser, Faith, 16 (auf englisch); vgl. inhaltlich genauso auch Schnelle, Paulus, 567 f.; Wolter, Wirklichkeit, 349–355. 26 Schnelle, Paulus, 568 (Hervorhebung original).

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Bei Paulus werden die „Christen“ (für die Paulus noch keinen eigenen Begriff hat) lapidar und absolut zu den οἱ πιστεύοντες, den Glaubenden, (1 Thess 1,7; 2,10.13; 1 Kor  1,21; 14,22 u.v.m.) oder οἱ ἐκ πίστεως, denen aus Glauben, (Gal 3,7.9 u. a.). Es geht Paulus bei dieser Titulierung also nicht darum, dass diese „Christen“ etwas Bestimmtes glauben, wohingegen Juden oder Hellenen etwas anderes glauben. Die „Nichtchristen“ glauben gar nicht. Glaube ist absolut und steht nicht gegenüber einem anderen Glauben, sondern gegenüber dem Unglauben (z. B. 1 Kor 6,6; 10,27; 14,23 f.; 2 Kor 4,4; 6,14).27 Trotz dieser Zentralität gilt: „Most references to faith in Paul fail to mention the orientation or content of faith. Already in his earliest correspondence he uses the term πίστις several times without further clarification“.28 Es ist daher i.w. eine Konstruktionsaufgabe für Paulusforscher und ‑forscherinnen, den paulinischen Glaubensbegriffs auf den Punkt zu bringen.29 Für Bultmann war der primäre Aspekt des paulinischen Glaubensverständnisses die ὑπακοή, der Glaubensakt als Glaubensgehorsam.30 Er begründet dies mit der existentialtheologisch gedachten Einsicht, „daß die Botschaft, die die Anerkennung des Gekreuzigten als des κύριος fordert, vom Menschen die Preisgabe seines bisherigen Selbstverständnisses, die Umkehrung seiner bisherigen Willensausrichtung verlangt“.31 Und: „Als das Verhältnis des Menschen zu Gott bestimmt die πίστις auch das Verhältnis des Menschen zu sich selbst; denn menschliches Sein ist ja ein Sein im Verhalten zu sich selbst  […] Die πίστις ist die Annahme des Kerygmas nicht als bloße Kenntnisnahme und Zustimmung, sondern als der echte Gehorsam, der ein neues Selbstverständnis einschließt“.32

Etwas Inhaltliches über den Glauben ist damit auch schon gesagt, nämlich „die Anerkennung des Gekreuzigten als des κύριος“. Gleich zum zweiten Aspekt des paulinischen Glaubensverständnisses macht Bultmann daher auch die ὁμολογία, das Bekenntnis, das sich immer auf einen Gegenstand beziehe, hier auf Gottes Heilstat in Christus (Röm 10,9: „[…] dass, wenn du mit deinem Mund Jesus als Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn aus den Toten auferweckt hat, du gerettet werden wirst“). „In der ὁμολογία wendet sich der Glaubende von sich selbst weg und bekennt Jesus Christus als seinen Herrn, 27 Vgl.

pointiert Wolter, Wirklichkeit, 349. Faith, 18. 29 Solcher einigermaßen konzisen Zusammenfassungen gibt es gegenwärtig zahlreiche, etwa Horn, Glaube, 45–53; Klein, Aspekte; Schnelle, Paulus, 567–577; Schliesser, Faith, 16–23; Wolter, Paulus, 72–96; ders., Glaube; aber auch Bultmann, Theologie, 315–331; ders., Art. πίστις κτλ., 218–220. 30 Vgl. z. B. die Parallele Röm 1,8 („[…] dass euer Glaube verkündet wird in der ganzen Welt“) par. 16,19 („Denn ⟨die Kunde von⟩ eurem Gehorsam ist zu allen gekommen“). Zum folgenden Bultmann, Theologie, 315–324. 31 Bultmann, Theologie, 316. 32 Bultmann, Theologie, 324. 28 Schliesser,

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und das heißt zugleich: er bekennt, daß er alles, was er ist und hat, durch das ist und hat, was Gott in Christus getan hat“.33 Dadurch entstehe sogleich eine Verbindung zwischen Glauben und der eschatologischen ἐλπίς, der Hoffnung (z. B. Gal  5,5). Ganz in der Rhetorik Heideggers führt er aus: πιστεύειν „ist zur gegenwärtigen Möglichkeit geworden […] ihre Gegenwärtigkeit [ist] kein zeitlicher und als solcher vergänglicher Zustand. Sondern ihre Gegenwärtigkeit ist die eschatologische“.34 Der ἐλπίς korrespondiert für Bultmann aber auch der φόβος, die Furcht (z. B. 2 Kor 5,11): Der Glaubende ist sich selbst enthoben und steht damit völlig ungesichert vor dem Blick auf die Angewiesenheit auf die χάρις, die Gnade Gottes, der aber gleichzeitig sein Richter ist, dem er jedoch wiederum vollständig vertrauen kann (z. B. 2 Kor 3,4 i. V. m. 3,12). Und damit schließt sich der Kreis, denn das „Vertrauen auf Gott in radikalem Sinne ist ja nichts anderes als die völlige Hingabe eigener Sorgen und Kraft an Gott, also der Gehorsam des Glaubens“.35 Gehorsam: Anerkennung des Gekreuzigten als kyrios als wirklichkeitsbestimmendes Ereignis (z. B. Röm 1,8 par. 16,19)

Vertrauen: Hingabe eigener Sorgen und Kraft an Gott (z. B. 2 Kor 3,4 i. V.m. 3,12)

Bekenntnis: Glaube bezieht sich inhaltlich auf das Evangelium Christi (z. B. 1 Thess 4,1; Röm 4,24 f.)

Ethik: Glaube ist Gegenstand des konkreten Lebens (z. B. 2 Kor 1,5; 4,10) Furcht: Der/die Glaubende steht ungesichert vor der χάρις Gottes, der aber sein Richter ist (z. B. 2 Kor 5,11)

Hoffnung: Glaube ist kein zeitlicher Zustand, sondern ­verbindet mit dem Eschaton (z. B.Gal 5,5)

Das mit diesen fünf Begriffen (Gehorsam, Bekenntnis, Hoffnung, Furcht, Vertrauen) umschriebene Wesen des Glaubens bleibt aber nicht nur abstrakt, sondern äußert sich im konkreten Leben des Gläubigen.36 Der Gläubige betrachtet von nun an seine gesamte Lebensbewegung als πιστεύων, die in der χάρις gründet, in der ἀγάπη wirksam ist und in der γνῶσις und der σοφία (z. B. Röm 6,3.11) zur „sittlichen Reife“ wächst (1 Kor 3,1–3). In diesem Sinne deutet Bultmann dann zuletzt auch die ἐν Χριστῷ Formel sowie die Rede vom σῶμα Χριστοῦ nicht nur im ekklesiologischen oder eschatologischen Sinne, sondern im Sinne des „geschichtlichen Lebens des Glaubenden“. Für diesen Zusammenhang zitiert er 33 Bultmann, Art.

πιστεύω κτλ., 218; auch ders., Theologie, 320. Theologie, 320. 35 Bultmann, Theologie, 323. 36 Zum folgenden Bultmann, Theologie, 324–331. 34 Bultmann,

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u. a. Phil 3,10 („Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinen Leiden, indem ich seinem Tod gleich gestaltet werde“) und verweist auf 2 Kor 1,5 („Wie uns nämlich die Leiden Christi überreich zuteilgeworden sind, so wird uns durch Christus auch überreicher Trost zuteil.“) und 4,10 („Immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird.“). Dieses Konzept so geschlossen gedacht und dargestellt zu haben, ist fraglos ein großartige Leistung Bultmanns – der sich unter den heutigen Exegeten und Exegetinnen keiner mehr so recht anschließen will. Die sehr systematische Darstellung widerspricht der heutigen Einsicht in die Situativität der paulinischen Einzelbriefe,37 der Einstieg in das gesamte Denken ist deutlich der Existenzialphilosophie der 1920er bis 1950er Jahre verpflichtet. Dennoch: Nicht nur Einzelelemente dieser Systematik, sondern sogar ganze Sequenzen wiederholen sich durchaus auch in heutigen Darstellungen zum paulinischen Glaubensbegriff. Anderen Elementen freilich wird ausdrücklich widersprochen. Zweifellos etwa klingt die Formulierung von der „Preisgabe seines [des gläubigen Menschen] bisherigen Selbstverständnisses, die Umkehrung seiner bisherigen Willensausrichtung“ typisch Bultmann’sch. Aber den Aspekt der erneuerten Wirklichkeitsgewissheit im Glauben in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit Gottes führt auch Wolter ausführlich dar  – in anderer Diktion freilich. Inhaltlicher Kopf dieser Wirklichkeitsgewissheit bestehe in der Anerkenntnis der Auferstehung Jesu.38 Ihr zweiter „Kristallisationspunkt“ bestehe aber in der Gewissheit, dass Gott „mit der Offenbarung seines Heils durch Jesus Christus eine neue Wirklichkeit geschaffen hat, in der [der Glaube selbst …] die Identität eines Menschen konstituier[t]“.39 Der glaubende Mensch habe also erkannt: „Denn in Christus Jesus vermag weder die Beschneidung noch die Unbeschnittenheit etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe wirkt“ (Gal 5,6; vgl. auch Phlm 15 f.; 2 Kor 5,14–17; Gal 2,19 f.). Die völlig kompromisslos christologisch-soteriologische Dimension des Inhaltes des Glaubens, die bei Bultmann quasi nur als Überschrift in die Rubrik der ὁμολογία aufgenommen ist, teilen sämtliche Paulusautoren. Und aus gutem Grund: Immer wieder greift Paulus Formeln auf, die mehr oder weniger genau diese Überzeugung wiederholen; die Inhalte des Glaubens und des Evangeliums entsprechen sich. 37 Die Probleme von Kontingenz und Kohärenz, die sich aus der spezifischen Form des paulinischen Schrifttums ergeben, hat Theobald, Kontingenz und Kohärenz, knapp zusammengefasst. Als Extrembeispiel, die paulinischen Briefe sehr disparat zu betrachten, wird gerne auf Räisänen, Paul and the Law, verwiesen. 38 Vgl. Wolter, Paulus, 86–88. 39 Wolter, Paulus, 88 f.; zum Ganzen ebd., 88–96; ders., Glaube 346 f.; ders., Wirklichkeit, 359–363.

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1 Thess 4,14: „Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, […]“ Röm  4,24 f.: „[…] die wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, aus den Toten auferweckt hat, 25 der unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist.“ Röm 10,9: „[…] dass, wenn du mit deinem Mund Jesus als Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn aus den Toten auferweckt hat, du gerettet werden wirst.“

Je nach theologischer Überzeugung und/oder Einschätzung des paulinischen Denkens wird diese christologische Ausrichtung des paulinischen Glaubensbegriffs dann noch stärker in Richtung einer „Rechtfertigungslehre“ ausgezogen. Schliesser etwa nennt zwar eine ganze Reihe von Begriffskombinationen, die die Debatte um das paulinische Glaubensverständnis in der Vergangenheit angeregt hätten – das Wort, Gehorsam, Christus, Taufe, den Heiligen Geist –,40 führt dann aber selbst doch sehr dominant den christologisch-soteriologischen Bezug des Glaubens aus,41 zu dem er auch Ausführungen zum Glauben Abrahams anführt. Aspekte wie das Ethos der Gläubigen als Gehorsam gegen Gott42 fallen demgegenüber kürzer aus. In Horns Darstellung  – so möchte ich meinen  – erscheint diese Tendenz fast noch verstärkt: Er wählt als ersten „Gedankenkreis“, in dem Paulus seinen Glaubensbegriff profiliert habe, die Gegenüberstellung von Glaube an Jesus Christus43 und Gerechtigkeit durch Werke des Gesetzes.44 Die zentralen Belegstellen hierfür sind bekanntermaßen Gal 2,16 und Röm 3,28. Man muss hierzu keinesfalls die Debatte führen, wie sich Paulus diese Alternative genau vorstellt und welchen Begriff von „Gerechtigkeit durch Werke des Gesetzes“ er dabei hat.45 Wesentlich an dieser Stelle ist, dass für Horn Paulus den „Glauben an Christus“ zum Schlüssel macht, den Hellenen den Weg zum Heilsraum Gottes

40 Schliesser,

Faith, 17 (Lit.!).  „In Paul, faith ranks as a soteriological and sociological particula exclusiva“ (Schliesser, Faith, 20). 42 „The ethos of faith corresponds with an ethic of faith. Faith is not an end in itself, but includes a responsive element and goes hand in hand with obedience“ (Schliesser, Faith, 22). 43 Zur bekannten Debatte, ob die Verbindung πίστις Ἰησοῦ Χριστοῦ als Genitivus subjectivus vs. Genitivus objectivus aufzulösen sei, Horn, Glaube, 52 f. (ohne eigene Positionierung, s. aber Lit.!); Schnelle, Glaube, 281 f. (starke Tendenz zu Gen. obj.); Schumacher, Entstehung, 304–473 (Gen. subj. mit dem Menschen als Bezugsgröße, gemeint sei also Jesus in seiner zuverlässigen Zuwendung gegenüber dem gläubigen Menschen); Wolter, Paulus, 76–78; ders., Glaube, 343–345 (weder Gen. subj. noch obj., sondern Gen. qualitatis). 44 Vgl. Horn, Glaube, 48–50. 45 Hierzu hat die New Perspective on Paul ganz Entscheidendes geleistet und die sog. paulinische Rechtfertigungslehre v. a. in Lutherischer Prägung aus einer immer leicht antijudaistischen Klammer zu lösen versucht. Als Grundinformation zur New Perspective bieten sich z. B. an Bachmann, „The New Perspective on Paul“; Dunn, Romans 1–8, lxiii–lxxii; ders., The New Perspective on Paul; Frey, Judentum, 55–63. 41

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zu eröffnen (so dann auch Röm 1,16 f.), und ähnlich wie Schliesser führt auch Horn anschließend das Beispiel Abraham an.46 Als weiteren Aspekt betont ebenso wie Bultmann auch Schnelle, dass Glaube nur dann Glaube ist, wenn er bekannt wird. Er zieht diese Einsicht aber recht anders aus als der Marburger: Während Bultmann das Bekennen weitgehend existentialtheologisch deutet, verbindet Schnelle die ὁμολογία stärker (allerdings nicht im Widerspruch zu Bultmann) mit Glaubensinhalten: „Glaubensinhalt und Glaubensbeziehung [sind] nicht zu trennen“.47 Folgerichtig führt ihn dieser Gedanke auch zum Inhalt des Glaubens, den er  – unauffällig genug  – in der „Auferweckung Jesu Christi von den Toten“ sieht (mit Verweis auf 1 Thess 4,4; 1 Kor  15,14).48 Und: „Jesus Christus ist gleichermaßen der Auslöser und der Inhalt des Glaubens.“ Der unmittelbar anschließende Satz klingt allerdings wie eine regelrechte Korrektur der Position Bultmanns: „Zentrum des Glaubens ist somit nicht der Glaubende, sondern der Geglaubte.“49 Im expliziten Widerspruch zu Bultmann führt Schnelle dann den Geschenkcharakter der πίστις, ihre Unverdientheit aus:50 Der Glaube bei Paulus sei eine „rettende[] und lebensspendende[] Kraft und Gabe Gottes“ und also gerade keine „freie Tat der Entscheidung“ wie bei Bultmann.51 Es sei immer Gottes zuvorkommendes Handeln, das Glauben ermöglicht: „Wer glaubt, hat immer schon zu glauben angefangen und führt den Glauben auf Gott zurück“ (1 Kor 2,5).52 Natürlich ist Bultmanns Einschätzung des paulinischen Glaubensbegriffs der anthropozentrischen Ausrichtung seiner gesamten Theologie geschuldet. Dass Schnelle hier anders denkt und stärker den Geschenkcharakter der πίστις betont, ist allerdings m. E. ein Scheinwiderspruch: Schnelle unterschätzt die χάρις im Kontext von Bultmanns Interpretation des paulinischen Glaubensverständnis sowie insgesamt die theologische Komplexität seiner vermeintlichen Anthropozentrik.

Wolters Position zum Woher des Glaubens bei Paulus setzt nochmals einen anderen Akzent: Er kann nicht erkennen, dass Paulus die Frage nach der Entstehung des Glaubens überhaupt je thematisiert. Versuche, aus den Paulusbriefen eine Antwort auf diese Frage zu beziehen, seien „von dem deutlich erkennbaren Interesse geleitet, die paulinische Theologie in ein dogmatisch kohärentes Lehrsystem einzupassen“.53 Lediglich der Unglaube werde von Paulus an zwei 46 Vgl.

Horn, Glaube, 51. Paulus, 573; ders., Glaube, 279 f. 48 Schnelle, Paulus, 573. 49 Schnelle, Glaube, 278. 50 Vgl. Schnelle, Paulus, 573 f.; ders., Glaube, 278 f. 51 Schnelle, Glaube, 278. 52 Schnelle, Paulus, 570. 53 Wolter, Paulus, 79, zum Ganzen ebd., 79–81.91 („Wodurch diese Veränderung zustande kommt, lässt Paulus offen; von der Taufe oder vom Geist ist hier jedenfalls weit und breit nicht die Rede“). 47 Schnelle,

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Stellen auf einen Ursprung zurückgeführt, nämlich im Falle von Israel auf Gott (Röm 11,7–10 [V. 8!]) und im Falle der Heiden auf den „Gott dieser Welt“, also den Teufel (2 Kor 4,3 f.).54 Ein letzter Glaubensaspekt, der eigentlich keinem Paulusautor entgeht, ist der der Ethik oder des Ethos. Es will mir scheinen, dass dieser Aspekt besonders bei Wolter in den Vordergrund gerückt wird. Er stellt diesen Aspekt dem Glauben als „Wirklichkeitsgewissheit“ sogar noch vor (also genau anders als Bultmann).55 Diesem „Glauben als Ethos“ ordnet Wolter alles zu, was der christlichen Lebensorientierung dient. Dazu zählt er die soziale Dimension, die dadurch entsteht, dass die Glaubenden nun eine eigene Gemeinschaft bilden, sprachlich angezeigt durch die absolute Bezeichnung der Angesprochenen als οἱ πιστεύοντες, die Glaubenden, oder οἱ ἐκ πίστεως, die aus Glauben:56 „[D]er Christus-Glaube fungiert bei Paulus sowohl als ‚identity marker‘ wie auch als ‚boundary marker‘: Er ist das, was die Minderheit der Christen gemeinsam hat und was sie miteinander verbindet, und er markiert gleichzeitig den alles entscheidenden Unterschied zwischen ihnen und der nichtchristlichen Mehrheitsgesellschaft“.57

Zusätzlich sieht aber auch Wolter, dass Paulus den Glauben als ein Tun erscheinen lassen kann – und verbindet diesen Aspekt – wie auch Bultmann und Schliesser – mit dem Gehorsamsbegriff (Röm 1,5; 10,16) – nur eben längst nicht so prominent wie ersterer. Und genau diesen Aspekt kann man schließlich bei Schnelle beobachten, der ebenfalls den Begriff des Gehorsams einführt, um das Verhältnis von Glaube zu Ethik zu verdeutlichen. Er betont zusätzlich die Verbindung von Glaube und Gesetz sowie Glaube in seiner heilsgeschichtlichen, überindividuellen Dimension.58 Einen etwas eigenen Zugang zum Ethosaspekt des Glaubens bei Paulus legt schließlich Horn durch seine Exemplifizierung anhand der Trias ‚Glaube, Hoffnung, Liebe‘: „Glaube kann geradezu als christlicher Lebensstil angesprochen werden (1 Thess  1,8; 3,5 f.; 2 Kor  1,24; Röm  1,8), der sowohl um Wachstum (2 Kor 10,15) als auch um Zweifel (Röm 14,1) weiß“.59 Was lässt sich nach diesem Durchgang zusammenfassen? Alle Autoren sind sich einig, dass der Glaubensbegriff bei Paulus ein überaus zentraler ist, der die Wirklichkeit des Christlichen (um hier noch einmal diesen Anachronismus zu bemühen) möglichst umfassend beschreiben soll. Sie sind sich einig, dass die inhaltliche Ausrichtung des Glaubensbegriffs unmissverständlich christologisch-soteriologisch ist. Schliesser und Horn mögen diese Ausrichtung stärker 54 Vgl.

Wolter, Paulus, 81 f.; ders., Wirklichkeit, 352 f. Wolter, Paulus, 82–86; ders., Wirklichkeit, 355–359. 56 S.o. Anm. 27. 57 Wolter, Paulus, 83 (Hervorhebungen original). 58 Vgl. Schnelle, Glaube, 280 f. 59 Horn, Glaube, 52. 55 Vgl.

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rechtfertigungstheologisch pointieren, Bultmann stärker existentialtheologisch, aber dies sind Unterschiede in der Einschätzung oder Versprachlichung der paulinischen Theologie insgesamt, die sich dann sekundär auf die Ausformulierung speziell des Glaubensbegriffs auswirken: Einig sind sich alle, dass Paulus mit dem Glaubensbegriff die Einsicht ausdrücken möchte, dass in der Anerkenntnis von Christi Tod und Auferstehung Rettung/eine neue Schöpfung für die Glaubenden liegt. Ebenfalls einig sind sich die Autoren darin, dass diese Einsicht keine rein kognitive Leistung ist, sondern eine, die das gesamte Ethos des Menschen umfasst. Dass der Gehorsamsbegriff hier hingehört, ist wiederum unstrittig; Unterschiede gibt es lediglich in der Gewichtung (bei Bultmann: stark; bei Wolter, Schliesser und Schnelle: schwächer). Deutlich unterschiedlich  –  zumindest den Formulierungen nach  – wird in der Forschung gesehen, ob der paulinische Glaubensbegriff beim Objekt, also Christus, oder dem Subjekt, also dem Menschen, ansetzt. Hier wendet sich Schnelle ausdrücklich gegen Bultmann.60 Als Aspekte, die als Umschreibung des paulinischen Glaubensbegriffs nur Bultmann ausführt, verbleiben die der Furcht und des Vertrauens. Auch der Aspekt der Hoffnung erscheint nur in Horns ethosorientierter Nennung der Trias ‚Glaube, Hoffnung, Liebe‘.

Für diesen großen Entscheidungs‑ und Lebenszusammenhang den Glaubensbegriff groß gemacht zu haben, scheint die originelle Leistung des Paulus gewesen zu sein in einer Zeit, in der die Begrifflichkeit einer gläubigen Identität noch nicht gebildet bzw. gefestigt war, sondern sich erst bilden und ihre Begriffe finden musste, und es ist übrigens ganz ungeklärt, wie Paulus überhaupt darauf kam, gerade den Begriff des Glaubens für seine neue Überzeugung so stark zu machen.

3. Glaube in 1 Petr 1 Petr hingegen schreibt in einer Situation, in der diese gläubige Identität nicht mehr gebildet, sondern ausgehalten und verteidigt werden muss. Die Spannungen und Konflikte entstehen nicht in Auseinandersetzung mit (anderen) jüdischen Gruppierungen wie bei Paulus, sondern mit der römischen Gesellschaft und Regierung insgesamt.61 Wie beeinflusst diese neue Situation das Glaubensverständnis in diesem späteren Schreiben?

60 Vgl. 61 Vgl.

soeben. Elliott, 1 Petr, 103.

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3.1 Statistik 1 Petr weist insgesamt einige wortstatistische Auffälligkeiten auf: Er bietet innerhalb des NT mit großem Abstand die höchste Dichte der Belege von πάσχω (0,713 % mit 12 Belegen von 42 Belegen im gesamten NT), und bietet sich damit mehr als alle anderen neutestamentlichen Schriften für eine Theologie des Leidens an.62 1 Petr hat aber auch – abgesehen von den beiden kurzen und damit statistisch wenig aussagekräftigen Briefen Tit und Phlm63 – die größte Dichte der Belege von χάρις im gesamten NT (0,594 % mit 10 Belegen) und übertrifft damit sogar die Briefe des Corpus Paulinum.64 Mit den Belegen von Derivaten des πιστ-Stammes befindet sich 1 Petr innerhalb des NT statistisch im guten Mittelfeld und ist damit eher unauffällig,65 bietet aber eben doch 14 Einzelbelege. Von den insgesamt zehn im NT belegten Lemmata des Stammes (den Positiva πίστις, πιστέυω, πιστός sowie den seltenen πιστικός66 und πιστόω,67 den Negativa ἀπιστία, ἀπιστέω, ἄπιστος, dem typisch mt ὀλιγόπιστος68 sowie dem mt Hapaxlegomenon ὀλιγοπιστία69) belegt 1 Petr die drei häufigsten, nämlich πίστις, πιστέυω, πιστός, zusätzlich auch das weniger häufige ἀπιστέω.70 1 Petr […] die ihr in der Kraft Gottes durch 1,5.7–9 Glauben bewahrt werdet zur Rettung, ‹die› bereit‹steht›, in der letzten Zeit offenbart zu werden. 6 Darin jubelt ihr, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es nötig ist, in mancherlei Versuchungen betrübt worden seid, 7  damit eure Bewährung des Glaubens viel kostbarer befunden wird als die des vergänglichen Goldes, das durch Feuer erprobt wird, zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi; 8 den ihr, obgleich 62 S.

[…] τοὺς ἐν δυνάμει θεοῦ φρουρουμένους διὰ πίστεως εἰς σωτηρίαν ἑτοίμην ἀποκαλυφθῆναι ἐν καιρῷ ἐσχάτῳ 6  ἐν ᾧ ἀγαλλιᾶσθε ὀλίγον ἄρτι, εἰ δέον ἐστίν, λυπηθέντας ἐν ποικίλοις πειρασμοῖς, 7  ἵνα τὸ δοκίμιον ὑμῶν τῆς πίστεως πολυτιμότερον χρυσίου τοῦ ἀπολλυμένου, διὰ πυρὸς δὲ δοκιμαζομένου εὑρεθῇ εἰς ἔπαινον καὶ δόξαν καὶ τιμὴν ἐν ἀποκαλύψει Ἰησοῦ Χριστοῦ

bereits oben im einleitenden Abschnitt 1. (Lit. in Anm. 9). Tit: 0,607 % mit 4 Einzelbelegen; Phlm 0,597 % mit 2 Einzelbelegen. 64 Vergleichszahlen: 2 Kor: 0,402 %; Röm: 0,338 %; Eph: 0,495 %. 65 Die Dichte der Lexeme in 1 Petr beträgt 0,831 %. Zum Vergleich ist die Dichte in Gal (1,390 %: Platz 3 im ntl. „Ranking“) und Röm (1,055 %) höher. Mit ziemlichem Abstand die beiden Spitzenplätze innerhalb des NT belegen die Pastoralbriefe 1 Tim (2,326 %) und Tit (1,973 %). Mit sehr großem Abstand das Evangelium mit der höchsten Dichte an πιστ-Belegen ist Joh (0,646 %), unter den Evangelien gefolgt erst von Mk (0,248 %). Hierbei sind allerdings alle Belege von πίστις, πιστέυω, πιστός, ἀπιστία, ἀπιστέω, ἄπιστος, ὀλιγόπιστος und ὀλιγοπιστία berücksichtigt, unabhängig davon, ob sie theologisch qualifiziert sind oder nicht. 66 πιστικός nur in Mk 14,3 // Joh 12,3 i. S. v. „echt, unverfälscht“. 67 πιστόω nur in 2 Tim 3,14. 68 Außer bei Mt nur noch in Lk 12,28. 69 Mt 17,20. 70 Außer 1 Petr 2,7 noch Mk 16,11.16; Lk 24,11.41; Apg 28,24; Röm 3,3; 2 Tim 2,13. 63 Vergleichszahlen:

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ihr ihn nicht gesehen habt, liebt; zu dem ihr, obwohl ihr ihn jetzt nicht seht, glaubend, jubelt mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude 9 und ‹so› erlangt ihr das Ziel eures Glaubens: die Rettung der Seelen.

8  ὃν οὐκ ἰδόντες ἀγαπᾶτε, εἰς ὃν ἄρτι μὴ ὁρῶντες, πιστεύοντες δὲ ἀγαλλιᾶσθε χαρᾷ ἀνεκλαλήτῳ καὶ δεδοξασμένῃ 9  κομιζόμενοι τὸ τέλος τῆς πίστεως ὑμῶν σωτηρίαν ψυχῶν.

1,21

Er ist zwar im Voraus vor Grundlegung der Welt erkannt, aber am Ende der Zeiten offenbart worden um euretwillen, 21 die ihr durch ihn an Gott glaubt, der ihn aus den Toten auferweckt und ihm Herrlichkeit gegeben hat, sodass euer Glaube und eure Hoffnung auf Gott ‹gerichtet› ist.

προεγνωσμένου μὲν πρὸ καταβολῆς κόσμου, φανερωθέντος δὲ ἐπ’ ἐσχάτου τῶν χρόνων δι’ ὑμᾶς 21  τοὺς δι’ αὐτοῦ πιστοὺς εἰς θεὸν τὸν ἐγείραντα αὐτὸν ἐκ νεκρῶν καὶ δόξαν αὐτῷ δόντα, ὥστε τὴν πίστιν ὑμῶν καὶ ἐλπίδα εἶναι εἰς θεόν.

2,6.7

Denn es ist in der Schrift enthalten: „Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.“ 7  Euch nun, die ihr glaubt, ‹bedeutet er› die Kostbarkeit; für die Ungläubigen aber ‹gilt›: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden“ […]

διότι περιέχει ἐν γραφῇ· ἰδοὺ τίθημι ἐν Σιὼν λίθον ἀκρογωνιαῖον ἐκλεκτὸν ἔντιμον, καὶ ὁ πιστεύων ἐπ’ αὐτῷ οὐ μὴ καταισχυνθῇ. 7 ὑμῖν οὖν ἡ τιμὴ τοῖς πιστεύουσιν, ἀπιστοῦσιν δὲ λίθος ὃν ἀπεδοκίμασαν οἱ οἰκοδομοῦντες, οὗτος ἐγενήθη εἰς κεφαλὴν γωνίας […]

4,19

Daher sollen auch die, welche nach dem Willen Gottes leiden, einem treuen Schöpfer ihre Seelen anbefehlen im Gutestun.

ὥστε καὶ οἱ πάσχοντες κατὰ τὸ θέλημα τοῦ θεοῦ πιστῷ κτίστῃ παρατιθέσθωσαν τὰς ψυχὰς αὐτῶν ἐν ἀγαθοποιΐᾳ.

5,9

Dem widersteht standhaft durch den Glauben, da ihr wisst, dass dieselben Leiden sich an eurer Bruderschaft in der Welt vollziehen!

ᾧ ἀντίστητε στερεοὶ τῇ πίστει εἰδότες τὰ αὐτὰ τῶν παθημάτων τῇ ἐν κόσμῳ ὑμῶν ἀδελφότητι ἐπιτελεῖσθαι.

5,12

Durch Silvanus, den treuen Bruder, wie ich denke, habe ich euch mit wenigen ‹Zeilen› geschrieben und euch ermahnt und bezeugt, dass dies die wahre Gnade Gottes ist, in der ihr steht.

Διὰ Σιλουανοῦ ὑμῖν τοῦ πιστοῦ ἀδελφοῦ, ὡς λογίζομαι, δι’ ὀλίγων ἔγραψα παρακαλῶν καὶ ἐπιμαρτυρῶν ταύτην εἶναι ἀληθῆ χάριν τοῦ θεοῦ εἰς ἣν στῆτε.

3.2 Zwei für das Glaubensverständnis von 1 Petr irrelevante Verse: Die Belege von πιστός in 4,19 und 5,12 1 Petr verwendet das Adjektiv πιστός dreimal: in 1,21; 4,19; 5,12. Gesamtneutestamentlich wird πιστός häufig im zwischenmenschlichen Sinne von „treu, zuverlässig“ verwendet, z. B. gegenüber einem Herrn oder bei einer Arbeit,

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Aufgabe oder in einer Funktion.71 Doch auch Gott kann als πιστός bezeichnet werden72 und die drei Pastoralbriefe beziehen πιστός als Spezialverwendung auf das ‚Wort‘.73 Eindeutig im spezifischen Sinne von „gläubig“ findet πιστός jedoch auch Verwendung,74 manchmal ist die Bedeutungsnuance nicht eindeutig.75 Es sind diese Belege mit ambiguer Bedeutung, bei denen Übersetzungen mit „treu c.v.“ die spezifisch religiöse Konnotation des griechischen πιστός verdecken können. Die profane Verwendung i. S. v. „treu, zuverlässig“ legen sämtliche von mir konsultierten deutschsprachigen Übersetzungen76 auch in 1 Petr 5,12 zugrunde, so dass dort Silvanus als „treuer“ Bruder bezeichnet wird. Einen Kurier oder Sekretär als „treu“ oder „zuverlässig“ zu bezeichnen, gehört zur antiken Konvention (so z. B. auch in Eph 6,21; Kol 4,7),77 und in 1 Petr 5,12 wird diese Bedeutung noch verstärkt durch die adverbiale Ergänzung ὡς λογίζομαι (die wohl besser nicht als Einschränkung aufgrund des subjektiven Urteils, sondern als Bekräftigung durch das apostolische Urteil zu verstehen ist78). Es ist demnach augenscheinlich auch kein Kommentar zu finden, der πιστός hier im spezifisch religiösen Sinne ausdeutet. Am nächsten kommt dem Goppelt, der immerhin darauf hinweist, dass dieses Attribut hier nicht nur im pragmatischen, sondern auch im evangelistischen Sinne gemeint ist. Dennoch kann dieser Beleg für ein spezifisches Glaubensverständnis in 1 Petr eigentlich nicht in Betracht gezogen werden. 4,19 bezeichnet den κτίστης, also Gott, als πιστός. Auch Paulus kann Gott πιστός nennen, z. B. wenn er Gottes Zuverlässigkeit bei der Berufung (1 Thess 5,24; 1 Kor 1,9) oder der Unterstützung in Anfechtungen (1 Kor 10,13; auch 2 Thess  3,3) betonen möchte. In 2 Kor  1,18 beruft sich Paulus auf Gott als πιστός, um die Zuverlässigkeit seiner Evangeliumsverkündigung zu unterstreichen. Dass Gott allerdings gerade in seiner Funktion als Schöpfer als treu bezeichnet wird, ist alleine schon deswegen ungewöhnlich, da  – eigentlich erstaunlicherweise – im gesamten NT Gott nur hier als κτίστης bezeichnet wird (neutestamentliches Hapaxlegomenon), obschon freilich die zugrundeliegende Überzeugung, dass Gott Schöpfer aller Dinge ist, auch anderswo begegnet (z. B. 71  Z. B. Mt 24,45; 25,21(*2).23(*2); Lk 12,42; Hebr 2,17; 3,2.5; 11,11; 3 Joh 5; Offb 1,5; wahrscheinlich auch 1 Kor 4,2; 1 Tim 3,11; Offb 2,13; 3,14; 19,11. 72 1 Kor 1,9; 10,13; 2 Kor 1,18; 1 Thess 5,24; 2 Thess 3,3; 2 Tim 2,13; Hebr 10,23; 1 Joh 1,9. 73 1 Tim 1,15; 3,1; 4,9; 2 Tim 2,11; Tit 1,9; 3,8. 74 Joh 20,27; Apg 10,45; 16,1.15; 2 Kor 6,15; Eph 1,1; 1 Tim 4,10.12; 5,16; 6,2(*2). 75 Nahe an „gläubig“ scheint mir auf jeden Fall Gal 3,9; Kol 1,2; 1 Tim  4,3; Tit  1,6 zu stehen. 1 Kor 4,17; Eph 6,21; Kol 1,7; 4,7.9 kombiniert „treu“ mit „geliebt“. Bei den Belegen 1 Kor  7,25; 1 Tim  1,12; 2 Tim  2,2; Offb  2,10; 17,14 ist ebenfalls die Bedeutung „gläubig“ immerhin nicht auszuschließen. 76 Luther/2017, Elberfelder/2006, Schlachter/2000, Zürcher/2007, EÜ/2016. 77 Weitere Beispiele aus der antiken Briefliteratur Achtemeier, 1 Petr, 352, Anm. 42. 78 So auch Achtemeier, 1 Petr, 352; Goppelt, 1 Petr, 349.

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Apg 4,24; 14,15; 17,24; Offb 10,6, 14,7; auch Hebr 2,10).79 Die Bezeichnung in 1 Petr 4,19 ist in ihrem Inhalt also weniger auffällig als in ihrer Formulierung. Innerhalb 1 Petr kann sie an 1,3 (Wiedergeburt); 1,4 f. (Rettung und Bewahrung zum Erbe im Himmel); 5,6.11 (Kraft, V. 6: ταπεινώθητε οὖν ὑπὸ τὴν κραταιὰν χεῖρα τοῦ θεοῦ; V. 11: αὐτῷ τὸ κράτος εἰς τοὺς αἰῶνας); 5,10 (Vollendung) anknüpfen. Die Argumentationsabsicht in 4,19 ist daher klar: Die Angefochtenheit, in der die Gläubigen stehen, wird als Beginn des eschatologischen Gerichts gedeutet, das für sie, die Gläubigen, viel weniger heftig ausfallen wird als für die, die „dem Evangelium nicht gehorchen“ (V. 17). Dass die Gläubigen in aller Not Gott als Richter trauen sollen, wird dann in V. 19 durch den „treuen Schöpfer“ – also Gott als den Aktiven am Anfang und am Ende – komplementiert. Die Adressaten sollen Gott ihr Leben so anvertrauen, wie sie es ihm auch verdanken. Obschon also diese Konnotationen theologisch gewichtig sind, sagt auch dieser Vers über das Glaubensverständnis in 1 Petr also eigentlich nichts aus. 3.3 1 Petr 1,21 Anders verhält es sich mit dem dritten Beleg von πιστός im Brief, 1 Petr 1,21. Hier werden die Briefadressaten als πιστοὺς εἰς θεόν bezeichnet, was  – im Gegensatz zu 5,12  – eine eindeutig theologisch qualifizierte Bedeutung des Glaubens der Adressatinnen und Adressaten nahelegt.80 Die Inclusio πιστοὺς εἰς θεόν von 1,21a mit πίστις καὶ ἐλπίς εἰς θεόν in 1,21fin. bestätigt dies. Bemerkenswert ist dieser Beleg nochmals im Hinblick auf die Übersetzungspraxis in deutschsprachigen Bibeln. Die verbale Wiedergabe „[…]  die ihr durch ihn glaubt an Gott […]“ (Luther/2017) oder etwas gefälliger „[…] die ihr durch ihn an Gott glaubt […]“ (identisch in Elberfelder/2006, Zürcher/2000, Schlachter/2000) wirken ganz unauffällig, doch würde man hinter dieser verbalen Wiedergabe πιστεύειν εἰς oder πιστεύειν ἐπί erwarten. EÜ/2016 übersetzt substantivisch: „Durch ihn seid ihr zum Glauben an Gott gekommen,“ wohinter man auch nicht adjektivisch τοὺς δι’ αὐτοῦ πιστοὺς εἰς θεόν vermuten würde, sondern eben πίστις εἰς οder πίστις ἐπί.

Dass Gott als Objekt des Glaubens genannt ist, ist bei Paulus weniger häufig, aber auch nicht ganz ungewöhnlich, und wo er ausdrücklich vom Glauben an Gott spricht, bezieht er sich dabei auf das, was Gott an Christus getan hat und an den Gläubigen tat und tun wird: dass er Christus von den Toten auferweckt hat und „uns errettet von dem zukünftigen Zorn“ (1 Thess 1,8; Röm 4,24; vgl. auch 8,11), dass er die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Sein ruft (Röm  4,17), zusätzlich ohne spezifizierte Kausalität (Röm  4,3). Genau diese Perspektive ruft auch 1 Petr 1,21 ab, sogar mit auch für Paulus nicht untypischem relativem Satzanschluss. Obschon Gott das grammatische Objekt des 79 Für

zahlreiche Belege außerhalb des NT s. z. B. Elliott, 1 Petr, 806, Anm. 630. allerdings Elliott, 1 Petr, 378; Keener, 1 Petr, 110.

80 Anders

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Glaubens ist (πιστοὺς εἰς θεόν) wird die christologische Glaubensbegründung schon durch die vorgängige Präpositionalwendung abgesichert (τοὺς δι’ αὐτοῦ [sc. Χριστοὺ] πιστούς). Anschließend wird in drei Kola eine kleine Summa einer doxologischen Christologie aufgeführt. Die beiden ersten sind mit καί parallel konstruiert und haben Christus als Objekt, das dritte führt konsekutiv (ὥστε) weiter und bindet den Glauben, dessen Begründung gerade genannt wurde (durch Auferweckung von den Toten und Verleihung der Herrlichkeit), wieder an Gott zurück. 1,21 […] τοὺς δι’ αὐτοῦ πιστοὺς εἰς θεὸν   τὸν ἐγείραντα αὐτὸν ἐκ νεκρῶν   καὶ δόξαν αὐτῷ δόντα, ὥστε τὴν πίστιν ὑμῶν καὶ ἐλπίδα εἶναι εἰς θεόν. […] die ihr durch ihn glaubt an Gott,   der ihn von den Toten auferweckt   und ihm die Herrlichkeit gegeben hat, sodass ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt.

Es liegt in 1,21 also eine überaus enge Verzahnung von christologischen und theologischen Perspektiven vor: Gott ist Objekt des Glaubens und der Hoffnung sowie Urheber von Christi Auferweckung und Geber seiner Herrlichkeit;81 spiegelbildlich dazu ist Christus Grund für den Gottesglauben82 sowie von Gott Erweckter und Empfänger der Herrlichkeit. Aus allen drei christologischen Aussagen wird in V. 21d als Konsequenz der Glaube (dies als logische Doppelung zu V. 21a) sowie die Hoffnung zu Gott abgeleitet.83 Dass von diesen beiden Substantiven nur πίστις mit Artikel und possessivem Personalpronomen steht, ἐλπίς hingegen ohne beides, hat manche Exegeten zur Interpretation angeregt, dass letztere untergeordnet sei i. S. v. „euer Glaube ist auch Hoffnung“,84 doch ist dies vielleicht doch eine Überinterpretation. Achtemeier hält daher dafür, dass beide Substantive parallel koordiniert zu verstehen sind, „almost in the sense of a hendiadys“.85 Während die Deutung als Hendiadyoin vielleicht ihrerseits etwas zu weit geht, ist m. E. ein Vergleich mit weiteren neutestamentlichen Belegen weiterführender, die πίστις mit ἐλπίς kombinieren. In den hierzu einschlägigen Versen wird der Glaube mit der Gnade 81 Wagner/Vouga, 1 Petr, 55, pointieren: „Christus dient Gott hier als ‚Ausweis‘ [Verweis auf Feldmeier, 1 Petr, 79]: Gott hat sich in der Auferstehung geradezu ‚definiert‘“. 82 „Die Determinierung von ‚Glaube‘ […] unterstreicht, dass hier Glaube qualifiziert wird. Hoffnung bezieht sich augenfällig deutlich auf den Grund ‚in der Vergangenheit‘ – nicht etwa auf ein zeitliches ‚Voraus‘“ (Wagner/Vouga, 1 Petr, 55). 83 Martin, Faith, 148–156, benennt daher zutreffenderweise auch „Belief in Israel’s God“ und „Belief in the Lord Jesus Christ“ als die zwei ersten und herausragenden Charakteristika des Glaubensverständnisses in 1 Petr (mit entsprechenden Unterpunkten). 84 Vgl. Lit. in Achtemeier, 1 Petr, 133, Anm. 129. 85 Achtemeier, 1 Petr, 133.

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(Röm 5,2), dem Geist (Gal 5,5), dem „Werk des Glaubens“ (1 Thess 1,3) und dem Brustpanzer als Verteidigungswaffe (1 Thess  5,8) assoziiert. Die Hoffnung wird gleichzeitig verbunden mit der Herrlichkeit Gottes (Röm 5,2), der Gerechtigkeit (Gal  5,5), dem Wachsen des Glaubens (2 Kor  10,15) und dem Heil sowie einem Helm als Verteidigungswaffe (1 Thess  5,8). Im bekannten Vers 1 Kor  13,13 bleiben beide Begriffe ohne nähere inhaltliche Zuspitzung (abgesehen von der hierarchischen Unterordnung unter die Liebe); ebendas gilt auch für den einzigen neutestamentlichen verbalen Beleg einer Kombinierung von πιστεύω und ἐλπίζω (1 Kor 13,7).86 Zu diesen Belegen kommt noch Kol 1,23, wo sowohl der Glaube als auch die Hoffnung anders assoziiert ist als bei Paulus: Beide Begriffe stehen im Kontext des Ausharrens und der Festbleibens, die Hoffnung hat als Objektbezug das Evangelium.87

Die Kombination von πίστις mit ἐλπίς (sowie auch von πιστεύω und ἐλπίζω) findet sich also innerhalb des NT ausschließlich in Paulusbriefen und von Paulus inspirierten Briefen und wird inhaltlich unterschiedlich assoziiert. In 1 Petr 1,21 ist nun das Bezugsobjekt für beide Nomina Gott, was sich so bei Paulus (und auch in Kol) nicht findet. Dennoch erscheint es mir sowohl aufgrund der deutlich paulinischen Kombination von πίστις mit ἐλπίς als auch aufgrund der inhaltlichen Prägung der Rede von Glauben an Gott bei Paulus, die sich in 1 Petr 1,21 weitgehend wiederholt, naheliegend, auch hier einen paulinischen Hintergrund anzunehmen.88 Die Assoziationen der Rede vom Glauben an Gott bei Paulus, die in 1 Petr 1,21 nicht angesprochen werden (allgemeine Auferweckung und Rettung von dem künftigen Zorn sowie der Ruf dessen, was nicht ist, zum Sein) sowie umgekehrt die Assoziationen bei Petrus, die bei Paulus nicht angesprochen werden (die Verherrlichung Christi) scheinen mir demgegenüber Variationen zu sein, die das innerpaulinische Maß nicht überschreiten. 3.4 1 Petr 1,5.7–9 1 Petr ist der einzige neutestamentliche Brief, der (natürlich erst nach dem Präskript) mit einer Doxologie (bzw. Eulogie) beginnt und endet: 1,3 beginnt eine lange Eulogie, die sich in einem einzigen, Schritt für Schritt weiter subordinierenden grammatischen Satz bis V. 12 fortsetzt und inhaltlich in ihrem Gehalt weit über die briefformal übliche Danksequenz hinausgeht: „Εὐλογητὸς

86 Die

Trias mit Liebe sonst noch in 1 Thess 1,3; 5,8. wird nun […] eine Bedingung genannt, die die Beibehaltung dieses Zustandes [sc. das Stehen aller Gläubigen vor Christus als Vollkommene, s. V. 22] garantiert. Die geforderte Grundhaltung ist die des ‚Beharrens‘. Sie ist ausgerichtet auf das transzendent-universale Treueverhältnis (‚Glaube‘, πίστις) und auf das transzendente Heilsgut (‚Hoffnung‘, ἐλπίς)“ (Bormann, Kol, 107). 88 Der Vers wurde in der Liste im einleitenden Abschnitt 1. nicht genannt. 87 „Es

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ὁ θεὸς καὶ πατὴρ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ […]“.89 5,11 endet der Brief pointiert mit: „αὐτῷ τὸ κράτος εἰς τοὺς αἰῶνας“. Beide diese Teiltexte enden feierlich bekräftigend mit ἀμήν.90 Diese Eingangseulogie ist von unterschiedlichen Perspektiven aus (Soteriologie, Ethik etc.) immer wieder als theologische Ouver­türe für den gesamten Brief erkannt worden.91 Diese These findet, so möchte ich argumentieren, auch mit Blick auf das Glaubensmotiv in 1 Petr Bestätigung. Innerhalb der Eulogie bietet der Abschnitt V. 5–9 gleich vier Belege des πιστ-Stammes in enger Abfolge auf. Ähnlich wie zwischen 1,21a und 1,21fin. wird auch hier das Motiv der πίστις als Inclusio genutzt und damit betont: In V. 5 ist die πίστις das Mittel der Bewahrung zur Rettung. εἰς σωτηρίαν verweist nicht direkt auf die πίστις zurück, sondern auf φρουρουμένους, es geht also grammatisch gesehen nicht um den Glauben an die σωτηρία.92 Dennoch wird das Stichwort der σωτηρία in V. 9 nochmals aufgegriffen und als Ziel des gesamten Glaubenswegs präzisiert: Hier wird die Rettung der Seelen, die σωτηρία ψυχῶν, als τέλος der πίστις genannt. Nur eine der insgesamt drei Substantivnennungen von πίστις in diesem Abschnitt (V. 5.7.9) steht mit Possessivpronomen (V. 9): Es ist natürlich die πίστις ὑμῶν, um die es geht (in V. 7 ist es streng genommen das δοκίμιον ὑμῶν). Es stehen aber alle drei ohne Bezugsobjekt: Es ist Glaube an sich, durch den die Gläubigen „zur Rettung bewahrt“ werden (V. 5), der in seiner Bewährung noch „viel kostbarer“ als Gold befunden wird, das doch nur vergänglich ist (V. 7), oder durch das sie „die Rettung der Seelen erlangen“ (V. 9). Die Situation des Glaubens ist in allen drei Belegen auf Bewahrung, Bewährung, Festhalten, Konstanz und schließlich als Höhepunkt das eschatologische Ziel ausgerichtet. In V. 7 wird das Ziel in feierlichem, doxologischem Stil christologisch formuliert: εἰς ἔπαινον καὶ δόξαν καὶ τιμὴν ἐν ἀποκαλύψει Ἰησοῦ Χριστοῦ („zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi“), in V. 5 und V. 9 wird es ergänzend dazu soteriologisch formuliert: φρουρουμένους διὰ πίστεως εἰς σωτηρίαν („[…] die ihr […] durch Glauben bewahrt werdet zur Rettung […]“) und κομιζόμενοι τὸ τέλος τῆς πίστεως ὑμῶν σωτηρίαν ψυχῶν („[…] dass ihr erlangt das Ziel eures Glaubens: die Rettung der Seelen“).93 Bis dahin beinhaltet der Glaube auch ein aktives Moment: „[A]ls Treue kann dieser Glaube auch 89 Zu

Grammatik und Aufbau vgl. Schmidt, Dienen, 391–394. Schmidt, Dienen, 384. 91 Vgl. etwa Jobes, 1 Petr, 109; Kendall, Function, 104; Pokorný/Heckel, Einleitung, 690; Schmidt, Dienen, 394–400. 92 Anders Wagner/Vouga, 1 Petr, 54. 93 An den ψυχαί hat 1 Petr ohnehin ein besonderes Interesse. Abgesehen vom kurzen und statistisch nicht aussagekräftigen 3 Joh (nur 1 Beleg) weist 1 Petr mit großem Abstand die höchste Dichte der Belege von ψυχή im gesamten NT auf (0,356 %; die Belege sind 1,9.22; 2,11; 2,25; 3,20; 4,19). Die nächststehende Schrift, die mehr als 2 Belege für ψυχή aufweist, ist Hebr (0,121 %). 90 Vgl.

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auf die Probe gestellt und bei Bestehen der Probe durch Gottes Anerkennung belohnt werden“.94 Dazu kommt noch der verbale Beleg dieses Abschnitts. Auch dieser Vers ist von doxologischer Feierlichkeit. In vielen Übersetzungen klingt er wie eine Trias, als ob „lieben“, „glauben“ und „jubeln“ parallel konstruiert wären.95 Es handelt sich jedoch nur um einen Zweizeiler: πιστεύοντες setzt nicht εἰς ὃν vom Zeilenanfang fort. Es geht also (grammatisch gesehen) nicht um ein Glauben an „ihn“ (sc. Christus), sondern wieder steht das Motiv des Glaubens absolut96 und analogielos. Parallel stehen die beiden Hauptverben der relativen Satzanschlüsse, die beide Jesus Christus als Bezugsobjekt haben (ἀγαπᾶτε und ἀγαλλιᾶσθε). Von letzterem ließe sich intratextuell nach 1,6 zurückverweisen: ἐν ᾧ ἀγαλλιᾶσθε („[…] darin ihr jubelt“). Die Herausforderung für beides, das Lieben und das Jubeln, besteht hingegen in der gegenwärtigen Unsichtbarkeit Christi, aber diese Herausforderung meistert der Glaube dennoch.97 Die eschatologische Ausrichtung des Glaubens könnte also kaum deutlicher ausgedrückt werden – und dies im Kontext einer so grandiosen Eulogie: 1,5 […] die ihr in der Kraft Gottes durch Glauben bewahrt werdet zur Rettung (τοὺς … φρουρουμένους διὰ πίστεως εἰς σωτηρίαν), ‹die› bereit‹steht›, in der letzten Zeit offenbart zu werden. 6 Darin jubelt ihr, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es nötig ist, in mancherlei Versuchungen betrübt worden seid, 7 damit eure Bewährung des Glaubens viel kostbarer befunden wird als die des vergänglichen Goldes, das durch Feuer erprobt wird, zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi; 8 den ihr, obgleich ihr ihn nicht gesehen habt, liebt; zu dem ihr, obwohl ihr ihn jetzt nicht seht, glaubend (πιστεύοντες), jubelt mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude, 9 und ‹so› erlangt ihr das Ziel eures Glaubens (τὸ τέλος τῆς πίστεως ὑμῶν): die Rettung der Seelen (σωτηρίαν ψυχῶν).

3.5 1 Petr 2,6 In 1 Petr 2,7 greift der Autor eine Glaubensaussage aus Jes auf, die er unmittelbar vorher in V. 6 zitiert. Von diesem Zitat stammt nur die zweite Satzhälfte wörtlich aus Jes 28,16, die erste Satzhälfte hingegen ist abgekürzt,98 in ihrem

94 Feldmeier,

1 Petr, 56.

95 So etwa Elberfelder/2006, Luther/2017, Schlachter/2000, Zürcher/2007. Die Einheitsüber-

setzung/2016 verschleiert die Grammatik des Satzes insgesamt sehr. 96 Korrekt etwa in Achtemeier, 1 Petr, 99.103 (ausführlich zur Grammatik ebd.); Elliott, 1 Petr, 343. 97 Zur Schwierigkeit des Glaubens trotz Nicht-Schauens bei Goppelt, 1 Petr, 102–104. 98 Vgl. Elliott, 1 Petr, 424–427; Müller, „Lebendige Steine“, 160 f.; Wagner/Vouga, 1 Petr, 67 f.

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Gehalt bleibt sie aber erhalten. Auch der Eckstein als Bezugsobjekt des Glaubens stammt schon aus LXX: Jes 28,16/ LXX

Siehe, ich lege auf die Grundfeste Zion einen Stein, wertvoll, auserwählt, als Eckstein, kostbar in seiner Grundfeste, und wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.

᾿Ιδοὺ ἐγὼ ἐμβαλῶ εἰς τὰ θεμέλια Σιων λίθον πολυτελῆ ἐκλεκτὸν ἀκρογωνιαῖον ἔντιμον εἰς τὰ θεμέλια αὐτῆς, καὶ ὁ πιστεύων ἐπ᾽ αὐτῷ οὐ μὴ καταισχυνθῇ.

1 Petr 2,6

Siehe, ich stelle in Zion einen Stein, als Eckstein, auserwählt, kostbar; und wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.

ἰδοὺ τίθημι ἐν Σιὼν λίθον ἀκρογωνιαῖον ἐκλεκτὸν ἔντιμον, καὶ ὁ πιστεύων ἐπ’ αὐτῷ οὐ μὴ καταισχυνθῇ.

1 Petr greift hier die Stein-Metapher, die er bereits in V. 4.5 sowohl für Christus als auch die Gemeindemitglieder verwendet hatte (beide Male als „lebendige Steine“),99 auf und nimmt diese Aussage anschließend zum Anlass für eine ganze Reihe von atl. (nicht immer wörtlichen) Zitaten und Anspielungen, um den „Stein“ christologisch und die christliche Gemeinde als die an diesen „glaubenden“ zu belegen.100 Zur Deutung des Zitats greift 1 Petr 2,7 sowohl das Stichwort des πιστεύειν als auch die Wertzuschreibung der τιμή aus dem Jes-Zitat auf. πιστεύειν übernimmt 2,7 wie Jes 28,16 im Partizip, setzt es allerdings vom Singular in den Plural. Auch dadurch wird die Aussageabsicht der LXX jedoch nicht verschoben, denn auch dort meint der grammatische Singular ὁ πιστεύων […] οὐ μὴ καταισχυνθῇ einen logischen, generalisierten Plural. Deutlich generalisierter als in der atl. Vorlage ist jedoch das Bezugsobjekt des Glaubens: es ist in 1 Petr gar nicht mehr genannt – ein Detail, das selbst aufmerksamen 1 Petr-Forschern entgeht. Natürlich weist der logische Bezug auf den „lebendigen Stein“ von V. 4 und den „auserwählten, kostbaren Eckstein“ von V. 6, also Christus, zurück (ähnlich wie im soeben besprochenen 1 Petr  1,8). Jedoch: der Beibehalt des jesajanischen ἐπ᾽ αὐτῷ hätte ja sogar ganz im Sinne von 1 Petr eine fruchtbare Doppeldeutigkeit ergeben: Man hätte αὐτῷ nun leicht auf Christus (und nicht mehr auf den Stein) beziehen können. Dennoch hat sich der Autor von 1 Petr für die absolute Bezeichnung der Adressaten und Adressatinnen einfach als πιστεύοντες entschieden. Diese Bezeichnung geht also über die Bezeichnung der jesajanischen Vorlage hinaus und setzt hinsichtlich des Glaubensbegriffs einen eigenen – im Grunde wiederum paulinischen – Akzent.101   99 Vgl.

Wagner/Vouga, 1 Petr, 67. ist diese Deutung nicht. Sie findet sich auch schon in Lk 20,17 // Mt 21,42.44, ist also als frühchristliche Tradition bekannt. Vgl. hierzu mit weiteren Stellen, in denen atl. Texte, die von „Steinen“ handeln, messianisch gedeutet wurden, bei Feldmeier, 1 Petr, 91. 101 Pace Elliott, 1 Petr, 427. 100 Originell

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Dieses absolute Denken lässt eigentlich keine andere logische Konsequenz zu, als die, die dann in V. 7b auch tatsächlich ausgeführt wird. Ein zweites Mal zitiert 1 Petr Ps 118[117/LXX],22 (zum ersten Mal bereits in 2,4), und ebenso absolut, wie in V. 7a die „Glaubenden“ die sind, denen der Eckstein eine große Kostbarkeit bedeutet, sind in V. 7b die „Unglaubenden“ die, denen derselbe Eckstein zum λίθος προσκόμματος καὶ πέτρα σκανδάλου, zum „Stein des Anstoßes und Fels des Ärgernisses“ wird. Unglaube bedeutet hier also, dass Christus, der für die Glaubenden von hohem Wert ist, für die Unglaubenden nicht nur von keinem hohen Wert ist: er wird ihnen sogar gefährlich!102 Die Absolutheit des Gegensatzes wird noch durch den Chiasmus der beiden Kola verstärkt, durch den die beiden oppositionellen Partizipien πιστεύουσιν ἀπιστοῦσιν unmittelbar nebeneinander zu stehen kommen.103 Christus bringt Scheidung, und diese Scheidung äußert sich radikal in der Unterscheidung von Glaubenden vs. Unglaubenden. 3.6 1 Petr 5,9 Wir kommen zur letzten Nennung eines Lemmas aus der πιστ-Gruppe in 1 Petr: 5,9. Hier schließt sich die große Inclusio, die mit 1 Petr 1,5–9(3–12) begann. Das instrumentale Verständnis i. S. v. „durch den Glauben“ ist hier nur ein mögliches. Ein anderes, mindestens ebenso angemessenes wäre prädikativ i. S. v. „als Standhafte im Glauben“, also als Dativus qualitatis. In diesem Falle wäre der Glauben nicht direkt das Mittel des Widerstehens, sondern das Charakteristikum der Gläubigen, in dem sie „standhaft“ sind.104 Der Bedeutungsunterschied ist aber nicht groß: Entweder als Mittel direkt oder als Wesenszug indirekt soll der Glaube hier dienlich sein, um dem umherschleichenden, brüllenden Löwen Widerstand zu leisten. Diese Glaubenskraft wird aber nicht apodiktisch behauptet, sondern soll aus dem Wissen um die identische leidvolle Situation der weltweiten (!) Christenheit bezogen werden (V. 9b). Der Aussagekraft der hier vorausgesetzten Ausbreitung des Christentums für die Entwicklung der Kirche und die Datierung des Briefes muss hier nicht nachgegangen werden,105 wichtig ist, dass aus dem Austausch 102 So

pointiert, aber zurecht Brox, 1 Petr, 101. die ἄπιστοι bei Paulus v. a. in 1 Kor (6,6; 7,12.13.14[*2].15; 10,27; 14,22[*2].23. 24), aber auch 2 Kor 4,4; 6,14.15; zusätzlich Mat 17,17; Mk 9,19; Lk 9,41; 12,46; Joh 20,27; Apg  26,8; 1 Tim  5,8; Tit  1,15; Offb  21,8. ἀπιστέω neben 1 Petr  2,7 noch in Mk  16,11.16; Lk 24,11.41; Apg 28,24; Röm 3,3; 2 Tim 2,13. 104 Vgl. Wagner/Vouga, 1 Petr, 163. Die Kombination des zu στερεός zugehörigen Verbs στηρίζω mit dem Glaubensmotiv ist vielleicht auch paulinisch. In 1 Thess 3,2 sagt Paulus, er habe Timotheus der jungen Gemeinde der Thessalonicher zurückgesandt, um sie „zu stärken [στηρίζω] und zu trösten eures Glaubens wegen [ὑπὲρ τῆς πίστεως ὑμῶν]“. Während dort aber der schon vorhandene Glaube den Grund für die Sendung des Timotheus zur Stärkung abgibt, bezeichnet 1 Petr 5,9 die Gläubigen qua ihres Glaubens als Gestärkte. 105 Vgl. Feldmeier, 1 Petr, 167. 103 Vgl.

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und dem gegenseitigen Wissen um Verfolgung und Leiden der Glaube bezogen werden soll, aus der die Kraft zum Widerstand gegen die erlebte Feindschaft geschöpft werden soll. Das Leiden soll nicht als individuelles Widerfahrnis, sondern als geradezu typische Erfahrung aller Glaubensgefährten verstanden werden. Glaube ist hier – je nach Deutung – die unmittelbare Kraft des Widerstands oder das Charakteristikum der Drangsalierten, aus dem sie ihre Standhaftigkeit beziehen. Insbesondere Brox führt zur religionsgeschichtlichen Einordnung dieses Kommunikationsmotivs aus, dass der „Verweis auf die ebenfalls leidenden Bruderkirchen […] ein typisches Element der altchristlichen Märtyrer-Atmosphäre und der gegenseitigen Bestärkung unter Verfolgungsbedingungen“ gewesen sei: „Die Märtyrerberichte zeigen ab dem 2. Jh. den verständlichen Drang zur Kommunikation in der Leidenserfahrung. Man teilte sich gegenseitig mit, was örtlich, regional vorgefallen war, um zu informieren, zu ermutigen und um den einzelnen in die Standfestigkeit der Gemeinden einzubinden“.106

Diese Paränese ist die letzte des Schlussabschnittes des gesamten Briefes. Anschließend folgt nur noch ein Segenswunsch mit Doxologie und Schlussempfehlungen und ‑grüßen.107 Nicht nur also das Motiv des Glaubens an sich, sondern auch seine Konnotation als Motiv des Widerstandes bildet damit eine auffällige Inclusio zur Eingangsdoxologie 1,3–10.

4. Glauben, wenn es schwierig wird: Ergebnis Wiederholen wir noch einmal die Situation, in der sich die gläubigen Adressatinnen und Adressaten des 1 Petr befinden: Die Gemeinden unterscheiden sich in ihrem Verhalten bereits soweit von ihrer Umwelt, dass sie verleumdet und geschmäht werden (2,12; 3,16), Übel und Unrecht erleiden (2,19). Diese Erfahrungen führen bei ihnen zu Trauer (1,6; 2,19) und werden als Versuchung gedeutet (1,6; 4,12). Wahrscheinlich stehen hinter diesen Konflikten bereits behördliche Vernehmungen und Restriktionen (3,14–17). In dieser Situation hat der Glaubensbegriff seine von Paulus herkommende Bedeutung als Basisdimension christlicher Überzeugung nicht verloren. Im Gegenteil: Er übernimmt die Bezeichnung der Gemeindeglieder absolut als „Glaubende“ und kontrastiert sie ebenso absolut gegen die „Unglaubenden“ (2,7). Ganz pauschal gilt der Glaube als Kraft der Bewahrung zur Rettung und des Widerstands in Anfechtungen (1,5.7.9). 1 Petr macht explizit, dass damit der Glaube an Christus gemeint ist (1,8).

106 Brox,

1 Petr, 239. etwa die Briefstrukturen in Feldmeier, 1 Petr, 162–164; Pokorný/Heckel, Einleitung, 691 (gelegentlich werden die V. 5,10 f. noch zum Briefcorpus dazugezählt). 107 Vgl.

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Warum an Christus zu glauben ist, kommt im Brief ebenfalls nicht zu kurz und wird in einer entfalteten Christologie/Soteriologie ausgeführt: Christus ist „voraus vor Grundlegung der Welt erkannt, aber am Ende der Zeiten offenbart worden“ (1,20), sein Leiden und seine Herrlichkeit haben schon die Propheten verkündet (1,10–12; dann wieder in 5,1). Sein Leiden ist hamartiologisch proexistent („es hat auch Christus einmal für Sünden gelitten“), denn als „Gerechter“ litt er „für die Ungerechten“ (3,18), er wurde „getötet nach dem Fleisch“ (3,18), aber Gott hat ihn „aus den Toten auferweckt“ (1,21) „lebendig gemacht nach dem Geist“ (3,18) und „ihm Herrlichkeit gegeben“ (1,21), zu dessen Rechten er nun als Mitrichter sitzt (3,22). Daher ist es auch folgerichtig, dass die Gläubigen ἐν Χριστῷ sind (5,14): ἐν Χριστῷ führen sie ihren guten Lebenswandel (3,16), ἐν Χριστῷ sind sie zu Gottes ewiger Herrlichkeit berufen (5,10).108

Dass dieser Christus-Glaube auch ein Glaube an Gott ist, wird nicht nur durch die Christologie an sich klar (was schon ausreichen würde), sondern Glaube richtet sich auch an Gott selbst (1,21). Glaube ist die zentrale Kraft der Soteriologie und Eschatologie, ja der eschatologischen Freude (1,5–9). Hierzu passt auch die statistische Prominenz der Rede von der χάρις in 1 Petr.109 Die v. a. in 1,5–9 neuen, oder vielleicht nicht einmal wirklich neuen, sondern gegenüber Paulus nur verschobenen Schwerpunkte lassen sich leicht aufgrund der Situation der Gemeinden deuten. Die πίστις wird deswegen zur Kraft der Bewahrung und Bewährung, des Durch‑ und Festhaltens und der Perspektive des endgültigen τέλος des Glaubenslebens, weil dies die Situation ist, in der Glaube nun konkret wird. Ich möchte also Brox’ eingangs zitierte Feststellung, der Glaubensbegriff in 1 Petr sei „nirgends spezifisch paulinisch“110 modifizieren: Er ist insofern nicht „spezifisch paulinisch“, als auch die Schreibsituation nicht „spezifisch paulinisch“ ist. Insofern die Schreibsituation aber paulinisch ist – d. h. mit Bezug zur gläubigen Existenz, Christologie/Soteriologie, Theologie, Ethik – halte ich ihn für mit Paulus völlig kompatibel. 1 Petr zeigt, so möchte ich auf dieser Basis schließen, keinen anderen Glaubensbegriff, sondern einen, der zeigt, dass die konkrete Ausformung, das konkrete Gesicht von Glauben in unterschiedlichen Situationen sowohl anpassungsnotwendig als auch anpassungsfähig ist – und damit das pragmatische christgläubige Wesen seiner Adressatinnen und Adressaten sensibel in flexible Kontinuität platziert.

108 Zur

Christologie in 1 Petr vgl. u. a. Vouga, „Auch Christus […]“. zu Anm. 64. 110 Vgl. Anm. 18. 109 Vgl.

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Eckart David Schmidt

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Autorinnen und Autoren Martin Bauspieß, PD Dr. theol. habil., Privatdozent für Neues Testament an der Eberhard Karls Universität Tübingen und Pfarrer in Altbach (Evangelische Landeskirche in Württemberg). Matthias Berghorn, Dr. theol., Akademischer Rat für Biblische Theologie an der Bergischen Universität Wuppertal. Saskia Breuer, Dr. theol., wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Neues Testament an der Universität Paderborn. Tanja Forderer, Dr. theol., wissenschaftliche Angestellte für Neues Testament an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Friedrich W. Horn, Prof. Dr., Professor emeritus für Neues Testament an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Nils Neumann, Prof. Dr., Professor für Biblische Theologie an der Leibniz Universität Hannover. Clarissa Paul, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Neues Testament an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Jan Quenstedt, Dr. theol., Vikar der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und Dozent für Neues Testament beim Kirchlichen Fernunterricht der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Eckart David Schmidt, PD Dr. theol. habil., Privatdozent für Neues Testament an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

Stellenregister Altes Testament Genesis 2,24/LXX 15,4 22–26 24,47 32,18 32,20 37 37,8 37–50 38 38,26 43,7 45,7 49 49,8–12 49,10 49,10/LXX 49,11 f. 49,26

171 106 33 89 89 89 48 52 44 36, 44 36 89 48 33 33, 44 43, 45 44 44 51 f.

Exodus 1,11 3,13 5,14 15–17

99 89 99 135

Levitikus 12 13 13 f. 13,45 14,1–32 15 15,18 15,20 15,25–30 18 18,7 f.

80 83, 98 80 80 83 80 f., 84 80 80 80 36 159

18,19 20,18 21,16–21 27,30

81 81 83, 116 43

Numeri 5,1–14 5,2 f. 6,7 12,12 14–17

81 81 51 80 135

Deuteronomium 6,13 53 24,1–4 36 Josua 2 2,14 6

36, 44 36 44

Richter 13 13,5 13,5/LXX 13,6.18 16 18,5 20,18.23

50 50 50 89 50 89 89

Rut 1 2,8/LXX 2,23/LXX 3,10

36 171 171 36

1. Samuel 1/LXX 1,11/LXX

103 94

262

Stellenregister

9/LXX 9,16/LXX 16

103 94 45

2. Samuel 1,10 3,29/LXX 5 5,2 5,8 7 7,12–16 11 11,1 11,1–27 11,24 11,27 12,1–25 20,2/LXX

51 81 45 46 83 52 118 42, 55 39 37–39 39 37 37 171

1. Könige 8/LXX 8,28/LXX 11,26 11,26–12,33 11,26–14,20 11,28 11,29–39 11,38 11,40 12 12,1–25 12,19 12,20 12,23 12,25 12,25–33 12,26–33 12,31–33

103 94 48 53 48 33 52 52 48 48 52 52 33 33 48, 52 52 53 52

2. Könige 5,7 17

80 52

1. Chronik 2 14,10.14

33 89

2. Chronik 20,20 23,11

106 51

Esra 9,11

81

Judit 6,19 13,4

94 94

Tobit 2,10 3 3,3.15 7,3

97 103 94 89

1. Makkabäer 3,2 6,21

171 171

Hiob 18,13 26,11 29,12–16 38,3 40,7 42,4

80 119 84 89 89 89

Psalmen 1,1 6/LXX 6,3/LXX 8 9/LXX 9,6/LXX 9,11 9,14/LXX 14/LXX 14,16/LXX 16,10 21,8/LXX 22 22,2 22,8/MT 22,23 22,28–32 22,28 f.

146 103 99, 119 146 103 119 63 99, 119 103 94 63 71 3, 62 f., 67, 70 3, 61–64, 67, 69 71 62 62, 70 62

263

Stellenregister

24–26/LXX 24,16/LXX 25,11/LXX 26,7/LXX 27,9 27,9b 27,10 30/LXX 30,10/LXX 31,6 37,28 37,28.33 37,33 38,22 40/LXX 40,5.11/LXX 66,15 67,29–31/LXX 68/LXX 68,17/LXX 68,31/LXX 69,22 71 71,9 71,9.11.18 71,11 71,18a 72 76,6/LXX 78,6/LXX 78,25 f. 80,16/LXX 83/LXX 83,10/LXX 94,14 101/LXX 101,1 101,18/LXX 103/LXX 103,7/LXX 105,8 f./LXX 106,9/LXX 117/LXX 118 118/LXX 118,21/LXX 118,132/LXX 119,8

103 99, 119 99, 119 99, 119 63 63 63 103 99, 119 60 63 63 63 63 103 99, 119 119 119 103 94 119 72 64 63 63 63 f. 63 44 119 119 45 119 103 94 63 103 118 94 103 119 119 119 251 251 103 119 94 63

Sapientia Salomonis 2,10–20 64 7,20 118 Jesus Sirach 2 22,22 f. 49,15

103 163 51

Jesaja 7,9 7,10–14 7,14 8,19–9,6 8,19–22 8,23 8,23–9,4 8,23–9,6 9,1 9,3 9,5 9,5 f. 11,1 13,10 24,23 28,16/LXX 36 f. 61,1–2 63,19b 66/LXX 66,2

106 40 40 40 f., 54 40 40 40 40 f. 40 40 40 40 49 66 66 249 f. 40 152 68 103 94

Jeremia 19,1–13 23,1 f. 23,1–4 23,3–4 31,8 31,15/MT 38,15/LXX 40,1

39 46 45 46 84 39 39 39

Ezechiel 1,1b 7,19 f. 34,23 34,25 34,27 f.

68 81 46 45 45

264

Stellenregister

36/LXX 36,9/LXX

103 94

Daniel 7,13

Micha 5 5,1

45 45

72

Joel 2,2.10 3,4 4,15

Habakuk 2,4

106

66 66 66

Sacharja 3,2

119

Neues Testament Matthäus 1 1,1–4,16 1,1.18 1,1 1,2 1,2–6a 1,2–16 1,3 1,5a 1,5b 1,6a 1,6b 1,6b–10 1,11 1,12 1,12–16 1,12 f. 1,16 1,16b 1,17 1,18 1,18–25 1,18a 1,18b–25 1,18b–4,16 1,19 1,20 1,21 1,22 f. 1,23 1,24 1,25

34, 36 2, 32, 54 2 34, 37 f., 41, 54 35 f. 37 f., 44–46, 53 34, 46, 53 35 35 35 35 36, 38, 55 37 f. 35, 39 35, 39 37 f., 46 47 35 f., 48 35 34 f. 36, 54 34, 37 f., 41 34 34 40 36, 48, 34, 48 2, 34, 37, 41 f., 54 32, 40, 48 34, 41 f., 50 36 34, 36, 48

2 2,1 2,1–23 2,1–4,16 2,1.3.9 2,2 2,2.9 2,3 2,4 2,4–6 2,5 f. 2,6 2,13 2,13–15 2,13.16–18 2,15 2,15 f. 2,15.17 f.23 2,16 2,16–18 2,17 2,17 f. 2,18 2,19 2,19–21 2,21 2,22 2,22 f. 2,23 3,1–4,16 3,5 f. 3,7 3,7–10

38 34, 46, 53 34 48 32, 45, 54 2, 31, 54 41 38 f. 2, 54 32, 42, 53 32 2, 32, 45 f.,53 f. 38, 48 48 39 36, 48, 54 53 32, 2, 39, 54 55 39 49 39 48 48 36 36, 48 38, 53 f. 48–50, 52 34 43 43 43

265

Stellenregister

3,7–12 2, 32, 42 f., 47, 53 3,11 47 3,13–17 47, 53 3,13–4,11 2, 46 3,15 47, 53 3,16 f. 47 3,17 47 4,1 47 4,1–4 47 4,1–11 47, 53 4,6–7.10 32 4,4.6–7.10.14–16 32 4,8–10 47, 53 4,9 47 4,10 47 4,11 47 f. 4,12 f. 38, 48, 53 f. 4,12–16 32, 54 4,13 49 4,14–16 32, 40, 49, 54 4,15 41 4,16 41 f. 4,23 f. 46 4,25 46 5,11–12 21 5,17–18 47 5,18 47 5,20 43, 53 f. 5,31 f. 36, 5,32 163 7,10–14 40 8,5–13 41, 105 8,8 40 8,9 80 8,10 40 9,1–8 53 9,11–13 31 9,13 53 9,20–22 110 9,25 51 9,27 41 9,27–31 118 9,35 46 9,35 f. 53 9,36 32, 46 10,6 46 11,19 50 12,1–8 32, 52, 54

12,7 12,9–14 12,14 12,15 12,18 12,23 12,34 12,35 f. 14,13–21 14,33 15,1 15,1–9 15,14 15,21–28 15,24 15,32–39 16,14 17,20 18,15–18 19,9 21,10 21,32 21,42.44 23,13 23,16 23,23 24,45 24,45–51 25,21.23 26,4 26,28 26,50 26,69–71 26,71 27,1 27,1 f. 27,1–8 27,1–10 27,4 27,9 27,9 f. 27,10.24 27,40.43 27,46 27,51a 27,51b 27,52 27–28

53 43, 52, 54 32, 38 32 39 41 31 54 47 66 38 43 53 46 46 47 39 242 13 163 38 43, 47 250 54 53 43, 53 f. 244 145 244 32, 38 41 f. 32 51 50 f. 38 39 39 39, 55 39 39 39 65 66 59, 61, 63 f., 69 67 67 65 54

266

Stellenregister

28,5 28,16–20

69 41

Markus 1,1 1,2 f. 1,9–11 1,10 1,11 1,12 f. 1,14 f. 1,15 1,21 1,21–28 1,23 f.34 1,29–31 1,30 1,32 2,1–12 2,1–3,6 2,5b 2,6 2,6–10 2,7 2,10 2,15–17 2,16 2,17 2,18–22 2,23–28 3,1–6 3,4 3,6 3,11 3,22 3,28 3,28 f. 4,1–34 4,10–12 5,7 5,21–43 5,23.28.34 5,25–34 5,26 5,34 6,56 7,1.5 7,21

66, 68 68 3, 67 f. 67 f., 70 66, 70 68 3 68 64 3 60, 72 88 89 73 60, 72, 108 3, 60 71 64 61, 72 61, 71 72 60 64 137, 149 60 60 60 65 60 60, 72 71 71 71 73 73 60, 72 108 65 80, 153 97 150 65 64 163

7,22 8 8,27–30 8,29 8,30 8,31 8,31–33 9,7 9,11 9,14 9,14–9,29 9,19 9,25 9,30–32 9,31 10,32–34 10,33 10,34 10,45 10,46 10,46–52 10,52 11,1–11 11,18 11,18.27 11,25 12,1–9 12,28.31 12,38 13,2 14,1 14,1.43.53 14,3 14,10 14,22–24 14,28 14,58 14,60–64 14,62 14,64 15,1.31 15,22–39 15,24.32b 15,29 15,29 f. 15,29–31 15,30 15,31

71 61 73 71 71 65 f. 60 67 64 64 108 251 120 60 66 60 65 66 73, 149 112 108, 112 150 64 60 65 120 145 64 64 66 60 65 242 65 73 69 66 f. 72 72 61, 71 f. 65 60 65 65, 67, 70–73 64 64 64 64

Stellenregister

15,32 15,32a 15,33 15,33–39 15,33a 15,33b 15,34 15,34b 15,35 f. 15,38 15,39 15,39a 16,1–8 16,6 16,7 16,8 16,9–20 16,11.16

64, 70, 72 f. 64 66 67 73 73 3, 59, 61–63, 66–70 64 72 3, 65–68, 70 3, 66, 68, 70 72 67, 70 69 69 3, 69 69 242, 251

Lukas 1,26 f. 1,26.69 1,32 1,46–55 1,51–53 1,55 2,4 2,11 2,13.20 2,49 3,18 3,31 4,14.37 4,16–30 4,18 4,18 f. 4,32 4,33 4,33 f. 4,34.41 4,36 4,38 4,38 f. 4,40 4,40 f. 4,41 4,43 5,5

136 118 118 152 135, 152 152 118 118 123 115 91 118 117 110, 123, 134 134 116, 153 105 79 117 100 105 79, 85, 87 f., 102 77, 87 79, 87, 89, 102 87 117 115 98

5,12 5,12–16 5,13 5,14 5,15 5,17–26 5,18 5,18 f. 5,20 5,25 f. 5,27–32 5,27–39 5,30 5,31 5,31 f. 5,32 5,36 6,6 6,17 f. 6,17–19 6,18 6,18 f. 6,19 6,20 6,20–23 6,20–26 7,1–10 7,2 7,3 7,3–6a 7,3–8 7,3–9 7,4 7,6 7,6a 7,6b–9 7,7 7,8 7,9 7,11 f. 7,11–17 7,12 7,16 7,18–23 7,21 7,22 7,36

267 79, 83, 85, 95, 100–102 83, 98 f., 122 83, 100 83 79, 117 77, 87, 90, 104 79 87, 89 f. 104, 122 123 134 113 134, 145 137 113, 152 149 67 79 117 96 79, 96 95, 102, 105 96 f. 116 134 135 87, 90, 93, 104, 107, 122 79, 90 90, 93, 102 90 87, 90 90 91, 102 92, 102 91 90 f. 90, 92, 102 92, 102, 105 104, 122 93 77, 86, 134, 138, 153 79 123 110 79, 123 79, 123 142

268 7,36–39 7,36–50 7,37 7,38 7,39 7,40–42 7,41 7,41 f. 7,41–43 7,42 7,43 7,43–47 7,44–46 7,47 7,47 f. 7,48 7,50 8,1–3 8,2 8,24.45 8,25.48.50 8,26–39 8,27 8,27.29 8,28 8,31 f. 8,36 8.40.42.49–56 8,41 8,42 8,43 8,43–48 8,43b 8,44 8,47 8,48 8,49 8,50 9,21 f. 9,33.49 9,37–43a 9,38 9,38–40 9,39.42 9,40 9,41 9,44 f.

Stellenregister

147 4, 134, 138, 141, 144, 146 f., 149, 151 145 148 145 147 141 140, 146 148 146 f. 146 f. 147 142, 149 148, 152 148 148 106 f., 109, 122, 149 f. 134, 153 79 98 122 82 79, 82 85 100, 117 91 107 85 88, 91 f., 100–102 79, 86, 92 79, 84 f. 80, 105, 153 97 95–97 97 105, 107, 150 79 105, 108 115 98 77, 87, 93 86, 102 f., 117 88, 93, 102 79, 85 85 251 115

10,25 10,25–29 10,25–37 10,29 10,30 10,30–35 10,36 10,36 f. 10,37 10,38 10,38–42 10,41 f. 11,5–8 12,13–15 12,13–21 12,16–21 12,17 12,17–19 12,28 12,42 12,42–46 12,46 13,10–17 13,11 13,13 13,16 14,1–6 14,2 14,12–14 15 15,1 f. 15,2 15,3–32 15,6.9 15,7 15,7.10 15,11 15,11–32 15,17 15,17–19 15,25–32 15,31 f. 16,1–9 16,3 f. 16,14 16,19 16,19–31

147 147 112, 134, 139, 146 f., 151 146 112, 141 147 146 f. 142 146 f. 142 4, 134, 141, 153 142 120 147 137, 153 147 145 145 242 244 145 251 77 79, 85 123 85, 115 77 79 153 144, 149, 152 134, 144, 147 145 147 152 145, 152 149, 151 141 140 145 145 143 152 153 145 136 141 135, 137, 140, 153

269

Stellenregister

16,22–24 16,22–25 16,24 16,25 17,11–19 17,12 17,12 f.15 f. 17,13 17,14 17,15 17,16 17,17 17,18 17,19 18,1 18,1–5 18,1–8 18,2 18,4 18,6 18,7 18,9 18,9–14 18,10 18,10–14 18,14 18,15 18,31–34 18,35 18,35–43 18,36 18,38 18,38 f. 18,38 f.41 18,39 18,40 f. 18,41 18,42 18,43 19,1 19,1–10 19,2 19,3 19,3 f. 19,5

143 152 119 91 4, 77, 83, 98, 134, 141 79, 142 146 95, 98 f., 102, 119 83 105, 123 105 83 143 105, 107, 122, 150 121 145 120 120 120, 145 120 93 144, 147, 152 120, 140 141 147 143 f. 120 115 79, 111, 116 f. 84, 112, 116, 123 f. 117, 119 93, 99, 102, 117, 124 102, 119, 121 95, 102 99 f., 102, 117, 119 f., 124 100 100, 102, 121 106 f., 122, 150 108, 113, 122 f. 111 f.19,1.3113 84, 111, 122, 134, 138, 141 113 f. 113 146 115, 152

19,5.9 19,7 19,8 19,9 19,9 f. 19,10 19,37 20,9–16 20,17 20,41 20,41–44 20,44 22,47–53 22,50 23,43 23,39–42 23,39–43 23,45 23,46 24,5 24,11.41 24,39 24,45

115 114, 134, 145 114, 122 114 f., 143, 152 115, 151 115, 144, 149, 152 123 145 250 118 118 118 111 79 65 65 4, 134, 141 67 60, 69 69 242, 251 25 65

Johannes 1,14 1,30–34 2,19.21 f. 2,20–22 3,14–16 6,60–66 9,22 10,36 12,3 19,24 19,30 20,27 21,11

24, 60 24 66 60 60 22 21 66 242 66 60 244, 251 66

Apostelgeschichte 1,8 152 2,9 230 3,1 27 3,14 65 4,1–22 20 4,24 245 4,32–5,11 135, 137, 141 4,32–35,11 153

270 5,1 5,15 5,17–42 5,34–40 5,36–38 6 f. 6,1 6,1–3 7 7,52 8,1 8,1.3 8,14 9,2 9,36 10,45 12,2.17 12,12 12,12.25 13,5.13 13,50 14,2.19 14,4 14,15 15,13 15,22.27.32.40 15,37.39 16,1.15 16,14 f. 16,19–25.29 17,4.10.14 f. 17,5.13 17,24 18 18,5 19 19,22 20,28 21,8 21,9 22,4.19 22,14 23,6 23,7 24,23.27 25,24 26,5 26,28

Stellenregister

142, 153 96 20 135 19 20 135 153 20 65 20 20 27 20 153 244 27 153 232 232 21 21 67 245 27 232 232 244 153 232 232 21 245 21 232 21, 195 96 174 27 153 20 65 135 67 195 93 135 251

28,16 28,24

195 242, 251

Römer 1,5 1,8 1,13 1,16 f. 3,3 3,28 4,3 4,17 4,24 4,24 f. 5,2 6,1–11 6,3 6,11 7,1 8,17 10,9 10,16 11 11,7–10 12,1 12,2 12,6 12,16–18 13,1–7 14,1 16,16 16,19

240 235 f., 240 202 239 242, 251 14, 238 245 245 245 236, 238 247 232 235 235 202 232 235, 238 240 14 240 232 232 232 232 13, 232 202, 240 232 232

1. Korinther 1,9 1,10–16 1,21 1,26 1,26 f. 2,1 2,5 3,1–3 3,5–17 3,16 3,16 f. 4 4,2 4,6

244 183 235 202 136 202 239 166, 236 183 14, 173 174 5, 183 f. 244 160

271

Stellenregister

4,14 4,15 4,16 4,17 4,18 f. 5,1 5,1–3 5,1–13 5,2 5,3 5,3–5 5,4 5,5 5,6 5,6–8 5,7 5,8 5,9–11 5,10 5,11 5,11–13 5,12 5,13 6,1–6 6,1–12 6,6 6,9 6,12 6,12 f. 6,12–20 6,13 6,15 6,16 6,16 f. 6,17 6,17 f. 6,18 6,19 6,19 f. 6,20 7,1 7,1–9 7,5 7,12 7,13 f. 7,15

183 183 182, 185, 187 183, 244 160 158, 162 175 4, 157 f., 160, 162–165, 175–178 160 165 165 165 165–167 167 164, 167 167 f. 168 f. 169 169 163, 169 f. 177 170 164, 170 f. 15 164 235, 251 163 14, 161 161 4, 157–160, 162–165, 171 f., 175–178 162 159, 162, 171, 173 171 171, 178 172 172 173, 177 14, 173 f. 164, 173, 177 159, 174, 179 14 157 f., 165, 175–178 164 251 251 251

7,17–24 7,25 7,40 8 8,1 8,1–13 8,13 9,19 10 10,13 10,23 10,27 10,31 f. 10,32 10,33 11 11,1 11,2 11,17–34 11,18 11,23–25 12,4 12,9 12,28 13 13,7 13,13 14,22 14,23 f. 14,33–36 15,14 16,20

13 244 12 136 160 136 202 232 182 244 161, 182 235, 251 192 192 182, 190 5, 182, 191 5, 182, 187 182 181 f. 14 162 232 232 232 11 247 247 235, 251 235, 251 14 239 232

2. Korinther 1,3 1,5 1,8 1,18 1,19 1,24 2,13 3,4 3,12 4,3 f. 4,4 4,10 5,11 5,14–17

232 236 f. 202 244 232 240 202 236 236 240 235, 251 136 f. 236 237

272

Stellenregister

6,14 6,15 8,9 8,18 8,22 10,15 13,12

235, 251 244, 251 188 202 202 240, 247 232

Galater 1,2 2,11–14 2,15–21 2,16 2,17 2,19 f. 3,7 3,9 3,10 3,15 4,12 5,5 5,6 5,13

202 13 12 238 27 237 235 235, 244 18 202 202 236, 247 237 232

Epheser 1,1 6,21

244 244

Philipper 1,7 1,12 1,13 1,14 1,14–20 1,16 1,20–26 1,27–30 2,1–4 2,5 2,6–11 2,8 2,11 2,25 3,2–21 3,10 3,12 3,12–16 3,12–21

186, 188 102 188 188, 202 186 188 186 189 189 189 188 f., 191 189 189 202 187 237 185, 187 5, 187 f. 181, 186

3,13 3,14 3,17 3,18 3,18–21 3,19 3,20 3,21 4,19

187 187, 191 187, 189, 192 18, 188 f. 189, 192 190 190–192 190 18

Kolosser 1,2 1,7 1,23 2,16 2,18 2,21 4,7 4,7–9 4,9 4,10

244 244 247 13 12 14 244 219 244 232

1. Thessalonicher 1,1 232 1,2–10 184 f., 192 1,3 184, 191, 247 1,4 202 1,5 184 1,6 184 1,7 184 f., 235 1,7 f. 192 1,8 185, 240, 245 1,9 f. 185, 191 1,10 190 2,1 202 2,10 235 2,13 186, 235 2,13–16 181, 185 2,14 185 2,14–16 185 f. 2,16 186 3,2 202, 251 3,5 f. 240 4,1 236 4,4 239 4,9 202 4,14 238 5,8 247

273

Stellenregister

5,24 5,26

244 232

2. Thessalonicher 1,1 232 2,2 13 f. 3,3 244 1. Timotheus 1,12 1,15 2,9 2,12 3,1 3,11 4,3 4,9 4,10 4,12 5,8 5,16 6,2

244 244 12 14 244 244 244 244 244 244 251 244 244

2. Timotheus 2,2 2,11 2,13 3,14 4,11

2,2 244 242, 244, 251 242 232

Philemon 1,1 f. 1,9 1,10 1,10–12 1,11 1,12 1,12 f. 1,12–14 1,15 1,15 f. 1,15–17 1,16 1,16–18 1,17

196, 222 f. 195, 224 196, 202 f., 211 f., 220 196 197, 211, 219, 224 196, 199, 204, 209–212, 220, 223 208 204 196, 205, 209, 212 f., 221 199, 204, 237 204, 223 196, 201, 204 f., 218, 222 f. 220 196, 217 f., 222 f.

1,18 1,18 f. 1,19 1,24

196, 205, 215–224 214 f., 217 214 232

1. Petrus 1,1 1,3 1,3–10 1,3–12 1,4 f. 1,5 1,5–9 1,6 1,6 f. 1,7 1,7–9 1,8 1,9 1,10–12 1,12 1,13 1,14 1,15 1,18 f. 1,20 1,21 1,22 2,2 2,4 2,4–10 2,5 2,6 2,7 2,9 2,11 2,11–15 2,12 2,13–17 2,14 2,16 2,17 2,19 2,20–23 2,21 2,24 2,25 3,8–11

229, 232 232, 245 252 251 245 242, 248 f., 252 248, 251, 253 249, 252 231 323, 248 f., 252 242 249 f. 248 f., 252 253 247 232 232 232 174 253 243, 245–248, 253 232, 248 232 250 f. 232 232, 250 243, 250 242 f., 250 f. 232 248 231 252 232 232 232 11 252 231 232 232 248 232

274

Stellenregister

3,9 3,13–17 3,14 3,14–17 3,15 3,16 3,17 f. 3,18 3,20 3,22 4,1 4,1 f. 4,10 4,10 f. 4,12 4,12–16 4,13 4,13–16 4,16 4,17 4,19 5,1 5,1–4 5,6 5,9 5,10 5,11 5,12 5,14

232 231 231 252 231 232, 252 f. 231 233, 253 248 253 231 231 f. 230 232 231, 252 231 2332 f. 231 6, 234 245 243–245, 248 233, 253 230 245 243, 251 232, 245, 253 245, 248 229, 243–245 232

2. Petrus 2,10 3,1

12 230

1. Johannes 1,1 1,1–4 1,6 1,8 1,9 1,10 2,4 2,6 2,9 2,18 2,18 f. 2,19 2,22

25 24 24 24 f. 244 24 25 25 25 18, 25 21 22,24 18, 24

2,22 f. 2,26 3,7 4,2 4,2 f. 4,3 4,5 5,6 5,6–8

25 25 25 13, 23 f. 25 25 25 24 25

2. Johannes 7 9

18, 23–25 23 f.

3. Johannes 5 9–11

244 14

Hebräer 2,10 2,17 3,2 3,5 6,19 9,3 10,20 10,23 11,1

245 244 244 244 65 65 65 244 234

Jakobus 2,2 2,14

12 14

Judas 8

12

Offenbarung 1,5 2,7 2,10 2,13 2,14 3,7 3,14 5,9 10,6 13 14,7

174, 244 14 244 244 14 14 244 174 245 13 245

275

Stellenregister

14,18 19,11

229 244

21,8 26,19

251 229

Pagane Autoren Aelianus

Horaz

De natura animalum 9,33 97

Epistulae I 16,46–47 II 2,14–15

205 205

Sermones I 2,31–35

163

Apuleius Metamorphoses IX 12,3 f., 198

Labeo

Aretaios De causis et signis acutorum morbum 3,4 83 Caelius Aurelianus Tardae passiones praef. 3 85 1,4 79

79

207, 210, 212

Lucius Iavolenus Priscus Digesta 21,1,53

82

Musonius Diatribe 12

Celsus De medicina 3,23

Digesta 21,1,17,14

162

Paulus der Jurist

Codex Iustinianus 6,23,28 82

Digesta 21,1,43,1

Galen

Pedanios Dioscurides

De locis affectis 3,11 79 5,6 79

De materia medica 2,79 81

In Hippocratis librum de humoribus 1,1 94 1,18 94 In Hippocratis epidemarium libri I–VI II 3,8 94 III 2,6 94

206

Platon Res publica 405c–406d

85

Plinius d. Ä. Naturalis Historia 5,15,70 111 7,15,64 81 28,35 82 f.

276

Stellenregister

Sophokles

Plinius d. J. Epistulae IX 21 IX 24

214 214

Plutarch Conjugalia Praecepta 16 162 42 162 Moralia 144a

205

99

Strabon Geographica 16,2,41

111

Sueton Caligula 32,2

205

Annalen III 60,1–2

206

Ulpian

Proculus Digesta 21,1,17,4

99

Tacitus

Polybios Historiae 1,40,11

Aiax 27

206

Seneca Epistulae morales ad Lucilium 94,26 162 95,37 162

Digesta 21,1,17,14 23,8,1,1

210 82

Vivianus Digesta 21,1,17,5

206

Frühjüdische und rabbinische Literatur Babylonischer Talmud bPesah 111a

81

4Esra 3,1.28.31

229

Josephus Antiquitates Iudaicae 3,261 80 f., 84 3,264 80 4,72 50 14,91 112 17,161 111 17,194 111

18,16 f. 19,294

145 50

Contra Apionem 1,31 80 2,103 81, 84 De Bello Judaico 1,170 112 1,659 111 1,666 11 4,459–475 112 5,6 80 5,227 81, 84 6,427 81, 84

Stellenregister

Legatio ad Gaium 281 230

Mischna mZabim 3,1

82

mNidda 3,2

82

mKetubbot 61a

84

mBekhorot 7,5

84

Philo De Josepho 44 f.

163

De posteritate Caini 54 99

Quaestiones et Solutiones in Exodum II 14 169 Qumran 1QapGen 20,28 f. 119 1QM 14,10 119 1QSa 2,3–8 83 11QT48,14–17 80 f. 11QT48,23–26 80, 84 4Q274 1 1,4–9 81 4QMMTᵃ 83, 116 Syrischer Baruch 11,1 229

Frühchristliche Autoren Eusebius

Polykarp

Historia Ecclesiastica 3,39,17 230

Brief an die Philipper 1,3 230 2,1 f. 230 5,3 230 7,2 230 8,1 f. 230

277

Autorenregister Achtemeier, P. ​230, 232, 244, 246 f. Adam, J. ​68 Adrian, M. ​138, 148 Albertz, R. ​33, 52 Alkier, St. ​15, 233 f. Allison, D. C. ​35 f., 38 f., 43, 48 Arzt-Grabner, P. ​160, 166, 170 f.,176, 195, 197 f., 200–204, 207–213, 215–217, 221 f. Bachmann, M. ​238 Barclay, J. M. G. ​133 Bar-Efrat, S. ​37 Barth, G. ​106 Bauer, W. ​15, 23 Baumert, N. ​196, 199, 203 f., 209 Baur, F. C. ​11 f. Bauspiess, M. ​12, 65 Batmartha, I. J. ​81 Baxter, W. ​34 Bayer, H. F. ​161 Beck, J. U. ​59 Becker, E.-M. ​59 Becking, B. ​39 Bellen, H. ​200, 205, 217 Bendemann, R. ​78 f., 82–88, 106, 108, 111, 145 Bengel, J. A. ​64 Berger, K. ​50 f., 169 Berghorn, M. ​8, 32, 34, 36, 39 f., 45 Beuken, W. ​40 Bieberstein, S. ​153, 196, 198 Bietenhart, H. ​121, 176 Bindemann, W. ​143 Bock, D. J. ​104, 113, 125 Bonhoeffer, D. ​70 Boring, M. E. ​61, 66–71, 111 Bormann, L. ​247, Bosenius, B. ​108–110, 150 Böttigheimer, C. ​231 Böttrich, C. ​39, 104, 107 f., 110, 122, 174

Bovon, F. ​81, 93 f., 97, 104, 112, 114, 120 Braumann, G. ​148, 150 Broer, I. ​40, 229 f. Brown, R. E. ​35 Brox, N. ​229 f., 233, 251–253 Bruce, F. F. ​108 Bultmann, R. ​6, 62, 106, 234–237, 239–241 Burger, C. ​34 Busse, D. ​108 Busse, J.-Ph. ​141 Busse, U. ​77, 111, 119 Cabrido, J. A. ​53 Callahan, A. C. ​198 f., 201 f., 205, 219 Carroll, J. T. ​111 f., 114 f. Carter, W. ​34, 41 Cohen, S. J. D. ​81 Collins, A. Y. ​69 Conzelmann, H. ​165, 183 Corley, K. E. ​145, 148, 153 Cotter, W. ​120 Cullmann, O. ​101 Curkpatrick, S. ​120 Deines, R. ​47 Degenhardt, H.-J. ​134 Dibelius, M. ​61, 195 Dormeyer, D. ​32, 59, 111 f. Dunn, J. D. G. ​198, 211, 215, 217, 238 Dyma, O. ​33 Eastman, F. ​187–190 Ebach, J. ​33, 35 f., 44 f., 48 f., 51 f. Ebner, M. ​32 f., 36, 41, 50 f., 174, 195–199, 206, 215, 224, 233 f. Eckey, W. ​188 f., 203 Eco, U. ​140 Edelstein E. J. / L. ​85 Egger, W. ​198 Ego, B. ​94

280

Autorenregister

Elliott, J. H. ​229–232, 241, 245, 249 f. Elliott, S. S. ​199, 229–232, 241, 245, 249 f. Ehrlich, U. ​101 El Mansy, A. ​166, 170 Emeren, F. H. v. ​157 Erbele-Küster, D. ​84 Esser, H. H. ​99, 118 Evans, C. A. ​62 Fander, M. ​81 f. Feder, S. ​140 Fee, G. F. ​161, 167, 173 f. ​201 f. Feldmeier, R. ​229, 231, 246, 249–252 Fenske, W. ​101 Fiedler, P. ​34, 39, 41, 43, 49 Finegan, J. ​111 f., 115 Finlay, T. D. ​34 Finley, M. ​196 Fischbach, S. M. ​93 Fischer, G. ​45 f. Fitzmyer, J. A. ​92, 104, 111 f., 119 Fonrobert, C. ​81 f. Forderer, T. ​4 f. ​157 Fowl, St. E. ​188 f. Frankemölle, H. ​50 Frenschkowski, M. ​80 Frevel, C. ​39, 52 Frey, J. ​234, 238 Freyne, S. ​112, 114 Frickenschmidt, D. ​32, 44 Friesen, S. ​144 Gaiser, F. J. ​151 Gamauf, R. ​207 f., 210, 217 Gese, H. ​63 Gerber, C. ​174, 183 Gertz, J. ​33 Gielen, M. ​31, 39, 43, 230 Glombitza, O. ​98 Gnilka, J. ​43, 62, 65, 68, 71, 98, 196, 198, 205, 215 Goppelt, L. ​229, 232, 244, 249 Green, J. B. ​11 f. Greimas, A. J. ​140 Grieser, H. ​196 Grimm, W. ​98 f. Grohl, H. W. M. van ​101

Grootendorst, R. ​157 Gross, W. ​50 Grundmann, W. ​96 Grünzweig, F. ​195, 198 Gundry, R. H. M. ​41, 45 Gustafsson, D. ​117–119 Guttenberger, G. ​19, 230 f., 234 Häfner, G. ​35, 233 f. Hahn, F. ​17, 115, 118, 121 Harrill, J. A. ​207 f., 213 f., 217 Haufe, G. ​184–186 Heater, H. ​45 Heckel, U. ​229, 248, 252 Heesch, M. ​11 Heijer, A. d. ​108 Heininger, B. ​120 f. Hensel, B. ​142 Herrenbrück. F. ​114 Herrmann-Otto, E. ​198 Herzer, J. ​233 Herzog, R. ​85 Heussi, K. ​12 Hieke, Th. ​106 Hinson, E. G. ​101 Hobart, W. K. ​94 Hockey, K. M. ​233 Hofius, O. ​65 f., 71 Holloway, P. A. ​17, 187 Holtz, T. ​184–186 Honneth, A. ​137 f. Hoppe, R. ​13 Horn, F. W. ​1 f., 6, 20, 114, 233–235, 241 Horrell, D. G. ​233 f. Horst, P. W. ​96 Hotze, G. ​112 f. Hultgren, A. J. ​120 Huxel, K. ​9 Hvalvik, R. ​101 Hwang, J. K. ​183 Iersel, B. M. F. ​59 Inselmann, A. ​143 Janowski, B. ​46, 62, 64, 67 f. Jantsch, T. ​109, 113, 115, 119, 125, 146, 150 f. Jeremias, J. ​33, 37, 45

Autorenregister

Jobes, K. H. ​229, 248 Joseph, A. P. ​237 Kahl, W. ​81, 92 f. Kaiser, O. ​106 Kammler, H.-C. ​66 f. Karrer, M. ​118, 121 Käsemann, E. ​23 Kast, V. ​10 Kazen, Th. ​80–82 Kee, H. C. ​119 Keener, C. S. ​229, 245 Kendall, D. W. ​248 Kenyon, K. M. ​111 Kremer J. ​182, 184 Kilian, R. ​40 Kilney, M. C. ​101 Kingsbury, J. D. ​31 Kinzig, W. ​26 Kirchschläger, W. ​93, 119 f. Klein A. ​106 Klein H. ​235 Klein, T. ​234 Klingenberg, G. ​207 f. Kluge, F. ​9 Klumbies, P.-G. ​59, 62, 68, 79, 147 Knauf, E. A. ​33, 52 Knowles, M. ​39 Knox, J. ​197, 206 Koch, D.-A. ​12, 19, 230 Köhnlein, M. ​111 Kollmann, B. ​77–81, 83 f., 97 Konradt, M. ​13, 31 f., 38 f., 41, 43, 45–48, 53, 104–106, 110, 118, 122, 159, 164, 166–170, 175, 232 f. Kopp, C. ​111 Kremer, J. ​182, 184 Kreplin, M. ​115 Kreuzer, S. ​80 Krug, A. ​85 Kümmel, W. G. ​149 Lampe, P. ​195, 197–200, 206 f., 213–219, 221–223 Landmesser, C. ​12, 73 Lenski, G. ​138 Le Roux, E. ​234 Leutzsch, M. ​79

281

Levine, A. J. ​81, 111 f. Lewis, L. A. ​198 Liddell, H. G. ​48, 93 f., 117, 188 LiDonnici. L. R. ​85 Lightfoot, J. B. ​195 Lindemann, A. ​59, 108, 110 Lisewski, K. D. ​33, 48 Llewelyn, S. R. ​198 Lohmeyer, E. ​62, 66, 68, 98, 198, 215, 217 Löhr, H. ​187 Lohse, E. ​106, 134 Loos, H. van der ​77, 111 Löw, M. ​113 Louw, J. P. ​99 f. Lüdemann, G. ​215 f. Lührmann, D. ​11, 106 Luther, S. ​16, 233 Lux, R. ​51 Luz, U. ​32, 34 f., 41 f., 47, 49, 53 Mahr, D. ​88 Malina, B. ​133, 137 Manns, F. ​101 Marchal, J. A. ​188 Markschies, C. ​11, 13, 15–17, 26 Marshall, I. H. ​94, 96, 104, 111, 114, 120 Martin, T. W. ​234, 246 Martyn, J. L. ​133 Mayer, G. ​51 McDaniel, W. B. ​81 McDowell, M. ​101 McKnight, S. ​195, 198 Meister, D. J. ​39 Menken, M. J. J. ​39 Merklein, H. ​169, 175 Merz, A. ​115, 120 f. Metternich, U. ​81 f., 84, 98 Metzger, B. M. ​67, 97 Metzner, R. ​232 f. Michaelis, K. W. H. ​188 Michel, O. ​118 Milgrom, J. ​81 Montanari, F. ​82, 88, 93 f., 117, 119 Müller, C. G. ​231–234, 249 Müller H. ​198 Müller, M. ​150 Müller, P. ​195

282

Autorenregister

Müller, P.-G. ​185–187 Müller, U. B. ​43, 47, 189 Müri, W. ​93 Neumann, N. ​4, 80, 106, 109 f., 135, 141 Netzer, E. ​111 Newman, J. ​101 Neyrey, J. H. ​133 Nida, E. A. ​99 f. Nolland, J. ​111–113, 115, 122 Nordling, J. G. ​198, 204 Nützel, J. M. ​108 Oepke, A. ​99 Öhler, M. ​18, 61 Ollrog, W.-H. ​199, 202, 204, 220 Ostmeyer, H. ​89, 91, 93 f., 100–103, 117, 122 f. Oswald, W. ​37 Ott, W. ​101 Parsons, M. C. ​112 f. Patterson, C. ​137 f. Paul, C. ​82 Penny, D. ​120 Pesch, R. ​61–68 Petersen, D. G. ​108 Pfremmer De Long, K. ​101 Pilch, J. J. ​77 f. Pokorný, E. ​229, 248, 252 Popa, R. ​32 Popkes, E. E. ​84 f. Poplutz, U. ​31–33, 38, 41–43, 46, 53, 120 Popp, T. ​137, 233 Prieto, C. ​77, 111 Priesching, N. ​196 Propp, V. ​140 f. Quenstedt, J. ​11, 181 Räisänen, H. ​237 Reinmuth, E. ​195 f., 199 f., 217 Repschinski, B. ​31, 41 f. Riedo-Emmenegger, C. ​19 Riesner, R. ​62, 68 f. Robbins, V. K. ​135, 152

Rohrbaugh, R. L. ​137 f. Roth, U. ​218 Rowe, C. K. ​92, 121 f. Rüger, H. P. ​49 Rüggemeier, J. ​59, 134, 139, 142, 147, 152 Rüpke, J. ​111 Rupprecht, F. ​98 Saldarini, A. J. ​31 Sanders, E. P. ​145 f. Sanders, J. A. ​49 Sandnes, K. O. ​101 Sargent, B. ​233 Schabert, J. ​33, 44 Schaeder, H. H. ​49 Schenk, W. ​216 Schenke, L. ​22 Schiffer, B. ​93 Schliesser, B. ​234 f., 238–241 Schmeller, T. ​23 Schmidt, E. D. ​233, 248 Schmidt, K. L. ​59, 171 Schmidt, K. M. ​232, 234 Schmithals, W. ​11, 134 Schmitz, B. ​33, 52 Schneider, M. ​231 Schnelle, U. ​6, 12, 16, 20, 22 f., 195, 229, 231 f., 234 f., 238–241 Schnurr, G. ​9 Schrage, W. ​108, 159–161, 164, 166, 168–171, 175 f., 183 Schreiber, S. ​32, 108, 110, 121 f., 199 Schröter, J. ​17, 20, 77, 115, 120 f. Schumacher, T. ​238 Schürer, E. ​92 Schweizer, E. ​45, 62 f., 66 f. Scornaienchi, L. ​11, 13, 16, 18, 160, 172 f. Scott, B. B. ​48, 120 f. Scott, R. ​48, 93 f., 117, 188 Seebass, H. ​40, 45, 171 Seeberg, A. ​17 Sellew, P. ​145 Sellin, G. ​4, 120, 139–141, 143 Sellner, H. J. ​109, 115, 142, 146, 149 f. Selvidge, M. ​81 f. Snodgrass, K. ​120

Autorenregister

Söding, T. ​231, 233 Soja, E. W. ​111 Solin, H. ​203 Stare, M. ​81, 97 f. Staudinger, F. ​99, 118 Stauffer, E. ​119 Stegemann E. W. / W. ​84, 138 Steinhart, M. ​85 Stendahl, K. ​34 Strecker, G. ​23 Stuhlmacher, P. ​195, 198, 215 Suhl, A. ​195, 197 f. Taeger, J.-W. ​146, 148, 150 Tang Nielsen, J. ​150 Tannehill, R. C. ​83, 11–116, 120 Temkin, O. ​79, 85 Theissen, G. ​96, 98, 115, 136, 151 Theobald, M. ​21 f., 237 Thornton, C.-J. ​195 Thóth, F. ​19 Thyen, H. ​80 Toit, D. S. ​92, 106, 108 f., 115, 118, 121, 233 f. Tosche, K. ​151 Trebilco, P. ​185 f. Trummer, P. ​81 Ueberschaer, N. ​234 Untergassmair, F. ​88 Urciuola, E. R. ​111 Vahlenhorst, M. ​173 f. Verweyen, H. ​231 Vielhauer, P. ​149 Vledder, E.-J. ​80 Vogel, M. ​31 Vouga, F. ​246, 248–251, 253

283

Wagenvoort, H. ​138 Wagner, G. ​246, 248–251 Wander, B. ​21 Weber, C. ​196 Weidemann, H.-U. ​231 Weiss, J. ​195 Weissenrieder, A. ​77–80, 84–86, 93 Wells, L. ​91 Wengst, K. ​195, 197 f., 205–207, 209, 215–217 Wenzel, K. ​231 Wildberger, H. ​40 Wilhelm, D. ​153 Wilk, F. ​41 Willi, T. ​33 Williams, T. B. ​234 Willitts, J. ​45 Witherington, B. ​69, 111 Winter, S. ​197, 199, 202–205, 220 Wischmeyer, O. ​11, 16, 18 f. Wolbert, W. ​183 Wolff, C. ​161, 175, 182 f. Wolter, M. ​6, 18, 80, 92–97, 99, 104, 106, 111–114, 119 f., 122, 172 f., 196, 199, 215 f., 218, 234 f., 237–241 Wright, D. P. ​81 Wucherpfennig, A. ​37, 48, 50 f. Wypaldo, A. ​68 Zach, M. ​39 Zeller, D. ​159–161, 164–171, 174–176, 232 Ziethe, C. ​41 Zimmermann, Chr. ​92, 121 Zimmermann, R. ​77, 120, 163, 170, 175 f. Zuckscherdt, E. ​50 Zumstein, J. ​22

Sachregister Abraham, -kindschaft ​34 f., 37, 41, 114, 119, 140, 143, 152, 233, 238 f. Antiochenischer Zwischenfall ​2, 12 f. Armut, Arme ​4, 84 f., 116, 134 f., 137 f., 152 f. Arzt ​84–86, 93, 97, 106, 137 Auferstehung (Christi) ​6, 234, 237, 241, 246 Außenseiter, Außenseiterin, Marginalisierte(r), gesellschaftlich M. ​4, 109, 116, 134, 136 f., 139, 143, 145, 151–153 Aussatz/λέπρα, Aussätziger ​4, 79 f., 83–85, 95 f., 98–100, 105, 109, 119, 121 f., 141, 143, 146, 150 f. Autorität, Autoritätsfigur ​2, 4, 72, 91 f., 96, 98–103, 114, 121, 139, 165, 182 f., 191 f. Autoritäten, jüdische – Hohepriester/high priests ​31, 42 – jüdische Autoritäten/Jewish leaders ​2, 32, 34, 38 f., 42 f., 47, 53–55, 133 – Pharisäer/Pharisees ​4, 20, 31, 42 f., 90, 113, 120, 134–136, 138, 140–149, 152 – Sadduzäer/Sadducees ​31, 42 f. – Schriftgelehrte/scribes ​3 f., 42, 60 f., 64, 70–73, 90, 113, 134 f., 139 f., 143, 145–147, 152 Bedrängnis ​5, 184–186, 188 Befreiung/liberation ​40 f., 52 Berührung, berühren ​81, 84, 96–98, 100, 105, 123, 135 Bitte ​3 f., 88 f., 91–96, 98–103, 106, 117–119, 124, 217 Buße ​4, 125 Christgläubige, Christusgläubige ​20, 183–186, 189–192, 202, 230 Christushymnus, Philipperhymnus ​5, 188–191

David, Davidide ​2, 33–42, 44–46, 51–55, 118 Dramatisches Dreieck ​4, 139–141, 150 Dynamis/δύναμις, Kraft ​95 f., 98, 105 f., 181, 184 f., 239, 242, 249, 245 Ehe, Ehebruch ​157, 163, 165, 175–178 Ehre ​137 f., 189, 231, 242, 248 f. Emotion ​98 Erbarmen/mercy, erbarmend/merciful, Barmherzigkeit, Hilfsbereitschaft ​3 f., 31 f., 36 f., 38, 42–44, 46, 53 f., 99 f., 116, 118 f., 124 f., 139, 142, 146 Erlösung ​119 Eschatologie, eschatologisch, Eschaton ​ 2, 6, 13 f., 62, 70, 109, 161, 166, 169, 182, 185, 187, 190, 192, 233, 236, 245, 248 f., 253 Fleisch/σάρξ ​13, 23 f., 166 f., 171–173, 203, 233, 253 Führungskonflikt/conflict of leadership ​ 2, 31 f. Gastgeber, Gastgeberin, Gastmahl ​138, 141 f., 144–146, 148 f. Gebet ​4, 21, 67, 88, 94, 99, 101–103, 106, 119, 121 f., 124, 143 – beten ​63 – Bittgebet ​103 – Dankgebet ​101, 113 – kommunikative Gebetstermini ​4, 78, 101–103, 117, 119, 124 – Ruf-Termini ​117 Gefangenschaft, Gefängnis ​82, 186, 195 f., 199, 202 f., 205 f., 209 f., 212, 218–224 Geist/πνεῦμα, Heiliger Geist/Spirit (of God) ​12 f., 23 f., 47, 68, 71, 166 f., 171–174, 184, 232 f., 238 f., 247, 253

286

Sachregister

Gerechtigkeit ​36, 120, 138, 143, 145, 231, 238, 247 – Glaubensbegriff ​6, 234 f., 237–241, 250, 252 f. – Glaubensverständnis ​6, 106, 234 f., 238 f., 241, 243–246 – Gläubige ​2, 5 f., 185, 231, 234, 236, 238, 245, 247 f., 251, 253 Gemeindeausschluss ​13, 166 f., 175, 177 Götzenopferfleisch ​136, 182, 191 Heil, Heilsverheißung ​4, 63, 108–110, 123 f., 133, 146, 149–152, 182, 235, 237, 247 Heiler ​118 Herrenmahl, Tischgemeinschaft ​24, 60, 134, 144, 170, 181 f., 191 Hierarchie ​114, 137 f., 191, 204 Hingabe/devotion ​6, 31, 41, 236 Hirte, guter H./(good) shepherd ​2, 42, 44–46, 53 f., 118 Herrschaftstitel/Hoheitstitel ​2, 94, 100, 102, 117–119, 122, 124 – Christus/Χριστός ​5 f., 13, 23–25, 32, 34 f., 51, 73, 101 f., 118, 160–162, 164, 168 f., 171–173, 177, 183–185, 187–191, 219, 231–233, 235–241, 245–247, 249–253 – Davidsohn, Sohn Davids/Son of David/ υἱὸς Δαυίδ ​34, 38, 41 f., 51, 54, 100, 117 f., 124 – Gottessohn, Sohn Gottes ​3, 66–68, 70 f. – Herr/κύριος ​8, 18, 40, 63, 118, 122, 160, 165, 171, 173, 184, 189–191, 231, 233, 235, 238 – König der Juden/King of the Jews ​2, 31, 38, 41, 54 – Messias/Messiah ​2 f., 25, 35–38, 46, 51, 54 f., 73, 118 Identität, plurale I. ​2, 12, 15–18, 21, 26, 28, 135, 167, 181, 190, 192, 233 f., 237, 241 Körper, Körperlichkeit ​160–162, 164–166, 172–175, 177 Kraft  (s. Dynamis)

Kranke/the sick ​32, 46, 77, 83–87, 89 f., 92, 95, 116, 137, 152 f. Krankheit, Schwäche, Schwachheit, Plage ​ 3, 9, 77–79, 82–87, 93, 96, 103, 106, 109, 123, 137 f., 150, 185 Kreuz, Kreuzigung ​3–6, 19, 24, 59–61, 63–67, 69 f., 72 f., 80, 127, 141, 149, 168, 183 f., 189 f., 192, 233, 235 f. Kreuzestod (s. Sterben Jesu) Kult/cult ​2 f., 12, 31, 33, 37, 52, 53, 65, 66, 77, 80, 83–85, 116, 123, 142, 185 Leiden/suffering, Leiden Christi, Leidensankündigungen, πάσχω ​5–7, 40, 42, 54 f., 60, 62, 64–67, 71, 73, 78–80, 83 f., 93, 109, 115, 176, 185 f., 188, 189 f., 215, 231, 233 f., 237, 242 f., 252 f. Marginalisierte(r), gesellschaftlich M. (s. Außenseiter, Außenseiterin) Mimesis, -gedanke, Nachahmung, μιμέομαι ​5, 181–192, 231 Nachahmung (s. Mimesis) Ναζωραῖος ​49–52 Not, Notlage, Notsituation ​40, 63, 85 f., 93–95, 97, 102 f., 116, 123, 245 Opfer, Sühnopfer/sacrifice ​41 f., 65 f., 81, 136, 168 Parusie ​19, 23, 166 Pesachfest, -lamm, -vorbereitungen ​ 167–169, 180 Reich Gottes, Königreich Gottes ​3, 68, 114 Retter/savior ​38, 40, 63 f., 190 Rettung, Errettung/salvation/σωτηρία ​3 f. ​ 6, 34, 40 f., 63–66, 72, 94, 99, 107–109, 115 f., 119, 122, 125, 133, 150 f., 166 f., 190, 234, 241–243, 245, 247–249, 252 – (er-)retten/save/σῷζω ​34, 41 f., 54, 64 f., 78, 90, 91, 103–110, 115, 122, 125, 144, 149–151, 166, 182, 191 f., 235, 238 f., 245

Sachregister

Schande ​137 f. Schisma, Johanneisches ​2, 21–25 Schuld, Schuldner, Schuldnerin, Schaden ​ 6, 140 f., 146–148, 166, 172, 176, 196, 203, 205, 211, 214–223 Sexualität, Sex, Sexualkontakt, sexuelle Beziehung/Einheit, sexuelle Laster, Sexualethik ​5, 14, 157–163, 169, 171–173, 175–179 Sklaverei, Sklave, Sklavin/δοῦλος ​6, 93, 162, 172, 174, 196–224 Soteriologie, soteriologisch ​4, 6, 24, 64, 108, 110, 133, 146, 149, 151, 168, 186, 190 f., 233, 237 f., 240, 248, 253 Status, rechtlicher S., religiöser S., sozialer S. ​12, 21, 42, 96, 114 f., 134, 136, 143, 152, 197–202, 204, 211 f., 220 f., 233 Sterben, mitsterben, Tod (außer Jesu S., Jesu T.) ​3, 20, 79 f., 86, 90–93, 134, 138, 140, 143, 166, 233 Sterben Jesu, Tod Jesu, Kreuzestod ​17, 19, 24, 59–67, 70, 72 f., 168, 189, 234, 237, 241 Sühnopfer, s. Opfer Sünde/sin, sündigen, Verfehlung ​24, 37, 52, 71, 138, 144–146, 148, 172 f., 177 f., 253

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Sündenvergebung/forgiveness of sins ​ 41 f., 53, 60, 71, 104, 146–148, 152, 234 Sünder, Sünderin/sinner/ἁμαρτωλός ​4, 60, 113 f., 134–138, 140–146, 148 f., 151 f., 166 Tod Jesu  (s. Sterben Jesu) Umkehr/repent/repentance ​4, 43, 47, 62, 113, 116, 125, 144 f., 149, 151 f., 161 Verfehlung (s. Sünde) Verfolgung ​15, 20, 185, 230 f., 252 Vollmacht/ἐξουσία ​71–73, 88, 104–106, 122, 124, 176 Widerstand ​7, 20, 136, 145, 152, 165, 210, 243, 251 f. Wille Gottes/God’s will/divine will/Jesu Wille ​2, 31, 36, 43, 47, 52–54, 96, 135, 146, 163, 231, 243 Zöllner ​4, 84, 111, 113–115, 120, 134–138, 140 f., 143, 147, 152