Belgisch Kongo : Geschichtliche, geographische und volkswirtschaftliche Studie

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Belgisch Kongo : Geschichtliche, geographische und volkswirtschaftliche Studie

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Velgisch

-

Kongo

und volkswirtschaftliche Studie

Geschichtliche/ geographische

Von

Dr .

Z

.

Wiese

Mit einer Übersichtskarte Äerlin

l6 / (Zrnst Siegfried Mittler und Sohn Königliche Hofbuchhandlung/ Kochstraße 6S - 74 ^l9 ^

Vorwort . ie Herausgabe der vorliegenden Studie über

Belgisch Kongo " bedarf keiner weiteren Begründung ; sie erklärt sich aus den Zeitverhältnissen selbst . Die Schrift verfolgt den Zweck , die geschichtliche Entwicklung und die geographisch wirtschaftlichen Verhältnisse der Kongokolonie auf Grund der einschlägigen Literatur in zusammenfassender und übersichtlicher Darstellung weiteren Kreisen derart zu schildern , daß diese ein im ganzen zutreffendes Bild der Kongokolonie erhalten . Im allgemeinen ist es vermieden worden , zu den mancherlei Fragen , die behandelt wurden , kritisch Stellung zu nehmen , da es mir in erster Linie und hauptsächlich darauf ankam , den Leser über die wichtigsten Verhältnisse aufzuklären und zu unterrichten . Berlin



, Januar 1916 . vr .

)

. Wiese .

Inhaltsverzeichnis Erster

Teil

.

Geschichtliches über Velgisch - Kongo . Zur Entdeckungsgeschichte des Kongogebietes .......... Das alte Kongoreich .................. Die Internationale Afrikanische Gesellschaft ........... Die Internationale Gesellschaft am Kongo ........... Die Gründung des Kongostaates .............. Der unabhängige Kongostaat ............... Die Kongokolonie ....................

Zweiter

Teil

1 4 6 10 17 21 3S

.

Geographisch - Wirtschaftliches über Belgisch Kongo . Das Kongogebiet und der Kongostrom ............ 38 Gebirge , Klima , Fauna , Flora . . . . , .......... 56 Die Bewohner des Kongostaates .............. 61 Ethnographisches , Aberglaube , Giftprobe ......... 61 Vielehe ..................... 74 — Schlafkrankheit .................. 76 Die territoriale Organisation der Kolonie . — Die koloniale Verfassung und Beamtenoerhältnisse der Kongokolonie ......... 79 — Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Kolonie .......... 87 Die Eisenbahnen im belgischen Kongo ............ 92 Missionen und Unterricht ................. 106 Literatur .............. ........ 109 Übersichtskarte ( am Schluß des Buches ) .

Erster Teil .

Geschichtliches über Velgisch Kongo . -

Zur Entdeckungsgeschichte des Kongogebietes . 5

Lichts ist bezeichnender für den raschen Pulsschlag unseres Zeit¬

alters als die Tatsache , daß die Besitzfrage über einen in einem gänzlich unzivilisierten wilden Kontinent fließenden Strom schon zehn Jahre nach seiner ersten Befahrung durch einen weißen Mann die ganze politische Welt in einen bis zur Siedehitze gesteigerten Zustand der leidenschaftlichen Erörterung versetzen konnte und seither immer wieder in den Vordergrund des politischen Interesses getreten ist , obwohl doch schon fast 400 Jahre vorher jener Strom entdeckt worden war . Freilich hat auch in diesen 400 Jahren , die seit der Entdeckung des Kongo verflossen waren , der Streit um den Besitztitel und die Souveränität in seinem Gebiete nicht geruht und vielfach zu lang¬ wierigen diplomatischen Aktionen geführt . Aber dennoch haben wenige Jahrzehnte unseres Zeitalters genügt , um die ganze Frage , wenn nicht zu lösen , so doch ihrer Lösung näher zu führen . Diese Frage ist die Kongofrage , und es ist hinlänglich bekannt , daß mit ihr unauflöslich verknüpft ist die Persönlichkeit eines Mannes , der , wie wenige vor ihm , von der Parteien Gunst und Haß getragen worden ist und der auch heute noch in einem nicht durch¬ weg der Wahrheit entsprechenden Bilde erscheint . In der ersten Hälfte des 15 . Jahrhunderts legte der kühne Prinz Heinrich , der Seefahrer , durch seine Unternehmungen längs der West¬ küste Afrikas den Grund zu Portugals Größe . Unter ihm umsegelte im Jahre 1434 Gil Evannes das gefurchtste Kap Bojador , vor dessen Brandung alle früheren Schiffer erschrocken zurückgewichen waren . Schon zwei Jahre später umschiffte man das Weiße und 1444 das Grüne Vorgebirge , im Jahre darauf das Palmenvorgebirge und hatte Wiese , Belgisch - Kongo ,

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Erster Teil . Geschichtliches über Belgisch - Kongo .

somit den Golf von Guinea erreicht . Das Überschreiten der Äquator¬ linie erlebte Prinz Heinrich nicht mehr ; aber die portugiesischen Könige setzten das glorreich begonnene Unternehmen fort , bis es am Ende des Jahrhunderts durch die Umschiffung der Südspitze Afrikas , die Entdeckung des Seeweges nach Indien , die Begründung der portugiesischen Herrschaft in Ostasien und die Ausbreitung des Christentums daselbst gekrönt wurde . Man muß es zum Lobe der portugiesischen Fürsten sagen , daß sie bei der Ausrüstung ihrer Schiffe sich nicht einzig und selbst nicht an erster Stelle durch die Hoffnung auf irdischen Gewinn leiten ließen . Die Sage von einem afrika¬ nischen Goldlande und bald auch der einträgliche Tauschhandel mit den Bewohnern am Senegal , Gambia , Rio Grande , an der Elfen¬ bein - und Goldküste wirkten natürlich mit ; mehr noch aber trieb der Glaube an ein fernes christliches , von Heiden bedrängtes Land , an das Reich des Priesterkönigs Johannes , von dem mittelalterliche Er¬ zählungen melden , und das irgendwo in Afrila verborgen lag , zu jenen kühnen Fahrten . Dieses geheimnisvolle Reich wollte man auf¬ suchen , diesem Fürsten zu Hilfe kommen und sich mit ihm zur Er¬ oberung der Heidenländer verbinden . Es lag also den portugiesischen Afrikafahrten etwas von der religiösen Begeisterung der Kreuzzüge zugrunde . Unter Alphons V . wurde der Äquator überschritten . 1472 drangen portugiesische Seehelden bis zum Vorgebirge Santa Katha¬ rina , etwa 40 geographische Meilen südlich vom Äquator , vor . Als dann Johann II . den Thron bestieg , schickte er schon 1481 , im ersten Jahre seiner Regierung , zwölf Schiffe auf neue Entdeckungen . 1484 richtete er einen Aufruf an alle Fürsten Europas , ihn mit Mannschaft zur Eroberung der heidnischen Länder zu unterstützen ; nach dem Maße ihrer Teilnahme an diesem Werke sollten sie belohnt werden . Der Aufruf blieb an den Höfen Europas als ein abenteuer¬ licher unbeachtet . Nur der Papst hatte ein Verständnis für das Unternehmen des Königs ; er bestätigte nicht nur das Eigentumsrecht der Portugiesen über alle bereits entdeckten Länder , sondern sprach ihnen auch alle folgenden Entdeckungen zu , die sie oder andere auf der Fahrt nach dem Oriente längs der Westküste Afrikas machen würden . Johann II . nahm nun auch den Titel eines Herrn von Guinea an .

Zur Entdeckungsgeschichte des Kongogebietos .

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Im gleichen Jahre , 1484 , drang Diego ( Cao ) über das Vor¬ gebirge Santa Katharina , die letzte Entdeckung unter König Alphons V . , hinaus vor und erreichte die Mündung des Kongo . Weit im Meere draußen bemerkten die Schiffer an der Färbung und an dem Geschmacke des Wassers , daß sie der Mündung eines ge¬ waltigen Stromes nahe seien . Man segelte also der Strömung ent¬ gegen , die Segelschiffe nur mit günstigem Winde besiegen können , und lief in den Kongo oder Zaire ein . Die Tiefe und Breite des Strom¬ bettes ermöglichte den Portugiesen , ziemlich weit stromaufwärts vor¬ zudringen . Bald zeigten sich an den Ufern zahlreiche Neger , die staunend das große Fahrzeug und die weißen , bärtigen Männer be¬ trachteten . Ihre Sprache konnten die Neger von Guinea , die Cao an Bord hatte , nicht verstehen . Durch Zeichen erfuhr er aber , daß der Strom Zaire heiße , und daß sie einen König hätten , dessen Wohnstätte weit entfernt sei . Er schickte Boten und Geschenke an denselben : da sich aber ihre Rückkehr verzögerte , sah er sich gezwungen , ohne die¬ selben die Fahrt fortzusetzen , indem er als Geiseln einige Eingeborene mit sich nahm . Er segelte bis an die Nordgrenze des Kapgebietes . Auf seiner Rückfahrt wechselte er die Geiseln aus und fand den König von Kongo so wohlgesinnt , daß er leicht zu bestimmen war , einige seiner Untertanen mit den fremden Männern in ihr fernes Land zu senden , damit sie dort in der Sprache und Religion der Portugiesen unterrichtet würden und dereinst mit Missionaren in ihre Heimat zu¬ rückkehrten . Sie erhielten wirtlich in Portugal die Taufe ; der König und die Königin selbst vertraten bei dem Vornehmsten namens Zakuta die Patenstelle und gaben ihm den Namen Dom Johann . An Bord des Schiffes , das die Kongomllndung entdeckte , befand sich der berühmte deutsche Ritter Martin Behaim der Jüngere , ge¬ boren in Nürnberg um 1459 . Er hatte bei dem großen Astronomen Regiomontanus ( Johannes Müller aus Königsberg in Franken ) in den Jahren 1471 bis 147S studiert . Um 1480 kam er nach Portugal und wurde als ein Schüler des berühmten deutschen Astronomen , dessen Berechnungen die portugiesischen Schiffahrer benutzten , von Johann II . in einen Rat berufen , den dieser König zur Verbesserung der nautischen Instrumente eingesetzt hatte , mittels deren man die geographische Breite damals nur sehr unvollkommen bestimmen konnte . Er soll nun statt der alten , auf Holzblöcken befestigten Astro 1*

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Erster Teil . Geschichtliches über Belgisch - Kongo .

labien ( Instrument , womit man z . B . die Mittagshöhe der Sonne und daraus die geographische Breite bestimmte , unter der man sich befand ) neue , fein gearbeitete , aus Messing vorgeschlagen haben , die man am Mäste aufhängte und die vermöge ihrer Schwere die senk¬ rechte Lage auch bei den Schiffsschwankungen beibehielten . Behaim wurde , damit er selbst seinen Vorschlag erprobe , dem Diego Cao als Astronom und Kosmograph beigegeben und machte so die denkwürdige Fahrt mit , die zur Entdeckung des Kongo führte . Und noch weit über seine Mündung hinaus drangen die kühnen Entdecker vor bis an die öden Küsten des jetzigen Lüderitzlandes und an die Nordgrenzen des Kapgebietes , mehr als 2000 Km jenseits des Äquators . Das Kap selbst wurde im darauffolgenden Jahre von Bartholomäus Dias entdeckt , aber , wie bekannt , erst im Jahre 1498 von Vasco da Gama umschifft . Nach 19monatlicher Fahrt trafen Cao und Behaim glücklich wieder in Lissabon ein und wurden mit großen Ehren und Auszeichnungen überhäuft . Behaim erhielt vom König Johann II . in Gegenwart der Königin und des ganzen Hofes den Ritterschlag und die Jnsignien des Christusordens .

Das alte Kongoreich . Der neue Kongostaat , der im Jahre 1885 in Berlin anerkannt wurde , ist nicht die erste Staatenbildung an den Ufern des Kongo . Schon als die Portugiesen vor 400 Jahren die Mündung dieses Riesenstromes entdeckten , trafen sie seine Uferbewohner zu einem Staate vereinigt . Die Kongoneger lebten unter Häuptlingen , die einem gemeinsamen Oberhaupte steuerpflichtig waren . Nizinga - a - Kuu hieß das damalige Oberhaupt des Negerreichs , und schon sein Urgro߬ vater Nimi - a - Luqueni hatte die verschiedenen , früher selbständigen Mani oder Häuptlinge seinem Oberbefehle unterworfen . Als Nizinga - a - Kuu sich 1491 taufen ließ und den König von Portugal als feinen Verbündeten , genauer als seinen Lehnsherrn , anerkannte , gaben ihm die Portugiesen den Königstitel , den der Apostolische Stuhl bestätigte , und nannten die Häuptlinge , die die ein¬ zelnen Provinzen regierten , Grafen und Herzoge , die europäischen Begriffe und Titel auf diese Negerfürsten übertragend . Zu Ehren des portugiesischen Königs erhielt Nizinga - a - Kuu den Namen Dom Joao

I .,

dessen Sohn

bestieg als

Dom Afonso den Thron : ihm

Das alte Kongoreich .

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folgten Dom Pedro , Dom Alvaro usw . , bis auf den letzten Schatten¬ könig , der in den 80er Jahren des 19 . Jahrhunderts als Dom Pedro V . in San Salvador lebte . Die „ Grafen " und „ Herzoge " erhielten überdies die Namen portugiesischer Adelsgeschlechter : so lesen wir von da Silvas , de Souzas , de Gusmans usw . Es ist wahr , das alte Kongoreich brach mit der früheren Macht der Portugiesen , die dasselbe in die Reihe der christlichen Staaten einführten , zusammen und hat sich niemals zu eigentlicher Selbständig¬ keit entwickelt . Der Grund davon liegt in dem natürlichen Wankel¬ mute der Neger , in Bürgerkriegen , im Sklavenhandel und in ver¬ schiedenen schlimmen Neigungen des Volkes und Einflüssen von außen . Die Hauptstadt des alten Kongoreiches liegt nicht am Strome , sondern mehrere Tagereisen südlich davon , auf einer gesunden Hoch¬ ebene im Gebirge . Bei der Ankunft der Portugiesen hatte sie den Namen Banza , d . h . Königshaus ; seit der Einführung des Christen¬ tums unter dem ersten christlichen König , Dom Joao , der sie nach portugiesischem Vorbilde erweiterte und mit Mauern umschloß , heißt sie San Salvador . Zur Zeit der höchsten Blüte , im 16 . Jahrhundert , soll die Stadt 40 6W Einwohner und mit den umliegenden Ortschaften gar 1W l) W gezählt haben . Von ihren Kirchen werden genannt : die Kathedrale , die von der heiligen Jungfrau und vom heiligen Petrus , die vom heiligen Antonius von Padua , in der die Könige begraben wurden , die Jesuitenkirche und vom heiligen Jgnatius , die von Unserer lieben Frau vom Siege ; die letztere war nur aus geweihten Lehmwänden , die übrigen aus Stein gebaut . Doch schon zur Zeit Merollas , im Jahre 1668 , war die Blüte der Stadt infolge von Kriegen geschwunden . Der Hof war damals nach Lemba übergesiedelt . „ San Salvador " , sagt dieser Reisende , „ war früher die Hauptstadt des Reiches und der gewöhnliche Aufenthaltsort seiner Könige . Es hatte einen Bischof , ein Domkapitel , ein Jesuitenkolleg , ein Kapuzinerkloster , in dem der Provinzial wohnte , und andere kirchliche Anstalten , die von der Großmut der Könige von Portugal lebten . Aber heutzutage haben die Schrecken des Krieges die Stadt und ihre Umgebung zu einer Spelunke von Raubgesindel gemacht . " Obwohl die Könige von Kongo später San Salvador wieder zu ihrem Hofhalte erwählten , sanken die Stadt und das ganze Reich mit

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Erster Teil . Geschichtliches über Belgisch - Kongo .

dem Niedergange der portugiesischen Macht und dem Hinsiechen ihrer Kolonien doch immer tiefer . Heute sind von ihrer ehemaligen Größe kaum mehr einige Ruinen zu sehen . Unter den Provinzen , die das alte Königreich Kongo bildeten , sind besonders zu nennen : Songo , Bamba , Sundi , Pango , Batta und Pembo . Die wichtigste und größte war die zuerst genannte , Songo oder Sonho . Allein sie war stets ein sehr unsicheres Besitztum : ihr Mani oder Häuptling kam dem Könige an Macht ungefähr gleich , regierte selbständig und weigerte sich nur zu oft , den König als seinen Oberherrn anzuerkennen . Blutige Kriege wurden namentlich um die Mitte des 17 . Jahrhunderts zwischen Songo und San Salvador geführt , und sowohl der Monarch als der Vasall Daniel da Silva riefen die Holländer zur Hilfe . Diese grausamen Bürgerkriege trugen viel zum Falle des alten Kongoreiches bei .

Die Internationale Afrikanische Gesellschaft . Zwei Konferenzen sind dem neuen Kongostaate Marksteine ge¬ schichtlicher Entwicklung : die von Brüssel im Jahre 1876 und die , die in den letzten Monaten des Jahres 1884 bis März 1885 in Berlin getagt hat . Am 12 . September 1876 versammelte sich im königlichen Schlosse zu Brüssel eine beträchtliche Zahl von Entdeckern und Gelehrten . Im Dienste der Wissenschaften hatten die einen ihr Leben schon häufig tropischer Sonne und äquatorialem Fieber , den Stürmen des Meeres , den Schrecken des Urwaldes , den Gefahren der Wüste ausgesetzt ; im Dienste derselben Wissenschaft waren die anderen zu hohen Würden gelangt und versahen friedlichere Ämter . Anwesend waren die Präsi¬ denten der geographischen Gesellschaften ; unschwer errät man an den Namen die Vertreter der Großmächte : Sir Rutherford Alcock , de la Ronciöre le Noury , Commendatore Negri , Semenoff , v . Richthofen und Hochstetter . Ferner nahmen teil an den Verhandlungen Sir Bartle Frere , Rawlinson , Laveleye , Cameron , Lux , Grant , Rohlfs , Schweinfurth , Nachtigal und andere berühmte Kenner des dunklen Erdteiles . Man vermißte Lesseps und A . Petermann . Waren auch damals beide verhindert , der Einladung des Königs Folge zu leisten , so haben sie doch später das in Brüssel begonnene Werk gleichfalls

Die Internationale Afrikanische Gesellschaft .

gefördert . „ Einem lange gehegten , wahrhaft königlichen Plane sollten die Gäste Leopolds II . ihre Erfahrungen leihen und mit ver¬ einten Kräften sich an eine Aufgabe wagen , für die jeder einzelne der Anwesenden schon gestritten und gelitten hatte : die Zivilisation Mittelafrikas . Da galt es nicht , ein Gewebe politischer Fäden zu spinnen , noch war es eine bloße Herrscherlaune , die sie versammelte . Bereits in der Eröffnungsrede des Königs traten die menschenfreund¬ lichen Zwecke , zumal der Kampf gegen Sklaventum und Sklaven¬ handel , in den Mittelpunkt der Verhandlungen . Auch wußte man , daß der hohe Sprecher sich schon lange mit solchen Absichten getragen : daß ein fünfmaliger Besuch des afrikanischen Bodens in ihm ein be¬ sonderes Mitgefühl mit dem Negerelend geweckt und daß er durch sein Beginnen dem mächtigen Zuge nach Afrika , der die Gelehrten - und die Handelswelt bewegt , zu einer gesicherten Grundlage , klar erfaßten und gemeinsam angestrebten Zielen , zu reichen Mitteln verhelfen wollte , mit einem Worte , ihn zu organisieren beabsichtigte . " Drei Tage verhandelte man . Die Fragen , die der König vor¬ gelegt hatte , wurden in lebhaftem Meinungsaustausch erörtert . Da¬ zwischen teilten in kurzen Vorträgen die Eroberer Jnnerafrikas knappe Skizzen ihrer glorreichen Feldzüge mit . Das Ergebnis des gelehrten Kongresses kam in einem Programm zum Ausdruck , das , einstimmig angenommen , der erstehenden Internationalen Afrikanischen Gesell¬ schaft eine Stiftungsurkunde gab und die Grundlinien ihrer Tätigkeit zeichnete . Das Erforschungsgebiet ward also abgegrenzt : im Süden bildete das Sambesital die Grenze , im Norden die damals neu erworbenen ägyptischen und die unabhängigen sudanesischen Länder , im Osten und Westen der Ozean . In diese unermeßlich ausgedehnte Wildnis der Wissenschaft, dem Handel , der Gesittung Wege zu bahnen , war selbstverständlich als Ziel der gemeinsamen Arbeit ausgesprochen . Das erste und wesentlichste Mittel hierzu schien dem Kongreß die Gründung von Stationen : das zweite sodann zu erstrebende deren bestmögliche Verbindung , bis es gelänge , endlich mit einem gesicherten Handelswege den ganzen Kontinent quer zu durchziehen , etwa in der Richtung , die Cameron eingeschlagen habe . Zunächst sollten , sobald als tunlich , die Niederlassungen unfern der beiden kontinen¬ talen Küsten gegründet werden , für die bereits günstige Bedingungen

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Erster Teil , Geschichtliches über Belgisch - Kongo .

vorhanden waren ; dann waren weitere Punkte zu vermitteln und der Boden für Niederlassungen vorzubereiten . Als Standorte wissenschaft¬ licher Forschung und als Unterkunft für alle Reisende seien die Statio¬ nen anzusehen und einzurichten . Die Wissenschaft erwarte von solchen Vorposten Witterungs - und klimatische Beobachtungen , Höhen¬ messungen , Kartenentwürfe , Sammlungen geologischen , zoologischen, botanischen Inhaltes ; den Missionaren , Forschern und Handelstreiben¬ den hätten sie Schutz zu bieten und sie gegen mäßige Bezahlung mit Reisegerät und Proviant , Arzneien und Instrumenten zu versehen . Die Gesellschaft selbst gliederte sich in Zweigvereine ( „ nationale Komitees " ) , während eine internationale Kommission unter dem Vorsitz des Königs der Belgier die Verbindung aller herstellte , die gemein¬ same Tätigkeit regelte . Ein Exekutiv - Komitee , aus drei Mitgliedern bestehend , wurde mit der Leitung der laufenden Geschäfte betraut . Man wählte je einen Vertreter für Frankreich , England und Deutsch¬ land : Quatrefages , Sir Bartle Frere , Dr . Nachtigal . Im Juni des darauf folgenden Jahres ( 1877 ) versammelte sich , einem Rufe des Königs folgend , die internationale Kommission am Zentralsitze der . Association internationale akrioains " zu Brüssel . Schon verfügte man über ansehnliche Geldsummen und zählte bereits zwölf Zweig¬ vereine , in Belgien , Deutschland , Österreich - Ungarn , Frankreich , der Schweiz , in Holland , Italien , Spanien , Rußland , Nordamerika und Portugal . In letzterem namentlich war große Rührigkeit aufgeboten worden . Man hatte diese in Afrika erbsässige Kolonialmacht bei den Ein¬ ladungen zur Brüsseler Konferenz Übergängen . Doch wußte sie binnen kurzem Tüchtiges zu leisten . Eine geographische Gesellschaft wurde gegründet , eine vermamente geographische Kommission iin Kolonial¬ ministerium eingesetzt , von der Regierung wurde eine halbe Million Franken für eine Expedition ausgeworfen , von den Cortes dazu noch etwa 150 000 bewilligt . Die Beziehungen des Lualaba zu den Kongo - und den Sambesiquellen galten als das Hauptziel ; ein Problem , das die Expedition unter Serpa Pinto freilich bei ihrer Landung an der Westküste Afrikas schon gelöst finden sollte . Als der „ Zaire " am 7 . Juli die Anker lichtete , zeigte sich , wie groß die Sympathien von ganz Portugal für dieses Kongo - Unternehmen waren ; auch in Madeira und am Kap Verde freudig begrüßt , landete Serpa Pinto in Loanda .

Die Internationale Afrikanische Gesellschaft .

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Anfang September folgte bereits die erste Expedition der belgi¬ schen Gesellschaft ; man war im Juni in Brüssel darüber einig ge¬ worden . Zwei Generalstabsoffiziere , ein Arzt , ein Naturforscher und der österreichische Afrikareisende E . Marno kamen als erste Vertreter der Gesellschaft auf afrikanischen Boden . Am Tanganjika gedachte man die erste Station zu machen und hiermit den Grundstein zur Verwirklichung großartiger Pläne zu legen . Im Schoße der Inter¬ nationalen Gesellschaft waltete damals noch die Meinung vor , von der Ostküste sei vorzudringen . Allein eben damals trat auch das bekannte Ereignis ein , die Durchquerung Afrikas , die H . M . Stanley im August 1877 beendete . Sie verlegte den Schwerpunkt der Afrika¬ forschung an die Westküste , und gerade die Internationale Gesellschaft war berufen , diesem Umschwung zunächst und zumeist Rechnung zu tragen . Die Nummer des „ Daily Telegraph " vom 17 . September 1877 verbreitete mehr Licht über den dunklen Erdteil als ganze Bände von Reisebeschreibungen . Sie veröffentlichte die Depesche , die Stanley zu Emboma an der Westküste Afrikas niederschrieb , und die seiner Kongofahrt Anfang und Ausgang verkündete . Nun war das dichteste Dunkel , das auf Zentralafrika lagerte , plötzlich wie vom Sturm ver¬ weht . Im Oktober und November erschienen im genannten Blatte die ersten Briefe des kühnen Kongofahrers und seine kartographischen Skizzen . Hierdurch war nicht nur Stanleys Name durch die Welt getragen , sondern überall drängte sich die Einsicht auf , daß seine Entdeckung neben der großartigen Bedeutung für die afrikanische Geographie vorab für den Welthandel und das Kolonialwesen un¬ absehbare Folgen haben könne . Nun ging es wie immer bisher und wie es stets gehen wird . Übermäßige Lobsprüche wurden laut , über¬ triebene Erwartungen wachgerufen . Allgemach bringt dann der regel¬ mäßige Verlauf Enttäuschungen und klärt die Bewegung zu ruhigem Urteil ab . Wenn ernste Forscher Stanley den „ Bismarck Afrikas " nannten , nicht übel Luft zeigten , ihn über Columbus und Vasco da Gama wie Magelhaens zu setzen , und einfachhin sagten , seine Tat sei „ ohne Beispiel " in der ganzen Entdeckungsgeschichte der Erde , dann begreift es sich , wenn die große Menge der Zeitungsschreiber , die in ihm einen Berufsgenossen verehrten , die ganze Welt mit ihrem „ Hoch Stanley ! " erfüllten . Das mochte man ihm nach allen Stra -

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Erster Teil . Geschichtliches über Belgisch - Kongo .

pazen gern gönnen ; aber verhängnisvoll konnte es werden , wenn sich das neue Schlagwort in der öffentlichen Meinung festgesetzt hätte , Zentralafrika sei ein zweites Indien . Als ganz unermeßlich wurde der Reichtum des Binnenlandes geschildert . Man sprach so , als handelte es sich nur darum , die tropische Fülle kostbarer Natur¬ produkte zu verfrachten und den Weltmarkt damit zu überschwemmen . Die paar Katarakte , die dem Freihandel wie von der Natur gesetzte Zollschranken den Weg verlegten , konnten einem Jahrhundert keine Schwierigkeiten bereiten , dessen Verkehrsbedürfnis Hochgebirge durch¬ bohrt und Weltteile zerschneidet . Wir werden sehen , daß auch die technisch - industrielle Allmacht unseres Zeitalters dort nur mühselig und langsam Wunder wirkt .

Die Internationale Gesellschaft am Kongo . Die Gründung der Internationalen Afrikanischen Gesellschaft und ihrer Zweigvereine hatte eben noch das öffentliche Interesse auf Afrika hingelenkt , als die Kunde von Stanleys großer Tat abermals der Afrikaforschung neue Anregung gab und neue Erfolge verhieß . Namentlich ließ sich erwarten , daß die oberste Leitung der Gesellschaft mit dem kühnen und bewährten Forscher Fühlung suchen würde . Wirklich ward auch Stanley nach Brüssel berufen , wo am 25 . No¬ vember 1878 unter dem Vorsitz des Königs sich das Komitee zur Erforschung des Kongo - Oberlaufes gebildet hatte ( Lowits ä ' swäes clu Haut - LonM ) . Man begann mit einem Kapital von einer Million Franken . Anfang 1879 fand ebendaselbst eine Konferenz der Inter¬ nationalen Kommission statt , und in der Sitzung vom 5 . Februar wurde dem anwesenden Stanley der Oberbefehl über eine neue Expedition angeboten , worauf er einging . Ebenso schnell als still traf er seine Vorbereitungen , und schon am 18 . März langte er wieder in Sansibar an . In Europa aber wußte man fast nichts von seinen Absichten und Plänen . Ob er zu entdecken oder zu erschließen gesandt war , ob er vom Westen oder Osten vordringen wollte , in wessen Auftrag er reiste , von wem die überaus reichen Mittel ihm zur Ver¬ fügung gestellt wurden : auf alle diese Fragen konnten auch die best¬ unterrichteten Weltblätter oder meistbeteiligten Fachzeitschriften keine klare Antwort geben . Mehrere Jahre lang blieben Stanleys Tätigkeit

Die Internationale Gesellschaft am Kongo .

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wie auch die der Internationalen Gesellschaft und ihre Beziehungen zueinander in tiefes Dunkel gehüllt . In Sansibar organisierte Stanley mittlerweile ein neues Träger¬ heer , machte auf dem Kingani eine längere Probefahrt , schiffte sich abermals ein und fuhr durch Suez und Gibraltar zur Kongomündung . An ihrem Nordufer , bei Bonanavoint , traf er Anfang September 1879 ein und fand hier den Dampfer „ Barga " vor Anker liegen , der im Auftrag der Internationalen Gesellschaft im Juni Antwerpen ver¬ lassen und Waren , Vorräte , kurz die gesamte Ausrüstung für Stanleys weitere Arbeiten hergebracht hatte . Er führte auch die Flottille mit , die zum Befahren des Kongo bestimmt war : einen kleinen Dampfer mit zwei Kajüten für 30 Personen , drei kleine Dampfkähne ohne Verdeck und drei Lastboote von je öv Tonnen Größe . Das Personal der Expedition war zahlreich : mehrere hundert Neger aus Sansibar , Sierre Leone und vom Kongo als Lastträger ; dazu 20 Europäer , unter ihnen Zimmerleute und Segelmacher , Schmiede und Matrosen , Maschinisten und Mechaniker . Ferner ge¬ leiteten Stanley Kapitän Lösewitz als Befehlshaber der Flottille und ein belgischer Oberingenieur für den Straßenbau und die Stations¬ anlage . Noch bevor Stanley seine Arbeiten begann , schrieb er einen Brief , dessen Inhalt in die Öffentlichkeit drang , was sonst selten genug geschah , da der Forscher jetzt nicht mehr wie im Auftrag eines Journals reiste . Darin hieß es : „ Ich bin beauftragt , alle Länder und Bezirke , die ich durchforschen kann , zum Nutzen der Handelswelt zu erschließen und wenn möglich offen zu halten . " Nicht einer eigent¬ lichen Forschungs - und Entdeckungsexpedition galten die großartigen Vorbereitungen , sondern einem Eroberungszug im Namen des Welt¬ handels , der in Zentralafrika nach Stanleys Schilderungen indische Reichtümer zu heben hoffte . Freilich sollte er auch mit seiner Flotte den Weg , den er 1876 und 1877 zurückgelegt , in umgekehrter Richtung befahren , um am Tanganjika der belgischen Expedition unter Kapitän Popelin die Hand zu reichen . „ Bei diesem Zusammen¬ treffen von Europäern und Amerikanern im Mittelpunkte des schwarzen Erdteiles " , so schrieb damals eines der meist gelesenen Tagesblätter , „ dürfte das sonderbare Schauspiel sich ereignen , daß der Signalpfiff des von Westen kommenden europäischen Dampfers durch das schrille Trompeten der aus Osten von den Belgiern mit -

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Erster Teil , Geschichtliches über Belgisch - Kongo .

gebrachten indischen Elefanten beantwortet wird . " Der Beginn von Stanleys Tätigkeit zur Erschließung des Kongobeckens fällt in den September 1879 . Im Dezember desselben Jahres ging sein Rivale , der französische Marineoffizier Savorgnan de Brazza , von dem fran¬ zösischen Komitee der Internationalen Gesellschaft ausgerüstet und entsendet , ebenfalls nach der Westküste , der Ogowemündung ab . Beide Reisende ließen nicht eben viel von sich hören und trafen gegen Ende des Jahres 1882 zu kurzem Aufenthalt in Europa ein , bei welcher Gelegenheit sie sich ausführlicher über ihre Leistungen verbreiteten . In das Jahr 1884 fällt der Beginn der diplomatischen Unter¬ handlungen , deren Ergebnis die Berliner Konferenz und die Begrün¬ dung des Kongostaates war . Wir müssen daher zunächst einen kurzen Überblick über die vierjährige Arbeit dieser Pioniere der Kultur zu geben suchen ( 1880 bis 1884 ) , ehe wir dem Verlauf der diplomatischen Auseinandersetzungen ( 1884 bis 1885 ) folgen . Nach Stanleys Angaben mußte die Überzeugung durchdringen , daß Stanley - Pool der Schlüssel zu den fabelhaften Schätzen Jnner afrikas sei . Da aber der Kongo bekanntlich von Stanley - Pool an abwärts nach dem Ozean hin durchaus unschisfbar ist , vielmehr in 25 Katarakten oder kleineren Fällen abstürzt , bis er die letzten , die Dellalafälle , erreicht , kam es daraus an , einen Landweg , welcher er sei , für den Verkehr zwischen dem Stanley - Pool und dem Ozean her¬ zustellen . Von den Dellalafällen bis zur Mündung in den Ozean ( 32 deutsche Meilen ) kann man mit Dampfern fahren ; es galt also nur , die Strecke der Wasserfälle ( 40 Meilen ) zu umgehen , beziehungs¬ weise dort eine Straße herzustellen . Hierauf richteten sich zunächst Stanleys Pläne . Savorgnan de Brazza , der während Stanleys Kongofahrt den Oberlauf des Ogowe durchforschte, war auf dieser Reise , ohne es zu wissen , über die Wasserscheide gekommen , von der aus die Wasser hier nach dem Ozean , dort nach dem Mittellauf des Kongo abfließen . Am Flusse Alima angelangt , sah er diesen nach Osten strömen . Doch konnten ihm die Umwohner nur sagen , er wälze seine Fluten ruhig und ohne Schnellen noch Strudel einem anderen weiten Wasser in ziemlicher Ferne zu . Sobald Brazza Stanleys Entdeckung kund ward , zweifelte er nicht mehr daran , daß sein Alima ein Nebenfluß des Kongo sei . Ge -

Die Internationale Gesellschaft am Kongo .

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lang es nun , die Stelle , wo der Ogoroe aufhört schiffbar zu sein , mit jener , wo der Alima bereits Schiffe trägt , durch eine Straße zu ver¬ binden , so war der Verkehrsweg zwischen dem Stanley - Pool , d . h . dem Kongo - Mittellauf , und dem Ozean offen . Während die Strecke , die Stanley zum Straßenbau zwang , 40 deutsche Meilen lang ist und von schwierigstem Gelände , mißt die Entfernung vom Ogowe zum Alima nur IS deutsche Meilen , auf der weder besonders feindselige Völker wohnen , noch Urwald und Vegetationsfülle die Bahn ver¬ sperren . Allein Brazzas ursprüngliches Projekt fand seine Schwierig¬ keit im Osten , wie das Stanleys an den Katarakten im Westen . Der Alima mündet nämlich keineswegs nahe am Stanley - Pool , sondern SS deutsche Meilen höher , daher denn Brazza selbst abermals eine neue Verbindung ausfindig machte und auf dem Geographentag zu Paris am 22 . Juni 1882 eine Eisenbahn durch das Tal des Kuilu und Niari zum Stanley - Pool hin vorschlug . Doch wenden wir uns nun zu Stanleys Arbeiten . Im Herbst 1879 begann er sie . Für drei Jahre hatte er sich verpflichtet , für drei Jahre waren die meisten seiner Leute in Dienst genommen . Zunächst brauchte er , als sicheren Stützpunkt seiner weiteren kühnen Unternehmungen , eine vom Meere aus leicht erreichbare Station , wo die mitgeführten und weiterhin noch erwarteten Vorräte an Lebens¬ mitteln und Werkzeugen sicher untergebracht und nahe zur Hand wären . Dies sollte Vivi ihm bieten . Es liegt 184 1