Displaced-Persons-Forschung in Österreich und Deutschland: Bestandsaufnahme und Ausblicke [1 ed.] 9783737011358, 9783847111351

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Displaced-Persons-Forschung in Österreich und Deutschland: Bestandsaufnahme und Ausblicke [1 ed.]
 9783737011358, 9783847111351

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ZEITGESCHICHTE 47. Jahrgang, Heft 2 (2020) Herausgeber: Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb (Geschäftsführung), Verein zur wissenschaftlid1en Aufarbeitung der Zeitgeschichte, c/o Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, Spitalgasse 2-4/ Hof I, A-1090 Wien, Tel.: 0043 1 4277 41205, E-Mail Redaktion: [email protected], [email protected]; E-Mail Rezensionen: [email protected] Diese Zeitschrift ist peer-reviewed. Articles appearing in th.is journal are abstracted and indexed in HISTORICAL ABSTRACTS, AMERICA: HISTORY AND LIFE, CURRENT CONTENTS-ARTS & 1-IUMANffiES, and ARTS & HUMANITIES CITATION INDEX. Bezugsbedingungen Erscheinu11gsweise: viermal jährlich Erhältlich in jeder Buchhandlung oder bei der 1-IGV Hauseatische Gesellschaft für Verlagsservice mbH. Ein Abonnement verlängert sich automatisch um ein Jahr, wenn die Kündigung nicht bis zum 1. Oktober erfolgt ist. Die KÜJldigung ist schriftlich zu richten an: HGV Hauseatische Gesellschaft für Verlagsservice mbH, Holzwiesenstr. 2, D-72127 Kusterdingen, E-Mail: [email protected], Tel.: 07071 / 9353-16, Fax: -93. Preise und weitere Informationen unter www.va11denhoeck-ruprecht-verlage.com. Offene Beiträge sind jederzeit willkommen. Bitte richten Sie diese und andere redaktionelle Anfragen an die Redaktionsadresse. Für unverlangt eingesandte Mauuskripte übernehmen Redaktion und Verlag keine Haftung. Die in den einzelnen Beiträgen ausgedrückten Meinungen sind ausschließlich die Meinungen der Autorinnen. Sie decken sich nicht immer mit den Meinungen von Herausgeberinnen und Redaktion.

Gefördert durch die Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät der Universität Wien und die Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7).

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Veröffentlichungen der Vienna University Press erscheinen bei V&R unipress. © 2020, Vandenhoeck & Rupred1t GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göllingen Tel.: 0049 551 5084-415, Fax: -333, www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com, [email protected] Alle Rechte vorbehalten. Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Birkstraße 10, D-25917 Leck

ISSN: 0256-5250 ISBN: 978-3-7370-1135-8

ZEITGESCHICHTE

Ehrenpräsidentin: em. Univ.-Prof. Dr. Erika Weinzierl († 2014) Herausgeber : Univ.-Prof. DDr. Oliver Rathkolb Redaktion: em. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Ardelt (Linz), ao. Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Ingrid Bauer (Salzburg/ Wien), SSc Mag.a Dr.in Ingrid Böhler (Innsbruck), Dr.in Lucile Dreidemy (Wien), Prof. Dr. Michael Gehler (Hildesheim), ao. Univ.-Prof. i. R. Dr. Robert Hoffmann (Salzburg), ao. Univ.Prof. Dr. Michael John / Koordination (Linz), Assoz. Prof.in Dr.in Birgit Kirchmayr (Linz), Dr. Oliver Kühschelm (Wien), Univ.-Prof. Dr. Ernst Langthaler (Linz), Dr.in Ina Markova (Wien), Univ.-Prof. Mag. Dr. Wolfgang Mueller (Wien), Univ.-Prof. Dr. Bertrand Perz (Wien), Univ.-Prof. Dr. Dieter Pohl (Klagenfurt), Dr.in Lisa Rettl (Wien), Univ.-Prof. Mag. Dr. Dirk Rupnow (Innsbruck), Mag.a Adina Seeger (Wien), Ass.-Prof. Mag. Dr. Valentin Sima (Klagenfurt), Prof.in Dr.in Sybille Steinbacher (Frankfurt am Main), Dr. Christian H. Stifter / Rezensionsteil (Wien), Priv.Doz.in Mag.a Dr.in Heidemarie Uhl (Wien), Gastprof. (FH) Priv.-Doz. Mag. Dr. Wolfgang Weber, MA, MAS (Vorarlberg), Mag. Dr. Florian Wenninger (Wien), Assoz.-Prof.in Mag.a Dr.in Heidrun Zettelbauer (Graz). Peer-Review Committee (2018–2020): Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Tina Bahovec (Institut für Geschichte, Universität Klagenfurt), Prof. Dr. Arnd Bauerkämper (Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften, Freie Universität Berlin), Günter Bischof, Ph.D. (Center Austria, University of New Orleans), Dr.in Regina Fritz (Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien/Historisches Institut, Universität Bern), ao. Univ.Prof.in Mag.a Dr.in Johanna Gehmacher (Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien), Univ.Prof. i. R. Dr. Hanns Haas (Universität Salzburg), Univ.-Prof. i. R. Dr. Ernst Hanisch (Salzburg), Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Gabriella Hauch (Institut für Geschichte, Universität Wien), Univ.-Doz. Dr. Hans Heiss (Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck), Robert G. Knight, Ph.D. (Department of Politics, History and International Relations, Loughborough University), Dr.in Jill Lewis (University of Wales, Swansea), Prof. Dr. Oto Luthar (Slowenische Akademie der Wissenschaften, Ljubljana), Hon.-Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer (Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Wien), Mag. Dr. Peter Pirker (Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck), Prof. Dr. Markus Reisenleitner (Department of Humanities, York University, Toronto), Dr.in Elisabeth Röhrlich (Institut für Geschichte, Universität Wien), ao. Univ.Prof.in Dr.in Karin M. Schmidlechner-Lienhart (Institut für Geschichte/Zeitgeschichte, Universität Graz), Univ.-Prof. i. R. Mag. Dr. Friedrich Stadler (Wien), Assoc.-Prof. Dr. Gerald Steinacher (University of Nebraska), Assoz.-Prof. DDr. Werner Suppanz (Institut für Geschichte/Zeitgeschichte, Universität Graz), Univ.-Prof. Dr. Philipp Ther, MA (Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien), Prof. Dr. Stefan Troebst (Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa, Universität Leipzig), Prof. Dr. Michael Wildt (Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin).

zeitgeschichte 47. Jg., Heft 2 (2020)

Displaced-Persons-Forschung in Österreich und Deutschland Bestandsaufnahme und Ausblicke Herausgegeben von Ingrid Böhler, Nikolaus Hagen und Philipp Strobl

V& R unipress Vienna University Press

Inhalt

Ingrid Böhler / Nikolaus Hagen / Philipp Strobl Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

Artikel Philipp Strobl / Nikolaus Hagen New Perspectives on Displaced Persons (DPs) in Austria

. . . . . . . . . 165

Heribert Macher-Kroisenbrunner Jüdische DPs in Südostösterreich. Menschen – Organisationen – Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Jim G. Tobias „Mindestens eine Synagoge befand sich in allen Lagern“. Religiöser Neuanfang in den DP-Camps in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Philipp Lehar Pfadfindergruppen in österreichischen und deutschen DP-Lagern nach dem Zweiten Weltkrieg. Selbstermächtigung und Anschluss an ein globales Netzwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

zeitgeschichte extra Amelie Berking „Wir können diese Zustände nicht länger ertragen.“ Über die politische Haft linker Frauen im Austrofaschismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Abstracts

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

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Inhalt

Rezensionen Ingrid Bauer Alexandra Weiss/Erika Thurner (Hg.), Johanna Dohnal und die Frauenpolitik der Zweiten Republik. Dokumente zu einer Pionierin des österreichischen Feminismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Markus Stumpf Mathias Lichtenwagner/Ilse Reiter-Zatloukal (Hg.), „… um alle nazistische Tätigkeit und Propaganda in Österreich zu verhindern“. NS-Wiederbetätigung im Spiegel von Verbotsgesetz und Verwaltungsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Heinz P. Wassermann Katrin Hammerstein, Gemeinsame Vergangenheit – getrennte Erinnerung? Der Nationalsozialismus in Gedächtnisdiskursen und Identitätskonstruktionen von Bundesrepublik Deutschland, DDR und Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Autor/inn/en

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

Ingrid Böhler / Nikolaus Hagen / Philipp Strobl

Editorial

Displaced Persons (DPs) in Österreich und Deutschland – Chancen eines Perspektivenwechsels? Die geschichtswissenschaftliche Forschung durchlief in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten einen Wandel. Traditionelle Zugänge erwiesen sich ab den 1990er-Jahren als zunehmend ungeeignet bzw. unzureichend, um die komplexen Prozesse des Zusammenwachsens der Welt zu erklären. Durch den so genannten „cultural turn“, d. h. die Aufwertung kulturwissenschaftlicher Konzepte und Methoden, kamen vermehrt vergleichende, kulturhistorisch gewendete geschichtswissenschaftliche Ansätze zur Anwendung und es entwickelten sich neue Denkschulen. Forschungen im Bereich der Globalgeschichte, der Wissensgeschichte oder der kritischen Migrationsgeschichte führten zu spürbaren Verschiebungen und Veränderungen in der Forschungslandschaft sowie zu einer Perspektivenerweiterung – nicht zuletzt über die Grenzen des nationalen Horizonts hinaus. Die DP-Forschung wurde von diesen Veränderungen kaum beeinflusst, entstammen die meisten Arbeiten doch den 1980er- und 1990er-Jahren. Schon seit längerem gibt es an Österreichs Universitäten keine systematische Beschäftigung mehr mit diesem Thema. Es vermittelt sich der Eindruck, dass DPs in der Historiographie zur Zweiten Republik in Vergessenheit geraten sind. Beeinflusst von zeitgenössischen Zuschreibungen wurden DPs zudem bevorzugt als vorübergehendes, für das im Wiederaufbau befindliche Land mit Belastungen verbundenes Phänomen ins Visier genommen. Im Gegensatz zu Forschungen im englischsprachigen Raum herrschte nahezu kein Interesse an den bleibenden Auswirkungen, welche die Hunderttausenden Zuwanderinnen und Zuwanderer in den Nachkriegsjahren auf die österreichische Gesellschaft ausübten. Neue akteurszentrierte, kulturgeschichtliche Herangehensweisen können hier Abhilfe schaffen und Bewegung in das starre Forschungsfeld bringen.

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Die Erkenntnis, dass die DP-Forschung in Österreich und Deutschland, wo es eine vergleichbare Ausgangslage gibt, einen Perspektivenwechsel benötigt, lieferte den Anlass, an die langjährige Tradition der intensiven Auseinandersetzung mit DPs am Institut für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck anzuknüpfen und dem Thema im Dezember 2018 eine Tagung, organisiert von Nikolaus Hagen und Philipp Strobl, zu widmen. Die Vorträge erstreckten sich über die Bereiche „Kulturelle Übersetzungsleistungen“, „Integration und Adaption“, „Selbst- und Fremdwahrnehmung“ sowie „Remigration und Austausch“ – Felder also, in denen die DP-Forschung bislang weniger aktiv war. Vier Beiträge fanden nach einem ausführlichen Review-Verfahren Eingang in dieses Heft. Ausgehend von einem Überblick über sechzig Jahre DP-Forschung in Österreich skizzieren Philipp Strobl und Nikolaus Hagen zukünftige Fragestellungen und Zugänge. Heribert Macher-Kroisenbrunner widmet sich dem alltäglichen Leben jüdischer DPs in Südostösterreich im Zusammenspiel mit dem Umfeld, bestehend aus Besatzungsbehörden, Hilfsorganisationen und regionaler Bevölkerung. Jim Tobias analysiert den bemerkenswert vitalen religiösen Neuanfang in süddeutschen DP-Camps nach einer Zeit, die den Glauben an Gott in jeder Hinsicht herausgefordert hatte. Das Pfandfinderwesen als unter bestimmten DP-Gruppen weit verbreitete Freizeitbeschäftigung in österreichischen und deutschen DP-Camps behandelt abschließend Philipp Lehar.

Artikel

Philipp Strobl / Nikolaus Hagen

New Perspectives on Displaced Persons (DPs) in Austria

During the past decade, Austrian historical research has rediscovered immigration as an important factor that contributed to the history and the development of the Austrian postwar society to a greater extent than assumed so far.1 Although migration is still a divisive topic within the general society – with the former Austrian right-wing government owing much of its electoral success in 2017 to widespread anti-immigration sentiment spiking in the wake of the 2015 “refugee crisis” – there is a consensus among historians to acknowledge the important contributions and the impact of immigrants on their host society. While comprehending contemporary Austrian history as a transnational phenomenon is still a long-term goal, labour migration has now been anchored firmly in the country’s historical discourse. In recent years, many important Austrian museums started to adjust their collection strategies to include objects on “migration”2 and an impressive number of exhibitions and publications have been devoted to the subject. This surge in migration history, however, has yet to include Displaced Persons (DPs) and the immediate post-WWII-refugees, of whom a significant number found a new and permanent home in Austria, thus making important contributions to the development of the Austrian post-war society. In the past, DPs have either been neglected as an object of research or merely been understood as a postwar transitional phenomenon, disjointed from the paradigmatic national history. Austria in this respect was primarily understood as an interstation between the DPs’ countries of origin and their destinations. While this may have been true for many DPs and refugees, a significant number, however, have stayed and permanently settled in Austria.

1 Dirk Rupnow, “Deprovincializing Contemporary Austrian History. Plädoyer für eine transnationale Geschichte Österreichs als Migrationsgesellschaft,” zeitgeschichte 40 (2013) 1: 6–21. 2 E. g. Arif AkkiliÅ et al. (eds.), Schere Topf Papier. Objekte zur Migrationsgeschichte (Vienna: Mandelbaum, 2016).

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This article will discuss the advantages of combining approaches and methods from the fields of migration history and DP research, a rather marginalized research area in the Austrian context. This will expand our understanding of DPs and refugees as shaping forces of the re-forming process of the Austrian post-war society. We understand this new perspective on DPs as a step towards comprehending contemporary Austrian history as a transnational and transcultural phenomenon. This survey article is informed by a conference held at the University of Innsbruck in December 2018. The conference brought together international experts on DP history from different backgrounds to discuss the cultural and economic footprint DPs had on their Central European host societies. The discussions revolved around the following key topics: – Cultural translation – Integration and adaptation – Self-perception/external perception – Remigration and exchange The conference’s papers and discussions demonstrated the benefits of approaching DP research from a culturally and identity related, actor-centred perspective. Building on these insights, this article argues for the need of introducing and applying such perspectives in the field. It summarises existing research on DPs in Austria, depicting trends and analysing what has been achieved in the field during the past forty years. Secondly, it offers a brief overview about recent trends in migration history, the history of knowledge and cultural translation studies that could be readily applied to research DP history. Finally, it provides an outlook on how those research strings could be connected and how culturally and identity related approaches would improve our understanding of the complex processes around transnational migrations. At this point we outline research questions that could be used in this context. The first section offers a brief thematic introduction into the topic, describing the history of the term DP as well as the immediate post-war migration to Austria. Section two outlines existing research on DPs in Austria that has started as early as the 1970s. It describes changes in research over the years and mentions the different schools of thought that have developed since then. The third section introduces concepts from other academic fields that could be used to rediscover and explore DP history from new angles: The fields of biography, migration history, and the history of knowledge offer sophisticated approaches that could be used to enrich and extend DP research in Austria. The last part of this paper serves as an outlook on possible future directions of DP research. It also introduces research questions that need to be answered in this context.

Strobl / Hagen, New Perspectives on Displaced Persons (DPs) in Austria

I.

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In the Spotlight: DPs and the Post-war Society

Having foreseen the refugee and migration problem that would eventually take place after the collapse of Nazi-Germany, the Allied Powers tried to organise the expected masses of people who were stranded outside their home countries. In 1944, they coined the term “Displaced Persons”, referring to “civilians outside the national boundaries of their country by reason of war”, who were “desirous but unable to return home without assistance”.3 This term later prevailed as a broad terminological reservoir for all kinds of migrant groups and refugees in the wake of World War II: from Jewish Holocaust survivors and former slave labourers, civilians who had fled from the war or were expelled from the liberated countries, to Eastern European Nazi collaborators.4 Relative to its size and regarding its dire economic state, the re-established, but occupied Republic of Austria was among the most heavily affected countries in Europe. According to a 1964 report of the Austrian Ministry of the Interior, 1.65 million DPs were stranded within the boundaries of the Republic immediately after the end of the Second World War.5 Given the fact that the country’s population amounted to approximately six million, refugees accounted for 27.5 percent of the total population at that time. DPs in Austria formed a highly heterogeneous group, roughly divided into Allied DPs (citizens of UN-member states), citizens of neutral states, citizens of the Allies’ former enemy-states, as well as stateless persons.6 Outbursts of violence in the immediate post-war years, such as pogroms and ethnic cleansings, and the rapidly emerging Cold War further complicated this already complex legal and social situation, bringing new cohorts of refugees to a country still divided into four different occupation zones, each with different refugee-migration regimes. 3 “Administrative Memorandum 39: Displaced Persons and Refugees in Germany,” 18 November 1944, 2, The National Archives, WO 204/2869; cited in Christian Höschler, The IRO Children’s Village Bad Aibling: A Refuge in the American Zone of Germany 1948–1951, unpublished PhD thesis: Munich, 2016, 10. 4 Leonhard Dinnerstein, America and the Survivors of the Holocaust (New York: Columbia UP, 1982), 9; Thomas Albrich, Exodus durch O¨ sterreich (Innsbruck: Haymon, 1987), 12. 5 “Bericht des Bundesministers für Inneres über die Flüchtlingssituation in den Jahren 1945 bis 1961 und über die Auflösung der Altflüchtlingslager in Österreich (III-46 d. B.),” 29 April 1964, (12 December 2019); Dieter Bacher and Niklas Perzi, “Die Chance auf eine neue Heimat: Zwangsarbeiter, DPs und Vertriebene auf dem Gebiet der Republik Österreich 1944–1950,” in Aufnahmeland Österreich: Über den Umgang mit Massenflucht seit dem 18. Jahrhundert, edited by Börries Kuzmany and Rita Garstenauer (Vienna: Mandelbaum, 2017), 175–205, 176–177. 6 Thomas Albrich, “Von der Zwangsarbeit ins DP-Lager : Fremde in Österreich in der unmittelbaren Nachkriegszeit nach 1945,” Neujahrsblätter des Historischen Archivs der Marktgemeinde Lustenau 3 (2012): 86–106, 87.

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Although the vast majority of DPs left Austria within the first two years after the end of the war, and international organisations such as the International Refugee Organisation (IRO) and the Intergovernmental Committee organised the transmigration of hundreds of thousands of DPs (mainly to the United States, Australia, and Canada) during the subsequent years, at least 350,000 DPs still remained in Austria in 1961.7 Due to Austria’s selective DP policy, which favoured non-Jewish, German-speaking refugees8, the majority consisted of ethnic Germans from regions adjacent to Austria – in many cases territories formerly belonging to the Austro-Hungarian Empire. This remaining group of former DPs, of whom the overwhelming majority by then had already obtained Austrian citizenship, accounted for five percent of the total population in 1961. Thus, in Austria the share of DPs among the overall population was considerably higher than in the English-speaking settler-communities of North America and Australasia. However, historical research in Austria has – with notable exceptions – shown little interest so far in exploring the social and economic integration of this large number of people.9 Consequently, the cultural, economic, and social impact of DPs and their contribution to the country’s postwar society is grossly under-researched and mostly unknown. The “marginalization of DPs” in the Austrian historiographical discourse surprises, especially since DPs occupied a “Scharnierfunktion” (“threshold position”) in the process of establishing new democratic societies in post-war Europe, as DP historians Markus Velke and Christian Pletzing argue.10 Their vast number alone suggests that they must have affected and influenced the formation of European post-war societies.

7 “Bericht des Bundesministers für Inneres über die Flüchtlingssituation in den Jahren 1945 bis 1961 und über die Auflösung der Altflüchtlingslager in Österreich (III-46 d. B.),” 29 April 1964, (12 December 2019). According to estimates, in 1951 there were still 394,000 displaced persons in Austria. See: Fritz Weber, “Österreichs Wirtschaft in der Rekonstruktionsperiode nach 1945,” zeitgeschichte 14 (1987), 7: 267–298, 271. 8 See: Hannelore Burger, “Heimat- und Staatenlos: Zum Ausschluss (ost-)jüdischer Flüchtlinge aus der österreichischen Staatsbürgerschaft in der Ersten und Zweiten Republik,” in Aufnahmeland Österreich: Über den Umgang mit Massenflucht seit dem 18. Jahrhundert, edited by Börries Kuzmany and Rita Garstenauer (Vienna: Mandelbaum, 2017), 156–174, 169–171. 9 Matthias Stickler, “Vertriebenenintegration in Österreich und Deutschland – Ein Vergleich,” in Verschiedene Europäische Wege im Vergleich: Österreich und die Bundesrepublik Deutschland 1945/49 bis zur Gegenwart, edited by Michael Gehler and Ingrid Böhler (Innsbruck: Studienverlag, 2007), 416–435, 416. 10 Christian Pletzing and Marcus Velke, “Statt eines Vorwortes: Lernen aus der Geschichte? Zur Relevanz der Displaced Persons-Forschung,” in Lager-Repatriierung-Integration: Beiträge zur Displaced Persons-Forschung, edited by Christian Pletzing and Marcus Velke (Leipzig: Biblion Media, 2016), 7–19, 7.

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Surprisingly, the role of DPs as shaping and determining factors within the evolution of post-war societies has been analysed and appreciated in the historical discourses of the anglophone non-European societies to a much greater extent. In Australia, for example, leading migration historians understand the influx of the 170,000 European DPs after the Second World War as the “foundation for a multicultural Australia”11 or as “the onset of a social revolution”.12 Several studies highlight the cultural footprint, DPs have left on their Australian, Canadian, or American host societies, thus impressively showing how DPs have extended, transformed and changed cultural norms, economic and academic practices, and knowledge. In contrast, historical research on DPs in Austria primarily focused on descriptions of migration routes, migration regimes, or micro-historical depictions of every-day life situations in refugee camps (including examples of antisemitic and racist discrimination of DPs13), and thus has hardly shown interest in their socio-economic and cultural impact on the larger society. Studies seeking to comprehend the past and its ramifications by placing questions of migration and knowledge centre stage are rare in the field of DP research in Austria: only very little is known about migrant knowledge and about the elements DPs brought into Austria from their home societies. We thus know next to nothing about the strategies DPs employed to adapt and translate their knowledge and cultural capital in a new context. Finally, it is still unexplained if and how the members of Austria’s largest immigration group to date exercised public agency in order to get their cultural capital acknowledged and appraised in Austria. What we do know is that despite the linguistic and cultural proximity of many DPs to the Austrian majority population, there were still significant cultural, social and economic differences. A small number of existing case studies suggest that the cultural transfer triggered by DPs has influenced many fields of life in postwar Austria: DPs from Bohemia, for example, contributed greatly to the industrialisation process in Upper Austria, importing skills and knowledge from their industrialised home regions. In the Styrian district of Voitsberg, glass artists from Gablonz revived the glass industry by introducing

11 James Jupp, From White Australia to Woomera: The Story of Australian Immigration (Port Melbourne: Cambridge UP, 2007), 13. 12 Eric Richards, Destination Australia: Migration to Australia Since 1901 (Sydney : UNSW Press, 2008), 199. 13 See: Kurt Tweraser, “Military Justice as an Instrument of American Occupation Policy in Austria 1945–1950: From Total Contra to Limited Tutelage,” Austrian History Yearbook XXIV (1993), 153–178; Margit Reiter, “‘In unser aller Herzen brennt dieses Urteil.’ Der Bad Ischler ‘Milch-Prozeß’ von 1947 vor dem amerikanischen Militärgericht,” in Politische Affären und Skandale in Österreich, edited by Michael Gehler und Hubert Sickinger (Thaur : Kulturverlag, 1995), 323–345.

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new techniques.14 South Tyrolean migrants, so-called “Optanten”, were expected to introduce their agricultural skills to North Tyrol. In many cases DPs filled the gaps on the labour market, left by the liberation of forced labourers and by Austrians, who had either died on the battlefield or been taken prisoners of war. DPs further imported and adapted various elements from their former home cultures, such as languages, traditions, religions and folklore, and triggered a cultural diversification in post-war Austria. A sizeable community of reformed Protestants, for example, arrived after the war from Yugoslavia and DPs reestablished Jewish life in Austria. To summarize, existing research indicates that cultural capital and knowledge of DPs has greatly affected life, culture and the economy in post-war Austria. However, we do not know to what extent and how their influence unfolded. More specifically, we have no idea what the members of this group of immigrants and refugees did in order to get their knowledge and skills acknowledged in Austria and we do not know about their strategies of translation and adaption of their knowledge and cultural capital. This is a challenge future research will have to take up.

II.

DP-Research in Austria

Early research on DPs in Austria commenced in the 1960s. In 1970 and 1983 two landmark monographs, one on the “refugee problem” and the other on the integration of ethnic German DPs (Volksdeutsche), were published. The first book was based on a 1966 doctoral thesis, influenced by the author’s personal experience as director of the “Lutheran World Federation’s Vienna Refugee Settlement Office”. It focused on the legal situation of a group of people described by the author as “international” (i. e. non-German speaking) refugees.15 The latter, a habilitation thesis in sociology, was based on interviews with ethnic German DPs.16 Already 15 years earlier, Tony Radspieler, an American citizen engaged in refugee work, had published his thesis on ethnic German refugees in Austria.17 At that time, Radspieler’s thesis, published in English, was largely 14 Julia Formeier, “Flüchtlinge in der Nachkriegszeit 1945–1955: Eine Darstellung am Beispiel des weststeirischen Bezirks Voitsberg,” unpublished MA Thesis, University of Vienna, 2016, 84. 15 Yvonne von Stedingk, Die Organisation des Flüchtlingswesens in Österreich seit dem Zweiten Weltkrieg/Treatises on Refugee Problems (Vienna: Braumüller, 1970). 16 Brunhilde Scheuringer, Dreißig Jahre danach. Die Eingliederung der volksdeutschen Flüchtlinge und Vertriebenen in Österreich (Vienna: Braumüller, 1983). 17 Tony Radspieler, The Ethnic German Refugee in Austria 1945–1954 (The Hague: Martinus Nijhoff, 1955).

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ignored by his Austrian contemporaries, but became an important reference point for a new generation of DP-researchers decades later. Historians only discovered the topic in the 1980s. Thomas Albrich’s 1982 dissertation (published in 1987) explored the history of Jewish DPs and post-war refugees. Focusing on the British occupation zone, it was the first major historical study dedicated to the situation of a specific DP group in Austria.18 This important publication triggered interest in the situation of Jewish DPs throughout Austria. In its wake, the Department of Contemporary History at the University of Innsbruck evolved into the center of Austrian DP research. Albrich and his collaborators were responsible for most of the publications on (Jewish) DPs published during the 1990s.19 An edited volume from 1998 gathered a number of regional case studies on Jewish DPs and refugees and assembled the majority of DP researchers of the time.20 In 1988, Albrich had coined the term “Asylland wider Willen” (“a reluctant of asylum”),21 a phrase that was subsequently used as the title of a 1995 volume on Austrian 20th century refugee

18 Albrich, Exodus; Thomas Albrich, “Jüdische DP’s und Flüchtlinge in Österreich 1945–1948 unter besonderer Berücksichtigung der britischen Besatzungszone,” in Jahrbuch des Vorarlberger Landesmuseumsvereins 1985 (Bregenz: 1986): 235–244; Thomas Albrich, “Tirol, Transitland des jüdischen Exodus 1945–1948,” Sturzflüge 5 (1986), 15/16: 137–148. 19 Thomas Albrich, “Die jüdischen Flüchtlinge im Wiesenhof 1945–1949,” in Absam. Ein Dorf im Wandel, edited by Richard Schober (Innsbruck: 1988): 136–139; Thomas Albrich, “Zur Kontinuität eines Vorurteils. Die ostjüdischen Flüchtlinge in Vorarlberg nach dem Zweiten Weltkrieg,” in Antisemitismus in Vorarlberg. Regionalstudie zur Geschichte einer Weltanschauung, edited by Werner Dreier (Bregenz: Vorarlberger Autoren Gesellschaft, 1988), 250–286; Thomas Albrich, “Tirolo: terra di transito dell’esodo ebraico 1945–1948,” in Juden. Ebrei e antisemitismo in Tirolo e in Trentino (Rovereto: 1988): 95–117; Thomas Albrich, “Österreichs jüdisch-nationale und zionistische Emigration: Holocaust und Nachkriegsplanung 1942–1945,” zeitgeschichte 18 (1991), 7/8: 183–197; Thomas Albrich, “Der Traum von ‘Amerika’. Jüdische Flüchtlinge 1950–1957,” in Österreich in den Fünfzigern, edited by Thomas Albrich et al. (Innsbruck: Studienverlag, 1995): 95–117; Bernadette Lietzow, “Green Shelter 106 – Das Lager für jüdische DPs in Enns 1946–1948,” unpublished MA thesis, University of Innsbruck, 1995; Thomas Albrich, “Die fehlende ‘Innensicht’: Überlegungen zu einer Alltags-, Mentalitäts- und Sozialgeschichte der jüdischen Displaced Persons in Österreich,” in Österreichischer Zeitgeschichtetag 1993. 24. bis 27. Mai 1993 in Innsbruck, edited by Ingrid Böhler and Rolf Steininger (Innsbruck: Studienverlag, 1995): 49–61; Thomas Albrich, “The Zionist Option: Israel and the Holocaust Survivors in Austria,” Journal of Israeli History 19 (1998), 3: 105–131. 20 Thomas Albrich (ed.), Flucht nach Eretz Israel. Die Bricha und der jüdische Exodus durch Österreich nach 1945 (Innsbruck: Studienverlag, 1998). This volume contains studies by Christine Oertel on Vienna, Michael John and Norbert Ramp on Upper Austria, Susanne Rolinek and Bernadette Lietzow on Salzburg, Katrin Oberhammer and Eva Pfanzelter on transmigration through Northern Italy. 21 Thomas Albrich, “Asylland wider Willen. Die Problematik der ‘Displaced Persons’ in Österreich 1945–1948,” in Die bevormundete Nation. Österreich und die Alliierten 1945–1949, edited by Günter Bischof and Josef Leidenfrost (Innsbruck: Haymon, 1988): 217–244.

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policies, edited by Gernot Heiss and Oliver Rathkolb.22 Susanne Rollinek’s study on Jewish DPs in the American zone of occupation, published in 2007, was another milestone in Austrian DP research.23 The most recent surveys on Jewish DPs in Austria were presented in a 2010 volume edited by Sabine AschauerSmolik and Mario Steidl24 and a 2017 book chapter by Dieter Bacher and Niklas Perzi.25 Jewish DPs in Austria are the most thoroughly investigated group of post-war migrants in Austria. The focus, however, has only been on the onward movement of these DPs to a certain destination country (such as Israel or the anglophone world), as well as on the prevalence of antisemitic attitudes of the Austrian majority population. Thus, Austria was predominantly considered a transit country. The social and societal impact of the comparatively few Jewish DPs who stayed in Austria has not been explored in depth so far, even though most present-day Jewish communities in Austria would not have been reestablished without the presence of former DPs. South Tyrolean migrants, so called Optanten, who were “resettled” from Italy to the German Reich from 1939 onwards, with the majority ending up in the states of Tyrol, Vorarlberg, Salzburg and Styria, have traditionally been regarded as a special case by historical research. While the majority of Optanten were legally and practically DPs, and thus shared a common experience with other major DP groups, historians have usually treated them as a distinct sociopolitical phenomenon within the framework of the separation of Tyrol after World War I.26 While several publications deal with the process described as “Option”27 and the subsequent remigration of some Optanten to Italy, the fate of those who stayed in Austria has attracted surprisingly little interest. A 2014 study by Eva Pfanzelter on the perception, memory and remembrance of the “Option” is the first major work on the aftermath of this phenomenon, equally considering the experience of Optanten who chose to remain in Austria.28 22 Gernot Heiss and Oliver Rathkolb (eds.), Asylland wider Willen. Flüchtlinge in Österreich im europäischen Kontext seit 1914 (Vienna: J & V Edition, 1995). Two chapters, by Thomas Albrich and Gabriela Stieber, were dedicated to displaced persons after 1945. 23 Susanne Rolinek, Jüdische Lebenswelten 1945–1955. Flüchtlinge in der amerikanischen Zone Österreichs (Innsbruck: Studienverlag, 2007). 24 Sabine Aschauer-Smolik and Mario Steidl (eds.), Tamid Kadima – Immer Vorwärts/Heading forward: Der jüdische Exodus aus Europa 1945–1948/Jewish Exodus out of Europe (Innsbruck: Studienverlag, 2010). 25 Bacher and Perzi, Neue Heimat. 26 E. g. Werner Wolf, Südtirol in Österreich. Die Südtirolfrage in der österreichischen Diskussion von 1945 bis 1969 (Würzburg: Holzner, 1972). 27 Karl Stuhlpfarrer, Umsiedlung Südtirol 1939–1940 (Vienna: Löcker, 1983). 28 Eva Pfanzelter, Option und Gedächtnis. Erinnerungsorte der Südtiroler Umsiedlung 1939 (Bozen: Raetia 2014); Eva Pfanzelter (ed.), Geschichte und Region/storia e regione 22 (2013), 2 (Option und Erinnerung).

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Other DP groups, including almost all non-German speaking ones, are significantly underrepresented in research so far. Although in recent years a number of master theses29 and non-academic publications have been written on DPs, and on specific DP camps,30 most major groups of the ethnically diverse cohort of DPs in Austria remain underresearched.31 While Hungarian refugees of 1956, for example, have become a fixture of the national history, the lives and fates of their compatriots, who had already established social infrastructures in Austria prior to the refugee wave of 1956, have mostly remained under the radar of historiographical research so far. Comparative studies, critically evaluating and comparing the experiences of different DP groups, also remain a desideratum.

III.

Translating Ideas, Knowledge and Capital

In this section we summarize recent trends in the highly innovative fields of the history of knowledge, the history of migration, as well as in the academic discipline of biography. Innovative fundamental research has been going on in these fields in recent years, particularly in the German-speaking, as well as the Anglophone academic landscape. Their findings, we argue, promise to enrich and diversify DP research and could subsequently lead to new approaches, methods, and findings. The history of knowledge was long regarded as “an exotic or even eccentric topic,”32 and in the early 2000s it was still criticized as a discipline with many

29 Formeier, Flüchtlinge in der Nachkriegszeit; Barbara Gugl, “Die Integration der Heimatvertriebenen in die Evangelische Kirche in Oberösterreich nach 1945 und ihre Auswirkungen,” unpublished MA thesis, University of Vienna, 2014; Heribert Macher-Kroisenbrunner, “Das jüdische DP-Lager Admont 1946–1949,” unpublished MA thesis, University of Graz, 2017; Magdalena Posch, “Erinnerung und Identität: Die donauschwäbischen Denkmäler in Österreich und ihre Bedeutung im Rahmen einer spezifischen Gedenkkultur,” unpublished MA thesis, University of Graz, 2017. 30 Bettina Köferle, “Das Schicksal der Volksdeutschen im Flüchtlingslager Feffernitz vor dem Hintergrund der Flüchtlingssituation in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg,” unpublished MA thesis, University of Graz, 1994; Elisabeth Salvador-Wagner, Heimat auf Zeit. Das volksdeutsche Flüchtlingslager Haiming 1946–1960 (Innsbruck: Universitätsverlag Wagner, 1996), Maria Weiss, D.P. Siedlung 121 Haid 1941 bis 1961. Historisch-biographische Fotodokumentation (Ansfelden: 2004). 31 Occasional exceptions are case studies on specific aspects of DP life, such as camp schools; Helmut Engelbrecht, Lagerschulen. Schule unter Einfluss von Krieg und Vertreibung (Vienna: öbv & hpt, 2004); L#szlj Alfödi, Ungarische Flüchtlingsschulen in Österreich 1945–1963 (Norderstedt: BoD, 2013). 32 Peter Burke, What is the History of Knowledge? (Cambridge: University Press, 2016), 2.

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shortcomings.33 This, however, has changed in the past decade. The “cultural turn” was already spawning ideas about how to conceive and rethink the discipline of history.34 Growing awareness of the universal importance of information and knowledge societies for present and future human interactions accelerated and intensified this development. Consequently, historians have developed a historical perspective on current debates and begun to research historical actors and bodies of knowledge.35 As a consequence, the history of knowledge has become a very dynamic and productive area of research in history and the neighbouring cultural studies.36 Early studies in the history of science and neighbouring disciplines such as sociology and anthropology indicated how complex but fluid the meanings of knowledge have been and led historians to pay closer attention to postcolonial processes of knowledge production.37 Moreover, the expanding fields of transnational and global history stimulated interest in exploring how knowledge, ideas, and culture were transferred and adapted across borders, thus opening the field to transnational approaches. Recent studies refrain from using “knowledge” to refer to only one a specific area such as academic or technical knowledge. They rather conceive the term as a broad concept that encompasses the academic and scientific as well as the social and the everyday, knowledge formed through experience and in close connection with particular cultural practices.38 Knowledge can be further passed on from one people to another one and thus can be “shared by members of a profession, a

33 Jakob Vogel, “Von der Wissenschafts- zur Wissensgeschichte. Für eine Historisierung der Wissensgesellschaft,” Geschichte und Gesellschaft 30 (2004), 639–66: 644. 34 Philipp Strobl, “Migrant Biographies as a Prism for Explaining Transnational Knowledge Transfers,” Migrant Knowledge, October 7, 2019, . 35 Simone Lässig, “The History of Knowledge and the Expansion of the Historical Research Agenda,” Bulletin of the German Historical Institute 59 (2016): 29–58. 36 Ibid. 37 Peter Burke, A Social History of Knowledge: Volume I: From Gutenberg to Diderot; Volume II: From the Encyclop8die to Wikipedia (Cambridge: 2000 and 2012); Ian McNeely and Lisa Wolverton, Reinventing Knowledge (New York: Norton, 2008); Robert Darnton, “An Early Information Society : News and the Media in Eighteenth-Century Paris,” American Historical Review 105 (2000) 1: 1–35; Richard van Dülmen/Sina Rauschenbach (eds.), Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft (Köln: Böhlau, 2004); David William Cohen/E. S. Atieno Odhiambo, Burying SM: The Politics of Knowledge and the Sociology of Power in Africa (Portsmouth: Heinemann, 1992); Ann Laura Stoler, “Colonial Archives and the Arts of Governance,” Archival Science 2 (2002) 1–2, 87–109; Ann Laura Stoler, Along the Archival Grain: Epistemic Anxieties and Colonial Common Sense (Princeton, University Press, 2010). 38 Simone Lässig and Swen Steinberg, “Knowledge on the Move: New Approaches toward a History of Migrant Knowledge,” Geschichte und Gesellschaft 43 (2017): 313–346, 316.

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social class, a geographic region or even an entire civilization,” as Jürgen Renn and Malcolm Hymann put it.39 As these and other studies show us, researching knowledge in motion raises a series of questions. First of all, migration is marked by encounters of socially unequal agents of knowledge and by conflicts over the validation and recognition of knowledge. In some cases, migrant knowledge is enthusiastically accepted; in other cases, it experiences devaluation when migrants cross borders. Of course there are many variations between these two poles: in contrast to the transnational movement of material commodities that have a relatively stable exchange value, such as gold or silver, the value of cultural capital and knowledge has to be renegotiated after migrants leave their countries of origin. Studies have shown that “favourable historical, social, and psychological conditions” have to be met for the translation and transfer of such knowledge to take place.40 The receiving society, in short, must regard translated cultural capital as necessary and desirable.41 The acceptance of cultural translations depends largely on the translators’ ability to promote their skills and knowledge in their new host society. In this context, research is starting to understand the strategies migrants employ as “knowledge in its own right.”42 The specific process of negotiating and promoting requires further investigation, since in most cases we know a lot about the actual performances and achievements of historical actors as a consequence of their knowledge translations, but we know only very little about their translation strategies, about how they transferred and promoted their knowledge in their new homes. This perspective on translation strategies would also lead towards an issue frequently neglected in research: explaining “success” and “failure” of such translations. Despite the many stories of DPs, who managed to transfer and translate ideas, knowledge and culture – which in hindsight seemed to have been “successful” – it is crucial for our understanding of translation processes to also consider the fact that many attempts to translate ideas between different cultural contexts have “failed” and thus faded in history. In many cases migrating merchants, industrialists, craftspeople, artists, and academics faced a wave of re39 Jürgen Renn and Malcolm D. Hyman, “The Globalization of Knowledge in History : An Introduction,” in The Globalization of Knowledge in History, edited by Jürgen Renn (Berlin: Max Plank Institute, 2012), 15–44, 20. 40 Yuri Lotman, Universe of the Mind: A Semiotic Theory of Culture (Bloomington: Indiana UP, 1990), 147. 41 Aneta Podkalicka/Philipp Strobl, “Skiing Transnational: Cultures, Practices, and Ideas on the Move,” in Philipp Strobl/Aneta Pdkalicka (eds.), Leisure Cultures and the Making of Modern Ski Resorts (London: Palgrave, 2018), 1–23, 11. 42 Andrea Westermann, “Migrant Knowledge: An Entangled Object of Research,” Migrant Knowledge, 14 March 2019, .

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sistance and their efforts to promote their ideas and cultural capital did not succeed. It is obviously difficult to identify such “failed translations” in terms of the available sources. To make things more complicated, it is necessary to question the very nature of the term “failure”, and to rethink and conceptualise what constituted failure and when we should regard a translation as failed. An actor-centred perspective could offer initial guidance on how to approach the topic because “translators, in many cases, have precise expectations for their own translations in the first place.”43 Research increasingly focuses on the role of “cultural translators” or “cultural transmitters” within the transnational process of producing, translating and adapting knowledge and culture thus favouring actor-centred perspectives.44 After a decade of intense research, the spectrum of actors of knowledge researched and analysed has considerably grown, ranging from early-modern missionaries, explorers, and merchants, to transnationally acting entrepreneurs of the 20th century. Surprisingly, however, refugees and more specifically DPs have largely remained under the radar of research.45 When searching for suitable actor-centred perspectives, we could turn our interest to an academic discipline frequently used by historians of migration – biography. The “new biography” school of thought in particular offers approaches and questions to meet that challenge: moving away from typical chronological master narratives that focus on the histories of white, western and male subjects who seem to be “worthy” of a biography46, new biography increasingly advocates a more complex depiction of diverse, modern individuals.47 It is interested in the function of biographies within the process of cultural 43 Philipp Strobl, “Migrant Biographies as a Prism for Explaining Transnational Knowledge Transfers,” Migrant Knowledge, October 7, 2019, . 44 Jan Logemann, “Transatlantische Karrieren und transnationale Leben: Zum Verhältnis von Migrantenbiographien und transnationaler Geschichte,” in Bios – Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen 28 (2015), 80–101, 81. 45 Daniel Snowman, “The Hitler 8migr8s: The Cultural Impact on Britain of Refugees from Nazism,” Historical Research 77 (2004), 197: 437–458; Philipp Strobl, “‘But the Main thing is I had the Knowledge’: Gertrude Langer, Cultural Transformation and the Emerging Art Sector in Postwar Queensland (Australia),” in Australian and New Zealand Journal of Art 2 (2018); Philipp Strobl, “Migration, Knowledge Transfer, and the Emergence of Australian Post-War Skiing: The Story of Charles William Anton,” The International Journal of the History of Sport 33 (2016) 16: 2006–2025; Philipp Strobl, “‘Ich habe nie die Absicht gehabt, autobiographische Arbeiten zu schreiben’ – Exil und Autobiographie im transnationalen Leben von Paul Hatvani-Hirsch,” Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 29 (2018), 58–79. 46 Levke Harders, “Migration und Biographie. Mobile Leben schreiben,” Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 29 (2018) 3, 17–36. 47 Katharina Prager, “Überlegungen zu Biographie und Exil im 20. Jahrhundert,” in Exilforschung Österreich: Leistungen, Defizite & Perspektiven, edited by Evelyn Adunka (Wien: Böhlau, 2018), 561–575, 564.

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meaning making and social self-reflection.48 It thus offers synergies with the history of knowledge, which itself does not seek to offer any “na"ve history of progress but rather [to draw] our attention to historical forms of secret, impeded, and ignored knowledge, or to knowledge that was revalued or delegitimized.”49 Since translations are by no means unidirectional, focusing on migrant biographies can also help us detect transformations that occur after ideas are transported from one context to another. “If comprehended as a cultural practice,” the sociologist Xymena Wieczorek puts it, “biography could provide a reliable method of analysing the social practises of mobility thus opening up a new perspective on the movement and exchange of people, knowledge and institutions.”50 The linguist Volker Depkat additionally remarks that approaching research from a biographical point of view offers actor-centered perspectives on transnational, historical processes, thus mediating between the micro and macro levels of transnational entanglements, “highlighting to what degree seemingly anonymous, transnational processes have affected regional contexts.”51 To put it more simply, a biographical perspective leads us to interrogate processes that have not gained much attention so far, such as the above-mentioned question of how a relatively anonymous process such as the migration of individuals or a cohort of people affected the regional context of a society, or a social entity in the receiving country. Biographical approaches are thus not only key methodological concepts for researching and understanding transnational actors and their translations; they are also essential for our understanding of the hybrid, transnational spaces created by processes of mobility and migration.52 The growing interests in transnational processes and actors and the departure from national migration histories, focusing on either the migration from, or the emigration into one country has led to a growing entanglement of concepts, ideas, and approaches of the fields of biography, migration history, and the

48 Volker Depkat, “The Challenges of Biography and Migration History,” in Quiet Invaders Revisited. Biographies of Twentieth Century Immigrants to the United States, edited by Günter Bischof (Innsbruck: University Press 2017), 299–309, 301. 49 Lässig and Steinberg, Knowledge on the Move, 320. 50 Xymena Wieczorek, “Biography en route: Investigating Mobility Experiences through Biographical Research,” in Spaces of Difference: Conflicts and Cohabitation, edited by Ursula Lehmkuhl/Hans-Jürgen Lüsebrink/Laurence McFalls (Münster : Waxmann, 2016), 106. 51 Volker Depkat, “Biographieforschung im Kontext transnationaler und globaler Geschichtsschreibung,” BIOS – Zeitschrift fu¨ r Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen 28 (2015) 1–2: 3–18. 52 Irini Siouti, “Biographische Reflexivität als zentrales Schlüsselkonzept in der transnationalen Biographieforschung,” in Forschungssituationen (re)konstruieren: Reflexivität in Forschungen zu intergenerativen Prozessen, edited by Marga Günther / Anke Kerschgens (Berlin: Budrich, 2015).

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history of knowledge.53 This fruitful connection has produced some first fascinating insights and theoretical concepts that could readily be adapted for an analysis of the history of DPs, as we will show in the last section of this paper.

IV.

Connecting Approaches – Extending Perspectives

As this article has shown, research on DPs does not belong to the best researched fields of the Austrian historical landscape. We argue that this has to change: hundreds of thousands of refugees from Central and Eastern Europe not only contributed greatly to the economic, cultural and social development of Austria’s Second Republic, but were also crucial in shaping the Austrian society on the long run. Nevertheless, there was surprisingly little academic interest in researching this group. The lack of critical research has led to the fact that existing research studies have largely taken over contemporary prejudices and narratives. Most of the publications of the past 50 years have focused on descriptions of migration routes, or micro-historical depictions of every-day life in refugee camps. Hence, historical research has primarily depicted the migration of DPs into postwar Austria as a problem, the contemporaries had to tackle, rather than as a valuable influx of people with ideas, knowledge and cultural capital. Consequently, there are not many studies that analyse the socio-economic and cultural impact of this diverse group of migrants. In order to change perspectives in research we suggest raising new questions, meaning that we should think “out of the box” and should critically evaluate existing, sometimes dusty approaches. Turning to other disciplines or schools of thoughts that have successfully applied such approaches and perspectives could be a good starting point. As shown above, biography, migration studies and the school of thought of the history of knowledge could provide answers. Furthermore, it could be helpful to integrate transnational, actor- and knowledge-centred perspectives in order to comprehend the complex social, economic, and cultural processes triggered by the mass-influx of transnational migrants. This would allow focusing our research interests on actual translators and their performances (biographical perspectives), on transformations of 53 Levke Harders und Veronika Lipphardt, “Kollektivbiographie in der Wissenschaftsgeschichte als qualitative und problemorientierte Methode,” Traverse: Zeitschrift für Geschichte 13 (2006) 2: 81–90; Jan Logemann, “Consumer Modernity as Cultural Translation: European Pmigr8s and Knowledge Transfers in Mid- Twentieth-Century Design and Marketing,” Geschichte und Gesellschaft 43 (2017): 413–437; Jan Logemann, “European Imports? European Immigrants and the Transformation of American Consumer Culture from the 1920s to the 1960s,” GHI Bulletin 52 (Spring 2013): 113–133.

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knowledge and culture (history of knowledge, cultural translation studies), and on changes in the Austrian society in relation to the arrival of DPs. In this context, we formulated four sets of questions that could be of use for future research in the field: – Cultural translation: Which cultural and social capital did DPs translate from their former home contexts into their new host society? How did they use their cultural and social capital to support their economic and social advancement? What was their role and function as cultural translators within the transformation process of the Austrian society? What was the importance of cultural translation for the processes of locating and adapting knowledge and cultural practices? How did knowledge and practices evolve during the translation process? – Integration and adaptation: When and why did the mental borders between the DPs and the members of the host society decrease? Which integration/ acculturation strategies did they develop (consciously or unconsciously)? How did they interact with other DPs and with members of the host society? Where there certain sectors of the economy/culture/academia where DPs were particularly successful? – Self-perception/external perception: How did they appear publicly (media, politics)? Did they exercise public agency? How did the Austrian majority population perceive the DPs and the DP camps in their local neighbourhood? Did the self-perception of the majority change as a result of the interaction with DPs? – Remigration and exchange: Did DPs successfully maintain networks with actors in their countries of origin? Did they expand these networks and integrate Austrians into such transnational networks? Did they retranslate knowledge and cultural practices into their old homelands? How did the population in their countries of origin perceive them? These questions are far from conclusive. In our view, they can serve as stimulating starting points providing ample opportunities for promising new research. As we believe, connecting DP research with recent trends in migration history promises to yield interesting insight into the history of the Austrian post-war society as a whole. It will also serve to shift the paradigm of Austrian contemporary history from a largely static national narrative towards a more dynamic transnational understanding.

Heribert Macher-Kroisenbrunner

Jüdische DPs in Südostösterreich. Menschen – Organisationen – Infrastruktur1

Die jüdischen Displaced Persons (DPs) in den Flüchtlingslagern nach dem Zweiten Weltkrieg hatten ihren Ursprung in den Schtetlech Ostpolens, der Ukraine, Weißrussland und Litauens sowie in den jüdischen Gemeinden Mittelund Südosteuropas. Ihre Biografien erzählen von Entrechtung und Vertreibung, vom Leben in Ghettos, sie hatten Verfolgung und Lagerhaft überlebt, wo große Teile der jüdischen Bevölkerung Europas – ihre Familien und Freunde – ermordet worden waren. Die Biografien erzählen auch von Zwangsarbeit in Deutschland, Ungarn und Österreich, von Todesmärschen, vom Überleben in Kellern oder auf Dachböden, vom Untergrund, von Partisaneneinheiten in polnischen und russischen Wäldern. Die Nachkriegsszenen dieser Biografien erzählen eine Geschichte der Entwurzelung und Heimatlosigkeit sowie eine Geschichte von zerstörten, vernichteten jüdischen Gemeinschaften in Europa. Im Jahr 1945 beginnt aber auch eine Geschichte der Rehabilitation und eine Geschichte der Reetablierung jüdischen Lebens in den DP-Lagern Deutschlands, Österreichs und Italiens. In Österreich waren es über 200.000 jüdische DPs, die durch das Land geschleust oder hier in Lagern aufgenommen wurden.2 Auch viele der rund 15.000 jüdischen Flüchtlinge, welche die britische Besatzungszone erreichten, wurden zwischen 1945 und 1949 in mehreren Lagern betreut, bis sie das Land in Richtung ihres zumeist bevorzugten Zieles Palästina/Israel wieder verlassen konnten.3 Nur wenige von ihnen sind in ihre Vorkriegsheimat zurückgekehrt. 1 Der vorliegende Beitrag basiert in großen Teilen auf einer Monografie des Autors, welche 2018 veröffentlicht wurde. Heribert Macher-Kroisenbrunner, We hope to go to Palestine. Das jüdische DP-Lager Admont 1946–1949, Graz 2018. 2 Siehe dazu Thomas Albrich, Exodus durch Österreich. Die jüdischen Flüchtlinge 1945–1948 (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 1), Innsbruck 1987, 201–203. 3 DP-Lager mit jüdischer Belegung in der Steiermark: Admont 1946–1949, Graz Ursulinenkloster und Hotel Weitzer 1945, Judenburg-Murdorf 1945–1946, Kapfenberg-St. Marein u. Kapfenberg-Hafendorf 1946–1947, Kobenz 1946, Köflach 1945, Leibnitz 1945, Trofaiach 1945–1946. Kärnten und Osttirol: Klagenfurt 1945–1946, Lienz 1946, Villach 1945–1946.

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Im Jahr 1946 lebten in der britischen Zone Österreichs jüdische DPs und jüdische MitarbeiterInnen diverser Organisationen mit über einem Dutzend verschiedener Nationalitäten. Sie bildeten eine heterogene Gruppe von Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft, politischer Einstellung, Sprache, Bildung und Kultur. Die jüdische Herkunft, die gemeinsame Leidensgeschichte sowie der Wunsch, ein neues Leben beginnen zu wollen, bildeten zwischen diesen differenten Gruppen die wichtigsten gemeinsamen Grundlagen. Eine Analyse der vorliegenden Literatur über die jüdische Geschichte Südostösterreichs zeigt, dass die jüdischen Nachkriegsflüchtlinge bislang kaum ein Thema für Untersuchungen dargestellt haben.4 Sie wurden weitgehend übergangen. Abhandlungen über jüdische DPs und die jüdischen Gemeinden in Österreich weisen, bis auf wenige Ausnahmen, einen auf „Wien zentrierten“ Blick auf oder behandeln Vorgänge in der US-amerikanischen Besatzungszone Österreichs.5 Diese Forschungslücken führen bei allen Ähnlichkeiten zu einem unvollständigen und letztlich verzerrten Bild über die jüdischen DPs in Österreich und Europa. Der folgende Beitrag widmet sich der Reetablierung jüdischen Lebens in Südostösterreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei stehen vorrangig zwei Aspekte im Fokus: Zunächst sollen in einem ersten Schritt die Rahmenbedingungen, welche zum Betrieb der jüdischen DP-Lager geführt haben, beschrieben werden. Hierbei geht es um Organisationen ebenso wie um einzelne Personen, die maßgeblich für dieses Kapitel österreichisch-jüdischer Nachkriegsgeschichte waren. In einem zweiten Schritt geht es um die Untersuchung jüdischen (Alltags-)Lebens in diesen Lagern, wobei hier vor allem die wirtschaftliche und soziale Interaktion mit der nichtjüdischen Umgebungsgesellschaft dargestellt wird.

I.

Historischer Rahmen

Die Situation der ost- und südosteuropäischen Juden und Jüdinnen war nach dem Zweiten Weltkrieg prekär, denn bis zu neunzig Prozent der jüdischen Bevölkerung Polens und der Tschechoslowakei sowie die Mehrheit in den baltischen Staaten, der Ukraine, in Jugoslawien und in Weißrussland waren von den

4 Siehe dazu Dieter A. Binder, Jüdische Steirer – steirische Juden 1945 bis 2000, in: Gerald Lamprecht (Hg.), Jüdisches Leben in der Steiermark. Marginalisierung – Auslöschung – Annäherung (Schriften des Centrums für Jüdische Studien 5), Innsbruck/Wien/München/ Bozen 2004, 223–262. 5 Für einen kurzen Überblick über den Forschungsstand siehe Macher-Kroisenbrunner, Admont, 10–13.

Heribert Macher-Kroisenbrunner, Jüdische DPs in Südostösterreich

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Nationalsozialisten und ihren Gehilfen ermordet worden.6 In Ungarn und Rumänien hatte zwar ein größerer Anteil überlebt, aber auch hier machte sich schnell Hoffnungslosigkeit breit. Die Hauptgründe waren zum einen die umfangreichen Grenzverschiebungen und die damit verbundenen Bevölkerungstransfers, zum anderen der noch immer vorherrschende Antisemitismus in diesen Ländern sowie die Ineffizienz und Untätigkeit der Regierungen im Hinblick auf die Sicherung der jüdischen Rechte.7 Die jüdischen Überlebenden wurden in ihrer alten Heimat an ihre ermordeten Familien erinnert und ihre kulturellen und wirtschaftlichen Grundlagen waren zerstört. Die völlig entwurzelten Menschen waren zu Flüchtlingen in ihren eigenen Ländern geworden. Vielen Juden und Jüdinnen erschien daher die Auswanderung, vor allem nach Palästina, ihrem „Eretz Israel“, als beste Möglichkeit, dieser Misere zu entkommen. Die jüdischen Flüchtlinge und ihr Wunsch, Palästina zu erreichen, kamen jedoch direkt den britischen Interessen in die Quere, denn Großbritannien fungierte nicht nur als Besatzungsmacht in Deutschland und Österreich, sondern war außerdem Mandatsmacht in Palästina. Ein stabiler Mittlerer Osten war für Großbritannien von zentralem strategischem Interesse. Mit der Verschlechterung der jüdisch-arabischen Beziehungen nach Kriegsende wog man die Interessen ab und beschloss, die Palästinafrage strikt vom jüdischen Flüchtlings-Problem zu trennen und eine Einreise der Juden und Jüdinnen nach Palästina stark zu begrenzen. Diese Position wurde in den folgenden Jahren zu einer tragenden Säule der britischen Politik.8 Die britische Militärverwaltung in Österreich versuchte in weiterer Folge, die Durchreise der jüdischen Flüchtlinge durch ihre Besatzungszone in Österreich zu verhindern. Sie verschärfte die Grenzkontrollen dermaßen, dass ein Übertritt nur mehr schwer und illegal möglich war. Viele jüdische Flüchtlinge, darunter häufig junge Familien mit Kindern, saßen plötzlich in Südostösterreich fest. Wenn man die Grundvoraussetzungen betrachtet, die für ein friedliches Zusammenleben nötig sind, so war die Ausgangslage nicht optimal. Für die jüdischen Flüchtlinge war der erzwungene Aufenthalt in einem Land, das für die nationalsozialistischen Verbrechen und damit für ihre gegenwärtige Situation mitverantwortlich war, emotional nicht einfach zu ertragen. Viele der jüdischen Flüchtlinge hegten einen tiefen Groll gegenüber den ÖsterreicherInnen – in 6 Vgl. Thomas Albrich, Zionisten wider Willen. Hintergründe und Ablauf des Exodus aus Osteuropa, in: Thomas Albrich (Hg.), Flucht nach Eretz Israel. Die Bricha und der jüdische Exodus durch Österreich nach 1945 (Österreich-Israel-Studien 1), Innsbruck/Wien 1998, 13–48, 13. 7 Vgl. ebd., 15–17. 8 Vgl. Arieh J. Kochavi, Post-Holocaust Politics. Britain, the United States, and Jewish Refugees, 1945–1948, Chapel Hill/London 2001, IX–XIII.

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ihren Augen waren diese „Deutsche“ –, der auch dadurch verstärkt wurde, dass einige der DPs erst ein Jahr zuvor in Todesmärschen über den Präbichl in Richtung Mauthausen getrieben worden waren.9 Zum Gedenken daran wurde am Jahrestag der Ereignisse im April 1946 ein Marsch zum Massengrab in Eisenerz abgehalten und in einer religiösen Feier ein erstes Mahnmal errichtet.10 Die Vorbehalte waren vor allem gegen die österreichischen Sicherheitsbehörden hoch – nicht ganz zu Unrecht, wie einige spätere Vorfälle zeigen. Die in Österreich gestrandeten Juden und Jüdinnen sahen sich mit einer österreichischen Bevölkerung und Politik konfrontiert, in deren Geistes- und Werthaltungen sich oft eine umfassende Kontinuität mit der NS-Zeit widerspiegelte. Der latente und teils offene Antisemitismus war auch nach der Befreiung Österreichs im Mai 1945 nicht verschwunden.11 Die DP-Lager in der britischen Zone beherbergten bis 1949 tausende jüdische Flüchtlinge. Dabei konzentrierten sich diese Menschen nach einer traumatischen Vergangenheit, die häufig mit dem Verlust von Eltern, Kindern und anderen Verwandten einherging, auf das Gestalten von neuen internen und externen sozialen Beziehungen. Am Ende dieses Prozesses stand für viele eine neue Heimat und Identität.12 Dieser Prozess wurde durch das Zusammenleben der unterschiedlichen jüdischen Gruppen im Lager, die Interaktion mit den jüdischen Organisationen, aber auch durch Interessenskonflikte mit der britischen Besatzungsmacht und das nicht immer ganz unproblematische Verhältnis zur umliegenden Bevölkerung geprägt.

II.

Die ersten jüdischen DP-Lager in Südostösterreich

Die im Titel erwähnte Region Südostösterreich umfasst die britische Besatzungszone Österreichs.13 In dieser Region existierten zwischen 1945 und 1949 mehrere DP-Lager mit teilweiser, vorwiegend oder ausschließlich jüdischer 9 Dieser Groll wird mehrmals in der Lagerzeitung „Admonter Hajnt“, dem zentralen Organ der jüdischen DPs in der britischen Zone, zum Ausdruck gebracht. 10 Admont Displaced Persons Camp, Its Background and History, Team 314. United Nations (UN) Archives, AG-018/Austria Mission 010/S-1496/0000-0011, 13. 11 Siehe dazu Heinz P. Wassermann (Hg.), Antisemitismus in Österreich nach 1945: Ergebnisse, Positionen und Perspektiven der Forschung (Schriften des Centrums für Jüdische Studien 3), Innsbruck/Wien/München/Bozen 2002. 12 Siehe dazu Susanne Rolinek, Jüdische Lebenswelten 1945–1955. Flüchtlinge in der amerikanischen Zone Österreichs (Österreich-Israel-Studien 4), Innsbruck/Wien/Bozen 2007. Mit der vorläufig letzten umfassenden Untersuchung zu jüdischen DPs in der US-Zone Österreichs gelang Susanne Rolinek im Jahr 2007 ein Perspektivenwechsel hin zu einer „Innenansicht“ auf die Lebenswelten der Flüchtlinge. 13 Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um die Bundesländer Steiermark ohne dem Ausseerland, Kärnten und Osttirol.

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Belegung. Dieser Zeitraum lässt sich im Hinblick auf die Verwaltung der Lager und die damit zusammenhängenden Veränderungen im Lagerleben, die auch auf weltpolitischen Ereignissen fußten, grob in drei Phasen unterteilen: Die erste Phase begann nach dem Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen aus der Steiermark und der kompletten Übernahme der Zone durch britische Einheiten Ende Juli 1945.14 Die einzelnen Abteilungen der britischen Militärverwaltung bekamen erst langsam einen Überblick über die Vorgänge in der Region. Die oberste politische Instanz stellte bei den Briten die Allied Commission for Austria, British Element (ACA, BE) dar, an deren Spitze der High Commissioner stand. Für die Unterbringung und für Angelegenheiten hinsichtlich der Versorgung und Rückführung der DPs war die britische Prisoners of War & DP’s Division zuständig. Sie bildete eine von dreizehn britischen Verwaltungseinheiten, die wiederum in Unterabteilungen, in so genannten Branches gegliedert waren.15 Schon im Juli 1945 drangen immer wieder Gruppen von jüdischen Flüchtlingen aus Ungarn kommend in die britische Zone ein. Der verfügbare Wohnraum im Großraum Graz war knapp und diese Menschen wurden zunächst im Grazer Hotel Weitzer einquartiert. Im August 1945 siedelten die Flüchtlinge in das Grazer Ursulinenkloster um, das Platz für über 1.500 Menschen bot. Auch in Klagenfurt, Villach, Köflach und Wagna bei Leibnitz waren in diesem Sommer zeitweise mehrere hundert jüdische Flüchtlinge untergebracht.16 Aufgrund des zunehmenden Flüchtlingsstroms wurden im September 1945 für die jüdischen DPs erstmals, entgegen der offiziellen britischen Politik, rein jüdisch belegte Lager in Judenburg/Murdorf und am Ende des Monats in Trofaiach eingerichtet.17 Alle jüdischen Flüchtlinge in der Steiermark wurden nun in diesen beiden Lagern zusammengefasst. Ein weiterer Grund für die Verlegung der Flüchtlinge – weg vom Großraum Graz, hin in die Peripherie der Steiermark – lag auch im Umstand begründet, dass die britischen Behörden den im Umfeld der DP-Lager entstandenen Schwarzmarkt zu bekämpfen versuchten.18

14 Vgl. Siegfried Beer, Von der „Zweiten Chance“. Die Briten als ambivalente Besatzer der Steiermark 1945 bis 1948, in: Heimo Halbrainer/Victoria Kumar (Hg.), Kriegsende 1945 in der Steiermark. Terror, Kapitulation, Besatzung, Neubeginn, Graz 2015, 181–201. 15 Siehe dazu Siegfried Beer (Hg.), Die „britische“ Steiermark 1945–1955 (Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 38), Graz 1995, Appendix D, 748. 16 Situation of the Jewish Refugees in Austria, James P. Rice, 20. 9. 1945. Jewish Distribution Committee (JDC) Archives, NY_AR194554/4/17/8/112, 661027. 17 Vgl. Macher-Kroisenbrunner, Admont, 20–25. 18 Vgl. Thomas Albrich, Jüdische Displaced Persons und Flüchtlinge in der Steiermark 1945– 1948, in: Heimo Halbrainer (Hg.), Fliehen, schleppen und schleusen. Flucht und Fluchthilfe in der Steiermark im 20. Jahrhundert, Graz 2018, 91–125, 96–99.

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DP-Lager/Unterkünfte in der britischen Zone Graz (Lager)

Anzahl der jüdischen Flüchtlinge 1.500

Graz (Privatunterkünfte)

50 bis 100

Wagna bei Leibnitz (Lager)

800

Judenburg/Murdorf (Lager)

1.000

Köflach (Lager)

300

Klagenfurt (Privatunterkünfte) und Villach (Lager) 300 Summe

4.000

Bis in den September 1945 hinein waren die britischen Militärs eher unbedarft und transportierten die aus dem Osten kommenden Flüchtlinge, die oft mit falschen Papieren ausgestattet waren, ohne genaue Zählung bzw. Registrierung nach Graz.19 Hier „verschwanden“, häufig über Nacht und sehr zum Ärger der britischen Behörden, dann hunderte Menschen aus den Quartieren mit unbekanntem Ziel. Die jüdischen Fluchthilfeorganisationen hatten die Begleitpapiere gefälscht und so den Anschein erweckt, dass es sich bei diesen Gruppen um österreichische, italienische oder griechische „KZ-Heimkehrer“ aus der sowjetischen Besatzungszone handeln würde. Vor allem der Bricha20 gelang es bis zum Herbst 1945, unterstützt von jüdischen Hilfsorganisationen, der jüdischen Untergrundarmee Haganah und der Jewish Brigade21, einer kämpfenden Einheit in der britischen Armee, bestehend aus Freiwilligen aus Palästina, ein geheimes Netzwerk aus Stützpunkten und Fluchthelfern von Osteuropa über Österreich bis nach Italien zu errichten und tausenden Juden und Jüdinnen den Weg in den Westen zu ermöglichen. Ziel dieser zionistischen Bewegungen war es, möglichst viele junge Menschen nach Palästina zu bringen, die beim Aufbau eines eigenen jüdischen Staates helfen sollten.22 Als sich die Fluchtroute aber änderte und die jüdischen Flüchtlinge nun aus Wien kommend über den Semmering in die britische Zone eindrangen, schlugen die britischen Militärstellen Alarm.23 Die britischen Truppen verschärften ab Oktober 1945 die Kontrollen an den Grenzen immer weiter, sodass sich die Haupttransitrouten der jüdischen Flüchtlinge, 19 Die Flüchtlinge kamen in größeren Gruppen im Raum Fehring-Feldbach über die britischsowjetische Zonengrenze. 20 Die Bricha (auf Deutsch „Flucht“), die schon 1944/45 in Ostpolen bzw. Litauen entstanden war, bot vor allem für junge Jüdinnen und Juden die Möglichkeit, Ost- bzw. Südosteuropa zu verlassen. 21 Die im Raum Udine-Villach stationierte 648 (Palestinian) G.T. Coy. wurde noch im Sommer 1945 von der Grenze abgezogen. 22 Vgl. Albrich, Zionisten wider Willen, 26–30. 23 Migration of Jews to Steiermark, 1. 10. 1945. The National Archives (TNA), Public Record Office (PRO), Foreign Office (FO) 1020/988; Jews in British Austria, 2. 10. 1945. TNA, PRO, FO 1020/988; vgl. auch Macher-Kroisenbrunner, Admont, 20–25.

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unter Umgehung des britischen Einflussbereichs, verlagerten.24 In dieser ersten Phase scheiterte die britische Militärverwaltung daran, ein funktionierendes Lagerwesen aufzubauen. Die Schuld für dieses Versagen gab der Trofaiacher Lagerkommandant Major Reed den jüdischen Flüchtlingen und nannte dafür drei wesentliche Gründe: a) die ständige Fluktuation in der Lagerbevölkerung; b) die völlige Abwesenheit einer kompetenten Lagerführung; c) das völlige Desinteresse, ein zivilisiertes Leben zu führen.25 Es herrschten in den Lagern so chaotische Zustände, dass es unter den gegebenen Bedingungen sinnvoll erschien, die jüdischen Flüchtlinge erneut umzusiedeln; zum einen um die Mindestnormen von Hygiene und Gesundheit zu erreichen und zum anderen um die Moral der Lagergemeinschaft durch einen Neubeginn zu stärken.26 Noch im Herbst 1945 beschlossen die britischen Behörden, die Verwaltung der DP-Lager, darunter auch die Lager mit jüdischer Belegung, der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) zu übergeben.27 Im Februar 1946 waren schließlich zehn UNRRA-Teams, die unter der Aufsicht der Militärbehörden standen, in der britischen Zone im Einsatz.28 Diese Organisation wurde noch während des Krieges, im November 1943, zur Versorgung und Repatriierung der zu erwartenden DPs sowie zur Koordination und Überwachung der privaten Hilfsorganisationen gegründet. Die materielle Unterstützung der Bevölkerung in den von den Nationalsozialisten befreiten Staaten bildete einen weiteren Schwerpunkt der UNRRA.29 Waren die jüdischen DP-Lager im Jahr 1945 nur reine Transitlager auf dem Weg nach Palästina, so entwickelte sich in der Phase, in der die UNRRA die Lagerverwaltungen innehatte, ein reges jüdisches Leben in der Region. Der im jüdischen DP-Lager Admont für die Jewish Relief Unit Austria (JRU) tätige Sozialarbeiter Melville Marks beschrieb in einem Bericht die Situation wie folgt: „Austria is no longer a place of transit, it is a place of settling during a transit period.“30 24 Ebd.; The Unauthorised Movement and Clandestine Activity of Jewish DPs in Austria, 19. 1. 1946. TNA, PRO, FO 1020/2409. 25 Admont Displaced Persons Camp, Its Background and History, Team 314. UN Archives, AG018/Austria Mission 010/S-1496/0000-0011, 2–4. 26 Ebd. 27 Agreement between UNRRA and Commander-in-Chief, BTA, Oktober 1945. TNA, PRO, FO 1020/2490. 28 Team Nr. 314 Kobenz, Nr. 327 Leoben, Nr. 329 Wolfsberg, Nr. 330 Spittal, Nr. 331 Lienz, Nr. 332 Waidmannsdorf, Nr. 333 Graz (Studentenheim), Nr. 334 Admont, Nr. 335 Judenburg, Nr. 336 Villach. Closing down of Area Headquarters, 25. 2. 1946. TNA, PRO, FO 1020/2491. 29 Die UNRRAversorgte im Gegensatz zu Deutschland in Österreich nicht nur die DPs, sondern lieferte Lebensmittel auch an die einheimische Bevölkerung, da Österreich als befreites Gebiet eingestuft wurde. 30 Bericht Melville Marks, Report on Admont Camp and the General Austrian Situation, 24. 10. 1946. Wiener Holocaust Library (WL), Lady Lose Henriques Archive (HC) 52/45, HA 15-1/1/ 10.

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III.

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Die jüdischen DP-Lager unter der Kontrolle der UNRRA

Ein Teil der jüdischen Flüchtlinge aus Trofaiach wurde von der UNRRA und ihrem Team 314, das unter der Leitung des jungen amerikanischen Juden M. M. Katz stand, zunächst nach Kobenz, in ein kleines Lager, welches sich in vergleichsweise gutem Zustand befand und in der Nähe von Knittelfeld lag, umgesiedelt. Die restlichen jüdischen DPs wurden vorerst nach Judenburg überstellt und sollten nachkommen. Aber Platzmangel war eines der Hauptprobleme, vor allem als mit der Wetterbesserung im Frühling 1946 die Migrationsbewegung der osteuropäischen jüdischen Bevölkerung wieder verstärkt einsetzte. Ende April 1946 wurde im UNRRA-Headquarter (HQ) Wien in Abstimmung mit den britischen Behörden beschlossen, alle jüdischen DPs in einem großen Lager unter der Leitung von Katz zusammenzufassen. Nach kurzer Suche fiel die Entscheidung für das ebenfalls unter UNRRA-Kontrolle stehende Lager Admont und Anfang Mai 1946 wurden alle noch verbliebenen rund 2.000 jüdischen Flüchtlinge in der britischen Zone in dieses Lager verbracht.31

Abb. 1: Das jüdische DP-Lager Admont (Quelle: US-Holocaust Memorial Museum (USHMM)/ Abraham Getman photographs 2003.477.1).

Im Sommer 1946 gelang es den US-Amerikanern, in deren Zone die DP-Lager völlig überfüllt waren, die britischen Militärs zur zeitweisen Übernahme von 1.500 jüdischen Flüchtlingen zu überreden und obwohl die britischen Zentral31 Admont Displaced Persons Camp, Its Background and History, Team 314. UN Archives, AG018/Austria Mission 010/S-1496/0000-0011, Appendix A6.

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stellen in London dagegen scharf protestierten, wurden im August 1946 noch weitere 1.500 Menschen in die Steiermark überstellt.32 Um diesen Flüchtlingen eine Unterkunft bieten zu können, mussten im August 1946 innerhalb weniger Tage zwei Lager im Lagerkomplex Kapfenberg (Lager Kapfenberg 6/St. Marein und Lager Kapfenberg 8/Hafendorf) adaptiert werden.33 Die Gründe für die Massenflucht polnischer Juden und Jüdinnen im Sommer 1946 waren vielfältig. Eine letzte Signalwirkung hatte ein Pogrom, welches sich am 4. Juli 1946 im polnischen Kielce ereignete.34 Allein bis November 1946 erreichten rund 90.000 jüdische Flüchtlinge die US-amerikanische Zone in Österreich und machten diese Fluchtbewegung endgültig zu einer weltpolitischen Angelegenheit.35 Unter der UNRRA-Verwaltung wurde innerhalb kürzester Zeit für tausende Menschen ein funktionierendes Lager- und Gemeinwesen unter weitgehender Selbstverwaltung aufgebaut. Die Schwerpunkte lagen auf der Versorgung der Lager mit Bedarfsgütern, auf der medizinischen Versorgung, den Bildungsprogrammen für Erwachsene und Kinder, den Arbeitsprogrammen sowie einer abwechslungsreichen Freizeitgestaltung.36 Grundsätzlich war die Versorgung der DP-Lager mit Bekleidung, medizinischen Hilfsmitteln und Baumaterialien eine österreichische Aufgabe. Die Gemeinden bzw. die Bürgermeister stellten hierfür die ersten Ansprechstellen für die Lagerverwaltungen dar. Auch die Lebensmittelverteilung erfolgte nicht zentral, sondern lief über die Gemeindeverwaltungen.37 Die einzelnen Lager mussten wöchentlich die Belegungszahlen bekanntgeben und bekamen von den Bezirksernährungsämtern eine entsprechende Anzahl an Lebensmittelbezugscheinen zugeteilt. Die DPs hatten einen Anspruch auf eine Mindestration von 2.000 Kalorien, im Lager angestellte DPs, werdende Mütter und Kranke erhielten Zusatzrationen. Diese Lebensmittelrationen waren zunächst höher als bei der Zivilbevölkerung, wurden aber im Frühjahr 1946 vereinheitlicht.38 In der Realität sah es im Jahr 1945 jedoch noch meist so aus, dass nur ein Teil der Lebensmittel aus österreichischen Beständen stammte, der Rest der Versorgungsgüter hingegen aus britischen Militärbeständen. Die britischen DP-Offiziere legten den

32 Eine Gruppe von 500 Flüchtlingen weigerte sich jedoch hartnäckig in der britischen Zone zu bleiben und wurde schließlich nach einigen Tagen wieder in die US-amerikanische Zone zurücktransferiert. 33 Die Kapfenberger Lager mit jüdischer Belegung wurden vom UNRRA-Team 332 verwaltet. 34 Hier wurden 42 Juden und Jüdinnen von der katholischen polnischen Bevölkerung nach einer Ritualmordanschuldigung ermordet. 35 Vgl. Albrich, Exodus durch Österreich, 105, 126. 36 Vgl. Macher-Kroisenbrunner, Admont, 59–88. 37 Ebd., 49–50. 38 Ebd.

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zuständigen österreichischen Ämtern in diesen Fällen die anfallenden Rechnungen zur Begleichung vor.39 Für die Versorgung der Lager waren auch die freiwilligen Hilfsorganisationen immens wichtig. Das bereits im Zweiten Weltkrieg gegründete Council of British Societies for Relief Abroad (CBSRA) unterstützte die britische Armee auf dem Gebiet der humanitären Hilfe.40 Der größte Anteil der Hilfe für die jüdischen DPs kam ab dem Herbst 1945 jedoch von jüdischen Organisationen. Im Juni 1945 besuchte Reuben Resnik, der Italien-Direktor des im Ersten Weltkrieg gegründeten American Joint Distribution Committee (AJDC), als einer der ersten Vertreter dieser Hilfsorganisation Österreich und veranlasste verschiedene Maßnahmen zur Beseitigung der ärgsten Notstände und erste Hilfslieferungen. Eigene Büros in Linz bzw. Salzburg (amerikanische Zone) und Innsbruck (französische Zone) sowie das österreichische Hauptquartier in Wien wurden eröffnet. In der britischen Zone traf der erst 26-jährige britische Staatsbürger Hyman Yantian in Graz am 10. November 1945 ein und eröffnete ebenfalls ein Büro für diese Organisation. Das AJDC betreute nicht nur die tausenden jüdischen Flüchtlinge und die zurückgekehrte jüdische Bevölkerung Südostösterreichs und organisierte für sie Nahrungsmittel, Kleidung und verschiedene Programme, sondern finanzierte in weiterer Folge in der Steiermark Erholungsheime für jüdische Kinder und Erwachsene sowie ein jüdisches Studentenheim in Graz.41 Die zweite jüdische Hilfsorganisation, die ab Juli 1946 permanent SozialarbeiterInnen stationierte und den DPs Unterstützung bot, war das britische Jewish Committee for Relief Abroad (JCRA). Diese Organisation war Mitglied des CBSRA und arbeitete eng mit dem Britischen Roten Kreuz und der britischen Armeeverwaltung zusammen. Das JCRA gründete für die britische Zone Österreich die Jewish Relief Unit (JRU) Austria, deren erster Direktor der 1939 aus Österreich nach England geflohene Moritz W. Friedler wurde. Friedler traf mit seinen ersten MitarbeiterInnen im Zuge eines Reinforcement-Programms am 21. Juni 1946 in der britischen Zone ein und entwickelte ebenso eine rege Tätigkeit.42 Der Einfluss des AJDC und der JRUAustria auf das Lagerleben in dieser Phase kann nicht genug betont werden. Erst durch die umfangreichen Hilfslieferungen 39 Vgl. Gabriela Stieber, Nachkriegsflüchtlinge in Kärnten und der Steiermark, Graz 1997, 192–195. 40 Das Britische Rote Kreuz trat stellvertretend für die anderen Organisationen als Gesprächspartner für die Armee auf. Das CBSRA arbeitete aber auch mit weiteren Hilfsorganisationen zusammen. Report von Colonel Logan Gray, 21. 11. 1945. TNA, PRO, FO 1020/988. 41 Bericht Hyman Yantian, AJDC – Activities in the British Zone of Austria 1946. WL, JRU 1367/ 19. 42 Siehe die Berichte von M. W. Friedler, Report No. 1–5, 23.6.–19. 7. 1946. WL, HC 52/64.

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und den Einsatz der SozialarbeiterInnen konnte im Zusammenspiel mit der UNRRA, der britischen Verwaltung und den österreichischen Behörden ein funktionierender Lagerbetrieb aufgebaut und aufrechterhalten werden.43 Auch bei der Versorgung und Wiedereingliederung der wenigen nach Graz zurückgekehrten Juden und Jüdinnen und der Reetablierung jüdischen Lebens in der Region spielte der Joint44 eine wesentliche Rolle.

IV.

Die jüdischen DP-Lager im Zeichen der Staatsgründung Israels

Die UNRRA wurde vor allem von den USA und Großbritannien finanziert und diese beiden Staaten versuchten, die Kosten der DP-Betreuung auf eine neue, breitere Basis zu stellen.45 Die Gespräche zur Gründung einer neuen Organisation begannen Ende 1945 und bereits am 12. Februar 1946 wurde von der Vollversammlung der Vereinten Nationen die International Refugee Organization (IRO) ins Leben gerufen.46 Das Preparatory Committee of the International Refugee Organization47 (PCIRO) nahm die Arbeit am 1. Jänner 1947 auf und übernahm schließlich ab 1. Juli 1947 die Kompetenzen der UNRRA.48 Das PCIRO-Hauptquartier befand sich in Wien und die Organisation war in Österreich in fünf so genannte Area Teams unterteilt.49 In der US-amerikanischen 43 Die kurzfristigen Schwankungen in den Flüchtlingszahlen stellten auch die Hilfsorganisationen AJDC und JCRA vor große logistische Aufgaben und führten dazu, dass beide Organisationen verstärkt zusammenarbeiteten. Bericht Hyman Yantian, General Report on the Camps Situation covering the Period from September to the End of 1946. WL, JRU 1367/19; Brief von M. W. Friedler an Oscar Joseph, 9. 11. 1946. WL, HC, 52/64. 44 Gebräuchliche Kurzform für das AJDC. 45 Vgl. Stieber, Nachkriegsflüchtlinge, 158–159. 46 Diese Organisation übernahm zusätzlich zu den Aufgaben der UNRRA den Bereich der Auswanderungshilfe (Transport, Auswanderung und Wiederansiedlungshilfe). Um die Resettlement- und Reestablishment-Programme wirksam entwickeln zu können, war die IRO berechtigt, Verträge mit Aufnahmestaaten abzuschließen. Darin wurden die gegenseitige Abgrenzung der Verantwortlichkeit, die Versorgung und die Rechtsstellung der Flüchtlinge geregelt. Die Bestimmungen der IRO definierten auch den Personenkreis, der unterstützt werden sollte. Neben Flüchtlingen, die seit Kriegsende nicht in ihre ehemaligen Heimatländer zurückkehren konnten oder wollten, umfasste er auch jene, die nach dem Krieg aufgrund ihrer Rasse, Religion oder politischen Gesinnung ihre osteuropäische Heimat verlassen hatten. 47 Die IRO sollte gemäß der Gründungsvereinbarung ihre Tätigkeit erst aufnehmen, nachdem mindestens fünfzehn Staaten ihre Mitgliedsbeiträge bezahlt hatten. Als klar war, dass diese Bestimmung bis zum bereits beschlossenen Ende der UNRRA-Mission nicht erfüllt werden konnte, wurde ein vorübergehendes Komitee eingerichtet. 48 Die IRO begann offiziell ihre Tätigkeit erst am 10. September 1947. Vgl. Stieber, Nachkriegsflüchtlinge, 158–159. 49 Ebd.

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Zone wurde bereits im Juli die Verantwortung für die jüdischen DPs an die PCIRO übertragen. Die britische Militärverwaltung beschloss jedoch die jüdischen DP-Lager wieder selbst zu verwalten. Somit war das PCIRO Area Team III mit Sitz in Klagenfurt in der britischen Zone in Hinblick auf die jüdischen Flüchtlinge nur für die Emigrationsprogramme und für die Koordination der freiwilligen Hilfsorganisationen verantwortlich.50 Die britische Administration wollte die Verwaltung der ihrer Meinung nach „schwierigsten“ Gruppe unter den DPs nicht einer unerfahrenen Organisation überlassen. Die PW & DP Division gab ihre Stellungnahme in einem Bericht an den High Commissioner bereits am 5. Dezember 1946 ab: „It is H.M.G. policy that no more Jews will be received into D.P. camps in the British Zone and this policy we are carrying out to the letter. The Jews themselves are generally anti-British in sentiment […]. They are always a potential source of trouble, particularly to the Austrian civilian population, but have recently shown signs of settling down for the winter. […] It has already been announced that UNRRA intend to continue their DP operation until June 1947. The question has recently been raised as to the extent to which the new International Refugee Organization should assume the functions of UNRRA in respect of displaced persons. It is believed that in some quarters the view is taken that I.R.O. should set up an organization to take over UNRRA’s activities in the field and we were recently asked for our views on this subject by the Control Office. We stated that, in our opinion, we did not consider it necessary for I.R.O. to engage in field operations in succession to UNRRA as long the Allied Commission for Austria remained in being, as we considered that PW & DP Division could re-assume the very limited commitments of UNRRA in the British Zone and thus avoid the necessity of setting up an expensive and inexperienced organization.“51

Ende März 1947 begannen die Vorbereitungen der Militärbehörden und der UNRRA, die verbliebenen jüdischen Flüchtlinge der beiden Kapfenberger Lager ebenfalls nach Admont zu übersiedeln. Am 1. Juli 1947 übernahm der neue Lagerkommandant J. W. Pack die Leitung des neu formierten Lagerverbundes „Q“ Assembly Centre Eisenerz-Admont. Pack leitete beide Lager von Eisenerz aus, übergab aber die örtliche Verwaltung des Admonter Lagers, das nun wieder das einzige jüdische DP-Lager der Zone war, an seinen Stellvertreter T. S. Hall.52 Die Ablöse der UNRRA und die Wiederübernahme der Lagerverwaltung durch die britischen Behörden sowie geänderte weltpolitische Rahmenbedin50 Aufgrund der geringen personellen und finanziellen Möglichkeiten wurde die tatsächliche Übergabe an die IRO erst im Dezember 1947 abgeschlossen. Vgl. Christine Oertel, Juden auf der Flucht durch Austria. Jüdische Displaced Persons in der US-Besatzungszone Österreichs, Wien 1999, 56. 51 Note for the High Commissioner, On Displaced Persons Problem in the British Zone of Austria, in connection with his visit to London, 5. 12. 1946. TNA, PRO, FO 1020/411. 52 Report in taking over of Admont (Jewish) DP Camp by J. W. Pack, 8. 7. 1947. TNA, PRO, FO 1020/2493.

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gungen brachten es mit sich, dass sich das Leben im Admonter DP-Lager völlig änderte. Die Zeit ab Mitte 1947 bis zur Schließung des Lagers im Mai 1949 kann als eine Phase des Verfalls und des stetigen Niedergangs des bereits Erreichten betrachtet werden. Die Hauptursache hierfür waren die immer geringer werdenden Belegzahlen im Lager, obwohl die dritte und letzte große jüdische Migrationswelle im Sommer 1947 Österreich erreichte. Mehr als 10.000 rumänischjüdische Flüchtlinge erreichten bis August 1947 die Bundeshauptstadt Wien. Die weiteren Fluchtrouten dieser Menschen führten aber unter Umgehung der britischen Zone zumeist nach Italien.53 Die stetige Abnahme der Flüchtlingszahlen war zum einen durch illegale Ausreisen und zum anderen durch das Anlaufen verschiedener Resettlement-Projekte der IRO und dem Programm „Grand National“54 sowie Rückführungen nach Ostereuropa geschuldet. Im Lager Admont waren im Sommer 1947 noch ein Sozialarbeiter namens Julius Elias von der JRU Austria, eine Krankenschwester und der Sozialarbeiter Enid Davis vom AJDC sowie die Sozialarbeiterin Rachel Mirmowitz von der Jewish Agency for Palestine (JAFP) eingesetzt.55 Mirmowitz war von Yehuda Gaulan, dem Vertreter der Jewish Agency in Salzburg nach Admont geschickt worden, um für das „Grand National“-Programm potentielle Namenslisten anzulegen.56 Die JAFP übernahm im Laufe des Jahres 1947 immer mehr Aufgaben von den Hilfsorganisationen und stellte schließlich das Lehrpersonal und den Arzt im Lager. Im Jahr 1948 nach der Staatsgründung Israels verblieb im Lager Admont mit Sadie Lewis jedoch nur mehr eine aus Australien stammende Sozialarbeiterin der JRU Austria, die sich um die letzten noch anwesenden Flüchtlinge kümmerte.57

53 Vgl. Albrich, Exodus durch Österreich, 150–155, 165. 54 Im Frühjahr 1947 wurde zwischen den britischen Behörden und der Jewish Agency auf Vermittlung des Chancellor’s adviser on Jewish affairs, Colonel Robert Bernard Solomon, ein Kompromiss geschlossen, der monatlich die Genehmigung eines Kontingents von bis zu 1.500 Visa für Palästina vorsah. Dieses Programm lief unter dem Decknamen „Grand National“ und sah für die britische Zone Österreichs 25 Visa pro Monat vor. Vgl. MacherKroisenbrunner, Admont, 102–103. 55 PCIRO, Field Memorandum No. 16, Voluntary Agencies affiliated with PCIRO Austria, 13. 8. 1947. TNA, PRO, FO 1020/2380. 56 Erste Priorität hatten DPs, deren Registrierung vor dem 1. Oktober 1945 erfolgt war. Diese wurden wiederum in vier Gruppen eingeteilt: 1. Personen, die über eine landwirtschaftliche oder bautechnische Ausbildung verfügten; 2. unbegleitete Kinder unter zwölf Jahren; 3. dauerhaft behinderte Personen mit Verwandten in Palästina, die sie unterstützen konnten (diese Kategorie wurde auf Antrag des Hohen Kommissars für Palästina auf Ausnahmefälle beschränkt); 4. Personen über sechzig Jahren mit Verwandten in Palästina, die sie unterstützen konnten. Die Auswahl der geeigneten DPs gestaltete sich schwierig und es dauerte bis Ende August 1947, eine Liste von 130 Kandidaten zu erstellen. Brief des Foreign Office an Col. Logan Gray, 9. 5. 1947. WL, HC 52/62. 57 Vgl. Macher-Kroisenbrunner, Admont, 130.

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Nach der Gründung des Staates Israel im Mai 1948 schien die Zeit des Wartens endgültig vorbei zu sein. Durch die Vermittlung von Dr. Kurt Lewin, dem ersten offiziellen israelischen Konsul in Österreich, konnten alle jüdischen Flüchtlinge, welche an einer Auswanderung nach Israel festhielten, in die amerikanische Zone ausreisen, um in ihr Wunschland zu gelangen. Am 23. November 1948 verließ daraufhin ein Großteil der Flüchtlinge (rund fünfhundert) das Lager.58 Die rund dreihundert Flüchtlinge, die noch immer im Lager Admont ausharrten, warteten weiterhin auf ihre Ausreisegenehmigungen nach Kanada, Australien oder in die USA.59 Es dauerte bis zum Frühjahr 1949, bis auch diese Menschen Admont und damit die Steiermark in Richtung amerikanischer Zone verlassen konnten.

V.

Die innere Lagerorganisation und eine demographische Analyse der jüdischen DPs in der britischen Zone

Durch die Zusammenlegung der jüdischen DPs aus den Lagern in Kobenz, Judenburg und Villach belief sich die Lagerbevölkerung in Admont, im nunmehr einzigen jüdischen DP-Lager in der britischen Zone, Ende Mai 1946 auf 1.903 jüdische Flüchtlinge. Der UNRRA-Direktor dieses Lagers, der bereits erwähnte Katz, begann in Admont ein System aufzubauen, in das alle bestehenden Gruppierungen integriert werden sollten und das die kulturellen und religiösen Hintergründe sowie die leidvollen Erfahrungen der Menschen berücksichtigte. Durch klar formulierte Projekte, die sowohl kurzfristig einen Erfolg brachten, als auch langfristig der Motivation dienten, versuchte man, die primären Bedürfnisse und die zukünftigen Ziele der DPs zu unterstützen. Die Selbstverwaltung der DPs war dabei von entscheidender Bedeutung, um den Menschen das Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten wieder zurückzugeben. Wenn möglich sollte das UNRRA-Team nur durch informelle Gespräche und in Gruppenkonferenzen ihr Wissen und ihre Empfehlungen weitergeben, um das Selbstbewusstsein und die Initiative der jüdischen Flüchtlinge nicht zu schwächen. Es dürfte oft nicht einfach gewesen sein zu entscheiden, welche Angelegenheiten dennoch direkte Einflussnahme erforderten. So war die UNRRA-Verwaltung im Lager dafür verantwortlich, dass die verschiedenen Vorschriften eingehalten wurden. Häufig kam es zu Diskussionen zwischen den verschiedenen Abteilungen der Militärverwaltung, des UNRRA-HQ und der UNRRA-Lagerverwaltung, wie einzelne Bestimmungen und vereinbarte Regeln zu handhaben seien. Eine Hauptaufgabe des UNRRA58 Sadie Lewis an den JCRA, 29. 11. 1948. WL, HC, 52/45. 59 Bericht Sadie Lewis, Monthly Report on Admont Camp, 23.10.–6. 12. 1948. WL, HC, 52/45.

Heribert Macher-Kroisenbrunner, Jüdische DPs in Südostösterreich

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Direktors war es auch, gute Beziehungen zu den örtlichen militärischen und zivilen Stellen zu unterhalten und eine Vermittlerposition einzunehmen. Direktor Katz beschrieb im Frühjahr 1947 in seinem Bericht „Admont Displaced Persons Camp – Its Background and History“ ausführlich die Herausforderungen der Arbeit in einem jüdischen DP-Lager. Folgende Verwaltungspraktiken und Eigenschaften des Personals hielt er für wesentlich:60 – Die Entsendung von gemischten jüdischen-nichtjüdischen Verwaltungsteams in jüdische DP-Lager : Die jüdischen DPs in Admont seien weitgehend isoliert von jeder jüdischen Gemeinde und viele sähen sich von einer feindlichen nichtjüdischen Mehrheit umgeben. Jüdisches Verwaltungspersonal könne daher leichter das Vertrauen der DPs gewinnen, so vermittelnd tätig werden und durch persönliche Integrität ein Vorbild darstellen. – Die Einstellung des Personals – die ehrliche Gleichbehandlung der DPs und die Aufrichtigkeit ihnen gegenüber – sei jedoch weit wichtiger als das Religionsbekenntnis. – Die UNRRA-Offiziere täten gut daran auch informellen Kontakt zu den DPs zu halten, trotz der oft hinderlichen Sprachbarrieren. – Den DPs müsse Verantwortung übertragen und ihre getätigte Arbeit geschätzt werden, wobei es in erster Linie um den Lernprozess und nicht die Qualität des Ergebnisses gehe. – Schließlich bilde Humor eine wesentliche Eigenschaft, die die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mitbringen sollten. Die eigentliche Lagerführung lag beim gewählten jüdischen Lagerkomitee, Maskirut genannt, und bei den gewählten jüdischen Lagerleitern. Der UNRRADirektor erwähnte in seinen Berichten mehrmals, dass sich die außergewöhnlich gute Entwicklung des Lagers Admont vor allem dieser Lagerführung verdanke.61 Der Lagerleiter Jacob Ehrlich und sein Stellvertreter Max Tell dürften emotional gefestigte Persönlichkeiten mit Willensstärke und Organisationstalent gewesen sein.62 Die interne Verwaltung wurde, um allen Gruppen die Möglichkeit zur Mitgestaltung zu geben, auf eine breite Struktur gestellt und war für Direktor Katz ein Höhepunkt in seinen Bemühungen, demokratische Werte und Minderhei60 Admont Displaced Persons Camp, Its Background and History, Team 314. UN Archives, AG018/Austria Mission 010/S-1496/0000-0011, 32–35. 61 Narrative Reports Kobenz, März; April 1946. UN Archives, AG-018/Austria Mission 010/S1496/0000-0116. 62 Nach sechs Monaten im November 1946 verließen Max Tell und Jacob Ehrlich das Lager mit unbekanntem Ziel. Nach einer Neuwahl übernahm ein fünfköpfiges Gremium die Lagerführung. Bei der Zusammenlegung der Kapfenberger Lager und dem Lager in Admont wurde ebenfalls ein neues Maskirut gewählt.

196

zeitgeschichte 47, 2 (2020)

tenrechte zu vermitteln.63 Folgende Faktoren kamen offenkundig der funktionierenden gemeinsamen Verwaltung entgegen: – Viele der DPs unterschiedlicher Nationalitäten waren durch das KibbuzSystem geprägt. Gemeinsame Ideale dienten als Grundlage für das Zusammenleben. – Die Bildung von Querschnittsausschüssen und Arbeitseinheiten. – Der Schwerpunkt der Verwaltung wurde auf gemeinsame Interessen bei der Organisation des Freizeit-, Bildungs- und Kulturprogramms gelegt. – Die jüdische Religion und Herkunft sowie die gemeinsame Leidensgeschichte wurden als bindende Faktoren angesehen. Die Organisationsstruktur der internen Verwaltung war wie folgt aufgebaut: Dem Lagerleiter Jacob Ehrlich waren direkt das Religionskomitee und das Registrierungsbüro sowie der Wohlfahrtsausschuss für die nicht in Kibbuzim organisierten DPs unterstellt. Sein Stellvertreter Max Tell verantwortete direkt die Magazine und die Küchen im Lager. Die wichtigsten Ausschüsse im Lager-Maskirut umfassten das Kultur- und Arbeitsprogramm sowie die Bereiche Sanitär, Gesundheit und Lagerinstandhaltung. Der Justizrat, Kollektivrat und die Lagerpolizei bildeten weitere eigenständige Bereiche des Maskirut. Parallel dazu wurde für die in Kibbuzim organisierten DPs ein eigener Rat gewählt, der auch im Maskirut vertreten war, aber eigene Ausschüsse bildete. Der Kibbuzim-Rat war wiederum aus den Vertretern der verschiedenen Organisationen und politischen Gruppierungen, auf die sich die Kibbuzim verteilten, zusammengesetzt. Hier fällt auf, dass vor allem links- bzw. sozialistisch-zionistische Jugendorganisationen (z. B. Hanoar Haoved, Hashomer Hatzair) im Lager vertreten waren. Mit der Bnei Akiva und HaKibbutz HaDati (Poale Misrachi) waren aber auch national-religiöse zionistische Bewegungen und mit dem Ichud eine Organisation, die einen arabisch-jüdischen Staat propagierte, präsent.64 Die politische Struktur im Lager Admont ist vergleichbar mit der Parteienlandschaft in Palästina oder anderen DP-Lagern in Europa. Die Zionisten waren alles andere als eine ideologisch geschlossene Gruppe und vor allem für junge Menschen ersetzten die Jugendorganisationen vielfach ihre ermordeten Familien. Wer einer politischen Partei angehörte, genoss zusätzlichen Schutz bzw. Betreuung und bei Verpflegung oder Transport Priorität.65

63 Admont Displaced Persons Camp, Its Background and History, Team 314. UN Archives, AG018/Austria Mission 010/S-1496/0000-0011, 18. 64 Internal Camp Government Admont. UN Archives, AG-018/Austria Mission 010/S-1496/ 0000-0011. 65 Vgl. Rolinek, Jüdische Lebenswelten, 97–101.

ART

NEWS

PAPER

ORCHES.

SCHOOL

TOY

LIBRARY

CINEMA

MAKING

THEATRE

SPORT

CAMP FORM.

WOOD

CUTTING

SANITRY

WORKS.

ELEC.

TAILOR

POLICE

REPAIR

SUPERMA.

CARPENTER

COBBLER

WORKSHOPS

GARAGE

GARDEN ELEC.

WATER +

MAINT. COM BARACK

LABOR COM

CULTURE COM

COUNSEL OF JUSTICE

REP. OF COLLECTIVES

CHAIRMAN OF

SAN.

CAMP SAN.

BARACK

SANITATION COM

PHARM.

HOSP.

DENTIST

DISP.

HEALTH COM

HASHOMER

COM

COM

COM CULTURE

COM DISCIP.

SUPPLY

xxx

LABOR

COM SANITAIR

COM

LEADER

ICHUD

BETH´AR

MISRACHI

POALE

KITCHEN

COLLECTIVE

(VAAD CHALUTZ)

CHAIRMAN OF

COUNCIL OF COLLECTIVES

CHAIRMAN OF

MAGAZINE

(MASKERUT)

PAYMENT

CHAIRMAN OF

CHAIRMAN OF

DEPUTY CAMP LEADER

CAMP COUNCIL

S Y NAG O UG E ǁ REL. INS T.

RELIGIOUS COMMITEE

FOR

COMMITEE

NON-COLLECTIVE

CAMP LEADER

In t er n a l C a mp G o v er n men t A d m o n t D. P . C a m p

AKIVAM

BNAI

HANOAR

HABUNIM

DROR

HAOVED

KITCHENS

Heribert Macher-Kroisenbrunner, Jüdische DPs in Südostösterreich

197

Abb. 2: Interne Organisationsstruktur des jüdischen DP-Lagers Admont, Mai bis November 1946 (Quelle: United Nations (UN) Archives/AG-018/Austria Mission 010/S-1496).

198

zeitgeschichte 47, 2 (2020)

Polnisch-jüdische DPs

rumänisch-jüdische DPs

Sons"ge Na"onalitäten

Gesamtanzahl jüdische DPs

ungarisch-jüdische DPs

2500

2000

1500

1000

500

0

Abb. 3: Nationalitäten und Anzahl der jüdischen DPs im Lager Admont, Mai 1946 bis Juni 1947 (statistisches Material aus UN Archives, AG-018/Austria Mission 010/S-1494).

Die Zusammensetzung der Lagerbevölkerung in Admont nach Nationalitäten, Alter und Geschlecht änderte sich im Laufe der 14 Monate unter der UNRRAVerwaltung, vor allem durch eine illegale Zu- und Abwanderung stetig (Abb. 3/4): – Insgesamt wurden 273 DPs freiwillig nach Ungarn bzw. Rumänien repatriiert; – es konnten nur sieben DPs an Resettlement-Programmen teilnehmen; – in Summe verließen 144 DPs das Lager aufgrund von Familienzusammenführungen in Richtung US-Zone (bei über 400 Anträgen, was die im Sommer und Herbst 1946 steigenden illegalen Abreisen miterklärt); – illegale Abreisen: 1.385 DPs. Ab Juli 1946 übertraf die Zahl der polnisch-jüdischen Flüchtlinge die der rumänisch-stämmigen. Diese Gruppe sowie die ungarisch-jüdischen Flüchtlinge reduzierten sich im Laufe des Jahres 1946 durch Repatriierungen wiederum laufend. Vor allem die illegalen Ausreisen veränderten die Zusammensetzung der Lagerbevölkerung auch in Hinblick auf Alter und Geschlecht (Abb. 4). Wenn man sich die Alters- und Geschlechtsstruktur der Lagerbewohner in Admont ansieht, so fällt auf, dass der Anteil der 15- bis 45-jährigen Männer im gesamten Betrachtungszeitraum sinkt. War dieser Wert im Juli 1946 mit 55,04 Prozent am höchsten, so betrug er im Juni 1947 nur mehr 41,11 Prozent. Der Anteil der 15- bis 45-jährigen Frauen blieb hingegen nahezu konstant zwischen 31,13 (Oktober 1946) und 27,26 (September 1947) Prozent. Diese hohen Werte dieser Altersgruppe belegen, dass sich hauptsächlich junge Menschen auf

Heribert Macher-Kroisenbrunner, Jüdische DPs in Südostösterreich

%

45 und Älter

Männer 18 bis 44

Frauen 18 bis 44

14 bis 17

Kinder 1 bis 13

Babys unter 1

199

60,00 50,00 40,00 30,00 20,00 10,00 0,00

Abb. 4: Alters- und Geschlechtsstruktur im Lager Admont, Mai 1946 bis Juni 1947 (statistisches Material aus UN Archives, AG-018/Austria Mission 010/S-1494).

den Weg nach Westen gemacht und die britische Besatzungszone erreicht hatten. Aufgrund der verschärften Grenzkontrollen wagten sich anscheinend wiederum mehr junge Männer von hier auf den Weg weiter in Richtung US-amerikanischer Zone. Ein weiterer Grund für den geringen Anteil der Über-45-Jährigen (nie mehr als 5,05 Prozent) dürfte gewesen sein, dass den Holocaust vorwiegend junge Juden und Jüdinnen überlebt hatten. Im Lager zurück blieben vor allem Familien mit kleinen Kindern und schwangere Frauen, die Wert auf mehr Privatsphäre, eine gute Kinderbetreuung und Schulunterricht legten. So stieg der Säuglingsanteil von 0,54 Prozent im Juli 1946 auf 6,95 Prozent im Juni 1947. Auch der Kinderanteil stieg in diesem Zeitraum (1- bis 5-Jährige bzw. 6- bis 13-Jährige) von ca. zwei Prozent auf jeweils über sechs Prozent. Wie aus Abb. 5 ersichtlich, nahm die Zahl der Flüchtlinge nach der Zusammenlegung mit den beiden Kapfenberger Lagern im Sommer 1947 – zuerst moderat – weiter ab, um zwischen September und November 1947 von 1.626 auf 1.032 zu fallen. Diese Differenz war zum einen dem Anlaufen des Programmes „Grand National“ und zum anderen einer gut organisierten illegalen Abwanderung geschuldet.66 Die drastische Abnahme der Lagerbevölkerung veränderte das Lagerleben nachhaltig. Viele Arbeitsprogramme und Aktivitäten konnten nicht mehr im 66 Der zuständige britische Lagerleiter Hall wurde daraufhin von seinen Pflichten entbunden und das „Q“ Assembly Centre Admont wurde eine selbständige Einheit unter dem neuen Lagerkommandanten Wing Commander M. Tod. Vgl. Macher-Kroisenbrunner, Admont, 103–104.

200

zeitgeschichte 47, 2 (2020)

Gesamtanzahl DPs 2000 1800 1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0

Abb. 5: Anzahl der jüdischen DPs im Lager Admont, Juni 1947 bis November 1948 (statistisches Material aus TNA, PRO, FO 1020/2407).

selben Umfang weitergeführt werden und auch die Sozialstruktur im Lager hatte sich gewandelt. Die kräftigsten und entschlussfreudigsten Flüchtlinge hatten das Lager verlassen und zurück blieben vor allem jene, die sich Hoffnung auf ein baldiges Visum machten, Familien mit kleinen Kindern und Kranke. Auch die Spannungen unter den DPs nahmen zu und der heranrückende, für viele DPs bereits dritte Winter in Österreich belastete die Stimmung. So konnte sich die Gemeinschaft im Februar 1948 bei der Wahl eines neuen Lagerkomitees nicht auf drei geeignete Kandidaten einigen.67 Die Stimmung im Lager verbesserte sich erst mit der Ausrufung des Staates Israel am 14. Mai 1948 merklich.68

VI.

Jüdische Lebenswelten und Aspekte der Beschäftigungsprogramme

Das Barackenlager Admont war zwischen Juni und November 1938 für das III. Bataillon des Gebirgsjägerregimentes 138 auf einem Grund des unter NS-Treuhand stehenden Stifts Admont errichtet worden.69 Das Lager war gut ausge67 Brief von Sadie Lewis an Oscar Joseph, 5. 3. 1948. WL, HC 52/45. 68 Bericht Sadie Lewis, Report on Admont Camp, 14. 7. 1948. WL, HC, 52/45. 69 Vgl. Josef Hasitschka, Das Wehrmachtslager- und Flüchtlingslager in Admont 1938 bis 1949. Ein Geschichte-Projekt der 4.B-Klasse unter der Leitung von Josef Hasitschka. Stiftsgymnasium Admont, Juni 2004, 5.

Heribert Macher-Kroisenbrunner, Jüdische DPs in Südostösterreich

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stattet, die Nähe zur amerikanischen Zone sowie die vor allem im Winter isolierte Lage im Ennstal stellten sich jedoch für die Beherbergung der jüdischen Flüchtlinge als Nachteil heraus. Es standen auf dem Lagergelände auf einer Fläche von 15,4 ha mehr als 50 Baracken, darunter 22 winterfeste Wohnbaracken mit einer Grundfläche von bis zu 60 x 10 m. Jede Wohnbaracke konnte in 12 bis 18 Schlafräumen zwischen 80 und 100 Personen beherbergen. Das Wasser kam aus Quellen, die ein Reservoir speisten. Von dort wurde es in die einzelnen Baracken geleitet. In einem eigenen Badehaus mit 16 Duschen und einem eigenen Heizsystem konnte dreimal die Woche heiß geduscht werden, wobei die Frauen das Badehaus am Morgen und die Männer am Abend nutzen durften. In jeder Wohnbaracke gab es zwei nach Geschlechtern getrennte Toiletten mit insgesamt sechs Wasserklosetts und Urinale. Das Abwasser aus den Toiletten wurde zentral in einem Tank gesammelt und auch für den Abfall stand in jeder Baracke ein Behälter bereit. In mehreren Küchen wurde auf Holzöfen das Essen zubereitet und das Warmwasser zum täglichen Gebrauch erhitzt. Außerdem verfügte das Lager über einen eigenen drei Kubikmeter großen Kühlraum.70 Einer der zentralen Bereiche neben der Grundversorgung der Menschen, auf den alle Organisationen besondere Aufmerksamkeit richteten, war der Aufbau von Arbeits- und Schulprogrammen und eine abwechslungsreiche Freizeitgestaltung. Für die jüdischen Flüchtlinge spielte eine möglichst umfassende Bildung eine wichtige Rolle. Sie wollten für ihre Kinder eine bessere Zukunft und ein selbstbestimmtes Leben. Ebenso war die Mehrheit der Flüchtlinge bei Kriegsausbruch und Vertreibung noch sehr jung gewesen und viele konnten erst im DP-Lager mit einer Berufsausbildung beginnen. Die Arbeitsprogramme machten das Lagerleben erträglicher und dienten vor allem zum Aufbau einer mental stabilen Lagergemeinschaft, der psychologischen Rehabilitation und nicht zuletzt der Vorbereitung auf ein künftiges Leben in Palästina. Im Lager gab es eine Vielzahl an Beschäftigungsmöglichkeiten. In den Magazinen, Küchen und in der Verwaltung wurden so viele Flüchtlinge wie möglich eingesetzt. Auch durch das Gesundheits- und Sanitärprogramm, die Schul- und Kulturprojekte sowie die Tierhaltung und den Gemüseanbau konnten viele Männer und Frauen beschäftigt werden. Daneben gab es verschiedene Werkstätten. So übernahmen die Flüchtlinge die Wartung, den Betrieb und den permanenten Ausbau des Lagers und führten Installationen und Reparaturen aller Art selbst aus. Eine Zimmerei, Schmiede, Garage, elektrische Werkstätte, Schusterei, Schneiderei und ein Friseurladen boten für viele die Möglichkeit, ihr ehemals erlerntes Handwerk wieder auszuüben bzw. ein Handwerk neu zu erlernen. 70 Admont, Initial Survey of DP Camp Sanitary Facilities, 21. 11. 1945. UN Archives, AG-018/ Austria Mission 010/S-1496/0000-0117; vgl. auch Macher-Kroisenbrunner, Admont, 41–42.

202

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Die Holzbringung für das Lager ist ein gutes Beispiel, um auf die interne Organisation eines Arbeitsprogramms näher einzugehen. Holz wurde im Lager in großen Mengen für die unterschiedlichsten Zwecke benötigt, diente aber vor allem als Brennmaterial für die Öfen, auf denen gekocht und geheizt wurde. Im August 1946 schätzte die Lagerverwaltung die benötigte Menge, um an „einem der kältesten Punkte Österreichs“71 durch den Winter zu kommen, auf 5.000 Festmeter Holz.72 Es wurde eine eigene Holzbrigade aufgestellt und im August mit der Holzbringung begonnen. Dem Lager wurde ein eigener, zum Stift gehörender Wald am Leichenberg bei Admont zugewiesen. Dieser inzwischen wieder aufgeforstete Wald ist in der Umgebung noch heute als so genannter „Judenschlag“ bekannt.73

Abb. 6: Holzarbeit in DP-Lager Admont (Quelle: USHMM/Abraham Getman photographs 2003.477.1).

Die Forstarbeiter erhielten vom österreichischen Arbeitsamt geringe Löhne, im Lager Zusatzrationen und im Winter zusätzliche warme Kleidung.74 Im August 1946 gehörten der Holzbrigade insgesamt dreißig Holzfäller an, die 54 Wo71 Admont Displaced Persons Camp, Its Background and History, Team 314. UN Archives, AG018/Austria Mission 010/S-1496/0000-0011, 23. 72 Narrative Report Admont, August 1946. UN Archives, AG-018/Austria Mission 010/S-1496/ 0000-0117. 73 Vgl. Hasitschka, Das Wehrmachtslager- und Flüchtlingslager in Admont, 13. 74 Admont Displaced Persons Camp, Its Background and History, Team 314. UN Archives, AG018/Austria Mission 010/S-1496/0000-0011, 24.

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chenstunden zu arbeiten hatten.75 Neben diesen Holzfällern wurde aber auf Befehl des Maskirut jeder Mann, der körperlich dazu in der Lage war, zur Holzbringung herangezogen. Diese Anweisung wurde auch konsequent umgesetzt und nur durch eine ärztliche Bescheinigung konnten sich die DPs davon freistellen lassen, ansonsten sollten sie keinen Anteil am Brennholz bekommen. Jeder männliche DP im Lager wurde für mindestens einen Tag in der Woche von seinen anderen Tätigkeiten freigestellt, um beim Transport oder der Holzzerkleinerung zu helfen. DPs, die keiner geregelten Beschäftigung nachgingen, wurden dem Programm häufiger zugewiesen. Im Lager wurde ein zentraler Holzlagerplatz eingerichtet, von dem aus die öffentlichen Bereiche (Küchen, Schule, Krankenabteilung, Verwaltung) sowie Familien bzw. Einzelpersonen, die nicht in der Lage waren, sich bei der Holzbringung zu beteiligen, versorgt wurden. Die Kibbuzim-Gruppen im Lager organisierten ihr Holz unabhängig von der restlichen Lagergemeinschaft und erhielten dafür nach einem Zeitplan die nötigen Transportmöglichkeiten zur Verfügung gestellt.76 Das gesamte Arbeitsprogramm wurde von einem Mitglied des Lager-Maskirut geleitet und überwacht. Wenn bei einer der häufigen Kontrollen ein Arbeiter oder eine Arbeiterin ohne Erlaubnis der zugewiesenen Tätigkeit ferngeblieben war, verlor diejenige Person automatisch die Anstellung und wurde von der Lagergemeinschaft ausgegrenzt. Dies war aus Sicht der Lagerleitung notwendig, da es kaum materielle oder finanzielle Anreize zur Arbeit gab. Die Zusatzrationen und Zusatzzigaretten blieben den einzelnen Beschäftigten – die Kibbuzim-Gruppen teilten jedoch auch diese Rationen unter allen ihren Mitgliedern auf. Die geringen Zahlungen vom österreichischen Arbeitsamt, die aber nur ein Bruchteil aller Beschäftigten erhielt, wurden auf alle Arbeiter und Arbeiterinnen aufgeteilt und verringerten sich dementsprechend. Obwohl bei einigen Gelegenheiten einzelne Beschäftigte mehr Kleidung und größere Zusatzrationen forderten, war der moralische Druck der Lagergemeinschaft und des Maskerit so groß, dass sie schließlich ihre Arbeit wiederaufnahmen.77 Ein weiterer wichtiger Faktor, ein solides Arbeitsprogramm innerhalb der Lagergemeinschaft aufzubauen, war die strikte Weigerung der jüdischen DPs, in der zivilen österreichischen Wirtschaft zu arbeiten. Nach der Einführung des österreichischen Arbeitspflichtgesetzes, in welches auch die DPs in den Lagern miteinbezogen worden waren, hätten die jüdischen DPs in Admont Arbeit in der lokalen Wirtschaft annehmen müssen. Es kam jedoch im September 1946 zu einer Einigung mit der Militärregierung, die auf die besondere Situation der 75 Liste der Holzarbeiter im Lager Admont. Archiv der Marktgemeinde Admont, keine Signaturen. 76 Admont Displaced Persons Camp, Its Background and History, Team 314. UN Archives, AG018/Austria Mission 010/S-1496/0000–0011, 23–24. 77 Ebd.

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jüdischen Flüchtlinge einging und sie von der Arbeitsverpflichtung befreite.78 Dennoch arbeiteten einige Lagerbewohner zwecks Ausbildung in Zimmereiund Elektrobetrieben in der Region.79 Der Anteil der im Lager Beschäftigten, die vom Arbeitsamt bezahlt wurden, durfte einen gewissen Schlüssel nicht übersteigen. Für das DP-Lager Admont mit einer Belegung zwischen 1.000 und 3.000 Bewohnern waren dies maximal sieben Prozent der Lagerbevölkerung.80 Die gesamte Beschäftigungsrate lag im Lager dagegen zwischen 30 und 45 Prozent (siehe Abb. 7). Gesamtanzahl beschä!igte DPs

beschä!igte Männer

beschä!igte Frauen

Beschä!igte, vom Arbeitsamt bezahlt

Gesamtanzahl jüdische DPs 2500 2000 1500 1000 500 0

Abb. 7: Beschäftigung im Lager Admont, Mai 1946 bis Juni 1947 (statistisches Material aus UN Archives, AG-018/Austria Mission 010/S-1494).

Konnte die Organisation der Holzbringung im Sommer 1946 noch als Beispiel für ein funktionierendes Arbeitsprogramm herangezogen werden, so ist sie in den darauffolgenden Jahren symptomatisch für den Niedergang des Gemeinwesens. Schon bei der Übernahme der Lagerverwaltung im Juli 1947 vermerkte Lagerkommandant Pack in einer Niederschrift: „The cutting and hauling is far behind schedule and only a very small reserve is stock piled in camp. An organized programme has now been arranged and the position should soon improve in a marked degree.“81 Das Lager wies in dieser Phase aber schon zu wenige einsatzbereite Erwachsene auf. Von den 1.200 erwachsenen DPs konnte von weniger als 500 78 79 80 81

Vgl. Albrich, Exodus durch Österreich, 175. Bericht Julius Elias, Field Worker’s Report, 31. 3. 1947. WL, HC 52/45. Vgl. Stieber, Nachkriegsflüchtlinge, 193–194. Report in Taking over of Admont, 8. 7. 1947. TNA, PRO, FO 1020/3337.

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überhaupt ein Arbeitseinsatz verlangt werden.82 Über die Marktgemeinde Admont suchte die Lagerverwaltung nach Arbeitskräften, die diese Lücke füllen sollten: „Das DP Lager Admont sucht dringend 10 Holzarbeiter. Geboten werden die Schwerarbeiterzusatzkarten und zusätzliche Lebensmittel und Rauchwaren aus Zuteilungen des Lagers.“83 Im Winter 1948/49 wurde die Brennholzbringung gänzlich eingestellt. Das Lager wurde in diesem Winter mit Kohle versorgt bzw. die leerstehenden Baracken von den DPs abgetragen und als Brennholz verwendet.84

VII.

Die Kontakt- und Konfliktzonen im Umfeld der jüdischen DP-Lager

Die Kontakte zwischen den jüdischen DPs und den österreichischen Behörden, den britischen Verwaltungs- und Sicherheitseinheiten und der Ortsbevölkerung waren vielschichtig und komplex. Es gab viele Kontakt- und Konfliktzonen. Die DP-Lager waren bedeutende wirtschaftliche Faktoren in der Region. Es gibt mannigfaltige Belege, die von der wirtschaftlichen Bedeutung der DP-Lager zeugen. Beispielhaft sei hier ein Konflikt zwischen mehreren Fleischhauern erwähnt, die sich um das Recht stritten, die Fleischlieferungen ins Lager Admont durchführen zu dürfen. In einem Schreiben der UNRRA vom Juni 1946 an die Marktgemeinde Admont wurde diese davon in Kenntnis gesetzt, dass die Fleischlieferungen ins Lager, die bisher von vier Fleischhauern aus der Umgebung bewerkstelligt worden waren, von nur mehr einem Fleischhauer übernommen werden sollten. Darauf reagierten die übrigen drei mit dem Einspruch, sie hätten sich aufgrund bestehender Lieferverträge bereits mit Vieh eingedeckt und würden es ohne die Lieferungen ins Lager nicht an den „Mann“ bringen. Der Bürgermeister schloss sich diesem Einspruch an und bat um Beibehaltung der bisherigen Aufteilung.85 Als Reaktion auf dieses Schreiben und nach einer Intervention der Bezirksbauernkammer stellte UNRRA-Direktor Katz klar : „Die Bezirksbauernkammer, Liezen, hatte heute diesbezüglich telefonisch Einspruch erhoben und eine Andeutung auf etwaige Schwierigkeiten hingewiesen, die bei der Heranführung von Vieh entstehen könnten. Die UNRRA hat dies zur Kenntnis genommen, und wird falls solche Hemmungen wirklich eintreten, es der Militärregierung vorbringen. Die UNRRA ist stets bestrebt mit den örtlichen Verwaltungen in gutem 82 Vgl. Albrich, Exodus durch Österreich, 175. 83 Aushang vom 12. 10. 1947. Archiv der Marktgemeinde Admont. 84 Protokoll der Landesregierung Steiermark, 10. 6. 1949. Steiermärkisches Landesarchiv (StLA), 9-125 L-A1/49. 85 Schreiben der Marktgemeinde Admont an die UNRRA-Verwaltung Admont, DP Lager Admont Fleischbezug, 1. 7. 1946. Archiv der Marktgemeinde Admont.

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Einvernehmen zusammen zu arbeiten. In diesem Falle behält sich die UNRRA das Recht vor, von demjenigen Lieferanten sich beliefern zu lassen, den sie für den besten hällt [sic!].“86

Abgefangene Briefe und Telefonmitschnitte der britischen Zensur geben einen Einblick in die vorherrschende Stimmung in der Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen. „Landplage“ als Bezeichnung für die Flüchtlinge ist noch ein relativ harmloser Ausdruck.87 Der Lagerbewohner Ernst Gruft wiederum berichtete im September 1946 in der in Jiddisch herausgegeben Lagerzeitschrift „Admonter Hajnt“ von einer Diskussion, die er während einer Zugfahrt nach Graz in seinem Abteil mitverfolgt hatte. Beschwerden über die Lebensmittel-Sonderzuteilungen für die DPs, über eine plutokratische-kapitalistische jüdische Clique, über eine „verjudete“ Regierung sowie über die „Barbarei“ der Sieger hätten sich aneinandergereiht, überhaupt seien die Juden an allem schuld. Der Bericht schließt mit einem verzweifelten Aufschrei und der Erkenntnis Grufts, dass seine schmerzvoll durchlebten Kriegsjahre und die Millionen Opfer umsonst gewesen seien, da sich die Menschen nicht nur nicht geändert hätten, nein, sie seien sogar noch schlechter geworden: „Wehe dem, der nicht erkennt den Wolf und den Schafspelz, den er trägt. Die Atom-Bombe hat ihr Ziel verfehlt.“88 Es gibt jedoch auch viele Belege dafür, dass ein Teil der Ortsbevölkerung einen freundschaftlichen Umgang mit den Flüchtlingen pflegte – bis hin zu gemeinsamen Kindern, die aus Kontakten zwischen jüdischen DPs und Österreicherinnen entstanden.89 Seitens der britischen bzw. österreichischen Sicherheitsbehörden wurden drei Konfliktbereiche in ihrem Verhältnis zu den jüdischen Flüchtlingen immer wieder thematisiert: – Die illegalen An- und Abreisebewegungen der jüdischen DPs; – kriminelle Aktivitäten (Flurdiebstähle, Schwarzmarkt) – sowie Vorfälle, die als Beweis für eine antibritische Einstellung herangezogen wurden (z. B. Demonstrationen gegen die britische Präsenz in Palästina). Teilweise schaukelten sich die Konflikte dermaßen hoch, dass britische Militäreinheiten angefordert wurden, um die Lage zu beruhigen. Es wurden auch immer wieder teils sehr umfangreiche Razzien und Inspektionen im Lager durchgeführt. Es existieren mehrere Belege, die bezeugen, dass dabei einzelne 86 Schreiben von M. M. Katz an den Bürgermeister von Admont, 2. 7. 1946. Archiv der Marktgemeinde Admont. 87 Postal Comment Sheet, Eigenmächtigkeiten von Juden aus dem Lager Admont, 21. 5. 1946. TNA, PRO, FO 1020/2410. 88 Ernst Gruft, Der wolf in szepsenen fell, Admonter Hajnt, Nr. 7, 5. 9. 1946, 11–12. 89 Dem Autor sind zwei solcher Fälle bekannt.

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Angehörige sowohl der britischen als auch der österreichischen Sicherheitsbehörden eine klar antisemitische Haltung an den Tag legten.90 Mit der endgültigen Zusammenlegung der jüdischen DP-Lager im Jahr 1947 und der Wiederübernahme der Verwaltung durch die britischen Behörden kam es – wie oben bereits erwähnt – zu einschneidenden Veränderungen im Lageralltag. Das über den Sommer 1946 aufgebaute Lager- und Gemeinwesen wurde an die neuen Bedingungen angepasst. Standen im Jahr 1946 noch die Rehabilitierung und das Bemühen, die primären Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, im Mittelpunkt, so stand das Jahr 1947 mit der sich abzeichnenden Staatsgründung Israels ganz im Zeichen der Weltpolitik. Die jüdischen DPs in Admont fühlten sich in der britischen Zone abgeschnitten vom Geschehen. Die Flüchtlinge wollten endlich ein neues Leben beginnen und konnten sich für die bestehenden Arbeits- und Freizeitprojekte immer weniger motivieren. Auch innerhalb der Lagergemeinschaft kam es jetzt zu Spannungen. Im Sommer 1947 ereignete sich in Österreich eine Anschlagsserie, die das Verhältnis zwischen der britischen Lagerverwaltung und den jüdischen Flüchtlingen belastete. Verantwortlich für die Bombenattentate auf britische Einrichtungen in Österreich war die jüdische Untergrundorganisation Irgun Zwai Leumi (Irgun).91 Der erste Anschlag wurde am 12. August auf einen britischen Armeezug in der Nähe von Mallnitz verübt, bei dem es wie durch ein Wunder keine Schwerverletzten gab. Am 14. August explodierte eine weitere Bombe im Wiener Hotel Sacher und wenige Tage später eine weitere vor dem britischen Hauptquartier in Velden.92 Die britischen Sicherheitseinheiten rechneten mit negativen Auswirkungen auf die Stimmung in der österreichischen Bevölkerung, sie befürchteten zudem eine Zunahme des offenen Antisemitismus und dass nationalsozialistische Untergrundorganisationen daraus Vorteile ziehen könnten.93 Aber auch innerhalb des Lagergeländes in Admont kam es zu einem Anschlag. Am 30. Oktober 1947 um 15.30 Uhr explodierte eine zwischen Baracke 10 und Sportplatz von Mitgliedern bzw. Sympathisanten der Irgun platzierte Propa90 M. M. Katz an Major Moylan, Complaint from Admont Gendarmerie, 3. 8. 1946, Admont Displaced Persons Camp, Its Background and History, Team 314. UN Archives, AG-018/ Austria Mission 010/S-1496/0000-0011, Appendix C. 2b; Security Search DP Camp Admont, Bericht J. W. Pack, 19. 11. 1947. TNA, PRO, FO 1020/2408. 91 Vgl. Albrich, Exodus durch Österreich, 175–176. Die Irgun war eine paramilitärische zionistische Untergrundorganisation, die mehrere terroristische Anschläge mit duzenden Opfern gegen die arabische Bevölkerung Palästinas und gegen die britische Mandatsmacht verübte. 92 Auch das von vielen britischen Reisenden frequentierte Grazer Hotel Wiesler war von einer telefonischen Bombendrohung betroffen. 93 Fortnightly Security Intelligence Report No. 18/47, 14. 8. 1947–27. 8. 1947. TNA, PRO, FO 1020/3178.

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gandabombe. Der Versorgungoffizier des Lagers berichtete von einem lauten Geräusch und einen Zylinder aus Karton, der etwa sechs Meter in die Luft stieg und explodierte. Spätere Ermittlungen zeigten, dass der etwa zwei Zoll im Durchmesser dicke Zylinder von einem Ring aus Metall zusammengehalten und die kleine Zündladung mittels einer Zigarette gezündet worden war. Die in die Luft geschleuderten Flugblätter verstreuten sich in einem Umkreis von 30 Metern. Auf ihnen waren zwei Zeichnungen mit einem britischen Soldaten zu sehen. Eine Zeichnung war mit der Jahreszahl 1947 versehen und zeigte den Soldaten in wohlwollender Pose zur Haganah.94 Die andere Zeichnung bildete das Gegenteil ab und sollte eine Szene im Jahr 1946 darstellen. Darunter stand „Jüdische Agenten aus Nazi-England“ auf Hebräisch, Jiddisch, Ungarisch und Rumänisch.95 Erst nach der Staatsgründung Israels beruhigte sich die Lage. Die britischen Behörden hatten nun das Interesse an den jüdischen Flüchtlingen verloren und drängten auf eine baldige Ausreise. Als letzte gemeinsame Aktion der jüdischen DPs in Admont, bevor im November 1948 der Großteil das Lager verließ, wurde am Leopoldsteinersee ein Mahnmal für die beim Todesmarsch durch die Steiermark ermordeten Juden und Jüdinnen eingeweiht.96 In Österreich blieben nur wenige jüdische Flüchtlinge, dennoch bildete diese Gruppe letztlich die Basis für die Neugründung einer jüdischen Gemeinde in Graz. Die ersten jüdischen Gottesdienste in Graz fanden bereits zu Jahresende 1945 unter der Leitung eines britischen Militärrabbiners und unter Beteiligung jüdischer Besatzungssoldaten statt. Die jüdische Gemeinde konstituierte sich im Frühjahr 1946 unter der Schirmherrschaft des AJDC neu.97 Von den 83 Mitgliedern im April 1947 waren zunächst nur 22 ehemalige Gemeindemitglieder.98 Insgesamt waren es im Raum Südostösterreich nach dem Krieg keine 200, von den laut Volkszählung 1934 über 3.000 in diesem Gebiet lebenden Jüdinnen und Juden, die hofften in Graz ihre Existenzen wieder aufbauen zu können und zurückgekehrt waren. Die Hoffnungen und Vorstellungen, die geraubten Wohnungen erneut beziehen und die zerstörten Geschäfte wieder betreiben zu 94 Die Haganah wurde infolge eines Judenpogroms in Jerusalem im Jahr 1920 gegründet und wurde als zionistische paramilitärische Untergrundorganisation geführt, die einen hohen Anteil der wehrfähigen jüdischen Bevölkerung Palästinas erfasste. 95 Propaganda leaflet spreader, 31. 10. 1947. TNA, PRO, FO 1020/2411. Aus Unzufriedenheit mit der insgesamt eher moderaten Haltung der Haganah spaltete sich 1931 deren rechter Flügel ab und bildeten die Irgun. 96 Vgl. Macher-Kroisenbrunner, Admont, 112–114. Zu den Todesmärschen siehe Heimo Halbrainer/Victoria Kumar (Hg.), Kriegsende 1945 in der Steiermark. Terror, Kapitulation, Besatzung, Neubeginn, Graz 2015. 97 Liaison, Austrian, Hyman Yantian. JDC Archives, G_45-54/4/20/1/AU.9, 743396; Privatarchiv Yantian, Berlin. 98 Ebd.

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können, stellte sich rasch als uneinlösbar heraus und ähnlich wie die jüdischen DPs in den Lagern machten sich daher viele RückkehrerInnen neuerlich auf die Suche nach einer neuen Heimat außerhalb Europas.

VIII. Resümee Nachdem die letzten jüdischen DPs Admont und die Steiermark verlassen hatten und auf dem Gelände des Lagers Ein- und Mehrfamilienhäuser entstanden, wurden die Ereignisse rund um dieses Flüchtlingslager von der Bevölkerung nach und nach vergessen. Erst als Ende der 1980er die ersten Kinder, die im DPLager geboren worden waren, nun als Erwachsene nach Admont zurückkamen, um den Ort ihrer Geburt zu besuchen, wurde das Lager wieder in das kollektive Gedächtnis des Ortes gerufen. Heute sind die EinwohnerInnen der Marktgemeinde Admont stolz darauf, dass ihre Gemeinde in schweren Zeiten Platz und Betreuung für so viele Menschen geboten hat. Einfach war das Zusammenleben für beide Seiten jedoch nicht, die jüdischen DPs wurden in ein ungewolltes Lagerleben in einem Land, das negative Assoziationen auslöste, gezwungen. Sie wurden durch die Hilfslieferungen von Militärs, UNRRA, AJDC und JCRA besser versorgt als die umliegende Bevölkerung. Dieser Umstand und die große Zahl an DPs in dem kleinen Ort führte in der von antisemitischen Vorurteilen noch geprägten Bevölkerung zu einigem Konfliktpotential. Das Lagerleben zwischen 1946 und 1949 veränderte sich stetig, wobei sich zwei wirkmächtige Zäsuren feststellen lassen: die Übernahme der Verwaltung durch die UNRRA, wodurch die jüdischen DPs begannen, ihre Lager in Selbstverwaltung zu führen, sowie die Beendigung der UNRRA-Mission im Sommer 1947. Beide Ereignisse führten nicht nur zu einer Änderung in der äußeren Verwaltung des Lagers, sondern durch Zusammenlegung verschiedener DPGruppen auch zu einer Reorganisation der inneren Verwaltung. Kann die erste Phase beginnend mit dem Lager Kobenz als Zeit des Aufbaus und der Rehabilitation betrachtet werden, so beginnt im Sommer 1947 – ausgelöst durch weltpolitische Ereignisse wie der sich abzeichnenden Staatsgründung Israels – eine Phase des Wartens auf die Ausreise. Mit den stetig geringeren Belegungszahlen im Lager ging ein langsamer Verfall der Lagergemeinschaft einher. Der Einfluss des AJDC, JCRA und weiterer jüdischer Organisationen auf das Lagerleben kann nicht genug betont werden. Erst durch die umfangreichen Hilfslieferungen und den Einsatz von SozialarbeiterInnen konnte im Zusammenspiel mit der britischen Verwaltung und den österreichischen Behörden ein funktionierender Lagerbetrieb aufrechterhalten werden.

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„Mindestens eine Synagoge befand sich in allen Lagern“. Religiöser Neuanfang in den DP-Camps in Deutschland1

„Es war der Abend von Rosch HaSchana2, als ich in Frankfurt ankam“, berichtete Alexander Rosenberg, ein orthodoxer Rabbiner, der im Herbst 1945 im Auftrag der jüdisch-amerikanischen Hilfsorganisation Joint3 seine befreiten Glaubensgenossen in den Camps für Displaced Persons (DPs) in Deutschland besuchte. „Man brachte mich unverzüglich ins DP-Lager Zeilsheim. Dort fand ich eine im Aufbau befindliche religiöse Organisation, die sich in einfacher Weise um die Bedürfnisse der Menschen kümmerte. In einem Raum für etwa 150 Personen sollten die Gottesdienste während der hohen Feiertage stattfinden. Es gab keine koschere4 Küche, keine Ritualien; sie hatten Gebetbücher, aber keine Ahnung vom religiösen Brauchtum.“5

1 Der Text gibt einen Einblick in das Forschungsprojekt „,Der Kampf um die Seelen‘ – TalmudThora-Schulen in Deutschland 1945–1950“. Hierbei soll die Geschichte der jüdischen Orthodoxie, ihre Wiedergeburt in den DP-Camps, ihr Kampf gegen die weitgehend säkularisierte Gesellschaft innerhalb der Scheerit Haplejta (hebr. „Rest der Geretteten“), die wichtige Rolle der jüdischen Militärkaplane sowie die der wenigen überlebenden osteuropäischen Rabbiner dokumentiert werden. Mit der Verfolgung und Vernichtung der Juden war auch deren religiöses Leben fast vollständig zerstört worden. Nur wenige Strenggläubige hatten überlebt. Dennoch entwickelte sich im Transit der DP-Camps ein an der Thora ausgerichtetes spirituelles Leben. Bereits kurz nach Ende des qualvollen Lager-Martyriums versuchten Gläubige, zu ihrer traditionellen Lebensweise zurückzukehren. Sie kämpften dafür, dass Synagogen, Mikwaot und koschere Küchen in den jüdischen DP-Camps und -Communities eingerichtet wurden. Die Ergebnisse unserer Recherchen, die insbesondere in verschiedenen US-amerikanischen und israelischen Archiven durchgeführt wurden, werden auf unserem Internetportal www.talmud-thora.de als lexikalische Einträge und Hintergrundartikel über Einrichtungen oder deren agierende Personen veröffentlicht. Das Projekt versteht sich als „work in progress“. 2 Jüdisches Neujahrfest, wird nach dem jüdischen Kalender am 1. Tischri gefeiert (September/ Oktober). 3 Gebräuchliche Abkürzung von American Jewish Joint Distribution Committee, einer 1915 in den USA gegründeten jüdischen Wohlfahrtsorganisation. 4 Koscher: rein, gemäß den religiösen Vorschriften. 5 Alexander Rosenberg, The Religious Problems in Germany, 27. 2. 1946. YIVO Institute for Jewish Research, New York, Leo W. Schwarz Papers (LWSP), fol. 51. Übersetzungen aller englischen und jiddischen Zitate durch den Autor.

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Auch Koppel S. Pinson, ebenfalls Mitarbeiter des Joints, musste eine ähnlich ernüchternde Erfahrung machen: „Die Annahme, dass das erfahrene Leid bei den Menschen eine religiöse Wiederbesinnung auslöst, ist nicht zu erkennen“, notierte er 1947.6 „In keinem jüdischen Lager ist es beispielsweise möglich, das wahre Gefühl einer traditionellen Schabbatfeier zu erleben, wie dies in den kleinen Städtchen Galiziens, Polens und Litauens am letzten Tag der Woche üblich war.“7 Die Jahre der Verfolgung hatten deutliche Spuren hinterlassen und viele Juden8 in ihrem Glauben erschüttert, wie etwa den ehemaligen AuschwitzHäftling Rabbiner Emil Davidovic: „Wir haben dort nicht philosophiert und auch keine Theologie betrieben. Wir haben nur nachgedacht: Wie kann ich den heutigen Tag überleben?“9 Der spätere Ratsvorsitzende des Zentralkomitees der befreiten Juden, Samuel Gringauz, formulierte es einfach und prägnant: „Leiden führt nicht zur Religiosität.“10 Wo das Überleben die Ausnahme und der Tod die Regel war, fragten sich nicht wenige Juden, wo Gott gewesen sei, als Millionen in den Gaskammern erstickten. Gleichwohl hatten auch einige Juden in den schlimmsten Zeiten der deutschen Barbarei an ihrem Glauben festgehalten. „Im Konzentrationslager Reichenbach sprachen orthodoxe Juden während des Arbeitseinsatzes offen ihre Gebete. Wenn es entdeckt wurde, wurden sie heftig von den Wachen geschlagen“, berichtete ein Augenzeuge. „Doch das hielt sie nicht davon ab“, gab er weiter zu Protokoll. „Ich verstand es nicht, dass sie unter diesen schrecklichen Umständen noch so ein unerschütterliches Gottvertrauen haben konnten.“11 Auch versuchten manche jüdischen Gefangenen den Schabbat würdig zu begehen: „Wenn ich die Worte ,Likrat Schabbat Lechu Venelcha‘ [wir wollen den Schabbat empfangen, aus dem Lied Lecha Dodi] flüsterte, erfüllte meinen Körper eine außergewöhnliche Ruhe; anstatt Angst und Sorge empfand ich höchsten Frie6 Koppel S. Pinson, Jewish Life in Liberated Germany, in: Jewish Social Studies 9 (1947), 101–126, 110. 7 Ebd., 111. 8 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personen- und Berufsbezeichnungen das generische Maskulinum verwendet. Es schließt Menschen aller Geschlechter ausdrücklich mit ein. 9 Zit. n. Thomas Rahe, „Höre Israel“. Jüdische Religiosität in nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Göttingen 1999, 185. 10 Samuel Gringauz, Jewish Destiny as the DPs see it. The Ideology of the Surviving Remnants, in: Commentary 4 (1947), 501–509, 507. 11 Zit. n. Amos Nevo Blobstein, Let us Dance with HIM before they Burn us. The World of the Religious Jewish Child in the Holocaust Based on Rabbinical Responsa, in: Miriam GilliCarlebach/Barbara Vogel (Hg.), „So spricht der Ewige: … Und die Straßen der Stadt Jerusalem werden voll sein mit Knaben und Mädchen“. Die siebte Joseph Carlebach-Konferenz. Das jüdische Kind zwischen hoffnungsloser Vergangenheit und hoffnungsvoller Zukunft (Publication of the Joseph Carlebach Institute), München/Hamburg 2008, 216–241, 236.

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den“, gab ein 17-jähriger KZ-Häftling zu Protokoll.12 Zudem dachte mancher Jude über die Einhaltung der religiösen Speisevorschriften nach, obwohl die jüdische Tradition ausdrücklich die Nichtbeachtung erlaubt, wenn mangels koscherer Nahrung das Überleben gefährdet wird. Gleichwohl suchten einige nach Kompromissen, um ihr bisschen Essen koscher zu machen. „Ich habe immer alle Fleischstückchen, die in der Suppe schwammen herausgefischt und sie an Leute, hauptsächlich an Kinder verteilt, die schon in einem sehr geschwächten Zustand waren“, notierte ein ehemaliger Häftling aus Bergen-Belsen. „Ich hatte aber keine Möglichkeit, auf die Brühe zu verzichten, in der dieses Fleisch gekocht war.“13 Im Laufe der Jahre rückten solche Überlegungen jedoch in den Hintergrund, denn die Bedingungen in den Konzentrationslagern wurden immer grausamer : „Nur ein Gedanke beherrschte die Menschen bis zu ihrer endgültigen Befreiung – Nahrung, Nahrung und nochmals Nahrung!“14 Nur wenige Wochen, nachdem sie das qualvolle Lager-Martyrium mit viel Glück überlebt hatten, „erwachte bei einigen Juden ihre schlummernde, aber nicht verkümmerte Religiosität und sie suchten nach Möglichkeiten, zu ihrer traditionellen Lebensweise zurückzukehren“15, konstatierte Rabbiner Rosenberg mit Freude. Für eine nicht übersehbare Minderheit war es ein elementares Bedürfnis, die religiösen Vorschriften wieder einzuhalten, die vor der Entrechtung durch die nationalsozialistische Barbarei selbstverständlich zu ihrem Alltag gehört hatten. Es waren die American Jewish Chaplains, die Rabbiner der US-Armee, die sich von April 1945 an als Erste um die religiösen Bedürfnisse der befreiten Juden kümmerten. Dabei ist insbesondere das große Engagement von Abraham Klausner16 hervorzuheben:17 Er und seine Kollegen organisierten Ge-

12 Ebd. 13 Zit. n. Rahe, „Höre Israel“, 96. 14 Alexander Rosenberg, The Growth of the Religious Life Among the Jews in the American Zone. American Jewish Joint Distribution Committee (AJDC), New York, 45/54, fol. 335. 15 Ebd. 16 Der 1915 in Memphis geborene US-Militärrabbiner Abraham J. Klausner erreichte mit seiner Einheit, der 116th Evacuation Hospital Unit, im Mai 1945 das befreite Konzentrationslager Dachau. Über seine seelsorgerischen Aufgaben hinaus bemühte Klausner sich, erträgliche Lebensbedingungen für die Ex-Häftlinge zu schaffen. Zudem reiste er auf der Suche nach Überlebenden durch Bayern und half bei der Familienzusammenführung. Dafür fertigte der Rabbiner Namenslisten an, vervielfältigte diese und verteilte sie in den Camps der Überlebenden. Auch unterstützte Klausner die DPs in ihrem jahrelangen Kampf um einen jüdischen Staat in Palästina. Nach der Gründung Israels ging er zurück in die USA, wo er bis zu seiner Pensionierung als Gemeinderabbiner tätig war. Im Juni 2007 starb Klausner im Alter von 92 Jahren. 17 Ausführlich dazu Abraham J. Klausner, A Letter to my Children. From the Edge of the Holocaust, San Francisco 2002.

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betbücher, Thora-Rollen, Gebetsschals und -riemen sowie Schabbat-Kerzen.18 „Texte und Gegenstände waren aber nicht nur eine wichtige materielle Voraussetzung für die Einhaltung vieler religiöser Pflichten, sondern hatten über ihre religiöse Funktion hinaus auch einen beträchtlichen emotionalen Eigenwert, repräsentierten sie doch ein im wörtlichen Sinn begreifbares Stück der eigenen Identität.“19 Etwa dreißig Kaplane – sowohl orthodoxe, konservative als auch reformierte Rabbiner – waren mit den ersten Besatzungstruppen nach Deutschland gekommen. In ihren Bemühungen handelten sie ohne Auftrag und nicht selten unter Umgehung der militärischen und rechtlichen Vorschriften, um für die jüdischen Ex-Häftlinge erträgliche Lebensbedingungen zu schaffen. Sie fungierten als Ansprechpartner und Anwalt, sorgten dafür, dass Synagogen sowie Friedhöfe wieder nutzbar gemacht und religiöse Feiern veranstaltet werden konnten.20

Abb. 1: US-Soldaten mit Chaplain Samuel Blinder (5. von rechts) vor einer Synagoge in Deutschland (Quelle: US National Archives and Records Administration, public domain).

18 Vgl. Alex Grobman, Rekindling the Flame. American Jewish Chaplains and the Survivors of European Jewry 1944–1948, Detroit 19–18. 19 Rahe, „Höre Israel“, 81. 20 Alex Grobman, American Jewish Chaplains and the Shearit Hapletah: April–June 1945, Onlinetext des Museum of Tolerance, The Simon Wiesenthal Center, Multimedia Learning Center, Text ist offline, Kopie im Archiv des Nürnberger Instituts, Ordner DP/100/Rel.

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Insbesondere in den großen Camps, wie etwa Landsberg, Feldafing, Pocking oder Föhrenwald, wo Tausende von jüdischen Displaced Persons untergebracht waren, entwickelte sich in der Gemeinschaft der Scheerit Haplejta, dem Rest der Geretteten, wie sich die Überlebenden nannten, rasch ein an den Buchstaben der Thora orientiertes jüdisches Leben. Nach Ansicht von Rabbiner Rosenberg geschah dies vor allem aufgrund der Tatsache, dass dort Rabbiner unter den Bewohnern waren, die ihre traditionelle Führungsrolle übernahmen. „Wenn immer es machbar und möglich war, wurde der wöchentliche Ruhetag eingehalten. Der Schabbat wurde wieder zu einer heiligen Institution. Bei den Gottesdiensten drängten sich die Menschen und sangen mit Inbrunst die alten chassidischen21 Melodien, die sie jahrelang in ihren einsamen Stunden nur leise vor sich hinsummen konnten.“22 Der als Klausenburger Rabbi bekannte Jehezkiel Jehuda Halberstam war einer der angesehensten chassidischen Rabbiner Osteuropas. Er hatte Auschwitz und Dachau überlebt, wurde auf dem Todesmarsch bei Tutzing befreit und gelangte von dort in das DP-Camp Feldafing. Seine Frau und ihre gemeinsamen elf Kinder waren ermordet worden. Trotz dieses schweren Schicksalsschlags und seiner angegriffenen Gesundheit sah er es als seine Aufgabe an, seine ganze Kraft für den Wiederaufbau eines religiösen Judentums zu verwenden. So ist es nicht verwunderlich, dass Halberstam bald zu einem der wichtigsten spirituellen Führer der Scheerit Haplejta wurde.23 Mit dem Ruf „Wer auch immer für Gott ist, komme zu mir“ sammelte er die Juden in Feldafing um sich. Innerhalb weniger Wochen und Monate gelang es ihm, religiöse Einrichtungen, wie ein Cheder24, eine Jeschiwa25 und eine Betstube im Lager einzurichten.26 Am Abend des ersten Jom Kippur27-Festes nach der Befreiung im September 1945 sprach Halberstam zu Tausenden von Juden im Lager Feldafing – darunter als prominenter Gast US-General Dwight D. Eisenhower :28 „Waren wir sündig? Waren wir treulos, haben wir uns, Gott behüte, von ihm abgewandt und ihm mangelnde Loyalität bewiesen?“, richtete er sich an die Gläubigen. Solche Fragen hatten sich vor nicht allzu langer Zeit manche der 21 Chassid: der Fromme; mystisch geprägte orthodoxe Bewegung. 22 Rosenberg, The Growth of the Religious Life. 23 Ausführlich dazu Aharon Surasky, The Klausenberger Rebbe. The War Years, Southfiled (MI) 2003. 24 Traditionelle jüdische Religionsschule. Im Mittelpunkt standen Hebräischunterricht sowie Thora- und Talmudstudium, Plural: Chadarim. 25 Religiöse Hochschule für das Talmudstudium und die Ausbildung von orthodoxen Rabbinern. 26 Esther Farbstein, Hidden in Thunder. Perspectives on Faith, Halachah and Leadership During the Holocaust, Vol. II, Jerusalem 2007, 579. 27 Versöhnungstag, höchster jüdischer Feiertag. 28 General Eisenhower inspiziert die jüdischen Lager, AUFBAU, 28. 9. 1945.

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verzweifelten KZ-Häftlinge gestellt und um Erlösung gefleht. „Wie oft haben viele von uns gebetet, Herr der Welt, ich habe keine Kraft mehr, nimm meine Seele zu dir“, kommentierte Halberstam diese Hoffnungslosigkeit und appellierte an die Menge, nicht zu verzagen und neues Gottvertrauen zu entwickeln. „Wir müssen den Allmächtigen bitten, uns im Glauben zu stärken und ihm vertrauen“, rief er ihnen zu. „Vertraut Gott auf ewig – schüttet ihm eure Herzen aus!“29 Wurde dieser Gottesdienst wegen der zahlreichen Teilnehmer unter freiem Himmel abgehalten, begannen doch viele Gläubige den heiligsten Tag in einer provisorischen Synagoge. „Erstmals seit Kriegsbeginn konnten sie sich ohne Angst vor Entdeckung an ihren Gott wenden,“ erinnerte sich ein Zeitgenosse. „Seit Sonnenuntergang hatten sie gefastet und ihre Gebete gesprochen. Das Murmeln brach plötzlich ab, als das Totengebet El Maleh Rachamim30 angestimmt wurde. Schluchzen und gellende Schreie durchschnitten die Luft.“31 Kurz nach den hohen Feiertagen siedelte Rabbi Halberstam mit etwa hundert Anhängern ins DP-Camp Föhrenwald über. An einem Schabbatabend wurde die Joint-Mitarbeiterin Miriam Warburg Zeugin eines beeindruckenden Aufzugs: „Die Chassidim begleiteten ihren Rabbiner heim. Er trug einen Strejmel32 sowie einen langen Rock und seine Anhänger tanzten und sangen chassidische Weisen. Sie fühlten sich im Camp bereits ganz wie zu Hause.“33 Innerhalb kürzester Zeit gründete Halberstam auch in Föhrenwald eine Jeschiwa, einen Cheder, eine koschere Küche sowie eine Beth-Jakob-Schule, eine religiöse Schule für Mädchen und junge Frauen. Schon nach wenigen Monaten studierten „Hunderte von Jungen die Thora und Mädchen wurden auf ihre Rolle als jüdische Frauen vorbereitet.“ Da der Rabbiner seine Töchter in der Shoa verloren hatte, übernahm er insbesondere „für die traumatisierten Mädchen die Vaterrolle und bot ihnen ein warmherziges jüdisches Heim, in dem sie sich körperlich und spirituell erholen konnten.“34

29 Sermon on Yom Kippur by the Klausenburger Rebbe, Rabbi Yekutiel Yehuda Halberstam, delivered in the Feldafing DP Camp 1946, URL: https://www.yadvashem.org/yv/en/exhibi tions/rosh_hashana/rabbi_yekutiel_yehuda_halberstam.asp (abgerufen am 9. 1. 2020). 30 Gott voller Erbarmen, Anfangsworte des jüdischen Gebets, das bei der Bestattung, am Todestag eines Verstorbenen oder an Trauertagen wie dem Jom HaShoa gebetet wird. 31 Simon Schochet, Feldafing, Vancouver (BC) 1983, 111. 32 Pelzmütze osteuropäischer, chassidischer Juden. Wird am Schabbat und während religiöser Feste getragen. 33 Miriam Warburg, Föhrenwald Report, Eintrag 6. 10. 1945. Central Zionist Archives, Jerusalem (CZA) S 75/1566. 34 Surasky, The Klausenberger Rebbe, 211.

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Alsbald regte Halberstam den Bau einer Mikwe35 im Lager Föhrenwald an. Dies sei nach seiner Ansicht nicht nur für heiratswillige junge Frauen wichtig, sondern unabdingbar für jede jüdische Religionsgemeinschaft. In dieser Zeit vollzogen der Rabbiner und einige seiner Schüler ihre spirituelle Reinigung in der Isar, wie eine Joint-Mitarbeiterin im Dezember 1945 beobachtete: „Letzten Freitag spazierte ich am Fluss entlang, als ich sah, wie einige Personen aus dem Camp im eisigen Wasser der Isar untertauchten. Es stellte sich heraus, dass es sich dabei um Anhänger des Klausenburger Rebbe handelte, eine extrem orthodoxe Gruppierung von etwa zweihundertfünfzig Jungen und Männern. Jeden Freitag haben der Rabbiner und andere ein Bad im Fluss genommen, weil bislang noch keine Mikwe im Camp zur Verfügung steht“,

so der Bericht von Miriam Warburg. „Wir sollten den Bau schnellstens umsetzen, da ein Bad im eiskalten Wasser gerade für schwache und unterernährte Menschen sehr gefährlich ist“, mahnte sie.36 Offensichtlich mit Erfolg: Spätestens ab Anfang März 1946 ist eine Mikwe dokumentiert.37 Bald konnten sich die Gläubigen in den überall rasch errichteten Lagersynagogen und Betstuben zum Gebet versammeln. „Mindestens eine Synagoge befand sich in allen Camps“, konnte deshalb der Advisor on Jewish Affairs, Rabbiner Philip S. Bernstein, rückblickend mit Stolz feststellen, „in den meisten der großen Camps auch noch eine Mikwe“.38 Eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung eines religiösen Lebens. Der Wunsch der frommen Juden, ihnen ein Leben nach den Vorschriften von Talmud und Thora zu ermöglichen, war jedoch zunächst mit Problemen verbunden, wie etwa einem zeitgenössischen Bericht aus dem größten jüdischen Auffanglager in der US-Zone zu entnehmen ist: „Hier in Pocking leben 500 Lubawitscher Chassidim, Strenggläubige aus tiefster Seele, die es ablehnen, die zur Verfügung gestellten Lebensmittel zu verzehren“, schrieb ein Mitarbeiter des Joint im Februar 1946.39 Die Männer, Frauen und Kinder hatten die Shoa in der Sowjetunion überlebt und waren mit ihrem Rabbiner Avraham Plotkin nach einer langen und gefährlichen Odyssee im Lager Pocking gestrandet.40 Neben einer Verpflegung gemäß den jüdischen Speisegesetzen forderten die Anhänger der im späten 18. Jahrhundert von Rabbiner Schneur Salman von Ljadi ge35 Rituelles Tauchbad, das aus „lebendigem“ Wasser (Grund-, Quell- oder Regenwasser) gespeist wird. 36 Miriam Warburg, Föhrenwald Report, Eintrag 5. 12. 1945. AJDC 45/54, fol. 328. 37 Shea Abramovitsch, Six Month in DP Camp Föhrenwald, 3. 3. 1946. Wiener Library London (WLL), HA6 A-1/3. 38 Philip S. Bernstein, Displaced Persons, in: American Jewish Yearbook, hg. v. American Jewish Committee, Bd. 49 (1947–1948), Philadelphia 1947, 520–533, 527–528. 39 AJDC Report, Confidental, 15. 2. 1946. AJDC 45/54, fol. 320. 40 Jesziwa Tomchei Tmimin Lubawicz b’Waldstadt, Undzer Wort, 8. 5. 1947.

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gründeten Chabad41-Bewegung religiöse Bildungseinrichtungen wie Chadarim, Jeschiwot, eine koschere Küche, eine Mikwe sowie Synagogen. Mit Unterstützung der verschiedenen Hilfsorganisationen konnten die Gläubigen bereits im Herbst vier Gotteshäuser nutzen. Am gewöhnlichen Schabbatgottesdienst nahmen rund 2.500 Lagerbewohner teil, an den hohen Feiertagen sollen sich sogar an die 4.000 Menschen versammelt haben.42 Nicht nur in Pocking war die Versorgung mit koscherer Nahrung äußerst dringend, obwohl vereinzelt unter primitiven und unhygienischen Bedingungen Rinder geschlachtet wurden, da sich die Lieferung von Dosenfleisch aus Übersee aufgrund der weiten Wege erheblich verzögerte. Verzweifelt wandten sich die Lubawatischer daher an ihre Zentrale in New York: „Unsere Brüder beklagen sich bitter darüber, dass sie nicht genug zu essen haben, sie stehen am Rande des Verhungerns“, schrieb der Vorsitzende des Executive Committees an den Joint in New York. „Deshalb bitte ich Sie dringend, diesen Armen und Unglücklichen zu helfen und sie mit Nahrung sowie anderen lebensnotwendigen Produkten zu beliefern.“43 Alsbald konnten der Aufbau und die Einrichtung von koscheren Küchen realisiert werden. Für die Ausstattung und die nötigen Lebensmittel sorgten UNRRA44 und Joint. Wobei sich bald ein neues Problem ergab: Die Strenggläubigen in Pocking verlangten, ihre tierischen Fettzuteilungen in pflanzliche Öle und Margarine umzutauschen.45 Auch diese Herausforderung wurde offensichtlich gemeistert. „Große Fortschritte konnten im Küchenbereich erzielt werden. Das Essen war sehr gut und wurde pünktlich serviert“, notierte eine UNRRA-Mitarbeiterin nach einem Besuch im Sommer 1946.46 Möglicherweise war zumindest die Anlieferung von Fleisch auf die Einrichtung koscherer Schlachthäuser in München, Frankfurt, Nürnberg und Regensburg zurückzuführen.47 Nach und nach entstanden nicht nur in den Camps koschere Küchen, auch in einigen Städten, wie Augsburg, Regensburg, München oder Frankfurt, eröffneten jüdische Volksküchen: „Dienstag, dem 14. Oktober, wurde in Frankfurt 41 Strengreligiöse, von Rabbi Schneur Salman von Ljadi im 18. Jahrhundert gegründete Bewegung. Das Akronym Chabad setzt sich aus den hebräischen Worten für Weisheit (Chochma), Verständnis (Bina) und Wissen (Da’at) zusammen. 42 Frage Bojgn Waldstadt, 3. 10. 1946. YIVO, LWSP, fol. 253. 43 Schreiben der Agudas Chasidei Chabad, Chairman, 22. 11. 1946. AJDC 45/54, fol. 1804. 44 Die UN-Hilfsorganisation United Nations Relief and Rehabilitation Administration wurde 1943 von 44 Nationen gegründet. Sie bestand bis zum Juli 1947 und wurde dann von der International Refugee Organization (IRO) abgelöst. 45 UNRRA Report, Problems in Pocking, 29. 5. 1946. UN Archives New York (UNA), S 436/36/4. 46 UNRRA Report on Pocking, 3. 6. 1946. UNA, S 436/36/4. 47 Alex Grobman, Battling for Souls. The Vaad Hatzala Rescue Committee in Post-War Europe, Jersey City (NJ) 2004, 176.

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feierlich eine Koschere Küche eröffnet“, schrieb das DP-Blatt „Jidisze Cajtung“ im Oktober 1947.48 Die öffentliche Kantine versorgte bis zu 450 Personen täglich mit koscheren Mahlzeiten zum Preis von einer Mark und fünfzig Pfennig.49 „Besonders ältere Personen“, so ist einem Protokoll der „Küchenkommission“ zu entnehmen, solle man allerdings „jeden Tag ein Essen ohne Markenabgabe und Bezahlung geben – die Vermögenden sollen nach Können bezahlen“.50 Doch nicht nur Frankfurter Juden wurden verköstigt, auch durchreisende DPs, die sich von Frankfurt aus auf den Weg in die Emigration machten, erhielten eine warme Mahlzeit gemäß der religiösen Speisevorschriften. Gleiches geschah in München. Nach der Shoa war die bayerische Metropole für wenige Jahre ein Transitzentrum des jiddisch-sprachigen osteuropäischen Judentums. Tausende warteten in der ehemaligen NS-Hochburg, der „Hauptstadt der Bewegung“, auf eine Weiterreise nach Erez Israel51 oder Übersee. In dieser Zeit kam es auch hier zu einer Renaissance der osteuropäischen Orthodoxie, es wurden religiöse Vereine gegründet, Betsäle und koschere Küchen eingerichtet. Die erste hatte das „Jidisze Komitet Minchen“ bereits am 1. April 1946 im Zentrum der Stadt „in einem sehr schönen Lokal mit einigen Sälen“ eröffnet. „Dort können täglich einige hundert Juden koschere Mahlzeiten zu sich nehmen“, berichtete die Zeitung „D.P. Express“.52 Da in München zu dieser Zeit rund 8.000 Juden lebten, reichte das Angebot jedoch bei weitem nicht aus; zusätzliche Küchen wurden eröffnet, so dass zeitweise fünf solcher Kantinen im Münchner Stadtgebiet existierten.53 Alle diese koscheren Speisegaststätten wurden vom Jüdischen Komitee München in Zusammenarbeit mit dem Vaad Hatzala54 und dem Joint betrieben; sie unterstanden der religiösen Aufsicht des für München zuständigen Rabbiners Baruch Leiserowski.55 Im Oktober 1947 gaben die jüdischen Kantinen insgesamt über 44.000 Mittagessen aus, davon waren rund 36.000 kostenlose Mahlzeiten. Diese wurden teilweise durch die Einnahmen aus dem Getränkeverkauf finanziert, den Rest steuerte der Joint bei.56 48 Derefnung fun a koszerer Kich in Frankfurt, Jidisze Cajtung, 23. 10. 1947. 49 Kurt R. Grossman, Report on Germany, 5. 9. 1948. AJDC 45/54, fol. 312. 50 Protokoll der Sitzung der Küchenkommission, 21. 9. 1947. Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, Heidelberg (ZA), B1/13, A 738. 51 Land Israel, dieser ursprünglich biblische Ausdruck besitzt im zionistischen Gebrauch eine stark ideologische Komponente, ist also nicht nur ein geografischer Begriff. 52 Di naj koszere Kich in Minchen, D.P. Express, 20. 4. 1946. 53 Jüdische DP Lager und Gemeinden in der US Zone, nurinst.org, URL: http://www.after-theshoah.org/muenchen-juedische-dp-gemeinde-munich-jewish-dp-community (abgerufen 9.1. 2020). 54 Rettungskomitee, 1939 von orthodoxen Rabbinern aus den USA und Kanada gegründete Hilfsorganisation. 55 Munich Committee Kitchens, 18. 3. 1949. YIVO, LWSP, fol 261. 56 Summary of Activities of the Kosher Kitchens, Munich, Oktober 1947. Ebd.

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Abb. 2: „Mit a gutn apetit – Le teavon“, wünschte das Team der Koscheren Küche in München seinen Gästen. Die andere Inschrift lautete: „Dos jidisze Folk lebt“ (Quelle: nurinst.org. Nürnberger Institut für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts e.V. – Nuremberg Institute for Holocaust Studies).

Als ein weiteres Beispiel für das Wiedererwachen der Religiosität steht das DPLager im fränkischen Windsheim. Anfang Juni 1946 wurde die ehemalige Hermann-Göring-Siedlung Überlebenden der Shoa zugewiesen. Wenig später zogen die ersten 400 jüdischen Displaced Persons dort ein. Weitere 1.000 Juden aus dem überfüllten Lager in Pocking (Niederbayern) folgten. Ende November 1946 verzeichneten die Statistiken eine Belegstärke von knapp 3.000 Bewohnern – darunter eine nicht unbedeutende Anzahl von Strenggläubigen.57 Einem Report vom August 1946 ist zu entnehmen, dass sich etwa ein Drittel der Lagerbewohner der orthodoxen Glaubensrichtung zugehörig fühlte. Diese machten sich sogleich an den Bau einer Synagoge sowie eines Ritualbades.58 Pünktlich zu den hohen Feiertagen, die mit Rosch HaSchana Ende September ihren Anfang nahmen, waren die Arbeiten abgeschlossen. Doch nicht alle Gläubigen fanden Platz in dem Gotteshaus. „Wir stellten weitere Räumlichkeiten, in denen gebetet werden konnte, zur Verfügung“, berichtete ein Joint-Mitarbeiter, „doch unglücklicherweise besitzen wir nur zwei Thora-Rollen. Sie 57 Jim G. Tobias, Vorübergehende Heimat im Land der Täter. Jüdische DP-Camps in Franken 1945–49, Nürnberg 2002, 89–90. 58 Report on Windsheim, 5. 8. 1946. Wiener Library London (WLL), HA6B/3–29.

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reichen nicht aus!“59 Es fehlte auch an weiteren wichtigen Ritualobjekten, wie Gebetsmänteln, -riemen und Sidurim (Gebetbüchern). Dennoch vermerkte der Report mit Genugtuung einen „Monat voller religiöser Aktivitäten“.60 Im Oktober 1946 nahm auch die Jeschiwa „Merkas Thora“ ihren Lehrbetrieb in Windsheim auf. Die Mitglieder dieser religiösen Hochschule stammten aus Litauen und hatten sich schon vor dem Krieg dem Studium von Talmud und Thora verschrieben. Aus dem sowjetischen Exil waren sie über Polen in die amerikanische Zone gekommen. Bis zu ihrer Auswanderung in die USA widmeten sie sich intensiv den heiligen Texten des Judentums. Kurz darauf kam es zur Gründung einer weiteren Jeschiwa: der Talmudhochschule „Scheerit Haplejta“. Sie unterstand dem Klausenburger Rabbiner Halberstam.61 Zu Jahresbeginn 1947 konnten die Gläubigen im Windsheimer Lager neben den zwei Jeschiwot sechs Synagogen, ein Cheder, eine religiöse Grundschule für Jungen, eine koschere Küche sowie eine Mikwe nutzen.62 Die kleine fränkische Stadt entwickelte sich zu einem wichtigen spirituellen jüdischen Zentrum im Nachkriegsdeutschland. „Windsheim ist möglicherweise der einzige Ort in Deutschland mit zwei Jeschiwot“, vermutete der Joint-Berichterstatter im Oktober 1946. „Eine der ungarischen und eine der litauischen Juden; außergewöhnliche Schulen für lernbegierige junge Männer.“63 In den Camps gab es nur vereinzelt Synagogen als separate Gebäude, meist bestand das Beth HaKnesset oder Beth Tefillah, also der Ort der Versammlung beziehungsweise des Gebets, nur aus einem größeren Zimmer, das mit einem Aron Hakodesch, oft nur ein kleiner Schrank oder eine Kiste, ausgestattet war. Darin wurde die Thora-Rolle aufgehoben. Damit knüpfte man an die osteuropäische Tradition der Schtetln an, wo die verschiedenen religiösen Strömungen jeweils ihre eigenen Betstuben hatten. Als Beispiel hierfür steht die Betstube im DP-Lager Wetzlar. Es handelte sich um einen Raum mit einem aufgemalten Vorhang an der Ostwand sowie einem schrankähnlichen Gebilde für die Thora, in der Mitte eine hölzerne Bima64. In Wetzlar waren zeitweise über 4.000 jüdische DPs in einer ehemaligen Wehrmachtskaserne untergebracht.65 Neben einem Cheder bestanden dort eine Jeschiwa und eine Mikwe.66 In der Religionsschule 59 Report (Windsheim), 14. 10. 1946. Ebd. 60 Report (Windsheim), 9. 12. 1946. Ebd. 61 Talmud Thora Schulen in Deutschland 1945–1950, Windsheim 1946: Jeschiwot in der ehemaligen Hermann-Göring-Siedlung, nurinst.org, URL: http://www.talmud-thora.de/?page_ id=419 (abgerufen 9. 1. 2020). 62 AJDC Installation Report, 26. 1. 1947. YIVO LWSP, fol. 28. 63 Report (Windsheim), 14. 10. 1946. WLL, HA6B/3–29. 64 Lesepult in der Synagoge für die Thorarollen. 65 Jüdische DP Lager und Gemeinden in der US Zone, nurinst.org, URL: http://www.after-theshoah.org/wetzlar-juedisches-dp-lager-jewish-dp-camp (abgerufen 9. 1. 2020). 66 Report of Vaad Hatzala Institutions, 15. 9. 1946–1. 1. 1947. YIVO, LWSP, fol. 104.

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lernten achtzig Jungen Talmud und Thora, die Jeschiwa Beth Josef bot 32 Schülern einen Platz zum Studium.67

Abb. 3: Synagoge im DP-Camp Wetzlar (Quelle: US National Archives and Records Administration, public domain).

Eine ähnliche Situation fand sich im DP-Lager Wittenau im französischen Sektor Berlins. Diese Einrichtung beherbergte durchschnittlich zweihundert Personen,68 die in einem beschlagnahmten Häuserblock untergebracht waren. Religiöser Führer war der aus Polen stammende Rabbiner Schmuel Itchowitz.69 Nach einem Bericht des Joints wurde zum jüdischen Neujahrsfest Rosch HaSchana 1947 eine weitere Betstube in Wittenau eingeweiht.70 Im bedeutendsten jüdischen DP-Camp innerhalb der US-Zone, im Camp Föhrenwald bei München, sind insgesamt sechs Synagogen nachweisbar. Wobei es sich, außer der Hauptsynagoge, eher um die üblichen Betstuben gehandelt haben muss, da die Siedlung aus kleinen Häusern einer ehemaligen Arbeitersiedlung bestand.71 67 Report of Vaad Hatzala, 14. 6. 1947. YIVO, Displaced Persons Germany (DPG), fol. 1558. 68 Angelika Königseder, Flucht nach Berlin. Jüdische Displaced Persons 1945–1948, Berlin 1998, 210–211. 69 AJDC Report on Berlin, 21. 2. 1946. AJDC 45/54, fol. 378. 70 AJDC Report on Educational and Religious Activities, September 1947. AJDC 45/54, fol. 335. 71 Angelika Königseder/Juliane Wetzel, Lebensmut im Wartesaal. Die jüdischen DPs (Displaced Persons) im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt/Main 1994, 135.

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Obwohl die Mehrheit der DPs dem aschkenasischen72 Kulturkreis angehörten, lebten auch einige sephardische73 Juden in den Camps. Als Beispiel hierfür steht das Lager Feldafing, ein weiteres Zentrum der Orthodoxie innerhalb der Scheerit Haplejta, in dem eine sephardische Betstube bestand. Der Grund hierfür war augenscheinlich, dass eine kleine Gruppe von griechischen Juden im Lager lebte, wie einem Schreiben aus dem Sommer 1948 zu entnehmen ist. „In unserem Lager zählen wir rund 5.000 Juden aus Polen; und wir, 47 Familien griechischer Juden! Aufgrund des Verhaltens der Aschkenazim ist unser Leben hier nicht einfach. Sie machen uns andauernd Schwierigkeiten und behaupten, dass wir nicht dieselben Juden wären wie sie.“74 Ob diese Konflikte beigelegt werden konnten, ist nicht überliefert, da bislang über Feldafing noch keine wissenschaftliche Gesamtdarstellung vorliegt. Unstrittig ist jedoch, dass in Feldafing zahlreiche Rabbiner tätig waren und die orthodoxe Agudat Israel75 bei den Wahlen zum jüdischen Selbstverwaltungskomitee im Januar 1946 rund vierzig Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte.76 Doch nicht nur in den Camps fand ein religiöser Neubeginn statt. Neben den abgeschlossenen Wohngebieten mit den Sammelunterkünften existierten zahlreiche so genannte Communities. Hier lebten die jüdischen DPs mitten unter den deutschen Tätern in beschlagnahmten Wohnungen und Häusern. Oft erhielten sie von den Besatzungsbehörden zusätzlich noch ein größeres Gebäude, wie etwa ein Gasthaus oder ein kleines Hotel, in dem ein soziales und kulturelles Zentrum entstand und meist auch eine kleine Betstube. Manchmal wurde aber auch die von den Nationalsozialisten geschändete Synagoge des vernichteten deutschen Judentums wiederhergerichtet und den DPs zur Verfügung gestellt. So geschah es in der mittelfränkischen Kleinstadt Schwabach, in der bis zur Shoa eine ansehnliche jüdische Gemeinde existiert hatte und die der Sitz eines Bezirksrabbinats gewesen war. Das jüdische Gotteshaus wurde während der NS-Zeit als Lagerraum einer örtlichen Brauerei genutzt. Auf Initiative der US-Militärverwaltung musste die Stadt es jedoch renovieren und der jüdischen DP-Gemeinde übergeben.77 Eine ähnliche Situation ist für die Ortschaft Georgensgmünd im Landkreis Schwabach überliefert. In Georgensgmünd bestand vom 17. Jahrhundert bis zur 72 Bezeichnung für nord-, mittel und osteuropäische Juden. 73 Bezeichnung für Juden, die bis zu ihrer Vertreibung zum Ende des 15. Jahrhunderts in Spanien lebten und sich danach hauptsächlich in Südosteuropa, Nordafrika und Asien niederließen. 74 Schreiben des Chief Rabbinate Tel Aviv, 30. 6. 1948. AJDC G45/54, fol. GER 794. 75 Vereinigung Israel, orthodox-religiöse antizionistische Bewegung. 76 Juliane Wetzel, Jüdisches Leben in München 1945–1951. Durchgangsstation oder Wiederaufbau?, München 1987, 240–241. 77 Tobias, Vorübergehende Heimat, Kapitel DPs im Landkreis Schwabach, 121–129, 127.

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finalen Auslöschung eine der typischen jüdisch-fränkischen Landgemeinden. Nach 1945 siedelten sich für einige Jahre bis zu dreißig Überlebende der Shoa aus Osteuropa dort an. Die während der NS-Herrschaft als Lagerhaus zweckentfremdete Synagoge wurde wieder als Gotteshaus genutzt.78 Eine außergewöhnliche Begebenheit hinsichtlich der Nutzung einer geschändeten Synagoge ereignete sich im hessischen Bad Nauheim. Der Krieg war noch nicht vorbei, da wurde am 27. April 1945 ein erster Gottesdienst in der provisorisch wiederhergestellten Synagoge gefeiert. „Da in Nauheim keine jüdischen Einwohner übriggeblieben sind, wird das Gotteshaus vorläufig nur von den jüdischen Jungs des XIX. Corps besucht“, berichtete die Zeitschrift „Jüdische Welt“.79 Doch unter den Teilnehmern befand sich auch eine Handvoll deutscher Juden, wie etwa der gebürtige Bad Nauheimer Ralph Baum, der als Elfjähriger in die USA emigriert war und nun als GI und Befreier in seine Heimat zurückkehrte.80 Im November 1938 war das neun Jahre zuvor im Stil der Neuen Sachlichkeit erbaute Gotteshaus von SA-Leuten geschändet und demoliert worden: Das Gebäude wurde jedoch nicht zerstört, sondern ebenfalls als Lagerhaus zweckentfremdet. 1942 hatten die Nationalsozialisten die letzten Bad Nauheimer Juden in die Vernichtungslager verschleppt.81 Mit Unterstützung der US-Militärregierung entstand jedoch schon wenige Monate nach Kriegsende eine neue jüdische Gemeinde. Im Herbst 1945 war der vom amerikanischen Präsidenten eingesetzte „Consultant on Jewish Problems“, Judah Nadich, durch das besetzte Deutschland gereist, um die neugegründeten Gemeinschaften von Shoa-Überlebenden zu besuchen. Über seine Visite in Bad Nauheim schrieb er : „Die etwa sechzig Juden in der Stadt haben sich zusammengeschlossen und ein Exekutiv-Komitee gegründet. Von den in der Stadt lebenden Juden stammen rund fünfzig aus Polen, die restlichen sind Rumänen, Ungarn und Deutsche. […] Fast alle von ihnen möchten das Land verlassen und nach Palästina einwandern.“82 Die Synagoge war auf Befehl der Militärregierung komplett renoviert und bereits im Juli 1945 feierlich eingeweiht worden. Bis zu vierhundert Gemeindemitglieder83, darunter zahlreiche in der Region stationierte jüdische US-Sol-

78 79 80 81 82 83

Ebd., 128. Die neue Synagoge von Nauheim, Jüdische Welt, 13. 7. 1945. Stephan Kolb, Die Geschichte der Bad Nauheimer Juden, Bad Nauheim 1987, 182. Ebd., 129–177. Judah Nadich, Eisenhower and the Jews, New York 1953, 144. Jüdische DP Lager und Gemeinden in der US Zone, nurinst.org, URL: http://www.afterthe-shoah.org/bad-nauheim-juedische-dp-gemeinde-jewish-dp-community (abgerufen 9. 1. 2020).

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daten, konnten sich hier fortan zum Gottesdienst versammeln.84 Im Anwesen der ehemaligen Israelitischen Kinderheilstätte eröffnete die orthodoxe Hilfsorganisation Vaad Hatzala zudem ein religiöses Kinderheim.85

Abb. 4: Jüdische US-Soldaten in der Synagoge von Bad Nauheim, 27. April 1945 (Quelle: Jüdische Gemeinde Bad Nauheim).

In Städten und Gemeinden, wo es keine Synagoge mehr gab oder die DP-Gemeinden nicht über entsprechende Räumlichkeiten verfügten, um sich zum Gottesdienst zu treffen, bot der Joint oder auch der Vaad Hatzala mobile Synagogen an und brachte mit seiner „Synagogen-Ambulanz“ die nötigen Ritualien zu den Gläubigen. Es ist leider nicht bekannt, wie viele solcher fahrbaren Betstuben zum Einsatz kamen.86 Im bayerischen Landsberg am Lech wurde nach dem Krieg sogar eine kleine Synagoge auf einem jüdischen Friedhof errichtet. US-Soldaten hatten nach der Befreiung die deutsche Bevölkerung gezwungen, die jüdischen Opfer zu bestatten. Auf dem am Stadtrand angelegten Gräberfeld wurden etwa sechshundert ehemalige KZ-Häftlinge aus dem Lager Kaufering (Außenlager von Dachau)

84 Paul Arnsberg, Jüdische Gemeinden in Hessen. Anfang/Untergang/Neubeginn, Frankfurt/ Main 1972, Bd. 2, 108. 85 A wajle baj di Kinder in Bad Nauheim, Undzer Wort, 29. 8. 1947. 86 Vaad Hatzala (Hg.), Pictorial Review, München 1948, 247.

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Abb. 5: Ein Ambulanzbus der orthodox-religiösen Hilfsorganisation Vaad Hatzala (Quelle: nurinst.org).

beigesetzt.87 Ab Oktober 1945 befand sich in Landsberg eines der größten DPCamps Nachkriegsdeutschlands,88 mit einem hohen Anteil an Strenggläubigen – zu Jahresende waren es rund tausend Personen, das entsprach einem Fünftel der Bewohner. Sie verfügten über eine Jeschiwa, eine koschere Küche, ein Cheder sowie eine Mikwe. Ein größeres und passendes Gebäude sollte zeitnah als Synagoge zur Verfügung gestellt werden.89 Alle Einrichtungen unterstanden einem eigenen Religionsamt. Einer der DPs hatte die Aufsicht über den KZ-Friedhof. Mit Hilfe des Joints gelang es, dieses kleine Bethäuschen zu errichten.90 Leider liegen keine genauen Zahlen vor, wie viele Betstuben und Synagogen es in den Camps und Gemeinden der Scheerit Haplejta gab. Schätzungen gehen von rund zweihundert Gebetssälen oder Häusern aus. Einer Aufstellung des Vaad Hatzala vom Sommer 1947 ist zu entnehmen, dass diese Vereinigung allein in der US-Zone 42 Synagogen finanziell und mit Sachmitteln unterstützte. Hinzu kamen 13 Jeschiwot und fünfzig Chadarim, religiöse Elementarschulen, die Si-

87 Angelika Eder, Flüchtige Heimat. Jüdische Displaced Persons in Landsberg am Lech 1945 bis 1950, München 1998, 323. 88 Jüdische DP Lager und Gemeinden in der US Zone, nurinst.org, URL: http://www.after-theshoah.org/landsberg-juedisches-dp-lager-jewish-dp-camp (abgerufen 9. 1. 2020). 89 Report on Camp Landsberg, 1.9.–20. 10. 1945. AJDC 45/54, fol. 321. 90 Eder, Flüchtige Heimat, 177, 323.

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durim91, Tefillin92, Kippot93 und andere Ritualien erhielten. Es ist davon auszugehen, dass in diesen Bildungseinrichtungen ebenfalls Räumlichkeiten für die Durchführung von Gottesdiensten vorhanden waren. Weitere religiöse Einrichtungen wurden vom Joint wie auch von den religiösen Zionisten, den Misrachisten94, unterstützt.95 Auch wenn die verschiedenen Hilfsorganisationen alles daransetzten, die Juden mit ausreichend Gebetbüchern und anderen religiösen Schriften zu versorgen, bestand doch in den ersten Nachkriegsjahren ein großer Mangel an rabbinischer Literatur. Schon 1945 hatten daher der Vorsitzende der Agudat Harabanim96, Rabbiner Samuel Snieg, und sein Assistent, Rabbiner Samuel Rose, den Nachdruck eines Talmudbandes97 initiiert. Die beiden Rabbiner waren in Dachau befreit und von dort ins DP-Krankenhaus Kloster St. Ottilien gebracht worden. Dort erfuhren sie von der Existenz eines unbeschädigten Bandes des Wilnaer Talmud, der sich in der Klosterbibliothek befand. Mit Hilfe des Vaad Hatzala und des Joints gelang es, die nötigen Mittel für die fotomechanische Herstellung von dreitausend Exemplaren aufzubringen, so dass Druck und Verteilung bis Dezember 1945 erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Nach Ansicht von Peter Honigmann, dem langjährigen Leiter des Zentralarchivs zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, ist „der Talmud aus St. Ottilien wahrscheinlich der erste Druck eines hebräischen Buches in Deutschland nach dem Ende der Nazi-Barbarei“.98 Auch die Idee eines Gesamtnachdrucks der insgesamt 19 Bände umfassenden Talmud-Ausgabe geht auf die Rabbiner Snieg und Rose zurück. Für sie war der Nachdruck des Talmuds auf deutschem Boden, als Beispiel standhaften jüdischen Überlebenswillens, die richtige Antwort auf die Vernichtung von Menschen und Kultur. Obwohl auch General Joseph T. McNarney, Kommandeur der europäischen US-Truppen, dieses Vorhaben mit Sympathie begleitete, waren viele Hürden zu überwinden. Woher sollten die riesigen Mengen Papier Plural von Siddur, Bezeichnung für das jüdische Gebetbuch. Gebetsriemen. Plural von Kippa, Kopfbedeckung männlicher Juden. Misrachi, Akronym aus Merkas Ruchani, dt.: geistiges Zentrum. Ausführlicher dazu Talmud Thora Schulen in Deutschland 1945–1950, nurinst.org, URL: http://www.talmud-thora.de (abgerufen 9. 1. 2020). 96 Rabbinischer Rat, dessen Repräsentanten in vielen Lagern und Gemeinden vertreten waren und dort die Einrichtung von Betsälen bzw. die Wiederherstellung von geschändeten oder zerstörten Synagogen vorantrieben und alle religiösen Aufgaben und Zeremonien überwachten. 97 Neben der hebräischen Bibel, Tanach genannt, ist der Talmud (mündliche Lehre, Auslegung der Schrift) das wichtigste Werk im Judentum. 98 Peter Honigmann, Talmuddrucke im Nachkriegsdeutschland, in: Fritz Bauer Institut (Hg.), Überlebt und unterwegs. Jüdische Displaced Persons im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt/ Main 1997, 249–266, 255–257. 91 92 93 94 95

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kommen? Welche Druckerei in Deutschland konnte Tausende solcher großformatigen, umfangreichen Bücher drucken? Daher vergingen über zwei Jahre, bis das nötige Papier vorrätig war, die Vorlagen fertig gestellt und schließlich gedruckt und gebunden wurden. Im Jahre 1949 standen die ersten Exemplare der 19-bändigen Talmudausgabe für die jüdischen DPs bereit. Zu diesem Zeitpunkt hatten jedoch bereits viele Juden Deutschland verlassen. Nur wenige Exemplare verblieben daher im Land der Täter, die meisten Bände wurden an jüdische Institutionen und renommierte Bibliotheken in Israel, Europa, Kanada und den USA verteilt.99

Abb. 6: Rabbiner Samuel Rose prüft die Druckfahnen des Talmudnachdrucks (Quelle: US National Archives and Records Administration, public domain).

Wenn auch zahlreiche Synagogen und Betstuben – jedoch nur temporär – in den Camps nachweisbar sind beziehungsweise geschändete jüdische Gotteshäuser wieder ihrem eigentlichen Zweck zugeführt wurden – bleiben wollten in Deutschland nur sehr wenige Shoa-Überlebende. Gleichwohl dienten einige dieser wiederhergestellten Synagogen als Keimzellen der neugegründeten deutschen Israelitischen Kultusgemeinden. Manchmal waren die DPs auch gezwungen, Räumlichkeiten für religiöse Feiern anzumieten. Das traf insbesondere auf die hohen Feiertage zu, wenn Hunderte oder gar Tausende von Überlebenden einen Gottesdienst besuchen wollten. In München fand etwa die erste 99 Herbert A. Friedman, Roots of the Future, Jerusalem 1999, 98–99.

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Chanukkafeier100 in Freiheit im Dezember 1945 im Prinzregententheater statt. In anderen Städten wurden ebenfalls Theater, aber auch Kinos sowie Gerichtssäle angemietet.101 Die spirituelle Wiedergeburt unter der Scheerit Haplejta wurde auch von der US-Militärregierung gewürdigt. Stellvertretend für die gesamte Orthodoxie dankte die Besatzungsmacht Rabbiner Nathan Baruch, Direktor des Vaad Hatzala, wie folgt: „Sie stehen für die Religionsfreiheit, eines der grundlegenden Ziele der Militärregierung. […] Ihre Anstrengungen bei der Verankerung religiöser Grundsätze sind eine große Hilfe bei dem Bemühen, geistige Kräfte zu formen, die die Grundlagen demokratischer Praxis bilden […]. Durch Ihre Anstrengungen wird die Aufgabe der Demokratisierung Europas leichter fallen.“102

100 Mehrtägiges Lichterfest im November/Dezember, gefeiert zur Erinnerung an die Wiedereinweihung des Tempels 164 v. d. Z. 101 Michael Brenner, Nach dem Holocaust. Juden in Deutschland 1945–1950, München 1995, 41. 102 Vaad Hatzala, Pictorial Review, 38.

Philipp Lehar

Pfadfindergruppen in österreichischen und deutschen DP-Lagern nach dem Zweiten Weltkrieg. Selbstermächtigung und Anschluss an ein globales Netzwerk1

I.

Einleitung

PfadfinderIn sein wird noch immer häufig mit dem bürgerlichen Mittelstand und mit christlicher Prägung in Zusammenhang gebracht. Pfadfindergruppen mit Migration zu verbinden, scheint indessen nur auf den ersten Blick nicht naheliegend. In Österreich und Deutschland gibt es aktuell u. a. (as)syrische2, ukrainische3 und ungarische4 Pfadfindergruppen. Im Rahmen der koptischen Kirche in Österreich besteht ebenfalls ein eigener Pfadfinderverein.5 Allerdings existieren diese migrantischen Pfadfindergruppen weitgehend unabhängig von

1 Der Verfasser ist sich bewusst, dass sein Blick auf den Untersuchungsgegenstand durch sein langjähriges Engagement in der Pfadfinderbewegung geprägt ist. Allerdings ermöglichte ihm die Zugehörigkeit Zugang zu ZeitzeugInnen und Vereinsarchiven. 2 Viele der Gruppen sind im mehrere Länder umfassenden Verband S.S.E Syriac Scout in Europe zusammengeschlossen. S.S.E Syriac Scout in Europe, Offizieller Facebook-Auftritt, Facebook, URL: https://www.facebook.com/SSE-Syriac-Scout-in-Europe-513202682434147/ (abgerufen 15.1. 2020). Eine Gruppe besteht u. a. in Wien. Ein Zusammenschluss im deutschsprachigen Raum sind die „Assyrisch-Aramäische Pfadfinder Mitteleuropa“. Assyrisch-Aramäische Pfadfinder Mitteleuropa, Offizieller Facebook Auftritt, Facebook, URL: https://www.facebook.com/ Assyrisch-Aram%C3%A4ische-Pfadfinder-Mitteleuropa-2159297721052564/about/ (abgerufen 15.1. 2020). 3 Ukrainische Pfadfinder und Pfadfinderinnen sind im Verband PLAST zusammengeschlossen. Auch in Österreich und Deutschland bestehen Zusammenschlüsse. PLAST – Ukrainischer Pfadfinderbund in Österreich, Offizielle Webseite, PLAST, URL: https://www.plast.or.at/ (abgerufen 15. 1. 2020) und PLAST – Ukrainischer Pfadfinderbund in Deutschland e.V., Offizielle Webseite, PLAST, URL: http://www.plastde.org/ (abgerufen 15. 1. 2020). 4 Ungarische PfadfinderInnengruppen in Westeuropa, Nord- und Südamerika und Australien sind im Külföldi Magyar Cserk8szszövets8g zusammengeschlossen. In Österreich bestehen Gruppen in Oberösterreich, Tirol, der Steiermark und Wien. Külföldi Magyar Cserk8szszövets8g, Csapataink vil#gszerte, KMCSSZ, URL: http://www.kmcssz.org/vindex.php?menu= contents/rolunk/csapatok/csapatok.html (abgerufen 15. 1. 2020). 5 Pfadfinder der koptisch-orthodoxen Kirche in Österreich, Offizieller Facebook Auftritt, Facebook, URL: https://www.facebook.com/Koptische.Pfadfinder (abgerufen 15. 1. 2020).

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zeitgeschichte 47, 2 (2020)

den „einheimischen“ Pfadfinderverbänden6 und nur selten sind sie Mitglied in einem der größeren nationalen oder internationalen Dachverbände.7 Pfadfindergruppen gab es auch in DP-Lagern nach dem Zweiten Weltkrieg in großer Zahl, ein Umstand, der nahezu vergessen ist. Eine seltene Reminiszenz stellte das Erinnerungstreffen anlässlich des 70. Jahrestages eines ukrainischen Pfadfinder-Jamborees8 in Mittenwald/Oberbayern im Jahr 1947 dar.9 Am Treffen in Mittenwald nahmen 2017 u. a. ukrainische PfadfinderInnen aus Australien teil.10 Wie dieses Beispiel zeigt, ist die Geschichte der DP-Pfadfindergruppen auch noch nicht abgeschlossen. Nicht nur ukrainische DPs organisierten Pfadfindergruppen. Ein ehemaliger slowenischer DP etwa, der als Kind u. a. im DP-Lager in Lienz/Osttirol lebte, erinnerte sich später : „Camp life for us youngsters was quite tolerable. We studied, attended meetings of the boy scouts and religious organisations, played football and went on excursions on Sundays with our teacher Luskar. We always had something to do. These were without doubt the happiest years of my youth.“11 Aus dieser Erinnerung lässt sich bereits die Bedeutung erahnen, welche diese Pfadfindergruppen für heranwachsende DPs haben konnten.

6 Pfadfinderinnen und Pfadfinder sind in verschiedenen Verbänden organisiert. Darunter sind koedukative Verbände ebenso wie getrenntgeschlechtliche Verbände wie etwa die „Pfadfinderinnenschaft St. Georg“ in Deutschland. Im Text werden zusammenfassend die Begriffe Pfadfinderverbände und Pfadfindergruppen verwendet. Mit Pfadfinderinnen werden weibliche, mit Pfadfinder männliche Angehörige dieser Jugendbewegung bezeichnet. PfadfinderInnen wird verwendet, wenn beide Geschlechter gemeint sind. 7 In Essen besteht eine christliche syrische Gruppe im Rahmen des Bundes der Pfadfinderinnen und Pfadfinder. Auskunft im Onlineforum Pfadfinder-Treffpunkt. Gonzo, BdP Stamm Saint Josef aus Essen, Pfadfinder-Treffpunkt, URL: http://pfadfinder-treffpunkt.de/ include.php?path=forumsthread& threadid=12333& entries=24 (abgerufen 15. 1. 2020). 8 Ein Jamboree ist ein großes Pfadfindertreffen. Der Begriff wird vor allem für das alle vier Jahre stattfindende World Scout Jamboree verwendet; als National Jamboree bezeichnet er in vielen Ländern das Bundeslager der PfadfinderInnen. 9 OSEREDOK Ukrainian Cultural and Educational Centre, Ukrainian Scout Jamboree Poster, OSEREDOK, URL: https://oseredok.ca/collections-research/spotlight-on/ukrainian-scoutjamboree-poster/ (abgerufen 15. 1. 2020). 10 PLAST Ukrainian Scouting Organisation in Australia, UMPZ Germany 2017, PLAST, URL: http://www.plast.org.au/news.php?id=1920& chk=3686400 (abgerufen 15. 1. 2020). 11 John Corsellis, Slovenian Phoenix, Mladinska Knjiga Publishing House 2010, 123, URL: https://www.mladinska.com/_files/3514/Slovenian-Phoenix-01.pdf (abgerufen 15. 1. 2020).

Philipp Lehar, Pfadfindergruppen in österreichischen und deutschen DP-Lagern

II.

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Forschungsgegenstand, Methodik, Quellen und Forschungsstand

Im Fokus dieses Beitrags stehen Pfadfindergruppen12, die zwischen 1945 und ca. 1950 von DPs gegründet und unterhalten wurden. Nicht berücksichtigt werden zionistische Jugendgruppen, auch wenn verschiedene zionistische Jugendverbände von Ideen aus der Pfadfinderbewegung beeinflusst waren bzw. sind, oder wie der Haschomer Hatzair in Wien von 1956 bis 1972 dem Österreichischen Pfadfinderbund angehörten.13 Der Begriff „displaced person“ bzw. DP wird hier nicht nur für BürgerInnen alliierter und neutraler Länder verwendet, sondern im erweiterten Sinne, d. h. unter Einbezug von nicht-alliierten und staatenlosen DPs und Flüchtlingen, so wie er sich in der DP-Forschung etabliert hat. Im Falle der PfadfinderInnen macht das besonders Sinn, weil auch so genannte „Volksdeutsche“ in Maßnahmen der DP Scout Division des Internationalen Büros der Pfadfinder, die DPs betreute, miteinbezogen waren. Pfadfindergruppen in den DP-Lagern werden in diesem Artikel als Räume der Selbstermächtigung und als Möglichkeit, Anteil an einer globalen Jugendbewegung zu nehmen, gedeutet. DP-Pfadfindergruppen, so die Hypothese, waren Orte der „Normalität“ in einer Zeit der Unsicherheit und des Transits. Insbesondere für Jugendliche, deren rechtliche und politische Situation prekär war, stellten sie eine Gelegenheit dar, sich vom sonst eng begrenzten Lagerleben zu „befreien“. Das Gefühl von Normalität gewährten sie insofern, als PfadfinderIn sein auch in den USA, Großbritannien und der Schweiz, also in prosperierenden westlichen Staaten, eine beliebte Variante organisierter Freizeitbeschäftigung für Kinder und Jugendliche war. Für den vorliegenden Beitrag wurde in österreichischen Pfadfinderarchiven und in der einschlägigen Fach- bzw. Memoirenliteratur recherchiert.14 Ein hilfreicher Bestand sind die Dokumente, die John Corsellis über seine Zeit als Relief Worker zusammengestellt hat. Corsellis war ein britischer Kriegsdienstverweigerer, der für die „Friends Ambulance Unit“ und die UNRRA in verschiedenen Ländern während und nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete. Wo es möglich war,

12 Gruppen waren meist nach Geschlechtern getrennt. 13 Vgl. zum Haschomer Hatzair in Österreich: Dan Michael Fischman, „Chawerim Chasak!“ Eine museale Annäherung an eine 100-jährige Wirkungsgeschichte des Haschomer Hatzair in Wien, Dipl. Arb., Universität Wien 2013, zu dessen Mitgliedschaft im Österreichischen Pfadfinderbund: Philipp Lehar, Integration und Ausgrenzung in der Pfadfinderbewegung am Beispiel Österreichs im Umgang mit jüdischen Mitbürgern im Zeitraum 1930–1970, Baunach 2013, 120–122. 14 Pfadfinderarchiv Tirol (Völs) (im Folgenden PAT), Archiv der Pfadfindergruppe Wattens (Wattens), Pfadfindermuseum und Institut für Pfadfindergeschichte (Wien) und Archiv des Österreichischen Pfadfinderbundes (Wien).

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wird die spärliche wissenschaftliche Literatur zum Thema berücksichtigt. Der Beitrag ist keine vollständige oder gar abschließende Darstellung. Er möchte vielmehr einen ersten Einblick in die Thematik geben. Dieser Beitrag versteht sich deshalb auch als Einladung für weitere Forschungen und den Austausch mit Forschenden in einem Feld, das größtenteils erst noch erschlossen werden muss. Der Forschungsstand zur Pfadfinderbewegung muss aus der Sicht verschiedener Wissenschaftsdisziplinen als unzureichend bezeichnet werden. Allen Warren schrieb 2009 in der Einleitung eines Tagungsbandes über die Pfadfinderbewegung: „It is surprising that this volume, and the conference from which it derives, should be the first to examine two of the most distinctive global social phenomena of the twentieth century – that of the Scouting and Guiding; movements that had their beginnings in Edwardian Britain, but then spread across the world, appearing in almost every established or emerging state over the following century. Broadly, except where explicitly banned, Scouting and Guiding is to be found in every country of the world. As a twentieth century global presence, they have similarities with organizations such as the Olympic movement, the YMCA and YWCA, and the Red Cross. Yet, they have attracted little scholarly attention except in a few specific locations, or as part of the biographical interest in their founder, Robert Baden-Powell.“15

Tatsächlich wurde zur Person Baden-Powell sowie zur Pfadfinderbewegung in englischsprachigen Ländern bereits einiges publiziert16, andere Aspekte blieben jedoch weitgehend ungeachtet. Der Mitherausgeber des erwähnten Tagungsbandes Tammy M. Proctor betont in seiner Einleitung, dass alle Untersuchungen „have focused on national Scout movements, none have attempted to cross national borders to talk about Scouting as an international phenomenon.“17 Das erstaunt angesichts des internationalen Charakters dieser Jugendbewegung. Einer der wenigen Wissenschaftler, der transnationale Aspekte der Pfadfinderei am Beispiel der „Boy Scouts of America“ untersucht hat, ist der Historiker

15 Allen Warren, Foreword. Understanding Scouting and Guiding after a hundred years, in: Nelson R. Block/Tammy M. Proctor (Hg.), Scouting Frontiers. Youth and the Scout Movement’s First Century, Newcastle upon Tyne, 2009, xi–xxii, xi. 16 Zu Baden-Powell und zur Entwicklung der Pfadfinderbewegung im British Empire vgl. Michael Rosenthal, The Character Factory. Baden-Powell and the Origins of the Boy Scout Movement, London 1986; Timothy H. Parsons, Race, Resistance, and the Boy Scout Movement in British Colonial Africa, Athens 2004; Robert H. MacDonald, Sons of the Empire. The Frontier and the Boy Scout Movement 1890–1918, Toronto/Buffalo/London 1993; Hugh Brogan, Mowgl’s Sons. Kipling and Baden-Powell’s Scouts, London 1987; Tim Jeal, BadenPowell, New York 1990. 17 Tammy M. Proctor, Introduction. Building an empire of youth: Scout and Guide History in perspective, in: Block/Proctor (Hg.), Scouting, xxvi–xxxviii, xxix.

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Mischa Honeck.18 Er betont, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Pfadfinderei über ein Land hinaus Möglichkeiten bietet, Themen (Jugend, Gender, Nation, internationale Beziehungen), die oft getrennt untersucht werden, gemeinsam in den Blick zu nehmen.19 Daran knüpft auch dieser Beitrag an, der die Pfadfinderei unter DPs und Flüchtlingen als internationales bzw. transnationales Phänomen in den Blick nimmt. Im deutschsprachigen Raum stellen neben Diplomarbeiten und dgl. vor allem die Tagungsbände der Fachtagung Pfadfinden20 und Publikationen des Archivs der deutschen Jugendbewegung im hessischen Witzenhausen21 die vorhandene Sekundärliteratur dar. Daneben gibt es noch meist chronistisch orientierte Publikationen von Verbänden und einzelnen Mitgliedern.22 Auch in Pfadfinderzeitschriften erscheinen immer wieder historische orientierte Artikel als Information und Orientierungswissen für die Mitglieder.23 DPs finden dort aber nur sehr vereinzelt Erwähnung, wie z. B. eine ukrainische Pfadfindergruppe in Graz nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Publikation über die Geschichte der steirischen und österreichischen PfadfinderInnen.24 In Publikationen der „im Exil“ weiterhin aktiven Pfadfinderverbände werden die Aktivitäten in den DPLagern ausführlich mit Fotos dokumentiert; so z. B. in der 1962 von den Estonian Boy Scout Associations in Exile in Schweden herausgegebenen Festschrift „Estonian Scouting 1912–1962“.25 Wichtig für die Auseinandersetzung mit osteuropäischen Pfadfindergruppen und -verbänden in den DP-Lagern und in der Diaspora sind die beiden Bände des niederländischen Pfadfinders Piet J. Kroonenberg.26 In internem oder publiziertem zeitgenössischen Schriftgut über 18 Mischa Honeck, Our Frontier Is the World. The Boy Scouts in the Age of American Ascendancy, Ithaca 2018; Mischa Honeck, An Empire of Youth. American Boy Scouts in the World, 1910–1960, in: Bulletin of the German Historical Institute (2013) 52, 95–112. 19 Ebd., 96. 20 Bisher sind vier Tagungsbände mit Beiträgen von WissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen bei Springer VS erschienen. Eine Übersicht findet sich hier: Fachtagung Pfadfinden, Tagungsbände, URL: http://fachtagung-pfadfinden.de/index.php/archiv/tagungsband (abgerufen 15. 1. 2020). 21 Vgl. z. B. Jürgen Reulecke/Hannes Moyzes (Hg.), Hundert Jahre Pfadfinden in Deutschland (Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung NF 6/2009), Schwalbach/Ts. 2010. 22 Vgl. z. B. PPÖ (Hg.), PfadfinderInnen in Österreich 1938. Mitgelaufen? Angepasst? Verfolgt?, Wien 2007; Kurt Pribich, Logbuch der Pfadfinderverbände in Österreich, Wien 2004. 23 Z. B. Philipp Lehar, Pfadi nach dem Zweiten Weltkrieg – Nachbarschaftshilfe, in: SarasaniZeitschrift der Pfadibewegung Schweiz (2011) 9, 24–25; Philipp Lehar, Pfadfinderarbeit als Beitrag zur Integration?, in: ppö-brief (2009) 2, 11. 24 Horst Ziegler, Die Geschichte der österreichischen Pfadfinderbewegung aus steirischer Sicht, Fürstenfeld 1999, 119–121. 25 Estonian Boy Scout Associations in Exile, Estonian Scouting 1912–1962, Stockholm 1962, 29–35. 26 Piet J. Kroonenberg, The Undaunted – Keeping the Scouting Spirit Alive. The Survival and Revival of Scouting in Central and Eastern Europe, Genf 1998; Piet J. Kroonenberg, The

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PfadfinderInnen kommen DPs selten vor. In den Unterlagen lokaler oder regionaler Vereinsarchive tauchen DP-PfadfinderInnen aber zumindest als Randnotiz immer wieder auf, mitunter allerdings sehr verschlüsselt. So findet sich im Logbuch der Pfadfinderinnen aus Wattens in Tirol mehrmals der Eintrag, dass sie ukrainischen Pfadfinderschwestern begegnet seien.27 Diese Einträge geben für sich alleine Rätsel auf, vor dem Hintergrund, dass in den DP-Lagern Landeck und Kufstein ukrainische Pfadfindergruppen existierten, machen sie aber Sinn. Im Logbuch des Landeskorps Tirol der Pfadfinder Österreichs findet sich am 10. September 1947 folgender Eintrag: „Haiming: Führer und Buben sind aus dem Ausländerlager Haiming. Der Wille ist ausgezeichnet. Die Pfadfinder sind der Mittelpunkt und Lichtblick des Lagers. Ich bin auf das angenehmste überrascht. Freilich darf der Maßstab nicht so streng angelegt werden wie bei unseren Gruppen. Die Insassen des Lagers sind verbittert. Was wird die Zukunft bringen? Volksdeutsche aus Ungarn, Rumänien und Jugoslawien wohnen hier friedlich nebeneinander.“28

Größere Quellenbestände oder Sammlungen zur Thematik existieren nach derzeitigem Kenntnisstand nicht. In den Dokumenten der alliierten Behörden scheinen PfadfinderInnen zwar immer wieder auf, sie darin aufzuspüren, ist allerdings oft dem Zufall geschuldet. So verfasste John Corsellis einen Eintrag für sein Brieftagebuch über den Besuch von Vertretern der britischen Militärregierung im DP-Lager Lienz am 5. August 1946: „After seeing the most interesting parts of the camp and a small display by the Boy Scouts, we came back for tea, and then went down by jeep to the station to see them off.“29 Dasselbe gilt für Sammlungen und Quellen zur DP-Geschichte wie der Webseite dpcamps.org.30 Diese Website wird vor allem von Angehörigen von DPs gepflegt und soll bei Recherchen zur Familiengeschichte helfen. Die Informationen zu mehreren DP-Lagern weisen auf Pfadfindergruppen verschiedener Nationalitäten hin, z. B. existierten demnach in den Münchener Lagern Bogenhausen, Feldmoching und Freimann jeweils eine russische Pfadfindergruppe.31

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Undaunted II – The Survival and Revival of Scouting in Eastern Europe and Southeast Asia, Las Vegas 2003. Logbuch Martha Knollseisen ab 1945. PAT, Bestand Pfadfinderinnen in Tirol. Logbuch Landeskorps Tirol, Teil II ab April 1946. PAT, Bestand Pfadinder Österreichs Landeskorps Tirol 1945–1952, 19–20. John Corsellis, War and Aftermath. Letter-diaries of a humanitarian worker with the Quakers, British Red Cross & UNRRA 1944–1947, Refugee Study Centre University of Oxford, 81, URL: http://repository.forcedmigration.org/show_metadata.jsp?pid=fmo:5360 (abgerufen 15. 1. 2020). Olga Kaczmar/Alan Newark, Welcome to Displaced Persons Camp, Privates Webseitenprojekt, URL: http://dpcamps.org (abgerufen 15. 1. 2020). Olga Kaczmar/Alan Newark, Munich München Displaced Persons Camps, Privates Webseitenprojekt, URL: http://www.dpcamps.org/munich.html (abgerufen 15. 1. 2020).

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Auf der Website dpalbum.lv finden sich viele Fotos von lettischen PfadfinderInnen in DP-Lagern in Deutschland.32 Auch in einer von baltischen Staatsarchiven gemeinsam mit einer NGO gestalteten Online-Ausstellung über baltische DPs in Deutschland zwischen 1944 und 1951 kommen Pfadfindergruppen in den DP-Lagern vor,33 genauso wie in den Memoiren ehemaliger DPs. Ein Beispiel ist das Buch „Exile from Latvia: My WWII Childhood – from Survival to Opportunity“ von Harry G. Kapeikis, in dem ein ganzes Kapitel den „Scouting Days“ im DP-Lager gewidmet ist.34 Pfadfindergruppen in DP-Lagern bzw. später als „Exilverbände“ stießen auch auf das Interesse von PhilatelistInnen, weil sie eigene Briefmarken produzierten.35 Zum Abschluss ein Blick auf die DP-Forschungsliteratur : In seiner Überblickdarstellung „DPs Europe’s Displaced Persons, 1945–1951“ erwähnt Mark Wyman die verschiedenen Pfadfindergruppen und geht kurz auf deren Konflikte mit westalliierten Dienststellen ein.36 Julia Lalande behandelt in ihrer Dissertation „Building a Home Abroad: A Comparative Study of Ukrainian Migration, Immigration Policy and Diaspora Formation in Canada and Germany after the Second World War“ die ukrainische Pfadfinderorganisation PLAST.37 Jan-Hinnerk Antons beschreibt in seinem Aufsatz im ITS-Jahrbuch 3 die PLAST als einen der Akteure bei der Identitätskonstruktion der UkrainerInnen in den DP-Lagern.38 In der Dissertation „Polens verlorene Kinder. Die Suche und Repatriierung verschleppter polnischer Kinder nach 1945“ von Iris Helbing finden sich Hinweise auf polnische Pfadfindergruppen.39 Einen Hinweis auf polnische Pfadfindergruppen in Lübeck enthält ein Aufsatz von Berit

32 DP Album, Skauti, gaidas, Privates Webseitenprojekt URL: http://www.dpalbum.lv/search. php?action=filter& filled=1& whichtype=links& photothemecondition=like& phototheme search=Skauti,%20gaidas (abgerufen 15. 1. 2020). 33 Camps in Germany (1944–1951) for refugees from Baltic countries, Youth organizations, Staatsarchive von Estland, Lettland und Litauen, URL: http://www.archiv.org.lv/baltic_dp_ germany/index.php?id=227& lang=en (abgerufen 15. 1. 2020). 34 Harry G. Kapeikis, Exile from Latvia: My WWII Childhood–from Survival to Opportunity, Bloomington 2007, ohne Seitenzahlen. „Scouting Days“ ist Kapitel 12. 35 SOSSI, Scouts in Exile Stamp Issues, Scouts on Stamps Society International, URL: https:// sossi.org/exile/issues.htm (abgerufen 15. 1. 2020). 36 Mark Wyman, DPs. Europe’s Displaced Persons, 1945–1951, Ithaca/London 1998, 103–104. 37 Julia Lalande, Building a Home Abroad. A Comparative Study of Ukrainian Migration, Immigration Policy and Diaspora Formation in Canada and Germany after the Second World War, phil. Diss., Universität Hamburg 2006, 70–71. 38 Jan-Hinnerk Antons, Ukrainische Displaced Persons und ihr Kampf um nationale Identität, in: Rebecca Boehling/Susanne Urban/Ren8 Bienert (Hg.), Freilegungen. Displaced Persons – Leben im Transit: Überlebende zwischen Repatriierung, Rehabilitation und Neuanfang (Jahrbuch des Internationalen Suchdienstes 3), Göttingen 2014, 228–240, 237. 39 Iris Helbing, Polens verlorene Kinder. Die Suche und Repatriierung verschleppter polnischer Kinder nach 1945, phil. Diss., Universität Frankfurt (Oder) 2015, 208–210.

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Pleitner und Christian Pletzing aus dem Jahr 2016.40 Christian Hölscher erwähnt in seiner Dissertation „The IRO Children’s Village Bad Aibling. A Refuge in the American Zone of Germany 1948–1951“ eine tschechoslowakische Pfadfindergruppe.41 Aktuell stellen Pfadfindergruppen und -verbände in DP-Lagern ein sehr junges Forschungsgebiet dar. Die Forschungen stehen deshalb noch ganz am Anfang. Für weitere Untersuchungen könnten Recherchen in Archiven der Pfadfinderverbände in Osteuropa, der osteuropäischen Einwandererorganisationen in Amerika sowie Australien und Recherchen im Archiv der Vereinten Nationen42 neue Erkenntnisse bringen. Eine Herausforderung stellt mit Sicherheit die Vielsprachigkeit der Quellen dar.

III.

PfadfinderInnen und ihre Rolle in der bürgerlichen Gesellschaft – eine Kurzvorstellung

Leopold Zimmermann, eine prägende Person der österreichischen Pfadfinderbewegung, versuchte die Pfadfinderei 1956 so zusammenzufassen: „Sie ist eine nationale und doch weltweite Bewegung und Bildungsmöglichkeit, die physisch und psychologisch junge Menschen im Rahmen des Pfadfindergesetzes und des Pfadfindersystems bei weitgehender Toleranz und harmonischer Lebensführung in eine Gemeinschaft zusammenfassen will, die edlen Idealen zustrebt und deren Betätigung hauptsächlich in körperlicher und geistiger Ertüchtigung besteht, um für sich und die Mitmenschen neue Pfade einer besseren Lebenskultur zu finden.“43

Die Pfadfinderbewegung ist auf allen Kontinenten vertreten. Inhalte, Methoden und Werte, die in der Jugendarbeit vermittelt werden sollen, folgen Vorgaben der Weltverbände World Organization of the Scout Movement (WOSM)44 und der 40 Berit Pleitner/Christian Pletzing, Polnische Displaced Persons in Lübeck. Schüler erforschen transnationale Regionalgeschichte, in: Christian Pletzing/Markus Velke (Hg.), Lager – Repatriierung – Integration. Beiträge zur Displaced Persons-Forschung (DigiOst 4), München 2016, 101–119, 105 u. 107. 41 Christian Hölscher, The IRO Children’s Village Bad Aibling. A Refuge in the American Zone of Germany 1948–1951, phil. Diss., LMU München 2016, 135. 42 Z. B. Folder 74-Baltic Scouts-Schleswig-Holstein Region. United Nations Archives, UNRRA, British Zone Headquarters-Regional Units and Teams S-0408-006, S-0408-0006-19 oder Boy Scouts – Germany. United Nations Archives, UNRRA, Office of Voluntary and International Agency Liason (OVIAL) – Voluntary Agencies – Files arranged by Agencies S-0520-0315, S1267-0000-0084. 43 Leopold Zimmermann, Was die Pfadfinderei ist (Versuch einer allgemein gültigen Definition), in: Unser Weg – Die Pfadfinderzeitung 25 (1956) 2, 4. 44 Vgl. z. B. World Scout Bureau, Scouting is Education for Life, Genf 2012; World Scout Bureau, The Essential Characteristics of Scouting, Genf 1998.

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World Association of Girl Scouts and Girl Guides (WAGGGS).45 WOSM verwendete lange die Bezeichnung „Internationales Büro der Pfadfinder“ als Namen, so auch von den 1930ern bis in die 1950er-Jahre. In jedem Land kann nur eine Organisation (d. h. ein Verband bzw. ein Dachverband) Mitglied von WOSM oder WAGGGS sein. Ob eine außerhalb der eigenen Staatsgrenzen tätige Pfadfinderorganisation Mitglied der Weltverbände sein kann, war und ist immer wieder eine Streitfrage, die auch für die DP-Pfadfinderverbände zentral war. Dazu mehr weiter unten. Die 1907 in England von Robert Baden-Powell gegründete Jugendbewegung versteht sich heute als Friedensbewegung. Über Brieffreundschaften, Besuche, internationale Lager, gemeinsame Praktiken und Traditionen soll Zugehörigkeit erfahren werden. Das Pfadfinderversprechen wiederum macht Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu Mitgliedern dieser weltweiten Gemeinschaft und verpflichtet sie auf die „Pflicht gegen Gott“, die „Pflicht gegenüber den Anderen“ (darunter auch dem Heimatland) und die „Pflicht gegenüber sich selbst“. Unabhängig von Herkunft, Religion und sozialem Status betrachten sich PfadfinderInnen untereinander als Geschwister. Diese wesentlichen ideologischen und organisatorischen Rahmenbedingungen waren auch für die Pfadfindergruppen in DP-Lagern bestimmend. Freilich gab (und gibt) es in der Praxis immer wieder erhebliche Abweichungen von diesen prinzipiell verbindlichen Grundregeln. Dieses Faktum bzw. die Frage, wie viel Kontrolle nötig sei, spielte bei der Wiederzulassung der Pfadfinderarbeit in Deutschland 1945 eine Rolle (wohingegen sie in Österreich bereits 1945 wieder erlaubt war).46 Die Einführung der Pfadfinderarbeit in der britischen Zone in Deutschland wurde in Großbritannien auf höchster Ebene diskutiert. Militärgouverneur Feldmarschall Bernard Montgomery traf sich im August 1945 sogar persönlich mit dem Vorsitzenden der britischen Pfadfinder. Nach eingehender Analyse kamen die Verantwortlichen zum Schluss, dass es dafür noch zu früh sei. Das Erscheinungsbild mit Uniformen47 und Wimpeln erinnere zu stark an die Hitlerjugend. Daher bestünde die Gefahr negativer Reaktionen in der Bevölkerung und des Missbrauchs durch Nationalsozialisten – obwohl die deutsche Jugend sich in einem erzieherischen Vakuum befände und Jugendarbeit daher dringend notwendig sei.48 So kam es, dass die drei westlichen Besatzungsmächte Pfadfindergruppen in DP-Lagern früher als die deutschen Gruppen förderten. 45 WAGGGS, Prepared to learn, Prepared to lead. Using the Girl Guide and Girl Scout Educational Method to create amazing learning experiences, London 2014. 46 Pribich, Logbuch, 146–149. 47 Auch wenn die deutschen PfadfinderInnen selbst den Begriff Kluft oder Tracht verwendeten und bis heute verwenden. 48 Christina Hebben, Bündischer und scoutistischer Neuanfang nach 1945: interkonfessionelle Pfadfindergruppen im besetzten Deutschland, in: Arno Klönne (Hg.), Pfadfinder nach 1945.

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Die Frage, wie unmilitärisch und unpolitisch die Pfadfinderverbände in vielen Ländern im Lauf der Geschichte waren, wurde zu Recht gestellt. Die Gründung der Bewegung in Großbritannien war klar damit verbunden gewesen, das Empire zu erhalten, gegen die „Verweichlichung“ der Jugend aufzutreten, Patriotismus und Wehrwillen zu stärken.49 Erst nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich das Konzept in Richtung Friedenserziehung weiter, wobei aber viele nationale Verbände an der ursprünglichen Ausrichtung festhielten.50 Pfadfinderarbeit sollte Männlichkeit fördern51, die Sexualität kontrollieren52 und bestehende Ordnungen stabilisieren. David I. Macleod arbeitete die zentrale Rolle der Christlichen Vereinigung Junger Männer (YMCA) und der Pfadfinder heraus, die diese Jugendverbände als Erziehungsinstanzen in den USA von 1870 bis 1920 spielten.53 Timothy H. Parsons untersuchte britische Kolonien in Afrika. Er konnte nachweisen, dass Kolonialbeamte und Missionare mit der Einführung der Pfadfinderei die koloniale Ordnung stärken und junge Männer für diese gewinnen wollten, ungeachtet dessen aber unabhängige Schulen und Kirchen diese für eigene Zielvorstellungen adaptierten. Es war ein Leichtes, emotionsgeladene Begriffe wie Ehre, Loyalität, Pflicht, Gehorsam und Bruderschaft aus dem Pfadfindergesetz so zu deuten, dass sie die Legitimität der Kolonialherrschaft in Frage stellten.54 Dies veranschaulicht auch das Beispiel Palästina unter britischer Mandatsverwaltung, wo Zionisten55 und Araber56 die jeweiligen Pfadfindergruppen für ihre einander konkurrierenden politischen Ziele nutzten.

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Neubeginn im besetzten Deutschland (puls. Dokumentationsschrift der Jugendbewegung 23), 7–38, 18–30. Vgl. Michael Rosenthal, The Character Factory. Baden-Powell and the Origins of the Boy Scout Movement, London 1986; Timothy H. Parsons, Race, Resistance, and the Boy Scout Movement in British Colonial Africa, Athens 2004; Robert H. MacDonald, Sons of the Empire. The Frontier and the Boy Scout Movement 1890–1918, Toronto/Buffalo/London 1993; Hugh Brogan, Mowgl’s Sons. Kipling and Baden-Powell’s Scouts, London 1987; Tim Jeal, Baden-Powell, New York 1990; Scott Johnston, Looking Wide? Imperalism, Internationalism and the Boy Scout Movement 1918–1939, Dipl. Arb., University of Waterloo/Canada 2012. Eduard Vallory, Status Quo Keeper or Social Change Promoter? The Double Side of World Scouting’s Citizenship Education, in: Block/Proctor (Hg.), Scouting, 207–222, 209. Vgl. James Trepanier, Building Boys, Building Canada: The Boy Scout Movement in Canada 1908–1970, phil. Diss., York University Toronto 2015; Benjamin Ren8 Jordan, „A modest Manliness“: The Boy Scouts of America and the Making of Modern Masculinity, 1910–1930, phil. Diss., University of California 2009. Sam Pryke, The control of sexuality in the early British Boy Scouts movement, in: Sex Education 5 (2005) 1, 15–28. David I. Macleod, Building Character in the American Boy. The Boy Scouts, YMCA and Their Forerunners. 1870–1920, Madison 1983. Parsons, Race, Resistance and the Boy Scout Movement, 256–257. Eitan Bar-Yosef, Fighting Youth. Zionist Scouting in Israel and Baden-Powell’s Legacy, in: Block/Proctor (Hg.), Scouting, 42–55. Arnon Degani, They Were Prepared. The Palestinian Arab Scout Movement 1920–1948, in: British Journal of Middle Eastern Sudies 41 (2014) 2, 200–218.

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Als 1937 ein neuer regionaler Pfadfinderverantwortlicher aus den Reihen der britischen Mandatsverwaltung gesucht wurde, schrieb einer der Angesprochenen, dass seiner Einschätzung nach die Pfadfinderbewegung in Palästina eine der am meisten zersetzenden Vereinigungen gegenüber der britischen Mandatsverwaltung sei.57 Mit Pfadfinderarbeit ließen sich bestehende Ordnungen herausfordern, sie konnte diese aber auch stärken oder die Mitgliedschaft in einem Pfadfinderverband den Wunsch nach Zugehörigkeit ausdrücken. In Großbritannien etwa war die Gründung von Pfadfindergruppen für Muslime ein Weg, um nach dem 9. September 2001 zu beweisen, dass sie ein Teil der britischen Gesellschaft sein wollten.58 Aber waren Pfadfindergruppen auch für DPs eine Möglichkeit, um auszudrücken, dass sie ein Teil der westlichen Kultur waren und dienten sie als Plattform, um Gleichgesinnten, aber auch Entscheidungsträgern auf Augenhöhe zu begegnen? Die genannte, von John Corsellis beschriebene Pfadfinderausstellung beim Besuch der Vertreter der britischen Militärregierung im DP-Lager in Lienz könnte in diese Richtung interpretiert werden. War die Pfadfinderarbeit für DPs eine Möglichkeit, um Wertvorstellungen an ihre Kinder und Jugendlichen weiterzugeben, Wertvorstellungen, die sie häufig mit MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen und westalliierten Dienststellen teilten? Oder nutzten DPs Pfadfinderarbeit vor allem für eigene Ziele, ähnlich wie die zionistischen und arabischen Gruppen in Palästina?59

IV.

Pfadfindergruppen in DP-Lagern

Die Pfadfinderbewegung war vor dem Zweiten Weltkrieg in den osteuropäischen Ländern fest verankert. Beim Internationalen Büro der Pfadfinder waren 1936 102.534 polnische, 24.315 tschechoslowakische, 45.530 ungarische und auch 1.118 ausgewanderte russische Pfadfinder registriert,60 die Zahl der Mitglieder in Österreich betrug dagegen lediglich 10.164.61 Der Zweite Weltkrieg und die nationalsozialistische Expansionspolitik bedeuteten für die Pfadfinderbewegung eine Zäsur. In den durch Deutschland beherrschten bzw. kontrollierten Gebieten kam es zu Verboten und Verfolgungsmaßnahmen. Das Kriegsgeschehen brachte auch andernorts erhebliche 57 Ebd., 201. 58 Sarah Mills, Youth Citizenship and religious Difference. Muslim Scouting in the United Kingdom, in: Block/Proctor (Hg.), Scouting, 190–206, 196. 59 Dazu auch Hölscher, The IRO Children’s Village, 159–160. 60 Ohne Autor, Pfaderreich, Volkszählung 1936, in: Lagerfeuer – Zeitschrift für katholische Jungen 5 (1936) 11/12, 182. 61 Ebd.

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Einschnitte. Weil jedoch die Pfadfinderidee in Mittel- und Osteuropa vor 1938 bzw. 1939 weit verbreitet gewesen war, entstanden ab 1939 entweder auf Eigeninitiative der DPs oder angeregt durch MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen Pfadfindergruppen in den DP-Lagern in Mitteleuropa und darüber hinaus. Ab 1942 gab es Pfadfindergruppen unter polnischen Flüchtlingen und Evakuierten in Nordrhodesien62 und jüdische DPs gründeten nach 1941 Gruppen auf Mauritius.63 Ab 1945 kam es auch im besetzten Deutschland zu Gründungen. In Lübeck gründete der Direktor eines UNRRA Assembly Teams eine Pfadfindergruppe und schrieb nach England, um Schulungsunterlagen für die Gruppe zu bekommen.64 Gleichzeitig gründeten polnische DPs dort eine Rover65-Gruppe und planten den Aufbau polnischer Pfadfindergruppen in ganz Westdeutschland.66 Mit dem Scouts’ International Relief Service arbeitete eine eigene Hilfsorganisation der Pfadfinder u. a. in DP-Lagern in Nordwesteuropa, Italien, Österreich, Jugoslawien, Griechenland, Zypern, Syrien, Palästina, Ägypten und Hongkong.67 Jean R. Monnet, ein Mitarbeiter dieser Organisation, erinnerte sich an eine Begegnung mit estnischen PfadfinderInnen aus DP-Lagern in der Region um Lübeck im Jahr 1945.68 Eine ähnliche Hilfsorganisation unterhielten auch die Pfadfinderinnen mit dem Guide International Service. Bereits 1944 waren Teams der PfadfinderInnen in den Niederlanden im Einsatz. Die Organisation funktionierte in enger Abstimmung mit den britischen Streitkräften und später der Militärregierung über das Council of British Societies for Relief Abroad (CBSRA), einem Zusammenschluss verschiedenster Hilfsorganisationen. Eine führende Rolle bei CBSRA nahm das britische Rote Kreuz ein.69 Dass Hilfsteams der PfadfinderInnen in Kriegsgebieten bzw. in einem erst vor kurzem besetzten Gebiet zugelassen wurden, zeigen das Ansehen und Vertrauen, das sie in Großbritannien genossen. Ein Beispiel dafür lieferte nicht zuletzt der oben erwähnte britische UNRRA-Mitarbeiter aus Lübeck. Parallel dazu wurden DPs auch von sich aus aktiv, wie die ebenfalls oben beschriebenen Polen.

62 Hilary St. George Saunders, The Left Handshake – The Boy Scout Movement during the war 1939–1945, London 1949, 112. 63 Ebd. 64 Ebd., 110. 65 Rover sind junge Männer im Alter von etwa 16 bis maximal 25 Jahren. 66 Saunders, The Left, 110. Leider gibt Saunders keine Jahreszahl für die Ereignisse in Lübeck an. 67 Ebd., 106–110. 68 Estonian Boy, Estonian, 5. 69 Kroonenberg, The Undaunted, 29–30; Piet J. Kroonenberg, Guide International Service & Scout International Service, Amsterdam 2007, URL: http://www.crichparish.co.uk/PDF/GISSIRS.pdf (abgerufen 15. 1. 2020).

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Der aus Lettland mit seiner Familie geflohene Harry G. Kapeikis erinnert sich, dass ihn ein Bekannter im DP-Lager für die Wölflinge70 anwarb. Abzeichen und Hemd stellte die UNRRA. Der damals Zehnjährige lebte mit seiner Familie im DP-Lager Haunstetten im Kreis Augsburg. Die Gruppe traf sich wöchentlich zwei- bis dreimal. Bei den Treffen bastelten die Kinder, sie übten Knoten oder Nachrichtenübermittlung mit Morsecode und Semaphor. Zum Programm zählte aber ebenso die religiöse Unterweisung oder lettische Geschichte und Geografie.71 Die Pfadfindergruppe, der Harry G. Kapeikis angehörte, war eine Gemeinschaft, in der jungen Menschen weit entfernt von Lettland Wissen über dieses Land vermittelt wurde. Dadurch sollten sich die Kinder und Jugendlichen als Teil eines nationalen Kollektivs verstehen lernen. Eine Tatsache, die der damals Zehnjährige sicher nicht in seiner vollen Tragweite begriff. Für den Buben standen Gemeinschaft, Spiel und Abenteuer im Vordergrund. Abzeichen auf seinem Pfadfinderhemd drückten einerseits die Zugehörigkeit zur globalen Pfadfinderbewegung aus, aber andererseits auch zur speziellen lettischen Variante. Die Pfadfindergruppe war ebenso wie Schule oder Feste Teil eines Prozesses, „Nationalität“ zu erhalten oder erst zu schaffen. Die Identitäten von DPs waren nicht statisch, sondern in Bewegung und Änderungen oder Streichungen in den DP-Dokumenten ein Ausdruck davon – wenn etwa aus „Polish-Ukrainian“ „Ukrainian“ wurde oder aus „Polish-Jewish“ auch unter dem Eindruck der Erfahrungen im DP-Lager „Jewish“. Wie JanHinnerk Antons in seiner Studie über ukrainische DPs herausarbeitet, waren diese nationalen Homogenisierungsprozesse nicht frei von Druck in den ukrainischen DP-Lagern. Der Gebrauch der polnischen und russischen Sprache verschwand aus dem öffentlichen Raum. Manche Kinder und Jugendliche mussten erst im DP-Lager Ukrainisch lernen. Nur bedingt konnten DPs ihre ethnische Identität selbst wählen. So änderte z. B. ein im Aufsatz von Antons erwähnter DP seine Identität von Ukrainisch zu Polnisch erst nachdem er ein bestimmtes DP-Lager verlassen hatte.72 Die formalen und non-formalen Bildungsinstitutionen, wozu PfadfinderInnen ganz klar zu zählen sind, waren Brennpunkte dieser ethnischen Vereinheitlichung. Bald entstanden in Deutschland nicht nur Pfadfindergruppen in einzelnen DP-Lagern, sondern Zusammenschlüsse der unterschiedlichen Nationen in den einzelnen westlichen Besatzungszonen. Der amerikanische Pfadfinderführer Karl E. Eby verfasste 1946 einen Bericht für das Internationale Büro: Es gebe sieben „starke“ Nationen, die ihre eigene Pfadfinderarbeit organisierten und ihre eigenen Zeitschriften, Ausbildungsschriften, Kurse und Treffen gestalte70 Als Wölflinge werden Kindergruppen im Volksschulalter bezeichnet. 71 Kapeikis, Exile, ohne Seitenzahlen. 72 Antons, Ukrainische Displaced Persons, 232–236.

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ten.73 Eine dieser „starken“ Nationen waren die Esten. Ihr erster Pfadfindertrupp in Deutschland war am 13. Mai 1945 gegründet und bald ein Zentrales Büro eingerichtet worden. 1947 gab es 52 estnische Pfadfindergruppen mit 1.700 registrierten Mitgliedern in DP-Lagern. Den estnischen Pfadfindern gelang in Deutschland auch etwas, wozu sie im unabhängigen Estland der Zwischenkriegszeit noch nicht in der Lage gewesen waren: Sie veranstalteten insgesamt drei Woodbadgekurse – die höchsten internationalen74 Ausbildungskurse für PfadfinderleiterInnen.75 Auch darin kann ein deutlicher Hinweis auf die Handlungsspielräume und die Chancen zur Selbstorganisation von DPs gesehen werden. 1947 berichtete Eby erneut, in der US-Zone in Deutschland gebe es zwischen 12.000 und 15.000 PfadfinderInnen in DP-Lagern. Den größten Anteil hätten Polen, Letten und Litauer, die kleinste Gruppe seien die Weißruthenen. Juden seien gar nicht vertreten, da sich diese primär in zionistischen Gruppen organisierten. Pfadfindergruppen würden einen hohen Anteil der Jugendlichen erreichen, an manchen Standorten bis zu 70 oder 80 Prozent. Es sei so selbstverständlich, eine Pfadfindergruppe zu gründen wie einen Kindergarten, eine Schule oder Kirchen.76 Von überaus großen Gruppen spricht auch ein undatierter Bericht aus Minden in Westfalen, verfasst von einem britischen Verantwortlichen für mehrere DP-Lager rund um die Stadt, wo ca. 15.000 Polen und Polinnen untergebracht waren: Vor ein paar Wochen habe er zufällig ein paar polnische Pfadfinder getroffen und Treffen mit ihnen organisiert. Aktuell gebe es dort bereits 800 Pfadfinder und rund 400 Pfadfinderinnen und eine ebenso lange Warteliste. Als er bei einem deutschen Kleiderproduzenten 1.000 Pfadfinderuniformen bestellt habe, habe ihn der Produzent für verrückt gehalten.77 Ein Vorteil von Pfadfinderarbeit war, dass diese sowohl den westalliierten Militärangehörigen, den HelferInnen (Relief Workers) als auch vielen DPs vertraut war. Sie fand also sowohl bei den Besatzungsbehörden als auch bei den LagerbewohnerInnen Akzeptanz. John S. Wilson, der Direktor des Internationalen Büros der Pfadfinder, war als langjähriger britischer Offizier und ebenso 73 Saunders, The Left, 110–111. 74 Ein Woodbadgekurs wurde erstmals 1919 in Großbritannien veranstaltet. In den folgenden Jahren fanden die ersten Kurse auch außerhalb des British Empire statt. Die Inhalte waren für alle Länder vom britischen Pfadfinderverband vorgegeben und die nationalen Kursleiter mussten eine Schulung in Großbritannien absolvieren, um selber Kurse in ihren Heimatländern durchführen zu können. Als äußeres Zeichen für die erfolgreiche Absolvierung eines Woodbadgekurses werden zwei Holzperlen verliehen. Dieses äußere Zeichen hat einen hohen Stellenwert innerhalb der Pfadfinderbewegung. 75 Estonian Boy, Estonian, 34. 76 Saunders, The Left, 110–111. 77 Ebd.

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langjähriger Pfadfinderfunktionär bestens vernetzt. Über einen Besuch in Österreich im Jahr 1947 schrieb er, dass ein angenehmes Programm für ihn von der Educational Divison/British Element und von Adolf Klarer von den Pfadfindern Österreichs organisiert worden sei. Über Beziehungen erhielt er ein Auto samt Fahrer von den britischen Streitkräften und bereiste so die Westzonen. Unterwegs traf er sich mit Verantwortlichen für die Jugenderziehung – darunter die Erziehungsoffiziere für die amerikanische, britische und französische Zone –, mit österreichischen PfadfinderInnen und besuchte zahlreiche DPLager, wo es zu weiteren Begegnungen mit PfadfinderInnen kam. Überall, bei den westalliierten Dienststellen wie auch sonst, sei er auf bekannte Gesichter gestoßen.78 Die Aufnahme von Wilson in Österreich und dessen Unterstützung durch die britische Armee zeigen ebenfalls die Wertschätzung bzw. den Stellenwert der PfadfinderInnen aus der Sicht der Besatzer. Der Erfolg des Pfadfindermodells in den westlichen Besatzungszonen verdankte sich zweifelsohne auch seiner westlich-britischen Herkunft einschließlich der Kompatibilität mit prowestlichen Weltanschauungen, seiner Anschlussfähigkeit an die Strukturen der DP-Lager und seiner Bekanntheit unter vielen DPs aus Mittel- und Osteuropa. Die traditionell nationalstaatlichen Organisationsstrukturen der Pfadfinderverbände waren für die ebenfalls entlang von nationalen Zugehörigkeiten organisierten DPs zweifelsohne attraktiv, nicht zuletzt, weil sie einen Rahmen für die identitätspolitische Erziehung der eigenen Jugend boten.

V.

Kontakte außerhalb des DP-Lagers

PfadfinderIn sein hieß, so die Gründungsdokumente der Bewegung, Teil einer weltweiten Gemeinschaft zu sein, die Menschen anderer Religion, Herkunft und Staatsangehörigkeit einschloss. Das erfuhren die PfadfinderInnen in den DPLagern, die dort, wie bereits erwähnt, meist entlang des Kriteriums „Nation“ organisiert waren, durch Treffen mit anderen Gruppen: „Aber alles übertraf das Landestreffen im Juni 1946 in Gurk. Dort witterten wir alle die Luft eines internationalen Pfadfinderlagers. Es waren Vertreter von sieben Nationen dabei, und Gruppen aus allen Teilen Kärntens, mit Gruppen aus den DP-Lagern, lagerten an den Hängen um Gurk herum,“79 berichtete ein Rover, der als britischer Besatzungssoldat in Kärnten stationiert war. Für einen kurzen Moment hatte er

78 John S. Wilson, Scouting round the world, London 1959, 70. 79 Geoff Acton, Ein Urteil eines ausländischen Roverpfadfinders über Kärnten, in: Lagerfeuer. Offizielles Organ der Pfadfinder Österreichs 4 (1951) 9, 8–9.

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sich wohl „nur“ als Pfadfinderbruder und nicht als Repräsentant einer staatlichen Macht, die für die DPs verantwortlich war, gefühlt. Wie die Briten in ihrer Zone, begrüßten die französischen Besatzungsbehörden im Westen Österreichs die Pfadfinderbewegung als Teil ihrer Jugendarbeit, die auch auf DPs ausgerichtet war. Im Sommer 1946 z. B. lud die Jugendabteilung der französischen Militärregierung in Turnussen zu einem mehrwöchigen Jugendlager in das Montafon, einem Tal in Vorarlberg. Dort gab es u. a. auch ein Pfadfinderlager namens „Lager der Freundschaft“. Insgesamt kamen 2.868 Jugendliche in den Genuss eines Aufenthalts: 674 Franzosen, 153 Belgier, 805 Wiener, 297 Niederösterreicher, 85 Salzburger, 148 Tiroler, 453 Vorarlberger, 43 Oberösterreicher, 75 Kärntner, 49 Steirer und 86 Einwohner von Salzburger UNRRA-Lagern.80 Ein Jahr darauf fand in Moission in Frankreich das 6. World Scout Jamboree statt, woran auch 200 Pfadfinder aus deutschen und österreichischen DP-Lagern teilnahmen.81 Auch bei diesem Großereignis mischten sich Angehörige regulärer Nationalverbände mit DP-Pfadfindern. Gleichzeitig trafen einander aber auch DPPfadfinder aus unterschiedlichen Ländern.82 Bei diesen multinationalen Begegnungen konnten die Gruppen aus den DPLagern mit ihren eigenen Traditionen und Symbolen auftreten. Mit ihren als authentisch empfundenen Volkstrachten, Fahnen, Wappen und nationalen Varianten der Pfadfinderuniform konnten sie „ihre Länder“ repräsentieren. Länder, die real von den Landkarten und aus der Weltpolitik verschwunden waren oder wie im Falle Polens aus der Sicht zahlreicher DPs von einer nichtlegitimierten Regierung übernommen worden war. Am World Scout Jamboree und bei anderen internationalen Treffen konnten sie zeigen, dass es noch eine „unabhängige Ukraine“, die baltischen Länder oder ein „anderes Polen“ gab, wenn auch nur symbolisch. In einem Filmclip zum 100-Jahrjubiläum von PLAST aus dem Jahr 2012 wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die ukrainischen PfadfinderInnen im Westen die ukrainische Fahne hissten und ihre Nationalhymne sangen und damit Dinge taten, die in der Sowjetunion nicht erlaubt gewesen wären.83 Derselbe Film berichtet auch über die Teilnahme ukrainischer Pfadfinder aus Großbritannien und Deutschland am Weltjamboree 1963 in Griechenland: „However we were recognized by our fellow Scouts, who made it 80 Internationales Jugendlager – Zone Montafon – Zusammenstellung der Teilnehmer, Original im Archiv von Alois Düll. PAT, Bestand Pfadfinder Österreichs Landeskorps Tirol 1945–1952 (Kopie). 81 Wilson, Scouting, 73. 82 Z. B. trafen sich Esten aus den DP-Lagern in Deutschland mit Pfadfinderbrüdern, die nach Schweden geflüchtet waren. Estonian Boy, Estonian, 32. 83 PLAST, Plast Ukrainian Scouts 100th Anniversary, YouTube Beitrag, 21 Minuten, Großbritannien 2012, 00:28–1:00 min, URL: https://www.youtube.com/watch?v=g9PBzmN_xao (abgerufen 15. 1. 2020).

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possible to fly the Ukrainian National flag at the Jamboree. Despite official protests on [sic!] the Soviet consulate.“84 Einen grafischen Ausdruck fanden der Wunsch nach Zugehörigkeit zur Pfadfinderbewegung und Unabhängigkeit für das „Heimatland“ in der Gestaltung der Jubiläumsmedaille, die die estnischen PfadfinderInnen im Exil 1962 auflegten. Die Rückseite wird mit folgenden Worten beschrieben: „[It] shows a circle of simplified fleur-de-lis, representing the World Brotherhood of which Estonian Scouting, founding member of the International Scout Movement, is an integral part. The fluctuating ribbon with the script ,Estonian Scouting 1912–1962, 1944 in Exile‘ tells of the travelled path. ,1944 in Exile‘ in English, represents the majority of Estonian exiled Scouts in English speaking countries (Australia, Canada, USA) which continue to recognize the independence of the Estonian Republic.“85

Der aktuelle sowie der frühere Vorsitzende des Internationalen Pfadfinderbüros gratulierten den estnischen PfadfinderInnen zum Jubiläum und versicherten der Exilorganisation, dass sie weiterhin Teil der weltweiten Gemeinschaft sei.86 Ein weiterer Gratulant schloss seine Wünsche mit den Worten: „In the hope that I may be fortunate enough to meet them one of these days in Estonia – when it is free to have Scouting there once again.“87 Natürlich gab es auch gemeinsame Veranstaltungen mit österreichischen, deutschen und DP-PfadfinderInnen. Im November 1946 feierten die ukrainischen PfadfinderInnen 35 Jahre ukrainische Pfadfinderbewegung. Der Feier in Salzburg wohnten österreichische und ausländische Gruppen bei. Vertreter der UNRRA waren ebenso anwesend wie Vertreter der Bundesleitungen der österreichischen Pfadfinderverbände.88 Im Juni 1948 wiederum luden die ukrainischen Pfadfinder in Graz zum Sommerfest.89 Die Pfadfindergruppe Haiming, die aus „Volksdeutschen“ bestand, war Teil des Landeskorps Tirol der Pfadfinder Österreichs.90 Im Mai 1949 trafen einander die Pfadfindergruppen des Tiroler Oberlandes im Lager Haiming, auch der katholische Bischof der Diözese besuchte die Veranstaltung.91 Begegnungen mit einheimischen PfadfinderInnen gab es ebenso in Deutschland. Im März 1947 gründeten deutsche und Pfadfinderführer aus den DP-Lagern die „Internationale Scouter Association“ als einen eigenen kleinen Dachverband. Ein Jahr später führten u. a. diese Kontakte zu 84 85 86 87 88 89 90 91

Ebd., 2:37–2:49 min. Estonian Boy, Estonian, 46. Ebd., 3–4. Ebd., 6. 35 Jahrfeier der ukrainischen Pfadfinder, Salzburger Nachrichten, 28. 11. 1946, 6. Ziegler, Geschichte, 120–121. Registrierungen und Berichte. PAT, Bestand DP-Scouts. Logbuch Landeskorps Tirol, III. Teil, Pfadfinderjahr 1948/49, Eintrag 15. 5. 1949. PAT, Bestand Pfadfinder Österreichs Landeskorps Tirol 1945–1952.

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einem internationalen Lager : Von 24. bis 30. Juli 1948 lagerten 2.500 Pfadfinder in Mittenwald/Oberbayern. Darunter viele aus den DP-Lagern sowie Angehörige der US-Armee bzw. deren Familienangehörige.92 Im Frühjahr 1949 wiederum fand in den Innauen bei Raubling ein gemeinsames Wochenendlager der Pfadfindergruppen aus Kiefersfelden, Raubling, Rosenheim, aus dem österreichischen Kufstein und einer ukrainische Gruppe aus dem DP-Lager Stephanskirchen bei Rosenheim statt.93 Ob in den Innauen, in Gurk oder im Montafon – für die deutschen und österreichischen PfadfinderInnen lieferten die Begegnungen mit den PfadfinderInnen aus den DP-Lagern und jenen der westlichen Besatzungsmächte wohl einen ersten Einblick in die weltweite Pfadfinderbewegung. Ein Beispiel für die Förderung durch eine Mitarbeiterin der UNRRA, Hilfe aus dem lokalen Umfeld und einem Treffen von Angehörigen verschiedener Staaten ist folgendes Beispiel aus Tirol aus dem Jahr 1946: „Die Gruppe Wörgl II nahm Kontakt mit Pfadfindern des UNRRA-Lagers auf und feierte mit diesen gemeinsam ein Pfadfinder-Versprechen. Madame Renard, eine belgische Pfadfinderführerin, die als Offizier im Lager tätig war und der Führer des Kufsteiner Camps; Max Brederiks, ein Litauer, weihten die aus England gesandte Fahne, und 15 Mädchen aus Estland legten dann ihr Versprechen ab. Diese Gruppe schloss sich Ende Mai mit Wörgl I zusammen.“94

In diesem konkreten Fall stand die Zugehörigkeit zur transnationalen Pfadfindergemeinschaft im Vordergrund. Eine Belgierin, ein Litauer und ÖsterreicherInnen feierten gemeinsam die Aufnahme von 15 Estinnen in dieses weltweite Netzwerk. Dass eine aus England gesandte Fahne für diesen Initiationsritus eine zentrale Rolle spielte, verdeutlichte noch einmal die globale Dimension. Der hier geschilderte Zusammenschluss mit einheimischen PfadfinderInnen erfolgte allerdings selten. Wie weiter oben bereits ausgeführt, blieben die DP-Gruppen meist eng nach sprachlichen und nationalen Gesichtspunkten organisiert und schlossen sich in eigenen Dachverbänden zusammen, obwohl sie sich durchaus den wieder- bzw. neuentstehenden Pfadfinderverbänden in Deutschland oder Österreich anschließen hätten können.

VI.

Die DP Scout Division

Bis 1947 beschäftigten die Reorganisation und der Wiederaufbau der Pfadfinderverbände in vielen Ländern Europas die jeweiligen Funktionäre. Viele administrative Fragen stellten sich erst auf der ersten Weltpfadfinderkonferenz 92 Hebben, Bündischer und scoutistischer Neuanfang, 17. 93 Ohne Autor, Rosenheim, Der Pfad. Bundeszeitschrift des BDP 2 (1949) 6, 20. 94 Franz Xaver Schredt, Logbuch der Tiroler Pfadfinder, Innsbruck 1982, 87–88.

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1947 in Frankreich. Wer war für die Pfadfindergruppen in den DP-Lagern zuständig? Wie sollte mit den nationalen Zusammenschlüssen der Gruppen in den DP-Lagern, auch in Hinblick auf eine zu erwartende Auswanderung, umgegangen werden? Diese Punkte wurden bei der Konferenz 1947 behandelt. Die Pfadfindergruppen in DP-Lagern in Österreich und Deutschland wurden in einer eigenen Division zusammengefasst. Das Internationale Büro der Pfadfinder sollte in enger Zusammenarbeit mit der International Refugee Organization (IRO) und den westalliierten Kontrollbehörden die Gruppen beraten und unterstützen sowie jedem Missbrauch vorbeugen. In jedem anderen Land sollten sich Pfadfindergruppen den jeweiligen nationalen Verbänden anschließen. Um eine Eingliederung zu erleichtern, wurden verschiedene Empfehlungen ausgesprochen.95 Die Leitung der DP Scout Division wurde dem Briten John R. Monnet übertragen, der bereits im Rahmen des Scouts International Relief Service mit DPs gearbeitet hatte. Im April 1948 wurde in München ein Hauptquartier eingerichtet. Mitglieder der DP Scout Division waren Gruppen – nach eigenen Angaben – folgender Nationalitäten: Tschechoslowaken, Polen, Esten, Ungarn, Letten, Litauer, Russen, Slowenen, Ukrainer, Weißruthenen und Jugoslawen. Ein Abkommen zur Zusammenarbeit mit der IRO wurde unterschrieben, Hilfe aus dem Ausland sollte koordiniert werden. Begegnungen mit amerikanischen, britischen, französischen, österreichischen und gegebenenfalls deutschen Pfadfindern sollten ebenfalls angestrebt, Ausbildungskurse und Lager organisiert sowie eine eigene Zeitschrift herausgegeben werden.96 Zum Zeitpunkt der Weltpfadfinderkonferenz 1947 war noch nicht in allen westlichen Zonen Deutschlands Pfadfinderarbeit zugelassen. Erst im Frühjahr 1948 erteilte die britische Militärregierung die Genehmigung für die Gründung eines deutschen Pfadfinderverbands in ihrer Zone.97 Die Zulassung der deutschen PfadfinderInnen in der britischen Zone verkündete der britische General Richard McCreery am 28. März 1948 vor über 600 Pfadfindern der amerikanischen, britischen, französischen und norwegischen98 Besatzungstruppen bei einem Treffen in Hamburg. Auch ein Kontingent von baltischen Pfadfindern aus DPLagern nahm an diesem Treffen teil.99 Die Besatzungsmächte entließen die deutschen PfadfinderInnen nicht in die Selbstständigkeit. So fanden Ausbildungskurse auf Einladung der französischen Militärregierung im Herbst 1947 statt.100 Auch die amerikanische Besatzungsverwaltung kümmerte sich um 95 96 97 98

Wilson, Scouting, 76. Ebd., 88–89. Hebben, Bündischer und scoutistischer Neuanfang, 26. Die norwegische Deutschland-Brigade (Tysklandsbrigaden) war von 1947 bis 1953 in der britischen Besatzungszone stationiert und der britischen Rheinarmee unterstellt. 99 German Boy Scouts will form again, Stars and Stripes, 29. 3. 1948, 5. 100 Hebben, Bündischer und scoutistischer Neuanfang, 30.

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Pfadfindergruppen in ihrer Zone. In Coburg wurde ein Büro eingerichtet, um alle deutschen Jugendlichen, die an der internationalen Pfadfinderbewegung interessiert waren, zu unterstützen und eine Zeitschrift herauszugeben.101 Erst bei einem Treffen in Vlotho im November 1949 übergaben die alliierten Dienststellen die „Verantwortung“ für die deutsche Pfadfinderei an das Internationale Pfadfinderbüro. Neben Erziehungsoffizieren waren Vertreter des Internationalen Pfadfinderkomitees sowie Pfadfinderverantwortliche wie John R. Monnet, die in Deutschland tätig waren, anwesend.102 Die oben angesprochenen Lager in Mittenwald 1948 und in den Innauen bei Raubling 1949 sind Beispiele für die Begegnungen mit deutschen Pfadfindergruppen nach ihrem Neubeginn; Begegnungen mit österreichischen PfadfinderInnen gab es – wie im vorigen Kapitel beschrieben – seit 1946. John R. Monnet bezog sein Büro in München im Hauptquartier der IRO für die US-Zone und war der Abteilung „Voluntary Agencies“ zugeordnet.103 Die Einbindung in die Verwaltungsstruktur der IRO ermöglichte verbindliche Absprachen. Die DP Scout Division blieb kein leeres Versprechen, und die in Aussicht gestellten Veranstaltungen kamen auch in Österreich zustande. Die DPs sollten dabei selber aktiv in die Organisation und Durchführung eingebunden werden und keine reinen „Konsumenten“ sein. Im September 1948 fand unter der Leitung von John R. Monnet ein Lager für PfadfinderInnen aus DP-Lagern der französischen Zone in Rinn in Tirol statt. Die Lagerleitung setzte sich neben Monnet aus drei ukrainischen, einem ungarischen und einem „volksdeutschen“ Pfadfinderführer aus Haiming zusammen. Rover aus den DP-Lagern stellten die Helfer. 265 TeilnehmerInnen waren im Lager, davon 85 Pfadfinderinnen. Es gab drei Unterlager : ein ungarisches, ein ukrainisches und eines für Pfadfinderinnen.104 Die Veranstaltung war, wie die Arbeit der Gruppen in den DP-Lagern, scheinbar entlang von nationalen Zugehörigkeiten organisiert. Mit den Pfadfinderinnen kam die Kategorie „Geschlecht“ als weiteres Ordnungskriterium hinzu. Die Kategorie der nationalen Zugehörigkeit wurde durch die Teilnahme der „Volksdeutschen“ aus Haiming in Frage gestellt. Eine sehr wahrscheinliche Möglichkeit ist, dass den zahlenmäßig starken ungarischen und ukrainischen Pfadfindern die Verantwortung für jeweils ein Unterlager übertragen wurde, in dem auch andere Gruppen untergebracht waren. Eine Praxis, die auch heute bei der Durchführung von Bundeslagern gelebt wird. Einheimische PfadfinderInnen waren entgegen der Beschlüsse der Weltpfadfinderkonferenz aus dem Vorjahr nicht eingeladen. Die offizielle 101 Field Office Opened for German Scouts, Stars and Stripes, 18. 3. 1948, 6. 102 Wilson, Scouting, 90–91. 103 Ohne Autor, Der Schwindel von Bad Kreuznach, in: Der Pfad. Bundeszeitschrift des BDP 2 (1949) 10, 16. 104 Bericht über das DP-Lager in Rinn 1948. PAT, Bestand DP Scouts.

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Chronik der Tiroler Pfadfinder vermerkte kurz: „Großes Lagerfeuer ; inoffiziell war vom LK Tirol L[andes]K[orps]S[ekretär] Toni Purtscheller anwesend.“105 Die DP Scout Division sollte u. a. auch Hilfestellungen für die Auswanderung der DPs leisten. Über das Büro wurden daher – neben Lagerausrüstung und Lebensmitteln – mit Hilfe der IRO und der Westalliierten auch Reisegenehmigungen organisiert. Finanziert wurde die DP Scout Division hauptsächlich durch Spenden verschiedener nationaler Pfadfinderverbände in den USA, der Schweiz und Kanada. Der offiziell registrierte Mitgliederhöchststand betrug knapp über 11.000 Mitglieder. Als die Division mit 30. Juni 1950 ihre Tätigkeit einstellte,106 lieferte dies dem „Lagerfeuer“, der Zeitschrift der Pfadfinder Österreichs, etwas verspätet einen Anlass, unter der Überschrift „Fremdländische Pfadfinder“ über DPs in einer zwischen Idealismus und Bevormundung pendelnden Tonlage zu berichten: „Die Gründe, die zu dieser modernen Völkerwanderung geführt haben, sind für uns Pfadfinder unwesentlich, damit müssen sich die Staatsmänner befassen, uns gehen sie Gott sei Dank nichts an. Aber der Pfadfinder ist Freund aller Menschen und der Bruder aller Pfadfinder, und darum ist auch dieser Punkt für uns bemerkenswert.“107 Am Ende des Beitrags folgte der Appell: „Die meisten Pfadfinderbrüder aus diesen Kreisen haben Österreich bereits verlassen, doch sind noch viele zurückgeblieben, über deren Schicksal die Machthaber dieser Welt noch nicht entschieden haben. Diesen auf dem Wege ins Pfadfindertum, zum eigenen und dem allgemeinen Wohle weiterzuhelfen, aber auch um zu verhindern, daß sie irregeleitet und zu politischen Zwecken, welcher Art immer, werden, gehört jetzt zu unseren Aufgaben. Dabei mitzuarbeiten ist eine nicht immer leichte, aber ehrenvolle Pflicht jedes Pfadfinders. Der Pfadfinder macht nichts halb, wir wollen auch diese Aufgabe lösen.“108

Dass die Pfadfinderleitungen jedenfalls besorgt waren, für ihren Prinzipien widersprechende Interessen und Idealen instrumentalisiert zu werden, zeigte ein Aufruf in der deutschen Pfadfinderzeitschrift „Der Pfad“ vom Oktober 1949. Darin warnte nachträglich J. R. Monnet, der als Repräsentant des Boy Scout International Bureau beim IRO-Hauptquartier in der US-Zone in München bezeichnet wurde, vor der Einladung zu einer bereits stattgefundenen „Boy Scouts International Rally“ nach Bad Kreuznach in der französischen Zone für September 1949. Die Einladung sei keine offizielle, sondern eine Eigenmächtigkeit „von einem ehemaligen DP-Angestellten bei der DP-Abteilung des Internationalen Pfadfinderbüros“ und einem deutschen Angehörigen einer nicht 105 Logbuch Landeskorps Tirol, Teil II ab September 1948. PAT, Bestand Pfadfinder Österreichs Landeskorps Tirol 1945–1952, 1. 106 Wilson, Scouting, 89. 107 JEN, Fremdländische Pfadfinder, in: Lagerfeuer. Offizielles Organ der Pfadfinder Österreichs 4 (1951) 1, 7. 108 Ebd.

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anerkannten Pfadfinderorganisation. Monnet wies auf die „drei amtlichen Repräsentanten des Internationalen Pfadfinderbüros in Deutschland“ hin.109 Solchen Bemühungen ungeachtet schildert Iris Helbing110 ebenso wie Mark Wyman111, dass DP-Pfadfindergruppen auch für politische, nationalistische und teilweise paramilitärische Zwecke missbraucht wurden. Eine offene Frage ist, wie häufig solche Fälle waren und was überhaupt von offizieller Seite als „Missbrauch“ identifiziert bzw. abgelehnt wurde. John S. Wilson schreibt dazu in seinen Erinnerungen: „There were one or two set-backs owing to political demonstrations, but in the main it was abundantly clear that Scouting was being used solely for educational purposes. Its values, too, was that it gave all those interested common ground with others. It linked the traditions of the past with the hard facts of the present and the hopes of the future.“112 Spielte er hier ein Problem herunter? Um Antworten zu finden, wären weitere Forschungen nötig.

VII.

Resümee

Pfadfindergruppen waren in den DP-Lagern weit verbreitet, besonders unter BaltInnen, UngarInnen und UkrainerInnen. Jüdische PfadfinderInnen, die aus Österreich geflohen waren, schlossen sich in der Emigration Gruppen an oder gründeten neue, wie Beispiele aus Shanghai und Bolivien aufzeigen.113 Unter globaler Perspektive gab es auch unter jüdischen DPs Pfadfinderarbeit. Richtet sich der Fokus aber auf DP-Lager in Deutschland und Österreich, dann sind es fast nur nichtjüdische DPs, die sich in Pfadfindergruppen engagierten. Diese Gruppen ermöglichten den Kindern und Jugendlichen ihrem Alter entsprechende Erlebnisse und Normalität. Ältere Jugendliche und Erwachsene konnten im Rahmen der Pfadfinderarbeit als Ehrenamtliche aktiv werden, gestalten und andere anleiten. Sie wurden so, überspitzt formuliert, vom passiven Hilfsempfänger zu einem aktiven Subjekt und erfuhren in Zeiten der Unsicherheit und Abhängigkeit von den Entscheidungen anderer Selbstwirksamkeit. Mit ihren globalen Organisationen und überall ähnlichen Werten und Praktiken ermöglichte die Pfadfinderei ihren Mitgliedern internationale Begegnung und Soli109 110 111 112 113

Ohne Autor, Der Schwindel von Bad Kreuznach, 16. Helbing, Polens verlorene Kinder, 208–210. Wyman, DPs, 103–104. Wilson, Scouting, 71. Vgl. Philipp Lehar, Pfadfinden als Brücke. Eine Untersuchung zur Emigration und Erinnerungskultur in der österreichischen Pfadfinderbewegung, in: Wilfried Breyvogel (Hg.), Pfadfinderische Beziehungsformen und Interaktionsstile. Vom Scoutismus über die bündische Zeit bis zur Missbrauchsdebatte, Wiesbaden 2017, 101–114; Philipp Lehar, „Da hab ich mich schon zuhause gefühlt“ – Österreichische PfadfinderInnen im Exil, in: Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und Widerstands 34 (2017) 4, 9–15.

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darität, wovon die Gruppen in den DP-Lagern ebenfalls profitierten. Das Ansehen, das PfadfinderInnen und Repräsentanten wie John S. Wilson bei den Besatzungsbehörden genossen, waren für DPs ebenso von vielfachem Nutzen. Die enge Bindung der PfadfinderInnen an ihr Heimatland durch das Pfadfinderversprechen („Gott und dem Land zu dienen“) und Ausbildungsinhalte wie Staatsbürgerkunde, Symbole und Geschichte des eigenen Heimatlandes etc. stellten nach der Auflösung der DP Scout Division eine letztlich kaum lösbare Herausforderung für die nationalen Pfadfinderorganisationen dar, welche die DP-Gruppen aufnehmen sollten. Viele ausgewanderte DPs, insbesondere aus Osteuropa, bestanden nämlich in ihren Aufnahmeländern darauf, ihre „nationalen“ (Pfadfinder-)Traditionen so lange zu pflegen, bis ihre „alte Heimat“ wieder „frei“ sei. Daher, so die Selbstsicht, seien die in den DP-Lagern entstandenen Verbände bis zur Wiederzulassung von Verbänden in Osteuropa die „Platzhalter“ im Exil. Im Gegensatz dazu bestanden die großen Pfadfinderorganisationen in den neuen Heimatländern aber darauf, dass sich auch DPGruppen ihren jeweiligen nationalen Verbänden anschlossen und vorgegebene Regeln einhielten. Hier ging es nicht zuletzt um erwartete Loyalität gegenüber diesen neuen Heimatländern. In einigen Staaten gelangen Kompromisse. Bis Anfang der 1960er nahmen aber Exilgruppen an weltweiten Pfadfinderveranstaltungen noch häufig als Gäste des Internationalen Büros der Pfadfinder oder eines nationalen Kontingents teil.114 Dieser Beitrag stellt ein mögliches Forschungsfeld vor, bietet dazu einen ersten Überblick über die bisherigen Forschungen und möchte zu weiteren Untersuchungen anregen bzw. Quellen sowie Fragestellungen aufzeigen. Zukünftige Forschungsfragen zum Thema Pfadfindergruppen in DP-Lagern wären u. a.: – Was verband die verschieden geprägten Pfadfindergruppen in den Lagern untereinander und mit Pfadfindergeschwistern in ihrer Umgebung? Was trennte sie von anderen PfadfinderInnen? – Wie häufig waren Fälle, in denen die Pfadfindergruppen für nicht-pfadfinderische Ziele (etwa dezidiert politisch-weltanschaulicher Natur) verwendet wurden? – Kam es zu Kulturtransfers bzw. der Einführung von „mitgebrachten“ Traditionen in die Pfadfinderpraxis der neuen Heimatländer, obwohl DPs häufig darauf bedacht waren, ihre eigenen Verbände weiterzuführen, sich also tendenziell abzuschotten? – Welche Rolle spielten die Pfadfindergruppen bei der Konstruktion einer nationalen Identität fern des Heimatlandes? 114 Vgl. dazu Wilson, Scouting, 76; Kroonenberg, The Undaunted; Kroonenberg, The Undaunted II.

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– Wer waren die Akteure und was waren ihre Motive? – Wie wurde die Arbeit der DP Scout Division an der Basis erlebt? Aktuell kann folgende Zwischenbilanz gezogen werden: Verbindend zwischen den Gruppen in den DP-Lagern und außerhalb waren gemeinsame Werte (siehe Versprechen), Ausbildungsinhalte und Organisationsformen. Alle bezogen sich auf dieselben grundlegenden Schriften, insbesondere von Robert Baden-Powell. Sowohl die in den DP-Lagern entstandenen Exilverbände als auch die nationalen Pfadfinderorganisationen verfügten mit dem Internationalen Pfadfinderbüro in London über denselben übergeordneten Ansprechpartner. Gemeinsam war zudem ein unterschwellig präsenter, selten offen artikulierter Antikommunismus – eine politische Einstellung, von der etwa ein in den USA lebender exilrussischer Pfadfinderfunktionär 1992 in einem Brief an den Weltverband WOSM schrieb, dass sie noch immer von allen Exilverbänden geteilt werde und nicht politisch, sondern moralisch begründet sei.115 Trennend zwischen den Gruppen wirkten dagegen die verschiedenen Sprachen und nicht zuletzt benannte das Pfadfinderversprechen jeweils ein anderes nationales Kollektiv als Bezugspunkt. Selten finden sich Hinweise auf die Indienstnahme der Pfadfinderarbeit in DP-Lagern für andere Ziele; allerdings ist unklar, was überhaupt als „Missbrauch“ identifiziert bzw. abgelehnt wurde. Jedenfalls galten Antikommunismus und Patriotismus allen Beteiligten als akzeptabel, obgleich die „alten“ nationalen Loyalitäten der DP-PfadfinderInnen nach einer erfolgreichen Einwanderung in Frankreich, Kanada oder in die USA für Konfliktstoff sorgten.116 Auch hinsichtlich der weiteren oben gestellten Fragen, wie etwa nach allfälligen Kulturtransfers, sind die wenigen bislang vorliegenden Einzelbefunde nur sehr bedingt aussagekräftig. Last but not least: Um Vernetzung und Handlungsspielräume der DP-Pfadfindergruppen genauso wie milieubedingte Verhaltensweisen oder identitätsstiftende Positionierungen, die sich auf die Herkunftsgesellschaften zurückführen lassen, besser einordnen zu können, wären die Analyse der Biographien zentraler bzw. exemplarisch ausgewählter Akteure, die zeitlich über die transitorische Zweck- bzw. Zwangsgemeinschaft als DPs hinausreichen, und jedenfalls Vergleiche mit anderen Formen der Freizeitgestaltung in den Lagern nötig.

115 Brief M. A. Danilevsky an WOSM-Generalsekretär Jacques Moreillon, 10. 6. 1992, in: Vestnik rukovoditelya ORYUR (1992) 401, 5, URL: https://vtoraya-literatura.com/pdf/vestnik_ruk ovoditelya_oryur_401_1992__ocr.pdf (abgerufen 14. 1. 2020). 116 Kroonenberg, The Undaunted, 30–55.

zeitgeschichte extra

Amelie Berking

„Wir können diese Zustände nicht länger ertragen.“ Über die politische Haft linker Frauen im Austrofaschismus1

„Die Polizei weiß, wie tapfer Frauen und Mädchen an dem Freiheitskampf gegen die faschistische Gewaltherrschaft teilnehmen. […] Die Gefängnisse […] sind voll von ihnen“.2 Mit diesen Worten prangerte die sozialdemokratische „Arbeiter-Zeitung“ (AZ) im Mai 1935 die politische Haft linker Frauen an und forderte, die Welt müsse erfahren, wie sie in den Haftanstalten des Dollfuß/ Schuschnigg-Regimes behandelt würden.3 Heute, über achtzig Jahre später, sind jene Frauen und ihre Repressionserfahrungen im Austrofaschismus weitgehend unter die öffentliche, politische und wissenschaftliche Wahrnehmungsgrenze gerutscht.4 Das Mainstream-Wissen über die Umstände der politischen Haft ist 1 2 3 4

Die politischen Gefangenen an das Volk, Arbeiter-Zeitung (AZ), 16. 6. 1935, 4. Die Frauengefängnisse des Austrofaschismus, AZ, 26. 5. 1935, 1–2. Ebd. Gabriele Russ, „Wo du bist, will auch ich sein“ – Von der Notwendigkeit einer Gendergerechten relecture des Februar 1934, in: Heimo Halbrainer/Martin Polaschek (Hg.), Aufstand, Putsch und Diktatur. Das Jahr 1934 in der Steiermark, Graz 2007, 31–45, 32; Gabriella Hauch, Vom Androzentrismus in der Geschichtsschreibung. Geschlecht und Politik im autoritären christlichen Ständestaat/„Austrofaschismus“ (1933/34–1938), in: Florian Wenninger/Lucile Dreidemy (Hg.), Das Dollfuß/Schuschnigg-Regime 1933–1938. Vermessung eines Forschungsfeldes, Wien/Köln/Weimar 2013, 351–379; Zum Widerstand linker Frauen gibt es zwar ergiebige Forschungsansätze, die Repression gegen sie bleibt aber auch hier weitgehend ausgeklammert, vgl. Karin Berger/Elisabeth Holzinger/Lotte Podgornik/Lisbeth Trallori, Der verschwiegene Widerstand. Frauen im Kampf, in: Aufrisse 5 (1984) 1, 30–32; Brigitte BailerGalanda, Zur Rolle der Frauen im Widerstand oder : Die im Dunkeln sieht man nicht, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) (Hg.), Jahrbuch, Wien 1990, 13–22; Martin Polaschek, Die verschwundenen Frauen des 12. Februar 1934 – eine Spurensuche in der Steiermark, in: Halbrainer/Polaschek (Hg.), Aufstand, 25–29; Karin Nusko, Frauen im Widerstand gegen den Austrofaschismus. Eine biografische Aufarbeitung, in: Ilse Reiter-Zatloukal/Christiane Rothländer/Pia Schölnberger (Hg.), Österreich 1933–1938: interdisziplinäre Annäherungen an das Dollfuß-/Schuschnigg-Regime, Wien 2012, 207–219; Veronika Duma/Hanna Lichtenberger, Geschlechterverhältnisse im Widerstand. Revolutionäre Sozialistinnen im Februar 1934, in: Michalea Maier (Hg.), Abgesang der Demokratie. Der 12. Februar 1934 und der Weg in den Faschismus. Dokumentationen 1–4 (2013), 55–82; Florian Wenninger, „Die Zilli schießt!“. Frauen in den Februarkämpfen 1934, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 27 (2016) 3, 117–144.

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dominiert von den Erfahrungswelten männlicher Anhaltehäftlinge in Wöllersdorf5 und reicht aus geschlechterhistorischer Perspektive über den knappen Hinweis auf einen geringen Anteil verhafteter Frauen kaum hinaus.6 Eine systematische Untersuchung ihrer Haft ist ausständig – wie insgesamt der Strafvollzug jener Jahre nicht hinreichend erforscht ist.7 Wie also erging es denjenigen, die als Antifaschistinnen enttarnt, verfolgt und verhaftet wurden?8 Nach einem kurzen Überblick über den Beitrag dieser Frauen zum linken Widerstand einerseits sowie den geschlechterideologischen Kontext der politischen Repression andererseits, widmet der vorliegende Beitrag sich den frauenspezifischen Bedingungen der politischen Haft im Austrofaschismus, indem er verschiedene den Haftalltag bestimmende Aspekte in den Fokus rückt. Auf der Grundlage herrschaftlicher Dokumente, der Aufzeichnungen (ehemals) inhaftierter Frauen sowie der zeitgenössischen Berichterstattung der klandestin erschienenen AZ werden die Dimensionen und Orte ihrer Haft ebenso beleuchtet, 5 Pia Schölnberger, Das Anhaltelager Wöllersdorf 1933–1938. Strukturen–Brüche–Erinnerungen, Wien 2015; Gerhard Jagschitz, Die Anhaltelager in Österreich, in: Ludwig Jedlicka/Rudolf Neck (Hg.), Vom Justizpalast zum Heldenplatz, Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938, Wien 1975, 128–151. 6 Vgl. Emmerich T#los/Florian Wenninger, Das austrofaschistische Österreich 1933–1938, Wien 2017; Wolfgang Neugebauer, Repressionsapparat und -maßnahmen 1933–1938, in: Emmerich T#los/Wolfgang Neugebauer (Hg.), Austrofaschismus. Politik–Ökonomie–Kultur 1933–1938, Wien 2005, 298–319; Everhard Holtmann, Zwischen Unterdrückung und Befriedung. Sozialistische Arbeiterbewegung und autoritäres Regime in Österreich 1933–1938, Wien 1978; Kurt Bauer, Die Anhaltehäftlinge des Ständestaates (1933–1938), URL: http:// www.lbihs.at/Bauer_Anhalteprojekt_Infos.pdf, (abgerufen 26. 11. 2018); Jagschitz, Anhaltelager, 150; Schölnberger, Anhaltelager, 269–274. Neue Erkenntnisse verspricht ein Forschungsprojekt unter der Leitung von Florian Wenninger, Verein zur Erforschung der Repressionsmaßnahmen des österreichischen Regimes 1933–1938, URL: http://www.repressi on-1933-1938.at/site/repression (abgerufen 26. 11. 2018). 7 Hans Hautmann, Fragen des Strafvollzuges in der Endphase des Habsburgerreiches (1872–1918), in: Erika Weinzierl/Karl Stadler (Hg.), Justiz und Zeitgeschichte V. Symposion. Zur Geschichte des Strafvollzuges in Österreich. Justiz und Menschenrechte, 10./11. 5. 1985, Wien 1986, 35–78; Günther Kunst, Das Strafvollzugsrecht der Zwischenkriegszeit und die Gesetzgebung der Zweiten Republik, in: Ebd., 261–286. 8 Obwohl, wie im Fall der männlichen politischen Häftlinge, auch ein großer Teil der verhafteten Frauen dem ebenfalls illegalen nationalsozialistischen und somit faschistischen Lager zuzuordnen ist, konzentriere ich mich in diesem Beitrag weitgehend auf die Darstellung der Haft linker, antifaschistischer Frauen, weil eine Gegenüberstellung dieser konträren Gruppierungen den Rahmen der Arbeit sprengen würde und die Quellen vor dem Hintergrund der historischen Entwicklungen darüber hinaus überwiegend die Perspektive linker Frauen widerspiegeln. Eine weitere Differenzierung in Kommunistinnen, Sozialistinnen, Sozialdemokratinnen, linke Gewerkschafterinnen etc. erfolgt jedoch nur vereinzelt, da sie auf der Grundlage der untersuchten Quellen und im Zusammenhang mit den Haftbedingungen häufig weder möglich noch historisch relevant zu sein scheint. In den internen Verzeichnissen der Gefängnisse etwa werden die Frauen aller inhaltlicher Differenzen zum Trotz schlicht als „Rote“ oder „Soz. u. Komm.“ aufgeführt; Vgl. u. a. Verzeichnis weibl. polit. Häftlinge, 7. 10. 1934, ÖStA/AdR, BKA-I, Allg., 20/g, Kt. 4461, Zl. 264.557/34.

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wie die formalen Behandlungsrichtlinien und konkreten Zustände innerhalb exemplarisch ausgewählter Haftanstalten; von den Unterbringungs- und Ernährungsbedingungen, den Beschäftigungsmöglichkeiten und sozialen Kontakten bis hin zu Momenten zivilen Widerstands einerseits sowie von Disziplinarstrafen und Gewalterfahrungen andererseits.

I.

Antifaschistinnen im Visier

Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges und der zunehmenden Militarisierung der österreichischen Innenpolitik entwickelte sich in der Erste Republik eine martialische Kultur, die den „virilen Kämpfer“ als politischen Akteur idealisierte.9 Da bewaffnete Frauen mit diesem Bild nur schwer in Einklang zu bringen waren,10 blieben auch die militärischen Auseinandersetzungen im Februar 1934 primär männlich assoziiert.11 Nichtsdestotrotz leisteten Frauen wichtige Beiträge, ohne die „für den Schutzbund wohl einzelne Gefechte, aber kaum tagelange Kämpfe durchzuhalten gewesen“ wären.12 Frauen hielten die Versorgung mit Lebensmitteln, Medizin und Kleidung aufrecht, unterstützten die Kämpfenden emotional und verhalfen ihnen nach der Niederlage zur Flucht.13 Sie bauten Barrikaden, befüllten Handgranaten und verbargen oder transportierten Waffen, Munition und Nachrichten.14 Nicht zuletzt gab es vereinzelt Frauen, die selber mit Waffen kämpften.15 Über den gesamten Zeitraum austrofaschistischer Repression hinweg übernahmen Frauen neben Schreib-, Fürsorge- und Reproduktionsarbeiten16 außerdem wichtige Posten innerhalb der verbotenen linken Arbeiterparteien und -organisationen17 und beteiligten sich darüber hinaus aktiv an der Produktion und Verbreitung regimekritischer

9 Duma/Lichtenberger, Geschlechterverhältnisse, 63. 10 Wenninger, Zilli, 125. 11 Gabriella Hauch, Frauen.Leben.Linz. Eine Frauen- und Geschlechtergeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Linz 2013, 403; Duma/Lichtenberger, Geschlechterverhältnisse, 66. 12 Wenninger, Zilli, 136. 13 Maria Emhart, Erinnerungen, DÖW Bibl. 14.694, 9. 14 Ebd.; Nusko, Frauen, 208; Berger et al., Widerstand, 30–32; Paula Wallisch, Ein Held stirbt, Graz 1946, 20, 184. 15 Wenninger, Zilli, 136; Nusko, Frauen, 209–210; Berger et al., Widerstand, 30. 16 Duma/Lichtenberger, Geschlechterverhältnisse, 64–66. 17 Emhart, Erinnerungen; Marie Jahoda, „Ich habe die Welt nicht verändert“. Lebenserinnerungen einer Pionierin der Sozialforschung, Frankfurt a. M. 1997, 50–54; Urteil des LG Wien I gg. Egon Fürst u. Elisabeth Petek wg. Hochverrats u. Verbrechens nach dem Staatsschutzgesetz, 18. 12. 1937, DÖW Sign. E 19.285.

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Publikationen.18 Sie waren integraler Bestandteil des antifaschistischen Widerstandes. Derlei politisches Engagement widersprach jedoch der austrofaschistischen Geschlechterkonzeption von der unpolitischen, dem Manne untergeordneten Frau,19 was wiederum die Vermutung nahe legt, dass Frauen qua Geschlecht weniger schnell ins Visier der Behörden gerieten. Eigenständiges politisches Handeln sei ihnen kaum zugestanden und den regierungsfeindlichen Einstellungen einer Frau daher nicht annähernd so viel Bedeutung beigemessen worden, wie der oppositionellen Geisteshaltung ihrer männlichen Genossen, konstatiert etwa Pia Schölnberger.20 Im Widerstand wusste man sich diese selektive Wahrnehmung durchaus zunutze zu machen: Antifaschistische Akteurinnen gaben sich bewusst als unpolitische (Haus-)Frauen, Freundinnen und Mütter aus,21 Nachrichten und Sprengstoffe wurden in Kochbüchern,22 Einkaufstaschen23 oder Kinderwägen24 versteckt und transportiert, geheime Versammlungen bewusst in den Wohnungen von Frauen abgehalten,25 konspirative Briefe mit weiblichen Vornamen unterzeichnet26 und so weiter.27 Allerdings wiesen auch die Geschlechter-Stereotype, wie sie das austrofaschistische Regime vertrat, Widersprüche auf. So wurde als Kernpunkt der Bestimmung einer Frau zwar die Rolle als Mutter betrachtet, die damit einhergehenden Pflichten jedoch waren 18 Neugebauer, Repressionsapparat, 309; Nusko, Frauen, 207; Berger et al., Widerstand, 32; Jahoda, Lebenserinnerungen, 51; Bericht betr. Verhaftung d. Leopoldine Reder wg. Überbringung eines Briefes, 27. 4. 1934, DÖW Sign. 13.231. 19 Vgl. Karin Liebhart, Vom Wesen der Frau. Austrofaschistische Rollenkonzepte und deren Implikationen für aktuelle Geschlechterbilder, in: Brigitte Lehmann (Hg.), Dass die Frau zur Frau erzogen wird. Frauenpolitik und Ständestaat, Wien 2008, 171–179, 173. 20 Schölnberger, Anhaltelager, 274; Vgl. auch Ilse Reiter-Zatloukal/Christiane Rothländer, Staatsbürgerschaftsentzug und Geschlechterdifferenz. Rechtsgrundlagen und Ausbürgerungspraxis 1933 bis 1938 am Beispiel Wien, in: L’Homme 21 (2010) 2, 135–153, 149; Polaschek, Frauen, 28; Hauch, Linz, 441. 21 Hauch, Linz, 407; Duma/Lichtenberger, Geschlechterverhältnisse, 80; Berger et al., Widerstand, 30; Russ, Notwendigkeit, 34. 22 Anzeige d. Sicherheitsdirektors NÖ gg. Josef Leister wg. Verbrechens nach dem Staatsschutzgesetz, 21. 12. 1937, DÖW E 19.279; Bericht des Sicherheitsdirektors Salzburg an die GDföS betr. Neuorganisation u. Tätigkeit der Revolutionären Sozialisten in Badgastein, 18. 1. 1935, DÖW Sign. 15.317. 23 Druckschrift der Sozialistischen Arbeiterhilfe betr. Regeln der Illegalen Arbeit, o. D., DÖW E 18.666. 24 Emhart, Erinnerungen, 9–10. 25 Nusko, Frauen, 207; Bericht d. Sicherheitsdirektors NÖ an die GDföS betr. Aufdeckung revolutionärsozialistischer Organisationen, 16. 3. 1936, DÖW Sign. 6481a. 26 Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Salzburg gg. Josef Schaufler u. A. wg. Verbrechens d. Hochverrats, 30. 5. 1936, DÖW Sign. 703. 27 Die stereotypen Vorstellungen weiblicher Harmlosigkeit machten sich im Übrigen auch viele Nationalsozialistinnen zunutze, s. hierzu u. a. Reiter-Zatloukal/Rothländer, Staatsbürgerschaftsentzug, 150.

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weitläufiger definiert. Sie umfassten neben der „Heranbildung der Kinder zu vaterlandsbewussten Staatsbürgern und pflichtgetreuen Menschen“ die „Beeinflussung der Familienangehörigen“ und damit nicht zuletzt die „Erziehung des Mannes“.28 Dass Frauen, aufbauend auf dieser Logik, mitunter durchaus politische Verantwortung zugesprochen wurde, legt der Fall Anna Schörgendorfer nahe, einer Anhängerin der ebenfalls illegalen NSDAP. 1934 hatte der oberösterreichische Sicherheitsdirektor Hans von Hammerstein-Equord sie dazu verurteilt, die Kosten für die Anhaltung von zwölf Nationalsozialisten zu tragen, da sie durch ihr Verhalten „die Vorfälle, welche jene Massnahmen verursachten, insofern begünstigt und gefördert und dadurch mittelbar mitverschuldet [habe], als sie eine begeisterte und rührige Anhängerin der Hitlerbewegung ist, ihre drei Söhne bereits wegen verbotener Parteitätigkeit abgestraft wurden und das ganze Verhalten der Familie und ihre allgemein bekannte politische Einstellung sehr wohl geeignet ist, die Terrorakte anderer Personen zu veranlassen und zu fördern“.29

Darüber hinaus waren sich die IdeologInnen der Vaterländischen Front der Diskrepanz zwischen Ideal und gelebter Realität durchaus bewusst. Man ging davon aus, dass die Frauen ihren vermeintlich genuinen Aufgaben erst unter geänderten politischen Bedingungen würden entsprechen können und kritisierte, dass „in nationalsozialistischen, kommunistischen und sozialdemokratischen Kreisen die Frau eine führende Rolle spielen würde, ja die Frauen in Spanien mit ihrem politischen Engagement zu Furien geworden seien“.30 Im Februar 1934 versuchte die Regierung zunächst sogar explizit, den gesamten linken Widerstand als fanatisch und hinterhältig zu diffamieren, indem sie unter Rückgriff auf den Topos vom „Flintenweib“ auf die aktive Involvierung von Frauen verwies. Diese propagandistische Strategie wurde zwar rasch wieder aufgegeben, um den Eindruck, das Regime gehe mit rücksichtsloser Härte gegen eine geschlossen rebellierende Bevölkerung vor, nicht zu verstärken.31 Nichtsdestotrotz richtete sich die Repressionswelle während und nach den Februarkämpfen, die zur Inhaftierung von über zehntausend Personen führte,32 auch gegen zahlreiche Frauen. 28 Emmerich T#los, Das austrofaschistische Herrschaftssystem. Österreich 1933–1938, Wien 2013, 381. 29 Der Name der Angeklagten wird an anderer Stelle als „Schrögendorfer“ verzeichnet. Dass die Namen der Angeklagten falsch geschrieben wurden, kam immer wieder vor; Bescheid über Geldstrafe gg. Anna Schrögendorfer, Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA)/Archiv der Republik (AdR), Bundeskanzleramt-Inneres (BKA-I), Allg., 20/g, Kt. 4445, Zl. 125.206/34. 30 T#los, Herrschaftssystem, 318–319. 31 Wenninger, Zilli, 125. 32 Florian Wenninger, Die Scheu vor dem F-Wort. Anmerkungen zur Verortung des Dollfuß/ Schuschnigg-Regimes, in: Historicum N. F. III–IV (2017), 52–61, 57.

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II.

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Dimensionen der Haft

Quantitative Aussagen über die politische Haft von linken Frauen zu treffen, ist bislang erst in Ansätzen möglich, da nur bezüglich der präventiven polizeilichen Anhaltung entsprechende Zahlen vorliegen:33 Kurt Bauer zufolge wurde über den gesamten Zeitraum austrofaschistischer Herrschaft hinweg insgesamt gegen 107 Sozialistinnen, Sozialdemokratinnen und Kommunistinnen ein Anhaltebescheid ausgestellt (das entspricht 3,42 % aller linken Anhaltehäftlinge).34 Doch in den Gefängnissen des Regimes befanden sich darüber hinaus zahlreiche Frauen, die ohne einen solchen Bescheid von Verwaltung (Bezirkshauptmannschaften), Polizei oder Gerichten in Untersuchungs- und Strafhaft genommen worden waren. Wie viele dies betraf, wurde durch das Regime selbst offenbar nicht systematisch erhoben und lässt sich aufgrund der lückenhaften Aktenüberlieferung mittlerweile kaum mehr rekonstruieren. Sicher ist jedoch, dass ihre Zahl die der sogenannten Angehaltenen weit übertraf. So geht aus einer Bestandsaufnahme der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit (GDföS) vom 8. Oktober 1934 hervor, dass zu diesem Zeitpunkt nur vier von 25 in Wien inhaftierten „Sozialistinnen und Kommunistinnen“ aufgrund einer Anhaltung einsaßen. Nichtsdestotrotz befand sich der Großteil von ihnen (20) in Polizeigewahrsam, während nur eine in Gerichtsgewahrsam saß.35 Waren diese Frauen also mehrheitlich für Vergehen verhaftet worden, die strafrechtlich kaum relevant waren? Oder scheuten sich Richter und Staatsanwälte davor, Verfahren gegen sie einzuleiten? Auch Aussagen über die durchschnittliche Haftdauer jener Frauen sind bisher nur skizzenhaft möglich. Im Zuge einer Stichprobenanalyse auf der Grundlage der vorher erwähnten GDföS-Unterlagen hat Bauer zwar errechnet, dass linke RegimegegnerInnen im Schnitt 2,75 Monate angehalten wurden, diese Berechnung differenziert jedoch nicht nach Geschlechtern.36 Einzelfälle veranschauli-

33 Zu den Unterschieden zwischen präventiver Anhaltung und polizeilicher/gerichtlicher Untersuchungs- oder Strafhaft s. Neugebauer, Repressionsapparat; Schölnberger, Anhaltelager ; Holtmann, Unterdrückung. 34 Die Angaben Bauers beruhen auf der Analyse des GDföS-Bestandes 20/g (ÖStA/AdR, BKA-I, Allg., 20/g). Die Gesamtzahl aller Angehaltenen schätzt er auf 12.–14.000, mehrheitlich jedoch nationalsozialistischer Gesinnung, Bauer, Anhaltehäftlinge, 3–4. 35 Österreichweit waren zeitgleich mind. 38 linke Frauen aufgrund verwaltungsrechtlicher und sieben aufgrund gerichtlicher Beschlüsse inhaftiert; Verzeichnis weibl. polit. Häftlinge (Wien), 8. 10. 1934, ÖStA/AdR, BKA-I, Allg., 20/g, Kt. 4461, Zl. 264.557/34. Der Anteil von 16 % (vier von 25) entspricht in etwa den Angaben Neugebauers, der davon ausgeht, dass von den 7823 in unmittelbarer Folge der Februarkämpfe in Wien Inhaftierten rund 13 % in Anhaltelager abgegeben wurden, Neugebauer, Repressionsapparat, 314; Vgl. auch Holtmann, Unterdrückung, 96. 36 Bauer, Anhaltehäftlinge, 5.

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chen jedenfalls, dass es sowohl Frauen gab, die über Monate hinweg angehalten,37 als auch solche, die bereits nach kurzer Zeit begnadigt oder bedingt entlassen wurden.38 Gleiches gilt für die Untersuchungs- und Strafhäftlinge der Polizei und Gerichte.39 Allerdings konnte unabhängig vom Strafmaß auch die Akkumulation von Haftstrafen mit Anhalte- und/oder Untersuchungshaftzeiten zu einem langen Freiheitsentzug führen,40 zumal immer wieder Straftaten in einzelne Delikte zerlegt wurden, um die zulässigen Höchststrafen zu umgehen.41

III.

Haftorte

Wo genau die Frauen inhaftiert wurden, hing unter anderem davon ab, wer diese Haft veranlasst hatte, wobei aus alltagspraktischen Gründen hin und wieder Gefangene der Justiz in den Haftanstalten der Polizei untergebracht wurden und dies auch andersherum der Fall sein konnte.42 In der Regel waren Justizgefangene aber je nach Strafmaß in den Gefängnissen der Bezirks- und Landesgerichte (bei Untersuchungshaft oder Haftstrafen bis zu einem Jahr) beziehungsweise in den Strafanstalten inhaftiert.43 So landete ein Großteil der Politischen zunächst im Gefängnis des Wiener Landesgerichts (LG) I, dem sogenannten Grauen Haus, das bei einer maximalen Auslastung formal Platz für 971 Häftlinge bot und damit in ganz Österreich das größte seiner Art war.44 Vermutlich aufgrund des starken Überbelags war es hier jedoch üblich, Frauen bereits mit Strafresten von vier bis sieben Monaten, statt der vorgesehenen zwölf, in die einzige Frauenstrafanstalt des Landes zu überstellen.45 Die k. k. Weiberstrafanstalt Wiener Neudorf wurde im Unterschied zu den anderen Strafanstalten und Gerichtshofgefängnissen, die allesamt direkt dem Bundesjustizministerium (BMJ) unterstanden, von einer 37 Vgl. etwa die Anhaltebescheide von Anna Lagler, 14. 6. 1935, ÖStA/AdR, BKA-I, Allg., 20/g, Kt. 4492, Zl. 346.055/35 und Marie Jahoda-Lazarsfeld, 11. 12. 1936, Ebd., Kt. 4514, Zl. 314.678/37. 38 Vgl. u. a. die Anhaltebescheide von Ernestine Hedrich, Ebd. Kt. 4472, Zl. 305956/35 und Hermine Rothe, Ebd., Kt. 4490, Zl. 335.602/35. 39 Vgl. u. a. Urteil d. LG Linz gg. Franz Mitterndorfer u. A., 19. 6. 1936, DÖW Sign. 13.414d, zit. n. DÖW (Hg.), Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich 1934–1945. Eine Dokumentation (1), Wien 1982, 101–102; Emhart, Erinnerungen. 40 Vgl. Emhart, Erinnerungen; Holtmann, Unterdrückung, 157; Anhaltebescheide, ÖStA/AdR, BKA-I, Allg., 20/g. 41 Polizeistrafen am laufenden Band, AZ, 13. 10. 1934, 6; Neugebauer, Repressionsapparat, 312. 42 BGBl. 275/1925, § 12 (1); Schölnberger, Anhaltelager, 199. 43 Hautmann, Fragen, 37–38; Mayer, Österreichisches Gefängniswesen, in: Erwin Bumke (Hg.), Deutsches Gefängniswesen. Ein Handbuch, Berlin 1928, 489–510, 491–494. 44 Heinrich Geissler, Geschichte des österreichischen Gefängniswesens, s. l.1948, 19. 45 Haftbuch des LG I (1934), Justizanstalt Josefstadt; Heinrich Geissler, Die Geschichte des „Grauen Hauses“ 1833–1933, Wien 1933, 190.

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Ordenskongregation der Schwestern vom Guten Hirten geleitet, wenngleich in letzter Instanz ebenfalls unter staatlicher (und männlicher) Aufsicht.46 Die Häftlinge der Polizei und Verwaltung landeten in den Polizeikommissariaten und -gefängnissen, die der Bundespolizeidirektion (BPD) und damit dem Innenministerium im Bundeskanzleramt (BKA-I) unterstanden. Von zentraler Bedeutung für die politische Haft war hier insbesondere das Polizeigefangenhaus an der Rossauerlände in Wien – im Volksmund nach dem alten Straßennamen Elisabethpromenade als Liesl bezeichnet.47 Dort war auch der Großteil der weiblichen Anhaltehäftlinge untergebracht, die im Unterschied zu ihren Genossen im Falle einer präventiven Anhaltung nicht in die neu geschaffenen Lager überstellt, sondern weiterhin in den Frauentrakten der etablierten Polizeigefangenhäuser festgehalten wurden.48 Obwohl in der Debatte um die Errichtung der Lager die für notwendig erachtete Trennung von politischen und „kriminellen“49 Häftlingen eine zentrale Rolle gespielt hatte, war in der gemeinsamen Unterbringung weiblicher Häftlinge offenbar keinerlei Gefahrenpotential erblickt worden.50 Angesichts der Tatsache, dass der Repressionsapparat ohnehin bereits horrende Summen verschlang51 und der Staat hoch verschuldet war,52 hätte die „Einrichtung eigener ,Frauenobjekte‘“ für die „geringe Zahl an […] seitens der Behörden erwarteten weiblichen Angehaltenen“ zudem wohl zu hohe Kosten verursacht.53 Die AZ interpretierte dieses Vorgehen darüber hinaus als Verschleierungstaktik. Die „Faschistenregierung“ schäme sich, hieß es hier im Mai 1935, „der internationalen Öffentlichkeit mitzuteilen, daß sie jetzt auch für Frauen ein Konzentrationslager errichtet hat. Man bringt die Frauen allerdings nicht nach Wöl46 Mayer, Gefängniswesen, 419–420, 492; Hautmann, Fragen 37–38; Leopold Senfelder, Die k. k. Weiberstrafanstalt in Wiener Neudorf 1853–1903, Wien 1903; Emhart, Erinnerungen, 67–68. 47 Bauer, Anhaltehäftlinge, 4; Liste komm. Anhaltehäftlinge, ÖStA/AdR, BKA-I, Allg., 20/g, Kt. 4491, Zl. 343.382/35. 48 Schölnberger, Anhaltelager, 269. 49 Die Bezeichnung „kriminell“ wird hier bewusst in Anführungszeichen geführt, um eine moralische Verurteilung zu vermeiden und zu veranschaulichen, dass es sich zwar um Personen handelt, die sich nach geltendem Recht strafbar gemacht hatten, die aber selbst nach zeitgenössischen Wertemaßstäben oft nicht ohne weiteres als kriminell bezeichnet werden konnten. Viele Frauen etwa saßen aufgrund des § 144 StG (Schwangerschaftsabbruch); ein zumindest in politisch liberaleren Kreisen auch damals mitunter bereits kontrovers diskutiertes Thema. Vgl. Wallisch, Held, 62; T#los, Herrschaftssystem, 385; Therese Schlesinger, Brief an Rosa Jochmann (im Folgenden RJ), 1934/35, Archiv des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung (VGA), Nachlass (NL) RJ, Karton 1 Mappe 1a (K1M1a). 50 Schölnberger, Anhaltelager, 269. 51 Ebd., 87. 52 Emmerich T#los/Walter Manoschek, Zum Konstituierungsprozeß des Austrofaschismus, in: Emmerich T#los/Wolfgang Neugebauer (Hg.), „Austrofaschismus“. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938, Wien 1984, 31–52, 36–37. 53 Schölnberger, Anhaltelager, 269.

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lersdorf; das könnte man vor der Öffentlichkeit schwer verbergen. Aber das Polizeigefängnis in der Hahngasse in Wien wird seit kurzem als Konzentrationslager für Frauen verwendet“.54

Als die belgische Sozialistin und Gefängnisärztin Jeanne Vandervelde kurze Zeit später als Abgeordnete der Internationalen Liga für Menschenrechte (FIDH) austrofaschistische Gefängnisse und Lager besichtigte und in diesem Zusammenhang forderte, die weiblichen Anhaltehäftlinge der Hahngasse besuchen zu dürfen, verweigerte man ihr den Zuritt mit der Begründung, es gebe dort gar keine Frauen.55 War sie falsch informiert worden? Oder versuchte man tatsächlich die Anhaltung von Regimegegnerinnen zu verheimlichen? Insbesondere die präventive Internierung politischer Gegnerinnen scheint jedenfalls – vor dem Hintergrund traditioneller Geschlechterstereotype – ein besonders heikles Thema gewesen zu sein. Dafür sprechen nicht zuletzt die offensichtliche Ungenauigkeit hinsichtlich der Benennung betroffener Frauen, die in den Unterlagen der GDföS mal als Anhalte- und dann wieder als Untersuchungshäftlinge verzeichnet wurden,56 sowie der Umgang mit den im Zuge des Juliputsches 1934 verhafteten Nationalsozialistinnen, die auf Anordnung des BKA und im Unterschied zu ihren Kameraden nicht zur Zwangsarbeit in Lager verbracht, sondern „unter allen Umständen zur strafrechtlichen Behandlung“ eingeliefert werden sollten.57 Was auf den ersten Blick wie eine Vorzugsbehandlung wirkt, geschah allerdings keineswegs zwangsläufig zugunsten der Frauen. Die Haftbedingungen in den Polizeigefangenhäusern standen im Ruf, ungleich härter zu sein als jene in Wöllersdorf.58 Die AZ etwa kritisierte, angehaltene Frauen würden hier „ganz wie Arrestantinnen behandelt“ – wie verurteilte Straftäterinnen also – und seien somit „schlimmer daran als die Männer“ in besagtem Lager.59 Tatsächlich waren die Vorschriften der regulären Gefängnisse auf den Umgang mit „kriminellen“ Häftlingen ausgerichtet und nicht auf die Behandlung politischer Gefangener. Welchen Einfluss also hatte die Strafvollzugspraxis auf die politische Haft linker Frauen? 54 Konzentrationslager für Frauen, AZ, 5. 5. 1935, 6, Hervorh. i. O. Bei der „Hahngasse“ handelte es sich vermutlich um ein Nebengebäude der Liesl. 55 Amtsnotiz betr. Besichtigung ö. Gefängnisse durch Vandervelde, 27. 6. 1935, ÖStA/AdR, BKA-I, Allg., 20/g, Kt. 4491, Zl. 342.347/35. 56 Vgl. Verzeichnis weibl. polit. Häftlinge, 7. 10. 1934, ÖStA/AdR, BKA-I, Allg., 20/g, Kt. 4461, Zl. 264.557/34. 57 Amtsnotiz betr. Behandlung am Juliputsch beteiligter Frauen, 2. 8. 1934, ÖStA/AdR, BKA-I, Allg., 20/g, Kt. 4459, Zl. 217.125/34. 58 Schölnberger, Anhaltelager, 189–191; Otto Leichter, Ein Jahr Schuschnigg. Dokumente einer Diktatur, Brüssel 1935, 20. 59 AZ, 5. 5. 1935, 6; Vgl. auch Erkämpft die volle Amnestie für alle Antifaschisten, Die Rote Fahne. Zentralorgan der kommunistischen Partei Österreichs, 1. 7. 1935, 12.

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IV.

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Behandlungsrichtlinien

Die Behandlung von Häftlingen war in den 1930er-Jahren noch nicht einheitlich geregelt. Zwar enthielten das Strafgesetz (StG),60 die Strafprozessordnung,61 das Verwaltungsstrafgesetz (VStG)62 und auch die Anhalteverordnung63 Vorschriften zur Behandlung der jeweiligen Häftlingsgruppe. Sie waren aber sehr allgemein gehalten und wurden erst in den Hausordnungen spezifischer ausgeführt. In dem Versuch, den Strafvollzug zu vereinheitlichen, hatte das BMJ daher 1925 eine gemeinsame Hausordnung für sämtliche Männerstrafanstalten und Gerichtshofgefängnisse erlassen,64 die allerdings weder für die Frauenstrafanstalt noch für die Polizeigefangenhäuser oder Anhaltelager ohne weiteres galt.65 Die Behandlung der Häftlinge wurde demnach vom Ort der Haft wesentlich beeinflusst. Darüber hinaus war eine Reihe weiterer Faktoren entscheidend, wie die Art (Anhalte-, Untersuchungs-, oder Strafhaft) und Höhe des Strafmaßes,66 die Haftstufe,67 das Alter68 und nicht zuletzt das Geschlecht der Häftlinge, wobei der Großteil der Einzelbestimmungen identische Richtlinien für Männer und Frauen vorsah.69 Politischen Häftlingen standen darüber hinaus gemäß verschiedener Reglements aus dem 19. Jahrhundert bestimmte Privilegien zu, die – wenigstens formal – auch im Austrofaschismus weiterhin Bestand hatten: Sie sollten von „kriminellen“ Häftlingen gesondert und höchstens zu viert untergebracht werden, eigenes Bettgewand, Kleider und Wäsche benützen dürfen und die Reinigungsarbeiten in den Hafträumen an die sogenannten Hausreiniger und Hausreinigerinnen (im Gefängnisjargon auch als Fazi bezeichnet) delegieren dürfen, die sich aus den regulären Strafgefangenen rekrutierten und neben dem Putzen noch weitere Hilfsdienste wie die Essensverteilung übernahmen.70 Weiters wurde den politischen Häftlingen zugestanden, das Licht über die in der 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70

RGBl. 117/1852. RGBl. 119/1873, §§ 183–188. BGBl. 275/1925, § 12 Abs. 2. BGBl. 253/1934. Hausordnung für gerichtliche Gefangenhäuser (im Folgenden „HO“ abgekürzt), ÖStA/Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA), Justiz, Justizministerium (JM), Allg., Haftanstalten (Ha) 4023b, Zl. 230.139/25. Die entsprechenden HO liegen d. A. nicht vor. Die Lagerordnung von Wöllersdorf kann bei Schölnberger, Anhaltelager, 407–412 eingesehen werden. Es wurde zwischen einer strengen (Kerker) und einer milderen Freiheitsstrafe (Arrest) unterschieden und zudem zwischen schwerem/einfachem Kerker/Arrest (bzw. ersten/zweiten Grades) differenziert, Kunst, Strafvollzugsrecht, 262. Mayer, Gefängniswesen, 501–502. Ebd., 507–508. Ebd. Vgl. Geissler, Geschichte, 175.

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Hausordnung festgesetzte Dauer hinaus angeschaltet zu lassen und sich selbst verpflegen zu dürfen, eine bessere Verpflegung durch Zubußen zu erhalten oder nach Bewilligung durch den Anstaltsleiter sogar durch Angehörige versorgt werden zu können. Sie sollten rauchen dürfen und zur Arbeit nicht gezwungen werden können.71 Um in den Genuss dieser Privilegien zu kommen, mussten sie allerdings zunächst als Politische anerkannt werden. Zwar gab es bestimmte Delikte, die grundsätzlich als politisch eingestuft wurden – wie den Hochverrat (§ 58 StG) oder die Störung der öffentlichen Ruhe (§ 65 StG), um nur zwei zu nennen –, doch war die Vorzugsbehandlung ausgeschlossen, wenn die Verurteilung zugleich wegen eines „gemeinen Verbrechens“ erfolgt war. Sie hatte außerdem „nur dann stattzufinden, wenn der strafbaren Handlung politische Beweggründe zugrunde“ lagen.72 Der politische Status war folglich das Ergebnis einer recht willkürlichen Auslegungssache. Und so kritisierten sowohl die AZ als auch die FIDH mehrfach, dass politische Häftlinge mitunter nicht als solche anerkannt oder sogar schlechter behandelt würden als „kriminelle[…] Verbrecher“.73

V.

Hygiene

Tatsächlich führte bereits die gemeinsame Unterbringung dazu, dass die Politischen zunächst einmal den gleichen Haftbedingungen ausgesetzt waren wie „kriminelle“ Häftlinge. Auf den miserablen Zustand vieler Gefängnisse,74 die schlechte Luft, Dunkelheit, Kälte, Feuchtigkeit75 und nicht zuletzt auf die mangelnde Hygiene hatte ihr spezieller Status wenig Einfluss. Zwar gab es auch vergleichsweise modern ausgestattete Gefängniskomplexe – das Graue Haus etwa war unter anderem durch die schrittweise Anbindung der einzelnen Gefangenhaustrakte an die kommunale Kanalisation Anfang der 1930er-Jahre nach

71 Die Regelungen stammten aus zwei Erlässen des BMJ (1864/1886), beide in den 1930erJahren aktuell, Geissler, Gefängniswesen, 11; Mayer, Gefängniswesen, 496–507; Kunst, Strafvollzugsrecht, 269. 72 Mayer, Gefängniswesen, 506–507. 73 Die Kulturwelt für unsere Gefangenen, AZ, 29. 12. 1935, 2; Vgl. auch AZ, 5. 5. 1935, 6; Wie sie unsere Gefangenen behandeln, AZ, 8. 12. 1935, 2; Politische schlechter behandelt als Kriminelle, AZ, 2. 2. 1936, 5. 74 Besonders problematisch sollen die Bedingungen u. a. in Wr. Neudorf gewesen sein; Hautmann, Fragen, 39. 75 Maria Emhart, Brief an Rosa Jochmann, 22. 1. 1936, VGA, NL RJ, K1M3/25; 5.1936, zit. n. VGA Dokumentationen (2001) 4, Maria Emhart. Briefe aus dem Gefängnis. Korrespondenz mit Rosa Jochmann 1935–1936, Wien 2001; 16./3. 6. 1936, zit. n. VGA Dokumentationen (2001) 2, Rosa Jochmann 1901–1994. Demokratin, Sozialistin, Antifaschistin, Wien 2001, 7.

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und nach modernisiert worden.76 Andernorts aber waren Toiletten und Waschbecken mit fließendem Wasser keineswegs selbstverständlich, was aus den Berichten über die Haftbedingungen in den Polizeikommissariaten und -gefängnissen eindringlich hervorgeht.77 Selbst im Grauen Haus mangelte es zudem weiterhin an Waschmöglichkeiten.78 Auch vor Ungezieferplagen79 und Krankheitsepidemien80 waren die Politischen nicht gefeit, zumal der massive Überbelag die ohnehin prekäre Lage enorm verschärfte.81 Im Grauen Haus wuchs der Häftlingsstand im Frühjahr 1934 von 955 (12. Februar) auf 2.025 (22. März) Gefangene an.82 Infektionskrankheiten wie die klassische „Häftlingskrankheit“ (Lungen-)Tuberkulose verbreiteten sich unter diesen Bedingungen sehr schnell.83 Die Behandlung erkrankter Häftlinge sollte – wenn nicht durch Selbstmedikation84 – durch die Anstaltsärzte erfolgen.85 Verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand war theoretisch sogar eine Überweisung in ausgewählte Krankenhäuser, wie das Erzherzog Rainer-Spital (das heutige Hanusch-Krankenhaus) in Wien, möglich.86 Immer wieder klagte die AZ jedoch über Ärzte, die ihren PatientInnen die nötige Versorgung verweigerten.87 Besonders bedrückend war die mangelnde Hygiene auch für Frauen, die in der Zeit ihrer Haft „unwohl“88 wurden.89 Abgesehen von Randbemerkungen90 76 Geissler, Geschichte, 193; Friedrich Forsthuber, Das „Graue Haus“, in: Bibliotheksverein im Landesgericht für Strafsachen Wien (Hg.), Die Geschichte des Grauen Hauses und der österreichischen Strafgerichtsbarkeit, Wien 2012, 24. 77 AZ, 26. 5. 1935, 1–2; Joseph Simon, Augenzeuge. Erinnerungen eines österreichischen Sozialisten, eine sehr persönliche Zeitgeschichte, hg. von Wolfgang Neugebauer, Wien 1979; Leichter, Schuschnigg, 49. 78 System Geißler im Wiener Landesgericht, AZ, 14. 6. 1936, 6. 79 Ebd.; Emhart, Briefe an RJ, VGA, NL RJ, K1M36; Jahoda, Lebenserinnerungen, 55; Amtserinnerung d. BMJ betr. int. Berichterstattung über d. LG I, 12. 1936, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4131, Zl. 59.463/5/36; Geissler, Geschichte, 191. 80 Hautmann, Fragen, 45. 81 Geissler, Gefängniswesen, 19; Amtserinnerung „Berichterstattung“, 12. 1936, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4131, Zl. 59463/5,36; AZ, 14. 6. 1936, 6; Jahoda, Lebenserinnerungen, 58. 82 Geissler, Gefängniswesen, 19. 83 Hautmann, Fragen, 45; Senfelder, Weiberstrafanstalt, 52. 84 Emhart, Brief an RJ, 22. 1. 1936, VGA, NL RJ, K1M3/21. 2. 1936, zit. n. VGA, Emhart, 10. 85 Mayer, Gefängniswesen, 497; Emhart, Brief an RJ, 21. 2. 1936, zit. n. VGA, Emhart, 10; Simon, Augenzeuge, 198. 86 ÖStA/AdR, BKA-I, Allg., 20/g; Felix Czeike, Hanusch-Krankenhaus, in: Historisches Lexikon Wien 3 (H-L), Wien 2004, 57; Schölnberger, Anhaltelager, 259. 87 AZ, 5. 5. 1935, 6; Vgl. auch Wallisch, Held, 193–194. 88 AZ, 26. 5. 1935, 1–2. 89 Schwangerschaften und Geburten versuchte man mittels Strafaufschub oder -unterbrechung aus den Gefangenhäusern auszulagern. Tatsächlich sind d. A. keine Fälle schwangerer politischer Häftlinge bekannt, vgl. HO § 3, § 100, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4023b, Zl. 230.139/25; Entwurf von Grundsätzen über den Vollzug von Freiheitsstrafen, Berlin 5. 3. 1923, Ebd., Zl. 32049/23; BGBl. 275/1925, § 54.

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schweigen die Unterlagen der Polizei und Gerichte jedoch weitgehend zu diesem frauenspezifischen Aspekt der Haft. Dabei wurde den Umständen der Menstruation von den Betroffenen und ihrem solidarischen Umfeld bereits damals zentrale Bedeutung zugemessen, wie unter anderem ein Polizeibericht über den vorerwähnten Besuch Vanderveldes in der Liesl veranschaulicht: „Besonderes Augenmerk wendete sie dem Umstande zu, ob die Frauen auch genügend Möglichkeiten der Körperpflege in den kritischen Tagen hätten“.91 Leider endet der Bericht abrupt und wenig aussagekräftig mit der nicht näher erläuterten Behauptung, man habe die Fragestellerin diesbezüglich „vollkommen beruhigen“ können.92 Ein ganz anderes Bild allerdings zeichnete die AZ, die über dasselbe Haus zu berichten wusste: „In vielen Fällen haben Frauen drei, vier Wochen lang kein Waschzeug bekommen. Es ist nicht erlaubt, sich den ganzen Körper zu waschen. Tut man dies, so wird gedroht, daß einem das Bad entzogen wird! Der Kautschuk, auf dem die Frauen, die unwohl sind, liegen, ist immer voll Bluts; er wird nur kalt gewaschen!“.93 Die gesundheitsbedrohlichen Auswirkungen94 dieser Haftbedingungen wurden von den zuständigen Instanzen weitgehend ignoriert, obwohl die „auffällig häufigen Menstruationsanomalien“ weiblicher Häftlinge in der deutschsprachigen Fachdebatte bereits seit dem 19. Jahrhundert durchaus Aufsehen erregten.95

VI.

Verpflegung

Neben der Hygiene war insbesondere die Gefangenhauskost regelmäßig Gegenstand lautstarker Beschwerden und Konflikte, die sich im Wesentlichen an den immer gleichen Aspekten entfachten: Verunreinigungen wie Mäusekot, Maden, Würmer oder Sand im Essen, schlechte Zutaten wie verfaultes Gemüse oder ranziges Fett und nicht zuletzt die Eintönigkeit und Ungenießbarkeit vieler Gerichte, allen voran die weit verbreitete Einbrennsuppe, „ein ungenießbares

90 Im Zusammenhang mit dem Schmuggel konspirativer Nachrichten geht aus einem Aktenvermerk der Bundespolizeidirektion (BPD) hervor, dass zumindest einzelne Häftlinge Zugang zu Hygieneartikeln wie Binden hatten, Aktenvermerk d. BPD betr. Gefängnisarbeit d. Roten Hilfe (RH), 10. 12. 1936, DÖW Sign. 7134, zit. n. DÖW (Hg.), Widerstand und Verfolgung in Wien 1934–1945. Eine Dokumentation (1), Wien 1984, 366. 91 Polizeibericht über Vandervelde, ÖStA/AdR, BKA-I, Allg., 20/g, Kt. 4491, Zl. 342.347/35. 92 Ebd. 93 AZ, 26. 5. 1935, 1–2, Hervorh. i. O. 94 S. hierzu Sandra Leukel, Strafanstalt und Geschlecht: zur Geschichte des Frauenstrafvollzugs im 19. Jahrhundert (Baden und Preußen), Leipzig 2010, 265. 95 Leukel, Strafanstalt, 150.

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Gebräu aus schwarzem Kleiemehl und Wasser“.96 Besonders scharf in der Kritik stand diesbezüglich neben den polizeilichen Einrichtungen vor allem das Graue Haus.97 Das BMJ wies sämtliche Vorwürfe jedoch scharf zurück. Die Presseberichte über „angebliche […] Missstände“ in den österreichischen Gefangenhäusern enthielten entweder „aufgelegte Unwahrheiten“ oder maßlose und gehässige Übertreibungen „mehr oder weniger unvermeidbarer Begleiterscheinungen jeder Haft“ hieß es 1936 in einer internen Amtserinnerung.98 Während die Gefangenhausleiter einige Jahre zuvor noch Verständnis für die Kostklagen gezeigt und sich bemüht hatten, das „Geschmackserlebnis“ aufzuwerten,99 tat das BMJ die Beschwerden und Hungerstreiks100 nun unverblümt als „Ausdruck politischen Demonstrationswillens“ ab.101 Es sei eine „Erfahrungstatsache“, hieß es in dem Schreiben weiter, „dass Kostbeschwerden von Akademikern und Offizieren fast niemals, sondern in der Regel nur von Leuten vorgebracht werden, die in der Freiheit nichts Ordentliches zum Essen haben oder die Beschwerde überhaupt aus anderen Gründen vorbringen“.102 Dass die Kritik an den Umständen der Haft auch dazu genutzt wurde, auf größere Zusammenhänge aufmerksam zu machen, trifft sicherlich zu, heißt im Umkehrschluss jedoch keineswegs, dass sie nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Die Behauptung der Behörden, das Graue Haus sei hinsichtlich „Güte und Bekömmlichkeit der Verpflegung wiederholt als Sanatorium Birnstein bezeichnet“ worden, ändert daran per se wenig.103 Zwar konnte die Gefangenhauskost für einzelne Häftlinge mitunter tatsächlich Verbesserungen mit sich bringen, wie ein Blick auf den Fleischkonsum zeigt: Im Grauen Haus etwa betrug die wöchentliche Fleischration 100 g (verteilt auf ein bis zwei Gerichte) und in Wöllersdorf soll sogar beinahe täglich Fleisch auf dem Speiseplan gestanden haben, obwohl ein regelmäßiger Fleischverzehr in der Arbeiterschaft damals durchaus noch die Ausnahme darstellte.104 Eine Aufwertung war damit jedoch keineswegs intendiert. Vielmehr gingen die Bemühungen der Gefängnisleitung dahin, das Auf96 AZ, 8. 12. 1935, 2; Vgl. auch Ruhr im Landesgericht, AZ, 14. 6. 1936, 6; Von unseren Gefangenen, AZ, 18. 8. 1935, 3; Jahoda, Lebenserinnerungen, 55; Emhart, Briefe an RJ, VGA, NL RJ, K1M3. 97 AZ, 26. 5. 1935, 1–2. 98 Amtserinnerung „Berichterstattung“, 12. 1936, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4131, Zl. 59.463/5/36. 99 Antrag d. LG I an d. BKA (Justiz) betr. Ernährungsvorgaben, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4042, Zl. 235.414/20/25. 100 AZ, 8. 12. 1935, 2; AZ, 18. 8. 1935, 3; AZ, 14. 6. 1936, 6. 101 Amtserinnerung „Berichterstattung“, 12. 1936, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4131, Zl. 59.463/5/36. 102 Ebd. 103 Der Verwaltungsbeamte Birnstein war für den Einkauf zuständig; Ebd. 104 Schölnberger, Anhaltelager, 261ff; Geissler, Geschichte, 170; Speiseplan (23.11.-6. 12. 1936) d. LG I, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4131, Zl. 59463/5,36; AZ, 14. 6. 1936, 6.

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treten von Mangelerscheinungen zu vermeiden, ohne dass die Menge der verabfolgten Nahrung das für die bloße physische Existenz notwendige Maß überstieg.105 So soll der „Gouverneur“ des Grauen Hauses im Zuge eines Hungerstreiks Marie Jahoda gegenüber abfällig geäußert haben: „Wenn wir Ihnen anständiges Essen gäben, hätten wir bald die ganze Einwohnerschaft von Wien hier drin“.106 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht weiter, dass weder die (vorgeblich) „unvermutete Nachschau in der Küche“ des Hauses noch die „eingehende“ Befragung der zuständigen Verwaltungsbeamten, zu der sich das BMJ angesichts der anhaltenden Klagen offenbar genötigt sah, besonders kritisch ausfielen. Schnell gab man sich mit der Beteuerung zufrieden, weder in Menge noch Zusammensetzung der Kost sei eine Verschlechterung erfolgt.107 Dass Kontinuität kein zufriedenstellender Beleg für Qualität sein kann, ignorierte man dabei tunlichst. Zwar sollte es den Politischen wie erwähnt formal freistehen, sich mit Hilfe von Angehörigen selbst zu verpflegen oder die reguläre Anstaltskost durch Zubußen aufzuwerten, die Hausordnung für gerichtliche Gefangenhäuser verfügte jedoch einschränkend, dass die Speisen und Getränke auch in diesem Fall von dort bezogen werden müssten, wo „die Kost für die übrigen Gefangenen hergestellt wird, wenn nicht ausnahmsweise bewilligt wird, sie aus einer Gastwirtschaft zu beziehen“.108 Die Selbstbeköstigung war darüber hinaus auf die Grenzen eines nicht näher definierten „mäßigen Genusses“ beschränkt und obendrein nur dann zulässig, wenn die Kosten hierfür aus eigenen Mitteln oder durch die Unterstützung von Angehörigen bestritten und rechtzeitig im Vorhinein für mindestens eine Woche erbracht werden konnten.109 Wie sich die Preise für jene Zubußen zusammensetzten, bleibt unklar. Versuchte das Regime, auch auf diese Weise die maroden Staatsfinanzen aufzubessern? Diesen Verdacht hegten die Politischen jedenfalls nicht ganz zu Unrecht im Zusammenhang mit dem staatlichen Tabakmonopol,110 hatte doch eine Aufhebung des Rauchverbots 1936 in vielen Gefängnissen zu massiven Umsatzsteigerungen an Rauchwaren geführt.111 Ungeachtet dessen waren die Kostzubußen für viele Häftlinge aber fraglos von großer Bedeutung. So schilderte etwa Maria Emhart in ihren Briefen

105 Leukel, Strafanstalt, 208. 106 Jahoda, Lebenserinnerungen, 55. 107 Amtserinnerung „Berichterstattung“, 12. 1936, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4131, Zl. 59.463/5/36. 108 HO § 5, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4023b, Zl. 230.139/25. 109 Ebd. 110 Jahoda, Lebenserinnerungen, 60. 111 Bericht d. KG St. Pölten, 19. 6. 1936, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4023a, Zl. 646–5/36; Emhart, Brief an RJ, 23. 12. 1935, VGA, NL RJ, K1M3.

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immer wieder blumig (und stolz), wie sie die Häftlingskost auf diese Weise habe ersetzen oder zumindest etwas aufwerten können.112

VII.

Soziale Kontakte

Nachrichten von draußen waren in der Abgeschiedenheit der Haft „Rettungsanker und seelischer Beistand“, wie Veronika Duma und Hanna Lichtenberger treffend formulierten113 – nicht nur psychisch, sondern auch materiell. Denn insbesondere bei längeren Gefängnisaufenthalten waren die Häftlinge bei der Besorgung eigener Kleidung, Bücher, Lebensmittel und dergleichen auf fremde Hilfe angewiesen.114 Dass FreundInnen und Angehörige mitunter richtiggehend froh waren, auf diese Weise zumindest etwas für die Inhaftierten tun und sich solidarisch zeigen zu können, reflektierte auf selbstkritische Weise Helene Postranecky in einem Brief an ihre inhaftierte Freundin Rosa Jochmann: „Weißt, das ist reiner Egoismus. […] man bildet sich doch ein, auch etwas getan zu haben und das Gewissen wird wieder eingeschlummert“.115 Doch der Kontakt nach draußen unterlag strengen Auflagen und der Aufsicht der ZensorInnen.116 In Haft und Untergrund bemühte man sich daher immer wieder durchaus erfolgreich, versteckt in Lebensmitteln, Kleidungsstücken, Hygieneprodukten und dergleichen, durch Zurufe oder über solidarische AufseherInnen, konspirative Nachrichten über die Gefängnismauern hinweg zu schmuggeln.117 Auf diese Weise konnten Aussagen abgestimmt, Prozessstrategien entwickelt und Hungerstreiks organisiert werden.118 Die Behörden waren sich dieser regen Kom-

112 Emhart, Briefe an RJ, ca. 12.1935, 31. 1. 1936, 18. 5. 1936, NL RJ, K1M3. 113 Duma/Lichtenberger, Geschlechterverhältnisse, 59; Vgl. auch Russ, Notwendigkeit, 32–33; Die Welt erfährt die Wahrheit über Österreich, AZ, 28. 7. 1935, 8; AZ, 29. 12. 1935, 2; Frieda Nödl, Brief an RJ, 27. 1. 1935, VGA, NL RJ, K1M1b; Emhart, Briefe an RJ, ca. 12.1935/28. 12. 1935, VGA, NL RJ, K1M3; Emhart, Erinnerungen, 39; Jahoda, Lebenserinnerungen, 58–59. 114 Emhart, Brief an RJ, 22. 1. 1936, VGA NL RJ, K1M3. 115 Helene Postranecky, Brief an RJ, 6. 7. 1935, VGA, NL RJ, K1M2. 116 HO § 18, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4023b, Zl. 230.139/25. 117 Vgl. u. a. Nusko, Frauen, 215; Interview mit Rosa Jochmann, geführt von Siglinde Bolbecher u. Konstantin Kaiser, 18. 7. 1984, DÖW Sign. 50104/198, 30a; Bericht d. BPD betr. Planung eines Generalhungerstreiks, 2. 7. 1935, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha. 4094, Zl. IV – 6396/ 35; Emhart, Erinnerungen, 39; Bericht d. Dir. Hoffmann betr. Hungerstreik der polit. Gefangenen, 16. 7. 1935, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha. 094, Zl. 82 AV/35. 118 Siegfried Nasko, Maria Emhart – die Frau an der Spitze der St. Pöltner Februarerhebung 1934, in: Elisabeth Loinig/Reinelde Motz-Linhart (Hg.), St. Pölten zwischen den Kriegen. Politik, Wirtschaft, Kultur 1918–1938, St. Pölten 2015, 45–61, 56.

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munikation zwar bewusst, sahen sich jedoch nicht in der Lage, sie nachhaltig zu unterbinden.119 Noch schwerer zu kontrollieren war die Kommunikation der Häftlinge untereinander. Abgesehen von den ZellengenossInnen war jegliche Kontaktaufnahme streng untersagt.120 Zahlreiche Fälle von Ungehorsam zeigen jedoch, dass die Häftlinge dieses Verbot nicht allzu ernst nahmen, Lücken in der Überwachung geschickt nutzten und Disziplinarstrafen riskierten.121 Durch die Fenster hindurch riefen sie sich Anweisungen oder Grüße zu und sangen gemeinsam ihre (Kampf)Lieder.122 Insbesondere zu den zentralen Gedenk- und Festtagen der (österreichischen) Arbeiterbewegung kam es regelmäßig zu Sprechchören und Hungerstreiks, in denen männliche und weibliche Häftlinge gemeinsam ihre politische Gesinnung demonstrierten und lautstark die Umstände ihrer Haft kritisierten.123 Sie verständigten sich darüber hinaus via Klopfzeichen an Heizungsrohren, deren Grundregeln bereits im Untergrund erlernt wurden.124 Geheime Botschaften wurden auch in Form von Büchern (die „betreffenden Sätze punktiert“)125 oder Kassibern übermittelt. Deren Zustellung erfolgte meist über die Fazi, die nicht nur Zugang zu unterschiedlichen Zellen hatten, sondern auch mit den Fazi anderer Stockwerke zusammenkamen.126 Kassiber und Pakete127 konnten mitunter aber auch direkt von Fenster zu Fenster „zugeschnürlt“ werden. Lagen Frauen- und Männerzellen dicht beieinander, stellte dabei selbst die Trennung nach Geschlechtern kein unüberwindbares Hindernis dar,128 was wiederum dazu beitragen konnte, ein kleines Stück vertrauter „Ordnung“ wiederherzustellen. So schrieb der Schutzbündler Franz Lettner der ebenfalls inhaftierten Emhart: „Mitzi seit Du da bist wirkst Du auch durch die Mauern erzieherisch auf unsere Männer. Ihre zottigen [sic!] Wünsche, die sie sich sonst

119 Aktenvermerk d. BPD Wien betr. Gefängnisarbeit d. RH, 10. 12. 1936, DÖW, Zl. 7134, zit. n. DÖW, Wien, 366. 120 HO § 26e, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4023b, Zl. 230139/25. 121 Vgl. u. a. Emhart, Erinnerungen, 39; Kundgebung für Spanien im Wiener Landesgericht, AZ, 11. 3. 1936, 2; Kikeriki-Konzert im Landesgericht, AZ, 29. 9. 1934, 4. 122 Emhart, Brief an RJ, 4. 5. 1936, VGA, NL RJ, K1M3; AZ, 18. 8. 1935, 3. 123 Neugebauer, Repressionsapparat, 315; Schölnberger, Anhaltelager, 246; Vergnügungs- und Lichtstreik, AZ, 23. 2. 1936, 5; Der 1. Mai im Kerker, AZ, 13. 5. 1936, 3. 124 Lisa Fischer, Maria Emhart, in: Edith Prost (Hg.), „Die Partei hat mich nie enttäuscht…“. Österreichische Sozialdemokratinnen, Wien 1989, 255–287, 267; Jahoda, Lebenserinnerungen, 55. 125 Emhart, Erinnerungen, 14. 126 Informationen eines ehem. Häftlings d. LG I, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4131, Zl. 58.530/35; Simon, Augenzeuge, 194–195; Geissler, Geschichte, 175. 127 Emhart, Erinnerungen, 40. 128 Einvernahme Adele Stürzl, LG Innsbruck, 1. 4. 1935, DÖW Sign. 7842; Emhart, Erinnerungen, 39–40.

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durch die Fenster zugerufen haben, sind verstummt. Seit ich ihnen sagte, dass dein Fenster auf unserer Seite liegt“.129 Der engste – wenn auch keineswegs immer freiwillige – Kontakt bestand naturgemäß mit den eigenen Zellengenossinnen. Wenn es schon unter normalen Belagsverhältnissen schwer war, Momente von Ruhe, Privatheit oder Intimität zu genießen, so war es durch den massiven Überbelag nahezu unmöglich geworden. Die ständige Gesellschaft anderer aber nagte an den Nerven;130 Konflikte waren die Folge: „Du fragst, ob ich das Alleinsein nicht vorziehe. O ja, es ist aber unmöglich […]. Wir sind nun auch zu dritt und noch dazu ist eine Raucherin bei uns. Das ist nicht gerade angenehm für meine Lunge u. den kleinen Raum“.131 Verschärft wurden derlei Auseinandersetzungen durch die gemeinsame Unterbringung politischer und „krimineller“ Häftlinge.132 Das BMJ versicherte zwar, man bemühe sich tunlichst, die Politischen wie vorgesehen „von den gewöhnlichen Kriminellen zu sondern“,133 allerdings offenbar ohne großen Elan und Erfolg. Immer wieder kritisierte die AZ die fehlende Trennung,134 wobei vor allem diejenigen Fälle, in denen „junge Mädchen in der gleichen Zelle wie Prostituierte inhaftiert“135 worden waren, skandalisiert wurden: „Die ganze Nacht erzählen die eingelieferten Prostituierten Erfahrungen aus ihrem Gewerbe; die jungen Mädchen, die verhaftet wurden, weil sie ein sozialistisches Flugblatt verteilt haben, müssen das anhören“.136 Derlei kontrastierende Gegenüberstellungen „erfahrener Prostituierter“ mit vermeintlich „unschuldigen“ Minderjährigen lesen sich als gezielter Angriff gegen die austrofaschistische Doppelmoral, fand doch die katholisch-sittliche Fassade des Regimes so offensichtlich keinen Niederschlag im Umgang mit den Häftlingen. Zugleich spiegeln sie aber auch eine in der Linken weit verbreitete Moralvorstellung: Immer wieder wurden Frauen, die als Prostituierte, Diebinnen oder Mörderinnen verhaftet worden waren, als moralisch verwerflich,137 notorisch kriminell138 und wenig vertrauenswürdig139 beschrieben – wobei die Skepsis und das damit verbundene Abgrenzungsbedürfnis zumindest teilweise durchaus auf Gegenseitigkeit beruh129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139

Emhart, Erinnerungen, 43. Emhart, Brief an RJ, 8. 6. 1936, VGA, NL RJ, K1M3. Ebd., 31. 1. 1936, VGA, NL RJ, K1M3; Vgl. auch Jahoda, Lebenserinnerungen, 60. System Geißler im Wiener Landesgericht, AZ, 3. 5. 1936, 8; Emhart, Erinnerungen, 13. Amtserinnerung „Berichterstattung“, 12.1936, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4131, Zl. 59463/5,36. AZ, 3. 5. 1936, 8. Polizeibericht über Vandervelde, ÖStA/AdR, BKA-I, Allg., 20/g, Kt. 4491, Zl. 342.347/35. AZ, 26. 5. 1935, 1–2; Vgl. auch AZ, 3. 5. 1936, 8; Gewissenszwang und Terror im Frauengefängnis, AZ, 13. 9. 1936, 7; Jahoda, Lebenserinnerungen, 59–60. S. u. a. AZ, 26. 5. 1935, 1–2; AZ, 8. 12. 1935, 2. Jahoda, Lebenserinnerungen, 58. AZ, 8. 12. 1935, 2.

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ten.140 Aller Differenz zum Trotz gab es aber auch Momente gegenseitiger Anteilnahme,141 Unterstützung142 und Freundschaft. Selbst Liebesbeziehungen ergaben sich aus der erzwungenen Nähe. Deren Bedeutung dokumentierte Marie Jahoda (wenngleich keineswegs frei von Vorurteilen) in ihren Lebenserinnerungen: Unter den Politischen, so schrieb sie, hätten sich viele junge Mädchen befunden, die, isoliert von ihrem gewohnten Umfeld, „zur leichten Beute für die lesbischen Avancen der erfahrenen älteren kriminellen Frauen [geworden seien]. Ich sah, wie ein achtzehnjähriges Mädchen am Tag ihrer Entlassung bitterlich weinte, weil sie eine Frau zurücklassen mußte, die ihr Zärtlichkeit und sexuelle Lust geschenkt hatte“.143

VIII. Beschäftigungsmöglichkeiten Während die „kriminellen“ Häftlinge zur Gefängnisarbeit verpflichtet waren und entgegen den vorerwähnten Richtlinien auch im Zusammenhang mit Wöllersdorf Formen der Zwangsarbeit überliefert sind,144 scheinen zumindest diejenigen Frauen, die offiziell als Politische gewertet wurden, hiervon weitgehend ausgenommen gewesen zu sein.145 So finden sich – bei aller sonstigen Kritik an den Haftbedingungen – weder in den Berichten der AZ oder der Roten Fahne, noch in den Egodokumenten von (ehemaligen) Häftlingen oder in den Unterlagen der Polizei- und Justizbehörden Anzeichen für einen Arbeitszwang für linke Frauen. Doch auch nicht arbeiten zu müssen, konnte mitunter richtiggehend zur Belastung werden. Denn viele Frauen litten enorm unter der daraus resultierenden Untätigkeit und Langeweile.146 Aus der untersuchten Gefängniskorrespondenz geht hervor, wie sie sich gegenseitig zu Disziplin anhielten, um nicht zu verzweifeln. Stundenpläne sollten den Tagen Struktur147 und einzelnen Tätigkeiten mehr Gewicht verleihen. Angesichts der Isolation kam dabei ins-

140 141 142 143 144

Jahoda, Lebenserinnerungen, 58. Wallisch, Held, 62. Emhart, Brief an RJ, 13. 4. 1936, VGA, NL RJ, K1M3; Jahoda, Lebenserinnerungen, 60. Jahoda, Lebenserinnerungen, 59–60. Pia Schölnberger, „Ein Leben ohne Freiheit ist kein Leben.“ Das „Anhaltelager“ Wöllersdorf 1933–1938, in: Reiter-Zatloukal et al., interdisziplinäre Annäherungen, 94–107, 102; Schölnberger, Anhaltelager, 216–218; BGB1. 253/1934, § 4; Gleichschaltung mit Deutschland – in Wöllersdorf, AZ, 19. 7. 1936, 5. 145 HO § 11, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4023b, Zl. 230.139/25; Mayer, Gefängniswesen, 507; Geissler, Gefängniswesen, 11; Emhart, Briefe an RJ, 18. 5. 1936, 25. 3. 1936, VGA, NL RJ, K1M3. 146 Jahoda, Lebenserinnerungen, 61–62; Notizen von Häftling 269, Karl Seitz im LG I, 13. 5. 1934, VGA, NL Gabriele Proft, K2M4. 147 Nödl, Brief an RJ, 27. 1. 1935, VGA, NL RJ, K1M1b.

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besondere der „Schreibarbeit“ große Bedeutung zu,148 obwohl Frequenz, Inhalt und Adressatenkreis der Post wie erwähnt stark reglementiert waren.149 Ablenkung versprachen zudem empfangene Briefe, die, „um nur ja jedes Wort in Erinnerung zu behalten u. davon zehren zu können“, wieder und wieder gelesen wurden.150 Zu Höhepunkten des eintönigen Haftalltags wurden nicht zuletzt auch die Besuchszeiten, deren Beschränkung auf wenige Minuten die sozialen Beziehungen der Häftlinge jedoch zugleich vor eine große Belastungsprobe stellte.151 Darüber hinaus versuchten viele die Zeit ihrer Haft durch Lesen oder Lernen sinnvoll zu nutzen.152 Die großen Gefängnisse verfügten hierfür über Büchereien, deren Auswahl allerdings weder besonders groß, noch auf die Bedürfnisse der LeserInnen abgestimmt war.153 „[V]ertrauenswürdigen Strafgefangenen“ der Justiz konnte daher bei „guter Führung“ und „unter den nötigen Vorsichten“ zusätzlich das Lesen selbstbeschaffter „unbedenklicher“ Bücher, Zeitungen und Zeitschriften gestattet werden.154 Immer wieder passierte dabei – sei es aus Unkenntnis oder Solidarität – politische, mitunter auch offen marxistische Literatur die Zensur.155 Mithilfe von AufseherInnen und Rechtsanwälten gelangten sogar explizit verbotene Druckwerke wie die AZ in die Zellen der Politischen.156 In der Gemeinschaftshaft konnten sich die Häftlinge darüber hinaus gegenseitig Wissen vermitteln. So schildert etwa Marie Jahoda, wie sie ihre „kriminellen“ Zellengenossinnen in Französisch und Geschichte unterrichtet157 und im Ge-

148 Ebd. 149 Emhart, Briefe an RJ, 12.1935, 23. 12. 1935, 7.1936, VGA, NL RJ, K1M3; 21. 2. 1936, zit. n. VGA, Emhart, 9–10; HO § 18, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4023b Zl. 230139/25. 150 Emhart, Brief an RJ, ca. 7.1936, VGA, NL RJ, K1M3; Vgl. auch Emhart, Brief an RJ, 21. 2. 1936, zit. n. VGA, Emhart, 9–10; HO § 18(6), ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4023b Zl. 230139/25. 151 HO § 18, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4023b Zl. 230139/25; Leopoldine Glöckel: Brief an RJ, 14. 4. 1935, VGA, NL RJ, K1M1b; Amtserinnerung d. BMJ betr. Besichtigung ö. Haftanstalten durch Vandervelde, 10. 7. 1935, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4020, Zl. 55.862–5/ 35. 152 Vgl. u. a. Popp, Brief an RJ, 15. 1. 1935, VGA, NL RJ, K1M1a; Nödl, Brief an RJ, 27. 1. 1935, Ebd., M1b; Emhart, Brief an RJ, 13. 4. 1936, Ebd., M3. 153 Hautmann, Fragen, 46; Amtsvortrag betr. Verbesserungsmöglichkeiten im Strafvollzug, 12, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4022, Zl. 236052/20/26; Geissler, Geschichte, 165. 154 HO § 20(3), ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4023b Zl. 230139/25; Mayer, Gefängniswesen, 502; Kunst, Strafvollzugsrecht, 268; Ulrike Felber (Hg.), „Auch schon eine Vergangenheit“: Gefängnistagebuch und Korrespondenzen von Bruno Kreisky, Wien 2009, 139–140. 155 Felber, Gefängnistagebuch, 139–140; Glöckel, Brief an RJ, 14. 4. 1935, VGA, NL RJ, K1M1b; Adelheid Popp, Brief an RJ, 15. 1. 1935, Ebd., M1a; Emhart, Brief an RJ, ca. 11./12.1935, zit. n. VGA, Emhart, 5. 156 Informationen eines ehem. Häftlings d. LG I, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4131, Zl. 58.530/35. 157 Jahoda, Lebenserinnerungen, 60.

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genzug von ihnen gelernt habe, aus feuchtem Brot Schachformen zu kneten.158 Viele Frauen nutzten die Zeit der Haft zudem für Handarbeiten.159 Obwohl der gefängniskundliche Diskurs körperlicher Bewegung hohen Stellenwert einräumte,160 beschränkte sich das vorgesehene Maß im Haftalltag meist auf eintönige Runden um den Gefängnishof.161 In den Gerichtshofgefängnissen war hierfür immerhin noch eine Stunde am Tag vorgesehen – wenngleich der Hofgang jederzeit witterungsbedingt oder aus anderen „wichtigen Gründen“ für einzelne oder sämtliche Häftlinge gestrichen werden konnte.162 Die Gefangenen in der Liesl jedoch mussten sich immer wieder damit begnügen, zwei bis drei Mal in der Woche für nur wenige Minuten an die frische Luft gelassen zu werden.163 Den daraus resultierenden notorischen Bewegungsmangel versuchten einige über Turnübungen zu kompensieren, deren Bedeutung den Politischen, gemeinsam mit den Regeln zur Kommunikation, bereits im Untergrund eingebläut worden war.164

IX.

Häftlingsseelsorge

Angesichts der engen Zusammenarbeit der katholischen Kirche mit dem austrofaschistischen Regime liegt die Vermutung nahe, dass die Institution der Häftlingsseelsorge, die ein fester Bestandteil des Strafvollzugs war,165 dazu genutzt wurde, die Politischen wahlweise zu überwachen oder zu indoktrinieren. Tatsächlich sind aus Wöllersdorf vereinzelt entsprechende Meldungen des katholischen Lagerpfarrers aktenkundig geworden.166 Bereits im Juni 1935 hatte er zudem (mehr oder minder erfolglos) „eine aktive, aufklärende Propagandaarbeit im staatsbürgerlichen, vaterländischen Sinn für die Angehaltenen“ gefordert.167 Aus den Gefängnissen jedoch ist nichts dergleichen bekannt. Im Gegenteil, aus den Unterlagen des BMJ geht hervor, dass die Häftlingskontakte zu protestan158 Ebd. 159 Emhart, Brief an RJ, 13. 4. 1936, VGA, NL RJ, K1M3; Nödl, Brief an RJ, 27. 1. 1935 und 5. 6. 1935, VGA, NL RJ, K1M1b; Hackl, Gabriele, Nationalsozialistischer Strafvollzug und die Frauenstrafanstalt Waldheim in Sachsen, Masterarbeit, Wien 2015, 40. 160 Leukel, Strafanstalt, 209. 161 HO § 35, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4023b Zl. 230139/25; Jahoda, Lebenserinnerungen, 58–59. 162 HO § 7, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4023b Zl. 230139/25. 163 AZ, 26. 5. 1935, 1–2; Emhart, Brief an RJ, 9. 4. 1936, zit. n. VGA, Emhart, 13; Leichter, Schuschnigg, 20, 46–47. 164 Jahoda, Lebenserinnerungen, 55; Postranecky, Brief an RJ, 19. 3. 1935, VGA, NL RJ, K1M2; Emhart, Brief an RJ, 22. 1. 1936, zit. n. VGA, Emhart, 8. 165 Leukel, Strafanstalt, 222. 166 Schölnberger, Anhaltelager 267. 167 Jagschitz, Anhaltelager, 144.

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tischen Seelsorgern mitunter engmaschiger überwacht wurden, weil diese verdächtigt wurden, mit inhaftierten NationalsozialistInnen gemeinsame Sache zu machen.168 Hinweise auf eine Bespitzelung oder obrigkeitstreue Indoktrination durch die (ausnahmslos männlichen) Seelsorger169 finden sich dagegen keine. Hinsichtlich der religiösen Betreuung in den Gerichtshofgefangenhäusern Wiens entsteht vielmehr der Eindruck eines erstaunlich liberalen Umgangs mit den vielfach konfessionslosen linken Häftlingen.170 Während die römisch-katholischen Seelsorger als Bundesbeamte angestellt und staatlich finanziert wurden, mussten die anderen Religionsgemeinschaften allerdings selbst für ein solches Betreuungsangebot aufkommen.171 Aus geschlechterhistorischer Perspektive fällt zudem auf, dass die Teilnahme am Gottesdienst zwar formal für beide Geschlechter freiwillig war,172 die „kirchlichen Heilsmittel“ neben der Betreuung schwerkranker, „unbescholtene[r] und besserungsfähige[r] religiös tief veranlagte[r]“ aber offenbar insbesondere auf die „Besserung“ weiblicher Häftlinge ausgerichtet blieben.173 Vor diesem Hintergrund ist nicht zuletzt auch die Haft in der Frauenstrafanstalt Wiener Neudorf zu betrachten, die mit ihrer quasi-klösterlichen Lebensform traditionell bemüht war, eine Umkehr der weiblichen Häftlinge im christlichen Sinne zu erreichen.174 So wurden hier Frauen, die sich der religiösen Übungen und dem „Zwang zur Frömmigkeit“175 verweigerten, der AZ zufolge mit Korrektionsstrafen bedroht176 und hatten bei den „Dienerinnen Christi die Hölle auf Erden“.177

168 ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha. 4100. 169 Bericht d. Dir. Hoffmann, 6. 4. 1935, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4100, Zl. 2036-16c/35; Eduard Köck, Protokollband „Monatsberichte der Gefangenenhaus-Seelsorge Landesgericht Wien 1, Oktober 1927-März 1939“, Diözesanarchiv Wien, Handschriften, GefangenenSeelsorge, Bd. 1, Monatsberichte 1927–1939 und Dienst-Tagebuch Köck 1.10.–31. 12. 1942. 170 Seitz, Haftnotizen; Bruno Sokoll, Erinnerungen an Monsignore Köck beim Standgericht 1934, in: Der Neue Mahnruf. Zeitschrift für Freiheit, Recht und Demokratie 5 (1952) 11, 12, DÖW Bibl. Z06156; Vgl. auch die Debatte um eine Ausstattung der Zellen mit Wandkruzifixen, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4100, Zl. 2.923–16/35, Zl. 4826–16a/35 und Zl. 829/ 16/35. 171 Bericht d. Dir. Hoffman, 6. 4. 1935, Ebd., Ha. 4100, Zl. 2.036-16c/35. 172 Mayer, Gefängniswesen, 502; Hautmann, Fragen, 47. 173 HO § 9, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4023b, Zl. 230.139/25; Präsident d. LG II an das BMJ betr. Kruzifixe in Hafträumen, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4100, Zl. 2.923-16/35; Bericht d. Dir. Hoffmann, 6. 4. 1935, Ebd., Ha 4100, Zl. 2036-16c/35. 174 Senfelder, Weiberstrafanstalt, 51, 56–57; Emhart, Briefe an RJ, 25. 3. 1936, 25. 3. 1936, VGA, NL RJ, K1M3. 175 AZ, 8. 12. 1935, 2. 176 AZ, 13. 9. 1936, 7. 177 AZ, 8. 12. 1935, 2.

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X.

279

Gewalterfahrungen

Unter dem „austrofaschistischen Regime“, so betonte Jahoda rückblickend, „waren die Wiener Gefängnisse nur Gefängnisse, keine KZ“.178 Dass Frauen in den Gefangenhäusern des Regimes nicht physisch gefoltert oder gar ermordet wurden,179 bedeutet jedoch nicht, dass sie vor Gewalterfahrungen gefeit waren. Denn einerseits scheint es durchaus legitim, bestimmte Disziplinarstrafen (wie die Isolations- und Dunkelhaft, hartes Lager,180 Entzug der warmen Mahlzeit etc.) als Formen der Gewalt zu kategorisieren; zumal fraglich ist, inwiefern die rechtlichen Grenzen tatsächlich eingehalten wurden. Andererseits fand sich ein Großteil der politischen Häftlinge zumindest vorübergehend auf den Polizeikommissariaten wieder, wo es regelmäßig zu körperlichen Übergriffen seitens der Exekutive kam. Als besonders schlimm wurden die Zustände in der Wachstube Hubergasse in Wien-Ottakring überliefert,181 wo die verdächtigten Frauen geschlagen oder an den Haaren gerissen wurden.182 Die Schilderungen solcher Exzesse kamen selbstverständlich auch den Vorgesetzten und Richtern zu Ohren, wurden von diesen jedoch bagatellisiert.183 Wie in Diktaturen üblich wurden gegen die Täter keinerlei Maßnahmen ergriffen, da derlei „Polizeimethoden durchaus erwünscht waren“.184 Darüber hinaus sahen sich die Politischen immer wieder psychischer Gewalt ausgesetzt. Lange Verhöre unter quälenden Bedingungen185 sollten die Angeklagten ebenso unter Druck setzen, wie die Drohung, Angehörige zu verhaften, aus ihrer Wohnung zu werfen oder dafür zu sorgen, dass sie ihren Arbeitsplatz verlören.186 Vor allem Kinder wurden gezielt als Druckmittel eingesetzt.187 Dabei hatte die Haft von Müttern vor dem

178 Jahoda, Lebenserinnerungen, 55. 179 Ebd.; AZ, 26. 5. 1935, 1–2. 180 „Hartes Lager“ bedeutete die Beschränkung auf bloße Bretter, HO § 40–41, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4023b, Zl. 230.139/25; Vgl. auch Mayer, Gefängniswesen, 490; Emhart, Erinnerungen, 67–68; AZ, 13. 9. 1936, 7. 181 Simon, Augenzeuge, 202; Leichter, Schuschnigg, 48–49; Wie sie Verhaftete prügeln, AZ, 8. 12. 1935, 2. 182 Wieder 118 Hochverräter, AZ, 23. 2. 1936, 6; Neues aus der Hubergasse, AZ, 9. 6. 1937, 7; Ein Polizeisadist läßt weibliche Häftlinge prügeln, AZ, 20. 1. 1937, 11; AZ, 26. 5. 1935, 1–2; In Ottakring aber wird weiter geprügelt, Die Rote Fahne, 15. 4. 1937, 10. 183 Schreiben d. LG II an Auinger (Polizeikommissar in Ottakring), 25. 1. 1937, DÖW Sign. 7005, zit. n. DÖW, Wien, 323; AZ, 20. 1. 1937, 11; AZ, 9. 6. 1937, 7. 184 Neugebauer, Repressionsapparat, 304. 185 Jahoda, Lebenserinnerungen, 55–57. 186 Auch für die Gerichte existiert das neue Gesetz nicht, AZ, 15. 9. 1937, 5; Fischer, Emhart, 268; Emhart, Erinnerungen, 45. 187 Vgl. u. a. Jahoda, Lebenserinnerungen, 54–56; Bailer-Galanda, Rolle, 20–21; Leichter, Schuschnigg, 48.

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Hintergrund der traditionellen Zuständigkeit von Frauen für Haushalt und Kinder ohnehin bereits weitreichende Folgen für ihre Angehörigen.188 Ein Spezifikum der Gewalt gegen Frauen stellt traditionell und so auch unter den Bedingungen der politischen Haft im Austrofaschismus die sexuelle Belästigung dar. Immer wieder berichtete die AZ von wüsten Beschimpfungen „in der pöbelhaftesten Weise“189 und auch die Erinnerungen ehemals inhaftierter Frauen veranschaulichen, wie sie von Polizisten, Heimwehrlern und Justizbeamten sexistisch (und antisemitisch) als „Rote Huren“,190 „Jüdische Drecksau“, „Bankert“,191 „Luder“192 und dergleichen diffamiert wurden. Da mit Ausnahme von Wiener Neudorf in allen Bereichen des Frauenstrafvollzugs Männer präsent waren, kam es außerdem zu voyeuristischen Belästigungen, etwa wenn männliche Vollzugsbeamte bei einer Leibesvisitation ganz selbstverständlich anwesend blieben.193 Etliche machten sich zudem ein „Vergnügen“ daraus, „beim Schlafengehen durch die Gucklöcher in die Zellen zu sehen und die Frauen beim Auskleiden zu beobachten. Alle Proteste der weiblichen Häftlinge sind wirkungslos“.194 Auch an „unzweideutigen Angeboten“195 habe es keineswegs gefehlt, so die AZ, wobei es angesichts der asymmetrischen Machtverhältnisse naheliegend scheint, dass derlei „Annäherungsversuche“ oder Belästigungen zumindest teilweise ohne äußeren Widerstand geduldet wurden.196 Ob darüber hinaus körperliche, sexualisierte Übergriffen vorkamen, muss aufgrund der prekären Quellenlage offen bleiben.

XI.

Abschließende Betrachtungen

Abgesehen von der Anhaltung waren die Bedingungen der politischen Haft formal erstaunlich wenig nach Geschlechtern differenziert. Dass der Frauenstrafvollzug insgesamt weder in den Unterlagen des BMJ noch der GDföS eine größere Rolle spielt, deutet jedoch darauf hin, dass dieser Umstand weniger auf ideologischen Motiven, als vielmehr auf der mangelnden Aufmerksamkeit der Behörden beruhte. Dieses Desinteresse kommt nicht zuletzt in der Delegierung der einzigen Frauenstrafanstalt an einen religiösen Orden zum Ausdruck. Für die 188 Vgl. auch Leukel, Strafanstalt, 150. 189 AZ, 23. 2. 1936, 6. 190 AZ, 20. 1. 1937, 11; AZ, 9. 6. 1937, 7; Emhart, Erinnerungen, 37–38; Jahoda, Lebenserinnerungen, 58–59. 191 Ein Offizier des Herrn Schuschnigg, AZ, 11. 3. 1936, 9. 192 Wallisch, Held, 56–57. 193 Ebd., 58; Vgl. auch HO § 3, ÖStA/AVA, Justiz, JM, Allg., Ha 4023b, Zl. 230139/25. 194 Christliche Sittlichkeit im Polizeigefangenhaus, AZ, 14. 4. 1937, 10. 195 AZ, 26. 5. 1935, 1–2. 196 Hackl, Strafvollzug, 57–58.

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betroffenen Frauen konnte dies zum Vorteil geraten, etwa wenn sie, wie geschildert, qua Geschlecht weniger schnell konspirativer Umtriebe verdächtigt wurden. Die ausbleibende Überstellung in Anhaltelager allerdings hatte für sie mitunter lange Aufenthalte in den Polizeigefangenhäusern zur Folge, unter den dort herrschenden schlechten Haftbedingungen. Nicht nur hier, auch in den gerichtlichen Gefängnissen wurden die formalen Privilegien der politischen Häftlinge zudem häufig umgangen. Wenngleich von einer gezielten psychischen oder gar physischen Vernichtung politischer Gegnerinnen im Kontext des Austrofaschismus nicht die Rede sein kann, waren angesichts der Zustände in den veralteten und überfüllten Gefängnissen gesundheitliche Folgeschäden weit verbreitet. Die Kategorisierung der Haft als „zeitlich begrenzte, die Menschen unversehrt lassende Ausschaltung von Regimegegnern“197 berücksichtigt daher meines Erachtens die massiven physischen wie psychischen Belastungen dieser Haft nicht in ausreichendem Maße. Zwar verblassten diese Belastungen angesichts des nachfolgenden Terrors des Nationalsozialismus, allzu oft markierten sie jedoch auch den Beginn einer langen Verfolgungsgeschichte und wurden als erste Konfrontation mit einer diktatorischen Obrigkeit zudem als besonders traumatisch erlebt.

197 Neugebauer, Repressionsapparat, 315.

Abstracts

Research on Displaced Persons in Austria and Germany. Conceptualizing a Research Field Philipp Strobl / Nikolaus Hagen New Perspectives on Displaced Persons (DPs) in Austria In the past, Displaced Persons (DPs) have either been neglected as an object of research or merely been understood as a post-war transitional phenomenon, disjointed from the paradigmatic Austrian national history. This article seeks to expand our understanding of DPs and refugees as shaping forces of the reforming process of the Austrian post-war society. In a first step, it summarizes existing research. Secondly, it discusses the advantages of combining new approaches and methods from the fields of migration history and the history of knowledge, in order to introduce new perspectives to a field that has been characterized by a lack of innovation. Keywords: Displaced Persons, post-war Austria, history of knowledge, biographical approaches

Heribert Macher-Kroisenbrunner Jewish DPs in Southeast Austria. People – Organisations – Infrastructure Millions of people in Europe were uprooted and homeless after the end of the Second World War. Displaced Persons (DPs), as the Allied Powers called the survivors of the Nazi persecution, were in many cases unable to return to their homelands, since their cultural, social and economic livelihoods had been destroyed. The article focuses on several research areas. It analyses Jewish DP groups living in the DP camps in Southeast Austria as well as the organizations

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responsible for their support and reintegration on different local and supraregional levels. The Jewish refugees concentrated on creating new internal and external social relationships. Their past, was traumatic since many of them had lost their parents, children and other relatives. In the end, many people found a new home and identity. This process all too often led to tensions with the local population and affected the social life in the camp as well as the relations with the British occupation authorities. Keywords: Displaced Persons, Jews, refugee camps

Jim G. Tobias „There was at least one synagogue in each camp“. Religious Renaissance in DP Camps in Germany Although not only Zionists but also many orthodox survivors of the Shoah wondered where God had been when millions of people suffocated in the gas chambers, a spiritual renaissance quickly took place among the Sheerit Haplejta (surviving remnants). The beginning, however, was difficult. The great commitment of the orthodox association Vaad Hatzala (Rescue Committee) and the American Jewish Joint Distribution Committee, however, soon enabled a distinctive religious life to develop within post-war Jewish society. “At least one synagogue was located in all camps”, Rabbi Philip S. Bernstein, Advisor on Jewish Affairs, recalled, “in most of the large camps there was also a mikvah.” Keywords: Displaced Persons, religious renaissance, Judaism

Philipp Lehar Scout Groups in Austrian and German DP Camps. Self-Empowerment and Affiliation to a Global Network Scouting offers non-formal education and learning spaces for youth around the globe. It was a widespread activity in DP camps in Europe after the Second World War. It offered the boys and girls in the camps opportunities to be with friends, to play and have fun. For DPs who acted as scout volunteers, it was a space they shaped through their actions. Scouting was interpreted as a way to build character and patriotism by DPs, relief workers and Allied institutions. It was also used as a tool to pass on national “traditions” and “identities”. The international dimension offered opportunities to meet youth of other nationalities and to be part of a transnational network. Keywords: Scouting, Displaced Persons, transnational youth movement, Post World War II Europe

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Amelie Berking “We can no longer stand these conditions”. On the political imprisonment of leftist women during Austrofascism The article examines the prison conditions that female, leftist, political prisoners of the austrofascist regime were exposed to. The focus of the repressive authorities was by no means on the persecution of female opponents and yet many of them were imprisoned for political reasons. While most of their arrasted male comrades were transferred to the newly built camps (Anhaltelager), the female detainees remained in the existing police and judicial prisons, where they shared their cells with ‘criminal’ prisoners. By means of examplary prisons, this article demonstrates that the official privileges of political prisoners were only granted to some extent and not only men but also women were subjected to forms of physical and psychological – including sexual – violence. And although the austrofacist imprisonment of women can hardly be stated as a life-threatening situation, health consequences have been quite common due to the Spartan conditions in the overcrowded and outdated prisons. Keywords: Female prisoners, political imprisonment, Austrofascism

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Alexandra Weiss/Erika Thurner (Hg.), Johanna Dohnal und die Frauenpolitik der Zweiten Republik. Dokumente zu einer Pionierin des österreichischen Feminismus, Wien 2019, 240 Seiten, mit Abbildungen. Zu den Wegmarken der Zweiten Republik in Österreich gehören der auf eine Gleichberechtigung der Geschlechter abzielende sozialdemokratische Reformelan der 1970er-Jahre sowie, gegen Ende des Jahrzehnts, die Institutionalisierung von Frauenpolitik. Dass Letztere ein eigenständiges Politikfeld wurde, hat wesentlich mit der – die Geschlechterdiskurse dynamisierenden – Neuen Frauenbewegung zu tun. Konkreter frauenpolitischer Start war die ins Jahr 1979 fallende Entscheidung des damaligen Bundeskanzlers Kreisky, vier „weibliche Staatssekretäre“ in die Regierung zu berufen, zwei von ihnen explizit mit Frauenfragen zu betrauen und die Interessen von Frauen damit aus ihrer bislang traditionellen Verklammerung mit Familienpolitik herauszulösen. Die nunmehr erstmals deutliche weibliche Präsenz in einer österreichischen Regierung (im Nationalrat hingegen betrug der Anteil der Mandatarinnen 1979 gerade einmal 9,8 Prozent) löste heftige – überraschte bis entsetzte – Reaktionen der Öffentlichkeit aus und war von einem – heute würde man sagen – „printmedialen Shitstorm“ (S. 46) begleitet. Auch innerhalb der SPÖ wurde dieser „Paukenschlag“ – so die zeitgenössische Etikettierung – zu einem Kraftakt: Um die vier Staatssekretärinnen durchzubringen, musste Kreisky mit seinem Rücktritt als Parteivorsitzender drohen (S. 44). Eine dieser vier neuen Staatssekretärinnen, für „allgemeine Frauenfragen“ zuständig, war Johanna Dohnal. Es ist insbesondere ihr Name, der für diesen Aufbruch hin zu einer Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse steht. Johanna Dohnal (1939–2010) wäre 2019 – und damit vier Jahrzehnte nach dem später viel zitierten „Paukenschlag“ – 80 Jahre alt geworden. Ein zweifacher Anlass also, um das Leben und Wirken dieser Pionierin der österreichischen Frauenpolitik und ersten Frauenministerin zeitgeschichtlich und politikwissenschaftlich kontextualisiert ins Zentrum eines Buches zu stellen. Herausgeberinnen sind die Politikwissenschafterin Alexandra Weiss und die Historikerin Erika Thurner. Das Kernstück der Publikation bilden die verschriftlichten Dokumente jener Vorlesungen, die Dohnal im Wintersemester 2006/2007 an der Fakultät für Politikwissenschaft und Soziologie der Universität Innsbruck hielt: im Rahmen einer neuen Form von Gastprofessur, bei der ehemalige PolitikerInnen eingeladen waren, „Innensichten der Politik“ zu vermitteln. Aus einer solchen Innenperspektive heraus berichtete Dohnal in aufschlussreicher rückblickender Reflexion über ihre Arbeit als Staatssekretärin und ab 1990 als Frauenministerin und damit über insgesamt 16 Jahre (1979 bis 1995) Regierungsarbeit mit dem Anliegen der Durchsetzung einer geschlechtergerechten Politik. In den Blick

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kommen dabei auch die gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse, Ungleichzeitigkeiten zwischen Stadt und Land, parteipolitische und koalitionäre Konstellationen, Schwierigkeiten mit der Ministerialbürokratie etc. – und damit ein vielschichtig-widersprüchliches Koordinatensystem, das frauenpolitische Erfolge immer wieder blockierte und bremste. Was sich in diesen Vorlesungs-Dokumenten besonders enthüllt, ist das – über eine traditionell parteipolitische Prägung hinausgehende – frauenpolitische Selbstverständnis von Dohnal und ihrem Team, das in Austausch und Kooperation mit Aktivistinnen der Frauenbewegung und auch der entstehenden feministischen Wissenschaft neue Formen politischen Denkens und Handelns initiierte. Wichtigstes Arbeitsprinzip: Politik nicht nur für Frauen, sondern mit Frauen. Instrumente dafür waren regelmäßige Enqueten, Tage der offenen Tür, Frauenforen in allen Bundesländern. „Sie haben in gewisser Weise wie Sozialforscherinnen das Land durchkämmt, die Lebenssituationen von Frauen erhoben und daraus politische Maßnahmen abgeleitet“, hält Herausgeberin Weiss in einem Interview zum Buch fest („Der Standard“, 22. März 2019). Von ihrer inhaltlichen Ausrichtung her war für Johanna Dohnal Frauenpolitik untrennbar mit Sozialpolitik verbunden, im Sinne einer eigenständigen Existenzsicherung von Frauen – die in allen sozialen Schichten realisierbar werden sollte, nicht nur in privilegierten. Warum die Kontroversen um die Initiativen der streitbaren Frauenministerin ab den späten 1980er-Jahren heftiger wurden und schließlich 1995 zu deren unfreiwilligen Ausscheiden aus der nunmehrigen SPÖ-ÖVP-Regierung führten, beleuchtet Alexandra Weiss in ihrer abschließenden zeitgeschichtlich-politikwissenschaftlichen Analyse der gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen, vor deren Hintergrund sich Frauenpolitik entwickelte. Die Autorin spannt dabei einen pointierten und erkenntnisreichen Bogen bis in die Gegenwart und zeigt, wie der Übergang vom sozialstaatlich regulierten hin zu einem neoliberalen Kapitalismus auch die Handlungsmöglichkeiten einer emanzipatorischen Frauenpolitik einschränkte und „die Debatte über soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern […] aus dem politischen Diskurs weitgehend verdrängt[e]“ (S. 8). Eingeleitet wird das Buch von einem ausführlichen biografischen Kapitel, in dem es Erika Thurner anschaulich gelingt, die lebensgeschichtlich-gesellschaftlich-zeithistorischen Prägungen herauszuarbeiten, die schon früh zur sozial- und geschlechter- sowie gegenüber autoritären Strukturen kritischen Handschrift der Politikerin Dohnal führten: „Erfahrungen der Armut, des Krieges, der nationalsozialistischen Herrschaft, aber auch der Entmündigung von Frauen durch ein Familien- und Eherecht, das auf den Beginn des 19. Jahrhunderts datierte und erst in den 1970er-Jahren reformiert werden sollte“ (S. 7). Auch der Karriereverlauf Dohnals von der Wiener Stadtpolitik über

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die Landes- in die Bundespolitik wird informativ erläutert, sowie die neuen Akzente, die sie innerhalb der SPÖ in der Parteiarbeit setzte: Sie erweiterte „die Aktivitäts- und Beteiligungsformen“ und versuchte, „die innerorganisatorisch ausgelösten Bewusstseinsprozesse rund um das Rollenverständnis der Frau für ihre Vorstellungen von emanzipatorischer Politik zu nützen“ (S. 35). Erika Thurner und Alexandra Weiss haben mit ihrem anregenden, sehr gut lesbaren Buch das Erbe Johanna Dohnals nicht nur mit wissenschaftlicher Absicht in Erinnerung gerufen. In den gegenwärtigen Zeiten eines zunehmenden Antifeminismus bzw. einer neoliberalen Reduzierung auf Elitenfeminismus möchten sie damit auch wieder zu einer breiten kritisch-feministischen Diskussion anregen. Dass dieses Anliegen greift, bestätigen seit dem Erscheinen des Buches zahlreiche Vortrags-, Diskussions- und Intervieweinladungen an die beiden Herausgeberinnen und Autorinnen. Ingrid Bauer

Mathias Lichtenwagner/Ilse Reiter-Zatloukal (Hg.), „… um alle nazistische Tätigkeit und Propaganda in Österreich zu verhindern“. NS-Wiederbetätigung im Spiegel von Verbotsgesetz und Verwaltungsstrafrecht (Veröffentlichung der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz 6), Graz 2018, 104 Seiten. Der Tagungsband liefert die verschriftlichten Ergebnisse der gleichnamigen Konferenz vom Jänner 2018 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Es ist den HerausgeberInnen und AutorInnen hoch anzurechnen, dass das Werk bereits seit Dezember 2018 vorliegt und anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz als 6. Band in deren Schriftenreihe „Veröffentlichungen der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz“ erschienen ist. Die Forschungsstelle war 1998 mit der Zielsetzung der Aufbereitung, Beforschung und Zurverfügungstellung von Akten der justiziellen Ahndung von nationalsozialistischen Verbrechen in Österreich und der Dokumentation der in Österreich durchgeführten staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen und Gerichtsverfahren wegen NS-Verbrechen gegründet worden. Die Notwendigkeit, sich in Österreich institutionell mit dem Nazismus und nazistischen Aktivitäten zu befassen, lässt sich auch an der jüngeren Zeitgeschichte ablesen: Stichworte wie Antisemitismus, ÖH-Wahl mit einer ungustiösen WhatsApp-Gruppe am Juridicum, NS-Liederbuchaffäre sowie die Unzahl an Einzelfällen und Ausrutschern der türkis-blauen Regierung verdeutlichen dies und zeigen, dass die Grenzen des Normalen, des Sagbaren aber auch des Erträglichen sukzessive in ein problematisches Spektrum verschoben werden.

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Mit Artikel 9 des Österreichischen Staatsvertrages von 1955, dem auch der Titel des Buches entnommen ist, hat sich Österreich verpflichtet, Gesetze gegen faschistische und nationalsozialistische Betätigung zu erlassen. Daher kam es zum Verbotsgesetz (VerbG) und zu zwei flankierenden Verwaltungsgesetzen, das Abzeichengesetz (AbzG) und das Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen (EGVG). Die Anwendung dieser Gesetze wirft in der Praxis aber immer wieder Fragen hinsichtlich der Zuständigkeiten, der konkreten Auslegung, der Abgrenzung der Gesetze untereinander und der Doppelverfolgung auf. Auch politisch stehen diese Gesetze aufgrund der Strafhöhe, Beschränkung auf den Nationalsozialismus und der Einschränkung der Meinungsfreiheit in der Öffentlichkeit zur Debatte. Der Band selbst gliedert sich in drei Blöcke, die aber nicht der Reihenfolge der Beiträge im Buch entsprechen. Die ersten drei Beiträge befassen sich mit dem VerbG und beleuchten dieses historisch (Brigitte Bailer), die zentralen Normen betreffend (Farsam Salimi) und im Hinblick auf die Meinungsfreiheit (Ewald Wiederin). Der zweite Teil befasst sich mit den NS-spezifischen Verbotsnormen im Verwaltungsstrafrecht anhand der Beiträge zum EGVG (Franz Merli) und zum AbzG (Mathias Lichtenwagner). Im dritten Block werden in drei Beiträgen die drei Gesetze verschränkend betrachtet. Untersucht werden das Doppelbestrafungsverbot und damit das Verhältnis von Kriminal- und Verwaltungsstrafrecht (Alois Birklbauer), die Grenzen der Tatbestände und Ausnahmen des AbzG – und en passant das Symbolegesetz, das mit seinen Wirkungen im Internet diskutiert wird (Ulrich Wagrandl). Abgerundet wird dieser Teil mit den einschlägigen Statistiken sowie deren begrenzter Aussagekraft (Angelika Adensamer). Um die Inhalte des Buches etwas greifbarer zu machen, sei hier aufgrund der zurzeit allumfassend geführten Debatte von Digitalität der Beitrag von Ulrich Wagrandl „Digitale wehrhafte Demokratie: Verbotene politische Symbole im Internet“ (S. 79–92) beispielhaft hervorgehoben. Dass politische Ideologien über Symbole verbreitet werden, war sich auch der Nationalsozialismus, mit seiner alles durchdringenden Propaganda, bewusst. Und daher sieht Wagrandl es auch als konsequent an, dass es mit dem AbzG „in der Reihe der gesetzlichen Maßnahmen in Österreich, die sich gegen ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus richten, auch ein Gesetz gibt, das spezifisch dessen bildliche Symbolik im Visier hat“ (S. 79). Für das Symbole-Gesetz von 2014/2019, das sich gegen die Propaganda des sogenannten Islamischen Staates, der Al-Kaida und anderer Gruppierungen wendet, war das AbzG Vorbild. Ergänzt wurde es mit der expliziten Bezugnahme auf elektronische Kommunikationsmittel und wiederum „komplizierte Ausnahmekonstruktionen für ,periodische elektronische Medien‘, die den Zweck des Gesetzes zu hintertreiben scheinen“ (S. 79).

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In Bezug auf online aktive Neo-Nazis scheint die zentrale Problematik des AbzG zu sein, „dass derjenige, der im Internet z. B. das Bild eines Hakenkreuzes postet, nicht wirklich jene körperliche Abzeichen verwendet, die das Abzeichengesetz im Sinn hat“ (S. 79). So stellt sich das Verwenden nationalsozialistischer Symbole im Internet folgendermaßen dar : „Das fahrlässige Zeigen nationalsozialistischer Abzeichen im Internet ist das Verbreiten bildlicher Darstellungen dieser Abzeichen […]. Es ist nur strafbar, wenn dadurch das dahinterstehende Ideengut gutgeheißen oder propagiert wird. Für die Strafbarkeit macht es aber keinen Unterschied, ob es sich um eine Website oder einen Kurznachrichtendienst handelt. Erfolgt das Zeigen der Symbole allerdings mit Vorsatz, so liegt eine Strafbarkeit gemäß Verbotsgesetz nahe“ (S. 90). Wagrandl sieht daher das AbzG und das Symbolegesetz als „Symbolpolitik“, die „den Einsatz der Regierung gegen Extremismus ,symbolisch‘ dokumentieren, ohne dass sie viel praktischen Nutzen haben.“ Gleichzeitig erfüllen sie im Sinne einer „wehrhaften Demokratie“ wichtige Funktionen: So sind sie einerseits „flankierende Maßnahmen“ für weit strengere Gesetze (VerbG, Verbot der Verhetzung usw.), andererseits „drücken sie ein Bekenntnis des Gesetzgebers aus, demokratiefeindliche Bestrebungen schon im Ansatz zu bekämpfen“ (S. 92). Die HerausgeberInnen und die AutorInnen haben mit dem Werk eine Standortbestimmung vorgenommen und damit einen Beitrag zum besseren Verständnis jener gesetzlichen Regelungen geleistet, die einer Nachwirkung des Nationalsozialismus in Österreich Einhalt gebieten wollen. Das Buch steht dabei in der Tradition von Zeitgeschichte und Justiz, die sich als Thema in entsprechenden Symposien, Zeitgeschichte-Tage usw. finden lässt. Auch wenn das Buch vielleicht für RechtswissenschafterInnen zu historisch ausgeformt und für HistorikerInnen zu sehr an den Paragraphen hängen bleibt, ergibt sich insgesamt ein interdisziplinär verständliches Buch, das in die Problemkreise der drei Gesetze VerbG, AbzG und EGVG einführt. Etwas zu kurz kommt die historische Periode von 1945 bis zum Österreichischen Staatsvertrag 1955, in dem sich viel Klärendes für die dann entstandenen Gesetze finden ließe. Nur Brigitte Bailer geht in ihrem Beitrag darauf ein. Aus historischer und staatspolitischer Perspektive war „das Verbot der nationalsozialistischen Betätigung ein Grundpfeiler der 1945 gegründeten Zweiten Republik“. Dies bestätigte 1985 auch der Verfassungsgerichtshof: „Die kompromißlose Ablehnung des Nationalsozialismus ist ein grundlegendes Merkmal der wiedererstandenen Republik. Ausnahmslos jede Staatstätigkeit hat sich an diesem Verbot zu orientieren“ (VfGH G175/84, 29. 11. 1985). Dazu Bailer : „An diesem Fundament ist nicht zu rütteln“, denn das Verbotsgesetz stellt politisch „das zentrale Instrument der Republik zur Abwehr jener politischen Bestrebungen dar, die in letzter Konsequenz Demokratie und Menschlichkeit be-

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kämpfen und die Abschaffung der demokratischen Staatsordnung anstreben.“ Und diese Abwehr, so Bailer, hat „ihre Relevanz in der Gegenwart keineswegs eingebüßt“ (S. 26). Dem ist zuzustimmen, gleichzeitig erscheint das Recht im Kampf gegen Rechtsextremismus und Neonazismus noch nicht ins digitale Zeitalter transferiert und transformiert worden zu sein. Dies zeigt sich v. a. im Vergleich des AbzG mit dem Symbolegesetz, wo deutlich wird, dass es durchaus Handlungsbedarf gäbe, die Thematik des AbzG auch für das Internet, Soziale Medien usw. fit zu machen. Das heißt, in dem Buch steckt viel Potenzial, dass es für die Politik zu nutzen gälte. Markus Stumpf

Katrin Hammerstein, Gemeinsame Vergangenheit – getrennte Erinnerung? Der Nationalsozialismus in Gedächtnisdiskursen und Identitätskonstruktionen von Bundesrepublik Deutschland, DDR und Österreich (Diktaturen und ihre Überwindung im 20. und 21. Jahrhundert 11), Göttingen 2017, 591 Seiten. Das deutsch-österreichische Verhältnis war bzw. ist nicht nur in der Historie, sondern auch unter HistorikerInnen ein nicht selten schwieriges und kann mitunter zu a) heftigen kollegialen Kontroversen zwischen Universitäten,1 b) solchen auf interuniversitärer Ebene2 und zu c) solchen auf bilateraler Ebene3 führen; es kann in Buchform d) knapp vor der Hysterie4 bzw. e) irritiert-abwägend ausfallen5 oder in die Kategorie des defätistischen „Kamerad Schnürschuh“6 fallen. 1 Vgl. Ernst Bruckmüller, Nation Österreich. Kulturelles Bewußsein und gesellschaftlich-politische Prozesse (Studien zu Politik und Verwaltung, Bd. 4), 2., ergänzte u. erweiterte Aufl., Wien/Köln/Graz. Grete Klingenstein, Nation Österreich, in: Das historisch politisch Buch 33 (1985), 1–3; Ernst Bruckmüller, Eine Antwort, in: Österreich in Geschichte und Literatur XX (1985) 6, 402–406; Diskussion Fritz Fellner und Gerald Stourzh über „3 Staaten – 2 Nationen – 1 Volk“?, in: historicum 5 (1986/87), 16–18. 2 Vgl. Fritz Fellner/Georg E. Schmid, Ende oder Epoche der deutschen Geschichte? Bemerkungen zum Abschlußband des Gebhardtschen Handbuches, in: zeitgeschichte 5 (1977/78) 4, 158–171. 3 Vgl. Karl Dietrich Erdmann, Drei Staaten – zwei Nationen – ein Volk?, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 36 (1985) 10, 671–683. Rudolf G. Ardelt, „Drei Staaten – zwei Nationen – ein Volk?“ oder die Frage: „Wie deutsch ist Österreich?“, in: zeitgeschichte 13 (1986) 7, 253–268. 4 Vgl. Margit Scherb/Inge Morawetz (Hg.), In deutscher Hand? Zu den Beziehungen Österreich – BRD (Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik, Bd. 46), Wien 1990. 5 Vgl. Oliver Rathkolb/Georg Schmid/Gernot Heiß (Hg.), Österreich und Deutschlands Größe. Ein schlampiges Verhältnis, Salzburg 1990. 6 Vgl. Matthias Pape, Ungleiche Brüder. Österreich und Deutschland 1945–1965, Köln/Weimar/ Wien 2000.

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Katrin Hammerstein hat sich in ihrer von Edgar Wolfrum (Universität Heidelberg) und Heidemarie Uhl (Österreichische Akademie der Wissenschaften) betreuten Dissertation, die nunmehr in gedruckter Form vorliegt, des deutschösterreichischen Verhältnisses in puncto „Vergangenheitsbewältigung“ angenommen. Die intensive Forschungsdichte (allein das Literaturverzeichnis umfasst 56 Seiten) legt auf den ersten Blick die Frage nahe, was es denn zu dieser Thematik noch zu erforschen gäbe – und, bzw. aber wie die voluminöse Monografie zeigt: mehr als genug. Hammersteins dreifach innovativer Forschungsansatz liegt zum einen im erinnerungspolitisch-transnationalen Verhältnis bzw. im Vergleich der beiden deutschen Staaten und Österreich als Nachfolgestaaten des „Großdeutschen Reiches“, zum anderen in „Reden, Erklärungen und anderen Stellungnahmen staatlicher Repräsentanten, insbesondere der Regierungschefs und Staatsoberhäupter“ (S. 28) als primäre (aber nicht ausschließlich ausgewertete) Quellen; schließlich in der Auseinandersetzung mit M. Rainer Lepsius’ Analyse bzw. seinem weit verbreiteten, ebenso rezipierten und häufig zitierten Diktum aus den späten 1980er-Jahren von der Internalisierung des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik, dessen Universalisierung in der DDR und dessen Externalisierung in Österreich.7 Die Publikation geht von der „Hypothese“ aus, „dass die Erinnerung von Bundesrepublik, DDR und Österreich eben nicht vollkommen getrennt, sondern bezogen auf- und verbunden miteinander ist.“ Die „Studie“ fragt „vor allem nach Verbindungslinien zwischen den drei Staaten in ihrem Umgang mit der NSVergangenheit, und zwar sowohl im Blick auf Gemeinsamkeiten als auch hinsichtlich Interdependenzen und Verflechtungen. […] Indem der Blick aber auch transnational ausgerichtet wird, lässt sich auch gegenseitigen Perzeptionen und möglichen Wechselwirkungen oder Bezogenheiten nachgehen, ebenso wie der Frage nach der Herausbildung einer vielleicht auch gemeinsamen Erinnerung“ (S. 21f.). Neben den bereits weiter oben erwähnten politischen (Elite-)Quellen erschließt die Verfasserin ergänzend dazu unter anderem Geschichtsbücher und Beiträge in Medien. Das Buch, dessen zentrale Begriffe Geschichtsbild, Geschichtspolitik, Erinnerungskultur und kollektives Gedächtnis sind, ist in fünf Abschnitte gegliedert, wobei „die Dekade vom Ende der 1970er- bis Ende der 1980er-Jahre den Hauptuntersuchungszeitraum“ (S. 28) bildet. Nach der 44-seitigen Einleitung widmet sich die Verfasserin den Gründungsmythen der drei Staaten und der 7 Vgl. M. Rainer Lepsius, Das Erbe des Nationalsozialismus und die politische Kultur der Nachfolgestaaten des „Großdeutschen Reiches“, in: Max Haller/Hans-Joachim HoffmannNowotny/Wolfgang Zapf (Hg.), Kultur und Gesellschaft. Verhandlungen des 24. Kongresses des Deutschen Soziologentags, des 11. Österreichischen Soziologentags und des 8. Kongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie in Zürich 1988, Frankfurt am Main/New York 1989, 247–264.

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Aus- und Herausbildung von (kollektiven/kollektiv verbindlichen) Geschichtsbildern einerseits und deren Modifikationen und Neucodierungen vor den 1980er-Jahren andererseits (S. 45–136). Für die DDR bedeutete dies die (Über-)Betonung des kommunistischen Widerstandes und die qua sozialistischer Gesellschaftsordnung bewältigte (bzw. solcherart realiter entsorgte) NSVergangenheit. Österreich brach zum einen mit der deutschen Geschichte und berief sich zum anderen als Staatsdoktrin auf die „Opferthese“, und die Bundesrepublik übernahm als Staat die Verantwortung, entschuldete aber die (Durchschnitts-)Bürger (und nicht nur diese, wie es beispielsweise Norbert Frei fulminant nachgezeichnet hat8) nach dem Motto der „unschuldigen Täter“9. Die drei „Erinnerungsdoktrinen“ verband eine selektive Opferwahrnehmung, die gelegentlich die tatsächlichen (Opfer-)Kategorien auf den Kopf stellte bzw. die(se) Opfer ausblendete, wobei Hammerstein hart, aber nachvollziehbar schlussfolgert: „Die Täternationen haben sich […] mehrfach schuldig gemacht: zum einen in ihrer Rolle als konkrete Täter, zum anderen, indem sie sich selbst zu Opfern stilisierten“ (S. 91). Im Gegensatz zur statischen und kaum modifizierten Erinnerungs- und Gedächtniskultur des ostdeutschen Staates und Österreichs zeigte die westdeutsche ab den 1960er-Jahren auf Grund von NS-Prozessen, „der 68er“ oder der „Affäre Filbinger“ 1978 wesentlich mehr Dynamik. „Zumindest waren sich die obersten Staatsvertreter Ende der 1970er-Jahre einig, dass das ,schwierige Erbe‘ der Geschichte anzunehmen und eine Auseinandersetzung damit notwendig sei“ (S. 131f.). Zwischen den Seiten 137 und 398 findet sich das imposante empirische „,Herzstück‘“ der Publikation, das sich „an bestimmten Kristallisationspunkten der Vergangenheitsdiskussionen, die häufig mit runden Gedenktagen wie dem 50. Jahrestag der ,Machtergreifung‘ […], dem 40. Jahrestag des Kriegsendes […] oder dem 50. Jahrestag der Pogromnacht […] zusammenhängen, aber sich auch durch […] Schlüsselereignisse der politischen, aber auch der populären, historiografischen und medialen Geschichte ergeben“ (S. 35f.). Mit Letzterem sind die Erstausstrahlung des US-amerikanischen Fernsehvierteilers „Holocaust“ in der Bundesrepublik10 und in Österreich11 (1979), die „Frischenschlager-Reder8 Vgl. Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NSVergangenheit (Veröffentlichungen des Instituts für Zeitgeschichte), München 1996. 9 Vgl. Ruth Wodak/Peter Nowak/Johanna Pelinka/Helmut Gruber/Rudolf de Cillia/Richard Mitten, „Wir sind alle unschuldige Täter“. Diskurshistorische Studien zum Nachkriegsantisemitismus, Frankfurt am Main 1990. 10 Vgl. Peter Märthesheimer/Ivo Frenzel (Hg.), Im Kreuzfeuer : Der Fernsehfilm „Holocaust“. Eine Nation ist betroffen, Frankfurt am Main 1979. 11 Vgl. Peter Diem, „Holocaust“. Anatomie eines Medienereignisses (Berichte zur Medienforschung 1), Wien 1979; Ders., Elefant oder Eintagsfliege? Probleme und Ergebnisse der Fernsehwirkungsforschung am Beispiel „Holocaust“ und anderen Medienereignissen, in:

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Affäre“ in Österreich, der umstrittene Bitburg-Besuch von Kanzler Helmut Kohl und Präsident Ronald Reagan (beide 1985), das „,Debattenjahr‘“ 1986 (Kurt Waldheims „missing years“12 in Österreich, der „Historikerstreit“ und die Erdmann-Kontroverse in der Bundesrepublik) sowie das „Anschlußbe- und -gedenken“ 1988 und die Jenninger-Rede zum 9. November 1938 gemeint. Die Diskussion über Waldheims Kriegs- und NS-Vergangenheit führte „zu einer Neuverhandlung“ des österreichischen „Geschichtsbilds“ (S. 277). An der für die österreichische Entwicklung so zentralen Waldheimdebatte und deren „eruptiv-katalytischen Wirkung“ (S. 336) zeigt sich die Stärke von Hammersteins komparativem Ansatz mustergültig und exemplarisch: „Während in Österreich mit der Debatte des Jahres 1986 der Opfermythos dekonstruiert wurde, blieb die DDR […] in den Deutungslinien ihres Gründungsmythos des Antifaschismus verhaftet; die Bundesrepublik wiederum hielt der Herausforderung ihres die NS-Vergangenheit inkludierenden Selbstverständnisses durch revisionistische Thesen“ – gemeint ist der „Historikerstreit“ – „stand“ (S. 338). Eine weitere Konsequenz dieses Jahrzehnts bestand in einer „deutlichen Intensivierung des Gedenkens, insbesondere an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. […] Auch wurden in der DDR und in Österreich konkrete – und zugleich gegenüber der Bundesrepublik nachholende – Maßnahmen zur Entschädigung der Opfer, jeweils unter Betonung der moralischen und nicht rechtlichen Verpflichtung sowie der Tatsache, dass es ,Wiedergutmachung‘ nicht geben könne, getroffen bzw. angekündigt. In allen drei Staaten wurde der Opferbegriff nicht nur im Blick auf die jüdischen Opfer fokussiert […], sondern auch mehr und mehr um bislang unberücksichtigte Opfer erweitert“ (S. 397). Für die 1990er-Jahre konstatiert die Verfasserin eine globale „Entschuldigungswelle“ (S. 406) und die „Synchronisierung der Gedächtnislandschaften“ (S. 487). Zum einen kam es zu einem „Nachziehverfahren“ der demokratisierten Deutschen Demokratischen Republik (vgl. S. 414), zum anderen zur Erweiterung des Opferbegriffes (vgl. S. 433), zu in diesem Konnex stehenden Denkmalsetzungen (vgl. S. 486) aber auch zu politisch-medial-künstlerischen Reviktimisierungstendenzen im (wieder)vereinten Deutschland (vgl. S. 448–450).

Heinz Pürer (Hg.), Medienereignisse – Medienwirkungen? Zur Wirkung von Massenmedien: „Hainburg“, „Holocaust“ und andere Medienereignisse. Eine Tagungsdokumentation (Hefte des Kuratoriums für Journalistenausbildung, Heft 7), Salzburg 1985, 140–160; Heinz P. Wassermann, Österreich und „Holocaust“ – eine verstörte Nation?, in: Gertraud Diendorfer/ Gerhard Jagschitz/Oliver Rathkolb (Hg.), Zeitgeschichte im Wandel. Österreichische Zeitgeschichtetage 1997, Innsbruck/Wien 1998, 322–329; Ders., „Zuviel Vergangenheit tut nicht gut!“ Nationalsozialismus im Spiegel der Tagespresse der Zweiten Republik, Innsbruck/ Wien/München 2000, 294–348. 12 Vgl. Robert E. Herzstein, Waldheim. The missing years, London 1988.

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Für Österreich war die breit rezipierte Vranitzky-Rede im Nationalrat im Juni 1991 von besonderer Relevanz. Hammerstein gelingt es, den ihr zugeschriebenen Paradigmenwechsel massiv zu relativieren und sie somit gewissermaßen, wenn schon nicht vom Sockel zu stoßen, so doch in die richtigen Relationen und Proportionen zu setzen (vgl. S. 416–420). Katrin Hammerstein hat mit den von ihr ausgewerteten Quellen einen hochinteressanten und bisher zumeist vernachlässigten Quellenbestand umsichtig ausgewertet, ihr interpretatorisches Modell bzw. den „vergleichend-interpretativen“ (S. 32) Ansatz konsequent durchgehalten, gründlich gearbeitet und im Übrigen ein außerordentlich gut lesbares Buch veröffentlicht. Auch wenn gelegentlich der Eindruck entsteht, sie arbeite sich geradezu an Lepsius „Vergangenheitsbewältigungs“-Trias ab, zeigt die Arbeit einerseits den unschätzbaren Vorteil penibler Quellenrecherche und Quellenarbeit und andererseits die Stärke einer ausgeklügelten und strickt umgesetzten Methodik. Lepsius’ „Unterscheidung lässt den Umgang mit dem gemeinsamen Erbe der NS-Vergangenheit in den drei Nachfolgestaaten […] als vollkommen getrennt und ohne Bezug aufeinander erscheinen. […] Die (Nicht-)Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erfolgte […] ebenso wenig ausschließlich und isoliert im nationalen Rahmen wie völlig unabhängig voneinander. Außerdem sind die von Lepsius beschriebenen Umgangsweisen nicht nur in jeweils einem, sondern in allen drei Staaten und zudem in Mischformen zu finden, die sich auch wandelten. Auch wenn die These des Soziologen grundsätzlich ein brauchbares theoretisches Modell darstellt, […] ist sie aus empirisch-geschichtswissenschaftlicher Perspektive in ihrer Plakativität dennoch zu schematisch und idealtypisch. Insbesondere erweist sie sich als zu statisch“ und „im Grunde ahistorisch. […] Die uneingeschränkte Übernahme von Lepsius’ Unterscheidung setzt zudem einen Rahmen fest, der wesentliche Aspekte übersehen lässt, die zugleich zentrale Ergebnisse der vorliegenden Studie sind. Das betrifft sowohl die Transformation der Gedächtnisdiskurse als auch deren Verflechtungen und die Konstatierbarkeit eines Erinnerungstransfers“ (S. 492f.). Hinzuweisen ist darauf, dass es sich um „Die Presse“ und nicht „die Presse“ (z. B. S. 309 und S. 365) handelt und der österreichische Bundespräsident „Van“ und nicht „van der Bellen“ (S. 427) geschrieben wird. Auch wenn sich auf Hobsbawm zu beziehen grundsätzlich in Ordnung geht, schießt aus Sicht des Rezensenten die Formulierung: „Ähnlich wie Eric Hobsbawms ,langes 19. Jahrhundert‘ kann 1986 als ,langes Debattenjahr‘ aufgefasst werden: Die Diskussionen um die Vergangenheit reichten bis 1987 bzw. gingen ins Gedenken des Jahres 1988 über“ (S. 275) über das Ziel hinaus.

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Auch wenn das Literaturverzeichnis einen imposanten Umfang aufweist, wären zum „Historikerstreit“ zusätzlich auf den von Pehle13 herausgegebenen Sammelband und die von Geiss14 verfasste Streitschrift, für 1995 auf einen Beitrag von Margit Reiter15 sowie ein „medien& zeit“-Themenheft aus 2006,16 für das von der Regierung ausgerufene „Gedankenjahr 2005“ bzw. für Geschichtspolitik unter „schwarz-blau“ I & II auf einschlägige Beiträge von Robert Kriechbaumer17 und von Ernst Hanisch18 zu verweisen. Heinz P. Wassermann

13 Vgl. Walter H. Pehle (Hg.), Der historische Ort des Nationalsozialismus. Annäherungen, Frankfurt am Main 1990. 14 Immanuel Geiss, Die Habermas-Kontroverse. Ein deutscher Streit, Berlin 1988. 15 Vgl. Margit Reiter, Konstruktion(en) der Vergangenheit. Am Beispiel der Reden von Bundespräsident Klestil und FPÖ-Obmann Haider zum 50. Geburtstag der Republik Österreich, in: zeitgeschichte 24 (1997) 11/12, 388–403 16 Vgl. Marlene Streeruwitz, „Daran weder gedenken noch erinnern noch erinnert werden“, in: medien& zeit 21 (2006) 2, 4–9; Heinz P. Wassermann, So viele(e) Erinnerung(en). Bemerkungen zur veröffentlichten Gedenkkultur an der Schnittstelle nationalsozialistischer Vergangenheit(en) und politischer Gegenwart(en), in: ebda, 10–26. 17 Vgl. Robert Kriechbaumer, Von Faschisten, Austrofaschisten und Alltagsfaschisten. Die Regierungen Schüssel I und II und der Kampf um die Erinnerung, in: Robert Kriechbaumer/ Franz Schausberger (Hg.), Die umstrittene Wende. Österreich 2000–2006 (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek 43), Wien/Köln/Weimar 2013, 183–210. 18 Vgl. Ernst Hanisch, Die Vergangenheitspolitik der schwarz-blauen Regierung, in: ebda, 397–416.

Autor/inn/en

Ingrid Bauer, ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg, Freie Autorin, Herausgeberin, Vortragende, [email protected] Amelie Berking, M. A. Historikerin, Wien/Hamburg, [email protected] Ingrid Böhler, SSc Mag. Dr. Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck, [email protected] Nikolaus Hagen, Mag. Dr. Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI), nikolaus.hagen@vwi. ac.at Philipp Lehar, Mag. Institut für Archäologien, Universität Innsbruck, [email protected] Heribert Macher-Kroisenbrunner, MA Doktorand am Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz, heribert. [email protected] Philipp Strobl, Mag. PhD. MA Institut für Geschichte, Universität Hildesheim, [email protected] Markus Stumpf, Mag. MSc Leiter der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte, Universität Wien, markus. [email protected]

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zeitgeschichte 47, 2 (2020)

Jim G. Tobias Nürnberger Institut für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts (www.nurinst.org), [email protected] Heinz P. Wassermann, Mag. Dr. FH-Joanneum, Institut Journalismus und Unternehmenskommunikation / Journalismus und PR, [email protected]

Zitierregeln Bei der Einreichung von Manuskripten, über deren Veröffentlichung im Laufe eines doppelt anonymisierten Peer Review Verfahrens entschieden wird, sind unbedingt die Zitierregeln einzuhalten. Unverbindliche Zusendungen von Manuskripten als word-Datei an: [email protected]

I.

Allgemeines

Abgabe: elektronisch in Microsoft Word DOC oder DOCX. Textlänge: 60.000 Zeichen (inklusive Leerzeichen und Fußnoten), Times New Roman, 12 Punkt, 1 12-zeilig. Zeichenzahl für Rezensionen 6.000–8.200 Zeichen (inklusive Leerzeichen). Rechtschreibung: Grundsätzlich gilt die Verwendung der neuen Rechtschreibung mit Ausnahme von Zitaten.

II.

Format und Gliederung

Kapitelüberschriften und – falls gewünscht – Unterkapiteltitel deutlich hervorheben mittels Nummerierung. Kapitel mit römischen Ziffern [I. Literatur], Unterkapitel mit arabischen Ziffern [1.1 Dissertationen] nummerieren, maximal bis in die dritte Ebene untergliedern [1.1.1 Philologische Dissertationen]. Keine Interpunktion am Ende der Gliederungstitel. Keine Silbentrennung, linksbündig, Flattersatz, keine Leerzeilen zwischen Absätzen, keine Einrückungen; direkte Zitate, die länger als vier Zeilen sind, in einem eigenen Absatz (ohne Einrückung, mit Gänsefüßchen am Beginn und Ende). Zahlen von null bis zwölf ausschreiben, ab 13 in Ziffern. Tausender mit Interpunktion: 1.000. Wenn runde Zahlen wie zwanzig, hundert oder dreitausend nicht in unmittelbarer Nähe zu anderen Zahlenangaben in einer Textpassage aufscheinen, können diese ausgeschrieben werden. Daten ausschreiben: „1930er“ oder „1960er-Jahre“ statt „30er“ oder „60er Jahre“. Datumsangaben: In den Fußnoten: 4. 3. 2011 [keine Leerzeichen nach den Punkten, auch nicht 04. 03. 2011 oder 4. März 2011]; im Text das Monat ausschreiben [4. März 2011]. Personennamen im Fließtext bei der Erstnennung immer mit Vor- und Nachnamen. Namen von Organisationen im Fließtext: Wenn eindeutig erkennbar ist, dass eine Organisation, Vereinigung o. Ä. vorliegt, können die Anführungszeichen weggelassen werden: „Die Gründung des Öesterreichischen Alpenvereins erfolgte 1862.“ „Als Mitglied im

Womens Alpine Club war ihr die Teilnahme gestattet.“ Namen von Zeitungen/Zeitschriften etc. siehe unter „Anführungszeichen“. Anführungszeichen im Fall von Zitaten, Hervorhebungen und bei Erwähnung von Zeitungen/Zeitschriften, Werken und Veranstaltungstiteln im Fließtext immer doppelt: „“ Einfache Anführungszeichen nur im Fall eines Zitats im Zitat: „Er sagte zu mir : ,….‘“ Klammern: Gebrauchen Sie bitte generell runde Klammern, außer in Zitaten für Auslassungen: […] und Anmerkungen: [Anm. d. A.]. Formulieren Sie bitte geschlechtsneutral bzw. geschlechtergerecht. Verwenden Sie im ersteren Fall bei Substantiven das Binnen-I („ZeitzeugInnen“), nicht jedoch in Komposita („Bürgerversammlung“ statt „BürgerInnenversammlung“). Darstellungen und Fotos als eigene Datei im jpg-Format (mind. 300 dpi) einsenden. Bilder werden schwarz-weiß abgedruckt; die Rechte an den abgedruckten Bildern sind vom Autor/von der Autorin einzuholen. Bildunterschriften bitte kenntlich machen: Abb.: Spanische Reiter auf der Ringstraße (Quelle: Bildarchiv, ÖNB). Abkürzungen: Bitte Leerzeichen einfügen: vor % oder E/zum Beispiel z. B./unter anderem u. a. Im Text sind möglichst wenige allgemeine Abkürzungen zu verwenden.

III.

Zitation

Generell keine Zitation im Fließtext, auch keine Kurzverweise. Fußnoten immer mit einem Punkt abschließen. Die nachfolgenden Hinweise beziehen sich auf das Erstzitat von Publikationen. Bei weiteren Erwähnungen sind Kurzzitate zu verwenden. – Wird hintereinander aus demselben Werk zitiert, bitte den Verweis Ebd./ebd. bzw. mit anderer Seitenangabe Ebd., 12./ebd., 12. gebrauchen (kein Ders./Dies.), analog: Vgl. ebd.; vgl. ebd., 12. – Zwei Belege in einer Fußnote mit einem Strichpunkt; trennen: Gehmacher, Jugend, 311; Dreidemy, Kanzlerschaft, 29. – Bei Übernahme von direkten Zitaten aus der Fachliteratur Zit. n./zit. n. verwenden. – Indirekte Zitate werden durch Vgl./vgl. gekennzeichnet. Monografien: Vorname und Nachname, Titel, Ort und Jahr, Seitenangabe [ohne „S.“]. Beispiel Erstzitat: Johanna Gehmacher, Jugend ohne Zukunft. Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel in Österreich vor 1938, Wien 1994, 311. Beispiel Kurzzitat: Gehmacher, Jugend, 311. Bei mehreren AutorInnen/HerausgeberInnen: Dachs/Gerlich/Müller (Hg.), Politiker, 14. Reihentitel: Claudia Hoerschelmann, Exilland Schweiz. Lebensbedingungen und Schicksale österreichischer Flüchtlinge 1938 bis 1945 (Veröffentlichungen des Ludwig-

Boltzmann-Institutes für Geschichte und Gesellschaft 27), Innsbruck/Wien [bei mehreren Ortsangaben Schrägstrich ohne Leerzeichen] 1997, 45. Dissertation: Thomas Angerer, Frankreich und die Österreichfrage. Historische Grundlagen und Leitlinien 1945–1955, phil. Diss., Universität Wien 1996, 18–21 [keine ff. und f. für Seitenangaben, von–bis mit Gedankenstich ohne Leerzeichen]. Diplomarbeit: Lucile Dreidemy, Die Kanzlerschaft Engelbert Dollfuß’ 1932–1934, Dipl. Arb., Universit8 de Strasbourg 2007, 29. Ohne AutorIn, nur HerausgeberIn: Beiträge zur Geschichte und Vorgeschichte der Julirevolte, hg. im Selbstverlag des Bundeskommissariates für Heimatdienst, Wien 1934, 13. Unveröffentlichtes Manuskript: Günter Bischof, Lost Momentum. The Militarization of the Cold War and the Demise of Austrian Treaty Negotiations, 1950–1952 (unveröffentlichtes Manuskript), 54–55. Kopie im Besitz des Verfassers. Quellenbände: Foreign Relations of the United States, 1941, vol. II, hg. v. United States Department of States, Washington 1958. [nach Erstzitation mit der gängigen Abkürzung: FRUS fortfahren]. Sammelwerke: Herbert Dachs/Peter Gerlich/Wolfgang C. Müller (Hg.), Die Politiker. Karrieren und Wirken bedeutender Repräsentanten der Zweiten Republik, Wien 1995. Beitrag in Sammelwerken: Michael Gehler, Die österreichische Außenpolitik unter der Alleinregierung Josef Klaus 1966–1970, in: Robert Kriechbaumer/Franz Schausberger/ Hubert Weinberger (Hg.), Die Transformation der österreichischen Gesellschaft und die Alleinregierung Klaus (Veröffentlichung der Dr.-Wilfried Haslauer-Bibliothek, Forschungsinstitut für politisch-historische Studien 1), Salzburg 1995, 251–271, 255–257. [bei Beiträgen grundsätzlich immer die Gesamtseitenangabe zuerst, dann die spezifisch zitierten Seiten]. Beiträge in Zeitschriften: Florian Weiß, Die schwierige Balance. Österreich und die Anfänge der westeuropäischen Integration 1947–1957, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 42 (1994) 1, 71–94. [Zeitschrift Jahrgang/Bandangabe ohne Beistrichtrennung und die Angabe der Heftnummer oder der Folge hinter die Klammer ohne Komma]. Presseartikel: Titel des Artikels, Zeitung, Datum, Seite. Der Ständestaat in Diskussion, Wiener Zeitung, 5. 9. 1946, 2. Archivalien: Bericht der Österr. Delegation bei der Hohen Behörde der EGKS, Zl. 2/pol/57, Fritz Kolb an Leopold Figl, 19. 2. 1957. Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Archiv der Republik (AdR), Bundeskanzleramt (BKA)/AA, II-pol, International 2 c, Zl. 217.301-pol/ 57 (GZl. 215.155-pol/57); Major General Coleman an Kirkpatrick, 27. 6. 1953. The National Archives (TNA), Public Record Office (PRO), Foreign Office (FO) 371/103845, CS 1016/205 [prinzipiell zuerst das Dokument mit möglichst genauer Bezeichnung, dann das Archiv, mit Unterarchiven, -verzeichnissen und Beständen; bei weiterer Nennung der Archive bzw. Unterarchive können die Abkürzungen verwendet werden].

Internetquellen: Autor so vorhanden, Titel des Beitrags, Institution, URL: (abgerufen Datum). Bitte mit rechter Maustaste den Hyperlink entfernen, so dass der Link nicht mehr blau unterstrichen ist. Yehuda Bauer, How vast was the crime, Yad Vashem, URL: http://www1.yadvashem.org/ yv/en/holocaust/about/index.asp (abgerufen 28. 2. 2011). Film: Vorname und Nachname des Regisseurs, Vollständiger Titel, Format [z. B. 8 mm, VHS, DVD], Spieldauer [Film ohne Extras in Minuten], Produktionsort/-land Jahr, Zeit [Minutenangabe der zitierten Passage]. Luis BuÇuel, Belle de jour, DVD, 96 min., Barcelona 2001, 26:00–26:10 min. Interview: InterviewpartnerIn, InterviewerIn, Datum des Interviews, Provenienz der Aufzeichnung. Interview mit Paul Broda, geführt von Maria Wirth, 26. 10. 2014, Aufnahme bei der Autorin. Die englischsprachigen Zitierregeln sind online verfügbar unter : https://www.verein-zeit geschichte.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/p_verein_zeitgeschichte/zg_Zitierregeln_ engl_2018.pdf Es können nur jene eingesandten Aufsätze Berücksichtigung finden, die sich an die Zitierregeln halten!