Herzog Bernhard III. von Sachsen-Meiningen (1851–1928): Zwischen Erwartung und Realität [1 ed.] 9783412514914, 9783412514891

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Herzog Bernhard III. von Sachsen-Meiningen (1851–1928): Zwischen Erwartung und Realität [1 ed.]
 9783412514914, 9783412514891

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Stefan Gerber, Maren Goltz (Hg.)

Herzog Bernhard III. von Sachsen-Meiningen (1851–1928) Zwischen Erwartung und Realität

Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Kleine Reihe Band 56

Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Kleine Reihe Band 56

Stefan Gerber, Maren Goltz (Hg.)

Herzog Bernhard III. von SachsenMeiningen (1851–1928) Zwischen Erwartung und Realität

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Gedruckt mit Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.

Mit 50 Abbildungen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Cie. KG, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Erbprinz Bernhard von Sachsen-Meiningen, Fotografie von Louis Otto Weber, Meiningen 1907, Meininger Museen, XIII 1904. Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Korrektorat: Kornelia Trinkaus, Meerbusch

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51491-4

Inhalt

Stefan Gerber/M aren Goltz Einleitung........................................................................................................................ 7 Frank-Lothar K roll Möglichkeiten und Grenzen dynastischer Netzwerkbildung im 19. und frühen 20. Jahrhundert.................................................................................. 17 Barbara Beck Bernhard III., Charlotte und Kaiser Wilhelm II. Die letzte Herzogin von Sachsen-Meiningen.......................................................... 39 M artin Otto Vom Untertanenverband zum liberalen Musterstaat der Staatsbürger. Das Staatsrecht des Herzogtums Sachsen-Meiningen........................................... 57 M anuel Schwarz „Nein ich sehe schwarz, sehr schwarz in die Zukunft...“ Bernhard III. im Verhältnis zur Generation der „Übergangsfürsten“............... 83 Eberhard Pfister Bernhard III. von Sachsen-Meiningen: Der Militär............................................ 107 Stephan G. Schmid Bernhard III. von Sachsen-Meiningen und die Altertumswissenschaften.................................................................................... 113 A ndrea Jakob Umbruch und Kontinuität – die Novemberrevolution im Herzogtum Sachsen-Meiningen......................................................................... 147 Abkürzungsverzeichnis.............................................................................................201 Abbildungsnachweis..................................................................................................203 Ortsregister..................................................................................................................205 Personenregister..........................................................................................................208 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren.............................................................. 214

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Einleitung

Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer Tagung, die unter dem Titel „Zwischen Erwartung und Realität. Bernhard III. von Sachsen-Meiningen“ am 9. und 10. November 2018 im Schloss Elisabethenburg in Meiningen, dem ehemaligen Residenzschloss der Meininger Herzöge, stattfand. In einer Kooperation zwischen den Meininger Museen und der Forschungsstelle für Neuere Regionalgeschichte Thüringens an der Friedrich-Schiller-Universität Jena standen 100 Jahre nach der Revolution von 1918/19 und dem Ende der Monarchien in Deutschland der letzte Herzog von Sachsen-Meiningen, Bernhard III., und mit ihm auch die kleinstaatliche Monarchie in Deutschland in ihrer Spätphase im Mittelpunkt der Beiträge, die dieser Tagungsband dokumentiert. Die historische und erinnerungskulturelle Relevanz dieses Themenfeldes für eine thüringische und vergleichende Landesgeschichte liegt zunächst in der prägenden Rolle, die der monarchische Kleinstaat bis ins 20. Jahrhundert hinein in der Geschichte des thüringischen Raumes spielte: Acht solcher Monarchien bestanden bis 1918 auf dem Gebiet, aus dem 1920 das neue Land Thüringen als einzige erfolgreiche Länderneubildung der Weimarer Republik entstand.1 Das Herzogtum Sachsen-Meiningen(-Hildburghausen), dessen Regierung Herzog Bernhard III. Ende Juni 1914 nach dem Tod seines Vaters Georg II. und nur wenige Wochen vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges übernahm, war aus der letzten dynastischen Neuordnung von 1825/26 als der zweitgrößte thüringische Staat nach dem Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach hervorgegangen.2 Hinzu trat das sogenannte preußische Thüringen, das seit 1815 und mehr 1

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Allerdings bekanntlich ohne das ehemalige Herzogtum Sachsen-Coburg, das mit Sachsen-Gotha zu einem Doppelherzogtum verbunden gewesen war. Der Freistaat Coburg hatte sich nach einer Volksbefragung vom 30. November 1919, bei der 88,11 % der Wähler gegen einen Anschluss an das neu zu bildende Land Thüringen votiert hatten, zum 1. Mai 1920 dem Freistaat Bayern angeschlossen. Vgl. v. a. Jürgen Erdmann, Coburg, Bayern und das Reich 1918–1923, Coburg 1969, besonders S. 15–59; Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft. Ausstellung des Staatsarchivs Coburg anläßlich der 75. Wiederkehr der Vereinigung Coburgs mit Bayern am 1. Juli 1920, München 1995, S. 81–189; Rainer Hambrecht, Die Vereinigung des Freistaates Coburg mit Bayern, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 58 (1998), S. 371–390. Zur Teilung vgl. (mit entsprechenden Hinweisen auf die Archivalien) v. a. zum Vorgang mit weiterführenden Angaben: Ulrich Hess, Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des Herzogtums Sachsen-Coburg-Meiningen, Bd. 1 (Manuskript), o. O.

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noch seit 1866, als z. B. in der südthüringischen Nachbarschaft Sachsen-Meiningens mit der Herrschaft Schmalkalden bis dahin kurhessisches Gebiet preußisch wurde, einen ganz beträchtlichen Teil Thüringens, ca. ein Drittel, ausmachte.3 Im Zusammenspiel mit den Kleinstaaten, die sich als Teil einer mindermächtigen „Klientel“ teilweise eng an Preußen anschlossen, war so auch Preußen ein wesentlicher Prägefaktor der thüringischen Geschichte im „langen“ 19. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkrieges – und auch darüber hinaus: Denn auch dem neuen und ersten Land Thüringen, das 1920 gebildet wurde, gehörte das „preußische Thüringen“, und damit auch Erfurt als größte Stadt des Raumes, nicht an.4 Die beiden letzten Meininger Herzöge Georg II.5 und vor allem auch Bernhard III. verkörpern nicht nur kleinstaatliches Leben und kleinstaatliche Kultur im 19. und frühen 20. Jahrhundert, sie stehen auch paradigmatisch für diese entscheidende Rolle Preußens: Georg II. kam in der Existenzkrise des Herzogtums 1866 mit preußischer Unterstützung gegen seinen nur widerstrebend abdanken-

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1954 (Bearbeitung 2010); Fritz Tröbs, Die weimarische Erbfolgepolitik in der Zeit Karl Augusts, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde 29 (1930/31), S. 357–415, hier S. 372–385; Carl-Christian Dressel, Die Entwicklung von Verfassung und Verwaltung in Sachsen-Coburg 1800–1826 im Vergleich, Berlin 2007, S. 499–501. Knapp auf der Grundlage älterer Literatur auch: Thomas Herntrich, Thüringen. Von den thüringischen Kleinstaaten nach dem Zerfall des Alten Reiches bis zum Freistaat Thüringen. Eine völkerrechtliche und verfassungsgeschichtliche Betrachtung, Frankfurt am Main 2010, S. 100–107. Für Entwicklungen des 17. und 18. Jahrhunderts vgl. Siegrid Westphal, Ernst II. und die Erbfolgestreitigkeiten im Hause Sachsen-Gotha, in: Werner Greiling/Andreas Klinger/Christoph Köhler (Hg.), Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklärung, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 85–100. Zum grundlegenden Überblick: Frank Boblenz, Abriß der Territorialgeschichte des preußischen Thüringen, in: Thüringer Landtag (Hg.), Das preußische Thüringen. Abhandlungen zur Geschichte seiner Volksvertretungen, Rudolstadt/Jena 2001, S. 9–45. Vgl. u. a. Steffen Rassloff, Landesbewusstsein und Geschichtsbild im preußischen Thüringen. Das Erfurter Bürgertum 1871–1933, in: Matthias Werner (Hg.), Im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. 150 Jahre Landesgeschichtsforschung in Thüringen, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 45–64; Ders., Erfurt – Thüringens erste Industriegroßstadt. Wirtschaft, Sozialstruktur und Stadtentwicklung um 1900, in: Stefan Gerber/Werner Greiling/Marco Swiniartzki (Hg.), Thüringen im Industriezeitalter. Konzepte, Fallbeispiele und regionale Verläufe vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Wien/Köln/Weimar 2019, S. 237–259. Vgl. zu ihm u. a. Alfred Erck/Hannelore Schneider, Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, Zella-Mehlis 21999; Maren Goltz/Werner Greiling/Johannes Mötsch (Hg.), Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914). Kultur als Behauptungsstrategie?, Köln/Weimar/Wien 2015.

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den Vater Bernhard II. Erich Freund auf den Thron des Herzogtums.6 Er war in einer ersten kurzen Ehe, der auch Bernhard III. entsprossen ist, mit der Nichte Friedrich Wilhelms IV. und Wilhelms I., Prinzessin Charlotte von Preußen, verheiratet. Von seinem Erzieher Moritz Seebeck, der in Sachsen-Meiningen eine Gymnasialreform nach preußischem Vorbild durchführte,7 war Georg im preußischen Sinne erzogen worden;8 1837 warf Herzog Bernhard dem Erzieher in einem Brief vor, sein Sohn sei „ganz enragirt“ für Preußen.9 Trotz aller späteren persönlichen und reichspolitischen Differenzen, insbesondere mit Kaiser Wilhelm II. nach seiner dritten Heirat mit der Schauspielerin Ellen Franz,10 blieb diese Prägung Georgs II. und diese Bindung des sachsen-meiningischen Herzogshauses an die Hohenzollern und an Preußen erhalten: Bernhard III. war nicht nur ein Großneffe des ersten deutschen Kaisers und preußischen Königs Wilhelm I., er reüssierte auch als preußischer Offizier und heiratete die älteste Schwester Kaiser Wilhelms II. – davon wird in den Beiträgen dieses Bandes noch vielfach die Rede sein. Allein diese dynastischen Einbindungen und die Rolle des Meininger Erbprinzenpaares am Berliner Kaiserhof11 böten also schon ausreichenden Anlass auf Bernhard III. zu schauen, der in der Riege der Meininger Herzöge bisher

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Zu den Vorgängen von 1866/67 vgl. zusammenfassend Ulrich Hess, Geschichte Thüringens 1866–1914. Aus dem Nachlass hg. von Volker Wahl, Weimar 1991, S. 11–51. Bernhard II. hatte bei seiner Geburt 1800 von dem ganz in den Bahnen des „aufgeklärten Absolutismus“ denkenden Vater, Herzog Georg I. von Sachsen-Meiningen, den ungewöhnlichen Namen „Freund“ erhalten, weil er ein „Freund“ der Untertanen sein sollte. Vgl. Ulrich Hess, Der aufgeklärte Absolutismus in Sachsen-Meiningen, in: Forschungen zur thüringischen Landesgeschichte. Festschrift für Friedrich Schneider, Weimar 1958, S. 1–42, hier S. 18. 7 Vgl. dazu Stefan Gerber, Universitätsverwaltung und Wissenschaftsorganisation im 19. Jahrhundert. Der Jenaer Pädagoge und Wissenschaftsorganisator Moritz Seebeck, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 97–121. 8 Vgl. Ders., Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen und Moritz Seebeck. Zwischen Prinzenerziehung und Wissenschaftspolitik, in: Goltz/Greiling/Mötsch (Hg.), Georg II. (wie Anm. 5), S. 267–285; Gerber, Seebeck (wie Anm. 7), S. 121–138. 9 Ebd., S. 125. 10 Vgl. v. a. Maren Goltz, Helene von Heldburg – eine Ehefrau auf Augenhöhe, in: Dies./ Greiling/Mötsch (Hg.), Georg II. (wie Anm. 5), S. 83–100; Martina Lüdtke, Die morganatische Eheschließung zwischen Georg II. von Sachsen-Meiningen und Helene Franz. Ein monarchischer Normbruch im Spannungsfeld höfischer Erwartungen und bürgerlicher Öffentlichkeit, in: ebd., S. 65–81. 11 Vgl. v. a. John C. G. Röhl, Wilhelm II. Der Aufbau der persönlichen Monarchie 1888– 1900, München 2001, S. 707–714, 741–755; Wolfgang Wippermann, Skandal im Jagdschloss Grunewald. Männlichkeit und Ehre im deutschen Kaiserreich, Darmstadt 2010. Vgl. im vorliegenden Band besonders den Beitrag von Barbara Beck.

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kaum historiographische Aufmerksamkeit erfahren hat.12 Aber natürlich war auch das 100. Jubiläum der deutschen Revolution von 1918/19, der Abdankungen des Kaisers, der Bundesfürsten und der republikanischen Umgestaltung in Reich und Ländern ein Grund, Bernhard III. und die kleinstaatliche Monarchie im späten Kaiserreich in den Fokus zu rücken.13 Tagung und Tagungsband waren aber nicht (oder doch nicht vorrangig) von dem Bestreben geprägt, angesichts des herannahenden Jubiläums nur einen allfälligen Beitrag zu den Jubiläumspublikationen zu liefern und damit der heute allgegenwärtigen „Verbühnung“ historischen und insgesamt wissenschaftlichen Forschens und Arbeitens zu folgen. Sie gehen vielmehr von dem inhaltlichen Befund aus, dass die Spätphase der kleinstaatlichen Monarchie in Deutschland, ihre Monarchen und ihr Ende in der Revolution sowohl lokal, als auch regional, auf der Ebene der Bundesstaaten (und zumal der kleinen Bundesstaaten) des Kaiserreichs, bis heute nur mit sehr unterschiedlicher Intensität erforscht sind und dass es „weiße Flecken“ gibt,14 die auch durch Forschungen, wie die des Historikers Lothar Machtan, der sich seit einigen Jahren mit den Abdankungen von 1918 beschäftigt hat, nicht aufgehellt worden sind.15 Denn – und damit ist 12 Vgl. v. a. Fritz Wecker, Unsere Landesväter. Wie sie gingen – wo sie blieben, Berlin 1928, S. 239–248; W[ilhelm] Engel, Bernhard, Herzog von Sachsen-Meiningen, in: Verband der deutschen Akademien (Hg.), Deutsches Biographisches Jahrbuch, Bd. 10 [1928], Berlin/Stuttgart 1931, S. 18–20; Friedrich-Christian Stahl, Bernhard III., in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 2, Berlin 1955, S. 113; Alfred Erck/Hannelore Schneider, Bernhard III. von Sachsen-Meiningen, in: Meininger Heimatklänge 1 (2009), S. 1–3; Barbara Beck, Wilhelm II. und seine Geschwister, Regensburg 2016, S. 31–71. 13 Vgl. insgesamt die Beiträge des Bandes Stefan Gerber (Hg.), Das Ende der Monarchie in den Kleinstaaten. Vorgeschichte, Ereignis und Nachwirkungen in Politik und Staatsrecht 1914–1939, Wien/Köln/Weimar 2018. 14 Dieses Manko versucht jetzt der in Anm. 13 genannte Band zu beheben. Zu vergleichenden Perspektiven und zur älteren Literatur über die Revolution von 1918/19 in den deutschen Kleinstaaten vgl. dort: Stefan Gerber, Die kleinstaatliche Monarchie im späten Kaiserreich und in der Revolution 1918/19. Einleitung, in: Ders. (Hg.), Ende der Monarchie (wie Anm. 13), S. 7–37. – Zur letzten Generation der ernestinischen Bundesfürsten (Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach, Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha, Herzog Ernst II. von Sachsen-Altenburg) entsteht in Jena eine Dissertation. Vgl. Manuel Schwarz, „Die Throne brachen, und Dynastien […] sind vom Schauplatz ihres Daseins verschwunden.“ Zeitenwende in den Thüringer Fürstentümern 1900–1918, in: Gerber (Hg.), Ende der Monarchie (wie Anm. 13), S. 181–198. 15 Vgl. v. a. Lothar Machtan, Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen, Berlin 22008 (Neuausgabe München 2016); Ders., Der erstaunlich lautlose Untergang von Monarchie und Bundesfürsten – ein Erklärungsangebot, in: Alexander Gallus (Hg.), Die vergessene Revolution 1918/19, Göttingen 2010, S. 39–56; Ders., Deutschlands gekrönter Herrscherstand am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Ein Inspektionsbericht zur Funktionstüchtigkeit des deutschen Monarchie-Modells, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 58 (2010), S. 222–242; Ders./Peter Brandt, Zu den

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ein Anliegen der Tagung und des Bandes zu Bernhard III. berührt – die politisch-soziale und kulturelle „Landkarte“ der bundestaatlichen Monarchien im späten Kaiserreich und der deutschen Revolution 1918/19 ist, bei allen gleichartigen Grundtönungen und Maßstäben, letztlich doch bunter und vielgestaltiger, als es auf den ersten Blick scheinen kann. Die kleinen Bundesstaaten des Kaiserreichs gehören vor allem deshalb oftmals – auch hier gibt es regionale, forschungsgeschichtlich und durch die Forschungsinfrastruktur bedingte Unterschiede – zu den besonders vernachlässigten Räumen der Revolutionsforschung, weil sie oftmals als unpolitische und damit historisch irrelevante Räume galten (und manchem vielleicht auch noch heute gelten). Schon im 19. Jahrhundert hatten sie den wachsenden Ansprüchen an die infrastrukturelle, administrative und finanzielle Leistungsfähigkeit des modernen Staates vielfach nicht mehr genügen können und waren zu noch engerer Anbindung an Preußen und die Mittelstaaten, aber auch zu stärkerer Kooperation untereinander gezwungen gewesen. So entstand in der gesamtdeutschen Öffentlichkeit vielfach nicht nur der Eindruck, die seit der Napoleonischen Ära befürchtete Mediatisierung sei nun, wenn nicht de jure, so doch de facto vollzogen worden. Es verbreitete sich auch die – immer wieder satirisch und karikierend dargestellte – Auffassung, das gesellschaftliche und politische Leben in den deutschen Kleinstaaten stehe abseits der prägenden Zeitströmungen einer sich urbanisierenden, sozial modernisierenden, hochindustriellen Gesellschaft des späten Kaiserreichs. Das aber ignoriert einen Teil der zeitgenössischen Realität: Nicht nur lebten auch 1900 oder 1914 oder 1918 Millionen Deutsche in Kleinstaaten und sollten es – abgesehen von den in die Landesgründung 1920 einbezogenen thüringischen Kleinstaaten – auch in der Weimarer Republik weiterhin tun. Auch die Monarchie, das Staatsleben, schließlich das Revolutionsgeschehen in den Kleinstaaten, soweit wir es jetzt schon überblicken können, eröffnen der historischen Analyse einerseits viele Zugänge zu entscheidenden Charakteristika der Entwicklung des späten Kaiserreichs und der Revolution, zum „Charakteristischen“. Es kann andererseits Beispiele für Exzeptionelles bieten, dessen Bedeutung über eine „Detailgeschichte des Ganzen“ deutlich hinausgeht. Kleinstaatliche Monarchien, Politik und Gesellschaft im Kaiserreich zu untersuchen heißt also auch, Vergleichsebenen zu schaffen und zu finden, die ein differenzierteres und tiefenschärferes Bild der Epoche vermitteln können. Ausgangspunkt dafür ist, auch wenn eine durch das Wissen um Weltkrieg und Revolution geprägte Retrospektive dadurch irritiert werden kann, nicht die Diagnose von Krise und Verfall, sondern von Stabilität. Diese Stabilität der kleinÜberlebenschancen der Monarchie in Deutschland im Herbst 1918. Zwei kontroverse Positionen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 63 (2015), S. 262–272. Auch: Ders., Prinz Max von Baden. Der letzte Kanzler des Kaisers. Eine Biographie, Berlin 22015 (zuerst Berlin 2013).

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staatlichen Monarchie in ihrer Spätphase – auch Sachsen-Meiningens unter Georg II. und Bernhard III. – die weder durch Wahlrechtskonflikte, innenpolitische Auseinandersetzungen mit der erstarkenden Sozialdemokratie noch durch öffentlich breit wahrgenommene staats- und hausrechtliche Auseinandersetzungen wie die braunschweigischen und lippischen Thronfolgestreite (1885– 1906 bzw. 1895–1905) nachhaltig erschüttert wurde, beruhte auf dem bereits angedeuteten spezifischen Funktionswandel: Die durch die wachsende Akzeptanz des Kaisers als Reichsmonarch und die Ausdehnung der Reichsaufgaben in Gesetzgebung und Verwaltung „fortschreitende funktionelle Unitarisierung“16 sorgte dafür, dass einzelstaatliche Politik sich immer stärker auf Feldern profilierte, auf denen das Kaiserreich als hochentwickelter Kultur- und Rechtsstaat in Erscheinung trat: Rechtspflege, Bildungs- und Kulturpolitik, Wirtschafts-, Kunst- und Wissenschaftsförderung, öffentliche Infrastruktur in Gesundheitswesen und Sozialfürsorge. Auch dafür ist das Herzogtum Sachsen-Meiningen als Staat und sind Herzog Georg II. und Herzog Bernhard III. als Personen äußerst aussagekräftige Beispiele. Die Leistungen, die kleinstaatliche Monarchen, Ministerien und Verwaltungen in diesen Bereichen erbrachten, sorgten – verbunden mit der entscheidenden staatsrechtlichen Bestandsgarantie für jeden Bundesstaat – dafür, dass die auch im Kaiserreich nie verstummende Kleinstaatenkritik vor 1914 eingehegt, wenn auch keineswegs einflusslos oder irrelevant blieb. Eine Schrift wie die des SPD-Politikers und sachsen-meiningischen Landtagsabgeordneten Arthur Hofmann, der 1906 ein Ende des „Thüringer Kleinstaatenjammers“ forderte, erregte zwar reichsweit öffentliches Aufsehen, war aber keine Existenzfrage für die kleinstaatliche Monarchie, die staatsrechtlich, aber auch gesellschaftlich fest verankert blieb. Auch für Hofmann blieben Sachsen-Meiningen und Schwarzburg-Rudolstadt, wo er 1903–1907 und 1912–1918 Reichstagsabgeordneter war, die politische Aktionsbasis. Wesentlich bestimmt und vorangetrieben wurde dieser Funktionswandel der einzelstaatlichen Monarchie im Kaiserreich (der keine „Entpolitisierung“, sondern eine politische Akzentverschiebung war) durch den Umstand, dass die Monarchen in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg Symbolfiguren und Repräsentanten einzelstaatlichen Bewusstseins und daran geknüpfter Identitäten blieben. Diese dynastisch-einzelstaatlichen Identitäten traten im Zuge der wachsenden Identifikation mit der deutschen National- und Machtstaatlichkeit in ein komplementäres Verhältnis zur (reichs-)nationalen Identität. Zwar waren die Monarchen nicht mehr – wie im früheren 19. Jahrhundert und bis zur Reichsgründung – „staatsbildende“ Identitätsstifter,17 aber doch noch immer Anker 16 Ernst Rudolf Huber, Das Kaiserreich als Epoche verfassungsstaatlicher Entwicklung, in: Josef Isensee/Paul Kirchhoff (Hg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1: Historische Grundlagen, Heidelberg 32003, S. 129–176, hier S. 144. 17 Darauf verweist Machtan, Deutschlands gekrönter Herrscherstand (wie Anm. 15), S. 228 f.

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und entscheidende Bezugspunkte von Landesidentitäten. Auf sie wollte und konnte die Mehrheitsgesellschaft – wie auch die Erhaltung der Kleinstaaten Oldenburg, Lippe, Schaumburg-Lippe und Anhalt in der Weimarer Republik zeigt – nicht verzichten.18 Herzog Georg II. hatte diese Ankerfunktion während seiner fast die gesamte Phase des Deutschen Kaiserreichs überspannenden Regierungszeit für Sachsen-Meiningen zweifelsohne erfüllt und sie ging – als politischer „Bonus“, aber auch als politische Erwartung – im Sommer 1914 auch auf seinen Sohn und Nachfolger Bernhard III. über. Es war vor allem diese Funktion einer Verkörperung des auch im späten Kaiserreich als politische Bezugsgröße fortbestehenden, weiterhin die Staatsangehörigkeit der Deutschen definierenden Einzelstaates, die vielen kleinstaatlichen Monarchen Popularität verschaffte. Selbst die Kritik an manchen Kleinstaaten-Fürsten der letzten Monarchengeneration des Kaiserreichs unterstreicht diesen Befund eines weiten, auf einzelstaatlich-regionale Identität innerhalb des Reiches bezogenen Erwartungshorizontes. Erst im Verlauf des Ersten Weltkrieges, dessen Beginn mit dem Regierungsantritt Bernhard III. in Sachsen-Meiningen zusammenfiel, wurden die kleinstaatlichen Strukturen wirklich nachhaltig in Frage gestellt. Daher muss bei einer Betrachtung des Endes der Monarchie in den Kleinstaaten zunächst nach Ursachen und Verlaufsformen des Legitimitätsverfalls gefragt werden, der die kleinen Bundesstaaten des Kaiserreichs im Weltkrieg besonders betraf. Untersuchungen für große Einzelstaaten wie Bayern, Baden und Württemberg, aber auch maßstabsetzende Studien zu Kommunen wie Freiburg im Breisgau konzentrieren sich bei der Frage nach dem staatlichen Legitimitätsverlust auf die innenpolitischen Auseinandersetzungen während des Krieges und die Erosion des „Burgfriedens“, auf die Organisation von Kriegswirtschaft und Kriegsernährung, sowie die Streikbewegungen, die Infragestellungen der öffentlichen Ordnung und schließlich des staatlichen Gewaltmonopols, die mit der sich verschlechternden Versorgungslage ab 1916 zunahmen.19 In Bezug auf die Kleinstaaten, für die diese Prozesse bisher kaum untersucht worden sind,20 muss 18 Vgl. z. B. Ralf Regener, Anhalt ohne Herzog – Anhalt ohne Zukunft? Zum Verhältnis von Monarchie und Kleinstaatlichkeit im 19. und 20. Jahrhundert, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 149 (2013), S. 287–309. 19 Vgl. u. a. Karl-Ludwig Ay, Die Entstehung einer Revolution. Die Volksstimmung in Bayern während des Ersten Weltkrieges, Berlin 1968; Bernhard Wicki, Das Königreich Württemberg im Ersten Weltkrieg. Seine wirtschaftliche, soziale, politische und kulturelle Lage, Bern u. a. 1984; Klaus-Peter Müller, Politik und Gesellschaft im Krieg. Der Legitimitätsverlust des badischen Staates 1914–1918, Stuttgart 1988; Roger Cickering, Freiburg im Ersten Weltkrieg. Totaler Krieg und städtischer Alltag 1914–1918, Paderborn u. a. 2009. 20 Wichtige Ausnahme, die hoffentlich weitere Forschungen anregt: Joachim von Meien, Kleinstaat und Weltkrieg. Das Fürstentum Schaumburg-Lippe 1914–1918, Bielefeld

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neben diesen Faktoren besonders nach der Entwicklung der Staats- und Verwaltungsstrukturen im Weltkrieg gefragt werden: Gelangten die politischen und administrativen Strukturen der kleinen Bundesstaaten angesichts der Herausforderungen der kriegswirtschaftlichen Organisation und der Nahrungsversorgung der „Heimatfront“ endgültig an ihre Leistungsgrenze? Wie versuchten die kleinstaatlichen Regierungen bzw. Verwaltungen dieser existenziellen Herausforderung zu begegnen? Welche Strukturveränderungen und Kooperationsformen kamen daher auf welchen Ebenen zu Stande? Zeichnete sich während des Krieges tatsächlich eine „verdeckte Mediatisierung“ ab, die die Unitarisierungstendenz des Kaiserreichs aufnahm und krisenhaft verstärkte? Betrachtet werden müssen hier die Formierung gemeinsamer Verwaltungsstrukturen zwischen Kleinstaaten oder von Kleinstaaten mit größeren Bundesstaaten, informelle Kooperationen unterhalb der institutionellen Ebene, Diskussionen und Verhandlungen über den staatlichen Zusammenschluss von Kleinstaaten bzw. den Anschluss an größere Bundesstaaten. Wie entwickelte sich der kleinstaatliche Parlamentarismus während des Ersten Weltkrieges? Konnten die Kleinstaaten-Parlamente die Rolle eines politischen Akteurs bewahren oder ist eine (Selbst-)Ausschaltung durch ein kriegsbedingtes Vorwalten der Exekutive erkennbar? Oder aber zeichnen sich im Gegenteil ein Einflussgewinn der Parlamente bzw. sogar Ansätze einer faktischen oder auch verfassungsrechtlich fixierten Parlamentarisierung der konstitutionellen Systeme in den kleinen Bundesstaaten ab? Wie wirkte sich in diesem Zusammenhang die vor 1914 auch in den Kleinstaaten erkennbare „Demokratisierung“ jenseits einer verfassungsmäßigen Parlamentarisierung aus? Welche Akteure, die ggf. auch in der Revolution auf kleinstaatlicher Ebene eine prominente Rolle spielen sollten, treten dabei hervor? Auch in Sachsen-Meiningen und im gesamten kleinstaatlichen Thüringen – das zeichnet sich jetzt bereits deutlich ab – gab es keine Einbahnstraße in die Revolution. Das Kaiserreich und mit ihm die einzelstaatlichen Monarchien waren in diesem Raum auch im Frühherbst 1918, trotz aller tiefreichenden Konflikte, trotz der Hungerproteste bei anhaltend schlechter Versorgungslage, noch keineswegs „am Ende“. Gerade bei den Streikbewegungen der Jahre 1917 und 1918 erwiesen sich Regierungen, Behörden und Gewerkschaften im Gegenteil als erstaunlich flexibel und verständigungsbereit. Die kleinstaatliche Monarchie oder die Person des Herzogs waren auch in Sachsen-Meiningen keine vorrangige Zielscheibe der Proteste. Herzog und Dynastie wurden erst vom Sturz der Reichsmonarchie mitgerissen, der sich kurzfristig aus einem Bündel von Ursachen ergab: Aus der selbst für die Alliierten überraschenden Waffenstillstands2012. Vgl. auch Oliver Riegg, Volksernährung, Unruhen und politische Reformen. Die Lebensmittelversorgung in den thüringischen Staaten während des Ersten Weltkrieges und der frühen Weimarer Republik (1914–1924), Diss. phil., Jena 2017.

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bitte, die, wie Holger Afflerbach treffend angemerkt hat, einer Kapitulation „verzweifelt ähnlich“ sah;21 aus den unsicheren personell-dynastischen Perspektiven des Kaiserhauses, da angesichts der alliierten Forderungen selbst bei einem möglichen Verständigungsfrieden die Personen des Kaisers und des Kronprinzen Wilhelm nicht mehr zu halten waren und aus dem Zögern des Reichskanzlers Max von Baden, eine – zunächst selbst noch vom SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert ins Auge gefasste – Regentschaftslösung anzugehen. Die „völlig unspektakuläre“ Revolution in Meiningen, wie Andrea Jakob in ihrem grundlegenden Beitrag zur Revolution in Sachsen-Meiningen in unserem Band formuliert, war nicht die Ausnahme, sondern der thüringische Regelfall. Konfliktreiche Revolutionsverläufe wie in Sachsen-Gotha erregten zwar mehr öffentliche Aufmerksamkeit auch über Thüringen hinaus, gruben sich ins Gedächtnis ein und sind dementsprechend in der Erinnerungskultur bis heute präsent, waren aber untypisch. Es verzerrt also die rekonstruierbare historische Realität, die Spätphase der kleinstaatlichen Monarchie im Kaiserreich im Wissen um ihr Ende nur als eine „Verfallsphase“ zu beschreiben oder als einen geradlinigen Weg in die „unvermeidbare“ Revolution zu konstruieren. Sachsen-Meiningen und Bernhard III. sind ein Beispiel, dass es nicht so und dass die Entwicklung bis in die Endphase des Weltkrieges hinein offen war. Die politische Rolle, die Bernhard III. am Ende des Herzogtums Sachsen-Meiningen spielte, seine weitreichenden Verflechtungen in die militärischen und politischen Eliten des Deutschen Kaiserreichs, seine kulturellen und wissenschaftlichen Aktivitäten und auch die politisch relevante Individualität dieses kleinstaatlichen Monarchen bieten also Gründe genug, sich auf die Person dieses letzten Meininger Herzogs und seine Kontexte, auf „Bernhard III. von Sachsen-Meiningen. Zwischen Erwartung und Realität“ einzulassen. Dies tut der vorliegende Band, indem er die verschiedenen Facetten eines Herzogs, der Sachsen-Meiningen nur etwas mehr als vier Jahre regierte, thematisiert. Einen Schwerpunkt bilden dabei zunächst Dynastie und Familie, sowie der staatsrechtlich-politische Rahmen. In einem einleitenden Essay geht Frank-Lothar Kroll – einen gesamteuropäischen Rahmen für die Frage nach der Bedeutung der kleinstaatlichen Monarchie in ihrer Spätphase setzend – den Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen monarchischer Netzwerkbildung im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts und dem politischen Bedeutungsverlust der Monarchie in diesen Jahrzehnten nach. Barbara Beck blickt dann in die unmittelbaren dynastisch-familiären Umfelder des Herzogs und betrachtet das Dreieck zwischen ihm, seiner Frau Charlotte, der Schwester Wilhelms II., und dem Kaiser selbst. Den staatspolitischen und staatsrechtlichen Kontext für das 21 Holger Afflerbach, Auf Messers Schneide. Wie das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg verlor, München 2018, S. 489.

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Wirken Bernhards III. analysiert der Beitrag von Martin Otto, der damit zugleich eine kurz gefasste politische Geschichte des Herzogtums seit der ersten Verfassungsgebung von 1824 bietet. Manuel Schwarz verortet Bernhard III. anschließend in der Riege der parallel mit ihm regierenden ernestinischen Monarchen des kleinstaatlichen Thüringen. Hier stellte der Meininger Herzog einen aufgrund der fast 50-jährigen Herrschaft seines Vaters „Zuspätgekommenen“ dar: Der 1851 geborene, politisch und militärisch noch in den Jahren der Reichsgründung sozialisierte Herzog, der bei seiner Thronbesteigung bereits 63 Jahre alt war, wies eine deutlich andere generationelle Prägung auf, als die allesamt nach der Reichsgründung geborenen und aufgewachsenen Monarchen der sächsischen Herzogtümer in Thüringen – Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha, der jüngste von ihnen, war im Sommer 1914 gerade 30 Jahre alt geworden. Mit seiner knappen Dokumentation zur militärischen Karriere Bernhards III. verweist Eberhard Pfister dann auf den zentralen Lebens- und Tätigkeitsbereich des Erbprinzen von Sachsen-Meiningen vor seiner späten Thronbesteigung, bevor Stephan G. Schmid das bemerkenswerte Verhältnis des Erbprinzen und Herzogs zu den Altertumswissenschaften, zur griechischen Antike und zum Neugriechentum des 19. Jahrhunderts untersucht. Sind Bernhards neugriechische Übersetzungen in den biographischen Notizen zum Herzog stets thematisiert worden, so werden seine Reisen auf antiken Spuren und seine Unterstützung altertumswissenschaftlicher Forschungen in Schmids Beitrag erstmals breit auf der Grundlage von Reisetagebüchern und Briefen dargestellt. Die Herausgeber hoffen, dass der vorliegende Band nicht nur erste Einblicke in das Leben und Wirken des letzten Herzogs von Sachsen-Meiningen ermöglicht und zur Differenzierung des Bildes der kleinstaatlichen Monarchie im „langen 19. Jahrhundert“ beiträgt. Vor allem ist auch zu wünschen, dass er zu weiteren Forschungen sowohl auf dem lokal- und regionalgeschichtlichen Feld als auch in der vergleichenden Landesgeschichte anregt. Den Meininger Museen, die die Tagung „Zwischen Erwartung und Realität. Bernhard III. von Sachsen-Meiningen“ finanziell und organisatorisch ermöglicht und die Schlosskirche von Schloss Elisabethenburg als Veranstaltungsort zur Verfügung gestellt haben, sei abschließend ebenso herzlich gedankt wie der Historischen Kommission für Thüringen und ihrem Vorsitzenden Prof. Dr. Werner Greiling, die den Tagungsband in ihre „Kleine Reihe“ aufgenommen haben. Dr. Marco Swiniartzki und Dr. Philipp Walter haben den Band redaktionell betreut. Auch ihnen gilt unser Dank.

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Möglichkeiten und Grenzen dynastischer Netzwerkbildung im 19. und frühen 20. Jahrhundert*

Vor über einem Jahrhundert, am 7. Oktober 1903, versammelten sich große Teile des europäischen Hochadels in Darmstadt zu einer glanzvollen Fürstenhochzeit. Prinz Andreas von Griechenland heiratete Prinzessin Alice von Battenberg. Prinz Andreas war der vierte Sohn des 1863 zur Herrschaft gelangten und 1913 von einem Terroristen erschossenen zweiten Königs der Hellenen, Georgs I. Er war darüber hinaus der Vater von Prinz Philip, Duke of Edinburgh, Gatte von Königin Elisabeth II. Prinzessin Alice wiederum war die Urenkelin der Großherzogs Ludwig II. von Hessen-Darmstadt, Enkelin des Prinzen Alexander von Hessen und Tochter des Prinzen Ludwig von Battenberg, eines älteren Bruders Alexanders von Battenberg, des von 1879 bis 1886 amtierenden, 1893 gestorbenen ersten Fürsten von Bulgarien (Abb. 1). Ein Blick in die Gästeliste offenbart einen illustren Kreis hochadliger Teilnehmer. Alle vier Schwestern des seit 1892 regierenden hessen-darmstädtischen Großherzogs Ernst Ludwig waren zugegen, und sie alle waren mit Repräsentanten der bedeutendsten europäischen Königshäuser liiert: Prinzessin Viktoria mit dem in britischen Diensten stehenden, bereits genannten Prinzen Ludwig von Battenberg, Prinzessin Elisabeth mit dem russischen Großfürsten Sergius, Prinzessin Helena mit Prinz Heinrich von Preußen, dem jüngeren Bruder Kaiser Wilhelms II., und Prinzessin Alix, die Jüngste, mit dem russischen Zaren Nikolaus II. Angesichts des geringen territorialen Umfangs des Großherzogtums Hessen-Darmstadt, das fünfzigmal kleiner gewesen ist als das Königreich Preußen, überraschen solche dynastischen Verbindungen aus heutiger Sicht umso mehr. Die Trauung des Paares in der protestantischen Schlosskirche und anschließend in der orthodoxen russischen Kapelle auf der Mathildenhöhe vollzog sich mit allem gewohnten royalen Prunk. Luxusautos, glänzende Garderoben und opulente Festmenüs beeindruckten auch damals schon die bürgerlichen Zaungäste. Europäischer Internationalismus auf der Ebene hochadliger gesellschaftlicher Netzwerke – mit diesen Worten könnte man das von großer medialer Aufmerksamkeit begleitete monarchische Spektakel vom Oktober 1903 nach heutigem Sprachgebrauch umschreiben. *



Der Beitrag versteht sich als Essay und verzichtet daher auf Anmerkungen. Im Anschluss an den Beitrag finden sich einige übergreifende Literaturangaben.

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Abb. 1: Fürstenhochzeit in Darmstadt, 1903 Am 16. Dezember 2017 versammelten sich ebenfalls Angehörige fast aller europäischen Fürstenhäuser – allerdings nicht in der seinerzeitigen großherzog­ lich-hessischen Hauptstadt Darmstadt, sondern in der heutigen rumänischen Hauptstadt Bukarest, und sie trafen sich dort auch nicht zum freudigen Ereignis einer Hochzeit, sondern aus betrüblichem Anlass (Abb. 2). Die rumänische Regierung hatte zuvor eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen, mit anschließendem Staatsbegräbnis für den am 5. Dezember im Alter von 96 Jahren verstorbenen letzten König von Rumänien, Mihai I. Bis auf Repräsentanten aus Norwegen und den Niederlanden waren Vertreter aller großen europäischen Fürstenhäuser, regierender wie entthronter Dynastien gleichermaßen, bei den aufwendig inszenierten Trauerfeierlichkeiten zugegen. Die rumänische Bevölkerung nahm auf überwältigende Weise am Königsbegräbnis Teil, das halbe Land war auf den Beinen. An allen Bahnhöfen, die der Königszug – trenul regal – mit dem Sarg des toten Monarchen auf seiner Fahrt von Bukarest zur königlichen Grablege in Curtea de Arges passierte, versammelten sich spontan Tausende von Rumänen, um „ihrem“ König ein letztes Mal zu applaudieren (Abb. 3). Die beiden europäischen Monarchenzusammenkünfte von 1903 und von 2017 liegen weit mehr als ein Jahrhundert auseinander. Ein Vergleich der ihnen jeweils zugeordneten politischen Lebenswelten verdeutlicht, unabhängig von allen anlassbedingten Differenzen, das Ausmaß der eingetretenen Wandlungen. Im Jahr 1903 gab es in Europa vier Kaiserreiche, fünfzehn Königreiche, ein Großherzogtum, drei Fürstentümer – und zwei Republiken. Im Jahr 2017 gab es in Europa kein Kaiserreich, sieben Königreiche, ein Großherzogtum, drei Fürstentümer – und 33 Republiken. Schon diese Zahlen verweisen auf den

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Abb. 2: Königsbegräbnis in Bukarest, 2017

Abb. 3: Trauer in Rumänien: Vorbeifahrt des Königssarges am Bahnhof Pitesti, 2017

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Substanzverlust monarchischer Herrschaft im 20. Jahrhundert, in dessen Verlauf Stellung und Stand der Monarchie einer fundamentalen Bedeutungsminderung unterlagen. Zwei kriegsbedingte Entmonarchisierungs-Schübe – 1917/18 und 1946/47 – vertrieben die überwiegende Mehrzahl der europäischen Souveräne von ihren Thronen. Das letzte Opfer in diesem Geschehenszusammenhang war – König Mihai I. von Rumänien (Abb. 4), der als Integrationsfigur aller antikommunistischen und demokratischen Kräfte seines Landes, vor dessen Entthronung selbst die sowjetische Besatzungsmacht jahrelang zurückschreckte, in der Silvesternacht 1947 unter Todesandrohung seine Heimat verlassen musste. 70 Jahre später erwies das vom Jahrhundertfluch des Bolschewismus erlöste Land dem noch immer allseits verehrten König eine letzte, beeindruckende Reverenz.

Abb. 4: Rumäniens letzter König Mihai I. (1921–2017), um 1947 Bei der Monarchenzusammenkunft vom Oktober 1903 war vom Substanzverlust europäischer Königsherrschaft noch wenig zu spüren. Im Gegenteil! Fast überall befanden sich die gekrönten Häupter, auch und gerade die deutschen landesfürstlichen Herrschaften, in institutioneller wie in personeller Hinsicht auf einem Gipfelpunkt ihrer Geltung, wie man dies noch ein halbes Jahrhundert zuvor, im Krisenjahr 1848/49, kaum für möglich gehalten hätte. Doch

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wie stand es bei alledem um die politische Relevanz der demonstrativ bekundeten royalen Verwandtschaftsbeziehungen? Welche Bedeutung besaßen monarchische Netzwerke in der Spätphase europäischer Fürstenherrschaft im fortgeschrittenen 19. und frühen 20. Jahrhundert? In den Jahrhunderten zuvor, vor allem im Zeitalter absolutistischer Staatenkonkurrenz, waren Heiratsverbindungen der Höfe ein probates und – neben der Kriegführung – das am häufigsten benutzte Mittel im Verkehr der europäischen Mächte untereinander. Durch Eheschließungen konnten Imperien entstehen – etwa das der Habsburger, als Folge der Hochzeit Marias von Burgund mit Erzherzog Maximilian von Österreich 1477. Die Einlösung dynastischer Erbansprüche konnte weit entfernte Länder miteinander vereinigen – etwa beim Anfall des Herzogtums Preußen an das Kurfürstentum Brandenburg 1618. Doch sie konnten den Kontinent auch in langjährige kriegerische Auseinandersetzungen verwickeln – etwa anlässlich des Streites um den spanischen Königsthron, der zwischen den österreichischen Habsburgern und den französischen Bourbonen entbrannte und von 1701 bis 1714 im Spanischen Erbfolgekrieg gipfelte. Beispiele aus der Zeit vor 1789 ließen sich nahezu beliebig vermehren. Für das Jahrhundert zwischen dem Wiener Kongress 1815 und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 gelten solche Beobachtungen indes nur noch in eingeschränktem Umfang. Die Verwerfungen der Französischen Revolution und die Kriege des Napoleonischen Zeitalters hatten die konventionell überlieferten Formen dynastischen Agierens weitestgehend außer Geltung gesetzt. An sie hinfort anzuknüpfen, erwies sich als äußerst problematisch. Neue Formen und Wege zur Stabilisierung der substantiell bedrohten Fürstenmacht mussten gesucht und gefunden werden. Sie gingen letztlich allesamt zu Lasten des monarchischen Internationalismus und auf Kosten des Zusammengehörigkeitsgefühls der „Familie der Könige Europas“ – auch wenn dieses familiäre Zusammengehörigkeitsgefühl in den Jahren vor 1914 ebenso demonstrativ betont wie öffentlichkeitswirksam zelebriert wurde. Die folgenden Darlegungen beschreiben zunächst (I.) Möglichkeiten und Grenzen dynastischer Netzwerke nach 1815 ganz allgemein, skizzieren danach (II. und III.) die beiden wichtigsten dieser dynastischen Netzwerke und versuchen zuletzt (IV.), den Ursachen für ihren zunehmenden Wirkungsverlust auf den Grund zu gehen.

I. Möglichkeiten und Grenzen dynastischer Netzwerke im 19. Jahrhundert wurden durch jene Einrichtung bezeichnet, die hierbei den Ausgangspunkt aller nachfolgenden Entwicklungen bildete – die „Heilige Allianz“ von 1815. Sie

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wurde unmittelbar nach Beendigung der Napoleonischen Kriege als Herrscherverbrüderung zwischen Kaiser Franz I. von Österreich, König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und Zar Alexander I. von Russland ins Leben gerufen. Man kann diese immer wieder kontrovers diskutierte Einrichtung, sofern man sie ihrer ideologischen Überhöhung entkleidet, als eine Art Solidargemeinschaft der durch ihre Netzwerke international orientierten monarchischen Führungsschichten Europas definieren. Dabei waren grenzüberschreitende dynastische Wahrnehmungshorizonte zweifellos präsent – sowohl beim Initiator der Allianz, Zar Alexander I. von Russland, als auch bei ihrem realpolitischen Interpreten, dem österreichischen Staatskanzler Metternich. Die „Heilige Allianz“ mochte somit zahlreichen zeitgenössischen Beobachtern als eine „europäische“ Option gegenüber rein nationalen, und erst recht gegenüber allen nationalistischen Strömungen erscheinen. Tatsächlich hat sie nicht unwesentlich dazu beigetragen, durch Monarchenzusammenkünfte im Rahmen eines „fürstlichen Internationalismus“ die 1815 nach einem Vierteljahrhundert gewaltsamer Auseinandersetzungen mühsam errichtete Nachkriegsordnung zu stabilisieren und den Frieden in Europa für lange Zeit zu garantieren. Indes: Der in der „Heiligen Allianz“ waltende „monarchische Europäismus“ war in mehrfacher Hinsicht problematisch. Er gab sich reaktiv und defensiv. Er war zunächst und vor allem Ausdruck einer elitenbezogenen Besitzstandswahrung. Und er hat es mit seiner konservativ-antirevolutionären Programmatik und Rhetorik nicht vermocht, eine Brücke zu den zusehends tonangebenden nationalstaatlich orientierten Kräften der Epoche zu schlagen. Manche, nicht am Leitbild der Nation orientierte Zeitgenossen sahen das zwar anders – etwa die französischen Restaurationstheoretiker Louis de Bonald und Joseph de Maistre, oder der katholische süddeutsche Spätromantiker Franz von Baader. Dieser erhoffte sich von der Allianz mit Russland nichts Geringeres als die „Erlösung“ des in materialistischer Gesinnung verkommenden Abendlandes und dessen Heilung von allen Gebrechen und Defekten der nachrevolutionären Ära. Und auch Heinrich Oliviers Darstellung der Herrscher der drei Ostmächte als „Ritter des Abendlandes“ (Abb. 5) erblickte in der „Heiligen Allianz“ eine christlich-universalistische und dynastische Alternative zum republikanischen Kosmopolitismus des Revolutionszeitalters. Mehrheitsfähig waren solche Stimmen jedoch damals wie später nicht. Der Zeitgeist stand dem Versuch einer staatenübergreifenden Politik transnationaler monarchischer Zusammenarbeit auf der Basis dynastischer Solidarität entgegen – zumal sich die Herrschaftsinteressen und Aktionsradien der gekrönten Häupter Europas spätestens seit Beginn der 1830er Jahre immer weniger auf ein einheitliches Ziel hin orientieren ließen, wie dies die Ideologie der „Heiligen Allianz“ vorgegeben hatte. Während mehr und mehr Monarchien im Westen des Kontinents nach 1815 bzw. nach 1830 in die Bahnen des Konstitutionalismus und der Verfassungsstaatlichkeit einschwenkten – allen voran Baden und Hes-

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Abb. 5: Die Heilige Allianz, Gouache von Heinrich Olivier, 1815 sen-Darmstadt, Bayern und Württemberg, Belgien und Frankreich, Spanien und Portugal, doch auch Sachsen, Braunschweig und zahlreiche weitere Staaten des Deutschen Bundes – blieben die drei Ostmächte Russland, Österreich und Preußen noch für lange Zeit absolute Monarchien ohne Verfassung und Volksvertretung, zumindest auf gesamtstaatlicher Ebene. Diese unterschiedlichen politischen Strukturen in West und Ost fanden, in gewissen Grenzen, in den Heiratsallianzen der jeweiligen Höfe ihren Niederschlag. Man kann, in groben Zügen und unter Vernachlässigung zahlreicher anderer möglicher Stränge, zwei große dynastische Netzwerkzweige voneinander unterscheiden – einen „westlich-liberalen“ Zweig, zentriert um die Häuser Coburg und Orléans, und einen „östlich-konservativen“ Zweig, der sich um die Häuser Hohenzollern und Romanov gruppierte. Beide Stränge liefen allerdings nicht vollkommen nebeneinanderher. Es gab vielfache Überschneidungen, Querverbindungen und wechselseitige Heiratskontakte. Familiäre und verwandtschaftliche Beziehungen in beide Richtungen besaß vor allem das hessi-

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sche Haus der Battenberger, das mehrheitlich zum „westlich-liberalen“ Zweig tendierte, doch auch Kontakt zu Berlin und Sankt Petersburg hielt, wie die Darmstädter Fürstenhochzeit vom Oktober 1903 unschwer erkennen ließ.

II. Es ist gelegentlich bemerkt worden, dass sich in den Wirren der Französischen Revolution nicht nur eine Krise der monarchischen Ordnung offenbarte, sondern dass sich in deren unmittelbarer Folge auch eine „Erneuerung des Dynastizismus“ vollzogen hat. Kein Geringerer als Napoleon Bonaparte hatte sich seit seiner Kaiserkrönung 1804 mit großem Eifer darum bemüht, Prinzenehen zugunsten seiner eigenen politischen Ambitionen nutzbar zu machen und dem frisch etablierten französischen Kaisertum durch Heiratsallianzen mit führenden europäischen Herrscherhäusern jene dynastische Legitimität zu verleihen, die es nicht besaß und von sich aus nicht erringen konnte. Das Haus Sachsen-Coburg als „Europas späte Dynastie“ (Thomas Nicklas), konnte in diesem weiter gefassten Zusammenhang mit einer erstaunlichen Erfolgsgeschichte aufwarten. Angehörige dieser Dynastie empfahlen sich – gerade wegen ihrer relativen politischen Machtlosigkeit und territorialen Unbedeutendheit – mehrfach als Heiratskandidaten oder als Aspiranten für die Neubesetzung europäischer Fürstenthrone – im Westen, Süden und Osten des Kontinents gleichermaßen. Vier Dynastiegründungen machten hier seit den 1830er Jahren von sich reden. Erstens: Das 1815 etablierte Königreich der Vereinigten Niederlande war im Gefolge der Pariser Julirevolution von 1830 in seinen südlichen Provinzen von besonders heftigen Eruptionen erschüttert worden. In Brüssel hatten die Revolutionäre, die sich einer sprachlichen und konfessionellen „Niederlandisierung“ ihrer Provinzen widersetzten, ein eigenes Staatswesen proklamiert: das Königreich Belgien. Um den neuen Staat in die monarchische Ordnung Europas einzubinden, sollte ein Angehöriger aus einem traditionsreichen europäischen Fürstenhaus an die Spitze Belgiens treten. Man fand einen geeigneten Kandidaten in der Person des Prinzen Leopold von Coburg, der 1831 zum ersten König der Belgier proklamiert wurde (Abb. 6). Sein Haus regiert das Land bis heute, das Königtum der Coburger bietet, nach allgemein vorherrschender Einschätzung, die wichtigste Klammer und einzig vollauf funktionsfähige Institution, die den fragilen belgischen Nationalitätenstaat zusammenhält. Die belgische Verfassung von 1831 wurde zum Vorbild für zahlreiche europäische Verfassungen der Folgezeit. Das Königreich der Coburger galt als liberaler Musterstaat, der das monarchische Prinzip mit dem Mitspracherecht der Nation auf geradezu ideale Weise verband und zum Ausgleich brachte. Durch die Heirat (1832) König

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Abb. 6: König Leopold I. von Belgien, Portrait von Franz Xaver Winterhalter, 1840 Leopolds I. mit der französischen Prinzessin Louise Marie von Orléans, einer Tochter des französischen „Bürgerkönigs“ Louis-Philippe, der gleichfalls durch die Julirevolution 1830 auf den Thron in Paris gelangt war, entwickelte sich die neue belgische Hauptstadt Brüssel zu einem Mittelpunkt Coburger dynastischer Familien- und Heiratspolitik. Zweitens: Kurze Zeit später, 1836, heiratete ein Neffe des neuen Königs der Belgier, Prinz Ferdinand von Sachsen-Coburg-Kohary aus der ungarisch-katholischen Coburger Linie, in Lissabon die 17-jährige Königin von Portugal, Maria II. Prinzgemahl Ferdinand (Abb. 7) agierte hinfort bis zum Tod der Königin 1853 nicht ohne Geschick als Mitregent und danach bis 1855 als Regent für den minderjährigen Thronfolger, der als Pedro V. in seiner kurzen Regierungszeit – er starb bereits 1861 im Alter von nur 24 Jahren – entscheidende Maßnahmen zur Modernisierung der Infrastruktur und der öffentlichen Wohlfahrtspflege des Landes ergriff und sich durch sein karitatives Engagement große Popularität erwarb. Nachfolger wurde Pedros Bruder Luis, eine ausgesprochene Gelehrten- und Künstlernatur mit literarischen Interessen und wissenschaftlichen Ambitionen. Das vom Coburger Prinzen Ferdinand begründete

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Abb. 7: Prinzregent Ferdinand II. von Portugal portugiesische Königshaus Coburg-Bragança ging – nach der unsäglichen Ermordung seines Enkels, König Carlos I. 1908 und einem Militärputsch gegen seinen Urenkel König Manuel II. 1910 – als erste europäische Dynastie im 20. Jahrhundert unter dramatischen Umständen der Krone verlustig. Danach versank das Land in Anarchie und Diktatur. Drittens: Wieder einige Jahre später, 1840, knüpfte die eheliche Verbindung der jungen Königin Victoria von Großbritannien mit dem gleichaltrigen Prinzen Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, gleichfalls ein Neffe König Leopolds I. von Belgien, die Beziehungen zwischen Coburg und dem britischen Königshaus, das seit 1714 aus Hannover stammte (Abb. 8). Insofern zählte auch Kaiser Wilhelm II., als Enkel des Prinzen Albert und der Königin Victoria, zum Coburger Netzwerk – wenngleich die Familienbeziehungen zwischen Berlin und London nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs ihr abruptes Ende finden sollten, symbolisch besiegelt durch die Umbenennung des britischen Königshauses, das 1917 den Namen „Windsor“ annahm. Zwar regierten Victoria und Albert, im Unterschied zu allen anderen Monarchen des Coburger Netzwerkes, nicht „konstitutionell“ – Großbritannien besitzt bekanntlich bis heute keine kodifizierte „Verfassung“. Doch hatte das Inselreich schon seit der Entscheidung von 1815, dem Monarchenbündnis der „Heiligen Allianz“ fernzubleiben, und dann erneut

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Abb. 8: Königin Victoria und Prinz Albert im Kreis ihrer Familie, Gemälde von Edward Landseer mit der Wahlrechtsreform von 1832 eine unübersehbare Distanz zum konservativ-antikonstitutionellen Kurs der drei Ostmächte bekundet. Viertens: Deutlich zeitversetzt geschah die letzte Coburger Dynastiegründung in Europa. Prinz Ferdinand von Sachsen-Coburg-Kohary, ein Neffe Ferdinands von Portugal, des Mitregenten in Lissabon, wurde 1887 Fürst und 1908 König („Zar“) von Bulgarien (Abb. 9). Gestützt auf eine als außerordentlich liberal geltende Verfassung („Verfassung von Tarnowo“, 1879), gelang ihm in turbulenten Zeiten die Stabilisierung seines Landes. Zum Verhängnis wurde ihm die Kriegsniederlage der Mittelmächte, auf deren Seiten er im Oktober 1915 in den Ersten Weltkrieg eingetreten war. 1918, nach dem militärischen Zusammenbruch Bulgariens, dankte er zugunsten seines Sohnes Boris III. ab, verließ das Land und starb 1948 in Coburg. Zar Boris III. kam 1943 unter unklaren Umständen ums Leben. Sein Sohn, Zar Simeon II., wurde 1946, gemeinsam mit den überlebenden Mitgliedern der bulgarischen Herrscherfamilie, von den Kommunisten aus dem Land getrieben. 2001 erlebte er eine triumphale Rückkehr als neuer (bis 2005 amtierender) Ministerpräsident Bulgariens. Es ist treffend bemerkt worden, dass für das „westlich-liberale“ Dynastiennetzwerk „Coburg-Orléans“ das überlieferte Prinzip monarchischer Legitimität genau genommen nicht mehr in Geltung stand. Beide Dynastien, die Orléans in Paris und die Coburger in Brüssel, waren 1830 bzw. 1831 durch eine Revolution auf ihre Throne gelangt. Die Legitimation ihrer Herrschaft beruhte mithin auf der prinzipiellen Anerkennung des Grundsatzes der Volkssouveränität, was sich auch in ihren neuartigen Titulaturen ausdrückte („Roi des Français“, ,,Roi des

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Abb. 9: König (Zar) Ferdinand I. von Bulgarien, 1886 Belges“). Beide Monarchien waren parlamentarisch verfasst, und beide boten mittels eines allerdings sehr rigide gehandhabten Zensuswahlrechts einer kleinen Schicht bürgerlicher Wähler ein relativ hohes Maß an politischer Mitsprache. Coburg und Orléans waren damit, nach einer Formulierung von Thomas Nicklas, „moderne Aufsteigerdynastien“, die – gerade wegen ihres vermeintlichen Mangels an überlieferter dynastischer Legitimität – lange Zeit einer Art „Heiratsblockade“ von Seiten älterer europäischer Königshäuser unterlagen.

III. Dies galt besonders mit Blick auf das zweite dynastische Netzwerk des 19. Jahrhunderts, das „östlich-konservative“ der Hohenzollern und der Romanovs. Verwandtschaftliche Beziehungen wurden hier lange Zeit durch eine starke weltanschauliche Interessensolidarität grundiert, denn das politische System der konservativen Ostmächte Preußen, Russland und Österreich blieb auch nach den revolutionären Erschütterungen von 1830 weiterhin von monarchischen

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Prärogativen bestimmt. Die „Drei schwarzen Adler“ – Wappentiere der Hohenzollern, der Romanovs und der Habsburger – standen dabei für die Existenz einer monarchischen Solidargemeinschaft, die eine Gegengruppierung zum Block der liberal orientierten Westmächte England und Frankreich und deren jeweiligen Dynastien darstellte und den durch Frankreich repräsentierten „Ideen von 1789“ explizit Paroli bot. In diesem Rahmen kam es vor allem zwischen den Höfen von Berlin und Sankt Petersburg zu engen verwandtschaftlichen Kontakten. Grundgelegt wurde diese dynastische Liaison 1817 mit der Hochzeit zwischen der preu­ ßischen Prinzessin Charlotte und dem russischen Großfürsten Nikolaus, Sohn des ungeliebten Zaren Paul I. und Bruder des regierenden Zaren Alexander I. (Abb. 10). Die bereits 1796, noch zu Lebzeiten der Zarin Katharina II. geschlossene Ehe des Großfürsten Konstantin, eines Bruders von Nikolaus und Alexander, mit Prinzessin Juliane von Sachsen-Coburg-Saalfeld, also einer Angehörigen des „westlich-liberalen“ Dynastiennetzwerkes, blieb politisch folgenlos. Denn Großfürst Konstantin, 1825, beim Tod seines Bruders Alexanders I. als dessen Nachfolger vorgesehen, verzichtete auf den Thron und starb bereits 1831. An seine Stelle trat 1825 sein Bruder Nikolaus – Zar Nikolaus I., nun immerhin schon seit acht Jahren mit Charlotte von Hohenzollern überaus glücklich verheiratet. Die Ehe der beiden war eine ausgesprochene Liebesehe, was im Zeitalter dynastischer Familienpolitik eher eine Ausnahme gewesen ist. Prinzessin Charlotte – sie nannte sich nach ihrer Konversion zum russisch-orthodoxen Glauben in Russland Alexandra Fjodorowna – war die älteste Tochter König Friedrich Wilhelms III. von Preußen und der Königin Luise, geborene Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz. Ihr zur Seite standen sechs weitere Geschwister, allen voran die beiden älteren Brüder, Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I., die von 1840 bis 1888 nacheinander als preußische Könige amtierten, Wilhelm I. seit 1871 zudem auch als deutscher Kaiser. Wenn man nach den politischen Konsequenzen dieser dynastischen Liaison fragt, so muss man zwischen unmittelbaren Folgen und politischen Langzeitwirkungen unterscheiden. Die unmittelbaren Folgen waren zunächst marginal, sie erschöpften sich in familiär-freundschaftlichen Zusammenkünften und wechselseitigen Verwandtenbesuchen. Die Höfe von Berlin und Sankt Peters­ burg standen in regem Verkehr miteinander, jährlich unternahm man gemeinsame Reisen und Besichtigungsfahrten. Hoffeste trugen das ihre bei zur geselligen Einvernehmlichkeit und zur Atmosphäre familiären Wohlwollens. Nach der Thronbesteigung des neuen Zarenpaares 1825 blieb das politische Engagement der gebürtigen Hohenzollernprinzessin indes überaus über­schaubar. Sie unterstützte das Handeln ihres Mannes selbst dann, wenn es in Widerspruch zu ihren eigenen Auffassungen geriet. Dies betraf auch jene Aktivitäten des Zaren, die sich unmittelbar gegen das Herkunftsland seiner Ehefrau richteten. Und ein nachhaltiges Wirken im Sinn einer umfassenden hohenzollernschen Familien-

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Abb. 10: Großfürst Nikolaus (Zar Nikolaus I.) und seine Gemahlin Charlotte von Preußen politik, wie man dies in Preußen wohl von ihr erhofft hatte, war dauerhaft nicht zu erwarten. Nach allem was wir bisher wissen, erstreckte sich ihr öffentliches Engagement als Zarin überhaupt nur auf ein einziges Tätigkeitsfeld, allerdings auf ein sehr zentrales, auf das der christlichen Liebestätigkeit. Hier spann sie beharrlich an einem engmaschigen Netz adliger wohltätiger Organisationen, das sich über den gesamten russischen Reichsverband erstreckte und vielfältige karitative Aufgaben einbezog. Schulen, Krankenhäuser und Altersheime gehörten ebenso zu diesem Netzwerk fürstlicher Wohlfahrtspflege wie Bedürftigenanstalten, Fraueninternate oder allgemeine Lehr- und Bildungseinrichtungen. Finanziert wurden diese kaiserlichen Unternehmungen fast ausschließlich aus privaten Vermögenswerten der Dynastie. Die Langzeitwirkungen der russisch-preußischen Herrscherliaison kamen erst im Verlauf der zweiten Jahrhunderthälfte zum Tragen. Das Verhältnis beider Länder und beider Dynastien zueinander entwickelte sich nicht in ungebrochener Harmonie. Die zunächst, in den Jahren unmittelbar nach 1815, weithin wohlwollende Grundstimmung der preußischen Öffentlichkeit gegenüber dem mächtigen Nachbarn im Osten – grundgelegt in den Jahren des gemeinsamen Kampfes gegen den Napoleonischen Imperialismus – begann sich seit Beginn der 1830er Jahre rapide zu verschlechtern, um schließlich in ihr Gegenteil umzuschlagen. Man entrüstete sich über das rüde Vorgehen des Zaren gegen die revolutionäre Erhebung in Polen Anfang 1831, welche Entrüstung sich zu einer hasserfüllten Russophobie gegenüber dem vermeintlichen „Eispalast der Despotie“ (Ferdinand Freiligrath) in Sankt Petersburg steigerte (Abb. 11). Das blieb nicht ohne Konsequenzen für die dynastischen Beziehungen. Meinungsverschiedenheiten ergaben sich vor allem im Gefolge der – aus russischer Sicht – äußerst unerwünschten Liberalisierung der preußischen Politik im Vorfeld der

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Abb. 11: Der Russische Bär als Gendarm Europas, Karikatur auf die Unterdrückung des Polnischen Aufstands 1831 Märzrevolution 1848, und erst recht nach deren Ausbruch. Preußens Übergang zum System des Konstitutionalismus 1849 – den das Zarenreich erst über ein halbes Jahrhundert später (1906) vollziehen sollte –, und die zwar nicht anti-russische, aber doch entschieden neutrale Haltung des Hohenzollernstaates im Krimkrieg (1853–1856) taten ihr Übriges, um die dynastische Allianz zwischen Berlin und Sankt Petersburg faktisch vollständig zu entwerten. Allerdings gelangten die preußisch-russischen Herrscherbeziehungen unter dem 1855 zur Regierung gelangten Zaren Alexander II. noch einmal zu jener Intensität, die sie bis in die 1830er Jahre besessen hatten. Alexander II., dessen Herrschaft sich durch eine umfassende Reformtätigkeit empfahl, war der Neffe der beiden preußischen Könige Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. Er war – wenngleich nicht besonders glücklich – mit der hessen-darmstädtischen Prinzessin Marie (als Zarin: Marija Alexandrowna) verheiratet (Abb. 12). Es war nicht zuletzt diese dynastische Verbindung, der das Großherzogtum Hessen-Darmstadt im Krisenjahr 1866 seine Fortexistenz verdanken sollte. Denn Otto von Bismarck wollte Hessen-Darmstadt, das im preußisch-österreichischen Krieg auf Seiten der Verlierer gestanden hatte, zusammen mit Hannover,

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Abb. 12: Zar Alexander II. im Kreis seiner Familie Kurhessen, Nassau und Frankfurt am Main kurzerhand annektieren. Nur die Fürsprache des Zaren zu Gunsten des Heimatlandes seiner Frau konnte damals diesen Schritt verhindern. Alexander II. ist zeitlebens stolz darauf gewesen, der Enkel eines preu­ßischen Königs, Friedrich Wilhelms III., gewesen zu sein. Zudem ist bekannt, dass Potsdam und Berlin, wo er sich oft und gerne aufgehalten hat, für ihn ein Stück Heimat waren – Orte familiärer Geborgenheit, deren Aura er sich mittels unzähliger Andenken und Erinnerungsstücke in seinem Sankt Petersburger Arbeitszimmer lebendig zu erhalten suchte. Solange die zarische Autokratie unangetastet blieb, mochten solche Empfindungen einen konkreten realpolitischen Wert besitzen – noch Bismarcks Russlandpolitk hat darauf mehrfach erfolgreich spekuliert. Doch die öffentliche Meinung im Zarenreich stand schon zu Lebzeiten Alexanders II. nicht mehr unbedingt in voller Übereinstimmung mit den dynastisch bedingten Sympathien zu Gunsten Berlins. Nach der Ermordung Alexanders II. durch eine Verschwörergruppe krimineller Linksterroristen 1881 gewannen solche Stimmungen unter den beiden nachfolgenden Zaren Alexander III. und Nikolaus II. zunehmend an Gewicht. Sie ließen die Bedeutung dynastischer Netzwerke, jenseits familiärer Bezüglichkeiten, mehr und mehr verblassen. Symptomatisch dafür war das Scheitern jener vielzitierten Vereinbarung, die Kaiser Wilhelm II. und Zar Nikolaus II. abschlossen, als sie sich 1905 im finnischen Björkö trafen und dabei ein Defensivbünd-

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Abb. 13: Kaiser Wilhelm II. und Zar Nikolaus II. in Björkö, 1905 nis zwischen Deutschland und Russland vereinbarten, das durch den Beitritt Frankreichs profiliert werden sollte und so eine anti-britische Spitze erhalten hätte (Abb. 13). Die Regierungen beider Länder in Berlin und Sankt Petersburg kritisierten und verwarfen wesentliche Bestimmungen dieser Vereinbarung, der „Vertrag“ wurde – zur Enttäuschung Wilhelms II. – nicht ratifiziert. Der ganze Vorgang war ein deutlicher Beleg für die eng begrenzten Möglichkeiten einer Politik, die sich auf persönliche Beziehungen der Herrscher und auf die unermüdlich beteuerte Solidarität der monarchischen Interessen gründete. Beide Dynastien und deren Repräsentanten standen unter dem stetig wachsenden Druck chauvinistischer Strömungen, die – auf russischer wie auf deutscher Seite – das jeweils andere Land zum bevorzugten Ziel völkerpsychologisch aufgeladener Feindbilder werden ließen.

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IV. Solche Feststellungen verweisen bereits auf die anfangs gestellte und nun noch summarisch zu erörternde Frage nach den Gründen für die stetig abnehmende Wirkmächtigkeit dynastisch geprägter Politik in den Jahrzehnten vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Der wachsende Einflussverlust eines wie immer gearteten „monarchischen Internationalismus“ nach Art der „Heiligen Allianz“ von 1815 hing ursächlich zusammen mit dem Phänomen der Nationalisierung der Monarchie, wie sie in fast allen europäischen Staaten im Verlauf der zweiten Jahrhunderthälfte sukzessive erfolgt ist. Dadurch, dass sich die monarchischen Staatsspitzen zusehends nationalisierten, gewann das machtpolitische Interesse der Staatsräson immer stärker den Vorrang vor den persönlichen Neigungen der Herrscher und vor deren verwandtschaftlichen Gefühlen gegenüber ihren „Kollegen“ in den jeweiligen Nachbarländern. Ermöglicht wurde dieser Schulterschluss zwischen Monarchie und Nation durch einen weiteren strukturellen Wandel monarchischer Herrschaft – durch die Einbindung der meisten europäischen Souveräne in das Verfassungsmodell des monarchischen Konstitutionalismus. Im Rahmen dieses Modells mussten sich die Herrscher mit gewählten Parlamenten auseinandersetzen. Sie mussten den Kompromiss, teilweise sogar das Bündnis mit den Repräsentanten der Natio­nalbewegungen suchen. Dadurch erst wurden die Träger der Krone zum integralen Bestandteil des nationalen Verfassungsdiskurses. Die Konstitutionalisierung der europäischen Monarchien war die Voraussetzung für deren Nationalisierung – in Belgien und Bulgarien nicht anders als in Rumänien, in Italien, in Deutschland oder– seit 1905 – sogar in Norwegen. In allen diesen Ländern wurden die gekrönten Häupter zu personifizierten Verkörperungen ihrer Nationen. Sie bildeten Mittelpunkte einer sie zugleich an diese Nation und deren Massenstimmungen kettenden Schicksalsgemeinschaft, die nicht mehr hintergehbar war und im Fokus massenmedialer Identifikationsstiftung stand. Was solche neuaufkommenden Stimmungen für die Aktivierbarkeit traditioneller dynastischer Netzwerke bedeuteten, liegt auf der Hand – unabhängig davon, ob solche Netzwerke eher „westlich-liberal“ oder eher „östlich-konservativ“ orientiert waren. Dadurch, dass zahlreiche Monarchen zu kollektiven Selbstbildern ihrer Nation avancierten, wurde einer staatenübergreifenden Politik transnationaler monarchischer Zusammenarbeit auf der Basis dynastischer Solidarität im Sinn einer „Heiligen Allianz“ zusehends der Boden entzogen. Die Handlungsspielräume der gekrönten Häupter Europas schrumpften auf ein Minimum, wie das Beispiel „Björkö“ schlaglichtartig gezeigt hat. Dass dynastische Netzwerke ihre politische Prägekraft weithin eingebüßt hatten, offenbarte sich dann in aller Deutlichkeit zu Beginn und im Verlauf des Ersten Weltkriegs. Das Königreich Bulgarien, regiert von einem Coburger, Zar Ferdinand I., trat 1915 trotz seiner dynastischen Zugehörigkeit zum „westlich-li-

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Abb. 14: Die Monarchen der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg: Deutschland, Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich, Bulgarien

Abb. 15: König Ferdinand I. von Rumänien nach dem Sieg über die Mittelmächte im Ersten Weltkrieg

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beralen“ Netzwerk auf Seiten Preußen-Deutschlands, und damit gegen die verwandten Dynastien in Brüssel und London, in den Krieg ein (Abb. 14). Das Königreich Rumänien hingegen, regiert von einem Hohenzollern, König Carol I., schlug sich 1916 unter dessen Nachfolger, König Ferdinand I., auf die Seite eben jenes „westlich-liberalen“ Netzwerkes, das gegen die hohenzollernschen Verwandten in Berlin im Krieg stand (Abb. 15). Die familiären Beziehungen zwischen Berlin und Sankt Petersburg trugen in der Julikrise 1914 ebenso wenig Früchte wie etwa jene zwischen Berlin und London – immerhin war Kaiser Wilhelm II. als Lieblingsenkel der Königin Victoria, genealogisch gesehen, ein „halber“ Engländer. Und auch die zaghaft unternommenen Friedensvermittlungsversuche, die der regierende Großherzog Ernst Ludwig von Hessen­Darmstadt 1915 in Briefen und Berichten an seine Schwester Alix, seit 1894 als Alexandra Fjodorowna Gemahlin des Zaren Nikolaus II. und Kaiserin von Russland, unternommen hat, waren und blieben erfolglos. Gegenüber den Interessen des nationalen Machtstaats mussten alle dynastischen Loyalitätsempfindungen zurücktreten, an das Schicksal des eigenen Landes war auch das Schicksal der europäischen Monarchen vor 1914 unweigerlich gebunden. Den Weg in Krieg und Selbstzerstörung des Kontinents gingen sie alle nahezu ausnahmslos in vorderster Reihe mit – als Sinnbilder nationaler Identität, nationaler Rivalität und nationaler Hybris gleichermaßen.

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Literatur Zu den Wandlungen monarchischer Herrschaft im 20. Jahrhundert allgemein: Matthias Stickler, Machtverlust und Beharrung. Dimensionen einer erneuerten politischen Geschichte der regierenden Dynastien Europas im 20. Jahrhundert, in: Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hg.), Geschichte der Politik. Alte und Neue Wege, München 2007, S. 375–396; Frank-Lothar Kroll, Zwischen europäischem Bewusstsein und nationaler Identität. Legitimationsstrategien monarchischer Eliten im Europa des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in: ebd., S. 353–374; Volker Sellin, Gewalt und Legitimität. Die europäische Monarchie im Zeitalter der Revolutionen, München 2011; Dieter Langewiesche, Die Monarchie im Jahrhundert Europas. Selbstbehauptung durch Wandel im 19. Jahrhundert, Heidelberg 2013; Frank-Lothar Kroll/Dieter J. Weiss (Hg.), Inszenierung oder Legitimation?/Monarchy and the Art of Representation. Die Monarchie in Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Ein deutsch-englischer Vergleich, Berlin 2015; Frank-Lothar Kroll, Monarchische Modernisierung. Überlegungen zum Verhältnis von Königsherrschaft und Elitenanpassung im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Ders./Martin Munke (Hg.), Hannover – Coburg-Gotha – Windsor. Probleme und Perspektiven einer vergleichenden deutsch-britischen Dynastiegeschichte vom 18. bis in das 20. Jahrhundert/Problems and perspectives of a comparative German-British dynastic history from the 18th to the 20th century, Berlin 2015, S. 201–242; Benjamin Hasselhorn/Marc von Knorring, Vom Olymp zum Boulevard: Die europäischen Monarchien von 1815 bis heute – Verlierer der Geschichte?, Berlin 2018. – Zur „monarchischen Internationale“ im frühen 19. Jahrhundert: Hans-Joachim Schoeps, Das Bündnis der drei schwarzen Adler, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 16 (1965), S. 152–157; Karl Otmar Freiherr von Aretin, Das Problem der monarchischen Solidarität an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, in: Ders., Nation, Staat und Demokratie in Deutschland. Ausgewählte Beiträge zur Zeitgeschichte, Mainz 1993, S. 1–6; Wolfram Pyta, Idee und Wirklichkeit der „Heiligen Allianz“, in: Frank-Lothar Kroll (Hg.), Neue Wege der Ideengeschichte. Festschrift für Kurt Kluxen zum 85. Geburtstag, Paderborn/München/Wien/Zürich 1996, S. 315–345; Johannes Paulmann, Europäische Monarchien in der Revolution von 1848/49. „Die erste wahrhafte Internationale“?, in: Dieter Langewiesche (Hg.), Demokratiebewegung und Revolution 1847–1849. Internationale Aspekte und europäische Verbindungen, Karlsruhe 1998, S. 109–139; Philipp Menger, Die Heilige Allianz. Religion und Politik bei Alexander I. (1801–1825), Potsdam 2012. – Zu den dynastischen Netzwerken vor 1914: Lamar Cecil, Wilhelm II. and his Russian „Colleagues“, in: Carole Fink/Isabel Hull/MacGregor Knox (Hg.), German Nationalism and the European Response, 1890–1945, Norman/London 1985, S. 95–134; David Cannadine, Willy, Bertie und Vicky. Dynastische Beziehungen in Europa am Vorabend des Ersten Weltkrieges, in: Hans Wilderotter/

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Klaus-D. Pohl (Hg.), Der letzte Kaiser. Wilhelm II. im Exil, Gütersloh/München 1991, S. 43–54; Johannes Paulmann, „Dearest Nicky…“ Monarchical Relations between Prussia, the German Empire and Russia during the Nineteenth Century, in: Roger Bartlett/Karen Schönwälder (Hg.), The German Lands and Eastern Europe. Essay on the history of their Social, Cultural and Political Relations, London 1999, S. 157–181; Johannes Paulmann, Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn/ München/Wien/Zürich 2000; Rodrick R. McLean, Royalty and Diplomacy in Europe, 1890–1914, Cambridge 2001. – Zum Coburger Netzwerk: Thomas Nicklas, Das Haus Sachsen-Coburg. Europas späte Dynastie, Stuttgart 2003; Ders., Von der Regionalität zum europäischen Konnubium. Sachsen-Coburgs Heiratspolitik zwischen Früher Neuzeit und 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 8 (2007), S. 103–119. – Zu den dynastischen Beziehungen der Hohenzollern und Romanovs: Walter Klein, Der Vertrag von Bjoerkoe. Wilhelm II., Bülow und Holstein im Kampf gegen die Isolierung Deutschlands, Berlin 1931; Martha Lindemann, Die Heiraten der Romanows und der deutschen Fürstenhäuser im 18. und 19. Jahrhundert und ihre Bedeutung in der Bündnispolitik der Ostmächte, Berlin/Bonn 1935; Daniel Schönpflug, Liebe und Politik. Die Heiraten der Hohenzollern und ihre Nachwirkungen, 1858–1918, in: Thomas Biskup/Martin Kohlrausch (Hg.), Das Erbe der Monarchie. Nachwirkungen einer deutschen Institution seit 1918, Frankfurt am Main/New York 2008, S. 77–95; Daniel Schönpflug, Die Heiraten der Hohenzollern. Verwandtschaft, Politik und Ritual in Europa 1640–1918, Göttingen 2013; Frank-Lothar Kroll, Staatsraison oder Familieninteresse? Möglichkeiten und Grenzen dynastischer Netzwerkbildung zwischen Preußen und Russland im 18. Jahrhundert, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N. F. 20 (2010), S. 1–41. – Zum monarchischen Konstitutionalismus: Martin Kirsch, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert. Der monarchische Konstitutionalismus als europäischer Verfassungstyp – Frankreich im Vergleich, Göttingen 1999. – Zum monarchischen Nationalismus: Peter Burg, Monarchism as a National Ideology, in: Hartmut Lehmann/Hermann Wellenreuther (Hg.), German and American Nationalism. A Cooperative Perspective, Oxford/New York 1999, S. 71–95; Volker Sellin, Monarchie und Nation in Deutschland 1848–1914, in: Ders., Politik und Gesellschaft. Abhandlungen zur europäischen Geschichte, hg. v. FrankLothar Kroll, Berlin/Boston 2014, S. 415–434.

Barbara Beck

Bernhard III., Charlotte und Kaiser Wilhelm II. Die letzte Herzogin von Sachsen-Meiningen*

Herzog Bernhard III. von Sachsen-Meiningen, selbst Sohn einer preußischen Prinzessin, war durch seine Heirat mit Prinzessin Charlotte von Preußen, der ältesten Schwester des deutschen Kaisers Wilhelm II., auf das Engste mit dem Kaiserhaus und dem Berliner Hof verbunden. Unter Wilhelms Geschwistern stellt Charlotte trotz und vielleicht auch gerade wegen ihres mitunter schwierigen Charakters sicherlich die schillerndste und unter den vier kaiserlichen Schwestern wohl auch die interessanteste Persönlichkeit dar.1 In vielfacher Hinsicht entsprach die letzte Herzogin von Sachsen-Meiningen nicht den damaligen Erwartungen an eine Fürstin. Oft setzte sie sich nonchalant über gesellschaftliche Konventionen hinweg, liebte Intrigen und war in Skandale verstrickt. Die Rolle der liebenswerten und gütigen „Landesmutter“ an der Seite des regierenden Herrschers entsprach nicht ihrem Naturell. Manche ihrer selbst aus heutiger Sicht als durchaus bizarr einzustufenden Auftritte sind sicherlich in schweren gesundheitlichen Störungen begründet, als deren Ursache inzwischen eine Stoffwechselkrankheit ausgemacht wurde. Mit Charlotte hatte Bernhard III. eine faszinierende, aber nicht einfache Lebensgefährtin an seiner Seite.

1. Kindheit und Jugend Charlotte kam am 24. Juli 1860 im Potsdamer Neuen Palais zur Welt. Sie war das zweite Kind des preußischen Thronfolgerpaares Friedrich Wilhelm und Victoria. Charlottes Vater, der spätere 99-Tage-Kaiser Friedrich III., war ein äußerlich imponierend-heroisch wirkender Mann, im Grunde aber ein eher schwacher *

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Der Vortrag, gehalten am 9. November 2018 in Meiningen, wurde für die Veröffentlichung im Wortlaut leicht abgewandelt und erweitert sowie um die nötigen Anmerkungen ergänzt. Außer Charlotte erreichten noch vier der sieben Geschwister Wilhelms II. das Erwachsenenalter, nämlich der „Marineprinz“ Heinrich von Preußen (1862–1929), Prinzessin Victoria zu Schaumburg-Lippe bzw. Zoubkoff (1866–1929), Königin Sophie von Griechenland (1870–1932) und Landgräfin Margarethe von Hessen (1872–1954).

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Mensch.2 In dieser Ehe, bei der es sich anders als bei vielen fürstlichen Verbindungen im 19. Jahrhundert trotz elterlicher Anbahnung um eine Neigungsehe handelte, fiel der dominierende Part an die vielseitig interessierte und eloquente Victoria, die älteste Tochter der britischen Königin Victoria.3 Das Kronprinzenpaar entwickelte sich in den Jahren nach Charlottes Geburt zur Hoffnung der liberalen Kreise in Preußen und später auch in Deutschland. Im Gegensatz zur traumatischen Entbindung ihres älteren Bruders Wilhelm verlief Charlottes Geburt 1860 wesentlich komplikationsloser. Anfänglich zeigte sich ihre Mutter glücklich darüber, dass dieses Baby anders als Wilhelm gesund und ohne sichtbare körperliche Beeinträchtigungen zur Welt gekommen war. Charlotte schien Victorias Sehnsucht nach einem vollkommenen Kind zu erfüllen. Entzückt erging sich die Prinzessin in Lobpreisungen über ihre kleine Tochter: „Sie ist tausendmal netter und viel hübscher, als er es jemals war, und nimmt jetzt schon zweimal so viel wahr, wie er es tat, als er doppelt so alt war. […] Ich bin so stolz auf sie und führe sie gerne anderen vor, was ich mit ihm nie getan habe, da er in ihrem Alter so mager und blass und zappelig war.“4 Doch schon bald entwickelte sich das kleine Mädchen zum Sorgenkind für seine Eltern.5 Wie bei Wilhelm gestaltete sich vor allem das Verhältnis zur Mutter problematisch, weil auch Charlotte deren hohen Anforderungen nicht genügen konnte und zu einem hyperaktiven und nervösen Quälgeist mutierte. Bei Wutausbrüchen wälzte sie sich sogar auf dem Boden und schrie Zeter und Mordio, was dem strengen höfischen Verhaltenskodex völlig widersprach. Ähnlich wie Wilhelm musste Charlotte erleben, dass ihre Mutter die jüngeren Geschwister bevorzugte. Gemeinsam mit dem Bruder sah sie sich einer strengen Erziehung ausgesetzt, wobei ihre langsamen Lernfortschritte bei Kronprinzessin Victoria auf wenig Verständnis stießen. Kronprinz Friedrich Wilhelm neigte hierbei wie auch sonst im Allgemeinen dazu, sich den Ansichten seiner Ehefrau

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Vgl. zu seiner Biografie Frank Lorenz Müller, Der 99-Tage-Kaiser. Friedrich III. von Preußen. Prinz, Monarch, Mythos, München 2013. Vgl. zu ihrer Biografie Hannah Pakula, Victoria. Tochter Queen Victorias, Gemahlin des preußischen Kronprinzen, Mutter Wilhelms II., München 1999; Rainer von Hessen (Hg.), Victoria Kaiserin Friedrich. Mission und Schicksal einer englischen Prinzessin in Deutschland, Frankfurt am Main 2002; Franz Herre, Kaiserin Friedrich. Victoria, eine Engländerin in Deutschland, Stuttgart/Leipzig 2006. Zit. nach Catrine Clay, König, Kaiser, Zar. Drei königliche Cousins, die die Welt in den Krieg trieben, München 2008, S. 24. Vgl. dazu vor allem die Korrespondenz zwischen Charlottes Mutter und Großmutter: Roger Fulford (Hg.), Your Dear Letter. Private Correspondence of Queen Victoria and the Crown Princess of Prussia 1865–1871, London 1971; Ders. (Hg.), Darling Child. Private Correspondence of Queen Victoria and the German Crown Princess 1871–1878, London 1981.

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anzuschließen.6 Schließlich stellte Victoria über die 13-jährige Tochter resigniert fest: „Intelligent ist sie nicht – und wird es nie sein; sie hat wenig oder gar keine Interessen – keinerlei Neigung zum Lernen oder Lesen, für Kunst oder Naturkunde, so bringt es nichts, diese Dinge von ihr zu erwarten […]; wenn sie nur zu einem netten und guten Mädchen heranwächst – und zur rechten Zeit zuverlässig und gewissenhaft wird, ist dies alles, was ich erwarten kann.“7

Dass sich das Mädchen zu einer Unruhestifterin entwickelte, missfiel ihr ebenso wie ihr kokettes Verhalten. Auch Charlottes Äußeres entsprach lange Zeit nicht den mütterlichen Vorstellungen. Victoria fand ihre Tochter für ihr Alter zu klein, zu wenig anmutig in ihren Bewegungen und generell nicht hübsch genug. Angesichts dieses immer wieder angestimmten mütterlichen Klageliedes verwundert es nicht, dass Charlotte wie Wilhelm in eine oppositionelle Haltung gegenüber ihren Eltern verfiel. Auf das schwierige Eltern-Kind-Verhältnis wirkte es sich noch als weitere Belastung aus, dass die beiden ältesten Kinder des Kronprinzenpaares von den Großeltern väterlicherseits, König bzw. Kaiser Wilhelm I. und Königin bzw. Kaiserin Augusta, verwöhnt und verzogen wurden. Bei familiären Auseinandersetzungen neigten beide Enkelkinder daher dazu, die Position der Großeltern zu verfechten.8 Trotz dieser geschilderten Tatsachen darf man aber nicht übersehen, dass Charlotte als Kind ein intaktes Familienleben erlebte. Sie hatte Eltern, die sich wirklich für ihre Kinder interessierten, was seinerzeit in fürstlichen Kreisen nicht unbedingt üblich war. Ab der Mitte der 1870er Jahre erfuhr dieses Idyll Eintrübungen, als sich das Verhältnis des Kronprinzenpaares zu seinem ältesten Sohn Wilhelm verschlechterte. Vor allem nach dem Ausbruch der tödlich verlaufenden Kehlkopfkrebserkrankung von Kronprinz Friedrich Wilhelm 1887 kam es zu erbitterten Rivalitäten innerhalb der Herrscherfamilie.9

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Vgl. etwa seinen Tagebucheintrag vom 24. Juli 1869, wo er vermerkt, dass seine Tochter für ihr Alter weiter sein könnte. Winfried Baumgart (Hg.), Kaiser Friedrich III. Tagebücher 1866–1888, Paderborn u. a. 2012, S. 146. Fulford (Hg.), Darling Child (wie Anm. 5), S. 138. Zit. nach Barbara Beck, Wilhelm II. und seine Geschwister, Regensburg 2016, S. 33. Beck, Wilhelm II. (wie Anm. 7), S. 34. Vgl. hierzu besonders John C. G. Röhl, Wilhelm II. Die Jugend des Kaisers, 1859–1888, München 1993, ab S. 643.

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2. Heirat mit dem Meininger Erbprinzen Bernhard Prinzessin Charlotte strebte früh danach, sich ihrem Elternhaus zu entziehen. Besonders der strengen Aufsicht ihrer Mutter wollte sie entkommen. Als einziger Ausweg bot sich hierfür eine Heirat an. Für ein weibliches Mitglied des europäischen Hochadels gab es im 19. Jahrhundert kaum andere Möglichkeiten, ein eigenständigeres Leben zu führen.10 Eine der wenigen Ausnahmen von dieser Regel bildete hingegen die zehn Jahre ältere bayerische Prinzessin Therese, die als Naturforscherin, Forschungsreisende und Schriftstellerin sowie als erste Ehrendoktorin der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität ein für die damalige Zeit außergewöhnliches Leben führte.11 Charlotte setzte sich bei ihren Heiratsplänen immerhin keck über die höfischen Gepflogenheiten ihrer Zeit hinweg und nahm das Projekt ihrer Verehelichung selbst in die Hand. Nachdem sie den Erbprinzen Bernhard von Sachsen-Meiningen, der mit ihrem Bruder Wilhelm befreundet und zugleich ihr Cousin zweiten Grades war,12 näher kennengelernt hatte, entschloss sich die erst 16 Jahre alte Charlotte zu handeln. Nach dem Vorbild ihrer englischen Großmutter machte sie am 10. Dezember 1876 dem neun Jahre älteren Bernhard einen Heiratsantrag. Königin Victoria hatte einst dem Coburger Prinzen Albert wegen ihres höheren Ranges die Ehe anbieten müssen.13 Charlotte sah sich offenbar dazu berechtigt, ähnlich verfahren zu können, obwohl dies für sie keineswegs zutraf. Sie kam mit diesem Schritt Bernhard zuvor. Über diesen ungewöhnlichen Heiratsantrag teilte der Prinz am 13. Dezember 1876 seinem Vater Herzog Georg II. mit: „Ich wollte übrigens mit meiner Erklärung warten, bis Charlotte konfirmiert wäre, weil ich nicht glaubte, vorher um sie anhalten zu dürfen. Darum ist der letzte entscheidende Schritt am 10ten Abends nicht von mir, sondern von ihr ausgegangen.“14 10 Auf die jungen Prinzessinnen der europäischen Dynastien wurde im 19. Jahrhundert üblicherweise entsprechender „Heirats-Druck“ ausgeübt, damit sie „versorgt“ waren. Vgl. zu diesem Aspekt Barbara Beck, Glanz, Pomp und Tränen. Von der dynastischen Ehe zur Liebesheirat in Europas Herrscherhäusern, Regensburg 2012, S. 59 f. 11 Vgl. zu ihrer Biografie Hadumod Bussmann, „Ich habe mich vor nichts im Leben gefürchtet“. Die ungewöhnliche Geschichte der Therese Prinzessin von Bayern, 1850– 1925, München 52013. 12 Seine Mutter Charlotte (1831–1855), eine Tochter des Prinzen Albrecht von Preußen, gehörte wie der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm zur Enkelschar von König Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise von Preußen. 13 Vgl. Beck, Glanz, Pomp und Tränen (wie Anm. 10), S. 80. 14 Zit. nach Alfred Erck/Hannelore Schneider, Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, Zella-Mehlis/Meiningen 1997, S. 278.

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Die frühe Verlobung Charlottes mit dem intelligenten Erbprinzen von Sachsen-Meiningen wurde von ihren Eltern gerade wegen der schwierigen Persönlichkeit der Prinzessin befürwortet. Briefliche Äußerungen Victorias und Friedrich Wilhelms sprechen hierbei eine deutliche Sprache. So vermerkte die Kronprinzessin etwa: „Die hübsche Außenseite & das leere Innere, diese gefährlichen Charaktereigenschaften! Jeder ist anfangs bezaubert. Jene jedoch, die sie besser kennen, wissen, wie sie wirklich ist – und können weder Liebe noch Vertrauen noch Respekt für sie empfinden! Es ist zu schmerzlich. Es gibt nichts, was man tun kann, es ist eben eine Tatsache & man kann nur hoffen, dass die Zeit & das Leben ihr als Lehrer dienen werden & dass der gute Bernhard sie beschützen & führen wird.“15

In eine ähnliche Richtung gehen auch Äußerungen von Kronprinz Friedrich Wilhelm. Er habe sich „keinen besseren Schwiegersohn wünschen können“. Ihm könne er sein Kind „mit vollstem Vertrauen“ geben.16 Der kluge Bernhard erschien dem Kronprinzenpaar für diese Aufgabe bestens geeignet. Ohne den Prinzen vorsorglich über die mannigfachen Komplikationen zu informieren, die ihn mit dieser physisch und psychisch stark belasteten jungen Frau erwarteten, wurde ihm von Charlottes Eltern eine enorme Verantwortung für die Zukunft aufgebürdet. Bernhards Vater, Herzog Georg II., entging die schwierige charakterliche Veranlagung der jungen Verlobten seines Sohnes nicht, so dass er bereits erste entsprechende Überlegungen anstellte, nachdem er sie kennengelernt hatte.17 Während sich Charlottes Eltern beglückt über den Bräutigam ihrer Tochter zeigten, empfand die aus dem Großherzogtum Sachsen-WeimarEisenach stammende Kaiserin Augusta diese Partie für ihre älteste Enkelin als zu unbedeutend.18 Am 18. Februar 1878 fand Charlottes und Bernhards Hochzeit in Berlin statt. Aus Kostengründen wurde ihre Vermählung in Form einer Doppelhochzeit gefeiert, da gleichzeitig Prinzessin Elisabeth von Preußen den Erbgroßherzog Friedrich August von Oldenburg heiratete. Trotz aller Probleme mit ihrer Ältesten fiel es Kronprinzessin Victoria schwer, sich von ihr zu trennen. Am Tag nach der Hochzeit teilte sie Queen Victoria mit, dass sie sich deswegen „sehr 15 John C. G. Röhl/Martin Warren/David Hunt, Purple Secret. Genes, ‚Madness‘ and the Royal Houses of Europe, London u. a. 1998, S. 136 f. Zit. nach Beck, Wilhelm II. (wie Anm. 7), S. 37. 16 Zit. nach Alfred Erck/Hannelore Schneider, Facetten eines mit Konflikten reich beladenen Lebens. Bernhard III. von Sachsen-Meiningen, in: Meininger Heimatklänge 1 (2009), S. 1–3, hier S. 2. 17 Vgl. einen entsprechenden Tagebucheintrag von Georgs morganatischer Gattin Freifrau Helene von Heldburg vom März 1877 bei Erck/Schneider, Georg II. von Sachsen-Meiningen (wie Anm. 14), S. 280. 18 Vgl. Beck, Wilhelm II. (wie Anm. 7), S. 37 f.

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elend“ gefühlt habe: „Doch es muss so sein, und sie sieht sehr glücklich aus, und sie vergoss gestern keine Träne, und Bernhard ist vernarrt in sie.“19 So gänzlich konnte sich Charlotte auch nach der Heirat nicht den wachsamen Augen ihrer Mutter entziehen, weil Bernhard wegen seiner militärischen Karriere in der preußischen Armee in Potsdam bzw. Berlin verblieb. Die kaiserliche Familie verfolgte darüber hinaus den Zweck, dass Charlotte mit der morganatischen Ehefrau von Herzog Georg II., der ehemaligen Schauspielerin Ellen Franz und jetzigen Freifrau Helene von Heldburg, möglichst wenig Kontakt haben sollte, da dies als unpassend angesehen wurde. Der große Einfluss des Kronprinzenpaares, den es auf die Lebensgestaltung des Meininger Erbprinzenpaares ausübte, stieß bei Herzog Georg nicht auf Zustimmung. Dass Kronprinzessin Victoria in allen Dingen, die Charlotte und Bernhard betrafen, immer das letzte Wort behalten wollte, verärgerte ihn. Auch dass das Paar zu einer teuren Hofhaltung in Potsdam und Berlin angehalten wurde, was die Meininger Hofkasse in großem Umfang belastete, ergrimmte ihn. Es missfiel Georg zudem, dass sein Sohn und seine Schwiegertochter dadurch so eng mit der preußischen Familie verflochten waren, dass sie daher oft deren Position vertraten.20 Wirklich „warm“ sollte Herzog Georg mit seiner preußischen Schwiegertochter nie werden. Weder schätzte er ihre häufigen Ohnmachtsanfälle, die seiner Ansicht nach immer verdächtig passend auftraten, noch empfand er ihre unvermuteten Wutausbrüche sowie ihr übersteigert selbstbewusstes und nicht selten taktloses Gebaren als passendes Benehmen. Seine anfänglichen Versuche, Charlotte dies abzugewöhnen, verbat sich Bernhard mit Nachdruck. Wiederholt gerieten Vater und Sohn deshalb in Streit, wobei der Erbprinz stets seine Frau verteidigte. Dass es sich bei der Prinzessin um eine kranke Persönlichkeit handelte, erkannte Georg II. nicht. In ihrem arroganten Auftreten sah er vielmehr eine preußische Untugend.21 Bernhard wurde wegen seiner großen Langmut gegenüber Charlottes Launen und Kapricen von einem intimen Kenner des Berliner Hofes 1915 als der nachsichtigste und devoteste aller Ehemänner bezeichnet.22 Erst nach Bernhards Abdankung gab es 1919 wohl tiefergehende Eheprobleme, da offenbar sogar über eine Trennung oder Scheidung nachgedacht wurde.23 Augenscheinlich entfiel mit dem Ende der Monarchie für die Mitglieder 19 Fulford (Hg.), Darling Child (wie Anm. 5), S. 283. Zit. nach Beck, Wilhelm II. (wie Anm. 7), S. 40. 20 Vgl. Erck/Schneider, Georg II. von Sachsen-Meiningen (wie Anm. 14), S. 281 f. 21 Ebd.; Erck/Schneider, Facetten (wie Anm. 16), S. 1. 22 Vgl. Axel von Schwering (Pseud.), The Berlin Court under William II, London u. a. 1915, S. 94. 23 Vgl. Andrea Jakob, Kinder und Enkel Georgs II. Herzog von Sachsen-Meiningen, Meiningen 2018, S. 20.

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Abb. 1: Charlotte Erbprinzessin von Sachsen-Meiningen, Foto: T. H. Voigt, Bad Homburg v. d. Höhe, Postkarte um 1907 der einstigen Herrscherfamilien die bis dahin bestehende Notwendigkeit, den Schein eines untadeligen Ehe- und Familienlebens aufrechtzuerhalten. Gerade im engeren familiären Umkreis des einstigen Kaisers Wilhelm II., der wegen der Wahrung des monarchischen Nimbus immer strikt gegen Scheidungen eingestellt gewesen war,24 kam es nach 1918 zu Trennungen und Scheidungen.25 24 Vgl. Lothar Machtan, Wilhelm II. als oberster Sittenrichter: Das Privatleben der Fürsten und die Imagepolitik des letzten deutschen Kaisers, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 54 (2006), S. 5–19, hier S. 6–9. Ferner überblicksartig zu den Ehe- und Familienkrisen der regierenden deutschen Familien bis 1918: Martin Otto, Revolution auf Raten. Das Ende der Monarchie in den deutschen Kleinstaaten als politischer Prozess, in: Stefan Gerber (Hg.), Das Ende der Monarchie in den deutschen Kleinstaaten. Vorgeschichte, Ereignis und Nachwirkungen in Politik und Staatsrecht 1914–1939 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe, 54), Köln/Weimar/Wien 2018, S. 85–108, hier S. 98–101. 25 Das Kronprinzenpaar lebte voneinander getrennt, die Ehen von zwei Kaisersöhnen wur-

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3. Feodora – Das einzige Kind Aus Charlottes Ehe mit Bernhard stammte nur ein einziges Kind, die am 12. Mai 1879 in Potsdam geborene Tochter Feodora.26 Bernhard musste sich damit abfinden, dass er keinen Sohn als Thronfolger hatte, sondern ihm dereinst sein jüngerer Bruder Ernst nachfolgen sollte. Offenbar verhinderten gesundheitliche Probleme Charlottes die Geburt weiterer Kinder. Feodora, die ihren Namen nach Bernhards geliebter, jung verstorbener Stiefmutter erhalten hatte, sollte sich bald als ähnlich schwieriges Kind erweisen, wie es einst Charlotte gewesen war. Tragischerweise litt Feodora an denselben Krankheitssymptomen wie ihre Mutter, was zunächst nicht bemerkt wurde. Die Meininger Erbprinzessin nahm gegenüber ihrer Tochter nie eine sonderlich liebevolle Haltung ein. Kronprinzessin Victoria kümmerte sich hingegen viel um ihre älteste Enkelin und missbilligte Charlottes wenig mütterliches Verhalten. Als Feodora 13 Jahre alt war, konstatierte die inzwischen verwitwete Kaiserin Victoria bei ihr eine ähnlich oberflächliche Veranlagung wie sie sie einst bei Charlotte bemängelt hatte. Mitverantwortlich machte sie dafür die Atmosphäre im Elternhaus Feodoras: „Ihre Eltern sind kaum jemals zu Hause oder zusammen […] Sie weiß gar nicht, was ein Familienleben ist!“27 Trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen heiratete Feodora im Herbst 1898 den Prinzen Heinrich XXX. Reuß zu Köstritz. Dass ausgerechnet Charlottes Tochter einen mittellosen Prinzen aus einer fürstlichen Nebenlinie heiratete, sorgte im Hinblick auf den nicht geringen Standesdünkel der Meininger Erbprinzessin für Verwunderung. Die damalige rumänische Kronprinzessin Maria, eine Cousine Charlottes, vermutete nicht zu Unrecht, dass Feodora ein eigenes Leben fern ihres Elternhauses führen wollte; denn „jegliche Veränderung gegenüber ihrem Zuhause, denke ich, wird ihr wie das Paradies erscheinen“.28 Das von jeher nicht gute Verhältnis zwischen Charlotte und ihrer Tochter brach nach deren Heirat fast vollständig ab. Charlotte konnte ihren Schwiegersohn nicht leiden. Dies führte sogar dazu, dass sie ihn bei einem ihrer unbeherrschten Ausbrüche in der

den geschieden. Eine dritte Scheidung unterblieb wegen des Selbstmordes des jüngsten Sohnes Joachim. Vgl. Jörg Kirschstein, KaiserKinder. Die Familie Wilhelms II. in Fotografien, Göttingen 2011, S. 19 f. 26 Zu ihrer Biografie vgl. Jakob, Kinder und Enkel Georgs II. (wie Anm. 23), S. 28–31; Beck, Wilhelm II. (wie Anm. 7), S. 43–47; Röhl/Warren/Hunt, Purple Secret (wie Anm. 15), S. 155–180. 27 Zit. nach Pakula, Victoria (wie Anm. 3), S. 602. 28 Diana Mandache, Dearest Missy. The Correspondence between Marie, Grand Duchess of Russia, Duchess of Edinburgh and of Saxe-Coburg and Gotha and her Daughter Marie, Crown Princess of Romania. 1879–1900, Falköping 2011, S. 319. Zit. nach Beck, Wilhelm II. (wie Anm. 7), S. 46.

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Öffentlichkeit ohrfeigte.29 Bernhard scheint zwischen seiner Ehefrau und seiner Tochter nicht ausgleichend gewirkt zu haben. Er übernahm einfach Charlottes Position.

4. Glamour und Skandale Wesentlich mehr Interesse als für ihre Mutterrolle brachte Charlotte für ihre Position als Mitglied der internationalen High Society auf. Nach der Thronbesteigung ihres Bruders Wilhelm II. im Juni 1888 entwickelte sich Charlotte zu einer tonangebenden Persönlichkeit der mondänen Berliner Gesellschaft. Mit ihrer Vorliebe für dieses elegant-oberflächliche Leben unterschied sie sich deutlich von ihrer Mutter, die eine solch „frivole, nutzlose Existenz“ ablehnte.30 Charlotte genoss es dagegen, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, den neuesten Klatsch zu verbreiten und mit spöttischen Bemerkungen und frechen Bonmots über den Kaiser und ihre Verwandtschaft für Gesprächsstoff zu sorgen. Bevorzugtes Ziel ihres Spotts war ihre hausbackene und bigotte Schwägerin Kaiserin Auguste Victoria, in der sie von Anfang an keine wirklich standesgemäße Partie für Wilhelm sah.31 Während die Meininger Erbprinzessin als Kind und junges Mädchen als wenig eindrucksvolle Erscheinung galt, hatte sie sich in späteren Jahren zu einer attraktiven und eleganten Frau entwickelt. Eine ausführliche Beschreibung der „Gesellschaftslöwin“ Charlotte hinterließ die rumänische Königin Maria in ihren Erinnerungen. Charlotte war demnach eine „außerordentlich intelligente und berückende Frau. Nie hörte ich eine sanftere, melodischere Stimme als die ihre, sie hatte einen weichen schnurrenden Unterton von unsagbarer Lieblichkeit. […] Ihre wohlbedachten Bewegungen waren leise und geschmeidig wie die einer Katze. Ebenfalls katzenhaft war ihre Art, Gegenstände zu berühren. Ihre Gesten glichen Liebkosungen. Wie reizend legte sie ihre Finger auf den Deckel der Zigarettendose, bevor sie diese öffnete, wie lind klopfte sie über dem Tisch die Zigarette ab, bevor sie diese in die Spitze steckte. […] Sie war klein und hatte eine Neigung zum Dickwerden, die sie sehr zum Schaden ihrer Gesundheit bekämpfte. Sie gehörte zu den wenigen Frauen ihrer Zeit, die kurzgeschnittenes Haar trugen. Eine leidenschaftliche Raucherin und Liebhaberin von Juwelen und schönen Kleidern, verbreitete sie jedesmal, wenn sie erschien, […] einen charmanten Duft von feinsten Zigaretten und Hammam. Sie wußte über vieles Bescheid, obwohl ihr Wissen nicht so groß war, als sie gern glauben ließ. Sie redete über die verschiedensten Angelegenheiten und Probleme mit der Sicherheit eines Kenners. Sie schien 29 Vgl. hierzu Beck, Wilhelm II. (wie Anm. 7), S. 46 f. 30 Zit. nach Karin Feuerstein-Prasser, Die deutschen Kaiserinnen. 1871–1918, Regensburg 1997, S. 150. 31 Vgl. Beck, Wilhelm II. (wie Anm. 7), S. 48 f.

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Barbara Beck sehr aktiv und hatte eine Menge Passionen; eine der heftigsten dürfte die Politik gewesen sein. Sie konnte hilfsbereit und sogar bis zur Selbstverleugnung aufopferungsvoll sein. Sie besaß auch die seltene Gabe echter ausdauernder Freundschaft, obwohl sie eine der veränderlichsten und unbeständigsten Frauen war, die ich je gekannt.“32

In dieser Schilderung klingt bereits an, dass sich Charlotte nicht entsprechend des herkömmlichen weiblichen Rollenbildes ihrer Zeit verhielt, sondern einem extravagant-modischen Lebensstil huldigte. Sie ließ für sich selbst die starken Einschränkungen nicht zu, die damals für die Lebensgestaltung von Frauen galten. Schon ihre Leidenschaft für das Rauchen galt als nicht „ladylike“. Missbilligend stellte ihre Mutter 1893 fest, sie rieche „wie ein wandernder Zigarrenladen, was für Damen unpassend ist. Niemals werde ich es mir vorstellen können, dass es damenhaft ist, regelmäßig und jeden Tag zu rauchen.“33 Auch dass sie später ihr geliebtes Auto, dem sie den Namen „Angel“ verpasste, selbst steuerte, galt als ungewöhnlich. Ihre umtriebige Art und ihre vielen Reisen versetzten die Erbprinzessin in den Stand, als mehr oder weniger geschätzte „Nachrichten- und Kontaktbörse“ an verschiedenen Höfen zu fungieren. Wie viele Standesgenossinnen agierte sie dabei als informelle „Netzwerkerin“, was traditionell bei Eheanbahnungen eine wichtige Rolle spielte. So stellte Charlotte als vertraute Freundin der Coburger Herzogin Maria Alexandrowna für diese die Verbindung zum rumänischen Herrscherhaus her, das der Linie Hohenzollern-Sigmaringen entstammte.34 Der Herzogin lag daran, eine Einheirat ihrer ältesten Tochter Maria in das englische Königshaus zu verhindern. Dank des Einsatzes von Charlotte kam es zu einer Ehe von Maria mit dem rumänischen Thronfolger Ferdinand. Wegen ihrer grenzenlosen Freude am Klatsch und an der Intrige wurde Charlotte nicht nur zu einer Unruhestifterin innerhalb des ausgedehnten Familiennetzwerkes des europäischen Hochadels, sondern sie wurde dadurch auch in große Skandale des wilhelminischen Zeitalters verwickelt. Sie war daher sowohl in die Kotze-Affäre als auch in die Eulenburg-Affäre involviert. Ob sie tatsächlich mittels kompromittierender Briefe den Skandal um den kaiserlichen Zeremonienmeister Leberecht von Kotze mit auslöste, ist nicht eindeutig zu klären.35 Seit 1891 wurde die Berliner Hofgesellschaft durch obszöne anonyme Briefe in 32 Maria von Rumänien, Traum und Leben einer Königin, Leipzig 11–141935, S. 152. 33 Arthur Stanley Gould Lee (Hg.), The Empress Frederick Writes to Sophie, her Daughter, Crown Princess and later Queen of the Hellenes. Letters 1889–1901, London 1955, S. 151. Zit. nach Beck, Wilhelm II. (wie Anm. 7), S. 50. 34 Vgl. Hannah Pakula, The Last Romantic. A Biography of Queen Marie of Roumania, New York 1984, S. 56 f. 35 Vgl. hierzu John C. G. Röhl, Wilhelm II. Der Aufbau der Persönlichen Monarchie, 1888– 1900, München 2001, S. 741–755, sowie Wolfgang Wippermann, Skandal im Jagdschloss Grunewald. Männlichkeit und Ehre im deutschen Kaiserreich, Darmstadt 2010.

Bernhard III., Charlotte und Kaiser Wilhelm II.

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Abb. 2: Charlotte Erbprinzessin von Sachsen-Meiningen, Foto: L. Otto Weber, Meiningen, Postkarte um 1910/12 Unruhe versetzt. Charlotte hielt von Anfang an den zeitweise als vermeintlichen Verfasser der Briefe arretierten und schließlich im März 1895 aus Mangel an Beweisen wieder freigesprochenen Kotze für unschuldig. König Carol I. von Rumänien, zu dessen häufigen Gästen das Meininger Erbprinzenpaar gehörte, vermerkte in einem Brief vom Januar 1896 an seinen jüngeren Bruder Friedrich von Hohenzollern-Sigmaringen, dass sie „überall Lanzen für Kotze“ breche. Er hielt aber eine gewisse Vorsicht Charlotte gegenüber für angebracht: „Leider hat sie die schlimme Gewohnheit bei all ihren guten Eigenschaften fabelhaft zu schnurren.“36 Wie gefährlich ein unvorsichtiges Agieren hinter den Kulissen werden konnte, musste die Erbprinzessin im Zuge der Eulenburg-Affäre erleben. Sie hatte den gefürchteten Publizisten Maximilian Harden in seinem Kampf gegen den Einfluss des kaiserlichen Günstlings, Ratgebers und einstigen 36 Sorin Cristescu (Hg.), Die Briefe König Karls I. von Rumänien an seine Familie. Bd. III (1895–1912), Bukarest 2013, S. 12 f.

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Diplomaten Philipp zu Eulenburg und Hertefeld sowie der sogenannten „Liebenberger Tafelrunde“ unterstützt.37 Charlotte war seit Jahren eine interessierte Leserin von Hardens politischer Wochenzeitschrift „Die Zukunft“,38 die sehr kritisch, aber wohlinformiert über das Kaiserreich berichtete und zu dessen einflussreichsten Presseorganen zählte. In diesem Punkt unterschied sich die Meininger Erbprinzessin deutlich von Wilhelm II., der lediglich den „Berliner Lokalanzeiger“ las und sich ansonsten mit ihm vorgelegten Presseausschnitten vom Auswärtigen Amt begnügte. Ab dem November 1906 veröffentlichte Harden eine Serie von Artikeln, die sich gegen die in seinen Augen schädliche Einmischung unverantwortlicher Ratgeber aus dem höfischen Umfeld Wilhelms II. in die deutsche Außenpolitik richtete. Zugleich diskreditierte er dabei den kaiserlichen Freundeskreis wegen seiner homoerotischen Ausrichtung als angeblich moralisch verachtenswert. Die dadurch ausgelöste Prozessflut, die reichlich Stoff für einen saftigen Gesellschaftsskandal bot, erschütterte die wilhelminische Gesellschaft in den Jahren von 1907 bis 1909 in ihren Grundfesten und schadete weltweit dem Ansehen Deutschlands. Der Meininger Erbprinzessin war es offenbar zunächst nicht klar, wie gefährlich es für sie selbst werden konnte, wenn sie einen Journalisten wie Harden mit Interna aus dem höfischen Leben versorgte. Als die Möglichkeit im Raum stand, dass ihre indiskreten Auslassungen Gegenstand des Prozesses gegen Harden werden könnten, reagierte sie verständlicherweise nervös. Dank entsprechender Einflussnahme konnte verhindert werden, dass sie als Zeugin vor Gericht vorgeladen wurde. Gegenüber ihrem Arzt Professor Ernst Schweninger, dem sie vertrauen konnte, äußerte sie die Besorgnis, dass die ganze Angelegenheit für sie „noch böse scheußliche Folgen“ haben werde. Ihr Ehemann Bernhard war mit Recht darüber „wie wahnsinnig vor Wuth“.39 Charlotte entschied sich in dieser Sache nun für größtmögliche Zurückhaltung ihrerseits. Allerdings beschäftigte sie das Thema einer Nebenregierung durch Berliner Hofschranzen bis in ihre letzten Lebensjahre. Gegenüber dem einflussreichen Publizisten Victor Naumann, der Bernhard und Charlotte im Januar 1918 besuchte, äußerte sie missbilligend: „Der Kaiser ahnt gar nicht, in was für Händen er sich häufig befindet“. Sie sah

37 Vgl. Machtan, Wilhelm II. (wie Anm. 24), S. 14 f., sowie John C. G. Röhl, Philipp Eulenburgs politische Korrespondenz, Bd. III: Krisen, Krieg und Katastrophen. 1895–1921, Boppard am Rhein 1983, S. 2160; Norman Rich/M. H. Fisher (Hg.), Die geheimen Papiere Friedrich von Holsteins, Bd. IV: Briefwechsel (10. Januar 1897 bis 8. Mai 1909), Göttingen/Berlin/Frankfurt 1963, S. 449. 38 Vgl. Ludwig Raschdau, In Weimar als Preußischer Gesandter. Ein Buch der Erinnerungen an Deutsche Fürstenhöfe 1894–1897, Berlin 1939, S. 14. Der Gesandte war mit Charlotte gut bekannt. 39 Zit. nach Machtan, Wilhelm II. (wie Anm. 24), S. 15 f.

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in der am kaiserlichen Hof bestehenden Günstlingswirtschaft „das Verderben meines Bruders“.40

5. Kaiser Wilhelm II. Charlottes Verhältnis zu Wilhelm II. veränderte sich im Verlauf der Jahre deutlich. Altersmäßig stand sie ihrem ältesten Bruder von den kaiserlichen Geschwistern am nächsten. Sie teilte außerdem mit ihm und dem nächstjüngeren Bruder Heinrich die Erfahrung, dass die jüngeren Geschwister im Vergleich zu den drei ältesten Kindern einem geringeren Erwartungsdruck seitens der Eltern ausgesetzt waren.41 Dieses Erleben stärkte das Gemeinschaftsgefühl in der älteren Geschwistergruppe, das bis in die späteren familiären Auseinandersetzungen nachwirkte. Charlotte teilte daher etwa Wilhelms heftigen Widerstand gegen das vor allem von ihrer Mutter leidenschaftlich befürwortete Eheprojekt für ihre jüngere Schwester Victoria mit Prinz Alexander von Battenberg, der als nicht ebenbürtiger Ehepartner galt.42 Auch Bernhard schloss sich jenem Kreis um Wilhelm an, der gegen den späteren Kaiser Friedrich III., dessen Frau und deren liberale Freunde intrigierte. Bis in die ersten Regierungsjahre Wilhelms II. ergriff Charlotte immer wieder die Partei des älteren Bruders. Die verwitwete Kaiserin reagierte mehr als einmal mit Erbitterung auf Charlottes und Bernhards Verhalten. Dass ihre Tochter die neue kaiserliche Gnadensonne „umschmeichelte“,43 verärgerte sie. Über ihren Schwiegersohn äußerte sie im November 1888, dass „er immer ein verrückter Chauvinist“ gewesen sei.44 Dass sich das Meininger Erbprinzenpaar auf Wilhelms Seite schlug, zahlte sich gerade für Bernhards weitere militärische Karriere aus und in den Jahren nach der Thronbesteigung seines Schwagers avancierte er bemerkenswert rasch. In späteren Jahren bezog Charlotte allerdings gegenüber Wilhelm II. eine kritischere Position. In den 1890er Jahren fing sie an, sich über Wilhelms Sprunghaftigkeit tadelnd zu äußern.45 40 Victor Naumann, Profile. 30 Porträt-Skizzen aus den Jahren des Weltkrieges nach persönlichen Begegnungen, München/Leipzig 1925, S. 200 f. 41 In seinen Jugenderinnerungen verwies Wilhelm II. darauf, dass die drei ersten Kinder mit wesentlich weniger Nachsicht und zärtlicher Zuwendung rechnen durften. Vgl. Wilhelm II., Aus meinem Leben. 1859–1888, Berlin/Leipzig 1927, S. 9. 42 Vgl. Beck, Wilhelm II. (wie Anm. 7), S. 138. 43 Zit. nach Pakula, Victoria (wie Anm. 3), S. 549. 44 Zit. nach Friedrich Facius, Die letzte Herzogin von Sachsen-Meiningen, in: Meininger Schüler-Rundbrief 19 (1971), S. 5–9, hier S. 6. 45 Vgl. Beck, Wilhelm II. (wie Anm. 7), S. 61 f.; John C. G. Röhl, Kaiser Wilhelm II. „Eine Studie über Cäsarenwahnsinn“, München 1989, S. 28 f.

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Ein tiefer Riss zwischen dem Meininger Erbprinzenpaar und dem Kaiser entstand 1903.46 Mit einer Rede im Reichstag, in der er Misshandlungen von Soldaten in der Armee angeprangert hatte, hatte der Sozialistenführer August Bebel in Militär- und Hofkreisen für Empörung gesorgt. Als Bernhard am 23. März 1903 in seiner Eigenschaft als Kommandierender General für den Bereich des VI. Armeekorps einen Befehl erließ, der sich gegen die Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte richtete und ihnen dabei auch das Recht der Anzeige bei gleichzeitiger Versetzung zu einem anderen Truppenteil zum Schutz vor weiteren Schikanen einräumte, gab er damit scheinbar indirekt Bebels Beschwerden Recht. Bernhards Befehl sorgte deshalb für Aufsehen. Nachdem der Erlass formell zurückgenommen worden war, bat der Erbprinz um seinen Abschied. Nach außen hin wurde Bernhards Rücktritt dadurch übertüncht, dass er im September 1903 von Wilhelm II. nicht nur zum Generaloberst ernannt, sondern auch zum Generalinspekteur der II. Armee-Inspektion mit dem Standort in Meiningen berufen wurde. Es handelte sich dabei um einen eher einflusslosen Posten. Er gelangte nicht mehr in die Gunst seines kaiserlichen Schwagers zurück. 1912 erfolgte seine fristlose Versetzung in den Ruhestand. Verärgert äußerte Charlotte: „Es passt zu Allem Anderen!“47

6. Herzogin von Sachsen-Meiningen Als Charlottes Schwiegervater, Herzog Georg II., am 25. Juni 1914 starb, folgte ihm der inzwischen 63 Jahre alte Bernhard III. nach. Da nur drei Tage später die tödlichen Schüsse auf den österreichischen Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Gemahlin in Sarajevo fielen, was in einer fatalen Kettenreaktion den Ersten Weltkrieg auslöste, konnte sich Bernhard nicht mehr als Regent hervortun. Mit seiner konservativ-preußischen Gesinnung gewann er zudem nicht die Herzen seiner Untertanen. Seine Gattin Charlotte erwies sich in dieser Hinsicht nicht als Hilfe. Sie hatte zu dem Herzogtum nie eine enge Bindung aufgebaut, da sie sich dort nur sporadisch aufzuhalten pflegte. Charlotte hatte es immer vorgezogen zu reisen, wenn es ihr Gesundheitszustand erlaubte. Zu ihrer geringen Beliebtheit in Sachsen-Meiningen trug vor allem ihr arrogantes Auftreten bei. Die Rolle der volkstümlichen Landesmutter lag ihr nicht, obwohl sie als Förderin und Schirmherrin verschiedener Krankeneinrichtungen und Stiftungen auftrat.48 46 Vgl. Beck, Wilhelm II. (wie Anm. 7), S. 61 f. 47 Zit. nach John C. G. Röhl, Wilhelm II. Der Weg in den Abgrund, 1900–1941, München 2 2009, S. 951. 48 Es gab etwa in hoher Anzahl vertriebene Postkarten mit ihrem Porträtfoto, die zum

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Abb. 3: Charlotte Herzogin von Sachsen-Meiningen, Foto: Prof. Georg Heinrich Emmerich, München, Postkarte um 1915

Abb. 4: Charlotte Herzogin von Sachsen-Meiningen, Foto: unbekannt. Postkarte zum Besten des Meininger Landesvereins vom Roten Kreuz und des Vaterländischen Frauenvereins, um 1915 Besten des Meininger Landesvereins vom Roten Kreuz und des Vaterländischen Frauenvereins verkauft wurden.

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Ihre sehr labile Gesundheit beeinträchtigte schon seit langem Charlottes Lebensführung. Spätestens seit ihrem 25. Lebensjahr setzten ihr jene schlimmen Krankheitssymptome zu, für die man inzwischen die Erbkrankheit „Porphyrie“ verantwortlich macht.49 Über diese seltene Stoffwechselerkrankung war zu ihren Lebzeiten nichts bekannt, sondern sie wurde erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts als solche erkannt und benannt. Ihre großen gesundheitlichen Beschwerden zwangen Charlotte zu ausgedehnten Sanatoriums- und Kuraufenthalten. Immer wieder setzten sie neue Krankheitsschübe außer Gefecht. Sie litt dabei unter Magen-Darm-Krämpfen, heftigen Neuralgien, starken Kopfschmerzen, Schwindel- und Ohnmachtsanfällen, malariaartigen Fieberschüben, Lähmungsgefühlen und Empfindlichkeitsreaktionen der Haut. Schließlich wurde sie noch von außerordentlich schmerzhaften Zahn- und Zahnfleischproblemen gequält, die man mit einer Form von Skorbut umschrieb. Dass sie die Wintermonate in späteren Jahren immer im südfranzösischen Cannes verbrachte, erwies sich als kontraproduktiv. Das dortige Sonnenlicht verursachte nämlich eine zusätzliche Verstärkung ihrer neuralgischen Schmerzen, was seinerzeit aber nicht bekannt war. Von 1908 an verschlechterte sich ihr Befinden so sehr, dass sie ohne Morphin keinerlei Erleichterung mehr finden konnte. Seit den 1890er Jahren befand sich Charlotte in Behandlung bei dem berühmten Arzt und Medizinprofessor Ernst Schweninger, der auch der Leibarzt des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck war. Bis zu ihrem Tod blieb sie in Schweningers Obhut und führte mit ihm eine aufschlussreiche und durchaus vertrauliche Korrespondenz, worauf allein schon die von ihr gewählte Ansprache mit „Liebster Meister“50 verweist. Charlottes Briefe an ihren Arzt, aber auch an dessen Ehefrau Maria Magdalena Schweninger geben nicht nur Einblicke in ihre traurige Medizingeschichte, sondern auch Hinweise auf ihre Haltung zu aktuellen Ereignissen. In ihrem näheren Umfeld, dem die wahren Hintergründe ihres Leidens verborgen blieben, herrschte oft keinerlei Verständnis für ihre Gesundheitsprobleme. Tragischerweise vererbte Charlotte diese Krankheit ihrem einzigen Kind. Feodora durchlief eine ebenso trostlose Krankheitsgeschichte wie ihre Mutter und beging schließlich im August 1945 Selbstmord.51 Nachdem in Berlin am 9. November 1918 die Republik ausgerufen worden war, kam es auch in Meiningen zum politischen Umschwung und am Abend des 10. November verzichtete Herzog Bernhard III. auf seinen Thron. Das Ende

49 Vgl. hierzu vor allem Röhl/Warren/Hunt, Purple Secret (wie Anm. 15), S. 134–154; Röhl, Wilhelm II. Die Jugend des Kaisers (wie Anm. 9), S. 123–132. 50 Albert Espach, Beiträge zur Biographie Ernst Schweningers, Diss. München 1979, Anhang, S. 240 und 242. 51 Röhl/Warren/Hunt, Purple Secret (wie Anm. 15), S. 155–180, sowie Jakob, Kinder und Enkel Georgs II. (wie Anm. 23), S. 31.

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der Monarchie vollzog sich in Meiningen ohne Gewaltexzesse.52 Für Charlotte stellten sich die Ereignisse als „ein böser Traum“ dar, „den man nicht fassen kann, da Alles so erschreckend schnell ging u. wir Alle einfach weggefegt wurden.“ Resigniert vermerkte sie gegenüber Margot Geyer, einer ehemaligen Bediensteten, „wir leben jetzt wie Privatmenschen, müssen viele Leute entlassen leider! Pferde verkaufen, haben aber keine Verantwortungen mehr.“ Nach ihren Worten fand sich ihr Ehemann „in Alles viel leichter u. schneller“ als sie selbst.53 Im Gegensatz zu ihren Geschwistern musste sich Charlotte nicht mehr lange in einer plötzlich völlig veränderten Welt zurechtfinden. Am 1. Oktober 1919 starb sie im Alter von erst 59 Jahren während einer ihrer unzähligen Kuren in Baden-Baden. Laut ihrer jüngsten Schwester Margarethe, der Landgräfin von Hessen, war Charlotte „noch voller Pläne“54 gewesen. Beigesetzt wurde sie im Juli 1921 auf einem Hügel im Park des Schlosses Altenstein in Bad Liebenstein. In dieser im Auftrag Bernhards geschaffenen Grablege fand auch dieser selbst 1928 an der Seite seiner Ehefrau seine letzte Ruhestätte.55

52 Vgl. Friedrich Facius, Politische Geschichte von 1828 bis 1945, in: Hans Patze/Walter Schlesinger (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. 5: Politische Geschichte in der Neuzeit. T. 2 (Mitteldeutsche Forschungen, 48,5,2), Köln/Wien 1978, S. 1–570, bes. S. 327–329; Dieter Marek, Der Sturz der Fürstenhäuser im November 1918, in: Hans Hoffmeister/ Volker Wahl (Hg.), Die Wettiner in Thüringen. Geschichte und Kultur in Deutschlands Mitte (Schriften des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar, 2), Arnstadt/Weimar 1999, S. 407–412, hier S. 410 f.; Bernhard Post, Von der Fürstenzeit zur Weimarer Republik, in: Jördis Frank/Konrad Scheurmann (Hg.), Neu entdeckt. Thüringen – Land der Residenzen, Essays, Mainz 2004, S. 524–543, hier S. 539; Manuel Schwarz, „Die Throne brachen, und Dynastien (…) sind vom Schauplatz ihres Daseins verschwunden.“ Zeitenwende in den Thüringer Fürstentümern 1900–1918, in: Gerber (Hg.), Das Ende der Monarchie (wie Anm. 24), S. 181–198, hier S. 195 f. 53 Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Meiningen, Nachlass Margot Geyer 3, Brief Herzogin Charlottes an Margot Geyer vom 18. November 1918. Bei Margot Geyer handelt es sich nicht nur um eine einstige Bedienstete Charlottes, sondern offenbar auch um die Ehefrau von Karl Erich Geyer, einem zeitweiligen Flügeladjutanten Herzog Bernhards III. Freundlicher Hinweis samt Hintergrundinformationen von Dr. Maren Goltz, Meiningen. 54 John Van der Kiste, The Prussian Princesses. The Sisters of Kaiser Wilhelm II, Stroud 2014, S. 97. Zit. nach Beck, Wilhelm II. (wie Anm. 7), S. 70. 55 Vgl. Edith Raddatz, Das Herzogsgrab auf dem Altenstein, in: Altensteiner Blätter (2001/2002), S. 21–35.

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Vom Untertanenverband zum liberalen Musterstaat der Staatsbürger Das Staatsrecht des Herzogtums Sachsen-Meiningen

1. Zwei Grundgesetze: Die Verfassungen Das konstitutionelle Zeitalter begann in Sachsen-Meiningen am 24. September 1824.1 An diesem Tag unterzeichneten auf der Elisabethenburg in Meiningen die Mitglieder der „Herzoglich Sächsischen Landes-Regierung und Oberlandesgericht“, die Regierungsräte Carl Friedrich Christian Döbner2 und Johann Karl August von Uttenhofen3 die Verordnung zu dem Inkrafttreten des Grundgesetzes „über die Landschaftliche Verfassung des Herzogthums Sachsen-Coburg-Meiningen“.4 Verfassungsgeber war der Herzog Bernhard II. Erich Freund.5 Wie dem Staatsnamen unschwer zu entnehmen ist, waren die territorialen Verhältnisse im thüringischen Raum 1824 aber noch in einem Wandel begriffen.

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Dazu zuletzt: Gerhard Müller, Verfassung und politische Kultur im Frühkonstitutionalismus. Das Beispiel Sachsen-Meiningen, in: Maren Goltz/Werner Greiling/Johannes Mötsch (Hg.), Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914). Kultur als Behauptungsstrategie?, Köln/Weimar/Wien 2015, S. 103–110. Carl Friedrich Christian Döbner, geboren 1769 in Römhild; aus alter Römhilder Amtleutefamilie; Geheimer Regierungsrat in Meiningen, seit 1803 zusätzlich Leiter des Hennebergischen Archivs Meiningen; dort 1847 gestorben. Vgl. auch Ulrich Hess, Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des Herzogtums Sachsen-Coburg-Meiningen 1680–1829, Bd. 3 (Behörden und Beamtenschaft), o. O. 1954 [Nachdruck: Meiningen 2010], S. 65. Friedrich Ludwig von Uttenhofen (auch Uttenhoven) (1786–1841), Konsistorialpräsident in Meiningen. Abgedruckt bei Horst Dippel (Hg.), Verfassungen der Welt vom späten 18. Jahrhundert bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Quellen zur Herausbildung des modernen Konstitutionalismus, Bd. 3, München 2008, S. 9. Zu diesem: Wilhelm Germann, in: ADB 46 (1902), S. 409–424.

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a) Vorkonstitutionelle Vorgeschichte Zwar konnten die Herzöge von Meiningen, eine Zweiglinie der Ernestiner im weitverzweigten Haus Wettin, auf eine sehr alte Tradition zurückblicken; seit 1681 bestand Meiningen als selbständiges Fürstentum, erster Herzog und Stammvater des ununterbrochen regierenden Hauses Meiningen war Bernhard I., einer der sieben Söhne des gothaischen Herzogs Ernst des Frommen, der das „Gothaische Gesamthaus“ mit den drei herzoglichen „Speziallinien“ Meiningen, Coburg-Gotha und Altenburg begründet hatte.6 Seine endgültige Gestalt hatte Sachsen-Meiningen aber noch lange nicht gefunden. Erst durch den Teilungsvertrag zwischen den ernestinischen Teillinien Meiningen, Coburg-Saalfeld und Hildburghausen vom 12. November 1826 erhielt das Herzogtum Sachsen-Meiningen seine endgültige territoriale Ausdehnung.

b) Das Grundgesetz von 1824 In der Präambel zu dem Grundgesetz von 18247 war Herzog Bernhard noch mit seinem damaligen Titel in voller Länger aufgeführt: „Wir Bernhard, von Gottes Gnaden, Herzog zu Sachsen, Jülich, Cleve und Berg, auch Engern und Westphalen, Landgraf in Thüringen, Markgraf zu Meißen, gefürsteter Graf zu Henneberg, Graf zu der Mark und Ravensberg, Herr zu Ravenstein etc.“ Die Titel lassen nur wenige Rückschlüsse auf die tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse zu; es handelt sich in den allermeisten Fällen um reine Anspruchstitel. „Markgraf zu Meißen“ war ein auch in der albertinischen Linie geführter Titel (bis in die Gegenwart der Höflichkeitstitel des Familienoberhauptes), die gefürstete Grafschaft Henneberg8 war in mehreren Teilungen bis in das 18. Jahrhundert auf mehrere Staaten verteilt worden; andere Titel wie Westfalen, Engern, Mark und Ravensberg führten die preußischen Könige9 und übten sie auch tatsächlich als Inhaber der Souveränität aus. Die komplizierten Territorial6 W[ilhelm] Kircher, Das Staatsrecht des Herzogthums Sachsen-Meiningen, in: Heinrich Marquardsen (Hg.), Handbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. 3, 2. Halbband, 2. Abteilung: Das Staatsrecht der Thüringischen Staaten, Freiburg (Br.)/Tübingen 1884, S. 31–62, hier S. 31. Zu den direkten Nachkommen Ernst des Frommen gehören also auch die gegenwärtige englische Königin und der gegenwärtige König der Belgier. 7 Text hier nach Karl Heinrich Ludwig Pölitz, Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit. Mit geschichtlichen Erläuterungen und Einleitungen, Bd. 1, Leipzig ²1832, S. 824. 8 Gerhard Köbler, Historisches Lexikon der Deutschen Länder. Die deutschen Territorien vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 72007, S. 267. 9 Voller Titel des preußischen Königs „Herzog zu Sachsen, Westfalen und Engern“ und „Graf der Mark und zu Ravensberg“ etwa nach Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat für das Jahr 1902, Berlin 1901, S. XXVII.

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verhältnisse spiegeln sich auch in dem weiteren Wortlaut der Präambel, in der Bernhard als Verfassungsgeber auf die innenpolitischen Beweggründe für die Verfassung einging: „Es ist Uns nicht entgangen, daß die Zusammensetzung Unserer bisherigen Unterländischen Landschaft keineswegs für eine, den Erfordernissen der Zeit entsprechende, vollkommene Repräsentation aller Stände gedacht werden konnte und daß es in vielen Fällen an genauer Bestimmung der landschaftlichen Rechte und Pflichten fehlte.“ […] „Um diesen Mängeln abzuhelfen und zugleich, der Deutschen Bundes-Akte gemäß, die Wohltaten einer landständischen Einrichtung auf Unsere sämmtlichen Landestheile zu erstrecken, haben Wir beschlossen, nachfolgende Bestimmungen als Grundgesetz über die landschaftliche Verfassung des Herzogthums Sachsen-Coburg-Meiningen in Kraft treten zu lassen.“

Bernhard spielte auf die Teilung seiner zerstreuten Herrschaft in das Unter- und das Oberland an. Den größten und am meisten territorial abgerundeten Landesteil bildete das Unterland mit der Haupt- und Residenzstadt Meiningen, das Stammland der Herzogtums seit 1680; das kleinere Oberland mit dem Hauptort Sonneberg gehörte ursprünglich zu dem Herzogtum Sachsen-Coburg. 1735 war es nach dem Aussterben der älteren Linie von Sachsen-Coburg im Wege der Erbschaft an Sachsen-Meiningen gefallen.10 In Coburg selbst regierten die Meininger Herzöge nicht, dort regierte eine verwandte Linie der Ernestiner. Coburg war aber kein reiner Anspruchstitel, sondern bezog sich auf die Herrschaft Römhild im Oberland, formal ein Coburger Territorium. Zunächst bildete sie jedoch ein einhundert Kilometer von dem Oberland entferntes Territorium einer formal selbständigen Herrschaft, die nur administrativ der herzoglichen Verwaltung in Meiningen unterstellt war. Von dieser war sie räumlich vor allem durch das Herzogtum Sachsen-Hildburghausen getrennt. Die Konstellation erinnerte etwas an die Situation in den thüringischen Herzogtümern Sachsen-Gotha und Sachsen-Coburg bis zum Jahre 1918; hier handelte es sich um zwei getrennte Staaten mit einem gemeinsamen Herrscher (Personal­union) und teilweise gemeinsamen Behörden.11 Von einem meiningischen Einheitsstaat konnte bis 1824 gerade nicht die Rede sein. Das betraf insbesondere auch die „Wohltaten einer landständischen Einrichtung“ auf die Bernhard anspielte. Der Art. 13 der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 hatte bestimmt: „In allen Bundesstaaten wird eine Landständige Verfassung stattfinden.“12 10 Pölitz, Verfassungen (wie Anm. 7), S. 824. 11 Vgl. F[riedrich] Forkel, Das Staatsrecht der Herzogthümer Sachsen-Coburg und Gotha, in: Marquardsen (Hg.), Handbuch des öffentlichen Rechts (wie Anm. 6), S. 111–140, hier S. 116: „unvollkommener Einheitsstaat“. 12 Text nach Ernst Rudolf Huber (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart ³1978, S. 84–90.

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Dazu war auch Meiningen als Mitgliedsstaat des Deutschen Bundes verpflichtet. Die staatsrechtliche Lage war aber uneinheitlich; Meiningen, wie es 1815 dem Deutschen Bund beitrat, war kein Einheitsstaat, sondern ein in erster Linie durch die Person des Herzogs zusammengehaltenes „Gebilde“. Anders als die Präambel vermuten lässt, gab es im ältesten Landesteil, dem Unterland, Landstände; die Städte und die Ritterschaft wählten jeweils sechs Deputierte zu dem Landtag in Meiningen; dessen wichtigstes Recht war die Bewilligung der Steuern. Im kleineren Oberland gab es dagegen keine Landstände. Sie waren seit der faktischen Trennung von Coburg nicht mehr zusammengetreten und bestanden nicht mehr.13 Ein weiteres staatsrechtliches Kuriosum war das Amt Römhild, ebenfalls durch Erbfolge 1710 und das Aussterben der Linie Sachsen-Römhild an das Haus Meiningen gekommen. Dieses wurde mit Sachsen-Gotha gemeinschaftlich verwaltet, auch dort gab es keine Landstände. Bis 1806 hatten sich die dort ansässigen Rittergutsbesitzer der Reichsritterschaft zugehörig gefühlt.14 Ein nicht unerheblicher Teil Meiningens lebte bis 1824 also ohne landständische Repräsentation. Diese letztlich vormoderne und feudale Verfassung wurde 1824 durch das Grundgesetz ersetzt; erstmals galt in sämtlichen Teilen Meiningens, wie vom Deutschen Bund vorgeschrieben, eine landständische Verfassung.

c) Das zweite Grundgesetz Meiningen trat in das Zeitalter des Frühkonstitutionalismus ein, das heißt, seine Verfassung gehörte zu den vor der französischen Charte von 1831 erlassenen Verfassungen;15 das Herzogtum war auch früher ein Verfassungsstaat als Preußen oder Österreich. Orientiert hatte sich das Herzogtum an einer der ältesten deutschen konstitutionellen Verfassungen, nämlich dem „Grundgesetz über die landständische Verfassung des Grosherzogthums Sachsen-Weimar-Eisenach“ vom 5. Mai 1816,16 das auf den weimarischen Staatsminister Ernst Christian August Freiherr von Gersdorff (1781–1852) zurückging.17 Von den übrigen zeitgenössischen Verfassungen unterschied sich jene von Sachsen-Weimar für den Jenaer Staatsrechtler Georg Meyer dadurch, dass diese keine „Regelung der 13 Pölitz, Verfassungen (wie Anm. 7), S. 824. 14 Ebd.; Georg Brückner, Landeskunde des Herzogthums Meiningen, Meiningen 1851– 1853. 15 Werner Frotscher, Frühkonstitutionalismus, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin ²2012, Sp. 1866–1868; dort Meiningen mit Sachsen-Coburg (Verfassung von 1821) als „Nachzügler“ bezeichnet. 16 Ausdrücklicher Hinweis bei Pölitz, Verfassungen (wie Anm. 7), S. 824. 17 Ulrich Hess, in: NDB 6 (1964), S. 320 f. Als weiterer „Verfassungsvater“ wird auch der Jenaer Professor Christian Wilhelm Schweitzer (1781–1856) bezeichnet. Vgl. Klaus Ries, Wort und Tat. Das politische Professorentum an der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert, Stuttgart 2007.

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gesammten Grundlagen der öffentlichen Rechtsordnung bezweckte, sondern sich auf eine Ordnung der Rechtsverhältnisse des Landtags beschränkte“.18 Sie wurde also auch von den Zeitgenossen mehr als Organisationsstatut denn als Verfassung wahrgenommen. Dem ursprünglichen Entwurf von Gersdorff, der auch einen umfangreichen Grundrechtsteil vorgesehen hatte, entsprach dies allerdings nicht.19 Immerhin belassen wurden von diesem Entwurf die Gewähr unabhängiger Gerichte und die Pressefreiheit; insofern war das Urteil des nationalliberalen Meyer etwas zu streng.20 Die Landstände konnten über Gesetze entscheiden, die Steuern bewilligen und Minister anklagen. Es war ein ständisches Parlament, gewählt wurde in den Ständen Ritterschaft, Bürger und Bauern, und die letztgenannten beiden „Stände“ wählten indirekt durch Wahlmänner. Immerhin waren durch die Verfassung ein Drittel der Bevölkerung, ungefähr 40.000 männliche weimarische Untertanen, zu wahlberechtigten Staatsbürgern geworden – ein im zeitgenössischen (!) Kontext relativ großzügiges Wahlrecht.21 Grundgesetze gab es damals auch in den Niederlanden (Grondwet voor het Koninkrijk der Nederlanden, 1814) und Norwegen (Kongeriget Norges Grundlov, 1814). Die Wortwahl der Verfassungsgeber in Meiningen und Weimar, die später in der deutschen Verfassungsgeschichte noch eine ganz andere Bedeutung erlangen sollte, darf nicht überschätzt werden. Auffallend ist aber doch, dass der eingeführte Begriff „Verfassung“ vermieden wurde. Die Geltungsdauer des ersten Grundgesetzes war aber nur kurz, denn Meiningen hatte seine endgültige territoriale Ausdehnung noch nicht erhalten. Erst durch den Teilungsvertrag zwischen den ernestinischen Teillinien Meiningen, Coburg-Saalfeld und Hildburghausen vom 12. November 1826 erhielt das Herzogtum diese. Sachsen-Meiningen verlor die Stammgüter Kallenberg und Gauerstädt an Coburg, doch hatte es neue Gebietsteile gewonnen, in denen unterschiedliche Formen der Repräsentation bestanden. Dies waren das gesamte Herzogtum Hildburghausen, der Landesteil Saalfeld, alle auf dem linken Steinachufer gelegenen coburgischen Dörfer, das Amt Themar und ein Drittel des Amtes Römhild.22 18 Georg Meyer, Das Staatsrecht des Großherzogthums Sachsen-Weimar-Eisenach, in: Marquardsen (Hg.), Handbuch des öffentlichen Rechts (wie Anm. 6), S. 1–28, hier S. 6. 19 Gerhard Müller, Ernst Christian August von Gersdorff und die Entstehung des „Grundgesetzes einer landständischen Verfassung für das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach“, in: 175 Jahre Parlamentarismus in Thüringen (1817–1992), hg. vom Thüringer Landtag, Jena 1992, S. 42–57. 20 Zu diesem etwa: Pascale Cancik, Georg Meyer (1841–1900), in: Peter Häberle/Michael Kilian/Heinrich Amadeus Wolff (Hg.), Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts. Deutschland – Österreich – Schweiz, Berlin/Boston ²2018, S. 47–63. 21 Zu dem zeitlichen Kontext nunmehr: Hedwig Richter, Moderne Wahlen. Eine Geschichte der Demokratie in Preußen und den USA im 19. Jahrhundert, Hamburg 2017. 22 Kircher, Staatsrecht (wie Anm. 6), S. 32.

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Das meiningische Grundgesetz von 1824 unterschied sich in wesentlichen Punkten von den Verfassungen in Hildburghausen und Coburg. Das machte eine neue Verfassung erforderlich, das „Grundgesetz für die Vereinigte landständische Verfassung des Herzogthums Sachsen Meiningen“ vom 23. August 1829. An diesem Tag wurde das neue Grundgesetz, wieder auf der Elisabethenburg, von Herzog Bernhard II. Erich Freund und den Mitgliedern seiner Regierung Christian Ferdinand Freiherr von Koenitz,23 Dr. Dietrich von Stein,24 Carl Ludwig Friedrich August von Baumbach 25 und Karl August Friedrich Adolf von Fischern unterzeichnet.26 Eine ständische Vertretung für das gesamte Herzogtum fehlte noch; das Grundgesetz wurde vor seiner Veröffentlichung nur einem ständischen Ausschuss vorgelegt.27 Ein maßgeblicher Urheber im Sinne eines „Verfassungsvaters“, so problematisch der personalisierende Begriff sein mag, lässt sich benennen, zumal er auch schon zu Lebzeiten so bezeichnet wurde:28 der Jenaer Professor für Staatsrecht und Oberappellationsgerichtsrat Karl Ernst Schmid (1774–1852).29 Schmid hatte auch eine unvollendete Allgemeine Staatslehre hinterlassen.30 Er wurde den liberalen Konstitutionalisten zugerechnet, die „unbeirrt vernunftrechtliche Positionen der Aufklärung vertraten“.31 Es 23 Geboren 1756; 1800 Landschaftsdirektor in Sachsen-Coburg; ab 1802 Kammerherr und Wirklich Geheimer Rat in Meiningen, ab 1826 Staatsminister; gestorben 1832 in Meiningen. Galt als „Aufgeklärt adeliger Beamter“, Reisen nach England. Vgl. Hess, Forschungen (wie Anm. 2); Carl-Christian Dressel, Die Entwicklung von Verfassung und Verwaltung in Sachsen-Coburg 1800–1826 im Vergleich, Berlin 2007; Marko Kreutzmann, Zwischen städtischer und bürgerlicher Lebenswelt. Adel in Sachsen-Weimar-Eisenach 1770–1830, Köln/Weimar/Wien 2008, S. 263 f. 24 Dietrich Freiherr von Stein zu Nordheim und Ostheim, geboren 1793 Völkershausen; Mitglied der Urburschenschaft, 1824 Landmarschall in Meiningen, 1825–1831 dort Geheimer Rat, später im Dienst des Herzogtums Coburg; gestorben 1867 in Meiningen. Vgl. Helge Dvorak, in: Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft, Bd. 1 (Politiker)/Teilband 8, Heidelberg 2014, S. 307–309. 25 Carl Ludwig Friedrich August von Baumbach (1772–1844), Wirklicher Geheimer Rat und Minister in Sachsen-Meiningen. 26 Karl August Friedrich Adolf von Fischern, geboren 1796 Liebenstein; Urburschenschaft, 1822 Regierungsrat Meiningen, 1826 Ministerialrat, 1829 Mitglied Landesministerium, 1835 Regierungsdirektor, 1836 Präsident Oberlandesgericht/Appellationsgericht Hildburghausen; 1875 in Hildburghausen gestorben. Vgl. Helge Dvorak, in: Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft, Bd. 1 (Politiker)/Teilband 7, Heidelberg 2013, S. 322. 27 Kircher, Staatsrecht (wie Anm. 6), S. 32. 28 Etwa in Pölitz, Verfassungen (wie Anm. 7), S. 833. 29 Michael Stolleis, in: NDB 23 (2007), S. 140 f. 30 Karl Ernst Schmid, Lehrbuch des gemeinen deutschen Staatsrechts, Bd. 1 (keine Folgebände), Jena 1821. 31 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 2: Staats-

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handelt sich um eine typische Verfassung der deutschen konstitutionellen Monarchie und des Frühkonstitutionalismus.32 Art. 1 definierte das territorial noch immer zersplitterte Herzogtum als einen Einheitsstaat („staatsrechtliches Ganze“), allerdings nicht als Nationalstaat; es gibt kein Staatsvolk, so konstruiert es auch gewesen sein möge, sondern nur Untertanen; entscheidend ist das Untertanenverhältnis zu der Dynastie: „Das Herzogthum S. Meiningen bildet in seinen durch die Theilungsverträge in dem Gesammthaus Sachsen bis jetzt bestimmten und durch künftige Haus- oder Staatsverträge noch zu bestimmenden einzelnen Bestandtheilen ein staatsrechtliches Ganze unter dem Namen: Herzogthum Sachsen-Meiningen.“

Sachsen-Meiningen war eine erbliche Monarchie, Träger der Staatsgewalt war, wie im Konstitutionalismus üblich, der Monarch, also der Herzog, wie Art. 3 bestimmte: „Der Herzog ist erblicher Landsherr oder Oberhaupt des Staates. In seiner Hand vereinigen sich alle Zweige der obersten Staatsgewalt.“ In seinem Regelungsgehalt etwas schwer zu bestimmen war der eher an eine Präambel oder eine (der Begriffsgebrauch wäre ahistorisch) Staatszielbestimmung erinnernde Art. 5: „Das gesammte Herzogthum hat eine gemeinschaftliche landständische Verfassung, bestimmt durch das Erfordernis ihrer Mitwirkung zu den unten näher bezeichneten Regierungshandlungen, in der Staatsverwaltung Festigkeit und Stetigkeit erhalten zu helfen, so wie eine größere Sicherheit des allgemeinen Rechtszustandes zu gewähren.“ In das Muster der konstitutionellen Verfassungen fügt sich der relativ prominent, als zweiter Titel, aufgeführte Grundrechtsteil „Allgemeine Rechte und Pflichten der Unterthanen“ ein. Dessen Art. 6 regelte zunächst abstrakt das „Untertanenverhältnis“, das über Geburt von „inländischen Eltern“ oder den Erwerb des Bürgerrechts einer Gemeinde erworben wurde. Die Einbürgerung nach einem „zehnjährigen Aufenthalt“ war einem späteren Gesetz vorbehalten, wurde aber immerhin erwähnt. Das Auslieferungsverbot, ein klassisches Grundrecht, war im Art. 7, der zunächst eine Gehorsamspflicht der Untertanen an die einheimischen Gesetze „auch im Ausland“ (das nur wenige Kilometer entfernt war) enthielt, etwas versteckt; die möglichen bedingten Ausnahmen in Fällen von „Forstfreveln“ und „Schwängerungen“ sind auch aus heutiger Sicht nachvollziehbar und vermitteln ein plastisches Bild von der sozialen Wirklichkeit einer kleinstaatlichen Monarchie. Art. 8 normierte in seinem Absatz 1 eine etwas verklausulierte Gewerbefreiheit („Unterthanen haben Anspruch auf Gestattung der Gewerbeberechtigungen, zu denen sie sich vorbereitet haben“) unter einem Vorbehalt besonderer Bestimmungen, in seinem Absatz 2 ein rechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800–1914, München 1992, S. 167 f. 32 Dazu nur: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815–1918), Köln 1972, S. 146–170.

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modern anmutendes „soziales Grundrecht“, nach damaligem Verständnis aber wohl eher ein allgemeiner Anspruch der Untertanen (Grundrechte in Meiningen waren ausschließlich Inländerrechte) „auf Versorgung, wenn sie ihren Unterhalt nicht mehr zu erwerben vermögen“.33 Art. 9 enthielt ein klassisches Grundrecht von großer Bedeutung im protestantischen Kontext, die Auswanderungsfreiheit,34 die allerdings in der agrarischen mitteldeutschen Kleinstaatenwelt eine Lebensnotwendigkeit war. Der Aufenthalt im Ausland ging einher mit dem Verlust des Untertanenrechts auf Versorgung. Als eine klassische Untertanenpflicht war in Art. 10 die Verpflichtung zum Zahlen von Steuern und Kriegsdienst „für das Land oder den deutschen Bund“ (Art. 10) normiert. Daneben hatten, eher ein Kuriosum, gemäß Art. 11 sämtliche Untertanen männlichen Geschlechts einen „Huldigungseid“ an den Herzog, in der Regel an ihrem 18. Geburtstag, zu leisten. Dies war ein bis weit in das 19. Jahrhundert wirksamer Rest des Lehnsrechts; einige wenige deutsche Staaten hatten noch im Konstitutionalismus bis 1848 an dem Huldigungseid festgehalten.35 Eine ähnliche Regelung enthielten etwa noch die Verfassungen von Bayern (1818), Württemberg (1819), Kurhessen (1831) und Sachsen (1831).36 In die Moderne verwies die Erklärung des Huldigungseides zum Bestandteil sämtlicher Diensteide. Die im speziellen deutschen Kontext gerne als das Urgrundrecht bezeichnete Glaubensfreiheit war umständlich und eher zurückhaltend formuliert.37 Festgestellt wurde in Art. 12, dass die „Verschiedenheit der anerkannten christlichen Confessionen“ keine „Unterschiede in den staatsbürgerlichen Verhältnissen“ begründet; faktisch war das Herzogtum aber

33 Zu der meiningischen Sozialpolitik auch in diesem Zeitraum etwa: Alfred Erck, Die Sozial- und Gesundheitspolitik Sachsen-Meiningens zwischen 1826 und 1918 im Spiegel des Landtagsgeschehens, in: Die Behandlung der Sozial- und Gesundheitspolitik in den Thüringischen Landtagen seit der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, hg. vom Thüringer Landtag, Weimar 2012, S. 185–259. 34 Grundlegend: Jan Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt. Paradigmatische Überlegungen zum grundrechtlichen Freiheitsschutz in historischer und verfassungsrechtlicher Perspektive, Tübingen 1997. 35 Jan Brademann, Autonomie und Herrschaft. Adventus und Huldigung in Halle (Saale) in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Halle (Saale) 2006; Gute Übersicht: André Holenstein, Erbhuldigung, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin ²2008, Sp. 1366 f.; Bernhard Diestelkamp, Huldigung, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, Berlin ²2012, Sp. 1159–1161. 36 Emil Reiling, Untertaneneid, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 5, Berlin 1998, Sp. 542–546, hier Sp. 545. 37 Exemplarisch: Georg Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, Leipzig ²1903.

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fast ausschließlich evangelisch-lutherisch.38 Die traditionell zum Bistum Würzburg gehörenden wenigen Katholiken des Unterlandes spielten kaum eine Rolle;39 für einen antikatholischen „Kulturkampf“ fehlte eine kritische Masse, wenn es auch bis 1918 bei der Pfarrstellenbesetzung letzte Reste der Kirchenpolizei gab.40 Es bestand allerdings eine kleine jüdische Minderheit, die ihren Schwerpunkt in den Landgemeinden Dreißigacker und Walldorf unweit von Meiningen hatte. In Dreißig­acker bestand seit dem 17. Jahrhundert ein jüdischer Friedhof,41 zudem ein jüdisches Ritualbad und eine jüdische Schule. 1822 war eine neue Synagoge eingeweiht worden (zu der Religionsausübung als solcher enthielt das Grundgesetz keine Bestimmungen). In der Residenzstadt Meiningen war es aber Juden seit 1566 verboten, sich anzusiedeln; dies war auch der Hauptgrund für die Entstehung der jüdischen Gemeinde in Dreißigacker. Noch zum Inkrafttreten des Grundgesetzes galt dieses Verbot fort. Unmittelbar durch die Verfassung geändert wurde es nicht. Etwas lapidar hieß es in Art. 12, Satz 2 nur, die „Verhältnisse der Bekenner der mosaischen Religion werden durch besondere Gesetze bestimmt“. Tatsächlich verbesserte sich die rechtliche Stellung der Juden, die sich ab 1840 in Meiningen niederlassen durften, 1866 eine jüdische Gemeinde gründeten, 1870 einen Jüdischen Friedhof für die mittlerweile 316 jüdischen Bürger der Residenzstadt (die größte Gemeinde blieb Dreißigacker) und 1883 eine Synagoge errichteten. Seit 1871 war Meiningen Sitz des Landesrabbinats, einer für das deutsche Staatskirchenrecht typischen Behörde. Die rechtliche Situation der meiningischen Juden unterschied sich nicht nennenswert von der in anderen deutschen Staaten; eine besondere Rolle im öffentlichen Leben spielte etwa die Meininger Bankiersfamilie Strupp, von der noch die Rede sein wird. Der tatsächliche und rechtliche Rückgang der Judendiskriminierung in Meiningen stand aber in keinem unmittelbaren Verhältnis zu dem in dieser Hinsicht sehr zurückhaltenden Grundgesetz.42 Allerdings enthielt die 38 Bei der Volkszählung 1890 wurden für Sachsen-Meiningen bei einer Gesamtbevölkerung von 223.832 Ortsansässigen 219.207 Evangelische gezählt, dazu 2.789 Katholiken, 276 „andere Christen“ und 1.560 Israeliten. 1829 dürften die konfessionellen Verhältnisse noch homogener gewesen sein. 39 Johannes Mötsch, Der Sachsen-Meiningische Landtag und die katholische Kirche, in: Kirchen und kirchliche Aufgaben in der parlamentarischen Auseinandersetzung in Thüringen vom frühen 19. bis ins ausgehende 20. Jahrhundert, hg. vom Thüringer Landtag, Weimar/Jena 2005, S. 61–71. 40 Kircher, Staatsrecht (wie Anm. 6), S. 61 f. Originell war die Zuständigkeit Würzburgs „durch Übereinkommen“; formal gehörte Meiningen zur Oberrheinischen Kirchenprovinz. 41 Hans Nothnagel, Die fast vergessene jüdische Gemeinde in Meiningen, in: Ders. (Hg.), Juden in Südthüringen – geschützt und gejagt, Bd. 3 (Juden in der ehemaligen Residenzstadt Meiningen und deren Umfeld), Suhl 1999, S. 13–68. 42 Alfred Erck, Emanzipations-, Gleichstellungs- und Akkulturationsbestrebungen der

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meiningische Verfassung ohnehin viele Elemente des Absolutismus und des Ständestaats. Deutlich wurde dies etwa an der Unterscheidung zwischen „Untertanen“ und „Staatsbürgern“; dies war allerdings keine meiningische Besonderheit, in den meisten deutschen Staaten verschwand der Begriff des „Untertanen“ erst nach 1848 (in Preußen 1869) aus den Verfassungstexten. „Untertan“ bezeichnete ein mehr oder weniger tatsächliches Verhältnis der Unterordnung unter ein Oberhaupt, in der Staatsrechtslehre des 19. Jahrhunderts zudem verbunden mit einem sehr formalisierten Gesetzesgehorsam.43 Der „Staatsbürger“ nahm dagegen eine aktive politische Rolle ein, die in der in Art. 13 normierten Berechtigung zum Zeugen- und Schöffenamt („Feierlichkeitszeuge und Gerichtsmann“) sowie dem Wahlrecht deutlich wurde. Die praktische Bedeutung des Unterschieds war aber verhältnismäßig gering. Der Anspruch auf das Staatsbürgerrecht stand laut Art. 14 „jedem großjährigen Unterthanen“ zu. Schließlich garantierte Art. 15 den Schutz der „besonderen Rechtsverhältnisse der verschiedenen Stände“. Eine Eigentumsgarantie, eine liberale Forderung, enthielt das Grundgesetz nicht, aber eine Enteignung durfte nur gegen Entschädigung erfolgen (Art. 16).44 Besonders hervorgehoben waren die Gemeinden, denen der gesamte dritte Titel „Von den Gemeinden und Corporationen“ gewidmet war. Dessen erster Art. 19 bestimmte: „Das Band der Ortsgemeinden umfaßt alle Landesunterthanen und es kann in Zukunft Niemand Staatsbürger sein, ohne zugleich auf eine oder die andere Weise im Gemeindeverbande zu stehen.“ Die Gemeinden („Ortsgemeinden“) hatten Persönlichkeitsrecht wie minderjährige Untertanen (Art. 20), konnten Eigentum erwerben und Dienstherr sein. Ihre Stellung war also relativ stark, sie besaßen „das Recht der Persönlichkeit und der geordneten [rechtsfähigen] Gesellschaften“. Die nicht im Grundrechtsteil enthaltene Vereinigungsfreiheit war etwas versteckt und mittelbar Art. 28 zu entnehmen, nach dem es den „Unterthanen nicht verwehrt“ werden dürfe, „zu Zwecken, welche nicht gesetzwidrig sind, Gesellschaften“ zu gründen. Rechtsfähigkeit erlangten diese aber nur durch besondere Konzession des Staates. Das war der absolutistische Polizeistaat; ähnliche Regelungen enthielt das Preußische Allgemeine Landrecht. Ganz in der Tradition des deutschen Obrigkeitsstaates wurden Vereine noch als potentielle Störer gesehen. Auch der vierte Teil

Juden des Herzogtums Sachsen-Meiningen im Spiegel des Landtagsgeschehens (1824– 1918/22), in: Zwischen Mitgestaltung und Ausgrenzung. Jüdische Abgeordnete und jüdisches Leben als Thema in Thüringer Parlamenten, hg. vom Thüringer Landtag, Weimar 2007, S. 133–190. 43 Emil Reiling, Untertan, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 5, Berlin 1998, Sp. 536–542, hier Sp. 541; Fabian Weber, Staatsangehörigkeit und Status. Statik und Dynamik politischer Gemeinschaftsbildung, Tübingen 2018, S. 18. 44 Vgl. hierzu auch Lars Menninger, Die Inanspruchnahme Privater durch den Staat. Das Recht der Aufopferung und Enteignung im 18. und 19. Jahrhundert, Baden-Baden 2014.

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„Von den Kirchen und milden Stiftungen“ bewegte sich ganz im Staatskirchentum des 18. Jahrhunderts. Art. 29 bestimmte: „Die evangelische Kirche ist die Landeskirche, und sie wird, wenn ihre Dotationen in irgendeiner Hinsicht unzureichend sind, aus den Landeseinkünften unterhalten. Doch genießen auch alle anderen Kirchen den Schutz des Staats und volle Gewissensfreiheit, so fern sie sich den Gesetzen und Ordnungen des Staates gemäß bezeigen. Keine vorgebliche Religionsausübung kann von den Verbindlichkeiten gegen den Staat entbinden.“

Die staatsorganisationsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes sollten wiederholt geändert werden.

2. Die landständische Verfassung: Der Landtag Ein erstes Wahlgesetz datierte vom 23. August 1829;45 faktisch kam ihm der Rang eines Verfassungsgesetzes zu (die Unterscheidung zwischen Verfassungsgesetz und einfachem Gesetz war noch nicht entscheidend). Das Recht der Volksvertretung ergab sich allerdings aus der Verfassung. Die Rechte der „getreuen Stände des Herzogthums“ (Art. 50), an deren Spitze ein „Landmarschall“ aus der Klasse der Rittergutsbesitzer (Art. 54) stand, entsprachen dem damaligen Verfassungsstandard: Zustimmung zu dem Haushalt und zu Steuern (Art. 81), Zustimmung zu Verordnungen und Gesetzen „wodurch Eigenthum und Freiheit der Unterthanen getroffen, oder eine Veränderung der Abgaben und Rechte herbeigeführt wird“ (Art. 85), ein Recht der Ministeranklage (Art. 88); es galt also die Ministerverantwortlichkeit. Bereits 1829 zeichneten sich allerdings zwei Aporien des Grundgesetzes ab. 2.1 Ebenbürtigkeit und Domänen: Aporien der Verfassung Zu der dynastischen Erbfolge verwies das Grundgesetz, wie im Konstitutionalismus durchaus üblich, in seinem Art. 3, Absatz 2 auf die „Primogeniturordnung“ vom 12. März 1802. Sie bestimmte das „Recht der Erstgeburt cum annexis“; also einer Abstammung aus dem herzoglichen Spezialhaus bei Lineal­ erbfolge.46 Auch das war im deutschen und europäischen Kontext keinesfalls ungewöhnlich. Dass der Thronfolger (Agnat) aus einer rechtmäßigen und ebenbürtigen Ehe entstammen musste und bei Regierungsantritt nicht an einem geistigen oder körperlichen, die Regierungsfähigkeit ausschließenden Gebre-

45 Pölitz, Verfassungen (wie Anm. 7), S. 852. 46 Kircher, Staatsrecht (wie Anm. 6), S. 34.

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chen leiden durfte,47 war nie ausdrücklich bestimmt, wurde aber aus dem „gemeinen deutschen Staatsrecht“ abgeleitet.48 Kompliziert, aber bis 1918 durchaus relevant war die Frage der Erbfolge bei „Erlöschen des Mannesstammes“: Zunächst hätten die verbliebenen Linien des „Gothaischen Gesamthauses“, Sachsen-Altenburg und Sachsen-Coburg-Gotha, die Erbfolge angetreten; bei dem keineswegs unwahrscheinlichen Existieren beider Linien nebeneinander stand eine Landesteilung im Raum. Bei dem Erlöschen des „Gothaischen Gesamthauses“ hätte die Großherzogliche Linie, also Sachsen-Weimar-Eisenach die Erbfolge angetreten, aus Sicht einer damit aber gerade nicht intendierten „Flurbereinigung“ im mitteldeutschen Raum die geographisch vernünftigste Lösung. Bei Aussterben des Ernestinischen Hauses wären die seit August dem Starken katholischen Albertiner zum Zuge gekommen, also das regierende sächsische Königshaus. Im hypothetischen Falle eines Aussterbens des sächsischen Hauses zusammen mit dem Hause Meiningen wären komplizierte Erbverbrüderungsverträge aus dem Spätmittelalter (Erbverbrüderung Sachsen und Hessen 1373, „Naumburger Erbverbrüderung“ Brandenburg-Sachsen 1457) zum Tragen gekommen, was aus heutiger Sicht wie eine Mischung aus komplexer Kautelarjurisprudenz und einer Vorlage für kontrafaktische Geschichtsschreibung anmutet. Für das Staatsrecht des Kaiserreichs, insbesondere auch das Fürstenrecht,49 waren dies aber noch elementare Fragen, auch wenn sie in Meiningen nie praktische Relevanz erlangen sollten. Gravierender war die ungelöste Domänenfrage. In dem alten Landsteil Meiningen fehlten Bestimmungen zu dem Eigentum am Domänen- und Kammervermögen, in dem neuen Landsteil Hildburghausen waren diese seit 1820 Staatseigentum.50 Bei der Verfassungsgebung 1829 gab es das Bestreben, alle Eigentumsverhältnisse an den Domänen zu regeln.51 Art. 38 bestimmte als Eigentümer des „Domainenvermögens“ das herzogliche Spezialhaus, das dar47 Dies sollte im Königreich Hannover bei der Blindheit des Königs Georg V. eine gewisse staatsrechtliche Bedeutung erlangen. Vgl. etwa Georg Schnath, in: NDB 6 (1964), S. 214. 48 Dazu etwa im Überblick: Diethelm Klippel, Die Allgemeine Staatslehre um 1800, in: Arndt Kiehnle/Bernd Mertens/Gottfried Schiemann (Hg.), Festschrift für Jan Schröder zum 70. Geburtstag, Tübingen 2013, S. 423–441. 49 Dorothee Gottwald, Fürstenrecht und Staatsrecht im 19. Jahrhundert. Eine wissenschaftsgeschichtliche Studie, Frankfurt am Main 2009. 50 Kircher, Staatsrecht (wie Anm. 6), S. 57. 51 Hierzu insgesamt auch Ronald Hoffmann, Die Domänenfrage in Thüringen. Über die vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen mit den ehemaligen Landesherren in Thüringen nach dem Ersten Weltkrieg, Frankfurt am Main 2006, insbesondere S. 82–95; Hannelore Schneider, Der Domänenstreit in Sachsen-Meiningen, in: Michael Gockel/ Volker Wahl (Hg.), Thüringische Forschungen. Festschrift für Hans Eberhardt zum 85. Geburtstag, Weimar/Köln/Wien 1993, S. 429–450; Winfried Klein, Die Domänenfrage im deutschen Verfassungsrecht des 19. Jahrhunderts, Berlin 2007.

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aus seine Einkünfte für „Kosten der Hofhaltung“ und „Unterhaltung der herzoglichen Familie“ bestreiten sollte. Seit einer Verfassungsänderung 1831 bezog der Herzog jährlich 200.000 Gulden aus den Domänen; der Rest floss als eine wichtige Einnahme in die Landeskasse. Aber auch für den Herzog und seine Familie waren die Domäneneinkünfte eine wichtige Einnahme. Schrittweise machte die herzogliche Regierung für den Herzog sämtliche Domäneneinkünfte geltend. Durch einen umstrittenen Landtagsbeschluss wurde 1846 die Verwaltung sämtlicher Domänen dem Herzog unterstellt, was noch im Jahr 1848 aufgehoben wurde. Im Gegenzug erklärte der Landtag 1849 die Domänen zum Staatseigentum und sprach Herzog und Erbprinz eine feste Summe aus den Einkünften zu. Durch eine Änderung des Landtagswahlrechts änderten sich die Mehrheiten; ein Gesetz von 1854 erklärte sämtliche Domänen zum Eigentum des herzoglichen Hauses, doch sollte ein Gesamtverzeichnis erstellt werden. Ab 1860 nahm der Domänenausschuss des Landtags den Standpunkt ein, die Domänen seien Staatseigentum.52 Über mehrere Jahre kam eine Einigung zwischen Regierung und Landtag nicht zustande; es wurden konträre Gutachten der Rechtsprofessoren Heinrich Albert Zachariä53 aus Göttingen und August Ludwig Reyscher aus Tübingen eingeholt.54 Ab 1868 fand ein Schiedsverfahren vor dem Oberappellationsgericht Dresden statt. 1871 erging der Schiedsspruch: Dem herzoglichen Haus wurden 3/5, dem Land 2/5 der Domänen überwiesen; der Herzog erhielt eine feste Rente aus den Domäneneinkünften; die Überschüsse wurden zu gleichen Teilen zwischen dem Herzog und der Landeskasse aufgeteilt. Damit konnte dieses innenpolitische Problem gelöst werden; die Steuerfreiheit des Domänenfiskus blieb aber weiter umstritten.55 2.2 Die Volksvertretung: Von den Ständen zum Landtag Das Grundgesetz 1829 in Verbindung mit dem staatsrechtlich fast noch wichtigeren Wahlgesetz vom 23. August 1829 hielt sich noch ganz in den Grenzen einer ständischen Verfassung. Herzog Bernhard II. erklärte in der Präambel des 52 Kircher, Staatsrecht (wie Anm. 6), S. 59. 53 Heinrich Albert Zachariä, Das rechtliche Verhältniß des Fürstlichen Kammerguts, insbesondere im Herzogthum Sachsen-Meiningen, Göttingen 1861. Zu diesem Christian Starck, Heinrich Albert Zachariae (1806–1875). Staatsrechtslehrer in reichsloser Zeit, in: Fritz Loos (Hg.), Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250 Jahren, Göttingen 1987, S. 209–228 (zu der Domänenfrage in Meiningen S. 221). 54 August Ludwig Reyscher, Die Rechte des Staates an den Domänen- und Kammergütern nach dem deutschen Staatsrecht und den Landesgesetzen, insbesondere der sächsischen Lande, Leipzig 1863, S. 297–358. Zu diesem Joachim Rückert, August Ludwig Reyschers Leben und Rechtstheorie 1802–1880, Berlin 1974. 55 Otto Costabell, Die Entwicklung der Finanzen im Herzogtum Sachsen-Meiningen von 1831 bis zur Gegenwart, Jena 1908, S. 36.

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Wahlgesetzes, er habe „durch das Grundgesetz der landschaftlichen Verfassung Unseres Herzogthums vom heutigen Tage die Bestimmungen festgesetzt, nach welchen die landständische Vertretung durch die drei Stände der vereinigten Landschaft erfolgen soll“. Es gab drei Stände, die Rittergutsbesitzer (Ritterschaft), die Bürger (Städte) und die Bauern (Land), die jeweils acht Mitglieder in den Landtag (Vereinigte Landschaft) entsandten. In einer ständischen Wahl wurde getrennt nach Rittergutsbesitzern, Stadt und Land indirekt abgestimmt. Das aktive und passive Wahlrecht war kompliziert ausgestaltet. In der Klasse der Rittergutsbesitzer wurde direkt gewählt, wahlberechtigt war jeder „großjährige, im Genuß des Staatsbürgerrechts stehende, Besitzer christlicher Religion eines landtagsfähigen Ritterguts“. Wie bei einem sich in erster Linie über Grundbesitz und Standeszugehörigkeit definierenden Wahlrecht war die Geschlechtszugehörigkeit von etwas nachrangiger Bedeutung gegenüber Grundeigentum (ein Besitzer mehrerer Rittergüter konnte aber auch nur eine Stimme abgeben) und Religion. Sicherlich war das ständische Meiningen von einem Frauenwahlrecht weit entfernt. Theoretisch und wohl auch praktisch bestand durchaus die Möglichkeit, dass eine Frau Eigentümerin eines Rittergutes, etwa durch Erbfolge, wurde. Insofern wurde in der ersten Klasse ein Stimmrecht der Frauen mit großen Einschränkungen immerhin erwähnt: „Frauen können ihr Stimmrecht auch durch ihre Ehemänner und Curatoren ausüben.“ Das liest sich aus heutiger Sicht wie eine typische „Kann-Bestimmung“, als hätte es zumindest im Ausnahmefall wählende Frauen gegeben; dies war auch in anderen deutschen Staaten mit ähnlichem Wahlrecht im 19. Jahrhundert durchaus der Fall.56 Die anderen Stände wählten indirekt in den vier Städten Meiningen, Hildburghausen, Sonneberg und Römhild durch Wahlmänner. Stimmberechtigt bei der direkten Wahl der Wahlmänner waren: „Alle, welche als selbstständige Hausväter christlicher Religion in den Städten und Landgemeinden diverse Steuern zahlen und sich im vollen Genuß des Staatsbürgerrechts befinden“ (Art. 68). Für die Fähigkeit zum Wahlmann war erforderlich: „Genuß des Bürger- oder Nachbarrechts, des Staatsbürgerrechts, christliche Religion, dreissigjähriges Alter und Ansässigkeit in dem Orte, in welchem die Wahl stattfindet“ (Art. 70). Für die Wählbarkeit als Abgeordneter (Deputierter) war ein Mindestalter von 25 Jahren, christliche Religion, Besitz oder Mitbesitz eines Ritterguts beziehungs56 Hierzu im Überblick neuerdings: Birgitta Bader-Zaar, Politische Rechte für Frauen vor der parlamentarischen Demokratisierung. Das kommunale und regionale Wahlrecht in Deutschland und Österreich im langen 19. Jahrhundert, in: Hedwig Richter/Kerstin Wolff (Hg.), Frauenwahlrecht. Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa, Hamburg 2018, S. 77–98.

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weise in den Städten oder auf dem Land die Zahlung von 15 fl. jährlicher direkter Steuer von Grundstücken oder Gewerben erforderlich (Art. 71; reines Männerwahlrecht: „Der Besitz der Ehefrauen kommt hierin dem Manne zu gut.“). Dieses noch altständische Wahlrecht war nicht lange in Geltung. 1848 trat ein neues Wahlgesetz in Kraft: Die Wahl nach Ständen wurde abgeschafft, die „getreuen Landstände“ wurden jetzt auch im Gesetzestext zu dem „Landtag“ von 25 Mitgliedern, die in indirekter Wahl in 25 Bezirken gewählt wurden; es galt ein passives Männerwahlrecht ab 30 Jahren, die Wahl der Wahlmänner war an ähnliche Vorgaben gebunden wie 1829. Aber bereits 1853 wurde das Wahlrecht in einem neuen Wahlgesetz völlig umgestaltet. Jetzt hatte der Landtag 24 Abgeordnete, davon waren zwei vom Herzog ernannt, sechs wurden von den Besitzern größerer gebundener Güter indirekt, acht von den Städten und acht von den Landgemeinden direkt gewählt. Für das aktive (Männer-)Wahlrecht waren weiterhin die christliche Religion und die Zahlung von direkten Steuern erforderlich, für das passive die christliche Religion und die Zahlung von 10 fl. jährlicher direkter Steuer. Das 1853 eingeführte Wahlrecht war mit für die schwelende Domänenfrage verantwortlich. Erst die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich brachte für das Wahlrecht einen echten Modernisierungsschub, auch wenn es immer noch ein klassisches Klassen- und Zensuswahlrecht blieb. Nach dem Wahlgesetz von 1873 bestand der Landtag weiterhin aus 24 Abgeordneten, es gab ein allgemeines, geheimes und direktes Männerwahlrecht (aktiv und passiv) ab 25 Jahren. Erst jetzt hatten also Juden und die (nicht sehr zahlreichen) Dissidenten das Wahlrecht erhalten. 16 Abgeordnete wurden in den vier Kreisen gewählt, vier von den höchstbesteuerten Grundbesitzern, vier Abgeordnete von den Einkommenssteuerpflichtigen. Damit wurden aber immerhin zwei Drittel der Abgeordneten in freier, geheimer und gleicher Wahl bestimmt. Dies zeichnete sich auch in der deutlichen Präsenz der SPD im Landtag ab.57 1906 gab es sechs sozialdemokratische Abgeordnete. Die Wahlperiode dauerte sechs, die Etatperiode drei Jahre. Sichtbares Zeichen der wachsenden Bedeutung des Parlaments war das 1880 eingeweihte Landtagsgebäude von Erwin Theodor Döbner. Von 1832 bis zum Stadtbrand 1874 hatte der Landtag in dem ebenfalls als Parlament neuerbauten Landschaftsgebäude am Marktplatz neben dem Rathaus getagt.

57 Hinweise zu sozialdemokratischen Parlamentariern vor 1918 insbesondere: Norbert Moczarski, Der letzte Landtag von Sachsen-Meiningen und die ihm nachfolgende Gebietsvertretung in den Jahren 1919–1923, in: Die vergessenen Parlamente. Landtage und Gebietsvertretungen in den Thüringer Staaten und Gebieten 1919 bis 1923, hg. vom Thüringer Landtag, Rudolstadt u. a. 2002, S. 81–119; Jochen Lengemann, Thüringische Landesparlamente 1919–1952. Biographisches Handbuch, Köln/Weimar/Wien 2014.

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2.3 Frühkonstitutionelle Modernisierung Bereits die ersten „konstitutionellen“ Jahre waren in Meiningen von einer Modernisierung geprägt. Aus dem feudalistischen Herzogtum sollte ein Einheits- und Verfassungsstaat im kleinen Maßstab werden. 1831 wurde das Staatsrechnungswesen zentralisiert, 1834 trat Meiningen dem Deutschen Zollverein bei (und gab damit seine Zollhoheit auf). 1838 trat man dem Süddeutschen Münzverein bei – wichtige Voraussetzungen für eine Verflechtung in dem durch die Industrialisierung zunehmend bedeutenderen Mitteldeutschland.58 Auch in anderen Bereichen wurde kodifiziert, wobei sich das Herzogtum seiner begrenzten Mittel bewusst war. Die Kodifikation des Strafrechts, ein wichtiger Modernisierungsschub für die Trennung von Justiz und Polizei und das Ende des absolutistischen Polizeistaates, erfolgte 1844 durch Übernahme des sächsischen „Criminalgesetzbuchs“ von 1838.59 1846 wurde das Abgabenwesen modernisiert, indem zahlreiche Steuerbefreiungen insbesondere des Adels abgeschafft wurden, 1847 endete die Patrimonialgerichtsbarkeit. Die Bedeutung dieser Maßnahme darf in einem Staat, in dem den Rittergütern eine große staatsrechtliche Bedeutung zukam, nicht unterschätzt werden. Dies geschah alles bereits vor dem Jahr 1848.

3. 1848 und die Folgen Gleichwohl hatte das Revolutionsjahr 1848 gerade in Meiningen erhebliche Folgen. Die Pressefreiheit wurde eingeführt, zudem ein Vereins- und Bewaffnungsrecht; die im Vereinsrecht sehr restriktive Tendenz des Grundgesetzes wurde damit überwunden. Die ohnehin bereits verhältnismäßig starke Stellung der Gemeinden wurde durch die Einführung der gemeindlichen Selbstverwaltung noch gestärkt. Auch die Regierung wurde modernisiert und das Kabinettsprinzip eingeführt; ein Herzogliches Staatsministerium wurde aus einzelnen Oberbehörden gebildet. Unter einem Minister, formal der Regierungschef, standen fünf Abteilungen, an der Spitze jeweils ein Staatsrat, und zwar für Angelegen58 Hans-Werner Hahn, Industrialisierung und gesellschaftlicher Wandel im Herzogtum Sachsen-Meiningen, in: Goltz/Greiling/Mötsch (Hg.), Herzog Georg II. (wie Anm. 1), S. 173–186; Ders., Deutsche Kleinstaaterei und Industrialisierung. Überlegungen zur Rolle kleiner Staaten im Industrialisierungsprozess am Beispiel des Fürstentums Reuß älterer Linie, in: Werner Greiling/Hagen Rüster (Hg.), Reuß älterer Linie im 19. Jahrhundert. Das widerspenstige Fürstentum?, Jena 2013, S. 187–192. 59 Judith Weber, Das sächsische Strafrecht im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch, Berlin 2009; Claudia Schöler, Deutsche Rechtseinheit. Partikulare und nationale Gesetzgebung, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 254.

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heiten des Herzoglichen Hauses und Auswärtiges, Inneres, Justiz, Kirchen und Schule sowie Finanzen.60 Gleichzeitig wurden mit der Einführung des modernen Kabinettsprinzips die alten Behörden Landesregierung, Konsistorium und Rechnungskammer aufgehoben. Ab 1849 orientierte sich Meiningen unter dem konservativen Ministerium Rudolph von Wechmar vermehrt an Preußen,61 sichtbar auch 1850 durch die Ehe des Erbprinzen Georg mit der preußischen Prinzessin Charlotte, einer Nichte der ebenfalls Meiningen verbundenen preu­ ßischen Königin Elisabeth aus dem Hause Wittelsbach.62 1849 wurden die Rittergüter durch die Abschaffung der gutsherrlichen Polizei als politischer Faktor noch weiter geschwächt. 1850 traten ein Ablösungs- und ein Jagdgesetz, das die Jagd breiteren Schichten öffnete, in Kraft. Liberalen Forderungen entsprach auch das neue Strafgesetzbuch von 1855 (wieder in Anschluss an eine sächsische Novelle) und 1851 die Einführung einer Strafprozessordnung mit Geschworenengerichten (eine politische Hauptforderung der Liberalen); dabei handelte es sich allerdings um eine „gesamtthüringische“ Kodifikation, die „Thüringische Strafprozessordnung“, die in Sachsen-Weimar, Schwarzburg-Sondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen galt. Eine gewisse Bedeutung erlangte die bis zur Strafprozessordnung geltende Bestimmung, wonach Todesurteile dem Herzog vorzulegen waren, der von seinem Gnadenrecht Gebrauch machen konnte und dies auch wahrnahm.63 1850 wurde ebenfalls die Gerichtsorganisation modernisiert. Sie war dreistufig – der Größe des Herzogtums trug Rechnung, dass als oberste Rechtsmittelinstanz mit anderen thüringischen Kleinstaaten das Oberappellationsgericht Jena, also in Sachsen-Weimar, gebildet worden war. In Meiningen bestanden Kreisgerichte und als erste Rechtsmittelinstanz das Appellationsgericht zu Hildburghausen.

4. Zwischen Österreich und Preußen: Meiningen im Deutschen Krieg Wie Reuß älterer Linie stand Herzog Bernhard II. Erich Freund zunächst ab 1859 auf der Seite Österreichs. Dabei spielte eine Rolle, dass sein Schwager der 60 Kircher, Staatsrecht (wie Anm. 6), S. 36. 61 Katharina Witter, Rudolph von Wechmar, in: Lexikon zur Stadtgeschichte Meiningen, Meiningen 2008, S. 231; Friedrich Facius, Die thüringischen Staaten (Ministerlisten), in: Klaus Schwabe (Hg.), Die Regierungen der deutschen Mittel- und Kleinstaaten 1815– 1933, Boppard 1983, S. 260–284, hier S. 282. 62 Margret Dorothea Minkels, Königin Elisabeth von Preußen und das Haus Sachsen-Meiningen, in: Goltz/Greiling/Mötsch (Hg.), Herzog Georg II. (wie Anm. 1), S. 47–64. 63 Christoph Gann, Der gnädige Herzog? Georg II., sein Begnadigungsrecht bei Todesurteilen und andere Fragen auf dem Gebiet von Recht und Gerechtigkeit, in: Goltz/ Greiling/Mötsch (Hg.), Herzog Georg II. (wie Anm. 1), S. 131–152, hier S. 140.

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von den Preußen entthronte letzte Kurfürst von Hessen war; zudem bestanden in den Oberschichten antipreußische Stimmungen, der preußenfreundliche Erbherzog Georg hatte zunächst noch keinen Einfluss.64 Dies war aber keineswegs unumstritten, zumal es in der Regierung und gerade im städtischen Bürgertum erhebliche Sympathien für Preußen und Bismarck gab. Aus realpolitischen Gründen, um die Souveränität des Herzogtums zu erhalten, trat der „Verfassungsgeber“ Bernhard II. im Kriegsjahr 1866 zugunsten des Erbprinzen Georg (als Herzog Georg II.) zurück.65 Der Deutsche Krieg kam dicht an die Grenzen des Herzogtums. Unter dem neuen Herzog mit seiner preußischen Gemahlin wurde die Bindung an Preußen noch verstärkt. Am 8. Oktober 1866 wurde ein Friedensvertrag mit Preußen geschlossen, in dessen Art. 1 Meiningen die „Nikolsburger Konvention“ übernahm. Das Herzogtum trat im gleichen Jahr dem Norddeutschen Bund bei.66 1867 wurde eine erste, am 15. September 1873 eine weitere Militärkonvention mit Preußen geschlossen.67 Faktisch war dies das Ende einer eigenständigen meiningischen Armee. Das Interesse von Georg II., formal kommandierender General der Truppen in seinem Herzogtum, an militärischen Dingen war eher gering.68

5. Reformen im Norddeutschen Bund Die Zugehörigkeit zum Norddeutschen Bund sollte sich zunächst als wenig vorteilhaft erweisen. Durch eine Zinsgarantie für die Werrabahn war das Land in eine finanzielle Schieflage geraten. Um den Haushalt zu stabilisieren, wurden 1867 die Klassen- und die Einkommenssteuer eingeführt.69 Die Verwaltung wurde weiter verschlankt. Aus elf Verwaltungsämtern wurden 1868 die vier Kreise Meiningen, Hildburghausen, Sonneberg und Saalfeld gebildet – diese Struktur sollte Meiningen bis zu seinem Aufgehen in den Freistaat Thüringen beibehalten. 1869 trat ein Gesetz über die Grundsteuer, eine weitere wichtige Einnahmequelle, in Kraft. Gleichzeitig wurde eine Flurbereinigung durchgeführt; die Mehrheit der Gutsrechte wurde abgelöst, 1872 zudem das lehnsherrli64 Helmut Reichold, Bismarcks Zaunkönige. Duodez im 20. Jahrhundert, Paderborn 1977, S. 22. 65 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3: Bismarck und das Reich, Stuttgart u. a. 1963, S. 603 f. 66 Ebd., S. 604. 67 Georg Goeckel, Das Staatsrecht des Herzogtums Sachsen-Meiningen. Nach den erlassenen Gesetzen und Verordnungen systematisch dargestellt, Jena 1905, S. 22 f. 68 Reichold, Bismarcks Zaunkönige (wie Anm. 64), S. 121. 69 Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 17, Leipzig 1909, S. 395–397, hier S. 396.

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che Obereigentum abgeschafft. Seit dem 1. Januar 1871 gehörte schließlich Meiningen, wie alle Mitgliedsstaaten des Norddeutschen Bundes, zum Deutschen Reich. In Art. 6 der Verfassung des Deutschen Reichs von 1871 war das Herzogtum, das eine Stimme im Bundesrat führte, ausdrücklich aufgeführt.

6. Wachsende Unitarisierung und länderübergreifende Zusammenarbeit Obwohl das Deutsche Reich in seiner Verfassung die Souveränität der einzelnen Fürsten und ihrer Staaten sehr betonte, Bismarck zudem aus innenpolitischen Gründen kein Interesse an einer Mediatisierung der verbliebenen Kleinstaaten besaß, war der Spielraum für eine innerstaatliche Zusammenarbeit im Zweiten Kaiserreich verhältnismäßig groß, losgelöst von ohnehin bestehenden Unitarisierungstendenzen.70 Staatensouveränität bedeutete im Deutschen Reich jedenfalls nicht, dass ein Staat sämtliche Funktionen allein ausüben musste. Das galt auch für prestigeträchtige Universitäten, war Sachsen-Meiningen doch „Unterhalterstaat“ der gemeinschaftlichen Universität Jena.71 Umgekehrt gab es auch meiningische Einrichtungen, deren Wirksamkeit nicht auf Meiningen beschränkt war. Erheblichen Anteil daran hatte die neue Gerichtsverfassung in Thüringen seit Inkrafttreten des Gerichtsverfassungsgesetzes 1877, das eine wichtige Rolle bei der „Inneren Reichsgründung“ spielte.72 Im ganzen Deutschen Reich war der vierstufige Gerichtsaufbau (Amtsgericht/Landgericht/ Oberlandesgericht/Reichsgericht) eingeführt worden, der im Wesentlichen bis heute unverändert besteht, an Stelle des Reichsgerichts ist nur der Bundesgerichtshof getreten. Das im Grunde seit 1153 bestehende Landgericht Meiningen war ein „Gemeinschaftliches Landgericht“, zu seinem Sprengel gehörten drei meiningische und zwei preußische Kreise sowie Sachsen-Gotha. Auch das schwarzburgische Landgericht Rudolstadt war „Gemeinschaftliches Landgericht“; zu seinem Sprengel gehörte auch der meiningische Kreis Saalfeld. In Strafsachen gehörte das gesamte Herzogtum Meiningen zum Sprengel des für sämtliche Tötungsdelikte zuständigen Schwurgerichts beim Landgericht Gera 70 Zu diesen Martin Otto, Revolution auf Raten. Das Ende der Monarchie in den deutschen Kleinstaaten als politischer Prozess, in: Stefan Gerber (Hg.), Das Ende der Monarchie in den deutschen Kleinstaaten. Vorgeschichte, Ereignis und Nachwirkungen in Politik und Staatsrecht 1914–1939, Wien/Köln/Weimar 2018, S. 85–108. 71 Hierzu Meyer, Staatsrecht (wie Anm. 18), S. 24–28. 72 Werner Schubert, Die deutsche Gerichtsverfassung (1869–1877). Entstehung und Quellen, Frankfurt am Main 1981; Michael Stolleis, „Innere Reichsgründung“ durch Rechtsvereinheitlichung 1866–1880, in: Ders., Konstitution und Intervention. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2001, S. 195–225.

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im Herzogtum Reuß jüngerer Linie; beim Landgericht Meiningen bestand kein Schwurgericht, konnten also etwa Mordprozesse nicht durchgeführt werden. Auch im Strafvollzug war Meiningen in die innerstaatliche Zusammenarbeit eingebunden. Die meiningischen Strafanstalten in Untermaßfeld und Ichtershausen wurden gemeinsam mit und für Sachsen-Weimar, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, Schwarzburg-Sondershausen und beide Reuß betrieben, wie die coburgische Strafanstalt Gräfentonna und das gothaische Frauengefängnis Hassenberg auch eine Zuständigkeit für die genannten Staaten (und damit Meiningen) besaßen. Daneben unterhielt Sachsen-Meiningen das „Gemeinsame Arbeitshaus Dreißig­ acker“ für Meiningen, Altenburg, Sondershausen und Reuß älterer Linie und die Gemeinsame Irrenanstalt in Hildburghausen für Meiningen, Coburg-Gotha und Rudolstadt.73 Auf einem anderen Gebiet folgte Meiningen wiederum Preußen, mit dem 1906 ein Lotterieabkommen geschlossen wurde. Gegen eine jährliche Rente wurde in Meiningen ausschließlich die preußische General-Lotterie-Direktion mit ihrer Klassenlotterie zugelassen.74 In der Gesetzgebung verbreitet war die Übernahme einzelner, meist preußischer Gesetze, als Blankettgesetz, so das preußische Berggesetz.75 Im Grundsatz gestaltete Meiningen seine Außenbeziehungen, soweit sie möglich waren, aber möglichst unabhängig, so dass von einem „eigenwilligen Herzogtum“ gesprochen werden kann. Im Bundesrat ließ sich Meiningen nicht, wie die meisten thüringischen Herzogtümer, vom sachsen-weimarischen Bundesratsgesandten Arnold Paulssen vertreten,76 sondern übertrug in der Regel seine Stimme an den bayerischen Gesandten, in der Regel Hugo Graf Lerchenfeld.77 Die besondere Rolle von Meiningen als Rechtsstaat markierte das Gesetz vom 15. März 1897, mit dem, letztlich nach preußischem Vorbild, eine Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeführt wurde, die Rechtsmittel gegen Verwaltungsentscheidungen ermöglichte. Sie war trotz der verhältnismäßig geringen Größe Meiningens dreistufig aufgebaut: Es bestanden ein Kreisverwaltungsgericht, ein Landesverwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht, alle in Meiningen. Allerdings war diese vollständige Autarkie keineswegs im Sinne der Regierung; 1912 wurde ein Staatsvertrag über den Anschluss an den Sprengel des im gleichen Jahr gegründeten thüringischen Oberverwaltungsgerichts in 73 Kircher, Staatsrecht (wie Anm. 6), S. 50. 74 Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 17, Leipzig 1909, S. 395–397, hier S. 396. 75 Kircher, Staatsrecht (wie Anm. 6), S. 52. 76 Dieter Marek, in: NDB 20 (2001), S. 130 f.; Bernhard Post/Volker Wahl (Hg.), Thüringen-Handbuch. Territorium, Verfassung, Parlament, Regierung und Verwaltung in Thüringen 1920 bis 1995, Weimar 1999; Paulssen (1864–1942) war auch der erste Ministerpräsident von Thüringen 1920 bis 1921. 77 Wolf-Dieter Gruner, in: NDB 14 (1985), S. 313 f. Hugo Graf von und zu Lerchenfeld auf Köfering und Schönberg (1843–1925), bayerischer Berufsdiplomat.

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Jena unterzeichnet; dessen Ratifizierung allerdings scheiterte am Meininger Landtag.78 In der Sozialversicherung war Meiningen bereits vor 1918 als Staat mediatisiert:79 Es gehörte zu dem Bezirk der Landesversicherungsanstalt Thüringen mit Sitz in Weimar. Seit 1833 bereits gehörte Meiningen zum Bezirk des „Zoll- und Handelsvereins der Thüringischen Staaten“ mit einem Generalzollinspektor im damals preußischen Erfurt.80 Meiningen hatte sich von den Schwierigkeiten nach dem Beitritt zum Deutschen Bund durch eine kluge Steuer- und Haushaltspolitik erholt und galt als „finanziell wohlgeordnet“.81 1910 wurde eine Vermögenssteuer eingeführt, doch juristische Personen waren von ihr ausgenommen. Es wurde befürchtet, die ansässigen Großbanken (Deutsche Hypothekenbank, Bank für Thüringen) könnten ansonsten ihren Sitz nach Preußen verlegen.82 In einem gewissen Rahmen kann Meiningen, ebenso wie das bei Versicherungsgesellschaften beliebte Sachsen-Coburg-Gotha, als eine frühe „Steueroase“ bezeichnet werden.

7. Kein klerikales Residuum: Die allmähliche Trennung von Kirche und Staat Zwar bestand in Meiningen eine Staatskirche, die „Evangelische Kirche in Meiningen“, der über 90 % der Bevölkerung angehörten; die Anzahl der Dissidenten, auch innerhalb der durchaus zahlreichen Sozialdemokraten, war gering.83 Der jeweilige Herzog fungierte nach evangelischer Tradition als summus epis78 Friedrich-Wilhelm Gülsdorff, Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Sachsen-Meiningen, in: Karl-Peter Sommermann/Bert Schaffarzik (Hg.), Handbuch der Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland und Europa, Berlin 2019, S. 517–538. 79 Ulrich Hess, Geschichte der Behördenorganisation der thüringischen Staaten und des Landes Thüringen von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Jahr 1952, Jena/Stuttgart 1993. 80 Elmar Wadle, Der Deutsche Zollverein. Ein Überblick unter besonderer Berücksichtigung der zoll- und verfassungsrechtlichen Aspekte, in: Ders., Verfassung und Recht. Wegmarken ihrer Geschichte, Köln/Weimar 2008, S. 189–204, hier S. 195 f.; Heinrich von Treitschke, Die Gründung des deutschen Zollvereins, Leipzig 1913. 81 „Die Finanzen des Landes sind infolge der Erträgnisse des Domänenvermögens, die nach dem Vergleich von 1871 zwischen dem Herzog und dem Lande geteilt werden, wohlgeordnet“; Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 17, Leipzig 1909, S. 395– 397, hier S. 397. 82 Karl Strupp, Wichtigere Gesetze und Staatsverträge in den thüringischen Staaten seit 1900, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts 7 (1913), S. 217–246, hier S. 218. 83 Bei der Volkszählung von 1890 wurden zu Dissidenten keine Angaben gemacht. Wahrscheinlich ist eine niedrige vierstellige Zahl.

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copus. Die Ausrichtung der Landeskirche war verhältnismäßig liberal und an dieser Theologie orientiert.84 Dies entsprach der Situation im benachbarten Sachsen-Coburg-Gotha. Ein Refugium theologisch konservativer Pfarrer wie Reuß älterer Linie, wo der Fürst gerne Angehörige der „hessischen Renitenz“ als Pfarrer rekrutierte (konfessionelle Lutheraner), war Meiningen nicht; deutlich wird dies etwa auch an der Haltung zur Feuerbestattung. 1911 konnte das Krematorium in Meiningen eingeweiht werden, ein Bau des auch als Kirchenarchitekten hervorgetreten Carl Göbel.85 Sicherlich ebenfalls nicht auf der Linie einer konfessionellen Orthodoxie lag das Mäzenatentum von Herzog Georg II. für den Jenaer Naturforscher und antikirchlich-monistischen Sinnsucher Ernst Haeckel.86 Auch in Meiningen war das Jahr 1918 keine radikale Zäsur, vielmehr wurde seit 1875 an einer sukzessiven Trennung von Staat und Kirche gearbeitet. Vergleichbares gab es auch in anderen deutschen Staaten.87 Das Volksschulgesetz von 1875 trennte weitgehend kirchliche und schulische Angelegenheiten. Der Ortspfarrer war jetzt nicht mehr „geborene“ untere Schulaufsichtsbehörde.88 Gerade in den Dörfern blieb die Einheit von Pfarrer und Lehrer („Vereinigtes Kirchen- und Schulamt“), der unterrichtende Pfarrer oder der orgelspielende Lehrer, noch Jahre bestehen. Die Synodalverordnung von 1876 führte eine parlamentarische Körperschaft für die Kirche ein und stärkte die kirchliche Selbstverwaltung. Das Dissidentengesetz von 1878 schuf die rechtlichen Voraussetzungen für einen Kirchenaustritt (nunmehr auch für einen Austritt aus der Israelitischen Kultusgemeinde), das Kirchengesetz von 1895 trennte zwischen staatlicher und kirchlicher Verwaltung.89 Mit dem Volksschulgesetz 1908 wurde die „Trennung von Kirche und Schule in ihren rechtlichen Beziehungen 84 Hannelore Schneider, „Die evangelische Kirche braucht nicht Macht zu haben und soll nicht Macht haben.“ Georg II. und die evangelische Landeskirche im Herzogtum, in: Goltz/Greiling/Mötsch (Hg.), Herzog Georg II. (wie Anm. 1), S. 187–202. 85 Henning Winter, Die Architektur der Krematorien im Deutschen Reich 1878–1918, Dettelbach 2001, S. 279–284. 86 Claudia Taszus, Herzog Georg II. als Mäzen Ernst Haeckels, in: Goltz/Greiling/ Mötsch (Hg.), Herzog Georg II. (wie Anm. 1), S. 287–302. 87 Fabian Wittreck, Bonn ist doch Weimar. Die Religionsfreiheit im Grundgesetz als Resultat von Konflikt und Kontroverse, in: Astrid Reuter/Hans G. Kippenberg (Hg.), Religionskonflikte im Verfassungsstaat, Göttingen 2010, S. 66–92. 88 Strupp, Wichtigere Gesetze (wie Anm. 82), S. 242. Vgl. auch Martin Otto, Vereinigtes Kirchen- und Schulamt, in: Lexikon für Kirchen- und Religionsrecht, Bd. 4, im Erscheinen. 89 Insgesamt hierzu: Hannelore Schneider, Ausgewählte kirchenpolitische Entscheidungen und Beratungen im Landtag des Herzogtums Sachsen-Meiningen, in: Kirchen und kirchliche Aufgaben in der parlamentarischen Auseinandersetzung in Thüringen vom frühen 19. bis ins ausgehende 20. Jahrhundert, hg. vom Thüringer Landtag, Weimar/Jena 2005, S. 49–60; Barbara Schmal, Das staatliche Kirchenaustrittsrecht in seiner historischen Entwicklung, Tübingen 2013, S. 178–183.

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zueinander restlos vollzogen“;90 Kirchendienste der Lehrer wie das genannte Glockenläuten oder Orgelspielen, in vielen Gemeinden üblich, waren seitdem nur noch auf vertraglicher Grundlage möglich. 1920 gehörte die meiningische Landeskirche, durch den Fortfall des landesherrlichen Kirchenregiments in ihrer Legitimation besonders getroffen, zu den Gründungskirchen der „Thüringer Evangelischen Kirche“. Aus ihr war auch der ab 1945 amtierende Landesbischof, der keineswegs unumstrittene Moritz Mitzenheim, hervorgegangen, der aus Hildburghausen stammte und Pfarrer in Saalfeld war.91

8. Ein havarierendes Herrscherhaus? Der bereits zweimal verwitwete „Theaterherzog“ Georg II. heiratete 1873 in morganatischer Ehe die Schauspielerin Ellen Franz (1839–1924). Ihr Vater war preußischer Schuldirektor, ihre schottische Mutter gehört dem Kleinadel („gentry“) an.92 Doch nach den Maßstäben der Ebenbürtigkeit war dies eine Mesalliance. Die Thronfolge war dabei unproblematisch; aus den früheren Ehen des Herzogs gab es Nachkommen. Auch die Verleihung des Adelsnamens „Helene Freifrau von Heldburg“ an Ellen Franz änderte daran nichts. Insbesondere der frühere Herzog Bernhard II. und Kaiser Wilhelm II. intrigierten gegen diese Verbindung.93 Dies führte aber eher zu einer gewissen Beliebtheit und Volkstümlichkeit der intellektuell und künstlerisch aufgeschlossenen Freifrau von Heldburg;94 das bescheiden auftretende Herzogspaar wählte bereits zu Lebzeiten als Grablege den öffentlichen Parkfriedhof, wo sie bis heute bestattet sind. Aber bei den Nachkommen des Herzogs stellte sich das Problem der morganatischen Ehen erneut. In Verbindung mit dem Fehlen ebenbürtiger männlicher Nachkommen konnte aber auch Pragmatismus zum Zuge kommen. Dies galt für den 1892 geborenen Prinzen Georg und den 1893 geborenen Prinzen Ernst, die aus der morganatischen Ehe des Prinzen Friedrich, zweiter Sohn Herzogs 90 Strupp, Wichtigere Gesetze (wie Anm. 82), S. 246. Hierzu auch: Christine Freytag, Das Volksschulwesen unter Georg II. Entwicklungen und Impulse im Herzogtum Sachsen-Meiningen, in: Goltz/Greiling/Mötsch (Hg.), Herzog Georg II. (wie Anm. 1), S. 247–266. 91 Herbert von Hintzenstern, in: NDB 17 (1994), S. 592 f. 92 Martina Lüdtcke, Die morganatische Eheschließung zwischen Georg II. von Sachsen-Meinigen und Helene Franz. Ein monarchischer Normbruch im Spannungsfeld höfischer Erwartungen und bürgerlicher Öffentlichkeit, in: Goltz/Greiling/Mötsch (Hg.), Herzog Georg II. (wie Anm. 1), S. 65–82. 93 Nähere Hinweise bei Reichold, Bismarcks Zaunkönige (wie Anm. 64), S. 222 f. 94 Hierzu: Maren Goltz, Helene von Heldburg – eine Ehefrau auf Augenhöhe, in: Goltz/ Greiling/Mötsch (Hg.), Herzog Georg II. (wie Anm. 1), S. 83–102.

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Georg II., mit Gräfin Adelheid zu Lippe-Biesterfeld hervorgegangen waren. Sie wurden durch die Erbfolgeordnung von 1896 für erbfolgeberechtigt erklärt, was vorläufig die Fortdauer der Dynastie sichern sollte. Dies entsprach auch der Rolle Meiningens als „liberaler Musterstaat“. Aus dem Fehlen erbberechtigter Nachkommen des letzten Herzogs kann also keineswegs auf ein „Havarieren“ eines Herrscherhauses mit einem „engstirnigen Reaktionär“ an der Spitze geschlossen werden.95 Die nachgelassene Äußerung des Staatsrechtlers Georg Jellinek über das „ganze Ebenburtsrecht“, eine „Ruine, die nur in den deutschen Staaten, Österreich-Ungarn und Russland in Rechtsform stabilisiert, ansonsten lediglich als Sitte gepflegt werde“ und zudem „unterschiedlich gehandhabt“ werde wie auch der „Umgang mit morganatischen Ehen“96 ist als Illustration der herzogliche Familienpolitik gleichwohl geeignet.

9. „Geordneter Übergang“ und inflationäres Nachspiel Das konstitutionelle Zeitalter endete in Meiningen am 10. November 1918. An diesem Tag verzichtete Herzog Bernhard auf den Thron: „Bei dem heute stattgefundenen Vortrage des Arbeiter- und Soldatenrates lege ich die Regierungsgeschäfte des Herzogtums Sachsen-Meiningen nieder. Diese Absagung bescheinige ich mit meiner Unterschrift und dem zu dieser Stunde noch bestehenden Herzoglichen Siegel. Gott segne das Land Meiningen. Bernhard.“97 Die Regierungsgeschäfte übernahm ein Ministerium, dem drei Mehrheitssozialdemokraten, zwei Liberale und zwei Beamte, darunter Staatsminister Ludwig von Türcke, angehörten.98 In der Domänenfrage gelang eine einvernehmliche Lösung, die allerdings von einem Aufwertungsprozess des Hauses Meiningen gefolgt war.

95 So aber Lothar Machtan, Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen, Berlin 2008, S. 64; das genannte Zitat dort S. 94. Hier nach: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 17, Leipzig 1909, S. 395–397, hier S. 396. 96 Georg Jellinek, Besondere Staatslehre. Ein Fragment, in: Ders., Ausgewählte Schriften. Bd. 2, Berlin 1911, S. 147–319, hier S. 158. 97 Abgedruckt bei Post/Wahl, Thüringen-Handbuch (wie Anm. 76), S. 69. Relativ materialreich zu dem gesamten Vorgang: Mario Hesselbarth, „Gegen das Hissen der Roten Flagge auf dem Rathaus erheben wir keinen Einspruch.“ Novemberrevolution 1918 in Thüringen, Jena ²2018, S. 90–94. 98 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914–1919, Stuttgart u. a. 1979, S. 1056.

Vom Untertanenverband zum liberalen Musterstaat der Staatsbürger

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10. Tod in Frankreich: Der letzte Chronist des meiningischen Staatsrechts Das Staatsrecht von Meiningen ist relativ sorgfältig wissenschaftlich behandelt worden. In dem von Georg Meyer als führendem Mitarbeiter herausgegebenen „Handbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart“ bearbeitete der Geheime Regierungsrat und Reichstagsabgeordnete Wilhelm Kircher aus Meiningen „Das Staatsrecht des Herzogthums Sachsen-Meiningen“ im Zusammenhang einer offenbar von Georg Meyer besorgten Gesamtdarstellung „Staatsrecht der Thüringischen Staaten“.99 1904 erschien „Das Staatsrecht des Herzogtums Meiningen“ von dem Amtsrichter Georg Goeckel in Camburg an der Saale. Die Monographie kam von der Peripherie: Die Grafschaft Camburg war eine meiningische Exklave, eine Vorstadt der sachsen-weimarischen Universitätsstadt Jena unweit der Dornburger Schlösser. Der letzte Chronist des meiningischen Staatsrechts kam aber aus einer gewissermaßen alteingesessenen Familie im Herzogtum, auch wenn er 1885 in Gotha geboren wurde. Karl Strupp stammte aus der meiningischen Bankiersfamilie Strupp,100 den „thüringischen Rothschilds“, denen etwa ab 1905 mehrheitlich die „Bank für Thüringen“ gehörte;101 auf die Rolle von Meiningen als Finanzplatz wurde hingewiesen. Seine Vorfahren waren jüdische Getreidehändler in Dreißigacker, die Familie gehörte der Jüdischen Kultusgemeinde in Meiningen an. Nach seiner Promotion 1910 in Heidelberg veröffentlichte er als Privatgelehrter zum Staatsrecht der thüringischen Staaten, Meiningen fand dabei besondere Berücksichtigung.102 Während des Ersten Weltkriegs wandte er sich dem Völkerrecht zu. 1923 wurde er Privatdozent in Frankfurt am Main, 1926 dort außerordentlicher, 1932 ordentlicher Professor, 1933 aber als Jude entlassen. Er emigrierte in die Türkei und Dänemark sowie Frankreich, fand aber nirgends dauernden Aufenthalt. Kurz vor der Abreise nach Amerika starb er 1940 in Chatou bei Paris an den Folgen einer Embolie. Sein Tod markiert auch das Ende des Konstitutionalismus in Meiningen; Karl Strupp war der letzte Jurist, der im meiningischen Staatsrecht „zu Hause“ war. 99 Geboren 1831 Römhild, Rechtsanwalt, Kommunalpolitiker, 1864 Vortragender Rat Meiningen, 1874 MdL und MdR; gestorben 1901 Meiningen; vgl. Helge Dvorak, Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft, Bd. 1, Teilbd. 3, Heidelberg 1999, S. 94 f. 100 Zu diesem: Martin Otto, in: NDB 25 (2013), S. 596 f.; Sandra Link, Ein Realist mit Idealen – Der Völkerrechtler Karl Strupp (1886–1940), Baden-Baden 2003. 101 Zu diesen: Alfred Erck/Juliane Rauprich, Dr. Gustav Strupp – eine biographische Skizze, in: Norbert Moczarski/Johannes Mötsch/Katharina Witter (Hg.), Archiv und Regionalgeschichte, Meiningen 1998, S. 343–364; Katharina Witter, Der Nachlaß Strupp im Thüringischen Staatsarchiv Meiningen, in: Archive in Thüringen 12 (1997), S. 24–26. 102 Karl Strupp, Bericht über die wichtigeren Gesetze und Staatsverträge der thüringischen Staaten seit 1900, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts 4 (1912), S. 287–304.; Ders., Wichtigere Gesetze (wie Anm. 82).

M anuel Schwarz

„Nein ich sehe schwarz, sehr schwarz in die Zukunft…“ Bernhard III. im Verhältnis zur Generation der „Übergangsfürsten“

1. Einleitung Als der 1826 geborene Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen am 25. Juni 1914 verstarb, gelangte sein Sohn Bernhard (1851–1928) nach langen Jahren als Erbprinz endlich an die Regierung. Zu diesem Zeitpunkt waren nur zwei der regierenden deutschen Bundesfürsten älter als der neue Meininger Herzog: König Ludwig III. von Bayern (1845–1921) und König Wilhelm II. von Württemberg (1848–1921). Im Gegensatz zu den beiden Königen blieb Bernhard allerdings so gut wie keine Zeit, um in Frieden zu regieren. Weil vier Wochen später der Erste Weltkrieg ausbrach, erhielt er keine Möglichkeit mehr, größere Regierungsprojekte umzusetzen. Am 10. November 1918 wurde Bernhard III. gezwungen, seine Abdankung zu erklären. Anders war die Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den anderen drei ernestinischen Staaten in Thüringen, wo junge Monarchen die Throne bestiegen: Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach (1876–1923) im Jahr 1901, Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha (1884–1954) im Jahr 1905 und Herzog Ernst II. von Sachsen-Altenburg (1871–1955) im Jahr 1908. Der „ewige Erbprinz“ Bernhard gehört in Anbetracht seines Alters und seiner späten Regentschaft nicht zur Generation der drei jungen Monarchen. Der Generation der Vorgänger um Carl Alexander (1818–1901) von Sachsen-Weimar-Eisenach und Ernst I. von Sachsen-Altenburg (1826–1908) kann er allerdings auch nicht zugeordnet werden. Vom Alter ausgehend stand er dem von 1893 bis 1900 in Sachsen-Coburg und Gotha regierenden Alfred (1844– 1900) noch am nächsten, erfuhr aber eine andere Sozialisierung als der gebürtige Engländer. Bernhard bewegte sich gewissermaßen zwischen den Generationen. Das Wort „Übergangsmensch“1 – das zum ersten Mal der Naturalist Hermann Conradi im Jahr 1889 verwendete – auf die drei jungen ernestinischen

1 Hermann Conradi, Wilhelm II. und die junge Generation. Eine zeitpsychologische Betrachtung, Leipzig 1889, S. 82.

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Monarchen zu übertragen und von „Übergangsfürsten“2 zu sprechen, erscheint mit Blick auf ihre Leben sinnig: Einerseits erfuhren die drei Ernestiner als Mitglieder einer der ältesten hochadligen Dynastien Europas, deren Ursprünge bis ins 10. Jahrhundert nachweisbar sind, eine besondere Sozialisierung und Erziehung, während derer sie auf ihre Rolle als Fürsten vorbereitet sowie mit traditionellen Normen und Werten vertraut wurden, die sie in Zukunft bewahren sollten. Andererseits begann um 1880 der letzte Abschnitt des „langen 19. Jahrhunderts“.3 Insbesondere das Wilhelminische Reich war typisch für die „Übergangszeit“4 gekennzeichnet von „Rückwärtsgewandtheit und Moderne, Aufbruch und Stillstand gleichermaßen“.5 Die drei ernestinischen Monarchen sind Vertreter der Generation, die während dieser „Übergangszeit“ ihre Prägung erfuhr. Der Dualismus zwischen Preußen und Österreich gehörte der Vergangenheit an, sie kannten nur das vereinte Deutsche Reich, ab 1888 repräsentiert durch Kaiser Wilhelm II. Sie interessierten sich für neue Erfindungen und Entwicklungen, unter anderem Technik und Sport. Als sie nach der Jahrhundertwende ihre Throne bestiegen, wurden sie vor die gleichen Herausforderungen gestellt wie die übrigen Bundesfürsten auch: Sie wurden konfrontiert mit Forderungen nach politischen Reformen von (Links-)Liberalen und Sozialdemokraten.6 Die Medienrevolution verlangte zudem ein Umdenken der eigenen Repräsentationsformen.7 Zwar verringerte die zunehmende „Unitarisierung“8 und die von Wilhelm II. betriebene Repräsentation des Kaisertums als „Reichssymbol“9 in gewissem Maße die Bedeutung der Bundesfürsten. Im Gegenzug

2 Die Dissertation des Autors mit dem Titel „Übergangsfürsten. Legitimationsstrategien der letzten Generation ernestinischer Monarchen im Deutschen Kaiserreich“ entsteht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und wird betreut von PD Dr. Stefan Gerber und Prof. Dr. Thomas Kroll. 3 Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 109–114. 4 Theobald Ziegler, Die geistigen und sozialen Strömungen des Neunzehnten Jahrhunderts, Berlin 1899, S. 523. 5 Bernd Heidenreich/Sönke Neitzel (Hg.), Das Deutsche Kaiserreich 1890–1914, Paderborn 2011, S. 11. 6 Frank-Lothar Kroll, Geburt der Moderne. Politik, Gesellschaft und Kultur vor dem Ersten Weltkrieg, Bonn 2013, S. 58–61, 64–67. 7 Anja Schöbel, Monarchie und Öffentlichkeit. Zur Inszenierung der deutschen Bundesfürsten 1848–1918, Köln/Weimar/Wien 2017, S. 51–55. 8 Ernst Rudolf Huber, Das Kaiserreich als Epoche verfassungsstaatlicher Entwicklung, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: Historische Grundlagen, Heidelberg 32003, S. 129–176, hier S. 142. 9 Kroll, Geburt (wie Anm. 6), S. 119.

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gewannen sie allerdings an Autorität als überparteiliche Repräsentations- und Identifikationsfiguren innerhalb der Grenzen des „engeren Vaterlands“.10 Jedoch standen Wilhelm Ernst und Carl Eduard aufgrund ihrer verdienstvollen Vorgänger und der gebürtige Engländer zusätzlich wegen seiner Herkunft unter besonders kritischer Beobachtung.11 Als mindermächtige Herrscher von Kleinstaaten waren die Ernestiner zudem bereits seit dem 19. Jahrhundert unter erhöhtem Legitimationsdruck.12 Dennoch gelang es den „Übergangsfürsten“, sich mit verschiedenen Strategien zu behaupten und sich im gesellschaftlichen und politischen Spannungsfeld der „Übergangszeit“ Legitimität zu verschaffen. Sie agierten nicht nur als bloße Bewahrer, sondern als Gestalter. Ihre persönli­ chen Interessen und ihre Sozialisierung in der „Übergangszeit“ hatten großen Einfluss auf ihr Handeln. Die von ihnen angewandten Legitimationsstrategien sind die Gesamtheit einzelner, bewusst getätigter Legitimationsakte in einem zusammenhängenden Programm zur Begründung und Herstellung von Legitimität.13 Die Strategien beinhalteten sowohl „praktische Maßnahmen“ als auch „symbolische Kommunikation“. Die Monarchen zielten mit ihren Strategien vor allem auf das Bürgertum, denn die bürgerliche Gesellschaft hatte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zum selbstbewussten Gegenpol zur öffentlichen Gewalt entwickelt.14 Zudem verfügte es über einen hohen Einfluss in den Parlamenten, Kommunalvertretungen, der Presse und im Kulturbetrieb.15 Das Bürgertum war vorwiegend konservativ oder liberal sowie patriotisch gesinnt. Bildung, Kultur und Leistung waren unter anderem wichtige Normen und Werte. Eine Technikbegeisterung war zudem weit verbreitet.16 An diesen Überzeugungen und Ansichten konnte ein regierender Monarch seine Legitimationsstrategien idealerweise ausrichten.

10 Ebd., S. 122 f. 11 Manuel Schwarz, „Die Throne brachen, und Dynastien […] sind vom Schauplatz ihres Daseins verschwunden.“ Zeitenwende in den Thüringer Fürstentümern 1900–1918, in: Stefan Gerber (Hg.), Das Ende der Monarchie in den deutschen Kleinstaaten. Vorgeschichte, Ereignis und Nachwirkungen in Politik und Staatsrecht 1914–1939, Wien/ Köln/Weimar 2018, S. 181–198, hier S. 182–184. 12 Hans-Werner Hahn, Zur Einführung. Die Ernestiner und die bürgerliche Welt des 19. Jahrhunderts, in: Ders./Georg Schmidt/Siegrid Westphal (Hg.), Die Welt der Ernestiner. Ein Lesebuch, Köln/Weimar/Wien 2016, S. 290–299, hier S. 292. 13 Sebastian Becker, Dynastische Politik und Legitimationsstrategien der Della Rovere. Potenziale und Grenzen der Herzöge von Urbino (1508–1631), Berlin/Boston 2015, S. 209. 14 Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1990, S. 69–85. 15 Kroll, Geburt (wie Anm. 6), S. 71. 16 Jürgen Kocka, Das lange 19. Jahrhundert. Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft, Stuttgart 102001, S. 113–119.

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2. Prototyp einer neuen Generation: Wilhelm Ernst von SachsenWeimar-Eisenach Wilhelm Ernst wurde am 10. Juni 1876 in Weimar als Sohn von Erbgroßherzog Carl August und Erbgroßherzogin Pauline geboren. Er stand zunächst nicht an erster Stelle der Thronfolge. An der Regierung war sein Großvater Carl Alexander. Während Carl August gerne Zeit mit seiner Familie verbrachte und ein gutes Verhältnis zu seinen Söhnen Wilhelm Ernst und Bernhard Heinrich unterhielt, war die Beziehung zwischen Großherzog und Thronfolger stark belastet. Beide besaßen völlig unterschiedliche Charaktere und Interessen: Der Vater war ein Idealist und Schöngeist, der Sohn dagegen pragmatisch veranlagt. Dieser Gegensatz machte sich auch bei der Erziehung von Wilhelm Ernst und Bernhard Heinrich bemerkbar: Während der Vater der jungen Prinzen Wert auf einen Ausgleich zwischen geistig-kulturellen und praktischen Aspekten legte, war dem Großvater vor allem an einer Ausbildung im Bewusstsein „der geistigen Überlieferung Weimars“17 gelegen. Enttäuscht zeigte sich der Großherzog zudem von der Hochzeit seines Sohnes mit dessen Cousine Pauline von Sachsen-Weimar. Carl Alexander hatte sich eine Ehe mit einer Prinzessin aus einem bedeutenderen Haus, idealerweise einer Angehörigen der russischen Zarenfamilie, gewünscht.18 In den Augen seines Vaters war Carl August unwürdig seine Nachfolge anzutreten. Allerdings verstarb der Erbgroßherzog nach langer Krankheit an einer Niereninsuffizienz im Jahr 1894. Dieser erste von vielen Schicksalsschlägen im Leben von Wilhelm Ernst bedeutete zugleich, dass der junge Prinz jetzt an erster Stelle der Thronfolge stand. In Anbetracht des hohen Alters von Carl Alexander musste der neue Erbgroßherzog schneller als ursprünglich gedacht auf seine zukünftige Aufgabe vorbereitet werden. Wilhelm Ernst besuchte zu dieser Zeit gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Bernhard Heinrich das Wilhelm-Gymnasium in Kassel. Die Brüder gehörten zu den ersten Schülern, die nach der preußischen Dezember-Konferenz im Jahr 1890 in einem deutsch-nationaleren Sinne unterrichtet werden sollten.19 Die schulischen Leistungen von Wilhelm Ernst waren allerdings nur mäßig, teilweise sogar unterdurchschnittlich. Mit dem Erhalt des Zeugnisses der Reife für die Oberprima wechselte er 1895 an die Kriegsschule in Kassel. Zudem leistete er von Herbst 1895 bis 1898, wie viele Adlige, seinen Militärdienst beim 1. Garderegiment zu Fuß in Potsdam. Zusätzlich wurde er mehreren Regimentern à la Suite gestellt. Nach seinem Militärdienst studierte Wilhelm Ernst zunächst an 17 Bernhard Post/Dietrich Werner, Herrscher in der Zeitenwende. Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach 1876–1923, Jena 2006, S. 41. 18 Ebd., S. 34–37. 19 Wolfgang J. Mommsen, Bürgerliche Kultur und künstlerische Avantgarde 1870–1918. Kultur und Politik im deutschen Kaiserreich, Frankfurt am Main 1994, S. 64 f.

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der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität und anschließend an der Alma Mater Jenensis Rechts- und Staatswissenschaften. Während seiner Zeit in Bonn war er Mitglied im Corps Borussia.20 Der Studentenverbindung gehörten seit Mitte des 19. Jahrhunderts vorwiegend Mitglieder des protestantischen Adels an, darunter zuvor Kaiser Wilhelm II. und später Kronprinz Wilhelm. Wilhelm Ernst befand sich an der als „Prinzenuniversität“ bekannten Hochschule in Bonn und im Corps Borussia somit vorwiegend unter Standesgenossen. Entsprechend wurde er von den in diesen Kreisen vorhandenen Anschauungen beeinflusst. Später studierte auch Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha in Bonn und trat dem Corps Borussia bei. Er erwarb sogar das Borussenband, weil ihm, als zukünftigem Regenten eigentlich verboten, ausnahmsweise genehmigt wurde, scharf zu fechten.21 Nach dem Studium und seiner Rückkehr nach Weimar wurde Wilhelm Ernst weiter auf seine Rolle als Landesherr vorbereitet, unter anderem vertrat der Enkel seinen zunehmend gesundheitlich angeschlagenen Großvater bei Veranstaltungen. Bereits 1897 war Großherzogin Sophie verstorben und hatte den Großteil ihres Vermögens an ihre Enkel vererbt. Dieses Geld ermöglichte Wilhelm Ernst später als Großherzog die großzügige Förderung diverser Projekte. Mit dem Erbe waren jedoch auch Verpflichtungen verbunden, zum Beispiel bestimmte die Verstorbene ihren Enkel zum Verantwortlichen des Goethe- und Schiller-Archivs. Mit dem Tod des einzigen Bruders Bernhard Heinrich im Jahr 1900, seines Großvaters im Jahr 1901 und seiner Mutter Pauline 1904 erbte Wilhelm Ernst zusätzliche Gelder und gehörte zu den vermögendsten Fürsten im Deutschen Reich.22 Allerdings waren gerade das Ableben von Bruder und Mutter weitere schwere Verluste im Leben des jungen Mannes. Außerdem geriet er zunehmend unter Druck eine Frau zu heiraten, um einen Thronfolger zu zeugen. Wäre Wilhelm Ernst kinderlos aus dem Leben geschieden, wäre der Thron an einen Vertreter der in Thüringen ungeliebten Württemberger Linie des Hauses Sachsen-Weimar-Eisenach gefallen. Die Diskussion um eine passende Braut, die schon unter Carl Alexander geführt wurde, verdeutlichte den großen Generationen-Unterschied zwischen Großvater und Enkel: Während Carl Alexander eine russische Braut vorschlug, machte sich bei Wilhelm Ernst das ausgeprägte Nationalbewusstsein, das seine Generation besaß, geltend. Eine Ehe mit einer ausländischen Frau schloss er kategorisch aus.23 Zwar entsprachen die Vermählungen mit Caroline Reuß älterer Linie im Jahr 1903 und Feodora von Sachsen-Meinin20 Post/Werner, Herrscher (wie Anm. 17), S. 42–49. 21 John C. G. Röhl, Wilhelm II. Die Jugend des Kaisers 1859–1888, München 1993, S. 301– 305. 22 Post/Werner, Herrscher (wie Anm. 17), S. 51–56, 60 f. 23 Ebd., S. 36–38, 76.

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gen im Jahr 1910 nicht ganz den hohen Erwartungen, die man am Weimarer Hof besaß. Die Öffentlichkeit allerdings begrüßte die Hochzeiten mit den deutschen, aus Thüringen stammenden Prinzessinnen. Beispielsweise schrieb die Weimarische Zeitung zur Vermählung von Wilhelm Ernst und Feodora von Sachsen-Meiningen: „In dieser Freude darüber, daß für das alte Geschlecht unserer Dynastie neue Hoffnung erblüht, mischt sich die Genugtuung, daß es eine deutsche und eine thüringische Prinzessin aus einem Nachbarlande und aus einem durch Freundschaftsbande mit dem unseren verbundenen Fürstenhause ist, die hier in Weimar künftig residieren wird.“24 Der Tod von Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach am 5. Januar 1901 markierte in den Augen vieler Menschen „einen Abschnitt in unserer Entwickelung, einen Tag, wo etwas zu Ende geht, das wir nun verlieren, wo etwas anfängt, das wir uns erst erwerben sollen“.25 Zwar existierte auch eine gewisse Aufbruchsstimmung, aber der Regierungsantritt des jungen Großherzogs wurde sehr kritisch gesehen. Henry van de Velde schrieb in seinen Erinnerungen, dass die Menschen im Land von der Frage umgetrieben worden seien, „ob ein Bruch mit den großen Epochen der Tradition bevorstehe“.26 Wilhelm Ernst verlor vermutlich auch deswegen keine Zeit und stellte bereits im ersten Regierungsjahr die Weichen für neue Wege in der Kulturpolitik, die ihm als Legitimation dienen sollte. Zum 1. April 1902 wurde Hans Olde zum neuen Direktor der Großherzoglichen Kunstschule ernannt. Der Holsteiner Künstler reformierte die Lehranstalt, indem er unter anderem den Unterricht wesentlich praxisorientierter gestaltete und Frauen erstmals im Deutschen Reich zum Studium an einer Kunstschule zuließ. Die Zahl an Studierenden stieg in den kommenden Jahren stetig an. Auf Anordnung von Wilhelm Ernst wurde die Kunstschule 1902 zudem verstaatlicht und somit auf eine finanziell sichere Grundlage gestellt. Trotz der Verstaatlichung blieb der Großherzog persönlich engagiert, unter anderen bezahlte er Gehälter von Lehrern, stiftete Stipendien und Preise. Im Jahr 1905 ließ Wilhelm Ernst, wie von Carl Alexander testamentarisch gewünscht, das Bildhaueratelier wieder gründen. Um die Bedeutung der neuen Bildhauerschule und ihres Leiters Adolf Brütt hervorzuheben, veranlasste Wilhelm Ernst, dass die Ausführung des Carl Alexander-Denkmals in Weimar „dem zur Leitung dieser Anstalt zu berufenden Künstler übertragen werden möge, sodaß das erste aus der Bildhauerschule hervorgehende Werk das Denkmal des hohen Begründers der Großherzoglichen Kunstschule sein würde“.27 24 Weimarische Zeitung Nr. 239 vom 12. Oktober 1909. 25 Ernst von Wildenbruch, Großherzog Carl Alexander. Ein Gedenkblatt zum 5. Januar 1901, Weimar 1901, S. 3 f. 26 Henry van de Velde, Geschichte meines Lebens, übersetzt und herausgegeben von Hans Curjel, München 1962, S. 196. 27 LATh–HStA Weimar, Stellvertretender Bevollmächtigter Sachsen-Weimar-Eisenach zum

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Bis zuletzt wurden in Absprache zwischen Direktor und Großherzog bedeutende Künstler an die Kunstschule berufen, darunter Ludwig von Hofmann, Sascha Schneider und Fritz Mackensen. Der Gründer der Worpsweder Künstlerkolonie übernahm nach dem Ausscheiden von Hans Olde im Jahr 1910 auch das Direktorenamt der Lehranstalt, die in diesem Jahr aus Anlass ihres 50-jährigen Bestehens vom Großherzog zur Hochschule für bildende Kunst erhobenen wurde.28 Bereits im Jahr 1903 wurde Harry Graf Kessler mit der Umstrukturierung und Leitung des Großherzoglichen Museums für Kunst und Kunstgewerbe betraut. Bis zu seiner Demission im Zuge des Rodin-Skandals im Jahr 1906 organisierte er eine Vielzahl von Ausstellungen, unter anderem von französischen Impressionisten und Neo-Impressionisten sowie bedeutenden deutschen Künstlern. 1903 gründete sich in Weimar unter der Federführung Harry Graf Kesslers zudem der Deutsche Künstlerbund, der sich für die Freiheit der Künste und gegen staatliche Repression einsetzte. Ganz in der Tradition des Hauses Sachsen-Weimar-Eisenach übernahm Wilhelm Ernst das Protektorat über die Vereinigung und 1906 wurde im Großherzoglichen Museum die 3. Ausstellung des Deutschen Künstlerbunds veranstaltet. Mit der Förderung moderner Kunstrichtungen und der Unterstützung der Künstlervereinigung begab sich Wilhelm Ernst bewusst in Opposition zu Kaiser Wilhelm II.29 Harry Graf Kesslers Rücktritt im Jahr 1906 hatte nicht nur mit der zunehmenden Kritik national-konservativer Kreise, sondern auch mit seiner Fehde mit dem Oberhofmarschall und Verwalter der Großherzoglichen Schatulle Aimé von Palézieux-Falconnet zu tun. Wilhelm Ernst vertraute seinem „väterlichen Freunde“30 allerdings weitestgehend und dessen Tod im Jahr 1907 war ein weiterer schwerer Verlust für den Großherzog. Ungeachtet dessen, dass national-konservative Kreise in Weimar seit 1906 zunehmend an Einfluss gewannen, blieb die Kulturszene in der Stadt heterogen. Bis zuletzt wurde in den Großherzoglichen Museen auch moderne Kunst gezeigt, darunter eine Ausstellung der Künstlergruppe Brücke 1910 und eine Präsentation der Neuen Künstlervereinigung München 1911.31 Bundesrat Nr. 38, o. Bl., Protokoll einer Besprechung betreffend das Carl AlexanderLandesdenkmals im Fürstenhaus Weimar, 1. März 1905. 28 Manuel Schwarz, „… eine das Leben bereichernde Episode …“. Hans Oldes Weimarer Jahre (1902–1911), in: Kirsten Baumann (Hg.) unter Mitarbeit von Christian Walda, Hans Olde. Impressionist des Nordens. Katalog zur Ausstellung auf Schloss Gottorf, Schleswig 2019, S. 112–119. 29 Tanja Moormann-Schulz, Der Deutsche Künstlerbund im Spiegel seiner Ausstellungspraxis 1903–1936, Frankfurt am Main 2017, S. 67, 75–78. 30 Weimarische Zeitung Nr. 38 vom 14. Februar 1907. 31 Gerda Wendermann, Avantgarde in der Ära nach Kessler, in: Wolfgang Holler/Gudrun Püschel/Gerda Wendermann (Hg.), Krieg der Geister. Weimar als Symbolort deutscher Kultur vor und nach 1914, unter Mitarbeit von Manuel Schwarz, Dresden 2014, S. 129.

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Bereits 1902 berief Wilhelm Ernst auf Anregung von Harry Graf Kessler und Elisabeth Förster-Nietzsche den belgischen Künstler Henry van de Velde nach Weimar, um das Kunstgewerbe im Großherzogtum zu fördern. Unter anderem beriet er die ansässigen Unternehmen und lieferte ihnen Entwürfe. Später gründete er das Kunstgewerbliche Seminar und die Großherzogliche Kunstgewerbeschule. Letztere wurde größtenteils aus der Schatulle von Wilhelm Ernst bezahlt. Einen bedeutenden Beitrag zum „Neuen Weimar“ schuf Henry van de Velde zudem durch den von Wilhelm Ernst veranlassten Bau der Gebäude für die Kunstschule und die Kunstgewerbeschule. Ab 1911 verschlechterte sich jedoch das Verhältnis zwischen dem Großherzog und dem Künstler. Im Jahr 1915 wurde die Lehranstalt geschlossen und 1917, als Angehöriger einer Nation, die mit Deutschland im Krieg stand, zunehmend unter Druck geraten, verließ der Belgier Weimar. Als Nachfolger hatte er, genau wie Fritz Mackensen, Walter Gropius ins Gespräch gebracht, mit dem auf Anordnung von Wilhelm Ernst noch während des Kriegs verhandelt wurde.32 Die neuen Ansätze in der Kulturpolitik und der deswegen erfolgte kulturelle Aufschwung des „Neuen Weimar“ wurde jahrelang sowohl in der regionalen als auch überregionalen Presse gewürdigt. Der Schriftsteller Max von Münchhausen schrieb beispielsweise 1904 in seinem Artikel über „Das neue Weimar“ in der Illustrierten Die Woche: „Ein junger und neuzeitlichem Geistesschaffen günstiger Landesherr kam zur Regierung. Der junge Großherzog […] erkannte, daß die Bedeutung des deutschen Kleinstaats im wesentlichen auf der dort betriebenen Pflege kultureller Güter ruht, daß ein Kleinstaat für die höhere Kultur der Menschheit bedeutungsvoller und größer zu sein vermag als manches Riesenreich, daß doch den Geist der Menschheit hemmt und fesselt. […] Und alle Traditionen zeigen hin auf diesen Weg. Und so begann er zu schaffen. Und seinem Antrieb und dem Anteil seiner jungen Gemahlin […] ist es sicher mit zuerst zu danken, wenn aus dem Schutt des alten Weimar jetzt ein neues steigt.“33

Zum großen Teil bezahlte Wilhelm Ernst auch den Neubau des Großherzoglichen Hoftheaters. Bei allen wesentlichen künstlerischen und technischen Fragen den von Max Littmann errichteten modernen Neubau betreffend war der Großherzog involviert. Die Eröffnung des Theaters im Januar 1908 zählt zu den Höhepunkten in der Regierungszeit von Wilhelm Ernst. Die Resonanz in der Presse war überwiegend positiv. Betont wurden die Aspekte, die dem Großherzog besonders wichtig waren und dadurch auch von der Bevölkerung wahrgenommen wurden: Verbindung von klassizistischer und moderner Gestaltung, 32 Volker Wahl, Henry van de Velde in Weimar. Dokumente und Berichte zur Förderung von Kunsthandwerk und Industrie (1902 bis 1915), Köln/Weimar/Wien 2007, S. 5–40. 33 Max Hausen (= Baron Max von Münchhausen), Das neue Weimar, in: Die Woche. Moderne illustrierte Zeitschrift (1904), H. 37, S. 1641–1645.

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Verwendung neuester Technik, Einbindung regionaler Künstler und Betriebe sowie die Finanzierung und Aufsicht des Projekts durch den Großherzog. Beispielsweise schrieb die Weimarische Landeszeitung Deutschland aus Anlass der Eröffnung: „Bei der Ausschmückung des Innern zeichneten sich nun besonders, unter steter Anteilnahme des hohen Bauherrn, hiesige Künstler von Klang und Namen, sowie eine äußerst staatliche Anzahl einheimischer Firmen rühmenswert aus […]. So steht heute der Tempel vollendet da, als ein Wahrzeichen fürstlicher Huld.“34 Das neue Großherzogliche Hoftheater war 1909, 1911 und 1913 Spielstätte für die Nationalfestspiele für die deutsche Jugend, organisiert vom Deutschen Schillerbund, über den Wilhelm Ernst das Protektorat übernahm. Die im Sommer veranstalteten Festspiele ermöglichten Schülerinnen und Schülern aus dem Deutschen Reich und einigen europäischen Ländern nicht nur ein Theaterprogramm, sondern auch den Besuch der wichtigsten kulturellen Stätten Weimars und der Umgebung. Allerdings waren die Festspiele keine gänzlich unpolitische Veranstaltung: Adolf Bartels, der spiritus rector der Spiele, war national-völkisch gesinnt und plante die Jugend in diesem Sinne zu erziehen: „Wer die Jugend hat, der hat die Zukunft. Wer die Jugend auf den richtigen Weg leitet, der sichert die Zukunft seines Volkes.“35 Für Wilhelm Ernst war die Übernahme des Protektorats damals aber mit einem Prestigegewinn verbunden: Der Großherzog konnte sich ohne großen finanziellen Aufwand als Gastgeber der Festspiele, die von weiten Kreisen im Deutschen Reich unterstützt wurden, als Schutzherr und Vermittler deutscher Kultur präsentieren. Die Rolle von Wilhelm Ernst wurde auch in der Presse entsprechend gewürdigt: „Daß aber die hohen Geisteswerke unserer Dichter in so prächtiger Weise vorgeführt werden konnten, das ist der Güte des hohen Protektors des Schillerbundes Seiner Kgl. Hoheit des Großherzogs Wilhelm Ernst zu verdanken, der getreu den Traditionen des Hauses Sachsen-Weimar sein neues, selten schönes Hoftheater in den Dienst der Sache gegeben hat.“36 Die positive Berichterstattung war vor allem deswegen wichtig, weil in der Vergangenheit Kritik am jungen Landesherr aufgekommen war: Angeblich interessiere sich Wilhelm Ernst zu wenig für das klassische Erbe Weimars. Unter anderem wurde er von Ernst von Wildenbruch in dessen Schrift Ein Wort über Weimar kritisiert,37 weil er in den Jahren 1902 und 1903 nicht zu den Veranstaltungen der Goethe-Gesellschaft erschienen war. 34 Georg Kohl, Zur Geschichte des Hoftheaterneubaues, in: Weimarische Landeszeitung Deutschland Nr. 11 vom 11. Januar 1908. 35 Adolf Bartels, Das Weimarer Hoftheater als Nationalbühne für die deutsche Jugend. Eine Denkschrift, Weimar 1905, S. 31. 36 Weimarische Zeitung Nr. 173 vom 27. Juli 1909. 37 Ernst von Wildenbruch, Ein Wort über Weimar, Weimar 1903.

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Abb. 1: Großherzog Wilhelm Ernst und Großherzogin Feodora von SachsenWeimar-Eisenach bei der Eröffnung des Flugstütz punkts Weimar, 27. Juni 1913, Foto: Louis Held Wilhelm Ernst interessierte sich als typischer Vertreter seiner Generation für Technik, Sport und Militär. Über die Kultur hinaus engagierte er sich deswegen auch auf diesen Gebieten, die Übergänge waren teilweise fließend. Beispielsweise übernahm er bereits als Erbgroßherzog im Jahr 1900 die Schirmherrschaft über den Landesverband des Deutschen Flottenvereins für das Großherzogtum Sachsen.38 Auch als Großherzog unterstützte er Veranstaltungen und Vereine, unter anderem stiftete er wertvolle Preise für die Turniere des Weimarer Lawn-Tennis-Vereins. Insgesamt war die Förderung des Sports aber weniger zielgerichtet und erfolgreich, als die von Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha. Besonderes Interesse zeigte Wilhelm Ernst ab 1909 an der Luftfahrt. Er unterstützte die Errichtung eines Luftschiff-Landeplatzes und eines Flugplatzes in Weimar. Er war nicht nur oftmals bei Flugveranstaltungen anwesend, die er finanziell förderte, sondern nahm auch persönlich an Ballon- und Luftschifffahrten teil.39 Besonders engagierte er sich als Ehrenpräsidiumsmitglied im 1912 in Weimar gegründeten Deutschen Flugverband, der von Mitteldeutschland aus im ganzen Reich Flugstützpunkte errichten wollte. In Zusammenarbeit mit dem 38 LATh–HStA Weimar, Deutscher Flottenverein – Landesverband für das Großherzogtum Sachsen Nr. 36, Bl. 108r–117v. Rückblick über die ersten 10 Jahre des Landesverbandes des Deutschen Flottenvereins für das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, Weimar 1910. 39 StadtA Weimar, Nr. I-19-28, Akten des Gemeindevorstandes der Großherzoglichen Residenzstadt Weimar betreffend Motor-Luftschifffahrt.

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Kriegsministerium sollten diese vorwiegend militärischen Zwecken dienen. Am 27. Juni 1913 wurde in Weimar der erste Flugstützpunkt im Deutschen Reich eröffnet.40 Die Presse war voll des Lobes, unter anderem erschien in der Berliner Täglichen Rundschau ein ausführlicher Bericht, der die Förderung von Wilhelm Ernst hervorhob: „Dieser Großherzog fühlt sich nicht nur als Verwalter kultureller Vermächtnisse aus alter Zeit, sondern […] steht mit beiden Füßen im modernen Leben.“41 Trotz des Engagements von Wilhelm Ernst und der Weimarer Vereine entwickelte sich das „Ilm-Athen“ allerdings nicht zu einer prosperierenden „Fliegerstadt“ wie im Fall von Gotha. Des Renommees seiner Dynastie und dessen Bedeutung für seine eigene Legitimität war sich Wilhelm Ernst sehr bewusst. Während des Ersten Weltkriegs ließ Wilhelm Ernst beispielsweise zwei dynastische Feiern veranstalten. Im Jahr 1915 wurde das 100-jährige Jubiläum der Erhebung zum Großherzogtum begangen.42 Und im Jahr 1918 war der 100. Geburtstag seines Großvaters Carl Alexander Anlass von Feierlichkeiten.43 Beide Jubiläen wurden auch deswegen zelebriert, um die Bindung zwischen Bevölkerung und Herrscherhaus in den Kriegszeiten zu stärken sowie die Existenz der durch die zunehmende Zentralisierung verstärkt unter Druck geratenen Kleinstaaten zu legitimieren. So argumentierte der Prorektor der Universität Jena Wilhelm Rein in seiner Festansprache aus Anlass der Carl-Alexander-Gedächtnisfeier im Großherzoglichen Hoftheater: „Durch das eigenartige Leben, das sie entwickeln, müssen sie auch dem größten Zweifler dartun, daß sie notwendige Glieder des größeren Ganzen sind […]. Die einzelnen Fürsten- und Regierungssitze werden zu Brennpunkten eines selbstständigen kulturellen Wirkens, das in dem Zusammenschluß nach außen das Bild reger Tätigkeit und steter Vervollkommnung darbietet.“44 Zwar hatte Wilhelm Ernst nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs bei den militärischen Stellen und sogar bei Kaiser Wilhelm II. mehrmals um ein Truppenkommando gebeten. Allerdings wurde ihm seine Bitte nicht erfüllt. Er begleitete sein Regiment dennoch an die Front und versuchte sich durch Übernahme verschiedener Tätigkeiten nützlich zu machen. Zudem unterstützte er seine Truppe durch zahlreiche Spenden. Vom Kriegsgeschehen ernüchtert, kam Wilhelm Ernst im August 1915 zur Überzeugung, dass er an der Front nicht benö40 LATh–HStA Weimar, Hofmarschallamt, Nr. 3743, Deutscher Flugverband 1911–1913. 41 Morgen-Ausgabe der Täglichen Rundschau Nr. 299 vom 29. Juni 1913. 42 LATh–HStA Weimar, Hofmarschallamt, Nr. 2738, Die Jahrhundertfeier der Annahme der Großherzoglichen Würde und des Bestehens des Großherzogtums im Jahr 1915. 43 LATh–HStA Weimar, Hofmarschallamt, Nr. 2741, Die Feier der 100. Wiederkehr des Geburtstages weil. S. K. H. des Großherzogs Carl Alexander am 24. Juni 1918. 44 Wilhelm Rein, Carl Alexander Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach. Rede gehalten am 24. Juni 1918 im Theater zu Weimar, Jena 1918, S. 3 f.

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tigt werde und kehrte im Sommer 1916 gesundheitlich angeschlagen in sein Großherzogtum zurück, um die Regierungsgeschäfte wieder zu übernehmen. Trotzdem besuchte er noch mehrmals sein Regiment an der Front.45 Trotz der Legitimationsstrategien, die sich auf verschiedene Bereiche erstreckten, konnte Wilhelm Ernst keine große Beliebtheit in der Bevölkerung erlangen. Seine schwierige Persönlichkeit mag ein entscheidender Grund gewesen sein. Immer wieder machten in Weimar Geschichten über sein Fehlverhalten die Runde, die allerdings nicht immer der Wahrheit entsprachen oder auf Missverständnissen beruhten. Beispielsweise wurde im Jahr 1914 ein von Wilhelm Ernst verwendeter Begriff aus dem Jagdjargon dahingehend interpretiert, dass er russische Kriegsgefangene erschossen habe. 1918 wurden verschiedene Versionen einer Geschichte erzählt, die besagte, der Großherzog habe einen Soldaten oder Kriegsinvaliden geschlagen.46 Immerhin erkannte der Großherzog als einer von wenigen Fürsten, dass politische Veränderungen notwendig waren: Am Vorabend der Revolution kündigte er seinen Verzicht auf seine Steuerfreiheit bei Staats- und Gemeindesteuern an. Zudem zeigte er sich für eine Demokratisierung bereit. Allerdings drohten ihm seine konservativen Staatsminister mit ihrem Rücktritt, sodass Reformen im Großherzogtum zunächst ausblieben. Am 9. November 1918 wurde er als erster der Thüringer Monarchen zur Abdankung gezwungen.47 Wilhelm Ernst empfand die Abdankung nicht als Erleichterung, sondern als vorzeitiges Ende seiner Lebensaufgabe. Gegenüber dem Sozialdemokraten August Baudert soll er am Tag des erzwungenen Thronverzichts geäußert haben: „Ich habe alles getan was ich konnte. Ich hatte noch viel Gutes vor.“48

3. Der „ewige Erbprinz“: Bernhard von Sachsen-Meiningen Im Jahr 1901, als Großherzog Wilhelm Ernst mit 25 Jahren seinen Thron bestieg, beging Bernhard von Meiningen bereits seinen 50. Geburtstag. Er wurde am 1. April 1851 als erstes Kind des damaligen Erbprinzen Georg von Sachsen-Meiningen und dessen Frau Prinzessin Charlotte von Preußen geboren. Ein gutes Verhältnis unterhielt er zu seiner einzigen Schwester Marie Elisa45 Schwarz, Zeitenwende (wie Anm. 11), S. 189 f. 46 Post/Werner, Herrscher (wie Anm. 17), S. 483. 47 Bernhard Post, Von der Fürstenzeit zur Weimarer Republik, in: Jördis Frank/Konrad Scheurmann (Hg.), Neu entdeckt. Thüringen Land der Residenzen, Essays, Mainz 2004, S. 535–538. 48 August Baudert, Sachsen-Weimars Ende. Historische Tatsachen aus sturmbewegter Zeit, Weimar 1923, S. 21.

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beth. Ein jüngerer Bruder starb im Alter von drei Jahren und auch seine leibliche Mutter verlor der junge Prinz bereits zwei Tage vor seinem vierten Geburtstag. Sie starb bei der Geburt eines Sohnes, der ebenfalls nicht überlebte. Später kamen mit Ernst und Friedrich zwei Halbbrüder hinzu, die aus Georgs zweiter Ehe mit Feodora von Hohenlohe-Langenburg stammten. Zu seiner ersten Stiefmutter unterhielt Bernhard ein gutes Verhältnis. Allerdings verstarb auch die zweite Frau seines Vaters bereits im Alter von 32 Jahren im Jahr 1872. Ähnlich wie Wilhelm Ernst hatte auch Bernhard in jungen Jahren zahlreiche Todesfälle in seinem Umfeld zu beklagen. Carl Eduards Vater Leopold starb sogar vor dessen Geburt. Für Bernhards Erziehung waren zwischen 1851 und 1858 vorwiegend seine Großeltern verantwortlich. Zu seinem Großvater unterhielt Bernhard eine enge Beziehung – ganz anders als Wilhelm Ernst zu Carl Alexander. Zudem gab es personelle und konzeptionelle Kontinuitäten zur Erziehung von Georg, unter anderem diente der Erziehungsplan von Moritz Seebeck als Richtlinie. Streitigkeiten zwischen den Großeltern und den Eltern über Fragen der Erziehung blieben dennoch nicht aus. Später übernahmen Friedrich Wilhelm Reukauf und Wilhelm Roßmann die Ausbildung.49 Die Jugendjahre des Prinzen überschnitten sich mit den Spannungen im Deutschen Bund zwischen Preußen und Österreich, die im Jahr 1866 schließlich eskalierten. Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen war in den Jahren zuvor zunächst ein Sympathisant Preußens, anschließend lange Zeit ein Unterstützer Österreichs gewesen. Zuletzt hatte sich aber auch das Verhältnis zur Donaumonarchie abgekühlt. Im Deutschen Krieg von 1866 stand Bernhard II. dennoch auf Seiten des Kaiserreichs, sodass das Jahr 1866 auch für Sachsen-Meiningen große Veränderungen mit sich brachte: Weil sich der Herzog gegenüber Preußen bis zuletzt unnachgiebig zeigte, wurde er von Otto von Bismarck und König Wilhelm I. zur Abdankung zu Gunsten seines Sohnes Georg gezwungen. Der Konflikt zwischen den Großmächten zog sich auch durch die herzogliche Familie, denn im Gegensatz zu seinem Vater wollte der Erbprinz als preußischer Offizier am Krieg teilnehmen. Die Haltung Georgs, zumal einst mit Prinzessin Charlotte von Preußen verheiratet, war wohl mitverantwortlich, dass Meiningen, im Gegensatz zu anderen Staaten, nicht vom Sieger einverleibt wurde. Sein Sohn Bernhard stand im Zuge des Wechsels somit an erster Stelle der Thronfolge.50 Aber weil Georg im Jahr 1866 erst 40 Jahre alt war, schien ein erneuter Thronwechsel in naher Zukunft unwahrscheinlich. Bernhard musste sich deswegen vorerst nach anderen Tätigkeiten und Aufgaben umsehen. Zunächst besuchte er 49 Alfred Erck/Hannelore Schneider, Georg II. von Sachsen-Meiningen. Ein Leben zwischen ererbter Macht und künstlerischer Freiheit, Meiningen/Zella-Mehlis 1997, S. 128– 131. 50 Ebd., S. 148–159.

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ab 1869 die Universität in Heidelberg und widmete sich dem Studium der Philologie. Im Gegensatz zu Wilhelm Ernst und Carl Eduard, die sich damit begnügen mussten, in wenigen Semestern in Vorbereitung auf ihre zukünftige Rolle als Landesherr grundlegende Kenntnisse zu erlernen, konnte sich Bernhard aufgrund des voraussichtlich langen Daseins als Erbprinz dem Studium der ihm geliebten Philologie widmen. Sein Studium unterbrach Bernhard kurzzeitig, um am Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 als Ordonnanzoffizier teilzunehmen. Anschließend widmete er sich erneut dem Studium der Philologie, dieses Mal an der Universität in Leipzig. Griechenland blieb er Zeit seines Lebens verbunden: Er besuchte in den nächsten 20 Jahren mehrmals das Land und Kleinasien, besichtigte Ausgrabungen, tauschte sich mit Archäologen aus, die er zudem bei ihrer Arbeit unterstützte, übersetzte neugriechische Dichtungen ins Deutsche und deutsche Klassiker ins Griechische. Für seine Verdienste auf dem Gebiet der Philologie wurde er unter anderem vom Deutschen Archäologischen Institut 1892 zum Ehrenmitglied ernannt und im Jahr 1912 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Breslau.51 Die Begeisterung insbesondere für das antike Griechenland war typisch für die Monarchen seiner Generation: „Politische Macht in Verbindung mit frühgeschichtlichen Ausgrabungen stellten im 19. Jahrhundert die nobelste Form der Herrschaft dar.“52 Nach dem Studium entschied sich der Erbprinz für eine Karriere beim Militär und trat 1873 zur militärischen Ausbildung in das Garde-Füsilier-Regiment der preußischen Armee in Berlin ein. Zwar galt Bernhard als militärisches Talent und eignete sich kriegswissenschaftliche Kenntnisse an. Der rasante Aufstieg in den nächsten Jahren hatte trotzdem in erster Linie mit seiner adligen Herkunft und seiner Verbindung zum Kaiserhaus zu tun.53 Für Wilhelm Ernst und Carl Eduard schied ein dauernder Dienst beim Militär dagegen aus. In Anbetracht dessen, dass beide zügig auf ihre Rolle als Landesherren vorbereitet werden mussten, blieb keine Zeit. Deswegen konnten beide im Ersten Weltkrieg ihre Regimenter auch nur an die Front begleiten. Herzog Ernst II. von Sachsen-Altenburg war eine Ausnahme: Er diente über mehrere Jahre im preu­ ßischen Heer, unter anderem beim Generalstab, und erhielt im Ersten Weltkrieg ein Truppenkommando. Als erster Bundesfürst wurde ihm der Orden Pour le Mérite verliehen. Erst 1916 schied er aus gesundheitlichen Gründen endgültig aus dem Dienst aus.54 In Berlin machte Erbprinz Bernhard die Bekanntschaft mit dem preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm und dessen Frau Victoria. Der Umgang mit dem Paar bescherte Bernhard auch privates Glück: Charlotte von Preußen, die 51 Vgl. dazu den Beitrag von Stephan G. Schmid in diesem Band. 52 Friedrich Rothe, Harry Graf Kessler. Biographie, München 2008, S. 17. 53 Vgl. dazu den Beitrag von Eberhard Pfister in diesem Band. 54 Schwarz, Zeitenwende (wie Anm. 11), S. 190.

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älteste Tochter der beiden, verliebte sich in den Meininger Erbprinzen und machte ihm einen Heiratsantrag. Die Ehe sollte der selbstbewussten Prinzessin zudem ermöglichen, sich dem Einfluss des Elternhauses zu entziehen. Die Art der Verlobung stieß am Berliner Hof zwar auf Irritationen, aber mit der Wahl Charlottes waren die Eltern einverstanden. Das Kronprinzenpaar besaß keine gute Meinung von der eigenen Tochter und glaubte, dass Bernhard positiv auf sie einwirken werde. Am 18. Februar 1878 heiratete das junge Paar in Berlin. Auch Bernhards Vater hatte sich im Jahr 1873 erneut vermählt – zur Empörung adliger Kreise allerdings mit der bürgerlichen Schauspielerin Ellen Franz. Auch der Erbprinz zeigte sich mit der Wahl seines Vaters und dem Zeitpunkt, nur ein Jahr nach dem Tod seiner Stiefmutter, nicht einverstanden. Die Beziehungen zwischen Berlin und Meiningen verschlechterten sich auch deswegen wieder deutlich. Die kaiserliche Familie, der Bernhard angehörte, entzog den Erbprinzen und seine Frau zunehmend dem Einfluss des Herzogs von Meiningen. Georg II. verfolgte die Entwicklung mit Unbehagen und von seiner Schwiegertochter besaß er zeitlebens keine gute Meinung. Nicht nur galt Charlotte als schwieriger Charakter, sie litt zudem an der in ihrer Familie verbreiteten Erbkrankheit Porphyrie. Zwar wussten die Eltern um den komplizierten Charakter und die schlechte gesundheitliche Verfassung ihrer Tochter, verschwiegen diese Umstände jedoch gegenüber ihrem Schwiegersohn. Im Gegensatz zu den Frauen von Wilhelm Ernst, Carl Eduard und Ernst II. entsprach die preußische Prinzessin zudem gar nicht dem Idealbild einer Landesmutter. Dass sie nach der Geburt der Tochter Feodora, vermutlich aus gesundheitlichen Gründen, keine weiteren Kinder gebar, war nur ein Grund. Auch aufgrund ihres selbstbewussten, gar überheblichen Auftretens, sowie der Betonung ihrer preußischen Herkunft erfreute sie sich in der Meininger Bevölkerung keiner großen Beliebtheit.55 Außerdem emanzipierte sie sich bereits im Alter von 16 Jahren von ihrem Elternhaus und genoß das gesellschaftliche Leben in vollen Zügen – zahlreiche außereheliche Affären wurden ihr nachgesagt.56 In den 1890er Jahren geriet Charlotte deswegen in den Sog der „Kotze-Affäre“. Mitglieder der Hofgesellschaft und der Familie des Kaisers wurden in anonymen Schreiben sexueller Ausschweifungen beschuldigt. Bis heute ist nicht geklärt, wer der oder die Urheber der Briefe waren. Wolfgang Wippermann vertritt in seinem 2010 erschienen Buch über die „Kotze-Affäre“ die These, dass Herzogin Charlotte als Urheberin der Briefe zumindest in Frage komme.57 Ihr modischer Kleidungsstil und Kurzhaarschnitt sowie ihre Begeisterung für Sport und Technik, unter anderem 55 Erck/Schneider, Georg II. (wie Anm. 49), S. 277–281. 56 John C. G. Röhl, Wilhelm II. Der Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888–1900, München 2001, S. 708. 57 Wolfgang Wippermann, Skandal im Jagdschloss Grunewald. Männlichkeit und Ehre im deutschen Kaiserreich, Darmstadt 2010.

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lernte sie im Sommer 1898 ungeachtet der Kritik der Kaiserin Radfahren, zeugen von ihrer Modernität.58 Besonders begeisterte sie sich für den Automobilismus und besaß mehrere Fahrzeuge. Sie war Ehrenmitglied einiger Automobil-Clubs im Deutschen Reich, dem Schlesischen Automobil-Club in Breslau stand sie sogar als Protektorin vor.59

Abb. 2: Herzog Bernhard III., nach 1914, Foto: unbekannt Zum Zeitpunkt der Vermählung von Bernhard und Charlotte setzten die anglophilen und liberalen Kreise in Deutschland gewisse Hoffnungen in das Paar, entstammten doch beide einem liberal gesinnten Elternhaus. Allerdings wurden diese Hoffnungen nicht erfüllt: Bernhard und Charlotte zählten bald zu den Kriegsbefürwortern. Die national-konservativen Kreise in Berlin und das Offi58 Röhl, Der Aufbau (wie Anm. 56), S. 713. 59 Gustav Braunbeck (Hg.), Braunbeck’s Sport-Lexikon. Automobilismus, Berlin 1994 (Neudruck der Ausgabe von 1910), S. 347–357, 606.

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zierskorps, dem Bernhard angehörte, übten scheinbar einen großen Einfluss auf das politische Denken der beiden aus, das bald ganz im Gegensatz zu den liberalen Ansichten der Eltern stand.60 Innenpolitisch vertrat Bernhard konservative bis reaktionäre Positionen: Er verachtete Sozialdemokraten, Liberale, Katholiken und den Parlamentarismus im Allgemeinen. Aber auch das Verhältnis zu seinem Schwager, dem seit 1888 regierenden Kaiser Wilhelm II., verschlechterte sich zunehmend. Bereits 1892 und 1893 gab es erste Konflikte, sodass der Erbprinz mit dem Abschied aus der Armee drohte. Doch als sein Schwager ihm überraschend die Führung der 22. Division anbot, akzeptierte Bernhard und siedelte mit Charlotte nach Meiningen über. Das Verhältnis zwischen dem Erbprinzenpaar und dem Kaiser blieb dennoch angespannt. Umso überraschender erfolgte die erneute Beförderung 1895 zum Kommandierenden General des VI. Armeekorps in Breslau.61 Charlotte schrieb ihrer Schwiegermutter Ellen Franz: „Nie zuvor habe ich meinen Mann so voller Freude & so wild gesehen! Ein Traum ist in Erfüllung gegangen und was für eine herrliche Zukunft in jeder Beziehung!“62 Im Offizierskorps wurde die Beförderung dagegen kritisch gesehen. Generalfeldmarschall Alfred von Waldersee vertraute seinem Tagebuch an, dass „wenn nun aber die kleinen Prinzlichkeiten solche Vortheile haben, so ist dies für die Armee ein Schlag ins Gesicht; […] u. außerdem was sind diese Prinzen […] für traurige Gesellen. Der Meininger ist vielleicht noch der beste, er hat doch aber auch seine erheblichen Schwächen“.63 Trotz der Beförderung blieb das Verhältnis sowohl zum Kaiser als auch zur Kaiserin schwierig. Als sich Auguste Victoria im Oktober 1896 brieflich an ihre Schwägerin wandte und in Privatangelegenheiten einmischte, drohten Bernhard und Charlotte erneut mit dem vollständigen Rückzug nach Meiningen. Dass Hofmarschall Karl-August Freiherr Roeder von Diersburg von seiner Frau verlassen worden war, hatte Gerüchte über eine Affäre des Angestellten mit der Erbprinzessin angeheizt und den Streit ausgelöst.64 Im Jahr 1903 erfolgte der endgültige Bruch zwischen Bernhard und dem Kaiser: Der Erbprinz hatte einen Befehl gegen Soldatenmisshandlungen durch Vorgesetzte erlassen. Unter Umgehung des eigentlichen Instanzenwegs sollte die Beschwerde direkt dem Generalkommando gemeldet und bei gerechtfertigter Beschwerde der Soldat zu einem anderen Truppenteil versetzt werden. Der Befehl Bernhards wurde formell jedoch wieder zurückgenommen. Weil das darauffolgende Abschiedsge60 Erck/Schneider, Georg II. (wie Anm. 49), S. 278–283. 61 Röhl, Der Aufbau (wie Anm. 56), S. 710 f. 62 Schreiben von Erbprinzessin Charlotte von Sachsen-Meiningen an Ellen Freifrau von Heldburg vom 25. März 1895, zitiert nach ebd., S. 711. 63 Alfred von Waldersee, Tagebucheintrag vom 24. März 1895, zitiert nach ebd. 64 Ebd., S. 712 f.

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such Bernhards zu großes öffentliches Aufsehen erregte, wurde der Erbprinz anschließend auf den Posten des Armeeinspekteurs der II. Armeeinspektion „befördert“. Seinen endgültigen Abschied erhielt der 1909 zum Generaloberst im Rang eines Generalfeldmarschalls ernannte Herzog im Jahr 1912.65 Der Erbprinz und seine Frau zeigten sich deswegen schwer enttäuscht.66 Als Bernhard 1903 in der preußischen Armee aufs Abstellgleis geriet, regierte im Herzogtum Sachsen-Meiningen noch immer sein Vater. Mit zunehmendem Alter konnte Georg  II. allerdings weniger Repräsentationspflichten wahrnehmen, sodass ihn Bernhard bei Veranstaltungen vertrat, zum Beispiel gemeinsam mit seinem Halbbruder Ernst bei der Einweihung des neuen Hauptgebäudes der Universität in Jena am 31. Juli und 1. August 1908.67 Zudem unternahmen Bernhard und Charlotte Reisen durch ihr zukünftiges Herzogtum und das Deutsche Reich, bevorzugt mit dem Automobil. Das Erbprinzenpaar war sich allerdings scheinbar bewusst, dass der äußere Schein trog. Als wahrer Kulturpessimist erscheint Bernhard, wenn er gegenüber General Colmar Freiherr von der Goltz „die allgemeine Verweichlichung, die Überfüllung der Städte und die Entvölkerung des platten Landes, der unmäßige Alkoholgenuß, die überall angelegten elektrischen und sonstigen Bahnen, welche dem Menschen das Gehen abgewöhnen, die Friedenssüchtigkeit, die von Oben bis Unten Allen und Jeden, von der Schule an, eingebläut wird“ kritisiert. Aufgrund dieser Umstände und der seiner Meinung nach unfähigen Heeresleitung um den Kaiser, fällte er ein vernichtendes Urteil über einen zukünftigen Krieg: „Nein ich sehe schwarz, sehr schwarz in die Zukunft und die Nation durch ein Meer von Tränen und Blut durchgehen.“68 Auch die Meininger Erbprinzessin machte sich Sorgen, unter anderem wegen der stetigen Stimmenzuwächse der Sozialdemokraten bei den Wahlen und der Persönlichkeit ihres Bruders, wie Charlotte ihrem Arzt Ernst Schweninger anvertraute: „S. M. hält sich für unfehlbar […] u. ich […] kann nicht aufhören, ernst u. schwarz in die Zukunft unserer Deutschen politischen dynastischen u. Reg.-Verhältnisse zu sehen.“69 Sie dachte sogar darüber nach, den Prinzregenten von Bayern zu bitten, zusammen mit den 65 Erck/Schneider, Georg II. (wie Anm. 49), S. 283 f. 66 Schreiben von Erbprinzessin Charlotte von Sachsen-Meiningen an Ernst Schweninger vom 23. November 1912, zitiert nach John C. G. Röhl, Wilhelm II. Der Weg in den Abgrund 1900–1941, München 22009, S. 951. 67 LATh–HStA Weimar, Hofmarschallamt, Nr. 1582b, Feier des 350jährigen Bestehens der Universität zu Jena, Bl. 15r. Schreiben des Hofmarschallamts an den Jenaer Oberbürger­ meister Heinrich Singer vom 23. Juli 1908. 68 Schreiben von Erbprinz Bernhard von Sachsen-Meiningen an Colmar Freiherr von der Goltz vom Februar 1902, zitiert nach Carl Alexander Krethlow, Generalfeldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz Pascha. Eine Biographie, Paderborn 2012, S. 389. 69 Schreiben von Erbprinzessin Charlotte von Sachsen-Meiningen an Ernst Schweninger vom 18. November 1908, zitiert nach Röhl, Der Weg (wie Anm. 66), S. 735.

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Abb. 3: Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha und Erbprinz Johann Leopold, nach 1906, Foto: Eduard Uhlenhuth übrigen Bundesfürsten ihren Bruder zu überzeugen, die Probleme des Deutschen Reichs gemeinsam zu lösen.70 Derweil musste der inzwischen über 50-jährige Bernhard erleben, wie sich auch in den anderen beiden ernestinischen Staaten in Thüringen die Thronwechsel vollzogen und deutlich jüngere Monarchen als er an die Herrschaft gelangten: 1905 bestieg der 21-jährige Carl Eduard den Thron in Sachsen-Coburg und Gotha, 1908 folgte der 36-jährige Ernst II. auf seinen verstorbenen Onkel Ernst I. in Sachsen-Altenburg. Der gebürtige Engländer Carl Eduard äußerte sich im Jahr seines Regierungsantritts in einem Interview deutlich optimistischer als Bernhard: „Ich freue mich auf die Zukunft!“71 Als an technischen Neuerungen interessierter Monarch war er unter anderem für den Aufschwung Gothas als „Fliegerstadt“ verantwortlich.72 Oberhof im Thüringer Wald entwi70 Ebd., S. 720. 71 August Trinius, Beim jüngsten Bundesfürsten Deutschlands, in: Die Woche. Moderne illustrierte Zeitschrift (1905), H. 30, S. 1305–1311, hier S. 1305. 72 Paul Herbert Winter (Hg.), Gotha als Fliegerstadt in der Vergangenheit. Luftschiffhalle,

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ckelte sich auch dank seiner Zuwendungen zu einem prosperierenden Wintersportort. Der Herzog betrieb selbst verschiedene Sportarten, darunter Bob­ sleighfahren und Golf.73 Zugleich legte Carl Eduard größten Wert auf die dynastische Tradition und veranlasste beispielsweise den umstrittenen Aus- und Umbau der Veste Coburg zur „Luther-Veste“ als dynastisch-protestantischen Erinnerungsort.74 Der spätere Parteigänger Adolf Hitlers regierte bereits als Herzog konservativ und vertrat politisch rechte Positionen, unter anderem war er Mitglied im Reichsverband gegen die Sozialdemokratie.75 Herzog Ernst II. von Sachsen-Altenburg widmete sich – ganz nach seinen privaten Interessen – vor allem dem Theater, den Wissenschaften und der Fliegerei. Er war ein sportlicher Fürst, besaß das Patent eines Ballonführers und war unter anderem Präsident des Kaiserlichen Aero-Clubs in Berlin.76 Im Jahr 1910 unternahm er auf einer umgebauten Segeljacht eine private Expedition in noch unerforschtes Gebiet auf Spitzbergen (Abb. 4).77 Obwohl um einiges älter als seine drei ernestinischen Verwandten, teilte Bernhard einige ihrer Interessen für neuere Erfindungen und Entwicklungen, für die sein Vater vermutlich weniger Verständnis zeigte. Unter anderem trat Bernhard 1912 als Erbprinz in das Ehrenpräsidium des Deutschen Flugverbands ein und nicht, wie bei den übrigen mitteldeutschen Mitgliedsstaaten, der regierende Monarch. Mit dem Engagement war eigentlich die zügige Errichtung eines Flugstützpunkts in Meiningen verbunden. Aber im Gegensatz zu den Residenzen Weimar, Altenburg, Coburg und Gera sowie einiger anderer Städte im Deutschen Reich, wurde das Vorhaben nicht mehr umgesetzt. Im Laufe des Ersten Weltkriegs stellten sich die Flugstützpunkte zudem als wenig nützlich heraus. Trotzdem blieb Bernhard der Fliegerei verbunden: Als der Deutsche Flugverband im Jahr 1916 mit dem Deutschen Luftflotten Verein vereint wurde, gehörte er zu

Waggonfabrik, F. E. A. 3 Herzog Carl Eduard-Fliegerschule, Gotha (um) 1920. 73 Max Erhardt, Die Entwicklung des Wintersports im Thüringer Walde. Festschrift zum 24. Geburtstage Seiner Königlichen Hoheit des Herzogs Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha am 19. Juli 1908, Gotha 1908. 74 Klaus Weschenfelder, Die Lutherveste. Luthermemoria in Coburg zwischen Volk und Fürst, in: Evamaria Brockhoff/Fabian Fiederer/Alexandra Franz/Constantin Groth/ Peter Wolf (Hg.), Ritter, Bauern, Lutheraner, Darmstadt 2017, S. 98–107. 75 LATh–StA Gotha, Geheimes Kabinett, Nr. 56, Reichsverband gegen die Sozialdemokratie 1910–1918. 76 Gustav Braunbeck (Hg.), Braunbeck’s Sport-Lexikon, Luftschiffahrt, Berlin 1910, S. 132, 175. 77 Cornelia Lüdecke/Kurt Brunner (Hg.), Von A(ltenburg) bis Z(eppelin). Deutsche Forschung auf Spitzbergen bis 1914. 100 Jahre Expedition des Herzogs Ernst II. von Sachsen-Altenburg, Neubiberg 2012.

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Abb. 4: Herzog Ernst II. von Sachsen-Altenburg auf Spitzbergen, 1911, Foto: unbekannt lediglich drei mitteldeutschen Bundesfürsten, die sich auch dem Deutschen Luftflotten Verein als Schirmherren anschlossen.78 Mit dem Tod des „Theaterherzogs“ Georg II. am 25. Juni 1914 ging auch in Meiningen, später als anderswo, endgültig eine Epoche zu Ende. Der „ewige Erbprinz“ bestieg als Bernhard III. im Alter von 63 Jahren den Thron. Unter normalen Umständen wären ihm noch einige Jahre als Herzog geblieben, in denen er sich um sein Land hätte verdient machen und größere Projekte umsetzen können. Doch als sein Vater am 28. Juni 1914 auf dem Friedhof in Meiningen beigesetzt wurde, ereignete sich in Sarajevo das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Frau Sophie, das die „Juli-Krise“ und vier Wochen später den Beginn des Ersten Weltkriegs auslöste. Zunächst schien der Konflikt 78 StadtA Weimar, Nr. I-19-28, Akten des Gemeindevorstandes der Großherzoglichen Residenzstadt Weimar betreffend Motor-Luftschifffahrt.

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keine existenzielle Bedrohung darzustellen und die Zustimmung in der Bevölkerung zur Monarchie war ungebrochen. Doch bereits in den ersten Wochen verlor das Haus Sachsen-Meiningen zwei seiner Angehörigen: Bernhards Halbbruder Friedrich und dessen Sohn Ernst starben in Frankreich.79 Überdies erfolgte ein Jahr später ein materieller Verlust, der verdeutlichte, dass in diesem Krieg keine Rücksicht mehr auf dynastische Befindlichkeiten genommen wurde: Nach dem Kriegseintritt Italiens wurde 1915 die im Besitz des Hauses Sachsen-Meiningen befindliche „Villa Carlotta“ am Comer See zunächst unter staatliche Aufsicht gestellt und 1927 endgültig in den Besitz des italienischen Staates überführt.80 Bernhard III. glaubte nach Ausbruch des Kriegs zunächst, dass er ein Truppenkommando erhalten oder einem Stab zugeteilt werden würde – wurde aber genau wie Großherzog Wilhelm Ernst enttäuscht. Dennoch übergab Bernhard III. wenige Monate nach Kriegsbeginn die Regierungsgeschäfte an die Herzogin und ging an die Front, um das Meininger Regiment zu besuchen. Wie den meisten Bundesfürsten blieben dem Herzog vor allem repräsentative Aufgaben. Im Austausch mit Vertrauten, zum Beispiel Wilhelm Ernst und Feodora, wurde Kritik an der Kriegsführung geäußert.81 Im Jahr 1918 wurden auch in den Thüringer Staaten die Rufe nach politischen Veränderungen erhoben. Zudem wurde die Vereinigung der Einzelstaaten zu einem Land Thüringen diskutiert. Im Juni 1918 trafen sich deswegen bereits die Landtagspräsidenten der Einzelstaaten und verständigten sich, eine Vereinigung unter der Souveränität der Fürsten anzustreben.82 Aufgrund der Ereignisse der nächsten Monate war dieser Plan schließlich obsolet. Die militärische Niederlage schien unabwendbar und auch die politische Situation im Deutschen Reich spitzte sich zu. Der Vertreter des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach im Bundesrat Arnold Paulssen schrieb bereits am 12. Oktober 1918 in einem Bericht, dass man „in sehr ernsthaften bürgerlichen Kreisen […] beinahe sicher mit revolutionärer Bewegung“83 rechne. Als der neue Reichskanzler Prinz Max von Baden zur Rettung der Monarchie die Abdankung des Kaisers erwog und die Stellungnahme der Bundesfürsten erbat, waren die Ernestiner geteilter Meinung: Für eine Abdankung sprachen sich Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach und Ernst II. von Sachsen-Altenburg aus. Carl Eduard von Sach79 Post/Werner, Herrscher (wie Anm. 17), S. 486. 80 Axel Schneider, Der Herzog und die „Königin des Lario“. Zur „Villa Carlotta“ am Comer See, in: Siegfried Seifert (Hg.), Animo Italo-Tedesco. Studien zu den Italien-Beziehungen in der Kulturgeschichte Thüringens, Bd. 2, Weimar 1997, S. 90–130, hier S. 116 f. 81 Post/Werner, Herrscher (wie Anm. 17), S. 484. 82 Post, Fürstenzeit (wie Anm. 47), S. 535. 83 Lagebericht von Arnold Paulssen aus Berlin vom 12. Oktober 1918, zitiert nach Lothar Machtan, Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen, München 2016, S. 190.

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sen-Coburg und Gotha war dagegen. Als Schwager des Kaisers war Bernhard III. zunächst nicht angefragt worden. Erst auf Vermittlung von Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein wurde auch der Herzog von Sachsen-Meiningen um seine Meinung gebeten. Tatsächlich stimmte Bernhard III. einer Abdankung des Kaisers zu.84 Die jahrelange Unzufriedenheit mit dem Staatsoberhaupt und die persönlichen Probleme, die er mit Wilhelm II. besaß, dürften ihm seine Zustimmung erleichtert haben. Im Gegensatz zu Sachsen-Weimar-Eisenach und Sachsen-Altenburg wurden in Sachsen-Meiningen am Vorabend der Revolution aber keine Versuche mehr unternommen, durch politische Reformen und personelle Veränderungen Einfluss auf die revolutionären Ereignisse zu nehmen.85 Auch von Bernhard III. sind keine Konzepte zur Überwindung der politischen Krise bekannt. Im Gegenteil: Vielmehr vertrat der Herzog die Ansicht, dass die Zusammenarbeit mit Parteivertretern und die angestrebte Parlamentarisierung nur ein notwendiges Übel seien, wie der Herzog einer Bekannten am 9. Oktober 1918 schrieb: „So unsympathisch uns auch das Pactiren mit der Demokratie ist, es musste sein und war nicht zu ändern.“86 Am 10. November gründete sich schließlich auch in Meiningen ein Arbeiterund Soldatenrat. Eine Demonstration mit circa 3.000 Teilnehmern zog zum Erbprinzenpalais. Am Abend unterzeichnete Herzog Bernhard III. die Abdankungserklärung, die ihm von einer 40-köpfigen Delegation vorgelegt wurde.87 Einen Tag nach Wilhelm Ernst, aber noch wenige Tage vor Ernst II. und Carl Eduard wurde Bernhard zum Regierungsverzicht gezwungen.

4. Resümee Die Novemberrevolution hatte die Abdankung aller Fürsten im Deutschen Reich zur Folge – ungeachtet ihrer Beliebtheit und Verdienste. Zwar genoss die Monarchie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in weiten Kreisen der Bevölkerung hohes Ansehen.88 Der rapide Legitimitätsverlust des Kaisers, vor allem in den letzten Wochen des Ersten Weltkriegs, zog allerdings auch die Bundesfürsten mit in den Abgrund, weil sie von vielen Menschen nicht mehr als eigenständige, sondern nur noch als vom Kaisertum „abgeleitete“ Monarchien wahrgenom-

84 Ebd., S. 221. 85 Post, Fürstenzeit (wie Anm. 47), S. 535. 86 Schreiben von Herzog Bernhard III. von Sachsen-Meiningen an Margot Geyer vom 9. November 1918, zitiert nach Machtan, Die Abdankung (wie Anm. 83), S. 177. 87 Vgl. dazu den Beitrag von Andrea Jakob in diesem Band. 88 Kroll, Geburt (wie Anm. 6), S. 21 f.

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Manuel Schwarz

men wurden.89 Vergangene Verdienste der einzelnen Fürsten waren für die Revolutionäre zudem nicht von Bedeutung. Im Gegensatz zu Wilhelm Ernst, Carl Eduard und Ernst II. war es Bernhard III. aber gar nicht erst möglich gewesen, sich Lorbeeren als regierender Fürst zu erwerben. Aufgrund der langen Regierungszeit seines Vaters musste er sich bis 1914 anderen Tätigkeiten widmen. Seine zunächst steile Karriere beim Militär, die er vorwiegend seiner Herkunft und seinen Beziehungen zum Kaiserhaus verdankte, endete allerdings abrupt, auch weil er keine Unterstützung mehr von seinem Schwager erhielt, mit dem er sich zerstritten hatte. Ein Blick auf Bernhards Interessen und Anschauungen zeigt, dass er sich zwischen den Generationen bewegte: Das Interesse an der Luftfahrt teilte er mit der jungen Generation der ernestinischen „Übergangsfürsten“, seine Begeisterung für Griechenland ist dagegen typisch für die Monarchen des 19. Jahrhunderts. Mit Charlotte von Preußen war Bernhard mit einer in manchen Bereichen durchaus modernen Frau verheiratet. Politisch vertraten jedoch beide national-konservative bis reaktionäre Positionen. Bernhard war weder von den liberalen Ansichten seines Vaters geprägt, noch tolerierte er neue oder ihm fremde Anschauungen, wie das beispielsweise beim jüngeren Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein der Fall war. Eine Kulturpolitik, die im Gegensatz zu den Ansichten des Kaisers stand, wie von Ernst Ludwig und Wilhelm Ernst betrieben, wäre bei Bernhard schwer vorstellbar gewesen. Zwar ging er am Vorabend der Revolution auf Distanz zu Wilhelm II., aber die Parlamentarisierung im Zuge der Oktoberreformen war in seinen Augen nur ein notwendiges Übel. Sein ausgeprägtes dynastisches Verständnis, der zunehmende Nationalismus seit 1870/71 sowie der ständige Umgang mit den tendenziell national-konservativ bis reaktionär gesinnten preußischen Offizieren und Berliner Kreisen hatten seine Weltanschauung scheinbar zu stark geprägt.

89 Stefan Gerber, Die kleinstaatliche Monarchie im späten Kaiserreich und in der Revolution 1918/19. Einleitung, in: Ders. (Hg.), Ende der Monarchie (wie Anm. 11), S. 7–37, hier S. 30.

Eberhard Pfister

Bernhard III. von Sachsen-Meiningen: Der Militär

In der lokalen Historiographie kann man hin und wieder von einer „glänzenden“ Militärkarriere Bernhards III. von Sachsen-Meiningen lesen. Folgt man der militärischen Laufbahn, ist man erstaunt ob der schnellen und steilen Sprünge in dieser in erstaunliche Höhen der militärischen Ränge reichenden Karriere, der man äußerlichen Glanz nicht absprechen kann.1 Wenn man jedoch etwas näher hineinschaut, scheint sich der Glanz doch immer mehr zu verdunkeln. Zunächst hatte Bernhard III. aufgrund der Tatsache, dass er als Erbprinz von Sachsen-Meiningen, also einem Bundesstaat des neugegründeten Deutschen Reiches – sein Vater Georg II. ist Reichsfürst – gegenüber seinen Offizierskameraden von vornherein eine privilegierte Stellung inne. Während der „übliche“ Werdegang eines Offiziersbewerbers in der preußischen, später kaiserlichen Armee zunächst über einen halbjährigen Truppendienst als Soldat, dann eine eineinhalb- bis zweijährige Ausbildung an einer Kriegsschule (Offiziersschule) mit Ernennung zum Leutnant verlief, wurde Bernhard dieser Dienstgrad durch Erlass einfach zuerkannt. Die üblichen Laufzeiten in den Dienstgraden – vom Leutnant über den Oberleutnant zum Hauptmann in der Regel zehn Jahre, vom Hauptmann zum Major nochmals 15 Jahre – trafen für ihn ebenfalls nicht zu, wie aus seiner unten dargelegten Laufbahn leicht abzulesen ist. 1

Übersicht der verwendeten Literatur: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648– 1939, Bd. 3, Abschnitt V: Von der Entlassung Bismarcks bis zum Ende des Ersten Weltkrieges 1890–1918, hg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt durch Friedrich Forstmeier, München 1979; Günter Wegner, Stellenbesetzung der deutschen Heere 1815–1939, Bd. 1: Die höheren Kommandostellen 1815–1939, Osnabrück 1990; Ders., Die Stellenbesetzung der aktiven Infanterie-Regimenter sowie Jäger und MG-Bataillone, Wehrbezirkskommandos und Ausbildungsleiter von der Stiftung bzw. Aufstellung bis 1939, Osnabrück 1992; Rangliste der Königlich Preußischen Armee und des XIII. (Königlich Württembergischen) Armeekorps für 1911. Mit den Dienstalterslisten der Generale und der Stabsoffiziere und einem Anhang enthaltend das Reichsmilitärgericht, die Marine-Infanterie, die Kaiserlichen Schutztruppen, die Gendarmerie-Brigade in Elsaß-Lothringen, Nach dem Stande vom 1. Mai 1911, hg. vom Kriegsministerium/Geheime Kriegskanzlei, Berlin 1911; Die Generale der Königlich Preußischen Armee von 1840–1890, zusammengestellt von Bogislaw von Kleist, Hannover 1891; Historische Rang- und Stammliste des deutschen Heeres, bearbeitet von Claus von Bredow, Berlin 1905.

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Einen bedeutenden Sprung in seiner Karriere vollzog Bernhard mit seiner Heirat (1878) mit Charlotte von Preußen, einer Schwester des (zukünftigen) Kaisers Wilhelm II., die ihn zum Mitglied der kaiserlichen Hofgesellschaft aufsteigen ließ. Fortan wurde der Erbprinz in Militärkreisen stets als „Schwager des Kaisers“ tituliert. Seine weiteren Beförderungen und Ernennungen, aber auch ein gewisser Bruch in diesem Aufstieg und letztendlich seine Nichtberücksichtigung als Oberbefehlshaber einer Armee zu Beginn des Ersten Weltkrieges sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Innerhalb der Armee führte diese Protektion natürlich zu großem Unmut, zumal seine Beförderungen und Ernennungen in hohe und höchste Führungspositionen, auch in den Großen Generalstab, erfolgten, ohne dass er – wie es für solche Positionen erforderlich gewesen wäre – eine Kriegsakademie (ein zweibis dreijähriges Studium der Militärwissenschaft) absolvierte. Da in der lokalen Historiographie zu Bernhards militärischen Leistungen zuweilen überhöhte Ansichten vertreten werden, soll durch die folgende Laufbahn-Darstellung ein Beitrag zur Erhellung dieser Seite seiner Persönlichkeit geleistet werden. Folgende Angaben konnten den unten angeführten Quellen entnommen werden: 1867, 01. November zum Seconde-Lieutenant à la suite des 6. Thüringischen Infanterie-Regiments Nr. 95 (II. Bataillon in Hildburghausen) ernannt. 1870, 16. Juli bis 25. August Ordonnanz-Offizier beim 6. Thüringischen Infanterie-Regiment Nr. 95 1870, 25. August bis 31. Dezember kommandiert als Ordonnanz-Offizier zur 4. Kavallerie-Division (Kommandeur: Prinz Albrecht von Preußen – sein Großvater mütterlicherseits) 1872, 09. März Beförderung zum Premier-Lieutenant 1873, 23. September dem Garde-Füsilier-Regiment aggregiert [zugeteilt, ohne konkrete Dienststellung/Aufgabe], in Berlin 1874, 15. Januar in das Garde-Füsilier-Regiment einrangiert [in Stellenplan aufgenommen] 1875, 18. Januar zum Hauptmann befördert, dem Regiment aggregiert

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1875, 11. Februar als Compagnie-Chef einrangiert 1878, 18. Februar zum Major befördert und etatmäßiger Stabsoffizier im 1. Garde-Regiment zu Fuß 1878, 23. Juni für die Zeit 19. bis 26. September 1878 zu den Herbstübungen des XI. Armeekorps kommandiert, zur 4. Armee-Inspektion 1878, 10. Oktober kommandiert auf ein Jahr zur Dienstleistung beim Garde-Husaren-Regiment 1879, 06. November zum Kommandeur des Füsilier-Bataillons ernannt 1882, 27. Mai zum Großen Generalstab versetzt 1882, 20. Juli bei den großen Herbstübungen des V. und VI. Armeekorps 1885, 03. Juli zum Oberstleutnant befördert 1885, 14. Juli als etatmäßiger Stabsoffizier im Kaiser Franz Garde-Grenadier-Regiment Nr. 2 eingesetzt 1887, 01. September zum Oberst befördert und als Kommandeur des Kaiser Franz Garde-Grenadier-Regiments Nr. 2 ernannt (bis 31. März 1889) 1889, 01. April zum Generalmajor ernannt und als Kommandeur der 4. Garde-Infanterie-Brigade eingesetzt (bis 26. Januar 1891) 1889, 03. September kommandiert als Schiedsrichter zu den großen Herbstübungen des VII. und X. Armeekorps 1891, 17. Januar zum Generalleutnant befördert und zum Kommandeur der 2. Garde-Infanterie-Division ernannt (bis 11. Juli 1893)

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Öffentlicher Zusammenstoß 1893 zwischen dem Kaiser und seinem Schwager. „In Armeekreisen erzählte man sich: ‚Schlieffen habe sich gar nicht bewährt, und der Erbpr[inz] von Meiningen habe im Manöver so schlecht geführt, daß er von S[einer] M[ajestät] selbst gerissen worden sei!‘ Das Gardekorps bekomme er aber ‚trotzdem‘.“2 1893, 22. September zum Kommandeur der 22. Division des XI. Armeekorps (in Kassel) ernannt (in dieser Position bis 20. Februar 1895) 1895, 21. Februar zum Kommandierenden General des VI. Armeekorps (Breslau) ernannt, mit Beförderung zum General der Infanterie (in dieser Position bis 28. Mai 1903) Kommandierender General: „Nach altem Gewohnheitsrecht sieht Alles auf den Commandirenden General, wie er sich da und dort stellt, wie er die Leute empfängt und wo er hin geht, wohin nicht. Unwillkürlich richtet sich der Adel und die Gesellschaft nach dem Commandiren General, was gegenwärtig noch mehr, wie bisher, der Fall ist.“3 Beurteilung von Waldersee, Chef des Großen Generalstabs (1888–1891), für Bernhard: „Wo er auch dienstlich gewesen ist, überall hat er sich durch seine maaßlose Grobheit verhaßt gemacht; es fehlt ihm an guter Erziehung u. hat er nicht die Gabe mit vornehmen Leuten umzugehen. Bei seinem übereilten Urtheil u. bei seiner Unvorsichtigkeit in Abgabe desselben wird es, gerade in Schlesien, mancherlei Schwierigkeiten geben, z. B. liebt er es sehr, in brutalen Ausdrücken gegen die Katholiken sich zu ergehen, dies allein kann bald zum Krach führen.“4

1903, 29. Mai zum Generalinspekteur der 2. Armeeinspektion ernannt und zum General­ oberst befördert (in dieser Position bis 05. Dezember 1912) 1909 als Generaloberst mit dem Range eines Generalfeldmarschalls versehen 1912, 05. Dezember Ausscheiden aus dem Heeresdienst

2

Zitiert nach: John C. G. Röhl, Wilhelm II. Der Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888–1900, München 2001, S. 1309 f., Anm. 88.

3 4

Bernhard in einem Brief an von der Goltz (20. Oktober 1898); zitiert nach: ebd., S. 209. Zitiert nach: ebd., S. 711.

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Im Zuge der sich 1912 weiter zuspitzenden internationalen Lage und einer strategischen Neuausrichtung wurden verschiedene militärische Maßnahmen ergriffen. So wurden „[ä]ltere Armeeoffiziere, darunter der Kaiserschwager Erbprinz Bernhard von Sachsen-Meiningen, […] fristlos in den Ruhestand versetzt“. Charlotte schreibt in einem Brief vom 23. November 1912 gekränkt: „Mein Mann hat seinen Austritt aus der Armee, kühl u. kurz erhalten. S[eine] M[ajestät] habe keinerlei Verwendung mehr für ihn. […] Meiner Empörung will ich keinen Ventil öffnen […]. Es passt zu Allem Anderen.“5 Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges stellte sich Bernhard III. der militärischen Führung zur Verfügung und suchte ein seinem Dienstgrad als Generalfeldmarschall entsprechendes Kommando. Dies wurde ihm nicht gewährt. Er inspizierte Truppen, die aus seinem Herzogtum kamen, kehrte dann aber nach Meiningen zurück.

5

John C. G. Röhl, Wilhelm II. Der Weg in den Abgrund 1900–1941, München 2008, S. 951.

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Bernhard III. von Sachsen-Meiningen und die Altertumswissenschaften1

„Ja, das ist das schöne Griechenland, das Land der Kultur, die Wiege aller Kunst und Poesie, das Ideal meiner Wünsche, meiner Sehnsucht, das gottgeliebte heilige Athen!“ (Tagebuch einer Orientreise des Erbprinzen Bernhard von Sachsen-Meiningen, S. 1222)

Eine gewisse Begeisterung für die (klassische) Antike und eine entsprechende Beschäftigung mit diesem Gegenstand kann für Angehörige des deutschen Adels im 19. und frühen 20. Jahrhundert ganz allgemein nicht überraschen. Gut bekannt dürfte die Antikenbegeisterung eines etwas jüngeren Zeitgenossen des Erbprinzen Bernhard von Sachsen-Meiningen sein, jene seines Schwagers und deutschen Kaisers Wilhelm II.,3 aber auch Wilhelm I. und der damalige Kronprinz Friedrich haben sich zumindest für deutsche Ausgrabungen in Griechenland punktuell – vor allem für Olympia – stark interessiert.4 Aber auch im geographisch näheren Umfeld des ernestinischen Adels finden sich durchaus Belege 1

Bei den Recherchen zu diesem Beitrag haben die Mitarbeitenden des Thüringischen Staatsarchivs in Meiningen, der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, sowie Sylvian Fachard (Lausanne) und Hans Rupprecht Goette (Berlin) wertvolle Hilfe geleistet, wofür an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Folgende Abkürzungen werden verwendet: BNU = Bibliothèque nationale et universitaire; GStAPK VI. HA, Nl Althoff = Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, VI. Hauptabteilung Familienarchive und Nachlässe, Nachlass Friedrich Althoff; GStAPK Acta Ohnefalsch = Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Acta Ohnefalsch. 2 „Tagebuch Seiner Hoheit des Erbprinzen Bernhard von Sachsen-Meiningen auf der Reise nach dem Orient im Jahre 1872/73“, aufbewahrt im Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: LATh-StA Meiningen), Bestand 497215, Nr. 1872, aus dem Nachlass der Freifrau von Hildburg, Hausarchiv; zum Tagebuch und seinem Inhalt s. u. 3 Zu Wilhelms II. Verhältnis zur Antike, inkl. seiner eigenhändigen archäologischen Aktivitäten vgl. u. a. Thorsten Beigel/Sabine Mangold-Will (Hg.), Wilhelm II. Archäologie und Politik um 1900, Stuttgart 2017. 4 Katrin Wehry, Kaiser Friedrich III. (1831–1888) als Protektor der Königlichen Museen (Jahrbuch der Berliner Museen, Beih. 54), Berlin 2012, S. 61–65; zu Bernhards (kleiner) Rolle dabei vgl. ebd., S. 64.

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für einen positiv konnotierten Umgang mit der Antike. Stellvertretend hierfür mag die Unterstützung der Orientexpedition von Ulrich Jasper Seetzen durch das Gothaer Fürstenhaus bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts gelten.5 Nicht zuletzt stimuliert durch die langjährigen Rom-Aufenthalte des letzten Herzogs, Friedrich IV. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1774–1825), führte diese Antikenbegeisterung auch zur Anlage einer eigentlichen Antikensammlung, welche vor allem von den beiden letzten Herzögen der Linie gefördert wurde.6 Zu ähnlich manifesten Äußerungen scheint die Auseinandersetzung mit der Antike bei den Angehörigen des Meininger Fürstenhauses nicht geführt zu haben, dennoch lassen sich gerade für Bernhard, den nachmaligen Bernhard III., zahlreiche Antikenbezüge aufzeigen. Zwar erreichen diese Verbindungen wohl nie die finanziellen und öffentlichkeitswirksamen Höhenflüge, welche die Theaterleidenschaft Georgs II. begleiteten,7 sie zeigen aber deutlich eine entsprechende Geisteshaltung des ewigen Erbprinzen auf. Schon länger bekannt ist dabei die Hinwendung Bernhards zur (griechischen) Philologie und darüber zum (antiken) Griechenland und somit auch zu Heinrich Schliemann und dessen archäologischen Aktivitäten.8 Sicher ein eindrücklicher und wichtiger Moment für die Herausbildung von Bernhards allgemeiner Antikenbegeisterung dürfte eine Italienreise dargestellt haben, die er 1868/69 mit seinem Erzieher Wilhelm Roßmann unternommen hatte. Die Italienreise als Bildungsmittel war natürlich nicht neu und hatte auch bei den Ernestinern durchaus Tradition.9 Neben den bereits erwähnten langen Italienaufenthalten 5 Norbert Nebes, Ulrich Jasper Seetzen (1767–1811). Forschungsreisender und Sammler im Auftrag der Gothaer Herzöge, in: Angelika Geyer (Hg.), 1846–2006. 160 Jahre Archäologisches Museum der Universität Jena, Thüringer Sammlungen im Kontext internationaler Netzwerke, Kolloquiumsband der Tagung in Jena am 28.10.2006, Berlin 2008, S. 77–94; Uta Wallenstein, Im Auftrage des Gothaer Herzoghauses. Ulrich Jasper Seetzen und die Gothaer Ägyptensammlung, in: Hans Erkenbrecher/Helmut Roob (Hg.), Die Residenzstadt Gotha in der Goethe-Zeit, Bucha 1998, S. 203–221. 6 Uta Wallenstein, Von der herzoglichen Kunstkammer zum Museum. Die Antikensammlung des Schlossmuseums Gotha, in: Geyer (Hg.), Thüringer Sammlungen (wie Anm. 5), S. 54–75. 7 Zu Georgs II. Theaterbegeisterung vgl. mehrere Beiträge in: Maren Goltz/Werner Greiling/Johannes Mötsch (Hg.), Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826– 1914). Kultur als Behauptungsstrategie?, Köln/Weimar/Wien 2015. 8 Dazu einiges bei Wilt Aden Schröder, Die Briefe des Erbprinzen Bernhard von Sachsen-Meiningen an Wilamowitz, in: Hyperboreus 16/17 (2010/11), S. 545–563, sowie unten. 9 Martin Salesch, Höfische Gärten der Ernestiner, in: Werner Greiling/Gerhard Müller/Uwe Schirmer/Helmut G. Walther (Hg.), Die Ernestiner. Politik, Kultur und gesellschaftlicher Wandel, Köln/Weimar/Wien 2016, S. 397–409, hier S. 404: „Eigentlich war es üblich, die Prinzen auf Kavaliertour nach Italien oder Frankreich zu schicken“; in einem weiteren Rahmen vgl. Ingo Pfeifer, Die Grand Tour als aristokratisches Bil-

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von Friedrich IV. von Sachsen-Gotha-Altenburg können hier weiter die Italienreisen des Prinzen August von Sachsen-Gotha-Altenburg (1747–1806) angeführt werden.10 August war bei seinen Italienreisen 1771/72 24 respektive 1777/78 30 Jahre alt, wohingegen Bernhard bei Aufbruch zur Italienreise 1868 17 Jahre zählte. Wir können nicht nur davon ausgehen, dass solche Reisen ein verbreitetes Mittel auch deutscher Adelsausbildung darstellten, gerade im Falle der Höfe von Gotha und Meiningen dürften die Gemeinsamkeiten noch etwas weiter gegangen sein, stammten doch sowohl die Mutter des Prinzen August von Sachsen-Gotha-Altenburg, Luise Dorothea (1710–1767)11 als auch die Mutter von Friedrich IV. von Sachsen-Gotha-Altenburg, Charlotte (1751–1827) aus dem Hause Sachsen-Meiningen. Wilhelm Roßmann hatte im Frühjahr 1868, also rund ein halbes Jahr vor der Italienreise, noch „Orest. Tragödie von Aeschylos“ auf die Meininger Theaterbühne gebracht,12 in seiner Person finden sich somit wichtige Stränge von Bernhards Antikebezügen quasi vorformuliert, nämlich ein allgemeines Philhellenentum und besonders eine Vorliebe für die antiken Tragiker. Aus der Feder von Roßmann stammt eine bereits 1869 in Briefform vorgelegte und „Ihrer Hoheit Frau Herzogin Feodore von Sachsen-Meiningen ehrfurchtsvoll zugeeignet(e)“ Reisebeschreibung.13 Liegen Sinn und Zweck einer Italienreise im Rahmen einer Prinzenerziehung eigentlich auf der Hand, gehen diese Aspekte auch aus der Einleitung zu Roßmanns Buch deutlich hervor: „Uns nämlich entstand bei unseren Wanderungen an den ruinenbedeckten Küsten kein dringenderer Wunsch als der, an Ort und Stelle und im Angesichte der erinnerungsumspondungsmodell in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Paweł Jaskanis/Max Kunze (Hg.), Johann Joachim Winckelmann und Stanisław Kostka Potocki. Neue Forschungen und Dokumente, 1. Meister und Schüler. Akten des internationalen Kongresses im Museum Palast König Johann III. in Wilanów, Warschau 8.–9.5.2014, Mainz/Ruhpolding 2016, S. 87–93. 10 Götz Eckardt (Hg.), Das italienische Reisetagebuch des Prinzen August von Sachsen-Gotha-Altenburg, des Freundes von Herder, Wieland und Goethe, Schriften der Winckelmann-Gesellschaft, Stendal 1985. 11 Zu Luise Dorothea vgl. Bärbel Raschke, Luise Dorothea von Sachsen-Gotha-Altenburg im Geflecht der europäischen Diplomatie des 18. Jahrhunderts. Manteuffel, Thun und Grimm, in: Greiling u. a. (Hg.), Die Ernestiner (wie Anm. 9), S. 205–222. 12 Hellmut Flashar, Inszenierung der Antike. Das griechische Drama auf der Bühne. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 22009, S. 94. 13 Wilhelm Rossmann, Vom Gestade der Zyklopen und Sirenen, Leipzig 1869. Die Widmung richtet sich an die zweite Ehefrau von Herzog Georg II., die geborene Feodore von Hohenlohe-Langenburg (1839–1872), dazu s. Alfred Erck, Georg II. – der bedeutendste Vertreter des herzoglichen Hauses Sachsen-Meiningen, in: Goltz u. a. (Hg.), Georg II. (wie Anm. 7), S. 15–45, hier S. 25 f. Roßmann hat in einem weiteren Buch Erlebnisse von der Italienreise verarbeitet, die allerdings punktueller in Rom spielen: Wilhelm Rossmann, Eine protestantische Osterandacht in St. Peter zu Rom, Oldenburg 1871.

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nenen Trümmer die alten Dichter und Historiker zu vergleichen, die von jenen merkwürdigen Stätten gehandelt, …“.14 Die Briefe beginnen mit der Ankunft in Neapel am 29. November 1868 und enden mit dem Abschied von Sizilien am 15. März 1869. Dazwischen hatte die Reisegesellschaft, welche auf Sizilien nur aus Bernhard und Roßmann bestand, in Kampanien aber noch weitere Personen umfasst hatte, so ziemlich alle Ruinenstätten, Museen, geographisch und historisch bedeutsame Orte besucht und im Augenschein sowie unter Beiziehung gelehrter Texte durchgearbeitet. Es ist nicht auszuschließen, aber auch nicht zu beweisen, dass der Großteil der – ausgesprochen wenigen – Antiken, die aus dem Nachlass von Bernhard bekannt sind, von dieser Reise stammen. Naheliegend ist dies zumindest für die „Pompejanische Ausgrabung eines Türschlosses und Schlüssels mit Lava- und Aschenteilen. Dazu moderne verkleinerte Nachbildung des gleichen Schlosses. In Etui mit Inschrift ‚Pompeii LXXIX‘“, sowie für drei römische Gläser, wobei diese natürlich auch bei anderer Gelegenheit in den prinzlichen Besitz gelangt sein können.15 In den bisher bekannten Archivalien finden sich keine Hinweise darauf, ob und gegebenenfalls in welcher Art Bernhard seinerseits Aufzeichnungen von der Italienreise 1868/69 angefertigt hat, aber es ist anzunehmen, dass auch er regelmäßig nach Hause geschrieben hat. Dies lässt sich explizit aufzeigen im Falle einer weiteren Reise, die hier zu nennen ist, denn im Staatsarchiv Meiningen wird ein 679 Seiten starkes „Tagebuch Seiner Hoheit des Erbprinzen Bernhard von Sachsen-Meiningen auf der Reise nach dem Orient im Jahre 1872/73“ aufbewahrt.16 Das Tagebuch verdient eine ausführliche Würdigung, die an dieser Stelle nicht erfolgen kann, sodass wir uns auf einige wenige Punkte beschränken müssen. Für einen nicht unwesentlichen Teil der Reise wurde der mittlerweile 21-jährige Bernhard wiederum von Wilhelm Roßmann begleitet, der über einige Aspekte der Reise erneut berichtet hat, und zwar in einem Band, in welchem er nochmal die Osterpassion, welche auf der gemeinsamen Italienreise 1868/69 in Rom erlebt worden war, die Osterpassion in Oberammergau, einen Besuch auf dem Berg Athos im Herbst 1872 und einen Besuch Jerusalems inhaltlich miteinander verbindet.17 Weiter zählte zur 14 Rossmann, Zyklopen und Sirenen (wie Anm. 13), S. VI. 15 Nachlass Sr. Hoheit Herzog Bernhard III. von Sachsen-Meiningen und seiner Gemahlin Ihrer Königlichen Hoheit Charlotte von Sachsen-Meiningen, Prinzessin von Preußen. Jac. Hecht, Kunst-Auktions-Haus, Berlin 1928, S. 21, Nr. 370 (Türschloss); S. 25, Nr. 460–462 m. Taf. 23 (Gläser). 16 LATh-StA Meiningen, Bestand 497215, Nr. 1872, aus dem Nachlass der Freifrau von Hildburg, Hausarchiv. 17 Wilhelm Rossmann, Gastfahrten. Reise-Erfahrungen und Studien, Leipzig 1880. Der Band ist „Seiner Hoheit dem Erbprinzen Bernhard von Sachsen-Meiningen und Hildburghausen, Herzoge zu Sachsen Major und Bataillons-Commandeur im Königlich Preußischen Ersten Garderegiment zu Fuß, als ein Denkmal unwandelbarer Treue zugeeig-

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Entourage von Bernhard, zumindest für einen größeren Teil der Reise auf griechischem Boden, der bekannte Altphilologe Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf.18 In den Erinnerungen Wilamowitzens findet sich auch eine Beschreibung der Reisegesellschaft: „Es ward eine große Kavalkade; der Prinz war von seinem Adjutanten, Hauptmann von Schleiniz (sic) vom II. Garderegiment,19 und einem Kammerdiener begleitet. Wie damals nicht anders möglich, sorgte ein sog. Kurier für Unterkunft und Verpflegung; dazu kam die Bedeckung von berittenen Gendarmen, im Peloponnes meistens noch ein Trupp von εὔζωνοι, der Elitetruppe in Fustanella und mit einer praktischen Beschuhung, deren Marschleistung wir zu bewundern Gelegenheit hatten. Unsere Grenadiere würden das Klettern nicht so lange ausgehalten haben.“20

Der erste Eintrag im Tagebuch Bernhards erfolgte am 1. Oktober 1872 in Konstantinopel. Von dort führte die Reise nach Erkundung der Umgebung auf den Berg Athos, anschließend wieder zurück nach Kleinasien,21 wo unter anderem am 26. und 27. Oktober 1872 ein Besuch Trojas erfolgte. Bereits am Abend des 28. Oktober gelangte Bernhard auf dem Seeweg nach Athen, es folgen Erkundungen der Stadt und ihrer Umgebung. Am 4. November finden wir ihn in Nauplia, von wo aus einige Orte der Peloponnes besichtigt werden, bevor die Reise nach Athen zurückführt und von dort wiederum nach Smyrna, wo Bernhard am 14. November ankommt. Von Smyrna aus werden die Sehenswürdigkeiten der Umgebung besichtigt und anschließend fährt die Gesellschaft mit dem Schiff über Larnaka nach Byblos (24. November). Am 27. November 1872 schreibt Bernhard „Im Zelte zu Aïnata am Fuße des Libanon in der Ebene von Baalbek“, am 3. Dezember, nach einem Ausflug in die Drusengebiete, aus Damaskus. Nach mehreren Ausflügen in die umliegenden Regionen führt die Reise am 7. Dezember in das Jordantal und nach Tiberias, am 9. Dezember befindet sich die Gesellschaft bei Haifa, am 12. bei Naplus und am 16. Dezember 1872 trifft net“. Bernhard stand während der Reise auch in regelmäßigem Briefkontakt mit Köchly: Ernst Böckel, Hermann Köchly. Ein Bild seines Lebens und seiner Persönlichkeit, Heidelberg 1904, S. 381. 18 Schröder, Bernhard-Wilamowitz (wie Anm. 8); vgl. auch die entsprechenden Passagen bei Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorff, Erinnerungen 1848–1914, Leipzig 21928, S. 154–159. 19 Der Freiherr von Schleinitz (nicht Schleiniz) hatte offenbar von Bernhards Vater, Herzog Georg II., als zusätzliche Aufgabe erhalten, den Erbprinzen während der Reise auf die bevorstehende Vermählung des Herzogs mit Helene Franz vorzubereiten, was ihm nicht sonderlich gut gelungen zu sein scheint: Martina Lüdtke, Die morganatische Eheschließung zwischen Georg II. von Sachsen-Meiningen und Helene Franz. Ein monarchischer Normbruch im Spannungsfeld höfischer Erwartungen und bürgerlicher Offenheit, in: Goltz u. a. (Hg.), Georg II. (wie Anm. 7), S. 65–81, hier S. 70 f. mit Anm. 21. 20 Wilamowitz-Moellendorff, Erinnerungen (wie Anm. 18), S. 154. 21 Dazu ausführlich Rossmann, Gastfahrten (wie Anm. 17), S. 222–271.

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man in Jerusalem ein. Nach Jaffa führt der Weg am 20. Dezember und von dort per Schiff nach Ägypten, wo wir Bernhard am 23. in Kairo finden. Die Feiertage werden mit Besichtigungen ebendort zugebracht, im Anschluss daran folgt eine Nilfahrt, die zu den Pyramiden (7. Januar 1873), nach Asyut (bzw. Asioût in Bernhards Text, am 10. Januar), Tahta (11. Januar), Theben, Luxor und nach Assuan (21. Januar) führt. Von dort geht es wieder Nil-abwärts, gefolgt von einem längeren Ausflug auf die Sinai-Halbinsel (Ain Mousa am 16. Februar), inklusive Besuch des Sinai-Klosters und schließlich wieder zurück nach Kairo (5. März). Am 14. März befindet sich die Reisegesellschaft wieder in Smyrna, am 20. März in „Retimo auf der Insel Candia“ (Rethymno auf Kreta). Es folgen einige Tage mit Erkundungen der Insel, bevor man mit mehreren Zwischenhalten am 6. April wieder in Athen eintrifft, von wo aus Attika intensiv erschlossen wird. Ab dem 10. April (Korinth) schließt eine Reise auf die Peloponnes an. Zu den Höhepunkten gehörten ausweislich des Textes sicherlich der Besuch von Olympia (17. April), der Ritt über den Berg Ithome, der Besuch von Bassai und jener von Sparta (22. April), bevor es am 26. April nach Argos weiterging. Weitere Ausflüge führten unter anderem nach Mantineia und Nauplia (30. April), aus Athen schreibt Bernhard wieder am 3. Mai. Bereits am 5. Mai beginnt eine Reise nach Böotien, an jenem Tag finden wir Bernhard in Theben, vier Tage später in Delphi. Von dort ging es zum Hafen von Itea, wo die Gesellschaft die „Byzantion“ bestieg, an Bord derer Bernhard am 10. Mai weiterschrieb. Die Schiffsreise führte zunächst nach Korfu und mit jenem Eintrag endet das Tagebuch.22 Neben dem Nachvollziehen der Reiseroute müssen wir uns natürlich mit der Frage beschäftigen, inwieweit sich im Tagebuch, welches in Form ausführlicher Briefe an die Daheimgebliebenen verfasst ist,23 Elemente eines besonderen 22 In Italien muss Bernhard noch eine gewisse Zeit zugebracht haben, denn Wilamowitz berichtet in seinen Erinnerungen davon, dass er auf der mit Bernhard zusammen wahrgenommenen Rückreise von Griechenland in Neapel dem Vater, Herzog Georg II. und dessen Gemahlin, der Freifrau von Heldburg, im Museum vorgestellt wurde (Wilamowitz-Moellendorff, Erinnerungen [wie Anm. 18], S. 159; Wilamowitz schreibt „… seinem Vater, dem Herzog Georg und seiner zweiten Gemahlin, Freifrau von Heldburg…“ und übersieht dabei, dass es sich um die dritte Gemahlin von Georg handelte, welche er am 18. März 1873 geheiratet hatte und mit welcher er sich gerade in den Flitterwochen befand: Lüdtke, Eheschließung [wie Anm. 19], S. 70 f. Bernhard hatte auf die Nachricht der Heirat mit einem zurückhaltenden Brief an den Vater reagiert, den er am 23. April 1873 – wohl in Sparta – verfasst hatte: ebd., S. 74 mit Anm. 36; vgl. auch Anm. 19). 23 Dies geht aus der Form der Berichte hervor. Hingegen scheint die Handschrift nicht jene von Bernhard zu sein und das Schriftbild ist zu regelmäßig, um wirklich mit in allen möglichen Lagen (Zelt, Schiff) geschriebenen Briefen verbunden werden zu können. Es scheint wahrscheinlicher, dass das gebundene Tagebuch das Resultat einer Abschrift durch Hofpersonal darstellt (so auch https://www.augias.net/2010/04/25/anet7048 [zuletzt abgerufen am 22. Juni 2019]).

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Inter­esses für die Altertumswissenschaften finden. Auch wenn die detaillierte Analyse des Textes noch aussteht, zeichnet sich doch ab, dass Bernhard zwar mit einer beachtlichen und sicher über das Normalmaß hinausgehenden Kenntnis und Ausdauer den antiken Stätten und Monumenten begegnete, seine Interessen aber relativ klar strukturiert waren: Was ihn in erster Linie ansprach und zu eigenen Überlegungen führte, waren einerseits Verbindungen mit antiken Texten und andererseits strategische Belange im weiteren Sinne. Beides lässt sich beispielsweise beim Besuch Trojas – aber ebenso gut bei nahezu allen anderen Zielorten – aufzeigen. Die antiken Quellen, hier natürlich vor allem Homers Ilias, werden häufig beigezogen, teilweise sogar wörtlich (auf Deutsch) zitiert. Dies geschieht in der Regel, um Zuschreibungen von bestimmten Elementen („Grab des Hektor“ etc.) auf ihre Probabilität zu prüfen. Strategische Überlegungen, also beispielsweise zur Kontrolle von Wegen, Verteidigungsmöglichkeiten, Aufstellungen von Truppenteilen usw. gehen dabei nahtlos in das erste Element über. Geht der erste Aspekt natürlich auf Bernhards Ausbildung durch Roßmann und andere Lehrer zurück, ist der Zweite seiner militärischen Laufbahn geschuldet, die ihn zwischenzeitlich bereits zur Teilnahme am deutsch-französischen Krieg 1870 als Ordonnanzoffizier geführt hatte (Abb. 1).

Abb. 1: Ausschnitt aus dem westlichen Sockelrelief des Prinz-Albrecht-vonPreußen-Denkmals (Berlin-Charlottenburg), 1901. Bernhard von Sachsen-Meiningen in der Mitte im Hintergrund (mit Pickelhaube)

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Abb. 2: Querschnitt durch die große Pyramide von Gizeh. Ausschnitt aus dem „Tagebuch Seiner Hoheit des Erbprinzen Bernhard von Sachsen-Meiningen auf der Reise nach dem Orient im Jahre 1872/73“

Abb. 3: Plan des Hathor-Tempels von Dendera, Ausschnitt aus ebd.

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Wie eng für Bernhard die beiden Elemente zusammenlagen, unterstreicht auch eine Episode im Anschluss an besagten Krieg, als Bernhard seinen universitären Lehrer Hermann Köchly einlud, mit ihm zusammen die Schlachtfelder des Krieges zu besichtigen, nachdem zuvor bei Köchly zuhause eine Siegesfeier in Form einer Aufführung der „Perser“ veranstaltet worden war, bei welcher der Erbprinz die Rolle des Boten übernommen hatte.24 Über die erwähnten Interessen hinaus scheint sich Bernhards Herangehens­ weise an antike Hinterlassenschaften auf dieser Reise nicht wesentlich von der anderer Bildungsreisender der Zeit unterschieden zu haben. Das äußerte sich beispielsweise in Ägypten und auf dem Sinai dadurch, dass für Aspekte der – im weitesten Sinne – historischen Topographie in erster Linie auf das 2. Buch Mose rekurriert wird, die damals durchaus schon greifbaren wissenschaftlichen Beiträge scheinen keine Rolle zu spielen. Vergleichbare Reiseabläufe, oder zumindest die jeweiligen Reiseziele und -stationen, finden sich denn auch in den damals zur Verfügung stehenden Reiseführern, beispielsweise den verschiedenen Ausgaben von „Murray’s Handbooks for Travellers“.25 Vereinzelt fühlte sich Bernhard bemüßigt, erklärende Skizzen in seinen Text einzubauen. Zumindest für Ägypten findet sich hier ebenfalls das, was als Standardrepertoire einer Grand Tour gelten muss, begonnen mit einem Querschnitt der großen Pyramide (Abb. 2), über verschiedene Kartuschen bis zum Hathor-Tempel von Dendera (Abb. 3) und weiteren, analogen Elementen. Im großen Ganzen unterscheiden sich Bernhards graphische Aufzeichnungen in Ägypten wohl nicht von denen anderer reisender Zeitgenossen, die auf eine weniger elitäre Bildung zurückblicken konnten.26 Zunächst scheint sich dieses Bild auch bei den Stationen in Griechenland zu bestätigen, wie ein Grundriss des Apollotempels von Bassai nahelegen kann 24 Böckel, Hermann Köchly (wie Anm. 17), S. 350 f.; zu Bernhards Verhältnis zu Köchly vgl. auch Schröder, Bernhard-Wilamowitz (wie Anm. 8), S. 547 f. Bernhard kannte Köchly mit großer Wahrscheinlichkeit schon vor der Studienzeit in Heidelberg, hatte Letzterer doch 1867/68 mehrere Wochen in Meiningen zugebracht als Berater für althistorische Belange der Meininger Theateraufführungen: Erck, Georg II. (wie Anm. 13), S. 29. 25 Die Firma Baedeker bestand zwar bereits, hatte zum Zeitpunkt von Bernhards Orientreise aber noch keine Reiseführer zu Griechenland, Kleinasien, Ägypten etc. herausgegeben, ganz im Gegensatz zu Murray. Für Griechenland konnte man 1872/73 beispielsweise auf die verbesserte und erweiterte Auflage von 1854 zurückgreifen: John Murray, Handbook for Travellers in Greece. Describing the Ionian Islands, the Kingdom of Greece, the Islands of the Aegean Sea, with Albania, Thessaly, and Macedonia, London 1854. 26 Dies gilt z. B. für Heinrich Schliemann, der auf einer Orientreise im Jahr 1858/59, also vor Beginn seiner archäologischen Laufbahn, vergleichbare Aufzeichnungen anfertigte; dazu vgl. Stephan G. Schmid, Heinrich Schliemanns Besuch von Petra im Jahr 1859, in: Winckelmann-Gesellschaft (Hg.), Reisen in den Orient vom 13. bis zum 19. Jahrhundert, Stendal 2007, S. 175–183, 273–278.

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(Abb. 4).27 Schon etwas „anspruchsvoller“, wiederum klar im Kontext strategischer Gedanken zu Wegeführungen im Rahmen antiker Topographie, ist eine Skizze mit erläuterndem Text zur dreiteiligen Brücke über den Mavrozumenos in Messenien (Abb. 5). Zwar gehört auch diese zu den üblicherweise bei entsprechenden Reiseberichten beschriebenen, beinahe verpflichtenden Sehenswürdigkeiten,28 man erkennt aber deutlich Bernhards Bestreben, Brücke und Topographie mit dem militärisch geschulten Auge und auch als Ausdruck altgriechischen Ingenieurswesen zu verstehen. Dies tritt noch deutlicher zutage bei einer Reihe von Skizzen zu Stadtmauern und vor allem Toranlagen, wie hier stellvertretend am Beispiel von Mantineia illustriert werden kann (Abb. 6).29 Die Orientreise von 1872/73 ist noch aus einem anderen Grund für Bernhards Verhältnis zu den Altertumswissenschaften wichtig, denn der Besuch von

Abb. 4: Plan des Apollon-Tempels von Bassai, Ausschnitt aus ebd. 27 Zum Apollon-Tempel von Bassai vgl., nebst vielen anderen, Frederick A. Cooper/Nancy J. Kelly, The Temple of Apollo Bassitas, 1. The Architecture, Princeton 1996; Murray, Greece (wie Anm. 25), S. 291. 28 Gerade erst im Jahr von Bernhards Reisebeginn war der zweite Band von Conrad Bursians „Geographie von Griechenland“ erschienen, in welchem die Brücke auf S. 163 behandelt wird (Conrad Bursian, Geographie von Griechenland, 2. Peloponnesos und Inseln, Leipzig 1872, S. 163), aber auch in älteren Reiseberichten und Geographien findet sie sich regelmäßig, so z. B. bei Ernst Curtius, Peloponnesos. Eine historisch-geographische Beschreibung der Halbinsel, 2, Gotha 1852, S. 150 f.; Murray, Greece (wie Anm. 25), S. 289; vgl. a. Nikolaos D. Papachatzis, Παυσανίου Ελλάδος περιήγησις, βιβλία 4., 5. και 6. Μεσσηνιακά και Ηλιακά, Athen 1979, S. 141–143. 29 Zur Befestigung von Mantineia vgl. u. a. Frederick E. Winter, Arkadian notes, 2. The walls of Mantinea, Orchomenos and Kleitor, in: Echos du monde classique. Classical Views 8 (1989), S. 189–200; Jean-Pierre Adam, L’architecture militaire grecque, Paris 1981, S. 176–178. Auch hier gilt, dass diese Elemente zum Standardrepertoire von Griechenlandreisen der Zeit gehörten und z. B. auch bei Ernst Curtius, Peloponnesos. Eine

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Abb. 5: Dreiteilige Brücke über den Mavrozumenos in Messenien, Ausschnitt aus ebd.

Abb. 6: Eines der Stadttore von Mantineia, Ausschnitt aus ebd.

historisch-geographische Beschreibung der Halbinsel, 1, Gotha 1851, S. 236 f. erwähnt und in einem Fall gezeichnet werden; vgl. auch Murray, Greece (wie Anm. 25), S. 265 (ohne Zeichnung).

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Troja, wo Bernhard auch die Ausgrabungen Schliemanns mit großem Interesse besichtigte, scheint die Grundlage für seine spätere Förderung von dessen Aktivitäten gelegt zu haben. Olivier Masson hat auf diesen Zusammenhang bereits vor einigen Jahren und in anderem Zusammenhang hingewiesen.30 Bei Bernhards Besuch von Troja war Schliemann nicht anwesend, die Reisegruppe wurde von Frederik Calvert, dem Bruder von Frank Calvert,31 geführt, was sowohl aus dem Tagebuch des Erbprinzen hervorgeht, als auch aus einem Brief Frederik Calverts an Schliemann vom 26. Oktober 1872, in welchem er berichtet, dass „The Prince of Saxe-Meiningen and his friends have visited your excavations at Hissarlik and I have done my best to point out all points of interest relating thereto. His Highness is proceeding to Athens and desires to see your Trojan Museum which I am sure you will kindly exhibit with full explanations of all your interesting discoveries.“32

Aus einem weiteren Schreiben Frederik Calverts an Schliemann, diesmal vom 30. Oktober 1872, schließt Ernst Meyer, dass der Besuch von Schliemanns Sammlung und somit ein Treffen der beiden in Athen tatsächlich stattgefunden haben muss.33 Die entsprechenden Diskussionen und Theorien zur Verortung des antiken Troja finden sich tatsächlich auch im prinzlichen Tagebuch, hingegen scheint sich dort zumindest keine ausführlichere Beschreibung eines allfälligen Besuches bei Schliemann in Athen erhalten zu haben.34 Dafür bestätigt Schliemann selber diesen Besuch in einem Schreiben vom 7. November 1872 aus Athen an Frank Calvert: „The Crown-Prince of Saxony-Meiningen has come with his party to see my Trojan antiquities, but he is not an archaeologist, and admired much more my Japanese, 30 Olivier Masson, Un album de photographies chypriotes de Max et Magda Ohnefalsch-Richter (1895), in: Cahier Centre d’études chypriotes 23 (1995), S. 38; dazu vgl. auch unten. 31 Zu Frank (und Frederik) Calvert vgl. u. a. Marcelle Robinson, Schliemann’s silent partner, Frank Calvert (1828–1908). Pioneer, scholar and survivor, Philadelphia 2006; Susan Heuck Allen, Finding the Walls of Troy. Frank Calvert and Heinrich Schliemann at Hisarlik, Berkeley 1999; Edmund F. Bloedow, Heinrich Schliemann and Frank Calvert in the Troad, 1868–1873, in: Boreas 21/22 (1998/99), S. 5–40, sowie zahlreiche weitere Beiträge der gleichen AutorInnen. 32 Ernst Meyer, Heinrich Schliemann. Briefwechsel. Aus dem Nachlass in Auswahl herausgegeben, 1. Von 1842 bis 1875, Berlin 1953, S. 218. 33 Ebd., S. 339, Anm. 305. Der Inhalt des Briefes vom 30. Oktober 1872 lautet: „I am sure that you will have been very glad to show them your Trojan antiquities the more so, as Professor Rossmann, the princes tutor, after I had pointed out all the details of your excavations, including of course the substruction wall in Frank’s field, was inclined to adopt your theory as to the site of Illion, in opposition to that of Dr. Curtius.“ (ebd.). 34 Um in der Hinsicht abschließend urteilen zu können, muss eine detaillierte Durchsicht des Tagebuches abgewartet werden.

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Chinese, and Indian curiosities than the sacred relics of Ilium, which none of the party seemed able to understand and estimate. It is however, very well that they have come, because their visit will be the forerunner of a pilgrimage to Troy.“35

Abgesehen davon, dass Schliemann hier die oben geäußerte Vermutung, wonach Bernhard zu jenem Zeitpunkt ein selektives Interesse an den Altertumswissenschaften ausgebildet hatte, auf etwas herablassende Art und Weise bestätigt und wohl den Ablauf der prinzlichen Reise falsch memoriert hatte – die Reisegesellschaft kam eben aus Troja und wollte nicht im Anschluss dorthin fahren – ist dieser erste Kontakt mit Schliemann tatsächlich von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit für Bernhards spätere Unterstützung nicht nur Schliemanns. Dieser nennt sich denn auch in einem Brief an Virchow vom 6. Juli 1879 „sehr befreundet“ mit dem Erbprinzen.36 Bevor wir darauf zurückkommen, müssen wir noch eine weitere Griechenlandreise Bernhards betrachten, welche im Herbst 1876 stattfand. Kürzer und geographisch deutlich weniger weit gefasst als die Orientreise 1872/73, liegen auch zu dieser Fahrt verschiedene Dokumente und Berichte vor. Auf Einladung des Erbprinzen fuhr sein universitärer Lehrer Hermann Köchly mit, welcher im Verlauf der Reise schwer erkrankte und auf der Rückfahrt in Triest verstarb, wodurch in der Biographie von Ernst Böckel relativ ausführlich auf die Reise eingegangen wird, inklusive zahlreicher Zitate aus Briefen Köchlys, aber auch Bernhards.37 Dieser hatte auch auf dieser Reise Tagebuch geführt, und zwar in Form von Briefen an die „Liebe Großmama“.38 Die Reise führte über München nach Norditalien, Rom, Neapel (von wo aus auch Pompeji besucht wurde39) und Brindisi, der erste Eintrag im prinzlichen Tagebuch stammt vom 30. September 1876 und wurde bereits auf See verfasst. Nach einem kurzen Besuch Korfus gilt zumindest Bernhards Augenmerk dem Zeusheiligtum von Olympia, über welches er im Tagebuch länger handelt, inklusive einer kleinen Skizze vom Grundriss des Zeustempels. Dabei war es wahrscheinlich kein Zufall, dass der Besuch 35 Ernst Meyer, Briefe von Heinrich Schliemann. Gesammelt und mit einer Einleitung in Auswahl herausgegeben, Berlin/Leipzig 1936, S. 125. 36 Ebd., S. 159. 37 Böckel, Hermann Köchly (wie Anm. 17), S. 398–419; siehe auch Schröder, Bernhard-Wilamowitz (wie Anm. 8), S. 550. 38 „Tagebuch des Prinzen Bernhard v. Sachs-Meiningen 1876“, aufbewahrt im LATh-StA Meiningen, Hausarchiv 457. Im Gegensatz zum Tagebuch der Reise von 1872/73 scheint es sich in diesem Fall tatsächlich um die Handschrift von Bernhard zu handeln. Bernhards Verhältnis zu seiner Großmutter Marie kann als innig beschrieben werden, was u. a. darauf zurückzuführen ist, dass sie in Abwesenheit seiner Eltern längere Zeit für seine Erziehung verantwortlich war: Margret D. Minkels, Königin Elisabeth von Preußen und das Haus Sachsen-Meiningen, in: Goltz u. a. (Hg.), Georg II. (wie Anm. 7), S. 47–63, hier S. 60. 39 Böckel, Hermann Köchly (wie Anm. 17), S. 401.

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Olympias genau zum einjährigen Jubiläum des deutschen Grabungsbeginns (am 4. Oktober 1875) erfolgte und somit zum Beginn der zweiten Ausgrabungssaison.40 Von Olympia aus ging es zu Pferde quer über die Berge der Peloponnes nach Megalopolis und anschließend nach Argos und Mykene, wo, wie Bernhard an die Tochter von Köchly schrieb, die Reisegesellschaft durch das erst am Vortage von Schliemann freigelegte Löwentor schreiten konnte.41 Am 10. Oktober fuhren die Reisenden mit dem Schiff nach Piräus, von dort nach Athen. Nach Besuchen der Athener Sehenswürdigkeiten stand am 17. Oktober ein Ausflug nach Marathon an, der allerdings aufgrund eines Sturzes Köchlys abgebrochen werden musste. Dafür folgte in den nächsten Tagen eine Reise unter anderem zu den Festungen von Eleutherai und Aigosthena, wobei Bernhard in seinem Tagebuch betont: „Zu meiner großen Freude begleitete uns für die ersten Tage der Architekt Prof. Ziller von hier, um mit mir den Grundriß der beiden altgriechischen Festungen Eleutherä und Aegósthena aufzunehmen“.42 In der Folge handelt Bernhard recht detailliert über die beiden Orte und erwähnt auch die Planaufnahmen durch Ziller. Ebenfalls schreibt er nach Meiningen, dass Köchly bittet, von seiner Erkrankung nichts nach Heidelberg verlauten zu lassen, da dies nur unnötige Sorge hervorrufen würde. Am 30. oder 31. Oktober berichtet der Erbprinz über einen Besuch der Grenzfestung Phyle

40 Aliki Moustaka, Die deutschen und griechischen Ausgrabungen, in: Wolf-Dieter Heilmeyer/Nikos Kaltsas/Hans-Joachim Gehrke u. a. (Hg.), Mythos Olympia. Kult und Spiele, München 2012, S. 173 f.; zum weiteren Rahmen siehe Thanassis N. Bohotis, Archaeology and politics: the Greek-German Olympia excavation treaty, 1869–1875, in: Sofia Voutsaki/Paul Cartledge (Hg.), Ancient Monuments and Modern Identities. A Critical History of Archaeology in 19th and 20th Century Greece, Oxon/New York 2017, S. 117–129; Wehry, Friedrich III. (wie Anm. 4), S. 61–65, sowie ausführlich Rudolf Weil, Geschichte der Ausgrabungen von Olympia, in: Friedrich Adler/Ernst Curtius/ Wilhelm Dörpfeld u. a. (Hg.), Olympia. Die Ergebnisse der von dem Deutschen Reich veranstalteten Ausgrabungen, 1. Topographie und Geschichte von Olympia, Berlin 1897, S. 101–154, bes. S. 116: „Montag, den 4. Oktober, früh ½ 8 Uhr konnte der erste Spatenstich vorgenommen werden.“ 41 Böckel, Hermann Köchly (wie Anm. 17), S. 410. Schliemann führte zu jener Zeit tatsächlich Grabungen in Mykene durch und war nachweislich bis zum 9. Oktober 1876, dem Tag des Besuches der prinzlichen Gesellschaft, vor Ort: Tobias Mühlenbruch, Heinrich Schliemann. Ein Itinerar, S. 50 (erschienen 2019 auf Propylaeum-DOK: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/volltexte/2019/4358, abgerufen am 18. Juni 2019). Im Philologischen Anzeiger 1877, S. 109, wird erwähnt, dass Bernhard als Erster durch das Löwentor „fuhr“. 42 „Tagebuch des Prinzen Bernhard v. Sachs-Meiningen 1876“, aufbewahrt im LATh-StA Meiningen, Hausarchiv 457, Bl. 8v. Zu Ernst Ziller (22.06.1837–04.11.1923), einem der bekanntesten neoklassischen Architekten Griechenlands, vgl. u. a. Marilena Z. Kassimatis, Ερνέστος Τσίλλερ: αρχιτέκτων (1837/1923), Ausstellungskat. Athen 2010.

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und am nächsten Tag führt ein Ausflug nun doch noch nach Marathon.43 Am 1. November geht die Reise nach Rhamnous, am Folgetag nach Oïnoë, Tatoi und zur Grenzfestung Dekeleia. Eine letzte größere Etappe führte schließlich von Athen aus per Schiff um die gesamte Peloponnes nach Korfu, bevor die Reise wieder nach Italien zurückging. Bernhard schrieb den letzten Eintrag am 10. November in Triest. Gerade der gegen Ende der Reise erfolgte Besuch von Marathon könnte die Vermutung nähren, dass der prinzliche Umgang mit dem Altertum im Wesentlichen der gleiche ist, wie wir ihn für die Reise von 1872/73 herausgearbeitet haben. Marathon gehörte natürlich zum verpflichtenden Teil einer jeden Griechenlandreise und auch jeder durchschnittliche Bildungsbürger hätte sich vor Ort, so wie Bernhard, Gedanken darüber gemacht, wie und wo die griechischen und persischen Schlachtenreihen aufgestellt gewesen waren und wie sich der literarisch überlieferte Schlachtenverlauf mit dem Gelände in Einklang bringen lässt.44 Dass der Erbprinz als aktiver Militär erst recht diese typische Art von Schlachtfeldtourismus pflegte, passt ebenfalls gut in dieses Bild, gehörten antike Schlachten – und Marathon ganz besonders – natürlich in jedes zeitgenössische militärische Handbuch.45 Entsprechend kommentiert Bernhard die Topographie in seinem Brief an die Großmutter, streut antike Quellen ein und gibt eine eigenhändige Skizze dazu (Abb. 7). Hingegen legen andere Ausführungen nahe, dass er sich in der Zwischenzeit eine durchaus tiefergehende Auseinandersetzung mit den antiken Relikten angeeignet hatte. So liest man von langen Aufenthalten im Dionysos-Theater von Athen, um, unter anderem mit Hilfe von mitgeführten Plänen, verschiedene Bauphasen zu identifizieren und voneinander zu unterscheiden. Und am Beispiel der attischen Festungen fassen wir im Tagebuch eine Vorstufe zu einer auch publizierten Auseinandersetzung mit dem Thema (s. u.). 43 Bernhard gibt für beide Einträge den 31. Oktober als Datum und beginnt die Schilderungen auch jeweils mit „Heute“. Allerdings ist klar, dass es sich nicht um den gleichen Tag gehandelt haben kann. 44 Stellvertretend z. B. Murray, Greece (wie Anm. 25), S. 209 f. 45 Aus dem weiteren Umfeld Bernhards wäre hier der Historiker Hans Delbrück (1848– 1929) zu nennen, welcher unter anderem als Erzieher von Waldemar von Preußen, einem jüngeren Bruder von Bernhards Ehefrau (ab 1878) Charlotte von Preußen bekannt ist, aber auch als Verfasser mehrerer militärhistorischer Beiträge und Bücher und hier besonders relevant Hans Delbrück, Die Perserkriege und die Burgunderkriege. Zwei kombinierte kriegsgeschichtliche Studien nebst einem Anhang über die römische Manipular-Taktik, Berlin 1887, bes. S. 52–85. Gleiches gilt übrigens auch für antike Festungsbauten und gerade die auch von Bernhard besuchten attischen Festungen im Parnes-Gebirge können unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden: Mark H. Munn, Panakton and Drymos: A Disputed Frontier, in: Hans Lohmann/Torsten Mattern (Hg.), Attika. Archäologie einer „zentralen“ Kulturlandschaft. Akten der internationalen Tagung vom 18.–20. Mai 2007 in Marburg, Wiesbaden 2010, S. 189–200.

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Tief beeindruckt zeigte sich Bernhard unter anderem vom Besuch der Festung von Phyle, wo er eine Skizze der Lage (Abb. 8a) und eine Planskizze (Abb. 8b) anfertigte und ausführlich beschrieb und kommentierte.46 Im Falle von Eleutherai und Aigosthena führte der erneute und gemeinsame Besuch mit Ziller zunächst zu einem öffentlichen Vortrag des Erbprinzen zum Thema. Bereits im Januar 1875 war er in die Archäologische Gesellschaft zu Berlin aufgenommen worden.47 Zwei Jahre später trug Bernhard nun seine Forschungen zu den

Abb. 7: Skizze von Marathon mit vermuteter Aufstellung der griechischen und persischen Schlachtenreihen, Ausschnitt aus dem „Tagebuch des Prinzen Bernhard v. Sachs-Meiningen 1876“ 46 Grundlegend zu Phyle siehe Walther Wrede, Phyle, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts. Athenische Abteilung 49 (1924), S. 153–224; vgl. auch Andreas N. Skias, Ανασκαφαί παρά την Φυλήν, in: Πρακτικά της εν Aθήναις Aρχαιoλoγικής Eταιρείας (1900), S. 38–52; Hans Rupprecht Goette, Athens, Attica and the Megarid. An archaeological guide, London/New York 2001, S. 267–269 und allg. im Rahmen der attischen (Grenz-)Festungen James R. McCredie, Fortified Military Camps in Attica, Hesperia Suppl. 11, Princeton 1966, passim. Die Abweichungen zwischen den in den genannten Arbeiten gegebenen Grundrissen und der Skizze Bernhards (Abb. 8b) kann dadurch erklärt werden, dass Bernhard die „Skizze aus dem Kopfe“ anfertigte, wie er selber dazu bemerkte. Auch Phyle gehörte zu den „üblichen“ Zielen einer Bildungsreise des 19. Jahrhunderts: Murray, Greece (wie Anm. 25), S. 203 f. 47 Archäologische Zeitung 33 (1876), S. 57; siehe auch Schröder, Bernhard-Wilamowitz (wie Anm. 8), S. 549.

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beiden Festungen auf der ersten Sitzung der Gesellschaft des Jahres 1877 vor.48 Diesen kündigt er auch in einem kurzen Brief vom 13. Dezember 1876 an einen unbekannten „Herr(n) Doctor“ an,49 wo es, nach einer Anekdote zum Durchschreiten des Löwentores in Mykene, heißt: „Zum 2ten Januar melde ich also offiziel (sic) einen Vortrag über Eleutherä und Aegosthena an“ (Abb. 9a, 9b).

Abb. 8a: Skizze der Ansicht der Festung von Phyle in Attika, Ausschnitt aus ebd. 48 Archäologische Zeitung 35 (1878), S. 25; Schröder, Bernhard-Wilamowitz (wie Anm. 8), S. 553, 562 f. 49 Naheliegend wäre die Vermutung, dass der Adressat des Schreibens entweder der Vorsitzende der Archäologischen Gesellschaft, zu jenem Zeitpunkt Ernst Curtius, oder deren Schriftführer, Richard Schöne, ist. Allerdings hätte Bernhard wohl beide als „Herr Professor“ angeredet, es sei denn, Schöne, der zwar 1869 außerordentlicher Professor in Halle geworden war, 1872 aber wieder nach Berlin auf eine Stelle als Referent im Kultusministerium zurückkehrte, führte im Dezember 1876 „nur“ den Doktorentitel; zu Schöne vgl. Claudia Bohm, Richard Schöne, 1840–1922, in: Reinhard Lullies/Wolfgang Schiering (Hg.), Archäologenbildnisse. Porträts und Kurzbiographien von Klassischen Archäologen deutscher Sprache, Mainz a. Rh. 1988, S. 75–77.

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Abb. 8b: Grundriss der Festung von Phyle in Attika, Ausschnitt aus ebd.

Abb. 9a, 9b: Handschriftlicher Brief des Erbprinzen Bernhard von Sachsen-Meiningen vom 13. Dezember 1876 an einen unbekannten „Herr(n) Doctor“

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Wiederum zwei Jahre später gelangten die Pläne von Ziller mit einem kurzen Text von Bernhard zur Publikation an abgelegener Stelle, worauf Wilt Aden Schröder vor einigen Jahren hingewiesen hat.50 Der Text ist recht kurz und vorwiegend deskriptiv, allerdings auch mit Schlüssen zu Datierungen, Bauphasen etc.; es wird etwas Sekundärliteratur angegeben und die relevanten antiken Quellen, beides offenbar auf Zuarbeit von Wilamowitz.51 Interessant sind die Schlussworte des Erbprinzen dieses, so weit bekannt, einzigen publizierten archäologischen Beitrages aus seiner Feder: „Mögen diese Publikationen Anregung geben zu einer fachmännischen Untersuchung Aigosthena’s. Sie tut Noth. Mauern und Thürme stürzen von Jahr zu Jahr mehr ein; die Inschriften bedürfen einer Vergleichung und des Schutzes gegen die Zerstörung durch Unwissender Hände. Aber auch dem Touristen sei ein Abstecher nach Porto Germanó dringend empfohlen; er findet in Vilia herzliche Gastfreundschaft, einen pittoresken Weg und ein wohl erhaltenes, romantisch gelegenes Stück Alterthum.“52

Hier vermengen sich Elemente eines romantisch angehauchten Reiseführers mit ernsthafter Sorge um Erhalt und Zustand der antiken Ruinen, verbunden mit der berechtigten Aufforderung an die Fachvertreter, sich intensiver damit zu beschäftigen. Die entsprechenden Einträge im Tagebuch, der Vortrag vor der Archäologischen Gesellschaft zu Berlin und die kurze Publikation belegen somit, dass Bernhards Interesse an den und Beschäftigung mit den Altertumswissenschaften durchaus über den bildungsbürgerlichen Standard hinausgingen und keineswegs auf philologische und musische Aspekte beschränkt blieben, auch wenn diese in der Summe sicher den wichtigsten Teil darstellen. Wie schon erwähnt, hatten die Griechenland- bzw. Orientreisen und die daraus resultierende Bekanntschaft mit Heinrich Schliemann ein weiteres Betätigungsfeld für Bernhards Beschäftigung mit dem Altertum eröffnet, jenes eines direkten und indirekten Förderers und Unterstützers archäologischer Tätig­ keiten.53 Belege dafür finden sich nicht nur in der direkten Korrespondenz zwischen Bernhard und Schliemann,54 sondern auch in der Korrespondenz zwischen Schliemann und Rudolf Virchow (1821–1902), der „zu den Fürstlichkei50 Schröder, Bernhard-Wilamowitz (wie Anm. 8), S. 553 f.; dort auch die neuere Literatur zu den beiden Anlagen, welche allerdings den Beitrag des Erbprinzen (Sachsen-Meiningen 1879) nicht erwähnt. 51 Wie aus den entsprechenden Briefwechseln hervorgeht: Schröder, Bernhard-Wilamowitz (wie Anm. 8), S. 557 f. (Brief von Bernhard an Wilamowitz vom 5. Mai 1877). 52 B[ernhard, Erbprinz von Sachsen-Meiningen], Eleutherae und Aigosthena, in: Zeitschrift für Bauwesen 29 (1879), S. 288. 53 Dazu siehe Masson, Photographies chypriotes (wie Anm. 30); Schröder, Bernhard-Wilamowitz (wie Anm. 8), S. 550 f. 54 Von der sich der größte Teil nicht erhalten hat: Meyer, Briefe (wie Anm. 35), S. 20.

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ten gute Beziehungen hatte“ und wohl unterstützend die Anliegen Schliemanns bei Bernhard vertrat.55 Diese betrafen, wie Wilt Aden Schröder herausarbeiten konnte, neben der Ausnahmesituation der Überführung von Schliemanns trojanischen Altertümern nach Berlin, vor allem und mit einer gewissen Regelmäßigkeit zwei Aspekte, nämlich die Erteilung von Ausgrabungsgenehmigungen und die Verleihung von Orden an für Schliemanns Belange wichtige Personen durch das Kaiserhaus.56 Bernhards Aufgabe bestand sozusagen darin, entsprechende Entscheidungsträger in Berlin, Konstantinopel und anderswo im Sinne Schliemanns zu beeinflussen57 und wie es den Anschein macht, kam er diesen „Aufgaben“ gerne nach, zumindest legt dies eine Passage in einem Brief von Schliemann an Virchow vom 24. Januar 1888 nahe.58 Schliemann bemühte sich denn auch bei sich bietender Gelegenheit, den Erbprinzen „bei der Stange zu halten“. So schreibt er am 26. Februar 1884 an Virchow, dass er seine Frühjahrskampagne in Tiryns werde unterbrechen müssen, um den Erbprinzen am 23. April in Athen zu empfangen und zu beherbergen, was er in einem weiteren Schreiben vom 22. April bestätigt.59 Zwar gibt Schliemann in den Briefen an Virchow zu verstehen, dass ihm die Unterbrechung seiner Tätigkeit in Tiryns unangenehm und lästig ist. Dennoch wusste er sehr wohl, wie wichtig es war, Bernhard entsprechend dessen Stand und dessen Verdienste um seine eigenen Arbeiten zu behandeln und die anlässlich des prinzli55 Ebd., S. 90; Bernhard selbst schrieb offenbar an Schliemann, dass Virchow häufig bei seinem Schwiegervater, dem damaligen Kronprinzen und späteren Kaiser Friedrich III., zu Gast war: Ernst Meyer, Heinrich Schliemann. Briefwechsel, Aus dem Nachlass in Auswahl herausgegeben, 2. Von 1876 bis 1890, Berlin 1958, S. 76 f.; zur Korrespondenz zwischen Schliemann und Virchow vgl. Joachim Herrmann/Evelin Maass, in Zus. m. Christian Andree u. Luise Hallof (Hg.), Die Korrespondenz zwischen Heinrich Schliemann und Rudolf Virchow, 1876–1890, Berlin 1990. 56 Schröder, Bernhard-Wilamowitz (wie Anm. 8), S. 551; Meyer, Briefe (wie Anm. 35), S. 90 f.; zu entsprechenden Vorgängen, hier eine Auszeichnung für Frank Calvert, vgl. auch Allen, Finding the Walls of Troy (wie Anm. 31), S. 201–203 u. a. m. 57 Oder in den Worten Ernst Meyers: „… Bernhard von Sachsen-Meiningen, der dem Forscher ein interessierter und stets hilfsbereiter Fürsprecher war beim Berliner Hof und bei den einschlägigen Ministerien“ (Meyer, Briefe [wie Anm. 35], S. 20). 58 Herrmann/Maass (Hg.), Schliemann-Virchow (wie Anm. 55), S. 483 f.: „Ich begreife es, daß es nicht leicht ist, Emil Brugsch einen Orden zu verschaffen, denn wir Berliner sind Puritaner und können niemandem erlauben, einen ägyptischen Lebenswandel zu führen. Wir wollen uns aber mündlich darüber unterhalten, ob es nicht doch vielleicht durch den Erbprinzen von Meiningen zu machen wäre, der mir schrieb, ich solle mich in solchen Angelegenheiten nur immer an ihn wenden. Auch verschaffte er mir ja auch vor 4 Jahren in ein paar Tagen die beiden Orden für meine Helfershelfer in Troja, um die Schöne so lange vergeblich gearbeitet hatte“. 59 Herrmann/Maass (Hg.), Schliemann-Virchow (wie Anm. 55), S. 399, 401; Meyer, Briefe (wie Anm. 35), S. 235, 238 f.

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chen Aufenthaltes bei Schliemann ausgerichteten Empfänge, Essen und Feste sowohl im Iliou Melathron60 als auch anderswo haben unter anderem in der lokalen Presse einen breiten Niederschlag gefunden.61 Auch hat Bernhard bei der Gelegenheit die Ausgrabungen in Tiryns besucht, worauf Schliemann in der Einleitung zur 1886 erschienenen Monographie stolz hinweist: „Meine Ausgrabungen in Tiryns haben die hohe Ehre gehabt, im April 1884 von Sr. Königl. Hoheit, dem für die Wissenschaft begeisterten, gelehrten Erbprinzen Bernhard von Sachsen-Meiningen besucht zu werden, sowie von Herrn Dr. Eduard Brockhaus, ältestem Chef der Verlagsbuchhandlung F. A. Brockhaus in Leipzig, und seinem Sohne Herrn Arnold Brockhaus.“62

Wahrscheinlich schon bei einer früheren Gelegenheit hatte Schliemann dem Erbprinzen ein Exemplar seines 1881 erschienenen Buches über Orchomenos63 übereignet, welches handschriftlich gewidmet ist „Seiner Königlichen Hoheit / Bernhard Erbprinz von S. Meiningen / in höchster Ehrfurcht / vom Verfaßer / Schliemann“.64 Schliemann ließ es allerdings nicht nur bei der Widmung bewenden, er erwähnt seinen prinzlichen Förderer auch im wissenschaftlichen Zusammenhang, wenn er bei der topographischen Verortung von Orchomenos schreibt: „Gerade gegenüber sieht man auf einer steilen Felshöhe die alte, jetzt Γυφτόκαστρον genannte Festung Eleutherae, worüber S. Hoh. Der Erbprinz Bernhard von Sachsen-Meiningen unlängst einen ausgezeichneten Plan mit einer gediegenen Dissertation publicirt hat.“65 60 Schliemanns Athener Stadtpalais, erbaut von Ernst Ziller; vgl. Anastasios Portelanos, Ιλίου Μέλαθρον. Η οικία του Ερρίκου Σλήμαν, ένα έργο του Ερνέστου Τσίλλερ, in: Georgios S. Korres/Nektarios Karadimas/Georgia Flouda (Hg.), Archäologie und Heinrich Schliemann, 100 Jahre nach seinem Tode, Rückschau und Ausblick, Mythos–Geschichte–Wissenschaft, Athen 2012, S. 449–464 mit der älteren Literatur. 61 Georgios S. Korres, Ερρίκος Σλήμαν (1822/1890), μία ζωή στην υπηρεσία της αρχαιολογικής επιστήμης, in: Korres u. a. (Hg.), Archäologie und Heinrich Schliemann (wie Anm. 60), S. 213. 62 Heinrich Schliemann, Tiryns. Der prähistorische Palast der Könige von Tiryns. Ergebnisse der neuesten Ausgrabungen, Leipzig 1886, S. 11; Schliemann scheint Wert auf den Besuch(er) gelegt zu haben, denn er wird im Index sowohl unter B wie Bernhard (S. 440) als auch unter S wie Sachsen-Meiningen (S. 473) erwähnt, immer mit Verweis auf den Besuch, der auf S. 11 erwähnt wird. Für weitere Belege des Besuches im Briefwechsel vgl. Schröder, Bernhard-Wilamowitz (wie Anm. 8), S. 551. 63 Heinrich Schliemann, Orchomenos. Bericht über meine Ausgrabungen im böotischen Orchomenos, Leipzig 1881. 64 Non vidi. Im Thüringischen Staatsarchiv in Meiningen werden zusammen mit Bernhards Tagebuch der Griechenlandreise von 1876 (s. o. Anm. 38) Photokopien der entsprechenden Seiten und der Titelei des Buches aufbewahrt, auf denen sich sowohl ein Stempel der Bibliothek des Steinsburgmuseums Röhmhild (mit Signatur „N.3 – 012“) als auch ein solcher des Städtischen Museums Meiningen (mit Inv.-Nr. „Kst V 136“) finden. 65 Schliemann, Orchomenos (wie Anm. 63), S. 6.

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Damit ist natürlich der oben besprochene kurze Bericht Bernhards von 1879 gemeint und angesichts des Umstandes, dass dieser knappe vier Spalten umfasst, wird klar, dass Schliemann mit der Bezeichnung als „gediegene Dissertation“ hier sicher pro domo schrieb.66 Trotz vereinzelt anklingender Befürchtungen Schliemanns, er könnte durch sein manchmal impulsives und entsprechende prinzliche Aktionen ad absurdum führendes Vorpreschen bei Amtsstellen in Deutschland und im Osmanischen Reich den hochgestellten Förderer vor den Kopf gestoßen haben,67 scheint das enge Verhältnis der beiden bis zu Schliemanns Tod 1890 weiterbestanden zu haben, wie ein Brief von Schliemann an Bernhard vom 16. Juni 1890 zeigen kann.68 Virchow erwähnt in seinem Bericht der Gedächtnisfeier für Schliemann, die am 1. März 1891 im Berliner Rathaus stattgefunden hatte, ausdrücklich die Anwesenheit des „langjährige[n] Freund[es] des Dahingeschiedenen, S. H. der Erbprinz von Meiningen“.69 Bernhards Unterstützung von Schliemanns Unternehmungen im Hinblick auf ihre direkten Auswirkungen zu beurteilen ist problematisch. Schliemann war, wie man heute sagen würde, hervorragend vernetzt und er hätte die meisten seiner Anliegen in Berlin, Konstantinopel und anderswo wohl auch ohne das Zutun des Meininger Erbprinzen zum Erfolg gebracht, welchem somit sicherlich unterstützende, aber nicht notwendigerweise entscheidende Funktion zukam. Hingegen sollte Bernhards Einflussnahme auf Sophia Schliemann nicht unterschätzt werden, welche er davon überzeugen konnte, einer Schenkung der trojanischen Altertümer nach Berlin zuzustimmen.70 Diesen Sachverhalt bestätigt Schliemann in einem Brief an Virchow vom 13. Januar 1881: „Ein langes, freundliches Telegramm, das meine Frau am Sonntag vom Erbprinzen von Sachsen-Meiningen erhielt, hat sie überzeugt, daß unsere Schenkung der trojanischen Schätze die höchste Würdigung in Deutschland finden wird. Sie ist daher jetzt für die Abtretung ans Vaterland begeistert und freut sich zur Aufstellung der Sachen in Berlin.“71

66 Sehr viel knapper dagegen Wilamowitz in den Erinnerungen: „So konnte die Festung Gyphtokastro, die man Eleutherai nennt, besichtigt werden; der Prinz hat später für ihre Aufnahme gesorgt“ (Wilamowitz-Moellendorff, Erinnerungen [wie Anm. 18], S. 158). 67 Schliemann äußerte entsprechende Befürchtungen in Briefen an Richard Schöne und an Virchow: Herrmann/Maass (Hg.), Schliemann-Virchow (wie Anm. 55), S. 333 f.; Meyer, Briefe (wie Anm. 35), S. 219. 68 Meyer, Briefwechsel 2 (wie Anm. 55), S. 363–365. 69 Rudolf Virchow, Gedächtnisfeier für Heinrich Schliemann, in: Zeitschrift für Ethnologie 23 (1891), S. 41. 70 Meyer, Briefe (wie Anm. 35), S. 90 f. 71 Herrmann/Maass (Hg.), Schliemann-Virchow (wie Anm. 55), S. 243.

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Die kurze Betrachtung des Verhältnisses von Bernhard und Schliemann vor dem Hintergrund der Antikenbegeisterung des Erbprinzen führt direkt zu einem ausgesprochen analogen Fall, der fast wie eine – etwas reduzierte – Blaupause wirkt. Die Rede ist von Bernhards Förderung des autodidaktischen Zypernforschers Max Ohnefalsch-Richter (1850–1917).72 Dieser hatte, mit einer mehrmonatigen Unterbrechung 1884, die Jahre 1878 bis 1890 auf Zypern zugebracht, wo er sich vom journalistischen Berichterstatter zum Ausgräber zahlreicher kyprischer Heiligtümer und Nekropolen, vereinzelt auch Siedlungsplätzen entwickelt hatte.73 In der zweiten Jahreshälfte 1890, also nahezu zeitgleich mit dem Tod Schliemanns, kehrte Max Ohnefalsch-Richter (im Folgenden: MOR) nach Deutschland zurück und ließ sich in Berlin nieder, auch wenn er weiterhin eine beinahe frenetische Reisetätigkeit an den Tag legte. Diese stellt nur eine der zahlreichen Parallelen zu Schliemann dar. Beide Männer litten daran, als archäologische Quereinsteiger von den etablierten Gelehrten nicht immer ernst genommen zu werden, beide hatten ein gesteigertes Geltungsbewusstsein, waren aufbrausend bis cholerisch und beide versuchten, über den wissenschaftlichen (archäologischen) Erfolg auch soziale Anerkennung zu erlangen. Zudem hatten sich beide, bewusst oder unbewusst, für ein, nach damaligen Kriterien, absolut peripheres Gebiet der Altertumswissenschaften entschieden, die ägäische Archäologie im Falle Schliemanns bzw. die Archäologie Zyperns bei MOR. Natürlich gibt es auch Unterschiede, nicht zuletzt der Umstand, dass Schliemann sich Zeit seiner archäologischen Tätigkeit nie Sorgen um seine persönlichen Finanzen machen musste, was hingegen eines der Hauptthemen des chronisch vom Bankrott bedrohten (und einige Male davon auch eingeholten) MOR darstellte. Auch war Schliemann trotz der allgemein bekannten charakterlichen Defizite wohl ein gutes Stück umgänglicher als MOR und vor allem auch deutlich diplomatischer in seinen Kontakten mit Behörden, Geldgebern und „Konkurrenten“. Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Männer war ihr Kontakt zu Rudolf Virchow.74 Dieser Kontakt wurde im Falle von MOR von Alexander Conze 72 Zu Max Ohnefalsch-Richter und seinen Aktivitäten vgl. Stephan G. Schmid/Sophie G. Horacek (Hg.), „I don’t know what am I myself, it is so very difficult to explain.“ Max Ohnefalsch-Richter (1850–1917) und die Archäologie Zyperns, Berlin 2018, passim. 73 Ausführlich zum Leben Ohnefalsch-Richters vgl. Stephan G. Schmid, Max, Magda und Hermann Ohnefalsch-Richter: Beiträge zu biographischen Flickenteppichen, in: Ders./ Horacek (Hg.), Max Ohnefalsch-Richter (wie Anm. 72), S. 53–128. 74 Für Schliemann am deutlichsten zu fassen in der Publikation von Herrmann/Maass (Hg.), Schliemann-Virchow (wie Anm. 55); für MOR bei Christian Andree, „Ich kann etwas Großes und von bleibendem Werthe bieten“. Die Briefe Max Ohnefalsch-Richters an Rudolf Virchow aus den Jahren 1884 bis 1896, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte 34 (2013), S. 15–36 und Ders./Margit Z Krpata, „Ich kann etwas Großes und von bleibendem Werthe bieten.“ Die Briefe Max

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(1831–1914), damals Direktor der Sammlung antiker Skulpturen in Berlin und Vorsitzender der Zentraldirektion des Deutschen Archäologischen Instituts,75 im Jahr 1884 hergestellt und bestand bis kurz vor Virchows Tod im Jahr 1902, wie die erhaltenen Briefe von MOR an Virchow nahelegen.76 Nach MORs Ankunft in Berlin scheint Virchow dem weitgehend ohne Netzwerk und Unterstützer dastehenden Zypernforscher zahlreiche Türen geöffnet zu haben, unter anderem jene des damaligen Universitätsreferenten im Ministerium der geistlichen-, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, Friedrich Althoff (1839– 1908),77 wie aus einem ersten Schreiben MORs an Althoff vom 2. Mai 1891 hervorgeht. Am 18. April 1892 schreibt MOR an Althoff, dass er eine Eingabe an den Kaiser zwecks finanzieller Unterstützung seiner Zypernforschungen plant und dass er sich in dieser Sache mit dem Erbprinzen von Meiningen besprochen habe.78 Davon zeugt auch ein Schreiben vom gleichen Datum, welches Bernhard seinerseits an eine nicht näher spezifizierte „Excellenz“ geschickt hatte und das sich in Abschrift in den Acta Ohnefalsch-Richter erhalten hat.79 Darin setzt sich Bernhard für MOR ein und befürwortet eine kaiserliche Finanzierung seiner Arbeiten. Mit Datum vom 1. Mai 1892 folgt dann die erste einer langen Reihe von Eingaben MORs an Wilhelm II., in welcher er den Kaiser um finanzielle Unterstützung bittet.80 Auch wenn keine eindeutigen Belege dazu vorliegen, ist anzunehmen, dass Virchow den Kontakt zum Erbprinzen hergestellt hatte. Virchows Vertrautheit mit den Fürstlichkeiten ist hinlänglich bekannt und aus dem Umfeld MORs sind ansonsten keine Personen benennbar, die sowohl Zugang zum Erbprinzen gehabt hätten und gleichzeitig MOR gegenüber wohlwollend eingestellt waren. In späteren Schreiben zeigt sich, wie Virchow den Anliegen Ohnefalsch-Richters an Rudolf Virchow aus den Jahren 1896–1900 (T. 2), in: Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte 36 (2015), S. 17–40, sowie Schmid, Flickenteppichen (wie Anm. 73). 75 Zu Conze vgl. Adolf H. Borbein, Alexander Conze, 1831–1914, in: Lullies/Schiering (Hg.), Archäologenbildnisse (wie Anm. 49), S. 59 f. 76 Andree, Ohnefalsch-Richter-Virchow (wie Anm. 74); Andree/Krpata, OhnefalschRichter-Virchow (wie Anm. 74). 77 Zu Althoff vgl. u. a. Bernhard vom Brocke (Hg.), Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das „System Althoff“ in historischer Perspektive, Hildesheim 1991; Ders., Friedrich Althoff. A great figure in higher education policy in Germany, in: Minerva 29.3 (1991), S. 269–293 und weitere Beiträge des gleichen Autors. 78 Handschriftlicher Brief vom 18. April 1892 von MOR an F. Althoff; GStAPK VI. HA, Nl Althoff, F. T., Nr. 876, Bl. 143. 79 Abschrift eines Schreibens des Erbprinzen von Meiningen vom 18. April 1882; GStAPK Acta Ohnefalsch I, Bl. 2. Mit „Excellenz” kann im vorliegenden Zusammenhang eigentlich nur der Kultusminister gemeint sein. 80 GStAPK Acta Ohnefalsch I, Bl. 3–7; die weiteren Details sind bei Schmid, Flickenteppichen (wie Anm. 73) aufgearbeitet.

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MORs gegenüber dem Erbprinzen sozusagen sekundiert. So schreibt MOR am 28. Juni 1896, als er sich – einmal mehr – in großen finanziellen Schwierigkeiten befindet, an Virchow: „Da ich Sie nicht zu Hause antraf, so verschiebe ich meine Reise nach Breslau zum Erbprinzen v[on]. Meiningen auf Morgen Abend. / Gestatten Sie mir vielleicht Ihnen kurz darzulegen, wie ich mir einen Empfehlungsbrief Ihrerseits geschrieben denke, um Erfolg zu haben, wobei ich bitte mir nichts übel nehmen zu wollen. Sie werden ja am besten wissen, was Sie sagen können & wollen & was nicht. Voraus schicke ich noch, daß mir damals als die Kaiserliche Dotation f[ür]. Cypern schwebte & durch verschiedene Personen hingezogen wurde, der Erbprinz einen Studien-Zuschuß von 3000 Mark aus freier Entschließung gewährte. / Es würde sich um 15000 Mark handeln (dann habe ich, was ich brauche), die mir die Deutsche Bank zum üblichen Zinsfuße auf vier Monate leihen würde, vorausgesetzt daß S[eine]. Hoheit der Erbprinz Garant sein will. … Vielleicht haben Sie die große Güte direct einige Zeilen an seine Hoheit den / Erbprinzen von Sachsen-Meiningen Commandeur des VI Armeecorps zu Breslau zu schicken, & an mich morgen einen ausführlichen Brief, den ich übergeben würde. Vielleicht wären Sie so gütig den directen Brief an den Meininger bestehend in wenigen Zeilen gleich morgen früh direct nach Breslau zu schicken, den anderen an mich per Rohrpost nach d[er]. Kairo-Ausstellung.“81

Nach allem, was wir wissen, ist es nicht zu dem von MOR beabsichtigten Konstrukt gekommen und wohl noch nicht einmal zu den anvisierten Schreiben von Virchow an Bernhard, aber der Vorgang zeigt auf, wie das „System“ funktionieren sollte: MOR setzte Virchow seine Intentionen auseinander, Virchow schrieb unterstützend an den Erbprinzen und im Anschluss daran trat MOR an jenen heran. Virchow sorgte ferner als Gründungs- und Ehrenpräsident der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte dafür, dass der „eben nach jahrelangen Ausgrabungen in Cypern in das Vaterland zurückgekehrt[e]“ MOR 1891 dort einen Vortrag halten konnte,82 um dann 1892 unter die ordentlichen Mitglieder der Gesellschaft aufgenommen zu werden.83 Trotz starkem Gegenwind aus den etablierten altertumswissenschaftlichen Kreisen Berlins gelang es schließlich, auch Dank der erbprinzlichen Unterstützung, 25.000 Mark aus dem höchsten Dispositionsfonds des Kaisers für MORs Zypernforschung zu erlangen. Die Details des Zustandekommens der Förderung und der tragische weitere Verlauf von MORs Tätigkeit wurden anderenorts 81 Andree/Krpata, Ohnefalsch-Richter-Virchow (wie Anm. 74), S. 26 f.; ein kürzeres, aber vergleichbares Schreiben folgt am 29. Juni 1896: ebd., S. 29. 82 Max Ohnefalsch-Richter, Parallelen in den Gebräuchen der alten und der jetzigen Bevölkerung von Cypern, in: Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (1891), S. 34–43. 83 Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (1892), S. 12.

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detailliert dargelegt.84 MOR erfuhr die frohe Kunde der kaiserlichen Förderung in den USA, wohin er im Februar 1893 über England gereist war. Vorbereitung und einzelne erfolgreiche Aspekte jener Reise sind wiederum eng mit Bernhard verbunden, wie ein in Abschrift an Althoff geschicktes Schreiben des Erbprinzen an MOR verdeutlich, in welchem Audienzen bei der Kaiserin Friederich und Königin Victoria in Aussicht gestellt werden,85 die später auch stattfanden. Aus der oben erwähnten Korrespondenz MORs mit Virchow geht zudem hervor, dass Bernhard MOR 3.000 Mark als zusätzlichen „Studien-Zuschuß“ zukommen ließ.86 Dies kann eigentlich nur bedeuten, dass Bernhard die USAReise MORs und dessen Lebensunterhalt für die Monate unmittelbar davor und/oder danach (mit-)finanziert hatte. Weiter scheint es Bernhard gewesen zu sein, der den in den USA weilenden MOR als Erster von der kaiserlichen Förderung unterrichtete, zumindest, wenn man einer sicher von MOR initiierten Meldung in der New York Times vom 5. Mai 1893 Glauben schenken darf, wo man unter dem Titel „Subvention for Dr. Richter“ liest: „Dr. Max Ohnefalsch-Richter, the German archaeologist, has received a letter from Prince Bernhard of Saxe-Meiningen, Germany, stating that Emperor William has granted a subvention of 25.000 marks ($5.000) toward the completition of a new work on discoveries in Cyprus by Dr. Richter. The title of the new book will be ‚Tamossos (sic) and Idolion‘ (sic).“ (Abb. 10)

Der Umstand, dass MOR und seine Ehefrau im Jahr 1895 zwei prächtige Photoalben ihrer 1894/95 durchgeführten Zypernexpedition, die mit den kaiserlichen Geldern finanziert worden war, Kaiser Wilhelm II. und eben Bernhard, Erbprinz von Sachsen-Meiningen widmeten, zeigt, dass sie sehr wohl wussten und anerkannten, wer, neben dem eigentlichen Geldgeber, für diesen Erfolg verantwortlich war.87 84 Schmid, Flickenteppichen (wie Anm. 73). 85 GStAPK VI. HA, Nl Althoff, F. T., Nr. 876, Bl. 148 (Abschrift eines Briefes vom 13. Februar 1893 von Erbprinz Bernhard von Meiningen an MOR): „Hochverehrter Herr Doctor! Soeben empfange ich einen Brief des Grafen Seckendorff, welcher mir Folgendes schreibt: Ihre Majestät die Königin wird am 17. d. M. nach Windsor Castle übersiedeln und dürfte es daher am Besten sein, wenn Sie dort in den Tagen nach dem 21. Februar vorsprechen. Gleich nach Ihrer Ankunft in London bittet Sie der Graf, ihm zu schreiben und ihm Ihre Wohnung anzugeben. Nicht nur die Kaiserin Friedrich wird Sie gerne empfangen, sondern sie wird Ihnen auch eine Audienz bei der Königin von England vermitteln. Alle Audienzen sind im Überrock. Sehr erfreut bin ich, Ihnen diese Mitteilung machen zu können und verbleibe, Ihr ganz ergebener Bernhard Erbprinz von Meiningen“. 86 Brief vom 28. Juni 1896 von MOR an Virchow: Andree/Krpata, Ohnefalsch-Richter-Virchow (wie Anm. 74), S. 26, Nr. 39; vgl. oben Anm. 81. 87 Das „Seiner Hoheit Bernhard, Erbprinzen von Sachsen-Meiningen-Hildburghausen und ihrer Königlichen Hoheit Charlotte Erbprinzessin von Sachsen-Meiningen-Hildburghau-

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Da es MOR zeitlebens nicht gelang, die vollständige Gegenleistung für die finanzielle Unterstützung des Kaisers zu erbringen, namentlich die auch im Beitrag der New York Times erwähnte, substantielle Publikation seiner Forschungen mit dem Titel „Tamassos und Idalion“, hatte er es in der Folge zunehmend

Abb. 10: Ausschnitt von S. 9 der New York Times vom 5. Mai 1893 mit Bekanntgabe einer kaiserlichen Förderung in Höhe von 25.000 Mark an Max Ohnefalsch-Richter schwer, Unterstützer zu finden. Wie erwähnt, unterhielt MOR letztlich als positiv konnotiert zu wertende Kontakte mit Virchow bis zu dessen Tod. Zurzeit können keine direkten Kontakte zwischen MOR und Bernhard über das Jahr 1895 hinaus belegt werden. Eine spätere Erwähnung in einem Brief MORs vom 6. Februar 1908 an den Orientalisten Julius Euting in Straßburg lässt solche zumindest als möglich erscheinen. MOR befand sich 1908 in einer länger andauernden Phase der Vorbereitung einer weiteren Zypernexpedition, welche schließlich 1910 stattfinden, katastrophal verlaufen und somit eigentlich das Ende von MORs wissenschaftlichen Ambitionen darstellen sollte.88 In der Korrespondenz mit Euting geht es unter anderem darum, dass einem potentiellen Förderer dieser Unternehmung, einem „Josef Werner, Direktor des Rheinischen Winzervereins in Eltville a/R. (bei Wiesbaden)“,89 der Ehrentitel eines Ökonosen ehrerbietigst gewidmet von Max und Martha Ohnefalsch-Richter“ gekennzeichnete Exemplar wurde 1992 bei Sotheby’s in London versteigert, von der damaligen Popular Bank of Cyprus erworben und mit deren Finanzierung 1994 reproduziert (Andreas Malecos/Anna G. Marangou, Studies in Cyprus, Nikosia o. J. [1994]). Das Verdienst, die Herkunft und Einordnung des nach dem Konkurs der Popular Bank of Cyprus in den Besitz der Bank of Cyprus übergegangenen Albums richtig erkannt zu haben, kommt allerdings Olivier Masson zu (Masson, Photographies chypriotes [wie Anm. 30], S. 37–39); vgl. Schmid, Flickenteppichen (wie Anm. 73), S. 94. 88 Stephan G. Schmid, Das Katastrophenjahr 1910 – Max Ohnefalsch-Richters letzter Zypern-Aufenthalt, in: Ders./Horacek (Hg.), Max Ohnefalsch-Richter (wie Anm. 72), S. 325–350. 89 Handschriftlicher Brief von MOR an Euting vom 17. November 1907, aufbewahrt in der BNU Strasbourg, M.S.3.804.

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mierates verliehen werden soll. Nachdem die Verleihung des Titels an Werner stockt, schlägt MOR vor, mit der Angelegenheit an den Erbprinzen zu gelangen, „dem ich die 25000 Mark vom Kaiser verdanke und der auch die Titel-Seite besorgen wird“.90 Hier wird nicht nur – noch 15 Jahre post festum – explizit auf Bernhards Rolle bei der Vergabe der kaiserlichen Förderung verwiesen, sondern auch deutlich auf dessen mögliche Funktion als direkter oder indirekter Titelund Ordensbeschaffer, also ganz analog zur Arbeitsweise von Schliemann. Allerdings finden sich keine Belege für eine wirkliche Verleihung dieses Titels, so dass aus diesem MORschen Projekt, wie aus so vielen anderen, wohl nichts wurde. Dessen ungeachtet weist der Kontakt zwischen Bernhard und MOR weitgehende Parallelen zu jenem zwischen dem Erbprinzen und Schliemann auf, zumindest in seiner Systematik, wohingegen sich über die persönliche Ebene mangels erhaltener Dokumente nicht wirklich belastbare Aussagen treffen lassen. Auffällig ist weiterhin, dass MOR nach seiner Rückkehr nach Deutschland mehr oder weniger nahtlos den Platz des eben verstorbenen Schliemann im „Fördersystem“ Virchow-Bernhard einnehmen konnte, so dass sich die Vermutung aufdrängt, dass Virchow hier als eine Art spiritus rector gelten kann, auch wenn dieser seine Funktion als Vermittler zwischen der fürstlichen und wissenschaftlichen Welt beispielsweise Schliemann gegenüber ausgesprochen diskret behandelte.91 Bernhard scheint somit nicht aktiv auf der Suche nach Möglichkeiten zur direkten und indirekten Förderung der Altertumswissenschaften gewesen zu sein, hingegen hat er wohl bereitwillig auf entsprechende Hinweise hin, beispielsweise von Virchow, reagiert, worauf sich die Kontakte zwischen dem Erbprinzen und seinen Protégés bis zu einem gewissen Grad verselbständigen konnten. Ob neben Schliemann und MOR noch andere Archäologen in den Genuss substantieller Unterstützung durch Bernhard kamen, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht ersichtlich und bedarf der weiteren Untersuchung. So scheinen Bernhard und Charlotte mit dem Archäologen, Antikenhändler und Sammler Pierre Mavrogordato in Kontakt gestanden zu haben und Bernhard, beziehungsweise Charlotte als Regentin hatten ihn 1916 zum Hofrat und 1917 zum Geheimrat ernannt.92 90 Handschriftlicher Brief von MOR an Euting vom 06. Februar 1908, aufbewahrt in der BNU Strasbourg, M.S.3.804. 91 So schreibt Virchow am 5. September 1879 im Kontext einer geplanten Ordensverleihung an Frank Calvert an Schliemann: „Es wird daher wohl am besten sein, wenn Sie Ihren Erbprinzen von Meiningen direkt in Bewegung setzen“ (Herrmann/Maass [Hg.], Schliemann-Virchow [wie Anm. 55], S. 137; Kursivsetzung Verf.). Virchow gibt Schliemann dadurch das Gefühl, dass Bernhard sozusagen sein privilegierter Kontakt sei, obwohl Virchow natürlich seinerseits ebenso guten Zugang zu den Fürstlichkeiten hatte und mehrfach Schliemanns Anliegen entsprechend sekundierte. 92 Günther Schörner, Von Odessa nach Römhild. Pierre Mavrogordato und seine Antiken-

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Im Gegensatz zu Bernhards Beschäftigung mit der Archäologie und mit archäologischen Monumenten im weiteren Sinne, war sein Umgang mit der altund neugriechischen Philologie und besonders mit den antiken Tragikern von erkennbarer Eigeninitiative geprägt. Das prinzliche Interesse ging dabei, wie oben kurz erwähnt, sicher schon auf seine Erziehung durch Roßmann und später in Heidelberg bei Köchly zurück und begleitete ihn ein Leben lang, ja bot offenbar Halt in allen Lebenslagen. So hatte Bernhard den Aischylos nicht nur in den deutsch-französischen Krieg mitgenommen, sondern tauschte sich dazu brieflich auch mit Köchly aus,93 bevor dann bei einer privat veranstalteten Siegesfeier im Hause Köchly die „Perser“ des gleichen Dichters mit Beteiligung Bernhards zum Besten gegeben wurden.94 Offenbar auf eine Bemerkung Köchlys, wonach keine befriedigende musikalische Begleitung zu den antiken Dramen vorhanden sei, geht eine längerfristige Auseinandersetzung Bernhards mit diesem Gegenstand, vor allem mit der Musik zu den „Persern“ zurück.95 In dem Zusammenhang ist eine ganze Reihe von Briefen Bernhards an den Musikwissenschaftler Heinrich Bellermann (1832–1903) bisher unberücksichtigt geblieben.96 Bernhard hatte offenbar im Jahr 1881 einer Aufführung des Oedisammlung, in: Geyer (Hg.), Thüringer Sammlungen (wie Anm. 5), S. 118–130; Günther Schörner/Hadwiga Schörner, Pierre Mavrogordato und seine Antikensammlung: Der Bestand in Römhild (Teil 1), in: Jahrbuch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 25 (2010), S. 181–250; Jan Bemmann, Völkerwanderungszeitliche Artefakte aus dem Schwarzmeergebiet in der Sammlung Pierre Mavrogordato, in: Terra Barbarica. Studia ofiarowane Magdalenie Maczynskiej w 65. rocznice urodzin, Monumenta Archaeologica Barbarica, Series Gemina 2, Łódź 2010, S. 41–56; Ders./Günther Schörner/Hadwiga Schörner, Pierre Mavrogordato und seine Antikensammlung: Der Bestand in Römhild (Teil 2), in: Jahrbuch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 27 (2012), S. 193–263; zur Verleihung des Titels als Geheimer Hofrat siehe auch LATh-StA Meiningen, Archivalien Signatur 1250, Bestandssignatur 4-12-200. 93 Böckel, Hermann Köchly (wie Anm. 17), S. 333 f.; vgl. Schröder, Bernhard-Wilamowitz (wie Anm. 8), S. 548. 94 Dazu s. o. Anm. 24. 95 So wird die Genese von Bernhards Komponistentätigkeit in einem anlässlich der Silberhochzeit des Erbprinzenpaares in der Illustrierten Zeitung Nr. 3111 vom 12. Februar 1903 erschienenen Artikel geschildert; zu Bernhards Beschäftigung mit den „Persern“ s. a. Maren Goltz, Musiker-Lexikon des Herzogtums Sachsen-Meiningen (1680–1918), Meiningen 2012, S. 40 (urn:nbn:de:gbv:547-201200041, zuletzt abgerufen am 15. Juni 2019); Schröder, Bernhard-Wilamowitz (wie Anm. 8), S. 548 f. 96 Die Briefe werden in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin aufbewahrt, Signatur GL 175/1/95-123. Es handelt sich um 28 Schreiben, die den Zeitraum vom 22. August 1881 bis zum 19. Juli 1890 umfassen, wobei von März 1884 bis Februar 1888 eine Lücke klafft. Zu Bellermanns Antikebezügen vgl. Gesine Schröder, German Gymnasium and Germinal Greek. Heinrich Bellermann’s Stage Music for Three Tragedies by Sophocles, in: Katerina Levidou/Katy Romanou/George Vlastos (Hg.), Musical Receptions of Greek

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pus Rex im „Kaiser Wilhelms Gymnasium“ beigewohnt, dessen Musik von Bellermann komponiert war, worauf jener ihm die Partitur zugeschickt hatte, was zum ersten Brief von Bernhard führte, in dem er sich bedankt, auf seine eigene Musik zu den Persern verweist und auf deren baldige Aufführung in Meiningen („Kommenden Winter werden wahrscheinlich die Perser in Meiningen über die Bühne wandern“). 97 Weiter erwähnt Bernhard spezifische Punkte bei der Übersetzung der Perser, wobei auch der „selige Freund Koechly“ zur Sprache kommt. Der Brief schließt mit Bemerkungen zur Förderung und Unterstützung antiker Dramen auf deutschen Bühnen, die zeigen, dass dies Bernhard ein echtes Anliegen gewesen sein muss: „Freilich gehört dazu auch ein Entgegenkommen der deutschen Theaterleitungen. Müssen diese denn immer nur auf das liebe Geld losarbeiten? Was meine schwachen Kräfte vermögen, werde ich thun, um für die Wiederansetzung / der antiken Tragödie auf der Schaubühne zu wirken. Aber stets kommt man mir mit der leidigen Finanzfrage oder mit dem Einwurf entgegen, sie ‚zögen‘ nicht genug! Ich glaube das nicht. Hat doch selbst mein sehr dilettantenhaftes Machwerk die Quedlinburger begeistert.“ 98

In der Folge entwickelte sich ein reger Austausch, nicht zuletzt, weil Bellermann vorschlug bzw. beabsichtigte, die Perser im akademischen Gesangsverein zur Aufführung zu bringen, was Bernhard zu einer enthusiastischen Reaktion veranlasste: „Sehr glücklich bin ich über die Nachricht, daß Sie die Perser im akademischen Gesangsverein einstudieren lassen. Es ist eine Ehre, auf die ich nicht gehofft(?) habe. Zur Aufführung zu erscheinen wird mir ganz besondere Freude sein. Glauben Sie, daß ich bei einer Probe von Nutzen sein kann, so bin ich jeden Tag bereit, mich einzufinden; namentlich müßte ich den Xerxes mit einstudieren helfen, denn ihm liegt der schwierigste Part ob.“ 99

Bernhard fand offensichtlich Gefallen an dem Projekt, gab über mehrere Monate briefliche Ratschläge – vor allem zur Partie des Xerxes und des Chores –, nannte Personen, die es zur Aufführung einzuladen gälte, kündigte seine Teilnahme an Proben an und unterbreitete Vorschläge, wo man das Stück sonst noch aufführen könnte.

Antiquity. From the Romantic Era to Modernism, Newcastle upon Tyne 2016, S. 178– 211; Dies., Gymnasiasten-Theater. Heinrich Bellermanns Musik zu Sophokles, in: Petra Stuber/Ulrich Beck (Hg.), Theater und 19. Jahrhundert, Hildesheim 2009, S. 35–58. 97 Handschriftlicher Brief vom 22. August 1881 von Bernhard an Bellermann, Zentral- und Landesbibliothek Berlin, Sign. GL 175/1/93. 98 Ebd. 99 Handschriftlicher Brief vom 4. November 1881 von Bernhard an Bellermann, Zentralund Landesbibliothek Berlin, Sign. GL 175/1/94.

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Ab dem Februar 1888 ging es erneut um die „Perser“ und Bernhard berichtete, dass er einige Änderungen vorgenommen habe und diese mit Bellermann besprechen wolle.100 Eine konkrete Gelegenheit zur Aufführung bot sich unter anderem im Herbst 1889, denn anlässlich der Hochzeit seiner Schwägerin Sophie von Preußen mit dem griechischen Kronprinzen Konstantin, am 28. Oktober 1889 in Athen (Abb. 11), zeichnete Bernhard für die musikalische Umsetzung der Chöre bei einer Aufführung von Aischylos’ „Persern“ (in einer neugriechischen Übersetzung von Alexandros Rangabis101) verantwortlich, was – wie auch alle anderen Aspekte der Feierlichkeiten – in der lokalen und internationalen Presse ausführlich gewürdigt wurde.102 Es würde sich wohl lohnen, Bernhards Verhältnis zu Bellermann einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen, möglicherweise beschränkte sich die Zusammenarbeit nicht auf die eben angesprochenen Bereiche. Bellermann widmete eine 1888 publizierte Komposition zum „Oedipus auf Kolonos“ dem Erbprinzen,103 was ein Hinweis auf materielle Unterstützung darstellen könnte. Spätestens seit der Hochzeit seiner Schwägerin mit dem griechischen Thronfolger ergaben sich für Bernhard zusätzliche Gelegenheiten, Kontakte mit und nach Griechenland zu pflegen, welche sicher über die genügsam bekannten, gemeinsamen militärischen Manöver hinausgingen. Dass sich Bernhard neben dem antiken auch stark für das moderne Griechenland interessierte, ist schon

100 Handschriftlicher Brief vom 17. Februar 1888 von Bernhard an Bellermann, Zentralund Landesbibliothek Berlin, Sign. GL 175/1/107. 101 Alexandros Rizos Rangabis (auch Rangabes, Rangabé etc.; 1810–1892) war von 1875 bis 1887 griechischer Gesandter in Berlin und ein angesehener Dichter, Philologe und Archäologe. Bernhard und Rangabis kannten sich somit sicher schon länger, u. a. waren sie 1875 gleichzeitig in die Archäologische Gesellschaft zu Berlin aufgenommen worden (Schröder, Bernhard-Wilamowitz [wie Anm. 8], S. 549). Zudem gehörte Rangabis auch zum Netzwerk von Virchow und Schliemann; vgl. Herrmann/Maass (Hg.), Schliemann-Virchow (wie Anm. 55), S. 599 s. v. Rangabé. 102 D. B., Correspondence grecque, in: Revue des Études Grecques 2.7 (1889), S. 284; D. B., Correspondence grecque, in: Revue des Études Grecques (1889), S. 430 und auch im oben Anm. 95 angeführten Artikel in der Illustrierten Zeitung Nr. 3111 vom 12. Februar 1903: „… vor allem aber durch den begeisterten Beifall, den in Athen selbst die modernen Hellenen der hehren Schöpfung ihres antiken Landsmannes und der von tiefeindringendem Verständnis und liebevoller Versenkung in den Empfindungsgehalt derselben zeugenden Tondichtung des deutschen Fürstensohnes jubelnd zollten“. Ausführlich zur Aufführung der „Perser“ in Rangabis’ Übersetzung und mit Bernhards Musik vgl. Gonda Van Steen, Where have all the tyrants gone? Romanticist Persians for royals, Athens 1889, in: Dimitris Asimakoulas/Margaret Rogers (Hg.), Translation and Opposition, Bristol/Buffalo/Toronto 2011, S. 77–92, bes. S. 79–83. 103 Non vidi; ich übernehme die Angabe von Schröder, Gymnasiasten-Theater (wie Anm. 96), S. 38, Anm. 7.

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verschiedentlich betont worden.104 Bernhard nahm unter anderem in seiner Berliner Zeit Unterricht in Neugriechisch bei Professor Johannes K. Mitsotakis, welcher sein 1905 postum erschienenes Taschenwörterbuch Neugriechisch­ Deutsch „Sn. Hoheit dem Erbprinzen Bernhard von Sachsen-Meiningen als ein bescheidenes Zeichen seiner Dankbarkeit in Ehrerbietung“ widmete.105 Interessant ist in diesem Zusammenhang ein weiteres Buch von Mitsotakis, eine bereits 1891 erschienene „Praktische Grammatik der neugriechischen Schrift- und Umgangssprache“.106 Zwar ist dieses Buch „dem Andenken Ihrer hochseligen Majestät der Kaiserin und Königin Augusta“ gewidmet, es beginnt aber mit einem „offene(r)[n] Brief an Seine Hoheit den Erbprinzen von Sachsen-Meiningen“, den auszugsweise zu zitieren sich lohnt: „Hoheit! / Es sei mir gestattet Eurer Hoheit meiner tiefen Dankbarkeit für all das Gute, was Hochdieselben mir erwiesen, hier an dieser Stelle öffentlich Ausdruck zu geben, und zugleich zu erklären, dass, wenn dieses Buch sich den Deutschen als nützlich erweist, ich es zum grossen Theil Eurer Hoheit verdanke. / Ich habe die Ehre gehabt, Eure Hoheit im Neugriechischen zu unterrichten; Hochdieselben beherrschen gegenwärtig meine Muttersprache, wie ein geborener Grieche, so dass Sie in Ihren Mussestunden eine Übersetzung von Schiller’s »Fiesko« und Lessing’s »Emilia Galotti« verfasst haben, welche von den Griechen als vorzüglich gelungen begrüsst worden ist. Aber Eure Hoheit werden sich wohl noch erinnern, wie sehr der Mangel an geeigneten Lehrbüchern das Erlernen der neugriechischen Sprache erschwert. Durch die mehrjährige Erfahrung, welche ich gewann, indem ich Eure Hoheit unterrichtete, wurde es mir klar, auf welche Art und Weise ein Buch verfasst werden müsse, um den Deutschen, welche diese Sprache erlernen wollen, von Nutzen zu sein.“107

Bernhards Übersetzungsleistungen haben auch anderenorts Erwähnung gefunden,108 der dreiseitige offene Brief, der in der Schlussformel erneut Mitsotakis’ Dankbarkeit gegenüber dem Erbprinzen zum Ausdruck bringt, lässt darüber hinaus vermuten, dass der Erbprinz den Verfasser und sein Werk in manifester Weise unterstützt haben muss. Es zeichnet sich somit ab, dass Bernhards Verhältnis zu den Altertumswissenschaften nicht von seinem generellen Philhellenentum zu trennen ist, welches einerseits das antike und das moderne Hellas umfasste, aber auch über die stren104 Schröder, Bernhard-Wilamowitz (wie Anm. 8), S. 548 f. mit Anm. 5; Johannes Irmscher, Heinrich Schliemann und das moderne Griechenland, in: Klio 55 (1973), S. 315. 105 Evthymios Chr. Papachristos, Die deutsch-neugriechische Lexikographie von 1796 bis 1909, Tübingen 1990, S. 26, 478. 106 Johannes K. Mitsotakis, Praktische Grammatik der neugriechischen Schrift- und Umgangssprache. Mit Übungsstücken und Gesprächen, Stuttgart/Berlin 1891. 107 Ebd., S. VII. 108 Sie umfassen außerdem noch weitere Werke, wie „Don Carlos“ und „Nathan der Weise“: Schröder, Bernhard-Wilamowitz (wie Anm. 8), S. 551 f.

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Abb. 11: Titelseite der Illustrierten Zeitung Nr. 2419 vom 9. November 1889 mit Darstellung des griechischen Kronprinzen Konstantin und seiner frisch angetrauten Ehefrau Sophie, geb. Prinzessin von Preußen gen Grenzen der damals üblichen Griechenlandbegeisterung hinausging, denn sonst hätte er kaum zwei in mehrfacher Hinsicht „Randständige“ der damaligen Altertumswissenschaften massiv unterstützt, welche zu in jener Zeit kaum vom (deutschen) altertumswissenschaftlichen Establishment beachteten Regionen und Epochen forschten. So betrachtet ist es zu bedauern, aber eben auch nach-

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vollziehbar, dass Adolf von Harnacks Antrag von 1900, den Erbprinzen „als Patron griechischer Studien“ als Ehrenmitglied in die Preußische Akademie aufzunehmen, gescheitert ist.109

109 Schröder, Bernhard-Wilamowitz (wie Anm. 8), S. 552; wie aus Werner Hartkopf, Die Berliner Akademie der Wissenschaften: Ihre Mitglieder und Preisträger 1700–1990, Berlin 1992, S. XII hervorgeht, hatte von Harnack neben Bernhard auch Prinz Heinrich von Preußen und den Finanzminister Johannes (von) Miquel (1828–1901) als Ehrenmitglieder vorgeschlagen, alle Anträge wurden abgelehnt.

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Umbruch und Kontinuität – die Novemberrevolution im Herzogtum Sachsen-Meiningen

1. Die Situation im Herzogtum im frühen 20. Jahrhundert Das Herzogtum Sachsen-Meiningen war über fast ein halbes Jahrhundert hinweg vom kunstsinnigen und liberalen Herzog Georg II. geführt worden. Schon in den ersten Jahren seiner Regentschaft hatte er sich nicht nur um das Theater gekümmert, um dort seine Vorstellungen von mustergültigen Inszenierungen umzusetzen, sondern er begann, den in den Regierungsjahren seines Vaters aufgelaufenen Reformstau aufzuarbeiten. Bereits drei Jahre nach seinem 1866 erfolgten Regierungsantritt entstanden an Stelle der bisherigen Ämtereinteilung die vier Landkreise Meiningen, Hildburghausen, Sonneberg und Saalfeld. Judenfeindliche Artikel verschwanden aus dem sachsen-meiningischen Grundgesetz. Außerdem wurde die Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit durchgesetzt. In den späteren Jahren sorgte der Herzog dafür, dass ein moderneres Volksschulgesetz und die synodale Verfassung der evangelischen Landeskirche, eine stärkere Trennung von Staat und Kirche, sowie weitere Gesetze durch den Landtag lanciert werden konnten. Zwar waren dem Regenten nach der von ihm befürworteten Reichseinigung nur noch eingeschränkte Souveränitätsrechte verblieben. Diese aber nutzte er, um dem leistungsfähigen, aber doch recht dominanten preußischen Staatswesen eine humanisierende Kultur gegenüberzustellen. Neben dem Theater sorgte er dafür, dass die Hofkapelle zu einem Eliteorchester ausgebaut werden konnte. Er förderte den Chorgesang und pflegte Kontakte zu Künstlern, deren Arbeiten er unterstützte. Den Ersten Weltkrieg sah der greise Herzog heraufziehen, befürwortete ihn aber nicht. Ihm blieb es auch erspart, diesen miterleben zu müssen. Er starb am 25. Juni 1914 und wurde am 28. Juni auf dem Meininger Parkfriedhof begraben, jenem Tag, an dem die Schüsse von Sarajevo fielen. Schon bei der Ankunft von Georgs Sarg aus Bad Wildungen in der seinem Tod folgenden Nacht befanden sich Tausende auf den Straßen. Nach der Aufbahrung im Marmorsaal des Schlosses und dem Trauergottesdienst in der Meininger Stadtkirche begleitete ein langer Trauerzug den Verstorbenen zum Meininger Parkfriedhof. So manchem wird sicher schon damals bewusst gewesen sein, dass mit dem Tod Georgs eine Epoche zu Ende gegangen war. Mit Georg war nicht nur einer der letzten Bundesfürsten gegangen, die noch die Reichsei-

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nigung 1871 miterlebt und mitgetragen hatten, sondern der auch im Nachhinein den Idealtypus eines Monarchen verkörperte: Georg hatte einen liberalen Musterstaat aufgebaut und stand diesem als vorbildlicher und fast vollkommener Landesvater vor. Darüber hinaus förderte und prägte er ein kaum mit anderen deutschen Bundesländern vergleichbares Kulturleben.1

Abb. 1: Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen, Foto: unbekannt 1

Siehe v. a. Alfred Erck/Hannelore Schneider, Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen, Zella-Mehlis/Meiningen 1997, S. 559–564.

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2. Die Regentschaft des letzten Herzogs von Sachsen-Meiningen Nun endlich gelangte der als der „ewige Erbprinz“ bekannte Erbprinz Bernhard III. von Sachsen-Meiningen mit 63 Jahren an die Regentschaft. Nur wenige Wochen später begann der Erste Weltkrieg. Wie Augenzeugen berichteten, soll sich die Atmosphäre bei Hofe nach dem Tod von Georg schlagartig geändert haben. Künstler seien dort nicht mehr gefragt gewesen und der ohnehin formelle, steife und langweilige Hof wäre im Krieg gänzlich erstarrt.2 Bernhard hatte von seinem Vater ein wohlgeordnetes und liberal regiertes Herzogtum geerbt. Auch wenn das Land in großen Bereichen landwirtschaftlich geprägt war, hatte es bereits vor allem im Sonneberger Oberland eine kräftige industrielle Entwicklung hinter sich. Während des Krieges aber stagnierte die wirtschaftliche Entwicklung und ging sogar zurück. Bernhard konnte hingegen sprunghaft gestiegene Einnahmen aus Domänen und Forsten für sich verbuchen. Die Landtagsabgeordneten der SPD und des bürgerlichen Lagers mahnten daher dringend Reformen an. Bernhard aber lehnte, wie zuvor auch sein Vater Georg, die Überarbeitung des Dreiklassenwahlrechts und die Besteuerung seiner im Ersten Weltkrieg stark angestiegenen Domänenerlöse ab. Auch nachdem in Russland die Revolution ausgebrochen war, zeigte er keine Reformbestrebungen. Bernhards Untätigkeit in Regierungsangelegenheiten brachten daher ihn und seinen Staatsminister Karl Schaller zunehmend in Konfrontation mit allen Bevölkerungsschichten, die in der fortschreitenden Kriegszeit immer mehr Opfer zu beklagen hatten und hungern mussten. Als Bernhard am 1. November 1918, also 10 Tage vor seiner Abdankung, im Werra-Boten3 bekannt geben ließ, dass er gewillt sei, von seinen gestiegenen Domänenerlösen etwas abzugeben, war es für eine spürbare Wirkung seiner Maßnahmen bereits zu spät. Das Saalfelder Volksblatt quittierte die eigentlich großzügige Spende am 5. November 1918 mit den Worten: „Hoheit, Sie haben den Anschluß verpaßt“ und „Diese Weltfremdheit! Was vor kurzem noch eine Tat gewesen wäre, heute

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Juliana von Stockhausen, Auf Immerwiedersehen, Stuttgart 1977, S. 267. – Juliana von Stockhausen (1899–1998) war die Tochter des Oberstleutnants Anton von Stockhausen. Als Kind besuchte sie eine höhere Mädchenschule am jeweiligen Garnisonsstandort ihres Vaters. Unter anderem lebte die Familie von Stockhausen in Berlin, Coburg und Meiningen. Laut der Adressbücher ist die Familie in Meiningen bis in die beginnenden 1920er Jahre (Wegzug vor 1923) nachweisbar. 1924 heiratete sie Graf Ferdinand von Gatterburg und war die Autorin von erfolgreichen Romanen, Erzählungen und Hörspielen, die häufig von der Welt des Adels handelten. In „Auf Immerwiedersehen“ schilderte sie ihre Kindheit, in der sich schon früh ihre schriftstellerische Ader zeigte. Werra-Bote vom 1.11.1918. Siehe auch Sonneberger Zeitung vom 2.11.1918.

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Abb. 2: Erbprinz Bernhard als General, 1907, Foto: L. Otto Weber, Meiningen liest sich’s wie ein Scherz!“4 Zuerst war im Meininger Regierungsblatt vom 19. Oktober 1918 die Bekanntmachung Bernhards veröffentlicht worden, der zufolge der Herzog auf Ersuchen des Landtages eine Million Mark für Kriegs4

Saalfelder Volksblatt vom 5.11.1918. Im Kopf der Zeitung heißt es: „Volksblatt / Saalfelder Volksblatt / Sozialdemokratisches Organ für Sachsen-Meiningen und Schwarzburg-Rudolstadt.“ Weiter heißt es dort am oben erwähnten Tag: „Nachdem nämlich von deutscher Seite nach diesem vier Jahre währenden Morden Friedensverhandlungen erbeten worden sind, hängt die Größe unseres finanziellen Reinfalls lediglich noch von der Gnade unserer Gegner ab, denen unsere Annektionspolitiker noch bis vor kurzem am liebsten das letzte Hemd abgenommen hätten. Bei dieser Sachlage werden sich unsere fürstlichen Landsleute wohl auch das Befehlen abgewöhnen müssen hinsichtlich dessen, was sie zu zahlen die Gnade haben wollen. Es wird sich vielmehr die Höhe dessen, was sie künftig zahlen müssen, weder nach dem Grade ihrer Einsicht noch nach der Einsicht ihrer Ratgeber, wenn sie deren noch bedürfen sollten, richten. Der Karren sitzt, nicht durch des Volkes Schuld, so tief im Dreck, daß Jeder, ob Fürst oder Tagelöhner, antreten muß, um ihn wenigstens wieder einigermaßen herauszuziehen.“

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wohlfahrtszwecke, d. h. vor allem für den „Bau von Kleinwohnungen und Kriegerheimstätten“,5 überweisen lassen wollte. Wohl in diesem Zusammenhang hatte Bernhard durch den Präsidenten des Landtages, den Architekten und Landesbaurat Eduard Fritze, einige Landtagsabgeordnete zu sich zu einer persönlichen Besprechung einladen lassen, um die „Forderungen der verschiedenen Volkskreise kennenzulernen“.6 Zu dieser Zusammenkunft kam es durch die sich überschlagenden Ereignisse um die Novemberrevolution nicht mehr.

3. Zwei richtungsweisende Veröffentlichungen von Heinrich Eckardt und Arthur Hofmann Gerade in den letzten Wochen vor der Novemberrevolution war in Deutschland einiges in Bewegung geraten. Die sogenannten Oktoberreformen, durch welche das Deutsche Reich faktisch in eine parlamentarische Monarchie umgewandelt wurde, begrüßte das sozialdemokratische Saalfelder Volksblatt zunächst insofern, als dass nun für eine Kriegserklärung die Zustimmung des Parlaments notwendig sei. Man erinnerte daran, dass der Reichstag 1914 erst nach Kriegsausbruch zusammengetreten war, so dass der SPD-Fraktion nichts anderes übrigblieb, „zu überlegen, wie sie am besten durch ihr Verhalten eine Niederlage der deutschen Truppen und damit einen Zusammenbruch Deutschlands verhindern konnte“. Weiterhin hieß es in der Zeitung, deren Herausgeber der SPD-Abgeordnete des Sachsen-Meininger Landtags und des deutschen Reichstags, Arth­ur Hofmann, war: „Wäre also schon damals das Mitwirkungsrecht des Reichstags bei der Kriegserklärung gegeben gewesen, so wäre uns wahrscheinlich der Weg durch jenes furchtbare Meer von Blut und Elend, durch das wir gehen mussten, erspart geblieben.“ Und tatsächlich hatte die SPD noch kurz vor Kriegsausbruch dagegen demonstriert, änderte dann aber ihre Meinung und verursachte mit ihrer sogenannten Burgfriedenspolitik die Spaltung der Arbeiterschaft.7 5 6

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Zitiert nach dem Saalfelder Volksblatt vom 5.11.1918. Zitiert nach: Nachruf (auf den am 16.1.1928 verstorbenen Herzog Bernhard III. von Sachsen-Meiningen), in: Nachrichtenblatt der Vereinigung der Offiziere, Sanitätsoffiziere und Zahlmeister des ehem. Kgl. Preuß. 2. Thür. Inftr.-Regts. Nr. 32, Nr. 18, Ausgabe vom Februar 1928, S. 1–6, hier S. 4. Wohl in diesem Zusammenhang hatte Fritze die beiden SPD-Abgeordneten Heinrich Eckardt und Eduard Wehder neben vier bürgerlichen Abgeordneten eingeladen, damit der Herzog „die Stimmung des Volkes hören“ könne. Eckardt wies die Einladung mit der Forderung zurück, dass die sozialdemokratische Fraktion im gleichen Verhältnis vertreten sein müsse, wie die bürgerlichen Abgeordneten. Siehe Saalfelder Volksblatt vom 12.11.1918. Saalfelder Volksblatt vom 31.10.1918. Einführend zur Burgfriedenspolitik: Jeffrey Ver-

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Infolge der Oktoberreformen erschienen im Saalfelder Volksblatt zwei geradezu programmatisch zu nennende Artikel von den beiden Sozialdemokraten Heinrich Eckardt und Arthur Hofmann.8 Dramatisch leitete Heinrich Eckardt seinen Aufsatz ein: „Gewaltige Umwälzungen durchzittern Europa, Throne krachen, Regierungen stürzen, Staaten lösen sich auf, ihre Völker erheben sich und nehmen die Leitung der Geschicke ihres Landes in die eigene Hand.“ Und er stellt gleich eingangs die Frage, ob das auf eine republikanische Grundlage gestellte Reich weiterhin aus monarchisch regierten Einzelstaaten bestehen könne. Er beantwortet diese Frage sogleich mit einem glasklaren Nein: „Es ist doch nicht denkbar, daß, nachdem im Reich und selbst in Preußen das parlamentarische Regierungssystem […] ihren Einzug gehalten haben, in den Bundesstaaten nach dem alten Rezept des Obrigkeitsstaates weiter regiert wird. Nachdem in Deutschland das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht dominiert […] ist ein Klassenwahlrecht in den Bundesstaaten nicht mehr denkbar […] Und so müssen wir klaren Auges dem Ziele der völligen Demokratisierung der Regierungsform auch in Sachsen-Meiningen entgegensehen. Ohne politische Kämpfe wird das nicht abgehen und schon in der kommenden Tagung des Meininger Landtags werden diese Kämpfe in aller Schärfe entbrennen.“ 9

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hey, Art. „Burgfrieden“, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, hg. von Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz in Verbindung mit Markus Pöhlmann, Paderborn 2003, S. 400–402. Saalfelder Volksblatt vom 1. und 3.11.1918. – Heinrich Eckardt (1877–1957) wuchs als Sohn eines der Mitbegründer der Salzunger SPD-Ortsparteigruppe quasi mit der Partei auf und trat ihr bereits 1894 bei. Seit 1909 gehörte er dem Sachsen-Meininger Landtag und ab 1911 auch dem Salzunger Gemeinderat an. Nach dem Tod des Vaters übernahm er dessen Zigarrenfabrik und war zeitweise auch Vorsitzender der Ortsparteigruppe und des Gemeinderates. Ab 1918 wurde er zunächst parlamentarischer, dann hauptamtlicher Staatsrat für Volkswirtschaft und -ernährung, musste aber nach etwa zwei Jahren das Amt wegen völliger Arbeitsüberlastung abgeben. Er war außerdem Mitbegründer des ersten Arbeiterturnvereins, des Arbeitergesangvereins, der Konsumgenossenschaft und der gemeinnützigen Baugenossenschaft in Salzungen sowie der sozialdemokratischen Zeitung Werra-Wacht in Meiningen. – Arthur Hofmann (1863–1944) fand nach einer Buchdrucker- und Schriftsetzerlehre in der Stadt Leipzig, in deren Nähe er auch aufgewachsen war, seine erste Anstellung im schwarzburgischen Rudolstadt und engagierte sich dort bald für die Vorgängerorganisation der SPD. 1889 gründete er eine eigene Druckerei, verlegte sie wenig später ins benachbarte Saalfeld. Er übernahm auch die Herausgabe sozialdemokratischer Blätter. Ab 1892 wurde er dort Stadtverordneter, ab 1900 auch Mitglied des Landtages von Sachsen-Meiningen. Ab 1903 war er zudem mit Unterbrechungen bis 1924 Reichstagsmitglied und zugleich Vorsitzender der SPD-Ortsparteigruppe bis 1931. Nach der Novemberrevolution bekleidete er das Amt eines parlamentarischen Staatsrates und gehörte 1919/1920 der verfassungsgebenden Nationalversammlung an. Der vorletzte Satz ist durch Fettdruck hervorgehoben. Saalfelder Volksblatt vom 1.11.1918.

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So wird verständlich, dass einige der Sachsen-Meininger Abgeordneten beinahe täglich einen Aufruf zur nächsten Zusammenkunft des Landtages erwarteten. Heinrich Eckardt schreibt weiterhin: „Auch das Meininger Volk ist reif und mündig, seine Geschicke selbst in die Hand zu nehmen […] Auch für die Frauen müssen wir das aktive und passive Wahlrecht fordern.“10 Ferner ließ sich Eckardt über den herzoglichen Landtag seines Landes aus, dass von diesem in der „gegenwärtigen Zusammensetzung wenig zu erwarten“ sei, dessen Erklärungsschriften wie eine Überlieferung aus „vormärzlichen Zeiten“ klingen würden. „Wir sind Niemanden untertänig, auch nicht dem Herzog. Wir sind nicht Diener des Herzogs, sondern er ist der Diener, der gut bezahlte Diener des Landes, und er hat sich, wenn wir als demokratisch regierter Staat gelten wollen, den Beschlüssen der Volksvertretung zu unterwerfen, wie jeder andere Bürger.“ Außerdem stellte er fest, „dass die gegenwärtigen Vertreter der Regierung selbst keine Lust verspüren, die unerläßlichen Umwälzungen zu überleben. Wir brauchen neue Männer …“ und schloss mit den Versen von Hofmann von Fallersleben: „Nicht betteln, nicht bitten, Nur mutig gestritten; Nie kämpft es sich schlecht Für Freiheit und Recht!“

Als es dann doch, nach der Novemberrevolution, zu der Zusammenkunft des Landtages kam, standen die Abgeordneten bereits vor vollendeten Tatsachen. Mit der Abdankung des Herzogs war auch die Sachsen-Meininger Landesregierung delegitimiert und trat daher zurück. Die erwarteten harten Kämpfe blieben aus. Selbst den Monarchisten unter den Abgeordneten war klar, was die Stunde geschlagen hatte, und sie überließen einer Minderheit im herzoglichen Landtag, der SPD, weitgehend das Feld. Und bezeichnenderweise legte der Noch-Staatsminister Schaller am 11. November, einen Tag nach der Novemberrevolution, den Gesetzentwurf für ein demokratisches Landtagswahlrecht vor. Dieser war wie die Reform des Gemeindewahlrechts schon lange zuvor dringend von der SPD und auch vom bürgerlichen Lager angemahnt worden. Selbst in der Zeitung hatte man die Änderung des Landtagswahlrechts schon vorab angekündigt.11 Und eben dieser eigentlich noch herzogliche Landtag legte die Grundlagen der Demokratie im Freistaat Sachsen-Meiningen und somit indirekt auch im Land Thüringen, denn immerhin handelte es sich hier um den zweitgrößten thüringischen Staat nach Sachsen-Weimar-Eisenach.

10 Fett hervorgehoben: „seine Geschicke selbst in die Hand zu nehmen“. Saalfelder Volksblatt vom 1.11.1918. 11 Meininger Tageblatt vom 9.11.1918.

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Abb. 3: SPD-Abgeordnete des herzoglichen Sachsen-Meininger Landtages, Spätsommer 1914, Foto: unbekannt 12 Der zweite richtungsweisende Beitrag wurde von Arthur Hofmann am 3. November 1918 ebenfalls im Saalfelder Volksblatt veröffentlicht.13 Er widmete sich dem „Thüringer Kleinstaatenjammer“, wie eine bereits 1906 von ihm veröffentlichte Publikation hieß. Denn erste Bestrebungen zur Vereinigung der thüringischen Kleinstaaten reichten bereits in das Jahr 1848 zurück und beleb12 Vorn links sitzend zwei die Novemberrevolution in Sachsen-Meiningen wesentlich prägende Persönlichkeiten: Arthur Hofmann (Saalfeld) und Heinrich Eckardt (Salzungen). Auch Heinrich Knauer in der Mitte in Matrosenuniform und Eduard Wehder (beide Sonneberg) rechts neben ihm waren zusammen mit Viktor Weigelt (Steinach) links hinter ihm sowie August Reddigau (Salzungen) rechts außen wichtige Protagonisten der Novemberrevolution in ihren Heimatorten. Der groß gewachsene Richard Fischer (Saalfeld) wurde wie die Vorgenannten 1919 erneut in den Landtag des nunmehrigen Freistaates Sachsen-Meiningen gewählt. Der links außen stehende August Eckardt (Salzungen), ein Bruder Heinrich Eckardts, fiel südlich von Verville im April 1918. Paul Seige (Pößneck), rechts sitzend, starb Jahresende 1915. – Salzungen nennt sich seit dem 31. Mai 1923 Bad Salzungen. 13 Auf diesen Artikel bezieht sich auch ein Redebeitrag von Herrn Rudolph am 10.12.1918 auf der Tagung der Arbeiter- und Soldatenräte des 36. Reichstagswahlkreises zur Vereinheitlichung Thüringens in Erfurt. Siehe Bernhard Post/Volker Wahl (Hg.), ThüringenHandbuch: Territorium, Verfassung, Parlament, Regierung und Verwaltung in Thüringen 1920 bis 1995, Weimar 1999, S. 80.

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ten sich nach 1900 zunehmend. Vor allem die oben erwähnte Publikation Arthur Hofmanns verstärkte die Debatte um eine Landeseinigung nicht nur im Herzogtum Sachsen-Meiningen, sondern auch darüber hinaus, zumal sich Hofmann in seinem Untertitel ausdrücklich an alle Thüringer ohne Unterschied der Parteizugehörigkeit wandte.14 Es zeigte sich immer stärker, dass die Kleinstaaterei mit ihren verschiedenen Hofhaltungen und separaten Verwaltungen enorme Kosten verursachte sowie die zunehmende Industrialisierung behinderte. Mit solchen schriftlichen wie auch mündlichen Beiträgen gilt Arthur Hofmann zu Recht als einer der Wegbereiter des 1920 gegründeten Landes Thüringen.15 In seinem November-Beitrag mit dem Titel „Thüringen eine Einheits-Republik?“ wies er nochmals darauf hin: „Und wer wollte da leugnen, daß wir in Thüringen uns bisher einen Luxus und eine Kräftevergeudung geleistet haben, die direkt ans Groteske grenzt. Auf 12 332 Quadratkilometern liegen nicht nur 9 deutsche Vaterländer neben-, sondern im tollsten Wirrwarr durcheinander und es gehört nicht wenig dazu, sich in diesem vormärzlichen Kunterbunt zurechtzufinden.“

Des Weiteren konstatierte Hofmann: „Für Lakaien und Hofschranzen mag der Gedanke an sich ja fürchterlich erscheinen, daß künftig in Thüringen verschiedene Gemeinwesen nicht mehr als ‚Residenzen‘ bezeichnet werden könnten […] Aber schließlich steht doch das Wohlergehen von anderthalb Millionen Einwohnern höher, als daß dreiviertel Dutzend Fürsten sich auch ferner noch im Glanze ihres Ruhmes und ihrer Stellung sonnen und 10 Dutzend heimliche und unheimliche Räte sich spreizen und wichtig tun können. […] so sollten heute alle thüringischen Staatsminister vor ihre Fürsten hintreten und ihnen sagen: ‚Die Zeit, da Kleinstaaten noch eine Daseinsberechtigung hatten, sie ist vorüber, opfern wir dem Fortschritte aus eigener Entschließung, was doch nicht zu halten ist.‘“

Er sah die Forderung nach einem „freien Thüringen als einheitlicher deutscher Bundesstaat mit republikanischer Verfassung“16 als wichtigste Aufgabe für die 14 Siehe z. B.: Post/Wahl (Hg.), Thüringen-Handbuch (wie Anm. 13), S. 23. – Hans-Werner Hahn, Industrialisierung und gesellschaftlicher Wandel im Herzogtum Sachsen-Meiningen, in: Maren Goltz/Werner Greiling/Johannes Mötsch (Hg.), Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914). Kultur als Behauptungsstrategie?, Köln/Weimar/Wien 2015, S. 173–186, hier S. 185 f. – In Sachsen-Meiningen fand die Schrift von Arthur Hofmann auch beim Herzog Georg II. und dessen Staatsangestellten große Beachtung. Freundlicher Hinweis von Alfred Erck, Meiningen. 15 Dieter Marek, Von „Klein-Russland“ zum „roten Fürstentum“, in: Ders./Jochen Lengemann (Hg.), Stenographen hinterm Vorhang. Geheime Überwachungsprotokolle von Parteitagen der Sozialdemokratie im Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt 1896–1904, Jena 2009, S. 35 (enthält auch Kurzbiografien Arthur Hofmanns auf S. 29–35 u. 135– 138). 16 Zitat fettgedruckt hervorgehoben. Saalfelder Volksblatt vom 3.11.1918.

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nächste Zeit an und bemerkte zu Recht: „Es gilt, das Sachliche über das Persönliche zu stellen!“ und verlangte, möglichst sofort zu entsprechenden Beratungen zusammenzutreten. Demzufolge waren aus Sachsen-Meininger Sicht mit den Oktoberreformen der deutschen Reichsregierung wichtige Grundlagen bzw. Voraussetzungen geschaffen worden. Weiterblickenden Politikern, wie Heinrich Eckardt und Arth­ur Hofmann, wurde schnell klar, dass in einem parlamentarisch regierten Reich für monarchistische Kleinstaaten wie Sachsen-Meiningen kein Platz mehr war. Eine Demokratisierung der deutschen Bundesstaaten lag in dieser Zeit quasi in der Luft. So hatte auch der Sachsen-Meininger Landtagsabgeordnete Karl Knauer auf einer Kreiskonferenz der SPD, welche am 27. Oktober 1918 im Gasthaus „Zur Post“ im oberfränkischen Stockheim stattfand, u. a. die Schaffung einer nur dem Landtag verantwortlichen Regierung, demokratisches Wahlrecht auf allen Ebenen und die Abänderung des Domänenabkommens gefordert.17

4. Hungersnot Nach vier Jahren Krieg hatte sich nicht nur bei den Truppen, sondern auch im Hinterland eine Kriegsmüdigkeit breitgemacht. Der Mangel an Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs erreichte dramatische Höhepunkte. Es gab lange Schlangen vor den Geschäften und Ersatzkaffee, Ersatzmilchpulver oder Ersatzgemüse, Letzteres wurde Stacheldrahtverhau genannt. Statt Blumen wuchsen in den Privatgärten Kohl, Kraut und Kartoffeln.18 In den Zeitungen der damaligen Zeit sind Tipps zu finden, wie man Zwiebeln aufbewahren kann, ohne dass sie Samen austreiben.19 Vor der Verwendung von Mohnpflanzen als Tabakersatz wurde gewarnt.20 Am Ende des Krieges wurden auch Kartoffeln knapp und man überlegte, etwas anderes an Stelle von Kartoffeln als Streckungsmittel beim Backen von Brot zu verwenden.21 In Wasungen, einem Ort mit starkem Frühkartoffelanbau, war man aufgefordert worden, einen Sack mehr als bisher abzuliefern – mit dem Ergebnis, dass den Bauern bereits 14 Tage vor der nächsten Ernte die Kartoffeln ausgingen. So begann das Ausroden der Kartoffeln verfrüht, was wiederum von den Behörden auf das Strengste verbo-

17 Meininger Tageblatt vom 31.10.1918. Saalfelder Volksblatt vom 11. und 26.10.1918. 18 Stockhausen, Auf Immerwiedersehen (wie Anm. 2), S. 262 f. 19 Meininger Tageblatt vom 25.10.1918. 20 Meininger Tageblatt vom 26.10.1918. 21 Sonneberger Zeitung vom 9.11.1918.

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ten worden war. Kaum setzte die Kartoffelernte ein, gab es Hamsterfahrten zu Fuß oder mit der Bahn.22 In der ärmeren Bevölkerung kamen oft nicht einmal Kartoffeln auf den Tisch, sondern Kohlrüben. Es gab kaum etwas, was man aus Kohlrüben nicht herstellen konnte: Kohlrübenmarmelade, Kohlrüben im Brotteig, als Kaffeeersatz, sogar Bier konnte daraus gebraut werden. Weiterhin gab es Steckrübensuppe, Steckrübenpudding, Steckrübenfrikadellen und -koteletts, Steckrübenklöße und Steckrübenmehl. Arme wurden auch zu Friedenszeiten selten richtig satt. Aber während des Krieges setzte der Hunger schon im ersten Kriegsjahr ein und 1916 betrugen die Essensrationen nur noch ein Drittel von dem, was ein normaler Mensch benötigte.23 Vor allem Bucheckern gewannen als Öllieferant stark an Bedeutung. An Sonntagen mit schönem Wetter zogen die Städter in die Umgebung, um Bucheckern zu sammeln. Daher erwog man, Sonderzüge einzusetzen, da die Vorortzüge größerer Städte stark ausgelastet waren.24 Jemand stieg auf den Baum, „um Bucheckern zu klopfen“,25 diese fielen auf ausgelegte Tücher und wurden von der Familie auf- und ausgelesen, um taube von gefüllten Hülsen zu trennen. Aus den Berichten der Großeltern kennen wir noch heute solche Details.26 In der Regel stieg der Familienvater in die Bäume, denn das Saalfelder Volksblatt vom 1. November berichtete vom 76-Jährigen Heinrich Beck aus Bad Sachsa,27 der trotz seines Alters eine Buche erklommen hatte, um Bucheckern zu klopfen. Er überlebte aber seinen Sturz aus großer Höhe nicht. Die Zeitungen forderten ihre Leser auf, fleißig Bucheckern zu sammeln, denn für jedes an einer Sammelstelle abgegebene Kilo bekam man einen Bezugschein für 60 g Öl, das nicht auf die Fettration angerechnet wurde.28 Es war ein dichtes Netz an Annahmestellen eingerichtet worden, meist übernahmen Lehrer diese Aufgabe. So gab es im Kreis Hildburghausen über 50 Annahmestellen. Wer 22 Saalfelder Volksblatt vom 4.9.1918. 23 Adele Kaufmann, Not und Elend in der Heimat, in: Vor 40 Jahren. Novemberrevolution im Kreis Bad Salzungen, Bad Salzungen 1958, S. 9 f. 24 Saalfelder Volksblatt vom 3.11.1918. 25 Saalfelder Volksblatt vom 1.11.1918. 26 Die mit heißem Wasser überbrühten Bucheckern wurden von den Hülsen befreit und mit einer Presse Öl zum Braten hergestellt, wobei man wegen der Blausäure vor übermäßigem Genuss warnte; mündlich von Anna Planer (1900–1981), Rauenstein. 27 Bad Sachsa gehörte bis 1945 zum Kreis Nordhausen. Für diesen Abschnitt und den folgenden über die Spanische Grippe wurden die regionalen Zeitungen konsultiert. In Ermangelung von Beispielen aus dem Herzogtum Sachsen-Meiningen wurden auch Fälle aus den anderen Kleinstaaten Thüringens mit einbezogen. 28 Saalfelder Volksblatt vom 3.11.1918 und 7.11.1918. Siehe auch: Meininger Tageblatt vom 26.10.1918 und 9.11.1918. Dort heißt es aber, dass man für ein Kilo etwa 16 Liter Öl erhält.

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seine Bucheckern selbst pressen lassen wollte, musste sich dies genehmigen lassen. Für das Kreisgebiet Hildburghausen waren nur zwei Ölmühlen im Kreis Meiningen bewilligt worden, die eine von Mühlenbesitzer Berthold Hanff befand sich in Vachdorf und die andere war die leistungsfähigste Öl- und Mahlmühle Südthüringens, die Hoffmannsche Mühle in Obermaßfeld bei Meiningen.29 Weiterhin heißt es, dass die Qualität von Bucheckernöl etwa zwischen mittlerem und gutem Leinöl läge. Es würde nur sehr schwer ranzig, man solle aber die Krüge gut verkorkt in möglichst kühlen und dunklen Kellern aufbewahren.30 Außerdem herrschte stellenweise Mangel an Petroleum für Lampen. So beschwerte man sich in Quittelsdorf, dass man in Dunkelheit kein Vieh füttern könne, denn auch Karbid für Karbidlampen war nur schwer aufzutreiben. Die Öffnungszeiten der Läden wurden auf 6 Uhr abends beschränkt, um den Gasverbrauch in Grenzen zu halten. Stellenweise war man auf dem Lande sogar zur traditionellen Kienspanbeleuchtung zurückgekehrt.31

5. Die Spanische Grippe Heute weniger bekannt ist, dass zu dieser Zeit gerade die Spanische Grippe grassierte. Die erste Welle erreichte im Juni/Juli 1918 Deutschland. Auch in Südthüringen machte sich im Oktober und November eine weitere Welle bemerkbar und hinterließ viele Tote nicht nur unter den Alten und Kindern, sondern vor allem unter jungen Menschen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Dabei verlief die Grippeerkrankung mit häufiger Todesfolge ungewöhnlich schnell, das zeigt eine Nachricht aus der sachsen-meiningischen Exklave Camburg: „Dort sind ein 33jähriger Mann, ein 17jähriges Mädchen und ein siebenjähriger Knabe 29 Hildburghäuser Kreisblatt vom 12.11.1918. – Der ehemalige Obermaßfelder Mühlenkomplex ist heute unter dem Namen Saathof bekannt, die Mühlenanlage ging in der Weltwirtschaftskrise von 1929 in Konkurs und wurde von dem Freimaurer Theodor Bücher zu einer Landfrauenschule mit angeschlossener Molkerei umgebaut. Während die Landfrauenschule nie eröffnet werden konnte, entwickelte sich die Molkerei zu einer der wirtschaftlichsten Deutschlands, die erst nach über 80 Jahren ununterbrochenem Betrieb 2018 für immer ihre Pforten schloss. 30 Saalfelder Volksblatt vom 6.11.1918 und Salzunger Tageblatt vom 8.11.1918. 31 Saalfelder Volksblatt vom 9.10.1918 und 10.10.1918. – Sonneberger Zeitung vom 13.11.1918. – Ersatz für Lampenöl spielte in industriell geprägten Regionen wie dem Sonneberger Land eine geringere Rolle, so gab es in Rauenstein zu jener Zeit bereits einen Stromanschluss für jedes Haus auf Grund der Porzellanfabrik. Nur Lydia Walter (geb. Jakob, 1888–1978) sagte noch bis in ihr hohes Alter: „Zünd’s Lecht a“, wenn das elektrische Licht angemacht werden sollte; mündlich von Siegmund Jakob (1925–2011).

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im Verlauf eines Tages erkrankt und gestorben.“32 Ebenso wird von einer Witwe aus Nordhausen berichtet, dass sie innerhalb von fünf Tagen ihre vier Töchter im Alter von 18–28 Jahren verloren hatte.33 In Gößnitz, einer Kleinstadt im Altenburger Land, sind in der Familie Bruno Kolbe innerhalb von 14 Tagen die Mutter, der Vater und eine Tochter verschieden, während andere Familienmitglieder noch krank darnieder lagen.34 Aus den Zeitungen ist nachzuvollziehen, dass in vielen Orten die Krankenraten rapide anstiegen. So hatte die Ortskrankenkasse von Bad Blankenburg Ende Oktober 1918 etwa 1.900 Mitglieder, davon waren 136 wegen Krankheit arbeitsunfähig und darunter befanden sich 100 Grippe-Kranke.35 Von der allgemeinen Ortskrankenkasse in Rudolstadt wurde gar ein Vergleich angestellt, um die Belastungen der Grippeepidemie bei fast gleicher Mitgliederzahl zu verdeutlichen: Tab. 1: Ausgaben der Ortskrankenkasse (Okt. 1917/Okt. 1918) Jahr Oktober 1917 Oktober 1918

Krankengeld 2.233,35 M 7.699,70 M

Apotheken 482,72 M 1.649,16 M

Sterbegeld -1.335,00 M

Das bedeutete eine Mehrausgabe von 7.967,79 Mark. Hinzu kamen noch die stark erhöhten Krankenhauskosten. Zwar hatte sich der Krankenstand zuvor etwas verringert, erreichte aber immer noch reichlich die doppelte Zahl an Erkrankten. Nur wenn in Bälde eine Besserung einträte, könnte von einer Beitragserhöhung abgesehen werden. So mussten in Katzhütte die Beiträge beispielsweise in einer Betriebskrankenkasse auf sieben von Hundertstel, wenn nicht gar auf 10½ von Hundertstel erhöht werden, was als Verstoß gegen die Reichsversicherungsordnung kritisiert wurde. Außerdem gab es dort kriegsbedingt nur einen einzigen Arzt im gesamten Schwarzatal. Auch der ursprünglich für Katzhütte verantwortliche Mediziner war eingezogen worden und inzwischen gefallen. Der zuständige Arzt

32 Saalfelder Volksblatt vom 11.10.1918. – Eckard Michels, Die „Spanische Grippe“ 1918/19. Verlauf, Folgen und Deutungen in Deutschland im Kontext des Ersten Weltkriegs, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 58 (2010), H. 1, S. 1–33. Aufgrund des ungewöhnlich schnellen Verlaufs wurde die Spanische Grippe gelegentlich auch „Blitzkatarrh“ genannt. 33 Salzunger Tageblatt vom 9.11.1918. Siehe auch Saalfelder Kreisblatt vom 9.11.1918. – In Ermangelung von Beispielen aus Sachsen-Meiningen wurden auch Fälle aus anderen thüringischen Kleinstaaten hinzugezogen 34 Saalfelder Kreisblatt vom 14.11.1918. – Siehe auch Meininger Tageblatt vom 22.10.1918. 35 Saalfelder Volksblatt vom 3.11.1918.

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musste nun von Großbreitenbach herunterkommen und war wegen Arbeitsüberlastung nicht in der Lage, alle Kranken zu behandeln.36 In Arnstadt stieg die Anzahl der Grippeerkrankungen um den 30. Oktober herum immer noch an, bei der Ortskrankenkasse wuchs der Krankenstand auf 700 Fälle. Täglich kamen 60–80 Neuerkrankungen hinzu.37 Ein Mangel an Gemeindeschwestern machte sich bemerkbar und man rief in Meiningen dazu auf, dass sich geprüfte Rotkreuz-Helferinnen zur Unterstützung melden sollten.38 Dort waren die Grippeerkrankungen seit den Tagen um den 7. Oktober derartig stark angestiegen, wobei nicht nur die Anzahl der Neuerkrankten, sondern auch die Heftigkeit der Beschwerden stark zugenommen hatte, dass man nun hoffte, durch Schließung der Schulen dem etwas entgegenzusetzen.39 Die Grippe hatte auch anderswo unter den Kindern ebenfalls so überhandgenommen, dass vielerorts wie in Sonneberg und Arnstadt die Schulen geschlossen werden mussten, z. T. wie in Ruhla sogar mehrmals.40 In Ilmenau hatte die Zahl der an Grippe erkrankten Schüler der Städtischen Realschule ständig zugenommen, bis sie am 7. Oktober fast 60 % erreichte, so dass eine Schulbefreiung für alle Realschüler zumindest bis Ende Oktober angeordnet werden musste. Aus der dortigen Bürgerschule gibt es sogar konkrete Zahlen: Am 19. Oktober waren 1.080 Kinder erkrankt und am 31. Oktober noch 700. Am 7. November gab es nur noch 280 Grippekranke, so dass der Schulbetrieb wieder aufgenommen werden konnte.41 In Sonneberg, Steinach und in Meiningen waren auch noch während der Novemberrevolution die Schulen geschlossen, während sie in Salzungen am 7. November wieder geöffnet wurden.42 Ebenso gaben die Zeitungen bekannt, dass Lesehallen, Leihbibliotheken und Lesezirkel auf Dauer von vier Wochen geschlossen bleiben müssen, wie z. B. die Lesehalle im Saalfelder „Bürgerbräu“. Auch die Lichtspiel-Kinos waren in Salzungen auf Anordnung des herzoglichen Staatsministeriums vorübergehend geschlossen worden, während in Saalfeld etwa zu gleicher Zeit „Die Sieger“ mit Henny Porten und der dänische Science-Fiction-Film „Das Himmelsschiff“ zu sehen waren.43 36 37 38 39

Saalfelder Volksblatt vom 7.11., 8.11. und 10.11.1918. Saalfelder Volksblatt vom 30.10.1918. Meininger Tageblatt vom 22.10.1918, 25.10.1918, 28.10.1918 und 29.10.1918. Die Meininger Schulen wurden am 27.10. oder am 28.10.1918 geschlossen. Meininger Tageblatt vom 22.10.1918 und 29.10.1918. 40 Meininger Tageblatt vom 25.10.1918. Saalfelder Volksblatt vom 10.11.1918. 41 Saalfelder Volksblatt vom 11.10.1918. Sonneberger Zeitung vom 7.11.1918. 42 Stockhausen, Auf Immerwiedersehen (wie Anm. 2), S. 277. Sonneberger Zeitung vom 7.11.1918. – In Salzungen wurden die Schulen nach etwa zwei Wochen wieder geöffnet, weil der Krankenstand bei den Kindern erheblich zurückgegangen, aber bei den Erwachsenen noch im Ansteigen begriffen war, siehe Salzunger Tageblatt vom 8.11.1918. 43 Saalfelder Volksblatt vom 3.11.1918 und 10.11.1918, Saalfelder Kreisblatt vom 9.11.1918 und Salzunger Tageblatt vom 8.11.1918. Die Anordnung der Regierung in Meiningen

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Wie in einem Flugblatt des Vereins für Gesundheitspflege mitgeteilt wurde, wandte man im Kampf gegen die Grippe hauptsächlich alte Hausmittel an: Kranke sollten schleunigst im warmen Zimmer, aber bei frischer Luft ins Bett. Es sollte dafür gesorgt werden, dass der Darm gründlich entleert wird, um die Selbstschutzkräfte durch Ausscheiden der Gifte anzuregen. Dazu wurde u. a. ein ansteigendes Schwitzbad empfohlen, dann eine warme Trockenpackung im Bett mit Kruken, d. h. Wärmflaschen an Füßen und Beinen. Weiterhin wurden heißer Fliedertee, Halswickel, Fieberdiät, kein Alkohol und bei quälendem Husten das Inhalieren von Dampf empfohlen. Das Salzunger Tageblatt schwor auf eine sofortige Verabreichung von warmem, schweißtreibendem Kamillentee. Aber von Fieber senkenden Mitteln riet man ab.44 Wirksame Mittel gegen die Influenza kannte man damals nicht, die Grippeschutzimpfung wurde erst in den Jahren nach 1945 entwickelt. Auch Antibiotika, die damals wohl zumindest teilweise gegen die der Grippe folgende Lungenentzündung geholfen hätte, kamen erst ab 1941 mit dem Penicillin auf den Markt.45

6. Die Vorahnungen des Herzogs Die Unzufriedenheit der Menschen nahm stark zu und man bekam zunehmend das Gefühl, es müsse sich unbedingt etwas ändern. In den ersten Novembertagen kursierten in Meiningen wilde Gerüchte über Meutereien bei der Marine, aber die bürgerlichen Zeitungen berichteten nicht allzu viel darüber.46 In diesen

erfolgte am 5.11.1918. Im Salzunger Tageblatt heißt es einen Tag nach der Verkündigung, am 9.11., dass die für 14 Tage geplante Schließung wieder aufgehoben sei, obwohl auf derselben Seite mit der Anzeige des Salzunger Lichtspielhauses Seeberg noch einmal das Inserat des Meininger Staatsministeriums durch die Entschließung des Magistrats, das Kino vom 5. bis zum 18. November zu schließen, bekräftigt wird. Der Magistrat der Stadt Salzungen hob die Schließung laut Salzunger Tageblatt erst am 12.11.1918 wieder auf. 44 Saalfelder Volksblatt vom 9.11.1918. – Salzunger Tageblatt vom 11.11.1918. 45 Vgl. Michels, „Spanische Grippe“ (wie Anm. 32). 46 Stockhausen, Auf Immerwiedersehen (wie Anm. 2), S. 271 f. Dazu gehörten u. a. der Werra-Bote und das Salzunger Tageblatt. Stattdessen war am 16.11.1918 im Werra-Boten zur lesen, dass die „angeblich geplante Hinopferung der deutschen Flotte“ ein Märchen der sozialdemokratischen Zeitung Vorwärts gewesen sei. Ausführlicher über die Ereignisse in der Stadt Kiel berichtet das Meininger Tageblatt vom 6.11. und 8.11.1918. Eine noch gründlichere Berichterstattung war im Saalfelder Volksblatt zu finden, die am 7. November einsetzt und am 10. November auch den Forderungskatalog des Kieler Arbeiter- und Soldatenrates abdruckt.

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Tagen liefen Fremde, „zweifelhafte Elemente“ in der Stadt umher,47 agitierten und schürten die Unzufriedenheit. Auch am Herzog von Sachsen-Meiningen ging diese unbefriedigende Situation nicht gänzlich spurlos vorüber. Er war während des Krieges von Kaiser Wilhelm II. nicht, wie von ihm erwartet, mit einer wichtigen Position beim Stab betraut worden. Bernhard reiste nur an die Front, um Truppen zu inspizieren. Zu dieser Zeit schon gehörte er gemeinsam mit seiner Frau, einer Schwester des Kaisers, nicht mehr zum engeren Kreis um den preußischen Regenten. Schon seit längerem war dem Herzog klar geworden, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen war, und er bezeichnete die Militärführung um den Kaiser als eine verdammten Bande von Hohlköpfen und den Generalquartiermeister von Ludendorff als einen gefährlichen Irren und Massenmörder.48 Er erging sich in Andeutungen. In einem kleinen Kreis bemerkte Bernhard beispielsweise im Spätsommer 1918: „Nun meine Herren, wenn mich nicht alles täuscht, und das nehme ich nicht an, sind wir dabei, auf dem Misthaufen der Geschichte zu landen.“ Juliana von Stockhausen berichtete außerdem, dass er mitten in einem Kartenspiel aufgestanden und gedankenverloren im Zimmer herumgelaufen sei und dabei halblaut zu sich gesprochen habe: „Das Spiel ist verloren. Gott allein weiß, wie das enden soll.“ Auch seine Untergebenen ergingen sich in Anspielungen. So ist von General Credner der an den Kommandanten der Meininger Garnison von Stockhausen gerichtete Satz überliefert: „Bei Philippi sehen wir uns wieder.“ Diese Redewendung mochte in diesem Fall wohl so etwas bedeutet haben wie: Bald werden wir mit Sicherheit etwas erleben.49 Auch Bernhards Gemahlin Charlotte hatte bereits in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts begonnen, sich zumindest vom kaiserlichen Hof und damit auch von ihrem Bruder nach und nach zu distanzieren. So gehörte Charlotte zu denjenigen, die die offensichtliche geistige und psychische Instabilität des Kaisers thematisierten. Zum Beispiel berichtete sie 1897 ihrem Arzt Dr. Ernst Schweninger von ihren „ernsten Befürchtungen“ hinsichtlich der geistigen Gesundheit ihres Bruders. Auch äußerte sie 1908: „S.M. hält sich für unfehlbar, […] u. ich […] kann nicht aufhören, ernst u. schwarz in die Zukunft unserer

47 Stockhausen, Auf Immerwiedersehen (wie Anm. 2), S. 275. 48 Fritz Wecker, Unsere Landesväter. Wie sie gingen, Wo sie blieben, Berlin 1928, S. 244; Stockhausen, Auf Immerwiedersehen (wie Anm. 2), S. 270. 49 Stockhausen, Auf Immerwiedersehen (wie Anm. 2), S. 271. – Bei dieser Gelegenheit war Juliana von Stockhausen das erste und letzte Mal dem Herzog vorgestellt worden. – „Bei Philippi sehen wir uns wieder.“, ist eine Redewendung, die um 1900 unter Gebildeten gebräuchlicher war als heute. Dieser Ausspruch ist auf Plutarch zurückzuführen, der über Caesar und Brutus berichtete. Dort heißt es, dass Brutus ein Geist erschienen sei, der ihm gesagt habe: „Bei Philippi sehen wir uns wieder!“ Heute versteht man unter diesem Satz ein mit Sicherheit eintretendes Ereignis oder die Gelegenheit, Rache zu nehmen.

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Deutschen politischen dynastischen u. Reg.-Verhältnisse zu sehen“ und konstatierte: „Wir sind wahrhaftig reif für den Untergang“.50

7. Quellensituation Bevor auf die Ereignisse unmittelbar während der Novemberrevolution eingegangen wird, sollte etwas zur Material- und Quellensituation gesagt werden: Außer den Abdankungsurkunden, die ihrerseits Rätsel aufgeben, existieren kaum Quellen, die man als Originale bezeichnen kann. Ausgerechnet das Meininger Rathaus, wo sich die neueren Akten des Stadtarchivs befanden, ist im Zweiten Weltkrieg zerstört worden, ebenso das Meininger Landgericht. Bis Redaktionsschluss waren uns auch keine schriftlich niedergelegten Augenzeugenberichte bekannt. Ebenso muss als ein Manko betrachtet werden, dass sich in Südthüringen meines Wissens nach kein einziges SPD-Archiv aus der Zeit vor 1945 erhalten hat,51 der Partei, die hier die Umwälzungen der Novemberrevolution maßgebend mitgestaltet hat. Dabei haben SPD-Ortsparteigruppen im Herzogtum durchaus Tradition: Örtliche Organisationen der Sozialistischen Arbeiterpartei gab es in Meiningen ab 1873 und in Sonneberg schon ab 1871.52 Die SPD-Ortsparteigruppe von Salzungen konstituierte sich 1877 und die in Hildburghausen entstand 1907.53 Die ausführlichsten Quellen sind die Regionalzeitungen jedweder Couleur, da sie damals die bedeutendsten Informationsmittel waren. Außer den bürgerlichen Blättern gab es zur Zeit der Novemberrevolution in Sachsen-Meiningen zwei SPD-Zeitungen, das Saalfelder Volksblatt und den in Sonneberg seit 1907 herausgegebenen Thüringer Volksfreund. Die in Meiningen verlegte SPD-Zei50 Barbara Beck, Wilhelm II. und seine Geschwister, Regensburg 2016, S. 61–63. 51 In den Meininger Museen fanden sich Zeitzeugenberichte ohne wesentliche Neuerungen. 52 Der Lassallesche Allgemeine Deutsche Arbeiterverein schloss sich 1865 mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands (August Bebel) im Gothaer Tivoli zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschland zusammen, die sich erst 1890 SPD nannte. Die Anhängerschaft rekrutierte sich aus der in Sonneberg besonders in dieser Zeit rasch entwickelnden Spielwarenindustrie und in Meiningen aus der Belegschaft des RAW. Das heutige Dampflokwerk Meiningen wird immer noch als RAW (= Reichsbahnausbesserungswerk) bezeichnet, damals um 1873 Betriebswerkstätte der Werrabahn genannt. – Hermann Kaiser, Aus der Geschichte der Stadt Sonneberg, ein Überblick (1958), Maschinenschrift Deutsches Spielzeugmuseum Sonneberg, SI 0146b, S. 89. – Autorenkollektiv, Festschrift zum 125jährigen Jubiläum der Sozialdemokratie in Meiningen, Meiningen 1999. 53 Heinrich Eckardt, 1877–1927. 50jähriges Parteijubiläum Sozialdemokratische Partei Ortsgruppe Bad Salzungen, Bad Salzungen 1927. – https://www.spd-hildburghausen. de/historisches/; zuletzt eingesehen Juni 2019.

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tung Werra-Wacht wurde erst im Frühjahr 1919 gegründet. Die Überlieferungssituation der einzelnen Ausgaben ist sehr unterschiedlich: Während die bürgerlichen Blätter wie auch das Saalfelder Volksblatt54 aus dieser Zeit vollständig bzw. in nahezu allen Ausgaben überliefert sind, wird der Thüringer Volksfreund des Jahres 1918 leider nur unvollständig in der Bibliothek des Sonneberger Spielzeugmuseums aufbewahrt. Die Zeitungschronik dieser entscheidenden Tage endet dort mit der Ausgabe vom 7. November 1918.55 Im Sonneberger Stadtarchiv fehlen alle Ausgaben jenes Jahres. Ähnliches gilt auch für die Bestände dieser Zeitung im Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Landesbibliothek in Coburg hat offensichtlich den Thüringer Volksfreund gar nicht erst gesammelt, obwohl auch Coburg eine Zeitlang Herausgabeort dieses Blattes war. Aber für Details ebenso wichtig sind die bürgerlichen Blätter wie das Meininger Tageblatt, der Werrabote, das Salzunger Tageblatt, die Sonneberger Zeitung oder das Saalfelder Kreisblatt. Außerdem gibt es noch eine ganze Reihe von Veröffentlichungen aus der DDR-Zeit, hauptsächlich zu Jubiläen wie 1958 und 1968, in denen auch auf die Novemberrevolution im Herzogtum Sachsen-Meiningen eingegangen wird. Immer wieder wird dort die SPD zugunsten der erst zur Jahreswende 1918/19 gegründeten KPD im Parteienspektrum rechts verortet und ihre tatsächlich vorhandene Leistung nicht gewürdigt. Da kaum andere Informationen wie Augenzeugenberichte oder Ähnliches verarbeitet wurden, konzentriert sich dieser Artikel auf die Auswertung zeitgenössischer Quellen, darunter vor allem Zeitungsberichte. Die wichtigste zusammenfassende und aber auch einzige lesenswerte Publikation aus der DDR-Zeit über die Novemberrevolution in Sachsen-Meiningen ist der Aufsatz des Archivars Ulrich Heß über „Die Novemberrevolution in Sachsen-Meiningen“.56 Er beschreibt im Ganzen zutreffend die politische Situation, 54 Alle Ausgaben des Saalfelder Volksblattes von diesen entscheidenden Tagen werden im Saalfelder Stadtarchiv wie auch fast vollständig (außer der Ausgabe vom 14. November 1918) im Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung aufbewahrt. 55 Die Aussage von Ulrich Hess (Die sozialdemokratische Presse in Thüringen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Novemberrevolution 1918, in: Rudolstädter Heimathefte 9 [1963], Heft 11/12, S. 249–259, hier S. 253), dass die Ausgaben des Thüringer Volksfreundes von November und Dezember 1918 im Sonneberger Spielzeugmuseum vorhanden wären, scheint nicht zu stimmen. Allerdings ist der Bibliotheksbestand des Spielzeugmuseums noch nicht vollständig verzeichnet. 56 Ulrich Hess, Die Novemberrevolution in Sachsen-Meiningen, in: Kulturspiegel der Kreise Sonneberg und Neuhaus/Rwg. Dezember 1958, S. 234–241. – Ulrich Heß (1921– 1984) war ein Historiker und Archivar mit einem geradezu enzyklopädischen Wissen. Seine Schwerpunkte lagen auf dem Gebiet der Landesgeschichte Thüringens, vor allem auf der Behörden- und Verwaltungsgeschichte, zu einer Zeit als sie sich nicht im Fokus der Geschichtswissenschaft befanden. Daher konnten einige seiner Werke erst posthum

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die Stellung und die geistige Haltung der SPD im Herzogtum. Zum Schluss wäre noch der wichtige Artikel von Norbert Moczarski aus dem Jahr 2002 zu erwähnen, der aber schon über das Thema dieses Beitrages hinausgeht: „Der letzte Landtag von Sachsen-Meiningen und die ihm nachfolgende Gebietsvertretung in den Jahren 1919–1923“.57

8. Die „sanfte“58 Revolution Vor allem die Abdankung des Kaisers, die noch am Abend des 9. Novembers in Meiningen bekannt wurde,59 löste bei Anhängern der Monarchie große Bestürzung aus. Juliana von Stockhausen zum Beispiel schilderte anschaulich die Fassungslosigkeit des alten Gelehrten und Bibliothekars der Herzoglich Öffentlichen Bibliothek, Theodor Linschmann (1850–1940).60 Es herrschte aber auch allgemein eine ungeheure Aufregung und Kopflosigkeit, die bis zum Sonntagnachmittag noch zunahm: „Nachdem schon am Sonnabend Abend bei Bekanntwerden der Abdankung des Kaisers die Straßen der Stadt ein ungewohntes Bild zeigten, steigerte sich am Sonntag nachmittag die Bewegung und Erregung der Bürgerschaft noch ganz wesentlich.“61 An verschiedenen Plätzen der Stadt gab es wohl immer wieder Menschenansammlungen und es fanden wahrscheinlich auch spontane Versammlungen statt, von denen allerdings aus den Zeitungen nichts zu erfahren ist. Erst die großen Massenkundgebungen mit Heinrich Eckardt als Hauptredner (siehe unten) fanden ihren Niederschlag in der Presse.62 Die wichtigste Veranstaltung allerdings hielt der provisorisch gebildete Arbeiter- und Soldatenrat am Sonntagnachmittag, dem 10. November 1918, um vier Uhr auf dem Kasernenhof des I. und II. Bataillons des 2. Thüringer Infanterieregiments Nr. 32 ab (Abb. 4). Dort hatten sich schon die Soldaten und Unterof-

erscheinen oder liegen bis dato nur als Typoskripte vor. 57 Norbert Moczarski, Der letzte Landtag von Sachsen-Meiningen und die ihm nachfolgende Gebietsvertretung in den Jahren 1919–1923, in: Die vergessenen Parlamente. Landtage und Gebietsvertretungen in den Thüringer Staaten und Gebieten 1919–1923 (Schriftenreihe zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, 19), Erfurt 2002, S. 81–119. 58 Ebd., S. 81. 59 Meininger Tageblatt vom 11.11.1918. 60 Stockhausen, Auf Immerwiedersehen (wie Anm. 2), S. 275 f. 61 Meininger Tageblatt vom 11.11.1918. Siehe auch Stockhausen, Auf Immerwiedersehen (wie Anm. 2), S. 278. 62 Meininger und Salzunger Tageblatt vom 12.11.1918.

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fiziere im Halbkreis aufgestellt und harrten der Dinge, die da kommen sollten.63 Am gemeinhin als Stadtkaserne bekannten Gebäude (heutiges Justizzentrum) verkündete der Sergeant Arno Köhler, dass eine neue Zeit angebrochen sei und verlas die vom provisorischen Arbeiter- und Soldatenrat aufgestellten zwölf Forderungen, wozu neben dem Rücktritt des Herzogs, der Wahl des Arbeiterund Soldatenrates auch die Übergabe sämtlicher Wachen, Militärbehörden und wichtigen Gebäude an den Soldatenrat gehörten. Gleichzeitig sollte dieser für Ordnung sorgen sowie Plünderungen und Ausschreitungen streng bestrafen. Die Offiziere wurden aufgefordert, ihre Schulterstücke und Degen abzugeben, die Mannschaften ihre nicht benötigten Waffen. Der Militärgruß außer Dienst und der Zapfenstreich sollten fortfallen. Mit dem Übertritt in das neue System müsste auch eine Gleichstellung der Vorgesetzten erfolgen.64

Abb. 4: Stadtkaserne, bzw. Kaserne des 1. und 2. Bataillons des Thüringer Infanterie-Regiments Nr. 32, Foto: Hofkunstanstalt Löffler & Co., Greiz

63 Hildburghäuser Kreisblatt vom 12.11.1918. 64 Meininger Tageblatt vom 11.11.1918. Das Meininger Tageblatt ist die wichtigste Quelle der Ereignisse dieser Tage und wird daher nicht immer als Quelle angeführt. Weitere Details wurden aber auch von anderen Zeitungen beigesteuert, was auch in einer Anmerkung festgehalten wird.

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Abb. 5: Palais des Herzogs Bernhard, um 1914, Foto: W. Cronenberg, Bad Kissingen65 Diesem Forderungskatalog stimmten die Anwesenden zu. Anschließend schritt man zur Wahl des Arbeiter- und Soldatenrates, indem in jeder Kompanie vier Mann und ein Unteroffizier ausgewählt wurden, die ihrerseits einen engeren Ausschuss wählten. Die Namen des Rates wurden schließlich öffentlich vorgelesen und die Aufgerufenen zogen sich zur ersten Beratung in das sich nebenan befindliche Offizierskasino zurück.66 Abschließend ließ ein Redner die 65 Der Herzog hatte schon zu der Zeit, in welcher sein Vater noch im Meininger Schloss residierte, das damals so genannte erbprinzliche Palais für sich und seine Gattin herrichten lassen. Daher zog er es vor, auch als Herzog nicht in das baulich stark durch den Vater geprägte Residenzschloss umzuziehen. 66 Dieses Offizierskasino gehört zu den wenigen Gebäuden des Meininger Garnisonsstandortes, welches die Nachwendezeit, wenn auch in ziemlich ruinösem Zustand, überlebte. Nach 1945 war das militärische Gelände der Hauptkaserne, zu dem dieses Kasino gehörte, von der russischen Besatzungsmacht genutzt worden. Meiningen ist 1991 als einer der ersten sowjetischen Militärstandorte in Ostdeutschland geräumt worden. Dabei hat man alles entfernt, was nicht niet- und nagelfest war, selbst Fensterrahmen und Elektroleitungen. Dermaßen entkernt stand das Gebäude fast 30 Jahre leer. Seit Jahreswechsel

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Internationale Sozialdemokratie hochleben.67 Die Soldaten entfernten nun Schulterklappen und preußische Kokarden von ihren Uniformen. Man sammelte sich zum Demonstrationszug und gelangte hinter roten Fahnen und einer Militärkapelle, laut dem Meininger Tageblatt waren es Trommler, bei einbrechender Dunkelheit vor das Große Palais. Vor der Veranstaltung auf dem Kasernenhof, so heißt es im Hildburghäuser Kreisblatt, sei vom Kasseler Generalkommando die Order an Offiziere und Mannschaften gegangen, die Waffen niederzulegen und einer Bewegung, Soldatenräte zu bilden, keinen Widerstand entgegenzusetzen.68 Vor dem Palais versammelte sich etwa um 17.45 Uhr eine Menschenmenge von ca. 3.000 Personen.69 Der 1. Vorsitzende des Soldatenrates, Sergeant Köhler, hielt eine kurze Ansprache, in der er die Zuhörer zur Ruhe und Besonnenheit aufforderte. Dem neuen Geist, der durch Deutschland gehe, solle auch in Meiningen Eingang verschafft werden. Es werde sich eine Deputation in den Palais begeben und den Herzog zum Rücktritt auffordern. Daraufhin ging eine Abordnung von etwa 40 Mann ins Haus. Nach der in den Zeitungen wiedergegebenen Meldung des herzoglichen Staatsministeriums waren es 40 Soldaten. Nach anderen Quellen waren es etwa ein Dutzend Solda2018/19 laufen Bauarbeiten für altersgerechtes Wohnen, wofür allerdings auch letzte charakteristische Bauteile wie der Eingangsbereich und die große südseitige Loggia entfernt worden sind. 67 Meininger Tageblatt vom 11.11.1918. 68 Hildburghäuser Kreisblatt vom 12.11.1918. – In Kassel hatte sich schon am 9. November ein zunächst provisorischer Arbeiter- und Soldatenrat gebildet, der sich aus Vertretern der SPD, USPD und der Gewerkschaften zusammensetzte. In den Morgenstunden des 10. Novembers (oder schon am Morgen des 9. November?, das geht nicht eindeutig aus der Zeitungsmeldung des Meininger Tageblattes vom 11.11.1918 hervor, siehe auch http://regiowiki.hna.de/1918#Auf_dem_Rathaus_weht_die_rote_Fahne; zuletzt eingesehen Juli 2019) erschien eine Delegation des Arbeiter- und Soldatenrates, sich zusammensetzend aus dem Gewerkschaftssekretär Grzesinski, dem Schriftleiter des Volksblattes Hauschildt und dem Reichstagsabgeordneten Thöne, im Rathaus sowie im Stellvertretenden Generalkommando und besprach die Lage mit dem Bürgermeister bzw. dem Chef des Stabes. Der Bürgermeister wie auch der Polizeipräsident erklärten ihre Mitarbeit. Auch Generalmajor von Tettau versicherte, zum Vermeiden von Blutvergießen die militärische Gewalt in Kassel nun gemeinsam mit dem Arbeiter- und Soldatenrat ausüben zu wollen. Demzufolge war es zeitlich möglich, solche Depeschen telegrafisch in die Garnisonsstandorte abzusetzen. Die bestehende Zusammenarbeit zwischen dem Arbeiter- und Soldatenrat und dem Stellvertretenden Generalkommando wird zudem durch eine Meldung, die zügige Demobilisierung betreffend, im Saalfelder Volksblatt vom 16.11.1918 bestätigt. 69 Wecker, Landesväter (wie Anm. 48), S. 245. – Das Meininger Tageblatt und der Werrabote vom 11.11.1918 beziffern die „nach Tausenden zu zählende“ Menschenmenge nicht genauer.

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Abb. 6: Vorhalle mit Treppe im herzoglichen Palais, erstes Viertel 20. Jahrhundert, Foto: unbekannt ten und ein Dutzend Arbeiter, die sich beim Herzog melden ließen. Dazu gehörte auch der Vater von Hans-Joachim Dankert, meinem einzigen indirekten Augenzeugen dieser so dramatischen Zeit.70 Der Trupp wurde vom Flügeladjutanten des Herzogs, Graf Beißel von Gymnich, bereits am Portal mit den Worten „Ich bitte!“ empfangen und in das heute originalgetreu wiederhergestellte Vestibül des Großen Palais gelassen.71 In zwei 70 Otto Dankert (1886–1954) war Mitglied der SPD und arbeitete im RAW (siehe Anm. 52). Er hatte sich wegen seiner schlechten Augen als nicht kriegsverwendungsfähig einschätzen lassen können, war daher aus Bernburg nach Meiningen verpflichtet worden und holte auch seine Familie nach Meiningen. Der Vater Hans-Joachim Dankerts war bereits über 50 Jahre alt, als sein Sohn 1937 als Nachzügler geboren wurde, und er hatte ihm viel erzählt. Mündlich von Hans-Joachim Dankert, Meiningen, Sommer 2018. – Meininger Tageblatt vom 12.11.1918. – Karl Knauer, Aus dem Leben eines Arbeiters, Sonneberg 1924, S. 22. 71 Diese Information stammt aus einem Dementi des Arbeiter- und Soldatenrates vom 12.11.1918 im Meininger Tageblatt und Werra-Boten u. a. – Die Grafen Beißel von Gym-

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Quellen heißt es, dass die vor das Palais anrückenden Soldaten auch vom Hofmarschall mit folgenden Worten begrüßt wurden: „Gott sei Dank, daß Sie kommen, Hoheit erwartet Sie.“72 Jedoch nur einige gelangten bis in das Zimmer des Herzogs. Wahrscheinlich waren es die Mitglieder des Arbeiter- und Soldatenrates Köhler, Degelow, Freund, Richter sowie Oppermann.73 Bernhard III. von Sachsen-Meiningen war vorbereitet und erwartete die Delegation. Auch die Herzogin befand sich im Haus, sie war Ende Oktober aus Breslau zurückgekehrt.74 Der Regent fragte nur, ob es denn wirklich sein müsse, und erklärte dann, dass er der Gewalt weichen würde.75 Der Herzog zeigte sich nun doch etwas überrumpelt, daher entwarf und schrieb der Führer der Gruppe, wahrscheinlich war es nicht Sergeant Köhler, sondern der Gefreite Oppermann, aus dem Stegreif den Absagungstext am Schreibtisch des Herzogs. Bernhard unterschrieb im Beisein des Flügeladjutanten Graf von Beißel und der Mitglieder des Arbeiter- und Soldatenrates. Auch der ebenfalls anwesende Prinz Ernst wurde aufgefordert, als Thronfolger die Abdankung zu unterzeichnen.76 Aber dieser weigerte sich mit der Begründung, dass er daran zweifle, ob der Arbeiter- und Soldatenrat dazu befugt sei, im Namen der Sachsen-Meininger Bevölkerung zu sprechen.77 Weiterhin sagte er, „ob er je den Thron besteige, hänge von dem zu erwartenden Volksvotum ab“.78 Laut der vom herzoglichen Staatsministerium an die Presse nich (auch Beissel von Gim[m]nich) gehören zu den ältesten rheinischen Adelsgeschlechtern, die in ihrer jüngeren Linie bis heute existieren. Vgl. Neues allgemeines deutsches Adels-Lexicon, Bd. 1, hg. von Ernst Heinrich Kneschke, Leipzig 1859, S. 282–284. 72 Eckardt, Parteijubiläum (wie Anm. 53), S. 32. – Bei Wecker, Landesväter (wie Anm. 48), S. 244 heißt es: „Gott sei Dank, daß Sie kommen, der Herzog erwartet Sie schon.“ 73 Der SPD-Mann und Arbeiter Otto Dankert gehörte nicht dazu, er war nur in das Vestibül des Großen Palais gelangt, mündlich Hans-Joachim Dankert, Meiningen im Sommer 2018. – Laut Hildburghäuser Kreisblatt vom 12.11.1918 bestand die Delegation aus drei Mann und es soll auch Staatsminister Schaller zugegen gewesen sein. 74 Charlotte hielt sich aber bei dem entscheidenden Augenblick nicht im Zimmer auf. Meininger Tageblatt vom 28.10.1918. Siehe auch Brief Charlottes an Margot Geyer vom 18.11.1918. 75 Ob Letzteres wirklich so gesagt wurde, bleibt dahingestellt, da dieser Satz aus der Mitteilung des Staatsministeriums stammt. 76 Die Thronfolgerschaft des Prinzen Ernst war bereits von seinem Vater Georg II. so festgelegt worden, da sein ältester Sohn Bernhard keine männlichen Nachkommen hatte. Danach sollten dessen jüngerer Bruder Friedrich bzw. dessen Nachkommen die Regentschaft übernehmen und nicht Ernsts Söhne, da der Prinz nicht standesgemäß geheiratet hatte. 77 Im Meininger Tageblatt steht nur „Meininger Volk“, aber es ist davon auszugehen, dass Prinz Ernst damit das ganze (Sachsen-)Meininger Land gemeint hat. 78 Meininger Tageblatt vom 11.11.1918. – Im Hildburghäuser Kreisblatt vom 12.11.1918

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gegebenen Mitteilung heißt es, dass der Arbeiter- und Soldatenrat daraufhin den Prinzen in Haft nehmen wollte und nur durch gutes Zureden des Flügeladjutanten davon abgelassen habe. Das wurde jedoch dementiert. Es habe nicht einmal die Absicht zur Verhaftung bestanden. Diese nicht korrekte Meldung erreichte auch die Städte des Landes wie Saalfeld – auch hier bemühte sich der Arbeiterund Soldatenrat um Richtigstellung: „Als Verantwortliche für Freiheit, Wahrheit und Recht genügen wir unserer Pflicht und stellen die bewußte Falschmeldung hiermit richtig. Der Arbeiter- und Soldatenrat Meiningen.“79 Prinz Ernst lebte zu der Zeit mit seiner Familie in München. Zwar heißt es in nahezu allen Zeitungen,80 der Prinz sei zufällig da gewesen. Wahrscheinlicher aber erscheint es, dass sich Bernhard und Ernst darüber verständigt hatten, dass angesichts dieser brenzligen Situation die Anwesenheit des Thronfolgers in Meiningen angebracht ist.81 Denn bereits am 7. November 1918 war der König von Bayern abgesetzt worden. Am 8. November legten der Herrscher von Braunschweig-Lüneburg und am 9. November der Großherzog von Sachsen-Weimar ihre Regentschaften nieder. Auch hatte man schon in den Vorwochen zumindest in den linken Blättern immer wieder eine Abdankung des Kaisers diskutiert. Wenngleich bislang niemand so recht daran geglaubt haben mochte, spitzten sich aber am 9. November die Verhältnisse in Berlin trotz der vollständigen Stilllegung des Eisenbahnpersonenverkehrs so zu,82 dass Kanzler Max von Baden an Stelle des Kaisers verkündete, dass dieser abgedankt habe. Der Kaiser zog es stattdessen vor, nach Holland auszuweichen. Wie die Meininger Bürger war auch Bernhard über diese Ereignisse informiert. Zudem konnte man bereits am Sonnabend, dem 9. November, den Aufruf des 1. Vorsitzenden des Münchner Arbeiter- und Soldatenrates Kurt Eisner im Meininger Tageblatt

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wird der Sachverhalt etwas anders dargestellt: Der Herzog habe zugunsten seines Bruders Ernst abgedankt und dieser werde das Gleiche tun, wenn das der Wille des Volkes wäre. Meininger Tageblatt vom 12.11.1918. – Der Arbeiter- und Soldatenrat widersprach in diesem Dementi auch der Meldung des herzoglichen Staatsministeriums vom Vortag, dass 40 Soldaten ins herzogliche Palais eingedrungen seien. Dieser unterschwelligen Betonung, dass da Gewalt im Spiel gewesen sei, setzte der Arbeiter- und Soldatenrat entgegen, dass stattdessen Graf Beißel bereits im Portal gestanden und auf den Wunsch der Soldaten, den Herzog zu sprechen, gesagt habe: „Ich bitte.“ – Im Werraboten vom 11.11.1918 und Korrektur am 12.11.1918. – Im Saalfelder Kreisblatt vom 14.11.1918. Unter anderem Werra-Bote vom 11.11.1918 und Meininger Tageblatt vom 12.11.1918. Prinz Ernst war im Volk zudem beliebter und anerkannter als Bernhard. – Freundlicher Hinweis von Rolf Dieter Meißner, Meiningen. Von der am 8. November getroffenen Festlegung war der Vorort- und Stadtverkehr nicht betroffen. Auch die Güterzüge fuhren weiterhin. Der Brief- und Postversand verlangsamte sich durch den anstelle in Schnellzügen nun in Güterzügen erfolgenden Transport. Vor allem aber waren laut dem Meininger Tageblatt vom 9.11.1918 auch die Telefon- und somit auch Telegrammverbindungen gekappt worden.

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lesen.83 Außerdem war darin auch von Arbeiter- und Soldatenräten in anderen Städten wie in Leipzig, Oldenburg, Wilhelmshaven und in Eisenach die Rede. In Meiningen und in den anderen südthüringischen Städten lag offensichtlich derart viel in der Luft, dass alle wichtigen Behörden selbst an einem Sonntag besetzt oder zumindest deren Vorstände erreichbar waren.

Abb. 7: Meininger Rathaus, um 1910, Foto: O. Stechbardt, Meiningen 84 Ohne dass ein böses Wort gesagt oder dem Herzog ein Haar gekrümmt worden war, zog die Delegation nach etwa 20 Minuten wieder ab, um die Abdankungserklärung vor den versammelten Massen auf dem Marktplatz zu verlesen. Der Gefreite Oppermann tat dies schließlich um 18.30 Uhr. In einer längeren Ansprache erläuterte der Sergeant Köhler die Ziele und Zwecke der Freiheitsbewegung und feierte die neuerstandene deutsche Republik. Abschließend for83 Meininger Tageblatt vom 9.11.1918. Das Blatt titelte zudem auf der ersten Seite: „Die revolutionäre Bewegung im deutschen Reiche.“ 84 Das Rathaus wurde bei einem Luftangriff am 23. Februar 1945 wie die gesamte Westseite des Meininger Marktes zerstört. Die Meininger Stadtverwaltung nutzt seither den Rundbau des Schlosses als Rathaus. Dieser war ehedem Domizil der Meininger Staatsregierung.

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derte er die Zuhörer auf, ruhig nach Hause zu gehen, dem auch willig und relativ schnell Folge geleistet wurde. Sämtliche militärischen Gebäude, das herzogliche Palais, auch das Schloss, der Bahnhof, die Post, das Rathaus und andere Gebäude wurden militärisch überwacht. Zuvor war eine Abordnung des Arbeiter- und Soldatenrates im Rathaus erschienen und hatte dem Oberbürgermeister Keßler mitgeteilt, dass sich ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet habe, welcher den Magistrat ersuche, die Amtsgeschäfte wie bisher weiterzuführen. Der Arbeiter- und Soldatenrat würde hingegen dafür sorgen, dass Ruhe und Ordnung aufrechterhalten und gleichzeitig an besonders gefährdeten Stellen Posten aufgestellt würden.85

9. Die Flucht des herzoglichen Paares Wahrscheinlich noch in der Nacht des 10. Novembers gelang es dem Garnisonskommandanten, die Flucht des herzoglichen Paares zu organisieren. Zuvor hatte er sich noch auf Geheiß des Arbeiter- und Soldatenrates die Schulterklappen von seinem Waffenrock abtrennen lassen. Auf den Fahrer des Herzogs war Verlass und ein Unteroffizier erklärte sich zur Begleitung bereit. Anton von Stockhausen, der Kommandant der Garnison, schilderte später, dass das herzog­ liche Paar schrecklich hilflos gewirkt habe. Um ein Haar hätten sie den Schmuck im Salon liegen lassen, auch seine Pelzhandschuhe wären nicht aufzufinden gewesen. Die Flucht ging über Nebenstraßen nach Bad Liebenstein, da unter allen Umständen ein Aufenthalt vermieden werden musste. Ein Problem waren der Privatschmuck der Herzogin, die beiden Hunde des Paares und vor allem das nicht vorhandene Bargeld. Denn ein Fürst pflegte kein Geld mit sich zu führen, dafür gab es einst – vor der Revolution – einen Hofmarschall oder Flügeladjutanten.86 85 Meininger Tageblatt und Werrabote vom 11.11.1918. – Interessant ist die im Meininger Tageblatt vom 11.11.1918 angeführte Reihenfolge, die ein deutliches Bild der damaligen Gewichtung abgibt: Nach den militärischen Gebäuden kommt zuerst der Bahnhof, danach das Palais und erst an dritter Stelle das Schloss. Die Post beschließt noch vor dem Rathaus die Aufzählung. – Bezüglich der Besetzung des Rathauses siehe Meininger Tageblatt und Werra-Bote vom 15.11.1918. 86 Stockhausen, Auf Immerwiedersehen (wie Anm. 2), S. 277 f. – Bernhard residierte damals nicht auf Schloss Altenstein, auch da war sein Vater zu präsent, sondern im Kurhaus von Bad Liebenstein mit seinen angeblich 130 Zimmern und verschärfte so die damals vorhandene Wohnungsnot. Siehe Rede des Abgeordneten Heinrich Eckardt in der Sitzung des Sachsen-Meininger Landtages vom 12.9.1918. Wiedergegeben in: Ulrich Hess, Geschichte der Sozialdemokratischen Partei in Sachsen-Meiningen bis zur Revolution von 1918. Bd. IV, Typoskript 1956, S. 391 f. Siehe auch Foto der Geburtstagsgesellschaft Charlottes im Jahr 1918 am Hotel Kaiserhof. Abgedruckt in: Alfred Erck/Hannelore

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Abb. 8: Erbprinzessin Charlotte mit Auto, 1907, Foto: L. O. Weber, Meiningen Ausschreitungen im eigentlichen Sinn aber kamen nicht vor. Es gab viel Unruhe, auch Drohungen. Geplündert wurde jedoch kaum und nur wenig zerstört. Obwohl einige Schüsse fielen, kam niemand ernsthaft zu Schaden. Die Erregung ließ schnell nach. Kurzum: Die Novemberrevolution in Sachsen-Meiningen verlief völlig unspektakulär.87 Bernhard und Charlotte kehrten offensichtlich bald wieder nach Meiningen zurück. Denn Charlottes Brief mit dem Bericht über die traumatischen Erlebnisse des 10. Novembers gibt acht Tage später Meiningen als Absender an.88 Bei dem herzoglichen Paar wirkten die Erlebnisse dieses Novembertages noch lange nach. Das signalisieren vor allem Sätze im Brief der Herzogin, den sie am 18. November 1918 an ihre und ihres Mannes Vertraute, Margot Geyer, richtete: „Nach all den Erlebnissen hier war ich nicht im Stande, Dir früher zu schreiben, noch habe ich meine Fassung nicht wieder […] Es ist ein böser Traum, den man nicht fassen kann, da Alles so erschreckend schnell ging u. wir Alle einfach weggefegt wurden. Am Sonntag vor 8 Tagen war die Erregung auf der Höhe. Gegen Schneider, Facetten eines mit Konflikten reich beladenen Lebens, in: Meininger Heimatklänge 1 (2009), S. 1–3, hier S. 3, Repro P. Schmidt-Raßmann. 87 Stockhausen, Auf Immerwiedersehen (wie Anm. 2), S. 278. 88 Brief Charlottes an Margot Geyer vom 18.11.1918.

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7 (Uhr) Abends großer stiller Umzug, 40 Männer kamen ins Haus, hielten theils gute theils freche Reden u. zwangen meinen Mann einen Zettel zum Verzicht zu unterschreiben, zogen damit dankend ab. Sofort rissen freche Buben unsere Fahne herunter u. hissten einen rothen Lappen, der seit 2 Tagen vom Soldatenrath wieder entfernt wurde.“89

Auch auf dem Schloss und Meininger Rathaus war eine rote Fahne gehisst worden. Da im Rathaus keine rote Fahne zur Hand war, hatte man aus einer anderen Fahne den roten Streifen herausgetrennt und auf dem Mast gehisst.90

10. Der Meininger Arbeiter- und Soldatenrat Auch in den Folgetagen und -wochen sind immer wieder Meldungen und Aufrufe des Arbeiter- und Soldatenrates in den Zeitungen zu finden.91 Zum Beispiel richtete sich ein Text nach der Machtübernahme am Montag, dem 11. November 1918, direkt an die Bürger Meiningens: „Eine neue Zeit ist jetzt hereingebrochen. Die militärische und politische Gewalt in Meiningen sind seit gestern in den Händen des Arbeiter- und Soldatenrates. Aufgabe desselben ist in erster Linie für Ruhe und Ordnung in der Stadt und Umgebung, sowie die Ernährung für die Bevölkerung mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten.“ Von der Bevölkerung wird Folgeleistung bei allen Anordnungen erwartet. Der Herzog habe abgedankt und sämtliche Behörden hätten sich dem Arbeiter- und Soldatenrat unterstellt. Im Unterschied zu den Sowjets, nach deren Vorbild die Arbeiterund Soldatenräte gegründet worden waren, betonten die Meininger, dass die Geschäfte „samt und sonders“ von ihren bisherigen Eigentümern weitergeführt werden sollen. Außerdem wünschten sie sich, dass der Ausbau der neuen Ver89 Brief Charlottes an Margot Geyer vom 18.11.1918. Zitiert nach Katharina Witter, Vor 90 Jahren: „Wir alle wurden einfach weggefegt“, in: Meininger Heimatklänge 5 (2008). Siehe auch: Dies., Briefe an die „Geschiedene“ als wertvolle Zeitdokumente, in: Meininger Heimatklänge 2 (2005), S. 4. Durch eine Schenkung kamen private Briefe von Herzog Bernhard III. und Herzogin Charlotte von Sachsen-Meiningen in das thüringische Staatsarchiv Meiningen. Zur Zeit der Bearbeitung dieses Textes aber waren die Briefe selbst nicht zugänglich. – Margot Geyer war die geschiedene Frau eines 1918 gefallenen Flügeladjutanten des Herzogs. 90 Laut Meininger Tageblatt und Werra-Bote vom 15.11.1918 war die Fahne erst am Montag, dem 11. November auf dem Rathaus gehisst worden, nachdem erneut eine Abordnung des Arbeiter- und Soldatenrates im Rathaus erschienen war. Die Fahne wird als schwarz-rot-weiß beschrieben, was aber für die schwarz-weiß-rote Flagge des Deutschen Reiches nicht ganz zutrifft. Deshalb könnte es sich auch um eine alte schwarz-rot-goldene Fahne des Deutschen Bundes gehandelt haben, dem das Herzogtum bis 1866 angehörte. 91 Zum Beispiel Meininger Tageblatt und Werra-Bote vom 11.11.1918.

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hältnisse weiterhin so ruhig und friedlich verlaufen möge. Ferner erwähnten sie, dass alle Personen, die sich keine Ehrenstrafen zugezogen hatten, aus der Haft entlassen werden. Das zielte darauf ab, dass alle Personen, die aus politischen Gründen inhaftiert oder wegen Disziplinarvergehen hart bestraft worden waren, freigelassen werden. Am 10. November waren in Meiningen drei Angehörige der Meininger Eisenbahnwerkstatt namens Richter, Walz und Knabe sowie ein weiterer Arbeiter, Freund geheißen, in den Arbeiterrat gewählt worden.92 Als Ersten und Zweiten Vorsitzenden des Soldatenrates wählte man den Sergeanten Köhler und den Gefreiten Oppermann. Beisitzer wurden Sergeant Leube, Gefreiter Blum, Ersatz-Reservist Kowalewsky, Reservist Hilger, Sergeant Döbling und Leutnant Degelow. Von den soeben Genannten ist der Arbeiter Otto Walz, der später zu den Anarchosyndikalisten und Mitbegründern der Meininger Bakuninhütte gehörte, eindeutig identifizierbar.93 Ebenso konnte der Erste Vorsitzende, von dem es im Hildburghäuser Kreisblatt heißt, dass er von Geburt her Sonneberger sei, ausfindig gemacht werden. Laut dem Saalfelder Volksblatt vom 22. November 1918 handelte es sich um Arno Köhler (1885–1929) aus Haselbach bei Sonneberg. Der Glasarbeiter ist als Angestellter des Glasarbeiterverbandes in Steinach und Haselbach und als Landtagsabgeordneter der SPD sowie ab 1920 als Gewerbeassistent in Meiningen nachweisbar.94 Der Arbeiter Freund ist möglicherweise identisch mit dem Bahnschlosser und später in einer der hiesigen Brauereien beschäftigten Lastkraftwagenfahrer Karl Freund, der wohl ebenfalls Mitglied der SPD war. In Betracht kommt allerdings auch der Bahnschmied Edmund Freund.95 92 Meininger Tageblatt vom 11.11.1918. – Im Saalfelder Volksblatt heißt es, dass der Arbeiterrat erst am ersten oder zweiten Folgetag der Meininger Revolution gegründet worden sei. Saalfelder Volksblatt vom 13.11.1918. Auch ist es insgesamt schwierig, vor allem bei den Saalfelder Zeitungen Angaben wie „gestern“ und „heute“ genau zu datieren. Dabei kam es offensichtlich zu Verwechslungen, z. B. am 13.11. heißt es im Saalfelder Volksblatt, dass „heute“ der Meininger Landtag zusammengetreten sei, welcher aber bereits am 12. zusammengetreten war. 93 Mündlich Michael Wagner und Kai Richards, Meiningen. 94 Hildburghäuser Kreisblatt vom 12.11.1918. – Für die SPD war Köhler 1919 bei den ersten demokratischen Wahlen in den Landtag des Freistaates Sachsen-Meiningen gewählt worden und gehörte bis 1923 der Gebietsvertretung an. Ab 1919 ist er als Assistent des Gewerbeinspektors in Meiningen nachweisbar. Laut der Meininger Adressbücher ist er 1923 Gewerbeinspektor, im Jahr 1925 nicht verzeichnet, und 1928 Oberinspektor. Auch wird er als Mitarbeiter des Landtagsabgeordneten Louis Rennert erwähnt. – Der Heimatort Köhlers Haselbach ist heute nach Sonneberg eingemeindet. 95 Karl Freund lebte im Schelmengraben (Nr. 34). Wie Otto Dankert war er wohl Mitglied der SPD; mündlich von Hans-Joachim Dankert. Otto Dankert gehörte später zum Vorstand und Karl Freund zum Aufsichtsrat der 1919 gegründeten Baugenossenschaft Mei-

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In Literatur, Archivalien und im Internet sind weitere Namen zu finden, die Mitglieder des Meininger Arbeiter- und Soldatenrates gewesen sein sollen, aber nicht in der oben wiedergegebenen Namensaufzählung aufgeführt sind. Von Louis Rennert, ab 1919 SPD-Landtagsabgeordneter in Sachsen-Meiningen und später auch in Thüringen, ist zum Beispiel bekannt, dass er sich zu diesem Zeitpunkt noch als Soldat im Felde befand. Ähnliches wird auch von Karl Korsch behauptet, der zwar in Meiningen aufgewachsen war, sich zu der Zeit aber nicht in Meiningen aufhielt. Er gehörte zeitweise der KPD an, wirkte 1923 für wenige Wochen als Justizminister von Thüringen und gilt heute neben Georg Lukács und Ernst Bloch als einer der bedeutendsten Erneuerer der marxistischen Philosophie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Andererseits gelang es bisher nicht, weitere Mitglieder des Soldatenrates zu identifizieren. Sie gehörten der Meininger Garnison an oder sie waren, wie es aus Saalfeld bekannt ist, Insassen eines der hiesigen Lazarette.96 Demzufolge dürften sie im Zuge der Demobilisierung schnellstmöglich in ihre Heimatorte zurückgekehrt und dafür durch andere Heimkehrer ersetzt worden sein. Heinrich Eckardt gehörte offensichtlich ebenfalls dem Kreis des Meininger Arbeiter- und Soldatenrates an. Er war allerdings nicht gewählt, sondern von diesem zum Ausüben der Zivilgewalt noch am Tag der Fürstenabdankung nach Meiningen berufen worden und firmierte später als 1. Vorsitzender des Arbeiterrates in Meiningen. Wahrscheinlich war es der Vorsitzende Arno Köhler gewesen, der in Absprache mit den hiesigen Arbeitern Heinrich Eckardt in den Arbeiter- und Soldatenrat nach Meiningen berief. Diese fünf Personen waren wohl die Einzigen gewesen, die die hiesigen Verhältnisse genauer kannten und ihnen war sicher bald klar geworden, dass sie alle nicht die Kompetenzen besessen hätten, um künftige komplexere Aufgaben zu bewältigen.97 ningen e.G.m.b.H. Siehe: Baugenossenschaft Meiningen e.G.m.b.H. Gründung, Tätigkeit 1919–1929. Meiningen 1929, S. 6 u. 15. – Der Bahnschmied Edmund Freund wohnte Am Kirchbrunnen 25. In Meiningen lebten zu der Zeit insgesamt sechs Männer mit dem Nachnamen Freund. Von denen können aber nur die zwei Genannten als Arbeiter bezeichnet werden, siehe Einwohner- und Häuserverzeichnis. Meiningen 1920. Augenzeugenberichte deuten auf den zuletztgenannten Edmund Freund, siehe Anm. 51. 96 Freundlicher Hinweis von Dirk Henning, Stadtmuseum Saalfeld. – In Meiningen als Garnisonsstandort gab es auf dem Gelände der Haupt- oder Stadtkaserne auch ein Lazarett, welches nach 1945 nicht zum ummauerten Kasernengebiet der Sowjetarmee gehörte, sondern als ein Teil des Meininger Krankenhauses genutzt wurde. In den 1990er Jahren hat man dieses Gebäude leider abgerissen. Darüber hinaus wurden während des Ersten Weltkrieges der Saal des Schützenhauses (heute Volkshaus) und das Neue Logenhaus der Freimaurerloge „Charlotte zu den drei Nelken“ als Lazarette genutzt. 97 Siehe Aufruf des Arbeiter- und Soldatenrates zusammen mit dem Landrat von Erffa an die Landbevölkerung, die unter allen Umständen Ruhe bewahren und auch die Nahrungsmittelkette nicht durch Eigenmächtigkeiten stören sollte. Salzunger Tageblatt vom 16.11.1918. Auch Sonneberger Zeitung vom 12.11.1918.

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11. Gegenströmungen? Die folgenden Tage verliefen in der Residenzstadt völlig ruhig, aber der Informationsbedarf in der Bevölkerung blieb nach wie vor groß. Am 11. November absolvierte Heinrich Eckardt, der noch am 10. November vom Arbeiter- und Soldatenrat zur Übernahme der Zivilgewalt nach Meiningen berufen worden war, einen Veranstaltungsmarathon. Mittags um 12 Uhr sprach er zu den Truppen der Garnison, um 14 Uhr in der großen Maschinenhalle der Eisenbahnwerkstätte zur gesamten Arbeiterschaft des Betriebes und nochmal um 17 Uhr im großen Saal des Schützenhauses (heutiges Volkshaus) vor den versammelten Lazarettinsassen. Schließlich war für den 12. November abends um 8 Uhr noch eine öffentliche Volksversammlung in der Turnhalle der Prinz-Friedrich-Schule (später Theodor-Neubauer-Schule, heute Schule am Pulverrasen) anberaumt worden, auf der ebenfalls der Landtagsabgeordnete Heinrich Eckardt über die gegenwärtig in Deutschland ablaufenden Ereignisse sprechen sollte. Da aber die Turnhalle die eintreffenden Menschenmassen nicht annähernd fassen konnte, war die Veranstaltung kurzerhand auf den Marktplatz verlegt worden. Arthur Hofmann sprach vom Balkon des Rathauses über die Ereignisse der letzten Jahre und der Gegenwart, rief zum Zusammenraffen aller Kräfte auf und schloss mit der Losung der französischen Revolution „Es lebe die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit!“98 Etwas irritierend wirkt damals wie heute die Pressemeldung des herzoglichen Staatsministeriums in den Tagen vom 10. bis zum 12. November 1918, dass in Meiningen und allen größeren Gemeinden eine Bürgerwehr zur Unterstützung der Polizei gebildet werden solle, die notfalls auch bewaffnet werden könne. Hierzu versicherte das bei der Drucklegung gerade noch existierende herzogliche Staatsministerium, dass hiermit kein Klassenkampf beabsichtigt sei, sondern die friedliche Ordnung in den Gemeinden gestärkt werden solle, damit die gegenwärtigen politischen Veränderungen ohne gewaltsame Beschädigungen ablaufen. Dabei berief man sich darauf, dass dies von der Reichsleitung angeregt worden sei. Der Herzog hatte daraufhin einen entsprechenden Befehl im Regierungsblatt just am Tag seiner Abdankung veröffentlichen lassen. Auch Prinz Ernst hätte an den Südthüringer Kriegerbund eine entsprechende Anregung gegeben. Die Ereignisse überrollten diese Absicht. Es zeigte sich offenbar schnell, dass zur Gründung von Bürgerwehren keine Veranlassung bestand.99 98 Meininger und Salzunger Tageblatt vom 12.11.1918 sowie Meininger Tageblatt vom 13.11.1918. Siehe auch Eckardt, Parteijubiläum (wie Anm. 53), S. 32. – Bei Hess, Novemberrevolution (wie Anm. 56), S. 239 heißt es irrtümlich, dass die drei Versammlungen mit Heinrich Eckardt in der Garnison, im Volkshaus und in der Eisenbahnwerkstätte erst am 12. stattgefunden hätten. 99 Im Werra-Boten vom 11.11.1918 erschien die Nachricht ohne die nachgestellte Berich-

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Es gab in diesen Tagen wohl auch im Meininger Land Flugblätter von Arbeiter- und Soldatenräten aus dem extrem linken Spektrum, die gegen den Kaiser und andere Fürsten, aber auch gegen das „Ordnungsgewinsel der Regierungssozialisten“ wetterten. Doch solche Strömungen spielten zu diesem Zeitpunkt in Sachsen-Meiningen nur eine geringe Rolle.100

12. Die Abdankungsurkunden Das von Bernhard am Tag seiner Thronentsagung unterschriebene Schriftstück hatte folgenden Wortlaut: „Bei dem heute stattgefundenen Vortrage des Arbeiter- und Soldatenrates lege ich die Regierungsgeschäfte des Herzogtums Sachsen-Meiningen nieder. Diese Absagung bescheinige ich mit meiner Unterschrift und dem zu dieser Stunde noch bestehenden Herzoglichen Siegel.“ Der Herzog fügte noch hinzu: „Gott segne das Land Meiningen.“ und unterzeichnete mit seinem Namen. Das von Hand beschriebene Blatt schloss mit der Ortsangabe und dem Datum: „Meiningen, den 10. November 1918, 6 Uhr abends.“ Dieser Wortlaut war am Abend des 10. Novembers vorgelesen und von eigentlich allen Zeitungen so wiedergegeben worden. Dieser an jenem Abend unterzeichnete Zettel ist heute verschollen, eine Ablichtung davon wurde zehn Jahre später im Saalfelder Volksblatt, einer der ältesten SPD-Zeitungen Thüringens, veröffentlicht. Erst im Zusammenhang tigung und vor der Beschreibung der Vorgänge während der Novemberrevolution in Meiningen, die Beruhigung diesbezüglich erst am 12.11.1918. – Im Meininger Tageblatt beides zusammen am 12.11.1918. – Bei Hess, Geschichte (wie Anm. 86), S. 401, heißt es in einem Bericht des Magistrats von Hildburghausen vom 12. November 1918 an das Staatsministerium, dass der dortige Arbeiter- und Soldatenrat selbst die Ordnung und öffentliche Sicherheit aufrechterhält. Zusätzlich wolle dieser ein Kommando von Soldaten aus der Meininger Garnison hierher verlegen lassen und dulde daher die Einrichtung einer Bürgerwehr nicht. Aber auch der Bürgermeister der Stadt hielt eine Bürgerwehr nicht für notwendig. 100 Undatiertes Flugblatt ohne Ortsangabe, Kreisarchiv Meiningen, I-97/10 (116). Aus dem Text ist zu entnehmen, dass der Kaiser zum Zeitpunkt der Herausgabe dieses Flugblattes noch nicht abgedankt hatte. – Laut Hess, Novemberrevolution (wie Anm. 56), S. 236, konnte die USPD bis zum Kriegsende in Sachsen-Meiningen keinen Fuß fassen, auch ist nichts von linkssozialistischen Jugendorganisationen bekannt. Einzig bei einer öffentlichen Zusammenkunft der Sozialdemokraten in Sonneberg, in der Eduard Wehder über die Arbeit des Meininger Landtages in den letzten Tagen berichtete und Heinrich Knauer die politische Lage in Deutschland umriss, forderte ein unabhängiger Sozialist, dass die Landtagsabgeordneten stärker auf das Endziel, die sozialistische Republik achten müssten. Beide, Knauer und Wehder, entgegneten ihm aber, dass man vor allem die Gegenwart nicht aus den Augen verlieren dürfe. Siehe Sonneberger Zeitung vom 17.11.1918.

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Abb. 9: Absagungsurkunde Bernhards vom 10. November 1918, Foto: unbekannt der Vorbereitung einer Ausstellung zur Fürstenabdankung wurde bekannt, dass in den Beständen des Stadtmuseums Saalfeld ein Digitalisat von eben diesem Abdankungszettel respektive dieser Abdankungsurkunde existiert – mit unbekannter Herkunft. Eine nochmalige, konkretere und mit Schreibmaschine geschriebene Verzichtserklärung Bernhards von Sachsen-Meiningen erfolgte später. Sie wird heute gemeinsam mit der Urkunde von Prinz Ernst im Meininger Staatsarchiv aufbewahrt. Am 12. November stand im Meininger Tageblatt, dass Prinz Ernst vom Meininger Landtag, der bereits von Eduard Fritze für denselben Tag einberufen worden war, eine Aussage erwarte, ob er ebenfalls abdanken solle. Das war ihm von Seiten des Landtags in den ersten Stunden ihrer Zusammenkunft nahegelegt worden. Daraufhin erklärte Arthur Hofmann: „Menschlich gedacht, tut es uns leid, daß auch dieser feinsinnige Mensch das Opfer der neuen Bewegung

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Abb. 10: Abdankungsurkunde des Prinzen Ernst vom 12. November 1918 geworden ist. Diese aber richtet sich nicht gegen Personen, sondern gegen das überlebte System. Aber weil er unverschuldet ein Opfer der Bewegung geworden ist, sind wir gewillt, ihn schadlos zu halten.“101 Die Zeitungen berichteten über die verschiedenen Ereignisse dieser Tage meist identisch. Es ergaben sich aber auch mehr oder weniger geringfügige Differenzen. So wird im Meininger Tageblatt vom 13. November 1918 an Stelle des zweiten oben zitierten Satzes nicht ganz unparteiisch Folgendes wiedergegeben: „Aber auch er würde es gern bringen zum Wohle des Ganzen.“ Der Redner schlug daraufhin vor, den Prinzen mit dem Erlös des kurz zuvor verkauften Gutes Wangern von über vier Millionen Mark abzufinden. Den Her101 Zitiert nach Witter, Vor 90 Jahren (wie Anm. 89).

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zog Bernhard hingegen erwähnte Hofmann mit keinem Wort, sondern forderte, dass der Prinz ebenso auf den Domänenbesitz verzichten und auch die „Frage wegen der anderen (M)agnaten“ schnell erledigt werden müsse.102 Von einigen bemerkenswerten Details hinter den Kulissen berichtete das Saalfelder Volksblatt am 22. November 1918: Noch bevor die neue Regierung des Landes gewählt werden sollte (siehe unten), erbaten sich die drei vorgeschlagenen Regierungsmitglieder von Türcke, Marr und Benz Bedenkzeit und gingen zum Prinzen. Die Linken mit ihrem Redner Arthur Hofmann hatten die Abdankung des Thronfolgers verlangt und mit dem im „Kommissionszimmer 2 des Landtags“ versammelten Arbeiter- und Soldatenrat eine wirkungsvolle Drohkulisse aufgebaut. Zudem hatten sie bei Verzögerungen die Alarmierung der Garnison angekündigt. Nach einer Stunde kehrten die drei Herren mit einem vom Prinzen handschriftlich angefertigten Schriftstück zurück. Das ebenfalls im Meininger Staatsarchiv erhalten gebliebene Dokument hatte einen ähnlichen Wortlaut wie das kurz darauf mit Schreibmaschine aufgesetzte: „Hoheit Prinz Ernst verzichtet (Typoskript: Auf Wunsch des Landtags des Herzogtums verzichte ich) auf die Regierung im Herzogtum Sachsen-Meiningen und verzichtet weiter (verzichte ich) zu Gunsten des Staates auf die Rechte an den Domänen(vermögen) unter der Voraussetzung, daß (mir bezw. dem herzoglichen Hause ein dem) der Kaufpreis(e) für die Herrschaft Wangern (entsprechendes Kapital,) sowie eine Reihe von Gebäuden und Grundstücken, über die noch näher zu verhandeln ist (des Näheren verhandelt werden soll,) zu freiem Eigentum dem Herzoglichen Hause überlassen wird (werden). Analog Artikel 17 des (Landes)Gesetzes vom 20. Juli 1871 werden Gehalte, Pensionen u. dgl. von Hofbeamten und sonstigen Bediensteten auf die Staatskasse übernommen. Eine Erklärung fachlich gleichen Inhaltes bin ich bereit alsbald abzugeben. (im Typoskript: Ich erwarte, daß die Auseinandersetzung im Allgemeinen und im Besonderen über diese Lastenübernahme zwischen mir und dem Staate in loyaler Weise erfolgt. Ich verpflichte mich, mit aller Beschleunigung darauf hinzuwirken, dass auch die sonstigen am Domänenvermögen berechtigten Personen sich meiner vorstehenden Erklärung anschließen. Bis dahin bin ich mit der Ueberweisung der Gebäude und Grundstücke zur Nutzung und des Zinsabwurfs der oben erwähnten Abfindungssumme einverstanden.) Meiningen, 12. November 1918. Ernst, Prinz von S.-Meiningen“ 102 Das Meininger Tageblatt vom 13.11.1918 verwendete das Wort Agnaten und meinte damit die männlichen Blutsverwandten männlicher Linie. Das Saalfelder Kreisblatt vom 14.11.1918 formulierte es mit Magnaten, also hohen Adligen oder Machtinhabern, etwas anders.

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Damit hatte Prinz Ernst von Sachsen-Meiningen bereits die Richtung der folgenden Verhandlungen um die Füstenabfindung vorgegeben, dem die neue Staatsmacht auch gefolgt war. Und er hatte bewiesen, dass er und nicht der eigentliche Herzog Bernhard ein staatsmännisches Format besaß, mit welchem er auch in Krisen zu agieren vermochte. Und wahrscheinlich war dies auch den Linken bewusst, dass Prinz Ernst in seinem persönlichen Format seinem verstorbenen Vater, Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen, am nächsten kam, und bestanden deshalb darauf, auch vom Thronfolger, der faktisch noch keine Macht besaß, die Abdankung zu verlangen. Daraufhin verlas Fritze den Entwurf des Abkommens mit dem Prinzen und auch dessen Einverständniserklärung, dieses zu unterschreiben. Daher ist seine Abdankungserklärung auf den Tag der ersten Zusammenkunft des Landtages datiert, mit Schreibmaschine geschrieben und ein Original. Die zweite Verzichtserklärung von Bernhard ist ein Durchschlag der im Wortlaut identischen Urkunde des Prinzen. Da an diesem Tag von Bernhards Anwesenheit keine Rede ist, muss er dieselbe erst später nach seiner Rückkehr aus Bad Liebenstein unterschrieben haben.

13. Die Novemberrevolution in den Städten des Herzogtums In den drei übrigen Kreisstädten des Herzogtums Hildburghausen, Sonneberg und Saalfeld waren ebenfalls Arbeiter- und Soldatenräte gebildet worden und es fanden Kundgebungen statt.103 Dabei traten häufig SPD-Mitglieder und Landtagsabgeordnete als Hauptredner auf. Aber auch in einigen Städten ohne Kreisstadtstatus wie in Salzungen, Steinach oder Pößneck entstanden Arbeiter- und Soldatenräte. Die Behörden verpflichteten sich in Meiningen wie auch anderswo, den neuen Machtverhältnissen Rechnung zu tragen, und alle Beamte wurden mit wenigen Ausnahmen vom neuen Dienstherren übernommen. Mit am frühesten zeigte sich die Novemberrevolution in Salzungen. Wie in Meiningen hatte das Salzunger Tageblatt vom Umsturz in München und auch vom Ultimatum der SPD-Parteileitung an die Reichsregierung berichtet, das u. a. eine Aufhebung des Versammlungsverbotes für die USPD, Umbildung der preußischen Regierung und den Rücktritt des Kaisers forderte. Am Sonntagmorgen ließen nun auch die zum Handeln entschlossenen Salzunger Parteigenossen per Extrablatt für 14 Uhr am selben Tag eine Volksversammlung im Hotel Waeltz (an der Stelle des heutigen Hotels Solewerk) einberufen. Heinrich 103 Von Herzog Georg II. war bereits kurz nach seinem Regierungsantritt 1866 die bisher übliche Ämtereinteilung aufgehoben und die vier Landkreise eingerichtet worden: Meiningen, Hildburghausen, Sonneberg und Saalfeld.

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Abb. 11: Wache am Bahnhof Salzungen am 31. Dezember 1918, Foto: unbekannt Eckardt trat als Hauptredner auf. Der mit allen Bevölkerungsschichten vollbesetzte Saal stimmte der Resolution einstimmig zu. Der Erklärung merkt man das federführende Mitwirken von Heinrich Eckardt an, denn sie hat nicht nur regionale Anliegen, sondern ganz Sachsen-Meiningen im Blick: Neben dem sofortigen Verzicht des Herzogs auf seine Herrscherrechte und Rücktritt der Regierung sollte der gesamte Domänenbesitz zum Staatseigentum erklärt und eine neue „Volksregierung unter Hinzuziehung von Vertretern aller republikanischen Parteien“ berufen werden. Eine allgemeine Amnestie für alle nicht mit Ehrverlust verbundenen Strafen wurde gefordert. Außerdem verlangte man, dass die Gemeindeordnung sofort abgeändert und hierbei das gleiche Wahlrecht für Männer und Frauen eingeführt werde. Diese Forderungen sollte die sachsenmeiningische Regierung sofort annehmen, anderenfalls werde man mit allen Mitteln dafür eintreten. So mancher Vertreter des Bürgertums, „der uns heute wieder als scharfer Gegner bekämpft, drückte mir die Hand“, so berichtete Heinrich Eckardt, und bat darum, Ruhe und Ordnung weiterhin aufrechtzu­ erhalten und radikale Strömungen zu dämpfen. Anschließend fuhr Eckardt direkt vom Hotel aus per Auto nach Meiningen und kam wohl gerade dazu, als Herzog Bernhard im Großen Palais abdankte. Obwohl mit der Versammlung eigentlich „der Akt der Umwälzung“ laut Eckardt in Salzungen abgeschlossen war, wurde dennoch am 18. November ein Arbeiter- und Soldatenrat mit dem

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Abb. 12: Kundgebung am Saalfelder Rathaus mit Arthur Hofmann als Hauptredner, 11. November 1918, Foto: unbekannt Gewerkschaftsfunktionär und Sozialdemokraten August Reddigau an der Spitze gebildet.104 In Saalfeld gab es seit dem 10. November einen Arbeiter- und Soldatenrat, der sich aus sieben Zivilpersonen und drei Soldaten aus dem hiesigen Lazarett zusammensetzte. Im Auftrag Arthur Hofmanns gingen zwei Mitglieder zum 104 Zitiert nach Eckardt, Parteijubiläum (wie Anm. 53), S. 31, sonst S. 31–33. – Salzunger Tageblatt vom 11.11.1918. – In der sich der Versammlung anschließenden Diskussion wollten die Teilnehmer die Entlassung zweier Personen (Othmer und Blencke) einfordern, wovon man aber Abstand nahm, nachdem sich der ebenfalls anwesende Bürgermeister Sitte für die beiden eingesetzt hatte. – Der Saal des Hotel Waeltz war um 1900 ein wichtiger Versammlungsort in Salzungen, auch die hiesige freimaurerische Vereinigung, quasi ein Ableger der Meininger Loge „Charlotte zu den drei Nelken“, hatte dieses Hotel zum Treffpunkt auserkoren. Das im Obergeschoss mit Fachwerk versehene Gebäude gegenüber dem Bahnhof wurde nach der Wende abgerissen. – Von den Parteien im Sachsen-Meininger Landtag republikanisch eingestellt waren damals wohl nur die SPD und die DDP. – Zum Salzunger Arbeiter- und Soldatenrat gehörten außer August Reddigau die Gefreiten Berth, Reich und Schiffmann sowie die Sergeanten Eckardt und Tonndorf. Der Arbeiterrat setzte sich aus Ernst Hopf, August Höller, Georg Taubert, Karl Wagner und Ferdinand Wehner zusammen.

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Magistrat und meldeten sich und eine Demonstration für den nächsten Tag um halb vier Uhr an, um ihre Wünsche für die Neuordnung der Verhältnisse im bzw. am Rathaus vorzutragen. Für die Teilnahme an der zur gleichen Zeit anberaumten Demonstration legten die Arbeiter in den Betrieben am Nachmittag ihre Arbeit nieder. Das Volk strömte daher aus allen Richtungen herbei, die Soldaten hatten sich in Reih und Glied aufgestellt. Um 15.30 Uhr betrat der Genosse Karthäuser den Balkon des Rathauses, um zunächst die Forderungen des Arbeiter- und Soldatenrates vorzulesen. Diese unterschieden sich insofern vom Salzunger Ansinnen, dass hier das unbefriedigende Gemeindewahlrecht keine Rolle spielte, dafür man aber „volles Versammlungs- und Kundgebungsrecht, Preßfreiheit“ verlangte. Die Republik Sachsen-Meiningen sollte nur bis zur Vereinigung aller thüringischen Staaten zur Einheitsrepublik existieren. Hier wird der Einfluss Arthur Hofmanns deutlich, der anschließend als Hauptredner auftrat und dessen Rede im vollen Wortlaut im Saalfelder Volksblatt abgedruckt wurde. Anschließend begab sich der Arbeiter- und Soldatenrat in das Sitzungszimmer, um mit dem dort anwesenden Gemeinderat, dem Bürgermeister, Postdirektor und dem Vorsteher des militärischen Meldeamtes die Forderungen zu besprechen und die Zusammenarbeit zu vereinbaren. Anschließend formierte sich ein Demonstrationszug von etwa 5.000 bis 6.000 Menschen, der sich hinter einer roten Fahne zum Landratsamt bewegte. Auch hier erfolgte das gleiche Ritual wie zuvor im Rathaus. Der Landrat teilte überdies mit, dass er ein Telegramm vom Staatsministerium erhalten habe, in welchem die Zusammenarbeit mit dem Arbeiter- und Soldatenrat empfohlen wurde. Die Menschenmenge kehrte anschließend auf den Marktplatz zurück, wo sie sich nach einer kurzen Ansprache Hofmanns auflöste. Sozialdemokraten und Soldaten sorgten wie überall als Ordner mit roten Armbinden dafür, dass es keine Zwischenfälle gab.105 In der im Südosten des Herzogtums gelegenen Kreisstadt Sonneberg übernahm der dortige Arbeiter- und Soldatenrat ebenfalls schon am Sonntag, dem 10. November die Macht und war mit dem Magistrat der Stadt und der Polizei bereits in Verbindung getreten. Da es dort gleich mehrere bekannte, sozial orientierte und meinungsstarke Protagonisten gab, war eine dreiköpfige Führungs105 Saalfelder Volksblatt vom 12.11. und 13.11.1918. – Das Landratsamt befand sich in der Herzoglichen Landesverwaltung neben dem Meininger Hof in der Alten Freiheit. Das ehemalige Schloss der Herzöge von Sachsen-Saalfeld wurde erst ab 1919 zum Landrats­ amt umgebaut. – Zum Arbeiter- und Soldatenrat gehörten die Arbeiter Theodor Brückner, Alexander Möller, Hermann Hübler, Wilhelm Karthäuser, Ernst Zorn, Richard Fischer und der Herausgeber des Volksblattes Arthur Hofmann sowie die beiden Gefreiten Emil Baumgartner, Willi Himbert und der Landsturmmann Hermann Schwalbe. Zum Stellvertreter bestimmte man August Eckardt, S. oder J. Meier-Durst und Ernst Müller. Als Obmann wurden Karthäuser, zum Schriftführer Zorn, zum Stellvertreter des Obmanns Hübler und zum Stellvertreter des Schriftführers Möller gewählt.

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spitze gewählt worden. Sie bestand zum einen aus den beiden Sachsen-Meininger Landtagsabgeordneten der SPD Karl Knauer (1872–1951) und Eduard Wehder (1852–1923) und zum anderen aus dem Ortskrankenkassen-Rendant Gustav König (1878–1948). Man hatte am Folgetag zu einer großen Volksversammlung am Schießhaus geladen. Karl Knauer verkündete in seiner Ansprache den Sieg der freien Republik und forderte wie überall dazu auf, diszipliniert zu bleiben. Nach der Rede meldete sich der Vorsitzende der Ortsgruppe des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten und ehemalige Kriegsteilnehmer M. Lenker zu Wort. Er teilte mit, dass sich seine Vereinigung, vom Wunsch geleitet, dass ein solcher Krieg niemals wieder stattfinden möge, dem Arbeiter- und Soldatenrat zur Verfügung gestellt habe, um diesen bei der Aufrechterhaltung der Ordnung zu unterstützen. Nachdem die Anwesenden in einem Demonstrationszug mit mehreren roten Fahnen zum Marktplatz gezogen waren, fanden im Saal des Rathauses Verhandlungen zwischen dem Landrat Creutzburg, dem Bürgermeister Müller und dem Arbeiter- und Soldatenrat statt. Schließlich erklärten sich die Behördenoberen schriftlich dazu bereit, unter dem Schutz des Arbeiter- und Soldatenrates wie gehabt mit ihrer Arbeit fortzufahren. Thema der Besprechung war außerdem die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln. Anschließend wurden der wartenden Menge unter einer inzwischen auf dem Rathaus angebrachten roten Fahne die Ergebnisse der Verhandlungen mitgeteilt. Es begab sich eine Abordnung des Arbeiter- und Soldatenrates in das nahegelegene Amtsgericht, um den Amtsrichter Heyl vom Stand der Dinge zu unterrichten. Während der Amtsrichter seine Sympathien zum Ausdruck brachte, gab der Postdirektor Reichbott zu, dass es ihm schwerfalle, als kaiserlicher Beamter der Republik Treue zu geloben. Schließlich begab sich der Demonstrationszug zum Bahnhof, wo er sich nach einer weiteren Ansprache auflöste.106 In Hildburghausen hatten Abgeordnete des dortigen Soldatenrates zu einer Kundgebung im Kaisersaal des heute nicht mehr bestehenden Gasthofs „Zum goldenen Hirsch“ aufgerufen, wo sich am Montag, dem 11. November 1918 um 14 Uhr Bürger, Arbeiter, verwundete Soldaten aus dem dortigen Lazarett und auch Frauen und Mädchen überaus zahlreich einfanden. Der Arbeiter- und Soldatenrat hatte verfügt, dass die Betriebe mittags um 1 Uhr schließen, um auch Arbeitern den Besuch der Versammlung zu ermöglichen. Es traten neben dem Vorsitzenden des Soldatenrates, wohl Feldwebel Lingelbach, der Geschäftsleiter der örtlichen SPD August Wichtendahl, der übrigens einige Monate später in den ersten demokratischen Landtag des Freistaates Sachsen-Meiningen gewählt wurde, und der ebenfalls in Hildburghausen ansässige Hauptmann Voß als Red106 Sonneberger Zeitung vom 11.11. und 12.11.1918. – Laut Kaiser, Geschichte (wie Anm. 52), S. 46, sollen sich am Schießhaus 10.000 Personen zusammengefunden haben.

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ner auf. Auch hier mahnten die Redner eindringlich, die Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten, wiesen auf die Ziele ihrer Bewegung hin und kündigten die alsbaldige Entlassung einiger im hiesigen Lazarett festgehaltener Leichtverwundeter und Kranker in die Heimat, die Abschaffung des militärischen Grußes außerhalb der Dienstzeit und das Ende der Arbeitszeit in den Betrieben um 5 Uhr nachmittags an. Ein für Hildburghausen verhältnismäßig langer Demonstrationszug mit etwa 1.000 Menschen zog mit einer roten Fahne zum Irrgarten (Schlosspark) und löste sich dort nach einem brausenden Hoch auf die junge Republik Deutschland wieder auf. Wohl ein Teil davon kehrte zum Kaisersaal zurück und wählte einen Arbeiterrat. Am Morgen des darauffolgenden Tages erschien schließlich eine Abordnung der beiden Räte bei den Militär- und Zivilbehörden sowie der Zeitung und sorgte dafür, dass die Behörden unterschriftlich deren Bedingungen anerkannten.107 Selbst in Steinach war ein „provisorischer Arbeiter- und Soldatenrat“ gebildet worden, der sich aus vier Gewerkschaftern, zwei Angehörigen der politischen Parteien, zwei Beamten, zwei Soldaten, zwei Kriegsinvaliden und zwei weiteren Einwohnern zusammensetzte. Namentlich wurde nur der Landtagsabgeordnete der SPD, Viktor Weigelt, genannt. Der Arbeiter- und Soldatenrat in Lauscha, bestehend aus Guido Müller-Blech, August Eichhorn-Sens und Walter Kammerdiener, hatte nach der üblichen Unterredung mit dem Bürgermeister auf dem Rathaus die rote Fahne gehisst.108 Schaut man sich die Forderungskataloge der verschiedenen Arbeiter- und Soldatenräte an, ist festzustellen, dass sich ihre Forderungen auf hiesige Belange 107 Hildburghäuser Kreisblatt vom 12.11.1918 sowie Saalfelder Volksblatt vom 15. und 16.11.1918. – Im Hildburghäuser Kreisblatt ist ein Aufruf an die Bevölkerung des Kreises Hildburghausen abgedruckt, unter welchem wohl alle Mitglieder des Arbeiter- und Soldatenrates zu finden sind: Die Arbeiter August Wichtendahl, Ernst Füßlein, Wilhelm Römhild und Nikolaus Heumann stammen wohl alle aus Hildburghausen oder Umgebung. Die Soldaten werden nur mit ihrem Nachnamen genannt: 1. Vorsitzender Sergeant Lingelbach, Hauptmann Voß, Mil.-Krank.-Wärter Werner, Unteroffizier Hoffmann, Musketier Schickau, die Unteroffiziere Zwing und Mund, der Vizefeldwebel Dierk, der Laz.-Insp.-Stellvertr. Heumann (2. Vorsitzender) und die Gefreiten Sei(d)ler und Pfeiffer. – Der Gasthof befand sich dort, wo nach der Wende von 1989 das Arbeitsamt errichtet wurde. Im Schlosspark gab es einst einen Irrgarten als Teil einer aufwendigen barocken Gartenanlage, daher wurde im Volksmund der gesamte Park als Irrgarten bezeichnet, freundlicher Hinweis von Michael Römhild, Hildburghausen. Heute ist dieser der letzte Überrest der Schlossanlage der Herzöge von Sachsen-Hildburghausen. Nach der Aufhebung des Herzogtums 1826 diente das Schloss nach Umbauten und Teilabrissen als Kaserne und wurde ab 1945 in mehreren Etappen vollständig zerstört: Zunächst durch amerikanischen Beschuss beschädigt, war es 1949/50 zum Abriss freigegeben worden und erhalten gebliebene Grundmauern und Keller sind nach 2010 auf Veranlassung des damaligen Bürgermeisters, Steffen Harzer, für einen Supermarkt beseitigt worden. 108 Sonneberger Zeitung vom 14.11.1918. – Salzunger Tageblatt vom 16.11.1918.

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konzentrierten bzw. stark von ihren jeweiligen Protagonisten geprägt waren. Hiesige Belange unterstrich vor allem ein Punkt der Forderungen der Meininger Soldaten: Wegfall des militärischen Grußes außer Dienst. Dieser hatte wohl mit Herzogin Charlotte von Sachsen-Meiningen zu tun. Denn in der Vergangenheit war es häufiger vorgekommen, dass die Herzogin bei ihren Spaziergängen durch die Parkanlagen der Residenz von Soldaten nicht erkannt wurde, da sie tief verschleiert auszugehen pflegte. Daher war das vorgeschriebene Frontmachen, die Ehrenbezeugung mit dem Strammstehen und Grüßen, immer wieder entfallen. Die Folge war, dass der alte Lakai bei dem Kommandanten der Garnison erschien und die Beschwerde der Herzogin überreichte: „Vom Schreibtisch des Kommandeurs ergoß sich der Unwille über mehrere Dienstgrade bis hinunter zum Zugführer, der sich seinerseits des Delinquenten annahm.“109 Pressefreiheit hingegen war in diesem noch von Herzog Georg II. her recht liberal regierten Land offensichtlich kaum ein Thema, wohl nur die Saalfelder hatten dies auf ihre Agenda gehoben. Ebenso über ihre regionalen Belange hinausgehend war ihre Forderung nach einem thüringischen Einheitsstaat. Diesem ebenbürtig kann das Salzunger Postulat gewertet werden. Bemerkenswert ist auch das Hildburghäuser Verlangen nach Begrenzung der Arbeitszeit. Überall, nicht nur in Meiningen, funktionierten auf Geheiß des Arbeiter- und Soldatenrates die regionalen Behörden wie gehabt weiter. Der herzogliche Landtag nahm bereits zwei Tage später seine Arbeit auf und verankerte darüber hinaus bereits am fünften Tag nach der Novemberrevolution mit dem „Gesetz über die Gesetzgebung und Verwaltung“ die eigenen Machtbefugnisse gesetzlich. Somit stand bald die Frage, welche Aufgaben oder Vollmachten die Arbeiter- und Soldatenräte hier im Freistaat Sachsen-Meiningen noch hatten.110 Denn in einigen Zeitungen vom 12. November war nachzulesen, dass Friedrich Ebert die Arbeiter- und Soldatenräte dazu aufrief, z. B. nicht in unzuständiger Weise in den Bahnbetrieb einzugreifen und somit die Nahrungsversorgung zu stören. Sicherlich nicht nur deswegen traute man auch den regionalen Arbeiterund Soldatenräten durchaus Machtmissbrauch zu. Ernst Höfer sprach auf der Landtagssitzung am 15. November an, dass „Klarheit zwischen den Kompetenzen der beiden Machtfaktoren dringend zu wünschen“ sei. Darauf reagierten Abgeordnete der SPD, die auch gleichzeitig Mitglieder des Arbeiter- und Soldatenrates in Sonneberg, Saalfeld und Meiningen waren: Zum einen bräuchte es noch Zeit, damit sich die Lage noch weiter stabilisieren könne. Auch sei man 109 Stockhausen, Auf Immerwiedersehen (wie Anm. 2), S. 267. – Bei diesem wohl letzten Vertreter seines Standes im Herzogtum handelte es sich möglicherweise um Anton Gitschier, eine Livree von ihm hat sich erhalten und befindet sich heute im Besitz der Meininger Museen; freundlicher Hinweis von Uta Irmer, Meiningen. – Siehe auch: Andrea Jakob (Texte u. Red.), Kinder und Enkel Georgs II. Herzog von Sachsen-Meiningen, hg. von den Meininger Museen, Meiningen 2018, S. 19. 110 Salzunger Tageblatt vom 16.11.1918.

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dem Arbeiter- und Soldatenrat zum Dank verpflichtet, dass dieser dafür gesorgt habe, dass der Übergang so reibungslos und ruhig vonstattenging, meinten Karl Knauer und Arthur Hofmann. Ersterer ging noch weiter, „dass man die Auseinandersetzung zwischen Regierungsgewalt und Soldatenrat ruhig der ersteren überlassen könne“. Heinrich Eckardt fügte noch hinzu, dass eine bessere Organisation bzw. Strukturierung unter den einzelnen Soldatenräten der verschiedenen Städte des Sachsen-Meininger Landes eingerichtet werden und ein von ihnen ausgewähltes Gremium dann direkt mit dem Landtag in Verbindung treten müsse.111 Daraufhin verkündete der Meininger Arbeiter- und Soldatenrat wenig später, dass sämtliche Räte des ehemaligen Herzogtums dem der Stadt Meiningen unterstehen. Sämtliche Aufrufe und Bekanntmachungen müssten in Absprache mit dem Arbeiter- und Soldatenrat des XI. Armeekorps passieren. Gleichzeitig gestattete der Meininger Soldatenrat den Offizieren, mit einem Ausweis könne nun das Tragen von Achselstücken zugelassen werden. Der Degen allerdings wurde künftig nur im Dienst geduldet. Darüber hinaus verkündeten die Arbeiter- und Soldatenräte übereinstimmend, dass eine scharfe Kontrolle des Schleichhandels erfolge.

14. Der Sachsen-Meininger Landtag – Umbruch und Kontinuität112 Durch die Abdankung des monarchischen Staatsoberhauptes bzw. dessen Thronverzicht konnten weder Landtage einberufen noch Gesetze verabschiedet werden. Damit war auch die noch von Herzog Georg II. eingesetzte Staatsregierung praktisch delegitimiert.113 Es drohte ein gefährliches Machtvakuum. In dieser Situation tat der Präsident, Eduard Fritze, etwas, wozu er eigentlich nicht befugt war: Er berief den Landtag auf eigene Verantwortung für den 12. November 1918 um 10 Uhr ein.114 Offensichtlich war Eduard Fritze durch ein Schreiben vom Staatsministerium damit beauftragt worden, auch von Heinrich Eckhardt war hierzu eine Aufforderung gekommen.115 111 Salzunger Tageblatt vom 16.11.1918. 112 Moczarski, Der letzte Landtag (wie Anm. 57), S. 81–119. – Für diesen folgenden Abschnitt ist Volker Kern für seine Beratung und Hinweise zu danken. 113 Dieser 17. Landtag war bereits 1909 gewählt worden. Die turnusmäßige Wahl des 18. Landtages hätte 1915 stattfinden sollen, sie war aber wegen des Krieges verschoben worden. 114 Fritze erwähnte dies in seiner Eröffnungsrede. Siehe Saalfelder Kreisblatt vom 14.11.1918. Siehe auch Salzunger Tageblatt vom 13.11.1918. – Salzunger Tageblatt vom 12.11.1918. 115 Meininger Tageblatt vom 13.11.1918. – Heinrich Eckardt hatte telegrafisch einen Antrag auf Einberufung des Landtages gestellt. Salzunger Zeitung vom 11.11.1918. – Saalfelder Kreisblatt vom 14.11.1918.

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Abb. 13: Der Meininger Landtagspräsident Eduard Fritze, Foto: L. O. Weber, Meiningen Von 24 Mitgliedern des Landtages erschienen 18, somit war das Gremium beschlussfähig. Auch die alte herzogliche Regierung war vollzählig anwesend, die zu der Zeit aus Staatsminister Schaller, Geheimrat Dr. Trinks und Staatsrat Freiherr von Türcke bestand. Fritze eröffnete die Sitzung mit den pathetischen Worten: „Wenn je eine Volksvertretung vor ernsten Entschließungen stand, so sind wir es jetzt. Wenn es gilt, Ruhe und Ordnung zu bewahren, so ist (jetzt) der Augenblick gekommen.“116 Dieser Einschätzung folgten die Abgeordneten. Staatsminister Schaller wiederholte seine bereits in der geheimen Sitzung am Vormittag abgegebene Rücktrittserklärung auch in der öffentlichen Nachmittagssitzung ab 15 Uhr: 116 Meininger Tageblatt vom 13.11.1918 wie auch andere Zeitungen, z. B. das Saalfelder Kreisblatt vom 14.11.1918.

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Andrea Jakob „Nachdem der Landesherr in einer Erklärung vor dem Arbeiter- und Soldatenrat die Regierung niedergelegt hat, haben wir die Auffassung, daß der Landtag dazu berufen ist, zu dieser Kundgebung des bisherigen Landesherrn Stellung zu nehmen, und ferner zu beschließen, was zu geschehen hat. Die Mitglieder des verantwortlichen Ministeriums bitten um Enthebung von ihren bisherigen Aemtern und ersuchen den Landtag, zur ferneren Leitung der Staatsgeschäfte die nötigen Schritte zu tun.“117

Anschließend fragte der Abgeordnete Dr. Michaelis das Staatsministerium, ob es bereit sei, die Regierungsgeschäfte vorerst weiter zu führen. Die Frage wurde von Seiten des Regierungstisches mit Ja beantwortet. Derselbe Abgeordnete beantragte eine Unterbrechung der Sitzung für eine Viertelstunde. Der Beginn verschob sich aber auf 17.30 Uhr, da die Beratungen doch länger dauerten.118 Zu Beginn der dritten Sitzung an diesem Tag äußerte Fritze seine Befriedigung darüber, dass die heutigen Verhandlungen, „die so bedeutungsvoll für das Meininger Land sind, von so versöhnlichem Geist getragen seien“,119 und erteilte dem Abgeordneten Arthur Hofmann das Wort. Dieser holte aus und kam stichpunktartig auf die Ereignisse des Ersten Weltkrieges zu sprechen, indem er u. a. erwähnte, dass die Sozialdemokraten stets für den Frieden eingetreten seien. Sie wären aber auch zu Beginn des Krieges am 4. August 1914 einer Meinung mit dem Volk gewesen, das Vaterland sei in Gefahr. Tatsächlich war es der deutschen Regierung um den Reichskanzler Bethmann Hollweg in der Julikrise, die der Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand von Österreich-Este am 28. Juni 1914 in Sarajevo folgte, gelungen, die deutsche Bevölkerung zu überzeugen, dass sich das deutsche Kaiserreich gegen einen Angriff von außen verteidigen müsse.120 Eine Folge der Ereignisse dieses Krieges sei, fuhr der Redner fort, dass man nun die Revolution im Lande habe. Der Herzog ist zurückgetreten und nun sei es an der Zeit, die kleinen thüringischen Fürstentümer aufzuheben, weil ihre Zeit, in der sie Missionen zu erfüllen gehabt hätten, vorbei sei. Es müssten viele Soldaten zurückgeführt werden, es gelte auch, die Frauen- und Wohnungsfrage zu lösen. Es werde große Ernährungsschwierigkeiten geben. „Darum heißt es, einig zu sein, und wir Sozialdemokraten stellen für den Augenblick alles beiseite, was wir zur Stunde nicht verwirklichen können […], da niemand mit dem Kopf durch die Wand kann. Deshalb erklären wir uns auch jetzt bereit, in die Regierung einzutreten, […] damit das Volk weiß, daß die Regierung von Vertretern des Volkes beraten wird. Wir wollen dadurch das Schlimmste abwenden helfen.“121 117 Zitiert nach Saalfelder Kreisblatt vom 14.11.1918. 118 Meininger Tageblatt vom 13.11.1918. Siehe auch Saalfelder Kreisblatt vom 14.11.1918. Dort wird offensichtlich nach englischem Vorbild 5.30 Uhr (5:30 p.m.) angegeben. 119 Zitiert nach Saalfelder Kreisblatt vom 14.11.1918. 120 Vgl. Verhey, Burgfrieden (wie Anm. 7). 121 Zitiert nach Saalfelder Kreisblatt vom 14.11.1918.

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Hofmann schlug den Geheimen Regierungsrat Marr als Staatsminister vor und er sollte die Ressorts Schule, Kultus und Justiz übernehmen, Regierungsrat Dr. Benz die Domänen und Finanzen sowie der Geheime Staatsrat von Türcke das Ressort Inneres. Als gleichgeordnete, aber unbesoldete Staatsräte empfahl Hofmann den Abgeordneten Adalbert Enders für die Volksschulen; sich selbst für die Domänen, den Abgeordneten Karl Knauer für die Sozialpolitik sowie Heinrich Eckardt für die Volkswirtschaft und -ernährung. Außerdem sollte der Assessor Gerlach für den Regierungsrat Benz in die Regierung eintreten.122 Daraufhin folgte das Parlament der Aufforderung des Staatsministeriums noch am selben Tag und ernannte eine neue Staatsregierung. Sie bestand aus erfahrenen Beamten des Herzogtums, den beamteten Staatsräten Ludwig von Türcke (1857–1933) als Staatsminister, Karl Marr (1860–1942) und Dr. Ottomar Benz (1880–1960), die auch nach Ablauf einer Wahlperiode nicht aus der Regierung ausscheiden würden. Aus den Reihen der Abgeordneten wurden die SPD-Mitglieder Arthur Hofmann, Karl Knauer (1872–1951) und Heinrich Eckhardt sowie der DDP-Vertreter Adalbert Enders (1856–1925) gewählt. Somit folgte man dem Vorschlag Hofmanns weitestgehend. Als Vertreter des Volkes blieben die vier Zuletztgenannten weiterhin Mitglieder des Landtages, mussten aber nach Ablauf einer Wahlperiode aus der Regierung ausscheiden und sich neu wählen lassen.123 Der Abgeordnete Enders äußerte daraufhin seine Freude über die „Freiheitsbewegung, die vieles Alte, Morsche unter ihren Trümmern begrabe“, bedauerte aber, dass sie „aus dem größten nationalen Unglück geboren sei“ und dass es für Verzweifeln und Klagen keine Zeit sei. Es gelte nun, alle Kräfte zusammenzufassen und zu retten, was gerettet werden könne. Deswegen sei er bereit, in die Regierung einzutreten. Der Landwirt und Abgeordnete Höfer äußerte in Vertretung für seine Fraktion, dem Meininger Bauernverein, dass er diese Entwicklung nicht billige, sich aber angesichts der Lage mit den Tatsachen abfinden würde. Er hoffe aber, dass man „den ernstesten Willen zur Aufrechterhaltung der Ordnung“ habe und die Landwirtschaft nicht in ihren Grundfesten erschüttern werde. Hinsichtlich der Entwicklungen in Sowjetrussland werden diese Einwände verständlich. Daraufhin erwiderte Heinrich Eckardt folgerichtig, dass die neue Regierung keine Interessenvertretung sei, sondern eine Volksregierung, was in der Zuwahl der Parlamentarier seinen Ausdruck finde. Auf Vorschlag des Abgeordneten Fischer wurde eine weitere Sitzung für den

122 So im Saalfelder Kreisblatt vom 14.11.1918, etwas anders im Meininger Tageblatt vom 13.11.1918. 123 Sonneberger Zeitung vom 16.11.1918. Mit dem Staatsrat Enders wünschten alle Seiten eine Ausnahme zu machen. Falls er nicht wieder gewählt werden sollte, dann solle er in die Regierung eintreten, damit man nicht auf seine Fachkenntnis verzichten müsse.

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nächsten Nachmittag anberaumt, in welcher sich die neue Regierung dem Landtag vorstellen sollte.124 In der Vorstellung der neuen Regierung durch Ludwig von Türcke bedankte er sich für das entgegengebrachte Vertrauen und richtete sich zunächst direkt an die Einwohner des Meininger Landes und erklärte: „Der Ausbau unseres Staates zu einem Volksstaat, in dem das Volk sich selbst Schicksal und Gesetz gibt und bestimmt, soll unsere vornehmste Aufgabe und unser höchstes Ziel sein.“ Gleichzeitig erwartete der Redner von der Bevölkerung die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und gewissenhaftes Einhalten der erlassenen Verordnungen besonders hinsichtlich des Schutzes vor Hungersnot. In seiner Rede stellte von Türcke auch das gewaltige Programm seiner Regierung vor. Zuvörderst hatte man die Folgen des Krieges zu bewältigen und die Sicherstellung der Ernährung und Arbeit für die heimgekehrten Soldaten zu gewährleisten. Weiterhin nahm man sich vor, den in den letzten Jahren und Jahrzehnten aufgelaufenen Reformstau aufzuarbeiten. Dazu gehörten die Reformen des Landtags- und Gemeindewahlrechtes, „die Verhältnisse verlangen ihre sofortige Erledigung“. Außerdem: „Die Jahre des Krieges und der Entbehrungen haben den Bestand und den Gesundheitszustand unseres Volkes aufs Tiefste erschüttert.“ Deshalb wolle sich die Regierung um die Schaffung von ausreichendem Wohnraum, die Jugend-, Kinder- und Säuglingsfürsorge sowie die Bekämpfung der Tuberkulose kümmern. Entsprechend den Vertretungen des Handels, des Gewerbes und des Handwerks soll eine Landwirtschaftskammer eingerichtet werden. Über die noch ausstehende Einigung mit dem Herzogshaus und auch hinsichtlich der Vereinigung der Staaten Thüringens äußerte er sich zwar positiv, aber vorsichtig. Weiterhin standen der Ausbau des Schulwesens, Verbesserung der Gehälter des Landtages und natürlich die Neuregelung der Domänenfrage auf der Agenda.125 Bemerkenswert ist insofern noch eine Erklärung von Dr. Michaelis, dass er und seine Freunde von der rechten Seite nach wie vor Anhänger des monarchistischen Staates, aber keine Gegner der republikanischen Staatsform seien. Sie gaben zu, dass auch nicht monarchistische Staaten in der Lage seien, „den Zielen der Menschheit, der Zufriedenheit, dem Wohlbefinden und Glück und einer stetig fortschreitenden Kultur“ entsprechen zu können. Es käme vielmehr auf die Person, deren Charakter und Können an.126

124 Meininger Tageblatt vom 13.11.1918. Saalfelder Kreisblatt vom 14.11.1918. Siehe auch Salzunger Tageblatt vom 13. und 14.11.1918. 125 Zitiert nach Meininger Tageblatt vom 14.11.1918. Auch Saalfelder Kreisblatt vom 16.11.1918. 126 Zitiert nach Meininger Tageblatt vom 14.11.1918 und Saalfelder Kreisblatt vom 16.11.1918.

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Am Tag nach ihrer Ernennung hatte die neue Regierung bereits das „Gesetz über die Gesetzgebung und Verwaltung“ ausgearbeitet und legte es dem Landtag vor, welches am 15. November 1918 beschlossen wurde. Damit ging die gesetzgebende Gewalt in vollem Umfang auf den Landtag über, der nun auch berechtigt war, die Mitglieder des Staatsministeriums zu ernennen. Letztere wiederum übernahmen die Befugnisse des bisherigen Landesherrn.127

Abb. 14: Das Meininger Landtagsgebäude im Jahr 1892, Foto: Junghanns & Koritzer, Meiningen Dieses Gesetz kann somit als Novellierung des Grundgesetzes von 1824 verstanden werden und ermöglichte die Durchsetzung demokratisch-republikanischer Staatsstrukturen. Nach Auffassung der sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten soll Sachsen-Meiningen somit wohl der erste Bundesstaat gewesen sein, der seinen gesellschaftlichen Umwälzungen eine gesetzliche Grundlage gegeben hat.128 127 Sammlung der Gesetze und Verordnungen für Sachsen-Meiningen, in: https:// zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00217485/0119_HZSM_1915-1921_ GSN0045_0103.tif, eingesehen Juli 2019. Siehe auch Meininger Tageblatt vom 14.11.1918 und Salzunger Tageblatt vom 16.11.1918. 128 Moczarski, Der letzte Landtag (wie Anm. 57), S. 84. – Saalfelder Volksblatt vom 17.11.1918 und Salzunger Tageblatt vom 16.11.1918.

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Anders als bei Ulrich Heß herausgestellt, bestimmte nicht die bürgerliche Mehrheit nach wie vor das Geschehen im Landtag, sondern sie überließ der SPD-Minderheit zumindest in den ersten Tagen nach der Revolution weitgehend das Feld. Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass die wichtigsten Protagonisten der SPD, bekanntlich gleichzeitig Mitglieder der regionalen Arbeiter- und Soldatenräte, die einzigen waren, die mit einem klaren Konzept aufzutreten wussten. Und diese Genossen wussten sehr wohl angesichts des blutigen Vorbildes Sowjetrusslands, wohin ein Tabula rasa der jahrzehntelang gewachsenen Behördenstrukturen führen würde. Sie standen zu keiner Zeit, so wie es Heß formulierte, vor der Entscheidung, ob sie der Einladung zur Landtagssitzung Folge leisten sollten. Sie hatten sie geradezu ersehnt, von Eckardt kam bekanntlich auch eine Aufforderung dazu. Die hiesigen sozialdemokratischen Protagonisten strebten auch keine Diktatur des Proletariats an, wie Heß zu Recht feststellte, sondern von vornherein republikanische Strukturen bzw. eine parlamentarische Demokratie. Sie waren vor allem eines nicht: Populisten, sondern Realpolitiker, welche die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensnotwendigem und die Verhinderung eines Bürgerkrieges als ihre wichtigsten Aufgaben ansahen. Und vor allem erschienen sie nicht unvorbereitet, wie es Heß darstellt, sondern waren darauf eingestellt, harte Auseinandersetzungen zu führen, welche sich schließlich durch die Ereignisse der Novemberrevolution erübrigt hatten.129 Dies belegt auch ein im Saalfelder Volksblatt bereits am 4. September 1918 in einem Artikel mit dem Titel „Reform oder Revolution“ erschienener fettgedruckter Satz: „Überhaupt müssen sich die besitzenden Klassen darüber klar sein, daß dieser Krieg ein einfaches Beharren beim Alten unmöglich macht. Entweder wird den Kriegsgewinnlern und Kriegswucherern ihr Raub abgejagt, dem Volke Freiheit gegeben und die Wirtschaft fortschreitend sozial geordnet, oder es müssen sich während des Krieges und nach ihm die schwersten sozialen Erschütterungen einstellen.“

Und so kam es bekanntlich auch. Nicht umsonst konstatierte auch Fritze am 15. November in seinem Schlusswort: „In wenigen Tagen und Stunden, gleichsam über Nacht, ist eine neue Zeit geboren worden. Die Geburtswehen haben sich glatter als an anderen Orten, ja ich möchte sagen, in vorbildlicher Weise vollzogen. Daß dies so ruhig geschehen konnte, danken wir, wie ich anerkennen muß, der Einsicht und dem taktvollen Vorgehen der führenden Herren der Linken dieses Hauses, den Sozialdemokraten, und zugleich dem besonnenen Verhalten des Arbeiter- und Soldatenrates.“130 129 Hess, Novemberrevolution (wie Anm. 56), S. 239. 130 Werra-Bote und Sonneberger Zeitung vom 16.11.1918, auch Saalfelder Volksblatt vom 17.11.1918.

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Bis zum Ende seiner letzten Sitzungsperiode am 30. Dezember 1918 beschloss der 17. Landtag weitere wichtige Gesetze, darunter am 18. Dezember 1918 das Landtags-Wahlgesetz, das erstmals freie, allgemeine, geheime und direkte Wahlen auf der Grundlage des Verhältniswahlrechtes festschrieb. Einen Tag später wurde die Änderung des Gemeindewahlrechts durchgesetzt, welches nun auch für die Gemeinderäte freie und direkte Wahlen ermöglichte. Denn seit der Beseitigung des Zehnstimmengemeindewahlrechts 1897 waren diejenigen, die nur wenig besaßen, nahezu vollständig ausgeschlossen worden. Von gleicher Wichtigkeit war das am 30. Dezember verabschiedete Gesetz über das Domänenvermögen, mit dem ein Schlussstrich unter die jahrzehntelang schwelende Auseinandersetzung zwischen Parlament und Herzogshaus gezogen wurde. 1917 betrug z. B. der Reinerlös aus den Domänen stolze 5,5 Millionen Mark. Nunmehr gingen Waldungen, Güter und Industrieanlagen in das Eigentum des Staates über. Der Herzog wurde vergleichsweise großzügig abgefunden. Mit seinem zupackenden, pragmatischen Handeln über Parteigrenzen hinweg hatte der alte „herzogliche“ Landtag dafür gesorgt, dass das Land ohne gewaltsame Auseinandersetzungen in republikanische Strukturen überführt werden konnte. 131

15. Das herzogliche Paar nach der Novemberrevolution Nach der Abdankung führte das herzogliche Paar ein zurückgezogenes Leben im Großen Palais in Meiningen und auf Schloss Altenstein. Die angeschlagene Gesundheit beider veranlasste es häufig, Sanatorien aufzusuchen. Bernhard selbst betrachtete seine Zeit als Regent später distanziert. Er war mit Charlotte einer Meinung, dass in Schlesien, wo Bernhard als kommandierender General des VI. Armeekorps von 1896 bis 1903 in Breslau stationiert gewesen war, der Höhepunkt ihres gemeinsamen Lebens zu suchen sei und nicht in seiner Zeit als Regent von Sachsen-Meiningen.132 Darüber äußerte er sich in einem Brief an Margot Geyer 1919 vernichtend: „Nach meiner Thätigkeit als Kommandierender General und nach der Stellung, die wir in Schlesien hatten, konnte mir die Regirung eines Duodezstäätchens keine Genugthuung mehr bieten. Dazu kam, daß ich vier Wochen vor dem Kriege an die Regirung kam und daß damals nicht ich, sondern das stellvertretende Generalkommando in Kassel regirte. Mir waren die Hände gebunden und alle die Absichten, die

131 Moczarski, Der letzte Landtag (wie Anm. 57), S. 84–86. 132 Brief Bernhards an Margot Geyer vom 4. November 1919. Zitiert nach Witter, Briefe (wie Anm. 89), S. 4. – Siehe auch: Beck, Wilhelm II. (wie Anm. 50), S. 60.

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Andrea Jakob ich bei mir herumtrug, konnte ich, der Kriegszeit wegen, nicht verwirklichen. Dann zerschlug die wahnwitzige Revolution alles.“133

Weitere Gründe für Bernhards verhältnismäßige Passivität werden sicher zum einen in seinem fortgeschrittenen Alter und zum anderen auch in der immer noch starken Präsenz seines verstorbenen Vaters zu suchen sein, dem er in vielerlei Hinsicht nicht das Wasser reichen konnte.134 Das Zusammenleben mit seiner oft als schwierig, unzugänglich und unberechenbar beschriebenen Frau mag ihn ebenfalls gezeichnet haben.135 Auch ist vermutlich der Umstand mit in Betracht zu ziehen, dass er im Alter von vier Jahren seine Mutter verloren hatte und hauptsächlich bei seinen Großeltern und Georgs zweiter Frau Feodora aufwuchs. Charlotte starb ein knappes Jahr nach der Novemberrevolution. Ihr früher Tod war nicht nur ihrer schweren Porphyrie-Erkrankung geschuldet, sondern ist auch in direktem Zusammenhang mit der Fürstenabdankung zu sehen. Charlotte war Zeit ihres Lebens eine Enkelin, später Tochter und Schwester der am höchsten stehenden Personen im Deutschen Reich gewesen. Sie wurde 1860 als älteste Tochter Friedrich Wilhelms, des späteren 99-Tage-Kaisers, und Victoria, einer Prinzessin von Großbritannien und Irland, geboren. Somit war sie auch eine Schwester des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. und eine Enkelin der berühmten Queen Victoria von Großbritannien. Im Bewusstsein ihrer besonderen Hochwohlgeborenheit hatte sie Bernhard den Heiratsantrag gemacht, und nicht er ihr, wie es üblich gewesen wäre. Auch bei Zeitgenossen hieß es: „Sie war durchdrungen vom Bewußtsein ihrer kaiserlich-königlichen Abstammung …“136 Der Umstand der Fürstenabdankung muss für sie, auch wenn man zuvor hin und wieder in privaten Kreisen darüber spekuliert haben mag, als etwas Ungeheuerliches und Undenkbares erschienen sein. Nach dem frühen Tod von Charlotte zog sich Bernhard noch mehr zurück. Stattdessen entdeckte er im weitläufigen Park von Altenstein seine Liebe zur Natur wieder und ließ die Grablege für seine Frau und sich dort anlegen. In sei133 Brief Bernhards an Margot Geyer vom 4. November 1919. Zitiert nach Witter, Briefe (wie Anm. 89), S. 4. – Zu vermuten ist auch, dass Bernhard III. zudem versuchte, diese Zäsur, die der Verlust der Regentschaft mit sich brachte, kleinzureden, um sich selbst zu schützen. 134 Die überaus starke Präsenz seines Vaters äußerte sich auch darin, dass der Landtag des Freistaates Sachsen-Meiningen verfügte, dass alle Bildnisse der einstigen Machthaber aus öffentlichen Amtsstuben verschwinden, mit einer Ausnahme, denen des Herzogs Georg II. Bernhard weigerte sich außerdem, von Seiten des herzoglichen Hauses an den Vorbereitungen zu den Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag seines Vaters 1926 teilzunehmen, welche das Land Thüringen veranstaltete. Diese Aufgabe übernahm sein Halbbruder Prinz Ernst. 135 Stockhausen, Auf Immerwiedersehen (wie Anm. 2), S. 267. 136 Ebd.

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nen letzten Lebensjahren mochte er sich kaum noch in der Öffentlichkeit zeigen, obwohl deren Interesse an Fürstlichkeiten nach wie vor groß war. Bernhard bemerkte dazu: „Erst schaffen sie die Monarchie ab, und nun wird unsereiner beglotzt wie ein wildes Tier hinter Gittern!“137

137 Beck, Wilhelm II. (wie Anm. 50), S. 70.

Abkürzungsverzeichnis Abb. ADB Anm. Art. Bd. Bl. BNU DDP ders. ebd. f. fl. GStAPK Hg./hg. HStA kgl. LATh MdL MdR MOR NDB N. F. Nr. M o. O. PD p. m. Pseud. r RAW Red. S. Sign. S. M. Sp. SPD StA StadtA T.

Abbildung Allgemeine Deutsche Biographie Anmerkung Artikel Band Blatt Bibliothèque nationale et universitaire Deutsche Demokratische Partei derselbe ebenda folgende Gulden/Taler Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Herausgeber/herausgegeben Hauptstaatsarchiv königlich Landesarchiv Thüringen Mitglied des Landtags Mitglied des Reichstags Max Ohnefalsch-Richter Neue Deutsche Biographie Neue Folge Nummer Mark/Reichsmark ohne Ort Privatdozent post meridiem Pseudonym recto Reichsbahnausbesserungswerk Redaktion Seite Signatur Seine Majestät Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands Staatsarchiv Stadtarchiv Teil

202

USPD v Verf. vgl. zit.

Abkürzungsverzeichnis

Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands verso Verfasser vergleiche zitiert

Abbildungsnachweis Für die Rechte zum Abdruck der Abbildungen in den einzelnen Beiträgen zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich. Beitrag Frank-Lothar K roll Abb. 1: Foto: unbekannt, gemeinfrei (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Gruppenbild_1903.jpg); Abb. 2, 3, 6, 8–12, 14, 15: Sammlung Kroll; Abb. 4: Foto: Jozef Trylinski, gemeinfrei (Wikimedia Commons: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mihai.jpg); Abb. 5: Anhaltische Gemäldegalerie Dessau; Abb. 7: Foto: J. Laurent, gemeinfrei (Wikimedia Commons: https://commons. wikimedia.org/wiki/File:D._Fernando,_1869_-_Fotografia_de_J._Laurent_ [Colec%C3%A7%C3%A3o_Manuel_Magalh%C3%A3es].png); Abb. 13: Bundesarchiv, Bild 183-R43302, lizensiert unter CC-BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_ 183-R43302,_Kaiser_Wilhelm_II._und_Zar_Nikolaus_II..jpg) Beitrag Barbara Beck Abb. 1–4: Sammlung Barbara Beck Beitrag Manuel Schwarz Abb. 1–3: Sammlung Manuel Schwarz; Abb. 4: Archiv Naturkundemuseum Mauritianum Altenburg Beitrag Stephan G. Schmid Abb. 1: Foto Stephan G. Schmid; Abb. 2–8b: LATh-StA Meiningen; Abb. 9a u. b: Privatbesitz; Abb. 10: NYT Internet Archiv (https://www.nytimes.com/­ 1893/05/05/archives/subvention-for-dr-richter.html); Abb. 11: Illustrierte Zeitung Nr. 2419, 9. November 1889, Titelseite Beitrag Andrea Jakob Abb. 1–8, 13: Fotoarchiv Meininger Museen (Inv.-Nr.: Abb. 1: XIII 1870; Abb. 2: K 1645; Abb. 3: VII 331; Abb 4: XIII 1772; Abb 5: XIII 2432; Abb 6: o. A.; Abb. 7: K 670; Abb. 8: XIII 1915; Abb. 13: K 683/17); Abb. 9 u. 12: Stadtmuseum Saalfeld (Inv.-Nr.: Abb. 9: o. A.; Abb. 12: V 6681 Z); Abb. 10: LATh-StA Meiningen, Geheimes Archiv Meiningen, Urkunden 264, Bl. 3; Abb. 11, 14: Sammlung Jakob

Ortsregister Das Register enthält alle im Text- und Fußnotenteil aufgeführten Orte. Geogra­ phische Landschaftsbezeichnungen sowie territoriale Bestandteile in Herrschaftstiteln wurden nicht aufgenommen. Ortsnennungen, die lediglich bibliographischen Angaben zugehören, wurden ebenfalls nicht erfasst. Aegosthena → Aigosthena Aigosthena 126, 128 f., 131 Ain Mousa 118 Aïnata 117 Altenburg 102 Argos 118, 126 Arnstadt 160 Assuan 118 Asioût → Asyut Asyut 118 Athen 113, 117 f., 124, 126 f., 132 f., 143

Damaskus 117 Darmstadt 17 f. Dekeleia 127 Delphi 118 Dendera 120 f. Dreißigacker 65, 81

Bad Blankenburg 159 Bad Sachsa 157 Bad Wildungen 147 Baden-Baden 55 Bassai 118, 121 f. Berlin 9, 32 f., 36, 39, 43 f., 47 f., 50, 54, 93, 96–98, 102, 104, 106, 108, 119, 128 f., 131 f., 134–137, 143, 149, 171 Bernburg 169 Björkö 32 f. Bonn 87 Breslau 98 f., 110, 137, 170, 197 Brindisi 125 Brüssel 24 f., 27 Bukarest 18 f. Byblos 117

Frankfurt a. M. 32, 81 Freiburg i. Br. 13

Cannes 54 Camburg 81, 158 Coburg 27, 102, 149, 164 Curtea de Arges 18

Eisenach 172 Eleutherä → Eleutherai Eleutherai 126, 128 f., 133 f. Eltville a/R. 139 Erfurt 8, 77, 154

Gauerstädt 61 Gera 102 Göttingen 69 Gotha 81, 93, 101, 163 Großbreitenbach 160 Gyphtokastro → Eleutherai Haifa 117 Haselbach 176 Heidelberg 81, 96, 121, 126, 141 Hildburghausen 62, 70, 73, 76, 79, 108, 163, 179, 183, 187 f. Hisarlik → Troja Ilmenau 160 Itea 118 Jaffa 118 Jena 10, 73, 77, 81, 100

206 Jerusalem 116, 118 Kairo 118 Kallenberg 61 Kassel 86, 110, 168, 197 Katzhütte 159 Kiel 161 Konstantinopel 117, 132, 134 Korinth 118

Ortsregister

Phyle 126, 128–130 Piräus 126 Pößneck 154, 183 Pompeji 125 Porto Germanó → Porto Germeno Porto Germeno 131 Potsdam 32, 39, 44, 46, 86 Quittelsdorf 158

Larnaka 117 Lauscha 188 Leipzig 96, 133, 152, 172 (Bad) Liebenstein 55, 62, 173, 183 Lissabon 25, 27 London 138 f. Luxor 118

Rauenstein 158 Rhamnous 127 Rethymno 118 Römhild 57, 70, 81 Rom 114–116, 125 Rudolstadt 152, 159 Ruhla 160

Mantineia 118, 122 f. Marathon 126–128 Megalopolis 126 Meiningen 7, 39, 49, 52, 57, 59, 62, 65, 70, 76, 81, 99, 102 f., 121, 133, 142, 149 f., 152, 158, 160, 163, 165, 167, 169, 171 f., 174–179, 182, 184, 189–191, 195, 197 München 53, 125, 171, 183 Mykene 126, 129

Saalfeld 79, 152, 154, 160, 171, 177, 183, 185, 189 (Bad) Salzungen 152, 154, 160 f., 163, 183–185 Sankt Petersburg 30, 32 Sarajevo 52, 103, 147, 192 Smyrna (türkisch Izmir) 117 f. Sonneberg 59, 70, 154, 160, 163, 176, 179, 183, 186, 189 Sparta 118 Steinach 154, 160, 176, 183, 188 Stockheim 156 Straßburg 139

Naplus 117 Nauplia 117 f. Neapel 116, 118, 125 Oberammergau 116 Oberhof 101 Obermaßfeld 158 Oïnoë 127 Oldenburg 172 Olympia 113, 118, 125 f. Orchomenos 133 Paris 81

Tahta 118 Tatoi 127 Theben (ägyptisch) 118 Theben (griechisch) 118 Tiberias 117 Tiryns 132 f. Triest 125, 127 Troja 117, 124 f., 132 Tübingen 69

Ortsregister

Vachdorf 158 Vilia 131 Völkershausen 62 Walldorf 65 Wasungen 156 Weimar 77, 86–93, 102 Wiesbaden 139 Wilhelmshaven 172

207

Personenregister Das Register verzeichnet alle im Text- und Fußnotenteil erwähnten Personen. Jedoch ist darauf verzichtet worden, jene Personennamen aufzunehmen, auf die nur im Kontext der Forschungsdiskussion rekurriert wird und die lediglich in biblio­ g raphischen Angaben erscheinen. Vornamen, die nicht ermittelt werden konnten, werden mit einem [N.N.] gekennzeichnet.

Adelheid, Prinzessin zu Lippe-Biesterfeld 80 Albert, Prinz gemahl Königin Victorias 26 f., 42 Albrecht, Prinz von Preußen 42, 108 Alexander, Prinz von Hessen-Darmstadt 17 Alexander, Prinz von Battenberg 17, 51 Alexander I., Zar von Russland 22, 29 Alexander II., Zar von Russland 31 f. Alexander III., Zar von Russland 32 Alfred, Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha 83 Alix (russ. Alexandra Fjodorowna), Zarin von Russland 17, 36 Alice von Battenberg, Prinzessin von Griechenland 17 Althoff, Friedrich 136, 138 Andreas, Prinz von Griechenland 17 August, Prinz von Sachsen-Gotha-Altenburg 115 August II., König von Polen und Kurfürst von Sachsen 68 Augusta, Deutsche Kaiserin und Königin von Preußen 41, 43, 144 Auguste Victoria, Deutsche Kaiserin und Königin von Preußen 47, 99 Baader, Franz von 22 Bartels, Adolf 91 Baudert, August 94 Baumbach, Carl Ludwig Friedrich August von 62 Baumgartner, Emil 186 Bebel, August 52, 163

Beck, Heinrich 157 Beißel, [N.N.] Graf von 169–171 Benz, Ottomar 182, 193 Bellermann, Heinrich 141–143 Bernhard I., Herzog von Sachsen-Meiningen 58 Bernhard II. (Erich Freund), Herzog von Sachsen-Meiningen 9, 57–59, 62, 69, 73 f., 79, 95 Bernhard III., Herzog von Sachsen-Meiningen 7–13, 15 f., 39, 42–44, 46 f., 50–52, 54 f., 80, 83, 94–108, 110 f., 113–122, 124–144, 146, 149–151, 162, 167, 170 f., 173–175, 179 f., 182–184, 197–199 Bernhard Heinrich, Prinz von SachsenWeimar-Eisenach 86 f. Berth, [N.N.] 185 Bethmann Hollweg, Theobald von, Reichskanzler 192 Bismarck, Otto von 31 f., 54, 74 f., 95 Blencke, [N.N.] 185 Bloch, Ernst 177 Blum, [N.N.] 176 Bonald, Louis de 22 Boris III., Zar von Bulgarien 27 Brockhaus, Arnold 133 Brockhaus, Eduard 133 Brückner, Theodor 186 Brütt, Adolf 88 Brugsch, Emil 132 Brutus 162 Bücher, Theodor 158

Personenregister

Calvert, Frank 124, 132, 140 Calvert, Frederik 124 Carl Alexander, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 83, 86–88, 93, 95 Carl August, Erbgroßherzog von SachsenWeimar-Eisenach 86 Carl Eduard, Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha 10, 16, 83, 85, 87, 92, 95–97, 101 f., 104–106 Carlos I., König von Portugal 26 Carol I., König von Rumänien 36, 49 Caroline, Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 87 Charlotte (russ. Alexandra Fjodorowna), Großfürstin von Russland 29 f. Charlotte, Herzogin von Sachsen-GothaAltenburg 115 Charlotte von Preußen (1831–1855), Herzogin von Sachsen-Meiningen 9, 42, 73, 94 f. Charlotte von Preußen (1860–1919), Herzogin von Sachsen-Meiningen 15, 39–55, 96–100, 106, 108, 111, 127, 140, 162, 170, 173–175, 189, 197 f. Conze, Alexander 135 f. Credner, [N.N.] 162 Creutzburg, [N.N.] 187 Curtius, Ernst 124, 129 Dankert, Hans-Joachim 169 f., 176 Dankert, Otto 169 f., 176 Degelow, [N.N.] 170, 176 Delbrück, Hans 127 Dierk, [N.N.] 188 Diersburg, Karl-August Freiherr Roeder von 99 Döbling, [N.N.] 176 Döbner, Carl Friedrich Christian 57 Döbner, Erwin Theodor 71 Ebert, Friedrich 15, 189 Eckardt, [N.N.] 185 f.

209 Eckardt, August 154 Eckardt, Heinrich 151–154, 156, 165, 173, 177 f., 184, 190, 193, 196 Eichhorn-Sens, August 188 Eisner, Kurt 171 Elisabeth, Königin von Preußen 73 Elisabeth, Großfürstin von Russland 17 Elisabeth, Erbgroßherzogin von Oldenburg 43 Elisabeth II., Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nord­ irland 17 Enders, Adalbert 193 Erffa, [N.N.] von 177 Ernst (genannt der Fromme), Herzog von Sachsen-Gotha-Altenurg 58 Ernst (1859–1941), Prinz von Sachsen-­ Meiningen 46, 79, 95, 100, 170 f., 178, 180–183, 198 Ernst (1895–1914), Prinz von Sachsen-­ Meiningen 104 Ernst I., Herzog von Sachsen-Altenburg 83, 101 Ernst II., Herzog von Sachsen-Altenburg 10, 83, 96 f., 101–106 Ernst Ludwig, Großherzog von HessenDarmstadt 17, 36, 105 f. Eulenburg und Hertefeld, Philipp zu 50 Euting, Julius 139 f. Fallersleben, Hofmann von 153 Feodora, Großherzogin von SachsenWeimar-­Eisenach 87 f., 92, 104 Feodora, Herzogin von Sachsen-Meiningen 95, 198 Feodora, Prinzessin von Sachsen-Meiningen und Reuß zu Köstritz 46, 54, 97 Ferdinand, Prinz gemahl und Mitregent von Portugal 25–27 Ferdinand, Graf von Gatterburg 149 Ferdinand I., Fürst/Zar von Bulgarien 27 f., 34

210 Ferdinand I., König von Rumänien 35 f., 48 Fischer, Richard 154, 186, 193 Fischern, Karl August Friedrich Adolf von 62 Förster-Nietzsche, Elisabeth 90 Franz I., Kaiser von Österreich 22 Franz Ferdinand, Erzherzog von Österreich 52, 103, 192 Franz, Ellen 9, 43 f., 79, 97, 99, 118 Freiligrath, Ferdinand 30 Freund, [N.N.] 170, 176 Freund, Edmund 176 f. Freund, Karl 176 Friedrich, Prinz von Hohen­ zollernSigmaringen 49 Friedrich, Prinz von Sachsen-Meiningen 79, 95, 104, 170 Friedrich III., Deutscher Kaiser und König von Preußen 39–43, 51, 96, 113, 132, 198 Friedrich IV., Herzog von SachsenGotha-Altenburg 114 f. Friedrich August, Erbgroßherzog von Oldenburg 43 Friedrich August I. (genannt der Starke) → August II. Friedrich Wilhelm, Prinz von Preußen → Friedrich III. Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 22, 29, 32, 42 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 9, 29, 31 Fritze, Eduard 151, 180, 183, 190– 192, 196 Füßlein, Ernst 188 Gaius Julius Cäsar 162 Georg, Prinz von Sachsen-Meiningen 79 Georg I., König von Griechenland 17 Georg I., Herzog von Sachsen-Meiningen 9 Georg II., Herzog von Sachsen-Meiningen

Personenregister

7–9, 12 f., 42–44, 52, 73 f., 78–80, 83, 94 f., 97, 100, 103, 107, 114 f., 117 f., 147–149, 155, 170, 183, 189 f., 198 Georg V., König von Hannover 68 Gerlach, [N.N.] 193 Gersdorff, Ernst Christian August Freiherr von 60 f. Geyer, Karl Erich 55 Geyer, Margot 55, 105, 170, 174 f., 197 f. Gitschier, Anton 189 Göbel, Carl 78 Goeckel, Georg 81 Goltz, Colmar Freiherr von der 100, 110 Gropius, Walter 90 Grzesinski, Albert 168 Haeckel, Ernst 78 Hanff, Berthold 158 Harden, Maximilian 49 f. Harnack, Adolf von 146 Harzer, Steffen 188 Hauschildt, Richard 168 Heinrich, Prinz von Preußen 17, 39, 51, 146 Heinrich XXX., Prinz Reuß zu Köstritz 46 Helena, Prinzessin von Preußen 17 Heldburg, Helene Freifrau von → Franz, Ellen Heß, Ulrich 164 Heumann, [N.N.] 188 Heumann, Nikolaus 188 Heyl, [N.N.] 187 Hilger, [N.N.] 176 Himbert, Willi 186 Hitler, Adolf 102 Höfer, Ernst 189, 193 Höller, August 185 Hofmann, Arthur 12, 151 f., 154–156, 178, 180, 182, 185 f., 190, 192 f.

Personenregister

Hofmann, Ludwig von 89 Hoffmann, [N.N.] 188 Homer 119 Hopf, Ernst 185 Hübler, Hermann 186 Hugo, Graf von und zu Lerchenfeld 76 Jakob, Siegmund 158 Joachim, Prinz von Preußen 46 Johann Leopold, Erbprinz von SachsenCoburg und Gotha 101 Juliane, Großfürstin von Russland 29 Kaiserin Friedrich → Victoria, Deutsche Kaiserin und Königin von Preußen Kammerdiener, Walter 188 Karthäuser, Wilhelm 186 Katharina II., Zarin von Russland 29 Kessler, Harry Graf 89 f. Keßler, Hermann 173 Kircher, Wilhelm 81 Knabe, [N.N.] 176 Knauer, Heinrich 154, 179 Knauer, Karl 156, 187, 190, 193 Köchly, Hermann 117, 125 f., 141 Köhler, Arno 166, 168, 170, 172, 176 f. König, Gustav 187 Koenitz, Christian Ferdinand Freiherr von 62 Kolbe, Bruno 159 Konstantin, Großfürst von Russland 29 Konstantin, Kronprinz von Griechenland 143, 145 Korsch, Karl 177 Kotze, Leberecht von 48 f. Kowalewsky, [N.N.] 176 Lenker, M. 187 Leopold, Prinz und 1. Duke of Albany 95 Leopold I., König von Belgien 24–26 Leube, [N.N.] 176

211 Lingelbach, [N.N.] 187 f. Linschmann, Theodor 165 Littmann, Max 90 Louis-Philippe, König von Frankreich 25 Louise Marie von Orléans, Königin von Belgien 25 Ludwig, Prinz von Battenberg 17 Ludwig II., Großherzog von HessenDarmstadt 17 Ludwig III., König von Bayern 83 Luis I., König von Portugal 25 Luise, Königin von Preußen 29, 42 Luise Dorothea, Herzogin von SachsenGotha-Altenburg 115 Lukács, Georg 177 Mackensen, Fritz 89 f. Maistre, Joseph de 22 Manuel II., König von Portugal 26 Margarethe, Landgräfin von HessenKassel 39, 55 Maria, Herzogin von Burgund 21 Maria, Königin von Rumänien 46–48 Maria II., Königin von Portugal 25 Maria Alexandrowna, Prinzessin von Großbritannien und Irland sowie Herzogin von Sachsen-Coburg und Gotha 48 Marie, Prinzessin von Hessen-Darmstadt → Marija Alexandrowna Marie, Herzogin von Sachsen-Meiningen 125 Marie Elisabeth, Prinzessin von SachsenMeiningen 94 Marija Alexandrowna, Zarin von Russland 31 Marr, Karl 182, 193 Mavrogordato, Pierre 140 Max von Baden, Reichskanzler und badischer Thronfolger 15, 104, 171 Maximilian, Erzherzog von Österreich 21 Meier-Durst, S./J. 186

212 Metternich-Winneburg, Clemens Wenzel Lothar Fürst von 22 Meyer, Georg 60 f., 81 Michaelis, [N.N.] 192, 194 Mihai I., König von Rumänien 18, 20 Miquel, Johannes (von) 146 Mitsotakis, Johannes K. 144 Mitzenheim, Moritz 79 Möller, Alexander 186 Müller, Ernst 186 Müller, Hans 187 Müller-Blech, Guido 188 Münchhausen, Max von 90 Mund, [N.N.] 188 Napoleon Bonaparte, Kaiser von Frankreich 24 Naumann, Victor 50 Nikolaus I., Zar von Russland 29 f. Nikolaus II., Zar von Russland 17, 32 f., 36 Ohnefalsch-Richter, Martha 139 Ohnefalsch-Richter, Max 135–140 Olde, Hans 88 f. Olivier, Heinrich 22 Oppermann, [N.N.] 170, 172, 176 Othmer, [N.N.] 185 Palézieux-Falconnet, Aimé von 89 Paul I., Zar von Russland 29 Pauline, Erbgroßherzogin von SachsenWeimar-Eisenach 86 f. Paulssen, Arnold 76, 104 Pedro V., König von Portugal 25 Pfeiffer, [N.N.] 188 Philip, Duke of Edinburgh u. Prinz gemahl Königin Elisabeth II. 17 Planer, Anna 157 Plutarch 162 Rangabis, Alexandros 143 Reddigau, August 154, 185

Personenregister

Reich, [N.N.] 185 Reichbott, [N.N.] 187 Rein, Wilhelm 93 Rennert, Louis 176 f. Reyscher, August Ludwig 69 Reukauf, Friedrich Wilhelm 95 Richter, [N.N.] 170, 176 Römhild, Wilhelm 188 Roßmann, Wilhelm 95, 114–116, 119, 141 Rudolph, [N.N.] 154 Schaller, Karl 149, 153, 170, 191 Schickau, [N.N.] 188 Schiffmann, [N.N.] 185 Schleinitz, [N.N.] Freiherr von 117 Schlieffen, Alfred von 110 Schliemann, Heinrich 114, 121, 124– 126, 131–135, 140, 143 Schliemann, Sophia 134 Schmid, Karl Ernst 62 Schneider, Sascha 89 Schöne, Richard 129, 132, 134 Schwalbe, Hermann 186 Schweitzer, Christian Wilhelm 60 Schweninger, Ernst 50, 54, 100, 162 Schweninger, Maria Magdalena 54 Seebeck, Moritz 9, 95 Sei[d]ler, [N.N.] 188 Seige, Paul 154 Sergius Alexandrowitsch Romanow, Großfürst von Russland 17 Seetzen, Ulrich Jasper 114 Simeon II., Zar von Bulgarien 27 Singer, Heinrich 100 Sitte, [N.N.] 185 Sophie, Königin von Griechenland 39, 143, 145 Sophie, Herzogin von Hohenberg 103 Sophie, Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 87 Stein, Dietrich von 62 Stockhausen, Anton von 149, 162, 173

213

Personenregister

Stockhausen, Juliana von 165 Strupp, Karl 81

149, 162,

Taubert, Georg 185 Tettau, [N.N.] Freiherr von 168 Therese, Prinzessin von Bayern 42 Thöne, Georg 168 Tonndorf, [N.N.] 185 Trinks, Friedrich 191 Türcke, Ludwig von 80, 182, 191, 193 f. Uttenhofen, August von 57 Velde, Henry van de 88, 90 Victoria, Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland 26 f., 36, 40, 42 f., 198 Victoria, Deutsche Kaiserin und Königin von Preußen 39–41, 43 f., 46, 96, 138, 198 Victoria, Prinzessin zu Schaumburg-Lippe 39, 51 Viktoria, Prinzessin von Battenberg 17 Virchow, Rudolf 125, 131 f., 134– 140, 143 Voß, [N.N.] 187 f. Wagner, Karl 185 Waldemar, Prinz von Preußen 127 Waldersee, Alfred Graf von 99, 110 Walter, Lydia 158 Walz, Otto 176 Wechmar, Rudolph von 73 Wehder, Eduard 151, 154, 179, 187 Wehner, Ferdinand 185 Weigelt, Viktor 154, 188 Werner, [N.N.] 188 Werner, Josef 139 f. Wichtendahl, August 187 f. Wilamowitz-Moellendorf, Ulrich von 117 f., 131, 134

Wildenbruch, Ernst von 91 Wilhelm, Kronprinz von Preußen 15 Wilhelm I., Deutscher Kaiser und König von Preußen 9, 29, 31, 41, 95, 113 Wilhelm II., Deutscher Kaiser und König von Preußen 9, 15, 17, 26, 32 f., 36, 39–42, 45, 47, 50–52, 79, 84, 87, 89, 93, 99, 105 f., 108, 113, 136, 138, 162, 198 Wilhelm II., König von Württemberg 83 Wilhelm Ernst, Großherzog von SachsenWeimar-Eisenach 10, 83, 85–97, 104–106 Zachariä, Heinrich Albert 69 Ziller, Ernst 126, 128, 131, 133 Zorn, Ernst 186 Zwing, [N.N.] 188

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Barbara Beck freiberufliche Historikerin und Sachbuchautorin PD Dr. Stefan Gerber Leiter des Archivs der Friedrich-Schiller-Universität Jena Dr. Maren Goltz Mitarbeiterin der Meininger Museen, Abt. Musikgeschichte Andrea Jakob Mitarbeiterin der Meininger Museen, Abt. Kunstsammlungen Prof. Dr. Frank-Lothar K roll Professor für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts am Institut für europäische Studien und Geschichtswissenschaften der Technischen Universität Chemnitz Dr. Martin Otto Akademischer Rat an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität Hagen Eberhard Pfister Militärdolmetscher/Militärökonom im Ruhestand Prof. Dr. Stephan G. Schmid Professor für Klassische Archäologie am Institut für Archäologie der Humboldt-Universität Berlin Manuel Schwarz Mitarbeiter beim Haus der Bayerischen Geschichte in Augsburg und Doktorand an der Friedrich-Schiller-Universität Jena