Holocaust und Vernichtungskrieg: Die Darstellung der deutschen Gesellschaft und Wehrmacht in Geschichtsschulbüchern für die Sekundarstufe I und II [1 ed.] 9783737008587, 9783847108580

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Holocaust und Vernichtungskrieg: Die Darstellung der deutschen Gesellschaft und Wehrmacht in Geschichtsschulbüchern für die Sekundarstufe I und II [1 ed.]
 9783737008587, 9783847108580

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Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik

Band 16

Herausgegeben im Auftrag der Konferenz für Geschichtsdidaktik vom Vorstand: Thomas Sandkühler, Michele Barricelli, Monika Fenn, Markus Bernhardt und Astrid Schwabe

Etienne Schinkel

Holocaust und Vernichtungskrieg Die Darstellung der deutschen Gesellschaft und Wehrmacht in Geschichtsschulbüchern für die Sekundarstufe I und II

Mit 98 Abbildungen

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-5391 ISBN 978-3-7370-0858-7 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung der Konferenz fþr Geschichtsdidaktik.  2018, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Forschungskontext und Problemaufriss . . . . . . . . . 1.1. Geschichtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Geschichtskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Familiengedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik . . . 1.5. »Holocaust Education« . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forschungsgegenstand und Fragestellungen der Arbeit 3. Zum Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gliederung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II.

Theoretischer Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Schulbuch als Leitmedium des Geschichtsunterrichts . . . . 2. Das Schulbuch als Medium der Geschichtskultur . . . . . . . . .

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III. Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Samplebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Auswahl der Schulbücher . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Beschreibung der Schulbücher . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Methodik von Schulbuchanalyse . . . . . . . . . . . . 2.1. Deskriptiv-analytische bzw. hermeneutische Methode 2.2. Inhaltsanalytische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Quantitative Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Qualitative Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . 3.1. Bildung und Begründung der inhaltlichen Analysekategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Bausteine der Schulgeschichtsbücher . . . . . . . . . .

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Inhalt

4. Gang der Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Notwendige Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.

V.

Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Forschung und Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der akademische Diskurs über Wissen und Reaktionen der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Erste wissenschaftliche Annäherungen . . . . . . . . . . . . 1.2. Konsolidierung und Festigung des Forschungsstandes . . . 1.3. Vertiefung und Ausdifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Umfassende Aufarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der öffentliche Diskurs über Wissen und Reaktionen der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Vom Nürnberger Militärtribunal zum Kniefall von Warschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1. Die Phase der politischen Säuberung . . . . . . . . . 2.1.2. Die Phase der Vergangenheitspolitik . . . . . . . . . . 2.1.3. Die Phase der Vergangenheitsbewältigung . . . . . . . 2.2. Die Phase der Vergangenheitsbewahrung . . . . . . . . . . 2.2.1. »Holocaust« – Die Geschichte der Familie Weiss . . . 2.2.2. Die Rede Richard von Weizsäckers zum 40. Jahrestag des Kriegsendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3. Historikerstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4. Die Rede Philipp Jenningers zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5. »Schindlers Liste« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6. Daniel Jonah Goldhagens »Hitlers willige Vollstrecker« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.7. Wehrmacht und Vernichtungskrieg . . . . . . . . . . 2.2.8. Holocaust-Mahnmal und neuer Opferdiskurs . . . . . Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration I . . . 1. Boykott 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Novemberpogrom 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/41–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kenntnisse vom Holocaust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen . . . . . . . 5.1. Verbreitung antisemitischer Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

5.2. Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der »Arisierung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Verhalten der »Zuschauer« im Alltag gegenüber jüdischen Mitmenschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wehrmacht und Vernichtungskrieg . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Beteiligung am Genozid an den Juden . . . . . . . . . . . 6.2. Verantwortung für die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Tötung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II . . . 1. Boykott 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Novemberpogrom 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/41–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kenntnisse vom Holocaust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen . . . . . . . . 5.1. Verbreitung antisemitischer Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der »Arisierung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Verhalten der »Zuschauer« im Alltag gegenüber jüdischen Mitmenschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wehrmacht und Vernichtungskrieg . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Beteiligung am Genozid an den Juden . . . . . . . . . . . 6.2. Verantwortung für die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Tötung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III . . 1. Boykott 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Novemberpogrom 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/41–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kenntnisse vom Holocaust . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

5. Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen . . . . . . . . 5.1. Verbreitung antisemitischer Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der »Arisierung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Verhalten der »Zuschauer« im Alltag gegenüber jüdischen Mitmenschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wehrmacht und Vernichtungskrieg . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Beteiligung am Genozid an den Juden . . . . . . . . . . . 6.2. Verantwortung für die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Tötung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV . . . 1. Boykott 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Novemberpogrom 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/41–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kenntnisse vom Holocaust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen . . . . . . . . 5.1. Verbreitung antisemitischer Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der »Arisierung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. Verhalten der »Zuschauer« im Alltag gegenüber jüdischen Mitmenschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wehrmacht und Vernichtungskrieg . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Beteiligung am Genozid an den Juden . . . . . . . . . . . 6.2. Verantwortung für die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Tötung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX.

Fazit der Studie und Perspektiven für die Praxis . . . . . . 1. Zusammenfassung und Diskussion der Befunde . . . . . 2. Pragmatische Konsequenzen für die Schulbuchgestaltung 2.1. Die deutsche Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Wehrmacht und Vernichtungskrieg . . . . . . . . . .

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Inhalt

3. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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X.

Gesamtübersicht Sample . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XI.

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XII. Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XIII. Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Die vorliegende Publikation ist während meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Didaktik der Geschichte des Seminars für Mittlere und Neuere Geschichte der Georg-August-Universität Göttingen entstanden. Wenn inhaltlich alles gesagt und geschrieben ist, bleibt nur noch die schöne Aufgabe übrig, denjenigen Dank zu sagen, die zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. An erster Stelle ist Professor Dr. Michael Sauer zu nennen, der das Erstgutachten verfasste und mir in Forschung und Lehre die für stringentes Arbeiten an einer Dissertation nötigen Freiräume gewährte. Zu Dank verpflichtet bin ich ebenso Professorin Dr. Bärbel Kuhn, die das Zweitgutachten übernahm, und Professor Dr. Peter Kuhlmann, der gemäß den Vorgaben der Philosophischen Fakultät als Drittgutachter fungierte. Der »Konferenz für Geschichtsdidaktik. Verband der Geschichtsdidaktikerinnen und Geschichtsdidaktiker Deutschlands e. V.« bin ich sehr dankbar für den großzügigen Druckkostenzuschuss und für die Aufnahme meines Werkes in die verbandseigene Reihe »Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik«. Am Lehrstuhl Didaktik der Geschichte bedanke ich mich sehr herzlich bei Dr. Marco Dräger und Dr. Christina Kakridi für ihre Kollegialität und konstruktive Kritik, außerdem bei Joana Schroeer-Reuter und Merle Eggers, die für alle (organisatorischen) Belange stets ein offenes Ohr hatten, sowie bei den studentischen Mitarbeitern, vor allem Christian Aschenbrenner und Hannah Rudolph, die durch ihr großes Engagement und ihre Zuverlässigkeit wertvolle Hilfe geleistet haben. Außerordentlich zu danken habe ich ebenfalls Alfred Germ, der mir während des Schreibprozesses vielfältige Unterstützung und wichtige Anregungen zuteilwerden ließ. Jan-Niklas Lühring danke ich für die Freundschaft, den unermüdlichen Zuspruch und die unzähligen Diskussionen, ohne die meine Arbeit so nicht existieren würde. Ebenso danke ich Torge Bickert, der in zahlreichen fachlichen und außerfachlichen Gesprächen mit wertvollen Ratschlägen maßgeblich zur Realisierung der Arbeit beigetragen hat. Mein ganz besonderer Dank gilt ferner

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Vorwort

Kathrin Schäfer, die mir gerade in anstrengenden und stressigen Phasen einen unschätzbaren Rückhalt gab. Gewidmet ist dieses Buch meiner Familie, allen voran meinen Eltern, von denen ich während der Bearbeitung meiner Dissertation jede erdenkliche Unterstützung erhalten habe. Danke!

I.

Einleitung

Im Zentrum dieses Buches steht das Schulbuch, das Leitmedium für historisches Lehren und Lernen im Geschichtsunterricht. Die Arbeit widmet sich der Frage, wie in (west-)deutschen Schulgeschichtsbüchern die Darstellung der nichtjüdischen »Durchschnittsdeutschen« im Nationalsozialismus gelingt, die nach 1945 nahezu kollektiv behaupteten, nichts gewusst zu haben, aber als Zuschauer, Mitläufer, Nutznießer oder Soldaten der Wehrmacht an der Ausgrenzung, Diskriminierung, Entrechtung, Demütigung und schließlich auch Ausrottung der deutschen und europäischen Juden beteiligt waren. Dabei gilt es zunächst, das Forschungsthema in die größeren Zusammenhänge von Geschichtswissenschaft, Geschichtskultur und Geschichtsdidaktik einzuordnen.

1.

Forschungskontext und Problemaufriss

»Davon hat man nichts gewusst!«, hieß es nach Ende des Zweiten Weltkrieges im Land der Täter. Berichten alliierter Beobachter zufolge stritten die meisten Deutschen jede Kenntnis von der Ermordung der europäischen Juden vehement und pauschal ab.1 Vergegenwärtigt man sich die Tatsache, dass die nationalsozialistische »Judenpolitik« in einem erheblichen Maße in der Öffentlichkeit stattfand – Boykott, Segregation, »Arisierung«, Pogrom und Deportation als Voraussetzungen für die physische Vernichtung –, erschien diese Behauptung schon immer mehr als unglaubwürdig. So führte bereits Eugen Kogon, bekennender Gegner des Nationalsozialismus und Überlebender des Konzentrationslagers Buchenwald, in seiner während der zweiten Hälfte des Jahres 1945 verfassten Monographie »Der SS-Staat« zum Wissen der Deutschen aus: »Was hat der Deutsche von den Konzentrationslagern gewußt? Außer der Existenz der Einrichtung beinahe nichts, denn er weiß heute noch wenig. Das System, die Einzel1 Vgl. Alexander von Plato/Almut Leh: Ein unglaublicher Frühling. Erfahrene Geschichte im Nachkriegsdeutschland 1945–1949. Bonn 2011, S. 134f.

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Einleitung

heiten des Terrors streng geheimzuhalten und dadurch den Schrecken anonym, aber umso wirksamer zu gestalten, hat sich zweifellos bewährt. Viele Gestapobeamte kannten […] das Innere der KL, in die sie ihre Gefangenen einwiesen, nicht; die allermeisten Häftlinge hatten vom eigentlichen Getriebe des Lagers und von vielen Einzelheiten der dort angewandten Methoden kaum eine Ahnung. Wie hätte das deutsche Volk sie kennen sollen? Wer eingeliefert wurde, stand einer ihm neuen, abgründigen Welt gegenüber. Das ist der beste Beweis für die allgewaltige Wirksamkeit des Prinzips der Geheimhaltung. Und dennoch! Kein Deutscher, der nicht gewußt hätte, daß es Konzentrationslager gab. Kein Deutscher, der sie für Sanatorien gehalten hätte. Niemand, der nicht Angst vor ihnen gehabt hätte. Wenige Deutsche, die nicht einen Verwandten oder Bekannten im KL gehabt oder zumindest gewußt hätten, daß der und jener in einem Lager war. Alle Deutschen, die Zeugen der vielfältigen antisemitischen Barbarei geworden, Millionen, die vor brennenden Synagogen und in den Straßenkot gedemütigten jüdischen Männern und Frauen gleichgültig, neugierig, empört oder schadenfroh gestanden haben. Viele Deutsche, die durch den ausländischen Rundfunk einiges über die KL erfahren haben. Mancher Deutscher, der mit Konzentrationären durch Außenkommandos in Berührung kam. Nicht wenige Deutsche, die auf Straßen und Bahnhöfen Elendszügen von Gefangenen begegnet sind. […] Kaum ein Deutscher, dem nicht bekannt gewesen wäre, daß die Gefängnisse überfüllt waren, und daß im Lande unentwegt hingerichtet wurde. Tausende von Richtern und Polizeibeamten, Rechtsanwälten, Geistlichen und Fürsorgepersonen, die eine allgemeine Ahnung davon hatten, daß der Umfang der Dinge schlimm war. Viele Geschäftsleute, die mit der Lager-SS in Lieferbeziehungen standen, Industrielle, die vom SS-Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamt KL-Sklaven für ihre Werke anforderten, Angestellte von Arbeitsämtern, die wußten, daß die Karteikarten der Gemeldeten Vermerke über die politische Zuverlässigkeit trugen, und daß große Unternehmen SSSklaven arbeiten ließen. Nicht wenige Zivilisten, die am Rande von Konzentrationslagern oder in ihnen selbst tätig waren, Medizinprofessoren, die mit Himmlers Versuchsstationen, Kreis- und Anstaltsärzte, die mit den professionellen Mördern zusammenarbeiteten. Eine erhebliche Anzahl von Luftwaffenangehörigen, die zur SS kommandiert worden sind und etwas von den konkreten Zusammenhängen erfahren haben. Zahlreiche höhere Wehrmachtsoffiziere, die über die Massenliquidierungen russischer Kriegsgefangener in den KL, außerordentlich viele deutsche Soldaten und Feldgendarmen, die über die entsetzlichen Greueltaten in den Lagern, Ghettos, Städten und Dörfern des Ostens Bescheid gewußt haben. Ist eine einzige dieser Feststellungen falsch?«2

2 Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. München 1946, S. 331f. Vgl. zur historiographischen Bedeutung von »Der SS-Staat« als erster Gesamtdarstellung des nationalsozialistischen Unterdrückungs- und Terrorapparats Hendrik Buhl: Eugen Kogon: Der SS-Staat. In: Torben Fischer/Matthias N. Lorenz (Hrsg.): Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Bielefeld 3., überarb. u. erw. Aufl. 2015, S. 34–36; Meike Herrmann: Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager (1946). In: Elena Agazzi/Erhard Schütz (Hrsg.): Handbuch Nachkriegskultur. Literatur, Sachbuch und Film in Deutschland (1945–1962). Berlin 2013, S. 294–296; Volkhard Knigge: »Die organisierte

Forschungskontext und Problemaufriss

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Neben die nahezu gebetsmühlenartige Beteuerung, zur Tatzeit vom Judenmord wirklich nichts gewusst zu haben, trat in den ersten Nachkriegsjahren ein weitverbreitetes Nicht-Wissen-Wollen. Nur wenige Deutsche waren bereit, sich mit ihrer persönlichen Schuld kritisch auseinanderzusetzen oder die Verantwortung für die Verbrechen im Nationalsozialismus zu tragen. Vielmehr betrachtete sich der weitaus größte Teil der Bevölkerung selbst als Opfer eines verbrecherischen Führers und seiner Clique, die es geschafft hätten, das – während des Zweiten Weltkrieges und danach Not leidende – Volk zu verführen. Hannah Arendt, die als junge Jüdin 1933 aus Deutschland geflohen war, notierte nach einem Besuch der Städte ihrer Kindheit und Jugend in den Jahren 1949/50 ihre Eindrücke: »Überall fällt einem auf, daß es keine Reaktion auf das Geschehene gibt, aber es ist schwer zu sagen, ob es sich dabei um eine irgendwie absichtliche Weigerung zu trauern oder um den Ausdruck einer echten Gefühlsunfähigkeit handelt. Inmitten der Ruinen schreiben die Deutschen einander Ansichtskarten von den Kirchen und Marktplätzen, den öffentlichen Gebäuden und Brücken, die es gar nicht mehr gibt. Und die Gleichgültigkeit, mit der sie sich durch die Trümmer bewegen, findet ihre genaue Entsprechung darin, daß niemand um die Toten trauert; sie spiegelt sich in der Apathie wider, mit der sie auf das Schicksal der Flüchtlinge in ihrer Mitte reagieren oder vielmehr nicht reagieren. Dieser allgemeine Gefühlsmangel, auf jeden Fall aber die offensichtliche Herzlosigkeit, die manchmal mit billiger Rührseligkeit kaschiert wird, ist jedoch nur das auffälligste äußerliche Symptom einer tief verwurzelten, hartnäckigen und gelegentlich brutalen Weigerung, sich dem tatsächlich Geschehenen zu stellen und sich damit abzufinden. Diese Gleichgültigkeit und die Irritation, die sich einstellt, wenn man dieses Verhalten kritisiert, kann an Personen mit unterschiedlicher Bildung überprüft werden. Das einfachste Experiment besteht darin, expressis verbis festzustellen, was der Gesprächspartner schon von Beginn der Unterhaltung an bemerkt hat, nämlich daß man Jude sei. Hierauf folgt in der Regel eine kurze Verlegenheitspause; und danach kommt – keine persönliche Frage, wie etwa: ›Wohin gingen Sie, als Sie Deutschland verließen?‹, kein Anzeichen für Mitleid, etwa dergestalt: ›Was geschah mit ihrer Familie?‹ – sondern es folgt eine Flut von Geschichten, wie die Deutschen gelitten hätten (was sicher stimmt, aber nicht hierhergehört); und wenn die Versuchsperson dieses kleinen Experiments zufällig gebildet und intelligent ist, dann geht sie dazu über, die Leiden der Deutschen gegen die Leiden der anderen aufzurechnen, womit sie stillschweigend zu verstehen gibt, daß die Leidensbilanz ausgeglichen sei und daß man nun zu einem ergiebigeren Thema überwechseln könne.«3

Hölle«. Eugen Kogons ambivalente Zeugenschaft. In: Jürgen Danyel/Jan-Holger Kirsch/ Martin Sabrow (Hrsg.): 50 Klassiker der Zeitgeschichte. Göttingen 2007, S. 24–28. 3 Hannah Arendt: Besuch in Deutschland. Die Nachwirkungen des Naziregimes (1950). In: Marie Luise Knott (Hrsg.): Hannah Arendt. Zur Zeit. Politische Essays. Hamburg 1999, S. 43– 70, hier S. 44.

16 1.1.

Einleitung

Geschichtswissenschaft

Die Fragen, was die deutsche Bevölkerung über den Holocaust wusste bzw. wissen konnte und wie sie auf die Judenverfolgungen reagierte, gehören seit Ende der 1970er Jahre zu den meist verhandelten Untersuchungsgegenständen der NS-Historiographie als bedeutender Teil der »Zeitgeschichte«.4 Aufgrund neuester Forschungsergebnisse wird man mit Gewissheit annehmen können, dass die überwältigende Mehrheit der Deutschen – ähnlich den alliierten Regierungen5 – zumindest in groben Zügen über den Genozid an den Juden Bescheid wusste.6 Eine quantitativ genaue Bestimmung des Bevölkerungsanteils, 4 Bemerkungen zur Begriffsbestimmung und Periodisierung von Zeitgeschichte kommen nicht ohne Verweis auf Hans Rothfels aus. Rothfels verwendete 1953 bekanntlich eine doppelte Definition: zum einen die ereignisbezogene und statische, die den Beginn der Zeitgeschichte auf die Jahre 1917/18 festlegte, zum anderen die chronologische und dynamische, die Zeitgeschichte als »Epoche der Mitlebenden und ihre wissenschaftliche Behandlung« fasste. Vgl. Hans Rothfels: Zeitgeschichte als Aufgabe. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1, 1953, H. 1, S. 1–8. Aufgrund des in naher Zukunft unvermeidlichen Ablebens der letzten Zeitzeugen, die die Jahre 1933 bis 1945 bewusst miterlebt haben, kann die Zeit des Nationalsozialismus immer weniger als Epoche der Zeitgenossenschaft angesehen werden. Die (kritische) Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus dauert jedoch unvermindert intensiv fort und wird erfreulicherweise von einem keineswegs erlahmenden Interesse der Bevölkerung begleitet, wie etwa die wachsenden Besucherzahlen der NS-Gedenkstätten und zeithistorischen Museen belegen. Aus diesem Grund hat sich mittlerweile ein fluider Epochenbegriff in der Wissenschaft eingebürgert, der Zeitgeschichte als durch ihren »Gegenwartsbezug […] und die Epochenbindung an die subjektive Kategorie des historischen Interesses der Mitlebenden« definiert (Martin Lücke/Michael Sturm: Stiefschwestern. Zum Verhältnis von Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik. In: Michele Barricelli/Julia Hornig (Hrsg.): Aufklärung, Bildung, »Histotainment«? Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute. Frankfurt am Main 2008, S. 27–41, hier S. 31). Vgl. zur Periodisierungsdiskussion Karl Dietrich Bracher : Doppelte Zeitgeschichte im Spannungsfeld politischer Generationen – Einheit trotz Vielfalt historisch-politischer Erfahrungen? In: Bernd Hey/Peter Steinbach (Hrsg.): Zeitgeschichte und Politisches Bewusstsein. Köln 1986, S. 53–71; Hans Günter Hockerts: Zeitgeschichte in Deutschland. Begriff, Methoden, Themenfelder. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 29–30/ 1993, S. 3–19; Wilfried Loth: Zeitgeschichte. In: Michael Maurer (Hrsg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften. Bd. 1: Epochen. Stuttgart 2005, S. 406–477; Horst Möller : Was ist Zeitgeschichte? In: Ders./Udo Wengst (Hrsg.): Einführung in die Zeitgeschichte. München 2003, S. 13–51; Thomas Sandkühler : Zeitgeschichte in Deutschland am Ende des 20. Jahrhunderts. In: Christoph Cornelißen (Hrsg.): Geschichtswissenschaften. Eine Einführung. Frankfurt am Main 2000, S. 114–129; Hans-Peter Schwarz: Die neueste Zeitgeschichte. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 51, 2003, H. 1, S. 5–28. 5 Vgl. Richard Breitman: Staatsgeheimnisse. Die Verbrechen der Nazis – von den Alliierten toleriert. München 1999; Martin Gilbert: Auschwitz und die Alliierten. München 1982; Dieter Pohl: Das NS-Regime und das internationale Bekanntwerden seiner Verbrechen. In: Frank Bajohr/Ders.: Der Holocaust als offenes Geheimnis. Die Deutschen, die NS-Führung und die Alliierten. München 2006, S. 81–129. 6 So auch der Grundtenor in neueren Gesamtdarstellungen zur Geschichte des »Dritten Reiches« und des Holocaust. Vgl. David Cesarani: »Endlösung«. Das Schicksal der Juden 1933 bis 1948. Berlin 2016; Ulrich Herbert: Das Dritte Reich. Geschichte einer Diktatur. München

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der nur über fragmentarische oder im Gegenteil über recht genaue Kenntnisse vom systematischen Massenmord an den Juden verfügte, ist rückblickend natürlich nicht mehr möglich. In jedem Fall aber waren die Bemühungen der Nationalsozialisten gescheitert, die »Endlösung der Judenfrage« geheim zu halten.7 Sämtliche Maßnahmen zur Ausgrenzung, Verfolgung und schließlich auch Tötung der Juden stießen überdies auf erschreckend wenig Widerstand in der deutschen Gesellschaft. Ihr gewaltsamer Ausschluss aus der von den Nationalsozialisten propagierten »Volksgemeinschaft«, in der scheinbar alle traditionellen Klassengegensätze und Herkunftsbeschränkungen aufgehoben waren, wurde vom Großteil der Bevölkerung mehr oder weniger achselzuckend hingenommen.8 Ein nicht unbeträchtlicher Teil war zudem derart mörderisch 2016; Hans Mommsen: Das NS-Regime und die Auslöschung des Judentums in Europa. Göttingen 2014; Markus Roth: »Ihr wißt, wollt es aber nicht wissen«. Verfolgung, Terror und Widerstand im Dritten Reich. München 2015; Nicholas Stargardt: Der deutsche Krieg 1939– 1945. Frankfurt am Main 2015. 7 Die Versuche des Soziologen Karl-Heinz Reuband, das Wissen der Deutschen anhand von erst nach dem Krieg durchgeführten Bevölkerungsumfragen prozentual zu bestimmen, sind dagegen mit äußerster Vorsicht zu betrachten. Die Problematik solcher Expost-Analysen liegt vor allem darin, dass nach 1945 gemachte Aussagen sehr stark durch psychische, politische, strafrechtliche und ideologische Motive beeinflusst sein können. Ferner ist fraglich, ob die vom Autor verwendeten Umfrageergebnisse nicht eher die spätere Einschätzung der Befragten wiedergeben als die tatsächlichen zeitgenössischen Kenntnisse. Vgl. Karl-Heinz Reuband: Die Reaktion der deutschen Bevölkerung auf den Judenstern. Eine retrospektive Analyse gestützt auf eine repräsentative Umfrage aus dem Jahr 1949. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 16 (2007), S. 163–194; Karl-Heinz Reuband: Gerüchte und Kenntnisse vom Holocaust in der deutschen Gesellschaft vor Ende des Krieges. Eine Bestandsaufnahme auf der Basis von Bevölkerungsumfragen. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 9 (2000), S. 196–233; Karl-Heinz Reuband: Zwischen Ignoranz, Wissen und Nicht-glaubenWollen. Gerüchte über den Holocaust und ihre Diffusionsbedingungen in der deutschen Bevölkerung. In: Beate Kosmala/Claudia Schoppmann (Hrsg.): Überleben im Untergrund. Hilfe für Juden in Deutschland 1941–1945. Berlin 2002 (Solidarität und Hilfe. Rettungsversuche für Juden vor der Verfolgung und Vernichtung unter nationalsozialistischer Herrschaft, Bd. 5), S. 33–62. 8 Die Nationalsozialisten verstanden es nur allzu gut, den Traum von der »Volksgemeinschaft« immer wieder gezielt zu aktualisieren, etwa wenn unter größten organisatorischen und choreographischen Anstrengungen in Nürnberg der Reichsparteitag oder auf dem südlich von Hameln gelegenen Bückeberg das Reichserntedankfest theatralisch in Szene gesetzt wurden. Aller Inklusionsrhetorik zum Trotz betrieb das NS-Regime jedoch von Anfang an eine radikale und zunehmend tödliche Ungleichheitspolitik, die vor allem den Antisemitismus als konstitutiven Bestandteil in sich trug. Bereits das am 24. Februar 1920 im Münchner Hofbräukeller verkündete Parteiprogramm der NSDAP formulierte klar und deutlich, wer zur »Volksgemeinschaft« dazugehören konnte und wer nicht: »Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.« (Heinz Hürten (Hrsg.): Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Bd. 9: Weimarer Republik und Drittes Reich 1918– 1945. Stuttgart 2003, S. 67). Vermeintliche und reale wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen wie etwa die Ehestandsdarlehen, mit denen der Staat jungen Paaren einen zinslosen Zuschuss von

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eingestellt, dass er den Judenmord begrüßte und wollte. Die Masse dagegen drängte nicht auf die physische Vernichtung der Juden. Aber der NS-Rassenantisemitismus kam den Einstellungen vieler Deutscher insofern entgegen, als sie doch seit langem sehr wohl der Überzeugung waren, dass es ein »jüdisches Problem« gebe, das irgendwie »gelöst« werden müsse. Zu dieser weitverbreiteten Denkweise, die sowohl auf Traditionen christlichen Antijudaismus’ als auch völkischen Nationalismus’ fußte, kamen die langfristigen massenpsychologischen Auswirkungen der nahezu pausenlos und aufwendig betriebenen antisemitischen Agitation der NSDAP.9 Ebenso beschränkte sich seit der Machtübernahme der (oder -gabe an die) Nationalsozialisten10 auch die physische Gewalt gegen die Juden keineswegs auf aktivistische und militante Partei-, SA- oder SS-Leute, sondern ging häufig genug von einfachen »Volksgenossen« aus.11 Als der Völkermord im Zuge der sich immer deutlicher abzeichnenden totalen Kriegsniederlage mit den sogenannten Todesmärschen in sein letztes Stadium trat und jetzt Hunderttausende bis zu 1.000 Reichsmark für den Kauf der Haushaltseinrichtung gewährte, oder die von »Kraft durch Freude« veranstalteten Reisen, mit denen hunderttausende »Volksgenossen« erstmals in ihrem Leben in den Urlaub fahren konnten, blieben den als »gemeinschaftsfremd« und »fremdvölkisch« diffamierten Menschen per definitionem verschlossen. Wer nicht dem Rassendogma der Nationalsozialisten entsprach, wurde aus der »Volksgemeinschaft« ausgeschlossen. »Das Konzept der nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsutopie«, so formulierte Detlev Peukert bereits 1982 treffend, »zielte auf die Formierung einer ideologisch homogenen, sozial angepaßten, leistungsorientierten und hierarchisch gegliederten Gesellschaft mit den Mitteln der Erziehung der ›gut Gearteten‹ und der ›Ausmerze‹ der angeblich ›Ungearteten‹.« (Detlev Peukert: Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde. Anpassung, Ausmerze und Aufbegehren unter dem Nationalsozialismus. Köln 1982, S. 295). 9 Vgl. Götz Aly : Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800–1933. Frankfurt am Main 2011; Wolfgang Benz/Werner Bergmann (Hrsg.): Vorurteil und Völkermord. Entwicklungslinien des Antisemitismus. Freiburg im Breisgau 1997; Wolfgang Benz: Wie kam es in Deutschland zum Rassismus und Antisemitismus? In: Bernd Sösemann (Hrsg.): Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft. Einführung und Überblick. Stuttgart/München 2002, S. 42–52; Alexander Brakel: Der Holocaust. Judenverfolgung und Völkermord. Berlin 2008 (Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert, Bd. 9), S. 11–26; Werner Jochmann: Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft in Deutschland 1870– 1945. Hamburg 1988 (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 23); John Weiss: Der lange Weg zum Holocaust. Die Geschichte der Judenfeindschaft in Deutschland und Österreich. Hamburg 1997. 10 Vgl. Norbert Frei: »Machtergreifung«. Anmerkungen zu einem historischen Begriff. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 31, 1983, H. 1, S. 136–145; Dirk Schumann: Gewalt als Methode der nationalsozialistischen Machteroberung. In: Andreas Wirsching (Hrsg.): Das Jahr 1933. Die nationalsozialistische Machteroberung und die deutsche Gesellschaft. Göttingen 2009 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 9), S. 135–155; Wolfgang Wippermann: Hat Hitler die Macht ergriffen? In: Bernd Sösemann (Hrsg.): Der Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft. Einführung und Überblick. Stuttgart/München 2002, S. 66–77. 11 Vgl. Michael Wildt: Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939. Hamburg 2007.

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von vollkommen ausgezehrten und entkräfteten KZ-Häftlingen durch deutsche und österreichische Straßen getrieben wurden, kam es zu unzähligen Massakern an den hilflosen Opfern – oftmals vor den Augen und mit aktiver Beteiligung der Zivilbevölkerung.12 Insgesamt hat die deutsche Gesellschaft durch aktive Unterstützung oder zumindest billigende Inkaufnahme der systematischen Judenverfolgung die Umsetzung der genozidalen Pläne des NS-Regimes erheblich erleichtert.13 Die Historiographie hat mittlerweile ein facettenreiches Bild von der Rolle der sogenannten »Zuschauer« während der NS-Diktatur vorgelegt. Der Begriff »Zuschauer« bedarf einer kurzen Erläuterung: Er geht zurück auf Raul Hilberg, der 1992 ein Modell zur Differenzierung gesellschaftlicher Rollen im Holocaust vorlegte. Hilberg unterscheidet die Kategorien »Perpetrators«, »Victims« und »Bystanders«.14 Die Kategorie »Bystanders«, die im Deutschen mit »Zuschauer« übersetzt wird, definiert der Autor wie folgt:

12 Vgl. Daniel Blatman: Die Todesmärsche 1944/45. Das letzte Kapitel des nationalsozialistischen Massenmords. Reinbek bei Hamburg 2011. 13 In unregelmäßigen Abständen versuchen einige Autoren, die eigene Generation oder die Deutschen insgesamt von ihrer Mitverantwortung für die NS-Verbrechen zu entlasten. Der für seine revisionistischen Argumentationen bekannte amerikanische Völkerrechtler Alfred de Zayas legte 2011 eine Arbeit vor, die eine scharfe Gegenposition zum nahezu einhelligen Tenor neuerer Studien bezieht. Auf der Grundlage einer sehr dünnen und einseitigen Quellenbasis sowie der Nicht-Berücksichtigung der gesamten einschlägigen Forschungsliteratur kommt der Autor zu dem nicht haltbaren Ergebnis, dass nichts darauf hindeute, dass die deutsche Bevölkerung über den Judenmord Bescheid wusste. Vgl. Alfred de Zayas: Völkermord als Staatsgeheimnis. Vom Wissen über die »Endlösung der Judenfrage« im Dritten Reich. München 2011. Das Bedürfnis nach Entsorgung der belastenden Teile der deutschen Geschichte tritt auch in der methodisch höchst fragwürdigen Studie des Psychologen Fritz Süllwold zutage. Der Autor, der sich auf eine 1999 durchgeführte Fragebogenaktion unter 137 in keiner Weise repräsentativen Zeitzeugen aus der bürgerlichen Mittelschicht der NS-Zeit stützt, will u. a. nachgewiesen haben, dass 68 Prozent der »Normalbürger« keine Kenntnisse von »Massentötungen von Juden« hatten, 48 Prozent hätten ferner nicht daran gezweifelt, dass die Deportationen dazu dienten, »Juden im Osten neu anzusiedeln« (Fritz Süllwold: Deutsche Normalbürger 1933–1945. Erfahrungen, Einstellungen, Reaktionen. Eine geschichtspsychologische Untersuchung. München 2001, S. 212). Ebenfalls als apologetisch und wissenschaftlich unzureichend muss ein Buch des Politologen Konrad Löw eingestuft werden, das anhand von willkürlich zusammengeklaubten Zitaten jüdischer Überlebender behauptet, die Verfolgung der Juden habe gegen den Willen der deutschen Bevölkerung stattgefunden. Für den Holocaust verantwortlich seien allein die Machthaber des NS-Regimes gewesen, das Volk habe die antisemitische Politik stets abgelehnt. Vgl. Konrad Löw : Das Volk ist ein Trost. Deutsche und Juden 1933–1945 im Urteil jüdischer Zeitzeugen. München 2006. Die These von den »bösen Machthabern« und dem »guten Volk«, das von jeglicher Schuld und Mitverantwortung freizusprechen sei, erneuerte der Autor 2010 in einem weiteren Buch. Vgl. Konrad Löw : Deutsche Schuld 1933–1945? Die ignorierten Antworten der Zeitzeugen. München 2010. 14 Vgl. Raul Hilberg: Perpetrators, Victims, Bystanders. The Jewish Catastrophe 1933–1945. New York 1992.

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»Die meisten Zeitgenossen der jüdischen Katastrophe waren weder Täter noch Opfer. Doch viele sahen oder hörten von dem Geschehen. Sofern sie in Adolf Hitlers Europa lebten, hätten sie sich mit wenigen Ausnahmen als Zuschauer bezeichnet. Sie hatten ja mit dieser Angelegenheit ›nichts zu tun‹: wollten weder einem Opfer etwas zuleide tun noch von den Tätern mißhandelt werden. Nur war die Wirklichkeit nicht immer derart unkompliziert. […] Bindungen oder Brüche konnten das Handeln in der einen oder anderen Richtung fördern oder blockieren. Eine entscheidende Rolle spielte auch der Charakter des Einzelnen – besonders wenn er wirklich einen ausgeprägten Charakter hatte. In einigen Bereichen wurden die Zuschauer selber zu Tätern. Oft nutzten sie das Unglück der Juden und schlugen Profit daraus; aber es gab auch jene, die den Gejagten halfen. Hie und da traten Boten auf und verbreiteten ihre Nachrichten.«15

Hilbergs Modell ist in den letzten Jahren aufgrund seiner angeblichen Statik von verschiedenen Forscherinnen und Forschern kritisiert worden. So geht beispielsweise Harald Welzer davon aus, dass es im Nationalsozialismus gar keine Zuschauer bzw. Nicht-Betroffenen gegeben haben kann: »Wir wissen inzwischen, dass die Zustimmung zum System von 1933 bis zum Überfall auf die Sowjetunion kontinuierlich anwuchs, so dass es an der Zeit wäre, die gesellschaftliche Wirklichkeit des ›Dritten Reiches‹ als ein soziales Parallelogramm zu beschreiben, in dem sich die emotionale und materielle Lage der nichtjüdischen Deutschen in dem Maße verbesserte, wie sich die Situation der ›Nichtarier‹ verschlechterte. Das bedeutet zugleich, dass man die Geschichtsvermittlung von der Vorstellung freimachen muss, dass es bei Gesellschaftsverbrechen auf der einen Seite Täter gibt, die Verbrechen planen, vorbereiten und ausführen, und auf der anderen Seite Unbeteiligte oder Zuschauer, die einen tiefgreifenden Gesellschafts- und Wertewandel lediglich indifferent zur Kenntnis nehmen. Mit solchen Personenkategorien kann der Handlungszusammenhang, der schließlich in den Massenmord und in die Vernichtung führte, nicht angemessen beschrieben werden. Es gibt nämlich in einem solchen Zusammenhang keine Zuschauer, es gibt auch keine Unbeteiligten. Es gibt nur Menschen, die gemeinsam, jeder auf seine Weise, der eine intensiver und engagierter, der andere skeptischer und gleichgültiger, eine gemeinsame soziale Wirklichkeit von Tätern und Opfern herstellen. Die nationalsozialistische Gesellschaft vermochte eine ungeheure psychosoziale Energie und Dynamik bei ihren Mitgliedern gerade deshalb freizusetzen, weil das ›Tausendjährige Reich‹ von den meisten nichtjüdischen Deutschen als ein gemeinsames Projekt empfunden wurde, an dem sie teilhaben wollten und auch durften.«16

Es ist unschwer zu erkennen, dass Welzer dazu tendiert, die Gruppe der »Zuschauer« derer der »Täter« zuzuordnen, um deren Mitverantwortung für die Ausgrenzung, Beraubung und Ermordung der Juden zu kennzeichnen. Gewiss: 15 Raul Hilberg: Täter, Opfer, Zuschauer. Die Vernichtung der Juden 1933–1945. Frankfurt am Main 1992, S. 11. 16 Harald Welzer : Für eine Modernisierung der Erinnerungs- und Gedenkkultur. In: Gedenkstättenrundbrief Nr. 162 (2011), S. 3–9, hier S. 5.

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Welzer ist darin zuzustimmen, dass die Bevölkerungsmehrheit durch ihr Tun oder Nicht-Tun die Ausgrenzung der Juden befördert hat. Aber die Kategorie »Zuschauer« ganz wegfallen zu lassen, darauf hat Habbo Knoch zu Recht aufmerksam gemacht, führt unweigerlich zu einer »Entdifferenzierung des historisch komplexen Tatzusammenhangs«17, was wiederum die Beurteilung des Handelns der Zeitgenossen des NS-Regimes erschwert. Frank Bajohr und Andrea Löw äußern ebenfalls ihr Unbehagen an der Verwendung des Begriffes »Zuschauer«, weil er Passivität nahe lege und somit unfreiwillig den Eindruck vermittle, die Mehrheit der nichtjüdischen Deutschen habe mit der Verfolgung und Ermordung nichts zu tun gehabt. »Können aber diejenigen«, so fragen die beiden Historiker, »die beispielsweise von der ›Arisierung‹ jüdischen Eigentums profitierten, einschließlich jener, die günstig Gegenstände aus dem Besitz ermordeter Juden ersteigerten, lediglich als ›Zuschauer‹ bezeichnet werden?«18 Da in der nationalsozialistischen Ausgrenzungsgemeinschaft insbesondere die Übergänge zwischen »Tätern« und »Zuschauern« fließend gewesen seien, sprechen sich Bajohr und Löw gegen klar voneinander abgrenzbare Kategorien aus. Gleichwohl betonen sie, die Hilbergsche Kategorisierung sei »prinzipiell nach wie vor sinnvoll – und sei es aus dem einfachen Grund, dass im Holocaust eine große Gruppe von Menschen eine noch größere Gruppe anderer Menschen ermordete und das Gros der damaligen Zeitgenossen weder zur einen noch zur anderen Kategorie zählte«19.

1.2.

Geschichtskultur

Während die Beschäftigung mit den »Zuschauern« in der deutschen und ausländischen NS-Historiographie fest etabliert ist, folgen die Rekonstruktionen, Erklärungen und Deutungen in mehreren Bereichen der außerwissenschaftlichen Geschichtskultur20 bis heute anderen Gesetzen und konzentrieren sich 17 Habbo Knoch: Mehr Wissen und mehr Recht: Koordinaten einer zukünftigen Erinnerungskultur. Eine Replik auf Harald Welzer. In: Gedenkstättenrundbrief Nr. 163 (2011), S. 3– 11, hier S. 8. 18 Frank Bajohr/Andrea Löw : Tendenzen und Probleme der neueren Holocaust-Forschung: Eine Einführung. In: Dies. (Hrsg.): Der Holocaust. Ergebnisse und neue Fragen der Forschung. Frankfurt am Main 2015, S. 9–30, hier S. 11. 19 Ebd., S. 10. 20 Geschichtskultur umschreibt als Sammelbegriff die vielfältigen Erscheinungs-, Verwendungs- und Aneignungsformen des gesellschaftlichen Umgangs mit der Vergangenheit. Natürlich gehört auch die traditionelle Geschichtswissenschaft selbst zur Geschichtskultur und ist ihr nicht etwa antagonistisch entgegengestellt. Die wissenschaftliche Verarbeitung von Vergangenheit mit ihrem Streben nach empirischer Triftigkeit und Überprüfbarkeit ist aber (im Regelfall) Fachöffentlichkeit und nicht allgemeine Öffentlichkeit. In der Literatur

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zumeist auf ähnliche Zugriffe. Hier gilt vor allem: Hitler sells!21 Simplifizierende Muster, die die Verantwortung für den Völkermord an den europäischen Juden allein auf Hitler und seine engste Führungsriege reduzieren, sind besonders in kommerziellen Angeboten keine Seltenheit. Ein prägnantes Beispiel sind die sehr erfolgreichen Fernsehdokumentationen der »Redaktion Zeitgeschichte« des ZDF, die bis 2013 von Guido Knopp verantwortet wurden und nach wie vor hohe Einschaltquoten erzielen. Durch ihre an revisionistische Geschichtsdeutungen grenzende Hitlerzentrierung22 wird die restliche Bevölkerung als vom NS-Regime »Getäuschte« immer wieder von jedweder Schuld freigesprochen.23 Die für das Dokumentations-Modell »Knopp« finden sich verschiedene Definitionen des Begriffes. So wird Geschichtskultur von Wolfgang Hardtwig als »Gesamtheit der Formen, in denen Geschichtswissen in einer Gesellschaft präsent ist« (Wolfgang Hardtwig: Geschichtskultur und Wissenschaft. München 1990, S. 8), und von Jörn Rüsen als »praktisch wirksame Artikulation von Geschichtsbewußtsein im Leben einer Gesellschaft« (Jörn Rüsen: Was ist Geschichtskultur? Überlegungen zu einer neuen Art, über Geschichte nachzudenken. In: Klaus Füßmann/Heinrich Theodor Grütter/ Ders. (Hrsg.): Historische Faszination. Geschichtskultur heute. Köln 1994, S. 3–26, hier S. 5) verstanden. Hans-Jürgen Pandel bestimmt Geschichtskultur als »die Art und Weise, wie eine Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit und ihrer Geschichte umgeht« bzw. als »eine Produktion von Sinnbildungsangeboten, die sich auf Geschichte beziehen und die einer jeden Gegenwart spezifisch sind« (Hans-Jürgen Pandel: Geschichtsdidaktik. Eine Theorie für die Praxis. Schwalbach/Ts. 2013, S. 164). Bodo von Borries zufolge bezeichnet Geschichtskultur »die Präsentation und Kommunikation von Historie in einer Gesellschaft und ihren Gruppen« (Bodo von Borries: Geschichtsunterricht und Erinnerungskulturen. In: Peter Gautschi/ Barbara Sommer Häller (Hrsg.): Der Beitrag von Schulen und Hochschulen zu Erinnerungskulturen. Schwalbach/Ts. 2014, S. 39–68, hier S. 43). Bernd Schönemann begreift Geschichtskultur als ein aus verschiedenen Institutionen, Professionen, Medien und Publika bestehendes »soziales System, in dem eine kulturell durchformte Kommunikation stattfindet, die auf eine spezifische Art Geschichte als Bedeutung erzeugt« (Bernd Schönemann: Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur. In: Wolfgang Hasberg/Holger Thünemann (Hrsg.): Geschichtsdidaktik in der Diskussion. Grundlagen und Perspektiven. Frankfurt am Main 2016 (Geschichtsdidaktik diskursiv – Public History und historisches Denken, Bd. 1), S. 41–61, hier S. 58). 21 Vgl. Daniel Erk: So viel Hitler war selten. Die Banalisierung des Bösen oder Warum der Mann mit dem kleinen Bart nicht totzukriegen ist. München 2012. 22 Die vorherrschende Fixierung auf die Person des »Führers« spiegelt sich bereits in den Titeln der Sendereihen wider: Hitler – Eine Bilanz (1995), Hitlers Helfer I (1996), Hitlers Helfer II (1998), Hitlers Krieger (1998), Hitlers Kinder (2000), Hitlers Frauen und Marlene (2001), Hitlers Manager (2004), Hitlers nützliche Idole (2007), Hitlers Österreich (2008), Hitler und das Geld (2011), Hitlers letztes Aufgebot (2012). Vgl. Karsten Linne: Hitler als Quotenbringer – Guido Knopps mediale Erfolge. In: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 17, 2002, H. 2, S. 90–101. 23 Verschiedene Studien konnten nachweisen, dass die Fernsehproduktionen (des ZDF) programmtisch eine Exkulpation der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung betreiben. Vgl. für systematische und fundierte Kritiken an den Sendereihen zum »Dritten Reich« Frank Bösch: Das »Dritte Reich« ferngesehen. Geschichtsvermittlung in der historischen Dokumentation. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 50, 1999, H. 4, S. 204–220; Frank Bösch: Holokaust mit »K«. Audiovisuelle Narrative in neueren Fernsehdokumentationen. In: Ger-

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stilbildenden Zeitzeugenaussagen verstärken diesen Effekt. Ihre Aussagen von oft nur 20 Sekunden Länge werden auf wenige, besonders passend wirkende Passagen zusammengeschnitten, die von Fragen nach der Mitverantwortung für den Holocaust ablenken. Der »normale« nichtjüdische Zeitzeuge erscheint so mehrheitlich als Opfer des Krieges bzw. als eine dem Wahn Hitlers ausgelieferte Person.24 Eines ähnlich geschichtsverkürzenden und -verfälschenden Bildes bedienen sich häufig auch Spielfilme.25 Als geradezu exemplarisch für ein solches Darstellungsmuster steht »Der Untergang« (Deutschland 2004, Regie: Oliver Hirschbiegel) über die letzten Tage Hitlers im Führerbunker. Der Film, der im

hard Paul (Hrsg.): Visual History. Ein Studienbuch. Göttingen 2006, S. 317–332; Wulf Kansteiner : Die Radikalisierung des deutschen Gedächtnisses im Zeitalter seiner kommerziellen Reproduktion. Hitler und das »Dritte Reich« in den Fernsehdokumentationen von Guido Knopp. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 51, 2003, H. 7, S. 626–648; Wulf Kansteiner : Ein Völkermord ohne Täter? Die Darstellung der »Endlösung« in den Sendungen des Zweiten Deutschen Fernsehens. In: Moshe Zuckermann (Hrsg.): Medien – Politik – Geschichte. Göttingen 2003, S. 253–286; Judith Keilbach: Fernsehbilder der Geschichte. Anmerkungen zur Darstellung des Nationalsozialismus in den Geschichtsdokumentationen des ZDF. In: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 17, 2002, H. 2, S. 102–113; Oliver Näpel: Historisches Lernen durch »Dokutainment«? – Ein geschichtsdidaktischer Aufriss. Chancen und Grenzen einer neuen Ästhetik populärer Geschichtsdokumentationen analysiert am Beispiel der Sendereihen Guido Knopps. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 2 (2003), S. 213–244; Gerd Wiegel: Familiengeschichte vor dem Fernseher. Erinnerte NS-Geschichte in den Dokumentationen Guido Knopps. In: Michael Klundt (Hrsg.): Heldenmythos und Opfertaumel. Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen im deutschen Geschichtsdiskurs. Köln 2004, S. 82–102. 24 Vgl. Horst-Walter Blanke: Stichwortgeber. Die Rolle der »Zeitzeugen« in G. Knopps Fernsehdokumentationen. In: Vadim Oswalt/Hans-Jürgen Pandel (Hrsg.): Geschichtskultur. Die Anwesenheit von Vergangenheit in der Gegenwart. Schwalbach/Ts. 2009, S. 63–74; Frank Bösch: Geschichte mit Gesicht. Zur Genese des Zeitzeugen in Holocaust-Dokumentationen seit den 1950er Jahren. In: Thomas Fischer/Rainer Wirtz (Hrsg.): Alles authentisch? Popularisierung der Geschichte im Fernsehen. Konstanz 2008, S. 51–72; Frank Bösch: Historikerersatz oder Quelle? Der Zeitzeuge im Fernsehen. In: Geschichte lernen H. 76 (2000), S. 62–65; Thomas Fischer : Erinnern und Erzählen. Zeitzeugen im Geschichts-TV. In: Ders./ Rainer Wirtz (Hrsg.): Alles authentisch? Popularisierung der Geschichte im Fernsehen. Konstanz 2008, S. 33–49; Wulf Kansteiner : Macht, Authentizität und die Verlockungen der Normalität. Aufstieg und Abschied der NS-Zeitzeugen in den Geschichtsdokumentationen des ZDF. In: Martin Sabrow/Norbert Frei (Hrsg.): Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945. Göttingen 2012 (Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 14), S. 320–353; Judith Keilbach: Zeugen, deutsche Opfer und traumatisierte Täter. Zur Inszenierung von Zeitzeugen in bundesdeutschen Fernsehdokumentationen über den Nationalsozialismus. In: Moshe Zuckermann (Hrsg.): Medien – Politik – Geschichte. Göttingen 2003, S. 287–306. 25 Vgl. als Überblick Frank Bösch: NS-Vergangenheit und Geschichtswissenschaft. Von »Holocaust« zu »Der Untergang«. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 55, 2007, H. 1, S. 1– 32; Tobias Ebbrecht: Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis. Filmische Narrationen des Holocaust. Bielefeld 2011; Sonja M. Schultz: Der Nationalsozialismus im Film. Von Triumph des Willens bis Inglourious Basterds. Berlin 2012.

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Wesentlichen auf den Erinnerungen von Hitlers Privatsekretärin Traudl Junge26 und dem gleichnamigen Buch von Joachim Fest27 beruht und zu einer der kommerziell erfolgreichsten deutschen Produktionen der letzten Jahre avanciert ist, lässt sogar Personen aus dem nächsten Umfeld des »Führers« als moralisch unbescholten und vollkommen integer erscheinen28 : Albert Speer wird als verantwortungsvoller und rechtschaffener Intellektueller dargestellt, der sich Hitlers Befehl der Politik der »verbrannten Erde« verweigert; von der Ausbeutung der Arbeitskraft von Millionen Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen, für die Speer ab September 1943 als Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion die Hauptverantwortung trägt, ist nicht die Rede. Traudl Junge wird dem Zuschauer als gutmütige Frau vorgestellt, die in ihrer jugendlichen Naivität dem väterlichen Charme des Diktators verfällt; die Rolle der politischen Programmatik Hitlers für ihr Engagement bleibt gänzlich ausgespart. Der Arzt Ernst Günther Schenck tritt im Film ausschließlich in seiner Rolle als aufopferungsvoller Held in Erscheinung, der sich selbstlos für die Nahrungsmittelversorgung der Berliner Zivilbevölkerung einsetzt; seine Tätigkeit als Ernährungsinspekteur der Waffen-SS, bei der er z. B. auf der zum Anbau von Heil- und Gewürzkräutern angelegten »Plantage« in Dachau zu tun hatte29 oder in Mauthausen medizinische Experimente mit an Hungerödemen leidenden Gefangenen durchführte, findet dagegen keine Beachtung. Hinzu kommt die einseitige Darstellung der deutschen Leidenserfahrungen, die von den eigenen Verbrechen völlig abstrahiert. »Was im ›Untergang‹ außerhalb des Bunkers zu sehen ist«, so Michael Wildt, »sind verletzte deutsche Soldaten, tote deutsche Zivilisten, Angst und Tod im zerschossenen und zerbombten Berlin. Es gibt im ›Untergang‹ Berlins nur deutsche Opfer der alliierten Armeen und vereinzelt auch der nationalsozialistischen Durchhaltefanatiker ; wir sehen keine Massenmorde in den Gefängnissen, keine Erschießungen ausländischer Zwangsarbeiter, keine Todesmärsche, ja nicht einmal getötete sowjetische Soldaten.«30 26 Vgl. Traudl Junge: Bis zur letzten Stunde. Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben. Unter Mitarbeit von Melissa Müller. München 2002. 27 Vgl. Joachim Fest: Der Untergang. Hitler und das Ende des Dritten Reiches. Eine historische Skizze. Berlin 2002. 28 Vgl. im Folgenden Michael Elm: Bilder der Unschuld. Mythologische Erzählstrukturen im Film »Der Untergang«. In: Albert Drews (Hrsg.): Zeitgeschichte als TV-Event. Erinnerungsarbeit und Geschichtsvermittlung im deutschen Fernsehfilm. Rehburg-Loccum 2008, S. 189–198. 29 Die Bewirtschaftung der großflächigen Anlagen erfolgte unter Verwendung von KZ-Häftlingen, deren Arbeitskraft rücksichtslos ausgebeutet wurde. Vgl. Robert Sigel: Heilkräuterkulturen im KZ. Die Plantage in Dachau. In: Dachauer Hefte. Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager 4 (1988), S. 164–173. 30 Michael Wildt: »Der Untergang«: Ein Film inszeniert sich als Quelle. In: Thomas Fischer/

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Ein weiteres Beispiel für extrem personalisierte Darstellungen stellen die Artikel der »Bild«-Zeitung dar, die mit einer täglichen Druckauflage von über 3,5 Millionen Exemplaren und über elf Millionen Leserinnen und Lesern das Massenmedium unter den deutschen Tageszeitungen schlechthin ist. Seit den 1950er Jahren verkürzt das Boulevardblatt den Nationalsozialismus programmatisch auf ein Terrorregime einer kleinen Verbrecher-Elite. Artikel, die die Rolle der Mehrheitsbevölkerung kritisch beleuchten, finden sich kaum. Der durchschnittliche »Volksgenosse« wird praktisch nie als potenziell in die NSVerbrechen Verstrickter begriffen.31

1.3.

Familiengedächtnis

Darüber hinaus nimmt die Ermordung der Juden Europas offenbar keinen systematischen Platz im deutschen Familiengedächtnis ein. Eines der Hauptergebnisse der von Harald Welzer geleiteten und 2002 veröffentlichten qualitativen Mehrgenerationenstudie32, die anhand von Gruppengesprächen und Einzelinterviews der Frage nachging, wie im privaten Rahmen über die Zeit des »Dritten Reiches« und den Holocaust gesprochen wird und welche Vorstellungen zwischen den einzelnen Generationen weitergegeben werden, war das Bestreben nach Exkulpation der eigenen Familiengeschichte. Vor allem von Seiten der Enkelgeneration bestehe – trotz eindeutig moralischer Verurteilung der NSVerbrechen – die starke Neigung, das Engagement der eigenen Verwandten im Nationalsozialismus umzudeuten, d. h. positiv zu bewerten, oftmals gar zu heroisieren. Aus ehemaligen Mitstreitern werden geradezu »Regimegegner« und/ oder »Widerständler«. Die eigenen Groß- bzw. Urgroßeltern jedenfalls seien an den nationalsozialistischen Unrechtstaten nicht beteiligt gewesen. Welzer beRainer Wirtz (Hrsg.): Alles authentisch? Popularisierung der Geschichte im Fernsehen. Konstanz 2005, S. 73–86, hier S. 83f. 31 Vgl. Meik Zülsdorf-Kersting: »Wer brüllt, hat immer unrecht« – die Bild-Zeitung als Medium der Geschichtskultur. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 8 (2009), S. 125–135 sowie Meik Zülsdorf-Kersting: Zwischen Dämonisierung und Glorifizierung – Zeitgeschichte in der Bild-Zeitung. In: Susanne Popp u. a. (Hrsg.): Zeitgeschichte – Medien – Historische Bildung. Göttingen 2010 (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Bd. 2), S. 47–60. 32 Vgl. Harald Welzer/Sabine Moller/Karoline Tschuggnall: »Opa war kein Nazi«. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt am Main 2002. Vgl. zur Kritik an der Untersuchung Norbert Frei: Parallele Universen? Warum wir nach den Schnittpunkten zwischen Historiographie und Familienerinnerung fragen sollten. In: Werkstatt Geschichte 30, 2001, S. 69–72; Alexander von Plato: Wo sind die ungläubigen Kinder geblieben? Kritik einiger Thesen des Projektes »Tradierung von Geschichtsbewußtsein«. In: Werkstatt Geschichte 30, 2001, S. 64–68; Rolf Schörken: Nicht nur Opa war kein Nazi – Kritische Anmerkungen zu Harald Welzers Analysen des Familiengedächtnisses. In: Andreas Körber (Hrsg.): Geschichte – Leben – Lernen. Bodo von Borries zum 60. Geburtstag. Schwalbach/ Ts. 2003, S. 51–63.

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Einleitung

zeichnet dieses Phänomen als »kumulative Heroisierung« und sieht darin die Tendenz zur »Restauration der tradierten, aber eigentlich längst abgelöst scheinenden Alltagstheorie, dass ›die Nazis‹ und ›die Deutschen‹ zwei verschiedene Personengruppen gewesen seien, dass ›die Deutschen‹ als Verführte, Missbrauchte, ihrer Jugend beraubte Gruppe zu betrachten seien, die selbst Opfer des Nationalsozialismus war«33. Eine repräsentative Bevölkerungsumfrage, die im Anschluss an diese Studie durch das Meinungsforschungsinstitut Emnid durchgeführt wurde, bestätigte die Befunde der Arbeitsgruppe. Während z. B. nur drei Prozent der befragten Bundesbürger angaben, ihre Angehörigen seien »antijüdisch gewesen«, und lediglich ein Prozent der Befragten sich vorstellen konnte, dass Familienmitglieder »an Verbrechen direkt beteiligt gewesen« seien, waren 26 Prozent der Umfrageteilnehmer der Überzeugung, ihre Verwandten hätten »Verfolgten geholfen«.34 Anders als noch in früheren Dekaden, in denen die oftmals hitzig geführten Auseinandersetzungen über den Holocaust die Kommunikation zwischen Jüngeren und Älteren belastet hatten, deutet somit alles daraufhin, dass die NS-Vergangenheit mittlerweile von diesem Generationenkonflikt weitgehend entlastet ist bzw. – wie es Wolfgang Bergem formuliert – der familiäre Diskurs heutzutage »zunehmend frei von den Präsuppositionen des Ablösungskonfliktes zwischen Eltern- und Kindergeneration«35 geführt werden kann.

33 Harald Welzer : »Ach Opa!« Einige Bemerkungen zum Verhältnis von Tradierung und Aufklärung. In: Jens Birkmeyer/Cornelia Blasberg (Hrsg.): Erinnern des Holocaust? Eine neue Generation sucht Antworten. Bielefeld 2007 (Münstersche Arbeiten zur Internationalen Literatur, Bd. 2), S. 47–62, hier S. 55. Vgl. zur Tradierungsforschung, die sich mit der Erinnerung an den Nationalsozialismus, den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg befasst, auch Dan Bar-On: Die Last des Schweigens. Gespräche mit Kindern von NS-Tätern. Erweiterte Neuausgabe. Hamburg 2003; Olaf Jensen: Geschichte machen. Strukturmerkmale des intergenerationellen Sprechens über die NS-Vergangenheit in deutschen Familien. Tübingen 2004; Nina Leonhard: Politik- und Geschichtsbewusstsein im Wandel. Die politische Bedeutung der nationalsozialistischen Vergangenheit im Verlauf von drei Generationen in Ostund Westdeutschland. Münster 2002; Sabine Moller : Vielfache Vergangenheit. Öffentliche Erinnerungskulturen und Familienerinnerungen an die NS-Zeit in Ostdeutschland. Tübingen 2003; Gabriele Rosenthal (Hrsg.): Der Holocaust im Leben von drei Generationen. Familien von Überlebenden der Shoah und von Nazi-Tätern. Gießen 3., korrigierte Aufl. 1999; Harald Welzer/Robert Montau/Christine Plaß: »Was wir für böse Menschen sind!«. Der Nationalsozialismus im Gespräch zwischen den Generationen. Tübingen 1997. 34 Vgl. zu den Ergebnissen der Repräsentativbefragung Harald Welzer : Von der Täter- zur Opfergesellschaft. Zum Umbau der deutschen Erinnerungskultur. In: Hans Erler (Hrsg.): Erinnern und Verstehen. Der Völkermord an den Juden im politischen Gedächtnis der Deutschen. Frankfurt am Main 2003, S. 100–106. 35 Wolfgang Bergem: Barbarei als Sinnstiftung? Das NS-Regime in Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur der Bundesrepublik. In: Ders. (Hrsg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs. Opladen 2003, S. 81–104, hier S. 91.

Forschungskontext und Problemaufriss

1.4.

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Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik

Wenn Schülerinnen und Schüler dem Thema »Nationalsozialismus« zum ersten Mal im Geschichtsunterricht begegnen36, haben sie also, davon kann allgemein ausgegangen werden, bereits durch die vielfältigen Manifestationen der Geschichtskultur und die mündlichen Überlieferungen im Verwandten- und Bekanntenkreis relativ feste Vorstellungen und Urteile über die Zeit von 1933 bis 1945 ausgebildet. Hinzu kommt, dass der Geschichtsunterricht noch immer einer chronologischen Anordnung von Einzelthemen folgt37 und damit die Behandlung von Nationalsozialismus und Holocaust erst gegen Ende der Sekundarstufe I stattfindet. Zu diesem Zeitpunkt haben sich bereits andere Unterrichtsfächer mehrfach des Themas bedient und damit auf die Bewusstseinsbildung der Jugendlichen Einfluss genommen.38 Bodo von Borries konstatiert: 36 Die Curricula aller Bundesländer sehen den Nationalsozialismus als obligatorisches Unterrichtsthema vor. Vgl. Meik Zülsdorf: Zwischen normativer Setzung und ergebnisoffenem Diskurs: Das Thema »Nationalsozialismus« in den Richtlinien und Lehrplänen für das Fach Geschichte in der Sekundarstufe I. In: Saskia Handro/Bernd Schönemann (Hrsg.): Geschichtsdidaktische Lehrplanforschung. Methoden – Analysen – Perspektiven. Münster 2004 (Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Bd. 12), S. 165–174. 37 Vgl. zur Frage nach der thematischen Organisation historischer Gegenstände im Geschichtsunterricht Michele Barricelli: Darstellungskonzepte von Geschichte im Unterricht. In: Ders./Martin Lücke (Hrsg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Bd. 2. Schwalbach/Ts. 2012, S. 202–223; Michele Barricelli: Thematische Strukturierungskonzepte. In: Hilke Günther-Arndt/Saskia Handro (Hrsg.): Geschichts-Methodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 5., überarb. Neuaufl. 2015, S. 44–60; Hans-Jürgen Pandel: Didaktische Darstellungsprinzipien. Ein alter Sachverhalt im neuen Licht. In: Markus Bernhardt/Gerhard Henke-Bockschatz/Michael Sauer (Hrsg.): Bilder – Wahrnehmungen – Konstruktionen. Reflexionen über Geschichte und historisches Lernen. Festschrift für Ulrich Mayer zum 65. Geburtstag. Schwalbach/Ts. 2006, S. 152–169; Heinz Dieter Schmid: Verfahrensweisen im Geschichtsunterricht. In: Joachim Rohlfes/Karl-Ernst Jeismann (Hrsg.): Geschichtsunterricht. Inhalte und Ziele. Stuttgart 1974, S. 53–64. 38 Ob allerdings eine strukturelle Umstellung des Curriculums, in dem die NS-Zeit bereits in den unteren Klassen der Sekundarstufe I behandelt werden würde, für Abhilfe sorgen könnte, muss bezweifelt werden. Wie verschiedene empirische Studien gezeigt haben, verfügen nämlich selbst Grundschulkinder bereits über reichhaltige, wenn auch meistens diffuse Vorstellungen über die nationalsozialistische Vergangenheit. Vgl. Andrea Becher : Die Zeit des Holocaust in Vorstellungen von Grundschulkindern. Eine empirische Untersuchung im Kontext von Holocaust Education. Oldenburg 2009 (Beiträge zur didaktischen Rekonstruktion, Bd. 25); Heike Deckert-Peaceman: Holocaust als Thema für Grundschulkinder? Ethnographische Feldforschung zur Holocaust Education am Beispiel einer Fallstudie aus dem amerikanischen Grundschulunterricht und ihre Relevanz für die Grundschulpädagogik in Deutschland. Frankfurt am Main 2002; Isabel Enzenbach: Klischees im frühen historischen Lernen. Jüdische Geschichte und Gegenwart, Nationalsozialismus und Judenfeindschaft im Grundschulunterricht. Berlin 2011; Alexandra Flügel: »Kinder können das auch schon mal wissen«. Nationalsozialismus und Holocaust im Spiegel kindlicher Reflexionsund Kommunikationsprozesse. Opladen 2009; Vera Hanfland: Holocaust – ein Thema für die Grundschule? Eine empirische Untersuchung zum Geschichtsbewusstsein von Viert-

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Einleitung

»Das Elternhaus, die Massenmedien, die Kolleginnen in Deutsch (›Damals war es Friedrich‹) oder Religion (›Anne Frank‹), die neofaschistischen Websites des Internet oder die Freundesclique sind dem – oft hilflosen – Geschichtslehrer immer schon vorausgegangen.«39 Die Ergebnisse mehrerer empirischer Studien deuten sodann darauf hin, dass die Geschichtsvorstellungen der Heranwachsenden zumeist quer zu den Ergebnissen der Fachwissenschaft liegen. Meik Zülsdorf-Kersting40 etwa konnte 2007 in einer qualitativ-rekonstruktiven Mittelfriststudie zu vor- und nachunterrichtlichen Deutungsmustern Jugendlicher über den Holocaust zeigen, dass die von ihm befragten 14- bis 16jährigen Schülerinnen und Schüler der sogenannten vierten Generation, für die der familiäre oder autobiographische Erfahrungsbezug weitgehend verloren ist, zu einer Viktimisierung der Täter und Exkulpation der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung neigen. Während die Untersuchungsgruppe das Handeln der Täter des Massenmordes an den Juden Europas vorzugsweise mit dem Erklärungsansatz eines lebensbedrohlichen Befehlsnotstandes rechtfertigte, wurde das mehrheitlich passive Verhalten der Bevölkerung häufig mit dem in sich widersprüchlich scheinenden Deutungsmuster der Doppelstruktur von Wissen und Nicht-Wissen entschuldigt: »Die Bevölkerung hätte vom Holocaust nichts gewusst, ansonsten hätte es sicherlich größere Widerstände gegeben. Da es kaum Widerstand gab, habe folglich kaum jemand etwas von Holocaust gewusst. Es habe zudem deshalb keinen Widerstand gegeben, weil die Menschen Angst vor harten Strafen, d. h. KZ-Haft und Ermordung, gehabt hätten.«41 Insgesamt konstruierten die Lernenden vor der ersten unterrichtlichen Beschäftigung mit dem Völkermord an den europäischen Juden aus Tätern Opferfiguren, aus Mitläufern Unbeteiligte und aus Zuschauern Unwissende. Darüber hinaus bestand unter allen Probandinnen und Probanden die starke Neigung, die Verantwortung für den Völkermord an den Juden allein auf Hitler zu reduzieren. klässlern. Berlin 2008 (Geschichtskultur und historisches Lernen, Bd. 3); Dietmar von Reeken: Holocaust und Nationalsozialismus als Thema in der Grundschule? Historischpolitisches Lernen im Sachunterricht. In: Dagmar Richter (Hrsg.): Politische Bildung von Anfang an. Demokratie-Lernen in der Grundschule. Bonn 2007, S. 199–214. 39 Bodo von Borries: Moralische Aneignung und emotionale Identifikation im Geschichtsunterricht. Empirische Befunde und theoretische Erwägungen. In: Wolfgang Meseth/Matthias Proske/Frank-Olaf Radtke (Hrsg.): Schule und Nationalsozialismus. Anspruch und Grenzen des Geschichtsunterrichts. Frankfurt am Main 2004 (Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Bd. 11), S. 268–297, hier S. 271. 40 Vgl. Meik Zülsdorf-Kersting: Sechzig Jahre danach: Jugendliche und Holocaust. Eine Studie zur geschichtskulturellen Sozialisation. Berlin 2007 (Geschichtskultur und historisches Lernen, Bd. 2). 41 Meik Zülsdorf-Kersting: Historisches Lernen in der Gedenkstätte. Zur Stabilität vorgefertigter Geschichtsbilder. In: Bert Pampel (Hrsg.): Erschrecken – Mitgefühl – Distanz. Empirische Befunde über Schülerinnen und Schüler in Gedenkstätten und zeitgeschichtlichen Ausstellungen. Leipzig 2011 (Zeitfenster – Beiträge der Stiftung sächsische Gedenkstätten zur Zeitgeschichte, Bd. 8), S. 171–192, hier S. 182.

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Die Schülerinnen und Schüler besaßen also vor dem eigentlichen Unterricht ein unhistorisches und verharmlosendes Bild des Holocaust. Der ernüchterndste Befund der Studie war allerdings, dass sich diese Deutungsmuster im Kern auch in der unterrichtsbegleitenden und nachunterrichtlichen Erhebung als ausgesprochen veränderungsresistent erwiesen. Zülsdorf-Kersting zog daher die geschichtsdidaktische Konsequenz, dass die gesamte Anlage des Unterrichts verändert werden müsse, und plädierte u. a. für eine intensivere Auseinandersetzung mit den »Zuschauern« des Holocaust. Schülerinnen und Schüler müssten ein Bewusstsein für die Verhaltensdispositionen der Gruppe der »Normalbürger« entwickeln.42 Dieser Forderung ist aus zwei Gründen zuzustimmen. Zum einen hat die geschichtsdidaktische und erziehungswissenschaftliche Forschung bereits des Öfteren darauf hingewiesen, dass im Geschichtsunterricht innerhalb der historischen Kategorien »Täter, Opfer, Zuschauer« nach Wegen gesucht werden müsse, um bei Lernenden ein Verständnis dafür anzubahnen, was damals geschah. Ein realitätsgerechtes Bild der Mehrheitsbevölkerung, die nicht funktional an der »Endlösung der Judenfrage« mitwirkte, aber durch ihre weitgehende Indifferenz, Empfindungslosigkeit und Trägheit zum reibungslosen Ablauf des Holocaust entschieden beigetragen hat, könne, so die einhellige Meinung, zu einem besseren Verständnis dieses Schlüsselereignisses des 20. Jahrhunderts beitragen.43 Zum anderen besteht unter Geschichtsdidaktikerinnen und -didaktikern ein Grundkonsens darüber, dass die Entwicklung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins bei Schülerinnen und Schülern das oberste Ziel des Geschichtslernens darstellt.44 Auf das Thema »Holocaust« gewendet: Da die Zeit des Na42 Vgl. Meik Zülsdorf-Kersting: Historische Identität und geschichtskulturelle Prägung: empirische Annäherungen. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 59, 2008, H. 11, S. 631–646, hier S. 646. 43 Vgl. Ido Abram/Matthias Heyl: Thema Holocaust. Ein Buch für die Schule. Reinbek bei Hamburg 1996, S. 94–97; Klaus Bergmann: Zustimmung und Verführung. In: Geschichte lernen H. 57 (1997), S. 12–19; Norbert Blume/Rudolf Tschirbs: Mitläufer. Öffentlichkeit und Judenverfolgung im Nationalsozialismus. In: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 24, 1996, H. 1/2, S. 130–141; Brigitte Dehne/Peter Schulz-Hageleit: Der Nationalsozialismus im Schulunterricht. Dimensionen emotionalen Involviertseins bei Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern. In: Bernd Mütter/Uwe Uffelmann (Hrsg.): Emotionen und historisches Lernen. Forschung – Vermittlung – Rezeption. Frankfurt am Main 1992 (Studien zur internationalen Schulbuchforschung, Bd. 76), S. 337–351; Matthias Heyl: Erziehung nach Auschwitz. Eine Bestandsaufnahme. Deutschland, Niederlande, Israel, USA. Hamburg 1997, S. 217–248; Christoph Scheffer : Land der Täter und Mitläufer. Der Holocaust als Gegenstand schulischer und außerschulischer Bildung. In: Tribüne – Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 31, 1992, H. 122, S. 40–44; Wilhelm Sommer : Wem gehört Auschwitz? Die Deutschen und der Holocaust. In: Geschichte lernen H. 69 (1999), S. 14–22. 44 Vgl. als Überblick Bernd Schönemann: Geschichtsbewusstsein – Theorie. In: Michele Bar-

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Einleitung

tionalsozialismus unzweifelhaft zu einem der virulentesten Kapitel der bundesdeutschen Erinnerungskultur45 gehört, betrifft sie unmittelbar – in Form von Gedenktagen und Jubiläen46, Straßenumbenennungen47, Denkmälern48, Stolpersteinen49, Gedenkstätten50, Museen51, wissenschaftlichen und populärwis-

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ricelli/Martin Lücke (Hrsg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Bd. 1. Schwalbach/Ts. 2012, S. 98–111. Der ursprünglich aus den Kulturwissenschaften stammende Begriff »Erinnerungskultur« ist von Christoph Cornelißen als »formale[r] Oberbegriff für alle denkbaren Formen der bewussten Erinnerung an historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Prozesse« definiert worden. Stärker als der Begriff »Geschichtskultur« hebe er »auf das Moment des funktionalen Gebrauchs der Vergangenheit zu gegenwärtigen Zwecken, für die Formierung einer historisch begründeten Identität ab« (Christoph Cornelißen: Was heißt Erinnerungskultur? Begriff – Methoden – Perspektiven. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 54, 2003, H. 10, S. 548–563, hier S. 555). Wenn man aber akzeptiert, dass der von der Geschichtsdidaktik entwickelte und mittlerweile ausdifferenzierte Begriff der »Geschichtskultur« jede Form des öffentlichen und privaten Umgangs mit der Vergangenheit meint, dann schließt er natürlich auch die gegenwartsbezogene Nutzung von Vergangenheit und die damit verbundene Identitätsbildung ein. Insofern handelt es sich bei »Erinnerungskultur« um einen spezifischen Teilbereich von »Geschichtskultur«. Mit einer genaueren Abgrenzung der Termini ist es freilich nicht leicht. Vgl. zur Diskussion über Unterschiedlichkeit oder Bedeutungsgleichheit der beiden Begriffe Marko Demantowsky : Geschichtskultur und Erinnerungskultur – zwei Konzeptionen des einen Gegenstandes. Historischer Hintergrund und exemplarischer Vergleich. In: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 33, 2005, H. 1/2, S. 11– 20; Wolfgang Hasberg: Erinnerungskultur – Geschichtskultur. Kulturelles Gedächtnis – Geschichtsbewusstsein. 10 Aphorismen zu begrifflichen Problemfeldern. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 3 (2004), S. 198–207; Wolfgang Hasberg: Erinnerungs- oder Geschichtskultur? Überlegungen zu zwei (un-)vereinbaren Konzeptionen zum Umgang mit Gedächtnis und Geschichte. In: Olaf Hartung (Hrsg.): Museum und Geschichtskultur. Ästhetik – Politik – Wissenschaft. Bielefeld 2006 (Sonderveröffentlichungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Bd. 52), S. 32–59; Bernd Schönemann: Erinnerungskultur oder Geschichtskultur? In: Eugen Kotte (Hrsg.): Kulturwissenschaften und Geschichtsdidaktik. München 2011 (Kulturwissenschaft(en) als interdisziplinäres Projekt, Bd. 4), S. 53–72; B8atrice Ziegler : »Erinnert euch!« – Geschichte als Erinnerung und die Wissenschaft. In: Peter Gautschi/Barbara Sommer Häller (Hrsg.): Der Beitrag von Schulen und Hochschulen zu Erinnerungskulturen. Schwalbach/Ts. 2014, S. 69–89. Vgl. Harald Schmid: Deutungsmacht und kalendarisches Gedächtnis – die politischen Gedenktage. In: Peter Reichel/Ders./Peter Steinbach (Hrsg.): Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschichte. Überwindung – Deutung – Erinnerung. München 2009, S. 175–216. Vgl. Ralph Erbar : Der war doch kein Nazi – oder? Straßenumbenennungen in Deutschland – Intention, Probleme und Folgen. In: Geschichte für heute 8, 2015, H. 3, S. 44–50. Vgl. Holger Thünemann: Holocaust-Rezeption und Geschichtskultur. Zentrale HolocaustDenkmäler in der Kontroverse. Ein deutsch-österreichischer Vergleich. Idstein 2005 (Schriften zur Geschichtsdidaktik, Bd. 17). Vgl. Petra T. Fritsche: Stolpersteine. Das Gedächtnis einer Straße. Berlin 2014. Vgl. Habbo Knoch: Spurensuche: NS-Gedenkstätten als Orte der Zeitgeschichte. In: Frank Bösch/Constantin Goschler (Hrsg.): Public History. Öffentliche Darstellungen zum Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft. Frankfurt am Main 2009, S. 190–218. Vgl. Katja Köhr : Die vielen Gesichter des Holocaust. Museale Repräsentationen zwischen Individualisierung, Universalisierung und Nationalisierung. Göttingen 2012 (Eckert. Die

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senschaftlichen Büchern52, Kinder- und Jugendliteratur53, Comics und Graphic Novels54, Seiten des World Wide Webs55, Computerspielen56 oder den bereits erwähnten Spielfilmen, Fernsehdokumentationen und Boulevardzeitungen – die gegenwärtige Lebenswelt der Heranwachsenden. Und es sieht nicht so aus, als ob sich dies in naher Zukunft ändern wird. Davon zeugen etwa die geschichtskulturellen Debatten der letzten Jahre um das Editionsprojekt »Zeitungszeugen«, das historische Tagespresse aus der Zeit des Nationalsozialismus nachgedruckt und zum öffentlichen Verkauf gebracht hatte57, die vom Institut für Zeitgeschichte erarbeitete, kritisch und umfänglich kommentierte Neuausgabe von Hitlers Hetzschrift »Mein Kampf«58 oder der Prozess gegen Oskar Gröning, der als SS-Unterscharführer von 1942 bis 1944 in Auschwitz-Birkenau tätig war und sich im Frühjahr 2015 vor dem Landgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen verantworten musste.59 Als konstitutives Element für das politische Selbstverständnis der Bundesrepublik60, aber zunehmend auch des übrigen Europas und der Welt61, ist der

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Schriftenreihe. Studien des Georg-Eckert-Instituts zur internationalen Bildungsmedienforschung, Bd. 128). Vgl. Walter H. Pehle: Der lange Weg zum Buch. Historische Sach- und Fachbücher. In: Sabine Horn/Michael Sauer (Hrsg.): Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen. Göttingen 2009, S. 194–202. Vgl. Monika Rox-Helmer : Roman und Jugendbuch. Verarbeitung von Zeitgeschichte in der Literatur. In: Markus Furrer/Kurt Messmer (Hrsg.): Handbuch Zeitgeschichte im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 2013, S. 268–292. Vgl. Ole Frahm: Gespaltene Spuren. Der Holocaust im Comic nach »Maus – A Survivor’s Tale«. In: Iris Roebling-Grau/Dirk Rupnow (Hrsg.): »Holocaust«-Fiktion. Kunst jenseits der Authentizität. Paderborn 2015, S. 199–218. Vgl. Kirstin Schmidt: Erinnerungskultur 2.0: Narrative Transformationen des Holocaust in den digitalen Medien und auf Facebook. In: Ansgar Nünning u. a. (Hrsg.): Narrative Genres im Internet. Theoretische Bezugsrahmen, Mediengattungstypologie und Funktionen. Trier 2012, S. 313–329. Vgl. Rainer Pöppinghege: Ballern für den Führer. Der Zweite Weltkrieg im Computerspiel. In: Swen Steinberg/Stefan Meißner/Daniel Trepsdorf (Hrsg.): Vergessenes Erinnern. Medien von Erinnerungskultur und kollektivem Gedächtnis. Berlin 2009 (Impulse – Studien zu Geschichte, Politik und Gesellschaft, Bd. 1), S. 105–120. Vgl. Christian Kuchler : NS-Propaganda am Kiosk? Das Editionsprojekt »Zeitungszeugen« als Manifestation kommerzieller Geschichtskultur. In: Ders. (Hrsg.): NS-Propaganda im 21. Jahrhundert. Zwischen Verbot und öffentlicher Auseinandersetzung. Köln/Weimar/ Wien 2014, S. 27–39. Vgl. Christian Hartmann u. a. (Hrsg.): Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. 2 Bde. München 2016. Vgl. Peter Huth (Hrsg.): Die letzten Zeugen. Der Auschwitz-Prozess von Lüneburg 2015. Eine Dokumentation. Ditzingen 2015. Der seit 1996 jährlich am 27. Januar im Deutschen Bundestag begangene Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus und das 2005 eröffnete Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin sind hierfür die symbolträchtigsten Ausdrücke. Vgl. Aleida Assmann: 27. Januar 1945: Genese und Geltung eines neuen Gedenktags. In: Etienne FranÅois/ Uwe Paschner (Hrsg.): Erinnerungstage. Wendepunkte der Geschichte von der Antike bis

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Holocaust ebenfalls Teil der über Generationen weitergegebenen Geschichte und damit auch Teil der individuellen Geschichte. Damit Schülerinnen und Schüler an den nach wie vor aktuellen (wissenschaftlichen) Diskussionen über Schuld, Scham, Haftung oder Verantwortung teilhaben können, müssen sie die historischen Bezüge, um die es geht, verstehen und sich selbst ein Urteil bilden können. Der Geschichtsunterricht über den Holocaust steht also vor der Aufgabe, Geschichtsbewusstsein dergestalt zu fördern, dass die Lernenden dazu befähigt werden, auf der Basis von Quellenarbeit zu eigenständigen historischen Erkenntnissen zu gelangen bzw. in verschiedenen Formen und auf sehr unterschiedlichem Niveau innerhalb der Gesellschaft kursierende Deutungen über den Nationalsozialismus kritisch einzuschätzen. An dieser Zielperspektive ändert auch die zunehmend multiethnische Zusammensetzung der heutigen Schülerschaft nichts. Die Aufgabe, mitverantwortlich für den Umgang mit der NS-Vergangenheit zu sein, ist aus einem einfachen Grund eine gesamtgesellschaftliche: Alle Schülerinnen und Schüler leben in einer Gesellschaft, deren Normen für alle gelten.62 »Es gibt keine deutsche zur Gegenwart. München 2010, S. 319–333 sowie Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Hrsg.): Materialien zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Berlin 2005. 61 Vgl. Christoph Cornelißen: Europas Gedächtnislandkarte. Gibt es eine Universalisierung des Erinnerns? In: Norbert Frei (Hrsg.): Was heißt und zu welchem Ende studiert man Geschichte des 20. Jahrhunderts? Göttingen 2006, S. 42–49; Jan Eckel/Claudia Moisel: Nachgeschichte und Gegenwart des Nationalsozialismus in internationaler Perspektive. In: Dietmar Süß/Winfried Süß (Hrsg.): Das »Dritte Reich«. Eine Einführung. München 2008, S. 333–353; Daniel Levy/Natan Sznaider : Erinnerung im globalen Zeitalter : Der Holocaust. Frankfurt am Main 2001; Günter Morsch: Entwicklungen, Tendenzen und Probleme einer Erinnerungskultur in Europa. In: Hanns-Fred Rathenow/Birgit Wenzel/Norbert H. Weber (Hrsg.): Handbuch Nationalsozialismus und Holocaust. Historisch-politisches Lernen in Schule, außerschulischer Bildung und Lehrerbildung. Schwalbach/Ts. 2013, S. 95–107; Lothar Probst: Der Holocaust – eine neue Zivilreligion für Europa? In: Wolfgang Bergem (Hrsg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs. Opladen 2003, S. 227–238; Peter Reichel/Harald Schmid/Peter Steinbach: Nach dem Ende nationaler Nachkriegsmythen – eine europäische Erinnerungskultur? In: Dies. (Hrsg.): Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschichte. Überwindung – Deutung – Erinnerung. München 2009, S. 398–415; Harald Schmid: Erinnerungskulturen in Europa. Der 27. Januar als »Holocaust-Gedenktag«. In: Geschichte für heute 8, 2015, H. 4, S. 6–20. 62 Das gilt übrigens auch für die finanzielle »Haftung«: Bei den anhaltenden Entschädigungsoder Denkmalsprojekten werden »die Deutschen« und »ihre Immigranten« gleichermaßen in »Haftung« genommen. Vgl. zur kulturellen Diversität in deutschen Klassenzimmern und den sich daraus ergebenden Chancen und Problemen für den Geschichtsunterricht über den Holocaust Bettina Alavi: Herausforderungen an eine »Erziehung nach Auschwitz« in der multikulturellen Gesellschaft. In: Hanns-Fred Rathenow/Birgit Wenzel/Norbert H. Weber (Hrsg.): Handbuch Nationalsozialismus und Holocaust. Historisch-politisches Lernen in Schule, außerschulischer Bildung und Lehrerbildung. Schwalbach/Ts. 2013, S. 79–94; Bernd Fechler : Zwischen Tradierung und Konfliktvermittlung. Über den Umgang mit »problematischen« Aneignungsformen der NS-Geschichte in multikulturellen Schulklassen. Ein Praxisbericht. In: Ders./Gottfried Kößler/Till Liebertz-Groß (Hrsg.): »Erziehung nach Auschwitz« in der multikulturellen Gesellschaft. Pädagogische und soziologische Annähe-

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Identität ohne Auschwitz«63, betonte am 27. Januar 2015 Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus: »Die Erinnerung an den Holocaust bleibt eine Sache aller Bürger, die in Deutschland leben.«64 Ähnlich formulierte es Cem Özdemir bereits ein Jahr zuvor. Wer in Deutschland lebt und damit Teil dieser Gesellschaft ist, müsse, so der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, dafür Sorge tragen, dass die Erinnerung an die dunkle Vergangenheit wachgehalten werde. Diese bleibende Verantwortung sei »eine Gemeinsamkeit, die Deutsche und Zugewanderte bzw. ihre Nachfahren teilen können und müssen«65. Die Formierung von Geschichtsbewusstsein beim Thema »Holocaust« ernst zu nehmen, entspricht auch der Forderung von Volkhard Knigge, der für »einen bewussten Abschied vom Paradigma der Erinnerung«66 in KZ-Gedenkstätten plädiert hat. Der Erinnerungsimperativ »Nie wieder!« verliere angesichts des in naher Zukunft unvermeidlichen Ablebens der letzten Zeitzeugen und der damit verbundenen Historisierung des Nationalsozialismus seinen Sinn: »Erstens in der ganz rudimentären Weise, daß erinnert nur werden kann, was zuvor erlebt, erfahren und im persönlichen Gedächtnis bewahrt wurde. Und zweitens, insofern der Erinnerungsimperativ in der Geschichte der (west-)deutschen Gedächtnisbildung an die nationalsozialistischen Verbrechen auf das Engste mit dem Leugnen dieser Verbrechen vor allem in der Beteiligtengeneration verbunden gewesen ist. ›Erinnere Dich!‹ hieß bzw. heißt vor diesem Hintergrund eigentlich: ›Bekenne Dich zu Deiner Tat oder konkreten Mitverantwortung!‹ bzw. ›Gestehe! Leugne nicht ab!‹, ›Tu’ nicht so, als hättest du vergessen‹ bzw. […] ›Leugne nicht, den Führer Adolf Hitler geliebt zu haben, d. h. mit ihm identifiziert gewesen zu sein‹. Sowohl in der rudimentären Bedeutung von Erinnerung als Vorgang der Evokation von lebensge-

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rungen. München/Weinheim 2000 (Veröffentlichungen der Max-Traeger-Stiftung, Bd. 32), S. 207–227; Carlos Kölbl: Auschwitz ist eine Stadt in Polen. Zur Bedeutung der NS-Vergangenheit im Geschichtsbewusstsein junger Migrantinnen und Migranten. In: Michele Barricelli/Julia Hornig (Hrsg.): Aufklärung, Bildung, »Histotainment«? Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute. Frankfurt am Main 2008, S. 161–173; Martin Liepach: Nationalsozialismus – ein deutsches Thema? Einstellung und Rezeption junger Migranten. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 6 (2007), S. 197–212; Angelika Rieber : Inhaltliche und methodische Überlegungen zum Unterricht über die NS-Zeit in multikulturellen Klassen. In: Thomas Schlag/Michael Scherrmann (Hrsg.): Bevor Vergangenheit vergeht. Für einen zeitgemäßen Politik- und Geschichtsunterricht über Nationalsozialismus und Rechtsextremismus. Schwalbach/Ts. 2005, S. 132–144. Joachim Gauck: Reden und Interviews. Bd. 4: 27. Januar 2015–20. Januar 2016. Berlin 2016, S. 29. Ebd. Cem Özdemir : Was geht mich das an? Erinnerungskultur in der Einwanderungsgesellschaft. In: Harald Roth (Hrsg.): Was hat der Holocaust mit mir zu tun? 37 Antworten. München 2014, S. 234–236, hier S. 234. Volkhard Knigge: Zur Zukunft der Erinnerung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 25–26/ 2010, S. 10–16, hier S. 10.

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Einleitung

schichtlich Zugewachsenem und Verankertem als auch in der subkutan semantischen der Anerkenntnis persönlicher Beteiligung und Schuld, wenigstens aber konkreter Mitverantwortung, wird der Erinnerungsbegriff unproduktiv oder sogar zur Falle: Heute Zwanzigjährigen beispielsweise zu sagen, sie mögen sich der nationalsozialistischen Verbrechen erinnern, heißt […] entweder Unmögliches verlangen oder Widerstände da auf den Plan zu rufen, wo dem Erinnerungsbegriff unausgesprochen eine persönliche Schuldzuweisung eingeschrieben ist.«67

Daraus folge für Gedenkstätten, dass sie sich in »transparente, diskursive Orte historischer Dokumentation und Bildung«68 wandeln müssten. Statt auf Erinnerung müsse auf die Entwicklung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins gesetzt werden: »Zukunft gewinnt Erinnerung nicht durch Erkenntnisübertragung, sondern durch ihre Erschließung als historische Quelle und als Lerngegenstand.«69 Übertragen auf den schulischen Geschichtsunterricht bedeutet dies die endgültige Abkehr von einer offenbar nach wie vor in den deutschen Klassenzimmern zu beobachtenden moralisierenden Unterweisung der Schülerinnen und Schüler durch die Lehrkraft.70 Vor allem die diffusen Praktiken der »Betroffenheitspädagogik«71, bei der die Leiden der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Ausrottungspolitik instrumentalisiert werden, um Lernende emotional zu berühren, sind gänzlich unangemessen. Eine solche betroffenheitspädagogische Setzung steht einem analytischen Zugriff auf die NS-Vergangenheit im Weg und befördert nachgerade eine Abwehrhaltung der Heranwachsenden gegenüber dem Thema.

67 Volkhard Knigge: Abschied der Erinnerung. Anmerkungen zum notwendigen Wandel der Gedenkkultur in Deutschland. In: Ders./Norbert Frei (Hrsg.): Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord. München 2002, S. 423–440, hier S. 428f. 68 Ebd., S. 430. 69 Knigge: Zukunft, S. 14. 70 Bert Pampel zum Beispiel berichtet von empirischen Befunden zu Gedenkstättenbesuchen von Schulklassen, die zeigen, dass die Erwartungen der Lehrerschaft noch immer sehr stark dadurch geprägt sind, über moralische Appelle – und nicht über verschiedene Formen der Wissensvermittlung und -aneignung – ihre Schülerinnen und Schüler zu erreichen. Vgl. Bert Pampel: Gedenkstätten als »außerschulische Lernorte«. Theoretische Aspekte – empirische Befunde – praktische Herausforderungen. In: Ders. (Hrsg.): Erschrecken – Mitgefühl – Distanz. Empirische Befunde über Schülerinnen und Schüler in Gedenkstätten und zeitgeschichtlichen Ausstellungen. Leipzig 2011 (Zeitfenster – Beiträge der Stiftung sächsische Gedenkstätten zur Zeitgeschichte, Bd. 8), S. 11–58, hier S. 24f. 71 Vgl. zum Begriff »Betroffenheitspädagogik« ausführlich Thomas Ziehe/Herbert Stubenrauch: Plädoyer für ungewöhnliches Lernen. Ideen zur Jugendsituation. Reinbek bei Hamburg 1982, S. 155–168.

Forschungskontext und Problemaufriss

1.5.

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»Holocaust Education«

In evidentem Widerspruch zum Aufbau eines reflektierten Geschichtsbewusstseins über den Holocaust und die Gruppe der »Zuschauer« steht ebenfalls die seit einigen Jahren schleichende Hegemonialisierung eines pädagogischen Programms aus Nordamerika, das als »Holocaust Education« bezeichnet wird.72 Institutionelle Verankerung findet »Holocaust Education« seit 1998 in der »Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance, and Research«, die Anfang 2013 in »International Holocaust Remembrance Alliance« umbenannt wurde. Diese Organisation, ein Netzwerk aus Regierungsvertretern und Experten der meisten EU-Mitgliedsstaaten sowie Israel, Argentinien, Kanada, den USA und der Schweiz, versucht mittels gemeinsamer Bildungsvorstellungen in Form von Richtlinien für die Auseinandersetzung mit dem Genozid an den europäischen Juden auf die (schulische) Praxis einzuwirken.73 Die Hauptmerkmale sind: (1) die Rede von der Unfassbarkeit und Sinnlosigkeit des Holocaust, der sich jedem rationalen Kalkül entziehe, (2) die Fokussierung auf die quasi industriell betriebenen Massentötungen von Juden in den Vernichtungslagern, vor allem in Auschwitz-Birkenau, (3) die Konzentration auf den Blickwinkel der Opfer sowie (4) die Auffassung, aus der Shoah und den NS-Verbrechen könnten mehr oder minder unmittelbare Lehren gezogen werden. Gegen jeden dieser Punkte lassen sich stichhaltige Einwände formulieren: 72 Vgl. Ulrich Baumgärtner : »Holocaust education« oder Geschichtsunterricht? Politischmoralische Herausforderungen des historischen Lernens in der Schule. In: Eli Bar-Chen/ Anthony D. Kauders (Hrsg.): Jüdische Geschichte. Alte Herausforderungen, neue Ansätze. München 2003 (Münchner Kontaktstudium Geschichte, Bd. 6), S. 178–193; Ren8 Mounajed: »Holocaust-Education« und Menschrechtserziehung im Geschichtsunterricht. In: Michele Barricelli/Martin Lücke (Hrsg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Bd. 2. Schwalbach/Ts. 2012, S. 263–289; Oliver Plessow : Länderübergreifende »Holocaust Education« als Demokratie- und Menschenrechtsbildung? Transnationale Initiativen im Vergleich. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 11 (2012), S. 11–30; Robert Sigel: Holocaust Education oder historisch-politischer Unterricht zum Nationalsozialismus? Veränderte Paradigmen in der Vermittlung des Themas Holocaust. In: Michael Brenner/Maximilian Strnad (Hrsg.): Der Holocaust in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft. Bilanz und Perspektiven. Göttingen 2012 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 12), S. 130–144. 73 Vgl. zu den Entstehungsbedingungen und Aufgaben der ITF/IHRA Jens Kroh: Erinnerungskultureller Akteur und geschichtspolitisches Netzwerk. Die »Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research«. In: Jan Eckel/ Claudia Moisel (Hrsg.): Universalisierung des Holocaust? Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in internationaler Perspektive. Göttingen 2008 (Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 24), S. 156–173 sowie Kathrin Meyer : Die Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance, and Research. Holocaust-Gedenken und Prävention gegen Antisemitismus als staatliche Verpflichtung. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 20 (2011), S. 105–112.

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Einleitung

(1) Der Völkermord an den europäischen Juden ist keineswegs unbegreiflich und unbeschreibbar. Er ist einer der am gründlichsten erforschten Teilbereiche der Zeitgeschichte und die NS-Täterforschung ist sehr wohl in der Lage, Antworten auf Fragen zu finden, wie der arbeitsteilige Massenmord an den Juden funktionierte oder wie Menschen zu Massenmördern wurden.74 Selbst die grausame Wirklichkeit der Konzentrations- und Vernichtungslager, in denen die Täter nur zu bereitwillig die Arbeit des Terrors verrichteten, ist nicht unverstehbar.75 Wenn auch das Ausmaß der dort an Menschen begangenen Verbrechen uns mit einem tiefen Gefühl von Scham oder Schock zurücklässt, ist eine wissenschaftliche Erforschung des Lagersystems sehr wohl möglich, wovon zahlreiche Studien Zeugnis ablegen.76 Außerdem: Die Schilderungen der 74 Vgl. Frank Bajohr : Täterforschung: Ertrag, Probleme und Perspektiven eines Forschungsansatzes. In: Ders./Andrea Löw (Hrsg.): Der Holocaust. Ergebnisse und neue Fragen der Forschung. Frankfurt am Main 2015, S. 167–185; Thomas Kühne: Dämonisierung, Viktimisierung, Diversifizierung. Bilder von nationalsozialistischen Gewalttätern in Gesellschaft und Forschung seit 1945. In: Oliver von Wrochem (Hrsg.): Nationalsozialistische Täterschaften. Nachwirkungen in Gesellschaft und Familie. Berlin 2016 (Neuengammer Kolloquien, Bd. 6), S. 32–55; Peter Longerich: Tendenzen und Perspektiven der Täterforschung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 14–15/2007, S. 3–7; Klaus-Michael Mallmann: Dr. Jekyll & Mr. Hyde. Der Täterdiskurs in Forschung und Gesellschaft. In: Ders./Andrej Angrick (Hrsg.): Die Gestapo nach 1945. Karrieren, Konflikte, Konstruktionen. Darmstadt 2009 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 14), S. 292–318; Jürgen Matthäus: Historiography and the Perpetrators of the Holocaust. In: Dan Stone (Hrsg.): The Historiography of the Holocaust. New York 2004, S. 197–215; Gerhard Paul/Klaus-Michael Mallmann: Sozialisation, Milieu und Gewalt. Fortschritte und Probleme der neueren Täterforschung. In: Dies. (Hrsg.): Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien. Darmstadt 2004 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 2), S. 1–32; Gerhard Paul: Von Psychopathen, Technokraten des Terrors und »ganz gewöhnlichen« Deutschen. Die Täter der Shoah im Spiegel der Forschung. In: Ders. (Hrsg.): Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche? Göttingen 2002 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 2), S. 13– 90; Thomas Sandkühler : Die Täter des Holocaust. Neuere Überlegungen und Kontroversen. In: Karl Heinrich Pohl (Hrsg.): Wehrmacht und Vernichtungskrieg. Militär im nationalsozialistischen System. Göttingen 1999, S. 39–65; Michael Wildt: Von Apparaten zu Akteuren. Zur Entwicklung der NS-Täterforschung. In: Angelika Benz/Marija Vulesica (Hrsg.): Bewachung und Ausführung. Alltag der Täter in nationalsozialistischen Lagern. Berlin 2011 (Geschichte der Konzentrationslager 1933–1945, Bd. 14), S. 11–22. 75 Gegen den Topos von der Unverstehbarkeit hält etwa der Soziologe Wolfgang Sofsky fest: »Alles, was Menschen tun und erleiden, ist im Prinzip verstehbar, auch wenn das Fremdverstehen in manchen Fällen schwieriger ist als in anderen. Da die Lager ein Ergebnis menschlichen Handelns waren, sind sie einem rationalen Verständnis prinzipiell zugänglich.« (Wolfgang Sofsky : Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager. Frankfurt am Main 6. Aufl. 2008, S. 18). Vgl. auch Yehuda Bauer : Ist die Shoah erklärbar? In: Ders.: Die dunkle Seite der Geschichte. Die Shoah in historischer Sicht. Interpretationen und ReInterpretationen. Frankfurt am Main 2001, S. 33–61. 76 Vgl. Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. 9 Bde. München 2005–2009; Norbert Frei/Sybille Steinbacher/Bernd C. Wagner (Hrsg.): Ausbeutung, Vernichtung, Öffentlichkeit. Neue Stu-

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Überlebenden sind bisweilen derart konkret, dass die Facetten des Geschehens fast greifbar vor Augen treten.77 (2) Ein Holocaust-Narrativ, das den Judenmord auf die systematischen Vergasungen in Auschwitz-Birkenau und andere in Osteuropa liegende Vernichtungslager verkürzt, verkennt nicht nur die gesamteuropäische Dimension der nationalsozialistischen Massenverbrechen, sondern blendet ebenso aus, dass über zwei Millionen Juden infolge von Ghettoisierung und Erschießungen im Freien dem Völkermord zum Opfer fielen.78 Zudem finden die mit dem Jahr 1933 in Deutschland einsetzenden Ausgrenzungs- und Entrechtungsvorgänge (z. B. Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Anwälte79, Nürnberger Gesetze80), die Aktionen offenen Terrors (z. B. Reichspogromnacht81, Massendeportationen82) oder auch die alltäglichen Formen von Antisemitismus (z. B. Kurorte und Seebäder, die sich selbst als »judenfrei« anpriesen83) kaum Berücksichtigung. Der Holocaust wird somit gleichsam exterritorialisiert. (3) Eine Darstellung des Holocaust vornehmlich aus Opferperspektive bedeutet eine gravierende Verkürzung des Gesamtkomplexes und damit einhergehend eine Entlastung der Täter und Zuschauer. Weshalb waren so viele Täter

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dien zur nationalsozialistischen Lagerpolitik. München 2000 (Darstellungen und Quellen zur Geschichte von Auschwitz, Bd. 4); Ulrich Herbert/Karin Orth/Christoph Dieckmann (Hrsg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur. 2 Bde. Göttingen 1998; Nikolaus Wachsmann: KL. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. München 2016. Die Augenzeugenberichte ehemaliger Häftlinge des »Sonderkommandos« von AuschwitzBirkenau legen hiervon beredtes Zeugnis ab. Vgl. Eric Friedler/Barbara Siebert/Andreas Kilian: Zeugen aus der Todeszone. Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz. München 2005; Gideon Greif: »Wir weinten tränenlos«. Augenzeugenberichte des jüdischen »Sonderkommandos« in Auschwitz. Frankfurt am Main 9. Aufl. 2011; Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Hrsg.): Inmitten des grauenvollen Verbrechens. Handschriften von Mitgliedern des Sonderkommandos. Auschwitz 1996; Shlomo Venezia: Meine Arbeit im Sonderkommando Auschwitz. Das erste umfassende Zeugnis eines Überlebenden. München 2008. Vgl. Wolfgang Benz (Hrsg.): Dimensionen des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. München 1991 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 33); Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. Bd. 3. Frankfurt am Main 11. Aufl., durchges. u. erw. Ausgabe 2010, S. 1280–1299; Dieter Pohl: Verfolgung und Massenmord in der NS-Zeit 1933–1945. Darmstadt 2., überarb. u. bibliograf. erg. Aufl. 2008, S. 63–110. Vgl. Hannah Ahlheim: »Deutsche, kauft nicht bei Juden!«. Antisemitismus und politischer Boykott in Deutschland 1924 bis 1935. Göttingen 2011. Vgl. Cornelia Essner : Die »Nürnberger Gesetze« oder die Verwaltung des Rassenwahns 1933–1945. Paderborn 2002. Vgl. Raphael Gross: November 1938. Die Katastrophe vor der Katastrophe. München 2013. Vgl. Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: Die »Judendeportationen« aus dem Deutschen Reich 1941–1945. Eine kommentierte Chronologie. Wiesbaden 2005. Vgl. Frank Bajohr : »Unser Hotel ist judenfrei«. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2003.

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Einleitung

bereit, wehrlose jüdische Männer, Frauen und Kinder zu ermorden? Wieso ließ die deutsche Gesellschaft eine unendliche Serie von staatlich legitimierten Verbrechen ohne Weiteres geschehen bzw. wieso trug sie die mörderische Ideologie mitunter leidenschaftlich mit? Das sind Fragen, die für das Verständnis der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung der Juden von zentraler Bedeutung sind, im Rahmen von »Holocaust Education« jedoch weitgehend unbeantwortet bleiben.84 (4) Die Redeweise vom »Lernen aus der Geschichte« stellt keine sinnvolle fachdidaktische Kategorie dar. Die Vorstellung, Geschichte zur Vermeidung einstiger Fehler und Irrtümer bzw. zur Wiederholung geglückter Vorhaben aus der Vergangenheit unmittelbar – wie ein Kind durch die Berührung der glühenden Herdplatte – nutzbar zu machen, zeuge laut Gerhard Henke-Bockschatz von einer großen lern- und geschichtstheoretischen Naivität.85 Wenngleich sich der Geschichtsunterricht nicht erst seit »Holocaust Education«, sondern spätestens seit Theodor W. Adornos Diktum von der »Erziehung nach Auschwitz«86 mit der Forderung konfrontiert sieht, aus den barbarischen Untaten der Nationalsozialisten umfassende Konsequenzen zu ziehen, vor allem Heranwachsende durch Anleitung zu einem humanen und toleranten Verhalten gegen jegliche Gefahr nationalistischen und rassistischen Gedankenguts zu immunisieren, herrscht in Fachkreisen der historisch-politischen Bildung gemeinhin

84 Vgl. Daniel Gerson: Von der Leichtigkeit des Einfühlens in die Opfer und der Schwierigkeit des Verstehens der Täter. Zur Problematik der fehlenden Täterperspektive beim Gedenken an den Holocaust. In: Peter Gautschi/Meik Zülsdorf-Kersting/B8atrice Ziegler (Hrsg.): Shoa und Schule. Lehren und Lernen im 21. Jahrhundert. Zürich 2013, S. 137–150. 85 Vgl. Gerhard Henke-Bockschatz: Der »Holocaust« als Thema im Geschichtsunterricht. Kritische Anmerkungen. In: Wolfgang Meseth/Matthias Proske/Frank-Olaf Radtke (Hrsg.): Schule und Nationalsozialismus. Anspruch und Grenzen des Geschichtsunterrichts. Frankfurt am Main 2004 (Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Bd. 11), S. 298– 322, hier S. 300. 86 Vgl. Theodor W. Adorno: Erziehung nach Auschwitz. Vortrag im Hessischen Rundfunk, gesendet am 18. April 1966. In: Rolf Tiedemann (Hrsg.): Theodor W. Adorno. Gesammelte Schriften. Bd. 10.2: Kulturkritik und Gesellschaft II. Eingriffe – Stichworte – Anhang. Frankfurt am Main 1977, S. 674–690. Vgl. zur Rezeption und Bedeutung Adornos Klaus Ahlheim: Theodor W. Adornos »Erziehung nach Auschwitz« – Rezeption und Aktualität. In: Ders./Matthias Heyl (Hrsg.): Adorno revisited. Erziehung nach Auschwitz und Erziehung zur Mündigkeit heute. Hannover 2010 (Kritische Beiträge zur Bildungswissenschaft, Bd. 3), S. 38–55; Matthias Heyl: Dass der Unterricht sich in Soziologie verwandle. Erziehung nach und über Auschwitz. In: Claudia Lenz/Jens Schmidt/Oliver von Wrochem (Hrsg.): Erinnerungskulturen im Dialog. Europäische Perspektiven auf die NS-Vergangenheit. Hamburg 2002, S. 231–242; Wolfgang Meseth: Theodor W. Adornos »Erziehung nach Auschwitz«. Ein pädagogisches Programm und seine Wirkung. In: Bernd Fechler/Gottfried Kößler/Till Liebertz-Groß (Hrsg.): »Erziehung nach Auschwitz« in der multikulturellen Gesellschaft. Pädagogische und soziologische Annäherungen. Weinheim/München 2000 (Veröffentlichungen der Max-Traeger-Stiftung, Bd. 32), S. 19–30.

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Konsens darüber, dass die an den Unterricht von außen herangetragenen Erwartungen utopisch sind. Hanns-Fred Rathenow und Norbert H. Weber z. B. haben entschieden darauf hingewiesen, dass die Ausbildung und Förderung demokratischen Denkens nicht allein dem Geschichtsunterricht über den Holocaust überantwortet werden könne, sondern dafür prinzipiell der gesamte Schulunterricht in allen Fächern verantwortlich sein müsse.87 Eindeutig gegen den Missbrauch des Holocaust als pädagogisches Allheilmittel spricht sich ebenfalls Falk Pingel aus.88 Micha Brumlik stellt generell die Frage, ob die Vermittlung weltweit gültiger Wertmaßstäbe am »singuläre[n] Tiefpunkt der menschlichen Geschichte«89 überhaupt Erfolgsaussichten biete. Norbert Frei und Sybille Steinbacher formulieren im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen historischem Wissen und politischem Handeln zugespitzt: »Über Auschwitz Bescheid zu wissen macht noch keinen guten Menschen. Man muss keine zeitgeschichtlichen Bücher gelesen haben, um zu wissen, dass man Ausländer und Andersdenkende nicht totschlägt und Synagogen nicht schändet.«90 Die im Jahr 2002 von Oliver Hollstein u. a. vorgelegte Pilotstudie »Nationalsozialismus im Geschichtsunterricht«91 fragte aus erziehungswissenschaftlicher 87 Vgl. Hanns-Fred Rathenow/Norbert H. Weber : »Erziehung nach Auschwitz« – eine gesellschaftlich-politische Herausforderung. In: Dies. (Hrsg.): Nationalsozialismus und Holocaust. Historisch-politisches Lernen in der Lehrerbildung. Hamburg 2005, S. 11–25, hier S. 17. 88 Vgl. Falk Pingel: Unterricht über den Holocaust – Eine kritische Bewertung der aktuellen pädagogischen Diskussion. In: Eduard Fuchs/Ders./Verena Radkau (Hrsg.): Holocaust und Nationalsozialismus. Innsbruck 2002 (Konzepte und Kontroversen. Materialien für Unterricht und Wissenschaft in Geschichte – Geographie – Politische Bildung, Bd. 1), S. 11–23, hier S. 22. 89 Micha Brumlik: Erziehung nach »Auschwitz« und Pädagogik der Menschenrechte. Eine Problemanzeige. In: Bernd Fechler/Gottfried Kößler/Till Liebertz-Groß (Hrsg.): »Erziehung nach Auschwitz« in der multikulturellen Gesellschaft. Pädagogische und soziologische Annäherungen. Weinheim/München 2000 (Veröffentlichungen der Max-Traeger-Stiftung, Bd. 32), S. 47–58, hier S. 48. 90 Norbert Frei/Sybille Steinbacher : Auschwitz. Die Stadt, das Lager und die Wahrnehmung der Deutschen. In: Klaus-Dietmar Henke (Hrsg.): Auschwitz. Sechs Essays zu Gedenken und Vergegenwärtigung. Dresden 2001, S. 37–51, hier S. 37. 91 Vgl. Oliver Hollstein u. a.: Nationalsozialismus im Geschichtsunterricht. Beobachtungen unterrichtlicher Kommunikation. Bericht zu einer Pilotstudie. Frankfurt am Main 2002 (Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft, Bd. 3). Vgl. zusammenfassend auch Wolfgang Meseth/Matthias Proske/Frank-Olaf Radtke: Nationalsozialismus und Holocaust im Geschichtsunterricht. Erste empirische Befunde und theoretische Schlussfolgerungen. In: Dies. (Hrsg.): Schule und Nationalsozialismus. Anspruch und Grenzen des Geschichtsunterrichts. Frankfurt am Main 2004 (Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Bd. 11), S. 95–146 sowie Matthias Proske/Wolfgang Meseth: Nationalsozialismus und Holocaust als Thema des Geschichtsunterrichts. Erziehungswissenschaftliche Beobachtungen zum Umgang mit Kontingenz. In: Hilke Günther-Arndt/Michael Sauer (Hrsg.): Ge-

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Einleitung

Perspektive danach, wie die Themen »Nationalsozialismus« und »Holocaust« im Geschichtsunterricht zwischen Lehrenden und Lernenden kommunikativ verhandelt werden. Der – angesichts von nur zwei gymnasialen Oberstufenklassen allerdings sehr schmale – empirische Befund fiel eindeutig aus: Wenngleich entscheidende Werte und Normen sozialen Zusammenlebens (z. B. Anerkennung, Gerechtigkeit oder Toleranz) reflektiert würden, könne der Geschichtsunterricht bei weitem nicht die von außen an ihn herangetragenen aufklärerischen und erzieherischen Ziele bewältigen. Da der Unterricht nicht direkt und kausal auf die Verhaltensdispositionen der Lernenden einwirken könne, täten Lehrkräfte gut daran, sich von den überhöhten Erziehungsansprüchen frei zu machen. Es sei daher bereits viel gewonnen, wenn im Geschichtsunterricht, so das bescheidene Fazit der Autorinnen und Autoren, gelernt werde, wie über den Nationalsozialismus und den Holocaust zu reden sei, d. h. es gelinge, die Schülerinnen und Schüler in die sozial gültig gemachten Redeweisen einzuüben. Eine Belehrung über die Geschichte des Holocaust hat folglich enge Grenzen.92 Dass die direkten Einflussmöglichkeiten der schulischen Erziehung begrenzt sind, zeigt sich zudem an dem prozentual nicht geringen Bevölkerungsanteil, der – trotz Geschichtsunterrichts – nach wie vor antisemitische Ressentiments aufweist oder sich gar aktiv im neonazistischen und rechtsextremen Milieu betätigt.93 Ein Geschichtsunterricht, dessen Aufgabe es ist, die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft zum Verhalten der Täter und »Zuschauer« zu thematisieren, stand und steht also, das sollte deutlich geworden sein, vor erheblichen Problemen. Neben der emotionalen Herausforderung, vor die die sachliche Beschäftigung mit dem Holocaust sowohl Lernende als auch Lehrende immer wieder stellt94, verhindern offenbar der Einfluss kommerzieller Vermittlungsschichtsdidaktik empirisch. Untersuchungen zum historischen Denken und Lernen. Berlin 2006 (Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Bd. 14), S. 127–154. 92 Gleichwohl werden Geschichtslehrkräfte zumindest den Wunsch hegen dürfen, dass ihr Geschichtsunterricht mit dazu beiträgt, bei Jugendlichen Toleranz und Respekt gegenüber Minderheiten zu entwickeln. Ziel sollte durchaus sein, dass Heranwachsende in Zukunft fremdenfeindliche Einstellungen oder rassistisches Verhalten aufmerksamer und bewusster wahrnehmen. 93 Vgl. Wolfgang Benz: Antisemitismus. Aktuelle Formen und Phänomene. In: Ders. (Hrsg.): Ressentiment und Konflikt. Vorurteile und Feindbilder im Wandel. Schwalbach/Ts. 2014, S. 76–85; Werner Bergmann: Erscheinungsformen des Antisemitismus in Deutschland heute. In: Bernd Fechler u. a. (Hrsg.): Neue Judenfeindschaft? Perspektiven für den pädagogischen Umgang mit dem globalisierten Antisemitismus. Frankfurt am Main 2006, S. 33– 50; Juliane Wetzel: Aktueller Antisemitismus im europäischen Vergleich. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Der Hass gegen die Juden. Dimensionen und Formen des Antisemitismus. Berlin 2008 (Positionen – Perspektiven – Diagnosen, Bd. 2), S. 103–118. 94 Vgl. Meik Zülsdorf-Kersting: Wie umgehen mit dem Zivilisationsbruch Holocaust? Gedanken zur Thematisierung des Unaushaltbaren. In: Peter Gautschi/Ders./B8atrice Ziegler (Hrsg.): Shoa und Schule. Lehren und Lernen im 21. Jahrhundert. Zürich 2013, S. 209–224.

Forschungsgegenstand und Fragestellungen der Arbeit

41

instanzen der Geschichtskultur und vor allem die tiefe Verbundenheit mit den eigenen Vorfahren bis heute die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Gesellschaft des Nationalsozialismus.

2.

Forschungsgegenstand und Fragestellungen der Arbeit

Schülerinnen und Schüler bringen häufig extrem unreflektierte und simplifizierende Geschichtsvorstellungen zur Rolle der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung in den Geschichtsunterricht mit. Dem Geschichtsunterricht wiederum gelingt es nicht, die Alltagstheorien der Jugendlichen zu »korrigieren«, zum Teil trägt er wohl sogar noch zur Stabilisierung der unhistorischen und verharmlosenden Deutungsmuster bei. Diese qualitativen Befunde mehrerer empirischer Studien älteren und jüngeren Datums95 sind besorgniserregend, lassen jedoch noch keine quantifizierbaren und generalisierenden Aussagen zu. Aus 95 Vgl. neben der genannten Studie von Meik Zülsdorf-Kersting mit ähnlichen Befunden auch Bodo von Borries (unter Mitarbeit von Sigrid Weidemann, Oliver Baeck, Sylwia Grzeskowiak und Andreas Körber): Das Geschichtsbewußtsein Jugendlicher. Erste repräsentative Untersuchung über Vergangenheitsdeutungen, Gegenwartswahrnehmungen und Zukunftserwartungen von Schülerinnen und Schülern in Ost- und Westdeutschland. Weinheim/München 1995, S. 72–79; Bodo von Borries: Nationalsozialismus in Schulbüchern und Schülerköpfen. Quantitative und qualitative Annäherungen an ein deutsches Trauma-Thema. In: Markus Bernhardt/Gerhard Henke-Bockschatz/Michael Sauer (Hrsg.): Bilder – Wahrnehmungen – Konstruktionen. Reflexionen über Geschichte und historisches Lernen. Festschrift für Ulrich Mayer zum 65. Geburtstag. Schwalbach/Ts. 2006, S. 135–151; Bodo von Borries: Zum Geschichtsbewusstsein deutscher Jugendlicher im Blick auf NS-Zeit und Holocaust. In: Ottmar Fuchs/Reinhold Boschki/Britta Frede-Wenger (Hrsg.): Zugänge zur Erinnerung. Bedingungen anamnetischer Erfahrung. Studien zur subjektorientierten Erinnerungsarbeit. Münster 2001 (Tübinger Perspektiven zur Pastoraltheologie und Religionspädagogik, Bd. 5), S. 13–30; Christoph Hamann: »Uropa war ein Guter«. Retten und Überleben im Nationalsozialismus als Thema des Geschichtsunterrichts. In: Beate Kosmala/ Claudia Schoppmann (Hrsg.): Überleben im Untergrund. Hilfe für Juden in Deutschland 1941–1945. Berlin 2002 (Solidarität und Hilfe. Rettungsversuche für Juden vor der Verfolgung und Vernichtung unter nationalsozialistischer Herrschaft, Bd. 5), S. 381–393; Manuel Köster : Historisches Textverstehen. Rezeption und Identifikation in der multiethnischen Gesellschaft. Berlin 2013 (Geschichtskultur und historisches Lernen, Bd. 11); Manuel Köster : Vom Holocaust lesen. Textverstehen im Spannungsfeld von Darstellungstext und Identitätsbedürfnissen. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 11 (2012), S. 116–130; Angela Kühner/Phil C. Langer/Robert Sigel: Ausgewählte Studienergebnisse im Überblick. In: Einsichten und Perspektiven. Bayerische Zeitschrift für Politik und Geschichte. Themenheft 1/2008: Holocaust Education. Wie Schüler und Lehrer den Unterricht zum Thema Nationalsozialismus und Holocaust erleben, S. 76–82; Matthias Proske: Kommunikation im Unterricht, ethnische Herkunft und die moralische Bewertung von Alltagsverhalten im NSStaat. Eine Fallinterpretation eines Schülerinnenkonflikts. In: Thomas Schlag/Michael Scherrmann (Hrsg.): Bevor Vergangenheit vergeht. Für einen zeitgemäßen Politik- und Geschichtsunterricht über Nationalsozialismus und Rechtsextremismus. Schwalbach/ Ts. 2005, S. 114–131.

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Einleitung

diesem Grund ist verstärkt zu analysieren, wie im Geschichtsunterricht die Rolle der deutschen Gesellschaft verhandelt wird. Die vorliegende Studie möchte hierzu einen Beitrag leisten, indem sie Geschichtsschulbücher und die in ihnen dargebotenen Narrative und über sie transportierten Deutungen in diachroner Perspektive96 einer eingehenden Untersuchung unterzieht.97 Das Schulbuch stellt insofern eine verlässliche Grundlage für eine fachdidaktische Analyse dar, als es das Leitmedium des Geschichtsunterrichts ist und somit maßgeblich das historische Lernen im Klassenzimmer prägt.98 Untersuchungsgegenstand sind Geschichtsschulbücher der (alten und neuen) Bundesrepublik99, die seit den 1980er Jahren erschienen sind, seit jenem Zeitpunkt also, zu dem sich die einschlägigen Forschungser96 Es handelt sich um eine Längsschnittanalyse, die sich wiederum in vier verschiedene Querschnitte untergliedert. Vgl. zum Design der Untersuchung ausführlich Kapitel III. 97 Auf die Wichtigkeit, Schulgeschichtsbücher in diesem Zusammenhang einer kritischen Analyse zu unterziehen, hat auch Zülsdorf-Kersting hingewiesen. Vgl. Meik ZülsdorfKersting: Jugendliche und das Thema »Holocaust« – Empirische Befunde und Konsequenzen für die Schulbuchkonstruktion. In: Saskia Handro/Bernd Schönemann (Hrsg.): Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung. Berlin 2006 (Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Bd. 16), S. 105–119, hier S. 116–119. 98 Vgl. zu den Spezifika des Mediums »Schulbuch« ausführlich Kapitel II. 99 In der DDR, die sich selbst als ersten antifaschistischen Staat auf deutschem Boden ansah, fand durch die Gleichsetzung von »Kapitalismus« und »Faschismus« sowie die Überhöhung der Rolle der Arbeiterklasse und der KPD im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime mit Ausnahme ihrer Anfangsjahre keine wirklich ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Völkermord an den europäischen Juden statt. Zeit ihres Bestehens war die DDR vielmehr darum bemüht, den Zweiten Weltkrieg als antifaschistischen Krieg zu etikettieren und seine rassistische Dimension zu unterschlagen. Vgl. Jeffrey Herf: »Hegelianische Momente«. Gewinner und Verlierer in der ostdeutschen Erinnerung an Krieg, Diktatur und Holocaust. In: Christoph Cornelißen/Lutz Klinkhammer/Wolfgang Schwentker (Hrsg.): Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945. Frankfurt am Main 2003, S. 198–209. Untersuchungen zur Darstellung des Nationalsozialismus in DDR-Schulbüchern bestätigen die geschichtspolitische Marginalisierung des Judenmords. Vgl. Jens Fischer : Geschichte im Dienste der Politik. Die Darstellung des Zeitraums von 1933 bis 1945 in den Geschichtslehrplänen und -schulbüchern der zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule in der DDR von 1959 bis 1989. Frankfurt am Main 2004; Änne Rossow/ Ulrich Wiegmann: Die Instrumentalisierung identitätsloser Opfer. Zum Platz jüdischer Geschichte und des Genozids an den deutschen und europäischen Juden in den Geschichtslehrplänen und -büchern der SBZ und DDR 1946–1990. In: Thomas Lange (Hrsg.): Judentum und jüdische Geschichte im Schulunterricht nach 1945. Bestandsaufnahmen, Erfahrungen und Analysen aus Deutschland, Österreich, Frankreich und Israel. Köln/Weimar/Wien 1994, S. 113–124; Ernst Uhe: Der Nationalsozialismus in den deutschen Schulbüchern. Eine vergleichende Inhaltsanalyse von Schulgeschichtsbüchern aus der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Frankfurt am Main 1972; Ulrich Wiegmann: Juden und jüdische Geschichte im Geschichtsunterricht der SBZ und der DDR (1945–1990). In: Hanns-Fred Rathenow/Birgit Wenzel/Norbert H. Weber (Hrsg.): Handbuch Nationalsozialismus und Holocaust. Historisch-politisches Lernen in Schule, außerschulischer Bildung und Lehrerbildung. Schwalbach/Ts. 2013, S. 47–65.

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gebnisse konsolidiert und die Themen Nationalsozialismus und Holocaust auch in der Öffentlichkeit eine in ihrer Breite bis dahin beispiellose Aufmerksamkeit erfahren haben.100 Ein dritter Aspekt kommt hinzu: Unter dem Eindruck eines sich neu formierenden, gewaltsamen Rechtsextremismus101, erster Auseinandersetzungen um die »Auschwitz-Lüge«102, der in der Literatur häufig als »Boßmann-Schock« rezipierten Studie des Pädagogen Dieter Boßmann, der im Jahr 1976 rund 3.000 Schülerinnen und Schüler einen Aufsatz zum Thema »Was ich über Hitler gehört habe« schreiben ließ und dabei etliche Unsinnigkeiten und bedenklichen Urteile zutage förderte103, sowie der öffentlichen Diskussion über die Vergangenheit Hans Karl Filbingers, seines Zeichens ehemaliger NS-Marinerichter, amtierender baden-württembergischer Ministerpräsident und potenzieller CDU-Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten104, verabschiedete die »Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland« am 20. April 1978 eine nachdrückliche Empfehlung zur »Behandlung des Nationalsozialismus im Unterricht«. Dieser KMK-Beschluss führte in den 1980er Jahren nachweislich zu einer stärkeren Verankerung der Themen Nationalsozialismus und Holocaust in den Lehrplänen und -büchern verschiedener Bundesländer.105 Wenn die Schulbuchnarrationen zum Wissen und zur Beteiligung der deutschen Mehrheitsbevölkerung untersucht werden sollen, liegt es aus mehreren Gründen nahe, auch die Darstellung der (Verbrechen der) Wehrmacht in den Lehrwerken zu analysieren. Da die Wehrmacht eine der größten staatlichen Organisationen der NS-Diktatur war, gehörte ihr ein Großteil der deutschen – vornehmlich männlichen – Bevölkerung an.106 Es gab kaum eine Familie, in der 100 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel IV. 101 Vgl. Gideon Botsch: Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland 1949 bis heute. Darmstadt 2012, S. 60–81. 102 Vgl. Wolfgang Benz: Die »Auschwitz-Lüge«. In: Rolf Steininger (Hrsg.): Der Umgang mit dem Holocaust. Europa – USA – Israel. Köln/Weimar/Wien 1994 (Schriften des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck und des Jüdischen Museums Hohenems, Bd. 1), S. 103–115. 103 Vgl. Dieter Boßmann (Hrsg.): »Was ich über Adolf Hitler gehört habe«. Folgen eines Tabus. Auszüge aus Schüleraufsätzen von heute. Frankfurt am Main 1977. Vgl. hierzu aus geschichtsdidaktischer Perspektive Bodo von Borries: Unkenntnis des Nationalsozialismus – Versagen des Geschichtsunterrichts? Bemerkungen zu alten und neuen empirischen Studien. In: Geschichtsdidaktik 5, 1980, H. 2, S. 109–126. 104 Vgl. Thomas Rampge: Der furchtbare Jurist – Marinerichter Hans Karl Filbinger und sein pathologisch gutes Gewissen (1978). In: Ders.: Die großen Polit-Skandale. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik. Frankfurt am Main 2003, S. 135–152. 105 Vgl. Karl-Ernst Jeismann/Bernd Schönemann: Geschichte amtlich. Lehrpläne und Richtlinien der Bundesländer. Analyse, Vergleich, Kritik. Frankfurt am Main 1989 (Studien zur internationalen Schulbuchforschung, Bd. 65), S. 115f. 106 Noch größer war lediglich die Deutsche Arbeitsfront, die 1942 über ungefähr 25 Millionen

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nicht ein Vater oder ein Sohn in die Armee eingezogen war. Insgesamt dienten in der Wehrmacht ca. 18 bis 19 Millionen Soldaten, von denen wiederum rund zehn Millionen im Russlandfeldzug 1941–1944 eingesetzt waren. Als Pflichtarmee bildet die Wehrmacht somit ein relativ repräsentatives Sample deutscher Männer.107 Die Rolle der Wehrmacht ging während des »Unternehmens Barbarossa«, des größten Vernichtungskrieges, den das nationalsozialistische Deutschland im Osten Europas führte, weit über die eines Mordgehilfen hinaus.108 In den besetzten sowjetischen Gebieten leistete die Armee den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD109, der Waffen-SS110, den Bataillonen der Ordnungspolizei111 und einer Vielzahl von einheimischen Kollaborateuren112 nicht

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Mitglieder verfügte. Vgl. Rüdiger Hachtmann: Das Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront 1933–1945. Göttingen 2012 (Geschichte und Gegenwart, Bd. 3), S. 9. Vgl. Wolfram Wette: Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden. Frankfurt am Main 2002, S. 201. Vgl. als Überblick Wigbert Benz: Wehrmacht und Vernichtungskrieg. In: Praxis Geschichte H. 2/1999, S. 4–10; Christian Hartmann: Unternehmen Barbarossa. Der deutsche Krieg im Osten 1941–1945. München 2., durchges. Aufl. 2012, S. 62–72; Michael Sauer: Vernichtungskrieg im Osten. Die deutsche Kriegsführung in der Sowjetunion 1941–1944. In: Geschichte lernen H. 141 (2011), S. 2–9. Vgl. Andrej Angrick: Besatzungspolitik und Massenmord. Die Einsatzgruppe D in der südlichen Sowjetunion 1941–1943. Hamburg 2003; Peter Klein (Hrsg.): Die Einsatzgruppen in der besetzten Sowjetunion 1941/42. Die Tätigkeits- und Lageberichte des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD. Berlin 1997 (Publikationen der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Bd. 6); Ralf Ogorreck: Die Einsatzgruppen und die »Genesis der Endlösung«. Berlin 1996; Michael Wildt (Hrsg.): Nachrichtendienst, politische Elite, Mordeinheit. Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS. Hamburg 2003; Hans-Heinrich Wilhelm: Die Einsatzgruppe A der Sicherheitspolizei und des SD 1941/42. Frankfurt am Main 1996. Vgl. Martin Cüppers: Wegbereiter der Shoah. Die Waffen-SS, der Kommandostab Reichsführer-SS und die Judenvernichtung 1939–1945. Darmstadt 2005 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 4); Jean-Luc Leleu: La Waffen-SS. Soldats politiques en guerre. Paris 2007; Jan Erik Schulte/Peter Lieb/Bernd Wegner (Hrsg.): Die Waffen-SS. Neue Forschungen. Paderborn 2014 (Krieg in der Geschichte, Bd. 74). Vgl. Wolfgang Curilla: Die deutsche Ordnungspolizei und der Holocaust im Baltikum und in Weißrussland 1941–1944. Paderborn 2006; Klaus-Michael Mallmann: Vom Fußvolk der »Endlösung«. Ordnungspolizei, Ostkrieg und Judenmord. In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 26 (1997), S. 355–391; Jürgen Matthäus: Die Beteiligung der Ordnungspolizei am Holocaust. In: Wolf Kaiser (Hrsg.): Täter im Vernichtungskrieg. Der Überfall auf die Sowjetunion und der Völkermord an den Juden. Berlin 2002, S. 166–185. Vgl. Angelika Benz: Handlanger der SS. Die Rolle der Trawniki-Männer im Holocaust. Berlin 2015; Christoph Dieckmann: Der Einsatz »geeigneter Landeseinwohner« am Beispiel Litauens. In: Christian Hartmann/Johannes Hürter/Ulrike Jureit (Hrsg.): Verbrechen der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte. München 2005, S. 155–162; Dieter Pohl: Ukrainische Hilfskräfte beim Mord an den Juden. In: Gerhard Paul (Hrsg.): Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche? Göttingen 2002 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 2), S. 205–234; Katrin Reichelt: Kollaboration und

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nur organisatorische und technische Hilfe bei den Exekutionen, phasenweise wurde sie zum eigentlichen Vollstrecker der Judenvernichtung. Bei der Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen handelte es sich sogar nachweislich um ein eher genuines Verbrechen der Wehrmacht, bei dem die Zusammenarbeit mit dem SS- und Polizeiapparat nur eine untergeordnete Rolle spielte. Hinzu kommt die Beteiligung des Ostheeres am Anti-Partisanenkrieg, der zu großen Teilen auf dem Rücken der sowjetischen Zivilbevölkerung ausgefochten wurde. Schulgeschichtsbücher spiegeln einerseits als zentrales Leitmedium des jeweils zeitgenössischen Geschichtsunterrichts den Geist ihrer Zeit, deren »Kind« sie gleichsam sind, gebrochen wider. Sie können andererseits aufgrund der branchenüblichen Produktions- und Distributionsprozesse den fachwissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussionsstand immer nur mit zeitlicher Verzögerung berücksichtigen. Die Studie geht daher – unter Rückgriff auf Formulierungen von Meik Zülsdorf-Kersting – von folgender Annahme aus: Während »ältere« Lehrwerke zur Stabilisierung der Neigung Jugendlicher, die Täter und Zuschauer zu entlasten und/oder zu viktimisieren, beigetragen haben könnten, sollten »neuere« Bücher die verharmlosenden Erklärungsfiguren der Schülerinnen und Schüler diskutierbar machen. Zwei Fragekomplexe stehen im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses: 1. Welche Entwicklungen lassen sich bei der Thematisierung der »ganz normalen« Deutschen, ihrer Kenntnis vom Holocaust, ihrer antisemitischen Einstellung und ihren Reaktionen auf die antijüdischen Maßnahmen des NSRegimes beobachten? Welche Veränderungen lassen sich bei der Darstellung der Wehrmacht und ihrer Beteiligung am nationalsozialistischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion feststellen? Wie wurden und werden also die Handlungsspielräume der »Zuschauer« bzw. der Wehrmachtseinheiten zwischen Wegschauen, Schweigen, Mitmachen und Helfen beschrieben? 2. Inwiefern beeinflussten zeitgenössische historiographische, politische und mediale Deutungen die Schulbuchdarstellungen? Spiegeln die Schulgeschichtsbücher also den jeweiligen »Zeitgeist« wider? Um diese zentralen Forschungsfragen zu beantworten, werden mehrere »kleinere« Fragen auf drei Ebenen (Inhalte, Urteile, Vermittlung) untersucht.113 Für die Ebene der Inhalte ergeben sich folgende Fragestellungen: Welche Schwerpunkte werden bei der Darstellung der Rolle der »Zuschauer« während Holocaust in Lettland 1941–1945. In: Wolf Kaiser (Hrsg.): Täter im Vernichtungskrieg. Der Überfall auf die Sowjetunion und der Völkermord an den Juden. Berlin 2002, S. 110–124. 113 Die nachfolgende Auflistung stellt die Operationalisierung der Hauptfragestellung dar und dient dem Verfasser als flexibles Arbeitsinstrument zur Erhebung und Auswertung des Materials. Die einzelnen Fragen sollen nicht sämtlich in dieser Kleinschrittigkeit beantwortet werden.

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der Verfolgung und Ermordung der Juden gesetzt? In welchem Verhältnis steht die vermeintlich »strikte Geheimhaltung« einerseits und die »relative Offenheit« des systematischen Massenmords andererseits? Wird das Konglomerat unterschiedlichster Verhaltensweisen der »Zuschauer« gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern ausreichend zur Geltung gebracht? Wird die Wehrmacht als eine Armee dargestellt, die sich trotz aller scheinbaren Widrigkeiten und Befehlsnotstände tadellos verhielt und damit die Rolle einfacher Soldaten auf die von passiven Zuschauern reduziert? Oder wird deutlich, dass nicht unbeträchtliche Teile des Ostheeres sich aktiv an Verbrechen beteiligten? Wird in der Darstellung der gesicherte Forschungsstand berücksichtigt? Sind Tatsachen und Zusammenhänge eindeutig falsch, lückenhaft oder ausgesprochen einseitig dargestellt? Spiegelt das Materialangebot die Breite der historischen Überlieferung wider? Für die Ebene der Urteile werden folgende Fragen formuliert: Werden historische Sachverhalte von mehreren Seiten beleuchtet? Werden strittige Fragen oder offene Kontroversen angesprochen? Wird den Leserinnen und Lesern Gelegenheit gegeben, divergente Argumente – sofern vorhanden – gegeneinander abzuwägen? Oder verschleiert und beschönigt das Schulbuch heikle Sachverhalte? Enthält das Lehrwerk nur einseitige Informationen und setzt diese nicht der wissenschaftlichen Relativierung und Kritik durch gegenläufige Quellen und Darstellungen aus? Lassen sich ferner bestimmte Standpunkte und Präferenzen erkennen? Werden beispielsweise bestimmte (individuelle oder kollektive) Verhaltensweisen der »Zuschauer« besonders gelobt oder getadelt? Für die Ebene der Vermittlung sind folgende Fragen von besonderem Interesse: In welcher Form kommen Quellen und Darstellungen in den Arbeitsteilen der Schulbücher zum Einsatz? Dienen sie vornehmlich oder gar ausschließlich der Illustration und wollen die Aussagen der Verfassertexte nur belegen oder konkretisieren? Oder werden die Materialien heuristisch eingesetzt und enthalten Informationen, die aus den vorangegangenen Verfassertexten nicht zu entnehmen sind? Werden Schülerinnen und Schüler durch das Vorhandensein von Quellen und Darstellungen in den Arbeitsteilen zum Perspektivwechsel und zur eigenen Urteilsbildung angeregt? Es liegt auf der Hand, dass aufgrund der gewählten Fragestellung – selbst wenn man die Praxis des Geschichtsunterrichts in einer gewissen Korrelation zu den Inhalten der Geschichtsschulbücher sieht – weder etwas über die tatsächliche Verwendung der Lehrwerke im Unterricht noch etwas über das tatsächliche Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler gesagt werden kann.114 Gleichwohl 114 Unterrichtsempirische Forschungen über den Einsatz und die Benutzung der Bücher im Geschichtsunterricht über Nationalsozialismus und Holocaust könnten hier Abhilfe schaffen. Schulbuchbezogene Rezeptionsanalysen im Allgemeinen sind aber nach wie vor ein dringendes Desiderat der geschichtsdidaktischen Forschung. Vgl. als Beispiele für

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stellt das Untersuchungsobjekt »Geschichtsschulbuch« aufgrund seiner dominanten Stellung im Klassenzimmer ein relevantes Richtmaß für den (von den Schulbuchautorinnen und -autoren intendierten) Unterricht dar. Für die »Rekonstruktion« des vergangenen, praktizierten Geschichtsunterrichts über Nationalsozialismus, Holocaust und Zweiter Weltkrieg ist das Schulbuch ohnehin eines der wenigen Materialien, über das eine Annäherung überhaupt noch möglich ist.

3.

Zum Stand der Forschung

Bei Schulbuchuntersuchungen jedweder Art finden sich häufig methodische Defizite.115 »Viele Autoren von Schulbuchanalysen«, so konstatierte Peter Meystärker rezeptionsanalytisch ausgerichtete empirische Arbeiten Bodo von Borries: Das Geschichts-Schulbuch in Schüler- und Lehrersicht. Einige empirische Befunde. In: Internationale Schulbuchforschung 17, 1995, H. 1, S. 45–60; Bodo von Borries: Erwartungen an, Erfahrungen mit und Wirkungen von Geschichtsschulbüchern – empirische Befunde. In: Jörg Doll u. a. (Hrsg.): Schulbücher im Fokus. Nutzen, Wirkungen und Evaluation. Münster 2012, S. 43–65; Bodo von Borries (unter Mitarbeit von Andreas Körber und Johannes Meyer-Hamme): Reflexiver Umgang mit Geschichts-Schulbüchern? Befunde einer Befragung von Lehrern, Schülern und Studierenden 2002. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 2 (2003), S. 114–136; Bodo von Borries: Schulbuch-Gestaltung und Schulbuch-Benutzung im Fach Geschichte. Zwischen empirischen Befunden und normativen Überlegungen. In: Saskia Handro/Bernd Schönemann (Hrsg.): Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung. Berlin 2006 (Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Bd. 16), S. 39–51; Bodo von Borries u. a.: Schulbuchverständnis, Richtliniennutzung und Reflexionsprozesse im Geschichtsunterricht. Eine qualitativ-quantitative Schüler- und Lehrerbefragung im deutschsprachigen Bildungswesen 2002. Neuried 2005 (Bayerische Studien zur Geschichtsdidaktik, Bd. 9); Bodo von Borries: Wie wirken Schulbücher in den Köpfen der Schüler? Empirie am Beispiel des Faches Geschichte. In: Eckhardt Fuchs/Joachim Kahlert/Uwe Sandfuchs (Hrsg.): Schulbuch konkret. Kontexte – Produktion – Unterricht. Bad Heilbrunn 2010, S. 102–117; Gerhard Henke-Bockschatz: Viel benutzt, aber auch verstanden? Arbeit mit dem Schulgeschichtsbuch. In: Geschichte lernen H. 116 (2007), S. 40–45; Johannes Meyer-Hamme: »Man muss so viel lesen. […] Nimmt so viel Zeit in Anspruch und ist nicht so wichtig«. Ergebnisse einer qualitativen und quantitativen Schülerbefragung zum Schulbuchverständnis (2002). In: Saskia Handro/Bernd Schönemann (Hrsg.): Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung. Berlin 2006 (Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Bd. 16), S. 89–103. 115 Üblicherweise wird zwischen drei unterschiedlichen Hauptrichtungen bei der Schulbuchforschung differenziert: dem historischen, internationalen und didaktischen Ansatz. Die historische Schulbuchforschung betrachtet das Lehrwerk als Quelle für die zu einem bestimmten Zeitpunkt als konstitutiv geltenden »Geschichtsbilder« einer Gesellschaft, die an die nachfolgenden Generationen weitergereicht werden sollen. Die internationale Schulbuchforschung dagegen – wie sie in Deutschland vornehmlich vom Georg-EckertInstitut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig betrieben wird – versteht das Lehrwerk vor allem als einen Hort von potenziellen Stereotypen, Verzerrungen und Vorurteilen, das zu einem Instrument der Völkerverständigung umgestaltet werden müsse. Die didaktische Schulbuchforschung schließlich analysiert das Schulbuch als Lehr- und

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ers 1973 in einem der ersten Aufsätze, die sich überhaupt mit einigen methodologischen Fragen der Analyse von Geschichtsschulbüchern beschäftigten, »machen sich offensichtlich überhaupt keine Gedanken darüber, sondern analysieren ohne wissenschaftsmethodische Überlegungen munter darauf los«116. Für einen Teil vorliegender Forschungsarbeiten würde ein aktuelles Fazit ähnlich negativ ausfallen. Bisherige Studien fußen weitgehend auf subjektiven Interpretationen. Viele Autorinnen und Autoren weisen ihre an die Lehrwerke angelegten Beurteilungsmaßstäbe nicht explizit aus. Auch nach welchen methodischen Regeln die Interpretation erfolgt, wird nur selten angegeben. Für die Leserinnen und Leser sind die gewonnenen Ergebnisse somit häufig nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus überwiegen in vielen Schulbuchanalysen Allgemeinaussagen, deren Repräsentativität jedoch aufgrund eines zu schmalen Quellenkorpus fraglich bzw. für die Leserinnen und Leser nur bedingt erkennbar ist, weil einige Forscherinnen und Forscher nicht einmal die ihrer Analyse zugrundeliegenden Lehrwerke nennen. Zwar ist die Einschränkung auf wenige Schulbücher selbstverständlich zulässig, aber die damit zwangsläufig einhergehende Begrenztheit der Ergebnisse muss dann auch eingeräumt werden. Das geschieht allerdings nur äußerst selten. Vielmehr wird ein allgemeiner Gültigkeitsanspruch der Resultate suggeriert. Festzuhalten ist auch, dass es sich bei einigen Arbeiten weniger um fachlich und methodisch fundierte Schulbuchanalysen als um unsachgemäße Schulbuchschelten handelt.117 Einige Forscherinnen und Forscher stellen angesichts der von ihnen ermittelten fachlichen Defizite der Bücher vorwiegend auf Quantitäten ab und erwarten alles Heil von einer ausführlicheren Behandlung »ihres« Themas, vergessen dabei aber, dass Schulbücher aufgrund von Verknappung des Umfangs gegenüber dem Forschungsstand der Geschichtswissenschaft zwangsläufig immer den Kürzeren ziehen.118 Hinzu kommt, dass eiLernmittel unter primär fachdidaktischen und methodischen Gesichtspunkten. Vgl. ausführlich Bernd Schönemann/Holger Thünemann: Schulbucharbeit. Das Geschichtslehrbuch in der Unterrichtspraxis. Schwalbach/Ts. 2010, S. 21–48. 116 Peter Meyers: Zur Problematik der Analyse von Schulgeschichtsbüchern. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 24, 1973, H. 12, S. 722–739, hier S. 733f. 117 Das Negativbeispiel par excellence für eine solche Arbeit stellt die 2007 publizierte Analyse der »Stiftung Warentest« dar, die mit wenig fachlich fundierten Aussagen versuchte, Geschichtsschulbücher abzumahnen. Vgl. Stiftung Warentest: Nicht ohne Tadel. In: test 10/ 2007, S. 74–80. Vgl. hierzu die pointierte Kritik von Karl Heinrich Pohl: Die »Stiftung Warentest« und die deutschen Schulgeschichtsbücher. Ein exemplarisches Beispiel für einen misslungenen Test. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 60, 2009, H. 1, S. 32–37. 118 Einige Schulbuchautorinnen und -autoren mahnen daher zu Recht eine pragmatisch orientierte Schulbuchforschung an, die in stärkerem Maße als bisher konkrete Vorschläge auf der Basis ihrer Analysen formuliert. Vgl. Björn Opfer-Klinger/Nils Vollert: Echo aus der

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nige Forscherinnen und Forscher gerade bei der Analyse älterer Lehrwerke falsche Beurteilungskriterien anlegen; aus dem Blick gerät mitunter, dass ein Schulbuch immer nur das abbilden kann, was der Forschung zu einem bestimmten Zeitpunkt bekannt ist. Schließlich spielen genuin fachdidaktische Gesichtspunkte bei bisherigen Schulbuchanalysen nur eine sehr untergeordnete bzw. meist überhaupt keine Rolle. Angesichts der zentralen Bedeutung von Nationalsozialismus, Holocaust und Vernichtungskrieg im historiographischen und geschichtskulturellen Diskurs in Vergangenheit und Gegenwart überrascht es zunächst, dass Schulbuchanalysen zu diesen Themen kaum vorliegen. Neben einigen Beiträgen zur allgemeinen Darstellung jüdischer Geschichte in Schulbüchern119, eher überblicksartigen Aufsätzen120 und Studien mit anderen Untersuchungsschwerpunkten121 sind in Praxis. Schulbuchschelte aus der Sicht eines Schulbuchredakteurs und eines Schulbuchautors. In: Zeitschrift für Genozidforschung 14, 2015, H. 1/2, S. 70–103. 119 In diesen Arbeiten wird auf die unvollständige und einseitige Behandlung deutsch-jüdischer Geschichte in Geschichtslehrwerken hingewiesen. Angeprangert wird zumeist, dass Schülerinnen und Schülern jüdische Geschichte in der Regel als ununterbrochene Verfolgungs- oder Opfergeschichte präsentiert bekommen. Vgl. LBI-Kommission für die Verbreitung deutsch-jüdischer Geschichte (Hrsg.): Deutsch-jüdische Geschichte im Unterricht. Orientierungshilfe für Lehrplan- und Schulbucharbeit sowie Lehrerbildung und Lehrerfortbildung. Frankfurt am Main 2003; Martin Liepach/Wolfgang Geiger : Fragen an die jüdische Geschichte. Darstellungen und didaktische Herausforderungen. Schwalbach/ Ts. 2014; Falk Pingel: Jüdische Geschichte in deutschen Lehrbüchern. In: Geschichte lernen H. 34 (1993), S. 4–5; Saul B. Robinsohn/Chaim Schatzker : Jüdische Geschichte in deutschen Geschichtslehrbüchern. Braunschweig 1963 (Schriftenreihe des Internationalen Schulbuchinstituts, Bd. 7); Chaim Schatzker : Juden und Judentum in den Geschichtslehrbüchern der Bundesrepublik Deutschland. In: Thomas Lange (Hrsg.): Judentum und jüdische Geschichte im Schulunterricht nach 1945. Bestandsaufnahmen, Erfahrungen und Analysen aus Deutschland, Österreich, Frankreich und Israel. Köln/Weimar/Wien 1994, S. 37–47. 120 Vgl. Christoph Kühberger : Die Darstellung des Faschismus und Nationalsozialismus in deutschen, österreichischen und italienischen Schulbüchern. In: Michael Gehler/Maddalena Guiotto (Hrsg.): Italien, Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in Europa. Ein Dreiecksverhältnis in seinen wechselseitigen Beziehungen und Wahrnehmungen von 1945/49 bis zur Gegenwart. Wien 2011, S. 339–351; Falk Pingel: National Socialism and the Holocaust in West German school books. In: Internationale Schulbuchforschung 22, 2000, H. 1, S. 11–29; Walter Renn: The Holocaust in the school textbooks of the Federal Republic of Germany. In: Saul S. Friedman (Hrsg.): Holocaust Literature. A Handbook of critical, historical, and literary writings. Westport 1993, S. 481–520. 121 Vgl. u. a. Marek Andrzejewski: Der Bombenkrieg gegen deutsche Städte in Geschichtslehrbüchern. In: Internationale Schulbuchforschung 27, 2005, H. 3, S. 255–277; Ulrich Baumgärtner : »Mein Kampf« in deutschen Schulbüchern. Fachwissenschaftliche Grundlagen und unterrichtspraktische Konsequenzen. In: Christian Kuchler (Hrsg.): NS-Propaganda im 21. Jahrhundert. Zwischen Verbot und öffentlicher Auseinandersetzung. Köln/ Weimar/Wien 2014, S. 79–102; Wigbert Benz: Stalingrad in deutschen Schulgeschichtsbüchern. In: Informationen für den Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer H. 66/ 2003, S. 56–65; Falk Pingel: »Nicht alle Deutschen machten mit«. Der Widerstand in deutschen Schulgeschichtsbüchern. In: Studienkreis Deutscher Widerstand 1933–1945 (Hrsg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Perspektiven der Vermittlung.

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den letzten Jahrzehnten nur wenige einschlägige Arbeiten erschienen. Im Folgenden werden die Ergebnisse dieser Studien in der Reihenfolge ihres Erscheinens vorgestellt. Im Jahr 1985 legte eine deutsch-israelische Schulbuchkommission auf der Basis einer kritischen Sichtung von in den 1970er und frühen 1980er Jahren erschienenen Schulbüchern aller Schularten der Sekundarstufe I »Empfehlungen«122 zur Darstellung jüdischer Geschichte in bundesrepublikanischen Lehrwerken vor. In Bezug auf das Thema »Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft« war die Kommission zu einem durchaus positiven Gesamturteil gekommen, was im Befund 16 deutlich wird: »Ganz eindeutig im Vordergrund stehen die ideologische Diffamierung und – mehr noch als diese – die Verfolgung und Ermordung der Juden unter der nationalsozialistischen Herrschaft. Ihr Schicksal in dieser Zeit wird nicht verschwiegen oder verharmlost. Die Berichterstattung ist insgesamt – verglichen mit früheren Lehrwerken – wesentlich intensiver geworden. Dieses äußert sich nicht nur im Umfang der Darstellung und in einer durchweg sehr breiten Dokumentation von Text- und Bildquellen, sondern auch darin, daß – vor allem in den jüngeren Werken – die Verfolgung nicht mehr als Teil der Biographie Hitlers abgehandelt, sondern stärker in den gesellschaftlichen Kontext hineingestellt wird. Die entscheidende Frage nach der Verantwortung und Mitverantwortung für die Judenverfolgung wird intensiver gestellt als in den früheren Lehrwerken, wenn auch nicht immer klar genug beantwortet.«123

Ungeachtet dieses positiven Urteils sprach sich die Schulbuchkommission für eine schärfere Akzentuierung der historischen Zusammenhänge aus. Was damit gemeint war, bringt Empfehlung 9 zum Ausdruck:

Frankfurt am Main 2007, S. 43–64; Etienne Schinkel: Ein lernwürdiges Thema? Die Darstellung der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde an körperlich und geistig behinderten Menschen 1939–1945 in aktuellen Geschichtsschulbüchern. In: Uwe Danker (Hrsg.): Geschichtsunterricht – Geschichtsschulbücher – Geschichtskultur. Aktuelle geschichtsdidaktische Forschungen des wissenschaftlichen Nachwuchses. Mit einem Vorwort von Thomas Sandkühler. Göttingen 2017 (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Bd. 15), S. 109–128; Stephan Scholz: Fotografische Repräsentationen und Konstruktionen von ›Flucht und Vertreibung‹ im Schulbuch. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 66, 2015, H. 9/10, S. 562–576; Reinhard Stachwitz: Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma in aktuellen deutschen Geschichtsschulbüchern. In: Internationale Schulbuchforschung 28, 2006, H. 2, S. 163–175. 122 Vgl. Wolfgang Jacobmeyer : »Empfehlungen«. Arbeitsform, Medium und Ergebnis der international vergleichenden Schulbuchforschung. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 4 (2005), S. 196–209. 123 Deutsch-israelische Schulbuchempfehlungen. Zur Darstellung der jüdischen Geschichte sowie der Geschichte und Geographie Israels in Schulbüchern der Bundesrepublik Deutschland – Zur Darstellung der deutschen Geschichte und der Geographie der Bundesrepublik Deutschland in israelischen Schulbüchern. Braunschweig 1985 (Studien zur internationalen Schulbuchforschung, Bd. 44), S. 18.

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»Die zentrale Stellung des Antisemitismus in der nationalsozialistischen Ideologie und seine Bedeutung für die Politik des ›Dritten Reiches‹ sollten hervorgehoben werden. Die antijüdische Politik in Deutschland von 1933 bis zum Beginn des systematischen Massenmordes darf nicht nur beiläufig behandelt werden. Die Entrechtung, soziale Diskriminierung, gesellschaftliche Isolierung und Verdrängung der Juden sollten an ausgewählten Beispielen gezeigt werden, damit die Schüler lernen, was sich im nationalsozialistischen Deutschland längst vor Beginn des Holocaust vor aller Augen und gegen nur wenige Proteste und Versuche der Hilfeleistung vollzogen hat. Der von den Nationalsozialisten geplante und in erschreckendem Umfang verwirklichte Genozid an den europäischen Juden bedarf einer eingehenden, genau informierenden Darstellung, die zugleich den Schülern die Möglichkeit eröffnet, die Einzigartigkeit dieses mit administrativer und technischer Systematik durchgeführten Geschehens zu begreifen. Daher ist es wichtig, daß die Darstellung nicht ausschließlich aus der Perspektive der Täter und der von ihnen hinterlassenen Dokumente erfolgt, sondern daß auch die Erfahrung der Opfer zumindest in einzelnen Beispielen zum Ausdruck kommt. Die Frage nach der Verantwortung und Mitverantwortung für die Judenverfolgung und den Völkermord sollte gestellt und dem Versuch ihrer Beantwortung nicht ausgewichen werden.«124

Birgit Wenzel und Dagmar Weber125 untersuchten 1989 fünf in West-Berlin zugelassene Geschichtsschulbücher zum Thema »Auschwitz«. In einem kurzen Passus behandeln die Autorinnen die Frage, wie in den Lehrwerken die Mitwisserschaft und Mitverantwortung der »arischen« Bevölkerung dargestellt wird. Das Urteil fällt niederschmetternd aus: Die Schuld für den Völkermord an den deutschen und europäischen Juden trage in den Schulgeschichtsbüchern zumeist entweder die SS oder Hitler allein. Eva Kolinsky126 analysierte 1991 die Darstellung des Holocaust in 15 Büchern, die Mitte und Ende der 1980er Jahre erschienen waren. Im Fokus ihres Aufsatzes steht die quantitative Erhebung des in den Lehrwerken abgedruckten Quellenmaterials. Die Verfasserin kommt zu dem Ergebnis, dass die Schulbuchautorinnen und -autoren größtenteils auf Texte und Bilder nationalsozialistischer Provenienz zurückgreifen. Das Ungleichgewicht zwischen Täter- und Opferperspektive, das durch die Verwendung nationalsozialistischen Vokabulars in den Verfassertexten noch eine Verstärkung erfahre, lasse bisweilen Lesarten zu, bei denen die Diskriminierung und die Ausgrenzung der Juden gleichsam bis in die Gegenwart fortgeführt würden. Mit Blick auf die Umsetzung der deutsch-israelischen Schulbuchempfeh124 Ebd., S. 26. 125 Vgl. Birgit Wenzel/Dagmar Weber : »Auschwitz« in Geschichtsbüchern der Bundesrepublik Deutschland. In: Hanns-Fred Rathenow/Norbert H. Weber (Hrsg.): Erziehung nach Auschwitz. Pfaffenweiler 1989, S. 117–135. 126 Vgl. Eva Kolinsky : Geschichte gegen den Strom. Zur Darstellung des Holocaust in neuen Schulgeschichtsbüchern. In: Internationale Schulbuchforschung 13, 1991, H. 2, S. 121–145.

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Einleitung

lungen von 1985 stellte Wolfgang Marienfeld127 im Jahr 2000 Analyseergebnisse zu 28 in den 1990er Jahren auf dem Markt befindlichen Lehrwerken vor. Dem Thema der nationalsozialistischen Judenverfolgung und -ermordung werde in allen Schulbüchern viel Raum geboten. Besonders auffällig sei, dass die Frage nach der Verantwortung und Mitverantwortung der damaligen Gesellschaft für die an der jüdischen Minderheit verübten Verbrechen stärker als noch in den 1970er und 1980er Jahren in den Fokus der Schulbuchdarstellungen rücke. Ein deutliches Indiz hierfür sei der vermehrte Abdruck von Bildern, welche die Deportation jüdischer Bürgerinnen und Bürger am helllichten Tag aus deutschen Städten und vor den Augen der Zivilbevölkerung zeigen. Ebenfalls im Jahr 2000 untersuchte Bodo von Borries128 die Entwicklung von Schulbuchdarstellungen zum Nationalsozialismus unter besonderer Berücksichtigung der Themen »Vernichtungskrieg« und »Judenmord« in BRD- und DDR-Lehrwerken seit 1949.129 Als Untersuchungskategorien bestimmt der Autor verschiedene, im Prinzip seit dem Internationalen Militärtribunal der Alliierten und den Nürnberger Nachfolgeprozessen bekannte Punkte.130 Bei den bundesrepublikanischen Schulgeschichtsbüchern werden dabei grundlegende Veränderungen festgestellt: Die historische Triftigkeit der in den Darstellungstexten aufbereiteten Sachverhalte habe sich im Laufe der Jahrzehnte sukzessive und 127 Vgl. Wolfgang Marienfeld: Die Geschichte des Judentums in deutschen Schulbüchern. Hannover 2000 (Theorie und Praxis, Bd. 72). Vgl. zusammenfassend auch Wolfgang Marienfeld: Jüdische Geschichte im Schulbuch der Gegenwart. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 54, 2003, H. 3, S. 167–173 sowie Wolfgang Marienfeld: Jüdische Geschichte im deutschen Schulbuch im historischen Vergleich zwischen Gegenwart und kaiserlichem Deutschland. In: Internationale Schulbuchforschung 28, 2006, H. 2, S. 139–161. 128 Vgl. Bodo von Borries: Vernichtungskrieg und Judenmord in den Schulbüchern beider deutscher Staaten seit 1949. In: Michael Th. Greven/Oliver von Wrochem (Hrsg.): Der Krieg in der Nachkriegszeit. Der Zweite Weltkrieg in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik. Opladen 2000, S. 215–236. 129 Das Sample der Untersuchung wird nur sehr vage beschrieben, wenn davon die Rede ist, dass »mindestens 100 bis 150 Titel« für die Sekundarstufe I in Betracht gekommen wären, von denen »immerhin weit über 50 gründlich durchgesehen wurden« (ebd., S. 216). Das methodische Vorgehen lässt ebenfalls wenig Systematik erkennen: Der Autor zitiert aus wenigen Schulbüchern und fügt diesen Zitaten kommentierende Aussagen bei. 130 Die Kriterien lauten im Einzelnen: »Überfall auf die Sowjetunion mit dem Zweck der Expansion (›Siedlungsraum‹), d. h. Vernichtungs- bzw. Dezimierungskrieg gegen slawische Völker (›Generalplan Ost‹); Kommissarbefehl, beabsichtigtes Massensterben von Kriegsgefangenen, Ortszerstörungen und Geiselmorde – besonders unter einem total entgrenzten Begriff von Partisanenbekämpfung – und zwar mit eindeutiger Beteiligung der Wehrmacht gerade an diesen Punkten; wirtschaftliche Ausplünderung bis zum massenhaften Verhungern der Einheimischen, millionenfache Deportation zur Zwangsarbeit und Politik der ›verbrannten Erde‹; Massenerschießungen von jüdischer Bevölkerung vor allem durch ›Einsatzgruppen‹ mit über einer Million Opfern; Zusammendrängung, Zwangsarbeit und Verhungernlassen der europäischen Juden in Gettos; ›industrielle‹ Massentötungen mit Giftgas in Vernichtungslagern (›Mordfabriken‹)« (ebd., S. 216).

Zum Stand der Forschung

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sichtbar verbessert, wenngleich insbesondere die Beteiligung der Wehrmacht an Verbrechen am längsten verharmlost oder sogar verschwiegen worden sei. Susanne Popp131 widmete sich 2010 in einem Aufsatz der Darstellung der Opfer von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen unter besonderer Berücksichtigung ihrer ikonischen Präsentation im Schulbuch. Die Autorin greift – in Ergänzung des Untersuchungskorpus, das einer vorherigen Publikation zugrunde liegt132 – auf aktuell in Bayern zugelassene Lehrwerke zurück. Sie bescheinigt den Schulbüchern eine positive Entwicklung: Die abgedruckten Bilder stammen nicht mehr ausschließlich aus der Täterperspektive, sondern seien – etwa durch Zeichnungen von KZ-Häftlingen – um die Sicht der Opfer erweitert worden. Popp spricht an einer Stelle zudem davon, dass sich die Darstellung auch in anderen Aspekten stark verändert habe: »So verzichten beispielsweise die aktuellen Lehrwerke weitestgehend auf die einst für moralische Entlastungsoperationen so günstige Strategie, den Nationalsozialismus auf die totalitäre Diktatur eines übermächtigen und ›bösen‹ ›Führers‹ zu reduzieren und diesem eine angeblich ›unwissende‹ deutsche, nicht von Verfolgung betroffene Bevölkerung als erstes Opfer von totalitärer Manipulation und übermächtigem Terror gegenüber zu stellen. Heute geben die Darstellungen mit alltagsgeschichtlichen und individualisierenden Beispielen immerhin Hinweise darauf, dass die Mehrheit der deutschen nicht-verfolgten Bevölkerung […] nicht nur in hilflosem Schweigen, innerer Distanz, Renitenz und Nonkonformität verharrte. Vielmehr, dies deuten die Schulbücher zumindest an, bildeten partielle Zustimmung, opportunistische Denkweisen und Passivität bis hin zu Gleichgültigkeit gegenüber den Verbrechensopfern eine durchaus typische Gemengelage der Einstellungen und Verhaltensweisen. […] Dass aber Teile der deutschen Bevölkerung den Nationalsozialismus nicht nur trotz, sondern dezidiert wegen dessen antidemokratischen, antisemitischen, a-moralischen und gewaltbetonten Positionen und Politiken unterstützten und der deutsche Widerstand niemals eine Massenbasis besaß, dass die geschätzte Anzahl der aktiv als ›Täter‹ und ›Tat-Gehilfen‹ in die Holocaust-Maschinerie involvierten Deutschen mit rund 500.000 kaum kleiner war als die Gesamtheit der deutschen Bürgerinnen und Bürger, die 1933 den mosaischen Glauben praktizierten, oder auch dass nicht wenige Deutsche noch über das Kriegsende hinaus den Nationalsozialismus für gut befanden und nur im Genozid eine ›Übertreibung‹ erblickten, dies und anderes wird den Lernenden auch von den aktuellen Unterrichtswerken nur höchst selten klar genug vermittelt.«133 131 Vgl. Susanne Popp: Nationalsozialismus und Holocaust im Schulbuch. Tendenzen der Darstellung in aktuellen Geschichtsschulbüchern. In: Gerhard Paul/Bernhard Schoßig (Hrsg.): Öffentliche Erinnerung und Medialisierung des Nationalsozialismus. Eine Bilanz der letzten dreißig Jahre. Göttingen 2010 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 10), S. 98–115. 132 Vgl. Susanne Popp: Anmerkungen zur Darstellung von Opfergruppen des Nationalsozialismus in aktuellen Schulbüchern für den Geschichtsunterricht. In: Gerhard Fritz (Hrsg.): Landesgeschichte und Geschichtsdidaktik. Festschrift für Rainer Jooß. Schwäbisch Gmünd 2004, S. 105–119. 133 Popp: Nationalsozialismus und Holocaust im Schulbuch, S. 102f.

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Einleitung

Leider bietet die Autorin für diese interessante Feststellung keine Belegstellen aus den analysierten Schulgeschichtsbüchern. Es muss somit offen bleiben, ob die Aussage verallgemeinerungsfähig ist oder es sich lediglich um subjektive Leseeindrücke handelt. Thomas Sandkühler134 untersuchte 2012 die fachliche Qualität der Kapitel zum Holocaust in sechzehn für den Berliner Schulbuchmarkt zugelassenen Lehrwerken. Äußerst akribisch werden vom Autor viele sachliche Fehler in den Verfassertexten offengelegt. Die topographischen Angaben zu den Schauplätzen des Völkermords an den Juden auf den abgedruckten Geschichtskarten seien zumeist ebenfalls unpräzise oder fehlerhaft. Beides könne nicht mit medialen Eigenheiten der Schulbücher entschuldigt werden. Kurz – wiewohl ohne Nachweis aus den analysierten Schulbüchern – geht Sandkühler auf die Darstellung der deutschen Bevölkerung und ihrer Kenntnis vom Holocaust ein: »Insgesamt dominiert in den durchgesehenen Schulbüchern die Auffassung, die Deutschen hätten viel über das Verbrechen an den Juden gewusst, dieses Wissen aber verdrängt. Durch welche Kanäle sich in Deutschland Wissen über die Massenverbrechen verbreitete, wird selten zum Thema gemacht, da die Perspektive der Verfassertexte auf das Reichsgebiet konzentriert ist. So entsteht das Bild eines streng geheimen Verbrechens ›im Osten‹; ungeachtet der Tatsache, dass von Geheimhaltung am Schauplatz des Verbrechens kaum die Rede sein kann und gerade diese Öffentlichkeit der Menschenjagden erklärt, warum spätestens ab 1942 Gerüchte im Reich kursierten.«135

Ebenfalls 2012 legte Simone Lässig136 eine kleinere Studie vor, die danach fragt, durch welche zeitgeschichtlichen Narrative aktuelle Schulbücher geprägt sind.137 Im Hinblick auf die Darstellung von Nationalsozialismus und Holocaust kommt die Autorin – anders als etwa Popp und Sandkühler – zu dem positiven Ergebnis, dass die gesellschaftliche Perspektive unter der NS-Diktatur mittlerweile einen zentralen Platz einnimmt: »Intensiv wird die Frage nach Tätern und Opfern, nach Handlungsoptionen unter den Bedingungen der Diktatur, nach dem Wissen um die Judenvernichtung und nach aktiver Beteiligung daran verhandelt. Das Ineinandergreifen von Faszination und Gewalt ist im Schulbuch ebenso angekommen wie die Erkenntnis, dass viele Deutsche die fortschreitende Entrechtung und später die Vernichtung der Juden (und anderer 134 Vgl. Thomas Sandkühler : Nach Stockholm: Holocaust-Geschichte und historische Erinnerung im neueren Schulgeschichtsbuch für die Sekundarstufen I und II. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 11 (2012), S. 50–76. 135 Ebd., S. 69. 136 Vgl. Simone Lässig: Repräsentationen des »Gegenwärtigen« im deutschen Schulbuch. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 1–3/2012, S. 46–54. 137 Unter »aktuellen Lehrwerken« versteht die Autorin alle Bücher, die nach 2003 erschienen sind. Bei ihrer vertieften Analyse habe sie sich auf Schulgeschichtsbücher für Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen konzentriert. Vgl. ebd., S. 47.

Zum Stand der Forschung

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Opfergruppen) geduldet oder aktiv mitbetrieben haben und dass ein Großteil der Bevölkerung weder distanziert noch aktiv Widerstand geleistet hat. Fotos von Diskriminierungsakten, auf denen Lernende unzählige Beobachter ausmachen können, gehören zum Standardrepertoire insbesondere der Gymnasialbücher.«138

Birgit Wenzel139 veröffentlichte 2013 eine Studie, die sich unter genuin fachdidaktischen Gesichtspunkten mit der Aufbereitung von Nationalsozialismus und Holocaust in Schulgeschichtsbüchern auseinandersetzt. Die fünf Untersuchungsschwerpunkte sind: (1) Kompetenzorientierung (Sachurteils- und Werturteilskompetenz) und Perspektivenwahrnehmung bzw. -übernahme, (2) Heterogenität und Inklusion – Binnendifferenzierung und Individualisierung, (3) Gegenwarts- und Lebensweltbezüge, (4) Multiperspektivität, Kontroversität und Pluralität, (5) Historisierung der Themen und ihr Stellenwert in der Geschichts- und Erinnerungskultur. Die Stichprobe besteht aus sechs zwischen 2007 und 2010 für unterschiedliche Schulformen konzipierten Geschichtsschulbüchern. Im Ergebnis macht die Autorin für alle untersuchten Lehrwerke fast ausnahmslos gravierende Schwächen aus: Die Schülerinnen und Schüler würden etwa durch die Arbeitsaufträge häufig in völlig unangebrachter Art und Weise dazu aufgefordert, sich in extreme Opfer- oder Täterperspektiven hineinzuversetzen. Gegenwartsbezüge seien so gut wie nicht vorhanden. Multiperspektivische Quellenarrangements seien zwar in allen Lehrwerken enthalten, jedoch werde der nationalsozialistischen Perspektive weitaus mehr Raum geboten. Auf den Abdruck kontroverser Darstellungen zur Deutung der NS-Vergangenheit werde verzichtet, sodass bei den Leserinnen und Lesern zwangsläufig der Eindruck entstehen müsse, die wissenschaftliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus sei abgeschlossen. Dreißig Jahre nach Verabschiedung der ersten bilateralen Schulbuchempfehlungen stellte 2015 die zweite deutsch-israelische Schulbuchkommission die Ergebnisse ihrer Tätigkeit vor.140 Neben der Untersuchung des Israelbildes in deutschen Schulgeschichtsbüchern und der Darstellung deutscher Geschichte im Allgemeinen in israelischen Geschichtslehrwerken widmete sich die Kommission in einer knappen zusammenfassenden Beschreibung – ohne Anführung von Belegstellen aus den Büchern – auch dem Thema »Holocaust« in deutschen Lehrwerken. Grundlage der Untersuchung bildeten für den letztgenannten Aspekt 25 Kapitel aus Schulbüchern für beide Sekundarstufen ab dem Erschei138 Ebd., S. 49. 139 Vgl. Birgit Wenzel: Die Darstellung von Nationalsozialismus und Holocaust in deutschen Geschichtsbüchern. In: Hanns-Fred Rathenow/Dies./Norbert H. Weber (Hrsg.): Handbuch Nationalsozialismus und Holocaust. Historisch-politisches Lernen in Schule, außerschulischer Bildung und Lehrerbildung. Schwalbach/Ts. 2013, S. 167–185. 140 Vgl. Deutsch-Israelische Schulbuchkommission (Hrsg.): Deutsch-israelische Schulbuchempfehlungen. Göttingen 2015 (Eckert. Expertise, Bd. 5).

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Einleitung

nungsjahr 2004. Im Hinblick auf die Rolle der deutschen Mehrheitsbevölkerung wird formuliert: »Die generelle Schuld und Verantwortung der Deutschen stellt keines der Bücher in Frage. Es fehlt jedoch bisher eine umfassendere Geschichtsdarstellung, die auf die ›kleinen Täter‹, also die Verantwortlichen, Kollaborateure und Nutznießer in den unteren Rängen ausgerichtet ist und somit auch gesamtgesellschaftliche Interdependenzen deutlicher herausstreichen könnte. Erstaunlich viele Lehrwerke folgen einer relativ statischen Unterteilung in Täter, Opfer und ›Zuschauer‹. In diesem kategorial klar abgegrenzten Konzept wirkt die deutsche Bevölkerung oft wie ein Heer von Statisten ohne Handlungsspielraum und Bewusstsein, ohnmächtig und zugleich undurchsichtig. Oft bleibt die Beschreibung der aktiven Rolle vieler Deutscher, z. B. als Denunzianten oder direkte oder indirekte Nutznießer der Übernahme erbeuteten Besitzes jüdischer Mitbürger, der Darstellung einer diffusen, zwischen Zustimmung und Entrüstung oszillierenden, verwirrten und indoktrinierten Masse untergeordnet.«141

Anders als bei der Darstellung des anderen Landes (Israel in deutschen Büchern und Deutschland in israelischen Büchern) verzichtet die Kommission für die Repräsentation des Holocaust im Schulbuch auf die Formulierung von Empfehlungen. Dafür waren offenbar Pietätsgründe ausschlaggebend.142 Bereits 2014 erschien in einem Sammelband zum Thema »Jüdische Geschichte im Schulbuch« ein Aufsatz von Sinja Strangmann143, der sich an Untersuchungen anlehnt, die von der deutsch-israelischen Schulbuchkommission durchgeführt wurden. Die Autorin analysiert auf der Basis von zwanzig zwischen 2003 und 2011 veröffentlichten Lehrwerken der Sekundarstufe I die Darstellung der Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus und gelangt dabei hinsichtlich der Thematisierung der deutschen Bevölkerung zu einem zwiespältigen Urteil: 141 Ebd., S. 44f. 142 Vgl. die Vorbemerkungen, S. 23f.: »Für den Bereich der Holocaustdarstellung in deutschen und israelischen Geschichtsschulbüchern wurden keine Empfehlungen formuliert. Angesichts des immensen Stellenwertes, den die unterrichtliche und außerunterrichtliche Beschäftigung mit der Shoah und ihrer Geschichte im israelischen Bildungssystem einnimmt, kam die Kommission zu dem Schluss, dass sie ihr Mandat überschreite, wollte sie spezifische gemeinsame Empfehlungen zur Darstellung des Holocaust in israelischen Geschichtsschulbüchern verabschieden. Aus Gründen der Parität wurde daher auch auf gemeinsame Empfehlungen zur Darstellung des Holocaust in deutschen Geschichtsschulbüchern verzichtet. Die in dieser Publikation enthaltenen Befunde zur Thematik sollen hingegen – gerade auch im Vergleich der beiden unterschiedlichen Erinnerungskulturen und ihrer Spiegelung in den Schulbüchern – zu einer kritischen Reflexion des Vorhandenen und zu weiterer inhaltlicher und didaktischer Beschäftigung mit dem Gegenstand einladen.« 143 Vgl. Sinja Strangmann: Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung (1933–1945). In: Martin Liepach/Dirk Sadowski (Hrsg.): Jüdische Geschichte im Schulbuch. Eine Bestandsaufnahme anhand aktueller Lehrwerke. Göttingen 2014 (Eckert. Expertise, Bd. 3), S. 115–138.

Gliederung der Arbeit

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»Die […] relativ einseitige Zuschreibung der Verantwortlichkeiten in der dichotomen Täter-Bevölkerung-Konstellation kann zu der Auffassung verleiten, dass die Maßnahmen der Entrechtung und Verfolgung scheinbar isoliert von der Gesellschaft und ohne deren Beteiligung in alleiniger Verantwortung von den Machthabern durchgeführt wurden. Das bedeutet jedoch nicht, dass die untersuchten Bücher nicht grundsätzlich eine recht kritische Betrachtung der deutschen Bevölkerung enthalten, die Mitwissen, Indifferenz, aber auch Zustimmung klar benennt. Vielfach wird die apologetische Selbstdarstellung der Bevölkerung angezweifelt und durch wissenschaftliche Quellen und Aufgabenstellungen dekonstruiert. Dabei oszilliert der überwiegende Teil der Bücher zwischen Anklage und partieller Entlastung und bietet innerhalb eines Werkes oft widersprüchliche Einschätzungen.«144

Im Ganzen gesehen muss die Schulbuchforschung zu Nationalsozialismus, Holocaust und Vernichtungskrieg als unbefriedigend gelten. Die wenigen vorliegenden Befunde sind nicht repräsentativ. Das gilt besonders für die Frage, wie Geschichtslehrwerke mit dem für den Geschichtsunterricht so eminent wichtigen Thema der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung und ihrer Einstellung zu Judenverfolgung und -ermordung umgehen. Hierzu liegen weder eigenständige synchrone noch diachrone Untersuchungen vor. Über vereinzelte Andeutungen und subjektive Eindrücke sind bisherige Schulbuchuntersuchungen nicht hinaus gekommen. Die Erforschung der Darstellung der deutschen Gesellschaft während des Nationalsozialismus stellt somit ein dringendes Desiderat der geschichtsdidaktischen Schulbuchforschung dar.

4.

Gliederung der Arbeit

Auf die Einleitung folgt in Kapitel II eine theoretische Verortung der Studie. Dabei wird zunächst die Wahl des Mediums »Schulbuch« als Untersuchungsgegenstand legitimiert, bevor die Schulgeschichtsbücher als Objektivationen der Geschichtskultur beschrieben werden. Kapitel III stellt das Untersuchungsdesign der Studie vor : Es werden das Materialkorpus festgelegt, unterschiedliche Forschungsmethoden im Kontext von Schulbuchanalyse präsentiert, das der Untersuchung zugrunde liegende Kategoriensystem erläutert, die im Fokus der Analyse stehenden Bausteine von Schulgeschichtsbüchern expliziert und schließlich das eigentliche methodische Vorgehen dargelegt. Daran schließt sich in Kapitel IV ein chronologischer Überblick über den akademischen und öffentlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit an, der den notwendigen Rahmen für die Analyse und Beurteilung der Geschichtslehrwerke bildet. Im ersten Unterkapitel werden die einschlägigen Forschungsbeiträge (Monographien, 144 Ebd., S. 131f.

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Einleitung

Aufsätze in Sammelbänden und Zeitschriften) verschiedener Historikerinnen und Historiker zur Wahrnehmung und Akzeptanz des Holocaust in der deutschen Gesellschaft vorgestellt. Ein zweites Unterkapitel widmet sich dem außeruniversitären Diskurs und skizziert die für das Thema wichtigsten »Erinnerungsorte«145. Die Kapitel V bis VIII bilden den eigentlichen Kern der Untersuchung. Hier werden die Geschichtsschulbücher und die von ihnen transportierten Geschichtsdeutungen kategoriengeleitet analysiert und bewertet. Die zentralen Ergebnisse hieraus werden in Kapitel IX diskutiert. Schließlich werden pragmatische Konsequenzen für die Schulbuchgestaltung gezogen.

145 Der Begriff »Erinnerungsort« wird in Anlehnung an das von Pierre Nora konzipierte und herausgegebene Werk »Les lieux de m8moire« metaphorisch gebraucht. Gemeint sind also nicht nur lokalisierbare Orte, sondern auch Erinnerungsorte im übertragenen Sinn: Geschichtsdebatten, Spielfilme, Ausstellungen, Gedenktage etc. Vgl. Pierre Nora (Hrsg.): Les lieux de m8moire. 7 Bde. Paris 1984–1993.

II.

Theoretischer Rahmen

»Grundlage jeder Schulbuchanalyse ist, sich klar zu machen, was Schulgeschichtsbücher eigentlich sind und wollen«146, so Alexander Schöner und Waltraud Schreiber. Aus diesem Grund dient das folgende Kapitel der Erläuterung der Spezifika von Geschichtsschulbüchern. Zunächst wird herausgearbeitet, warum Lehrwerke bis in die Gegenwart einen festen Platz im Unterrichtsgeschehen einnehmen. Im Anschluss werden die sich aus ihrer erweiterten Funktion als Medien der Geschichtskultur ergebenden Besonderheiten von Schulgeschichtsbüchern näher beschrieben. Das Kapitel dient gleichzeitig dazu, die Wahl des Unterrichtsmediums »Schulbuch« als geeigneten Untersuchungsgegenstands zu legitimieren.

1.

Das Schulbuch als Leitmedium des Geschichtsunterrichts

»Das Schulgeschichtsbuch stellt – formal definiert – ein Unterrichtsmittel dar, das für schulische Lehr- und Lernprozesse im historischen […] Unterricht und in Buchform gestaltet ist.«147 Wenngleich heutige Geschichtsschulbücher fast immer durch diverse Zusatzangebote (z. B. Lehrerbände, Schülerarbeitshefte, CD-ROMs oder Internetressourcen148) flankiert werden149, besitzt die obige Definition von Wolfgang Hug aus dem Jahre 1979 nach wie vor Gültigkeit. 146 Alexander Schöner/Waltraud Schreiber : De-Konstruktion des Umgangs mit Geschichte in Schulbüchern. Vom Nutzen wissenschaftlicher Schulbuchanalysen für den Geschichtsunterricht. In: Dies./Sylvia Mebus (Hrsg.): Durchblicken. Dekonstruktion von Schulbüchern. Neuried 2., überarb. u. akt. Aufl. 2006 (Themenhefte Geschichte, Bd. 1), S. 21–32, hier S. 21. 147 Wolfgang Hug: Schulbuch. In: Klaus Bergmann u. a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. Bd. 1. Düsseldorf 1979, S. 218–224, hier S. 218. 148 Astrid Schwabe kommt nach einer kursorischen Durchsicht von Schulbüchern jüngeren Datums zu dem Ergebnis, dass die meisten der angebotenen digitalen Ergänzungs- und Erweiterungsmaterialien (z. B. auf der Verlags-Webpräsenz im World Wide Web bereitgestellte Materialien, die mithilfe von im Lehrwerk abgedruckten Web-Codes abzurufen sind) eher als »modische Add-Ons« zu bezeichnen seien, die kaum einen echten Mehrwert ge-

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Theoretischer Rahmen

Das Schulbuch nimmt im Geschichtsunterricht seit jeher eine zentrale Rolle ein.150 Mitte der 1980er Jahre betonte Joachim Rohlfes, dass das Schulgeschichtsbuch »das meistverwendete Lehr- und Lernmittel des Faches«151 sei und sich die »Prophezeiung vom Zurücktreten des Buches im Zeitalter der visuellen Medien […] bislang nicht bewahrheitet«152 habe. Acht Jahre später konstatierte wiederum Rohlfes: »Unter den Medien des Geschichtsunterrichts ist das Schulbuch nicht nur das älteste und traditionsreichste, sondern nach wie vor auch das bei weitem wichtigste. Seine mehrfach prophezeite Entthronung durch die neuen elektronischen Medien hat bislang nicht stattgefunden und steht fürs erste auch kaum zu erwarten. Seinen Erfolg verdankt das Schulgeschichtsbuch nicht nur liebgewordenen Gewohnheiten und den dem Buch grundsätzlich innewohnenden Stärken, sondern auch den mancherlei Modernisierungsschüben, die es in den letzten Jahrzehnten erlebt hat […]. Heutige Schulbücher haben mit den vor dreißig Jahren gebräuchlichen nicht mehr allzu viel gemeinsam. Sie bestehen nicht mehr vornehmlich aus Verfassertexten, sondern sind regelrechte MultiMedia-Pakete, in denen farbenprächtige Abbildungen, Karten, Graphiken, Tabellen oft ein Drittel und mehr des Buchinhalts ausmachen und eine Vielzahl von Gestaltungselementen und Lernimpulsen den Leser in Atem hält.«153

Die hohe Bedeutung, die das Schulbuch auch in Zukunft im Unterricht behalten wird, war auch eines der Hauptergebnisse der fachunspezifischen Delphi-Studie aus den Jahren 1999 bis 2001, die von der Cornelsen-Stiftung »Lehren und Lernen« in Auftrag gegeben worden war.154 Knapp 100 Expertinnen und Ex-

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genüber dem gedruckten Buch besäßen. Vgl. Astrid Schwabe: Digitale Angebote des Schulgeschichtsbuchs: zeitgemäße ›Add-ons‹ oder echter Mehrwert? In: Wolfgang Buchberger/Christoph Kühberger/Christoph Stuhlberger (Hrsg.): Nutzung digitaler Medien im Geschichtsunterricht. Innsbruck 2015 (Österreichische Beiträge zur Geschichtsdidaktik. Geschichte – Sozialkunde – Politische Bildung, Bd. 9), S. 157–177. Vgl. Michael Sauer : Zeitgeschichte in Unterrichtsmedien. Einführung. In: Susanne Popp u. a. (Hrsg.): Zeitgeschichte – Medien – Historische Bildung. Göttingen 2010 (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Bd. 2), S. 111–116, hier S. 113. Vgl. Wolfgang Hug: Das Schulgeschichtsbuch in der Unterrichtspraxis. In: Geschichtsdidaktik. Probleme – Projekte – Perspektiven 2, 1977, H. 1, S. 64–74; Wolfgang Jacobmeyer : Das deutsche Schulgeschichtsbuch 1700–1945. Die erste Epoche seiner Gattungsgeschichte im Spiegel der Vorworte. 3 Bde. Berlin 2011 (Geschichtskultur und historisches Lernen, Bd. 8); Gerold Niemetz: Praxis Geschichtsunterricht. Methoden – Inhalte – Beispiele. Stuttgart 1983, S. 17–20; Falk Pingel: Geschichtslehrbücher zwischen Kaiserreich und Gegenwart. In: Paul Leidinger (Hrsg.): Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik vom Kaiserreich bis zur Gegenwart. Festschrift des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands zum 75jährigen Bestehen. Stuttgart 1988, S. 242–260. Joachim Rohlfes: Geschichte und ihre Didaktik. Göttingen 1986, S. 310. Ebd. Joachim Rohlfes: Schulgeschichtsbücher (Stichworte zur Geschichtsdidaktik). In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45, 1994, H. 7, S. 460–465, hier S. 460. Vgl. Cornelsen-Stiftung »Lehren und Lernen«: Zukünftige Entwicklungen von Lehr- und

Das Schulbuch als Leitmedium des Geschichtsunterrichts

61

perten aus Wissenschaft und Schulpraxis wurden in drei voneinander unabhängigen Erhebungsphasen über die zukünftige Entwicklung von Lehr- und Lernmedien befragt. Die Meinungen fielen klar aus: »Die traditionellen Medien werden durch die neuen elektronischen Medien nicht verdrängt oder gar völlig ersetzt«155, sie sind »kein Ersatz für alle bisherigen Lehr- und Lernmedien, sondern werden als deren besonders innovative Ergänzung und Erweiterung angesehen«156. An der Zentralstellung des Buches im Geschichtsunterricht hat sich bis heute nicht viel geändert. Obwohl dem gedruckten Geschichtslehrwerk von den Verfechtern der »Neuen Medien« schon mehrfach das Sterbeglöckchen geläutet wurde157 und mit dem »mBook« mittlerweile das erste digitale Schulbuch für Geschichte vorliegt158, ist es auch zu Beginn des neuen Jahrtausends das Leitmedium für historisches Lehren und Lernen im Klassenzimmer geblieben.159 Selbst wenn Zukunftsprognosen stets mit Vorsicht zu genießen sind, deutet doch alles daraufhin, dass sich an diesem Status auf absehbare Zeit nicht viel ändern wird. Das hat vor allem drei Gründe. Erstens genießt das Geschichtsschulbuch bei Lehrkräften offenbar einen hohen Stellenwert. Ein übersichtlich gestaltetes Lehrwerk entlastet Lehrende nicht nur bei dem zeitaufwändigen Geschäft der Reihenplanung, weil Auswahl, Anordnung und Reduktion der Inhalte bereits vorgegeben sind. Die klare Gliederung der Kapitel einer größeren Themeneinheit nach dem mittlerweile

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Lernmedien. Ausgewählte Ergebnisse einer Delphi-Studie – zusammengestellt von Witlof Vollstädt. In: Internationale Schulbuchforschung 24, 2002, H. 2, S. 213–231. Witlof Vollstädt: Neue Medien und Schulentwicklung. In: Internationale Schulbuchforschung 24, 2002, H. 2, S. 161–173, hier S. 166. Ebd., S. 167. Waldemar Grosch z. B. übte 2001 eine Fundamentalkritik an herkömmlichen Schulbüchern und plädierte für ein alternatives Schulbuch auf einem elektronischen Datenträger. Vgl. Waldemar Grosch: Das Schulbuch der Zukunft. In: Hans-Jürgen Pandel/Gerhard Schneider (Hrsg.): Wie weiter? Zur Zukunft des Geschichtsunterrichts. Schwalbach/Ts. 2001, S. 136– 155. Vgl. Marcus Ventzke/Florian Sochatzy/Bernadette Thielen: Die Einführung des multimedialen Schulbuchs (mBook) als Anstoß von Unterrichtsentwicklungsprozessen in Gymnasien des Landes Nordrhein-Westfalen – ein Einblick. In: Katja Lehmann/Michael Werner/Stefanie Zabold (Hrsg.): Historisches Denken jetzt und in Zukunft. Wege zu einem theoretisch fundierten und evidenzbasierten Umgang mit Geschichte. Festschrift für Waltraud Schreiber zum 60. Geburtstag. Berlin 2016 (Geschichtsdidaktik in Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 10), S. 121–128. Vgl. u. a. Ulrich Baumgärtner : Wegweiser Geschichtsdidaktik. Historisches Lernen in der Schule. Paderborn 2015, S. 152; Ursula A. J. Becher : Schulbuch. In: Hans-Jürgen Pandel/ Gerhard Schneider (Hrsg.): Handbuch Medien im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 6., erw. Aufl. 2011, S. 45–68, hier S. 45; Nicola Brauch: Geschichtsdidaktik. Berlin/Boston 2015, S. 105; Michael Sauer : Schulgeschichtsbücher. Herstellung, Konzepte, Unterrichtseinsatz (Stichworte zur Geschichtsdidaktik). In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 67, 2016, H. 9/10, S. 588–603, hier S. 588; Schönemann/Thünemann: Schulbucharbeit, S. 7.

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Theoretischer Rahmen

bewährten Doppelseitenprinzip, bei dem die verschiedenen Buchbausteine zwei, vier oder sechs Seiten einnehmen, bietet sich zudem geradezu als Grundlage für die Planung und Gestaltung des Unterrichts an.160 Als weiterer Punkt kommt seit einigen Jahren die Kompetenzorientierung hinzu, mit der auch eine Abkehr von den traditionellen, lernzielorientierten Lehrplänen hin zu den kompetenzorientierten Plänen ohne umfangreiche Inhaltskataloge einhergeht.161 Den Fachkonferenzen obliegt zusehends die (arbeitsintensive) Aufgabe, auf der Basis der neuen »schlanken« Lehrpläne schulinterne Curricula zu entwickeln.162 Es ist zu erwarten, dass die betroffenen Lehrkräfte bei der Erstellung des Schulcurriculums vermehrt das Geschichtsschulbuch nutzen, weil dieses, wie bereits erläutert, einen nicht unbeachtlichen Beitrag zur didaktischen Vorstrukturierung ganzer Unterrichtseinheiten leistet. Zweitens eröffnet das »Medienpaket« Schulbuch ganz unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten. Je nach didaktischer und methodischer Zielrichtung kann ein Lehrwerk – in der Typologie von Wolfgang Hug – als »Sammlung von Arbeitsmaterialien«, »informierende Überblicksdarstellung«, »Träger von Motivationsimpulsen«, »didaktisches Kompendium unterschiedlicher Medien historischer Überlieferung und Darstellung«, »Nachschlagewerk«, »Ergänzungs160 Vgl. Klaus Fröhlich: Schulbucharbeit. In: Klaus Bergmann u. a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. Seelze-Velber 5., überab. Aufl. 1997, S. 422–430; Hilke Günther-Arndt: Lehren und Lernen mit dem Schulbuch im Geschichtsunterricht der Sekundarstufe I. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 59, 2008, H. 1, S. 4–19; Renate Teepe: Umgang mit dem Schulbuch. In: Ulrich Mayer/Hans-Jürgen Pandel/Gerhard Schneider (Hrsg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 4. Aufl. 2013, S. 255–268. 161 Vgl. zur geschichtsdidaktischen Kompetenzdebatte u. a. Michele Barricelli/Peter Gautschi/ Andreas Körber : Historische Kompetenzen und Kompetenzmodelle. In: Michele Barricelli/ Martin Lücke (Hrsg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Bd. 1. Schwalbach/ Ts. 2012, S. 207–235; Franziska Conrad: »Alter Wein in neuen Schläuchen« oder »Paradigmenwechsel«? Von der Lernzielorientierung zu Kompetenzen und Standards. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 63, 2012, H. 5/6, S. 302–323; Peter Gautschi: Plausibilität der Theorie, Spuren der Empirie, Weisheit der Praxis. Zum Stand der geschichtsdidaktischen Kompetenzdiskussion. In: Geschichte für heute 9, 2016, H. 3, S. 5–18; Saskia Handro/Bernd Schönemann (Hrsg.): Aus der Geschichte lernen? Weiße Flecken der Kompetenzdebatte. Berlin 2016 (Geschichtskultur und historisches Lernen, Bd. 15); Wolfgang Hasberg: Von PISA nach Berlin. Auf der Suche nach Kompetenzen und Standards historischen Lernens. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 56, 2005, H. 12, S. 684– 702; Ulrich Mayer: Keine Angst vor Kompetenzen. Kompetenzorientierung – eine typologische, historische und systematische Einordung. In: Geschichte für heute 7, 2014, H. 3, S. 6–19; Hans-Jürgen Pandel: Kompetenzen – ein Rückblick nach zwölf Jahren. In: Geschichte für heute 9, 2016, H. 3, S. 20–34; Bernd Schönemann/Holger Thünemann/Meik Zülsdorf-Kersting: Was können Abiturienten? Zugleich ein Beitrag zur Debatte über Kompetenzen und Standards im Fach Geschichte. Berlin 2010 (Geschichtskultur und historisches Lernen, Bd. 4). 162 Vgl. Franziska Conrad: Vom Lehrplan zum Schulcurriculum. In: Michele Barricelli/Martin Lücke (Hrsg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Bd. 2. Schwalbach/Ts. 2012, S. 386–400.

Das Schulbuch als Leitmedium des Geschichtsunterrichts

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medium zum Unterricht« oder »Aufgabensammlung« dienen.163 Wohl nicht von ungefähr nehmen daher einige Forscherinnen und Forscher an, dass eine quantitativ nicht zu unterschätzende Anzahl von Lehrkräften unabhängig vom jeweils gültigen Lehrplan ein Kapitel nach dem anderen so durchnimmt, wie es im Schulbuch steht, und dieses somit als »heimlicher Lehrplan« wirkt.164 Drittens lassen die technische Ausstattung in den Schulen und die fachliche Qualität multimedialer Programme für den Geschichtsunterricht noch immer zu wünschen übrig.165 Gerade bei einschlägiger CD-ROM-Lernsoftware stellt sich rasch Ernüchterung ein. Angesichts ihrer anarchischen Struktur, die mitunter jegliche didaktische Reflexion vermissen lässt, stellt sie kein wirkliches Konkurrenzprodukt zum Schulbuch dar. Die unmittelbare Nutzung von CDROM-Zusammenstellungen im Geschichtsunterricht wird zudem dadurch er-

163 Wolfgang Hug: Geschichtsunterricht in der Praxis der Sekundarstufe I. Befragungen, Analysen und Perspektiven. Frankfurt am Main 2., erg. Aufl. 1980, S. 138. Michael Sauer, dem die Entwicklung einer festen Typologie der Schulbuchnutzung angesichts der möglichen Varianzen in Bezug auf Schulbuchbausteine, Lehrkraft und Thema wenig sinnvoll erscheint, unterscheidet grundsätzlich zwischen zwei Nutzungsvarianten: Zum einen könne die Lehrkraft sich eng am Schulbuch orientieren und es gewissermaßen als »Drehbuch« für den eigenen Unterricht nutzen. Zum anderen sei die lediglich partielle Nutzung als »Menü« möglich, bei der die Lehrkraft nur einzelne Elemente des Buches verwendet und ihren Unterricht dafür vorwiegend mit eigenen Materialien bereichert. Vgl. Sauer : Schulgeschichtsbücher, S. 601. 164 Vgl. etwa Horst Gies (in Zusammenarbeit mit Michele Barricelli und Michael Toepfer): Geschichtsunterricht. Ein Handbuch zur Unterrichtsplanung. Köln/Weimar/Wien 2004, S. 236; Saskia Handro/Bernd Schönemann: Zur Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung. Berlin 2006 (Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Bd. 16), S. 3–12, hier S. 5; Simone Lässig: Räume und Grenzen. Außenperspektiven und Innenansichten durch die Linse des Schulbuchs. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 64, 2013, H. 1/2, S. 6–12, hier S. 7. 165 Vgl. zur Arbeit mit »Neuen Medien« im Geschichtsunterricht Bettina Alavi (Hrsg.): Historisches Lernen im virtuellen Medium. Heidelberg 2010; Axel Becker : Wer hat Angst vor der digitalen Revolution? Wie die neuen Medien uns zwingen, Geschichtsunterricht neu zu denken. In: Michele Barricelli/Ders./Christian Heuer (Hrsg.): Jede Gegenwart hat ihre Gründe. Geschichtsbewusstsein, historische Lebenswelt und Zukunftserwartung im frühen 21. Jahrhundert. Hans-Jürgen Pandel zum 70. Geburtstag. Schwalbach/Ts. 2011, S. 59–71; Uwe Danker/Astrid Schwabe: Geschichte im Internet. Stuttgart 2017; Uwe Danker/Astrid Schwabe (Hrsg.): Historisches Lernen im Internet. Geschichtsdidaktik und Neue Medien. Schwalbach/Ts. 2008; Waldemar Grosch: Der Einsatz digitaler Medien in historischen Lernprozessen. In: Michele Barricelli/Martin Lücke (Hrsg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Bd. 2. Schwalbach/Ts. 2012, S. 125–145; Andreas Körber : Neue Medien und Informationsgesellschaft als Problembereich geschichtsdidaktischer Forschung. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 1 (2002), S. 165–181; Peter Kunze: Neue Medien als Herausforderung für guten Unterricht. In: Geschichte lernen H. 89 (2002), S. 10–16; Oliver Näpel: Elektronische Medien und Historisches Lernen. Eine fruchtbare Symbiose? In: Praxis Geschichte H. 4/2009, S. 4–7; Vadim Oswalt: Multimediale Programme im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 2002 (Geschichte am Computer, Bd. 1).

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Theoretischer Rahmen

schwert, dass sich die Programme nicht klar genug an der Zielgruppe »Schülerinnen und Schüler« orientieren, wie Michael Sauer herausstellt: »Die mit vielen Vorschusslorbeeren bedachten digitalen Angebote haben bei weitem nicht so reüssiert, wie das gegen Ende der 1990er Jahre von manchem vorhergesagt wurde und wie es sich die Verlage bei ihren ersten Produkten erhofften. Abgesehen von den Herstellungskosten und der für den Unterricht aufwendigen Handhabung spielen dabei auch konzeptionelle Probleme eine Rolle. Die Verlage haben sich in vielen Fällen nicht recht entscheiden können, Angebote gezielt für die Schule – den sogenannten Vormittagsmarkt – zu produzieren; zumeist haben sie gleichzeitig ein allgemeines geschichtsinteressiertes Publikum im Blick gehabt – den Nachmittagsmarkt. Das hat zu einer Verwässerung der Konzeptionen geführt. Auch die Ausrichtung auf die schulinternen Adressaten war oft unscharf: Ein Lernangebot für Schülerinnen und Schüler müsste grundsätzlich anders aussehen als eine Materialsammlung für Lehrkräfte.«166

Zusammengefasst lässt sich daher Folgendes festhalten: Im Kanon unterschiedlicher Medien war und ist der Einfluss des Geschichtsschulbuches auf den Fachunterricht unbestreitbar. Um Rückschlüsse auf Intention, Repräsentation und Realisation von – zumal vergangenem – Geschichtsunterricht zu ziehen, können Schulbücher als geeignete Untersuchungsobjekte angesehen werden.

2.

Das Schulbuch als Medium der Geschichtskultur

Vor dem Hintergrund der im vorherigen Abschnitt angesprochenen dominanten Stellung in der Unterrichtspraxis kommt dem Geschichtsschulbuch fraglos eine maßgebliche Steuerungsfunktion für die Bildung von Geschichtsbewusstsein bei der nachwachsenden Generation zu. Rudolf Piwko glaubt sogar, dass kein anderes Medium »so einen direkten Einfluss auf die geschichtliche Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft«167 habe. Wenngleich man diese Aussage mit Blick auf die ebenfalls exponierte Stellung, die vor allem Film und Fernsehen 166 Michael Sauer: Medien im Geschichtsunterricht. In: Michele Barricelli/Martin Lücke (Hrsg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Bd. 2. Schwalbach/Ts. 2012, S. 85–91, hier S. 91. 167 Rudolf Piwko: Das Thema der Teilungen Polens in russischen und polnischen Geschichtsschulbüchern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Schulhistorie zwischen Wissenschaft und Geschichtspolitik. Berlin 2002, S. 11. Sven Felix Kellerhoff meint dagegen wie selbstverständlich: »Die Schule der Nation ist das Fernsehen – jedenfalls was die Historie und speziell die Zeit des Nationalsozialismus angeht. Denn nirgends lernen mehr Menschen mehr über die Vergangenheit als in ZDF, Spiegel TV und ARD. Demgegenüber hat der Geschichtsunterricht an den Schulen seine einst das Bewusstsein prägende Funktion längst verloren.« (Sven Felix Kellerhoff: Zwischen Vermittlung und Vereinfachung: Der Zeithistoriker und die Medien. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 54, 2006, H. 12, S. 1082–1092, hier S. 1082). Beide Aussagen sind so nicht haltbar, weil sie jeglicher empirischer Grundlage entbehren.

Das Schulbuch als Medium der Geschichtskultur

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seit spätestens den 1980er Jahren im Bereich der Geschichtsvermittlung einnehmen168, relativieren muss, kann das Schulbuch eine gewisse Sonderrolle gegenüber den geschichtskulturellen Massenmedien für sich beanspruchen. Einzig das Medium »Lehrwerk« vermag es nämlich zumindest theoretisch, alle heranwachsenden Menschen zu erfassen, was, so Oliver Näpel, ohne Zweifel eine »von der Unterhaltungsindustrie unerreichte Quote«169 ist. Das Schulbuch stellt aber nicht nur ein rein unterrichtliches Arbeitsmittel dar, mit dessen Hilfe historische Lehr- und Lernprozesse im Geschichtsunterricht angebahnt werden sollen. Ganz im Gegenteil: Es ist stets »Produkt und Faktor gesellschaftlicher Prozesse«170. Lehrwerke gehen immer aus einer enorm komplexen »Diskursarena«171 hervor, wie Thomas Höhne die Gesamtheit der auf die Produktion von Schulbüchern Einfluss nehmenden Interessengruppen (Fachwissenschaft, Didaktik, Pädagogik, Verlage, Lehrplankommissionen, Elternverbände etc.) sowie ihre miteinander konkurrierenden und streitenden Auffassungen metaphorisch bezeichnet. Besondere Erwähnung muss in diesem Zusammenhang überdies finden, dass Schulbücher häufig das Resultat politischer Setzungen sind. Dass dem so ist, liegt zuvorderst an den staatlichen Zulassungsverfahren, die vor allem die 168 Vgl. Astrid Erll: Erinnerungskultur und Medien. In welchem Kontext spielt sich die Diskussion um Geschichtsvermittlung im Fernsehfilm ab? In: Albert Drews (Hrsg.): Zeitgeschichte als TV-Event. Erinnerungsarbeit und Geschichtsvermittlung im deutschen Fernsehfilm. Rehburg-Loccum 2008, S. 9–27; Saskia Handro: Fernsehen. Plädoyer für die Neuentdeckung einer Institution der Geschichtskultur. In: Michele Barricelli/Axel Becker/ Christian Heuer (Hrsg.): Jede Gegenwart hat ihre Gründe. Geschichtsbewusstsein, historische Lebenswelt und Zukunftserwartung im frühen 21. Jahrhundert. Hans-Jürgen Pandel zum 70. Geburtstag. Schwalbach/Ts. 2011, S. 88–105; Christian Heuer : Historienfilme. In: Markus Furrer/Kurt Messmer (Hrsg.): Handbuch Zeitgeschichte im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 2013, S. 316–337; Barbara Korte/Sylvia Paletschek: Geschichte in populären Medien und Genres: Vom Historischen Roman zum Computerspiel. In: Dies. (Hrsg.): History Goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres. Bielefeld 2009 (Historische Lebenswelten in populären Kulturen, Bd. 1), S. 9–60; Gerhard Paul: Zeitgeschichte in Film und Fernsehen. Einführung. In: Susanne Popp u. a. (Hrsg.): Zeitgeschichte – Medien – Historische Bildung. Göttingen 2010 (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Bd. 2), S. 193–200; Siegfried Quandt: Fernsehen als Leitmedium der Geschichtskultur? Bedingungen, Erfahrungen, Trends. In: Bernd Mütter/Bernd Schönemann/Uwe Uffelmann (Hrsg.): Geschichtskultur. Theorie – Empirie – Pragmatik. Weinheim 2000 (Schriften zur Geschichtsdidaktik, Bd. 11), S. 235–239. 169 Oliver Näpel: Film und Geschichte. »Histotainment« im Geschichtsunterricht. In: Michele Barricelli/Martin Lücke (Hrsg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Bd. 2. Schwalbach/Ts. 2012, S. 146–171, hier S. 149. 170 Ernst Horst Schallenberger (Hrsg.): Das Schulbuch – Produkt und Faktor gesellschaftlicher Prozesse. Kastellaun 1973 (Pädagogische Informationen – Provokative Impulse, Bd. 2). 171 Thomas Höhne: Schulbuchwissen. Umrisse einer Wissens- und Medientheorie des Schulbuchs. Frankfurt am Main 2003 (Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft, Bd. 2), S. 61.

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Theoretischer Rahmen

Schulbücher der Sekundarstufe I betreffen.172 Die Begutachtungspraxis von Lehrwerken, an der in der Vergangenheit immer wieder Kritik geübt wurde173, läuft dabei infolge der föderalistischen Organisation des gesamten Bildungssektors und der damit verbundenen Kulturhoheit der einzelnen Bundesländer sehr unterschiedlich ab.174 Im Ergebnis sind Schulbuchverlage aufgrund dieser

172 Vgl. Carl-Christian Fey : Zur Zulassungspraxis von Schulbüchern in Deutschland. In: Eva Matthes/Sylvia Schütze (Hrsg.): Schulbücher auf dem Prüfstand. Bad Heilbrunn 2016, S. 67–81. Vgl. zu den rechtlichen Grundlagen des Zulassungsverfahrens in ihrer historischen Entwicklung Sabine Leppek: Die Zulassung und Einführung von Schulbüchern und anderen Lernmittel an staatlichen deutschen Schulen. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Grundfragen. Marburg 2002; Walter Müller : Schulbuchzulassung. Zur Geschichte und Problematik staatlicher Bevormundung von Unterricht und Erziehung. Kastellaun 1977; Michael Sauer : Zwischen Negativkontrolle und staatlichem Monopol. Zur Geschichte von Schulbuchzulassung und -einführung. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49, 1998, H. 3, S. 144–156. 173 Vgl. Rainer Bendick: Staatlich kontrollierte Schulbuchzulassung – ein Beitrag zur »Qualitätssicherung« der Lehrwerke oder ein Reflex auf spezifisch deutsche Erfahrungen? In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49, 1998, H. 12, S. 754–760; Peer Frieß: Das bayerische Zulassungsverfahren für Schulbücher im Fach Geschichte. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49, 1998, H. 3, S. 180–186; Karl-Ernst Jeismann: Begutachtung und Zulassung von Schulbüchern. Ein kritischer Brief. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 38, 1987, H. 2, S. 105–107; Lola Klemenz: »Ware Geschichtsbuch«. Wie »Geschichte« in die Schulbücher kommt. In: Praxis Geschichte H. 2/1997, S. 60–62; Herbert Knepper : Scheingegensätze im Dienste interessengeleiteter Rhetorik. Zwei Richtigstellungen zu Joachim Rohlfes. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49, 1998, H. 3, S. 175–179; Uwe Lagatz: Das Schulbuch zwischen Ministerium und Schule. Praxiserfahrungen zum Problem von Zulassung, Auswahl und Einsatz der Schulbücher im Geschichtsunterricht der Gegenwart im Land Sachsen-Anhalt. In: Heinz-Werner Wollersheim/Hans-Martin Moderow/Cathrin Friedrich (Hrsg.): Die Rolle von Schulbüchern für Identifikationsprozesse in historischer Perspektive. Leipzig 2002 (Leipziger Studien zur Erforschung von regionenbezogenen Identifikationsprozessen, Bd. 5), S. 19–23; Herbert Prokasky : Wie frei können und dürfen Schulbücher sein? In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 43, 1992, H. 4, S. 231–234; Joachim Rohlfes: Die staatliche Prüfung und Zulassung von Schulbüchern, ein notwendiges Ärgernis? Unfrisierte Gedanken eines Schulbuchverfassers. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 33, 1982, H. 10, S. 599– 608; Joachim Rohlfes: Politische und didaktische Tugendwächter. Warum unsere Schulbuch-Gutachter mehr Zurückhaltung üben sollten. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49, 1998, H. 3, S. 157–164; Joachim Rohlfes: Wie abhängig sind Schulbuchautoren? In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 43, 1992, H. 4, S. 235–237; Christoph Stillemunkes: Die Schulbuchzulassung – Qualitätssicherung und Serviceleistung. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49, 1998, H. 3, S. 165–174; Peter Wendt: Schulbuchzulassung: Verfahrensänderungen oder Verzicht auf Zulassungsverfahren? In: Eckhardt Fuchs/Joachim Kahlert/Uwe Sandfuchs (Hrsg.): Schulbuch konkret. Kontexte – Produktion – Unterricht. Bad Heilbrunn 2010, S. 83–96. 174 Fünf Bundesländer (Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland und Schleswig-Holstein) haben ihr Zulassungsverfahren für Schulbücher mittlerweile eingestellt. Hier gelten Lehrwerke als genehmigt, wenn sie in einem anderen Bundesland zugelassen sind. Trotz dieser sich gegenwärtig abzeichnenden Tendenz einer Lockerung der Zulassungs-

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mehr oder minder rigorosen staatlichen Genehmigungsverfahren gezwungen, ihre Lehrwerke in enger Anlehnung an die bildungspolitischen Vorgaben der jeweils gültigen Lehrpläne zu konzipieren.175 Allerdings spielen natürlich auch ökonomische Erwägungen eine zentrale Rolle für die möglichst genaue Umsetzung von Lehrplanvorgaben: Wenn Verlage wollen, dass Schulen ihre Bücher kaufen, müssen sie zwangsläufig die Bedürfnisse ihrer Klientel im Blick haben. Neben der Zufriedenstellung der ministeriell eingesetzten Gutachterinnen und Gutachter sind also insbesondere auch die Wünsche der Lehrenden zu befriedigen. Die in der Schule Unterrichtenden sind, davon war bereits die Rede, verständlicherweise nicht nur daran interessiert, dass ein Lehrwerk den aktuellen fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Forschungsstand widerspiegelt, sondern auch die lehrplanrelevanten Themenkomplexe so gut wie möglich umsetzt. Man wird wohl annehmen dürfen, dass Lehrkräfte bzw. Fachkonferenzen ein Schulbuch vornehmlich unter dem Aspekt auswählen, wie gut sie damit lehren können.176 Joachim Rohlfes fasst aus der Perspektive des erfahrenen Geschichtsschulbuchautors und -herausgebers die vielfältigen Zwänge, die es bei der Konzeption, Planung und Realisierung von Lehrwerken zu berücksichtigen gilt, wie folgt zusammen: »Bei der Abfassung eines Schulbuches will eine Mehrzahl von Gesichtspunkten beachtet sein, die miteinander nicht immer aufs beste harmonieren: Die Fachwissenschaft verlangt Vollständigkeit und Exaktheit, die Ökonomie des Lerners Kürze und Vereinfachung; der Themenkatalog der verbindlichen Richtlinien entspricht nur selten dem, was die Fachhistoriker für unabdingbar halten; dem Autor schwebt ein umfangreiches, glänzend ausgestattetes Buch vor, der Verleger darf einen gewissen Preis nicht überschreiten; Herausgeber und Verfasser denken an ein grundstürzend neues Konzept, die Verlagsredakteure an die traditionell denkenden Abnehmer. Die Entste-

verfahren ist ein gänzlicher Wegfall der staatlichen Kontrollinstanzen in naher Zukunft wohl nicht zu erwarten. 175 Vgl. Werner Wiater : Lehrplan und Schulbuch – Reflexionen über zwei Instrumente des Staates zur Steuerung des Bildungswesens. In: Eva Matthes/Carsten Heinze (Hrsg.): Das Schulbuch zwischen Lehrplan und Unterrichtspraxis. Bad Heilbrunn/Obb. 2005, S. 41–63. Vgl. zu Lehrplänen grundlegend Klaus Fröhlich: Richtlinien, Lehrpläne. In: Klaus Bergmann u. a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. Seelze-Velber 5., überarb. Aufl. 1997, S. 510–520; Joachim Rohlfes: Lehrpläne/Richtlinien/Curricula (Stichworte zur Geschichtsdidaktik). In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 48, 1997, H. 9, S. 555–562; Bernd Schönemann: Lehrpläne, Richtlinien, Bildungsstandards. In: Hilke Günther-Arndt/ Meik Zülsdorf-Kersting (Hrsg.): Geschichts-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 6., überarb. Neuaufl. 2014, S. 50–66. 176 Vgl. allgemein zu den Erwartungen von Lehrkräften an Schulbücher Eckhardt Fuchs/Inga Niehaus/Almut Stoletzki: Das Schulbuch in der Forschung. Analysen und Empfehlungen für die Bildungspraxis. Göttingen 2014 (Eckert. Expertise, Bd. 4), S. 87–102.

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Theoretischer Rahmen

hung eines Schulbuchs ist von hundert Kompromissen begleitet, und die Schulbuchanalyse hat die Pflicht, solche Zwänge nicht zu ignorieren.«177

Als Medien der Geschichtskultur unterliegen Schulgeschichtsbücher wiederum selbst dem stets im Wandel befindlichen Geschichtsbewusstsein der Gesellschaft. Sie geben, so die weithin geteilte Auffassung in der Forschung, anschaulich darüber Aufschluss, was zu einem bestimmten Zeitpunkt als gesamtgesellschaftlich tradierenswert gilt. Oder moderner formuliert: Geschichtslehrwerke enthalten allgemein anerkanntes, grundsätzlich konsensfähiges Wissen, das vom kommunikativen Gedächtnis in das kulturelle Gedächtnis der Gesellschaft überführt und dort (dauerhaft) eingeschrieben werden soll.178 Wolfgang Jacobmeyers Formel von den Geschichtsschulbüchern als »nationale[n] Autobiographien«179 ist dafür seit

177 Rohlfes: Geschichte und ihre Didaktik, S. 319. Vgl. zu den vielfältigen Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen, die im Prozess der Schulbuchproduktion und -distribution eine Rolle spielen, auch Heike Hessenauer : Die Produktion von Schulbüchern – Zwischen rechtlichen Vorgaben und unternehmerischem Kalkül. In: Saskia Handro/Bernd Schönemann (Hrsg.): Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung. Berlin 2006 (Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Bd. 16), S. 265–282. 178 Die Unterscheidung zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis geht auf den Ägyptologen Jan Assmann zurück, der – unter maßgeblicher Beteiligung seiner Frau, der Anglistin Aleida Assmann – die Theorie des kollektiven Gedächtnisses von Maurice Halbwachs weiterentwickelte. Das wichtigste Merkmal des kommunikativen Gedächtnisses, der mündlichen Weitergabe von gelebter Erinnerung, sei der beschränkte Zeithorizont, der drei bis maximal vier Generationen bzw. 80 bis höchstens 100 Jahre umfasse. Das kulturelle Gedächtnis wiederum bezeichne diejenigen Erinnerungen, die über die persönlichen Erfahrungen der Zeitzeugen hinaus mittels verschiedener Überlieferungsrituale, Traditionen und medialer Fixierungen dauerhaft bewahrt werden sollen. Die mittlerweile klassische Definition hat Jan Assmann in einem 1988 erschienenen Aufsatz angeboten: »Unter dem Begriff kulturelles Gedächtnis fassen wir den jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und -Riten zusammen, in deren ›Pflege‹ sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewußtsein von Einheit und Eigenart stützt.« (Jan Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Ders./Tonio Hölscher (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt am Main 1988, S. 9–19, hier S. 15). Das Ehepaar Assmann hat seine Gedächtnistheorie mehrfach skizziert. Vgl. Aleida Assmann/Jan Assmann: Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis. In: Klaus Merten/Siegfried J. Schmidt/Siegfried Weischenberg (Hrsg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen 1994, S, 114–140; Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 1999, S. 408–413; Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992, S. 48–86; Jan Assmann: Erinnern, um dazuzugehören. Kulturelles Gedächtnis, Zugehörigkeitsstruktur und normative Vergangenheit. In: Kristin Platt/Mihran Dabag (Hrsg.): Generation und Gedächtnis. Erinnerungen und kollektive Identitäten. Opladen 1995, S. 51–75. 179 Wolfgang Jacobmeyer : Konditionierung des Geschichtsbewusstseins. Schulgeschichtsbücher als nationale Autobiographien. In: Gruppendynamik 23, 1992, H. 4, S. 375–388.

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langem zu einem geflügelten Wort geworden, das von verschiedenen Forscherinnen und Forschern immer wieder aufgegriffen wird. Josef Thonhauser bezeichnet Schulbücher als »Zeitdokumente geschichtlichen Bewußtseins«180 und »Medien politischer Auseinandersetzungen«181. Für Peter Gautschi stellt die Entwicklung eines neuen Geschichtsschulbuches stets ein »Politikum« dar, weil »eine einmal vorliegende Publikation zur gemeinsamen Sinnstiftung einer Gesellschaft«182 beitrage. Luigi Cajani spricht von einem »historiographischen Sensus communis«183, der sich im Schulbuch niederschlage. Joachim Rohlfes ist davon überzeugt, dass Lehrwerke »ein Spiegel für die politische und historische Kultur einer Zeit«184 seien. Bodo von Borries zufolge »spiegeln die Schulbücher in mustergültiger Klarheit die staatlich-gesellschaftlich erwünschte Version der Vergangenheit«185. Simone Lässig bezeichnet das Schulbuch als eine »Art Seismograph für das jeweils auf gesellschaftlichem common sense beruhende hegemoniale Wissen«186. In dem bereits zitierten Aufsatz von Susanne Popp heißt es: »Indem die Lehrwerke obligatorisch an staatliche Vorgaben gebunden sind und somit offizielle, staatspolitisch verantwortete Konzepte für die Darstellung und Medialisierung von Nationalsozialismus, Weltkrieg und Holocaust repräsentieren, dokumentieren sie den sich verändernden diskursiven Rahmen politischer und pädagogischer Konsenspositionen.«187 Holger Thünemann vertritt gar den Standpunkt, dass gerade Geschichtslehrwerke zur Zeitgeschichte »manchmal weniger Medien zur Anbahnung zeitgeschichtlicher Reflexionsprozesse als vielmehr Spiegelungen des Zeitgeistes«188 seien. 180 Josef Thonhauser : Was Schulbücher (nicht) lehren. Schulbuchforschung unter erziehungswissenschaftlichem Aspekt (Am Beispiel Österreichs). In: K. Peter Fritzsche (Hrsg.): Schulbücher auf dem Prüfstand. Perspektiven der Schulbuchforschung und Schulbuchbeurteilung in Europa. Frankfurt am Main 1992 (Studien zur internationalen Schulbuchforschung, Bd. 75), S. 55–78, hier S. 56. 181 Ebd. 182 Peter Gautschi: Geschichtslehrmittel: Wie sie entwickelt werden und was von ihnen erwartet wird. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 5 (2006), S. 178–197, hier S. 190. 183 Luigi Cajani: Vergangenheit und Zukunft oder Das Geschichtsbuch und das obskure Objekt der Begierde. In: K. Peter Fritzsche (Hrsg.): Schulbücher auf dem Prüfstand. Perspektiven der Schulbuchforschung und Schulbuchbeurteilung in Europa. Frankfurt am Main 1992 (Studien zur internationalen Schulbuchforschung, Bd. 75), S. 163–172, hier S. 164. 184 Rohlfes: Geschichte und ihre Didaktik, S. 318. 185 Bodo von Borries: Geschichtslernen und Geschichtsbewußtsein. Empirische Erkundungen zu Erwerb und Gebrauch von Historie. Stuttgart 1988, S. 44. 186 Simone Lässig: Wer definiert relevantes Wissen? Schulbücher und ihr gesellschaftlicher Kontext. In: Eckhardt Fuchs/Joachim Kahlert/Uwe Sandfuchs (Hrsg.): Schulbuch konkret. Kontexte – Produktion – Unterricht. Bad Heilbrunn 2010, S. 199–215, hier S. 207. 187 Susanne Popp: Nationalsozialismus und Holocaust im Schulbuch, S. 98. 188 Holger Thünemann: Zeitgeschichte im Schulbuch. Normative Überlegungen, empirische Befunde und pragmatische Konsequenzen. In: Susanne Popp u. a. (Hrsg.): Zeitgeschichte –

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Theoretischer Rahmen

Neben der Bedeutung des Mediums als geschichtskulturelles Format, in dem sich – wenngleich durch unterschiedliche Faktoren gebrochen – gleichsam ein historischer Zeitgeist widerspiegelt, ist noch auf einen weiteren Aspekt zu verweisen. Nach Barbara Christophe können Lehrwerke ebenso als »Palimpsest« gelesen werden, weil sie immer in einer seriellen Reihe stehen bzw. immer Vorläufer haben. Mit der Metapher vom Palimpsest richtet sich der Blick auf die Bruchstellen und Widersprüche in Schulbuchnarrationen, auf die aus verschiedenen Zeiten stammenden Deutungsebenen, die unter Umständen in ein und demselben Buch nebeneinanderstehen und miteinander konkurrieren. Obwohl Lehrwerke »in der Regel auf neue curriculare Vorgaben, oft auf ein verändertes gesellschaftliches Selbstverständnis reagieren, finden sich in ihnen doch erstaunlich wiederholt noch ältere Traditionsbestände«189. Geschichtsschulbücher sind deshalb, so Felicitas Macgilchrist und Marcus Otto, »nicht nur Vehikel der Kanonisierung historischen Wissens, sondern auch Medien, die die Brüche und Ambivalenzen in (historischen) Wissensformen aufzeigen können«190. Resümierend ist festzuhalten: Das Schulbuch ist aufgrund seines großen Verbreitungsgrades im Geschichtsunterricht und seiner Rolle als Träger der für eine Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt als konstitutiv geltenden »Geschichten«, die an die nachfolgenden Generationen weitergereicht werden sollen, in gleichem Maße »Produkt- und Lieferant deutscher Erinnerungs- und Geschichtskultur«191. Lehrwerke eröffnen somit aufschlussreiche Perspektiven auf Kontinuität und Wandel des Umgangs mit der Vergangenheit. An ihrem heuristischen Wert besteht kein Zweifel.

Medien – Historische Bildung. Göttingen 2010 (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Bd. 2), S. 117–132, hier S. 130. 189 Barbara Christophe: Kulturwissenschaftliche Schulbuchforschung – Trends, Ergebnisse und Potentiale. In: Christoph Kühberger/Philipp Mittnik (Hrsg.): Empirische Geschichtsschulbuchforschung in Österreich. Innsbruck 2015 (Österreichische Beiträge zur Geschichtsdidaktik. Geschichte – Sozialkunde – Politische Bildung, Bd. 10), S. 43–56, hier S. 51. 190 Felicitas Macgilchrist/Marcus Otto: Schulbücher für den Geschichtsunterricht. Version 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 18. 02. 2014 (http://docupedia.de/zg/Schulbuecher, aufgerufen am 10. 10. 2017). 191 Christian Heuer : Geschichtskultur und Schulgeschichtsbuch – Konsequenzen, Möglichkeiten, Potentiale. In: Saskia Handro/Bernd Schönemann (Hrsg.): Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung. Berlin 2006 (Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Bd. 16), S. 53–66, hier S. 64.

III.

Untersuchungsdesign

Das nachfolgende Kapitel dient der Erläuterung des Untersuchungsdesigns der Studie.192 Zunächst wird die Bildung des Samples begründet und danach die Stichprobe der ausgewählten Schulbücher beschrieben. Im Anschluss werden verschiedene Methoden der Schulbuchanalyse mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen vorgestellt. Darauf folgt die systematische Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes, indem sowohl über die erhobenen inhaltlichen Analysekategorien als auch über die im Fokus der Analyse stehenden Bestandteile der Geschichtsschulbücher informiert wird. Ein daran anschließender Abschnitt erläutert in gebündelter Form das methodische Vorgehen. Das Kapitel schließt mit einigen notwendigen (und häufig in Vergessenheit geratenen) Bemerkungen zur Schulbuchanalyse.

1.

Samplebildung

Die Studie untersucht die Entwicklung des bundesrepublikanischen Schulbuchdiskurses über Nationalsozialismus, Holocaust und Vernichtungskrieg seit den 1980er Jahren. Dazu wurde eine repräsentative Stichprobe ausgewählter Schulgeschichtsbücher analysiert, die als kombinierte Lehr- und Arbeitsbücher mit Orientierung am Quellenparadigma und den geschichtsdidaktischen Leitlinien der Personifizierung und Multiperspektivität beschrieben werden können.

192 Das Design der Studie ist angelehnt an Ausführungen zu methodischen Standards wissenschaftlicher Schulbuchanalyse, die der Verfasser in einem Grundsatzartikel von 2014 erstmals vorgestellt hat. Vgl. Etienne Schinkel: Schulbuchanalyse (Stichworte zur Geschichtsdidaktik). In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 65, 2014, H. 7/8, S. 482– 497.

72 1.1.

Untersuchungsdesign

Auswahl der Schulbücher

Als empirische Grundlage dient ein – im Hinblick auf Verlage – repräsentatives Sample von 50 Geschichtsschulbüchern. Die Untersuchung richtet sich dabei auf Lehrwerke für das Gymnasium, weil bei dieser Schulform von einer größtmöglichen Differenziertheit in der Darstellung ausgegangen werden kann. Berücksichtigung finden sowohl Schulbücher für die Sekundarstufe I als auch für die Sekundarstufe II. Während die Bücher der Mittelstufe in der Regel in Jahrgangsbänden lehrplanorientiert den »chronologischen Durchgang« behandeln, liegen für die Oberstufe zwei Arten von Lehrwerken vor : zum einen die Themenund Kurshefte, zum anderen Bücher, die den gesamten Lehrstoff des Geschichtsunterrichts abdecken.193 Zur Auswahl der Geschichtsschulbücher : Es ist im Allgemeinen nicht einfach herauszufinden, welche Lehrwerke die am weitesten verbreiteten sind. Da über Auflagenhöhe und Verbreitung von Unterrichtswerken wenig bekannt ist, kann bei der Schulbuchauswahl nur vom allgemeinen Renommee der Verlage ausgegangen werden. Für den Untersuchungszeitraum der Studie gehören zu den wichtigsten Schulbuchverlagen für das Fach Geschichte C.C. Buchner, Cornelsen, Klett und Westermann, darüber hinaus Schöningh, Schroedel, Diesterweg, Hirschgraben und BSV/Oldenbourg.194 Die »richtige« Auswahl wird zusätzlich dadurch erschwert, dass im Gegensatz zu anderen Ländern, die über einen nationalen Schulbuchmarkt verfügen195, in der Bundesrepublik aufgrund der Kulturhoheit der Bundesländer sechzehn (bis zur Wiedervereinigung 1990 elf) regionale Teilmärkte für Schulbücher existieren. Wenngleich die thematischen Vorgaben gerade in den neueren Kerncurricula meist offener gestaltet sind und für Schulbuchautorinnen und -autoren somit diverse Freiräume entstehen, sind die von den verschiedenen Kultusministerien aufgestellten Richtlinien häufig so unterschiedlich, dass keine bun193 Vgl. Hilke Günther-Arndt: Schulbuch. In: Ulrich Mayer u. a. (Hrsg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik. Schwalbach/Ts. 3. Aufl. 2014, S. 172–173. 194 Hirschgraben und Oldenbourg (mit seinem Tochterverlag Bayerischer Schulbuch-Verlag) sind im Laufe der Zeit von Cornelsen übernommen worden. Diesterweg, Schöningh und Schroedel gehören mittlerweile zur Westermann Gruppe, in der die jeweiligen Verlagsnamen und Produkte als Imprints geführt werden. 195 Frankreich beispielsweise verfügt über ein zentralistisches Bildungssystem. Das in Paris ansässige MinistHre de l’Pducation nationale gibt die Unterrichtsinhalte vor, die in den Lehrplänen festgelegt werden und für das gesamte Staatsgebiet verbindlich sind. Mit einem Geschichtsschulbuch, das z. B. in der Region Nord-Pas-de-Calais eingesetzt wird, kann dementsprechend auch in der Region Provence-Alpes-Cite d’Azur gearbeitet werden. Vgl. zum französischen Bildungssystem ausführlich Hans J. Tümmers: Das politische System Frankreichs. Eine Einführung. München 2006, S. 180–197. Vgl. zum Fach Geschichte im französischen Schulwesen ferner Hans-Joachim Cornelißen: Geschichtsunterricht in Frankreich. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 68, 2017, H. 3/4, S. 141–153.

Samplebildung

73

desweite Schulbuchproduktion möglich ist.196 Aus diesem Grund sind die Verlage gezwungen, Länderausgaben zu entwickeln.197 Bei genauerer Betrachtung fällt indes auf, dass die Vielfalt von Länderausgaben mehr vortäuscht, als sie tatsächlich darstellt. Nicht selten weichen die einzelnen Ausgaben nur marginal – z. B. im Hinblick auf regional- oder lokalgeschichtliche Schwerpunktsetzungen – voneinander ab. Das hat vor allem zwei Gründe: Zum einen bildet häufig eine Ausgabe, die in einem oder mehreren Bundesländern zugelassen ist, die sogenannte Stammausgabe, von der wiederum Varianten für andere Länder entwickelt werden. Zum anderen, darauf hat Gisela Teistler bereits im Jahr 2000 hingewiesen, werden »innerhalb eines Verlages häufig dieselben oder kaum veränderte Texte derselben Autoren bzw. Teile gleicher Autorenteams in unterschiedlichen Schulbuchausgaben abgedruckt«198. Die Auswahl erfolgt daher aus forschungspragmatischen Gründen so, dass im Regelfall die von mehreren Bundesländern genehmigte Stammausgabe oder die niedersächsische Länderausgabe, die in einigen Fällen gleichzeitig auch die Stammausgabe bildet, in das Sample aufgenommen wird. Bei den meisten der für den Geschichtsunterricht der Sekundarstufe II konzipierten Themen- bzw. Kursheften handelt es sich ohnehin um Ausgaben, die pauschal zugelassen sind und in allen Bundesländern genutzt werden können. Gewissermaßen als Sonderform im Sample zu betrachten ist dabei das im Klett Verlag bzw. in den Pditions Nathan vorliegende bilaterale Lehrwerk »Histoire/Geschichte«, mit dem sowohl im Geschichtsunterricht der gymnasialen Oberstufe in der Bundesrepublik als auch auf dem Lyc8e in Frankreich gearbeitet werden kann.199 196 Vgl. zur Differenziertheit der regionalen Marktsegmente in der Bundesrepublik ausführlich Andreas Baer : Der Schulbuchmarkt. In: Eckhardt Fuchs/Joachim Kahlert/Uwe Sandfuchs (Hrsg.): Schulbuch konkret. Kontexte – Produktion – Unterricht. Bad Heilbrunn 2010, S. 68–82. 197 Vgl. Martin Bredol: Regionalisierung – Zauberformel oder Fluch? Die Entwicklung von Geschichtslehrwerken aus der Sicht eines Schulbuchverlages. In: Geschichte lernen H. 28 (1992), S. 4–7. 198 Gisela Teistler : Die Schulbuchsammlung des Georg-Eckert-Instituts als Basis der Schulbuchforschung. In: Ursula A. J. Becher/Rainer Riemenschneider (Hrsg.): Internationale Verständigung. 25 Jahre Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig. Hannover 2000 (Studien zur internationalen Schulbuchforschung, Bd. 100), S. 349–361, hier S. 352. 199 Vgl. zur Bewertung dieses beziehungsgeschichtlich akzentuierten Schulbuches Christine Gundermann: Zwischen Versöhnung und Verflechtung. Überlegungen zum grenzüberschreitenden Schulbuch. In: Michele Barricelli/Axel Becker/Christina Heuer (Hrsg.): Jede Gegenwart hat ihre Gründe. Geschichtsbewusstsein, historische Lebenswelt und Zukunftserwartung im frühen 21. Jahrhundert. Hans-Jürgen Pandel zum 70. Geburtstag. Schwalbach/Ts. 2011, S. 177–191; Bärbel Kuhn: Frankreich und Deutschland in Europa und der Welt. Anmerkungen zum gemeinsamen deutschen und französischen Geschichtsbuch. In: Geschichte lernen H. 116 (2007), S. 61–62; Joachim Rohlfes: Doppelte Perspektiven. Ein deutsch-französisches Geschichtsbuch. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 58,

74

Untersuchungsdesign

Um das Untersuchungssample zu strukturieren, untergliedert sich die als Längsschnitt angelegte Analyse in vier Querschnitte. Diese resultieren aus den verschiedenen Lehrwerksgenerationen, die sich für den Untersuchungszeitraum ausmachen ließen.200 Dabei wurde auf eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Verlage über die vier Lehrwerksgenerationen geachtet. Die folgende Übersicht listet gemäß der Untergliederung in vier Generationen die ausgewählten Schulbücher auf. Angegeben sind die Titel der Lehrwerke, in Klammern stehen immer Verlag und Erscheinungsjahr. In den Fußnoten werden die vollständigen bibliographischen Angaben ausgewiesen.

Generation I Sekundarstufe I: 1. Zeitaufnahme (Westermann, 1981)201 2. Geschichte (List/Oldenbourg, 1982)202 3. Unser Weg in die Gegenwart (C.C. Buchner, 1984)203 4. Zeiten und Menschen (Schöningh/Schroedel 1985)204 5. Geschichte und Geschehen (Klett, 1988)205 6. Geschichtsbuch (Cornelsen/Hirschgraben, 1988)206 7. Unsere Geschichte (Diesterweg, 1988)207 8. bsv Geschichte (Bayerischer Schulbuch-Verlag, 1988)208

200

201 202 203 204 205 206 207 208

2007, H. 1, S. 53–57. Vgl. zur Entstehung des Buches Florent Claret: Die Geschichtsschulbücher in den deutsch-französischen Beziehungen. Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Geschichtsbuch für beide Länder. Blieskastel 2006. Unter einer Lehrwerksgeneration wird der Zeitraum verstanden, in der ein Buch vom Verlag vertrieben wird, bis es zur Ablösung durch eine geänderte bzw. grundlegend überarbeitete Auflage oder eine Neukonzeption bzw. Neuerarbeitung des Buches (nicht Nachdruck bzw. Neuauflage eines bereits gedruckten Werkes) kommt. Siegfried Graßmann (Hrsg.): Zeitaufnahme. Geschichte für die Sekundarstufe I. Bd. 3: Vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg. Braunschweig: Westermann 1981. Bernhard Heinloth (Hrsg.): Geschichte 4. Ausgabe B. München: List/Oldenbourg 1982. Harro Brack/Günter Grünke (Bearb.): Unser Weg in die Gegenwart. Für das 10. Schuljahr der Gymnasien. Bd. 4: Neueste Zeit. Bamberg: C.C. Buchner 1984. Erich Goerlitz/Joachim Immisch (Hrsg.): Zeiten und Menschen. Neue Ausgabe B. Niedersachen. Bd. 4: Zeitgeschichte. Von der Oktoberrevolution bis zur Gegenwart. Paderborn/ Hannover : Schöningh/Schroedel 1985. Hanns-W. Ballhausen u. a.: Geschichte und Geschehen 10. Ausgabe N. Gymnasium. Stuttgart: Klett 1988. Peter Hüttenberger/Bernd Mütter (Hrsg.): Geschichtsbuch. Die Menschen und ihre Geschichte in Darstellungen und Dokumenten. Allgemeine Ausgabe. Bd. 4: Von 1917 bis heute. Berlin: Cornelsen/Hirschgraben 1988. Wolfgang Hug (Hrsg.): Unsere Geschichte. Bd. 4: Von der Oktoberrevolution bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main: Diesterweg 1988. Karl-Heinz Zuber/Hans Holzbauer (Hrsg.): bsv Geschichte. Bd. 4: Vom Zeitalter des Imperialismus bis zur Gegenwart. München: Bayerischer Schulbuch-Verlag 1988.

Samplebildung

75

Sekundarstufe II: 9. Buchners Kolleg Geschichte (C.C. Buchner, 1986)209 10. Geschichte, Politik und Gesellschaft (Cornelsen/Hirschgraben, 1988)210 11. Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II (Schöningh, 1989)211 12. Historisch-Politische Weltkunde (Klett, 1990)212 Generation II Sekundarstufe I: 1. Oldenbourg Geschichte für Gymnasien (Oldenbourg, 1994)213 2. Unser Weg in die Gegenwart – Neu (C.C. Buchner, 1995)214 3. Rückspiegel (Schöningh, 1996)215 4. Anno (Westermann, 1997)216 5. Geschichtsbuch – Neue Ausgabe (Cornelsen, 1997)217 6. bsv Geschichte (Bayerischer Schulbuch-Verlag, 1997)218 7. Geschichte und Geschehen (Klett, 1999)219

209 Bernhard Pfändtner/Reiner Schell: Buchners Kolleg Geschichte. Weimarer Republik – Nationalsozialismus. Bamberg: C.C. Buchner 1986. 210 Wolfgang W. Mickel (Hrsg.): Geschichte, Politik und Gesellschaft. Lern- und Arbeitsbuch für Geschichte in der gymnasialen Oberstufe. Bd. 1: Von der Französischen Revolution bis zum Ende des 2. Weltkrieges. Frankfurt am Main: Cornelsen/Hirschgraben 1988. 211 Herbert Prokasky/Martin Tabaczek (Hrsg.): Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II. Bd. 4: Weimarer Republik und nationalsozialistische Herrschaft. Deutschland zwischen Demokratie und Diktatur. Paderborn: Schöningh 1989. 212 Hans-Jürgen Pandel/Joachim Rohlfes (Hrsg.): Historisch-Politische Weltkunde. Kursmaterialien Geschichte Sekundarstufe II/Kollegstufe. Weimarer Republik und Nationalsozialismus. Demokratie und Diktatur in Deutschland 1918–1945. Stuttgart: Klett 1990. 213 Bernhard Heinloth (Hrsg.): Oldenbourg Geschichte für Gymnasien 9. München: Oldenbourg 1994. 214 Gerhard Bartl u. a. (Bearb.): Unser Weg in die Gegenwart – Neu. Für das 9. Schuljahr der Gymnasien. Bd. 4: Das Deutsche Reich bis 1945. Bamberg: C.C. Buchner 1995. 215 Hans-Jürgen Lendzian/Rolf Schörken (Hrsg.): Rückspiegel. Woher wir kommen – wer wir sind. Bd. 4: Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Paderborn: Schöningh 1996. 216 Bernhard Askani/Elmar Wagener (Hrsg.): Anno. Bd. 4: Das 20. Jahrhundert. Braunschweig: Westermann 1997. 217 Bernd Mütter/Falk Pingel/Norbert Zwölfer (Hrsg.): Geschichtsbuch – Neue Ausgabe. Die Menschen und ihre Geschichte in Darstellungen und Dokumenten. Bd. 4: Von 1918 bis heute. Berlin: Cornelsen 1997. 218 Karl-Heinz Zuber/Joachim Cornelissen (Hrsg.): bsv Geschichte. Ausgabe GN. Bd. 4: Das 20. Jahrhundert. München/Düsseldorf/Stuttgart: Bayerischer Schulbuch-Verlag 1997. 219 Klaus Bergmann u. a.: Geschichte und Geschehen. Geschichtliches Unterrichtswerk für die Sekundarstufe I. Niedersachsen. Bd. 4. Leipzig: Klett 1999.

76

Untersuchungsdesign

8. Wir machen Geschichte (Diesterweg, 1999)220 9. Historia (Schöningh, 1999)221 Sekundarstufe II: 10. Geschichte und Geschehen Oberstufe (Klett, 1995)222 11. Geschichte Sekundarstufe II (Schroedel, 1996)223 12. Epochen und Strukturen (Diesterweg, 1996)224 13. Geschichtsbuch Oberstufe (Cornelsen, 1996)225 Generation III Sekundarstufe I: 1. Zeit für Geschichte (Schroedel, 2002)226 2. Das waren Zeiten (C.C. Buchner, 2002)227 3. Zeiten und Menschen (Schöningh, 2002)228 4. Expedition Geschichte (Diesterweg, 2003)229

220 Ernst Hinrichs/Bernhard Müller/Jutta Stehling (Hrsg.): Wir machen Geschichte. Gymnasium. Bd. 3: Von der Industrialisierung bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main: Diesterweg 1999. 221 Bernhard Müller u. a. (Hrsg.): Historia. Geschichtsbuch für Gymnasien. Bd. 4: Das 20. Jahrhundert. Paderborn: Schöningh 1999. 222 Ludwig Bernlochner (Hrsg.): Geschichte und Geschehen Oberstufe. Ausgabe A/B. Bd. 2. Stuttgart: Klett 1995. 223 Anton Enger u. a.: Geschichte Sekundarstufe II. Deutschland im Umbruch. Geschichte Deutschlands 1933–1990. Hannover: Schroedel 1996. 224 Imanuel Geiss/Rolf Ballof/Renate Fricke-Finkelnburg (Hrsg.): Epochen und Strukturen. Grundzüge einer Universalgeschichte für die Oberstufe. Bd. 2: Vom Absolutismus bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main: Diesterweg 1996. 225 Hilke Günther-Arndt/Dirk Hoffmann/Norbert Zwölfer (Hrsg.): Geschichtsbuch Oberstufe. Bd. 2: Das 20. Jahrhundert. Mit Methodenarbeitsteilen und Anregungen für thematische Längsschnitte. Berlin: Cornelsen 1996. 226 Dorothea Beck u. a.: Zeit für Geschichte. Geschichtliches Unterrichtswerk für Gymnasien. Ausgabe A. Bd. 4. Hannover: Schroedel 2002. 227 Dieter Brückner (Hrsg.): Das waren Zeiten. Unterrichtswerk für Geschichte an Gymnasien. Sekundarstufe I. Ausgabe B. Bd. 4: Das 20. Jahrhundert. Bamberg: C.C. Buchner 2002. 228 Hans-Jürgen Lendzian/Wolfgang Mattes (Hrsg.): Zeiten und Menschen. Geschichtswerk für das Gymnasium – Stammausgabe. Bd. 4. Paderborn: Schöningh 2002. 229 Florian Osburg/Dagmar Klose (Hrsg.): Expedition Geschichte. Ausgabe für Gymnasien und Gesamtschulen. Bd. 3: Von der Entstehung des Deutschen Kaiserreiches bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Frankfurt am Main: Diesterweg 2003.

Samplebildung

77

5. Forum Geschichte (Cornelsen, 2003)230 6. Geschichte und Geschehen (Klett, 2005)231 Sekundarstufe II: 7. Kursbuch Geschichte (Cornelsen, 2000)232 8. Buchners Kolleg. Themen Geschichte (C.C. Buchner, 2000)233 9. Kurshefte Geschichte (Cornelsen, 2000)234 10. Horizonte – Geschichte für die Oberstufe (Westermann, 2003)235 11. Geschichte und Geschehen Oberstufe (Klett, 2006)236 12. Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe (Schöningh, 2006)237

Generation IV Sekundarstufe I: 1. Horizonte (Westermann, 2009)238 2. Zeiten und Menschen (Schöningh, 2009)239 3. Das waren Zeiten (C.C. Buchner, 2010)240 230 Hans-Otto Regenhardt/Claudia Tatsch (Hrsg.): Forum Geschichte. Allgemeine Ausgabe für Gymnasien. Bd. 4: Vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Gegenwart. Berlin: Cornelsen 2003. 231 Daniela Bender u. a.: Geschichte und Geschehen. Sekundarstufe I. Bd. 4. Ausgabe A für Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen. Leipzig: Klett 2005. 232 Rudolf Berg u. a.: Kursbuch Geschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart. Allgemeine Ausgabe. Berlin: Cornelsen 2000. 233 Bernhard Pfändtner/Reiner Schell (unter Mitarbeit von Harald Focke): Buchners Kolleg. Themen Geschichte. Weimarer Republik und NS-Staat. Bamberg: C.C. Buchner 2000. 234 Jürgen Stillig/Wolfgang Wippermann: Kurshefte Geschichte. Der Nationalsozialismus. Die Zeit der NS-Herrschaft und ihre Bedeutung für die deutsche Geschichte. Berlin: Cornelsen 2000. 235 Frank Bahr (Hrsg.): Horizonte – Geschichte für die Oberstufe. Bd. 2: Von der Französischen Revolution bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Braunschweig: Westermann 2003. 236 Daniela Bender u. a.: Geschichte und Geschehen Oberstufe. Neuzeit. Ausgabe für Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein. Leipzig: Klett 2006. 237 Hans-Jürgen Lendzian (Hrsg.): Zeiten und Menschen. Geschichtswerk für die Oberstufe – Stammausgabe. Bd. 2. Paderborn: Schöningh 2006. 238 Ulrich Baumgärtner/Hans-Jürgen Döscher/Klaus Fieberg (Hrsg.): Horizonte 3. Geschichte Gymnasium Niedersachsen. Schuljahrgänge 9 und 10. Braunschweig: Westermann 2009. 239 Hans-Jürgen Lendzian (Hrsg.): Zeiten und Menschen 3. Geschichtswerk für das Gymnasium. Nordrhein-Westfalen. Paderborn: Schöningh 2009. 240 Dieter Brückner/Harald Focke (Hrsg.): Das waren Zeiten. Neue Ausgabe Niedersachsen. Unterrichtswerk für Geschichte an Gymnasien. Sekundarstufe I. Bd. 4: Deutschland, Europa und die Welt von 1871 bis zur Gegenwart. Bamberg: C.C. Buchner 2010.

78 4. 5. 6. 7.

Untersuchungsdesign

Mosaik (Oldenbourg, 2010)241 Zeit für Geschichte (Schroedel, 2010)242 Forum Geschichte (Cornelsen, 2010)243 Geschichte und Geschehen (Klett, 2011)244

Sekundarstufe II: 8. Histoire/Geschichte (Klett, 2008)245 9. Buchners Kompendium Geschichte (C.C. Buchner, 2008)246 10. Thema Geschichte kompakt (Schroedel, 2008)247 11. Kursbuch Geschichte (Cornelsen, 2009)248 12. Historisch-Politische Weltkunde (Klett, 2010)249 13. Kurshefte Geschichte (Cornelsen, 2012)250

1.2.

Beschreibung der Schulbücher

Alle konsultierten Schulbücher zeichnen sich durch eine (mehr oder minder) klare Trennung von Darstellungs- und Materialteil aus. Sie entsprechen damit dem Typus des kombinierten Lehr- und Arbeitsbuches, der »die Vermittlung grundlegender Informationen durch einen Verfassertext mit einem Angebot zur selbstständigen Erarbeitung durch die Schülerinnen und Schüler verknüpft«251. 241 Joachim Cornelissen u. a. (Hrsg.): Mosaik. Der Geschichte auf der Spur. Ausgabe E zum neuen Lehrplan in Niedersachsen. Bd. 3: Vom Deutschen Kaiserreich bis zur Gegenwart. München: Oldenbourg 2010. 242 Hans Wilhelm Eckardt u. a.: Zeit für Geschichte. Geschichtliches Unterrichtswerk für Gymnasien. Gymnasium Niedersachsen. Bd. 9/10. Braunschweig: Schroedel 2010. 243 Hans-Otto Regenhardt (Hrsg.): Forum Geschichte 9/10. Niedersachsen. Vom Kaiserreich bis zur Gegenwart. Berlin: Cornelsen 2010. 244 Michael Sauer (Hrsg.): Geschichte und Geschehen 6. Ausgabe für Bremen und Niedersachsen. Stuttgart: Klett 2011. 245 Daniel Henri/Guillaume Le Quintrec/Peter Geiss (Hrsg.): Histoire/Geschichte. Deutschfranzösisches Geschichtsbuch. Gymnasiale Oberstufe. Bd. 2: Europa und die Welt vom Wiener Kongress bis 1945. Leipzig: Klett 2008. 246 Maximilian Lanzinner (Hrsg.). Buchners Kompendium Geschichte. Lehr- und Arbeitsbuch für die Oberstufe. Von der Antike bis zur Gegenwart. Bamberg: C.C. Buchner 2008. 247 Ulrich Scholz: Thema Geschichte kompakt. Geschichtliche Reihe für die Sekundarstufe II. Der Nationalsozialismus – Ideologie und Herrschaft. Braunschweig: Schroedel 2008. 248 Karin Laschewski-Müller/Robert Rauh (Hrsg.): Kursbuch Geschichte. Neue allgemeine Ausgabe. Von der Antike bis zur Gegenwart. Berlin: Cornelsen 2009. 249 Joachim Rohlfes/Tobias Arand (Hrsg.): Historisch-Politische Weltkunde. Kursmaterialien Geschichte Oberstufe. Weimarer Republik und Nationalsozialismus. Stuttgart: Klett 2010. 250 Wolfgang Jäger : Kurshefte Geschichte. NS-Herrschaft: »Volksgemeinschaft« und Verbrechen. Berlin: Cornelsen 2012. 251 Michael Sauer: Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik. Seelze 10., erneut akt. u. erw. Aufl. 2012, S. 255.

Samplebildung

79

Dieser moderne Lehrbuchtyp hat sich seit etwa Anfang der 1980er Jahre (mit Vorläufern seit Mitte der 1960er Jahre252) auf dem Schulbuchmarkt durchgesetzt. Er weist durch seinen Anspruch, sowohl Orientierungswissen zu vermitteln253 als auch in der alltäglichen Praxis des Geschichtsunterrichts in gewissem Umfang forschend-entdeckendes Lernen254 zu ermöglichen, einige fundamentale Unterschiede zu älteren Lehrwerken auf.255 Im 18. Jahrhundert, als das Fach Geschichte erstmals an Gymnasien, Gelehrtenschulen und Ritterakademien gelehrt wurde und damit auch die ersten Geschichtsschulbücher auf den Markt kamen, waren es die Katechesen, mittels derer sich die Lernenden historisches Wissen in Form von verdichteten Frageund Antwortsequenzen aneignen mussten. Für das gesamte 19. Jahrhundert bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts war das leitfadenartig organisierte Buch maßgeblich. Dieser Lehrbuchtyp präsentierte Schülerinnen und Schülern historisches Wissen in einer in sich geschlossenen, kaum untergliederten Erzählung samt Merksätzen und Zusammenfassungen, die allenfalls von einigen wenigen Quellenillustrationen flankiert wurde. Mitte der 1970er Jahre schlug dann zunächst das Pendel vom Typ des bleiwüstenartigen Leitfadens zum Typ des reinen Arbeitsbuches aus. Als Musterbeispiel gilt das von Heinz Dieter Schmid erstmals zwischen 1974 und 1978 252 Als Wegbereiter des kombinierten Lehr- und Arbeitsbuches gilt das von Friedrich J. Lucas konzipierte und auf sechs Bände angelegte Unterrichtswerk »Menschen in ihrer Zeit«, das ab 1965 bei Klett erschien. Bei diesem Buch wie auch bei dem von Wolfgang Hug herausgegebenen Lehrwerk »Geschichtliche Weltkunde«, das zunächst in drei Bänden von 1974 bis 1976 bei Diesterweg erhältlich war, offenbaren sich jedoch noch – gerade aus heutiger Sicht – einige gravierende Mängel: So nimmt der Verfassertext gegenüber dem Materialkorpus einen signifikant größeren Raum ein; den vorhandenen Arbeitsmaterialien fällt oft nur eine bloß illustrative Funktion zu; die abgedruckten Quellen schrumpfen nicht selten auf Textschnipsel zusammen. Bernd Schönemann und Holger Thünemann haben die Unterrichtswerke der späten 1960er und 1970er Jahre daher folgerichtig als »Zwischenformen und Übergangserscheinungen« klassifiziert (Schönemann/Thünemann: Schulbucharbeit, S. 71). 253 Vgl. zur geschichtsdidaktischen Diskussion, was »historisches Wissen« überhaupt ist, Peter Gautschi: Wissen – Voraussetzung und Ergebnis von historischem Lernen. In: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften 1 (2010), S. 67–90; Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 60, 2009, H. 11: Orientierungswissen im Geschichtsunterricht; Hilke Günther-Arndt: Historisches Lernen und Wissenserwerb. In: Dies./Meik Zülsdorf-Kersting (Hrsg.): Geschichts-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 6., überarb. Neuaufl. 2014, S. 24–49; Christoph Kühberger (Hrsg.): Historisches Wissen. Geschichtsdidaktische Erkundung zu Art, Tiefe und Umfang für das historische Lernen. Schwalbach/Ts. 2012. 254 Vgl. Gerhard Henke-Bockschatz: Forschend-entdeckendes Lernen. In: Ulrich Mayer/HansJürgen Pandel/Gerhard Schneider (Hrsg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 4. Aufl. 2013, S. 15–29. 255 Vgl. zur Genese und Typologie des Geschichtsschulbuches im Folgenden Schönemann/ Thünemann: Schulbucharbeit, S. 49–80.

80

Untersuchungsdesign

herausgegebene Buch »Fragen an die Geschichte«, das zwar eine Fülle von Materialien enthält, jedoch auf eine zusammenhängende Narration weitgehend verzichtet.256 Dem zeitweilig als zukunftsträchtigste Lehrwerksform angesehenen Arbeitsbuch war jedoch auf Dauer kein Erfolg beschieden. »Fragen an die Geschichte« nahm zusehends die Rolle einer – gewiss sehr nützlichen – Materialsammlung für Lehrkräfte ein. Auf dem Schulbuchmarkt dauerhaft durchsetzen konnte sich dagegen, wie bereits erwähnt, das kombinierte Lehr- und Arbeitsbuch, das gewissermaßen »eine Mittelposition einnimmt zwischen der reinen Erzählung des klassischen Leitfadens und der durchgängigen Nötigung zur historischen (Re-)Konstruktion, wie sie aus dem reinen Arbeitsbuch resultierte«257. Bei den zu untersuchenden Schulbüchern handelt es sich ferner um Kompilationsmedien, in denen sich – jedenfalls dem Anspruch nach – die tiefgreifenden Veränderungen der Geschichtsdidaktik seit Beginn der 1970er Jahre niedergeschlagen haben.258 Im Geschichtsunterricht, so breiter Konsens in der 256 Vgl. Heinz Dieter Schmid (Hrsg.): Fragen an die Geschichte. Geschichtliches Arbeitsbuch für die Sekundarstufe I im gymnasialen Bereich. 4 Bde. Frankfurt am Main: Hirschgraben 1974–1978. Vgl. zum Konzept des Schulbuches Heinz Dieter Schmid: Entdeckendes Lernen im Geschichtsunterricht. In: Hans Süssmuth (Hrsg.): Geschichtsdidaktische Positionen. Bestandsaufnahme und Neuorientierung. Paderborn 1980, S. 283–314 sowie Heinz Dieter Schmid: Das Geschichtsbuch aus der Sicht des Schulbuchautors und Herausgebers. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 34, 1983, H. 9, S. 585–598. 257 Schönemann/Thünemann: Schulbucharbeit, S. 72. 258 Vgl. zur Geschichte der Geschichtsdidaktik Klaus Bergmann/Gerhard Schneider: Geschichte der Geschichtsdidaktik und des Geschichtsunterrichts. In: Klaus Bergmann u. a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. Seelze-Velber 5., überarb. Aufl. 1997, S. 255– 260; Marko Demantowsky : Zum Stand der disziplin- und ideengeschichtlichen Forschung in der Geschichtsdidaktik. In: Michael Wermke (Hrsg.): Transformation und religiöse Erziehung. Kontinuitäten und Brüche der Religionspädagogik 1933 und 1945. Jena 2011 (Arbeiten zur historischen Religionspädagogik, Bd. 9), S. 359–376; Werner Fürnrohr : Von der engen Schulmethodik zur globalen wissenschaftlichen Geschichtsdidaktik. In: Wolfgang Hasberg/Wolfgang E. J. Weber (Hrsg.): Geschichte entdecken. Karl Filser zum 70. Geburtstag. Berlin 2007 (Geschichtsdidaktik in Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 4), S. 167–192; Wolfgang Hasberg/Manfred Seidenfuß (Hrsg.): Modernisierung im Umbruch. Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht nach 1945. Berlin 2008 (Geschichtsdidaktik in Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 6); Wolfgang Hasberg: Unde venis? – Betrachtungen zur Zukunft der Geschichtsdidaktik. In: Tobias Arand/Manfred Seidenfuß (Hrsg.): Neue Wege – neue Themen – neue Methoden? Ein Querschnitt aus der geschichtsdidaktischen Forschung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Göttingen 2014 (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Bd. 7), S. 15–62; Anke John: Disziplin am Scheideweg. Die Konstituierung einer universitären Geschichtsdidaktik in den 1970er-Jahren. In: Michele Barricelli/Axel Becker/Christian Heuer (Hrsg.): Jede Gegenwart hat ihre Gründe. Geschichtsbewusstsein, historische Lebenswelt und Zukunftserwartung im frühen 21. Jahrhundert. Hans-Jürgen Pandel zum 70. Geburtstag. Schwalbach/Ts. 2011, S. 192–213; Horst Kuss: Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht in der Bundesrepublik (1945/49–1990). Eine Bilanz, Teil I. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45, 1994, H. 12, S. 735– 758, Teil II. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 46, 1995, H. 1, S. 3–15; Joachim

Samplebildung

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damaligen didaktisch-methodischen Diskussion, sollte fortan an die Stelle der Vermittlung und Rezeption von Merkwissen zum Auswendiglernen die Quellenarbeit als dominierende Form treten.259 Die didaktischen Intentionen, die mit Quellenarbeit als Kern schulischer Geschichtsvermittlung seither verfolgt werden, fasst Michael Sauer wie folgt zusammen: »Die Schülerinnen und Schüler lernen fachspezifische Voraussetzungen und Methoden der Erkenntnisgewinnung kennen (Unterscheidung von Quelle und Darstellung, Perspektivität von Quellen); werden nicht (oder jedenfalls nicht überwiegend oder gar ausschließlich) mit fertigen Darstellungen der Vergangenheit konfrontiert, sondern zur eigenen Urteilsbildung angeregt; werden allgemein zu Selbsttätigkeit und eigenem Denken ermuntert; erleben die Vergangenheit anschaulich und konkret aus erster Hand.«260

Ähnlich formuliert Dietmar von Reeken: »Die Arbeit mit Quellen lässt die Schüler erkennen und nachvollziehen, woher das Wissen über die Vergangenheit überhaupt stammt; liefert ihnen in einem Fach, das keinen unmittelbaren Zugang zu seinem Gegenstand erlaubt, noch die dichteste Annäherung an ihn; erlaubt ihnen die Rekonstruktion der Wahrnehmung der Zeitgenossen, die (anders als wir) noch nicht wussten, was nachher kam; ermöglicht ihnen eine direkte Konfrontation mit der Andersartigkeit, der Fremdheit der Geschichte; gibt ihnen die Möglichkeit, eigene Urteile und Deutungen zu entwickeln; ist – bei entsprechender Auswahl der Quellen – für Schüler motivierend.«261

Seit den Siebzigerjahren gelten darüber hinaus zwei eng miteinander verbundene »Leitlinien«, die dem Geschichtsunterricht dauerhaft zugrunde liegen und somit auch ihren Niederschlag im Schulbuch gefunden haben sollten, als Voraussetzung für eine ertragreiche Quellenarbeit: Personifizierung und Multiperspektivität. Angestoßen durch den Paradigmenwechsel in der GeschichtsRohlfes: Streifzüge durch den Zeitgeist der Geschichtsdidaktik. 50 GWU-Jahrgänge. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51, 2000, H. 4, S. 224–240; Thomas Sandkühler : Geschichtsdidaktik als gesellschaftliche Repräsentation. Diskurse der Disziplin im zeitgeschichtlichen Kontext um 1970. In: Michael Sauer u. a. (Hrsg.): Geschichtslernen in biographischer Perspektive. Nachhaltigkeit – Entwicklung – Generationendifferenz. Göttingen 2014 (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Bd. 9), S. 313–332; Michael Sauer : Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht heute. Eine Bestandsaufnahme und ein Plädoyer für mehr Pragmatik. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 55, 2004, H. 4, S. 212–232; Bernd Schönemann: Geschichtsdidaktik in erweiterten Perspektiven. Versuch einer Bilanz nach drei Jahrzehnten. In: Saskia Handro/Wolfgang Jacobmeyer (Hrsg.): Geschichtsdidaktik. Identität – Bildungsgeschichte – Politik. Karl-Ernst Jeismann zum 50jährigen Doktorjubiläum. Münster 2007, S. 9–30. 259 Vgl. zum zeitgenössischen Stand der Diskussion Gerhard Schneider (Hrsg.): Die Quelle im Geschichtsunterricht. Beiträge aus Theorie und Praxis. Donauwörth 1975. 260 Sauer : Geschichte unterrichten, S. 107. 261 Dietmar von Reeken: Quellenarbeit. In: Hilke Günther-Arndt (Hrsg.): Geschichts-Methodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 4. Aufl. 2012, S. 154–168, hier S. 155.

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wissenschaft, der insbesondere an der Universität Bielefeld als »Historische Sozialwissenschaft« Gestalt annahm und der stark vergröbernden Vorstellung des Historismus, große (männliche) Persönlichkeiten hätten den Lauf der Weltgeschichte allein bestimmt, ein Ende setzte262, fand auch innerhalb der Geschichtsdidaktik eine Neuorientierung statt. Dieser Umbruch wird markiert durch ein 1972 erschienenes Buch von Klaus Bergmann, in dem dieser zu einer Fundamentalkritik an der bis dahin im Geschichtsunterricht dominierenden personalisierten Geschichtsdarstellung ausholte.263 Personalisierung, verstanden als »die Deutung und Darstellung historischer Sachverhalte an großen Persönlichkeiten und aus der Sicht großer Persönlichkeiten«264, vermittle, so auch heute noch ein gängiger Kritikpunkt, den Schülerinnen und Schülern ein einseitiges Geschichtsbild, weil die Perspektive der »einfachen« Menschen fehle und ihre Handlungs- und Einflussmöglichkeiten faktisch negiert würden. Personalisierung lasse darüber hinaus durch ihre monoperspektivische Betrachtungsweise außer Acht, dass Geschichte ein komplexes Gebilde aus Strukturen und Prozessen sei, in das wiederum alle Menschen als handelnde Subjekte eingebunden seien.265 Als Alternative zum personalisierten Geschichtsunterricht hat Bergmann das Prinzip der Personifizierung eingeführt. Darunter versteht er »die Darstellung von Geschichte an ›namenlosen‹ handelnden und leidenden Personen und aus der Sicht dieser Personen, die immer gesellschaftliche Gruppierungen vertreten«266. Ein personifizierter Geschichtsunterricht habe den Vorteil, »Momente des historischen Alltags – die Bestrebungen, Hoffnungen, Erfahrungen, Leiden der sozialgeschichtlichen Vorfahren der Mehrheit der Bevölkerung – in die Geschichtsdarstellung«267 einzubringen. Die Kritik am personalisierten Geschichtsunterricht war wirkungsvoll: Die einseitige Orientierung an den großen Personen der Geschichte ist verhältnismäßig schnell aus den Schulbüchern verschwunden.268 262 Vgl. Pietro Rossi: Vom Historismus zur historischen Sozialwissenschaft. Heidelberger Max-Weber-Vorlesungen 1985. Frankfurt am Main 1987 sowie Hans-Ulrich Wehler : Geschichte als Historische Sozialwissenschaft. Frankfurt am Main 1973. 263 Vgl. Klaus Bergmann: Personalisierung im Geschichtsunterricht – Erziehung zu Demokratie? Stuttgart 1972 (Anmerkungen und Argumente zur historischen und politischen Bildung, Bd. 2). 264 Klaus Bergmann: Personalisierung, Personifizierung. In: Ders. u. a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. Seelze-Velber 5., überarb. Aufl. 1997, S. 298–300, hier S. 298. 265 Vgl. Gerhard Schneider : Personalisierung/Personifizierung. In: Michele Barricelli/Martin Lücke (Hrsg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Bd. 1. Schwalbach/Ts. 2012, S. 302–315. 266 Bergmann: Personalisierung, Personifizierung, S. 299. 267 Ebd. 268 Auch die künstlerisch gestaltete Geschichtserzählung, kritisiert vor allem wegen unzulässiger Personalisierung, verschwand mit der Zeit weitgehend aus dem (gymnasialen) Geschichtsunterricht. Vgl. Josef Memminger : Geschichtserzählungen. Über den Umgang mit

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Multiperspektivität, der wiederum Bergmann bereits 1979 als einer besonderen »Form der Geschichts-Darstellung«269 den Rang eines geschichtsdidaktischen Unterrichtsprinzips zuwies, meint seither, Schülerinnen und Schüler so oft wie möglich mit der Perspektivität von Quellen, d. h. mit unterschiedlichen sozialen Sichtweisen an einem historischen Geschehen Beteiligter und von ihm Betroffener zu konfrontieren. Sie sollen lernen, dass es die Geschichte »an sich« nicht gibt und Quellen im Hinblick auf ihre Standortgebundenheit befragen. Perspektivität existiert allerdings nicht nur auf der Ebene der historischen Akteure, sondern auch auf der Ebene der späteren Betrachter, der Nachgeborenen, die sich mit den Quellen aus der Vergangenheit deutend und urteilend auseinandersetzen. Die von ihnen vorgelegten Darstellungen sind ebenfalls vom Standort der Untersuchenden sowie der Gegenwartssituation, aus der geurteilt wird, abhängig. Diese Ebene der aus einer späteren Zeit heraus Betrachtenden, die von der Geschichtsdidaktik als Kontroversität bezeichnet wird, sollte den Schülerinnen und Schülern gleichfalls durch entsprechende Zusammenstellungen von und Beschäftigung mit Darstellungen präsentiert werden.270

2.

Zur Methodik von Schulbuchanalyse

»Schulbuchforschung gibt es, seit es Schulbücher gibt.«271 Eine einheitliche wissenschaftliche Verfahrensweise, die für Untersuchungen jedweder Art anwendbar wäre, kann es jedoch aufgrund der vielfältigen Fragestellungen, unter denen Geschichtsschulbücher untersucht werden können, nicht geben. Das methodische Instrumentarium muss daher stets an die primäre Zielsetzung des Forschungsvorhabens angepasst werden. Gleichwohl liegen für die Analyse von Schulbüchern im Wesentlichen drei unterschiedliche methodische Verfahrens-

einer (umstrittenen) Textgattung im Geschichtsunterricht. In: Geschichte lernen H. 150 (2012), S. 2–9; Joachim Rohlfes: Geschichtserzählung (Stichworte zur Geschichtsdidaktik). In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 48, 1997, H. 12, S. 736–743; Gerhard Schneider: Geschichtserzählung. In: Klaus Bergmann u. a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. Seelze-Velber 5., überarb. Aufl. 1997, S. 434–440. 269 Klaus Bergmann: Multiperspektivität. In: Ders. u. a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. Bd. 1. Düsseldorf 1979, S. 216–218, hier S. 216. 270 Vgl. Klaus Bergmann: Multiperspektivität. In: Ulrich Mayer/Hans-Jürgen Pandel/Gerhard Schneider (Hrsg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 4. Aufl. 2013, S. 65–77; Klaus Bergmann: Multiperspektivität. Geschichte selber denken. Schwalbach/Ts. 2. Aufl. 2008; Klaus Bergmann: Multiperspektivität (Stichworte zur Geschichtsdidaktik). In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45, 1994, H. 3, S. 194–198. 271 Werner Wiater : Zu den Intentionen internationaler Schulbuchforschung. Einführende Gedanken. In: Ders. (Hrsg.): Schulbuchforschung in Europa – Bestandsaufnahme und Zukunftsperspektive. Bad Heilbrunn/Obb. 2003, S. 7–9, hier S. 7.

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Untersuchungsdesign

weisen vor: die deskriptiv-analytische bzw. hermeneutische Methode sowie quantitative und qualitative Verfahren der Inhaltsanalyse.

2.1.

Deskriptiv-analytische bzw. hermeneutische Methode

Nach wie vor gehen die meisten Schulbuchanalysen deskriptiv-analytisch vor, d. h. die Forscherin bzw. der Forscher bemüht sich, im nachvollziehenden Verstehen die Bedeutung des im Lehrwerk Dargestellten zu erschließen, um den Leserinnen und Lesern in einer zusammenfassenden Beschreibung das Ergebnis ihres bzw. seines Verstehensprozesses sichtbar zu machen. Ähnlich der aus der Geschichtswissenschaft bekannten Quelleninterpretation wird hier beschreibende Erfassung mit wertender Beurteilung verbunden – meistens jedoch ohne vorheriges Kenntlichmachen der Erfassungs- und Bewertungsnormen. Hierin spiegelt sich zugleich die Hauptproblematik dieser Verfahrensweise wider : die für die Leserinnen und Leser mangelnde intersubjektive Nachprüfbarkeit der Ergebnisse. Bereits 1976 hat Wolfgang Marienfeld auf die Defizite dieser »klassischen« Methode im Rahmen von Schulbuchuntersuchungen hingewiesen: »Das große Problem hermeneutischer Schulbuchanalysen liegt in der Verifizierung der Ergebnisse, in dem, was man unter dem Stichwort Objektivität oder intersubjektive Vergleichbarkeit als Problem skizzieren kann: daß oder ob nämlich ein anderer Autor mit demselben Verfahren zu denselben Ergebnissen kommt. Auch dann, wenn im beschreibenden Verfahren die zusammenfassenden Aussagen durch Zitate aus den untersuchten Büchern belegt werden, ist der Beweisgang für den Leser nur begrenzt nachvollziehbar. Er erfährt im allgemeinen nichts oder zu wenig über das der Untersuchung zugrundegelegte Kategoriensystem zur Erfassung und Bewertung der im Schulbuch aufgeführten Sachverhalte […]. Er vermag nicht oder nur begrenzt nachzuvollziehen, ob die Untersuchung systematisch auf die Gesamtheit der Kommunikationsinhalte des Schulbuches (des darstellenden Textes, der Quellen, der Bilder, Karten, Graphiken, Arbeitsaufgaben) oder nur auf einzelne, dem Autor besonders wichtige, hervorstechende Einzelphänomene ausgerichtet ist; er vermag damit nicht nachzuvollziehen, ob die angeführten Belege für das untersuchte Einzelbuch oder für die Gruppe von Büchern repräsentativ sind oder ob die Belege willkürlich gewählt sind und ob damit Einzelphänomene überbewertet werden. Der Leser bleibt damit zu einem Gutteil auf das Vertrauen in die Seriosität der Untersuchung angewiesen und kann die Ergebnisse der Untersuchung eigentlich nur dann als auch für sich verbindlich übernehmen, wenn er die Untersuchung nachvollzieht, d. h. auf das Ausgangsmaterial zurückgreift.«272 272 Wolfgang Marienfeld: Schulbuchanalyse und Schulbuchrevision. Zur Methodenproblematik. In: Internationales Jahrbuch für Geschichts- und Geographieunterricht 17 (1976), S. 47–58, hier S. 50.

Zur Methodik von Schulbuchanalyse

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Insgesamt, so kann festgehalten werden, handelt es sich bei dem hermeneutischen Verstehensprozess also um eine für die Analyse von Schulgeschichtsbüchern zu wenig methodologisch abgesicherte Verfahrensweise.

2.2.

Inhaltsanalytische Verfahren

Unter Inhaltsanalyse versteht man im Allgemeinen ein methodisches Verfahren zur systematischen und intersubjektiv nachvollziehbaren Erhebung und Auswertung von (bereits vorliegenden oder eigens generierten) Texten. Für inhaltsanalytische Untersuchungen finden sich dementsprechend mannigfache Anwendungsbereiche: Leserbriefe, Heiratsannoncen, Parteiprogramme, Stellenanzeigen, Werbung, Interviewtranskripte etc. Daneben sind es aber vor allem Schulbücher, die mittels inhaltsanalytischer Verfahren untersucht werden können.273 Man unterscheidet zwischen quantitativen und qualitativen Vorgehensweisen. 2.2.1. Quantitative Verfahren Werden quantitative Verfahren angewandt, so geht es den Autorinnen und Autoren zuvorderst darum, das Auftreten bestimmter manifester Elemente im Schulbuch systematisch und objektiv zu erfassen. Ziel ist dabei die Generierung von statistisch analysierbaren Vergleichsdaten oder Trendmustern. Die im Rahmen von quantitativer Schulbuchanalyse am häufigsten verwendeten Methoden sind die Raum- und Frequenzanalyse. Die Raumanalyse ist ein Verfahren zur Messung des Umfangs und des relativen Anteils sämtlicher manifester Elemente im Schulbuch (z. B. Bestimmung des Textumfangs: Wie viele Seiten werden einem historischen Sachverhalt im Vergleich zu anderen eingeräumt?). Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass die Länge des zu untersuchenden Textes etwas über dessen Bedeutung aussagt. Die Frequenzanalyse dagegen ist ein Verfahren zur Erhebung der Häufigkeit des Vorkommens bestimmter Bestandteile im Schulbuch (z. B. Wörter, Wortkombinationen, Namen, aber auch Text- oder Bildquellen). Hier wird durch die den Elementen zugewiesene Bedeutung auf ein objektives Erkennen ihrer Schlüsselrolle geschlossen.274 273 Vgl. Andreas Diekmann: Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Hamburg 4. Aufl. 2010, S. 579f. 274 Vgl. Ernst Uhe: Quantitative Verfahren bei der Analyse von Schulbüchern. In: Ernst Horst Schallenberger (Hrsg.): Studien zur Methodenproblematik wissenschaftlicher Schulbucharbeit. Kastellaun 1976 (Pädagogische Informationen – Provokative Impulse, Bd. 7), S. 74– 93.

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Die Probleme beider Verfahren sind offensichtlich: Sowohl die Gleichsetzung von Umfang mit Bedeutung als auch die von Häufigkeit mit Relevanz ist nur bedingt haltbar.275 Hierzu ein sehr aussagekräftiges Beispiel von Joachim Rohlfes: »Solche quantitativen Analysen erfordern einen kolossalen Arbeitsaufwand, von dem zweifelhaft ist, ob er noch in einem vernünftigen Verhältnis zu dem erreichbaren Ertrag steht. Der Exaktheit der Ergebnisse steht eine gewisse inhaltliche Dürftigkeit gegenüber. Die bloße Zahl der Erwähnungen des Namens ›Hitler‹ z. B. besagt verhältnismäßig wenig, wenn man nicht erfährt, ob die Erwähnungen mehr positiver oder negativer, ausführlicher oder beiläufiger Art, ob Hitler als Redner und Trommler, als Staatsmann und Diplomat, als Genie oder Glücksspieler, als Idealist oder Verbrecher dargestellt wird.«276

2.2.2. Qualitative Verfahren Schulbuchforschungen mittels qualitativer Verfahren der Inhaltsanalyse geht es in Abgrenzung zu quantitativen Erhebungsmethoden zuvorderst darum, die gemeinten Sinngehalte und latenten Kommunikationsinhalte im Lehrwerk systematisch herauszuarbeiten. Es geht also statt um das bloße Vorhandensein und die reine Häufigkeit vielmehr um den Bedeutungsgehalt der im Schulbuch gemachten Aussagen und vorzufindenden Elemente. Aus diesem Grund finden auch markante Einzelfälle und fehlende Elemente (was wird z. B. verschwiegen?) in der Analyse Berücksichtigung.277 Das Herzstück eines jeden qualitativen inhaltsanalytischen Vorgehens muss ein Kategoriensystem bilden. Eine Kategorie definiert dabei die Analysekriterien, die an das Untersuchungsmaterial, die Schulbücher, zur Beantwortung der Forschungsfrage angelegt werden.278 Unter einem Kategoriensystem versteht man demzufolge die »Summe aller Kategorien; spezifiziert anhand welcher Kategorien die relevanten Codiereinheiten gemessen werden sollen«279. Die Entwicklung eines solchen Rasters ist unabdingbar, um eine strukturierte Be275 Vgl. Peter Meyers: Friedrich II. von Preußen im Geschichtsbild der SBZ/DDR. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsunterrichts in der SBZ/DDR. Mit einer Methodik zur Analyse von Schulgeschichtsbüchern. Braunschweig 1983 (Studien zur internationalen Schulbuchforschung, Bd. 35), S. 63–65. 276 Rohlfes: Geschichte und ihre Didaktik, S. 329f. 277 Vgl. Siegfried Lamnek: Qualitative und quantitative Inhaltsanalyse. Forschungsmethoden im Kontext von Schulbuchanalysen zum Geschichtsunterricht. In: Waltraud Schreiber (Hrsg.): Die religiöse Dimension im Geschichtsunterricht an Europas Schulen. Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt. Neuried 2000 (Bayerische Studien zur Geschichtsdidaktik, Bd. 2), S. 319–347, hier S. 331–340. 278 Vgl. Hans-Bernd Brosius/Friederike Koschel/Alexander Haas: Methoden der empirischen Kommunikationsforschung. Eine Einführung. Wiesbaden 5. Aufl. 2009, S. 154. 279 Patrick Rössler : Inhaltsanalyse. Konstanz 2., überarb. Aufl. 2010, S. 256.

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schreibung und Wertung des zu erhebenden Materials zu ermöglichen. Mittels eines Kategoriensystems können Leserinnen und Leser zum einen den Gang der Analyse besser nachvollziehen, sodass die Intersubjektivität des Vorgehens gewährleistet ist. Zum anderen begünstigt die Klassifikation der zu untersuchenden Schulbuchkapitel nach bestimmten Ordnungsgesichtspunkten den Vergleich der Ergebnisse, sodass allgemein die Reliabilität der Analyse besser abgeschätzt werden kann.280 Die Bildung der Kategorien erfolgt entweder induktiv oder deduktiv : Während die induktive Vorgehensweise die Kategorien direkt aus dem Material ableitet, bezieht die deduktive Kategorienbildung die Kategorien vorab aus der Theorie bzw. dem Forschungsstand. Auch Mischformen aus theoriegeleiteter und empiriegeleiteter Kategorienerstellung sind möglich und gemeinhin sogar die Regel. Hierfür wird ein vorab ausgearbeitetes Kategoriensystem aus der Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Material konkretisiert, differenziert und eventuell auch revidiert. Nachdem das Kategoriensystem entwickelt worden ist, gilt es, die einzelnen Kategorien wiederum zu operationalisieren, d. h. die mit den Kategorien zu erfassenden Inhalte müssen genauer erläutert werden, damit die Leserinnen und Leser erfahren, welche Aspekte in der Untersuchung (nicht) behandelt werden. An dieser Stelle sollten zusätzlich auch sogenannte Ankerbeispiele angeführt werden, d. h. konkrete Fundstellen aus den zu analysierenden Schulbüchern, die unter die jeweilige Kategorie fallen und als Musterbeispiele für diese Kategorie gelten können.281

3.

Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes

Zur Beantwortung der leitenden Forschungsfragen dient die Analyse der Schulbuchkapitel, in denen die Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945 aufbereitet ist. Hierfür wurden inhaltsbezogene Kategorien gebildet, zu denen die Schulbuchautorinnen und -autoren Angaben in den Verfassertexten oder durch 280 Die Zuverlässigkeit des Kategoriensystems müsste eigentlich in einem Pre-Test validiert werden, um eine höchstmögliche Reliabilität sicherzustellen. Das würde bedeuten, dass sowohl die Intracoder-Reliabilität (gleiches Ergebnis bei identischem Tester in verschiedenen Durchgängen) als auch die Intercoder-Reliabilität (gleiches Ergebnis von verschiedenen Testern bei identischem Material) geprüft wird. Auch die eigentliche Untersuchung müsste im Grunde mit mindestens zwei Codern durchgeführt werden. All dies übersteigt jedoch die zeitlichen und finanziellen Ressourcen von einzelnen Forschern, sodass ein solcher methodischer »Maximalstandard« vornehmlich von Forschergruppen in groß angelegten Projekten erbracht werden kann. 281 Vgl. Werner Früh: Inhaltsanalyse. Theorie und Praxis. Konstanz/München 7., überarb. Aufl. 2011, S. 153–162.

88

Untersuchungsdesign

den Abdruck von Quellen und Darstellungen in den Arbeitsteilen den Leserinnen und Lesern Informationen liefern.

3.1.

Bildung und Begründung der inhaltlichen Analysekategorien

Bei der Entwicklung des Kategoriensystems wurde sowohl induktiv als auch deduktiv vorgegangen: Die inhaltlichen Analysekategorien spiegeln zum einen zentrale in Forschung und Öffentlichkeit diskutierte Aspekte wider. Zum anderen ergaben sich bestimmte Unterkategorien erst aus der Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Material. Wichtig war es, dass das Kategoriensystem eindeutig ist, damit sich jede zu untersuchende Materialeinheit aus dem Schulbuch exakt einer Kategorie zuordnen lässt. Auf ein allzu detailliertes Kategorienraster wurde daher verzichtet. Unter zu stark differenzierten Kategorien hätte nicht nur unter Umständen die Eindeutigkeit des Rasters gelitten, sondern auch die Zuordnung der erhobenen Daten wäre erschwert worden. Auf diese Weise ergaben sich sechs Untersuchungskategorien. Die Schulbücher werden zunächst zu drei zentralen Radikalisierungsstadien des auf den deutschen Straßen für die Bevölkerung sichtbaren (und häufig fotografisch festgehaltenen) Terrors gegen die Juden untersucht: Boykott 1933, Novemberpogrom 1938 sowie Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/41–1945. Unter der Kategorie »Boykott 1933« werden alle Aussagen erfasst, die sich auf die Haltung der »Zuschauer« gegenüber der reichsweiten Boykottaktion gegen jüdische Geschäfte, Unternehmen, Arztpraxen und Anwaltskanzleien beziehen. Die Kategorie »Novemberpogrom 1938« beinhaltet alle in den Lehrwerken aufbereiteten Informationen über die Reaktionen der nichtjüdischen Bevölkerung auf die Brandschatzung und Demolierung von Synagogen und sonstigen jüdischen Einrichtungen. Ausführungen zur Einstellung der Zivilbevölkerung gegenüber der infolge der »Reichskristallnacht« durchgeführten Verhaftungen von etwa 30.000 Juden, die vorübergehend in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt wurden, werden ebenfalls in diese Kategorie aufgenommen. Unter die Kategorie »Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/ 41–1945« fallen alle Angaben, die über die unmittelbaren und mittelbaren Reaktionen der »Volksgenossen« auf die Massenverschleppungen ihrer jüdischen Mitbürger Auskunft geben. Ferner werden alle Ausführungen, die sich in den Lehrwerken über die Partizipation der Deutschen an der öffentlichen Versteigerung des Besitzes deportierter Juden entnehmen lassen, dieser Kategorie zugerechnet. Die vierte Kategorie »Kenntnisse vom Holocaust« zielt auf die Erfassung der von den Schulbuchautorinnen und -autoren den Schülerinnen und Schülern zur

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Verfügung gestellten Informationen über die distinkte Kenntnis der nichtjüdischen Bevölkerung des Holocaust als umfassende und auf die Gesamtheit der europäischen Juden zielenden Massenvernichtung. Unter diese Kategorie fallen also Äußerungen, die Aufschluss darüber geben, was die Mehrheitsbevölkerung über die systematische Ermordung der Juden wissen konnte. Hierfür werden sowohl ihr Wissen über die Massenerschießungen als auch über das Vorhandensein spezifischer Vernichtungslager und den Einsatz von Giftgas berücksichtigt. Kategorial erfasst werden dabei auch die von den Schulbuchautorinnen und -autoren dargebotenen »Quellen«, aus denen die Bevölkerung Informationen über das Mordprogramm entnehmen konnte: über den Rundfunk ausgestrahlte Reden von NS-Politikern, Zeitungsartikel, Berichte von Wehrmachtssoldaten auf Urlaub, Feldpostbriefe, alliierte Rundfunksendungen und Flugblätter, Berichte von unmittelbar und mittelbar am Mordgeschehen Beteiligten etc. Mit der fünften Kategorie »Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen« wird erhoben, welche Angaben die Schulbücher zu den zeittypischen Überzeugungen, Meinungen und Vorstellungen – kurz: den mentalen Dispositionen – der deutschen Mehrheitsbevölkerung sowie ihren Reaktionen auf die kontinuierliche Diskriminierung und Ausgrenzung der Juden aus dem gesellschaftlichen und ökonomischen Leben machen. Um diesen Aspekten nachzugehen, werden drei Unterkategorien gebildet: Die erste Unterkategorie untersucht, ob die Lehrwerke über die weitverbreiteten und traditionell vorhandenen antisemitischen Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung berichten, also ob sie jene antijüdischen Vorurteile und Stereotype aufgreifen, an die der rassisch begründete Antisemitismus des Nationalsozialismus anknüpfen konnte und die er gewissermaßen »salonfähig« für weite Teile der Gesellschaft machte. Die zweite Unterkategorie geht der Frage nach, welche Informationen die Schulbuchautorinnen und -autoren ihren Leserinnen und Lesern über die bereitwillige Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der Ausplünderung von Geschäften und Unternehmen in jüdischer Hand zur Verfügung stellen, die von den Nationalsozialisten euphemistisch »Arisierung« genannt wurde. Die dritte Unterkategorie prüft, wie die Unterrichtswerke damit umgehen, dass es während der zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft von Seiten der deutschen Mehrheitsbevölkerung keinen nennenswerten Widerstand gegen die gewaltsame Exklusion der Juden aus der »Volksgemeinschaft« gab. Untersucht wird dabei zum einen, ob die Verfassertexte der Schulbücher eindeutig herausstreichen, dass nur eine verschwindend geringe Zahl von Menschen es wagte, verfolgten jüdischen Männern, Frauen und Kindern zu helfen und/oder sie vor der Vernichtung zu retten. Zum anderen wird untersucht, ob die Schülerinnen und Schüler über die Bearbeitung der in den Arbeitsteilen angebotenen

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Materialien zu einer adäquaten Beantwortung der Frage gelangen können, welches Verhalten im Alltag gegenüber jüdischen Mitbürgern eher repräsentativ und welches eher untypisch für die deutsche Gesellschaft war. Mit der sechsten Kategorie rückt die Darstellung der Wehrmacht in den Fokus. Die Analyse konzentriert sich dabei vor allem auf die von Wehrmachtseinheiten begangenen Verbrechen während des »Unternehmens Barbarossa«. Kategorial erfasst werden die »drei großen Tatkomplexe«282, die im Allgemeinen unter der Bezeichnung rassistischer Vernichtungskrieg zusammengefasst werden: 1. der Genozid an den Juden (rassistische Befehle; organisatorische Mithilfe des Militärs durch Bereitstellung von Fahrzeugen und Benzin, Lieferung von Munition, Überstellung der ergriffenen Opfer an die Sicherheitspolizei usw.; Erschießungen von Juden durch Wehrmachtseinheiten), 2. die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen (»Kommissarbefehl« des Oberkommandos der Wehrmacht zur sofortigen Tötung von Politfunktionären der Roten Armee; Verantwortung für den Tod von über drei Millionen Sowjetsoldaten aufgrund einer Politik der systematischen Unterversorgung, der selektiven Tötung und äußerst dürftigen Lagerunterbringung), 3. die Tötung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung (Kriegsgerichtsbarkeitserlass, der die Basis für eine nahezu vollständige Entrechtung der sowjetischen Zivilbevölkerung bildete; Ermordung »verdächtiger« Zivilisten sowie echter oder vermeintlicher »Bandenunterstützer« im Zuge des Anti-Partisanenkrieges). Im Folgenden wird eine tabellarische Übersicht über das Kategoriensystem geboten:

282 Peter Longerich: Der Rußlandkrieg als rassistischer Vernichtungsfeldzug. In: Hans-Heinrich Nolte (Hrsg.): »Der Mensch gegen den Menschen«. Überlegungen und Forschungen zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941. Hannover 1992, S. 78–94, hier S. 83.

Reaktionen der »Zuschauer« auf die Brandschatzung und Demolierung von Synagogen und sonstigen jüdischen Einrichtungen sowie auf die nach der »Kristallnacht« durchgeführten Verhaftungen von etwa 30.000 Juden, die vorübergehend in Konzentrationslager verschleppt wurden

Reaktionen der »Zuschauer« auf die gewaltsamen »Die Deportationen blieben der deutschen Massenverschleppungen ihrer jüdischen Mitbürger Bevölkerung nicht verborgen. Einige wenige Deutsche wagten ihr Leben und versteckten jüdische Freunde […].« (Zeiten und Menschen 1985, S. 122)

Novemberpogrom 1938

Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/41–1945

Teilnahme unzähliger »Volksgenossen« an den öffentlichen Versteigerungen von Einrichtungsund Wertgegenständen aus jüdischem Besitz

Reaktionen der »Zuschauer« auf die reichsweiten Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte, Unternehmen, Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien

Boykott 1933

»Versteigerung des Hausrates deportierter jüdischer Bürger in Hanau, Foto, 1942« (Geschichte und Geschehen 2011, S. 51)

»Viele Deutsche reagierten auf die Pogrome zwar betroffen und mit Scham, ohne aber das brutale Vorgehen der Nazis zu behindern.« (Oldenbourg Geschichte für Gymnasien 1994, S. 184)

»Die Judenfeindschaft des Nationalsozialismus wurde für alle sichtbar, als die SA am 1. April 1933 Eingänge zu jüdischen Geschäften verstellte, Ladeneinrichtungen zerstörte und die Bevölkerung zum Boykott jüdischer Kaufhäuser und Läden aufrief. Viele waren entsetzt, wechselten aber doch lieber ihren gewohnten Kaufmann; wenige kauften ›nun erst recht bei Juden‹.« (Geschichtsbuch 1988, S. 126)

Unterkategorie(n) bzw. zu erhebende(r) Aspekt(e) Ankerbeispiel

Kategorie

Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes

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Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

Wissen der Mehrheitsbevölkerung über Massenerschießungen von Juden sowie über das Vorhandensein spezifischer Vernichtungslager und den Einsatz von Giftgas

Kenntnisse vom Holocaust

Verbreitung antisemitischer Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung

»Der Antisemitismus war also keineswegs eine Erfindung Hitlers, vielmehr konnte dieser an eine lange – zeitweilig schlummernde, zeitweilig offene – Tradition anknüpfen.« (Horizonte – Geschichte für die Oberstufe 2003, S. 305)

Zeitgenössische »Quellen«, aus denen die »Obwohl die Vernichtungslager bewusst im Osten Bevölkerung Informationen über die systematische eingerichtet wurden, um die ›Endlösung‹ möglichst Ermordung der Juden Europas entnehmen konnte geheim zu halten, erhielten viele Deutsche Teilinformationen darüber, was mit den Juden geschah – z. B. von Wehrmachtssoldaten, die etwas gesehen oder gehört hatten und zu Hause einen Urlaub verbrachten.« (Geschichte und Geschehen Oberstufe 2006, S. 309–310)

»Wie geheim war die ›Endlösung‹? – Wer wissen wollte, was geschah, konnte davon erfahren; zuviele haben weggeschaut aus Selbstschutz, aus dem Gefühl individueller Ohnmacht, aus Scham, Selbstmitleid, Obrigkeitsglaube, Gleichgültigkeit.« (Geschichte Sekundarstufe II 1996, S. 70)

Unterkategorie(n) bzw. zu erhebende(r) Aspekt(e) Ankerbeispiel

Kategorie

(Fortsetzung)

92 Untersuchungsdesign

Wehrmacht und Vernichtungskrieg Beteiligung am Genozid an den Juden

»Reguläre Armeeeinheiten waren an der organisatorischen Durchführung der Judenvernichtung sowie teilweise an der Erschießung und Deportation von Juden beteiligt.« (Horizonte 2009, S. 182)

»Breiter Widerspruch der Bevölkerung gegen die sich steigernde Entrechtung und Ausgrenzung der Juden blieb aus. Den wenigen Fällen von Hilfe und Solidarität mit jüdischen Mitbürgern standen massenhafte anonyme Anzeigen von deutschen ›Volksgenossen‹ gegenüber, die ihre Mitmenschen denunzierten.« (Das waren Zeiten 2002, S. 81)

Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der »Im Kontext der nationalsozialistischen »Arisierung« Judenverfolgung bezeichnet der Begriff ›Arisierung‹ die schrittweise systematische Verdrängung und schließlich vollkommene Ausschaltung aus dem Wirtschaftsleben des ›Dritten Reiches‹. […] Ziel war die ›Entjudung der deutschen Wirtschaft‹, die Konsequenz eine schamlose Bereicherung des NS-Staates und vieler ›deutscher‹ Geschäfts- und Privatleute an der Vernichtung der Existenzgrundlage ihrer jüdischen Mitbürger.« (Historisch-Politische Weltkunde 2010, S. 220)

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

Verhalten der »Zuschauer« im Alltag gegenüber jüdischen Mitmenschen

Unterkategorie(n) bzw. zu erhebende(r) Aspekt(e) Ankerbeispiel

Kategorie

(Fortsetzung)

Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes

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Kategorie

(Fortsetzung)

»In Kriegsgefangenenlagern der Wehrmacht sind mehr als drei Millionen Rotarmisten verhungert und verdurstet, erfroren oder an Seuchen gestorben – sie galten ja nicht als ›Kameraden‹, sondern als ›Untermenschen‹.« (Geschichte und Geschehen Oberstufe 2006, S. 299) »Auf ihrem Rückzug drangsalierten Wehrmacht und SS die ansässige Bevölkerung weiter und führten einen erbarmungslosen Krieg gegen Partisanen und solche, die sie dafür hielten.« (Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe 2006, S. 127)

Verantwortung für die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen

Tötung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung

Unterkategorie(n) bzw. zu erhebende(r) Aspekt(e) Ankerbeispiel

94 Untersuchungsdesign

Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes

3.2.

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Bausteine der Schulgeschichtsbücher

Kombinierte Lehr- und Arbeitsbücher setzen sich – bei allen Unterschieden im Detail – aus den folgenden Bausteinen zusammen: Auftaktdoppelseite, Verfassertext, Arbeitsteil, Methodenteil, Kapitelzusammenfassung, Glossar und Register. Für die Analyse näher in den Blick genommen werden insbesondere zwei Bestandteile der Schulgeschichtsbücher : die Verfassertexte und die Arbeitsteile. Verfassertexte Die von den Schulbuchautorinnen und -autoren geschriebenen Texte dienen im Allgemeinen dazu, ein Thema überblickshaft darzustellen und einen Orientierungsrahmen für die meist folgenden Arbeitsteile zu bilden. Als »Derivate von Historiographie«283 stellen die Verfassertexte das wichtigste Transportmedium der fachwissenschaftlichen Erkenntnisse dar. Wie jede geschichtswissenschaftliche Darstellung enthalten sie nicht nur wertneutrale Informationen, sondern immer auch Interpretationen. Versteckte, oft untergründige und unauffällige (oder auch explizite) historische Wertungen verbergen sich etwa in der Akzentuierung bestimmter Themenkomplexe, in den Charakterisierungen von Zuständen, Ereignissen oder Prozessen, in der Wort- und Begriffswahl oder in der Berücksichtigung dieser oder Außerachtlassung jener Forschungsposition. Durch einen Verfassertext wird Vergangenheit also immer im Sinne einer gedeuteten Geschichte vergegenwärtigt. Die in der Regel hoch verdichteten Texte sind zudem häufig in dem Duktus des »so war es« verfasst. Sie präsentieren sich den Schülerinnen und Schülern auf eine scheinbar neutrale und objektivistische Art und Weise.284 Untersuchungsrelevant sind die Verfassertexte folglich insofern, als sie standort- und zeitgebundene Narrative sind, die den erreichten Forschungsstand in gebündelter Form darstellen (sollen). Arbeitsteile Die Arbeitsteile, in denen sich die Lernenden selbstständig anhand von Quellen (Texte, Bilder) und Darstellungen (Historikertexte, Geschichtskarten, Statistiken, Schaubilder, Zeitleisten etc.) mit der Geschichte auseinandersetzen und zu begründeten historischen Urteilen kommen sollen, sind deshalb für die Analyse 283 Hans-Jürgen Pandel: Was macht ein Schulbuch zu einem Geschichtsbuch? Ein Versuch über Kohärenz und Intertextualität. In: Saskia Handro/Bernd Schönemann (Hrsg.): Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung. Berlin 2006 (Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Bd. 16), S. 15–37, hier S. 19. 284 Michael Sauer vermutet daher wohl zu Recht, dass ein solch »argumentativ ausformulierter Darstellungstext für eine Leserin oder einen Leser, die oder der noch kaum über eigene Kenntnisse verfügt, ein einladendes oder sogar suggestives Deutungsangebot bildet« (Sauer : Geschichte unterrichten, S. 255).

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von Bedeutung, weil sie zur Akzentuierung und Vertiefung der Informationen aus dem Verfassertext beitragen (sollen).285 Für Schülerinnen und Schüler lassen sich dort unter Umständen auch »alternative Möglichkeiten der Vergangenheitsdeutung«286 und »fehlende historische Puzzleteile«287 finden. Das hängt wiederum damit zusammen, dass die im Arbeitsteil abgedruckten Materialien ein Kapitelthema nicht nur »noch einmal relativ breit abbilden«, sondern »auch vertiefende Akzente setzen oder sogar Zusatzaspekte einbringen [können], die der Verfassertext (bewusst) bei Seite gelassen hat«288. Textquellen Wenn man etwas über die von den Schulbuchautorinnen und -autoren der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung zugeschriebenen Einstellungen, Mentalitäten und Reaktionen erfahren will, liegt es auf der Hand, dass gerade das Vorhandensein schriftlicher Quellen »erzählenden« Charakters von Interesse ist.289 Wichtiger als Verfassungsartikel, Verträge oder Akten sind also Selbstzeugnisse290 und Ego-Dokumente291 aller Art: Augenzeugenberichte, Autobio-

285 Vgl. Hilke Günther-Arndt: Schulbucharbeit. In: Dies./Saskia Handro (Hrsg.): GeschichtsMethodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 5., überarb. Neuaufl. 2015, S. 174–179, hier S. 176. 286 Schönemann/Thünemann: Schulbucharbeit, S. 86. 287 Ebd. 288 Sauer : Schulgeschichtsbücher, S. 594. 289 Vgl. allgemein zur Arbeit mit Textquellen im Geschichtsunterricht Christina Brüning: Die Verwendung von Textquellen im Geschichtsunterricht. In: Michele Barricelli/Martin Lücke (Hrsg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Bd. 2. Schwalbach/Ts. 2012, S. 92– 107; Waldemar Grosch: Schriftliche Quellen und Darstellungen. In: Hilke Günther-Arndt/ Meik Zülsdorf-Kersting (Hrsg.): Geschichts-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 6., überarb. Neuaufl. 2014, S. 74–99; Saskia Handro: Quellen interpretieren. In: Hilke Günther-Arndt/Dies. (Hrsg.): Geschichts-Methodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 5., überarb. Neuaufl. 2015, S. 151–166; Hans-Jürgen Pandel: Quelleninterpretation. In: Ulrich Mayer/Ders./Gerhard Schneider (Hrsg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 4. Aufl. 2013, S. 152–171; Hans-Jürgen Pandel: Quelleninterpretation. Die schriftliche Quelle im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 4. Aufl. 2012; Hans-Jürgen Pandel: Textquellen im Geschichtsunterricht. Zwischen Ärgernis und Erfordernis. In: Geschichte lernen H. 46 (1995), S. 14–21; Joachim Rohlfes: Arbeit mit Textquellen (Stichworte zur Geschichtsdidaktik). In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 46, 1995, H. 10, S. 583–590; Gerhard Schneider: Die Arbeit mit schriftlichen Quellen. In: Hans-Jürgen Pandel/Ders. (Hrsg.): Handbuch Medien im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 6., erw. Aufl. 2011, S. 15–44. 290 Bei Selbstzeugnissen handelt es sich um »Äußerungen einer Person, die Auskunft geben können über deren Lebensverhältnisse, Erfahrungen und Erlebnisse, Wahrnehmungen und Befindlichkeiten, Wünsche und Hoffnungen, Selbst- und Weltbilder. Üblicherweise wird die Definition auf schriftliche und aus eigenem Antrieb vorgenommene Äußerungen eingegrenzt. Als klassische Quellengattungen zählen zu den Selbstzeugnissen Autobiografien, Memoiren, Tagebücher und private Briefe; auch Reiseberichte können Selbstzeugnisse

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graphien, Briefe, Memoiren, Tagebücher, Verhörprotokolle oder Zeitzeugenaussagen. Diese Quellengattungen legen alle – in unterschiedlicher Art und Weise – Zeugnis davon ab, wie Personen über bestimmte Vorgänge gedacht, wie sie persönliche Erlebnisse verarbeitet und welche vergangenen Ereignisse sie für bedeutsam gehalten haben. Von Bedeutung ist ferner der Abdruck von propagandistischen Texten (Reden292 und Zeitungsartikel293), weil sie darüber Aufschluss geben, was die NSMachthaber der Öffentlichkeit über die sich in Gang befindlichen Verbrechen mitzuteilen bereit waren. Durch das Vorhandensein solcher Quellengattungen im Lehrwerk stellen die Schulbuchautorinnen und -autoren den Schülerinnen und Schülern diejenigen Informationsquellen vor, aus denen die damalige Bevölkerung Kenntnisse über den Judenmord erlangen konnte. Für die Untersuchung der Darstellung der deutschen Armee interessiert sein.« (Michael Sauer : Selbstzeugnisse als historische Quellen. In: Geschichte lernen H. 156 (2013), S. 2–11, hier S. 2). 291 Der Begriff »Ego-Dokument« umfasst – in Abgrenzung bzw. in Erweiterung zum Begriff »Selbstzeugnisse« – auch solche Aufzeichnungen, die nicht unmittelbar von einer Person stammen, aber über sie Auskunft geben können. Darunter fallen z. B. Personalakten, Verhörprotokolle oder Zeugenaussagen. Winfried Schulze, der den Begriff in die deutsche Geschichtswissenschaft einführte, definiert: »Gemeinsames Kriterium aller Texte, die als Ego-Dokumente bezeichnet werden können, sollte es sein, daß Aussagen oder Aussagenpartikel vorliegen, die – wenn auch in rudimentärer und verdeckter Form – über die freiwillige oder erzwungene Selbstwahrnehmung eines Menschen in seiner Familie, seiner Gemeinde, seinem Land oder seiner sozialen Schicht Auskunft geben oder sein Verhältnis zu diesen Systemen und deren Veränderungen reflektieren. Sie sollten individuellmenschliches Verhalten rechtfertigen, Ängste offenbaren, Wissensbestände darlegen, Wertvorstellungen beleuchten, Lebenserfahrungen und -erwartungen widerspiegeln.« (Winfried Schulze: Ego-Dokumente: Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung »Ego-Dokumente«. In: Ders. (Hrsg.): Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte. Berlin 1996 (Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 2), S. 11–30, hier S. 28). 292 Vgl. Ulrich Baumgärtner : »Es gilt das gesprochene Wort«. Politische Reden und historisches Lernen. In: Praxis Geschichte H. 6/2007, S. 4–9; Hans-Jürgen Pandel: Reden als Quellengattung. In: Geschichte lernen H. 85 (2002), S. 6–13; Christian K. Tischner : Historische Reden im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 2008. 293 Vgl. Klaus Fieberg: Zeitungen im Geschichtsunterricht. In: Praxis Geschichte H. 4/2002, S. 31–38; Christian Kuchler : Zwischen geschichtsdidaktischer Forschung und aktuellem Unterrichtseinsatz: Historisches Lernen und Zeitung. In: Ders./Benjamin Städter (Hrsg.): Zeitungen von gestern für das Lernen von morgen? Historische Tagespresse im Geschichtsunterricht. Göttingen 2016 (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Bd. 11), S. 31–49; David Luginbühl: Printmedien. In: Markus Furrer/Kurt Messmer (Hrsg.): Handbuch Zeitgeschichte im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 2013, S. 165– 184; Michael Sauer : »Allen denen gar nuetzlich und lustig zu lesen«. Zeitung als Quelle. In: Geschichte lernen H. 124 (2008), S. 2–10; Michael Sauer : »Was sich begeben und zugetragen hat«. Die Zeitung als Quelle im Geschichtsunterricht. In: Markus Bernhardt/Gerhard Henke-Bockschatz/Ders. (Hrsg.): Bilder – Wahrnehmungen – Konstruktionen. Reflexionen über Geschichte und historisches Lernen. Festschrift für Ulrich Mayer zum 65. Geburtstag. Schwalbach/Ts. 2006, S. 242–255.

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schließlich der Abdruck der von der Wehrmachtsführung erlassenen verbrecherischen Befehle, weil diese die geltenden Gesetze der Kriegsführung außer Kraft setzten und den Kampf gegen die Sowjetunion zum Ausrottungs- und Vernichtungskrieg machten. Zu denken ist hier vor allem an den »Kommissarbefehl«, den »Kriegsgerichtsbarkeitserlass« und den Befehl zum »Verhalten der Truppe im Ostraum«. Bildquellen Bilder sind insofern für die Analyse von Bedeutung, als sie in den herangezogenen Schulgeschichtsbüchern einen unverkennbar großen Raum einnehmen. Genügten Bilder im Schulbuch lange Zeit nur einem rein illustrativen Zweck, dienen sie seit Beginn der 1990er Jahre zunehmend als Quellen. Gleichwohl wird auch noch in der Gegenwart die geschichtsdidaktische Forderung, Bilder als historische Quellen ernst zu nehmen bzw. ihnen als Medien historischen Lernens mehr Aufmerksamkeit zu schenken, nicht konsequent umgesetzt, wie sich z. B. an fehlenden Arbeitsaufträgen ablesen lässt.294 Hinzu kommt, dass Schulbuchmacherinnen und -macher bis heute – bewusst oder unbewusst – grundlegende Qualitätsstandards für die Präsentation von Bildern nicht konsequent einhalten: Bilder werden regelmäßig beschnitten, nachkoloriert oder durch erläuternde Legenden mit sachfremden Kommentaren versehen.295 294 Vgl. allgemein zur Arbeit mit Bildquellen im Geschichtsunterricht Klaus Bergmann/Gerhard Schneider : Das Bild. In: Hans-Jürgen Pandel/Gerhard Schneider (Hrsg.): Handbuch Medien im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 6., erw. Aufl. 2011, S. 225–268; Elisabeth Erdmann: Bilder sehen lernen. Vom Umgang mit Bildern als historische Quellen. In: Praxis Geschichte H. 2/2002, S. 6–11; Edda Grafe/Hilke Günther-Arndt/Carsten Hinrichs: Bildliche Quellen und Darstellungen. In: Hilke Günther-Arndt/Meik Zülsdorf-Kersting (Hrsg.): Geschichts-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 6., überarb. Neuaufl. 2014, S. 100–131; Christoph Hamann: Bildquellen im Geschichtsunterricht. In: Michele Barricelli/Martin Lücke (Hrsg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Bd. 2. Schwalbach/Ts. 2012, S. 108–124; Christoph Hamann: Visual History und Geschichtsdidaktik. Bildkompetenz in der historisch-politischen Bildung. Herbolzheim 2007; Ulrich Mayer : Umgang mit Bildern. In: Geschichte lernen H. 28 (1992), S. 38–42; HansJürgen Pandel: Bildinterpretation. In: Ulrich Mayer/Ders./Gerhard Schneider (Hrsg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 4. Aufl. 2013, S. 172–187; Hans-Jürgen Pandel: Bildinterpretation. Die Bildquelle im Geschichtsunterricht (Bildinterpretation I). Schwalbach/Ts. 3. Aufl. 2015; Hans-Jürgen Pandel: Bildlichkeit und Geschichte. In: Geschichte lernen H. 5 (1988), S. 10–17; Michael Sauer : Bilder im Geschichtsunterricht. Typen – Interpretationsmethoden – Unterrichtsverfahren. Seelze 4. Aufl. 2012; Michael Sauer : Bilder (Stichworte zur Geschichtsdidaktik). In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51, 2000, H. 2, S. 114–124. 295 Vgl. Günter Kaufmann: Neue Bücher – alte Fehler. Zur Bildpräsentation in Schulgeschichtsbüchern. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51, 2000, H. 2, S. 68–87; Michael Sauer : Fehlende Standards, mangelnde Vorarbeiten. Zu den Problemen der Bildverwendung in Unterrichtsmedien. In: Uwe Uffelmann/Manfred Seidenfuß (Hrsg.): Verstehen und Vermitteln. Armin Reese zum 65. Geburtstag. Idstein 2004, S. 367–381; Michael

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Fotografien Da die Fotografie die wichtigste Bildgattung für die Zeitgeschichte ist296, verwundert es wenig, dass gerade die Kapitel zum Nationalsozialismus mit fotografischen Abbildungen reichhaltig versehen sind. Das in den Schulbüchern abgedruckte Bildquelleninventar gibt dabei deutliche Hinweise darauf, welche historischen Tatbestände zu bestimmten Zeiten besonders hervorgehoben bzw. kaschiert werden. Jürgen Hannig fasst diesen Aspekt pointiert zusammen: »Wie Texte sind solche Fotografien Dokumente für bestimmte zeitgebundene Sichtweisen, Interpretationen und Sinngebungen für Situationen, Personen und Ereignisse in der Geschichte. Das Foto spiegelt zwar einen perspektivischen Ausschnitt vergangenen Geschehens wider, es dokumentiert im Rezeptionszusammenhang des Schulgeschichtsbuchs aber auch (vielleicht vor allem) kollektive visuelle Interpretationen und traditionswürdige Auffassungen.«297 Als Träger und Quellen von Geschichtskultur stehen »Schulbuch-Bilder« somit immer in einem spezifischen Bedeutungsrahmen, innerhalb dessen Schülerinnen und Schüler Geschichte wahrnehmen.298 Da mit Fotografien im Allgemeinen und zum Holocaust im Besonderen eine Reihe von Problemen verbunden ist, müssen im Folgenden einige grundlegende Anmerkungen zu dieser Quellengattung ausgeführt werden. Zunächst zum Allgemeinen: Von Fotografien geht spätestens seit der »Medialisierung der Zeitgeschichte«299 eine ungemeine Wirkungsmächtigkeit aus. Vom Publikum wird ihnen nicht selten ein höherer Zeugniswert als anderen Quellen zugewiesen: Fotografien seien authentisch, objektiv, realistisch, wahr. Das geht vielfach soweit, dass das, was nicht auf einem Foto verbürgt ist, als (historisch) nichtexistent angesehen wird. Die Subjektivität und Perspektivität der Fotografie werden dagegen nur selten hinterfragt.300

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Wobring: Die Reproduktion historischer Bildvorlagen im Schulgeschichtsbuch. Technische Möglichkeiten, Mängel und Chancen. In: Ders./Susanne Popp (Hrsg.): Der europäische Bildersaal. Europa und seine Bilder. Analyse und Interpretation zentraler Bildquellen. Schwalbach/Ts. 2013, S. 180–186. Vgl. grundlegend Christine Brocks: Bildquellen der Neuzeit. Paderborn 2012, S. 85–104; Christoph Hamann: Fotografische Quellen. In: Markus Furrer/Kurt Messmer (Hrsg.): Handbuch Zeitgeschichte im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 2013, S. 293–315; Michael Sauer : Fotografie als historische Quelle. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 53, 2002, H. 10, S. 570–593. Jürgen Hannig: Bilder, die Geschichte machen. Anmerkungen zum Umgang mit »Dokumentarfotos« in Geschichtslehrbüchern. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 40, 1989, H. 1, S. 10–32, hier S. 25. Vgl. Gerhard Paul: Visual History und Geschichtsdidaktik. Grundsätzliche Überlegungen. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 12 (2013), S. 9–26, hier S. 18f. Frank Bösch: Journalisten als Historiker. Die Medialisierung der Zeitgeschichte nach 1945. In: Vadim Oswalt/Hans-Jürgen Pandel (Hrsg.): Geschichtskultur. Die Anwesenheit von Vergangenheit in der Gegenwart. Schwalbach/Ts. 2009, S. 47–62. Vgl. Gerhard Paul: Die Macht der Bilder in der Mediengesellschaft. In: Stiftung Haus der

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Natürlich besitzen Fotografien einen hohen dokumentarischen Wert und erlauben somit eine große Annäherung an die Wirklichkeit. Sie können den Betrachterinnen und Betrachtern z. B. Informationen darüber liefern, dass ein historisches Ereignis stattgefunden hat, unter welchen Umständen das geschah oder welche Personen daran beteiligt waren. Aber eine Fotografie ist kein unmittelbares Abbild der historischen Wirklichkeit, sondern stellt immer eine perspektivische Inszenierung und Interpretation einer historischen Realität dar. Folglich zeichnen sich Fotografien durch einen besonders stark ausgeprägten »Fragmentcharakter«301 aus. Diese Eigenschaft hat Michel Sauer treffend zusammengefasst: »In der Tat zeigen Fotos mehr an Realität als die meisten anderen Bildgattungen. Denn eine Fotografie gibt nur das wieder, was sich tatsächlich vor dem Objektiv befindet. Der Fotograf kann nicht wie der Maler oder der Kupferstecher nach Belieben Themen und Gegenstände (auch aus Vergangenheit und Zukunft) oder Darstellungsweisen auswählen und ausdenken – obgleich hier digitale Fotografie und Bildbearbeitung völlig neue Möglichkeiten (oder auch Gefahren) mit sich bringen. Zugleich jedoch ist das Bild der ›Wirklichkeit‹, das uns Fotografien vermitteln, reduziert und gebrochen. Das liegt zunächst an den technischen Grundmerkmalen des Mediums. Fotos geben immer nur einen Ausschnitt des Raumes wieder. Genauso bei der Zeit: Fotos zeigen keine Zeitabläufe, sondern ein einzelnes stillgelegtes Bild (abgesehen von Bildreihen). Die Sinneswahrnehmung beschränkt sich auf das Visuelle – wir erfahren nichts über Geräusche, Gerüche oder Temperaturen. Es gibt zwar nur wenige Bildgattungen, für die diese Einschränkungen nicht gelten. Bei der Fotografie jedoch sind sie uns weniger bewusst, weil wir sie gleichsam mit einem besonderen ›Authentizitätsbonus‹ versehen. Natürlich werden die Bilder auch von den Menschen beeinflusst, die sie aufnehmen und bearbeiten. Der Fotograf entscheidet sich für ein Motiv, einen Standort, einen Ausschnitt, eine Perspektive. Er wählt das Objekt, die Blende und die Belichtungszeit. Von ein und derselben Situation können deshalb völlig unterschiedliche Bilder entstehen: Ein Redner zum Beispiel kann mit seiner Zuhörerschaft klein und von oben (Obersicht, Vogelperspektive) oder allein von unten (Untersicht, Froschperspektive) dunkel und massiv gegen den Himmel aufgenommen sein.«302

Beim Thema »Holocaust« kommt hinzu, dass unser visueller Vergangenheitsbezug in einem hohen Maße kanonisiert ist. Immer wieder in Zeitschriften, Broschüren, Filmen, Ausstellungen, (populär-)wissenschaftlichen Fotobänden oder eben auch Schulbüchern publizierte Fotografien verfügen über einen großen Bekanntheitsgrad. Durch ihre mediale Streuung haben sie Eingang in Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Bilder im Kopf. Ikonen der Zeitgeschichte. Bonn 2009, S. 86–97, hier S. 88f. 301 Hartmann Wunderer : Abbildungen der Welt? Zur Problematik von Fotografien im Geschichtsunterricht. In: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 28, 2000, H. 1/2, S. 47–56, hier S. 50. 302 Michael Sauer: Fotos im Geschichtsunterricht. In: Geschichte lernen H. 91 (2002), S. 8–16, hier S. 9.

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den Bildervorrat des kollektiven Gedächtnisses gefunden und formen somit ganz maßgeblich die öffentliche Erinnerung. Anders gewendet: Geschichtskulturelle Sinnbildung erfolgt zu einem Großteil auf der Basis von Bildern, die den kanonischen Status eines Schlüsselbildes erlangt haben. Zu diesen sogenannten »Ikonen der Vernichtung«303, die einem breiten Publikum durch die erstmals 1960 erschienene und seitdem mehrfach aufgelegte Fotodokumentation »Der gelbe Stern« von Gerhard Schoenberner zugänglich wurden304, zählen (1) die Aufnahmen aus dem »Auschwitz-Album«, das auch als »Lilli-Jacob-Album« bekannt ist und dessen etwa 200 Fotografien aus verschiedenen Blickwinkeln die Ankunft, Selektion und Vorbereitung zur physischen Vernichtung von ungarischen Juden im Mai 1944 in Auschwitz-Birkenau zeigen305, (2) die Bilder von der Räumung des Warschauer Ghettos aus dem »Stroop-Bericht«, der unter dem markigen Titel »Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr« vom SS-Brigadeführer Jürgen Stroop verfasst wurde306, (3) das Foto vom Torhaus Auschwitz-Birkenau, das Stanislaw Mucha 303 Vgl. Cornelia Brink: Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945. Berlin 1998, S. 231–241. 304 Vgl. Gerhard Schoenberner : Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933 bis 1945. Hamburg 1960. Vgl. hierzu Cornelia Brink: »Ein Buch von Toten«. Gerhard Schoenberners Fotodokumentation der Judenverfolgung. In: Jürgen Danyel/Jan-Holger Kirsch/Martin Sabrow (Hrsg.): Fünfzig Klassiker der Zeitgeschichte. Göttingen 2007, S. 61–65. 305 Vgl. Israel Gutman/Bella Gutterman (Hrsg.): Das Auschwitz-Album. Die Geschichte eines Transports. Göttingen 2005. 306 Vgl. Jürgen Stroop: »Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr«. StroopBericht. Mit Vorworten aus den Jahren 1960 und 1976 von Andrzej Wirth. Darmstadt 1976. Die bekannteste Fotografie ist gewiss jene, die die Gefangennahme einer Gruppe jüdischer Männer, Frauen und Kinder kurz vor der Niederschlagung des Aufstandes im Warschauer Ghetto im Mai 1943 zeigt und in deren Bildmittelpunkt ein kleiner, verängstigter Junge mit erhobenen Händen steht. Die ursprüngliche Unterschrift des berühmt gewordenen Bildes lautet: »Mit Gewalt aus den Bunkern geholt«. Vgl. Aleida Assmann: Ein Bild und seine Geschichten. In: Harald Roth (Hrsg.): Was hat der Holocaust mit mir zu tun? 37 Antworten. München 2014, S. 218–223; Christoph Hamann: Der Junge aus dem Warschauer Getto. Der Stroop-Bericht und die globalisierte Ikonografie des Holocaust. In: Gerhard Paul (Hrsg.): Bilder, die Geschichte schrieben. 1900 bis heute. Göttingen 2011, S. 106–115; Christoph Hamann: »Die Wendung aufs Subjekt«. Zum Foto des Jungen aus dem Warschauer Ghetto 1943. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51, 2000, H. 10, S. 727–741; Christoph Hamann: Wechselrahmen. Narrativierungen von Schlüsselbildern – das Beispiel vom Foto des kleinen Jungen aus dem Warschauer Ghetto. In: Werner Dreier u. a. (Hrsg.): Schlüsselbilder des Nationalsozialismus. Fotohistorische und didaktische Überlegungen. Innsbruck/Wien/Bozen 2008 (Konzepte und Kontroversen. Materialien für Wissenschaft und Unterricht in Geschichte – Geographie – Politische Bildung, Bd. 6), S. 28–42; Habbo Knoch: Der Junge aus dem Warschauer Ghetto – Ikone des Entsetzens. In: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Bilder im Kopf. Ikonen der Zeitgeschichte. Bonn 2009, S. 40–49; Sebastian Schönemann: Kulturelles Bildgedächtnis und kollektive Bilderfahrung. Die visuelle Semantik der Erinnerung am Beispiel des Fotos des Jungen aus dem Warschauer Ghetto. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 12 (2013), S. 46– 60.

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wenige Wochen nach der Befreiung des Vernichtungslagers durch die Rote Armee aufnahm307 und (4) die Bilder aus den Tagen der Befreiung der Konzentrationslager im »Altreich«, die sowohl von offiziellen Armee- und Pressefotografen als auch von normalen Soldaten der Alliierten angefertigt wurden.308 Im Zusammenhang mit der Ermordung der europäischen Juden und dem deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion speist sich unser Bildgedächtnis darüber hinaus ganz überwiegend aus Fotografien, die von den Tätern selbst aufgenommen wurden.309 Diese »Täterfotos« lassen sich grob in zwei Gruppen unterteilen: (1) offizielle Aufnahmen vom Elend in den Ghettos, von Massenerschießungen oder von der industriellen Tötung in den Lagern durch beauftragte Fotografen mit Berechtigungspapieren zur Dokumentation für höhere Dienststellen; (2) private Erinnerungsbilder, auf denen sich SS-Männer, Mitglieder der Gestapo oder Soldaten der Wehrmacht – trotz striktem Aufnahmeverbots – mit »ihren« Opfern portraitieren lassen.310 Diese Amateurfotografien fungieren dabei gewissermaßen als Renommierstücke und/oder Leistungsnachweise der besonderen Tüchtigkeit im Rassenkrieg.311 Die offiziellen Aufnahmen weisen meist ähnliche Merkmale auf: Sie banalisieren grundsätzlich die Vorgänge, indem sie nur in den seltensten Fällen die Gräuel selbst zeigen. Versehen sind diese Bilder häufig mit euphemistischen und zynischen Kommentaren, die eindeutig verharmlosend sind. Die zum Tode bestimmten Opfer werden zudem meist aus der Ferne oder als anonymisierte und objektivierte Menschenmasse gezeigt. Auf Privatfotos, die vor allem die 307 Vgl. Christoph Hamann: Fluchtpunkt Birkenau. Stanislaw Muchas Foto vom Torhaus Auschwitz-Birkenau (1945). In: Gerhard Paul (Hrsg.): Visual History. Ein Studienbuch. Göttingen 2006, S. 283–302 sowie Christoph Hamann: Torhaus Auschwitz-Birkenau. Ein Bild macht Geschichte. In: Gerhard Paul (Hrsg.): Bilder, die Geschichte schrieben. 1900 bis heute. Göttingen 2011, S. 124–131. 308 Zu dieser »Lagerfotografie« zählen Bilder von ausgemergelten und fast verhungerten Menschen, vorgefundenen Leichenbergen, überlebenden Häftlingen hinter Stacheldraht sowie von Schuh-, Haar-, Brillen-, Koffer- oder Zahngoldbergen. Vgl. Habbo Knoch: Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur. Hamburg 2001, S. 123–156 sowie Nicole Wiedenmann: »So ist das, was das Bild dokumentiert, das Gegenteil dessen, was es symbolisiert«. Holocaustfotografie im Spannungsfeld zwischen Geschichtswissenschaft und Kulturellem Gedächtnis. In: Fabio Crivellari u. a. (Hrsg.): Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive. Konstanz 2004 (Historische Kulturwissenschaft, Bd. 4), S. 317–349. 309 Vgl. Christopher Brandt/Jan Robert Weber : Täter-Fotos. Abbildung oder Inszenierung von Kriegswirklichkeit? In: Praxis Geschichte H. 1/2006, S. 28–32. 310 Vgl. Dieter Reifarth/Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Die Kamera der Täter. In: Hannes Heer/ Klaus Naumann (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944. Hamburg 1995, S. 475–503. 311 Vgl. Kathrin Hoffmann-Curtius: Trophäen und Amulette. Die Fotografien von Wehrmachts- und SS-Verbrechen in den Brieftaschen der Soldaten. In: Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie 20, 2000, H. 78, S. 63–76.

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»Wehrmachtsausstellung« in die öffentliche Wahrnehmung gebracht hat, sieht man dagegen auch, wie Menschen gequält, gehängt oder erschossen werden.312 Prominentestes Beispiel für ein »Täterbild«, das unsere heutige Vorstellung vom Holocaust nachhaltig prägt, ist das Foto aus dem bereits angesprochenen »Auschwitz-Album«, das die Selektion von Jüdinnen und Juden aus Ungarn an der Rampe in Birkenau vom Dach eines Deportationszuges im Mai 1944 zeigt.313 Wenngleich das Foto die Tatsächlichkeit des Geschehens auf eindrückliche Art und Weise dokumentiert, zeigt es doch, davon war ebenfalls bereits die Rede, nicht die unmittelbare Wirklichkeit, sondern als »Täterfoto« nur eine bestimmte Sichtweise auf sie. Nach Christoph Hamann stellt die Fotografie eine »Reproduktion des kühl-distanzierten Täterblicks«314 dar. Sie blende die Opferperspektive aus und gebe nur eine Momentaufnahme des Vernichtungsprozesses wieder. Nicht dokumentiert seien »der Gestank, das Gebrüll und der Lärm, das individuelle Trauma nach der gewaltsamen Trennung von Familienangehörigen, die Gewalt der Wachmannschaften, Hetze und Hektik, das Gefühl des Ausgeliefertseins, der Ohnmacht und der Erschöpfung«315. Selbst neuere Geschichtslehrwerke bilden diese Fotografie nicht selten in objektiv dokumentierender Funktion ab und reproduzieren somit unbeabsichtigt die Semantik der nationalsozialistischen Rassenideologie. Schülerinnen und Schüler sehen die Opfer gleichsam mit den Linsen der Täter. In der Schule wird also bis heute – zugespitzt formuliert – NS-Propaganda betrieben. »Visuell«, so betonte Gerhard Paul bereits 1990, »ist der Faschismus keineswegs tot.«316 Trotz der skizzierten Probleme hat die Quellengattung »Fotografie« natürlich auch unbestreitbare Vorteile. Viele Fotos – vor allem die aus technischer Sicht eher dürftigen »Knipserfotos« von dem NS-Regime und seiner Ideologie entweder nahe oder fern stehenden Hobbyfotografen – sind nämlich Belege dafür, dass der nationalsozialistische Terror gegen die Juden nicht nur im Verborgenen, an Schreibtischen oder »irgendwo im Osten«, sondern im unmittelbaren Lebens- und Erfahrungsbereich der »Volksgemeinschaft« stattfand. Bilder von unterschiedlichen antijüdischen Aktionen und Diskriminierungen in der

312 Vgl. Ulf Scharrer : Die Linsen der Täter. Fotografien als Quellen zum Holocaust. In: Geschichte lernen H. 69 (1999), S. 52–55. 313 Das Foto wurde vermutlich von SS-Hauptscharführer Bernhard Walter oder seinem Assistenten, SS-Unterscharführer Ernst Hoffmann, angefertigt. Im Originalalbum trägt die Aufnahme die kalligraphische Unterschrift »Aussortierung«. 314 Christoph Hamann: Sehepunkte und Bildkompetenz. Zur Ikonografie des Nationalsozialismus im Unterricht. In: Hanns-Fred Rathenow/Birgit Wenzel/Norbert H. Weber (Hrsg.): Handbuch Nationalsozialismus und Holocaust. Historisch-politisches Lernen in Schule, außerschulischer Bildung und Lehrerbildung. Schwalbach/Ts. 2013, S. 187–204, hier S. 198. 315 Ebd. 316 Gerhard Paul: Der Aufstand der Bilder. Die NS-Propaganda vor 1933. Bonn 1990, S. 12.

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Frühphase der NS-Diktatur317, von den Pogromen im November 1938318 oder den Deportationen der deutschen Juden und der anschließenden Versteigerung ihres Eigentums319 dokumentieren die zum Teil erhebliche Resonanz, auf die die Judenverfolgung beim Publikum stieß. Zuschauer am Straßenrand, die zu direkten Augenzeugen des Geschehens wurden, sind beileibe keine Seltenheit. Ergänzend zu und vielleicht auch unmittelbarer und dichter als Textquellen, so könnte man annehmen, vermitteln solche Fotografien den Betrachterinnen und Betrachtern einen Eindruck davon, wie zumindest Teile der Gesellschaft auf die Diskriminierung und Verfolgung der Juden reagiert haben. Eine direkte Antwort auf die Frage, wie die nichtjüdische Mehrheitsbevölkerung das Geschehen gesehen hat, halten solche Fotos allerdings nur äußerst beschränkt bereit. Im Blick auf die Vielfalt möglicher Reaktionen und Verhaltensweisen des Publikums sind Fotografien in ihrem Aussagewert als solche begrenzt, weil sie nur eine situative Ereignisdokumentation darstellen, nämlich von den Momenten, die fotografisch festgehalten wurden. Hinzu kommt, dass quasi zwangsläufig Reaktionen öffentlicher Zustimmung auf Brandmarkung und Gewalt gegen die Juden gegenüber äußerlich unauffälligen Verhaltensweisen hervorstechen. Eine vorschnelle Interpretation, die anhand von einzelnen Fo317 Hierzu zählen die Fotos vom Boykott am 1. April 1933, die in der Regel SA- und SSAngehörige vor den mit antisemitischen Zetteln und Plakaten behängten jüdischen Geschäften zeigen, Fotos zu antijüdischen Parolen im Straßen- und Ortsbild (z. B. Schaukästen der antisemitischen Wochenzeitung »Der Stürmer«, Ortseingangsschilder mit dem Zusatz »Dieser Ort ist judenfrei« oder Verbotstafeln an Schwimmbädern und Gaststätten) und Fotos zur popularisierten Verhöhnung der Juden während der Karnevals- bzw. Fastnachtsumzüge. Vgl. Klaus Hesse: Sichtbarer Terror – Öffentliche Gewalt gegen deutsche Juden 1933–1936 im Spiegel fotografischer Quellen. In: Werkstatt Geschichte 35, 2003, S. 44–56; Klaus Hesse/Philipp Springer : Vor aller Augen. Fotodokumente des nationalsozialistischen Terrors in der Provinz. Essen 2002, S. 67–88; Gerhard Paul: Der Judenboykott vom 1. April 1933. Vom Originalbild zur Retusche – Etappen der lokalen Erinnerungspolitik. In: Jürgen Matthäus/Klaus-Michael Mallmann (Hrsg.): Deutsche, Juden, Völkermord. Der Holocaust als Geschichte und Gegenwart. Darmstadt 2006 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 7), S. 293–310. 318 Überliefert sind Fotografien, auf denen brennende oder abgebrannte Synagogen am 9./ 10. November 1938 zu sehen sind, fernerhin Bilder zur ritualisierten Zerstörung von Synagogeninventar, Plünderung von Geschäften und Schändung von Friedhöfen. Schließlich gibt es eine Reihe von Fotos zur Verhaftung von Juden, die in geordneten Zügen durch »ihre« Stadt ziehen mussten. Vgl. Hesse/Springer : Vor aller Augen, S. 89–116. 319 Verschiedene Bilder zeigen die organisierte Massenverschleppung von Menschen sowohl aus kleineren Ortschaften als auch aus größeren Städten, außerdem die folgende öffentliche Versteigerung des Hausrats der Deportierten. Vgl. Klaus Hesse: Bilder lokaler Judendeportationen. Fotografien als Zugänge zur Alltagsgeschichte des NS-Terrors. In: Gerhard Paul (Hrsg.): Visual History. Ein Studienbuch. Göttingen 2006, S. 149–168; Hesse/Springer : Vor aller Augen, S. 135–176; Andreas Nachama/Klaus Hesse (Hrsg.): Vor aller Augen. Die Deportation der Juden und die Versteigerung ihres Eigentums. Fotografien aus Lörrach, 1940. Berlin 2011 (Topographie des Terrors Notizen, Bd. 1).

Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes

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tografien auf ein Kollektivverhalten der Bevölkerung schließt, verbietet sich daher. Fachtexte Der letzte Baustein der Arbeitsteile, der besondere Aufmerksamkeit in der Analyse verlangt, ist der Abdruck von Auszügen aus (voneinander abweichenden) Darstellungen von Historikern sowie Beiträgen von Politikern oder anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Ihr heuristischer Wert liegt darin begründet, dass sie das Schulbuch an den geschichtswissenschaftlichen und geschichtskulturellen Diskurs der jeweils zeitgenössischen Gegenwart zurückbinden. Da sich solche »Fachtexte« durch perspektivische Deutungen und qualifizierende Wertungen auszeichnen, zeigen sie, wie zu einer bestimmten Zeit über Geschichte gedacht und geschrieben wurde.320 Wichtig ist dabei insbesondere: Will ein Lehrwerk dogmatische Einstellungen in der historischen Deutung vermeiden, muss es auch auf der Ebene der Darstellungen multiperspektivisch verfahren.321 Fazit Resümierend ist festzuhalten: Die Einbeziehung der im Arbeitsteil dargebotenen Materialien ist deshalb so zentral, weil durch die Auswahl das Untersuchungsergebnis ganz entscheidend beeinflusst wird. Wenn bei einer Schulbuchanalyse nämlich ausschließlich die Verfassertexte im Hinblick auf ihre fachliche Adäquatheit geprüft werden, die Arbeitsteile aber unberücksichtigt bleiben, entgehen der Forscherin bzw. dem Forscher wesentliche Versatzstücke historischer Deutung. Außerdem: Eine adäquate Schulbuchanalyse, die dem Medium »Schulbuch« gerecht werden will, darf sich nicht nur auf die von den Schulbuchautorinnen und -autoren geschriebenen Texte beschränken, sondern muss auch die verschiedenen Vermittlungselemente angemessen berücksichtigen. Eine abschließende Beurteilung und Bewertung eines Schulbuches bzw. Schulbuchkapitels ist ohne diesen didaktischen Zugriff schlechterdings unmöglich.322 320 Vgl. Hans-Jürgen Pandel: Fachtexte. In: Ders./Gerhard Schneider (Hrsg.): Handbuch Medien im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 6., erw. Aufl. 2011, S. 84–97. 321 Vgl. Hilke Günther-Arndt: Dargestellte Geschichte interpretieren. In: Dies./Saskia Handro (Hrsg.): Geschichts-Methodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 5., überarb. Neuaufl. 2015, S. 167–173; Dietmar von Reeken: Arbeit mit Geschichtsdarstellungen. In: Hilke Günther-Arndt (Hrsg.): Geschichts-Methodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 4. Aufl. 2012, S. 169–173; Joachim Rohlfes: Arbeit mit Fachliteratur. In: Bernd Hey u. a.: Umgang mit Geschichte. Geschichte erforschen und darstellen – Geschichte erarbeiten und begreifen. Stuttgart 1992, S. 98–110. 322 Dietrich Scholle hat bereits im Jahr 1997 zu Recht darauf insistiert, dass sich »fachwissenschaftliche Aspekte des Schulbuches […] nicht wie in einer Vermittlungs- oder gar

106

4.

Untersuchungsdesign

Gang der Analyse

Methodisch wird ein inhaltsanalytischer Zugang mit qualitativer Ausrichtung gewählt, wie er bereits allgemein in Kapitel III, Abschnitt 2.2.2 erläutert worden ist. Das Verfahren gewährleistet die nötige Systematisierung, gleichzeitig ermöglicht es ausreichende Flexibilität und Differenzierung.323 Philipp Mayring, dessen Verfahren als das wahrscheinlich derzeit bekannteste gelten kann, unterstreicht zu Recht, dass die qualitative Inhaltsanalyse kein Standardinstrument ist, welches immer in gleicher Weise angewendet werden kann. Vielmehr müsse sie stets »an den konkreten Gegenstand, das Material angepasst sein und auf die spezifische Fragestellung hin konstruiert werden«324. Mayring unterscheidet dazu drei Techniken: die Zusammenfassung, die Explikation und die Strukturierung.325 Für Schulbuchanalysen geeignet ist hiervon das letztgenannte Verfahren, bei dem es – allgemein formuliert – um die Verdichtung bzw. Einschätzung des Materials aufgrund bestimmter Kriterien geht. Oder in Mayrings Worten ausgedrückt: Ziel dieser inhaltsanalytischen Technik ist es, »bestimmte Aspekte aus dem Material herauszufiltern«326, also »unter vorher festgelegten Ordnungskriterien einen Querschnitt durch das Material zu legen«327. Für den Ablauf der eigentlichen Analyse der Geschichtsschulbücher erfordert diese Technik drei konkrete Arbeitsschritte: (1) Es müssen diejenigen Stellen in den Lehrwerken kategorial erfasst werden, die im Hinblick auf die der Untersuchung zugrundeliegenden Fragestellung von Bedeutung sind. (2) Die einzelnen »Fundstellen« müssen anhand der deduktiv und induktiv gewonnenen und entwickelten Kategorien jeweils zu einer Gesamtdarstellung gebündelt werden. Im Vergleich328 unterschiedlicher Ausprägungen im Sample müssen typische

323

324 325 326 327 328

Lernzielfragen freien Fachdiskussion analysieren und bewerten [lassen], sondern nur im Zusammenhang mit diesen« (Dietrich Scholle: Schulbuchanalyse. In: Klaus Bergmann u. a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. Seelze-Velber 5., überarb. Aufl. 1997, S. 369– 375, hier S. 371). Auf die Durchführung einer Frequenz- oder Raumanalyse wird verzichtet. Für die zu untersuchende Frage nach den in Geschichtsschulbüchern dargebotenen Narrativen und über sie transportierten Deutungen besitzt weder das Auszählen von beispielsweise Namensnennungen noch die Seiten- bzw. Zeilenzählung einen besonderen Aussagewert. Philipp Mayring: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim/Basel 11., akt. u. überarb. Aufl. 2010, S. 49. Vgl. ebd., S. 67–109. Ebd., S. 65. Ebd. Beim Vergleich handelt es sich um eine Methode, mit der – durch die explizite und systematische Gegenüberstellung zweier oder mehrerer Phänomene – Gemeinsamkeiten und Unterschiede erforscht werden. Der Vergleich zielt also nicht nur auf die Erfassung des Gleichen und Ähnlichen, sondern bezweckt ebenso die Aufdeckung der Differenz und des Singulären. Vgl. Michael Riekenberg: Der Vergleich. In: Ulrich Mayer/Hans-Jürgen Pandel/

Notwendige Vorbemerkungen

107

Einzelfälle fallübergreifend generalisiert, gleichzeitig aber auch besonders atypische Fälle gebührend herausgestellt werden. Ein bisweilen ausführliches Zitieren von Textstellen aus den Schulbüchern ist dabei unabdingbar, um für die Leserinnen und Leser die Überprüfbarkeit der Untersuchungsergebnisse zu gewährleisten. (3) Die aus der kategorialen Analyse gewonnenen Ergebnisse müssen bewertet werden. Die Bewertung erfolgt stets in einem Zwischenfazit für die jeweilige Lehrwerksgeneration, das die Untersuchungsergebnisse der einzelnen Kategorien bündelt. Als Beurteilungsmaßstäbe fungieren die jeweils zeitgenössischen Ergebnisse der historischen Forschung und die sich in der Öffentlichkeit vollziehenden Geschichtsdiskurse, die in Kapitel IV »Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Forschung und Öffentlichkeit« aufbereitet sind. Diese Arbeitsschritte werden bei allen vier festgelegten Lehrwerksgenerationen durchgeführt. Für jede Lehrwerksgeneration kann so der Ist-Zustand der Aufbereitung der historischen Inhalte im Schulbuch erhoben und mit normativen Überlegungen in Beziehung gesetzt werden. Der abschließende diachrone Vergleich der vier Lehrwerksgenerationen bietet dann sehr gute »Einblicke in die Transformation des kulturellen Gedächtnisses«329.

5.

Notwendige Vorbemerkungen

Drei notwendige Bemerkungen müssen noch vorausgeschickt werden. Erstens: Bei aller gebotenen Kritik, die man gegen die Aufbereitung historischer Themen in Geschichtslehrwerken erheben kann, darf nicht vergessen werden, dass der Raum, der Schulbuchautorinnen und -autoren für die Abfassung ihrer Texte und den Abdruck von Quellen und Darstellungen zur Verfügung steht, notwendigerweise begrenzt ist. Ein Geschichtsschulbuch kann somit die in der Fachwissenschaft bis ins kleinste Detail vorgetragenen Erkenntnisse niemals in Gänze wiedergeben.330 Die für die gymnasiale Oberstufe konzipierten Lehrwerke (vor allem die auf ein bestimmtes Thema sich konzentrierenden Kurshefte) sind dabei im Gegensatz zu den Mittelstufenbänden naturgemäß weniger stark vom Gerhard Schneider (Hrsg.): Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 4. Aufl. 2013, S. 269–285. 329 Saskia Handro: Zwischen Identitätsstiftung und historischem Verstehen. Kriegskindheit in deutsch-deutschen Schulgeschichtsbüchern. In: Hans-Heino Ewers u. a. (Hrsg.): Erinnerungen an Kriegskindheiten. Erfahrungsräume, Erinnerungskultur und Geschichtspolitik unter sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive. Weinheim/München 2006, S. 233– 262, hier S. 234. 330 Vgl. Ernst Hinrichs: Zur wissenschaftlichen Angemessenheit von Schulbuchtexten. Beispiel: Geschichtsbücher. In: Karl Peter Fritzsche (Hrsg.): Schulbücher auf dem Prüfstand. Perspektiven der Schulbuchforschung und Schulbuchbeurteilung in Europa. Frankfurt am Main 1992 (Studien zur internationalen Schulbuchforschung, Bd. 75), S. 97–105.

108

Untersuchungsdesign

Zwang zur Komplexitätsreduktion betroffen und können daher historische Problemstellungen ausführlicher erörtern. Zweitens: Wenn die Buchinhalte mit dem Forschungsstand verglichen werden, darf nicht übersehen werden, dass ein Schulbuch die Fortschritte der Fachwissenschaft nur mit einem gewissen Timelag transportieren kann. Dieser Verzögerungseffekt resultiert aus dem branchenüblichen Produktions- und Distributionsprozess der Schulbücher. Björn Opfer fasst zusammen: »Bei einer normalen Dauer des Genehmigungsverfahrens und ohne Komplikationen vergehen […] bei der Entstehungszeit eines Schulbuches von der Idee bis zum letztendlichen Erscheinen etwa 112 bis 212 Jahre. Bis das Schulbuch dann von den Schulen eingeführt wird und somit den Weg in die Hand des Schülers gefunden hat, verstreichen noch einmal mehrere Monate. Auf diese Weise vergehen nicht selten von der Konzeption eines Schulbuches bis zum Schulgebrauch drei, vier oder mehr Jahre. Der Möglichkeit, die aktuellste wissenschaftliche Forschung und weltpolitische Entwicklungen oder aber die sich wandelnde Jugendkultur angemessen zu berücksichtigen, sind damit leider von vornherein deutliche Grenzen gesetzt.«331

Drittens darf die von einem Schulbuch primär angesprochene Zielgruppe bei der Analyse nicht aus den Augen verloren werden. Ein Geschichtslehrwerk wird eben nicht für ausgebildete Historikerinnen und Historiker, sondern für Schülerinnen und Schüler mit wenig bis gar keinen Vorkenntnissen geschrieben. Statt sich in den Verästelungen der Wissenschaft zu verrennen, muss es also vornehmlich um historische Orientierung in Raum und Zeit sowie in vereinfachten und für den Geschichtsunterricht relevanten Inhalten gehen332 – das natürlich wiederum im besten Fall auf dem neuesten Stand der Forschung und vor allem frei von sachlichen Fehlern, denn natürlich haben auch die in der Schule Lernenden einen Anspruch auf verlässliche Wissensvermittlung. Jörn Rüsen betont zu Recht, dass ein Geschichtslehrwerk – allen Verkürzungen und Platzproblemen zum Trotz – »dem Forschungsstand als einer Art ›Vetoinstanz‹ verpflichtet«333 sei; es dürfe deshalb auch »keine historischen Interpretationen präsentieren, die dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand widersprechen«334. 331 Björn Opfer: Zwischen Markt, Politik und Wissenschaft. Wie entsteht ein Schulbuch für die gymnasiale Oberstufe? In: Martin Clauss/Manfred Seidenfuß (Hrsg.): Das Bild des Mittelalters in europäischen Schulbüchern. Berlin 2007 (Geschichtsdidaktik in Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 5), S. 117–124, hier S. 121. Vgl. auch Sauer: Schulgeschichtsbücher, S. 589: »Von den ersten Überlegungen zu einer neuen Konzeption bis zum Erscheinen eines ersten Bandes vergehen etwa zwei Jahre, wobei deutliche Abweichungen in beiden Richtungen möglich sind.« 332 Vgl. Ulrich Mayer/Peter Gautschi/Markus Bernhardt: Themenbestimmung im Geschichtsunterricht der Sekundarstufen. In: Michele Barricelli/Martin Lücke (Hrsg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Bd. 1. Schwalbach/Ts. 2012, S. 378–404. 333 Vgl. Jörn Rüsen: Das ideale Schulbuch. Überlegungen zum Leitmedium des Geschichtsunterrichts. In: Internationale Schulbuchforschung 14, 1992, H. 3, S. 237–250, hier S. 247. 334 Ebd.

IV.

Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Forschung und Öffentlichkeit

Nachdem die theoretisch-methodischen Grundlagen dargestellt worden sind, wird in diesem Kapitel der notwendige Beurteilungsrahmen für die Aufbereitung der historischen Inhalte in den Geschichtsschulbüchern entfaltet. Zum einen werden die wegweisenden Studien von deutschen und nichtdeutschen Forscherinnen und Forschern in den Blick genommen, zum anderen die in der Hauptsache in öffentlichkeitsbezogenen Präsentationsformen oder zu bestimmten Anlässen der Vergegenwärtigung der Vergangenheit beobachtbaren »Meilensteine« der Geschichtskultur. Es sei angemerkt, dass die Unterscheidung in »universitäre Geschichtsschreibung« einerseits und »öffentliche Umgangsformen mit Geschichte« andererseits ein gedankliches Konstrukt ist. Beide Bereiche sind, darauf haben z. B. Vadim Oswalt und Hans-Jürgen Pandel zu Recht hingewiesen, nicht hermetisch voneinander zu trennen, sondern aufgrund diverser Überlappungsräume wechselseitig voneinander beeinflusst: »Schon lange werden die historischen Wissenschaften nicht mehr als die einzigen legitimen Sachverwalter von Geschichte angesehen. Erschüttert ist darüber hinaus das Bild, dass nur sie es sind, die ein reflektiertes Geschichtsbild entwickeln und dann in der Gesellschaft diffundieren. Für die Geschichtswissenschaft ist deshalb das Verhältnis von geschichtswissenschaftlicher Forschung und Manifestationen der Geschichtskultur nicht mehr als Einbahnstraße zu denken, d. h. Geschichtsdarstellungen in der Öffentlichkeit sind nicht nur einseitig als banalisierte Derivate der Historischen Wissenschaften zu denken. Es gibt durchaus umgekehrte Einflussnahmen, denn Historiker bleiben ihrerseits in ihren Arbeiten von Strömungen in Literatur und Film nicht unbeeinflusst, zumal wenn sie ein verstärktes öffentliches Interesse erregen.«335 335 Vgl. Vadim Oswalt/Hans-Jürgen Pandel: Einführung. In: Dies. (Hrsg.): Geschichtskultur. Die Anwesenheit von Vergangenheit in der Gegenwart. Schwalbach/Ts. 2009, S. 7–13, hier S. 9. Vgl. auch Frank Bösch: Getrennte Sphären? Zum Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Geschichte in den Medien seit 1945. In: Klaus Arnold/Walter Hömberg/Susanne Kinnebrock (Hrsg.): Geschichtsjournalismus. Zwischen Information und Inszenierung. Berlin 2010 (Kommunikationsgeschichte, Bd. 21), S. 45–65; Hilke Günther-Arndt: Geschichte als Beruf. In: Gunilla Budde/Dagmar Freist/Dies. (Hrsg.): Geschichte. Studium –

110

Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Forschung und Öffentlichkeit

Besonders deutlich wird diese Verflechtung von Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit etwa beim Streit um das Buch »Hitlers willige Vollstrecker« des US-amerikanischen Politologen Daniel Jonah Goldhagen oder bei der Diskussion über die »Wehrmachtsausstellung«, die sich beide vor der Öffentlichkeit eines großen und in seiner Zusammensetzung disparaten Publikums abspielten und daher unter dem Abschnitt zum öffentlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit subsumiert werden. Gleichwohl beteiligten sich in beiden Fällen selbstverständlich auch etablierte Universitätshistorikerinnen und -historiker.

1.

Der akademische Diskurs über Wissen und Reaktionen der Gesellschaft

Die Ermordung der europäischen Juden gehört zu einem der am besten, wenngleich längst nicht abschließend erforschten Aspekten der jüngeren deutschen Geschichte.336 Insbesondere seit der Öffnung der Archive im damaligen Ostblock zu Beginn der 1990er Jahre entstand eine Vielzahl von thematisch breit gefächerten Forschungsarbeiten, in deren Zentrum drei Schwerpunkte stehen: (1) die Judenverfolgung in verschiedenen (osteuropäischen) Ländern und Regionen unter deutscher Gewaltherrschaft, (2) utilitäre, pragmatische und materielle versus ideologische Faktoren zur Erklärung des Völkermords und (3) der Verfolgungsapparat und seine Angehörigen.337 In den 1950er und 1960er Jahren dagegen stellte der Judenmord ein von der deutschen Zeitgeschichtsschreibung kaum beachtetes Thema dar. Selbst nach dem Frankfurter Auschwitz-Prozess, der große Aufmerksamkeit in der Presse gefunden hatte, begann die Geschichtswissenschaft nicht, sich eingehender mit Wissenschaft – Beruf. Berlin 2008, S. 32–50; Paul Nolte: Öffentliche Geschichte. Die neue Nähe von Fachwissenschaft, Massenmedien und Publikum: Ursachen, Chancen und Grenzen. In: Michele Barricelli/Julia Hornig (Hrsg.): Aufklärung, Bildung, »Histotainment«? Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute. Frankfurt am Main 2008, S. 131–146. 336 Vgl. Raul Hilberg: Incompleteness in Holocaust Historiography. In: Jonathan Petropoulos/ John K. Roth (Hrsg.): Gray Zones. Ambiguity and Compromise in the Holocaust and Its Aftermath. New York 2005, S. 81–92. 337 Vgl. mit zahlreichen Literaturverweisen Ulrich Herbert: Holocaust-Forschung in Deutschland: Geschichte und Perspektiven einer schwierigen Disziplin. In: Frank Bajohr/ Andrea Löw (Hrsg.): Der Holocaust. Ergebnisse und neue Fragen der Forschung. Frankfurt am Main 2015, S. 31–79; Peter Longerich: Zur Situation der Holocaust-Forschung in Deutschland. In: Michael Brenner/Maximilian Strnad (Hrsg.): Der Holocaust in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft. Bilanz und Perspektiven. Göttingen 2012 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 12), S. 15–26; Dieter Pohl: Die HolocaustForschung und Goldhagens Thesen. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 45, 1997, H. 1, S. 1–48.

Der akademische Diskurs über Wissen und Reaktionen der Gesellschaft

111

den Verbrechen an den europäischen Juden auseinanderzusetzen. Das vom Institut für Zeitgeschichte338 für den Prozess erstattete Gutachten, das 1965 unter dem Titel »Anatomie des SS-Staates« erschien und so eindrückliche Studien von Hans Buchheim über die SS, von Martin Broszat über die Konzentrationslager, von Hans-Adolf Jacobsen über den Kommissarbefehl und die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen sowie von Helmut Krausnick über die Verfolgung und Ermordung der Juden enthält339, wurde innerhalb der universitären Geschichtsschreibung kaum rezipiert. Ähnlich war es bereits der 1958 von Broszat herausgegebenen Edition der autobiographischen Aufzeichnungen von Rudolf Höß ergangen, die zunächst nahezu unbeachtet blieb.340 Wenn die Zeit des Nationalsozialismus in das Blickfeld der Forschung rückte, waren die Interessen ferner auf andere Themen als auf den Massenmord an den Juden gerichtet: den militärischen Verlauf des Zweiten Weltkrieges, die Machtübernahme der Nationalsozialisten, die Frühphase der NS-Diktatur oder den Widerstand gegen den Nationalsozialismus.341 Diese weitgehende Marginalisierung des Holocaust zeigt sich etwa in der ersten wissenschaftlichen Gesamtdarstellung des »Dritten Reiches« von Karl Dietrich Bracher, in der der Judenmord nur zwölf von 580 Seiten beansprucht und eher konstatiert als un-

338 Vgl. Horst Möller : Das Institut für Zeitgeschichte und die Entwicklung der Zeitgeschichtsschreibung in Deutschland. In: Ders./Udo Wengst (Hrsg.): 50 Jahre Institut für Zeitgeschichte. Eine Bilanz. München 1999, S. 1–68. 339 Vgl. Hans Buchheim u. a.: Anatomie des SS-Staates. Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte. 2 Bde. Olten/Freiburg im Breisgau 1965. 340 Vgl. Martin Broszat (Hrsg.): Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen von Rudolf Höß. Stuttgart 1958 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 5). 341 Während die inneruniversitären Diskussionen über die Zeit des Nationalsozialismus noch verhältnismäßig ruhig geführt wurden, stritten deutsche Historiker dagegen vehement über die Frage, ob das Deutsche Reich auch den Ersten Weltkrieg »entfesselt« habe, nachdem der Hamburger Historiker Fritz Fischer Anfang der 1960er Jahre die These von der deutschen Alleinschuld am Kriegsausbruch als Folge eines maßlosen Expansions- und Weltmachtstrebens vertreten hatte. Vgl. Fritz Fischer : Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. Düsseldorf 1961. Vgl. zur »Fischer-Kontroverse« Volker Berghahn: Die Fischer-Kontroverse – 15 Jahre danach. In: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), S. 403–419; Klaus Große Kracht: Die Fischer-Kontroverse: Von der Fachdebatte zum Publikumsstreit. In: Ders.: Die zankende Zunft. Historische Kontroversen in Deutschland nach 1945. Göttingen 2005, S. 47–67; Wolfgang Jäger: Historische Forschung und politische Kultur in Deutschland. Die Debatte 1914–1980 über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Göttingen 1984 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 61); Konrad H. Jarausch: Der nationale Tabubruch. Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik in der Fischer-Kontroverse. In: Martin Sabrow/Ralph Jessen/Klaus Große Kracht (Hrsg.): Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945. München 2003, S. 20–40; Georg Schöllgen: Griff nach der Weltmacht? 25 Jahre Fischer-Kontroverse. In: Historisches Jahrbuch 106 (1986), S. 386–406.

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Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Forschung und Öffentlichkeit

tersucht wird.342 Neben anderen Schwerpunktsetzungen in Forschung und Lehre gab es für diese Ausblendung mit großer Wahrscheinlichkeit noch einen weiteren entscheidenden Grund: Eine kritische Auseinandersetzung mit der Judenverfolgung und -ermordung hätte für eine nicht unbeträchtliche Zahl der Ordinarien zwangsläufig Fragen nach der eigenen Vergangenheit aufgeworfen, über die man lieber keine großen Worte verlieren wollte.343 In den 1970er Jahren wiederum verhinderten zwei – auf dünner empirischer Grundlage geführte – Debatten die konkrete Auseinandersetzung mit den Völkermord an den europäischen Juden: zum einen die von Hans-Ulrich Wehler vorgebrachte These vom »deutschen Sonderweg«, der vom Wilhelminischen Deutschland quasi zwangsläufig in die Katastrophe des Nationalsozialismus geführt habe344 ; zum anderen der zwischen den später als »Intentionalisten« und »Funktionalisten/Strukturalisten« apostrophierten Historikern ausgetragene Streit über die Bedeutung des »Faktors Hitler« für den NS-Staat, die Frage also, ob Hitler oder das System für die Vernichtungspolitik verantwortlich gewesen sei.345 Die über Jahre bestehende Geringschätzung des Holocaust als wissenschaftlich anerkanntes Forschungsfeld offenbart schließlich der Umgang mit Raul Hilbergs monumentaler Untersuchung »Die Vernichtung der europäischen Juden«. Bereits 1961 in den USA erschienen346, war sie erst 1982 in einem Westberliner Klein-Verlag in deutscher Sprache erhältlich.347 Angesichts der Entwicklung der Geschichtsschreibung über den Holocaust, die hier nur gestreift wurde, ist es wenig überraschend, dass die ersten wissenschaftlichen Arbeiten (deutscher und ausländischer Provenienz), die sich auf empirischer Grundlage darum bemühten, den Kenntnisstand und die Haltung der deutschen Bevölkerung während der »Endlösung der Judenfrage« zu re342 Vgl. Karl Dietrich Bracher : Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus. Köln 1969, S. 456–468. 343 Vgl. Christoph Cornelißen: Historikergenerationen in Westdeutschland seit 1945. Zum Verhältnis von persönlicher und wissenschaftlich objektivierter Erinnerung an den Nationalsozialismus. In: Ders./Lutz Klinkhammer/Wolfgang Schwentker (Hrsg.): Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945. Frankfurt am Main 2003, S. 139– 152. 344 Vgl. Hans-Ulrich Wehler : Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918. Göttingen 1973. 345 Vgl. zu dieser Deutungskontroverse Ian Kershaw : Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick. Reinbek bei Hamburg 1988, S. 165–208; Timothy Mason: Intention and explanation. A current controversy about the interpretation of National Socialism. In: Jane Caplan (Hrsg.): Nazism, Fascism and the Working Class. Cambridge/New York 1995, S. 212–230; Hans-Ulrich Wehler : Intentionalisten, Strukturalisten und das Theoriedefizit der Zeitgeschichte. In: Ders.: Land ohne Unterschichten? Neue Essays zur deutschen Geschichte. München 2010, S. 151–157. 346 Vgl. Raul Hilberg: The Destruction of the European Jews. Chicago 1961. 347 Vgl. Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. Die Gesamtgeschichte des Holocaust. Berlin 1982.

Der akademische Diskurs über Wissen und Reaktionen der Gesellschaft

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konstruieren, erst Ende der 1970er Jahre entstanden sind. Dies geschah vor dem Hintergrund eines allgemeinen historischen Paradigmenwechsels, bei dem als Reaktion auf die bis dahin dominierende Forschung unter politikgeschichtlichen Gesichtspunkten allmählich ein alltags- und mentalitätsgeschichtlicher Ansatz in den Mittelpunkt des Interesses rückte.348 Im Folgenden werden in Form eines chronologischen Überblicks die wichtigsten Forschungsarbeiten deutscher und ausländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum damaligen Kenntnisstand der nichtjüdischen deutschen Gesellschaft über die Verfolgung und Vernichtung der Juden und ihren Reaktionen darauf vorgestellt.349

1.1.

Erste wissenschaftliche Annäherungen

Ian Kershaw (1979) Ian Kershaw350 kommt 1979 nach einer eingehenden Untersuchung der Meinung und Haltung der deutschen Bevölkerung zur »Judenpolitik« des »Dritten Rei348 Vgl. Thomas Lindenberger : »Alltagsgeschichte« oder : Als um die zünftigen Grenzen der Geschichtswissenschaft noch gestritten wurde. In: Martin Sabrow/Ralph Jessen/Klaus Große Kracht (Hrsg.): Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945. München 2003, S. 74–91; Adelheid von Saldern: »Schwere Geburten«. Neue Forschungsrichtungen in der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft (1960–2000). In: Werkstatt Geschichte 40, 2005, S. 5–30; Detlef Siegfried: Die Rückkehr des Subjekts. Gesellschaftlicher Wandel und neue Geschichtsbewegung um 1980. In: Olaf Hartung/Katja Köhr (Hrsg.): Geschichte und Geschichtsvermittlung. Festschrift für Karl Heinrich Pohl. Bielefeld 2008, S. 125–146. 349 Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die genuin wissenschaftlichen Arbeiten zu den Verbrechen der Wehrmacht nicht in diesem Kapitel berücksichtigt. Stattdessen wird das akademische Forschungswissen in den entsprechenden Abschnitt »Wehrmacht und Vernichtungskrieg« des Kapitels zum öffentlichen Diskurs eingefügt. 350 Vgl. Ian Kershaw : Antisemitismus und Volksmeinung. Reaktionen auf die Judenverfolgung. In: Martin Broszat/Elke Fröhlich (Hrsg.): Bayern in der NS-Zeit. Bd. 2: Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt. Teil A. München 1979, S. 281–348. Teilergebnisse dieser Studie hat der Autor in weiteren Beiträgen referiert. Vgl. Ian Kershaw : Alltägliches und Außeralltägliches: ihre Bedeutung für die Volksmeinung 1933–1939. In: Detlev Peukert/ Jürgen Reulecke (Hrsg.): Die Reihen fast geschlossen. Beiträge zur Geschichte des Alltags unterm Nationalsozialismus. Wuppertal 1981, S. 273–292; Ian Kershaw : The Persecution of the Jews and German Popular Opinion in the Third Reich. In: Leo Baeck Institute Yearbook 26 (1981), S. 261–289; Ian Kershaw : Popular Opinion and Political Dissent in the Third Reich. Bavaria 1933–1945. Oxford 1983; Ian Kershaw : German Popular Opinion and the »Jewish Question«, 1939–1943. Some further Reflections. In: Arnold Paucker (Hrsg.): Die Juden im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1943. Tübingen 1986 (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts, Bd. 45), S. 365–386; Ian Kershaw : German Public Opinion during the Final Solution. Information, Comprehension, Reactions. In: Asher Cohen/Joav Gelber/Charlotte Wardi (Hrsg.): Comprehending the Holocaust. Historical and Literary Research. Frankfurt am Main 1988, S. 145–158.

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Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Forschung und Öffentlichkeit

ches« zu dem Ergebnis, dass der aggressive NS-Antisemitismus und die verschiedenen Formen der Judenverfolgung ein breites Spektrum von Reaktionen hervorgerufen haben. Die Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäftsinhaber, Viehhändler oder Gäste in Fremdenverkehrsorten, die häufig durch Gewalttätigkeiten von Parteiaktivisten flankiert wurden, seien bei der Mehrheit auf Ablehnung gestoßen. Die Missbilligung habe jedoch weniger aus Mitleid mit den bedrohten Juden resultiert, sondern aus der Befürchtung, eigene wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.351 Die Reichspogromnacht wiederum habe mehrheitlich Empörung innerhalb der Bevölkerung hervorgerufen. Aber auch hier seien überwiegend wirtschaftliche Einwände gegen die gewaltsamen Ausschreitungen und Zerstörungen geltend gemacht worden: Es seien, so die weitverbreitete Meinung, unzählige Sachwerte sinnlos vernichtet worden. Während die Mehrheit den Pogrom schweigend und missbilligend hinnahm, habe eine Minderheit sich dazu hinreißen lassen, die wütenden SA- und SS-Männer verbal anzuspornen und mit Sätzen wie »Schmeißt das Judenpack ins Feuer!« offene Schadenfreude angesichts des gewaltsamen Terrors gegen die Juden bekundet. Eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Nichtjuden habe schließlich ihr Mitgefühl gegenüber den Verfolgten deutlich zum Ausdruck gebracht und durch kleine Gesten der Solidarität versucht, ihnen beizustehen.352 Während der Kriegsjahre sei Indifferenz die vorherrschende Einstellung der meisten Deutschen gegenüber der Judenverfolgung gewesen: »Alles spricht dafür, daß das Schicksal der Juden im Osten während des Krieges so gut wie keine Rolle in der Meinungsbildung der Masse der Bevölkerung spielte. Die Menschen hatten ihre eigenen Sorgen. Man bangte um Söhne, Väter, Brüder an der Front, um die eigene Existenz bei den Luftangriffen, man sorgte sich wegen der militärischen Lage und um den Verlauf des Krieges. Die Bevölkerung war mit Versorgungs-, Wohnungs-, Produktions- und Arbeitsproblemen beschäftigt. Das Schicksal der Juden in den entfernten Ostgebieten erschien ihr demgegenüber belanglos.«353

Da die Mehrheit der Bevölkerung am Schicksal der Juden nicht mehr interessiert gewesen sei, habe sie auch den Deportationen fast keine Aufmerksamkeit geschenkt. Gleichwohl habe es gelegentlich von Soldaten auf Urlaub oder von Feindsendern verbreitete Gerüchte und Mutmaßungen über Erschießungen oder Vergasungen von Juden im Osten gegeben. Kershaw formuliert daher vorsichtig, dass der systematische Massenmord »nicht ganz unbekannt«354 gewesen sei und man wohl annehmen könne, »daß die Kenntnis – oder zumindest 351 352 353 354

Vgl. Kershaw : Antisemitismus und Volksmeinung, S. 291–308. Vgl. ebd., S. 318–336. Ebd., S. 339. Ebd., S. 347.

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eine fundierte Ahnung – von der planmäßigen Judenausrottung weiter verbreitet war, als aus dem erhalten gebliebenen Schriftgut hervorgeht«355. Dennoch sei »nicht daran zu zweifeln, daß sehr viele Leute erst durch die Enthüllungen nach dem Kriegsende zum ersten Mal von den fast unvorstellbaren Greueltaten der Vernichtungslager erfuhren«356. Man könne folglich »nicht davon ausgehen, daß die planmäßige Ausrottung in den Vernichtungslagern der Ostgebiete wie die Euthanasie-Aktion im Altreich ein ›offenes Geheimnis‹ war«357. William Sheridan Allen (1981) William Sheridan Allen358 interpretiert 1981 in einem Aufsatz die – ihm zufolge nahezu einhellige – öffentliche Ablehnung der Reichspogromnacht mit der Unempfänglichkeit des deutschen Publikums für die antisemitische NS-Propaganda. Die willkürlichen Zerstörungen, Brandstiftungen, Plünderungen und Morde seien den traditionellen Werten der deutschen Kultur (z. B. Schutz des Privateigentums, Abscheu vor Verschwendung, Religionsfreiheit, Ehrfurcht vor Recht, Ruhe und Ordnung oder Anstand dem Nachbarn gegenüber) zuwidergelaufen. Da die Deutschen die antijüdischen Gewalttätigkeiten seitens der Nationalsozialisten manifest abgelehnt hätten, bedeute dies in der Konsequenz, »daß Hitler und seine Henker die Juden aus Deutschland und anderen Teilen Europas gegen den Willen des deutschen Volkes ermordeten«359. Ian Kershaw (1981) Ian Kershaw360 hat auf die Thesen Allens in einem weiteren Aufsatz geantwortet. Er stellt hier klar, dass die Schlussfolgerung, die Juden seien »gegen den Willen des deutschen Volkes« ermordet worden, angesichts einer weitverbreiteten Gleichgültigkeit und bisweilen äußersten Feindseligkeit gegenüber den jüdischen Mitbürgern nicht haltbar ist. Zwar sei die Absicht, die »Endlösung« streng geheim zu halten, ein Beleg dafür, dass »die NS-Führung den Reaktionen der deutschen Bevölkerung auf den Massenmord mißtraute«361, und »die physische Vernichtung der Juden entsprach sicherlich keiner allgemeinen Wunschvor355 356 357 358

Ebd., S. 340. Ebd. Ebd. Vgl. William Sheridan Allen: Die deutsche Öffentlichkeit und die »Reichskristallnacht« – Konflikte zwischen Werthierarchie und Propaganda im Dritten Reich. In: Detlev Peukert/ Jürgen Reulecke (Hrsg.): Die Reihen fast geschlossen. Beiträge zur Geschichte des Alltags unterm Nationalsozialismus. Wuppertal 1981, S. 397–411. 359 Ebd., S. 409. 360 Vgl. Ian Kershaw : Indifferenz des Gewissens. Die deutsche Bevölkerung und die »Reichskristallnacht«. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 11 (1981), S. 1319–1330. 361 Ebd., S. 1330.

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stellung bei der überwiegenden Masse der Bevölkerung«362. Aber, so unterstreicht Kershaw, der Völkermord wäre »nicht möglich gewesen ohne die vorherige schrittweise Diskriminierung und Verfolgung, die sich unter passiver Tolerierung wenn nicht gar aktiver Zustimmung und Kollaboration der Öffentlichkeit vollzogen hatte«363.

Otto Dov Kulka (1982, 1983, 1984) Kritik an der von Kershaw vertretenen These, die Mehrheitsbevölkerung habe während des Zweiten Weltkrieges vorwiegend mit Indifferenz auf die »Judenfrage« reagiert, übte Otto Dov Kulka in mehreren seit Anfang der 1980er Jahre erschienenen Aufsätzen.364 Er vermag im passiven Verhalten der Deutschen im Gegenteil eine »passive Komplizenschaft« mit dem vom NS-Regime intendierten Ziel des Völkermordes an den Juden zu sehen. Die zur Schau gestellte Indifferenz gegenüber dem Schicksal der jüdischen Minderheit dürfe keineswegs mit schlichtem Desinteresse verwechselt werden, sondern müsse vielmehr als Konsens mit der von den Nationalsozialisten praktizierten »Judenpolitik« interpretiert werden. Der Umstand, dass es so wenig Kritik an den unzähligen Diskriminierungsmaßnahmen wie auch an den von verschiedenen Seiten immer wieder kolportierten Gerüchten über die Massentötungen gegeben habe, könne wohl ausschließlich mit einem – bereits lange vor dem eigentlichen Beginn der systematischen Vernichtung – in weiten Teilen der Gesellschaft entwickelten Bewusstsein für die zentrale Bedeutung des »Judenproblems« erklärt werden. Die Methode zur »Lösung« – Emigration, Segregation, Deportation oder Ermordung – sei für die Mehrheit demgegenüber zweitrangig gewesen. Der überwältigende Teil der Bevölkerung habe folglich geschwiegen, weil er mit dem Holocaust durchaus einverstanden gewesen sei – eine Interpretation, die einige Jahre später von einem jungen Doktoranden aus Harvard namens Daniel Jonah Goldhagen aufgegriffen und weiter ausgearbeitet wurde und die ihn – anders als Kulka – der Kritik, teilweise der Verachtung der Fachkollegen ausgesetzt hat.365 362 Ebd. 363 Ebd. 364 Vgl. Otto Dov Kulka: Die Nürnberger Rassengesetze und die deutsche Bevölkerung im Lichte geheimer NS-Lage- und Stimmungsberichte. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 32, 1984, H. 4, S. 582–624; Otto Dov Kulka: »Public Opinion« in Nazi Germany and the »Jewish Question«. In: Jerusalem Quarterly 25 (1982), S. 121–144; Otto Dov Kulka: »Public Opinion« in Nazi Germany. The Final Solution. In: Jerusalem Quarterly 26 (1983), S. 34–45; Otto Dov Kulka/Aron Rodrigue: The German Population and the Jews in the Third Reich. Recent Publications and Trends on German Society and the »Jewish Question«. In: Yad Vashem Studies 16 (1984), S. 421–435. 365 Vgl. zu Goldhagen ausführlich Kapitel IV, Abschnitt 2.2.6.

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Eberhard Jäckel (1981), Hans-Heinrich Wilhelm (1980), Walter Laqueur (1981) Neben Eberhard Jäckel, der einer 1981 publizierten erweiterten und überarbeiteten Neuausgabe seines erstmals 1969 erschienenen Buches »Hitlers Weltanschauung« ein Kapitel zum Verhältnis der Deutschen zu Hitler beifügt und darin kurz auf die »Judenpolitik« eingeht366, beschäftigen sich zwei Forschungsbeiträge aus den frühen 1980er Jahren systematisch mit der Frage, was über den Holocaust bereits vor Kriegsende in der Bevölkerung bekannt war bzw. bekannt sein konnte. Hans-Heinrich Wilhelm367 macht dabei auf die kontinuierliche Berichterstattung der NS-Medien (Rundfunk und Zeitung) aufmerksam, die sogar – als die Tötungen bereits weitgehend abgeschlossen waren – nachträgliche Rechtfertigungen und Rationalisierungen für die Richtigkeit der Politik der »Endlösung« kaum verschlüsselt präsentiert hätten. Es sei daher zweifelhaft, dass eine viele Millionen zählende Leser- und Hörerschaft solche Informationen schlicht überhört bzw. überlesen habe. Walter Laqueur368 weist demgegenüber auf die häufig zu Tage tretenden Fälle von Geschwätzigkeit der Männer der SS-Einsatzgruppen und des SS-Wachpersonals der Vernichtungslager hin.369 Auch Offiziere, Soldaten und Zivilisten (Eisenbahnpersonal, Techniker usw.), die Zeugen der Massenmorde an Juden in Osteuropa geworden waren, hätten in der Heimat über ihre »Erfahrungen« berichtet.370 Schließlich habe auch das immerwährende Zurücksenden des Eigentums der in den Lagern Ermordeten zumindest große Skepsis bei den deutschen Empfängern hervorrufen müssen: »Geld und andere Wertgegenstände, Goldplomben kamen auf die Banken; Bettwäsche, Brillen, Puppen, Handtaschen, Wäsche, Uhren, Pfeifen, Schirme, Füllfederhalter und diverse andere Sachen wurden an die sozialen Dienste wie die Winterhilfe oder an die 366 Vgl. Eberhard Jäckel: Hitler und die Deutschen. In: Ders.: Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft. Stuttgart 1981, S. 137–159, hier S. 140f.: »Am Anfang […] war er [Hitler] ganz offen gewesen. In den zwanziger Jahren hatte er immer wieder gesagt und geschrieben, daß ein neuer Krieg geführt werden müsse, um für Deutschland Lebensraum zu erobern, und er hatte auf das genaueste die innen- und außenpolitischen Maßnahmen genannt, die zur Vorbereitung erforderlich seien. Er hatte auch immer wieder gesagt und geschrieben, daß die Juden entfernt werden müßten, und hinzugefügt, ein solcher Vorgang sei und bleibe ›aber ein blutiger‹. Sogar das Giftgas hatte er in diesem Zusammenhang erwähnt, und dies alles in einem Buch, das schon vor 1933 in Hunderttausenden von Exemplaren verbreitet war. […] Und daß er ein Feind der Juden war, das wußten sie [die Deutschen] und nahmen es zumindest in Kauf, wenn sie es nicht geradezu billigten.« 367 Vgl. Hans-Heinrich Wilhelm: Wie geheim war die »Endlösung«? In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Miscellanea. Festschrift für Helmut Krausnick zum 75. Geburtstag. Stuttgart 1980, S. 131– 148. 368 Vgl. Walter Laqueur : Was niemand wissen wollte. Die Unterdrückung der Nachrichten über Hitlers »Endlösung«. Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1981. 369 Vgl. ebd., S. 28. 370 Vgl. ebd., S. 30.

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Familien verwundeter Soldaten weitergeleitet. In den Lagern wurden den Frauen vor der ›Sonderbehandlung‹ die Haare abgeschnitten und an die Filzfabrik Alex Zink bei Nürnberg geschickt, wo sie für Kriegszwecke verarbeitet wurden. Um es vorsichtig auszudrücken – es ist unwahrscheinlich, daß die Empfänger der Sendungen keine Vorstellung hatten, woher diese Dinge kamen.«371

Laqueur bilanziert zum Kenntnisstand der Deutschen vor 1945: »Es ist zwar richtig, daß nur eine Handvoll Deutscher alles über die ›Endlösung‹ wußte, aber nur sehr wenige wußten gar nichts.«372 Konrad Kwiet (1987) Konrad Kwiet373 vertritt 1987 in einem umfassenden historischen Rückblick auf die Holocaust-Forschung die These, dass die Einstellungen und Verhaltensweisen der deutschen Bevölkerung es der NS-Führung erleichtert wie auch überhaupt erst ermöglicht hätten, die schrittweise Ausschaltung der Juden und ihrer späteren Vernichtung in die Praxis umzusetzen.374 Auch wenn sich in der vorliegenden Fachliteratur bislang nur verstreut Hinweise auf diesen Themenkomplex finden lassen, könne in groben Umrissen eine allgemeine Verhaltenstypologie der deutschen Gesellschaft zur »Judenfrage« entworfen werden. Als bestimmende Verhaltensmuster zu unterscheiden seien – in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit geordnet – Solidarität, Aggression und Gleichgültigkeit. In den Worten Kwiets: »Ausschaltung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerungsgruppe spielten sich bis 1941 in aller Öffentlichkeit ab. Sie lösten keine allgemeine, massive Gegenwehr der deutschen Bevölkerung aus. Was man in allen Teilen Deutschlands und bis in die Deportationszeit hinein finden kann, waren einzelne Akte solidarischen Verhaltens und humanitärer Hilfestellung. So gab es Deutsche aus allen Bevölkerungskreisen, die sich über die Judenverfolgung empörten; Äußerungen des Abscheus, des Bedauerns und des Mitleids sind überliefert. Soweit bekannt, erschöpfte sich die schärfste Form einer öffentlichen Auflehnung in einer einzigen Protestdemonstration. Im Februar 1943 erzwangen deutsche Frauen in Berlin die Freilassung ihrer verhafteten jüdischen Ehemänner. Andere Sympathiebekundungen beschränkten sich auf kleine Freundlichkeiten und Gesten. So erhoben sich z. B. nach der Einführung des Judensterns vereinzelt Deutsche spontan in Verkehrsmitteln von ihren Plätzen, um dem gezeichneten ›Volksfeind‹ eine Sitzgelegenheit anzubieten. Heimlich oder offen wurden Lebensmittel oder Rauchwaren zugesteckt, Besorgungen abgenommen. Darüber hinaus gab es schließlich noch Deutsche, die über Jahre hinweg den persönlichen Umgang mit 371 Ebd., S. 31f. 372 Ebd., S. 26. 373 Vgl. Konrad Kwiet: Judenverfolgung und Judenvernichtung im Dritten Reich. Ein historiographischer Überblick. In: Dan Diner (Hrsg.): Ist der Nationalsozialismus Geschichte? Zu Historisierung und Historikerstreit. Frankfurt am Main 1987, S. 237–264. 374 Vgl. ebd., S. 248.

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dem jüdischen Bekannten pflegten und sich ab 1941 in der sicheren Erkenntnis der eigenen Lebensbedrohung und -vernichtung für die Rettung von Juden einsetzten. […] Weitaus größer dürfte die Zahl jener Deutschen gewesen sein, die ihrem Judenhaß freien Lauf ließen. Die Aggressionen entluden sich in judenfeindlichen Demonstrationen und Anpöbeleien, in Mißhandlungen und Ausplünderungen. Intensität und Ausmaß variierten. Sie traten offensichtlich weniger in Großstädten und industriellen Ballungszentren als vielmehr in jenen Regionen zutage, in denen der Antisemitismus auf eine lange Tradition zurückblicken konnte und feste Wurzeln geschlagen hatte. […] Passivität und Gleichgültigkeit als dominierende Verhaltensweise resultierten weniger aus der Tradierung und festen Verankerung einer antisemitischen Grundeinstellung, sondern vielmehr aus der sozialen Funktion, die Antisemitismus und Judenverfolgung als direktes und indirektes Herrschaftsinstrument erfüllten. Der Zusammenhang besteht darin, daß der Antisemitismus zum Prototyp der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erhoben wurde und die direkte Terrorisierung der Juden – wie anderer ›Volks- und Reichsfeinde‹ – indirekt auf die Bevölkerung zurückschlug, sie zur Anpassung, Unterwerfung und Anerkennung der nationalsozialistischen Herrschaft zwang. An der Behandlung der verfemten und sozial deklassierten jüdischen Bevölkerungsgruppe konnte die Gesamtbevölkerung erkennen und ermessen, wie es dem erging, der dem NS-Regime nicht genehm war. NS-Propaganda und Indoktrination verschafften – gleichsam als positives Pendant – der Bevölkerung die Befriedigung, Teil des privilegierten, ›auserwählten Herrenvolkes‹ zu sein. Diese Identifizierung schloß solidarisches Verhalten weitgehend aus.«375

Avraham Barkai (1988) Avraham Barkais materialreiche und quellengesättigte Studie zur »Entjudung der deutschen Wirtschaft« aus dem Jahr 1988 entlarvte die bis dahin noch nicht vollständig aus der Geschichtsschreibung verschwundene Vorstellung, die jüdischen Betriebe seien erst verhältnismäßig spät, nach dem Novemberpogrom 1938 bzw. in den letzten Vorkriegsjahren, in nichtjüdischen Besitz zwangsüberführt worden.376 Barkai kann nachweisen, dass tatsächlich bereits im unmittelbaren Kontext der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 ein regelrechter »Bereicherungswettlauf« um jüdisches Vermögen einsetzte, der sich in den Folgejahren kontinuierlich steigern sollte. Die »Arisierung« habe dabei nicht nur eine beträchtliche Zahl von überzeugten Partei- und Regierungsfunktionären auf den Plan gerufen, auch unzählige »brave« Volksgenossen, die sich ganz einfach auf Kosten der entrechteten Juden haben bereichern wollen, hätten am Verdrängungsprozess aktiv teilgenommen.377 Barkais Darstellung informiert auch über den »Judenboykott« vom 1. April 1933. Diese erste reichsweite und von der NSDAP-Parteileitung angeordnete 375 Ebd., S. 254f. 376 Vgl. Abraham Barkai: Vom Boykott zur »Entjudung«. Der wirtschaftliche Existenzkampf der Juden im Dritten Reich 1933–1943. Frankfurt am Main 1988. 377 Vgl. ebd., insbesondere S. 67–69, 80–88 und 137–146.

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antijüdische Aktion habe – nimmt man die Erinnerungen jüdischer Zeitzeugen als Bewertungsgrundlage – in der nichtjüdischen Bevölkerung unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Während manche mit Befremden und Mitgefühl reagiert hätten, sei die Masse stumpf geblieben. Mitunter sei der Boykott mit ostentativer Schadenfreude zur Kenntnis genommen worden, wobei es vor allem in ländlichen Gebieten und abgelegenen Straßen der großen Städte häufig zu Plünderungen und gewaltsamen Übergriffen gekommen sei.378 Hans Mommsen (1988) Hans Mommsen379 versucht 1988 in einem Aufsatz die Frage nach den Kenntnissen der »Zuschauer« über die NS-Massenverbrechen an den Juden in den besetzten Gebieten wie folgt zu beantworten: »Es gab niemand, der sich nicht darüber im klaren war, daß die Juden ein ungewisses Schicksal ›im Osten‹ erwartete. Desgleichen war vielen zu Ohren gekommen, daß es Erschießungen gab und daß viele Juden die Deportation nicht überlebten. Gleichwohl besaßen nur die wenigsten zum Zeitpunkt der Deportationen ein klares Bild von der systematischen Massenvernichtung. Daß es einzelne Mordaktionen gab, war ihnen sicherlich bewußt. Darüber hinausgehende Gerüchte konnten allzuleicht als alliierte Greuelpropaganda abgetan werden. […] Unzweifelhaft hat die Masse der deutschen Bevölkerung von der Existenz der Vernichtungslager und von der systematischen Massenvernichtung erst nach dem Zusammenbruch konkrete Anschauung gewonnen. […] Andererseits fehlt es nicht an Belegen dafür, daß diejenigen, die sich um Informationen bemühten, diese relativ leicht und auch ohne größeres persönliches Risiko erhalten konnten.«380

Der Autor führt drei Gründe an, weshalb der Gesamtzusammenhang des Genozids – dem Durchsickern von vielfältigen Informationen zum Trotz – den Zeitgenossen letztlich verborgen blieb. Erstens seien umlaufende Gerüchte über die Massenerschießungen zumeist als vereinzelte Übergriffe der SS abgetan worden.381 Zweitens habe die Masse der Bevölkerung die von Hitler und anderen führenden Nationalsozialisten in ihren Reden ausgestoßenen Vernichtungsdrohungen gegen die Juden nicht ernst genommen und »darin nur die Wiederholung der üblichen antisemitischen Tiraden«382 erblickt. Drittens habe die beinahe industriell organisierte »Endlösung der Judenfrage« jenseits aller Vorstellungen gelegen und somit das Verbrechen unbegreiflich gemacht.383 378 Vgl. ebd., S. 26–35. 379 Vgl. Hans Mommsen: Was haben die Deutschen vom Völkermord an den Juden gewußt? In: Walter H. Pehle (Hrsg.): Der Judenpogrom 1938. Von der »Reichskristallnacht« zum Völkermord. Frankfurt am Main 1988, S. 176–200. 380 Ebd., S. 192. 381 Vgl. ebd., S. 185. 382 Ebd., S. 186. 383 Vgl. ebd., S. 200.

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Hans Mommsen/Dieter Obst (1988) In einem weiteren Beitrag aus dem Jahr 1988, den Mommsen zusammen mit Dieter Obst verfasste, stehen die gesellschaftlichen Reaktionen auf die Verfolgung der jüdischen Minderheit im Vordergrund.384 Den beiden Autoren zufolge sei der von Joseph Goebbels organisierte Aprilboykott 1933 »ein eklatanter Mißerfolg«385 gewesen. Von einer nennenswerten Unterstützung der mit der Boykott-Aktion betrauten SA-Angehörigen könne keine Rede sein. Die Gewaltakte gegen die jüdischen Geschäftsinhaber hätten zudem stellenweise lautstarke Empörung hervorgerufen. Nach dem Ende des Boykotts sei es vermehrt zu Sympathiekäufen in jüdischen Geschäften gekommen.386 Die »Reichskristallnacht« vom 9. auf den 10. November 1938 sei ebenfalls weithin auf scharfe Ablehnung gestoßen. Allerdings habe hierbei weniger die antisemitische Stoßrichtung, sondern eher die Durchbrechung der bürgerlichen Vorstellungen von Ordnung und Sittlichkeit sowie der Ärger über die sinn- und zwecklose Zerstörung von »Volksvermögen« eine Rolle gespielt. Mommsen und Obst betonen: »Die antisemitische Grundhaltung oder Disposition wurde durch die Ausschreitungen nicht wirklich erschüttert.«387 Bei einer sehr kleinen Minderheit der Bevölkerung hätten die Gewaltexzesse ferner dazu geführt, ihren verfolgten jüdischen Mitbürgern aktive Hilfe zu leisten: »Man nahm geflüchtete Juden auf, warnte jüdische Nachbarn vor geplanten Verhaftungen, verwahrte amtliche Dokumente oder Wertgegenstände jüdischer Bürger oder versuchte, ihnen bei der Sicherung ihres Hab und Guts nach dem Ende des Pogroms behilflich zu sein.«388 Ein ähnliches Verhaltensmuster wie bei der Pogromnacht lasse sich auch bei den reichsweiten Deportationen ausmachen, welche sich »keineswegs unter dem Mantel strikter Geheimhaltung«389 vollzogen hätten. Die gewaltsamen Umstände, unter denen sich die Transporte abspielten, seien abgelehnt worden. Die Abschiebungsmaßnahmen als solche hätten dagegen breite Zustimmung innerhalb der Bevölkerung erfahren.390 Für die Kriegsjahre im Allgemeinen vertreten die Autoren, ähnlich wie schon Kershaw 1979, die Ansicht, die Bevölkerung habe der »Judenpolitik« des Regimes »trotz der antisemitischen Propaganda nahezu keine Aufmerksamkeit«391 384 Vgl. Hans Mommsen/Dieter Obst: Die Reaktion der deutschen Bevölkerung auf die Verfolgung der Juden 1933–1943. In: Hans Mommsen/Susanne Willems (Hrsg.): Herrschaftsalltag im Dritten Reich. Studien und Texte. Düsseldorf 1988, S. 374–426. 385 Ebd., S. 374. 386 Vgl. ebd., S. 374f. 387 Ebd., S. 393. 388 Ebd. 389 Ebd., S. 401. 390 Vgl. ebd., S. 409. 391 Ebd., S. 397.

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geschenkt. Dass die Genozidfrage hauptsächlich auf Desinteresse in der Öffentlichkeit stieß, habe in erster Linie daran gelegen, dass »die Bevölkerung von der Bewältigung der immer stärker den individuellen Lebensbereich erfassenden Kriegseinwirkungen weitgehend absorbiert war«392. Im Hinblick auf die Mitverantwortung für die NS-Mordpolitik sind Mommsen und Obst dennoch der Meinung, dass die Mehrheitsgesellschaft aufgrund ihrer generellen Zustimmung zu den »gewaltlosen« antijüdischen Maßnahmen zum schweigenden Komplizen geworden sei.393 Hellmuth Auerbach (1990) Ein von Hellmuth Auerbach 1990 verfasster Lexikonartikel zum Stichwort »Judenvernichtung – was wußten die Deutschen davon?«, der als weiterführende Literatur Mommsen (1988), Laqueur (1981) und Wilhelm (1980) empfiehlt, informiert über den Forschungsstand der 1980er Jahre: »Die Existenz von Konzentrationslagern, in die politische Gegner, aber auch Kriminelle und ›Asoziale‹, im Kriege dann Schwarzhändler und Schwarzhörer, kurzum alle dem NS-Regime Mißliebigen gesteckt wurden, war im Volk durchaus bekannt. Arbeitskommandos von KZ-Häftlingen wurden auch außerhalb der Lager eingesetzt und traten somit in der Öffentlichkeit auf. Die Ausgrenzung der Juden aus der deutschen Volksgemeinschaft wurde von den Nationalsozialisten nicht nur propagiert, sondern durch Boykottmaßnahmen (1933) und den Pogrom der ›Reichskristallnacht‹ (8./ 9. November 1938) auch denjenigen handgreiflich gemacht, die die vorangegangenen Gesetze und Verordnungen gegen die Juden nicht zur Kenntnis nahmen. Hitlers Reden wurden durch den Rundfunk verbreitet, auch die vom 30. Januar 1939, in der er die Vernichtung der Juden in Europa ankündigte. Sie begann alsbald nach Kriegsbeginn in Polen durch die Exekutionskommandos der Einsatzgruppen. Das blieb auch vielen Offizieren und Soldaten der Wehrmacht nicht verborgen und wurde unter Kameraden und beim Heimaturlaub weiter kolportiert. Der Judenmord in den Ostgebieten wurde von der NS-Führung als Notwehr gegen die angebliche ›jüdische Weltverschwörung‹ dargestellt. Man hatte aber offensichtlich doch ein schlechtes Gewissen dem eigenen Volk gegenüber, als man 1940/41 damit begann, auch die in Deutschland lebenden Juden zu deportieren und zu liquidieren. Die Deportation wurde als ›Umsiedlung‹, die Tötung als ›Sonderbehandlung‹ getarnt und über alle derartigen Aktionen der Mantel der strikten Geheimhaltung verhängt. Trotzdem gab es zahlreiche Zivilisten (Verwaltungsbeamte, Eisenbahner und andere Personen, die mit den Deportationen zu tun hatten), die wußten oder zumindest ahnten, daß es sich bei den umfangreichen Judentransporten quer durch Europa nicht um Aktionen der Umsiedlung und des Arbeitseinsatzes handelte. Ab 1941 gingen vielfach Gerüchte über die Vergasung von Juden um, und wer sich bemühte, konnte auch genauere Informationen darüber bekommen. Was in Auschwitz geschah, war nicht nur in den naheliegenden Städten 392 Ebd., S. 406. 393 Vgl. ebd., S. 412.

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Kattowitz und Gleiwitz bekannt. Aber gerade unter der Beamtenschaft war bis in höchste Kreise die Tendenz zum Nicht-wissen-wollen und zum Verdrängen des Unangenehmen besonders groß. Man hatte Angst vor Himmler und der Gestapo. Die in Deutschland traditionelle autoritäre Disposition ließ Proteste gegen Aktionen der Staatsgewalt kaum aufkommen – auch nicht von kirchlicher Seite. Die große Masse des deutschen Volkes kümmerte sich nicht mehr um das Schicksal der Juden, nachdem diese aus der Gesellschaft verdrängt waren. Die Kriegsereignisse verdrängten die ›Judenfrage‹ aus dem allgemeinen Bewußtsein, trotz fortwährender antisemitischer Propaganda. Hitler wiederholte seine Prophezeiung vom 30. Januar 1939 mehrmals, und Goebbels schrieb in seiner weitverbreiteten Wochenzeitung ›Das Reich‹ am 14. Juni 1941 offen von der Vernichtung der Juden. Im Volk blieb allenfalls ein dumpfes Gefühl des Unrechts lebendig, das sich mit zunehmender Härte des Krieges verstärkte. Es ging die Parole um, die schweren Luftangriffe der Alliierten auf deutsche Städte seien Vergeltungsmaßnahmen für das, was man den Juden angetan hatte. Aber die meisten kannten die volle Wahrheit, das Ausmaß und die Methode systematischer Judenvergasung bis zuletzt nicht. Helmut J. Graf von Moltke, eine der führenden Personen des deutschen Widerstands, schrieb am 25. März 1943, er glaube, ›mindestens neun Zehntel der Bevölkerung weiß nicht, daß wir Hunderttausende von Juden umgebracht haben. Man glaubt weiterhin, sie seien lediglich abgesondert worden und führten etwa dasselbe Leben wie zuvor, nur weiter im Osten, woher sie stammten, vielleicht etwas armseliger, aber ohne Luftangriffe‹. Erst nach dem Zusammenbruch und der Aufdeckung der unbeschreiblichen Greueltaten bekamen alle Deutschen eine konkrete Anschauung von dem, was in ihrem Namen geschehen war – und wollten es häufig auch dann nicht wahrhaben.«394

1.2.

Konsolidierung und Festigung des Forschungsstandes

Wolfgang Benz (1991) Wolfgang Benz vertritt in einem Aufsatz von 1991 die These, dass die nach 1945 stereotyp geäußerte Behauptung, man habe vom Judenmord nichts gewusst, die »Lebenslüge der meisten Mitlebenden«395 gewesen sei. Sowohl das Treiben der Mordkommandos der SS als auch die Existenz von Vernichtungslagern und der Einsatz von Gaswagen seien weithin bekannt gewesen.396 Wer nicht ohnehin aufgrund seines berufliches Engagements unmittelbar oder mittelbar mit den 394 Hellmuth Auerbach: Judenvernichtung – was wußten die Deutschen davon? In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Legenden, Lügen, Vorurteile. Ein Lexikon zur Zeitgeschichte. München 1990, S. 110–112. 395 Vgl. Wolfgang Benz: Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Bewußtsein der Deutschen. In: Peter Freimark/Alice Jankowski/Ina S. Lorenz (Hrsg.): Juden in Deutschland. Emanzipation, Integration, Verfolgung und Vernichtung. 25 Jahre Institut für die Geschichte der deutschen Juden Hamburg. Hamburg 1991 (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, Bd. 17), S. 435–449, hier S. 438. 396 Vgl. ebd., S. 440.

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Verbrechen konfrontiert war, habe sich, wenn er oder sie nur wollte, die schreckliche Wahrheit des Holocaust aus mindestens drei Quellen erschließen können: der Berichterstattung in Zeitung und (ausländischem) Rundfunk sowie den Erzählungen von Soldaten der Wehrmacht, die aus den besetzten Ostgebieten auf Urlaub nach Hause kamen.397 Wolfgang Benz (1992) 1992 gibt wiederum Benz einen Überblick über die gesellschaftlichen Reaktionen auf die einzelnen Stufen der Gewaltanwendung gegen die Juden bis zum Völkermord.398 Den Boykottaufruf gegen jüdische Geschäfte und Unternehmen habe die Bevölkerung aufgrund des pöbelhaften Auftretens der SA ziemlich reserviert aufgenommen; die in großer Zahl überlieferten Bekundungen der Solidarität mit den verunglimpften Juden bewiesen, dass die Mehrheit im Jahr 1933 noch nicht auf den »Druck der Straße« reagiert habe.399 Im Hinblick auf die Reichspogromnacht 1938 weist der Autor zunächst auf eine beschämende Verhaltensweise der »Zuschauer« hin, nämlich dass »der Pogrom für nicht wenige zum Ventil für Mord- und Zerstörungsgelüste wurde«400. Das gelegentliche Überspringen des Vandalismus der an den Ausschreitungen von Beginn an aktiv Beteiligten auf neugierige Zivilisten führt Benz auf die Auswirkungen der langjährigen antisemitischen Propaganda, die intensive Pressekampagne nach dem Grynszpan-Attentat und – am wahrscheinlichsten – das Wecken niederer Instinkte zurück.401 Insgesamt jedoch habe die »Kristallnacht« die Missbilligung der großen Mehrheit gefunden, wenngleich die Motive der Ablehnung unterschiedlich gewesen seien. Diese hätten »von der Sorge um die Zerstörung des Rechtsbewußtseins, von der Mißbilligung der Übergriffe auf fremdes Eigentum über das Empfinden [gereicht], diese Vorgänge stünden im Gegensatz zur kulturellen Tradition Deutschlands«402. »Dazu kam«, so Benz weiter, »die berechtigte Befürchtung, das brutale Vorgehen schade dem deutschen Ansehen im Ausland. Andere waren aus humanitären Gründen entsetzt oder empfanden das ohnmächtige Gefühl kollektiver Beschämung.«403 Die Kritik am brutalen Vorgehen gegen die Juden habe indessen nicht dazu geführt, dass die judenfeindliche Politik des Regimes jetzt grundsätzlich und 397 Vgl. ebd., S. 442. 398 Vgl. Wolfgang Benz: Reaktionen auf die Verfolgung der Juden und den Holocaust in Deutschland vor und nach 1945. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 1–2/1992, S. 24–32. 399 Vgl. ebd., S. 27. 400 Ebd., S. 29. 401 Vgl. ebd. 402 Ebd., S. 30. 403 Ebd.

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mehrheitlich von der deutschen Bevölkerung abgelehnt worden sei: »Solange der Rahmen des bürgerlichen Formenkanons einigermaßen beachtet wurde, konnte die Politik der Ausgrenzung, Enteignung und Verdrängung der jüdischen Minderheit aus Deutschland mit erheblichem Konsens in der Bevölkerung rechnen.«404 An der insgesamt passiven Haltung der Deutschen hätten auch die Deportationen nichts geändert. Bei aller Empörung über das gewaltsame Vorgehen gegen die Juden habe man geschwiegen und auch diese »Aktionen« lediglich verschämt zur Kenntnis genommen: »Der Anblick Hunderter von den Sammelstellen in den Städten mit Sack und Pack zum Bahnhof ziehender Juden wurde – wenn er sich bot – mit der Vermutung beschwichtigt, sie reisten irgendwohin in den Osten, um sich dort anzusiedeln. Daß die vorrückenden deutschen Armeen niemals solche Siedlungen sahen, hingegen die Spuren massenhaften Mordens – das wurde stillschweigend akzeptiert.«405 Ursula Büttner (1992) Ursula Büttner unterstreicht in einem 1992 veröffentlichten Aufsatz, der sich in erster Linie auf die Zeit vor Beginn der reichsweiten Deportationen der Juden bezieht, das Verhalten der deutschen Gesellschaft sei im Allgemeinen durch »Gleichgültigkeit, beflissenes oder überzeugtes Mittun, selten Anteilnahme und Hilfsbereitschaft«406 gekennzeichnet gewesen. Anders als Hans Mommsen und Dieter Obst oder Wolfgang Benz beurteilt die Autorin den Aprilboykott jüdischer Geschäfte, Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien als weitgehenden Erfolg für die Nationalsozialisten. Zwar hätten vielerorts einzelne Deutsche durch gezielte Einkäufe und Gesten der Solidarität ihre Ablehnung gegenüber dieser staatlich verordneten Maßnahme zum Ausdruck gebracht, es dürfe aber nicht vergessen werden, dass dieser erste Test der öffentlichen Ausgrenzung der jüdischen Minderheit überhaupt gelingen und bis ins kleinste Dorf getragen werden konnte. Büttner führt aus: »Wie viele Menschen mußten sich an der Vorbereitung beteiligen, Listen jüdischer Betriebe anfertigen, Plakate kleben, Flugblätter verteilen und Posten stehen, um das zu erreichen! Unbehelligt konnten SA-Männer Geschäfte blockieren, deren Inhaber bis vor kurzem angesehene Bürger der Gemeinde gewesen waren, vielleicht im Gemeinderat gesessen und viel für den Ort getan hatten. Keine Partei, kein Bürgerverein und kein Standesverband traten für sie ein, und auch die Kirchen schwiegen zu dem Unrecht. Dementsprechend entschieden sich die meisten Zeitgenossen, vor der Gewalt zurückzuweichen und die jüdischen Geschäfte an diesem Tag zu meiden. Es gab aber 404 Ebd. 405 Ebd., S. 30f. 406 Vgl. Ursula Büttner : Die deutsche Bevölkerung und die Judenverfolgung 1933–1945. In: Dies. (Hrsg.): Die Deutschen und die Judenverfolgung im Dritten Reich. Hamburg 1992 (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 29), S. 67–88, hier S. 75.

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auch jene, die nun, da die Judenfeindschaft von der politischen Führung offiziell und demonstrativ sanktioniert wurde, ihrem Haß freien Lauf ließen. Nicht nur Nationalsozialisten beteiligten sich an den Beschimpfungen und Drohungen, die die für vogelfrei Erklärten über sich ergehen lassen mußten.«407

Beachtung finden müssten überdies die zahlreichen Kaufleute und Handwerksmeister, die – bisweilen noch am Boykotttag selbst – ihre Geschäfte als »rein arisch« markierten und damit nicht unwesentlich der Diskriminierung der Juden Vorschub leisteten.408 Auf die Berufsverbote für Juden, die mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 begannen und in den folgenden Jahren auf immer weitere Bereiche ausgedehnt wurden, hätten die Deutschen zumeist mit Desinteresse und Gleichgültigkeit reagiert. Eine spürbare Anteilnahme am Schicksal der ehemaligen Kollegen sei kaum zu vernehmen gewesen. Dazu sei das Ergreifen antijüdischer Maßnahmen aus freien Stücken gekommen, wie die Autorin an zwei Beispielen verdeutlicht: »Die Standesverbände der Ärzte und Rechtsanwälte beteiligten sich aktiv an dem Bemühen, das ›Frontkämpferprivileg‹ faktisch außer Kraft zu setzen und jüdische Kollegen, die weiter praktizieren durften, durch gezielte Benachteiligungen aus dem Beruf zu verdrängen. Ungezählte Vereine beeilten sich, es dem Staat gleichzutun und, bevor es gefordert wurde, ›Nichtarier‹ aus ihren Reihen auszuschließen. Oft wurde ihnen nicht einmal mehr für ihre langjährige Tätigkeit gedankt.«409

Im Hinblick auf die Reichspogromnacht teilt Büttner die Position anderer Wissenschaftler, dass die Brandstiftungen und Zerstörungen weitgehend auf Unverständnis gestoßen seien. Die Verfasserin betont aber auch in diesem Fall, dass die scharfe Ablehnung der Ausschreitungen in verhältnismäßig großen Kreisen der Gesellschaft nicht darüber hinwegtäuschen dürfe, »wie viele Menschen reichsweit bis ins kleinste Dorf an den Zerstörungen, Plünderungen und Gewalttaten beteiligt waren, wie viele Dienststellen – Polizei, Feuerwehr, Staatsanwaltschaften, Gefängnisverwaltungen usw. – planmäßig funktionieren mußten, um den reibungslosen Ablauf der Aktion und die Verhaftung von fast 30.000 jüdischen Männern zu gewährleisten«410. Schließlich unterstreicht Büttner, wie zuvor bereits Benz, dass nicht nur nationalsozialistische Aktivisten sich am Pogrom beteiligten, sondern in vielen Fällen auch Passanten sich von der Orgie der Gewalt mitreißen ließen.411

407 408 409 410 411

Ebd., S. 72f. Vgl. ebd., S. 73. Ebd., S. 74. Ebd., S. 76f. Vgl. ebd., S. 77.

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David Bankier (1995) David Bankier412 legte Mitte der 1990er Jahre die erste wissenschaftliche Monographie zur Wahrnehmung der Judenverfolgung und -vernichtung durch die deutsche Bevölkerung vor. Während der Boykott 1933 zwar teilweise gebilligt worden sei, hätten viele ihn aber aufgrund seiner mittelalterlichen Methoden als Akt der Barbarei empfunden.413 Anders wiederum hätten die Reaktionen auf die Berufsentlassungen von »Nichtariern« ausgesehen, gegen die es – auch aufgrund der sich dadurch eröffnenden Karrierechancen – kaum Einwände gegeben habe.414 Die Reichspogromnacht wiederum sei keineswegs populär gewesen. Alle Bevölkerungsgruppen hätten mit einem tiefen Schock auf die antisemitische Gewalt reagiert.415 Aber : »Eine Verurteilung der Materialbeschädigung und das Jammern über den Verlust von Besitz rangierte vor der Unmoral der Mißhandlung wehrloser Zivilisten.«416 Auf die Deportationen, die in aller Öffentlichkeit abgewickelt wurden417, habe die Bevölkerung wiederum in der Regel mit Gleichgültigkeit reagiert.418 Die überwiegende Empfindungslosigkeit der deutschen Gesellschaft gegenüber dem weiteren Schicksal der Juden könne indessen nicht damit erklärt werden, dass, wie etwa Ian Kershaw oder Hans Mommsen und Dieter Obst betonen, die täglichen Nöte des Krieges die Energien der Leute vollständig absorbiert hätten. Bankier deutet das passive Verhalten vielmehr als Resultat eines Verdrängungsmechanismus. Nachdem die Aussicht auf einen militärischen Sieg allmählich entschwunden war, habe die Bevölkerung aus Angst vor einer Rache 412 Vgl. David Bankier : Die öffentliche Meinung im Hitler-Staat. Die »Endlösung« und die Deutschen. Eine Berichtigung. Berlin 1995. Vgl. als weitere Beiträge des Autors zu diesem Themenkomplex auch David Bankier: Signaling the Final Solution to the German People. In: Ders./Israel Gutman (Hrsg.): Nazi Europe and the Final Solution. Jerusalem 2003, S. 15– 39; David Bankier : The Germans and the Holocaust: What did they know? In: Yad Vashem Studies 20 (1990), S. 69–98; David Bankier: The Use of Antisemitism in Nazi Wartime Propaganda. In: Michael Berenbaum/Abraham J. Peck (Hrsg.): The Holocaust and History. The Known, the Unknown, the Disputed, and the Reexamined. Bloomington/Indiana 1998, S. 41–55; David Bankier : Was wußten die Deutschen vom Holocaust? In: Beate Kosmala/ Claudia Schoppmann (Hrsg.): Überleben im Untergrund. Hilfe für Juden in Deutschland 1941–1945. Berlin 2002 (Solidarität und Hilfe. Rettungsversuche für Juden vor der Verfolgung und Vernichtung unter nationalsozialistischer Herrschaft, Bd. 5), S. 63–87. 413 Vgl. Bankier : Die öffentliche Meinung im Hitler-Staat, S. 95. 414 Vgl. ebd., S. 96. 415 Vgl. ebd., S. 118–120. 416 Ebd., S. 121. 417 Vgl. ebd., S. 181: »Deportationen konnten in kleinen Gemeinden kaum unbemerkt bleiben. Dort konnte jemand nicht einfach unbemerkt verschwinden. […] Auch in den großen Städten konnten die Deportationen nicht ignoriert werden. Verschiedene Quellen berichten, daß auf den Straßen Juden mit schweren Paketen zu den Sammelpunkten gehend gesehen wurden und daß dieser Anblick Gegenstand öffentlicher Diskussionen gewesen sei. […] Es gab um die Deportationen kein Geheimnis.« 418 Vgl. ebd., S. 189.

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des als solchen wahrgenommenen »Weltjudentums« ein kritisches Nachdenken bewusst vermieden.419 Der Autor hebt in diesem Kontext die Bedeutung des im Großteil der Bevölkerung latent vorhandenen Antisemitismus hervor. Die erfolgreiche Mobilisierung judenfeindlicher Ressentiments durch die Nationalsozialisten erkläre, weshalb sich keine Opposition gegen die in Gang gesetzte Mordpolitik formiert habe: »Der Erfolg der Nationalsozialisten mit ihrem Antisemitismus erklärt sich nicht mit einem Sinneswandel der Deutschen, die nun plötzlich zu Anhängern einer Rassentheorie geworden wären, sondern damit, daß große Teile der deutschen Gesellschaft dafür anfällig waren, antisemitisch zu sein. Das verstärkte tiefsitzende antijüdische Gefühle und machte sie aufnahmebereit für die Ideale, die in der NS-Doktrin verkörpert waren. Ohne jeden Zweifel hat die Bevölkerung insgesamt dem Antisemitismus nicht dieselbe Bedeutung beigemessen wie die Nationalsozialisten. Dennoch gab es für die Beseitigung der Juden einen breiten Rückhalt.«420

Aufgrund weitverbreiteter antisemitischer Einstellungen überrasche es somit nicht, dass in allen Phasen der Judenverfolgung meist ausschließlich die Anwendung von Gewalt, nicht aber die eigentliche Stoßrichtung, der dauerhafte Ausschluss der Juden aus der »Volksgemeinschaft«, verurteilt worden sei. Einwände gegen die antisemitische Politik aus humanitären Gründen habe es nur selten gegeben.421 Bankiers Schlussfolgerung zur Haltung der deutschen Gesellschaft lautet daher : »Die Politik der Deportationen und der Massenmorde konnte vonstatten gehen, weil die Öffentlichkeit kein Empfinden mit dem Schicksal der Juden zeigte. Ja, es ist wahr : Während der Kriegszeit blieben die, welche eine andere Meinung vertraten, wegen der Angst vor dem Staatsterror rein passiv ; die Verhärtung der Haltungen verwischte die moralischen Grenzen; die soziale Vereinzelung machte eine kollektive Reaktion von vornherein unmöglich. Aber es ist ebenso wahr, daß bei den meisten Deutschen, wegen ihrer ›traditionell‹ antisemitischen Haltung, aus der heraus sie die Judenverfolgung nicht prinzipiell ablehnten, die Widerstandskraft gegen die Maschinerie des Völkermords sehr gering gewesen ist.«422

Im Hinblick auf den Kenntnisstand der deutschen Bevölkerung über die Vernichtung der Juden kommt Bankier zu dem Ergebnis, dass weitaus mehr Informationen über die Massenerschießungen als über die Vernichtungslager vorhanden gewesen seien. Allerdings habe es viele Gerüchte über den Einsatz von Gas zur Tötung gegeben.423 Insgesamt hätten jedoch die Monstrosität und die beispiellose Dimension des Judenmords es dem »Normalbürger« erschwert, 419 420 421 422 423

Vgl. ebd., S. 201. Ebd., S. 211. Vgl. ebd., S. 164, 166 und 212. Ebd., S. 213. Vgl. ebd., S. 151–154.

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die vorhandenen Hinweise und kursierenden Gerüchte zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen.424 Aufgrund zahlreicher Quellen unterschiedlichster Provenienz sei trotzdem »der Schluß zu ziehen, daß weite Kreise der deutschen Bevölkerung, darunter Juden ebenso wie Nichtjuden entweder gewußt oder geahnt haben, was in Polen und Rußland vor sich ging«425. Bernd Jürgen Wendt (1995) Dem 1995 erschienenen »Handbuch zur Geschichte« des »Dritten Reiches« aus der Feder von Bernd Jürgen Wendt426 sind unter dem Stichwort »Das Wissen um die Massenvernichtung« folgende Informationen zu entnehmen: »Der Kreis der Wissenden und derer, die es wissen konnten, war viel größer, als es die meisten nach 1945 wahrhaben wollten. Wer etwas in Erfahrung bringen und nicht verdrängen wollte, konnte es auch. Informationen und Gerüchte drangen von der Front und aus besetzten Gebieten über Urlauber, selbst wenn diese zum strengsten Stillschweigen verpflichtet waren, in die Heimat. Die BBC lieferte Berichte. Die Zwangsräumungen der Großstädte, die Zusammenstellung der Transporte, die Deportationszüge, die vielen Todesnachrichten und das Abbrechen der Kontakte zu den Angehörigen nach der Zwangsverschickung, aber auch die grausamen Umstände der Räumung der Ghettos blieben nicht unbekannt. Die Verantwortlichen selbst, Hitler, Himmler und Goebbels, rühmten sich nicht selten in einer kaum mehr verhüllten Mordsprache in aller Öffentlichkeit ihrer Absichten gegen die Juden, als sie nach innen und nach außen keine Rücksichten glaubten mehr nehmen zu müssen.«427

Wendt geht in einem Kapitel auch auf die Gründe für das Gelingen des Massenmordes an den europäischen Juden ein. Er sieht dabei die deutsche Gesellschaft angesichts ihrer Aufnahmebereitschaft für die Vernichtungsdrohungen des Regimes und ihrer daraus resultierenden Abgestumpftheit gegenüber dem Schicksal der Juden als mitverantwortlich an. Der Autor schreibt: »Ein sofort ab 1933 gezielt in Gang gesetzter Prozeß der Ausgrenzung, Entrechtung, Isolierung und Stigmatisierung der Juden hatte ein überkommenes Netz gesellschaftlicher, freundschaftlicher und oft familiärer Bande zwischen Juden und Nichtjuden zerstört und atomisiert. Dadurch gerieten jüdische Freunde und Nachbarn, wenn man sich nicht ausdrücklich weiter zu ihnen bekannte, zusehends aus dem Blickfeld. Sie wurden abgedrängt in die Einsamkeit und Anonymität großstädtischer Zwangsghettos an den Rand der Gesellschaft. Sie wurden Fremde, längst bevor ihnen der Zwang zum Tragen des Judensterns im September 1941 auch äußerlich das Zeichen der Fremdheit aufdrückte. Niemand hielt am Ende die Juden mehr für schützenswert. Jeder weiß, daß sich Mitleid mit dem Schicksal des Mitmenschen vor allem dort ein424 Vgl. ebd., S. 157. 425 Ebd., S. 141. 426 Vgl. Bernd Jürgen Wendt: Deutschland 1933–1945. Das »Dritte Reich«. Handbuch zur Geschichte. Hannover 1995. 427 Ebd., S. 586.

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Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Forschung und Öffentlichkeit

stellt, wo wir – etwa bei den ›Euthanasie‹-Opfern – mit seinen Leiden und Sorgen unmittelbar konfrontiert werden. Das war in der Regel bei den Juden ab 1940 immer weniger gegeben. Der vom Regime propagierte kollektive Antitypus ›des Juden‹ als Inkarnation alles Bösen imprägnierte den längst in der Bevölkerung vorhandenen Antisemitismus gegen Korrekturen durch reale Erfahrungen im Zusammenleben mit jüdischen Bürgern, das zerstört worden war. Zwar sah sich die Bevölkerung dem Terror und dem Spitzelwesen durch das Regime immer mehr ausgesetzt. Aber es fehlte auch an Zivilcourage, und die Verdrängungsprozesse setzten bereits 1933 ein, als es noch ungefährlich war, sich mit drangsalierten jüdischen Nachbarn und Kollegen zu solidarisieren. Um so höher wiegt das mutige Eintreten Vieler für die Verfolgten, die sie illegal bei sich aufnahmen. […] Schließlich gab es etwa ab 1943, als sich die Kriegswende immer eindeutiger abzeichnete, nach den Stimmungsberichten des SD – allgemein ein recht guter Gradmesser für das, was im Volk gedacht wurde – so etwas wie eine Komplizenschaft des Verbrechens und der Verbrecher. Die ideologische Verblendung ging selbst bei kritisch Eingestellten so weit, daß sie einem ›siegreichen Weltjudentum‹ dasselbe unterstellten, was Hitler ihm 1939 unterstellt hatte: eine blutige Rache am deutschen Volk für seine begangenen Verbrechen.«428

1.3.

Vertiefung und Ausdifferenzierung

Frank Bajohr (1997) Frank Bajohr429 untersuchte in seiner 1997 publizierten Dissertation über die »Arisierung« in Hamburg ein Thema, das bis dahin eine historiographische Nischenexistenz gefristet hatte. Der Autor weist in seiner wegweisenden Regionalstudie nicht nur nach, dass sich bis 1939/40 – neben dem Staat und den großen Banken – in großem Umfang auch ganz normale Firmen an der Liquidierung jüdischer Unternehmen beteiligten. Er kann darüber hinaus zeigen, dass beträchtliche Teile der Bevölkerung zu materiellen Nutznießern infolge der nationalsozialistischen Expansions- und Annexionspolitik während des Zweiten Weltkrieges wurden. So sei etwa im Hamburger Hafen in den Jahren 1941 bis 1945 in riesigen Mengen der Hausrat von deportierten Juden aus der Hansestadt, später aus ganz Deutschland und Westeuropa öffentlich versteigert worden. Bajohr geht von mindestens 100.000 Bewohnerinnen und Bewohnern Hamburgs und der unmittelbaren Umgebung aus, die bei den Versteigerungen Gegenstände aus jüdischem Besitz erwarben. Dass die angebotenen Gegenstände Juden gehört hatten, sei aufgrund der ausführlichen Berichterstattung in der Presse und den 428 Ebd., S. 588f. 429 Vgl. Frank Bajohr : »Arisierung« in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933–1945. Hamburg 1997 (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Bd. 35).

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öffentlichen Versteigerungsanzeigen allgemein bekannt gewesen.430 »Insgesamt kennzeichnete die materielle Nutznießerschaft«, so Bajohrs Schlussfolgerung, »die Erosion moralisch-ethnischer Standards in der deutschen Bevölkerung und das Ausmaß der moralischen Indifferenz, mit der die Deutschen der Vernichtung der Juden begegneten«431. Frank Bajohr (2001) Über den Fall »Hamburg« hinausgehend untermauerte Bajohr in seiner gewichtigen, 2001 erschienenen Monographie über die komplexen Erscheinungsformen der Korruption unter nationalsozialistischer Herrschaft432 die These von der Partizipation breiter Bevölkerungskreise an der organisierten Verteilung des Besitzes deportierter und ermordeter Juden. Die offene Bereicherungssucht vieler einfacher »Volksgenossen«, so das Ergebnis des Autors, habe in den Kriegsjahren ein Ausmaß angenommen, dass – zumindest partiell – von der Formierung einer »Beutegemeinschaft« gesprochen werden müsse, die sich so in spezifischer Weise in den Holocaust verstrickt habe.433 Saul Friedländer (1998) 1998 veröffentlichte Saul Friedländer den ersten Teil seines zweibändigen Werkes »Das Dritte Reich und die Juden«434, das als »integrierte Geschichte« des Holocaust konzipiert ist und »die Praktiken der Täter, die Einstellungen der umgebenden Gesellschaft und die Welt der Opfer«435 verbindet. Der Autor 430 Vgl. ebd., S. 325–338. 431 Ebd., S. 346. 432 Vgl. Frank Bajohr : Parvenüs und Profiteure. Korruption in der NS-Zeit. Frankfurt am Main 2001. 433 Vgl. ebd., S. 132: »Bereits im Jahr 1939 war in vielen deutschen Städten abgeliefertes ›Judensilber‹ der Allgemeinheit in öffentlichen Auktionen angeboten worden. In den Kriegsjahren wurde jüdisches Eigentum, das in ganz Europa zusammengeraubt worden war, ins Reichsgebiet geschafft und dort an die Bevölkerung versteigert. Allein in Hamburg und seiner unmittelbaren norddeutschen Umgebung dürften über 100 000 Personen seit 1941 Gegenstände aus jüdischem Besitz erworben haben; wobei sich unter den Erwerbern – bedingt durch die Abwesenheit vieler Männer – vor allem Frauen befanden, die von den gebotenen Bereicherungsmöglichkeiten ebenso skrupellos wie Männer Gebrauch machten. […] Nach Köln wurden Einrichtungsgegenstände in so großem Umfang transportiert, daß der zuständige Oberfinanzpräsident im Juli 1942 die Erschöpfung der Lagerkapazitäten meldete. In Dörfern mit jüdischen Landgemeinden wurde das Eigentum der deportierten Juden auf offener Straße versteigert. Auch dort beteiligten sich viele Einwohner bedenkenlos an solchen Aktionen, obwohl der Zusammenhang zwischen den Gegenständen und ihren Besitzern nicht – wie in den Großstädten – durch eine trügerische Anonymität zerrissen war.« 434 Vgl. Saul Friedländer : Das Dritte Reich und die Juden. Bd. 1: Die Jahre der Verfolgung 1933– 1939. München 1998. 435 Ebd., S. 11. Vgl. zum theoretischen und methodischen Ansatz ausführlich Saul Friedländer : Den Holocaust beschreiben. Auf dem Weg zu einer integrierten Geschichte. Göttingen 2007.

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kommt zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der Bevölkerung eine reservierte Haltung gegenüber dem Boykott von 1933 eingenommen habe. Wenngleich die große Schar von »Zuschauern« in den Geschäftsvierteln der Städte zumeist passiv geblieben sei, habe sie sich – entgegen den Erwartungen der Parteiagitatoren – keineswegs feindselig gegenüber den zu »Volksfeinden« erklärten Juden verhalten. Im Gegenteil: Unüberhörbar seien Äußerungen der Unzufriedenheit mit dieser staatlich geduldeten Maßnahme gewesen.436 Sofern die antisemitische Politik sich jedoch auf gesetzgeberischem Wege vollzog, habe sie keine Ablehnung erfahren. Bereits in der Frühphase der nationalsozialistischen Herrschaft hätten sich von nichtjüdischer Seite keinesfalls Gefühle der Solidarität mit den zunehmend ihrer Rechte beraubten Juden eingestellt. »Als jüdische Kollegen entlassen wurden«, so Friedländer, »äußerte kein Professor öffentlichen Protest; als die Zahl jüdischer Studenten drastisch reduziert wurde, regte sich in keiner Universitätskommission und bei keinem Fakultätsmitglied Widerstand; als im ganzen Reich Bücher verbrannt wurden, brachte kein Intellektueller in Deutschland und auch niemand sonst im Lande offen irgendwelche Scham zum Ausdruck«437. Die willkürlichen Zerstörungen von fremdem Eigentum, das Niederbrennen von Gotteshäusern und die öffentlich zur Schau gestellte Gewalt während der »Kristallnacht« seien dagegen weithin negativ in der Bevölkerung aufgenommen worden. Auf den Straßen der Großstädte habe sich dabei »von Anfang an ein deutlicher Unterschied zwischen Aktivisten und Zuschauern«438 abgezeichnet. Gleichwohl habe die überwiegende Mehrheit geschwiegen und betreten weggeschaut.439 Was die Haltung der deutschen Bevölkerung insgesamt zur »Judenpolitik« in den ersten sechs Jahren der NS-Diktatur betrifft, so wendet sich Friedländer gegen die Interpretation von Daniel Jonah Goldhagen, alle Deutschen seien seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten kollektiv von der Obsession getrieben worden, die Juden physisch vernichten zu müssen.440 Stattdessen könne mit einiger Gewissheit soviel gesagt werden: »Die deutsche Gesellschaft als ganze lehnte die antijüdischen Initiativen des Regimes nicht ab. Die Identifizierung Hitlers mit der antijüdischen Kampagne in Verbindung mit dem Bewußtsein der Bevölkerung, daß die Nationalsozialisten entschlossen waren, in diesem Punkt energisch vorzugehen, mag die Trägheit oder vielleicht auch passive Komplizenschaft der überwiegenden Mehrheit in einer Angelegenheit verstärkt haben, die von den meisten ohnehin im Vergleich zu ihren Hauptinteressen als nebensächlich 436 437 438 439 440

Vgl. Friedländer : Die Jahre der Verfolgung, S. 34f. Ebd., S. 73. Ebd., S. 317. Vgl. ebd., S. 300. Vgl. zu Goldhagen ausführlich Kapitel IV, Abschnitt 2.2.6.

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betrachtet wurde. Wir sahen, daß wirtschaftliche und religiöse Interessen ein gewisses Maß an Dissens auslösten, hauptsächlich unter der Bauernschaft und bei Katholiken und Mitgliedern der Bekennenden Kirche. Ein derartiger Dissens führte jedoch mit Ausnahme einiger Einzelfälle nicht dazu, daß die jeweilige Politik offen in Frage gestellt wurde. Doch in den dreißiger Jahren verlangte die deutsche Bevölkerung, deren große Mehrheit in der einen oder anderen Form den traditionellen Antisemitismus vertrat, keine antijüdischen Maßnahmen, und sie rief auch nicht nach ihrer extremsten Verwirklichung. Unter den meisten ›gewöhnlichen Deutschen‹ gab es Einverständnis mit der Absonderung der Juden und ihrer Entlassung aus dem öffentlichen Dienst; es gab individuelle Initiativen, um aus ihrer Enteignung Nutzen zu ziehen; und es gab ein gewisses Maß an Schadenfreude beim Mitansehen ihrer Erniedrigung. Doch außerhalb der Reihen der Partei gab es keine massive Agitation in der Bevölkerung, die darauf gerichtet war, sie aus Deutschland zu vertreiben oder Gewalttätigkeiten gegen sie zu entfesseln. Die Mehrheit der Deutschen akzeptierte einfach die vom Regime unternommenen Schritte und sah […] weg.«441

Ulrich Herbert (1998) Ebenfalls als Entgegnung auf Goldhagens These von einem in der gesamten deutschen Gesellschaft allgegenwärtigen Antisemitismus, der auf die »Elimination« der Juden abzielte, sind die Ausführungen Ulrich Herberts in einem 1998 veröffentlichten Aufsatz zum Stand der Holocaust-Forschung zu sehen.442 Seine summarischen Überlegungen zur Verbreitung und Bedeutung der antijüdischen Einstellungen in der deutschen Bevölkerung verdienen angesichts ihrer konzisen Darstellung in toto wiedergegeben zu werden: »Es gab einen gewissen Bodensatz an radikalen Judenhassern, die vor allem in der Frühphase der Weimarer Republik auf sich aufmerksam machten. Sie rekurrierten sich zum einen aus den alten Antisemitenverbänden […], zum anderen gewannen sie Zulauf aus den Anhängern der traditionellen Rechten sowie vor allem von jungen, politisch noch ganz ungebundenen Leuten, deren Enttäuschung, Verbitterung und Unverständnis gegenüber den Ereignissen in den Jahren 1918 bis 1920 durch die Orientierung auf eine definierbare Gruppe als biologischer Verkörperung der als katastrophal empfundenen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen nun eine einfache und wirksame Entlastung fand. Seit den frühen 20er Jahren und dann vor allem seit den frühen 30er Jahren wurden NSDAP und SA zu Sammelbecken dieser Kräfte. Gleichwohl ist dabei doch festzuhalten, daß es zu Akten körperlicher Gewalt gegen Juden in den frühen Weimarer Jahren nur in vergleichsweise wenigen Fällen kam. Auch in den Jahren zwischen 1930 und 1933 hat es zwar verschiedentlich Übergriffe gegen Juden – als Juden – gegeben. Aber auch dies waren eher Ausnahmen, und sie erreichten 441 Ebd., S. 348. 442 Vgl. Ulrich Herbert: Vernichtungspolitik. Neue Antworten und Fragen zur Geschichte des »Holocaust«. In: Ders. (Hrsg.): Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939–1945. Neue Forschungen und Kontroversen. Frankfurt am Main 1998, S. 9–66.

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bei weitem nicht jene Formen der Gewalttätigkeit, wie sie zu dieser Zeit zwischen KPD und NSDAP nahezu alltäglich waren. Kennzeichnend für die 20er Jahre waren auf dieser Ebene vielmehr ausgreifende Diffamierungs- und Schmähungskampagnen, deren bekannteste jene im Zusammenhang mit den Publikationen über die ›Verschwörung der Weisen von Zion‹ oder die Ritualmordpropaganda waren, sowie nächtliche Schändungen von jüdischen Friedhöfen und Synagogen – keine vereinzelten Vorkommnisse, aber eben auch das Gegenteil eines offensiv und aggressiv auftretenden Antisemitismus. Als Täter wurden hierbei in der Regel Jugendliche festgestellt, und nur bei einem Teil waren direkte Zusammenhänge zur politischen Rechten nachweisbar. Allerdings verweisen ja gerade Friedhofsschändungen nicht auf bewußte politische Aktionen, sondern auf unterschwellig wirksame Todesphantasien, auf ein tabuisiertes und nur in nächtlichen, heimlichen Aktionen sich entladendes antijüdisches Aggressionspotential. Insofern kann man solche Erscheinungen womöglich als Symptome nur notdürftig unterdrückter Gewaltphantasien gegenüber den als fremde, mystische Macht wahrgenommenen Juden deuten. Man darf solche Entwicklungen nicht geringschätzen, aber es ist doch schwierig, von hier aus eine direkte Verbindung zur antijüdischen Politik des Nationalsozialismus, insbesondere nach 1938, zu ziehen. Die radikalen, gewaltbereiten Antisemiten blieben während der Weimarer Jahre insgesamt eine Randgruppe – sie waren gewiß nicht unbedeutend, aber ihr krakeelendes, von Ausschreitungen begleitendes Auftreten traf doch in der Öffentlichkeit, zum Teil sogar innerhalb der NSDAP, auf zuweilen indignierte Ablehnung. Gleichwohl ist es vermutlich richtig, das sich hier entladende Gewaltpotential als Ausdruck weiter verbreiteter Gewaltbereitschaft gegenüber den Juden zu verstehen, die aber in den Weimarer Jahren durch gesellschaftliche Ächtung und gerichtliche Verfolgung eingedämmt wurde – ein Potential, das erst bedeutsam werden würde, wenn diese Ächtung und Eindämmung wegfallen sollte. Weitaus bedeutender hingegen waren jene wie schon im Kaiserreich, so auch und noch verstärkt während der Weimarer Jahre verbreiteten Formen eines eher passiven Antisemitismus, der durch die Entwicklung während des Ersten Weltkrieges und der Nachkriegszeit neue Nahrung erhalten hatte, sich aber nicht in offener Feindseligkeit oder Straßenkrawallen äußerte. Daß die Juden einen Fremdkörper im deutschen Volke darstellten, daß sie besonders unangenehme Eigenschaften besäßen, daß sie mit den Feinden Deutschlands aus dem Ersten Weltkrieg in Verbindung stünden, daß sie die Presse beherrschten und sich am Krieg ebenso wie an Inflation und Wirtschaftskrise bereichert hätten – das war die Überzeugung vieler in Deutschland; und es ist nicht ausgeschlossen, daß, nimmt man die verschiedenen Schattierungen der Judengegnerschaft zusammen, sie schon vor 1933 in Deutschland eine Mehrheit stellten. Das trifft zum einen auf die Anhänger und Wähler der NSDAP zu. Zwar waren gewiß nicht alle und vielleicht nicht einmal die Mehrheit der NSDAP-Wähler Antisemiten – aber sie waren doch bereit, die von der Nazipartei angekündigte Entrechtung der Juden zu akzeptieren, ja blindlings mitzutragen, wenn ihnen selbst nur Brot und Arbeit geboten würde. Auch in der Deutschnationalen Volkspartei war ein deutlicher, auf dem rechten Flügel sogar radikaler Antisemitismus notorisch; selbst in Stresemanns DVP war diese Einstellung nicht selten – nicht anders in den großen Wehrverbänden wie dem Stahlhelm und, besonders ausgeprägt, in der protestantischen Kirche. Im Jahre 1924 führte der ›Stahlhelm‹ für seine knapp 400 000 Mitglieder den ›Arierparagraphen‹ ein –

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Juden, selbst hochdekorierte Frontkämpfer, durften keine Mitglieder sein. Nicht anders beim Jungdeutschen Orden mit 200 000 Mitgliedern, dem Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband mit 400 000 Mitgliedern, dem Reichslandbund mit einer Million Mitgliedern, den Deutschen Burschenschaften, dem Deutschen Turnerbund und vielen anderen Organisationen. Dies war gleichwohl kein eigentlich fanatischer, aggressiver Antisemitismus. Im Gegenteil, er konstituierte sich geradezu dadurch, daß er sich vom vielgescholtenen ›Radauantisemitismus‹ distanzierte, sei es bei den voyeuristischen Kampagnen über Ritualmord oder Mädchenhandel der Juden, sei es bei Friedhofschändungen oder Krawallen. Je deutlicher die Kritik an solchen Exzessen, desto überzeugender konnte man auf die eigenen seriösen Absichten, auf die tatsächliche Existenz einer vermeintlich ›ungelösten Judenfrage‹ verweisen. Er war zudem nicht klar auf ein bestimmtes Ziel, eine bestimmte ›Lösung‹ orientiert, schon gar nicht einvernehmlich auf jene einer ›Elimination‹ der Juden, wenngleich vielerlei derartiger Überlegungen und Konzepte zirkulierten, ohne aber in auch nur vorstellbare Politikprogramme umsetzbar gewesen zu sein. Dieser Antisemitismus war nicht aktiv, sondern reaktiv. Aber er reichte doch allemal hin, um – bei aller Kritik an ›Übertreibungen‹ – selbst ein radikales Vorgehen gegen die Juden zu akzeptieren, als solches dann, nach 1933, eben nicht von grölenden Radauantisemiten, sondern von der Regierung und auf ›gesetzlichem Wege‹ besorgt wurde. Und in dem Maße, wie sich diese Akzeptanz ausweitete, wuchs wohl auch die Überzeugung, daß es mit der Verfolgung der Juden schon seine Richtigkeit haben müsse, denn wer so bestraft werde, könne doch gewiß nicht ganz unschuldig sein.«443

Eric A. Johnson (2001) In den frühen 2000er Jahren erscheinen zwei umfangreiche Arbeiten, in deren Mittelpunkt zwar nicht ausschließlich die Untersuchung des Wissens und der Einstellung der »Zuschauer« während der »Endlösung der Judenfrage« steht, die aber in einigen Punkten Neues zum Thema beitragen. Zu nennen ist zunächst Eric A. Johnsons Monographie zum Thema »Gestapo, Juden und gewöhnliche Deutsche«, eine Regionalstudie über den nationalsozialistischen Terror in den drei rheinländischen Städten Köln, Krefeld und Bergheim sowie den Dörfer in ihrer Umgebung.444 Zum einen betont der Autor ausdrücklich, dass die Deportationsvorgänge sich in aller Öffentlichkeit bzw. unter den Augen der Bevölkerung abgespielt hätten.445 Zum anderen behandelt er in einem Überblickskapitel den Kennt443 Ebd., S. 32–36. 444 Vgl. Eric A. Johnson: Der nationalsozialistische Terror. Gestapo, Juden und gewöhnliche Deutsche. Berlin 2001. 445 Vgl. ebd., S. 430: »Zum einen waren Menschen aus nahezu allen Schichten der deutschen Bevölkerung an der Organisation der Deportationen beteiligt, und zum anderen wurden die Transporte in der Anfangszeit vor den Augen der deutschen Öffentlichkeit durchgeführt. An den damit verbundenen komplizierten Abläufen wirkten nicht nur Gestapo, Kripo, SS und Schutzpolizei mit, sondern auch Amtsärzte, Putzfrauen, Bankangestellte, Versiche-

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nisstand der Deutschen über den Massenmord an den Juden.446 Darin wird vor allem auf die in deutscher Sprache berichtenden Sendungen der BBC als Informationsquelle aufmerksam gemacht, welche »ausführliche Schilderungen der Ermordung von Millionen europäischer Juden durch die Nationalsozialisten im Zuge der Deportationen, Massenerschießungen, Vergasungen, der Zwangsarbeit und anderen Gräueln, ziemlich präzise Schätzungen, wie viel hunderttausende jüdische Männer, Frauen und Kinder aus Deutschland, Österreich, Polen und einigen anderen Ländern bereits umgekommen waren, sowie ausdrückliche Hinweise auf mehrere der berüchtigtsten Konzentrations- und Vernichtungslager«447 enthalten hätten. Schließlich befindet der Autor, dass das Schicksal der Juden in der Kriegszeit weithin bekannt war, und bilanziert: »Tatsächlich haben Millionen deutscher Bürger noch während des Krieges vom Massenmord an den Juden erfahren. Manche wussten mehr, andere weniger. Einige erfuhren früher davon, andere später. Doch spätestens im Frühjahr 1943 waren die Informationsquellen über den Holocaust so zahlreich, die Nachrichten waren so detailliert und so glaubwürdig, dass Millionen Deutsche gar nicht umhin konnten, sie zur Kenntnis zu nehmen, und zwar nicht nur in Form von vagen Andeutungen, sondern von harten Fakten.«448

Robert Gellately (2002) Robert Gellatelys Studie »Hingeschaut und weggesehen«449 macht insbesondere auf die im Reichsgebiet erschienenen Zeitungen aufmerksam, in denen die deutsche Bevölkerung reichlich Gelegenheit gehabt hätte, sich über das den Juden zugedachte Schicksal zu informieren.450 Der Autor ist im Gegensatz zu Hans Mommsen auch davon überzeugt, dass die von Hitler in seinen öffentlichen Reden ausgestoßenen Vernichtungsdrohungen gegen die Juden weitgehend verstanden worden seien: »Hitler machte so viele Andeutungen, daß kein denkender Mensch anders konnte als zu dem Schluß zu gelangen, daß sich hinter

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rungsagenten, Auktionatoren, Arbeitgeber, Meldebehörden, Eisenbahnarbeiter, NSDAPFunktionäre, Wehrmachtsangehörige und viele andere. Wahrscheinlich hatten nur relativ wenige Deutsche Gelegenheit, die letzte Phase des Deportationsprozesses direkt mitzuerleben, nachdem die Juden die bewachten Eingänge der mit Stacheldraht umzäunten Sammelplätze passiert hatten. Aber häufig konnten Menschen aus allen Lebensbereichen, während sie alltäglichen Verrichtungen nachgingen, die unglücklichen Juden auf ihrem Weg zu den Sammelplätzen beobachten: wie sie mit einem Koffer mit ihren letzten Habseligkeiten und dem gelben Stern auf der Brust unter Bewachung zum Bahnhof marschieren mussten oder in öffentlichen Straßenbahnen dorthin gebracht wurden, alles am helllichten Tag und unter den Augen der Passanten.« Vgl. ebd., S. 464–489. Ebd., S. 479. Ebd., S. 468. Vgl. Robert Gellately : Hingeschaut und weggesehen. Hitler und sein Volk. Stuttgart/ München 2002. Vgl. ebd., S. 50 und S. 205–207.

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Hitlers gewohnheitsmäßig bombastischen Drohungen etwas verbergen könnte.«451 Gellately liefert zudem interessante Informationen zu den Reaktionen der »Zuschauer« auf die Verfolgung der Juden. Während die Befunde anderer Forscherinnen und Forscher zum eher abwartenden Mehrheitsverhalten während des Aprilboykotts von ihm bestätigt werden452, betont er ausdrücklich die – zumindest passive – Einbeziehung der gesamten deutschen Gesellschaft in den Tagen des Novemberpogroms. Die in aller Öffentlichkeit verübten judenfeindlichen Krawalle hätten nicht nur in den Straßen der Großstädte getobt, sondern sich bis ins kleinste Dorf fortgesetzt. Gellately resümiert: »Kein einziger Ort, wo Juden lebten, blieb verschont; häufig kamen mobile Schlägertrupps der Nazis per Lastwagen, richteten unglaubliche Schäden an jüdischem Eigentum an, führten Juden auf den Straßen vor und verschwanden wieder so schnell, wie sie gekommen waren. Es kam zwar vereinzelt vor, daß Deutsche Juden vor dem Pogrom versteckten oder ihnen heimlich halfen, aber die wenigsten wagten, das Geschehene auch nur zu kritisieren. Es war bezeichnend für den Status der Juden, daß sie in den nächsten Tagen, wenn sie sich auf der Straße zeigten, von Kindern attackiert wurden, die sie mit Steinen bewarfen, belästigten und beleidigten.«453

Christopher R. Browning (2003) Christopher R. Brownings umfassender Studie aus dem Jahr 2003 über die Genese des Holocaust lassen sich einige Anmerkungen zu den gesellschaftlichen Reaktionen auf die Deportationen der Juden entnehmen.454 Browning verweist zunächst auf die Einbeziehung weiter Kreise der Bevölkerung.455 Die öffentlichen Deportationsvorgänge als solche seien vom Gros der Deutschen weder mit Unbehagen betrachtet worden noch habe man ihnen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Gleichwohl hätten die Zwangsverschleppungen in allen Gesellschaftsschichten materielle Begierden geweckt, was sich insbesondere in der 451 452 453 454

Ebd., S. 208. Vgl. ebd., S. 44–47. Ebd., S. 181. Vgl. Christopher R. Browning: Die Entfesselung der »Endlösung«. Nationalsozialistische Judenpolitik 1939–1942. München 2003. 455 Vgl. ebd., S. 553f.: »Die Gelegenheit, eine große Anzahl von Juden zu deportieren […], hatte auf allen Ebenen des Regierungsapparats nicht nur Zustimmung und Kooperationsbereitschaft, sondern auch Enthusiasmus und Eigeninitiative ausgelöst. Auf höchster Ebene beteiligten sich das Finanzministerium, das Auswärtige Amt sowie das Verkehrsministerium voller Eifer an den Aktionen; auf kommunaler Ebene sorgten die Bürgermeister von Kleinstädten dafür, dass die Hand voll jüdischer Einwohner auch tatsächlich in die Deportationslisten aufgenommen wurde. Putzfrauen kassierten für Leibesvisitationen von weiblichen Deportierten Überstundenzuschläge, und das Deutsche Rote Kreuz überschlug sich geradezu vor Dankbarkeit für die verderblichen Lebensmittel der Juden, die ihm zur Verteilung an Bedürftige übergeben wurden.«

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Nachfrage nach freigewordenen Wohnungen von deportierten Juden geäußert habe.456 Klaus Hildebrand (2003) Ebenfalls 2003 erschien eine neubearbeitete Auflage des wissenschaftlichen Standardbuches zum »Dritten Reich« von Klaus Hildebrand.457 Über die zeitgenössische Kenntnis vom Holocaust schreibt der Autor : »Über das mörderische Schicksal, das den deportierten Juden drohte, kursierten in der Bevölkerung, die unter den wachsenden Lasten des Kriegsalltags litt und in der ein nicht zu verkennender Antisemitismus grassierte, Gerüchte, die auf mehr oder weniger glaubwürdigen Informationen und ungewissen Ahnungen beruhten, ohne daß die große Mehrheit der Deutschen vom Verbrechen des Holocaust, dessen Existenz das Regime – soweit es irgend ging – geheimhielt, genau und zweifelsfrei, umfassend und verläßlich gewußt hätte.«458 Hildebrand bescheinigt der Geschichtswissenschaft auf dem Gebiet der Erforschung der Frage, was zur Tatzeit von der Ermordung der europäischen Juden in der Gesellschaft tatsächlich bekannt war, insgesamt lediglich unbewiesene Mutmaßungen aufgestellt zu haben. Wenngleich die Quellenlage es problematisch erscheinen lasse, jemals exakt bestimmen zu können, was genau gewusst, geahnt oder verdrängt wurde, ruft Hildebrand die Historikerzunft zu mehr Präzision in der wissenschaftlichen Arbeit auf.459

1.4.

Umfassende Aufarbeitung

Norbert Frei (2005) In einem einschlägigen Aufsatz aus dem Jahr 2005 zeigt Norbert Frei am Beispiel von Auschwitz-Birkenau, dass – allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz – sogar Informationen über das Morden in den Vernichtungslagern durchsickerten.460 Evident sei, dass unter der stetig wachsenden Zivilbevölkerung, die in unmittelbarer Nähe zum Lagerkomplex wohnte, mehr als Gerüchte und Vermutungen kursierten.461 Wer nicht sein Seh-, Hör- und Riechvermögen verloren hatte, der 456 Vgl. ebd., S. 555–560. 457 Vgl. Klaus Hildebrand: Das Dritte Reich. München 6., neubearb. Aufl. 2003 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 17). 458 Ebd., S. 128. 459 Vgl. ebd., S. 285f. 460 Vgl. Norbert Frei: Auschwitz und die Deutschen. Geschichte, Geheimnis, Gedächtnis. In: Ders.: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen. München 2005, S. 156– 183. 461 Vgl. ebd., S. 170f.: »Anders als die Deutschen es sich im Zeichen des Kalten Krieges und der kollektiven Schuldverdrängung selbst einzureden suchten, lag das Auschwitz der ›Endlö-

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müsse zumindest eine dunkle Ahnung von den Abscheulichkeiten gehabt haben, die sich im Lager abspielten. Allein der süßliche Gestank verbrannten Menschenfleisches sei zu penetrant gewesen, um nicht wahrgenommen zu werden.462 Einzelheiten über das Mordgeschehen im Vernichtungslager seien aber auch an die Bevölkerung im »Altreich« gelangt. Die Angehörigen der Lager-SS, die den systematischen Massenmord an den jüdischen Gefangenen ausführten und deren Beschäftigungszahl sich bis Kriegsende auf etwa 7.000 Personen bezifferte, hätten Informationen ausgeplaudert: »[D]ie Zahl derer, mit denen dieses SS-Personal zumindest Bruchstücke seines dienstlich erworbenen Wissens teilten«, müsse, so der Autor, »in die Zehntausende gegangen sein«463. Aber nicht nur die eigentlichen Vollstrecker und deren Ehefrauen, die, sofern sie nicht ohnehin in Auschwitz wohnten, ihren Männern regelmäßig wochenoder monatelangen Besuch abstatten, hätten über die Liquidationsmaßnahmen berichten können. Hinzu komme eine große Anzahl mittelbar in das Mordgeschehen verwickelter Personen: die Angestellten der Firma »Topf & Söhne«, welche die Entwicklung, Lieferung und Installation der Öfen für die Krematorien sowie die Be- und Entlüftungsanlagen für die Gaskammern übernahmen464, außerdem die Beschäftigten der Degesch (»Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung«), die über das Handelsunternehmen »Tesch & Stabenow« das Giftgas Zyklon B nach Auschwitz lieferten465, sowie die Angehörigen der Reichsbahn, welche die Güterzüge mit Juden aus ganz Europa nach Birkenau lenkten und bei Ankunft der Konvois mit eigenen Augen sahen, wie die »Selektionen« vorgenommen wurden und daraufhin Kolonnen von Menschen zu den Krematorien gingen466. Schließlich bestehe kein Zweifel daran, dass auch die

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sung‹ keineswegs im geographisch nebulösen Osten, sondern bis 1945 – ebenso wie das Tötungszentrum Chelmno im Warthegau – auf annektiertem, sprich: zum Deutschen Reich gehörenden Territorium. Das Auschwitz der Kriegsjahre war nicht nur ein bedeutender Verkehrsknoten, die Stadt war das neue Lebenszentrum für viele Tausende von Reichsdeutschen: Für die Meister und Vorarbeiter der IG-Farben in Monowitz ebenso wie für den neuen Besitzer der ehemals jüdischen Likörfabrik oder den Wirt aus Wuppertal, der jetzt das erste Haus am Platze betrieb und der noch Wochen nach dem Jahreswechsel 1943/44 von dem rauschenden Silvesterball schwärmte, den er für seine ›arischen‹ Gäste ausgerichtet hatte. Auschwitz, eine deutsche Stadt: mit Theateraufführungen und Jagdausflügen für die nationalsozialistischen Honoratioren, mit botanischen Führungen und ›bunten Abenden‹ für die Lager-SS.« Vgl. ebd., S. 173. Vgl. hierzu auch Sybille Steinbacher : Auschwitz. Geschichte und Nachgeschichte. München 2004, S. 59–63. Ebd., S. 172. Vgl. hierzu auch Annegret Schüle: Industrie und Holocaust. Topf & Söhne – die Ofenbauer von Auschwitz. Göttingen 2010. Vgl. hierzu auch Jürgen Kalthoff/Martin Werner : Die Händler des Zyklon B. Tesch & Stabenow. Eine Firmengeschichte zwischen Hamburg und Auschwitz. Hamburg 1998. Vgl. hierzu bereits Raul Hilberg: Sonderzüge nach Auschwitz. Mainz 1981 (Dokumente zur Eisenbahngeschichte, Bd. 18) sowie Heiner Lichtenstein: Pünktlich an der Rampe. Der

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Mitarbeiter des IG-Farben-Konzerns, der im angrenzenden Monowitz im großen Stil Buna (synthetischen Kautschuk) produzierte und hierfür auf die Arbeitskraft der Konzentrationslagerhäftlinge zurückgriff, über die Giftgasmorde Bescheid wussten. Häftlinge, die als nicht mehr »arbeitsfähig« galten, seien regelmäßig – mit Wissen und Billigung der Betriebsführung – in die Gaskammern von Birkenau geschickt worden.467 Peter Longerich (2006) Peter Longerichs im Jahr 2006 erschienene Monographie widerlegt nachdrücklich die Legende von der Unkenntnis der Deutschen von der Ermordung der Juden während des Zweiten Weltkrieges.468 Während Longerich der alliierten Flugblatt- und Rundfunkpropaganda als Informationsquelle über den Holocaust insgesamt nur wenig Bedeutung beimisst469, weist er durch die Auswertung von Horizont des deutschen Eisenbahners. In: Jörg Wollenberg (Hrsg.): »Niemand war dabei und keiner hat’s gewußt«. Die deutsche Öffentlichkeit und die Judenverfolgung. München 1989, S. 204–223. 467 Vgl. ausführlich Bernd C. Wagner : IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München 2000 (Darstellungen und Quellen zur Geschichte von Auschwitz, Bd. 3). 468 Vgl. Peter Longerich: »Davon haben wir nichts gewusst!«. Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933–1945. München 2006. 469 Vgl. ebd., S. 246f.: »Von einer herausragenden Rolle des Massenmords an den europäischen Juden in der alliierten Flugblattpropaganda kann […] keine Rede sein. Die Ermordung von Hunderttausenden, ja mehr als einer Million Juden wird zwar mehrere Male beschrieben, aber insgesamt gesehen konnte der durchschnittliche Leser diesen Flugblättern nicht entnehmen, dass sich der Mord an den Juden quantitativ oder qualitativ wesentlich von den Grausamkeiten an anderen unterdrückten Bevölkerungsgruppen unterschied, dass also die NS-Regierung das Ziel verfolgte, alle Juden in ihrem Herrschaftsgebiet mit Hilfe besonderer Mordanlagen systematisch umzubringen. Auffällig ist auch, dass die zentrale Rolle der Gaskammern nicht besonders hervorgehoben wurde. Aber wesentlich ist vor allem folgender Punkt: Nach intensiver alliierter Berichterstattung im Dezember 1942 trat das Thema Judenmord in den nächsten beiden Jahren in der alliierten Propaganda wieder in den Hintergrund. Wir wissen wenig über die Lese- und Rezeptionsgewohnheiten derjenigen Deutschen, die – verbotenerweise – alliierte Rundfunkstationen abhörten und Flugblätter der Kriegsgegner lasen, aber man muss wohl eher davon ausgehen, dass diejenigen, denen es gelang, einen Blick auf ein feindliches Flugblatt zu werfen, ihnen bestenfalls ein kleines Stück Information über den Massenmord an den Juden entnehmen konnten: eine Opferzahl, den Namen eines Lagers, die Erwähnung von Todeslagern und Gaskammern, den Erlebnisbericht eines entkommenen Opfers. Die Tatsache, dass diese bruchstückhaften Informationen meist in einen allgemeinen Kontext der von den Deutschen in den besetzten Gebieten begangenen Grausamkeiten eingebettet waren […], mag mit dafür verantwortlich sein, dass, wie die Amerikaner unmittelbar nach Kriegsende herausfanden, die alliierte Flugblattpropaganda über den Mord an den Juden in der deutschen Bevölkerung offenbar kaum Spuren hinterließ. Das Gleiche gilt für das Abhören der ›Feindsender‹: Der Mord an den Juden wurde offenkundig nur im Dezember 1942 wiederholt und an herausragender Stelle in den alliierten Rundfunksendungen angesprochen, danach […] eher sporadisch und ebenfalls im Kontext anderer NS-Verbrechen. Da von etwa 50 Prozent ›Schwarzhörern‹

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mehr als zwei Dutzend Zeitungen nach, dass es eine permanente Berichterstattung über die geplante und verwirklichte »Endlösung der Judenfrage« gab. Der Mord an den Juden sei so zum einem »öffentlichen Geheimnis«470 geworden. Neben der Lektüre von Zeitungsartikeln habe die Bevölkerung insbesondere durch die Berichte von Soldaten, die aus den besetzten polnischen und sowjetischen Gebieten ins Reichsgebiet heimkehrten, von den Massenerschießungen erfahren.471 Weitaus geringere Verbreitung hätten dagegen genauere Informationen über Vernichtungslager, Gaswagen und Gaskammern gefunden.472 Gleichwohl habe es in der Bevölkerung viele Spekulationen über den Einsatz von Gas zur Tötung der Juden gegeben: »Zu diesen Gerüchten mag unter anderem die Tatsache beigetragen haben, dass sich die Existenz der Vernichtungslager trotz aller Geheimhaltungsanstrengungen keineswegs vollkommen verbergen ließ – nicht nur wegen der großen Zahl der mittelbar oder unmittelbar in den Vernichtungsprozess involvierten Täter, sondern weil noch erheblich mehr Menschen Gelegenheit zu Beobachtungen hatten, die die Bestimmung der Vernichtungslager offenlegten. Dies gilt insbesondere für das in Folge von Annexion innerhalb des Reichsgebietes liegende Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau: Das ständige Ankommen von Transporten mit Tausenden von Menschen, die weithin sichtbaren meterhohen Flammen aus den Krematorien und der charakteristische Geruch verbrannter Leichen, der sich in der Umgebung des Lagers ausbreitete, waren untrügliche Anzeichen dafür, dass hier nicht nur eine hohe Todesrate herrschte, sondern dass hier ein Massenmord ungeheuren Ausmaßes vor sich ging. […] Den Arbeitern und Angestellten in den in Auschwitz ansässigen deutschen Firmen – die häufig kurzfristig beschäftigt wurden – konnten die Massenmorde ebenso wenig verborgen bleiben wie den Angehörigen der in der ›Musterstadt‹ Auschwitz selbst sowie im übrigen annektierten Oberschlesien eingerichteten deutschen Behörden und Dienststellen, die in irgendeiner Form mit der Existenz des Vernichtungslagers konfrontiert waren. Auch der deutschen Bevölkerung in den benachbarten Städten, die von Juden ›geräumt‹ wurden, enthüllte sich das wahre Ziel der vorgeblichen ›Umsiedlung‹ schon wegen der räumlichen Nähe des Todeslagers, in dem die Deportationen endeten. Und allein die Tatsache, dass alle Vernichtungslager direkt an Bahnstrecken lagen, musste einen Teil des Eisenbahnpersonals zu Mitwissern machen und die Aufmerksamkeit zahlreicher Reisender hervorrufen.«473

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in der deutschen Bevölkerung nur ein relativ kleiner Bevölkerungsanteil die alliierten Rundfunksender regelmäßig abhörte und die Hörerschaft sich gegenüber Informationen, die sie nicht unmittelbar betrafen, als einigermaßen resistent erwies, wird man davon ausgehen können, dass auch die meisten ›Schwarzhörer‹ Informationen über den systematischen Mord an den Juden nur bruchstückhaft erfassten.« Ebd., S. 278. Vgl. ebd., S. 225f. Vgl. ebd., S. 222. Ebd., S. 237f.

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Darüber, ob die deutsche Bevölkerung den ihnen weitgehend bekannten Mord an den Juden billigte oder nicht, macht Longerich hingegen wenig Angaben. Er vermag jedoch spätestens seit der Niederlage von Stalingrad Anfang 1943 einen zunehmenden »Unwillen« zu erkennen, d. h. eine – unterhalb der Ebene des Protestes oder gar des Widerstandes bleibende – Weigerung, sich zum Komplizen und Mitwisser des Regimes zu machen bzw. sich mit dem Massenmord an den Juden weiter zu befassen. Als das Regime sich im Zuge der seit dem Frühjahr 1943 betriebenen Mobilisierung der Deutschen für den totalen Krieg »in aller Öffentlichkeit und in unmissverständlichen Formulierungen zur Vernichtung der Juden«474 bekannte, außerdem den kompromisslosen Massenmord als Prophylaxemaßnahme propagandistisch rechtfertigte, mit der man der angeblichen jüdischen Ausrottungsabsicht gegenüber dem deutschen Volk zuvorkomme, habe die Bevölkerungsmehrheit versucht, sich der Verantwortung durch Ahnungslosigkeit zu entziehen. Longerich fasst zusammen: »In dieser von Angst […] erfüllten Atmosphäre der zweiten Kriegshälfte war die Bevölkerung offenbar mehr oder weniger unwillig, sich weiterhin mit Details der ›Judenfrage‹ zu befassen und die bruchstückhaft vorhandenen Einzelinformationen und offiziellen Stellungnahmen des Regimes zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Damit hätte man sich eingestehen müssen, dass der Massenmord an den Juden ein Jahrhundertverbrechen darstellte, das sich wesentlich von den an anderen verfolgten Gruppen und unterjochten Völkern verübten Verbrechen unterschied. […] Die einfachste und vorherrschende Haltung war daher sichtbar zur Schau getragene Indifferenz und Passivität gegenüber der ›Judenfrage‹ – eine Einstellung, die nicht mit bloßem Desinteresse an der Verfolgung der Juden verwechselt werden darf, sondern als Versuch gesehen werden muss, sich jeder Verantwortung für das Geschehen durch ostentative Ahnungslosigkeit zu entziehen. Es scheint, als habe die nach Kriegsende zur stereotypischen Floskel gewordene Redewendung, man habe ›davon‹ nichts gewusst, ihre Wurzeln in eben dieser Verweigerungshaltung der zweiten Kriegshälfte: in der Flucht in die Unwissenheit.«475

Longerichs Arbeit lassen sich auch zahlreiche Informationen darüber entnehmen, welche Haltung die deutsche Bevölkerung zur »Judenfrage« seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten einnahm. Im Hinblick auf die Boykottmanifestationen des 1. April 1933 kommt der Autor zu dem Ergebnis, dass die große Mehrheit die Blockaden jüdischer Geschäfte durch uniformierte Parteianhänger ohne Protest hingenommen habe. Die in zahlreichen Städten zu beobachtenden Menschenaufläufe seien aber weniger das Resultat einer aggressiven antijüdischen Einstellung als vielmehr das Ergebnis schlichter Sensationslust gewesen. Longerich weist zudem auf eine couragierte Minderheit hin, die sich nicht von den vor den jüdischen Geschäften postierten SA-Schergen 474 Ebd., S. 326. 475 Ebd., S. 327f.

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einschüchtern gelassen und – als quasi demonstrativ auftretende »arische« Protestkunden – an diesem Tag gezielt in jüdischen Läden eingekauft habe.476 Wie die meisten Historikerinnen und Historiker vor ihm, geht auch Longerich davon aus, dass die gewaltsamen Ausschreitungen während des Novemberpogroms 1938 von der nichtjüdischen Bevölkerung weitgehend abgelehnt worden seien. Widerspruch habe dabei vor allem die »sinnlose Zerstörung« von Sachwerten hervorgerufen.477 Die ablehnenden Äußerungen seien aber in der Regel »in verdeckter Form erfolgt, durch Blicke, Gesten oder Kommentare, die, wenn sie außerhalb der privaten Sphäre abgegeben wurden, mit Vorsicht und Zurückhaltung formuliert wurden«478. In der Pogromnacht habe sich auch nicht, wie von der NS-Propaganda wiederholt behauptet, der »Volkszorn« Luft gemacht. Ganz im Gegenteil: Die organisierten Gewaltaktionen gegen die jüdische Minderheit seien von SA- und SS-Männern, HJ-Angehörigen und verschiedenen Parteiaktivisten durchgeführt worden. Der allgemeinen Bevölkerung sei die Rolle von passiven Zuschauern und Zeugen dieser »Aktion« zugefallen.479 Dennoch habe das NS-Regime die überwiegende Tatenlosigkeit der Bevölkerung als Erfolg bewerten können, denn: »Eine Gewaltaktion gegen die deutschen Juden, wie man sie seit den mittelalterlichen Judenverfolgungen nicht mehr erlebt hatte, war ohne offenen Protest hingenommen worden. Propagandistisch ließ sich das als Zustimmung ausgeben. Die Radikalisierung der Judenverfolgung war erfolgreich einen weiteren Schritt vorangetrieben worden.«480 Was die Reaktionen auf die Mitte Oktober 1941 systematisch einsetzenden, weder in den Metropolen noch in der Provinz verborgen gebliebenen Deportationen angeht, wendet sich Longerich gegen die These David Bankiers, die Bevölkerung habe sich überwiegend gleichgültig verhalten. Eindeutig dagegen spreche die rege Beteiligung weiter Kreise der Gesellschaft an den zahlreichen öffentlichen Auktionen, auf denen die Einrichtungsgegenstände und diverse persönliche Habseligkeiten der deportierten Juden versteigert wurden.481 Frank Bajohr (2006) Frank Bajohr kommt in einem kurz nach Longerichs Buch erschienenen Beitrag ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Holocaust ein offenes Geheimnis gewesen sei.482 Angesichts der bereits 1941 immer häufiger von der Partei in Presse und 476 477 478 479 480 481 482

Vgl. ebd., S. 58–66. Vgl. ebd., S. 132f. Ebd., S. 134. Vgl. ebd., S. 123–131. Ebd., S. 135. Vgl. ebd., S. 194–200. Vgl. Frank Bajohr : Vom antijüdischen Konsens zum schlechten Gewissen. Die deutsche Gesellschaft und die Judenverfolgung 1933–1945. In: Ders./Dieter Pohl: Der Holocaust als

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Rundfunk lancierten Anspielungen auf das den Juden zugedachte Schicksal habe derjenige, der etwas wissen wollte, frühzeitig seine Schlüsse ziehen können.483 Spätestens im Laufe des Jahres 1942 seien immer mehr Informationen über den Judenmord bekannt geworden: »Nicht nur die Alliierten nahmen jetzt das Mordgeschehen zunehmend ungeschminkt war und berichteten – wie die BBC – darüber in ihren Rundfunksendungen nach Deutschland, auch auf die deutsche Zivilbevölkerung im ›Altreich‹ floss nun ein breiter Strom von Informationen über Mordaktionen in den besetzten Gebieten zu, die von deutschen Soldaten auf Fronturlaub und deutschen Angehörigen der Besatzungsverwaltung in Osteuropa verbreitet wurden.«484

Da jedoch die Frage, wie viele Deutsche von der systematischen Ermordung der europäischen Juden wussten, niemals prozentual präzise beantwortet werden könne, formuliert Bajohr vorsichtig: »Während nahezu alle Deutschen von Ereignissen wie dem Novemberpogrom 1938 oder der Deportation der Juden aus dem ›Altreich‹ wussten, kann im Hinblick auf die Massenmorde an Juden lediglich konstatiert werden, dass sehr vielen Deutschen Einzelheiten bekannt waren, hingegen nur wenige die Gesamtheit des komplexen Mordgeschehens überschauten, oder besser gesagt: überschauen wollten.«485

Die Frage nach der Resonanz, auf welche die nationalsozialistische Verfolgungsund Vernichtungspolitik in der Bevölkerung stieß, beantwortet Bajohr wie folgt: Nach 1933 habe sich das NS-Regime in Bezug auf ihre »Judenpolitik« auf einen in der Gesellschaft zunehmenden antijüdischen Konsens stützen können. Wenn auch nicht die gewaltsamen Übergriffe auf Juden und später ihre eigentliche Tötung befürwortet worden seien, der generelle Ausschluss der jüdischen Minderheit aus der »Volksgemeinschaft« sei mit – oftmals großer – Zustimmung aufgenommen worden. Bajohr expliziert diese Haltung an zwei Beispielen: den Reaktionen auf die »Reichskristallnacht« und denjenigen auf die Deportationen der deutschen Juden. Die Mehrheitsbevölkerung habe die während der Pogromnacht ergriffenen Maßnahmen »grundsätzlich gebilligt«486. Lautstarke Empörung sei nicht zu vernehmen gewesen. Wenn es Kritik gegeben habe, dann sei diese vornehmlich an der gewaltsamen Zerstörung und Plünderung der jüdischen Geschäfte laut geworden. Die Brandschatzung der Synagogen sei dagegen eher nebensächlich erschienen. Ähnlich habe es sich mit den Verhaftungen von Juden in den fol-

483 484 485 486

offenes Geheimnis. Die Deutschen, die NS-Führung und die Alliierten. München 2006, S. 15–79. Vgl. ebd., S. 59. Ebd., S. 59f. Ebd., S. 64. Ebd., S. 37.

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genden Tagen verhalten, die auf keine grundsätzlichen Vorbehalte gestoßen und allenfalls wegen ihrer gewalttätigen Begleiterscheinungen missbilligt worden seien.487 Nach Bajohrs Auffassung hätten sich auch die bisweilen »einem regelrechten Volksauflauf«488 gleichenden Deportationsvorgänge – trotz ihrer deutlich sichtbaren Gewaltkomponente – noch innerhalb des antijüdischen Konsenses zwischen Regime und Bevölkerung bewegt.489 Insgesamt hätten die Reaktionen der »Zuschauer« einer »Verhaltenstrias aus aktiver Zustimmung, Zurückhaltung und kritischer Distanz«490 entsprochen. Die demonstrative Billigung der Deportation der deutschen Juden, die sich vor allem in Form von verbalen Attacken (Gejohle, Schmähgesänge und Geschrei) geäußert habe, sei »zwar nicht die Regel«491 gewesen, habe »jedoch keineswegs zu den absoluten Ausnahmen«492 gehört. Das Gros der Deutschen habe sich den Aktionen gegenüber »unauffällig«493 verhalten und wahrscheinlich »zwischen Einverständnis, Gleichgültigkeit und Distanz«494 geschwankt. Kritische Distanz zu den systematischen Massenverschleppungen sei nur für eine kleine Gruppe von Nichtjuden charakteristisch gewesen, die humanitäre Einwände (z. B. Hinweise auf das hohe Alter der Deportierten oder die Härte des Winters im Osten) vorgebracht habe.495 Schließlich macht Bajohr – in Fortführung der bereits 1997 im Rahmen seiner Dissertation für Hamburg ermittelten Ergebnisse – auf die persönliche Bereicherung zahlreicher »Durchschnittsvolksgenossen« während der im gesamten Reichsgebiet im Anschluss an die Deportationen stattfindenden öffentlichen Versteigerungen von Einrichtungs- und Wertgegenständen aus jüdischem Besitz aufmerksam. Unzählige Deutsche hätten neben Möbeln, Kunstgegenständen oder Kleidungsstücken tausende im Leben nützliche Kleinigkeiten ersteigert, welche die Deportierten zurücklassen mussten. Besonders erschreckend sei, dass manche »Volksgenossen« die Versteigerungen offenbar kaum abwarten konnten und sich – mit der Bitte um Überlassung bestimmter Gegenstände – bereits im Vorfeld der Deportationen an die zuständigen Finanzbehörden oder sogar an ihre jüdischen Nachbarn selbst gewendet hätten.496

487 488 489 490 491 492 493 494 495 496

Ebd. Ebd., S. 47. Vgl. ebd., S. 55. Ebd., S. 53. Ebd., S. 49. Ebd. Ebd., S. 50. Ebd. Vgl. ebd., S. 51. Vgl. ebd., S. 53f.

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Saul Friedländer (2006) Bestätigt werden die von Norbert Frei, Peter Longerich und Frank Bajohr präsentierten Forschungsergebnisse zum Kenntnisstand der deutschen Bevölkerung über den Massenmord durch Saul Friedländers 2006 veröffentlichtes großes Werk zum Schicksal der europäischen Juden im nationalsozialistisch besetzten Europa der Jahre 1939 bis 1945.497 Angesichts mannigfacher Informationsquellen könne, so Friedländer, »kaum ein Zweifel daran bestehen, daß es Ende 1942 oder spätestens Anfang 1943 einer gewaltigen Zahl von Deutschen, Polen, Weißrussen, Ukrainern und Balten klar vor Augen stand, daß die Juden zur totalen Ausrottung verurteilt waren«498. Wenn auch die technischen Einzelheiten des Massenmordes zumeist unbekannt geblieben seien, stelle die angebliche deutsche Unkenntnis über das Schicksal der Juden nicht viel mehr als ein »mythisches Konstrukt der Nachkriegszeit«499 dar. Bernward Dörner (2007) Die letzte Studie, die sich dezidiert mit dem Wissen der deutschen Bevölkerung um die Vernichtung der Juden während der Jahre 1941 bis 1945 auseinandersetzt, stammt von Bernward Dörner und trägt den aussagekräftigen Titel »Die Deutschen und der Holocaust. Was niemand wissen wollte, aber jeder wissen konnte«.500 Um zu einer zuverlässigen Antwort auf die Frage zu gelangen, was die nichtjüdische Bevölkerung über den Holocaust wusste bzw. wissen konnte, breitet der Autor eine Vielzahl zeitgenössischer Informationsquellen und -kanäle aus. Neben Millionen von deutschen Soldaten, den Angehörigen der Einsatzgruppen und der Ordnungspolizei sowie zahlreichen Beamten, Angestellten, Unternehmern, Managern, Handwerkern und Technikern im »Osteinsatz«, die sich durch ihre verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Bande geradezu als »Einfallstor« für Informationen über den systematischen Massenmord ins »Altreich« erwiesen hätten501, seien die im Rundfunk gesendeten Reden der NSFührungselite eine der Hauptquellen gewesen, aus der die gesamte Bevölkerung Informationen über den Judenmord habe entnehmen können. Weder bei Hitler noch bei anderen führenden Nationalsozialisten habe es an eindeutigen Anspielungen zum Schicksal der Juden gefehlt. Diese öffentlichen Todesdrohungen hätten Millionen Deutsche zu Ohrenzeugen gemacht. Da ein Großteil der 497 Vgl. Saul Friedländer : Das Dritte Reich und die Juden. Bd. 2: Die Jahre der Vernichtung 1939–1945. München 2006. 498 Ebd., S. 20f. 499 Ebd., S. 539. 500 Vgl. Bernward Dörner : Die Deutschen und der Holocaust. Was niemand wissen wollte, aber jeder wissen konnte. Berlin 2007. 501 Vgl. ebd., S. 93–131.

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Haushalte über einen entsprechenden »Volksempfänger« verfügte (1941: 65 Prozent), hätten die Hasstiraden im privaten Rahmen verfolgt werden können. Jene wiederum, die über kein eigenes Radiogerät verfügten, hätten aufgrund verordneten »Gemeinschaftsempfangs« in Behörden, Schulen, Gaststätten oder Betrieben ebenfalls den Ansprachen der NSDAP-Spitzenpolitiker gelauscht.502 Wie bereits Longerich macht Dörner auf die Presse des »Dritten Reiches« aufmerksam.503 Die deutsche Bevölkerung habe die Möglichkeit gehabt, sich durch die Lektüre zahlreicher Zeitungsartikel Gewissheit über den Genozid zu verschaffen. Nicht nur im publizistischen Parteiorgan der NSDAP, dem Völkischen Beobachter, veröffentlichte Beiträge hätten immer wieder auf den Judenmord hingedeutet. Hinweise auf den Tod der im deutschen Herrschaftsbereich befindlichen Juden hätten jeder lokalen oder regionalen Tageszeitung entnommen werden können. Dörner bilanziert: »Generell kann festgestellt werden, dass in allen deutschen Blättern, in zivilen wie militärischen, überregionalen wie regionalen und lokalen, im ›Altreich‹ wie in den okkupierten Gebieten, in Meldungen, Kommentaren, Interviews, Karikaturen in kaum verhüllter Weise auf das Schicksal der Juden hingewiesen worden ist, wenn auch nie konkret.«504 Im Gegensatz zu Longerich hält Dörner auch die alliierte Rundfunk- und Flugblattpropaganda für wichtige Informationsquellen der deutschen Bevölkerung während des Zweiten Weltkrieges. Beiden seien wiederholt – wenn auch in begrenztem Maß – eindringliche Hinweise auf den Holocaust zu entnehmen gewesen.505 So schreibt Dörner zu den Meldungen der BBC: »Obwohl die Bedeutung des Londoner Senders in der Forschung nie bestritten worden ist, wurde seine Rolle als Informationsquelle der deutschen Bevölkerung während des Völkermords doch unterschätzt. […] Die BBC hat ihre deutschen Hörer nicht nur über die Kriegslage informiert, sondern auch wiederholt eindringlich und im Wesentlichen zutreffend über den Holocaust aufgeklärt. Dabei wurden auch die geheimsten Aspekte des Genozids öffentlich bekannt gemacht. So wurde mehrfach über den Einsatz von Giftgas berichtet, und auch die Namen von Vernichtungslagern wurden wiederholt genannt. Durch die Bekanntgabe der ungeheuren Opferzahlen wurde zudem das gewaltige Ausmaß des Judenmords offengelegt.«506

Zu den alliierten Flugblättern heißt es:

502 503 504 505 506

Vgl. ebd., S. 135–148. Vgl. ebd., S. 157–193. Ebd., S. 192. Vgl. ebd., S. 194–254. Ebd., S. 219.

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Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Forschung und Öffentlichkeit

»Insgesamt zeigen die noch erhaltenen Quellen, dass die alliierten Flugblätter, insbesondere die britischen, erheblich dazu beitrugen, das Geheimnis um den Genozid an den Juden zu lüften. Denn auf ihnen konnten die Deutschen – zwar vom Kriegsgegner, aber von einer durchaus ernst zu nehmenden Seite – schwarz auf weiß lesen, was mit den Juden Osteuropas und den Deportierten geschah beziehungsweise geschehen war. […] Sie [die britische Flugblattpropaganda] unterstrich, dass sich die Vernichtungspolitik gegen alle Juden im deutschen Herrschaftsgebiet – Männer, Frauen und Kinder – richtete und dass sie zu Hunderttausenden ermordet wurden. Sie berichtete darüber, dass bis Ende 1942 schon mindestens eine Million Menschen dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer gefallen war, und nannte Orte, an denen das Töten quasi industriell erfolgte (Belzec, Treblinka, Sobibor, Majdanek). Sicherlich waren die Informationen der Flugblätter nicht umfassend und teilweise fehlerhaft. Die Bedeutung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau wurde nicht dargelegt, die Zahl der Opfer wurde nicht in voller Höhe benannt […], die Tötungsverfahren wurden zum Teil falsch oder ungenau bestimmt. Auch wurde, wahrscheinlich aus propagandistischen Überlegungen heraus, nicht immer deutlich gemacht, dass sich die Vernichtungspolitik vor allem gegen Juden richtete. Dennoch konnten die Deutschen aus den Flugblättern genug wesentliche Fakten über den Holocaust erfahren, um seine Dimension als Genozid an Millionen von Unschuldigen zu erkennen.«507

Des Weiteren stellt Dörner 31 Fälle von Äußerungen einzelner »Volksgenossen« über den Holocaust vor, die bei verschiedenen NS-Verfolgungsbehörden aktenkundig geworden sind.508 Die untersuchten Fallbeispiele offenbaren, so der Autor, dass in allen Regionen Deutschlands die Kenntnis von der Ermordung der Juden zum Allgemeingut gezählt habe: »Nach und nach sickerten immer mehr Informationen über die physische Vernichtung der Juden durch und gelangten auch zu wenig informierten und politisch unbedarften ›Volksgenossen‹ sowie in entlegene Regionen. Sukzessive wurde fast alles bekannt, was mit großem Aufwand geheim gehalten werden sollte: Ende 1941 wird bereits davon gesprochen, dass auch jüdische Frauen und Kinder umgebracht würden. Seit der Jahreswende 1942/43 finden sich immer mehr Äußerungen, in denen von Gas als 507 Ebd., S. 253f. 508 Vgl. ebd., S. 328–360. Dörner hält zum Aussagewert dieser Quellen fest: »In quantitativer Hinsicht stellen die hier angeführten Äußerungen, gemessen an den ungezählten Sprechakten von knapp neunzig Millionen Einwohnern während des Genozids, einen winzigen Ausschnitt dar. Ihre Aussagekraft sollte dennoch nicht unterschätzt werden. Analysiert man die Aussagen zur Ermordung der Juden als Spuren der subjektiven Seite des Genozids, so zeigt sich, dass die noch erhaltenen Akten (als Zufallsauswahl zeitgenössischer Äußerungen) die gesellschaftliche Wahrnehmung der Vernichtungspolitik widerspiegeln. Außerdem weisen die angeführten Stellungnahmen in den verschiedenen Phasen des Genozids eine hohe Übereinstimmung auf, obwohl sie von Personen aus ganz unterschiedlichen Berufsgruppen, Milieus und Regionen unabhängig voneinander abgegeben wurden. Die Angezeigten und ihre Zeugen waren ganz ›normale‹ Deutsche, die nicht über ›Herrschaftswissen‹ verfügten. Ihre Äußerungen zeigen also, was man im NS-Deutschland wusste beziehungsweise wissen konnte.« (ebd., S. 360).

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Tötungsmittel die Rede ist. Zutreffend wird der Schwerpunkt des Genozids zumeist in Polen ausgemacht. Im Verlauf des Jahres 1943 wird immer häufiger geäußert, dass grundsätzlich alle Juden ›ausgerottet‹ beziehungsweise ›vernichtet‹ werden sollen. In einigen Fällen wird ausdrücklich erklärt, dass die Zahl der Opfer die Millionengrenze schon überschritten habe. Andererseits verweisen die angeführten Äußerungen auch darauf, dass die konkreten Umstände und Einzelheiten des Mordvorgangs in den Vernichtungslagern (die Namen der Lager, die Art der Giftgase etc.) offenbar weniger bekannt geworden sind.«509

Die in den Akten der Repressionsorgane des NS-Regimes enthaltenen Äußerungen durchschnittlicher »Volksgenossen« wie auch die zahlreichen NS-Lageberichte würden zudem die von Ian Kershaw oder Hans Mommsen und Dieter Obst vertretene Auffassung widerlegen, dass die Bevölkerung dem Judenmord im Allgemeinen keine Aufmerksamkeit geschenkt habe.510 Dörners Fazit zur zeitgenössischen Wahrnehmung des Genozids an den Juden fällt somit eindeutig aus: »Angesichts der mörderischen Propaganda gegen die Juden, der alliierten Flugblätter und Rundfunkbeiträge und nicht zuletzt der Gerüchtekommunikation scheint den allermeisten Deutschen spätestens im Sommer 1943 zu Bewusstsein gekommen zu sein, dass alle Juden im deutschen Herrschaftsgebiet – darunter Frauen und Kinder – sterben sollten. Die Behauptung, die Deutschen hätten von dem Völkermord an den Juden nichts gewusst, ist nicht haltbar.«511

Dörner hebt zuletzt hervor, dass die Einstellung der deutschen Bevölkerung gegenüber der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik ein wichtiger Faktor für die weitgehend erfolgreiche Realisierung des Judenmords gewesen sei. Angesichts der Auffassungsunterschiede in der Bevölkerung halte zwar das von Daniel Goldhagen gefällte Pauschalurteil, der Judenmord sei »auf allgemeines Verständnis, wenn nicht gar Zustimmung« bei allen Deutschen gestoßen, der historischen Realität nicht stand. Es dürfe aber nicht übersehen werden, dass antisemitische Denkmuster weitverbreitet gewesen seien und viele Deutsche im Einklang mit den nationalsozialistischen Rassenfanatikern die vollständige Vernichtung der Juden zumindest gebilligt hätten.512 Die Fachwissenschaft, so wird man insgesamt konstatieren können, hat in der Erforschung der schwierigen Frage, was die deutsche Bevölkerung wusste und wie sie auf dieses Wissen reagierte, überzeugende Antworten geliefert. Die Behauptung von Alfred de Zayas, dass die Historikerinnen und Historiker »die Schlüsselfrage über das Wissen gemieden haben, oder, wenn sie sie anpackten, 509 510 511 512

Ebd., S. 360f. Vgl. ebd., S. 362f. Ebd., S. 362. Vgl. ebd., S. 614–618.

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Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Forschung und Öffentlichkeit

nicht mit der notwendigen Methodik und Zurückhaltung, sondern in unwissenschaftlicher – anklägerischer und pauschalierender – Weise darangingen«513, entbehrt jeder Grundlage.

2.

Der öffentliche Diskurs über Wissen und Reaktionen der Gesellschaft

In Anlehnung an Norbert Frei lassen sich vier Phasen des öffentlichen Umgangs mit der NS-Vergangenheit unterscheiden.514 Auf die »Phase der politischen Säuberung« von 1945 bis 1949, die unter nahezu ausschließlicher Verantwortung der alliierten Besatzungsmächte steht, folgt in den 1950er Jahren die »Phase der Vergangenheitspolitik«. Diese zweite Phase ist vor allem durch das gesellschaftspolitische Bestreben nach Amnestie und Reintegration von zahlreichen ehemaligen NSDAP-Parteimitgliedern bei gleichzeitiger normativ-symbolischer Abgrenzung vom Nationalsozialismus bestimmt.515 Darauf setzt die lange »Phase der Vergangenheitsbewältigung« ein, in der die Aufarbeitung der NSDiktatur eine zunehmend moralische Aufladung erhält. Es ist zugleich die Phase, in der sich zumindest Teile der gebildeten Schichten und funktionalen Eliten der Bundesrepublik der Thematik annehmen. Ihren Höhepunkt erreicht diese Phase 1970 mit der ergreifenden Geste Willy Brandts, der in Warschau vor dem Denkmal des zerstörten Ghettos auf die Knie fällt. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und vor allem mit der Ermordung der europäischen Juden überschreitet die Grenzen des Bildungsbürgertums und der politischen 513 Zayas: Völkermord als Staatsgeheimnis, S. 26. 514 Vgl. Norbert Frei: Deutsche Lernprozesse. NS-Vergangenheit und Generationenfolge seit 1945. In: Ders.: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen. Erweiterte Taschenbuchausgabe. München 2009, S. 38–55. 515 In seiner Habilitationsschrift definiert Frei »Vergangenheitspolitik« als »einen politischen Prozeß, der sich ungefähr über eine halbe Dekade erstreckte und durch hohe gesellschaftliche Akzeptanz gekennzeichnet war, ja geradezu kollektiv erwartet wurde. In erster Linie ging es dabei um Strafaufhebungen und Integrationsleistungen zugunsten eines Millionenheers ehemaliger Parteigenossen, die fast ausnahmslos in ihren sozialen, beruflichen und staatsbürgerlichen – nicht jedoch politischen – Status quo ante versetzt wurden, den sie im Zuge der Entnazifizierung, Internierung oder der Ahndung ›politischer‹ Straftaten verloren hatten. In zweiter Linie, gewissermaßen flankierend, ging es um die politische und justitielle Grenzziehung gegenüber den ideologischen Restgruppen des Nationalsozialismus; dem jeweiligen Bedarf entsprechend, wurde der anti-nationalsozialistische Gründungskonsens der Nachkriegsdemokratie dabei punktuell neu kodifiziert. Was als Vergangenheitspolitik verstanden und untersucht werden soll, konstituiert sich somit aus den Elementen Amnestie, Integration und Abgrenzung.« (Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München 1996, S. 13f.).

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Klasse indes erst 1979 mit der Ausstrahlung des US-amerikanischen Melodramas »Holocaust«. Hier beginnt die »Phase der Vergangenheitsbewahrung«, d. h. »jene bis in die Gegenwart reichende Entwicklung, in der an die Stelle einer bis dahin stark politisch überformten Auseinandersetzung um die NS-Vergangenheit zunehmend das inzwischen vorwaltende Bemühen um ihre kommemorative Vergegenwärtigung«516 tritt. Das nachfolgende Kapitel hat die Funktion, einen Überblick über die – für den Untersuchungsgegenstand der Studie und die damit einhergehende Beurteilung der Schulgeschichtsbücher – maßgeblichen Kristallisations- und Wendepunkte des öffentlichen Umgangs mit der NS-Diktatur in der Phase der Vergangenheitsbewahrung zu liefern. Vorangestellt sind vergleichsweise kürzere Skizzen der kulturellen Auseinandersetzung in den Phasen der politischen Säuberung, der Vergangenheitspolitik und der Vergangenheitsbewältigung, welche die notwendige Voraussetzung für das Verständnis der Neujustierung des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Nationalsozialismus ab 1979 bilden.

2.1.

Vom Nürnberger Militärtribunal zum Kniefall von Warschau

Im Folgenden werden – in gebotener Kürze – die wichtigsten kulturellen »Ereignisse« der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit vor der Ausstrahlung des US-amerikanischen Fernsehfilms »Holocaust« im Januar 1979 dargelegt. 2.1.1. Die Phase der politischen Säuberung Im Mai 1945 war Deutschland militärisch besiegt, politisch entmündigt und mit Schuld beladen. Die Deutschen, viele von Hunger und Not geplagt, blickten in eine ungewisse Zukunft. Die Westalliierten ihrerseits wollten alle Deutschen, die in der NS-Zeit Verbrechen begangen hatten, vor Gericht stellen und verurteilen. Um die Grundlagen für ein demokratisches Deutschland zu legen, strebten die Besatzungsmächte zudem eine Entnazifizierung und »Umerziehung« der Deutschen an.517 Beide Unternehmen stießen mehrheitlich auf Ablehnung in der Bevölkerung. Das seit November 1945 in Nürnberg tagende Internationale Militärtribunal gegen die Hauptkriegsverbrecher und mehr noch die zwölf Nachfolgeprozesse gegen Juristen, Mediziner, hochrangige Militärs, Unternehmer oder Wirt516 Frei: Deutsche Lernprozesse, S. 41. 517 Vgl. Peter Adamski: Die Nachkriegszeit in Deutschland 1945–1949. Stuttgart 2012, S. 57– 66.

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Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Forschung und Öffentlichkeit

schaftsmanager518 galten vielen als gezielte Erniedrigung Deutschlands und rachsüchtige Siegerjustiz.519 Im Hinblick auf die Entnazifizierung stießen vor allem die Verfahren der Amerikaner auf wenig Verständnis. Das befohlene Ausfüllen mehrseitiger Fragebögen über den persönlichen, beruflichen und politischen Werdegang, auf deren Grundlage die Spruchkammerfahren durchgeführt wurden, blieb für das Gros der Deutschen bis zuletzt »ein primär negativ konnotiertes Unternehmen«520. Den Siegern, die einen Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung geführt hätten, käme es gar nicht zu, über deutsche Bürgerinnen und Bürger Gericht zu halten. Auf die bereits vor Kriegsende angeordnete Zwangsbesichtigung der befreiten Konzentrationslager und das verordnete Ansehen des unmittelbar nach der Befreiung produzierten Dokumentarfilms »Todesmühlen« hatten zudem fast alle Deutschen mit Unverständnis reagiert.521 Die Mehrheit der Deutschen sah in den alliierten Maßnahmen einen pauschalen Schuldvorwurf, welchen sie quasi reflexartig ablehnte. Zur Abwehr des – so strikt allerdings von den Alliierten niemals erhobenen – Vorwurfs der Kollektivschuld522 hatte sie sich längst zwei Entlastungsstrategien zurechtgelegt, bei denen es sich um offensichtliche Rechtfertigungen für das eigene moralische Versagen handelte: Man sei nie Anhänger des Nationalsozialismus gewesen und von den an den Juden Europas verübten Verbrechen habe man nichts gewusst. Die Schuld für die blutbefleckte Vergangenheit wurde jetzt vor allem Hitler zugeschoben.523 Das Gros der Deutschen flüchtete sich in ein höchst fragwürdiges Opferselbstbild und war nicht gewillt, sich seiner Mitverantwortung zu 518 Vgl. Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952. Frankfurt am Main 1999. 519 Vgl. Anneke de Rudder : »Warum das ganze Theater?«. Der Nürnberger Prozeß in den Augen der Zeitgenossen. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 6 (1997), S. 218–242. 520 Angela Borgstedt: Die kompromittierte Gesellschaft. Entnazifizierung und Integration. In: Peter Reichel/Harald Schmid/Peter Steinbach (Hrsg.): Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschichte. Überwindung – Deutung – Erinnerung. München 2009, S. 85–104, hier S. 89. 521 Vgl. Wolfgang Benz: »Todesmühlen«. Das Bild der KZ in der deutschen Nachkriegsbelletristik, im Theater und Film. In: Dachauer Hefte. Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager 24 (2008), S. 13–18; Brewster S. Chamberlin: Todesmühlen. Ein früher Versuch zur Massen-»Umerziehung« im besetzten Deutschland 1945–1946. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 29, 1981, H. 3, S. 420–436; Ulrike Weckel: Beschämende Bilder. Deutsche Reaktionen auf alliierte Dokumentarfilme über befreite Konzentrationslager. Stuttgart 2012 (Transatlantische Historische Studien, Bd. 45). 522 Vgl. Norbert Frei: Von deutscher Erfindungskraft. Oder : Die Kollektivschuldthese in der Nachkriegszeit. In: Ders.: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen. Erweiterte Taschenbuchausgabe. München 2009, S. 159–169. 523 Vgl. Hans Mommsen: Zum Erscheinungsbild Adolf Hitlers in der deutschen Öffentlichkeit vor und nach dem 9. Mai 1945. In: Christoph Cornelißen/Lutz Klinkhammer/Wolfgang Schwentker (Hrsg.): Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945. Frankfurt am Main 2003, S. 95–107.

Der öffentliche Diskurs über Wissen und Reaktionen der Gesellschaft

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stellen.524 Faktisch hatte damit im Nachkriegsdeutschland nicht die These von der deutschen Kollektivschuld, sondern die These von der deutschen Kollektivunschuld triumphiert.

2.1.2. Die Phase der Vergangenheitspolitik In der sich neu konstituierten Bundesrepublik war den Abgeordneten aller im Bundestag vertretenen Parteien zunächst daran gelegen, der öffentlichen Forderung nach Amnestierung der wegen ihrer Handlungen in der NS-Zeit von den Alliierten Verurteilten zu entsprechen. Die am 31. Dezember 1949 und 17. Juli 1954 mit überwältigender Mehrheit verabschiedeten »Straffreiheitsgesetze« sowie das am 11. Mai 1951 in Kraft getretene »131er-Gesetz« trugen dem insofern Rechnung, als sie das Gros der während der alliierten Entnazifizierung als 524 Sehr eindringlich ist dieses Verhalten von Pastor Martin Niemöller in einer Rede von 1946 beschrieben worden: »Ein Berg von Schuld ist vor unseren Augen aufgetürmt worden. Mit den Konzentrationslagern fing es im Jahre 1933 an, und die Kommunisten wurden zu Tausenden hineingesperrt, ohne Anklage, ohne Gerichtsverhandlung, ohne Urteil, und dort konnten sie bleiben, ohne daß jemand sich darum kümmerte. Und wenige Jahre später fing man an, das lebensunwerte Leben auszulöschen. Ich entsinne mich eines Gesprächs aus dem Jahre 1935 mit einem Mann, der meinte, ein Christ zu sein, und er vertrat die Ansicht, daß es am Ende das beste sei, diese Menschen schmerzlos ins Jenseits zu befördern, weil sie nur sich und andern zur Last wären, uns jährlich Millionen kosteten und uns die Nahrungsgrundlage einengten. Niemand hat sich darum gekümmert, und der Berg der Schuld wuchs an. Und dann ging es mit Riesenschritten weiter auf diesem Wege, als Ende 1938 die große Judenverfolgung begann, die sich vor unser aller Augen entwickelte und abspielte. Erst brannten die Synagogen, Wohnungen und Geschäftshäuser wurden geplündert und zerstört, und die Konzentrationslager konnten die Fülle der Neuzugänge nicht mehr fassen. […] Fünf bis sechs Millionen Juden wurden ausgerottet, und alles, was vom jüdischen Volk in Mitteleuropa übrigblieb, sind Millionen kleiner Tonkrüge mit einer Handvoll Asche darin: und der Berg der Schuld wuchs bis in den Himmel. Es folgte alles, was uns nun als Kriegsverbrechen vorgehalten wird: die Ausrottung ganzer Ortschaften in der Tschechei, die planmäßige Dezimierung der Bevölkerung in Polen, wo nicht nur Männer, wo Greise, Frauen, Kinder und Säuglinge massenweise erschossen wurden, die Geiselerschießungen in Holland und Belgien, in Norwegen und Frankreich, das Hungersterben der Tausende in Griechenland und auf dem Balkan. […] Doch wen geht diese Schuld nun eigentlich etwas an? Wir sagen: Ich war bei der Bekennenden Kirche, wir haben es immer kommen sehen als etwas Furchtbares, das nicht zu verantworten war. Und die andern sagen: Wir waren nie bei der Partei und haben mit solchen Dingen niemals etwas zu tun gehabt. Aber die Menschen aus der Partei sagen wiederum: Unsere Schuld ist das nicht. Wir waren ja nur kleine Leute und sind nur gezwungenermaßen beigetreten, weil wir für unser Leben, für das Schicksal unserer Familie, für unsere Stellung und unser Geschäft fürchteten: Die SS ist es gewesen und die Gestapo. Doch die lehnen es ab, sich diese Schuld aufbürden zu lassen: Wir haben nur Befehle ausgeführt und wollen von dieser Schuld nichts wissen. – So bleibt zuletzt alles hängen an Adolf Hitler und Heinrich Himmler. Aber die sind nicht mehr da, – und der Berg von Schuld bleibt, und niemand rührt ihn an.« (Martin Niemöller : Zur gegenwärtigen Lage der evangelischen Christenheit. Tübingen 1946, S. 9f.).

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Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Forschung und Öffentlichkeit

irgendwie belastet Geltenden politisch und beruflich rehabilitierten.525 Hinzu kamen die als Kriegsverbrecher Verurteilten, von denen im Frühsommer 1958 die letzten Gefangenen aus der Haft entlassen wurden.526 Die westdeutsche Justiz war jetzt kaum mehr bereit, überhaupt noch gegen NS-Strafsachen zu ermitteln. Große Teile der mittleren Eliten des NS-Staates sowie unzählige Mitläufer blieben damit zeit ihres Lebens unbehelligt und konnten ihre Karrieren in der Bundesrepublik fortsetzen, wobei sie nicht selten erneut in Schlüsselpositionen aufstiegen.527 Die Fälle »Oberländer« und »Globke« sind für das Phänomen der personellen Kontinuität ehemaliger NS-Eliten in der Bundesrepublik nur die bekanntesten Beispiele.528 Die noch immer weitverbreitete Vorstellung, einem Kollektivschuldvorwurf vonseiten der Alliierten ausgesetzt zu sein, führte dazu, dass sich verschiedene Politiker wiederholt in ihren Reden mit der Schuldfrage befassten. Bereits während der feierlichen Eröffnung der ersten Bundestagssitzung vom 7. September 1949 entwarf Alterspräsident Paul Löbe ein Selbstbild der Deutschen als kollektives Opfer : »Wir […] bestreiten […] keinen Augenblick das Riesenmaß von Schuld, das ein verbrecherisches System auf die Schultern unseres Volkes geladen hat. Aber die Kritiker draußen wollen doch eines nicht übersehen: das deutsche Volk litt unter zweifacher Geißelung. Es stöhnte unter den Fußtritten der eigenen Tyrannen und unter den Kriegs- und Vergeltungsmaßnahmen, welche die fremden Mächte zur Überwindung der Naziherrschaft ausgeführt haben.«529

Als Konrad Adenauer in der 165. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 27. September 1951 Israel und den jüdischen Organisationen eine Lösung des – 525 Vgl. Frei: Vergangenheitspolitik, S. 25–131. 526 Vgl. Peter Reichel: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Politik und Justiz. München 2., akt. u. überarb. Aufl. 2007, S. 115– 124. 527 Vgl. Christina Ullrich: »Ich fühl’ mich nicht als Mörder«. Die Integration von NS-Tätern in die Nachkriegsgesellschaft. Darmstadt 2011 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 18). 528 Theodor Oberländer, bis zu seinem Rücktritt im Mai 1960 Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, war als hochrangiger NS-Funktionär mit der »Germanisierung im Osten« beschäftigt und mutmaßlich am »Lemberger Professorenmord« im Sommer 1941 beteiligt. Vgl. Philipp-Christian Wachs: Der Fall Theodor Oberländer (1905– 1998). Ein Lehrstück deutscher Geschichte. Frankfurt am Main 2000. Hans Globke, von 1953 bis 1963 Staatssekretär im Bundeskanzleramt, hatte 1935 als Kommentator an den Nürnberger Rassengesetzen mitgearbeitet. Vgl. Jürgen Bevers: Der Mann hinter Adenauer. Hans Globkes Aufstieg vom NS-Juristen zur Grauen Eminenz der Bonner Republik. Berlin 2009 sowie Erik Lommatzsch: Hans Globke (1898–1973). Beamter im Dritten Reich und Staatsekretär Adenauers. Frankfurt am Main 2009. 529 Verhandlungen des Deutschen Bundestages. I. Wahlperiode. Stenographische Berichte. 1. Sitzung. Bonn (7. September 1949), S. 2.

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politisch notwendigen und moralisch gebotenen – materiellen Wiedergutmachungsproblems versprach, verzichtete er nicht auf eine Beschönigung der nationalsozialistischen Vergangenheit. Der Bundeskanzler sprach die große Mehrheit des deutschen Volkes von jedweder Schuld an der Verfolgung und Ermordung der Juden frei. Der entsprechende Passus der Regierungserklärung lautete: »Die Bundesregierung und mit ihr die große Mehrheit des deutschen Volkes sind sich des unermeßlichen Leides bewußt, das in der Zeit des Nationalsozialismus über die Juden in Deutschland und in den besetzen Gebieten gebracht wurde. Das deutsche Volk hat in seiner überwiegenden Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheut und hat sich an ihnen nicht beteiligt. Es hat in der Zeit des Nationalsozialismus im deutschen Volk viele gegeben, die mit eigener Gefährdung aus religiösen Gründen, aus Gewissensnot, aus Scham über die Schändung des deutschen Namens ihren jüdischen Mitbürgern Hilfsbereitschaft gezeigt haben. Im Namen des deutschen Volkes sind aber unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die die Juden erlitten haben, als auch des jüdischen Eigentums, für das heute individuell Berechtigte nicht mehr vorhanden sind. Auf diesem Gebiet sind erste Schritte getan. Sehr vieles bleibt aber noch zu tun. Die Bundesregierung wird für den baldigen Abschluß der Wiedergutmachungsgesetzgebung und ihre gerechte Durchführung Sorge tragen. Ein Teil des identifizierbaren jüdischen Eigentums ist zurückerstattet worden, weitere Rückerstattungen werden folgen.«530

Bundespräsident Theodor Heuss setzte sich wiederholt mit der Kollektivschuldthese auseinander. In einer persönlich gefärbten Passage seiner Gedenkrede vom 30. November 1952 anlässlich der Einweihung der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen betonte er zwar das Wissen der deutschen Zivilbevölkerung über die Judenverfolgung, relativierte diese Feststellung aber zugleich durch den Hinweis auf die angeblich unvorstellbare Dimension des Verbrechens: »Wer hier als Deutscher spricht, muß sich die innere Freiheit zutrauen, die volle Grausamkeit der Verbrechen, die hier von Deutschen begangen wurden, zu erkennen. Wer sie beschönigen oder bagatellisieren wollte oder gar mit der Berufung auf den irregegangenen Gebrauch der so genannten ›Staatsräson‹ begründen wollte, der würde nur frech sein. Ich habe das Wort Belsen zum erstenmal im Frühjahr 1945 aus dem britischen Rundfunk gehört, und ich weiß, daß es vielen in diesem Lande ähnlich gegangen ist. Wir wußten – oder doch ich wußte – Dachau, Buchenwald bei Weimar, Oranienburg, Ortsnamen bisher heiterer Erinnerungen, über die jetzt eine schmutzigbraune Farbe geschmiert war. Dort waren Freunde, dort waren Verwandte gewesen, hatten davon erzählt. Dann lernte man früh das Wort Theresienstadt, das am Anfang sozusagen zur Besichtigung durch Neutrale präpariert war, und Ravensbrück. An 530 Freiburger Rundbrief zur Förderung der Freundschaft zwischen dem Alten und dem Neuen Gottesvolk - im Geiste der beiden Testamente. Sonderausgabe: Friede mit Israel. III/IV. Folge 1951/1952. Nr. 12/15. Dezember 1951, S. 9.

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einem bösen Tag hörte ich den Namen Mauthausen, wo sie meinen alten Freund Otto Hirsch ›liquidiert‹ hatten, den edlen und bedeutenden Leiter der Reichsvertretung deutscher Juden. Ich hörte das Wort aus dem Munde seiner Gattin, die ich zu stützen und zu beraten suchte. Belsen fehlte in diesem meinem Katalog des Schreckens und der Scham, auch Auschwitz. Diese Bemerkung soll keine Krücke sein für diejenigen, die gern erzählen: Wir haben von alledem nichts gewußt. Wir haben von den Dingen gewußt. Wir wußten auch aus den Schreiben evangelischer und katholischer Bischöfe, die ihren geheimnisreichen Weg zu den Menschen fanden, von der systematischen Ermordung der Insassen deutscher Heilanstalten. Dieser Staat, dem menschliches Gefühl eine lächerliche und kostenverursachende Sentimentalität hieß, wollte auch hier tabula rasa – ›reinen Tisch‹ – machen, und der reine Tisch trug Blutflecken, Aschenreste – was kümmerte das? Unsere Phantasie, die aus der bürgerlichen und christlichen Tradition sich nährte, umfaßte nicht die Quantität dieser kalten und leidvollen Vernichtung.«531

Heuss’ Worte stießen auf große öffentliche Resonanz und seine Reden, in denen die Auseinandersetzung mit der NS-Herrschaft und der deutschen Verantwortung für den Holocaust eine bleibende Konstante bildete, gelten gemeinhin als stilbildend für den rhetorischen Umgang mit dem Nationalsozialismus.532 Besonders aufschlussreich ist, dass die »frühen« Reden des Bundespräsidenten niemals den damaligen, in den 1950er Jahren dominierenden gesellschaftspolitischen Konsens zerstörten. Heuss lehnte wiederholt den Vorwurf der Kollektivschuld ab und betonte stattdessen die Kollektivscham, in die jeder Deutsche nach Kriegsende eingetreten sei. Durch die Verwendung des Begriffs der Kollektivscham hob Heuss zwar die kollektive Verantwortlichkeit der Deutschen abstrakt hervor, suspendierte aber zugleich die Frage nach der konkreten individuellen Schuld. So heißt es beispielsweise in einer Rede vom 7. Dezember 1949 anlässlich einer Feierstunde der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Wiesbaden: »Es hat keinen Sinn, um die Dinge herumzureden. Das scheußliche Unrecht, das sich am jüdischen Volke vollzogen hat, muß zur Sprache gebracht werden in dem Sinne: Sind wir, bin ich, bist du schuld, weil wir in Deutschland lebten, sind wir mitschuldig an diesem teuflischen Verbrechen? Das hat vor vier Jahren die Menschen im Inland und Ausland bewegt. Man hat von einer ›Kollektivschuld‹ des deutschen Volkes gesprochen. Das Wort Kollektivschuld und was dahinter steht, ist aber eine simple Vereinfachung, es ist eine Umdrehung, nämlich der Art, wie die Nazis es gewohnt waren, die Juden anzusehen: daß die Tatsache, Jude zu sein, bereits das Schuldphänomen in sich eingeschlossen habe. Aber etwas wie eine Kollektivscham ist aus dieser Zeit gewachsen und geblieben.«533 531 Theodor Heuss: Die großen Reden. Bd. 2: Der Staatsmann. Tübingen 1965, S. 224f. 532 Vgl. Ulrich Baumgärtner : Reden nach Hitler. Theodor Heuss – Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. München/Stuttgart 2001. 533 Heuss: Die großen Reden, S. 100f.

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Der Großteil der postnationalsozialistischen Gesellschaft war seinerseits in den 1950er Jahren nicht bereit, sich der Vergangenheit zu stellen. Der Wunsch nach einem »Schlussstrich« und das Bedürfnis, in einer gewissen »Normalität« weiterleben zu können, waren weitverbreitet. »Von einer mehrheitlichen Bereitschaft zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit« kann also, so betont Hartmut Berghoff völlig zu Recht, »in der bundesdeutschen Gesellschaft der 50er Jahre nicht die Rede sein«. Vielmehr haben »bis zum Ende des Jahrzehnts Amnesie und Verdrängung, rigorose Stille bzw. lautes Umdeuten«534 dominiert. 2.1.3. Die Phase der Vergangenheitsbewältigung Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre begannen engagierte Politiker und Juristen, sich für eine systematische und zentralisierte Strafverfolgung von NSVerbrechern einzusetzen. Von entscheidender Bedeutung hierfür war die – in der unmittelbaren Konsequenz des Ulmer Einsatzgruppen-Prozesses535 – am 1. Dezember 1958 gegründete »Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen« in Ludwigsburg.536 Nach Jahren 534 Hartmut Berghoff: Zwischen Verdrängung und Aufarbeitung. Die bundesdeutsche Gesellschaft und ihre nationalsozialistische Vergangenheit in den Fünfziger Jahren. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49, 1998, H. 2, S. 96–114, hier S. 111. 535 Der Ulmer Einsatzgruppenprozess (28. April bis 29. August 1958) war das erste große Strafverfahren, das vor einem deutschen Schwurgericht stattfand. Angeklagt waren ehemalige Angehörige der Gestapo und des SD, die zwischen Juni und September 1941 im deutsch-litauischen Grenzgebiet mehr als 5.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer ermordet hatten. Vgl. Hendrik George van Dam/Ralph Giordano (Hrsg.): KZ-Verbrechen vor deutschen Gerichten. Einsatzkommando Tilsit – Der Prozeß zu Ulm. Frankfurt am Main 1966; Christoph Dieckmann: Der Krieg und die Ermordung der litauischen Juden. In: Ulrich Herbert (Hrsg.): Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939–1945. Neue Forschungen und Kontroversen. Frankfurt am Main 1998, S. 292–329; Claudia Fröhlich: Der »Ulmer Einsatzgruppen-Prozess« 1958. Wahrnehmung und Wirkung des ersten großen Holocaust-Prozesses. In: Jörg Osterloh/Clemens Vollnhals (Hrsg.): NS-Prozesse und deutsche Öffentlichkeit. Besatzungszeit, frühe Bundesrepublik und DDR. Göttingen 2011 (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Bd. 45), S. 233–262; Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hrsg.): Die Mörder sind unter uns. Der Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958. Katalog zur Ausstellung im Stadthaus Ulm 16. Februar 2008 bis 13. Juli 2008. Stuttgart 2008. 536 Vgl. Rüdiger Fleiter : Die Ludwigsburger Zentralstelle und ihr politisches und gesellschaftliches Umfeld. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 53, 2002, H. 1, S. 32–50; Claudia Fröhlich: Die Gründung der »Zentralen Stelle« in Ludwigsburg – Alibi oder Beginn einer systematischen justitiellen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit? In: Gerhard Pauli/ Thomas Vormbaum (Hrsg.): Justiz und Nationalsozialismus – Kontinuität und Diskontinuität. Berlin 2003 (Juristische Zeitgeschichte, Bd. 14), S. 213–249; Michael Greve: Von Auschwitz nach Ludwigsburg. Zu den Ermittlungen der »Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen« in Ludwigsburg. In: Irmtrud Wojak/Susanne Meinl (Hrsg.): Im Labyrinth der Schuld. Täter – Opfer – Ankläger. Frankfurt am Main 2003, S. 41–63; Annette Weinke: Eine Gesellschaft ermittelt

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faktischen Stillstands, in denen Ermittlungs- und Strafverfahren gegen ehemalige NS-Täter ausschließlich durch Zufälle, das Engagement einzelner Staatsanwälte oder Anzeigen von Opfern bzw. Hilfsorganisationen der Verfolgten in Gang gebracht worden waren, wurde der Völkermord an den europäischen Juden jetzt zum Gegenstand bundesdeutscher Justiz. Seinen Höhepunkt fand dieser Kampf engagierter Juristen für eine konsequentere Strafverfolgung nationalsozialistischen Unrechts in der Eröffnung des Auschwitz-Prozesses vor dem Frankfurter Schwurgericht, wo über das Strafmaß gegen 22 ehemalige Mitglieder der Wachmannschaften im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verhandelt wurde.537 Die in Frankfurt vom 20. Dezember 1963 bis 20. August 1965 von Juristen und Historikern auf Initiative des Generalstaatsanwalts Fritz Bauer538 präsentierten Erkenntnisse über das nationalsozialistische Konzentrationslagersystem sorgten – ähnlich wie vordem der Jerusalemer Eichmann-Prozess 1961539 – für großes öffentliches Aufsehen und trugen maßgeblich zur Aufklärung über den Judenmord bei. Gesellschaftlichen Widerhall erfuhren die Prozessergebnisse insbesondere durch das große Engagement zahlreicher Journalisten, die dafür sorgten, dass »Auschwitz« zu einer öffentlichen Angelegenheit wurde. Das Verfahren selbst rief jedoch ein eher negatives Echo in der Bevölkerung hervor. Demoskopischen Erhebungen von 1963 und 1965 zufolge sprach sich die Mehrheit der Deutschen für einen endgültigen »Schlussstrich« unter die NS-Vergangenheit aus; aufgespürte NS-Täter gegen sich selbst. Die Geschichte der Zentralen Stelle Ludwigsburg 1958–2008. Darmstadt 2., um ein Vorw. erw. Aufl. 2009 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 13). 537 Vgl. zur Vorgeschichte und zum Prozessverlauf Wolfgang Benz: Bürger als Mörder und die Unfähigkeit zur Einsicht. Der Auschwitz-Prozeß. In: Uwe Schultz (Hrsg.): Große Prozesse. Recht und Gerechtigkeit in der Geschichte. München 1996, S. 382–391; Hermann Langbein: Der Auschwitz-Prozeß. Eine Dokumentation. Frankfurt am Main 1965; Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 158–181; Werner Renz: Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozeß. Zwei Vorgeschichten. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 50, 2002, H. 7, S. 622–641; Werner Renz: Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozeß. Völkermord als Strafsache. In: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 15, 2000, H. 2, S. 11–48; Gerhard Werle/Thomas Wandres: Auschwitz vor Gericht. Völkermord und bundesdeutsche Strafjustiz. Mit einer Dokumentation des Auschwitz-Urteils. München 1995. 538 Vgl. Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903–1968. Eine Biographie. München 2009. 539 Vgl. Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. München 1964; Peter Krause: Der Eichmann-Prozeß in der deutschen Presse. Frankfurt am Main 2002 (Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Bd. 8); Peter Krause: »Eichmann und wir«. Die bundesdeutsche Öffentlichkeit und der Jerusalemer EichmannProzess 1961. In: Jörg Osterloh/Clemens Vollnhals (Hrsg.): NS-Prozesse und deutsche Öffentlichkeit. Besatzungszeit, frühe Bundesrepublik und DDR. Göttingen 2011 (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Bd. 45), S. 283–306; Werner Renz (Hrsg.): Interessen um Eichmann. Israelische Justiz, deutsche Strafverfolgung und alte Kameradschaften. Frankfurt am Main 2012 (Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Bd. 20).

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sollten in Zukunft nicht mehr vor Gericht gestellt und bestraft werden.540 Der Journalist Klaus Harpprecht kommentierte zeitgenössisch dazu: »So tief ist die Betroffenheit, die bohrende Qual, ist das Leiden an dem Entsetzen, das der Prozeß vor uns ausbreitet, daß ein erschreckend hoher Prozentsatz der Bevölkerung keinen anderen Rat weiß, als sich in die Forderung zu flüchten, nun müsse ›endlich Schluß‹ sein. Ja, anständige Bürger sind bereit, Henkern und Schindern […] Schutz hinter den Barrieren zu gewähren, die sie selbst zwischen sich und der ›Vergangenheit‹ aufgerichtet haben. Sie billigen die Scheußlichkeiten nicht, sie rechtfertigen nicht die Verbrechen, und es wäre ungerecht, sie einer heimlichen Sympathie mit den Mördern zu verdächtigen. Es ist die eigene Betroffenheit, die sie zu defensiven Gesten herausfordert, es ist die Furcht vor dem eigenen Anteil an der kollektiven Verantwortlichkeit […], die sie mit Trotz, Mißtrauen und vielleicht sogar einem neuen heimlichen Haß erfüllt.«541

Die mit Leidenschaft im Deutschen Bundestag geführten Verjährungsdebatten der Jahre 1965 und 1969 machten indessen deutlich, dass die große Mehrheit der Parlamentarier nicht gewillt war, sich dieser »Schlussstrichmentalität« komplett zu beugen. Ganz im Gegenteil: Die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen sollte fortgesetzt werden.542 Aufgerüttelt durch die immer stärker in der Öffentlichkeit diskutierten nationalsozialistischen Gräueltaten begannen jetzt Studenten und Gymnasiasten, mithin die schmale bildungsbürgerliche Oberschicht der Jugend, ihren Eltern und Großeltern unangenehme Fragen zu stellen, die allerdings zumeist unbeantwortet blieben.543 Dieses beharrliche Schweigen in den Familien war anfangs 540 Vgl. Peter Reichel: Der Nationalsozialismus vor Gericht und die Rückkehr zum Rechtsstaat. In: Ders./Harald Schmid/Peter Steinbach (Hrsg.): Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschichte. Überwindung – Deutung – Erinnerung. München 2009, S. 22–61, hier S. 53. Vgl. zu den Reaktionen der Öffentlichkeit ausführlich Devin O. Pendas: Der AuschwitzProzess. Völkermord vor Gericht. München 2013, S. 267–305. 541 Klaus Harpprecht: Die Deutschen und die Juden. In: Die neue Gesellschaft 12, 1965, H. 3, S. 703–710, hier S. 709. 542 Nach deutschem Strafrecht trat bei Mord, Beihilfe zum Mord und Mordversuch nach 20 Jahren die Verjährung ein. Am 23. März 1965 beschloss der Bundestag ein Gesetz, das die Verjährungsfrist auf vier Jahre verlängerte. Nach dem Ende seiner Geltungsdauer debattierte der Bundestag 1969 erneut die Verjährungsfrist und sprach sich für die Heraufsetzung der Verjährung für Mord auf 30 Jahre aus. Vgl. Joachim Perels: Die Verlängerung der Verjährungsfrist für Mord im Jahre 1965 in der Bundesrepublik. Etappe auf dem Weg der juristischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. In: Albrecht Pohle/Martin Stupperich/Wilfried Wiedemann (Hrsg.): NS-Justiz und Nachkriegsjustiz. Beiträge für Schule und Bildungsarbeit. Schwalbach/Ts. 2014 (Geschichte für heute in Wissenschaft und Unterricht, Bd. 2), S. 57–66; Reichel: Vergangenheitsbewältigung, S. 182–198; Anica Sambale: Die Verjährungsdiskussion im Deutschen Bundestag. Ein Beitrag zur juristischen Vergangenheitsbewältigung. Hamburg 2002 (Strafrecht in Praxis und Forschung, Bd. 9). 543 Vgl. Axel Schildt: Die Eltern auf der Anklagebank? Zur Thematisierung der NS-Vergangenheit im Generationenkonflikt der 1960er Jahre. In: Christoph Cornelißen/Lutz Klink-

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ein wesentlicher Grund für die linken Studentenproteste, die ihren Kulminationspunkt in den Jahren 1967/68 erreichten.544 Gerd Koenen beschreibt das Aufbegehren der jungen Generation in seinem autobiographisch gefärbten Buch über das »rote Jahrzehnt« als »ein wütendes Bedürfnis nach Distanzierung. ›Sie‹ (die Älteren, die Eltern) hatten uns das alles schließlich eingebrockt, ihretwegen waren wir genötigt, uns ewig zu rechtfertigen, waren wir blamiert bis auf die Knochen, standen wir da als Unmenschen und Verlierer der Weltgeschichte schlechthin.«545 Das Gewicht, das die studentische Protestbewegung der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Zeit beimaß, nahm jedoch rapide ab. Bald dominierten nur noch pauschale Faschismusvorwürfe gegen das Establishment. Volker Paulmann bilanziert: »Im politischen Tagesgeschäft setzte sich die antikapitalistische Grundhaltung schließlich als alleiniges Paradigma durch, die Epoche des Nationalsozialismus verkam zum bloßen geschichtspolitischen Instrument. In der inflationären Verwendung des Begriffs ›Faschismus‹ zur Charakterisierung gesellschaftlicher Entwicklungstendenzen kommt letztlich die ungenügende Reflexion des Gegenstands zum Ausdruck. Die Herstellung von diesbezüglichen Analogien wurde im Zusammenhang mit der Kriegsführung der USA in Vietnam ebenso vorgenommen wie bei der Agitation gegen die von der APO als ›NS-Gesetze‹ bezeichneten Notstandsgesetze. Als ›faschistisch‹ bezeichneten die StudentInnen das Vorgehen der Polizei bei Demonstrationen, aber auch die Erziehung in Schulen und Universitäten. Die Bundesrepublik galt ebenso als latent bzw. potentiell ›faschistisch‹. Die Spezifika der Herrschaftspraxis und der Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus in Deutschland gerieten nur am Rande ins Blickfeld dieser studentischen Protestbewegung.«546

Als letzter bedeutender »Erinnerungsort« in der »Phase der Vergangenheitsbewältigung« muss der Kniefall von Willy Brandt Erwähnung finden. Als der amtierende Bundeskanzler am 7. Dezember 1970 unerwartet vor dem Warschauer Denkmal für die Ermordeten des Ghettoaufstandes niederkniete und kurze Zeit verharrte547, erregte das über Zeitungen und Fernsehen verbreitete

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hammer/Wolfgang Schwentker (Hrsg.): Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945. Frankfurt am Main 2003, S. 317–332. Vgl. zur 68er-Bewegung ausführlich Norbert Frei: 1968. Jugendrevolte und globaler Protest. München 2008. Gerd Koenen: Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967–1977. Köln 2001, S. 96. Volker Paulmann: Die Studentenbewegung und die NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik. In: Stephan Alexander Glienke/Ders./Joachim Perels (Hrsg.): Erfolgsgeschichte Bundesrepublik? Die Nachkriegsgesellschaft im langen Schatten des Nationalsozialismus. Göttingen 2008, S. 185–215, hier S. 209. Vgl. zu den Motiven, die Brandt zu dieser »persönlichen« Geste bewogen hatten, KlausDieter Hein-Mooren: Spontan oder geplant? Bemerkungen zu Willy Brandts Kniefall in Warschau. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 55, 2004, H. 12, S. 744–753.

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Bild dieser Demutsgeste großes Aufsehen.548 Zeitgenössisch wurde Brandts Verhalten sehr kritisch gesehen. Die öffentliche Meinung stieß sich insbesondere an dem Umstand, dass Brandt eine Geste vollzog, die seit Jahrhunderten den Büßenden bzw. Bittenden kennzeichnet.549 Dies sei, so die weitverbreitete Auffassung damals, unangemessen, übertrieben, vor allem eines Bundeskanzlers nicht würdig.550

2.2.

Die Phase der Vergangenheitsbewahrung

Die folgenden Abschnitte dienen dazu, die maßgeblichen Kristallisationspunkte der öffentlichen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Herrschaft in der bis in die Gegenwart andauernden Phase der Vergangenheitsbewahrung herauszuarbeiten. 2.2.1. »Holocaust« – Die Geschichte der Familie Weiss Forscherinnen und Forscher aus der Geschichts- und Politikwissenschaft, der Medien- und Literaturwissenschaft sowie der Kunstgeschichte stimmen darin überein, dass die Ausstrahlung der vierteiligen US-amerikanischen TV-Serie »Holocaust« (USA 1978, Regie: Marvin J. Chomsky) in den zusammengeschalteten Dritten Programmen der ARD im Januar 1979 den Wendepunkt im öffentlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit darstellt.551 Maßgeblich für den 548 Die Fotografie des Kniefalls ist zu einer Bildikone des 20. Jahrhunderts geworden und hat sich als Symbol für die deutsch-polnische Aussöhnung verselbstständigt. Vgl. Daniela Münkel: Willy Brandt in Warschau – Symbol der Versöhnung. In: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Bilder im Kopf. Ikonen der Zeitgeschichte. Bonn 2009, S. 130–139; Christoph Schneider : Der Kniefall von Warschau. Spontane Geste – bewusste Inszenierung? In: Gerhard Paul (Hrsg.): Das Jahrhundert der Bilder. Bd. 2: 1949 bis heute. Göttingen 2008, S. 410–417; Wolfgang Ludwig Schneider : Brandts Kniefall in Warschau. Politische und ikonographische Bedeutungsaspekte. In: Bernhard Giesen/Christoph Schneider (Hrsg.): Tätertrauma. Nationale Erinnerungen im öffentlichen Diskurs. Konstanz 2004 (Historische Kulturwissenschaft, Bd. 2), S. 157–194. 549 Vgl. Astrid Wenger-Deilmann/Frank Kämpfer: Handschlag – Zeigegestus – Kniefall. Körpersprache und Pathosformel in der visuellen politischen Kommunikation. In: Gerhard Paul (Hrsg.): Visual History. Ein Studienbuch. Göttingen 2006, S. 188–205. 550 Vgl. Andreas Wilkens: Kniefall vor der Geschichte. Willy Brandt in Warschau 1970. In: Corine Defrance/Ulrich Pfeil (Hrsg.): Verständigung und Versöhnung nach dem »Zivilisationsbruch«? Deutschland in Europa nach 1945. Brüssel 2016, S. 83–102. 551 Vgl. u. a. Frank Bösch: Bewegte Erinnerung. Dokumentarische und fiktionale Holocaustdarstellungen im Film und Fernsehen seit 1979. In: Gerhard Paul/Bernhard Schoßig (Hrsg.): Öffentliche Erinnerung und Medialisierung des Nationalsozialismus. Eine Bilanz der letzten dreißig Jahre. Göttingen 2010 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 10), S. 39–61, hier S. 39; Hans-Joachim Hahn: Repräsentationen des Holocaust. Zur west-

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großen Erfolg von »Holocaust« waren nach Gerhard Paul drei Komponenten: (1) Fiktionalisierung, (2) Visualisierung und (3) Emotionalisierung.552 (1) Scheinbar naiv konzentriert sich der Vierteiler auf den Alltag zweier Familien während des »Dritten Reiches«: einerseits die gutsituierte und assimilierte jüdische Arztfamilie Weiss, die jeder erdenklichen antijüdischen Maßnahme der Nationalsozialisten ausgesetzt ist und deren Angehörige am Ende fast alle tot sind; andererseits die »arische« Familie Dorf, in der der zunächst arbeitslose Jurist Erik Dorf zum SS-Obersturmbannführer und persönlichen Referenten Reinhard Heydrichs aufsteigt. Mit diesen beiden fiktiven Familiengeschichten, die repräsentativ für die Opfer und Täter stehen, widerlegte die Serie die bislang vorherrschende Ansicht, der Judenmord mit all seinen Schrecken und Verbrechen sei medial nicht darstellbar.553 (2) »Holocaust« konfrontierte das Fernsehpublikum mit einer bis dahin so noch nicht bekannten medialen (Bild-)Präsenz des Völkermords an den europäischen Juden. Paul fasst zusammen: »Das Neue an der Serie: erstmals wird in einem fiktionalen Format der Mord an den Juden in allen seinen Etappen in qualitativ neuen Bildern vorgestellt: angefangen von der Zwangsarbeit, der Folter in den Konzentrationslagern, über die Massenerschießung in Gruben, die Ermordung in Gaswagen sowie schließlich die Deportation in die Vernichtungslager und die Vergasung in Auschwitz. Der Film erzählt die Geschichte sowohl aus der Handlungs- und der Kameraperspektive der Opfer als auch aus den ganz unterschiedlichen Perspektiven der Täter : denen der Erschießungskommandos und denen der Gaffer bei den Vergasungen. Am Beispiel des SS-Sturmbannführers Erik Dorf führt der Film einen Tätertypus vor, der Schreibtischtäter und Direkttäter zugleich ist. Ganz im Unterschied zu den bisherigen TV-Dokumentationen zeigt ›Holocaust‹ die Täter bei ihren Gelagen nach getaner Arbeit, als Planer am Schreibtisch, als Ingenieure des Genozids bei ihren Experimenten und als normale Familienväter und deutschen Erinnerungskultur seit 1979. Heidelberg 2005 (Probleme der Dichtung, Bd. 33), S. 26; Sven Kramer : Wiederkehr und Verwandlung der Vergangenheit im deutschen Film. In: Peter Reichel/Harald Schmid/Peter Steinbach (Hrsg.): Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschichte. Überwindung – Deutung – Erinnerung. München 2009, S. 283–299, hier S. 296; Peter Reichel: Erfundene Erinnerung. Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater. München/Wien 2004, S. 250; Peter Schulz-Hageleit: Aufarbeitung der Vergangenheit (Stichworte zur Geschichtsdidaktik). In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 47, 1996, H. 9, S. 553–558, hier S. 557; Michael Wildt: Geschichte des Nationalsozialismus. Göttingen 2008, S. 11; Jürgen Wilke: Die Fernsehserie »Holocaust« als Medienereignis. In: Historical Social Research 30, 2005, H. 4, S. 9–17. 552 Vgl. Gerhard Paul: »Holocaust« – Vom Beschweigen zur Medialisierung. Über Veränderungen im Umgang mit Holocaust und Nationalsozialismus in der Mediengesellschaft. In: Ders./Bernhard Schoßig (Hrsg.): Öffentliche Erinnerung und Medialisierung des Nationalsozialismus. Eine Bilanz der letzten dreißig Jahre. Göttingen 2010 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 10), S. 15–38. 553 Vgl. Gerhard Paul: TV-Holocaust. Ein fiktionaler US-Mehrteiler als Bildakt der Erinnerung. In: Ders.: BilderMacht. Studien zur Visual History des 20. und 21. Jahrhunderts. Göttingen 2013, S. 479–505.

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Ehemänner jenseits des Mordens. Wie einst die provozierenden Pressebilder aus dem Vietnamkrieg führt der Film Täter und Opfer im selben Bild zusammen, ob bei der Zwangsarbeit oder bei den Erschießungen. ›Holocaust‹ zeigt zudem gleich mehrfach, auch dies ist ein Novum, dass sich der Genozid keineswegs bilderlos vollzog, sondern von Kameraleuten und Fotografen für die Nachwelt dokumentiert wurde, und er integriert die so zustande gekommenen Aufnahmen dieser Bilderprofis bewusst als historische Quellen in seine Bilderwelt. Vor allem den Opfern gibt ›Holocaust‹ ein konkretes Gesicht, zeigt diese nicht nur in der Perspektive als willenlos leidende Objekte des Geschehens, sondern ebenso in ihrem Subjektstatus als Menschen, die sich behaupten und zu wehren wissen und sich keineswegs in die Verhältnisse einfinden.«554

(3) Die Fiktionalisierung und Visualisierung der jüdischen Leiden führten zu einer – wiederum so noch nicht dagewesenen – Emotionalisierung weiter Teile der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Annähernd 25.000 Telefonanrufe von Fernsehzuschauerinnen und -zuschauern gingen entweder noch während der Begleitsendungen zur Serie oder unmittelbar danach bei den Sendeanstalten ein. Hinzu kamen etwa 15.000 Zuschriften, in denen mehrheitlich Gefühle des Entsetzens, der Empörung, Scham und Trauer über die im Fernsehen gesehenen Bilder offenbar wurden.555 »Eine Nation ist betroffen«, so brachte es der Titel eines zeitgenössischen Sammelbandes, der die öffentlichen Stimmen zu »Holocaust« bündelte, auf den Punkt.556 Die Ausstrahlung von »Holocaust« bewirkte zum ersten Mal einen lebendigen Diskurs in Familie und Öffentlichkeit über die Dimension der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen und die damit potenziell einhergehende Verstrickung eines nicht unbeträchtlichen Teils der deutschen Bevölkerung.557 Eugen Kogon sprach in diesem Zusammenhang davon, dass ein Bann gebrochen sei und jetzt endlich über die schrecklichen Dinge sowie die Schuld- und Mitschuldfrage diskutiert werden könne.558 Der folgende Ausschnitt eines zeitgenössischen Presseartikels von Henri Nannen steht exemplarisch für die in Gang gesetzte Diskussion:

554 Paul: »Holocaust«, S. 15f. 555 Vgl. Friedrich Knilli/Siegfried Zielinski (Hrsg.): Betrifft »Holocaust«. Zuschauer schreiben an den WDR. Berlin 1983 (Preprints zur Medienwissenschaft, Bd. 4). 556 Vgl. Peter Märthesheimer/Ivo Frenzel (Hrsg.): Im Kreuzfeuer : Der Fernsehfilm »Holocaust«. Eine Nation ist betroffen. Frankfurt am Main 1979. 557 Die in der Bundesrepublik ausgestrahlte Version von »Holocaust« endete – anders als in den USA – mit der pathetischen Selbstanklage von Erik Dorfs Onkel, der im Verlauf der Handlung als Beauftragter für den Straßenbau in Auschwitz immer wieder Zeuge von Deportationen und Erschießungen geworden war : »Ich hab’ mitangesehen, was passierte und nichts getan. Wir müssen erkennen, dass wir uns alle schuldig gemacht haben.« 558 Vgl. Eugen Kogon: Der Neonazismus in Bedrängnis und Angriff. In: Frankfurter Hefte. Zeitschrift für Kultur und Politik 34, 1979, H. 3, S. 2–4, hier S. 2.

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»Liebe Sternleser! ›Habt ihr das gewußt?‹ lautet die Frage unserer Kinder und Enkelkinder, seit HOLOCAUST am letzten Freitag zu Ende ging. ›Und wenn ja, wie konntet ihr es zulassen?‹ Ich sehe förmlich, wie Sie sich gewunden haben unter dieser Frage. Sie hatten doch nie etwas gegen die Juden gehabt. Sie haben kein Blut an den Händen. Sie haben Ihren Nachbarn Josef Weiss nicht denunziert. Sie haben ihn – wenn gerade niemand hinsah – sogar noch gegrüßt, als er Ihnen, gezeichnet mit dem gelben Judenstern, auf der Straße begegnete. […] Und als man sie dann abholte, die Weiss’, die Levis, die Cohns und die mit dem deutschen Namen Windmüller und Visser und Glöss und wie in meiner Heimatstadt Emden die Juden hießen, wohin kamen sie? Haben Sie wirklich geglaubt, man bereite denen, die man da vor Ihren Augen auf Lastwagen lud und in Viehwaggons sperrte, irgendwo im Osten als ›Umsiedler‹ eine neue Heimat? Theresienstadt, Auschwitz, Treblinka, Majdanek – hielt einer das für Landverschickungsheime für ›Andersrassige‹? Aussonderungsrampen auf den Endbahnhöfen in Polen; die einen, weil noch bei Kräften, zur Arbeit, die anderen gleich ins Gas – das sollte sich nicht bis in die Heimat herumgesprochen haben? So genau freilich nicht, dank der Diskretion, mit der die Mordmaschine lief. Aber wer sich nicht Augen und Ohren zuhielt und das Gehirn abschaltete, dem blieb nicht verborgen, daß hier das perfekte Verbrechen seinen Weg nahm. Wir hätten es wissen müssen, wenn wir es nur hätten wissen wollen. Wer Soldat im Osten war, dem konnten die Judenerschießungen, die Massengräber und beim Rückzug die ausgebuddelten und verbrannten Leichenberge nicht verborgen bleiben. Ich jedenfalls, ich habe gewußt, daß im Namen Deutschlands wehrlose Menschen vernichtet wurden, wie man Ungeziefer vernichtet. Und ohne Scham habe ich die Uniform eines Offiziers der deutschen Luftwaffe getragen. Ja, ich wußte es, und ich war zu feige, mich dagegen aufzulehnen.«559

Die längerfristigen Wirkungen, die von »Holocaust« ausgingen, waren ebenfalls immens. Der Einfluss der Serie zeigte sich z. B. während des bereits seit dem 26. November 1975 vor dem Düsseldorfer Landgericht verhandelten Prozess gegen 16 ehemalige Angehörige der SS-Wachmannschaft im Vernichtungslager Majdanek bei Lublin.560 Nicht nur stießen im Juni 1981 die milden Urteile – einzig die Aufseherin Hermine Braunsteiner-Ryan wurde wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt – auf Empörung und Unverständnis in großen Teilen der Bevölkerung. Nach der Ausstrahlung von »Holocaust« platzte der bislang – vom Eröffnungstag einmal abgesehen – recht leere Gerichtssaal zudem 559 Henri Nannen: Ja, ich war zu feige (Stern vom 1. Februar 1979). In: Peter Märthesheimer/ Ivo Frenzel (Hrsg.): Im Kreuzfeuer : Der Fernsehfilm »Holocaust«. Eine Nation ist betroffen. Frankfurt am Main 1979, S. 277–280, hier S. 277–279. 560 Vgl. zum Majdanek-Prozess Claudia Kuretsidis-Haider u. a. (Hrsg.): Das KZ Lublin-Majdanek und die Justiz. Strafverfolgung und verweigerte Gerechtigkeit: Polen, Deutschland und Österreich im Vergleich. Graz 2011 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz, Bd. 4); Heiner Lichtenstein: Majdanek. Reportage eines Prozesses. Frankfurt am Main 1979; Elissa Mailänder Koslov : Der Düsseldorfer Majdanek-Prozess (1975–1981): Ein Wettlauf mit der Zeit? In: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hrsg.): Schuldig. NS-Verbrechen vor deutschen Gerichten. Bremen 2005 (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, H. 9), S. 74–88.

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aus allen Nähten. Auch später waren die Zuschauer- und Pressebänke meist gut gefüllt, sodass sich beispielsweise Schulklassen für einen Besuch mindestens sechs Wochen vorher anmelden mussten.561 Als zumindest indirekte Konsequenz von »Holocaust« kann auch die zum dritten Mal innerhalb von 15 Jahren im Bundestag ausgetragene Debatte über die Verjährung von NS-Verbrechen angesehen werden. Mit 255 gegen 222 Stimmen beschloss der Bundestag am 3. Juli 1979 die endgültige Aufhebung der Verjährung von Mordverbrechen. Dass die Abgeordneten letztlich so votierten, hing anscheinend nicht unwesentlich mit der öffentlichen Sensibilisierung für das Thema zusammen. Jedenfalls hatte der Anteil der Verjährungsgegner nach der TV-Ausstrahlung deutlich zugenommen.562 Eine ebenfalls indirekte Einflussnahme hatte der Mehrteiler auf den Prozess der Institutionalisierung der Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, die jetzt zusehends als erinnerungskulturell bedeutsame Orte angesehen bzw. überhaupt erst ab den 1980er Jahren an den Tatorten der NS-Herrschaft angelegt wurden.563 Im schulischen Kontext wurde der Völkermord an den Juden Europas fortan ebenfalls mit mehr Aufmerksamkeit bedacht. So meldete z. B. die Bundeszentrale für politische Bildung eine sprunghaft angestiegene Nachfrage nach historischen Hintergrundinformationen und Unterrichtsmaterialien zu »Holocaust«.564 Auf große Resonanz stieß darüber hinaus die neue Wettbewerbsreihe »Unerledigte Zeitgeschichte« (1980–1985) des »Schülerwettbewerbs Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten«: Am 1980/81 ausgeschriebenen Themenkomplex »Alltag im Nationalsozialismus – Vom Ende der Weimarer Republik bis zum Zweiten Weltkrieg« beteiligten sich 12.843 Schülerinnen und 561 Vgl. Sabine Horn: Erinnerungsbilder. Auschwitz-Prozess und Majdanek-Prozess im westdeutschen Fernsehen. Essen 2009, S. 67. 562 Vgl. Peter Reichel: Der Judenmord in der deutschen Erinnerungskultur. In: Bernd Faulenbach/Franz-Josef Jelich (Hrsg.): »Transformationen« der Erinnerungskulturen in Europa nach 1989. Essen 2006 (Geschichte und Erwachsenenbildung, Bd. 21), S. 367–380, hier S. 375. 563 Vgl. Verena Haug/Gottfried Kößler : Vom Tatort zur Bildungsstätte. Gedenkstätten und Gedenkstättenpädagogik. In: Sabine Horn/Michael Sauer (Hrsg.): Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen. Göttingen 2009, S. 80–88; Habbo Knoch: Die Rückkehr der Zeugen. Gedenkstätten als Gedächtnisorte der Bundesrepublik. In: Gerhard Paul/Bernhard Schoßig (Hrsg.): Öffentliche Erinnerung und Medialisierung des Nationalsozialismus. Eine Bilanz der letzten dreißig Jahre. Göttingen 2010 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 10), S. 116–137; Michael Zimmermann: »Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus« in der Bundesrepublik Deutschland. In: Klaus Bergmann u. a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. Seelze-Velber 5., überarb. Aufl. 1997, S. 752–757. 564 Vgl. Susanne Brandt: »Wenig Anschauung«? Die Ausstrahlung des Films »Holocaust« im westdeutschen Fernsehen (1978/79). In: Christoph Cornelißen/Lutz Klinkhammer/Wolfgang Schwentker (Hrsg.): Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945. Frankfurt am Main 2003, S. 257–268, hier S. 263.

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Schüler mit 2.172 Beiträgen. Im Wettbewerb 1982/83 »Alltag im Nationalsozialismus – Die Kriegsjahre in Deutschland« waren es 5.894 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit 1.168 Arbeiten. 1984/85 reichten 3.994 Schülerinnen und Schüler insgesamt 708 Beiträge zum Wettbewerbsthema »Vom Zusammenbruch zum Wiederaufbau. Alltag im Nachkriegsdeutschland« ein.565 Nach »Holocaust« kam es fernerhin zur vermehrten Gründung von Geschichtswerkstätten.566 Die in den Geschichtswerkstätten versammelten Mitglieder, die von universitär etablierten Zeitgeschichtsforschern häufig abschätzig als »Barfußhistoriker« bezeichnet wurden, fühlten sich fortan der Erforschung und Darstellung der regionalen Geschichte »von unten« verpflichtet.567 Ihre Forschungsarbeiten wie auch diejenigen der am Geschichtswettbewerb beteiligten Schülerinnen und Schüler ließen den Nationalsozialismus als gesamtgesellschaftliches Phänomen erkennbar werden, der auf der aktiven Unterstützung oder doch zumindest der loyalen Inkaufnahme der meisten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen beruht hatte.568 Und sie verdeutlichten, dass die Verfolgung der Juden »nicht irgendwo, sondern hier bei uns geschehen war, daß dieselben Menschen ›Nazis und Nachbarn‹ gewesen waren«569.

2.2.2. Die Rede Richard von Weizsäckers zum 40. Jahrestag des Kriegsendes Wie zuvor und später kein anderer Politiker hat Bundespräsident Richard von Weizsäcker mit seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag im Rahmen der offiziellen Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985 565 Vgl. Gerhard Schneider : »Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten«. In: Klaus Bergmann u. a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. Seelze-Velber 5., überarb. Aufl. 1997, S. 575–581, hier S. 577. Vgl. zu den Schülerergebnissen Dieter Galinski/Ulla Lachauer (Hrsg.): Alltag im Nationalsozialismus 1933 bis 1939. Jahrbuch zum Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten. Braunschweig 1982 sowie Dieter Galinski/Ulrich Herbert/Ulla Lachauer (Hrsg.): Nazis und Nachbarn. Schüler erforschen den Alltag im Nationalsozialismus. Reinbek bei Hamburg 1982. 566 Vgl. Etta Grotrian: Geschichtswerkstätten und alternative Geschichtspraxis in den Achtzigern. In: Wolfgang Hardtwig/Alexander Schug (Hrsg.): History Sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt. Stuttgart 2009, S. 243–253. 567 Vgl. zum Selbstverständnis von Geschichtswerkstätten Maren Büttner : »Wer das Gestern versteht – kann das Morgen verändern!«. Deutsche Geschichtswerkstätten gestern und heute. In: Sabine Horn/Michael Sauer (Hrsg.): Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen. Göttingen 2009, S. 112–120. 568 Vgl. Maximilian Strnad: »Grabe, wo du stehst«. Die Bedeutung des Holocaust für die Neue Geschichtsbewegung. In: Michael Brenner/Ders. (Hrsg.): Der Holocaust in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft. Bilanz und Perspektiven. Göttingen 2012 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 12), S. 162–198. 569 Bodo von Borries: Deutsche Geschichte. Spuren suchen vor Ort im Schülerwettbewerb um den Preis des Bundespräsidenten. Frankfurt am Main 1990, S. 56.

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Einfluss auf die bundesrepublikanische Geschichtskultur genommen.570 Seine Ansprache, die auch im Ausland weite Beachtung fand571, wurde für viele Deutsche zum Maßstab ihres Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit.572 Die im Rückblick wohl folgenreichste Aussage des Bundespräsidenten war die Bezeichnung des 8. Mai 1945 als »Tag der Befreiung«573, weil dieses Datum alle Deutschen – trotz heterogener Erfahrungen von Flucht, Vertreibung, Gefangenschaft oder Rettung – »von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft«574 befreit habe. Von Weizsäcker sprach in seiner Rede sehr deutlich den zeitgenössischen Kenntnisstand der Mehrheitsbevölkerung über den Holocaust an und verwies in diesem Zusammenhang insbesondere auf das damalige Nicht-Wissen-Wollen und die indifferente Haltung gegenüber den an den Juden verübten Verbrechen: »Die Ausführung des Verbrechens lag in der Hand weniger. Vor den Augen der Öffentlichkeit wurde es abgeschirmt. Aber jeder Deutsche konnte miterleben, was jüdische Mitbürger erleiden mußten, von kalter Gleichgültigkeit über versteckte Intoleranz bis zu offenem Haß. Wer konnte arglos bleiben nach den Bränden von Synagogen, den Plünderungen, der Stigmatisierung mit dem Judenstern, dem Rechtsentzug, den unaufhörlichen Schändungen der menschlichen Würde? Wer seine Ohren und Augen aufmachte, wer sich informieren wollte, dem konnte nicht entgehen, daß Deportationszüge rollten. Die Phantasie der Menschen mochte für Art und Ausmaß der Vernichtung nicht ausreichen. Aber in Wirklichkeit trat zu den Verbrechen selbst der Versuch allzu vieler, auch in meiner Generation, die wir jung und an der Planung und Ausführung der Ereignisse unbeteiligt waren, nicht zur Kenntnis zu nehmen, was geschah. Es gab viele Formen, das Gewissen ablenken zu lassen, nicht zuständig zu sein, wegzuschauen, zu schweigen. Als dann am Ende des Krieges die ganz unsagbare Wahrheit des Holocaust herauskam, beriefen sich allzu viele von uns darauf, nichts gewußt oder auch nur geahnt zu haben.«575

Im Hinblick auf die Verstrickung weiter Bevölkerungskreise in die Diskriminierung und Verfolgung der Juden hielt sich das Staatsoberhaupt dagegen dezent zurück. Vielmehr neigte von Weizsäcker dazu, die Hauptlast der Schuld Hitler und seiner engsten Führungsclique aufzubürden. Entsprechende Formulie570 Vgl. Peter Steinbach: »Ein Tag der Erinnerung«. Die Weizsäcker-Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes 1985. In: Praxis Geschichte H. 2/2005, S. 52–54. 571 Vgl. Ulrich Gill/Winfried Steffani (Hrsg.): Eine Rede und ihre Wirkung. Die Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vom 8. Mai 1985 anläßlich des 40. Jahrestages der Beendigung des Zweiten Weltkrieges. Betroffene nehmen Stellung. Berlin 1986. 572 Vgl. Helmut König: Die Zukunft der Vergangenheit. Der Nationalsozialismus im politischen Bewußtsein der Bundesrepublik. Frankfurt am Main 2003, S. 37. 573 Richard von Weizsäcker : Zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Ansprache am 8. Mai 1985 in der Gedenkstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages. Bonn 1985, S. 2. 574 Ebd. 575 Ebd., S. 4f.

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rungen in seiner Rede lauteten: »Die meisten Deutschen hatten geglaubt, für die gute Sache des eigenen Landes zu kämpfen und zu leiden. Und nun sollte sich herausstellen: Das alles war nicht nur vergeblich und sinnlos, sondern es hatte den unmenschlichen Zielen einer verbrecherischen Führung gedient.«576 »Am Anfang der Gewaltherrschaft hatte der abgrundtiefe Haß Hitlers gegen unsere jüdischen Mitmenschen gestanden. Hitler hatte ihn nie vor der Öffentlichkeit verschwiegen, sondern das ganze Volk zum Werkzeug dieses Hasses gemacht.«577 »Auf dem Weg ins Unheil wurde Hitler die treibende Kraft. Er erzeugte und er nutzte den Massenwahn.«578 »Während des Krieges hat das nationalsozialistische Regime viele Völker gequält und geschändet. Am Ende blieb nur noch ein Volk übrig, um gequält, geknechtet und geschändet zu werden: das eigene, das deutsche Volk. Immer wieder hat Hitler ausgesprochen: wenn das deutsche Volk schon nicht fähig sei, in diesem Krieg zu siegen, dann möge es eben untergehen.«579 »Hitler hat stets damit gearbeitet, Vorurteile, Feindschaften und Haß zu schüren.«580 Da von Weizsäcker indes an keiner Stelle die unbestreitbare Begeisterung für Hitler auch nur angedeutet habe, vermag Peter Reichel in den Worten des Bundespräsidenten nur eine halbherzige Korrektur bestehender Denkstrukturen über die NS-Vergangenheit zu erkennen. Das Gros der deutschen Bevölkerung sei angesichts gewisser Glättungen und Auslassungen in der Kommentierung der nationalsozialistischen Herrschaft letztlich auch in dieser Rede zu hilflosen Befehlsempfängern und passiven Objekten eines übermächtigen Führers degradiert worden.581 2.2.3. Historikerstreit Der sogenannte »Historikerstreit« um die Interpretation der nationalsozialistischen Verbrechen, die Singularität des Holocaust und insbesondere den Stellenwert des Völkermords an den europäischen Juden für das historisch-politische Selbstverständnis der Bundesrepublik war ein weiterer geschichtskultureller Markstein. Es war zuvorderst der vom Berliner Zeithistoriker Ernst Nolte am 6. Juni 1986 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentliche Artikel »Vergangenheit, die nicht vergehen will«582, der aufgrund seines apologetischen 576 577 578 579 580 581 582

Ebd., S. 1f. Ebd., S. 4. Ebd., S. 7. Ebd., S. 8. Ebd., S. 16. Vgl. Reichel: Judenmord, S. 376. Ernst Nolte: Vergangenheit, die nicht vergehen will. Eine Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. Juni 1986). In: Rudolf

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Grundtenors die Gemüter erzürnte. Nolte, der 23 Jahre zuvor in seiner Habilitationsschrift den Krieg des Dritten Reiches gegen die Sowjetunion noch als »ungeheuerlichste[n] Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskrieg«583 der neueren Geschichte definiert hatte, forderte jetzt, einen Schlussstrich unter die Besonderheit der nationalsozialistischen Judenverfolgung zu ziehen. Da die Vergangenheit von den Zeitgenossen nicht mehr beeinflusst werden könne, solle sie besser ruhen. Dass der Holocaust bis heute in der Öffentlichkeit eine Sonderstellung gegenüber anderen geschichtlichen Ereignissen einnehme, sei im Wesentlichen auf »die Interessen der Verfolgten und ihrer Nachfahren an einem permanenten Status des Herausgehoben- und Privilegiertseins«584 zurückzuführen. Die Einnahme einer Sonderstellung sei zudem unangemessen, weil die systematische Ermordung der Juden nur hinsichtlich »des technischen Vorgangs der Vergasung«585 Singularität für sich beanspruchen könne. In Form von rhetorischen Fragen geht Nolte sogar noch einen Schritt weiter : »Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine ›asiatische‹ Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer ›asiatischen‹ Tat betrachteten? War nicht der ›Archipel GULag‹ ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der Klassenmord der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ›Rassenmords‹ der Nationalsozialisten? […] Rührte Auschwitz vielleicht in seinen Ursprüngen aus einer Vergangenheit her, die nicht vergehen wollte?«586

Nolte vertrat damit die absurde Auffassung, dass der Judenmord seinen Ursprung nicht in erster Linie in der nationalsozialistischen Rassenideologie hatte, sondern die NS-Führung lediglich der eigenen befürchteten Vernichtung durch die Bolschewiki unter der Führung Stalins zuvorkommen wollte. Es war zuallererst Jürgen Habermas, der sich in einem Beitrag für »Die Zeit« vom 11. Juli 1986 über diese »apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung«587 empörte. In seiner Antwort bezog der Frankfurter Philosoph und Soziologe Stellung zu der von Nolte postulierten kausalobsessiven Deutung des Zusammenhangs von Nationalsozialismus und Bolschewismus. Habermas wendete sich entschieden gegen die These, dass Auschwitz »auf

583 584 585 586 587

Augstein u. a.: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. München 1987, S. 39–47. Ernst Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche. Die Action franÅaise, der italienische Faschismus, der Nationalsozialismus. München 1963, S. 436. Nolte: Vergangenheit, die nicht vergehen will, S. 41. Ebd., S. 45. Ebd. Vgl. Jürgen Habermas: Eine Art Schadensabwicklung. Die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsforschung (Die Zeit vom 11. Juli 1986). In: Rudolf Augstein u. a.: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. München 1987, S. 62–76.

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das Format einer technischen Innovation«588 schrumpfe und »sich aus der ›asiatischen‹ Bedrohung durch einen Feind [erkläre], der immer noch vor unseren Toren steht«589. Mit solchen Behauptungen betrieben neokonservative Zeithistoriker schlichtweg geschichtspolitischen Revisionismus. In der Folge entbrannte unter Historikern, Philosophen und Journalisten eine kontrovers geführte Debatte über die Historisierung des Nationalsozialismus.590 Letzten Endes zeitigte der »Historikerstreit« keine unmittelbaren Ergebnisse. Dies überraschte jedoch insofern wenig, als es nicht um die Überprüfung historischer Thesen und Erkenntnisse, sondern um den Stellenwert des Genozids an den Juden Europas für das bundesrepublikanische Selbstverständnis ging. Peter Steinbach fasst treffend zusammen: »In diesem Streit wurde keine einzige Quelle neu erschlossen, wurde keine Tatsache der Vergangenheit neu erforscht, sondern es wurde lediglich versucht, das gesicherte Bild der Geschichte durch Deutungen, Annotationen und in den Raum gestellte Vermutungen zu verändern, nicht selten sogar, indem man die vor allem die Wirklichkeit der ›Endlösung‹ bezweifelnden zeitgeschichtlichen Deutungen der Rechtsextremisten für diskussionswürdig erachtete.«591

Gleichwohl ist dem »Historikerstreit« eine nachhaltige Wirkung auf den Fortgang des Umgangs mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung nicht abzusprechen. Zum einen machte er durch seine größtenteils in den Feuilletons der großen Tages- und Wochenzeitungen ausgetragene Diskussion viele Menschen mit Themen bekannt, die bis dahin nur einen kleinen Kreis von Experten beschäftigt hatten. Zum anderen trug die Debatte mittelbar zu einer Perspektivenerweiterung in der Geschichtswissenschaft bei. Der bislang von der Forschung meist nur am Rande gestreifte Mord an den Juden wurde jetzt zum zentralen Gegenstand der universitären Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus.592 588 Ebd., S. 71. 589 Ebd. 590 Der »Historikerstreit« kann und soll hier nicht in seinem Verlauf nachgezeichnet werden. Vgl. hierzu ausführlich Martin Broszat/Saul Friedländer : Um die »Historisierung des Nationalsozialismus«. Ein Briefwechsel. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 36, 1988, H. 2, S. 339–372; Ulrich Herbert: Der Historikerstreit. Politische, wissenschaftliche, biographische Aspekte. In: Martin Sabrow/Ralph Jessen/Klaus Große Kracht (Hrsg.): Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945. München 2003, S. 94–113; Jürgen Peter : Der Historikerstreit und die Suche nach einer nationalen Identität der achtziger Jahre. Frankfurt am Main 1995; Hans-Ulrich Wehler : Entsorgung der deutschen Vergangenheit? Ein polemischer Essay zum »Historikerstreit«. München 1988. 591 Peter Steinbach: Die publizistischen Kontroversen – eine Vergangenheit, die nicht vergeht. In: Peter Reichel/Harald Schmid/Ders. (Hrsg.): Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschichte. Überwindung – Deutung – Erinnerung. München 2009, S. 127–174, hier S. 161. 592 Vgl. Nicolas Berg: Der Holocaust in der Geschichtswissenschaft. Kontroversen und Fragestellungen seit dem »Historikerstreit«. In: Norbert Frei/Sybille Steinbacher (Hrsg.): Be-

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2.2.4. Die Rede Philipp Jenningers zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht Zu einem symbolpolitischen Fauxpas kam es am 10. November 1988, als der damalige Bundestagspräsident Philipp Jenninger im Bonner Parlament eine Gedenkrede anlässlich der 50. kalendarischen Wiederkehr der Reichspogromnacht hielt. Seine Ansprache löste eine Welle der Empörung aus.593 Jenningers mangelnde rhetorische Fähigkeiten, das oratorische Stilmittel der erlebten Rede, die Verwendung nationalsozialistischen Vokabulars zur wirkungsvolleren Beschreibung der an den Juden verübten Gräueltaten und das modulationsarme Zitieren von einigen Kernsätzen aus Heinrich Himmlers Posener Rede von 1943 führten dazu, dass seine Absicht, die verübten Verbrechen zu verurteilen und deutsche Schuld einzugestehen, vollends missverstanden wurde. Sogar eine nachträgliche Rechtfertigung der nationalsozialistischen Politik wurde Jenninger vorgeworfen.594 Im Rückblick muss die heftige Kritik als eine »der wohl schwärzesten Stunden des deutschen Nachkriegsparlamentarismus«595 gesehen werden, denn am Inhalt hätten sich die Abgeordneten von SPD, FDP und Grünen, die demonstrativ den Plenarsaal verließen, normalerweise nicht stören können bzw. dürfen. Im Kern hatte der schwäbische CDU-Politiker die zeitgeschichtliche Entwicklung, die zu den nationalsozialistischen Untaten des Novemberpogroms geführt hatte, und die darauffolgenden Massenmorde an den Juden nicht nur ausführlich und anschaulich geschildert, sondern auch die nach 1945 rasch einsetzenden »Verdrängungsprozesse« kritisiert. Mehr noch: Wie bisher kein zweiter Politiker in einer solch staatstragenden Position setzte er sich mit dem Faszinosum »Hitler« auseinander : schweigen und Bekennen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft und der Holocaust. Göttingen 2001 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 1), S. 103–126. Vgl. auch die jüngsten Bilanzen Mathias Brodkorb (Hrsg.): Singuläres Auschwitz? Ernst Nolte, Jürgen Habermas und 25 Jahre »Historikerstreit«. Banzkow 2011; Steffen Kailitz (Hrsg.): Die Gegenwart der Vergangenheit. Der »Historikerstreit« und die deutsche Geschichtspolitik. Wiesbaden 2008; Volker Kronenberg (Hrsg.): Zeitgeschichte, Wissenschaft und Politik. Der »Historikerstreit« – 20 Jahre danach. Wiesbaden 2008. 593 Vgl. Armin Laschet/Heinz Malangr8 (Hrsg.): Philipp Jenninger. Rede und Reaktion. Aachen/Koblenz 1989. 594 Vgl. zum »Jenninger-Skandal«, seiner Vorgeschichte und Rezeption Werner Bergmann: Fall Jenninger. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 4: Ereignisse, Dekrete, Kontroversen. Berlin 2011, S. 122– 124; Claus Leggewie/Sybille Müller/Tim Nungesser: »Nicht alles darf man beim Namen nennen – in Deutschland«. Skandal im Skandal: Die Bundestagsrede Philipp Jenningers zur »Kristallnacht«. In: Sozialwissenschaftliche Informationen 20, 1991, H. 2, S. 128–132; Frank Stern: »Irgendwie mußte das ja mal endlich gesagt werden!«. Die Jenninger-Rede zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht 1938. In: Ruth Wodak u. a.: Die Sprachen der Vergangenheit. Öffentliches Gedenken in österreichischen und deutschen Medien. Frankfurt am Main 1994, S. 162–190. 595 Reichel: Judenmord, S. 376.

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»Sicher […] in freien Wahlen hatte Hitler niemals eine Mehrheit der Deutschen hinter sich gebracht. Aber wer wollte bezweifeln, daß 1938 eine große Mehrheit der Deutschen hinter ihm stand, sich mit ihm und seiner Politik identifizierte? Gewiß, einige ›querulantische Nörgler‹ wollten keine Ruhe geben und wurden von Sicherheitsdienst und Gestapo verfolgt, aber die meisten Deutschen – und zwar aus allen Schichten: aus dem Bürgertum wie aus der Arbeiterschaft – dürften 1938 überzeugt gewesen sein, in Hitler den größten Staatsmann unserer Geschichte erblicken zu sollen.«596

Des Weiteren machte der Bundestagspräsident auf die weitgehende Passivität und Indifferenz der deutschen Bevölkerung angesichts der sich vor ihren Augen vollziehenden antijüdischen Aktionen und Maßnahmen aufmerksam. Als die Synagogen brannten, hätten die allermeisten Deutschen weggeschaut und geschwiegen, nennenswerten Widerstand habe es nicht gegeben.597 Jenninger, der unter dem Druck der Öffentlichkeit einen Tag später von seinem Amt zurücktrat, sprach ebenfalls unumwunden die seinerzeit in der deutschen Gesellschaft bestehenden judenfeindlichen Ressentiments, das zeitgenössische Wissen über den Holocaust sowie die Verstrickung einer Vielzahl von Personen in die Massenverbrechen an: »Heute […] stellen sich für uns alle Fragen im vollen Wissen um Auschwitz. 1933 konnte sich kein Mensch ausmalen, was ab 1941 Realität wurde. Aber eine über Jahrhunderte gewachsene Judenfeindschaft hatte den Nährboden bereitet für eine maßlose Propaganda und für die Überzeugung vieler Deutscher, daß die Existenz der Juden tatsächlich ein Problem darstellte, daß es so etwas wie eine ›Judenfrage‹ wirklich gab. Die zwangsweise Umsiedlung aller Juden – etwa nach Madagaskar, wie von den NSHerrschern vorübergehend erwogen – wäre damals vermutlich auf Zustimmung gestoßen. Es ist wahr, daß die Nationalsozialisten große Anstrengungen unternahmen, die Wirklichkeit des Massenmordes geheimzuhalten. Wahr ist aber auch, daß jedermann um die Nürnberger Gesetze wußte, daß alle sehen konnten, was heute vor 50 Jahren in Deutschland geschah, und daß die Deportationen in aller Öffentlichkeit vonstatten gingen. Und wahr ist, daß das millionenfache Verbrechen aus den Taten vieler einzelner bestand, daß das Wirken der Einsatzgruppen nicht nur in der Wehrmacht, sondern auch in der Heimat Gegenstand im Flüsterton geführter Gespräche war. […] Viele Deutsche ließen sich vom Nationalsozialismus blenden und verführen. Viele ermöglichten durch ihre Gleichgültigkeit die Verbrechen. Viele wurden selbst zu Verbrechern. Die Frage der Schuld und ihrer Verdrängung muß jeder für sich selbst beantworten. Wogegen wir uns aber gemeinsam wenden müssen, das ist das Infrage-

596 Stenographischer Bericht des Deutschen Bundestages. 11. Wahlperiode. Gedenkveranstaltung aus Anlaß der Pogrome des nationalsozialistischen Regimes gegen die jüdische Bevölkerung vor 50 Jahren. Bonn, 10. November 1988, 7269 A – 7276C. In: Birgit-Nicole Krebs: Sprachhandlung und Sprachwirkung. Untersuchungen zur Rhetorik, Sprachkritik und zum Fall Jenninger. Berlin 1993 (Philologische Studien und Quellen, H. 123), S. 159– 168, hier S. 163. 597 Vgl. ebd., S. 162.

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stellen der historischen Wahrheit, das Verrechnen der Opfer, das Ableugnen der Fakten.«598

Jenninger sagte am 50. Jahrestag des Pogroms also »nichts Falsches, aber er verfehlte den Ton, den die Erinnerungsvirtuosen für angemessen hielten«599. Peter Reichel zufolge sei die Gedenkfeier gescheitert, »weil einer redete, der nicht log oder heuchelte und in seiner Aufrichtigkeit auch noch ungeschickt war, nur mit Mühe seine Rede zu Ende brachte, während Abgeordnete unter Protest den Saal verließen und nicht zu verstehen schienen, daß ihr Präsident ihnen und der Nation die historische Wahrheit gesagt hatte«600. Wolfgang Benz geht noch einen Schritt weiter und vermutet, dass die Worte des Bundestagspräsidenten – aller rhetorischen Unbeholfenheit zum Trotz – weit weniger missverständlich waren als vielmehr von einigen missverstanden werden wollten.601 2.2.5. »Schindlers Liste« Im wiedervereinten Deutschland war es zunächst der im März 1994 in den deutschen Kinos anlaufende US-amerikanische Spielfilm »Schindlers Liste« (USA 1993, Regie: Steven Spielberg), der eine ungemein breite Öffentlichkeitswirkung erfuhr. Für unzählige Schulklassen wurde der Spielberg-Film zum integralen Bestandteil des Geschichtsunterrichts. Er erzählt die Geschichte von Oskar Schindler, einem sudentendeutschen Industriellen, NSDAP-Parteimitglied und berechnenden Geschäftsmann, der unter Gefährdung seiner eigenen Person etwa 1.200 jüdische Zwangsarbeiter vor dem sicheren Tod rettet, indem er sie in seiner Krakauer Emaillewarenfabrik für sich arbeiten lässt und somit vor der Deportation schützt. Anhand einer realen Figur der deutschen Geschichte wird dem Publikum folglich demonstriert, dass es – wenn man denn wollte – auch innerhalb der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie möglich war bzw. besser : gewesen wäre, anders zu handeln. Das Klischee von den fehlenden Handlungsspielräumen im scheinbar totalitären NS-Staat, eine der dominierenden Erzählweisen der Erlebnisgeneration, war damit durch das Medium »Film« aufgebrochen worden.602 598 Ebd., S. 166f. 599 Hans Günter Hockerts: Zugänge zur Zeitgeschichte: Primärerfahrung, Erinnerungskultur, Geschichtswissenschaft. In: Konrad H. Jarausch/Martin Sabrow (Hrsg.): Verletztes Gedächtnis. Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt. Frankfurt am Main 2002, S. 39–73, hier S. 64. 600 Peter Reichel: Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit. Frankfurt am Main 1999, S. 279. 601 Vgl. Wolfgang Benz: Missglücktes Gedenken. Die Rede Philipp Jenningers im Deutschen Bundestag am 10. November 1988. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 61, 2013, H. 11, S. 906–919, hier S. 910. 602 Vgl. Tilo Werner : Holocaust-Spielfilme im Geschichtsunterricht. Schindlers Liste, Der

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Anders als eineinhalb Jahrzehnte zuvor bei »Holocaust« war die öffentliche Diskussion jedoch weniger von emotionaler Betroffenheit geprägt. Bücher, die den Zustand der Nation analysieren wollten, blieben diesmal aus. Die generationsbedingten Veränderungen der Gesellschaft, in der zwar nach wie vor Zeitgenossen der im Film dargestellten Ereignisse lebten, die Mehrheit jedoch nur noch in vermittelter Form Kenntnis von den NS-Verbrechen besaß, führte zu einer gewissen Abgeklärtheit des Diskurses: »Das kollektive Gedächtnis«, so Matthias Weiß, »hatte offenbar seine nationale Spontaneität verloren und war Teil des selbstreflexiven Mediendiskurses geworden, der die Fortdauer der kollektiven Erinnerung an die deutschen Verbrechen zugleich ermöglichte und reflektierte«603. Der Kinofilm wurde daher in den Feuilletons vornehmlich unter filmästhetischen Gesichtspunkten besprochen. Im Mittelpunkt der Diskussion stand dabei die »dokumentarische Authentizität«604 des mit sieben Oscars prämierten Werkes, das schließlich auf nahezu einhellig positive Resonanz stieß.605 Das vielleicht größte Verdienst von Spielberg ist jedoch die – durch einen erheblichen Teil der aus »Schindlers Liste« erzielten Gewinne ermöglichte – Gründung der Survivors of the Shoah Visual History Foundation, die sich die Aufzeichnung, Transkription und digitale Archivierung der Lebensgeschichten von Überlebenden des Holocaust zur Aufgabe macht. Das heute an der University of Southern California in Los Angeles untergebrachte Visual History Archive verfügt über rund 52.000 Video-Interviews. Angesichts des nahenden

Pianist, Drei Tage im April, Das Leben ist schön, Zug des Lebens. Norderstedt 2004. S. 64– 75. 603 Matthias Weiß: Sinnliche Erinnerung. Die Filme »Holocaust« und »Schindlers Liste« in der bundesdeutschen Vergegenwärtigung der NS-Zeit. In: Norbert Frei/Sybille Steinbacher (Hrsg.): Beschweigen und Bekennen. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft und der Holocaust. Göttingen 2001 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 1), S. 71–102, hier S. 88. 604 Georg-Michael Schulz: Docu-dramas – oder : Die Sehnsucht nach der »Authentizität«. Rückblicke auf »Holocaust« von Marvin Chomsky und »Schindlers Liste« von Steven Spielberg. In: Waltraud Wende (Hrsg.): Der Holocaust im Film. Mediale Inszenierung und kulturelles Gedächtnis. Heidelberg 2007, S. 143–161, hier S. 151. 605 Spielberg drehte an so vielen Originalschauplätzen wie möglich, ließ das ehemalige Arbeitsund Konzentrationslager Plaszow detailgetreu nachbauen, fügte Erläuterungen zu den im Film gezeigten Orten, Zeitpunkten und Vorgängen ein und nutzte für einige Szenen bewegte Handkameras, um den Eindruck eines Live-Berichts zu erzeugen. Der Film, der die Geschehnisse auf der Vergangenheitsebene in Schwarz-Weiß erzählt, wird von einem farbigen Prolog und Epilog der Gegenwart eingefasst. Schließlich verstärkte die Auswahl von bis dahin noch relativ unbekannten Schauspielern und deren Ähnlichkeit zu den historischen Personen – Liam Neeson als Oskar Schindler und Ralph Fiennes als Amon Göth – die dokumentarische Suggestion. Vgl. Manuel Köppen: Von Effekten des Authentischen – Schindlers Liste: Film und Holocaust. In: Ders./Klaus R. Scherpe (Hrsg.): Bilder des Holocaust. Literatur – Film – Bildende Kunst. Köln 1997, S. 145–170.

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Endes direkter mündlicher Überlieferung vom Holocaust606 ist hier eine Möglichkeit entstanden, die Stimmen der Opfer dauerhaft im kulturellen Gedächtnis zu bewahren und damit z. B. auch weiterhin »lebendig« in die Klassenzimmer zu tragen.607 2.2.6. Daniel Jonah Goldhagens »Hitlers willige Vollstrecker« Mitte der 1990er Jahre löste Daniel Jonah Goldhagens Dissertation »Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust« eine der größten öffentlichen Debatten über die nationalsozialistische Vergangenheit aus.608 Der amerikanische Politologe und junge Harvard-Dozent kündigte sein Buch als radikale Revision der bisherigen Holocaust-Forschung an. Goldhagens zentrale These besagt, dass der Völkermord an den europäischen Juden ein seit langem geplantes »nationales Projekt« der Deutschen gewesen sei.609 Bereits vor 606 Vgl. Norbert Frei: Abschied von der Zeitgenossenschaft. Der Nationalsozialismus und seine Erforschung auf dem Weg in die Geschichte. In: Werkstatt Geschichte 20, 1998, S. 69–83. 607 Vgl. Linde Apel: »You are participating in history«. Das Visual History Archive der Shoah Foundation. In: Zeithistorische Forschungen 5, 2008, H. 3, S. 438–445; Michele Barricelli: Das Visual History Archive des Shoah Foundation Institute als geschichtskulturelle Objektivation und seine Verwendung im Geschichtsunterricht – ein Problemaufriss. In: Vadim Oswalt/Hans-Jürgen Pandel (Hrsg.): Geschichtskultur. Die Anwesenheit von Vergangenheit in der Gegenwart. Schwalbach/Ts. 2009, S. 198–211; Michele Barricelli: Kommemorativ oder kollaborativ? Historisches Lernen mithilfe digitaler Zeitzeugenarchive (am Beispiel des Visual History Archive). In: Bettina Alavi (Hrsg.): Historisches Lernen im virtuellen Medium. Heidelberg 2010, S. 13–29; Michele Barricelli: Per Video zugeschaltet. Periphere Gedanken zum Potenzial des »Visual History Archive« des Shoah Foundation Institute im Geschichtsunterricht. In: Judith Martin/Christoph Hamann (Hrsg.): Geschichte, Friedensgeschichte, Lebensgeschichte. Festschrift für Peter Schulz-Hageleit. Herbolzheim 2007, S. 234–252; Alina Bothe/Rolf Sperling: Trauma und Emotion im virtuellen Raum. Historisches Lernen über die Shoah mit virtuellen Zeugnissen. In: Juliane Brauer/Martin Lücke (Hrsg.): Emotionen, Geschichte und historisches Lernen. Geschichtsdidaktische und geschichtskulturelle Perspektiven. Göttingen 2013 (Eckert. Die Schriftenreihe. Studien des Georg-Eckert-Instituts zur internationalen Bildungsmedienforschung, Bd. 133), S. 201– 221; Martin Lücke: »A hint of what was to come«. Bilingualität und das Erinnern an Antisemitismus und den Holocaust in videografierten Zeitzeugeninterviews. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 8 (2009), S. 87–99; Verena Lucia Nägel: Das Visual History Archive des Shoah Foundation Institute in Forschung, Lehre und Schulunterricht. In: Daniel Baranowski (Hrsg.): »Ich bin die Stimme der sechs Millionen«. Das Videoarchiv im Ort der Information. Berlin 2009, S. 185–191. 608 Vgl. Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust. Berlin 1996. 609 »Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, jedenfalls bis zur Aufklärung, war die deutsche Gesellschaft durch und durch antisemitisch.« (ebd., S. 48) »Es gibt […] zahlreiche ›positive‹ Hinweise darauf, daß der Antisemitismus – dem Wandel der Zeiten inhaltlich angepaßt – auch im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert noch Bestand hatte, die nationalsozialistische Version stellte lediglich eine akzentuiertere, verstärkte und weiterentwickelte Form des bereits weithin akzeptierten Grundmodells dar.« (ebd., S. 50). Goldhagen

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dem Nationalsozialismus sei die deutsche Gesellschaft von einem mörderischen und auf die Vernichtung der Juden gerichteten Antisemitismus nahezu vollständig durchdrungen gewesen. Dieser »bösartig-eliminatorische Antisemitismus«610 habe gewissermaßen »zur Normalausstattung der Deutschen«611, »zum gesellschaftlichen ›Gespräch‹ der Deutschen«612 gehört. Hitler und die Nationalsozialisten seien folglich nur das auslösende Moment für die Ingangsetzung des Holocaust gewesen.613 Um seine These zu rechtfertigen, interessiert sich Goldhagen für die Täter und ihre Motivation. Er breitet drei Fallstudien aus: über die Massenerschießungen der Mitglieder des Reserve-Polizeibataillons 101, die von Aufsehern verübten Gräueltaten in Arbeitslagern für Juden sowie die Tötungen während der Todesmärsche nach der Auflösung der Konzentrations- und Vernichtungslager. Anders als Christopher R. Browning, der zuvor bereits zum Polizeibataillon 101 geforscht614 und für die Herausbildung der Mordbereitschaft der Angehörigen der Einheit eine Reihe von Erklärungen angeboten hatte615, meint Goldhagen, dass die Täter allein aufgrund ihrer antisemitischen Disposition an der Ermordung mitwirkten. Alle Täter seien gläubige Antisemiten gewesen, die deshalb aus freien Stücken, mit Lust und ohne Skrupel töteten.616 Da die von ihm untersuchten Täter aus allen Schichten der Gesellschaft gekommen und unterschiedlichen Alters gewesen seien, stellten sie, so Goldhagen weiter, einen repräsentativen Querschnitt durch die deutsche Gesamtbevölkerung dar. Seine Schlussfolgerung lautet daher : Wären anstelle der tatsächlichen Täter andere Deutsche in diese Situation gekommen, hätten auch sie aufgrund ihrer identischen antisemitischen Überzeugungen nicht anders gehandelt.617

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schlussfolgert, »daß der Antisemitismus in der deutschen Kultur und Gesellschaft endemisch war« (ebd., S. 69). Ebd., S. 521. Ebd., S. 524. Ebd., S. 525. Vgl. ebd., S. 518: »Hitler und die Nationalsozialisten taten […] nichts anderes, als den bestehenden und angestauten Antisemitismus freizusetzen und zu aktivieren.« Vgl. Christopher R. Browning: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die »Endlösung« in Polen. Reinbek bei Hamburg 1993. Genannt werden u. a. kriegsbedingte Brutalisierung und Raserei, Alkoholmissbrauch, gruppenkonformes Verhalten, militärischer Gehorsam, ideologische Indoktrinierung, Karrierismus, arbeitsteiliges Vorgehen, Einübung von und Gewöhnung an Grausamkeiten. Vgl. auch Harald Welzer : Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. Frankfurt am Main 2005, S. 132–196. Vgl. Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker, S. 487f.: »Die bösartige Form des deutschen Rassenantisemitismus […] lieferte den Tätern […] die erforderliche Motivation, sich an der Vernichtung der Juden bereitwillig zu beteiligen. [..] Der eliminatorische, in der Rassenlehre gründende Antisemitismus war ein hinreichender Grund, ein ausreichendes starkes Motiv, Deutsche zum Mord an den Juden zu bewegen.« Goldhagen fasst bereits in der Einleitung das Ergebnis seiner Arbeit prägnant zusammen:

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Das »Goldhagen-Phänomen«618 erreichte die Bundesrepublik am 12. April 1996, als »Die Zeit« in ihrem Dossier längere Auszüge der bis dahin nur in amerikanischer Originalausgabe vorliegenden Harvard-Dissertation veröffentlichte und somit dem Publikum die Thesen Goldhagens erstmals vorstellte. Der hierzu von Volker Ullrich verfasste Leitartikel, der gleichzeitig die erste deutschsprachige Rezension zur Monographie von Goldhagen darstellte, löste die Debatte aus. Der Redakteur der Hamburger Wochenzeitung verlieh der Studie sogleich den Wert eines neuen »Historikerstreits« und unterstrich trotz Goldhagens Neigung zu simplifizierender Eindeutigkeit deren Bedeutsamkeit und Diskussionswürdigkeit, denn die »Radikalität, mit der Goldhagen seine These entfaltet, zwingt zum Überdenken bisheriger Sichtweisen«619. In der Folge äußerten sich zahlreiche Journalisten und Publizisten in nahezu allen größeren Tageszeitungen zum Buch Goldhagens, die Fachhistoriker hielten sich dagegen zunächst noch zurück. Als Letztgenannte aktiv wurden, setzten sie sich eingehend mit Goldhagens Thesen auseinander, und dies mehrheitlich ablehnend. Eberhard Jäckel z. B. verriss das Buch als eine sich nicht auf der Höhe der Forschung bewegende, nicht einmal mittelmäßigen Ansprüchen genügende, einfach schlechte Arbeit, die »wenig mehr als ein Rückschritt auf längst überholte Positionen, schlimmer noch, ein Rückfall auf das primitivste aller Stereotypen«620 sei. Eine ambivalente Würdigung erfuhr Goldhagen von Hans-Ulrich Wehler, der ausdrücklich dessen empirische Fallstudien über die Polizeieinheiten, die Ar»Wir müssen erkennen, was so lange von akademischen wie nicht-akademischen Autoren generell vernebelt wurde: Die antisemitischen Auffassungen der Deutschen waren die zentrale Triebkraft für den Holocaust. Sie lieferten nicht nur den zentralen Beweggrund für Hitlers Entschluß, die europäischen Juden auszulöschen – eine These, die viele akzeptieren –, auf ihnen beruhte auch die Bereitschaft der Täter, Juden brutal zu mißhandeln und zu töten. Die Schlußfolgerung dieses Buches lautet, daß der Antisemitismus viele Tausende ›gewöhnlicher‹ Deutscher veranlaßte, Juden grausam zu ermorden, und daß auch Millionen anderer Deutscher nicht anders gehandelt hätten, wären sie in die entsprechenden Positionen gelangt. Nicht wirtschaftliche Not, nicht die Zwangsmittel eines totalitären Staates, nicht sozialpsychologisch wirksamer Druck, nicht unveränderliche psychische Neigungen, sondern die Vorstellungen, die in Deutschland seit Jahrzehnten über Juden vorherrschten, brachten ganz normale Deutsche dazu, unbewaffnete, hilflose jüdische Männer, Frauen und Kinder zu Tausenden systematisch und ohne Erbarmen zu töten.« (ebd., S. 22). 618 Vgl. Raul Hilberg: Das Goldhagen-Phänomen. In: Johannes Heil/Rainer Erb (Hrsg.): Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit. Der Streit um Daniel J. Goldhagen. Frankfurt am Main 1998, S. 27–37. 619 Volker Ullrich: Hitlers willige Mordgesellen. Ein Buch provoziert einen neuen Historikerstreit: Waren die Deutschen doch alle schuldig? (Die Zeit vom 12. April 1996). In: Julius H. Schoeps (Hrsg.): Ein Volk von Mördern? Die Dokumentation zur Goldhagen-Kontroverse um die Rolle der Deutschen im Holocaust. Hamburg 1996, S. 89–92, hier S. 92. 620 Eberhard Jäckel: Einfach ein schlechtes Buch (Die Zeit vom 17. Mai 1996). In: Julius H. Schoeps (Hrsg.): Ein Volk von Mördern? Die Dokumentation zur Goldhagen-Kontroverse um die Rolle der Deutschen im Holocaust. Hamburg 1996, S. 187–192, hier S. 192.

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beitslager und die Todesmärsche lobte, da sie bisher von der Forschung weitgehend vernachlässigte Aspekte des Judenmords sichtbar werden ließen.621 Wehler störte sich dagegen an Goldhagens »monokausale[m] Erklärungsversuch auf der Grundlage des dezisionistischen Aktes, einen Teil der Menschheit aufgrund der ethnischen, rassistischen, naturalistischen, essentialistischen Zuschreibung des permanent Bösen zu stigmatisieren«622. Dies sei »eine intellektuelle, methodische und politische Bankrotterklärung«623. So führt der Autor aus: »Goldhagens ›Erklärung‹ basiert auf der bedingungslosen intellektuellen Kapitulation vor jedem Bemühen um ein seriöses Erklärungsmodell, das durch schlichte Diabolisierung ersetzt wird. ›Die Deutschen‹ sind seit dem Mittelalter eine bösartige Spezies der menschlichen Gattung, so lautet diese abstruse neue Variante des deutschen ›Sonderwegs‹. Nur sie konnten daher so folgerichtig ihren Antisemitismus bis hin zum Holocaust perfektionieren. Im Kern bedeutet das, offenbar ohne daß der Verfasser es will oder merkt, die entschlossene Ethnisierung der Debatte über den Nationalsozialismus und seine Genozidpraxis. Strukturell tauchen, pointiert gesagt, dieselben Denkschemata, wie sie dem Nationalsozialismus eigen waren, wieder auf: An die Stelle des auszulöschenden ›auserwählten Volkes‹ tritt das ›verworfene Volk‹ der Deutschen als Inkarnation des Bösen. […] Unter umgekehrten Vorzeichen erlebt ein QuasiRassismus, der jede Erkenntnisanstrengung von vornherein eisern blockiert, seine pseudowissenschaftliche, mentalitätsgeschichtlich kamouflierte Wiederauferstehung.«624

Die Kritik von Ulrich Herbert verhielt sich ähnlich: Goldhagens These, die historische Kontinuität der Judenfeindschaft des deutschen Volkes als zentrale Triebfeder für den Holocaust zu sehen, sei nicht haltbar. Das Buch zeichne sich ferner durch Simplifizierungen, Verzerrungen und wissenschaftlichen Dilettantismus aus.625 Dennoch trage es zur Aufklärung bei, da »endlich jene historisch wie politisch so bedeutsame Frage wieder öffentlich diskutiert wird, die in den vergangenen Jahrzehnten beinahe vergessen schien und die doch den Kern dieses nach wie vor unglaublichen Geschehens und den Nerv des deutschen Selbstverständnisses berührt: die Frage nach dem Ausmaß und der Verbreitung 621 Vgl. Hans-Ulrich Wehler : Wie ein Stachel im Fleisch. Es gibt sechs gute Gründe, sich ernsthaft mit Daniel Goldhagens Buch zu befassen – und ebenso viele, warum man seine Erklärung des Holocaust scharf kritisieren muß (Die Zeit vom 14. Mai 1996). In: Julius H. Schoeps (Hrsg.): Ein Volk von Mördern? Die Dokumentation zur Goldhagen-Kontroverse um die Rolle der Deutschen im Holocaust. Hamburg 1996, S. 193–209, hier S. 194–198. 622 Ebd., S. 203f. 623 Ebd., S. 204. 624 Ebd., S. 199f. 625 Vgl. Ulrich Herbert: Die richtige Frage (Die Zeit vom 14. Juni 1996). In: Julius H. Schoeps (Hrsg.): Ein Volk von Mördern? Die Dokumentation zur Goldhagen-Kontroverse um die Rolle der Deutschen im Holocaust. Hamburg 1996, S. 214–224, hier S. 214.

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des Judenhasses in der deutschen Bevölkerung und nach der Bedeutung, die dem Antisemitismus für die Ingangsetzung und Durchführung des millionenfachen Mords beikommt«626. Ganz im Gegenteil zu der fast einhelligen Ablehnung durch die Fachwissenschaft ernteten Goldhagens Thesen bei öffentlichen Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen im Fernsehen zumeist großen Beifall vom deutschen Publikum. Gerade von jüngeren Teilnehmerinnen und Teilnehmern schlug dem Harvard-Politologen eine Welle der Sympathie entgegen.627 Stets sprach er in ausgebuchten und überfüllten Sälen. Goldhagen wurde zum »Medienereignis«628 und gewissermaßen zum ersten Popstar der Geschichtskultur. Den beispiellosen Erfolg von »Hitlers willige Vollstrecker« begründete insbesondere, so Norbert Frei, eine »in der wissenschaftlichen Holocaust-Literatur bis dahin unbekannte Anschaulichkeit der Darstellung«629, eine »nachgerade filmische Plastizität und Simplizität«630, die »auf nahezu perfekte Weise der Rezeptionserwartung, ja dem Rezeptionsbedürfnis eines breiten Publikums«631 entsprach. Worin liegt aber das bleibende Verdienst von Goldhagens Dissertation? Abseits der Tatsache, dass seinen Thesen eine ungeheure Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit entgegengebracht wurde und die vor allem in den Printmedien ausgetragene Debatte einen weiteren Meilenstein in der Selbstkonfrontation der Deutschen mit dem Massenmord an den Juden Europas darstellte, förderte Goldhagen im Rahmen seiner Fallstudien zahlreiche neue empirische Kenntnisse zutage. Schließlich hatte sein Buch entscheidenden Einfluss auf den Fortgang der Holocaust-Forschung. Herbert unterstreicht: »Es führte dazu, dass die Frage nach der Beteiligung, dem Wissen, der Zustimmung oder der Indifferenz der ganz normalen Deutschen gegenüber dem Judenmord als wichtiges, ja als zentrales Thema nicht nur der Geschichte des Krieges, sondern der deutschen Geschichte insgesamt erkannt wurde – auch von jenen, die Goldhagens Thesen als eine Fortsetzung der Kollektivschuldlüge apostrophierten, wie Rudolf Augstein und viele andere.«632

626 Ebd., S. 214f. 627 Vgl. Briefe an Goldhagen. Eingeleitet und beantwortet von Daniel Johan Goldhagen. Berlin 1997. 628 Jürgen Wilke: Massenmedien und Vergangenheitsbewältigung. In: Ders. (Hrsg.): Mediengeschichte in der Bundesrepublik. Köln/Weimar/Wien 1999, S. 649–671, hier S. 665. 629 Norbert Frei: Goldhagen, die Deutschen und die Historiker. Über die Repräsentation des Holocaust im Zeitalter der Visualisierung. In: Martin Sabrow/Ralph Jessen/Klaus Große Kracht (Hrsg.): Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945. München 2003, S. 138–151, hier S. 140. 630 Ebd. 631 Ebd. 632 Herbert: Holocaust-Forschung in Deutschland, S. 55.

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Bei aller – berechtigten wie unberechtigten – inhaltlichen, methodischen und sprachlichen Kritik darf außerdem nicht vergessen werden, dass Goldhagen das Wissen und die Haltung der Mehrheitsbevölkerung im Hinblick auf die Verfolgung und Ermordung der Juden bereits – trotz einiger so gewiss nicht haltbaren Übertreibungen und Pauschalisierungen – sehr präzise fasst: »Der Holocaust war das kennzeichnende Merkmal des Nationalsozialismus, aber nicht nur des Nationalsozialismus. Er ist gleichzeitig ein spezifischer Grundzug der gesamten deutschen Gesellschaft gewesen während der NS-Zeit: Kein wichtiger Aspekt blieb von der antijüdischen Politik unberührt; das reicht von der Wirtschaft bis hin zum sozialen, politischen und kulturellen Leben. Das haben Rinderzüchter ebenso mitgemacht wie Kaufleute, Anwälte, Ärzte, Physiker und Hochschullehrer. Das findet man in kleinstädtischen Lebensverhältnissen ebenso wie auf dem flachen Land oder in Großstädten. Wenn man die Ausrottung der Juden nicht in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt, kann man die deutsche Gesellschaft weder angemessen analysieren noch verstehen, noch charakterisieren. Die ersten Schritte des antijüdischen Programms, der systematische Ausschluß der Juden vom deutschen Wirtschafts- und Gesellschaftsleben, wurden in aller Öffentlichkeit, mit Zustimmung und Mitwirkung buchstäblich aller Schichten der deutschen Gesellschaft unternommen; Juristen, Mediziner und Lehrer, die katholische und die evangelische Kirche sowie die ganze Palette der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Gruppen und Verbände beteiligten sich daran. Hunderttausende von Deutschen trugen zum Genozid und dem weit umfassenderen System der Unterwerfung, dem riesigen Lagersystem, bei. Trotz der allerdings nicht sehr konsequenten Bemühungen des Regimes, den Völkermord geheimzuhalten, wußten Millionen Deutsche von der Massenvernichtung. Hitler verkündete mehrmals mit aller Leidenschaft, daß der Krieg mit der Auslöschung der Juden enden würde, und die Tötungen trafen auf allgemeines Verständnis, wenn nicht gar Zustimmung. Kein anderes Programm – von ähnlicher oder vergleichbarer Reichweite – wurde beharrlicher und überzeugter durchgeführt und stieß auf weniger Schwierigkeiten als der Holocaust, abgesehen vielleicht vom Krieg selber.«633

2.2.7. Wehrmacht und Vernichtungskrieg Dass sich die Wehrmacht als Gesamtverband an den nationalsozialistischen Massenverbrechen beteiligte und es zahlreiche Fälle gab, bei denen reguläre Wehrmachtseinheiten als direkte Vollstrecker bei Massenmorden in den besetzten sowjetischen Gebieten, in Polen und auf dem Balkan auftraten, war spätestens seit den Nürnberger Nachfolgeprozessen im Prinzip bekannt.634 Vor

633 Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker, S. 21. 634 Vgl. Friedhelm Kröll: Fall 2: Der Prozeß gegen Erhard Milch (»Milch Case«). In: Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952. Frankfurt am Main 1999, S. 86–98; Beate IhmeTuchel: Fall 7: Der Prozeß gegen die »Südost-Generale« (gegen Wilhelm List und andere).

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allem im rassenideologischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion begingen nicht wenige Soldaten schwere Verbrechen. Hierzu zählten: (1) der Genozid an den Juden, (2) die Ermordung von Kriegsgefangenen und (3) die Tötung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung. (1) Die zentrale Rolle, die die Wehrmacht bei der Ermordung der Juden einnahm, ist evident. Mit diversen rassistischen Befehlen drängten die Truppenführer die ihnen anvertrauten Soldaten zu rücksichtslosem Vorgehen gegen die jüdische Bevölkerung. So erließ z. B. der Oberbefehlshaber der im Verbande der Heeresgruppe Süd eingesetzten 6. Armee, Generalfeldmarschall Walter von Reichenau, am 10. Oktober 1941 einen Befehl zum »Verhalten der Truppe im Ostraum«, in dem es u. a. hieß: »Hinsichtlich des Verhaltens der Truppe gegenüber dem bolschewistischen System bestehen vielfach noch unklare Vorstellungen. Das wesentliche Ziel des Feldzuges gegen das jüdisch-bolschewistische System ist die völlige Zerschlagung der Machtmittel und die Ausrottung des asiatischen Einflusses im europäischen Kulturkreis. Hierdurch entstehen auch für die Truppe Aufgaben, die über das hergebrachte einseitige Soldatentum hinausgehen. Der Soldat ist im Ostraum nicht nur ein Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen Idee und der Rächer für alle Bestialitäten, die deutschem und artverwandtem Volkstum zugefügt wurden. Deshalb muß der Soldat für die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis haben. Sie hat den weiteren Zweck, Erhebungen im Rücken der Wehrmacht, die erfahrungsgemäß stets von Juden angezettelt wurden, im Keime zu ersticken.«635

Der »Reichenau-Befehl«, der von Hitler selbst ausdrückliches Lob erhielt, wurde von anderen Armeeoberbefehlshabern übernommen. Wenngleich die Einsatzgruppen von Sicherheitspolizei und SD unzweifelhaft die Hauptträger der Vernichtungsmaßnahmen waren, war die Armee in alle Phasen des Völkermords involviert. So wurden die Einsatzgruppen administrativ und logistisch unterstützt: Die Wehrmacht stellte Fahrzeuge, Treibstoff und Munition zur Verfügung, übernahm die Registrierung und Kennzeichnung der Juden, initiierte die Errichtung von jüdischen Ghettos oder übergab festgenommene Juden »zur weiteren Behandlung« an die Mordkommandos.636 Wehrmachtssoldaten beteiligten sich aber auch unmittelbar an Massenerschießungen von jüdischen

In: ebd., S. 144–152; Wolfram Wette: Fall 12: Der OKW-Prozeß (gegen Wilhelm Ritter von Leeb und andere). In: ebd., S. 199–212. 635 Gerd R. Ueberschär/Wolfram Wette (Hrsg.): Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion. »Unternehmen Barbarossa« 1941. Frankfurt am Main 1991, S. 285. 636 Vgl. Dieter Pohl: Die Kooperation zwischen Heer, SS und Polizei in den besetzten sowjetischen Gebieten. In: Christian Hartmann/Johannes Hürter/Ulrike Jureit (Hrsg.): Verbrechen der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte. München 2005, S. 107–116.

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Männern, Frauen und Kindern. Dabei handelte es sich nicht nur um Einzeltäter, zum Teil sind auch ganze Formationen schuldig geworden.637 (2) Die sowjetischen Kriegsgefangenen waren neben den Juden jene Opfergruppe, die während des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges das schlimmste Schicksal erlitt. Ungefähr 3,3 Millionen sowjetische Soldaten kamen in deutscher Kriegsgefangenschaft ums Leben. Die Ausrottungspolitik begann bereits mit Erschießungen an der Front. Die »Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare« des OKW vom 6. Juni 1941, die – entgegen bis in die Gegenwart kolportierten Behauptungen – flächendeckend an die Truppen weitergegeben und von den meisten Einheiten auch befolgt wurden638, bestimmte die sofortige Liquidation der Politoffiziere der Roten Armee nach deren Gefangennahme: »Im Kampf gegen den Bolschewismus ist mit einem Verhalten des Feindes nach den Grundsätzen der Menschlichkeit oder des Völkerrechts nicht zu rechnen. Insbesondere ist von den politischen Kommissaren aller Art als den eigentlichen Trägern des Widerstandes eine haßerfüllte, grausame und unmenschliche Behandlung unserer Gefangenen zu erwarten. Die Truppe muß sich daher bewußt sein: 1. In diesem Kampfe ist Schonung und völkerrechtliche Rücksichtnahme diesen Elementen gegenüber falsch. Sie sind eine Gefahr für die eigene Sicherheit und die schnelle Befriedung der eroberten Gebiete. 2. Die Urheber barbarisch asiatischer Kampfmethoden sind die politischen Kommissare. Gegen diese muß daher sofort und ohne Weiteres mit aller Schärfe vorgegangen werden. Sie sind daher, wenn im Kampf oder Widerstand ergriffen, grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen.«639

Nach neuesten Forschungsergebnissen bewegt sich die Zahl der Opfer, die auf der Grundlage des »Kommissarbefehls« von deutschen Divisionen erschossen wurden, zwischen 5.000 bis 10.000 Personen.640 Die überwiegende Zahl der sowjetischen Kriegsgefangenen kam dagegen in den Kriegsgefangenenlagern infolge von systematischer Unterernährung, schlechter Unterbringung und katastrophaler medizinischer Versorgung ums Leben. Hervorzuheben ist, dass die Wehrmacht – und nicht etwa die SS – für Transport, Unterbringung, Versorgung 637 Vgl. Walter Manoschek: »Wo der Partisan ist, ist der Jude, und wo der Jude ist, ist der Partisan«. Die Wehrmacht und die Shoah. In: Gerhard Paul (Hrsg.): Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche? Göttingen 2002 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 2), S. 167–185. 638 Vgl. Felix Römer: Der Kommissarbefehl. Wehrmacht und NS-Verbrechen an der Ostfront 1941/42. Paderborn 2008, S. 551. 639 Gerd R. Ueberschär/Wolfram Wette (Hrsg.): Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion. »Unternehmen Barbarossa« 1941. Frankfurt am Main 1991, S. 259f. 640 Vgl. Dieter Pohl: Die deutsche Militärbesatzung und die Eskalation der Gewalt in der Sowjetunion. In: Christian Hartmann u. a.: Der deutsche Krieg im Osten 1941–1944. Facetten einer Grenzüberschreitung. München 2009 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 76), S. 73–93, hier S. 79f.

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und Verpflegung zuständig war. Das deutsche Militär zeichnete somit für den Tod von mehr als drei Millionen Menschen verantwortlich.641 (3) Im Kampf gegen die ab Winter 1941/42 vor allem in Jugoslawien und in der Sowjetunion stärker und koordinierter werdende Partisanenbewegung reagierten Teile der Wehrmacht mit zahlreichen Vergeltungsmaßnahmen. Leidtragender war in erster Linie die Zivilbevölkerung. Ganze Dörfer wurden niedergebrannt, ihre Einwohner samt Frauen und Kindern – sobald auch nur der geringste Verdacht auf Partisanentätigkeit bestand – an Ort und Stelle erschossen oder in Gefangenschaft geführt. Geradezu als Freibrief für diese Gräueltaten diente den Soldaten der »Erlaß über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet ›Barbarossa‹ und über besondere Maßnahmen der Truppe« Hitlers vom 13. Mai 1941, der nicht nur den völkerrechtlichen Schutz für die einheimische Bevölkerung komplett aufhob, sondern zugleich die gerichtliche Verfolgung der Straftaten von Wehrmachtsangehörigen unterband. Im Hinblick auf die Behandlung von Straftaten feindlicher Zivilpersonen bestimmte der »Kriegsgerichtsbarkeitserlass« konkret u. a.: »1. Straftaten feindlicher Zivilpersonen sind der Zuständigkeit der Kriegsgerichte und der Standgerichte bis auf weiteres entzogen. 2. Freischärler sind durch die Truppe im Kampf oder auf der Flucht schonungslos zu erledigen. 3. Auch alle anderen Angriffe feindlicher Zivilpersonen gegen die Wehrmacht, ihre Angehörigen und das Gefolge sind von der Truppe auf der Stelle mit den äußersten Mitteln bis zur Vernichtung des Angreifers niederzukämpfen. 4. Wo Maßnahmen dieser Art versäumt wurden oder zunächst nicht möglich waren, werden tatverdächtige Elemente sogleich einem Offizier vorgeführt. Dieser entscheidet, ob sie zu erschießen sind. Gegen Ortschaften, aus denen die Wehrmacht hinterhältig oder heimtückisch angegriffen wurden, werden unverzüglich auf Anordnung eines Offiziers in der Dienststellung mindestens eines Bataillons- usw. -Kommandeurs kollektive Gewaltmaßnahmen durchgeführt, wenn die Umstände eine rasche Feststellung einzelner Täter nicht gestatten.«642

Der entscheidende Satz zur Behandlung von Straftaten von Angehörigen der Wehrmacht und des Gefolges gegen Landeseinwohner lautete wiederum: »Für Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht und des Gefolges gegen feindliche Zivilpersonen begehen, besteht kein Verfolgungszwang, auch dann nicht, wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist.«643 Beträchtliche Teile der Wehrmacht akzeptierten den »Kriegsgerichtsbarkeitserlass« beden641 Vgl. Christian Streit: Die sowjetischen Kriegsgefangenen in deutscher Hand – Hunger, Ausbeutung, Massensterben. In: Chaja Boebel/Frank Heidenreich/Lothar Wentzel (Hrsg.): Vernichtungskrieg im Osten und die sowjetischen Kriegsgefangenen. Verbrechen – Verleugnung – Erinnerung. Hamburg 2012, S. 60–74. 642 Gerd R. Ueberschär/Wolfram Wette (Hrsg.): Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion. »Unternehmen Barbarossa« 1941. Frankfurt am Main 1991, S. 252. 643 Ebd.

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kenlos, teilweise fand er sogar ausgesprochene Zustimmung. Es verwundert daher nicht, dass der Erlass vor Beginn der militärischen Operationen in allen Frontabschnitten bekannt gegeben und im Regelfall in den Verbänden des Ostheeres später auch befolgt wurde.644

Die Legende von der »sauberen Wehrmacht« Trotz oder vielleicht auch gerade wegen ihrer Rolle im Vernichtungskrieg blieb die Wehrmacht nach 1945 jahrzehntelang von den deutschen Kriegsverbrechen im Osten ausgeklammert. In der Öffentlichkeit herrschte das Bild der »sauberen« Wehrmacht vor : Die Armee sei am Vernichtungskrieg im Osten (weitgehend) unbeteiligt gewesen, einfache Soldaten hätten nur ihre militärische Pflicht erfüllt und seien im Krieg anständig geblieben. Für die an Millionen von sowjetischen Kriegsgefangenen, Juden oder Zivilisten verübten Gräueltaten seien andere verantwortlich gewesen, vor allem die Einsatzgruppen und die WaffenSS.645 Nahrung erhielt dieses Geschichtsbild zuvorderst aus den Urteilen des Internationalen Militärtribunals in Nürnberg. Hier waren am 30. September 1946 der Generalstab und das Oberkommando der Wehrmacht – anders als das Führerkorps der NSDAP, die Gestapo, der SD und die SS – von der Anklage, eine verbrecherische Organisation zu sein, freigesprochen worden. Dass es sich hierbei gewissermaßen nur um einen eingeschränkten Freispruch handelte, geht aus der Urteilsverlesung hervor. Dort heißt es: »Sie sind in großem Maße verantwortlich für die Leiden und Nöte, die über Millionen Männer, Frauen und Kinder gekommen sind. Sie sind ein Schandfleck für das ehrenhafte Waffenhandwerk geworden. Ohne ihre militärische Führung wären die Angriffsgelüste Hitlers und seiner Nazi-Kumpane akademisch und ohne Folgen geblieben. Wenn diese Offiziere auch nicht eine Gruppe nach dem Wortlaut des Statuts bildeten, so waren sie doch sicher eine rücksichtslose militärische Kaste. […] Viele dieser Männer haben mit dem Soldateneid des Gehorsams gegenüber militärischen Befehlen ihren Spott getrieben. Wenn es ihrer Verteidigung zweckdienlich war, so sagen sie, sie hätten gehorchen müssen; hält man ihnen Hitlers brutale Verbrechen vor, deren allgemeine Kenntnis ihnen nachgewiesen wurde, so sagen sie, sie hätten den Gehorsam verweigert. Die Wahrheit ist, daß sie an all diesen Verbrechen rege teilgenommen haben oder in schweigender Zustimmung verharrten, wenn vor ihren Augen größer 644 Vgl. Felix Römer: »Im alten Deutschland wäre solcher Befehl nicht möglich gewesen«. Rezeption, Adaption und Umsetzung des Kriegsgerichtsbarkeitserlasses im Ostheer 1941/ 42. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 56, 2008, H. 1, S. 53–99. 645 Vgl. Peter Steinbach: Zur Mythologie der Nachkriegszeit. Die NS-Wehrmacht als »Zelle des Widerstands« und als Fluchtpunkt der »inneren Immigration«. In: Michael Th. Greven/ Oliver von Wrochem (Hrsg.): Der Krieg in der Nachkriegszeit. Der Zweite Weltkrieg in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik. Opladen 2000, S. 39–50.

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angelegte und empörende Verbrechen begangen wurden, als die Welt je zu sehen das Unglück hatte.«646

Meinungsbildend wirkten auch die nach Kriegsende abgegebenen pauschalen Ehrenerklärungen der Politprominenz647 sowie die zahlreich erschienenen und mit ausgeprägten apologetischen Tendenzen durchzogenen Memoiren ehemaliger hochrangiger Offiziere.648 Dem entsprach auch die populäre Darstellung im Medium »Film«649 und in der weitverbreiteten Roman- und Heftchenliteratur (Konsalik650, Landser651). 646 Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg 14. November 1945–1. Oktober 1946. Bd. 22: Verhandlungsniederschriften 27. August 1946–1. Oktober 1946. Nürnberg 1948, S. 595. 647 Konrad Adenauer äußerte sich beispielsweise am 5. April 1951 im Bundestag wie folgt: »Die Kriegsverbrecher, diejenigen, die wider die Gesetze der Menschlichkeit oder gegen die Regeln der Kriegsführung verstoßen haben, verdienen nicht unser Mitleid und unsere Gnade. […] Aber der Prozentsatz derjenigen, die wirklich schuldig geworden sind, ist so außerordentlich gering und so außerordentlich klein, […] daß […] damit der Ehre der früheren Wehrmacht kein Abbruch geschieht.« (Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte (Plenarprotokolle). 1. Wahlperiode. 130. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. 4. 1951, S. 4984). Dass es sich bei dieser Ehrenerklärung um eine Äußerung wider besseren Wissens handelte, beweist ein Brief des Bundeskanzlers an einen katholischen Geistlichen aus dem Jahr 1946, in dem es heißt: »Im übrigen hat man aber auch gewußt – wenn man auch die Vorgänge in den Lagern nicht in ihrem ganzen Ausmaße gekannt hat –, daß die persönliche Freiheit, alle Rechtsgrundsätze, mit Füßen getreten wurden, daß in den Konzentrationslagern große Grausamkeiten verübt wurden, daß die Gestapo, unsere SS und zum Teil auch unsere Truppen in Polen und Rußland mit beispiellosen Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung vorgingen. […] Man kann also wirklich nicht behaupten, daß die Öffentlichkeit nicht gewußt habe, daß die nationalsozialistische Regierung und Heeresleitung ständig aus dem Grundsatz gegen das Naturrecht, gegen die Haager Konvention und gegen die einfachsten Gebote der Menschlichkeit verstießen.« (Konrad Adenauer: Brief an den Bonner Pfarrer Bernhard Custodis (23. Februar 1946). In: Rudolf Morsey/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.): Adenauer Rhöndorfer Ausgabe. Bd. 1: Briefe 1945–1947. Bearbeitet von Hans-Peter Mensing. Berlin 1983, S. 172–173, hier S. 172). 648 Vgl. Friedrich Gerstenberger : Strategische Erinnerungen. Die Memoiren deutscher Offiziere. In: Hannes Heer/Klaus Naumann (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944. Hamburg 1995, S. 620–629; Oliver von Wrochem: Die Stunde der Memoiren. Militärische Eliten als Stichwortgeber. In: Frank Bösch/Constantin Goschler (Hrsg.): Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft. Frankfurt am Main 2009, S. 105–129. 649 Vgl. Bernd Hey : Zwischen Vergangenheitsbewältigung und heiler Welt. Nachkriegsdeutsche Befindlichkeiten im Spielfilm. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 52, 2001, H. 4, S. 229–237; Alexander Pollak: Was vom Zweiten Weltkrieg übrig blieb. »Stalingrad« und Wehrmachtsmythos im Fernsehdokumentarfilm. In: Hannes Heer u. a. (Hrsg.): Wie Geschichte gemacht wird. Zur Konstruktion von Erinnerungen an Wehrmacht und Zweiter Weltkrieg. Wien 2003, S. 192–224; Sylvia Schraut: Das Bild des Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsfilm. In: Christoph Cornelißen/Roman Holec/Jirˇ& Pesˇek (Hrsg.): Diktatur – Krieg – Vertreibung. Erinnerungskulturen in Tschechien, der Slowakei und Deutschland seit 1945. Essen 2005 (Veröffentlichungen der Deutsch-Tschechischen und

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In der historischen Forschung fanden die Wehrmachtsverbrechen auf den östlichen Kriegsschauplätzen lange Zeit kaum Beachtung. Seit Mitte der 1960er Jahre entstanden jedoch mit den Arbeiten von Andreas Hillgruber652, HansAdolf Jacobsen653, Manfred Messerschmidt654, Klaus-Jürgen Müller655 und Helmut Krausnick656 wichtige Studien, welche die Mitverantwortung der Wehrmacht, nicht nur der militärischen Führungsriege, für die Ermordung der Politkommissare und Soldaten der Roten Armee wie auch für die Tötungen von als »Untermenschen« angesehenen Slawen mit aller Deutlichkeit benannten. Die von zahlreichen Truppenteilen verübten Massaker an der sowjetischen Zivilbevölkerung im Zuge der Partisanenbekämpfung waren außerdem bereits in der 1958 in deutscher Übersetzung erschienenen Untersuchung des US-amerikanischen Historikers Alexander Dallin über die »Deutsche Herrschaft in Russland 1941–1945« ausführlich nachzulesen.657 Im Hinblick auf das exorbitante Massensterben unter den sowjetischen Kriegsgefangenen wirkte insbesondere die 1978 von Christian Streit publizierte Dissertation bahnbrechend.658 Streit wies auf der Basis von Armeeakten nach, dass mindestens 3,3 von insgesamt 5,7 Millionen in Wehrmachtsgewahrsam geratene sowjetische Rotarmisten den Tod fanden.659

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Deutsch-Slowakischen Historikerkommission, Bd. 13), S. 309–327; Frank Stern: Gegenerinnerungen seit 1945. Filmbilder, die Millionen sahen. In: Michael Th. Greven/Oliver von Wrochem (Hrsg.): Der Krieg in der Nachkriegszeit. Der Zweite Weltkrieg in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik. Opladen 2000, S. 79–91. Vgl. Matthias Harder : Erfahrung im Krieg. Zur Darstellung des Zweiten Weltkrieges in den Romanen von Heinz G. Konsalik. Mit einer Bibliographie der deutschsprachigen Veröffentlichungen des Autors von 1943–1996. Würzburg 1999. Vgl. Reiner App/Bernd Lemke: Der Weltkrieg im Groschenheft-Format. Über den LektüreReiz der »Landser«-Romane und ihre Verherrlichung des Zweiten Weltkrieges. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 56, 2005, H. 11, S. 636–641. Vgl. Andreas Hillgruber : Hitlers Strategie. Politik und Kriegsführung 1940–1941. Frankfurt am Main 1965. Vgl. Hans-Adolf Jacobsen: Kommissarbefehl und Massenexekutionen sowjetischer Kriegsgefangener. In: Hans Buchheim u. a.: Anatomie des SS-Staates. Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte. Bd. 2. Olten/Freiburg im Breisgau 1965, S. 161–279. Vgl. Manfred Messerschmidt: Die Wehrmacht im NS-Staat. Zeit der Indoktrination. Hamburg 1969 (Truppe und Verwaltung, Bd. 16). Vgl. Klaus-Jürgen Müller : Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1933–1940. Stuttgart 1969 (Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte, Bd. 10). Vgl. Helmut Krausnick: Kommissarbefehl und »Gerichtsbarkeitserlaß Barbarossa« in neuer Sicht. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 25, 1977, H. 4, S. 682–738. Vgl. Alexander Dallin: Deutsche Herrschaft in Russland 1941–1945. Eine Studie über Besatzungspolitik. Düsseldorf 1958. Vgl. Christian Streit: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941–1945. Stuttgart 1978 (Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 13). Die Forschungsergebnisse Streits wurden im Wesentlichen durch eine Studie Alfred Streims bestätigt, der 1981 auf der Basis von Prozessakten der Nachkriegszeit (und mit einer gewissen Tendenz zur Entlastung des Heeres) zu dem Ergebnis kam, dass mindestens

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Aus dem Kontext der Judenvernichtung blieb die Wehrmacht dagegen bis in die 1990er Jahre weitgehend ausgeklammert.660 Die in Raul Hilbergs Monumentalwerk zur Geschichte des Judenmords aufbereiteten Ergebnisse zur Rolle der Wehrmacht wurden von der Forschung nicht wahrgenommen. Der Nestor der Holocaust-Forschung hatte bereits 1982 (in deutscher Sprache) konstatiert, dass die Wehrmacht »immer wieder bedenkenlos bereit war, Juden an die Einsatzgruppen auszuhändigen, diese um ein Einschreiten gegen Juden zu ersuchen, sich an den Tötungsaktionen selbst zu beteiligen und als ›Vergeltung‹ für Angriffe auf Besatzungskräfte jüdische Geiseln zu erschießen«661. Den extensiven Analysen von Helmut Krausnick aus dem Jahr 1981 über die enge Zusammenarbeit zwischen der Wehrmacht und den SS-Einsatzgruppen blieb ebenfalls eine breite Rezeption versagt. Krausnick bilanzierte, es sei »zu einer weitgehenden, in ihrem Ausmaß erschreckenden Integration des Heeres in das Vernichtungsprogramm und die Vernichtungspolitik Hitlers gekommen«662. Noch 1994 prangerte daher Omer Bartov »das fast völlige Fehlen jeder Erörterung des Holocaust«663 im Bereich der deutschen Wehrmachtsforschung an.

Die Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« Öffentliche Virulenz erhielt das Thema erst durch die vom Hamburger Institut für Sozialforschung erarbeitete Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die noch immer weitverbreitete Legende vom sauberen Kampf der Wehrmacht und deren an-

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2,53 Millionen sowjetische Gefangene unter Aufsicht der Wehrmacht umgekommen sein müssen. Vgl. Alfred Streim: Die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener im »Fall Barbarossa«. Eine Dokumentation unter Berücksichtigung der Unterlagen deutscher Strafvollzugsbehörden und der Materialien der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen. Heidelberg/Karlsruhe 1981. Vgl. als erste fundierte Arbeiten zur aktiven Beteiligung der Wehrmacht am Völkermord an den Juden Rolf-Dieter Müller: Hitlers Ostkrieg und die deutsche Siedlungspolitik. Die Zusammenarbeit von Wehrmacht, Wirtschaft und SS. Frankfurt am Main 1991; HansHeinrich Wilhelm: Rassenpolitik und Kriegsführung. Sicherheitspolizei und Wehrmacht in Polen und in der Sowjetunion 1939–1942. Passau 1991; Walter Manoschek: »Serbien ist judenfrei«. Militärische Besatzungspolitik und Judenvernichtung in Serbien 1941/42. München 1993 (Beiträge zur Militärgeschichte, Bd. 38). Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. Die Gesamtgeschichte des Holocaust. Berlin 1982, S. 216. Helmut Krausnick: Die Einsatzgruppen vom Anschluß Österreichs bis zum Feldzug gegen die Sowjetunion. Entwicklung und Verhältnis zur Wehrmacht. In: Ders./Hans-Heinrich Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD 1938–1942. Stuttgart 1981 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 22), S. 11–278, hier S. 278. Omer Bartov : Wem gehört die Geschichte? Wehrmacht und Geschichtswissenschaft. In: Mittelweg 36 – Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung 3, 1994, H. 5, S. 5– 21, hier S. 15f.

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geblich »weißer Weste« im Gegensatz zur SS zu widerlegen. Im Einleitungstext des Ausstellungskataloges hieß es: »1945, kaum daß Nazi-Deutschland besiegt war, begannen die ehemaligen Generäle mit der Fabrikation einer Legende – der Legende von der ›sauberen Wehrmacht‹. Die Truppe, so hieß es, habe Distanz zu Hitler und dem NS-Regime gehalten, habe mit Anstand und Würde ihre soldatische Pflicht erfüllt und sei über die Greueltaten von Himmlers Einsatztruppen allenfalls nachträglich informiert worden. Diese Behauptung, die Millionen ehemaliger deutscher und österreichischer Soldaten freisprach, bestimmt bis heute die öffentliche Meinung. 1995, fünfzig Jahre später, ist es an der Zeit, sich von dieser Lüge endgültig zu verabschieden und die Realität eines großen Verbrechens zu akzeptieren: Die Wehrmacht führte 1941 bis 1944 auf dem Balkan und in der Sowjetunion keinen ›normalen Krieg‹, sondern einen Vernichtungskrieg gegen Juden, Kriegsgefangene und Zivilbevölkerung, dem Millionen zum Opfer fielen. Die deutsche Militärgeschichtsschreibung hat zwar viel zur Aufklärung dieses Tatbestandes beigetragen, sie weigert sich aber einzugestehen, daß die Wehrmacht an allen diesen Verbrechen aktiv und als Gesamtorganisation beteiligt war. Die Ausstellung will genau diesen Beweis führen. Sie wählt dazu drei Beispiele: den Partisanenkrieg in Serbien, die 6. Armee auf dem Weg nach Stalingrad, die dreijährige Besatzung Weißrußlands. Und sie demonstriert die Schwierigkeit dieser Beweisführung: Von Beginn an versuchte die Wehrmacht, die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen und die Erinnerung daran zu beseitigen. Was an Legendenbildung in der Nachkriegszeit entstand, war nur die Fortsetzung dieser Politik. Die Ausstellung will kein verspätetes und pauschales Urteil über eine ganze Generation ehemaliger Soldaten fällen. Sie will eine Debatte eröffnen über das – neben Auschwitz – barbarischste Kapitel der deutschen und österreichischen Geschichte, den Vernichtungskrieg der Wehrmacht von 1941 bis 1944.«664

Die Wanderausstellung, die einen gewaltigen Popularitätsschub durch die Goldhagen-Debatte gewann, erregte ungeahntes öffentliches Interesse. Sie wurde von 1995 bis 1999 in 34 Städten der Bundesrepublik und Österreichs gezeigt und erreichte ein Besucherpublikum von annähernd 900.000 Interessierten.665 Mit einiger Verzögerung, insbesondere infolge der massiven Proteste Anfang 1997 in München, als Konservative und Rechtsextreme gegen die Eröffnung im Rathaus mobil gemacht hatten, sahen sich die Ausstellungsmache664 Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944. Ausstellungskatalog. Hamburg 1996, S. 7. 665 Vgl. Bernd Greiner : Bruch-Stücke. Sechs westdeutsche Beobachtungen nebst unfertigen Deutungen. In: Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.): Eine Ausstellung und ihre Folgen. Zur Rezeption der Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«. Hamburg 1999, S. 15–86, hier S. 16: »Niemals zuvor hat die westdeutsche Öffentlichkeit derart engagiert und andauernd über ihre Vergangenheit gestritten. Historiker und Künstler, Journalisten und Pfarrer, Juristen und Fotografen, Lehrer, Hausfrauen, Rentner, Schüler : Keine Berufsgruppe, keine Altersgruppe, die sich nicht eingemischt hätte.«

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rinnen und -macher dem Vorwurf ausgesetzt, alle Soldaten der Wehrmacht diffamieren zu wollen. Vor allem von Seiten der Generation der Kriegsteilnehmer wurden ihnen u. a. Einseitigkeiten und Verzerrungen in der Darstellung, vermeintliche Pauschalverurteilungen, die Verunglimpfung des Andenkens an verstorbene Soldaten und die Verkürzung des Bildes der Armee auf deren Verbrechen unterstellt.666 Von einer pauschalen Ablehnung der Ausstellung durch alle Bevölkerungsgruppen hindurch konnte indessen keine Rede sein: Die Diskussionen offenbarten vielmehr eine tiefe Kluft zwischen Jung und Alt. Während die Angehörigen der Kriegsgeneration sich mehrheitlich der Anerkennung der Fakten widersetzten, indem sie die Verbrechen leugneten bzw. zu relativieren versuchten, nahm die dritte Generation der Enkel die Ausstellung größtenteils positiv auf. Die mittlere Generation der 40- bis 60-jährigen saß anscheinend zwischen den Stühlen.667 Hielten sich so anfangs Zustimmung und Kritik noch die Waage, erreichten die öffentlichen Angriffe einen Höhepunkt, nachdem bekannt geworden war, dass einige der insgesamt 1433 in der Ausstellung präsentierten Fotografien nicht Verbrechen der Wehrmacht, sondern des sowjetischen Geheimdienstes zeigten.668

666 Vgl. Johannes Klotz: Die Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944«. Zwischen Geschichtswissenschaft und Geschichtspolitik. In: Detlef Bald/ Ders./Wolfram Wette (Hrsg.): Mythos Wehrmacht. Nachkriegsdebatten und Traditionspflege. Berlin 2001, S. 116–176 sowie Brigitta Nedelmann: Die Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« und die Konstruktion öffentlicher Diskurse. In: Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.): Eine Ausstellung und ihre Folgen. Zur Rezeption der Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«. Hamburg 1999, S. 230–261. 667 Vgl. Michael Jeismann: Einführung in die neue Weltbrutalität. Zweimal »Verbrechen der Wehrmacht«: Von der alten zur neuen Bundesrepublik. In: Martin Sabrow/Ralph Jessen/ Klaus Große Kracht (Hrsg.): Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945. München 2003, S. 229–239. 668 Vgl. Klaus Hesse: NKWD-Massaker, Wehrmachtsverbrechen oder Pogrommorde? Noch einmal: die Fotos der »Tarnopol-Stellwand« aus der »Wehrmachtsausstellung«. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51, 2000, H. 10, S. 712–726; Bogdan Musial: Bilder einer Ausstellung. Kritische Anmerkungen zur Wanderausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 47, 1999, H. 4, S. 563–591; Dieter Schmidt-Neuhaus: Die Tarnopol-Stellwand der Wanderausstellung »Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«. Eine Falluntersuchung zur Verwendung von Bildquellen. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 50, 1999, H. 10, S. 596–603; Kriszti#n Ungv#ry : Echte Bilder – problematische Aussagen. Eine quantitative und qualitative Fotoanalyse der Ausstellung »Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 50, 1999, H. 10, S. 584–595.

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Zweite »Wehrmachtsausstellung« und Intensivierung der Forschung Unter dem Eindruck der anhaltenden Kritiken führte dies im November 1999 zum Moratorium der Ausstellung. Das HIS beauftragte daraufhin eine unabhängige Historikerkommission zur Überprüfung der Ausstellung. Diese kam Ende 2000 zu dem Ergebnis, dass die kritische Auseinandersetzung mit der Ausstellung aufgrund von einigen Ungenauigkeiten und Flüchtigkeiten bei der Verwendung des Ausstellungsmaterials, sachlichen Fehlern im Detail sowie der Kritikresistenz der Ausstellungsmacherinnen und -macher gegenüber begründeten Einwänden durchaus berechtigt gewesen sei. Der Bericht der Gutachterkommission betonte aber auch, dass »die Grundaussagen der Ausstellung über die Wehrmacht und den im ›Osten‹ geführten Vernichtungskrieg der Sache nach richtig«669 seien. Es sei »unbestreitbar, dass sich die Wehrmacht in der Sowjetunion in den an den Juden verübten Völkermord, in die Verbrechen an den sowjetischen Kriegsgefangenen und in den Kampf gegen die Zivilbevölkerung nicht nur ›verstrickte‹, sondern dass sie an diesen Verbrechen teils führend, teils unterstützend beteiligt war. Dabei handelte es sich nicht um vereinzelte ›Übergriffe‹ oder ›Exzesse‹, sondern um Handlungen, die auf Entscheidungen der obersten militärischen Führung und der Truppenführer an der Front und hinter der Front beruhten.«670 Die Schilderungen im Kommissionsbericht, der bereits wenige Wochen nach seiner Vorstellung eine bemerkenswerte Resonanz erfuhr, korrespondierten dabei weitgehend mit den Ergebnissen von Peter Longerich, der – als erster deutscher Historiker seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges überhaupt – im Jahr 1998 als Habilitationsschrift eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung unter dem Titel »Politik der Vernichtung« vorlegt hatte. Über die aktive und tragende Rolle der Wehrmacht bei der Vernichtung der jüdischen Bevölkerungsgruppe in der Sowjetunion schreibt Longerich: »Zahlreiche Aufrufe von hohen Wehrmachtsbefehlshabern verdeutlichen, daß innerhalb der Truppe der ideologische Vernichtungskrieg gegen den ›jüdisch-bolschewistischen Komplex‹ mit der gleichen Schärfe propagiert wurde, wie in den von der Führung zu Kriegsbeginn ausgegebenen Richtlinien und Befehlen. […] Inwieweit wirkten sich nun solche Richtlinien auf das Verhalten der Truppe aus? Zum einen gab es […] eine breite Kooperation zwischen Wehrmacht sowie Polizei und SS. Die Wehrmacht war nicht nur […] umfassend über Erschießungsaktionen der SS- und Polizeiverbände informiert. Darüber hinaus unterstützten Wehrmachtseinheiten Massenerschießungen von SS- und Polizeieinheiten auf verschiedenste Weise, wie etwa durch Bereitstellung von Fahrzeugen und Munition; Angehörige der Wehrmacht nahmen auch immer wieder direkt an solchen ›Aktionen‹ teil, sei es bei den Absper669 Omer Bartov u. a.: Bericht der Kommission zur Überprüfung der Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«. November 2000, S. 91. 670 Ebd., S. 91f.

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rungen oder in den Erschießungspeletons selbst. Dabei hatten die Truppenführer offensichtlich des öfteren durchaus Mühe, die Teilnahme von Soldaten an solchen Exekutionen in ›ordnungsgemäßen‹ Bahnen zu halten. Die Tatsache, daß wiederholt die freiwillige Teilnahme von Soldaten an Erschießungen verboten wurde, ist ein Hinweis darauf, daß es sich bei solchen spontanen Meldungen nicht um Einzelfälle gehandelt haben kann. Ebenso lassen sich die zahlreichen Befehle bewerten, die in den ersten Monaten des Rußlandfeldzuges von verschiedenen Wehrmachtsverbänden gegen die Teilnahme von Soldaten an Pogromen, Plünderungen, willkürlichen Erschießungen und sonstigen Übergriffen gegen die jüdische Zivilbevölkerung erlassen wurden. […] Die Rolle der Wehrmacht bei der Vernichtung der jüdischen Zivilbevölkerung erschöpfte sich jedoch nicht nur in solchen Exzessen oder punktuellen Unterstützungen bei Exekutionen von SS oder Polizei. Tatsächlich kooperierten Dienststellen und Einheiten der Wehrmacht, insbesondere Abwehr, Sicherungsdivisionen, Geheime Feldpolizei, Feldgendarmerie sowie Orts- und Feldkommandanturen so eng mit SS und Polizei, daß man hier von einer systematischen, arbeitsteiligen Zusammenarbeit sprechen kann. […] Großverbände des Ostheeres waren im Rahmen weiträumiger Operationen in einem noch umfassenderen Sinne unmittelbar an dem Massenmord an der jüdischen Zivilbevölkerung beteiligt. […] Die Wehrmacht durchkämmte das ›flache Land‹ und ›säuberte‹ es von Juden und Zigeunern, daß heißt sie liquidierte die angetroffenen Personen oder überstellte sie in Gettos. Größere ›Aktionen‹ waren nicht Angelegenheit der Division, sondern der Polizei; solche größeren Aktionen konnten aber auch durch die Division durchgeführt werden, wenn ihr hierfür besondere Einheiten zur Verfügung standen oder wenn sich hierfür besondere militärische Vorwände finden ließen, nämlich ›Sicherheitsgründe‹ oder ›Kollektivmaßnahmen‹.«671

Die nach Aufhebung des Moratoriums vom 27. November 2001 bis zum 31. März 2004 wieder der Öffentlichkeit zugängliche Wanderausstellung unter dem Titel »Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944« stellte die kritikwürdigen Zusammenhänge in völlig überarbeiteter Form neu dar.672 So wurde beispielsweise die Zahl der ausgestellten Bilder auf weniger als die Hälfte reduziert. Aus einer Foto- war eine Dokumentenschau geworden; sowohl quantitativ als auch visuell dominierten jetzt die Schriftquellen.673 Die zweite Ausstellung mit veränderter Präsentationsweise bei unveränderter Grundthese erregte jetzt kaum mehr öffentlichen Widerspruch. Sie galt gemeinhin als »Konsensausstellung«. Die These von der Wehrmacht, die

671 Peter Longerich: Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung. München 1998, S. 405–409. 672 Vgl. Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.): Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944. Ausstellungskatalog. Hamburg 2002. 673 Vgl. für eine systematische und fundierte Kritik an der Neufassung der Ausstellung Klaus Hesse: »Verbrechen der Wehrmacht – Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944«. Anmerkungen zur Neufassung der »Wehrmachtsausstellung«. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 53, 2002, H. 10, S. 594–611.

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häufig aktiv an nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt gewesen war, hatte sich offenbar durchgesetzt.674 Heutzutage hat dieser historische Tatbestand – gewiss auch aufgrund des unaufhaltsamen Ablebens der Erlebnisgeneration – für die kollektive Erinnerung weitgehend seine Anstößigkeit verloren. Innerhalb der Forschung zum Nationalsozialismus und Holocaust nimmt die Thematik mittlerweile einen zentralen Platz ein. In den letzten fünfzehn Jahren ist eine Vielzahl von einschlägigen Arbeiten entstanden, die die Forschung auch in der Breite konsolidiert haben. Die Ergebnisse haben die in der zweiten »Wehrmachtsausstellung« präsentierten Zusammenhänge nicht nur nachdrücklich bestätigt, sondern noch einmal das Ausmaß der Verbrechen von Wehrmachtssoldaten in neuen, deutlich über das in der Ausstellung Gezeigte hinausgehenden Dimensionen geschildert.675 674 Vgl. Hans-Ulrich Thamer : Vom Tabubruch zur Historisierung? Die Auseinandersetzung um die »Wehrmachtsausstellung«. In: Martin Sabrow/Ralph Jessen/Klaus Große Kracht (Hrsg.): Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945. München 2003, S. 171–186, hier S. 180. Vgl. auch Ulrike Jureit: Generationsprojekte? Die beiden Ausstellungen über die Verbrechen der Wehrmacht. In: Olaf Hartung (Hrsg.): Museum und Geschichtskultur. Ästhetik – Politik – Wissenschaft. Bielefeld 2006 (Sonderveröffentlichungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Bd. 52), S. 160–171. 675 Vgl. neben den bereits im Abschnitt »Verbrechen der Wehrmacht« genannten Untersuchungen u. a. Klaus Jochen Arnold: Die Wehrmacht und die Besatzungspolitik in den besetzten Gebieten der Sowjetunion. Kriegsführung und Radikalisierung im »Unternehmen Barbarossa«. Berlin 2005 (Zeitgeschichtliche Forschungen, Bd. 23); Christoph Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik in Litauen 1941–1944. 2 Bde. Göttingen 2011; Alexander Haritonow/Klaus-Dieter Müller : Die Gesamtzahl sowjetischer Kriegsgefangener – eine weiterhin ungelöste Frage. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 58, 2010, H. 3, S. 393–401; Christian Hartmann: Massensterben oder Massenvernichtung? Sowjetische Kriegsgefangene im »Unternehmen Barbarossa«. Aus dem Tagebuch eines deutschen Lagerkommandanten. In: Vierteljahshefte für Zeitgeschichte 49, 2001, H. 1, S. 97–158; Jörn Hasenclever: Wehrmacht und Besatzungspolitik in der Sowjetunion. Die Befehlshaber der rückwärtigen Heeresgebiete 1941–1943. Paderborn 2010 (Krieg in der Geschichte, Bd. 48); Johannes Hürter : Hitlers Heerführer. Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42. München 2006 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 66); Johannes Ibel (Hrsg.): Einvernehmliche Zusammenarbeit? Wehrmacht, Gestapo, SS und sowjetische Kriegsgefangene. Berlin 2008; Peter Kalmbach: Wehrmachtsjustiz. Berlin 2012; Thomas Kühne: Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert. Göttingen 2006 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 173); Bogdan Musial: Sowjetische Partisanen 1941–1944. Mythos und Wirklichkeit. Paderborn 2009; Sönke Neitzel: Abgehört. Deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft 1942–1945. Berlin 2005; Sönke Neitzel/Harald Welzer : Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben. Frankfurt am Main 2011; Manfred Oldenburg: Ideologie und militärisches Kalkül. Die Besatzungspolitik der Wehrmacht in der Sowjetunion 1942. Köln 2004; Reinhard Otto/Rolf Keller/Jens Nagel: Sowjetische Kriegsgefangene in deutschem Gewahrsam 1941–1945. Zahlen und Dimensionen. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 56, 2008, H. 4, S. 557–602; Babette Quinkert: Propaganda und Terror in Weißrussland 1941–1944. Die deutsche »geistige« Kriegsführung gegen Zivilbe-

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Eine besondere Erwähnung müssen in diesem Zusammenhang die großen Studien von Dieter Pohl676 und Christian Hartmann677 finden. Pohl, der auf breiter empirischer Grundlage u. a. schildert, wie Wehrmachtssoldaten sich in zahlreichen Fällen direkt an den Tötungen von Juden beteiligten, wie Militäreinheiten in großer Zahl eigenständig Erschießungen von »Partisanenverdächtigen« vornahmen und wie systematisch die Wehrmacht eine Politik der schlechten Behandlung und der Aushungerung gegenüber den kriegsgefangenen Rotarmisten betrieb, resümiert: »Die Wehrmacht des Jahres 1941 war die Armee der Diktatur Adolf Hitlers. Sie überfiel in Osteuropa Land um Land, um dort die Hegemonie Deutschlands zu erringen und damit den Nationalsozialismus zu exportieren. Die größte Kraftanstrengung erforderte dabei der Krieg gegen die Sowjetunion, den die Wehrmacht 1941 nicht gewinnen konnte und an dem sie schließlich gescheitert ist. So kam es zwar nicht zur Errichtung einer dauerhaften nationalsozialistischen Hoheit, dafür jedoch zur Etablierung einer Herrschaft des Militärs in weiten Teilen der besetzten sowjetischen Gebiete. Zwischen Juni 1941 und Oktober 1943, mit Abstrichen bis Juni 1944, entfaltete sich die brutalste militärische Besatzungsherrschaft, die die Geschichte bis dahin gekannt hatte, selbst wenn man als Vergleichsgegenstand das Vorgehen der japanischen Armee in China ab 1937 berücksichtigt. Mindestens zwei Millionen Menschen starben dort während dieser vergleichsweise kurzen Zeitspanne unter Hoheit des deutschen Militärs: Kriegsgefangene, Juden und andere Zivilisten. Dafür war die Wehrmacht nicht allein verantwortlich, doch hatte sie einen erheblichen Anteil daran.«678

Im Mittelpunkt der Studie von Hartmann stehen fünf Wehrmachtsverbände: eine Panzerdivision, zwei Infanteriedivisionen, eine Sicherungsdivision und ein »Korück«, ein frontnaher Besatzungsverband. Alle fünf Einheiten haben im ersten Jahr des deutsch-sowjetischen Krieges – in eigener Regie oder in enger Zusammenarbeit mit dem SS- und Polizeiapparat – viele Verbrechen zu verantworten. Die Fallstudie macht dabei deutlich, dass es gerade der Einsatz im frontfernen Hinterland und weniger der an den Hauptkampflinien war, der die völkerung und Partisanen. Paderborn 2009 (Krieg in der Geschichte, Bd. 45); Christoph Rass: »Menschenmaterial«. Deutsche Soldaten an der Ostfront. Innenansichten einer Infanteriedivision 1939–1945. Paderborn 2003 (Krieg in der Geschichte, Bd. 17); Felix Römer: Kameraden. Die Wehrmacht von innen. München 2012; Harald Welzer/Sönke Neitzel/ Christian Gudehus (Hrsg.): »Der Führer war wieder viel zu human, viel zu gefühlvoll«. Der Zweite Weltkrieg aus der Sicht deutscher und italienischer Soldaten. Frankfurt am Main 2011. 676 Vgl. Dieter Pohl: Die Herrschaft der Wehrmacht. Deutsche Militärbesatzung und einheimische Bevölkerung in der Sowjetunion 1941–1944. München 2008 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 71). 677 Vgl. Christian Hartmann: Wehrmacht im Ostkrieg. Front und militärisches Hinterland 1941/42. München 2009 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 75). 678 Pohl: Die Herrschaft der Wehrmacht, S. 337.

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Beteiligung von Soldaten an Verbrechen »begünstigte«.679 Sowohl der Anteil als auch die Verantwortung von Wehrmachtseinheiten an Verbrechen haben daher sehr unterschiedlich ausfallen können. »Trotzdem«, so bilanziert Hartmann, »den Mythos von der ›sauberen‹ Wehrmacht braucht niemand mehr zu entlarven«680. Die Schuld der Wehrmacht sei »so erdrückend, dass sich darüber jede Diskussion erübrigt«681. 2.2.8. Holocaust-Mahnmal und neuer Opferdiskurs Mit dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin, das am 10. Mai 2005 feierlich unweit des Brandenburger Tores und des Reichstagsgebäudes eingeweiht wurde, ist nach über einem Jahrzehnt andauernden und bisweilen mit äußerster Härte geführten Diskussionen ein zentraler Ort gegen das Vergessen, der Schuld- und Schambekenntnis sowie der Respekterweisung gegenüber den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus realisiert worden. Neben der Monumentalität des Denkmals und der damit verbundenen Kosten waren es vor allem drei Streitpunkte, die Befürworterinnen und Befürworter bzw. Gegnerinnen und Gegner in der Debatte beschäftigten. Diskutiert wurde erstens, ob der Holocaust überhaupt künstlerisch darstellbar sei. Debattiert wurde zweitens, ob nicht besser die authentischen Tatorte, d. h. die ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager respektive die heutigen Gedenkstätten, die eigentlichen Orte der Erinnerung sein sollten. Gestritten wurde drittens, ob es nicht einer Hierarchisierung der Opfer gleichkäme, ein spezielles Denkmal zur Erinnerung an die ermordeten Juden zu errichten, das andere Opfergruppen (Sinti und Roma, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Behinderte und Kranke etc.) ausschließt.682 679 Vgl. Hartmann: Wehrmacht im Ostkrieg, S. 791: »Die Liste der Tatbestände ist lang: Vernachlässigung der Fürsorgepflicht gegenüber der Zivilbevölkerung, systematische Unterversorgung der Kriegsgefangenen, Misshandlungen, Plünderung, Ausbeutung, Repressalien, flächendeckende Verwüstung und immer wieder Morde, Morde, Morde. Dabei entlastet es nicht gerade die Täter, wenn diese Verbrechen nur selten im Chaos der Schlacht verübt wurden, die geprägt war von Dynamik, Unberechenbarkeit und Interaktion. Vielmehr kamen die meisten Kriegsgefangenen, Zivilisten oder sowjetischen Funktionäre gerade nicht im Kampf ums Leben, und auch die übrigen Vergehen ereigneten sich meist erst dann, wenn die eigentlichen Kämpfe schon längst abgeflaut waren.« 680 Ebd., S. 790. 681 Ebd. 682 Vgl. zur Mahnmals-Debatte, an der sich Politikerinnen und Politiker, Journalistinnen und Journalisten, Historikerinnen und Historiker, Vertreterinnen und Vertreter aus Bürgerinitiativen und nicht zuletzt Überlebende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft beteiligten, Miriam Haardt: Zwischen Schandmal und nationaler Sinnstiftung. Die Debatte um das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Bremen 2001 (Volkskunde & historische Anthropologie, Bd. 4); Ute Heimrod/Günter Schlusche/Horst Seferens (Hrsg.): Der Denkmalstreit

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Die Errichtung des »Holocaust-Mahnmals«, ergänzt durch einen »Ort der Information«, stellt nachdrücklich unter Beweis, dass die Erinnerung an die NSVerbrechen und ihre Opfer einen bleibenden Platz im Selbstverständnis des Landes einnehmen soll. Es stellt gewissermaßen das Endprodukt eines – zumindest auf der Ebene der öffentlichen Symbolik – erfolgreich abgeschlossenen Umdenkungsprozesses dar. Kurz: Es ist ein Denkmal »mit nationalrepräsentativem Geltungsanspruch«683. Gewiss kann Trauer nicht nachgeholt werden, da sie die emotionale Bindung der heute lebenden Deutschen an die ermordeten Juden voraussetzt.684 Aber die von einigen Kritikerinnen und Kritikern immer wieder vorgebrachte Vermutung, dass das »Holocaust-Mahnmal« eine verlogene Geste, gar eine Anbiederung an die Shoah-Überlebenden sei, mit der sich die Deutschen im Nachhinein quasi selbst entsühnen, hält der Realität nicht stand. »Die Akzeptanz des Mahnmals bei der Bevölkerung und bei den Besuchern widerlegt«, so Franziska Conrad, »die Befürchtungen derjenigen, die annahmen, das Mahnmal bereite den ›Schlussstrich‹ unter dieses verstörende Kapitel deutscher Geschichte vor«685. Eine Mitte der 2000er Jahre durchgeführte Untersuchung von Christian Saehrendt, der über 800 Schülerinnen und Schüler verschiedener Schulformen befragte, wie sie den Besuch des Mahnmals erlebten, ergab z. B., dass die große Mehrheit insbesondere von der begleitenden Ausstellung beeindruckt war.686 Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas stellt auch gewiss nicht – wie Martin Walser in seiner umstrittenen Friedenspreisrede vom 11. Oktober 1998 abfällig kommentiert hatte – die »Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit

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– das Denkmal? Die Debatte um das »Denkmal für die ermordeten Juden Europas«. Eine Dokumentation. Berlin 1999; Jan-Holger Kirsch: Nationaler Mythos oder historische Trauer? Der Streit um ein zentrales »Holocaust-Mahnmal« für die Berliner Republik. Köln/ Weimar/Wien 2003 (Beiträge zur Geschichtskultur, Bd. 25); Claus Leggewie/Erik Meyer: »Ein Ort, an den man gerne geht«. Das Holocaust-Mahnmal und die deutsche Geschichtspolitik nach 1989. München/Wien 2005; Sibylle Quack (Hrsg.): Auf dem Weg zur Realisierung. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der Ort der Information. Architektur und historisches Konzept. Stuttgart 2002 (Schriftenreihe der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Bd. 1); Hans-Georg Stavginski: Das Holocaust-Denkmal. Der Streit um das »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« in Berlin (1988–1999). Paderborn 2002; Holger Thünemann: Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Dechiffrierung einer Kontroverse. Münster 2003 (Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Bd. 11). Peter Reichel: Schwarz-Rot-Gold. Kleine Geschichte deutscher Nationalsymbole. München 2007, S. 157. Vgl. Alexander Mitscherlich/Margarete Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens. München 1967. Franziska Conrad: Erinnern an Nationalsozialismus und Shoa. In: Geschichte lernen H. 129 (2009), S. 2–11, hier S. 7. Vgl. Christian Saehrendt: Bewegendes Erlebnis oder lästiger Pflichttermin? Wie erleben Schülerinnen und Schüler den Besuch des Denkmals für die ermordeten Juden Europas in Berlin? In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 58, 2007, H. 12, S. 744–757.

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Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Forschung und Öffentlichkeit

einem fußballfeldgroßen Alptraum«687 und die »Monumentalisierung der Schande«688 dar. Vielmehr ist die zentrale Holocaust-Gedenkstätte im Land der Täter als »place of no meaning« (Architekt Peter Eisenman) ein spiritueller Ort, der zur individuellen wie kollektiven Reflexion über den Holocaust einlädt. Hervorgehoben werden muss außerdem, dass die Debatte um das »Holocaust-Mahnmal« den Anstoß für die Errichtung weiterer Denkmäler gab, mit denen die Republik auch anderen Opfergruppen der NS-Massenverbrechen ihre Referenz erweist. Hierzu zählen in zeitlicher Reihenfolge das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen (2008)689, das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma (2012)690 und der Gedenkund Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen »Euthanasie«Morde (2014)691. Während das »Holocaust-Mahnmal« die Frage nach der Rolle der Deutschen im Nationalsozialismus weitgehend unbeantwortet lässt, liegt die große erinnerungspolitische Leistung der anderen drei Denkmäler gerade in der Etablierung eines erweiterten Täterbegriffes. Dieser umfasse, so Volker Wild, »nicht mehr allein die Angehörigen der politischen Führung und der Terrorapparate des Regimes«, vielmehr werde auch »das gesellschaftliche Umfeld beleuchtet, die Einstellung breiter Schichten der deutschen Bevölkerung, die viele Taten deckte«692. Abseits dieser offiziellen Denkmalpolitik ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts jedoch ebenfalls zu beobachten, dass die Leiden der deutschen Zivilbevölkerung infolge von Flucht und Vertreibung693 sowie alliierter Bombenangriffe694 wieder 687 Martin Walser : Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede (11. 10. 1998). In: Frank Schirrmacher (Hrsg.): Die Walser-Bubis-Debatte. Eine Dokumentation. Frankfurt am Main 1999, S. 7–17, hier S. 13. 688 Ebd. 689 Vgl. Stefanie Endlich: Das Berliner Homosexuellen-Denkmal. Kontext, Erwartungen und die Debatte um den Videofilm. In: Insa Eschebach (Hrsg.): Homophobie und Devianz. Weibliche und männliche Homosexualität im Nationalsozialismus. Berlin 2012 (Forschungsbeiträge und Materialien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Bd. 6), S. 167–186. 690 Vgl. Silvio Peritore: Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma und der Erinnerungsdiskurs. In: Matthias Bahr/Peter Poth (Hrsg.): Hugo Höllenreiner. Das Zeugnis eines überlebenden Sinto und seine Perspektiven für eine bildungssensible Erinnerungskultur. Stuttgart 2014, S. 189–202. 691 Vgl. Stefanie Endlich: Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde. In: Gedenkstättenrundbrief Nr. 176 (2014), S. 10–21. 692 Volker Wild: 20 Jahre Bundesdenkmalpolitik zum Nationalsozialismus. Von der Neuen Wache bis zum Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 62, 2014, H. 11, S. 881–900, hier S. 889f. 693 Vgl. zur bundesdeutschen Erinnerung an Flucht und Vertreibung Stefan Aust/Stephan Burgdorff (Hrsg.): Die Flucht. Über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Stuttgart/ München 2002; Mathias Beer: Flucht und Vertreibung der Deutschen. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen. München 2011; Ray M. Douglas: Ordnungsgemäße Überführung. Die Ver-

Der öffentliche Diskurs über Wissen und Reaktionen der Gesellschaft

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vermehrt in den Fokus der öffentlichen Diskussion drängen. Die Auseinandersetzungen um Jörg Friedrichs Buch »Der Brand«695 und seinen beklemmenden Bildband »Brandstätten«696, Günter Grass’ Novelle »Im Krebsgang«697 oder das geplante »Zentrum gegen Vertreibungen«698 aktualisierten das deutsche Opfer-

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treibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. München 2012; Bernd Faulenbach: Die Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße. Zur wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 51–52/2002, S. 44–54; K. Erik Franzen: Die Vertriebenen. Hitlers letzte Opfer. München 2002; Hans Henning Hahn/Eva Hahn: Die Vertreibung im deutschen Erinnern. Legenden, Mythos, Geschichte. Paderborn 2010; Peter Haslinger: Opferkonkurrenzen und Opferkonjunkturen. Das Beispiel von »Flucht und Vertreibung« in Deutschland seit 1990. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 62, 2011, H. 3/4, S. 176–190; Maren Röger: Flucht, Vertreibung und Umsiedlung. Mediale Erinnerungen und Debatten in Deutschland und Polen seit 1989. Marburg 2011 (Studien zur Ostmitteleuropaforschung, Bd. 23); Thomas Urban: Der Verlust. Die Vertreibung der Deutschen und Polen im 20. Jahrhundert. München 2004. Vgl. zur bundesdeutschen Erinnerung an den Luftkrieg Jörg Arnold/Dietmar Süß/Malte Thießen (Hrsg.): Luftkrieg. Erinnerungen in Deutschland und Europa. Göttingen 2009 (Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 10); Lothar Kettenacker (Hrsg.): Ein Volk von Opfern? Die neue Debatte um den Bombenkrieg 1940–45. Berlin 2003; Gilad Margalit: Der Luftangriff auf Dresden. Seine Bedeutung für die Erinnerungspolitik der DDR und die Herauskristallisierung einer historischen Kriegserinnerung im Westen. In: Susanne Düwell/ Matthias Schmidt (Hrsg.): Narrative der Shoah. Repräsentationen der Vergangenheit in Historiographie, Kunst und Politik. Paderborn 2002, S. 189–207; Matthias Neutzner: Vom Anklagen zum Erinnern. Die Erzählung vom 13. Februar. In: Oliver Reinhard/Ders./Wolfgang Hesse (Hrsg.): Das rote Leuchten. Dresden und der Bombenkrieg. Dresden 2005, S. 128–155; Ralf Steckert: Bombenkrieg und Nationalsozialismus. Der Schritt zu einer getrennten Wahrnehmung? In: Stephan Alexander Glienke/Volker Paulmann/Joachim Perels (Hrsg.): Erfolgsgeschichte Bundesrepublik? Die Nachkriegsgesellschaft im langen Schatten des Nationalsozialismus. Göttingen 2008, S. 361–374; Dietmar Süß: Tod aus der Luft. Kriegsgesellschaft und Luftkrieg in Deutschland und England. München 2011. Vgl. Jörg Friedrich: Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940–1945. Berlin 2002. Vgl. zur Debatte um das Buch Ralf Blank: Jörg Friedrich: Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg. Eine kritische Auseinandersetzung. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 63, 2004, H. 1, S. 175–186; Daniel Fulda: Irreduzible Perspektiven. »Der Brand« von Jörg Friedrich und das Dispositiv des nicht nur literarischen Geschichtsdiskurses seit den 1990er Jahren. In: Barbara Beßlich/Katharina Grätz/Olaf Hildebrand (Hrsg.): Wende des Erinnerns? Geschichtskonstruktionen in der deutschen Literatur nach 1989. Berlin 2006 (Philologische Studien und Quellen, Bd. 198), S. 133–155; Dietmar Süß: »Massaker und Mongolensturm«. Anmerkungen zu Jörg Friedrichs umstrittenem Buch »Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940–1945«. In: Historisches Jahrbuch 124 (2004), S. 521–543. Vgl. Jörg Friedrich: Brandstätten. Der Anblick des Bombenkriegs. München 2003. Vgl. Günter Grass: Im Krebsgang. Eine Novelle. Göttingen 2002. Vgl. zur Debatte um das Buch Herman Beyersdorf: Von der »Blechtrommel« bis zum »Krebsgang«. Günter Grass als Schriftsteller der Vertreibung. In: Weimarer Beiträge 48, 2002, H. 4, S. 568–593. Vgl. Bettina Mihr: Wund-Male. Folgen der »Unfähigkeit zu trauern« und das Projekt eines Zentrums gegen Vertreibungen. Gießen 2007; Samuel Salzborn: Geschichtspolitik in den Medien. Die Kontroverse um ein »Zentrum gegen Vertreibungen«. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 51, 2003, H. 12, S. 1120–1130; Philipp Ther: Zentrum gegen Vertreibungen. In: Detlef Brandes/Holm Sundhaussen/Stefan Troebst (Hrsg.): Lexikon der Vertrei-

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Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Forschung und Öffentlichkeit

bewusstsein. Vor allem anlässlich des 60. Jahrestages des Kriegsendes konnte man vermehrt Stimmen vernehmen, die anmahnten, dass die Leidenserfahrungen der deutschen Bevölkerung während und nach dem Zweiten Weltkrieg in den bisherigen Diskussionen über den Nationalsozialismus und seine Folgen unterbelichtet worden seien. Der jüdisch-ungarische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Imre Kert8sz warnte daher in einer Rede anlässlich der letztmaligen Präsentation der veränderten Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht« in Hamburg im Januar 2004 vor einer vermeintlichen Verschiebung vom Täter- zum Opferstatus der Deutschen: »Seitdem [der Wiedereröffnung der »Wehrmachtsausstellung« im Jahr 2001] spricht Deutschland mehr von den eigenen Leiden als von dem Unheil, das es über andere Völker gebracht hat. Der gegen Deutschland geführte Luftkrieg kam auf die Tagesordnung, der über die deutschen Städte verhängte Bombenterror, ferner das bisher verschwiegene, besser gesagt: verdrängte, mit Tabu belegte Problem der Vertreibung deutschsprachiger Bevölkerungsteile. Wen könnte es verwundern? Gerechterweise ist es auch einmal an der Zeit, dass die Deutschen über das, was sie erlitten haben, klagen, und solange Schriftsteller wie […] Günter Grass es tun […], hat das Wehklagen des Cellos einen edlen Ton. Unheil könnte daraus nur erwachsen, wenn sich in diese wehmütig-tragische Melodie noch irgendwie die Dissonanz des Ressentiments: eines dem Selbstmitleid entsprungenen Hasses mischte.«699

Darüber, ob es sich bei der Renaissance der deutschen Opfererinnerung nur um eine Paradigmenerweiterung oder einen regelrechten Paradigmenwechsel in Bezug auf die Vergegenwärtigung der NS-Vergangenheit handelt, konnte lange Zeit nur spekuliert werden. Mittlerweile lässt sich die Frage nach der Einordnung dieses Trends besser beantworten. Bernd Faulenbach ist 2009 zu folgendem Ergebnis gekommen, dem sich der Verfasser – mit Vorsicht – anschließen möchte: »Der so genannte ›deutsche Opferdiskurs‹ hat […] auch etwas mit dem Bewusstwerden der eigenen Kriegserfahrungen bei den heutigen älteren Generationen zu tun. Jedenfalls wird man nicht sagen können, dass mit den neuen Themen das ›negative Gedächtnis‹, das in Deutschland seit Jahrzehnten wie wohl nirgendwo anders dominiert hat, grundsätzlich in Frage gestellt wird. Es lässt sich wohl eher von einer gewissen Erweiterung des bisherigen Paradigmas sprechen.«700 bungen. Deportation, Zwangsaussiedlung und ethnische Säuberung im Europa des 20. Jahrhunderts. Wien 2010, S. 736–739. 699 Imre Kert8sz: Rede vom 29. Januar 2004 zur zweiten Wehrmachtsausstellung in Hamburg. Abdruck der Rede unter dem Titel »Bilder einer Ausstellung«. In: Die Tageszeitung vom 29. Januar 2004, S. 6. 700 Bernd Faulenbach: Eine neue Konstellation? Der Umgang mit zwei Vergangenheiten in Deutschland nach 1989. In: Katrin Hammerstein u.a. (Hrsg.): Aufarbeitung der Diktatur – Diktat der Aufarbeitung? Normierungsprozesse beim Umgang mit diktatorischer Vergangenheit. Göttingen 2009 (Diktaturen und ihre Überwindung im 20. und 21. Jahrhundert, Bd. 2), S. 37–47, hier S. 44.

V.

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration I

In den folgenden Unterkapiteln werden die Ergebnisse der Schulbuchanalyse zur ersten Lehrwerksgeneration dargestellt. Untersuchungsgegenstand waren zwölf Bücher. Für die Sekundarstufe I wurden ausgewählt: Zeitaufnahme (Westermann, 1981), Geschichte (List/Oldenbourg, 1982), Unser Weg in die Gegenwart (C.C. Buchner, 1984), Zeiten und Menschen (Schöningh/Schroedel, 1985), Geschichte und Geschehen (Klett, 1988), Geschichtsbuch (Cornelsen/Hirschgraben, 1988), Unsere Geschichte (Diesterweg, 1988) und bsv Geschichte (Bayerischer Schulbuch-Verlag, 1988). Für die Sekundarstufe II wurden Buchners Kolleg Geschichte (C.C. Buchner, 1986), Geschichte, Politik und Gesellschaft (Cornelsen/ Hirschgraben, 1988), Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II (Schöningh, 1989) und Historisch-Politische Weltkunde (Klett, 1990) herangezogen. Die Vorstellung der Analyseergebnisse erfolgt anhand der sowohl induktiv als auch deduktiv entwickelten Kategorien (1) Boykott 1933, (2) Novemberpogrom 1938, (3) Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/41– 1945, (4) Kenntnisse vom Holocaust, (5) Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen, untergliedert in (a) Verbreitung antisemitischer Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung, (b) Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der »Arisierung« und (c) Verhalten der »Zuschauer« im Alltag gegenüber jüdischen Mitmenschen, sowie (6) Wehrmacht und Vernichtungskrieg, untergliedert in (a) Beteiligung am Genozid an den Juden, (b) Verantwortung für die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen und (c) Tötung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung. In einem Zwischenfazit werden die aus der kategoriengeleiteten Inhaltsanalyse gewonnenen Ergebnisse vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Forschungsstandes der Geschichtswissenschaft und der in der Öffentlichkeit geführten Diskurse über die NS-Vergangenheit bewertet. Im Text genannte Bilder finden sich im Anhang der Arbeit.

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1.

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration I

Boykott 1933

Mit den Reaktionen der Mehrheitsbevölkerung auf den antijüdischen Boykott vom 1. April 1933 gehen die Lehrwerke des untersuchten Samples sehr unterschiedlich um. Während in vier Lehrwerken – Geschichte, Unsere Geschichte, Buchners Kolleg Geschichte und Historisch-Politische Weltkunde – die Zuschauerreaktionen überhaupt nicht problematisiert werden, gehen andere Bücher über vage Andeutungen nicht hinaus. So heißt es z. B. in Zeitaufnahme nur: »Der Boykott-Tag am 1. April 1933 war die erste öffentliche antijüdische Aktion der neuen Regierung. Künftig durfte sich ein deutscher ›Volksgenosse‹ nicht mehr in einem jüdischen Geschäft sehen lassen.«701 Die Schulbuchautorinnen und -autoren lassen also offen, ob »Volksgenossen« die jüdischen Läden überhaupt, trotz oder gerade wegen des Boykottaufrufs aufsuchten oder nicht. Eine solche Darstellung eröffnet zwangsläufig einen weiten Interpretationsspielraum, der nur mit Spekulationen der Leserinnen und Leser gefüllt werden kann. Im Hinblick auf das Verhalten der »Zuschauer« nicht deutlich genug fallen auch die Beschreibungen in den Verfassertexten von Geschichte und Geschehen702 und Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II703 aus. In anderen Büchern wiederum gewinnt das Thema stärker an Kontur. Zwei Darstellungstypen lassen sich grob unterscheiden: Lehrwerke, die auf die weitgehende Resistenz der Mehrheitsbevölkerung gegenüber den Boykottmanifestationen abstellen, und solche, in denen die passive Tolerierung dieser antijüdischen Maßnahme durch das Gros besondere Akzentuierung erfährt. Zum ersten Typ gehört Unser Weg in die Gegenwart: Mit der Betonung, dass der Aufruf der NS-Propaganda zum Boykott jüdischer Geschäfte »jedoch von der Mehrzahl der Bevölkerung nicht befolgt wurde«704, bezieht das Schulbuch eindeutig Position. Diesem Ansatz folgt bsv Geschichte, wo der Verfassertext ebenfalls unterstreicht, dass der Boykottaufruf in der Bevölkerung »wenig

701 Zeitaufnahme (1981), S. 72. 702 Vgl. Geschichte und Geschehen (1988), S. 106: »Kaum hatte er [Hitler] mit dem ›Ermächtigungsgesetz‹ freie Hand, organisierte seine SA am 1. April 1933 in zahlreichen Städten des Reiches einen Boykott jüdischer Geschäfte. Noch glaubten viele in der Bevölkerung, der ›Führer‹ wisse nichts von den Ausschreitungen seiner Parteileute.« 703 Vgl. Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II (1989), S. 189: »Es folgte dann am 1. April 1933 mit dem Boykott der jüdischen Geschäfte die erste zentral gelenkte antijüdische Aktion in Deutschland. Verantwortlich waren Propagandaminister Goebbels und der berüchtigte Nürnberger Gauleiter und Herausgeber des ›Stürmers‹, Julius Streicher. Dieser Boykott, so Goebbels voller Zynismus, sei die Antwort auf die ›ausländische Hetze‹ gegen die neue Regierung in Deutschland und die einzige Möglichkeit, die jüdische Bevölkerung vor der unkontrollierbaren ›Volkswut‹ zu schützen. In der Tat aber waren die ›aufgebrachten Volksmengen‹ gezielt vorgehende Parteitrupps und SA-Horden.« 704 Unser Weg in die Gegenwart (1984), S. 126.

Boykott 1933

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Echo«705 gefunden habe. Zeiten und Menschen rückt ebenfalls das ehrbare Verhalten der »Normalbürger« in den Vordergrund. Deutlich erkennbar ist dies an der Formulierung eines Arbeitsauftrages zu einer Fotografie, auf der ein Angehöriger der SA zu sehen ist, der vor einem jüdischen Geschäft in Berlin Posten bezogen hat: »Überlegen Sie, was es bedeutete, an diesem Mann vorbei das Geschäft zu betreten. Damals taten es noch viele. Manchem drückten die SAMänner einen Stempel ins Gesicht: ›Verräter‹.«706 Dem zweiten Typ hinzuzurechnen sind die Bücher von Cornelsen/Hirschgraben. Der für die Sekundarstufe II konzipierte Band Geschichte, Politik und Gesellschaft erklärt in einem Überblickskapitel zu »Judenverfolgung und Massenmord an Juden«, der Boykott, den »viele Menschen als ›Spuk‹ abtaten«707, sei »kaum auf Widerstand innerhalb der Bevölkerung«708 gestoßen. Bereits einige Seiten zuvor in einem Kapitel mit der Überschrift »Leben und Arbeiten unter dem Nationalsozialismus« werden die Autorinnen und Autoren noch deutlicher : »Die ersten Opfer der ›Gleichschaltung‹ der Gesellschaft waren die Juden […], die mit einem Boykott ihrer Geschäfte am 1. April 1933 im ganzen Reich erstmalig als Feinde des Volkes gebrandmarkt wurden. Die kritiklose Hinnahme dieser Übergriffe durch die überwiegende Mehrheit der Bürger und das Schweigen der Kirchenvertreter ermutigten die Nationalsozialisten, ihre antisemitische Politik stetig auszuweiten.«709

Die Autorinnen und Autoren von Geschichtsbuch teilen im Wesentlichen diese Positionen, bemühen sich aber erkennbar um eine differenziertere Darstellung: »Die Judenfeindschaft des Nationalsozialismus wurde für alle sichtbar, als die SA am 1. April 1933 Eingänge zu jüdischen Geschäften verstellte, Ladeneinrichtungen zerstörte und die Bevölkerung zum Boykott jüdischer Kaufhäuser und Läden aufrief. Viele waren entsetzt, wechselten aber doch lieber ihren gewohnten Kaufmann; wenige kauften ›nun erst recht bei Juden‹.«710

Das Bestreben der Autorinnen und Autoren, den Sachverhalt möglichst differenziert darzustellen, ist auch an der Aufnahme einer Textquelle im Arbeitsteil gut erkennbar. Angeboten wird ein längerer Auszug aus den Memoiren der 705 bsv Geschichte (1988), S. 131. 706 Zeiten und Menschen (1985), S. 95. Im Verfassertext dagegen wird ungenau ausgewiesen: »Am 1. April 1933 zogen SA- und SS-Posten vor jüdischen Geschäften auf und versuchten, deren Betreten zu verhindern. Dabei kam es mehrfach zu Tätlichkeiten. Nach einem Tag wurde die Aktion wieder abgebrochen; man mußte auf die Empörung im Ausland noch Rücksicht nehmen.« (ebd., S. 94). Die Schülerinnen und Schüler können nur mutmaßen, zwischen wem es zu »Tätlichkeiten« kam. 707 Geschichte, Politik und Gesellschaft (1988), S. 359. 708 Ebd., S. 359. 709 Ebd., S. 337. 710 Geschichtsbuch (1988), S. 126.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration I

Rabbinergattin Marta Appel, der aus der Perspektive einer vom NS-Terror Betroffenen über die Haltung der »arischen« Mehrheitsbevölkerung Auskunft gibt. Die entsprechende Passage der Quelle lautet: »Man hat den Kindern gesagt, daß sie am 1. April 1933, dem Tag des Boykotts, nicht in die Schule kommen sollten … Auf jedem Platz, an jeder Ecke vor einer Synagoge fanden sich Propagandatafeln, auf denen wir verächtlich gemacht und beschimpft wurden. Wir seien Parasiten und hätten das Unglück des deutschen Volkes verschuldet, so konnten wir überall und immerzu bei jeder Gelegenheit hören und lesen. Doch an diesem Tag schloß kein jüdischer Laden; keiner wollte angesichts des Boykotts seine Angst zeigen. Nur die Synagoge öffnete ihre Tore nicht wie sonst, obgleich es Sonnabend war. Wir wollten nicht, daß diese heilige Stätte durch irgendwelche Unruhestifter entweiht würde. Ich ging sogar in die Stadt, um zu sehen, was im Geschäftsviertel los war. Ich fand keine begeisterte Menge, die durch die Straßen stürmte und die jüdischen Geschäfte zerstörte, wie es die Nazis erwartet hatten, sondern ich hörte nur Äußerungen des Unmuts und der Mißbilligung … Nichtjüdische Freunde und Nachbarn, ja sogar Menschen, die wir vorher kaum gekannt hatten, kamen zu uns, um ihre Verbundenheit und ihre Freundschaft uns zu bekunden, und alle meinten, daß diese Schreckenszeit nicht lange dauern könne.«711

Weiterhin werden in fünf Büchern Fotografien zur Bebilderung des Verfassertextes herangezogen. Zeitaufnahme macht Gebrauch von einem in Berlin aufgenommenen Bild, das einen SA-Mann mit einem Schild zeigt, das zum Boykott jüdischer Geschäfte aufruft. Mehrere »Zuschauer« sind eindeutig zu identifizieren (Abb. 1).712 Geschichtsbuch verwendet eine Aufnahme von mehreren Zivilisten, die in Berlin ein an einer Litfaßsäule angeschlagenes Plakat über den wirtschaftlichen Boykott gegen Juden lesen (Abb. 2).713 In Geschichte und Geschehen, bsv Geschichte und Unser Weg in die Gegenwart schließlich finden sich Varianten des ebenso berühmten Fotomotivs, auf dem drei SA-Angehörige – flankiert von zwei Passanten – vor dem Berliner Kaufhaus Tietz zu sehen sind. Vollständig abgedruckt ist das Bild in keinem der drei Lehrwerke. Bei Geschichte und Geschehen ist das Foto oben leicht beschnitten, was für die Bildaussage jedoch nicht ins Gewicht fällt (Abb. 3).714 Die Abbildung in bsv Geschichte ist dagegen massiv beschnitten: Die »Zuschauer« (und ein SA-Mann) kommen nicht mehr vor (Abb. 4).715 Unser Weg in die Gegenwart lässt noch einigermaßen die offenbar in ein Gespräch mit dem SA-Mann vertiefte Frau am rechten Bildrand erkennen (Abb. 5).716 Wenngleich alle Aufnahmen wenig Auskunft 711 712 713 714 715 716

Ebd., S. 154. Vgl. Zeitaufnahme (1981), S. 72. Vgl. Geschichtsbuch (1988), S. 126. Vgl. Geschichte und Geschehen (1988), S. 107. Vgl. bsv Geschichte (1988), S. 131. Vgl. Unser Weg in die Gegenwart (1984), S. 127.

Novemberpogrom 1938

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darüber geben, wie die »Zuschauer« auf den Boykott reagiert haben, dokumentiert ihr Abdruck in den Schulbüchern doch, dass sich der Terror vom 1. April 1933 in aller Öffentlichkeit abspielte.

2.

Novemberpogrom 1938

Auf die gesellschaftlichen Reaktionen während des Novemberpogroms 1938 wird im vorliegenden Sample selten eingegangen. Die meisten Schulbücher beschränken sich auf die Beschreibung der Hintergründe bzw. Ursachen, die zur Reichspogromnacht führten, sowie auf die von SA- und Parteischergen verübte Gewalt gegen die Juden. Der Verfassertext von Geschichte und Geschehen kann hierfür als typisches Beispiel angeführt werden: »Im Oktober 1938 wurden Tausende von Juden polnischer Herkunft nach Polen ausgewiesen. In Paris erschoß ein junger Jude, dessen Eltern unter den Ausgewiesenen waren, einen deutschen Botschaftssekretär. Die NSDAP nahm diesen Mord zum Vorwand, im ganzen Reich Wohnungen und Geschäfte von Juden sowie ihre Gebetshäuser (Synagogen) zu überfallen und dies als spontanen Ausbruch allgemeinen ›Volkszorns‹ hinzustellen. In der Nacht vom 9. auf 10. November demolierten SA-Kommandos reichsweit jüdisches Eigentum, plünderten und trieben die Betroffenen unter Mißhandlungen durch die Straßen. Die meisten jüdischen Gotteshäuser wurden ein Raub der Flammen, die Kultgegenstände geschändet. Auf das Glitzern der zertrümmerten Fenster im Feuerschein der brennenden Synagogen bezog sich der Ausdruck ›Reichskristallnacht‹. Die bei diesem Pogrom angerichteten Schäden mußten die Angegriffenen selbst ersetzen.«717

Die einigen Lehrwerken beigegebenen Textquellen tragen ihrerseits nicht zur Perspektivenerweiterung um die Gruppe der »Zuschauer« bei, weil sie entweder Verordnungen und Befehle der nationalsozialistischen Machthaber oder Erinnerungsberichte jüdischer Männer präsentieren, denen sich keine Informationen zum Verhalten der Mehrheitsbevölkerung entnehmen lassen.718 Die Ausblendung der Perspektive der »Zuschauer« trifft auch auf die abgedruckten Fotos zu. Sie zeigen zumeist brennende oder zerstörte Synagogen (Abb. 6–8).719 717 Geschichte und Geschehen (1988), S. 106f. Ähnliche Formulierungen in den Verfassertexten von Zeitaufnahme (1981), S. 72f.; Geschichte (1982), S. 131; Unser Weg in die Gegenwart (1984), S. 137; Geschichtsbuch (1988), S. 133; Buchners Kolleg Geschichte (1986), S. 155; Geschichte, Politik und Gesellschaft (1988), S. 359; Historisch-Politische Weltkunde (1990), S. 175. 718 Vgl. Zeiten und Menschen (1985), S. 97; Geschichte und Geschehen (1988), S. 111; Unsere Geschichte (1988), S. 109; bsv Geschichte (1988), S. 131; Buchners Kolleg Geschichte (1986), S. 158f. 719 Vgl. Zeitaufnahme (1981), S. 73; Zeiten und Menschen (1985), S. 97; Unsere Geschichte (1988), S. 109.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration I

Einmal findet ein Foto Verwendung, auf dem männliche Baden-Badener Juden zu erkennen sind, die im Inneren der Synagoge von der SS gezwungen werden, aus Hitlers »Mein Kampf« vorzulesen (Abb. 9).720 In zwei anderen Büchern stoßen die Schülerinnen und Schüler auf das Foto eines SA-Mannes, der sich mit zerrissenen Thora-Rollen in der zerstörten Synagoge in München von einem Fotografen ablichten lässt (Abb. 10–11).721 Allen diesen Abbildungen ist gemeinsam, dass sie zwar eine Dokumentation des Geschehens liefern, aber keine Anhaltspunkte für die Beteiligung der Bevölkerung geben. Eine Ausnahme hiervon stellt Geschichtsbuch dar : Auf der Auftaktdoppelseite, die in die Themeneinheit »Nationalsozialismus und Faschismus: Industriegesellschaft ohne Demokratie« einführt, findet sich ein (leicht an allen vier Seiten beschnittenes) Foto, das durch die Bildlegende ungenau als »Jüdische Mitbürger auf dem Weg zur Deportation nach dem 9. November 1938, begleitet von SS und SA« ausgewiesen ist (Abb. 12).722 Tatsächlich zeigt es aus deutlich erhöhter Perspektive einen in Dreierreihen formierten Menschenzug von ungefähr 80 verhafteten, meist älteren jüdischen Männern, die am 10. November 1938 auf einer Straße in der südwestdeutschen Kurstadt Baden-Baden von Männern der SS und der Schutzpolizei sowie Mitarbeitern der Kriminalpolizei oder Gestapo abgeführt werden. Fotograf war Josef Friedrich Coeppicus, der ein kleines Fotogeschäft in der Stadt betrieb und kein Parteimitglied der NSDAP war. Die Fotografie zeugt davon, dass die Verhaftung in aller Öffentlichkeit stattfand. Sie gibt zudem Aufschluss über die rege Beteiligung der Bevölkerung an diesem Schauspiel. So haben sich am linken Straßenrand zahlreiche Schaulustige versammelt, die offenbar aufmerksam zuschauen, wie die jüdischen Männer, die viele von ihnen wahrscheinlich persönlich kannten, durch das Stadtzentrum geführt werden. Auffallend sind vor allem die anhand ihrer Kleidung als Arbeiter zu identifizierenden Männer, die vielleicht eigens ihre Arbeit unterbrochen haben, um dem Geschehen beizuwohnen. Des Weiteren sticht ein Mann aus der Menge der Umstehenden hervor, der ein kleines Kind auf dem Arm hält und offenbar die Szene als nicht so abstoßend empfindet, dass er sie dem Kind nicht zumuten will. Auf der rechten Seite der Straße hockt zudem auf einem Mauervorsprung ein Mann, der das Geschehen fotografiert, was wiederum darauf hindeutet, dass die Bewohner Baden-Badens begriffen hatten, dass es sich bei der Festnahme von Juden um ein außergewöhnliches Ereignis handelte, das unbedingt festgehalten werden musste.723 720 721 722 723

Vgl. Historisch-Politische Weltkunde (1990), S. 174. Vgl. Geschichte (1982), S. 131; Unser Weg in die Gegenwart (1984), S. 128. Vgl. Geschichtsbuch (1988), S. 122. Vgl. für eine Interpretation der Fotografie Christoph Kreutzmüller/Julia Werner : Fixiert. Fotografische Quellen zur Verfolgung und Ermordung der Juden in Europa. Eine pädagogische Handreichung. Berlin 2012, S. 16–26.

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Die Autorinnen und Autoren von Geschichte und Geschehen greifen ebenfalls auf dieses Fotomotiv zurück. Dieses wird aber mit der Bildunterschrift »Massenverhaftungen in Berlin 1933« fälschlicherweise der Verhaftung von Kommunisten infolge des Brandes des Reichstagsgebäudes zugeordnet. Das Foto ist zudem massiv beschnitten, so dass nur noch die Gruppe der Opfer und die der Täter zu identifizieren sind. Sämtliche »Zuschauer« sind entfernt worden (Abb. 13).724 In vier der durchgesehenen Schulbücher lassen sich in den Verfassertexten knappe, teilweise auch sehr ausführliche Erläuterungen zu den gesellschaftlichen Reaktionen finden. Die Autorinnen und Autoren von Unsere Geschichte fassen sich kurz: »Erstmalig gab es Unwillen in breiten Schichten der Bevölkerung: ›Eine ordentliche Regierung läßt keine Schaufensterscheiben zerschlagen!‹.«725 Der Verfassertext von bsv Geschichte fällt nur geringfügig länger aus und vermerkt: »Wenngleich weite Teile der Bevölkerung mit Entsetzen auf das Unrecht an den jüdischen Nachbarn blickten, blieben Proteste sprachlos und ohnmächtig angesichts der Einschüchterungen durch die Partei.«726 In Zeiten und Menschen werden die Reaktionen der »Zuschauer« wie folgt beschrieben: »Nur ein kleiner Teil des deutschen Volkes beteiligte sich an diesen Ausschreitungen, die Mehrheit stand abseits, sie nahm das Geschehen aber – schaudernd oder achselzuckend – hin. Wenige nur wagten es, ihren jüdischen Mitmenschen tatkräftige Hilfe zu leisten.«727 Der Autorentext von Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II schließlich enthält folgende Informationen: »Viele Deutsche schauten bei alldem weg; viele reagierten betroffen, nahmen zum Teil aber mehr Anstoß an den Formen des Pogroms als an seiner Zielrichtung. Es gab Fälle von aktiver Hilfe und offener Kritik, und einige sprachen ihre Scham und ihr Mitgefühl aus. Die ›Reichskristallnacht‹ war weder innen- noch außenpolitisch ein Erfolg der Nationalsozialisten, aber sie weckte auch keinen Widerstand in Deutschland.«728

3.

Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/41–1945

Die Frage nach den unmittelbaren und mittelbaren Reaktionen der »Volksgenossen« auf die Deportationen ihrer jüdischen Mitbürger steht für den Großteil der untersuchten Schulbücher nicht auf der Agenda.729 Eine der wenigen Aus724 725 726 727 728 729

Vgl. Geschichte und Geschehen (1988), S. 93. Unsere Geschichte (1988), S. 102. bsv Geschichte (1988), S. 131. Zeiten und Menschen (1985), S. 96. Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II (1989), S. 190. Dieser Befund ist gleichbedeutend mit der Ausblendung des Themas »Deportationen der

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nahmen ist Zeiten und Menschen, das die Lernenden nicht nur darauf aufmerksam macht, dass die Deportationen der deutschen Bevölkerung nicht verborgen geblieben seien, sondern auch nachdrücklich darauf hinweist, dass nur wenige Deutsche es riskierten, »jüdische Freunde« vor dem Abtransport in den Osten zu verstecken.730 In Zeitaufnahme dagegen werden die Reaktionen der Bevölkerung auf die Massenverschleppungen im Kontext der Proteste zugunsten von männlichen Juden durch deren nichtjüdische Ehefrauen und andere Familienmitglieder aus »Mischehen« in der Berliner Rosenstraße im Februar 1943 aufgegriffen: »Die einzige Demonstration im Krieg gegen die Deportationen der Juden entstand spontan in Berlin. ›Arische‹ Ehepartner, zumeist Frauen, demonstrierten für die Freilassung ihrer verhafteten jüdischen Ehegatten vor dem Sammellager in der Rosenstraße. Das Regime wagte nicht in aller Öffentlichkeit auf die protestierenden Menschen zu schießen und entließ die Verhafteten nach einigen Tagen. Starb der ›arische‹ Partner, wurde der Gatte sofort deportiert.«731

Zwei Schulgeschichtsbücher nehmen ein Material auf, das den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, sich in eigenständiger Weise den Reaktionen der deutschen Bevölkerung anzunähern. Die Autorinnen und Autoren von GeschichtsKurse für die Sekundarstufe II berücksichtigen eine vom Sicherheitsdienst der SS zusammengestellte Meldung. Unter der Überschrift »1942 – Reaktion auf die Deportation von Juden, Bericht der SD-Außenstelle Detmold vom 31. 7. 1942« liest man: »Aus Lemgo wird berichtet, daß der Abtransport der letzten Juden innerhalb der Bevölkerung größeres Aufsehen erregt habe. Die Juden wurden vor ihrem Abtransport auf dem Marktplatz in Lemgo gesammelt. Diese Tatsache gab der Bevölkerung Veranlassung, sich recht zahlreich hierzu auf dem Marktplatz einzufinden. Es konnte beobachtet werden, daß ein großer Teil der älteren Volksgenossen (darunter sollen sich auch Parteigenossen befunden haben) die Maßnahme des Abtransportes der Juden aus Deutschland allgemein negativ kritisiert hat. Gegen den Abtransport wurde mehr oder weniger offen mit allen möglichen Begründungen Stellung genommen. So wurde gesagt, daß die Juden in Deutschland ja sowieso zum Aussterben verurteilt seien und diese Maßnahme, die für die Juden eine besondere Härte bedeuteten [sic!], sich daher erübrige. Selbst solche Volksgenossen, die bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit früher ihre nationalsozialistische Gesinnung herausgestellt hätten, hätten in deutschen Juden« insgesamt in den Lehrwerken Geschichte (1982), Unser Weg in die Gegenwart (1984), Geschichtsbuch (1988), Unsere Geschichte (1988), bsv Geschichte (1988), Buchners Kolleg Geschichte (1986) sowie Geschichte, Politik und Gesellschaft (1988). In Historisch-Politische Weltkunde (1990) finden die Deportationen zumindest in einer tabellarischen Auflistung zu »Stationen der Judenverfolgung« (S. 177f.) Erwähnung. Die Verwertung des Eigentums deportierter Juden bleibt in allen Lehrwerken ausgespart. 730 Vgl. Zeiten und Menschen (1985), S. 122. 731 Zeitaufnahme (1981), S. 73.

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dieser Hinsicht Partei für die Interessen der Juden bzw. der kirchlichgebundenen Volksgenossen genommen. Innerhalb kirchlichgebundener Kreise wurde geäußert: ›Wenn das deutsche Volk nur nicht eines Tages die Strafe Gottes zu gewärtigen hat.‹ Nationalsozialistisch gefestigte Volksgenossen versuchten den anders denkenden klarzumachen, daß diese Aktion völlig berechtigt und auch unbedingt notwendig sei. Dem wurde entgegengesetzt, daß die alten Juden uns auch hier nicht mehr schaden können, denn sie täten ›keiner Fliege etwas zuleide‹. Auch seien sehr viel Juden dabei, die viel Gutes getan hätten und die noch lange nicht so schlecht seien, als die ›Weißen Juden‹. Diese müsse man dann auch abtransportieren und in ein Lager stecken.«732

Des Weiteren drucken die Schulbuchmacherinnen und -macher – zur Auflockerung des Verfassertextes – ein Foto ab, das die »Judendeportation« am 13. Dezember 1941 auf dem Bahnhof in Bielefeld zeigt (Abb. 14). Die Gruppe der »Zuschauer« ist hier jedoch nicht präsent.733 Geschichte und Geschehen präsentiert im Arbeitsteil eine (leicht beschnittene) Fotografie, auf der eine große Gruppe mainfränkischer Juden am 25. April 1942 in Würzburg während des Marsches zum Bahnhof zu sehen ist (Abb. 15).734 Das Foto bietet die Möglichkeit, auf zwei Sachverhalte näher einzugehen: Als exemplarische Momentaufnahme der Deportation zeigt es den Schülerinnen und Schülern erstens, dass Teile der organisierten Massenverschleppung von Juden auf offener Straße stattfanden. Zweitens dokumentiert es die (kollektive) Neugier und Schaulust der Bevölkerung – im Hintergrund rechts sieht man 16 oder 17 Zuschauer am Straßenrand. Für die Lernenden lassen sich allerdings mimisch eindeutig interpretierbare Reaktionen der Zuschauer wegen deren zu großen Entfernung nicht ausmachen.

4.

Kenntnisse vom Holocaust

Der Frage nach dem zeitgenössischen Wissen bzw. Nichtwissen der Deutschen über die Ermordung der Juden Europas wird in den untersuchten Schulbüchern nur äußerst selten explizite Aufmerksamkeit geschenkt.735 Die Verfassertexte umgehen zumeist das Thema entweder ganz oder kommen über vage Andeutungen nicht hinaus; bisweilen wird das Wissen der Deutschen in den beigegebenen Materialien aufgegriffen. 732 Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II (1989), S. 203. Die Anmoderation zu dieser Textquelle lautet: »Lemgo im ehemaligen Land Lippe gehört zu den Orten, in denen der Nationalsozialismus 1933 auf eine überdurchschnittlich breite Zustimmung traf.« 733 Vgl. ebd., S. 190. 734 Vgl. Geschichte und Geschehen (1988), S. 112. 735 In den Oberstufenwerken Buchners Kolleg Geschichte (1986), Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II (1989) und Historisch-Politische Weltkunde (1990) lassen sich weder explizite noch implizite Informationen über das Thema entnehmen.

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In Zeiten und Menschen z. B. heißt es sehr knapp: »Unbehelligt vom Ausland und verborgen vor den meisten Deutschen, konnten die Machthaber des Reiches in den weiten Räumen des Osten die Endlösung der Judenfrage durchführen.«736 Diesem Muster folgen die Autorinnen und Autoren von bsv Geschichte, die ebenfalls im Verfassertext auf die östlichen Schauplätze des Massenmords rekurrieren, welche sich dem Blickfeld der deutschen Bevölkerung entzogen hätten: »Die Juden aus dem deutschen Herrschaftsbereich wurden in ›Durchgangsgettos‹, etwa Theresienstadt, zusammengetrieben. Von dort aus wurden sie in Viehwagen in streng von der Öffentlichkeit abgeschirmte Lager im Osten verfrachtet.«737 Diese Aussage erfährt gleichwohl eine partielle Relativierung durch den Abdruck des folgenden Auszugs aus der Monographie »Was niemand wissen wollte« von Walter Laqueur : »Millionen Deutscher wußten Ende 1942, daß die Juden praktisch verschwunden waren. Gerüchte über die Schicksale gelangten hauptsächlich über Ostfronturlauber, Offiziere und Soldaten, nach Deutschland … Das Wissen, wie die Juden getötet wurden, war auf wenige Personen beschränkt. Und verhältnismäßig wenige Deutsche interessierten sich für das Schicksal der Juden, die meisten waren mit einer Menge ihnen persönlich wichtigerer Probleme befaßt. Das Thema war unangenehm, Vermutungen ergaben nichts, vor Diskussionen über das jüdische Schicksal schreckte man zurück. Überlegungen zu dieser Frage wurden beiseite geschoben und auf Dauer verdrängt.«738

Unsere Geschichte formuliert unscharf: »Die deutsche Bevölkerung sollte nichts davon [den Massenmorden in Osteuropa] erfahren. Aber die Wahrheit sickerte durch, viele Menschen wußten, daß schreckliche Dinge geschahen.«739 Zu den Lehrwerken, die im Autorentext auf eine Thematisierung verzichten und stattdessen (unbeabsichtigt?) den Arbeitsteil mit der Information betrauen, gehört Geschichtsbuch. So stoßen die Leserinnen und Leser auf ein von dem Geschichtsdidaktiker Lothar Steinbach mit dem ehemaligen SA-Führer Willi F. Habsheim geführtes Zeitzeugeninterview, indem letzterer an einer Stelle seine Unkenntnis vom Judenmord beteuert: »Wir wußten natürlich aufgrund der Nürnberger Rassengesetze, wie die Juden eingestuft waren … Was aber nicht publik gemacht wurde, war zum Beispiel, daß ein Jude, weil er Jude war, erschossen worden ist oder erhängt wurde … Und man hört ja immer wieder, auch von der jungen Generation, wenn also sechs Millionen Juden tatsächlich vergast worden sind, das willst du nicht gewußt haben? Ich sage Ihnen, so wahr Sie und ich hier sitzen, ich wußte das nicht, ich wußte es bis zum Kriegsende nicht. Ich habe nie ein KZ gesehen.«740 736 737 738 739 740

Zeiten und Menschen (1985), S. 122. bsv Geschichte (1988), S. 132. Ebd., S. 133. Unsere Geschichte (1988), S. 141. Geschichtsbuch (1988), S. 147.

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Aufnahme in den Materialteil findet überdies die unzweifelhafte Kenntnis der Angestellten der I.G. Farben in Auschwitz-Monowitz. Zu lesen ist die Zeugenaussage des Direktoriumsmitglieds Christian Schneider im I.G.-Farben-Prozess vor dem Nürnberger Gerichtshof: »Ich war als Hauptbetriebsführer auch verantwortlich für die Belegschaft der I.G. Auschwitz. Ich war mir bei der Einstellung von KZ-Häftlingen bewußt, daß diese Menschen, die aus allen sozialen Schichten stammten, aus politischen und rassischen Gründen im KZ waren. Diese Tatsache war dem Vorstand der I.G. bekannt. Die Verbrennungsschlote vom KZ Auschwitz konnte man von der I.G. Auschwitz aus sehen. Ich habe gehört, daß I.G.-Leute, die in Auschwitz waren, den Verbrennungsgeruch selbst gespürt haben, und zwar Walter Dürrfeld, und andere Auschwitz besuchende Ingenieure. Die genannten Herren erzählten mir, daß es ein furchtbarer Geruch war. In einem Verhör vom 27. März 1947 habe ich ausgesagt, daß ich mit Walter Dürrfeld, Otto Ambros und Heinrich Bütefisch über die Vergasung bzw. Gaskammern in Auschwitz, in denen Menschen auf unnatürliche Weise umgekommen sind, unterhalten habe. Ich möchte dazu nachträglich bemerken, daß ich zur Zeit meiner Aussage müde und verwirrt war. Ich möchte meine Aussage nach reiflicher Überlegung dahin ändern, daß ich sicher bin, daß 1944, evtl. 1943 bereits, Mitteilung über die Vergasung zugegangen ist, daß ich mich aber nicht mehr erinnere, von wem ich das gehört bzw. mit welchen Herren der I.G. ich mich darüber unterhalten habe.«741

Geschichte, Politik und Gesellschaft greift das Thema ebenfalls im Arbeitsteil auf und stellt seinen Leserinnen und Lesern unter der Überschrift »Die Technik des Nichtwissens« eine längere Passage aus einem im Jahr 1980 von Peter Brückner, Professor für Psychologie, verfassten Buch zur Verfügung. Darin heißt es: »Die zweite Gruppe von Informationen war jedermann zugänglich, wie mir scheint. Sie betraf das Schicksal der Juden. Der langsame Prozeß ihrer Entrechtung vollzog sich öffentlich. Aber dennoch hat es sehr lange gedauert, bis mir die eigentliche und furchtbare Bedeutung des praktizierten Antisemitismus aufging. Ich meine damit, daß ich keine zureichende Vorstellung, keine Phantasie über das Elend hatte, das die NSGesetzgebung über die Juden brachte, und daß alle Informationen über das jüdische Schicksal für mich lange Zeit hindurch isolierte, fragmentierte Nachrichten geblieben sind, ohne Verbindungen zu jenem – schwankenden, widersprüchlichen – Konzept des ›Ganzen‹ der NS-Gesellschaft, wie es sich in einem 16jährigen langsam bildete. Nicht die ›Kristallnacht‹, sondern die Emigration des Vaters meiner Halbbrüder brachten hier die Zäsur. Bis dahin, Herbst 1938, blieb das Schicksal der Juden für mich viel randständiger als das der Kommunisten oder der Homosexuellen. Dazu trug zweifellos bei, daß es zwar wenigstens Gerüchte über KZ-Lager, politische Verfolgung gab; auch über Erschlagene, Gefolterte, Verschwundene, aber keine Gerüchte über das Leben – oder das langsame Sterben – der Juden. Man sah sie ja auch nicht mehr, oder kaum. Und wenn man sie sah, hätte man sie nicht erkannt. Woran denn? Daß es ewig Gerüchte über Judenverfolgungen gab, ist gleichwohl merkwürdig, und wenn diese meine Erfahrung 741 Ebd., S. 158.

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hier verallgemeinert werden darf, so vielleicht auch eine andere. Ich sagte schon: Wir wußten, daß es KZ’s gab, und kannten – ungefähr – ihre Realität. Dennoch habe ich viele Lagernamen erst nach dem Krieg gehört. Die Gerüchtebildung war also auch hier bemerkenswert unvollständig. Ich habe keine Theorie über die mutmaßlichen Ursachen, ich glaube aber, wenigstens ein dafür wichtiges Element der damaligen Kommunikationsstrukturen zu erkennen. Es gab bei manchem sonst Hellhörigen eine spürbare Abwehr dagegen, gewisse Nachrichten über das Grauen im NS-Staat zur Kenntnis zu nehmen: Man erschrak, aber verstummte, wurde unwillig, vergaß. Ich wollte wissen, und das ›Vergessen‹ erschien uns als unwürdig. Und doch erinnere ich mich, daß ich gelegentlich den Impuls spürte, mich zuzuschließen, wie ein indischer Affe nicht zu sehen und nicht zu hören. Warum? Doch nicht um mich der Einsicht in Struktur, Charakter und Zielsetzung des ›Dritten Reichs‹ zu entziehen. Manchmal aus Scham: es gab Verbrechen, denen gegenüber es fast unerträglich sein konnte, Zuhörer zu sein. Im Zugabteil reichten junge Soldaten Fotos herum – nicht die ihrer Bräute, sondern die aufgehängter Polen oder Russen; der Soldat, grinsend, im Vorder- oder Hintergrund, je nachdem. Manchmal aus Angst: vor der Sühne. (War ich denn nicht unschuldig? Gibt es denn im geschichtlichen Kontext Unschuld?) Manchmal – aus Grauen. Ich wollte ja leben, und nicht nur überleben, das heißt aber : Ich wollte auch lachen, mich verlieben, mit Genuß meinen Tee trinken und Gedichte schreiben, und das – oder Ähnliches – wollten auch meine Freunde. Wie soll man das Leben nicht lieben? Und wie konnte man das – nur zu genau wissend, was im Machtbereich des NSStaates und seiner Heere geschah?«742

Die Schülerinnen und Schüler sollen, so der Arbeitsauftrag, mithilfe dieser Darstellung diskutieren, wie sie »sich unter der Herrschaft des Nationalsozialismus angesichts von Nachrichten über die Verbrechen an den Juden verhalten hätten«743. Mehrmalige Erwähnung finden in den Schulbüchern zudem Hitlers »Prophezeiung« vom 30. Januar 1939744 und die Involvierung eines ganzen Kranzes von Personen in die »Endlösung«745, ohne dass diese Informationen jedoch in Beziehung zum etwaigen Wissen der Deutschen um den Judenmord gesetzt werden. Dasselbe gilt für die Verwendung einiger Sätze aus der eidesstattlichen Erklärung des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß vom 5. April 1946 in Nürnberg im Buch Zeitaufnahme.746 Eher untypisch für das Sample ist Geschichte und Geschehen. Die Autorinnen 742 Geschichte, Politik und Gesellschaft (1988), S. 362. 743 Ebd. 744 Vgl. Unser Weg in die Gegenwart (1984), S. 128; Unsere Geschichte (1988), S. 149; Geschichte, Politik und Gesellschaft (1988), S. 360. 745 Vgl. Geschichte, Politik und Gesellschaft (1988), S. 360; Zeitaufnahme (1981), S. 73; Geschichte und Geschehen (1988), S. 148. 746 Vgl. Zeitaufnahme (1981), S. 75: »Wir sollten diese Vernichtungen im Geheimen ausführen, aber der … Gestank … von der ununterbrochenen Körperverbrennung … durchdrang die ganze Gegend, und alle Leute, die in den umliegenden Gemeinden lebten, wußten, daß … Vernichtungen im Gange waren.«

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und Autoren sprechen von Hitlers unentwegten öffentlichen Hasstiraden gegen die Juden während der Wahlkämpfe 1932/33747 und erwähnen, wie andere Lehrwerke auch, seine wiederholt ausgestoßene »Prophezeiung«.748 Ein eigener Absatz, der mit der Marginalie »Von allem nichts gewußt?« versehen ist, wendet sich aber im Gegensatz zum restlichen Untersuchungskorpus – mit Ausnahme von Geschichte, auf das weiter unten noch genauer eingegangen wird – ausdrücklich dem Problem zu und formuliert: »Während Hitlers ›Euthanasie-Programm‹ einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde, hat die Mehrheit über den ›Holocaust‹, d. h. die Judenvernichtung, nichts Genaueres gewußt. Furchtbares geahnt haben trotz strenger Geheimhaltung aber viele. Fronturlauber erzählten immer wieder von schrecklichen Vorgängen, deren Zeugen sie im Osten geworden waren, und fast jeder konnte beobachten, wie Juden aus seiner Nachbarschaft verschleppt wurden.«749

Aufmerksam gemacht wird schließlich auch darauf, dass nach dem Krieg vielfach behauptet worden sei, man habe von allem nichts gewusst.750 Schwierig einzuordnen ist das bereits erwähnte Geschichte aus dem Oldenbourg-Verlag. In der Kapitelzusammenfassung »Das Dritte Reich als Epoche der deutschen Geschichte« machen die Schulbuchmacherinnen und -macher ihre Leserinnen und Leser darauf aufmerksam, dass derzeit – 1982 – sowohl in der Bundesrepublik als auch im Ausland die Diskussion über die Zeit des Nationalsozialismus lebhafter als über irgendeinen anderen Abschnitt der deutschen Geschichte geführt werde. Immer wieder würden Fragen gestellt, u. a. auch die Frage, wer von den verbrecherischen Handlungen wissen konnte. Die Antworten darauf, so die Lehrwerksautorinnen und -autoren, könnten sehr unterschiedlich ausfallen: »Die einen behaupten, das Regime habe seine Verfolgungs- und Vernichtungsaktionen perfekt vor der Öffentlichkeit geheimgehalten, so daß man nichts wissen konnte – andere betonen, die Mehrheit der Deutschen habe durchaus davon gewußt, aber dazu geschwiegen.«751 Mit dieser mehr oder we747 Vgl. Geschichte und Geschehen (1988), S. 92: »Er wandte sich zumeist ausschließlich an die Gefühle der Menschen. Erlebnisse aus seiner Jugend, als Soldat an der Front, seine Sorge um Deutschland, um die deutsche Jugend, die deutsche Frau und Mutter, seine Liebe zu seinem Volk wechselten als Redeabschnitte mit Haßtiraden gegen die Juden, die Marxisten, die SPD und politisch Andersdenkende. Sie müßten ›ausgeschaltet‹, ›ausgerottet‹, ›vernichtet‹ werden – ›kompromißlos‹, ›unerbittlich‹, ›fanatisch‹.« 748 Vgl. ebd., S. 108: »Erst am 1. Oktober 1941 trat ein Auswanderungsverbot in Kraft, fast 170.000 Juden waren damals trotz aller Verfolgungen noch im Reich. Sie waren nicht zuletzt deshalb geblieben, weil sie nicht glauben konnten, daß in einem Kulturstaat wie Deutschland das passieren würde, was Hitler immer wieder angekündigt hatte: die ›Vernichtung‹ und ›Ausrottung‹ der ›jüdischen Rasse‹.« 749 Ebd., S. 148. 750 Vgl. ebd. 751 Geschichte (1982), S. 163.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration I

niger nichtssagenden Aussage werden die jugendlichen Schulbuchleserinnen und -leser sodann alleine gelassen.

5.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

5.1.

Verbreitung antisemitischer Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung

Häufig wird in den Verfassertexten der untersuchten Bücher auf einen langen, mindestens bis ins Mittelalter zurückreichenden religiösen Antijudaismus hingewiesen, der sich im 19. Jahrhundert mit einem modernen rassistisch begründeten Antisemitismus verbunden habe.752 Die Frage jedoch, ob auch der auf dauerhafte (und gewaltsame) Ausgrenzung der Juden aus der deutschen »Volksgemeinschaft« zielende Antisemitismus des Nationalsozialismus in der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden fiel, bleibt unbeantwortet. Ein Beispiel aus einem in der Mittelstufe genutzten Lehrwerk soll das verdeutlichen: »Antisemitismus: Der um 1879 geprägte Begriff wurde seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die allgemeine Bezeichnung für negative Einstellungen gegen die als Minderheit in verschiedenen Staaten lebenden Juden. Voraussetzung des Antisemitismus bildete die in vorchristlicher Zeit einsetzende Zerstreuung der Juden und deren gesellschaftliche Absonderung als Folge ihrer religiösen Eigenheiten (Beschneidung, Sabbatheiligung, Speiseverbote, Reinheitsvorschriften u. a.). Die religiöse Sonderstellung der Juden führte im gesamten Mittelalter zu politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Diskriminierungen. Die Juden wurden von den Zünften in der Berufsausübung behindert, mußten daher bestimmte Berufe ergreifen (Handel, Geldverleih), besaßen z. T. keine politischen Rechte, lebten in besonderen Stadtvierteln (Gettos). Zu Judenverfolgungen kam es vor allem seit der Zeit der Kreuzzüge. Besonders bei Seuchen, Wirtschaftskrisen und anderen Nöten sollten die Juden die Urheber gewesen sein. Vor den Verfolgungen flüchteten viele Juden nach Osten (Polen, Galizien, Litauen), später in die USA. Trotz Diskriminierung, Behinderung und Verfolgung gelangten einzelne Jude zu hohem Ansehen und Reichtum, vor allem weil sie durch Handel und Kreditwesen sich emporarbeiten konnten. Mit den Ideen der Aufklärung (Menschrechte, Freiheit des Individuums) begann seit dem Ende des 18. Jahrhunderts die Aufhebung der jüdischen Sondergesetze (Judenemanzipation). Die deutsche Reichsverfassung von 1871 garantierte ihnen bürgerliche Gleichberechtigung. Der politische und wirtschaftliche Einfluß, die überdurchschnittliche Repräsentanz in einzelnen Berufen (Wissenschaftler, Künstler, aber auch Politiker) führte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammen mit dem neu aufkommenden Nationalismus zum 752 Keine Angaben zu antijüdischen Einstellungen, die in der deutschen Bevölkerung vor oder während der Zeit des Nationalsozialismus grassierten, machen Geschichte (1982), Zeiten und Menschen (1985), Unsere Geschichte (1988) und Geschichte, Politik und Gesellschaft (1988).

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

213

modernen Antisemitismus. Neue antisemitische Parteien und Schriften entstanden. Diese Vorstellungen wurden, verbunden mit dem sozialdarwinistischen Rassismus, zur weltanschaulichen Grundlage Hitlers und des Nationalsozialismus.«753

Das hier zu Tage tretende Muster offenbart sich auch in Schulbüchern, die für die gymnasiale Oberstufe konzipiert sind. Noch einmal ein Beispiel zur Illustration: »Antisemitismus galt in der Hitlerzeit offiziell als ›Bewegung gegen die Beherrschung des geistigen und wirtschaftlichen Lebens durch das Judentum‹. Er war zentrales Anliegen des Nationalsozialismus und unterschied die NS-Ideologie grundlegend von faschistischen Bewegungen anderer Länder. Die Judenfeindschaft in Europa ist alt und hat ihren Ursprung wohl in dem allgemeinen Unbehagen der Mehrheit der Gesellschaft über das religiöse, kulturelle und wirtschaftliche Eigenleben einer Minderheit mit starkem Zusammengehörigkeitsgefühl. Wirtschaftliche Interessen – die Juden durften beim Geldverleih Zinsen nehmen – und religiöse Motive – Juden galten als Verfolger Christi – verstärkten den Gegensatz. Das alles führte im Laufe der Geschichte immer wieder zu Ausschreitungen gegen die Juden und zu ihrer Vertreibung. Getaufte und in die Gesellschaft integrierte Juden wurden hingegen nicht verfolgt. Die Aufklärung förderte nach und nach die Emanzipation der Juden. Sie hatten in der Folge an kulturellen Neuerungen und Ideen des späten 18. und des 19. Jahrhunderts maßgeblichen Anteil. Die Juden, in der liberalen und sozialistischen Bewegung teilweise führende Wegbereiter, außerdem oft bedeutende Intellektuelle und Wirtschaftsführer, wurden von Anhängern verschiedener weltanschaulicher Richtungen als Hauptschuldige der tiefgreifenden Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft angesehen. Bestimmend war dabei häufig ein weitverbreitetes Gefühl von sozialem Neid. Nachhaltige Sanktionen gegen die Juden wurden – von Ausnahmen abgesehen – allerdings nicht gefordert.«754

Eine gewisse Ausnahme im untersuchten Sample stellt Geschichtsbuch dar. Die Schulbuchmacherinnen und -macher beschränken sich nämlich nicht nur auf die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Judenfeindschaft, sondern beziehen als einziges Lehrwerk auch das während der nationalsozialistischen Herrschaft in großen Teilen der Bevölkerung anzutreffende Vorurteil gegenüber der jüdischen Minderheit ein. Der Verfassertext zeichnet dabei indes das Bild von einer Gesellschaft, die sich der Folgen ihrer zum Teil offen zur Schau gestellten antisemitischen Ressentiments gar nicht richtig bewusst gewesen sei: »Ein weiteres Feindbild der Nationalsozialisten, der Antisemitismus, war […] nicht etwas völlig Neues. Bereits im 19. Jahrhundert hatten sich große Teile des Bürgertums dafür empfänglich gezeigt. Seit der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. hatten die Juden kein eigenes Staatswesen mehr ; in verschiedenen Nationen und Staaten ver753 Geschichte und Geschehen (1988), S. 88. Vgl. auch Zeitaufnahme (1981), S. 72; Unser Weg in die Gegenwart (1984), S. 110; bsv Geschichte (1988), S. 131. 754 Buchners Kolleg Geschichte (1986), S. 121f. Vgl. auch Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II (1989), S. 188; Historisch-Politische Weltkunde (1990), S. 128.

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streut, bildeten sie oft rechtlich und sozial diskriminierte Minderheiten. Seitdem sie Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland die bürgerliche Gleichstellung erhalten und sich besonders erfolgreich im Finanzwesen und in akademischen Berufen betätigt hatten, wurden sie von manchen Gruppen als unliebsame Konkurrenten gefürchtet – vor allem von solchen, die vom wirtschaftlichen Abstieg bedroht waren. Die nationalsozialistische Propaganda ordnete nun auch die Vorurteile gegenüber Juden in den Rassismus ein und diskriminierte die jüdische Bevölkerung als einen weltweit verbreiteten ›rassischen‹ Gegner, der den inneren Frieden und den Frieden zwischen den Völkern bedrohe. Obwohl viele Bürger den Antisemitismus der Partei teilten, hatten sie kaum genaue Vorstellungen darüber, was er praktisch bedeuten würde, wenn die NSDAP erst an der Regierung wäre. […] Heute werden Menschen, die während des Nationalsozialismus gelebt haben, überwiegend bestreiten, an den nationalsozialistischen Rassismus geglaubt zu haben – und oft stimmt das wohl auch. Aber viele teilten einige vorurteilsbeladene Ansichten, auf denen das nationalsozialistische Gedankensystem aufbaute: Der eine meinte, die Armee solle endlich wieder eine Stärke erreichen, in der sie mit anderen Mächten konkurrieren könne; andere fanden, daß die Nazis ruhig diesen oder jenen jüdischen Bankdirektor absetzen könnten, denn die Juden hätten ja ohnehin zu viel Macht; und wieder andere stimmten damit überein, daß der Staat die Arbeitslosen zur Arbeit zwang. Allen gemeinsam war daran gelegen, daß die inneren politischen Kämpfe vorbei schienen und sich die Kraft des Staates wieder auf die äußere Entfaltung richten könne. Die Nationalsozialisten formten daraus eine Gesamtvorstellung, eine Ideologie. […] Offiziell […] durfte es keine ›Marxisten‹ oder ›Arbeitsscheue‹ mehr geben, die die nationalsozialistische Volksgemeinschaft stören konnten. Sie galten nun ebenso wie die Juden oder die slawischen Völker als ›erblich minderwertig‹. Damit war aber nicht mehr nur ihre soziale oder rechtliche Stellung bedroht – ihr Leben war insgesamt gefährdet. So ernst hatten viele, die antisemitische Äußerungen machten, das gar nicht genommen.«755

5.2.

Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der »Arisierung«

Sechs von zwölf untersuchten Büchern verwenden keine Aufmerksamkeit auf die »Entjudung der Wirtschaft«.756 Vier Lehrwerke deuten dagegen in den Verfassertexten die exzessive Beteiligung der nichtjüdischen Bevölkerung an der Zerstörung der wirtschaftlichen Existenz der Juden an. Dabei überwiegen zumeist – gerade für jugendliche Leserinnen und Leser – unscharfe Formulierungen. So schreiben etwa die Autorinnen und Autoren von Zeiten und Menschen: »Nun wurden sie [die Juden] ganz aus der Wirtschaft ausgeschaltet, nachdem vorher schon die meisten ihrer Geschäfte arisiert worden waren, d. h. 755 Geschichtsbuch (1988), S. 129. 756 Dazu gehören Zeitaufnahme (1981), Geschichte (1982), Unser Weg in die Gegenwart (1984), Geschichte und Geschehen (1988), bsv Geschichte (1988) und Buchners Kolleg Geschichte (1986).

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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unter Zwang zum Verkauf gestellt, wobei manche Nationalsozialisten, die als Käufer auftraten, reich wurden.«757 Die Schulbuchmacherinnen und -macher von Unsere Geschichte erklären: »An der […] ›Zwangsarisierung‹ aller jüdischen Unternehmen, Geschäfte und Handwerksbetriebe bereicherten sich […] viele, die jetzt jüdische Wirtschaftsbetriebe für wenig Geld erwarben.«758 Der Verfassertext von Geschichte, Politik und Gesellschaft vermerkt: »Die Aktionen vom 9. November 1939 [sic!] waren aber nur der Beginn einer neuen systematischen Ausbeutung der Juden. Sie wurden nun aus allen wirtschaftlichen Bereichen ausgeschlossen, ihre Betriebe wurden ersatzlos von ›arischen‹ Treuhändern übernommen oder aufgelöst.«759 Missverständlich fallen auch die Ausführungen in Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II aus. Die Schulbuchautorinnen und -autoren attestieren mit dem unteren Mittelstand zwar einer bestimmten Bevölkerungsgruppe ein großes materielles Interesse an der Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben, thematisieren dann aber nicht, ob es zur Vorteilsnahme auf Kosten der zwangsenteigneten Minderheit gekommen ist.760 Deutlicher formulieren dagegen die Autorinnen und Autoren von zwei anderen Lehrwerken. Der Verfassertext von Geschichtsbuch erläutert kurz aber präzise: »Jüdische Unternehmer wurden gezwungen, ihre Betriebe unter Wert an ›arische‹ Geschäftsleute zu verkaufen. Und viele Deutsche kauften; wie auch immer sie die Gewalttaten am 9. November beurteilten, sie waren bereit, deren Nutznießer zu werden.«761 Auf die vielen Profiteure der »Arisierung« gehen auch die Schulbuchverfasserinnen und -verfasser von Historisch-Politische Weltkunde dezidiert ein. Berichtet wird von einer »schamlose[n] Bereicherung des NS-Staates und vieler ›deutscher‹ Geschäfts- und Privatleute an der Vernichtung der Existenzgrundlage ihrer jüdischen Mitbürger«762. Eine im Arbeitsteil bereitgestellte Darstellung, ein Auszug aus dem Buch »Das zwölfjährige Reich. Der Deutschen Alltag unter Hitler« des Historikers Richard Grunberger aus dem Jahr

757 758 759 760

Zeiten und Menschen (1985), S. 96. Unsere Geschichte (1988), S. 102f. Geschichte, Politik und Gesellschaft (1988), S. 359. Vgl. Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II (1989), S. 142f.: »Der Nationalsozialismus war als politische Bewegung vor allem auch der Hoffnungsträger des unteren Mittelstandes – der Kleinhändler, Handwerker und Bauern. Existenzängste und Furcht vor sozialem Abstieg waren die Triebfedern für ihre überproportionale Unterstützung der Nationalsozialisten. Deren Programmatik, die Mittelstand und Landwirtschaft zu bevorzugen schien, versprach ihnen Hilfe. Der schroffe Antisemitismus ließ viele von ihnen hoffen, daß die jüdischen Geschäftsleute, in denen sie vorurteilsbesetzt die Bedrohung ihrer Existenz erblickten, aus dem Wirtschaftsleben verdrängt würden […]. Ihre Erwartungen, von Konkurrenz befreit zu werden, wurden jedoch nicht erfüllt.« 761 Geschichtsbuch (1988), S. 133. 762 Historisch-politische Weltkunde (1990), S. 175.

216

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration I

1972, vertieft den Verfassertext und konkretisiert die Mitwirkung der Bevölkerung am Beispiel der »wilden Arisierung« der Wirtschaft.763

5.3.

Verhalten der »Zuschauer« im Alltag gegenüber jüdischen Mitmenschen

Aussagen zum Mangel an solidarischen Einwänden oder Protesten der nichtjüdischen Bevölkerung enthalten die Verfassertexte von drei Büchern. Während die Leserinnen und Leser von Geschichte, Politik und Gesellschaft etwas über die mangelnde Solidarität unter den universitären Gelehrten zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft erfahren764, informiert Geschichte und Geschehen knapp darüber, dass die überwältigende Mehrheit der Deutschen in den Jahren 1933 bis 1945 nichts gegen die nationalsozialistische Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik unternommen habe und Juden folglich nur in Ausnahmefällen Hilfe gefunden hätten.765 Die Autorinnen und Autoren von Zeiten und Menschen betonen ebenfalls die geringe Bereitschaft der meisten Deutschen, für die jüdischen Verfolgten einzutreten. Zwei Gründe werden für die weitgehende Passivität verantwortlich gemacht: einerseits die Sorge, sich durch wohlwol763 Vgl. ebd., S. 196: »Die beliebteste Plünderungsform der Nazis stellten die Arisierungsverfahren dar, die in geradezu idealer Weise Profit und Ideologie verbanden. Korruption steigert sich jedoch in geometrischer Progression, und die Behörden waren fassungslos, als sie sahen, daß die Arisierer, die auf eigene Faust handelten, wie Pilze aus der Erde schossen, sich wütend gegenseitig Konkurrenz machten und die reibungslose Durchführung der Verfahren behinderten. Ein Wirtschaftsbericht der Berliner Stadtverwaltung fand zu tadeln, daß ›Mieter in Häusern, die früher Juden gehört hatten, Mietforderungen von den verschiedenen miteinander konkurrierenden Einzelpersonen und Verbänden bekämen. […] Für jeden jüdischen Laden gab es gewöhnlich drei oder vier Bewerber. Um einzelne Bewerber abzudecken, teilten sich verschiedene Handelsorganisationen in Gruppen auf und suchten um Behördenunterstützung nach, indem sie die jeweiligen Rivalen als Judenfreunde hinstellten.‹ Um die Epidemie der ›wilden Arisierung‹ einzuschränken, erklärte Göring einen Monat nach der Kristallnacht, daß der Raub jüdischen Eigentums das ausschließliche Vorrecht des Staates sei und nur unter der Ägide des Reichswirtschaftsministers durchgeführt werden dürfe. Überprüfungen an Ort und Stelle zeigten, daß bei einigen arisierten Läden in Wien die Profitmarge bei Werten zwischen 80 und 380 Prozent lag, und Gauleiter Bürckel fühlte sich verpflichtet, ein Dutzend Arisierungskommissare, die er persönlich eingesetzt hatte, in das Konzentrationslager Dachau einzuliefern, wo sie dann vorübergehend mit denen zusammentrafen, die sie enteignet hatten.« 764 Vgl. Geschichte, Politik und Gesellschaft (1988), S. 337: »Diese Passivität gegenüber der ersten Judenverfolgungswelle reichte bis in die Universitäten hinein. Gerade hier ließen es die ›arischen‹ Professoren meist an Solidarität mit ihren oft hochverdienten jüdischen Kollegen ermangeln. Sie sahen tatenlos zu, wie diese von ihren Lehrstühlen vertrieben wurden. Oft verweigerten sie auch den Bedrohten die erbetene Hilfe bei Appellen an die Reichsregierung.« 765 Vgl. Geschichte und Geschehen (1988), S. 148: »Mutige einzelne halfen jüdischen Mitbürgern; ein allgemeines Aufbegehren gegen das menschenverachtende NS-Regime blieb jedoch aus. Im Gegenteil: ›Man‹ ließ ›es‹ geschehen […].«

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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lendes Verhalten gegenüber Juden bei Parteifunktionären verdächtigt zu machen, andererseits die Auswirkungen der antisemitischen Propaganda.766 In den Arbeitsteilen von sechs Lehrwerken ist eine Quelle oder Darstellung vorhanden, anhand derer die Schülerinnen und Schüler Facetten alltäglichen Verhaltens der nichtjüdischen Deutschen gegenüber ihren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern rekonstruieren können. Vier Schulbücher lassen dabei die vom antijüdischen Terror Betroffenen und ihre subjektiven, aus der Retrospektive verfassten Sichtweisen in Bezug auf die Einstellungen der »Zuschauer« zu Wort kommen. Die Schulbuchmacherinnen und -macher von Zeitaufnahme verwenden einen kurzen Abschnitt aus dem Bericht von Else R. Behrend-Rosenfeld, die über die ambivalenten Reaktionen ihrer nichtjüdischen Umwelt auf die Einführung des Gelben Sterns im Jahr 1941 Auskunft gibt.767 In Historisch-Politische Weltkunde erhalten die jugendlichen Leserinnen und Leser einen Auszug aus den Erinnerungen einer Jüdin an ihre Kindheit in Lemgo. Im Mittelpunkt stehen alltägliche Schikanen, die sie durch ihre Lehrerin und ihre Mitschüler erleben musste.768 In Geschichtsbuch ist die 766 Vgl. Zeiten und Menschen (1985), S. 94: »Wohl wandten sich manche Deutsche, die glaubten Einfluß zu haben, gegen diese Maßnahmen [zur Entrechtung und Ausgrenzung der Juden]; allmählich entstand aber doch eine große Kluft zwischen vielen Nichtjuden und ihren jüdischen Mitbürgern. Freundschaften wurden gelöst, Nachbarn nicht mehr gegrüßt, jüdische Kinder gehänselt. Das war einerseits die Folge der sich bis ins Privatleben erstreckenden Überwachung durch die Parteifunktionäre, deren Tadel viele vermeiden wollten; andererseits wirkte sich auch die ›Propaganda-Berieselung‹ aus. Antisemitische Parolen wurden bis ins letzte Dorf getragen, erschienen auf Plakaten und Schriftbändern; allerorten standen Schaukästen mit primitiven Hetzblättern.« 767 Vgl. Zeitaufnahme (1981), S. 74: »Die meisten Leute tun, als sähen sie den Stern nicht, ganz vereinzelt gibt jemand in der Straßenbahn seine Genugtuung darüber Ausdruck, daß man nun das ›Judenpack‹ erkennt. Aber wir erlebten auch viele Äußerungen der Abscheu über diese Maßnahme und viele Sympathiekundgebungen … Am Schlimmsten ist es für die Schulkinder … Zwei etwa siebenjährige Buben wurden von gleichaltrigen ›Ariern‹ jämmerlich verprügelt … Einer älteren Frau … schenkte ein Soldat die Marken für eine wöchentliche Brotration …« 768 Vgl. Historisch-Politische Weltkunde (1990), S. 241: »Unsere Lehrerin war sehr stark nationalsozialistisch angehaucht, sie erzählte sehr viel von den Großtaten des Führers, hatte immer irgendwelche Sammelbüchsen auf dem Pult stehen und erschien mir gegenüber besonders feindselig; ich war gelähmt in ihrer Gegenwart, und meine Lernlust ließ immer mehr nach, dazu kam die Piesackerei der Mitschüler, die sehr bald zur Pein wurde. Es wurde mir freigestellt, im Religionsunterricht in der Klasse sitzen zu bleiben oder draußen vor der Klassentür zu stehen. Versuchte ich, draußen zu stehen, fragte mich jeder vorbeigehende Lehrer: ›Was hast Du angestellt, warum stehst Du draußen?‹ Auch die Schüler wurden dadurch noch mehr auf mich aufmerksam, da wählte ich den zweiten Ausweg und blieb in der Klasse sitzen. Mit dem Kopf nach unten saß ich die ganze Stunde wie beim Spießrutenlauf, da hatten die Juden Jesus gekreuzigt, und da war Juda der Verräter. Kurz, alles was Hitler in seinen langen Reden immer wieder betonte, wurde hier bestätigt! Wenn mein Pullover nach Mottenpulver roch, war es Judengestank, und was ich tat, konnte nur eine Saujüdin tun. Es gab keine Grenzen der Beschimpfungen. All diese Pein ertrug ich allein,

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration I

Perspektive der Opfer auf die nichtjüdische Mehrheitsbevölkerung ein weiteres Mal durch die Memoiren Marta Appels verankert, die u. a. davon berichtet, wie ehemals gute Freunde ihr und ihrer Familie die Freundschaft aufkündigten.769 Geschichte und Geschehen wiederum nimmt wenige Zeilen des Rabbiners Leo Baeck auf, der sich der moralischen Unterstützung eines Teils der Berliner Zivilbevölkerung entsinnt.770 Nonkonformes Verhalten von Einzelpersonen gegenüber dem von den Nationalsozialisten intendierten Ausschluss der Juden aus der »Volksgemeinschaft« greifen schließlich zwei Schulbücher in ihren Materialteilen auf. Die Autorinnen und Autoren von Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II drucken hierfür eine Quelle aus der Täterperspektive ab, die mit folgender Anmoderation eingeleitet wird: »Im Herbst 1940 gab es in Berlin eine Sonderzuteilung an Bohnenkaffee – eine Seltenheit in der Kriegszeit. Als auch Juden Kaffee zu erhalten suchten, wurden vom Ernährungsamt Ordnungsstrafen gegen sie verhängt. Ein Berliner Amtsgericht hob die Strafbescheide als nicht rechtmäßig auf. Der Richter – NSDAP-Mitglied – wurde strafversetzt. Justizminister Thierack kommentierte dies 1943 in den ›Richterbriefen‹.«771 wie meine Schwester Helga damit fertig wurde, weiß ich leider nicht, wir haben als Kinder nie darüber gesprochen. Auf jeden Fall erzählte ich zu Hause nichts, es war mein persönliches Leiden!« 769 Vgl. Geschichtsbuch (1988), S. 154: »Aber nach einigen Monaten des Terrorregimes hatten Treue und Freundschaft ihren Sinn verloren, Furcht und Verrat griffen um sich. Um unsere christlichen Freunde nicht zu gefährden, wandten wir uns ab und grüßten nicht, wenn wir einen von ihnen auf der Straße trafen; sie sollten nicht ins Gefängnis kommen, weil man sie für Judenfreunde hielt. Mit jedem Tag der Naziherrschaft wurde die Kluft zwischen uns und unseren Mitbürgern weiter. Freunde, mit denen wir lange Jahre hindurch freundschaftlich verbunden waren, kannten uns nicht mehr. Plötzlich stellten sie fest, daß wir eben doch anders waren als sie. Angstvolle Vorstellungen begleiteten mich, wohin ich ging: Wenn ich in einem Geschäft mit den Angestellten sprechen mußte, fürchtete ich, daß sie sich feindlich gegen mich wenden würden, sobald sie entdeckten, daß ich Jüdin sei; wenn ich auf die Straßenbahn wartete, dachte ich immer, daß der Fahrer nicht anhalten würde, wenn er wüßte, daß ich Jüdin sei. Ich bin eigentlich auf der Straße und in Geschäften niemals solchen unangenehmen Erlebnissen ausgesetzt gewesen, aber ich erwartete so etwas jeden Moment, und die Angst quälte mich unablässig. Schon lange bevor es uns von den Nazis verboten worden war, hatte ich darauf verzichtet, ein Theater oder ein Kino zu besuchen, weil ich es einfach nicht ertragen konnte, zwischen Menschen zu sitzen, die uns haßten.« 770 Vgl. Geschichte und Geschehen (1988), S. 111f.: »Aus der Berliner Bevölkerung zeichneten sich hauptsächlich zwei Gruppen durch ihren Widerstand gegen die Judenverfolgung der Nazis aus. Einerseits viele Angehörige des Uradels und der Beamtenschaft, andererseits die sozialistische Arbeiterschaft Berlins. Ohne die moralische Unterstützung, die so ein Verhalten bedeutet, wäre das Leben weit schwieriger zu ertragen gewesen. Den Juden zu helfen war manchmal die einzige Art, auf die ein Deutscher den Nazis gegenüber seine Opposition auszudrücken vermochte.« 771 Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II (1989), S. 176: »Der Beschluß des Amtsgerichts grenzt nach Form und Inhalt an die Bloßstellung einer deutschen Verwaltungsbehörde

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

219

Unsere Geschichte bietet seinen Leserinnen und Lesern unter der Überschrift »Gab es Alternativen?« einen kurzen Darstellungstext, der von den mannigfachen Hilfeleistungen für Juden einer vom Staat Israel posthum als »Gerechte unter den Völkern« ausgezeichneten Deutschen berichtet.772

6.

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

6.1.

Beteiligung am Genozid an den Juden

Sieben von zwölf untersuchten Lehrwerken sparen die Verwicklung der Wehrmacht in den Judenmord aus. Für die Massenerschießungen werden allein die Einsatzgruppen der SS, vereinzelt auch die Polizeibataillone und einheimische gegenüber dem Judentum. Der Richter hätte sich fragen sollen, mit welchem Gefühl wohl der Jude diese Entscheidung des Gerichts aufnehmen wird, die ihm und seinen fünfhundert Rassegenossen auf einer zwanzig Seiten langen Begründung sein Recht und seinen Sieg über eine deutsche Behörde bescheinigt, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, wie das gesunde Volksempfinden jenes freche und anmaßende Verhalten der Juden beurteilt. Auch wenn der Richter der Überzeugung war, daß das Ernährungsamt die Rechtslage unrichtig beurteilt hatte, und wenn er sich nicht entschließen konnte, seine Entscheidung zurückzustellen, bis die Frage notfalls durch die Obersten Behörden geklärt war, hätte er für seinen Beschluß eine Form wählen müssen, die es unter allen Umständen vermied, das Ansehen des Ernährungsamts zu verletzen und dem Juden ihm gegenüber ausdrücklich ins Recht zu setzen. […] (Die) Rechtsauffassung des Ernährungsamts brauchte jedenfalls nicht als ›unhaltbar‹, ›konstruiert‹ und ›gekünstelt‹ hingestellt werden. Außerdem war es nicht erforderlich, den Juden darauf hinzuweisen, daß er nur einer von vielen seiner Rassegenossen war, die sich ebenfalls beschwert haben. Ebenso überflüssig war die Mitteilung, daß das Ernährungsamt bei den vorangegangenen Verhandlungen eine Zurücknahme der Strafbescheide abgelehnt hatte, und daß die Staatsanwaltschaft sich durch die Ablehnung der Übernahme der Verfahren ebenfalls in Gegensatz zum Ernährungsamt gestellt habe. Diese Hinweise waren für die Entscheidung nebensächlich. Der Jude konnte daraus nur auf eine Uneinigkeit der verschiedenen Behörden schließen. Statt dessen hätten für den Fall, daß der Richter die Strafbarkeit verneinte, wenige Sätze der Begründung genügt, die lediglich auf die Verjährung eingingen. Die umfangreiche Begründung des Falles wäre nicht einmal nötig gewesen, wenn es sich um den Rechtsstreit eines deutschen Volksgenossen gehandelt hätte. Die Anordnung des Führers in dem Erlaß über die Vereinfachung der Rechtspflege vom 21. März 1942, daß ›gerichtliche Entscheidungen in bündiger Kürze mit Beschränkung auf das unbedingt Notwendige abzufassen sind‹, war auch vordem bereits ein Gebot der Kriegszeit.« 772 Vgl. Unsere Geschichte (1988), S. 145: »Frau Dr. Gertrud Luckner baute im Auftrag des Deutschen Caritas-Verbandes in Freiburg in den Jahren nach 1940 ein über ganz Deutschland verzweigtes Netz von Informations- und Hilfsdiensten auf, die Juden vor drohender Verhaftung warnten, Paket- und Geldsendungen für Juden im KZ organisierten, bedrohten Juden Fluchtmöglichkeiten ins Ausland verschafften. Frau Luckner wurde von der Gestapo beschattet, 1943 verhaftet und in das Frauen-KZ Ravensbrück eingeliefert. Sie überlebte. Vom Staat Israel erhielt sie die ›Medaille der Gerechtigkeit‹, die höchste Auszeichnung für Nicht-Juden.«

220

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration I

Hilfstruppen verantwortlich gemacht.773 Die Autorinnen und Autoren von Geschichte und Geschehen schreiben die Mordaktionen an den Juden Osteuropas ebenfalls den SS-Einsatzgruppen zu774, drucken aber einen Auszug aus dem Armeebefehl über das »Verhalten der Truppe im Ostraum« ab, der mit folgender Fragestellung versehen ist: »Welche Aufgaben über das ›hergebrachte einseitige Soldatentum‹ hinaus waren der ›Truppe im Ostraum‹ wohl zugedacht?«775 Im Verfassertext von Geschichte, Politik und Gesellschaft findet kurze Erwähnung, dass »nicht nur besondere Einsatzgruppen der SS und des SD, sondern auch reguläre Einheiten der Wehrmacht«776 an Tötungen von Juden beteiligt waren. Ähnlich formulieren die Autorinnen und Autoren von Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II: »Mit dem Überfall auf die Sowjetunion gingen zunächst die Wehrmacht selber und dann die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD […] zu planmäßigen Massenerschießungen über.«777 In Zeitaufnahme werden die Wehrmachtssoldaten dagegen lediglich als passive Zuschauer der Massenerschießungen von Juden im Verfassertext angesprochen.778 Der Tatbestand der unmittelbaren Beobachtung breiter Wehrmachtskreise erfährt Konkretisierung durch eine Textquelle: den Bericht des Major Rösler an seine vorgesetzte Dienststelle vom 31. Januar 1942: »Die mir … vorgelegte Angelegenheit ›Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung im Osten‹ gibt mir Veranlassung, … zu berichten: Ende Juli 1941 … hörten wir in regelmäßigen Abständen Gewehrsalven, denen … Pistolenschüsse folgten … Wir bekamen bald den Eindruck, daß sich hier ein grausames Schauspiel abspielen müsse, denn nach einiger Zeit sahen wir zahlreiche Soldaten und Zivilpersonen einem … Bahndamm zuströmen, hinter dem, wie man uns meldete, laufend Erschießungen vorgenommen wurden … Als wir den Bahndamm erklettert hatten, bot sich … ein Bild, dessen grausame Abscheulichkeit … erschütternd und abschreckend wirkte. In die Erde war ein etwa 7–8 Meter langer, vielleicht 4 Meter breiter Graben eingezogen … Die Grube selbst war mit zahlreichen … menschlichen Leichen aller Art und jeden Ge773 Dabei handelt es sich um Geschichte (1982), Unser Weg in die Gegenwart (1984), Zeiten und Menschen (1985), Geschichtsbuch (1988), bsv Geschichte (1988), Buchners Kolleg Geschichte (1986) und Historisch-Politische Weltkunde (1990). 774 Vgl. Geschichte und Geschehen (1988), S. 144. 775 Ebd., S. 146. Der abgedruckte Auszug aus dem Armeebefehl beinhaltet folgenden Text: »Geheim! Hinsichtlich des Verhaltens der Truppe gegenüber dem bolschewistischen System bestehen vielfach noch unklare Vorstellungen. Das wesentlichste Ziel des Feldzuges gegen das jüdisch-bolschewistische System ist die völlige Zerschlagung der Machtmittel und die Ausrottung des asiatischen Einflusses im europäischen Kulturkreis. Hierdurch entstehen auch für unsere Truppe Aufgaben, die über das hergebrachte einseitige Soldatentum hinausgehen.« 776 Geschichte, Politik und Gesellschaft (1988), S. 384. 777 Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II (1989), S. 191. 778 Vgl. Zeitaufnahme (1981), S. 73: »Berichte der ›Einsatzgruppen‹ sind erhalten. Da die Morde teilweise öffentlich stattfanden, gibt es auch Zeugenaussagen von Zuschauern, unter ihnen deutsche Offiziere und Soldaten.«

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

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schlechts gefüllt … Hinter dem aufgeschütteten Wall stand ein Kommando Polizei … Ringsherum standen unzählige Soldaten … teilweise in Badehosen … ebenso zahlreiche Zivilisten mit Frauen und Kindern.«779

Über den Hinweis auf Ansammlungen von Soldaten bei Massenexekutionen hinaus geht Unsere Geschichte. Wenngleich der Autorentext nur vage von in der Sowjetunion wütenden Einsatzgruppen spricht780, repräsentiert das Schulbuch durch seine breite Quellenauswahl eine Variante, die den anderen Lehrwerken im untersuchten Korpus besonders deutlich entgegengesetzt ist. So wird etwa durch den Abdruck einer längeren Passage aus dem Kriegstagebuch eines Obergefreiten vom 5. Oktober 1941 verdeutlicht, dass einfache Soldaten die Erschießungen von Juden nicht nur begafften, sondern auch aktiv und ohne Befehl unterstützten: »Gestern abend suchte unser Leutnant fünfzehn Mann mit starken Nerven. Habe mich selbstverständlich freiwillig gemeldet. Wir haben nicht gewußt, was es sollte. Heute früh um fünf sollten wir vor der Kompanie-Schreibstube antreten, mit Helm, und pro Mann dreihundert Patronen bekommen. Wir warteten mit großer Spannung auf den Morgen. Punkt fünf traten wir an, und der Leutnant erklärte uns, was wir zu tun hatten. Es gab ungefähr tausend Juden im Dorf Krupka, und die sollten heute alle erschossen werden. Ein Zug wurde uns als Wachmannschaft zugeteilt. Die hatten aufzupassen, daß niemand entwischte. Um punkt sieben hatten alle Juden auf dem Rapportplatz anzutreten – Männer, Frauen und Kinder. Die Liste wurde verlesen – und dann marschierte die ganze Formation ab, Richtung der nächste Sumpf. Das Hinrichtungskommando, zu dem ich gehörte, marschierte voran, und die Wachmannschaft marschierte rechts und links. Es war ein regnerischer Tag und der Himmel eine einzige schwere Wolke wie aus Blei. Man hatte den Juden gesagt, daß sie alle nach Deutschland geschickt werden sollten, damit sie dort arbeiteten. Aber als es quer über das Geleise von der Schmalspurbahn und weiter in Richtung auf den Sumpf zuging, ging den meisten ein Licht auf. Eine Panik brach aus, und die Wachmannschaft hatte alle Hände voll zu tun gehabt, daß sie den Haufen zusammenhielt. Wie wir bei dem Sumpf angekommen sind, haben sie sich alle hinsetzen müssen mit dem Gesicht in der Richtung, aus der wir gekommen sind. Fünfzig Meter davon war ein tiefer Graben voll Wasser. Die ersten zehn mußten sich neben diesen Graben stellen und sich bis zum Gürtel ausziehen, dann mußten sie ins Wasser hinuntergehen, und das Abschußkommando, also wir, sind über ihnen am Ufer gestanden. Einen Leutnant und einen Unteroffizier, die hatten wir bei uns. Zehn Schüsse, zehn Juden umgelegt. Das ist so weitergegangen, bis wir sie alle erledigt hatten. Nur wenige haben dabei ihre Haltung bewahrt. Frauen haben sich an ihre Männer geklammert und Kinder an ihre Mütter. Es war ein Schauspiel, das man nicht schnell vergißt.«781

779 Ebd., S. 75. 780 Vgl. Unsere Geschichte (1988), S. 141. 781 Ebd., S. 144f.

222

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration I

Zitiert wird im Arbeitsteil außerdem aus dem rassistischen »Reichenau-Befehl«.782 Hinzu kommt ein Armeebefehl an die Einheiten der Südarmee, der es bezeichnenderweise für nötig hält, das eigenmächtige Erschießen von Juden durch Soldaten der Wehrmacht zu verbieten: »Bekämpfung reichsfeindlicher Bestrebungen und Elemente (Kommunisten, Juden und dgl.) … ist in den besetzten Gebieten allein Aufgabe der Sonderkommandos der Sicherheitspolizei und des SD, die in eigener Verantwortung die notwendigen Maßnahmen treffen und durchführen. Eigenmächtiges Vorgehen einzelner Wehrmachtsangehöriger oder Beteiligung von Wehrmachtsangehörigen … ist verboten.«783

Schließlich findet noch die rassistische Wehrmachts-Propaganda zur ideologischen Beeinflussung des »kleinen Mannes in Uniform« durch einen Auszug aus einer Tornisterschrift von 1941 mit dem Vermerk »Nur für den Gebrauch innerhalb der Wehrmacht« Berücksichtigung. Den Text hatte das OKW aus der bereits 1939 von Martin Staemmler, einem führenden Pathologen und Mitherausgeber der Zeitschrift »Volk und Rasse«, verfassten Broschüre mit dem Titel »Deutsche Rassenpflege« entnommen.784

6.2.

Verantwortung für die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen

Das elende Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen erfährt im untersuchten Sample eine auffallend stiefmütterliche Behandlung, zumeist bleibt es gänzlich ausgespart.785 Dass die Wehrmacht die Verantwortung für den Tod von mehr als drei Millionen Toten trägt, wird nirgendwo diskutiert. So belassen es beispielsweise die Autorinnen und Autoren von Geschichtsbuch 782 Vgl. ebd., S. 145: »Der Soldat ist im Ostraum nicht nur ein Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen Idee … Deshalb muß der Soldat für die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis haben.« 783 Ebd. 784 Vgl. ebd., S. 107f.: »Den ›europäischen Rassen‹ stehen die ›Fremdrassen‹ gegenüber, zu denen wir außer den farbigen die vorderasiatische und die orientalische Rasse rechnen. Letztere beide zusammen bilden den Kern des jüdischen Volkes. Die europäischen Rassen werden vielfach unter der Bezeichnung ›Arier‹ zusammengefaßt, denen man die Fremdrassen als ›Nicht-Arier‹ gegenüberstellt. Nichtarische Anteile werden in allen europäischen Völkern vorwiegend von den Juden gebildet. Daneben enthalten die Russen reichlich mongolische (gelbe), Frankreich in steigendem Maße schwarze Rassenteile … Die Bezeichnung ›Arier‹ und ›arisch‹ wird in Deutschland jetzt durch den Begriff ›deutschen und artverwandten Blutes‹ ersetzt. Nordisches Blut, germanisches Wesen war einst in Europa viel stärker vertreten als jetzt. Wo es verloren ging, da änderte sich der Volkscharakter, da versiegte der schöpferische Gestaltungswille.« 785 Zeitaufnahme (1981), Buchners Kolleg Geschichte (1986) und Historisch-Politische Weltkunde (1990) machen überhaupt keine Angaben zu sowjetischen Kriegsgefangenen.

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

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bei einem kurzen Hinweis darauf, dass bis zum Winter 1941 etwa drei Millionen sowjetische Soldaten in Gefangenschaft geraten waren.786 Es handelt sich hierbei nicht um einen Einzelfall. Der Verfassertext von Zeiten und Menschen beschränkt sich ebenfalls auf eine bloße Nennung: »Motorisierte Verbände stießen weit vor und kesselten große Teile der Roten Armee ein. Die Zahl der Gefangenen ging bald in die Millionen […].«787 Der Autorentext von Geschichte und Geschehen berichtet dagegen nur von »hohen Gefangenenzahlen«788 ; immerhin angedeutet werden die Morde an den Politoffizieren: »Mit dem deutschen Angriff auf Rußland steigerte sich die nationalsozialistische Besatzungspolitik vollends zum ideologischen und rassischen ›Vernichtungskrieg‹. Den deutschen Truppen wurde befohlen, kommunistische Funktionäre, ›wenn im Kampf oder Widerstand ergriffen, grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen‹ (sog. Kommissarbefehl).«789

Nach demselben Muster verfährt Geschichte. Die Autorinnen und Autoren sprechen von »großen Raumgewinnen mit Millionen Gefangenen und großer Beute an Kriegsmaterial«790 ; eine Auflistung von Daten vermerkt unter dem 12. Mai 1941: »Erlaß Hitlers (Kommissarerlaß) über die sofortige Erschießung sowjetischer Kommissare bei der Gefangennahme.«791 Immerhin fünf Lehrwerke geben nicht nur eine Zahl der in Gefangenschaft geratenen, sondern auch eine Zahl der umgekommenen Soldaten an. In Unser Weg in die Gegenwart heißt es: »Die brutale Besatzungspolitik und die unmenschliche Behandlung der Kriegsgefangenen, von denen 3,7 Millionen in der Gefangenschaft umkamen, erleichterten es Stalin, alle Völker der Sowjetunion zum Großen Vaterländischen Krieg aufzurufen.«792 Die Schülerinnen und Schüler, die mit Geschichte, Politik und Gesellschaft arbeiten, lesen: »Von den 5,7 Millionen sowjetischer Soldaten, die als Kriegsgefangene in deutschen Gewahrsam kamen, starben 3,3 Millionen.«793 Die entsprechende Passage in bsv Geschichte lautet: »Der Vormarsch der Deutschen konnte von den sowjetischen Truppen nicht aufgehalten werden. Bis zum Oktober wurden in mehreren 786 Vgl. Geschichtsbuch (1988), S. 140: »Bis zum Einbruch des Winters, als die Front kurz vor Moskau zum Stillstand kam, waren etwa 3 Millionen sowjetische Soldaten gefangengenommen worden und zwei Drittel der schwerindustriellen Zentren des Landes besetzt.« 787 Zeiten und Menschen (1985), S. 118. 788 Geschichte und Geschehen (1988), S. 136. 789 Ebd., S. 144. 790 Geschichte (1982), S. 148. 791 Ebd., S. 151. 792 Unser Weg in die Gegenwart (1984), S. 156. 793 Geschichte, Politik und Gesellschaft (1988), S. 384. Eine Zeile zuvor kommt der Verfassertext auf den Kommisarbefehl zu sprechen: »Kriegsgefangene Kommissare der Roten Armee wurden ohne Verfahren erschossen (Kommissarbefehl).«

224

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration I

Kesselschlachten etwa drei Millionen russische Soldaten getötet oder gefangengenommen – eine Zahl, die der Größe der deutschen Streitmacht entsprach.«794 Der Verfassertext von Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II informiert: »Allein 3,3 Millionen von 5,7 Millionen registrierten sowjetischen Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft starben.«795 Über solch nüchterne Zahlenangaben ein wenig hinaus geht schließlich Unsere Geschichte, wenngleich auch hier die Verantwortung der Wehrmacht für den millionenfachen Tod der sowjetischen Kriegsgefangenen nicht interessiert: »Von über 5,5 Mio. kriegsgefangenen Sowjetsoldaten haben in deutschen Lagern etwa 3,5 Mio. den Tod gefunden: Ein Teil mußte gewaltsam sterben, die meisten sind durch Hunger und Seuchen umgekommen.«796

6.3.

Tötung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung

Der von der Wehrmacht unter dem Vorwand der Partisanen- und Bandenbekämpfung geführte Vernichtungskrieg gegen die sowjetische Zivilbevölkerung ist im Großteil der untersuchten Schulbücher buchstäblich Anathema.797 Einige Lehrwerke beschränken sich stattdessen auf die Kampftaktiken der Partisanen. So informiert z. B. der Verfassertext von Zeitaufnahme: »In der UdSSR, in Süd-, Südost- und Osteuropa sowie in West- und Nordeuropa entstanden Partisanenbewegungen. Sie überfielen, oft in enger Verbindung mit der einheimischen Bevölkerung, deutsche Soldaten und Offiziere, sprengten Eisenbahnlinien und Züge, sabotierten die Kriegsproduktion, lieferten Nachrichten an die Alliierten und banden deutsche Truppen im Hinterland.«798

Sofern die für die willkürlichen Vergeltungsmaßnahmen Verantwortlichen angesprochen werden, ist es zumeist die SS und/oder eine nicht näher definierte »deutsche Besatzungsmacht« gewesen. Die Darstellung in Geschichte und Geschehen kann hier als typisches Beispiel angeführt werden: 794 bsv Geschichte (1988), S. 145. 795 Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II (1989), S. 186. Im Arbeitsteil ist außerdem ein längerer Auszug aus dem Kommissarbefehl vorhanden. Vgl. ebd., S. 199f. 796 Unsere Geschichte (1988), S. 141. 797 In Buchners Kolleg Geschichte (1986) und Geschichte, Politik und Gesellschaft (1988) wird nirgends Bezug auf den »Partisanenkrieg« genommen. 798 Zeitaufnahme (1981), S. 77. Vgl. ähnlich Unser Weg in die Gegenwart (1984), S. 156: »Hinter der deutschen Front bildeten sich Partisanengruppen. Sie überfielen Besatzungssoldaten, zerstörten den Nachschub und lieferten den Deutschen regelrechte Gefechte, so daß im Laufe des Krieges der Einsatz ganzer Divisionen hinter der Front notwendig wurde.« Vgl. sehr knapp auch bsv Geschichte (1988), S. 146: »Der Sowjetunion gelang es, im ›Großen Vaterländischen Krieg‹ die nationalen Widerstandskräfte zu stärken. Partisanenverbände störten die deutschen Nachschublinien.«

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

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»In den besetzten Gebieten, wo deutsche Truppen anfangs gelegentlich als Befreier vom Bolschewismus begrüßt worden waren (z. B. im Baltikum oder in der Ukraine), führten die grausamen Unterdrückungsmaßnahmen bald zu erbittertem Widerstand. In Dänemark, Norwegen, den Niederlanden, Belgien, Griechenland und noch stärker in der Sowjetunion, Jugoslawien und Frankreich bildeten sich Partisanenverbände. Aus dem Untergrund heraus verübten sie hinter der Front Sabotageakte und Überfalle auf deutsche Einrichtungen und Truppenteile. Zur Bekämpfung der Partisanen mußten beträchtliche militärische Kräfte von den Fronten abgezogen werden. Auf Widerstandaktionen, zumal wenn sie deutsche Todesopfer forderten, antwortete die SS mit immer brutaleren Vergeltungsmaßnahmen. Ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht, die Männer erschossen, die Frauen und Kinder verschleppt […].«799

Manchmal lassen die Schulbücher zumindest erahnen, dass auch Soldaten der Wehrmacht größere Gewalttaten verübten. Beispielsweise ist dem Autorentext von Unsere Geschichte folgende Information zu entnehmen: »Überall, wo Widerstandsgruppen die deutsche Besatzung überfielen, geschahen Grausamkeiten, weil deutsche Truppen, vor allem SS-Einheiten, sich daraufhin an der Zivilbevölkerung rächten.«800 Des Weiteren findet im Materialteil die bekannte Fotografie Berücksichtigung, die deutsche Soldaten bei der Erschießung von sechs als Partisanen bezeichneten Männern im September 1941 in der Sowjetunion zeigt (Abb. 16). Im Schulbuch ist diese Aufnahme allerdings nur mit der ungenauen Bildunterschrift »Erschießung von Partisanen« versehen.801 Deutlicher kommen die von Wehrmachtsangehörigen verübten Verbrechen an der sowjetischen Zivilbevölkerung dagegen in Geschichte und HistorischPolitische Weltkunde zur Geltung. Das liegt jedoch weniger an den Ausführungen in den Verfassertexten802, sondern vielmehr an den vorhandenen Fotogra799 Geschichte und Geschehen (1988), S. 151. Vgl. auch die Verfassertexte von Zeiten und Menschen (1985), S. 124, sowie Geschichtsbuch (1988), S. 140, in denen nur sehr allgemein von »deutscher Besatzungsmacht« die Rede ist. 800 Unsere Geschichte (1988), S. 141. 801 Vgl. ebd., S. 145. 802 Vgl. Geschichte (1982), S. 153: »In den besetzten Gebieten Südost- und Osteuropas beteiligte sich praktisch die gesamte Bevölkerung aktiv oder passiv an den Untergrundbewegungen. Die besondere Kampftaktik der Partisanen – Kleinkrieg ohne feste Front, Angriff an vielen Stellen gleichzeitig und überfallartig, sofortiger Rückzug in die Verstecke – brachte häufig Erfolg. Die Partisanen richteten ihre Angriffe gegen alle Besatzungs-, Nachschub- und Versorgungseinrichtungen der deutschen Truppen. Die deutsche Seite reagierte mit immer brutaleren Abschreckungs- und Vergeltungsmaßnahmen. Geiselerschießungen, die nicht selten zu Massakern entarteten, steigerten Widerstandswillen und Haß noch mehr. Die kämpfenden Truppen wurden durch die Aktionen der Partisanen insbesondere ab 1942/43 erheblich in ihren militärischen Operationen beeinträchtigt.« Vgl. Historisch-Politische Weltkunde (1990), S. 219: »Hatten Teile der Bevölkerung in den sowjetischen Westgebieten die einmarschierenden deutschen Truppen anfangs als Befreier von der stalinistischen Diktatur begrüßt, so sorgte die NS-deutsche Terrorherrschaft dafür, daß die Sympathie rasch in Ernüchterung und Haß umschlug. Unter diesen Umständen

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration I

fien und den hierzu beigegebenen Kontextinformationen. So nutzten die Autorinnen und Autoren von Geschichte als Illustration ihres Textes ebenfalls das von Unsere Geschichte verwendete Foto des Erschießungskommandos der Wehrmacht (Abb. 17). Betitelt ist die – merkwürdigerweise seitenverkehrt abgedruckte – Bildquelle mit »Erschießung von Partisanen durch deutsche Soldaten«803. Historisch-Politische Weltkunde wiederum nimmt das bekannte Foto auf, das die öffentliche Exekution am Galgen von »Partisanen« durch Offiziere und Soldaten der Wehrmacht in Minsk am 26. Oktober 1941 zeigt (Abb. 18). Die Bildlegende erläutert: »Hinrichtung russischer Zivilisten durch deutsches Militär in Minsk, 1941. Nicht nur der Kampf gegen sowjetische Partisanen, sondern auch die Absicht, die russische Bevölkerung zu einem nach Belieben ausbeutbaren Sklavenvolk herabzudrücken, führte dazu, daß willkürliche Hinrichtungen an der Tagesordnung waren.«804 Am deutlichsten wird die Mitverantwortung der Wehrmacht an der Liquidierung der Zivilbevölkerung in Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II herausgestellt. Die Schulbuchmacherinnen und -macher, die im Arbeitsteil den Führererlass zur Kriegsgerichtsbarkeit abdrucken805, sprechen von ungefähr sieben Millionen Bürgerinnen und Bürgern der Sowjetunion, die allein in den ersten drei Jahren der deutschen Besatzungszeit ermordet worden seien. Sie führen dazu weiter aus: »Die Durchführung des Massenmords lag zu einem großen Teil bei der SS und anderen Organisationen der NSDAP. Das hat lange verschleiert, in welchem Umfang die Spitzen der Reichsbehörden, die Wehrmacht (deren Angehörige ihre Rolle in der Ausrottungspolitik fast immer geleugnet haben) und die Großindustrie, in deren Betrieben Ostarbeiter zu Tausenden arbeiteten und starben, für diese Politik mitverantwortlich waren. Offiziere, hohe Beamtenschaft und zahlreiche Unternehmer standen in einer Tradition deutschen Expansionsdenkens gegenüber Osteuropa, das sich im Ersten Weltkrieg und in Weimar schon geäußert hatte […]. Mochten auch viele Angehörige dieser Eliten die Methoden der Nationalsozialisten ablehnen, so akzeptierten sie doch häufig die Ziele dieser Politik und waren nachsichtig hinsichtlich der Mittel.«806

803 804 805 806

nahm das Partisanenwesen, durch die Weite des russischen Raumes begünstigt, größte Ausmaße an; wechselseitige Vergeltungsakte der Partisanen und der deutschen Besatzungsmacht verschärften die Spirale der Gewalt.« Geschichte (1982), S. 147. Historisch-Politische Weltkunde (1990), S. 219. Vgl. Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II (1989), S. 199. Ebd., S. 187.

Zwischenfazit

7.

227

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Die in der Mehrzahl zu Beginn und in der Mitte der 1980er Jahre geschriebenen Schulgeschichtsbücher entstanden zu einer Zeit, als es in der Bundesrepublik zu spürbaren geschichtskulturellen Veränderungen im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust kam. Besonderen Einfluss auf die Pluralisierung des öffentlichen Diskurses, der bis dahin – trotz einiger Ausnahmen – vor allem durch Tabuisierung und Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit gekennzeichnet gewesen war, hatte die im Januar 1979 in den Dritten Programmen ausgestrahlte Fernsehserie »Holocaust«. Die amerikanische »Seifenoper« erreichte weite Teile der Bevölkerung und löste bei nicht wenigen einen tiefen emotionalen Schock aus. Die Handlung um die jüdische Familie Weiss traf durch ihre Individualisierung der historischen Vorgänge auf eine große Bereitschaft zur Identifikation. So deutlich wie wohl nie zuvor kamen sowohl in den Medien als auch im privaten Gespräch die Leiden der Opfer zur Sprache. Dies galt ebenso für die Frage nach dem zeitgenössischen Wissen über die physische Vernichtung der Juden und die Diskussion über das Verhalten der »normalen« Deutschen, die ohne nennenswerten Widerstand bei den schrecklichen Verbrechen »mitmachten«. Unter Beachtung des durch »Holocaust« eingeleiteten Wandels im Umgang mit der NS-Vergangenheit und unter Berücksichtigung der von der akademischen Geschichtswissenschaft seit Ende der 1970er Jahre erarbeiteten Kenntnisse kommt man zu folgender Beurteilung der ersten Schulbuchgeneration. Auffallend, aber vor dem Hintergrund der noch defizitären Forschungslage nicht wirklich überraschend ist, dass die meisten Lehrwerke den Reaktionen der nichtjüdischen Bevölkerung auf den Aprilboykott, den Novemberpogrom und die Deportationen keine Beachtung schenken. Sofern eine entsprechende Thematisierung im Hinblick auf die Boykottmanifestationen des 1. April 1933 erfolgt, oszillieren die Schulgeschichtsbücher zwischen weitgehender Resistenz und kritikloser Duldung. Bei den wenigen Lehrwerken, welche die »Volksmeinung« zu den Ausschreitungen in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 aufgreifen, reicht das Spektrum von geringer aktiver Beteiligung und achselzuckender Hinnahme über mehrheitliche Betroffenheit und Sprachlosigkeit bis hin zu wenig offener Kritik und Hilfe für die verfolgte jüdische Minderheit. Der entscheidende Punkt aber, den Ian Kershaw bereits 1979 hervorhob, nämlich, dass die Missbilligung der Gewaltakte weniger aus moralischen Gründen als vielmehr aus »wirtschaftlichen« Einwänden resultierte, findet sich lediglich in einem Buch. Die gesellschaftlichen Reaktionen auf die Deportationen aus dem Reich sind im Sample buchstäblich inexistent. Diese Ausklammerung entspricht dem »Zeitgeist«. Während die etablierte Geschichtswissenschaft gemeinhin davon ausging, dass die Bevölkerung den systematischen Massenverschlep-

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration I

pungen der Juden während des Krieges keine Aufmerksamkeit mehr schenkte, war die Partizipation von Nichtjuden an der öffentlichen Versteigerung des Hausrats deportierter Juden noch nicht ins Blickfeld der Forschung geraten. Gemeinsam ist allen Schulbüchern des Samples, dass sie zu diesen drei zentralen antijüdischen Maßnahmen keine Textquellen anbieten, anhand derer die Schülerinnen und Schülern die Wahrnehmung der nichtjüdischen Zeitgenossen rekonstruieren können. Eine seltene und gleichzeitig rühmliche Ausnahme stellt – neben den Erinnerungen der Rabbinergattin Marta Appel – die Aufnahme eines SD-Berichtes dar, der zeigt, dass die Transporte für Gesprächsstoff sorgten und Gerüchte entstehen ließen. Mit Blick auf das Bildinventar der Schulgeschichtsbücher, das zu großen Teilen aus Gerhard Schoenberners Werk »Der gelbe Stern« von 1960 stammt, ist zunächst ein erschreckender Mangel der Herausgeberinnen und Herausgeber an quellenkundlicher Sorgfalt hervorzuheben. Polemisch ausgedrückt: Man gewinnt zuweilen den Eindruck, als gehöre der Bildbeschnitt zum scheinbar notwendigen Standard der Lehrwerke. Auf der Inhaltsebene, vor allem beim »Judenboykott« vom 1. April 1933, führt dies mitunter zum Ausschluss der »Zuschauer«. Die abgedruckten Fotos zur Reichspogromnacht zeigen zumeist brennende oder zerstörte Synagogen. Die Teilnahme der Bevölkerung an diesen von staatlichen Instanzen regelrecht programmierten und öffentlich in Szene gesetzten Ausschreitungen ist auf ihnen nicht dokumentiert. Lediglich ein Lehrwerk berücksichtigt die Perspektive der »Zuschauer«, indem es eine Fotografie verwendet, auf der eine große Gruppe von inhaftierten Juden zu sehen ist, die wiederum von zahlreichen Passanten aufmerksam beobachtet werden. Bezeichnenderweise ist das Bild – als Appetizer – auf der Auftaktdoppelseite platziert und wird von den Schulbuchautorinnen und -autoren innerhalb der Themeneinheit nicht mehr inhaltlich aufgenommen. Das visuelle Nichtvorhandensein der deutschen Gesellschaft wiederholt sich bei den Deportationen. Nur ein Schulbuch belegt mit einem Foto zum Deportationsmarsch mainfränkischer Juden im April 1942 durch Würzburg die große Beteiligung der Bevölkerung als interessierte Zuschauer. Hinsichtlich des zeitgenössischen Wissens über die Ermordung der Juden Europas vermittelt die überwiegende Mehrheit der untersuchten Schulgeschichtsbücher das Bild einer weitgehend ahnungslosen Bevölkerung. Das liegt jedoch nicht etwa daran, dass die Autorinnen und Autoren mitteilen würden, den Deutschen seien die Massenverbrechen schlichtweg nicht bekannt gewesen. Vielmehr wird dieses Narrativ durch entsprechende Formulierungen in den Verfassertexten befördert, wenn davon die Rede ist, dass der Holocaust im Verborgenen, unbehelligt vom Ausland, in streng von der Öffentlichkeit abgeschirmten Lagern oder in den Weiten des Ostens durchgeführt worden sei. Ohnehin erfährt das Wissen der deutschen Gesellschaft nur einmal eine ge-

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sonderte Thematisierung im Sample. Dabei vertritt dieses Lehrwerk die Ansicht, dass man in der Heimat wahrscheinlich nichts Genaueres gewusst habe, wenngleich bei vielen eine ungefähre Ahnung aufgrund der mündlichen Berichte von Fronturlaubern bestanden hätte. Diese Deutung steht im Einklang mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung. Andere, etwa von HansHeinrich Wilhelm oder Walter Laqueur näher beschriebene Informationskanäle, über die man Hinweise auf den Judenmord erlangen konnte (Zeitung, Rundfunk, SS-Personal), werden allerdings auch von diesem Schulbuch nicht genannt. Zur Auseinandersetzung der Schulgeschichtsbücher mit den vorherrschenden Haltungen und Einstellungen der Menschen im Nationalsozialismus ist zunächst festzustellen, dass die für das Gros der untersuchten Lehrwerke konstitutive Ausblendung der Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der »Arisierung« der ebenso weitgehenden Marginalisierung dieser Problematik in der Historiographie über das »Dritte Reich« entspricht. Anders sieht es bei der Darstellung der antisemitischen Denkmuster aus. Wie antisemitisch war die deutsche Bevölkerung und auf welche Resonanz stieß der militante Rassenantisemitismus der Nationalsozialisten? Diese Fragen werden nirgendwo diskutiert. Die meisten Schulbücher geben zwar einen Überblick über den Antijudaismus des Mittelalters und der Frühen Neuzeit und gehen auch auf den im 19. Jahrhundert auf der Grundlage verschiedener ideologisch und »weltanschaulich« untermauerter »Programme« sich entwickelnden modernen Antisemitismus ein. Dass aber antijüdische Vorbehalte eine Konstante im Denken breiter Bevölkerungskreise bildeten, bleibt unberücksichtigt. Die selbstverständlich auch während der nationalsozialistischen Herrschaft anzutreffenden Vorurteile gegenüber der jüdischen Minderheit werden nur einmal explizit ausgewiesen, wobei die Deutschen unnötigerweise als von der NS-Propaganda Verführte, als nicht-denkende bzw. nicht-nachdenkende Subjekte beschrieben werden. Im Ergebnis haben somit weder die von Otto Dov Kulka entwickelte These der »passiven Komplizenschaft«, d. h. des grundsätzlichen Einverständnisses der meisten Deutschen mit der – wie auch immer gearteten – »Entfernung der Juden überhaupt«, noch die von Ian Kershaw für die Mehrheitsgesellschaft als charakteristisch bezeichnete Apathie gegenüber dem Schicksal der Juden ihren Niederschlag in den Schulbüchern gefunden. Ähnlich schwach ausgeprägt sind schließlich noch Ansätze, welche die jugendlichen Schulbuchleserinnen und -leser über das alltägliche Miteinander von Nichtjuden und Juden informieren, insbesondere auch darüber, dass die Hilfe für die Verfolgten ein absolutes Minderheitenphänomen war. Diese Nichtbeachtung wird man den Schulbüchern der 1980er Jahre jedoch, eingedenk der zur Entstehungszeit der Lehrwerke nur verstreut in der Forschungsliteratur vorhandenen Hinweise auf das Verhalten der nichtjüdischen Deutschen jenseits der

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration I

großen Staatsaktionen von Aprilboykott oder Reichspogromnacht, schwerlich zum Vorwurf machen können. Insofern nimmt es auch nicht wunder, dass nur in etwas weniger als der Hälfte der Bücher Materialien bereitgestellt werden, die den Lernenden erlauben, verschiedene Verhaltensweisen miteinander zu vergleichen. Solche Möglichkeiten waren augenscheinlich den Schülerinnen und Schülern vorbehalten, die seinerzeit am »Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten« teilnahmen und dabei – unter anderem durch Interviews mit Zeitzeugen – den Ursachen und Auswirkungen von Mitläufertum nachspürten. Im Fazit lässt sich folgende Tendenz festhalten: Die wenigen Aufsätze, die in verschiedenen Sammelbänden oder Fachzeitschriften veröffentlicht worden waren und sich explizit mit der zeitgenössischen Kenntnis und Haltung der »Zuschauer« während der »Endlösung der Judenfrage« beschäftigt hatten, sind vom Großteil der Schulbuchautorinnen und -autoren nicht zur Kenntnis genommen worden. Gleichwohl findet man in dieser Lehrwerksgeneration keine beschönigende Darstellung, in der die Mehrheitsbevölkerung überwiegend oder gar ausschließlich als ein von Hitler und seinen Schergen missbrauchtes und verängstigtes Opfer beschrieben würde, das im Grunde gegen die Judenverfolgung gewesen sei. Dass dem so ist, hängt wiederum wohl nicht unwesentlich mit einer erhöhten Sensibilität für das Thema infolge der Ausstrahlung von »Holocaust« zusammen, nach der eine Viktimisierung und Exkulpation der gesamten deutschen Gesellschaft schlechterdings unmöglich wurde. Wie spiegelt sich die Beteiligung der Wehrmacht am Vernichtungskrieg auf dem Territorium der Sowjetunion in den Schulgeschichtsbüchern wider? »Der Überraschungsangriff, der am 22. Juni ohne Kriegserklärung von der Ostsee bis zu den Karpaten auf breiter Front von über drei Millionen Soldaten gestartet wurde, gelang Hitler. Britische und amerikanische Warnungen hatte Stalin als Propagandamache nicht ernst genommen. Panzereinheiten sollten mit Luftwaffenunterstützung nach bewährtem Muster die Rote Armee in riesigen Kesselschlachten vernichten. Zwar gelang es in der Anfangsphase, weit ins Innere des Landes vorzudringen und sowohl Moskau als auch Leningrad zu bedrohen. Aber der Nichtangriffspakt mit Japan erlaubte der UdSSR die volle Konzentration auf den Gegner im Westen. Außerdem mobilisierte das Zentralkomitee der KPdSU durch die Heroisierung des Abwehrkampfes als ›Großer Vaterländischer Krieg‹ Kräfte, die bisher abseits oder in Opposition zum Stalin-Regime gestanden hatten. Die Weite des Landes, die herbstliche Schlammperiode, der russische Winter, auf den die Truppen nicht vorbereitet waren, die Taktik der ›verbrannten Erde‹ der sich zurückziehenden sowjetischen Truppen und der beginnende Partisanenkrieg verhinderten einen durchschlagenden Erfolg. Im Dezember startete die Rote Armee eine Gegenoffensive; neue Truppenverbände erhöhten die Kampfkraft der Russen trotz hoher Verluste. Das Blitzkriegsunternehmen war gescheitert, die deutsche Heeresführung in eine schwere Krise geraten. Nach erneuten Landgewinnen im Sommer 1942 ging im Januar 1943 die Initiative an die UdSSR über. Im Kessel von Stalingrad, den Hitler wider besseres Wissen aus Prestigegründen zu

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halten versuchte, erlitt die deutsche Armee eine vernichtende Niederlage, deren psychologische Wirkung für beide Seiten von großer Bedeutsamkeit war.«807

Diese Darstellung aus Buchners Kolleg Geschichte, die sich betont nüchtern gibt und vermeintlicher Faktizität den Vorrang vor Problemerörterung erteilt, abstrahiert vom besonderen Charakter des »Unternehmens Barbarossa« als rassenideologisch grundiertem Vernichtungskrieg gegen Juden, Kriegsgefangene und die Zivilbevölkerung. Dieser Auszug repräsentiert im untersuchten Korpus insofern einen extremen Sonderfall, als in allen anderen Lehrwerken immerhin Facetten der planmäßig auf Dezimierung und physische Auslöschung eines Großteils der in der Sowjetunion lebenden Menschen ausgelegten Kriegsführung aufgegriffen werden. Gleichwohl gilt für das gesamte Untersuchungssample das Folgende: Die aktive Rolle der Wehrmacht interessiert – wenn überhaupt – nur am Rande. Damit kann als erstes Ergebnis festgehalten werden: Der seit Mitte der 1960er Jahre durch die Bücher von Andreas Hillgruber und KlausJürgen Müller sowie durch Manfred Messerschmidts fulminante Studie zur »Nazifizierung« der Wehrmacht erbrachte Nachweis, dass die Wehrmachtsgeneralität weitgehend einig mit der braunen Elite und deren weltanschaulichen und machtpolitischen Zielsetzungen war, auch und vor allem im Gefühl der »rassischen« Überlegenheit des eigenen Volkes gegenüber Slawen und Juden, hat so gut wie keine Spuren in den Schulbüchern hinterlassen. Betrachtet man die einzelnen Unterkategorien, so wird die Ausblendung der Rolle der Armee besonders evident beim Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen. Obwohl Hans-Adolf Jacobsen bereits 1965 in seinem Gutachten für die »Anatomie des SS-Staates« die Verantwortung der Wehrmacht für die Ausrottungspolitik gegenüber den wehrlosen Sowjetgefangenen nachgewiesen hatte, ist hiervon in den Lehrwerken nichts zu lesen. Als die Schulgeschichtsbücher geschrieben wurden, lag ebenfalls bereits seit einigen Jahren Christian Streits Dissertation vor, mit der endgültig kein Zweifel mehr daran bestehen konnte, dass die gefangenen Sowjetsoldaten die erste Kollektivgruppe waren, die unter der Verantwortung des OKW der Vernichtungspolitik zum Opfer fiel. Allenfalls Streits Berechnungen zur Zahl der in Wehrmachtsgewahrsam Umgekommenen – etwa 3,3 Millionen von rund 5,7 Millionen – haben Eingang in die Bücher gefunden. Die Textstellen bei Streit, die darauf aufmerksam machen, dass der von der Wehrmachtsführung ausgearbeitete »Kommissarbefehl« zur sofortigen Ermordung der Politoffiziere der Roten Armee von fast allen Truppenteilen weisungsgemäß ausgeführt worden sei, haben die Schulbuchmacherinnen und -macher dagegen augenscheinlich nicht zur Kenntnis genommen. Sofern dieser Mordbefehl überhaupt Aufnahme im 807 Buchners Kolleg Geschichte (1986), S. 186f.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration I

Sample findet, bleiben die Fragen nach Initiator, Verbreitung und Durchführung offen. Ähnlich unterbelichtet wie das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen bleibt der Zusammenhang von Partisanenkrieg und brutalem Vorgehen gegen Zivilisten, ganz zu schweigen von der Involvierung der Wehrmacht. In den meisten Schulbüchern liegt der Fokus auf den Kampftaktiken der Partisanen. Deutlich seltener begegnet der Hinweis auf die extrem brutale Bekämpfung des Widerstandes, der erhebliche Teile der Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft zog. Sofern die für willkürliche Ausschreitungen Verantwortlichen genannt werden, sind es zumeist Angehörige der SS oder eine nicht näher definierte deutsche Besatzungsmacht gewesen. Manche Textpassagen erwecken außerdem den Eindruck, als sei das radikale Vorgehen gegen tatsächlich oder vermeintlich Irreguläre die Folge des erbitterten Widerstandes und nicht dessen hauptsächlicher Auslöser gewesen, womit selbstverständlich Ursache und Wirkung ins Gegenteil verkehrt werden. Nur in drei Schulbüchern wird die Beteiligung der deutschen Truppenverbände – über abgedruckte Fotografien mit mehr oder weniger aussagekräftigen Legenden – ansatzweise behandelt. Lediglich in einem Buch stößt die Leserin bzw. der Leser auf den »Kriegsgerichtsbarkeitserlass« vom 13. Mai 1941. Somit ist auch bei diesem Thema die Tendenz der Schulgeschichtsbücher offensichtlich. Die der Forschung seit langem bekannte Praxis der Liquidierung von Teilen der einheimischen Bevölkerung durch Wehrmachtseinheiten im Zuge der Anti-Partisanenpolitik zur vermeintlichen Erhöhung der eigenen Sicherheit wurde größtenteils ignoriert. Erstaunlicherweise fällt die Beurteilung der Rolle der Wehrmacht bei der Judenvernichtung etwas kritischer aus, obwohl gerade in diesem Bereich die Lücken der Forschung noch am größten waren. Es ist außerdem nicht davon auszugehen, dass die von Helmut Krausnick Anfang der 1980er Jahre zusammen mit Hans-Heinrich Wilhelm veröffentlichte Studie zu den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD und ihres Verhältnisses zur Wehrmacht bereits allenthalben rezipiert worden war. Dasselbe gilt für Raul Hilbergs »The Destruction of the European Jews«, das zwar seit 1982 in einem kleinen Berliner Ein-Mann-Verlag übersetzt vorlag, aber noch keine angemessene Würdigung erfahren hatte. Gleichwohl findet man in den Verfassertexten von zwei Schulgeschichtsbüchern knappe Hinweise auf die aktive Beteiligung der Armee an Massenerschießungen von Juden. Einmal treten einfache Landser als Augenzeugen des Völkermordes auf. In einem anderen Lehrwerk wird durch die Aufnahme verschiedener Quellen deutlich, dass Soldaten wiederholt freiwillig an Exekutionen teilnahmen. Diese Befunde dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass kritische Wendungen gegenüber der Wehrmacht meistens unterbleiben. Im überwiegenden Teil der Schulgeschichtsbücher wird allein die SS für den Massenmord verantwortlich gemacht. Zugespitzt entsteht in dieser

Zwischenfazit

233

Lehrwerksgeneration somit das folgende Bild: Erschießungsaktionen hat es zwar gegeben, aber nicht unter Mitwirkung großer Teile der Wehrmacht. Fasst man die Untersuchungsergebnisse zur Beteiligung der Wehrmacht am Vernichtungskrieg zusammen, so könnte man die erste Schulbuchgeneration mit der Formel »Enthaltung statt Enthüllung« überschreiben. Wenn auch in keinem Unterrichtswerk von einer ausdrücklichen Exkulpation des Ostheeres gesprochen werden kann, indem etwa behauptet würde, einfache Soldaten hätten nur ihre Pflicht erfüllt und mit den im Zweiten Weltkrieg verübten Verbrechen nicht zu tun gehabt, ist die fast vollständige Ausblendung der seit Mitte der 1960er Jahre von der Fachwissenschaft vorgebrachten Erkenntnisse doch signifikant. Die Schulbücher entstanden in einer Zeit, als in der breiten Öffentlichkeit nach wie vor die Mitverantwortung der Wehrmacht am Vernichtungskrieg im Osten verschwiegen oder verharmlost wurde. Auch in den 1980er Jahren bestimmten immer noch ganz entscheidend die Memoiren ehemaliger hochrangiger Wehrmachtsoffiziere, welche die deutschen Verbrechen auf Hitler und die SS abwälzten, oder die den Ostkrieg verherrlichenden Landser-Hefte das kollektive Geschichtsbewusstsein. Insofern sind die untersuchten Geschichtsschulbücher – bei aller Unterschiedlichkeit im Detail – ein Spiegelbild des Zeitgeistes und tradieren damit – unfreiwillig oder auch gewollt – die Legende von der »sauberen« Wehrmacht.

VI.

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

In den folgenden Unterkapiteln werden die Ergebnisse der Schulbuchanalyse zur zweiten Lehrwerksgeneration dargestellt. Untersuchungsgegenstand waren 13 Bücher. Für die Sekundarstufe I wurden ausgewählt: Oldenbourg Geschichte für Gymnasien (Oldenbourg, 1994), Unser Weg in die Gegenwart – Neu (C.C. Buchner, 1995), Rückspiegel (Schöningh, 1996), Anno (Westermann, 1997), Geschichtsbuch – Neue Ausgabe (Cornelsen, 1997), bsv Geschichte (Bayerischer Schulbuch-Verlag, 1997), Geschichte und Geschehen (Klett, 1999), Wir machen Geschichte (Diesterweg, 1999) und Historia (Schöningh, 1999). Für die Sekundarstufe II wurden Geschichte und Geschehen Oberstufe (Klett, 1995), Geschichte Sekundarstufe II (Schroedel, 1996), Epochen und Strukturen (Diesterweg, 1996) und Geschichtsbuch Oberstufe (Cornelsen, 1996) herangezogen. Die Vorstellung der Analyseergebnisse erfolgt anhand der sowohl induktiv als auch deduktiv entwickelten Kategorien (1) Boykott 1933, (2) Novemberpogrom 1938, (3) Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/41– 1945, (4) Kenntnisse vom Holocaust, (5) Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen, untergliedert in (a) Verbreitung antisemitischer Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung, (b) Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der »Arisierung« und (c) Verhalten der »Zuschauer« im Alltag gegenüber jüdischen Mitmenschen, sowie (6) Wehrmacht und Vernichtungskrieg, untergliedert in (a) Beteiligung am Genozid an den Juden, (b) Verantwortung für die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen und (c) Tötung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung. In einem Zwischenfazit werden die aus der kategoriengeleiteten Inhaltsanalyse gewonnenen Ergebnisse vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Forschungsstandes der Geschichtswissenschaft und der in der Öffentlichkeit geführten Diskurse über die NS-Vergangenheit bewertet. Im Text genannte Bilder finden sich im Anhang der Arbeit.

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1.

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

Boykott 1933

Mehr als die Hälfte der untersuchten Bücher konstatiert im Verfassertext lediglich, dass es am 1. April 1933 einen (Aufruf zum) Boykott jüdischer Geschäfte, Arzt- und Rechtsanwaltspraxen gab.808 In die Riege der Lehrwerke, die im Verfassertext auf Angaben zu den Reaktionen der »Zuschauer« auf diese erste antijüdische »Aktion« verzichten, reiht sich auch Geschichtsbuch – Neue Ausgabe ein. So heißt es im Gegensatz zur älteren Fassung aus dem Jahr 1988 jetzt nur noch: »Die Judenfeindschaft des Nationalsozialismus wurde für alle sichtbar, als die SA am 1. April 1933 Eingänge zu jüdischen Geschäften verstellte, Ladeneinrichtung zerstörte und die Bevölkerung zum Boykott jüdischer Kaufhäuser und Läden aufrief.«809 Informationen über das – in diesem Fall mitfühlende – Verhalten der Bevölkerung gegenüber den gebrandmarkten Juden können die Schülerinnen und Schüler aber aus dem Arbeitsteil entnehmen, in dem nach wie vor Auszüge aus den Erinnerungen von Marta Appel zu finden sind.810 Diesem Ansatz folgt auch Epochen und Strukturen. Während der Verfassertext sich auf allgemeine Informationen zum Aprilboykott beschränkt811, finden 808 Vgl. Oldenbourg Geschichte für Gymnasien (1994), S. 183; Rückspiegel (1996), S. 165; bsv Geschichte (1997), S. 121; Wir machen Geschichte (1999), S. 247; Historia (1999), S. 147; Geschichte und Geschehen Oberstufe (1995), S. 345 u. S. 348; Geschichte Sekundarstufe II (1996), S. 67; Geschichtsbuch Oberstufe (1996), S. 95 u. S. 128. 809 Geschichtsbuch – Neue Ausgabe (1997), S. 102. Der Text entspricht im Wortlaut dem der Ausgabe von 1988. Allerdings ist er verschlankt um den abschließenden Satz zu den gesellschaftlichen Reaktionen: »Viele waren entsetzt, wechselten aber doch lieber ihren gewohnten Kaufmann; wenige kauften ›nun erst recht bei Juden‹.« 810 Vgl. ebd., S. 135: »Man hatte den Kindern gesagt, dass sie am 1. April 1933, dem Tag des Boykotts, nicht in die Schule kommen sollten … Auf jedem Platz, an jeder Ecke vor einer Synagoge fanden sich Propagandatafeln, auf denen wir verächtlich gemacht und beschimpft wurden. Wir seien Parasiten und hätten das Unglück des deutschen Volkes verschuldet, so konnten wir überall und immerzu bei jeder Gelegenheit hören und lesen. Doch an diesem Tag schloss kein jüdischer Laden; keiner wollte angesichts des Boykotts seine Angst zeigen. Nur die Synagoge öffnete ihre Tore nicht wie sonst, obgleich es Sonnabend war. Wir wollten nicht, dass diese heilige Stätte durch irgendwelche Unruhestifter entweiht würde. Ich ging sogar in die Stadt um zu sehen, was im Geschäftsviertel los war. Ich fand keine begeisterte Menge, die durch die Straßen stürmte und die jüdischen Geschäfte zerstörte, wie es die Nazis erwartet hatten, sondern ich hörte nur Äußerungen des Unmuts und der Missbilligung … Nichtjüdische Freunde und Nachbarn, ja, sogar Menschen, die wir vorher kaum gekannt haben, kamen zu uns um ihre Verbundenheit und ihre Freundschaft uns zu bekunden und alle meinten, dass diese Schreckenszeit nicht lange dauern könne.« 811 Vgl. Epochen und Strukturen (1996), S. 342: »Am 1. April 1933 rief die NSDAP mit Plakaten und Flugblättern zum Boykott jüdischer Geschäfte auf, angeblich als Notwehr gegen jüdische ›Greuel‹-Artikel über NS-Judenverfolgungen in ausländischen Zeitungen: Uniformierte SA-Leute zogen vor jüdischen Geschäften auf und hinderten Kaufwillige am Eintritt: ›Kein Deutscher kauft mehr bei Juden‹ […].«

Boykott 1933

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die gesellschaftlichen Reaktionen im Materialteil zumindest andeutungsweise Berücksichtigung. Geboten wird auch hier ein subjektives Zeugnis eines vom Boykott Betroffenen: die Erinnerungen von Edwin Landau, der 1933 Besitzer eines Eisenhandel- und Klempnerbetriebs war. Über den »Judenboykott« schreibt Landau: »Bereits am frühen Morgen des Freitags sah man die SA mit ihren Transparenten durch die Stadt ziehen. ›Die Juden sind unser Unglück‹, ›Gegen die jüdische Greuelpropaganda im Auslande‹. In den Vormittagsstunden begannen sich die Posten der Nazis vor die jüdischen Geschäfte und Betriebe zu stellen, und jeder Käufer wurde darauf aufmerksam gemacht, nicht bei Juden zu kaufen. Auch vor unserem Lokal postierten sich zwei junge Nazis und hinderten die Kunden am Eintritt. Mir erschien das Ganze unbegreiflich. Es konnte mir nicht einleuchten, daß so etwas im 20. Jahrhundert überhaupt möglich sein konnte, denn solche Dinge hatten sich doch höchstens im Mittelalter ereignet. Und doch war es bittere Wahrheit, daß da draußen vor der Tür zwei Jungen in braunem Hemd standen, die ausführenden Organe Hitlers. Und für dieses Volk hatten wir jungen Juden einst im Schützengraben in Kälte und Regen gestanden und haben unser Blut vergossen, um das Land vor dem Feind zu schützen. Gab es keinen Kameraden mehr aus dieser Zeit, den dieses Treiben anekelte? […] Ich nahm meine Kriegsauszeichnungen und legte sie an, ging auf die Straße und besuchte jüdische Geschäfte, wo man mich auch zuerst anhielt. Aber in mir gärte es, und ich hätte am liebsten diesen Barbaren meinen Haß ins Gesicht geschrien. Haß, Haß – seit wann hatte dieses Element in mir Platz ergriffen? – Seit einigen Stunden erst war in mir eine Wandlung eingetreten. Dieses Land, und dieses Volk, das ich bisher liebte und schätzte, war mir plötzlich zum Feinde geworden. Ich war also kein Deutscher mehr, oder ich sollte es nicht mehr sein. Das läßt sich natürlich nicht in einigen Stunden abmachen. Aber das eine empfand ich plötzlich: ich schämte mich, daß ich einst zu diesem Volk gehörte. Ich schämte mich über das Vertrauen, das ich so vielen geschenkt hatte, die sich nun als meine Feinde demaskierten. Plötzlich erschien mir auch die Straße fremd, ja die ganze Stadt war mir fremd geworden. Es gibt nicht die richtigen Worte, um die Empfindungen zu schildern, die ich in diesen Stunden erlebte. Zu Hause angelangt, ging ich auf den einen Posten zu, den ich kannte, und der auch mich kannte, und sagte ihm: ›Als Sie noch in den Windeln lagen, hab ich schon draußen für dieses Land gekämpft.‹ Er erwiderte: ›Sie sollten mir aus meiner Jugend keinen Vorwurf machen, Herr …, aber ich bin kommandiert worden, hier zu stehen.‹ Ich sah in sein junges Gesicht und dachte mir, er hat recht, Arme, irrgeführte Jugend!«812

Zwei Lehrwerke streichen dagegen in den Verfassertexten explizit heraus, dass der Aprilboykott innerhalb der Bevölkerung nicht die von der NSDAP erhoffte positive Resonanz erfuhr. Die entsprechende Passage in Unser Weg in die Gegenwart – Neu lautet: »Eine erste Maßnahme war der Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933, der jedoch von der Mehrzahl der Bevölke-

812 Ebd., S. 373f.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

rung nicht befolgt wurde.«813 Die Schulbuchautorinnen und -autoren von Anno greifen die Reaktionen der »Zuschauer« auf den »Judenboykott« in einem Abschnitt zum Thema »Verweigerung und Widerstand« auf und formulieren: »Dennoch waren nicht alle fanatisch Begeisterte oder Mitläufer. Manche ließen sich weder von der Mischung aus Lockung und Zwang noch durch Verbote, Strafen und Terror zur nationalsozialistischen ›Volksgemeinschaft‹ bewegen. Es gab immer wieder Frauen und Männer, die Hitler im Alltag einfach die Gefolgschaft versagten. Entweder weil sie den Beamteneid auf den ›Führer‹ nicht ablegten, den für den 1. April 1933 angekündigten Boykott jüdischer Geschäfte, Arztpraxen und Anwaltskanzleien verweigerten oder wie die ›Zeugen Jehovas‹ Eid und Wehrdienst ablehnten.«814

Fotografien, die von der Öffentlichkeit des Boykotts und – sofern nicht durch Beschnitt unkenntlich gemacht – der direkten Einbeziehung der Bevölkerung in diese Vorgänge zeugen, sind in sieben Schulbüchern enthalten. In allen Lehrwerken werden die Bilder auf reine Textillustrationen reduziert. Geschichtsbuch – Neue Ausgabe bedient sich des Fotos, auf dem mehrere Bürgerinnen und Bürger das an einer Litfaßsäule angeschlagene Plakat mit dem Aufruf zum wirtschaftlichen Boykott gegen Juden betrachten (Abb. 19).815 Oldenbourg Geschichte für Gymnasien macht Gebrauch von einem Foto, auf dem ein SA-Posten mit zwei vorgedruckten »Warn«-Plakaten vor einem jüdischen Geschäft aufgezogen ist (Abb. 20).816 In Epochen und Strukturen findet ein Foto Berücksichtigung, auf dem zwei SA-Männer an das Schaufenster eines Berliner Geschäftes Plakate mit der Aufforderung »Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!« anbringen. Am linken Bildrand zu sehen ist eine jüngere Frau, die dem Treiben offenbar aufmerksam zuschaut. Ob sie über den Angriff auf das jüdische Geschäft empört oder mit diesem einverstanden ist, lässt sich allerdings anhand ihrer Mimik nicht eindeutig identifizieren (Abb. 21).817 Vier Schulbücher schließlich enthalten das Foto der drei SA-Männer, die vor dem Berliner Kaufhaus Tietz von zwei Passanten flankiert werden. Während bei bsv Geschichte die beiden »Zuschauer« (wie auch ein SA-Mann) aus dem Bild entfernt worden sind (Abb. 22)818, lässt sich bei Wir machen Geschichte und Unser Weg in die Gegenwart – Neu zumindest noch einigermaßen die anscheinend gerade eine Unterhaltung mit dem SA-Mann führende Frau am rechten Bildrand erkennen (Abb. 23–24).819 Bei Geschichte und Geschehen sind die beiden Passanten da813 814 815 816 817 818 819

Unser Weg in die Gegenwart – Neu (1995), S. 122. Anno (1997), S. 87. Vgl. Geschichtsbuch – Neue Ausgabe (1997), S. 102. Vgl. Oldenbourg Geschichte für Gymnasien (1994), S. 183. Vgl. Epochen und Strukturen (1996), S. 342. Vgl. bsv Geschichte (1997), S. 122. Vgl. Wir machen Geschichte (1999), S. 247; Unser Weg in die Gegenwart – Neu (1995), S. 122.

Novemberpogrom 1938

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gegen nicht der Schere zum Opfer gefallen und für die Schülerinnen und Schüler klar zu sehen (Abb. 25).820 In der Bildunterschrift machen die Schulbuchautorinnen und -autoren zudem darauf aufmerksam, dass es »viel Mut« bedurft habe, »den Parolen der gewaltbereiten SA-Leute nicht zu folgen«821.

2.

Novemberpogrom 1938

(Nähere) Angaben zu den Reaktionen der »Zuschauer« auf die politisch inszenierten Gewaltexzesse gegen die jüdische Minderheit im November 1938 enthalten acht Schulgeschichtsbücher. Indessen gibt es auch fünf Lehrwerke, in denen nirgends Bezug auf die nichtjüdische Mehrheitsbevölkerung genommen wird. Dem Verfassertext von Historia z. B. geht es ausschließlich um die knappe Vermittlung von Ereignisgeschichte: »Am 9. November 1938 veranstalteten Partei und SA ein Reichspogrom, einen antisemitischen Rachefeldzug gegen die Ermordung eines deutschen Botschaftsangehörigen in Paris durch einen verzweifelten jungen Juden. Synagogen, jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört und 20 000 Juden in Schutzhaft genommen und in KZ-Lager eingewiesen.«822

Dasselbe Muster schlägt sich auch in den Autorentexten von Geschichte Sekundarstufe II823, Geschichte und Geschehen Oberstufe824, Rückspiegel825 und Epochen und Strukturen826 nieder. In die beiden letztgenannten Lehrwerke haben zudem ein oder mehrere Materialien Einzug erhalten. Diese geben allerdings keinen Aufschluss über das Verhalten der nichtjüdischen Deutschen.827 Demgegenüber schenken fünf Lehrwerke, die alle ebenfalls mehr oder weniger ausführlich auf die Hintergründe und den Verlauf der Reichspogromnacht eingehen, den gesellschaftlichen Reaktionen im Verfassertext explizite Aufmerksamkeit. Die Variationsbreite der Darstellung reicht dabei von der Betonung der Betroffenheit und Scham über die Akzentuierung der Trägheit und 820 821 822 823 824 825 826 827

Vgl. Geschichte und Geschehen (1999), S. 116. Ebd. Historia (1999), S. 147. Vgl. Geschichte Sekundarstufe II (1996), S. 67f. Vgl. Geschichte und Geschehen Oberstufe (1995), S. 345f. und S. 348. Vgl. Rückspiegel (1996), S. 165f. Vgl. Epochen und Strukturen (1996), S. 343. Rückspiegel (1996), S. 178f., nimmt in seinen Arbeitsteil eine Textquelle auf: die Erinnerungen der Jüdin Hannele Zürndorfer aus Düsseldorf, die über den Vandalismus der SAHorden in der elterlichen Wohnung berichtet. Epochen und Strukturen (1996), S. 375, präsentiert im Materialteil den Befehl, den der Führer der SA-Gruppe Nordsee vom 9. zum 10. November 1938 aus München telefonisch durchgab. Hinzu kommt das Foto der ausgebrannten Synagoge in der Berliner Fasanenstraße (Abb. 26).

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

Passivität bis hin zum Hinweis auf aktive Verstrickung. So erklären die Autorinnen und Autoren von Unser Weg in die Gegenwart – Neu: »Entsetzt standen viele Deutsche am anderen Morgen vor den Trümmern.«828 Und sie fügen hinzu: »Die wenigsten erfuhren, daß in der Nacht mindestens 91 Juden ermordet und mehr als 25 000 verhaftet und in Konzentrationslager gebracht worden waren.«829 Dagegen heißt es bei Oldenbourg Geschichte für Gymnasien: »Viele Deutsche reagierten auf die Pogrome zwar betroffen und mit Scham, ohne aber das brutale Vorgehen der Nazis zu behindern.«830 Die Schulbuchmacherinnen und -macher von Geschichte und Geschehen wollen sich offenbar in ihrer Beurteilung der Reaktionen der »Zuschauer« nicht festlegen und formulieren: »Die Mehrheit der Bevölkerung scheint mit Betroffenheit, Angst und Scham auf die Brandstiftungen und Morde reagiert zu haben.«831 Der Verfassertext von Geschichtsbuch Oberstufe stellt demgegenüber auf die Tatenlosigkeit der Mehrheitsbevölkerung angesichts der sich vor ihren Augen abspielenden Gewalt gegen die Juden ab: »Das von der NSDAP und der SA initiierte und durchgeführte Pogrom in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, die sogenannte ›Reichskristallnacht‹, zeigte dreierlei: den unverhüllten Vernichtungswillen des NS-Regimes, die inzwischen vollständige Rechtlosigkeit der Juden in Deutschland und das ›Wegsehen‹ der deutschen Bevölkerung.«832

Eine wesentliche Erweiterung erfährt diese Deutung durch die Aufnahme von Auszügen aus den Erinnerungen des Düsseldorfer Rabbiners Dr. Eschelbacher, der über das Verhalten der »Zuschauer« während der – ebenfalls in aller Öffentlichkeit stattfindenden – Verhaftungen von Juden in den Tagen nach der Pogromnacht das Folgende zu berichten weiß: »Nun begann der Marsch zum Polizeipräsidium. Ein Trupp SA-Leute zog voraus […], dann, durch einen weiteren Trupp SA-Leute von uns getrennt, Frau Wertheimer im Pyjama und dann zum Schluss wieder eine Gruppe SA-Leute. Auf dem ganzen Weg sangen sie im Sprechchor : ›Rache für Paris! Nieder mit den Juden!‹ Einer sagte nur: 828 Unser Weg in die Gegenwart – Neu (1995), S. 123. Als visuelle Veranschaulichung des Autorentextes greift das Schulbuch auf die Abbildung des Fotos einer ausgebrannten Synagoge in Nürnberg nach dem Pogrom zurück (Abb. 27). Zudem werden die Schülerinnen und Schüler in einem Arbeitsauftrag dazu angehalten, auf »Spurensuche« vor Ort zu gehen. Vgl. ebd., S. 124: »Erkundige dich, ob es während der ›Reichskristallnacht‹ auch in deinem Heimatort zu Judenverfolgungen gekommen ist!« 829 Ebd. 830 Oldenbourg Geschichte für Gymnasien (1994), S. 184. Illustriert wird der Verfassertext mit der Abbildung eines Fotos, das einen – so die Bildlegende – »SA-Mann mit zerrissenen Thora-Rollen in der zerstörten Synagoge in München am 9. November 1938« (ebd., S. 183) zeigt (Abb. 28). 831 Geschichte und Geschehen (1999), S. 117. 832 Geschichtsbuch Oberstufe (1996), S. 95.

Novemberpogrom 1938

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›Jetzt könnt ihr Laubhüttenfest feiern.‹ Passanten, die uns begegneten, stimmten auch ein. Etwa um 12.20 Uhr kamen wir im Polizeipräsidium an.«833

Mittels eines zu dieser Quelle formulierten Arbeitsauftrages werden die Schülerinnen und Schüler angehalten, »die Methoden der SA und das Verhalten der deutschen Bevölkerung am 9./10. Nov. 1938«834 zu beschreiben. Im Verfassertext von Wir machen Geschichte rückt wiederum das »Mitmachen« von Teilen der Bevölkerung in den Vordergrund der Darstellung. Die Autorinnen und Autoren schreiben: »In ganz Deutschland wurden jüdische Gotteshäuser, Synagogen, in Brand gesetzt, Geschäfte der Juden zerstört, ihre Wohnungen und Häuser geplündert und ihre Friedhöfe geschändet. Juden wurden geschlagen, gefoltert und ermordet. Dem Pogrom vorangegangen war ein Attentat eines 17-jährigen polnisch-deutschen Juden in Paris auf einen deutschen Diplomaten. Die Nazis behaupteten, dass sich in dieser Nacht der ›gesunde Volkszorn‹ darüber entladen habe. In Wirklichkeit waren die Ausschreitungen von der NSDAP organisiert worden; doch fanden sich überall Menschen, die diese Verbrechen ausübten.«835

Im Arbeitsteil »Gegen Bürgerlichkeit, Demokratie und Rationalität: Jugendliche im Nazi-Regime« verwenden die Autorinnen und Autoren zudem einen Abschnitt aus einem mit Renate Finckh geführten Interview, der den Schülerinnen und Schülern eine zusätzliche, im Verfassertext nicht genannte Facette des Verhaltens der Bevölkerung vorstellt. Die 1937 in die Hitlerjugend eingetretene und drei Jahre später zur Jungmädelführerin im Bund Deutscher Mädel aufgestiegene Finckh äußert sich zu den Novemberpogromen 1938 wie folgt: »Und auch die Reichskristallnacht einige Jahre zuvor hatte bei mir nur Unbehagen und dumpfe Abwehr erzeugt. Ich war ja von dem Antisemitismus meiner Eltern beeinflusst – und Juden bedeuteten für mich die Verkörperung alles ›Schlechten‹: Schlechte Gedanken, entartete Kunst, Intellektualisierung. … Ich fürchte, das Feindbild war schon so stark, dass ich die Opfer gar nicht mehr wirklich als Menschen, als leidende Menschen, erkennen konnte.«836

Drei Lehrwerke verzichten zwar auf Angaben in den Verfassertexten, betrauen dafür aber (indirekt) andere Schulbuchbausteine mit Informationen zu den Reaktionen der »Zuschauer«. Während die Autorinnen und Autoren von Geschichtsbuch – Neue Ausgabe – wie schon in der Vorgängerausgabe – das Foto der verhafteten jüdischen Männer in Baden-Baden, die von zahlreichen Passanten beobachtet werden, zur Bebilderung der Auftaktdoppelseite heranziehen 833 834 835 836

Ebd., S. 129. Ebd., S. 131. Wir machen Geschichte (1999), S. 248. Ebd., S. 207.

242

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

(Abb. 29)837, schlägt sich in Anno das Thema »Novemberpogrom 1938« besonders stark nieder. Den gewalttätigen Ausschreitungen während und nach der Reichspogromnacht widmet das Schulbuch eine ganze Seite.838 Gleich mehrfach geraten dabei die »Zuschauer« in den Blickpunkt, vor allem durch eine Fotografie, auf der zwei jüdische Männer hervorstechen, die ein Schild in Form eines Davidsterns mit der Aufschrift »Gott verlässt uns nicht!« tragen. Die zahlreichen »Zuschauer« sind auf der rechten Seite des Bildes eindeutig konturiert und durch die Bildlegende »Verhaftung jüdischer Bürger 1938 in Baden-Baden. Die Masse schaut zu« wird zusätzlich der Blick der Schülerinnen und Schüler auf das Spalier von Schaulustigen gelenkt, die beobachten, wie die jüdischen Männer abgeführt werden (Abb. 30). Hinzu kommt ein Arbeitsauftrag, der explizit das Verhalten der Masse zum Thema macht: »Diskutieren Sie über Mittäterschaft, Tatenlosigkeit und mögliche Hilfe für Bedrängte während der Judenverfolgung.«839 Die Autorinnen und Autoren von bsv Geschichte setzen wiederum eine Textquelle ein. Dabei handelt es sich um Tagebuchaufzeichnungen des nichtjüdischen Schriftstellers Jochen Klepper, der zur Tatzeit mit seiner jüdischen Frau und deren beiden Kindern aus erster Ehe in Berlin lebte. Die Auszüge aus den täglichen Eintragungen von Klepper sollen den Schülerinnen und Schülern offensichtlich ebenfalls der Informationsentnahme über die Geschehnisse des Novemberpogroms dienen, weil der Verfassertext selbst hierzu kaum Angaben macht.840 Im Hinblick auf das Verhalten der »Zuschauer« müssen die Lernenden zu dem Schluss kommen, dass die Berliner Bevölkerung das Pogrom mehrheitlich missbilligt hat, denn Klepper schreibt: »Aus den verschiedenen ›jüdischen‹ Gegenden der Stadt hören wir, wie ablehnend die Bevölkerung solchen organisierten Aktionen gegenübersteht.«841

3.

Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/41–1945

Die Massenverschleppungen der Juden aus dem »Altreich« werden in den meisten der untersuchten Schulbücher nicht berücksichtigt.842 Rückspiegel und 837 838 839 840

Vgl. Geschichtsbuch – Neu Ausgabe (1997), S. 98. Vgl. Anno (1997), S. 85. Ebd. Vgl. bsv Geschichte (1997), S. 123: »Die Pogromnacht vom November 1938 war ein weiterer Meilenstein in der Geschichte der Bedrängung und Verfolgung der Juden.« 841 Ebd., S. 122. 842 Keine Berücksichtigung findet das Thema bei Oldenbourg Geschichte für Gymnasien (1994), Unser Weg in die Gegenwart – Neu (1995), Anno (1997), Geschichtsbuch – Neue

Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/41–1945

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Epochen und Strukturen vermerken immerhin mehr oder wenig eindeutig, dass es Deportationen gegeben habe.843 Angesichts dieses Befundes überrascht es nicht, dass auch die Frage nach den Reaktionen der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung fast immer unbeantwortet bleibt.844 Ausnahmen von diesem Muster stellen lediglich Historia und Geschichtsbuch Oberstufe dar. Der Verfassertext von Historia informiert knapp: »Die Deportation der Juden geschah oft in aller Öffentlichkeit. Lokale Polizei und Behörden bis hin zur Reichsbahn leisteten Amtshilfe.«845 Aufnahme in das Buch findet zudem die Abbildung einer (unten und rechts beschnittenen) Fotografie, welche mit der folgenden, ungenauen Bildlegende versehen ist: »Es geschah am helllichten Tag. Deportation jüdischer Einwohner im Jahre 1942.«846 Tatsächlich sieht man die Deportation einer größeren Gruppe mainfränkischer Juden auf dem Weg durch die Stadt zum Nebenbahnhof Würzburg-Aumühle am 25. April 1942. Die in der Bildmitte fokussierte Gruppe der Juden ist von Tätern und Zuschauern eingerahmt. Trotz Beschnitts sind die das Schauspiel beobachtenden Zuschauer noch einigermaßen deutlich konturiert (Abb. 31). Der Autorentext von Geschichtsbuch Oberstufe unterstreicht ebenfalls die Beteiligung einer Vielzahl von Personen an der Deportation der jüdischen Bevölkerung aus Deutschland: »Die Deportation der Juden war zwar Sache der Gestapo, zugleich waren bei der Organisation der Deportation die Landräte, die Schutzpolizei, die Bürgermeister, die Reichsbahn und andere Dienststellen einbezogen. Mit der Verwaltung des zugunsten des Reichs verfallenen Vermögens der aus rassischen oder politischen Gründen Emigrierten war der Oberfinanzpräsident in Berlin beauftragt, sodass alle staatlichen Finanzämter Detailarbeit bei dem gigantischen staatlichen Raubzug leisteten.«847

Im Arbeitsteil greift das Lehrwerk schließlich den tage- und nächtelangen Protest mehrerer hundert nichtjüdischer Frauen gegen den Abtransport ihrer jüdischen Ehepartner in der Berliner Rosenstraße im März 1943 auf und präsentiert seinen Leserinnen und Lesern hierzu einen längeren Abschnitt aus dem

843

844 845 846 847

Ausgabe (1997), bsv Geschichte (1997), Geschichte und Geschehen (1999), Wir machen Geschichte (1999), Geschichte und Geschehen Oberstufe (1995) und Geschichte Sekundarstufe II (1996). Vgl. Rückspiegel (1996), S. 167: In einem Kasten, der diverse Stationen der »Endlösung« auflistet, wird formuliert: »Deportationen der Juden aus dem Reich in Ghettos nach Riga, Minsk und Lodz ab Herbst 1941; wer nicht untergebracht werden kann, wird sofort erschossen.« Im Verfassertext von Epochen und Strukturen (1996), S. 393, stößt man auf den Satz: »Züge deportierten Juden aus dem Westen seit Oktober 1941.« Die Teilnahme unzähliger »Volksgenossen« an der öffentlichen Versteigerung jüdischen Eigentums nach den Deportationen bleibt in allen Büchern unerwähnt. Historia (1999), S. 148. Ebd., S. 146. Geschichtsbuch Oberstufe (1996), S. 91.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

1981 erschienenen Geschichtsroman »Jahre auf Abruf. Roman vom Überleben eines jüdischen Arztes im Berlin des Dritten Reiches« von Walter Laqueur. Zu lesen ist: »Als ich weiterging, wurde ich plötzlich Zeuge einer Szene, wie ich sie in Deutschland viele Jahre nicht mehr erlebt hatte: eine spontane Demonstration. […] Es kam mitten im Krieg in Deutschland zu einer kleinen Rebellion. Die nicht-jüdischen Ehefrauen und Kinder der Verhafteten fanden schnell heraus, worum es ging und begannen sich vor dem Sammellager in der Rosenstraße aufzustellen. Am ersten Morgen war es nur ein Dutzend. Sie verlangten mit ihren Männern sprechen zu dürfen. Ihr Verlangen wurde nicht erfüllt, aber sie blieben. Gegen Abend kampierten einige Hundert vor dem Tor und riefen: ›Wir wollen unsere Männer wiedersehen‹ und ›Gebt uns unsere Väter frei!‹ Am nächsten Tag wuchs die Zahl auf etwa tausend an und sie wurden zu einem beträchtlichen Ärgernis, da sie Delegationen zum nahe gelegenen Polizeirevier und sogar ins Hauptquartier der Gestapo schickten. Die Behörden waren erstaunlich zuvorkommend, sogar höflich. Es sei kein Grund zur Aufregung, hieß es, noch sei nichts entschieden; man werde die Sache noch einmal überprüfen. Aber die Ehefrauen gaben sich mit solch unverbindlichem Geschwätz nicht zufrieden: Was sollte denn überprüft werden? Sie wollten ihre Männer auf der Stelle wiederhaben. […] Als die Beamten sagten, die Leute könnten noch nicht freigelassen werden, schlugen die Frauen vor, sie wollten bei ihren Männern im Gefängnis bleiben. Man gab ihnen zur Antwort, das sei nicht zulässig, da die Männer sich in Arrest befänden. Die Frauen entgegneten, die Rosenstraße sei kein Gefängnis und sie hätten das Recht das Gebäude zu betreten. Der Führer werde ganz gewiss ein solch gesetzwidriges Vorgehen nicht billigen. […] Die Beamten wussten nicht, was sie darauf antworten sollten und wandten sich an ihre Vorgesetzten um neue Instruktionen. Durch ganz Berlin verbreitete sich das Gerücht, mitten im Stadtzentrum gebe es eine Demonstration, die Leute widersetzten sich den Behörden. Einige ausländische Korrespondenten – Schweden und Schweizer – tauchten schon in der Nachbarschaft auf, natürlich ganz unauffällig, sie kamen nur zufällig vorbei.«848

4.

Kenntnisse vom Holocaust

Die Narrative in den untersuchten Unterrichtswerken über die zeitgenössische Kenntnis der deutschen Mehrheitsbevölkerung vom Genozid an den Juden Europas variieren – nicht nur im Umfang – sehr stark. Es können grundsätzlich vier Gruppen unterschieden werden. Erstens gibt es Schulbücher, in denen die Formulierungen der Verfassertexte eine weitgehende Ahnungslosigkeit der Bevölkerung nahelegen. Hierzu gehört Geschichte und Geschehen, wo das vermeintliche Nichtwissen in einem Abschnitt zu den ins Reich verschleppten Zwangsarbeitern aufgegriffen wird. Die 848 Ebd., S. 126.

Kenntnisse vom Holocaust

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Autorinnen und Autoren formulieren knapp: »Im Gegensatz zur Ermordung der Juden, Sinti und Roma hinter den Stacheldrähten der Vernichtungslager waren Hunger und Tod der Zwangsarbeiter in der deutschen Öffentlichkeit kaum zu übersehen.«849 Wenngleich ebenfalls nicht ausdrücklich formuliert, müssen auch die Leserinnen und Leser von Anno den Eindruck gewinnen, bei der systematischen Ermordung der europäischen Juden habe es sich um ein streng gehütetes Geheimnis gehandelt, von dem in der Heimat niemand etwas mitbekommen konnte. Die Rede ist lediglich von »in entlegenen Gebieten des besetzten Polen«850 errichteten Vernichtungslagern, in denen die Juden mit Giftgas »rasch und unauffällig«851 getötet worden seien. Eine zweite Gruppe von Büchern insistiert ebenfalls auf eine, wenn überhaupt nur geringe Verbreitung von Informationen über den Judenmord, wobei dieses Deutungsmuster durch beigefügte Materialien in den Arbeitsteilen eine geringfügige Relativierung erfährt. So weisen etwa die Autorinnen und Autoren von Geschichte und Geschehen Oberstufe zwar darauf hin, dass die meisten Deutschen um die Verhaftungen und die Einweisungen von politisch und rassisch missliebigen Personen in Konzentrationslager wussten, geben aber gleichzeitig zu bedenken, dass nur wenige Deutsche »vom Ausmaß der Verfolgung und Vernichtung von Menschen [wussten], die seit Kriegsbeginn in ganz Europa einsetzte«852. In einem Abschnitt zur Vernichtung »lebensunwerten Lebens« betont das Schulbuch zudem, dass sich die Ermordung der Insassen von Heil- und Pflegeanstalten »im Gegensatz zur Judenvernichtung im Osten nicht verheimlichen«853 habe lassen. Eine Ausweitung erfährt das im Verfassertext Beschriebene durch die Aufnahme des Geständnisses eines an der fabrikmäßig organisierten Tötung von Menschen in Auschwitz-Birkenau beteiligten Ingenieurs. Es handelt sich um die erst im Jahr 1993 im Zentralen Staatsarchiv in Moskau entdeckte Aussage von Kurt Prüfer, der für das Unternehmen Topf & Söhne als technischer Berater beim Krematoriumsbau die Hochleistungsöfen konstruiert hatte. Zu seinem Wissen über die Tötungen ist zu lesen: »Frage: Wussten Sie, dass in den Gaskammern und den Krematorien unschuldige Menschen verbrannt wurden? Prüfer : Seit dem Frühjahr 1943 wusste ich, dass im KZ Auschwitz unschuldige Menschen getötet und anschließend in den Krematorien verbrannt wurden. Frage: Welche technischen Anlagen baute und installierte die Firma Topf & Söhne für die Gaskammern? Prüfer : Zuerst wurden die Gaskammern als Leichenkeller bezeichnet. Dort wurde ein Belüftungssystem eingebaut; doch uns war klar, dass in den Gaskammern Menschen starben […]. Frage: Weshalb haben Sie als 849 850 851 852 853

Geschichte und Geschehen (1999), S. 131. Anno (1997), S. 118. Ebd. Geschichte und Geschehen Oberstufe (1995), S. 345. Ebd., S. 347.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

Oberingenieur der Firma Topf weitere Krematorien gebaut, obwohl Sie wussten, dass die Öfen zur Vernichtung von Menschen bestimmt waren? Prüfer : Ich stand bei der Firma Topf unter Vertrag und wusste, dass meine Arbeit für den nationalsozialistischen Staat von großer Bedeutung war. Außerdem hatte ich Angst, dass mich die Gestapo umbringen werde, wenn ich mich geweigert hätte weiterzumachen.«854

Nach einem ähnlichen Muster verfährt auch Rückspiegel. Eine erste Erwähnung findet die weitgehende Unkenntnis der Deutschen hier im Verfassertext zum Kapitel »Die Entfesselung des Kriegs und die militärischen Anfangserfolge«. Dort heißt es: »Polen wurde in einem raschen Feldzug von drei Wochen ohne bedeutende eigene Verluste niedergeworfen und zwischen Deutschland und der UdSSR aufgeteilt. Allenfalls über Andeutungen deutscher Soldaten, die in Urlaub waren, erfuhr man etwas über die unmenschliche Behandlung der polnischen Bevölkerung, besonders der Juden.«855

Im Kapitel »Der Mord an den europäischen Juden« ist zunächst die Rede von der Weite des eroberten Raumes in der Sowjetunion und der Ablenkung der deutschen Bevölkerung durch die Siegesmeldungen der NS-Propaganda, die »ein hohes Maß an Geheimhaltung«856 ermöglicht hätten. Einige Seiten später schreiben die Autorinnen und Autoren außerdem: »Um die gewünschte Geheimhaltung aufrechtzuerhalten, begann das Reichssicherheitshauptamt, im KZ Chelmno mit Gaswagen zu experimentieren, das waren hermetisch verschließbare Lastwagen, in deren Inneres die Diesel-Auspuffgase geleitet wurden. […] Auch diese Methode wurde aber verworfen, da sie nicht ›effektiv‹ genug war. Es entstand der Plan spezieller Vernichtungslager, die keinem anderen Zweck dienten als der schnellen Tötung der Opfer in Gaskammern. […] Drei solcher Lager waren im Frühjahr 1942 einsatzbereit: Treblinka, Sobibor und Belzec. Es handelte sich um räumlich sehr kleine Lager, die nicht dazu gebaut waren, größere Zahlen von Häftlingen unterzubringen. Sie waren abseits größerer Orte an Endpunkten kleiner Bahnlinien gelegen.«857

Ein paar Zeilen weiter im selben Abschnitt begegnen die Schülerinnen und Schüler wiederum der Thematik und der folgenden, durchaus verworrenen Erläuterung: »Die Erfahrung, dass das NS-Regime in höchstem Maße kriminell war, haben nicht alle Deutschen gleichzeitig gemacht. Manche wussten es schon zu Beginn der Nazizeit,

854 855 856 857

Ebd., S. 350. Rückspiegel (1996), S. 157. Ebd., S. 166. Ebd., S. 168.

Kenntnisse vom Holocaust

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anderen öffneten sich die Augen während des Kriegs, wieder andere wollten es bis 1945 nicht wahrhaben.«858

Eine im Arbeitsteil abgedruckte Quelle fügt dem Darstellungstext schließlich einen neuen Aspekt hinzu. Geboten wird den Schülerinnen und Schülern ein Erinnerungsbericht von Rosemarie Reichwein. Die Ausführungen der Ehefrau von Adolf Reichwein, einem Mitglied des Kreisauer Kreis um Helmuth Graf von Moltke, belegen, dass der Informationsfluss in Bezug auf den Genozid an den Juden u. a. durch die Reisebewegungen von Zivilisten im »Osteinsatz« und die Zwangsverschleppung von »Fremdarbeitern« gefördert wurde: »Man erfuhr ja hintenherum allerlei, auch später noch. Mein jüngerer Bruder zum Beispiel, der als Kind bei einem Unfall verletzt worden war und deswegen nicht eingezogen wurde, war als Geologe in Galizien gewesen, und als er zurückkam, sagte er : ›Wenn das auf uns zurückschlägt, was wir Deutschen dort gegenüber der Bevölkerung anrichten, dann Gnade uns Gott.‹ Ich selbst hatte ein nettes russisches Mädchen als Haushaltshilfe. 1941 kamen ja waggonweise Jugendliche hier in Berlin an, vor allem Mädchen und Frauen, die in der Rüstungsindustrie eingesetzt wurden oder in kinderreichen Haushalten. Ich stand mit meinen vier Kindern natürlich auch ohne Hilfe da – die Jüngste war gerade geboren –, und da ist mein Mann auf den Anhalter Bahnhof gegangen, um für mich eine Hilfe zu suchen. Mein Mann fand, es sei ein richtiger Mädchenmarkt, ein entsetzlicher Menschenhandel, und er hat sich furchtbar geschämt. Das Russenmädchen, das er sich raussuchte, war gerade fünfzehn geworden; die kam weinend bei uns zu Hause an mit einem kleinen Bündel unterm Arm, war blond und hatte zwei Zöpfe. Jetzt habe ich ein fünftes Kind, war mein erster Gedanke. Sie war ihren Eltern mit Gewalt entrissen worden und hatte die erste Zeit nur geweint; sie trug heimlich ein Kreuz und betete in der russisch-katholischen Kirche. Allmählich gewöhnte sie sich an die neue Umgebung, und mein Jüngstes war ihre ganze Liebe, wenn dem was passiert wäre, wäre sie durchs Feuer gegangen. Das hat sie mit der Familie verbunden. Als sie später ein wenig Deutsch konnte, hat sie uns erzählt, was in ihrem Dorf passiert war, dass die Juden einen langen Graben ausheben und sich davor stellen mussten; dann wurden sie erschossen und fielen rein. Das hatte sie aus einem Versteck mitangesehen, und seither war sie fürchterlich schreckhaft. So habe ich zum ersten Mal von diesen Greueln gehört, denn mein Mann, der wahrscheinlich davon wusste, hat mir nichts davon erzählt, weil er mich nicht belasten wollte.«859

Zur zweiten Gruppe hinzugerechnet werden kann auch bsv Geschichte, dessen Angaben zu dieser Thematik sich nur marginal von denen des Vorgängerbandes unterscheiden. Der Verfassertext gibt erneut an, dass die Juden »in streng von der Öffentlichkeit abgeschirmte Lager im Osten«860 transportiert worden seien. Das Schulbuch präsentiert seinen Leserinnen und Lesern zudem unter der 858 Ebd., S. 170. 859 Ebd., S. 201. 860 bsv Geschichte (1997), S. 124.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

Überschrift »Von allem nichts gewusst?« weiterhin einen kurzen Auszug aus der Monographie »Was niemand wissen wollte« von Walter Laqueur, der zur Perspektivenerweiterung anregt: »Millionen Deutscher wussten Ende 1942, dass die Juden praktisch verschwunden waren. Gerüchte über die Schicksale gelangten hauptsächlich über Ostfronturlauber, Offiziere und Soldaten, nach Deutschland … Das Wissen, wie die Juden getötet wurden, war auf wenige Personen beschränkt. Und verhältnismäßig wenig Deutsche interessierten sich für das Schicksal der Juden, die meisten waren mit einer Menge ihnen persönlich wichtigerer Probleme befasst. Das Thema war unangenehm, Vermutungen ergaben nichts, vor Diskussionen über das jüdische Schicksal schreckte man zurück.«861

Drittens liegen Lehrwerke vor, die explizit von einer prinzipiell großen Informiertheit über den Holocaust sprechen bzw. mit der Betonung, dass eine Vielzahl von Personen an der Ermordung beteiligt gewesen sei, dieses zumindest implizit andeuten. Der Verfassertext von Geschichtsbuch Oberstufe informiert: »Etwa sechs Millionen Juden wurden umgebracht: durch Hungerrationen, durch Exekution, durch Gas – allein in Auschwitz etwa eine Million Menschen. An dieser Tötung haben in Deutschland und in Europa Hunderttausende mitgewirkt: als Ärzte, als Polizisten, als Eisenbahner, als Hersteller und Lieferanten von Giftgas, als Soldaten, als SS-Lagerpersonal.«862

Stärker auf das eigentliche Wissen stellen die Autorinnen und Autoren von Epochen und Strukturen ab: »Wieviel die Deutschen über das Schicksal der Juden wußten, ist umstritten. Viele fragten erst gar nicht nach ihrem Verbleiben, und das SS-Terrorsystem bemühte sich um Geheimhaltung, doch Zigtausende waren unmittelbar (Wach- und Bahnpersonal etc.) in das Mordsystem eingebunden.«863

In Geschichte Sekundarstufe II lesen die Schülerinnen und Schüler zunächst: »Der Massenmord wurde streng geheimgehalten, obwohl viel davon durchsickerte.«864 Ein paar Seiten später treffen die Leserinnen und Leser auf einen eigenen Absatz zu dieser Thematik, der mit der Überschrift »Geheimhaltung« versehen ist und die folgenden Informationen enthält: »Wie geheim war die ›Endlösung‹? – Wer wissen wollte, was geschah, konnte davon erfahren; zuviele haben weggeschaut aus Selbstschutz, aus dem Gefühl individueller Ohnmacht, aus Scham, Selbstmitleid, Obrigkeitsglaube, Gleichgültigkeit.«865 861 862 863 864 865

Ebd., S. 125. Geschichtsbuch Oberstufe (1996), S. 95. Epochen und Strukturen (1996), S. 394. Geschichte Sekundarstufe II (1996), S. 67. Ebd., S. 70.

Kenntnisse vom Holocaust

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Ganz ähnlich verfahren auch die Autorinnen und Autoren von Wir machen Geschichte. Die entsprechende Textstelle lautet: »Die Verbrechen waren staatlich organisiert und befohlen worden. An ihrer Ausführung aber waren nicht nur fanatische Nationalsozialisten beteiligt. Hunderttausende waren in den Ablauf eingebunden, Millionen hatten davon zumindest ungefähre Kenntnis. […] Darüber hinaus mussten die Lager gebaut und dann bewacht werden; sie mussten mit Lebensmitteln versorgt werden, Transporte dorthin durch ganz Europa organisiert werden.«866

Am deutlichsten fällt die Aufbereitung der Thematik in Historia aus. Über die Kenntnis vom Holocaust wird im Verfassertext »Juden unter der NS-Herrschaft« mitgeteilt: »Geheim war die Endlösung für alle in dem Maße, als sie wegschauen und nicht weiter fragen wollten. […] Zumindest die Deportation nach Osten war bekannt. Wer mehr wissen wollte, musste nur wollen.«867 Im Arbeitsteil bringen die Autorinnen und Autoren unter der Überschrift »Hitler, Prophet der Vernichtung« einen recht ausführlichen Auszug aus Hitlers Reichstagsrede vom 30. Januar 1939, der mit dem Quellennachweis »Völkischer Beobachter, Münchner Ausg. vom 31. 1. 1939, S. 4« versehen ist.868 Die Materialauswahl berücksichtigt ferner den folgenden Auszug aus einem Brief, den ein Mitglied einer SS-Einsatzgruppe im September 1942 an seine Frau in der Heimat schrieb: »Meine Stimmung ist, wie gesagt, sehr düster. Ich muss mich erst selbst überwinden. Der Anblick der Toten (darunter auch Frauen und Kinder) ist auch nicht aufmunternd. Wir kämpfen aber diesen Krieg heute um Sein oder Nichtsein unseres Volkes. Ihr in der Heimat spürt es Gott sei Dank nicht zu sehr […] Meine Kameraden kämpfen buchstäblich um das Sein unseres Volkes. Sie machen dasselbe, was der Feind machen würde. Ich glaube, du verstehst mich. Da dieser Krieg nach unserer Ansicht ein jüdischer Krieg ist, spüren die Juden ihn in erster Linie. Es gibt in Russland, so weit der deutsche Soldat ist, keine Juden mehr. Du kannst dir vorstellen, dass ich erst einige Zeit benötige, um dies zu überwinden.«869 866 Wir machen Geschichte (1999), S. 248. 867 Historia (1999), S. 148. 868 Vgl. ebd., S. 143: »Ich bin in meinem Leben sehr oft Prophet gewesen und wurde meistens ausgelacht […] Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in- und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa. Die Völker wollen nicht mehr auf den Schlachtfeldern sterben, damit diese wurzellose internationale Rasse an den Geschäften des Krieges verdient und ihre alttestamentarische Rachsucht befriedigt.« Stets in den Fließtext integriert und nicht als eigenständige Quelle dargeboten, findet man Hitlers »Prophezeiung« auch in anderen Schulbüchern. Vgl. Unser Weg in die Gegenwart – Neu (1995), S. 124; Rückspiegel (1996), S. 127; Anno (1997), S. 116; Geschichte Sekundarstufe II (1996), S. 67; Epochen und Strukturen (1996), S. 392. 869 Historia (1999), S. 145.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

Der zu dieser Textquelle formulierte Arbeitsauftrag rückt die Thematik erneut in den Vordergrund, indem er von den Schülerinnen und Schülern verlangt: »Zeige, wie das Mitglied einer Einsatzgruppe seine Tätigkeit in einem Privatbrief umschreibt und rechtfertigt. – Wie viele könnten von dem Verbrechen gewusst haben?«870 Viertens existieren Bücher, die sich einer eindeutigen Zuordnung entziehen, weil die Autorentexte über vage Formulierungen nicht hinauskommen oder die abgedruckten Materialien nicht kontextualisiert werden. So schließt Oldenbourg Geschichte für Gymnasien seinen Verfassertext zum Thema »Der Holocaust: die Vernichtung der Juden« – wohlgemerkt in einem eigenen Absatz – mit den Worten: »Die wenigsten Deutschen wußten, was genau vor sich ging; geahnt aber hatten viele das Furchtbare.«871 Wie schon die Ausgabe von 1988 verzichtet Geschichtsbuch – Neue Ausgabe auf die Behandlung des Wissens der Deutschen im Verfassertext. Stattdessen drucken die Autorinnen und Autoren im Arbeitsteil abermals verschiedene Aussagen des SA-Führers Willi F. Habsheim872 und des Direktoriumsmitglieds der I.G.-Farben Christian Schneider873 zu ihrem angeblichen Nichtwissen bzw. Wissen vom Holocaust ab. Schließlich enthält sich auch Unser Weg in die Gegenwart – Neu eines Kommentars zu den zeitgenössischen Kenntnissen über den Judenmord. Lediglich aus einigen, in den Verfassertext integrierten Passagen 870 Ebd. 871 Oldenbourg Geschichte für Gymnasien (1994), S. 185. 872 Vgl. Geschichtsbuch – Neue Ausgabe (1997), S. 112: »Wir wussten natürlich aufgrund der Nürnberger Rassengesetze, wie die Juden eingestuft waren … Was aber nicht publik gemacht wurde, war zum Beispiel, dass ein Jude, weil er Jude war, erschossen worden ist oder erhängt wurde … Und man hört ja immer wieder, auch von der jungen Generation, wenn also sechs Millionen Juden tatsächlich vergast worden sind, das willst du nicht gewusst haben? Ich sage Ihnen, so wahr Sie und ich hier sitzen, ich wusste das nicht, ich wusste es bis zum Kriegsende nicht. Ich habe nie ein KZ gesehen.« 873 Vgl. ebd., S. 139: »Ich war als Hauptbetriebsführer auch verantwortlich für die Belegschaft der I.G. Auschwitz. Ich war mir bei der Einstellung von KZ-Häftlingen bewusst, dass diese Menschen, die aus allen sozialen Schichten stammten, aus politischen und rassischen Gründen im KZ waren. Diese Tatsache war dem Vorstand der I.G. bekannt. Die Verbrennungsschlote vom KZ Auschwitz konnte man von der I.G. Auschwitz aus sehen. Ich habe gehört, dass I.G.-Leute, die in Auschwitz waren, den Verbrennungsgeruch selbst gespürt haben, und zwar Walter Dürrfeld und andere Auschwitz besuchende Ingenieure. Die genannten Herren erzählten mir, dass es ein furchtbarer Geruch war. In einem Verhör vom 27. März 1947 habe ich ausgesagt, dass ich mich mit Walter Dürrfeld, Otto Ambros und Heinrich Bütefisch über die Vergasung bzw. Gaskammern in Auschwitz, in denen Menschen auf unnatürliche Weise umgekommen sind, unterhalten habe. Ich möchte dazu nachträglich bemerken, dass ich zur Zeit meiner Aussage müde und verwirrt war. Ich möchte meine Aussage nach reiflicher Überlegung dahin ändern, dass ich sicher bin, dass 1944, evtl. 1943 bereits, Mitteilung über die Vergasung zugegangen ist, dass ich mich aber nicht mehr erinnere von wem ich das gehört bzw. mit welchen Herren der I.G. ich mich darüber unterhalten habe.«

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

251

aus Richard von Weizsäckers Rede zum 40. Jahrestag des Endes der nationalsozialistischen Herrschaft lassen sich für die Schülerinnen und Schüler Informationen entnehmen.874

5.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

5.1.

Verbreitung antisemitischer Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung

Nähere Informationen über antijüdische Stereotype und Vorurteile in der (deutschen) Gesellschaft liefern acht von 13 untersuchten Geschichtsschulbüchern.875 Während Unser Weg in die Gegenwart – Neu sich mit einem Abriss zur Geschichte der Judenfeindschaft bis zum Ende des 19. Jahrhundert begnügt876, geben die Autorinnen und Autoren von Historia einen nachgerade beiläufigen Hinweis darauf, dass es den Nationalsozialisten gelungen sei, an eine bereits vor 1933 weitverbreitete Voreingenommenheit gegenüber Juden anzuknüpfen, ohne dies jedoch näher zu kommentieren.877 Der Verfassertext von Oldenbourg Ge874 Vgl. Unser Weg in die Gegenwart – Neu (1995), S. 147: »Der Völkermord an den Juden … ist beispiellos in der Geschichte … Vor den Augen der Öffentlichkeit wurde es (das Verbrechen) abgeschirmt. Aber jeder Deutsche konnte miterleben, was jüdische Bürger erleiden mußten … Wer konnte arglos bleiben nach den Bränden der Synagogen, den Plünderungen, der Stigmatisierung mit dem Judenstern, dem Rechtsentzug, den unaufhörlichen Schändungen der menschlichen Würde? Als dann am Ende des Krieges die … Wahrheit des Holocaust herauskam, beriefen sich allzu viele von uns darauf, nichts gewußt oder auch nur geahnt zu haben … Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen.« 875 Keine Angaben machen Anno (1997), bsv Geschichte (1997), Wir machen Geschichte (1999), Geschichte und Geschehen Oberstufe (1995) sowie Epochen und Strukturen (1996). 876 Vgl. Unser Weg in die Gegenwart – Neu (1995), S. 122: »Die Judenfeindschaft läßt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Seit die Juden nach der Vertreibung aus Palästina durch die Römer (135 n. Chr.) als religiöse Minderheit über zahlreiche Länder verstreut lebten, wurden sie immer wieder diskriminiert und verfolgt. Im Mittelalter, besonders während der Kreuzzüge, wurde ihnen die Kreuzigung Christi angelastet. Da ihnen der Grunderwerb und die Ausübung eines Handwerks untersagt waren, mußten sie ihr Auskommen im Handel und im unpopulären Beruf des Geldleihers suchen, zumal bei den Christen das Zinsnehmen als Wucher verpönt war. Erst mit der Aufklärung, welche die Gleichheit aller Menschen verkündete, wurden die Juden zu gleichberechtigten Bürgern. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verstärkte sich wieder die nunmehr rassisch begründete Judenfeindschaft. Bisher konnte jeder Jude durch den Übertritt zum christlichen Glauben die Gefahr für Leben und Besitz bannen. Jetzt galten die Rasseneigenschaften als ewig, die Juden aber als minderwertige Rasse.« 877 Vgl. Historia (1999), S. 143: »Für ihre Gewaltmaßnahmen gegen die Juden konnten die NSMachthaber religiös und sozial tief verwurzelte Vorurteile ausnützen. Zur christlichen Judenfeindschaft war im 19. Jahrhundert ein wirtschaftlich und politisch motivierter Antisemitismus gekommen. Die seit ihrer bürgerlichen Emanzipation sehr erfolgreiche jü-

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

schichte für Gymnasien vermittelt das Bild einer Gesellschaft, die sich aufgrund von politischer Unsicherheit und wirtschaftlicher Existenzangst ohne Bedenken die nationalsozialistische »Sündenbocktheorie« zu eigen machte, wonach das »internationale Judentum« die Schuld am Unglück der Deutschen trage.878 Knappe Bemerkungen über das Ausmaß und die Bedeutung judenfeindlicher Ressentiments in der Bevölkerung enthalten Geschichte und Geschehen und Geschichtsbuch Oberstufe. Die Autorinnen und Autoren des Klett-Buches schreiben in einem Abschnitt zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion: »Jüdische und ›bolschewistische‹ Frauen und Männer, die von vielen Deutschen als ›Untermenschen‹ angesehen wurden, sollten umgebracht werden – und wurden umgebracht.«879 Nach Einschätzung des Cornelsen-Lehrwerkes sei es den Nationalsozialisten gelungen, »dass ihre Vorstellungen von gefährlichen oder minderwertigen Gegnern sowie ihre politische und rassische Hierarchisierung von vielen Volksgenossen übernommen wurden, was für das Regime ein Mehr an Kontrolle und Effizienz bedeutete«880. Die Ausführungen von zwei Schulgeschichtsbüchern (Geschichte Sekundarstufe II und Geschichtsbuch – Neue Ausgabe) lassen dagegen eine Lesart zu, nach der die Bevölkerungsmehrheit mit der Diskriminierung und Verfolgung der Juden nicht glücklich gewesen sei bzw. das wahre Ausmaß des von den Nationalsozialisten propagierten Rassenantisemitismus nicht habe vorhersehen dische Minderheit wurde viel beneidet und galt als Gewinner und Nutznießer der modernen Erwerbsgesellschaft und des liberalen Staates. Die traditionellen Feindbilder des Jüdischen überboten die Nationalsozialisten mit sozialdarwinistisch-rassistischen. Das Judentum wurde schließlich zum Urheber von Kapitalismus und Bolschewismus, zum geborenen Feind einer hochwertigen arischen Rasse erklärt.« 878 Vgl. Oldenbourg Geschichte für Gymnasien (1994), S. 182f.: »Antisemitische, d. h. judenfeindliche Einstellungen und Strömungen hatte es bereits in Deutschland und auch in anderen Ländern seit Jahrhunderten gegeben. Im europäischen Mittelalter hatten vor allem religiöse, aber auch wirtschaftliche Gründe zu Pogromen (Verfolgungen) geführt, da Juden Zinsgeschäfte betreiben durften, während dies den Christen von der Kirche verboten war. Nach der Judenemanzipation im 19. Jahrhundert in Deutschland gewannen die auf den Handel spezialisierten jüdischen Geschäftsleute größeren Einfluß, ernteten aber damit auch Mißgunst und Neid der weniger Vermögenden. Pseudowissenschaftliche Schriften verkündeten die Theorie von ›auserwählten‹ und ›minderwertigen‹ Rassen und deren Kennzeichen. Dabei wurden immer wieder die Juden als minderwertige Rasse, ja sogar als ›Ungeziefer‹ bezeichnet. Im deutschen Reichstag gab es sogar eine Partei der Antisemiten. In der Weimarer Republik, vor allem während der Weltwirtschaftskrise, nahm die antijüdische Hetze zu. Juden wurden als ›Parasiten‹, als ›Träger von Kulturkrankheiten und Dekadenz‹ verleumdet. Viele Deutsche, die aus wirtschaftlichen und politischen Gründen mit der Weimarer Republik unzufrieden waren, suchten nicht nach den wirklichen Ursachen ihres Elends, sondern glaubten bereitwillig die Parole, die Juden seien schuld an allen Schwierigkeiten, d. h. sie wurden zu ›Sündenböcken‹ für das eigene Elend. Hitler machte schließlich die NSDAP zu der Partei des Antisemitismus schlechthin.« 879 Geschichte und Geschehen (1999), S. 125. 880 Geschichtsbuch Oberstufe (1996), S. 91.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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können. Wenngleich antisemitische Vorurteile in weite Teile der Gesellschaft tief eingesickert gewesen seien, habe die auf dauerhafte Scheidung der Juden von der »Volksgemeinschaft« zielende Politik des NS-Regimes nur mäßige Zustimmung gefunden. Während der Verfassertext von Geschichtsbuch – Neue Ausgabe im Vergleich zum Vorgängerband nur minimal überarbeitet worden ist881, heißt es in Geschichte Sekundarstufe II: »Die nationalsozialistische Rassenpolitik konnte eine geschichtlich tief verwurzelte und religiös gespeiste Judenfeindschaft mobilisieren. Die rechtliche Emanzipation ermöglichte am Ende des 19. Jahrhunderts auch der jüdischen Minderheit in den sich modernisierenden bürgerlichen Gesellschaften einen raschen, beneideten wirtschaftlichen Aufstieg. Antijüdische Vorurteile, bereits sozialdarwinistisch angereichert, zeigten sich in Zeiten der Krise. Im 19. Jahrhundert trat zur traditionellen Judenfeindschaft ein wirtschaftlich und sozial motivierter und bereits politisch sich organisierender Antisemitismus. Im Nationalsozialismus wurde dieser zu einer pseudowissenschaftlichen Weltanschauung, rassen- und erbbiologisch ›begründet‹, als Staatsideologie in Schulen gelehrt und öffentlich propagiert; er wurde in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung praktiziert und im Krieg zum Massenmord gesteigert. Der NS-Staat begann mit utopisch erscheinenden, antisemitischen 881 Vgl. Geschichtsbuch – Neue Ausgabe (1997), S. 107: »Ein weiteres Feindbild der Nationalsozialisten, der Antisemitismus, war ebenfalls nicht etwas völlig Neues. Bereits im 19. Jahrhundert hatten sich große Teile des Bürgertums dafür empfänglich gezeigt. Seit der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. hatten die Juden kein eigenes Staatswesen mehr ; in verschiedenen Nationen und Staaten verstreut bildeten sie oft rechtlich und sozial diskriminierte Minderheiten. Seitdem sie Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland die bürgerliche Gleichstellung erhalten und sich besonders erfolgreich im Finanzwesen und in akademischen Berufen betätigt hatten, wurden sie von manchen Gruppen als unliebsame Konkurrenten gefürchtet – vor allem von solchen, die vom wirtschaftlichen Abstieg bedroht waren. Die nationalsozialistische Propaganda ordnete nun auch die Vorurteile gegenüber Juden in den Rassismus ein und diskriminierte die jüdische Bevölkerung als einen weltweit verbreiteten ›rassischen‹ Gegner, der den inneren Frieden und den Frieden zwischen den Völkern bedrohe. Obwohl viele Bürger den Antisemitismus der Partei teilten, hatten sie kaum genaue Vorstellungen darüber, was er praktisch bedeuten würde, wenn die NSDAP erst an der Regierung wäre. […] Heute werden Menschen, die während des Nationalsozialismus gelebt haben, überwiegend bestreiten an den nationalsozialistischen Rassismus geglaubt zu haben – und oft stimmt das wohl auch. Aber viele teilten einige vorurteilsbeladene Ansichten, auf denen das nationalsozialistische Gedankensystem aufbaute: Der eine meinte, die Armee sollte endlich wieder eine Stärke erreichen, in der sie mit anderen Mächten konkurrieren könne; andere fanden, dass die Nazis ruhig diesen oder jenen jüdischen Bankdirektor absetzen könnten, denn die Juden hätten ja ohnehin zu viel Macht; und wieder andere stimmten damit überein, dass der Staat die Arbeitslosen zur Arbeit zwang. Allen gemeinsam war daran gelegen, dass die inneren politischen Kämpfe vorbei zu sein schienen und sich die Kraft des Staates wieder auf äußere Entfaltung richten könne. […] ›Marxisten‹ oder ›Arbeitsscheue‹, die die nationalsozialistische Volksgemeinschaft stören konnten, galten ebenso wie die Juden oder die slawischen Völker als ›erblich minderwertig‹. Damit war aber nicht mehr nur ihre soziale oder rechtliche Stellung bedroht – ihr Leben war insgesamt gefährdet. So ernst hatten viele, die antisemitische Äußerungen machten, das gar nicht genommen.«

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

Kampfparolen blutigen Ernst zu machen. Diese Konsequenz hätte die große Mehrheit der Deutschen einer angeblich legal an die Macht gekommenen Regierung nicht zugetraut. Der Antisemitismus war kein entscheidendes Motiv der NS-Wähler gewesen; die Politik der Judenverfolgung war auch nicht populär.«882

Wiederum deutlich von diesem Narrativ zu unterscheiden ist der Verfassertext von Rückspiegel. Hier unterstreichen die Schulbuchmacherinnen und -macher die signifikante Bedeutung der antisemitischen Denkmuster in breiten Teilen der Gesellschaft für die weitgehend störungsfreie Umsetzung der »Judenpolitik« des NS-Regimes. Die entsprechende Passage lautet folgendermaßen: »Der innerste Kern von Hitlers Weltbild bestand aus einem tiefen, unauflösbaren Hass auf die Juden. Wie viele andere Deutsche konnte er sich die Niederlage im 1. Weltkrieg nur erklären, indem er eine verbreitete Phantasiekonstruktion zur Hilfe nahm: das ›internationale Judentum‹ habe sich gegen Deutschland verschworen. Die Tatsache, dass Deutschland 1918 militärisch am Ende war, wurde dabei gedanklich gar nicht zugelassen. Diese Vorstellung führte dazu, dass die wehrlose jüdische Minderheit als ein dämonischer Feind Deutschlands behandelt und schließlich getötet wurde – lauter Menschen, die überhaupt nicht begriffen, wie ihnen geschah. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn der Antisemitismus nicht tiefe Wurzeln gehabt hätte und weit verbreitet gewesen wäre. Hitler konnte sich auf eine zuverlässige Gefolgschaft stützen. An der Spitze aller Maßnahmen gegen die Juden standen Himmler und Heydrich, beide mit Sondervollmachten für ihr blutiges Handwerk ausgestattet. Hinter diesen stand die SS, deren konsequente Erziehung zur ›Härte‹ während des Kriegs ihr wahres Gesicht enthüllte: Härte bedeutete nichts anderes, als Juden ohne Gemütsregung zu töten, wenn nötig, mit eigener Hand. Dies war es, worauf die sog. Eliteerziehung der SS hinauslief. Dem rassisch begründeten Antisemitismus der Nationalsozialisten gelang es zwar nicht, sich in der Breite der Bevölkerung durchzusetzen; der traditionelle, ursprünglich christlich oder einfach wirtschaftlich motivierte Antisemitismus reichte aber aus, dass die meisten Leute wegschauten und es zu keinem Widerstand gegen die Behandlung der Juden kam.«883

5.2.

Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der »Arisierung«

Die Mitwirkung der Bevölkerung an der wirtschaftlichen Existenzvernichtung der Juden und der »Arisierung« ihres Besitzes wird lediglich in fünf Geschichtsschulbüchern berücksichtigt.884 Während die Darstellung dabei zweimal 882 Geschichte Sekundarstufe II (1996), S. 67. 883 Rückspiegel (1996), S. 165. 884 Keine Angaben machen Oldenbourg Geschichte für Gymnasien (1994), Unser Weg in die Gegenwart – Neu (1995), Rückspiegel (1996), Anno (1977), bsv Geschichte (1997), Historia (1999), Geschichte und Geschehen Oberstufe (1995) sowie Geschichte Sekundarstufe II (1996).

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

255

sehr abstrakt bleibt885, gehen die anderen drei Bücher mehr oder weniger explizit auf den Versuch vieler Deutscher ein, von der Beraubung der Juden zu profitieren. Die Verfassertexte von Geschichtsbuch Oberstufe und Geschichte und Geschehen konzentrieren sich dabei auf die nichtjüdischen Geschäftsleute (Großunternehmen und Mittelständler), die zu ergattern suchten, was in der antisemitischen Stimmung von den Juden zu rauben war. Der Oberstufenband von Cornelsen enthält die folgende Information: »Die Mittelschichten, die vor 1933 in besonderem Maße die Nationalsozialisten unterstützt hatten, entzogen dem Regime an der Macht ihre Unterstützung nicht, wenngleich die Forderungen des alten Mittelstandes auf Schutz vor Konkurrenz der Industrie und Kaufhäuser vom Regime nicht erfüllt wurden. Lediglich im Handel zeigte sich größere Unzufriedenheit, da die versprochene Auflösung der ›jüdischen‹ Warenhäuser zunächst ausblieb. Später entschädigten die ›Arisierungen‹ (Übertragung jüdischer Betriebe an ›Volksgenossen‹) für die negativen Auswirkungen des industriellen Booms auf den Mittelstand.«886

In dem für die Mittelstufe konzipierten Lehrwerk von Klett findet man wiederum die folgende Angabe: »Unmittelbar nach dem Pogrom erließ die Regierung Gesetze und Verordnungen, die die Existenzmöglichkeiten der deutschen Juden aufs Äußerste einschränkten. Jüdische Kaufleute, Handwerker und Unternehmer wurden gezwungen, ihre Geschäfte und Unternehmen aufzugeben und weit unter Preis an ihre ›arischen‹ Konkurrenten zu verkaufen. Mittelständische Unternehmen konnten so ihre missliebige Konkurrenz ausschalten; viele große Konzerne überführten jüdische Unternehmen in ihren Besitz.«887

Die Autorinnen und Autoren von Geschichtsbuch – Neue Ausgabe führen dagegen – wie bereits im Vorgängerband – knapp, aber unmissverständlich aus: »Jüdische Unternehmer wurden gezwungen ihre Betriebe unter Wert an ›arische‹ Geschäftsleute zu verkaufen. Und viele Deutsche kauften; wie auch immer sie die Gewalttaten am 9. November beurteilten, sie waren bereit deren Nutznießer zu werden.«888 885 Vgl. Epochen und Strukturen (1996), S. 343: »Neue systematische wirtschaftliche Ausbeutung brachten die umfangreichen ›Arisierungen‹ jüdischer Betriebe seit 1937: Firmen wurden zwangsenteignet, unter Wert in erzwungenen Notverkäufen an Deutsche veräußert oder ›arischen‹ Treuhändlern überstellt.« Vgl. Wir machen Geschichte (1999), S. 248: »Obendrein mussten die bereits Geschädigten und Gepeinigten [der Reichspogromnacht] noch eine ›Entschädigung‹ von einer Milliarde Reichsmark zahlen. Dazu wurden viele Wertgegenstände als ›Pfand‹ eingezogen. Zugleich wurden jüdische Geschäfte ›arisiert‹, d. h. die Besitzer wurden enteignet und die Geschäfte Deutschen überschrieben.« 886 Geschichtsbuch Oberstufe (1996), S. 92. 887 Geschichte und Geschehen (1999), S. 117. 888 Geschichtsbuch – Neue Ausgabe (1997), S. 111.

256

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

5.3.

Verhalten der »Zuschauer« im Alltag gegenüber jüdischen Mitmenschen

Betrachtet man die Verfassertexte, so lässt sich feststellen, dass fünf Schulgeschichtsbücher (mehr oder weniger ausführliche) Aussagen zum ausbleibenden gesellschaftlichen Widerstand gegen die Judenverfolgung treffen. Die Autorinnen und Autoren von Rückspiegel führen dabei die weitgehende Teilnahmslosigkeit der »Zuschauer« auf die psychologischen Auswirkungen der »Volksgemeinschafts«-Propaganda zurück, welche die Menschen schlicht habe vergessen lassen, dass die Juden brutal behandelt werden.889 Aus dem Verfassertext von Unser Weg in die Gegenwart – Neu geht knapp hervor, dass Kritik an der antijüdischen Politik selten war und nur wenige Nichtjuden den jüdischen Verfolgten halfen.890 Die Schulbuchmacherinnen und -macher von Geschichte und Geschehen weisen demgegenüber zunächst darauf hin, dass die nationalsozialistische Herrschaft es vielen Deutschen ermöglicht habe, »Vorurteile und Aggressionen gegen Minderheiten in Worten und Gewalttaten uneingeschränkt und in der Regel ungestraft auszudrücken und auszuleben«891. Insbesondere die jüdische Minderheit habe keinen Rückhalt in der Bevölkerung genossen und sei »der Gewalt und Willkür missgünstiger Deutscher«892 schutzlos ausgeliefert gewesen. Öffentlich geäußerter Widerspruch nichtjüdischer Deutscher gegen die »Judenpolitik« sei darüber hinaus kaum zu vernehmen gewesen: »Nur wenige Deutsche hatten den Mut, öffentlich gegen die Ausgrenzung und Verfolgung der Minderheiten zu protestieren. Die meisten, darunter einflussreiche Personen und Verbände, schwiegen – aus Angst, aus Opportunismus, aus Gleichgültigkeit, aus Antisemitismus oder aufgrund anderer Vorurteile.«893 889 Vgl. Rückspiegel (1996), S. 127f.: »Ein Wort, das viele in seinen Bann schlug, war ›Volksgemeinschaft‹. Es sprach die Sehnsucht der Menschen an, jenseits von Klassen und Parteien, von Stadt und Land, eine wahre, große Gemeinschaft zu bilden, in der die Unterschiede keine Rolle mehr spielten. […] In dem Gefühlsaufschwung, der viele ›Volksgenossen‹ im Dritten Reich beseelte, vergaßen sie nur allzu leicht, dass es auch Menschengruppen gab, die von der Volksgemeinschaft ausgeschlossen wurden: Juden, Homosexuelle, politische Gegner, Roma, Geisteskranke. Was für ein Schicksal ihnen drohte, konnte man schon von den ersten Tagen nach der sog. Machtergreifung beobachten: Juden und Sozialisten wurden in den allerorten aus dem Boden schießenden ›wilden‹ KZ’s zum Spielball von Quälereien und Entwürdigungen der SA.« 890 Vgl. Unser Weg in die Gegenwart – Neu (1995), S. 119: »Proteste gegen die Terroraktionen durch die Nationalsozialisten blieben aus. Die meisten Deutschen schwiegen, weil sie Angst um sich und ihre Familie hatten oder weil ihnen das Schicksal dieser Minderheiten gleichgültig war. Nur wenige Männer und Frauen hatten den Mut, Menschen vor der Gestapo zu verstecken oder ihnen zur Flucht zu verhelfen.« 891 Geschichte und Geschehen (1999), S. 116. 892 Ebd. 893 Ebd.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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Schließlich widmen sich zwei Oberstufenbände der Hilfe für Juden. So erfahren die Leserinnen und Leser von Geschichte und Geschehen Oberstufe kurz, dass nichtjüdische Deutsche dabei halfen, Juden das Leben zu retten.894 Die Autorinnen und Autoren von Epochen und Strukturen verfahren ebenso, bezeichnen die Hilfeleistungen für Juden aber als Ausnahmen von der Regel.895 Zu den Arbeitsteilen und der Frage, anhand welcher Materialien die Schülerinnen und Schüler »typische« Verhaltensweisen der deutschen Bevölkerung selbstständig erarbeiten können: Vier Schulbücher greifen die Perspektive der vom antijüdischen Terror Betroffenen auf, indem sie Passagen aus subjektiven, aus der Retrospektive verfassten Erinnerungen an die NS-Zeit abdrucken. Während die Verfasserinnen und Verfasser von Geschichtsbuch – Neue Ausgabe ihren Leserinnen und Lesern nach wie vor den Bericht Marta Appels im Materialteil anbieten896, setzen die anderen Lehrwerke ihren Akzent auf die Erinnerungen von Juden, die die nationalsozialistische Herrschaft als Kinder bzw. Jugendliche erlebt haben. Aus allen abgedruckten Erlebnisberichten geht für Schülerinnen und Schüler hervor, dass im täglichen Umgang eine allmähliche Separierung der jüdischen Minderheit von der »arischen« Mehrheit erfolgte und die Juden von ihren meisten nichtjüdischen Bekannten alsbald geschnitten wurden, bisweilen auch psychischen wie physischen Gewalttätigkeiten ihrer nichtjüdischen Umwelt ausgesetzt waren. Exemplarisch kann hier Oldenbourg 894 Vgl. Geschichte und Geschehen Oberstufe (1995), S. 355: »Zur Widerstandsbewegung zählten aber auch die Deutschen, die unter Einsatz ihres Lebens in ihren Wohnungen Juden versteckten, deren Deportation verhindern und sie so vor Konzentrationslager und Tod bewahren konnten.« 895 Vgl. Epochen und Strukturen (1996), S. 351: »Unterhalb des organisierten politischen Widerstands gab es nach 1933 zahlreiche Verhaltensformen, mit denen Bürger ihre Opposition gegen die NS-Herrschaft demonstrierten. Einzelne Bürger hielten Kontakt zu Juden aufrecht, boten ihnen gar Zuflucht gegen Verfolgung. Solche Akte des Widerstands waren christlich motiviert oder einfach Ausdruck von Zivilcourage, blieben jedoch Ausnahmen.« 896 Vgl. Geschichtsbuch – Neue Ausgabe (1997), S. 135: »Aber nach einigen Monaten des Terrorregimes hatten Treue und Freundschaften ihren Sinn verloren, Furcht und Verrat griffen um sich. Um unsere christlichen Freunde nicht zu gefährden wandten wir uns ab und grüßten nicht, wenn wir einen von ihnen auf der Straße trafen; sie sollten nicht ins Gefängnis kommen, weil man sie für Judenfreunde hielt. Mit jedem Tag der Naziherrschaft wurde die Kluft zwischen uns und unseren Mitbürgern weiter. Freunde, mit denen wir lange Jahre hindurch freundschaftlich verbunden waren, kannten uns nicht mehr. Plötzlich stellten sie fest, dass wir eben doch anders waren als sie. Angstvolle Vorstellungen begleiteten mich, wohin ich ging: Wenn ich in einem Geschäft mit den Angestellten sprechen musste, fürchtete ich, dass sie sich feindlich gegen mich wenden würden, sobald sie entdeckten, dass ich Jüdin sei. Ich bin eigentlich auf der Straße und in Geschäften niemals solchen unangenehmen Erlebnissen ausgesetzt gewesen, aber ich erwartete so etwas jeden Moment und die Angst quälte mich unablässig. Schon lange bevor es uns von den Nazis verboten worden war hatte ich darauf verzichtet, ein Theater oder ein Kino zu besuchen, weil ich es einfach nicht ertragen konnte, zwischen Menschen zu sitzen, die uns hassten.«

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

Geschichte für Gymnasien angeführt werden.897 Das Lehrwerk verwendet einen längeren Auszug aus den Erinnerungen der 1926 in Berlin geborenen Petra S., die nach der Definition der nationalsozialistischen Rassengesetze eine »Halbjüdin« war. Zum Verhalten der nichtjüdischen Mitschülerinnen und Mitschüler und der Erwachsenen gegenüber ihrer Person und ihrer Familie ist zu lesen: »Ich bin in Berlin-Mitte aufgewachsen. 1933 zogen wir nach Landsberg. Meine Schwester und ich, wir waren zehn und sieben Jahre alt, besuchten dort auch die Schule. Meine Eltern führten ein geselliges Haus … Bei Kindergeburtstagen kamen viele Kinder zu uns, wir hatten einen schönen Garten, in dem wir toben konnten. Dann kam der 30. Januar 1933. Am gleichen Tag wurden unsere Fenster eingeschlagen, und der Zaun wurde mit Sprüchen wie ›Juden raus‹ bekritzelt. Meine Schwester kam weinend aus der Schule nach Hause, weil man sie furchtbar geschlagen hatte. Meinen Vater kannte von da ab natürlich keiner mehr, schließlich war er Jude. Jeder drückte sich, sah weg, wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Bald danach haben wir Landsberg wieder verlassen, genaugenommen sind wir von dort geflohen … zurück nach Berlin … ich ging wieder in meine alte Schule … In der Klasse herrschte eine ziemlich angeheizte Stimmung gegen mich, denn ich war ja … die einzige ›Nicht-Arierin‹. Diese Aggression machte sich auch eines Tages Luft, als ich nach Schulschluß nach Hause gehen wollte. Die ganze Klasse hatte sich vor mir aufgebaut und wollte mich verprügeln. Ich habe eine wahnsinnige Angst gehabt … In der Klasse war niemand, der zu mir stand, Freundinnen hatte ich zu dieser Zeit gar nicht mehr. Auch als ich älter wurde, war es schwer, Freundschaften zu schließen. […] Mein Vater ist dann in [sic!] März 1939 nach Belgien emigriert. Das war nur nicht weit genug: bald nachdem die Deutschen dort einmarschiert waren, wurde er verhaftet und kam ins KZ. Ich war da zwölf Jahre alt. Meine Mutter hatte eigentlich nur Angst, was wird denn nun, lassen sie uns in Ruhe oder nicht, das fragte man sich täglich. Ein Mieter von uns, der sonst auch gern mit meinem Vater Kontakt gehabt hatte, kannte uns jetzt plötzlich nicht mehr, ›der Jude‹ war ja schließlich weg, und meine Mutter als sozusagen alleinstehende Frau konnte man wohl einfach übersehen. Man hat ihr das Leben zur Hölle gemacht. Ein Mieter von uns hat es sogar gewagt, sie zu ohrfeigen und mit ›Jude‹ zu beschimpfen.«898

Ebenfalls vier Schulbücher integrieren die Perspektive der »Zuschauer« in ihre Materialteile, wobei je nach Lehrwerk eine andere Facette des Alltagsverhaltens durch eine Quelle oder Darstellung dokumentiert ist. In bsv Geschichte erscheint ein Auszug aus einem Fachtext, der am Beispiel des namhaften Schriftstellers Gerhart Hauptmann zeigt, dass nichtjüdische Deutsche oft nicht in der Lage oder willens waren, die Behandlung der Juden in ihre partielle Kritik am NSRegime einzubeziehen, und stattdessen bevorzugten zu schweigen.899 Geschichte 897 Vgl. auch die Textquellen in Wir machen Geschichte (1999), S. 212f. sowie Epochen und Strukturen (1996), S. 374. 898 Oldenbourg Geschichte für Gymnasien (1994), S. 176f. 899 Vgl. bsv Geschichte (1997), S. 127: »Als 1889 sein erstes großes Schauspiel ›Vor Sonnenaufgang‹ in der Freien Bühne Berlin uraufgeführt wurde, gab es einen Theaterskandal.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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und Geschehen nimmt die folgende Textquelle auf, die mit »Ein ›Volksgenosse‹ beschwert sich 1936« überschrieben ist: »Wie ich heute Morgen feststellen musste, waren im Hansabad 3 Juden und zwar 1 Jude und 2 Jüdinnen. Es ist mir unverständlich, dass Juden dort zugelassen sind. Der Wärter sagte mir, es bestände dort … kein Judenverbot. Es ist aber höchste Zeit, dass ein solches Verbot in Kraft tritt, da auch in anderen Städten derartige Verbote für Juden bestehen. Vielleicht lässt sich dieses auch in Bremen durchführen.«900

Für Schülerinnen und Schüler könnte aus dieser Quelle exemplarisch ersichtlich werden, dass einfache »Volksgenossen« durch ihr Verhalten nicht unwesentlich der Absicht der Nationalsozialisten Vorschub leisteten, die gesellschaftliche Isolierung der Juden auf gesetzlichem Weg zu regeln. In den Arbeitsteil von Rückspiegel findet ein Tagebucheintrag des ostpreußischen Adeligen Friedrich Percyval Reck-Malleczewen Eingang, der von der persönlichen Bereicherung eines »arischen« Schauspielers auf Kosten einer Jüdin berichtet. Die Quelle offenbart die – in diesem Fall aus handfesten materiellen Interessen erfolgte – Partizipation gewöhnlicher Deutscher an der »Judenpolitik« des Regimes.901 23 Jahre später verneigte sich die gesamte literarische Welt vor Gerhart Hauptmann und verlieh ihm den Nobelpreis. 1933 wurde es um ihn einsam: Seine alten Freunde verlor er, weil er aus Feigheit und Geldgier dem Dritten Reich gehuldigt hatte. Aber neue Freunde fand er trotzdem nicht: Das Misstrauen der braunen Machthaber gegen den Dichter der Weber und der Mutter Wolffen blieb. Am 12. November 1933 bat Adolf Hitler an die Abstimmungsurnen. Das deutsche Volk sollte sagen, was es vom Austritt des Deutschen Reiches aus dem Völkerbund hielt. Gerhart Hauptmann, Nobelpreisträger und einer der gefeiertsten Dichter der Weimarer Zeit, erklärte am Vortag: ›Ich sage ›Ja‹.‹ Auf seinen luxuriösen Wohnsitzen im Riesengebirge und am Ostseestrand wehte die Hakenkreuzfahne. Und um die Welt lief sein Porträt, den Arm zum Hitlergruß erhoben. Jahr für Jahr luden die Theater des Dritten Reiches zu Neuinszenierungen und Premieren seiner Stücke. Nach wie vor gehörte er zu den ständigen Mitarbeitern im Feuilleton des gleichgeschalteten Berliner Tageblatts. (Und er kassierte ein Zeilengeld von einer Mark, wo andere große Geister zwanzig Pfennig pro Zeile bekamen.) … Hauptmanns Reaktion auf den nationalsozialistischen Staat war … zwiespältig: Da beschimpfte er Hitler als ›Hundedreck‹ und ›Nazihenker‹, aber er schwieg zur Bücherverbrennung, zur Ausbürgerung großer Kollegen, zu Terror und Judenhatz. … Im Urlaub in Rapallo, im Sommer 1938, gesteht Gerhart Hauptmann dem ungarischen Schriftsteller Ferenc Körmendi, warum er schweigt, warum er nicht emigriert, warum er verleugnet, warum er akklamiert: ›Weil ich feige bin, verstehen Sie? Ich bin feige, verstehen Sie? Ich bin feige.‹« 900 Geschichte und Geschehen (1999), S. 118. 901 Vgl. Rückspiegel (1996), S. 199f.: »[…] Der zweite Fall, dessen armes Opfer ich aus sehr persönlichen Gründen nicht beim Namen nennen will, ist noch erschütternder durch seine Einzelheiten, wie sie mir die Gattin unseres verewigten Leo von Zumbusch berichtet hat. Das ältliche Fräulein X. lebt sehr zurückgezogen in ihrer an der Münchner Maximilianstraße gelegenen Zweizimmerwohnung. Ein sehr bekannter, inzwischen auch bei den Nazis zu hoher Gunst gelangter Schauspieler wirft auf diese Zweizimmerwohnung ein Auge, findet es unerhört, dass ein altes Judenweib sie bewohnt, und denunziert, um die Wohnung zu bekommen, die alte Dame, was innerhalb dieser glorreichen Zeit auf Deportation in ein

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

Die Autorinnen und Autoren von Historia verwenden ebenfalls einen Tagebucheintrag. Sie stellen mit diesem aber – am Beispiel des antifaschistischen Freundeskreises um die junge Journalistin Ruth Andreas-Friedrich und einen Musiker – das rühmliche Verhalten nichtjüdischer Deutscher heraus, die ihre Lebensmittelrationen mit den verfolgten Juden teilten, ihnen Obdach boten und so (zumindest für eine gewisse Zeit) die in die Illegalität Geflohenen vor der Deportation in die Vernichtungslager bewahrten.902

6.

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

6.1.

Beteiligung am Genozid an den Juden

Was die Beteiligung der Wehrmacht am Holocaust betrifft, so fällt zunächst auf, dass fünf der 13 untersuchten Schulbücher des Samples diesen Komplex komplett aussparen.903 Von einer wirklichen Berücksichtigung kann auch nicht in bsv Geschichte gesprochen werden. Bis auf einen sehr kurzen Auszug aus einer »Ereignismeldung UdSSR« über die Tätigkeit der Einsatzgruppe C vom 3. November 1941, in der das Verhältnis zur Wehrmacht gelobt wird904, verliert das Lehrwerk kein einziges Wort über die Armee. Konzentrationslager und langsamen Hungertod hinauskommt. […] und heute, beim Mittagessen, erhalten wir die Nachricht, dass man das alte Fräulein X. tot in ihrer Wohnung aufgefunden habe, vor der offenbar in seiner Ungeduld schon der Denunziant, eben dieser Schauspieler P., wartet. […] Ob die Cocktails, die Herr P. in der also ergatterten Wohnung zu sich nimmt, nicht manchmal nach einem Gemisch von Curarin und Zyankali schmecken … ob es nicht manchmal jene ›ernsten Gesänge‹ sind, die ihm durch das Marschgeschmetter seines Radioapparates ins Ohr klingen?« 902 Vgl. Historia (1999), S. 149: »Wir, die wir im elften Jahr unter Adolf Hitlers Herrschaft stehen, haben wenig Grund, uns zu rühmen. Aber wenn Menschen ihr Leben eingesetzt haben für ihre jüdischen Brüder, dann sind es deutsche Nichtjuden gewesen. Hunderte, Tausende, Zehntausende, die täglich und stündlich ihren Kopf riskierten für ein paar armselige Brotmarken, ein vorübergehendes Notquartier […] abgerungen […] der eigenen Notdurft, erkämpft zwischen Bomben, […] ertrotzt gegen alle Verbote, Gesetze und Propagandabefehle […] Was tut man, wenn ein Mensch, den man in seiner Wohnung verbirgt, eines Tages unvermutet am Herzschlag stirbt? […] Was macht man mit einer Leiche, die nicht gemeldet ist? ›Wir haben sie in unseren Waschkorb gelegt, mit Leintüchern bedeckt und nachts aus dem Hause getragen‹, vertrauen uns Bekannte an […] ›Im Tiergarten haben wir sie rausgeholt und auf eine Bank gesetzt‹.« 903 Hierzu gehören Oldenbourg Geschichte für Gymnasien (1994), Unser Weg in die Gegenwart – Neu (1995), Geschichtsbuch – Neue Ausgabe (1997), Geschichte und Geschehen Oberstufe (1995) und Geschichtsbuch Oberstufe (1996). 904 Vgl. bsv Geschichte (1997), S. 115: »Was die eigentliche Exekutive anbelangt, so sind von den Kommandos der Einsatzgruppe bisher etwa 80 000 Personen liquidiert worden. Darunter befinden sich etwa 8000 Personen, denen aufgrund von Ermittlungen deutschfeindliche oder bolschewistische Tätigkeit nachgewiesen werden konnte. Der verbleibende

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

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Immerhin als passive Beobachter der Massenerschießungen von Juden treten die Soldaten der Wehrmacht dagegen in Rückspiegel in Erscheinung: Nachdem die Autorinnen und Autoren verhältnismäßig ausführlich über das Wüten der SS-Einsatzgruppen berichtet haben905, begnügen sie sich mit der folgenden Kurzmitteilung: »Oft wurden die Zivilbevölkerung und in der Nähe weilende deutsche Soldaten Zeugen des grässlichen Geschehens.«906 Aus dem Verfassertext von Geschichte Sekundarstufe II wiederum erfahren die Leserinnen und Leser nur, dass die militärischen Erfolge der Wehrmacht »die Voraussetzung für die Vernichtung der europäischen Juden durch Einsatzkommandos der SS«907 schufen. Dass die Armee selbst eine aktive und tragende Rolle beim Massenmord an der jüdischen Bevölkerungsgruppe in der Sowjetunion einnehmen sollte, deutet das Schulbuch indessen durch den Abdruck von ausführlichen Teilen des Befehls des Armeekommandos 6 über das »Verhalten der Truppe im Ostraum« vom 10. Oktober 1941 an.908 Dieser Aspekt wird ebenfalls in Geschichte und

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906 907 908

Rest ist aufgrund von Vergeltungsmaßnahmen erledigt worden … Es ist der Einsatzgruppe gelungen, zu sämtlichen Wehrmachtsdienststellen vom ersten Tag an ein ganz ausgezeichnetes Einvernehmen herzustellen.« Vgl. Rückspiegel (1996), S. 168: »Die Tötungskommandos der großen ›Einsatzgruppen‹ der Sicherheitspolizei und des SD hatten das gesamte Gebiet hinter der vorrückenden Front vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer in vier Bereiche aufgeteilt. Die jeweilige Einheit des Erschießungskommandos ›pflegte in ein Dorf oder in eine Stadt zu kommen und den führenden jüdischen Bewohnern den Befehl zu erteilen, alle Juden zwecks Umsiedlung zusammenzurufen. Die Männer, Frauen und Kinder wurden zu einem Hinrichtungsort geführt, der sich meist neben einem vertieften Panzerabwehrgraben befand. Dann wurden sie erschossen, kniend oder stehend, und die Leichen wurden in den Graben geworfen‹ – so der Chef der Einsatzgruppe D, Otto Ohlendorf. Die Einsatzgruppen erschossen nach eigenen Angaben 535.000 Menschen, in Wahrheit etwa 1 Million (in der Statistik kommen z. B. die 34.000 Ermordeten von Babi-Jar, einer Schlucht bei Kiew, nicht vor).« Ebd. Geschichte Sekundarstufe II (1996), S. 62. Vgl. ebd., S. 65: »Geheim! Hinsichtlich des Verhaltens der Truppe gegenüber dem bolschewistischen System bestehen vielfach noch unklare Vorstellungen. Der Soldat ist im Ostraum nicht nur ein Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen Idee und der Rächer für alle Bestialitäten, die deutschem und artverwandtem Volkstum zugefügt wurden. Deshalb muß der Soldat für die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis haben. Der Kampf gegen den Feind hinter der Front wird noch nicht ernst genug genommen. Immer noch werden heimtückische, grausame Partisanen und entartete Weiber zu Kriegsgefangenen gemacht. Weder geschichtliche noch künstlerische Rücksichten spielen im Ostraum eine Rolle. Fern von allen politischen Erwägungen der Zukunft hat der Soldat zweierlei zu erfüllen. 1. die völlige Vernichtung der bolschewistischen Irrlehre, des Sowjet-Staates und seiner Wehrmacht, 2. die erbarmungslose Ausrottung artfremder Heimtücke und Grausamkeit und damit die Sicherung des Lebens der deutschen Wehrmacht in Rußland. Nur so werden wir unserer geschichtlichen Aufgabe gerecht, das deutsche Volk von der asiatisch-jüdischen Gefahr ein für allemal zu befreien.« Die angefügten Arbeitsaufträge zu dieser Textquelle lauten: »1. Erläutern Sie, welches Feindbild, Kriegsbild und welche Auffassung von soldatischer Pflicht sich in dem Befehl ausdrücken. 2. Ziehen

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

Geschehen angedeutet, dessen Verfassertext jedoch zu dieser Thematik schweigt. »Was meinte der Wehrmachtsbefehl […] mit ›Aufgaben, die über das hergebrachte einseitige Soldatentum hinausgehen‹? Welche Folgen hatte er?«909, so lautet der Arbeitsauftrag zu dem im Arbeitsteil abgedruckten »Reichenau-Befehl«.910 Insgesamt drei Schulbücher weisen darauf hin, dass die Wehrmachtssoldaten oder zumindest die Truppenführer über die Erschießungsaktionen der Einsatzgruppen informiert waren, und sprechen darüber hinaus von geleisteten Hilfsdiensten bei der Vernichtung der jüdischen Zivilbevölkerung, die allerdings selbst nicht näher erläutert werden. Die Formulierungen in den beiden Lehrwerken aus dem Diesterweg Verlag sind dabei nahezu identisch. So heißt es im für die Oberstufe geschriebenen Epochen und Strukturen: »Der Wehrmachtsführung waren die Massenmorde vor ihren Augen im Osten bekannt, sie leistete sogar Unterstützung.«911 Der Text des Mittelstufenbandes Wir machen Geschichte ist noch etwas kürzer ausgefallen: »Der Wehrmachtsführung waren die Massenmorde bekannt, sie leistete sogar Unterstützung.«912 Die Autorinnen und Autoren von Historia dagegen begrenzen Wissen und Unterstützung nicht auf die Wehrmachtsführung. Stattdessen geben sie an: »Sonderkommandos der SS ermordeten die jüdische Bevölkerung. […] Heeresangehörige waren nicht nur Zuschauer und Mitwisser, sondern teilweise auch Mithelfer bei Massenmordaktionen.«913 Hinzu kommt auch in diesem Buch der Abdruck von Auszügen aus dem »Reichenau-Befehl«914, anhand derer die

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Sie Rückschlüsse auf das Verhältnis von Wehrmacht und nationalsozialistischer Kriegsführung.« (ebd., S. 66). Geschichte und Geschehen (1999), S. 130. Vgl. ebd., S. 127: »Geheim! Hinsichtlich des Verhaltens der Truppe gegenüber dem bolschewistischen System bestehen vielfach noch unklare Vorstellungen. Das wesentlichste Ziel des Feldzuges gegen das jüdisch-bolschewistische System ist die völlige Zerschlagung der Machtmittel und die Ausrottung des asiatischen Einflusses im europäischen Kulturkreis. Hierdurch entstehen auch für unsere Truppe Aufgaben, die über das hergebrachte einseitige Soldatentum hinausgehen … Fern von allen politischen Erwägungen der Zukunft hat der Soldat zweierlei zu erfüllen: 1. Die völlige Vernichtung der bolschewistischen Irrlehre, des Sowjetstaates und seiner Wehrmacht. 2. Die erbarmungslose Ausrottung artfremder Heimtücke und Grausamkeit.« Epochen und Strukturen (1996), S. 394. Wir machen Geschichte (1999), S. 249. Historia (1999), S. 138. Vgl. ebd., S. 139: »Der Soldat ist im Ostraum nicht nur ein Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen Idee […]. Fern von allen politischen Erwägungen der Zukunft hat der Soldat zweierlei zu erfüllen: 1. die völlige Vernichtung der bolschewistischen Irrlehre, des Sowjetstaates und seiner Wehrmacht, 2. die erbarmungslose Ausrottung artfremder Heimtücke und Grausamkeit und damit die Sicherung des Lebens der deutschen Wehrmacht. Nur so werden wir unserer geschichtlichen Aufgabe gerecht, das deutsche Volk von der asiatisch-jüdischen Gefahr ein für alle Mal zu befreien.«

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

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Schülerinnen und Schüler zeigen sollen, »welches Bild vom Ostkrieg der Armeebefehlshaber verbreitet und welches Verhalten er den Soldaten befiehlt«915. Dass die Beteiligung der Wehrmacht am Holocaust sich nicht lediglich in der Unterstützung des SS- und Polizei-Apparates erschöpfte, die Armee vielmehr auch selbst Erschießungen von Juden vornahm, darüber erfahren nur die Leserinnen und Leser von Anno etwas. Gleich zweimal unterstreichen die Schulbuchautorinnen und -autoren diese Tatsache. Zum einen liefert das Unterrichtswerk unter der Zwischenüberschrift »Raub- und Vernichtungskrieg« im Kapitel »Der Russlandfeldzug« die folgende Information: »Einsatzgruppen der SS, aber auch reguläre Wehrmachtseinheiten begannen mit der massenweisen Ermordung von Juden.«916 Zum anderen wird unter der Zwischenüberschrift »Massenerschießungen« im Kapitel »Verfolgung und Vernichtung der Juden« vermerkt: »Im Russlandfeldzug ermordeten Einsatzgruppen – aber auch Angehörige der Wehrmacht – zwischen Juni 1941 und April 1942 fast 560 000 Menschen. Die meisten Opfer waren Juden.«917 Illustriert wird der Verfassertext mit der Abbildung einer Fotoikone: Ein SS-Mann erschießt 1942 während einer Massenexekution im ukrainischen Winnizia einen Juden; in einigem Abstand ist ein Kranz von schaulustigen Tätern kreisförmig aufgestellt (Abb. 32). Die Schülerinnen und Schüler erhalten die folgende Bildlegende als Lesehilfe: »Erschießung von Juden durch deutsche Einsatzgruppen. Die Zuschauer sind überwiegend Soldaten.«918

6.2.

Verantwortung für die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen

Die über drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, die in den unter der Verwaltung der Wehrmacht stehenden Lagern an der miserablen Versorgung zugrunde gingen oder einfach erschossen wurden, spielen in den Schulbuchnarrativen eine nur untergeordnete Rolle. Dasselbe gilt für den Tatbestand, dass der Truppe die Aufgabe zufiel, Politoffiziere der Roten Armee sofort zu ermorden. In drei Lehrwerken kommen die sowjetischen Kriegsgefangenen gar nicht vor.919 Fünf Bücher sprechen nur von der Gefangennahme sowjetischer Soldaten im Zuge der militärischen Erfolge der Wehrmacht auf den östlichen Kriegs-

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Ebd., S. 140. Anno (1997), S. 105. Ebd., S. 116. Ebd. Es handelt sich um Anno (1997), Historia (1999) und Geschichtsbuch Oberstufe (1996).

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

schauplätzen, über das Schicksal dieser Gruppe von Menschen erfahren die Schülerinnen und Schüler hingegen nichts.920 Hinweise auf das Massensterben unter den in deutsche Gefangenschaft geratenen Rotarmisten gibt es lediglich in fünf Unterrichtswerken. Sowohl die entsprechenden Zahlenangaben als auch die Thematisierung der Verantwortung der Wehrmacht fallen dabei sehr unterschiedlich aus. Dem Verfassertext von bsv Geschichte ist zu entnehmen, dass mehr als die Hälfte der 5,7 Millionen gefangen genommenen Rotarmisten umgekommen sei.921 Die Verantwortung dafür wird den Einsatzgruppen der SS zugeschoben.922 Ganz ähnliche Angaben machen die Autorinnen und Autoren von Epochen und Strukturen: Von 5,7 Millionen Kriegsgefangenen hätte von 1941 bis 1945 über die Hälfte ihr Leben verloren. Der Grund hierfür sei die »brutale Behandlung« durch »die deutsche Besatzungspolitik« gewesen.923 Geschichte Sekundarstufe II nennt dagegen die Zahl von mindestens 2,53 Millionen umgekommenen Kriegsgefangenen924 und führt dazu weiter aus: »Massenhaft starben auf beiden Seiten Kriegsgefangene an Unterversorgung. Der Bereich der Wehrmacht und der SS war nicht mehr getrennt. So wurde auch die Wehrmacht in den verbrecherischen Weltanschauungskrieg verstrickt.«925 Konkreter in Bezug auf das Schicksal der in Wehrmachtsgewahrsam geratenen sowjetischen Kriegsgefangenen werden Geschichte und Geschehen und Wir machen Geschichte. Die Autorinnen und Autoren des erstgenannten Schulbuches betonen, dass Millionen kriegsgefangene Rotarmisten durch »SS-Männer, aber auch Soldaten der Wehrmacht«926 ermordet worden seien. Außerdem wird ausgeführt: »3,3 Millionen von 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen überlebten die Zwangsarbeit, die Unterernährung, die Seuchen in deutschen Lagern nicht.«927 Die Verfasserinnen und Verfasser von Wir machen Geschichte streichen zunächst heraus, dass sich hinter der Front »eine unfassbare menschliche Tragödie«928 abgespielt habe. Sie explizieren: »Millionen russischer

920 Vgl. Oldenbourg Geschichte für Gymnasien (1994), S. 191; Unser Weg in die Gegenwart – Neu (1995), S. 138; Rückspiegel (1996), S. 161 und S. 163; Geschichtsbuch – Neue Ausgabe (1997), S. 129; Geschichte und Geschehen Oberstufe (1995), S. 337. 921 Vgl. bsv Geschichte (1997), S. 114. 922 Vgl. ebd., S. 94: »Einsatzgruppen der SS führten in den eroberten Gebieten die Massenerschießungen von Juden, Partisanen und Kriegsgefangenen durch.« 923 Vgl. Epochen und Strukturen (1996), S. 391. 924 Vgl. Geschichte Sekundarstufe II (1996), S. 62. 925 Ebd. 926 Geschichte und Geschehen (1999), S. 125. 927 Ebd. 928 Wir machen Geschichte (1999), S. 244.

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

265

Soldaten verhungerten in Gefangenschaft der deutschen Wehrmacht, bis zum Februar 1942 allein 2 von 3,35 Millionen.«929 Die Tötungen von Kommissaren bzw. Kriegsgefangenen, die dafür gehalten wurden, erfahren in sieben von 13 untersuchten Geschichtsschulbüchern Beachtung, wobei auch hier deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Lehrwerken zu erkennen sind. So ist beispielsweise den Autorinnen und Autoren von Rückspiegel dieses Thema nur eine knappe Bemerkung wert: »Noch vor Angriffsbeginn wurde der sog. Kommissarbefehl erlassen: politische Kommissare der Roten Armee seien, ›wenn im Kampf oder beim Widerstand ergriffen, sofort mit der Waffe zu erledigen‹.«930 Angaben zum Urheber dieses verbrecherischen Befehls, der Wehrmachtsführung, sucht man vergebens. Das zuletzt Gesagte gilt auch für Geschichte Sekundarstufe II, wo dem Verfassertext nur die folgende Angabe zu entnehmen ist: »Gefangene politische Kommissare der Roten Armee waren sofort ›mit der Waffe zu erledigen‹.«931 Während Geschichte und Geschehen sich auf die ideologische Indoktrination der Truppe beschränkt – abgedruckt sind Auszüge aus den »Mitteilungen für die Truppe« vom Juni 1941932 –, weist Epochen und Strukturen explizit das OKW als verantwortlich für die ausgegebenen »Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare« aus: »Der ›Kommissarbefehl‹ des OKW vom 6. Juni 1941 sah vor, gefangene Politkommissare der Roten Armee auszusondern und zu ›erledigen‹, um den Bolschewismus auszurotten […]. Die Wehrmacht deckte damit trotz Protesten aus den eigenen Reihen das Mordprogramm.«933 Auch die Autorinnen und Autoren von Historia wenden sich dieser Frage zu: »Die Ziele des NSRegimes und der Wehrmachtsführung waren teilidentisch. Sie ließ sich immer tiefer in die Planung und Durchführung der Eroberungskriege und auch in die

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Ebd., S. 244f. Rückspiegel (1996), S. 160. Geschichte Sekundarstufe II (1996), S. 62. Vgl. Geschichte und Geschehen (1999), S. 127: »Was Bolschewiki sind, das weiß jeder, der einmal einen Blick in das Gesicht eines der Roten Kommissare geworfen hat. Hier sind keine theoretischen Erörterungen mehr nötig. Es hieße die Tiere beleidigen, wollte man die Züge dieser zu einem hohen Prozentsatz jüdischen Menschenschinder tierisch nennen … In der Gestalt dieser Kommissare erleben wir den Aufstand des Untermenschen gegen edles Blut. Die Massen, welche sie mit allen Mitteln eiskalten Terrors und blödsinniger Verhetzung in den Tod treiben, würden das Ende sinnvollen Lebens gebracht haben, wäre der Einbruch nicht in letzter Stunde vereitelt worden.« Anmoderiert wird die Textquelle wie folgt: »Aus den ›Mitteilungen für die Truppe‹, Juni-Heft 1941, über die ›Kommissare‹, die in der Roten Arme [sic!] für die politische Schulung zuständig waren. (Nach dem ›Kommissarbefehl‹ vom 6. Juni 1941 waren Kommissare ›grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen‹.).« 933 Epochen und Strukturen (1996), S. 391. Im Arbeitsteil präsentiert das Schulbuch zusätzlich einen Auszug aus dem »Kommissarbefehl«. Vgl. ebd., S. 404.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

des Weltanschauungs- und Lebensraumkrieges im Osten hineinziehen. Es ergingen verbrecherische Befehle an die Truppe, so z. B. der Kommissarbefehl.«934 Zwei Unterrichtswerke begnügen sich nicht mit der Information über die reine Existenz des »Kommissarbefehls«, sondern sprechen die tatsächlichen Exekutionen der Politkommissare an. Allerdings verschwimmt dabei die Verantwortung der Heereseinheiten. So treffen die Schülerinnen und Schüler von Anno auf folgenden Satz: »Politische Kommissare, die als Beauftragte der Kommunistischen Partei die Kommandeure der Roten Armee überwachten, wurden nach ihrer Gefangennahme sofort erschossen.«935 Im Materialteil von bsv Geschichte ist zwar ein längerer Auszug aus dem »Kommissarbefehl« vorhanden936 und der Verfassertext erklärt, es habe Massenerschießungen von kommunistischen Funktionären gegeben; ausgeführt worden seien die Exekutionen jedoch von »Einsatzgruppen des ›Sicherheitsdienstes‹ und der Gestapo«937.

6.3.

Tötung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung

Der von Teilen der Wehrmacht unter dem Vorwand von Partisanenkrieg und kollektiver Vergeltung geführte Vernichtungskrieg gegen die sowjetische Zivilbevölkerung gehört im untersuchten Korpus zu keinem zentralen Thema, dem viel Raum geschenkt wird. Ganz im Gegenteil: Die Leserinnen und Leser von vier Lehrwerken erfahren über diese Vernichtungsaktionen gar nichts.938 Zwei Schulbücher umgehen (geflissentlich) das Thema, indem sie nur auf die 934 Historia (1999), S. 138. 935 Anno (1997), S. 105. 936 Vgl. bsv Geschichte (1997), S. 115: »… Es wird gebeten, die Verteilung nur bis zu den Oberbefehlshabern der Armeen bzw. Luftflottenchefs vorzunehmen und die weitere Bekanntgabe an die Befehlshaber und Kommandeure mündlich erfolgen zu lassen … Im Kampf gegen den Bolschewismus ist mit einem Verhalten des Feindes nach den Grundsätzen der Menschlichkeit und des Völkerrechts nicht zu rechnen. Insbesondere ist von den politischen Kommissaren aller Art als den eigentlichen Trägern des Widerstandes eine hasserfüllte, grausame und unmenschliche Behandlung unserer Gefangenen zu erwarten. Die Truppe muss sich bewusst sein: 1. In diesem Kampf ist die Schonung und völkerrechtliche Rücksichtnahme diesen Elementen gegenüber falsch. Sie sind eine Gefahr für die eigene Sicherheit und die schnelle Befriedung der eroberten Gebiete. 2. Die Urheber barbarisch asiatischer Kampfmethoden sind die politischen Kommissare. Gegen diese muss daher sofort und ohne weiteres mit aller Schärfe vorgegangen werden. Sie sind daher, wenn im Kampf oder Widerstand ergriffen, grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen … Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht; i. A. gez. Warlimont.« 937 Ebd., S. 124. 938 Dieser Befund gilt für Oldenbourg Geschichte für Gymnasien (1994), Rückspiegel (1996), Geschichte und Geschehen Oberstufe (1995) und Geschichtsbuch Oberstufe (1996).

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

267

Kampftaktiken der Partisanen eingehen.939 Drei weitere Lehrwerke kommen in Bezug auf das barbarische Austoben auch regulärer Truppenverbände nicht über Andeutungen hinaus.940 Aus Historia ist beispielsweise für Schülerinnen und Schüler nur die Information zu entnehmen, dass die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten ohne Rechtschutz war und die Vergehen deutscher Landser gegen feindliche Zivilpersonen nicht strafrechtlich verfolgt wurden.941 Des Weiteren gibt es Unterrichtswerke, die zwar auf die willkürlichen Tötungsaktionen gegen die Zivilbevölkerung verweisen, hierfür aber allein die von Himmler aufgestellten Einsatzgruppen verantwortlich machen. Knapp klären z. B. die Autorinnen und Autoren von bsv Geschichte über den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion auf: »Wie schon in Polen verübten Einsatzgruppen der SS Massenmorde an Zivilisten. Die besetzten Gebiete wurden für die deutsche Wirtschaft nutzbar gemacht. Dabei nahm man keine Rücksicht auf die Versorgung der Bevölkerung.«942 Geringfügig länger fällt der entsprechende Abschnitt im Autorentext von Wir machen Geschichte aus: »Und hinter der Wehrmacht rollte eine zweite Welle des Terrors über das Land: die von der SS aufgestellten ›Einsatzgruppen‹. Unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung erschossen sie hunderttausende Zivilisten willkürlich, löschten ganze Dörfer und Kleinstädte aus.«943 Eine Perspektivenerweiterung erfährt diese einseitige Schilderung der »Antipartisanen- und Vergeltungsaktionen« indes durch die Bebilderung des Verfassertextes mit dem bekannten Foto der Erschießungsszene von Zivilisten an der Friedhofsmauer 939 Vgl. Unser Weg in die Gegenwart – Neu (1995), S. 147: »In Rußland rief Stalin die Zivilbevölkerung auf, sich am Befreiungskrieg gegen die fremden Eroberer zu beteiligen. Hinter der deutschen Front bildeten sich Partisanengruppen, die Getreidelager verbrannten oder vergifteten, Elektrizitätswerke und Fabriken sprengten, den Nachschub für die Frontsoldaten störten und den deutschen regelrechte Gefechte lieferten, so daß im Laufe des Krieges der Einsatz ganzer Divisionen hinter der Front notwendig wurde.« Vgl. Epochen und Strukturen (1996), S. 398: »In allen besetzten Gebieten von Norwegen bis Griechenland bildeten sich Widerstandsgruppen gegen die Deutschen, verstärkt seit 1943. In Rußland fügte ihnen hinter der Ostfront ein erbitterter Partisanenkrieg schwere Verluste zu.« 940 Vgl. besonders Anno (1997), S. 120: »Zum besseren Schutz zogen sich die Partisanen in unzulängliche Berge und Wälder zurück und zerstörten von dort aus Eisenbahnlinien, Brücken und Waffenlager. Außerdem versorgten sie die eigenen regulären Truppen mit wichtigen Informationen. Da sie eine ständige Bedrohung darstellten, band ihre Bekämpfung eine große Anzahl von Soldaten. Der Partisanenkrieg führte auf beiden Seiten zu schonungsloser Grausamkeit.« 941 Vgl. Historia (1999), S. 136. Vgl. ähnlich auch Geschichte Sekundarstufe II (1996), S. 62: »Von deutscher und zum Teil auch von sowjetischer Seite wurde ein Krieg außerhalb des geltenden Kriegsrechts geführt. Deutsche Truppenführer durften über Straftaten ›feindlicher Personen‹ urteilen; Vergehen von Soldaten gegen die Zivilbevölkerung wurden nicht verfolgt.« 942 bsv Geschichte (1997), S. 114. Vgl. ähnlich auch Geschichtsbuch – Neue Ausgabe (1997), S. 129. 943 Wir machen Geschichte (1999), S. 245.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

der serbischen Stadt Pancˇevo im April 1941 (Abb. 33).944 Das Foto, das hinsichtlich der Armee nicht nur einen Wehrmachtsoffizier zeigt, der mit einer Pistole auf ein sterbendes Opfer zielt, sondern im Hintergrund auch die Anwesenheit zahlreicher gaffender Soldaten bei diesem Verbrechen eindeutig erkennen lässt, wirft die Frage nach der Beteiligung der Wehrmacht am Partisanenkrieg respektive am Krieg gegen die Zivilbevölkerung auf. Die Schulbuchautorinnen und -autoren nehmen diese Gelegenheit wahr, indem sie zu der Fotografie den folgenden Arbeitsauftrag stellen: »Es wird behauptet, die Wehrmacht habe sich nicht an den Verbrechen der Nationalsozialisten beteiligt. Diskutiert diese These!«945 Deutlich von allen anderen Büchern im Korpus zu unterscheiden ist Geschichte und Geschehen. Gleich an mehreren Stellen ist das Thema verankert. Der Verfassertext macht – wie schon bei den sowjetischen Kriegsgefangenen – darauf aufmerksam, dass nicht nur Angehörige der SS, sondern ebenfalls Soldaten der Wehrmacht Millionen sowjetische Zivilisten ermordeten.946 Im Arbeitssteil des Unterkapitels »Krieg – Weltkrieg – Totaler Krieg« stoßen die Schülerinnen und Schüler auf das bekannte Foto, das Überlebende in Mannheim nach einem Luftangriff zeigt (Abb. 34). Zu diesem Bild ist ein längerer Begleittext formuliert, der nicht nur den Zusammenhang zwischen den Bombardierungen der deutschen Luftwaffe und den späteren Teppichluftangriffen der Alliierten hervorhebt, sondern ein weiteres Mal das Wüten der Wehrmacht auf den östlichen Kriegsschauplätzen anspricht. Wir lesen u. a.: »Der Bombenkrieg, den die Deutschen mit Angriffen auf Guernica, mit der völligen Zerstörung Rotterdams aus der Luft, mit Angriffen auf London und andere englische Städte (Coventry) begonnen hatten, schlug auf Deutschland zurück. Nun nannten die Nationalsozialisten Bombenangriffe ›Terrorangriffe‹. Fast alle deutschen Städte, v. a. Großstädte, wurden erheblich zerstört. Hunderttausende kamen in ihren Häusern und in Bunkern um. […] Ganz Deutschland wurde zu einer Trümmerlandschaft. Es sah nun in vielen Teilen so aus wie in weiten Teilen der Sowjetunion, in der deutsche Truppen Dörfer und Städte dem Erdboden gleichgemacht hatten, und wie in anderen Städten Europas, in denen die Wehrmacht ›verbrannte Erde‹ hinterlassen oder Vergeltungsaktionen wegen Partisanentätigkeit durchgeführt hatte.«947

Ein letztes Mal greift das Schulbuch den Partisanenkrieg im Kapitel »Vergangenheit, die nicht vergehen darf« auf. Hier präsentieren die Schulbuchautorin944 Vgl. ebd., S. 244. Vgl. für eine Interpretation der Fotografie Walter Manoschek: Beweisaufnahmen. Pancˇevo, 22. April 1941. In: Hamburger Institut für Sozialforschung (Hrsg.): Eine Ausstellung und ihre Folgen. Zur Rezeption der Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«. Hamburg 1999, S. 184–197. 945 Wir machen Geschichte (1999), S. 244. 946 Vgl. Geschichte und Geschehen (1999), S. 125. 947 Ebd., S. 130.

Zwischenfazit

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nen und -autoren das Bild »Mutter des Partisanen« des sowjetischen Malers Gerassimow (Abb. 35) und bieten dazu die folgende Information: »Als Vergeltung für Partisanenüberfälle zerstörten deutsche Einheiten zahllose Dörfer, erschossen Frauen, Kinder und alte Leute.«948

7.

Zwischenfazit

Die in der frühen und mittleren Phase der 1990er Jahre geschriebenen Schulgeschichtsbücher der zweiten Generation entstanden unter dem unmittelbaren Eindruck des – in seiner Massenwirkung nur noch mit der Serie »Holocaust« zu vergleichenden – Spielfilms »Schindlers Liste«, der im März 1994 in den deutschen Kinos angelaufen war. Über sechs Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer sahen die Metamorphose des Industriellen Oskar Schindler vom berechnenden Geschäfts- und Lebemann zum selbstlosen Gerechten, der als einzelner Deutscher das Leben von ungefähr 1.200 jüdischen Zwangsarbeitern rettete. Die Herstellung der Schulbücher erfolgte fernerhin in einer Zeit, als einige für den Untersuchungsgegenstand der Studie relevante geschichtskulturelle Marksteine selbst schon zur Geschichte geworden waren und ihre Spuren im Geschichtsbewusstsein der Gesellschaft und damit selbstverständlich auch in dem der Schulbuchautorinnen und -autoren hinterlassen hatten. Es sei an dieser Stelle zunächst an Richard von Weizsäckers Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes 1945 erinnert, in welcher der Bundespräsident die Deutschen aufgefordert hatte, vor der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht die Augen zu verschließen. Mit dieser Ansprache, die das zeitgenössische Wissen bzw. Nicht-Wissen-Wollen der deutschen Bevölkerung vom Holocaust deutlich hervorgehoben, die Verstrickung von großen Teilen der Gesellschaft in die »Judenpolitik« des NS-Regimes jedoch nur am Rande gestreift hatte, rückte der Völkermord an den Juden endgültig in den Mittelpunkt des öffentlichen Erinnerns. In den Jahren 1986 und 1987 hatten aufmerksame Zeitungsleserinnen und -leser außerdem eine Kontroverse verfolgen können, bei der Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen und verschiedener politischer Couleur über den Stellenwert diskutierten, der dem Genozid an den europäischen Juden für das Selbstverständnis der Bundesrepublik zukommen sollte. Die Diskussion, die insbesondere mit den Namen Ernst Nolte, der die Verbrechen des Nationalsozialismus mit einer Reihe von rhetorischen Fragen als Reaktion auf vorhergehende Verbrechen des Bolschewismus gedeutet hatte, und Jürgen Habermas, der wiederum Nolte und andere Historiker der Infragestellung der Singularität des 948 Ebd., S. 147.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

Holocaust bezichtigt hatte, verbunden ist, ist später unter der Bezeichnung »Historikerstreit« in die Geschichte eingegangen. Obgleich es in dieser in scharfem Ton geführten Auseinandersetzung kaum um inhaltliche Fragen gegangen war, musste für viele Bürgerinnen und Bürger klar geworden sein, dass der Judenmord zum politischen und geistigen Fundament der Bundesrepublik gehörte. Schließlich hatte Philipp Jenninger bei der Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag der Novemberpogrome eine Rede gehalten, welche die Diskrepanz zwischen einem elaborierten Text und einem politischen Ritual deutlich machte. Der Bundestagspräsident hatte in einer konzisen Zusammenfassung die Ereignisse vom 9. auf den 10. November 1938 geschildert, diese um eine Beschreibung der von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung als »Faszinosum« erlebten Hitler-Zeit ergänzt und war ebenfalls ohne große Beschönigung auf die zeitgenössische Kenntnis von der Ermordung der Juden, die Indifferenz und die antisemitischen Einstellungen in breiten Bevölkerungskreisen eingegangen. Jenningers Ziel, mit der Lüge aufzuräumen, Hitler und die Nationalsozialisten hätten das deutsche Volk gegen dessen Willen und Wissen ins Verderben geführt, war indessen fehlgeschlagen. Verantwortlich dafür war nicht nur seine rhetorische Unbeholfenheit gewesen, sondern auch der Umstand, dass er versucht hatte, sich in die Mentalität der Täter und der damaligen Gesellschaft einzufühlen. Damit hatte er die Erwartungshaltung des Publikums unterlaufen, die auf der Würdigung der Opfer und der Befriedung einer möglichst konsensorientierten Geschichtsdeutung gelegen hatte. Beiden Ansprüchen hatte Jenninger offenbar nicht gerecht werden können. Unter Einbezug dieser maßgeblichen Kristallisationspunkte der geschichtskulturellen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und unter Rückgriff auf die zum Zeitpunkt der Produktion der Schulgeschichtsbücher vorliegenden Ergebnisse der geschichtswissenschaftlichen Forschung gelangt man zu folgender Bewertung der zweiten Lehrwerksgeneration. Gemeinsam ist allen untersuchten Geschichtsschulbüchern, dass sie sich mit Aussagen zu den Reaktionen der »Zuschauer« auf den Boykotttag vom 1. April 1933 dezent zurückhalten. Nur zwei Verfassertexte halten entsprechende Informationen bereit, wobei in beiden Fällen die geringe Resonanz, auf die der »Judenboykott« beim Publikum stieß, kurz hervorgehoben wird. Materialien, die Schülerinnen und Schüler zur kritischen Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Verhaltensweisen während der Boykottmanifestationen anhalten, werden ebenfalls in nur zwei Lehrwerken präsentiert. Anhand von subjektiven Zeugnissen der von dieser antijüdischen Maßnahme Betroffenen erfährt die Leserin bzw. der Leser entweder etwas über diverse Äußerungen des Mitgefühls oder etwas über die weitverbreitete Passivität der nichtjüdischen Umwelt. Das im Sample verwendete Bildinventar zum Boykott jüdischer Geschäfte könnte die

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Einbeziehung der Mehrheitsbevölkerung in die gewalttätigen Demonstrationen bezeugen. Der erfolgte Bildbeschnitt – z. B. der Schaulustigen, die sich mit den SA-Posten unterhalten – verhindert dies jedoch häufig. Das von den – wenigen – Lehrwerken gezeichnete Bild der gesellschaftlichen Reaktionen ist gewiss nicht falsch, entspricht aber nur der halben Wahrheit. Die vorliegenden Interpretationen von Hans Mommsen, Dieter Obst, Wolfgang Benz oder auch Ursula Büttner bewerteten den »völkischen Boykott« gegen die deutschen Juden zwar ebenfalls als Misserfolg für die Nationalsozialisten, indem sie die reservierte Aufnahme und stellenweise lautstarke Empörung, die Solidaritätsbekundungen und gezielten Einkäufe in jüdischen Läden unterstrichen. Diesen Arbeiten hätten die Schulbuchautorinnen und -autoren allerdings auch schon entnehmen können, dass es Fälle von ostentativer Schadenfreude, verbalen Beschimpfungen und gewaltsamen Übergriffen gab. Davon ist jedoch in keinem Schulbuch etwas zu lesen. Das Verhalten der Bevölkerung während der »Judendeportationen« ist in den Schulbüchern kein Thema. Allenfalls erfahren die Schülerinnen und Schüler aus den Verfassertexten, dass die systematischen Menschenverschleppungen häufig am helllichten Tag vor den Augen zahlreicher Personen abgewickelt wurden. Nur einmal wird diese Tatsache durch ein Foto illustriert. Die Ausblendung wird erklärlich, wenn man bedenkt, dass die wissenschaftliche Forschung sich ihrerseits noch nicht eingehender mit den Reaktionen der »Zuschauer« auf die Deportationen der jüdischen Minderheit zur sofortigen oder späteren Ermordung in die Vernichtungslager beschäftigt hatte, was insbesondere auch die Versteigerung von jüdischem Hausrat an Nichtjuden betraf. Lediglich ein von Mommsen und Obst oder auch von Benz vorgebrachter zentraler Hinweis hätte durchaus Aufnahme in die Lehrwerke finden können: die für Mehrheitsbevölkerung charakteristische Missbilligung der gewaltsamen Begleitumstände bei gleichzeitiger Zustimmung zu den Abschiebemaßnahmen als solchen. Im Vergleich zu den Vorgängen vom 1. April 1933 und den Deportationen der Juden aus dem Deutschen Reich räumen die Geschichtsbücher – wenn auch von einer durchgehenden Berücksichtigung nicht die Rede sein kann – den gesellschaftlichen Reaktionen auf die Reichspogromnacht viel mehr Platz ein. Gelegentlich verlangen die Autorinnen und Autoren dabei ausdrücklich von den Lernenden, sich mit dem Verhalten der Mehrheitsbevölkerung auseinanderzusetzen, was unter anderem an entsprechend formulierten Arbeitsaufträgen abzulesen ist. Diese verstärkte Aufmerksamkeit ist womöglich auf eine erhöhte Sensibilisierung der Lehrwerksmacherinnen und -macher für die Ereignisse am und um den 9. November 1938 zurückzuführen, die durch ihre 50. kalendarische Wiederkehr und den Skandal um die Gedenkrede Philipp Jenningers für eine gewisse Zeit ins Zentrum der öffentlichen Diskussion geraten waren. Für die meisten Lehrwerke liegt – im Verfassertext und/oder im Arbeitsteil – der Fokus

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

auf der Betroffenheit, welche die »Kristallnacht« in der breiten Masse hervorgerufen habe. Manchmal wird auch die Tatenlosigkeit der nichtjüdischen Deutschen angesichts der sich vor ihren Augen vollziehenden Gewalt eigens herausgestellt, etwa wenn Fotos eine gaffende Menschenmenge während der Verhaftungen von männlichen Juden in den Tagen nach dem Pogrom zeigen. Weitaus seltener begegnen die jugendlichen Schulbuchleserinnen und -leser dagegen Angaben zur regen Beteiligung von »Durchschnittsvolksgenossen« an den Zerstörungsorgien. Zusammengefasst spiegeln die Schulbücher, die sich der Reaktionen der »Zuschauer« annehmen, damit im Wesentlichen den zeitgenössischen Forschungsstand der Geschichtswissenschaft wider. Verschiedene Historikerinnen und Historiker hatten in ihren Arbeiten auf die mehrheitlich scharfe Ablehnung des Pogroms hingewiesen und die Gruppe von »kleinen Leuten«, die in den Sog von Gewalt gegen Juden und deren Eigentum gerieten, als Minderheitenphänomen bezeichnet. Ein wesentlicher Aspekt, über den in der Forschungsliteratur bereits Konsens herrschte, fehlt jedoch in allen Schulbüchern: das Motiv für die Verurteilung der antijüdischen Ausschreitungen, welche die meisten Deutschen weniger aus moralischen Gründen missbilligten als vielmehr aufgrund der unnötigen Vernichtung von Sachwerten und Lebensmitteln bedauerten. Was wussten die Deutschen von der Judenvernichtung? Die Antwort auf diese Frage fällt in dieser Generation ausgesprochen uneinheitlich aus. Sieht man von den Lehrwerken ab, die hierzu entweder keine oder nur inkohärente Angaben machen, so kann man zwei unterschiedliche Narrative erkennen. Auch wenn es nirgendwo ausdrücklich vermerkt ist, erscheint die deutsche Bevölkerung in einer Gruppe von Büchern gemeinhin als unwissend. Bestimmte Formulierungen in den von den Schulbuchautorinnen und -autoren geschriebenen Texten legen den Schluss nahe, bei der systematischen Ermordung der Juden habe es sich um ein streng gehütetes Geheimnis handeln müssen, von dem in der Heimat daher so gut wie niemand etwas mitbekommen konnte. Trotz aller Unterschiede im Detail wird folgende – dem Stand der Forschung zuwiderlaufende – Geschichte erzählt: In der Weite des eroberten Raumes wurden Millionen Juden rasch, unauffällig und in streng von der Öffentlichkeit abgeschirmten Lagern hinter Stacheldraht getötet. Der zweiten Gruppe von Büchern merkt man dagegen die Rezeption des fachwissenschaftlichen Diskurses eindeutig an. Die – nach wie vor auf dünner Quellengrundlage beruhende – These der wissenschaftlichen Expertinnen und Experten, dass das Gesamtausmaß der »Endlösung der Judenfrage« für die Mehrheit wohl unklar blieb, aber derjenige, der mehr wissen wollte, auch mehr wissen konnte, findet sich auch in den Lehrwerken wieder. Schülerinnen und Schüler können aus ihnen entnehmen, dass die Mehrheitsbevölkerung angesichts der Mitarbeit einer Vielzahl von Personen an der »Endlösung« und ver-

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schiedener Informationskanäle, über die Nachrichten »aus dem Osten« in die Heimat gelangten, zumindest eine fundierte Ahnung von der Ermordung der europäischen Juden haben musste. Ein letzter Punkt, der hervorgehoben werden sollte, betrifft die Verankerung der Frage nach der zeitgenössischen Kenntnis der deutschen Mehrheitsbevölkerung vom Genozid an den europäischen Juden im untersuchten Sample. Von einer nicht unbedeutenden Minderheit der Schulbücher wird diese Problematik ausdrücklich aufgriffen. Dies ist unter anderem an den Zwischenüberschriften in den Verfassertexten, den für abgedruckte Materialien ausgewählten Titeln oder dem Vorhandensein von Arbeitsaufträgen zu erkennen. Für die Darstellung von typischen Grundhaltungen und Verhaltensweisen der deutschen Gesellschaft zur »Judenpolitik« des NS-Regimes können folgende Ergebnisse zusammengefasst werden: In etwas mehr als der Hälfte der untersuchten Geschichtsschulbücher werden kurze Hinweise darauf gegeben, dass der von Hitler und seinen Paladinen propagierte Antisemitismus nicht etwas völlig Neues war. Positiv gewendet heißt dies: Die Mehrheit der Lehrwerke gibt sich nicht mit einem maximal bis ins 19. Jahrhundert reichenden Abriss zur Geschichte der Judenfeindschaft zufrieden. Gleichwohl wird kaum einmal deutlich, dass antijüdische Einstellungen eine erstaunliche Kontinuität in breiten Bevölkerungskreisen besaßen. Der Frage nach der »Salonfähigkeit« des nationalsozialistischen Rassenantisemitismus widmen sich überdies lediglich drei Unterrichtswerke, wobei wiederum zwei Bücher die angeblich hohe Unzufriedenheit des Großteils der Deutschen – trotz ihrer vorurteilsbeladenen Auffassungen – mit der auf dauerhafte Exklusion der jüdischen Minderheit aus der »Volksgemeinschaft« zielenden NS-»Judenpolitik« besonders herausstellen. Nur einem Lehrwerk gelingt es halbwegs adäquat aufzuzeigen, dass der Antisemitismus der Nationalsozialisten – auch wenn er manchen zu rabiat und zu laut war – die latenten Hass- und Neidgefühle der Mehrheitsgesellschaft mobilisieren konnte, wodurch die praktische Umsetzung der intendierten »Ausmerzung« alles »Jüdischen« begünstigt wurde. In der Summe ist damit die seinerzeit in der Forschung vertretene Auffassung, die auch durch die Gedenkrede Jenningers öffentlichkeitswirksam verbreitet wurde, nicht in den Erinnerungsort »Schulbuch« übernommen worden: Die Bevölkerungsmehrheit bejubelte den Rassenantisemitismus zwar nicht, durch ihre antisemitische Disposition war sie aber größtenteils mit der judenfeindlichen Politik einverstanden, vorausgesetzt sie bewegte sich in gesitteten Bahnen und vollzog sich möglichst geräuschlos. Zu den Gravamina des Analysebefundes gehört auch, dass nur sehr wenige Lehrwerke Informationen über die Partizipation unzähliger »Volksgenossen« an der Verdrängung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben liefern. Sofern es überhaupt zu einer Thematisierung der »Arisierung« kommt, werden die

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

skrupellosen Versuche der Konkurrenten jüdischer Ladenbesitzer, von der Entrechtung der Juden zu profitieren, außerdem auf die Zeit nach der »Reichskristallnacht« veranschlagt. Dies ist ein deutliches Indiz für die Nichtberücksichtigung der grundlegenden Monographie von Avraham Barkai, der bereits im Jahr 1988 im Hinblick auf die Eliminierung wirtschaftlicher Betätigung von Juden den nahezu schlagartig mit Beginn der nationalsozialistischen Machtübernahme einsetzenden »Bereicherungswettlauf« von »arischen« Erwerbern ausführlich beschrieben hatte. Im Hinblick auf das typische Verhalten der »Zuschauer« während der zwölf Jahre der NS-Diktatur ist zunächst zu konstatieren, dass nur eine verschwindend geringe Anzahl der Schulbücher überhaupt auf die ausbleibenden Proteste von »Durchschnittsdeutschen« gegen die unzähligen Maßnahmen der alltäglichen Diskriminierung der jüdischen Minderheit hinweist. Manchmal werden sogar nur die Hilfeleistungen für Juden erwähnt. Differenzierungen – etwa in Anlehnung an das von Konrad Kwiet erarbeitete und von Ursula Büttner aufgegriffene Verhaltensspektrum, das von Gleichgültigkeit bis Aggression reichte, ganz selten aber Hilfe für die Verfolgten beinhaltete – finden sich in den von den Schulbuchautorinnen und -autoren geschriebenen Texten nur äußerst selten. Nicht ganz so rar gesät sind dafür die in den Arbeitsteilen einiger Lehrwerke präsentierten Quellen oder Darstellungen, welche die Schülerinnen und Schüler zum argumentativen Umgang mit dem Verhalten von nichtjüdischen Deutschen im Alltag gegenüber den gebrandmarkten Juden herausfordern könnten. Wenngleich es von dem im Unterricht verwendeten Buch abhängt, ob die Lernenden mit einem für die Gesamtgesellschaft eher repräsentativen oder eher untypischen Verhalten konfrontiert werden, haben mit den Schulerfahrungen von jüdischen Jugendlichen, dem Beschwerdebrief eines Bürgers über die angebliche Milde der bisher getroffenen antijüdischen Maßnahmen oder auch einem Fall von Denunziantentum aus selbstsüchtigen Gründen interessante Aspekte Eingang in die Materialteile erhalten. Betrachtet man abschließend die Ergebnisse zu allen Untersuchungskategorien, so fällt das von den Schulgeschichtsbüchern der zweiten Generation gezeichnete Bild der deutschen Mehrheitsbevölkerung ambivalent aus. Mehr oder weniger exkulpatorische Darstellungen der »Zuschauer« stehen neben solchen, die hinsichtlich der Beurteilung ihres Wissens über den Holocaust, ihrer Reaktionen auf die Judenverfolgung oder ihres Verhaltens gegenüber der jüdischen Minderheit äußerst kritisch ausfallen. Manche Schulbuchautorinnen und -autoren haben sich Teile des akademischen Forschungswissens aneignet, andere haben fachwissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse vollständig ignoriert. Von einem wirklich scharfkantigen Herauspräparieren der Rolle der deutschen Gesellschaft über alle Bücher hinweg kann somit nicht gesprochen werden. Eingestandenermaßen lagen für die Lehrwerksmacherinnen und -macher, als sie

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Anfang und Mitte der 1990er Jahre ihre Unterrichtswerke verfassten, noch immer nur wenige empirisch fundierte Beiträge aus der Geschichtswissenschaft vor. Hinzu kommt, dass die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft in der Geschichtskultur noch nicht in den Fokus des öffentlichen Interesses geraten war. In der Öffentlichkeit bestand stattdessen erst seit einigen Jahren ein – von vielen gewiss zähneknirschend zur Kenntnis genommener – Konsens darüber, dass der Völkermord an den europäischen Juden zu einem entscheidenden Bezugspunkt deutscher Identität gehört. Eine Akzentverschiebung sollte sich erst mit der Goldhagen-Debatte und der »Wehrmachtsausstellung« einstellen, die mit der Beurteilung des Verhaltens breiter Bevölkerungskreise in gewisser Weise den gleichen Kern, auf diese Schulbuchgeneration aber noch keinen Einfluss hatten. Diese Umstände machen sich auch bei der didaktischen Aufbereitung des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion bemerkbar, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. In der überwiegenden Zahl der untersuchten Schulbücher bleibt der Anteil der Wehrmacht an der Judenvernichtung undiskutiert. Nur dreimal wird die (umfangreiche) Unterstützung, die die Armee dem SS- und Polizei-Apparat bei den Mordaktionen leistete, kurz angesprochen, wobei durchgängig Hinweise darauf fehlen, worin die organisatorische Mithilfe des Militärs überhaupt bestand. Lediglich ein Lehrwerk macht darauf aufmerksam, dass Wehrmachtseinheiten auch eigenständig Massenerschießungen von Juden durchführten. Zugespitzt entsteht in dieser Schulbuchgeneration das folgende Bild: Erschießungsaktionen waren die Angelegenheit der von Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich befehligten SS-Mordkommandos, die Wehrmacht nahm von ihnen höchstens als Augenzeuge Notiz. Bedenkt man, dass zum Zeitpunkt der Schulbuchproduktion bereits seit über einem Jahrzehnt Helmut Krausnicks Studie über die SS-Einsatzgruppen vorlag, in der das hohe Maß belegt worden war, in dem reguläre Truppenteile aktiv an den Morden gegen die jüdische Bevölkerung Osteuropas beteiligt waren, stellen sich die Ausführungen der Schulbücher zu diesem Thema als sehr unbefriedigend dar. Die Beurteilung fällt nicht besser aus, wenn man ferner berücksichtigt, dass 1990 Raul Hilbergs Monumentalwerk »Die Vernichtung der europäischen Juden« mit der Übernahme in die von Walter H. Pehle entwickelte und betreute »Schwarze Reihe« des Fischer Taschenbuch Verlags endlich eine angemessene Würdigung erzielt hatte. Zur Erinnerung: Hilberg hatte darin ausführlich die Wehrmacht sowohl als Schirmherr und Helfer bei den Mordoperationen der Einsatzgruppen wie auch als tatkräftigen Exekutor beschrieben. Ähnlich wie beim Judenmord beziehen die Schulbuchautorinnen und -autoren die Wehrmacht nicht in die Ausrottungspolitik gegenüber den wehrlosen Sowjetgefangenen ein. Wenn das Massensterben unter den sowjetischen Kriegsgefangenen überhaupt zum Thema gemacht wird, dann wälzen die

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration II

Lehrwerke die Verantwortung auf die SS ab oder sprechen ungenau von der »deutschen Besatzungspolitik«. Nur einmal wird für die Leserinnen und Leser ersichtlich, dass über drei Millionen Menschen in der Obhut der Wehrmacht starben. Die gleiche Tendenz ist auch bei der Behandlung der Politkommissare der Roten Armee festzustellen. Es überwiegen bei weitem Darstellungen, denen lediglich zu entnehmen ist, dass es einen Mordbefehl zur sofortigen Erschießung aller sowjetischen Kommissare gab. Dass die Initiative zur Ermordung der gefangenen politischen Kommissare durch die Truppe vom OKW selbst ausging, wird fast immer verschwiegen. Der Frage, ob der »Kommissarbefehl« zur Ausführung kam, widmen sich überdies nur zwei Bücher. Bezeichnenderweise bleibt dabei aber entweder offen, wer die Erschießungen vornahm, oder es werden die Einsatzgruppen als ausführende Organe genannt. Misst man auch hier die Schulbücher am erreichten Forschungsstand, so ist das Ergebnis größtenteils geradezu als katastrophal zu bezeichnen. Bekanntlich bestand spätestens mit Christian Streits 1978 erschienener Studie über die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen seitens der Wehrmacht, die überdies seit 1991 in einer Neuausgabe vorlag, kein Zweifel mehr daran, dass das Massensterben der Sowjetgefangenen in erster Linie auf die brutale Repressionspolitik der Wehrmacht zurückzuführen ist und wohl einige tausende Kommissare direkt nach ihrer Gefangennahme durch Heereseinheiten erschossen wurden. Bis auf wenige Ausnahmen ist in dieser Lehrwerksgeneration hiervon nichts zu finden. Die Marginalisierung der Verbrechen der Wehrmacht erfolgt auch im Fall des zu großen Teilen auf dem Rücken der sowjetischen Zivilbevölkerung ausgetragenen Partisanenkrieges. Dass der vom OKW am 13. Mai 1941 herausgegebene »Kriegsgerichtsbarkeitserlass« die Voraussetzung dafür bildete, dass von Anfang an auch völlig unbeteiligte Menschen ins Visier der Wehrmacht gerieten, wird nirgendwo ausgewiesen. Es gibt zwar Bücher, die auf das brutale Vorgehen der deutschen Besatzer gegen echte oder vermeintliche Partisanen aufmerksam machen. Wehrmachtssoldaten erscheinen dabei allerdings so gut wie nie als aktiv Handelnde. Die im Großteil der Schulbücher vermittelte Botschaft ist vielmehr, dass die im Zusammenhang mit den Anti-Partisanenunternehmen gegen Zivilisten ergriffenen Maßnahmen allein auf das Konto der SS gehen. Eingedenk der seit 1958 vorliegenden Studie von Alexander Dallin, dessen Ergebnisse über das radikale Vorgehen des Ostheeres gegen die Zivilbevölkerung der Sowjetunion auch von weiteren Forschungsarbeiten exemplifiziert worden waren, ist dies wenig überzeugend. Bündelt man die Ergebnisse der kategoriengeleiteten Analyse zur Beteiligung der Wehrmacht am Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, so kann von einem mehrheitlich kritischen oder gar schonungslosen Umgang mit der militärischen Vergangenheit in der zweiten Lehrwerksgeneration nicht gesprochen

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werden. Ausblendung statt adäquate Auseinandersetzung, so könnte man die Haltung der meisten Schulbuchautorinnen und -autoren gegenüber den von der Armee begangenen Verbrechen pointieren. Eine deutliche Diskrepanz zur Geschichtswissenschaft, in der Anfang der 1990er Jahre längst Konsens über die (Mit-)Verantwortung der Wehrmacht für den verbrecherischen Charakter der NS-Kriegsführung herrschte, ist somit unverkennbar. Außerhalb des »Elfenbeinturmes« überwog dagegen seinerzeit noch immer die Meinung, die Truppe sei am rassenideologischen Weltanschauungskrieg weitgehend unbeteiligt gewesen. Insofern wird der Zusammenhang von zeitgenössischem Denken und »Geschichtsschulbuchgeist« augenfällig. Weder vermochten die von der Historikerzunft vorgebrachten Erkenntnisse, die vorherrschende Sichtweise der breiten Öffentlichkeit ins Wanken zu bringen, noch fanden sie bei der Mehrheit der Lehrwerksmacherinnen und -macher größere Resonanz. Da die meisten Schulbücher die aktive Einbindung der Armee in Planung, Durchsetzung und Absicherung des Vernichtungskrieges verschweigen, bedeutet dies im Umkehrschluss auch, dass sie – bewusst oder unbewusst – die Legende vom »sauberen« Krieg der Wehrmacht fortschreiben.

VII. Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

In den folgenden Unterkapiteln werden die Ergebnisse der Schulbuchanalyse zur dritten Lehrwerksgeneration dargestellt. Untersuchungsgegenstand waren zwölf Bücher. Für die Sekundarstufe I wurden ausgewählt: Zeit für Geschichte (Schroedel, 2002), Das waren Zeiten (C.C. Buchner, 2002), Zeiten und Menschen (Schöningh, 2002), Expedition Geschichte (Diesterweg, 2003), Forum Geschichte (Cornelsen, 2003) und Geschichte und Geschehen (Klett, 2005). Für die Sekundarstufe II wurden Kursbuch Geschichte (Cornelsen, 2000), Buchners Kolleg. Themen Geschichte (C.C. Buchner, 2000), Kurshefte Geschichte (Cornelsen, 2000), Horizonte – Geschichte für die Oberstufe (Westermann, 2003), Geschichte und Geschehen Oberstufe (Klett, 2006) und Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe (Schöningh, 2006) herangezogen. Die Vorstellung der Analyseergebnisse erfolgt anhand der sowohl induktiv als auch deduktiv entwickelten Kategorien (1) Boykott 1933, (2) Novemberpogrom 1938, (3) Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/41– 1945, (4) Kenntnisse vom Holocaust, (5) Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen, untergliedert in (a) Verbreitung antisemitischer Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung, (b) Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der »Arisierung« und (c) Verhalten der »Zuschauer« im Alltag gegenüber jüdischen Mitmenschen, sowie (6) Wehrmacht und Vernichtungskrieg, untergliedert in (a) Beteiligung am Genozid an den Juden, (b) Verantwortung für die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen und (c) Tötung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung. In einem Zwischenfazit werden die aus der kategoriengeleiteten Inhaltsanalyse gewonnenen Ergebnisse vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Forschungsstandes der Geschichtswissenschaft und der in der Öffentlichkeit geführten Diskurse über die NS-Vergangenheit bewertet. Im Text genannte Bilder finden sich im Anhang der Arbeit.

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1.

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

Boykott 1933

Angaben zu den Reaktionen der Mehrheitsbevölkerung auf den befristeten Boykott jüdischer Geschäfte und Waren sowie jüdischer Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien sind in den von den Schulbuchautorinnen und -autoren geschriebenen Texten kaum zu finden. Zehn der zwölf durchgesehenen Lehrwerke begnügen sich mit einer kurzen Erwähnung des Aprilboykotts. Nur zwei Beispiele zur Illustration: Der Verfassertext von Zeit für Geschichte enthält die folgende Information: »Die erste Maßnahme des nationalsozialistischen Regimes gegen jüdische Mitbürger war der angeordnete Boykott jüdischer Geschäfte, Arztpraxen und Anwaltskanzleien am 1. 4. 1933.«949 Die Autorinnen und Autoren von Geschichte und Geschehen Oberstufe fassen sich ebenfalls kurz und formulieren lapidar : »Erster Höhepunkt [der antisemitischen Ausschreitungen nach Hitlers Regierungsantritt] war der ›Judenboykott‹ am 1. April 1933, der sich gegen jüdische Geschäfte, Anwälte und Ärzte richtete. Er gab den Juden einen Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte.«950 Demgegenüber kommt das Verhalten der »Zuschauer« in zwei Büchern explizit zur Sprache. Das waren Zeiten betont dabei, dass sich beim Gros der Bevölkerung kein aktiver Protest regte: »Am 1. April zogen überall SA-Posten vor jüdischen Geschäften, Anwaltskanzleien und Arztpraxen auf mit Schildern ›Kauft nicht bei Juden!‹ oder ›Geht nicht zum jüdischen Arzt!‹. Schaufenster wurden mit Sprüchen wie ›Juden raus!‹ oder ›Juda verrecke!‹ beschmiert. Während sich die Juden beschwerten, an Anstand und Vernunft appellierten und auf die 12 000 jüdischen Opfer im Ersten Weltkrieg hinwiesen, nahm die Mehrheit der Bevölkerung diesen Anschlag auf die Menschenwürde ihrer Mitbürger ohne öffentlichen Widerspruch hin.«951

Während hier eine Interpretation vorgelegt wird, die – insbesondere durch die Gegenüberstellung der jüdischen und nichtjüdischen Perspektive – auf die weitgehende Akzeptanz dieser antijüdischen Maßnahme der NS-Regierung bei der Mehrheitsbevölkerung abhebt, präsentiert der Verfassertext von Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe eine andere Sichtweise auf das Verhalten der »Zuschauer«. Die Autorinnen und Autoren stellen vor allem die weitgehende Resistenz der Bevölkerung gegenüber dem Boykottaufruf heraus, indem sie die Situation vom 1. April 1933 wie folgt schildern: »Am 1. 4. 1933 organisierte Reichspropagandaminister Goebbels eine reichsweit koordinierte Boykottaktion gegen jüdische Geschäfte und Betriebe. Die Aktion traf je949 Zeit für Geschichte (2002), S. 108. 950 Geschichte und Geschehen Oberstufe (2006), S. 306. 951 Das waren Zeiten (2002), S. 80.

Boykott 1933

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doch auf sehr unterschiedlichen Widerhall in der Bevölkerung, die sich insgesamt wesentlich zurückhaltender und passiver verhielt, als die NSDAP gehofft hatte.«952

Ähnlich unterrepräsentiert wie in den Verfassertexten stellt sich die Bereitstellung von Materialien dar, die über die Haltung der nichtjüdischen Bevölkerung Auskunft geben. Lediglich die Leserinnen und Leser des Oberstufenbandes Kurshefte Geschichte können zu dieser Thematik mögliche Einordnungen und Bewertungen vornehmen. Das Buch verwendet Tagebuchauszüge des Romanisten Victor Klemperer, der am 3. April vom durchgeführten »Generalboykott« gegen Geschäfte und Warenhäuser jüdischer Eigentümer berichtet.953 Sieben Lehrwerke berücksichtigen Bildquellen, welche den Schülerinnen und Schülern einen visuellen Einblick in die deutschlandweiten Boykottaktionen gewähren. Während vier Bücher sich jeweils auf eine fotografische Abbildung beschränken, die die Öffentlichkeit des Boykotts dokumentiert (Abb. 36–39)954, belegen die in anderen Büchern verwendeten Aufnahmen auch die Teilnahme der Bevölkerung an dieser »Aktion«. In Das waren Zeiten wird dies am Beispiel eines Fotos aus Heilbronn vom 1. April 1933 veranschaulicht. Betroffen ist das Kaufhaus »Wohlwert«; die Aufnahme zeigt nicht nur Tat und Täter, sondern auch mehrere zu- und wegschauende Heilbronner Bürger (Abb. 40)955. Die Autorinnen und Autoren von Forum Geschichte ziehen ein Foto vom Boykott jüdischer Läden in Hamburg (nicht – wie in der Bildunterschrift angegeben – in Essen) heran, auf dem u. a. ein junges Mädchen und eine Frau zu sehen sind, die beide – offenbar bewusst – in die Kamera schauen (Abb. 41).956 Die von Geschichte und Geschehen herangezogene Abbildung schließlich könnte ebenfalls zu der Gruppe der Bilder gehören, die die Teilnahme der »Zuschauer« an dieser 952 Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe (2006), S. 117. 953 Vgl. Kurshefte Geschichte (2000), S. 74f.: »Am Sonnabend rote Zettel an den Geschäften: ›Anerkannt deutschchristliches Unternehmen‹. Dazwischen geschlossene Läden, SA-Leute davor mit dreieckigen Schildern: ›Wer beim Juden kauft, fördert den Auslandsboykott und zerstört die deutsche Wirtschaft.‹ – Die Menschen strömten durch die Prager Straße und sahen sich das an. Das war der Boykott. ›Vorläufig nur Sonnabend – dann Pause bis Mittwoch.‹ Banken ausgenommen. Anwälte, Ärzte einbegriffen. Nach einem Tag abgeblasen – der Erfolg sei da und Deutschland ›großmütig‹. Aber in Wahrheit ein unsinniges Schwenken. Offenbar Widerstand im Aus- und Inland, und offenbar von der anderen Seite Druck der nationalsozialistischen Straße.« 954 Ein Schulbuch nutzt eine Fotografie, die ein mit Boykott-Parolen und antisemitischen Schmierereien gekennzeichnetes Schaufenster eines Berliner Modegeschäfts zeigt. Vgl. Buchners Kolleg. Themen Geschichte (2000), S. 147. Zwei Bücher verwenden das Bild eines SA-Mitglieds, das demonstrativ Posten vor einem jüdischen Geschäft in Berlin bezogen hat. Vgl. Horizonte – Geschichte für die Oberstufe (2003), S. 332 sowie Kurshefte Geschichte (2000), S. 75. In einem anderen Buch wiederum ist ein Foto von einer SA-Wache vor jüdischen Rechtsanwaltspraxen in München vertreten. Vgl. Zeit für Geschichte (2002), S. 109. 955 Vgl. Das waren Zeiten (2002), S. 80. 956 Vgl. Forum Geschichte (2003), S. 92.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

öffentlichen »Aktion« dokumentiert. Allerdings ist das Foto, die bekannte Aufnahme der Boykott-Posten vor dem Berliner Warenhaus Tietz, einmal mehr nicht vollständig abgedruckt. Ganz im Gegenteil: Das Foto ist massiv beschnitten und es ist nicht vermerkt, dass es sich um einen Ausschnitt handelt (Abb. 42).957

2.

Novemberpogrom 1938

Die Durchsicht zeigt, dass die Reaktionen der »Zuschauer« auf die gewaltsamen Ausschreitungen während des Novemberpogroms 1938 in fast allen Schulbüchern in irgendeiner Form präsent sind. Ausnahmen stellen lediglich die beiden Werke aus dem Schöningh-Verlag dar, in denen nur einige ereignisgeschichtliche Aspekte allgemeiner Natur angesprochen werden.958 Demgegenüber gehen die Verfassertexte von sieben Lehrwerken teils knapp, teils ausführlich auf die zu untersuchende Thematik ein. Während die Bücher Horizonte – Geschichte für die Oberstufe und mehr noch Geschichte und Geschehen Oberstufe die grundsätzliche Missbilligung der Mehrheitsgesellschaft betonen959, sprechen die Autorinnen und Autoren von Kursbuch Geschichte nur von einem nicht näher erläuterten »›Wegsehen‹ der deutschen Bevölkerung«960, welches das von der NSDAP und der SA initiierte und durchgeführte Pogrom gezeigt habe. Die einschlägigen Beschreibungen bei Expedition Geschichte wiederum heben sowohl die aktive Beteiligung eines größeren Teils der Bevölkerung an den Gewaltorgien als auch die passive Billigung der Ereignisse am und um den 957 Vgl. Geschichte und Geschehen (2005), S. 111. 958 Vgl. Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe (2006), S. 118: »Etwa ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkrieges inszenierte die NSDAP, zentral gesteuert durch Joseph Goebbels und das Reichspropagandaministerium, die so genannte ›Reichskristallnacht‹ (9./ 10. 11. 1938). Am 7. 11. 1938 hatte ein junger Jude namens Herschel Grynszpan aus Protest gegen die Deportation seiner Familie aus Deutschland in das polnische Lager Sbaszyn den dritten Legationssekretär Ernst vom Rath in der deutschen Botschaft in Paris tödlich verwundet. Dieser Mord gab Goebbels den willkommenen Anlass, zu Strafaktionen gegen Juden in ganz Deutschland aufzurufen. In der Nacht vom 9. auf den 10. 11. 1938 gingen jüdische Synagogen in Flammen auf, Geschäfte wurden geplündert und in Brand gesteckt, Juden aus ihren Privatwohnungen vertrieben, Hunderte wurden ermordet, Tausende in Konzentrationslager verschleppt. Am nächsten Tag bezeichnete die Presse die Aktionen als ›Ausbruch des gerechten Volkszorns‹.« Vgl. ähnlich Zeiten und Menschen (2002), S. 131. 959 Vgl. Horizonte – Geschichte für die Oberstufe (2003), S. 328: »Ein großer Teil der deutschen Öffentlichkeit schien das Vorgehen der Nationalsozialisten am 9. November 1938 zu missbilligen. Gleichwohl kam es zu keinen größeren Protesten.« Vgl. Geschichte und Geschehen Oberstufe (2006), S. 309: »Schon der Pogrom vom 9. November 1938 stieß bei den meisten Deutschen auf Unverständnis und Ablehnung.« 960 Vgl. Kursbuch Geschichte (2000), S. 454.

Novemberpogrom 1938

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9. November durch die nichtjüdische Mehrheit hervor : »Bemerkenswert ist, wie viele ›normale‹ Deutsche sich in den Sturmtrupps der SA an Brutalitäten beteiligten, ohne Schuld zu empfinden. Die große Mehrheit tolerierte die Vorgänge mit Schweigen. Daran zeigt sich, wie weit das Gift des Antisemitismus schon in der Gesellschaft verbreitet war.«961 Eine sehr differenzierte Darstellung des Verhaltens der »Zuschauer« findet sich in Zeit für Geschichte: »Die Mehrheit der Bevölkerung verhielt sich passiv, schaute zu; es gab Beispiele für Anteilnahme und Scham, aber auch solche von aktiver Teilnahme, hämischer Freude und Habgier.«962 In den von den Schulbuchautorinnen und -autoren geschriebenen Texten zweier weiterer Werke liegt der Akzent noch auf einem anderen Aspekt. Neben der Betonung einer allgemeinen Passivität wird hier erwähnt, dass es weniger die Gewalt an den Juden als vielmehr der Vandalismus gegen materielle Werte gewesen sei, der den Unmut innerhalb der Bevölkerung gegenüber der »Kristallnacht« habe wachsen lassen. Der Verfassertext von Kurshefte Geschichte hält fest: »Obwohl diese Verbrechen vor aller Augen stattfanden, regte sich kaum Widerstand; man bedauerte allenfalls die sinnlose Vernichtung von Sachwerten und Lebensmitteln.«963 Die Autorinnen und Autoren von Das waren Zeiten führen aus: »Proteste gegen den Terror, den die NS-Propaganda als ›Ausbruch des Volkszornes‹ ausgab und für den der Berliner Volksmund den verharmlosenden Begriff Reichskristallnacht erfunden haben soll, blieben die Ausnahme. Viele Bürger kritisierten die Zerstörungen mehr als die Misshandlungen der Menschen.«964 961 Expedition Geschichte (2003), S. 175. 962 Zeit für Geschichte (2002), S. 109. Ein im Arbeitsteil des Kapitels »Widerstand« abgedruckter und mit der Überschrift »Ein Polizist und die Feuerwehr« versehener Auszug aus einer Rede vom 9. November 1993 zur Umbenennung der Landespolizeischule SchleswigHolstein in Landespolizeischule Wilhelm Krützfeld zum Gedenken an die Reichspogromnacht fügt dem Verfassertext im Hinblick auf das Verhalten der Bevölkerung einen neuen Aspekt hinzu. Zu lesen ist: »Verdiente Ehrung wird heute einem Menschen zuteil, der seinem Lebensberuf, Polizist zu sein, Ehre machte. Besonders in jener Nacht, die zu den verhängnisvollen in der deutschen Geschichte gehört [Reichspogromnacht, 9. November 1938]. … allein in Berlin wurden die meisten der 3700 jüdischen Einzelhandelsgeschäfte zertrümmert und geplündert, über zehntausend Juden festgenommen und die meisten der vierzehn großen Synagogen weitgehend zerstört. Nur die größte und schönste nicht, die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße. Denn der zuständige Reviervorsteher kam mit einem Trupp vom Innendienst herbeigerannt und verjagte mit vorgehaltener Pistole die SAMänner – die … hatten in den Vorräumen Feuer gelegt, Gebetbücher auf die Straße geworfen und wollten ihr Zerstörungswerk fortsetzen. Der Reviervorsteher, so viel wissen wir, alarmierte gleichzeitig die Feuerwehr. Die kam und löschte – ein geradezu einzigartiger Vorfall in jener Nacht, in der in Deutschland die Feuerwehr einsatzbereit zuschauen musste, solange nur jüdische Gebäude brannten.« (ebd., S. 138). 963 Kurshefte Geschichte (2000), S. 72. 964 Das waren Zeiten (2002), S. 81. Im Arbeitsteil greift das Schulbuch zudem die aktive Mit-

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

Zu den Schulbüchern, deren Verfassertexte keine Angaben zur Haltung der großen Mehrheit der Bevölkerung gegenüber den Zerstörungen von Synagogen, den Zertrümmerungen der jüdischen Geschäfte etc. machen, aber die Reaktionen in der Materialauswahl berücksichtigen, gehören Forum Geschichte, Geschichte und Geschehen und Buchners Kolleg. Themen Geschichte. Alle drei Lehrwerke setzen als Illustration ein Foto der brennenden Synagoge in Essen am 10. November 1938 ein. Im Vordergrund begafft eine Menschenmenge das Abbrennen des jüdischen Gotteshauses (Abb. 43–45).965 Buchners Kolleg. Themen Geschichte nutzt außerdem, wiederum zu reinen Illustrationszwecken, ein Foto, das am 10. November 1938 in der Potsdamer Straße in Berlin jüdische Geschäftsinhaber zeigt, die die Spuren der Pogromnacht zu beseitigen bzw. die zerstörten Schaufenster vor Plünderern zu schützen versuchen. Ein (womöglich nichtjüdischer) Fußgänger, der eine Aktentasche in der linken Hand hält, steht vor dem Laden und betrachtet die Verwüstung (Abb. 46).966 Ein anderer gut gekleideter Herr mit Hut und Mantel, der im Original am linken Bildrand zu erkennen ist und ebenfalls seinen Blick auf das demolierte Geschäft gerichtet hat, ist dagegen abgeschnitten. Neben den fotografischen Dokumenten findet man in jedem der drei Bücher noch weiteres Material, das Rückschlüsse auf das Verhalten der »Zuschauer« gibt. Der Arbeitsteil von Geschichte und Geschehen enthält die retrospektive Schilderung einer Jüdin aus Essen. Das weitverbreitete Phänomen der Plünderungen wird kurz angesprochen: »Ich bin durch grelle Hilferufe und Scheibengeklirr aufgewacht. Ich wohnte mitten in der Stadt Essen. Ringsum waren eine ganze Reihe von jüdischen Geschäften und Wohnungen. (…) Der Lichtschein und der Rauch der brennenden Synagoge war von weitem sichtbar. Vor Schrecken und Furcht habe ich geglaubt nicht atmen zu dürfen und gefürchtet, dass jeden Moment die SA- und SS-Männer in unsere Wohnung wirkung der Bevölkerung an den Zerstörungen auf. Geboten werden die Erinnerungen eines ehemaligen SA-Mitglieds, das im Jahr 1946 zu den Vorfällen in Mannheim folgende Aussage zu Protokoll gibt: »An dem fraglichen Tage, wo die Judenaktion stattfand, […] wurde ich morgens gegen 6 Uhr von dem SA-Sturmführer W. geweckt. Er sagte zu mir : ›Alles raus, wir müssen am Schulplatz antreten.‹ Warum ich antreten musste, wusste ich damals noch nicht. Als ich am Schulplatz ankam, waren ungefähr 20 Mann anwesend. […] Wir wurden teilweise mit Werkzeugen, die wir in der Synagoge fanden, darunter auch ein Pickel, ausgerüstet. Dann bekamen wir von W. den Befehl, alles was in der Synagoge war, kurz und klein zu schlagen. Ich möchte noch bemerken, dass wir nicht alles allein zu zerstören brauchten, da die Bevölkerung kam, teils mit Beilen und Äxten bewaffnet, um Teile der Inneneinrichtung für Brennzwecke nach Hause zu fahren. Ich beteiligte mich am Zusammenschlagen der Bänke und Einrichtungsgegenstände […] und sah zu, wie meine anderen Kameraden Bücher und Talare […] vor die Synagoge warfen und verbrannten.« (ebd., S. 84). 965 Vgl. Forum Geschichte (2003), S. 94; Geschichte und Geschehen (2005), S. 115; Buchners Kolleg. Themen Geschichte (2000), S. 152. 966 Vgl. Buchners Kolleg. Themen Geschichte (2000), S. 153.

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kommen, alles zerstören und meine Angehörigen und mich umbringen würden (…). Noch am Nachmittag (des nächsten Tages) sind halbwüchsige Jugendliche mit Karren voll geplünderter, gestohlener Gegenstände in der Stadt Essen gesehen worden.«967

In Forum Geschichte wird unter der Überschrift »Novemberpogrom – Reaktionen« aus einer Monographie der amerikanischen Historikerin Marion Kaplan zitiert, die 2001 auf der Grundlage von Briefen, Tagebüchern, Erinnerungen und Interviews mit vor allem jüdischen Frauen zu den Ereignissen während der Reichspogromnacht 1938 schreibt. Die Schülerinnen und Schüler lesen: »Der Novemberpogrom bietet Beispiele für das widersprüchliche Verhalten der Deutschen gegenüber den Juden – eine Mischung aus zügelloser Brutalität, gezielter Unwissenheit und gelegentlicher Freundlichkeit. Viele Leute schlossen sich den Nazis an, um jüdische Wohnungen, Betriebe und Synagogen anzugreifen und zu verbrennen. Andere zogen es vor, ihre jüdischen Nachbarn auszunutzen. In Bayern etwa bot ein ›arischer‹ Nachbar einer jüdischen Frau und ihrer Mutter nach der Verhaftung ihrer Ehemänner ein ›Geschäft‹ an. Die jüdischen Frauen sollten ihm die Besitzurkunde ihres Hauses überschreiben und Deutschland verlassen … Ingeborg Hechts Nachbarin versuchte es mit Entschuldigungen: ›Der Führer weiß das nicht‹, sagte sie und gab Ingeborg ein großes Lebensmittelpaket für deren Vater, als dieser aus [dem KZ] Sachsenhausen zurückkehrte. Mally Dienemann … war tief berührt, als ihre nichtjüdische Vermieterin ihr dabei half, die Wohnung zu reinigen: ›… Diese einfachen Leute … brachten mir, als ich allein war, Blumen.‹«968

Ein zu dieser Darstellung formulierter Arbeitsauftrag verlangt von den Lernenden herauszuarbeiten, wie sich die Reaktionen von nichtjüdischen Deutschen gegenüber Juden in den Zeitzeugenberichten jüdischer Frauen widerspiegeln.969 Die Autorinnen und Autoren von Buchners Kolleg. Themen Geschichte präsentieren ihren Leserinnen und Lesern die folgenden Auszüge aus einem Brief, den ein nichtjüdischer Hausbesitzer im Anschluss an die planmäßigen Gewaltaktionen gegen Juden und jüdische Einrichtungen anonym an die Krefelder Polizei schrieb: »Wo war die Polizei, als heute die Nachmittagsplünderungen, Demolierungen, zum Teil fremden Eigentums, stattfanden!!!!!! Man muss sich wohl in die Psychose des Volkes hineinversetzen und man darf unter keinen Umständen die Empörung des deutschen Volkes über die feige Pariser Mordtat unterschätzen und man muss es verstehen, wenn im ganzen Reiche fast auf die Minute die jüdischen Tempel ausgeräuchert, die jüdischen Geschäfte und Wohnungen demoliert wurden. Dass es aber von der Aufsichtsbehörde, und das ist die Polizei, mit geschlossenen Augen zugegeben wurde, dass vom Mob der Straße, vom Plebs, vom Halbwüchsigen dann noch die Waren aus den jüdi967 Geschichte und Geschehen (2005), S. 115. 968 Forum Geschichte (2003), S. 94. 969 Vgl. ebd., S. 95.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

schen Geschäften geplündert wurden, das kann man als guter Deutscher nicht verstehen und das wird auch das Ausland nicht verstehen können. […] Wer ist in den meisten Fällen der Geschädigte? Der Hausbesitzer, denn die meisten Juden wohnten in gemieteten Räumen. – Zu Hunderten ist die Polizei auf der Straße, wenn irgendein Umzug ist, wenn irgendeine höhere Persönlichkeit sich auch mal bei uns in Krefeld blicken lässt; jeder von den Polizisten, von oben bis unten, blinzelt nach dem Orden, jeder war dann, soweit es sich um die alten Krefelder Stadtsoldaten handelt, ein alter Kämpfer, kein Einziger von ihnen hat in der Kampfzeit mit dem Knüppel auf die Nazis gehauen, alle waren sie mit dem Herzen schon dabei, nur durften sie es nicht offen zeigen. Und heute, als es darum geht, die Juden auf vernünftigen Wegen aus unserem Reiche zu entfernen, da lässt es die Polizei, die doch sonst alles im Voraus weiß, die so klug ist, glattweg zu, dass auch noch geplündert wird und dass man deutsch-arisches Privateigentum entwertet. Wo waren denn alle unsere Polizisten, warum kamen sie nicht, als die Telefone um Hilfe riefen, warum kommt überhaupt die Polizei stets zu spät, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Die Empörung weitester Kreise, auch solcher, die schon lange vor der Machtübernahme dem Führer angehörten, ist unaussprechlich groß darüber, dass man es amtlicherseits zugelassen hat, dass der Mob der Straße sich breit machte. Was steht uns erst bevor, wenn einmal, was Gott verhüten möge, einer anderen Fahne die Hakenkreuzfahne weichen muss!!! Dann bleibt dieselbe Beamtenschaft auch wieder am Ruder, beziehungsweise Futterkrippe, und schreit laut den Jubelruf der Gegenseite, so wie sie 1933 auch den Deutschen Gruß von heute auf morgen lernte, Motto: Wer mir zu fressen gibt, den liebe ich. Ein durch die Unzuverlässigkeit der Polizei Geschädigter. Abschrift ging durch sicheren Boten an meine Verwandtschaft im Ausland, mit dazugehöriger ausführlicher Begründung.«970

Die abgedruckten Quellenpassagen vermitteln einen guten Eindruck von der Haltung weiter Kreise der Bevölkerung, bei der das Bedauern über die vernichteten »arischen« Güter und der Ärger über die Plünderungen allemal größer waren als das Mitgefühl mit den verfolgten Juden. Die Briefauszüge des geschädigten Hausbesitzers verdeutlichen außerdem, dass »man« die dauerhafte Verdrängung der jüdischen Mitbürger aus der Gesellschaft keineswegs grundsätzlich missbilligte, aber sie sollte doch weniger brutal und unsichtbarer vonstatten gehen.

3.

Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/41–1945

Eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Reaktionen auf die systematischen Massenverschleppungen der Juden findet in den Verfassertexten der untersuchten Schulbücher des Samples so gut wie nicht statt.971 Ganz im Ge970 Buchners Kolleg. Themen Geschichte (2000), S. 153. 971 Die Partizipation der Bevölkerung an dem nach dem Abtransport der Juden einsetzenden

Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/41–1945

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genteil: In den meisten Lehrwerken sind – wenn überhaupt – Sätze wie »Im Herbst 1941 wurden die ersten Juden aus dem Deutschen Reich in Gettos deportiert, die in den neu eroberten Gebieten lagen«972 oder »Ab 1941 wurden die jüdischen Deutschen – unter Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit und ihrer Vermögen – nach Osten deportiert«973 das Maximum dessen, was an Informationen bereitgestellt wird. Einzig der Autorentext von Geschichte und Geschehen Oberstufe geht kurz auf das Verhalten der Deutschen ein und schildert, dass die Mehrheit die Deportation der Juden »überwiegend gleichgültig«974 hingenommen habe. Fünf Schulbücher bieten in ihren Arbeitsteilen entweder eine schriftliche Quelle oder Darstellung, die Auskunft über die Haltung der deutschen Bevölkerung zur Deportationspolitik gibt. Während die Leserinnen und Leser von Forum Geschichte aus einem Darstellungstext des Historikers Wolfgang Wippermann die Kurzinformation entnehmen können, dass die Bevölkerung die sichtbaren Deportationen der Juden (bewusst) nicht zur Kenntnis genommen habe975, konzentrieren sich die anderen Lehrwerke auf einen besonderen Fall zivilen Ungehorsams gegen die braunen Machthaber : die mutigen Berliner Frauen in der Rosenstraße, die als nichtjüdische Ehepartnerinnen im Frühjahr 1943 gegen den Abtransport ihrer eingesperrten jüdischen Männer »nach dem Osten« öffentlich protestierten. Die Autorinnen und Autoren von Zeit für Geschichte verwenden hierfür den folgenden Abschnitt aus dem Nachkriegsbericht von Ernst Gross, der selbst Insasse des »Lagers Rosenstraße« gewesen war : »Dann begann die Zeit der großen Razzien. Am 28. Februar war eine ganz große Razzia. Sie machten das immer so, dass sie die Leute nachts direkt aus den Betrieben holten. Dieses Mal ließen sie die ›Mischehen‹ nicht frei, sondern nahmen uns alle mit und brachten uns in das Lager Große Hamburger Straße. Dort wurden wir ›Mischehen‹ zunächst in ein Zimmer in der oberen Etage gebracht, das waren etwa hundert Mann, und nachher wurden wir in das Lager Rosenstraße gebracht. Dort waren wir eine Woche, und niemand wusste, was mit uns werden würde. Sie wollten uns offenbar auch abtransportieren. Aber damals haben die Frauen gemeutert. Das ist wohl das einzige Mal, dass sowas vorgekommen ist. Da haben die christlichen Frauen tagelang vor dem Gebäude Rosenstraße Skandal gemacht, und schließlich haben sie es erreicht, und sie haben uns wieder freigegeben.«976

972 973 974 975 976

Prozess der öffentlichen »Verwertung« ihres zurückgelassenen Besitzes spielt im Schulbuchkorpus weder textuell noch visuell eine Rolle. Zeiten und Menschen (2002), S. 145. Horizonte – Geschichte für die Oberstufe (2003), S. 329. Geschichte und Geschehen Oberstufe (2006), S. 309. Vgl. Forum Geschichte (2003), S. 124: »Bei der bald darauf einsetzenden Deportation der noch im Lande verbliebenden, meist armen und alten deutschen Juden sahen die nichtjüdischen Deutschen dagegen in der Regel … weg.« Zeit für Geschichte (2002), S. 139.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

In Kurshefte Geschichte ist der Frauenprotest in der Rosenstraße ebenfalls durch eine Textquelle vertreten. Zitiert wird ein Tagebucheintrag vom 7. März 1943 der Schriftstellerin Ruth Andreas-Friedrich, die als Begründerin der Widerstandsgruppe »Onkel Emil« seit 1938 von den Nationalsozialisten verfolgten Menschen half. Ausgehend von dieser Quelle sollen die Schülerinnen und Schüler Möglichkeiten und Grenzen der Hilfe für Juden diskutieren: »Wenigstens einige sind wiedergekehrt. Die so genannten ›Privilegierten‹: Die jüdischen Partner rassisch gemischter Ehen. Abgesondert von den Übrigen, hat man sie vergangenen Sonntag in ein Sammellager geschafft. Zur Prüfung und endgültigen Beschließung. Noch am selben Tag machten sich die Frauen jener Männer auf, ihre verhafteten Ehegefährten zu suchen. Sechstausend nicht jüdische Frauen drängten sich in der Rosenstraße, vor den Pforten des Gebäudes, in dem man die ›arisch Versippten‹ gefangen hielt. Sechstausend Frauen riefen nach ihren Männern, schrien nach ihren Männern, Stunde um Stunde, Nacht und Tag. In der Burgstraße liegt das Hauptquartier der SS. Nur wenige Minuten entfernt von der Rosenstraße. Man hielt es nicht für opportun, mit Maschinengewehren zwischen sechstausend Frauen zu schießen. SSFührerberatung. Debatte hin und her. In der Rosenstraße rebellieren die Frauen. Fordern drohend die Freilassung ihrer Männer. ›Privilegierte sollen in die Volksgemeinschaft eingegliedert werden‹, entscheidet am Montagmittag das Hauptquartier der SS. Wen das Zufallsglück traf, einen nicht jüdischen Partner geheiratet zu haben, der darf sein Bündel schnüren und nach Hause gehen. Die anderen werden in Güterzüge verladen und abtransportiert.«977

Die Leserinnen und Leser von Das waren Zeiten finden unter der Aufgabenstellung, die Besonderheiten der Protestaktion zu bestimmen und Schlussfolgerungen aus dem Ausgang der Aktion für die Deportation der Juden allgemein zu ziehen, den nachfolgenden Darstellungstext, den die Schulbuchautorinnen und -autoren in Anlehnung an das 1993 erschienene Buch »Frauenprotest in der Rosenstraße« des Berliner Schriftstellers und Friedensforschers Gernot Jochheim formuliert haben: »Ende Februar 1943 sollten die letzten der in Berlin lebenden deutschen Juden in die Vernichtungslager im Osten abtransportiert werden. In der ›Fabrik-Aktion‹ nahm die Gestapo Tausende von jüdischen Zwangsarbeitern an ihrem Arbeitsplatz in Berliner Rüstungsbetrieben gefangen und verschleppte sie in Sammellager. Als solches diente auch ein Gebäude der ehemaligen jüdischen Gemeinde in der Rosenstraße. Bei dieser Aktion waren auch die jüdischen Männer, die mit nichtjüdischen Frauen verheiratet waren, festgesetzt worden. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht davon in der Stadt. Tagelang protestierten Angehörige dieser Männer, vor allem ihre Frauen, auf offener Straße vor dem Gebäude, das jetzt als Gefängnis diente. Zunächst unbeeindruckt von diesem Protest organisierte die Gestapo den Abtransport der Verhafteten nach Auschwitz. Doch die Demonstranten – an einzelnen Tagen bis zu 1000 Personen – 977 Kurshefte Geschichte (2000), S. 80f.

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gaben nicht nach. ›Ihr Mörder‹, ›ihr Feiglinge‹, ›gebt uns unsere Männer wieder‹, schrien sie empört. Sie ließen sich nicht einschüchtern und harrten in der Rosenstraße aus. Das Unglaubliche geschieht. Am 6. März werden, auf Veranlassung von Goebbels, die ersten Männer freigelassen. Am Schluss waren es an die 2000 Berliner Juden, die wieder zu ihren Familien zurückkehren konnten. Bis Kriegsende mussten sie wieder Zwangsarbeit leisten. Sogar 25 Männer, die bereits in Auschwitz angekommen waren, wurden von der Gestapo wieder ins Reichsgebiet zurückgeholt. Die Frauen hatten sie gerettet.«978

Schließlich trifft man im Materialteil von Geschichte und Geschehen Oberstufe ebenfalls auf einen solchen verkappten Verfassertext, der unterschiedliche Formen von »Widerstand« zusammenstellt, u. a. auch: »Ende Februar 1943 demonstrierten rund 200 nichtjüdische Frauen in der Berliner Rosenstraße eine Woche lang für die Freilassung ihrer verhafteten und für die Deportation vorgesehenen jüdischen Männer. Sie beendeten ihre Aktion, als man ihre Forderung erfüllte.«979

Visuelle Quellen, die ausschnitthaft das lokale Deportationsgeschehen vor den Augen zahlreicher Schaulustiger zeigen, sind in weniger als der Hälfte der untersuchten Lehrbücher enthalten. Die fotografischen Abbildungen – gleich ob auf den Verfassertextseiten oder in den Arbeitsteilen abgedruckt – besitzen zudem lediglich illustrative Funktion, weil sie nicht durch Aufgabenstellungen aufgegriffen oder anderweitig diskutiert werden. So zählt zum Illustrationsbestand von Zeit für Geschichte ein Foto, das im Rahmen der Deportation von über 6.500 südwestdeutschen Juden im Herbst 1940 in das französische Internierungslager Gurs aufgenommen wurde (Abb. 47).980 Das Foto belegt anschaulich die systematische Menschenverschleppung am hellen Tag und in aller Öffentlichkeit unter Beobachtung der Lörracher Bevölkerung. Eindeutig zu erkennen sind im Hintergrund zahlreiche Schaulustige jeden Alters, die – offensichtlich neugierig – verfolgen, wie die jüdischen Deportierten (vorn, auf den Abtransport wartend) Anweisungen von einem uniformierten Offizier der Ordnungspolizei (links) und von zwei Gestapobeamten (Mitte) erhalten. Trotz leichten Beschnitts zum Originalbild sieht man darüber hinaus am oberen Bildrand links die Köpfe und Oberkörper von sechs Anwohnern, die das Geschehen aus dem Fenster des Nachbarhauses, auf die Fensterbank gelehnt, gleichfalls neugierig beobachten. In Kurshefte Geschichte wird dagegen mit einem Foto aus Hanau die öffentliche Durchführung der Deportation ikonisch vergegenwärtigt (Abb. 48).981 Die 978 979 980 981

Das waren Zeiten (2002), S. 124. Geschichte und Geschehen Oberstufe (2006), S. 321. Vgl. Zeit für Geschichte (2002), S. 112. Vgl. Kurshefte Geschichte (2000), S. 80.

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auf dem Vorplatz des Hanauer Bahnhofs versammelte und von uniformierten Gestapo-Männern beaufsichtigte Gruppe von jüdischen Deutschen wird am rechten Bildrand, das ist trotz leichten Beschnitts noch zu erkennen, von einigen erwachsenen Männern begafft, die anscheinend nicht einen Moment des ihnen gebotenen Schauspiels verpassen wollen. Die Schülerinnen und Schüler, die mit Das waren Zeiten arbeiten, finden ein Foto vor, das, so die Bildlegende, »Juden auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof vor dem Abtransport in den Osten. Foto, Ende 1941«982 zeigt. Im Hintergrund nur unscharf erkennbar, sind offenbar zwei zivile Reisende, eventuell Vater und Sohn, zu sehen. Es scheint, als werde die Kamera des Fotografen von dem Jungen wahrgenommen (Abb. 49). Schließlich bemühen sich auch die Schulbuchgestalterinnen und -gestalter von Forum Geschichte um die Verbildlichung der Deportationen deutscher Juden »nach dem Osten«, indem sie den öffentlichen Deportationsmarsch in Würzburg im April 1942 aufgreifen wollen. Die Bildlegende lautet: »Juden-Deportation aus Würzburg, Foto, 25. April 1942. 856 Männer, Frauen und Kinder werden zum Güterbahnhof getrieben. Der Transport ging über das Sammellager Nürnberg und endete in den Vernichtungslagern Belzec, Majdanek und Treblinka.«983 Die verwendete Aufnahme zeigt jedoch die Deportation von Juden in Amsterdam am 20. Juni 1943 (Abb. 50) und ist damit nur ein weiterer Beleg für den nachlässigen Umgang mit Bildquellen.

4.

Kenntnisse vom Holocaust

Fünf der insgesamt zwölf ausgewerteten Schulbücher wenden sich explizit der zeitgenössischen Kenntnis der Deutschen von der physischen Vernichtung der Juden zu, wobei die angebotenen Deutungen z. T. erheblich variieren. So zeichnen die Schulbuchautorinnen und -autoren von Horizonte – Geschichte für die Oberstufe das Bild einer weitgehend unwissenden Bevölkerung, indem sie insbesondere die Bemühungen des NS-Regimes, den Völkermord geheim zu halten, in ihrer Darstellung betonen.984 Des Weiteren habe die tatsächliche Praxis des systematischen Judenmords angesichts ihrer Abscheu982 Das waren Zeiten (2002), S. 117. 983 Forum Geschichte (2003), S. 120. 984 Vgl. Horizonte – Geschichte für die Oberstufe (2003), S. 330: »Die ›Endlösung der Judenfrage‹ wurde unter dem Siegel einer ›Geheimen Reichssache‹ von der SS exekutiert. Ihr fielen zwischen fünf und sechs Millionen Juden zum Opfer. Obgleich die Judenvernichtung die verbrecherische Konsequenz des kompromisslosen Antisemitismus war, versuchte die NS-Führung dennoch, dieses Geschehen vor der deutschen Öffentlichkeit geheim zu halten. Begriffe wie ›Evakuierung‹, ›Sonderbehandlung‹ und ›Arbeitseinsatz im Osten‹ dienten dazu, das grausige Geschehen zu tarnen.«

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lichkeit die Vorstellungskraft der damaligen Mehrheitsgesellschaft überstiegen. Die Informationskanäle, über die Nachrichten aus dem Osten in die Heimat gelangten, seien außerdem nicht sehr zahlreich gewesen. Ein eigener Abschnitt im Verfassertext, der mit der Marginalie »Was konnte die Bevölkerung wissen?« versehen ist, hält zusammenfassend fest: »Gesichert ist, dass sich die Entrechtung und Deportation der Juden im öffentlichen Raum abspielten und tendenziell jedem Deutschen bewusst sein mussten. Aber Deportation, die Propaganda sprach von Umsiedlung, und Vernichtung sind nicht das Gleiche. Fraglich ist, ob es für einen Durchschnittsdeutschen vorstellbar war, dass es im Osten Todesfabriken gab. Die Vernichtung war Geheime Reichssache; sie wurde abgeschirmt von der Öffentlichkeit vollzogen. Gerüchteweise wird hier und da das eine oder andere bekannt geworden sein, eventuell zugetragen von Soldaten, die auf Heimaturlaub von der Ostfront gekommen waren. Aber was sollte (wollte) man glauben? Zwar kannte man die antisemitische Propaganda, aber wer konnte sich vorstellen, dass die NS-Führung es so blutig ernst meinte? Die Skepsis wird verständlich, wenn man bedenkt, dass auch die Regierungen in Washington und London die ersten Berichte über Auschwitz – von polnischen Widerstandskämpfern aus dem Lager herausgeschmuggelt – als Übertreibungen und Propaganda abtaten.«985

Unter der Marginalie »Von allem nichts gewusst?« widmen auch die Autorinnen und Autoren des für die Sekundarstufe I konzipierten Bandes von Geschichte und Geschehen dem Themenkomplex einen eigenen Passus im Verfassertext. Der Abschnitt mutet indes aufgrund einiger Formulierungen etwas unbeholfen an. Es scheint, als ob die Verfasserinnen und Verfasser sich nicht eindeutig zu ihrer selbst aufgeworfenen Frage positionieren konnten oder wollten. Zunächst werden die Leserinnen und Leser darauf aufmerksam gemacht, dass die Nationalsozialisten die Massenmorde an den Juden vor der Öffentlichkeit streng geheim halten wollten.986 Die Geheimhaltungsbemühungen des Regimes wiederum seien dafür verantwortlich gewesen, dass »die Mehrheit der deutschen Bevölkerung von der Judenvernichtung in diesem Ausmaß wohl nichts Genaueres gewusst«987 habe, oder, so führen die Autorinnen und Autoren weiter aus, »sie schenkte vereinzelten Berichten keinen Glauben«988. Gleichwohl wird anschließend unterstrichen: »Furchtbares geahnt haben aber manche: Fronturlauber erzählten oder Juden verschwanden aus der Nachbarschaft.«989 Am Schluss weisen die Schulbuchmacherinnen und -macher außerdem auf die große Anzahl der am Holocaust Beteiligten hin: »Andererseits waren Tausende von Deutschen direkt beteiligt, waren willige Helfer : als Ingenieure oder Konstrukteure, als 985 986 987 988 989

Ebd., S. 355. Vgl. Geschichte und Geschehen (2005), S. 131. Ebd. Ebd. Ebd.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

Buchhalter, Lieferanten oder Wachpersonal – am Schreibtisch, bei den Transporten, in den Lagern.«990 Die für den Verfassertext von Geschichte und Geschehen ausgemachte Uneindeutigkeit in der Aussage trifft auf das zweite Schulbuch von Klett im Sample nicht zu. Neben dem Hinweis darauf, dass die Umsetzung des Mordprogramms von der Mitarbeit zahlreicher Behörden und Betriebe abhing991, enthält der Verfassertext von Geschichte und Geschehen Oberstufe die folgende Information: »Obwohl die Vernichtungslager bewusst im Osten eingerichtet wurden, um die ›Endlösung‹ möglichst geheim zu halten, erhielten viele Deutsche Teilinformationen darüber, was mit den Juden geschah – z. B. von Wehrmachtssoldaten, die etwas gesehen oder gehört hatten und zu Hause einen Urlaub verbrachten. Nach Kriegsende war allerdings kaum jemand bereit, sein Wissen zuzugeben.«992

Im Arbeitsteil greift das Schulbuch die Problematik des Wissens durch den Abdruck einschlägiger Passagen aus den Tagebuchaufzeichnungen Karl Dürkefäldens auf. Die Textquelle ist mit »Was konnte ein normaler Deutscher vom Holocaust wissen?« überschrieben: »Für den 30. August 1942 hatte sich die [hannoversche] Gartengemeinschaft, der meine Schwiegereltern angehören, verpflichtet, Verwundete einzuladen und Kuchen und dergleichen zu verabreichen. Bei dieser Gelegenheit sagte der Verwundete, der bei meiner Schwiegermutter war : ›Wir haben in Russland zehntausende Juden umgelegt.‹ […] An allen Stellen, wo Deutsche hinkamen, ist mit den Juden grausam umgegangen [worden]. So hörte ich, dass bei dem Einrücken der deutschen Soldaten in Weißrussland Tausende von Juden zusammengeschossen wurden. Auch bei dem Vormarsch 1942 in Südrussland wurde weiter gewütet. [Schwager] Walter [Kaßler] schickte uns Ende Oktober ein Paket mit acht Eiern aus der Ukraine. In dem Paket lagen auch einige Zeitungen in hebräischer Schrift. ›Können Sie Hebräisch?‹, fragte ich spaßeshalber einen Maurerpolier, eine solche Zeitung im Büro in der Hand haltend. ›Die armen Juden‹, antwortete dieser, ›mein Schwager war aus dem Kaukasus im Urlaub. Sämtliche Juden wurden dort niedergemacht, ganz gleich, ob schwangere Frauen oder Kinder oder Säuglinge.‹ […] Als ich am 26. Juli 1942 in Bornhausen war, konnte die alte Tante 990 Ebd. 991 Vgl. Geschichte und Geschehen Oberstufe (2006), S. 308: »An der Organisation waren zahlreiche Behörden und Betriebe beteiligt: neben dem SS-Apparat als zentrale Planungsund Durchführungsinstitution die Oberkommandos der Wehrmacht und des Heeres sowie einzelne Wehrmachtseinheiten (Hilfsdienste für die Einsatzgruppen), das Verkehrsministerium (Sonderzüge für die Deportationen), das Auswärtige Amt (Verhandlungen über die Ermordung der Juden aus verbündeten und Satellitenstaaten), das Justizministerium (antijüdische Gesetze, Überstellung jüdischer Gefängnisinsassen an die SS), das Propagandaministerium (antijüdische Berichterstattung, Verschleierung der ›Endlösung‹), die Kanzlei des ›Führers‹ (technische Konstruktion von Gaswagen) und Industriebetriebe (Lieferung des Giftgases Zyklon B, der Gaskammern, Krematorien und von Barackenteilen).« 992 Ebd., S. 309f.

Kenntnisse vom Holocaust

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Rollwage nicht darüber zur Ruhe kommen, dass man in einem Nachbarorte eine 81oder 83-jährige Jüdin fortgeholt hatte. Die Jüdin war arisch verheiratet. Sie flehte den Landjäger an, sie könne doch wirklich niemandem mehr etwas zuleide tun. Der Gendarm gehorchte jedoch dem Befehl.«993

Die Schulbuchautorinnen und -autoren formulieren zu diesem Material zwei Arbeitsvorschläge. Im ersten Arbeitsauftrag sollen die Schülerinnen und Schüler herausarbeiten, von welchen Verbrechen Dürkefälden erfuhr und aus welchen Quellen er die Informationen erhielt. Die zweite Aufgabe fordert dazu auf, zu der von der Generation des Zweiten Weltkrieges immer wieder geäußerten Behauptung »Was mit den Juden geschah, davon haben wir ja gar nichts gewusst« Stellung zu nehmen.994 Aufnahme in den Arbeitsteil findet schließlich noch Hitlers Reichstagsrede vom 30. Januar 1939, in der er »die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa« prophezeite, wenn ein neuer Weltkrieg komme. Die Quelle steht jedoch nicht in direktem Zusammenhang zur Frage nach dem Wissen der Deutschen.995 Als einigermaßen gut über den Massenmord unterrichtet erscheint die breite Bevölkerung auch in den beiden Unterrichtswerken Forum Geschichte und Kurshefte Geschichte aus dem Cornelsen Verlag, die ihre Arbeitsteile mit einschlägigen Materialien ausstatten. Forum Geschichte nimmt dabei neben dem Erinnerungsbericht von Marion Gräfin York von Wartenburg, deren Mann, Peter Graf York von Wartenburg, führendes Mitglied im Kreisauer Kreis und am Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt war, einen mit der Überschrift »Was wussten ›die Deutschen‹?« versehenen Darstellungstext des Historikers Wolfgang Wippermann auf. Während die Schülerinnen und Schüler aus dem Bericht von Wartenburgs erfahren, dass »man« über in der Presse lancierte Informationen zum Schicksal der Juden sprach996, stellt der Historikertext ihnen die 993 Ebd., S. 313. Anmoderiert wird die Quelle mit: »Der Techniker Karl Dürkefälden (1902– 1964) aus Hämelerwald (bei Peine) informierte sich aus Zeitung, Rundfunk und Gesprächen mit Verwandten und Kollegen. Zwischen 1933 und 1945 notierte er seine Beobachtungen.« 994 Vgl. ebd., S. 315. 995 Vgl. ebd., S. 311: »Die Völker werden in kurzer Zeit erkennen, dass das nationalsozialistische Deutschland keine Feindschaft mit anderen Völkern will, dass alle Behauptungen über Angriffsabsichten unseres Volkes auf fremde Völker entweder aus krankhafter Hysterie geborene oder aus der persönlichen Selbsterhaltungssucht einzelner Politiker entstandene Lügen sind. […] Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Judentum inner- und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann würde das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.« 996 Die einschlägige Passage der Textquelle lautet: »›Mein Kampf‹ habe ich damals nicht gelesen. Auch später nicht. Ich wusste aber sehr bald, dass viele Menschen eingesperrt wurden … Man hat schon sehr bald nach der Machtergreifung Lager errichtet. Ich entsinne mich

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

folgende Interpretation zur Verfügung: »Sicherlich wusste kaum jemand …, wie die in Auschwitz-Birkenau und anderen Vernichtungslagern eingesetzten Krematorien konstruiert waren. Doch dass die Menschen in Deutschland selber und vor allem im unbekannten ›Osten‹ umgebracht wurden, davon hatte man mit Sicherheit gehört.«997 Der für den Geschichtsunterricht in der Oberstufe erarbeitete Band der Kurshefte Geschichte verwendet ebenfalls einen Auszug aus dem Lebensbericht von Wartenburgs, verlangt aber zusätzlich von den Lernenden, die Erinnerungen u. a. unter der Frage »Hat man von den Gräueltaten gewusst?« zu untersuchen.998 Im umfangreichen Arbeitsteil zum Kapitel »Die Verfolgung der europäischen Juden« wenden sich die Schulbuchautorinnen und -autoren dann explizit der Frage nach dem Wissen um die Ermordung der Juden zu, indem sie den Schülerinnen und Schülern Hinweise bzw. Anregungen zur Arbeit mit den Materialien geben. Konkret heißt es im Schulbuch: »Schaut man auf die nach 1945 gängige Behauptung ›Wir haben ja nichts gewusst‹, stellt sich die Frage, ob die Menschen damals wirklich nichts von den Massenmorden wissen konnten; dies wäre ein Zugang.«999 Unter der Überschrift »Das Wissen über den Holocaust während der NS-Zeit« werden den Lernenden zwei Materialien geboten. Zum einen wird aus vertraulichen Informationen der NSDAP-Parteikanzlei vom 9. Oktober 1942 zitiert, die deutlich machen, dass sich im Reichsgebiet Beobachtungen verbreiteten, die Soldaten »im Osten« etwa anlässlich der Massenerschießungen von Juden gemacht hatten: »Im Zuge der Arbeiten an der Endlösung der Judenfrage werden neuerdings innerhalb der Bevölkerung in verschiedenen Teilen des Reichsgebiets Erörterungen über ›sehr scharfe Maßnahmen‹ gegen die Juden besonders in den Ostgebieten angestellt. Die Feststellungen ergaben, dass solche Ausführungen – meist in entstellter oder überauch noch an unseren Schrecken über eine Zeitungsnachricht viele Jahre später, in der von einem Telegramm des Gauleiters Koch aus Ostpreußen die Rede war, der seinem Führer meldete, dass Ostpreußen nun ›frei von Juden‹ sei. Damals haben wir noch lange im größeren Kreis über dieses entsetzliche organisierte Töten durch Deutsche gesprochen.« (Forum Geschichte 2003, S. 101). 997 Ebd., S. 124. 998 Die betreffende Stelle lautet hier : »›Mein Kampf‹ habe ich damals nicht gelesen. Auch später nicht. Ich wusste aber schon sehr bald, dass viele Menschen eingesperrt wurden. Als Peter noch bei der Osthilfe war, also schon 1933, fuhren wir einmal nach Torgau und kamen an einem Lager vorbei, das mit dickem Stacheldraht umzäunt war, unten ein großer Zaun und oben Stacheldraht nach innen und außen, und da sagte Peter : Das ist ein KZ. Man hat schon sehr bald nach der Machtergreifung solche Lager errichtet. Ich entsinne mich auch noch an unseren Schrecken über eine Zeitungsnachricht viele Jahre später, in der von einem Telegramm des Gauleiters Koch aus Ostpreußen die Rede war, der seinem Führer gehorsamst meldete, dass Ostpreußen nun ›frei von Juden‹ sei. Damals haben wir noch lange im Kreis über dieses entsetzliche organisierte Töten durch Deutsche gesprochen.« (Kurshefte Geschichte 2000, S. 69). 999 Ebd., S. 74.

Kenntnisse vom Holocaust

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triebener Form – von Urlaubern der verschiedenen im Osten eingesetzten Verbände weitergegeben werden, die selbst Gelegenheit hatten, solche Maßnahmen zu beobachten.«1000

Zum anderen erscheint ein Auszug aus dem »Handbuch« von Bernd Jürgen Wendt, der die These vertritt, dass die zeitgenössische Kenntnis über die Judenvernichtung weiter verbreitet war, als nachträglich behauptet wurde: »Der Kreis der Wissenden und derer, die es wissen konnten, war viel größer, als es die meisten nach 1945 wahrhaben wollten. Wer etwas in Erfahrung bringen und nicht verdrängen wollte, konnte es auch. Informationen und Gerüchte drangen von der Front und aus den besetzten Gebieten über Urlauber, selbst wenn diese zum strengsten Stillschweigen verpflichtet waren, in die Heimat. Die BBC lieferte Berichte. Die Zwangsräumungen der Großstädte, die Zusammenstellung der Transporte, die Deportationszüge, die vielen Todesnachrichten und das Abbrechen der Kontakte zu den Angehörigen nach der Zwangsverschickung, aber auch die grausamen Umstände der Räumung der Gettos blieben nicht unbekannt. Die Verantwortlichen selbst, Hitler, Himmler, Goebbels, rühmten sich nicht selten in einer kaum mehr verhüllten Mordsprache in aller Öffentlichkeit ihrer Absichten gegen die Juden, als sie nach innen und nach außen keine Rücksichten glaubten mehr nehmen zu müssen.«1001

Ein Arbeitsauftrag sieht vor, die These von Wendt anhand des Berichts der Parteikanzlei und anderer Quellen im Arbeitsteil zu diskutieren.1002 Als eine dieser anderen Quellen könnten die Schülerinnen und Schüler einen längeren Auszug aus Hitlers »Prophezeiung« vom 30. Januar 1939 heranziehen.1003 Die restlichen sieben Lehrwerke machen dagegen das Wissen der deutschen Gesellschaft um den Holocaust nicht ausdrücklich zum Thema.1004 Zwar erwähnen manche Bücher Hitlers Vernichtungsdrohung an das »internationale Finanzjudentum« vom 30. Januar 19391005 und/oder verweisen kurz auf die 1000 1001 1002 1003

Ebd., S. 82. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 78: »Ich bin in meinem Leben sehr oft Prophet gewesen und wurde meistens ausgelacht. In der Zeit meines Kampfes um die Macht war es in erster Linie das jüdische Volk, das nur mit Gelächter meine Prophezeiungen hinnahm, ich würde einmal in Deutschland die Führung des Staates und damit des ganzen Volkes übernehmen und dann unter vielen anderen auch das jüdische Problem zur Lösung bringen. Ich glaube, dass dieses damalige Gelächter dem Judentum in Deutschland unterdes wohl schon in der Kehle erstickt ist. Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in- und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.« 1004 Überhaupt keine Informationen über die zeitgenössische Kenntnis von der Ermordung der Juden erhält die Leserin bzw. der Leser von Expedition Geschichte (2003). 1005 Vgl. Das waren Zeiten (2002), S. 115; Zeiten und Menschen (2002), S. 144; Kursbuch Geschichte (2000), S. 472; Buchners Kolleg. Themen Geschichte (2000), S. 204.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

Mitarbeit zahlreicher (oder hunderttausender) Menschen bei der Umsetzung des Mordprogramms1006. Diese Informationen werden aber nie in Zusammenhang mit dem Kenntnisstand über den Holocaust gebracht. Das gilt ebenso, wenn die Verfassertexte unterstreichen, dass der Massenmord an den Juden als »Geheime Reichssache« behandelt worden sei. Die Autorinnen und Autoren von Kursbuch Geschichte etwa schreiben: »Da man bei diesem verbrecherischen Vorhaben das Licht der Öffentlichkeit scheute, wurden alle Vorbereitungs- und Vernichtungsaktionen unter striktem Stillschweigen durchgeführt.«1007 Darüber, ob die an der Planung, Organisation und Durchführung des Holocaust beteiligten Personen sich an ihre Schweigepflicht hielten oder doch z. B. Familienangehörigen und Freunden davon berichteten, erfahren die Leserinnen und Leser nichts. Einige der beigegebenen Materialien ermöglichen darüber hinaus – zumindest theoretisch – über die Frage nach der Kenntnis vom Mord an den europäischen Juden nachzudenken, wenngleich nirgends (weder in den Überschriften noch in den Arbeitsaufträgen) darauf Bezug genommen wird. So finden im Arbeitsteil zweier Bücher die nach Kriegsende in polnischer Haft notierten Erinnerungen von Rudolf Höß Berücksichtigung. Schülerinnen und Schüler können hier u. a. lesen, was der ehemalige Lagerkommandant über den Geruch berichtet, der von den überlasteten Krematorien in Auschwitz-Birkenau ausgegangen und allenthalben wahrgenommen worden sei.1008 In einem anderen Schulbuch, auf einer Methodenseite, welche die Lernenden zum fachspezifischen Umgang mit Tagebüchern als schriftlichen Quellen anleitet, tauchen Auszüge aus dem Tagebuch Victor Klemperers auf. Der abgedruckte Eintrag vom 15. Januar 1945 verdeutlicht dabei sehr gut den Informationsfluss innerhalb der Bevölkerung: »Am gestrigen Nachmittag Lewinsky hier, für längere Zeit erschien auch Witkowsky, der unverwüstliche Moriturus. Lewinsky hatte wieder von arischer Seite gehört, was wir nun schon von so verschiedenen Leuten gleich lautend gehört haben, was also keine Erfindung sein kann: dass die Deutschen in Polen die grässlichsten Judenmorde begangen haben. Ein Soldat hatte erzählt, wie man kleine Kinder am Bein gepackt und ihnen die Köpfe an der Hausmauer zerschlagen habe.«1009

1006 Vgl. Das waren Zeiten (2002), S. 115; Zeiten und Menschen (2002), S. 144; Kursbuch Geschichte (2000), S. 471. 1007 Kursbuch Geschichte (2000), S. 474. Vgl. auch Zeiten und Menschen (2002), S. 145. 1008 Vgl. Zeiten und Menschen (2002), S. 146: »Wir sollten diese Vernichtungen im Geheimen ausführen, aber der faule und Übelkeit erregende Gestank, der von der ununterbrochenen Körperverbrennung ausging, durchdrang die ganze Gegend, und alle Leute, die in den umliegenden Gemeinden lebten, wussten, dass in Auschwitz Vernichtungen im Gange waren.« Vgl. ebenso Kursbuch Geschichte (2000), S. 476. 1009 Buchners Kolleg. Themen Geschichte (2000), S. 191.

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Ein Buch zitiert im Arbeitsteil zum Kapitel »Vergangenheit, die nicht vergeht?« längere Passagen aus der Ansprache des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985. Der abgedruckte Redetext enthält dabei auch dessen Aussagen zum zeitgenössischen Kenntnisstand der deutschen Bevölkerung bzw. ihres Nicht-wissen-Wollens.1010 In Zeit für Geschichte bleibt das damalige Wissen der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft ebenfalls unerwähnt. Allerdings leiten die Autorinnen und Autoren das Kapitel »Der Mord an den europäischen Juden« mit den folgenden Sätzen zum Nicht-glauben-Wollen bzw. Nicht-glaubenKönnen der deutschen Juden ein: »›Evakuierung‹, ›Umsiedlung zum Arbeitseinsatz im Osten‹ war für viele jüdische Bürger Deutschlands nach dem Auswanderungsverbot im Herbst 1941 letzter Hoffnungsschimmer für einen Neuanfang. Nachrichten von Vernichtungsstätten im Osten, über Massenerschießungen und Massenvergasungen gab es, aber wer davon gehört hatte, konnte und wollte es meist nicht glauben. Tatsächlich aber hatte der Genozid an den europäischen Juden, der Holocaust oder die Shoa, wie die Juden sagen, schon begonnen.«1011

Unterschwellig legen die Formulierungen den Schülerinnen und Schülern eine weitgehend unwissende Mehrheitsbevölkerung nahe. Wenn nämlich – trotz vorhandener Informationen – selbst der jüdische und damit unmittelbar vom Massenmord bedrohte Bevölkerungsteil es nicht wahrhaben wollte, wie hätte dann der nichtjüdische bzw. nicht gefährdete Bevölkerungsteil die Mordpläne durchschauen können?

1010 Vgl. Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe (2006), S. 193f.: »Die Ausführung des Verbrechens lag in der Hand weniger. Vor den Augen der Öffentlichkeit wurde es abgeschirmt. Aber jeder Deutsche konnte miterleben, was jüdische Mitbürger erleiden mußten, von kalter Gleichgültigkeit über versteckte Intoleranz bis zu offenem Haß. Wer konnte arglos bleiben nach den Bränden der Synagogen, den Plünderungen, der Stigmatisierung mit dem Judenstern, dem Rechtsentzug, den unaufhörlichen Schändungen der menschlichen Würde? Wer seine Ohren und Augen aufmachte, dem konnte nicht entgehen, daß Deportationszüge rollten. Die Phantasie der Menschen mochte für Art und Ausmaß der Vernichtung nicht ausreichen. Aber in Wirklichkeit trat zu den Verbrechen selbst der Versuch allzu vieler, auch in meiner Generation, die wir jung und an der Planung und Ausführung der Ereignisse unbeteiligt waren, nicht zur Kenntnis zu nehmen, was geschah. Es gab viele Formen, das Gewissen ablenken zu lassen, nicht zuständig zu sein, wegzuschauen, zu schweigen. Als dann am Ende des Krieges die ganze unsagbare Wahrheit des Holocaust herauskam, beriefen sich allzu viele von uns darauf, nichts gewußt oder auch nur geahnt zu haben.« 1011 Zeit für Geschichte (2002), S. 128.

298

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

5.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

5.1.

Verbreitung antisemitischer Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung

Die überwiegende Zahl der untersuchten Schulbücher stellt heraus, dass unter den Massen in Deutschland seit langem latente und/oder offene antijüdische Gefühle anzutreffen gewesen seien.1012 In Kapiteln, welche die nationalsozialistische Ideologie und die zentrale Bedeutung des Antisemitismus als deren Kernstück vorstellen, bieten die Lehrwerke häufig knappe oder detaillierte Exkurse zur Judenfeindschaft in Deutschland und in Europa, die z. B. den mittelalterlichen Antijudaismus oder die Entwicklung des darwinistischen Antisemitismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgreifen. Die Frage, ob sich die Bevölkerung auch für die radikale antisemitische Argumentation der Nationalsozialisten empfänglich zeigte, wird ebenfalls, wenngleich seltener, explizit gestellt, aber wiederum noch seltener beantwortet. Ein typisches Beispiel für eine Darstellung, die auf ein traditionell weitverbreitetes »Unbehagen« gegenüber Juden in der Bevölkerung hinweist, in der jedoch die Akzeptanz des von den Nationalsozialisten propagierten Rassenantisemitismus unklar bleibt, stellt der Verfassertext von Zeit für Geschichte dar : »Die Feindschaft gegenüber Juden hat in Europa eine lange Tradition. Vom Mittelalter bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts war diese Feindschaft einerseits religiös begründet. Andererseits waren Neid und Missgunst gegenüber Juden auch im Mittelalter schon wirtschaftlich motiviert. In Krisenzeiten wurden sie oft als Sündenböcke für unerklärliche Katastrophen verfolgt und ermordet. Diese Außenseiterstellung wurde erst durch die Ideen der Aufklärung gelockert. In der Reichsverfassung von 1871 wurden die Juden staatsrechtlich gleichgestellt. Sie fühlten sich nun als Mitglieder der deutschen bürgerlichen Gesellschaft. Gleichzeitig waren sie erfolgreich als Industrieunternehmer und Bankiers, im Verlagswesen und im Kulturbereich; viele Juden arbeiteten als Rechtsanwälte, Ärzte, Geisteswissenschaftler und ab 1919 konnten sie auch Staatsämter übernehmen. Die Teilnahme am Ersten Weltkrieg war für die meisten jüdischen Männer selbstverständliche Staatsbürgerpflicht. Doch trotz dieser Integrationstendenz blieben alte Vorurteile bestehen. Für Negativerscheinungen der sich entwickelnden modernen Industriegesellschaft machte man verallgemeinernd die Juden verantwortlich: Sie wurden als profitgierig, intrigant und dauernde Gewinner und Aufsteiger mit Herrschaftsanspruch hingestellt. Dieser moderne Antisemitismus schien zudem abgesichert zu sein durch die sich wissenschaftlich gebende Rassenlehre und den Sozialdarwinismus. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg, der Zusammenbruch des Kaiserreiches, die Revolution von 1918 und die Rolle jüdischer Bürger beim politischen und wirtschaftlichen Aufbau der neuen Republik war für einflussreiche deutsch-nationale und konservative Kreise der Beweis für die zerstörerische Macht1012 Unerwähnt bleiben die antijüdischen Vorbehalte innerhalb der Bevölkerung lediglich in Das waren Zeiten (2002) und Zeiten und Menschen (2002).

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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stellung der Juden. Antisemitische Vorurteile waren vielfach Bestandteil bürgerlichen Denkens.«1013

Das hier erkennbare Darstellungsmuster schlägt sich auch in anderen Büchern nieder. In Kursbuch Geschichte etwa ist zu lesen, dass rassistische und antisemitische Denkweisen weder neu noch revolutionär gewesen seien, sondern eine lange Tradition besessen und sich »tief in das Bewusstsein großer Teile der Bevölkerung«1014 eingeprägt hätten. Die tiefe Verwurzelung judenfeindlicher Ressentiments deuten auch die Autorinnen und Autoren von Geschichte und Geschehen an, indem sie die Empfänglichkeit der Massen für die weltanschaulichen Parolen des Nationalsozialismus, die antisemitische Agitation inbegriffen, unterstreichen. So hält der Verfassertext fest: »Ab Mitte der 1920er Jahre gelang es Hitler mit seinen Angriffen gegen den Versailler Vertrag, gegen die Demokratie, gegen die Juden und die Kommunisten immer mehr Anhänger zu gewinnen. Denn er sprach damit das aus, was ohnehin die meisten dachten: Gegen Versailles war fast jeder Deutsche, für die Demokratie setzten sich nur wenige ein, der Antisemitismus hatte eine lange Tradition und die Juden waren als Sündenböcke für alles Unheil willkommen, Kommunisten wurden als Anhänger der Bolschewisten verachtet.«1015

Über eine vage Andeutung nicht hinaus kommt dagegen Expedition Geschichte. Der Verfassertext vermerkt nur: »Im Mittelpunkt des Rassenhasses der Nazis stand der Antisemitismus. Die NS-Ideologie verband den in Deutschland traditionell vorhandenen, ursprünglich religiös bestimmten Antisemitismus mit ihrer Rassenlehre.«1016 In Forum Geschichte interessiert die Verankerung antisemitischer Denkweisen in der Bevölkerung ebenfalls nur am Rande. Der Autorentext des Kapitels »Ideologie und Politik der Nationalsozialisten« führt sehr allgemein an, dass die Grundelemente der NS-Ideologie seinerzeit weitverbreitet gewesen seien und sich an Vorstellungen orientiert hätten, die in der österreichischen und deutschen Geschichte wurzelten. Diese Kurzinformation wird dann mit einigen Auszügen aus Hitlers »Mein Kampf« zu den Themen »Volk und Rasse«, »Der Jude«, »Lebensraum im Osten« und »Führerprinzip« erläutert.1017 Über die Feststellung der Existenz von antisemitischen Vorurteilen mit langer Tradition in breiten Bevölkerungskreisen hinaus geht Buchners Kolleg. Themen Geschichte. Ein separates Unterkapitel zum Thema »Juden in Deutschland vor 1933« beschreibt u. a. ausführlich die Wurzeln des deutschen Judentums, die unvollständige Emanzipation der Juden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 1013 1014 1015 1016 1017

Zeit für Geschichte (2002), S. 108. Kursbuch Geschichte (2000), S. 425. Geschichte und Geschehen (2005), S. 87. Expedition Geschichte (2003), S. 173. Vgl. Forum Geschichte (2003), S. 90f.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

sowie den gegen Ende des Jahrhunderts rapide wachsenden Antisemitismus.1018 Hinzu kommt die Abbildung des Titelcovers eines antisemitischen Bestsellers (Abb. 51), deren Bildunterschrift erklärt: »Antisemitismus war schon vor den Nationalsozialisten in Deutschland populär. Der Roman von Artur Dinter ›Die Sünde wider das Blut‹ fand um 1920 über eine Millionen Leser.«1019 Sodann liefert der Autorentext knappe Darlegungen über Forschungsentwicklung und Forschungskontroversen. Zum Holocaust heißt es dort: »Eine frühe Deutung besagte, dass der persönliche Judenhass Adolf Hitlers entscheidenden Anteil an den Massenmorden gehabt habe. In den Sechziger- und Siebzigerjahren war dann viel von einem ›Selbstläufertum‹ der Institutionen die Rede, von einer seelenlosen Maschinerie des Tötens, die, einmal in Gang gesetzt, kaum noch zu stoppen gewesen sei. Dass für diese ›Maschinerie‹ aber der bereitwillig Ausführende eine ebenso tragende Rolle spielte wie eine verbreitete Volksmentalität, in der ein aggressiver Antisemitismus sich seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich entwickeln konnte, ist erst in jüngster Zeit von Forschern hervorgehoben worden.«1020

Konkretisierung erfährt dieser skizzenhafte Forschungsüberblick in der Materialauswahl, die drei unterschiedliche Erklärungsansätze für den Holocaust gegenüberstellt: Abschnitte aus Daniel Jonah Goldhagens Doktorarbeit »Hitlers willige Vollstrecker«1021, einen Anfang Januar 1998 in »Die Zeit« veröffentlichten 1018 1019 1020 1021

Vgl. Buchners Kolleg. Themen Geschichte (2000), S. 144–146. Ebd., S. 105. Ebd., S. 227. Vgl. ebd., S. 207: »Es musste sich etwas ändern, unbedingt. Das Wesen der Juden galt den Deutschen jedoch als unveränderlich, da in ihrer ›Rasse‹ begründet, und nach vorherrschender deutscher Auffassung waren die Juden eine Rasse, die der germanischen Rasse in unüberwindlicher Fremdheit gegenüberstand. Hinzu kam, dass der ›Augenschein‹ den Deutschen zeigte, dass die Mehrheit der Juden sich bereits assimiliert hatte, zumindest in dem Sinne, dass sie Manieren, Kleidung und Sprache des modernen Deutschland übernommen hatten. Also hatten die Juden jede erdenkliche Möglichkeit gehabt, zu guten Deutschen zu werden – und diese ausgeschlagen. Der unumstößliche Glaube an die Existenz einer ›Judenfrage‹ führte mehr oder weniger selbstverständlich zu der Annahme, die einzige ›Lösung‹ bestehe darin, alles ›Jüdische‹ in Deutschland zu ›eliminieren‹: auszugrenzen und zu beseitigen. […] Hätten die ganz gewöhnlichen Deutschen die eliminatorischen Ideale ihrer Führung nicht geteilt, dann hätten sie dem sich stetig verschärfenden Angriff auf ihre jüdischen Landsleute und Brüder mindestens ebenso viel Widerstand und Verweigerung entgegengesetzt wie den Angriffen ihrer Regierung gegen die Kirchen oder dem so genannten Euthanasieprogramm. Wie bereits erörtert, zuckten die Nationalsozialisten, insbesondere auf dem Gebiet der Kirchenpolitik, zurück, wenn sie auf breiteren und ernsthaften Widerstand stießen. Hätten sie es mit einer deutschen Bevölkerung zu tun gehabt, die Juden als Menschen wie alle anderen auch betrachtet und in ihnen Brüder und Schwestern gesehen hätte, dann wäre den Nationalsozialisten ihre Vernichtungspolitik kaum gelungen. […] Hitler und die Nationalsozialisten taten also nichts anderes, als den bestehenden und angestauten Antisemitismus freizusetzen und zu aktivieren.«

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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und an Goldhagen gerichteten Leserbrief des Juristen Claus Arendt1022 sowie Auszüge aus Christopher R. Brownings Studie »Ganz normale Männer« über das im besetzten Polen wütende Reserve-Polizeibataillon 1011023. Nach einem ähnlichen Muster verfahren auch die Autorinnen und Autoren von Horizonte – Geschichte für die Oberstufe. Unter der Marginalie »Antisemitismus« im Unterkapitel »Nationalsozialistische Ideologie« erfolgt eine historische Kontextualisierung des Antisemitismus in Deutschland und in Europa. Hervorgehoben wird dabei u. a., dass der Antisemitismus »keineswegs eine Erfindung Hitlers«1024 gewesen sei, vielmehr habe dieser »an eine lange – zeitweilig schlummernde, zeitweilig offene – Tradition«1025 anknüpfen können. Auf einer Doppelseite zu problematisierenden »Fragen an die Geschichte« gehen die Schulbuchmacherinnen und -macher dann der nicht nur fachwissenschaftlich bedeutsamen Fragestellung nach, ob es eine Kollektivschuld der Deutschen gegeben habe. Ein gesonderter Abschnitt unter der Überschrift »Wer waren die Täter?« stellt dabei Goldhagens These von einer auf Mord gerichteten Juden1022 Vgl. ebd., S. 207f.: »Ich muss jedoch erhebliche Zweifel anmelden gegen die Richtigkeit jener These von Ihnen, dass die Mordtaten der Polizeiangehörigen in Polen und anderswo […] antisemitisch begründet waren. Bei aller Würdigung der Abscheulichkeit des Antisemitismus halte ich diese Ursachenfeststellung für eine Verharmlosung der Motivierung der Täter. Leider war deren Motivation viel schlimmer : Sie bestand in ihrem ethischmoralischen Unvermögen, von menschlichen Werten getragen zu handeln. Ihr Motto war : ›Befehl ist Befehl.‹ Es war die Weigerung und totale Unfähigkeit, nach menschlichen und moralischen Grundsätzen zu handeln. Dies wurde nicht zuletzt dadurch bewiesen, dass die Betroffenen sich nicht nur Juden gegenüber so verhielten, sondern auch jeder Menschengruppe gegenüber, die von den ihnen erteilten Befehlen betroffen war. Die gleichen Polizisten sind bei der Vernichtung und Ermordung zum Beispiel der polnischen Intelligenz gegen die Frauen und Kinder dieser Gruppe mit ebenderselben Grausamkeit, Gefühllosigkeit und Brutalität vorgegangen wie gegen Juden.« 1023 Vgl. ebd., S. 208: »Im Bataillon kristallisierten sich einige ungeschriebene ›Grundregeln‹ heraus. Für kleinere Erschießungsaktionen wurden Freiwillige gesucht beziehungsweise die Schützen aus den Reihen derjenigen genommen, die bekanntermaßen zum Töten bereit waren […]. Bei großen Einsätzen wurden die, die nicht töten wollten, auch nicht dazu gezwungen. Selbst wenn Offiziere versuchten, einzelne Unwillige zum Töten zu zwingen, konnten diese sich weigern, da die Offiziere in diesem Punkt bei Major Trapp keine Unterstützung fanden. […] Neben der ideologischen Indoktrinierung war ein weiterer entscheidender Aspekt […] das gruppenkonforme Verhalten. Den Befehl, Juden zu töten, erhielt das Bataillon, nicht aber jeder einzelne Polizist. Dennoch machten sich 80 bis 90 Prozent der Bataillonsangehörigen ans Töten, obwohl es fast alle von ihnen – zumindest anfangs – entsetzte und anwiderte. Die meisten schafften es einfach nicht, aus dem Glied zu treten und offen nonkonformes Verhalten zu zeigen. Zu schießen fiel ihnen leichter. Warum? Zunächst einmal hätten alle, die nicht mitgemacht hätten, die ›Drecksarbeit‹ einfach den Kameraden überlassen. Da das Bataillon die Erschießungen auch dann durchführen musste, wenn einzelne Männer ausscherten, bedeutete die Ablehnung der eigenen Beteiligung die Verweigerung des eigenen Beitrags bei einer unangenehmen kollektiven Pflicht. Gegenüber den Kameraden war das ein unsozialer Akt.« 1024 Horizonte – Geschichte für die Oberstufe (2003), S. 305. 1025 Ebd.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

feindschaft in der Bevölkerung vor.1026 Wieder einige Zeilen später formulieren die Autorinnen und Autoren: »Die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich schrieb 1979: ›Ohne diese Teilnahme und Übereinstimmung der Bevölkerung […] wäre der schließlich erfolgte Massenmord nicht möglich gewesen.‹ Andererseits zeigen verschiedene Äußerungen von Hitler und Himmler, dass man in der NS-Führung mit dem Antisemitismus des Volkes nicht zufrieden war. Sympathiebezeugungen zu Gunsten von Juden wurden ab 1941 unter Strafe gestellt. […] Wie ausgeprägt war also der Antisemitismus der Deutschen? Die Antworten reichen von einem paradoxen ›gering‹ bis zu der These von Goldhagen.«1027

Der Frage, ob auch der von den Nationalsozialisten mit seiner biologistischen Ausprägung propagierte Antisemitismus von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung unterstützt oder zumindest stillschweigend akzeptiert wurde, widmet auch Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe besondere Aufmerksamkeit. Nach einer konzisen Beschreibung des nationalsozialistischen Antisemitismus und seiner Wurzeln1028 betonen die Autorinnen und Autoren, dass die menschenverachtende Ideologie einen wichtigen Beitrag zur Akzeptanz 1026 Vgl. ebd., S. 354: »Der amerikanische Politikwissenschaftler Daniel Goldhagen erregte großes Aufsehen mit seiner These, der Antisemitismus sei ›ein nationales Projekt der Deutschen‹ gewesen. In seinem Buch ›Hitlers willige Vollstrecker‹ (1996) vertrat er die Ansicht, dass die Deutschen einem ›eliminatorischen Antisemitismus‹ anhingen, der geradezu zwangsläufig zum Holocaust geführt habe. Der Mord an den Juden erschien in dieser Perspektive als Teil des deutschen Nationalcharakters. Goldhagens These wurde als Bekräftigung der Kollektivschuldthese verstanden, zumal sich der Blick des Autors auf jene ›ganz gewöhnlichen Deutschen‹ richtete, ohne die der Holocaust nicht durchzuführen gewesen wäre. Goldhagens Ausführungen haben in der Öffentlichkeit viel Beifall erhalten, aber auch deutliche wissenschaftliche Kritik erfahren.« 1027 Ebd., S. 355. 1028 Vgl. Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe (2006), S. 102: »Der zum fanatischen Hass gesteigerte nationalsozialistische Antisemitismus betrachtete ›die Juden‹ als ›feige Schmarotzer‹, die auf hinterhältige Weise nach der Weltherrschaft strebten und die arische Rasse zu zersetzen drohten. Hitler bezeichnete das Judentum als ›schädlichen Bazillus‹. Die Hauptaufgabe des Staates sei die Reinhaltung des Blutes und der Rasse. Da die Juden diese Reinheit ständig bedrohten, sei ihre Bekämpfung eine notwendige Aufgabe staatlicher Politik. In der Bekämpfung und schließlich physischen Vernichtung des Judentums wähnte sich der nationalsozialistische Rassenwahn im Einklang mit einer naturgesetzlichen Notwendigkeit. Der europäische Antisemitismus reicht bis früh in das Mittelalter zurück. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts war er in neuer Form wieder aufgelebt: Er legitimierte sich nicht mehr mit religiösen Weltbildern, sondern mit einem pseudowissenschaftlichen Rassismus. Nicht aufgrund ihres religiösen Glaubens, sondern aufgrund ihrer angeblichen rassischen, also erblichen, Eigenschaften seien Juden als Feinde zu betrachten. Damit war der moderne Antisemitismus um einen entscheidenden Schritt gefährlicher geworden: Während man sich früher (zumindest theoretisch) der Verfolgung durch einen Wechsel des Glaubens entziehen konnte, war man ihr nun ohne Ausweg ausgeliefert.«

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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des Nationalsozialismus in weiten Teilen der Bevölkerung geleistet habe.1029 Zu dem von der NS-Propaganda immer wieder beschworenen Feindbild »Juden« urteilen sie zusammenfassend: »Gerade die Grobschlächtigkeit des Antisemitismus ermöglichte es der nationalsozialistischen Propaganda in einem ebenso absurden wie effektvollen Schachzug, die beiden Hauptgegner des Nationalsozialismus, den liberalen Kapitalismus und den Kommunismus, zu einem einzigen, monumentalen Feindbild zu verschmelzen. In ihrer Propaganda lenkten jüdische Agenten sowohl die kommunistische Sowjetregierung wie auch die amerikanischen Banken in der Wallstreet. Damit konnte man sowohl diejenigen gewinnen, die Angst vor einem kommunistischen Umsturz hatten, als auch diejenigen, die unter der Weltwirtschaftskrise oder Zinszahlungen zu leiden hatten. Da angeblich auch die sozialdemokratische und die kommunistische Parteiführung in Deutschland ebenso wie die Regierungen der Siegermächte, insbesondere die der USA, jüdisch ›unterwandert‹ waren, konnte man ›den Juden‹ die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die Versailler Friedensbedingungen anlasten. Der Antisemitismus konstruierte ein Feindbild, das die verschiedensten und zum Teil einander sogar widersprechenden Nöte, Ängste und subjektiv empfundenen Belastungen in der deutschen Bevölkerung auf einen Nenner brachte. Je weitläufiger und tiefer dieses Feindbild verankert war, desto leichter hatten es die Nationalsozialisten, Zustimmung für ihre Politik zu gewinnen.«1030

Eher untypisch für das Sample ist die Aufbereitung in Geschichte und Geschehen Oberstufe, und zwar insofern, als die Schulbuchmacherinnen und -macher sich hauptsächlich auf die Entwicklung des modernen Antisemitismus im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts konzentrieren. Der Verfassertext informiert z. B. über den Rassenideologen Eugen Dühring und den Orientalistikprofessor Paul de Lagarde, die Antisemitenparteien im Kaiserreich sowie das deutsche Verbands- und Vereinswesen.1031 In der Rubrik »Standpunkte« – Seiten, auf denen Wissenschaftler und/oder Publizisten zu einer bestimmten Thematik Position beziehen – werden unter der Überschrift »Der moderne Antisemitismus im historischen Urteil« zwei Historikertexte angeboten. Dabei handelt es sich zum einen um einen Auszug aus Hans-Ulrich Wehlers »Deutscher Gesellschaftsgeschichte« (1995), der mit »Verbreiteter Antisemitismus in Deutschland« überschrieben ist1032, zum anderen um einen Abschnitt aus Daniel Goldhagens 1029 1030 1031 1032

Vgl. ebd., S. 103. Ebd., S. 104. Vgl. Geschichte und Geschehen Oberstufe (2006), S. 270f. Vgl. ebd., S. 276: »Trotz des Scheiterns der Antisemitenparteien wäre es aber völlig verfehlt, ihre Niederlage mit einem Rückgang des modernen Antisemitismus überhaupt gleichzusetzen. Vielmehr hatte er sich inzwischen in manchen Sozialmilieus und Klassen der reichsdeutschen Gesellschaft verhängnisvoll tief eingenistet. […] In der Mittelstandsbewegung, im DNHV, bei den Alldeutschen und überhaupt in den nationalen Verbänden blieb der Antisemitismus in der Mentalität seiner Anhänger ungebrochen und

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

»Hitlers willige Vollstrecker« (1996), der die Überschrift »›Eliminatorischer‹ Antisemitismus der Deutschen« trägt1033. Anmoderiert werden die beiden auf Kontroversität zielenden Darstellungen mit folgendem Text: »Mit einem 1996 veröffentlichten Buch ›Hitlers willige Vollstrecker‹ löste der amerikanische Politologe Daniel Jonah Goldhagen eine lebhafte Debatte aus. Er behauptete, ein fest verwurzelter Antisemitismus sei die Triebkraft für Tausende von Deutschen gewesen, mit ungeheuerlicher Energie Juden zu töten – Millionen anderer Deutscher wären dazu auch bereit gewesen. Diese These ist umstritten und legt eine Frage nahe: Wie sah dieser deutsche Antisemitismus aus?«1034

Den Schülerinnen und Schülern wird vorgeschlagen, die Thesen von Wehler und Goldhagen zum Antisemitismus im deutschen Kaiserreich miteinander zu im Vokabular präsent […]. Und im politisch-administrativen System grassierten die antisemitischen Vorurteile unentwegt weiter. […] 1866 war in Preußen das Gesetz gegen die Einstellung jüdischer Richter endlich aufgehoben worden. Bis 1914 aber gab es gerade einmal zweihundert jüdische Amtsrichter, die ohne jede Chance beruflichen Aufstiegs blieben. Von fünfundzwanzigtausend Einjährig-Freiwilligen jüdischer Herkunft, die zwischen 1871 und 1914 als potenzielle Offiziersanwärter in die Armee eintraten, konnten einundzwanzig zum Leutnant der Reserve avancieren. Einen jüdischen Berufsoffizier gab es nicht. Offener oder latenter, jedenfalls wirksamer Antisemitismus blieb ein Kennzeichen auch des kaiserlichen Offizierskorps. Nein, der Misserfolg der Antisemitenparteien bedeutete keineswegs das Ende des gesellschaftlich breit diffundierten modernen Antisemitismus. Als der Erste Weltkrieg ihn gefährlich steigerte und die Niederlage die Jagd nach Sündenböcken auslöste, dehnte er sich weiter aus, und die neuen völkisch-antisemitischen Verbände und Parteien konnten bis 1932 ein bisher unvorstellbares Wählerpotenzial mobilisieren.« 1033 Vgl. ebd.: »Bereits lange vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten in Deutschland [hatte sich] eine bösartige und gewalttätige ›eliminatorische‹, also auf Ausgrenzung, Ausschaltung und Beseitigung gerichtete Variante des Antisemitismus durchgesetzt […], die den Ausschluss des jüdischen Einflusses, ja der Juden selbst aus der deutschen Gesellschaft forderte. Als die Nationalsozialisten schließlich die Macht übernommen hatten, fanden sie sich an der Spitze einer Gesellschaft wieder, in der Auffassungen über die Juden vorherrschten, die sich leicht für die extremste Form der ›Beseitigung‹ mobilisieren ließen. […] 1. Seit Beginn des neunzehnten Jahrhunderts war der Antisemitismus in Deutschland allgegenwärtig und gehörte zum allgemeinen Wertekanon. 2. Die Beschäftigung mit den Juden hatte Züge von Besessenheit. 3. Die Juden galten zunehmend als Verkörperung und Symbol für alles, was die deutsche Gesellschaft für schlecht hielt. 4. Juden wurden für böswillig, mächtig, ja sogar für die Hauptursache aller Übel gehalten, die Deutschland bedrohten, und daher sah man in ihnen eine Gefahr für das Wohlergehen der Deutschen. Moderne deutsche Antisemiten glaubten im Unterschied zu ihren mittelalterlichen Vorläufern, dass ohne die Vernichtung der Juden auf der Welt kein Frieden möglich sei. 5. Dieses kulturelle Modell der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts verband sich mit dem Konzept der ›Rasse‹. 6. Die rassistische Variante des Antisemitismus war nicht nur in ihrer Vorstellungswelt ungewöhnlich gewalttätig, sie tendierte auch zur Anwendung von Gewalt. 7. Es entsprach ihrer Logik, für die Ausschaltung der Juden mit allen notwendigen und im Rahmen der herrschenden sittlichen Schranken möglichen Mitteln einzutreten.« 1034 Ebd.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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vergleichen. Außerdem sollen sie Stellung zu Goldhagens Behauptung nehmen, die deutsche Gesellschaft sei schon im 19. Jahrhundert von einem tief verwurzelten »eliminatorischen« Antisemitismus geprägt gewesen.1035 Kurshefte Geschichte schließlich repräsentiert im untersuchten Korpus eine Variante. Nach Informationen über die traditionelle Judenfeindschaft innerhalb der deutschen Gesellschaft suchen die Leserinnen und Leser im Buch vergeblich. Stattdessen steht im Sinne projektorientierten bzw. forschend-entdeckenden Lernens auf der Sonderseite »Weiterführende Arbeitsanregungen zur Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte« die öffentliche Debatte über das Goldhagen-Buch im Mittelpunkt. Unter der Überschrift »Waren alle Deutschen schuldig? – Die Goldhagen-Debatte im Internet« informiert zunächst ein Verfassertext: »Der amerikanische Historiker Daniel Jonah Goldhagen legte 1996 ein Buch über den Holocaust unter dem Titel ›Hitlers willige Vollstrecker‹ vor. Es wurde als Doktorarbeit im Fach Sozialwissenschaften an der Harvard-Universität angenommen. Noch bevor es einige Monate später in deutscher Übersetzung vorlag, entbrannte eine hitzige öffentliche Debatte über die Frage, ob die Deutschen ein ›Volk von Mördern‹ gewesen seien. Nie zuvor hatte eine rein fachwissenschaftliche Arbeit solch eine breite öffentliche Resonanz gefunden. Goldhagen selbst bezeichnet den Holocaust als ein ›nationales Projekt‹ Deutschlands; zwischen Hitler und der großen Mehrheit des deutschen Volkes, so behauptet er, habe eine grundsätzliche Übereinstimmung in der Bereitschaft bestanden, sich der Juden zu entledigen. Einführend versucht er zu beweisen, dass die Deutschen schon immer einen ›eliminatorischen‹ Antisemitismus vertreten hätten. Jede Form des Antisemitismus hätte in Deutschland immer wieder darauf abgezielt, die Juden zu vernichten. Während der NS-Zeit hätten die Deutschen diese Vernichtungsvision dann in die Tat umgesetzt. Goldhagen untersucht drei Fallbeispiele: die Judenmordaktionen eines Reservepolizei-Bataillons, ein Zwangsarbeiterlager in Polen und einen ausgewählten Todesmarsch von jüdischen KZ-Insassen bei Kriegsende.«1036

Neben dem Titelcover des Buches von Goldhagen sind dann als Faksimiles vier Zeitungsüberschriften abgedruckt.1037 Die Schülerinnen und Schüler erhalten die Aufgabe, im Internet Stellungsnahmen von Historikerinnen und Historikern

1035 Vgl. ebd. 1036 Kurshefte Geschichte (2000), S. 137. 1037 Vgl. ebd. Die Überschriften lauten: »Wie ein Stachel im Fleisch«, »Mit fragwürdiger Methode. Warum das Buch in die Irre führt«, »Zu Besuch in Deutschland: Im September stellte sich Daniel J. Goldhagen dem Disput über sein Buch ›Hitlers willige Vollstrecker‹. Ein Urteil, kein Gutachten. Warum der Streit um die Studie sich lohnt« und »Eine Woche lang reiste der Autor der Holocaust-Studie durch Deutschland. Die Tournee wurde zum Triumphzug. Goldhagen und die Deutschen. Die Historiker kritisieren ›Hitlers willige Vollstrecker‹. Das Publikum empfindet das Buch als Befreiung«.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

zur Goldhagen-Debatte zu recherchieren und deren Positionen zu diskutieren.1038

5.2.

Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der »Arisierung«

Während zwei Lehrwerke auf die zunehmende Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben überhaupt keine Aufmerksamkeit verwenden1039, drei weitere Bücher die »Arisierung« zwar ansprechen, die Mitwirkung und Nutznießerschaft der deutschen Bevölkerung jedoch aussparen oder nicht deutlich vermerken1040, wenden sich die anderen sieben Unterrichtswerke der Problematik ausdrücklich zu. Die Autorinnen und Autoren von Buchners Kolleg. Themen Geschichte z. B. stellen ihren Leserinnen und Lesern im Arbeitsteil eine Textquelle zur Verfügung, aus der hervorgeht, dass die »Arisierungs- und Liquidierungspraxis« offensichtlich auf reges Interesse stieß. Abgedruckt ist die Notiz eines Vorstandsmitglieds der Deutschen Bank vom 25. Juli 1938. Darin heißt es: »Von 700 in der Zentrale [der Deutschen Bank] erfassten jüdischen Unternehmungen sind (bis 25. 7. 1938) ca. 200 arisiert. Für zahlreiche weitere schweben noch Verhandlungen. Es laufen jetzt täglich Mitteilungen ein, dass Objekte arisiert werden. In einigen Branchen lässt das Angebot an wirklich guten Objekten stark nach. Die Nachfrage hier ist weitaus größer, z. B. in der Metall- und Chemie-Branche. Es ist nicht immer möglich, diese Interessenten auf andere Branchen hinzulenken. Eine weitere Beschleunigung der Arisierung kann dann erwartet werden, wenn die Genehmigungen schneller erteilt werden. Es dauert häufig 2 Monate, bis alle Instanzen ihr placet gegeben haben.«1041

Ein zu dieser Quelle formulierter Begleittext informiert zudem über den Rückhalt, den die von den Nationalsozialisten angestrebte »Entjudung der 1038 Vgl. ebd. 1039 Es handelt sich um Expedition Geschichte (2003) und Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe (2006). 1040 Vgl. Das waren Zeiten (2002), S. 81: »Von Anfang an wollten die Nazis die Juden aus dem Wirtschaftsleben verdrängen und aus Deutschland vertreiben. […] Partei und Industrie und Handelskammer zwangen die jüdischen Besitzer, ihre Geschäfte und Gewerbebetriebe zu Spottpreisen an ›Arier‹ zu veräußern. […] Bis zur ›Reichskristallnacht‹ waren schon 60 Prozent der jüdischen Betriebe in ›arischen‹ Besitz übergegangen. Anfang 1939 war die deutsche Wirtschaft weitgehend ›judenfrei‹.« Vgl. Zeiten und Menschen (2002), S. 131: »Unmittelbar nach dem Pogrom wurden die Freiheitsräume der Juden aufs Äußerste eingeschränkt. Sie mussten Geschäfte aufgeben und weit unter Preis an arische Konkurrenten verkaufen.« Vgl. Horizonte – Geschichte für die Oberstufe (2003), S. 329: »Die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben (1938) machte einen Zusammenhang augenfällig, der von Anfang an integraler Bestandteil der anti-jüdischen Politik gewesen war. Mit der Entrechtung ging der Vermögensentzug einher. Die ›Arisierung der Wirtschaft‹ lief praktisch auf eine Zwangsenteignung hinaus.« 1041 Buchners Kolleg. Themen Geschichte (2000), S. 151f.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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Wirtschaft« bei zahlreichen Industrie- und Handelskammern, Banken und Wirtschaftsverbänden gefunden habe. Gemeinsam habe man jüdische Geschäftsleute und Gewerbetreibende gezwungen, ihre Unternehmen weit unter Wert an »Arier« zu veräußern, sodass bis zur Reichspogromnacht 1938 bereits 60 % der jüdischen Betriebe »arisiert« worden seien.1042 Bei Kursbuch Geschichte steht demgegenüber – wie schon im Vorgängerband Geschichtsbuch Oberstufe – das Verhalten des alten Mittelstandes im Vordergrund. Die Formulierungen im Verfassertext sind dabei sprachlich nur leicht verändert worden.1043 Eine Erweiterung erfährt diese knappe Darstellung allerdings durch den Abdruck eines Historikertextes von Bernhard Keller (1980), der sich zur Bedeutung der »Arisierung« für die kleineren und mittleren Unternehmen äußerst. Zu lesen ist: »Die ›Arisierung‹ bot zunächst die Gelegenheit, mittellose Handwerker und Kleinhändler mit einem Betrieb zu ›beschenken‹. In einem Erlass vom 2. 8. 1938 an alle Gauleiter erklärte Heß: ›Ich weise besonders darauf hin, dass die Überführung jüdischer Betriebe in deutsche Hände der Partei die Möglichkeit gibt, eine gesunde Mittelstandspolitik zu betreiben und Volksgenossen, die politisch und fachlich geeignet sind, zu einer selbstständigen Existenz zu verhelfen, auch wenn sie finanziell nicht über die entsprechenden Mittel verfügen.‹ Durch die Vergabe jüdischer Werkstätten und Geschäfte sowie die Beteiligung an jüdischem Haus- und Grundbesitz konnten die Nazis somit zahlreiche Kleingewerbetreibende korrumpieren und an das System binden. Mit Freuden eigneten sich die Betreffenden die Werte ihrer jüdischen Mitbürger an. Die Mehrzahl der Handwerker und Einzelhändler war jedoch an der Auflösung der jüdischen Betriebe interessiert, weil die Zahl der Unternehmungen dadurch verringert und die eigenen Absatzchancen erhöht werden konnten. Die NS-Führung hat diesem Wunsch weitgehend entsprochen, zumal sie die Überbesetzung einiger Wirtschaftszweige beseitigen wollte. In Berlin z. B. wurden nur 700 der 3750 jüdischen Einzelhandelsgeschäfte in ›arische‹ Hände übergeben. Von den jüdischen Handwerksbetrieben, die im Dezember 1938 noch bestanden, wurden lediglich 6 % ›arisiert‹ und der Rest kurzerhand geschlossen.«1044

Die zu dieser Darstellung formulierten Arbeitsaufträge verlangen von den Schülerinnen und Schülern, die soziale Funktion der NS-»Arisierungspolitik« zu beschreiben und die Wirkungen der »Arisierung« auf den Mittelstand zu 1042 Vgl. ebd., S. 151. 1043 Vgl. Kursbuch Geschichte (2000), S. 447: »Die Mittelschichten, die vor 1933 die Nationalsozialisten besonders unterstützt hatten, blieben ihnen auch nach 1933 weitgehend treu, wenngleich das NS-Regime die Forderungen des alten Mittelstandes der Handwerker und Einzelhändler auf Schutz vor der Konkurrenz von Industrie und Kaufhäusern nicht erfüllte. Lediglich im Handel zeigte sich größere Unzufriedenheit, da die versprochene Auflösung der ›jüdischen‹ Warenhäuser zunächst ausblieb. Später entschädigten die ›Arisierungen‹ (Übertragungen jüdischer Betriebe an Deutsche) für die negativen Auswirkungen des industriellen Booms auf den Mittelstand.« 1044 Ebd., S. 451.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

diskutieren.1045 Aus dem Text geht dabei nicht nur hervor, dass »arische« Interessenten von den erzwungenen Eigentumsübertragungen direkt profitierten. Er zeigt auch, dass selbst derjenige zum Nutznießer des Enteignungsprozesses werden konnte, der sich an der wirtschaftlichen Existenzvernichtung der Juden gar nicht beteiligte. Denn mit der Zwangsliquidation der jüdischen Geschäfte ging automatisch die Befreiung von lästigen Konkurrenten einher. Vier weitere Bücher wählen kurze, aber eindeutige Formulierungen, um die Mitwirkung und Nutznießerschaft der nichtjüdischen Bevölkerung an der »Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben« zu unterstreichen. In Forum Geschichte ist es dabei abermals eine Passage aus dem abgedruckten Darstellungstext von Wolfgang Wippermann, welche die Schülerinnen und Schüler über die Teilnahme vieler Deutscher an den Raubzügen informiert: »Viele nicht-jüdische Deutsche aus allen sozialen Schichten haben die ›Verdrängung‹ der Juden aus dem Wirtschaftsleben insgeheim begrüßt und sich häufig genug selber an der ›Arisierung‹ beteiligt.«1046 Der Verfassertext von Geschichte und Geschehen erläutert knapp: »Schließlich griffen die Nationalsozialisten auch nach dem Eigentum der Juden. Jüdische Besitzer mussten ihre Geschäfte und Betriebe, schließlich sogar ihren Privatbesitz zu Schleuderpreisen verkaufen oder mit der Enteignung rechnen. ›Käufer‹ waren ›verdiente‹ Nationalsozialisten, Geschäftsleute und Unternehmer. Aber auch andere Deutsche konnten zu ›Schnäppchenpreisen‹ jüdisches Eigentum erwerben.«1047

Die Autorinnen und Autoren von Kurshefte Geschichte stellen klar heraus, dass die »Arisierung« in der deutschen Gesellschaft einen wachsenden Kreis von Nutznießern und Profiteuren hervorbrachte. Die entsprechende Passage lautet: »Jüdische Unternehmer, Händler und Gewerbetreibende sahen sich angesichts der Boykotte und der allgemeinen schlechten Wirtschaftslage gezwungen, ihre Betriebe und Geschäfte zu verkaufen. Das geschah oft weit unter Wert, da viele ›Arier‹ die Notlage ihrer jüdischen Kollegen und Konkurrenten ausnutzten. Diese Aufkäufe wurden als ›Arisierungen‹ bezeichnet.«1048

Im Arbeitsteil präsentiert das Schulbuch außerdem zu illustrativen Zwecken die Abbildung einer Bildquelle. Zu sehen ist die Geschäftspostkarte eines Münchner Optik- und Fotogeschäfts aus dem Jahr 1939 (Abb. 52). Die Quelle verdeutlicht, wie »arische« Erwerber – hier »Lindner« – typisch jüdische« Firmennamen – hier »Wertheimer« – beseitigten und anschließend öffentlich damit warben.1049 Dass Teile der Bevölkerung am erzwungenen Transfer jüdischen Besitzes in 1045 1046 1047 1048 1049

Vgl. ebd. Forum Geschichte (2003), S. 124. Geschichte und Geschehen (2005), S. 112. Kurshefte Geschichte (2000), S. 72. Vgl. ebd., S. 78.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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nichtjüdische Hände profitierten, wird auch kurz in Geschichte und Geschehen Oberstufe angesprochen: »Auch profitierten manche Deutsche von den ›Arisierungen‹ jüdischer Geschäfte und Wohnungen.«1050 In Zeit für Geschichte schließlich begegnet man der Mitwirkung und Nutznießerschaft der nichtjüdischen Bevölkerung an der Eliminierung wirtschaftlicher Betätigung von Juden zweimal im Arbeitsteil. Zum einen ist (als Illustration) eine Bildquelle vertreten. Abgebildet ist eine Anzeige, die ein »arischer« Erwerber eines ehemals jüdischen Unternehmens, des Leinenhauses Grünfeld in Berlin, 1938 in einer Zeitung aufgab (Abb. 53).1051 Zum anderen wird aus einem auf den 16. April 1938 datierten Brief eines nichtjüdischen Münchner Kaufmanns an die Industrie- und Handelskammer zitiert: »In den letzten Zeiten war ich öfters bei der Arisierung von jüdischen Geschäften als Sachverständiger, Experte und Gutachter etc. zugezogen und bin von den hierbei zu Tage getretenen brutalen Maßnahmen der zuständigen Stellen der Handelskammern, nationalsozialistischen Wirtschaftsstellen etc. und überhaupt von all dieser Art von Erpressungen an den Juden derart angeekelt, dass ich von nun ab jede Tätigkeit bei Arisierungen ablehne, obwohl mir dabei ein guter Verdienst entgeht. Ich bin Nationalsozialist, S.A. Mann und ein Bewunderer Adolf Hitlers! Aber ich kann als alter, rechtschaffener, ehrlicher Kaufmann nicht mehr zusehen, in welcher schamlosen Weise von vielen arischen Geschäftsleuten, Unternehmern etc. versucht wird, unter der Flagge der Arisierung und im Interesse der nationalsoz. Wirtschaft die jüdischen Geschäfte, Fabriken etc. möglichst wohlfeil und um einen Schundpreis zu erraffen.«1052

»Wie beurteilst du die ablehnende Haltung des Kaufmanns zur Arisierung?«, so lautet der Arbeitsauftrag.1053 Die Schulbuchmacherinnen und -macher lenken die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser also in eine ganz bestimmte Richtung: den seltenen Fall eines Protests gegen die wirtschaftliche Verdrängung und Enteignung der Juden. Das Schreiben ist aber nicht nur ein deutlicher Beleg für das Vorhandensein einer kritischen Stimme, sondern zeigt ebenso, wie bereitwillig viele Deutsche die Gelegenheit ergriffen, sich der jüdischen Konkurrenz zu bemächtigen.

5.3.

Verhalten der »Zuschauer« im Alltag gegenüber jüdischen Mitmenschen

Die Frage nach dem im Allgemeinen ausgebliebenen Widerstand der Mehrheitsgesellschaft angesichts der Verfolgung der Juden wird in den Verfassertexten des Samples nur in Ausnahmefällen thematisiert. Immerhin drei der 1050 1051 1052 1053

Geschichte und Geschehen Oberstufe (2006), S. 309. Vgl. Zeit für Geschichte (2002), S. 111. Ebd., S. 112. Vgl. ebd., S. 113.

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zwölf untersuchten Schulbücher schenken der Problematik explizite Aufmerksamkeit. Am ausführlichsten informiert dabei Das waren Zeiten: An drei verschiedenen Stellen unterstreichen die Autorinnen und Autoren, dass die jahrelange Diskriminierung der Juden weithin ohne öffentliche Proteste verlief. Im Kapitel »Juden werden verfolgt und entrechtet« teilen sie mit: »Breiter Widerspruch der Bevölkerung gegen die sich steigernde Entrechtung und Ausgrenzung der Juden blieb aus. Den wenigen Fällen von Hilfe und Solidarität mit jüdischen Mitbürgern standen massenhafte anonyme Anzeigen von deutschen ›Volksgenossen‹ gegenüber, die ihre Mitmenschen denunzierten.«1054

Einige Seiten später im Kapitel »Verführung, Verfolgung und Widerstand: die ersten Jahre des NS-Regimes« sprechen sie davon, dass offene Proteste gegen die widerliche Judenhetze durch die Nationalsozialisten die Ausnahme gewesen seien. Im Gegenteil: Neben der wohl aus Gleichgültigkeit schweigenden Mehrheit hätten viele Bürgerinnen und Bürger sogar gebilligt, dass den Juden »endlich auf die Finger geklopft« wurde. Lediglich besonders brutale Übergriffe der SS seien kritisiert worden, allerdings auch nur hinter vorgehaltener Hand.1055 Schließlich geht das Lehrwerk auch bei der Behandlung des deutschen Widerstands während des Krieges auf die Passivität der breiten Bevölkerung ein. Der entsprechende Abschnitt lautet: »Es gab zahlreiche Frauen und Männer, die demonstrativ den ›Hitler Gruß‹ (›Heil Hitler‹) verweigerten oder absichtlich nur undeutlich murmelten; manche wagten auch, offen gegen einzelne Missstände und schlechte Arbeitsbedingungen zu protestieren. Aber nur wenige hatten den Mut, Juden vor der SS zu verstecken oder ihnen bei der Flucht zu helfen.«1056

Eine unmissverständliche Darstellung bietet auch Geschichte und Geschehen. Ein mit der Marginalie »Wie reagierte die Bevölkerung?« versehener Abschnitt im Verfassertext zum Thema »Volksgemeinschaft – Nicht jeder gehört dazu« liefert die folgende Information: »Auch wenn nicht wenige die Diskriminierung von Juden und anderen Bevölkerungsgruppen billigten, reagierte die Bevölkerung auf Terroraktionen der Nationalsozialisten oft mit Betroffenheit und Scham. Vor allem Gewaltverbrechen und Morde lehnten viele ab – aber sie schwiegen, lehnten sich nicht dagegen auf, riskierten keinen öffentlichen Widerstand. Und so konnten die Nationalsozialisten ihr zerstörerisches Werk und ihren zunehmend radikaleren Terror fortsetzen.«1057

1054 1055 1056 1057

Das waren Zeiten (2002), S. 81. Vgl. ebd., S. 90. Ebd., S. 122. Geschichte und Geschehen (2005), S. 113.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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Der Verfassertext zum Völkermord an den Juden ergänzt dann für die Kriegszeit: »Einige haben in Einzelfällen unter Lebensgefahr Juden geholfen und sie z. B. vor der Gestapo versteckt. Wirkungsvollen Protest und Widerstand leistete aber niemand.«1058 Bei dem dritten Buch, dessen Verfassertext die Problematik aufgreift, handelt es sich um Kurshefte Geschichte. Die Autorinnen und Autoren handeln dabei das Nichteinmischen der meisten Deutschen in äußerster Kürze ab: »Die Juden haben nur wenige Akte der Solidarität und der Hilfe erfahren. Auch die Kirchen und die deutschen Widerstandsorganisationen haben sehr spät und nur zurückhaltend protestiert.«1059 Komplett entgegengesetzt zu dem von den Autorentexten in Das waren Zeiten, Geschichte und Geschehen und Kurshefte Geschichte gezeichneten Bild der deutschen Mehrheitsgesellschaft stehen die Ausführungen, die sich in Zeit für Geschichte und Horizonte – Geschichte für die Oberstufe finden. Die Verfassertexte beider Bücher gehen an keiner Stelle auf den Mangel an solidarischen Einwänden, Protesten oder Gesten der Solidarität ein, sondern sprechen ausschließlich die Hilfeleistungen für jüdische Bürgerinnen und Bürger an.1060 Durch die Absenz von Materialien im Arbeitsteil werden dieser einseitigen Information keine neuen Aspekte hinzugefügt. Die Arbeitsteile von fünf Schulbüchern halten eine oder mehrere Quellen bereit, anhand derer Schülerinnen und Schüler Facetten typischen Verhaltens der breiten Bevölkerung gegenüber der jüdischen Minderheit rekonstruieren können. Alle Materialien sind mit Arbeitsaufträgen versehen, welche die Lernenden auch explizit dazu auffordern, das Verhalten der »arischen« Bevölkerung kritisch zu untersuchen. Dreimal berücksichtigt die Quellenauswahl die Schulerfahrungen unter dem Hakenkreuz. Ein multiperspektivisches Quellenarrangement, das den Schülerinnen und Schüler einen Einblick in unterschiedliche Erfahrungen jüdischer Schulkinder gewährt, bietet Forum Geschichte. Ein Arbeitsauftrag verlangt von den Lernenden, mögliche Handlungsspielräume aller Beteiligten zu erörtern.1061 Dazu wird zum einen aus den Memoiren von Marta Appel zitiert, deren Kinder in den 1930er Jahren in Dortmund die Schule besuchten: »Fast jede Unterrichtsstunde wurde für die jüdischen Kinder zu einer Quälerei. Es gab eigentlich kein Thema mehr, bei dem der Lehrer nicht über die ›Judenfrage‹ gesprochen hätte … Zum Muttertag hatten die Schüler im Chor Lieder eingeübt … Am Tag vor dem Fest mussten meine Töchter zur Musiklehrerin kommen. ›Ihr müsst am Schulfest teilnehmen, aber mitsingen dürft ihr natürlich nicht, da ihr nicht arisch seid.‹ … 1058 Ebd., S. 131. 1059 Kurshefte Geschichte (2000), S. 73. 1060 Vgl. Zeit für Geschichte (2002), S. 134 sowie Horizonte – Geschichte für die Oberstufe (2003), S. 345. 1061 Vgl. Forum Geschichte (2003), S. 92.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

›Wieso können wir nicht mitsingen? Wir wollen doch auch für unsere Mutter singen!‹ … ›Ich weiß, dass ihr auch eine Mutter habt, aber sie ist ja nur eine jüdische Mutter.‹«1062

Zum anderen präsentieren die Autorinnen und Autoren einen Auszug aus den Erinnerungen von Ruth Wertheim, die über ihre Schulzeit bis 1934 das Folgende zu berichten weiß: »Ich hatte immer gute Freundinnen, nahm bis zuletzt an Wandertagen teil, obwohl ich mich erinnere, dass ich mich bei einem der letzten Ausflüge zur Ludwigsburg sehr schlecht fühlte, weil ich wusste, dass ich als Jüdin dort unerwünscht war … Rassenkunde wurde bei uns noch nicht so unterrichtet, dass es mir unangenehm war. Es war mehr biologisch aufgebaut. Auch im Deutschunterricht gab die Lehrerin uns immer auch ein allgemeines Thema, über das auch ich schreiben konnte. Mein Klassenlehrer war voller Verständnis … Meine Klasse war anständig bis zuletzt … Ich verließ die Schule ohne Druck, aber weil ich wusste, dass man mich doch nicht zum Abitur zulassen würde.«1063

Über die alltägliche Judenfeindschaft in der Schule aus der Sicht eines Betroffenen gibt auch die in Das waren Zeiten abgedruckte Quelle Auskunft. Geboten wird der Bericht des 1939 ausgewanderten Peter Erlanger, der sich 1987/88 an seine Gymnasialzeit in Ravensburg erinnert. Die Schülerinnen und Schüler sollen das von Erlanger geschilderte Verhalten der Lehrer und Mitschüler beurteilen. Sie lesen dazu: »1937 kam ich ins Spohngymnasium […]. Zwar war der Leiter […] ein ausgesprochener Nazi, hingegen war mein Klassenlehrer, ein junger Studienassessor, dessen Name ich leider vergessen habe, sowie der Englischlehrer ausgesprochen freundlich und fair. Auf die Kinder wirkte die antisemitische Propaganda ein, und das Gift tat langsam seine Wirkung: Anrempelungen, da und dort Schläge, Boykott. Im Musikunterricht wurden die antisemitischen Lieder gelehrt. Auch der Turnlehrer war ein kleiner Nazi. Ich möchte fair sein und betonen, dass es auch in dieser schweren Zeit Kameraden gab, die zu mir hielten. Nach dem ersten Gymnasialjahr wurde ich wegen drei ungenügend im Zeugnis nicht versetzt. Die Fächer waren Turnen, Zeichnen und Singen. (In Englisch war ich der Klassenbeste, in den deutschen Fächern ebenso, Naturkunde sehr gut, und ich glaube, über dem Klassendurchschnitt gewesen zu sein.) Ich bin sicher, dass ich nicht wegen meines Zeugnisses, sondern wegen meiner Religionszugehörigkeit ›sitzen‹ geblieben bin.«1064

Eine andere Perspektive greift Buchners Kolleg. Themen Geschichte mit den Beobachtungen eines Hausmeisters zum Verhältnis von Hitlerjungen zu jüdischen Mitschülern auf. Es handelt sich um einen Brief des Hausmeisters an die HJ-Führung in Altona vom 10. November 1936, zu dem die Schulbuchautorin1062 Ebd., S. 93. 1063 Ebd. 1064 Das waren Zeiten (2002), S. 83.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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nen und -autoren zwei Arbeitsaufträge formulieren. Die Schülerinnen und Schüler sollen erstens die politische Position des überwiegenden Teils der Lehrerschaft an dem Gymnasium erläutern und zweitens den Einfluss beurteilen, den Leute wie der Hausmeister in allen Institutionen auf das soziale Klima haben mussten.1065 Zur Verfügung gestellt wird ihnen der nachfolgende Briefauszug: »Als Hausmeister an der Gelehrtenschule des Johanneums muss ich täglich die Beobachtung machen, dass das Verhältnis der Juden – Hitlerjugend im Gegensatz steht zu den Zielen der HJ-Führung. Wären die Juden nicht schon äußerlich als solche erkenntlich, müsste jeder Außenstehende annehmen, dass es an dieser Schule keine Juden gäbe, denn ich muss leider sagen, dass das Verhalten der HJ-Angehörigen den Juden gegenüber direkt beschämend für Erstere ist. Anstatt dieses Judengesocks zu meiden und zu missachten durch eine rein äußerliche Haltung, werden die Juden so kameradschaftlich behandelt, dass jedem aufrichtigen Nationalsozialisten das Kotzen ankommt. Der Brechreiz wird noch größer, wenn man sieht, dass bei Fotoaufnahmen in der Klasse Hitlerjungen und Juden einträchtig nebeneinander stehen, als gäbe es überhaupt keine Rassenfrage. (Ein Bild wird, sowie es in meinen Besitz gelangt, zugestellt.) Ferner ist bekannt, dass ein Angehöriger der HJ fast täglich einen Juden von dessen Wohnung abholt und den Weg zur Schule mit diesem gemeinsam fortsetzt. […] Da wir leider die Juden nicht einfach aus der Schule hinausschmeißen dürfen, muss zur Selbsthilfe geschritten werden, um unsere Jugend dem verderblichen Einfluss des Judengesindels zu entziehen, und müssen die Juden von den Angehörigen der HJ so behandelt werden, dass ihnen die Lust vergeht, noch länger an der Schule zu bleiben. Ich hoffe und erwarte, dass auf Grund dieses Berichtes ganz energisch eingegriffen wird, denn die Lehrerschaft bürgt nicht für einen Erfolg in Bezug auf die Erziehung der Schüler im nationalsozialistischen Sinne, da sie sich (von einigen Ausnahmen abgesehen, welche sich leider gegen eine Mehrzahl nicht durchsetzen können) in diesem Leben von den angeborenen und noch dazu anerzogenen Hemmungen heute einfach nicht mehr freimachen kann.«1066

Im Arbeitsteil desselben Buches findet noch eine weitere Textquelle Berücksichtigung: das Tagebuch der jüdischen Ärztin Hertha Nathorff. Die Schulbuchautorinnen und -autoren verwenden dabei einzelne Passagen ihrer Aufzeichnungen aus dem Jahr 1933. Zu den abgedruckten Auszügen, aus denen u. a. der – aus der Perspektive einer Verfolgten subjektiv empfundene – Mangel an öffentlichem Widerspruch der »arischen« Kollegen gegen die Zwangsentlassung jüdischer Ärzte1067 und die psychologischen Auswirkungen der antisemitischen 1065 Vgl. Buchners Kolleg. Themen Geschichte (2000), S. 151. 1066 Ebd. 1067 Vgl. ebd., S. 150. Unter dem Datum des 14. April 1933 vermerkt Nathorff: »›Sie schalten gleich‹. Nein, sie wüten. Aus allen Berufen, aus allen Stellen schalten sie die Juden aus ›zum Schutze des deutschen Volks‹. Was haben wir diesem Volk denn bis heute getan? In den Krankenhäusern ist es furchtbar. Verdiente Chirurgen haben sie mitten aus der Operation herausgeholt und ihnen das Wiederbetreten des Krankenhauses einfach verboten. Andere

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

Hetze auf das Verhalten ihrer Patienten hervorgehen1068, erhalten die Schülerinnen und Schüler den Arbeitsauftrag zu besprechen, wie der nicht betroffene Teil der Bevölkerung auf die nationalsozialistischen Maßnahmen gegen den jüdischen Bevölkerungsteil reagierte. Geschichte und Geschehen nimmt – wie bereits im Vorgängerband – das Schreiben eines »einfachen Volksgenossen« auf, der sich im Jahr 1936 darüber beschwert, dass seine Heimatstadt den Juden noch immer nicht den Besuch von Schwimmbädern verboten habe.1069 Die Schülerinnen und Schüler werden aufgefordert, das/die Motiv(e), das/die zur Beschwerde geführt haben könnte(n), zu erklären.1070 Einen anderen Ansatz schließlich wählt Kurshefte Geschichte mit dem Abdruck einer Rezension von Frauke Hamann zu einer Studie über Rettungswiderstand in der NS-Zeit.1071 Die Buchbesprechung, die sich auf »Wir waren keine

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haben sie auf Wagen geladen und unter dem Gejohl der Menge durch die Stadt geführt. Verschiedene Bekannte sind Hals über Kopf auf und davon ins Ausland, weil sie politisch verdächtig waren. Mein altes Krankenhaus hat seine tüchtigsten und besten Ärzte verloren, die und die Patienten sind verzweifelt, es geht alles drunter und drüber. Die Hetzreden des Herrn Goebbels übersteigen alles, was an Hetze und Verlogenheit bisher da war, und das Volk hört es an und schweigt – und vor allem, die führenden Ärzte, die prominenten Professoren, was tun sie für ihre verratenen Kollegen?« Vgl. ebd. Der Eintrag vom 5. Mai 1933 lautet: »Nun fangen sie in meiner Sprechstunde an, mich zu fragen, ob ich etwa Jüdin bin. Ihr Rasseninstinkt ist bewundernswert. ›Frau Doktor, Sie sind doch eine so reizende Frau, warum haben sie bloß einen Juden geheiratet?‹ Ganz fassungslos habe ich die Patientin angeschaut.« Am 12. Mai 1933 notiert die Autorin: »Eine Patientin kommt weinend zu mir. Sie war bei der üblichen Vortragsstunde ihres Betriebs, und da wurde gelehrt: Wer einmal Beziehungen zu einem Juden gehabt hat, kann nie mehr rein arische Kinder bekommen. Und sie hat früher einmal einen jüdischen Freund gehabt. Ich habe lange reden müssen, das etwas primitive Geschöpf von dem Blödsinn dieser Behauptung zu überzeugen. Jetzt atmet sie auf: ›Frau Doktor, ich wollte schon den Gashahn aufmachen, da bin ich im letzten Augenblick noch zu ihnen gelaufen.‹ Ja, aber wie viele haben niemand, zu dem sie laufen können und dann?« Vgl. Geschichte und Geschehen (2005), S. 114: »Wie ich heute Morgen feststellen musste, waren im Hansabad 3 Juden und zwar 1 Jude und 2 Jüdinnen. Es ist mir unverständlich, dass Juden dort zugelassen sind. Der Wärter sagte mir, es bestände dort (…) kein Judenverbot. Es ist aber höchste Zeit, dass ein solches Verbot in Kraft tritt, da auch in anderen Städten derartige Verbote für Juden bestehen. Vielleicht lässt sich dieses auch in Bremen durchführen.« Vgl. ebd., S. 116. Vgl. Kurshefte Geschichte (2000), S. 81f.: »Warum widersetzten sich manche Menschen Autoritäten, scheuten keine Sanktionen und verhielten sich altruistisch? Weshalb retteten sie, ohne zu zögern, unter Einsatz ihres Lebens einen – zumeist fremden – Menschen vor der Verfolgung? Mit diesen Fragen nähert sich die Autorin [Eva Fogelman] einem abweichenden Verhalten, das eine kleine Gruppe von Menschen in Europa zur Zeit der NSDiktatur auszeichnete. Anhand von 300 Interviews mit Rettern und Geretteten zeichnet sie nach, wie Menschen zu Rettern wurden. Ihre Beobachtungen und Schlussfolgerungen sind stets eingebettet in ausführliche Berichte von einzelnen Rettungsaktionen und den Menschen, die sie unerschrocken und bedenkenlos durchführten. Ob eine junge Berli-

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Helden. Lebensretter im Angesicht des Holocaust« der Psychologin Eva Fogelman (1995) bezieht, zeigt den Schülerinnen und Schüler auf, dass es sich bei den Menschen, die bereit waren, jüdische Verfolgte zu unterstützen, um Einzelfälle handelte. Ein Arbeitsauftrag fordert sodann die Lernenden auf, anhand der Darstellung das Ausmaß der Hilfe für die vom Tode bedrohten Juden zu erläutern.1072

6.

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

6.1.

Beteiligung am Genozid an den Juden

Vier der zwölf untersuchten Schulgeschichtsbücher weichen der Frage nach der Beteiligung von Wehrmachtseinheiten an der Tötung von Juden aus oder kommen über vage Andeutungen nicht hinaus. Während die Autorinnen und Autoren von Zeit für Geschichte als Akteure des Judenmords ausschließlich die »Einsatzgruppen« benennen1073, ist im Verfassertext von Kursbuch Geschichte nerin die Tochter einer befreundeten Familie neun Monate versteckte, eine Holländerin drei jüdische Kinder für drei Jahre aufnahm oder eine Frau mit einem Grenzbeamten schlief, um seine Aufmerksamkeit von Flüchtenden abzulenken – die Motive, Bedingungsfaktoren, Kalküle, Entscheidungslagen, Risiken, Konsequenzen und Belastungen helfenden, ja lebenserhaltenden Verhaltens sind so verschieden, wie die Menschen, die sich zum Handeln veranlasst sahen. […] Dass es dem nationalsozialistischen Regime gelang, jüdische Menschen innerhalb der deutschen Bevölkerung zu isolieren, auszugrenzen und schließlich der Vernichtung zuzuführen, ist bekannt. Weshalb die Mehrheit der ›arischen‹ Deutschen diese Stigmatisierung und gewaltsame Vertreibung überwiegend ohne erkennbare Anteilnahme geschehen ließ, verdeutlicht Fogelmans Studie. Die Wahrnehmung eines äußeren Geschehens lässt sich als Folge verschiedener Einzelschritte beschreiben: Die Beobachtung, dass etwas im Argen liegt, geht mit der Interpretation einher, dass Menschen Hilfe benötigen. Kommt es zur Übernahme von Verantwortung, stellt sich anschließend die Frage nach der Wahl der Mittel, der dann die praktische Umsetzung folgt. Doch der ›elitäre Aufbau der gesellschaftlichen Rangordnung erstickte die natürliche Empathie der Menschen. Mitleid setzt beim Helfenden die Erkenntnis voraus, dass sich der um Hilfe Bittende kaum von ihm selbst unterscheidet.‹ Fogelman sieht es gerade als Erfolg der NS-Propaganda an, dass für die meisten Deutschen ›die Misshandlung jüdischer Menschen zum Hintergrundgeschehen wurde‹, sodass Mitgefühl gar nicht aufkam. […] Die Motivation der Retter kann ganz unterschiedlich sein. […] Eines jedoch haben die beispielgebenden Männer und Frauen gemeinsam, es sind bewusste Personen mit starkem Verantwortungsgefühl: ›Sie haben alle sehr ausgeprägte humanistische Wertvorstellungen. Motor des Handelns waren die inneren Werte, die die RetterInnen ausgebildet haben.‹ Dadurch zeitigte die rassistische Propaganda der Nazis bei ihnen wenig Wirkung, außerdem bewahrten sie persönliche Kontakte zu Juden vor einer Abkehr von diesen Menschen.« 1072 Vgl. ebd., S. 82. 1073 Vgl. Zeit für Geschichte (2002), S. 129: »Der Überfall auf die Sowjetunion, durch den weitere 4–5 Millionen Juden unter deutsche Herrschaft gerieten, bedeutete einen Ein-

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

ungenau die Rede von »weitere[n] zivile[n] und militärische[n] Stellen«1074, die bei den Vernichtungsaktionen hinzutraten, welche aber in der Hauptsache von der SS durchgeführt worden seien. Auf der Ebene der ungefähren Andeutung bewegt sich auch die Darstellung in Zeiten und Menschen. Das Lehrwerk stellt zwar im Kapitel zum Zweiten Weltkrieg heraus, dass der Angriff auf die Sowjetunion vom ersten Tag an ein Vernichtungskrieg gegen das »jüdisch-bolschewistische System« gewesen sei. Außerdem wird der berüchtigte Befehl des Generalfeldmarschalls Walter von Reichenau vom Oktober 1941 kurz erwähnt.1075 An anderer Stelle sind es dann jedoch lediglich die »Einsatzgruppen«, welche Juden zu Hunderttausenden erschossen hätten.1076 Die Schulbuchmacherinnen und -macher von Forum Geschichte wiederum sparen die aktive Beteiligung der Armee an der Ermordung der sowjetischen Juden aus und reduzieren die Rolle der deutschen Soldaten auf die von Judenrettern bzw. -helfern. Dazu machen sie Gebrauch von einem 1993 in den »Passauer Nachrichten« erschienenen Artikel über das ehrenhafte Verhalten des ehemaligen Majors Max Liedtke.1077 Mithilfe dieses Zeitungsartikels sollen die Schülerinnen und Schüler die These erörtern, ob von Kriegsverbrechen »der« Wehrmacht gesprochen werden könne.1078 Die restlichen Bücher des Samples dagegen enthalten deutliche Hinweise auf die Beteiligung von Wehrmachtseinheiten am Genozid an den Juden. Dabei werden die in den Verfassertexten meist sehr knapp gehaltenen Informationen z. T. durch den Abdruck einschlägiger Quellen oder Darstellungen in den Arbeitsteilen vertieft.

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schnitt in der antijüdischen Politik. Der Massenmord an den europäischen Juden begann. Vier Einsatzgruppen, bestehend aus Einheiten der Sicherheitspolizei, des Sicherheitsdienstes, der Waffen SS und der Gestapo, hatten die Aufgabe, in den Gebieten hinter der Frontlinie alle ›feindlichen Elemente‹ und ›rassisch Unerwünschten‹ zu ermitteln und zu ermorden. […] Sonderkommandos der Einsatzgruppen trieben die jüdische Bevölkerung vom Land, aus Dörfern und kleinen Städten überfallartig zusammen; die Menschen wurden auf z. T. kilometerlange Märsche geschickt, um sie dann an ›geeigneten‹ Plätzen wie Sümpfen, Waldschluchten und Böschungen zu Tausenden zu erschießen.« Kursbuch Geschichte (2000), S. 472. Vgl. Zeiten und Menschen (2002), S. 138. Vgl. ebd., S. 145. Vgl. Forum Geschichte (2003), S. 119: »Max Liedtke war 1942 Ortskommandant der ostpolnischen Stadt Przemys´l. Als im Juli 1942 die ›Judenaussiedlung‹ [Deportation in ein KZ] aus Przemys´l beginnen sollte, setzte sich Liedtke zur Wehr, indem er Straßen und Brücken sperren ließ, um die SS am Abtransport der jüdischen Bevölkerung zu hindern. Einige Stunden später musste er die Sperrung aufheben, konnte aber zusammen mit seinem Adjutanten Dr. Battel 80 bis 100 Juden mehrere Wochen vor dem Zugriff der SS schützen. Liedtke verstarb 1955 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Seit 1993 wird er als einer der wenigen Wehrmachtsangehörigen als ›Gerechter der Völker‹ in der HolocaustGedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem geehrt.« Vgl. ebd., S. 118.

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

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Die Autorinnen und Autoren von Das waren Zeiten vermerken in Bezug auf den Judenmord: »Vollstrecker dieser Verbrechen waren vor allem Einsatzgruppen aus SS, Gestapo und Polizei. Auch Einheiten der Wehrmacht beteiligten sich daran.«1079 Eine ähnliche Formulierung wählen auch die Schulbuchmacherinnen und -macher des Oberstufenbandes aus dem Buchner-Verlag: »Im Osten folgten ›Sonderkommandos‹ der SS und Polizeieinheiten den vorrückenden Truppen und erschossen bereits in den ersten Monaten des Russlandfeldzugs mehrere hunderttausend Juden […]; auch Angehörige der Wehrmacht und Zivilverwaltung beteiligten sich an den Massakern.«1080

Im Materialteil ist außerdem ein längerer Auszug aus dem »Reichenau-Befehl« vorhanden1081, der mit folgender Anmoderation eingeleitet wird: »Der Oberbefehlshaber der 6. Armee, General von Reichenau, gibt am 10. Oktober 1941 einen Befehl aus, der das ›Verhalten der Truppen im Ostraum‹ betrifft. Hitler bezeichnete diesen Befehl als vorbildlich, so dass er danach auch von anderen Truppenteilen übernommen wurde.«1082 Knapp gehaltene Beschreibungen finden sich auch in den Verfassertexten von Horizonte – Geschichte für die Oberstufe und Kurshefte Geschichte. Der entsprechende Abschnitt im erstgenannten Lehrwerk lautet: »Sie [die Vernichtung der Juden] erfolgte durch Massenerschießungen, die in erster Linie von SSEinsatzgruppen und teilweise auch von Wehrmachtseinheiten hinter den 1079 Das waren Zeiten (2002), S. 103. 1080 Buchners Kolleg. Themen Geschichte (2000), S. 209. 1081 Vgl. ebd., S. 188: »Hinsichtlich des Verhaltens der Truppe gegenüber dem bolschewistischen System bestehen vielfach noch unklare Vorstellungen. Das wesentlichste Ziel des Feldzuges gegen das jüdisch-bolschewistische System ist die völlige Zerschlagung der Machtmittel und die Ausrottung des asiatischen Einflusses im europäischen Kulturkreis. Hierdurch entstehen auch für die Truppe Aufgaben, die über das hergebrachte einseitige Soldatentum hinausgehen. Der Soldat ist im Ostraum nicht nur ein Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen Idee und der Rächer für alle Bestialitäten, die deutschem und artverwandtem Volkstum zugefügt wurden. Deshalb muss der Soldat für die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis haben. Sie hat den weiteren Zweck, Erhebungen im Rücken der Wehrmacht, die erfahrungsgemäß stets von Juden angezettelt wurden, im Keime zu ersticken. Der Kampf hinter der Front wird noch nicht ernst genug genommen. Immer noch werden heimtückische, grausame Partisanen und entartete Weiber zu Kriegsgefangenen gemacht, immer noch werden halb uniformierte oder in Zivil gekleidete Heckenschützen und Herumtreiber wie anständige Soldaten behandelt und in die Gefangenenlager abgeführt. […] Fern von allen politischen Erwägungen der Zukunft hat der Soldat zweierlei zu erfüllen: 1.) die völlige Vernichtung der bolschewistischen Irrlehre, des Sowjetstaates und seiner Wehrmacht. 2.) die erbarmungslose Ausrottung artfremder Heimtücke und Grausamkeit und damit die Sicherung des Lebens der Wehrmacht in Russland. Nur so werden wir unserer geschichtlichen Aufgabe gerecht, das deutsche Volk von der asiatisch-jüdischen Gefahr ein für allemal zu befreien.« 1082 Ebd.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

Fronten vorgenommen wurden.«1083 Das zweitgenannte Lehrwerk teilt mit: »In den eroberten Gebieten der Sowjetunion hatten Angehörige von SS-Einsatzgruppen und der Wehrmacht damit begonnen, Tausende von Juden zu ermorden, bis Jahresende 1941 500 000 Personen.«1084 Bei Expedition Geschichte wird die Ermordung von Juden durch Truppenteile der deutschen Armee ebenfalls kurz angesprochen1085 und mit einem Tagebucheintrag des Obergefreiten im 354. Infanterieregiment, Richard Heidenreich, konkretisiert.1086 Dass die Wehrmacht während des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion nicht »sauber« blieb, wird auch in Geschichte und Geschehen Oberstufe hervorgehoben. Die Autorinnen und Autoren konzentrieren sich dabei auf die organisatorische Mithilfe des Militärs, ohne die der komplexe Prozess der Massenvernichtung nicht durchführbar gewesen wäre. Konkret heißt es im Schulbuch: »Ohne die militärischen Eroberungen wäre auch die Ermordung der europäischen Juden durch mobile Einsatzgruppen – für die Wehrmachtseinheiten Hilfsdienste leisteten – und in Vernichtungslagern nicht möglich gewesen.«1087 Vertiefung erfährt diese Information durch einen Auszug aus der »Ereignismeldung UdSSR des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD Nr. 106 vom 7. Oktober 1941«, die über »Exekutionen und sonstige Maßnahmen« zum Massaker von Babyn Jar berichtet: »In Vereinbarung mit dem [Wehrmachts-]Stadtkommandanten [wurden] sämtliche Juden Kiews aufgefordert, sich am Montag, dem 29.9., bis 6.00 Uhr an einem bestimmten Platz einzufinden. Diese Aufrufe wurden durch die Angehörigen der aufgestellten ukrainischen Miliz in der ganzen Stadt angeschlagen. Gleichzeitig wurde mündlich bekannt gegeben, dass sämtliche Juden umgesiedelt würden. In Zusammenarbeit mit dem Gruppenstabe und 2 Kommandos des Polizei-Regiments Süd hat das Sonderkommando 4a [der Einsatzgruppe c] am 29. und 30.9. 33.771 Juden exekutiert. Geld, Wertsachen, Wäsche und Kleidungsstücke wurden sichergestellt und zum Teil der NSV [Nationalsozialistische Volkswohlfahrt] zur Ausrüstung der Volksdeutschen, zum Teil der kommissarischen Stadtverwaltung zur Überlassung an bedürftige Bevölkerung übergeben. Die Aktion selbst ist reibungslos verlaufen. Irgendwelche Zwischenfälle haben sich nicht ergeben.«1088

1083 Horizonte – Geschichte für die Oberstufe (2003), S. 330. 1084 Kurshefte Geschichte (2000), S. 73. 1085 Vgl. Expedition Geschichte (2003), S. 206: »Unmittelbar nach der Eroberung Polens begannen Sonderkommandos der SS, aber auch der Polizei und Wehrmacht mit der willkürlichen Ermordung von Juden.« 1086 Vgl. ebd., S. 214: »5. Oktober 1941. Es gab ungefähr 1000 Juden im Dorf Krupka, und diese mussten alle heute erschossen werden. (…) Ein Leutnant und ein Feldwebel waren bei uns. Zehn Schüsse fielen und zehn Juden waren abgeknallt. (…) Einige Tage später wurde eine ähnlich große Zahl in Kholoponichi erschossen. Auch hieran war ich beteiligt (…).« 1087 Geschichte und Geschehen Oberstufe (2006), S. 299. 1088 Ebd., S. 311.

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

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Der präsentierte Auszug, zu dem die Schülerinnen und Schüler den Arbeitsauftrag erhalten, die Tätergruppen und ihren Beteiligungsgrad zu nennen1089, lässt dabei die enge wie problemlose Zusammenarbeit der Wehrmacht mit dem SS- und Polizeiapparat einigermaßen erkennen.1090 Wenngleich der Verfassertext dem Thema keine Beachtung schenkt, rückt der Anteil der Wehrmacht an der Judenvernichtung auch im für die Mittelstufe konzipierten Geschichte und Geschehen ins Blickfeld. So findet sich an einer Stelle Reichenaus Grundsatzbefehl über das »Verhalten der Truppe im Ostraum«.1091 Unter der Überschrift »Kontrovers – Das Ende einer Legende?« präsentieren die Schulbuchmacherinnen und -macher außerdem zwei Darstellungen von Historikern zu der vom HIS erarbeiteten Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1945«. Es handelt sich dabei um die Kommentare von Karl Heinz Janßen (1995) einerseits1092 und Hans-Adolf Jacobsen (1997) andererseits1093. Ein Arbeitsauftrag fordert die Schülerinnen 1089 Vgl. ebd., S. 315. 1090 Allerdings fehlt im zitierten Auszug der folgende Satz: »Von der Wehrmacht wurden die durchgeführten Maßnahmen ebenfalls gutgeheißen.« Außerdem hätten die Schulbuchautorinnen und -autoren in einer Anmoderation erwähnen können, dass SS-Einsatzgruppenführer und Wehrmacht als Vergeltung für Angriffe nach der Einnahme der Stadt gemeinsam beschlossen hatten, einen Großteil der Kiewer Juden zu töten. 1091 Vgl. Geschichte und Geschehen (2005), S. 127: »Das wesentlichste Ziel des Feldzuges gegen das jüdisch-bolschewistische System ist die völlige Zerschlagung der Machtmittel und die Ausrottung des asiatischen Einflusses im europäischen Kulturkreis. Hierdurch entstehen auch für die Truppe Aufgaben, die über das hergebrachte einseitige Soldatentum hinausgehen. Der Soldat ist im Ostraum nicht nur Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen Idee. (…) Deshalb muss der Soldat für die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis haben. (…) Wird im Rücken der Armee Waffengebrauch einzelner Partisanen festgestellt, so ist mit drakonischen Maßnahmen durchzugreifen. Diese sind auch auf die männliche Bevölkerung auszudehnen, die in der Lage wäre, Anschläge zu verhindern oder zu melden. (…) Nur so werden wir unserer geschichtlichen Aufgabe gerecht, das deutsche Volk von der asiatisch-jüdischen Gefahr ein für alle Mal zu befreien.« 1092 Vgl. ebd., S. 129: »Da zerrinnt die Legende von der ›sauberen Wehrmacht‹, die, fern von allen Naziverbrechen, nur tapfer und treu das Vaterland verteidigt hat, und aufgehoben ist der Freispruch für Millionen Soldaten, die nichts gewusst, nichts gesehen, nichts gehört haben wollten. Statt dessen wird die fürchterliche Wahrheit offenbar, die zwar Fachleute [sic!] und einem zeithistorisch interessierten Leser- und Fernsehpublikum schon länger bekannt war, sich jedoch gegen eine Mauer einverständlichen Schweigens in der deutschen Öffentlichkeit nie durchsetzen konnte. (…) Hier wird der Begriff ›Holocaust‹ in die Kriegsgeschichte eingeführt. In der Regel denken die Menschen dabei an Auschwitz und andere Vernichtungslager. Aber die Einsatzgruppen der SS, die Polizeibataillone, die baltischen und ukrainischen Hilfstrupps und eben auch Einheiten der Wehrmacht betreiben bereits im Sommer und Herbst 1941, noch ehe die Krematorien in Auschwitz rauchten, massiven Judenmord.« 1093 Vgl. ebd.: »Was die Millionen deutscher Soldaten während des Russlandfeldzugs de facto erlebt, gewusst bzw. mitgewirkt haben, soweit es die zahllosen Verbrechen anbetrifft, die von deutschen und im Namen Deutschlandes verübt worden sind, lässt sich heute kaum

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

und Schüler dazu auf, die Aussagen der beiden Historiker zu vergleichen, und anschließend darüber zu diskutieren, inwiefern die Rolle der Wehrmacht mit dem Holocaust in Zusammenhang gebracht werden kann.1094 Die umfangreichste und im Hinblick auf die weit über die eines Gehilfen des SS- und Polizeiapparats hinausreichende Beteiligung von Wehrmachtsangehörigen am Judenmord deutlichste Darstellung ist schließlich in Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe zu finden. Die Autorinnen und Autoren bieten ihren Leserinnen und Lesern eine mit der Überschrift »Die Wehrmacht im Vernichtungskrieg 1941–1944 – Verbrechen, Tatmotive und Handlungsspielräume« versehene Einheit, die der vertiefenden Beschäftigung mit einer relevanten historischen Problemstellung dient und als Fallanalyse konzipiert ist. Im Mittelpunkt der mikrohistorischen Untersuchung steht die – 1954 vor dem Landgericht Darmstadt verhandelte – Geschichte über die unterschiedlichen Reaktionen von drei Kompanieführern auf den mündlichen Befehl ihres Vorgesetzten und Kommandeurs des I. Bataillons des 691. Infanterieregiments, Erschießungen von unschuldigen Juden vorzunehmen. Ein Kompaniechef führte den Mordbefehl sofort aus, ein weiterer forderte eine schriftliche Bestätigung des Auftrags an und führte nach deren Erhalt den Erschießungsbefehl ebenso aus, ein dritter lehnte den Befehl ausdrücklich ab. Ein einführender Verfassertext macht den Schülerinnen und Schülern zunächst deutlich, dass die Wehrmacht als Institution einen unbestreitbaren Anteil an den verbrecherischen Praktiken des Nationalsozialismus hatte, stellt kurz die Vorzüge und Grenzen des Untersuchungsverfahrens »Fallanalyse« vor und verknüpft die Thematik mit problematisierenden Fragestellungen: »Das Verhalten der deutschen Soldaten in den vom nationalsozialistischen Deutschland eroberten Gebieten beinhaltete […] eine besondere Problematik, die im Mittelpunkt dieses Themas steht. Vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Ideologie handelte es sich – insbesondere in Osteuropa – um einen ›doppelten Krieg‹: einerseits um einen ›klassischen‹ Eroberungskrieg, andererseits um einen rassistischen Ausrottungskrieg, mit dessen Hilfe ›neuer Lebensraum‹ für die ›arische Rasse‹ gewonnen noch mit Gewissheit sagen. Fraglos waren jedoch Teile der deutschen Wehrmacht (vornehmlich des Heeres) weitaus mehr an NS-Verbrechen beteiligt, als es von Memoirenschreibern und in Aussagen von Veteranen nach 1945 zugegeben worden ist – ganz zu schweigen von den Tätern. Es gab darüber hinaus viele Mitwisser und solche, die die Mordtaten stillschweigend zur Kenntnis genommen haben, ohne einzuschreiten oder zu versuchen, das Schlimmste zu verhüten. In diesem Zusammenhang aber von der Wehrmacht als Ganzem zu sprechen, dürfte eine kaum zulässige Verallgemeinerung sein. Die in jüngster Zeit häufig recht apodiktisch formulierten Pauschalurteile sind weder quellenkritisch hinreichend belegt, noch den Realitäten des totalen Krieges angemessen, zumal bei diesen die mannigfachen Zeugnisse von Humanitas, soldatischer ›verdammter Pflichterfüllung‹ und militärischer Opposition gegen das NS-Unrechtssystem nur unzureichend berücksichtigt werden.« 1094 Vgl. ebd.

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

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werden sollte. Damit standen die Soldaten der Wehrmacht […] in einem tiefgreifenden Dilemma: Konnte es ein ›richtiges‹ soldatisches Verhalten in einem schon im Grundansatz verbrecherischen Krieg geben? In der unmittelbaren Nachkriegszeit bestand die Tendenz, die verbrecherischen Anteile der deutschen Besatzungspolitik der SS zuzuordnen und die Wehrmacht auf diese Weise von jeder Schuld freizusprechen. Heute ist allgemein anerkannt, dass eine solche Grenze nicht gezogen werden kann und dass sich auch die Wehrmacht der Schuldfrage stellen muss. Wie umstritten allerdings die Antworten auf diese Frage bis heute sind, zeigten die Reaktionen auf die Ausstellung ›Verbrechen der Wehrmacht – Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944‹. Dennoch ergab auch die dadurch ausgelöste Debatte in zumindest zweierlei Hinsicht einen Konsens: Erstens ist zu unterscheiden zwischen der Wehrmachtsführung, die bereits vor 1939 eindeutig aktiv in den verbrecherischen Charakter des nationalsozialistischen Eroberungskrieges involviert war, und den Motiven, Haltungen und Handlungen der ›einfachen‹ Soldaten. Zweitens kommt es bezogen auf die Beantwortung der Frage nach persönlicher Schuld immer auf eine differenzierte Betrachtung an. Daher soll im Folgenden anhand eines konkreten Einzelfalles der Frage nachgegangen werden, welche Handlungsspielräume einzelne Soldaten im Vernichtungskrieg hatten, welche Motive ihr Handeln prägten und wie im Einzelfall ihr Handeln zu bewerten ist. Dabei liegt es in der Natur solcher Einzelfallanalysen, dass ihre Ergebnisse nicht ohne weiteres verallgemeinerbar sind. Allerdings können sie doch Orientierung bieten zur Beurteilung von Handlungsmöglichkeiten in einer insgesamt verbrecherischen, den einzelnen Menschen auf höchst komplexe Weise herausfordernden Kriegssituation. Der im Thema dokumentierte Fall soll deshalb unter drei zentralen Aspekten untersucht werden: Welche Handlungsspielräume boten sich? Welche Motive bestimmten das Handeln? Wie sind die Handlungen zu beurteilen?«1095

Im Anschluss stellen die Autorinnen und Autoren den historischen »Fall« vor. Zur räumlichen Orientierung wird den Lernenden eine Geschichtskarte angeboten, die das Operationsgebiet des 691. Infanterieregiments im Oktober 1941 darstellt (Abb. 54).1096 Eine »Hintergrundinfo zum Befehl zur Erschießung jüdischer Bevölkerung in besetzten Orten Weißrusslands« erläutert dann: »Die hier zu untersuchenden beteiligten Soldaten waren Oberleutnant Hermann Kuhls, Oberleutnant Josef Sibille, Hauptmann Friedrich Nöll und Gefreiter Wilhelm Magel. Sie gehörten dem 691. Infanterieregiment an, dass [sic!] im Herbst 1941 mit ›Sicherungsund Befriedungsaufgaben‹ im besetzten Weißrussland, westlich von Mogilew, Orscha und Witebsk, beauftragt war. Für die erste Oktoberwoche meldete das I. Bataillon des 691. Infanterieregiments, dass als Vergeltungsmaßnahme für die Verwundung eines deutschen Soldaten und die angebliche Verbindung zu Partisanen insgesamt 41 Juden getötet wurden. Der Kommandeur dieses Bataillons, Major Alfred Commichau, erteilte in diesem Zusammenhang Anfang Oktober 1941 seinen drei Kompanieführern Hermann Kuhls, Josef Sibille und Friedrich Nöll den mündlichen Befehl, die gesamte jüdische Bevölkerung in den jeweiligen Quartiersorten zu erschießen. Hauptfeldwebel 1095 Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe (2006), S. 182. 1096 Vgl. ebd. S. 183.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

Zimber wird bei der Entscheidung von Nöll beratend hinzugezogen. Der Gefreite Wilhelm Magel ist Teil des Erschießungskommandos bei der dann durchgeführten Ermordung der Juden.«1097

Es folgen die Reaktion von Kompanieführer Hermann Kuhls1098 sowie die Aussagen von Kompanieführer Josef Sibille1099 und Kompanieführer Friedrich Nöll1100, die durch die vor Gericht abgegebenen Erklärungen von Hauptfeldwebel Emil Zimber1101 und des Gefreiten Wilhelm Magel1102 ergänzt werden.

1097 Ebd. 1098 Vgl. ebd., S. 184: »Der Führer der 2. Kompanie ist damals 33 Jahre alt, Mitglied der NSDAP und der SS. Er hat kurz vor dem Befehl an einem Partisanen-Lehrgang der Wehrmacht teilgenommen, auf dem der Satz geprägt wurde: ›Der Jude ist der Partisan, der Partisan ist der Jude.‹ Kuhls, der den Krieg nicht überlebt, führt in seinem Quartiersort den Befehl ohne Zögern und umstandslos aus.« 1099 Vgl. ebd.: »Ich selbst erhielt gegen 6. oder 7. Oktober von meinem Batll. Kdr. [= Bataillonskommandeur] in telefonischem Anruf den Auftrag, in meinem Kompaniebereich, der damals ziemlich ausgedehnt war, die Judenaktion durchzuführen und diese Durchführung zu melden. Gemeint war die Erschießung oder Beseitigung aller Juden. […] Mir hat der Auftrag aufgeregte Stunden und eine schlaflose Nacht bereitet; dann stand mein Entschluss fest. Ich habe meinem Kommandeur auf wiederholte dringende Anrufe erklärt, dass meine Kompanie keine Juden erschießen werde, es sei denn, dass der Jude bei Partisanen als Gegner angetroffen werde. Ich könne es anständigen deutschen Soldaten nicht zumuten, sich an solchen Dingen die Hände zu beschmutzen. Als Folge meines Verhaltens wurde mir später bekannt, dass ich als ›zu weich‹ beurteilt wurde.« 1100 Vgl. ebd.: »Anders wäre es wohl geworden, wenn der Befehl geschlossen an mich persönlich gegeben worden wäre. Aber so kannten ihn Teile der Kompanie schon vor mir, die Unterführer hatten ihn alle erfahren. Ich hätte nun die Ausführung eines von einer vorgesetzten Dienststelle gegebenen Befehls verbieten müssen. Das wäre Meuterei oder Anzettelung dazu gewesen, obendrein Zersetzung der Wehrkraft mit allen sich daraus ergebenden Folgen, ein im Jahre 1941 unausdenkbares soldatisches Verbrechen.« 1101 Vgl. ebd., S. 185: »Dass es sich hierbei um eine ungesetzliche Maßnahme handelte, war uns allen klar, denn wir wussten, dass diese Juden sich nichts zuschulden hatten kommen lassen. Wenn einer von uns oder wir alle uns widersetzt und den Befehl nicht ausgeführt hätten, hätten wir mit Sicherheit damit rechnen müssen, dass wir alle oder Einzelne von uns in 24 Stunden selbst wegen Befehlsverweigerung erschossen worden wären. In diesem Notstand habe ich, genau wie alle anderen Soldaten, gehandelt.« 1102 Vgl. ebd.: »Der Hauptfeldwebel gab den Feuerbefehl und wir drückten ab. Jeder von uns gab einen Schuss ab. Als ich meinen Schuss löste, habe ich meine Augen geschlossen, sodass ich nicht sagen kann, ob mein Schuss den Juden getroffen hat. Nachdem die Schüsse gefallen waren, stand ein Teil der Juden noch, darunter auch die Person, auf die der Unteroffizier (Theologe) und ich schießen sollten. Nachdem die Salve gefallen war, traten auf Befehl des Hauptfeldwebels die fünf Russen, die bei uns gestanden hatten, hervor und erschossen die Juden mit ihren Maschinenpistolen. […] Der Hauptfeldwebel hatte dem Unteroffizier und mir, nachdem wir unsere Schüsse abgegeben hatten, befohlen, in das Dorf zum Absperrkommando zu gehen. An unsere Stelle traten die beiden Soldaten, die die ersten fünf Juden aus dem Dorf an den Waldrand gebracht hatten. Der Unteroffizier und ich waren beide froh, dass wir der Hinrichtungsstelle den Rücken kehren konnten, und gaben unseren Abscheu über den Vorgang Ausdruck.«

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

6.2.

323

Verantwortung für die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen

Die massenhafte Tötung bzw. Aushungerung der sowjetischen Kriegsgefangenen erfährt in den meisten der untersuchten Schulbücher eine ausdrückliche Thematisierung. Dem besonderen Schicksal der Politfunktionäre der Roten Armee, die uneingeschränkt erschossen werden sollten, wird dagegen weit weniger Platz eingeräumt. Die Darstellungen bewegen sich außerdem häufig auf einer sehr abstrakten Ebene. Ungeachtet aller Varianten und Abweichungen stellt Kursbuch Geschichte insofern einen Sonderfall dar, als es das einzige Lehrwerk des Samples ist, das weder Angaben zum massenhaften Sterben der Kriegsgefangenen noch zur Ermordung der Politkommissare macht. Die Durchsicht ergibt, dass die sowjetischen Kriegsgefangenen in neun von zwölf Schulgeschichtsbüchern präsent sind. Keines dieser Bücher belässt es dabei, nur ganz allgemein von der Gefangennahme sowjetischer Soldaten im Zuge der Kriegshandlungen zu sprechen. Es lassen sich gleichwohl zwei Darstellungstypen unterscheiden. Erstens gibt es Bücher, deren Verfassertexte zwar auf das Massensterben unter den Kriegsgefangenen hinweisen, aber die hierfür die Verantwortung tragende Wehrmacht nicht ausweisen. Zu dieser Gruppe gehört Zeit für Geschichte. Die Schulbuchverfasserinnen und -verfasser merken lediglich an: »Die Hälfte der 5,7 Mio. sowjetischen Kriegsgefangenen überlebte nicht.«1103 Ohne Nennung der Wehrmacht kommt auch Forum Geschichte aus: »Insgesamt starben bis Kriegsende etwa 3,3 Millionen Kriegsgefangene an Hunger, Krankheit, Schwerstarbeit oder durch Hinrichtung.«1104 Die Leserinnen und Leser von Geschichte und Geschehen können ebenfalls nur darüber spekulieren, wer für die Ermordung hunderttausender Rotarmisten verantwortlich war : »Viele russische Kriegsgefangene wurden unmittelbar nach der Gefangennahme erschossen oder kamen in den Gefangenenlagern ums Leben, insgesamt über 3 Millionen.«1105 Die restlichen Schulbücher – und damit die Mehrzahl – wenden sich jedoch der Problematik mehr oder weniger ausdrücklich zu. Noch etwas unpräzise ist die Formulierung, auf die die Schülerinnen und Schüler von Zeiten und Menschen treffen, wenn davon die Rede ist, dass »Soldaten der Waffen-SS, aber auch der Wehrmacht«1106 Kriegsgefangene töteten. Zur Veranschaulichung des im Verfassertext Gesagten wird außerdem – mit massivem Bildbeschnitt – das Titelblatt vom 5. November 1941 der vom OKW herausgegebenen Zeitschrift »Die Wehrmacht« herangezogen (Abb. 55). Die Autorinnen und Autoren geben den 1103 1104 1105 1106

Zeit für Geschichte (2002), S. 122. Forum Geschichte (2003), S. 116. Geschichte und Geschehen (2005), S. 125. Zeiten und Menschen (2002), S. 138.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

– nicht mehr vollständig lesbaren – Originaltext des Covers in der Bildlegende an: »1000 von 657948! In der Doppelschlacht von Brjansk und Wjasma wurden nach dem OKW-Bericht vom 19. Oktober 657 948 Gefangene gemacht. Unser Bild zeigt den Abtransport von Gefangenen aus Auffanglagern.«1107 Deutlicher kommt die Verantwortung der Wehrmacht für den millionenfachen Tod der sowjetischen Kriegsgefangenen zum Ausdruck bei Das waren Zeiten. Der Verfassertext führt zunächst aus: »Bis Dezember 1941 hatte die Sowjetunion 1,5 bis 2,5 Millionen Kriegstote zu beklagen. Zu dieser Zeit befanden sich etwa drei Millionen sowjetischer Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft. In den Lagern kam es in den folgenden Monaten zu einem Massensterben unvorstellbaren Ausmaßes: etwa zwei Millionen Menschen verhungerten, erfroren, wurden von Fleckfieberepidemien hingerafft oder erschossen.«1108

Der Abschnitt schließt mit dem Satz: »Die Hauptverantwortung dafür trugen deutsche Offiziere.«1109 Im Arbeitsteil stellen die Autorinnen und Autoren dann zwei Quellen zur Verfügung. Dabei handelt es sich zum einen um das Nachkriegsgeständnis eines deutschen Soldaten über seinen Einsatz an der Ostfront: »Kurz vor unserem Abmarsch [in die Sowjetunion] wurden wir von unserem Kompaniechef […] in einer Scheune versammelt. Hier erhielten wir folgenden Geheimbefehl: ›Kriegsgefangene sind von der Roten Armee nur in Ausnahmefällen, d. h. wenn es unvermeidbar ist, zu machen. Im Übrigen sind gefangene Sowjetsoldaten zu erschießen. Stets zu erschießen sind Frauen, die in den Einheiten der Roten Armee dienen.‹ Ich kann nun noch sagen, dass sich der große Teil der Soldaten meiner Einheit nicht so verhielt wie es der obige Blutbefehl von ihnen forderte. Ich sah aber auch, wie sich die deutsche Armee ein grauenhaftes Ansehen erwarb.«1110

Zu dieser Textquelle erhalten die Schülerinnen und Schüler den Arbeitsauftrag zu besprechen, was diese Form der Kriegsführung für die Soldaten bedeutete.1111 Ohne Arbeitsauftrag versehen und daher wahrscheinlich vornehmlich zu illustrativen Zwecken gedacht, findet sich auf derselben Seite der Abdruck einer Fotografie aus dem Jahre 1941. Zu sehen sind zwei gefangene Rotarmisten, die, umringt von zahlreichen Wehrmachtssoldaten, vor ihrer Erschießung ihr eigenes Grab schaufeln müssen (Abb. 56).1112 Aus zwei weiteren Büchern, deren Verfassertexte ohne Angaben zur Verantwortlichkeit der Wehrmacht auskommen, geht durch das Vorhandensein entsprechender Materialien ebenfalls hervor, dass Millionen gefangener Rotar1107 1108 1109 1110 1111 1112

Ebd., S. 137. Das waren Zeiten (2002), S. 103. Ebd. Ebd., S. 104. Vgl. ebd. Vgl. ebd.

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misten in der Obhut der deutschen Armee starben. So stoßen die Leserinnen und Leser von Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe auf die folgende Passage aus einer Rede, die Hans-Ulrich Wehler zur Eröffnung der Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht – Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944« am 27. Januar 2002 in Bielefeld gehalten hatte: »Auch ohne die Kooperation mit der SS machte die Wehrmacht die Vernichtung slawischer und jüdischer ›Untermenschen‹ oft genug zu ihrer eigenen Aufgabe. Im Sommer und Herbst 1941 wurden in den großen Kesselschlachten dreieinhalb Millionen russische Kriegsgefangene gemacht. Bis zum Februar 1942 waren zwei Millionen von ihnen tot: in riesigen Lagern verhungert, an Seuchen gestorben, erschossen.«1113

Die Schülerinnen und Schüler wiederum, die mit Expedition Geschichte arbeiten, entnehmen dem Verfassertext folgende Informationen: »Ganze Sowjetarmeen wurden vernichtet. Dabei gerieten 1941 allein 3,5 Millionen Rotarmisten in Gefangenschaft. Ihr Schicksal war furchtbar. Die meisten von ihnen waren Ende des Jahres tot: verhungert, erfroren, erschossen.«1114 Es folgen einschlägige Materialien: Neben einem kurzen Auszug aus den Wehrmachtsrichtlinien vom 8. September 1941 zur Aufhebung des Genfer Abkommens1115 wird der nachfolgende Bericht des ukrainischen Schriftsteller Kusnezow über die unmenschliche Behandlung der Kriegsgefangenen im Gewahrsam der Wehrmacht herangezogen, der zugleich über das spezielle Los der sowjetischen Kommissare informiert: »Die Deutschen umzäunten eine riesige Fläche mit Stacheldraht und trieben etwa sechzigtausend Gefangene dort hinein, denen immer neue Trupps folgten. (…) Sie wurden durch das Tor gejagt und dann völlig sich selbst überlassen. Am Eingang sonderte man die Kommandeure, Politleiter und Juden aus, soweit man sie feststellen konnte, und trieb sie hinter eine spezielle Einzäunung, wodurch sozusagen ein ›Lager im Lager‹ entstand. Diese Einzäunung wurde besonders scharf bewacht. Riesige Menschenmassen saßen da, schliefen, gingen hin und her, warteten auf etwas. Zu essen bekamen sie nichts. Allmählich begannen sie Gras auszurupfen und Wurzeln auszugraben. Wasser tranken sie aus Pfützen. Nach einigen Tagen war kein Gras mehr da, das Lager hatte sich in eine kahle Wüste verwandelt. Nachts war es kalt. Die Menschen, die allmählich ihr menschliches Aussehen verloren hatten, drängten sich vor Kälte zu Knäueln zusammen. (…) Am Morgen, wenn das Knäuel sich bewegte und auseinander kroch, blieben einige liegen, die in der Nacht gestorben waren. Schließlich stellten die Deutschen Kessel auf und begannen, Rüben zu kochen. Unmittelbar an das Lager grenzten große Kolchosfelder mit nicht abgeernteten Rüben und Kartoffeln. Jedem Gefangenen stand pro Tag eine Kelle Rübenbrühe zu. Die vom Hunger geschwächten 1113 Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe (2006), S. 186. 1114 Expedition Geschichte (2003), S. 200. 1115 Vgl. ebd.: »Der bolschewistische Soldat hat jeden Anspruch auf Behandlung als ehrenhafter Soldat nach dem Genfer Abkommen verloren (…).«

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Gefangenen wurden mit Stockhieben und Geschrei in eine lange Reihe aufgestellt und mussten auf Ellbogen und Knien zum Kessel rutschen. Das hatte man sich so ausgedacht, um ›das Herantreten an die Kessel zu kontrollieren‹. Die Kommandeure, Politleiter und Juden, die sich in der inneren Umzäunung befanden, bekamen nichts zu essen. Sie hatten bereits die ganze Erde umgegraben und alles aufgegessen, was man essen konnte. Am fünften und sechsten Tag begannen sie an ihren Riemen und Schuhzeug zu kauen. Am achten und neunten Tag starb ein Teil von ihnen, die übrigen waren fast halb wahnsinnig.«1116

Eingerahmt werden diese Materialien von zwei Fotos (Abb. 57–58). Ein Foto zeigt Kriegsgefangene in behelfsmäßigen Erdbunkern oder Erdhöhlen. Die Bildunterschrift kommentiert: »Kriegsgefangene im Spätherbst 1941. Es gab nur selbst gegrabene Erdlöcher zum Schutz gegen Regen, Kälte, Schnee.«1117 Das andere Foto wird in der Bildlegende als »Eines der riesigen Lager mit russischen Kriegsgefangenen, Foto Spätsommer 1941« ausgewiesen.1118 Dass es die Durchgangs- und Stammlager der Wehrmacht waren, in denen ein organisiertes Hungersterben einsetzte, wird auch in Geschichte und Geschehen Oberstufe klar benannt. Die Autorinnen und Autoren unterstreichen: »In Kriegsgefangenenlagern der Wehrmacht sind mehr als drei Millionen Rotarmisten verhungert und verdurstet, erfroren oder an Seuchen gestorben – sie galten ja nicht als ›Kameraden‹, sondern als ›Untermenschen‹.«1119 Ein im Arbeitsteil abgedruckter Brief eines sowjetischen Kriegsgefangenen aus Kaunas in Litauen an seine Familie vom 19. Oktober 19411120, der unter der Aufgabenstellung »Stellen Sie die Folgen des Krieges für die Menschen der Sowjetunion dar und beurteilen Sie, inwieweit man von einem Vernichtungskrieg sprechen kann«1121 steht, vertieft die Informationen aus dem Verfassertext durch ein Beispiel. Die Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht stehen auch im Mittelpunkt von Buchners Kolleg. Themen Geschichte. Dass die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen in allen wesentlichen Bereichen von den internationalen Standards abwich und die Wehrmachtsführung dabei sogar für einen erleich1116 1117 1118 1119 1120

Vgl. ebd., S. 200f. Ebd., S. 201. Ebd. Geschichte und Geschehen Oberstufe (2006), S. 299. Vgl. ebd., S. 301: »Wir haben Millionen Läuse. Ich habe mich zwei Monate nicht rasiert, nicht gewaschen und nicht umgezogen. Zum Anziehen habe ich Unterwäsche, Oberwäsche, einen Soldatenmantel, eine Feldmütze und Schuhe mit Wickelgamaschen. Es ist kalt, matschig und schmutzig. Jeden Tag sterben 200 bis 300 Mann. In einer solchen Lage befinde ich mich also, und meine Tage sind gezählt. So lebt wohl meine Teuren, lebt wohl, meine Lieben, Freunde und Bekannten. Wenn sich ein guter Mensch findet, der meinen Brief weiterschickt, wisst ihr wenigstens, wo ich meinen ruhmlosen schweren Tod gefunden habe. Nochmals lebt wohl.« 1121 Ebd., S. 302.

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terten Waffengebrauch bei der Bewachung eintrat, der wiederum die Gefangenen der Willkür der Wachmannschaften preisgab und sie bei dem kleinsten Vergehen quasi für vogelfrei erklärte, erfahren die Schülerinnen und Schüler durch den Abdruck des folgenden Auszuges aus den Anordnungen des OKW für die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener mit beigefügtem »Merkblatt für die Bewachung sowj. Kriegsgefangener« vom 8. September 1941: »Die in den Richtlinien des OKW vom 16. 6. 1941 noch vorgesehene Behandlung nach dem Genfer Abkommen wird ausdrücklich aufgehoben. […] Der Bolschewismus ist der Todfeind des nationalsozialistischen Deutschlands. Zum ersten Male steht dem deutschen Soldaten ein nicht nur soldatisch, sondern auch politisch im Sinne des Völker zerstörenden Bolschewismus geschulter Gegner gegenüber. Der Kampf gegen den Nationalsozialismus ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Er führt ihn mit jedem ihm zu Gebote stehenden Mittel: Sabotage, Zersetzungspropaganda, Brandstiftung, Mord. Dadurch hat der bolschewistische Soldat jeden Anspruch auf Behandlung als ehrenhafter Soldat und nach dem Genfer Abkommen verloren. Aus dem ›Merkblatt‹: Für die Bewachungsmannschaften gelten folgende Richtlinien: 1.) Rücksichtsloses Durchgreifen bei den geringsten Anzeichen von Widersetzlichkeit und Ungehorsam! Zur Brechung von Widerstand ist von der Waffe schonungslos Gebrauch zu machen. Auf fliehende Kr.Gef. ist sofort (ohne Anruf) zu schießen mit der festen Absicht zu treffen. 2.) Jede Unterhaltung mit Kr.Gef. – auch auf dem Marsch von und zur Arbeitsstelle – soweit sie sich nicht auf unbedingt notwendige dienstliche Anweisung bezieht, ist streng verboten. […] Jede Unterhaltung der Kr.Gef. mit Zivilpersonen ist in gleicher Weise, notfalls unter Anwendung von Waffengewalt – auch gegen Zivilpersonen – zu verhindern. 3.) Auch auf der Arbeitsstelle ist ständige scharfe Aufsicht durch deutsche Bewachungsmannschaften erforderlich. Jeder Wachmann hat sich von den Kr.Gef. immer in solcher Entfernung zu halten, dass er jederzeit sofort von seiner Waffe Gebrauch machen kann. Nie einem Kr.Gef. den Rücken kehren! 4.) Auch gegen den arbeitswilligen und gehorsamen Kr.Gef. ist Weichheit nicht am Platz. Er legt sie als Schwäche aus und zieht daraus seine Folgerungen.«1122

Dieser Textquelle multiperspektivisch gegenübergestellt ist eines der wenigen Zeugnisse des Widerspruchs gegen die menschenverachtenden Anordnungen. Vertreten ist ein Schreiben von Admiral Wilhelm Canaris, Leiter der Abwehr, des militärischen Geheimdienstes der Wehrmacht, an den Chef des OKW, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, vom 15. September 1941. In dieser internen Kritik mahnt Canaris die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen nach den Grundsätzen des Völkerrechts an.1123 1122 Buchners Kolleg. Themen Geschichte (2000), S. 198f. 1123 Vgl. ebd., S. 200: »1. Die Rechtslage ist folgende: Das Genfer Kriegsgefangenenabkommen gilt zwischen Deutschland und der UdSSR nicht, daher gelten lediglich die Grundsätze des allgemeinen Völkerrechts über die Behandlung von Kriegsgefangenen. Diese haben sich seit dem 18. Jahrhundert dahin gefestigt, dass die Kriegsgefangenschaft weder Rache noch Strafe ist, sondern lediglich Sicherheitshaft, deren einziger Zweck es ist, die Kriegsgefangenen an der weiteren Teilnahme am Kampf zu verhindern. Dieser Grundsatz hat sich

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Die (intendierte) Ermordung der Politoffiziere der Roten Armee behandeln acht der zwölf untersuchten Schulbücher. Dieser quantitative Befund darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Thematik von vergleichsweise geringem Gewicht ist. Vier Lehrwerke beschränken sich entweder auf den Abdruck des »Kommissarbefehls« vom 6. Juni 1941 im Arbeitsteil1124 oder stellen im Verfassertext lediglich knapp heraus, dass der Truppe die Aufgabe zufiel, Politfunktionäre der Roten Armee sofort zu erschießen1125. Dabei wird das OKW von den Schulbuchmacherinnen und -machern nicht immer als verantwortlich für Ausgabe und Verbreitung der »Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare« ausgewiesen. So heißt es beispielsweise in Zeit für Geschichte nur sehr allgemein: »An der Ostfront […] wurden Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt und geltende Bestimmungen des Kriegsrechts verletzt. Berüchtigt war der sog. ›KommissarBefehl‹ vom 6. Juni 1941. Er forderte deutsche Soldaten dazu auf, politische Kommissare der Roten Armee, ›wenn im Kampf oder Widerstand ergriffen, grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen‹.«1126 im Zusammenhang mit der bei allen Heeren geltenden Anschauung entwickelt, dass es der militärischen Auffassung widerspreche, Wehrlose zu töten oder zu verletzten; es entspricht zugleich dem Interesse eines jeden Kriegsführenden, seine eigenen Soldaten im Falle der Gefangennahme vor Misshandlungen geschützt zu wissen. […] 3. Die Anordnungen sind sehr allgemein gehalten. Hält man sich aber die sie beherrschende Grundauffassung vor Augen, so müssen die ausdrücklich gebilligten Maßnahmen zu willkürlichen Misshandlungen und Tötungen führen, auch wenn Willkür formal verboten ist. Das ergibt sich einmal aus den Vorschriften über den Waffengebrauch bei Widersetzlichkeit. Es wird den mit den Sprachen der Kriegsgefangenen durchweg nicht vertrauten Bewachungsmannschaften und ihren Vorgesetzten häufig nicht erkennbar sein, ob Nichtbefolgung von Befehlen auf Missverständnis oder Widersetzlichkeit zurückgeht. Der Grundsatz: ›Waffengebrauch gegenüber sowjetischen Kriegsgefangenen gilt in der Regel als rechtmäßig‹ überhebt die Wachmannschaft jeder Pflicht zur Überlegung. […] 4. Nach allgemeinen Erfahrungssätzen fordert ungerechte Behandlung den Geist der Widersetzlichkeit heraus, so dass die Bewachung dieser Kriegsgefangenen wahrscheinlich immer schwierig bleiben wird. Schon die Anordnungen sehen für den Arbeitseinsatz für je 10 Gefangene 1 Wachmann vor, so dass schon bei der jetzigen Zahl von wohl fast 1,5 Millionen einsatzfähiger Gefangenen mindestens 150 000 Mann zur Bewachung benötigt werden. […] 6. […] Statt Spannungen innerhalb der Bevölkerung der besetzten Gebiete zur Erleichterung der deutschen Verwaltung auszunutzen, wird die Mobilisierung aller inneren Gegenkräfte Russlands zu einer einheitlichen Feindschaft erleichtert. […] 8. Mögliche Informationsquellen werden verschüttet. Kriegsgefangene, die als innerpolitische Gegner des bolschewistischen Regimes für Abwehrzwecke einsatzfähig sein könnten, insbesondere Angehörige von Minderheiten, müssen jede etwa vorhandene Bereitschaft, sich anwerben zu lassen, verlieren. […] 9. Es entfällt die Möglichkeit, sich gegen schlechte Behandlung deutscher Wehrmachtsangehöriger in sowjetischer Kriegsgefangenschaft zu wenden.« 1124 Vgl. Das waren Zeiten (2002), S. 104; Forum Geschichte (2003), S. 118. 1125 Vgl. Zeit für Geschichte (2002), S. 121; Geschichte und Geschehen Oberstufe (2006), S. 299. 1126 Zeit für Geschichte (2002), S. 121.

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Der erste Satz dieser Passage ist ein Musterbeispiel einer verschleiernden Formulierung. Durch die Passivkonstruktion ohne Nennung des Urhebers wird der Blick von den eigentlich Verantwortlichen abgelenkt. Genauer formulieren demgegenüber die Autorinnen und Autoren von Geschichte und Geschehen Oberstufe: »Im Gegensatz zu einer verbreiteten Nachkriegslegende blieb die Wehrmacht in diesem Krieg nicht ›sauber‹, am wenigsten die Generalität. Schon vor Kriegsbeginn ausgearbeitete Truppenbefehle sahen vor, ›politische Kommissare‹ der Roten Armee zu erschießen.«1127 Der Frage, ob der »Kommissarbefehl« überhaupt zur Ausführung kam, widmen sich nur drei Lehrwerke. Dabei klammern wiederum zwei Bücher die Wehrmacht als ausführendes Organ aus und machen die Verbrechen zu einer alleinigen Angelegenheit der SS. Die Autorinnen und Autoren von Geschichte und Geschehen sprechen davon, dass kommunistische Funktionäre »systematisch von der SS aufgespürt, in Konzentrationslager eingeliefert und ermordet«1128 worden seien. Das hier erkennbare Darstellungsmuster kehrt im Verfassertest von Kurshefte Geschichte wieder : »Am 22. Juni 1941 überfiel Hitler die Sowjetunion. Hier wie in Polen folgten den Truppen der Wehrmacht die Einsatzgruppen, die sofort mit der Ermordung von […] Kommissaren der Roten Armee begannen.«1129 Dass Kommissare bzw. Kriegsgefangene, die man dafür hielt, direkt nach ihrer Gefangennahme von regulären Heereseinheiten erschossen wurden, wird einzig für die Leserinnen und Leser von Expedition Geschichte ersichtlich. Neben dem »Kommissarbefehl« des OKW zur Ermordung der sowjetischen Politoffiziere1130 findet man im Arbeitsteil auch die folgende Aussage eines gewissen Feldwebels Schammler von der 62. Infanteriedivision: »Ich habe den Befehl erteilt, sämtliche 42 (…) russischen Gefangenen zu erschießen. Dies habe ich selber mit den zur Bewachung zurückgelassenen 6 Soldaten durchgeführt. Ich habe angenommen, dass sich unter den Gefangenen ein Kommissar befindet (…).«1131 Einigermaßen sonderbar mutet schließlich die Darstellung in Horizonte – Geschichte für die Oberstufe an. Die Verbindung von Wehrmacht und »Kommissarbefehl« wird nirgendwo diskutiert. Stattdessen greifen die Schulbuchverfasserinnen und -verfasser den Mordauftrag im Kapitel zum deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf. Sie betonen dabei, dass neben »spektakulären Attentaten« auch die Verweigerung des Kommissarbefehls zum Widerstand gerechnet werden muss. Wer indes den Befehl verweigerte und wer

1127 1128 1129 1130 1131

Geschichte und Geschehen Oberstufe (2006), S. 299. Geschichte und Geschehen (2005), S. 125. Kurshefte Geschichte (2000), S. 104. Vgl. Expedition Geschichte (2003), S. 200. Ebd., S. 214.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

den Befehl überhaupt erteilte, bleibt für die mit diesem Buch arbeitenden Schülerinnen und Schüler verborgen.1132

6.3.

Tötung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung

Der Anti-Partisanenkrieg, der zu großen Teilen auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgefochten wurde, steht für vier Schulgeschichtsbücher nicht auf der Agenda.1133 Das heißt im Umkehrschluss: Die Mehrzahl der untersuchten Lehrwerke wendet sich der Partisanenbekämpfung ausdrücklich zu. Die Frage, ob Wehrmachtssoldaten sich an der Tötung von vermeintlichen oder echten Partisanen beteiligten, wird dabei meist, aber nicht immer beantwortet. Keine Informationen zu den Verantwortlichkeiten der Wehrmacht gibt z. B. Expedition Geschichte. Der Verfassertext deutet nur sehr allgemein die Führung eines Partisanenkrieges an.1134 Im Arbeitsteil fokussieren die Schulbuchautorinnen und -autoren dann ausschließlich die Ordnungspolizei als Täter, indem sie den »Erfahrungsbericht« eines Bataillonskommandanten über die Befriedungsaktion gegen ein »bandenverseuchtes« Dorf in Weißrussland als Quelle aufnehmen, anhand derer die Schülerinnen und Schüler Argumente für und gegen den Partisanenkampf diskutieren sollen.1135 Ambivalent im Hinblick auf die Kenntlichmachung der Beteiligung von Wehrmachtseinheiten fällt die Darstellung in Zeit für Geschichte aus. Zwar nimmt das Schulbuch den »Kriegsgerichtsbarkeitserlass« vom 13. Mai 1941 im Materialteil auf und der einleitende Text hierzu weist aus, dass dieser Einsatz1132 Vgl. Horizonte – Geschichte für die Oberstufe (2003), S. 345. 1133 Dabei handelt es sich ausschließlich um Oberstufenwerke: Kursbuch Geschichte (2000), Buchners Kolleg. Themen Geschichte (2000), Kurshefte Geschichte (2000) und Horizonte – Geschichte für die Oberstufe (2003). 1134 Vgl. Expedition Geschichte (2003), S. 202: »Im deutschen Hinterland begannen sich aus versprengten Soldaten und Zivilisten immer mehr Partisanentrupps zu bilden. Trotz schärfster deutscher Gegenmaßnahmen bekamen sie auch als Folge der deutschen Besatzungspolitik immer mehr Zulauf und begannen, den deutschen Nachschub empfindlich zu stören.« 1135 Vgl. ebd.: »Mit zwei Zügen wurde bis 4 Uhr früh das Dorf, von Norden und Süden umfassend, abgeriegelt. Mit Anbruch des Tages wurde durch den Dorfschulzen von Borysowka die gesamte Bevölkerung des Dorfes zusammengeholt. Nach Überprüfung der Bevölkerung unter Hinzuziehung der Sicherheitspolizei aus Dywin wurden 5 Familien nach Dywin umgesiedelt. Der Rest wurde durch ein besonders eingeteiltes Kommando erschossen und 500 m nordostwärts Borysowka begraben. Es wurden insgesamt 169 Personen erschossen, davon 49 Männer, 97 Frauen und 23 Kinder. Nachdem die Bevölkerung beseitigt war, wurde der Ort selbst durchgekämmt, das Vieh, die Lebensmittel und landwirtschaftlichen Geräte zusammengetragen und mit Panjefahrzeugen (= Pferdewagen) nach Dywin geschafft.«

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befehl vom Chef des OKW, Keitel, unterzeichnet wurde.1136 Der Verfassertext hingegen spart die Wehrmacht aus: »Der von oben angeordnete unbarmherzige Kampf gegen […] Partisanen wurde Vorwand für Massenerschießungen auch von Zivilisten durch Einsatzgruppen der Polizei und SS.«1137 Drei andere Schulbücher warten mit (sehr) knappen Informationen auf, die alle – zumindest in Ansätzen – zu erkennen geben, dass die Armee im Zuge der Anti-Partisanenpolitik brutal gegen die Zivilbevölkerung vorging. So sprechen die Autorinnen und Autoren von Zeiten und Menschen von »Soldaten der Waffen-SS, aber auch der Wehrmacht«1138, die sowjetische Zivilisten getötet hätten. Auf den Zeitraum nach der Rückeroberung Stalingrads und das Vorrücken der Roten Armee bezogen formulieren die Schulbuchmacherinnen und -macher von Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe: »Auf ihrem Rückzug drangsalierten Wehrmacht und SS die ansässige Bevölkerung weiter und führten einen erbarmungslosen Krieg gegen Partisanen und solche, die sie dafür hielten.«1139 Im Verfassertext von Das waren Zeiten wird die Massengewalt gegen Zivilisten im Partisanenkrieg ebenfalls angedeutet. Unter der Kapitelüberschrift »Vernichtung im Osten – Unterwerfung im Westen« berichten die Autorinnen und Autoren, dass der Feldzug gegen die Sowjetunion von Anfang an ein Vernichtungskrieg gewesen sei und unter dem Deckmantel des Anti-PartisanenKrieges Frauen, Kinder und Alte der Willkür preisgegeben worden seien. An diesen Verbrechen hätten sich außer den Einsatzgruppen der SS, Gestapo und Polizei auch Einheiten der Wehrmacht beteiligt.1140 Mit dieser Information wollen es die Schulbuchmacherinnen und -macher offensichtlich aber nicht bewenden lassen. Denn einige Seiten später im Kapitel »Terror und Not« informiert der Verfassertext relativ ausführlich über die von bewaffneten Widerstandsgruppen verübten Taten: »Mit Flugblättern, Streiks, Sabotageakten wie die Zerstörung von Eisenbahnanlagen und Brücken und Anschlägen auf den deutschen Nachschub versuchten überall Widerstandsgruppen die Fremdherrschaft zu schwächen.«1141 Daran schließt sich folgender Satz an: »Dabei nahmen sie brutale Gegenmaßnahmen in Kauf: Partisanen wurden erschossen oder gehenkt, Dörfer, in denen sie angeblich oder tatsächlich Unterschlupf gefunden hatten, dem Erdboden gleichgemacht.«1142 Sieht man einmal davon ab, dass der Leser bzw. die Leserin überhaupt nicht erfährt, wer auf jegliche Form von Wi1136 1137 1138 1139 1140 1141 1142

Vgl. Zeit für Geschichte (2002), S. 125. Ebd., S. 122. Zeiten und Menschen (2002), S. 138. Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe (2006), S. 127. Vgl. Das waren Zeiten (2002), S. 103. Ebd., S. 110. Ebd.

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derstand enthemmt reagierte, erweckt diese Passage indirekt den Eindruck, als ob die Partisanen gewissermaßen selbst an ihrem Schicksal und dem ihrer Umgebung schuld gewesen seien, hätten sie die Vergeltungsmaßnahmen der Deutschen angesichts ihres eigenen Handelns doch erahnen müssen. Keine Zweifel am brutalen Vorgehen von Wehrmachtseinheiten lassen drei weitere Bücher des Samples aufkommen. Die Autorinnen und Autoren von Forum Geschichte betonen, dass das gemeinsame Vorgehen von Wehrmacht und SS u. a. auch ein Vernichtungskrieg gegen die sowjetische Zivilbevölkerung gewesen sei.1143 Untermauert wird diese Feststellung durch zwei Materialien im Arbeitsteil. Neben einem Auszug aus dem »Kriegsgerichtsbarkeitserlass« des OKW1144 ist eine Bildquelle abgedruckt. Es handelt sich um das bekannte Foto der öffentlichen Exekution vermeintlicher Partisanen, die von deutschen Wehrmachtssoldaten am 26. Oktober 1941 in Minsk durchgeführt wurde (Abb. 59). Die Bildunterschrift macht konkrete Angaben: »Öffentliche Hinrichtung in Minsk, der heutigen Hauptstadt Weißrusslands, Foto, 26. Oktober 1941. An jenem Sonntag wurden zwölf Personen von Angehörigen der Wehrmacht öffentlich hingerichtet. Sie trugen Schilder mit der Aufschrift ›Wir sind Partisanen und haben auf deutsche Soldaten geschossen‹. Das entsprach nicht der Wahrheit. Sie gehörten zu einer Widerstandsgruppe, die genesende Rotarmisten, die sich im Lazarett des Infektionskrankenhauses befanden, mit Zivilkleidung und gefälschten Pässen versorgte, um sie zu den eigenen Einheiten zu führen. […] Von der Hinrichtung liegen mehrere Fotos unterschiedlicher Fotografen vor.«1145

Nach einem ähnlichen Muster verfahren die Schulbuchmacherinnen und -macher von Geschichte und Geschehen. Im Verfassertext wird die exzessive Form der Partisanenbekämpfung ohne größere Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung klar angesprochen.1146 Als Material wird auch hier eine fotografische 1143 Vgl. Forum Geschichte (2003), S. 117: »Eine neue Phase des Krieges begann am 22. Juni 1941 mit dem Überfall auf die Sowjetunion und der anschließenden Besetzung durch Truppen der Wehrmacht und Angehörige der SS bis 1944. Das strategische Vorgehen der Deutschen, das den Decknamen ›Unternehmen Barbarossa‹ trug, war ein Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung und die Armee.« 1144 Vgl. ebd., S. 118: »Freischärler sind durch die Truppe im Kampf oder auf der Flucht schonungslos zu erledigen … Auch alle anderen Angriffe feindlicher Zivilpersonen gegen die Wehrmacht … sind … auf der Stelle mit den äußersten Mitteln bis zur Vernichtung des Angreifers niederzukämpfen … Für Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht … gegen feindliche Zivilpersonen begehen, besteht kein Verfolgungszwang, auch dann nicht, wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist.« 1145 Ebd. 1146 Vgl. Geschichte und Geschehen (2005), S. 125: »Die Nationalsozialisten führten den Krieg gegen die Sowjetunion nicht um einen Staat zu besiegen, sondern um das eroberte Land auszubeuten und die für sie rassisch minderwertige Bevölkerung zu vernichten. Der Vernichtungskampf im Osten kostete mehr als 20 Millionen Russen das Leben, und dies nicht vor allem an der Front, sondern besonders im von Deutschen eroberten so ge-

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Bildquelle beigegeben, welche die von Wehrmachtssoldaten durchgeführte Erhängung von Partisanen in Minsk zeigt (Abb. 60). Die kurze Bildunterschrift kommentiert unmissverständlich: »Hinrichtung der russischen Partisanin Masha Bruskina. Ein Wehrmachtssoldat legt ihr den Strick um den Hals. Foto vom 26. 10. 1941.«1147 Die Autorinnen und Autoren von Geschichte und Geschehen Oberstufe schließlich unterstreichen – wie schon bei der Tötung der Juden, der Politkommissare der Roten Armee und der sowjetischen Kriegsgefangenen – die aktive Rolle der Wehrmacht bei den Anti-Partisanenunternehmen mit teilweise massenhaften Ermordungen von Zivilisten. Der Verfassertext hält fest: »Im Gegensatz zu einer verbreiteten Nachkriegslegende blieb die Wehrmacht in diesem Krieg nicht ›sauber‹, am wenigsten die Generalität. […] Partisanen sollten ›erledigt‹ werden, partisanenverdächtige Dörfer konnten vernichtet, die Einwohner getötet werden. Übergriffe einzelner Wehrmachtssoldaten auf Zivilisten sollten im Regelfall straffrei bleiben. Partisanenanschläge wurden mit willkürlichen Massenerschießungen von Zivilisten beantwortet.«1148

Der im Arbeitsteil den Leserinnen und Lesern zur Verfügung gestellte Auszug aus dem Erlass über die Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet »Barbarossa« vom 13. Mai 1941, der mit der Überschrift »Wehrmacht und Zivilbevölkerung« betitelt ist, illustriert den Verfassertext und verdoppelt damit die Information.1149

nannten Hinterland. Hauptverantwortlich für den millionenfachen Mord waren in erster Linie die SS und der deutsche Polizeiapparat. Dass teilweise auch reguläre Wehrmachtstruppen daran beteiligt waren, gilt heute als nachgewiesen, heftig umstritten ist allerdings, in welchem Umfang dies der Fall war. […] Zu den Opfern zählten auch völlig unschuldige Teile der russischen Bevölkerung, die vom Partisanenkrieg erfasst wurden. Als Vergeltung für Aktionen russischer Partisanen wurden oft alle Menschen eines betroffenen Gebiets ermordet oder als Zwangsarbeiter nach Deutschland bzw. in die Konzentrationslager verschleppt.« 1147 Ebd., S. 126. 1148 Geschichte und Geschehen Oberstufe (2006), S. 299. 1149 Vgl. ebd., S. 300: »Behandlung von Straftaten feindlicher Zivilpersonen: 1. Straftaten feindlicher Zivilpersonen sind der Zuständigkeit der Kriegsgerichte und der Standgerichte bis auf weiteres entzogen. 2. Freischärler sind durch die Truppe im Kampf oder auf der Flucht schonungslos zu erledigen. 3. Auch alle anderen Angriffe feindlicher Zivilpersonen gegen die Wehrmacht, ihre Angehörigen und das Gefolge sind von der Truppe auf der Stelle mit den äußersten Mitteln bis zur Vernichtung des Angreifers niederzukämpfen. […] Behandlung der Straftaten von Angehörigen der Wehrmacht und des Gefolges gegen Landeseinwohner : 1. Für Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht und des Gefolges gegen feindliche Zivilpersonen begehen, besteht kein Verfolgungszwang, auch dann nicht, wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist.«

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7.

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration III

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Die Anfang und Mitte der 2000er Jahre auf den Markt gekommenen Schulbücher standen unter dem Eindruck von zwei maßgeblich in der Öffentlichkeit geführten Auseinandersetzungen um die nationalsozialistische Vergangenheit. Im Jahr 1996 hatte der amerikanische Politologe Daniel Jonah Goldhagen seine Dissertation vorgelegt, mit der er eine schlüssige (und abschließende) Erklärung für den Völkermord an den europäischen Juden gefunden zu haben meinte. Zum einen unterstellte er der gesamten deutschen Bevölkerung der Jahre 1933 bis 1945 einen über Jahrhunderte aufgebauten und auf die Vernichtung der Juden zielenden Antisemitismus. Zum anderen seien die tatsächlich den Holocaust ausführenden Täter keine gesellschaftlichen Ausnahmeerscheinungen gewesen. Vielmehr hätten sie einen repräsentativen Querschnitt der damaligen Gesellschaft gebildet und seien als »ganz gewöhnliche Deutsche« zu bezeichnen. Wären andere Deutsche in ihre Situation gekommen, hätten auch sie Juden auf ähnliche Weise getötet. Die Deutschen seien folglich »Hitlers willige Vollstrecker« gewesen. Nachdem Volker Ullrich in »Die Zeit« die Debatte losgetreten hatte, äußerte die Historikerzunft nahezu einmütig ihre fachlichen und methodischen Bedenken gegenüber der Goldhagen-Schrift. Ein regelrechter Aufschrei ging durch die Geschichtswissenschaft, wobei insbesondere die These, die Ermordung der Juden sei ein »nationales Projekt« aller Deutschen gewesen, vehement abgelehnt wurde. Dem großen Echo, das Goldhagen vor allem bei jüngeren Menschen gefunden hatte, tat dies gleichwohl keinen Abbruch. Nahezu zeitgleich hatte in den Jahren 1995 bis 1999 die vom Hamburger Institut für Sozialforschung erarbeitete Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944« die Gemüter erregt. Anhand des Partisanenkrieges in Serbien, der dreijährigen Besatzungsherrschaft in Weißrussland und des Vormarsches der 6. Armee nach Stalingrad analysierten die Ausstellungsmacherinnen und -macher exemplarisch die Beteiligung der Wehrmacht am Vernichtungskrieg gegen Juden, Kriegsgefangene und die Zivilbevölkerung. Dabei konfrontierten sie die Besucherinnen und Besucher mit einer Fülle von zeitgenössischen Aufnahmen, die in der Summe die aktive Mitwirkung des Ostheeres an den Verbrechen dokumentieren sollten. Viele Menschen, die bis dahin glaubten oder glauben wollten, dass sich die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg nichts zuschulden kommen lassen hatte, waren entsetzt. Nach einiger Zeit rief die Ausstellung einen Sturm der Entrüstung hervor. Beileibe nicht nur aus ausgewiesenen Neonazis und Rechtsradikalen bestehende Protestzüge formierten sich, die lautstark ihre Stimmen gegen die vermeintliche Diskreditierung aller Wehrmachtssoldaten erhoben. Als außerdem der Verdacht aufkam, dass einige Fotos Fälschungen seien, und eher unbekannte Historiker feststellten, dass auf einigen Fotos nicht Opfer der Wehrmacht, sondern Opfer des

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sowjetischen Geheimdienstes zu sehen waren, geriet die Ausstellung zusehends in Misskredit. Zum Ende des Jahres 1999 war das HIS zu einem Moratorium gezwungen. Verortet man das Untersuchungskorpus in die Diskussion über diese beiden geschichtskulturellen Großereignisse und beachtet man außerdem den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt, der vor allem durch die Pionierstudie von David Bankier zur Haltung der deutschen Bevölkerung gegenüber Judenverfolgung und -vernichtung und durch den ersten Band von Saul Friedländers Opus magnum »Das Dritte Reich und die Juden« erzielt worden war, so führt dies zu folgender Beurteilung der dritten Lehrwerksgeneration. Den Reaktionen der deutschen Bevölkerung auf die reichsweiten Boykottaktionen vom 1. April 1933 gegen jüdische Geschäfte, Unternehmen, Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien wird kaum Aufmerksamkeit gewidmet. Lediglich zwei Schulbücher gehen hierauf in ihren Verfassertexten kurz ein und unterstreichen dabei die insgesamt eher reservierte Haltung des nichtjüdischen Publikums. Diese Darstellung entspricht dem Forschungsstand. Sie lässt aber unerwähnt, dass es, wie verschiedene Historikerinnen und Historiker herausgearbeitet hatten, häufiger auch unüberhörbare Bekundungen des Missfallens gegenüber den Boykottmanifestationen gab. Ausgehend von der überproportionalen Absenz des Themas in den Autorentexten könnte vermutet werden, dass eine Verlagerung der Information in die Arbeitssteile der Schulbücher erfolgt. Das ist aber nicht der Fall. Das Nichtvorhandensein der »Zuschauer« wiederholt sich schließlich auf visueller Ebene. Fotos, auf denen z. B. Gruppen von Schaulustigen die vor den jüdischen Geschäften aufgezogenen SA-Posten umstehen und sich eventuell auch angeregt mit ihnen unterhalten, sind nur sehr selten vorhanden. Ein Lehrwerk blendet überdies durch den (nicht vermerkten) Beschnitt eines Fotos die Anwesenheit der »Zuschauer« (bewusst) aus. Ähnlich schwach im untersuchten Sample vertreten sind die Reaktionen der »Zuschauer« auf die Deportationen der Juden aus dem Deutschen Reich. David Bankier hatte in seiner Pionierarbeit den öffentlichen Charakter der Vorgänge ausdrücklich hervorgehoben und dabei Gleichgültigkeit als vorherrschendes Verhaltensmuster der nichtjüdischen Deutschen bezeichnet. Zwei Schulbücher übernehmen diese Deutung im Text. Drei weitere Lehrwerke nutzen – stets in illustrativer Absicht – Fotos, die belegen, dass sich der Abtransport der Juden in aller Öffentlichkeit und unter Beobachtung vieler neugieriger Anwohner und Passanten jeden Alters ereignete. Mindestens fragwürdig erscheint, dass in vier der durchgesehenen Bücher die systematischen Massenverschleppungen lediglich im Zusammenhang mit den Frauenprotesten in der Rosenstraße vorkommen. Die Akzentuierung dieses außergewöhnlichen und für die »arische« Mehrheit keineswegs repräsentativen Verhaltens vermittelt den Schülerinnen und Schülern eine ausgesprochen einseitige Vorstellung von den gesellschaft-

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lichen Reaktionen. Vor dem Hintergrund der kompletten Ausblendung eines tatsächlich für weite Teile der Bevölkerung typischen Verhaltens, der Partizipation an der Versteigerung des Hausrats deportierter Juden, mutet die Aufnahme dieses besonderen zivilcouragierten Handelns einer Minderheit nachgerade absurd an. Somit ist auch festzuhalten, dass die bahnbrechende Studie von Frank Bajohr zur »Arisierung« in Hamburg, in welcher der Historiker die bedenkenlose Beteiligung vieler Einwohner an der »Verwertung« des zurückgelassenen Besitzes der Deportierten ausführlich beschrieben hatte, in diesem Punkt von den Schulbuchautorinnen und -autoren nicht zur Kenntnis genommen wurde. Im Gegensatz zum organisierten Aprilboykott und den »Judendeportationen« gehören die gesellschaftlichen Reaktionen auf die gewaltsamen Ausschreitungen während des Novemberpogroms 1938 – bis auf wenige Ausnahmen – zum festen Bestand der Schulgeschichtsbücher. Das von den Lehrwerken gezeichnete Bild der »arischen« Mehrheit stimmt dabei im Wesentlichen mit dem überein, was Bankier und Friedländer in ihren Arbeiten ausgeführt hatten: Das Gros der Bevölkerung lehnte die pöbelhaften Exzesse ab, verharrte aber in betretenem Schweigen. Einige Schulbuchverfasserinnen und -verfasser bemühen sich sichtbar um eine differenzierte Darstellung, indem sie nicht nur die überwiegende Passivität der nichtjüdischen Deutschen, sondern auch die – für die Mehrheitsbevölkerung nicht repräsentativen – Fälle von aktiver Beteiligung an den Zerstörungsorgien bzw. die vereinzelten Gesten solidarischen Mitgefühls für die misshandelten Juden ansprechen. Immerhin zwei Bücher erwähnen ausdrücklich, dass die offene Gewalt weniger aus ethischen und humanitären Gründen als vielmehr wegen der Vernichtung von Sachwerten, wegen der Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder wegen der Schädigung des deutschen Ansehens im Ausland abgelehnt wurde. Daneben sind in die Arbeitsteile des Öfteren schriftliche Quellen oder Darstellungen aufgenommen worden, welche die Lernenden mit unterschiedlichen Verhaltensweisen von Nichtjuden konfrontieren. Das Bildinventar der Unterrichtswerke ist zwar überschaubar, dokumentiert aber die Teilnahme der Bevölkerung. Abgebildet sind brennende Synagogen oder zerstörte Geschäfte, die von mitunter zahlreichen Personen eingehend betrachtet werden. Nicht vorhanden sind dagegen Fotos von den Verhaftungen männlicher Juden, die häufig durch große Menschenaufläufe geprägt waren. Das ändert jedoch nichts daran, dass es sich bei der Mehrzahl der untersuchten Lehrwerke um eine adäquate didaktische Aufbereitung der Reaktionen der »Zuschauer« auf die »Reichskristallnacht« handelt. Die Frage, was die Bevölkerung vom Holocaust wusste oder wissen konnte, nimmt in ungefähr der Hälfte der untersuchten Schulbücher einen zentralen Platz ein. Die besondere Aufmerksamkeit, die der Kenntnis der Deutschen vom Völkermord an den europäischen Juden in diesen Unterrichtswerken zuteil-

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wird, ist dabei nicht nur an den Verfassertexten ablesbar, die häufig mit entsprechenden Zwischenüberschriften oder Formulierungen in der Marginalspalte versehen sind. Dass die Schulbuchautorinnen und -autoren das zeitgenössische Wissen für ein wichtiges Thema erachten, ist außerdem am Abdruck von Quellen und Darstellungen unterschiedlicher Provenienz (Tagebucheintrag eines »Volksgenossen«, Erinnerungen einer im Widerstand aktiven Person, Historikertext, Bericht der NSDAP-Parteikanzlei) in den Arbeitsteilen erkennbar. Diese Materialien, die ebenfalls mit einschlägigen Überschriften und anmoderierenden Texten ausgestattet sind, machen den Schülerinnen und Schülern exemplarisch die Informationskanäle nachvollziehbar, über die Nachrichten vom Massenmord in die Heimat gelangten: Erzählungen von Fronturlaubern, Rundfunksendungen der BBC sowie offizielle Verlautbarungen der Führungsgruppe der Nationalsozialisten, die in der Presse gedruckt oder über das Radio verbreitet wurden. Des Weiteren regen Arbeitsaufträge die Lernenden dazu an, die Materialien unter der Fragestellung nach dem Wissen über die Judenvernichtung zu bearbeiten, manchmal wird von den jugendlichen Leserinnen und Leser auch explizit verlangt, zu der nach dem Zweiten Weltkrieg geäußerten Behauptung »Davon haben wir nichts gewusst!« Stellung zu beziehen. Welche Antwort geben die Schulbücher auf die von ihnen selbst gestellte Frage nach dem zeitgenössischen Wissen der Deutschen über die physische Vernichtung der Juden? Ein Lehrwerk, in dem die Thematik ausschließlich im Verfassertext behandelt wird, spricht die deutsche Bevölkerung von ihrem Wissen nahezu vollständig frei. Im Grunde habe das Regime alles perfekt geheim gehalten, habe niemand in Deutschland sich so etwas auch nur im Entferntesten vorstellen können, hätten selbst die ausgesprochen gut unterrichteten Alliierten es nicht wahrhaben wollen, so der Tenor der Schulbuchdarstellung. Eine noch größere Ignoranz gegenüber den Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft ist kaum mehr möglich. Dagegen dominiert in den anderen Büchern die Auffassung, die Deutschen hätten viel über den Massenmord an den Juden Europas gewusst. Die Lehrwerke, in denen das Wissen über die Tötungen nicht ausdrücklich zum Thema gemacht wird, lassen außerdem zumindest indirekt erkennen, dass dieses Wissen weiter verbreitet war, als es nachträglich von den meisten Menschen behauptet wurde. Ein deutliches Indiz hierfür sind die in den Verfassertexten aufzufindenden Hinweise auf die Mitarbeit einer Vielzahl von Personen an der »Endlösung der Judenfrage«. In den Arbeitsteilen finden sich überdies – wenn auch nie unter der Fragestellung nach den Kenntnissen vom Holocaust abgedruckte – wichtige Dokumente: Hitlers Reichstagsrede vom 30. Januar 1939, ein Auszug aus dem Tagebuch von Victor Klemperer, die Aussagen von Rudolf Höß und die Passagen aus der Rede Richard von Weizsäckers. Ungeachtet eines weiteren Schulbuches im Sample, das – wahrscheinlich

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unbeabsichtigt – durch die Betonung, die meisten Deutschen jüdischen Glaubens hätten die existierenden Mordgerüchte nicht glauben wollen bzw. können, den »arischen« Bevölkerungsanteil quasi automatisch von seinem Wissen entlastet, lässt sich im Fazit folgende Tendenz festhalten: Schulbuchdarstellungen, welche die Unkenntnis der Deutschen vom Genozid an den europäischen Juden geltend machen und insofern dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand widersprechen, sind eine ausgesprochene Seltenheit. Eher ist das Gegenteil der Fall. Dies ist umso erfreulicher, als David Bankier in seiner Studie nachweisen konnte, dass die Kenntnis von Massenerschießungen und von Vergasungen vor allem durch die Berichte von Soldaten, die an der Ostfront dienten, bis zur allgemeinen deutschen Zivilbevölkerung durchsickerte. Darüber hinaus konnte er zeigen, wie häufig die NS-Führung – im Gegensatz zur euphemistischen Ausdrucksweise in amtlichen Schriftstücken – in einer kaum verschlüsselten und verschleiernden Sprache öffentliche Hinweise auf die Vernichtung der Juden gegeben hatte. Bankier schlussfolgerte daher vorsichtig, dass der Holocaust ein Geheimnis war, das für weite Kreise der Bevölkerung keines geblieben ist. Im Hinblick auf die vorherrschenden Einstellungen und Verhaltensweisen der deutschen Bevölkerung zur »Judenpolitik« können folgende Ergebnisse zusammengestellt werden: Die Frage, wie es um den gesellschaftlichen Antisemitismus vor und während des Nationalsozialismus bestellt war, ist ein fester Bestandteil der meisten Schulbuchnarrative. Bis auf zwei Ausnahmen stellen alle Lehrwerke heraus, dass der NS-Rassenantisemitismus seine historischen Vorläufer hatte. Das rassenantisemitische Programm der Nationalsozialisten kam, so der Tenor der Bücher, nicht aus dem Nichts, sondern stand in der Tradition des religiös begründeten Antijudaismus, dessen Markenzeichen die Verteufelung der Juden war, und des modernen Antisemitismus des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, bei dem das Judentum zusehends als »feindselige Macht« begriffen wurde. Die Schulbuchautorinnen und -autoren heben dabei das traditionelle »Unbehagen« vieler christlicher Landsleute gegenüber »den Juden« hervor. Als Hitler im Januar 1933 an die Macht kam, hätten nicht wenige »arische« Deutsche die jüdischen Deutschen als »Fremdkörper« betrachtet. Die Frage, inwieweit es dem NS-Staat gelang, die manifesten und latenten Vorurteile gegenüber der jüdischen Minderheit zu mobilisieren, wird von knapp der Hälfte der untersuchten Schulgeschichtsbücher aufgeworfen. Dabei halten sich die Lehrwerksmacherinnen und -macher generell mit einer eigenen Beurteilung zurück. Stattdessen geben sie entweder auf den Verfassertextseiten eine knappe Zusammenfassung der wichtigsten Thesen von Goldhagen, meist mit dem – nicht näher erläuterten – Vermerk, dass sich darüber eine heftige Kontroverse in der Fachwelt entspann. Oder sie betrauen die Schülerinnen und Schüler mit der Beantwortung der Frage, ob es einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung für die vom NS-Regime intendierte »Beseitigung« der Juden gab.

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Anhand von abgedruckten Passagen aus dem Goldhagen-Buch, denen konträre Positionen anderer Historiker oder Publizisten gegenübergestellt werden, sollen die Lernenden ihre Urteilskompetenz schulen, indem sie begründet zu Goldhagens teleologisch angelegtem Erklärungsansatz Stellung beziehen. Die Debatte um »Hitlers willige Vollstrecker« hat, so viel kann festgehalten werden, deutliche Spuren in den Schulbüchern hinterlassen. Dieser Einfluss macht sich insofern positiv bemerkbar, als die antisemitische Mentalität der deutschen Gesellschaft während des Nationalsozialismus in den Schulbuchnarrativen klar zum Vorschein kommt. Gleichwohl merkt man dem Großteil der Lehrwerke an, dass die einschlägige Forschungsliteratur noch nicht verarbeitet worden ist. Die Schulbuchverfasserinnen und -verfasser verdeutlichen ihren Leserinnen und Lesern kaum einmal, dass es eben kein »bösartig-eliminatorischer« Antisemitismus war, der sich zu einem stabilen Mentalitätsmerkmal der deutschen Bevölkerung verfestigt hatte, wie ihn aber Goldhagen für fast alle Deutschen postuliert hatte. Die Forschungsliteratur hielt hierzu bereits entsprechende Ausführungen bereit. So hatte sich Saul Friedländer in seiner Arbeit expressis verbis auf Goldhagen bezogen und erläutert, dass eine nicht-radikale, mit Sicherheit nicht auf die Vernichtung zielende Judenfeindschaft in der deutschen Gesellschaft weitverbreitet war. Dieser »konventionelle« Antisemitismus habe die Grundlage für die allgemeine Zustimmung zum Ausschluss der Juden aus der deutschen Nation gebildet. Auch Ulrich Herbert hatte in einem gewichtigen Aufsatz die These von der dominanten Ausschaltungs- und Auslöschungsmentalität der Deutschen verworfen und von einem »passiven« bzw. »gemäßigten« Antisemitismus unter den Massen gesprochen, der nicht zwangsläufig »eliminatorisch« gewesen sei. Der Beteiligung unzähliger Deutscher an der »Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben«, die nicht mehr ausschließlich auf die Zeit nach der »Reichskristallnacht« veranschlagt wird, nehmen sich sieben der zwölf untersuchten Geschichtsschulbücher an. Neben Lehrwerken, die in einem Halbsatz auf die Nutznießerschaft vieler »Arier« hinweisen, gibt es auch einige Bücher, die ihrer jugendlichen Leserschaft (zusätzlich) schriftliche oder bildliche Quellen präsentieren. Aus den Textquellen wird dabei ersichtlich, dass etliche »Volksgenossen« es nicht nur für opportun hielten, sich an den erzwungenen Eigentumsübertragungen zu bereichern, sondern es auch guthießen, wenn ein jüdisches Geschäft kurzerhand geschlossen wurde, weil damit die Befreiung von lästiger Konkurrenz und die Gewinnung neuer Kunden einhergingen. Vor allem der Abdruck einer in der Presse geschalteten Anzeige sowie das Vorhandensein einer Geschäftspostkarte müssen positive Erwähnung finden, gerade weil diese Bildquellen den Schülerinnen und Schülern einen visuellen Eindruck von der Schamlosigkeit vermitteln, mit der nichtjüdische Selbstständige öffentlich mit ihrem »arisierten« Besitz um Kundschaft warben.

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Bilanzierend ist es schwer einzuschätzen, inwieweit die – verglichen mit früheren Lehrwerken – intensivere Thematisierung der »Arisierung« im Allgemeinen auf die Rezeption von Frank Bajohrs Untersuchung zur wirtschaftlichen »Entjudung« in Hamburg zurückzuführen ist. Einen Einfluss auf den »Schulbuchgeist« wird man seiner Studie gewiss nicht absprechen können, zumal auch über die Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der »Arisierung« stärker als vordem berichtet wird. Recht schwach ausgeprägt sind dagegen solche Darstellungen, welche die Leserinnen und Leser über das Fehlen eines oppositionellen Verhaltens der »arischen« Mehrheit gegen die Verfolgung von Juden informieren. Nur in drei Verfassertexten kann von einer adäquaten Kenntlichmachung gesprochen werden. Zwei andere Lehrwerke legen sogar nur Wert auf die Beschreibung von Hilfeleistungen für Juden. Zieht man auch hier als Beurteilungsmaßstab die von der akademischen Historiographie erarbeiteten Kenntnisse heran, muss diese Nicht-Thematisierung als unbefriedigend angesehen werden. Außer in einigen isoliert dastehenden Ausnahmefällen, so David Bankier, habe es während der Zeit des Nationalsozialismus keinen aktiven Widerstand gegen den staatlichen Antisemitismus gegeben. Für die Jahre der Verfolgung von 1933 bis 1939 kam auch Saul Friedländer zu dem Ergebnis, dass mit Ausnahme einiger Einzelfälle die »Judenpolitik« des NS-Regimes nicht offen infrage gestellt worden sei. Beide Autoren vertreten die Ansicht, die Deutschen hätten sich in ihrer übergroßen Mehrheit gleichgültig verhalten. Die fehlende Anteilnahme am Schicksal der gebrandmarkten Juden sei das typische Verhaltensmuster gewesen, wenngleich keineswegs von einer homogenen Gesellschaft im Hinblick auf die »Judenfrage« ausgegangen werden dürfe, da es auch aggressives und solidarisches Verhalten gegenüber Juden gegeben habe. Die Beurteilung dieser Untersuchungskategorie fällt allerdings etwas besser aus, wenn man in die Arbeitsteile der Schulbücher schaut. Immerhin fünf der zwölf durchgesehenen Lehrwerke berücksichtigen ein oder mehrere Materialien, anhand derer die Schülerinnen und Schüler sich kritisch mit alltäglichem Verhalten von Nichtjuden im Umgang mit Juden auseinandersetzen können. Das ist auch die Intention der Schulbuchmacherinnen und -macher, die zu den angebotenen Materialien (unter anderem Berichte von Juden über ihre Schulzeit, Beschwerdebriefe von »arischen« Volksgenossen an nationalsozialistische Behörden und ein Fachtext zum Minderheitenphänomen des »Rettungswiderstandes«) fast immer solche Arbeitsaufträge formulieren, die auf die Beurteilung des Verhaltens der nichtjüdischen Deutschen zielen. Bündelt man die verschiedenen Untersuchungsergebnisse zur Darstellung der »Zuschauer«, ergeben sich folgende Charakteristika für die dritte Schulbuchgeneration: Die in der öffentlichen Geschichtskultur unter maßgeblicher Beteiligung zahlreicher Historikerinnen und Historiker geführte Auseinander-

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setzung mit dem gesellschaftlichen Kontext, in dem sich Judenverfolgung und -vernichtung abspielten, ist in den Schulbuchnarrationen deutlich spürbar. Die Berichterstattung ist insgesamt – verglichen mit früheren Lehrwerken – wesentlich intensiver geworden. Wenngleich es mit dem Boykotttag vom 1. April 1933 sowie den Deportationen der Juden und der anschließenden Versteigerung ihres Eigentums immer noch Themen gibt, die extrem unterbelichtet sind, geht die Tendenz dahin, die Fragen nach dem Wissen der nichtjüdischen Deutschen, ihren Reaktionen und Verhaltensweisen wie auch ihren mentalen Dispositionen stärker in den Fokus zu stellen. Gleichwohl ist in vielen Lehrwerken noch eine gewisse Verunsicherung zu verspüren, wie sie mit der durch die GoldhagenDebatte eingeleiteten Akzentverschiebung auf die »ganz gewöhnlichen Deutschen« und ihr Verhältnis zur »Judenpolitik« des NS-Regimes auf angemessene Art und Weise umgehen sollen. Ein gründlicherer Blick in die Forschungsliteratur hätte einigen Schulbuchautorinnen und -autoren sicher gut getan. Durchaus repräsentativ ist trotzdem, dass sich in den untersuchten Unterrichtswerken gravierende Abweichungen zum Forschungsstand der Geschichtswissenschaft nur ganz selten finden. Insgesamt bestätigt sich somit für die dritte Schulbuchgeneration das, was Ulrich Herbert dem Goldhagen-Buch – jenseits aller Kritikpunkte – als bleibendes Verdienst für die Entwicklung der akademischen Historiographie positiv bescheinigt hatte, nämlich die richtigen Fragen gestellt zu haben: »Welche Rolle spielten die Deutschen, die ›gewöhnlichen Deutschen‹ bei der nationalsozialistischen Judenverfolgung? Welche Bedeutung kam dem Verhalten der breiten Bevölkerungsschichten bei dem Völkermord an den Juden zu?«1150 Nicht nur die Wissenschaft erkannte fortan die Erforschung der deutschen Gesellschaft als zentrales Thema, auch die Schulgeschichtsbücher blieben von dieser Aufbruchsstimmung nicht unberührt. Wie spiegelt sich die Beteiligung der Wehrmacht am ideologisch motivierten Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion in den Geschichtsschulbüchern wider? Einige Schulbücher stellen geschichtskulturelle Gegenwartsbezüge her, indem sie die Schülerinnen und Schüler zu eigenen Recherchen auffordern: »Informiere dich im Internet über die Ausstellung ›Verbrechen der Wehrmacht‹ des Hamburger Instituts für Sozialforschung (www.verbrechen-der-wehr macht.de). Berichte in der Klasse.«1151 In anderen Fällen gehen die Verfassertexte auf die gesellschaftliche Debatte über den deutschen Krieg im Osten ein, welche die erste »Wehrmachtsausstellung« hervorgerufen hatte. So heißt es in einem Buch: »Die Ausstellung ›Verbrechen der Wehrmacht‹, die die Verstrickungen der Wehrmacht in die Gräueltaten der NS-Diktatur untersucht hat, löste in den 1990er Jahren eine ebenso breite öffentliche Debatte aus wie die Errichtung des 1150 Herbert: Vernichtungspolitik, S. 11. 1151 Forum Geschichte (2003), S. 118.

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Berliner Holocaust-Mahnmals.«1152 In einem anderen Lehrwerk findet man unter der Marginalie »Offene Fragen« folgende Bestandsaufnahme: »Mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem Untergang ist die geschichtswissenschaftliche Erforschung des Nationalsozialismus noch nicht abgeschlossen. Nach wie vor, so der Historiker Hans-Ulrich Wehler, stellt sich die Grundfrage, ›wie es dazu kommen konnte, dass die Weimarer Republik nach zwölf Jahren zerfiel, die nationalsozialistische Diktatur aber zwölf Jahre bestehen konnte, dass Deutschland als bisher einziges Industrie- und Kulturland der westlichen Zivilisation einen Radikalfaschismus praktiziert hat, der die Welt in einen fünfjährigen totalen Krieg und bis nach Auschwitz führte‹. Aber auch geschichtliche Einzelfragen werden immer wieder diskutiert, zum Beispiel: Worauf beruhte eigentlich und wie funktionierte Hitlers Herrschaft? Gab es einen schriftlichen oder mündlichen ›Führerbefehl‹ zur Judenvernichtung (der nicht überliefert ist), und wann wurde er erteilt? Wie tief war die Wehrmacht in die Massenmorde der SS- und Polizeiverbände (v. a. in Polen, der Sowjetunion, Jugoslawien und Griechenland) verstrickt?«1153

Darüber hinaus werden zu verschiedenen Quellen oder anderen Materialien einführende Kontextinformationen gegeben, die dezidiert auf die »Wehrmachtausstellung« Bezug nehmen. Zu einem Quellenensemble mit der Überschrift »Die deutsche Wehrmacht – gehorsam bis zum Mord?« erfahren die Leserinnen und Leser : »Heftige Auseinandersetzungen entbrannten in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre über die Kriegsführung der deutschen Wehrmacht. Vom ›verschwiegenen Krieg hinter der Front‹ sprachen die einen und vom ›Krieg gegen die Wehrmacht‹ die anderen.«1154 In einem anderen Fall lautet die Anmoderation zu zwei Historikerurteilen über die »Wehrmachtausstellung« wie folgt: »1995 präsentierte das Hamburger Institut für Sozialforschung erstmals die Ausstellung ›Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941– 1944‹. Daraufhin begann in der Öffentlichkeit eine Auseinandersetzung über die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Auch Historiker diskutierten das Thema.«1155 Die Integration von Hinweisen auf die »Wehrmachtsausstellung« als geschichtskulturelle Objektivation sagt naturgemäß wenig über die eigentliche Thematisierung der Rolle der Armee in den Schulgeschichtsbüchern aus. Wie steht es also um die didaktische Aufbereitung des Zusammenhangs von Wehrmacht und den drei großen Verbrechenskomplexen der Judenvernichtung, des Massensterbens der sowjetischen Kriegsgefangenen und der Liquidierung der Zivilbevölkerung? Zu welcher Bewertung der dritten Lehrwerksgeneration gelangt man? 1152 1153 1154 1155

Kurshefte Geschichte (2000), S. 5. Geschichte und Geschehen Oberstufe (2006), S. 266. Expedition Geschichte (2003), S. 214. Geschichte und Geschehen (2005), S. 129.

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Nicht nur die Wanderausstellung des HIS hatte den Judenmord in der Sowjetunion als ein Gemeinschaftsunternehmen dokumentiert, bei dem sich die jeweiligen Initiativen und Verantwortlichkeiten von SS und Wehrmacht oft überschritten. Peter Longerich war in seiner Gesamtdarstellung des Holocaust ebenfalls auf das generelle Einvernehmen und die weitgehend optimierte Zusammenarbeit der SS-Mordkommandos mit der Wehrmacht eingegangen und hatte dabei auch auf die von Militäreinheiten teilweise in eigener Regie durchgeführten Ermordungen hingewiesen. Zwei Drittel der durchgesehenen Lehrwerke tragen den Ergebnissen der Forschung Rechnung, indem sie der Frage nach der Gestaltung der praktischen Zusammenarbeit von Heer und »Einsatzgruppen« nicht ausweichen. Zumeist weisen die Verfassertexte eindeutig aus, dass neben SS-Einsatzgruppen und Polizeieinheiten auch Soldaten der Wehrmacht aktiv an Massenerschießungen von Juden beteiligt waren. Seltener erfolgt eine entsprechende Thematisierung im Arbeitsteil, etwa wenn dort – wie in einem Buch – nach dem Prinzip der Kontroversität zwei unterschiedliche Deutungen von Historikern zur Rolle der Armee bei der Judenvernichtung bereitgestellt werden. Grundsätzlich ist das Materialangebot sehr überschaubar und erschöpft sich zumeist im Grundsatzbefehl über das »Verhalten der Truppe im Osten«, in dem der Oberbefehlshaber der 6. Armee, Walter von Reichenau, im Oktober 1941 die Wehrmachtssoldaten u. a. dazu aufgefordert hatte, »für die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis zu haben«. Die im Gros der Schulgeschichtsbücher angemessene Auseinandersetzung sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass vier Unterrichtswerke nicht über die Beteiligung von Wehrmachtseinheiten am Völkermord an den Juden berichten und als handelnde Akteure ausschließlich die Angehörigen der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD benennen. In einem Buch werden Wehrmachtssoldaten sogar lediglich als »Judenretter« aufgeführt. Ambivalent fällt die Beurteilung der Schulbuchdarstellungen aus, die über die Massenvernichtung der im Gewahrsam der Wehrmacht befindlichen sowjetischen Soldaten informieren. Von der »Wehrmachtsausstellung« waren hierzu keine neuen umwälzenden Erkenntnisse präsentiert worden. Sie hatte aber die Zusammenhänge, die spätestens seit Christian Streits Buch aus dem Jahr 1978 der Forschung bekannt waren, zum ersten Mal einem größeren Publikumskreis zugänglich gemacht. In der Hälfte der untersuchten Bücher wird trotzdem verschwiegen, dass die Wehrmacht die Verantwortung für den Tod von mehr als drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen trug; manchmal wird das Schicksal dieser Opfergruppe auch komplett ausgeblendet. Die andere Hälfte der Lehrwerke klammert dagegen die Frage nach der Verantwortlichkeit der Armee nicht aus. Der erbärmliche Zustand, in dem sich die gefangenen Sowjetsoldaten – bedingt durch die brutale Repressionspolitik der Wehrmacht – befanden, wird

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bisweilen sehr präzise beschrieben. Die von den Schulbuchautorinnen und -autoren geschriebenen Texte berichten nicht nur über die absolut unzureichende Unterbringung in auf primitivste Weise improvisierten Lagern, sondern auch über Rationen weit unter Existenzminimum, Erfrierungen und Erschießungen. Die vielfältigen Schicksale und die nicht der Genfer Konvention von 1929 entsprechende Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen – bis hin zur willkürlichen Ermordung – sind in einigen Lehrwerken überdies anhand von Quellen (Fotografien, Geständnisse deutscher Soldaten, Augenzeugenberichte, Anordnungen des OKW für die Behandlung und Bewachung der Sowjetsoldaten in allen Kriegsgefangenenlagern) gut rekonstruierbar. Weithin unterrepräsentiert im Sample ist wiederum der Zusammenhang von »Kommissarbefehl« und Wehrmacht. Obwohl die »Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare« vom 6. Juni 1941 häufiger im Arbeitsteil abgedruckt sind oder deren wichtigste Bestimmungen im Verfassertext Erwähnung finden, fehlen nahezu durchgängig Hinweise darauf, dass die Initiative zur Erschießung der Politfunktionäre der Roten Armee durch die Truppe vom OKW ausging. Des Weiteren scheint es, dass die meisten Schulbuchmacherinnen und -macher nicht wüssten, ob der »Kommissarbefehl« überhaupt zur Ausführung kam. Lediglich drei Lehrwerke machen hierzu Angaben: Zweimal wird die SS als alleinige Tätergruppe hervorgehoben, einmal wird auch die Täterschaft deutscher Soldaten ersichtlich. Angesichts der nicht erst seit der »Wehrmachtsausstellung« bekannten Sachverhalte stellen sich die Ausführungen der Schulgeschichtsbücher in diesem Punkt als sehr unbefriedigend dar. Der Blick auf die Darstellung des zu großen Teilen auf dem Rücken der einheimischen Bevölkerung ausgefochtenen Anti-Partisanenkrieges offenbart – wie beim Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen – ein zwiespältiges Ergebnis. Obwohl entsprechende Informationen und Quellen mittlerweile für die Schulbuchmacherinnen und -macher leicht greifbar waren (z. B. im Katalog oder in diversen Begleitbänden zur Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«), enthalten nur sechs der zwölf durchgesehenen Geschichtslehrwerke Hinweise auf die willkürlichen Ausschreitungen der Truppe. Neben in den Verfassertexten gegebenen Mitteilungen bemühen sich einige wenige Autorinnen und Autoren, die Verantwortung und Beteiligung der Wehrmacht mithilfe von Quellen zu konkretisieren. Geboten wird zum einen der »Kriegsgerichtsbarkeitserlass« vom 13. Mai 1941, mit dem die militärische Führung brutalste Gewaltanwendung auch gegen unbeteiligte Personen erlaubte. Zum anderen sind Fotos der Hinrichtungen in Minsk vom 26. Oktober 1941 vertreten, die bezeugen, dass Soldaten der Wehrmacht als Ausführende und als Zuschauer an Massenexekutionen von Zivilisten beteiligt waren. Fasst man die Ergebnisse der kategoriengeleiteten Analyse zur Beteiligung

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der Armee am Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion zusammen, so ergibt sich, dass der Komplex »Wehrmacht« auch in der dritten Lehrwerksgeneration ein vertracktes Thema bleibt. Konstitutiv für das Untersuchungssample ist ein buchstäbliches Nebeneinander von schonungslosem Umgang mit der Verantwortung der Wehrmacht für die Vernichtungspraxis einerseits und allgemeinem Schweigen über die Involvierung des Militärs in die nationalsozialistische Politik andererseits. Dieser Befund ist allerdings insoweit zu relativieren, als es kein Unterrichtswerk gibt, in dem die Wehrmacht nicht mit wenigstens einem der drei untersuchten Verbrechenskomplexe in Verbindung gebracht wird. Das Bild des einfachen Soldaten, der frei von persönlicher Schuld und Verantwortung nur tapfer und ehrlich gekämpft hat, wird nirgendwo fortgeschrieben. Mit der Ausstellung des HIS gelangten Forschungsergebnisse, die in der Fachwissenschaft schon lange bekannt waren, an eine breitere Öffentlichkeit. Die »Wehrmachtsausstellung« hat offenkundig auch verstärkt die von der Armee begangenen Verbrechen an Juden, sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilisten in das Bewusstsein der Schulbuchautorinnen und -autoren gebracht. Dass der Vernichtungskrieg auf dem Territorium der Sowjetunion ein Gemeinschaftsunternehmen war, bei dem die Wehrmacht aktiv durch verbrecherische Befehle, Kooperationen mit dem SS- und Polizeiapparat und mörderische Eigeninitiative beteiligt war, kann – in unterschiedlicher Intensität – anhand eines nicht unbedeutenden Teils der Schulgeschichtsbücher untersucht werden. Gleichwohl fehlt in einigen Lehrwerken der Mut zu größerer Offenheit und entschiedener Klarheit.

VIII. Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV

In den folgenden Unterkapiteln werden die Ergebnisse der Schulbuchanalyse zur vierten Lehrwerksgeneration dargestellt. Untersuchungsgegenstand waren dreizehn Bücher. Für die Sekundarstufe I wurden ausgewählt: Horizonte (Westermann, 2009), Zeiten und Menschen (Schöningh, 2009), Das waren Zeiten (C.C. Buchner, 2010), Mosaik (Oldenbourg, 2010), Zeit für Geschichte (Schroedel, 2010), Forum Geschichte (Cornelsen, 2010) und Geschichte und Geschehen (Klett, 2011). Für die Sekundarstufe II wurden Histoire/Geschichte (Klett, 2008), Buchners Kompendium Geschichte (C.C. Buchner, 2008), Thema Geschichte kompakt (Schroedel, 2008), Kursbuch Geschichte (Cornelsen, 2009), HistorischPolitische Weltkunde (Klett, 2010) und Kurshefte Geschichte (Cornelsen, 2012) herangezogen. Die Vorstellung der Analyseergebnisse erfolgt anhand der sowohl induktiv als auch deduktiv entwickelten Kategorien (1) Boykott 1933, (2) Novemberpogrom 1938, (3) Deportationen der Juden und Versteigerung ihres Eigentums 1940/41– 1945, (4) Kenntnisse vom Holocaust, (5) Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen, untergliedert in (a) Verbreitung antisemitischer Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung, (b) Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der »Arisierung« und (c) Verhalten der »Zuschauer« im Alltag gegenüber jüdischen Mitmenschen, sowie (6) Wehrmacht und Vernichtungskrieg, untergliedert in (a) Beteiligung am Genozid an den Juden, (b) Verantwortung für die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen und (c) Tötung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung. In einem Zwischenfazit werden die aus der kategoriengeleiteten Inhaltsanalyse gewonnenen Ergebnisse vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Forschungsstandes der Geschichtswissenschaft und der in der Öffentlichkeit geführten Diskurse über die NS-Vergangenheit bewertet. Im Text genannte Bilder finden sich im Anhang der Arbeit.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV

Boykott 1933

Nur in zwei von 13 untersuchten Schulbüchern wartet der Verfassertext mit expliziten Informationen über die Haltung der nichtjüdischen Bevölkerung gegenüber dem von der NS-Parteileitung gelenkten Boykott gegen jüdische Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte auf. Die Autorinnen und Autoren von Das waren Zeiten halten Folgendes fest: »Die erste reichsweite Aktion gegen Juden fand am 1. April 1933 statt. SA und SS versperrten den Zugang zu jüdischen Geschäften, Anwaltskanzleien und Arztpraxen. Schaufenster wurden mit Sprüchen wie ›Juden raus!‹ beschmiert. Während sich die Juden beschwerten, an Anstand und Vernunft appellierten und auf die 12 000 jüdischen Opfer im Ersten Weltkrieg hinwiesen, nahm die Mehrheit der Bevölkerung diesen Anschlag auf die Menschenwürde ihrer Mitbürger ohne öffentlichen Widerspruch hin.«1156

Während hier die Mehrheitsbevölkerung auf einen passiven »Zuschauer« reduziert wird, bietet der Verfassertext von Kursbuch Geschichte unter Berufung auf die Befunde vorliegender Studien und die persönlichen Erinnerungen jüdischer Männer und Frauen eine andere Interpretation an. Die Schulbuchmacherinnen und -macher äußern sich wie folgt: »In den Aussagen jüdischer Zeitzeugen und in wissenschaftlichen Untersuchungen […] spiegeln sich unterschiedliche Reaktionen der deutschen Bevölkerung auf die antijüdischen Boykotte wider. Berichten über eine begeisterte und schadenfrohe Teilnahme stehen vereinzelte offene und verschämte Sympathiebekundungen gegenüber. Möglicherweise bestärkte dies viele deutsche Juden in ihrer Fehleinschätzung, die Boykottaktionen seien nur ein vorübergehender ›Alltagsantisemitismus‹, an dem sich die Mehrheit der Deutschen auf Dauer nicht beteiligen würde, und die NS-Regierung werde sich nicht lange halten können.«1157

Drei Schulbücher, deren Verfassertexte keine Angaben zum Verhalten der »Zuschauer« machen, nehmen ein oder mehrere schriftliche Materialien auf, die Auskunft über die Haltung der nichtjüdischen Bevölkerung geben. Histoire/ Geschichte und Thema Geschichte kompakt präsentieren ihren Leserinnen und Lesern einen Tagebucheintrag von Victor Klemperer.1158 Im letztgenannten 1156 Das waren Zeiten (2010), S. 150. 1157 Kursbuch Geschichte (2009), S. 433. 1158 Vgl. Thema Geschichte kompakt (2008), S. 50: »3. April 1933, Montagabend: Am Sonnabend rote Zettel an den Geschäften: ›Anerkannt deutschchristliches Unternehmen‹. Dazwischen geschlossene Läden, SA-Leute davor mit dreieckigen Schildern: ›Wer beim Juden kauft, fördert den Auslandsboykott und zerstört die deutsche Wirtschaft.‹ – Die Menschen strömen durch die Prager Straße und sahen sich das an. Das war der Boykott. ›Vorläufig nur Sonnabend – dann Pause bis Mittwoch.‹ Banken ausgenommen. Anwälte, Ärzte inbegriffen. Nach einem Tag abgeblasen – der Erfolg sei da und Deutschland

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Lehrwerk ist außerdem ein längerer Auszug aus Daniel Goldhagens Dissertationsschrift vertreten. Zu den Boykottmanifestationen des 1. April 1933 heißt es dort: »Der landesweite Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 signalisierte allen Deutschen die Entschlossenheit der Nationalsozialisten. Nun wurden die Juden so behandelt, wie es der oft formulierten Auffassung über sie entsprach, nämlich als fremde Eindringlinge in den deutschen Gesellschaftskörper, die dessen Wohlergehen gefährdeten. Den Reden folgten jetzt Taten. Und wie reagierten die Deutschen auf den Boykott? Ein Jude erinnert sich, dass einige ihre Solidarität mit den umzingelten Juden entschieden zum Ausdruck brachten. Doch solche Proteste waren nicht sehr verbreitet. Die allgemeine Einstellung des Publikums zeigte sich bei einem Zwischenfall in einer Drogerie. Eine Dame, begleitet von zwei Nazis in Uniform, trat ein. Sie hatte einige Artikel bei sich, die sie ein paar Tage zuvor gekauft hatte, und verlangte von dem Drogisten ihr Geld zurück. ›Ich wusste nicht, dass Sie ein Jude sind‹, erklärte sie, ›ich wünsche nämlich nichts bei Juden einzukaufen‹.«1159

Die Funktion dieses Textausschnittes lässt sich nicht klar definieren. Da die Leserinnen und Leser nach Informationen über die gesellschaftlichen Reaktionen ansonsten im Schulbuch vergeblich suchen, handelt es sich hier letztlich um einen verkappten Verfassertext. Etwas anders gelagert ist die Funktion eines im Arbeitsteil von Kurshefte Geschichte angebotenen Darstellungstextes von Peter Longerich. Während der Verfassertext sich mit Informationen zur Einstellung der »Zuschauer« zurückhält1160, erhalten die Schülerinnen und Schüler hier eine gegenwartsnahe Deu›großmütig‹. Aber in Wahrheit ein unsinniges Schwanken. Offenbar Widerstand im Ausund Inland, und offenbar von der anderen Seite Druck der nationalsozialistischen Straße.« Bei Histoire/Geschichte (2008), S. 269, fehlt der Satz »Die Menschen strömen durch die Prager Straße und sahen sich das an«. 1159 Thema Geschichte kompakt (2008), S. 48. 1160 Vgl. Kurshefte Geschichte (2012), S. 115: »Am Beginn der antijüdischen Verfolgungen standen Rempeleien und Prügeleien von Juden auf offener Straße durch SA-Trupps. Nach der antisemitischen Propagandakampagne bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 kam es zu Ausschreitungen und blutigen Unruhen. Dabei setzten sich nicht ›erregte Menschenmengen‹ gegen das mächtige Judentum zur Wehr, wie die NS-Presse behauptete, sondern örtliche Anhänger der NSDAP terrorisierten gezielt jüdische Geschäftsleute, Ärzte und Juristen. Der NS-Regierung kamen diese Unruhen ungelegen, weil sie den Prozess der Konsolidierung ihrer Herrschaft störten. Noch musste Hitler Rücksicht nehmen auf seine bürgerlich-konservativen Koalitionspartner, den Reichspräsidenten, die Reichswehr, die staatliche Verwaltung und die Wirtschaft, deren Vertrauen er gewinnen wollte. Die antisemitischen Gewalttätigkeiten belasteten außerdem die Beziehungen zum westlichen Ausland und schränkten die außenpolitischen Handlungsspielräume der neuen Regierung ein. Um den auf antijüdische Aktionen drängenden Gruppen entgegenzukommen, entschloss sich Hitler am 1. April 1933 zu einem straff organisierten Boykott jüdischer Geschäfte sowie der Praxen von jüdischen Ärzten und Rechtsanwälten. Es ging den Nationalsozialisten nicht nur darum, die jüdischen Deutschen zu isolieren und

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tung zum Verhalten der deutschen Bevölkerung. Mithilfe des folgenden Textausschnittes sollen sie, so der Arbeitsauftrag, die Reaktionen auf den organisierten Boykott herausarbeiten. Longerich misst dabei den Propaganda-Aktionen des NS-Regimes vom 1. April 1933 im Hinblick auf die Distanzierung der nichtjüdischen von der jüdischen Bevölkerung nur eine geringe Bedeutung zu: »Die schon in der Weimarer Republik einsetzenden Bemühungen der Nationalsozialisten, in der Bevölkerung einen Boykott jüdischer Geschäfte und Dienstleistungen durchzusetzen, blieben außerhalb der Kernanhängerschaft der Nationalsozialisten ohne größere sichtbare Auswirkungen. Der Boykott war nur dann – einigermaßen – erfolgreich, wenn er wie am 1. April 1933 mit massiven Bedrohungen der Kundschaft einherging. Durch bloße Propaganda war das Käuferverhalten offenkundig nicht wesentlich zu beeinflussen. […] Erst Berufsverbote und ›Arisierung‹, schließlich das gesetzliche Verbot der wirtschaftlichen Betätigung der Juden infolge des Novemberpogroms [1938] unterbanden die geschäftlichen Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden tatsächlich.«1161

Indirekte Thematisierung erfährt die Einstellung der nichtjüdischen Deutschen durch den Abdruck von Fotografien in mehreren Lehrwerken. Während die Schulbuchmacherinnen und -macher von Buchners Kompendium Geschichte und Kursbuch Geschichte Bildmotive wählen, die lediglich die Öffentlichkeit des Boykotttages dokumentieren (Abb. 61–62)1162, belegen die in den anderen Büchern enthaltenen Fotografien die Anwesenheit vieler Passanten und Zuschauer. In Geschichte und Geschehen findet sich ein in Berlin aufgenommenes Foto, das zwei SA-Männer beim Bekleben eines Geschäfts mit Boykott-Propaganda zeigt. Am linken Bildrand befindet sich zudem eine jüngere Frau, die das Treiben offensichtlich interessiert beobachtet (Abb. 63).1163 Histoire/Geschichte und Zeit für Geschichte verwenden jeweils ein Bild vom Boykotttag in Hamburg, auf dem neben einem SA-Mann, der ein Transparent mit der Aufschrift »Deutsche kauft nicht bei Juden« in der Hand hält, und zwei weiteren Parteifunktionären auch zwei weibliche Passantinnen und ein männlicher Fußgänger zu sehen sind, die alle in die Kamera blicken (Abb. 64–65).1164 Das Schroedel-Lehrwerk verlangt

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1164

für rechtlos zu erklären, sondern auch darum, jegliche Solidarität und jedes Mitleid mit den Verfolgten zu brandmarken.« Ebd., S. 149. Buchners Kompendium Geschichte (2008), S. 344, enthält ein Foto eines Berliner Modegeschäftes, dessen Schaufenster mit NS-Schmierereien und einem Boykott-Plakat verunstaltet ist. Die Autorinnen und Autoren von Kursbuch Geschichte (2009), S. 433, machen Gebrauch von einem Foto, das nationalsozialistische Boykott-Posten vor dem Berliner Warenhaus N. Israel am 1. April 1933 zeigt. Vgl. Geschichte und Geschehen (2011), S. 36. Der zu diesem (und einem weiteren) Foto formulierte Arbeitsauftrag zielt nicht auf die Reaktionen der nichtjüdischen Bevölkerung: »Viele Deutsche behaupteten nach 1945, sie hätten von der Verfolgung jüdischer Mitbürger nichts gewusst. Nimm anhand der Bilder auf dieser Doppelseite dazu Stellung.« Vgl. Histoire/Geschichte (2008), S. 268 sowie Zeit für Geschichte (2010), S. 198. Die

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von den Schülerinnen und Schülern, das Bild zum Boykotttag mit dem (auf der nächsten Seite abgedruckten) Bild zur Pogromnacht (Abb. 72) hinsichtlich der Reaktionen der Passanten zu vergleichen.1165 In Thema Geschichte kompakt wird ein Foto wiedergegeben, auf dem in Berlin zwei Mitglieder der SA eine vor dem Ladengeschäft von Nathan Schmidt aufgestellte Hetztafel bewachen. Auf dem Schild steht: »Achtung Deutsche! Diese jüdischen Inhaber der 5 P.S. Läden sind Schädlinge und Totengräber des deutschen Handwerks! Sie zahlen dem deutschen Arbeiter Hungerlöhne! Der Hauptinhaber ist der Jude Nathan Schmidt«. Mindestens sechs Zivilpersonen männlichen wie weiblichen Geschlechts sind am rechten Bildrand zu sehen (Abb. 66).1166 Zum Illustrationsbestand (im Briefmarkenformat) von Kurshefte Geschichte zählt neben einer Aufnahme des geschlossenen Kaufhauses Woolworth in Wuppertal-Barmen, vor dem drei uniformierte SS-Leute Aufstellung genommen haben und an dessen Schaufenster ein großes Plakat mit den Worten »Meidet die jüdischen Warenhäuser, kauft nur beim christlichen Mittelstand« angelehnt ist (Abb. 67)1167, eine weitere visuelle Quelle. Abgebildet ist eine junge Frau, die aus einem vermutlich jüdischen Geschäft tritt und an zwei SA-Männern, die an den Bildseiten zu erkennen sind, vorbei muss. Die Käuferin, die den Boykott missachtet und damit (bewusst) ihre Solidarität mit den diskriminierten Juden zeigt, muss sich außerdem fotografieren lassen (Abb. 68).1168 Die in Horizonte abgedruckte Fotografie schließlich könnte ebenfalls den Einbezug der Bevölkerung in den Aprilboykott belegen. Allerdings ist sie rechts und links massiv beschnitten worden. Es handelt sich abermals um das berühmte Foto, das drei SA-Männer vor dem Berliner Warenhaus Tietz zeigt, die von zwei Passanten flankiert werden. Auf der Abbildung im Schulbuch findet sich nur noch der in der Mitte stehende SA-Mann, der ein Plakat mit den Worten »Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!« um den Hals trägt (Abb. 69).1169

2.

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Die Frage nach den gesellschaftlichen Reaktionen auf die propagandistisch von Joseph Goebbels vorbereitete »Reichskristallnacht« steht für die Schulbuchmacherinnen und -macher von Thema Geschichte kompakt nicht auf der

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Bildunterschrift bei Zeit für Geschichte gibt fälschlicherweise die Stadt Essen als Aufnahmeort an. Vgl. Zeit für Geschichte (2010), S. 201. Vgl. Thema Geschichte kompakt (2008), S. 50. Vgl. Kurshefte Geschichte (2012), S. 119. Vgl. ebd., S. 115. Vgl. Horizonte (2009), S. 164.

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Agenda. In zwei weiteren Lehrwerken wird das Verhalten der »Zuschauer« nur indirekt über Bilder zur Auflockerung des ansonsten sehr allgemein gehaltenen Verfassertextes aufgegriffen. Zum Illustrationsbestand von Buchners Kompendium Geschichte zählt dabei ein Foto, das zerstörte Schaufenster eines Geschäftes in der Potsdamer Straße in Berlin am Morgen nach dem Pogrom zeigt. Das Bild ist vollständig abgedruckt: links, Scherben zusammenfegend, die vermutlich jüdischen Besitzer und Angestellten, rechts davon der vermutlich nichtjüdische Passant mit Aktentasche in der Hand, der den Schaden betrachtet. Im Gegensatz zu Buchners Kolleg. Themen Geschichte aus der dritten Generation ist jetzt auch der am linken Bildrand mit Hut und Mantel gekleidete Herr zu sehen, der gleichfalls einen Blick auf das verwüstete Geschäft wirft (Abb. 70).1170 Die mit Forum Geschichte arbeitenden Schülerinnen und Schüler treffen auf ein Foto aus Essen, auf dem zahlreiche Schaulustige und Anwohner den Brand der Synagoge am 10. November beobachten (Abb. 71).1171 In den übrigen zehn Schulbüchern werden mehr Informationen über die »Zuschauer« gegeben. Sechs Lehrwerke bemühen sich erkennbar um eine differenzierte Darstellung, indem die Autorentexte und/oder Materialien Aufschluss über die Reaktionen in der deutschen Bevölkerung geben, die von offener Zustimmung zu und reger Beteiligung an den Ausschreitungen über verbreitete Indolenz bis zu mehr oder weniger verschämter Ablehnung und bisweilen auch Empörung reichten. Je nach Lehrwerk steht dabei mal mehr der eine, mal mehr der andere Aspekt im Vordergrund. Am deutlichsten wird das Verhalten der nichtjüdischen Bevölkerung im Verfassertext von Mosaik beschrieben: »Die Propaganda sprach von einem ›Akt des Volkszorns‹, doch das Volk reagierte widersprüchlich auf die Ereignisse des Novemberpogroms. Viele schauten ängstlich oder verlegen weg, wenn der ihnen bekannte jüdische Nachbar, Arzt oder Handwerker verhaftet wurde. Einige halfen den Verfolgten, andere beteiligten sich aktiv an den Brandschatzungen und Plünderungen.«1172

Der Autorentext von Zeit für Geschichte hebt die abwartende Passivität der Mehrzahl der Deutschen bei diesen in aller Öffentlichkeit vollzogenen Verbrechen hervor: »Ausgelöst wurde es [das Pogrom] von Entscheidungsträgern wie Joseph Goebbels, durchgeführt vor allem von uniformierten Angehörigen der NSDAP, zugesehen haben aber viele, ohne etwas dagegen zu unternehmen.«1173 Ausweitung erfährt diese Beschreibung durch die Verwendung einer Fotografie von einem zerstörten und ausgeplünderten jüdischen Geschäft. Auf der linken 1170 1171 1172 1173

Vgl. Buchners Kompendium Geschichte (2008), S. 346. Vgl. Forum Geschichte (2010), S. 160. Mosaik (2010), S. 138. Zeit für Geschichte (2010), S. 199.

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Bildhälfte deutlich zu erkennen ist eine Handvoll Spaziergänger, die – teils lächelnd – die Verwüstungen betrachten (Abb. 72).1174 Ein Arbeitsauftrag verlangt von den Schülerinnen und Schülern, das Bild zur Pogromnacht mit dem (auf der vorherigen Seite abgedruckten) Bild zum Boykotttag (Abb. 65) hinsichtlich der Reaktionen der Passanten zu vergleichen.1175 Nach einem ähnlichen Muster verfahren auch die Autorinnen und Autoren von Geschichte und Geschehen. Sie unterstreichen zunächst, dass »etliche mit Betroffenheit und Scham«1176 auf den offenen Terror während der Reichspogromnacht reagiert hätten. Gleichwohl habe dies nicht zu einem kollektiven Aufschrei geführt, denn »sie schwiegen und lehnten sich nicht dagegen auf«1177. Ein auf derselben Seite abgedrucktes Bild fügt dem Verfassertext einen neuen Aspekt hinzu. Es handelt sich um eine Aufnahme von in »Schutzhaft« genommenen jüdischen Männern, die am Tag nach der Pogromnacht von SA-Männern auf einem »Schandmarsch« unter den Augen der Öffentlichkeit durch die Straßen von Oldenburg getrieben werden. Auf dem Foto sind zahlreiche Passanten zu sehen, die dieses Ereignis – wiederum teilweise lachend – aufmerksam verfolgen (Abb. 73).1178 Das Verhalten der »Zuschauer« gerät noch einmal in den Fokus des Schulbuches durch einen Arbeitsauftrag, der die Lernenden zu forschend-entdeckendem Lernen bzw. zur Spurensuche vor Ort animieren möchte: »Informiere dich, was an deinem Ort in der Reichspogromnacht passierte und wie sich die Bevölkerung dazu verhielt.«1179 Die Autorinnen und Autoren von Horizonte verzichten derweil darauf, die gesellschaftlichen Reaktionen während der »Reichskristallnacht« im Verfassertext zu beschreiben. Gleichwohl ist das Thema im Lehrwerk präsent. Zum einen verwenden die Schulbuchmacherinnen und -macher das – der Illustration des Verfassertextes dienende – Foto, auf dem eine Menschenmenge das Abbrennen der Synagoge in Essen begafft (Abb. 74).1180 Zum anderen können die Lernenden aus einer im Arbeitsteil vorhandenen Textquelle verschiedene Reaktionen der Bevölkerung zusammenstellen.1181. Zitiert wird der folgende Auszug aus den Tagebüchern der Hamburger Lehrerin Luise Solmitz, die mit einem deutsch1174 1175 1176 1177 1178

Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 201. Geschichte und Geschehen (2011), S. 37. Ebd. Vgl. ebd. Der zu diesem (und einem weiteren) Foto formulierte Arbeitsauftrag zielt nicht auf die Reaktionen der nichtjüdischen Bevölkerung: »Viele Deutsche behaupteten nach 1945, sie hätten von der Verfolgung jüdischer Mitbürger nichts gewusst. Nimm anhand der Bilder auf dieser Doppelseite dazu Stellung.« (ebd., S. 36). 1179 Ebd., S. 39. 1180 Vgl. Horizonte (2009), S. 165. 1181 So verlangt es der Arbeitsauftrag: »Stelle die Reaktionen der Bevölkerung zusammen.« (ebd., S. 167).

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national eingestellten Frontoffizier des Ersten Weltkrieges verheiratet war, der aber in nationalsozialistischer Diktion als »Nichtarier« galt: »Ein böser, böser Tag. Fr. erfuhr es zuerst bei Grünmann, dass Geschäfte zerstört und geschlossen seien. Wir gingen zur Stadt, besorgten etwas […]. Die Leute unheimlich geschäftig, beschäftigt, Gruppen, Zusammenballungen, Sperrungen, all die großen jüdischen Geschäfte geschlossen, [bei] Robinsohn, Hirschfeld sämtliche Scheiben zertrümmert, ein fortwährendes Scheppern und Klirren von prasselnden Scheiben, an denen die Glaser arbeiteten; nie hörte ich so etwas an Klirren. Schweigende, erstaunte und zustimmende Leute. Eine hässliche Atmosphäre. ›Wenn die drüben unsere Leute totschießen, dann muss man so handeln‹, entschied eine ältere Frau. Um 18 Uhr im Rundfunk: Demonstrationen und Aktionen gegen die Juden seien sofort einzustellen. – Die Antwort auf den Mord an Herrn vom Rath werde der Führer auf dem Verordnungswege geben. – Goebbels lässt das sagen. D. h. unser Schicksal läuft langsam dem Untergang zu. An der Synagoge waren fast alle Scheiben zertrümmert, auch das Innere war wohl zerstört. Die Leute sahen durch die Türöffnungen hinein. Polizei stand im Vorgarten. Unablässig zogen Menschen vorüber. Abends brachten Gi. und ich einen kleinen Hund auf unsere Polizeiwache; ein Jude wurde untersucht, in einer Ecke lag auf einem Stuhl ein totenbleicher Mensch. Der kleine Hund beschnupperte den Mann: ›Pfui, lass‹, sagte der Polizeibeamte zu ihm, ›das ist ein Jude‹.«1182

Ähnlich verfahren Kursbuch Geschichte und Kurshefte Geschichte. Beide Lehrwerke aus dem Cornelsen-Verlag sparen in ihren Verfassertexten die Reaktionen der deutschen Bevölkerung auf die Brandstiftungen, Zerstörungen, Razzien und Verhaftungen des November 1938 aus. Sie verlagern die Problematik stattdessen in den Arbeitsteil, wo die Schülerinnen und Schüler anhand eines oder zweier Historikertexte das Verhalten der »Zuschauer« selbstständig rekonstruieren sollen. Die Schulbuchverfasserinnen und -verfasser von Kurshefte Geschichte stellen ihren Leserinnen und Lesern ein Arrangement divergierender Historikerurteile zur Verfügung. Zunächst wird aus Marion Kaplans 2001 erschienenem Buch »Der Mut zum Überleben« zitiert: »Der Novemberpogrom bietet Beispiele für das widersprüchliche Verhalten der Deutschen gegenüber den Juden – eine Mischung aus zügelloser Brutalität, gezielter Unwissenheit und gelegentlicher Freundlichkeit. Viele Leute schlossen sich den Nazis an, um jüdische Wohnungen, Betriebe und Synagogen anzugreifen und zu verbrennen. Andere zogen es vor, ihre jüdischen Nachbarn auszunutzen. In Bayern etwa bot ein ›arischer‹ Nachbar einer jüdischen Frau und ihrer Mutter nach der Verhaftung ihrer Ehemänner ein ›Geschäft‹ an. Die jüdischen Frauen sollten ihm die Besitzurkunde ihres Hauses überschreiben und Deutschland verlassen. […] Ingeborg Hechts Nachbarin versuchte es mit Entschuldigungen: ›Der Führer weiß das nicht‹, sagte sie und gab Ingeborg ein großes Lebensmittelpaket für deren Vater, als dieser aus [dem KZ] Sachsenhausen zurückkehrte. Mally Dienemann […] war tief berührt, als ihre nicht 1182 Ebd.

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jüdische Vermieterin ihr dabei half, die Wohnung zu reinigen: ›[…] Diese einfachen Leute […] brachten mir, als ich alleine war, Blumen.‹«1183

Es folgt ein längerer Auszug aus der einschlägigen Monographie von Peter Longerich, in dem es u. a. heißt: »Die Politik des Regimes, den vollständigen Ausschluss der Juden aus dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben mit dem Pogrom vom November 1938 zu vervollkommnen und durch Terror eine Massenflucht der Juden aus Deutschland auszulösen, nahm die Bevölkerung letztlich zwar hin, aber mit erheblichem Widerwillen, der sich vor allem gegen die Gewalttätigkeiten und Zerstörungen richtete. Trotz der vom Regime öffentlich gepflegten Interpretation der passiven Hinnahme als Zustimmung lässt sich an der unmittelbar nach dem Novemberpogrom gestarteten Propagandakampagne ablesen, dass aus Sicht der Verantwortlichen Rechtfertigungsbedarf bestand und der öffentlich zur Schau gestellte Antisemitismus noch zu wünschen übrig ließ. […] Wir können annehmen, dass die relativ starke Ablehnung, auf die die Gewaltaktionen vom 9. November bei der deutschen Bevölkerung trafen, ein Klima geschaffen hatte, das für die Rezeption einer scharfen antisemitischen Propagandakampagne nicht günstig war. Die Strategie, die Gewaltaktion im Nachhinein propagandistisch zu rechtfertigen und gerade die Schichten der deutschen Gesellschaft, die sich über den Pogrom so empört gezeigt hatten – insbesondere das Bildungsbürgertum –, unter Druck zu setzen, fruchtete letztlich wenig.«1184

Die Darstellungstexte laden zu vergleichender Analyse ein, was von den Lehrwerksautorinnen und -autoren so auch intendiert ist.1185 Die Schülerinnen und Schüler können z. B. erkennen, dass Kaplan die zügellose Brutalität und Beteiligung vieler Menschen, die gelegentliche Freundlichkeit und die Ausnutzung der jüdischen Nachbarn als unterschiedliche Reaktionen der nichtjüdischen Bevölkerung nennt. Demgegenüber vermag Longerich innerhalb der Bevölkerung eine relativ starke Abneigung gegen die Gewalt und Zerstörung auszumachen. Ein Indiz dafür sei die mit großem Aufwand betriebene NS-Propagandakampagne im Winter 1938/39 nach dem Pogrom, welche die offizielle Interpretation des Regimes der passiven Hinnahme als Zustimmung nachgerade konterkariere. Den Autorinnen und Autoren von Kursbuch Geschichte ist ebenfalls daran gelegen, dass die Lernenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Reaktionen der deutschen Bevölkerung auf die Ausschreitungen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 erarbeiten. Sie beschränken sich jedoch auf einen Fachtext: den oben zitierten Auszug aus dem Buch der Historikerin Kaplan.1186 1183 Kurshefte Geschichte (2012), S. 149f. 1184 Ebd., S. 150. 1185 Dafür spricht ein Arbeitsauftrag, der dazu anregt, die beiden Texte hinsichtlich der Reaktionen der deutschen Bevölkerung auf die NS-Judenverfolgung zu vergleichen. Vgl. ebd. 1186 Vgl. Kursbuch Geschichte (2009), S. 436.

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In durchaus signifikantem Gegensatz zu den bisher beschriebenen Schulgeschichtsbüchern stehen die Aufbereitungen in Das waren Zeiten, Zeiten und Menschen, Histoire/Geschichte und Historisch-Politische Weltkunde, und zwar insofern, als diese vier Lehrwerke sich nahezu ausschließlich auf die lebhafte Entrüstung von Teilen der Bevölkerung, einzelne Solidarisierungsakte und konkrete Hilfen konzentrieren. In Das waren Zeiten können die Schülerinnen und Schüler nur – in Form eines Erinnerungsberichtes aus Opferperspektive – etwas über die angeblich heftige Wut der Bevölkerung auf die antisemitischen Krawalle erfahren.1187 Die dem Text beigegebene Bildquelle – ein Foto der brennenden Synagoge in Hannover – trägt nicht zur Perspektivenerweiterung bei, weil sie für die Analyse wenig mehr als die reine Dokumentation des Geschehens liefert (Abb. 75).1188 Zeiten und Menschen verzerrt ebenfalls die reale Gemengelage der Verhaltensweisen, indem der Verfassertext die Empörung eines Teils der Bevölkerung klar akzentuiert und von einer ersten Bruchstelle des antijüdischen Konsenses zwischen Bevölkerung und Regime spricht.1189 Diese verklärende Position wird durch den Abdruck der Erinnerungen der damals zwölfjährigen Jüdin Hannele Zürndorfer aus Düsseldorf im Materialteil bestätigt.1190 Der Verfassertext von Historisch-Politische Weltkunde informiert über die Reaktionen der deutschen Bevölkerung auf die Ereignisse am und um den 9. November 1938 wie folgt: »Der Eindruck im Ausland war verheerend, am meisten in den USA, zu deren Grundlagen die religiöse Toleranz gehörte. Selbst der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt, der bis dahin die Schreckensmeldungen aus NS-Deutschland eher heruntergespielt hatte, reagierte auf einer Pressekonferenz angewidert: Er habe 1187 Vgl. Das waren Zeiten (2010), S. 153: »Als die empörten Parterrebewohner [die nichtjüdischen Hausbesitzer Schulze] nach oben liefen, saßen die alten Sternheims, Tochter und Schwiegersohn fassungslos und weinend auf den zerschlitzten Matratzen und Teppichen. Frau Schulze holte aus ihrer Wohnung mehrere Hitlerbilder und zerschmetterte diese auf allen den anderen Scherben. In ihrer heftigen Wut war das ihre erste Reaktion.« 1188 Vgl. ebd. 1189 Vgl. Zeiten und Menschen (2009), S. 138: »In dieser Nacht wütete nicht der Volkszorn, wie die Propaganda behauptete, sondern die radikale, antisemitische Parteibasis. Erstmalig hatte es viele jüdische Todesopfer gegeben – aber das bisherige ›bewusste Wegsehen‹ der deutschen Bevölkerung war nicht mehr so einhellig gewesen, es hatte auch einige Proteste gegen die sinnlose Zerstörungswut und die Morde gegeben.« 1190 Vgl. ebd., S. 139. Zürndorfer schildert in ihren Erinnerungen: »Ich erinnere mich an ein wenig Trost und Aufmerksamkeit inmitten des Chaos: An die Karps [die Karps waren die Nachbarn der Familie Zürndorfer], wie sie uns Tassen und warme Getränke brachten. Keine unserer eigenen Tassen war heil geblieben, kein Teller, kein Unterteller. […] Als mein Vater das örtliche Polizeirevier aufsuchte, um den Überfall zu melden und eine offizielle Anzeige aufzugeben, war der Polizeibeamte sehr verständnisvoll und gab zu, dass die Polizei die Übergriffe missbilligte, ließ aber durchblicken, dass sie Befehl bekommen hätten, nicht einzugreifen. Es täte ihm leid, aber sie seien machtlos, meinte er.«

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sich derartige Geschehnisse in einem zivilisierten Land bis dahin nicht vorstellen können. Angewidert waren auch – wie Goebbels über den SD erfuhr – Teile der deutschen Bevölkerung, die dem NS-Regime sonst mit Sympathie gegenüberstanden.«1191

Die Autorinnen und Autoren von Histoire/Geschichte wiederum ziehen im Arbeitsteil ein Foto heran – durch die Bildunterschrift als »Sichtung der Pogromschäden vom 10. November 1938« ausgewiesen (Abb. 76).1192 Ein zu dieser Bildquelle formulierter Arbeitsauftrag zielt auf historische Perspektivenübernahme. Die Schülerinnen und Schüler sollen hier die Gedanken und Gefühle der historischen Akteure nachvollziehen und ihren Standpunkt einnehmen. Konkret heißt es im Schulbuch: »Überlegen Sie, was die Passanten am Tag nach den Zerstörungen der Pogromnacht gefühlt haben mögen.«1193 Indessen gibt der Verfassertext die Interpretation gewissermaßen schon vor: »Gewaltaktionen wie die Reichspogromnacht von 1938 fanden […] geringere Akzeptanz.«1194

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Die Reaktionen der nichtjüdischen Bevölkerung auf die gewaltsame Verschleppung der deutschen Juden zur sofortigen oder späteren Ermordung in die Vernichtungslager in den besetzten Gebieten bleiben in allen Verfassertexten des untersuchten Samples unerwähnt. Wenn überhaupt, dann stellt der folgende Auszug das Maximum dessen dar, was die Schulbuchautorinnen und -autoren über die im Gestapojargon euphemistisch als »Evakuierungen« bezeichneten Deportationen »nach dem Osten« schreiben: »Die Deportation der Juden aus dem deutschen Reichsgebiet begann im Herbst 1941. Im Oktober erreichten die ersten Deportationszüge aus Wien, Prag und Berlin das Ghetto von Lodz.«1195 Gleichwohl sind die Reaktionen der »Zuschauer« in einigen Lehrwerken durchaus Gegenstand der Auseinandersetzung. Über das – in diesem Fall positive – Verhalten einer nichtjüdischen Bürgerin erfahren z. B. die Schülerinnen und Schüler etwas aus einer in Zeit für Geschichte abgedruckten Textquelle, in der es u. a. heißt: 1191 1192 1193 1194 1195

Historisch-Politische Weltkunde (2010), S. 220. Vgl. Histoire/Geschichte (2008), S. 269. Ebd. Ebd., S. 268. Kursbuch Geschichte (2009), S. 458. Vgl. mit ähnlich kurzen Formulierungen auch Zeiten und Menschen (2009), S. 151; Forum Geschichte (2010), S. 177; Geschichte und Geschehen (2011), S. 48.

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»Seit Sonnabend werden die Berliner Juden zusammengetrieben; abends um 21:15 Uhr werden sie abgeholt und über Nacht in eine Synagoge gesperrt. Dann geht es mit dem, was sie in der Hand tragen können, ab nach Litzmannstadt […] und Smolensk. Eine Bekannte […] hat gesehen, wie ein Jude auf der Straße zusammenbrach; als sie ihm aufhelfen wollte, trat ein Schutzmann dazwischen, verwehrte es ihr und gab dem auf dem Boden liegenden Körper einen Tritt, damit er in die Gosse rollte; dann wandte er sich mit einem Rest von Schamgefühl an die Dame und sagte: ›So ist es uns befohlen.‹«1196

Drei Bücher nähern sich über Bilder den Verhaltensweisen der deutschen Gesellschaft an. Forum Geschichte und Kurshefte Geschichte nutzen hierfür ein Foto, das einen Teil der insgesamt 58 Eisenacher Juden am 9. Mai 1942 mit ihrem Gepäck auf dem Fußweg durch die Stadt zum Bahnhof zeigt. Im Hintergrund sieht man zahlreiche Passanten – Männer, Frauen und Kinder –, die mehr oder weniger aufmerksam von dem Menschenzug Notiz nehmen. Der Marsch zum Bahnhof, bei dem es keine uniformierten Bewacher gibt, tritt den jugendlichen Betrachterinnen und Betrachtern des Fotos gleichsam als öffentlicher und alltäglicher Vorgang in Erscheinung (Abb. 77–78).1197 Geschichte und Geschehen verwendet eine Fotografie, welche den öffentlichen Fußmarsch Würzburger Juden von der Sammelstelle der Gestapo zum Nebenbahnhof Aumühle am 25. April 1942 dokumentiert. Die Deportationsopfer sind in der Bildmitte fokussiert und von Tätern und Zuschauern eingerahmt. Die Gruppe der Zuschauer am rechten Bildrand ist dabei einigermaßen scharf konturiert, wenngleich sich mimisch eindeutig interpretierbare Reaktionen der zuschauenden Passanten wegen der zu großen Entfernung aus der bildlichen Überlieferung nicht ausmachen lassen. Dennoch belegt auch dieses Foto als exemplarische Momentaufnahme der organisierten Massenverschleppung die kollektive Schaulust und Neugier des Straßenpublikums (Abb. 79).1198 Neben diesen vier Lehrwerken, die einzelne Verhaltensfacetten der »Zuschauer« in Text oder Bild wiedergeben, gibt es drei Bücher im Sample, die sich ausschließlich auf den außergewöhnlichen Rosenstraßen-Protest konzentrieren. Der Verfassertext zum Thema »Stationen der Verfolgung« in Historisch-Politische Weltkunde führt hierzu unter der Zwischenüberschrift »Berlin Rosenstraße« Folgendes aus: »Im Februar 1943 verhaftete die Berliner Sicherheitspolizei in einer überraschenden Razzia etwa 10 000 jüdische Zwangsarbeiter, die in kriegswichtigen Betrieben arbeiteten (›Industriejuden‹) und bis dahin von der Deportation verschont geblieben waren. Die Meisten von ihnen wurden samt ihren Familien sofort nach Auschwitz geschafft 1196 Zeit für Geschichte (2010), S. 225. Es handelt sich hierbei um einen Auszug aus einem Brief von Helmuth von Moltke an seine Frau Freya im Oktober 1941. 1197 Vgl. Forum Geschichte (2010), S. 176; Kurshefte Geschichte (2012), S. 143. 1198 Vgl. Geschichte und Geschehen (2011), S. 48.

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und in den Gaskammern ermordet. 1500 bis 2000, die in ›Mischehen‹ lebten, wurden in einem großen Verwaltungsgebäude in der Rosenstraße festgesetzt. Als dies bekannt wurde, versammelten sich nach und nach bis zu zweihundert ihrer ›arischen‹ Ehefrauen, oft mit ihren Kindern, in der Rosenstraße und verlangten lautstark die Freilassung ihrer Ehepartner und Väter. Sie ließen sich auch durch die Drohungen der das Gebäude bewachenden Polizisten und SS-Leute nicht einschüchtern und setzten ihren Protest tagelang fort. Weil das Verhalten der Frauen allmählich öffentliche Aufmerksamkeit erregte, gab die Gestapo-Führung schließlich nach und ließ die Inhaftierten frei.«1199

Die Autorinnen und Autoren von Das waren Zeiten dagegen greifen die spontane Protestdemonstration im zum Kapitel »Deutsche im Widerstand« gehörenden Arbeitsteil auf. Geboten werden einige Internettipps, ein – offensichtlich illustrativen Zwecken dienendes – Foto vom 1995 eingeweihten und von der Bildhauerin Ingeborg Hunzinger entworfenen Denkmal in der Berliner Rosenstraße zur Erinnerung an die Ereignisse (Abb. 80) sowie ein Beitrag der Journalistin Daniela Schmidt-Langels für das Kulturmagazin »aspekte« vom 14. März 2003, der die zu Beginn der 2000er Jahre geführte Historikerkontroverse um die Bedeutung und Beurteilung des Widerstandes von Frauen gegen die Verhaftung ihrer jüdischen Männer nachzeichnet. Die Schülerinnen und Schüler lesen: »Um die Bedeutung der Protestaktion ist unter Historikern eine Kontroverse ausgebrochen. Bislang ging man davon aus, dass der tagelange Protest der Frauen das NSRegime offensichtlich beeindruckte. Doch nach dem Studium neuer Aktenfunde kommt der Historiker Wolf Gruner zu der Ansicht: ›Die Quellen beweisen, dass das Reichssicherheitshauptamt die Juden aus ›Mischehen‹ zu diesem Zeitpunkt nicht abtransportieren wollte. Auch ist kein Deportationsplan wegen der Proteste der Angehörigen in der Rosenstraße aufgegeben worden. In der Rosenstraße zeigten Menschen in der allerletzten Phase der Massendeportationen Zivilcourage. Sie protestierten allerdings nicht gegen die Transporte generell, sondern wollten ihre jüdischen Angehörigen retten […]. Eine Opposition gegen die antijüdischen Maßnahmen – mit Aussicht auf Erfolg – hätte sich jedoch viel früher und breiter formieren müssen: 1933.‹ Dagegen meint Wolfgang Benz, Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung: Die Geschichte müsse nicht neu geschrieben werden. Denn es handle sich unverändert um ein mutiges Aufbegehren, das in der Zeit des Nationalsozialismus seinesgleichen suche.«1200

Das dritte Buch, das sich in Bezug auf die Deportationen von Juden nur den Frauenprotesten in der Rosenstraße widmet, ist Buchners Kompendium Ge1199 Historisch-Politische Weltkunde (2010), S. 223. 1200 Das waren Zeiten (2010), S. 182. Die jugendlichen Schulbuchleserinnen und -leser erhalten zwei Arbeitsaufträge. Sie sollen zunächst feststellen, worüber sich die Historiker bei der Beurteilung der Proteste in der Rosenstraße streiten. Anschließend sollen sie die Aussage »Hätten mehr Menschen so gehandelt, so hätte man die Vernichtung aufhalten können« angesichts der Kontroverse über den Protest erörtern.

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schichte. Neben einem kurzen Verfassertext, der im Kapitel »Widerstand« die Ereignisse vom Februar 1943 zusammenfasst1201, nehmen die Schulbuchautorinnen und -autoren im Arbeitsteil einen im Jahr 2003 unter der Überschrift »Die Wahrheit jenseits der Akten« in »Die Zeit« erschienenen Artikel des Geschichtswissenschaftlers Nathan Stoltzfuß auf.1202 Zu dieser Darstellung, die auch hier von einem Foto des Denkmals in der Berliner Rosenstraße illustriert wird (Abb. 81), erhalten die Schülerinnen und Schüler die Arbeitsaufträge herauszuarbeiten, worin nach Meinung des Autors die große Leistung der protestierenden Frauen bestehe, und zu erörtern, ob das Verhalten der Frauen für das NS-Regime gefährlich sein konnte. Zur Auseinandersetzung mit der Versteigerung bzw. Verwertung jüdischen Eigentums durch die nichtjüdische Bevölkerung werden nur die Leserinnen und Leser von drei Lehrwerken angeregt. In Zeiten und Menschen findet sich eine Textquelle, in der sich der Berliner »Halbjude« Hans-Peter Herz rückblickend zum Verhalten der »Volksgenossen« äußert. Nachdem er die Deportation jüdischer Bürgerinnen und Bürger aus Berlin beschrieben hat, schreibt er : »Ich habe mich im Hause versteckt und beobachtet, wie noch in der gleichen Nacht die Deutschen, die in dem Haus wohnten, die Wohnungen der Juden geplündert und 1201 Vgl. Buchners Kompendium Geschichte (2008), S. 375: »In der Berliner Rosenstraße wagten ›arische‹ Frauen im Februar 1943, sich für die Befreiung ihrer verhafteten jüdischen Ehegatten einzusetzen. Über mehrere Tage versammelten sie sich vor dem Gebäude Rosenstraße 2–4, das als provisorisches Gefängnis genutzt wurde, und riefen nach ihren Männern, um deren Freilassung zu erreichen. Umfang und Zahl der Beteiligten wie der Erfolg der Aktion sind in der historischen Forschung umstritten, nicht hingegen die Achtung, die man dem mutigen, riskanten Einsatz zollen muss […].« 1202 Vgl. ebd., S. 378: »Nehmen wir einmal an, die Protestierenden rannten eine offene Tür ein. Wer öffnete dann die Tür und warum? Und wie viele andere Deutsche waren bereit, öffentlich gegen den Strom zu schwimmen, oder sich gar, mitten in dem Unternehmen, den allerletzten Juden aus dem Reich zu beseitigen, in der Hoch-Zeit des Genozids also, öffentlich mit Juden zu verbünden? Wie viele drückten überhaupt öffentlich ihre Meinung gegenüber irgendeiner Politik aus, anstatt sich anzupassen? Die Widersetzlichkeit der Frauen in der Rosenstraße durchbrach den Mechanismus, der für die Nazimacht wesentlich war. […] Die mit Juden verheirateten Frauen, die sich weigerten wegzuschauen, es ablehnten, sich scheiden zu lassen, und in der Rosenstraße ihr Leben riskierten, drohten nicht so sehr, andere in den offenen Dissens zu führen (denn das war selbst für die, die in der ›inneren Emigration‹ lebten, ein allzu großer Schritt), als vielmehr die Augen anderer für unbequeme Wahrheiten zu öffnen. Dieses Ereignis, in dem gewöhnliche Leute auf die Bühne der Geschichte treten, ist wesentlich für das Gesamtbild von Gesellschaft und Diktatur des ›Dritten Reichs‹. In der hierarchischen, autoritären Auffassung des Staates, wie sie sich auch in dem Widerstandsbegriff der frühen Nachkriegszeit niederschlug, ist die Rosenstraße als Ereignis ausgeschlossen. In der Rosenstraße stehen die Frauen im Mittelpunkt. Ihre Würdigung bedeutet auch, die wenigen Deutschen zu würdigen, die ihr Leben riskierten, um dem Regime zu trotzen. Sie ist zugleich ein Schritt dahin, den Menschen und ihren Institutionen die Verantwortung für den Widerstand zurückzugeben, relativ zu dem Maß, in dem die Menschen Verantwortung für Hitlers Machtergreifung und seine Massenvernichtung trugen.«

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die Möbel weggeschleppt haben. Die gleichen Leute haben später behauptet, sie hätten nichts davon gewusst.«1203 Thema Geschichte kompakt und Geschichte und Geschehen drucken – jeweils mit leichtem Bildbeschnitt – die bekannte Fotografie ab, auf der im Jahr 1942 eine Menschenmenge bei der Versteigerung von Wäsche und Hausrat, die Juden bei ihrer Deportation zurücklassen mussten, in Hanau zu sehen ist (Abb. 82–83). Während im erstgenannten Schulbuch das Bild lediglich der Veranschaulichung des Verfassertextes dient1204, nimmt das Klett-Lehrwerk es als Quelle ernst und präsentiert es entsprechend, ablesbar am dazugehörigen Arbeitsauftrag: »Stell dir vor, eine der hier abgebildeten Personen würde sich damit verteidigen, dass der Protest gegen die Judenverfolgung gefährlich war. Was würdest du darauf antworten?«1205

4.

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Die Untersuchung ergibt, dass in vier Schulbüchern die Frage nach dem Wissen der deutschen Bevölkerung über die physische Vernichtung der Juden entweder keine Rolle spielt (Buchners Kompendium Geschichte und Thema Geschichte kompakt) oder von vergleichsweise geringem Gewicht ist. So findet der Kenntnisstand der Deutschen in Forum Geschichte keine nähere Thematisierung. Hier heißt es nur : »Wer die antisemitischen Äußerungen Hitlers und seiner Parteigenossen schon vor 1933 kannte, der musste sich große Sorgen machen um das Schicksal der jüdischen Bevölkerung nach der Machtübernahme.«1206 Schülerinnen und Schüler, die mit diesem Lehrwerk arbeiten, können also nur darüber spekulieren, ob es den Nationalsozialisten gelang, den Judenmord nach 1933 geheim zu halten. Die Autorinnen und Autoren von Mosaik leiten dagegen ein Kapitel mit der Überschrift »Erinnern für die Zukunft?« mit der Frage »Von allem nichts gewusst?« ein. Unter Rückgriff auf die ersten Entnazifizierungsbemühungen der Alliierten (Konfrontation der ehemaligen »Volksgenossen« mit dem im deutschen Namen begangenen Unrecht: angeordnete Zwangsbesichtigung der befreiten Konzentrationslager sowie filmische Inaugenscheinnahme des von den USA produzierten Dokumentarfilms »Todesmühlen«) betonen die Schulbuchmacherinnen und -macher, dass die meisten Deutschen nach dem Krieg abstritten, etwas von der systematischen Ermordung der Juden gewusst zu haben.1207 Eine Antwort, ob die deutsche Be1203 1204 1205 1206 1207

Zeiten und Menschen (2009), S. 160f. Vgl. Thema Geschichte kompakt (2008), S. 37. Geschichte und Geschehen (2011), S. 51. Forum Geschichte (2010), S. 158. Vgl. Mosaik (2010), S. 158.

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völkerung Kenntnisse über den Holocaust hatte oder nicht, bleibt das Schulbuch allerdings schuldig. Das verbleibende Untersuchungssample offenbart ein widersprüchliches Bild. Während drei Lehrwerke sich für eine weitgehend ahnungslose Bevölkerung aussprechen, unterstreichen sechs Bücher die große Verbreitung des Wissens. Bücher, welche die erstgenannte Position vertreten, sehen die angebliche Unkenntnis der Deutschen vor allem in der unvorstellbaren Monstrosität des Judenmords begründet. Die Autorinnen und Autoren von Zeit für Geschichte geben zu bedenken, dass die tatsächliche Ermordung der Juden trotz mancher Todesdrohung Hitlers in »Mein Kampf« oder in öffentlichen Reden für die meisten Menschen psychologisch nicht fassbar gewesen sei.1208 Selbst als später Nachrichten über Massenerschießungen, Vernichtungsstätten und Vergasungen ins Reichsgebiet durchgesickert seien, habe die Bevölkerung es nicht glauben können.1209 Ähnlich argumentieren auch die Schulbuchmacherinnen und -macher von Zeiten und Menschen. Als Hitler »die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa« in seiner Reichstagsrede vom 30. Januar 1939 öffentlich prophezeite, habe »kaum jemand«1210 geahnt, »in welch schrecklicher Weise diese Ankündigung umgesetzt werden würde«1211. Infolge des Krieges habe sich die Judenverfolgung zudem im Osten ausgetragen, wodurch die Ermordungen nicht im unmittelbaren Anschauungsbereich der meisten Deutschen verlaufen seien.1212 Hier lässt das Schulbuch also indirekt die These von der Abgelegenheit der Orte im geographisch nebulösen Osten, über die im »Altreich« niemand etwas wusste, wiederaufleben. Die Verwebung von durch geographische Auslagerung erzielter Geheimhaltung und Unvorstellbarkeit des Geschehens findet sich auch in Horizonte. Wenngleich die Schulbuchautorinnen und -autoren mit dem Hinweis auf verschiedene Personengruppen, die am Völkermord beteiligt waren, die Verbreitung des Wissens zumindest indirekt hervorheben1213, sprechen sie die Zivilbevölkerung durch die Hervorhebung der Geheimhaltungsbemühungen des NSRegimes und die Bemerkung, dass angesichts der Ungeheuerlichkeit des Holocaust bis heute »Grenzen des Verstehens«1214 bleiben, gewissermaßen von jedVgl. Zeit für Geschichte (2010), S. 179. Vgl. ebd., S. 218. Zeiten und Menschen (2009), S. 150. Ebd. Vgl. ebd., S. 150f. Vgl. Horizonte (2009), S. 192: »Es waren ja nicht nur einige fanatische Nationalsozialisten an diesem Verbrechen beteiligt, sondern eine Vielzahl von Personen: vom Dienststellenleiter und seinem Verwaltungsangestellten über den Lokomotivführer bis hin zum KZWärter.« 1214 Ebd.

1208 1209 1210 1211 1212 1213

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wedem Mitwissen frei. Wenn nämlich noch in der Gegenwart der Massenmord kaum fassbar sei, wie – so der unterschwellige Tenor der Aussage – hätte dann erst die damalige Bevölkerung die Mordpläne durchschauen können? Zu den Lehrwerken, in denen die zeitgenössische Kenntnis der deutschen Bevölkerung vom Holocaust eine besondere Akzentuierung erfährt, gehören Geschichte und Geschehen, Historisch-Politische Weltkunde, Histoire/Geschichte, Das waren Zeiten, Kursbuch Geschichte und Kurshefte Geschichte. Die Autorinnen und Autoren von Geschehen und Geschehen räumen dabei dem Kenntnisstand der Deutschen über den Holocaust einen eigenen Passus im Verfassertext ein, der mit der Zwischenüberschrift »Von allem nichts gewusst?« versehen ist. Sie weisen aus: »›Das haben wir nicht gewusst‹, behaupteten die meisten Deutschen nach dem Ende des Nationalsozialismus über den Völkermord an den Juden. Auch wenn sich die Nationalsozialisten um strikte Geheimhaltung der Verbrechen bemühten, so gab es einerseits viele Beteiligte daran: Ingenieure, die für die Errichtung der Lager zuständig waren, Bahnbedienstete, die die Transporte organisierten, Wissenschaftler, die von den Menschenexperimenten wussten, das Wachpersonal in den Vernichtungslagern usw. Zudem fanden die Verfolgungen in aller Öffentlichkeit statt; der Abtransport jüdischer Mitbürger fand in vielen Städten und Gemeinden vor den Augen zahlreicher Zuschauer statt.«1215

Hier wird erstens darauf hingewiesen, dass sich das Wissen über den Genozid an den europäischen Juden nicht nur auf die NS-Führungsspitze beschränkte, sondern ganz im Gegenteil eine Vielzahl Deutscher an der Vorbereitung, der logistischen Unterstützung und der eigentlichen Durchführung des Mordprogramms beteiligt war. Dass dieses Wissen somit weite Kreise zog, kann von den Schülerinnen und Schülern durchaus erschlossen werden. Zweitens vergegenwärtigen die Schulbuchmacherinnen und -macher hier nochmals die prinzipielle Öffentlichkeit der nationalsozialistischen »Judenpolitik«, die – mit Ausnahme des quasi industriell betriebenen Massenmordes in den Vernichtungslagern – vor aller Augen stattfand. Die nach dem Krieg nahezu gebetsmühlenartige Beteuerung der meisten Deutschen, von allem nichts gewusst zu haben, wird also widerlegt. Die Lehrwerksautorinnen und -autoren von Historisch-Politische Weltkunde konzentrieren sich dagegen insbesondere auf die von Hitler wiederholt ausgestoßene Drohung, die europäischen Juden würden in einem angeblich von ihnen verschuldeten Weltkrieg vernichtet werden. Der Verfassertext macht folgende Angabe: »In einer Reichstagsrede am 30. Januar 1939 hatte Hitler verkündet: ›Wenn es dem internationalen Finanzjudentum […] gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht […] der Sieg des Judentums sein, 1215 Geschichte und Geschehen (2011), S. 49.

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sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.‹ Ähnliche Ankündigungen wiederholte er in der Folgezeit, und mit diesem Hitlerwort schloss auch der antijüdische Hetzfilm ›Der ewige Jude‹, der ab dem 29. Oktober 1940 im gesamten Reich anlief. Als Goebbels am 18. Februar 1943 in seinem Aufruf zum ›totalen Krieg‹ von ›vollkommener und radikalster Ausrott-, schaltung des Judentums‹ sprach, rief dieser Versprecher bei dem Publikum, das aus ausgesuchten Parteigenossen bestand, ›starken Beifall, wilde Rufe, Gelächter‹ hervor. Wer es wissen wollte, konnte sich darüber im Klaren sein, dass die Ausschaltung der Juden nunmehr Ausrottung bedeutete.«1216

Eine ebenso klare Antwort auf die Frage, was der »normale« Deutsche wusste, gibt Histoire/Geschichte. Zusammengefasst urteilen die Autorinnen und Autoren, es sei »nun klar erwiesen, dass die fehlende Reaktion der Deutschen auf das schreckliche Schicksal der europäischen Juden nicht damit zu erklären ist, dass man von den Massakern im Osten nichts gewusst hätte«1217. Im Arbeitsteil des Kapitels »Die Vernichtung der Juden in Europa« hält das Schulbuch außerdem unter der Überschrift »Eine düstere Prophezeiung – Hitler und die Vernichtung der jüdischen Rasse« zwei Quellen bereit: einen Auszug aus der von Hitler im Reichstag am 30. Januar 1939 gehaltenen Rede1218 und einen Auszug aus einer am 30. September 1942 ebenfalls von Hitler gehaltenen Rede, in der er auf seine »Prophezeiung« zurückkommt1219. Einen anderen Ansatz wählt Das waren Zeiten. Der Verfassertext verweist zwar auf Hitlers »Prophezeiung«1220 und stellt die Beteiligung von mehr als

1216 Historisch-Politische Weltkunde (2010), S. 222. 1217 Histoire/Geschichte (2008), S. 355. 1218 Vgl. ebd., S. 331: »Und eines möchte ich an diesem vielleicht nicht nur für uns Deutsche denkwürdigen Tage nun aussprechen: Ich bin in meinem Leben sehr oft Prophet gewesen und wurde meistens ausgelacht. In der Zeit meines Kampfes um die Macht war es in erster Linie das jüdische Volk, das nur mit Gelächter meine Prophezeiungen hinnahm, ich würde einmal in Deutschland die Führung des Staates und damit des ganzen Volkes übernehmen und dann unter vielen anderen auch das jüdische Problem zur Lösung bringen. Ich glaube, dass dieses damalige schallende Gelächter dem Judentum in Deutschland unterdes wohl schon in der Kehle erstickt ist. Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.« 1219 Vgl. ebd.: »Die Juden haben einst auch in Deutschland über meine Prophezeiungen gelacht. Ich weiß nicht, ob sie heute noch lachen oder ob ihnen nicht das Lachen bereits vergangen ist. Ich kann aber auch jetzt nur versichern: Es wird ihnen das Lachen überall vergehen. Und ich werde auch mit diesen Prophezeiungen Recht behalten.« 1220 Vgl. Das waren Zeiten (2010), S. 172: »Hitler hatte seine Absicht, die Juden zu vernichten, schon am 30. Januar 1939, also noch vor Kriegsbeginn, in einer Reichstagsrede offen zu erkennen gegeben: ›Wenn es dem internationalen Finanzjudentum […] gelingen sollte, die Völker noch einmal in einem Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis […] die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa sein.‹«

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500.000 Menschen an der »Endlösung der Judenfrage« heraus1221, verzichtet aber auf eine eigene Positionierung in der Frage nach dem Wissen der deutschen Mehrheitsbevölkerung über die Tötung der Juden. Stattdessen betrauen die Schulbuchgestalterinnen und -gestalter den Arbeitsteil mit der Information. Dort finden die Lernenden einen Auszug aus »Die Zeit« vom 8. März 2007, in der sich Saul Friedländer zu der Frage »Wie weit reichte das Wissen um den Holocaust?« äußert. Zu lesen ist: »Sehr weit, in Osteuropa sowieso, aber auch in Zentraleuropa und vor allem in Deutschland, und das aus ganz einfachen Gründen: Die Leute sprachen darüber. Millionen Soldaten an der Ostfront schrieben nach Hause – ich zitiere sehr viele dieser Briefe, in denen von der grausamen Behandlung der Juden die Rede war. Soldatenzüge kreuzten sich mit Deportationszügen. Die Familienangehörigen der SS-Wachmannschaften sahen alles, und sie redeten, wenn sie nach Deutschland zurückfuhren. Der gesamte Umfang des Massenmords war vielleicht nur einer kleinen Gruppe klar, doch seit Ende 1942 wussten breite Schichten der deutschen Bevölkerung von der systematischen Vernichtung der Juden.«1222

Einen prominenten Platz nimmt die zeitgenössische Kenntnis der deutschen Gesellschaft vom Völkermord an den Juden Europas auch in den Oberstufenbänden aus dem Cornelsen-Verlag ein. Zunächst zu Kursbuch Geschichte: Die Schulbuchautorinnen und -autoren unterstreichen zunächst in einem Abschnitt des Verfassertextes, der einen kurzen historischen Rückblick auf die HolocaustForschung gibt, die Bedeutung des Themas für die Wissenschaft: »Ein weiterer zentraler Forschungsgegenstand der Geschichtswissenschaft betrifft die Frage, was die deutsche Bevölkerung über den nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden wusste.«1223 Die Leserinnen und Leser erhalten zum Verfassertext – und das ist eine ausgesprochene Seltenheit – einen Arbeitsauftrag: »Formulieren Sie auf der Grundlage des Darstellungstextes eine erste Hypothese zu der Frage: Was wussten die Deutschen vom Holocaust?«1224 Im Verfassertext erfährt man u. a., dass Hitler mehrfach und in aller Öffentlichkeit von der Vernichtung der europäischen Juden sprach; außerdem wird auf die Involvierung einer Vielzahl von Personen, Behörden und Betrieben in die »Endlösung« hingewiesen.1225 Im Arbeitsteil ist dann – neben Rudolf Höß’ Be1221 Vgl. ebd.: »Für die Shoa […] trug nicht nur ein kleiner Kreis von Politikern, Beamten und Offizieren die Verantwortung: Letztlich arbeiteten mehr als 500 000 Menschen, darunter auch viele gebildete Bürger, von ihren Schreibtischen aus oder in den Lagern dafür, dass die Vernichtungsmaschinerie funktionierte.« 1222 Ebd., S. 174. 1223 Kursbuch Geschichte (2009), S. 460. 1224 Ebd. 1225 Vgl. ebd., S. 458f. Die Marginalspalte gibt zudem einen Internettipp: ein Interview mit Peter Longerich im Deutschlandradio über das Wissen der Deutschen während der NSZeit über den Holocaust.

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schreibungen seiner Tätigkeit in Auschwitz1226 – der nachfolgende Auszug aus Peter Longerichs Monographie »Davon haben wir nichts gewusst!« vertreten, aus dem, so der Arbeitsauftrag, die Schülerinnen und Schüler erarbeiten sollen, welche Informationen über die Judenvernichtung zu welchem Zeitpunkt vermutlich in Deutschland bekannt waren: »Im Laufe des Jahres 1942 machten im Reichsgebiet zunehmend Gerüchte über die Ermordung der Juden die Runde. Vor allem über Erschießungen wurde häufig spekuliert, und vielen war klar, dass die Deportierten dem Tod entgegensahen. Gemutmaßt wurde auch über den Massenmord mit Giftgas, konkrete Informationen über Vernichtungslager waren indes kaum im Umlauf. Ab Mitte 1942 begann das Regime, auf die zunehmenden Gerüchte über die Ermordung der Juden offensiv zu reagieren. Im Oktober erließ die Partei-Kanzlei eine parteiinterne Sprachregelung, in der sie in einer Weise Stellung zu Gerüchten über die Erschießungen im Osten nahm, die als Bestätigung gelesen werden konnte. Gleichzeitig versuchte das Regime, die immer offener propagierte Vernichtung der Juden zu rechtfertigen: Man komme damit der jüdischen Vernichtungsabsicht zuvor. […] Die öffentliche Handhabung des Themas durch das Regime in der zweiten Jahreshälfte 1942 lief also darauf hinaus, die umlaufenden Gerüchte indirekt zu bestätigen; dahinter stand offenkundig das Kalkül, die deutsche Bevölkerung zu Zeugen und Mitwissern des Massenmordes an den Juden zu machen. Die ›Judenfrage‹ wurde so zu einem öffentlichen Geheimnis; umgeben von einer Aura des Unheimlichen, handelte es sich um etwas, worüber man besser nicht sprach, das im allgemeinen Bewusstsein jedoch deutlich präsent war. Die vorhandenen Informationen zu einem Gesamtbild vom wirklichen Umfang der Judenverfolgung […] zusammenzusetzen, war in dieser Atmosphäre für die meisten offenbar außerordentlich schwierig. […] 1943 versuchte das Regime […] noch einmal, die von ihm gesteuerte Öffentlichkeit mithilfe der ›Judenfrage‹ neu auszurichten. Der Bevölkerung wurde klar gemacht, dass sie im Falle einer Niederlage für die Verbrechen des Regimes als dessen Mitwisser und Komplizen zur Rechenschaft gezogen werden würde; Angst vor Vergeltung sollte die letzten Reserven mobilisieren und den Durchhaltewillen der Bevölkerung zum Fanatismus steigern. […] Die Botschaft des Regimes, an der ›Judenfrage‹ entscheide sich nicht nur die Existenz des ›Dritten Reiches‹, sondern auch die des deutschen Volkes, wurde in der Bevölkerung durchaus verstanden – und gleichzeitig sperrte man sich offenkundig gegen die Vorstellung einer kollektiven Haftung für die verübten Verbrechen. Je wahrscheinlicher diese Niederlage wurde, desto größer war das Bedürfnis, sich dem Wissen über das offensichtlich vor sich gehende Verbrechen zu entziehen. […] Hatte das Regime zwischen Spätsommer 1941 und Frühjahr 1943 auf den deutlichen Unwillen der Bevölkerung in der ›Judenfrage‹ mit verstärkter antisemitischer Propaganda reagiert und sich immer offener zur Vernichtung und Ausrottung der Juden bekannt, so wurde die ›Endlösung‹ ab Mitte 1943 mehr und mehr 1226 Die Schülerinnen und Schüler lesen u. a.: »Wir sollten diese Vernichtungen im Geheimen ausführen, aber der faule und Übelkeit erregende Gestank, der von der ununterbrochenen Körperverbrennung ausging, durchdrang die ganze Gegend, und alle Leute, die in den umliegenden Gemeinden lebten, wussten, dass in Auschwitz Vernichtungen im Gange waren.« (ebd., S. 461).

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zum Un-Thema. […] In dieser von Angst – sowohl vor der ›jüdischen Rache‹ als auch vor Erörterung der zum Tabu gewordenen ›Endlösung‹ – erfüllten Atmosphäre der zweiten Kriegshälfte war die Bevölkerung offenbar mehr oder weniger unwillig, sich weiterhin mit Details der ›Judenfrage‹ zu befassen und die bruchstückhaft vorhandenen Einzelinformationen und offiziellen Stellungnahmen des Regimes zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Damit hätte man sich eingestehen müssen, dass der Massenmord an den Juden ein Jahrhundertverbrechen darstellte, das sich wesentlich von den an anderen vertilgten Gruppen und unterjochten Völkern verübten Verbrechen unterschied. Zwischen Wissen und Unwissen gab es also eine breite Grauzone, gekennzeichnet durch Gerüchte und Halbwahrheiten, Imagination, verordnete und selbst auferlegte Kommunikationsbeschränkungen, Nicht-Wissen-Wollen und NichtBegreifen-Können. Die Tatsache, dass das Thema in den letzten beiden Kriegsjahren eine wesentlich geringere Rolle in der Propaganda des Regimes wie in der Deutschlandpropaganda der Alliierten spielte als im Zeitraum 1941 bis Mitte 1943, beförderte die Tendenz zur Verdrängung noch. Die einfachste und vorherrschende Haltung war daher sichtbar zur Schau getragene Indifferenz und Passivität gegenüber der ›Judenfrage‹ – eine Einstellung, die nicht mit bloßem Desinteresse an der Verfolgung der Juden verwechselt werden darf, sondern als Versuch gesehen werden muss, sich jeder Verantwortung für das Geschehen durch ostentative Ahnungslosigkeit zu entziehen.«1227

Nach einem ähnlichen Muster geht Kurshefte Geschichte vor. Nach dem Hinweis auf die Mitwirkung Hunderttausender am Holocaust1228 stellen die Schulbuchautorinnen und -autoren die Frage: »Wie viel wusste die nichtjüdische Bevölkerung?«1229 Der Arbeitsteil eröffnet den Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, die Frage selbstständig anhand eines abgedruckten Historikertextes zu beantworten. Wiederum handelt es sich um einen längeren (und im Vergleich zu Kursbuch Geschichte nur minimal veränderten) Auszug aus dem Buch Longerichs zu der Frage, was über den Judenmord bekannt war.1230 Die Lernenden 1227 Ebd., S. 462. 1228 Vgl. Kurshefte Geschichte (2012), S. 132: »An dieser Tötung haben in Deutschland und in Europa Hunderttausende mitgewirkt: als Ärzte, als Polizisten, als Eisenbahner, als Hersteller und Lieferanten von Giftgas, als Soldaten, als SS-Lagerpersonal.« 1229 Ebd. 1230 Vgl. ebd., S. 151: »Im Laufe des Jahres 1942 machten im Reichsgebiet zunehmend Gerüchte über die Ermordung der Juden die Runde. Vor allem über Erschießungen wurde häufig spekuliert, und vielen war klar, dass die Deportierten dem Tod entgegensahen. Gemutmaßt wurde auch über den Massenmord mit Giftgas, konkrete Informationen über Vernichtungslager waren indes kaum im Umlauf. Ab Mitte 1942 begann das Regime, auf die zunehmenden Gerüchte über die Ermordung der Juden offensiv zu reagieren. Im Oktober erließ die Partei-Kanzlei eine parteiinterne Sprachregelung, in der sie in einer Weise Stellung zu Gerüchten über die Erschießungen im Osten nahm, die als Bestätigung gelesen werden konnten. Gleichzeitig versuchte das Regime, die immer offener propagierte Vernichtung der Juden zu rechtfertigen: Man komme damit der jüdischen Vernichtungsabsicht zuvor. […] Die öffentliche Handhabung des Themas durch das Regime in der zweiten Jahreshälfte 1942 lief also darauf hinaus, die umlaufenden Gerüchte indirekt

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sollen auch hier aus dem Darstellungstext herausarbeiten, welche Information über die Judenvernichtung zu welchem Zeitpunkt vermutlich bekannt war. Ein zweiter Arbeitsauftrag fordert die Schülerinnen und Schüler zudem auf, mithilfe des Textes die Informationspolitik des NS-Regimes über die Massenmorde zu untersuchen.1231 Als weitere Materialien, aus denen die Lernenden Rückschlüsse auf die Propagandastrategie des Regimes und die Verbreitung des Wissens über den Holocaust ziehen könnten, sind außerdem vertreten: die Vernichtungsdrohungen Hitlers während seiner Reichstagsrede vom 30. Januar 19391232, die zu bestätigen; dahinter stand offenkundig das Kalkül, die deutsche Bevölkerung zu Zeugen und Mitwissern des Massenmordes an den Juden zu machen. Die ›Judenfrage‹ wurde so zu einem öffentlichen Geheimnis; umgeben von einer Aura des Unheimlichen, handelte es sich um etwas, worüber man besser nicht sprach, das im allgemeinen Bewusstsein jedoch deutlich präsent war. Die vorhandenen Informationen zu einem Gesamtbild vom wirklichen Umfang der Judenverfolgung […] zusammenzusetzen, war in dieser Atmosphäre für die meisten offenbar außerordentlich schwierig. […] 1943 versuchte das Regime also noch einmal, die von ihm gesteuerte Öffentlichkeit mithilfe der ›Judenfrage‹ neu auszurichten. Der Bevölkerung wurde klar gemacht, dass sie im Falle einer Niederlage für die Verbrechen des Regimes als dessen Mitwisser und Komplizen zur Rechenschaft gezogen werden würde; Angst vor Vergeltung sollte die letzten Reserven mobilisieren […]. Die Botschaft des Regimes, an der ›Judenfrage‹ entscheide sich nicht nur die Existenz des ›Dritten Reiches‹, sondern auch die des deutschen Volkes, wurde in der Bevölkerung durchaus verstanden – und gleichzeitig sperrte man sich offenkundig gegen die Vorstellung einer kollektiven Haftung für die verübten Verbrechen. Je wahrscheinlicher diese Niederlage wurde, desto größer war das Bedürfnis, sich dem Wissen über das offensichtlich vor sich gehende Verbrechen zu entziehen […]. In dieser Angst – sowohl vor der ›jüdischen Rache‹ als auch vor Erörterung der zum Tabu gewordenen ›Endlösung‹ – erfüllten Atmosphäre der zweiten Kriegshälfte war die Bevölkerung offenbar mehr oder weniger unwillig, sich weiterhin mit Details der ›Judenfrage‹ zu befassen und die bruchstückhaft vorhandenen Informationen und offiziellen Stellungsnahmen des Regimes zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Damit hätte man sich eingestehen müssen, dass der Massenmord an den Juden ein Jahrhundertverbrechen darstellte […]. Zwischen Wissen und Unwissen gab es also eine breite Grauzone, gekennzeichnet durch Gerüchte und Halbwahrheiten, Imagination, verordnete und selbst auferlegte Kommunikationsbeschränkungen, Nicht-Wissen-Wollen und Nicht-Begreifen-Können. Die Tatsache, dass das Thema in den letzten beiden Kriegsjahren eine wesentlich geringere Rolle in der Propaganda des Regimes wie in der Deutschlandpropaganda der Alliierten spielte als im Zeitraum 1941 bis Mitte 1943, beförderte die Tendenz zur Verdrängung noch. Die einfachste und vorherrschende Haltung war daher sichtbar zur Schau getragene Indifferenz gegenüber der ›Judenfrage‹ – eine Einstellung, die nicht mit bloßem Desinteresse an der Verfolgung der Juden verwechselt werden darf, sondern als Versuch gesehen werden muss, sich jeder Verantwortung für das Geschehen durch ostentative Ahnungslosigkeit zu entziehen.« 1231 Vgl. ebd. 1232 Vgl. ebd., S. 137: »Ich bin in meinem Leben sehr oft Prophet gewesen und wurde meistens ausgelacht. In der Zeit meines Kampfes um die Macht war es in erster Linie das jüdische Volk, das nur mit Gelächter meine Prophezeiungen hinnahm, ich würde einmal in Deutschland die Führung des Staates und damit des ganzen Volkes übernehmen und dann unter vielen anderen auch das jüdische Problem zur Lösung bringen. Ich glaube, dass dieses damalige Gelächter dem Judentum in Deutschland unterdes wohl schon in der

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durch Auszüge aus Longerichs »Politik der Vernichtung« in den historischen Kontext eingeordnet werden1233, und eine einschlägige Passage aus dem vom Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß, während seiner Haftzeit in Polen verfassten Lebensbericht1234.

5.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

5.1.

Verbreitung antisemitischer Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung

Aus der Mehrzahl der untersuchten Schulgeschichtsbücher wird ersichtlich, dass bereits vor 1933 antijüdische Einstellungen in der deutschen Gesellschaft grassierten. Festgehalten wird dabei zumeist auch, dass es den NationalsoziaKehle erstickt ist. Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in- und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.« 1233 Vgl. ebd., S. 137f.: »Diese sich zwischen November 1938 und Januar 1939 auffällig häufenden Vernichtungsankündigungen bedeuteten jedoch nicht, dass die NS-Führungsspitze bereits zu diesem Zeitpunkt […] fest dazu entschlossen gewesen wäre, die europäischen Juden bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit mit einem Massenmord zu überziehen. Der Sinn dieser Ankündigungen erscheint demgegenüber durchaus mehrdeutig. Die taktische Absicht dieser Ankündigungen, insbesondere der Rede Hitlers vom 30. Januar, liegt auf der Hand: Durch die Vernichtungsdrohung sollte der Vertreibungsdruck auf die deutschen Juden erhöht und die Aufnahmebereitschaft des Auslands erpresst werden. In diesem Zusammenhang sind die im November 1938 einsetzenden Kontakte und schließlich Verhandlungen zwischen der Reichsregierung und dem in Evian geschaffenen Intergovernmental Committee von größter Wichtigkeit; die Regierungen der potenziellen Aufnahmeländer und das ›internationale Finanzjudentum‹ sollten durch Drohungen dazu gezwungen werden, mithilfe einer Anleihe und Erleichterungen für den deutschen Export (also den endgültigen Verzicht auf den gegen Deutschland gerichteten Boykott) einer umfassenden Auswanderungslösung zuzustimmen. Zweitens sollte mit der Ankündigung, die Juden unter deutscher Herrschaft im Falle eines Weltkrieges zu vernichten, die Bildung einer gegen Deutschland gerichteten Allianz der Westmächte im Falle eines deutschen militärischen Vorgehens auf dem Kontinent verhindert werden: Würde ein von Deutschland begonnener Krieg durch das Eingreifen der Westmächte zum Weltkrieg, befänden sich die Juden im deutschen Einflussbereich automatisch in der Rolle mit dem Tode bedrohter Geiseln. Die Vernichtungsdrohung erhielt aber noch eine weitere Perspektive: Sollte sie wirkungslos bleiben, das heißt, sollte die Auswanderung keine wesentlichen Fortschritte machen und sollten sich die Westmächte im Falle eines Krieges nicht von einer Intervention abhalten lassen, so war die ›Schuld‹ für eine weitere Verschärfung der deutschen Judenverfolgung aus der Sicht führender Nationalsozialisten bereits eindeutig zugewiesen.« 1234 Vgl. ebd., S. 140: »Wir sollten diese Vernichtungen im Geheimen ausführen, aber der faule und Übelkeit erregende Gestank, der von der ununterbrochenen Körperverbrennung ausging, durchdrang die ganze Gegend, und alle Leute, die in den umliegenden Gemeinden lebten, wussten, dass in Auschwitz Vernichtungen im Gange waren.«

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listen gelang, mit ihren radikal-antisemitischen Forderungen eine breite Mehrheit der Bevölkerung hinter sich zu bringen. Ausnahmen stellen lediglich Zeiten und Menschen und Das waren Zeiten dar. Während im erstgenannten Buch die Ausbreitung des Antisemitismus in Deutschland nirgendwo diskutiert wird, vermerkt das zweitgenannte Unterrichtswerk lediglich die große Faszinationskraft, welche die von der NS-Propaganda beschworene »Volksgemeinschaft« auf viele Menschen ausübte. Dass die Formel von der »Volksgemeinschaft« aber gerade deshalb besonders wirkungsmächtig war, weil zu ihr nur die »anständigen Bürger arischen Blutes« gehören sollten, bleibt unerwähnt.1235 Alle für den Einsatz in der Sekundarstufe I geeigneten Schulbücher greifen den Untersuchungsgegenstand in denjenigen Kapiteln auf, welche über die wichtigsten Elemente der nationalsozialistischen Ideologie berichten. Im Vergleich zum restlichen Korpus fällt die Darstellung in Forum Geschichte etwas ab, und zwar insofern, als über die Verbreitung antisemitischer Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung nur sehr vage informiert wird. Die Schulbuchmacherinnen und -macher begnügen sich mit der kurzen Feststellung, dass das nationalsozialistische Ideengut sich an Vorstellungen orientiert habe, die in der deutschen und österreichischen Geschichte wurzelten.1236 Differenzierter stellen dies dagegen die Autorinnen und Autoren von Horizonte dar. Sie streichen heraus, dass die Kernbestandteile der NS-Ideologie – der Antisemitismus, die Rassenlehre, die Lebensraumtheorie, das Führerprinzip und die Idee von der »Volksgemeinschaft«, aus der Juden und andere Gegner des Regimes per definitionem ausgeschlossen waren – in der damaligen Zeit weitverbreitet waren und so die NSDAP für große Teile der Gesellschaft attraktiv machten.1237 Noch deutlicher kommen die bestehenden judenfeindlichen Ressentiments der deutschen Gesellschaft und deren besondere Empfänglichkeit für die antisemitische Argumentation des Nationalsozialismus bei Mosaik zum Ausdruck. Der Verfassertext zu »Was dachten die Nationalsozialisten?« weist zunächst auf die propagandistische Wirksamkeit der NS-Ideologie während der Krise der Weimarer Republik hin: Hitlers Gedankenwelt, in der der Rassenantisemitismus einen zentralen Platz einnahm, habe unterschiedliche Bevölkerungskreise fasziniert.1238 Im Kapitel »Erinnern für die Zukunft?« entlarvt das Schulbuch dann die von den meisten Deutschen nach Kriegsende vorgebrachte Aussage, die an den Juden verübten Verbrechen nicht gewollt zu haben, als plumpen Rechtfertigungsversuch für das eigene moralische Versagen. Denn nur wenige Jahre

1235 1236 1237 1238

Vgl. Das waren Zeiten (2010), S. 133. Vgl. Forum Geschichte (2010), S. 140. Vgl. Horizonte (2009), S. 150f. Vgl. Mosaik (2010), S. 126.

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zuvor, so die Autorinnen und Autoren, seien »Rassenideologie, Innen- und Außenpolitik der Nazis noch auf breite Zustimmung gestoßen«1239. In leicht abgeschwächter Form kehrt das hier erkennbare Darstellungsmuster in Zeit für Geschichte wieder. Den Schulbuchmacherinnen und -machern zufolge habe die Ideologie des Nationalsozialismus, darunter auch die Forderung, die Juden als »Todfeinde« des deutschen Volkes müssten aus dem Reich entfernt werden, für viele Bevölkerungsgruppen Teilziele angeboten, mit denen sie sich identifizieren konnten. Vor allem in bürgerlichen Kreisen habe es traditionell antisemitische Einstellungen gegeben und die Vorstellung, in den Juden die Schuldigen an der allgemeinen Wirtschaftskrise zu sehen, sei über alle gesellschaftlichen Schichten weitverbreitet gewesen.1240 Der Verfassertext von Geschichte und Geschehen wiederum beschreibt kurz Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem traditionellen und dem nationalsozialistischen Antisemitismus. Das Urteil über die Einstellung der deutschen Bevölkerung fällt eindeutig aus: Viele Menschen teilten die antisemitischen Positionen der NSBewegung.1241 Mit einer Ausnahme geht aus allen für die gymnasiale Oberstufe konzipierten Schulbüchern sowohl hervor, dass es ein tiefes »Unbehagen« gegenüber Juden gab, als auch, dass der radikale Rassenantisemitismus in weiten Teilen der Gesellschaft auf Akzeptanz stieß. In drei Fällen wird darüber hinaus explizit herausgestellt, dass die »gemäßigte« Judenfeindschaft unter den Massen in Deutschland eine von mehreren Ursachen für Judenverfolgung und -vernichtung war. Eher untypisch für das Sample ist Historisch-Politische Weltkunde. Das Schulbuch ist insofern ein Sonderfall, als es zwar ausführlich auf die Tradition antisemitischer Denkmuster eingeht, die Frage nach der Akzeptanz des von den Nationalsozialisten propagierten Rassenantisemitismus jedoch ausspart. Die Lehrwerksautorinnen und -autoren berichten über Kontinuitäten, die die NSHerrschaft möglich machten. Dabei erfahren die antisemitischen Ressentiments eine besondere Akzentuierung. Diese seien keine »Erfindung« Hitlers, sondern bereits im 19. Jahrhundert, vor allem im Deutschen Kaiserreich, weitverbreitet gewesen, zumal in kleinbürgerlichen wie gebildeten Schichten. Konkret heißt es im Schulbuch: »Kontinuitäten mehrfacher Art zeigt die Geschichte des Antisemitismus. In den Kirchen und im Kleinbürgertum gab es eine lange Tradition heftiger Judenfeindschaft, obwohl versöhnliche Stimmen und freundliche Beziehungen zu Juden nie fehlten. Seit dem 19. Jahrhundert verschärfte sich die antijüdische Stimmung; auch in den Verei1239 Ebd., S. 158. 1240 Vgl. Zeit für Geschichte (2010), S. 178f. 1241 Vgl. Geschichte und Geschehen (2011), S. 20.

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nigungen der Agrarier und der Studenten herrschte eine Abwehrhaltung gegenüber den Juden. Gerade im Gefolge der Emanzipation, die die Juden vom Ghettodasein befreite, verstärkten sich Mechanismen der gesellschaftlichen Ausgrenzung. Dennoch kam vor 1914 kaum jemand auf den Gedanken, dass dem Judentum gerade von Deutschland die Katastrophe drohen könnte. Die Feindschaft gegen die Juden war in Osteuropa viel heftiger, wo sie wiederholt in Pogromen, in blutigen Ausschreitungen gipfelte, und sogar in Frankreich erregte die antijüdische Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts größeres Aufsehen als in Deutschland. […] In Deutschland nahm die Judenfeindschaft jedoch mehr als anderswo eine Wende, die aus der Rückschau verhängnisvoll wirkt: Sie wurde zum ›Antisemitismus‹, zur Ideologie, zum Eckstein einer pseudowissenschaftlichen Welterklärung […]. In der völkischen Phantasiewelt stand deutscher Idealismus gegen jüdisch-materialistische Geldgier, deutsche Gemeinschaft gegen jüdischen Konkurrenzkampf, deutsches Gemüt gegen jüdisches Kalkül. Von nun an gab es in Deutschland die absurde Vorstellung, mit der Ausmerzung des jüdischen Einflusses ließen sich Grundprobleme der Gesellschaft lösen und würde die deutsche Kultur gerettet und vervollkommnet. Bei alledem blieb es jedoch bis zum Ersten Weltkrieg häufig in der Schwebe, wieweit der Feind in den realen Juden – und zwar ohne Unterschied – gesehen wurde oder lediglich in einem ›jüdischen Geist‹, der auch in Nichtjuden wirkte und wesentlich auf geistiger Ebene zu bekämpfen war. Kaum ein gebildeter Antisemit jener Zeit wäre auf die Idee gekommen, sich an Juden körperlich zu vergreifen, und hätte geleugnet, dass es auch ›anständige‹ Juden gab, die ›gute Deutsche‹ waren. Ein Optimist konnte um 1900 viele Anzeichen einer fortschreitenden Integration der Juden in die deutsche Gesellschaft wahrnehmen. Wenn sich deutsche Juden um 1933 die Zukunft in Analogie zur Vergangenheit vorstellten, wurden sie irregeführt: Damals waren den Worten keine Taten, war der antijüdischen Hetze keine brachiale Gewalt gefolgt, schon gar nicht von der Spitze des Staates. Karl Lueger, 1897 bis 1910 Bürgermeister von Wien und ein Vorbild des jungen Hitler, hatte in aller Öffentlichkeit erklärt, es wäre am besten, alle Juden umzubringen; und doch geschah den Wiener Juden unter seiner Herrschaft nichts. Von dem Antisemitismus der Vorkriegszeit bis zur nationalsozialistischen Judenverfolgung war es noch ein weiter Weg. Da musste die Schwelle zur Gewalt, zum Massenmord überschritten werden, und diese Schwelle war bis 1914 hoch. Pöbeleien gegen Juden galten als Zeichen der Unbildung. Eine Gewaltbereitschaft gegenüber Juden ebenso wie gegenüber der politischen Linken entstand in Kreisen des Bürgertums erst durch die Erfahrung des Ersten Weltkriegs und durch die Angst vor dem ›bolschewistischen Terror‹ infolge der russischen Revolution 1917, zusammen mit der Verarmung weiter Teile des Mittelstandes durch Inflation und Weltwirtschaftskrise. All das waren eigentlich Leidenserfahrungen mit ganz unterschiedlicher Ursache; aber die Feindbilder ›jüdischer Marxismus‹ und ›internationales Finanzjudentum‹ machten es möglich, den Juden die Hauptschuld an allem Elend zu geben.«1242

Dass es eine »breite Ablehnungshaltung« gegenüber Juden in der deutschen Gesellschaft gab, auf die die Nationalsozialisten zurückgreifen konnten, darüber gibt wiederum Thema Geschichte kompakt Auskunft. Judenfeindliche Stereo1242 Historisch-Politische Weltkunde (2010), S. 106.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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type und Vorurteile, so der Verfassertext zum Thema »Die ideologischen Wurzeln des Antisemitismus«, seien weder neu noch revolutionär gewesen; sie hätten in Deutschland und in Europa eine lange Tradition besessen.1243 Diese Information vertiefen die Schulbuchautorinnen und -autoren durch zwei Materialien im Arbeitsteil. Zum einen wird den Lernenden ein Auszug aus der Monographie von Frank Bajohr zum Bäderantisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert zur Verfügung gestellt, der mit der Überschrift »Jagdszenen aus einem deutschen Inselbad« versehen ist.1244 Zum anderen ist eine Postkarte aus dem Deutschen Kaiserreich zu sehen, die aus Borkum stammt. Sie zeigt eine antisemitische Karikatur, wobei sich unter der Illustration das »Borkumlied« findet, das unter den nichtjüdischen Urlaubern offenbar sehr beliebt war (Abb. 84).1245 Im Materialteil zum Kapitel »Die Verfolgung der Juden – Von der Entrechtung zur Shoah« treffen die Schülerinnen und Schüler außerdem auf einen Artikel von Ulrich Herbert, den dieser im Rahmen der »Goldhagen-Debatte« im Jahr 1996 in »Die Zeit« veröffentlichte. Darin beschreibt der Historiker die dominierende »Volksmeinung« während der NS-Diktatur. Zu lesen ist u. a.: »Es gibt keine Untersuchung, die uns schlüssig darüber informieren könnte, wie viel Prozent der Deutschen vor und nach 1933 als Antisemiten zu gelten hätten. Es gab einen gewissen Bodensatz von radikalen Judenhassern, für die etwa der Nürnberger 1243 Vgl. Thema Geschichte kompakt (2008), S. 6. 1244 Vgl. ebd., S. 11: »Anfang August 1905 reiste der Düsseldorfer Kunsthändler Jacob Sander auf die Nordseeinsel Borkum, um eine Gemäldeausstellung mit anschließender Auktion zu organisieren. Nach anfänglich gutem Verkauf drangen Unbekannte nachts in das Geschäftslokal ein, entfernten zwei Gemälde und forderten, dass der ›Jude‹ Borkum sofort zu verlassen habe. Wie sich zeigen sollte, war dies lediglich der Auftakt zu weiteren antisemitischen Radauszenen, die zwei Tage später ihren Höhepunkt erreichten. In einem vom ›Berliner Tageblatt‹ veröffentlichen Schreiben berichtete Sander über die Ereignisse: ›Freitag früh sah ich an allen Häusern Plakate mit der Aufschrift ›raus mit den Juden aus Borkum‹. Um 10 Uhr hatte ich Auktion anberaumt. Plötzlich besetzte eine Schar Kinder mit Gewehren (die sogenannte Schwarzweiß-Kompagnie) meine Lokalitäten und fing das sogenannte ›Borkumer Lied‹ zu singen an. Dann kam eine große Anzahl Antisemiten und rief: ›Der Jude muss hinaus!‹ Der Tumult war so groß, dass ich sofort die Behörde um Schutz ansuchen musste. Zwei Gendarmen ersuchten die Kinder und die Übrigen, aus dem Geschäftsraume zu gehen. Das taten sie auch, aber auf der Straße ging die Sache noch schlimmer, es wurde gerufen: ›Wo ist der Jude? Heraus mit dem Juden.‹ Die Gendarmerie hatte keine Macht, die Tumultanten von der Straße zu entfernen. Die Sache wurde immer schlimmer, schließlich schossen die Jungens aus ihren Gewehren; ob dieselben mit Patronen geladen waren, weiß ich nicht, jedenfalls knallten die Schüsse. Gegen 1 Uhr war der Auflauf soweit vorbei, aber von der Kompagnie wurden zwei Jungen vor mein Geschäftslokal postiert. Meine Geschäftsräume habe ich schließen müssen, um eventuell nicht verhauen zu werden, und damit meine Gemälde nicht zerstört würden. Mein Logiswirt kam nachmittags zu mir und ersuchte mich, sofort meine Wohnung zu verlassen. Um mich vor weiteren Unannehmlichkeiten zu schützen, habe ich meine Sachen sofort einpacken lassen und bin am andern Morgen von Borkum fortgegangen.‹« 1245 Vgl. ebd.

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Gauleiter Streicher und das berüchtigte Antisemitenblatt Der Stürmer stehen. Sie waren gewiss nicht unbedeutend, aber ihr krakeelendes, von Ausschreitungen begleitetes Auftreten traf doch in der Öffentlichkeit, zum Teil sogar innerhalb der NSDAP, auf zuweilen indignierte Ablehnung. […] Weitaus bedeutender hingegen war jene Form eines Antisemitismus, die schon im Kaiserreich verbreitet war und durch die Entwicklung während des Ersten Weltkrieges und der Nachkriegszeit neue Nahrung erhalten hatte, sich aber nicht in offener Feindseligkeit oder Straßenkrawallen äußerte. Dass die Juden ein ›Fremdkörper‹ im deutschen Volke seien, dass sie besonders unangenehme Eigenschaften besäßen, dass sie mit den Feinden Deutschlands aus dem Ersten Weltkrieg in Verbindung stünden, dass sie die Presse beherrschten und sich an Krieg, Inflation und Wirtschaftskrise bereichert hätten – das war die Überzeugung vieler in Deutschland, und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie schon vor 1933 in Deutschland eine Mehrheit stellten.«1246

Die Schulbuchgestalterinnen und -gestalter von Kursbuch Geschichte betonen ebenfalls den ideologischen, d. h. den rassistischen und antisemitischen Grundkonsens der Mehrheitsgesellschaft. So habe es »eine breite Zustimmung in der deutschen Bevölkerung«1247 gegeben, auf die sich die Nationalsozialisten bei ihren antijüdischen Maßnahmen stützen konnten. »Offensichtlich«, so führen die Autorinnen und Autoren weiter aus, »ging Hitlers Strategie auf, die er 1933 so definierte: ›Unsere Sorge muss es sein, das Instinktmäßige gegen das Judentum in unserem Volke zu wecken und aufzupeitschen und aufzuwiegeln, so lange bis es zum Entschluss kommt, der Bewegung sich anzuschließen, die bereit ist, die Konsequenzen daraus zu ziehen.‹«1248 An anderer Stelle vermerkt der Verfassertext außerdem, dass jüngere Forschungen zu verschiedenen Tätergruppen, wie die Studie von Daniel Goldhagen von 1996, den Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft hervorgehoben haben.1249 1246 1247 1248 1249

Ebd., S. 49. Kursbuch Geschichte (2009), S. 432. Ebd. Vgl. ebd., S. 460. In der Marginalspalte wird zudem die »Goldhagen-Debatte« wie folgt erklärt: »Der amerikanische Historiker Daniel Jonah Goldhagen veröffentlichte 1996 sein Buch ›Hitlers willige Vollstrecker‹ über den Holocaust und entfachte eine hitzige öffentliche Debatte über die Frage, ob die Deutschen ein ›Volk von Mördern‹ gewesen seien. Goldhagen bezeichnet den Holocaust als ein ›nationales Projekt‹ Deutschlands, zwischen Hitler und der großen Mehrheit des deutschen Volkes, so behauptet er, habe eine grundsätzliche Übereinstimmung in der Bereitschaft bestanden, sich der Juden zu entledigen. Er versucht zu beweisen, dass die Deutschen schon immer einen ›eliminatorischen Antisemitismus‹ vertreten hätten. Jede Form des Antisemitismus habe in Deutschland darauf abgezielt, die Juden zu vernichten. Während der NS-Zeit hätten die Deutschen diese Vernichtungsvision dann in die Tat umgesetzt. Goldhagens Kritiker, unter ihnen der NS-Experte Hans Mommsen, beanstandeten, dass Goldhagen einen monokausalen Erklärungsansatz vorlege und damit hinter den aktuellen Forschungsstand zurückfalle, den er zudem nicht ausreichend berücksichtigt habe. Zudem wurden Goldhagen methodische Fehler bei der Quelleninterpretation nachgewiesen. Bei aller Kritik

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Zu den Büchern, die auf den – neben anderen Gesichtspunkten – ursächlichen Zusammenhang zwischen der »gemäßigten« Judenfeindschaft eines sehr großen Teils der Bevölkerung und dem Holocaust zu sprechen kommen, gehören Buchners Kompendium Geschichte, Histoire/Geschichte und Kurshefte Geschichte. Der Verfassertext zum Kapitel »Die NS-Ideologie« aus dem Unterrichtswerk von C.C. Buchner hält fest, dass der Antisemitismus bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine weitverbreitete soziale und kulturelle Norm und damit keine »Erfindung« Hitlers gewesen sei.1250 Wie schon im Vorgängerband Buchners Kolleg. Themen Geschichte setzen die Schulbuchmacherinnen und -macher zur visuellen Auflockerung die Abbildung des Titelcovers eines antisemitischen Beststellers ein (Abb. 85). Die Bildunterschrift erläutert: »Antisemitismus war schon vor den Nationalsozialisten in Deutschland populär. Der Roman von Artur Dinter ›Die Sünde wider das Blut‹ fand um 1920 über eine Million Leser.«1251 Im Kapitel »Umgang mit der NS-Zeit« unter der Zwischenüberschrift »Verantwortung von Deutschen« nennen die Autorinnen und Autoren schließlich neben Hitlers fanatischen Judenhass und den bereitwillig ausführenden Direkttätern »eine verbreitete Volksmentalität, in der ein aggressiver Antisemitismus sich seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich entwickeln konnte«1252, als Grund für die weitgehend reibungslose Durchführung des Genozids an den Juden. Konkretisierung erfährt diese Kurzinformation im Materialteil, der mit einem Auszug aus dem Goldhagen-Buch1253, einem in »Die Zeit« veröffentlichten

1250 1251 1252 1253

löste das Goldhagen-Buch eine beispiellose öffentliche Debatte über den Holocaust aus.« (ebd., S. 472). Vgl. Buchners Kompendium Geschichte (2008), S. 324f. Ebd., S. 327. Ebd., S. 382. Vgl. ebd., S. 372: »Es musste sich etwas ändern, unbedingt. Das Wesen der Juden galt den Deutschen jedoch als unveränderlich, da in ihrer ›Rasse‹ begründet, und nach vorherrschender deutscher Auffassung waren die Juden eine Rasse, die der germanischen Rasse in unüberwindlicher Fremdheit gegenüberstand. Hinzu kam, dass der ›Augenschein‹ den Deutschen zeigte, dass die Mehrheit der Juden sich bereits assimiliert hatte, zumindest in dem Sinne, dass sie Manieren, Kleidung und Sprache des modernen Deutschland übernommen hatten. Also hatten die Juden jede erdenkliche Möglichkeit gehabt, zu guten Deutschen zu werden – und diese ausgeschlagen. Der unumstößliche Glaube an die Existenz einer ›Judenfrage‹ führte mehr oder weniger selbstverständlich zu der Annahme, die einzige ›Lösung‹ bestehe darin, alles ›Jüdische‹ in Deutschland zu ›eliminieren‹: auszugrenzen und zu beseitigen. […] Hätten die ganz gewöhnlichen Deutschen die eliminatorischen Ideale ihrer Führung nicht geteilt, dann hätten sie dem sich stetig verschärfenden Angriff auf ihre jüdischen Landsleute und Brüder mindestens ebenso viel Widerstand und Verweigerung entgegengesetzt wie den Angriffen ihrer Regierung gegen die Kirchen oder dem sogenannten Euthanasie-Programm. […] Hätten Sie es mit einer deutschen Bevölkerung zu tun gehabt, die Juden als Menschen wie alle anderen auch betrachtet und in ihnen Brüder und Schwestern gesehen hätte, dann wäre den Nationalsozialisten ihre Vernichtungspolitik kaum gelungen. […] Hitler und die Nationalsozia-

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Brief des Juristen Claus Arendt1254 und einem Abschnitt aus Christopher R. Brownings Studie »Ganz normale Männer«1255 drei unterschiedliche Erklärungsansätze für den Holocaust gegenüberstellt. Die Autorinnen und Autoren von Kurshefte Geschichte, die sich im Verfassertext auf eine kurze Beschreibung der Ursprünge und Spezifika des natiolisten taten also nichts anderes, als den bestehenden und angestauten Antisemitismus freizusetzen und zu aktivieren.« 1254 Vgl. ebd.: »Ich muss jedoch erhebliche Zweifel anmelden gegen die Richtigkeit jener These von Ihnen, dass die Mordtaten der Polizeiangehörigen in Polen und anderswo […] antisemitisch begründet waren. Bei aller Würdigung der Abscheulichkeit des Antisemitismus halte ich diese Ursachenfeststellung für eine Verharmlosung der Motivierung der Täter. Leider war deren Motivation viel schlimmer : Sie bestand in ihrem ethisch-moralischen Unvermögen, von menschlichen Werten getragen zu handeln. Ihr Motto war : ›Befehl ist Befehl.‹ Es war die Weigerung und totale Unfähigkeit, nach menschlichen und moralischen Grundsätzen zu handeln. Dies wurde nicht zuletzt dadurch bewiesen, dass die Betroffenen sich nicht nur Juden gegenüber so verhielten, sondern auch jeder Menschengruppe gegenüber, die von den ihnen erteilten Befehlen betroffen war. Die gleichen Polizisten sind bei der Vernichtung und Ermordung zum Beispiel der polnischen Intelligenz gegen die Frauen und Kinder dieser Gruppe mit ebenderselben Grausamkeit, Gefühllosigkeit und Brutalität vorgegangen wie gegen Juden.« 1255 Vgl. ebd., S. 372f.: »Im Bataillon kristallisierten sich einige ungeschriebene ›Grundregeln‹ heraus. Für kleinere Erschießungsaktionen wurden Freiwillige gesucht beziehungsweise die Schützen aus den Reihen derjenigen genommen, die bekanntermaßen zum Töten bereit waren […]. Bei großen Einsätzen wurden die, die nicht töten wollten, auch nicht dazu gezwungen. Selbst wenn Offiziere versuchten, einzelne Unwillige zum Töten zu zwingen, konnten diese sich weigern, da die Offiziere in diesem Punkt bei Major Trapp keine Unterstützung fanden. […] Neben der ideologischen Indoktrinierung war ein weiterer entscheidender Aspekt […] das gruppenkonforme Verhalten. Den Befehl, Juden zu töten, erhielt das Bataillon, nicht aber jeder einzelne Polizist. Dennoch machten sich 80 bis 90 Prozent der Bataillonsangehörigen ans Töten, obwohl es fast alle von ihnen – zumindest anfangs – entsetzte und anwiderte. Die meisten schafften es einfach nicht, aus dem Glied zu treten und offen nonkonformes Verhalten zu zeigen. Zu schießen fiel ihnen leichter. Warum? Zunächst einmal hätten alle, die nicht mitgemacht hätten, die ›Drecksarbeit‹ einfach den Kameraden überlassen. Da das Bataillon die Erschießungen auch dann durchführen musste, wenn einzelne Männer ausscherten, bedeutete die Ablehnung der eigenen Beteiligung die Verweigerung des eigenen Beitrags bei einer unangenehmen kollektiven Pflicht. Gegenüber den Kameraden war das ein unsozialer Akt. […] Es gibt auf der Welt viele Gesellschaften, die durch rassistische Traditionen belastet und aufgrund von Krieg oder Kriegsdrohung in einer Art Belagerungsmentalität befangen sind. Überall erzieht die Gesellschaft ihre Mitglieder dazu, sich der Autorität respektvoll zu fügen, und sie dürfte ohne diese Form der Konditionierung wohl auch kaum funktionieren. Überall streben die Menschen nach beruflichem Fortkommen. In jeder modernen Gesellschaft wird durch die Komplexität des Lebens und die daraus resultierende Bürokratisierung und Spezialisierung bei den Menschen, die die offizielle Politik umsetzen, das Gefühl für die persönliche Verantwortung geschwächt. In praktisch jedem sozialen Kollektiv übt die Gruppe, der eine Person angehört, gewaltigen Druck auf deren Verhalten aus und legt moralische Wertmaßstäbe fest. Wenn die Männer des Reserve-Polizeibataillons 101 unter solchen Umständen zu Mördern werden konnten, für welche Gruppe von Menschen ließe sich dann noch Ähnliches ausschließen?«

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nalsozialistischen Rassenantisemitismus beschränken1256, bieten ihren Leserinnen und Lesern im Arbeitsteil einen Text des Historikers Dieter Pohl zu den Ursachen des Holocaust. Pohl vertritt darin die Ansicht, im tief in das Bewusstsein weiter Teile der Gesellschaft eingesickerten Antisemitismus habe eine grundlegende Voraussetzung für den Massenmord an den Juden Europas gelegen. Gleichwohl sei aufgrund des Antisemitismus der Weg zur Vernichtung der Juden nicht zwangsläufig vorgezeichnet gewesen. Verantwortlich dafür sei vielmehr die Gewalteskalation im Kriegsverlauf gewesen.1257 1256 Vgl. Kurshefte Geschichte (2012), S. 14: »In der NS-Ideologie verbanden sich Antisemitismus und Rassismus zum Rassenantisemitismus, dessen Wurzeln ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Neu war die Ablehnung oder Bekämpfung der Juden nicht mehr allein aus religiösen oder sozialen Gründen. Rassenantisemiten konstruierten eine jüdische ›Rasse‹, die gegenüber der ›arischen‹ minderwertig sei und sich nur an den Gütern höher stehender Rassen und Völker bediene. Sie betrachteten daher ›das Judentum‹ als Feind der Menschheit. Seit der NS-Machtübernahme wurde der Rassenantisemitismus zum Drehund Angelpunkt staatlichen Handelns. Deswegen bezeichnet der Historiker Michael Wildt den nationalsozialistischen Judenhass als ›Antisemitismus der Tat‹, weil darin der Unterschied zum Antisemitismus der Kaiserzeit lag. Die Ideen von gesetzlichen Einschränkungen oder Erwägungen, Juden physisch zu vernichten, wie sie z. B. der Philosoph und Antisemit Karl Eugen Dühring (1833–1921) angestellt hatte, waren da, blieben aber Theorie. In der NS-Zeit hingegen wurden daraus Aufrufe zur Tat und staatliche Politik, die das Ziel verfolgte, die ›Volksgemeinschaft‹ herzustellen.« 1257 Vgl. ebd., S. 148f.: »Der Mord an den europäischen Juden ragt unter den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen eindeutig heraus. Ausschließlich hier bestand ein staatliches Programm, eine Gruppe von Menschen – Männer, Frauen, Kinder – allein wegen ihrer Herkunft restlos und in kürzester Zeit zu ermorden. Grundlage dafür war eine langlebige und weit verbreitete Judenfeindschaft. Diese Vorurteile wurden zur Staatsdoktrin des Deutschen Reiches. Sie erlebten in der Bevölkerung während der Dreißigerjahre eine enorme kulturelle Aufladung, d. h. lange bestehende Stereotypen breiteten sich rasant aus und wurden für weite Kreise handlungsrelevant. Für die Explosivität des Antisemitismus im Vergleich zu den anderen Vorurteilen sorgte vor allem der von vielen geteilte Glaube, Juden seien als Kollektiv dabei, die Welt zu beherrschen, sie seien eine Bedrohung für die Menschheit. Und doch führte der Antisemitismus nicht zwangsläufig zum Massenmord. Vielmehr ist die fundamentale Bedeutung der Expansionspolitik für die Eskalation der Gewalt zu unterstreichen, die generell mörderische Politik in Osteuropa wie auch die Zersetzung konventioneller Politikstrukturen. Utopische Pläne zur Neugestaltung und die radikale Ausbeutung der besetzten Gebiete setzten jegliche Ansätze zu einer rechtmäßigen Politik außer Kraft. Immer mehr Extremisten wetteiferten um ein möglichst radikales Vorgehen gegen die Juden. Dieses Verbrechen war zugleich von einem gigantischen Raubzug begleitet. In den Köpfen der Antisemiten geisterte die Vorstellung, Europas Juden besäßen sagenhafte Reichtümer. So war jede Verfolgungsmaßnahme auch von der Enteignung begleitet, zunächst der Immobilien, Betriebe, dann der Wertsachen, und schließlich wurde den Opfern noch bei den Mordaktionen die letzte Habe genommen, selbst die Leichen geplündert. An der Ermordung der Juden entzündeten sich im Herrschaftsgebiet kaum interne Diskussionen, wie dies etwa beim Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen oder bei der brutalen Anti-Partisanenbekämpfung der Fall war. Schließlich setzte sich niemand mehr gegen antisemitische Vorurteile zur Wehr, vielmehr fanden sie im Reich weite Verbreitung, zum Teil auch im besetzten und verbündeten

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV

Nicht ganz so weit gehen die Autorinnen und Autoren von Histoire/Geschichte. Gleichwohl fällt die Darstellung im Hinblick auf die Judenverfolgung bis Kriegsbeginn unmissverständlich aus. Die Schulbuchmacherinnen und -macher stellen bereits auf der Auftaktdoppelseite, die in die Themeneinheit »Das nationalsozialistische Deutschland (1933–1939)« einführt, klar : »Die seit 1933 vom Regime mit verbrecherischer Energie vorangetriebene Entrechtung und Verfolgung von Juden und anderen zu Feinden erklärten Gruppen wäre ohne die Akzeptanz und Mitwirkung weiter Teile der deutschen Gesellschaft nicht möglich gewesen.«1258 Der anschließende Verfassertext zu »Die nationalsozialistische Ideologie« verweist auf den breiten Rückhalt der NS-Ideologie in der Bevölkerung; nicht nur für Hitler hätten »die Juden« paradoxerweise zugleich zwei angstbehaftete Phänomene verkörpert: den »Weltkommunismus« und den »Weltkapitalismus«.1259 Dass es den Nationalsozialisten gelungen sei, antisemitische Ressentiments zu mobilisieren, wird noch einmal im Arbeitsteil »Rassengesetzgebung und Rassendiskriminierung (1933–1939)« aufgegriffen. Ein kurzer einleitender Text informiert darüber, dass vielfältige Propagandainstrumente (z. B. das Hetzblatt »Der Stürmer«) gesellschaftlich vorhandene Vorurteile gegenüber Juden verstärkt hätten, sodass wiederum die Rassengesetzgebung auf weitreichende Zustimmung innerhalb der Bevölkerung gestoßen sei.1260

5.2.

Partizipation weiter Kreise der Gesellschaft an der »Arisierung«

Die Durchsicht ergibt, dass drei Schulbücher keine Aufmerksamkeit auf die »Entjudung der Wirtschaft« verwenden1261 und ein Lehrwerk die »Arisierung« zwar anspricht, sich aber eines Kommentars zur bereitwilligen Mitwirkung und Nutznießerschaft der Bevölkerung enthält1262. Die Mehrzahl der untersuchten

1258 1259 1260 1261 1262

Europa. Selbst wenn dazu die Möglichkeit bestanden hätte, wollte kaum jemand den Verfolgten zu Hilfe eilen. Das neutrale und alliierte Ausland, wo bruchstückhafte Informationen kursierten, war dieser moralischen Herausforderung offensichtlich nicht gewachsen.« Histoire/Geschichte (2008), S. 258. Vgl. ebd., S. 260. Vgl. ebd., S. 268. Keine Beachtung wird dem Thema in Horizonte (2009), Zeiten und Menschen (2009) sowie Mosaik (2010) geschenkt. Vgl. Das waren Zeiten (2010), S. 152: »Von Anfang an wollten die Nazis die Juden aus dem Wirtschaftsleben verdrängen und aus Deutschland vertreiben. Partei sowie Industrie- und Handelskammern zwangen die jüdischen Besitzer, ihre Geschäfte und Gewerbebetriebe zu Spottpreisen an ›Arier‹ zu veräußern (›Arisierung‹). Bis zu den Novemberpogromen waren schon 60 Prozent der jüdischen Betriebe in ›arischen‹ Besitz übergegangen. Anfang 1939 war die deutsche Wirtschaft weitgehend ›judenfrei‹.«

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

379

Bücher wendet sich dafür ausdrücklich im Verfassertext und/oder im Arbeitsteil der Partizipation von Nichtjuden an der zunehmenden Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben zu. Eine erste Gruppe von Büchern liefert kurze Informationen in den Verfassertexten. Die Autorinnen und Autoren von Geschichte und Geschehen erklären: »Jüdische Unternehmer wurden ab 1938 gezwungen, ihre Betriebe zu verkaufen – oft zu Schleuderpreisen. Nicht wenige deutsche Unternehmer profitierten davon.«1263 Mit zwei nahezu identischen Formulierungen werden die Versuche vieler Deutscher, aus der Entrechtung der Juden wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen, in Buchners Kompendium Geschichte ausgewiesen. Im Kapitel »Ausgrenzung und Verfolgung«, das über den Zeitraum von 1933 bis 1938 berichtet, begegnen die Schülerinnen und Schülern der Aussage: »Viele nutzten die Diskriminierung der Juden, um sich an deren Eigentum zu bereichern. Ab 1938 kam es zu systematischen staatlichen Konfiszierungen.«1264 Das einige Seiten später folgende Kapitel »Terror und Holocaust« beginnt mit den Worten: »Seit 1933 waren die Juden planmäßig diskriminiert und stigmatisiert worden. Schon bald nutzten das viele aus, um sich am Eigentum der Juden zu bereichern.«1265 Die Schulbuchmacherinnen und -macher von Histoire/Geschichte wiederum sprechen von einer »deutschen Bevölkerung, die vielfach von der vom Regime vorangetriebenen ›Arisierung‹ jüdischen Eigentums profitierte«1266. Noch einigermaßen deutlich fällt die entsprechende Angabe in Forum Geschichte aus. Hier informiert ein Kasten, der mit einem blauen Balken gekennzeichnet ist, über den Begriff »Arisierung« wie folgt: »Allgemein die Verdrängung der Juden aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben durch nationalsozialistische Gesetze und der Ausschluss aus Vereinen und Verbänden. Praktisch wurde durch die Arisierungsverordnungen vom 26. 4. 1938 und 12. 11. 1938 jüdisches Eigentum in ›arische Hände‹ überführt – durch Zwangsverkauf zu Niedrigpreisen oder entschädigungslose Enteignung. Profiteure der Arisierung waren die Staatskasse oder Nichtjuden.«1267

Zwei weitere Lehrwerke greifen in den Verfassertexten die Teilnahme vieler nichtjüdischer Deutscher an den Raubzügen auf; den Arbeitsteilen sind zusätzlich einschlägige Materialien beigegeben. Die Autorinnen und Autoren von Kursbuch Geschichte teilen zunächst unter der Zwischenüberschrift »Boykott und antisemitische Gesetze« im Kapitel »Entrechtung und Verfolgung der deutschen Juden 1933–1939« ausführlich mit: 1263 1264 1265 1266 1267

Geschichte und Geschehen (2011), S. 36. Buchners Kompendium Geschichte (2008), S. 346. Ebd., S. 367. Histoire/Geschichte (2008), S. 268. Forum Geschichte (2010), S. 161.

380

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV

»Neben die staatlich sanktionierte Terrorisierung der jüdischen Bevölkerung trat deren gesetzliche Entrechtung: Am 7. April 1933 erließ die NS-Regierung das ›Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‹, das die Entlassung von Beamten ›nichtarischer Abstammung‹ – mit einigen Ausnahmen, u. a. für ehemalige Frontsoldaten aus dem Ersten Weltkrieg – vorsah. Dieses und weitere Gesetze ermöglichten mithilfe des ›Arier-Paragrafen‹ in der Folgezeit eine Verdrängung jüdischer Bürger aus dem Berufsund Wirtschaftsleben. Der NS-Staat schloss jüdische Ärzte von der Zulassung zu den Krankenkassen aus und verbot jüdischen Rechtsanwälten, Richtern und Staatsanwälten die Berufsausübung. Das bedeutete nicht nur eine wirtschaftliche Diskriminierung, sondern auch eine gezielte Ausbeutung der Juden, da viele ›Arier‹ die Notlage ihrer jüdischen Kollegen oder Konkurrenten ausnutzten und deren Unternehmen zu einem Bruchteil des realen Vermögenswertes erwarben.«1268

Unter der Zwischenüberschrift »Raub und Pogrom« fahren die Autorinnen und Autoren im selben Kapitel fort: »Im Zuge ihrer Ausgrenzung und Entrechtung wurde die jüdische Bevölkerung im Rahmen der ›Arisierung‹ planmäßig beraubt. Im März 1938 entzog die NS-Regierung den jüdischen Gemeinden in Deutschland den Status von Körperschaften öffentlichen Rechts und im April erließ sie eine Anmeldepflicht jüdischen Vermögens, das so für die anschließende Enteignung erfasst wurde. Von den im Januar 1933 existierenden jüdischen Unternehmen gehörten 1938 bereits zwei Drittel nicht mehr ihren ursprünglichen Eigentümern. Von diesem Raub profitierten Bevölkerung und Staat gleichermaßen. Die neuen Besitzer erwarben die Unternehmen meist weiter unter ihrem tatsächlichen Wert […], und der Staat erzielte Einnahmen einerseits durch besondere Abgaben, die die ›Volksgenossen‹ beim Erwerb jüdischen Eigentums entrichten mussten, und andererseits durch die ›Reichsfluchtsteuer‹ sowie zahlreiche weitere Zwangsabgaben, die emigrierenden Juden auferlegt wurden.«1269

Im Arbeitsteil akzentuiert das Schulbuch die Teilnahme der deutschen Gesellschaft an der ökonomischen Ausplünderung der Juden nochmals in Form einer Darstellung. Geboten wird ein Text, in dem der Historiker Christoph Nonn – unter Rückgriff auf Forschungsergebnisse von Frank Bajohr – Verhaltensweisen der nichtjüdischen Käufer bei den »Arisierungen« beschreibt. Nonn unterscheidet (1) die rücksichtslose Bereicherung auf Kosten der jüdischen Eigentümer, (2) das aktive Vorantreiben der wirtschaftlichen Existenzvernichtung der Juden und (3) den zunächst hinhaltenden Widerstand von Teilen der Handelskammer-Elite und einiger älterer Unternehmer bzw. später die finanzielle Entschädigung zugunsten der jüdischen Verkäufer durch Sonderzuwendungen oder Bezahlen angemessener Preise.1270 Weitaus knapper, aber ebenso deutlich stellt Historisch-Politische Weltkunde 1268 Kursbuch Geschichte (2009), S. 432. 1269 Ebd., S. 434. 1270 Vgl. ebd., S. 436.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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eine Verbindung zwischen der vom NS-Staat forcierten »Arisierungspolitik« und der deutschen Gesellschaft her. Die Schulbuchautorinnen und -autoren urteilen, im Prozess der Vernichtung der Existenzgrundlage der jüdischen Mitbürger sei es zu einer »schamlose[n] Bereicherung des NS-Staates und vieler ›deutscher‹ Geschäfts- und Privatleute«1271 gekommen. Diese Aussage erfährt im Arbeitsteil – wie bereits in der herangezogenen Ausgabe aus der ersten Lehrwerksgeneration – Konkretisierung durch den Abdruck eines Textes von Richard Grunberger zur »wilden Arisierung«, der den Schülerinnen und Schülern verdeutlicht, dass die »Entjudung der Wirtschaft« für viele zum großen Geschäft wurde.1272 Im Sample gibt es außerdem zwei Schulgeschichtsbücher, deren Verfassertexte darauf verzichten, die deutsche Bevölkerung als aktiv Mitwirkende bei der »Arisierung« zu beschreiben. Die Lehrwerke betrauen stattdessen ihren Arbeitsteil mit der Information. Zeit für Geschichte wählt dabei einen multiperspektivischen Ansatz. Berücksichtigung findet zunächst der folgende Brief eines nichtjüdischen Münchner Kaufmanns vom 16. April 1938 an die Industrie- und Handelskammer : »In den letzten Zeiten war ich öfters bei der Arisierung von jüdischen Geschäften als Sachverständiger, Experte und Gutachter etc. zugezogen und bin von den hierbei zutage getretenen brutalen Maßnahmen der zuständigen Stellen der Handelskammern, nationalsozialistischen Wirtschaftstelle etc. und überhaupt von all dieser Art von Erpressungen an den Juden derart angeekelt, dass ich von nun ab jede Tätigkeit bei Arisierungen ablehne, obwohl mir dabei ein guter Verdienst entgeht. Ich bin Natio1271 Historisch-Politische Weltkunde (2010), S. 220. 1272 Vgl. ebd., S. 160f.: »Die beliebteste Plünderungsform der Nazis stellten die Arisierungsverfahren dar, die in geradezu idealer Weise Profit und Ideologie verbanden. Korruption steigerte sich jedoch in geometrischer Progression, und die Behörden waren fassungslos, als sie sahen, dass Arisierer, die auf eigene Faust handelten, wie Pilze aus der Erde schössen, sich wütend gegenseitig Konkurrenz machten und die reibungslose Durchführung der Verfahren behinderten. Ein Wirtschaftsbericht der Berliner Stadtverwaltung fand zu tadeln, dass ›Mieter in Häusern, die früher Juden gehört hatten, Mietforderungen von den verschiedenen miteinander konkurrierenden Einzelpersonen und Verbänden bekämen. […] Für jeden jüdischen Laden gab es gewöhnlich drei oder vier Bewerber. Um einzelne Bewerber abzudecken, teilten sich verschiedene Handelsorganisationen in Gruppen auf und suchten um Behördenunterstützung nach, indem sie die jeweiligen Rivalen als Judenfreunde hinstellten.‹ Um die Epidemie der ›wilden Arisierung‹ einzuschränken, erklärte Göring einen Monat nach der Kristallnacht, dass der Raub jüdischen Eigentums das ausschließliche Vorrecht des Staates sei und nur unter der Ägide des Reichswirtschaftsministers durchgeführt werden dürfe. Überprüfungen an Ort und Stelle zeigten, dass bei einigen arisierten Läden in Wien die Profitmarge bei Werten zwischen 80 und 380 Prozent lag, und Gauleiter Bürckel fühlte sich verpflichtet, ein Dutzend Arisierungskommissare, die er persönlich eingesetzt hatte, in das Konzentrationslager Dachau einzuliefern, wo sie dann vorübergehend mit denen zusammentrafen, die sie enteignet hatten.«

382

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV

nalsozialist, SA-Mann und ein Bewunderer Adolf Hitlers! Aber ich kann als alter, rechtschaffener, ehrlicher Kaufmann nicht mehr zusehen, in welcher schamlosen Weise von vielen arischen Geschäftsleuten, Unternehmern etc. versucht wird, unter der Flagge der Arisierung und im Interesse der nationalsoz. Wirtschaft die jüdischen Geschäfte, Fabriken etc. möglichst wohlfeil und um einen Schundpreis zu erraffen.«1273

Das Schreiben macht nicht nur die brutalen Erpressungsmethoden deutlich, mit denen jüdische Firmen- und Geschäftseigentümer gezwungen wurden, ihren Besitz zu Schleuderpreisen zu verkaufen, es dokumentiert auch das schamlose Verhalten der »arischen« Geschäftsleute, die um die günstigsten Schnäppchen wetteiferten. Diesem außergewöhnlichen Zeugnis des Protests gegen die Eliminierung wirtschaftlicher Betätigung von Juden kontrastierend gegenübergestellt ist eine Bildquelle. Dabei handelt es sich um die Anzeige, die ein nichtjüdischer Käufer nach dem Erwerb der Fachgeschäfte für Tisch- und Bettwaren der jüdischen Familie Grünfeld im Jahr 1938 in einer Berliner Tageszeitung schaltete. Mit dem Slogan »Grünfeld in deutschem Besitz« wird hier um Kunden geworben (Abb. 86).1274 Nach einem ähnlichen Muster gehen die Autorinnen und Autoren von Kurshefte Geschichte vor. Während der Verfassertext sich darauf beschränkt, den Phasenverlauf der »Arisierung« und deren Radikalisierung zu skizzieren1275, hält der Arbeitsteil aussagekräftige Materialien bereit, anhand derer sich die Schülerinnen und Schüler selbst ein Urteil über die Mitwirkung zahlreicher Deutscher am Prozess der wirtschaftlichen Verdrängung der Juden bilden können. Dazu gehört ein Darstellungstext aus der Feder von Wolfgang Benz, der die Maßnahmen zur Enteignung und Ausbeutung der jüdischen Bürger im Deutschen Reich zusammenstellt.1276 Für sich genommen bietet dieser Text keine 1273 Zeit für Geschichte (2010), S. 201. 1274 Vgl. ebd. Im Gegensatz zum Vorgängerband, in dem beide Quellen ebenfalls abgedruckt sind, wird hier kein Arbeitsauftrag formuliert. 1275 Vgl. Kurshefte Geschichte (2012), S. 116f. 1276 Vgl. ebd., S. 123f.: »Im Herbst 1938, zur Zeit des Novemberpogroms, befanden sich von ehemals rund 100 000 jüdischen Betrieben noch 40 000 in Händen ihrer rechtmäßigen Besitzer. Am stärksten hatten die ›Arisierungen‹ im Einzelhandel zu Buche geschlagen, von rund 50 000 Geschäften waren noch 9 000 übrig. Die Zahl der jüdischen Arbeitslosen war stetig angestiegen, Berufsverbote und erzwungene Verkäufe hatten zur Verarmung vieler geführt. Die ›Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben‹ vom 12. November 1938 vernichtete die noch verbliebenen Existenzen. Ab dem 1. Januar 1939 war Juden das Betreiben von Einzelhandelsgeschäften, ebenso das Anbieten von Waren und gewerblichen Leistungen auf Märkten und Festen, das Führen von Handwerksbetrieben untersagt. Die Betriebe wurden, in der Regel zu einem Bruchteil ihres Wertes, in die Hände von nichtjüdischen Besitzern überführt (›arisiert‹) oder aufgelöst. Für den jüdischen Eigentümer bedeutete das in jedem Fall den Ruin, denn auch über den Erlös konnte er nicht verfügen, er wurde auf Sperrkonten eingezahlt und später zugunsten des Deutschen Reiches konfisziert. Schmuck, Juwelen, Antiquitäten mussten Juden zwangsweise verkaufen, die Ankäufe erfolgten zu Preisen, die weit unter dem Wert

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

383

Hinweise auf das Verhalten der nichtjüdischen Bevölkerung. Allerdings verlangt ein Arbeitsauftrag von den Schülerinnen und Schüler, die Folgen der »Arisierungen« sowohl für die jüdischen und als auch für die nichtjüdischen Deutschen herauszuarbeiten.1277 Zur Umsetzung dieses Arbeitsauftrages sollen die Lernenden außerdem eine Bildquelle berücksichtigen, die im Einführungskapitel »Hitler und die Deutschen« abgebildet ist. Zu sehen ist dort die Geschäftspostkarte eines Münchner Optik- und Fotogeschäfts aus dem Jahr 1939: Der neue Inhaber »Lindner«, der sich das jüdische Unternehmen »Wertheimer« angeeignet hat, wirbt mit dem Slogan »jetzt arisch« um Kunden (Abb. 87).1278 Die Schülerinnen und Schüler können z. B. erkennen, dass die »Arisierung«, die für den jüdischen Bevölkerungsteil Verarmung und Verelendung bedeutete, für viele nichtjüdische Deutsche positive Folgen hatte, vor allem einen nicht unbeträchtlichen Vermögensgewinn und – damit verbunden – die Möglichkeit zum gesellschaftlichen Aufstieg. Schließlich druckt auch dieses Schulbuch Christoph Nonns Ausführungen zu den unterschiedlichen Verhaltensweisen der nichtjüdischen Käufer bei den »Arisierungen« ab.1279 lagen; auch über Wertpapiere und Aktien durften Juden nicht mehr verfügen, sie mussten ins Zwangsdepot gegeben werden. Jüdischer Immobilienbesitz wurde gleichfalls zwangsarisiert. Jüdischen Arbeitnehmern wurde gekündigt, die Selbstständigen hatten fast ausnahmslos Berufsverbot. Von 3 152 Ärzten hatten 709 noch die widerrufliche Erlaubnis, als ›Krankenbehandler‹ ausschließlich jüdische Patienten zu versorgen. Die zunehmende Verelendung der deutschen Juden wurde von den Behörden ausgenutzt, um Zwangsarbeit zu verordnen. Der entsprechende Erlass des Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung datiert vom 20. Dezember 1938; fortan wurden alle arbeitseinsatzfähigen Juden unter diskriminierenden Umständen (›abgesondert von der Gefolgschaft‹) in ›staatspolitisch wichtigen Vorhaben‹ (das waren vor allem Betriebe der Rüstungsindustrie) ausgebeutet. Nach dem Novemberpogrom kam mit dem Verbot jüdischer Zeitungen und Organisationen das öffentliche Leben der Juden zum Erliegen. Ausgeraubt und verelendet, blieb ihnen die private Existenz unter zunehmend kläglichen Umständen, unter immer neuen Schikanen. Am 30. April begannen mit einem ›Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden‹ die Vorbereitungen der Zusammenlegung jüdischer Familien in ›Judenhäusern‹. Absicht war, und sie wurde rasch verwirklicht, das Zusammendrängen von Juden in Wohnungen, die die Überwachung (und später die Deportationen) erleichterten. ›Ariern‹, so die Begründung, sei das Zusammenleben mit Juden im selben Haus nicht zuzumuten.« 1277 Vgl. ebd., S. 124. 1278 Vgl. ebd., S. 9. 1279 Vgl. ebd., S. 150: »[Der Historiker] Bajohr hat idealtypisch drei verschiedene Verhaltensweisen der Käufer jüdischer Geschäfte identifiziert. Eine Gruppe nutzte die Notlage der Verkäufer aus. Eine andere Gruppe bereicherte sich nicht nur besonders rücksichtslos auf Kosten der Juden, sondern trieb auch durch eigene Initiativen die ›Arisierung‹ aktiv voran. Eine dritte Gruppe schließlich, die zu großen Teilen aus Mitgliedern der Handelskammer-Elite und älteren Unternehmern bestand, setzte der ›Arisierung‹ zunächst im politischen Bereich hinhaltenden Widerstand entgegen. Als es dann doch zum Ausverkauf der jüdischen Geschäfte kam, griffen auch ihre Angehörigen zu, erstatteten den verkaufenden Juden aber häufig die Differenz zwischen verordneten Schleuderpreisen und tatsächlichem Wert der Betriebe unter der Hand oder ließen ihnen heimlich Wertsachen oder

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV

Einen Sonderfall im Sample stellt schließlich Thema Geschichte kompakt dar. Das Schulbuch nutzt zur Auflockerung des Verfassertextes, der über die Wirtschafts- und Sozialpolitik des NS-Regimes informiert und an keiner Stelle die »Arisierung« erwähnt, eine Fotografie. Diese zeigt ein »arisiertes« Gummiwarengeschäft in Frankfurt am Main. Auf dem Schild über dem Eingang respektive dem Schaufenster des Ladens steht in großen Lettern geschrieben »Stamm & Bassermann früher Gummi Weil« (Abb. 88). Die Bildunterschrift kommentiert: »Arisiertes Geschäft 1938. Weit unter Preis mussten jüdische Ladenbesitzer ihr Geschäft an ›arische‹ Deutsche verkaufen. Diese warben, wie hier, offen mit ihrem ›jetzt deutschen‹ Geschäft.«1280 Die Bildunterschrift erklärt in diesem Fall also nicht nur, was auf dem Bild gesehen werden soll, sondern gibt ebenfalls Auskunft über das Verhalten der nichtjüdischen Käufer.

5.3.

Verhalten der »Zuschauer« im Alltag gegenüber jüdischen Mitmenschen

Die Frage nach dem im Allgemeinen ausbleibenden gesellschaftlichen Widerstand gegen die Judenverfolgung spielt in den Verfassertexten des Samples eine untergeordnete Rolle. Nur in drei der dreizehn untersuchten Lehrwerke wird diese Problematik aufgegriffen. Die Autorinnen und Autoren von Histoire/Geschichte sprechen das »Wegsehen« der breiten Bevölkerung kurz im Zusammenhang mit dem – nur von Minderheiten getragenen – deutschen Widerstand während des Zweiten Weltkrieges an, wobei sie betonen, dass »das Schicksal der Juden nur vereinzelte individuelle Reaktionen«1281 hervorgerufen habe. Kaum ausführlicher fallen die Angaben in Zeit für Geschichte aus. Der Verfassertext weist auf die schon in den ersten Wochen und Monaten nach der Ernennung der Regierung Hitler einsetzenden Gewalttaten an Juden hin, welche von vielen Deutschen passiv geduldet worden seien.1282 Das waren Zeiten liefert dagegen eine ausführlichere Darstellung. Zunächst stellen die Schulbuchautorinnen und -autoren im Kapitel »Überwachung – Verfolgung – Widerstand« heraus, dass es offenen Widerspruch der Mehrheitsbevölkerung gegen die Judenhetze praktisch nicht gegeben habe.1283 Als Gründe dafür, dass die Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Mitbürger ohne öffentliche Proteste verliefen, führen sie »Gleichgül-

1280 1281 1282 1283

Pensionen zukommen. Denken in traditionellen Moralbegriffen einer unternehmerischen Ehre spielten für das Handeln dieser letzten Gruppe ebenso eine Rolle wie persönliche Verbundenheit alten jüdischen Geschäftsfreunden gegenüber.« Thema Geschichte kompakt (2008), S. 35. Histoire/Geschichte (2008), S. 326. Vgl. Zeit für Geschichte (2010), S. 175. Vgl. Das waren Zeiten (2010), S. 147.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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tigkeit«1284 und – eine nicht näher erläuterte – »Angst um sich und ihre Familien«1285 an. Einige Seiten später, im Kapitel »Der Terror wächst«, werden sie noch deutlicher : »Breiter Widerspruch der Bevölkerung gegen die sich steigernde Entrechtung und Ausgrenzung der Juden, Sinti und Roma blieb aus. Den wenigen Fällen von Hilfe und Solidarität mit den Betroffenen standen massenhafte anonyme Anzeigen von deutschen ›Volksgenossen‹ gegenüber.«1286 Fünf Schulbücher stellen in ihren Arbeitsteilen ein oder mehrere Materialien zur Verfügung, anhand derer die Schülerinnen und Schüler sich selbst ein Urteil über typische bzw. untypische Verhaltensweisen der nichtjüdischen Bevölkerung bilden können. Dabei werden dreimal die Erfahrungen berücksichtigt, die jüdische Kinder und Jugendliche im Schulalltag mit ihren »arischen« Mitschülern und Lehrern machten, einmal ist das Phänomen »Rettungswiderstand« präsent und einmal haben »gezeichnete Erinnerungen« Aufnahme in den Arbeitsteil gefunden. Zunächst zu den Schulbüchern, die in ihrer Quellenauswahl an die Schulerfahrungen jüdischer Kinder und Jugendlicher anknüpfen: Kursbuch Geschichte zieht einen Auszug aus den Memoiren des 1926 in Breslau geborenen Fritz Stern heran, der exemplarisch zeigt, wie nichtjüdische Mitschüler den Schulbesuch zu einem permanenten Spießrutenlaufen werden ließen: »Ich war ab April 1936 über zwei Jahre am Maria-Magdalena-Gymnasium, und mit jedem Halbjahr wurde es unangenehmer, wuchs mein Gefühl des Ausgeschlossenseins. Die meisten Klassenkameraden waren in der Hitler-Jugend, und an besonderen Tagen (beispielsweise am Führergeburtstag) erschienen sie in Uniform. Auch ohne Uniform ließen sie einen spüren, dass sie auf Deutschland und den Nationalsozialismus stolz waren und sich freuten, einer Gemeinschaft anzugehören. Gelegentlich war ich Zielscheibe verbaler und – auf dem Schulhof – physischer Attacken. […] Die Schule war schon anstrengend genug, und durch das hinzukommende Ausgeschlossensein und die Bedrohung wurde es noch schlimmer.«1287

Die Auswirkungen der ständigen Erniedrigungen, denen Kinder und Jugendliche aufgrund ihres »Jüdischseins« tagtäglich wehr- und hilflos von Seiten ihrer nichtjüdischen Umwelt ausgesetzt waren, werden auch für die Leserinnen und Leser von Historisch-Politische Weltkunde ersichtlich. Unter der Überschrift »Schikanen und persönliches Leid« ist hier ein Auszug aus den Erinnerungen einer Jüdin abgedruckt, die über ihre Kindheit in Lemgo berichtet: »Unsere Lehrerin war sehr stark nationalsozialistisch angehaucht, sie erzählte sehr viel von den Großtaten des Führers, hatte immer irgendwelche Sammelbüchsen auf dem 1284 1285 1286 1287

Ebd. Ebd. Ebd., S. 152. Kursbuch Geschichte (2009), S. 430.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV

Pult stehen und erschien mir gegenüber besonders feindselig; ich war gelähmt in ihrer Gegenwart, und meine Lernlust ließ immer mehr nach, dazu kam die Piesackerei der Mitschüler, die sehr bald zur Pein wurde. Es wurde mir freigestellt, im Religionsunterricht in der Klasse sitzen zu bleiben oder draußen vor der Klassentür zu stehen. Versuchte ich, draußen zu stehen, fragte mich jeder vorbeigehende Lehrer: ›Was hast du angestellt, warum stehst du draußen?‹ Auch die Schüler wurden dadurch noch mehr auf mich aufmerksam, da wählte ich den zweiten Ausweg und blieb in der Klasse sitzen. Mit dem Kopf nach unten saß ich die ganze Stunde wie beim Spießrutenlaufen, da hatten die Juden Jesus gekreuzigt, und da war Juda der Verräter. Kurz, alles was Hitler in seinen langen Reden immer wieder betonte, wurde hier bestätigt! Wenn mein Pullover nach Mottenpulver roch, war es Judengestank, und was ich tat, konnte nur eine Saujüdin tun. Es gab keine Grenzen der Beschimpfungen. All diese Pein ertrug ich allein, wie meine Schwester Helga damit fertig wurde, weiß ich leider nicht, wir haben als Kinder nie darüber gesprochen. Auf jeden Fall erzählte ich zu Hause nichts, es war mein persönliches Leid.«1288

Den Schülerinnen und Schülern, die mit Forum Geschichte arbeiten, wird ein multiperspektivisches Quellenarrangement geboten. Zunächst wird aus den Memoiren von Marta Appel zitiert, deren Kinder in den 1930er Jahren in Dortmund eine öffentliche Schule besuchten. Sie erzählt: »Fast jede Unterrichtsstunde wurde für die jüdischen Kinder zu einer Quälerei. Es gab eigentlich kein Thema mehr, bei dem der Lehrer nicht über die ›Judenfrage‹ gesprochen hätte … Zum Muttertag hatten die Schüler im Chor Lieder eingeübt … Am Tag vor dem Fest mussten meine Töchter zur Musiklehrerin kommen. ›Ihr müsst am Schulfest teilnehmen, aber mitsingen dürft ihr natürlich nicht, da ihr nicht arisch seid.‹ … ›Wieso können wir nicht mitsingen? Wir wollen doch auch für unsere Mutter singen!‹ … ›Ich weiß, dass ihr auch eine Mutter habt, aber sie ist ja nur eine jüdische Mutter.‹«1289

Dieser Quelle gegenübergestellt sind die folgenden Schilderungen von Ruth Wertheim, die deutlich machen, dass der Schulalltag auch anders sein konnte. Die jugendlichen Schulbuchleserinnen und -leser können erkennen, dass es auch Lehrer gab, die die Diskriminierung der jüdischen Schulkinder im Unterricht zu verhindern suchten: »Ich hatte immer gute Freundinnen, nahm bis zuletzt an Wandertagen teil, obwohl ich mich erinnere, dass ich mich bei einem der letzten Ausflüge zur Ludwigsburg sehr schlecht fühlte, weil ich wusste, dass ich als Jüdin dort unerwünscht war … Rassenkunde wurde bei uns noch nicht so unterrichtet, dass es mir unangenehm war. Es war mehr biologisch aufgebaut. Auch im Deutschunterricht gab die Lehrerin uns immer auch ein allgemeines Thema, über das auch ich schreiben konnte. Mein Klassenlehrer war voller Verständnis … Meine Klasse war anständig bis zuletzt … Ich verließ die

1288 Historisch-Politische Weltkunde (2010), S. 225. 1289 Forum Geschichte (2010), S. 159.

Typische Grundhaltungen und Verhaltensweisen

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Schule ohne Druck, aber weil ich wusste, dass man mich doch nicht zum Abitur zulassen würde.«1290

In Form eines Interviews, das der Publizist und Historiker Arno Lustiger im November 2011 mit der »Süddeutschen Zeitung« führte, sind in Kurshefte Geschichte jene nichtjüdischen Männer und Frauen vertreten, die Juden geholfen haben, dem Holocaust zu entkommen. Der Interviewauszug ist insofern gut gewählt, als er nicht nur die Hilfe vieler Namenloser für die Verfolgten und Untergetauchten betont, sondern auch verdeutlicht, dass es nur sehr wenige waren, die überhaupt den Mut besaßen, vorhandene Spielräume zu nutzen und damit Juden vor der Vernichtung zu bewahren.1291 Die Autorinnen und Autoren von Geschichte und Geschehen drucken im Arbeitsteil zwei Zeichnungen ab, die dem erstmals im Jahr 1969 erschienenen Buch »Adolf Hitlers Mein Kampf. Gezeichnete Erinnerungen an eine Große Zeit« von Kurt Halbritter entnommen sind.1292 Der 1924 in Frankfurt am Main geborene Karikaturist Halbritter versammelt darin ironische Illustrationen zu typischen Verhaltensweisen der deutschen Bevölkerung während der Zeit des Nationalsozialismus. Die beiden Zeichnungen, die im Schulbuch wiedergeben sind, stellen genau solche Verhaltensweisen von Nichtjuden gegenüber Juden dar (Abb. 89). Ein Bild zeigt eine »arische« Frau, die im Treppenhaus auf eine mit dem »Gelben Stern« gekennzeichnete Jüdin trifft. Die Bildunterzeile kommentiert: »Ich habe nichts gegen Sie. Es ist nur besser, wenn wir uns eine Zeitlang nicht kennen.« Auf dem anderen Bild ist eine »Arierin« zu sehen, die aus dem Fenster auf die Straße schaut. Dort steht ein kleines, den »Judenstern« auf ihrer Kleidung tragendes Mädchen, das einen Ball in der rechten Hand hält. Die Bildunterzeile erklärt: »Geh’ schon nach Hause, Judith, Marion muß ihrer Mama helfen und kann nicht mit dir spielen.« Ein Arbeitsauftrag verlangt von den Schülerinnen und Schülern, die typischen Kommentare und Haltungen, die der Zeichner festgehalten hat, zu beschreiben. Außerdem sollen die Lernenden skizzieren, welche Haltungen es noch gegeben haben könnte.1293

1290 1291 1292 1293

Ebd. Vgl. Kurshefte Geschichte (2012), S. 144f. Vgl. Geschichte und Geschehen (2011), S. 39. Vgl. ebd.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV

6.

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

6.1.

Beteiligung am Genozid an den Juden

Bei der Frage, ob Wehrmachtssoldaten sich an der Tötung von Juden beteiligten, offenbart das Untersuchungssample ein widersprüchliches Bild. Während einige Lehrwerke die eigenständig von Wehrmachtseinheiten begangenen Morde eindeutig ausweisen, andere Bücher zumindest die organisatorische Mithilfe des Militärs herausstreichen, wird partiell auch von der Armee und ihren Soldaten als Akteuren des Völkermords abstrahiert oder ihre Rolle auf die von Gegnern der Judenverfolgung und »Judenrettern« reduziert. Zunächst zu den Büchern, die weder über die umfangreiche Unterstützung, welche die Wehrmacht dem SS- und Polizeiapparat bei den Judenmorden leistete, noch über die Erschießungen, welche die Wehrmacht in eigener Regie durchführte, informieren. Neben Thema Geschichte kompakt, das die Massenerschießungen von Juden in der Sowjetunion komplett ausblendet, gehören hierzu (mindestens) drei weitere Unterrichtswerke. So nennt der Verfassertext von Zeiten und Menschen ausschließlich die SS-Einsatzgruppen als Täter.1294 Von der Mittäterschaft der Wehrmacht ist auch in Historisch-Politische Weltkunde nichts zu lesen. Stattdessen erfährt die erfolgreiche Rekrutierung von einheimischen »Hilfstruppen« zur Durchführung von Mordaktionen besondere Akzentuierung: »Mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 änderte sich die Strategie: Die gleich hinter den Fronttruppen einrückenden ›Einsatzgruppen‹ des SD brachten durch Massenerschießungen, bei denen sich grauenhafte Szenen abspielten, rund 600 000 jüdische Frauen, Männer und Kinder um, fast die gesamte jüdische Bevölkerung der besetzten Gebiete. Unterstützung fanden sie dabei vielfach von litauischen, lettischen, weißrussischen, ukrainischen Handlangern, deren rachsüchtiger Antisemitismus sie zu Mittätern werden ließ.«1295

Forum Geschichte verzichtet im Verfassertext nicht nur darauf, die aktive Beteiligung der Armee am Judenmord in der Sowjetunion zu erwähnen. Im Arbeitsteil betreiben die Schulbuchautorinnen und -autoren überdies durch den Abdruck zweier Materialien eine weitgehende Exkulpation der Wehrmacht. Zu finden ist einerseits ein Auszug aus dem Bericht eines Wehrmachtsbefehlshabers vom 23. November 1939, in dem dieser sich über von SS-Formationen durch1294 Vgl. Zeiten und Menschen (2009), S. 151: »Zu Beginn des Russlandfeldzuges folgten die Einsatzgruppen der Wehrmacht und ermordeten fast 560 000 Menschen – fast ausschließlich Juden. Traurige Berühmtheit erhielten die Vorfälle vom 29. und 30. 9. 1941, als die SS-Einheiten bei Babi Yar (Ukraine) weit über 30 000 Juden erschossen.« 1295 Historisch-Politische Weltkunde (2010), S. 221.

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geführte Massenerschießungen von Juden in Polen beim Befehlshaber des Ersatzheeres beschwert.1296 Andererseits können die Leserinnen und Leser aus einem abgedruckten Zeitungsartikel, der 1993 in der »Passauer Neuen Presse« erschienen war, etwas über das ehrenhafte Verhalten des Wehrmachtsmajors Max Liedtke erfahren, der 80 bis 100 Juden mehrere Wochen vor dem Zugriff der SS schützen konnte, indem er Straßen und Brücken sperren ließ.1297 Dass es sich bei der Auswahl dieser beiden Materialien um eine sehr einseitige und damit die historische Realität verzerrende didaktische Aufbereitung des Themas handelt, bedarf keiner weiteren Erklärung. Dieser Umstand wird noch dadurch verschärft, dass die Lernenden mithilfe des Zeitungsberichtes die Frage erörtern sollen, ob man von Kriegsverbrechen »der« Wehrmacht sprechen könne.1298 Natürlich kann man nicht! Weitgehend unklar im Hinblick auf die Rolle deutscher Wehrmachtssoldaten beim Holocaust fallen Histoire/Geschichte und Zeit für Geschichte aus. Die Autorinnen und Autoren des bilateralen Geschichtsschulbuches sprechen an einer Stelle nur von der »militärische[n] Führung«1299, die – neben anderen gesellschaftlichen Gruppen (Unternehmen, Ärzten, Universitäten, Polizisten, Reichsbahn etc.) und der hauptverantwortlichen SS – den Völkermord durchgeführt habe. An anderer Stelle ist dann lediglich die Rede von der »militärische[n] Verwaltung«1300, die in großem Umfang an den Judenmorden beteiligt gewesen sei. Während der Verfassertext von Histoire/Geschichte somit auf der Ebene der oberflächlichen Andeutung verharrt, mutet das didaktische Arran1296 Vgl. Forum Geschichte (2010), S. 174: »Die große Aufbauarbeit auf allen Gebieten wird nicht gefördert durch das Eingreifen von SS-Formationen, die mit ›volkspolitischen Sonderaufträgen‹ eingesetzt … sind … Fast in allen größeren Orten fanden durch die erwähnten Organisationen öffentliche Erschießungen statt. Die Auswahl war dabei völlig verschieden und oft unverständlich, die Ausführung vielfach unwürdig … In mehreren Städten wurden Aktionen gegen Juden durchgeführt, die zu schwersten Übergriffen ausarteten. In Turck fuhren am 30.10.39 drei SS-Kraftwagen unter Leitung eines höheren SS-Führers durch die Straßen, wobei die Leute auf der Straße mit … langen Peitschen wahllos über die Köpfe geschlagen wurden … Schließlich wurde eine Anzahl Juden in die Synagoge getrieben, musste dort singend durch die Bänke kriechen, wobei sie ständig von SS-Leuten mit Peitschen geschlagen wurden. gez. Petzel, General der Art.« 1297 Vgl. ebd., S. 175: »Max Liedtke war 1942 Ortskommandant der ostpolnischen Stadt Przemys´l. Als im Juli 1942 die ›Judenaussiedlung‹ [Deportation in ein KZ] aus Przemys´l beginnen sollte, setzte sich Liedtke zur Wehr, indem er Straßen und Brücken sperren ließ, um die SS am Abtransport der jüdischen Bevölkerung zu hindern. Einige Stunden später musste er die Sperrung aufheben, konnte aber zusammen mit seinem Adjutanten Dr. Battel 80 bis 100 Juden mehrere Wochen vor dem Zugriff der SS schützen. Liedtke verstarb 1955 in sowjetischer Gefangenschaft. Seit 1993 wird er als einer der wenigen Wehrmachtsangehörigen als ›Gerechter der Völker‹ in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem geehrt.« 1298 Vgl. ebd. 1299 Histoire/Geschichte (2008), S. 330. 1300 Ebd., S. 355.

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gement zur Behandlung des Zusammenhangs von Wehrmacht und Judenmord in Zeit für Geschichte etwas merkwürdig an. Angeboten wird die folgende Aussage, die ein ehemaliger SS-Hauptscharführer und Kriminalangestellter bei der Gestapo nach Kriegsende über die Folgen einer Befehlsverweigerung machte: »Nachdem die Exekution der Juden schon begonnen hatte, […] wurde ich durch irgendjemand zu Raschwitz [Leiter des Grenzpolizeikommissariats Jaslo] zitiert. Raschwitz, der zu diesem Zeitpunkt schon stark angetrunken war, erteilte mir den Befehl, zur Grube zu gehen und dort mit meiner Pistole Juden zu erschießen. Ich habe es ihm gegenüber aber abgelehnt, diesem Befehl nachzukommen, und mich zur Begründung meiner Ablehnung einfach darauf beschränkt zu sagen: Ich mache das nicht. Raschwitz hat mich dann sehr beschimpft. Ich erinnere mich noch an den Ausdruck ›ostmärkisches Schwein‹, den er mir gegenüber gebrauchte. Außerdem gebrauchte er die Formulierung ›Feigling‹ und weitere Schimpfworte. Sodann schickte er mich wieder zu den Kraftfahrzeugen zurück. Weiter hat Raschwitz gegen mich nichts unternommen und mich in Ruhe gelassen.«1301

Ein Arbeitsauftrag verlangt von den Schülerinnen und Schülern, auf der Basis dieser Quelle Stellung dazu zu beziehen, dass viele Wehrmachtssoldaten sich nach dem Krieg auf einen »Befehlsnotstand« beriefen.1302 Wieso den Lernenden dann aber das Zeugnis eines SS-Mannes geboten wird und die Rolle der Wehrmacht zudem im Verfassertext unerwähnt bleibt, ist nicht nachvollziehbar. Die restlichen sieben Lehrwerke des Samples geben (mehr oder weniger deutliche) Hinweise auf die Beteiligung der Wehrmacht an der Judenvernichtung. Dabei handeln zwei Bücher die Problematik in äußerster Kürze ab. Die Schulbuchmacherinnen und -macher von Mosaik beschränken sich auf die »Hilfsleistungen« der Truppe: »Beim Völkermord an den Juden unterstützte die Wehrmacht die ›Einsatzgruppen‹ von Polizei und SS, die den Auftrag hatten, die Besatzungsgebiete zu ›befrieden‹ […].«1303 Ebenfalls sehr knapp in Bezug auf den Judenmord formulieren die Autorinnen und Autoren von Das waren Zeiten: »Vollstrecker der Verbrechen waren vor allem Einsatzgruppen aus SS, Gestapo und Polizei. Auch Einheiten der Wehrmacht beteiligten sich.«1304 Differenzierter stellt dagegen Horizonte die Mitwirkung der Wehrmacht an der »Endlösung der Judenfrage« dar : »Reguläre Armeeeinheiten waren an der organisatorischen Durchführung der Judenvernichtung sowie teilweise an der Erschießung und Deportation von Juden beteiligt.«1305 Im Arbeitsteil erfahren die Schülerinnen und Schüler zudem anhand eines Auszuges aus dem Katalog 1301 1302 1303 1304 1305

Zeit für Geschichte (2010), S. 214. Vgl. ebd., S. 215. Mosaik (2010), S. 148. Das waren Zeiten (2010), S. 163. Horizonte (2009), S. 182.

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zur »Wehrmachtsausstellung« etwas über das Judenpogrom in Tarnopol im Juli 1941, bei dem die SS der Wehrmacht eine »erfreulich gute Einstellung gegen die Juden« bescheinigt habe.1306 Darüber hinaus geht aus einem abgedruckten Bericht des Oberwachtmeisters Soennecken, Dolmetscher bei der Heeresgruppe Mitte, vom 24. Oktober 1941 über ein Massaker im weißrussischen Borissow hervor, dass Wehrmachtssoldaten zu Augenzeugen der Massenerschießungen von Juden wurden.1307 In Geschichte und Geschehen wird ebenfalls ersichtlich, dass sich das Morden der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD und der Polizeibataillone im Operationsgebiet des Heeres und in enger Zusammenarbeit mit örtlichen 1306 Vgl. ebd., S. 184: »Tarnopol – südöstlich von Lemberg gelegen – wurde im September 1939 zunächst von der Roten Armee besetzt. Die Stadt hatte zu diesem Zeitpunkt etwa 40 000 Einwohner, 18 000 Personen galten als Juden. Am 2. Juli 1941 marschierte die Panzergruppe I mit der ihr unterstellten SS-Division ›Wiking‹ in Tarnopol ein. Zudem erreichte das Sonderkommando 4b die Stadt. Unmittelbar nach der deutschen Besetzung fand man die Leichen einiger hundert Ukrainer, die der NKWD kurz vor dem Abzug der Roten Armee ermordet hatte. Unter den Opfern befanden sich auch zehn deutsche Soldaten. Am 4. Juli 1941 setzte ein mehrere Tage andauerndes Pogrom ein. Die für die Morde verantwortlich gemachten Juden der Stadt wurden gezwungen, die NKWD-Opfer zu bergen, wobei die Juden misshandelt, erschlagen und erschossen wurden. Neben einheimischen Zivilisten beteiligten sich auch Angehörige der SS-Division ›Wiking‹ an den Gewalttaten. Zudem bescheinigte die SS der Wehrmacht eine ›erfreulich gute Einstellung gegen die Juden‹. Das Sonderkommando 4b fahndete gezielt nach jüdischen Intellektuellen und erschoss 127 Personen außerhalb der Stadt. Das Pogrom in Tarnopol kostete mindestens 600 Menschen das Leben.« 1307 Vgl. ebd.: »Ich hörte bei meiner Ankunft am Freitag, den 7. Oktober 1941, vom dortigen Leiter der russischen Sicherheitspolizei, Ehof […], dass in der Nacht von Sonntag auf Montag alle Borissower Juden erschossen werden sollten. […] Am kommenden Morgen ergab sich folgendes Bild: Man hatte schon um 3 Uhr morgens mit den Erschießungen begonnen. Man hatte zuerst die Männer fortgeholt. Sie wurden in russischen Autos zur Richtstätte gefahren, begleitet von den hierzu abgestellten Männern der Borissower russischen Sicherheitspolizei. […] Außerdem wurden, da die Autos nicht ausreichten und die Zeit drängte, fortwährend Züge von Frauen und Kindern die Straße heruntergetrieben, zum Teil mit Eisenstangen. Es standen auch an der Peripherie des Gettos, also an derselben Straße, Gruppen von Judenweibern und Kindern, auch Säuglinge in den Armen der Mütter, zum Abholen bereit! In der Ebene knatterten den ganzen Tag über die Gewehre, die Frauen und Kinder weinten und schrien, die Autos rasten durch die Straßen um das Getto und holten immer neue Opfer heran, und das alles vor den Augen der Zivilbevölkerung und der deutschen Militärpersonen, die des Weges kamen. […] Es waren einige Tage vorher von russischen Kriegsgefangenen im Walde einige Riesen-Massengräber in einer Länge von ca. 100 Metern, einer Breite von 5 Metern und einer Tiefe von 3 Metern ausgehoben worden. Die Erschießungen sollen sich nach den Berichten dieser Augenzeugen folgendermaßen zugetragen haben: Man habe die ersten Delinquenten, so ungefähr 20 Mann, in die Grube springen lassen, nachdem sie ihre Kleidung bis auf die Unterwäsche abgelegt hatten. Dann habe man sie von oben zusammengeschossen! Die Toten bzw. Halbtoten, die natürlich vollkommen durcheinander gelegen hätten, habe man dann durch die nächsten Opfer in Reihe und Glied legen lassen, um möglichst viel Raum zu gewinnen, und habe sodann wie oben fortgefahren.«

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Wehrmachtseinheiten vollzog. Gleichwohl müssen die Leserinnen und Leser bis zur Doppelseite »Wiederholen und Anwenden«, die am Schluss der Themeneinheit »Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg« steht, warten, bis die Thematik angesprochen wird. Unter der Überschrift »Kontrovers diskutieren und Ergebnisse der Debatte präsentieren« finden die Schülerinnen und Schüler zwei Kommentare von Historikern zu der vom HIS erarbeiteten Wanderausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944«. Es handelt sich dabei um die Aussagen von Karl-Heinz Janßen (1995) einerseits1308 und Hans-Adolf Jacobsen (1997) andererseits1309. Die Schülerinnen und Schüler werden u. a. gebeten, die Aussagen der beiden Historiker zu vergleichen, und darüber zu diskutieren, inwieweit die Rolle der Wehrmacht mit dem Völkermord in Zusammenhang gebracht werden kann. Noch deutlicher als in den beschriebenen Mittelstufenbänden kommt die weit über die eines Gehilfen des SS- und Polizeiapparats hinausreichende Beteiligung der Wehrmacht am Holocaust in zwei für die Oberstufe konzipierten Schulbüchern zum Ausdruck. Die Autorinnen und Autoren von Buchners Kompendium Geschichte betonen im Kapitel »Terror und Holocaust« unmissverständlich: »Im Osten folgten Sonderkommandos der SS und Polizeieinheiten den vorrückenden deutschen Truppen und erschossen bereits in den ersten Monaten des Russlandfeld-

1308 Vgl. Geschichte und Geschehen (2011), S. 67: »Da zerrinnt die Legende von der ›sauberen Wehrmacht‹, die, fern von allen Naziverbrechen, nur tapfer und treu das Vaterland verteidigt hat, und aufgehoben ist der Freispruch für Millionen Soldaten, die nichts gewußt, nichts gesehen, nichts gehört haben wollten. Stattdessen wird die fürchterliche Wahrheit offenbar, die zwar Fachleute [sic!] und einem zeithistorisch interessierten Leser- und Fernsehpublikum schon länger bekannt war, sich jedoch gegen eine Mauer einverständlichen Schweigens in der deutschen Öffentlichkeit nie durchsetzen konnte. (…) Hier wird der Begriff ›Holocaust‹ in die Kriegsgeschichte eingeführt. In der Regel denken Menschen dabei an Auschwitz und andere Vernichtungslager. Aber die Einsatzgruppen der SS, die Polizeibataillone, die baltischen und ukrainischen Hilfstrupps und eben auch Einheiten der Wehrmacht betrieben bereits im Sommer und Herbst 1941, noch ehe die Krematorien von Auschwitz rauchten, massiven Judenmord.« 1309 Vgl. ebd.: »Fraglos waren jedoch Teile der deutschen Wehrmacht (vornehmlich des Heeres) weitaus mehr an NS-Verbrechen direkt oder indirekt beteiligt, als es von Memoirenschreibern und in Aussagen von Veteranen nach 1945 zugegeben worden ist – ganz zu schweigen von den Tätern. Es gab darüber hinaus viele Mitwisser und solche, die die Mordtaten stillschweigend zur Kenntnis genommen haben, ohne einzuschreiten und zu versuchen, das Schlimmste zu verhüten. In diesem Zusammenhang aber von der Wehrmacht als Ganzem zu sprechen, dürfte eine kaum zulässige Verallgemeinerung sein. Die in jüngster Zeit recht apodiktisch […] formulierten Pauschalurteile sind weder quellenkritisch hinreichend belegt, noch den Realitäten des totalen Krieges angemessen, zumal bei diesen die mannigfachen Zeugnisse der Humanitas, soldatischer ›verdammter Pflichterfüllung‹ und militärischer Opposition gegen das NS-Unrechtssystem nur unzureichend berücksichtigt werden.«

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zugs mehrere hunderttausend Juden; auch Angehörige von Zivilverwaltung und Wehrmacht beteiligten sich an den Massakern […].«1310

Darüber hinaus werden im Arbeitsteil ausführliche Passagen aus Walter von Reichenaus Grundsatzbefehl über das »Verhalten der Truppe im Ostraum« vom 10. Oktober 1941 zitiert.1311 Dabei wird in der Anmoderation zu dieser Textquelle vermerkt, dass Hitler diesen Befehl als vorbildlich bezeichnete, sodass er auch von anderen Truppenteilen übernommen wurde. Eine klare Position hinsichtlich der Beteiligung der Wehrmacht am Genozid an den Juden bezieht auch Kursbuch Geschichte. Der zum Kapitel »Die Ermordung der europäischen Juden (1939–1945)« von den Schulbuchautorinnen und -autoren geschriebene Text greift an drei Stellen die Thematik auf. Zunächst wird unter der Zwischenüberschrift »Beginn des Völkermords« über die Verfolgung der Juden berichtet: »Nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 richtete sich die Gewalt vor allem gegen polnische Juden. Neben eigens aufgestellten Einsatzgruppen der SS und des SD waren an dem antijüdischen Terror in Polen und später der Sowjetunion auch die Wehrmacht und andere Institutionen beteiligt. Hierzu gehörten z. B. die sogenannten Reserve-Polizeibataillone. Sie rekrutierten sich aus Männern, die zu alt für den Dienst in der Wehrmacht waren. Sie kamen aus allen Bevölkerungsschichten und bestanden aus ›ganz normalen Männern‹ (Christopher Browning), die keineswegs immer zu den engagierten Anhängern des Nationalsozialismus zählten.«1312 1310 Buchners Kompendium Geschichte (2008), S. 367. 1311 Vgl. ebd., S. 363: »Hinsichtlich des Verhaltens der Truppe gegenüber dem bolschewistischen System bestehen vielfach noch unklare Vorstellungen. Das wesentlichste Ziel des Feldzuges gegen das jüdisch-bolschewistische System ist die völlige Zerschlagung der Machtmittel und die Ausrottung des asiatischen Einflusses im europäischen Kulturkreis. Hierdurch entstehen auch für die Truppe Aufgaben, die über das hergebrachte einseitige Soldatentum hinausgehen. Der Soldat ist im Ostraum nicht nur ein Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen Idee und der Rächer für alle Bestialitäten, die deutschem und artverwandtem Volkstum zugefügt wurden. Deshalb muss der Soldat für die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis haben. Sie hat den weiteren Zweck, Erhebungen im Rücken der Wehrmacht, die erfahrungsgemäß stets von Juden angezettelt wurden, im Keime zu ersticken. Der Kampf gegen den Feind hinter der Front wird noch nicht ernst genug genommen. Immer noch werden heimtückische, grausame Partisanen und entartete Weiber zu Kriegsgefangenen gemacht, immer noch werden halb uniformierte oder in Zivil gekleidete Heckenschützen und Herumtreiber wie anständige Soldaten behandelt und in die Gefangenenlager abgeführt. […] Fern von allen politischen Erwägungen der Zukunft hat der Soldat zweierlei zu erfüllen: 1.) die völlige Vernichtung der bolschewistischen Irrlehre, des Sowjetstaates und seiner Wehrmacht. 2.) die erbarmungslose Ausrottung artfremder Heimtücke und Grausamkeit und damit die Sicherung des Lebens der deutschen Wehrmacht in Russland. Nur so werden wir unserer geschichtlichen Aufgabe gerecht, das deutsche Volk von der asiatisch-jüdischen Gefahr ein für allemal zu befreien.« 1312 Kursbuch Geschichte (2009), S. 458.

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Der folgende Passus zur »Endlösung der Judenfrage« teilt dann mit: »Die planmäßige Koordinierung des Mordes wurde auf der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 in Berlin beraten. Unter der Leitung des RSHA-Chefs Reinhard Heydrich organisierten NS-Behörden und Ministerien die ›Endlösung der Judenfrage‹: Durch Zwangsarbeit und systematische Ermordung sollte die jüdische Bevölkerung vernichtet werden […]. Hauptverantwortlich dafür war die SS; an der Umsetzung dieses Völkermords beteiligten sich jedoch weitere NS-Organe, die Wehrmacht und zahlreiche Industriebetriebe.«1313

Schließlich verweisen die Lehrwerksautorinnen und -autoren in einem Abschnitt, der mit der Zwischenüberschrift »Holocaust-Forschung« versehen ist, darauf, dass mit der Öffnung der Archive in Osteuropa nach dem Ende des Kalten Krieges 1989/90 vermehrt Forschungsarbeiten zur »Rolle der Wehrmacht als ›aktive Institution des Massenmords‹ (Ausstellung über die ›Verbrechen der Wehrmacht‹)«1314 entstanden seien. Hinzu tritt auch in diesem Schulbuch der Befehl des Generalfeldmarschalls von Reichenau.1315 Die Anmoderation hält auch hier das ausdrückliche Lob von Hitler und die Übernahme von zahlreichen Wehrmachtsbefehlshabern fest. 1313 Ebd., S. 459. 1314 Ebd., S. 460. 1315 Vgl. ebd., S. 453f.: »Hinsichtlich des Verhaltens der Truppe gegenüber dem bolschewistischen System bestehen vielfach noch unklare Vorstellungen. Das wesentlichste Ziel des Feldzuges gegen das jüdisch-bolschewistische System ist die völlige Zerschlagung der Machtmittel und die Ausrottung des asiatischen Einflusses im europäischen Kulturkreis. Hierdurch entstehen auch für die Truppe Aufgaben, die über das hergebrachte einseitige Soldatentum hinausgehen: Der Soldat ist im Ostraum nicht nur ein Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen Idee und der Rächer für alle Bestialitäten, die deutschem und artverwandtem Volkstum zugefügt wurden. Deshalb muss der Soldat für die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis haben. Sie hat den weiteren Zweck, Erhebungen im Rücken der Wehrmacht, die erfahrungsgemäß stets von Juden angezettelt wurden, im Keime zu ersticken. Der Kampf gegen den Feind hinter der Front wird noch nicht ernst genug genommen. Immer noch werden heimtückische grausame Partisanen und entartete Weiber zu Kriegsgefangenen gemacht, immer noch werden halbuniformierte oder in Zivil gekleidete Heckenschützen und Herumtreiber wie anständige Soldaten behandelt und in die Gefangenenlager abgeführt. […] Das Verpflegen von Landeseinwohnern und Kriegsgefangenen, die nicht im Dienste der Wehrmacht stehen, an Truppenküchen ist eine ebenso missverstandene Menschlichkeit wie das Verschenken von Zigaretten und Brot. Was die Heimat unter großer Entsagung entbehrt, was die Führung unter größten Schwierigkeiten nach vorne bringt, hat nicht der Soldat an den Feind zu verschenken, auch nicht, wenn es aus der Beute stammt. Sie ist ein notwendiger Teil unserer Versorgung. […] Fern von allen politischen Erwägungen der Zukunft hat der Soldat zweierlei zu erfüllen: 1) Die völlige Vernichtung der bolschewistischen Irrlehre, des Sowjet-Staates und seiner Wehrmacht; 2) Die erbarmungslose Ausrottung artfremder Heimtücke und Grausamkeit und damit die Sicherung des Lebens der deutschen Wehrmacht in Russland. Nur so werden wir unserer geschichtlichen Aufgabe gerecht, das deutsche Volk von der asiatisch-jüdischen Gefahr ein für allemal zu befreien.«

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Diese Eindeutigkeit in der Darstellung trifft für Kurshefte Geschichte nur bedingt zu. Zwar enthält auch dieses Schulbuch von Reichenaus Hass-Befehl1316 und vermerkt dazu: »Dieser Befehl wurde von Hitler als vorbildlich bezeichnet und von zahlreichen Befehlshabern übernommen.«1317 Allerdings kommen die Schulbuchmacherinnen und -macher im Verfassertext nicht über eine vage Andeutung hinaus, wie insbesondere ein vergleichender Blick auf den Autorentext von Kursbuch Geschichte zeigt. Die beiden Texte unterscheiden sich im Grunde nur minimal, im Hinblick auf die Verantwortung der Wehrmacht jedoch wesentlich. Während bei Kursbuch Geschichte die Schülerinnen und Schüler auf die Tatsache aufmerksam gemacht werden, dass die Wehrmacht sowohl auf der obersten Befehlsebene wie auch auf der Ebene der kämpfenden Truppe an den Verbrechen in der Sowjetunion beteiligt war, wird die aktive Rolle der Armee in Kurshefte Geschichte nur am Rande erwähnt. Ein Indiz dafür ist die im Verfassertext verwendete Formulierung »weitere zivile und militärische Stellen«. Konkret heißt es: »Schon während der Eroberung Polens 1939 begannen SS-Einsatzgruppen hinter den Linien mit Massenerschießungen von Juden. Im Krieg gegen die Sowjetunion wurde 1316 Vgl. Kurshefte Geschichte (2012), S. 173f.: »Hinsichtlich des Verhaltens der Truppe gegenüber dem bolschewistischen System bestehen vielfach noch unklare Vorstellungen. Das wesentlichste Ziel des Feldzuges gegen das jüdisch-bolschewistische System ist die völlige Zerschlagung der Machtmittel und die Ausrottung des asiatischen Einflusses im europäischen Kulturkreis. Hierdurch entstehen auch für die Truppe Aufgaben, die über das hergebrachte einseitige Soldatentum hinausgehen: Der Soldat ist im Ostraum nicht nur ein Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst, sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen Idee und der Rächer für alle Bestialitäten, die deutschem und artverwandtem Volkstum zugefügt wurden. Deshalb muss der Soldat für die Notwendigkeit der harten, aber gerechten Sühne am jüdischen Untermenschentum volles Verständnis haben. Sie hat den weiteren Zweck, Erhebungen im Rücken der Wehrmacht, die erfahrungsgemäß stets von Juden angezettelt wurden, im Keime zu ersticken. Der Kampf gegen den Feind hinter der Front wird noch nicht ernst genug genommen. Immer noch werden heimtückische grausame Partisanen und entartete Weiber zu Kriegsgefangenen gemacht, immer noch werden halbuniformierte oder in Zivil gekleidete Heckenschützen und Herumtreiber wie anständige Soldaten behandelt und in die Gefangenenlager abgeführt. […] Das Verpflegen von Landeseinwohnern und Kriegsgefangenen, die nicht im Dienste der Wehrmacht stehen, an Truppenküchen ist eine ebenso missverstandene Menschlichkeit wie das Verschenken von Zigaretten und Brot. Was die Heimat unter großer Entsagung entbehrt, […] hat nicht der Soldat an den Feind zu verschenken, auch nicht, wenn es aus der Beute stammt. Sie ist ein notwendiger Teil unserer Versorgung. […] Fern von allen politischen Erwägungen der Zukunft hat der Soldat zweierlei zu erfüllen: 1) Die völlige Vernichtung der bolschewistischen Irrlehre, des Sowjet-Staates und seiner Wehrmacht. 2) Die erbarmungslose Ausrottung artfremder Heimtücke und Grausamkeit und damit die Sicherung des Lebens der deutschen Wehrmacht in Russland. Nur so werden wir unserer geschichtlichen Aufgabe gerecht, das deutsche Volk von der asiatisch-jüdischen Gefahr ein für alle Mal zu befreien.« 1317 Ebd., S. 173.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV

diese Praxis verschärft. Neben der SS waren hier auch andere Institutionen beteiligt, z. B. die ›Reserve-Polizeibataillone‹. Sie rekrutierten sich aus Männern, die zu alt für den Dienst in der Wehrmacht waren und – so der Historiker Christopher R. Browning – aus ›ganz normalen Männern‹ bestanden, die keineswegs immer zu den engagierten Anhängern des Nationalsozialismus zählten. Hinzu traten bei den Massenmorden weitere zivile und militärische Stellen sowie verbündete Truppen, besonders aus Weißrussland und Rumänien, die entsetzliche Massaker anrichteten. Von den insgesamt 4,7 Millionen Juden, die im Sommer 1941 auf dem Territorium der Sowjetunion lebten, wurden bis zum Ende des Jahres 1942 2,2 Millionen, also fast die Hälfte, ermordet.«1318

Der Akzent liegt hier weniger auf der Wehrmacht als vielmehr auf den SSEinsatzgruppen, den Reserve-Polizeibataillonen und den einheimischen Kollaborateuren. Folglich ist für die Lernenden nicht deutlich genug zu erkennen, dass auch Militäreinheiten eigenständig Massenmorde durchgeführt haben.

6.2.

Verantwortung für die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen

Die Durchsicht ergibt, dass die unmenschliche Behandlung der Rotarmisten in deutscher Kriegsgefangenschaft in neun von 13 Schulbüchern präsent ist.1319 Wie bereits in der dritten Lehrwerksgeneration lassen sich dabei grob zwei Darstellungstypen unterscheiden. Der erste Typ liefert mehr oder weniger eindeutige Hinweise auf das Massensterben unter den sowjetischen Kriegsgefangenen, spart jedoch die dafür die Hauptverantwortung tragende Wehrmacht aus. Darstellungen des zweiten Typs greifen dagegen die von der Wehrmacht systematisch betriebene Politik der schlechten Behandlung Millionen gefangener Rotarmisten auf. Vier Schulbücher können dem ersten Darstellungstyp zugeordnet werden, wobei die Narrationen eine deutliche Diskrepanz in der Einschätzung der Dimension des Verbrechens zeigen. Als völlig unzureichend muss die Aufbereitung in Forum Geschichte bewertet werden. Hier wird nämlich nur ausgewiesen, dass es die »Misshandlung und Tötung von Gefangenen«1320 während des Russlandfeldzuges gegeben habe. Angesichts von Millionen ermordeter sowjetischer Kriegsgefangener überzeugt auch nicht die vage Formulierung im Verfassertext von Geschichte und Geschehen: »Viele sowjetische Kriegsgefangene wurden 1318 Ebd., S. 134. 1319 Unerwähnt bleiben die sowjetischen Kriegsgefangenen in Zeit für Geschichte (2010), Buchners Kompendium Geschichte (2008), Thema Geschichte kompakt (2008) und Historisch-Politische Weltkunde (2010). 1320 Forum Geschichte (2010), S. 174.

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kurzerhand erschossen oder starben in den Gefangenenlagern.«1321 Die anderen beiden Schulbücher dieses Typs blenden ebenfalls die Frage nach der Verantwortung der Wehrmacht durchgehend aus. Ihnen lassen sich aber immerhin präzise Zahlenangaben entnehmen. So formulieren die Autorinnen und Autoren von Horizonte: »Von etwa 5,7 Millionen gefangenen Rotarmisten starben 3,3 Millionen.«1322 Zeiten und Menschen gibt in einer Tabelle, die »Daten zur Behandlung der Menschen Osteuropas« zusammenfasst, die Zahl der Sowjetsoldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft mit 5,7 Millionen an. Davon seien wiederum 3,3 Millionen in der Gefangenschaft gestorben.1323 Dem zweiten Darstellungstyp, der sich dem massenhaften Sterbenlassen von Kriegsgefangenen im Gewahrsam der Wehrmacht mehr oder weniger ausdrücklich zuwendet, können fünf Schulgeschichtsbücher zugeordnet werden. Auffällig ist, dass es meistens weniger die Verfassertexte als vielmehr die in den Arbeitsteilen abgedruckten Materialien sind, aus denen die Schülerinnen und Schüler Informationen über die Beteiligung der Armee ziehen können. Exemplarisch für eine solche Aufbereitung steht Das waren Zeiten. Der Verfassertext ist weit davon entfernt, das elende Schicksal der gefangenen Rotarmisten auch nur annähernd adäquat zu beschreiben. So heißt es nur: »Auf Anordnung der Führung waren Richtlinien und Befehle erlassen worden, die internationale Regeln der Kriegsführung missachteten: Gefangene genossen keinen Schutz, Kommunisten […] konnten ohne Einschränkung getötet werden.«1324 Der Arbeitsteil hält dann jedoch eine Text- und eine Bildquelle bereit. Dabei handelt es sich zum einen um das folgende Geständnis eines deutschen Kriegsgefangenen über seinen Einsatz an der Ostfront: »Kurz vor unserem Abmarsch [in die Sowjetunion] wurden wir von unserem Kompaniechef […] in einer Scheune versammelt. Hier erhielten wir folgenden Geheimbefehl: ›Kriegsgefangene sind von der Roten Armee nur in Ausnahmefällen, d. h. wenn es unvermeidlich ist, zu machen. Im Übrigen sind gefangene Sowjetsoldaten sofort zu erschießen. Stets zu erschießen sind Frauen, die in den Einheiten der Roten Armee dienen.‹ Ich kann nun noch sagen, dass sich der große Teil der Soldaten meiner Einheit nicht so verhielt, wie es der obige Blutbefehl von ihnen forderte. Ich sah aber auch, wie sich die deutsche Armee ein grauenhaftes Ansehen erwarb.«1325

Die Schülerinnen und Schüler werden mittels eines Arbeitsauftrages erstens dazu angehalten aufzuzeigen, welche Haltung der deutsche Soldat gegenüber dem »Blutbefehl« einnahm, zweitens das »grauenhafte Ansehen«, das sich die 1321 1322 1323 1324 1325

Geschichte und Geschehen (2011), S. 45. Horizonte (2009), S. 182. Vgl. Zeiten und Menschen (2009), S. 149. Das waren Zeiten (2010), S. 163. Ebd., S. 164.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV

Armee nach Meinung des Soldaten erwarb, zu erläutern.1326 Ohne Arbeitsauftrag versehen und daher wahrscheinlich vornehmlich zu illustrativen Zwecken gedacht, findet sich auf derselben Seite der Abdruck einer Fotografie aus dem Jahr 1941, auf der zwei sowjetische Gefangene abgebildet sind, die ihr eigenes Grab ausheben müssen. Interessant sind vor allem die zahlreichen »Zuschauer«, die in einigem Abstand kreisförmig zum »Hauptmotiv« aufgestellt sind und den Vorgang offenbar aufmerksam beobachten (Abb. 90).1327 Indem die Fotografie eine der zahlreichen »Einzelaktionen« gegen sowjetische Kriegsgefangene festhält, bezeugt sie nicht nur die Schaulust (und den Schauzwang) einfacher Wehrmachtssoldaten, sondern sie dokumentiert für die Lernenden ebenso, dass zumindest Teile der Armee tatsächlich in diesen Teil des Vernichtungskrieges involviert waren. Nach einem ähnlichen Muster verfährt Mosaik. Im Verfassertext zu »Der Krieg im Osten« wird nur sehr allgemein von »Misshandlungen und Tötungen von Kriegsgefangenen«1328 gesprochen, die sehr bald zum Kriegsalltag gehört hätten. Außerdem ist zu lesen: »Etwa die Hälfte von den über 6 Millionen sowjetischen Soldaten überlebten die Gefangenschaft nicht – viele davon starben als Zwangsarbeiter in den KZ.«1329 Wie bei Das waren Zeiten, stellt der Arbeitsteil das Nachkriegsgeständnis eines deutschen Soldaten zur Verfügung, wobei die Schulbuchmacherinnen und -macher die Textquelle fälschlicherweise als Auszug aus einem Feldpostbrief von Ende Juni 1941 ausweisen.1330 Deutlicher tritt die Verantwortung der Wehrmacht für die massenhafte Tötung bzw. Aushungerung ihrer Kriegsgefangenen in Kursbuch Geschichte zutage, wenngleich im Verfassertext lediglich die Rede davon ist, dass Wehrmacht und SS »mit aller Rücksichtslosigkeit und Härte«1331 gegen die als »Untermenschen« bezeichneten Soldaten der Roten Armee vorgegangen seien. Im Arbeitsteil präsentieren die Autorinnen und -autoren dafür einen Fachtext von Wolfgang Michalka über den Vernichtungskrieg des NS-Regimes, aus dem hervorgeht, dass zwischen der erklärten Absicht deutscher Führungseliten (inklusive des Wehrmachtsführungsstabes), die »Ostvölker« zu dezimieren, und dem organisierten Hungersterben der sowjetischen Kriegsgefangenen ein enger Kausalzusammenhang bestand. Der entsprechende Abschnitt lautet: »Eine weitere Entscheidung, die ebenfalls aus den globalen Kriegszielen deutscher Entscheidungsträger resultierte, betraf die Behandlung der russischen Kriegsgefangenen, die besonders zu Beginn des Angriffskrieges den deutschen Aggressoren in die 1326 1327 1328 1329 1330 1331

Vgl. ebd. Vgl. ebd. Mosaik (2010), S. 148. Ebd. Vgl. ebd., S. 149. Kursbuch Geschichte (2009), S. 451.

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Hände fielen. Wenn auch keine konkreten Planungen hinsichtlich der Behandlung der Gefangenen vor Beginn des Krieges vorhanden waren, herrschte weitgehend Konsens darüber, dass die deutsche Bevölkerung möglichst ›friedensmäßig‹ ernährt werden sollte, um die ›Kriegsmoral der Heimatfront‹ nicht aufs Spiel zu setzen. Die besetzten Gebiete wurden in dieser Absicht systematisch nach Nahrungsressourcen ausgeplündert, und die Ernährungsrationen für die sowjetischen Kriegsgefangenen lagen weit unter dem Existenzminimum. Mangelnde Ernährung, unzureichende medizinische Versorgung, extreme Arbeitsbelastung und nicht zuletzt Massenerschießungen ›vernichteten‹ 3,3 Millionen von insgesamt 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen. Das entsprach 57,8 % oder dem Zehnfachen der im Ersten Weltkrieg in deutscher Gefangenschaft umgekommenen Russen.«1332

In leicht gekürzter Form stoßen auch die Lernenden, die mit Kurshefte Geschichte arbeiten, auf diesen Textauszug.1333 Die Schulbuchautorinnen und -autoren selbst verwenden dagegen keine Aufmerksamkeit auf diese Thematik, sodass der Michalka-Text gewissermaßen als verkappter Verfassertext fungiert. Wiederum anders geht Histoire/Geschichte vor. Unter dem Titel »Im Osten Europas – ein Vernichtungskrieg gegen den Kommunismus« räumen die Lehrwerksmacherinnen und -macher der ideologischen Dimension im »Unternehmen Barbarossa« ein eigenes Unterkapitel auf einer Doppelseite ein. Der Autorentext hält hier fest: »Auch die Wehrmacht war an den im Osten begangenen Gräueltaten beteiligt. Zwei Drittel der sowjetischen Kriegsgefangenen starben in der Gefangenschaft.«1334 Zwei beigegebene Materialien exemplifizieren diese Aussage. Zum einen ist ein Foto vorhanden (Abb. 91). Die Bildunterschrift kommentiert: »Entsetzliche Bedingungen für sowjetische Kriegsgefangene. Erdhöhlen im Lager Wietzendorf, südlich von Hamburg, ohne Datum. Vor dem Bau von Baracken mussten die Gefangenen in diesen Erdhöhlen ihr Leben fristen. Viele kamen dabei um.«1335 Zum anderen informiert ein Säulendiagramm, aufgegliedert nach Soldaten der Roten Armee, britischen und amerikanischen Soldaten, deutschen Soldaten sowie russischen Soldaten während des Ersten Weltkrieges, über die Sterblichkeitsrate von Kriegsgefangenen (Abb. 92).1336 Zu diesen beiden Materialien erhalten die Schülerinnen und Schüler schließlich den Arbeitsauftrag zu erläutern, wieso die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen beispiellos war.1337 Auf die (befohlene) Erschießung von politischen Kommissaren durch Hee-

1332 1333 1334 1335 1336 1337

Ebd., S. 455. Vgl. Kurshefte Geschichte (2012), S. 175. Histoire/Geschichte (2008), S. 324. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 325.

400

Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV

reseinheiten gehen neun von 13 Schulgeschichtsbüchern ein.1338 In vier Lehrwerken ist ein Auszug aus dem »Kommissarbefehl« vertreten.1339 Dabei wird die Quelle in allen Bücher so eingeleitet, dass für die Lernenden erkennbar wird, dass das OKW für die Ausgabe und Verbreitung der »Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare« vom 6. Juni 1941 verantwortlich war. Stellvertretend sei die entsprechende Anmoderation aus Horizonte zitiert: »Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht vom 6. Juni 1941. Der Befehl durfte nur bis zu den Oberbefehlshabern der Armeen bzw. Luftflottenchefs verteilt werden und musste den Befehlshabern mündlich bekannt gegeben werden.«1340 Dass der Truppe die Aufgabe zufiel, Politfunktionäre der Roten Armee direkt nach ihrer Gefangennahme zu ermorden, stellen auch die Autorinnen und Autoren von Zeit für Geschichte heraus. Der Verfassertext erläutert: »Bereits bei der Vorbereitung des ›Russlandkrieges‹ im März 1941 hatte Hitler die Tötung sowjetischer Parteifunktionäre angeordnet. In den folgenden Monaten ordneten hohe Militärs in einer Reihe von Befehlen an, […] ›Kommissare‹ (Parteifunktionäre und Führungsoffiziere der Roten Armee) ›wenn im Kampf oder Widerstand ergriffen, grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen‹. Angehörige der Wehrmacht wurden so zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und zu Verstößen gegen geltende Bestimmungen des internationalen Kriegsrechts angestiftet.«1341

Kursbuch Geschichte und Kurshefte Geschichte machen nicht nur auf den größtenteils ausbleibenden Widerspruch der Wehrmachtsführung gegen die geplante Ermordung sowjetischer Politoffiziere aufmerksam. Beiden Büchern ist ebenfalls zu entnehmen, dass Partei und Armee sich bereits lange vor Beginn des Feldzuges gegen die Sowjetunion gemeinsam auf eine verbrecherische Kriegsführung festgelegt hatten. Neben Kurzmitteilungen zum »Kommissarbefehl« in den Verfassertexten1342 ist es dabei auch in diesem Fall der im jeweiligen Arbeitsteil abgedruckte Darstellungstext von Wolfgang Michalka, der die Informationsvermittlung übernimmt. Die Schülerinnen und Schüler lesen: »Bereits im Frühjahr 1941 war den an der Planung des Angriffs auf die Sowjetunion Beteiligten klar, dass der Krieg im Osten neben strategisch-machtpolitischen und wirtschaftlichen vor allem ideologische Aufgaben zu erfüllen hatte und dass völker1338 Keine Informationen liefern Zeiten und Menschen (2009), Mosaik (2010), Buchners Kompendium Geschichte (2008) und Thema Geschichte kompakt (2008). 1339 Vgl. Horizonte (2009), S. 185; Das waren Zeiten (2010), S. 164; Forum Geschichte (2010), S. 174; Geschichte und Geschehen (2011), S. 46. 1340 Horizonte (2009), S. 185. 1341 Zeit für Geschichte (2010), S. 210. 1342 Vgl. Kursbuch Geschichte (2009), S. 451: »Der sogenannte ›Kommissarbefehl‹ vom Juni 1941 enthielt die Anweisung an das Heer, politische Kommissare der Roten Armee ohne Gerichtsverhandlung zu ermorden.«; Kurshefte Geschichte (2012), S. 171: »Der ›Kommissarbefehl‹ schrieb den deutschen Truppen […] die ›Vernichtung‹ der politischen Kommissare der Roten Armee vor.«

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

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rechtliche Beschränkungen und Regeln absolut fehl am Platze waren. Am deutlichsten zeigt sich dies im Komplex der sogenannten ›verbrecherischen Befehle‹, vor allem im ›Kriegsgerichtsbarkeitserlass‹ und im ›Kommissarbefehl‹. Beide Direktiven erhielten ihre Begründung und Verbreitung in einer Rede vor etwa 230 Generalen – den Befehlshabern und Stabschefs der für den Ostkrieg vorgesehenen Verbände – am 30. März 1941, in der Hitler über den bevorstehenden ›Kampf zweier Weltanschauungen‹ zur ›Ausrottung‹ des Kommunismus ›für alle Zeiten‹ offen und klar informierte und zur ›Vernichtung der bolschewistischen Kommissare und kommunistischen Intelligenz‹ aufrief. Es handle sich ›um einen Vernichtungskampf‹, in dem man den Feind nicht ›konservieren‹ dürfe. In den folgenden Wochen wurden beide Befehle auf mittlerer Ebene […] ausgearbeitet, ohne dass es weitere Anstöße vonseiten Hitlers bedurft hätte; dies bedeutet gleichzeitig, dass kein entschiedener Widerspruch von den militärischen Führungsstäben erfolgt ist. […] Der ›Kommissarbefehl‹ forderte von der Truppe die sofortige Erschießung aller gefangen genommenen politischen Kommissare der Roten Armee. […] Die Entscheidung, alle kommunistischen Funktionäre […] zu beseitigen, resultierte aus der Absicht, die Eroberung im Osten – die Basis der zukünftigen Weltmachtstellung – mit größter Rücksichtslosigkeit zu sichern.«1343

Die entscheidende Frage, ob überhaupt und – wenn ja – in welchem Ausmaß der »Kommissarbefehl« des OKW zur Ausführung kam, stellen indessen nur die Autorinnen und Autoren von Historisch-Politische Weltkunde. Ihre Antwort fällt wie folgt aus: »Dieser Krieg war von vornherein als Vernichtungskrieg gegen den ›Bolschewismus‹ und die ›slawische Rasse‹ geplant. Die sonst eher zögerliche Wehrmachtsführung hatte keine Einwände. Der Hass auf den Kommunismus saß tief, die Slawen galten als minderwertige Völker, die Kampfkraft der Roten Armee wurde sträflich unterschätzt. So nahm man auch keinen Anstoß daran, dass der ›Führer‹ die Wehrmacht auf eine brutale, gnadenlose Kampfesweise einschwor, die sich über alle bisher respektierten Regeln des Kriegsvölkerrechts hinwegsetzte. In einer Ansprache vor seinen Generälen am 30. März 1941 ließ er daran keinen Zweifel, und der sogenannte ›Kommissarbefehl‹ vom 6. Juni 1941 wies die Truppenführer an, gefangen genommene Kommissare (Offiziere der sowjetischen Streitkräfte, die für die ideologische Indoktrination zuständig waren) sofort zu ›erledigen‹. Wieweit der Befehl befolgt wurde, ist umstritten. Einige Offiziere ignorierten ihn, andere führten ihn aus, gehorsam und pflichteifrig oder verblendet und fanatisch.«1344

Das letzte Schulbuch, in dem die Politkommissare Erwähnung finden, ist Histoire/Geschichte. Es stellt insofern einen Sonderfall im Untersuchungssample dar, als es von den Wehrmachtsangehörigen als Tätern abstrahiert und die Verantwortung für die Morde allein der SS zuschreibt. So schreiben die Lehrwerksautorinnen und -autoren: »Die SS erhielt für die Exekution der politischen 1343 Kursbuch Geschichte (2009), S. 454f. Vgl. auch Kurshefte Geschichte (2012), S. 175. 1344 Historisch-Politische Weltkunde (2010), S. 178f.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV

Kommissare der Roten Armee und der der Kommunistischen Partei angehörenden Juden vollkommen freie Hand.«1345

6.3.

Tötung von Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung

Dem radikalen Vorgehen der deutschen Verbände in der Partisanenbekämpfung, das sich nicht nur gegen tatsächlich Irreguläre, sondern nur zu oft auch gegen unbeteiligte sowjetische Zivilisten richtete, wird in der Mehrzahl der untersuchten Bücher explizite Aufmerksamkeit zuteil. Gleichwohl gibt es auch in dieser Generation einige Lehrwerke, die auf eine kritische Reflexion der willkürlichen Ausschreitungen der Truppe gegen die Zivilbevölkerung (weitgehend) verzichten. Neben Thema Geschichte kompakt, wo nirgends Bezug auf die AntiPartisanenunternehmen mit teilweise massenhaften Ermordungen genommen wird, gehört hierzu Das waren Zeiten. Das von den Autorinnen und Autoren angebotene Narrativ repräsentiert dabei im Korpus eine Variante, die allen anderen Lehrwerken besonders deutlich entgegengesetzt ist. Zunächst informiert der Verfassertext ausführlich über die von Partisanen verübten Taten: »Mit Flugblättern, Streiks, Sabotageaktionen wie der Zerstörung von Eisenbahnanlagen und Brücken sowie Anschlägen auf den deutschen Nachschub versuchten Widerstandsgruppen, die Fremdherrschaft zu schwächen.«1346 Daran schließt sich folgender Satz an: »Dabei nahmen sie brutale Gegenmaßnahmen in Kauf: Partisanen wurden erschossen oder gehenkt.«1347 Ganz davon abgesehen, dass die jugendlichen Leserinnen und Leser nicht erfahren, wer für die Ermordungen verantwortlich war, verschweigt das Schulbuch, dass bei der »Partisanenbekämpfung« von Anfang an auch völlig unbeteiligte Menschen (Unbewaffnete, Kranke, Alte, Frauen und Kinder) zur Erschießung freigegeben wurden. Von einer im Hinblick auf die Klärung des Zusammenhangs zwischen dem Partisanenkrieg und der Massengewalt gegen Zivilisten adäquaten Darstellung kann auch nicht in Horizonte gesprochen werden. Im Kapitel »Kriegswende und Kriegsende« begnügen sich die Lehrwerksautorinnen und -autoren zunächst mit der simplen und völlig unzureichenden Feststellung, dass Partisanen die deutschen Eroberer bekämpft hätten.1348 An anderer Stelle, im Kapitel »Widerstand gegen den Nationalsozialismus«, ist es eine nicht näher definierte »deutsche Besatzungsmacht«1349, die »rücksichtslos gegen jede Form von Sabotage 1345 1346 1347 1348 1349

Histoire/Geschichte (2008), S. 324. Das waren Zeiten (2010), S. 167. Ebd. Vgl. Horizonte (2009), S. 180. Ebd., S. 198.

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

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und Widerstand«1350 vorgegangen sei. Außerdem wird betont, dass »der Partisanenkrieg auf beiden Seiten mit schonungsloser Grausamkeit geführt«1351 worden sei. Unklar in Bezug auf die Beteiligung der Wehrmacht bleibt auch Mosaik. Im Verfassertext wird lediglich ausgewiesen, dass »Verbrechen gegenüber der slawischen Zivilbevölkerung«1352 sehr bald zum Kriegsalltag gehört hätten. Während die bisher beschriebenen Schulgeschichtsbücher die von Wehrmachtseinheiten begangenen Willkürakte im Zuge der Anti-Partisanenpolitik aussparen, findet dieser Tatbestand in allen anderen Lehrwerken in irgendeiner Form Berücksichtigung. Grundsätzlich können zwei Gruppen unterschieden werden: einerseits solche Bücher, die durch entsprechende Formulierungen im Verfassertext oder entsprechende Materialien im Arbeitsteil die enthemmten Reaktionen deutscher Fronteinheiten auf jegliche Form von Widerstand zumindest andeuten, andererseits solche Bücher, deren didaktische Aufbereitung des Themas keinen Zweifel an der aktiven Rolle der Wehrmacht lässt. Zur ersten Gruppe können Zeiten und Menschen, Buchners Kompendium Geschichte, Forum Geschichte sowie Geschichte und Geschehen zugeordnet werden. So schenken etwa die Schulbuchmacherinnen und -macher von Zeiten und Menschen dem auf dem Rücken der einheimischen Bevölkerung ausgefochtenen Anti-Partisanenkrieg im Verfassertext keine Aufmerksamkeit, nehmen aber mit dem Erlass Adolf Hitlers zur Kriegsgerichtsbarkeit im besetzten sowjetischen Gebiet vom 14. Mai 19411353 und dem Befehl des OKW zur Bekämpfung von Partisanen und Partisanenverdächtigen vom 16. Dezember 19421354 einschlägige Textquellen im Arbeitsteil auf. Genau entgegengesetzt verfahren die Autorinnen und Autoren von Buchners Kompendium Geschichte. 1350 1351 1352 1353

Ebd. Ebd. Mosaik (2010), S. 148. Vgl. Zeiten und Menschen (2009), S. 148f.: »Freischärler (das sind: Partisanen) sind durch die Truppe im Kampf oder auf der Flucht schonungslos zu erledigen. Auch alle anderen Angriffe feindlicher Zivilpersonen gegen die Wehrmacht, ihre Angehörigen und das Gefolge sind von der Truppe auf der Stelle mit den äußersten Mitteln bis zur Vernichtung des Angreifers niederzumachen. […] Für Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht und des Gefolges gegen feindliche Zivilpersonen begehen, besteht kein Verfolgungszwang, auch dann nicht, wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist.« 1354 Vgl. ebd., S. 149: »Der Feind setzt im Bandenkampf fanatische, kommunistisch geschulte Kämpfer ein, die vor keiner Gewalttat zurückschrecken. Es geht hier mehr denn je um Sein und Nichtsein. […] Wenn dieser Kampf gegen die Banden sowohl im Osten wie auf dem Balkan nicht mehr mit den allerbrutalsten Mitteln geführt wird, so reichen in absehbarer Zeit die verfügbaren Kräfte nicht mehr aus, um dieser Pest Herr zu werden. Die Truppe ist daher berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt. Rücksichten, gleich welcher Art, sind ein Verbrechen gegen das deutsche Volk und den Soldaten an der Front […].«

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV

Während die Partisanenbekämpfung im Arbeitsteil nicht vorkommt, werden die Lernenden im Verfassertext darauf aufmerksam gemacht, dass die – u. a. von der Wehrmacht vorangetriebene – extrem brutale Bekämpfung des Widerstandes erhebliche Teile der sowjetischen Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft zog.1355 In den zwei anderen Büchern dieser Gruppe geraten die völkerrechtswidrigen Gewalttaten von Wehrmachtssoldaten gegen die sowjetische Zivilbevölkerung durch den Abdruck von Quellen in den Fokus. In den von den Schulbuchautorinnen und -autoren geschriebenen Texten überwiegen dagegen Ungenauigkeiten. Die Autorinnen und Autoren von Forum Geschichte sprechen nur von »Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung«1356, die es im Krieg gegen die Sowjetunion gegeben habe. Im Arbeitsteil präsentieren sie den Schülerinnen und Schülern dafür einen Auszug aus dem »Kriegsgerichtsbarkeitserlass«1357 und das berühmte Foto der öffentlichen Exekution am Galgen von »Partisanen« durch Wehrmachtssoldaten am 26. Oktober 1941 in Minsk. Dieses ist allerdings derart beschnitten, dass – zumindest für Schülerinnen und Schüler, die das Bild zum ersten Mal sehen – der die Hinrichtung ausführende Soldat kaum mehr zu erkennen ist (Abb. 93).1358 Unkonkret wird der Partisanenkrieg auch in Geschichte und Geschehen be1355 Vgl. Buchners Kompendium Geschichte (2008), S. 368: »Kräften der Wirtschaft lag […] an der Ausbeutung und Angliederung der Ressourcen. Je länger der Krieg dauerte und je mehr Deutschland auf das Wirtschaftspotenzial der Besatzungsgebiete angewiesen war, desto eher musste man aus rein opportunistischen Gründen auf eine Normalisierung der Beziehungen hinarbeiten. Vereinzelte Ansätze dazu gab es. Aber die NS-Führung, die Reichsorgane, an der Spitze die Reichsbank, nicht zuletzt auch die Wehrmacht, setzten ihren harten Kurs durch. Brutale Maßnahmen gegen die Widerstandsbewegungen, die die Bevölkerung ebenfalls trafen, sorgten immer wieder für eine Verschärfung der Spannungen. So sollten beispielsweise bei ›Vergeltungsaktionen‹ an der Ostfront für jedes deutsche Partisanenopfer 50 bis 100 Sowjetbürger sterben.« 1356 Forum Geschichte (2010), S. 174. 1357 Vgl. ebd.: »Freischärler sind durch die Truppe im Kampf oder auf der Flucht schonungslos zu erledigen … Auch alle anderen Angriffe feindlicher Zivilpersonen gegen die Wehrmacht … sind … auf der Stelle mit den äußersten Mitteln bis zur Vernichtung des Angreifers niederzukämpfen … Für Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht … gegen feindliche Zivilpersonen begehen, besteht kein Verfolgungszwang, auch dann nicht, wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist.« 1358 Dass es sich zweifelsfrei um Wehrmachtsangehörige handelte, die für diese Vergeltungsmaßnahme verantwortlich waren, wird indes durch die Bildunterschrift kenntlich gemacht: »Öffentliche Hinrichtung in Minsk, der heutigen Hauptstadt Weißrusslands, Foto, 26. Oktober 1941. An jenem Sonntag wurden zwölf Personen von Angehörigen der Wehrmacht öffentlich hingerichtet. Sie trugen Schilder mit der Aufschrift ›Wir sind Partisanen und haben auf deutsche Soldaten geschossen‹. Das entsprach nicht der Wahrheit. Sie gehörten zu einer Widerstandsgruppe, die Rotarmisten unterstützte. Bisher ungeklärt ist die Identität der jungen Frau. Im Holocaust-Museum in Washington wird sie als jüdische Widerstandskämpferin Masha Bruskina verehrt; auf einem Denkmal in einem Dorf nahe Minsk wird an Alexandra Wasiljewna Linewitsch erinnert, die nach Aussagen von Verwandten die Hingerichtete sein soll.« (ebd., S. 175).

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

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schrieben. Diesen verorten die Lehrwerksmacherinnen und -macher nämlich seltsamerweise allein in Jugoslawien und Griechenland.1359 Die von Wehrmachtseinheiten getroffenen Vergeltungsmaßnahmen werden ebenfalls nur sehr abstrakt dargestellt, wenn es heißt: »Um diesen [den anhaltenden Widerstand der Partisanengruppen] zu brechen, reagierten deutsche Einheiten mit brutalen Vergeltungsmaßnahmen, bei denen jeweils zahlreiche Menschen umgebracht wurden.«1360 Im Arbeitsteil drucken sie dann längere Abschnitte aus dem »Gerichtsbarkeitserlass« ab1361, wobei die Schülerinnen und Schüler erklären sollen, warum die Bestimmungen gegen geltendes Kriegsvölkerrecht verstießen.1362 Aus fünf Büchern können Schülerinnen und Schüler eindeutig entnehmen, dass es eine von Teilen der Wehrmacht exzessiv betriebene Bekämpfung von Partisanen ohne größere Rücksichtnahme auf die Bevölkerung gab. Unter der Zwischenüberschrift »Kriegsverbrechen« im Kapitel »Der Zweite Weltkrieg« streichen etwa die Schulbuchmacherinnen und -macher von Zeit für Geschichte nicht nur heraus, dass bereits vor Kriegsbeginn hohe Militärs den Befehl gegeben hatten, »Freischärler im Kampf oder auf der Flucht schonungslos zu erledigen«. Hervorgehoben wird außerdem, dass der von oben angeordnete unbarmherzige Kampf gegen Partisanen häufig zum Vorwand für Massenerschießungen von Zivilisten wurde. Der Abschnitt schließt mit dem Satz: »Dass nicht nur SS und Gestapo die Ausführenden waren, haben Historiker in den letzten Jahren belegt, wenn auch über den Umfang der Beteiligung der Wehrmacht an Kriegsverbrechen keine Einigkeit besteht.«1363 Als Materialien werden den Lernenden darüber hinaus der Teil des »Kriegsgerichtsbarkeitserlasses«, der die Bestimmungen zur Aufhebung des Strafverfolgungszwanges von Wehrmachtssoldaten enthält1364, und ein – so die Autorinnen und Autoren – in 1359 Vgl. Geschichte und Geschehen (2011), S. 45. 1360 Ebd. 1361 Vgl. ebd., S. 46: »I. Behandlung von Straftaten feindlicher Zivilpersonen: 1. Straftaten feindlicher Zivilpersonen sind der Zuständigkeit der Kriegsgerichte und der Standgerichte bis auf weiteres entzogen. 2. Freischärler sind durch die Truppe im Kampf oder auf der Flucht schonungslos zu erledigen. 3. Auch alle anderen Angriffe feindlicher Zivilpersonen gegen die Wehrmacht, ihre Angehörigen und das Gefolge sind von der Truppe auf der Stelle mit den äußersten Mittel bis zur Vernichtung des Angreifers niederzukämpfen. 4. Wo Massnahmen dieser Art versäumt wurden (…), werden tatverdächtige Elemente sogleich einem Offizier vorgeführt. Dieser entscheidet, ob sie zu erschiessen sind. (…) II. Behandlung der Straftaten von Angehörigen der Wehrmacht und des Gefolges gegen Landeseinwohner : 1. Für Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht und des Gefolges gegen feindliche Zivilpersonen begehen, besteht kein Verfolgungszwang, auch dann nicht, wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist.« 1362 Vgl. ebd., S. 47. 1363 Zeit für Geschichte (2010), S. 210. 1364 Vgl. ebd., S. 213: »1. Für Handlungen, die Angehörige der Wehrmacht und des Gefolges gegen feindliche Zivilpersonen begehen, besteht kein Verfolgungszwang, auch dann nicht, wenn die Tat zugleich ein militärisches Verbrechen oder Vergehen ist. 2. Bei der Beur-

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV

deutscher und russischer Sprache im September 1941 veröffentlichter »Aufruf« angeboten1365. Viel Platz räumen auch die Autorinnen und Autorinnen von Historisch-Politische Weltkunde dem Partisanenkrieg in der Sowjetunion ein. Die Mittäterschaft der Wehrmacht für die mit dem Argument vermeintlicher oder echter militärischer Notwendigkeit verübten Verbrechen an der Zivilbevölkerung wird im Verfassertext ausführlich behandelt: »Die nationalsozialistische Rassenideologie, die die Slawen zu ›Untermenschen‹ erklärte, führte im Verein mit der Beutelust zahlreicher Interessenten in den besetzten Gebieten Polens und der Sowjetunion zu einer Politik unverhüllter und schonungsloser Ausbeutung. Hatten Teile der Bevölkerung in den sowjetischen Westgebieten die einmarschierenden deutschen Truppen anfangs als Befreier von der stalinistischen Diktatur begrüßt, sorgte die NS-deutsche Terrorherrschaft dafür, dass die Sympathie rasch in Enttäuschung und Hass umschlug. Unter diesen Umständen nahm das Partisanenwesen, durch die Weite des russischen Raumes begünstigt, größte Ausmaße an. Wechselseitige Vergeltungsakte der Partisanen mit der deutschen Besatzungsmacht verschärften die Spirale der Gewalt und Grausamkeit. Je mehr die deutschen Soldaten an der Ostfront in ständiger Angst vor Partisanenüberfällen aus dem Hinterhalt lebten, desto leichter ließen sich Massenerschießungen russischer Zivilisten als Vorkehrung gegen das Partisanenwesen begründen.«1366

Auf der Verfassertextseite ist außerdem das Foto der Hinrichtung vermeintlicher Partisanen abgedruckt, die von deutschen Wehrmachtssoldaten am 26. Oktober 1941 in Minsk durchgeführt wurde (Abb. 94). Das Bild, das offenbar der visuellen Auflockerung des von den Schulbuchautorinnen und -autoren geschriebenen Textes dienen soll, ist – anders als bei Forum Geschichte – vollständig: Der die Exekution ausführende Soldat ist klar zu erkennen. Die Bildunterschrift lässt zudem keinen Zweifel an der Täterschaft der Wehrmacht aufkommen: »Hinrichtung russischer Zivilisten durch deutsches Militär in Minsk am 26. Oktober 1941. Ein deutscher Offizier knüpft eigenhändig die beiden Jugendlichen auf. Sie teilung solcher Taten ist in jeder Verfahrenslage zu berücksichtigen, dass der Zusammenbruch von 1918, die spätere Leidenszeit des deutschen Volkes und der Kampf gegen den Nationalsozialismus mit seinen zahllosen Blutopfern entscheidend auf bolschewistischen Einfluss zurückzuführen waren und dass kein Deutscher dies vergessen hat.« 1365 Vgl. ebd.: »1. Wer einem Rotarmisten oder Partisanen [Widerstandskämpfer] Unterschlupf gewährt, ihm Nahrungsmittel aushändigt oder ihn sonstwie – zum Beispiel durch Nachrichtenvermittlung – unterstützt, wird mit dem Tode bestraft und erhängt. […] 2. Wenn irgendwo ein Überfall, eine Sprengung oder eine sonstige Beschädigung deutscher Wehrmachtseinrichtungen, zum Beispiel Fernsprechkabel, Eisenbahnen usw., erfolgt, so werden vom 16.9. ab die Schuldigen am Tatort als abschreckendes Beispiel erhängt. Sind die Täter nicht sofort zu ermitteln, so werden aus der Bevölkerung Geiseln festgenommen; diese Geiseln werden erhängt, wenn die Täter […] nicht binnen 24 Stunden beigebracht werden.« 1366 Historisch-Politische Weltkunde (2010), S. 183f.

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

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wurden als Partisanen bezeichnet, hatten jedoch lediglich russischen Kriegsgefangenen zur Flucht aus dem Lazarett verholfen.«1367 Eine sehr ausführliche Darstellung findet sich auch in Kursbuch Geschichte. Es wird zunächst hervorgehoben, dass sowohl die SS als auch die Wehrmacht mit äußerster Brutalität gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen seien.1368 Danach stellt der Verfassertext gewissermaßen eine Paraphrase des »Kriegsgerichtsbarkeitserlasses« dar : »Partisanen und Freischärler, Verdächtige oder auch Zivilisten, die sich den Anordnungen der Besatzungsmacht widersetzten, waren ohne Verfahren zu erschießen. Soldaten, die sich an den willkürlichen ›Säuberungsaktionen‹ beteiligten, wurde Straffreiheit in Aussicht gestellt.«1369 Der im Arbeitsteil vertretene – und bereits im vorherigen Kapitel zur Verantwortung der Wehrmacht für die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen angeführte – Fachaufsatz von Wolfgang Michalka über den Vernichtungskrieg des NS-Regimes illustriert den Verfassertext und verdoppelt damit die Information. Zu lesen ist: »Der ›Kriegsgerichtsbarkeitserlass‹ bestimmte, dass ›Straftaten feindlicher Zivilpersonen‹ nicht, wie üblich, durch Kriegsgerichte abgeurteilt werden durften. Zivilisten, die die Wehrmacht ›angriffen‹, sollten erbarmungslos ›niedergemacht‹, sogenannte ›verdächtige Elemente‹ auf Befehl eines Offiziers erschossen werden. Demgegenüber sollten Verbrechen deutscher Soldaten an sowjetischen Bürgern nicht verfolgt werden, wenn der Täter politische Motive geltend machte.«1370

Weiterhin ist auch in diesem Schulbuch das Foto der Tötungen in Minsk vorhanden (Abb. 95). Die Bildunterschrift kommentiert ebenso unmissverständlich: »Öffentliche Hinrichtung in Minsk, der heutigen Hauptstadt Weißrusslands, Fotografie vom 26. Oktober 1941. An jenem Sonntag wurden zwölf Personen durch Wehrmachtsangehörige öffentlich erhängt. Sie trugen Schilder mit der Aufschrift ›Wir sind Partisanen und haben auf deutsche Soldaten geschossen‹. Dies entsprach nicht der Wahrheit. Tatsächlich hatten sie versucht, verletzten Soldaten der Roten Armee bei der Flucht zu helfen.«1371

Die Verstrickung der Wehrmacht in die begangenen Verbrechen an sowjetischen Zivilisten kommt gleichfalls in Kurshefte Geschichte zur Geltung. Mit Ausnahme davon, dass den Schulbuchautorinnen und -autoren der auf dem Rücken der einheimischen Bevölkerung ausgetragene Partisanenkrieg keine eigene Bemerkung wert ist, geht das Lehrwerk genauso wie Kursbuch Geschichte vor. Auch 1367 1368 1369 1370 1371

Ebd., S. 184. Vgl. Kursbuch Geschichte (2009), S. 451. Ebd. Ebd., S. 455. Ebd., S. 454.

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Ergebnisse der Schulbuchanalyse – Lehrwerksgeneration IV

hier erfahren die Schülerinnen und Schüler anhand der »Minsk-Fotografie« mit identischer Bildunterschrift und dem »Michalka-Text«, wie die Truppe den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion durchführte.1372 Schließlich kann die Thematik in Histoire/Geschichte einen prominenten Platz für sich beanspruchen. Bereits auf der Auftaktdoppelseite, die dem Einstieg in die Themeneinheit »Europa unter deutscher Herrschaft« dient, begegnen die Lernenden einer fotografischen Bildquelle. Sie zeigt die bekannte Erschießungsszene in der serbischen Stadt Pancˇevo im April 1941 (Abb. 97), die von den Schulbuchmacherinnen und -machern mit dem Titel »Eine terrorisierte Bevölkerung – Massenhinrichtungen in Jugoslawien« versehen ist. Der Bildkommentar bemerkt dazu weiter : »In der Nacht vom 20. auf den 21. April 1941 wurde bei Belgrad auf einen SS-Soldaten ein Attentat verübt. Um ein Exempel zu statuieren, wurden daraufhin 36 serbische Zivilisten von einem Militärgericht zum Tode verurteilt. Dieses Foto zeigt, dass nicht nur die SS für Morde und Misshandlungen an der Bevölkerung Ost- und Südosteuropas verantwortlich war, sondern auch die Wehrmacht.«1373

In dem bereits erwähnten Unterkapitel »Im Osten Europas – ein Vernichtungskrieg gegen den Kommunismus« informieren die Autorinnen und Autoren kurz darüber, dass »die deutschen Machthaber« als Antwort auf den entstehenden Partisanenkrieg massiv ihre Vergeltungsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung verstärkt hätten.1374 Sodann stellen sie im Arbeitsteil zwei Quellen zur Verfügung, anhand derer die Schülerinnen und Schüler sich selbstständig ein Bild vom völkerrechtswidrigen Vorgehen der Armee machen können. Neben dem auch hier Berücksichtigung findenden Foto der Sammelhinrichtung in Minsk (Abb. 98)1375 handelt es sich um den folgenden Gefechtsbericht des Infanterieregiments 727, der Auskunft über die im Herbst 1942 durchgeführten »Unternehmen Dreieck« und »Viereck« zur Schaffung von »Wüstenzonen« und zur Auslöschung von Partisanentätigkeit gibt: »Schaffung einer ›Wüstenzone‹: Die gegebenen Anordnungen für das Schaffen einer ›Wüstenzone‹ durch Zerstörung der Lager, Niederbrennen der Dörfer usw. sind überall rücksichtslos durchgeführt worden. Eine Bergung der zahlreichen Erntevorräte usw. konnte durch die Truppe selbst aus Mangel an ausreichenden Kräften nicht erfolgen. Es müssen daher bei Beginn eines Unternehmens Bergungskolonnen (Zivilbevölkerung, Miliz usw.) unter einer energischen Führung zusammengestellt werden, die aus dem von der Truppe gesäuberten Gebiet alle Vorräte usw., die sonst vernichtet werden müssen, abtransportieren. […] Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in dem 1372 1373 1374 1375

Vgl. Kurshefte Geschichte (2012), S. 174f. Histoire/Geschichte (2008), S. 321. Ebd., S. 324. Vgl. ebd., S. 325.

Zwischenfazit

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Gebiet ›Dreieck‹ und ›Viereck‹ dem Gegner 1. durch die hohen Verluste, 2. durch die restlose Vernichtung sämtlicher Dörfer und zahlreicher Lager und 3. durch die Evakuierung der Bevölkerung, durch die er insbesondere für die Herbst- und Frühjahrsbestellung seine Arbeitskräfte verloren hat, für die nächste Zeit die Existenzmöglichkeit – zumindest in größerem Umfange – auf alle Fälle genommen worden ist.«1376

In Form eines Arbeitsauftrages zu diesen beiden Quellen werden die Schülerinnen und Schüler angehalten, die Maßnahmen zu benennen, die ergriffen wurden, um dem Partisanenkrieg zu begegnen. »Lassen sie sich ihrem Charakter nach«, so fragen die Lehrwerksautorinnen und -autoren, »als rein militärisch bezeichnen?«1377

7.

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Während die Diskussion über die verbrecherische Vergangenheit der deutschen Gesellschaft in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre durch die »Goldhagen-Debatte« und durch die vehement geführte Kontroverse um die »Wehrmachtsausstellung« vor allem eine öffentliche, weniger eine wissenschaftliche war, verhält es sich seit der Wende zum 21. Jahrhundert geradezu umgekehrt. Die Debatte um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin verlor mit dem symbolischen Baubeginn am 27. Januar 2000 deutlich an Brisanz. Die mediale Hinwendung zu historischen Themen, in denen nichtjüdische Deutsche als Opfer von Vertreibung und Bombenkrieg – besonders sinnfällig greifbar in der Novelle »Im Krebsgang« von Günter Grass und dem Werk über »Deutschland im Bombenkrieg 1940–1945« von Jörg Friedrich – eine Rolle spielten, änderte nichts an der zentralen Bedeutung des Holocaust für das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik. Die konfliktbeladene Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der Wehrmacht mündete zusehends in eine Versachlichung des Streits, nachdem ein Expertengremium die vom Hamburger Institut für Sozialforschung erarbeitete Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« einer gründlichen Überprüfung unterzogen hatte und im November 2000 zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Grundaussagen der Ausstellungsmacherinnen und -macher – trotz einiger Fehler und Ungenauigkeiten sowie manchen pauschalen und suggestiven Aussagen – zutreffend seien und die aktive Teilnahme der Wehrmacht am Vernichtungskrieg mithin ein unabänderliches Faktum sei. Das HIS überarbeitete daraufhin die Ausstellung. Die am 27. November 2001 in Berlin präsentierte Neufassung 1376 Ebd. 1377 Ebd.

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»Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941– 1944«, die mit unveränderter Kernthese bis Ende März 2004 in elf Städten gezeigt wurde, erregte weitaus weniger Widerspruch. Sie führte fernerhin zu einer Vielzahl von einschlägigen geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen, die mit dem Mythos von der »sauberen« Wehrmacht definitiv aufräumten. Die Forschung belegte dabei nicht nur, dass viele Wehrmachtsverbände in unterschiedlichem Maße direkt an der Durchführung des Holocaust auf dem Territorium der UdSSR beteiligt waren. Verschiedene Studien zeigten ebenso deutlich, dass vonseiten des Militärs das Massensterben der in riesiger Zahl gefangen genommenen sowjetischen Soldaten billigend in Kauf genommen wurde. Eindeutig herausgestellt wurde dabei die Verantwortlichkeit der Wehrmacht für die Durchführung des »Kommissarbefehls«. Schließlich dokumentierten mehrere Publikationen auch die rücksichtslose und durch den »Kriegsgerichtsbarkeitserlass« ideologisch legitimierte Verfolgung der einheimischen Bevölkerung im Zuge des Anti-Partisanenkrieges der Wehrmacht. Die Frage, über welche Kenntnis von der Ermordung der Juden Europas die nichtjüdische Mehrheitsbevölkerung während des Zweiten Weltkrieges verfügte bzw. verfügen konnte, rückte Mitte der 2000er Jahre ebenfalls ins Zentrum der wissenschaftlichen Betrachtung. Die umfassenden Untersuchungen von Peter Longerich, Frank Bajohr und Bernward Dörner widerlegten nachdrücklich die Legende von der Ahnungslosigkeit der deutschen Gesellschaft. Wenn auch die Einzelheiten des Mordprogramms (z. B. die konkreten Funktionsweisen der Vernichtungslager) für die meisten unbekannt blieben, konnte von einer strikten Geheimhaltung keine Rede sein. Wer nur wollte, konnte sich die Wahrheit über den Holocaust aus verschiedenen »Informationsquellen« zusammenreimen: im Rundfunk ausgestrahlte Reden von NS-Politikern, Zeitungsartikel, mündliche Berichte von Wehrmachtssoldaten, Angehörigen der SS und Ordnungspolizei oder anderen »im Osteinsatz« beschäftigten Personen, Feldpostbriefe, alliierte Rundfunksendungen und Flugblätter etc. Die aufschlussreichen Arbeiten der drei Historiker, die von einer erklecklichen Anzahl weiterer wichtiger Publikationen flankiert werden (z. B. von Eric A. Johnson, Robert Gellately, Christopher R. Browning, Norbert Frei und Saul Friedländer), geben dabei auch empirisch fundierte Einblicke in die Reaktionen der »ganz normalen« Deutschen auf das, was sich seit 1933 im Hinblick auf die »Judenfrage« unter ihren Augen abspielte. Vor dem Hintergrund der in Forschung und Öffentlichkeit geführten Diskussionen über die Rolle der »Zuschauer« und der Wehrmacht gelangt man zu folgender Bewertung der vierten Lehrwerksgeneration. Das gesellschaftliche Verhalten am Boykotttag vom 1. April 1933 bleibt in den untersuchten Schulbüchern nahezu unbeleuchtet. Nur zwei Verfassertexte warten mit entsprechenden Informationen auf. In beiden Fällen wird vor allem das eher abwartende Mehrheitsverhalten unterstrichen, einmal wird auch auf die

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couragierte Minderheit hingewiesen, die sich nicht von den SA-Männern einschüchtern ließ. Damit stimmen die angebotenen Narrative mit dem Forschungsstand überein. Das weitgehende Nichtvorhandensein der Reaktionen der »Zuschauer« auf den »Judenboykott« wiederholt sich größtenteils in den Materialteilen. Besonders deplatziert wirkt dabei die Aufnahme eines Abschnittes aus dem Buch von Daniel Jonah Goldhagen, der durch die Überbetonung des gehässigen Verhaltens von Nichtjuden den Schülerinnen und Schülern eine ausgesprochen einseitige Vorstellung vom Mehrheitsverhalten vermittelt. Da zudem der Verfassertext die Einstellung des »arischen« Publikums (bewusst) beiseite lässt, verzerrt das Schulbuch die tatsächlichen Gegebenheiten. Wie es besser geht, demonstriert ein anderes Lehrwerk, das mit einem Auszug aus der Monographie von Longerich den Lernenden eine sehr differenzierte Darstellung anbietet. Ein Arbeitsauftrag, der auf die Herausarbeitung der unterschiedlichen Reaktionen auf den völkischen Boykottaufruf abstellt, vervollkommnet hier den positiven Gesamteindruck. Als erfreuliches Ergebnis ist zu vermerken, dass zum – überwiegend illustrativ genutzten – Bildinventar von immerhin knapp der Hälfte der untersuchten Schulgeschichtsbücher Aufnahmen gehören, die nicht nur SA- und SS-Angehörige vor den mit antisemitischen Zetteln und Plakaten behängten jüdischen Geschäften, Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien zeigen, sondern auf denen auch größere Menschenansammlungen zu sehen sind. Der Mangel der Schulbuchautorinnen und -autoren an quellenkundlicher Sorgfalt fällt vergleichsweise gering aus: Neben einer falschen Benennung des abgebildeten Ortes werden die nichtjüdischen Passanten »nur« einmal aus dem Bild entfernt. Ähnlich unterrepräsentiert im untersuchten Sample sind die Reaktionen der »Zuschauer« auf die Zwangsdeportationen der Juden aus den deutschen Städten. Alle Verfassertexte schweigen sich zu dieser Thematik aus. Außer einer Textquelle, die über die beabsichtigte, aber durch einen Schutzpolizisten untersagte Hilfe einer Bürgerin für einen auf die Straße gefallenen Juden informiert, geben lediglich drei Schulbücher, die jeweils eine fotografische Bildquelle abdrucken, einen möglichen Anhaltspunkt für das gesellschaftliche Verhalten. Auf allen Abbildungen ist dabei für die jugendlichen Betrachterinnen und Betrachter gut zu erkennen, dass sich der Abtransport der Juden in aller Öffentlichkeit und unter Beobachtung der jeweiligen Bevölkerung vor Ort ereignete. Die Bilddokumente sind zudem Indizien für die neugierige Passivität, die vorherrschte. Gleichwohl versteht es sich von selbst, dass solche Abbildungen von Momentaufnahmen die ansonsten auch für diese Schulbücher charakteristische Absenz der Reaktionen auf die Massenverschleppungen nicht aufwiegen können. Über die z. B. von Bajohr herausgearbeitete »Verhaltenstrias aus aktiver Zustimmung,

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Zurückhaltung und kritischer Distanz«1378 erfährt somit keine Schülerin bzw. kein Schüler etwas Genaueres. Neben den unmittelbaren Einstellungen der Bevölkerung hatte sich die NSHistoriographie mittlerweile auch eingehend mit den mittelbaren gesellschaftlichen Reaktionen beschäftigt und dabei auf das beschämende Verhalten einer großen Anzahl von Deutschen aufmerksam gemacht, sich ohne Skrupel im Rahmen von öffentlichen Versteigerungen des Hausrats der Deportierten persönlich zu bereichern. Lediglich drei Lehrwerke tragen den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Zeit Rechnung: Zwei Bücher nutzen mit einem 1942 in Hanau aufgenommenen Foto eine Bildquelle, die belegt, dass das Interesse an dieser Möglichkeit zur »Schnäppchenjagd« in Kriegszeiten in der örtlichen Bevölkerung außerordentlich groß war. Ein Buch dokumentiert anhand einer Textquelle aus jüdischer Perspektive, mit welcher Schamlosigkeit »Volksgenossen« die gerade erst verlassenen Wohnungen der »Evakuierten« regelrecht ausplünderten. Schließlich erscheint es nach wie vor mindestens fragwürdig, dass in drei Unterrichtswerken die »Judendeportationen« ausschließlich im Zusammenhang mit dem Protest in der Berliner Rosenstraße Anfang 1943 vorkommen, bei dem nichtjüdische Frauen sich entschlossen hatten, um die Freiheit ihrer jüdischen Ehemänner zu kämpfen. Angesichts des einmaligen und beispiellosen Charakters dieses Aufstandes wird hier ein Verhalten akzentuiert, das mitnichten repräsentativ für die Deutschen war. Da außerdem keine »Gegendarstellung« vorhanden ist, wird in diesen Büchern ein Bild von der nichtjüdischen Bevölkerung weitergegeben, das – zugespitzt formuliert – eindeutig tatsachenwidrig ist. Wie steht es um die Darstellung der gesellschaftlichen Reaktionen auf die »Reichskristallnacht«? In der jüngeren Forschung war nochmals betont worden, dass die landesweiten Pogrome nicht – wie es in der offiziellen Sprachregelung der NS-Propagandaabteilungen hieß – das Resultat eines spontanen »Volkszorns« über das Attentat des siebzehnjährigen Herschel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath in Paris am 7. November 1938 waren. Wenn auch die Täter in der Regel der SA, der NSDAP und der HJ angehörten, hätten sich doch in vielen Orten des Reiches auch »ganz normale« Bürger an den Brandstiftungen der Synagogen sowie den Zertrümmerungen und Plünderungen der Geschäfte und Wohnungen von Juden beteiligt. Die große Mehrheit der Deutschen habe indes nicht an den tätlichen Ausschreitungen teilgenommen, sondern die Gewalt einfach hingenommen und ostentativ weggeschaut. Nur sehr wenige Beispiele selbstloser Hilfeleistung für die gebrandmarkten Juden seien überliefert. Zu den Verhaftungen männlicher Juden in den Tagen nach dem 1378 Bajohr : Vom antijüdischen Konsens zum schlechten Gewissen, S. 53.

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Pogrom, die bisweilen geradezu als »Ausstoßen« aus der »Volksgemeinschaft« inszeniert worden seien, hätten sich zudem zahlreiche Schaulustige auf den Straßen eingefunden. Nicht selten habe das Publikum demonstrativ applaudiert, der Großteil habe sich dagegen abwartend passiv verhalten. Schließlich wurde abermals darauf hingewiesen, dass die »Reichskristallnacht« weniger aufgrund der Demütigungen und Misshandlungen der jüdischen Minderheit verurteilt worden sei. Ursächlich für die Ablehnung sei vielmehr die Zerstörung von Schaufenstern, Ladeninhalten und Wohnungseinrichtungen gewesen, in der die Mehrheit eine unnötige Vernichtung von Werten gesehen habe, die dem deutschen »Volksvermögen« verloren gegangen seien. Entsprechen die Schulgeschichtsbücher dem Forschungsstand, sind sie in ihren großen Linien wie in ihren Einzelheiten als angemessen zu bezeichnen? Die Beurteilung des Untersuchungssamples fällt zwiespältig aus. Während in einigen Büchern den gesellschaftlichen Reaktionen keine größere Aufmerksamkeit zuteilwird, handelt es sich bei knapp der Hälfte der durchgesehenen Lehrwerke um fachwissenschaftlich profunde, auf der Höhe der Forschung stehende Beiträge. Die verschiedenen Reaktionen der »Zuschauer« auf die Ereignisse am und um den 9. November 1938 werden dabei in den Verfassertexten sehr differenziert dargestellt und/oder über die Bereitstellung von aussagekräftigen schriftlichen Quellen und Darstellungen in den Arbeitsteilen dokumentiert. Hinzu kommt häufig der Abdruck von aufschlussreichen Fotografien. Auf diesen sind fast immer größere Ansammlungen von Menschen zu sehen, die entweder das Abbrennen einer Synagoge begaffen, die Verwüstungen von jüdischen Geschäften begutachten oder den demütigenden Spalierlauf von Juden durch die Stadt beobachten. Nicht selten lächeln die »Zuschauer« in die Kamera. Negativ anzumerken ist dagegen folgender Aspekt: Nur einem Lehrwerk ist zu entnehmen, dass das Bedauern der Mehrheitsbevölkerung über die während der »Kristallnacht« vernichteten Güter allemal größer war als das Mitgefühl mit den von einer regelrechten Flutwelle aus Aggressionen, Vandalismus und Mordlust überrollten jüdischen Mitmenschen. Schließlich gibt es vier Schulbücher, die – durch eine besondere Akzentuierung der lebhaften Entrüstung der Bevölkerungsmehrheit in den Verfassertexten und/oder durch eine monoperspektivische Materialauswahl, die nur die Sympathiebekundungen und Hilfeleistungen für Juden enthält – ein zwar nicht in Gänze falsches, aber doch sehr einseitiges Bild von den gesellschaftlichen Reaktionen zeichnen. Dieses Narrativ kollidiert mit den Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft. Ein genauerer Blick der Autorinnen und Autoren in die – wohlgemerkt alte wie neue – Forschungsliteratur hätte diesen Unterrichtswerken daher gut getan. Die von den Schulbuchautorinnen und -autoren angebotenen Narrative über die zeitgenössische Kenntnis der deutschen Mehrheitsbevölkerung vom Geno-

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zid an den europäischen Juden variieren quantitativ wie qualitativ sehr stark. Abgesehen von Lehrwerken, in denen das Wissen über die Tötungen mit keinem Wort erwähnt oder die Frage nach diesem Wissen zwar explizit aufgeworfen wird, aber dann paradoxerweise unbeantwortet bleibt, gibt es zwei Gruppen von Büchern, die deutlich voneinander abzugrenzen sind. Einerseits existieren Unterrichtswerke, in denen ein aktueller Forschungsstand fehlt. Mehr noch: Bestimmte Formulierungen in den Verfassertexten lassen den begründeten Verdacht aufkommen, als sei es das erklärte Ziel der Autorinnen und Autoren, das Bild von einer weitgehend ahnungslosen Bevölkerung zu zeichnen. Die Angaben in den Verfassertexten reichen dabei von der Hervorhebung der unvorstellbaren Monstrosität des Judenmords und dem damit quasi zwangsläufig einhergehenden Übersteigen der Vorstellungskraft der damaligen Deutschen über den Rekurs auf die längst widerlegte These von der allein im geographisch nebulösen Osten durchgeführten »Endlösung«, die sich daher dem Blickfeld der Bevölkerung vollständig entzogen hätte, bis hin zur Hervorhebung der erfolgreichen Bemühungen des NS-Regimes, den Völkermord geheim zu halten. Vor dem Hintergrund der fachwissenschaftlichen Erkenntnisse zu dieser Thematik muten diese Erzählungen geradezu absurd an. Auf der anderen Seite muss betont werden, dass in knapp der Hälfte der untersuchten Schulgeschichtsbücher eine ausgesprochene Nähe zum wissenschaftlichen Diskussionsstand nachweisbar ist. Die Verfassertexte geben Hinweise auf die Vielzahl der direkt oder indirekt mit den Deportationen und der Ermordung beschäftigten Menschen, wobei diese Angabe – ein Novum – häufig in Beziehung zu der nach 1945 geäußerten Behauptung der meisten Deutschen gesetzt wird, von der Ermordung der Juden nichts gewusst zu haben. Die Mehrzahl der von den Schulbuchautorinnen und -autoren geschriebenen Texte informiert außerdem darüber, dass eine ganze Reihe von hochrangigen NSFunktionären immer wieder relativ unverhohlene Äußerungen über den Judenmord tätigte. Manchmal stellen sie auch heraus, dass – wiederum ein Novum – Hitlers »Prophezeiung« vom 30. Januar 1939, ein von den Juden entfesselter Weltkrieg werde mit der »Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa« enden, regelmäßig Reprisen erlebte. Als Materialien, welche die Schülerinnen und Schüler zur kritischen Auseinandersetzung mit dem potenziellen Wissen der Deutschen vom Holocaust anregen sollen, sind neben Hitlers Vernichtungsankündigung und der Aussage von Rudolf Höß über den Gestank verbrannter Leichen, der von den Krematorien ausgestoßen worden sei und sich in der Umgebung des Lagers ausgebreitet habe, auch Beiträge von zwei Historikern, Saul Friedländer und Peter Longerich, abgedruckt. Während der Text von Friedländer über wichtige Kanäle, durch die sich in Deutschland Informationen über die Massenverbrechen verbreiteten, Aufschluss gibt, macht die Darstellung von Longerich den jugendlichen Leserinnen und Leser vor allem zwei Aspekte

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sichtbar : Die deutsche Bevölkerung wusste zum einen bereits relativ früh über die Massenerschießungen von Juden in der besetzten Sowjetunion Bescheid, auch gab es Mutmaßungen über den Massenmord mit Giftgas. Zum anderen war der Holocaust spätestens Anfang 1943 zu einem »öffentlichen Geheimnis« geworden, nachdem das NS-Regime sich in aller Öffentlichkeit zur Ausrottung der Juden bekannt und ihre Vernichtung als präventive Maßnahme zur Verhinderung der »jüdischen Rache« gerechtfertigt hatte. Dass in diesen Büchern die Frage nach dem zeitgenössischen Wissen einen prominenten Platz für sich beanspruchen kann, ist schließlich auch erkennbar an entsprechenden Zwischenüberschriften im Verfassertext, den für abgedruckte Materialien ausgewählten Titeln und dem Vorhandensein von Arbeitsaufträgen. In Anbetracht der extrem auseinanderklaffenden Befunde zur Darstellung des Wissens über den Völkermord an den europäischen Juden kommt man gleichwohl zu einer ambivalenten Einschätzung des Untersuchungssamples. Für die Darstellung der vorherrschenden Einstellungen und Verhaltensweisen der durchschnittlichen »Volksgenossen« können folgende Ergebnisse zusammengestellt werden: Die Frage, wie es um den gesellschaftlichen Antisemitismus vor und während der NS-Herrschaft bestellt war, nimmt in den meisten Schulbuchnarrativen einen festen Platz ein. Dabei schlägt sich die fortschreitende Historisierung des Holocaust im Gros der Lehrwerke deutlich nieder. Mit Ausnahme von zwei Büchern wird immer herausgestellt, dass judenfeindliche Stereotype und Vorurteile weder neu noch besonders revolutionär waren, sondern vielmehr eine lange Tradition besaßen. Antisemitisches Denken, so der Tenor der überwiegenden Anzahl der Unterrichtswerke, habe bereits im 19. Jahrhundert zu einer Art mentalen Grundausstattung in weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung gehört. Eine abgeklärtere Betrachtungsweise ist auch bei der Frage nach der »Salonfähigkeit« des NS-Rassenantisemitismus zu erkennen. Während den Büchern der dritten Generation noch eine spürbare Verunsicherung anzumerken war, wie mit der These Goldhagens umzugehen sei, in Deutschland sei eine auf Mord gerichtete Judenfeindschaft allgegenwärtig gewesen, außerdem die Schulbuchautorinnen und -autoren sich mit einer eigenen Beurteilung zurückhielten und die Diskussion in die Arbeitsteile verlagerten, scheuen sie sich jetzt nicht mehr, die Frage nach dem gesellschaftlichen Widerhall des Rassenantisemitismus selbst zu beantworten. Sie stellen zumeist klar, dass es für die Beseitigung der Juden einen breiten Rückhalt gab und die nationalsozialistische Rassenpolitik eine erfolgreiche Spekulation auf manifeste und latente Ressentiments war. Einige Bücher deuten zudem an, dass der – nicht unbedingt oder gar ausschließlich mörderische – Antisemitismus, der in der Bevölkerung grassierte, für die Nationalsozialisten ein Mehr an Kontrolle und Effizienz bei Judenverfolgung und -ermordung bedeutete.

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Stellt bereits die präzisere Dokumentation antisemitischer Denkweisen in der Mehrheitsbevölkerung einen begrüßenswerten Fortschritt gegenüber älteren Lehrwerken dar, so gilt das erst recht für die Darstellung der »Arisierung«. Etwas mehr als zwei Drittel der untersuchten Geschichtsschulbücher lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass viele nichtjüdische Deutsche von der »Entjudung« der Wirtschaft profitierten. Das Interesse an finanzieller Bereicherung und persönlichem Vorteil auf Kosten der stigmatisierten jüdischen Geschäftsinhaber und Gewerbetreibenden wird dabei nicht nur in mehreren Verfassertexten beschrieben, manchmal bilden ausgesuchte Materialien die Thematik noch einmal relativ breit ab (z. B. Bilder von Anzeigen, die »arische« Erwerber ehemals jüdischer Unternehmen in Zeitungen aufgaben) oder setzen vertiefende Akzente (z. B. Darstellungstexte von Historikern, die über unterschiedliche Verhaltensweisen der nichtjüdischen Interessenten und Käufer informieren). Das Gros der Lehrwerke steht damit im Einklang mit der historischen Forschung, in der mittlerweile ein durch zahlreiche Regional- und Lokalstudien empirisch unterfütterter Konsens darüber bestand, dass seit 1933 ein »Bereicherungswettlauf«1379 in der deutschen Gesellschaft um das jüdische Vermögen einsetzte, der sich spätestens 1938 zu einem regelrechten »Volkssport«1380 ausdehnte. Nach wie vor nur sporadisch vertreten sind dagegen Angaben zum typischen Alltagsverhalten der »Zuschauer«. In den Verfassertexten fehlen nahezu durchgängig Hinweise auf das Nichtvorhandensein eines hörbaren Protestes gegen die ringsum sichtbare Diskriminierungs- und Verfolgungspraxis. Nur einem Schulbuch gelingt es darüber hinaus kenntlich zu machen, dass im Alltag psychische wie physische Attacken mit weitem Abstand vor Hilfe und Solidarität rangierten. Wirft man hingegen einen Blick in die Arbeitsteile, dann findet man dort z. T. Quellen oder Darstellungen, die den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit eröffnen, eigene Urteile über tendenziell eher repräsentatives oder eher untypisches Verhalten der »arischen« Mehrheit gegenüber der jüdischen Minderheit zu entwickeln. Geboten werden mehrere rückschauende Berichte von Juden, die ihre Erfahrungen als Schulkinder (z. B. die tagtäglichen antisemitischen Hänseleien und Bosheiten ihrer Mitschüler und Lehrer) spiegeln, des Weiteren ein Fachtext zum »Rettungswiderstand«, der die (mitunter lebensrettende) Hilfe von Nichtjuden für Juden als Minderheitenphänomen ausweist, sowie bildliche Darstellungen, die – für sich allein genommen fast schon 1379 Frank Bajohr : »Arisierung« und wirtschaftliche Existenzvernichtung in der NS-Zeit. In: Arno Herzig/Cay Rademacher (Hrsg.): Die Geschichte der Juden in Deutschland. Hamburg 2007, S. 224–231, hier S. 229. 1380 Susanne Heim: Einleitung. In: Götz Aly u. a. (Hrsg.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Bd. 2: Deutsches Reich 1938–August 1939. München 2009, S. 13–63, hier S. 35.

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harmlos wirkende – antijüdische Verhaltensweisen zeigen. Diese beigegebenen Materialien stellen gewissermaßen ein Korrektiv dar, denn sie tragen wesentlich dazu bei, die unklaren bzw. nicht vorhandenen Informationen aus den Autorentexten zu präzisieren. Im Fazit lässt sich folgende Tendenz festhalten: Einerseits zeichnen sich viele Schulgeschichtsbücher durch eine differenzierte, allerdings im Hinblick auf die Untersuchungskategorien ungleichgewichtige Thematisierung der »Zuschauer« aus. Andererseits gibt es auch in dieser Lehrwerksgeneration einige sachliche Ungereimtheiten, etwa wenn Verfassertexte in einem Duktus geschrieben sind, der eine Lesart nahelegt, bei der Ermordung von Millionen jüdischen Kindern, Frauen und Männern habe es sich um ein nur von wenigen Auserwählten geteiltes Geheimnis gehandelt. Insgesamt jedoch ist die didaktische Aufbereitung – verglichen mit älteren Lehrwerken – nicht nur umfangreicher, sondern in vielen Punkten auch entschieden klarer geworden. Häufig sind die Bücher zudem mit ansprechenden Materialien ausgestattet, welche die Schülerinnen und Schüler zur eigenen Urteilsbildung anregen. Wie spiegelt sich die Involvierung der Wehrmacht in den rassenideologischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion in der vierten Lehrwerksgeneration wider? Als erstes Ergebnis kann wiedergegeben werden, dass einige Schulbücher auf die geschichtskulturelle Debatte um die »Wehrmachtsausstellung« verweisen, wobei nicht immer ganz deutlich wird, ob sie sich auf die ursprüngliche Ausstellung mit dem Titel »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« oder die überarbeitete Neufassung mit dem Titel »Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944« beziehen. Manchmal werden die jugendlichen Leserinnen und Leser zu eigenen Recherchen aufgefordert: »Informiere dich im Internet über die Ausstellung ›Verbrechen der Wehrmacht‹ (www.verbrechen-der-wehrmacht.de). Berichte in der Klasse.«1381 Andere Bücher verbinden solche pauschalen Rechercheaufträge mit einer daran anschließenden Präsentation im Klassenraum. So lautet ein Arbeitsauftrag: »In der unmittelbaren Nachkriegszeit entstand in der westdeutschen Öffentlichkeit das Bild von der ›sauberen Wehrmacht‹, die an den deutschen Kriegsverbrechen unbeteiligt war. Historische Forschungen seit den 1960er-Jahren und – in der breiteren Öffentlichkeit – vor allem die 1995 organisierte Ausstellung ›Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944‹ [sic!] widerlegten diese Sichtweise. Die öffentliche Diskussion über die Ausstellung wurde von Kritik und massiven Protesten begleitet und führte zu einer teilweisen Überarbeitung der Aus-

1381 Forum Geschichte (2010), S. 175.

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stellung. Recherchieren Sie Inhalt und Verlauf dieser Kontroverse, erstellen Sie daraus eine Präsentation und ziehen Sie eine Bilanz.«1382

Es kommt auch vor, dass der Verfassertext unter Hinweis auf die »Wehrmachtsausstellung« kurz auf die Rezeptionsgeschichte der Wehrmacht eingeht. So heißt es z. B. in einem gesonderten Kapitel zum »Umgang mit der NS-Zeit« unter der Zwischenüberschrift »Verantwortung von Deutschen«: »Auch die lange Zeit für unantastbar gehaltene Rolle der Wehrmacht im NS-Regime, die, von Ausnahmen abgesehen, nicht an den Verbrechen gegen Juden beteiligt gewesen sei, wurde widerlegt, unter anderem durch die Ausstellung ›Verbrechen der Wehrmacht‹. Auch wenn später einige wissenschaftliche Irrtümer korrigiert werden mussten, führte die Ausstellung die Beteiligung der Armee an rassistischen Verbrechen vor Augen.«1383

Schließlich werden in der Anmoderation zu zwei Darstellungstexten von Historikern, die sich beide auf die »Wehrmachtsausstellung« beziehen, die folgenden einführenden Kontextinformationen gegeben: »1995 präsentierte das Hamburger Institut für Sozialforschung erstmals die Ausstellung ›Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944‹. Daraufhin begann in der Öffentlichkeit eine Auseinandersetzung über die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Auch Historiker beteiligten sich.«1384

Wie steht es abseits dieser geschichtskulturellen Bezüge um die Darstellung der Wehrmacht und ihrer Beteiligung an den drei großen Tatkomplexen, die kategorial erfasst wurden? Lediglich als befriedigend zu bezeichnen ist die Aufbereitung der Rolle der Wehrmacht beim Mord an den Juden. Auf der einen Seite legen einige Schulbücher die Massenexekutionen von Juden allein den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD zur Last. Genannt werden manchmal auch die Reserve-Polizeibataillone sowie baltische und ukrainische Hilfstruppen. Die Wehrmacht bleibt dagegen als Akteur des Völkermordes außen vor. Ein Lehrwerk verklärt durch eine monoperspektivische Quellenauswahl die Soldaten der Wehrmacht sogar zu entschiedenen Gegnern der Judenverfolgung bzw. zu »Judenrettern«. Nicht allein eingedenk der jüngeren Forschung, in der die These, die Armee habe mit dem Holocaust nichts zu tun gehabt, so eklatant widerlegt wurde, setzt sich dieses Buch dem Verdacht der Apologetik aus. Darüber hinaus verharren manche Unterrichtswerke auf der Ebene der oberflächlichen Andeutung, wenn sie neben den bereits aufgezählten Tätergruppen nur ungenau von weiteren militärischen Behörden oder Stellen sprechen. 1382 Kurshefte Geschichte (2012), S. 176. Vgl. auch Kursbuch Geschichte (2009), S. 455. 1383 Buchners Kompendium Geschichte (2008), S. 382. 1384 Geschichte und Geschehen (2011), S. 67.

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Auf der anderen Seite bemüht sich eine knappe Mehrheit der Schulgeschichtsbücher nachweislich darum, die Beteiligung der Wehrmacht am Völkermord an den Juden näher zu bestimmen. Dabei arbeiten die Schulbuchautorinnen und -autoren oft – aber nicht immer – sowohl die logistische Unterstützung, welche die Wehrmacht der SS leistete, als auch die von einzelnen Verbänden in eigener Regie durchgeführten Erschießungen von jüdischen Männern, Frauen und Kindern heraus. Die Materialauswahl ist unterdessen nach wie vor überschaubar und erschöpft sich – mit Ausnahme einiger Darstellungstexte von Historikern – im berüchtigten Befehl des Generalfeldmarschalls Walter von Reichenau über das »Verhalten der Truppe im Ostraum«, wobei stets darauf aufmerksam gemacht wird, dass dieser Grundsatzbefehl nicht nur von Hitler selbst ausdrücklich gelobt, sondern auch von zahlreichen Befehlshabern des Heeres befürwortet und übernommen wurde. Die Einschätzung dessen, was die Geschichtsschulbücher über die Verantwortung der Wehrmacht für das Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen anbieten, fällt tendenziell noch etwas schlechter aus. Vier Lehrwerke verschweigen das Schicksal der in deutsche Gefangenschaft geratenen Rotarmisten. Weitere vier Bücher liefern in ihren Verfassertexten nur sehr spärliche Hinweise auf diesen Massenmord, teilweise wird dabei nicht einmal die Zahl der umgekommenen Sowjetsoldaten genannt. Die Schülerinnen und Schüler erhalten folglich in der Mehrheit der durchgesehenen Bücher überhaupt keine Vorstellung von der Dimension dieses Verbrechens, geschweige denn eine Information darüber, dass die unmenschliche Behandlung der Kriegsgefangenen in den Verantwortungsbereich der Wehrmacht fiel. In evidentem Kontrast dazu stehen fünf Unterrichtswerke, die ihren Leserinnen und Lesern – vornehmlich über die Bereitstellung aussagekräftiger Materialien in den Arbeitsteilen (Geständnisse ehemaliger Wehrmachtssoldaten, Fotografien, Historikertexte, Statistiken) – einen Eindruck davon vermitteln, dass die sowjetischen Gefangenen Opfer einer gezielten Politik des Aushungerns und des körperlichen Auszehrens wurden. Gleichwohl wird auch in diesen Büchern die Verantwortung des OKW nicht immer einwandfrei herausgestellt. Insgesamt kann somit nur bedingt von einer angemessenen Berücksichtigung des wissenschaftlichen Diskussionsstandes die Rede sein. Die gleiche Tendenz lässt sich bei der Behandlung der Politkommissare der Roten Armee feststellen. Zwar wird in der überwiegenden Zahl der Lehrwerke auf den »Kommissarbefehl«, der die physische Vernichtung aller sowjetischen Kommissare forderte, und dessen Herausgabe durch das OKW hingewiesen. Aber nur zwei Schulbücher geben an, dass die Politfunktionäre auch tatsächlich – wie befohlen – erschossen wurden. Dabei wird einmal die SS als ausführendes Organ genannt, einmal wird die Täterschaft der Wehrmacht angegeben, wobei die Schulbuchautorinnen und -autoren sich offenbar nicht darauf festlegen

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können oder wollen, in welchem Maße welche Truppenteile den »Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare« vom 6. Juni 1941 Folge leisteten. Es muss dahingestellt bleiben, wieso die Lehrwerke sich größtenteils scheuen, ihren Leserinnen und Lesern mitzuteilen, dass der »Kommissarbefehl« zur Ausführung kam, bzw. weshalb so große Unsicherheiten darüber bestehen, inwieweit der Befehl befolgt wurde. Erinnert sei ein weiteres Mal an die Arbeit von Christian Streit, der bereits 1978 darauf aufmerksam gemacht hatte, dass der »Kommissarbefehl« von fast allen Heereseinheiten weisungsgemäß ausgeführt worden sei. Bedenkt man außerdem, dass Felix Römer in seiner umfassenden Studie zur Geschichte des »Kommissarbefehls«, die sämtliche Abschnitte der Ostfront abdeckte, den endgültigen Nachweis erbracht hatte, dass »die weit überwiegende Mehrheit der deutschen Frontverbände die Kommissarrichtlinien bereitwillig umgesetzt hat«1385, dann wird diese geradezu provozierende NichtThematisierung in den Schulgeschichtsbüchern noch weniger nachvollziehbar. Beim Blick auf den Tatkomplex der Tötung von sowjetischen Zivilisten unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung gelangt man wiederum zu einer weitaus positiveren Beurteilung des Untersuchungssamples. Zur Rolle des Ostheeres bilanzierte Christian Hartmann bereits 2004: »Ein militärisches Sicherheitsbedürfnis, das sich wenigstens zum Teil noch völkerrechtlich begründen ließ, vermischte sich schon bald mit den Ideologemen einer barbarischen Besatzungspolitik, die in allem Fremden bereits den Feind witterte. Diese Gemengelage, in der Recht und Moral immer schwerer zu erkennen waren, kann die Reaktionen vieler deutscher Soldaten erklären, aber wohl kaum rechtfertigen. Die moralische Ambivalenz, die dem Partisanenkrieg stets anhaftet, ändert nichts daran, daß Teile des Ostheeres zum Exekutor eines rassenideologischen Vernichtungsprogramms wurden, dessen Leidtragender in erster Linie eine eingeschüchterte Zivilbevölkerung war.«1386

Im überwiegenden Teil der durchgesehenen Schulgeschichtsbücher werden fundierte Zusammenfassungen des Geschehens auf der Basis solcher Forschungsergebnisse geliefert. Bücher, in denen der Massenmord an Zivilisten im Zuge der Anti-Partisanenunternehmen der Wehrmacht nur als Randerscheinung des Zweiten Weltkrieges vorkommt, sind ausgesprochen selten vorhanden. Nur einmal produzieren die Lehrwerksautorinnen und -autoren eine spezifische Erzählung, bei der sich der Leserin bzw. dem Leser der Eindruck aufdrängen muss, die Partisanen seien an ihrem Schicksal selbst schuld gewesen. Viele Schulbücher bemühen sich außerdem, die Verantwortung der Wehrmachts1385 Römer : Der Kommissarbefehl, S. 551. 1386 Christian Hartmann: Verbrecherischer Krieg – verbrecherische Wehrmacht? Überlegungen zur Struktur des deutschen Ostheeres 1941–1944. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 52, 2004, H. 1, S. 1–75, hier S. 29f.

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führung und die Beteiligung von Wehrmachtseinheiten mithilfe von schriftlichen und bildlichen Quellen zu konkretisieren. Bereitgestellt werden z. B. der »Kriegsgerichtsbarkeitserlass« vom 13. Mai 1941 sowie weitere Befehle und Aufrufe, verschiedene Fotografien und der Gefechtsbericht einer Infanteriedivision. Die öffentliche Debatte über die Verbrechen der Wehrmacht hatte der historischen Forschung neue, z. T. längst überfällige Impulse gegeben. Die große Zahl an einschlägigen Publikationen belegt dies eindrucksvoll. Davon profitierten nachweislich auch Teile der untersuchten Schulgeschichtsbücher, die stärker als vordem über die konkrete (Mit-)Verantwortung der Wehrmacht für die Vernichtungspraxis im Krieg gegen die Sowjetunion berichten. Dennoch gibt es noch immer Lehrwerke, in denen kaum deutlich wird, dass die Armee in Planung, Durchsetzung und Absicherung der Vernichtungspolitik aktiv eingebunden war. Es hängt somit ganz entscheidend vom jeweiligen Schulbuch ab, mit dem im Geschichtsunterricht gearbeitet wird, ob die Schülerinnen und Schüler mit einer weitgehend »sauberen« oder tief in die verbrecherische Kriegsführung verstrickten Wehrmacht konfrontiert werden. Dies ist wiederum ein kaum befriedigender Zustand.

IX.

Fazit der Studie und Perspektiven für die Praxis

Nachdem die Analyseergebnisse zu den vier Lehrwerksgenerationen und ihre Beurteilung anhand der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung und der öffentlichen Erinnerungsformen ausführlich dargelegt worden sind (synchrone Betrachtung), wird in diesem Kapitel ein Fazit im Hinblick auf die Veränderungen und/oder Beharrlichkeiten der untersuchten Schulbuchinhalte gezogen (diachrone Betrachtung). Von den Haupterkenntnissen der Arbeit werden anschließend pragmatische Konsequenzen für den Geschichtsunterricht und die Gestaltung zukünftiger Geschichtsschulbücher abgeleitet. In einem abschließenden Ausblick wird das Hauptaugenmerk noch einmal auf die Bedeutung der in dieser Studie durchgeführten Schulbuchanalysen und unterbreiteten Vorschläge zur adäquaten Auseinandersetzung mit der deutschen Bevölkerung und der Wehrmacht gelegt.

1.

Zusammenfassung und Diskussion der Befunde

Bereits im Jahr 1992 hatte Volkhard Knigge dafür plädiert, den Umstand ernst zu nehmen, dass »auch und gerade biographisch nicht mehr in den Nationalsozialismus verstrickte Menschen, also solche, die im Hinblick darauf und auf ihre eigene Lebensgeschichte nichts zu beschönigen, nichts abzustreiten, nichts zu verdrängen hätten, Haltungen in bezug auf den Holocaust entwickeln, Geschichtsphantasien, -legenden und -geschichten übernehmen, kreieren, tradieren, für wahr halten wollen, die ihnen – obwohl aus wissenschaftlicher Perspektive ganz unhaltbar, ja abstrus – doch erzählenswert und bedeutungsvoll erscheinen«1387. In den folgenden Jahrzehnten sind mehrere qualitativ-empirische Studien zu dem Ergebnis gekommen, dass es Schülerinnen und Schüler 1387 Volkhard Knigge: Abwehren – Aneignen. Der Holocaust als Lerngegenstand. In: Hanno Loewy (Hrsg.): Holocaust: Die Grenzen des Verstehens. Eine Debatte über die Besetzung der Geschichte. Reinbek bei Hamburg 1992, S. 248–259, hier S. 249.

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Fazit der Studie und Perspektiven für die Praxis

gibt, die zu einer weitgehenden Viktimisierung der Täter und Exkulpation der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung des Nationalsozialismus neigen. Dabei konnte auch gezeigt werden, dass es dem untersuchten Geschichtsunterricht meist nicht gelang, die verharmlosenden Erklärungsmuster der Heranwachsenden zu korrigieren, mitunter hatte er sogar zur Stabilisierung und Verfestigung der jugendlichen Alltagstheorien, die vor allem aus den geschichtskulturellen Massenmedien und den Gesprächen im Verwandten- und Bekanntenkreis herrührten, beigetragen. Ausgehend von diesen – wenn auch nicht im statistischen Sinne repräsentativen, so doch sehr befremdlichen – Befunden wurden in der vorliegenden Arbeit Schulgeschichtsbücher unterschiedlicher Jahrgänge daraufhin untersucht, ob sie solche simplifizierenden und unhistorischen Geschichtsvorstellungen von Schülerinnen und Schülern diskutierbar machen. Gefragt wurde daher, welche Narrative und Deutungen Geschichtslehrwerke über die »ganz normalen« Deutschen enthalten, und zwar über ihre Kenntnis vom Holocaust, ihre antisemitische Einstellung und ihre Reaktionen auf die antijüdischen Maßnahmen des NS-Regimes. In die Schulbuchanalyse einbezogen wurde auch die Darstellung der Wehrmacht, weil es sich bei der Armee um die »größte und möglicherweise bedeutendste Berührungsfläche zwischen deutscher Bevölkerung und dem Gesamtkomplex der NS-Verbrechen«1388 handelt. Die Studie analysierte damit, darauf ist bereits in der Einleitung verwiesen worden, nicht den tatsächlichen Geschichtsunterricht, sondern den von Schulbuchproduzentinnen und -produzenten intendierten Unterricht über Nationalsozialismus, Holocaust und Vernichtungskrieg. Allerdings sollte der Einfluss, den Schulgeschichtsbücher als Leitmedien des historischen Lehrens und Lernens im schulischen Kontext zumindest theoretisch auf die Bewusstseinsbildung ganzer Alterskohorten haben, nicht unterschätzt werden. Hinzu kommt, dass Geschichtslehrwerke als wichtige Indikatoren angesehen werden können, die überhaupt noch Auskunft über den vergangenen, faktisch in den Klassenzimmern abgelaufenen Unterricht geben. Versteht man Schulbücher außerdem als geschichtskulturelle Manifestationen des Zeitgeistes, dann erweisen sie sich als geradezu exklusive Quellen für frühere und aktuelle Sicht- und Vermittlungsweisen von Geschichte. Angesichts ihrer notwendigen Reduktion von Komplexität aus ökonomischen (Umfang, Preis), fachdidaktischen (lernpsychologische Zumutbarkeit, Bedeutsamkeit von Themen) und bildungspolitischen (Lehrplankonformität, Zulassungsverfahren) Gründen geben sie in höchst verdichteter Form eine Antwort auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt welche Ge1388 Klaus Naumann: Wehrmacht und NS-Verbrechen. Wirklichkeiten und Wirkungen einer kollektiven Gewalterfahrung. Überlegungen zu einem Ausstellungsvorhaben des Projekts 1995. In: Mittelweg 36 1, 1992, H. 5, S. 130–136, hier S. 132.

Zusammenfassung und Diskussion der Befunde

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schichte(n) und welche damit verbundenen Deutungen den Heranwachsenden vermittelt werden soll(t)en. Vor dem Hintergrund dieser theoretischen Grundlagen diente die vorliegende Studie dem geschichtsdidaktischen Bedürfnis zu erfahren, inwieweit bestimmte Themen, Fragestellungen und Thesen der geschichtswissenschaftlichen Forschung bzw. bestimmte in der Öffentlichkeit ausgehandelte Sachverhalte zur Rolle der »Zuschauer« und der Wehrmacht Aufnahme in Geschichtsschulbücher der Sekundarstufe I und II gefunden haben. Es ging mithin darum, aus einer Vielzahl von Lehrwerken typische, häufig wiederkehrende Eigenarten, Vorzüge und Mängel zu erfassen. Mit dieser Absicht wurden 50 Schulgeschichtsbücher – angefangen in den 1980er Jahren bis in die 2010er Jahre – der wichtigsten Schulbuchverlage untersucht. Verschiedene Gründe sprachen dafür, die Schulbuchanalyse in den 1980er Jahren beginnen zu lassen: die allmähliche Konsolidierung der historischen Forschung, die – zumindest graduellen – Diskursverschiebungen in der Öffentlichkeit, die verstärkte curriculare Verankerung der Themen Nationalsozialismus und Holocaust im Zuge der Verabschiedung der KMK-Richtlinien vom 20. April 1978 sowie die dauerhafte Durchsetzung des kombinierten Lehr- und Arbeitsbuches auf dem Schulbuchmarkt. Die Stichprobe wurde dabei in vier Querschnitte untergliedert, deren zeitlicher Zuschnitt sich aus den verschiedenen Lehrwerksgenerationen ergab. Methodisch bediente sich die Studie mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring eines Untersuchungsverfahrens, das Objektivität im Sinne intersubjektiver Überprüfbarkeit gewährleistet. In Anlehnung an die von Mayring entwickelte Analyse- und Auswertungstechnik der Strukturierung wurde wie folgt vorgegangen: Die Untersuchung der Schulbücher erfolgte auf der Basis von sowohl deduktiv als auch induktiv gebildeten Kategorien und Unterkategorien. Einerseits wurden sie aus dem geschichtswissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs über die nationalsozialistische Vergangenheit abgeleitet, andererseits lieferte erst die unmittelbare Materialsichtung relevante Untersuchungskriterien. Die auf diese Weise entwickelten Analysekategorien wurden durch eindeutige und trennscharfe Definitionen operationalisiert und durch entsprechende Ankerbeispiele exemplifiziert. Es folgte die Filterung der Schulgeschichtsbücher auf relevante Informationen. Dabei nahm die Analyse sowohl die Verfassertexte wie die Materialien in den Blick, vor allem schriftliche und bildliche Quellen sowie Historikertexte. Die von den Schulbuchautorinnen und -autoren angebotenen Narrative und Deutungen wurden den zuvor gebildeten Kategorien zugeordnet und in einer Gesamtdarstellung gebündelt. Am Ende stand jeweils ein Zwischenfazit für den einzelnen Querschnitt, in dem die aus der kategoriengeleiteten Inhaltsanalyse gewonnenen Ergebnisse vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Forschungsstandes der Geschichtswissenschaft und den historischen Sinnbildungsangeboten aus der Geschichtskultur bewertet wurden.

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Um die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Darstellung der »Schulbuchdaten« und ihrer Interpretation zu erhöhen, referierte außerdem ein separates Kapitel über den Gang des fachwissenschaftlichen und öffentlichen Erkenntnisfortschritts. Da jede Lehrwerksgeneration bereits mit einem Zwischenfazit abschloss, in dem die Ergebnisse der kategoriengeleiteten Auswertung beurteilt wurden, wäre an dieser Stelle eine simple Wiederholung des bereits Gesagten unergiebig. Stattdessen soll eine Einordnung des Dargebotenen in größere Zusammenhänge erfolgen. Die wichtigsten Ergebnisse auf der Ebene der geschichtsdidaktischen Theorie und Empirie seien deshalb nachstehend zusammengefasst und zur Diskussion gestellt. Die in dieser Studie analysierten Schulgeschichtsbücher sind keine »nationalen Autobiographien«. Dieser von Wolfgang Jacobmeyer vornehmlich entlang der Schulbuchhistoriographie des »langen« 19. Jahrhunderts entwickelte Begriff erscheint generell im postnationalen Zeitalter nur noch bedingt tragfähig, vor allem aber entspricht er dem Selbstverständnis moderner Geschichtslehrwerke nicht mehr.1389 Diese Einschätzung verlangt nach einer ausführlicheren Reflexion. Jacobmeyer schrieb 1998: »Unterricht erfolgt nach staatlichen Vorgaben (Richtlinien, Rahmenpläne, Zulassung von Schulbüchern). Darin drückt sich aus, wie intensiv Schulgeschichtsbücher an die dominierenden Wertvorstellungen und Normen der Erwachsenengeneration zurückgebunden sind. In ihnen wird eben nicht schlechterdings alles überliefert, was man über Geschichte wissen kann, sondern nur jener schmale Ausschnitt, den die jeweilige Erwachsenengeneration für wichtig hält. Und da die aufeinander folgenden Generationen der Erwachsenen sich nicht ein für allemal darüber verständigen können, was denn ›wichtig‹ sei, da die Inhalte dieser Verständigung wechseln, deshalb ändern sich auch die Schulgeschichtsbücher.«1390

Wenn auch statt pauschal von »Erwachsenengeneration« konkreter von Schulbuchredakteurinnen und -redakteuren, Schulbuchautorinnen und -autoren, Schulbuchherausgeberinnen und -herausgebern, Mitgliedern von CurriculaKommissionen und von Ministerien oder Instituten bestellten Gutachterinnen und Gutachtern gesprochen werden müsste, kann diesen Anmerkungen nur zugestimmt werden. Nicht ohne Weiteres geteilt werden kann dagegen Jacobmeyers anschließende Schlussfolgerung, wenn er als feste Größe für den Inhalt 1389 Diese These, der aber nicht weiter nachgegangen wird, findet sich bereits bei Saskia Handro: Arbeit am kollektiven Gedächtnis. »1989« in Schulgeschichtsbüchern. In: Dies./ Thomas Schaarschmidt (Hrsg.): Aufarbeitung der Aufarbeitung. Die DDR im geschichtskulturellen Diskurs. Schwalbach/Ts. 2011, S. 84–107, hier S. 91. 1390 Wolfgang Jacobmeyer : Das Schulgeschichtsbuch – Gedächtnis der Gesellschaft oder Autobiographie der Nation? In: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 26, 1998, H. 1/2, S. 26– 35, hier S. 30.

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von Geschichtslehrwerken reklamiert, dass »diese niemals Aussagen enthalten, die innerhalb der Erwachsenengeneration strittig sind«1391. »Die Konformität der Lehrwerke mit Gegenwartsmentalität«, so bilanziert er, »ist ihr oberster Wert«1392. In Anbetracht der überaus heterogenen Ergebnisse, zu denen die vorliegende Studie gelangt ist, besitzt diese Aussage keine Allgemeingültigkeit. Die Darstellung der Wehrmacht und der von ihr begangenen Verbrechen, um nur ein Beispiel herauszugreifen, fiel bereits in einigen der Bücher, die in den 1980er Jahren erschienen waren, kritisch aus. Eine solche Thematisierung deckte sich gewiss nicht mit der »Gegenwartsmentalität«, die vielmehr seinerzeit noch stark von der Behauptung bestimmt war, einfache Landser hätten nur ihre soldatische Pflicht getan. Damit soll der grundlegende Zusammenhang von »Zeitgeist« und »Schulbuchgeist« nicht bestritten werden. Im Gegenteil: Der Einfluss, den etwa die Goldhagen-Debatte und die »Wehrmachtsausstellung« auf die Konstruktion der untersuchten Schulgeschichtsbücher hatten, ist unverkennbar. Man sollte sich aber vor grobschlächtigen Verallgemeinerungen hüten. Vor allem gilt es, Abstand von der undifferenzierten Annahme zu nehmen, ein gesellschaftlich als gesichert geltendes Wissen, wie es von verschiedenen Autorinnen und Autoren in unterschiedlichen Varianten beschrieben worden ist, finde quasi automatisch in allen Lehrwerken seinen Niederschlag. Jacobmeyer bezeichnet in dem bereits zitierten Aufsatz Geschichtslehrwerke außerdem als »Belehrungsliteratur«1393, die eine einheitliche Perspektive und ein konsistentes Deutungsmuster »für den gesinnungsbildenden Geschichtsunterricht«1394 vorgebe. Dies mag etwa zu Zeiten des Kaiserreiches in Deutschland der Fall gewesen sein, als der Geschichtsunterricht unbestritten eine »vaterländische Aufgabe« zur Legitimation, Stabilisierung und Überhöhung der eigenen Nation wahrnehmen sollte.1395 In einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft geht es dagegen weitaus weniger darum, die heranwachsende Generation auf eine bestimmte Sicht von Geschichte zu verpflichten. Moderner Geschichtsun1391 1392 1393 1394 1395

Ebd., S. 30f. Ebd., S. 31. Ebd., S. 33. Ebd., S. 29. Vgl. Joachim Rohlfes: Deutscher Geschichtsunterricht im 19. Jahrhundert. Staatlich-politische Vorgaben, geschichtswissenschaftliche Maßstäbe, pädagogische Impulse. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 55, 2004, H. 7/8, S. 382–400; Gerhard Schneider: Der Geschichtsunterricht in der Ära Wilhelms II. (vornehmlich in Preußen). In: Klaus Bergmann/Ders. (Hrsg.): Gesellschaft – Staat – Geschichtsunterricht. Beiträge zu einer Geschichte der Geschichtsdidaktik und des Geschichtsunterrichts von 1500–1980. Düsseldorf 1982, S. 132–189; Bernd Schönemann: Nationale Identität als Aufgabe des Geschichtsunterrichts nach der Reichsgründung. In: Internationale Schulbuchforschung 11, 1989, H. 2, S. 107–127.

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terricht zielt nicht auf die Vermittlung eines verbindlichen Geschichtsbildes1396, sondern auf die Entwicklung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins, das den Schülerinnen und Schülern eine historisch fundierte Gegenwartsorientierung ermöglicht. Dieser Prämisse fühlen sich seit langem auch Schulgeschichtsbücher verpflichtet. Schon seit den 1970er Jahren existiert das reine Leitfadenbuch, das eine Flut von Namen, Begriffen und Daten enthielt und dem Ziel einer enzyklopädischen Wissensvermittlung dienen sollte, nicht mehr. Selbstverständlich halten auch moderne Geschichtsschulbücher, die alle dem Typus des kombinierten Lehr- und Arbeitsbuches entsprechen, historisches Grundlagenwissen bereit, über das die Lernenden – im Idealfall über die im Unterricht gerade behandelte Themeneinheit hinaus – verfügen sollen. Dieses in den Verfassertexten häufig in dem Duktus des »so war es« präsentierte Orientierungswissen kollidiert gleichwohl nicht zwangsläufig mit den Zielen des Geschichtsunterrichts.1397 Es stellt vielmehr eine notwendige Voraussetzung dafür dar, dass Schülerinnen und Schüler historische Prozesse überhaupt verorten, sich eigenständig mit Quellen und Darstellungen auseinandersetzen und zu begründeten Urteilen über historische Sachverhalte gelangen können. Diskussionswürdig ist sicher auch die Annahme, das Schulbuch für das Unterrichtsfach Geschichte sei ein »Spiegelbild der historischen Forschung, die mehr oder weniger gebrochen in die Konzeption der Lehrbücher, die Verfassertexte und die Materialauswahl eingeht«1398. Mit Sicherheit aber beruht es nicht automatisch auf einem »historiographischen Sensus communis«1399. Wenn das Schulgeschichtsbuch tatsächlich immer ein getreues Abbild des Forschungskonsenses wäre, dann – um noch einmal das Beispiel der Wehrmacht anzuführen – hätten auch schon in den 1980er Jahren alle Lehrwerke bei der Behandlung der Armee deren aktive Rolle im rassistischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion benennen müssen. Darüber bestand nämlich – nimmt

1396 Vgl. Marko Demantowsky : Geschichtsbild. In: Ulrich Mayer u. a. (Hrsg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik. Schwalbach/Ts. 3. Aufl. 2014, S. 82–82; Joachim Rohlfes: Umrisse einer Didaktik der Geschichte. Göttingen 3., erw. Aufl. 1974, S. 101–103; Gerhard Schneider: Geschichtsbild. In: Klaus Bergmann u. a. (Hrsg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik. Seelze-Velber 5., überarb. Aufl. 1997, S. 290–293. 1397 Um die scheinbar neutrale und objektivistische Präsentationsweise der Verfassertexte zu durchbrechen, rät Michael Sauer dazu, dass Schulbuchautorinnen und -autoren »so oft wie möglich auf die Varianz und Perspektivität von Positionen in der Vergangenheit und von historischen Deutungen in der Gegenwart – insbesondere Kontroversen – verweisen (›manche meinten, andere dagegen‹; ›heutige Historiker sind sich nicht einig‹)« sollten. Er gibt aber auch zu bedenken, dass »solche Selbstrelativierungen nur punktuell möglich« seien (Sauer : Schulgeschichtsbücher, S. 593). 1398 Sandkühler: Nach Stockholm, S. 50. 1399 Cajani: Vergangenheit und Zukunft, S. 164.

Zusammenfassung und Diskussion der Befunde

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man nicht revisionistische Literatur zum Maßstab – in der seriösen Forschung bereits weithin Einigkeit. Man sollte sich bewusst machen, dass auch Schulbuchverantwortliche Personen mit eigenen Geschichtsauffassungen sind. So wie verschiedene und gleichermaßen sorgfältig arbeitende Historikerinnen und Historiker z. B. auf der Basis identischen historischen Materials zu durchaus unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen können, so vertreten natürlich auch Schulbuchautorinnen und -autoren eigene Standpunkte und Perspektiven und gelangen zu abweichenden oder gar gegensätzlichen Urteilen, die über die Beschaffenheit ihrer Lehrmittel (mit-)bestimmen. Man wird daher das Geschichtsschulbuch wohl nur im Sinne eines mehrfach gebrochenen Echos ansehen dürfen, in das bestimmte Versatzstücke aus der historischen Forschung und bestimmte Deutungen aus der öffentlichen Geschichtskultur aufgenommen werden, anderen dagegen bewusst oder unbewusst unberücksichtigt bleiben. Von einer unmittelbaren Adaption geschichtswissenschaftlicher Forschungsergebnisse kann außerdem alleine aus Platzgründen keine Rede sein. Um nicht missverstanden zu werden: Es soll an dieser Stelle nicht der beliebigen Aufnahme respektive willkürlichen Ausblendung von fachwissenschaftlichen Erkenntnissen das Wort geredet werden. Im Gegenteil, der Pluralität von (politisch motivierten) Meinungen der Lehrwerksmacherinnen und -macher sind enge Grenzen gesetzt. Erinnert sei an das Diktum Jörn Rüsens, der vor über 25 Jahren zu Recht betont hatte, dass Geschichtsschulbücher »dem Forschungsstand als einer Art ›Vetoinstanz‹ verpflichtet«1400 seien. Gleichwohl bleiben Lehrwerke, das ist ein zentraler Befund der Studie, sehr häufig hinter den ihnen zur Verfügung stehenden Forschungsdiskursen zurück. Auch wenn von einem Schulbuch nicht die Komplexität und Differenziertheit einer fachwissenschaftlichen Arbeit erwartet werden kann, gehört ein veralteter bzw. längst überholter Forschungsstand nicht ins Schulbuch. Abgesehen von den (vielen) sachlichen Fehlern, die auf ein Minimum zu reduzieren sind, müssen Lehrwerksautorinnen und -autoren dafür Sorge tragen, dass Inhalte und Fragestellungen behandelt werden, die dem Erkenntnisstand der Geschichtswissenschaft entsprechen bzw. die diesem wenigstens nicht zuwiderlaufen. Hilft das Leitmedium des Geschichtsunterrichts, die – in mehreren empirischen Studien zutage geförderten – simplifizierenden und verharmlosenden Alltagstheorien von Jugendlichen über den Nationalsozialismus, den Holocaust und den Vernichtungskrieg zu verunsichern? Als erstes Ergebnis ist festzuhalten, dass keines der durchgesehenen Schulbücher im Hinblick auf die Darstellung der deutschen Gesellschaft und Wehrmacht vollumfänglich exkulpatorisch bzw. viktimisierend ist. Kein Lehrwerk behandelt die nichtjüdische Bevölkerung 1400 Rüsen: Das ideale Schulbuch, S. 247.

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Fazit der Studie und Perspektiven für die Praxis

ausschließlich als passives und gewissermaßen vollständig von den antisemitischen Interessen und Vorhaben der NS-Führung abgekoppeltes Objekt. Es wird außerdem nirgends die Tatsache offen geleugnet, dass Teile der Armee in Massenverbrechen involviert waren. Insofern gibt es so etwas wie einen Mindeststandard der Darstellung, der von keinem Schulbuch unterschritten wird. Im Umkehrschluss heißt dies, dass jugendliche Alltagstheoreme der beschriebenen Art in den Schulbüchern für den Geschichtsunterricht der letzten Jahrzehnte nicht einfach bestätigt werden. Gleichwohl lassen bestimmte weiße Flecken oder Akzentsetzungen in den Unterrichtswerken immer wieder eine Lesart zu, die den unreflektierten Geschichtsvorstellungen von Heranwachsenden im affirmativen Sinne nahe kommt, wenn etwa bei der Behandlung des Novemberpogroms von 1938 zwar auf die große Empörung der Bevölkerung abgestellt wird, nicht aber der hauptsächliche Grund für die Missbilligung der Ausschreitungen zur Sprache kommt; wenn etwa die »Judendeportationen« aus dem Deutschen Reich lediglich im Zusammenhang mit den Frauenprotesten in der Rosenstraße aufgegriffen werden, die Leserin bzw. der Leser dagegen nichts über die Partizipation unzähliger »Volksgenossen« an den öffentlichen Versteigerungen des Hausrats der »evakuierten« Juden erfährt; wenn etwa die Massenerschießungen von Juden ausschließlich den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD zur Last gelegt werden, die direkte und indirekte Beteiligung der Wehrmacht hingegen verschwiegen wird etc. Die Entwicklung der Darstellung der deutschen Gesellschaft in den Schulbüchern soll hier nicht noch einmal im Detail nachvollzogen werden, stattdessen werden einige besonders auffällige Merkmale und Tendenzen aufgezeigt. Allgemein ist zu konstatieren, dass die didaktische Aufbereitung des gesellschaftlichen Kontextes, in dem sich die nationalsozialistische Judenverfolgung abspielte, im Laufe der Geschichtsbuchentwicklung an Tiefe und Breite gewonnen hat. So ist etwa die Materialauswahl von Generation zu Generation insgesamt vielschichtiger geworden. Sehr positiv macht sich dies am Vorhandensein von Fotografien bemerkbar, die den Boykotttag vom 1. April 1933, die »Reichskristallnacht« und die Deportationen der Juden zeigen. Lange Zeit stießen Schülerinnen und Schüler auf Abbildungen, auf denen lediglich brennende und zerstörte Synagogen oder vor jüdischen Geschäften aufgezogene SA-Angehörige mit Zetteln und Plakaten zu sehen waren, was nicht zuletzt daran lag, dass die »Zuschauer« häufig dem (bewussten) Beschnitt zum Opfer fielen. Mittlerweile gehören zum Bildinventar vieler Lehrwerke vermehrt Fotos, welche die Anwesenheit zahlreicher Schaulustiger dokumentieren. Die regelmäßigere Verwendung solcher Bilder ist als großer Fortschritt zu bezeichnen. Natürlich bilden auch diese Fotos nur Ausschnitte historischer Wirklichkeit ab. Als Ereignisquellen belegen sie aber für die jugendlichen Betrachterinnen und Betrachter auf anschauliche Art und Weise, dass sich der alltägliche Terror gegen die jüdische

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Minderheit von Anfang an im unmittelbaren Erfahrungsbereich der »Volksgemeinschaft« vollzog. Negativ anzumerken ist indessen, dass Fotografien nach wie vor hauptsächlich zur Bebilderung herangezogen werden. Als genuine Geschichtsquellen werden sie noch immer nur sehr selten ernst genommen. Die augenfälligste Erweiterung, die sich in den Geschichtslehrwerken zeigt, betrifft die Verbreitung antisemitischer Denkmuster in der Mehrheitsbevölkerung. Ließen sich noch bis in die 1990er Jahre die einschlägigen Schulbuchbeiträge an einer Hand abzählen, so gehört diese Thematik seit der Jahrtausendwende zu einem festen Bestandteil der meisten Lehrwerke. Buchstäblich als Initialzünder wirkte hierbei die Goldhagen-Debatte, deren Einfluss auf die Schulbuchgestaltung nicht hoch genug zu veranschlagen ist. Seither begnügen sich die Lehrwerksautorinnen und -autoren nicht mehr mit einem Abriss zur Geschichte der Judenfeindschaft, der vom mittelalterlichen Antijudaismus bis zum modernen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts reicht. Vielmehr gehen sie auch der Frage nach, wie es um den gesellschaftlichen Antisemitismus während der Zeit des Nationalsozialismus bestellt war. Das gilt gleichermaßen für die Frage nach der »Salonfähigkeit« des NS-Rassenantisemitismus, die häufiger gestellt und – in der vierten Generation – auch klar beantwortet wird. Mittlerweile erfahren Schülerinnen und Schüler, dass latente oder offene antisemitische Gefühle unter den Massen in Deutschland anzutreffen waren und das rassenantisemitische Programm der Nationalsozialisten (wenn auch nicht in seiner mörderischen Form) den Einstellungen vieler Deutscher entgegenkam. In eine ähnliche Richtung geht die Darstellung der »Arisierung«, bei der ebenfalls eine merkliche Weiterentwicklung im Laufe der Jahrzehnte zu beobachten ist. Die Schulgeschichtsbücher der ersten und zweiten Generation behandelten die »Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben« im Allgemeinen und die Partizipation unzähliger Deutscher an der »Entjudung der Wirtschaft« im Besonderen allenfalls stiefmütterlich. Seit den 2000er Jahren weisen die Lehrwerke dagegen fast immer darauf hin, dass die »Arisierung« in der deutschen Gesellschaft einen wachsenden Kreis von Nutznießern und Profiteuren hervorbrachte. Solche Ergebnisse dürfen freilich nicht als lineare Fortschrittsgeschichte missverstanden werden. In jeder Schulbuchgeneration tauchen immer wieder verschiedene Deutungen aus der Forschung oder Geschichtskultur auf, die auf älteren Vorstellungen beruhen. Es gibt vor allem zwei untersuchte Aspekte, die über alle Lehrwerksgenerationen hinweg für gewisse Irritationen sorgen: Das betrifft zum einen den Umgang mit der Frage, was in der deutschen Öffentlichkeit über den Holocaust bekannt war. Häufig gewinnt man den Eindruck, als könnten oder wollten die Schulbuchautorinnen und -autoren sich hierzu nicht äußern. Des Weiteren ist selbst bei vielen Büchern, die sich dieser Problematik annehmen, eine spürbare Verunsicherung zu erkennen, mit welchen Materialien

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Fazit der Studie und Perspektiven für die Praxis

die Frage nach der Kenntnis vom Völkermord an den europäischen Juden überhaupt zu beantworten ist. Zum anderen bereitet es Lehrwerksmacherinnen und -machern stets außerordentliche Schwierigkeiten, ihren Leserinnen und Lesern zu sagen, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft zu keinem Zeitpunkt der NS-Herrschaft ein entschiedenes und öffentliches Eintreten für die verfolgten Juden in Betracht zog. Manche Verfassertexte halten sogar nur Informationen über Hilfeleistungen für Juden bereit. Nun soll gar nicht bestritten werden, dass es auch in Deutschland Menschen gab, die den gequälten Juden beistanden. Mit den »stillen Helden«, die jüdische Verfolgte versteckten und so vor dem Holocaust bewahrten, beschäftigt sich auch die wissenschaftliche Geschichtsschreibung, die das Verhalten dieser Menschen zu Recht lobt.1401 Aber auch Schulbuchautorinnen und -autoren dürfen nicht vergessen, dass diese Personengruppe im Verhältnis zur großen Masse der Schweigenden und Mitläufer nur eine verschwindend geringe Minderheit darstellte.1402 Bei der Abfassung eines Schulbuches ist stets folgender Tatbestand zu vergegenwärtigen: Anders als beispielsweise bei den »Euthanasie«-Morden1403 musste sich das NS-Regime zu 1401 Vgl. Wolfgang Benz (Hrsg.): Überleben im Dritten Reich. Juden im Untergrund und ihre Helfer. München 2003; Angela Borgstedt: Hilfen für Verfolgte. Judenretter und Judenhelfer. In: Peter Steinbach/Johannes Tuchel (Hrsg.): Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur 1933–1945. Berlin 2004, S. 307–321; Gedenkstätte Stille Helden in der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand (Hrsg.): Gedenkstätte Stille Helden. Widerstand gegen die Judenverfolgung 1933 bis 1945. Berlin 2., überarb. Aufl. 2009; Christoph Hamann/Beate Kosmala: Flitzen – verstecken – überleben? Hilfe für jüdische Verfolgte 1941–1945. Geschichten, Quellen, Kontroversen. Berlin 2013; Beate Kosmala/ Claudia Schoppmann (Hrsg.): Überleben im Untergrund. Hilfe für Juden in Deutschland 1941–1945. Berlin 2002 (Solidarität und Hilfe. Rettungsversuche für Juden vor der Verfolgung und Vernichtung unter nationalsozialistischer Herrschaft, Bd. 5); Wolfram Wette (Hrsg.): Stille Helden. Judenretter im Dreiländereck während des Zweiten Weltkriegs. Freiburg im Breisgau 2005. 1402 Das gilt genauso für das von vielen Schulbüchern im Verfassertext oder Arbeitsteil aufgegriffene Minderheitenphänomen der Frauenproteste in der Rosenstraße im Februar 1943. Vgl. Wolf Gruner : Widerstand in der Rosenstraße. Die Fabrik-Aktion und die Verfolgung der »Mischehen« 1943. Frankfurt am Main 2005; Gernot Jochheim: Frauenprotest in der Rosenstraße Berlin 1943. Berichte – Dokumente – Hintergründe. Berlin 2002; Nathan Stoltzfus: Widerstand des Herzens. Der Aufstand der Berliner Frauen in der Rosenstraße 1943. München 1999. 1403 Vgl. zu den Morden an körperlich behinderten und psychisch kranken Menschen in den Jahren 1939 bis 1945 die grundlegenden Werke von Götz Aly (Hrsg.): Aktion T4. Die »Euthanasie«-Zentrale in der Tiergartenstraße 4. Berlin 2., erw. Aufl. 1989; Götz Aly : Die Belasteten. »Euthanasie« 1933–1945. Eine Gesellschaftsgeschichte. Frankfurt am Main 2013; Michael Burleigh: Tod und Erlösung. Euthanasie in Deutschland 1900–1945. Zürich 2002; Heinz Faulstich: Hungersterben in der Psychiatrie 1914–1949. Mit einer Topographie der NS-Psychiatrie. Freiburg im Breisgau 1998; Norbert Frei (Hrsg.): Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit. München 1991; Henry Friedlander : Der Weg zum NSGenozid. Von der Euthanasie zur Endlösung. Berlin 1997; Ernst Klee: »Euthanasie« im

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keiner Zeit ernsthafte Sorgen machen, dass seine judenfeindliche Politik auf nennenswerten Widerstand stieß. Wenn es Kritik gab, stand für gewöhnlich nicht das Ob, sondern nur das Wie im Mittelpunkt.1404 Wenn die deutsche Gesellschaft in den Blick gerät, kann die Forderung nach Differenzierung nur richtig sein. Aber dies darf nicht dazu führen, das typische Mehrheitsverhalten zu vernebeln. Der Grundtenor im Schulbuch muss stimmen. Die Hauptergebnisse zur Darstellung der Wehrmacht können in diachroner Perspektive wie folgt zusammengefasst werden: Im gesamten Untersuchungssample kann weder von einer verklärenden und klischeehaften Heroisierung der militärischen Vergangenheit noch von einer direkten Zementierung der Legende von der »sauberen« Wehrmacht gesprochen werden. Kein Schulbuch vermittelt explizit die Auffassung, die Armee habe fernab von allen Verbrechen nur tapfer und ehrlich gekämpft. Gleichwohl konnte nachgewiesen werden, dass in der ersten und zweiten Lehrwerksgeneration mehrheitlich eine Darstellung aufzufinden ist, die sich ausgesprochen zurückhaltend im Hinblick auf die Rolle der Wehrmacht im rassenideologischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion zeigt. Die seit Mitte der 1960er Jahre entstandenen Forschungsarbeiten, in denen die tiefe Verwicklung der Armee in die verbrecherische Kriegsführung dokumentiert worden war, hatten das Bild von der »sauberen« Truppe in der breiten Öffentlichkeit bekanntermaßen nicht korrigieren können. Den von der Zeitgeschichtsschreibung offengelegten Zusammenhängen blieb auch in den Schulgeschichtsbüchern eine breite Rezeption versagt. Wenn die Massenerschießungen von Juden ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückten, wurde – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die SS als nahezu alleinige Tätergruppe hervorgehoben. In Bezug auf die sowjetischen Kriegsgefangenen war – wenn überhaupt – die Zahl der umgekommenen Soldaten der Dritten Reich. Die »Vernichtung lebensunwerten Lebens«. Vollständig überarbeitete Neuausgabe. Frankfurt am Main 2010; Eugen Kogon u. a. (Hrsg.): Nationalsozialistische Massentötungen durch Giftgas. Eine Dokumentation. Frankfurt am Main 1983, S. 27–80; Hans-Walter Schmuhl: Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie. Von der Verhütung zur Vernichtung »lebensunwerten Lebens« 1890–1945. Göttingen 1987 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 75); Winfried Süß: Der »Volkskörper« im Krieg. Gesundheitspolitik, Gesundheitsverhältnisse und Krankenmord im nationalsozialistischen Deutschland 1939–1945. München 2003 (Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 65). Vgl. aus geschichtsdidaktischer Perspektive Etienne Schinkel: Die NS-»Euthanasie« als Thema des Geschichtsunterrichts. Geschichtsdidaktische Potenziale und unterrichtspraktische Hinweise. In: Informationen – Wissenschaftliche Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933–1945 42, 2017, Nr. 86, S. 20–25. 1404 Das belegen etwa die geheimen Lageberichte, die der SD, die Gestapo und die Regierungspräsidenten auf Lokal-, Kreis- und Regionalebene über die Stimmung in der Bevölkerung anfertigten. Vgl. Otto Dov Kulka/Eberhard Jäckel (Hrsg.): Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten 1933–1945. Düsseldorf 2004 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 62).

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Roten Armee das Maximum dessen, was genannt wurde. Die Ermordungen von sowjetischen Zivilisten wurden ebenso großzügig ignoriert, häufig hoben die Lehrwerke nur auf die Kampftaktiken der Partisanen ab. Folglich wurde in den Lehrwerken der ersten beiden Generationen zumindest unterschwellig jener Mythos fortgeschrieben, der z. B. durch ehemalige Generäle und Feldmarschälle in ihren Memoiren aufgebaut und in der westdeutschen Öffentlichkeit bereitwillig weiter gepflegt wurde, wonach die Wehrmacht nichts mit den Massenverbrechen in Osteuropa zu tun hatte. Die Schulbücher der 1980er und 1990er Jahre zeichnen sich somit insgesamt durch eine weitgehende Tabuisierung des – unter aktiver Mitwirkung der Wehrmacht geführten – Vernichtungsfeldzuges gegen die Sowjetunion aus. Der vom Hamburger Institut für Sozialforschung erarbeiteten und 1995 eröffneten Wanderausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« gelang es zum ersten Mal, die bislang gewonnenen Forschungsergebnisse über die Beteiligung der Wehrmacht an den NS-Verbrechen einem größeren Publikumskreis bekannt zu machen. Die »Wehrmachtsausstellung« markierte – wenn auch in unterschiedlichen Ausmaß und in unterschiedlicher Intensität – eine veritable Zäsur für die Schulbuchdarstellungen. Fortan war es für viele Schülerinnen und Schüler möglich, sich anhand ihres Schulbuches eingehender und genauer über die Teilnahme der Wehrmacht an der Vernichtungspraxis im Zweiten Weltkrieg zu informieren. Die Erschießungen von Juden und die Mordaktionen an anderen sowjetischen Zivilisten, die überall in den Städten und Dörfern Osteuropas auch von Wehrmachtseinheiten betrieben worden waren, kamen in den nach der Jahrtausendwende erschienenen Lehrwerken häufiger und vor allem deutlicher als vordem zur Sprache. Das gilt – wenngleich in sehr viel bescheidenerem Maße – auch für das Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen, bei dem nun regelmäßiger die Verantwortung der Wehrmacht offengelegt wurde. Dennoch gibt es selbst in der vierten Generation noch immer eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Geschichtsschulbüchern, in denen die Wehrmacht als Akteur des Vernichtungskrieges nicht vorkommt bzw. in denen die Massenmorde allein auf das Konto der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD gehen. Übergreifend für alle Generationen ist schließlich auffällig, dass ein Tatkomplex oftmals nur am Rande erwähnt wird: der Massenmord an sowjetischen Kriegsgefangenen. Hierzu seien an dieser Stelle einige weitere Anmerkungen gemacht. Die Marginalisierung der im Gewahrsam der Wehrmacht umgekommenen Sowjetsoldaten mag vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, also in der ersten und zweiten Schulbuchgeneration, noch einigermaßen »verständlich«

Zusammenfassung und Diskussion der Befunde

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sein.1405 Eine von Michael Zimmermann beschriebene Begebenheit macht deutlich, welche an Dreistigkeit kaum zu überbietenden Formen die bewusste Nicht-Erinnerung an diese Opfergruppe annehmen konnte: »Unter den Vorzeichen des Kalten Krieges suchte man […] jene Spuren zu verwischen, die an die Unterdrückung und Ermordung sowjetischer Kriegsgefangener erinnerten. Beispielsweise wurde ein Gedenkstein, den Überlebende des Kriegsgefangenenlagers Stukenbrock bei Paderborn 1945 auf dem Friedhof der nahen Gemeinde Schloß Holte aufgestellt hatten – er trug die Inschrift ›Hier ruhen die russischen Krieger – erste Opfer der faschistischen Gefangenschaft 1941–1945‹ – 1963 abgerissen. An seine Stelle wurde ein Denkmal für die Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten gesetzt. Die Konsequenz, mit der gerade die Mahnmale für sowjetische Kriegsgefangene durch Verweise auf die den Sowjets schuldhaft zugerechnete Vertreibung ersetzt wurden, resultierte auch aus dem Versuch, eines der furchtbarsten deutschen Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges zu verdrängen: Von den insgesamt 5,7 Millionen sowjetischen Gefangenen, die während des gesamten Krieges in deutsche Hand gerieten, kamen 3,3 Millionen in deutschem Gewahrsam um. Zumindest ein Teil dieser Kriegsgefangenenlager hatte sich innerhalb des Deutschen Reiches befunden. Anders als die Juden, die ›im Osten‹ ermordet wurden und für die deshalb in den Grenzen der Bundesrepublik (und der DDR) nicht einmal virtuell eine Stätte als räumliche Voraussetzung des Gedenkens zur Verfügung steht, starben die Kriegsgefangenen aus der UdSSR gleichsam vor der Haustür. Die Ausflucht, man habe nichts sehen und nichts wissen können, war hier deshalb sehr durchsichtig. Um sie dennoch aufrechtzuerhalten, mußten die Spuren der Kriegsgefangenenlager um so gründlicher beseitigt werden.«1406

Noch im Jahr 2005, mithin lange nach dem weltpolitischen Umbruch von 1989/ 91, schrieb Christian Gerlach zum geschichtskulturellen Stellenwert der Soldaten der Roten Armee: »Sowjetische Kriegsgefangene interessieren eigentlich keinen Menschen. Drei Millionen tote Gefangene haben hierzulande nicht gerade einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. In den Kreis der Opfer, die von der vielgerühmten bundesdeutschen Erinnerungskultur gewürdigt werden, sind die sowjetischen Kriegsgegangenen bisher nicht aufgenommen worden.«1407

1405 Vgl. Bernd Stöver: Der Kalte Krieg. Geschichte eines radikalen Zeitalters 1947–1991. München 2017. 1406 Michael Zimmermann: Negativer Fixpunkt und Suche nach positiver Identität. Der Nationalsozialismus im kollektiven Gedächtnis der alten Bundesrepublik. In: Hanno Loewy (Hrsg.): Holocaust: Die Grenzen des Verstehens. Eine Debatte über die Besetzung der Geschichte. Reinbek bei Hamburg 1992, S. 128–143, hier S. 131f. 1407 Christian Gerlach: Die Verantwortung der Wehrmachtsführung. Vergleichende Betrachtungen am Beispiel der sowjetischen Kriegsgefangenen. In: Christian Hartmann/Johannes Hürter/Ulrike Jureit (Hrsg.): Verbrechen der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte. München 2005, S. 40–49, hier S. 40.

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Fazit der Studie und Perspektiven für die Praxis

Die Schulbuchanalyse hat gezeigt, dass die Ansicht Gerlachs, das Schicksal der Rotarmisten interessiere in der Bundesrepublik Deutschland niemanden, nicht der Realität entspricht. Gleichwohl ist es teilweise erschreckend, in welch auffälliger Diskrepanz die Dimension des Verbrechens und die Würdigung desselben auch noch in der vierten Lehrwerksgeneration zueinander stehen. Um es nochmals zu betonen: »Niemals in der Geschichte«, so bringt es Dieter Pohl auf den Punkt, »starben so viele Kriegsgefangene in so kurzer Zeit wie die Rotarmisten in deutscher Hand, besonders während der Monate von Oktober 1941 bis Mai 1942«1408. Insgesamt ist somit zu konstatieren, dass der Massenmord an den sowjetischen Kriegsgefangenen eindeutig im Schatten des Genozids an den Juden steht. Aus gewiss nachvollziehbaren und notwendigen Gründen stellen die meisten Schulbuchautorinnen und -autoren das Schicksal der Juden in den Fokus. Angesichts des notorischen Platzmangels, unter dem alle Lehrwerke leiden, wäre es verfehlt, eine ebenso ausführliche Behandlung der Rotarmisten einzufordern. Dennoch muss es zum Standard eines jeden Geschichtslehrwerkes gehören, diesen Komplex der rassistischen Vernichtungspolitik, der weitgehend in den Verantwortungsbereich der Wehrmacht fiel, zumindest zu nennen. »Mißtraut gelegentlich euren Schulbüchern! Sie sind nicht auf dem Berge Sinai entstanden, meistens nicht einmal auf verständige Art und Weise, sondern aus alten Schulbüchern, die aus alten Schulbüchern entstanden sind, die aus alten Schulbüchern entstanden sind, die aus alten Schulbüchern entstanden sind. Man nennt das Tradition. Aber es ist ganz etwas anderes.«1409 Diese Worte, die Erich Kästner in seiner fiktiven »Ansprache zu Schulbeginn« an Erstklässlerinnen und Erstklässler im Jahr 1950 formulierte, werden häufig von Autorinnen und Autoren zitiert, um auf die seit jeher bestehende Rückständigkeit und Unangemessenheit von Schulbüchern hinzuweisen. Kästners Empfehlung, den für den Unterricht vorgesehenen Lehrwerken mit einem gesunden Maß an Skepsis zu begegnen, kann nur zugestimmt werden. Seine Feststellung, Schulbücher seien nur Kopien älterer Schulbücher, kann hingegen für das vorliegende Sample nicht bestätigt werden. Gleichwohl ist die Annahme, das Geschichtsschulbuch erlaube es der Lehrkraft, »den Unterricht so zu gestalten, dass weitere Materialsuche weitgehend überflüssig wird«1410, ein Trugschluss mit gegebenenfalls schwerwiegenden Folgen. Die von den Schulbuchautorinnen und -autoren geschriebenen Texte und die in den Arbeitsteilen abgedruckten Quellen und Darstellungen allein bürgen gewiss nicht immer für eine angemessene, sich auf der Höhe der Forschung bewegende unterrichtliche Behandlung von Na1408 Dieter Pohl: Die Herrschaft der Wehrmacht, S. 201. 1409 Erich Kästner : Ansprache zu Schulbeginn. In: Ders.: Gesammelte Schriften für Erwachsene. Bd. 7: Vermischte Beiträge II. München/Zürich 1969, S. 180–184, hier S. 182f. 1410 Teepe: Umgang mit dem Schulbuch, S. 255.

Pragmatische Konsequenzen für die Schulbuchgestaltung

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tionalsozialismus, Holocaust und Vernichtungskrieg. Der nachfolgende Abschnitt macht daher hierzu konkrete Verbesserungsvorschläge.

2.

Pragmatische Konsequenzen für die Schulbuchgestaltung

Zu den Hauptarbeitsfeldern der Geschichtsdidaktik gehört neben der Theorie und der Empirie immer auch die Pragmatik des historischen Lehrens und Lernens.1411 Deshalb werden im Folgenden Vorschläge unterbreitet, wie die Kategorie »Zuschauer« stärker als bisher im Schulbuch zur Geltung gebracht werden kann. Daran schließen sich gesonderte Empfehlungen zur adäquaten Behandlung der Verbrechen der Wehrmacht an.1412 Die folgenden Ausführungen sind im Sinne einer pragmatisch orientierten Schulbuchforschung als Anregungen für die Gestaltung zukünftiger Geschichtslehrwerke zu verstehen. Sie stellen zugleich einen Fundus an verschiedenen Quellen für den Geschichtsunterricht bereit, auf die Lehrkräfte bei der Unterrichtsplanung zurückgreifen können.

2.1.

Die deutsche Gesellschaft

Schulbuchautorinnen und -autoren müssen verdeutlichen, dass nach 1933 »ein stetig wachsender Teil der Bevölkerung die Inklusions- und Exklusionsprinzipien der NS-›Volksgemeinschaft‹ akzeptierte und Juden nicht mehr als Teil der 1411 Vgl. Karl-Ernst Jeismann: Didaktik der Geschichte. Die Wissenschaft von Zustand, Funktion und Veränderung geschichtlicher Vorstellungen im Selbstverständnis der Gegenwart. In: Erich Kosthorst (Hrsg.): Geschichtswissenschaft. Didaktik – Forschung – Theorie. Göttingen 1977, S. 9–33. 1412 Die folgenden Ausführungen führen Überlegungen weiter, die der Autor in früheren Publikationen entwickelt hat. Vgl. Etienne Schinkel: »Davon haben wir nichts gewusst!«. Die deutsche Gesellschaft und der Holocaust. In: Geschichte lernen H. 180 (2017), S. 48– 53; Etienne Schinkel: Der Vernichtungskrieg der Wehrmacht. Geschichtsschulbücher als Indikator für Erinnerungskultur und historische Selbstvergewisserung. In: Gerhard Henke-Bockschatz (Hrsg.): Neue geschichtsdidaktische Forschungen. Aktuelle Projekte. Göttingen 2016 (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Bd. 10), S. 123–142; Etienne Schinkel: Die NS-Volksgemeinschaft in aktuellen Geschichtsschulbüchern? Empirische Befunde und pragmatische Konsequenzen. In: Uwe Danker/Astrid Schwabe (Hrsg.): Die NS-Volksgemeinschaft. Zeitgenössische Verheißung, analytisches Konzept und ein Schlüssel zum historischen Lernen? Göttingen 2017 (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, Bd. 13), S. 125–139; Etienne Schinkel: Täter, Opfer, vor allem aber Zuschauer. Zur Darstellung der Reaktionen der deutschen Bevölkerung auf Judenverfolgung und Völkermord im Geschichtsschulbuch der Gegenwart. In: Zeitschrift für Genozidforschung 14, 2015, H. 1/2, S. 40–68.

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Fazit der Studie und Perspektiven für die Praxis

deutschen Gesellschaft betrachtete«1413. Während die Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte, Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien beim Großteil der nichtjüdischen Bevölkerung noch keineswegs ein begeistertes Echo hervorriefen, war bei der Reichspogromnacht lautstarke Empörung bereits kaum mehr zu vernehmen: Die Mehrheit sah dem Treiben schweigend zu, nicht wenige neugierige Schaulustige gerieten in den Sog des Pogroms und mischten sich mit den tobenden Fanatikern zu einem marodierenden und gewalttätigen Mob. Die Deportationen der jüdischen Mitbürger stießen schließlich fast nirgendwo mehr auf Widerspruch; ganz zu schweigen von der Verwertung des Eigentums der Deportierten, an der sich unzählige Deutsche beteiligten. Hinsichtlich des zeitgenössischen Kenntnisstandes der Bevölkerung muss aus den Verfassertexten eindeutig hervorgehen, dass der systematische Massenmord an den Juden kein Geheimnis war. Aller Verschleierungstaktik zum Trotz kursierten schon sehr bald Gerüchte von der Ermordung der Juden, die sich im Laufe des Krieges zur Gewissheit verdichteten. Um zu verdeutlichen, welches Wissen das NS-Regime der Zivilbevölkerung über den Judenmord zugestand, böte es sich an, Auszüge aus Reden prominenter Politiker in den Arbeitsteilen abzudrucken. Neben Hitler, der in wichtigen Reden immer wieder auf seine zum sechsten Jahrestag der »Machtergreifung« geäußerte »Prophezeiung« der »Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa« zurückkam1414, gehörten insbesondere der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, und der Leiter der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, zu denjenigen Politikern, die in regelmäßigen Abständen in aller Öffentlichkeit unverhohlen über den Judenmord sprachen. In seiner bekannten Sportpalastrede vom 18. Februar 1943 zur Mobilisierung aller verfügbaren 1413 Bajohr : Vom antijüdischen Konsens zum schlechten Gewissen, S. 36. 1414 Hitlers berühmt-berüchtigte »Prophezeiung«, die in allen Zeitungen nahezu wörtlich abgedruckt, in der Wochenschau gezeigt und im Propagandafilm »Der ewige Jude« von 1940 am Schluss zitiert wurde, lautete: »Und eines möchte ich an diesem vielleicht nicht nur für uns Deutsche denkwürdigen Tage nun aussprechen: Ich bin in meinem Leben sehr oft Prophet gewesen und wurde meistens ausgelacht. In der Zeit meines Kampfes um die Macht war es in erster Linie das jüdische Volk, das nur mit Gelächter meine Prophezeiungen hinnahm, ich würde einmal in Deutschland die Führung des Staates und damit des ganzen Volkes übernehmen und dann unter vielen anderen auch das jüdische Problem zur Lösung bringen. Ich glaube, daß dieses damalige schallende Gelächter dem Judentum in Deutschland unterdes wohl schon in der Kehle erstickt ist. Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.« (Max Domarus: Hitler. Reden und Proklamationen 1932–1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen. Bd. 2: Untergang. München 1965, S. 1058). Vgl. zur Bedeutung der Rede Stefan Kley : Intention, Verkündung, Implementierung. Hitlers Reichstagsrede vom 30. Januar 1939. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48, 2000, H. 3, S. 197–213.

Pragmatische Konsequenzen für die Schulbuchgestaltung

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Kräfte für den »totalen Krieg« etwa machte Goebbels keinen Hehl aus der konsequenten Durchführung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik: »Man wird, um das hier nur nebenbei zu erwähnen, in diesem Zusammenhang auch unsere konsequente Judenpolitik verstehen können, auch wenn die Juden heute in Berlin ihre alte Mitleidsgarde vorschicken [Zwischenrufe: ›Aufhängen!‹]. Wir sehen im Judentum für jedes Land eine unmittelbare Gefahr gegeben! [Rufe: ›Aufhängen!‹, ›Pfui!‹ Beifall]. Wie andere Völker sich gegen diese Gefahr zur Wehr setzen, – das ist uns gleichgültig. Wie wir uns aber dagegen zur Wehr setzen, das ist unsere Sache, in die wir keinerlei Einsprüche dulden! [Bravo-Rufe, Beifall, Zwischenruf]. Das Judentum steckt eine –, das Judentum stellt eine infektiöse Erscheinung dar, die ansteckend wirkt. Wenn das feindliche Ausland gegen unsere antijüdische Politik scheinheilig Protest erhebt und über unsere Maßnahmen gegen das Judentum heuchlerische Krokodilstränen vergießt, so kann uns das nicht daran hindern, das Notwendigste zu tuen. Deutschland jedenfalls hat nicht die Absicht, sich dieser jüdischen Bedrohung zu beugen, sondern vielmehr die, ihr rechtzeitig, wenn nötig unter vollkommener und radikalster Ausrott-, -schaltung des Judentums, entgegenzutreten! [Starker Beifall, wilde Rufe, Gelächter].«1415

Ley, der sich stets einer äußerst drakonischen Wortwahl bediente, sprach beispielsweise am 10. Mai 1942 anlässlich der »Ersten Gemeinschaftskundgebung der Deutschen und Niederländischen Arbeitsfront« in Amsterdam ohne Umschweife über das Schicksal der Juden Europas. Auch diese Rede wurde über den NS-Rundfunk in die deutschen Wohnzimmer übertragen: »Dieser Krieg ist kein Krieg zwischen Deutschland und Holland und Belgien und Frankreich und Norwegen und Polen und dem Balkan, sondern dies ist ein Krieg der nationalbewußten, rassisch gebundenen Völker und Menschen gegenüber jenem Parasitentum, jenem Schmarotzertum, jenem Bazillus, der die Völker befallen hat, Jude, (Beifall) der gemeinsame Feind ist Juda. (Beifall) So sehe ich denn auch den Tag vor zwei Jahren, wo unsere Soldaten hier einmarschierten, wie eine Operation an, die ein kluger und verantwortungsbewußter Arzt vornehmen mußte. Die Kämpfe in Deutschland, die wir jahrzehntelang geführt haben, die der Führer seit dem Jahre 1919 führte, waren ja auch für das deutsche Volk sehr schmerzhaft. Es gab da viele Tote in diesem Kampf – und Verwundete – auf beiden Seiten. Das deutsche Volk hat insgesamt in diesem Kampf viele Tausende von Toten und Verwundeten gelassen. In dem Kampf um die deutsche Seele, in dem Kampf, diesen Schmarotzer Juda zu beseitigen, das war auch eine schmerzhafte Operation. Und so ist auch dieser Krieg kein Krieg der Völker untereinander, sondern eine Beseitigung der Ursachen aller Kriege. Juda muß fallen und wird fallen. (Beifall) […] Der Jude ist die große Gefahr der Menschheit. Und wenn es uns nicht gelingt, ihn auszurotten, dann haben wir den Krieg verloren. Es genügt nicht, ihn irgend wohin zu bringen, es ist genauso, als wenn man die Läuse irgendwo in 1415 Helmut Heiber (Hrsg.): Goebbels Reden. Bd. 2: 1939–1945. München 1972, S. 182f. Ob der Versprecher »Ausrott-, -schaltung« tatsächlich einer war oder kalkuliert gewesen ist, muss offenbleiben.

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Fazit der Studie und Perspektiven für die Praxis

einen Käfig hineinsperren wollte. (Gelächter) Sie finden auch einen Ausweg und kommen wieder unten hervor, auf einmal da jucken sie einen wieder (Gelächter) und sind wieder da. Man muß sie vernichten, man muß sie ausrotten, sie haben die Menschheit (…) (langanhaltender Beifall) […] Der Kapitalismus, er muß brechen und er ist gebrochen, die Macht des Goldes, sie ist vorbei, Juda. Sie werden zusammengetrieben, und sie werden eines Tages nicht mehr sein, sie werden vernichtet werden, wie man Ungeziefer vernichtet. Und die Menschheit wird dann frei werden, frei sein.«1416

Zum Kreis von Hitlers Paladinen, die – zumindest vor Vertretern der Presse – relativ offenherzig über die Judenermordung redeten, gehörte auch Alfred Rosenberg. Der NS-Chefideologe äußerte sich z. B. am 18. November 1941 in Berlin anlässlich der öffentlichen Präsentation des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete wie folgt: »Meine Herren! Ich habe Sie heute gleich am ersten Tage meiner nunmehr offiziell werdenden Tätigkeit hergebeten, um Ihnen einige allgemeine Ausführungen über die kommende Arbeit des Reichsministeriums zu machen. […] Die Ausführungen, die ich Ihnen machen werde, bitte ich nicht nachzuschreiben und sie überhaupt als vertraulich zu betrachten. […] Zugleich ist dieser Osten berufen, eine Frage zu lösen, die den Völkern Europas gestellt ist: das ist die Judenfrage. Im Osten leben noch etwa sechs Millionen Juden, und diese Frage kann nur gelöst werden in einer biologischen Ausmerzung des gesamten Judentums in Europa. Die Judenfrage ist für Deutschland erst gelöst, wenn der letzte Jude das deutsche Territorium verlassen hat, und für Europa, wenn kein Jude mehr bis zum Ural auf dem europäischen Kontinent steht. Das ist die Aufgabe, die das Schicksal uns gestellt hat. Sie können sich vorstellen, daß zur Durchführung dieser Maßnahmen nur Menschen berufen sind, die die Frage als eine historische Aufgabe begreifen, die nicht aus persönlichem Haß handeln, sondern aus dieser sehr nüchtern [sic] politischen und historischen Einsicht. Der 9. November 1918 ist für uns Schicksals- und Entscheidungstag gewesen. Damals hat das Judentum gezeigt, daß es auf die Vernichtung Deutschlands eingestellt war. Daß dies nicht gelang, ist nur dem Führer und der Charakterkraft der deutschen Nation zu verdanken, wir haben deshalb vorzubeugen, daß nicht ein romantisches Geschlecht in Europa die Juden wieder aufnimmt. Und dazu ist es nötig, sie über den Ural zu drängen oder sonst irgendwie zur Ausmerzung zu bringen.«1417

Neben den Rundfunkübertragungen wichtiger Reden Hitlers und seiner Parteigenossen waren es vor allem die Zeitungen, aus denen die Bevölkerung Informationen über das Schicksal der Juden entnehmen konnte. Wenn Schulbücher Auszüge aus einschlägigen Artikeln abdrucken würden, könnte für Schü1416 Gerhard Hirschfeld/Joachim-Felix Leonhard/Julius H. Schoeps (Hrsg.): Judenverfolgung und jüdisches Leben unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Bd. 1: Tondokumente und Rundfunksendungen 1930–1946. Potsdam 1996 (Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs, Bd. 7), S. 209–211. 1417 Jürgen Matthäus/Frank Bajohr (Hrsg.): Alfred Rosenberg. Die Tagebücher von 1934 bis 1944. Frankfurt am Main 2015, S. 574–577.

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lerinnen und Schüler deutlich werden, dass die Presse immer wieder kaum verhüllt den Judenmord propagierte und kommentierte. Unverhohlen verkündete z. B. Goebbels unter Berufung auf Hitlers »Prophezeiung« die Ermordung der europäischen Juden, als er am 16. November 1941 in der Wochenzeitung »Das Reich«1418 den Leitartikel »Die Juden sind schuld!« veröffentlichte. Darin hieß es u. a.: »Die historische Schuld des Weltjudentums am Ausbruch und an der Ausweitung dieses Krieges ist so hinreichend erwiesen, daß darüber keine Worte mehr zu verlieren sind. Die Juden wollten ihren Krieg, und sie haben ihn nun. Aber es bewahrheitet sich an ihnen auch die Prophezeiung, die der Führer am 30. Januar 1939 im Deutschen Reichstag sprach, daß, wenn es dem internationalen Finanzjudentum gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein werde, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa. Wir erleben eben den Vollzug dieser Prophezeiung, und es erfüllt sich damit am Judentum ein Schicksal, das zwar hart, aber mehr als verdient ist. Mitleid oder gar Bedauern ist da gänzlich unangebracht. Das Weltjudentum […] erleidet nun einen allmählichen Vernichtungsprozeß […]. Es geht jetzt nach seinem eigenen Gesetz: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn!‹ zugrunde. […] Wir können in unserem Kampf gegen das Judentum nicht mehr zurück – ganz abgesehen davon, daß wir das auch gar nicht wollen. Die Juden müssen von der deutschen Volksgemeinschaft abgesondert werden, denn sie gefährden unsere nationale Geschlossenheit. Das ist ein elementares Gebot völkischer, nationaler und sozialer Hygiene. Sie werden niemals Ruhe geben. Sie würden, wenn sie es könnten, ein Volk nach dem anderen gegen uns in den Krieg hineinführen. Was gilt ihnen das damit verbundene Leid der Menschen, wenn sie nur die Welt unter ihre Geld- und Blutherrschaft zwingen! Die Juden sind eine parasitäre Rasse, die sich wie ein faulender Schimmel auf die Kulturen gesunder, aber instinktarmer Völker legt. Dagegen gibt es nur ein wirksames Mittel: einen Schnitt machen und abstoßen.«1419

Am 9. Mai 1943 meldete sich Hitlers Chefpropagandist erneut mit einem Leitartikel in »Das Reich« zu Wort, der seinen Artikel vom 16. November 1941 an Deutlichkeit noch in den Schatten stellte. Unter dem Titel »Der Krieg und die Juden« führt Goebbels aus: 1418 »Das Reich« hatte eine Auflage von weit über einer Million. Die regelmäßig erscheinenden Goebbelsschen Leitartikel wurden im Rundfunk verlesen und in großen Teilen der regionalen Presse nachgedruckt. Vgl. Norbert Frei/Johannes Schmitz: Journalismus im Dritten Reich. München 3., überarb. Aufl. 1999, S. 108–120; Victoria Plank: Die Wochenzeitung »Das Reich«. Offenbarungseid oder Herrschaftsinstrument? In: Bernd Heidenreich/Sönke Neitzel (Hrsg.): Medien im Nationalsozialismus. Paderborn 2010, S. 309– 328; Petra Rentrop: Das Reich (1940–1945). In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 6: Publikationen. Berlin 2013, S. 583–585. 1419 Joseph Goebbels: Die Juden sind schuld! (Das Reich vom 16. November 1941). In: Hans Dieter Müller (Hrsg.): Facsimile-Querschnitt durch »Das Reich«. München/Bern/Wien 1964 (Facsimile-Querschnitte durch alte Zeitungen und Zeitschriften, Bd. 4), S. 98–101.

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Fazit der Studie und Perspektiven für die Praxis

»Kein prophetisches Wort des Führers bewahrheitet sich mit einer so unheimlichen Sicherheit und Zwangsläufigkeit wie, daß, wenn das Judentum es fertigbringen werde, einen zweiten Weltkrieg zu provozieren, dieser nicht zur Vernichtung der arischen Menschheit, sondern zur Auslöschung der jüdischen Rasse führen werde. Dieser Prozeß ist von einer weltgeschichtlichen Bedeutung, und da er vermutlich unabsehbare Folgen nach sich ziehen wird, hat er auch seine Zeit nötig. Aber aufzuhalten ist er nicht mehr. […] Die Juden werden sich für ihre zahllosen Verbrechen am Glück und am Frieden der Menschheit zu verantworten haben, und es wird sie gewiß eines Tages in der ganzen Welt die Strafe ereilen, die sie heute schon in Deutschland erleiden. Wir sprechen in der Frage ohne jedes Ressentiment. […] Es handelt sich hier um ein Weltproblem erster Ordnung, das von der heute lebenden Generation gelöst werden kann und auch gelöst werden muß. Hier haben sentimentale Erwägungen keinen Platz. Wir stehen im Judentum der Verkörperung des allgemeinen Wertverfalls gegenüber. Entweder brechen wir diese Gefahr, oder die Völker werden unter ihr zerbrechen. […] Er [der Jude] ahnt aus einem dunklen Schuldbewußtsein heraus, daß dieser Krieg, den er so frivol angezettelt hat, um damit den letzten Schritt zur Weltherrschaft zu tun, in seinem Verlauf ein Krieg um seine rassische Existenz geworden ist. Verzweifelt versucht er, den jetzt zwangsläufig gewordenen Ablauf der Dinge aufzuhalten. Es wird ihm nichts nützen. Wir treiben ihn schon weiter. An seinem Ende wird die Verwirklichung der Prophezeiung des Führers stehen, über die das Weltjudentum 1939, als sie gemacht wurde, nur gelacht hat. Auch in Deutschland haben die Juden gelacht, als wir zum ersten Mal gegen sie auftraten. Das Lachen ist ihnen unterdes gründlich vergangen. Sie haben daraufhin gegen uns den Krieg gewählt. Aber er ist im Begriff, ein Krieg gegen sie selbst zu werden. Als sie gegen das deutsche Volk den Plan einer totalen Vernichtung faßten, unterschrieben sie damit ihr eigenes Todesurteil.«1420

Einen der Hauptkanäle, durch die Informationen über die systematische Ermordung der Juden ins Reichsgebiet durchsickerten, bildeten die heimkehrenden Soldaten von der Ostfront. Während ihres Urlaubes berichteten sie Angehörigen und Freunden von den Gräueltaten, die sie mit eigenen Augen gesehen hatten oder an denen sie selber aktiv beteiligt waren. Für die Materialteile bieten sich insbesondere Auszüge aus Feldpostbriefen an, in denen der Judenmord – trotz Zensur – mehrfach Erwähnung fand.1421 Dass es selbst den Angehörigen der engsten Täterkreise nicht gelang, konsequent und dauerhaft über die Vernichtung der Juden zu schweigen, könnte anhand einschlägiger Passagen aus den Briefen des SS-Obersturmführers Karl Kretschmer (Sonderkommando 4a der Einsatzgruppe C) an seine Familie gezeigt werden. So schreibt Kretschmer beispielsweise am 27. September 1942:

1420 Joseph Goebbels: Der Krieg und die Juden (Das Reich vom 9. Mai 1943). In: Ders.: Der steile Aufstieg. Reden und Aufsätze aus den Jahren 1942/43. Hrsg. von Moritz Augustus Konstantin von Schirmeister. München 1944, S. 263–270, hier S. 265–270. 1421 Vgl. dazu Kapitel IX, Abschnitt 2.2.

Pragmatische Konsequenzen für die Schulbuchgestaltung

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»Meine Stimmung ist, wie gesagt, sehr düster. Ich muß mich erst selbst überwinden. Der Anblick der Toten (darunter Frauen und Kinder) ist auch nicht aufmunternd. Wir kämpfen aber diesen Krieg heute um Sein oder Nichtsein unseres Volkes. Ihr in der Heimat spürt es Gott sei Dank nicht zu sehr. Die Bombenangriffe haben aber gezeigt, was der Feind mit uns vorhat, wenn er die Macht dazu hat. Die Front erfährt es auf Schritt und Tritt. Meine Kameraden kämpfen buchstäblich um das Sein unseres Volkes. Sie machen dasselbe, was der Feind machen würde. Ich glaube, Du verstehst mich. Da dieser Krieg nach unserer Ansicht ein jüdischer Krieg ist, spüren die Juden ihn in erster Linie. Es gibt in Rußland, soweit der deutsche Soldat ist, keine Juden mehr. Du kannst Dir vorstellen, daß ich erst einige Zeit benötige, um dies zu überwinden. Sprich bitte nicht zu Frau Kern darüber. […] Nun zum Essen. Ich habe Dir immer gesagt, der Soldat hungert nicht. Die Sache hat nur einen Haken. Die Ernährung wird aus dem Lande bezogen. Wenn man die reichen Felder der Ukraine hinter sich hat und in die Steppen kommt, gibt es verschiedenes weniger, z. B. Butter. Die Heeresführung hilft dann durch Konserven. Ich selber habe Glück gehabt, weil wir nur in Anbetracht unserer schweren Arbeit Lebensmittel zukaufen können. Kaufen ist falsch, das Geld gilt nicht, es wird getauscht. Wir sind zufällig im Besitz von Lumpen, die sehr begehrt sind. Hier bekommen wir alles. Die Lumpen gehörten den Menschen, die heute nicht mehr leben. Du brauchst mir also keine Kleidungsstücke oder ähnliches schicken. Was wir hier haben, reicht noch für Jahre. […] Ich schrieb Dir, daß ich Dir vielleicht einen Persianer besorgen kann. Das wird nichts werden. Einmal bin ich nicht mehr in der Gegend. Außerdem leben die Juden nicht mehr, die damit handelten, und zum anderen, es wollen noch mehr Leute so etwas haben. Ferner habe ich gehört, daß Vermögen dafür gezahlt worden sind.«1422

Dass es sich bei diesem Brief beileibe um keinen Einzelfall von Missachtung der Verschwiegenheitspflicht handelt, belegen mehrere Nachrichten, die der Polizeisekretär Walter Mattner, Verwaltungsbeamter beim SS- und Polizeistandortführer Mogilew in Weißrussland, seiner Frau auf dem Postwege zukommen ließ. Wie selbstverständlich berichtet Mattner z. B. am 5. Oktober 1941 über eine Massenerschießung von Juden, an der er teilnehmen durfte: »Noch etwas habe ich Dir zu berichten. Ich war also tatsächlich auch dabei bei dem großen Massensterben am vorgestrigen Tage. Bei den ersten Wagen hat mir etwas die Hand gezittert, als ich geschossen habe, aber man gewöhnt [sich an] das. Beim zehnten Wagen zielte ich schon ruhig und schoß sicher auf die vielen Frauen, Kinder und Säuglinge. Eingedenk dessen, daß ich auch 2 Säuglinge daheim habe, mit denen es diese Horden genau so, wenn nicht zehnmal ärger machen würden. Der Tod, den wir ihnen gaben, war ein schöner, kurzer Tod, gemessen [an] den höllischen Qualen von Tausenden und Abertausenden in den Kerkern der GPU. Säuglinge flogen in großem Bogen durch die Luft, und wir knallten sie schon im Fliegen ab, bevor sie in die Grube und ins Wasser flogen. Nur weg mit dieser Brut, die ganz Europa in den Krieg gestürzt hat und jetzt auch noch in Amerika schürt, bis es auch dieses in den Krieg hineingezerrt hat. 1422 Ernst Klee/Willi Dreßen/Volker Rieß (Hrsg.): »Schöne Zeiten«. Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer. Frankfurt am Main 1988, S. 154f.

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Fazit der Studie und Perspektiven für die Praxis

Das Hitler-Wort wird wahr, der einmal sagte, vor Beginn des Krieges: Wenn das Judentum glaubt, in Europa noch einmal einen Krieg anzetteln zu können, so wird nicht das Judentum siegen, sondern es wird das Ende des Judentums in Europa sein. […] M.[ogilew] ist wieder um eine Zahl mit 3 Nullen ärmer, doch das spielt hier keine Rolle. Ich freue mich eigentlich schon, und viele sagen hier, daß wir in die Heimat zurückkehren, denn dann kommen unsere heimischen Juden daran.«1423

Eine hervorragende Quelle für die Dokumentation dessen, was ein aufmerksamer Durchschnittsbürger angesichts der reichlich vorhandenen Informationskanäle über die nationalsozialistischen Verbrechen wissen konnte, stellen die Tagebücher Karl Dürkefäldens dar.1424 Der Maschinenbautechniker aus Celle hielt in seinen privaten Aufzeichnungen Alltagsbeobachtungen fest, die er mit heimlich abgehörten Nachrichten von ausländischen Rundfunksendern und offiziellen Presseverlautbarungen verknüpfte. Dürkefälden, der über keine exklusiven Kontakte verfügte und niemals auch nur in die Nähe einer Exekutionsstätte kam, wusste sowohl von den Massenerschießungen als auch von den Vergasungen. Mitte 1942 hält er beispielsweise fest: »Heute, am 12. Juni 1942, kurz vor 20 Uhr, wurde in einem Vortrage durch Radio gesagt, die Juden würden in Europa und vielleicht noch darüber hinaus ausgerottet. Dabei wurde den Juden die Schuld an den augenblicklichen heftigen Angriffen englischer Flieger auf nord- und westdeutsche Städte gegeben. Heute wurde mir gesagt, daß hier Soldaten mehrfach erzählten, im vorigen Herbst seien in Polen Juden zu Tausenden erschossen: Erst hatten sie für andere Gräber zu schaufeln und eines Tages hatten sie ihr eigenes gegraben und wurden von hinten erschossen. Daß die Juden zu Tausenden erschossen wurden, habe ich am folgenden Tage auch noch von ganz anderer Seite gehört.«1425

Ebenfalls Mitte 1942 vertraut Dürkefälden seinem Tagebuch eine Unterredung mit seinem Schwager über Massenexekutionen von Juden durch deutsche Polizisten an, die dieser als in der Ukraine tätiger Bauführer mit eigenen Augen gesehen hatte: »150 Meter von dem Fabrikgebäude entfernt mußten Ukrainer eine Grube machen, ca. 5 m lang, 2,5 m breit und reichlich 2 m tief. Ukrainische Miliz umstellte das Fabrikgebäude. Die Juden wurden nun zu je sechs Mann herausgeholt und in die Grube gestellt. Deutsche Polizeibeamte, die ebenfalls in der Grube standen, erschossen die Juden durch Genickschuß. Als die Grube voller wurde, stellten sich die Beamten auf den 1423 Klaus-Michael Mallmann/Volker Rieß/Wolfram Pyta (Hrsg.): Deutscher Osten 1939–1945. Der Weltanschauungskrieg in Photos und Texten. Darmstadt 2003 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 1), S. 28. 1424 Vgl. Karl Dürkefälden: »Schreiben, wie es wirklich war!« Aufzeichnungen Karl Dürkefäldens aus den Jahren 1933–1945. Hrsg. von Herbert und Sybille Obenaus. Hannover 1985. 1425 Ebd., S. 111.

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Grubenrand und schossen von hier aus. (Besser gesagt: Angehörige der deutschen Polizei, es können auch Hilfspolizisten gewesen sein). Ende März 1942 wurden von den 165 Juden 118 in dieser Grube erschossen. ›Hast du das gesehen?‹ fragte ich. ›Ich habe 20 m davon entfernt gestanden!‹ ›Wie haben sich denn die Juden dabei angestellt?‹ ›Sie waren ziemlich gelassen dabei! Als sie aus der Fabrik herausgeholt wurden und die Schüsse hörten, haben wohl einige noch zu fliehen versucht, zum Beispiel durch den Kamin zu entkommen, aber sie haben es bald aufgegeben, weil das Gebiet umstellt war.‹ […] Auf meine Anspielung, wie Walter über die Tat denkt, antwortete er : ›Früher habe ich es nicht begriffen, jetzt weiß ich es, es geht um Sein oder Nichtsein.‹ ›Aber das ist doch Mord‹, antwortete ich. ›Gewiß hat man es soweit getrieben, daß die anderen es mit uns so machen, falls wir den Krieg verlieren sollten.‹ […] Nachdem die Brücke fertiggestellt ist, sind die Juden, die von den 165 Mann übrig geblieben sind, auf andere Plätze verteilt [worden]. Niemand kehrt in seine Heimat zurück. ›Wir können uns freuen, daß wir nicht Juden sind‹, betonte Walter mehrmals. ›In der Ukraine gibt es keine Juden mehr‹, erzählte er weiter, ›was nicht geflüchtet ist, wurde erschossen. Gefangengenommene Juden und Kommissare werden gleich erschossen.‹ In einer Mulde hätte man 50000 Juden (nach anderen Angaben, die Walter gemacht wurden, 80000) zusammengetrieben und zugesprengt, so daß sie gleich begraben waren. Was jetzt noch an Juden in der Ukraine arbeitet, wird nacheinander aus den Ghettos in Polen geholt; sie kehren niemals zurück.«1426

Anfang des Jahres 1943 notiert Dürkefälden: »Bei mir im Büro war ein früherer Angestellter der Firma, jetzt schon lange Soldat in Wilna. […] Über die Juden gefragt, sagte der Soldat: Nach Angaben der Juden gab es vor diesem Kriege 70000 bis 80000 Juden in Wilna. 8000 bis 10000 sind nur noch vorhanden. Der Soldat fügte hinzu, daß die Juden aus Frankreich und anderen besetzten Ländern nach Polen geholt und dort teils erschossen, teils vergast wurden.«1427

Ähnliche Wahrnehmungen lassen sich auch in den Tagebüchern Victor Klemperers nachweisen, der die NS-Herrschaft in einer »privilegierten Mischehe« überlebte.1428 Obwohl der von seiner Dresdner Professur »entpflichtete« Romanist nach dem Zwangsumzug in ein sogenanntes Judenhaus von Radio und Zeitung abgeschnitten und folglich auf Gespräche und Gerüchte angewiesen war, besaß auch er sehr viele Informationen über die »Judenpolitik« der Nationalsozialisten. Über Massenerschießungen an Juden hält Klemperer z. B. am 19. April 1942 folgende Informationen fest: »Eva [seine Frau] wurde an der Tramhaltestelle vom Zimmermann Lange (in Gefreitenuniform) angesprochen. Sie ging mit ihm in ein Lokal, und er erzählte bei einem Glase Bier. Er ist als Fahrer bei der Polizeitruppe mehrere Wintermonate (bis Weihnachten) in Rußland gewesen. Grauenhafte Massenmorde an Juden in Kiew. Kleine 1426 Ebd., S. 109f. 1427 Ebd., S. 126f. 1428 Vgl. Victor Klemperer: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933–1945. Hrsg. von Walter Nowojski unter Mitarbeit von Hadwig Klemperer. 2 Bde. Berlin 1995.

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Kinder mit dem Kopf an die Wand gehauen, Männer, Frauen, Halbwüchsige zu Tausenden auf einem Haufen zusammengeschossen, ein Hügel gesprengt und die Leichenmasse unter der explodierenden Erde begraben.«1429

Klemperer erwähnt in seinem Tagebuch auch das Vernichtungslager AuschwitzBirkenau. Am 16. März 1942 notiert er : »Als furchtbarstes KZ hörte ich in diesen Tagen Auschwitz (oder so ähnlich) bei Königshütte in Oberschlesien nennen. Bergwerksarbeit, Tod nach wenigen Tagen.«1430 Unter dem Eintrag vom 17. Oktober 1942 vermerkt er : »Heute zum erstenmal die Todesnachricht zweier Frauen aus dem KZ. […] Von diesen zwei Frauen hatte eine verbotenen Fisch im Kühlschrank gehabt, die andere auf dem Weg zum Arzt die Trambahn benutzt, die sie nur zur Arbeitsstätte hätte benutzen dürfen. Beide wurden von dem Frauenlager in Mecklenburg [Ravensbrück] nach Auschwitz transportiert, das ein schnell arbeitendes Schlachthaus zu sein scheint. Todesursache: ›Alter und Herzschwäche‹. Beide waren um die Sechzig, die eine besonders robust.«1431

Wie weit und wie früh Kenntnisse von den Massenmorden an Juden verbreitet waren, ließe sich schließlich ebenfalls unter Beizug einschlägiger Passagen aus den umfassenden Tagebüchern von Friedrich Kellner verdeutlichen.1432 Der regimekritische Kellner, der während des Zweiten Weltkrieges als Justizinspektor des Amtsgerichts im oberhessischen Laubach arbeitete, vertraut z. B. seinem Tagebuch unter dem Datum des 28. Oktober 1941 an, was ein von der Front heimkehrender Wehrmachtssoldat erzählte: »Ein in Urlaub befindlicher Soldat berichtet als Augenzeuge fürchterliche Grausamkeiten in dem besetzten Gebiet in Polen. Er hat gesehen, wie nackte Juden u. Jüdinnen, die vor einem langen, tiefen Graben aufgestellt wurden, auf Befehl der SS von Ukrainern in den Hinterkopf geschossen wurden u. in den Graben fielen. Der Graben wurde dann zugeschaufelt. Aus den Gräben drangen oft noch Schreie! Diese unmenschlichen Schandtaten sind so furchtbar, daß selbst die als Handwerkzeuge benutzten Ukrainer Nervenzusammenbrüche erlitten. Sämtliche Soldaten, die Kenntnis von der bestialischen Handlungsweise dieser Nazi-Untermenschen bekamen, waren der einheitlichen Meinung, daß das deutsche Volk heute schon vor einer Vergeltung zittern kann. Es gibt keine Strafe, die hart genug wäre, bei diesen Nazi-Bestien angewendet zu werden. Natürlich müssen bei der Vergeltung auch wieder die Unschuldigen mitleiden. 99 % der deutschen Bevölkerung tragen mittelbar oder unmittelbar die Schuld an den heutigen Zuständen. Deshalb kann es nur heißen: ›Mitgegangen – mitgefangen.‹«1433 1429 1430 1431 1432

Ebd., Bd. 2, S. 68. Ebd., Bd. 2, S. 47. Ebd., Bd. 2, S. 259. Vgl. Friedrich Kellner: »Vernebelt, verdunkelt sind alle Hirne«. Tagebücher 1939–1945. Hrsg. von Sascha Feuchert u. a. 2 Bde. Göttingen 2011. 1433 Ebd., Bd. 1, S. 191f.

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Fast ein Jahr später, am 16. September 1942, berichtet Kellner von folgender Begebenheit: »In den letzten Tagen sind die Juden unseres Bezirkes abtransportiert worden. Von hier waren es die Familien Strauß u. Heinemann. Von gut unterrichteter Seite hörte ich, daß sämtliche Juden nach Polen gebracht u. dort von SS-Formationen ermordet würden. Diese Grausamkeit ist furchtbar. Solche Schandtaten werden nie aus dem Buche der Menschheit getilgt werden können. Unsere Mörderregierung hat den Namen ›Deutschland‹ für alle Zeiten besudelt. Für einen anständigen Deutschen ist es unfaßbar, daß niemand dem Treiben der Hitler-Banditen Einhalt gebietet.«1434

Damit Schülerinnen und Schüler sich ein Urteil über die damalige Bevölkerung bilden können, wäre es sinnvoll, wenn Schulbücher Quellen abdruckten, aus denen unterschiedliche gesellschaftliche Reaktionsmuster auf die Stigmatisierung der Juden hervorgehen. Vor allem die subjektiven Wahrnehmungen der vom antijüdischen Terror Betroffenen gewähren interessante und aufschlussreiche Einblicke in die Einstellung der »Normalbürger« zur Judenverfolgung. So geht aus zahlreichen Erinnerungen deutscher Juden hervor, dass es während der Boykottmanifestationen des 1. April 1933 aufmunternde Worte und Solidaritätsbekundungen seitens der nichtjüdischen Käufer gab. Henriette NechelesMagnus, eine Ärztin aus Wandsbek bei Hamburg, berichtete aus der Rückschau von 1940 u. a. über demonstrative Praxisbesuche vieler ihrer »arischen« Patienten: »Als ich morgens zur Praxis kam, sah ich schon von weitem zwei stramme S.A. Männer vor meinem Eingang stehen. Über der Tür klebte ein grosses Plakat: Ein schwarzer Hintergrund mit einem leuchtenden gelben Fleck in der Mitte. Ich ging in meine Sprechstunde durch die Hintertür und setzte mich an meinen Schreibtisch. Zuerst musste ich meine weinende Einhüterin trösten. Ich bekam die Antwort: Wir schämen uns so für unsere Volksgenossen! (ihr Mann war Werftarbeiter). Gegenüber war ein kleines Eiergeschäft, das von einer Jüdin geleitet wurde (ihr Mann war im Kriege gefallen), auch davor die beiden Schutzengel. Um 9 Uhr begann die Sprechstunde, 9 h 10 kam die erste Patientin. Aufgeregt, schnaubend, dass man sie hindern wollte zu ihrem Doktor zu gehen! ›Sind wir in der Zeit der Christenverfolgung??‹ – 9 h 20 Lärm vor der Tür : ›Wir wollen zu unserm Doktor!!!‹ S.A. Mann: ›Die ist ja gar nicht da, die hat sich gedrückt!‹ Darauf geht mein Mädchen an die Tür : ›Frau Doktor ist da. Sie sind nicht berechtigt, die Sprechstunde zu stören, sie sind nur da um zu zeigen, dass es ein jüdischer Doktor ist.‹ So ging es weiter und weiter, die Patienten kamen und kamen mit Blumen, mit kleinen Gaben: ›Wir wollen Ihnen zeigen, was wir von dieser Politik halten.‹ ›Ich bin nicht krank, Doktor, ich komme um zu sehen, wie es Ihnen geht.‹ Eine kleine Handarbeit, die ›Boykottdecke‹ liegt noch heute in meinem Zimmer. Eine Patientin häkelte sie für mich in jenen Tagen, um mir ihre Zuneigung zu beweisen. Nachmittags fing es an zu regnen (in Hamburg ist Aprilregen eine hässliche Sache). 1434 Ebd., Bd. 1, S. 311.

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Unsere Beschützer wurden unwirsch und fingen vor der Tür zu trampeln an, die Patienten fingen zu lachen an und schlugen ihnen vor, doch in die Kneipe zu gehen und Skat zu spielen. Glücklicherweise ging es ohne Zusammenstösse ab, denn einige meiner Patienten waren ausserhalb des Wartezimmers richtige: tough boys. Meine Nachbarin auf der andern Seite der Strasse ging es genau so, sie sagte, sie hätte noch nie so viel einzelne Eier verkauft als an diesem Tag, da die armen Leute nicht mehr Geld als zu einem Ei übrig hatten und doch irgendwie ihr das Gefühl des Zusammenhanges zeigen wollten.«1435

Bestätigung erfahren solche Solidaritätsbezeugungen der nichtjüdischen Deutschen durch die Tagebuchaufzeichnungen der vom Aprilboykott Betroffenen. Diese gewöhnlich täglich verfassten Einträge können insofern eine höhere Verlässlichkeit für sich beanspruchen, als sie als zumeist sehr zeitnah nach den Ereignissen niedergeschriebene Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen – im Gegensatz zu aus der Rückschau verfassten Autobiographien oder lebensgeschichtlichen Interviews – nicht in gleicher Weise durch Erinnerungskonstruktionen überformt sind.1436 Als Musterbeispiel hierfür können die Tagebücher des jüdischen Rechtsanwalts Kurt Fritz Rosenberg dienen.1437 Rosenberg, der seine Eintragungen bis zu seiner Emigration in die USA im Jahr 1938 äußerst akribisch mit ausgeschnittenen Presseartikeln illustrierte, registriert bereits am 31. März 1933, dass »christliche Kreise« die Ereignisse missbilligen: »Die Bewegung schwillt lawinenartig an. Man bringt das Leben wie ein Korn zwischen Mühlsteinen hin. Morgen früh wird der offizielle Boykott beginnen. Alle jüd. Geschäfte werden durch schwarze Schilder mit gelben Punkten gekennzeichnet, vor alle Geschäfte werden S.A. Leute postiert, die aufmerksam machen sollen, daß es sich um Juden handelt. Massenversammlungen werden veranstaltet. Die Zeitungen hetzen. Redner hetzen. Broschüren werden verkauft von angeblichen Rabbinerlehren. […] Jeder, den wir aus unseren christl. Kreisen sprechen, mißbilligt die Zustände. Viele tragen eine Liebenswürdigkeit zur Schau, als wollten sie uns Beileid wünschen – und es gilt seinen Stolz zu wahren.«1438

1435 Götz Aly u. a. (Hrsg.): Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Bd. 1: Deutsches Reich 1933–1937. München 2008, S. 109. 1436 Vgl. zum spezifischen Quellencharakter von Tagebüchern für die NS-Zeit Frank Bajohr : Das »Zeitalter des Tagebuchs«? Subjektive Zeugnisse aus der NS-Zeit. Einführung. In: Ders./Sybille Steinbacher (Hrsg.): »… Zeugnis ablegen bis zum letzten«. Tagebücher und persönliche Zeugnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus und des Holocaust. Göttingen 2015 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 15), S. 7–21. 1437 Vgl. Kurt F. Rosenberg: »Einer, der nicht mehr dazugehört«. Tagebücher 1933–1937. Hrsg. von Beate Meyer und Björn Siegel. Göttingen 2012 (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, Bd. 41). 1438 Ebd., S. 67f.

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Am Tag nach dem Boykott, von dem auch seine Kanzlei betroffen war, hält der »nichtarische« Advokat ein weiteres Mal solche Solidaritätsgesten fest, betont aber gleichzeitig, dass aus der Missbilligung der Ereignisse keine sichtbare Opposition erwächst: »Wir empfangen Blumen und Briefe von unseren christlichen Freunden, die uns auf solche Weise ihre Gesinnung dartun wollen. Um jeden Gruß solcher Art sind wir dankbar, denn er erhält den Glauben an Menschen, wenn auch nicht an den Menschen schlechthin. […] Gestern fand der Boykott statt. Vor allen jüdischen Geschäften standen Wachen aus S.A. Leuten und hielten Plakate, die zur Meidung jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte aufforderten. Flugblätter wurden verteilt, deren Inhalt jeder Beschreibung spottet. Von ›perversem jüdischen Hass‹ ist die Rede, von ›jüdischen Ausbeutern‹ und vielem mehr. Schriften über den ›Staatsfeind‹ wurden verteilt und jedes Mittel zu Hetze ist recht. […] So wird von der nationalen Bewegung Hass und wieder Hass Tag für Tag in Wort und Schrift einer kritiklosen Menge eingepeitscht. Viele einsichtige Leute mißbilligen die Vorgänge – aber keiner findet den Mut, dagegen aufzustehen. Man kann jetzt zwischen Menschen unterscheiden lernen.«1439

Dass die Reichspogromnacht von der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung weniger wegen der primitiven Formen physischer Gewalt oder aus Mitleid mit den jüdischen Mitbürgern als vielmehr wegen den sinnlosen Zerstörungen, den negativen Auswirkungen im Ausland oder – ganz allgemein – der Störung der öffentlichen Ordnung verurteilt wurde, könnte z. B. durch den Abdruck von Auszügen eines Briefes verdeutlicht werden, den ein »arischer« Hausbesitzer im November 1938 an die Krefelder Polizei schrieb: »Wo war die Polizei, als heute die Nachmittagsplünderungen, Demolierungen, zum Teil fremden arischen Eigentums, stattfanden!!!!!! Man muß sich wohl in die Psychose des Volkes hineinversetzen und man darf unter keinen Umständen die Empörung des deutschen Volkes über die feige Pariser Mordtat unterschätzen und man muß es verstehen, wenn im ganzen Reiche fast auf die Minute die jüdischen Tempel ausgeräuchert, die jüdischen Geschäfte und Wohnungen demoliert wurden. Daß es aber von der Aufsichtsbehörde, und das ist die Polizei, mit geschlossenen Augen zugegeben wurde, daß vom Mob der Straße, vom Plebs, vom Halbwüchsigen dann noch die Waren aus den jüdischen Geschäften geplündert wurden, das kann man als guter Deutscher nicht verstehen und das wird auch das Ausland nicht verstehen können. Als schließlich alles zerstört, wertvolle Ware, die im dritten Reiche so knapp geworden ist und die dem Kampf dem Verderb unterliegt, unbrauchbar gemacht war, da endlich erschienen hier und da einzelne Polizeibeamte, die mit zahmen, lahmen Worten zum Weitergehen aufforderten. Die Rotzjungen, das Gesindel ist manchem Beamten gezeigt worden, aber keiner von ihnen hatte den Mut solchen Plünderer festzunehmen und hohnlachend auf die Tüchtigkeit der Polizei ist dieses Plebs abgezogen. Wer ist in den meisten Fällen der Geschädigte? Der Hausbesitzer, denn die meisten Juden wohnten in gemieteten Räu1439 Ebd., S. 68–70.

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men. – Zu Hunderten ist die Polizei auf der Straße, wenn irgendein Umzug ist, wenn irgend eine höhere Persönlichkeit sich auch mal bei uns in Krefeld blicken läßt; jeder von den Polizisten, von oben bis unten, blinzelt nach dem Orden, jeder war dann, soweit es sich um die alten Krefelder Stadtsoldaten handelt, ein alter Kämpfer, kein einziger von ihnen hat in der Kampfzeit mit dem Knüppel auf die Nazis gehauen, alle waren sie mit dem Herzen schon dabei, nur durften sie es nicht offen zeigen. Und heute, als es darum geht die Juden auf vernünftigen Wegen aus unserem Reiche zu entfernen, da läßt es die Polizei, die doch sonst alles im Voraus weiß, die so klug ist, glattweg zu, daß auch noch geplündert wird und daß man deutsch-arisches Privateigentum entwertet. Wo waren denn alle unsere Polizisten, warum kamen sie nicht als die Telefone um Hilfe riefen, warum kommt überhaupt die Polizei stets zu spät, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Die Empörung weitester Kreise, auch solcher die schon lange vor der Machtübernahme dem Führer angehörten, ist unaussprechlich groß darüber, daß man es amtlicherseits zugelassen hat, daß der Mob der Straße sich breit machte. Was steht uns erst bevor, wenn einmal, was Gott verhüten möge, einer anderen Fahne die Hakenkreuzfahne weichen muß!!! Dann bleibt dieselbe Beamtenschaft auch wieder am Ruder, beziehungsweise Futterkrippe, und schreit laut den Jubelruf der Gegenseite, so wie sie 1933 auch den Deutschen Gruß von heute auf morgen lernte, Motto: wer mir zu fressen gibt, den liebe ich. Ein durch die Unzuverlässigkeit der Polizei Geschädigter. Abschrift ging durch sicheren Boten an meine Verwandtschaft im Ausland, mit dazugehöriger ausführlicher Begründung.«1440

Im Hinblick auf die Reaktionen der »Zuschauer« auf die Deportationen böte sich die Verwendung von Stimmungsberichten des SD an. Ein Bericht der SD-Außenstelle Detmold an die SD-Hauptaußenstelle Bielefeld vom 31. Juli 1942 zeigt z. B., dass die Judendeportationen vor aller Augen stattfanden und die Transporte für Gesprächsstoff unter den Passanten sorgten: »Aus Lemgo wir berichtet, daß der Abtransport der letzten Juden innerhalb der Bevölkerung größtes Aufsehen erregt habe. Die Juden wurden vor ihrem Abtransport auf dem Marktplatz in Lemgo gesammelt. Diese Tatsache gab der Bevölkerung Veranlassung, sich recht zahlreich hierzu auf dem Marktplatz einzufinden. Es konnte beobachtet werden, daß ein großer Teil der älteren Volksgenossen (darunter sollen sich auch Parteigenossen befunden haben) die Maßnahme des Abtransportes der Juden aus Deutschland allgemein negativ kritisiert wurde [sic]. Gegen den Abtransport wurde mehr oder weniger offen mit allen möglichen Begründungen Stellung genommen. So wurde gesagt, daß die Juden in Deutschland ja sowieso zum Aussterben verurteilt seien und diese Maßnahme, die für die Juden eine besondere Härte bedeutete, sich daher erübrige. Selbst solche Volksgenossen, die bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit früher ihre nationalsozialistische Gesinnung herausgestellt hätten, hätten in dieser Hinsicht Partei für die Interessen der Juden bzw. kirchlich gebundenen Volksgenossen genommen. Innerhalb kirchlich gebundener Kreise wurde geäußert: ›Wenn das deutsche Volk nur nicht eines Tages die Strafe Gottes zu gewärtigen hat.‹ Natio1440 Hans Mommsen/Susanne Willems (Hrsg.): Herrschaftsalltag im Dritten Reich. Studien und Texte. Düsseldorf 1988, S. 438f.

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nalsozialistisch gefestigte Volksgenossen versuchen den anders denkenden klarzumachen, daß diese Aktion völlig berechtigt und auch unbedingt notwendig sei. Dem wurde entgegengesetzt, daß die alten Juden uns auch hier nicht mehr schaden können, denn sie täten ja ›keiner Fliege etwas zuleide‹. Auch seien sehr viele Juden dabei, die viel Gutes getan hätten und die noch lange nicht so schlecht seien, als die ›Weißen Juden‹. Diese müsse man dann auch abtransportieren und in ein Lager stecken. Ein bezeichnender Fall der Stellungnahme für die Juden ereignete sich bei dem Abtransport derselben in Sabbenhausen. Hier hatte die Frau des Lehrers H. versucht, den Juden Wurst und andere Lebensmittel zu bringen. Nach Mitteilung des Ortsgruppenleiters Sch. wurde Frau H. plötzlich festgenommen. Eine Überprüfung dieses Vorfalls ist eingeleitet und es erfolgt nach genauen Feststellungen weitere Berichterstattung.«1441

Ein bereits am 16. Dezember 1941 angefertigter Bericht der SD-Hauptaußenstelle Bielefeld gibt ebenfalls Aufschluss über die Haltung der deutschen Bevölkerung zu den Deportationen der Juden. Der Bericht macht gleichzeitig die – überraschend frühe und große – Informiertheit der »Volksgenossen« über die Massenvernichtung der Juden in den vom Deutschen Reich besetzten Gebieten Osteuropas deutlich: »Abtransport von 400 Juden aus dem Regierungsbezirk Minden. Am Donnerstag, den 11.12.41 begann im hiesigen Bereich die Aktion zur Verschickung der ersten jüdischen Familien nach Riga. Gegen 10 Uhr trafen die ersten jüdischen Familien in Bielefeld ein und wurden im Kyffhäusersaal am Kesselbrink untergebracht. Nach zweitägigem Aufenthalt, der zu Durchsuchungen, Gepäckkontrollen und dergleichen benutzt wurde, ging der Transport am Samstag um 15 Uhr ab. Obwohl diese Aktion von Seiten der Staatspolizei geheim gehalten wurde, hatte sich die Tatsache der Verschickung von Juden doch in allen Bevölkerungskreisen herumgesprochen. Dementsprechend war auch eine Vielzahl von stimmungsmäßigen Äußerungen zu erfassen. Es muß festgestellt werden, daß die Aktion vom weitaus größten Teil der Bevölkerung begrüßt wurde. Einzeläußerungen war zu entnehmen, daß man den Führer Dank wisse, daß er uns von der Pest des jüdischen Blutes befreie. Ein Arbeiter äußerte z. B. ›Das hätte man vor 50 Jahren mit den Juden machen sollen, dann hätte man weder einen Weltkrieg noch den jetzigen Krieg durchstehen brauchen.‹ Erstaunen zeigte man vielfach in der Bevölkerung, daß man den Juden zum Transport nach dem Bahnhof die gut eingerichteten städtischen Verkehrsautobusse zur Verfügung stellte. Lediglich aus konfessionellen Kreisen wurden, wie bei allen staatlichen Aktionen zur Gewohnheit geworden, ablehnende Stimmen laut. Ja, man ging sogar so weit, diese Aktion zu benutzen, wildeste Gerüchte zu verbreiten. So wurde ausgeführt, die Juden würden alle nach Rußland abgeschoben. Der Transport würde bis Warschau mit Personenwagen durchgeführt, von wo es mit Viehwagen weiter nach Rußland ginge. Der Führer wolle bis zum 15.1.42 Meldung haben, daß sich kein Jude mehr in Deutschland aufhalte. In Rußland würden die Juden zu Arbeiten in ehemals sowjetischen Fabriken herangezogen, während die älteren und kranken Juden erschossen würden. Es wäre nicht zu verstehen, daß man 1441 Peter Longerich (Hrsg.): Die Ermordung der europäischen Juden. Eine umfassende Dokumentation des Holocaust 1941–1945. München 1989, S. 431f.

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mit den Juden so brutal umgehen könne; ob Jude oder Arier, alle wären doch von Gott geschaffene Menschen. Um die stimmungsmäßigen Auswirkungen ihrer Gerüchte zu erhöhen, wird in konfessionellen Kreisen vielfach davon gesprochen, daß alle Deutschen in Amerika zum Zwecke ihrer Erkenntlichkeit ein Hakenkreuz auf der linken Brusttasche trägen müßten. Die Deutschen in Amerika müßten schwer dafür büßen, daß die Juden in Deutschland so schlecht behandelt würden.«1442

Zukünftige Schulbücher sollten außerdem der – bislang extrem unterbelichteten – ökonomischen Dimension der Deportationen der Juden mehr Beachtung schenken, zumal das Verlangen zahlreicher »Durchschnittsvolksgenossen« nach Bereicherung auf Kosten der aus der »Volksgemeinschaft« ausgeschlossenen Juden an Schamlosigkeit häufig keine Grenzen kannte. »Gelegentlich«, so Harald Welzer, »wurden die Behörden mit der Bitte nach besonders begehrten Gütern bedrängt, noch bevor ihre rechtmäßigen Besitzer abtransportiert worden waren, und es werden Fälle geschildert, wo bei noch nicht deportierten Juden geklingelt wurde, damit man schon in Augenschein nehmen konnte, was man auf der bereits angesetzten Versteigerung erwerben könne«1443. Ausreichendes wie aussagekräftiges Fotomaterial, auf das Schulbuchmacherinnen und -macher zurückgreifen könnten, liegt mittlerweile leicht zugänglich vor. In der Gesellschaft grassierte ein latenter (bis offen gewalttätiger) Antisemitismus, der mitverantwortlich dafür war, dass die große Menge sich mit dem Vorgehen gegen die Juden in irgendeiner Weise arrangierte, ihre zunehmende Entrechtung und Diskriminierung nicht selten auch begrüßte. Der nachfolgende – ungewöhnlich aufrichtige – Bericht des Kölner Zeitzeugen nichtjüdischer Herkunft, Heinrich Coenen, Jahrgang 1925, könnte für Schülerinnen und Schüler in Umrissen sichtbar werden lassen, wie stark bereits Kinder und Jugendliche mit dem nationalsozialistischen Gift des Antisemitismus durchtränkt waren, das jegliches Mitgefühl für ihre jüdischen Mitmenschen ausschloss: »Vorerst sangen wir noch, und wir sangen immerzu munter weiter, ganz gleich, was da auch kam. Und hier ist auch die Stelle, nochmals auf den Antisemitismus zurückzukommen, der sich auch unserer mehr und mehr bemächtigte. Auch hierzu gab es nämlich bei uns ein Lied, das ich einmal bei der Straßenbahnfahrt gehört hatte. »Töff, Töff, Töff, do kütt da Jüd jefahre, Töff, Töff, Töff, met singem Kinderware, Töff, Töff, Töff, wo well dä Jüd dann hin, Jerusalem, Jerusalem, wo all die Jüdde sin. Treibt sie fort von uns, die Judenbande, treibt sie fort aus unserem Vaterlande …«. Unser Lehrer fand das natürlich alles andere denn schön, aber ob wir Jungens nicht alle im Herzen unsere stille Freude daran gehabt haben, das möchte ich für meinen Teil keineswegs bestreiten. Und alles, was mit den Judenverfolgungen zusammenhing. Als erstes war es der Judenboykott am 1. April 1933. Selbst habe ich ihn nicht erlebt, denn ich war an jenem 1442 Kulka/Jäckel: Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten, S. 478f. 1443 Harald Welzer : Die Deutschen und ihr »Drittes Reich«. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 14–15/2007, S. 21–28, hier S. 25f.

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Tage nicht auf der Straße, meine Eltern sprachen darüber, sicher beunruhigt, ich aber machte meine Späße darüber, und wenn ich selbst nichts zu verlauten wagte, innerlich wenigstens lachte man darüber. Und ebenso bei der Reichskristallnacht. Meine Mutter hatte auch davon mehr miterlebt als ich, insbesondere den Brand der Synagoge in der Glockengasse, bei dem eine Rolle von Moses verbrannt sein soll (in Wahrheit keine Originalrolle von der Hand des Moses, wie ich glaubte, sondern die Thora-Rolle). Meine Mutter war tagelang krank darüber. Selber hatte ich weniger davon mitbekommen. Auf dem Nachhausewege von der Schule kam ich an einem Farbwarengeschäft vorbei. Ich sah die eingeschlagenen Schaufensterscheiben und die Waren, die aus dem Ladenlokal hinausgeworfen waren und nun verstreut auf dem Bürgersteig lagen, Tapetenrollen und Abschlußleisten. Indessen war ich völlig unbekümmert, was ging mich dieser dreckige Jude an. Nach meinem Dafürhalten geschah ihm doch völlig recht. Und wenn ich mir nichts von dem mitnahm, was da so herumlag, dann sicherlich nicht aus edlen Motiven heraus. So unmenschlich konnte ich also mit meinen zwölf, dreizehn Jahren schon sein.«1444

Schließlich wäre es wünschenswert, wenn häufiger Auszüge aus Darstellungstexten von Historikerinnen und Historikern oder anderen Personen des öffentlichen Lebens Einzug in die Materialteile erhalten würden. Besonders ertragreich ist es, wenn Schulbuchmacherinnen und -macher durch den Abdruck mehrerer Fachtexte Kontroversität ermöglichen. Schülerinnen und Schüler werden dann durch den Vergleich gegensätzlicher Darstellungen zum selben Thema angehalten, sich selbst ein Urteil zu bilden. Die Lernenden erfahren so, »dass Geschichte nicht ein für alle Mal feststehender Wissensbestand ist, sondern dass es sich um einen diskursiven Sachverhalt handelt, der sich zudem mit der Zeit verändert«1445. Für die Aufnahme gegenwärtiger oder gegenwartsnaher Geschichtsdeutungen in Form von Auszügen aus themenbezogenen Monographien, Fachaufsätzen, Essays, Gedenkreden oder Rezensionen spricht auch, dass junge Menschen nach Abschluss der Schule – sofern sie nicht ein Geschichtsstudium aufnehmen – weniger mit Quellen als mit Darstellungen in Berührung kommen.1446 In ihren 1444 Horst Matzerath (Hrsg.): »… vergessen kann man die Zeit nicht, das ist nicht möglich …«. Kölner erinnern sich an die Jahre 1929–1945. Köln 3. Aufl. 1987, S. 165. 1445 Hans-Jürgen Pandel: Fachtexte. In: Christian Heuer/Christine Pflüger (Hrsg.): Geschichte und ihre Didaktik – ein weites Feld. Unterricht, Wissenschaft, Alltagswelt. Gerhard Schneider zum 65. Geburtstag. Schwalbach/Ts. 2009, S. 57–71, hier S. 59. 1446 Allerdings wird man Saskia Handro wohl recht geben müssen, dass im digitalen Zeitalter von einer regelrechten Quellenflut gesprochen werden kann: »Quellenpublishing und -sampling hat derzeit im Web 2.0 Konjunktur. Facebook Communities nutzen ›authentische Vergangenheitszeugnisse‹ als Argument in Straßennamen- und Denkmaldebatten, und auf Twitter entwickelt sich der Echtzeit-Tweet historischer Quellen zu einer Spielart interaktiver Gedenkkultur im Kurznachrichtenformat. Bereits die wenigen Schlaglichter verdeutlichen: Der gern erhobene Einwand, dass Schülerinnen und Schüler historischen Quellen allenfalls in der Laborsituation des Geschichtsunterrichts begegnen und bei der Interpretation nur mit dem Handwerkszeug des Historikers spielen, während sie le-

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späteren Lebenszusammenhängen begegnen sie einem ganzen Spektrum von Darstellungsformen: neben Spielfilmen, Fernsehdokumentationen, Romanen oder Geschichtscomics natürlich auch dem klassischen Text, sei es in Buchform, in der gedruckten Presse, im Internet oder in Museen. Der didaktische Sinn im Umgang mit Darstellungstexten besteht also gewissermaßen darin, die Heranwachsenden bereits während ihrer Schulzeit feuilletonfähig zu machen, damit sie später als mündige und kritische »Geschichtsverbraucher« am Diskurs über Geschichte teilhaben können.1447 Nicht zuletzt könnte so – wie in der geschichtsdidaktischen Literatur bereits seit langem gefordert – einer der vorrangigen Aufgaben des Geschichtsunterrichts zumindest ein Stück weit Rechnung getragen werden, nämlich Schülerinnen und Schüler zur aktiven Teilnahme an der gegenwärtigen Geschichtskultur nicht nur anzuregen, sondern insbesondere auch zu befähigen.1448 In diesem Zusammenhang könnten die Jugendlichen auch verstärkt dazu ermuntert werden, sich auf lokaler oder regionaler Ebene (z. B. im Stadtarchiv1449) mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Getreu dem Motto: Forschend-entdeckendes Lernen im Geschichtsunterricht ist mehr als Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten.1450 Arbeitsaufträge, die darauf zie-

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benslang mit historischen Darstellungen konfrontiert werden, dürfte als überholt gelten.« (Handro: Quellen interpretieren, S. 151). Vgl. Hans-Jürgen Pandel: Geschichtsschreibung im Unterricht. Hinführung zur Diskursund Feuilletonfähigkeit. In: Markus Furrer/Kurt Messmer (Hrsg.): Handbuch Zeitgeschichte im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts. 2013, S. 119–132. Vgl. Klaus Bergmann: »So viel Geschichte wie heute war nie« – historische Bildung angesichts der Allgegenwart von Geschichte. In: Angela Schwarz (Hrsg.): Politische Sozialisation und Geschichte. Festschrift für Rolf Schörken zum 65. Geburtstag. Hagen 1993, S. 209–228; Bodo von Borries: Fallstudien zur öffentlichen Geschichtskultur als Beitrag zum systematischen Geschichtslernen. In: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 31, 2003, H. 1/2, S. 10–27; Wolfgang Hasberg: Geschichtskultur in Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht. In: Informationen für den Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer H. 67/2004, S. 43–59; Horst Kuss: Geschichtskultur im Geschichtsunterricht. Eine neue Chance für historisches Lernen. In: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 29, 2001, H. 1/2, S. 10–21; Bernd Mütter : »Geschichtskultur« – Zukunftsperspektive für den Geschichtsunterricht am Gymnasium? In: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 26, 1998, H. 3/4, S. 165–177; Hans-Jürgen Pandel: Geschichtskultur als Aufgabe der Geschichtsdidaktik: Viel zu wissen ist zu wenig. In: Vadim Oswalt/Ders. (Hrsg.): Geschichtskultur. Die Anwesenheit von Vergangenheit in der Gegenwart. Schwalbach/Ts. 2009, S. 19–33; Dietmar von Reeken: Geschichtskultur im Geschichtsunterricht. Begründungen und Perspektiven. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 55, 2004, H. 4, S. 233–240; Waltraud Schreiber : Geschichtskultur – eine Herausforderung für den Geschichtsunterricht? In: Ulrich Baumgärtner/Dies. (Hrsg.): Geschichts-Erzählung und Geschichts-Kultur. Zwei geschichtsdidaktische Begriffe in der Diskussion. München 2001, S. 99–135. Vgl. Thomas Lange/Tomas Lux: Historisches Lernen im Archiv. Schwalbach/Ts. 2004. Vgl. in Anlehnung an Bodo von Borries: »Forschendes historisches Lernen« ist mehr als »Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten«. Rückblick und Ausblick. In: Christian Heuer/Christine Pflüger (Hrsg.): Geschichte und ihre Didaktik – ein weites Feld. Unter-

Pragmatische Konsequenzen für die Schulbuchgestaltung

455

len, dass Schülerinnen und Schüler sich z. B. über die Geschehnisse und das Verhalten der Bevölkerung während der Reichspogromnacht an »ihrem« Ort informieren, könnten durchaus öfter als bisher im Schulbuch vorkommen.

2.2.

Wehrmacht und Vernichtungskrieg

In Schulbüchern kann nicht der Platz sein, das gesamte Kaleidoskop der Verbrechen der Wehrmacht im Detail aufzubereiten. Das Schulbuch muss sich auch hier auf einige wesentliche Bemerkungen beschränken. Allerdings muss aus den Verfassertexten eindeutig hervorgehen, dass sich die Wehrmacht nicht allein auf ihre originären militärischen Aufgaben besann. Faktum ist: Mit diversen verbrecherischen Befehlen hatte die Wehrmachtsführung den Soldaten die generelle »Lizenz zur barbarischen Behandlung des Feindes«1451 erteilt. Die Armee ließ infolgedessen Millionen sowjetische Kriegsgefangene verhungern und zahlreiche reguläre Wehrmachtseinheiten beteiligten sich aktiv an Juden- und Partisanenaktionen. Natürlich haben sich nicht alle der ungefähr 18 bis 19 Millionen deutschen Soldaten, die während des Zweiten Weltkrieges die Wehrmacht durchliefen, an den nationalsozialistischen Massenverbrechen beteiligt. Die meisten Personen im Dienst der deutschen Streitkräfte haben auch nicht als Täter, sondern als Augenzeugen am Vernichtungskrieg teilgenommen. Wie weit ein Wehrmachtsangehöriger in die Verbrechen verwickelt war, hing zudem von vielen Faktoren ab: zu welchem Truppenverband er gehörte, welche Dienststellung und welchen Dienstrang er hatte, wo und zu welchem Zeitpunkt er eingesetzt wurde etc. Schließlich spielten auch der Charakter und das persönliche Verhalten eine wichtige Rolle. Die Angehörigen der Wehrmacht verfügten über Handlungsspielräume, auch bei befohlenen Massenerschießungen. Bis heute haben – das sei an dieser Stelle ausdrücklich hervorgehoben – juristische und historiographische Nachforschungen nicht einen einzigen Fall zutage fördern können, in dem ein Soldat selbst erschossen worden wäre, weil er sich weigerte, an solchen Erschießungen aktiv teilzunehmen. Den von ehemaligen Soldaten zur eigenen Entlastung immer wieder angeführten »Befehlsnotstand« hat es jedenfalls nachweislich nicht gegeben.1452 Gleichwohl muss in Rechnung gestellt werden, richt, Wissenschaft, Alltagswelt. Gerhard Schneider zum 65. Geburtstag. Schwalbach/ Ts. 2009, S. 130–148. 1451 Omer Bartov : Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges. Reinbek bei Hamburg 1995, S. 113. 1452 Vgl. Hans Buchheim: Befehl und Gehorsam. In: Ders. u. a.: Anatomie des SS-Staates. Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte. Bd. 1. Olten/Freiburg im Breisgau 1965, S. 255– 380; Kurt Hinrichsen: »Befehlsnotstand«. In: Adalbert Rückerl (Hrsg.): NS-Prozesse. Nach 25 Jahren Strafverfolgung: Möglichkeiten – Grenzen – Ergebnisse. Karlsruhe 1971,

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Fazit der Studie und Perspektiven für die Praxis

dass ein Exekutionsverweigerer viel Mut aufbringen musste. Wolfram Wette warnt daher vor einer vorschnellen Interpretation: »Die Vorstellung, dass es einen Handlungsspielraum gegeben hat, darf nicht dahingehend missverstanden werden, als habe die Wehrmacht gleichsam ein erkennbares oder berechenbares Vakuum bestehen lassen, das nonkonformistische Soldaten eigentlich nur zu nutzen brauchten. Tatsächlich hielt die Wehrmacht solche Nischen für Individualität und Gewissen nicht bereit. Einen Handlungsspielraum hatte nur derjenige Soldat, der sich mit Mut und Risikobereitschaft die Freiheit nahm, sein Handeln nicht ausschließlich an den Befehlen der Vorgesetzten zu orientieren, sondern an Humanität und Gewissen, und der sich von den Strafandrohungen sowie von der Härte der Militärgerichtsbarkeit nicht abschrecken ließ.«1453

Wenn auch nicht alle der »im Osten« eingesetzten Wehrmachtangehörigen unmittelbar an Verbrechen teilgenommen haben, so sind doch nachweislich viele zu direkten Tätern geworden. Wie will man sonst Soldaten nennen, die zwar in der Sowjetunion nicht das Gewehr auf unschuldige jüdische Männer, Frauen und Kinder richteten, aber z. B. in Polen großen Gefallen daran fanden, Juden auf unterschiedlichste Arte und Weise zu quälen? »Besonders beliebt als Opfer«, so Saul Friedländer »waren orthodoxe Juden, die sich durch Aussehen und Kleidung leicht identifizieren ließen. Auf sie wurde geschossen, sie wurden gezwungen, sich gegenseitig mit Kot zu beschmieren, sie mußten springen, kriechen, singen, Exkremente mit Gebetsschals abwischen, um Feuer tanzen, in denen Torarollen verbrannt wurden. Man peitschte sie, zwang sie, Schweinefleisch zu essen, oder schnitt ihnen Judensterne in die Stirn. Der beliebteste Zeitvertreib war das ›Bartspiel‹: Bärte und Schläfenlocken wurden abgeschnitten, ausgerupft, in Brand gesteckt, mit oder ohne Teile der Haut, der Wangen oder des Kiefers abgesäbelt, und das zum Amüsement eines gewöhnlich großen Publikums applaudierender Soldaten.«1454 Dass die Wehrmacht eine verbrecherische Organisation war, kann nur noch leugnen, wer die Fakten nicht wahrhaben will. Es sollte zudem stets bedacht werden, dass erst die militärischen Erfolge der Armee die unabdingbare Voraussetzung dafür bildeten, dass man der Juden habhaft werden konnte. Hinzu kommt die bis in die Endphase des Krieges außerordentlich hohe Kampfbereitschaft der Wehrmachtssoldaten, die es dem Regime ermöglichte, die ErS. 131–161; Herbert Jäger : Verbrechen unter totalitärer Herrschaft. Studien zur nationalsozialistischen Gewaltkriminalität. Olten 1967, S. 79–160. 1453 Wolfram Wette: Helfer und Retter in der Wehrmacht als Problem der historischen Forschung. In: Ders. (Hrsg.): Retter in Uniform. Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht. Frankfurt am Main 2002, S. 11–31, hier S. 20. 1454 Friedländer : Die Jahre der Vernichtung, S. 53–54. Vgl. zu den Verbrechen, die Angehörige der Wehrmacht in Polen begangen haben, ausführlich Jochen Böhler: Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939. Frankfurt am Main 2006.

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mordung der Juden – selbst als die Kriegslage längst aussichtslos geworden war – weiterzuführen.1455 Aus all diesen Gründen sollten in den Arbeitsteilen der Schulbücher einschlägige Quellen ihren Platz finden, anhand derer sich Schülerinnen und Schüler mit zentralen Fragen nach der Täterschaft der Wehrmacht als Organisation bzw. einzelner Wehrmachtssoldaten beschäftigen können. Natürlich haben maßgebliche verbrecherische Befehle oder Fotografien nach wie vor einen integralen Platz in den Lehrwerken verdient. Von besonderem Interesse sind aber auch andere Quellengattungen, die bisher bei diesem Thema kaum Berücksichtigung gefunden haben. Zu nennen sind zunächst die – im vorherigen Abschnitt bereits angesprochenen – Feldpostbriefe. In Feldpostbriefen lassen sich nämlich neben einer Fülle von ideologischen Vorurteilen und rassistischen Feindbildern1456 auch – wenngleich seltener – unverblümte Beschreibungen über das Morden finden. In einem Feldpostbrief, den ein einfacher Landser im Juli 1941 an seine Eltern schrieb, heißt es beispielsweise: »Liebste Eltern! Soeben komme ich von der Aufbahrung unserer von den Russen gefangenen Kameraden der Luft- und Gebirgstruppen. Ich finde keine Worte um so etwas zu schildern. Die Kameraden sind gefesselt, Ohren, Zungen, Nase und Geschlechtsteile sind abgeschnitten, so haben wir sie im Keller des Gerichtsgebäudes von Tarnopol gefunden und außerdem haben wir 2.000 Ukrainer und Volksdeutsche auch so zugerichtet gefunden. Das ist Rußland und das Judentum das Paradies der Arbeiter. Wenn es heute noch einen Kommunisten in Wien gibt, der gehört sofort erschlagen aber nicht erschossen. Die Rache folgte sofort auf dem Fuße. Gestern waren wir mit der SS gnädig, denn jeder Jude, den wir erwischten, wurde sofort erschossen. Heute ist es anders, denn es wurden wieder 60 Kameraden verstümmelt gefunden. Jetzt müssen die Juden die Toten aus dem Keller herauftragen, schön hinlegen und dann werden ihnen die Schandtaten gezeigt. Hierauf werden sie nach Besichtigung der Opfer erschlagen mit Knüppeln und Spaten. Bis jetzt haben wir zirka 1.000 Juden ins Jenseits befördert aber das ist viel zu wenig für das, was die gemacht haben. Die Ukrainer haben gesagt, daß die Juden alle die führenden Stellen hatten und ein richtiges Volksfest mit den Sowjets hatten bei der Hinrichtung der Deutschen und Ukrainer. Ich bitte Euch liebe Eltern macht das bekannt auch der Vater in der Ortsgruppe. Sollten Zweifel bestehen, wir bringen Fotos mit. Das gibt es kein Zweifeln. Viele Grüße Eurer Sohn Franzl.«1457

1455 Vgl. Ian Kershaw : Das Ende. Kampf bis in den Untergang. NS-Deutschland 1944/45. München 2011, S. 532–535. 1456 Vgl. Walter Manoschek: Der Holocaust in Feldpostbriefen von Wehrmachtsangehörigen. In: Hannes Heer u. a. (Hrsg.): Wie Geschichte gemacht wird. Zur Konstruktion von Erinnerungen an Wehrmacht und Zweiten Weltkrieg. Wien 2003, S. 35–58. 1457 Walter Manoschek (Hrsg.): »Es gibt nur eines für das Judentum: Vernichtung«. Das Judenbild in deutschen Soldatenbriefen 1939–1944. Hamburg 1995, S. 33.

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Fazit der Studie und Perspektiven für die Praxis

Die hier zum Vorschein tretende Billigung des Judenmords sowie dessen Rechtfertigungsversuch gegenüber der »Heimatfront« finden sich auch in dem Brief eines Gefreiten vom 18. Dezember 1942: »Gott sei Dank aber, daß wir nach Süden kommen. Denn der Winter ist nicht so streng, und das Partisanentum, dieses hinterhältigste Verbrechertum, ist hier nicht anzutreffen. Da ist der Mittel- und Nordabschnitt viel schlechter dran. […] Die Städte sehen verwahrlost aus, breite, ausgetretene Straßen, die völlig vereist sind und auf denen zerlumpte Kinder auf einem Fuß eislaufen. Die Häuser sind Bretterbuden, mit Halteleisten verklebt und dann mit einem Anwurf weiß getüncht. Das ist in der Ukraine. Die Häuser und Wohnungen sind sauber. Die Menschen sehen alle wohlgenährt aus und sind sehr prall. Manchmal begegnen uns wunderschöne Mädels, Perlen des Landes. Aber was russisch ist, starrt vor Dreck, auch die Bauten sind Hütten. Kirchen gibt es sehr sehr wenige, und was steht, war bis vor kurzem Magazin, Pferdeställe oder Kinos. Nur Fabriken stehen als Ruinen in und bei den Städten. Ganz Rußland war ein Rüstungsarsenal. Alles ist aber ohne große Planung, wahllos und ohne Stil gebaut. Es spricht aus all dem die schrecklich chaotische Fratze des Judentums. Ich glaubte das nicht, bis ich hier her kam. Aber nun verstehe ich, und finde es voll am Platze. Es gibt nur eins für das Judentum: Vernichtung. Es ist unaussprechlich, welches Chaos hier herrscht. Unvergeßlich ist mir das Telefonmastengewirr, das dunkel mit unzähligen Drähten beiderseits der Stadt Sslawjansk zum Himmel starrte – ein Chaos ohnegleichen. Und ich versicherte mir, daß die gesamte Leitung aller Institutionen Juden waren. So ist ihre Schuld riesengroß, das angerichtete Leid unfaßbar und ihr Morden teuflisch. Es kann nur durch ihre Vernichtung gesühnt werden. Ich habe diese Art bisher als unmoralisch abgelehnt. Nach dieser Schau des Sowjetparadieses aber weiß ich selbst keine andere Lösung. In diesem Ostjudentum lebt der Abschaum jeglichen Verbrechertums, und die Einmaligkeit unserer Sendung ist mir bewußt.«1458

Gewiss lassen wenige Zitate aus Feldpostbriefen keine generalisierenden Aussagen über die Beteiligung von Wehrmachtssoldaten an Judenerschießungen zu. Schon allein wegen der mangelnden Repräsentativität der überlieferten Kriegsbriefe sind Aussagen wie »Wer an Exekutionen beteiligt war – als Täter oder Gaffer –, schrieb darüber nach Hause«1459 oder »ein Großteil der Truppe berichtete […] geradezu unbefangen von der Tötung von Juden, von aufgegriffenen Versprengten, von sogenannten ›Flintenweibern‹ wie auch von der Vernichtung ganzer Dörfer«1460 wissenschaftlich unhaltbar. Feldpostbriefe geben aber anschaulich Aufschluss darüber, was einzelne Soldaten zu bestimmten Zeitpunkten über den Holocaust gedacht haben bzw. zeigen, dass trotz 1458 Ebd., S. 65. 1459 Volker Ullrich: »Wir haben nichts gewußt«. Ein deutsches Trauma. In: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 6, 1991, H. 4, S. 11–46, hier S. 22. 1460 Peter Jahn: »Russenfurcht« und Antibolschewismus. Zur Entstehung und Wirkung von Feindbildern. In: Ders./Reinhard Rürup (Hrsg.): Erobern und Vernichten. Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941–1945. Berlin 1991, S. 47–64, hier S. 49.

Pragmatische Konsequenzen für die Schulbuchgestaltung

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der Geheimhaltungsbestimmungen und der Zensur durch die Feldpostprüfstellen1461 die Ermordung der Juden »nicht in eine Tabuzone des Unaussprechlichen verbannt war«1462. Um auf die – zumeist reibungslose – Zusammenarbeit zwischen der Truppe und dem SS- und Polizeiapparat bei den Judenmorden aufmerksam zu machen, bieten sich besonders die von den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD erstellten und fast täglich an das RSHA übermittelten »Ereignismeldungen UdSSR« an, in denen häufig von tatkräftiger Unterstützung durch bzw. vollem Verständnis seitens der Wehrmacht berichtet wird. In der »Ereignismeldung UdSSR Nr. 58« vom 20. August 1941 heißt es: »Das Verhältnis zur Wehrmacht ist nach wie vor ohne jede Trübung. Vor allem zeigt sich in Wehrmachtskreisen ein ständig wachsendes Interesse und Verständnis für die Aufgaben und Belange sicherheitspolizeilicher Arbeit. Dies war gerade bei den Exekutionen in besonderem Maße zu beobachten. Zum andern ist die Wehrmacht auch selbst bemüht, die Durchführung sicherheitspolizeilicher Aufgaben zu fördern. So laufen zur Zeit bei sämtlichen Dienststellen der Einsatzgruppe fortgesetzt Meldungen der Wehrmacht über festgestellte kommunistische Funktionäre und Juden ein. Mitunter ist sogar die Sicherheitspolizei der letzte Rettungsanker für die Wehrmacht. So hat sich z. B. der Ortskommandant von Radomyschl unter dem 5.8.41 hilfesuchend mit der Bitte um Unterstützung an das Einsatzkommando 4a gewandt, da er nicht selbst in der Lage sei, die Verhältnisse zu meistern.«1463

Eine gute Möglichkeit, die Beteiligung von Wehrmachtseinheiten am Anti-Partisanenkrieg, der zu großen Teilen auf dem Rücken der einheimischen Bevölkerung ausgetragen wurde, in die Arbeitsteile einzubauen, sind die – meist vor 1461 Feldpostbriefe sind durch zwei Arten von Zensur beeinflusst: Die »äußere Zensur« meint die Überwachungs- und Prüfungstätigkeiten der Feldpostprüfstellen, die aber angesichts von Milliarden verschickter Briefe nur stichprobenartig erfolgen konnten. Mit »innerer Zensur« ist dagegen zum einen die abschreckende Wirkung der erwähnten Prüfungstätigkeiten auf das Schreibverhalten der Soldaten gemeint. Dies konnte eine starke Selbstzensur der Schreiber bewirken, sodass zum Beispiel Äußerungen über das Schicksal der Juden vermieden wurden. Zum anderen fällt unter »innere Zensur« die Selbstkontrolle des Briefschreibers, der aus Rücksicht auf die Gefühle des Briefpartners auf die Mitteilung aufwühlender Vorgänge verzichtet. Vgl. Klaus Latzel: Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg? Kriegserlebnis – Kriegserfahrung 1939–1945. Paderborn 1998 (Krieg in der Geschichte, Bd. 1), S. 25–31 sowie Benjamin Ziemann: Feldpostbriefe und ihre Zensur in den zwei Weltkriegen. In: Klaus Beyrer/Hans-Christian Täubrich (Hrsg.): Der Brief. Eine Kulturgeschichte der schriftlichen Kommunikation. Heidelberg 1997, S. 162– 171. 1462 Klaus Latzel: Feldpostbriefe: Überlegungen zur Aussagekraft einer Quelle. In: Christian Hartmann/Johannes Hürter/Ulrike Jureit (Hrsg.): Verbrechen der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte. München 2005, S. 171–181, hier S. 177. 1463 Klaus-Michael Mallmann u. a. (Hrsg.): Die »Ereignismeldungen UdSSR« 1941. Dokumente der Einsatzgruppen in der Sowjetunion I. Darmstadt 2011 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 20), S. 321f.

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Fazit der Studie und Perspektiven für die Praxis

ausländischen Gerichten – abgelegten Geständnisse ehemaliger Soldaten. Exemplarisch sei die während des Minsker Prozesses gegen Verbrechen der deutschen Wehrmacht, der Polizei und des SD im Jahre 1946 abgegebene Aussage von Albert Rodenbusch, einem zur Tatzeit Angehörigen des 635. Ausbildungsregiments, über seine Teilnahme an einer »Partisanenaktion« wiedergegeben: »Am Abend des 29. Dezember 1942 haben wir unsere Aktion in einem Dorf begonnen. In diesem Dorf gab es keine Partisanen. Die Bewohner des Dorfes stellten uns geheizte Räume zur Verfügung, gaben uns zu essen, und wir waren sehr überrascht, als uns der Kompanieführer danach befahl, das Dorf niederzubrennen und die Bewohner festzunehmen. Wir haben damals 50 Bewohner festgenommen. […] Dann zogen wir zu einem anderen Dorf. Das war 10 oder 11 Kilometer entfernt. Als wir dort ankamen, beschoß man uns mit Gewehren. Unser Kompanieführer befahl, das Dorf zu besetzen und jeden, der Widerstand leistet oder zu fliehen versucht, sofort zu erschießen. […] Wir haben etwa 70 Menschen erschossen. Darunter waren auch Frauen, Alte und Kinder. Und dann haben wir das Dorf niedergebrannt. Aus dem ersten Dorf haben wir 14 Stück Vieh und aus dem zweiten Dorf 10 Stück Vieh mitgenommen. Dann gingen wir zu dem dritten Dorf. Dort fanden wir keine Partisanen. Aber das Dorf haben wir trotzdem niedergebrannt und ca. 50 Personen erschossen. Auch Frauen und Kinder. Und dann zogen wir zum vierten Dorf und haben auch dort dasselbe gemacht wie in den anderen Dörfern auch. Dabei haben wir circa 100 Menschen erschossen, das Dorf niedergebrannt und 80 Personen festgenommen. Die nahmen wir mit. Nachdem wir alle diese Dörfer vernichtet hatten, zogen wir in Richtung Ossipowitsche. Unterwegs haben wir noch die Wälder durchkämmt und nach Partisanen durchsucht.«1464

Damit die Schülerinnen und Schüler eine Vorstellung von den katastrophalen Zuständen in den Stamm- und Durchgangslagern der Wehrmacht sowie von der massenhaften Tötung bzw. Aushungerung der Kriegsgefangenen erhalten, könnte der folgende Bericht von Xaver Dorsch, Ministerialrat in der Dienststelle der Organisation Todt, an Alfred Rosenberg, Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, vom 10. Juli 1941 genutzt werden: »Betrifft: Gefangenenlager in Minsk. Das Gefangenenlager in Minsk beherbergt auf einem Raum von etwa der Größe des Wilhelmplatzes ca. 100 000 Kriegsgefangene und 40 000 Zivilgefangene. Die Gefangenen, die auf diesem engen Raum zusammengepfercht sind, können sich kaum rühren und sind dazu gezwungen, ihre Notdurft an dem Platz zu verrichten, wo sie gerade stehen. Bewacht wird das Lager von einem Kommando aktiver Soldaten in Kompaniestärke. Die Bewachung des Lagers ist bei der geringen Stärke des Wachkommandos nur möglich unter Anwendung brutalster Gewalt. Die Kriegsgefangenen, bei denen das Verpflegungsproblem kaum zu lösen ist, sind teilweise sechs bis acht Tage ohne Nahrung und kennen in einer durch den Hunger 1464 Hannes Heer : Die Logik des Vernichtungskrieges. Wehrmacht und Partisanenkampf. In: Ders./Klaus Naumann (Hrsg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941– 1944. Hamburg 1995, S. 104–138, hier S. 104.

Pragmatische Konsequenzen für die Schulbuchgestaltung

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hervorgerufenen tierischen Apathie nur noch eine Sucht: Zu etwas Eßbarem zu gelangen. […] Die einzig mögliche Sprache des schwachen Wachkommandos, das ohne Ablösung Tag und Nacht seinen Dienst versieht, ist die Schußwaffe, von der rücksichtslos Gebrauch gemacht wird. Eine Abhilfe dieser chaotischen Zustände seitens der Militärdienststellen ist bei dem durch den Vormarsch bedingten vordringlichen Menschen- und Transportraumbedarf nicht möglich.«1465

In den letzten Jahren ist verstärkt eine Verhaltensweise von Wehrmachtssoldaten in das Blickfeld der Forschung geraten, die als »Rettungswiderstand« bezeichnet wird. Gemeint ist mit diesem Begriff »eine Verhaltensweise, die nicht auf einen politischen Umsturz abzielte und sich nicht in der Desertion manifestierte, sondern die sich in anderer Weise äußerte: als Empörung über den Vernichtungskrieg und das rassistische Mordprogramm, als Verweigerung der Teilnahme an Exekutionen oder als Hilfeleistung für Juden, Kriegsgefangene und Angehörige anderer Verfolgtengruppen«1466. Bekanntestes Beispiel ist der Reservehauptmann Wilm Hosenfeld1467, der während des Krieges in Warschau Polen und Juden rettete, unter ihnen den berühmten Pianisten Wladyslaw Szpilman, dessen Erinnerungen1468 im Jahr 2001 vom Regisseur Roman Polanski eindrucksvoll verfilmt wurden. Diese anständigen und mutigen Soldaten, die aus unterschiedlichen Motiven ihr Leben für die zum Tode Verurteilten aufs Spiel setzten, stellten indes im Verhältnis zur großen Masse der Schweigenden und Mitläufer nur eine verschwindend geringe Minderheit dar.1469 Sie waren – wie es Wolfram Wette treffend formuliert hat – »gleichsam die Goldkörnchen unter einem riesigen Haufen

1465 Ernst Klee/Willi Dreßen (Hrsg.): »Gott mit uns«. Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten 1939–1945. Frankfurt am Main 1989, S. 138. 1466 Wolfram Wette: Rettungswiderstand aus der Wehrmacht. In: Peter Steinbach/Johannes Tuchel (Hrsg.): Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur 1933–1945. Berlin 2004, S. 322–337, hier S. 322. 1467 Vgl. Wilm Hosenfeld: »Ich versuche jeden zu retten«. Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern. Hrsg. von Thomas Vogel. München 2004. 1468 Vgl. Wladyslaw Szpilman: Das wunderbare Überleben. Warschauer Erinnerungen 1939 bis 1945. Aus dem Polnischen von Karin Wolff. Vorwort von Andrzej Szpilman. Anhang von Wilm Hosenfeld. Mit einem Essay von Wolfgang Biermann. Düsseldorf/München 1998. 1469 Wolfram Wette bilanziert: »Als vorläufiges Ergebnis der Durchsicht der überlieferten Wehrmachtsakten kann – mit aller Vorsicht, da viele Vorgänge gar nicht greifbar sind – die Annahme formuliert werden, dass es wohl einige Dutzend, vielleicht sogar um die hundert Angehörige der Wehrmacht gegeben haben mag, die Kriegsgefangenen, Juden und anderen politisch oder rassisch Verfolgten geholfen haben oder sie zu retten versucht haben und die aus diesem Grunde in die Mühlen der NS-Militärjustiz geraten sind. Jedenfalls scheint es sich bei den Helfern und Rettern in Uniform um eine winzige Minderheit gehandelt zu haben.« (Wette: Helfer und Retter in der Wehrmacht als Problem der historischen Forschung, S. 16).

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Fazit der Studie und Perspektiven für die Praxis

von historischem Schutt«1470. Ihre Thematisierung im Schulbuch könnte also – sofern die Verbrechen der Wehrmacht verschwiegen werden – leicht dazu führen, die Armee in einem günstigeren Licht erscheinen zu lassen. Wenn allerdings Verfassertexte und Arbeitsteile die Beteiligung der Wehrmacht am Vernichtungskrieg eindeutig herausstellen, spricht nichts dagegen, den Rettungswiderstand des »kleinen Mannes« in Uniform in die Lehrwerke aufzunehmen. Denn: »Allein der Tatbestand, dass der Wehrmacht ungefähr 18 Millionen Menschen angehörten und dass die Zahl der bislang bekannten Retter in Uniform unter 100 liegt, macht das Gesamtbild der Wehrmacht eher noch düsterer und keinesfalls heller.«1471

3.

Ausblick

Die überwiegende Mehrheit der Schülerinnen und Schüler wird wahrscheinlich auch in Zukunft zu einer Heroisierung der eigenen (Ur-)Großeltern neigen, weil sich das Familiengedächtnis aufgrund (nachvollziehbarer) emotionaler Verbundenheiten den Erkenntnissen der Geschichtswissenschaft zu versperren scheint. Dennoch sollten die angestellten fachdidaktischen Überlegungen zur Rolle der »Zuschauer« helfen, eine kritische Auseinandersetzung mit der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung zu fördern. Die dargelegten Vorschläge zur Thematisierung der Verbrechen der Wehrmacht sollten ihrerseits dazu beitragen, einen differenzierten und realitätsgetreuen Blick auf die Rolle der Armee im Vernichtungskrieg zu ermöglichen. Ein Schulgeschichtsbuch, in dem Teile dieser Empfehlungen ihren Niederschlag finden, sollte in jedem Fall der etwaigen Neigung von Jugendlichen, exkulpierende Geschichtsbilder von der deutschen Gesellschaft des Nationalsozialismus zu zeichnen, entgegenwirken können. Die Ausbildung oder Festigung der Vorstellung »Weder Opa noch die anderen ca. 60 Millionen Vorfahren waren Nazis. Nazis waren Hitler und wenige andere«1472 – wie es Meik Zülsdorf-Kersting angesichts der ernüchternden Befunde aus seiner empirischen Studie zur geschichtskulturellen Sozialisation Jugendlicher und in Anlehnung an die von Harald Welzer geprägte Formel »Opa 1470 Wolfram Wette: Einleitung: Zivilcourage. Empörte, Helfer und Retter in den bewaffneten Formationen des NS-Staates. In: Ders. (Hrsg.): Zivilcourage. Empörte, Helfer und Retter aus Wehrmacht, Polizei und SS. Frankfurt am Main 2004, S. 15–32, hier S. 17. 1471 Wolfram Wette: »Ich habe nur als Mensch gehandelt …«. Rettungswiderstand aus der Wehrmacht. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 56, 2005, H. 11, S. 604–617, hier S. 617. 1472 Meik Zülsdorf-Kersting: Vorstellen und Verstehen: Jugendliche betrachten den Holocaust. In: Saskia Handro/Bernd Schönemann (Hrsg.): Visualität und Geschichte. Berlin 2011 (Geschichtskultur und historisches Lernen, Bd. 1), S. 55–68, hier S. 65f.

Ausblick

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war kein Nazi!« formulierte – sollte bei der Arbeit mit einem so gestalteten Schulbuch im Prinzip unmöglich sein. Bedenken wegen Überdrussreaktionen der Lernenden müssen die Lehrkräfte in keinem Fall haben. Zahlreiche Studien und Umfragen haben stets gezeigt, dass die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler – entgegen der landläufigen Meinung – wissbegierig ist, eine gespannte Erwartungshaltung an den Tag legt und an einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Unterricht interessiert ist.1473 Mit Unlustäußerungen reagieren die Jugendlichen allerdings, wenn von ihnen – möglichst öffentlich demonstrierte – »Betroffenheit« angesichts der prekären Lebenssituationen der unterdrückten und verfolgten jüdischen Minderheit erwartet wird.1474 Aus diesem Grund sollte beim Thema »Holocaust« in Bezug auf die Förderung der in fast allen neueren Rahmenlehrplänen explizit ausgewiesenen fachspezifischen Kompetenz der Perspektivenübernahme1475 Zurückhaltung geübt werden. Vor allem die Frage »Wie hättest du dich angesichts der Stigmatisierung und Verfolgung der Juden verhalten?« ist unter geschichtsdidaktischen Gesichtspunkten in mehrfacher Hinsicht fragwürdig: Einerseits zielen die Erwartungen der Lehrkräfte oftmals nicht nur darauf ab, wie sich die Schülerinnen und Schüler historisch verhalten hätten, 1473 Vgl. u. a. Konrad Brendler : Die Unumgänglichkeit des »Themas« Holocaust für die Enkelgeneration. In: Ders./Günter Rexilius (Hrsg.): Drei Generationen im Schatten der NSVergangenheit. Beiträge zum internationalen Forschungskolloquium Lernen und PseudoLernen in der Aufarbeitung des Holocaust. Wuppertal 1991 (Wuppertaler sozialwissenschaftliche Studien, Bd. 4), S. 220–258; Monique Eckmann/Charles Heimberg: M8moire et p8dagogie. Autour de la transmission de la destruction des Juifs d’Europe. GenHve 2011; Dana Giesecke/Harald Welzer : Das Menschenmögliche. Zur Renovierung der deutschen Erinnerungskultur. Hamburg 2012, S. 21–26; Institute of Education University of London (Hrsg.): Teaching about the Holocaust in English Secondary Schools. An empirical study of national trends. London 2009; Christoph Kühberger/Herbert Neureiter : Zum Umgang mit Nationalsozialismus, Holocaust und Erinnerungskultur. Eine quantitative Untersuchung bei Lernenden und Lehrenden an Salzburger Schulen aus geschichtsdidaktischer Perspektive. Schwalbach/Ts. 2017; Anders Lange: A survey of Teachers’ experiences and perceptions in relation to teaching about the Holocaust. Stockholm 2008; Jörn Rüsen u. a.: Untersuchungen zum Geschichtsbewußtsein von Abiturienten im Ruhrgebiet. In: Bodo von Borries/Hans-Jürgen Pandel/Ders. (Hrsg.): Geschichtsbewußtsein empirisch. Pfaffenweiler 1991 (Geschichtsdidaktik. Studien, Materialien. Neue Folge, Bd. 7), S. 221–344. 1474 Vgl. Henke-Bockschatz: Der »Holocaust« als Thema im Geschichtsunterricht, S. 315–316; Andrea Hoffmann: Junge Menschen begegnen Vergangenheit – Geschichtsvermittlung zwischen Opposition, Langeweile und Beteiligung. In: Thomas Schlag/Michael Scherrmann (Hrsg.): Bevor Vergangenheit vergeht. Für einen zeitgemäßen Politik- und Geschichtsunterricht über Nationalsozialismus und Rechtsextremismus. Schwalbach/ Ts. 2005, S. 92–99; Gerhard Schneider: Über den Umgang mit Quellen im Geschichtsunterricht. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45, 1994, H. 2, S. 73–90, hier S. 85–89. 1475 Vgl. Franziska Conrad: Perspektivenübernahme, Sachurteil und Werturteil. Drei zentrale Kompetenzen im Umgang mit Geschichte. In: Geschichte lernen H. 139 (2011), S. 2–11.

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Fazit der Studie und Perspektiven für die Praxis

sondern visieren unterschwellig auch die aus heutiger Perspektive politisch korrekte Antwort an. Andererseits können die Antworten der Jugendlichen durch Äußerungen der Solidarität nur billig (»Ich hätte den Verfolgten natürlich geholfen«) oder durch verschämte Bekenntnis peinlich (»Ich hätte auch weggeschaut«) ausfallen.1476 Abschließend noch einmal das Plädoyer für eine stärkere Integration der »Zuschauer« in die Schulbücher. Die »Zuschauer« stellten schlichtweg die Mehrheit der damaligen Bevölkerung dar. Ein Geschichtsunterricht, der sich vornehmlich auf die Täter und Opfer des Holocaust konzentriert, verkürzt die soziale Gemengelage des Nationalsozialismus.1477 Bernward Dörner hat völlig recht, wenn er schreibt: »Die meisten Deutschen schwebten weder in der Gefahr, Opfer der judenfeindlichen Politik zu werden, noch wurden sie zu Vollstreckern des Genozids. Sie wurden als ›Zuschauer‹ mit der Vernichtungspolitik konfrontiert.«1478 Erst wenn die Ebene zwischen Tätern und Opfern – auch im Schulbuch – in den Blick genommen wird, können Schülerinnen und Schüler 1476 Vgl. Brigitte Dehne: »Mit eigenen Augen sehen« oder »Mit den Augen des anderen sehen«? Eine kritische Auseinandersetzung mit den geschichtsdidaktischen Konzepten der Perspektivenübernahme und des Fremdverstehens. In: Jan-Patrick Bauer/Johannes MeyerHamme/Andreas Körber (Hrsg.): Geschichtslernen – Innovationen und Reflexionen. Geschichtsdidaktik im Spannungsfeld von theoretischen Zuspitzungen, empirischen Erkundungen, normativen Überlegungen und pragmatischen Wendungen. Festschrift für Bodo von Borries zum 65. Geburtstag. Kenzingen 2008, S. 121–143, hier S. 129f. 1477 Im Geschichtsunterricht über den Nationalsozialismus muss es darum gehen, dass Schülerinnen und Schüler ein möglichst differenziertes Bild von allen Beteiligten gewinnen. Das Plädoyer für eine stärkere Integration der »Zuschauer« darf deshalb – das sei ausdrücklich betont – nicht dahingehend missverstanden werden, als sollte in Zukunft auf die Behandlung der Täter und Opfer verzichtet werden. Ganz im Gegenteil: Um bei den Lernenden ein Verständnis dafür anzubahnen, was damals geschah, sind diese beiden Akteursgruppen natürlich unverzichtbar. Vgl. mit innovativen Beispielen und Anregungen für die Praxis des Geschichtsunterrichts Anette Hettinger: »Die Mechanismen erkennen«. Überlegungen zum historischen Lernen an Biografien von NS-Täterinnen und -Tätern. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 11 (2012), S. 77–97; Christian Kuchler (Hrsg.): Dokumente des Holocaust. Braunschweig 2012 (Praxis Geschichte extra, Bd. 3); Martin Lücke/Christina Brüning: Nationalsozialismus und Holocaust als Themen historischen Lernens in der Sekundarstufe I. Produktive eigen-sinnige Aneignungen. In: Hanns-Fred Rathenow/Birgit Wenzel/Norbert H. Weber (Hrsg.): Handbuch Nationalsozialismus und Holocaust. Historisch-politisches Lernen in Schule, außerschulischer Bildung und Lehrerbildung. Schwalbach/Ts. 2013, S. 149–165; Lukas Meissel: Verbrechen ohne VerbrecherInnen? Thematisierung von NS-TäterInnen in der historisch-politischen Bildungsarbeit zum Nationalsozialismus. In: Till Hilmar (Hrsg.): Ort, Subjekt, Verbrechen. Koordinaten historisch-politischer Bildungsarbeit zum Nationalsozialismus. Wien 2010, S. 236–251; Stefanie Schüler-Springorum: Welche Quellen für welches Wissen? Zum Umgang mit jüdischen Selbstzeugnissen und Täterdokumenten. In: Michael Brenner/ Maximilian Strnad (Hrsg.): Der Holocaust in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft. Bilanz und Perspektiven. Göttingen 2012 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd. 12), S. 83–102. 1478 Dörner : Die Deutschen und der Holocaust, S. 614f.

Ausblick

465

verstehen, wie die nationalsozialistische Gesellschaft mit ihren mörderischen Konsequenzen überhaupt funktionieren konnte.

X.

Gesamtübersicht Sample

Lehrwerksgeneration I Sekundarstufe I

Graßmann, Siegfried (Hrsg.): Zeitaufnahme. Geschichte für die Sekundarstufe I. Bd. 3: Vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg. Braunschweig: Westermann 1981. Heinloth, Bernhard (Hrsg.): Geschichte 4. Ausgabe B. München: List/Oldenbourg 1982. Brack, Harro/Grünke, Günter (Bearb.): Unser Weg in die Gegenwart. Für das 10. Schuljahr der Gymnasien. Bd. 4: Neueste Zeit. Bamberg: C.C. Buchner 1984. Goerlitz, Erich/Immisch, Joachim (Hrsg.): Zeiten und Menschen. Neue Ausgabe B. Niedersachsen. Bd. 4: Zeitgeschichte. Von der Oktoberrevolution bis zur Gegenwart. Paderborn/Hannover: Schöningh/Schroedel 1985. Ballhausen, Hans-W. u. a.: Geschichte und Geschehen 10. Ausgabe N. Gymnasium. Stuttgart: Klett 1988. Hüttenberger, Peter/Mütter, Bernd (Hrsg.): Geschichtsbuch. Die Menschen und ihre Geschichte in Darstellungen und Dokumenten. Allgemeine Ausgabe. Bd. 4: Von 1917 bis heute. Berlin: Cornelsen/Hirschgraben 1988. Hug, Wolfgang (Hrsg.): Unsere Geschichte. Bd. 4: Von der Oktoberrevolution bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main: Diesterweg 1988. Zuber, Karl-Heinz/Holzbauer, Hans (Hrsg.): bsv Geschichte. Bd. 4: Vom Zeitalter des Imperialismus bis zur Gegenwart. München: Bayerischer Schulbuch-Verlag 1988.

Sekundarstufe II

Pfändtner, Bernhard/Reiner Schell: Buchners Kolleg Geschichte. Weimarer Republik – Nationalsozialismus. Bamberg: C.C. Buchner 1986. Mickel, Wolfgang W. (Hrsg.): Geschichte, Politik und Gesellschaft. Lern- und Arbeitsbuch für Geschichte in der gymnasialen Oberstufe. Bd. 1: Von der Französischen Revolution bis zum Ende des 2. Weltkrieges. Frankfurt am Main: Cornelsen/Hirschgraben 1988. Prokasky, Herbert/Tabaczek, Martin (Hrsg.): Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II. Bd. 4: Weimarer Republik und nationalsozialistische Herrschaft. Deutschland zwischen Demokratie und Diktatur. Paderborn: Schöningh 1989. Pandel, Hans-Jürgen/Rohlfes, Joachim (Hrsg.): Historisch-politische Weltkunde. Kursmaterialien Geschichte Sekundarstufe II/Kollegstufe. Weimarer Republik und Natio-

468

Gesamtübersicht Sample

nalsozialismus. Demokratie und Diktatur in Deutschland 1918–1945. Stuttgart: Klett 1990.

Lehrwerksgeneration II Sekundarstufe I

Heinloth, Bernhard (Hrsg.): Oldenbourg Geschichte für Gymnasien 9. München: Oldenbourg 1994. Bartl, Gerhard u. a. (Bearb.): Unser Weg in die Gegenwart – Neu. Für das 9. Schuljahr der Gymnasien. Bd. 4: Das Deutsche Reich bis 1945. Bamberg: C.C. Buchner 1995. Lendzian, Hans-Jürgen/Schörken, Rolf (Hrsg.): Rückspiegel. Woher wir kommen – wer wir sind. Bd. 4: Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Paderborn: Schöningh 1996. Askani, Bernhard/Wagener, Elmar (Hrsg.): Anno. Bd. 4: Das 20. Jahrhundert. Braunschweig: Westermann 1997. Mütter, Bernd/Pingel, Falk/Zwölfer, Norbert (Hrsg.): Geschichtsbuch – Neue Ausgabe. Die Menschen und ihre Geschichte in Darstellungen und Dokumenten. Bd. 4: Von 1918 bis heute. Berlin: Cornelsen 1997. Zuber, Karl-Heinz/Cornelissen, Joachim (Hrsg.): bsv Geschichte. Ausgabe GN. Bd. 4: Das 20. Jahrhundert. München/Düsseldorf/Stuttgart: Bayerischer Schulbuch-Verlag 1997. Bergmann, Klaus u. a.: Geschichte und Geschehen. Geschichtliches Unterrichtswerk für die Sekundarstufe I. Niedersachen. Bd. 4. Leipzig: Klett 1999. Hinrichs, Ernst/Müller, Bernhard/Stehling, Jutta (Hrsg.): Wir machen Geschichte. Gymnasium. Bd. 3: Von der Industrialisierung bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main: Diesterweg 1999. Müller, Bernhard u. a. (Hrsg.): Historia. Geschichtsbuch für Gymnasien. Bd. 4: Das 20. Jahrhundert. Paderborn: Schöningh 1999.

Sekundarstufe II

Bernlochner, Ludwig (Hrsg.): Geschichte und Geschehen Oberstufe. Ausgabe A/B. Bd. 2. Stuttgart: Klett 1995. Enger, Anton u. a.: Geschichte Sekundarstufe II. Deutschland im Umbruch. Geschichte Deutschlands 1933–1990. Hannover: Schroedel 1996. Geiss, Imanuel/Ballof, Rolf/Fricke-Finkelnburg, Renate (Hrsg.): Epochen und Strukturen. Grundzüge einer Universalgeschichte für die Oberstufe. Bd. 2: Vom Absolutismus bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main: Diesterweg 1996. Günther-Arndt, Hilke/Hoffmann, Dirk/Zwölfer, Norbert (Hrsg.): Geschichtsbuch Oberstufe. Bd. 2: Das 20. Jahrhundert. Mit Methodenarbeitsteilen und Anregungen für thematische Längsschnitte. Berlin: Cornelsen 1996.

Gesamtübersicht Sample

469

Lehrwerksgeneration III Sekundarstufe I

Beck, Dorothea u. a.: Zeit für Geschichte. Geschichtliches Unterrichtswerk für Gymnasien. Ausgabe A. Bd. 4. Hannover : Schroedel 2002. Brückner, Dieter (Hrsg.): Das waren Zeiten. Unterrichtswerk für Geschichte an Gymnasien. Sekundarstufe I. Ausgabe B. Bd. 4: Das 20. Jahrhundert. Bamberg: C.C. Buchner 2002. Lendzian, Hans-Jürgen/Mattes, Wolfgang (Hrsg.): Zeiten und Menschen. Geschichtswerk für das Gymnasium – Stammausgabe. Bd. 4. Paderborn: Schöningh 2002. Osburg, Florian/Klose, Dagmar (Hrsg.): Expedition Geschichte. Ausgabe für Gymnasien und Gesamtschulen. Bd. 3: Von der Entstehung des Deutschen Kaiserreiches bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Frankfurt am Main: Diesterweg 2003. Regenhardt, Hans-Otto/Tatsch, Claudia (Hrsg.): Forum Geschichte. Allgemeine Ausgabe für Gymnasien. Bd. 4: Vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Gegenwart. Berlin: Cornelsen 2003. Bender, Daniela u. a.: Geschichte und Geschehen. Sekundarstufe I. Bd. 4. Ausgabe A für Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen. Leipzig: Klett 2005.

Sekundarstufe II

Berg, Rudolf u. a.: Kursbuch Geschichte. Von der Antike bis zur Gegenwart. Allgemeine Ausgabe. Berlin: Cornelsen 2000. Pfändtner, Bernhard/Schell, Reiner (unter Mitarbeit von Focke, Harald): Buchners Kolleg. Themen Geschichte. Weimarer Republik und NS-Staat. Bamberg: C.C. Buchner 2000. Stillig, Jürgen/Wippermann, Wolfgang: Kurshefte Geschichte. Der Nationalsozialismus. Die Zeit der NS-Herrschaft und ihre Bedeutung für die deutsche Geschichte. Berlin: Cornelsen 2000. Bahr, Frank (Hrsg.): Horizonte – Geschichte für die Oberstufe. Bd. 2: Von der Französischen Revolution bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Braunschweig: Westermann 2003. Bender, Daniela u. a.: Geschichte und Geschehen Oberstufe. Neuzeit. Ausgabe für Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein. Leipzig: Klett 2006. Lendzian, Hans-Jürgen (Hrsg.): Zeiten und Menschen. Geschichtswerk für die Oberstufe – Stammausgabe. Bd. 2. Paderborn: Schöningh 2006.

Lehrwerksgeneration IV Sekundarstufe I

Baumgärtner, Ulrich/Döscher, Hans-Jürgen/Fieberg, Klaus (Hrsg.): Horizonte 3. Geschichte Gymnasium Niedersachsen. Schuljahrgänge 9 und 10. Braunschweig: Westermann 2009.

470

Gesamtübersicht Sample

Lendzian, Hans-Jürgen (Hrsg.): Zeiten und Menschen 3. Geschichtswerk für das Gymnasium. Nordrhein-Westfalen. Paderborn: Schöningh 2009. Brückner, Dieter/Focke, Harald (Hrsg.): Das waren Zeiten. Neue Ausgabe Niedersachsen. Unterrichtswerk für Geschichte an Gymnasien. Sekundarstufe I. Bd. 4: Deutschland, Europa und die Welt von 1871 bis zur Gegenwart. Bamberg: C.C. Buchner 2010. Cornelissen, Joachim u. a. (Hrsg.): Mosaik. Der Geschichte auf der Spur. Ausgabe E zum neuen Lehrplan in Niedersachsen. Bd. 3: Vom Deutschen Kaiserreich bis zur Gegenwart. München: Oldenbourg 2010. Eckhardt, Hans-Wilhelm u. a.: Zeit für Geschichte. Geschichtliches Unterrichtswerk für Gymnasien. Gymnasium Niedersachsen. Bd. 9/10. Braunschweig: Schroedel 2010. Regenhardt, Hans-Otto (Hrsg.): Forum Geschichte 9/10. Niedersachsen. Vom Kaiserreich bis zur Gegenwart. Berlin: Cornelsen 2010. Sauer, Michael (Hrsg.): Geschichte und Geschehen 6. Ausgabe für Bremen und Niedersachsen. Stuttgart: Klett 2011.

Sekundarstufe II

Henri, Daniel/Le Quintrec, Guillaume/Geiss, Peter (Hrsg.): Histoire/Geschichte. Deutschfranzösisches Geschichtsbuch. Gymnasiale Oberstufe. Bd. 2: Europa und die Welt vom Wiener Kongress bis 1945. Leipzig: Klett 2008. Lanzinner, Maximilian (Hrsg.): Buchners Kompendium Geschichte. Lehr- und Arbeitsbuch für die Oberstufe. Von der Antike bis zur Gegenwart. Bamberg: C.C. Buchner 2008. Scholz, Ulrich: Thema Geschichte kompakt. Geschichtliche Reihe für die Sekundarstufe II. Der Nationalsozialismus – Ideologie und Herrschaft. Braunschweig: Schroedel 2008. Laschewski-Müller, Karin/Rauh, Robert (Hrsg.): Kursbuch Geschichte. Neue allgemeine Ausgabe. Von der Antike bis zur Gegenwart. Berlin: Cornelsen 2009. Rohlfes, Joachim/Arand, Tobias (Hrsg.): Historisch-Politische Weltkunde. Kursmaterialien Geschichte Oberstufe. Weimarer Republik und Nationalsozialismus. Stuttgart: Klett 2010. Jäger, Wolfgang: Kurshefte Geschichte. NS-Herrschaft: »Volksgemeinschaft« und Verbrechen. Berlin: Cornelsen 2012.

XI.

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XII. Abkürzungsverzeichnis

APO ARD BBC BRD CDU DDR Degesch DNHV DVP FDP Gestapo GPU GULAG HIS HJ IHRA ITF KL/KZ KMK KPD KPdSU Kripo NKWD NS NSDAP NSV OKW RSHA

Außerparlamentarische Opposition Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland British Broadcasting Corporation Bundesrepublik Deutschland Christlich Demokratische Union Deutschlands Deutsche Demokratische Republik Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung Deutschnationaler Handlungsgehilfenverband Deutsche Volkspartei Freie Demokratische Partei Geheime Staatspolizei Russische Abkürzung für Staatliche Politische Verwaltung (sowjetischer Geheimdienst von 1922 bis 1934) Russische Abkürzung für die Verwaltung der Straflager in der Sowjetunion Hamburger Institut für Sozialforschung Hitlerjugend International Holocaust Remembrance Alliance Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance, and Research Konzentrationslager Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Kriminalpolizei Russische Abkürzung für Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten (sowjetisches Innenministerium bis 1946) Nationalsozialismus, nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Oberkommando der Wehrmacht Reichssicherheitshauptamt

534 SA SBZ SD SPD SS UdSSR USA WDR ZDF

Abkürzungsverzeichnis

Sturmabteilung Sowjetische Besatzungszone Sicherheitsdienst des Reichsführers SS Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United States of America Westdeutscher Rundfunk Zweites Deutsches Fernsehen

XIII. Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: »Boykott 1933« (Zeitaufnahme 1981, S. 72)

Abb. 2: »Litfaßsäule in Berlin, aufgenommen am 30. März 1933« (Geschichtsbuch 1988, S. 126)

536

Abbildungsverzeichnis

Abb. 3: »SA-Leute am 1. April 1933 als Boykottposten vor einem jüdischen Kaufhaus in Berlin« (Geschichte und Geschehen 1988, S. 107)

Abb. 4: »Boykott jüdischer Geschäfte durch die SA am 1. April 1933« (bsv Geschichte 1988, S. 131)

Abbildungsverzeichnis

537

Abb. 5: »Boykottpropaganda gegen jüdische Geschäftsinhaber : Posten der SA vor einem Berliner Warenhaus am 1. April 1933« (Unser Weg in die Gegenwart 1984, S. 127)

Abb. 6: »Brand der Synagoge in Berlin« (Zeitaufnahme 1981, S. 73)

538

Abbildungsverzeichnis

Abb. 7: »Brennende Synagoge. Aus den Synagogen wurden die Kultgegenstände herausgetragen, auf die Straße geworfen, verhöhnt und geschändet.« (Zeiten und Menschen 1985, S. 97)

Abb. 8: »Ausgebrannte Synagoge in Berlin Fasanenstraße (1938)« (Unsere Geschichte 1988, S. 109)

Abbildungsverzeichnis

539

Abb. 9: »Angehörige der SS zwingen Dr. Arthur Flehinger, Mitglied der jüdischen Gemeinde in Baden-Baden, in der Synagoge aus Hitlers ›Mein Kampf‹ vorzulesen, bevor die Synagoge angezündet wurde. 10. November 1938« (Historisch-Politische Weltkunde 1990, S. 174)

Abb. 10: »SA-Mann mit zerrissenen Thora-Rollen in der zerstörten Synagoge in München am 9. 11. 1938« (Geschichte 1982, S. 131)

540

Abbildungsverzeichnis

Abb. 11: »Zerstörte Synagoge in München (Nov. 1938). SA-Mann vor zerrissenen Thora-Rollen« (Unser Weg in die Gegenwart 1984, S. 128)

Abb. 12: »Jüdische Mitbürger auf dem Weg zur Deportation nach dem 9. November 1938, begleitet von SS und SA« (Geschichtsbuch 1988, S. 122)

Abbildungsverzeichnis

541

Abb. 13: »Massenverhaftungen in Berlin 1933« (Geschichte und Geschehen 1988, S. 93)

Abb. 14: »Auf dem Bahnhof in Bielefeld: Judendeportation (13. 12. 1941)« (Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II 1989, S. 190)

542

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Abb. 15: »Deportation von Juden in Würzburg (Foto)« (Geschichte und Geschehen 1988, S. 112)

Abb. 16: »Erschießung von Partisanen« (Unsere Geschichte 1988, S. 145)

Abb. 17: »Erschießung von Partisanen durch deutsche Soldaten« (Geschichte 1982, S. 147)

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543

Abb. 18: »Hinrichtung russischer Zivilisten durch deutsches Militär in Minsk, 1941. Nicht nur der Kampf gegen sowjetische Partisanen, sondern auch die Absicht, die russische Bevölkerung zu einem nach Belieben ausbeutbaren Sklavenvolk herabzudrücken, führte dazu, daß willkürliche Hinrichtungen an der Tagesordnung waren.« (Historisch-Politische Weltkunde 1990, S. 219)

Abb. 19: »Litfaßsäule in Berlin, aufgenommen am 30. März 1933« (Geschichtsbuch – Neue Ausgabe 1997, S. 102)

544

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Abb. 20: »SA-Mann vor einem jüdischen Geschäft zu Beginn des Juden-Boykotts in Berlin im April 1933« (Oldenbourg Geschichte für Gymnasien 1994, S. 183)

Abb. 21: »SA mit Boykott-Aufruf vor einem jüdischen Geschäft, 1933« (Epochen und Strukturen 1996, S. 342)

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545

Abb. 22: »Boykott jüdischer Geschäfte durch die SA am 1. April 1933« (bsv Geschichte 1997, S. 122)

Abb. 23: »Boykott jüdischer Geschäfte am 1. 4. 1933, Pressefoto« (Wir machen Geschichte 1999, S. 247)

546

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Abb. 24: »Boykottpropaganda gegen jüdische Geschäftsinhaber : Posten der SA vor einem Berliner Warenhaus am 1. April 1933« (Unser Weg in die Gegenwart – Neu 1995, S. 122)

Abb. 25: »Boykott jüdischer Geschäfte. SA-Leute stehen am 1. April 1933 als Boykottposten vor einem Kaufhaus in Berlin. Die Parteileitung der NSDAP hatte angeordnet, sämtliche jüdischen Geschäfte und Praxen zu boykottieren. Es gehörte viel Mut dazu, den Parolen der gewaltbereiten SA-Leute nicht zu folgen.« (Geschichte und Geschehen 1999, S. 116)

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547

Abb. 26: »Ausgebrannte Synagoge in Berlin (1938)« (Epochen und Strukturen 1996, S. 375)

Abb. 27: »Ausgebrannte Synagoge in Nürnberg nach der ›Reichskristallnacht‹.« (Unser Weg in die Gegenwart – Neu 1995, S. 123)

548

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Abb. 28: »SA-Mann mit zerrissenen Thora-Rollen in der zerstörten Synagoge in München am 9. November 1938« (Oldenbourg Geschichte für Gymnasien 1994, S. 183)

Abb. 29: »Jüdische Mitbürger auf dem Weg zur Deportation nach dem 9. November 1938, begleitet von SS und SA« (Geschichtsbuch – Neue Ausgabe 1997, S. 98)

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549

Abb. 30: »Verhaftung jüdischer Bürger 1938 in Baden-Baden. Die Masse schaut zu.« (Anno 1997, S. 85)

Abb. 31: »Es geschah am helllichten Tag. Deportation jüdischer Einwohner im Jahre 1942« (Historia 1999, S. 146)

550

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Abb. 32: »Erschießung von Juden durch deutsche Einsatzgruppen. Die Zuschauer sind überwiegend Soldaten.« (Anno 1997, S. 116)

Abb. 33: »Angehörige des Wehrmachtsregiments Großdeutschland erschießen und erhängen am 22. April 1941 in Pancˇevo, Serbien, 36 unbeteiligte Zivilisten als Sühne für 2 erschossene SSMänner. Deutsches Foto.« (Wir machen Geschichte 1999, S. 244)

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551

Abb. 34: »Ausgebombt – Mannheim 1944« (Geschichte und Geschehen 1999, S. 130)

Abb. 35: »›Mutter des Partisanen‹. Bild des sowjetischen Malers Gerassimow, 1943. Als Vergeltung für Partisanenüberfälle zerstörten deutsche Einheiten zahllose Dörfer, erschossen Frauen, Kinder und alte Leute. Nationale Mahnmale für derartige Vernichtungsaktionen sind z. B. Lidice in Tschechien, Oradour in Frankreich, Anogia auf Kreta oder Marzabotto in Italien. – Was will der Maler mit dem Bild aussagen und bewirken?« (Geschichte und Geschehen 1999, S. 147)

552

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Abb. 36: »Fenster eines Berliner Modegeschäfts, 1. April 1933« (Buchners Kolleg. Themen Geschichte 2000, S. 147)

Abb. 37: »Boykott jüdischer Geschäfte (1. April 1933). Der Boykott war als propagandistische Aktion gedacht. Der englische Text auf dem Schaufenster verweist darauf, dass die Urheber offenkundig auch Ausländer beeinflussen wollten.« (Horizonte – Geschichte für die Oberstufe 2003, S. 332)

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553

Abb. 38: »Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933, Fotografie (SA-Mann retuschiert)« (Kurshefte Geschichte 2000, S. 75)

Abb. 39: »SA-Wache vor jüdischen Rechtsanwaltspraxen in München, 1. 4. 1933« (Zeit für Geschichte 2002, S. 109)

554

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Abb. 40: »SA- und SS-Posten vor einem Geschäft. Foto aus Heilbronn vom 1. April 1933« (Das waren Zeiten 2002, S. 80)

Abb. 41: »Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte in Essen, Foto, 1. April 1933« (Forum Geschichte 2003, S. 92)

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555

Abb. 42: »SA-Leute am 1. April 1933 als Boykottposten vor einem jüdischen Geschäft in Berlin« (Geschichte und Geschehen 2005, S. 111)

Abb. 43: »Die brennende Synagoge in Essen am Morgen des 10. November, Foto, 1938« (Forum Geschichte 2003, S. 94)

556

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Abb. 44: »Brennende Synagoge in Essen. Foto am Tag nach der Reichspogromnacht« (Geschichte und Geschehen 2005, S. 115)

Abb. 45: »Brennende Synagoge in Essen am 10. November 1938« (Buchners Kolleg. Themen Geschichte 2000, S. 152)

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557

Abb. 46: »Jüdische Geschäfte in Berlin nach der ›Reichskristallnacht‹« (Buchners Kolleg. Themen Geschichte 2000, S. 153)

Abb. 47: »Sammlung von Juden auf dem Lörracher Marktplatz zum Abtransport ins Lager Gurs (Pyrenäen) am Tag des Laubhüttenfestes, 1940« (Zeit für Geschichte 2002, S. 112)

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Abb. 48: »Bahnhof in Hanau am 28. Mai 1942 gegen 16 Uhr, Fotografie« (Kurshefte Geschichte 2000, S. 80)

Abb. 49: »Juden auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof vor dem Abtransport in den Osten. Foto, Ende 1941. Gestapo und Polizei organisierten die Deportationen. Sie arbeiteten mit der Reichsbahn zusammen. Die Opfer mussten die Fahrt selbst bezahlen.« (Das waren Zeiten 2002, S. 117)

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Abb. 50: »Juden-Deportation aus Würzburg, Foto, 25. April 1942. 856 Männer, Frauen und Kinder wurden zum Güterbahnhof getrieben. Der Transport ging über das Sammellager Nürnberg und endete in den Vernichtungslagern Belzec, Majdanek und Treblinka.« (Forum Geschichte 2003, S. 120)

Abb. 51: »Antisemitismus war schon vor den Nationalsozialisten in Deutschland populär. Der Roman von Artur Dinter ›Die Sünde wider das Blut‹ fand um 1920 über eine Million Leser.« (Buchners Kolleg. Themen Geschichte 2000, S. 78)

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Abb. 52: »Geschäftspostkarte einer Münchner Firma von 1939« (Kurshefte Geschichte 2000, S. 78)

Abb. 53: »Anzeige, Berlin 1938« (Zeit für Geschichte 2002, S. 111)

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561

Abb. 54: »Geografische Lage des Heeresgebiets Mitte im Oktober 1941. Hier war das 691. Infanterieregiment tätig.« (Zeiten und Menschen – Geschichtswerk für die Oberstufe 2006, S. 183)

Abb. 55: »Titelblatt ›Die Wehrmacht‹, November 1941. Originaltext: 1000 von 657948! In der Doppelschlacht von Brjansk und Wjasma wurden nach dem OKW-Bericht vom 19. Oktober 657948 Gefangene gemacht. Unser Bild zeigt den Abtransport von Gefangenen aus Auffanglagern.« (Zeiten und Menschen 2002, S. 137)

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Abb. 56: »Sowjetische Gefangene müssen ihr Grab ausheben. Foto von 1941« (Das waren Zeiten 2002, S. 104)

Abb. 57: »Kriegsgefangene im Spätherbst 1941. Es gab nur selbst gegrabene Erdlöcher zum Schutz gegen Regen, Kälte, Schnee.« (Expedition Geschichte 2003, S. 201)

Abb. 58: »Eines der riesigen Lager mit russischen Kriegsgefangenen, Foto, Spätsommer 1941« (Expedition Geschichte 2003, S. 201)

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563

Abb. 59: »Öffentliche Hinrichtung in Minsk, der heutigen Hauptstadt Weißrusslands, Foto, 26. Oktober 1941. An jenem Sonntag wurden zwölf Personen von Angehörigen der Wehrmacht öffentlich hingerichtet. Sie trugen Schilder mit der Aufschrift ›Wir sind Partisanen und haben auf deutsche Soldaten geschossen‹. Das entsprach nicht der Wahrheit. Sie gehörten zu einer Widerstandsgruppe, die genesende Rotarmisten, die sich im Lazarett des Infektionskrankenhauses befanden, mit Zivilkleidung und falschen Pässen versorgte, um sie zu den eigenen Einheiten zu führen. Bisher ungeklärt ist die Identität der jungen Frau. Im Holocaust-Museum in Washington wird sie als jüdische Widerstandskämpferin Masha Bruskina verehrt, auf einem Denkmal in einem Dorf nahe Minsk wird an Alexandra Wasiljewna Linewitsch erinnert, die nach Aussagen von Verwandten die Hingerichtete sein soll. Von der Hinrichtung liegen mehrere Fotos unterschiedlicher Fotografen vor.« (Forum Geschichte 2003, S. 118)

Abb. 60: »Hinrichtung der russischen Partisanin Masha Bruskina. Ein Wehrmachtssoldat legt ihr den Strick um den Hals. Foto vom 26. 10. 1941« (Geschichte und Geschehen 2005, S. 126)

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Abb. 61: »Fenster eines Berliner Modegeschäfts. Foto vom 1. April 1933« (Buchners Kompendium Geschichte 2008, S. 344)

Abb. 62: »Boykottaufruf durch SA-Männer vor dem Berliner Warenhaus N. Israel, das gegenüber dem Roten Rathaus stand, Fotografie vom 1. April 1933« (Kursbuch Geschichte 2009, S. 433)

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565

Abb. 63: »Boykott jüdischer Geschäfte. Foto, aufgenommen in der Breitestraße in Berlin am 2. April 1933« (Geschichte und Geschehen 2011, S. 36)

Abb. 64: »Boykott jüdischer Geschäfte. Fotografie, Hamburg, 1. April 1933« (Histoire/Geschichte 2008, S. 268)

566

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Abb. 65: »Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte in Essen am 1. April 1933« (Zeit für Geschichte 2010, S. 198)

Abb. 66: »SA-Männer vor dem Ladengeschäft von Nathan Schmidt am 1. April 1933, Berlin« (Thema Geschichte kompakt 2008, S. 50)

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567

Abb. 67: »Kaufhaus ›Woolworth‹ in Wuppertal-Barmen am 1. April 1933, Fotografie« (Kurshefte Geschichte 2012, S. 119)

Abb. 68: »Eine Käuferin, die den April-Boykott in Mittweida (Sachsen) missachtet, wird fotografiert, vermutlich 1. April 1933« (Kurshefte Geschichte 2012, S. 115)

568

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Abb. 69: »Der ›Judenboykott‹ 1933. SA-Mann am 1. April 1933 vor einem jüdischen Kaufhaus in Berlin« (Horizonte 2009, S. 164)

Abb. 70: »Jüdische Geschäfte in Berlin nach dem Novemberpogrom 1938« (Buchners Kompendium Geschichte 2008, S. 346)

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569

Abb. 71: »Die brennende Synagoge in Essen am Morgen des 10. November, Foto, 1938« (Forum Geschichte 2010, S. 160)

Abb. 72: »Eine Berliner Straßenszene am 10. November 1938« (Zeit für Geschichte 2010, S. 199)

570

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Abb. 73: »Jüdische Bürger werden von der SA durch die Straßen von Oldenburg geführt. Foto, 10. November 1938« (Geschichte und Geschehen 2011, S. 37)

Abb. 74: »Brennende Synagoge in Essen, 9./10. November 1938« (Horizonte 2009, S. 165)

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571

Abb. 75: »Die Synagoge in Hannover in der Bergstraße. Foto von Wilhelm Hauschild vom 10. November 1938, um etwa 2:00 Uhr nachts« (Das waren Zeiten 2010, S. 153)

Abb. 76: »Sichtung der Pogromschäden vom 10. November 1938« (Histoire/Geschichte 2008, S. 269)

572

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Abb. 77: »Juden aus Eisenach auf dem Weg zum Bahnhof, Foto, 9. Mai 1942. Von dort wurden sie mit Deportationszügen in das polnische Ghetto Belzyce bei Lublin gebracht.« (Forum Geschichte 2010, S. 176)

Abb. 78: »Eisenacher Juden am 9. Mai 1942 auf dem Weg zum Deportationszug, der sie in das zum Getto umfunktionierte polnische Dorf Belzyce brachte, Fotografie. Das Foto entstand im Auftrag der Stadt für eine kommunale Chronik.« (Kurshefte Geschichte 2012, S. 143)

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573

Abb. 79: »Deportation Würzburger Juden. 955 Bürger werden von einer Sammelstelle durch die Stadt zum Bahnhof geführt. Polizeifoto, 25. April 1942« (Geschichte und Geschehen 2011, S. 48)

Abb. 80: »Denkmal in der Berliner Rosenstraße. Foto von 1995. Das Denkmal von Ingeborg Hunzinger wurde am 18. Oktober 1995 eingeweiht.« (Das waren Zeiten 2010, S. 182)

574

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Abb. 81: »Denkmal in der Berliner Rosenstraße. Foto von 1995« (Buchners Kompendium Geschichte 2008, S. 378)

Abb. 82: »Versteigerung jüdischen Hausrats 1942, Hanau« (Thema Geschichte kompakt 2008, S. 37)

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575

Abb. 83: »Versteigerung des Hausrates deportierter jüdischer Bürger in Hanau. Foto, 1942« (Geschichte und Geschehen 2011, S. 51)

Abb. 84: »Bereits im Kaiserreich gab es ein breites Angebot an Postkarten, die antisemitische Karikaturen zeigten. Die hier abgebildete Karte stammt aus Borkum. Unter den Illustrationen findet sich das ›Borkumlied‹, das unter den anderen Urlaubern offenbar sehr beliebt war.« (Thema Geschichte kompakt 2008, S. 11)

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Abb. 85: »Antisemitismus war schon vor den Nationalsozialisten in Deutschland populär. Der Roman von Artur Dinter ›Die Sünde wider das Blut‹ fand um 1920 über eine Million Leser.« (Buchners Kompendium Geschichte 2008, S. 327)

Abb. 86: »Anzeige in einer Berliner Tageszeitung, 1938. Die Familie Grünfeld besaß in Berlin mehrere Fachgeschäfte für Tisch- und Bettwäsche. Als Juden mussten die Grünfelds ihre Geschäfte im Zuge der sogenannten Arisierung 1938 einem nicht-jüdischen Deutschen – vermutlich unter Preis – verkaufen. Der Käufer warb mit der abgebildeten Anzeige um Kunden.« (Zeit für Geschichte 2010, S. 201)

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577

Abb. 87: »Geschäftspostkarte, München, 1939« (Kurshefte Geschichte 2012, S. 9)

Abb. 88: »Arisiertes Geschäft 1938. Weit unter Preis mussten jüdische Ladenbesitzer ihr Geschäft an ›arische‹ Deutsche verkaufen. Diese warben, wie hier, offen mit ihrem ›jetzt deutschen‹ Geschäft.« (Thema Geschichte kompakt 2008, S. 35)

578

Abbildungsverzeichnis

Abb. 89: »Formen alltäglicher Ausgrenzung von Juden, dargestellt in einer Bildgeschichte von Kurt Halbritter aus dem Jahr 1968« (Geschichte und Geschehen 2011, S. 39)

Abb. 90: »Sowjetische Gefangene müssen ihr Grab ausheben. Foto von 1941« (Das waren Zeiten 2010, S. 164)

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579

Abb. 91: »Entsetzliche Bedingungen für sowjetische Kriegsgefangene. Erdhöhlen im Lager Wietzendorf, südlich von Hamburg, ohne Datum. Vor dem Bau von Baracken mussten die Gefangenen in diesen Erdhöhlen ihr Leben fristen. Viele kamen dabei um.« (Histoire/Geschichte 2008, S. 324)

Abb. 92: »Sterblichkeitsrate von Kriegsgefangenen während der beiden Weltkriege« (Histoire/ Geschichte 2008, S. 324)

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 93: »Öffentliche Hinrichtung in Minsk, der heutigen Hauptstadt Weißrusslands, Foto, 26. Oktober 1941. An jenem Sonntag wurden zwölf Personen von Angehörigen der Wehrmacht öffentlich hingerichtet. Sie trugen Schilder mit der Aufschrift ›Wir sind Partisanen und haben auf deutsche Soldaten geschossen‹. Das entsprach nicht der Wahrheit. Sie gehörten zu einer Widerstandsgruppe, die Rotarmisten unterstützte. Bisher ungeklärt ist die Identität der jungen Frau. Im Holocaust-Museum in Washington wird sie als jüdische Widerstandskämpferin Masha Bruskina verehrt; auf einem Denkmal in einem Dorf nahe Minsk wird an Alexandra Wasiljewna Linewitsch erinnert, die nach Aussagen von Verwandten die Hingerichtete sein soll.« (Forum Geschichte 2010, S. 175)

Abb. 94: »Hinrichtung russischer Zivilisten durch deutsches Militär in Minsk am 26. Oktober 1941. Ein deutscher Offizier knüpft eigenhändig die beiden Jugendlichen auf. Sie wurden als Partisanen bezeichnet, hatten jedoch lediglich russischen Kriegsgefangenen zur Flucht aus dem Lazarett verholfen. Das siebzehnjährige Mädchen, Masha Bruskina, war eine aus dem Ghetto geflohene Jüdin, die sich, um nicht als solche erkannt zu werden, die Haare blondiert hatte.« (Historisch-Politische Weltkunde 2010, S. 184)

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581

Abb. 95: »Öffentliche Hinrichtung in Minsk, der heutigen Hauptstadt Weißrusslands, Fotografie vom 26. Oktober 1941. An jenem Sonntag wurden zwölf Personen durch Wehrmachtsangehörige öffentlich erhängt. Sie trugen Schilder mit der Aufschrift ›Wir sind Partisanen und haben auf deutsche Soldaten geschossen‹. Dies entsprach nicht der Wahrheit. Tatsächlich hatten sie versucht, verletzten Soldaten der Roten Armee bei der Flucht zu helfen.« (Kursbuch Geschichte 2009, S. 454)

Abb. 96: »Öffentliche Hinrichtung in Minsk, der heutigen Hauptstadt Weißrusslands, Fotografie vom 26. Oktober 1941. An jenem Sonntag wurden 12 Personen durch Wehrmachtsangehörige öffentlich erhängt. Sie trugen Schilder mit der Aufschrift ›Wir sind Partisanen und haben auf deutsche Soldaten geschossen‹. Das entsprach nicht der Wahrheit. Tatsächlich hatten sie versucht, verletzten Soldaten der Roten Armee bei der Flucht zu helfen.« (Kurshefte Geschichte 2012, S. 174)

582

Abbildungsverzeichnis

Abb. 97: »Eine terrorisierte Bevölkerung – Massenhinrichtungen in Jugoslawien. In der Nacht vom 20. auf den 21. April 1941 wurde bei Belgrad auf einen SS-Soldaten ein Attentat verübt. Um ein Exempel zu statuieren, wurden daraufhin 36 serbische Zivilisten von einem Militärgericht zum Tode verurteilt. Dieses Foto zeigt, dass nicht nur die SS für Morde und Misshandlungen an der Bevölkerung Ost- und Südosteuropas verantwortlich war, sondern auch die Wehrmacht.« (Histoire/Geschichte 2008, S. 321)

Abb. 98: »Repressalien und Sammelhinrichtungen – eine öffentliche Erhängung in Minsk. Am 26. Oktober 1941 wurden in Minsk (Weißrussland) zwölf Personen öffentlich erhängt. Sie wurden fälschlicherweise beschuldigt, auf deutsche Soldaten geschossen zu haben, hatten jedoch lediglich versucht, verletzten Soldaten der Roten Armee bei der Flucht zu helfen.« (Histoire/Geschichte 2008, S. 325)