Discorsi: Unterredungen und mathematische Beweisführung zu zwei neuen Wissensgebieten 9783787328123, 9783787328116

Die Discorsi von 1638 enthalten die Summe des philosophischen und wissenschaftlichen Lebenswerks Galileo Galileis (1564

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Discorsi: Unterredungen und mathematische Beweisführung zu zwei neuen Wissensgebieten
 9783787328123, 9783787328116

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Philosophische Bibliothek

Galileo Galilei Discorsi Unterredungen und mathematische Beweisführungen zu zwei neuen Wissensgebieten

Meiner

GA LILEO GA LILEI

Discorsi Unterredungen und mathematische Beweisführungen zu zwei neuen Wissensgebieten

Übersetzt und herausgegeben von

Ed Dellian

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 678

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-2811-6 ISBN eBook: 978-3-7873-2812-3

www.meiner.de © Felix Meiner Verlag Hamburg 2015. Alle Rechte vorbehalten.

Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck: Strauss, Mör­len­ bach. Bindung: Litges & Dopf, Heppenheim. Werkdruck­papier: alte­ rungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

INHALT

Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vii  I. Galilaeus ignotus – Warum eine neue Ausgabe

der Discorsi notwendig ist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vii   II. Eppur’ si muove – Galilei beweist die wirkliche

­ ewegung der Erde und zugleich die WahrheitsB fähigkeit des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xvii III.  Bibliographische Anmerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . liii

Galileo Galilei Discorsi Widmungsschreiben an den Fürsten von Noailles . . . . . . . 3 Der Verleger an die Leser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Erster Tag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Zweiter Tag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Dritter Tag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Vierter Tag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Anhang [ Über das Schwerezentrum mehrerer Körper] . . . . . . . . . . 329 Anmerkung des Herausgebers: Geozentrik, Heliozentrik, Kosmozentrik: Was beweist Galileis Jugendschrift »Über das Schwerezentrum mehrerer Körper«? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

Im Streit um Rechtsfragen oder um andere menschliche Dinge, in denen es weder Wahres noch Unwahres gibt, mag einer wohl auf seinen Scharfsinn, seine Schlagfertigkeit und seine größere Belesenheit vertrauen und hoffen, dass der in diesen Dingen Über­legene auch als der Klügere erscheinen und beurteilt werden wird; aber in den Naturwissenschaften, deren Schlüsse wahr und notwendig sind, und wo menschliche Willkür nichts vermag, muss man sich hüten, das Falsche zu verteidigen, weil tausend Männer wie Demosthenes und tausend wie Aristoteles nichts ausrichten gegen irgendeinen mittelmäßigen Kopf, der das Glück gehabt hat, die Wahrheit zu erkennen. Galileo Galilei, Dialogo (1632), Erster Tag – Salviati Die größten Wahrheiten widersprechen oft geradezu den Sinnen, ja fast immer. Die Bewegung der Erde um die Sonne – was kann dem Augenschein nach absurder sein? Und doch ist es die größte, erhabenste, folgenreichste Entdeckung, die je der Mensch gemacht hat, in meinen Augen wichtiger als die ganze Bibel. Johann Wolfgang von Goethe, 1831 zu Kanzler von Müller

EINLEITUNG

I.  GALILAEUS IGNOTUS – Warum eine neue Ausgabe der Dis-

corsi notwendig ist. Einige Bemerkungen über die Naturlehre Galileis, über die Zerstörung ihres Wirklichkeitsbezugs in der analytischen Mechanik des 18. Jahrhunderts, und über ihre Aktualität als Hilfsmittel zu einem realistischen Verständnis der modernen Physik.

450 Jahre nach der Geburt Galileo Galileis und rund 375 Jahre nach dem Erscheinen von Galileis Discorsi in Leiden (1638) liegt dieses Buch nun in einer neuen deutschen Ausgabe vor. Die Discorsi sind Galileis wichtigstes Buch. Man findet darin das Fundament und den Kern der neuen anti-aristotelischen und anti-­ scholastischen, platonisch inspirierten, nicht logisch, sondern analog, d. h. mit geometrischen Proportionen arbeitenden mathematischen Naturlehre und der auf Erfahrung gegründeten anti-­ akademischen, natürlichen Philosophie (philosophia naturalis) der Renaissance. Fünfzig Jahre später veröffentlicht Isaac Newton 1687 in London sein Jahrtausendwerk Philosophiae naturalis principia mathematica in drei Büchern. In den beiden ersten Büchern stellt er (unter Zurückweisung der hypothetisch-deduktiven Philosophie des René Descartes) die neue, empirisch und experimentell arbeitende natürliche Philosophie mathematisch und systematisch als Lehre von der Bewegung vor, wobei er die euklidische Geometrie, Galileis Wissenschaftsmethode und die mit beidem gewonnenen Erkenntnisse Galileis ausdrücklich vo­r­ aussetzt. Es steht außer Frage: Galileis Discorsi von 1638 sind die Grundlage der Principia Newtons und die Gründungsurkunde der neuzeitlichen Naturwissenschaft. Galileis Buch, gegliedert in vier »Tage«, ist noch nie in einer deutschsprachigen Ausgabe erschienen, die in Form und Inhalt dem Original entsprechen würde. Die erste und bisher einzige deutsche Übersetzung, welche Ende des 19. Jahrhunderts Ar­thur von Oettingen vorstellte, wurde zunächst nur unter willkürlicher

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Einleitung

Aufteilung publi­ziert, in »Ostwald’s Klassikern der exakten Wissenschaften«, die Wilhelm Ostwald in Leipzig herausgab, verteilt auf die Oktavhefte 11 (1890), 24 (1904) und 25 (1891), jeweils begleitet von umfangreichen Erläuterungen und Anmerkungen des Übersetzers. Spätere Ausgaben haben sich darauf beschränkt, diese Teile zusammenzubinden. In der mir vorliegenden Ausgabe (Darmstadt 1973) findet man deshalb mitten im Buch (im Anschluss an Galileis »Zweiten Tag«) ein »Nachwort« des Herausgebers von Oettingen, dann 10 Seiten mit »Anmerkungen« von derselben Hand, danach erst die Übersetzung des »Dritten Tages«, woran sich weitere 19 Seiten mit solchen »Anmerkungen« anschließen. Ergänzend enthält die Ausgabe einen fünften und einen sechsten »Tag«, die man in Galileis Buch von 1638 nicht findet. Sie wurden späteren Ausgaben (nach Galileis Tod) unter Zugrundelegung von Entwürfen Galileis hinzugefügt. Arthur von Oettingen erklärt in seinem »Nachwort«, er habe »das Original textgetreu übersetzt nach Grundsätzen, wie sie für Übertragungen dieser Art von Fr. C. Wolff in der Vorrede zu Cicero’s de Oratore, Altona 1801, so trefflich entwickelt werden.« Aus meiner Sicht gibt es einigen Anlass zu bezweifeln, dass ihn diese Grundsätze zu einer angemessenen Wiedergabe des Originals geführt haben. Bereits die Übersetzung des (übrigens nicht von Galilei, sondern vom Verlag Elsevir formulierten) Buchtitels, wo Arthur von Oettingen den Terminus technicus »movimenti locali« (örtliche Bewegungen im Raum) eigenwillig mit »Fallgesetze« wiedergibt, wie auch seine sehr anfechtbare Übertragung einiger anderer technischer Begriffe Galileis in die Sprache der Schulphysik, hat mich veranlasst, von Oettingens Arbeit nur in Zweifelsfällen (neben anderen, insbes. der englischen Übersetzung von Stillman Drake) vergleichend zu Rate zu ziehen. Was den Buchtitel (unten S. 1) angeht, so habe ich das allgemein gebräuchliche Kürzel »Discorsi« (Unterredungen) verwendet und mir aber die Freiheit genommen, den Text des Verlags Elsevir so zu modifizieren, dass die Gegenstände der beiden im Ersten und Zweiten bzw. Dritten und Vierten Tag von Galilei vorgestellten »neuen Wissensgebiete« zumindest angedeutet sind.



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Um auf die Mängel der von Oettingschen Ausgabe zurückzukommen, so ist hier der »Impetus« besonders zu nennen, der bei Galilei in Übereinstimmung mit der antiken anti-aristotelischen und christlichen Bewegungslehre des Johannes Philoponus aus dem 6. Jahrhundert als unkörperliche übertragene Bewegungskraft auftritt, d. h. als nicht-materielle schöpferische Bewegungs-Ursache. Ich habe, um dies klarzustellen, überall, wo Galilei (lat.) »impetus« oder (ital.) »impeto« schreibt, das Wort »Bewegungskraft« oder »Bewegungsursache« verwendet und die Adjektive »übertragen« und »unkörperlich« hinzugesetzt, wo das geboten schien, um materialistischen Fehlschlüssen vorzubeugen. Von Oettingen hingegen übersetzt »Impetus« zumeist mit »Geschwindigkeit«. Diese aber heißt bei Galilei »velocitas« bzw. »celeritas«, und sie ist ein Merkmal der von der nicht-körperlichen Ursache »Impetus« schöpferisch erzeugten (bzw. aufrecht erhaltenen) Bewegung als materieller Wirkung dieser Ursache. Von Oettingens Übersetzung unterdrückt also den nicht-materiellen Realanteil der Bewegungslehre Galileis, indem sie die Ursache mit der Wirkung gleichsetzt, was wohl nicht nur in diesem Zusammenhang ein gravierender Mangel ist. Hinzu kommt, dass der Übersetzer von Oettingen in seinen kommentierenden Erläuterungen die – wie er schreibt – »Schwerfälligkeit« der Beweisführungen Galileo Galileis, die »überall sofort eintritt, wo [geometrische] Proportionen angesetzt werden«, durch Übertragung in die arithmetisch-algebraische und mathematisch-logische Sprache der analytischen »klassischen Mechanik« zu beseitigen versuchte, wodurch nach seiner Meinung »Beweise, die im Texte eine ganze Seite einnehmen, heutzutage mit zwei Zeilen abgetan sind.« In Wahrheit wird dabei nicht nur die geometrische Sprache der Galileischen Methode verkürzt und zerstört, sondern auch deren »synthetische« Beweiskraft, und der Bezug der Lehre Galileis zur Realität von Raum und Zeit, d.h. zur wirklichen Welt als räumlich-zeitlichem »Bezugssystem« der Bewegung, geht verloren. An dieser Stelle sei generell davor gewarnt, Galileis Werke durch die analytische Brille der klassischen Schulmechanik zu

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Einleitung

lesen oder seine natürliche Philosophie »logisch« verstehen zu wollen. Denn diese Philosophie, die »nuova scienza« Galileis, argumentiert nicht logisch, sondern »onto-logisch«. Das heißt, hier gilt nicht das der menschlichen Vernunft logisch Einsichtige oder »Plausible« als richtig und das »Unplausible« als falsch, sondern richtig und »wahr« ist, was der Wahrheit und Wirklichkeit der Natur gemäß ist, und unrichtig, was an diesem Maßstab gemessen, d. h. nach der natürlichen Erfahrung, als »absurd« erscheint. Eine Behauptung »ad absurdum führen« heißt hier also, sie an der Realität scheitern zu lassen. Die gesamte Auseinandersetzung Galileis mit der scholastischen akademischen Philosophie ist deshalb weit mehr als eine bloße Korrektur einzelner aristotelischer »Irrtümer« – etwa bezüglich der Fallgeschwindigkeit verschieden schwerer Körper: Aus der aristotelischen Hypo­ these, dass »die Schwere« bzw. das Gewicht der Körper (welches dort als Körpereigenschaft verstanden wurde) Ursache ihres Fallens sei, folgt nämlich durchaus »logisch«, also ohne Irrtum, dass dem doppelten Gewicht die doppelte Fallgeschwindigkeit entspreche. Erst und nur an der natürlichen Erfahrung gemessen, d. h. onto-logisch, erweist sich dieser logische Schluss der Aristoteliker als absurd und falsch. Gleiches gilt, wo Galilei zeigt, dass ein rechteckiges Stück Stoff, um die längere Seite zu einer breiten, kurzen Röhre geformt, weit mehr Fassungsvermögen hat, als wenn man aus demselben Stück eine schmale, hohe Röhre macht. Die Logik verführt zu dem falschen Schluss, das Fassungsvermögen müsse in beiden Fällen dasselbe sein, da doch das Stück Stoff ein und dasselbe ist. Insgesamt korrigiert also Galilei nicht einzelne Mängel der aristotelisch-scholastischen Naturphilosophie: Er demonstriert vielmehr, dass die Anwendung der Logik und des analytischen (hypothetisch-deduktiven) Verfahrens auf die Natur zu unrealistischen, d. h. zu wirklichkeits- und wahrheitsfernen »absurden« Ergebnissen führt. Die Sprache der Natur folgt eben nicht der menschlichen Logik – sondern, wie schon Platon lehrte, den »analogen« Prinzipien der euklidischen Geometrie und geometrischen Proportionenlehre. Die Aktualität dieser Einsicht spiegelt sich in einem Wort des angloamerikani-



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schen Anthropologen und Ökologen Gregory Bateson: »The major problems in the world are the result of the difference between how Nature works and the way people think«. Die euklidische Geometrie war für Galilei wie für alle wahren »Geometer« der Renaissance, beginnend wohl mit Nicolaus Cusanus (1401 – 1464), die Sprache, in der das »Buch der Natur« geschrieben ist. Wer diese Sprache nicht kennt, so schreibt Galilei in seinem Werk Il Saggiatore (Rom 1623), der versteht nichts und irrt umher wie in einem ausweglosen Labyrinth. Die geometrische Beweisführung ist synthetisch, insofern sie mit Hilfe der geometrischen Proportionenlehre (Euklid, Elemente, V. Buch), d. h. durch Analogiebetrachtungen (analogia ist das griechische Wort für Proportion) Schlüsse vom Bekannten auf das gesuchte Unbekannte zieht, so, wie das in der Elementarmathematik bis heute mit dem Dreisatz geschieht. Dagegen operiert die analytische Mechanik seit ihrer Begründung durch Leonhard Euler (Mechanica, 1736) arithmetisch-­ algebraisch und strikt analytisch, d. h. sie leitet ihre Ergebnisse durch Deduktion mittels der mathematischen Logik »analysierend« aus vorausgesetzten Prinzipien oder Hypothesen her. Mit Euler kehrt also die Wissenschaft zur vor-galileischen Methode der Scholastik zurück. Anders als die geometrische analoge Synthese hat diese arithmetisch-analytische oder logische Methode zwangsläufig keinen Zugang zu Erkenntnissen, die nicht bereits in der jeweils vorausgesetzten Hypothese enthalten sind. Ihre Schlussfolgerungen stehen immer unter der Voraussetzung des »wenn – dann«: Nur wenn die Hypothese zutrifft, dann trifft auch die Schlussfolgerung zu. Deshalb weist Galilei der Geometrie (d. h. der analogen Methode), insoweit es um die Erkenntnis der Natur geht, hier in den Discorsi ausdrücklich gegenüber der Logik den Vorrang zu (durch den Mund Sagredos, siehe II, 51, 53). Indem Galilei die geometrischen Sätze unmittelbar aus der Betrachtung der Natur herleitet, gewinnt er das geometrische raumzeitliche »Bezugssystem« der Bewegung, relativ zu dem die absolute oder wahre oder wirkliche Bewegung erkannt werden kann: Es ist der absolute Raum, die absolute Zeit, und der in

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Einleitung

Raum und Zeit wirklich existierende Kosmos. Ich habe deshalb Galileis zeichnerische Darstellung dieses Maß- und Bezugssystems, wie man sie im »Dritten Tag« (zu Theorem I, Lehrsatz I) findet, auf Seite XXXI besonders herhorgehoben. Zu beachten ist, dass »der absolute Raum« als Maßstab relativer »Räume« (spatia, »spaces«, d. h. Abstände, Strecken, Wege) nur eine einzige »Dimension« hat, nämlich die der unendlichen allseitigen Ausdehnung; dieses ganz un-aristotelische »eindimensionale« Raumverständnis Galileis (vgl. I, 84: »[…] dass es keine unendlich große Kugel geben kann, noch irgend einen anderen klar umschriebenen Körper, oder eine ebensolche Fläche, der bzw. die unendlich wäre«) war, wie der Wissenschaftshistoriker Max Jammer 1954 schreibt (Concepts of Space), schon in der Antike den Stoikern bekannt. Diese Gründung der Bewegungslehre auf ein geometrisches Maß- und Bezugssystem aus skaliertem absolutem Raum und absoluter Zeit ignorieren und unterdrücken ausnahmslos alle herkömmlichen Darstellungen der Bewegungslehre Galileis, als Folge der im 18. Jahrhundert von Leibniz und Kant, im 19. von Ernst Mach und im 20. Jahrhundert von Albert Einstein verbreiteten Argumente gegen die wissenschaftliche Bedeutung und Erkennbarkeit bzw. gegen die Realität des absoluten Raumes und der absoluten Zeit, d. h. gegen die objektive Wirklichkeit überhaupt. Dass dieser Wirklichkeitsbezug bei der Neuübersetzung wiederentdeckt und als unverzichtbares Element der mathematischen Darstellung von Galileis Bewegungslehre erkannt wurde, macht diese neue Ausgabe der Discorsi, zumal dank der Bedeutung dieses Fundes für das Verständnis der modernen Physik, die ich andernorts mehrfach aufgezeigt habe, zu einer wissenschaftlichen Sensation. Galilei beginnt mit einer »Definition« der absoluten gleichförmigen Bewegung in Raum und Zeit – mit einem Gegenstand also, der keineswegs als Phänomen handgreiflich-sinnlich erfahrbar ist, so dass man ihn wohl »transempirisch« zu nennen hat: Der (skalierte) absolute Raum und die (skalierte) absolute Zeit liegen Galileis »Lehrsatz I« als die invarianten räumlichen und zeit­



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lichen Maßstäbe zugrunde, ohne die ein Gesetz der »absoluten« oder wirklichen Bewegung nicht formuliert werden könnte. Relativ zu diesen Maßstäben werden die variablen Räume, die ein gleichförmig-geradlinig bewegter Körper durchmisst, und die variablen Zeiten, die er dazu benötigt, als Messwerte bestimmt. Die diskreten Elemente dieses absoluten Raumes und dieser absoluten Zeit gehen notwendigerweise in den Lehrsatz bzw. in das Bewegungsgesetz mit ein. Galileis Lehrsatz I liegt deshalb eine viergliedrige geometrische Proportion (griech. tetraktys) zugrunde. Diese zeigt das Verhältnis der zueinander proportionalen relativen Räume und relativen Zeiten, wobei die unveränderlichen Elemente der absoluten Maßstäbe »Raum« und »Zeit« als Proportionalitätsfaktor fungieren: Die viergliedrige Proportion des Lehrsatzes I beschreibt also die rationale mathematische (d. h. geometrische) Beziehung der Bewegung zu Raum und Zeit in der Form, dass die messbaren (relativen) Räume und Zeiten einer gleichförmigen Bewegung erwiesenermaßen zueinander proportional sind, was nur möglich ist, weil auch die absoluten Maßstäbe des Raumes und der Zeit, relativ zu denen sie bestimmt werden, zueinander proportional sind. Der Beweischarakter dieser geometrischen Proportion wird aber dann durch eine bloße Behauptung oder Hypothese ersetzt, wenn man, wie es in den Anmerkungen von Oettingens und in der von ihm zugrunde gelegten analytisch-algebraischen oder »klassischen« Mechanik seit Leonhard Euler überall geschieht, für diese Bewegungsform nur die zweigliedrige Beziehung »relativer (variabler) Weg durch relative (variable) Zeit« verwendet, die man als Geschwindigkeitsmaß definiert und dazu kurzerhand ohne Angabe eines Bezugssystems, d. h. ohne Realitäts­ bezug und ohne Beweis erklärt, dass eben dieses Maß »logischerweise« bei der gleichförmigen Bewegung invariant sei. Sicherlich ist diese »reduktionistische« und hypothetische, zweigliedrige Geschwindigkeitsdefinition, das elementarste »Bewegungsgesetz« der klassischen Mechanik, im Sinne von Oettingens »einfacher« als der viergliedrige synthetisch-geometrische Satz Galileis; aber dafür fehlt ihr eben dessen beweiskräftige Verbindung

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mit einem bestimmten raumzeitlichen Maß- und Bezugssystem, d. h. es fehlt ihr der Bezug zu der einen, objektiven, wahren Realität oder eben zur Wirklichkeit und Wahrheit der in Raum und Zeit existierenden »Natur«. Hier liegt der Grund, weshalb die klassische Mechanik im Lauf des 19. Jahrhunderts ohne formalmathematische Veränderung von ihrer nur dogmatischen Bindung an einen absoluten Raum und eine absolute Zeit gelöst werden und auf eine strikt »relativistische« (und wiederum »logische«) Perspektive (Ernst Mach 1883) reduziert und festgelegt werden konnte, in der ausschließlich variable Räume und Zeiten vorkommen, die dann erst bei der praktischen Anwendung von Fall zu Fall relativ zu beliebig angenommenen materiellen Bezugssystemen, nämlich relativ zu benachbarten materiellen Objekten bestimmt werden, ganz ebenso wie in der aristotelischen Physik. Dieser »materialistische« Ansatz führte im Weiteren zu den Relativitätstheorien Einsteins (1905, 1915), insoweit ihnen das Prinzip der »Gleichberechtigung aller (stets materiellen) Bezugssysteme« zugrunde liegt. Dass diese Entwicklung so nicht hätte stattfinden können, wenn die authentische, synthetisch-geometrische Form des realitätsbezogenen Bewegungsgesetzes Galileis und Newtons verstanden und beibehalten worden wäre, liegt auf der Hand. Die Mangelhaftigkeit der Übersetzung von Oettingens hängt also eng mit einer jahrhundertealten reduktionistischen analytischen Fehlinterpretation der Lehre Galileis zusammen, die deren methodischem Gehalt, ihrem spezifischen Wirklichkeitsbezug und ihrem daraus folgenden Wahrheitsanspruch nicht gerecht wird. Diese »Anpassung« der Lehre Galileis an die spätere analytische oder klassische Schulmechanik wird in der Übersetzung von Oettingens im Übrigen von einer durchgreifenden Revision des barocken Satzbaues Galileis begleitet. Auch sie dient dazu, Galileis Lehre im Lichte der Schulmechanik und materialistischen »Physik« des 19. Jahrhunderts wiederzugeben, wodurch der wahre epochale Gehalt der Discorsi nachhaltig weiter verdunkelt wird. Ich habe, um diesen Effekt zu vermeiden, auch den Satzbau Galileis so weit wie möglich beibehalten.



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Hinzugefügt habe ich die fortlaufende Nummerierung der Diskussionsbeiträge an den einzelnen »Tagen«, was die Orientierung in dem umfangreichen Werk erleichtert. So bezeichnet z. B. die Chiffre III,17 den berühmten Diskussionsbeitrag Salviatis (durch dessen Mund Galilei spricht) aus dem »Dritten Tag«, in dem nachgewiesen wird, dass bei gleichförmig beschleunigter Bewegung die Geschwindigkeit nicht proportional zur zurückgelegten Wegstrecke (d. h. zum eindimensionalen »Raum«), sondern proportional zur verstrichenen Zeit anwächst. Galilei verstand sich sehr entschieden als Mathematiker und Philosoph. Die Lektüre seiner viel zu wenig bekannten originalen Werke zeigt in der Tat: Seine methodische Wahrheitssuche wie auch die darauf aufbauende »Philosophia naturalis« Newtons unterscheidet sich fundamental von der damaligen wie heutigen, allein auf die menschliche Logik gegründeten, damals wie heute aristotelisch-scholastisch geprägten akademischen Philosophie (einschließlich der »Naturphilosophie« des Neuscholastikers René Descartes). Diese ist eine Schule des folgerichtigen menschlichen Denkens. Hier leitet man mit Hilfe der Logik Gedanken aus anderen her, sucht und findet Gründe, zieht Folgerungen, und urteilt anthropozentrisch; Bezugssystem ist allein die menschliche Vernunft. »Wahr« ist hier, was logisch vernünftig oder »plausibel« ist, und verworfen wird, wofür ein logisch hinreichend »vernünftiger Grund« nicht zu finden ist. Galilei dagegen sucht nicht logische Gründe, sondern die wirklichen natürlichen Ursachen beobachtbarer Phänomene. Sein Werkzeug ist nicht die formale Logik des Aristoteles, sondern die geometrische »Analogie«, d. h. die Lehre von den natürlichen Proportionen; es ist die realistische Onto-logik der euklidischen Geometrie. Die »nuova scienza« Galileis ist wie Newtons Lehre ein bis heute kaum verstandener, revolutionärer kosmozentrischer Gegenentwurf zu aller herkömmlichen, anthropozentrischen »Philosophie« und philosophischen Welterklärung. Sie ist keine Philosophie der Natur, denn sie wendet nicht die traditionelle, logische und hypothetisch-deduktive philosophische Methode auf die Natur an. Sie ist nicht »Physik« (und Galileis Buch ist

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gewiss kein physikalisches Lehrbuch), weil sie keine bloße »monistische« Materielehre ist, sondern eine dualistische Philosophie von Geist und Materie in Wechselwirkung. Sie ist Philosophia naturalis, »natürliche Philosophie« – nämlich die erfolgreiche Unternehmung, allein aus der natürlichen Erfahrung wahre Erkenntnis über das Wirken der Natur zu gewinnen, d. h. zunächst die grundlegenden realen Gesetzmäßigkeiten der materiellen Bewegung und ihrer immanenten nichtmateriellen Ursachen zu entdecken und in der geometrischen Sprache darzustellen, welche die Sprache »der Natur selbst« ist. Die so begründete neue, die geometrische »natürliche« Philosophie, ist also kein logisches System, und sie ist auch kein geschlossenes System. Galilei hat, wie er mehrfach betont, mit Hilfe der Geometrie einen allerersten Anfang gemacht, wobei er für alle Zeiten geltend wahre Teile des Fundaments der Realität freilegen konnte. Und er, der oft als eingebildet und besserwisserisch Gescholtene, straft seine Verleumder Lügen, wo er bescheiden anmerkt, er habe nur den methodischen Weg zu weiteren Erkenntnissen gewiesen, »in qua ingenia meo perspiciora abditiores recessus penetrabunt«. Allerdings: Die tragenden Prinzipien, die Galilei fand (und auf denen Newton aufbaute), bleiben gegen alle logisch-philosophische Spitzfindigkeit und gegen alle relativistischen Interpretations- und Umdeutungsversuche bestehen, weil und insoweit sie ebenso wahr sind wie die Natur selbst. Das zeigt sich an der Wiederkehr dieser analogen geometrischen Strukturen in der auf neue Erfahrungen gegründeten modernen Physik, wo in deren elementaren Sätzen die Variablen um »Naturkonstanten« als Proportionalitätsfaktoren angeordnet sind (1884 Poynting, 1900 Planck, 1905 Einstein, 1925 Heisenberg), welche Konstanten wie bei Galilei und Newton als Parameter des zugrundeliegenden natürlichen, raumzeitlichen Bezugssystems der Bewegung fungieren. Aber man erkennt den roten Faden, der von Galilei zur Moderne führt, und man gewinnt dieses tiefere Verständnis der bei allem Anwendungserfolg doch bislang unverstandenen »physikalischen« Theorien der Moderne nur, wenn man Galileis



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Einsicht folgt, dass eben Geometrie die Sprache der Natur ist, wenn man die Prinzipien der natürlichen Philosophie Galileis und Newtons im Licht dieser Sprache studiert und verstanden hat, und wenn man sie dann auf die Prinzipien der modernen Physik anwendet. Wie das im Einzelnen möglich ist, und welche Einsichten dabei zu gewinnen sind, habe ich an anderer Stelle gezeigt. Im folgenden Teil II stelle ich die Grundlinien dieser Beweisführung vor.

II.  EPPUR’ SI MUOVE (… und sie bewegt sich doch!1): Galilei be-

weist die wirkliche Bewegung der Erde und zugleich die Wahrheits­ fähigkeit des Menschen. 2 Einige Bemerkungen zum Dritten und Vierten »Tag« der Discorsi.

Galileo Galilei verfasste die Discorsi (wie das Buch allgemein kurz genannt wird) in den Jahren nach seiner kirchlichen Verurteilung zu Widerruf, lebenslänglichem Arrest und Publikations­ 1

Das Wort »Eppur’ si muove« ist historisch nicht verbürgt. Es gibt aber sehr gut wieder, was Galilei nach dem Urteilsspruch gedacht haben könnte: An der wahren Wirklichkeit und der wirklichen Wahrheit der Natur (der einzigen absolut verlässlichen Wahrheitsquelle) kann kein Urteilsspruch und kein Widerruf etwas ändern. 2 Dass der Mensch – ohne Anleitung durch das oder den »Glauben« – »von Natur aus« wahrheitsfähig sei, wurde im Rahmen der hypo­thetischdeduktiven aristotelisch-scholastischen Erkenntnislehre bestritten, und in jenem Rahmen zu Recht. Denn jene Methode kann, da sie von Hypothesen ausgeht, nur Einsichten deduzieren, die relativ zur jeweiligen Hypothese schlüssig, d. h. logisch »plausibel« sind. Weil aber die Hypothese selbst immer nichts anderes als eine unbewiesene Behauptung ist, so ist das, was aus ihr logisch hergeleitet wird, zwar vielleicht logisch möglich, aber gleichfalls unbewiesen. Die Methode hat deshalb keinen sicheren Zugang zur wirklichen Wahrheit der Natur. Dagegen setzte Galilei seine alternative, empirische Erkenntnismethode. Diese geht ohne Hypothesen unbedingt von der Erfahrung aus, und sie arbeitet »analog«, d. h. mit geometrischen Proportionen. Konnte Galilei damit auch nur eine einzige natürliche Wahrheit sicher beweisen, so hatte er gegen alle Skeptiker die Wahrheitsfähigkeit des Menschen für alle Zeit bewiesen.

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Einleitung

verbot (1633). Wie es kam, dass das Buch trotz dieses Verbots im Jahre 1638 bei Elsevir in Leiden gedruckt und veröffentlicht werden konnte, geht aus der Widmung an Galileis Gönner, den Grafen von Noailles, hervor. Galilei hat sie offensichtlich dem Buch vorangestellt, um zu zeigen, dass die Drucklegung ohne sein Zutun geschah, d. h. ohne dass er selbst dem Urteilsspruch von 1633 zuwiderhandelte. Aus der Widmung geht allerdings auch hervor, dass Galilei Kopien seines Werkes in die Hände anderer Personen in anderen Ländern verschickte, damit man sehen sollte, dass er, wenn er auch notgedrungen schweige, dennoch sein Leben »nicht in gänzlichem Müßiggang verbringe«. Aber was bewog diesen alten Mann (er stand, als er verurteilt wurde, im 70. Lebensjahr) trotz Krankheiten aller Art und fortschreitender Erblindung wirklich, die Mühe dieses Werkes auf sich zu nehmen? Der Inhalt der Discorsi und das Schicksal ihres Verfassers geben die Antwort. Das Inquisitionsverfahren war in Gang gekommen, nachdem Galilei 1632 das Buch »Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo, tolemaico e copernicano« veröffentlicht hatte. Wie der Titel sagt, geht es darin um die Gegenüberstellung des traditionellen ptolemäischen (geozentrischen bzw. anthropozentrischen) und des neuen copernicanischen (kosmozentrischen) Weltbildes. Der aufmerksame Leser des Buches bemerkt schnell, dass der Autor Galilei auf der Seite des Copernicus steht und, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch faktisch die Copernicanische Lehre von der Bewegung der Erde um die Sonne und von der kosmischen Bewegung beider Himmelskörper im absolut ruhenden Raum als Wahrheit erkennt. Damit aber verstieß er gegen das ihm 1616 von Kardinal Bellarmin auferlegte Gebot, diese Lehre (wie in der scholastischen Wissenschafts­ theorie üblich) lediglich als Hypothese zu vertreten, also ohne ihre Wahrheit zu behaupten. Tatsächlich hatte Galilei auch einen wirklich zwingenden Beweis für die Erdbewegung bis dahin noch nicht vorgestellt. Das Urteil von 1633 stützt sich wesentlich darauf, dass er das Gebot von 1616 ignoriert und in seinem Buch eine nicht bewiesene Hypothese als Wahrheit gelehrt habe.



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XIX

Diesen Beweis nachträglich zu liefern war, so behaupte ich, das eigentliche Anliegen, das Galilei mit den Discorsi verfolgte. Und Galilei hat, so behaupte ich weiter, die Grundlage für die Beweisführung, dass sich die Erde wirklich bewegt, in diesem Buch, im Kapitel »Dritter Tag, Über die örtliche Bewegung im Raum« [ De motu locali] tatsächlich geliefert. Zu beweisen war, dass entgegen dem Anschein die Erde wirklich und wahrhaftig eine Bewegung von Ort zu Ort im Raum [motus localis] anhaltend vollzieht. Aber was ist und wie erkennt man Bewegung – und wie beweist man sie? Diese scheinbar einfache Frage betrifft ein keineswegs einfaches Problem; deshalb auch war sie seit unvordenklicher Zeit ungeklärt. Dem waren unter anderem die uralten Bewegungsparadoxa des Zenon geschuldet, etwa das von Achilles und der Schildkröte. 3 Bis Galilei ihnen die Grundlage entzog, als er das geometrische Naturgesetz der wirklichen Bewegung in Raum und Zeit entdeckte und mit dem räumlich-zeitlichen Maß- und Bezugssystem der Bewegung zeigte, wie und woran eine wahre, wirkliche Bewegung messend zu erkennen ist. Die neue, beweisende und messende Bewegungslehre, und in ihrem Mittelpunkt die beweisbare Wirklichkeit und Wahrheit von Bewegung, ist der eigentliche, zentrale Gegenstand der Discorsi. Man findet diese Lehre in den Kapiteln »Dritter Tag« und »Vierter Tag« dieses aus Gesprächen komponierten Buches, die sich in der ersten Ausgabe über vier »Tage« erstrecken. Galilei schreibt hier in der Einleitung zum »Dritten Tag« (gemäß der Bedeutung des Themas in Latein): Dieses Paradoxon behauptet, dass der Läufer Achilles eine Schildkröte, die – unter einer gewissen Vorgabe – mit ihm demselben Ziel zustrebt, niemals ein- und überholen könne. Der »Beweis« wird geführt, indem (unter der Hand) das ruhende Bezugssystem der beiden Bewegungen, nämlich die Grundlinie, von der Achilles startet, willkürlich wiederholt so an die Startlinie der Schildkröte verschoben wird, dass diese relativ zur jeweiligen Startposition des Achilles immer einen Vorsprung behält. Dieser wird dann zwar stetig kleiner, verschwindet aber niemals ganz. 3

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Einleitung

»De subjecto vetustissimo novissimam promovemus scientiam. MOTU nil forte antiquius in natura, et circa eum volumina nec pauca nec parva a philosophis conscripta reperiuntur; symptomatum tamen, quae complura et scitu digna insunt in eo, adhuc inobservata, necdum indemonstrata, comperio.« (Über einen sehr alten Gegenstand bringen wir hier eine vollkommen neue Erkenntnis. Nichts in der Natur ist älter als die BEWEGUNG [Großschreibung im Original], und über diese gibt es sehr viele und umfangreiche Schriften der Philosophen. Dennoch habe ich darüber eine Menge wissenswerter Merkmale in Erfahrung gebracht, die bisher nicht beobachtet oder doch nicht bewiesen wurden.) Galilei beschließt diese Einleitung bescheiden mit dem (oben lateinisch zitierten) Satz, er stelle hier nur die Anfänge der neuen Bewegungslehre vor; »in ihre tieferen Geheimnisse einzudringen bleibt Geistern vorbehalten, die dem meinen überlegen sind.« Was ist und wie erkennt man Bewegung? Zunächst scheint es ein eindeutig beobachtbares Phänomen zu sein. Die Sonne bewegt sich am Himmel vom Morgen zum Abend. Aber: Bewegt sie sich wirklich? Bewegung ist ein relationales Phänomen; sie bezieht sich auf anderes, das nicht bewegt ist, d. h. das ruht. Nur in Bezug auf etwas Ruhendes kann von einem Ding gesagt werden, dass es (relativ zu diesem Ruhenden) bewegt sei. Regelmäßig beziehen wir die Bewegung eines Körpers auf einen anderen Körper, von dem wir annehmen, dass er ruhe. Im Fall der Bewegung der Sonne ist die Erde, die wir als ruhend annehmen, bzw. der Beobachter auf der Erde, das »Bezugssystem«. So verhält es sich in der aristotelischen Bewegungslehre. Wie aber, wenn sich der Beobachter auf der Sonne befände? Würde er dann nicht die Erde sich um die Sonne bewegen sehen? Und wie, wenn sich in Wahrheit die Erde selbst tatsächlich im Raum um die Sonne bewegt? Jeder, der einmal im Eisenbahnabteil sitzend auf die Abfahrt wartete, hat schon beobachtet, dass sich sein Zug relativ zu dem auf dem Nachbargleis stehenden in Bewegung zu setzen schien, während es, sobald der Bahnhof sichtbar wurde, doch der Nach-



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barzug war, der sich relativ zu dem Gebäude und relativ zum Beobachter bewegte. Dieser hatte eben den Nachbarzug unwillkürlich als ruhendes Bezugssystem angenommen und daraus den Schluss gezogen, die örtliche Veränderung zwischen den beiden Zügen sei das Zeichen einer Bewegung des eigenen Zuges. Erst als der Bahnhof als Bezugssystem ins Sichtfeld kam, wurde der Irrtum offenbar. Aber: War es ein Irrtum? Wie, wenn es der Bahnhof wäre, der sich bewegt, da er doch fest mit der Erde verbunden ist, die sich – vielleicht – ihrerseits mitsamt dem Bahnhof im Raum bewegt? Die Frage, was sich wirklich und in Wahrheit »absolut« bewegt, entscheidet sich mit der Existenz und Verfügbarkeit eines Bezugssystems, das seinerseits wirklich ruht. Ob aber ein materielles Bezugssystem (Eisenbahnzug, Bahnhof, Beobachter, Erde, Sonne, Fixsterne), d. h. ein Bezugskörper, wirklich ruht, ist ohne ein anderes, wirklich ruhendes Bezugssystem, relativ zu dem dieses Ruhen festzustellen wäre, wiederum nicht zu entscheiden. Isaac Newton beschreibt das Dilemma wie folgt: »Eigentümlichkeit der Ruhe ist es, dass Körper, die wirklich ruhen, im Verhältnis zueinander ruhen. Obwohl es nun möglich ist, dass irgendein Körper in den Bereichen der Fixsterne oder weit jenseits davon absolut ruht, ist es unmöglich, aufgrund der gegenseitigen Lage der Körper in unseren Weltgegenden eine sichere Kenntnis darüber zu erlangen, ob irgendeiner von ihnen eine gegebene Posi­tion zu jenem weit entfernten Körper beibehält oder nicht: Die wahre Ruhe kann aus ihrer Lage zueinander nicht erschlossen werden«.4 Zu Zeiten Galileis und Newtons war bereits bekannt, dass selbst die Fixsterne nicht mit Sicherheit als wirklich ruhend gelten können. Somit scheiden alle bekannten und beobachtbaren materiellen Körper, da sie prinzipiell alle beweglich sind, als 4

Isaac Newton, Mathematische Grundlagen der Naturphilosophie, aus dem Lateinischen übersetzt und herausgegeben von Ed Dellian, Hamburg 1988; 3. Aufl. Sankt Augustin 2011, S. 90.

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Einleitung

wirklich ruhende Bezugssysteme aus. Die Lösung des Problems liegt deshalb in der Entdeckung eines unbegrenzten und nichtmateriellen Bezugssystems der Bewegung. Das ist für Galilei wie für Newton der unendliche (und folglich notwendigerweise ruhende) absolute Raum. Wirkliche Bewegung kann nun verstanden und erkannt werden relativ zu diesem absolut ruhenden absoluten Raum, und zwar als Ortsveränderung in diesem Raum, d. h. als »motus localis«, wie Galilei es nennt, als Veränderung eines Körpers weg von einem notwendigerweise immateriellen Ort in diesem absoluten immateriellen Raum, hin zu einem anderen solchen Ort, wobei diese Örter im Raum – wie wiederum Newton erläutert – ihrerseits notwendigerweise ebenso unbeweglich sind wie der Raum selbst. »Sie sind daher absolute Örter, und nur Ortsveränderungen von diesen Örtern weg sind absolute [wirkliche, wahre] Bewegungen«. 5 Gibt es ihn wirklich, den leeren »absoluten Raum«, den Raum »an sich«, und die unbeweglichen Örter dieses Raumes? Ich denke, die Realität des absoluten, unendlichen, nichtmateriellen Raumes steht außer allem vernünftigen Zweifel. Sie erschließt sich unmittelbar bereits dem unbefangenen Beobachter, der des Nachts zwischen den Sternen hindurch den Blick in die Unendlichkeit richten kann. Dieser wirkliche, in jede mögliche Richtung unendlich sich ausdehnende immaterielle Raum ist freilich kein ›Behältnis‹ materieller Objekte, die sich ›in‹ ihm befänden. Im Gegensatz zu einem notwendigerweise allseitig begrenzten, also »dreidimensionalen«, nach Länge, Breite und Höhe ausmessbaren und folglich endlichen Behältnis ist er allseitig unbegrenzt und unendlich. Sein geometrisches Maß ist das Maß der »eindimensionalen« Ausdehnung oder Erstreckung in alle denkbaren Richtungen.6 Materielle Körper sind nicht ›in‹ diesem 5

Ebd., S. 89. Galilei beweist, »dass es keinen klar umschriebenen [d. h. allseits begrenzten] Körper geben kann, der unendlich wäre« (siehe I, 84). Im Widerspruch hierzu hat Albert Einstein (so wie auch andere Anhänger der empirizistischen Relativitätstheorie, die scheinbar keinen absoluten Raum kennt) den unendlichen absoluten Raum der Newtonschen Lehre 6



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Raum, sondern sie bewegen sich und existieren relativ zu ihm, und nur so bewegen sie sich und existieren sie überhaupt. Der Raum, die reale Existenz des Raumes, ist somit gewissermaßen die Existenzbedingung der Wirklichkeit der Welt. Sein geometrisches Maß, die eindimensionale allseitige Ausdehnung, die Erstreckung, ist vor- und darzustellen als gerade, aus dem grenzenlosen Unendlichen kommende und ins Unbegrenzte führende Linie, nicht als zweidimensionale begrenzte Fläche, nicht als dreidimensional begrenztes Behältnis. Der absolute Raum »an sich« hat nur ein Maß, eine »Dimension«; dieses Maß ist »Weg«, »Länge«, »Strecke«, »Abstand«, »Zwischenraum«, »spatium«, »space«. Als Symbol dafür steht hier das Zeichen [S]. Der Raum als Weg, Strecke oder Abstand, ist aber auch absoluter Maßstab. Jeder materielle Stab legt bereits durch seine bestimmte Länge eine bestimmte endliche Strecke [s] relativ zum absoluten Raum [S] als Maß fest. Diese endliche Strecke [s] kann somit als »relativer Raum« (Abstand, Strecke, Weg) bezeichnet werden. Der relative Raum ist immer ein endlicher Ausschnitt aus dem unbegrenzten absoluten Raum, und der unendliche absolute Raum ist die Zusammenfassung aller möglichen der­ artigen endlichen Maße. Das heißt aber, dass der absolute Raum selbst der Maßstab ist, der alle endlichen Wege, Längen, Strecken und Abstände umfasst, so dass er zu deren Messung dient. Die Messung einer endlichen Strecke ist immer die Bestimmung des Maßes dieser Strecke relativ zu einem prinzipiell unbegrenzten, skalierten (gleichmäßig unterteilten) Maßstab. Dieser skalierte Maßstab ist der unbegrenzte absolute Raum, der insofern skaliert ist, als er aus einer unendlichen Anzahl von endlichen Teilen zusammengesetzt ist. Dieser Maßstab vermittelt allen relativen endlichen Räumen (Wegen, Strecken, Abständen) im Messprozess ihre reale Individualität, d. h. ihre erfahrbare Wirklichkeit. mehrfach als »Behältnis« ironisiert. Einstein konnte wohl nicht sehen, dass ein »unendliches« Behältnis eine Absurdität ist, weshalb das Maß oder die Dimension des sich real ins Unendliche erstreckenden »absoluten Raumes« Galileis und Newtons nur die allseits eindimensionale Ausdehnung sein kann.

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Das Maß hat teil an der Wirklichkeit des Maßstabs. Man mag deshalb den absoluten Raum mit Kant als »Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung« verstehen; er ist aber darüber hinaus die aller Erfahrung voraus liegende reale Existenzbedingung der Wirklichkeit der Welt. Alles Endliche, was wirklich in der Welt »ist«, existiert relativ zum absoluten Raum, und ohne diesen und seine Realität gäbe es kein wirkliches, wahres Sein end­ licher Dinge. Analog zu diesem Verständnis des absoluten, wirklichen Raumes ist auch die absolute, wirkliche Zeit »an sich« als skalierter Maßstab zur Messung, d. h. zur erfahrbaren Individualisierung wirklicher endlicher, »relativer« Zeiträume zu verstehen. »Analog« heißt hier: »in genauer geometrischer Entsprechung«, oder auch: proportional zum metrisch skalierten absoluten Raum. Die geometrische Proportionalität (griech. analogia) von Raum und Zeit zeigt sich in der Übereinstimmung der Vielfachen ihrer Elemente: Dem Dreifachen der Elemente des eindimensionalen Raumes entspricht das Dreifache der Elemente der Zeit, dem Vierfachen das Vierfache usw. (Euklid, Elemente, Buch V, Definition 5). Geometrische Proportionalität ist die Lehre von den Verhältnissen der diskreten, d. h. ganzzahligen »Gleichvielfachen« heterogener Entitäten (vgl. Isaac Newton, Principia, Scholium nach Lemma X). Geometrische Proportionentheorie ist also im ursprünglichsten Sinn »Quantentheorie«, und die authentische geometrische Bewegungslehre Galileis und Newtons ist unabweisbar eine »Quantentheorie der Bewegung«. Man erkennt die geometrische Proportionalität von Raum und Zeit und die Übereinstimmung ihrer ganzzahligen Vielfachen am Beispiel einer Analoguhr mit rundem Zifferblatt und Zeigern. Das Zifferblatt soll rund herum, wie es üblich ist, skaliert sein, d. h. das Rund ist unterteilt in gleiche endliche Teile (Strecken, Abstände), welche endliche Zeit-Räume symbolisieren, z. B. 60 endliche Abstände, die für 60 Minuten stehen. Die Zeiger der Uhr messen ersichtlich die Zeit »am Raum«, d. h. an räumlichen Strecken als Minuten-Abständen, was eben deshalb und nur deshalb möglich ist, weil Raum und Zeit zueinander geome-



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trisch proportional sind. Wie man sieht, repräsentiert das skalierte Zifferblatt der Uhr, oder genauer: der skalierte räumliche Kreisumfang dieses Zifferblattes, die absolute Zeit als Maßstab, an dem endliche Zeiträume als relative Zeiten messend bestimmt werden, wobei das Rund dieses Maßstabs, d. h. die Kreisform, mit der er in sich selbst zurückläuft, die Unendlichkeit des Maßstabs »absolute Zeit« genial symbolisiert. Man sollte deshalb aber nicht die absolute Zeit als zirkulär missverstehen. Sie weist, wie die Erfahrung lehrt, immer in einer Richtung, von der Vergangenheit in die Zukunft, niemals zurück; und da der Raum, zu dem sie proportional ist, sich in gerader Linie aus dem Unendlichen überall hin ins Unendliche erstreckt, so verläuft auch die unendliche absolute Zeit in gerader Linie vom Unendlichen ins Unendliche. Und alles Endliche, was wirklich in der Welt zeitlich existiert und also »ist«, existiert relativ zur absoluten Zeit. Alle endlichen Dinge existieren in diesem Sinne »in Raum und Zeit«, d. h. nichts ist ohne den Raum, und nichts geschieht außer in der Zeit. Raum und Zeit sind aber allen endlichen Räumen und endlichen Zeiten (d. h. der endlichen, in Raum und Zeit geschaffenen wirklichen Welt) als Maßstäbe voraus, so wie jeder Maßstab seiner messenden Anwendung immer voraus ist. Somit stellen Raum und Zeit (der grenzenlose absolute, wirkliche Raum und die unendliche absolute, wirkliche Zeit) das absolute raumzeitliche Maß- und Bezugssystem allen wirklichen Seins und aller wirklichen Veränderung, d. h. aller wirklichen Bewegung dar. Die Wirklichkeit und Wahrheit dieses absolut ruhenden kosmischen Maß- und Bezugssystems der wirklichen, absoluten Bewegung vermittelt dieser ihre Wirklichkeit und Wahrheit, so dass die wirkliche, wahre und absolute Bewegung eines jeden Körpers einschließlich der Erde nun relativ zu diesem kosmischen, realen und wirklich ruhenden immateriellen Bezugssystem eindeutig erkannt und beschrieben werden kann. Besonders ist festzuhalten, dass hier »Wahrheit« und »Wirklichkeit« in eins gesetzt werden. Diese Auffassung von Wahrheit stimmt mit der hebräischen des Alten Testaments, aber auch mit dem Neuen Testament überein, insoweit es darin um theologi-

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sche Zusammenhänge geht. Man begegnet ihr in den Schriften der Gemeinde vom Qumran und im Evangelium des Johannes. Wahrheit in diesem Sinne ist nichts anderes als die – von Gott ausgehende – Wirklichkeit. 7 Das Wort Wahrheit meint dann nicht (wie in der aristotelischen Philosophie) eine Eigenschaft von Aussagesätzen, die gegeben ist, wenn ein solcher Satz sich »logisch schlüssig« aus einer vorausgesetzten Hypothese herleiten lässt. Das Wort Wahrheit bezeichnet hier vielmehr ein »onto-­ logisches« (d. h. die Wirklichkeit des Seins selbst anzeigendes) Charakteristikum der Wirklichkeit, oder der »Natur«. Die Natur »ist«, und indem sie ist, ist sie zugleich wirklich und wahr – und widerspricht sich nicht. Diese Gründung der Wahrheit im wirklichen Sein findet man auch dort, wo Jesus von Nazareth sagt: »Ich bin die Wahrheit«. Die »Wahrheit der Natur«, die in aller Welt und im ganzen Kosmos notwendigerweise ein und dieselbe und deshalb »absolut« ist: Sie ist der reale »tragende Grund« von Allem, und ohne sie »ist« nichts. Es wäre wohl gegen alle Vernunft, die wirkliche »absolute« Wahrheit der Natur als »totalitär« zu kritisieren und, etwa um der Freiheit willen, zu ignorieren oder zu leugnen. Tatsächlich entzieht Galileis natürliches Wahrheitsverständnis allen Bedenken den Boden, die pauschal gegen »die absolute Wahrheit« bzw. gegen »unbedingte« Wahrheitsansprüche immer wieder erhoben werden. 8 Solche Bedenken sind wohl berechtigt, wo hypothesen7

Ich beziehe mich hier auf den Eintrag »Wahrheit« in Reclams Bibellexikon, 6. Aufl. 2000, S. 539 f. Dort heißt es am Ende: »Die berühmte Pilatusfrage ›Was ist Wahrheit?‹ (Joh 18,38) soll wohl die Unangemessenheit des griech. [aristotel.] Wahrheitsverständnisses gegenüber Jesus veranschaulichen: Pilatus fragt nach einer sagbaren Vernunft-Wahrheit, verkennt jedoch, dass er es in Jesus mit der geschichtlichen [d. h. real gegenwärtigen] Wahrheit Gottes zu tun hat.« Der »logischen« Vernunftwahrheit, die nur relativ zur menschlichen Ratio oder anthropozentrisch zu bestimmen ist, steht die »onto-logische« oder kosmozentrische absolute Wahrheit des wirklichen, natürlichen Seins gegenüber. 8 Hätte die christliche Kirche jemals die »Wahrheit der Natur« und die »natürliche Wahrheit« so angenommen und gelehrt, wie das in dem (platonischen) Wahrheitsverständnis des Jesus von Nazareth angelegt



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bezogene relative Wahrheiten absolut gesetzt werden, oder wo »heilige Bücher« als Quellen der absoluten Wahrheit angesehen werden, die doch nur Menschenwerk sind. Die Bedenken sind jedoch unberechtigt gegenüber der Wahrheit von Erkenntnissen, die sich auf das »Buch der Natur« als Quelle der Wahrheit stützen. Die innige Verbindung von wirklicher Wahrheit oder wahrer Wirklichkeit und wirklichem Sein liegt auch der platonischen Methexis-Lehre zugrunde, wonach alle wirklichen Dinge ihre Wirklichkeit und Wahrheit von ihren absoluten Urbildern als realen Maßstäben herleiten, an deren Wirklichkeit und Wahrheit sie »teilhaben«. Die absolute Wirklichkeit und Wahrheit des unbegrenzten Raumes und der unendlichen Zeit verleiht den endlichen relativen Messwerten (Erfahrungswerten) von Räumen und Zeiten, mittels derer wir uns unserer Existenz in Raum und Zeit versichern, ihre Wirklichkeit und Wahrheit. Die platonisch inspirierte Erkenntnistheorie, nach der a­ lles Erkennen ein Messen, und alles Messen ein Vergleichen mit einem Maßstab ist, findet man in neuerer Zeit erst wieder bei Nicolaus von Kues (Cusanus), in dessen Buch »De docta igno­rantia« von 1440. Es ist offensichtlich eine geometrische Erkenntnislehre, und sie bedient sich der geometrischen Proportionentheorie, wie Euklid sie in seinem (heute leider kaum mehr ­bekannten) Lehrbuch vorstellt. Die geometrische Lehre von der messend erkennbaren wirk­ lichen Bewegung aller Körper ermöglicht auch die messende Bestimmung der Bewegung der Erde selbst. Diese Bewegung ist nicht etwa relativ zu dem Himmelskörper »Sonne« oder »helio­ ist, so hätte sie wohl den dogmatischen Irrweg des vernunftlosen Glaubens vermeiden und den missionarischen »Totalitätsanspruch« der natürlichen (naturgemäßen) Wahrheit des Christentums für jedermann einsichtig begründen können. Denn diese Wahrheit hätte denselben unanfechtbaren Status der objektiven »Wissenschaftlichkeit« gehabt, welcher heute den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen unter Anerkennung ihres »totalitären« Geltungsanspruchs weltweit zugestanden wird. Einen »Fall Galilei« hätte es dann nicht gegeben.

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zentrisch« zu bestimmen, sondern eben relativ zu dem oben erläuterten, absolut ruhenden, kosmischen, raumzeitlichen Bezugssystem.9 Die Lehre von der Bewegung der Erde ist deshalb im Gegensatz zu der »geozentrischen« Lehre des Ptolemäus, in der die als ruhend angenommene irdische Weltkugel (genauer: der Beobachter, der sich auf dieser Kugel befindet) das zentrale Bezugssystem der Bewegungen der Himmelskörper ist, richtigerweise nicht »heliozentrisch« zu nennen, sondern »kosmozentrisch«. Das in Raum und Zeit aufgespannte Bezugssystem der wahren Bewegung ist nicht die Sonne, sondern es ist der räumlich-zeitlich existierende Kosmos selbst. Das gilt umso mehr, als in der copernicanisch-galileischen Kosmologie das »Zentrum« aller Bewegungen der Himmelskörper keineswegs helios, »die Sonne« ist, sondern der Schwerpunkt des Sonnensystems, der als bloßer Punkt im leeren, absolut ruhenden Raum liegt (Copernicus, De revolutionibus orbium coelestium, Buch I Kapitel X ; Galileo Galilei, Dialogo; Isaac Newton, Principia, Drittes Buch, Proposition XI und XII).

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Der Terminus »heliozentrisch« – als Gegenüberstellung zu »geozentrisch« – behauptet, dass ebenso, wie geozentrisch (nach Ptolemäus) gaia, die Erde, das zentrale Bezugssystem der Umkreisung bildet, hier helios, die Sonne, im Zentrum der Bewegung ruhe. Nun war aber schon zu Galileis Zeit bekannt, dass die Sonne keineswegs ruht, folglich auch nicht als ruhendes Bezugssystem in Betracht kommt; sie rotiert nämlich ihrerseits um einen ruhenden Punkt (der freilich sehr nahe bei ihrem immensen Umkreis liegt). Im Übrigen beweist Galilei hier in den Discorsi, in dem aus gutem Grund beigefügten »Anhang«, dass das Schwerezentrum zweier und mehrerer Körper niemals mit dem Mittelpunkt eines dieser Körper zusammenfallen kann. Tatsächlich hat Galilei niemals behauptet, dass »die Sonne« bzw. ihr Zentrum der ruhende Mittelpunkt der kosmischen Bewegungen sei (wie es ihm die »Sachverständigen« des Hl. Offiziums jedoch schon 1616 unterstellt hatten). Deshalb halte ich es für richtig, die Copernicanische Lehre, wie Galilei sie vertritt, »kosmozentrisch« zu nennen. Ihr ruhendes Bezugssystem ist eben nicht helios, die materielle Sonne oder deren Mittelpunkt, sondern der immaterielle kosmische absolute Raum, d. h. der Kosmos selbst.



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Galileo Galilei bezeichnet seine Bewegungstheorie als Lehre von der »örtlichen Bewegung«: »De motu locali« setzt er als lateinische Überschrift über den »Dritten Tag« der Discorsi, welches Kapitel zusammen mit dem »Vierten Tag«, »Über die Bewegung geworfener Körper«, das Hauptthema des Buches (und des Schicksals Galileis) behandelt. Die Bewegung eines Körpers ist »motus localis«, ist örtliche Bewegung, ist also – wie oben unter Berufung auf Isaac Newton dargelegt – Veränderung der Lage des Körpers von einem Ort an einen anderen Ort im absoluten Raum. Diese Veränderung von Ort zu Ort, relativ zum ruhenden absoluten Raum, bestimmt und kennzeichnet eine absolute, wirkliche oder wahre Bewegung. Die Wahl des Terminus »motus localis« zeigt, dass Galilei eine »absolute« Bewegungslehre vorstellt, eine Lehre von der wirklichen Bewegung relativ zum absoluten, absolut ruhenden, aus absoluten, unbeweglichen Örtern zusammengesetzten, real existierenden immateriellen, unendlichen Raum. Auch Isaac Newton lehrt die Erkennbarkeit der absoluten oder wirklichen Bewegung relativ zum absoluten Raum. Rund fünfzig Jahre nach Galileis Discorsi veröffentlicht er seine Principia – das Buch über die mathematischen Prinzipien der natürlichen Philosophie. Zu welchem Zweck er das Buch schrieb, teilt Newton darin ausdrücklich mit. Er schreibt am Ende des Scholiums über absoluten und relativen Raum, absolute und relative Zeit, und wahre und scheinbare Bewegung, welches er den Bewegungsgesetzen vorausschickt: »Die wahren Bewegungen der einzelnen Körper [im absoluten Raum] zu erkennen und von den scheinbaren durch den wirklichen Vollzug zu unterscheiden, ist freilich sehr schwer, weil die Teile jenes unbeweglichen Raumes, in dem die Körper sich wirklich bewegen [nämlich die Örter], nicht sinnlich erfahren werden können. Die Sache ist dennoch nicht gänzlich hoffnungslos […]. Wie man die wahren Bewegungen aus ihren Ursachen, ihren Wirkungen und ihren scheinbaren Unterschieden, und umgekehrt, wie man aus den wahren oder scheinbaren Bewegungen deren Ursachen und Wirkungen ermitteln kann, wird im Folgen-

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den ausführlicher gezeigt werden. Denn zu diesem Zweck habe ich die folgende Abhandlung verfasst.« (»Hunc enim in finem tractatum sequentem composui«).10 Isaac Newton also schrieb sein Jahrtausendwerk zum Nachweis der wahren Bewegung von Körpern im absoluten Raum. Könnte man wahre Bewegungen nicht von scheinbaren unterscheiden, so wäre der Wahrheitssuche in der Natur insgesamt der Boden entzogen, da doch nahezu alle natürlichen Phänomene solche der (wirklichen? scheinbaren?) Bewegung von Körpern sind, im Kosmos nicht anders als im Mikrokosmos, in der belebten Materie nicht anders als in der unbelebten. Es geht also mit dem Nachweis der Erkennbarkeit wirklicher Bewegung um die Wahrheitsfähigkeit des Menschen überhaupt, und damit gewiss um einen Gegenstand von so hoher Bedeutung, dass es wohl gerechtfertigt war und ist, ein Lebenswerk daran zu wenden. Auch das Lebenswerk Galileis gilt diesem Gegenstand. Galilei erwähnt im Dialogo von 1632 ein Beispiel, das ich, ausführlicher und etwas verändert, so wiedergebe: Ein Mann führt des Nachts auf mondheller Gasse seinen Hund aus, während der volle Mond über den Hausdächern auf der gegenüberliegenden Seite der Gasse am Himmel steht; oder besser gesagt, nicht steht, sondern sich bewegt: Der Mond hüpft, wie es aus der Sicht des Mannes scheint, im Takt seiner Schritte von Dach zu Dach, und ebenso scheint es aus der Sicht des Hundes zu sein, was diesen veranlasst, den hüpfenden Mond wütend anzubellen. In der Tat ›hüpft‹ dieser Mond aus der Sicht eines jeden Beobachters (Mensch oder Tier), der die Beobachtung »anthropozentrisch« (oder eben gegebenenfalls »aus der Hundeperspektive«) relativ zu sich selbst als Bezugssystem identifiziert. Was den menschlichen Beobachter vom Hund unterscheidet, ist die Fähigkeit, anstelle der anthropozentrischen Sicht eine »kosmozentrische« Perspektive einzunehmen und so als wahr zu erkennen, dass die Hüpfbewegung des Mondes nur eine scheinbare ist, ausgelöst durch das Auf und Nieder im Takt der Schritte von Mann und Hund. 10

Isaac Newton, a. a. O., S. 94.



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Galilei kennt, als er 1632 den Dialogo schreibt, das Problem, und er stellt in den Discorsi von 1638 die Lösung vor. Die realistische kosmozentrische, wahrheitsfähige Betrachtungsweise bezieht die Bewegung auf den wirklich ruhenden absoluten Raum und auf die absolute Zeit. Während Isaac Newton dieses Bezugssystem ausführlich begründet und beschreibt,11 verliert Galilei in den Discorsi kaum Worte darüber. An ihre Stelle setzt er zu Beginn des Kapitels »De motu locali« eine einfache, freilich höchst aufschlussreiche Zeichnung, die alles Notwendige sagt, und mehr: Sie zeigt nämlich die Parameter »Raum« und »Zeit« des raumzeitlichen Maß- und Bezugssystems der absoluten Bewegung. Sie zeigt die eindimensionale Ausdehnung als geometrisches Maß (Dimension) des absoluten Raumes in Gestalt der (beiderseits unbegrenzten, beiderseits ins Unendliche weisenden) Linie GH, und sie zeigt damit zugleich die »Quantisierung« von Raum und Zeit. J G

D E A B

F C

K H

Diese Zeichnung dient Galilei zur Erläuterung des nachfolgenden »Theorems I, Lehrsatz I«. Der Lehrsatz lautet: »Wenn ein gleichförmig bewegter Körper mit derselben Geschwindigkeit zwei Räume [spatia] durchmisst, so verhalten sich die Zeiten des Vollzugs zueinander ebenso wie die durchmessenen Räume.« Die obere, beiderseits unbegrenzte gerade Linie JK symbolisiert die unendliche, absolute Zeit, unterteilt in endliche Elemente der Zeit, als skalierten Maßstab zur Messung endlicher erfahrbarer Zeiten. Die untere, beiderseits unbegrenzte gerade Linie GH symbolisiert den unbegrenzten, absoluten Raum, unterteilt in endliche Elemente des Raumes, als skalierten Maßstab Ich sehe das bekannte Scholium in Newtons Principia, das gleich eingangs des Buches auf die »Definitionen« folgt, als Erläuterung des raumzeitlichen Bezugssystems der »absoluten« oder wahren oder wirklichen Bewegung, um die es Newton ersichtlich geht. Siehe dazu Newton, a. a. O., S. 87 – 94. 11

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zur Messung endlicher erfahrbarer Räume (Abstände, Entfernungen, Strecken, Wege). An diesem grenzenlosen, unendlichen, raumzeitlichen Bezugssystem also, d. h. relativ zu diesem System, misst Galilei die wirkliche Bewegung von Körpern. Beiläufig sieht man hier: Galilei weiß, dass Raum und Zeit keine unstrukturierten Kontinua sind. Sie sind vielmehr »diskrete« natürliche Entitäten, d. h. sie sind in Teile unterteilt und gegliedert, d. h. skaliert, was sie erst zu tauglichen Maßstäben macht. Galilei weiß offensichtlich, dass Raum und Zeit quanti­ siert sind, wie es auch Newton unter Zurückweisung der aristo­ telisch-scholastisch-cartesischen Kontinuumsvorstellung von Raum und Zeit im Detail zeigt und lehrt.12 Und auf dieser Grundlage ergibt sich unabweisbar, dass die Bewegungslehre Galileis wie auch diejenige Newtons eine Quantentheorie der Bewegung ist. Sie hat mit der Kontinuumstheorie der Bewegung, welche die »klassische Mechanik« lehrt, nichts zu tun. Zwischen unstrukturierten Kontinua gibt es kein mathematisches Verhältnis, d. h. keine geometrische Proportionalität. Das bedeutet aber, dass eine geometrische, mit geometrischen Proportionen arbeitende Bewegungslehre wie die Galileis und Newtons nur eine diskrete Quantentheorie der Bewegung sein kann. Das geometrische Bewegungsgesetz, welches das »Theorem I, Lehrsatz I« Galileis repräsentiert, kann nun auf der beschriebenen quantisierten Grundlage so angegeben werden, dass sich bei Die Feststellung, dass Galileis und Newtons geometrische Bewegungslehre zugleich mit der Messbarkeit von Räumen, Zeiten, Kräften und Bewegungen auch die diskrete metrische Struktur dieser Entitäten sichtbar macht, entzieht der modernen Auffassung den Boden, wonach Newtonsche Mechanik »Kontinuumsmechanik«, und »Quantenmechanik« eine Errungenschaft erst des 20. Jahrhunderts sei. Tatsächlich ist die Kontinuumshypothese ein Element der aristotelischen Physik, wie sie in neuerer Zeit von Descartes, Leibniz, Euler und Kant vertreten und von Euler ab 1736 zur Grundlage der (un- und anti-newtonischen) »logisch-analytischen Mechanik« gemacht wurde. Die Bewegungslehre Galileis und Newtons ist unübersehbar »Quantenmechanik« im ursprünglichsten und eigentlichen Sinn (vgl. Fritz Bopp, 1985, Newtons Wissenschaftslehre als Basis der Quantenphysik). 12



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der gleichförmigen Bewegung die variablen Wege (Strecken, Abstände, Räume) verhalten wie die entsprechenden Zeiten. Wenn man für die endlichen Wege oder Räume das Symbol s, für die endlichen Zeiten das Symbol t verwendet, ergibt sich die von Galilei vorgestellte Beziehung in der Form s1 : s2 = t1 : t 2 ; s2 : s3 = t 2 : t 3 usw. Die Messwerte der variablen endlichen Räume s und Zeiten t folgen dem geometrischen »Gesetz der gleichen Vielfachen« (Euklid, Elemente, Buch V Def. 4 und 5), d. h. sie sind zueinander proportional (Euklid, Def. 6). Sind aber zwei Größen s, t zueinander proportional, so ist ihr Verhältnis eine Konstante, der »Proportionalitätsfaktor«. Diese Konstante ist in Galileis Gesetz der gleichförmigen Bewegung implizit enthalten. Sie ist gegeben durch das aus der obigen graphischen Darstellung ersichtliche, stets gleiche Verhältnis einander entsprechender (d. h. zueinander proportionaler) Elemente S, T der zueinander proportionalen Maßstäbe »absoluter Raum« (Linie GH) und »absolute Zeit« (Linie JK); denn nur dieses konstante Verhältnis gewährleistet die Proportionalität oder »Verhältnisgleichheit« der gleichen Vielfachen von gemessenen variablen Räumen und Zeiten. Das Gesetz zur Beschreibung der gleichförmigen Bewegung kann danach auch in der Form s1 : t1 = S : T = s2 : t 2 = S : T usw. geschrieben werden, oder einfach s : t = S : T = C = konstant, das heißt: Die variablen Messwerte (also die diskreten Viel­ fachen) s und t von endlichen Räumen (Abständen, Entfernungen, Wegen, Strecken) und endlichen Zeiten (Zeiträumen) der gleichförmigen Bewegung verhalten sich zueinander ebenso, wie die invarianten diskreten Elemente S, T der zugrunde liegenden Maßstäbe des unbegrenzten absoluten Raumes und der unendlichen absoluten Zeit sich zueinander verhalten. Hierbei wird lediglich die in Galileis Schreibweise implizit enthaltene Proportionalitätskonstante C explizit gemacht, ohne dass dies den mathematischen Gehalt der Beziehung verändert. Bei jeder

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gleichförmig-geradlinigen Bewegung sind also die zurückgelegten Wege (Strecken, Abstände, Räume) und die dazu benötigten Zeiten (Zeiträume) zueinander proportional, weil die zugrundeliegenden Maßstäbe des Raumes und der Zeit zueinander proportional sind, d. h. weil das Verhältnis aller ihrer einander entsprechenden Elemente zueinander stets dasselbe, d. h. konstant ist. Die Konstante C mit der Dimension [S/T] kennzeichnet die Metrik des wirklichen raumzeitlichen Bezugssystems der absoluten oder wirklichen oder wahren Bewegung. Diese Konstante ist der »Parameter« dieses kosmischen, metrischen Maß- und Bezugssystems. Es versteht sich, dass jedes Bewegungsgesetz, welches eine absolute oder wirkliche Bewegung zum Gegenstand haben soll, diese Konstante, die den metrischen Bezug des Gesetzes zu dem notwendigerweise zugrundeliegenden raumzeitlichen Maß- und Bezugssystem herstellt, implizit oder explizit enthalten muss. Umgekehrt wird jedes Bewegungsgesetz, das diese Konstante enthält, auch ein Gesetz der absoluten oder wirklichen, relativ zu dem absoluten raumzeitlichen Bezugssystem bestimmten Bewegung sein.13 Wir werden sehen, dass dies auch und gerade für die moderne Physik, d. h. für das realistische Bewegungsgesetz der sog. Relativitätstheorie und auch der Quantenmechanik gilt. Isaac Newton behandelt in seinen 1687 veröffentlichten Principia die neue geometrische Lehre von der wahren Bewegung im absoluten Raum und in der absoluten Zeit in jeder Hinsicht weit ausführlicher als Galilei, dessen Lehre er allerdings zugrundelegt. Newton gründet seine Darstellung auf drei elementare Bewegungsgesetze. Die Kenntnis der ersten beiden Gesetze schreibt er ausdrücklich Galilei zu.14 Das zweite dieser beiden 13

Ich habe hierauf erstmals vor 28 Jahren aufmerksam gemacht, mit dem Aufsatz »Die Newtonische Konstante« (Philos. Nat. 22, Nr. 3, 1985). Der Ansatz ist bis heute unwidersprochen, freilich auch unbeachtet geblieben. 14 Newton schreibt (a. a. O., S. 102): »Mit Hilfe der beiden ersten Gesetze und der beiden ersten Corollarien fand Galilei heraus, dass der Fall schwerer Körper nach dem Quadrat der Zeit geschieht und dass



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Gesetze hat die raumzeitliche Änderung der Bewegung (mutatio motus) eines Körpers als Wirkung einer ursächlichen äußeren »Kraft« (vis motrix impressa) zum Gegenstand. Galilei beweist im Kapitel »Vierter Tag«, dass die bestimmte Kraft »vis impressa« oder auch »Impetus«, welche ein Körper beim beschleunigten Fall durch eine bestimmte Strecke gewonnen hat, diesem Körper, wenn seine Bewegung auf eine Horizontale abgelenkt wird, eine proportionale Geschwindigkeit vermittelt: Die ursächliche unkörperliche Bewegungskraft, welche die Bewegung erzeugt, und die von ihr als Wirkung hervorgebrachte veränderte körperliche Bewegung sind zueinander proportional. Das ist in der Tat Newtons zweites Bewegungsgesetz. Die »Bewegung« eines Körpers, der die Materiemenge oder »Masse« (m) hat, definiert Newton aufgrund der Erfahrung quantitativ als Produkt (mv) aus Geschwindigkeit (v) und Materiemenge (m).15 »Geschwindigdie Bewegung von Geschossen in einer Parabel abläuft, in Übereinstimmung mit der Erfahrung, sofern nicht jene Bewegungen durch den Widerstand der Luft etwas verzögert werden. Wenn ein Körper fällt, so drückt die gleichförmige Schwere, indem sie in den einzelnen gleichen Zeitteilchen in gleicher Weise einwirkt, diesem Körper gleiche Kräfte ein und erzeugt gleiche Geschwindigkeiten, und in der ganzen Zeit drückt sie ihm die ganze Kraft ein und erzeugt sie die ganze Geschwindigkeit, die der Zeit proportional ist.« Offensichtlich ist das eine »quantisierte« Beschreibung der Fallbewegung, die durch stufenweises Anwachsen der Geschwindigkeit (von Zeitteilchen zu Zeitteilchen) geschieht – ganz im Gegensatz zu der kontinuierlich beschleunigten »stufenlosen« Entwicklung der Fallgeschwindigkeit, welche die Schulmechanik lehrt. Galilei beschreibt das quantisierte Modell z. B. (in I, 164) so, »dass bei einer immer gleichen Beschleunigung in gleichen Zeiten gleiche Teile neuer Bewegung und Geschwindigkeitsgrade hinzukommen.« 15 Die Erkenntnis, dass »Bewegung« sich quantitativ erst mit dem Produkt mv aus der Materiemenge oder »Masse« m des Körpers und seiner Geschwindigkeit v ergibt, ging aus einer Untersuchung hervor, die in den Jahren 1669 bis 1671 die Gelehrten John Wallis, Christiaan Huygens und Christopher Wren im Auftrag der Londoner Royal Society durchführten. Das Ergebnis lehrt u. a., dass zwar die Fallgeschwindigkeit aller Körper (im Vakuum) gleich ist, nicht aber ihre Fallbewegung; diese wird sehr wohl von der Masse bzw. dem masseproportionalen jeweiligen

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keit« ist nun der Ausdruck für das proportionale Raum-Zeit-Verhältnis der gleichförmig-geradlinigen Bewegung (mv), welches Verhältnis, wie oben gezeigt, in den Proportionalitätsfaktor C als konstanten Parameter des zugrundeliegenden räumlich-zeitlichen Bezugssystems der Bewegung mündet. Das heißt aber, dass dieses Bezugssystem und dieser Parameter implizit auch der absoluten Bewegungslehre Newtons zugrundeliegt. Sein zweites Bewegungsgesetz hat demgemäß, wenn man den Proportionalitätsfaktor explizit macht, mit den Symbolen DF für die »Kraft« und D(mv) für die »Bewegungsänderung«, die geometrische Form »Kraft DF zu Bewegungsänderung D(mv) = C«, d. h. D F : D(mv) = C (= konstant). Man kann dafür auch schreiben: DF  D(mv), was dann mit dem alten Zeichen  die Proportionalität der beiden heterogenen Variablen F und (mv) richtig zum Ausdruck bringt, wobei der implizit enthaltene Faktor C in dieser Schreibweise nicht erscheint. Tatsächlich aber ist diese Konstante in allen bekannten modernen Lehrbuchdarstellungen der Bewegungslehre Galileis und Newtons weder implizit noch explizit präsent.16 Der Grund Gewicht des fallenden Körpers mit bestimmt – was derjenige spürbar erfahren hat, dem einmal ein Tennisball, ein anderes Mal eine gleich große Eisenkugel aus der Hand und auf den Fuß gefallen ist. 16 Es gibt vereinzelt Darstellungen, in denen der Proportionalitätsfaktor erscheint, den Newtons Gesetz unbedingt fordert. Er wird von diesen Autoren aber sofort wieder eliminiert, und zwar mit dem Argument, man könne »durch Wahl geeigneter Maßeinheiten« bewirken, dass er »gleich 1« gesetzt werden und folglich ersatzlos weggelassen werden könne. Übersehen wird dabei, dass bei der geometrischen Proportionalität zwei dimensionsverschiedene Variable zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, so dass aus ihrem Verhältnis niemals eine dimensionslose Zahl »1« hervorgehen kann. Anders gesagt: Wer so argumentiert, setzt implizit voraus, dass die proportionalen Variablen dimensionsgleich seien, was nichts anderes heißt, als dass sie mathematisch »gleich« seien. Er setzt also das voraus, was erst bewiesen werden müsste (petitio principii). Siehe z. B. Jürgen Mittelstrass, Neuzeit und Aufklärung, Berlin 1970, S. 288.



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ist, dass nach Newtons Tod (1727) die Bewegungslehre durch Leon­hard Euler (1736) und andere auf der Basis von Vorarbeiten Descartes’ und der Leibnizschen Analysis neu, nämlich arithmetisch-analytisch, d. h. auf die Logik gegründet, algebraisch, und »relativistisch«, d. h. ohne ein absolutes, räumlich-zeitliches »Bezugssystem« formuliert wurde – ein Paradigmenwechsel, der niemals bisher von irgend jemandem thematisiert worden ist: Die neue Lehre heißt in den Büchern bis heute unverändert »klassische« oder »Newtonsche« Mechanik, so, als hätte es von Galilei und Newton zu Euler keine Änderung der Mechanik gegeben. Dabei treten aber nun Raum und Zeit (mit der Cartesisch-Leibnizisch-Kantischen Philosophie) nur noch in Gestalt endlicher, variabler Erfahrungsräume und -zeiten auf; die früheren geometrischen Proportionen werden durch analytische Äquivalenzrelationen (Gleichungen) ersetzt und die Proportio­ nalitätskonstante, d. h. der Parameter des raumzeitlichen Bezugssystems der Bewegung, entfällt. Das zeigt sich insbesondere bei dem Verhältnis von »Ursache« (Kraft) und »Wirkung« (Bewegungsänderung). Hier setzt sich nun Leibniz’ Maxime »causa aequat effectum« durch, so dass Kraft und Bewegungsänderung nicht mehr als voneinander verschiedene (heterogene) Entitäten verstanden werden, die einander keinesfalls »gleich«, sondern nur »geometrisch proportional« gesetzt werden können. Mit der Leibnizschen Maxime werden sie jetzt willkürlich und gewaltsam »homogenisiert« und so der arithmetisch-analytischen Darstellung in einer Gleichung, einem »calcul« (Leibniz), zugänglich gemacht, wobei der geometrische Proportionalitätsfaktor C ersatzlos entfällt. Galileis Prinzip der gleichförmigen Bewegung schreibt man jetzt einfach als analytisch-algebra­ische Definition der Geschwindigkeit v, also v = s/t, und Newtons zweites Bewegungsgesetz wird dem entsprechend in die aus allen Schulbüchern bekannte logische, 1750 von Leonhard Euler in Berlin vorgestellte analytisch-algebraische Form »Kraft gleich Masse mal Beschleunigung« F = m(dv/dt)

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umgegossen, die nicht mehr eine geometrische Proportion von Kraft (Ursache) und Bewegungsänderung (Wirkung) – also das Kausalgesetz – vorstellt, sondern eine algebraische Äquivalenzrelation, die eine bloße Behauptung oder Hypothese ist und als mathematisch-logische Definition der Kraft F verwendet wird. Entfallen ist hier nicht nur das Symbol , welches die mathematische Logik generell nicht kennt (was folgerichtig und sehr aufschlussreich ist). Entfallen ist vielmehr mit dem Verlust der Proportionalitätskonstante C die ganze geometrische Struktur, nämlich der absolute Raum S und die absolute Zeit T, d. h. der Bezug der Bewegung zu Raum und Zeit, und zugleich damit ist die kausale Erklärungskraft, die das authentische Bewegungsgesetz Newtons charakterisiert, abhanden gekommen. Denn eine logische Definition, die (nach dem Muster A = A) besagt, dass »Kraft« und »Bewegungsänderungsrate« (oder »Massebeschleunigung«) einander gleich sind, erklärt gar nichts. Tatsächlich ist mit dem reversiblen Prinzip »Kraft gleich (konstanter) Massebeschleunigung« der irreversible zeitliche »Prozesscharakter« des Gesetzes der realen Bewegung verloren gegangen. Die Eulersche Formel beschreibt weder die wirkliche zeitliche Entstehung, noch die zeitliche Veränderung von Bewegung (»mutatio motus«, wie Newton sagt). Sie erlaubt einzig die rechnerische Ermittlung des jeweiligen »fixierten« Bewegungs-Zustands eines Körpers zu verschiedenen Zeiten. »Kraft gleich Massebeschleunigung« ist also in Wahrheit gar kein »Bewegungs-Gesetz«, geschweige denn ein kausales »Naturgesetz« von der Bewegung und ihrer Ursache »Kraft«, sondern eine analytische Formel zur Berechnung von Materiezuständen. Auf dieser willkürlich reduzierten Grundlage entsteht dann im 18. Jahrhundert an der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin unter den Händen von Leonhard Euler und ­Joseph Louis Lagrange die so genannte »klassische Mechanik« als eine neue, arithmetisch-analytische und algebraische, nur noch der (mathematischen) Logik verpflichtete Kunst, der infolge des Verlusts des raumzeitlichen Bezugssystems der Bewe­ gung jeder innere Bezug zur kosmischen Wirklichkeit von Raum



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und Zeit fehlt. Die Bewegungszustände eines materiellen Körpers sind hier, wie in der aristotelischen Physik, wieder ausschließlich relativ zu einem anderen, willkürlich als »ruhendes Bezugssystem« eingeführten Körper bestimmbar. Bewegung ist damit ein Gegenstand, über dessen Wirklichkeit nichts gesagt wird und nichts gesagt werden kann, da man nicht weiß, ob der Bezugskörper wirklich ruht. Ich nenne diese Kunst nach ihrem Geburtsort die »Berliner Mechanik«, nicht zuletzt in der Hoffnung, dass damit ihrer verbreiteten, missbräuchlichen und grob irreführend falschen Benennung als »Newtonsche Mechanik« ein Ende gemacht werden könnte.17 Da die analytische Bewegungslehre des 18. Jahrhunderts aus den dargestellten Gründen keinen Bezug zur realen kosmischen Raumzeit hatte, war es nicht mehr gerechtfertigt, im Sinne Galileis und Newtons von einer »absoluten« Bewegung in absolutem Raum und absoluter Zeit zu sprechen. Das bemerkten die Gelehrten im Lauf des 19. Jahrhunderts, ohne es freilich als Mangel oder Fehler zu begreifen, der etwa durch Rückbesinnung auf die authentische galilei-newtonische Lehre zu korrigieren gewesen wäre. Es war dann Ernst Mach, der 188318 diese »klassische« 17 Manche

Schriftsteller haben schon bemerkt, dass das Prinzip »Kraft gleich Massebeschleunigung« der klassischen Mechanik nicht bei Newton, sondern erstmals bei Leonhard Euler zu finden ist, in dessen analytisch-algebraischer Neubegründung der Bewegungslehre (Mechanica, 1736). Diese Erkenntnis hat inzwischen sogar Eingang in das »Wikipedia«-Lexikon gefunden. Die zwingende Folgerung, dass dann Newtons Gesetz eine andere mathematische Form haben muss, hat allerdings bisher außer mir niemand gezogen, geschweige denn, dass jemand diese Form ermittelt und ihre dramatischen Konsequenzen insbesondere für das Verständnis der modernen Physik aufgezeigt hätte. Hier wird bisslang Eulers Konstrukt überall vorausgesetzt, fälschlich Newton zugeschrieben, und alsdann im modernen Sinn »verbessert« – wobei freilich im Gewand der modernen Proportionalität von »Energie« und »Impuls« (E/p = c = konstant) Newtons authentisches zweites Bewegungsgesetz unversehens wieder aufersteht. 18 Im Jahre 1883 veröffentlichte Ernst Mach das überaus folgenreiche Buch »Die Mechanik in ihrer Entwicklung«, das bis in die zwanziger

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Bewegungslehre entschieden als eine relativistische Lehre verstand und interpretierte – und kurzerhand Newtons Rede vom absoluten Raum, von der absoluten Zeit und von der absoluten Bewegung für »sinnlos« erklärte. Das war, nachdem ja die diese Entitäten repräsentierende Konstante C längst aus der Mechanik entfernt worden war, folgerichtig. Ernst Mach befand sich dabei auch in Übereinstimmung mit der Philosophie Immanuel Kants, wonach der Raum »an sich« (d. h. der absolute Raum) und ebenso die Zeit »an sich« keinerlei Realität haben, sondern lediglich subjektive Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung sein sollten. Es war dann ebenfalls konsequent, dass Ernst Mach im Zuge dieser Philosophie auch die Copernicanische Revolution und die Lehre Galileis von der wahren und wirklichen Bewegung der Erde zurücknahm, indem er ausdrücklich das Copernicanische und das Ptolemäische System für »gleich richtig« erklärte.19 In der Tat: Wenn mangels eines absoluten raumzeitlichen Bezugssystems zwischen diesen beiden astronomischen Theorien »keine philosophisch gültige Auswahl und Entscheidung getroffen werden kann, dann, scheint es, ist Galileis Kampf für das ›wahre‹ Weltsystem, in dem die Verfassung des Universums mit eindeutiger Bestimmtheit umschrieben und festgestellt ist, ein Kampf um Schatten gewesen«. 20 Dieses relativistisch-agnostiJahre des 20. Jahrhunderts hinein eine Vielzahl von Neuauflagen erlebte. Nicht nur Einstein stand ganz im Banne der relativistischen und explizit anti-newtonischen Thesen Ernst Machs. 19 Siehe Ernst Mach, a. a. O., S. 222, 226 der Ausgabe Leipzig 1912 (im Kapitel II, Abschnitt 6 »Newtons Ansichten über Zeit, Raum und Bewegung«). Machs Argument verliert aber jede Grundlage, sobald erkannt ist, dass die Copernicanische Alternative keine »kinematische«, sondern eine »mechanische« ist, in der die unterschiedlichen Massen der Himmelskörper eine Rolle spielen, so dass diese Lehre nicht »heliozentrisch«, sondern »kosmozentrisch« konzipiert ist und verstanden werden muss (siehe dazu oben Anm. 9). 20 Ernst Cassirer, in seiner Ausgabe der Leibnizschen »Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie«, Band I, Band 108 der Philosophischen Bibliothek Meiner (Hamburg 1966), Einleitung zu den »Streitschriften zwischen Leibniz und Clarke«, S. 110.



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zistische Fazit zog im Jahre 1904 Ernst Cassirer. Der Naturforscher Galilei, der in der Natur die »eindeutige Bestimmtheit« oder eben die Wahrheit sucht, und jeder andere Wahrheitssucher auch wird jetzt zum Don Quichotte, der gegen Windmühlenflügel kämpft. Sicherlich war mit der Behauptung Ernst Machs von 1883, wonach alle (nun wieder, wie bei Aristoteles, ausschließlich materiellen) Bezugssysteme gleich richtig und gleich berechtigt seien, der Wahrheitsanspruch der Naturwissenschaft insgesamt verworfen und für ebenso tot erklärt, wie Friedrich Nietzsche in seiner »Fröhlichen Wissenschaft« etwa zur selben Zeit (1882/1887) und durchaus im selben Zusammenhang Gott für tot erklärte und jegliche Wahrheitssuche als vergeblich verwarf. Der damit erreichte Erkenntnisstand der Moderne entspricht dem anthropozentrischen Agnostizismus und Skeptizismus der vorchristlichen Antike. Er gilt allerdings bis heute Vielen seit Kant als ein ›aufgeklärter‹ Höhepunkt der Menschheitsentwicklung, hinter den man weder wissenschaftlich noch philosophisch zurückgehen könne, ohne sich lächerlich zu machen. Es ist nun freilich eine Ironie der Weltgeschichte (oder ein Zeichen Gottes, wie man will) , dass etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts das verlorengegangene absolute raumzeitliche Bezugssystem der Bewegung und damit der Wirklichkeits- und Wahrheitsbezug in die Wissenschaft zurückkehrte, wenn auch unerkannt, bzw. missdeutet. Die Rede ist wieder von der Naturkonstante C – jetzt c geschrieben, aber, als Quotient von »Raum« und »Zeit«, von gleicher geometrischer Dimension wie C, worauf es allein ankommt – als einem tragenden Element der Faraday-Maxwellschen Theorie des Elektromagnetismus, d. h. der Lehre von der Bewegung elektrisch geladener Körper im elektromagnetischen »Feld«. Da diese Konstante c als Quotient aus Elementen des Raumes und der Zeit, d. h. als Maß einer Geschwindigkeit erschien, so wurde sie positivistisch als »Ausbreitungsgeschwindigkeit c des Lichts im Vakuum« interpretiert, sobald man zeigen konnte, dass sie, als gemessene Zahl, mit dem Messwert dieser Vakuumlichtgeschwindigkeit übereinstimmte.

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Dennoch war diese Interpretation mangelhaft. Geschwindigkeit ist immer eine Variable, auch die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts. Diese ist abhängig von dem Medium, in dem das Licht sich ausbreitet. Man kann deshalb eine universelle Naturkon­ stante nicht mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts in einem bestimmten Medium (Vakuum) identifizieren. Tatsächlich repräsentiert die universelle oder »kosmische« Naturkonstante c als Parameter die unveränderliche wirkliche, unendlich ausgedehnte absolute Raumzeit – und damit das absolute Bezugssystem der wirklichen Bewegung – nicht anders als die oben als unverzichtbarer Bestandteil der authentischen Bewegungslehre Galileis und Newtons nachgewiesene dimensionsgleiche Kon­ stante C. Mangelte aber, wie Ernst Cassirer 1904 richtig bemerkte, der klassischen Mechanik (mit dem Fehlen des absoluten Raumes und der absoluten Zeit, also wegen des Fehlens des Para­ meters C) das für eine eindeutige und also wahre Bewegungslehre unerlässliche ausgezeichnete oder »gültige Bezugssystem« der Bewegung, so war mit der Faraday-Maxwellschen Theorie eben dieses Bezugssystem in der Gestalt der Naturkonstante c wieder in die Wissenschaft von der Bewegung zurückgekehrt. Damit war der Wirklichkeitsbezug dieser Wissenschaft wiederhergestellt und zugleich ihre Wahrheitsfähigkeit, insofern »Wahrheit« und »Wirklichkeit« zu Recht in eins zu setzen sind. Wahrheitssuche im »Buch der Natur« (Galilei) und also auch die wissenschaftliche Rede von der Wahrheit des Schöpfergottes, die Newton als unverzichtbaren Bestandteil wahrer Naturforschung bezeichnet, war nun wieder möglich. Insofern Galilei für alle Zeiten gezeigt hat, dass die verlässlichste Quelle der Wahrheit die Schöpfung ist, die Natur, weit verlässlicher als jedes Offenbarungsbuch, und dass der Mensch in der Lage ist, aus dieser Quelle zu trinken, gewinnt auch Goethes Wort, Galileis Entdeckung sei »wichtiger als die ganze Bibel«, seine tiefe Berechtigung (siehe das Geleitwort, oben S. VI). Wahr ist freilich leider auch, dass dieser revolutionäre Gehalt der neuen Bewegungslehre (nicht weniger revolutionär als die Copernicanische Wende) bis heute von den Autoritäten in



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Wissenschaft, Philosophie und Kirche nicht erkannt worden ist. Schuld daran trägt die »antimetaphysische« (Ernst Mach) und deshalb wahrheits- und wirklichkeitsferne, positivistischmate­r ialistische Grundhaltung der Wissenschaftler, wie sie im 19.  Jahrhundert aus der durch den materialistisch-relativistischen Geist der Cartesisch-Leibnizisch-Kantischen Philosophie bestimmten Aufklärung hervorgegangen ist. Schuld daran trägt aber zu einem nicht geringen Teil auch der Umstand, dass Albert Einstein, erklärter Kantianer und Mach-Bewunderer, als Repräsentant dieser Wissenschaft 1905 erfolgreich eine neue, nun (im Fahrwasser Ernst Machs) entschieden anti-metaphysisch und folglich relativistisch intendierte Mechanik vorstellte: relativistisch insofern, als Einstein seiner Theorie die Machsche Behauptung von der Gleichberechtigung aller denkbaren (stets materiell, als »Bezugs-Körper« angenommenen!) Bezugssysteme zugrundelegte. Allerdings bezog er in seine Lehre die aus der Faraday-Maxwellschen Theorie entnommene absolute Kon­ stante »Vakuumlichtgeschwindigkeit c« ein. Das war zwar ein systematischer Widerspruch zum heiligen »logischen« Relativi­ tätsprinzip, weshalb Ernst Mach dieser verwässerten »Relativitätstheorie« nicht zustimmen mochte, sehr zum Leidwesen seines Bewunderers Einstein. Dafür aber garantierte diese Kon­ stante dem Einsteinschen Formalismus den Realitätsbezug und damit den praktischen Anwendungserfolg. Der Formalismus ist nämlich so gewählt, dass er sich auf das elementare Gesetz der gleichförmig-geradlinigen Bewegung reduziert, wenn man die Bewegungsgeschwindigkeit des Bezugskörpers mit Null ansetzt. In diesem Fall dient dieser Körper faktisch im Sinne Galileis und Newtons als »absolut ruhendes Bezugssystem«. Er legt dann einen »absolut ruhenden Ort im ruhenden absoluten Raum« fest, so dass zwangsläufig die Bewegungsgeschwindigkeit bzw. der Impuls des Beobachtungskörpers, relativ zu diesem nun absolut ruhenden Bezugskörper gemessen, ebenso relativ zum absoluten Raum gemessen wird wie in Galileis und Newtons authentischem Gesetz der geradlinig-gleichförmigen Bewegung. Das mathematische Bewegungsgesetz nimmt dann dieselbe Form an,

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wie ich sie oben für dieses galilei-newtonische Bewegungsgesetz angegeben habe: Es beschreibt die geometrische Proportionalität von Ursache oder Kraft F (hier genannt »Energie«, bezeichnet mit E) und Wirkung (Bewegung, »Impuls« p), wobei Ursache und Wirkung relativ zu dem absoluten raumzeitlichen Bezugssystem gemessen werden, welches die Konstante c als Parameter repräsentiert: F/p = c = konstant (Galilei und Newton)21 bzw. E/p = c = konstant (Einstein)22. Auf diese Weise stellt sich der Realitätsbezug der nur scheinbar »relativistischen« Einsteinschen Mechanik ganz ebenso her wie in der authentischen Lehre Newtons. Da nun diese Folge bei allen relevanten praktischen Anwendungen der Einsteinschen Theorie gegeben ist, so hat die Einsteinsche Gleichung in all diesen Fällen die Form eines realistischen und wahren »absoluten« Bewegungsgesetzes im absoluten Raum und in der absoluten Zeit. Die Naturkonstante c als Parameter spannt Einsteins »Raumzeit« ebenso auf, wie das dieselbe Konstante als Quotient von Raumelement und Zeitelement in der authentischen galilei-newtonischen Bewegungslehre leistet. Also gründet sich der unbestreitbare Erfolg der Einstein21

Die »Kraft« F ist hier die Ursache der gleichförmig-geradlinigen Bewegung. Sie ist nichts anderes als der »Impetus« Galileis und die durch die »vis impressa« modifizierte »vis insita« oder »vis inertiae« Newtons. 22 Einsteins Formel E = m[1/(1 – v2 /c2)1/2]c2 reduziert sich, wenn man ein absolut ruhendes Bezugssystem annimmt, mit v = Null zu E = mc2 = (mc)c bzw. (mit mc = p = Impuls) zu E = p × c, d. h. zu einer Proportionalität zwischen »Energie« E und Impuls (oder Bewegungsgröße) p, mit dem Proportionalitätsfaktor c mit der Dimension »Raum durch Zeit«, in Symbolen [S/T]. Ebenso Max Born, Die Relativitätstheorie Einsteins, 1984, S. 245. Es handelt sich dabei nicht um »Ruhe-Energie«, wie die Physiker behaupten, sondern um die erzeugende »Energie« eines Impulses, d. h. einer Bewegung die relativ zu einem ruhenden Bezugssystem gemessen wird, wie es eben der absolute Raum darstellt. Man beachte im Übrigen, dass diese »Energie« ein Vektor sein muss (was Einstein und die Schulphysik willkürlich ignorieren), weil auch der ihr proportionale Impuls ein Vektor ist (ebenso wie in Newtons zweitem Bewegungsgesetz). Mit der Vektoreigenschaft kommt ein »teleologisches« Element in die Bewegungslehre. »Energie« ist nicht nur »causa efficiens«, sondern auch Richtungs- und Zielvorgabe (causa finalis) des Impulses.



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schen Theorie in Wahrheit allein auf die implizite Wiederaufnahme der authentischen galilei-newtonischen geometrischen Struktur des Bewegungsgesetzes. Einstein selbst sah wohl einen gewissen Widerspruch zwischen seinem von Ernst Mach her kommenden »relativistischen« Ansatz und dem »absolutistischen« Element, welches die Konstanz des Faktors c in seine Theorie einbrachte, hielt ihn aber irrtümlich für unerheblich bzw. nur scheinbar. So konnten (gegen Einsteins anfänglichen Widerstand) Propagandisten des philosophischen Materialismus und Relativismus die neue Lehre, obwohl andere richtig deren durch die Konstante c charakterisierten Absolutheitscharakter erkannten (Victor Weißkopf), als »Relativitätstheorie der Bewegung« bezeichnen und dauerhaft unter diesem Namen etablieren. In der Folge zieht nun die uninformierte Menge seit über einhundert Jahren aus der erwiesenen Leistungsfähigkeit dieser Lehre den Trugschluss, dass damit die Relativität aller Bewegung – und darüber hinaus die Relativität aller Erkenntnis, d. h. die Sinnlosigkeit aller Wahrheitssuche – als wahr erwiesen sei, obwohl der logische Widerspruch auf der Hand liegt – wie könnte »wahr sein«, dass es keine Wahrheit gibt? – und obwohl das gerade Gegenteil nachweislich der Fall ist. Einsteins spezielle Relativitätstheorie impliziert, wie gezeigt, das absolute Gesetz der Bewegung in Raum und Zeit, in voller mathematischer Übereinstimmung mit der authentischen geometrischen, also nicht analytisch-algebraisch verballhornten Lehre Galileis und Newtons; es ist das Gesetz der geometrischen Proportionalität von Ursache (»Kraft«, »Impetus«, »vis impressa«, »Energie«) und Wirkung (Bewegung, Impuls). Zu zeigen bleibt, dass das oben in der Form E/p = c gewonnene Prinzip der Proportionalität von Energie und Impuls ebenso wie die Einsteinsche Theorie auch die Quantenmechanik (in ihrer Heisenbergschen Formulierung) bestimmt. Die Heisenbergschen Relationen DE × Dt ≥ h und Dp × Ds ≥ h, zusammengefasst zu der Produktengleichung DE × Dt = Dp × Ds und umgestellt zu der viergliedrigen Proportion (tetraktys) DE : Dp = Ds : Dt, lie-

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fern dafür den Beweis. Denn wenn Energie DE und Impuls Dp zueinander proportional sind, wie feststeht, dann muss der Quotient Ds/Dt als »Proportionalitätsfaktor« ebenfalls konstant sein, und seine Dimension »Raumelement durch Zeitelement« beweist seine Identität mit der oben identifizierten Naturkonstante c. 23 Wer dem Prinzip der geometrischen Proportionalität weiter auf den Grund geht, stellt fest, dass diese, wie Euklid sie definiert (Elemente, Buch V, Def. 5), eine gesetzmäßige Beziehung zwischen Größen verschiedener Art darstellt. Galilei weist in den Discorsi auf diese »genetische« Differenz hin. Isaac Newton formuliert sie in den Principia, im Scholium nach Lemma X, wo er in aller Kürze seinen Gebrauch der Proportionentheorie darstellt, wie folgt: »Si quantitates indeterminatae diversorum generum conferantur inter se […]«. (meine Hervorhebung). Es geht also um Verhältnisse zwischen Quantitäten verschiedener Art. Derartige Verhältnisse kennt die Arithmetik nicht, da sie nur mit Zahlen arbeitet, die als solche alle von gleicher »Art« sind; sie unterscheiden sich nicht dimensional voneinander, wie das bei geometrisch gemessenen Größen der Fall sein kann. Während Zahlen, zueinander ins rationale Verhältnis gesetzt (Euklid, a. a. O., Def. 1 spricht hier vom »logos«), als Proportionalitätsfaktoren stets wieder nur bloße Zahlen produzieren, geht aus dem von Euklid »analogos« genannten Verhältnis dimensional verschiedener geometrisch gemessener Größen zwangsläufig eine ebenfalls dimensionsbehaftete Proportionalitätskonstante hervor, die folglich (anders als jede bloße Zahl) eine ontologische Bedeutung mit sich führt, d. h. einen Realitätsbezug hat. In der authentischen galilei-newtonischen Bewegungslehre und überall, wo sie mathematisch das Verhältnis von »Energie« und »Impuls« bestimmt, liefert sie das absolute raumzeitliche Bezugssystem der wirklichen Bewegung und garantiert damit die Verbindung zur kosmologischen Wirklichkeit von Raum und Zeit. 23

Zu beachten ist auch hier, dass die »Energie« E als Vektor auftritt (wie Anm. 22). Daran knüpfen sich weitreichende Folgerungen, u. a. die, dass der Energie-Vektor eine Richtung in Raum und Zeit hat, also ein Ziel (telos).



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Die zu ihrer Wirkung proportionale Bewegungsursache bezeichnet Galilei bevorzugt mit dem lateinischen Terminus »Impetus« (ital. impeto). Galilei steht damit in der Tradition der »Impetus-Theorie«, die auf den antiken Aristoteles-Kommentator und Christen Johannes Philoponus zurückgeht, der von ca. 490 bis 580 in Alexandria lebte. Philoponus setzte der materialistisch-relativistischen Bewegungslehre des Aristoteles, in der (abgesehen vom »ersten Beweger«) nur materielle Körper Relativbewegungen anderer materieller Körper hervorbringen, mit der Lehre vom nicht-materiellen »Impetus« eine christliche Alternative entgegen: Der Impetus ist die natürliche, spiri­t uelle, unkörperliche Bewegungsursache oder »Kraft«, 24 die von einem bewegten Körper, z. B. einem Diskuswerfer, auf einen anderen Körper, den Diskus, übertragen wird, die aber auch, z. B. aus einem Gravitationsfeld hervorgehend, den Fall des Apfels vom Baum verursacht. Diese unkörperliche, übertragbare Bewegungsursache wurde zwar nach der christlichen Aristoteles-Rezeption im 12./13. Jahrhundert von den scholastischen Impetus-Theoretikern (Buridan, Ockham) wieder im heidnisch-aristotelischen Sinn materialisiert, d. h. als Materieeigenschaft verstanden. 25 Galilei aber benützt die ursprüngliche christliche, spirituelle Konzeption des Impetus. Das geht klar u. a. aus einem Zusatz hervor, den er (schon gänzlich blind) 1639, nach Erscheinen der Discorsi (deshalb fehlt er hier), Viviano Viviani in die Feder diktierte, der dann veranlasste, dass dieser Text in spätere Ausgaben eingefügt wurde. Man findet ihn dort im »Dritten Tag«, nach dem »Theo­ rem II, Lehrsatz II«, im Anschluss an das Scholium nach dem »Zusatz II«. Er beginnt mit den Worten Salviatis an Sagredo: »Qui vorrei, Sig. Sagredo, che a me ancora fosse permesso, se ben forsi con troppo tedio del Sign. Simplicio, il differir per un poco la presente lettura […]«. Salviati sagt im Weiteren, er wolle zur Vertiefung der vorangegangenen Beweisführungen einen 24

Ebenso Michael Wolff, »Geschichte der Impetustheorie«, Frankfurt a. M. 1978, S. 17. 25 So andeutungsweise E. J. Dijksterhuis, »Die Mechanisierung des Weltbildes«, Berlin 1956, S. 200.

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einzigen Satz beweisen, der für die Lehre vom Impetus grundlegend ist (»un sol lemma, elementare nella contemplazione de gl’impeti«). Er bezieht sich dazu auf die Beobachtung beim ›Fall‹ auf der schiefen Ebene, »dass die vektoriellen Bewegungskräfte [momenta] oder die Geschwindigkeiten ein und desselben Körpers bei verschiedenen Neigungen der Ebene verschieden sind«. Am größten aber sind sie in der Senkrechte. »Daher wird die Bewegungskraft [impeto], die geistige Wirksamkeit [talento], die Energie [energia] oder sagen wir, das vektorielle Moment der Bewegungskraft [momento] der Fallbewegung des Körpers durch die unterstützende Ebene, auf welcher der Körper aufliegt und sich nach unten bewegt, vermindert.« Der angekündigte Elementarsatz der Impetuslehre wird im Weiteren in der Form vorgestellt, dass »ein Körper ebenso viel Impetus, Energie [energia], vektorielle Bewegungskraft [momento] oder Bewegungsdrang [propensione al moto] besitzt wie die Gewalt [forza] oder der kleinste Widerstand misst, welche hinreicht, ihn im Ruhezustand zu halten«. Diese »forza« misst Salviati durch ein senkrechtes Gegengewicht, das mit dem Körper auf der schiefen Ebene durch ein Seil verbunden ist, welches über eine Rolle an deren oberem Ende läuft. Der »Impetus« ist also für Galilei ebenso eine »Kraft«, wie auch das Gewicht eine Kraft ist, und er ist damit im selben Sinne »mehr« bzw. »etwas anderes« als Geschwindigkeit und Bewegung, in dem auch das Gewicht ›genetisch‹ mehr und etwas anderes ist als die bloße Masse eines Körpers. Im Kapitel »Vierter Tag« der Discorsi führt Galilei dann zur Behandlung der Wurfparabel die »Sublimità« ein. Das ist eine charakteristische Strecke, die den Impetus misst, welchen ein durch ebendiese Strecke senkrecht nach unten fallender Körper gewinnt, und welcher Impetus alsdann, wenn die Bewegung auf die Horizontale abgelenkt wird, das Maß, d. h. die Amplitude der Wurfparabel bestimmt. Diese »Sublimità« ist kein abstrakt-geometrisches Konstruktionselement der Parabel, weshalb sie in der Geometrie sonst auch nicht bekannt ist. Sie ist vielmehr eine rein »mechanische« Größe, ein »Maß der Kraft«, d. h. des Impetus, der hinter der Wurfparabel steckt bzw. diese



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erzeugt. Ich habe deshalb »Sublimità« mit »erzeugende Strecke«, »Erzeugungsstrecke« oder auch »Erzeugungshöhe« übersetzt. Galilei zeigt an einer Vielzahl von Beispielen, wie ein senkrecht fallender Körper proportional zur Fallzeit ohne jede materielle Einwirkung aus der Gravitation »Impetus« aufnimmt, der nach Ablenkung der Bewegung auf die Horizontale als ursächliche Kraft eine geradlinig-gleichförmige Bewegung des Körpers als Wirkung erzeugt, deren proportionales Maß eben dieser Impetus ist. In diesem Sinn definiert auch Isaac Newton wenige Jahrzehnte nach Galilei in einer Schrift vor den Principia: »Impetus est vis quatenus in aliud imprimitur«. 26 Der Impetus ist eine einem Körper »eingedrückte« Kraft; und »Kraft« definiert Newton am selben Ort: »Vis est motus et quietis causale principium«: Kraft (unkörperliche Kraft, oder eben ein nicht-materielles »Kraftfeld« wie das Gravitationsfeld bzw. die Zentripetalkraft), ist Ursache der Bewegung und Ruhe materieller Körper. In den Principia bevorzugt Newton dann ohne Änderung in der Sache den Terminus »vis impressa«27; dennoch taucht der »Impetus« auch hier, in der dritten Definition, noch explizit auf. In der vierten Definition erklärt Newton, dass diese Kraft verschiedene »Ursprünge« hat, »sie stammt z. B. aus Stoß, Druck, oder aus der Zentripetalkraft«. Eine solche »Zentripetalkraft« ist z. B. die Gravitationskraft, die in ihrem Einflussbereich alle Körper »schwer« macht, womit die Herkunft des Gewichts aus diesem nicht-materiellen Feld und damit auch der nichtmaterielle Charakter der »Kraft« evident ist, durch die das Gewicht sich von der Masse unterscheidet. Newtons berühmtes »Erstes Bewegungsgesetz« fasst zusammen: Jeder Körper verharrt in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmig-geradlinigen Bewegung, sofern er nicht durch eingedrückte Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird. Die Newtonsche Kraft »vis impressa« ist ein unkörperliches, von außen her auf einen Körper übertragenes 26 Isaac

Newton, Über die Gravitation …, übersetzt und herausge­ geben von Gernot Böhme, Frankfurt a. M. 1988, S. 77. 27 Vgl. Anm. 14. Newton schreibt: »Corpore cadente, gravitas uniformis […] imprimit vires aequales in corpus illud […]«.

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kausales Prinzip, das in Wechselwirkung mit der dem Körper eingepflanzten »vis insita« tritt. Diese übernimmt dabei von der »vis impressa« die Informationen über Maß, Geschwindigkeits­ änderung und Richtungsänderung der Bewegung, welche den sich anschließenden neuen, gleichförmig-geradlinigen Bewegungszustand des Körpers bestimmen, dessen tragende Ursache nun die wie geschildert modifizierte »vis insita« ist; das aber ist Galileis »Impetus«. Somit enthält die Bewegungslehre mit dem Impetus, der vis impressa und der vis insita (Newton) unkörperliche oder spirituelle Realanteile. Diesen kommt die Rolle der proportionalen schöpferischen und erhaltenden Ursachen der Bewegung und Ruhe materieller Körper zu. In der nach Newton von Euler und anderen geschaffenen analytischen Mechanik fehlt – neben dem raumzeitlichen Bezugssystem der Bewegung – auch dieses Element, weil hier die galilei-newtonische geometrische Proportionalität von Ursache und Wirkung (als naturgegebenen Entitäten verschiedener Art) auf eine unrealistische, logisch-tautologische Äquivalenzrelation homogener Terme reduziert wird (»Kraft gleich Massebeschleunigung«), die keine kausale Aussage enthält oder ermöglicht (Bertrand Russell). Durch die Gleichsetzung mit ihrer Wirkung (Leibniz: causa aequat effectum) wird die Kraft unvermeidlich materialisiert, d. h. zu einer Materieeigenschaft und das »Gewicht« zu einer Eigenschaft des materiellen Körpers uminterpretiert. Die Materie, die Galilei ebenso wie Newton als absolut passiv erkennt, wird dann scheinbar aktiv; sie wird scheinbar fähig, sich selbst zu bewegen und andere Körper anzuziehen, wie es die Kinder in der Schule lernen (»Die Erde zieht den Mond an«). Man sieht hier, wie wenig gerechtfertigt die verbreitete Behauptung ist, die Schulphysik sei weltanschaulich neutral. In Wahrheit ist sie ein materialistisches Konstrukt, in dessen Zentrum die scheinbar alles aus sich selbst vermögende Materie als der allmächtige Akteur steht. Die Wurzeln dieser Ideologie findet man bei Aristoteles. Über die scholastische Aristoteles-Rezeption im 12./13. Jahrhundert gewann sie in die christlich-abendländische Wissenschaft Eingang. Die in der



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Renaissance in Angriff genommene Überwindung des materia­ listischen Paradigmas (Cusanus, Copernicus, Bruno, Kepler, Galilei, Newton) musste freilich im Zuge der Gegenreformation einer restaurativen neuscholastischen Entwicklung (Descartes, Leibniz, Euler, Kant, Mach) weichen, einer anti-copernicanischen »ptolemäischen Konterrevolution« (Quentin Meillassoux), die erst wieder von der »modernen Physik« des 20. Jahrhunderts korrigiert wurde – was freilich deren geistige Väter, weil sie ihre Wissenschaft nicht von den Grundlagen her studierten, nicht wirklich verstanden, und ihre Epigonen erst recht nicht, da sie es gar nicht mehr verstehen wollen. 28 Eingeräumt wurde das z. B. von dem Nobelpreisträger für Physik (1969) Murray Gell-Mann, der einmal meinte, die Physiker wüssten wohl, wie sie die mathematischen Prinzipien der modernen Quantenmechanik anzuwenden haben, aber verstanden habe sie keiner. Man lernt hier, dass der unbestreitbare technische Erfolg der modernen Naturwissenschaften mit einem wirklichen Verständnis der Natur gar nichts zu tun hat. Man kann ein genialer Techniker sein, ohne die Prinzipien der Mechanik je verstanden zu haben, so wie man ohne Kenntnis der Stoßgesetze ein hervorragender Billardspieler, und wie jeder Vogel ohne Kenntnis der diffizilen Gesetze des Fliegens ein genialer Flieger sein kann.

28 Einstein

z. B. meinte, er brauche Newtons Schriften nicht zu lesen, weil alles Wesentliche davon »in den Lehrbüchern steht«. Der hier zugestandene blinde Glaube an die Sekundärliteratur, eine methodische Ursünde, die allem wissenschaftlichen Ethos ins Gesicht schlägt, kennzeichnet freilich nicht nur Einsteins Werk, sondern lässt sich an nahezu jeder sogenannten »naturwissenschaftlichen Publikation« der letzten hundert Jahre nachweisen. Es handelt sich um eine Konsequenz des relativistisch-anthropozentrischen Wahrheitsverständnisses, wonach wissenschaftliche Erkenntnisse aller Art nicht aus der Natur, sondern aus den Arbeiten anderer Wissenschaftler gewonnen werden. Im scholastischen Wissenschaftsbetrieb des Mittelalters waren es dementsprechend die Schriften des Aristoteles, die als ausschließliche »Wahrheitsquellen« galten und zitiert werden mussten.

LII

Einleitung

Galilei zeigt die impulsproportionale »Kraft« (Impetus, vis impressa, Energie) als ein reales, unkörperliches, schöpferisches Element. Dieses Element bricht das geschlossene materialistische Weltbild der aristotelisch-heidnischen Antike auf und bringt, wie in der Lehre des Johannes Philoponus, ein christliches Element in die Wissenschaft ein. Freilich ist diese schöpferische, bewegungerzeugende Ursache namens Kraft auch ein notwendiges Element einer naturgemäßen, d. h. realistischen kausalen Bewegungslehre. So erweist sie sich als »missing link« zwischen der christlichen Weltanschauung und der neuzeitlichen Naturwissenschaft, das den Weg zur Überwindung des Schismas zwischen Wissenschaft und Religion öffnet. Ich habe das an anderer Stelle ausführlich dargestellt und nachgewiesen. 29 Es ist also wirklich und wahr: Der absolute immaterielle Raum, die absolute immaterielle Zeit, und die absolute, wahre und wirkliche Bewegung sowie ihre schöpferische, nichtkörperliche Ursache namens »Kraft« sind – gegen Kant – keine bloßen Gedankendinge oder Begriffe. Galilei hatte Recht: Eppur’ si muove; die Erde bewegt sich wirklich. Sie bewegt sich relativ zu dem realen ruhenden, unbegrenzten Raum und der unendlichen absoluten Zeit, deren proportionales, harmonisches Zusammenspiel als Maß- und Bezugssystem der Bewegung er als Erster erkannte, wie seine oben wiedergegebene graphische Darstellung der Maßstäbe des Raumes und der Zeit beweist. Man kann dieses System mit dem Sprachgebrauch der heutigen Physiker »Raumzeit« nennen, philosophisch »den Kosmos«, theologisch aber die göttliche Schöpfung: Sicher ist seine erkannte Wirklichkeit und Wahrheit, einschließlich der Wahrheit und Wirklichkeit der nicht-materiellen »Kräfte der Natur«, die in Wechselwirkung mit der allen materiellen Körpern innewohnenden nichtmateriellen, passiven Trägheitskraft die materiellen Bewegungen hervorbringen und tragen. Die von Galilei und Newton bewiesene Realität des Kosmos in dieser seiner eindeutigen Verfassung, 29

Siehe die Zusammenstellung auf meiner Internetseite www.neuto nus-reformatus.com.



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LIII

d. h. die »Natur«, ist die Quelle aller wahren Erkenntnis und der Wirklichkeit des Schöpfers, welcher sich, wie Paulus schrieb, durch seine »Werke«, d. h. in der geordneten Schöpfung beweist (Röm. I, 20) – analog wie aus jeder materiellen Wirkung auf ihre nicht-materielle erzeugende Ursache geschlossen werden kann. Jetzt kann man endlich das aktive Prinzip der willentlich-kausalen »Schöpfung« wissenschaftlich – und das heißt mathematisch – als unverzichtbares, freiheitliches Element der wahren, indeterministischen Naturlehre erkennen und zugleich vernünftig an den Schöpfer glauben, weil man nun weiß, dass es ebenso wie die Wahrheit der Schöpfung auch ihn, der selbst die Wahrheit ist, wirklich gibt: CREDO QUIA VERITAS . 30

III.  Bibliographische Anmerkung Galileo Galilei trat als Schriftsteller erstmals (er war bereits 46 Jahre alt) mit dem Büchlein Sidereus Nuncius (Venedig 1610) an die Öffentlichkeit (deutsch 1965 Frankfurt a. M.: Nachricht von neuen Sternen, herausgegeben und eingeleitet von Hans Blumenberg). Es handelt sich um einen ersten Bericht über die astro­nomischen Entdeckungen Galileis mit dem Fernrohr. Dem folgte die Schrift über die Sonnenflecken »Istoria e Dimostra­ zioni intorno alle Macchie Solari e loro accidenti« (Rom 1613) in Form dreier Briefe an Marcus Welser. Mit dieser Publikation zog sich Galilei den kirchlichen Verdacht der Häresie zu, gestützt auf missverständliche Äußerungen Galileis zur Frage des »Mittelpunkts der Welt«, den nach kirchlicher Lehre die Erde einnahm. Am 3. März 1616 erging deshalb durch Kardinal Bellarmin, Haupt der Gegenreformation und Leiter der Päpstlichen 30 »Ich

glaube, weil es die Wahrheit ist.« Die natürliche Wahrheits­ fähigkeit des Menschen, die Galilei bewiesen hat, ist auch die Voraussetzung und Grundlage aller wahren religiösen Erkenntnis. Vgl. dazu die Enzyklika »Fides et ratio« Papst Johannes Pauls II. aus dem Jahr 1999 und Joseph Ratzinger, Glaube und Vernunft (Die Regensburger Vorlesung), Freiburg i. Br., 2006.

LIV

Einleitung

Inquisition, an Galilei die ernste Ermahnung, die (angebliche) copernicanische Lehre vom Ruhen der Sonne im Mittelpunkt und, daraus folgend, von der Bewegung der Erde um die Sonne nicht als Wahrheit zu lehren, sondern allenfalls »als Hypothese« zu vertreten (gemäß der scholastischen Wissenschaftsdoktrin, wonach »die Wahrheit« ausschließlich aus den Glaubensquellen – Bibel und Tradition – zu schöpfen sei, während die Wissenschaft wegen ihrer Beschränkung auf die logische – hypothetisch-­ deduktive – Methode generell nur Möglichkeiten, d. h. Hypo­ thesen, erörtern könne und dürfe). Galilei, der in Wahrheit die inkriminierte Behauptung von »Ruhen der Sonne« ebenso wenig vertreten hatte wie Copernicus selbst, fügte sich und schwieg. Acht Jahre später – gerade war Kardinal Barberini, ein Freund und Förderer Galileis, als Urban VIII. Papst geworden – erschien wieder ein Werk, das Buch »Il Saggiatore« (Die Goldwaage), Rom 1623, gewidmet dem neuen Papst. Das Buch enthält u. a. die berühmte Passage über das »Buch der Natur«, das in mathematischen, d. h. geometrischen Buchstaben geschrieben sei, ohne deren Kenntnis man gar nichts von der Natur verstehen könne. 1632 folgte der »Dialogo di Galileo Galilei Linceo, Matematico sopraordinario dello Studio di Pisa, e Filosofo, e Matematico primario del Serenissimo Gr. Duca di Toscana, dove ne i congressi di quattro giornate si discorre sopra i due Massimi Systemi del Mondo Tolemaico, e Copernicano, Proponendo indeterminatamente le ragioni Filosofiche, e Naturali tanto per l’una, quanto per l’altra parte.« Dieses Buch, allgemein als »Dialogo« bekannt, löste den Inquisitionsprozess aus, der 1633 mit der Verurteilung Galileis zu Widerruf, Buße und lebenslänglichem Arrest endete. Der Dialogo erschien in deutscher Übersetzung (Emil Strauß) erstmals 1891 in Leipzig (neuester Nachdruck Wiesbaden 2014). Die erste Ausgabe der Discorsi (Leiden 1638) war zugleich die letzte Veröffentlichung Galileis; er starb am 8. Januar 1642. In Florenz 1674 erschien eine zweite italienische Auflage mit dem zusätzlichen »Fünften Tag«. In der nächsten Ausgabe, Florenz 1718 (im Rahmen der »Opere«), wurde der »Sechste Tag« hinzugefügt. Die repräsentative italienische Gesamtausgabe der



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LV

Werke Galileis schuf der Mathematiker und Wissenschaftshistoriker Antonio Favaro (Le Opere di Galileo Galilei, Edizione Nazionale, Firenze 1890 – 1909). Eine neuere Ausgabe von »Galileo Galilei Opere« (Milano/Napoli 1952) enthält von den Discorsi nur einige ausgewählte Teile. Weitere italienische Ausgaben der Discorsi: Torino 1990 (vier Tage, mit Anhang); Verona 2011 (sechs Tage, mit Anhang). Eine erste deutsche Discorsi-Übersetzung publizierte Arthur von Oettingen (Leipzig 1890 – 1904, sechs Tage mit Anhang). Dieser Text wurde mehrfach unverändert nachgedruckt, so in einer Ausgabe Darmstadt 1973 (»Galileo Galilei Unterredungen und mathematische Demonstrationen über zwei neue Wissenszweige, die Mechanik und die Fallgesetze betreffend, Erster bis Sechster Tag«, mit Anhang), und in Stephen Hawkings »Klassiker der Physik« (Hamburg 2004, vier Tage, ohne Anhang). Stillman Drake veröffentlichte unter dem Titel »Two New Sciences« eine amerikanische Ausgabe (Toronto 1974, sechs Tage, mit Anhang). Die vorliegende neue Übersetzung orientiert sich wie die vorbild­ liche Ausgabe Torino 1990 an dem teils in italienischer Sprache, teils in Latein verfassten Originaltext von 1638 mit Korrekturen Galileis nach Maßgabe des Kodex Banco rari, a. 5, p. 2, n. 13 der Biblioteca Nazionale di Firenze.

GALILEO GALILEI

DISCORSI

Unterredungen und mathematische Beweisführungen zu zwei neuen Wissensgebieten betreffend die mechanische Festigkeit und die örtliche Bewegung im Raum Mit einem Anhang über das gemeinsame Schwerezentrum mehrerer Körper

DEM DURCHLAUCHTIGSTEN HERR N,

DEM HERRN UND FÜRSTEN VON NOAILLES R ATGEBER SEINER ALLERCHRISTLICHSTEN MAJESTÄT, ­ RITTER DES ORDENS VOM HEILIGEN GEIST, ­ FELDMARSCHALL UND HEERFÜHRER, SENESCHALL UND HERRSCHER VON ROERGA UND STATTHALTER SEINER MAJESTÄT IN OVERGNA, MEINEM HERR N UND HOCHVEREHRTEN GEBIETER.

Durchlauchtigster Herr, ich erkenne es als Zeichen der Großmut Eurer Durchlaucht, dass es Euch gefallen hat, über dies mein Werk zu verfügen, obwohl ich (wie Ihr wisst), verwirrt und bestürzt über das unglückliche Schicksal anderer meiner Werke, für mich selbst beschlossen hatte, niemals mehr irgendwelche meiner Bemühungen zu veröffentlichen. Nur damit nicht alles davon begraben sei, habe ich mich dazu durchgerungen, eine Kopie dieses Manuskripts wenigstens für die besten Kenner der Gegenstände, die ich behandelt habe, an sicherem Ort zu verwahren, und habe mich dazu für den vor allen anderen in Betracht kommenden und ausgezeichnetsten Ort entschieden und sie in die Hand Eurer Durchlaucht gegeben, in dem sicheren Bewusstsein, dass Euch dank Eurer besonderen Zuneigung zu mir die Bewahrung meiner Forschungsergebnisse und meiner Bemühungen am Herzen liegen werde; und so habe ich auf Eurer Durchreise, bei Eurer Rückkehr aus Eurer Botschaft zu Rom, als ich Euch meine Reverenz persönlich erweisen durfte, wie ich es mehrmals schon brieflich getan habe, Eurer Durchlaucht bei dieser Begegnung die Abschrift dieser beiden Werke, die ich damals fertig gestellt

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Widmungsschreiben

hatte, überreicht, die, wie sich zeigte, gütigst entgegengenommen wurden, um sie sogleich sicher zu verwahren und sie in Frankreich einem in diesen Wissenschaften erfahrenen Freund zur Kenntnis zu geben, damit man wisse, dass ich, wenn ich auch schweige, dennoch nicht mein Leben in gänzlichem Müßiggang verbringe. Als ich später daranging, weitere Kopien nach Deutschland, Flandern, England, Spanien, und vielleicht auch an einen gewissen Ort in Italien zu verschicken, wurde mir völlig überraschend vom Verlag Elsevir mitgeteilt, dass sie diese meine Arbeiten bereits in der Presse hätten und ich deshalb über die Widmung entscheiden und meinen Vorschlag hierfür unverzüglich dorthin übermitteln solle. Bewegt von dieser nicht vorhergesehenen und unerwarteten Nachricht bin ich selbst zu dem Schluss gekommen, dass der Wunsch Eurer Durchlaucht, meinen Namen wieder aufzurichten und meine Schriften zu verbreiten, dafür gesorgt hat, dass sie in die Hände jener Verleger gelangt sind, welche, da sie schon andere meiner Werke veröffentlicht haben, mich ehren wollen, indem sie diese unter ihrer hervorragenden und kunstvollsten Presse ans Licht bringen. Auf solche Weise also geschieht es, dass meine Schriften nicht in Vergessenheit geraten; sie haben das Glück gehabt, vor dem Urteil eines so weisen klugen Richters zu bestehen, welcher, weit hinaus über das außerordentlich glückliche Zusammentreffen so vieler Tugenden, deretwegen Eure Durchlaucht von allen bewundert wird, mit unvergleichlicher Großmut auch im Dienst des allgemeinen Wohls, dem zu nützen man diese meine Werke für würdig hält, beschlossen hat, ihren Verschluss und den über sie verhängten schmachvollen Bann aufzuheben. Da nun die Dinge so liegen, gebührt sich, dass ich in jeder gebotenen Weise mich für die Erfahrung des Wohlwollens Eurer Durchlaucht dankbar zeige, die Ihr es zu Eurer Herzensangelegenheit gemacht habt, meinen Ruf zu mehren, indem Ihr diese Werke ihre Flügel frei unter dem offenen Himmel entfalten lasst, während mir doch alles dafür zu sprechen schien, dass sie auf engstem Raum weggesperrt bleiben würden. Um all dessentwillen schickt es sich sehr, dass ich Eurem Namen, Durchlauchtigster Herr, diese Frucht



Widmungsschreiben

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meines Geistes widme und weihe. Dazu drängt mich nicht nur die Summe meiner Verbindlichkeiten Euch gegenüber, sondern auch das Interesse, Eure Durchlaucht für die Verteidigung meines Rufes gegen alle, die ihn beschädigen wollen, in die Pflicht zu nehmen (wenn ich so sagen darf), alldieweil Ihr mich nun zu meinen Gegnern in den Ring gestellt habt. Damit, indem ich mich unter Eure Fahne und Euren Schutz begebe, verbeuge ich mich untertänigst, und wünsche Euch als Gegengabe für diese Eure Gnadenerweise den Gipfel allen Glücks und aller Größe. In Arcetri, den 6. März 1638. Eurer Durchlaucht ergebenster Diener Galileo Galilei

DER VERLEGER AN DIE LESER

Das bürgerliche Leben beruht auf der gegen- und wechselseitigen Hilfe, welche die Menschen einander leisten, und weil dazu in erster Linie die Anwendung der Künste und Wissenschaften dient, so wurden die Erfinder auf diesen Gebieten immer sehr geachtet und in der weisen Antike hoch verehrt. Und je hervorragender oder nützlicher jede neue Erfindung sich zeigte, desto größeres Lob und Ehre wurde den Erfindern zuteil, bis hin zu ihrer Vergötterung (da ja die Menschen in allgemeiner Übereinstimmung durch ein solches Zeichen höchster Verehrung die Erinnerung an die Urheber ihres Wohlstands zu verewigen suchen). Gleichfalls verdienen diejenigen, welche durch die Schärfe ihres Verstandes die bereits erkannten Dinge weiter verbessert haben, indem sie die Fehler und Irrtümer vieler Gelehrter und etlicher Lehrsätze aufdeckten, welche namhafte Geister so verbreitet hatten, dass sie durch viele Jahrhunderte für wahr gehalten wurden, hohes Lob und Bewunderung; und zwar in Anbetracht dessen, dass das Lob, welches solche Entdeckungen verdienen, den Entdeckern auch dann gebührt, wenn sie nur das Falsche beseitigt haben, ohne die Wahrheit an seine Stelle zu setzen, die ja so überaus schwer zu finden ist, gemäß dem bekannten Satz der Redner: Oh dass ich doch ebenso leicht die Wahrheit finden könnte, wie ich vom Falschen überzeugen kann. Und in der Tat gebührt dieses Lob den uns vorausgegangenen Jahrhunderten, in denen die wieder entdeckten Künste und Wissenschaften der Antike durch die Leistungen äußerst scharfsinniger Geister nach vielen Prüfungen und Erfahrungen mit großer Genauigkeit unter fortschreitender Verbesserung wiederhergestellt wurden. Das sieht man insbesondere in den mathematischen [exakten] Wissenschaften, in denen (neben anderen, die sich damit zu ihrem großen Verdienst erfolgreich beschäftigt haben) unserem Herrn Galileo Galilei, Mitglied der Akademie der Luchse, unbestritten und unter dem Beifall und mit allgemeiner Anerkennung der

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Der Verleger a n die Leser

Experten verdientermaßen der höchste Rang zukommt, sei es, weil er die Widersprüchlichkeit vieler Sätze im Hinblick auf verschiedene Schlussfolgerungen durch zwingende Beweisführungen aufzeigt (wie sie in seinen schon publizierten Werken vielfach zu finden sind), sei es auch, weil er mit Hilfe des Teleskops (das aus unseren Landen kam, von ihm aber außerordentlich verbessert wurde) die Existenz der vier Satelliten des Jupiter, den wahren und sicheren Nachweis der Milchstraße, der Sonnenflecken, der Rauhigkeit und teilweisen Gebirgigkeit des Mondes, die dreifache Erscheinung des Saturn, die Sichel der Venus, die Eigenschaften und das Verhalten der Kometen entdeckte und als Erster zeigte, was alles weder die Astronomen, noch die Philosophen der Antike kannten, so dass man sagen kann, durch ihn ist die Astronomie vor der Welt in ein neues Licht gesetzt und erneuert worden, deren hoher Rang (in welchem sich sowohl in den Himmeln selbst, als auch in den Himmelskörpern mit noch größerer Offensichtlichkeit und Bewunderungswürdigkeit als in allen anderen seinen Schöpfungen die Macht, die Weisheit und die Güte des höchsten Schöpfers widerspiegelt) die Größe des Verdienstes desjenigen zeigt, der all dies aufgedeckt und bekannt gemacht hat, indem er diese Körper ungeachtet ihrer großen, fast unendlichen Entfernungen von uns deutlich sichtbar gemacht hat, gemäß dem bekannten Satz, dass die Anschauung an einem einzigen Tag weit mehr und mit größerer Gewissheit leistet als alle Theorie, wie viele tausend Mal sie auch wiederholt werden mag, und mehr als die intuitive Erkenntnis, die nichts ist als willkürliche Festlegung (wie es ein anderer gesagt hat). Aber noch viel mehr zeigt sich die ihm von Gott und der Natur erwiesene Gnade (wenn auch als Frucht vieler Mühen und nächtlichen Wachens) im vorliegenden Werk, in dem man findet, wie Galilei der Entdecker zweier vollkommen neuer Wissensgebiete ist, deren Prinzipien und Grundlagen er methodisch schlussfolgernd, und das heißt geometrisch, beweist. Eines dieser beiden Gebiete, die das vorliegende Werk besonders großartig machen, betrifft ein uraltes Thema, das wichtigste überhaupt in der Natur, über das alle großen Philosophen nachgedacht haben, und worüber



Der Verleger a n die Leser

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unendlich viele Folianten geschrieben worden sind. Die Rede ist von der örtlichen Bewegung, die unendlich viele bewundernswerte Vorgänge bestimmt, wovon nichts von niemandem bisher erkannt, geschweige denn bewiesen wurde; die andere Wissenschaft, deren Grundlagen ebenfalls bewiesen werden, betrifft den Widerstand, den feste Körper ihrer gewaltsamen Zerteilung entgegensetzen, eine überaus nützliches neues Wissen, vor allem für die mechanischen Wissenschaften und Künste, und wiederum mit einer Fülle von Beispielen und Lehrsätzen, die bisher nicht bekannt waren. Zu diesen beiden neuen Wissensgebieten voll mit Lehrsätzen, welche erfindungsreiche Köpfe im Laufe der Zeit immer weiter verbessern werden, eröffnet dieses Buch den ersten Zugang, und die nicht geringe Anzahl bewiesener Lehrsätze zeigt den Weg und den Übergang zu einer Vielzahl anderer, so dass verständige Leute sie sehr leicht begreifen und anerkennen werden.

VER ZEICHNIS *

DER WICHTIGSTEN THEMEN, DIE IN DIESEM WERK BEHANDELT WERDEN I

Erste neue Wissenschaft, betreffend den Widerstand fester Körper gegen ihre Zerteilung. Erster Tag II

Was die Ursache dieses Zusammenhaftens sein kann. Zweiter Tag III

Zweite neue Wissenschaft, über die örtlichen Bewegungen. Dritter Tag. Und zwar über die gleichförmigen [Bewegungen]. Über die von Natur aus beschleunigten IV

Über die gewaltsamen [Bewegungen], oder besser über die Wurfbewegungen. Vierter Tag V

Anhang mit einigen Lehrsätzen und Beweisführungen ­betreffend das Schwerezentrum mehrerer Körper

*  Das

»Verzeichnis« wurde nicht von Galilei, sondern vom Verlag Elsevir erstellt (Anm. d. Hg.)

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GESPR äCHSTEILNEHMER Salviati, Sagredo und Simplicio (1) Salv.  Ein weites Feld zum Philosophieren bietet forschenden Geistern der häufige Besuch Ihres berühmten Arsenals, meine Herren Venezianer, und zwar besonders jener Betriebs­ teile, in denen es um die Mechanik geht; dies deshalb, weil dort jede Art von Werkzeugen und Maschinen von einer Anzahl großer Könner in ständiger Aktion betrieben wird, unter denen, ob sie nun Beobachtungen bei ihren Vorgängern gemacht haben, oder ob sie mit aller Sorgfalt vorgehend durch eigenes Tun sich weiterbilden, man sicherlich einige findet, die wirklich Bescheid wissen und die genauesten Erläuterungen geben können. (2) Sagr.  Sie haben vollkommen recht; und ich, neugierig von Natur aus, besuche diesen Ort häufig und beobachte die Tätigkeit derer, die wir aufgrund gewisser Vorzüge, welche sie vor der übrigen Belegschaft haben, Vorarbeiter nennen. Deren Erklärungen haben mir mehrfach bei der Suche nach der Ursache bestimmter Wirkungen geholfen, die nicht nur überaus wundersam, sondern auch unverstanden waren und eigentlich überhaupt nicht einzusehen sind. Tatsächlich hat mich das manches Mal verwirrt und daran zweifeln lassen, dass ich verstehen könnte, wie Dinge möglich sind, die mir, weitab von all meinen Vorstellungen, als wahr vor Augen geführt wurden. Trotzdem ist aber das, was kürzlich ein guter Alter hier vortrug, eine bloße Behauptung und ein Gemeinplatz. Und weil ich das für völlig hohles Geschwätz halte, wie vieles andere Gerede der Ungebildeten auch, nehme ich an, dass dergleichen nur vorgebracht wird, um vorzugeben, dass man über etwas Bescheid wisse, wovon man keine Ahnung hat. (3) Salv.  Sie wollen mit Ihrer letzten Bemerkung vielleicht auf jenen Satz zurückkommen, den er Ihnen vortrug, als wir herauszufinden versuchten, was die Ursache dessen ist, dass man, um eine große Galeasse [schwere Galeere; Kriegsgaleere] vom Stapel zu lassen, ein entsprechend größeres Gerüst, Gerätschaf-

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ten und andere Hilfen und Vorkehrungen benötigt als für ein kleineres Schiff; wozu jener meinte, das geschehe, um der Gefahr des Zusammenstürzens wegen des gewaltigen Gewichts der großen Masse zu begegnen, wie das bei den kleineren Holzschiffen nicht so der Fall ist? (4) Sagr.  Das habe ich gemeint, und besonders das, was er dieser Behauptung zuletzt hinzufügte, und was alles ich stets als mangelhafte landläufige Vorstellung beurteilt habe, dass man nämlich bei solchen und anderen Maschinen nicht vom Kleineren auf das Größere schließen könne, denn manche maschinelle Erfindung gelinge im Kleinen, die im großen Maßstab nicht durchzuführen sei. Weil aber alle mechanischen Ursachen ihre Grundlage in der Geometrie haben, wo es nicht auf die Größe oder die Kleinheit der Kreise, der Dreiecke, der Zylinder, der Konoiden und bestimmter anderer Gebilde ankommt, so dass diese solchen und jene anderen Bedingungen gehorchen würden, vielmehr die große Maschine in allen ihren Teilen im selben Verhältnis gebaut ist wie die kleinere, die stabil ist und allen Anforderungen genügt, die an sie gestellt werden, so ist nicht einzusehen, weshalb nicht auch jene allem Unheil und zerstörerischen Zwischenfällen, die eintreten können, standhalten sollte. (5) Salv.  Die allgemeinen Vorstellungen hierzu sind völlig falsch, und zwar dermaßen, dass man ihr Gegenteil für die Wahrheit nehmen kann. Es ist nämlich so, dass man viele Maschinen weit besser in großem als in kleinem Maßstab baut, wie zum Beispiel ein Uhrwerk, welches die Stunden anzeigt und schlägt, weit genauer in einer gewissen Größe hergestellt wird als in kleinerem Maßstab. Mit etwas besseren Gründen behaupten über diese Sache andere, die etwas klüger sind, und die sich nicht allein auf reine abstrakte geometrische Beweisführungen stützen, dass die beschränkte Funktionsfähigkeit solcher großer Maschinen ursächlich von Unvollkommenheiten der Materie abhinge, die in vielfacher Weise veränderlich und unvollkommen sei. Aber ich weiß nun nicht, ob ich, ohne irgendwie in einen anmaßenden Ton zu verfallen, sagen darf, dass auch der Rückgriff auf Unvollkommenheiten der Materie, der die klarsten mathematischen Beweise



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verderben kann, nicht hinreicht, um die konkreten Abweichungen der Leistungsfähigkeit von Maschinen vom abstrakten und im Idealfall möglichen Maß zu erklären. Genau das aber sage ich, indem ich erkläre, wobei ich alle Unzulänglichkeiten der Materie ausschließe und diese als absolut perfekt und unveränderlich und unfähig zu irgendeiner zufälligen Veränderung annehme, dass, wenn alles das so ist, die alleinige materielle Existenz dazu führt, dass die größere Maschine, die aus derselben Materie und in denselben Proportionen wie die kleinere gebaut ist, in jeder Hinsicht völlig symmetrisch zu der kleineren ist, ausgenommen hinsichtlich ihrer Robustheit und Widerstandsfähigkeit gegen gewaltsame Einwirkungen von außen; und je größer sie ist, umso verhältnismäßig schwächer wird sie in dieser Hinsicht sein. Und weil ich annehme, dass die Materie unveränderlich ist, dass sie also immer sich selbst gleich ist, deshalb steht fest, dass man da­r über immer und mit Notwendigkeit zuverlässige Beweise durchführen kann, die nicht weniger echt und sauber mathematisch sind als andere. Deshalb, Herr Sagredo, sollten Sie die Meinung aufgeben, die Sie und vielleicht auch viele andere vertreten, welche die Mechanik studiert haben, dass die Maschinen und die aus demselben Material gebauten Dinge bei genauer Beachtung der jeweiligen Proportionen ihrer Teile zueinander in gleicher Weise, oder besser gesagt, im selben Verhältnis dazu taugen, äußeren Einwirkungen und bewegenden Kräften zu widerstehen wie auch nachzugeben; denn man kann geometrisch beweisen, dass die größeren immer im selben Verhältnis, in dem sie größer als andere sind, geringere Widerstandsfähigkeit besitzen; so dass schließlich für alle Maschinen und künstlichen Konstruktionen wie auch für natürliche Objekte gilt, dass ihnen eine äußerste Grenze vorgeschrieben ist, die weder die Kunst, noch die Natur überschreiten kann – bei steter Beachtung derselben Verhältnisse und bei Identität der Materie. (6) Sagr.  Ich spüre bereits eine Verwandlung im Kopf, und wie der Blitz ganz unvorhergesehen die Wolken zerteilt, so tritt plötzlich ein ungewohntes Licht in meinen Sinn, das mich von weither erleuchtet und zugleich mit seltsamen und noch unver-

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dauten Vorstellungen verwirrt. Aus dem, was Sie sagen, scheint mir zu folgen, dass es unmöglich sein müsste, zwei einander ähnliche ungleiche Dinge aus demselben Material so herzustellen, dass sie im gleichen Verhältnis widerstandsfähig sind; und dass, wenn das so ist, es auch unmöglich sein wird, zwei einzelne, verschieden große Pflöcke aus demselben Holz zu finden, die einander an Stärke und Stabilität gleichkommen. (7) Salv.  So ist es, Herr Sagredo, und um noch deutlicher klarzumachen, dass wir demselben Gedanken folgen, sage ich, dass dann, wenn wir einen Holzpflock von bestimmter Länge und Dicke herstellen, den wir sozusagen rechtwinklig in eine Mauer hineinschlagen, also parallel zum Horizont, und ihn auf eine solche Länge kürzen, dass er sich gerade noch in dieser Stellung hält, so dass er, um Haaresbreite verlängert, unter der Last seines eigenen Gewichts zerbrechen müsste, dieser der einzig mögliche wäre. Beispielsweise würde auch dann, wenn er hundertmal länger als breit wäre, kein anderer Pflock [von anderer Länge] aus demselben Material zu finden sein, der, hundertmal länger als breit, ebenso wie jener exakt sich selbst noch halten könnte, aber kein bisschen mehr; sondern alle größeren werden zerbrechen, und alle kleineren werden ihr eigenes Gewicht und noch etwas mehr halten können. Und was ich von der Fähigkeit, sich selbst zu tragen, behaupte, das gilt ganz ebenso bei jeder anderen Konstruktion, und zwar so, dass eine Dachlatte wohl das Gewicht von zehn gleichen Dachlatten tragen könnte, ein ihr ähnlicher Querträger aber keineswegs das Gewicht von zehn anderen gleichen Querträgern. Bemerken Sie bitte, und auch unser Herr Simplicio, wie unsere wahren Schlussfolgerungen, obwohl sie beim ersten Eindruck unmöglich erscheinen, nach einiger näherer Erläuterung die verhüllenden Schleier entfernen und nackt und einfach solche Geheimnisse fröhlich offenbaren. Wer wüsste nicht, dass ein Pferd, das aus einer Höhe von drei oder vier Ellen herabfällt, die Beine brechen wird, während ein Hund, der aus derselben Höhe fällt, keinen Schaden nimmt, und eine Katze selbst beim Fall aus acht oder zehn Ellen Höhe nicht, geschweige denn eine Grille, die vom Turm, oder eine Ameise,



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die sich aus der Höhe der Mondbahn herabstürzte? Dass kleine Kinder sich nicht verletzen, wenn sie fallen, wo Erwachsene sich Hals und Beine brechen? Und ebenso wie kleinere Tiere, proportional gesehen, kräftiger und stärker sind als größere, so sind auch kleinere Pflanzen stabiler. Und ich glaube schon, Sie verstehen nun beide, dass eine zweihundert Ellen hohe Eiche ihre Äste nicht vergleichbar ebenso weit wie eine kleinere ausbreiten könnte, und dass die Natur kein Pferd in der Größe von zwanzig Pferden machen kann, oder einen Riesen zehnmal so hoch wie ein Mensch, es sei denn durch ein Wunder, oder durch entsprechende Abänderung der Proportionen der Glieder, speziell der Knochen, indem sie diese erheblich dicker machte, und weit außerhalb jeder Symmetrie mit üblichen Knochen. Ebenso ist der Glaube, dass große und kleine technische Geräte gleichermaßen möglich und in Übereinstimmung miteinander sind, ein handgreiflicher Irrtum: Man kann nämlich zum Beispiel kleine Turmspitzen, Säulchen und andere starre Gebilde sicher handhaben, legen und aufrichten, ohne dass die Gefahr besteht, sie könnten zerbrechen, während sehr große bei jedem ernsten Zwischenfall in die Brüche gehen, und zwar aus keinem anderen Grund als wegen ihres eigenen Gewichts. Und an dieser Stelle muss ich Ihnen über einen Fall berichten, der denkwürdig ist wie alles, was entgegen der Erwartung geschieht, und dann besonders, wenn Maßnahmen, die ein spezielles Risiko vermeiden sollen, selbst das größte Chaos verursachen. Eine besonders große Marmorsäule lag an beiden Enden auf zwei Trägern auf. Nach einer Weile verfiel ein Mechaniker auf den Gedanken, die Säule, damit das schwere Ding nicht in der Mitte auseinanderbricht, an dieser Stelle mit einer ähnlichen dritten Stütze abzusichern. Das fanden alle sehr gut, aber der Ausgang der Sache bewies das ganze Gegenteil. Denn nach wenigen Monaten war die Säule gerissen und zerbrochen, und zwar genau über der neuen mittleren Stütze. (8) Simp.  In der Tat ein sehr verwunderlicher Fall, und sicherlich praeter spem [entgegen der Erwartung], als man beschlossen hatte, dort diese zusätzliche mittlere Stütze anzubringen.

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(9) Salv.  So war es sicherlich, aber als die Ursache dieser Wirkung erkannt war, war es kein Wunder mehr: denn, da nun die beiden Stücke der Säule auf ebener Erde lagen, sah man, dass eine Stütze, auf der ein Ende der Säule aufgelegen hatte, mit der Zeit faulig geworden war und sich gesenkt hatte. Die mittlere aber war einwandfrei, und so bewirkte sie, dass das eine Säulenende in der Luft schwebte, da die äußere Stütze fehlte. So konnte durch das eigene Übergewicht der Säule etwas passieren, das nicht passiert wäre, wenn da nur die beiden äußeren Stützen gewesen wären. Denn mit der Stütze hätte sich in diesem Fall auch das Säulenende gesenkt. Und ohne jeden Zweifel hätte das mit einer kleinen Säule nicht passieren können, wohlgemerkt bei demselben Material, und bei einem Verhältnis von deren Länge zu ihrer Dicke, welches demjenigen aus Dicke und Länge der großen Säule entspricht. (10) Sagr.  Ich bin schon völlig von der Wahrheit dieser Wirkung überzeugt, kann aber deren Ursache noch nicht erkennen, nämlich, weshalb sich bei einer Vermehrung der Materie nicht auch deren Widerstand und Stärke im selben Verhältnis vervielfachen sollte; und ich bin mir dessen umso weniger sicher, als ich ganz im Gegenteil in anderen Fällen eine Zunahme der Stärke und des Widerstands gegen Zerstörung beobachte, ohne dass die Materie vermehrt wird. Vergleichen wir etwa zwei Nägel in einer Mauer, deren einer doppelt so stark ist wie der andere, so wird dieser im Verhältnis zu dem Ersteren nicht nur das Doppelte des Gewichts tragen, sondern das Dreifache und Vierfache davon. (11) Salv.  Sagen Sie ruhig: das Achtfache, so werden Sie der Wahrheit nahe kommen; aber diese Wirkung widerspricht der vorherigen keineswegs, auch wenn der Schein dagegen ist. (12) Sagr.  Also dann, Herr Salviati, umschiffen Sie diese Klippen und erklären Sie uns diese Merkwürdigkeit, wenn Sie können, denn ich denke schon, dass dieses Widerstandsproblem ein weites Feld für gute und nützliche Überlegungen bietet. Und wenn Sie bereit sind, es zum Gegenstand unserer heutigen Überlegungen zu machen, so bin ich Ihnen sehr dankbar, und Herr Simplicio gewiss auch.



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(13) Salv.  Gerne tue ich Ihnen diesen Gefallen, soweit meine Erinnerung an die Lehre unseres Akademikers reicht, der über diese Dinge schon viel nachgedacht und alles wie immer geome­ trisch bewiesen hat, und zwar so, dass man mit gutem Grund von einer gänzlich neuen Wissenschaft sprechen kann. Wohl sind einige Schlussfolgerungen schon von anderen beobachtet worden, zuerst von Aristoteles, aber sie reichen nicht an diese heran, und sie sind auch nicht (was noch wichtiger ist) aus ihren ersten und unbezweifelbaren Grundlagen durch zwingende Beweisführungen hergeleitet. Und weil ich Sie, wie gesagt, davon durch Beweisführung überzeugen möchte, anstatt Sie lediglich mit plausi­blem Geschwätz zu bedienen, so mag es unter der Voraussetzung, dass Sie von den mechanischen Prinzipien, die andere auf sicherer Grundlage aufgestellt haben, so viel wissen, wie für unsere Zwecke notwendig ist, richtig erscheinen, dass wir darüber nachdenken, welche Wirkung sich da einstellt, wo ein Stück Holz oder ein anderer fester Körper zerbricht, dessen Teile fest miteinander verbunden sind; denn auf dieser ersten Kenntnis beruht das erste und einfachste Prinzip, das ich als vollständig bekannt voraussetzen muss. Zur besseren Erklärung denken wir uns einen Zylinder oder ein Prisma AB aus Holz oder einem anderen festen Material, befestigt oberhalb von A und senkrecht herabhängend, an dessen anderem Ende B das Gewicht C befestigt ist. Offensichtlich können die Zähigkeit und der Zusammenhalt der Teile dieses Körpers, wie groß sie auch immer sind (sie wären denn unendlich groß), durch die Einwirkung des daran hängenden Gewichtes C überwunden werden, dessen Schwere wir beliebig vergrößern können, bis schließlich dieser feste Körper wie ein Strick zerreißt. Aber ebenso, wie wir bei einem Strick annehmen, dass seine Reißfestigkeit von der Anzahl der Hanffäden abhängt, aus denen er zusammengesetzt ist, so sind es beim Holz dessen Fibern und Längsfasern, welche ihm eine sehr viel größere Reißfestigkeit verleihen,

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als irgendein Hanfseil gleicher Stärke sie hätte. Bei einem Zylinder aus Stein oder Metall aber hängt der noch größere Zusammenhalt der einzelnen Teile von einem anderen Bindemittel als Fasern und Fibern ab; und doch zerreißen auch sie, wenn nur der Zug daran hinreichend groß ist. (14) Simp.  Wenn sich das so verhält, wie Sie sagen, kann ich gut verstehen, dass die Fasern des Holzes, die so lang sind wie dieses selbst, ihm die Fähigkeit verleihen, einer Einwirkung zu widerstehen, die es zerbrechen soll. Aber wie kann ein Hanfseil, zusammengesetzt aus Fäden, die nicht länger sind als zwei oder drei Ellen, an die einhundert Ellen lang sein und doch derart stabil? Außerdem würde ich gerne Ihre Meinung zum Zusammenhalt von Metallen, Steinen oder anderem Material hören, das keine Fasern aufweist, und das doch noch weitaus stabiler ist, wenn ich mich nicht irre. (15) Salv.  Wir sollten vielleicht auf weiterführende Betrachtungen, die nicht unbedingt zu unserem Thema gehören, erst eingehen, wenn wir die Lösung der dargestellten Probleme gefunden haben. (16) Sagr.  Wenn aber solche Abschweifungen uns der Einsicht in neue Wahrheiten näher bringen können, was sollte uns, die wir keine logisch zwingende und strenge Methode befolgen müssen, sondern unsere Zusammenkünfte zum eigenen Vergnügen veranstalten, davon abhalten, jetzt abzuschweifen, damit wir nicht etwaige neue Aspekte aus den Augen verlieren, die sich vielleicht, wenn wir die Gelegenheit nicht nutzen, ein weiteres Mal nicht aufdrängen werden? Und wer weiß schon, ob wir nicht weit schönere Einsichten dabei gewinnen können als die Ergebnisse, nach denen wir zunächst gesucht haben? Ich bitte Sie deshalb, Herrn Simplicio doch entgegenzukommen, und auch mir, da ich nicht weniger neugierig bin und gerne wissen möchte, welche Bindemittel das sind, welche die Teile fester Körper so zäh zusammenhalten, dass sie wohl gar nicht voneinander gelöst werden können; das zu verstehen könnte auch erforderlich sein, damit man den zähen Zusammenhalt der Teile dieser Fäden versteht, aus denen manche festen Körper zusammengesetzt sind.



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(17) Salv.  Ich bin zu Ihren Diensten, wenn Sie es denn wünschen. Das erste Problem war, wie es sein kann, dass die einzelnen Fäden eines hundert Ellen langen Seils so fest zusammenhalten können (obwohl jeder einzelne von ihnen nicht mehr als zwei bis drei Ellen lang ist), dass man sie nur mit größter Anstrengung zerreißen kann. Alsdann sagen Sie mir, Herr Simplicio, könnten Sie das Ende einer einzelnen Hanfschnur so fest zwischen den Fingern halten, dass ich diese, am anderen Ende ziehend, eher zerreißen, als ihrer Hand entwinden würde? Sicherlich könnten Sie das. Wenn aber nun solche Hanfschnüre nicht nur an ihren Enden, sondern auf ihre ganze Länge von anderen, die sie umgeben, kraftvoll festgehalten werden, ist dann nicht klar, dass es sehr viel schwerer sein wird, sie von denen zu lösen, die sie zusammenhalten, als sie einzeln zu zerreißen? Wird nun ein Seil gesponnen, so werden zugleich mit dessen Verdrehung die einzelnen Fäden oder Schnüre gegenseitig derart zusammengedrückt, dass, wenn man danach heftig daran zieht, die einzelnen Fäden wohl in sich zerreißen, sich aber nicht voneinander trennen. Das sieht man daran, dass an der Bruchstelle sehr kurze Fäden zu finden sind, und nicht längere, die mindestens eine Elle lang sein müssten, wenn das Seil nicht wegen des Zerreißens der einzelnen Fäden, sondern deswegen zerrissen wäre, weil diese sich nur nach und nach voneinander gelöst hätten. (18) Sagr.  Um das zu bestätigen sei hinzugefügt, dass zuweilen ein Seil nicht deshalb zerreißt, weil es der Länge nach auseinander gerissen wird, sondern einfach nur, weil es zu sehr verdreht wird. Das bedeutet, denke ich, dass die einzelnen Fäden so stark zusammengedrückt sind, dass die drückenden den gedrückten nicht den geringsten Raum lassen, ihre Umwindungen so zu verlängern, dass sie das bei der Verdrehung verkürzte und folglich auch etwas dicker gewordene Seil weiter ganz umschließen würden. (19) Salv.  Sehr richtig; sehen Sie nun, wie eine Wahrheit die nächste nach sich zieht. Der Faden, den man zwischen zwei Fingern festhält, lässt sich, wie stark auch einer daran ziehen mag, nicht herausziehen, weil der doppelte Druck es verhindert; der

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obere Finger drückt gegen den unteren ebenso wie dieser gegen ihn. Und sicherlich würde, wenn man einen von diesen beiden Drücken isoliert wirken lassen könnte, die Hälfte des von beiden zusammen geleisteten Widerstands wirksam bleiben. Weil man aber nicht zum Beispiel den oberen Finger anheben kann, ohne dass man zugleich mit seinem auch den Druck des unteren Fingers wegnimmt, so braucht man einen anderen Kunstgriff, wenn man mit nur einseitigem Druck auskommen will. Dazu muss man etwas finden, wodurch der Faden sich selbst fest gegen den Finger oder gegen etwas anderes drückt, womit er Kontakt hat. Das erreicht man, indem man dafür sorgt, dass dieselbe Einwirkung, die an dem Faden zieht, um ihn von dem Kontaktkörper zu trennen, den Faden umso mehr an diesen Körper presst, je stärker sie daran zieht. Das lässt sich machen, indem man den Faden spiralförmig um den Kontaktkörper wickelt. Zum besseren Verständnis diene eine Zeichnung. AB und CD seien zwei zylindrische Körper, und zwischen ihnen liege der Faden EF, den ich der Deutlichkeit halber als ein Stückchen Schnur zeichne. Offenbar wird beim stärkeren Zusammendrücken das Schnurstück FE , wenn man am Ende F zieht, einen erheblichen Widerstand leisten, bevor es schließlich zwischen den beiden Körpern, die es einklemmen, hindurchrutscht. Nehmen wir aber den einen davon weg, so wird die Schnur, obwohl sie weiter an dem anderen haftet, dem Ziehen an F doch keinen Widerstand entgegensetzen, der ihr freies Rutschen hindern könnte. Wenn wir sie aber leicht am oberen Ende des Zylinders A festhalten und dann in einer Schraubenlinie AFLOTR um diesen herumwickeln, so wird die Schnur, wenn wir am Ende R ziehen, den Zylinder zusammenpressen. Je mehr Wicklungen es sind und je mehr wir ziehen, umso mehr wird die Schnur an den Zylinder gepresst. So lässt sich durch Vervielfältigung der Wicklungen eine immer größere



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und immer schwerer zu überwindende Anpressung erreichen, so dass die Schnur dem Ziehen immer weniger nachgeben und nicht abrutschen wird. Wer sähe nicht, dass dies den Widerstand der Fasern erklärt, die mit tausend und abertausend ähnlichen Umwicklungen zu einem starken Seil verflochten sind. Überdies erzeugt die Zusammenfassung in ähnlichen Windungen eine so große Zähigkeit, dass aus nicht besonders vielen und nicht sehr langen Binsen, die auch nur mit wenigen Windungen umeinander geflochten sind, äußerst leistungsfähige Taue gemacht werden können, die man wohl »suste« nennt. (20) Sagr.  Dank Ihrer Erläuterungen sind mir zwei Effekte nicht länger rätselhaft, deren Ursachen ich bisher nicht richtig verstanden hatte. Das eine ist die Beobachtung, dass zwei oder allenfalls drei Schläge eines Hanftaues um die Trommel einer Winde diese nicht nur anhalten können, sondern auch dann, wenn sie ein sehr großes Gewicht trägt, nicht abrutschen und nachgeben; vielmehr kann, wenn die Winde gedreht wird, diese Trommel allein wegen des Kontakts mit dem Tau, das sie umschlingt, mit mehreren Umdrehungen riesige Felsbrocken ziehen und heben, wobei der Arm eines schwachen Knaben ausreicht, um sie zu blockieren und das andere Ende des Taues festzuhalten. Das zweite ist ein einfaches, aber sinnreiches Werkzeug, das ein junger Mann aus meiner Verwandtschaft erfunden hat. Man kann sich damit aus einem Fenster herunterlassen, ohne sich die Hände dabei zu zerschinden, wie es ihm kurz zuvor aufs Schlimmste passiert war. Zum leichteren Verständnis will ich davon eine kleine Zeichnung machen. Um ein einfaches zylindrisches Stück Holz AB von der Dicke eines Spazierstocks und eine Spanne lang grub er einen kleinen spiralförmigen Kanal, der höchstens eineinhalb Mal herumreichte, und der so breit und tief war, dass das vorgesehene Seil gerade hineinpasste, vom Eintritt bei A bis zum Austritt bei B. Dann ummantelte er den Zylinder mit einer Röhre aus Holz oder auch aus Blech. Diese Röhre war der Länge nach gespalten, die

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Teile aber so miteinander verbunden, dass man sie leicht öffnen und schließen konnte. Nachdem er das Seil oben befestigt hatte, umfasste er die Röhre mit beiden Händen und drückte sie zusammen, so dass er nun an den Armen hing. Er konnte so einen solchen Druck zwischen dem Seil und der umgebenden Röhre erzeugen, dass er, ganz wie er wollte, durch Zusammenpressen der Hände entweder ohne abzugleiten hängen, oder, indem er den Druck etwas verringerte, sich nach Belieben abseilen konnte. (21) Salv.  Sicherlich eine geniale Erfindung; zur v­ ollständigen Erklärung ihrer Natur scheint mir aber doch noch eine andere Überlegung zu fehlen. Ich möchte mich aber jetzt nicht weiter mit dem obigen Spezialfall aufhalten, zumal Sie meine Über­ legungen betreffend den Zugwiderstand anderer Körper hören wollen, die nicht aus Fasern zusammengesetzt sind, wie das bei Seilen und bei den meisten Hölzern der Fall ist, so dass der Zusammenhalt ihrer Teile andere Ursachen haben muss, welche sich nach meinem Urteil auf zwei zurückführen lassen: Eine davon ist jener vielgerühmte Widerstand, den die Natur jedem Vakuum entgegensetzt; als zweite muss man (wenn der Widerstand gegen das Vakuum nicht hinreicht) irgendwelche zähen oder klebrigen Bindemittel annehmen, welche die kleinen Teilchen fest zusammenhalten, aus denen jene Körper bestehen. Zuerst spreche ich über das Vakuum, und ich zeige Ihnen anhand eindeutiger Erfahrungen die Art und das Maß seiner Wirkfähigkeit. Zunächst einmal sehen wir, dass zwei beliebige Platten aus Marmor, Metall oder Glas, die sorgfältig geglättet, poliert und plan sind, aufeinanderliegend ohne größere Schwierigkeit gegeneinander bewegt und verschoben werden können (ein klares Zeichen dafür, dass nicht irgendein Klebstoff sie verbindet). Will man sie aber parallel voneinander trennen, so zeigt sich ein derartiger Widerstand, dass die obere, wenn man sie hochhebt, die andere mitnimmt, und sie auch andauernd hält, selbst wenn sie groß und schwer ist. Hier erweist sich das Widerstreben der Natur gegen jeden leeren Raum, der da, wenn auch nur für ganz kurze Zeit, zwischen den beiden entstehen könnte, bevor die zuströmenden Teilchen der umgebenden Luft ihn einnehmen und ausfüllen. Man sieht auch,



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dass dann, wenn die beiden Platten nicht sorgfältig genug geglättet sind, so dass sie nicht überall präzise zusammenpassen, und man sie langsam von einander trennen will, keinerlei Widerstand auftritt, ausgenommen der aus der Schwere der Platten selbst. Zwar, wenn man die obere Platte schnell aufhebt, so folgt die untere zunächst mit, fällt aber sogleich zurück, denn sie folgt der oberen nur für die sehr kurze Zeit, welche für die Expansion der kleinen Menge Luft zwischen den nicht genau zusammenpassenden Platten und zur Ausfüllung [des entstehenden Zwischenraums] mit der umgebenden Luft benötigt wird. Ein Widerstand wie derjenige, welcher sich so deutlich fühlbar zwischen den beiden Platten zeigt, existiert sicherlich auch zwischen den Teilen eines festen Körpers und bestimmt ihren festen Zusammenhalt zumindest als wirkende Ursache mit. (22) Sagr.  Wenn ich hier kurz unterbrechen darf, so erlauben Sie mir bitte, dass ich eine besondere Überlegung vorbringe, die mir gerade in den Sinn kommt: Es handelt sich um die Beobachtung, dass die untere Platte der oberen folgt, wenn diese sehr schnell angehoben wird: Hierdurch wird – entgegen der Behauptung vieler Philosophen und vielleicht auch des Aristoteles selbst bestätigt, dass die Bewegung im Vakuum keineswegs instantan [zeitlos] stattfindet. Andernfalls nämlich müssten sich die beiden genannten Platten ohne jeden Widerstand voneinander trennen, weil nämlich ihre Trennung und die Ausfüllung des dazwischen entstehenden Vakuums mit der umgebenden Luft in ein und demselben Augenblick stattfinden würde. Daraus, dass die untere Platte der oberen folgt, ist zu schließen, dass die Bewegung im Vakuum nicht instantan sein kann; und außerdem folgt daraus, dass zwischen den beiden Platten in der Tat ein Vakuum existiert, wenn auch nur für sehr kurze Zeit, eben solange, bis dieses durch die aus der Umgebung einfließende Luft aufgefüllt ist. Denn wenn da kein Vakuum existieren würde, dann würde auch kein Zufluss aus der Umgebung, noch sonst eine derartige Bewegung stattfinden. Man kann also sagen, dass ein Vakuum dennoch einmal auftreten kann, wenn auch nur bei Gewalt­ anwendung oder entgegen der Natur (wenn ich auch meine, dass

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gegen die Natur gar nichts möglich ist, es sei denn das Unmögliche, was sich aber gerade deswegen niemals ereignet). Aber ich sehe nun eine andere Schwierigkeit, nämlich, dass, obwohl mir die Erfahrung die Richtigkeit meiner Schlussfolgerung bestätigt, mein Intellekt doch insofern nicht ganz zufriedengestellt ist, als es um die Ursache geht, auf die eine solche Wirkung zurückzuführen ist. Ich weiß doch, dass die Wirkung der Trennung der beiden Platten dem Vakuum vorausgeht, welches durch diese Trennung entstehen soll; weil ich aber denke, dass der Ursache die Wirkung, ob in der Zeit oder nicht, so doch wenigstens aufgrund ihrer Natur nachfolgen sollte, und dass einer tatsächlichen Wirkung auch eine tatsächliche Ursache entsprechen sollte, so verstehe ich nicht, wie man das Zusammenhängen der beiden Platten und ihren Widerstand gegen die Trennung – welches ja bereits existierende tatsächliche Wirkungen sind – ursächlich dem Vakuum zuschreiben kann, welches doch noch nicht existiert, sondern erst nachfolgend entstehen soll. Von nichts aber kommt auch nichts, wie ein ganz unbestrittenes Wort des Philosophen [Aristoteles] sagt. (23) Simp.  Wenn Sie aber dem Aristoteles dieses Axiom zugestehen, so werden Sie, denke ich, auch ein anderes nicht bestreiten, das überaus schön und wahr ist, dass nämlich die Natur nicht danach strebt, etwas gegen Widerstand herbeizuführen. Und von diesem Satz, so denke ich, hängt auch die Lösung unseres Problems ab. Weil also ein leerer Raum gar nicht von selbst entstehen kann, so verbietet die Natur alles, in dessen Folge zwangsläufig ein Vakuum entstehen müsste; und genau darum geht es bei der Trennung der beiden Platten. (24) Sagr.  Nun, wenn das, was Herr Simplicio vorbringt, meinen Einwand zutreffend erledigt, so folgt wohl für den Ausgangspunkt unseres Gesprächs, dass derselbe Widerstand gegen das Vakuum auch hinreichen sollte, um die Teile eines festen Körpers aus Stein oder Metall zusammenzuhalten, und ebenso andere etwa existierende Körper, die noch fester zusammenhalten und sich der Teilung widersetzen. Denn wenn eine Wirkung nur eine einzige Ursache hat, wie ich das immer so verstanden



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und geglaubt habe, oder dass, wenn es mehrere sind, sie sich auf eine zurückführen lassen, warum sollte dann das Vakuum, das da doch sicherlich entsteht, nicht für alle Widerstände ursächlich sein? (25) Salv.  Ich möchte jetzt nicht auf die Frage eingehen, ob das Vakuum ohne jedes andere, Widerstand leistende Mittel für sich allein hinreicht, um die teilbaren Teile fester Körper zusammenzuhalten; aber man kann durchaus sagen, dass das Vakuum, welches zwar die beiden Platten aktiv zusammenhält, als alleinige Ursache nicht genügt, um die Teile eines festen zylindrischen Körpers aus Marmor oder Metall zusammenzuhalten, welche, wenn sie mit großem Aufwand direkt auseinandergezogen werden, schließlich sich zerteilen und zerbrechen. Und wenn ich wüsste, wie man den eben schon verstandenen Widerstand, den das Vakuum leistet, von dem anderen, welcher es auch sein mag, unterscheiden kann, der hinzukommt, um den Zusammenhalt zu verstärken, und wenn ich Ihnen zeigen könnte, dass der Erstere allein für die Wirkung ganz und gar nicht hinreicht, würden Sie mir dann nicht zugeben, dass noch ein anderer Widerstand eingeführt werden muss? So helfen Sie ihm doch, Herr Simplicio, da er ja nicht recht weiß, was er antworten soll. (26) Simp.  Dass Herr Sagredo zögert, muss einen anderen Grund haben, da doch an dieser klaren und unausweichlichen Schlussfolgerung kein Zweifel sein kann. (27) Sagr.  Sie haben es erraten, Herr Simplicio. Ich dachte gerade darüber nach, ob neben der Million Spanischen Goldes jährlich, die für die Besoldung des Militärs nicht ausreicht, noch andere Mittel außer Kleingeld aufgebracht werden müssen, um die Soldaten zu bezahlen. Aber fahren Sie doch fort, Herr Salviati, und nehmen Sie ruhig an, dass ich Ihre Schlussfolgerung akzeptiere, sofern Sie zeigen, wie man die Wirkung des Vakuums von der anderen unterscheiden kann, und auch, dass ihr Maß für die Wirkung nicht genügt, um die es geht. (28) Salv.  So mag Ihr guter Geist Ihnen beistehen. Ich werde Ihnen zunächst zeigen, wie man die Wirkfähigkeit des Vakuums von der anderen unterscheiden kann, und dann zeige ich Ihnen,

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wie sie zu messen ist. Zwecks Unterscheidung nehmen wir irgendein homogenes Material, dessen Teile gegen die Zerteilung keinen anderen Widerstand leisten als den durch das Vakuum; so etwas ist das Wasser, wie unser Akademiker in einem bestimmten Aufsatz hinlänglich bewiesen hat. Wenn man nun über einen Zylinder Wassers verfügte, und wenn man einen Widerstand gegen seine Zerteilung spüren würde, sofern man daran ziehen könnte, so könnte man dafür wohl keine andere Ursache finden als eben das Vakuum. Um das durch die Erfahrung überprüfen zu können, habe ich mir eine Vorrichtung ausgedacht, die ich mit einer kleinen Zeichnung besser als mit dürren Worten erklären kann. CABD sei der Querschnitt eines zylindrischen Gefäßes aus Metall oder aus Glas, innen hohl und sehr sorgfältig gedreht, in dessen Öffnung ein hölzerner Zylinder sehr genau passt, dessen Querschnitt sei EGHF. Dieser Zylinder soll sich auf und ab bewegen können, und er soll in der Mitte durchbohrt sein, so dass ein Eisendraht hindurchgeht, der am Ende K gebogen ist. Das andere Ende soll konisch oder schraubenkopfförmig verdickt sein, und es soll die Durchbohrung des Holzes sich oben in wiederum konischer Form erweitern, so dass das konische Ende I des Eisendrahtes IK genau hineinpasst, wenn man bei K nach unten zieht. Das Holz, oder sagen wir: der Zapfen EH soll in die zylindrische Höhlung von AD so eingeführt werden, dass er nicht die obere Fläche dieses Zylinders berührt, sondern etwa zwei oder drei Fingerbreit darunter bleibt. Dieser Zwischenraum soll nun mit Wasser gefüllt sein, das man einfüllt, indem man das Gefäß mit der Öffnung CD nach oben hält und das Wasser auf den Zapfen EH gießt, während man den Konus I etwas von der Höhlung im Holz fern hält, so dass die Luft entweichen kann, die auf den Zapfen drücken würde, wenn sie nicht durch die Bohrung im Holz entweichen könnte, welche deshalb etwas weiter ist als der Durchmesser des Eisendrahtes IK. Ist die Luft



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entfernt und zieht man an dem Eisendraht so, dass sein konisches Ende das Holz vollständig verschließt, so dreht man das ganze Gefäß derart, dass seine Öffnung nach unten zeigt. Nun hängt man am Endhaken K ein Gefäß an, gefüllt mit Sand oder einem anderen schweren Material, und belädt es so weit, bis schließlich die obere Fläche des Zapfens sich von der unteren Fläche des Wassers trennt, mit der sie bis dahin nur durch den Widerstand des Vakuums in Kontakt war. Wiegen wir nun den Zapfen mit dem Eisen, dem Gefäß und seinem Inhalt, so erhalten wir das Maß des Widerstands des Vakuums. Und wenn wir an einen Zylinder aus Marmor oder aus Kristallglas, der so groß ist wie der Zylinder voll Wasser, ein Gewicht anhängen, welches zusammen mit dem jeweiligen Gewicht des Marmors oder des Kristall­glases das Gewicht aller genannten Objekte aufwiegt, und der Zylinder zerbricht, so dürfen wir ohne Zweifel folgern, dass allein das Vakuum die Teile des Marmors oder des Kristall­glases ursächlich zusammenhält. Reicht das aber nicht aus, so dass wir, bis sie zerreißen, das Vierfache dieses Gewichts anhängen müssen, so wird man sagen können, dass der Widerstand des Vakuums nur ein Fünftel, der andere aber das Vierfache davon ausmacht. (29) Simp.  Das ist unbestreitbar eine geistreiche Erfindung, die aber mit vielen Problemen behaftet ist, was mich unsicher macht. Denn wer sagt uns, dass die Luft nicht zwischen dem Glas und dem Zapfen hindurch entweichen kann, selbst wenn sie noch so gut mit Werg oder einem anderen geeigneten Material abgedichtet sind? Und ebenso könnte es vielleicht nicht genügen, den Konus I, damit er die Öffnung gut verschließt, mit Wachs oder Terpentin einzuschmieren. Und außerdem – warum sollten die Teile des Wassers nicht auseinanderweichen und [das Wasser sich so] verdünnen können? Warum sollte es nicht möglich sein, dass Luft oder andere Dünste oder ganz andere sehr feine Substanzen durch die Poren des Holzes oder selbst des Glases eindringen könnten? (30) Salv.  Herr Simplicio zeigt sehr überzeugend die Pro­ bleme auf und nennt uns für diese zum Teil auch Lösungen, wie

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etwa, dass die Luft das Holz selbst durchdringen oder zwischen dem Holz und dem Glas einen Durchlass finden könnte. Ich gehe aber darüber hinweg, indem ich bemerke, dass wir in derselben Zeit herausfinden können, ob die dargestellten Probleme wirklich existieren, wobei wir neue Einsichten gewinnen. Ich weiß sicher, dass dann, wenn das Wasser von Natur aus dehnbar wäre, womöglich unter Zwang, wie das bei Luft der Fall ist, der Zapfen sich senken würde. Wenn wir nun im oberen Teil des Glases eine kleine Ausbuchtung anbringen würden, wie hier bei V, so würde Luft oder jede andere sehr dünne und flüchtige Materie, welche die Substanz oder die Poren des Glases oder des Holzes durchdringen könnte, sich dort in der Ausbuchtung (unter Verdrängung des Wassers) sammeln. Da nun nichts dergleichen tatsächlich geschieht, so können wir ganz sicher sein, dass das Experiment mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt wurde, und wir wissen dann, dass weder das Wasser dehnbar, noch das Glas durchlässig ist, gleichgültig für welche Materie, und sei sie noch so subtil. (31) Sagr.  Ich aber habe nun dank dieser Überlegungen die Ursache einer Wirkung gefunden, deretwegen ich seit langem wunderliche Vorstellungen hegte, ohne wirklich etwas zu wissen. Ich sah einmal eine Zisterne, in die jemand eine Pumpe eingebaut hatte, um das Wasser daraus zu heben, weil er vielleicht irrtümlich glaubte, er könnte so mit weniger Mühe dieselbe oder eine größere Menge fördern als mit den üblichen Eimern. Diese Pumpe nun hatte den Kolben und ein Ventil am oberen Ende, so dass das Wasser durch Ansaugen gehoben wurde, und nicht durch Druck, wie das sonst bei Pumpen der Fall ist, die diese Vorrichtungen unten haben. Solange in der Zisterne ein gewisser Wasserstand gegeben war, arbeitete diese Pumpe vorzüglich. Sank aber der Wasserspiegel unter ein bestimmtes Niveau, so funktionierte die Pumpe gar nicht mehr. Als ich das zum ersten Mal beobachtete, dachte ich, die Vorrichtung sei reparatur­ bedürftig; als ich aber einen Fachmann dafür gefunden hatte, erklärte mir dieser, der einzige Mangel bestünde darin, dass das Wasser, wenn der Wasserstand entsprechend abgesunken sei,



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nicht über eine gewisse Höhe angehoben werden könne. Und er versicherte mir, dass es weder mit Pumpen, noch mit anderen Maschinen, die das Wasser ansaugen, möglich sei, auch nur um Haaresbreite höher zu steigen als achtzehn Ellen, und das sei eine absolute Grenze, für weite ebenso wie für enge Pumpen. Und obwohl ich wusste, dass man ein in der Höhe befestigtes Seil, einen Holzpflock oder eine Eisenstange solange dehnen kann, bis sie schließlich durch ihre eigenes Gewicht zerreißen, so habe ich doch bis zu dieser Stunde nicht begriffen, dass dasselbe noch sehr viel eher mit einem Wasserfaden oder einer Wassersäule passieren kann. Und was ist das denn anderes, was in einer Pumpe angesogen wird, als ein Wasserzylinder, welcher, sozusagen oben befestigt, mehr und mehr verlängert wird, bis er schließlich jene Grenze erreicht, von der an er durch sein nun erreichtes Übergewicht ebenso zerreißen muss wie ein Seil? (32) Salv.  Genauso verhält sich die Sache; und weil eben diese Höhe von achtzehn Ellen die feste Grenze ist, bis zu der irgendeine beliebige Menge Wassers, ob in sehr weiten oder engen Röhren, oder in Röhrchen wie in Strohhalmen hochsteigen kann, so werden wir immer, wenn wir das Wasser wiegen, das in einer Röhre, ob weit oder eng, achtzehn Ellen hoch steht, den Widerstandswert des Vakuums für Zylinder gleich welcher festen Materie messen, deren Durchmesser dem inneren Querschnitt der genannten Röhren entspricht. Auf dieser Grundlage beweisen wir nun, wie auf die einfachste Weise für alle metallischen Körper, für solche aus Stein, aus Holz und aus Glas usw., die Länge festgestellt werden kann, über die hinaus solche zylindrischen Objekte, seien es Fäden oder Säulen gleich welcher Stärke, nicht gedehnt werden können, ohne dass sie unter ihrem eigenen Gewicht zerreißen. Nehmen Sie zum Beispiel einen Kupferdraht beliebiger Stärke und Länge, dessen eines Ende oben befestigt ist, und hängen Sie am anderen Ende Gewichte an, immer mehr, bis er endlich reißt. Nun sei das maximale Gewicht, das er tragen kann, mit fünfzig Pfund angenommen. Dann ist klar, dass fünfzig Pfund Kupfer, sagen wir: eine achtel Unze, zum Eigengewicht des Drahtes hinzugefügt und zu einem Draht gleicher

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Stärke ausgezogen, die maximale Länge des Drahtes ergeben, bis zu der er hält, ohne zu reißen. Messen wir als Nächstes die Länge dieses gerissenen Drahtes zu angenommen einer Elle. Weil nun sein Gewicht eine achtel Unze beträgt, und weil er sich selbst und dazu noch fünfzig Pfund tragen konnte, was viertausendachthundert Mal eine achtel Unze ist, so können wir sagen, dass alle solchen Kupferdrähte, gleich welcher Stärke, ausgezogen bis zur Länge von viertausendachthundertundein Ellen halten werden, darüber hinaus nicht. Also wird ein Kupferdraht, der bis zur Länge von viertausendachthunderteiner Elle hält, außer anderen Widerständen einen aus dem Vakuum herrührenden Widerstand erfahren, der ebenso groß ist wie derjenige einer Wassersäule von achtzehn Ellen Länge und vom selben Durchmesser wie der Draht. Sei nun Kupfer angenommen neunmal schwerer als Wasser, so wird der Bruchwiderstand jedes beliebigen Kupferdrahtes im Hinblick auf das Vakuum als Ursache ebenso groß sein wie das Gewicht von zwei Ellen dieses Drahtes. Mit solchen Über­ legungen und Schlussfolgerungen können wir auch die maximale Länge von Fäden oder Stangen aus beliebigem festem Material bestimmen, bis zu der sie nicht reißen, sowie den Anteil, den das Vakuum an ihrem Bruchwiderstand hat. (33) Sagr.  Bleibt nun, dass Sie uns erklären, worin der restliche Widerstand besteht, d. h. was der leimige oder klebrige Bindestoff ist, der die Teile eines festen Körpers zusammenhält, wenn man von dem Widerstand absieht, den das Vakuum leistet: Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, welcher Klebstoff das sein soll, der nicht binnen zwei, drei oder vier Monaten, oder gar in zehn oder hundert, in einem heißen Ofen verbrennt oder sonst verschwindet, welche Zeit Silber, Gold, oder auch flüssiges Glas überstehen, deren Teile, sobald man sie herausnimmt und abkühlt, sich wieder zusammenfinden und zusammenhängen wie zuvor. Außerdem finde ich das Problem, das ich mit dem Zusammenhängen der Teile von Glas habe, ebenso bei den Teilen des Klebstoffs oder was das sein mag, das sie so fest zusammenhält. (34) Salv.  Es ist nicht lange her, dass ich Ihnen den Beistand Ihrs guten Geistes wünschte. Jetzt bin ich wieder am selben



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Punkt. Wenn ich doch mit Händen fühlen kann, wie es unzweifelhaft der Widerstand gegen das Vakuum ist, der bewirkt, dass es große Mühe macht, zwei Platten zu trennen, und mehr noch bei zwei Hälften eine Marmor- oder Bronzesäule, so sehe ich nicht, wie das nicht beim Zusammenhalt kleiner Teilchen bis hin zu den kleinsten Elementarteilchen derselben Materie ebenso der Fall und die gleiche Ursache sein soll; und wenn es zutrifft, dass zu einer Wirkung nur eine wahre und wirkkräftige Ursache existiert, weshalb soll ich dann, wenn ich doch keinen anderen Bindestoff finde, nicht versuchen festzustellen, ob nicht die bereits gefundene Ursache, nämlich das Vakuum, hinreicht? (35) Simp.  Aber da Sie doch schon bewiesen haben, dass der Widerstand des großen Vakuums gegen die Trennung zweier Hälften eines festen Körpers im Vergleich zu dem, welcher die kleinsten Teilchen zusammenhält, sehr klein ist, weshalb wollen Sie dann noch immer nicht zugeben, dass dieser von völlig anderer Art sein muss als jener? (36) Salv.  Dazu bemerkte Herr Sagredo, dass, obwohl man jeden einzelnen Soldaten aus dem allgemeinen Steueraufkommen mit Geld in kleiner Münze besoldet, doch eine Million in Gold nicht ausreicht, um die ganze Armee zu besolden. Wer weiß denn, ob nicht andere kleinste leere Räume zwischen den kleinsten Teilchen wirken, so dass es überall dieselbe Sache ist, wodurch alle Teile zusammengehalten werden? Ich sage Ihnen damit etwas, das mir zuweilen durch den Sinn geht, was ich aber doch nicht für eine erkannte Wahrheit nehme, sondern mehr für eine unausgegorene Idee, die noch gründlich überdacht werden muss. Nehmen Sie es für wertlos oder für richtig, wie Sie wollen, und beurteilen Sie alles Übrige nach Belieben. Wenn ich manchmal darüber nachdenke, wie Feuer sich zwischen den kleinsten Teilchen dieses oder jenes Metalls hindurchschlängelt, die doch so außerordentlich fest miteinander verbunden scheinen, und sie schließlich auseinandertreibt und voneinander trennt, und wie diese dann, wenn das Feuer erlischt, sich zur selben festen Verbindung zusammenfinden wie davor, ohne dass etwa eine Menge Goldes sich dabei vermindert, und auch andere Metalle

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nur sehr wenig, selbst wenn sie für lange Zeit zertrennt waren, so vermute ich, es könnte dies daher rühren, dass die kleinsten Teile des Feuers, indem sie in die engsten leeren Räume des Metalls eindringen (in die, weil sie so sehr eng sind, die kleinsten Teilchen der Luft und der meisten anderen fließenden Körper nicht eindringen können) und diese kleinsten Vakua ausfüllen, die da überall dazwischen liegen, die Gewalt aufheben, mit der diese Vakua die jeweiligen kleinsten Teilchen zusammenhalten und daran hindern, sich voneinander zu trennen; so dass, da diese sich nun frei bewegen können, ihre gesamte Masse flüssig wird und flüssig bleibt, solange die dazwischen eingedrungenen Feuer­teilchen an Ort und Stelle bleiben; entfernen sie sich aber und geben sie die vormaligen Vakua wieder frei, so erneuert sich der vorherige Zusammenhalt und infolgedessen auch das Anein­ anderhaften der Teilchen. Was aber das betrifft, was Herr Simplicio vorgebracht hat, so denke ich, man kann darauf antworten, dass die ungeheure Vielzahl dieser Vakua, obwohl jedes einzelne von ihnen sehr, sehr klein ist, so dass jedes von ihnen auch leicht zu überwinden ist, doch den Widerstand (sozusagen) ungeheuer vervielfacht; und was und wie groß dieser Zwang sein mag, der aus einer ungeheuren Anzahl kleinster miteinander verbundener Elemente hervorgeht, dafür gibt es einen sehr treffenden Beweis, wenn man sieht, wie ein Gewicht von Millionen Pfund durch sehr starke Hanfseile gehalten wird und schließlich doch unter dem Ansturm unzähliger Wasserteilchen gehoben und überwunden wird, die, vom Südwind herangetragen oder in feinstem Nebel verteilt, unter dem Druck der Luft sich zwischen die Fasern der festesten Hanftaue drängen, ohne dass die immense Einwirkung des hängenden Gewichts sie daran hindern könnte, so dass sie, indem sie in die engsten Kanälchen eindringen, das Seil dicker werden lassen und folglich verkürzen, wodurch auch die schwerste Last zwangsläufig angehoben wird. (37) Sagr.  Ohne Zweifel kann jeder Widerstand, der nicht unendlich groß ist, durch eine Vielzahl kleinster Einwirkungen überwunden werden, so dass eine entsprechende Anzahl von Ameisen auch ein ganzes Schiff voller Korn über Land ziehen



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könnte, da wir doch täglich sehen können, dass eine Ameise leicht ein Körnchen trägt, und klar ist, dass sich in dem Schiff nicht unendlich viele Körnchen befinden, sondern eine begrenzte Zahl davon, die man auch vierfach oder sechsfach nehmen kann; nimmt man dann die gleich vielfache Zahl von Ameisen, so können sie, wenn sie zusammenarbeiten, das Korn mitsamt dem Schiff über das Land ziehen. Natürlich muss ihre Anzahl überaus groß sein, und das ist, wie ich meine, auch bei der Anzahl der Vakua der Fall, welche die kleinsten Teilchen der Metalle zusammenhalten. (38) Salv.  Wenn man ihre Anzahl aber als unendlich annehmen müsste, so würden Sie es für unmöglich halten? (39) Sagr.  Nein, nicht wenn das Metall selbst eine unendliche Masse wäre; andernfalls … (40) Salv.  Was »andernfalls«? Nun denn, da wir es jetzt mit Paradoxa zu tun haben, so wollen wir sehen, ob sich irgendwie beweisen lässt, dass eine kontinuierliche endliche Strecke doch unendlich viele Vakua enthalten könnte. Zugleich damit werden wir, wenn schon sonst nichts, zumindest die Lösung eines der erstaunlichsten Probleme finden, welches Aristoteles selbst zu den erstaunlichsten zählte, und zwar in seinen mechanischen Pro­ blemen. Diese Lösung könnte mit Glück nicht weniger einleuchtend und schlüssig sein als diejenige, die er selbst anbietet, und sie unterscheidet sich auch von der Überlegung, welche Mon­ signore di Guevara dazu mit viel Scharfsinn angestellt hat. Wir müssen aber zuerst einen Satz klarstellen, den niemand bisher aufgegriffen hat, von dem aber die Beantwortung der gestellten Frage abhängt, und der im Übrigen, wenn ich mich nicht irre, weitere neue und bemerkenswerte Erkenntnisse nach sich zieht. Um die Sache zu verstehen, brauchen wir eine sorgfältig ausgeführte Zeichnung. Wir stellen uns dazu ein gleichseitiges und gleichwinkliges Vieleck mit beliebig vielen Seiten vor, welchem ein Mittelpunkt G eingeschrieben ist; fürs erste sei dies das Sechseck ABCDEF. Wir zeichnen nun ein diesem ähnliches kleineres Sechseck um denselben Mittelpunkt, und bezeichnen es mit HIKLMN. Nun

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verlängern wir eine Seite AB des größeren Sechsecks beliebig weit in Richtung S , und von dem kleineren verlängern wir die entsprechende Seite HI in dieselbe Richtung und markieren die D

E M F

L

G

C

N

V

R

K H

A

I

O P B

Y Q

Z

T X

S

A

D

C

E F

B

Linie HT parallel zu AS . Durch den Mittelpunkt verlaufe eine weitere, GV, im selben Abstand. Alsdann nehmen wir an, das größere Sechseck wälze sich auf der Linie AS voran und nehme dabei das kleinere Sechseck mit. Natürlich muss der Endpunkt B der Strecke AB fixiert sein. Dann wird sich im Zuge der Fortwälzung die Ecke A heben und die Ecke C senken, wobei sie den Bogen CQ beschreiben wird, so dass sich die Seite BC mit der ihr gleichen Seite BQ vereint. Bei dieser Umwälzung wird aber die Ecke I des kleineren Vielecks über die Linie IT hinaus angehoben werden, da IB schräg über AS verläuft, und der Punkt I wird erst dann auf die Parallele IT zurückkehren, wenn der Punkt C in Q angelangt ist. Dann wird I mit dem Punkt O zusammenfallen, nachdem der Bogen IO außerhalb der Linie HT beschrieben wurde, während die Seite IK nach OP gewandert ist. Aber der Mittelpunkt G wird sich bei alledem außerhalb der Linie GV bewegen, auf die er erst zurückkehren wird, wenn er den Bogen GC beschrieben hat. Nach diesem ersten Schritt wird das größere Vieleck mit der Seite BC auf die Strecke BQ zu liegen kommen, die Seite IK des kleineren aber auf die Strecke OP, da sie die ganze Strecke IO übersprungen hat, ohne sie zu berüh-



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ren. Der Mittelpunkt G aber ist nach C gelangt, wobei er seinen ganzen Weg außerhalb der Parallele GV zurückgelegt hat. Danach befindet sich die ganze Figur in einer ähnlichen Lage wie zuvor. Wenn die Umwälzung sich wiederholt und ein zweites Mal stattgefunden hat, dann wird sich die Seite DC des größeren Vielecks an die Strecke QX anlegen, während die Seite KL des kleineren (nachdem sie zuvor den Bogen PY übersprungen hat) mit YZ zusammenfällt, und der Mittelpunkt, der stets außerhalb von GV weiterrückt, trifft mit dieser nach dem großen Sprung CR nur in R zusammen. Schließlich, wenn eine ganze Umwälzung vollzogen ist, wird das größere Vieleck auf seinem Weg AS sechs Strecken gleich seinem Umfang beschrieben haben, ohne irgendwelche Zwischenräume. Das kleinere Vieleck wird ebenso sechs Strecken gleich seinem Umfang abgebildet haben, aber mit Unterbrechungen durch die fünf Bögen, zu denen die Sehnen gehören, bei denen es sich um Teile der Parallele HT handelt, welche das Vieleck nicht berührt. Der Mittelpunkt G wird aber insgesamt mit der Parallele GV lediglich in sechs Punkten zusammengetroffen sein. Aus alledem kann man sehen, dass die von dem kleineren Sechseck zurückgelegte Strecke nahezu gleich ist der, die das größere durchlaufen hat, nämlich die Strecke HT im Verhältnis zur Strecke AS , hinter der sie nur um die Sehne eines dieser Bögen zurückbleibt, wenn wir nämlich die Strecke HT derjenigen gleich annehmen, welche von fünf dieser Bögen beschrieben wurde. Nun sollten Sie das, was ich am Beispiel dieser Sechsecke dargestellt und erklärt habe, für alle anderen Sechsecke ebenfalls gelten lassen, gleich welcher Seitenlängen, sofern sie nur einander ähnlich sind und denselben Mittelpunkt haben und so miteinander verbunden sind, dass die Umwälzung des größeren Sechsecks auch diejenige jedes beliebig kleineren bestimmt. Nehmen Sie also an, dass die von diesen Sechsecken zurückgelegten Strecken annähernd gleich sind, wenn wir als die von dem kleineren zurückgelegte Strecke jene ansetzen, welche sich aus den Zwischenräumen unter den kleinen Bögen errechnet, die von keinem Teil des Umfangs des kleineren Sechsecks berührt wurden. Folglich wird ein Vieleck, das tausend Seiten

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hat, eine gerade Strecke zurücklegen und ausmessen, die seinem Umfang gleich ist. Zugleich wird ein kleines eine annähernd gleiche Strecke beschreiben, die allerdings aus tausend Teilchen gleich seinen tausend Seiten unterbrochen zusammengesetzt ist, wobei dazwischen tausend leere Räume eingeschoben sind, wie wir diese im Verhältnis zu den tausend geraden Strecken nennen wollen, welche die Seiten des Vielecks berührt haben. Das alles bietet kein Problem, und es besteht daran auch keinerlei Zweifel. Aber sagen Sie mir: Wenn wir um einen Mittelpunkt, sagen wir um den Punkt A , zwei konzentrische und miteinander verbundene Kreise zeichnen, und wir ziehen von den Punkten C und B ihres Umfangs die Tangenten CE , BF, und dazu die Parallele AD durch den Mittelpunkt A und nehmen an, dass der größere Kreis auf der Linie BF rollt (so, dass diese Strecke gleich seinem Umfang ist, und ebenso machen wir es bei den Strecken CE , AD): Wenn nun eine ganze Umdrehung vollendet ist, was wird dann mit dem kleineren Kreis geschehen sein, und mit dem Mittelpunkt? Letzterer wird sicherlich die ganze Strecke AD beschrieben und berührt haben, und der Umfang des kleineren Kreises wird die ganze Strecke CE berührt und ausgemessen haben, ganz wie es bei den Vielecken oben der Fall war. Der einzige Unterschied ist, dass die Strecke HT nicht überall vom Umfang des kleineren Kreises berührt worden ist, weil hier ebenso viele unberührte Strecken dazwischen liegen, wie übersprungene Vakua eingeschoben sind, die an Zahl den von den Seiten berührten Strecken entsprechen. Aber hier, bei den Kreisen, entfernt sich der Umfang des kleineren Kreises nie von der Strecke CE derart, dass nicht ein einziger Teil davon nicht berührt worden wäre, und immer wird ein jeder Punkt des Umfangs auch auf der Gerade liegen. Wie kann es nun aber sein, dass der kleinere Kreis eine Strecke beschreibt, die so viel größer ist als sein Umfang, ohne dass er etwas überspringt? (41) Sagr.  Ich habe mich gefragt, ob man sagen kann, ebenso wie der Mittelpunkt des Kreises als solcher über die Strecke AD gezogen wird, die er überall berührt, obwohl es doch nur ein Punkt ist, so könnten alle Punkte des kleineren Umfangs, die



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von der Bewegung des größeren mitgenommen werden, über ­einige kleine Teile der Strecke CE hinweg gesprungen sein. (42) Sa lv.  Das kann aus zweierlei Gründen nicht der Fall sein. Zuerst, weil es keinen Grund dafür gibt, dass irgendeiner der Berührungspunkte wie der in C beim Durchlaufen der Strecke CE irgendwelche Teile davon berühren sollte, andere aber nicht. In diesem Fall wären nämlich, da die Berührungspunkte unendlich viele sind (eben weil es Punkte sind), auch die Übersprünge auf der Strecke CE unendlich viele, in welchem Fall sie eine unendliche Strecke darstellen müssten; die Strecke CE ist aber endlich. Der andere Grund ist, dass der größere Kreis beim Abrollen den Berührungspunkt ständig verändert, so dass auch der kleinere seinen Berührungspunkt ständig verändern muss, wobei er durch keinen anderen Punkt als durch B eine gerade Linie zum Mittelpunkt A beschreiben kann, die auch durch den Punkt C führt; so dass also, wenn der Umfang des größeren Kreises seine Berührungspunkte verändert, der kleinere eine ebensolche Veränderung durchmacht, wobei kein Punkt des kleineren mehr als einen Punkt der entsprechenden Gerade CE berührt. Übrigens ist auch bei den Umwälzungen der Vielecke kein Punkt des Umfangs des kleineren in Berührung mit mehr als einem Punkt der Linie, die von seinem Umfang ausgemessen wird. Das kann man sich leicht klar machen, wenn man bedenkt, dass die Linie IK zu BC parallel ist, so dass, solange BC nicht mit BQ zusammenfällt, IK oberhalb von IP verläuft und nicht darauf zurückfällt, ehe nicht im selben Augenblick BC mit BQ zusammenfällt und alsdann die ganze Strecke IK sich mit OP vereinigt, worauf sie sich sogleich wieder darüber erhebt. (43) Sagr.  Diese Sache ist tatsächlich sehr verwickelt, und ich finde keine Erklärung dafür. So sagen Sie, was Sie herausgefunden haben. (44) Salv.  Ich komme zurück auf die Überlegungen zu den oben betrachteten Vielecken, an denen der Effekt einzusehen und auch schon verstanden worden ist. Dazu stelle ich fest, dass so, wie bei Vielecken von hunderttausend Seiten die zurückgelegte und vom Umfang des größeren ausgemessene Strecke, d. h.

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hunderttausend Mal eine Seite kontinuierlich erstreckt, gleich dem Maß von hunderttausend Seiten des kleineren ist, freilich mit dazwischen liegenden hunderttausend übersprungenen leeren Räumen; ebenso ist bei den Kreisen (die ja Vielecke mit unendlich vielen Seiten sind) die von den unendlich vielen Seiten des größeren zurückgelegte Linie, kontinuierlich ausgestreckt, ebenso lang wie die Linie, welche die unendlichen Seiten des kleineren Kreises beschrieben haben, zuzüglich der Zwischenschaltung ebenso vieler Leerstellen. Und ebenso, wie die Seiten nicht eine bestimmte Anzahl, sondern unendlich viele sind, so sind auch die dazwischen geschalteten Leerstellen nicht eine bestimmte Anzahl, sondern unendlich viele. Das sind dann bei jenen unendlich viele ausgefüllte Punkte, bei diesen aber unendlich viele Punkte, die teils ausgefüllt, teils Leerstellen sind. Sie sollten hier festhalten, dass man, wenn man eine Linie in endlich viele Teile auflöst und unterteilt, die folglich eine bestimmte Anzahl darstellen, diese Linie nicht weiter erstrecken kann, als es bei kontinuierlicher und verbundener Anordnung der Teile möglich ist, es sei denn, man schaltet ebenso viele Leerstellen dazwischen. Teilt man nun eine Linie nicht in endlich viele, sondern in unendlich viele unteilbare Teile, so kann man sie sich ins Unendliche erstreckt vorstellen, wobei zwar keine endliche, wohl aber eine unendliche Zahl von Unteilbaren eingeschaltet wird. Was aber von einfachen Linien gilt, das gilt auch von Flächen und von festen Körpern, wenn man annimmt, dass sie aus unendlich vielen, nicht aus einer endlichen Anzahl von Atomen zusammengesetzt sind. Wollten wir sie nämlich in endlich viele Teile aufteilen, so könnten wir diese zweifellos nur dann auf einen größeren Raum als den verteilen, den sie zunächst eingenommen haben, wenn wir eine endliche Anzahl von Leerstellen dazwischenschalten; Leerstellen, betone ich, die jedenfalls nichts von der Materie des festen Körpers enthalten. Lösen wir einen solchen aber in seine letzten und elementarsten, unzählbaren und unendlich vielen Bestandteile auf, so können wir uns diese Bestandteile so denken, dass sie, aneinandergelegt, sich über einen unendlichen Raum erstrecken, wobei keine bestimmte, wohl aber eine unend-



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liche unzählbare Anzahl von Leerstellen dazwischengeschaltet ist. So dass beispielsweise nichts dem entgegensteht, dass man ein kleines Kügelchen von Gold über einen unermesslichen Raum erstreckt, ohne eine bestimmte Anzahl von Leerstellen einzuschalten – immer unter der Voraussetzung, dass das Gold aus unendlich vielen unteilbaren Teilchen zusammengesetzt ist. (45) Simp.  Mir scheint Sie sind jenen Hohlräumen auf der Spur, die ein gewisser antiker Philosoph überall verbreitet hat. (46) Salv.  Immerhin verkneifen Sie sich den Zusatz, »welcher die göttliche Vorsehung leugnete« – wie es ein gewisser Widersacher unseres Akademikers bei einem ähnlichen Thema ganz überflüssigerweise tat. (47) Simp.  Ich habe durchaus und nicht ohne Bauchschmerzen die Missgunst dieses übel gesonnenen Kontrahenten bemerkt. Ich schließe mich dem aber nicht nur aus Gründen des guten Geschmacks nicht an, sondern weil ich weiß, wie fern dergleichen einem so ausgeglichenen und hoch gebildeten Mann wie Ihnen liegt, der Sie nicht nur religiös und fromm, sondern auch katholisch und heiligmäßig sind. Aber zurück zum Thema, so scheint mir, dass das eben Gehörte viele Schwierigkeiten gebiert, mit denen ich wirklich nicht zurechtkomme. Zum einen dies: Wenn der jeweilige Umfang der beiden Kreise gleich den beiden Geraden CE , BF ist, die Letztere kontinuierlich gezogen, die Erstere von unendlich vielen Leerstellen unterbrochen, wie kann dann die vom Mittelpunkt, der nur ein Punkt ist, beschriebene Linie AD jenen gleich gesetzt werden, da sie doch unendlich viele Punkte enthält? Im übrigen empfinde ich diese Zusammensetzung einer Linie aus Punkten, das Teilbare aus Unteilbarem, das Messbare aus Unmessbarem, als eine schwer zu nehmende Hürde; und dasselbe gilt von dem mit gleichen Problemen behafteten Vakuum, welches Aristoteles so überaus schlüssig widerlegt hat. (48) Sa lv.  Diese Probleme sind allerdings da, und andere dazu. Erinnern wir uns aber daran, dass wir uns zwischen Unendlichem und Unteilbarem bewegen; das Erstere begreift unser endlicher Intellekt wegen seiner Größe nicht, das Letztere nicht wegen seiner Kleinheit. Aber wir sehen doch, dass die mensch­

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liche Rede sich nicht darum herumdrücken mag. Deshalb nehme ich mir nun eine gewisse Freiheit und stelle Ihnen eine meiner Phantastereien vor, die, wenn sie auch nichts mit zwingender Folgerichtigkeit erklärt, doch dank ihrer Neuartigkeit einige Verwunderung erregen wird. Vielleicht aber finden Sie eine so weitläufige Abweichung von unserem eingeschlagenen Weg wenig sinnvoll und deshalb nicht willkommen. (49) Sagr.  Aber bitte, wir genießen doch den großen Nutzen und das Privileg der lebendigen Unterhaltung unter Freunden, und gerne auch über beliebige und nicht notwendige Dinge, was etwas ganz anderes ist, als mit toten Büchern sich abzugeben, die tausend Zweifel erregen und keinen davon beseitigen. Lassen Sie uns also teilhaben an allen Gedanken, welche unsere Überlegungen Ihnen eingeben, zumal wir dank der Freiheit von anderen zwingenden Verpflichtungen genug Zeit haben, alle angesprochenen Themen weiter zu verfolgen und zu Ende zu bringen. Insbesondere sollten die von Herrn Simplicio angesprochenen Fragen auf keinen Fall übergangen werden. (50) Salv.  Da Sie es so haben wollen, soll es so sein. Beginnen wir also damit, wie es sein und wie man verstehen kann, dass ein einziger Punkt gleich einer Linie sein soll. Ich sehe da gegenwärtig keine andere Möglichkeit, als eine Unwahrscheinlichkeit durch eine gleiche oder ähnliche andere zu mildern oder zu bereinigen, so wie zuweilen ein Wunder angesichts eines noch größeren Wunders weniger wunderbar erscheint. Dazu zeige ich Ihnen zwei gleiche Flächen und dazu zwei ebenso gleiche Körper, die auf diesen Flächen stehen. Diese sollen sich kontinuierlich und beide gleichmäßig in derselben Zeit vermindern, wobei sie immer einander gleich bleiben sollen, bis schließlich die ursprüngliche Gleichheit sowohl der Flächen als auch der Körper endet, indem einer der Körper und eine der Flächen zu einer sehr langen Linie wird, der andere Körper aber und die andere Fläche zu einem einzigen Punkt, d. h. Letztere werden ein einziger Punkt, die Ersteren werden unendlich viele Punkte. (51) Sagr.  Das ist allerdings ein sehr bemerkenswerter Vorgang. Hören wir also, wie er zu erklären und zu beweisen ist.



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(52) Salv.  Dazu muss ich eine Zeichnung machen, denn der Beweis ist rein geometrisch. Nehmen Sie also den Halbkreis AFB mit dem Mittelpunkt C , dem das rechtwinklige Parallelogramm ADEB umschrieben ist. Vom A C B Mittelpunkt sollen die geraden Linien CD, CE zu den PunkI O L H N G P ten D und E verlaufen. Stellen wir uns dann den Halbmesser CF, der senkrecht zu AB und E F D DE steht, als unbeweglich vor, und nehmen wir an, dass die ganze Figur sich um diese Achse dreht. Sicherlich wird dann das Rechteck ADEB einen Zylinder beschreiben, der Halbkreis AFB eine Halbkugel und das Dreieck CDE einen Kegel. Auf dieser Grundlage sollen Sie sich nun vorstellen, dass die Halbkugel entfernt wird, während der Kegel und dasjenige, was von dem Zylinder übrig ist, zurückbleibt, welch Letzteres einer Schüssel ähnelt, weshalb wir es auch so nennen wollen. Zunächst beweisen wir nun, dass diese Schüssel und der Kegel einander gleich sind. Nachdem wir eine Ebene parallel zu dem Kreis gezogen haben, der die Grundlinie der Schüssel ist, und zwar mit dem Durchmesser DE und dem Mittelpunkt F, werden wir als Nächstes beweisen, dass diese Ebene, wenn wir sie zum Beispiel zur Linie GN angehoben haben, wo sie die Schüssel in den Punkten G, I, O, N, den Kegel aber in den Punkten H und L schneidet, immer den Teil des Kegels CHL jenem Teil der Schüssel gleich bleiben lässt, dessen Profil die Dreiecke GAI und BON bezeichnen. Darüber hinaus lässt sich beweisen, dass auch die Grundfläche des besagten Kegels, d. h. der Kreis mit dem Durchmesser HL , gleich der kreisförmigen Fläche ist, welche die Grundfläche jenes Teils der Schüssel bildet, die sozusagen ein Band von der Breite der Linie GI ist. (Bedenken Sie bei alledem, dass es sich bei den mathematischen Definitionen um Benennungen handelt, sagen wir um sprachliche Abkürzungen, die gebildet und angewandt werden, um die langweilige Mühe zu vermeiden, die Sie und ich gerade eben empfanden, als wir uns noch nicht darüber verständigt hatten, beispielsweise jene Fläche

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ein kreisrundes Band und jenen obersten festen Teil der Schüssel ein Rasiermesserrund zu nennen). Aber wie auch immer Sie diese Dinge benennen wollen, so genügt es zu verstehen, dass die Ebene, in welchen Abstand man sie auch legt, solange sie nur parallel zur Grundlinie ist, also zu dem Kreis mit dem Durchmesser DE , jene zwei Körper immer einander gleich macht, deren einer von dem Teil des Kegels CHL und der andere von dem obersten Teil der Schüssel gebildet wird, und desgleichen die beiden Grundflächen dieser Körper, d. h. das genannte Band und den Kreis HL . Hieraus folgt die angedeutete Merkwürdigkeit, dass nämlich, wenn wir annehmen, die ebene Schnittfläche würde sich fortschreitend der Linie AB annähern, die abgeschnittenen Teile der Körper immer gleich bleiben, wie auch die Flächen, die ihre Grundflächen sind, immer gleich bleiben. Mit immer größerer Annäherung werden schließlich die beiden immer gleichen Körper ebenso wie ihre Grundflächen (die immer einander gleich sind) verschwinden, indem der eine in einen Kreisumfang eingeht, der andere in einen bloßen Punkt, nämlich der eine in den Rand der Schüssel, der andere in die Spitze des Kegels. Da nun die beiden Körper während der Annäherung bis zum Schluss immer einander gleich waren, so darf man wohl vernünftigerweise sagen, dass auch die höchsten und letzten Grenzen dieser Verkleinerung einander gleich bleiben, und nicht, dass der eine Körper nun unendlich größer geworden sei als der andere. Also kann man sagen, dass der Umfang eines beliebig großen Kreises einem einzigen Punkt gleich ist. Was aber hier bei den beiden Körpern zutrifft, gilt in gleicher Weise für ihre Grundflächen, die ebenfalls, während sie bei der fortschreitenden Verkleinerung stets einander gleich bleiben, schließlich, im letzten Augenblick ihrer äußersten Verkleinerung, an der Grenze mit dem Umfang eines Kreises bzw. mit einem einzigen Punkt zusammenfallen. Warum also sollte man diese nicht gleich nennen dürfen, wo sie doch die letzten Überbleibsel und Spuren einander gleicher Größen sind? Halten Sie nun als Nächstes fest, dass diese Gefäße, wenn sie die ungeheuren Ausmaße himmlischer Hemisphären hätten und ihre äußersten Punkte und die Spitzen der in ihnen



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enthaltenen Kegel stets einander gleich blieben, doch schließlich zum einen in einen Umkreis gleich dem eines Himmelsgroßkreises, zum anderen in einen einzigen Punkt übergehen würden. Also können wir nach dem, was diese Gedankengänge uns nahe­ legen, auch alle Umfänge beliebig verschiedener Kreise einander gleich nennen, und jeden von ihnen gleich einem einzigen Punkt. (53) Sagr.  Ich finde diese Überlegung so bemerkenswert und einzigartig, dass ich nichts dagegen vorbringen würde, selbst wenn ich könnte. Es erschiene mir als eine Art Frevel, eine so schöne Struktur zu zerstören, indem man darauf mit irgendeinem pedantischen Einwand herumtrampelte. Dennoch sollten Sie, um uns vollständig zufrieden zu stellen, den, wie Sie sagten, geometrischen Beweis dafür nennen, dass diese Körper und auch ihre Grundflächen stets einander gleich bleiben, welcher wohl sehr scharfsinnig sein muss, da die daraus folgende philosophische Betrachtung so überaus fein gesponnen ist. (54) Salv.  Der Beweis ist wiederum kurz und einfach. Betrachten wir noch einmal die vorgestellte Figur, in der, da der Winkel IPC ein rechter ist, das Quadrat über dem Halbmesser IC gleich den beiden Quadraten über den Seiten IP, PC ist. Nun ist aber der Halbmesser IC gleich AC , welche Strecke wiederum gleich GP ist, und CP ist gleich PH. Folglich ist das Quadrat über der Strecke GP gleich den beiden Quadraten über IP und PH , und das Vierfache dem Vierfachen, d. h. das Quadrat über dem Durchmesser GN ist gleich den beiden Quadraten über IO und HL . Weil sich aber die Kreise zueinander ebenso verhalten wie die Quadrate über ihren Durchmessern, so wird der Kreis, dessen Durchmesser GN ist, gleich den beiden Kreisen sein, deren Durchmesser IO und HL sind. Entfernt man nun den gemeinsamen Kreis mit dem Durchmesser IO, so wird das, was dann vom Kreis GN übrig ist, gleich dem Kreis sein, dessen Durchmesser HL ist. Das aber ist nur der erste Teil. Was nun den zweiten Teil angeht, so wollen wir den Beweis vorerst übergehen, weil man diesen, wenn man will, in dem zwölften Lehrsatz des zweiten Buches De centro gravitatis solidorum von Herrn Luca Valerio

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findet, dem neuen Archimedes unserer Zeit, der diesen Beweis für einen anderen Lehrsatz verwendet, so dass es also für unseren Fall genügt gesehen zu haben, dass die soeben dargestellten Flächen einander immer gleich sind, und dass sie, während sie sich gleichmäßig verringern, dahin kommen, dass die eine von ihnen in einem Punkt, die andere im Umfang eines Kreises endet, der beliebig groß sein kann; eben diese Konsequenz macht aber das aus, was an unserer Überlegung so außerordentlich über­ raschend ist. (55) Sagr.  Die Beweisführung ist ebenso einfallsreich, wie die dazu angestellten Überlegungen bemerkenswert sind. Lassen Sie uns jetzt etwas bezüglich des anderen von Herrn Simplicio vorgebrachten Einwandes hören, sofern Sie dazu irgendetwas Neues sagen können, was womöglich gar nicht der Fall sein wird, nachdem die Streitfrage so ausführlich behandelt worden ist. (56) Sa lv.  Ich denke da schon an einige Besonderheiten, wozu ich wiederhole, was ich vor Kurzem gesagt habe, dass nämlich das Unendliche an sich für uns ebenso unbegreiflich ist wie das Unteilbare; was also, glauben Sie, wenn man beides zusammen nimmt. Nehmen wir dazu die Darstellung einer Strecke aus unteilbaren Punkten, wovon wir unendlich viele benötigen werden; und damit haben wir gleichzeitig das Unendliche und das Unteilbare vor uns. In diesem Zusammenhang sind mir viele Dinge viele Male durch den Sinn gegangen, wovon mir einige, und vielleicht die wichtigsten, nicht gleich einfallen werden. Aber im Fortgang der Überlegung kann es wohl sein, dass ich, wach gerüttelt von Ihren und besonders des Herrn Simplicio Einwänden und Hinderungsgründen, bei der Erwiderung mich an Dinge erinnern werde, die ohne solche Anregung weiterhin in meiner Vorstellung schlafen würden. Wollen wir also in der gewohnten Freiheit unsere menschlichen Einfälle vorbringen, wie wir sie in angemessener Bescheidenheit nennen wollen, verglichen mit den geistlichen Lehren, den allein wahren und sicheren Richtern über unser Streitfragen, den niemals irrenden Führern auf unseren dunklen und unsicheren, oder mehr noch labyrinthischen Wegen.



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Zu den ersten Einwänden, welche gegen diejenigen vorgebracht werden, die das Kontinuum aus Unteilbaren zusammengesetzt sehen wollen, gehört, dass die Hinzufügung eines Unteilbaren zu einem anderen Unteilbaren kein Teilbares ergeben kann. Andernfalls wäre nämlich auch das Unteilbare teilbar, denn wenn zwei Unteilbare, angenommen zwei Punkte, zusammengenommen eine Menge bilden würden, etwa eine teilbare Strecke, so könnte man diese sich besser noch aus drei, fünf, oder sieben oder irgend sonst einer ungleichen Vielzahl zusammengesetzt denken. Von diesen Strecken könnten aber, da sie teilbar wären, zwei gleiche Teile abgeteilt werden, so dass das in der Mitte liegende Unteilbare ebenfalls teilbar sein müsste. Diesen und andere Einwände gleicher Art erledigt man, um ihre Vertreter zufrieden zu stellen, damit, dass nicht nur zwei, sondern auch zehn, hundert, oder tausend Unteilbare keine teilbare und endliche Größe bilden können; wohl aber unendlich viele. (57) Simp.  Hieraus ergibt sich sofort ein Problem, das mir unlösbar erscheint. Sicherlich können wir Strecken finden, deren eine größer ist als die andere, wobei man, wenn sie beide unendlich viele Punkte enthalten, zugeben muss, dass es in ein und derselben Gattung etwas gibt, das größer als das Unendliche ist; denn die Unendlichkeit der Punkte der größeren Strecke ist größer als die Unendlichkeit der Punkte der kleineren. Aber das Resultat, dass ein Unendliches größer sein soll als das Unend­ liche, erscheint mir vollkommen unbegreiflich. (58) Sa lv.  Probleme dieser Art ergeben sich immer dann, wenn wir mit unserem endlichen Verstand Untersuchungen über das Unendliche unternehmen, dem wir dann Eigenschaften zuschreiben, die nur dem Endlichen und Begrenzten zukommen, was ich aber für unangemessen halte, weil ich denke, dass die Eigenschaften des Größer-, Kleiner- oder Gleich-Seins auf das Unendliche nicht passen, so dass man eben nicht sagen kann, dass ein Unendliches größer sei als das andere. Zum Beweis dessen fällt mir ein Argument wieder ein, das ich zur besseren Erklärung Herrn Simplicio als Frage vorlegen will, da er das Problem angesprochen hat.

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Ich setze dazu voraus, dass Sie den Unterschied zwischen quadratischen und nicht quadratischen Zahlen kennen. (59) Simp.  Ich weiß sehr wohl, dass eine quadratische Zahl diejenige ist, die sich ergibt, wenn man irgendeine Zahl mit dieser selbst multipliziert. So sind die Vier, die Neun und alle Quadratzahlen solche, die, wie diese beiden aus der Zwei und aus der Drei, durch Multiplikation mit sich selbst entstanden sind. (60) Salv.  Sehr gut. Dann wissen Sie also auch, dass man so, wie man die Produkte Quadrate nennt, die Produzenten, also die zu multiplizierenden Zahlen, Seiten oder Wurzeln nennt, und dass demzufolge andere Zahlen, die nicht aus mit sich selbst multiplizierten Zahlen hervorgehen, keinesfalls Quadratzahlen sind. Wenn ich also sage, dass die Gesamtheit aller Zahlen, der quadra­ tischen und der nicht quadratischen, größer ist als die Anzahl der Quadratzahlen allein, so sage ich etwas absolut Richtiges, nicht wahr? (61) Simp.  Das kann man nicht bestreiten. (62) Salv.  Wenn ich nun frage, wie viele Quadratzahlen es gibt, so kann man wahrheitsgemäß antworten, dass es ebenso viele sind wie die zugehörigen Wurzeln, da ja jede Quadratzahl eine Wurzel hat und jede Wurzel ihre Quadratzahl, da keine Quadratzahl mehr als eine Wurzel hat, und zu keiner Wurzel mehr als eine Quadratzahl gehört. (63) Simp.  So ist es. (64) Salv.  Wenn ich aber fragen würde, wie viele Wurzeln es gibt, so könnte nicht geleugnet werden, dass es ebenso viele sind wie alle Zahlen, weil es keine Zahl gibt, die nicht die Wurzel einer Quadratzahl ist; und weil das so ist, kann man sagen, dass es ebenso viele Quadratzahlen gibt wie Zahlen, denn sie sind ebenso viele, wie ihre Wurzeln sind, und alle Zahlen sind Wurzeln. Dennoch haben wir anfangs gesagt, dass die Gesamtheit aller Zahlen größer ist als die der Quadratzahlen, weil der größere Teil davon keine Quadratzahlen sind. Tatsächlich nimmt die Anzahl der Quadratzahlen in wachsender Proportion ab, wenn man zu immer größeren Zahlen übergeht. So sind es bis zur Zahl Hundert zehn Quadratzahlen, d. h. ein Zehntel sind Quadrat-



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zahlen; bei Zehntausend ist es ein Hundertstel; bei einer Million ist es ein Tausendstel. Ist die Anzahl aber unendlich, wenn man das überhaupt erfassen könnte, so müsste man sagen, dass die Quadratzahlen ebenso viele sind wie alle Zahlen insgesamt. (65) Sagr.  Also, wie sollen wir uns in dieser Angelegenheit abschließend entscheiden? (66) Salv.  Ich sehe nicht, wie wir zu einem anderen Ergebnis kommen könnten, als dass wir sagen: Die Anzahl aller Zahlen ist unendlich, der Quadratzahlen wie ihrer Wurzeln, und die Anzahl der Quadratzahlen ist nicht geringer als die der Zahlen insgesamt, wie auch die der Letzteren nicht größer ist als jene, und schließlich müssen wir sehen, dass die Eigenschaften ›gleich‹, ›größer‹ und ›kleiner‹ auf das Unendliche nicht passen, sondern nur auf endliche Größen. Wenn also Herr Simplicio mir mehrere ungleiche Strecken zeigt und mich fragt, wie es sein kann, dass die größeren nicht mehr Punkte enthalten als die kleineren, so antworte ich ihm, dass es da weder mehr, noch weniger, noch ebenso viele gibt, sondern in jeder unendlich viele. Allerdings hätte ich ihm auch antworten können, dass die Anzahl der Punkte in einer Strecke ebenso groß ist wie die der Quadratzahlen, in einer größeren aber die der Zahlen insgesamt, in einer viel kleineren dann die der Kubikzahlen; aber ob ich ihn wohl zufrieden gestellt hätte, indem ich der einen mehr, der andern weniger, und doch allen unendlich viele Punkte zugeteilt hätte? Und das ist es, was dem ersten Einwand entgegenzusetzen ist. (67) Sagr.  Erlauben Sie mir für einen Moment, dass ich dem einen Gedanken hinzufüge, der mir gerade kam. Wenn also die Sache so liegt, so denke ich, dass man weder sagen kann, ein Unendliches sei größer als ein anderes, noch, dass es größer als ein Endliches sei; denn wäre das Unendliche größer als z. B. eine Million, so würde folgen, dass man, weiter und immer weiter über eine Million hinaus zu größeren Zahlen gehend, sich dem Unendlichen annähern würde, was aber gar nicht der Fall ist. Ganz im Gegenteil: Zu je größeren Zahlen wir übergehen, umso mehr entfernen wir uns vom Unendlichen. Denn unter den Zahlen, je größer sie angenommen werden, finden sich immer weni-

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ger und weniger Quadratzahlen. Da aber in einer unendlichen Anzahl nicht weniger Quadratzahlen sind als die Anzahl aller Zahlen, wie wir gerade gesehen haben, so bedeutet es, wenn man zu immer größeren Zahlen übergeht, dass man sich vom Unendlichen entfernt. (68) Salv.  Also folgt aus Ihrer scharfsinnigen Überlegung, dass die Eigenschaften ›größer‹, ›kleiner‹ oder ›gleich‹ nicht nur auf das Unendliche, sondern auch auf das Verhältnis zwischen Unendlichem und Endlichem nicht passen. Ich greife jetzt eine andere Überlegung auf, nämlich die, dass ich nicht sehe, wie man bei einer Strecke und bei jedem Kontinuum, die immer weiter und weiter teilbar sind, die Schlussfolgerung vermeiden könnte, dass sie alle aus unendlich vielen Unteil­ baren zusammengesetzt sind; denn Teilung und weitere Teilung, die man ständig weitertreiben kann, setzt voraus, dass die Teile unendlich viele sind; andernfalls würde die Unterteilung an ein Ende kommen. Sind aber die Teile unendlich viele, so kann man sie nicht als endliche Teile begreifen, weil eine unendliche Anzahl endlicher Teile eine unendliche Ausdehnung darstellt. Folglich ist das Kontinuum aus unendlich vielen Unteilbaren zusammengesetzt. (69) Simp.  Wenn man aber die Teilung in endliche Teile immer weitertreiben kann, weshalb müssen wir dann hier die Unteil­ baren einführen? (70) Salv.  Die Möglichkeit, Teilung in endliche Teile immer weiter fortzuführen, schließt als solche bereits die Zusammensetzung aus unendlich vielen Unteilbaren ein. Um der Sache auf den Grund zu kommen, bitte ich Sie, mir eindeutig zu sagen, ob Sie denken, dass die in einem Kontinuum enthaltenen Teile endlich oder unendlich viele sind? (71) Simp.  Darauf antworte ich Ihnen, sie sind sowohl unendlich als auch endlich. Potentiell, d. h. vor der Teilung sind sie unendlich, aktuell, d. h. nach der Teilung, sind sie endlich. Die Teile sind nämlich im Ganzen nicht aktuell enthalten, solange sie nicht durch Teilung oder andere Kennzeichnung individualisiert sind; und davor sind sie, wie man sagt, nur potentiell vorhanden.



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(72) Salv.  Dann könnte man also nicht sagen, dass z. B. eine zwanzig Spannen lange Stecke aktuell zwanzig Strecken von je einer Spanne enthält, sondern erst nach der wirklichen Aufteilung in zwanzig gleiche Teile; denn davor sind sie, wie man sagt, nur potentiell darin enthalten. Nun, halten Sie es damit, wie Sie wollen, aber sagen Sie mir, ob das ungeteilte Ganze nach der aktuellen Aufteilung in gleiche Teile mehr oder weniger geworden oder gleich geblieben ist? (73) Simp.  Weder nimmt es zu, noch nimmt es ab. (74) Salv.  Das denke ich auch. Das heißt nun, dass die Teile des Kontinuums, gleich ob sie aktuell oder potentiell da sind, dessen Maß nicht größer noch kleiner machen. Klar ist aber, dass die Anzahl der aktuell im Ganzen enthaltenen Teile, wenn es unendlich viele sind, dieses zu einer unendlichen Größe machen würden, während andererseits dieselben unendlich vielen Teile, angenommen sie wären nur potentiell vorhanden, auch nur in einer unendlichen Größe enthalten sein könnten, so dass also in einer endlichen Größe unendliche Teile weder aktuell noch potentiell enthalten sein können. (75) Sagr.  Wie kann es dann sein, dass man ein Kontinuum ohne Ende in Teile aufteilen kann, die man wiederum teilen kann? (76) Sa lv.  Die Unterscheidung von aktuell und potentiell lässt etwas als möglich erscheinen, was aus einer anderen Sicht als unmöglich erschiene. Ich möchte aber diese Partie gerne mit einem anderen Gedanken beilegen. Ich antworte auf die Frage, ob die Teile eines begrenzten Kontinuums endlich oder unendlich viele seien, genau das Gegenteil dessen, was Herr Simplicio eben vorhin geantwortet hat, nämlich, dass sie weder endlich noch unendlich viele sind. (77) Simp.  Darauf wäre ich niemals verfallen, und weil ich keinen mittleren Begriff zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen kenne, so antworte ich, dass es fehlerhaft und falsch ist, etwas entweder endlich oder unendlich erscheinen zu lassen, je nachdem, welche Teilung oder Unterscheidung man vornimmt.

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(78) Salv.  Das denke ich auch. Da wir über beliebige endliche Größen sprechen, so scheint mir, es gibt da zwischen dem End­ lichen und dem Unendlichen einen dritten mittleren Terminus, der einer jeden angenommenen bestimmten Zahl entspricht, so dass es, wie im gegenwärtigen Fall bei der Frage, ob die Teile des Kontinuums endlich oder unendlich an Zahl seien, angemessen sein könnte zu sagen, sie seien weder endlich noch unendlich, würden aber sämtlich jeder beliebigen angenommenen Zahl entsprechen. Das setzt aber voraus, dass sie nicht in bestimmter Anzahl enthalten sind, denn andernfalls könnten sie einer größeren Zahl nicht entsprechen. Andererseits müssen sie aber auch nicht unendlich viele sein, weil ja auch keine bestimmte Anzahl unendlich ist. So kann dann nach Belieben des Fragestellers eine bestimmte Strecke in hundert gleiche Teile aufgeteilt werden, in tausend, oder in zehntausend, wie groß auch immer die gewünschte Zahl ist, nicht aber in unendlich viele. Daher gestehe ich den Herren Philosophen zu, dass das Kontinuum so viele Teile enthält, wie sie immer wünschen mögen, und zwar aktuell oder potentiell, wie sie wollen; ich füge aber hinzu, dass, ebenso wie eine Strecke von zehn Ruten zehn Strecken von je einer Rute enthält, und vierzig von je einer Elle, und achtzig von je einer halben Elle, usw., sie auch unendlich viele Punkte enthält. Nennen Sie diese nach Belieben aktuell oder potentiell; in dieser Frage unterwerfe ich mich, Herr Simplicio, Ihrem Schiedsspruch und Urteil. (79) Simp.  Ich kann nicht umhin, Ihre Ausführungen zu loben, fürchte aber doch sehr, dass dieses Nebeneinander von enthaltenen Punkten und enthaltenen endlichen Teilen nicht ohne inneren Widerspruch ist, und dass es Ihnen auch nicht so leicht fallen würde, eine gegebene Strecke in unendlich viele Punkte aufzuteilen, wie jene Philosophen diese in zehn Ruten oder in vierzig Ellen aufteilen können. Vielmehr halte ich es für ganz unmöglich, Ihre Aufteilung überhaupt vorzunehmen, so dass es sich dabei wohl um eine jener Potenzen oder Möglichkeiten handelt, die niemals zu verwirklichen sind. (80) Salv.  Wenn etwas nur mit Mühe und Sorgfalt, oder mit großem Zeitaufwand zu bewerkstelligen ist, so ist es doch des-



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halb nicht unmöglich, wenn ich auch denke, dass es Ihnen ebenfalls nicht leicht fallen würde, eine Strecke in tausend Teile aufzuteilen, geschweige denn in 937 oder eine andere große Primzahl. Was aber das betrifft, was Sie für eine unmögliche Aufteilung halten, so frage ich Sie, ob Sie bereit wären, es in unserer Unterhaltung mit Gelassenheit aufzunehmen, wenn ich das Problem auf eine ebenso einfache Lösung zurückführe, wie wenn andere eine Strecke in vierzig Teile aufspalten? (81) Simp.  Es gefällt mir durchaus, wie Sie zuweilen die Dinge auf scherzhafte Weise behandeln. Was aber Ihre Frage angeht, so würde es mir mehr als genügen, wenn die Aufteilung in Punkte nicht schwieriger wäre als die in tausend Teile. (82) Salv.  Zu dem Vorhaben, eine Strecke in ihre unendlichen Teile auflösen zu wollen oder zu können, muss ich etwas sagen, das Ihnen vielleicht merkwürdig erscheint. Wer dazu der Methode folgen würde, nach der andere eine Aufteilung in vierzig, sechzig oder hundert Teile vornehmen, nämlich, indem sie diese durch zwei, dann durch vier usw. teilen, weil er glaubt, er würde so zu seinen unendlich vielen Punkten gelangen, der würde sich außerordentlich täuschen, denn auf diese Weise müsste man jedenfalls, um alle endlichen Teile aufzuteilen, in alle Ewigkeit fortfahren zu teilen. Und was die Unteilbaren angeht, so würde er auf diesem Wege immer weiter von dem gesuchten Ziel abkommen und sich ganz im Gegenteil davon entfernen, und wer da meinte, er würde mit fortschreitender Teilung und Vermehrung der Teile sich dem Unendlichen annähern, der würde sich nach meiner Meinung immer weiter davon entfernen. Ich begründe das wie folgt. Wir haben vor Kurzem gefolgert, dass in einer unendlichen Anzahl ebenso viele Quadratzahlen oder Kubikzahlen wie andere Zahlen enthalten sein müssen, weil diese beiden ebenso viele sind wie ihre Wurzeln, und weil alle Zahlen Wurzeln sind. Anschließend haben wir gesehen, dass mit immer weiter anwachsenden Zahlen immer mehr Wurzeln als Quadratzahlen zu finden sind, und mehr Quadratzahlen als Kubikzahlen, was beweist, dass wir, zu je größeren Zahlen wir übergehen, uns umso weiter von dem Unendlichen entfernen. Daraus folgt um-

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gekehrt (denn auf dem bisherigen Weg haben wir uns immer weiter von dem gesuchten Ziel entfernt), dass, wenn man irgendeine Zahl unendlich nennen kann, es die Einheit ist. Und in der Tat sind in der Eins alle notwendigen Bedingungen der unendlichen Zahl gegeben, nämlich, dass sie in sich selbst ebenso viele Qua­ dratzahlen wie Kubikzahlen wie alle anderen Zahlen enthält. (83) Simp.  Ich verstehe nicht, wie man sich das vorstellen soll. (84) Salv.  An dieser Sache gibt es gar keinen Zweifel, weil die Eins eine Quadratzahl ist, eine Kubikzahl, eine Zahl in vierter und in jeder anderen Potenz, und weil es keine besondere Eigenschaft von Quadratzahlen, Kubikzahlen usw. gibt, die nicht auch der Eins zukäme. Beispielsweise ist es eine Eigenschaft von zwei Quadratzahlen, dass es zwischen ihnen eine Zahl als mittlere Proportionale gibt. Nehmen Sie nur irgendeine beliebige Quadratzahl auf der einen und die Eins auf der anderen Seite, so werden Sie dazwischen immer eine mittlere Proportionale finden. Es seien zwei Quadratzahlen 4 und 9, dann ist die mittlere Proportionale zwischen 9 und der Eins die Drei, zwischen der 4 und der Eins ist es die 2; und zwischen den beiden Quadratzahlen 9 und 4 ist es die mittlere 6. Eigenschaft der Kubikzahlen ist, dass es zwischen zwei von ihnen notwendigerweise zwei mittlere Proportionalzahlen gibt. Nehmen Sie 8 und 27, so liegen die 12 und die 18 in der Mitte; und mitten zwischen der Eins und der 8 liegen die 2 und die 4, und zwischen der Eins und der 27 die 3 und die 9. Aus alledem folgt, dass es keine andere unendliche Zahl gibt als eben die Eins. Das nun sind einige der Merkwürdigkeiten, die unsere Vorstellungskraft überschreiten, und die uns bewusst machen sollen, wie grob man sich irren kann, wenn man über das Unendliche unter Zugrundelegung derselben Eigenschaften nachdenkt, welche wir üblicherweise bei endlichen Größen verwenden, obwohl zwischen beiden ihrer Natur nach keinerlei Gemeinsamkeit besteht. Bei dieser Gelegenheit möchte ich ein bemerkenswertes Faktum nicht verschweigen, das mir gerade einfällt, welches die unendlich große Verschiedenheit erklärt, oder vielmehr das Wider­ streben und den Unwillen der Natur dagegen sichtbar macht,



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dass eine endliche Größe ins Unendliche übergeht. Zeichnen wir dazu die gerade Linie AB von beliebiger Länge. I

H

G

K L A

O

C

F

B

D

E

M

Nehmen wir darauf irgendeinen beliebigen Punkt C , der sie in unterschiedliche Teile teilt. So werden sich je zwei Linien von den Endpunkten A und B aus, die untereinander dasselbe Verhältnis haben wie die Teilstrecken AC , BC und sich schneiden, mit ihren Schnittpunkten sämtlich auf dem Umfang ein und desselben Kreises liegen. Nehmen wir beispielsweise die Strecken AL , BL , von den Punkten A und B ausgehend, so, dass sie untereinander dasselbe Verhältnis haben wie die Teilstrecken AC , BC , so werden sich diese im Punkt L schneiden; nehmen wir zwei andere Strecken AK , BK in diesem selben Verhältnis zueinander, so werden sie sich in K schneiden, wieder andere AI, BI, AH , HB , AG, GB, AF, FB, AE , EB werden sich in den Punkten L , K , I, H , G, F, E schneiden, und alle fallen auf den Umfang ein und desselben Kreises. Stellen wir uns nun vor, dass sich der Punkt C kontinuierlich bewegt und das Gesetz befolgt, dass die von ihm zu den Endpunkten A , B gezogenen Strecken immer dasselbe Verhältnis zueinander einhalten wie die ersten Teilstrecken AC , CB, so wird dieser Punkt C den Umfang eines Kreises beschreiben, wie ich als Nächstes beweisen werde. Dieser so beschriebene Kreis wird aber bis ins Unendliche größer und immer größer werden, sowie der Punkt C dem Mittelpunkt näher rückt, welcher O ist, und er wird immer kleiner, je näher dieser Punkt C bei dem äußersten Endpunkt B liegt. Also werden bei Beachtung dieses Gesetzes von jedem beliebigen Punkt,

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der auf der Linie OB liegt, Kreise beliebiger Größe beschrieben werden, kleiner als die Pupille eines Flohauges oder größer als der Himmelsäquator. Nimmt man nun irgendwelche Punkte zwischen O und B, um deren jeden Kreise beschrieben werden, und zwar riesige um Punkte nahe bei O, welche Linie wird dann der Ort O selbst beschreiben, wenn er sich kontinuierlich nach demselben Gesetz bewegt, d. h. so, dass die von ihm zu den Endpunkten A , B gezogenen Strecken dasselbe Verhältnis einhalten, in dem die ursprünglichen Strecken AO, OB zueinander stehen? Er sollte den Umfang eines Kreises beschreiben, der allerdings größer ist als jeder andere Kreis, d. h. eines unendlichen Kreises. Tatsächlich aber beschreibt er eine gerade Linie, die senkrecht auf BA in O steht und sich ins Unendliche erstreckt, ohne je umzukehren und ihren letzten mit ihrem ersten Endpunkt zu verbinden, wie alle anderen das tun. Denn alle diejenigen, die durch eine endliche Bewegung vom Punkte C aus, nachdem sie den oberen Halbkreis CHE beschrieben haben, im Weiteren den unteren Halbkreis EMC beschreiben, vereinigen ihre Endpunkte in Punkt C . Bewegt sich aber der Punkt O selbst, um, wie alle anderen Punkte auf der Linie AB, einen Kreis zu beschreiben (weil alle Punkte auf der anderen Seite von OA ebenfalls ihre Kreise beschreiben, und zwar diejenigen, die O am nächsten sind, die größten), der größer als alle anderen und deshalb unendlich groß sein soll, so kann er niemals an seinen ursprünglichen Ausgangspunkt zurückkehren, und wird, zusammengefasst, eine unendliche gerade Linie beschreiben, welche den Umfang des ihm zugehörigen unendlich großen Kreises darstellt. Bedenken Sie nun, welcher Unterschied zwischen einem endlichen und einem unendlichen Kreis besteht; der Letztere verändert völlig sein Wesen, und zwar so, dass er dieses und selbst die Möglichkeit dazu vollständig verliert. So verstehen wir also sehr gut, dass es keinen unendlich großen Kreis geben kann, woraus weiterhin folgt, dass es auch keine unendlich große Kugel geben kann, noch irgendeinen anderen klar umschriebenen Körper oder eine ebensolche Fläche, der bzw. die unendlich wäre. Was können wir also von den Metamorphosen sagen, die sich beim Überschreiten der



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Grenze zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen ergeben? Und weshalb widerstrebt es unserem Empfinden so sehr, auf der Suche nach der unendlichen Zahl den Schluss zu ziehen, dass wir diese in der Eins finden könnten? Und während wir einen festen Körper in viele kleinere Teile zerlegen und ihn fortschreitend zu einem feinsten Pulver zerkleinern, so dass er schließlich in seine unendlich kleinen, nicht weiter teilbaren Atome zerlegt wäre, weshalb können wir dann nicht sagen, der Körper habe sich in ein einziges Kontinuum verwandelt, das aber vielleicht flüssig wäre wie das Wasser oder ein verflüssigtes Metall? Und sehen wir denn nicht, wie Steine zu Glas verflüssig werden können, welches in starkem Feuer so flüssig wird wie Wasser? (85) Sagr.  Sollen wir also folgern, dass Flüssigkeiten so sind, wie sie sind, weil sie in ihre allerersten unteilbaren unendlichen Teile zerteilt sind und aus diesen zusammengesetzt bestehen? (86) Salv.  Ich kann keine bessere Erklärung für einige wahrnehmbare Erscheinungen finden, zu denen die Folgende gehört. Wenn ich einen harten Körper nehme, er sei aus Stein oder aus Metall, und ich will diesen mit dem Hammer oder einer feinsten Feile in allerfeinstes Pulver zermahlen, so ist klar, dass seine kleinsten Teile, wenn sie auch für unsere Augen und unseren Tastsinn nicht mehr voneinander unterscheidbar sind, doch noch immer eine gewisse Größe haben sowie eine bestimmte Form und Anzahl. Deshalb bilden sie zusammengenommen einen Haufen. Höhlen wir diesen bis zu einem gewissen Grad aus, so bleibt die Höhlung bestehen, ohne dass die Teile in diese zusammenfallen und sie ausfüllen. Schüttelt oder rührt man sie aber, so schließen sie die Höhlung, solange die äußere Bewegungsursache anhält. Diesen selben Effekt zeigen alle Aggregate größerer und immer größerer Körper, gleich welcher Form, auch kugelförmiger, wie man es von Haufen von Hirse kennt, oder von Korn, oder von Bleischrot oder irgendeinem anderen Material. Wenn wir das aber bei Wasser beobachten wollen, so werden wir nichts davon finden; schöpft man daraus, so ebnet es sich sofort wieder ein, sofern es nicht durch ein Gefäß oder sonst ein äußeres Behältnis daran gehindert wird. Jede Aushöhlung wird sofort

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wieder ausgeglichen, und wird es von außen bewegt, so bleibt es für sehr lange Zeit in wellenförmiger Bewegung, wobei sich die Wellen über sehr große Entfernungen erstrecken. Ich halte es deshalb für einen sehr vernünftigen Gedanken, dass die kleinsten Teile des Wassers, in die es aufgelöst zu sein scheint (da es einen geringeren Zusammenhalt aufweist als selbst das feinste Pulver, und genau genommen gar keinen), sich von den kleinsten teilbaren Teilchen vollkommen unterscheiden, und ich kann diesen Unterschied nicht anders als damit erklären, dass sie unteilbar sind. Auch finde ich, dass seine vollkommene Transparenz dazu beiträgt, diese Vermutung zu unterstützen; nehmen wir nämlich den transparentesten Kristall, den es gibt, und beginnen wir, ihn zu zerbrechen und zu zertrümmern, so verschwindet die Transparenz, wenn er zu Pulver zerrieben ist, und zwar immer mehr, je mehr er zerrieben wird. Das Wasser aber, das vollständig und in höchstmöglichem Maß zerteilt ist, ist auch im höchsten Maße durchsichtig. Gold und Silber, durch Scheidewasser feiner zerteilt als mit der feinsten Feile, bleiben in Pulverform und werden niemals flüssig, es sei denn, dass die kleinsten Teile des Feuers oder die Strahlen der Sonne sie, wie ich annehme, in ihre feinsten, unendlich kleinen und unteilbaren Bestandteile auflösen. (87) Sagr.  Was Sie bezüglich des Lichtes andeuten, habe ich zu meiner Verwunderung schon manches Mal beobachtet. Ich habe nämlich gesehen, dass man mit einem Konkavspiegel von drei Spannen Durchmesser Blei auf der Stelle schmelzen kann. Deshalb habe ich angenommen, dass dann, wenn der Spiegel nur groß genug und sorgfältig in parabolische Form gebracht ist, man damit nicht nur auch jedes andere Metall in kürzester Zeit schmelzen könne, da jener Spiegel, der weder besonders groß, noch besonders geglättet oder von besonders sorgfältiger sphärischer Form war, sehr wirksam Blei zum Schmelzen brachte und jedes andere brennbare Material entzündete, welche Effekte mir die Wundererzählungen von den Spiegeln des Archimedes glaubwürdig machten. (88) Salv.  Was Archimedes und die Wirkungen seiner Spiegel angeht, so sind mir all die von verschiedenen Schriftstellern



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beschriebenen Merkwürdigkeiten durch die Lektüre des Archimedes selbst glaubhaft geworden, dessen Bücher ich mit unendlichem Staunen gelesen und studiert habe. Wenn da noch Zweifel gewesen wären, so hätte das, was P. Buonaventura Cavalieri letzthin über den Brennspiegel veröffentlicht hat, und was ich mit Bewunderung gelesen habe, ausgereicht, um mich vollkommen zufriedenzustellen. (89) Sagr.  Ich kenne diese Abhandlung, die ich mit Vergnügen und großem Bewundern gelesen habe, und weil ich den Autor schon vorher kannte, so bestätigte sich mir die Meinung, die ich von ihm gewonnen hatte, dass er sich als einer der herausragenden Mathematiker unserer Zeit erweisen werde. Aber zurück zu den wunderbaren Wirkungen der Sonnenstrahlen auf die Verflüssigung von Metallen: Können wir annehmen, dass dieser so ungestüme Vorgang ohne Bewegung stattfindet, oder geht er mit außerordentlich schneller Bewegung vor sich? (90) Salv.  Wir sehen, dass andere Dinge nur mit Bewegung in Brand gesetzt oder aufgelöst werden, und zwar mit äußerst schneller Bewegung. Nehmen Sie die Blitzphänomene, oder die Explosion des Pulvers in Minen und Knallfröschen, und allgemein, wie die Beschleunigung des Kohlefeuers mit dem Blasebalg, gemischt mit Mengen verschiedener Gase, dessen Fähigkeit zur Verflüssigung von Metallen vermehrt. Ich kann deshalb nicht annehmen, dass die Einwirkungen des Lichts, selbst des allerreinsten, ohne Bewegung vor sich gehen können, sondern nur mit der allerschnellsten. (91) Sagr.  Aber wie und wie groß sollen wir uns diese Geschwindigkeit des Lichts vorstellen? Ist sie vielleicht instantan, also augenblicklich, oder doch eine Bewegung in der Zeit wie die anderen Bewegungen? Ob man sich darüber wohl durch experimentelle Erfahrung Klarheit verschaffen könnte? (92) Simp.  Die tägliche Erfahrung lehrt, dass das Licht sich instantan ausbreitet. Wenn man etwa in großer Entfernung Artilleriefeuer beobachtet, dann sehen unsere Augen die blendende Helle des Feuers ohne Zeitverzug, obwohl der Schall unser Ohr erst mit deutlicher zeitlicher Verzögerung erreicht.

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(93) Sagr.  Nanu, Herr Simplicio, diese wohl bekannte Erfahrung lehrt doch nichts anderes, als dass der Schall uns langsamer erreicht als das Licht; sie sagt mir aber nicht, ob das Licht sich instantan ausbreitet, oder doch mit zeitlicher Geschwindigkeit, wenn auch außerordentlich schnell. Sie beweist nicht mehr als eine andere ähnliche Erfahrung, welche besagt: »Sobald die Sonne über den Horizont steigt, erreicht ihre Glanz unsere Augen«. Aber wer kann mir sagen, ob nicht jene Sonnenstrahlen dort früher ankommen als in meinen Augen? (94) Salv.  Da diese und andere ähnliche Beobachtungen nicht schlüssig sind, dachte ich schon einmal darüber nach, wie man sich ohne Irrtum Gewissheit darüber verschaffen könnte, ob die Erhellung, d. h. die Ausbreitung des Lichts, tatsächlich instantan geschieht, denn die recht schnelle Ausbreitung des Schalls legt nahe, dass auch die des Lichts nicht anders als eben sehr schnell vor sich gehen kann. Ich dachte mir dazu folgendes Experiment aus. Zwei sollen jeder eine Leuchte nehmen, in einer Laterne oder einem anderen Behältnis, so dass sie in Richtung des anderen mit der Hand abgedunkelt werden kann. Dann stellen sie sich in einer Entfernung von wenigen Ellen einander gegenüber und üben sich darin, ihre Leuchte gegenüber dem jeweils anderen aufzudecken oder abzudunkeln, so dass immer dann, wenn einer die Leuchte des anderen zu sehen bekommt, er die seine aufdeckt. Dieses Wechselspiel sollte nach einiger Übung so perfekt abgestimmt sein, dass der Aufdeckung der einen Leuchte ohne nennenswerte Abweichung die Aufdeckung der anderen korrespondiert, und dass derjenige, der seine Leuchte aufdeckt, im selben Augenblick das Licht der anderen Leuchte sieht. Nachdem sie diese Verfahrensweise auf sehr kleine Entfernung abgestimmt haben, stellen sich die Beiden nun mit gleichen Leuchten in einer Entfernung von zwei oder drei Meilen voneinander auf und machen dasselbe Experiment, sobald die Nacht gekommen ist, wobei sie genau beobachten, ob die Antwort auf das jeweilige Aufdecken oder Abdunkeln in derselben Weise wie auf die geringe Entfernung stattfindet. In diesem Fall könnten sie sicher darauf schließen, dass das Licht sich instantan ausbreitet. Sollte



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es nämlich dafür Zeit benötigen, so müsste bei einer Entfernung von drei Meilen, was zwischen der Aussendung des Lichtsignals und dem Empfang des anderen sechs sind, die Verzögerung hinreichend bemerkbar sein. Wollte man aber diese Beobachtung über größere Entfernungen machen, etwa über acht oder zehn Meilen, so könnte man ein Teleskop zu Hilfe nehmen, wobei man je eines für jeden Beobachter auf den Ort fokussiert, wo zur Nachtzeit die Leuchten aktiv sind, welche, auch wenn sie nicht sehr groß und deshalb mit bloßem Auge auf diese Entfernung unsichtbar sind, doch leicht aufzudecken und abzudunkeln sind, so dass sie mit Hilfe der eingestellten und fixierten Teleskope bequem beobachtet werden können. (95) Sagr.  Ich finde dieses Experiment ebenso überzeugend wie genial erdacht. Aber sagen Sie, was Sie auf diese Weise herausgefunden haben. (96) Salv.  Ich habe das Experiment nicht wirklich ausgeführt, d. h. nur auf sehr kleine Entfernung, nämlich weniger als eine Meile, so dass ich nicht sicher feststellen konnte, ob das gegenüberliegend ausgesandte Licht instantan bei mir eintraf. Wenn es aber nicht instantan ist, so ist doch das Licht außerordentlich schnell oder augenblicklich zu nennen, und ich würde es vorerst mit der Bewegung vergleichen, mit der sich die Helligkeit eines Blitzes zwischen den etwa acht oder zehn Meilen entfernten Wolken ausbreitet. Bei diesem Licht können wir den Anfang, oder sagen wir, den Ausgangspunkt und die Quelle an einem bestimmten Ort zwischen den Wolken erkennen, und unmittelbar darauf seine sehr weite Ausbreitung über die umgebenden anderen. Daraus schließe ich, dass dabei eine gewisse sehr geringe Zeit vergeht. Fände nämlich die Erhellung überall gleichzeitig statt, und nicht Teil für Teil, so könnte man wohl den Ursprung des Lichts, oder sagen wir, seinen Mittelpunkt, nicht von seinen äußersten Rändern und Ausbreitungen unterscheiden. Aber in welche Meere begeben wir uns, indem wir uns unmerklich in kleinen Schritten immer auf Weiteres einlassen, zwischen Vakua, dem Unendlichen, den Unteilbaren, zwischen instantanen Bewegungen, ohne doch nach tausend Überlegungen an ein Ufer zu kommen?

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(97) Sagr.  Das alles liegt von dem, was wir eigentlich beabsichtigen, in der Tat recht fern: das Unendliche, wenn man es unter den Zahlen sucht und schließlich bei der Eins landet; das immer weiter Teilbare, das aus dem Unteilbaren hervorgeht; das Vakuum, das sich nur in unteilbarer Vermischung mit dem Vollen zeigt. Insgesamt weicht in diesen Dingen die Natur von unserem üblichen Verständnis dermaßen ab, dass sich sogar der Umfang eines Kreises als unendliche gerade Linie zeigt, welchen Lehrsatz Sie, Herr Salviati, wenn ich es richtig behalten habe, uns geometrisch beweisen wollten. Wenn Sie also wollen, so wäre es gut das zu tun, ohne weiter abzuschweifen. (98) Sa lv.  Ich stehe zu Ihrer Verfügung. Damit die Sache vollkommen verstanden wird, beweise ich das folgende Problem. Gegeben sei eine gerade Linie, die in ungleiche Teile beliebigen Verhältnisses geteilt ist. Dazu soll ein Kreis gezeichnet werden, auf dessen Umfang zwei von den Endpunkten der gegebenen Linie gezogene Gerade sich in einem beliebigen Punkt so trefE I

D M A

C

B

G

F

H

L

fen, dass sie sich zueinander ebenso verhalten, wie die Teile der genannten Linie sich zueinander verhalten, und alle derartigen Strecken, die von den genannten Endpunkten ausgehen, sollen einander der Lage nach ebenso entsprechen [sian omologhe]. Die gegebene Linie sei AB, die in einem beliebigen Punkt C in zwei ungleiche Teile geteilt ist. Man zeichne einen Kreis so, dass auf einem beliebigen Punkt seines Umfangs zwei gerade, von



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den Endpunkten A , B ausgehende Linien zusammentreffen, die zueinander dasselbe Verhältnis haben wie die Teilstrecken AB, BC , und zwar so, dass alle, die von demselben Endpunkt ausgehen, homolog sind. Um den Mittelpunkt C wird dazu mit dem Radius der kleineren Strecke CB ein Kreis beschrieben, an dessen Umfang man von A aus die Tangente AD zieht. Diese verlängert man ununterbrochen über E hinaus. Ihr Berührungspunkt sei D, von dem aus man die Linie CD zieht, welche senkrecht auf AE stehen soll. Senkrecht zu AB errichte man das Lot BE , dessen Verlängerung AE schneidet. Vom Schnittpunkt E ziehe man eine Linie rechtwinklig zu AE , deren Verlängerung die Linie AB in F schneidet, da der Winkel bei A ein spitzer ist. Der Schnittpunkt sei E , von wo aus man das Lot auf AE fällt, dessen Verlängerung mit der verlängerten AB in F zusammentrifft. Ich behaupte nun, erstens, dass die beiden Geraden FE und FC einander gleich sind. Zieht man nämlich die Linie EC , so haben wir die beiden Dreiecke DEC , BEC , wobei zwei Seiten des ersten, DE , EC , den beiden Seiten BE , EC des zweiten gleich sind, da DE und EB Tangenten an den Kreis DB und die Grundlinien DC , CB einander gleich sind; folglich sind auch die beiden Winkel DEC , BEC einander gleich. Weil aber der Winkel BCE zusammen mit dem Winkel CEB ein rechter ist, und ebenso der Winkel CEF zusammen mit dem Winkel CED, so sind, weil diese beiden hinzuzunehmenden Winkel einander gleich sind, auch die Winkel FCE , FEC einander gleich, und folglich die Seiten FE , FC . Nimmt man nun den Punkt F als Mittelpunkt und beschreibt um diesen mit dem Radius FE einen Kreis, so wird dieser durch den Punkt C gehen. Ich behaupte nun, dass der so beschriebene Kreis CEG der gesuchte ist, auf dessen Umfang sich in beliebigen Punkten alle diejenigen Linien schneiden, die von den Endpunkten A , B ausgehen und dasselbe Verhältnis zueinander haben wie die Teilstrecken AB , BC , die, wie schon bemerkt, in Punkt C zusammentreffen. Dasselbe ist für die beiden klar, die in E zusammentreffen, also AE , BE , da der Winkel E des Dreiecks AEB durch die Strecke CE halbiert wird, so dass AE zu BE dasselbe Verhältnis haben wird wie AC zu CB. Dasselbe beweisen wir für

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AG und BG, die beide in G enden. Weil nämlich (aufgrund der Ähnlichkeit der Dreiecke AFE , EFB) AF zu FE sich ebenso verhält wie EF zu FB, und ebenso AF zu FC wie CF zu FB, so folgt, wenn man teilt, dass CB zu BF sich ebenso verhält wie AC zu CF (d. h. zu FG), und die ganze Strecke AB verhält sich zur ganzen Strecke GB wie CF zu FB, und, zusammengesetzt, wie AG zu GB sich verhält, so verhält sich auch CF zu FB, und EF zu FB, und AE zu EB, und AC zu CB. Was zu beweisen war. Nimmt man nun irgendeinen anderen Punkt auf dem Umfang, z. B. H, in dem AH und BH sich treffen, so behaupte ich in derselben Weise, dass sich AH zu HB ebenso verhält wie AC zu CB. Verlängert man HB bis zum Punkt I auf dem Kreisumfang, und verbindet man IF, so wird das Rechteck ABF, weil, wie schon gezeigt, CB zu BF gleich AB zu BG ist, gleich dem Rechteck CBG sein, und ebenso gleich IBH. Folglich wird IB zu BF sich verhalten wie AB zu BH , und die Winkel in B sind einander gleich. Deshalb verhält sich AH zu HB wie IF, d. h. EF, zu FB, und wie AE zu EB.

Darüber hinaus behaupte ich, dass Strecken, die dieses Verhältnis zueinander haben, wenn sie von den Endpunkten A , B ausgehen, niemals in einem Punkt zusammentreffen können, der innerhalb oder außerhalb des Kreises CEG liegt. Wäre das so, und würden sich zwei solche Linien im außerhalb liegenden Punkt L schneiden, und es seien das die Linien AL , BL , so verlängere man BL bis zum Punkt M auf dem Kreisumfang und verbinde MF. Verhält sich dann AL zu BL wie AC zu BC , und also wie MF zu FB, so hätten wir die beiden Dreiecke ALB, MFB, deren die beiden Winkel ALB, MFB einschließende Seiten zuein­ ander proportional sind, während die Winkel an der Spitze bei B gleich sind, und die beiden restlichen Winkel FMB, LAB sind kleiner als ein rechter Winkel (weil nämlich der rechte Winkel bei M den ganzen Radius CG und nicht nur die Teilstrecke BF als Basis hat; der andere Winkel beim Punkt A ist aber ein spitzer, weil die Strecke AL , die homolog zu AC ist, größer ist als die zu BC homologe Strecke BL). Folglich sind die Dreiecke ABL , MBF einander ähnlich, und weil MB sich zu BF ebenso verhält wie AB zu BL , so wird das Rechteck ABF dem Rechteck MBL gleich



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sein. Wir haben aber bewiesen, dass das Rechteck ABF gleich dem Rechteck CBG ist, so dass das Rechteck MBL dem Rechteck CBG gleich wäre, was unmöglich ist; deshalb kann der Schnittpunkt nicht außerhalb des Kreisumfanges liegen. Auf dieselbe Weise lässt sich zeigen, dass er auch nicht innerhalb liegen kann. Folglich liegen alle Schnittpunkte auf demselben Kreisumfang. Es ist aber nun an der Zeit, dass wir auf die Einwendungen des Herrn Simplicio eingehen, indem wir ihm beweisen, dass es nicht nur nicht unmöglich ist, eine Linie in ihre unendlich vielen Punkte aufzulösen, sondern nicht schwieriger, als ihre endlichen Teile zu unterscheiden. Dazu setze ich etwas voraus, was Sie, Herr Simplicio, wie ich hoffe, nicht zurückweisen werden. Ich setzte nämlich voraus, dass Sie nicht von mir verlangen, diese Punkte so auseinanderzunehmen, dass Sie sie auf diesem Blatt Papier isoliert nebeneinander sehen können. Ich meinerseits werde mich damit begnügen, wenn Sie mir vier oder sechs Teile einer Strecke, ohne sie voneinander zu isolieren, kennzeichnen, oder besser noch zu Winkeln verbiegen, so dass diese ein Quadrat oder ein Sechseck bilden, denn ich nehme doch an, dass Sie die Teile in diesem Fall als hinreichend unterschieden und aktualisiert anerkennen. (99) Simp.  Ja, selbstverständlich. (100) Salv.  Also, wenn wir eine Strecke so abwinkeln, dass sie ein Quadrat bildet, oder ein Achteck, oder ein Vieleck mit vierzig, hundert, oder tausend Ecken, und wenn das genügt, um die vier, acht, vierzig, hundert oder tausend Teile zu aktualisieren, die in der geraden Linie potentiell, wie Sie sagen, enthalten waren, warum sollte ich dann nicht, wenn ich daraus ein Vieleck mit unendlich vielen Seiten bilde, so dass ich sie zu einem Kreisumfang biege, mit demselben Recht sagen können, dass ich die unendlich vielen Teile aktualisiert habe, welche, wie Sie sagten, in der Linie, als sie gerade war, potentiell enthalten waren? Man kann doch nicht bestreiten, dass diese Auflösung in die unendlich vielen Punkte nichts anderes ist als jene in vier Teile, die ein Quadrat bilden, oder in tausend Teile, die ein Tausendeck bilden, da doch hier nicht eines der Charakteristika fehlt, welche bei

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einem Vieleck mit tausend oder hunderttausend Seiten gegeben sind. Legt man an dieses eine gerade Linie an, so fällt sie mit einer seiner Seiten zusammen, d. h. mit einem Hunderttausendstel des Vielecks. Aber ein Kreis, d. h. ein Vieleck mit unendlich vielen Seiten, berührt dieselbe Gerade ebenfalls mit einer seiner Seiten, nämlich in einem Punkt, der sich von allen daneben liegenden anderen Punkten unterscheidet, so dass er von diesen nicht weniger abgetrennt und unterschieden ist als die Seite des Vielecks von den angrenzenden Seiten. Wenn nun das Vieleck auf einer Ebene abrollt, so drückt es mit der aufeinander folgenden Berührung seiner Seiten eine Strecke ab, die seinem Umfang gleich ist, und so beschreibt auch der auf derselben Ebene abrollende Kreis mit seinen aufeinander folgenden unendlich vielen Berührungspunkten eine gerade Strecke, die seinem Umfang gleich ist. Nun weiß ich aber nicht, Herr Simplicio, ob die Herren Peripatetiker, denen ich als vollkommen richtig zugebe, dass ein Kontinuum in immer weiter teilbare Teile geteilt werden kann, derart, dass man bei immer weiterer Teilung niemals an ein Ende kommen wird, ob sie also bereit sein werden mir zuzugeben, dass keine ihrer Teilungen die letzte sein kann, weil da immer noch ein anderer Teil zu teilen bleibt, dass es aber dennoch eine letzte und äußerste gibt, nämlich die Auflösung in unendlich viele Unteilbare, wobei ich einräume, dass man diese nicht durch fortschreitende Teilung in eine immer größere Anzahl von Teilen erreicht. Wendet man aber die Methode an, die ich vorgeschlagen habe, alle die unendlichen Teile in einem Zug zu unterscheiden und aufzulösen (ein Kunstgriff, den man mir nicht verweigern sollte), so denke ich doch, dass man sich damit zufrieden geben und zugeben könnte, dass das Kontinuum aus absolut unteilbaren Atomen zusammengesetzt ist, zumal dies vielleicht ein besserer Weg ist als alle anderen, um vielen verwickelten Labyrinthen zu entgehen, wozu über das hinausgehend, was ich zum Zusammenhalt der Teile eines Festkörpers gesagt habe, die Verdünnung und Verdichtung gehört, ohne dass wir im ersteren Fall das Problem haben, leere Räume annehmen zu müssen, im letzteren aber die Durchlässigkeit der Körper, Probleme, die wir in beiden Fällen, wie ich



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denke, mit der Zulassung der Zusammensetzung aus Unteilbaren geschickt vermieden haben. (101) Simp.  Ich weiß nicht, was die Peripatetiker dazu sagen würden, da ihnen die Überlegungen, die Sie angestellt haben, zum größten Teil ganz neu sein dürften und deshalb erst überprüft werden müssten. Es könnte sein, dass sie Antworten und Lösungen für die Knoten finden würden, die ich im Augenblick wegen der Kürze der Zeit und wegen meiner sehr bescheidenen Einsichtsfähigkeit nicht auflösen kann. Lassen wir dies aber jetzt beiseite, da ich gern erfahren würde, wie die Einführung dieser Unteilbaren uns helfen kann, die Verdünnung und Verdichtung zu verstehen und dabei die Annahme des Vakuums und der Durchlässigkeit der Körper zu vermeiden. (102) Sagr.  Auch ich würde sehr gern etwas über dieses Pro­ blem erfahren, das mir sowenig klar ist, vorausgesetzt, Sie enthalten mir nicht die Gründe des Aristoteles gegen das Vakuum vor, wie Sie diese kürzlich Herrn Simplicio vorgetragen haben, und geben danach Ihre Lösung bekannt, weil man wohl mit I­ hnen das als zutreffend annehmen muss, was jener ablehnt. (103) Salv.  Machen wir beides. Was das Erstere angeht, so müssen wir ebenso, wie wir uns bei der Verdünnung der vom kleineren bei Umdrehung des größeren Kreises mitbewegten Kreis beschriebenen Linie bedienen, die länger ist als dessen eigener Umfang, zum Verständnis der Verdichtung zeigen, wie bei der Umdrehung des kleineren Kreises der größere eine gerade Linie beschreibt, die kleiner ist als sein Umfang. Um das besser zu verstehen, wollen wir jetzt sehen, was mit den Viel­ ecken geschieht. In einer der vorigen ähnlichen Zeichnung seien zwei Sechsecke ABC , HIK mit dem gemeinsamen Mittelpunkt L dargestellt, sowie die beiden parallelen Linien HOM , AB c, auf welchen sie abrollen. Die Ecke I des kleineren Sechsecks sei fixiert, und nun drehe man dieses Sechseck, bis die Seite IK auf die Parallele fällt, bei welcher Bewegung der Punkt K den Bogen KM beschreibt und die Seite KI schließlich mit der Strecke IM zusammenfällt. Sehen wir nach, was dabei mit der Seite CB des größeren Sechsecks geschieht. Weil die Umdrehung um den

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Punkt I stattfindet, so wird die Strecke IB mit ihrem Endpunkt B rückwärts gewendet den Bogen Bb unterhalb der Parallele cA beschreiben, so dass, sobald die Seite KI mit der Strecke MI zusammenfällt, die Seite BC sich mit der Strecke bc vereinigt, wobei sie aber nur so weit vorankommt, wie die Strecke Bc reicht, die dabei um die Sehne unter dem Bogen Bb zurückweicht, der oberhalb der Linie BA liegt. Nehmen wir an, die Umdrehung des kleineC K L ren Sechsecks setze sich auf dieselbe Weise fort, so wird dieses O M H I auf seiner Parallele eine Strecke A b B c gleich seinem Umfang beschreiben. Aber das größere wird dabei eine Linie beschreiben, die um so viele Male die Strecke bB A kürzer ist als sein Umfang, wie es Seiten hat – abzüglich einer. B Diese Linie wird aber annähernd gleich derjenigen sein, die C das kleinere Sechseck beschrieben hat, welche sie lediglich um die Strecke bB übertrifft. Hieraus verstehen wir nun ohne jeden Widerspruch, weshalb das größere Sechseck (wenn es von dem kleineren mitgenommen wird) mit seinen Seiten keine längere Strecke beschreibt als das kleinere: weil nämlich ein Teil einer jeden Seite mit der angrenzenden, die vorausgegangen ist, zusammenfällt. Betrachten wir aber nun die beiden Kreise mit dem Mittelpunkt A , die auf ihren Parallelen ruhen, wobei der kleinere die seine in Punkt B, der größere die seine in Punkt C berührt. Beginnt nun der kleinere Kreis zu rollen, so wird der Punkt B zu keiner Zeit in Ruhe sein, während der Abstand BC den Punkt C nach rückwärts versetzt, wie es bei den Vielecken der Fall war, bei denen der Punkt I fixiert blieb, bis die Seite KI mit der Linie IM zusammenfiel, und die Linie IB den Endpunkt B der Seite CB nach rückwärts zu b hin versetzte, so dass die Seite BC mit bc zu-



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sammenfiel, wobei der Teil Bb auf die Linie BA fiel und sich nur um die Strecke Bc gleich IM , d. h. um eine Seite des kleineren Vielecks vorwärts bewegte. Durch dieses Zusammenfallen, bei dem die größeren Seiten über die kleineren hinausreichen, werden die verbleibenden Vorwärtsverrückungen, die gleich den Seiten des kleineren Vielecks sind, bei einer ganzen Umdrehung zusammen eine gerade Linie beschreiben, die gleich derjenigen ist, welche das kleinere Vieleck beschreibt und ausmisst. Aber hier, wenn wir eine ähnliche Überlegung zu den Effekten bei Kreisen anstellen wollen, wird es, so denke ich, richtig sein zu sagen, dass, während die Seiten irgendeines beliebigen Vielecks immer eine bestimmte Anzahl sind, die Seiten des Kreises unendlich viele sind. Jene sind eine Anzahl und teilbar; diese sind keine Anzahl und unteilbar. Die Endpunkte der Seiten des Vielecks bleiben bei dessen Umwälzung für eine bestimmte Zeit in Ruhe, d. h. jeder einzelne für denjenigen Bruchteil der Zeit einer Umwälzung, der der Anzahl der Seiten eines Umfangs entspricht. Bei den Kreisen aber sind die Verzögerungen der Endpunkte ihrer unendlich vielen Seiten augenblicklich, weil ein solcher Augenblick ebenso Teil einer bestimmten Zeitspanne ist wie ein Punkt Teil einer Strecke, die unendlich viele Punkte enthält. Und die Rückwärtsversetzungen der Seiten des größeren Vielecks machen nicht eine ganze Seite aus, sondern nur den Teil, um welchen diese die Seite des kleineren Vielecks übertrifft, während sie nur um soviel vorwärtskommt wie die besagte kleinere Seite. Bei den Kreisen wird der Punkt oder die Seite C während des Augenblicks der Ruhe des Endpunktes B sich um soviel zurückbewegen, wie sie die Seite B übertrifft, und vorwärts kommt sie um die Strecke eben dieser Seite B. Insgesamt werden die unendlich vielen unteilbaren Seiten des größeren Kreises mit ihren unendlich vielen unteilbaren Rückwärtsversetzungen, die während der unendlich vielen augenblicklichen Verzögerungen der unendlich vielen Endpunkte der unendlich vielen Seiten des kleineren Kreises und mit ihren unendlich vielen Vorrückungen stattfinden, welche den unendlich vielen Seiten des kleineren Kreises an Zahl gleich sind, eine Strecke zusammensetzen und beschreiben, welche der

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von dem kleineren Kreis beschriebenen gleich ist, die in sich unendlich viele nicht quantifizierbare Überlappungen enthält, die eine Zusammenballung und Verdichtung bilden, in welcher sich keine quantifizierbaren Teile finden, was man nicht so verstehen sollte, als ginge es um die Teilung einer Strecke in endliche Teile, wie bei dem Umfang irgendeines beliebigen Vielecks, welcher, als gerade Linie dargestellt, nicht auf eine geringere Länge verkürzt werden kann, ohne dass man die Seiten einander überlappen und durchdringen lässt. Diese Zusammenballung von nicht endlichen, sondern unendlichen Teilen ohne Durchdringung endlicher Teile, und die oben schon gegebene Erläuterung der unteilbaren unendlichen Teile mit dazwischenliegenden unteilbaren Vakua ist, so denke ich, alles, was man über die Verdichtung und Verdünnung der Körper sagen kann, ohne annehmen zu müssen, dass die Körper einander durchdringen, und ohne die Annahme endlicher leerer Räume. Wenn Ihnen das zusagt, dann machen Sie etwas daraus; wenn nicht, so verwerfen Sie es zusammen mit meiner Erklärung als leeres Geschwätz, und suchen Sie nach einer anderen Erklärung, die Ihren Geist mehr befriedigt. Ich wiederhole nur zwei Wörter: wir handeln hier von Unend­ lichen und Unteilbaren. (104) Sagr.  Ich gebe freimütig zu, dass dieser Gedankengang überaus subtil und für meine Ohren neu und bemerkenswert ist. Ob aber die Natur tatsächlich in dieser Weise vorgeht, weiß ich nicht zu entscheiden. Allerdings werde ich, um nicht gänzlich ahnungslos zu bleiben, mich daran halten, solange ich nichts höre, das mir besser zusagt. Vielleicht aber hat Herr Simplicio, um diesen Vorgang zu erklären (was mir bislang nicht gelungen ist), einen Weg gefunden, der in dieser so verworrenen Angelegenheit von den Philosophen empfohlen wird; denn allerdings ist alles, was ich über die Verdichtung gelesen habe, mir dermaßen dicht, und alles über die Verdünnung dermaßen dünn erschienen, dass meine schwache Vorstellungskraft jenes nicht verstehen und dieses nicht durchdringen konnte. (105) Simp.  Ich bin vollkommen verwirrt und finde auf beiden Wegen große Hindernisse, besonders aber auf diesem neuen.



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Nach diesem Prinzip könnte man wohl eine Unze Goldes so dünn ausziehen und strecken, dass sie größer würde als die ganze Erde, und ebenso könnte man die ganze Erde auf die Größe einer Nuss verdichten und reduzieren, was ich nicht glaube, noch, dass Sie selbst es glauben. Ich denke, dass die Überlegungen und Beweisführungen, die Sie dazu angestellt haben, rein mathematisch sind, abstrahiert und getrennt von der erfahrbaren Materie, und dass ihre Anwendung auf körperliche und natürliche Materialien diese Regeln nicht bestätigen würde. (106) Sa lv.  Weder kann ich Ihnen das Unteilbare sichtbar machen, noch denke ich, dass Sie das verlangen. Was aber unsere Sinne erfassen können, so sehen wir doch, da Sie gerade von Gold sprachen, wie man dessen Teile ganz außerordentlich weit auseinanderziehen kann. Ich weiß nicht, ob Sie schon Gelegenheit hatten zu sehen, wie die Handwerker Golddraht ziehen, der nur oberflächig vergoldet ist, während er im Inneren aus Silber besteht. Das geht folgendermaßen: Man nimmt einen Barren oder, wenn Sie so wollen, eine Stange von Silber, etwa eine halbe Elle lang und drei oder vier Zoll dick, die man mit Blattgold vergoldet, welches bekanntlich so dünn ist, dass es in der Luft flattert. Von solchen Blättern nimmt man nicht mehr als acht oder zehn Stück übereinander. Das so vergoldete Silber zieht man nun sehr stark auseinander, wobei es durch die Löcher des Zieheisens geführt wird. Das wiederholt man mit immer engeren Löchern, und durch sehr viele Wiederholungen wird es so weit reduziert, dass es nicht dicker als ein Frauenhaar ist. Bei alledem bleibt es auf der Oberfläche vergoldet. Ich überlasse es nun Ihnen darüber nachzudenken, zu welcher minimalen Stärke die Substanz des Goldes auf diese Weise reduziert und in welchem Ausmaß es dabei gedehnt wird. (107) Simp.  Ich kann nicht erkennen, dass aus diesem Verfahren schließlich eine Verfeinerung der Goldmaterie folgen würde, welche die wundersamen Eigenschaften hätte, die Sie sich vorstellen, erstens, weil zu der ersten Vergoldung bereits zehn Blatt Goldes verwendet wurden, was schon eine gewisse Menge ausmacht, zweitens, weil das Silber, wenn es auch beim Prozess des

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Ausziehens und Verdünnens länger wird, doch auch an Stärke abnimmt, wobei das eine Maß durch das andere kompensiert wird, so dass die Oberfläche sich keineswegs so vergrößert, dass man, um sie mit Gold zu umkleiden, dieses über die Stärke der genannten Blätter hinaus weiter reduzieren müsste. (108) Salv.  Sie irren sich sehr, Herr Simplicio, denn die Zunahme der Oberfläche wächst mit der Quadratwurzel aus der Verlängerung, wie ich Ihnen geometrisch beweisen könnte. (109) Sagr.  Im eigenen wie im Namen von Herrn Simplicio bitte ich Sie um diesen Beweis, vorausgesetzt Sie nehmen an, dass wir ihm folgen können. (110) Salv.  Ich will sehen, ob er mir aus dem Stegreif wieder einfällt. Fest steht, dass der ursprüngliche dicke Silberbarren und der sehr lange, gezogene Draht zwei gleiche zylindrische Körper aus derselben Menge Silbers sind. Wenn ich also zeigen kann, in welchem Verhältnis die Oberflächen dieser beiden zylindrischen Körper zueinander stehen, haben wir, was wir suchen. Ich behaupte nun: Die Oberflächen gleicher zylindrischer Körper unter Abzug ihrer Grundflächen verhalten sich zueinander ebenso wie die Quadratwurzeln aus ihren Längen. Gegeben seien zwei gleiche zylindrische E Körper mit den Höhen AB und CD, und die A C Strecke E stelle die mittlere Proportionale zwischen ihnen dar. Ich behaupte nun, dass die Oberfläche des Zylinders AB abzüglich D seiner Grundfläche sich zur Oberfläche des F Zylinders CD, gleichfalls abzüglich seiner Grundfläche, ebenso verhält wie die Strecke AB zur Strecke E , welche gleich der Quadratwurzel aus dem Verhältnis von AB zu CD ist. B Man teile dazu den Zylinder AB in F in zwei Teile, und die Höhe AF sei gleich der Höhe CD. Weil aber die Grundflächen gleicher Zylinder sich umgekehrt verhalten wie deren Höhen, so wird die kreisförmige Grundfläche des Zylinders CD sich zur kreisförmigen Grundfläche des Zylinders AB



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ebenso verhalten, wie die Höhe BA sich zur Höhe DC verhält. Weil aber Kreise sich zueinander verhalten wie die Quadrate ihrer Durchmesser, so verhalten sich diese Quadrate ebenso wie BA zu CD. Wie aber BA sich zu CD verhält, so verhält sich das Quadrat über BA zum Quadrat über E . Wir haben also vier Quadrate, die zueinander proportional sind. Dann sind aber auch ihre Seiten zueinander proportional, und wie die Strecke AB sich zu E verhält, so verhält sich der Durchmesser des Kreises C zum Durchmesser des Kreises A . Wie aber die Durchmesser sich verhalten, so verhalten sich auch die Umfänge, und wie die Umfänge sich verhalten, so verhalten sich wiederum die Oberflächen von Zylindern gleicher Höhe. Daher verhält sich die Oberfläche des Zylinders CD zur Oberfläche des Zylinders AF, wie die Strecke AB sich zur Strecke E verhält. Weil aber die Höhe AF sich zu AB ebenso verhält wie die Oberfläche AF zur Oberfläche AB, und weil sich die Oberflächen CD zu AF ebenso verhalten wie die Höhe AB zur Strecke E , so ergibt sich durch Umstellung die Höhe AF zu E ebenso wie die Oberfläche CD zur Oberfläche AB, und umgekehrt: Wie die Oberfläche des Zylinders AB sich zur Oberfläche des Zylinders CD verhält, so verhält sich auch die Strecke E zur Strecke AF, d. h. zu CD, oder auch AB zu E , welches die Quadratwurzel aus dem Verhältnis von AB zu CD ist; und das ist es, was bewiesen werden sollte. Wenn wir nun das, was hier bewiesen wurde, für unsere Zwecke verwenden, wo wir vorausgesetzt hatten, dass jener zylindrische Körper aus Silber vergoldet wurde, als er noch kaum länger als eine halbe Elle und drei- oder viermal so dick wie ein Daumen war, aber ausgezogen zur Feinheit eines Haares sich auf zwanzigtausend Ellen verlängert hatte (was wirklich eine Menge ist), so finden wir, dass sich seine Oberfläche um das Zweihundert­ fache des ursprünglichen Maßes vergrößert hat, was bedeutet, dass jenes Blattgold, wovon zehn Stück übereinander gelegt worden waren, dann, wenn es zu einer zweihundert Mal größeren Oberfläche ausgezogen wird und also die Oberfläche derart vieler Ellen bedeckt, nicht dicker sein kann als ein Zwanzigstel eines Blattes des eingesetzten Blattgolds. Beden­ken Sie nun angesichts

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dieser Feinheit, wie man sich diese vorstellen könnte, ohne dabei eine immense Streckung der Teile anzunehmen, und ob das nicht eine Erfahrung ist, die darauf hinweist, dass die Materie der Körper aus unendlich vielen Unteilbaren zusammengesetzt ist; und hierauf gibt es noch andere weit stärkere und schlüssigere Hinweise. (111) Sagr.  Diese Beweisführung finde ich so schön, dass ich die nötige Zeit, um sie anzuhören, auch dann, wenn sie mich nicht von dem überzeugt hätte, wozu sie dienen soll (was sie, soweit es mich betrifft, allerdings durchaus getan hat), jedenfalls sehr gut genutzt finden würde. (112) Salv.  Da ich sehe, wie sehr Sie solche geometrischen Beweise schätzen, die uns zu sicheren Erkenntnissen führen, so will ich Ihnen den folgenden anvertrauen, der ein außerordentlich merkwürdiges Problem löst. Oben haben wir erfahren, was man mit gleichen Zylindern von verschiedener Höhe und Länge machen kann. Es ist aber auch interessant zu erfahren, was mit Zylindern von gleicher Oberfläche, aber ungleicher Höhe möglich ist, wobei ich immer von den Oberflächen spreche, die sie vollständig umgeben, aber unter Ausschluss der oberen und der unteren Grundfläche. Ich behaupte nun: Gerade zylindrische Körper, deren Oberflächen (unter Ausschluss der Grundflächen) gleich sind, verhalten sich zueinander umgekehrt wie ihre Höhen. Zwei zylindrische Körper AE , CF sollen I gleich große Oberflächen haben, jedoch soll die Höhe CD des Letzteren größer sein als die Höhe AB des Ersteren. Ich behaupte, C dass der Zylinder AE sich zum Zylinder CF ebenso verhält wie die Höhe CD zur Höhe A AB. Weil nun die Oberfläche CF gleich der Oberfläche AE ist, so wird der Zylinder CF kleiner sein als der Zylinder AE ; wäre er nämlich diesem gleich, so würde seine OberE B fläche nach dem vorherigen Lehrsatz größer D F sein als die Oberfläche AE , und das gilt umso



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mehr, wenn der nämliche Zylinder CF größer wäre als AE . Stellen wir uns nun einen Zylinder ID vor, der gleich AE ist, so wird, nach der vorangegangenen Beweisführung, die Oberfläche des Zylinders ID sich zur Oberfläche des Zylinders AE ebenso verhalten, wie sich die Höhe IF zum geometrischen Mittel zwischen IF und AB verhält. Da aber nach der Voraussetzung die Oberfläche AE gleich der Oberfläche CF ist, und da die Oberfläche ID sich zu der Oberfläche CF ebenso verhält wie die Höhe IF zu CD, so ist CD das geometrische Mittel zwischen IF und AB. Da außerdem der Zylinder ID gleich dem Zylinder AE ist, so stehen beide zum Zylinder CF in demselben Verhältnis. Aber ID verhält sich zu CF ebenso, wie die Höhe IF sich zur Höhe CD verhält. Daher hat der Zylinder AE zum Zylinder CF dasselbe Verhältnis wie die Strecke IF zur Strecke CD, d. h. wie CD zu AB; und das eben war zu beweisen. Hier finden wir die Erklärung eines Phänomens, welches die Leute nicht ohne große Verwunderung beobachten, wie es nämlich möglich ist, dass ein und dasselbe Stück Stoff, dessen Seiten ungleich lang sind, wenn man daraus einen Getreide­ sack macht, wozu man ein Brett als Boden benützt, mehr fasst, wenn man die kürzere Seite des Stoffes als Höhe benützt und die längere um das Bodenbrett herumzieht, als anders herum. Misst beispielsweise der Stoff an der einen Seite sechs Ellen und an der anderen zwölf, so wird er mehr fassen, wenn man die längere Seite von zwölf Ellen um eine Bodenplatte herumführt und der Sack sechs Ellen hoch ist, als wenn man einen Boden mit nur sechs Ellen umgibt und zwölf als Höhe hat. Zum allgemeinen besseren Verständnis dieser Verschiedenheit ergänze ich die Beweisführung um die bestimmte und genaue Aussage, wie groß der Unterschied des Fassungsvermögens ist. Es ist so, dass der Sack umso mehr fasst, je niedriger, und umso weniger, je höher er ist. So ergibt sich mit genauen Maßen dann, wenn der Stoff doppelt so lang wie breit ist, dass er, um die Länge genäht, die Hälfte weniger fassen wird als auf die andere Weise. Nimmt man eine Strohmatte von fünfundzwanzig Ellen Länge und angenommen sieben in der Breite, um daraus einen Korb zu

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machen, so wird man auf die nämliche Weise finden, dass dieser, um die Länge gerollt, nur siebenmal das Maß fasst, wovon er auf die andere Weise das Fünfundzwanzigfache aufnehmen kann. (113) Sagr.  So gewinnen wir zu unserem großen Vergnügen neue bemerkenswerte und durchaus auch nützliche Erkenntnisse. Was aber den eben behandelten Lehrsatz betrifft, so bezweifle ich doch sehr, ob man unter hundert Leuten, die von der Geometrie keine Ahnung haben, auch nur vier finden könnte, die nicht auf Anhieb irrtümlich annehmen würden, dass Körper, die von gleichen Oberflächen umschlossen werden, auch in jeder anderen Beziehung gleich sind. Sie machen insoweit genau denselben Fehler, der zuweilen unterläuft, wenn man die Größen verschiedener Städte vergleicht, und man meint, man kenne diese, wenn man nur das Maß ihrer Einfriedungen kennt, wobei man ignoriert, dass wohl eine Einfriedung gleich der anderen, und doch die hier umschlossene Fläche wesentlich größer sein kann als dort. Das ist nicht nur bei ungleichen, sondern auch bei gleichen Oberflächen so, wo diejenigen, die mehr Seiten haben, immer mehr umfassen als die mit weniger Seiten, so dass schließlich der Kreis als ein Vieleck mit unendlich vielen Seiten unter allen anderen Vielecken desselben Umfangs das größte Fassungsvermögen hat. Ich erinnere mich, dass ich dies mit großem Vergnügen bewiesen sah, als ich Sacroboscos »De sphera« und dazu einen sehr klugen Kommentar studierte. (114) Salv.  Das ist allerdings wahr, und als ich diese Passage ebenfalls gefunden hatte, ergab sich, dass ich entdeckte, wie man mit einer einzigen und kurzen Beweisführung zeigen kann, dass der Kreis die größte aller regelmäßigen Figuren gleichen Umfangs ist, und dass von den anderen diejenigen mit mehr Seiten größer sind als diejenigen mit weniger. (115) Sagr.  Mir gefallen solche ausgewählten ungewöhnlichen Lehrsätze und Beweisführungen so sehr, dass ich Sie eindringlich bitten möchte, mich daran teilhaben zu lassen. (116) Salv.  Also will ich Ihnen sogleich in kurzen Worten den folgenden Lehrsatz beweisen, der lautet:



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Der Kreis ist die mittlere Proportionale zwischen zwei beliebigen gleichmäßigen Vielecken, deren eines ihm umschrieben und deren anderes ihm an Umfang gleich ist. Außerdem ist er kleiner als alle ihm umschriebenen Figuren, und andererseits größer als alle gleichen Umfangs. Unter den umschriebenen Vielecken sind diejenigen mit vielen Ecken kleiner als die mit wenigen; andererseits sind unter denjenigen gleichen Umfangs diejenigen mit mehr Ecken die größeren. Von zwei ähnlichen Vielecken A , B umschreibe A den Kreis A , und B habe denselben Umfang wie dieser Kreis. Ich behaupte, dass der Kreis die mittlere Proportionale zwischen beiden ist. Man zeichne den Halbmesser AC . Da nun der Kreis gleich jenem rechtwinkligen Dreieck ist, dessen eine den rechten Winkel einschließende Seite gleich dem Halbmesser AC , die andere gleich dem Umfang ist, und ebenso das Vieleck A gleich dem rechtwinkligen Dreieck, dessen eine den rechten Winkel einschließende Seite dieselbe Gerade AC , die andere der Umfang eben dieses Vielecks ist, so folgt, dass das umschriebene Vieleck zum Kreis in demselben Verhältnis steht wie sein Umfang zum Umfang desselben Kreises, d. h. zum Umfang des Vielecks B, welcher gleich diesem Kreisumfang angenommen wurde. I A A

C

C

D

G

E F

B

O

Aber die Vielecke A und B verhalten sich zueinander (weil die Figuren einander ähnlich sind) wie die Quadrate ihrer Umfänge. Daher ist der Kreis die mittlere Proportionale zwischen den beiden Vielecken A und B. Weil nun das Vieleck A größer ist als der Kreis A , so steht fest, dass dieser Kreis größer ist als das ihm an Umfang gleiche Vieleck B , und folglich ist er das größte aller gleichmäßigen Vielecke gleichen Umfangs.

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Was den anderen Punkt angeht, so muss man beweisen, dass von den demselben Kreis umschriebenen Vielecken dasjenige mit weniger Seiten größer ist als das mit mehr Seiten, und dass andererseits von den Vielecken gleichen Umfangs dasjenige mit mehr Seiten größer ist als das mit weniger Seiten. Das beweisen wir folgendermaßen. AD sei eine Tangente an den Kreis mit dem Mittelpunkt O und dem Halbmesser OA , und diese sei beispielsweise die Hälfte der Seite eines umschriebenen Fünfecks, AC aber sei die Hälfte der Seite des Sechsecks. Man ziehe die Geraden OGC und OFD und beschreibe mit dem Mittelpunkt O und dem Abstand OC den Bogen ECI. Weil nun das Dreieck DOC größer ist als der Sektor EOC und der Sektor COI größer als das Dreieck COA , so ist das Verhältnis des Dreiecks DOC zum Dreieck COA größer als das des Sektors EOC zum Sektor COI, d. h. als der Sektor FOG zum Sektor GOA . Durch Verbindung und Umstellung ergibt sich, dass das Dreieck DOA zum Sektor FOA ein größeres Verhältnis hat als das Dreieck COA zum Sektor GOA , und zehn Dreiecke DOA haben zu zehn Sektoren FOA ein größeres Verhältnis als vierzehn Dreiecke COA zu vierzehn Sektoren GOA . Daher hat das umschriebene Fünfeck zum Kreis ein größeres Verhältnis als das Sechseck, und folglich ist das Fünfeck größer als das Sechseck. Nehmen wir nun ein Sechseck und ein Fünfeck, die beide demselben Kreis an Umfang gleich sind. Ich behaupte, dass das Sechseck größer ist als das Fünfeck. Weil dieser Kreis die mittlere Proportionale ist zwischen einem umschriebenen Fünfeck und dem, das ihm an Umfang gleich ist, und desgleichen zwischen dem umschriebenen und dem an Umfang gleichen Sechseck, und weil bewiesen wurde, dass das umschriebene Fünfeck größer ist als das umschriebene Sechseck, so wird dieses Fünfeck zum Kreis ein größeres Verhältnis haben als das Sechseck. Folglich hat der Kreis zu dem ihm an Umfang gleichen Fünfeck ein größeres Verhältnis als zu dem ihm an Umfang gleichen Sechseck. Folglich ist das Fünfeck kleiner als das an Umfang gleiche Sechseck, was zu beweisen war. (117) Sagr.  Das ist ein überaus einleuchtender und sehr scharfsinniger Beweis, wenn er auch dem ersten Anschein nach



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einen Widerspruch zu enthalten scheint, denn der Grund, weshalb das Vieleck mit mehr Seiten größer ist als dasjenige gleichen Umfangs mit weniger Seiten, rührt daher, dass das umschriebene mit mehr Seiten kleiner ist als das umschriebene mit weniger Seiten. Aber wohin sind wir geraten, da wir uns auf die Geometrie eingelassen haben? Wir waren doch dabei, die von Herrn Simplicio vorgebrachten Bedenken zu prüfen, die allerdings sorgfältig erwogen werden wollen, und besonders jenes bezüglich der Verdichtung, das mir sehr schwer zu wiegen scheint. (118) Salv.  Wenn Verdichtung und Verdünnung gegensätzliche Bewegungen sind, so wird man, wenn man eine außer­or­ dentliche Verdünnung annimmt, eine nicht weniger große Verdichtung kaum bestreiten können. Aber außerordentliche Verdünnungen, welche, was besonders erstaunlich ist, sozusagen augenblicklich entstehen, beobachten wir jeden Tag. Wie verhält es sich denn mit dem nahezu vollständigen Verschwinden einer kleinen Menge Artilleriepulvers, das sich in ein riesiges Feuer auflöst? Und wie ist es darüber hinaus mit der sozusagen unbegrenzten Erstreckung seines Lichtscheins? Und wenn dieses Feuer und dieses Licht sich wieder zusammenfänden, was nicht unmöglich ist, da sie doch davor einen kleinen Raum einnahmen, welch eine Verdichtung wäre das wohl? Denken Sie darüber nach, so finden Sie tausend solche Verdünnungen, die sich viel leichter beobachten lassen als die Verdichtungen, weil dichte Materien besser zu handhaben und unserer sinnlichen Wahrnehmung näher sind, so dass wir leicht mit Holz arbeiten und sehen, wie es sich in Feuer und Licht auflöst, nicht aber sehen wir, wie Feuer und Licht sich zusammenfinden, um Holz zu bilden. Wir sehen Früchte, Blumen und tausend andere feste Materien, die sich zu großem Teil in Gerüche auflösen, nicht aber sehen wir, dass die Duftteilchen sich zusammenfinden, um duftende feste Materie zu bilden. Wo aber die sinnliche Anschauung fehlt, da dürfen wir ersatzweise nachdenken, was durchaus hinreicht, um uns die Bewegung der Verdünnung und Auflösung von festen Körpern ebenso verständlich zu machen wie jene der Verdichtung feiner und äußerst verdünnter Substanzen. Darüber hinaus

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können wir untersuchen, wie verdicht- und verdünnbare Körper verdichtet oder verdünnt werden können, indem wir darüber nachdenken, auf welche Weise das ohne die Einführung des leeren Raumes oder der Durchdringlichkeit der Körper möglich wäre, wobei nicht ausgeschlossen wird, dass es in der Natur Materien gibt, bei denen solche Vorgänge nicht möglich sind, so dass sie auch für Erscheinungen keinen Raum lassen, die Sie unüblich und unmöglich nennen. Schließlich habe ich mich aus Respekt für Sie, Herr Simplicio, und für die anderen Herren Philosophen, bemüht, darüber nachzudenken, wie man sich Verdichtung und Verdünnung ohne Annahme der Durchdringbarkeit der Körper und ohne Einführung leerer Räume vorstellen kann, Erscheinungen also, die Sie bestreiten und verwerfen, die ich aber, wenn Sie so etwas doch einräumen wollten, keineswegs hartnäckig bestreiten würde. Deshalb mögen Sie nun entweder diese unpassenden Erscheinungen doch zulassen, oder Sie akzeptieren meine Überlegungen, oder Sie finden etwas anderes, das Ihnen besser zusagt. (119) Sagr.  Was die Ablehnung der Durchdringbarkeit angeht, so bin ich vollständig auf der Seite der peripatetischen Philosophen. Hinsichtlich des Vakuums würde ich gerne eine sorgfältige Kritik der Beweisführung des Aristoteles hören, mit der er es verwirft, und, was Sie, Herr Salviati, dagegensetzen. Herr Simplicio wird mir den Gefallen tun, die Beweisführung des Philosophen genau wiederzugeben, und Sie, Herr Salviati, darauf zu erwidern. (120) Simp.  Soweit ich mich erinnere, wendet sich Aristoteles gegen einige Ältere, welche das Vakuum als notwendig für die Bewegung eingeführt hatten, indem sie behaupteten, diese könne ohne jenes nicht stattfinden. Aristoteles stellt sich gegen diese, indem er im Gegenteil beweist, dass die Bewegung (die wir sehen) die Existenz des Vakuums aufhebt; dazu geht er folgendermaßen vor. Er macht zwei Voraussetzungen: Die eine betrifft verschieden schwere Körper, die sich im selben Medium bewegen, die andere ein und denselben Körper, der sich in verschiedenen Medien bewegt. Zu Ersterem setzt er voraus, dass verschieden schwere Körper sich im selben Medium mit unter-



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schiedlichen Geschwindigkeiten bewegen, welche sich zueinander ebenso verhalten wie die Gewichte, so dass beispielsweise ein Körper, der zehnmal schwerer ist als ein anderer, sich zehnmal schneller bewegen wird. In dem anderen Fall nimmt er an, dass die Geschwindigkeiten ein und desselben bewegten Körpers in verschiedenen Medien sich zueinander umgekehrt verhalten wie die Masse bzw. Dichte der Medien, so dass z. B. unter der Voraus­setzung, dass das Wasser zehnmal dichter sei als die Luft, die Geschwindigkeit in Luft zehnmal größer sein soll als die in Wasser. Bezüglich der zweiten Annahme führt er den Beweis folgendermaßen: Da die Feinheit des Vakuums diejenige des von irgendeinem Medium wie gering auch immer erfüllten Raumes um ein unendliches Intervall übertrifft, so wird jeder bewegte Körper, der sich in diesem raumerfüllenden Medium in gewissen Zeiten durch gewisse Räume bewegt, sich im Vakuum in einem einzigen Augenblick bewegen. Nun ist aber eine augenblickliche Bewegung unmöglich; also ist es auch nicht so, dass zugunsten der Bewegung ein Vakuum existieren müsse. (121) Sa lv.  Mir scheint das ein Argument ad hominem zu sein, also gegen diejenigen, welche denken, zur Bewegung sei auch das Vakuum nötig. Wenn ich also dieses Argument schlüssig finde und damit zugleich anerkenne, dass es im Vakuum keine Bewegung geben könne, so wird dadurch die Annahme des Vakuum selbst, absolut gesehen, und nicht nur in Bezug zur Bewegung, keineswegs widerlegt. Um aber sagen zu können, was jene Älteren vielleicht darauf geantwortet haben würden, so dass wir besser verstehen können, ob die Beweisführung des Aristoteles schlüssig ist, sollten wir, so denke ich, dessen Voraussetzungen angreifen und alle beide bestreiten. Was die Erstere betrifft, so bezweifle ich sehr, dass Aristoteles je experimentell überprüft hat, ob es zutrifft, dass zwei Steine, deren einer zehnmal schwerer ist als der andere, wenn man sie gleichzeitig aus der Höhe herunterfallen lässt, angenommen durch hundert Ellen, sich in ihren Geschwindigkeiten derart unterscheiden würden, dass bei der Ankunft des schwereren auf der Erde der andere nicht mehr als zehn Ellen gefallen wäre.

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(122) Simp.  Er scheint aber mit seinen Worten doch zu bestätigen, dass er das Experiment gemacht hat, denn er sagt: Wir sehen den schwereren. Dieses sehen weist doch darauf hin, dass er aus der Erfahrung spricht. (123) Sagr.  Ich aber, Herr Simplicio, der ich diesen Versuch gemacht habe, versichere Ihnen, dass eine Geschützkugel, die hundert, zweihundert oder noch mehr Pfunde wiegt, kein bisschen früher auf der Erde ankommt als die Kugel einer Muskete, welche die Hälfte davon wiegt, wenn beide aus einer Höhe von zweihundert Ellen herunterkommen. (124) Salv.  Wir können aber auch ohne weitere Erfahrungen mit einer kurzen und schlüssigen Beweisführung klar zeigen, dass die Behauptung, ein schwererer Körper bewege sich schneller als ein weniger schwerer aus demselben Material, nicht zutrifft, und das gilt für alle, von denen Aristoteles spricht. Sagen Sie mir also, Herr Simplicio, ob Sie glauben, dass es für jeden schweren Körper, der fällt, eine von der Natur bestimmte Geschwindigkeit gibt, die nicht vermehrt oder vermindert werden kann, es sei denn gewaltsam, oder dadurch, dass man ein Hindernis in den Weg legt. (125) Simp.  Ohne jeden Zweifel hat jeder bestimmte Körper in einem bestimmten Medium eine von der Natur bestimmte Geschwindigkeit, die man nicht vermehren kann, es sei denn, man überträgt ihm eine zusätzliche unkörperliche Kraft [nuovo impeto], und die man nicht vermindern kann, es sei denn durch irgendein Hindernis, das sie verzögert. (126) Salv.  Wenn wir also zwei Körper hätten, deren natürliche Geschwindigkeiten ungleich wären, so würde doch wohl, wenn wir den langsameren mit dem schnelleren verbänden, Letzterer von dem langsameren etwas verzögert, und der langsamere würde von dem schnelleren etwas an Geschwindigkeit übernehmen. Stimmen Sie mir darin nicht zu? (127) Simp.  Mir scheint, dass das zweifellos so sein müsste. (128) Sa lv.  Wenn das aber so ist, so ist es gleichermaßen wahr, dass ein großer Stein, der sich mit angenommen acht Graden Geschwindigkeit bewegt, und ein kleinerer, der sich mit vier



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bewegt, zusammengenommen und zu einem verbunden sich mit einer Geschwindigkeit von weniger als acht Graden bewegen. Nun ist es aber so, dass die beiden Steine zusammengenommen einen Stein bilden, der größer ist als jener erste, der sich mit acht Graden Geschwindigkeit bewegen sollte. Folglich bewegt sich das zusammengenommene Objekt (welches größer ist als der erste Stein allein genommen) langsamer als dieser kleinere erste Stein; und das widerspricht Ihrer Voraussetzung. Sie sehen also, wie ich aus der Voraussetzung, dass das schwerere Objekt sich schneller bewege als das leichtere, den Schluss ziehe, dass das noch schwerere sich weniger schnell bewegt. (129) Simp.  Ich befinde mich in einiger Verwirrung, weil ich immer noch glaube, dass der kleinere Stein, verbunden mit dem größeren, diesen schwerer macht, und, da er ihn schwerer macht, so sehe ich nicht ein, weshalb er nicht auch dessen Geschwindigkeit vergrößern, oder doch wenigstens diese nicht vermindern sollte. (130) Salv.  Hier begehen Sie nun einen weiteren Fehler, Herr Simplicio, denn es trifft nicht zu, dass der kleinere Stein dem Gewicht des größeren etwas hinzufügen würde. (131) Simp.  Nun, das geht allerdings über meinen Horizont. (132) Salv.  Das wird es nicht mehr tun, wenn ich Ihnen den Irrtum klar gemacht habe, in dem Sie sich befinden. Sie müssen dazu bedenken, dass man zwischen schweren Körpern in Bewegung und solchen im Ruhezustand unterscheiden muss. Wird ein großer Stein auf die Waage gebracht und legt man einen anderen Stein darauf, so vergrößert sich das Gewicht, und wenn man ein Büschel Werg hinzufügt, wird es gleichfalls um die sechs oder zehn Unzen zunehmen, die der Werg wiegt. Lassen Sie aber den Stein mit dem Werg verbunden frei aus der Höhe fallen, glauben Sie, dass bei dieser Bewegung der Werg den Stein schwerer macht, so dass er dessen Bewegung beschleunigen muss, oder meinen Sie, dass er diese verzögert, indem er ihn etwas leichter sein lässt? Wir fühlen ein schweres Gewicht auf den Schultern, insofern wir die Bewegung verhindern, welche das lastende Gewicht eigentlich vollziehen will. Wenn wir uns aber mit derselben Geschwindigkeit abwärts bewegen, mit der dieses Gewicht

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von Natur aus fallen würde, wie sollte es uns dann noch drücken und beschweren? Sehen Sie nicht, dass dies nichts anderes wäre, als wenn Sie jemanden mit der Lanze treffen wollten, der mit derselben oder mit größerer Geschwindigkeit vor Ihnen läuft, als mit der Sie ihm folgen? Daraus ergibt sich doch, dass beim freien natürlichen Fall der kleinere Stein nicht auf dem größeren lastet und deshalb auch dessen Gewicht nicht vergrößert, wie es im Ruhezustand wohl sein würde. (133) Simp.  Wie aber, wenn der größere Stein auf dem kleineren läge? (134) Salv.  So würde er das Gewicht vergrößern, wenn seine Bewegungsgeschwindigkeit größer wäre. Wir haben aber schon festgestellt, dass der kleinere, wenn er langsamer wäre, teilweise die Geschwindigkeit des größeren vermindern würde, so dass sie zusammen, obwohl sie miteinander verbunden größer sind, sich langsamer bewegen würden, was Ihrer Annahme widerspricht. Aus alledem folgt, dass also große wie kleine Körper, wenn sie dasselbe spezifische Gewicht haben, sich mit derselben Geschwindigkeit bewegen. (135) Simp.  Ihre Darlegung ist in der Tat einleuchtend. Dennoch kann ich nur schwer glauben, dass ein Schrotkorn von Blei sich ebenso schnell bewegen könnte wie eine Kanonenkugel. (136) Salv.  Sagen Sie ruhig, ein Sandkorn wie ein Mühlstein in der Furt. Ich lasse aber nicht zu, dass Sie, Herr Simplicio, ebenso, wie andere das getan haben, das Gespräch vom eigentlichen Gegenstand ablenken, indem Sie etwas, das ich gesagt habe, angreifen, weil es von der Wirklichkeit um Haaresbreite abweicht, um unter dieser Haaresbreite den Irrtum eines anderen zu verbergen, der so dick ist wie ein Schiffsankertau. Aristoteles lehrt: ›Eine Eisenkugel von hundert Pfund, die durch eine Höhe von hundert Ellen fällt, trifft auf die Erde, noch ehe eine andere von nur einem Pfund durch eine einzige Elle gefallen ist.‹ Ich dagegen behaupte, dass beide zur selben Zeit auftreffen; machen Sie einen Versuch, so werden Sie finden, dass die größere der kleineren um zwei Fingerbreit voraus ist, so dass, wenn die große auf der Erde auftrifft, die andere zwei Fingerbreit dahin-



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ter zurück ist. Und nun wollen Sie unter dieser Breite von zwei Fingern die neunundneunzig Ellen des Aristoteles verstecken und von meiner geringfügigen Abweichung sprechen, während Sie die enorme des anderen mit Schweigen übergehen. Aristoteles erklärt, dass unterschiedlich schwere Körper sich in demselben Medium (soweit es nur von ihrem Gewicht abhängt) mit Geschwindigkeiten bewegen, die ihren Gewichten proportional sind, und er belegt das mit dem Beispiel von Körpern, bei denen man den reinen und absoluten Effekt des Gewichts beobachten kann, weil andere Umstände, wie deren äußere Gestalt oder kleinste Veränderungen, die durch das Medium sehr verstärkt werden, so dass sie die einfache Wirkung der Schwere als solcher verändern, außer Betracht bleiben. Also kann man sehen, dass Gold, welches schwerer ist als alles andere, wenn es zu einem äußerst dünnen Blatt ausgezogen ist, mit der Luft verweht wird; und dasselbe gilt von Steinen, die zu feinstem Pulver zerstoßen wurden. Wenn Sie aber Ihre allgemeine Voraussetzung aufrechterhalten wollen, so müssen Sie beweisen, dass alle schweren Körper das Geschwindigkeitsverhältnis zeigen, und dass sich ein Stein von zwanzig Pfund zehnmal schneller bewegt als einer von zwei; ich sage Ihnen, dass das falsch ist, und dass beide, wenn sie aus einer Höhe von fünfzig oder hundert Ellen fallen, im selben Augenblick auf der Erde ankommen. (137) Simp.  Vielleicht könnte das, was man bei geringeren Fallhöhen nicht beobachten kann, bei sehr großen Fallhöhen von tausenden Ellen zutreffen. (138) Salv.  Wenn Aristoteles das gemeint haben sollte, dann würden Sie ihm einen weiteren Irrtum anlasten, der eine Lüge wäre, denn da man unter irdischen Verhältnissen keine derartige senkrechte Höhe findet, so ist klar, dass Aristoteles eine solche Erfahrung nicht gemacht haben kann; dennoch wollen Sie uns das Gegenteil weismachen, weil er gesagt hat, er habe diesen Effekt gesehen. (139) Simp.  Es trifft in der Tat zu, dass Aristoteles sich eines solchen Grundsatzes nicht bedient, wohl aber jenes anderen, von dem ich nicht glaube, dass er denselben Einwendungen begegnet.

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(140) Salv.  Aber der andere ist nicht weniger falsch als dieser; und es wundert mich, dass Sie den Fehler nicht selbst erkennen und nicht den Schluss ziehen, dass dann, wenn es zuträfe, dass ein und derselbe Körper in Medien von verschiedener Verdünnung und Feinheit und insgesamt von verschiedenem Widerstand, wie beispielsweise Wasser und Luft, der sich mit einer Geschwindigkeit bewegen würde, die in der Luft im selben Verhältnis größer wäre als im Wasser, wie sich die Feinheit der Luft zu der des Wassers verhält, folgen müsste, dass alle Körper, die in der Luft fallen, auch im Wasser fallen. Das ist aber falsch, weil in der Luft sehr viele Körper fallen, die das im Wasser keineswegs tun, sondern vielmehr sich darin nach oben bewegen. (141) Simp.  Ich sehe nicht, dass Ihre Überlegung schlüssig ist; und übrigens behaupte ich, dass Aristoteles die schweren Körper meint, die in beiden Medien fallen, nicht diejenigen, die in der Luft fallen, sich aber im Wasser nach oben bewegen. (142) Sa lv.  Sie bringen zur Verteidigung des Philosophen Dinge vor, die er unter gar keinen Umständen vorgebracht hätte, um nicht seinen ersten Fehler zu verschlimmern. Sagen Sie mir doch, ob die Wassermaterie, oder was immer es ist, was da die Bewegung verzögert, zu der Luftmaterie, die sie weniger hindert, in irgendeinem Verhältnis steht; gegebenenfalls mögen Sie dann einen beliebigen Wert dafür annehmen. (143) Simp.  Allerdings, und nehmen wir an, das Verhältnis sei zehn zu eins, so wird die Geschwindigkeit eines in beiden Elementen fallenden schweren Körpers im Wasser zehnmal langsamer sein als in der Luft. (144) Salv.  Ich nehme jetzt einen von den schweren Körpern, die in der Luft fallen, aber im Wasser nicht, meinetwegen eine Kugel aus Holz, und bitte Sie, eine beliebige Geschwindigkeit anzugeben, mit der sie in der Luft fallen soll. (145) Simp.  Nehmen wir an, sie bewege sich mit zwanzig ­Geschwindigkeitsgraden. (146) Salv.  Sehr gut. Nun ist offenbar, dass diese Geschwindigkeit zu einer anderen geringeren im selben Verhältnis stehen wird wie die Dichte des Wassers zu derjenigen der Luft, welche



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nur zwei Grad Geschwindigkeit ausmacht; so dass man, dem roten Faden folgend und geradezu in Übereinstimmung mit der Aufgabenstellung des Aristoteles folgern könnte, dass die Holzkugel, die in Luft zehnmal schneller fällt als in Wasser, sich während dieses Fallens mit zwanzig Graden Geschwindigkeit bewegen wird, während sie in Wasser mit zweien fallen, aber niemals vom Boden her aufsteigen wird, wie es tatsächlich geschieht. Es sei denn, Sie wollten behaupten, im Wasser sei der Auftrieb von Holz dasselbe wie das Absinken mit zwei Geschwindigkeitsgraden, was ich nicht glaube. Weil aber die Holzkugel nicht auf den Boden sinkt, so denke ich, dass Sie annehmen, irgendeine andere Kugel aus anderem Material als Holz könnte sich finden, die in Wasser mit zwei Geschwindigkeitsgraden sinkt. (147) Simp.  Ohne Zweifel könnte man so etwas finden, es müsste nur aus deutlich schwererem Material sein als Holz. (148) Salv.  Das ist es, was ich gesucht habe. Aber mit welcher Geschwindigkeit würde diese zweite Kugel, die im Wasser mit zwei Geschwindigkeitsgraden sinkt, in der Luft herabfallen? Sie müssten, wenn Sie die Regel des Aristoteles beachten wollen, antworten, dass sie mit zwanzig Grad fallen würde. Aber zwanzig Grad Geschwindigkeit haben Sie selbst der Holzkugel zugeschrieben. Folglich müssten diese und andere deutlich schwerere sich mit gleicher Geschwindigkeit durch die Luft bewegen. Wie kann nun der Philosoph diese Schlussfolgerung mit seiner anderen vereinbaren, der zufolge sich verschieden schwere Körper im selben Medium mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegen, unterschiedlich im selben Verhältnis wie ihre Gewichte? Aber wie kann es sein, wenn wir allzu tiefschürfende Überlegungen einmal beiseite lassen, dass Sie so überaus häufige und handgreifliche Vorgänge nicht beobachtet hätten, und dass Sie nicht bemerkt hätten, wie zwei Körper sich in Wasser bewegen, der eine hundertmal schneller als der andere, während in der Luft der schnellere den anderen nicht um ein Hundertstel übertrifft? Wie beispielsweise ein Ei aus Marmor hundertmal schneller versinkt als ein Hühnerei, während es in der Luft beim Fall aus einer Höhe von zwanzig Ellen keine vier Fingerbreit

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voraus ist; und überhaupt, wie ein schwerer Körper drei Stunden braucht, um im Wasser zehn Ellen tief zu versinken, die er in der Luft in ein oder zwei Pulsschlägen durchmisst, aus welcher Erfahrung folgen würde, dass die Dichte des Wassers diejenige der Luft um mehr als das Tausendfache übertrifft, und umgekehrt, dass ein anderer Körper (zum Beispiel eine Kugel aus Blei) im Wasser dieselben zehn Ellen in einer Zeit von wenig mehr als dem Doppelten der Zeit durchmisst, welche er für dieselbe Strecke in der Luft benötigte, so dass aus dieser zweiten Erfahrung gefolgert werden müsste, dass die Dichte des Wassers wenig mehr als das Doppelte der Dichte der Luft beträgt. Und ich weiß nun sehr wohl, dass Sie, Herr Simplicio, einsehen, dass hier keine Spitzfindigkeit oder sonstige Erwiderung weiterhilft. Ziehen wir also aus alledem den Schluss, dass solche Argumente das Vakuum nicht widerlegen, und dass, wenn dies doch so wäre, das lediglich merklich große Räume beträfe, wovon ich nicht denke, dass sie auf natürliche Weise existieren können, was, wie ich glaube, auch die Alten nicht annahmen, da sie sich allenfalls gewaltsam herstellen lassen, wie verschiedene Erfahrungen gemeinsam bestätigen, auf die an dieser Stelle einzugehen doch zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde. (149) Sagr.  Da ich bemerke, dass Herr Simplicio schweigt, so nütze ich die Gelegenheit, um etwas anderes anzusprechen. Sie haben bereits klar bewiesen, dass sich ungleich schwere Körper bei der Bewegung durch dasselbe Medium mit gleichen Geschwindigkeiten, nicht aber mit Geschwindigkeiten bewegen, die ihren Gewichten proportional sind, haben aber dabei schwere Körper aus derselben Materie, oder genauer: von demselben spezifischen Gewicht vorausgesetzt, jedoch nicht (so glaube ich) von verschiedenem spezifischen Gewicht (denn ich denke nicht, dass Sie behaupten wollen, eine Kugel aus Kork bewege sich mit derselben Geschwindigkeit wie eine aus Blei); und da Sie uns darüber hinaus klar bewiesen haben, dass keineswegs ein und derselbe Körper in unterschiedlich widerstehenden Medien Geschwindigkeiten und Verzögerungen annimmt, die sich ebenso verhalten würden wie die Widerstände, so würde ich sehr



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gern erfahren, welche Verhältnisse in dem einen wie dem anderen Fall tatsächlich zu beobachten sind. (150) Salv.  Das sind gute Fragen, und ich habe oft darüber nachgedacht. Ich sage Ihnen, was ich mir dazu überlegt und was ich schließlich darüber herausgefunden habe. Nachdem ich mit Sicherheit erkannt hatte, dass die Geschwindigkeit ein und desselben Körpers in unterschiedlich widerstehenden Medien keineswegs in einem Verhältnis zu der Nachgiebigkeit dieser Medien steht, geschweige denn, dass die Geschwindigkeiten von Körpern unterschiedlichen Gewichts in ein und demselben Medium sich zueinander ebenso verhalten würden wie diese Gewichte (gemeint sind freilich unterschiedliche spezifische Gewichte), ging ich dazu über, beide Phänomene miteinander zu verbinden, wobei ich darauf achtete, was geschieht, wenn Körper unterschiedlichen Gewichts sich in Medien unterschiedlichen Widerstands bewegen. Dabei fand ich, dass die Unterschiede der Geschwindigkeiten in Medien größeren Widerstands stets größer waren als in den weniger widerstehenden, und zwar derart unterschiedlich, dass von zwei Körpern, die beim Herabfallen in der Luft außerordentlich geringe Geschwindigkeitsunterschiede zeigen, der eine sich in Wasser zehnmal schneller bewegt als der andere, sowie, dass einer, der durch die Luft sehr schnell fällt, in Wasser nicht nur nicht versinkt, sondern sich gar nicht bewegt oder sogar aufwärts steigt. Dem entspricht, dass man die eine oder andere Sorte Holz finden kann, oder einen hölzernen Knoten oder eine Wurzel, die in Wasser in Ruhe schweben können, während sie durch die Luft sehr schnell fallen würden. (151) Sagr.  Ich habe viele Male mit äußerster Geduld versucht, eine Wachskugel, die an sich nicht untergeht, mit Sandkörnern so zu untermischen, dass ihr Gewicht gleich dem des Wassers wird, so dass sie inmitten des Wassers schweben könnte. Es ist mir trotz aller Sorgfalt nicht gelungen, so dass ich nicht weiß, ob es überhaupt eine feste Materie gibt, die von Natur aus dem Gewicht des Wassers so gleicht, dass sie darin an jedem Ort schweben würde.

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(152) Salv.  In diesem Punkt wie in tausend anderen Fällen sind viele Tiere bei weitem geschickter als wir. So hätten Ihnen in Ihrem Fall die Fische als Beleg dienen können, die in diesem Punkt derart geschickt sind, dass sie nach Belieben nicht nur in ein und demselben Wasser das Gleichgewicht halten, sondern auch in Wässern, die sich von Natur aus oder wegen hinzukommender Verschmutzung oder bezüglich des Salzgehalts deutlich voneinander unterscheiden. Sie halten das Gleichgewicht, wie gesagt, so genau, dass sie ohne die geringste Bewegung an jedem Ort verweilen. Dazu, denke ich, benützen sie ein Instrument, das ihnen die Natur zu diesem Zweck gegeben hat, nämlich jene kleine Blase in ihrem Körper, die durch eine ziemlich enge Öffnung mit ihrem Maul verbunden ist, wodurch sie nach Belieben einen Teil der in dem Bläschen enthaltenen Luft nach außen ablassen, oder, an die Oberfläche schwimmend, Luft einsaugen, so dass sie auf diese Weise je nachdem schwerer oder weniger schwer als Wasser sind, oder auch nach Belieben darin im Gleichgewicht schweben. (153) Sagr.  Ich habe ein paar Freunde einmal mit einem anderen Kunstgriff getäuscht, vor denen ich mich gerühmt hatte, ich könne jene Wachskugel mit Wasser genau ins Gleichgewicht bringen. Nachdem ich den unteren Teil eines Gefäßes mit Salzwasser und darüber mit Süßwasser gefüllt hatte, zeigte ich ihnen, wie die Kugel inmitten des Wassers schwebte, und dass sie, wenn sie nach unten gestoßen oder nach oben angehoben wurde, weder hier noch dort zur Ruhe kam, sondern zur Mitte zurückkehrte. (154) Salv.  Dieses Experiment ist nicht ganz unnütz, nämlich wenn zum Beispiel die Mediziner die unterschiedlichen Eigenschaften des Wassers darstellen, unter anderem insbesondere dessen je nachdem größere Leichtigkeit oder Schwere, und zwar mit eben einer solchen Kugel, die so beschaffen ist, dass sie in einem gegebenen Wasser gewissermaßen sich nicht zwischen Absinken oder Aufsteigen entscheiden kann, während sie, wie gering auch immer der Gewichtsunterschied zwischen zwei anderen Wässern sein mag, in dem einen untergehen, in dem ande-



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ren, dem schwereren, aufsteigen wird. Dieses Experiment ist so exakt, dass schon die Zugabe von nur zwei Gran Salz zu sechs Pfund Wasser bewirkt, dass jene eben noch untergegangene Kugel vom Boden zur Oberfläche aufsteigen wird. Ich will noch etwas hinzufügen, um die Genauigkeit dieses Experiments zu bestätigen, und zugleich als klaren Beweis dafür, dass das Wasser sich ohne jeden Widerstand teilen lässt, nämlich, dass nicht nur die Gewichtserhöhung durch Vermischung mit einer anderen, schwereren Materie solche merklichen Unterschiede hervorruft, dass vielmehr schon eine geringe Erwärmung oder Abkühlung denselben Effekt hat, und zwar dermaßen präzise, dass die Beimischung von vier Tropfen anderen Wassers, das ein wenig wärmer oder ein wenig kälter ist als jene sechs Pfund, die Kugel sinken oder aufsteigen lässt, und zwar sinkt sie bei Zumischung des warmen und steigt sie bei Einbringung des kalten Wassers. Hieran sehen Sie, wie sehr jene Philosophen sich täuschen, die dem Wasser eine Zähigkeit oder einen sonstigen Zusammenhalt seiner Teile zuschreiben, wodurch es seiner Teilung oder Durchdringung Widerstand leisten soll. (155) Sagr.  Ich habe in einer Abhandlung unseres Akademikers zu diesem Thema sehr beweiskräftige Überlegungen gefunden, und doch habe ich immer noch einen starken Zweifel, den ich nicht los werde. Wenn nämlich zwischen den Teilen des Wassers keine Zähigkeit und kein Zusammenhalt besteht, wie kann es dann sein, dass durchaus große und deutlich erhabene Wassertropfen sich halten, wie man es speziell auf Kohlblättern sieht, ohne zu zerfließen und sich einzuebnen? (156) Salv.  Sicherlich kann jeder, der eine wahre Erklärung gefunden hat, alle Einwendungen zerstreuen, die dagegen erhoben werden, aber ich maße mir nicht an, dass ich das hier könnte; dennoch soll mein Unvermögen die klare Wahrheit nicht trüben. Zunächst bekenne ich, dass ich nicht weiß, wie es kommt, dass jene deutlich erhabenen und großen Wassertropfen sich halten, wenngleich ich sicher bin, dass es nicht von einer inneren, ­zwischen den Wasserteilchen bestehenden Zähigkeit herrührt. Deshalb bleibt notwendigerweise nur die Annahme, dass die Ur­

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sache dieser Wirkung außerhalb liegt. Dass sie keine innere ist, kann ich Ihnen unabhängig von den genannten Experimenten durch ein anderes zeigen, das überaus eindrucksvoll ist. Wenn es eine innere Ursache dafür gäbe, dass die Teilchen des erhabenen Wassertropfens, der sich, nur von Luft umgeben, erhält, dies leisten, so müsste das umso mehr der Fall sein, wenn sie gegebenenfalls von einem Medium umgeben wären, in dem sie eine geringere Tendenz zum Absinken haben als in der Luft, von der sie umgeben sind. Ein solches Medium wäre jede andere Flüssigkeit, die schwerer ist als Luft; zum Beispiel der Wein. Würde man also Wein um die Wassertropfen herumgießen, so sollte sich dieser ringsum anhäufen, ohne sie aufzulösen, da doch die Teilchen des Wassers von der inneren Zähigkeit zusammengehalten werden. Aber das ist es nicht, was da tatsächlich geschieht. Vielmehr werden sie, kaum dass der dickflüssige Wein ringsum verteilt ist, ohne abzuwarten, dass dieser sich anhäuft, sich auflösen und einebnen, wobei sie unter dem Wein bleiben, wenn es Rotwein ist. Deshalb muss die Ursache dieses Phänomens außerhalb liegen, und vielleicht in der umgebenden Luft. Tatsächlich kann man zwischen Luft und Wasser eine erhebliche Spannung beobachten, wie mir ein anderes Experiment gezeigt hat. Es besteht in Folgendem: Ich fülle eine Kristallkugel mit Wasser, die eine enge Öffnung haben soll, etwa wie ein Strohhalm, und drehe sie mit der Öffnung nach unten. Dennoch wird weder das Wasser, obwohl es recht schwer ist und in der Luft fällt, sich durch die Öffnung nach außen begeben, noch wird andererseits die Luft, so sehr sie dank ihrer Leichtigkeit durch das Wasser aufzusteigen neigt, durch die Öffnung nach innen aufsteigen, sondern sie widerstehen beide und verweigern sich. Anders aber, wenn ich die Öffnung in ein Gefäß mit Rotwein tauche, der nur ein klein bisschen weniger schwer ist als Wasser, so sehen wir diesen sofort in rosa Streifen langsam durch das Medium Wasser aufsteigen, während zugleich das Wasser langsam durch den Wein fällt, ohne dass beide sich im geringsten vermischen, ehe nicht schließlich die Kugel vollständig mit Wein gefüllt ist, während sich das gesamte Wasser am Boden des unteren Gefäßes gesam-



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melt hat. Was sonst könnte man dazu sagen oder daraus schließen, als dass zwischen Wasser und Luft eine Spannung besteht, mir unerklärlich, aber vielleicht … (157) Simp.  Ich muss beinahe lachen, wenn ich die große Antipathie des Herrn Salviati gegen die Antipathie bemerke, da er sie nicht einmal beim Namen nennen will, obwohl dieser doch sehr gut dazu taugte, das Problem zu lösen. (158) Salv.  Dann mag es, Herrn Simplicio sei Dank, eben so sein, dass dies unsere Zweifel beseitigt. Kehren wir also ohne weitere Abschweifung zu unserem Thema zurück. Wir haben gefunden, dass der Geschwindigkeitsunterschied bei unterschiedlich schweren Körpern mit zunehmender Widerstandsfähigkeit des Mediums sehr viel größer wird. Aber was weiter? In Quecksilber als Medium versinkt Gold nicht nur sehr viel schneller als Blei, sondern es versinkt überhaupt als einziges, während alle anderen Metalle und Gesteine darin aufsteigen und oben schwimmen, obwohl doch Kugeln aus Gold, Blei, Kupfer, Porphyr, oder aus anderen schweren Materien sich bei der Bewegung durch die Luft nahezu gar nicht voneinander unterscheiden, so dass sicherlich eine Goldkugel, nachdem sie durch hundert Ellen gefallen ist, einer solchen aus Kupfer kaum um vier Fingerbreit voraus sein wird. Angesichts dessen, wie gesagt, behaupte ich, dass dann, wenn man den Widerstand des Mediums vollständig beseitigen könnte, sämtliche Materien mit ein und derselben Geschwindigkeit fallen würden. (159) Simp.  Das ist ein großes Wort, Herr Salviati. Ich werde niemals glauben, dass selbst im Vakuum, wenn darin eine Bewegung überhaupt möglich wäre, eine Wollfaser sich ebenso schnell bewegen würde wie ein Stück Blei. (160) Salv.  Langsam, langsam, Herr Simplicio, Ihr Einwand ist keineswegs so abseitig, und ich bin keineswegs so unvorbereitet, dass Sie annehmen dürften, ich hätte das nicht bedacht und hätte deshalb keine Antwort darauf. Hören Sie also, damit ich mich deutlich erkläre und Sie überzeuge, die folgende Überlegung. Wir wollen herausfinden, was mit Körpern von deutlich unterschiedlichem Gewicht in einem Medium geschieht, des-

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sen Widerstand gleich Null sein soll, so dass alle etwaigen Geschwindigkeitsunterschiede dieser Körper ausschließlich auf die Gewichtsunterschiede zurückgeführt werden müssten. Weil nun nur ein vollkommen luftleerer Raum, in dem sich auch kein anderer wie dünn und elastisch auch immer verteilter Körper befinden dürfte, geeignet wäre, uns das, was wir suchen, deutlich zu zeigen, wir aber einen solchen Raum nicht zur Verfügung haben, so wollen wir das, was sich in feineren und weniger widerstehenden Medien ergibt, mit dem vergleichen, was wir in anderen, weniger feinen und größeren Widerstand leistenden beobachten können. Finden wir dann tatsächlich, dass die Geschwindigkeiten unterschiedlich schwerer Körper sich umso weniger unterscheiden, je feiner das jeweilige Medium ist, und dass schließlich, wie groß der Gewichtsunterschied auch sein mag, in einem Medium, das, wenngleich kein Vakuum, so doch feiner ist als alle anderen, sich der Geschwindigkeitsunterschied als äußerst gering und kaum merkbar erweist, so denke ich, wir dürfen dann als sehr wahrscheinlich vermuten und glauben, dass im Vakuum alle diese Geschwindigkeiten einander gleich sein würden. Zu diesem Zweck untersuchen wir, was in Luft geschieht. Damit wir einen Körper von klar bestimmter Oberfläche und äußerst leichtem Material verwenden, schlage ich vor, wir nehmen eine aufgepumpte Blase, so dass die darin befindliche Luft im Medium derselben Luft gar nichts oder nur sehr wenig wiegt, zumal sie sich kaum komprimieren lässt. Als Gewicht kommt dann lediglich das wenige in Betracht, das von der dünnen Membran herrührt, welches nicht den tausendsten Teil dessen ausmachen wird, was ein Bleiklumpen von der Größe der besagten aufgepumpten Blase wiegt. Wenn Sie nun, Herr Simplicio, beides aus einer Höhe von vier oder sechs Ellen fallen lassen, um welche Strecke, meinen Sie, würde dann der gefallene Bleiklumpen der Blase voraus sein? Glauben Sie mir, auch wenn Sie ihn für tausendmal so schnell halten, würde er ihr doch nicht um das Dreifache oder auch nur um das Doppelte voraus sein. (161) Simp.  Es mag sein, dass das, was Sie behaupten, am ­A nfang der Bewegung, d. h. auf den ersten vier oder sechs Ellen,



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zu beobachten ist. Im Weiteren aber und auf längere Dauer wird das Blei sie wohl nicht nur um sechs, sondern sogar um acht oder zehn von zwölf Raumteilen hinter sich lassen. (162) Sa lv.  Das glaube ich auch, und ich bezweifle nicht, dass bei sehr großen Strecken das Blei hunderttausend Strecken­ abschnitte hinter sich gelassen haben kann, ehe noch die Blase einen einzigen passiert hätte. Aber das, mein Herr Simplicio, was Sie mir da als ein Phänomen vorhalten, das meiner Behauptung widersprechen soll, bestätigt diese vollkommen. Meine Absicht (um es noch einmal zu sagen) ist, zu zeigen, dass die unterschiedlichen Geschwindigkeiten verschieden schwerer Körper keineswegs durch die unterschiedlichen Gewichte verursacht sind, sondern dass sie von äußeren Gegebenheiten herrühren, insbesondere vom Widerstand des Mediums, so dass, wenn man diesen wegnimmt, alle Körper sich mit demselben Geschwindigkeitsgrad bewegen würden. Das folgere ich in erster Linie aus dem, was Sie selbst jetzt zugegeben haben und was sicherlich wahr ist, dass nämlich die Geschwindigkeiten unterschiedlich schwerer Körper zunehmend differieren, wenn die durchmessenen Räume größer und größer werden. Dieses Phänomen träte nicht ein, wenn sie von den unterschiedlichen Gewichten herrührten. Es müsste dann nämlich, weil diese immer dieselben bleiben, sich auch immer dasselbe Verhältnis zwischen den zurückgelegten Strecken erhalten, welches Verhältnis aber, wie wir sehen, im Lauf der Bewegung immer weiter zunimmt. Deshalb wird ein sehr schwerer Körper beim Fallen durch eine Elle einem sehr leichten nicht um ein Zehntel dieser Strecke voraus sein, während er aber beim Fall durch zwölf Ellen um ein Drittel voraus sein wird, durch hundert um 90/100, usw. (163) Simp.  Vollkommen richtig. Folgt man aber Ihrem Ansatz, dass der Gewichtsunterschied unterschiedlich schwerer Körper nicht die Ursache der Veränderung ihrer Geschwindigkeiten sein kann, da sich diese Gewichte nicht verändern, so wird auch das Medium, welches voraussetzungsgemäß immer dasselbe ist, keinerlei Veränderung im Verhältnis der Geschwindigkeiten verursachen können.

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(164) Sa lv.  Sehr scharfsinnig bringen Sie gegen meine Behauptung einen Einwand vor, der unbedingt entkräftet werden muss. Ich behaupte also, dass einem schweren Körper von Natur aus das Prinzip innewohnt, sich zu dem gemeinsamen Schwerezentrum, d. h. zu unserer Erdkugel hin, zu bewegen, und zwar mit einer ständig beschleunigten Bewegung und immer gleicher Beschleunigung, d. h. dass in gleichen Zeiten gleiche Teile neuer Bewegung und Geschwindigkeitsgrade hinzukommen. Und das wird man jedesmal bestätigt finden müssen, wenn alle unwesentlichen und äußerlichen Widerstände beseitigt sind, deren einen wir niemals aufheben können, nämlich den Widerstand des materieerfüllten Mediums, welches der fallende Körper öffnen und zur Seite schieben muss. Dieser seitlichen Bewegung aber widersetzt sich das Medium, obwohl es flüssig, nachgiebig und in Ruhe ist, je nachdem mit kleinerem oder immer größerem Widerstand in dem Maß, in dem es langsamer oder schneller ausweichen muss, um den Körper durchzulassen, der, wie gesagt, gemäß seiner Natur fortwährend beschleunigt wird und deshalb fortwährend größerem Widerstand des Mediums begegnet, so dass sich das Hinzukommen neuer Geschwindigkeitsgrade immer mehr verzögert und die hinzukommenden Grade neuer Geschwindigkeit immer kleiner werden, bis schließlich die Geschwindigkeit ein solches Maß und der Widerstand des Mediums eine solche Größe erreicht, dass sie sich gegeneinander ausgleichen, somit keine weitere Beschleunigung stattfindet und der Körper eine gleichförmige und einförmige Bewegung annimmt, in der er sich anschließend immer erhält. Das zeigt, dass der Widerstand des Mediums nicht deshalb zunimmt, weil sich dessen Wesen verändern würde, sondern weil sich die Geschwindigkeit ändert, mit der es sich öffnen und seitwärts ausweichen muss, um den fallenden Körper durchzulassen, der sich fortschreitend beschleunigt. Weil man aber sehen kann, dass der Widerstand der Luft gegen die geringe Bewegung der Blase außerordentlich groß, gegen das große Gewicht des Bleiklumpens aber sehr klein ist, so halte ich es für sicher, dass dann, wenn man ihn vollständig wegnehmen könnte, dies der Blase sehr zugute käme, viel weniger aber



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dem Bleiklumpen, so dass ihre Geschwindigkeiten sich einander angleichen würden. Nimmt man nun den Grundsatz an, dass in einem Medium, sei es ein Vakuum oder etwas anderes, keinerlei Widerstand gegen die Geschwindigkeit der Bewegung existiert, so dass alle Körper sich mit derselben Geschwindigkeit bewegen, so kann man mit hinreichender Genauigkeit das Geschwindigkeitsverhältnis ähnlicher und unähnlicher Körper in demselben oder in unterschiedlich dichten und deshalb widerstehenden Medien bestimmen. Dazu muss man feststellen, um wieviel das Gewicht des Mediums dasjenige des Körpers verringert, denn mit eben diesem Gewicht als Instrument macht er sich die Bahn frei, indem er die Teile des Mediums zur Seite drückt, welcher Vorgang im Vakuum nicht stattfindet, wo es also keinen Unterschied gibt, der von unterschiedlichen Gewichten herzuleiten wäre. Weil aber fest steht, dass das Medium das Gewicht des in ihm befindlichen Körpers um das Gewicht einer ebenso großen Menge seiner eigenen Materie vermindert, so findet man das Gesuchte, indem man die Geschwindigkeiten der Körper, welche in einem widerstandsfreien Medium (wie vorausgesetzt) einander gleich wären, in ebendiesem Verhältnis verringert. Nehmen wir zum Beispiel an, dass Blei zehntausendmal schwerer sei als Luft, Ebenholz aber nur tausendmal. Die Geschwindigkeit dieser beiden Materien, welche, absolut genommen, d. h. wenn jeder Widerstand beseitigt ist, ein und dieselbe sein müsste, wird dann in Luft beim Blei um eins von zehntausend, beim Ebenholz aber um eins von tausend, d. h. um zehn von zehntausend vermindert. Wenn also Blei und Ebenholz durch die Luft aus einer beliebigen Höhe fallen, welche sie ohne Luftwiderstand in derselben Zeit passiert hätten, so wird die Luft die Geschwindigkeit des Bleis um eins von zehntausend vermindert haben, die des Ebenholzes aber um zehn von zehntausend. Das heißt aber, wenn man diese Höhe, aus der die Körper fallen, in zehntausend Teile teilt, so wird das Blei, wenn es auf der Erde ankommt, das Ebenholz um zehn, oder vielmehr um neun von diesen zehntausend Teilen hinter sich gelassen haben. Was heißt das aber anderes, als dass eine Bleikugel, die von einem zweihundert Ellen hohen Turm fällt,

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eine solche aus Ebenholz um weniger als vier Fingerbreit hinter sich lassen wird? Ebenholz wiegt tausendmal mehr als Luft. Aber eine aufgepumpte Blase wiegt nur viermal so viel. Deshalb wird die Luft die spezifische und natürliche Geschwindigkeit des Ebenholzes um eins von tausend vermindern, aber diejenige der Blase, welche absolut gesehen dieselbe sein müsste, nur um ein Teil von vieren. Deshalb wird, wenn die Ebenholzkugel beim Fall von dem Turm auf der Erde angekommen ist, die Blase nur drei Viertel zurückgelegt haben. Blei ist zwölfmal schwerer als Wasser. Elfenbein aber wiegt nur das Doppelte. Deshalb wird Wasser von den einander gleichen absoluten Geschwindigkeiten des Bleis ein Zwölftel und des Elfenbeins die Hälfte wegnehmen. Daher wird im Wasser, wenn das Blei durch elf Ellen gesunken ist, das Elfenbein nur um sechs gesunken sein. Unter Anwendung dieser Regel werden wir, so denke ich, eine wesentlich genauere Entsprechung zwischen Erfahrung und Berechnung finden als mit der des Aristoteles. Auf ähnliche Weise finden wir das Verhältnis der Geschwindigkeiten ein und desselben Körpers in verschiedenen flüssigen Medien, wobei wir nicht die unterschiedliche Widerstandsfähigkeit dieser Medien vergleichen, sondern den jeweiligen Überschuss des Gewichtes des Körpers über das Gewicht des jeweiligen Mediums. Zum Beispiel Zinn ist tausendmal schwerer als Luft und zehnmal schwerer als Wasser. Teilt man deshalb die absolute Geschwindigkeit des Zinns in tausend Teile, so wird es sich in Luft, welche davon ein Tausendstel wegnimmt, mit neunhundertneunundneunzig Teilen bewegen, aber im Wasser nur mit neunhundert, da ihm das Wasser eben ein Zehntel seines Gewichts wegnimmt, die Luft ein Tausendstel. Nehmen wir einen festen Körper, der etwas schwerer ist als Wasser, z. B. Eichenholz, und eine Kugel daraus wiege, sagen wir, tausend Drachmen, ebenso viel Wasser nur neunhundertundfünfzig, dieselbe Menge Luft aber lediglich zwei, so folgt, wenn ihre absolute Geschwindigkeit tausend Teile haben soll, dass in der Luft davon nur neunhundertachtundneunzig übrig bleiben, im Wasser aber nur fünfzig, in Anbetracht dessen, dass das Wasser ihr von tausend Graden des Gewichts neunhundertund-



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fünfzig wegnimmt, so dass ihr nur fünfzig verbleiben. Deshalb wird ein solcher Körper sich sozusagen zwanzigmal schneller in Luft als in Wasser bewegen, ebenso wie der Überschuss seines Gewichts über dasjenige des Wassers ein Zwanzigstel eben dieses seines Gewichts ausmacht. Und ich gebe an dieser Stelle zu bedenken, dass im Wasser nur solche Materien untergehen, die spezifisch schwerer sind als dieses selbst, die also viele hundert Mal schwerer sind als Luft, so dass wir zur Bestimmung des Verhältnisses ihrer Geschwindigkeiten in Luft wie in Wasser ohne nennenswerten Irrtum ansetzen können, dass die Luft keinen wesentlichen Teil ihres absoluten Gewichts und folglich auch ihrer absoluten Geschwindigkeit wegnimmt. Haben wir also auf diese einfache Weise den Überschuss ihres Gewichts über das Gewicht des Wassers gefunden, so dürfen wir sagen, dass sich ihre Geschwindigkeit in Luft zu ihrer Geschwindigkeit in Wasser ebenso verhält wie ihr ganzes Gewicht zu dessen Überschuss über das Gewicht des Wassers. Beispielsweise wird, wenn eine Eichenholzkugel zwanzig Unzen wiegt, eine ebensolche Menge Wassers siebzehn wiegen; deshalb wird sich die Geschwindigkeit des Eichenholzes in Luft zu derjenigen in Wasser angenähert wie zwanzig zu drei verhalten. (165) Sagr.  Ich habe eine Menge über diese an sich merkwürdige Sache gelernt, mit der sich mein Geist viele Male geplagt hat, ohne aber weitergekommen zu sein. Damit wir diese Überlegungen auch praktisch anwenden können, fehlt nun nur noch, die Methode herauszufinden, mit der wir das Verhältnis des Gewichtes der Luft zu demjenigen des Wassers und alsdann auch zu anderen schweren Materialien feststellen können. (166) Simp.  Wenn sich aber zeigen sollte, dass die Luft keineswegs schwer, sondern leicht ist, was sollte man dann von dem soeben Gehörten halten, das ansonsten so überaus geistreich ist? (167) Salv.  Man müsste dann wohl sagen, dass es in der Tat in die Luft gesprochen, unbedacht und leeres Gerede gewesen sei. Aber wollen Sie wirklich bezweifeln, dass die Luft schwer ist, obwohl Sie dafür doch das klare Zeugnis des Aristoteles ­haben, der es bestätigt, indem er lehrt, dass alle Elemente mit

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Ausnahme des Feuers schwer sind, und selbst die Luft? Das (so fügt er hinzu) zeigt sich daran, dass ein aufgeblasener Schlauch mehr wiegt als ein luftleerer. (168) Simp.  Dass ein aufgeblasener Schlauch oder Ballon mehr wiegt, räume ich ein, aber es rührt nicht vom Gewicht der Luft her, sondern von den vielen dichten Dünsten, mit denen sie hier unten bei uns durchsetzt ist; diese sind es, so behaupte ich, welche das Gewicht des Schlauchs vergrößern. (169) Salv.  Ich will so etwas nicht von Ihnen hören, und noch viel weniger, dass Sie es etwa dem Aristoteles zuschreiben, denn dieser, wo er von den Elementen spricht und mich zu überzeugen sucht, dass das Element Luft Gewicht hat, verweist mich auf die Erfahrung, und um den Beweis zu führen, sagt er zu mir: »Nimm einen Schlauch, fülle ihn mit dichten Dünsten, und beobachte dann, wie sein Gewicht zunimmt.« Ich würde ihm dazu sagen, dass er noch viel mehr wiegen würde, wenn er mit Kleie gefüllt würde, und würde danach hinzufügen, dass diese Erfahrungen wohl beweisen, dass Kleie und dichte Dünste schwer sind, aber die Frage nach ihrem Verhältnis zum Luftelement ungeklärt lassen wie zuvor. Wohl ist die Erfahrung, auf die Aristoteles sich beruft, richtig, und die Schlussfolgerung ist wahr. Dasselbe gilt aber nicht von einer gewissen anderen Überlegung eines anderen Philosophen (wenn sie auch nur als Hinweis dienen soll), dessen Name mir nicht einfällt, von der ich aber weiß, dass ich sie gelesen habe, wonach die Luft eher schwer als leicht sein soll, weil sie eher schwere Körper nach unten als leichte nach oben befördert. (170) Sagr.  Das ist ja wirklich großartig. Nach diesem Argument wird also die Luft sehr viel schwerer sein als Wasser, da sich doch alle schweren Körper viel leichter durch Luft nach unten bewegen als durch Wasser, und alle leichten viel leichter durch dieses als durch jene. In Wahrheit aber fallen doch überaus viele schwere Körper durch die Luft, welche im Wasser hochsteigen, und überaus viele Materialien steigen im Wasser empor, die in der Luft nach unten fallen. Mag aber, Herr Simplicio, das Gewicht des Schlauches von dichten Dünsten oder von reiner Luft herrühren, so hat das doch für unsere Untersuchung gar keine



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Bedeutung, mit der wir herausfinden wollen, was mit Körpern geschieht, die sich in dieser unserer von Dünsten erfüllten Region bewegen. Daher würde ich, indem ich zu etwas zurückkehre, was mir mehr Schwierigkeiten macht, gerne zwecks vollständiger und absoluter Aufklärung des vorliegenden Problems nicht nur als sicher annehmen, dass die Luft schwer ist (wovon ich überzeugt bin), sondern möglichst auch erfahren, wie schwer sie ist. Deshalb, Herr Salviati, bitte ich Sie, wenn Sie auch hierzu etwas sagen können, was mich zufrieden stellt, mir diesen Gefallen zu tun. (171) Salv.  Dass die Luft ein positives Gewicht hat und nicht im Gegenteil, wie einige geglaubt haben, Leichtigkeit besitzt, welche man wohl in gar keiner Materie finden wird, ergibt sich hinreichend schlüssig aus dem, was die Erfahrung mit dem aufgeblasenen Ballon bietet, auf die Aristoteles verweist. Gäbe es nämlich in der Luft eine absolute und positive Leichtigkeit, so müsste diese Leichtigkeit, wenn die Luft vermehrt und zusammengedrückt wird, zunehmen, und folglich auch die Tendenz, nach oben zu steigen. Die Erfahrung beweist aber das Gegenteil. Was Ihre andere Frage angeht, wie man ihr Gewicht ermitteln kann, so habe ich das folgendermaßen gemacht. Ich nahm eine hinreichend große gläserne Flasche mit engem Hals, an dem ich ein Stück Leder anbrachte, welches ich sehr eng über den Flaschenhals zog, nachdem ich in der Mitte dieses Leders ein Ballonventil angebracht und ordentlich befestigt hatte, durch welches ich mittels einer Spritze eine größere Menge Luft in die Flasche drückte. Denn diese lässt sich derart zusammenpressen, dass man zwei- oder dreimal das Volumen hineindrücken kann, welches die Flasche von Natur aus enthält. Mit einer sehr genauen Balkenwaage wog ich dann sehr sorgfältig diese Flasche mit der darin komprimierten Luft, wobei ich das Gewicht mit sehr feinem Sand ausglich. Nachdem ich alsdann das Ventil geöffnet und die Luft, die in der Flasche festgehalten worden war, herausgelassen hatte, wog ich diese wiederum, wobei ich sie merklich leichter fand. Ich nahm nun vom Gegengewicht Sand weg und hob ihn gesondert auf, so viel, dass die Waage mit dem

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verbliebenen Gegengewicht im Gleichgewicht war, d. h. mit der Flasche. Ohne Zweifel war nun das Gewicht des weggenommenen Sandes gleich dem der Luft, welche gewaltsam in die Flasche gedrückt und schließlich wieder daraus entlassen worden war. Aber diese Erfahrung lehrte mich lediglich, dass die gewaltsam in die Flasche gedrückte Luftmenge ebenso viel wog wie der weggenommene Sand. Wie viel aber die Luft definitiv und ganz genau bestimmt im Verhältnis zu Wasser oder zu anderen schweren Materialien wiegt, weiß ich bis jetzt noch nicht und kann es auch nicht wissen, es sei denn, ich könnte die Menge der eingedrückten Luft messen. Für diese Untersuchung braucht man eine Methode, und ich habe gefunden, dass man hierzu auf zweierlei Weise vorgehen kann. Die eine ist, man nimmt eine andere gleiche Flasche wie die erste, mit engem Hals, um welche Verengung ein weiteres Lederstück eng gebunden ist; deren Ende nimmt das Ventil der ersten in sich auf, mit der es durch einen festen Knoten verbunden ist. Diese zweite Flasche muss am Boden eine Öffnung haben, durch die man einen Eisendraht einführen kann, mit dem man nach Belieben das besagte Ventil öffnen kann, um den Überdruck der Luft aus der anderen Flasche entweichen zu lassen, nachdem man diese gewogen hat. Diese zweite Flasche muss aber mit Wasser gefüllt sein. Ist alles in dieser Weise vorbereitet und man öffnet nun mit dem Draht das Ventil, so wird die Luft, die mit Macht ausströmt und in die mit Wasser gefüllte Flasche eindringt, dieses durch die Öffnung am Boden herausdrücken. Sicherlich wird dann die Menge des Wassers, das auf diese Weise herausgedrückt wird, gleich dem Volumen und der Menge der Luft sein, welche aus der anderen Flasche ausgeströmt ist. Sammelt man dann dieses Wasser und wiegt nun die durch die zusammengedrückte Luft erleichterte Flasche (welche man schon vorher gewogen haben muss, zusammen mit der darin komprimierten Luft), und hat man in der oben schon beschriebenen Weise den überschüssigen Sand weggenommen, so ist klar, dass dessen Gewicht genau das jenes Luftvolumens ist, das dem Volumen des herausgedrückten und gesammelten Wassers gleich ist. Dieses wiegen wir und sehen, wievielmal dieses Gewicht das



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Gewicht der gesammelten Menge Sandes enthält, und können dann ohne Fehler feststellen, dass das Gewicht des Wassers dasjenige der Luft um ebenso viel übertrifft. Das wird nicht nur das Zehnfache sein, wie Aristoteles wohl annahm, sondern etwa das Vierhundertfache, wie das genannte Experiment beweist. Die zweite Methode geht schneller und lässt sich mit nur einer Flasche wie der Erstgenannten durchführen, die ebenso wie diese hergerichtet ist. Darin soll sich nun nicht mehr Luft befinden, als von Natur aus darin ist, aber wir wollen Wasser hineingeben, ohne dass etwas von der Luft entweicht. Diese muss dem eindringenden Wasser nachgeben und wird zwangsläufig komprimiert. Haben wir nun so viel Wasser wie möglich eingefüllt, wobei man ohne große Mühe drei Viertel des Flaschenvolumens darin unterbringen kann, so stellen wir sie auf die Waage und wiegen sie sehr sorgfältig. Danach halten wir die Flasche mit dem Hals nach oben, öffnen das Ventil und lassen die Luft heraus, wobei ebenso viel nach außen entweichen wird, wie Wasser in der Flasche ist. Ist die Luft entwichen, stellt man die Flasche, welche nun um die entwichene Luft erleichtert ist, auf die Waage. Zieht man vom Gegengewicht das überschüssige Gewicht ab, so haben wir damit das Gewicht von ebenso viel Luft, wie Wasser in der Flasche ist. (172) Simp.  Die von Ihnen erdachten Experimente kann man nicht anders als raffiniert und überaus erfinderisch nennen. Mir scheint aber, dass sie den Intellekt nur äußerlich recht zufrieden stellen, während sie mich in einer anderen Hinsicht verwirren. Da nämlich unbestreitbar wahr ist, dass die Elemente in ihrem eigenen Umfeld weder leicht noch schwer sind, kann ich nicht begreifen, wie jene so wenig wiegende Luftmenge, angenommen entsprechend dem Gewicht von vier Drachmen Sand, wirklich eben dieses Gewicht in Luft haben könnte, welches doch der Sand und das Gegengewicht darin haben. Deshalb denke ich, dass der Versuch nicht im Luftelement durchgeführt werden sollte, sondern in einem Medium, in dem die Luft selbst ihr Eigengewicht zur Geltung bringen könnte, wenn sie denn ein solches wirklich haben sollte.

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(173) Salv.  Das ist allerdings ein scharfsinniger Einwand von Herrn Simplicio, dessen Widerlegung, wenn er nicht unwiderleglich ist, nicht weniger scharfsinnig wird sein müssen. Es ist vollkommen klar, dass jene zusammengepresste Luft, die erwiesenermaßen ebenso viel wiegt wie jener Sand, freigelassen in ihrem eigenen Element gar nichts mehr wiegt, der Sand aber doch. Um also das Experiment durchzuführen, müsste man einen Ort und ein Medium wählen, in dem die Luft ebenso wie der Sand gravitieren kann. Weil nun, wie schon gesagt, das Medium vom Gewicht eines jeden darin befindlichen Materials so viel wegnimmt, wie ein gleich großer Teil desselben Mediums wiegt, in dem das Volumen eingetaucht ist, so dass die Luft der Luft jegliches Gewicht nimmt, muss also der Versuch, damit er genauestens durchgeführt wird, zwangsläufig im Vakuum stattfinden, wo jeder schwere Körper sein wirksames Gewicht [momento] ohne jede Verminderung zur Geltung bringen kann. Würden Sie, Herr Simplicio, alsdann zufrieden gestellt und von der Tatsache überzeugt sein, wenn wir eine Menge Luft im Vakuum wiegen würden? (174) Simp.  Ja, allerdings, aber das hieße etwas Unmögliches wünschen oder fordern. (175) Salv.  Und eben deshalb sollten Sie mir wohl ganz außerordentlich verbunden sein, wenn ich Ihnen zuliebe etwas Unmögliches vollbringe. Ich will Ihnen allerdings nicht etwas verkaufen, was ich Ihnen bereits geschenkt habe, denn in dem gerade vorgestellten Experiment messen wir die Luft im Vakuum, nicht in Luft oder in einem anderweitig erfüllten Medium. Dass ein Volumen, Herr Simplicio, in einem flüssigen Medium untergetaucht, durch eben dasselbe Medium leichter gemacht wird, ergibt sich daraus, dass dieses sich dagegen sträubt, aufgebrochen, auseinandergetrieben und schließlich in die Höhe gedrückt zu werden. Ein Anzeichen dafür ist die Schnelligkeit, mit der es auf der Stelle zurückkehrt, um den Raum aufzufüllen, welchen das untergetauchte Volumen in ihm einnimmt, sobald dieses daraus entfernt wird. Würde es nämlich von der Eintauchung nichts bemerken, so würde es dagegen auch nichts unternehmen. Sagen Sie mir also: Wenn Sie die besagte Flasche in der Luft halten, gefüllt



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mit eben der Luft, die von Natur aus darin ist, und es wird noch einmal Luft gewaltsam in das Gefäß gedrückt, welche Aufspaltung oder Verdrängung, oder überhaupt, welche Veränderung erführe die äußere umgebende Luft durch diese Hinzufügung? Würde sich vielleicht die Flasche weiten, so dass die umgebende sich entsprechend zurückziehen müsste, um dafür Platz zu machen? Gewiss nicht. Und deshalb können wir sagen, dass die zusätzliche Luft nicht in die umgebende eingeht und in dieser keinerlei Raum einnimmt, so, als ob sie in ein Vakuum eingebracht worden sei. Und das ist so auch wirklich der Fall, indem sie jene Vakua auffüllt, welche von der ersteren, nicht komprimierten Luft nicht vollständig erfüllt waren. Und ich kann zwischen den beiden Fällen wirklich keinerlei Unterschied hinsichtlich des abgeschlossenen Bereichs und der Umgebung finden, denn in dem einen Fall übt die Umgebung keinerlei Druck auf diesen Bereich aus, während in dem anderen der abgeschlossene Bereich keinerlei Druck auf das Umgebende ausübt. Und also verhält es sich bei der zusätzlich in die Flasche gedrückten Luft ebenso, wie wenn man irgendein Material in ein Vakuum einbringen würde. Deshalb wird das Gewicht der komprimierten Luft dasselbe sein wie das, welches sie hat, wenn man sie frei in einem Vakuum verteilt. Dennoch ist wahr, dass das Gewicht des Sandes, der sie aufwiegt, wie das, welches sie in freier Luft hätte, im Vakuum etwas genauer zu ermitteln wäre, so dass es richtig sein wird zu sagen, dass die gewogene Luft etwas weniger schwer ist als der Sand, der sie aufwog, nämlich um ebenso viel, wie die gleiche Menge Luft im Vakuum gewogen hätte. (176) Sagr.  Das ist in der Tat eine sehr scharfsinnige Über­ legung, welche die Lösung eines Problems einschließt, das nachgerade einem Wunder gleichzukommen scheint, dass nämlich, kurz und in wenige Worte zusammengefasst, gezeigt wird, wie man das Gewicht eines Körpers, im Vakuum gewogen, bestimmen kann, ohne ihn anders zu wiegen als in einem lufterfüllten Medium. Und das geht so: Die Luft nimmt jedem schweren Körper, der sich in ihr befindet, von seinem absoluten Gewicht so viel Gewicht weg, wie ein Luftvolumen wiegt, welches ebenso

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groß ist wie das Volumen des Körpers. Wer also mit dem betreffenden Körper, ohne ihn im mindesten zu vergrößern, ebenso viel Luft verbinden könnte, wie dessen Volumen ist, würde beim Wiegen jenes absolute Gewicht messen, welches er im Vakuum haben würde, da man ihm, ohne sein Volumen zu vergrößern, eben dasjenige Gewicht hinzugefügt hat, um welches ihn das Medium Luft leichter gemacht hat. Wenn also in die vorige, natürlich mit Luft gefüllte Flasche eine Menge Wassers eingefüllt wird, ohne dass die darin enthaltene Luft entweichen kann, so ist klar, dass diese darin enthaltene Luft sich zusammenzieht und ein geringeres Volumen einnimmt, um dem eingefüllten Wasser Platz zu machen, und ebenso ist klar, dass die Verringerung des Volumens der Luft gleich dem Volumen des eingefüllten Wassers ist. Wiegt man demnach die so präparierte Flasche in Luft, so muss das Gewicht des Wassers sich mit demjenigen der besagten Luft verbinden. Dieses Gewicht, welches anteilig aus dem des Wassers und dem der besagten Luft besteht, ist eben jenes Gewicht, welches das Wasser allein im Vakuum haben würde. Hat man also das ganze Gefäß gewogen und dessen ganzes Gewicht aufgezeichnet und lässt man dann die komprimierte Luft heraus und wiegt das Verbliebene erneut, so wird das Gewicht wegen der entwichenen Luft geringer sein, und wir gewinnen aus der Differenz zwischen den beiden Gewichten das Gewicht der eingepressten Luft, deren Volumen dem des Wassers gleich ist. Bestimmen wir nun das Gewicht des Wassers allein und fügen jenes gesondert bestimmte Gewicht hinzu, welches dasjenige der komprimierten Luft ist, so gewinnen wir das alleinige Gewicht des besagten Wassers im Vakuum. Um alsdann das Gewicht des Wassers [in Luft] zu bestimmen, entleere man das Gefäß von Wasser und messe das Gefäß allein, und ziehe von diesem Gewicht jenes von Gefäß und Wasser ab, wie vorher gemessen. Was übrig bleibt, wird sicherlich das Gewicht sein, welches das bloße Wasser in Luft hat. (177) Simp.  Ich hatte den Eindruck, dass die angeführten Experimente noch etwas zu wünschen übrig ließen. Aber jetzt bin ich vollkommen zufrieden.



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(178) Sa lv.  Was ich bisher vorgetragen habe, und speziell dies, dass die Unterschiede der Gewichte, wie groß sie auch sein mögen, in keiner Weise Einfluss auf unterschiedliche Geschwindigkeiten der Körper haben, so dass, soviel an diesen liegt, alle sich gleich schnell bewegen würden, ist ganz neu und liegt beim ersten Anschein so weit abseits des Wahrscheinlichen, dass es wohl, wenn man keine Möglichkeit hätte, dies aufzuklären und heller als die Sonne zu machen, besser wäre, darüber zu schweigen, als so etwas zu behaupten. Da es nun aber einmal meinem Munde entfleucht ist, so sollte ich experimentelle Erfahrungen und Erkenntnisse, die es bestätigen, nicht unerwähnt lassen. (179) Sagr.  Nicht nur das, sondern auch eine Menge Ihrer anderen Lehrsätze ist derart weit von den Meinungen und allgemein angenommenen Lehren entfernt, dass ihre öffentliche Verbreitung eine große Zahl von Widersachern auf den Plan ruft, da es eine conditio humana ist, scheel auf diejenigen zu schauen, die in jemandes anderen Arbeitsfeld etwas Wahres oder Falsches entdecken, das dieser selbst nicht gefunden hat. Indem sie den Erneuerern der Lehre Namen geben, die in den Ohren der Menge wenig rühmlich klingen, machen sie sich daran, die Knoten, die sie nicht lösen können, zu zerhauen und mit unterirdischen Gräben die Gebäude ins Wanken zu bringen, welche von Handwerkern mit den üblichen Mitteln geduldig errichtet wurden. Aber wir, die wir von solchen Vorurteilen frei sind, geben uns mit den Experimenten und den Einsichten, die bisher vorgebracht wurden, vollkommen zufrieden. Dennoch würden wir, falls Sie andere, noch sinnfälligere Experimente und schlagkräftigere Argumente kennen, diese sehr gerne hören. (180) Salv.  Bei dem Experiment mit zwei möglichst unterschiedlich schweren Körpern, die man aus der Höhe fallen lässt, um zu sehen, ob ihre Geschwindigkeiten gleich sind, gibt es gewisse Schwierigkeiten. Wenn nämlich die Höhe groß ist, so wird das Medium, welches durch die unkörperlich übertragene Kraft [impeto] des fallenden Körpers geöffnet und zur Seite gedrückt werden muss, auf die geringe Bewegung eines sehr leichten Körpers mehr Einfluss haben als auf die Gewalt eines sehr großen,

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so dass der leichtere auf längerer Strecke zurückbleiben wird. Ist die Höhe aber gering, so könnte man wohl zweifeln, ob es da überhaupt einen Unterschied gibt, oder ob ein solcher, wenn es ihn gibt, lediglich nicht beobachtet werden kann. Deshalb bin ich beim Nachdenken darauf verfallen, den Fall aus geringer Höhe öfter zu wiederholen und dann die kleinen Zeitdifferenzen zusammenzufassen, um zwischen der Ankunft des schweren und der des leichten Körpers am Endpunkt unterscheiden zu können, so dass die zusammengefasste Zeit nicht nur beobachtbar, sondern sehr gut beobachtbar wird. Um nun möglichst langsame Bewegungen zur Verfügung zu haben, bei denen ein Einfluss des Widerstands des Mediums auf den Effekt, der lediglich dem Gewicht zuzuschreiben ist, entfällt, bin ich auf den Gedanken gekommen, die Körper eine schräge Ebene herabgleiten zu lassen, die sich nur wenig über die Horizontale erhebt. Auf dieser nämlich kann man nicht weniger als in der Vertikalen sehen, was die unterschiedlich schweren Körper machen. Weiterhin wollte ich auch jegliches Hindernis entfernen, das aus dem Kontakt der Körper mit der schrägen Ebene herrühren könnte. So nahm ich schließlich zwei Kugeln, eine aus Blei und eine aus Kork, welch Erstere wohl hundertmal schwerer ist als Letztere, und band sie beide an zwei gleiche dünne Fäden, etwa vier oder fünf Ellen lang, die ich oberhalb befestigte. Den beiden aus dem senkrechten Verharren entlassenen Kugeln gab ich denselben Bewegungsanstoß, so dass sie, während sie den Umfang der von den gleichen Fäden als Halbmessern definierten Kreise beschrieben, über die Falllinie hinaus schwangen, dann aber auf demselben Wege zurückkehrten. Nach wohl hundertmaliger Wiederholung desselben Weges und Rückwegs zeigten sie auf das Genaueste an, dass die schwere dieselbe Zeit einhielt wie die leichte, so dass weder nach hundert noch nach tausend Schwingungen die Zeit sich im mindesten unterscheidet und sie vielmehr beide stets im genauesten Gleichschritt gehen. Auch der Einfluss des Mediums war zu beobachten, welches, da es der Bewegung einen gewissen Widerstand bietet, die Schwingungen des Korks und des Bleis immer mehr vermindert, nicht aber so, dass ihre Frequenz vermehrt



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oder vermindert würde; vielmehr durchmaßen sie, auch als die vom Kork beschriebenen Bogen nur noch etwa fünf oder sechs Grad, diejenigen des Bleis etwa fünfzig oder sechzig ausmachten, die Wege in denselben Zeiten. (181) Simp.  Wenn das so ist, weshalb soll dann nicht die Geschwindigkeit des Bleis größer als die des Korks sein, da es doch eine Strecke von sechzig Grad in derselben Zeit zurücklegt, in der dieser kaum sechs schafft? (182) Salv.  Ach, Herr Simplicio, was werden Sie wohl dazu sagen, dass beide ihre Wege in ein und derselben Zeit zurücklegen, wobei der Kork, um dreißig Grad aus der Senkrechte gebracht, einen Bogen von sechzig Grad, das Blei, vom selben Mittelpunkt aus um nur zwei Grad verschoben, einen Bogen von vier Grad durchläuft? Müsste dann nicht der Kork entsprechend schneller sein? Und die Erfahrung bestätigt, dass eben dies der Fall ist. Beachten Sie deshalb: Hat man das bleierne Pendel z. B. um fünfzig Grad aus der Senkrechte verschoben und dann freigelassen, so bewegt es sich um etwa fünfzig über die Senkrechte hinaus und beschreibt so einen Bogen von etwa hundert Grad, auf demselben Weg zurückkehrend beschreibt es einen anderen, etwas kleineren Bogen, und nach wiederholten zahlreichen Schwingungen kommt es schließlich zur Ruhe. Alle diese Schwingungen geschehen aber in gleichen Zeiten, jene durch neunzig Grad ebenso wie jene durch fünfzig, zwanzig, zehn oder vier, so dass folglich die Geschwindigkeit des Körpers sich immer mehr abschwächt, indem er in gleichen Zeiten nacheinander immer kleinere und kleinere Bögen beschreibt. Einen ähnlichen, ja denselben Effekt zeigt der Kork, der an einem ebenso langen Faden hängt, nur dass dieser nach einer kleineren Anzahl von Schwingungen zur Ruhe kommt, da er aufgrund seiner Leichtigkeit weniger fähig ist, den Widerstand der Luft zu überwinden: Bei alledem geschehen alle Schwingungen, große und kleine, in gleichen Zeiten, die auch den Zeiten der Schwingungen des Bleis gleich sind. Es ist deshalb wirklich wahr, dass der Kork, während das Blei einen Bogen von fünfzig Grad durchmisst und der Kork nur einen von zehn, viel langsamer ist als das Blei. Umgekehrt aber ergibt sich,

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dass der Kork einen Bogen von fünfzig durchmisst, während das Blei zehn oder nur sechs beschreibt, so dass, bei verschiedenen Zeiten, dort das Blei, hier aber der Kork schneller ist. Wenn jedoch dieselben Körper wiederum in denselben gleichen Zeiten gleiche Bögen beschreiben, so kann man mit Sicherheit sagen, dass in diesem Fall ihre Geschwindigkeiten gleich sein werden. (183) Simp.  Mir scheint diese Überlegung schlüssig und auch wieder nicht, und ich fühle im Kopf eine große Verwirrung daraus entstehen, dass sich ein Körper und ein anderer solcher schnell oder langsam oder sehr langsam bewegen, was mir nicht erlaubt, Klarheit darüber zu gewinnen, ob es wahr ist, dass ihre Geschwindigkeiten immer gleich sein sollen. (184) Sagr.  Erlauben Sie mir bitte, Herr Salviati, zwei Bemerkungen. Sagen Sie mir, Herr Simplicio, ob Sie einräumen, dass man als absolut wahr sagen kann, dass die Geschwindigkeit des Korks und des Bleis immer dann gleich ist, wenn beide im selben Augenblick aus der Ruhe bewegt dieselbe Schräge durchlaufen, und dass sie dabei immer gleiche Strecken in gleichen Zeiten durchmessen? (185) Simp.  Daran kann man weder zweifeln, noch kann man etwas dagegen vorbringen. (186) Sagr.  Es ist nun so, dass die Pendel, ob sie nun einmal sechzig Grad, ein anderes Mal fünfzig, oder dreißig, oder zehn oder acht oder vier oder zwei usw. durchmessen, dann, wenn sie beide einen Bogen von sechzig Grad beschreiben, diesen in derselben Zeit durchmessen; und für den Bogen von fünfzig Grad brauchen beide Körper wiederum gleich viel Zeit, und ebenso für Bögen von dreißig, zehn oder anderen Graden. Daraus folgt, dass die Geschwindigkeit des Bleis durch den Bogen von sechzig Grad derjenigen des Korks durch denselben Bogen von sechzig Grad gleich ist, dass auch die Geschwindigkeiten durch einen Bogen von fünfzig untereinander gleich sind, und ebenso in den anderen Fällen. Niemand behauptet aber bisher, dass die Geschwindigkeit durch den Bogen von sechzig Grad der Geschwindigkeit durch den Bogen von fünfzig Grad gleich sei, oder der durch einen Bogen von dreißig Grad usw.; vielmehr sind



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die Geschwindigkeiten durch kleinere Bögen kleiner. Man kann nämlich deutlich sehen, dass ein und derselbe Körper, um einen großen Bogen von sechzig Graden zu durchmessen, ebenso viel Zeit benötigt wie zum Durchmessen eines kleineren von fünfzig, oder eines noch kleineren von dreißig, und dass insgesamt diese alle in gleichen Zeiten durchmessen werden. Es ist deshalb wirklich wahr, dass das Blei und der Kork tatsächlich ihre Bewegung fortschreitend vermindern, entsprechend der Verringerung der Bögen, dass sich aber die Übereinstimmung in der Gleichheit ihrer Geschwindigkeiten auf jedem der durchlaufenen Bögen nicht ändert. Ich wollte das sagen, um zu erfahren, ob ich die Darlegung von Herrn Salviati richtig verstanden habe, nicht etwa, weil ich dächte, Herrn Simplicio eine verständlichere Erklärung zu geben als die, welche Herr Salviati gegeben hat, die wie immer in diesen Dingen vollkommen einsichtig ist, da er doch meistens Probleme, die nicht nur unerklärlich zu sein, sondern auch der Natur selbst und der Wahrheit zu widersprechen scheinen, durch einfachste und jedermann zugängliche Überlegungen, Beobachtungen oder Erfahrungen löst, was (wie ich von verschiedener Seite gehört habe) einem sehr angesehenen Professor Anlass gegeben hat, seine neuen Entdeckungen herabzuwürdigen, indem er sie für trivial erklärt und abhängig von viel zu simplen Grundlagen und Gemeinplätzen, als wäre es nicht gerade die bewundernswürdigste und am höchsten zu schätzende Eigenart der beweisenden Wissenschaft, aus sehr bekannten Grundlagen hervorzugehen und hervorzuquellen, die allgemein einsichtig und anerkannt sind. Aber lassen Sie uns nur weitergehen und dazu diese leichteren Speisen wählen. Da ich voraussetze, dass Herr Simplicio sich dazu bereitgefunden hat einzusehen und anzuerkennen, dass das Eigengewicht verschiedener Körper keinerlei Einfluss hat, ihre Geschwindigkeiten unterschiedlich zu machen, so dass sie alle, was das angeht, sich mit derselben Geschwindigkeit bewegen würden, so sagen Sie mir, Herr Salviati, worauf Sie die beobachtbaren und die scheinbaren Unterschiede der Bewegungen zurückführen, und beantworten Sie bei dieser Gelegenheit den Einwand von Herrn Simplicio,

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den ich gleichfalls teile, dass wir doch sehen, wie eine Kanonenkugel sich viel schneller bewegt als eine Schrotkugel. Darauf, dass der Geschwindigkeitsunterschied in diesem Fall gering sei, erwidere ich Ihnen, dass von Körpern aus demselben Material die größeren in weniger als eines Pulsschlags Dauer in einem Medium einen Raum durchfallen, für den kleineren nicht eine Stunde genügt, und auch nicht vier oder zwanzig. Das können Steine sein oder der feinste Sand, und besonders jene feinsten Teilchen, die das Wasser trübe machen, welche darin auch nicht in vielen Stunden zwei Ellen durchfallen, während kleine Steine hierfür nur die Dauer eines Pulsschlags benötigen. (187) Salv.  Was das Medium insofern zur größeren Verzögerung der Körper beiträgt, als sie darin spezifisch weniger schwer sind, habe ich schon erklärt, indem ich bewiesen habe, dass es aus dieser Verringerung des Gewichts resultiert. Wie aber dasselbe Medium so große Geschwindigkeitsunterschiede bei Körpern hervorbringen kann, die sich nur der Größe nach unterscheiden, die jedoch aus demselben Material sind und dieselbe Form haben, das verlangt zur Aufklärung eine genauere Überlegung als die, welche dazu hinreicht, dass man versteht, wie die Form eines sehr ausgedehnten Körpers oder eine Bewegung des Mediums entgegen der Richtung des Körpers dessen Geschwindigkeit verringert. Ich führe diese Merkwürdigkeit auf die Rauhigkeit und Porosität zurück, die man allgemein und zumeist notwendigerweise an der äußeren Fläche fester Körper findet, bei deren Bewegung die Rauhigkeiten sich mit der Luft oder einem anderen umgebenden Medium reiben. Ein deutliches Zeichen dafür ist, dass wir die Körper, sie mögen noch so sorgfältig rund geglättet sein, summen hören können, wenn sie sehr schnell durch die Luft fliegen. Und nicht nur summen, sondern zischen und pfeifen kann man sie hören, wenn sich deutliche Höhlungen oder Vorsprünge daran befinden. Dreht man irgendeinen runden Körper auf der Drehbank, so kann man sehen, dass dabei etwas Wind entsteht. Aber was noch? Hören wir nicht, dass ein Kreisel ein merkliches und im Ton sehr schrilles Geräusch erzeugt, wenn er sich sehr schnell auf dem Boden dreht? Dieses schrille



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Zischen wird immer tiefer, je nachdem sich die Geschwindigkeit der Umdrehung Grad für Grad verlangsamt. Auch dieser Umstand rührt notwendigerweise vom Widerstand der Rauhigkeiten der Oberfläche gegen die Luft her, wie gering diese auch sein mögen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass sie sich beim Fallen von Körpern an dem umgebenden Fluidum reiben und zur Verringerung der Geschwindigkeit beitragen, umso mehr, je größer ihre Oberfläche ist, wie das bei kleineren Körpern im Vergleich mit größeren gegeben ist. (188) Simp.  Bitte halten Sie einen Moment ein, denn ich fange hier an, verwirrt zu werden. Wenn ich auch sehr wohl verstehe und einräume, dass die Reibung des Mediums an der Oberfläche des Körpers dessen Bewegung vermindert, und dies ceteris paribus umso mehr, je größer die Oberfläche ist, so sehe ich doch nicht ein, mit welcher Begründung Sie die Oberfläche kleinerer Körper größer nennen. Und im Übrigen, wenn Sie einräumen, dass die größere Oberfläche eine größere Verzögerung nach sich zieht, so müssten die größeren Körper die langsameren sein, was nicht der Fall ist. Dieser Einwand ist freilich leicht zu wider­ legen, indem man sagt, dass das Größere wohl die größere Oberfläche, aber auch das größere Gewicht hat, im Verhältnis zu dem der Widerstand der größeren Oberfläche nicht größer ist als der der kleineren Oberfläche gegenüber einem kleineren Gewicht, so dass die Geschwindigkeit des größeren Körpers nicht kleiner wird. Ich sehe deshalb keinen Grund, weshalb man die Gleichheit der Geschwindigkeiten aufgeben sollte, denn je mehr sich das bewegte Gewicht verringert, umso mehr verringert sich auch der verzögernde Einfluss der Oberfläche. (189) Salv.  Ich löse alles, was Sie einwenden, in einem einzigen Ansatz auf. Sie, Herr Simplicio, räumen doch uneingeschränkt ein, dass bei zwei gleichen Körpern, aus demselben Material und von gleicher Form (welche sich unzweifelhaft gleich schnell bewegen werden), dann, wenn einer von ihnen (unter Beibehaltung der ähnlichen Form) um ebenso viel an Gewicht wie an Oberfläche verringert würde, die Geschwindigkeit sich durch die Verkleinerung nicht verringern würde.

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(190) Simp.  In der Tat nehme ich an, dass das so sein muss, jedenfalls nach Ihrer Lehre, nach der das größere oder kleinere Gewicht keinen Einfluss auf die Beschleunigung oder Verzögerung der Bewegung hat. (191) Salv.  Und das versichere ich Ihnen, und ich gestehe Ihnen auch Ihre Behauptung zu, aus der sich die Konsequenz zu ergeben scheint, dass dann, wenn das Gewicht mehr verringert würde als die Oberfläche, bei einem so verringerten Körper eine gewisse Verzögerung der Bewegung sich einstellen müsste, und zwar umso mehr, je größer die Verringerung des Gewichts im Verhältnis zu derjenigen der Oberfläche wäre. (192) Simp.  Ich habe dagegen nichts einzuwenden. (193) Salv.  Sie wissen aber doch, Herr Simplicio, dass es nicht möglich ist, die Oberfläche fester Körper unter Aufrechterhaltung einer ähnlichen Form im selben Verhältnis zu verringern wie das Gewicht. Da nämlich fest steht, dass bei der Verkleinerung eines schweren Festkörpers sein Gewicht im selben Verhältnis abnimmt wie sein Volumen [mole], so wird dieses Volumen stets mehr verkleinert als die Oberfläche (bei größtmöglicher Beibehaltung der Ähnlichkeit der Form), und so wird auch das Gewicht mehr verringert werden als die Oberfläche. Die Geometrie lehrt uns aber, dass das Verhältnis der Volumina ähnlicher Körper sehr viel größer ist als das ihrer Oberflächen. Ich will Ihnen das zum besseren Verständnis an einem Beispiel erklären. Stellen Sie sich also hierzu einen Würfel vor, dessen Seite angenommen zwei Fingerlängen misst, eine Fläche davon also vier Quadratfinger, und alle sechs, d. h. seine gesamte Oberfläche, vierundzwanzig Quadratfinger. Stellen Sie sich dann den Würfel mit drei Schnitten in acht kleine Würfel geteilt vor. Die Seite eines jeden wird dann einen Finger messen und seine einzelne Fläche einen Quadratfinger, seine gesamte Oberfläche also sechs Quadratfinger, während der ungeteilte Würfel als Oberfläche vierundzwanzig davon enthielt. Nun sehen Sie, dass die Oberfläche des kleinen Würfels ein Viertel der Oberfläche des großen ist (das ist ein Sechstel von vierundzwanzig). Aber derselbe Körper desselben Würfels ist nur ein Achtel; deshalb vermindert



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sich das Volumen und infolgedessen das Gewicht mehr als die Oberfläche. Würden Sie nun den kleineren Würfel in weitere acht zerteilen, so erhielten wir als ganze Oberfläche eines einzelnen eineinhalb Quadratfinger, was ein Sechzehntel der Oberfläche des ursprünglichen Würfels ist; sein Volumen ist aber nur ein Vierundsechzigstel. So sehen Sie, wie hier durch nur zwei Teilungen die Volumina viermal mehr abnehmen als die zugehörigen Oberflächen. Und wenn wir die Zerteilung weiterführen, bis aus dem ursprünglichen Würfel ein feines Pulver geworden ist, so werden wir finden, dass das Gewicht der kleinsten Teilchen um hundert- und aberhundertmal mehr verringert worden ist als ihre Oberfläche. Was ich Ihnen hier am Beispiel eines Würfels erläutert habe, geschieht bei allen untereinander ähnlichen Festkörpern, deren Volumina im eineinhalbfachen Verhältnis zu ihren Oberflächen stehen. Sie sehen also, wie der Widerstand aus dem Kontakt der Oberfläche des bewegten Körpers mit dem Medium bei kleineren Körpern in sehr viel größerem Verhältnis zunimmt als bei größeren. Nehmen wir nun hinzu, dass die Unebenheiten der sehr kleinen Oberflächen der feinsten Pulverkörner vielleicht nicht kleiner sind als jene sorgfältig geglätteter Oberflächen größerer Körper, so sehen Sie, wie leichtflüssig das Medium und wie bar allen Widerstands gegen seine Durchdringung es sein muss, um einem derart geringen Antrieb [virtù] Durchlass zu gewähren. Insgesamt sollten Sie beachten, Herr Simplicio, dass ich mir nicht im mindesten widersprochen habe, als ich sagte, dass die Oberflächen kleinerer Körper im Verhältnis zu denen größerer größer sind. (194) Simp.  Ich bin vollkommen zufrieden gestellt. Und glauben Sie mir, wenn ich meine Studien noch einmal von vorn beginnen könnte, so würde ich dem Rat Platos folgen und die ­Mathematik an den Anfang stellen, die, wie ich erkenne, mit peinlichster Genauigkeit vorgeht und nichts als gesichert anerkennt, was nicht schlüssig bewiesen worden ist. (195) Sagr.  Diese Diskussion hat mir sehr gefallen. Bevor wir aber weiter vorangehen, würde ich gerne einen Terminus verstanden haben, der mir neu ist. Sie sagen jetzt, dass ähnliche

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Körper zueinander im eineinhalbfachen Verhältnis ihrer Oberflächen stehen. Nun habe ich durchaus den Lehrsatz und die zugehörigen Beweisführung verstanden und akzeptiert, wonach feststeht, dass die Oberflächen ähnlicher Körper im doppelten Verhältnis zu ihren Seiten stehen, und auch dasjenige, was beweist, dass dieselben Körper im dreifachen Verhältnis zu ihren jeweiligen Seiten stehen. Aber dieses Verhältnis von Körpern zu ihren Oberflächen ist mir noch nicht untergekommen, und ich habe davon noch nie etwas gehört. (196) Salv.  Sie beantworten das doch selbst und beseitigen den Zweifel. Ist es nicht so, dass dasjenige, welches das Dreifache von etwas anderem ist, vom dem wiederum ein anderes das Doppelte ist, ersichtlich das Eineinhalbfache des besagten Doppelten ist? Sicher ist das so. Wenn nun die Oberflächen im doppelten Verhältnis zu den Strecken stehen, zu denen die Körper selbst im dreifachen Verhältnis stehen, können wir dann nicht sagen, dass diese Körper im eineinhalbfachen Verhältnis zu ihren Oberflächen stehen? (197) Sagr.  Das habe ich sehr gut verstanden. Wenngleich nun andere Teile der Materie, die wir behandeln, mir noch einiges offen lassen, so werden wir doch, wenn wir so von Abweichung zu Abweichung weitermachen, sehr spät zu den ursprünglich aufgeworfenen Fragestellungen kommen, die sich auf die Unterschiede hinsichtlich der Bruchfestigkeit fester Körper beziehen. Deshalb sollten wir, wenn es Ihnen recht ist, den ursprünglichen Faden wieder aufnehmen, dem wir anfangs gefolgt sind. (198) Salv.  Wohl gesprochen, mein Herr. Aber die vielen und so verschiedenen Dinge, die wir untersucht haben, haben uns so viel Zeit gekostet, dass wir heute kaum mehr etwas davon für unser anderes ursprüngliches Thema übrig haben, zumal es voller geometrischer Beweisführungen steckt, die mit Aufmerksamkeit bedacht werden müssen. Ich halte es deshalb für besser, diese Veranstaltung auf morgen zu verschieben, wie schon gesagt, zumal ich dann auch einige Blätter werde mitbringen können, auf denen ich der Reihe nach die Lehrsätze und Fragestellungen zusammengestellt habe, mit denen sich verschiedene Aspekte die-



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ses Gegenstands darstellen und beweisen lassen, und an die ich mich vielleicht aus dem Gedächtnis nicht in der notwendigen Ordnung erinnern würde. (199) Sagr.  Ich nehme diesen Vorschlag sehr gerne an, und umso mehr, als ich dann zum Abschluss der heutigen Sitzung noch Zeit habe, um Aufklärung über einige Zweifel zu finden, die mir bezüglich der zuletzt behandelten Materie geblieben sind. Einer davon ist, ob man annehmen kann, dass der Widerstand des Mediums ausreichen könnte, um die Beschleunigung auch sehr schwerer Körper von großem Volumen und kugelförmiger Gestalt zu beenden. Und ich nehme eine kugelförmige Gestalt deshalb an, weil ich diejenige nehme, welche in der kleinsten Oberfläche zusammengefasst ist, so dass sie am wenigsten der Verzögerung unterliegt. Ein anderer betrifft die Schwingungen von Pendeln, und dazu gibt es mehrere Fragen: Eine ist, ob diese sich alle, ob groß oder mittel oder klein, tatsächlich und genauestens in gleichen Zeiten vollziehen, eine andere, wie sich die Zeiten der an ungleichen Fäden aufgehängten Körper zueinander verhalten, und ich meine die Zeiten ihrer Schwingungen. (200) Salv.  Das sind gute Fragen, und wie es sich mit allen Wahrheiten verhält, so fürchte ich, dass, wenn wir darauf eingehen, dies so viele andere wahre und bemerkenswerte Folgerungen nach sich zieht, dass ich nicht sehe, wie wir im Lauf dieses Tages mit der Erörterung all dessen zu einem Ende kommen können. (201) Sagr.  Wenn dieses alles ebenso schmeckt wie das Bisherige, so hätte ich nichts dagegen, mich damit nicht nur die verbleibenden Stunden bis zur Nacht, sondern ebenso viele Tage hindurch zu beschäftigen, und ich denke, dass diese Unterhaltungen auch Herrn Simplicio nicht lästig sein werden. (202) Simp.  Sicherlich nicht, und besonders dann nicht, wenn es sich um Fragen aus der Natur handelt, über die in der Literatur keine Meinungen oder Erörterungen anderer Philosophen zu finden sind. (203) Salv.  Also nehme ich die erste, und ich behaupte ganz ohne jeden Zweifel, dass es keine so große Kugel gibt, und auch kein so schweres Material, dass der Widerstand des Mediums,

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wie gering er auch sei, nicht der Beschleunigung Schranken setzen und die andauernde Bewegung nicht bis zur Gleichförmigkeit reduzieren würde. Das können wir sehr klar mit einem unmittelbar aus der Erfahrung entnommenen Argument belegen. Es steht nämlich fest, dass irgendein fallender Körper, wenn er in der Fortdauer seiner Bewegung einen beliebigen Grad der Geschwindigkeit annehmen könnte, jede von einer äußeren Bewegungsursache auf ihn übertragene Geschwindigkeit, wie groß sie auch sei, annehmen und nicht dank des Widerstands des Mediums verlieren würde. So würde eine Kanonenkugel, die zum Beispiel vier Ellen durch die Luft gefallen ist und dabei vielleicht zehn Geschwindigkeitsgrade angenommen hat, wenn sie dann in Wasser eintritt, und der Widerstand des Wassers würde der Übertragung weiterer Bewegungskraft nicht entgegenwirken, diese [Kugel] weiter immer schneller werden oder wenigstens bis zum Boden fallen, was aber nicht geschieht. Vielmehr wird das Wasser, auch wenn es nicht tiefer ist als ein paar Ellen, sie bremsen und so verringern, dass sie nur einen sehr leichten Eindruck auf das Bett eines Flusses oder Sees machen wird. Deshalb steht fest, dass das Wasser die Kugel jene Geschwindigkeitsverminderung, welche sie darin auf einer sehr kurzen Strecke erfahren hat, auch auf eine Tiefe von tausend Ellen nicht wiedergewinnen lassen wird. Warum auch sollte es ihr das über tausend Ellen zubilligen, was es ihr über vier Ellen weggenommen hat? Aber was weiter? Sieht man nicht, dass die enorme übertragene Kraft [impeto] einer aus derselben Kanone verschossenen Kugel durch das Dazwischentreten sehr weniger Ellen Wassers dermaßen gedämpft wird, dass sie, ohne ein Schiff zu beschädigen, sich kaum dorthin bewegt, wo sie an diesem aufschlagen könnte? Auch die Luft selbst wird die Geschwindigkeit des fallenden Körpers bremsen, wenn auch nur wenig, und auch, wenn er sehr schwer ist, was eine ähnliche Erfahrung uns lehrt. Denn wenn wir von der Spitze eines sehr hohen Turms eine Büchse nach unten abfeuern, so wird diese ein kleineres Loch in die Erde reißen, als wenn wir aus einer Höhe von nur vier oder fünf Ellen geschossen hätten. Das zeigt deutlich, dass die übertragene Kraft, mit



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der die Kugel das Rohr verlässt, von der Spitze des Turms aus vermindert wird und sich beim Fall durch die Luft immer weiter verringert. Deshalb wird auch der Fall durch welche große Höhe immer nicht hinreichen, um ihr ebenso viel unkörperliche Kraft [impeto] zu übertragen, wie der Widerstand der Luft ihr wegnimmt, unabhängig davon, auf welche Weise sie erzeugt worden sein mag. Ebenso glaube ich, dass der Schaden, den ein Schuss einer Feldschlange aus einer Entfernung von zwanzig Ellen in einer Mauer verursacht, niemals durch etwas entstehen könnte, das senkrecht aus beliebig großer Höhe gefallen ist. Ich denke deshalb, dass es von der Ruhe aus ein Höchstmaß der natürlichen Beschleunigung beliebiger Körper gibt, welche der Widerstand des Mediums schließlich bis zur gleichförmigen Bewegung reduziert, die alsdann stets beibehalten wird. (204) Sagr.  Diese Erfahrungen passen nach meiner Meinung bestens hierher. Ein Gegner könnte sich allenfalls hinter der Behauptung verschanzen, dass sie sich bei sehr großen und sehr schweren Körpern nicht bestätigen würden, und dass eine Kanonenkugel, wenn sie aus dem Inneren des Mondes käme, oder auch aus den obersten Regionen des Luftraums, einen größeren Stoß auslösen würde als beim Abschuss aus einer Kanone. (205) Sa lv.  Zweifellos kann man viele Einwände vorbringen, und nicht alle lassen sich experimentell widerlegen. Jedoch könnte man gegen diesen Einwand wohl etwas anderes zu bedenken geben, was einiges für sich hat, dass nämlich einem schweren, aus der Höhe fallenden Körper ebenso viel unkörperliche Kraft übertragen worden ist, wenn er auf der Erde auftrifft, wie erforderlich wäre, um ihn in dieselbe Höhe hochzuwerfen. Das zeigt sich deutlich an einem hinreichend schweren Pendel, welches, um fünfzig oder sechzig Grad aus der Senkrechte gebracht, eben jene Geschwindigkeit und jenen Antrieb [virtù] erfährt, der genau dazu hinreicht, um es auf eine ebensolche Höhe zu stoßen, freilich abzüglich der Geringfügigkeit, die es durch den Widerstand der Luft einbüßt. Um also eine Kanonenkugel auf eine Höhe zu bringen, die hinreicht, ihr eine ebensolche Kraft zu übertragen wie die, welche sie beim Abfeuern aus einer Kanone

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erfährt, könnte es genügen, sie aus derselben Kanone senkrecht nach oben zu schießen, und dann zu beobachten, ob sie auf ihrem Rückweg einen ebensolchen Effekt auslöst wie den, welchen sie erzeugt, wenn sie nahebei abgeschossen wurde. Ich glaube nicht, dass dieser sehr viel stärker sein würde. Deshalb nehme ich an, dass die Kugel beim Verlassen des Kanonenrohrs eine Geschwindigkeit haben wird, welche sie aufgrund des Luftwiderstands in natürlich von der Ruhe aus fallender Bewegung gleich aus welcher großen Höhe niemals erreicht. Ich komme jetzt zu den anderen die Pendel betreffenden Fragen, einer Materie, die vielen überaus trocken erscheint, besonders aber jenen Philosophen, die beständig mit sehr viel tiefer schürfenden Fragen an die Natur beschäftigt sind. Jedoch will ich diese Leute nicht verachten, sondern nehme mir an Aristoteles selbst ein Beispiel, an dem ich vor allem anderen bewundere, dass er sozusagen keine Materie ausgelassen hat oder nicht berührt hätte, die auch nur entfernt Beachtung verdiente. Hier nun, meine Herren, geben Ihre Fragen Anlass, dass ich glaube, Ihnen einige meiner Gedanken über die Musik offenlegen zu können, jene höchst edle Materie, über die viele große Männer geschrieben haben, und selbst Aristoteles, der viele merkwürdige Probleme aus diesem Bereich behandelt hat. So will auch ich, ausgehend von leichten Fragen und sinnlichen Erfahrungen, einige Einsichten über sehr bemerkenswerte Vorgänge aus dem Reich der Töne herleiten und hege die Hoffnung, dass meine Überlegungen Ihnen willkommen sein werden. (206) Sagr.  Nicht nur willkommen, sondern jedenfalls mir in höchstem Maße erwünscht, da ich mich aus Liebhaberei mit allen Musikinstrumenten befasst und viel über die Konsonanzen philosophiert, aber nie verstanden habe und im Unklaren geblieben bin, woher es kommt, dass mir das eine besser gefällt und mich mehr unterhält als das andere, und dass anderes mich nicht nur nicht unterhält, sondern mir außerordentlich zuwider ist. Auch das Problem [il problema poi trito] der zwei gleich gestimmten Saiten, deren eine sich bewegt und tatsächlich mit ertönt, wenn die andere erklingt, ist mir ebenso unverständlich,



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wie mir bislang die Formen der Konsonanzen und andere Besonderheiten nicht recht klar sind. (207) Salv.  Versuchen wir einmal, von unseren Pendeln her eine Lösung all dieser Fragen zu entwickeln. Was das erste Pro­ blem angeht, ob nämlich ein und dasselbe Pendel alle seine Schwin­g ungen, die größten, die mittleren und die kleinsten, in genau gleichen Zeiten vollführt, so beziehe ich mich auf das, was ich bereits von unserem Akademiker erfahren habe. Er hat klar bewiesen, dass ein Körper, welcher die unter beliebigen Bögen gespannten Sehnen [Subtensen, von lat. subtensa] durchfällt, diese notwendigerweise stets in gleichen Zeiten durchläuft, die Subtensa unter einhundertundachtzig Grad (das ist der ganze Halbmesser) ebenso, wie die unter einhundert Grad, unter sechzig, zehn, zwei, unter einhalb Grad, und die unter vier Minuten, wobei vorausgesetzt ist, dass sie alle im untersten Punkt enden, wo sie die horizontale Ebene berühren. Nun beweist die Erfahrung ebenfalls, dass das Herabfallen durch gleiche, über die Hori­zontale hoch reichende Bögen, die nicht größer als ein Viertel sind, d. h. als neunzig Grad, stets in gleichen Zeiten geschieht, aber freilich in etwas kürzeren Zeiten als denen des Durchlaufens der Sehnen, welcher Effekt insofern bemerkenswert ist, als man beim ersten Anschein auf das Gegenteil schließen würde. Da nämlich die Anfangs- und die Endpunkte der Bewegung dieselben sind und die gerade Linie die kürzeste Verbindung zwischen eben diesen Endpunkten ist, so möchte man vernünftigerweise meinen, dass die Bewegung durch eben diese auch in der kürzeren Zeit stattfinden müsse. Das ist aber nicht der Fall; vielmehr ist die kürzeste Zeit und folglich die schnellste Bewegung diejenige durch den Bogen, dessen gerade Linie die Sehne ist. Was nun die Proportion der Schwingungszeiten von Körpern angeht, die an unterschiedlich langen Fäden hängen, so verhalten sich diese wie die Quadratwurzeln aus den Längen der Fäden, und man kann auch sagen, dass diese Längen im quadratischen Verhältnis zu den Zeiten stehen, sich also ebenso verhalten wie die Quadrate der Zeiten. Wenn Sie daher wollen, dass zum Beispiel die Zeit der Schwingung eines Pen-

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dels das Doppelte der Schwingungszeit eines anderen Pendels sein soll, so muss die Länge der Schnur des Ersteren das Vierfache der Länge der Schnur des Letzteren sein, oder, wenn in der Zeit einer Schwingung des Ersteren das Letztere drei vollziehen soll, so muss die Schnur des Ersteren neunmal länger sein als die des Letzteren. Daraus folgt, dass die Längen der Schnüre sich zueinander ebenso verhalten wie die Quadrate der Anzahl von Schwingungen, die in derselben Zeit stattfinden. (208) Sagr.  Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dass ich sehr schnell feststellen kann, wie lang eine solche Schnur ist, die aus beliebiger sehr großer Höhe herabhängt, selbst wenn ich den Befestigungs-Endpunkt nicht sehen kann, sondern nur das untere Ende. Wenn ich nämlich hier am unteren Ende ein hinreichend schweres Gewicht an dieser Schnur anbringe und es hin und her schwingen lasse, und ein Freund zählt eine Reihe dieser Schwingungen, während ich gleichzeitig in gleicher Weise die Schwingungen eines anderen Pendels zähle, welches an einem Faden von genau einer Elle Länge hängt, so wird sich aus der Anzahl der in derselben Zeit vollzogenen Schwingungen dieser Pendel die Länge der Aufhängung bestimmen lassen. Nehmen wir beispielsweise an, dass ich in derselben Zeit, in der mein Freund zwanzig Schwingungen der langen Schnur gezählt hat, zweihundertundvierzig der meinen, eine Elle langen, gezählt habe; und nimmt man die Quadrate der beiden Zahlen, zwanzig und zweihundertundvierzig, also 400 und 57600, so sage ich, dass die lange Schnur 57600 Mal das Maß enthält, von dem meine Schnur nur 400 enthält. Und weil die Schnur nur eine Elle misst, so teile man 57600 durch 400, was 144 ergibt, und so sage ich, dass jene lange Schnur 144 Ellen misst. (209) Sa lv.  Sie werden nicht um eine Spanne daneben liegen, zumal wenn Sie eine sehr große Anzahl von Schwingungen ­nehmen. (210) Sagr.  Sie geben mir ja oft Gelegenheit, den Reichtum der Natur und zugleich ihre außerordentliche Freigebigkeit zu bewundern, wenn Sie aus allgemein bekannten, man könnte auch sagen, aus irgendwie simplen Gegebenheiten bemerkens-



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werte und neue Erkenntnisse herleiten, die oftmals außerhalb aller Vorstellungskraft liegen. Ich habe wohl tausendmal genau auf Schwingungen geachtet, besonders auf jene der Lampen, die in manchen Kirchen an sehr langen Seilen hängend sich bewegen, ohne von irgend jemandem bewegt worden zu sein, aber alles, was ich aus diesen Beobachtungen mitgenommen habe, war, dass die Meinung derer nicht richtig sein kann, die behaupten, gleiche Bewegungen würden vom Medium, hier der Luft, aufrecht- und weiter erhalten. Ich dachte mir vielmehr, die Luft müsste wohl große Urteilsfähigkeit und zugleich wenig zu tun haben, wollte sie Stunde um Stunde damit hinbringen, ein hängendes Gewicht mit derartiger Regelmäßigkeit anstoßen. Dass ich aber angenommen hätte, ein bestimmter Körper an einer Schnur von hundert Ellen Länge, vom untersten Punkt einmal um neunzig Grad, ein anderes Mal nur um ein oder ein halbes Grad ausgelenkt, würde ebenso viel Zeit für diesen minimalen Bögen wie für jenen größten benötigen, das, glaube ich, hätte ich niemals herausgefunden, zumal es mir auch jetzt noch immer fast unmöglich erscheint. Jetzt möchte ich schon erfahren, wie diese besagten sehr simplen Kleinigkeiten mir einige von jenen die Musik betreffenden Fragen erklären können, damit mein Geist wenigstens teilweise zufrieden gestellt wird. (211) Salv.  Vor allem anderen muss man festhalten, dass jedes Pendel seine eigene Schwingungszeit hat, die so eingeschränkt und im Voraus festgelegt ist, dass man es ganz unmöglich mit einer anderen Periode schwingen lassen kann als jener einen, die ihm von Natur aus zukommt. Nehmen Sie nur irgendein beliebiges Stück Schnur in die Hand, an der ein Gewicht hängt, und versuchen Sie auf jede beliebige Weise, seine Schwingungszeit zu vergrößern oder zu verkleinern; die Mühe wird ganz vergeblich sein. Andererseits aber können wir ein in Ruhe befindliches Pendel, wie schwer es auch ist, allein schon durch Anblasen in Bewegung setzen, und zwar in eine recht beträchtliche, wenn wir das Anblasen in den zu seiner Schwingungszeit passenden Zeiten wiederholen. Wenn wir es mit dem ersten Anblasen um einen halben Finger aus der Senkrechte gebracht haben, und wenn wir

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das ein zweites Mal tun, nachdem es zu uns zurückgeschwungen ist und zur zweiten Schwingung ansetzt, so teilen wir ihm zusätzliche Bewegung mit, und so immer weitere mit weiterem Anblasen zur richtigen Zeit, also nicht, wenn das Pendel entgegenschwingt (denn damit würden wir die Bewegung hindern, nicht aber unterstützen). Auf diese Weise fortfahrend übertragen wir ihm mit vielen Anstößen eine derartige Kraft, dass sehr viel mehr Aufwand als ein einmaliges Anblasen nötig wäre, um es anzuhalten. (212) Sagr.  Ich habe schon als Kind beobachtet, dass ein einzelner Mann mit solchen Anstößen zur rechten Zeit eine riesige Glocke zum Tönen bringen kann, während sich vier oder sechs andere an das Seil hängen müssen und zusammen hochgehoben werden, wenn sie diese zum Schweigen bringen wollen, weil sie alle zusammen nicht die Kraft [impeto] stoppen können, welche ein einzelner durch wiederholtes Ziehen hervorgebracht hat. (213) Salv.  Das ist ein Beispiel, welches zu meinem Zweck nicht weniger taugt als das, was ich bisher schon vorgebracht habe, weil es geeignet ist, das wunderbare Funktionieren der Saite der Zither oder des Cembalos zu erklären, welche in ihrer Bewegung jene andere mit ertönen lässt, und zwar nicht nur, insoweit sie denselben Ton hat und mit ihr übereinstimmt, sondern auch in der Oktave und in der Quinte. Die angestoßene Saite beginnt ihre Schwingungen und setzt sie fort, solange man ihren Klang hört. Diese Schwingungen setzen die benachbarte Luft in Schwingung und machen sie erzittern. Diese Erschütterungen und wellenförmigen Kräuselungen erstrecken sich über einen großen Abstand und stoßen alle Saiten desselben Instruments an, wie auch andere in der Nachbarschaft. Diejenige Saite, welche im Gleichklang mit der angestoßenen ist, beginnt nun, da sie ihre Schwingungen aufgrund ihrer Beschaffenheit in derselben Zeit vollführt, beim ersten Anstoß, sich etwas zu bewegen, und kommt ein zweiter hinzu und ein dritter, ein zwanzigster und viele andere mehr, alle übereinstimmend und in periodischen Zeiten, so wird sie schließlich dieselbe Erschütterung zeigen wie die zuerst angestoßene, und ganz sicher werden ihre Schwin-



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gungen dieselbe Weite erreichen wie die, von der die Bewegung herrührt. Die wellenförmige Erregung setzt sich durch die Luft weiter fort und bewegt die Saiten und lässt nicht nur diese vibrieren, sondern auch jeden beliebigen anderen Körper, der erzittern und in derselben Zeit vibrieren kann wie die zitternde Saite, so dass von mehreren Stückchen von Borsten oder anderem biegsamen Material, die am Rand des Instruments befestigt sind, beim Erklingen des Cembalos bald dieses, bald jenes Teilchen ins Zittern gerät, je nachdem, wie jene Saite angeschlagen wird, deren Schwingungen in derselben Zeit stattfinden. Andere bewegen sich beim Erklingen dieser Saite keineswegs, und auch diese selbst wird beim Erklingen einer anderen Saite nicht angeregt. Wenn der Bogen eine dicke Saite eines Cellos zum Klingen bringt, und man stellt ein Gefäß aus reinem dünnem Glas in die Nähe, so wird dieses, sofern der Ton der Saite im Gleichklang mit dem des Gefäßes ist, erzittern und hörbar erklingen. Man kann deutlich sehen, dass sich die Kräuselung des Mediums in der Umgebung des Resonanzkörpers verstärkt, wenn man das Gefäß, das mit Wasser gefüllt ist, zum Klingen bringt, indem man mit einer Fingerkuppe über dessen Rand reibt. Alsdann wird das darin enthaltene Wasser in genauester Ordnung in Wellenbewegung geraten. Noch deutlicher zeigt sich dieser Effekt, wenn man das Gefäß mit dem Fuß in eine erheblich größere Vase stellt, die bis nahe zur Höhe des Randes des Gefäßes mit Wasser gefüllt ist. Lässt man dieses wieder durch Reiben mit dem Finger erklingen, so zeigen sich im Wasser sehr regelmäßige Kräuselungen, die sich von der Umgebung des Gefäßes aus mit sehr großer Geschwindigkeit über große Abstände verbreiten. Auch habe ich schon oft gesehen, wenn ich auf diese Weise ein randvoll mit Wasser gefülltes, sehr großes Gefäß zum Klingen gebracht habe, dass sich zunächst im Wasser äußerst regelmäßig geformte Wellen zeigten, und, sobald der Ton des Gefäßes eine Oktave höher sprang, augenblicklich sich diese Wellen in zwei teilten, woraus man sehr klar folgern kann, dass die Oktave die doppelte Form hat. (214) Sagr.  Dasselbe habe ich mehr als einmal zu meinem Vergnügen wie auch zu meinem Nutzen beobachtet. Ich war

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mir nämlich lange Zeit im Unklaren über die Formen der Konsonanzen, weil ich die üblicherweise von den Autoren, die bis jetzt gelehrt über die Musik geschrieben haben, dafür genannten Gründe nicht hinreichend überzeugend finden konnte. Sie behaupten, dass die Diapason, d. h. die Oktave, im doppelten, die Diapente, die wir die Quinte nennen, im anderthalbfachen Verhältnis enthalten ist, usw., weil nämlich eine über ein Monochord gespannte Saite, die man zunächst im Ganzen und dann nur halbiert erklingen lässt, indem man den Steg in die Mitte setzt, die Oktave hören lässt. Wird aber der Steg bei einem Drittel der ganzen Saite gesetzt und lässt man zunächst die ganze und dann die zwei Drittel erklingen, so hört man die Quinte. Deshalb sei die Oktave zwischen der Zwei und der Eins enthalten, die Quinte zwischen der Drei und der Zwei. Diese Überlegung, wie gesagt, schien mir nicht so schlüssig zu sein, als dass man zu Recht das Doppelte und das Anderthalbfache als die natürlichen Formen der Diapason und der Diapente bezeichnen könnte, und zwar aus folgendem Grund. Der Ton einer Saite kann auf dreierlei Weise erhöht werden: einmal durch deren Verkürzung, dann durch höhere Spannung, oder besser gesagt durch Zug; und zum Dritten, indem man sie dünner macht. Behalten wir dieselbe Spannung und Dicke der Saite bei, so müssen wir, wenn wir die Oktave hören wollen, sie um die Hälfte verkürzen, wobei man zunächst die ganze und dann die halbe Saite anschlägt. Behalten wir dieselbe Länge und Dicke bei, so müssen wir, um durch Erhöhung des Zuges zur Oktave zu kommen, diesen nicht nur verdoppeln, sondern vervierfachen, so dass man, wenn sie zunächst mit dem Gewicht von einem Pfund gespannt ist, vier wird hinzufügen müssen, um sie zur Oktave zu erhöhen. Wenn wir schließlich bei derselben Länge und Spannung eine Saite haben wollen, die so dünn ist, dass sie die Oktave hervorbringt, so wird sie nur ein Viertel der Dicke der tieferen Saite haben dürfen. Was ich hier von der Oktave behaupte, dass nämlich ihre Form, wenn man sie durch die Spannung oder die Stärke der Saite bestimmt, in doppeltem Verhältnis zu derjenigen steht, die sie durch ihre Länge hat, muss für alle anderen musikalischen Intervalle eben-



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falls gelten. Also wird dasjenige, welches sich mit dem eineinhalbfachen Verhältnis der Länge ergibt, wozu man zuerst das Ganze und dann zwei Drittel davon anschlägt, dann, wenn man es durch Zug oder durch eine dünnere Saite erreichen will, die Verdoppelung der eineinhalbfachen Proportion erfordern, wozu man das Doppelte der Sesquiquarta nimmt [d. h. das Verhältnis 9 zu 4], und wenn die tiefe Saite mit vier Pfund Gewicht gespannt ist, so wird man zu ihrer Erhöhung nicht sechs, sondern neun hinzufügen müssen, und bezüglich der Dicke wird man die tiefere Saite im Verhältnis von neun zu vier stärker machen müssen als die höhere, um die Quinte zu bekommen. Angesichts dieser vollkommen wahren Erfahrungen schien mir jede Voraussetzung dafür zu fehlen, dass scharfsinnige Philosophen hätten behaupten können, die Form der Oktave sei eher das Doppelte als das Vierfache, und die der Quinte eher 3 : 2 [sesquialtera] als 9 : 4 [la dupla sesquiquarta]. Aber weil es völlig unmöglich ist, die Schwingungen einer Saite zu zählen, von denen sie bei der Erzeugung eines Tons außerordentlich viele macht, so wäre mir immer unklar, ob es zutrifft, dass die Saite der höheren Oktave in derselben Zeit doppelt so viele Schwingungen macht wie die tiefere, wenn mir nicht die für beliebig lange Zeit stehenden Wellen, die das Gefäß tönen und vibrieren lassen, erkennbar bewiesen hätten, wie im selben Augenblick, in dem man zuweilen den Ton um eine Oktave höher springen hört, andere, viel kleinere Wellen entstehen, welche mit äußerster Genauigkeit jene, die zuvor da waren, in zwei Hälften teilen. (215) Sa lv.  Das ist eine sehr schöne Beobachtung, mit der man die aus der Erschütterung eines Resonanzkörpers entstehenden Wellen eine von der anderen unterscheiden kann, welches dann diejenigen sind, die sich in der Luft ausbreiten und den feinen Kitzel des Trommelfells in unserem Ohr hervorrufen, welcher in unserer Seele zum Ton wird. Da nun aber eine solche Erscheinung und ihre Beobachtung im Wasser nur solange dauert, wie das Reiben mit dem Finger anhält, und auch in dieser Zeit nicht bestehen bleibt, sondern andauernd neu entsteht und wieder vergeht, wäre es da nicht eine feine Sache, wenn man mit

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äußerster Genauigkeit bewirken könnte, dass sie sich für längere Zeit erhält, sagen wir für Monate oder Jahre, damit man sie sehr bequem messen und ihre Anregungen zählen könnte? (216) Sagr.  Eine solche Erfindung würde ich allerdings außerordentlich hoch schätzen. (217) Salv.  Die Erfindung beruht auf einem Zufall, und mir blieb nur, die Beobachtung zu machen, daraus Kapital zu schlagen und sie als Bekräftigung einer vortrefflichen Einsicht zu werten, die selbst aus einem eher bescheidenen Anlass hervorgeht. Als ich mit einem scharfen, eisernen Meißel eine Messingplatte abkratzte, um einige Flecken davon zu entfernen, da hörte ich, während ich mit dem Meißel schnell darüber fuhr, ein- oder zweimal zwischen vielen Strichen ein sehr kräftiges und deutliches Pfeifen zischen und austreten, und wie ich auf die Platte schaute, sah ich eine lange Reihe feiner, zueinander paralleler Striche in exakt gleichen Abständen voneinander. Ich wiederholte das Kratzen wieder und wieder und konnte nur bei solchen Kratzern, bei denen der Meißel das Pfeifen hervorbrachte, derartige Abzeichnungen auf der Platte feststellen, während nicht der kleinste Schatten davon erschien, wenn beim Kratzen kein Pfeifen entstand. Indem ich das Spiel weiter wiederholte, wobei ich einmal mit größerer und einmal mit kleinerer Geschwindigkeit kratzte, brachte ich das Pfeifen wieder hervor, einmal mit höherem und einmal mit tieferem Ton, und ich beobachtete, dass die Zeichnungen bei höherem Ton enger beieinander lagen, bei tieferem weniger eng, und manchmal auch, immer wenn ein und dasselbe Kratzen gegen Ende schneller war als am Anfang, hörte man den Ton höher werden, während die Zeichen enger zusammenrückten, aber stets äußerst sauber und mit absolut gleichen Abständen gezogen. Außerdem fühlte ich bei den pfeifenden Kratzern das Eisen in meiner Faust vibrieren und meine Hand durchfuhr ein gewisses starkes Zittern, und kurz gesagt erschien genau das im Eisen und machte sich fühlbar, was wir erfahren, wenn wir flüsternd sprechen und alsdann zu einem lauten Ton übergehen. Atmen wir nämlich tonlos aus, so fühlen wir weder im Hals noch im Mund kaum irgendeine Bewegung,



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im Gegensatz und im Vergleich zu der großen Erschütterung, die sich im Kehlkopf und in allen inneren Höhlungen ereignet, wenn wir mit tiefem und kraftvollem Ton sprechen. Ich habe auch manchmal unter den Saiten des Cembalos zwei gefunden, welche die gleichen Pfeiftöne hervorbrachten wie jene, die ich auf besagte Weise erzeugt hatte, und es lagen diejenigen exakt um eine Quinte auseinander, die in der Tonhöhe am meisten differierten. Maß ich alsdann die Abstände der bei unterschiedlichem Kratzen erzeugten Zeichen, so ergab sich, dass der Abstand, welcher im einen Fall fünfundvierzig Raumteile betrug, in dem anderen Fall dreißig enthielt, was genau die Form ist, die man der Diapente [Quinte] zuschreibt. Ich möchte Sie aber, ehe wir fortfahren, darauf aufmerksam machen, dass von den drei Methoden, mit denen wir den Ton erhöhen können, jene, die Sie der Dicke der Saite zuschreiben, in Wahrheit auf das Gewicht zurückzuführen ist, dem eine Änderung der Dicke entspricht, wenn die Saiten aus demselben Material sind. So wird eine Darmsaite, die die Oktave geben soll, viermal dicker sein müssen als eine andere Darmsaite, und eine aus Messing viermal dicker als eine andere solche. Wenn ich aber die Oktave im Verhältnis einer Darmsaite und einer Messingsaite erhalten will, so muss ich diese nicht viermal dicker machen, sondern viermal schwerer. Was die Stärke betrifft, so würde also die metallene keineswegs viermal dicker, sondern vielmehr viermal schwerer sein, so dass sie in manchen Fällen weit weniger dick sein wird als die ihr in der höheren Oktave entsprechende Darmsaite. Daher kommt es, dass ein mit goldenen Saiten ausgestattetes Cembalo gegenüber einem anderen mit Messingsaiten, die die gleiche Länge, Dicke und Spannung haben, eine um etwa eine Quinte tiefere Stimmung aufweist, weil das Gold etwa doppelt so schwer ist. Beachten Sie hier, dass das Gewicht eines Körpers der Geschwindigkeit der Bewegung mehr Widerstand entgegensetzt als seine Dicke, im Gegensatz zu dem, was man zunächst erwarten würde, denn es scheint vernünftigerweise eher einsichtig, dass die Geschwindigkeit durch den Widerstand des Mediums gegen das Eindringen eines großen, leichten Körpers stärker vermindert wird als bei

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einem schweren, aber kleinen. Jedoch in diesem Fall geschieht genau das Gegenteil. Um aber auf unser eigentliches Thema zurückzukommen, so behaupte ich, dass die nächstliegende und unmittelbare Ursache der Formen musikalischer Intervalle weder die Länge der Saite, noch deren Spannung oder ihre Dicke ist, sondern vielmehr das Verhältnis der Schwingungszahlen und der Anstöße der Luftwellen, die das Trommelfell in unserem Ohr erreichen, welches alsdann im selben Zeitmaß in zitternde Schwingung versetzt wird. Auf dieser sicheren Grundlage können wir es wagen, eine hinreichend passende Erklärung dafür anzugeben, woher es kommt, dass unser Sensorium manche Töne verschiedener Höhe mit großem, andere mit weniger großem Wohlgefallen aufnimmt, während wieder andere es aufs Äußerste belästigen und verletzen. Das erklärt uns die Ursache der mehr oder weniger vollkommenen Konsonanzen und der Dissonanzen. Die Belästigung durch Letztere ergibt sich, so denke ich, aus nicht zusammenpassenden Anstößen zweier verschiedener Töne, welche auf unser Trommelfell in einem Missverhältnis auftreffen, und am unerträglichsten werden die Dissonanzen sein, wenn die Schwingungszeiten inkommensurabel sind. So etwas ergibt sich dann, wenn von zwei gleichzeitig erklingenden Saiten die eine sich zu der anderen so verhält wie die Seite eines Quadrats zu dessen Diagonale, welche Dissonanz dem Tritonus oder der Hälfte der Quinte entspricht. Im Gleichklang und deshalb angenehm zu hören sind jene Paare von Tönen, die das Trommelfell beim Auftreffen in einer gewissen Ordnung erschüttern, welche Ordnung in erster Linie erfordert, dass die innerhalb derselben Zeit auftreffenden Stöße der Anzahl nach kommensurabel sind, damit die Knorpel des Trommelfells nicht ständig gequält werden in verschiedene Richtungen auszuweichen, um den wiederholten unharmonischen Anstößen zu entsprechen und zu folgen. Deshalb ist die erste und angenehmste Konsonanz die Oktave, weil auf jeden von der tiefen Saite kommenden Anstoß auf dem Trommelfell zwei der hohen kommen, so dass beide einmal eine, einmal keine der Schwingungen der hohen Saite zusammen m ­ achen, und von der Gesamtzahl der Anstöße die Hälfte



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in eins z­ usam­menfällt. Die Anstöße im Einklang befindlicher Saiten sind immer miteinander verbunden, und deshalb verhalten diese sich wie eine einzige Saite und bringen gar keine Konsonanz hervor. Auch die Quinte klingt angenehm, weil hier auf je zwei Schwingungen der tiefen Saite drei der hohen entfallen, was zur Folge hat, dass von der Anzahl der Schwingungen der hohen Saite ein Drittel mit den anderen zusammenfällt, während zwei einzelne zwischen jedem konsonanten Paar liegen; und bei der Quarte liegen drei dazwischen. Bei der Sekunde, d. h. bei der erhöhten Oktave [sesquiottavo] trifft von jeweils neun Anstößen nur einer mit dem der tieferen Saite zusammen; alle anderen stehen in keinem Zusammenklang; sie quälen das Trommelfell und werden vom Gehör als dissonant empfunden. (218) Simp.  Ich möchte, dass diese Frage zum besseren Verständnis weiter erläutert wird. (219) Sa lv.  Die gerade Linie AB beschreibe die Weite und den Ausschlag einer Schwingung der tieferen Saite, die Linie CD jene der höheren Saite, die mit der anderen eine Oktave gibt. AB werde in E halbiert, so steht fest, wenn sich die Saiten an den Endpunkten A , C zu bewegen beginnen, dass dann, wenn die hohe Schwingung am Endpunkt D angelangt ist, die andere sich erst bis zum Mittelpunkt E erstreckt haben wird. Sie erzeugt aber, da die Bewegung nicht zu Ende ist, hier keine Erschütterung, sondern der Effekt tritt erst in D ein. Kehrt die Schwingung dann von D nach C zurück, so verläuft die andere von E nach B, weshalb die beiden ErschütE B terungen in B und in C zusammen auf das A Trommelfell treffen. Geht man dazu über, D gleiche aufeinander folgende Schwingun- C gen zu wiederholen, so ergibt sich abwech- A O E B selnd bei der einen Schwingung von C , D, dass die Erschütterungen mit denen von A , D C B zusammenfallen, bei der nächsten nicht. Aber die Erschütterungen an den Endpunkten treffen immer mit einer von C , D und immer mit derselben zusammen. Das steht deshalb fest, weil unter der Voraussetzung, dass die Er-

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schütterungen in A , C zusammenfallen, diese, während sie von A nach B gehen, von C nach D wandern und nach C zurückkehren, so dass die Erschütterung in C mit der in B zusammenfällt; und in der Zeit, in der sie von B nach A zurückkehrt, verläuft sie von C nach D und kehrt nach C zurück, so dass die Erschütterungen in A und C zusammenfallen. Sollen nun aber die beiden Schwingungen AB, CD eine Quinte ergeben, so müssen ihre Zeiten sich zueinander verhalten wie drei zu zwei. Teilt man also die Strecke AB der tieferen Saite in E und O in drei gleiche Teile, und nimmt man an, dass die Schwingungen im selben Zeitpunkt an den Endpunkten A und C einsetzen, so folgt, dass dann, wenn die Erschütterung am Endpunkt D stattfindet, die Schwingung AB erst bis O gelangt ist. Deshalb empfängt das Trommelfell nur die Erschütterung D. Bei der Rückkehr von D nach C verläuft die andere Schwingung von O nach B und kehrt wieder nach O zurück, wobei sie in B eine Erschütterung auslöst, die aber nur als einzelne und zur Unzeit stattfindet (was noch genauer untersucht werden muss). Da wir ja angenommen haben, dass die ersten Anstöße im selben Augenblick an den Endpunkten A , C stattfinden, so wird der zweite, der sich als einzelner am Endpunkt D ereignet, nach der Zeit des Durchgangs CD bzw. AO stattfinden, während der nachfolgende, der in B auftritt, von jenem nur durch die Zeit OB getrennt ist, also durch die halbe Zeit. Im Weiteren fallen dann mit der Rückkehr von O nach A und von C nach D die beiden Stöße in A und D zusammen. Danach folgen andere, diesen ähnliche Perioden, und zwar unter Zwischenschaltung zweier einzelner, unbegleiteter Anstöße der hohen Saite und eines der tiefen, ebenfalls einzeln und zwischen den einzelnen der hohen liegend. Wenn wir uns also die Zeit in Augenblicke geteilt vorstellen, d. h. in kleinste gleiche Teilchen, und wenn wir voraussetzen, dass von den ersten beiden übereinstimmenden Anstößen in A und C , die sich nach O, D fortpflanzen und in D einen Stoß erzeugen, mit dem dritten und vierten Augenblick einer von D nach C zurückkehrt und in C anschlägt, während einer von O nach B geht, hier anschlägt und nach O zurückkehrt, und dass sie schließlich im fünften und sechsten



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Augenblick von O und C nach A und D sich fortpflanzen und dort jeweils anschlagen, so ergibt das auf dem Trommelfell pulsierende Anschläge in so regelmäßiger Verteilung, dass es von angenommen zwei im selben Augenblick angeschlagenen Saiten zwei Augenblicke später einen einzigen Stoß erfährt, im dritten Augenblick einen weiteren einzelnen solchen, im vierten noch einen einzelnen, und zwei Augenblicke später, also im sechsten, zwei miteinander vereinigte. Hier endet dann diese Periode, oder, um es so zu sagen, die Unregelmäßigkeit, und die Periode kann nun viele Male wiederholt werden. (220) Sagr.  Ich kann nicht länger stillhalten, sondern muss das Vergnügen zum Ausdruck bringen, das ich fühle, da ich so einleuchtende Erklärungen von Erscheinungen geboten bekomme, deretwegen ich lange Zeit im Dunklen tappte und mit Blindheit geschlagen war. Jetzt verstehe ich, weshalb der Einklang sich von einer einzelnen Stimme in keiner Weise unterscheidet. Ich verstehe, weshalb die Oktave die Hauptkonsonanz ist, die dem Einklang so sehr gleicht, dass sie wie der Einklang verwendet werden kann und mit anderen zusammenpasst. Dem Einklang gleicht sie, weil die Anstöße der Saite im Einklang immer zusammenfallen, während bei der Oktave diejenigen der tieferen Saite stets von solchen der höheren Saite begleitet werden, von denen nur ein einzelner mit genau gleichen Abständen und ohne im mindesten zu stören dazwischen hineinfällt, so dass dieser Zusammenklang kaum verziert erscheint und ohne Feuer. Die Quinte aber, mit ihren zeitversetzten Stößen, und mit der Einschaltung zweier einzelner zwischen den Paaren je zweier verbundener Erschütterungen bei der hohen Saite und eines einzelnen bei der tiefen, und zwar alle drei mit einem Zeitabstand, welcher der Hälfte desjenigen zwischen jenem Paar und dem dazwischen liegenden einzelnen Stoß der hohen entspricht, erzeugt einen Kitzel und einen Reiz an den Knorpeln des Trommelfells, der die Süße mit einem Spritzer Herbheit mindert, Kuss und Biss in Süße verbunden. (221) Salv.  Da ich sehe, welch großes Vergnügen Ihnen diese neuen Erkenntnisse machen, so muss ich Ihnen zeigen, wie auch

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das Auge, nicht nur das Gehör, sich daran ergötzt, ebensolche Reize zu empfangen wie dieses. Hängen Sie Bleikugeln oder andere schwere Körper an drei Fäden unterschiedlicher Länge, und zwar so, dass in der Zeit, in der die längste zwei Schwingungen macht, die kürzeste vier, die mittlere drei macht, was dann geschieht, wenn die längste sechzehn Handbreit oder von einem anderen Maß misst, von dem die mittlere neun, die kleinere vier enthält. Bewegt man diese alle zusammen aus der Senkrechte und lässt sie dann los, so verflechten sich diese Fäden wirr und mehrfach gegenläufig ineinander, aber doch so, dass bei jeder vierten Schwingung des längsten alle drei gemeinsam am selben Punkt ankommen, von dem sie sich alsdann wieder entfernen, um dieselbe Periode von neuem zu wiederholen. Diese Schwingungen vermischen sich so, dass man, wenn Saiten sie machen würden, eine Oktave mit der intermittierenden Quinte hören könnte. Und wenn wir bei gleichartiger Anordnung die Längen anderer Fäden so einrichten, dass deren Schwingungen gewissen anderen musikalischen Intervallen entsprechen, die zusammenklingen, so ergeben sich immer wieder andere Verflechtungen, aber immer so, dass in bestimmten Zeiten und nach einer bestimmten Anzahl von Schwingungen alle Fäden (ob es nun drei sind oder vier) sich so ordnen, dass sie im selben Augenblick am Endpunkt ihrer Schwingungen ankommen, um von da aus eine neue solche Periode zu beginnen. Wenn aber die Schwingungen von zwei oder mehr Fäden entweder inkommensurabel sind, so dass sie niemals dahin kommen, gemeinsam eine bestimmte Anzahl von Schwingungen zu beenden, oder, wenn sie nicht inkommensurabel sind, erst nach langer Zeit und einer großen Anzahl von Schwingungen, so verwirrt sich der sichtbare Eindruck durch die gestörte Ordnung der durcheinandergebrachten Verflechtungen, und das Ohr empfängt die zeitlich versetzten Anstöße der Lufterschütterungen, die ohne Ordnung und Regel auf dem Trommelfell auftreffen, mit Missvergnügen. Aber wohin, meine Herren, haben wir uns so viele Stunden lang durch die verschiedensten Probleme und durch unvermutete Diskussionen entführen lassen? Der Abend ist da, und wir haben den Gegenstand,



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den wir uns vorgenommen haben, nur sehr wenig oder gar nicht behandelt. Tatsächlich sind wir so weit davon abgekommen, dass ich Mühe habe, mich an die erste Einführung und daran zu erinnern, wie wenig wir doch mit Hypothesen und Prinzipien den künftigen Beweisführungen näher gekommen sind. (222) Sagr.  Es wird deshalb richtig sein, wenn wir für heute unsere Überlegungen beenden und dem Geist Gelegenheit geben, sich in der beruhigenden Nacht zu erholen, um alsdann morgen (wenn es Ihnen, meine Herren, so gefällt) zu den geplanten und in erster Linie beabsichtigten Untersuchungen zurückzukehren. (223) Salv.  Gerne werde ich zur selben Stunde wie heute hier sein, zu Ihren Diensten und zu Ihrer Unterhaltung. HIER ENDET DER ERSTE TAG.

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(1) Sagr.  Herr Simplicio und ich haben auf Ihre Ankunft gewartet, und wir haben uns in dieser Zeit damit beschäftigt, uns die letzte Überlegung ins Gedächtnis zurückzurufen, die, gewissermaßen als Grundlage und Voraussetzung der Schlussfolgerungen, welche Sie uns nachweisen wollten, jenen Widerstand betraf, den alle festen Körper ihrer Zerteilung entgegensetzen, und der einem Bindemittel zugeschrieben wird, durch das die Teile aneinander haften und miteinander verbunden sind, so dass sie nur erheblichem Zug nachgeben und sich voneinander trennen. Wir hatten uns gefragt, was die Ursache dieser Kohärenz sein könnte, die in einigen Festkörpern außerordentlich stark ist, und hatten sie vornehmlich dem Vakuum zugeschrieben, was vielerlei Abschweifungen auslöste, die uns den Tag über aufhielten und weit von dem Gegenstand abbrachten, den wir uns ursprünglich vorgenommen hatten, nämlich, wie ich schon sagte, von der Erklärung des Widerstands der Festkörper gegen ihre Zerteilung. (2) Salv.  Ich erinnere mich gut an dies alles. Kehren wir also zum ursprünglichen Gesprächsfaden zurück. Es steht unzweifelhaft fest, dass man bei festen Körpern einen Widerstand, was immer dieser sein mag, gegen die Zerreißung durch heftigen Zug findet. Und zwar ist dieser sehr groß gegen einen Zug, welcher in gerader Linie daran ansetzt, aber beobachtbar umso geringer, je mehr er in die Querrichtung wirkt. So beobachten wir, dass z. B. eine Stange aus Stahl oder aus Glas der Länge nach ein Gewicht von tausend Pfund tragen kann, während sie, im rechten Winkel in einer Mauer befestigt, zerbricht, sobald man auch nur fünfzig daran hängt. Und über diesen zweiten Widerstand sollten wir sprechen, indem wir untersuchen, welche Proportionen er bei Prismen und Zylindern von ähnlicher oder unähnlicher Gestalt, Länge und Größe, aber von gleichem Material einhält. Bei solchen Überlegungen setze ich als bekannten Grundsatz etwas

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voraus, das die Mechanik als eine der Eigenschaften der Spitze kennt, welche wir Hebel nennen, dass nämlich beim Gebrauch des Hebels die Einwirkung sich zum Widerstand umgekehrt verhält wie die Abstände zwischen dem Stützpunkt und den Angriffspunkten der besagten Einwirkung und des Widerstands. (3) Simp.  Das hat Aristoteles in seiner Mechanik als Erster von allen bewiesen. (4) Sa lv.  Ich bin damit einverstanden, ihm den zeitlichen Vorrang zuzubilligen. Was aber die Überzeugungskraft der Beweisführung betrifft, so denke ich, dass wir ihm den Archimedes bei Weitem vorziehen sollten, der in seinem [Buch über das] Gleichgewicht einen einzigen Lehrsatz bewiesen hat, von dem nicht nur das Verständnis des Hebels abhängt, sondern auch das des größeren Teils der übrigen mechanischen Maschinen. (5) Sagr.  Wenn also der besagte Grundsatz alledem zugrunde liegt, was Sie uns zu beweisen beabsichtigen, so wäre es wohl durchaus passend, hier auch den Beweis dieses Grundsatzes vorzustellen, sofern das nicht ein allzu abseitiger Gegenstand sein sollte. Sie würden uns damit eine vollständige und voll­endete Belehrung an die Hand geben. (6) Sa lv.  Wenn es denn so sein soll, wird es besser sein, wenn ich Sie mit einem anderen, etwas von dem des Archimedes verschiedenen Ansatz in das Gebiet aller unserer weiteren Über­legungen einführe, und zwar ohne etwas anderes vorauszusetzen, als dass gleiche Gewichte auf einer Waage mit gleichen Armen im Gleichgewicht sind (ein Prinzip, das besagter Archimedes in derselben Weise voraussetzt). Ich werde Ihnen alsdann nicht nur beweisen, dass ungleiche Gewichte auf einer Balkenwaage mit ungleichen Armen ebenso im Gleichgewicht sind, sofern diese [Arme] sich ebenso zueinander verhalten wie die vertauscht angehängten Gewichte, sondern auch, dass es auf dasselbe hinauskommt, gleiche Gewichte in gleichen Abständen anzubringen wie ungleiche Gewichte in Abständen, die sich vertauscht ebenso zueinander verhalten wie die Gewichte. Um nun meine Behauptung eindeutig zu beweisen, zeichne ich einen prismatischen oder zylindrischen Festkörper AB, dessen



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Enden an der Linie HI hängen und von zwei Drähten HA , IB getragen werden. Offensichtlich wird, wenn ich das Ganze an einem Draht C aufhänge, der in der Mitte des Waagebalkens HI befestigt ist, das Prisma AB entsprechend dem von uns vorausge-

setzten Prinzip im Gleichgewicht sein, da sich sein Gewicht zur Hälfte auf der einen, zur anderen Hälfte auf der anderen Seite des Aufhängepunktes C befindet. Man stelle sich nun vor, das Prisma sei auf einer Linie senkrecht durch D in zwei ungleiche Teile geteilt; DA sei der größere, DB der kleinere Teil. Damit aber nach der Teilung die Teile des Prismas dieselbe Lage in Bezug auf die Linie HI beibehalten, helfen wir mit dem Draht ED nach, der, in Punkt E befestigt, die Teile AD, DB des Prismas stützen soll. Zweifellos wird das Prisma, da es keine örtliche Veränderung in Bezug auf den Waagebalken HI erfahren hat, in demselben Gleichgewichtszustand verharren. Und es wird auch dann in demselben Zustand verharren, wenn der Teil des Prismas, welcher jetzt mit seinen Enden an den Drähten AH, DE hängt, an einem einzigen Draht GL aufgehängt wird, der mittig daran befestigt ist. Und ebenso wird der andere Teil DB seine Lage nicht verändern, wenn er mittig an einem Draht FM aufgehängt wird. Löst man nun die Drähte HA , ED, IB, so dass nur die beiden GL und FM verbleiben, so wird der Gleichgewichtszustand unverändert weiter bestehen, solange nur die Aufhängung in C bestehen bleibt. Nun stellen wir uns vor, dass wir zwei schwere Körper AD, DB haben, die an den Endpunkten G und F einer Waage GF hängen, welche in Bezug auf den Punkt C im Gleichgewicht ist, dergestalt, dass die Linie CG den Abstand des Gewichts AD vom Punkt C , und auf der anderen Seite CF den Abstand beschreibt,

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in dem das andere Gewicht DB hängt. Nun muss nur noch bewiesen werden, dass diese Abstände sich zueinander ebenso verhalten wie diese Gewichte, freilich umgekehrt genommen, d. h. so, dass sich der Abstand GC zu CF verhält wie das Prisma DB zum Prisma DA . Das beweisen wir wie folgt. Da die Strecke GE die Hälfte von EH ist und EF die Hälfte von EI, so wird GF die Hälfte von HI und also gleich CI sein. Nach Wegnahme des gemeinsamen Teils CF wird der verbleibende [Teil] GC gleich dem verbleibenden FI sein, d. h. gleich FE; fügt man beiderseits CE hinzu, so wird GE gleich CF sein, und deshalb wird sich FC zu CG ebenso verhalten wie GE zu EF. Wie aber GE zu EF sich verhält, so verhält sich auch das Doppelte zum Doppelten, d. h. HE zu EI, d. h. das Prisma AD zum Prisma DB, und folglich steht das Gewicht BD zum Gewicht DA in demselben, aber umgekehrten Verhältnis wie der Abstand GC zum Abstand CF; das ist, was ich Ihnen beweisen wollte. Ist das verstanden, so denke ich, dass es Ihnen nicht schwer fallen wird zu erkennen, dass die beiden Prismen AD, DB um Punkt C im Gleichgewicht sind, weil die Hälfte des ganzen Festkörpers AB sich rechts vom Aufhängepunkt C befindet, die andere Hälfte links davon, und so ergibt sich, dass sie zwei gleiche Gewichte in gleichen Abständen repräsentieren. Werden nun die beiden Prismen AD, DB auf zwei Würfel oder zwei Kugeln oder auf zwei beliebige, anders gestaltete Körper zurückgeführt (während dieselben Aufhängungen in G, F erhalten bleiben), so werden sie weiterhin um Punkt C im Gleichgewicht bleiben, und ich glaube nicht, dass jemand das bezweifeln könnte, weil doch offensichtlich ist, dass die äußere Gestalt das Gewicht nicht verändert, wofern dieselbe Materiemenge beibehalten wird. Hieraus können wir ganz allgemein folgern, dass zwei beliebige Gewichte in Abständen, die ihrer jeweiligen Schwere umgekehrt entsprechen, im Gleichgewicht sind. Ist also dieser Grundsatz festgestellt, so muss ich, bevor wir weitergehen, zu bedenken geben, wie diese Einwirkungen, Widerstände, wirkfähigen Größen [momenti] und Gestalten usw. abstrakt und von der Materie getrennt, und auch, wie sie konkret



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und in Verbindung mit der Materie betrachtet werden können; denn jene Erscheinungen, die sich bei Gestaltungen ohne Berücksichtigung der Materie ergeben, werden gewisse Veränderungen erfahren, sobald wir die Materie und folglich die Schwere hinzunehmen. Nehmen wir zum Beispiel einen Hebel, dieser sei BA , welcher, auf dem Stützungspunkt E aufliegend, den schwe-

ren Felsbrocken D anheben soll, so ist nach dem bewiesenen Grundsatz klar, dass eine am Endpunkt B angreifende Einwirkung hinreicht, um den Widerstand des schweren Körpers D aufzuwiegen, wenn ihr wirkfähiger Anteil [momento] sich zu dem Moment von D ebenso verhält wie der Abstand AC zum Abstand CB. Und das gilt, wenn wir von anderen Momenten als denen der einfachen Einwirkung in B und des Widerstands in A absehen, so, als wäre dieser Hebel materielos und ohne Schwere. Stellen wir aber auch die Schwere des Hebelinstruments selbst in Rechnung, welches in einem Fall aus Holz, in einem anderen Fall wohl aus Eisen sein mag, so ist klar, dass dann, wenn man zur Einwirkung in B das Gewicht des Hebels hinzunimmt, die Proportion sich verändert, die dann in anderen Verhältnissen zum Ausdruck zu bringen sein wird. Und deshalb müssen wir, ehe wir weitergehen, notwendigerweise darin übereinstimmen, dass wir zwischen den beiden Betrachtungsweisen unterscheiden, indem wir diejenige als absolut genommen bezeichnen, bei der wir uns das Instrument abstrakt vorstellen, d. h. ungeachtet der Schwere seines eigenen Materials. Nehmen wir aber zu den einfachen und abstrakten Gestaltungen die Materie mit ihrer Schwere hinzu, so werden wir bei den mit der Materie verbundenen Gestaltungen von wirkfähigem Anteil [momento] oder zusammengesetzter Einwirkung sprechen.

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(7) Sagr.  Ich muss an dieser Stelle meinen Vorsatz, keine Veranlassung zu Abschweifungen zu geben, zurückstellen, weil ich dem Weiteren nicht aufmerksam folgen kann, solange nicht ein gewisser Zweifel behoben ist, der mir kommt, nämlich der Folgende: Mir scheint, dass Sie zu der in B angreifenden Einwirkung die gesamte Schwere des Steins D in Beziehung setzen, obwohl ich glaube, dass ein Teil davon, und vielleicht sogar der größere, sich auf die horizontale Ebene stützt, so dass … (8) Sa lv.  Ich verstehe Sie vollkommen. Sie müssen nichts weiter dazu sagen. Beachten Sie nur, dass ich noch nicht von der gesamten Schwere des Steins gesprochen habe, sondern von dem [vektoriellen] Moment, welches er repräsentiert und auf den Punkt A ausübt, ganz am äußersten Endpunkt des Hebels BA , und das stets kleiner ist als das gesamte Gewicht des Steins, und mit der äußeren Gestalt des Steins sowie je nachdem, ob er mehr oder weniger angehoben wird, variiert. (9) Sagr.  Das genügt mir; aber ich wünsche mir doch, dass Sir mir zum vollständigen Verständnis nach Möglichkeit nachweisen, wie man feststellen kann, welcher Teil des gesamten Gewichts von der horizontalen Ebene gestützt wird und welcher davon auf der Hebelspitze am Endpunkt A lastet. (10) Salv.  Damit will ich Ihnen gerne zu Diensten sein, da ich Sie mit wenigen Worten zufriedenstellen kann. Machen wir dazu eine kleine Zeichnung, und nun stellen Sie sich bitte vor, dass das Gewicht, dessen Schweremittelpunkt A sei, sich am Endpunkt B auf die horizontale Ebene stützt, während es am anderen Ende mit dem spitzen Hebel CG über dem Stützpunkt N von einer in

G angreifenden Einwirkung gehalten wird. Vom Mittelpunkt A und vom Endpunkt C fällen Sie jeweils das Lot AO, CF auf die

Horizontale. Ich behaupte nun, dass das Moment des ganzen



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Gewichts zu demjenigen der Einwirkung in G in einem Verhältnis steht, das aus dem des Abstands GN zum Abstand NC und von FB zu BO zusammengesetzt ist. Jetzt verhalte sich NC zu X wie die Strecke FB zu BO. Weil nun das gesamte Gewicht A von den beiden in B und C angreifenden Einwirkungen gestützt wird, so verhält sich die Einwirkung in B zu der in C wie der Abstand FO zu OB , und zusammengesetzt verhalten sich die beiden Einwirkungen in B und C , d. h. das gesamte Moment des ganzen Gewichts A , zu der Einwirkung in C wie die Strecke FB zu BO, d. h. wie NC zu X. Aber das Moment der Einwirkung in C verhält sich zu dem Moment der Einwirkung in G ebenso wie der Abstand GN zu NC . Folglich verhält sich, vertauscht, das gesamte Gewicht A zum Moment der Einwirkung in G wie GN zu X. Aber das Verhältnis von GN zu X ist aus dem Verhältnis von GN zu NC und dem von NC zu X , d. h. von FB zu BO, zusammengesetzt. Also steht das Gewicht A zu der Einwirkung, welche es in G stützt, in einem aus dem Verhältnis von GN zu NC und dem von FB zu BO zusammengesetzten Verhältnis; das ist, was zu beweisen war. Kehren wir nun zu unserer ersten Aufgabe zurück, so wird es, wenn alles hier Erklärte verstanden worden ist, ein Leichtes sein zu verstehen, wie es kommt, dass ein prismatischer oder zylindrischer Festkörper aus Glas, Stahl, Holz, oder aus einem anderen zerbrechlichen Material, der Länge nach aufgehängt, ein sehr schweres, daran gehängtes Gewicht trägt, während er in Querrichtung (wie vor Kurzem gesagt) von einem sehr viel kleineren Gewicht umso eher auseinandergerissen wird, je mehr seine Länge seine Dicke übertrifft. Nehmen wir an, der prismatische Festkörper ABCD sei mit der Seite AB in eine Mauer eingelassen, und am anderen Ende wirke das Gewicht E (wobei stets angenommen wird, dass die Mauer auf horizontaler Ebene errichtet und das Prisma oder der Zylinder rechtwinklig in die Mauer eingelassen ist). Dann ist klar, dass er, wenn er bricht, am Punkt B zerreißen wird, an dem der Einschnitt in der Mauer als Stütze dient und BC als der Teil des Hebels, an dem die Einwirkung angreift, während die Dicke BA des Festkörpers der andere Teil des

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Hebels ist, an dem der Widerstand angreift, der den Teil des Festkörpers BD außerhalb der Mauer von demjenigen trennen kann, der darin steckt. Und wie dargelegt wird sich das Moment der in C angreifenden Einwirkung zum Moment des Widerstands, den die Dicke des Prismas bzw. der Zusammenhalt des Teils BA mit dem Angrenzenden leistet, ebenso verhalten wie die Länge CB zur Hälfte von BA . Deshalb hat der absolute Bruchwiderstand des Prismas BD (welcher absolute Widerstand derjenige ist, der sich beim Zug der Länge nach ergibt, denn in diesem Fall ist die Bewegung des Bewegenden ebenso groß wie die des Bewegten)

zu demjenigen, welcher der Zerbrechung mittels des Hebels BC entspricht, dasselbe Verhältnis wie die Länge BC zur Hälfte von AB beim Prisma, beim Zylinder aber zur Hälfte des Durchmessers seiner Grundfläche. Und damit haben wir unseren ersten Lehrsatz formuliert. Halten Sie übrigens fest, dass das, was ich hier behaupte, sich unter Außerachtlassung des Eigengewichts des Körpers BD versteht, den ich so nehme, als ob er gar nichts wiegen würde. Wollen wir nämlich seine Schwere in Rechnung stellen, indem wir sie mit dem Gewicht E zusammennehmen, so müssen wir dem Gewicht E die Hälfte des Gewichts des Körpers



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BD hinzufügen, so dass, wenn z. B. das Gewicht von BD zwei Pfund ist und das Gewicht von E zehn Pfund, man das Gewicht von E so ansetzen muss als betrüge es elf.

(11) Simp.  Und weshalb nicht wie zwölf? (12) Salv.  Das Gewicht E , mein Herr Simplicio, das am Endpunkt C hängt, lastet an dem Hebel BC mit seinem gesamten Moment von zehn Pfund. Hinge da nur BD selbst, so lastete es mit seinem ganzen Moment von zwei Pfund. Da nun aber, wie Sie sehen, der ganze Körper sich gleichförmig über die ganze Länge BC erstreckt, so lasten seine Teile in der Nähe des Endpunktes B weniger schwer als die weiter davon entfernten, so dass insgesamt, wenn man diese mit jenen ausgleicht, das Gewicht des ganzen Prismas sich darauf reduziert, dass es unter dessen Schwerezentrum arbeitet, welches dem Mittelpunkt des Hebels BC entspricht. Aber ein Gewicht, das am Endpunkt C hängt, hat das Doppelte des Moments, das es bei Aufhängung in der Mitte haben würde; folglich muss man die Hälfte des Gewichts des Prismas zu dem Gewicht E hinzufügen, damit beide zusammengenommen dasselbe Moment repräsentieren, wie wenn sie am Endpunkt C angebracht wären. (13) Simp.  Das überzeugt mich vollkommen, und wenn ich mich nicht täusche, so hat die Einwirkung der zusammengenommenen Gewichte BD und E in diesem Fall dasselbe Moment, wie wenn das ganze Gewicht von BD und das Doppelte von E in der Mitte des Hebels BC angehängt wäre. (14) Salv.  Genauso ist es, und das muss man im Gedächtnis behalten. Hier können wir nun sofort verstehen, wie und nach welchem Verhältnis eine Stange, oder sagen wir ein Prisma, das viel breiter als dick ist, dem Zerbrechen widersteht, wenn man daran einen Zug der Breite oder der Dicke nach angreifen lässt. Um das einzusehen, stelle man sich ein Lineal ad vor, mit der Breite ac und der deutlich geringeren Dicke cb. Die Frage ist, weshalb dieses, wenn wir es, wie in der ersten Zeichnung, der Breite nach zerbrechen wollen, dem großen Gewicht T widersteht, während es flachgelegt, wie in der zweiten Zeichnung, nicht einmal X erträgt, das kleiner ist als T. Das ist offensicht-

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lich so, wenn wir verstehen, dass der Drehpunkt in dem einen Fall unterhalb der Linie bc, im anderen unterhalb ca liegt, während die Abstände der Einwirkungen in beiden Fällen gleich sind, nämlich die Länge bd; aber im ersten Fall ist der Abstand des Widerstands vom Drehpunkt, der in der Mitte der Strecke ca liegt, größer als der Abstand im anderen Fall, wo er in der Mitte von bc liegt. Deshalb muss die Einwirkung des Gewichts T um ebenso viel größer sein als X , wie die Hälfte der Breite ca größer ist als die Hälfte der Dicke bc, wobei jenes hier als der andere Hebelarm von ca, dieses von cb dient, um denselben Widerstand zu überwinden, der die Menge der Fasern über die ganze Grundfläche ab ausmacht. Aus alledem folgt, dass ein und dasselbe mehr breite als dicke Lineal oder Prisma dem Zerbrechen der Breite nach mehr Widerstand entgegensetzt als der Dicke nach, je nach dem Verhältnis von Breite und Dicke zueinander.



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Wir sollten jetzt fortfahren, indem wir untersuchen, nach welchem Verhältnis das Moment des Eigengewichts eines Prismas oder Zylinders relativ zur eigenen Bruchfestigkeit zunimmt, wenn dieses, horizontal ausgerichtet, verlängert wird. Ich finde, dass dieses Moment im quadratischen Verhältnis [duplicata proporzione] zu der Verlängerung anwächst. Um das zu beweisen, stellen wir uns das Prisma oder den Zylinder AD mit dem Endpunkt A fest und horizontal in einer Mauer verankert vor. Dieses stelle man sich nun durch Hinzufügung des Teils BE bis nach E hin verlängert vor. Es ist klar, dass die Verlängerung des Hebelarms AB nach C für sich allein, d. h. absolut genommen, das Moment der Einwirkung, welche dem Widerstand gegen das Abreißen und Auseinanderbrechen in A entgegenwirkt, gemäß dem Verhältnis von CA zu BA vergrößert. Zusätzlich aber vergrößert das dem Gewicht des Körpers AB hinzugefügte Gewicht des Körpers BE das Moment der von oben her einwirkenden Schwere gemäß dem Verhältnis des Prismas AE zum Prisma AB, welches Verhältnis gleich dem der Länge AC zur Länge AB ist. Folglich steht fest, dass bei Verbindung der beiden Zuwächse sowohl der Länge als auch der Schwere das aus beiden zusammengesetzte Moment im quadratischen Verhältnis zu beiden von ihnen steht. Aus alledem folgt, dass die wirksamen Momente der Einwirkungen gleich starker, aber unterschiedlich langer Prismen oder Zylinder zueinander im quadratischen Verhältnis ihrer Längen stehen, d. h. sie verhalten sich zueinander wie die Quadrate der Längen. Wir zeigen nun, zweitens, in welchem Verhältnis die Bruchfestigkeit in Prismen und Zylindern gleichbleibender Länge zunimmt, wenn deren Dicke größer wird. Und hierzu behaupte ich, dass bei Prismen und Zylindern gleichbleibender Länge, aber ungleicher Dicke die Bruchfestigkeit im dreifachen Verhältnis zu den Durchmessern ihrer Dicke, d. h. zu ihren Grundflächen anwächst. Es seien zwei Zylinder, A , B , von gleicher Länge, DG, FH. Sie sollen ungleiche Grundflächen haben, nämlich die Kreise, deren Durchmesser CD, EF sind. Ich behaupte, dass der Bruch-

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widerstand des Zylinders B zum Bruchwiderstand des Zylinders A im dreifachen Verhältnis desjenigen steht, welches der Durchmesser FE zum Durchmesser DC hat. Betrachten wir nämlich den absoluten und einfachen Widerstand gegen die Zerreißung durch eine Einwirkung der Länge nach, welcher in den Grundflächen steckt, d. h. in den Kreisen EF, DC , so wird zweifellos der Widerstand des Zylinders B um ebenso viel größer sein als der Widerstand des Zylinders A , wie der Kreis EF größer ist als CD, weil im selben Maße mehr Fasern, Fäden, oder zähe Teile die Teile der festen Körper zusammenhalten. Untersuchen wir aber die Einwirkung der Quere nach, so nehmen wir zwei Hebel an, an deren Teilen oder Abmessungen DG, FH die Einwirkungen angreifen sollen, die Auflagepunkte aber in D, F, während die übrigen Teile oder Abmessungen, in denen die Widerstände liegen, die Halbmesser der Kreise DC , EF sind, weil es mit den über die ganzen Flächen dieser Kreise verteilten [zähen] Fasern sich so verhält, wie wenn sie sich alle in den Mittelpunkten vereinigten. Untersuchen wir also diese Hebel und nehmen wir an, dass der Widerstand im Mittelpunkt der Grundfläche EF gegen eine Einwirkung in H den Widerstand der Grundfläche CD gegen eine Einwirkung in G (die Hebeleinwirkungen in G und H seien gleich DG, FH) um ebenso viel übertrifft, wie der Halbmesser FE größer ist als der Halbmesser DC . Also übertrifft die Bruchfestigkeit des Zylinders B den Widerstand des Zylinders A im zusammengenommenen Verhältnis der Kreise EF, DC und ihrer Halbmesser, oder sagen wir, ihrer Durchmesser. Aber die Kreise verhalten sich wie die Quadrate ihrer Halbmesser. Folglich ist das Verhältnis der Widerstände, welches sich aus jenen zusammensetzt, das Dreifache des Verhältnisses eben dieser Halbmesser, was zu beweisen war. Weil aber auch kubische Körper im dreifachen Verhältnis zu ihren Seiten stehen, so können wir in gleicher Weise folgern, dass sich die Widerstände gleich langer Zylinder zueinander ebenso verhalten wie die dritten Potenzen ihrer Durchmesser.



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Aus dem soeben Bewiesenen können wir weiterhin folgern, dass die Widerstände gleich langer Prismen und Zylinder zueinander im eineinhalbfachen Verhältnis dessen der nämlichen Zylinder stehen. Das ist klar, weil gleich hohe Prismen und Zylinder sich zueinander ebenso verhalten wie ihre Grundflächen, d. h. doppelt wie die Seiten oder die Durchmesser dieser Grundflächen. Die Widerstände aber haben (wie bewiesen wurde) das dreifache Verhältnis der nämlichen Seiten oder Durchmesser, folglich ist das Verhältnis der Widerstände zueinander das Eineinhalbfache des Verhältnisses der Körper zueinander und in­ folge­dessen der Gewichte dieser Körper. (15) Simp.  Bevor wir zu Weiterem übergehen, sollte mir ein bestimmtes Bedenken ausgeräumt werden. Es geht darum, dass ich bisher keine Untersuchung zu jener anderen Art von Widerstand gehört habe, die nach meiner Ansicht in Festkörpern umso mehr abnimmt, je mehr sie nach und nach vergrößert werden, und zwar nicht nur in der Quere, sondern auch in der Länge. Genau das sehen wir bei einem sehr langen Seil, welches weniger dazu taugt, ein großes Gewicht zu tragen, als wenn es kürzer wäre. Deshalb denke ich, dass eine kürzere Stange aus Holz oder aus Eisen besser geeignet ist, ein Gewicht zu halten, als wenn sie viel länger wäre. Ich nehme dabei an, dass sie der Länge nach benützt wird, nicht in der Quere, und ich stelle auch ihr Eigengewicht in Rechnung, das bei der längeren größer ist. (16) Sa lv.  Ich fürchte, Herr Simplicio, dass Sie, wie viele andere auch, in diesem Punkt irren, jedenfalls, wenn ich Ihren Gedanken richtig dahin verstanden habe, dass Sie behaupten wollen, ein Seil von z. B. vierzig Ellen Länge könne nicht so viel Gewicht tragen, wie wenn es nur eine Elle oder zwei lang wäre. (17) Simp.  Genau das wollte ich sagen, und bis jetzt halte ich es für eine sehr wahrscheinliche Behauptung. (18) Salv.  Ich halte sie aber für falsch, nicht nur für unwahrscheinlich, und ich denke, ich kann den Irrtum sehr leicht aufzeigen. Nehmen wir also dieses Seil AB, oben befestigt am Anfangspunkt A , und gegenüber befinde sich das Gewicht C , unter

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dessen Einwirkung das Seil zerreißen soll. Zeigen Sie mir, Herr Simplicio, an welcher Stelle genau das Seil reißen wird. (19) Simp.  An Punkt D. (20) Salv.  Bitte, aus welchem Grund soll es in D zerreißen? (21) Simp.  Der Grund ist, dass das Seil an dieser Stelle kein Gewicht von z. B. einhundert Pfund tragen kann, welches das des Teils DB und des Steins C ist. (22) Salv.  Also wird das Seil immer dann zerreißen, wenn es im Bereich D von diesen hundert Pfund Gewicht beansprucht wird. (23) Simp.  Das nehme ich an. (24) Sa lv.  Aber sagen Sie mir doch: Wenn man dasselbe Gewicht nicht am Ende B des Seils anhängen würde, sondern nahe am Punkt D, etwa in E , oder auch, wenn man das Seil nicht in A aufhängen würde, sondern nahe oberhalb des besagten Punkts D, angenommen in F, so sagen Sie mir noch einmal, ob am Punkt D dann dasselbe Gewicht von hundert Pfund wirksam wäre. (25) Simp.  Das wäre so, wobei das Stück EB des Seils mit dem Stein C zusammengenommen werden muss. (26) Sa lv.  Wenn also das Seil mit denselben einhundert Pfund Gewicht in dem Punkt D belastet wird, so wird es reißen, wie Sie einräumen. Nun ist aber FE nur ein kleines Stück der Länge AB; wie können Sie dann behaupten, dass das lange Seil schwächer sei als das kurze? Sie sollten sich also freuen, dass Sie von einem Irrtum befreit worden sind, in dem Sie viele Begleiter hatten, selbst Leute, die über anderes sehr gut Bescheid wissen, und wir sollten weiter fortfahren. Da wir also bewiesen haben, dass bei Prismen und Zylindern das Moment ihrer jeweiligen Widerstände gemäß den Quadraten ihrer Längen anwächst (wobei sie aber immer gleich dick sein sollen), und dass ebenso bei den gleich langen, aber unterschiedlich dicken die Widerstände gemäß dem Verhältnis der Kuben der Seiten oder Halbmesser ihrer Grundflächen anwachsen, so gehen wir zu der Untersuchung



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über, wie es sich bei Festkörpern verhält, die sich sowohl in der Länge als auch in der Dicke unterscheiden. In diesen Fällen stelle ich fest, dass bei Prismen und Zylindern unterschiedlicher Länge und Dicke die Bruchwiderstände ein Verhältnis haben, welches aus dem Verhältnis der Kuben der Halbmesser ihrer Grundflächen und dem Verhältnis ihrer Längen, umgekehrt genommen, zusammengesetzt ist. Nehmen wir zwei solche Zylinder, ABC , DEF, so behaupte ich, dass der Widerstand des Zylinders AC zum Widerstand des Zylinders DF ein Verhältnis hat, welches aus dem Verhältnis des Kubus des Halbmes­sers AB A zum Kubus des Halbmessers DE und dem Verhältnis der B C Länge EF zu der Länge BC D zusammengesetzt ist. Man nehme EG gleich BC an, und E G F B H sei die dritte Proportio­ A E nale zu den Strecken AB , D DE , die vierte aber I , und I H zu S verhalte sich wie EF zu I BC . Weil sich nun der Wi- S derstand des Zylinders AC zum Widerstand des Zylinders DG ebenso verhält wie der Kubus AB zum Kubus DE , d. h. wie die Strecke AB zur Strecke I, und der Widerstand des Zylinders DG zum Widerstand des Zylinders DF wie die Länge FE zu EG, d. h. wie die Strecke I zu S , deshalb verhält sich der Widerstand des Zylinders AC zum Widerstand des Zylinders DF ebenso wie die Strecke AB zu S . Aber die Strecke AB hat zu S ein Verhältnis, welches aus dem von AB zu I und von I zu S zusammengesetzt ist. Daher hat der Widerstand des Zylinders AC zu dem des Zylinders DF ein Verhältnis, welches aus dem von AB zu I, d. h. des Kubus von AB zum Kubus von DE , und aus dem der Stecke I zu S , d. h. der Länge EF zur Länge BC zusammengesetzt ist; und das ist, was ich beweisen wollte. Nachdem dieser Lehrsatz bewiesen ist, sollten wir untersuchen, wie es sich bei ähnlichen Zylindern und Prismen verhält.

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Hierzu wird bewiesen werden, dass bei ähnlichen Zylindern und Prismen die zusammengenommenen Momente, d. h. die aus ihrer jeweiligen Schwere und aus ihren Längen hervorgehen, welche als Hebel anzusehen sind, zueinander im Eineinhalbfachen des Verhältnisses stehen, welches die Widerstände ihrer jeweiligen Grundflächen zueinander haben. Um das zu beweisen, zeichnen wir die beiden ähnlichen Zylinder AB, CD. Ich behaupte, dass das Moment des Zylinders AB, welches den Widerstand seiner Grundfläche B überwindet, zum Moment von CD, das den Widerstand von D überwindet, im Eineinhalbfachen des Verhältnisses steht, welches der besagte Widerstand der Grundfläche B zum Widerstand der Grundfläche D hat. Weil aber die Momente der Körper AB, CD, welche die Widerstände ihrer Grundflächen B, D überwinden, aus ihrer jeweiligen Schwere und aus ihren Hebeleinwirkungen zusammengesetzt sind, und weil die Wirksamkeit des Hebels AB gleich der Wirksamkeit des Hebels CD ist (weil nämlich die Länge AB aufgrund der Ähnlichkeit der Zylinder zum Halbmesser der Grundfläche B dasselbe Verhältnis hat wie die Länge CD zum Halbmesser der Grundfläche D), so folgt, dass das gesamte Moment des Zylinders AB zum gesamten Moment von CD sich verhält wie die Schwere des Zylinders AB, für sich allein genommen, zur ebenfalls für sich allein genommenen Schwere des Zylinders CD, d. h. wie eben dieser Zylinder AB zu eben demselben CD. Diese stehen aber im drei­ fachen Verhältnis der Halbmesser ihrer Grundflächen B, D, und die Widerstände dieser Grundflächen, die sich zueinander verhalten wie diese Grundflächen, verhalten sich folglich wie die Quadrate der jeweiligen entsprechenden Grundflächen. Und deshalb stehen die Momente der Zylinder zueinander im eineinhalb­ fachen Verhältnis der Widerstände ihrer jeweiligen Grundflächen. (27) Simp.  Dieser Lehrsatz ist mir wahrhaftig ebenso neu wie unerwartet und dem ersten Anschein nach sehr weit von



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der Annahme entfernt, die ich darüber als Vermutung geäußert habe. Da doch diese Figuren in jeder Hinsicht einander ähnlich sind, so hielt ich es für ausgemacht, dass auch ihre Momente im Hinblick auf ihre jeweiligen Widerstände dasselbe Verhältnis einhalten würden. (28) Sagr.  Es handelt sich hier um den Beweis jenes Lehrsatzes, von dem ich zu Anfang unserer Erörterungen sagte, es erschiene mir so, als erblickte ich ihn nur schattenhaft. (29) Sa lv.  Was Herr Simplicio jetzt erlebt, habe ich selbst einst erfahren, als ich glaubte, die Widerstände ähnlicher Körper müssten ähnlich sein, bis eine gewisse, wenn auch weder sehr bestimmte, noch genaue Beobachtung mir zu zeigen schien, dass ähnliche Körper keinen gleichen Gehalt an Widerstandsfähigkeit haben, dass vielmehr die größeren weniger in der Lage sind, heftige Einwirkungen auszuhalten, weshalb sich große Menschen beim Sturz eher verletzen als kleine Kinder, und, wie wir von Anfang an gesagt haben, eine großer Balken oder eine Säule beim Fallen aus einer Höhe in Stücke zerbricht, wo eine kleiner Holm oder ein kleiner Zylinder aus Marmor das nicht tut. Es war eben diese Beobachtung, welche mich veranlasste, das zu untersuchen, was ich Ihnen jetzt bewiesen habe, eine wirklich wundersame Eigentümlichkeit, denn unter den unendlich vielen einander ähnlichen Festkörpern lassen sich keine zwei finden, deren Momente zu ihren jeweiligen Widerständen im selben Verhältnis stünden. (30) Simp.  Jetzt erinnern Sie mich daran, dass Aristoteles, ich weiß nicht wo in seinen Questiones Mechanicae, zu begründen versucht, wie es kommt, dass Hölzer, je länger sie sind, umso weniger tragfähig sind und sich eher verbiegen als kürzere, auch wenn diese schwächer und die längeren dicker sind, und wenn ich mich recht erinnere, so führt er das auf den einfachen Hebel zurück. (31) Sa lv.  Das ist vollkommen richtig. Weil aber die Lösung nicht hinreicht, um jeden Zweifelsgrund auszuräumen, so hat Herr di Guevara, der jenes Werk mit seinen sehr gelehrten Kommentaren in hohem Maße geadelt und berühmt gemacht

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hat, sich, um alle Schwierigkeiten auszuräumen, über weitere, sehr scharfsinnige Betrachtungen verbreitet, wobei aber auch er darüber unschlüssig blieb, ob, wenn man die Länge und die Dicke solcher Festkörper im selben Verhältnis vergrößert, dasselbe Maß an Festigkeit und Widerstand gegen das Zerbrechen und Verbiegen erhalten bleibt. Ich habe nach längerem Nachdenken über diesen Gegenstand das herausgefunden, was ich Ihnen im Folgenden vorstellen werde. Aber zunächst werde ich beweisen, dass es unter ähnlichen, schweren Prismen oder Zylindern nur einen einzigen gibt, welcher sich (beschwert mit seinem Eigen­ gewicht) auf der Kippe zwischen dem unbeschädigten Zustand und dem Zerbrechen befindet, so dass er, wenn er dicker ist, seinem Eigengewicht nicht widerstehen kann und zerbrechen wird; ist er aber geringer, so wird er jeder beliebigen Einwirkung, die ihn zu zerbrechen sucht, widerstehen. Ein schweres Prisma AB sei gerade so lang und von solcher Konsistenz, dass es bei kleinster Verlängerung zerbrechen würde. Ich behaupte, dass dieses das einzige unter allen ihm ähnlichen ist (wovon es unendlich viele gibt), von dem man sagen kann, es befinde sich in einen solchen unentschiedenen Zustand, dass jedes dickere unter dem Druck seines eigenen Gewichts zerbrechen würde, jedes geringere aber nicht, welches im Gegenteil noch zusätzlicher schwerer Belastung über sein Eigengewicht hinaus standhalten würde. Es sei zunächst das Prisma CE ähnlich AB, aber größer: Ich behaupte, dass dieses nicht zusammenhalten, sondern unter seiner eigenen Schwere zerbrechen würde. Man nehme den Teil CD ebenso lang wie AB. Weil sich nun der Widerstand von CD zu dem von AB ebenso verhält wie der Kubus der Dicke von CD zum Kubus der Dicke von AB , d. h. wie das Prisma CE zum Prisma AB (welche einander ähnlich sind) , so ist das Gewicht von CE das äußerste, was die Länge des Prismas CD halten kann. Aber die Länge von CE ist größer; deshalb wird das



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Prisma CE zerbrechen. Nun sei FG kleiner, so wird auf dieselbe Weise bewiesen (vorausgesetzt FH ist gleich BA), dass sich der Widerstand von FG zu dem von AB verhält wie das Prisma FG zum Prisma AB, gesetzt der Abstand AB, d. h. FH, ist gleich FG. Er ist aber größer, folglich wird das Moment des Prismas FG, das in G wirkt, nicht hinreichen, um das Prisma FG zu zerbrechen. (32) Sagr.  Das ist ein sehr klarer und kurzer Beweis, aus dem die Wahrheit und Unausweichlichkeit eines Lehrsatzes folgt, welcher dem ersten Anschein nach sehr weit von dem entfernt ist, was nahezuliegen scheint. Man müsste also das Verhältnis zwischen der Länge und der Dicke des größeren Prismas durch Verlängerung oder Verkürzung verändern, damit man auf den unentschiedenen Zustand zwischen Standhalten und Zerbrechen kommt, und ich denke, dass die Erforschung dieses Zustands ebenfalls aufschlussreich sein könnte. (33) Sa lv.  Das ist darüber hinaus sehr von Nutzen, wenn auch recht mühsam; ich weiß das, weil ich nicht wenig Zeit darauf verwenden musste, es zu verstehen; und daran sollen Sie jetzt teilhaben. Gegeben sei also ein Zylinder oder ein Prisma von der maximalen Länge, bei der es noch nicht unter seinem Eigengewicht zerbricht, und gegeben sei eine größere Länge; man finde nun die Dicke eines anderen Zylinders oder Prismas, bei welcher sich mit der gegebenen Länge der spezifische und maximale Widerstand gegen deren jeweiliges Eigengewicht ergibt. Der Zylinder BC leiste seinem Eigengewicht den maximalen Widerstand, und DE sei eine Länge, die größer ist als AC . Man finde nun die Dicke eines Zylinders, die bei der Länge DE das Maximum des Widerstands gegen sein Eigengewicht gewährleistet. Die dritte Proportionale zu den Längen DE , AC sei I, und wie DE zu I, so verhalte sich der Durchmesser FD zum Durchmesser BA . Man bilde nun den Zylinder FE . Ich behaupte, dass dieser das Maximum und der einzige unter allen ihm ähnlichen ist, der seinem Eigengewicht widersteht. Zu den Strecken DE und I sei M die dritte, O die vierte Proportionale, und man nehme FG gleich AC . Weil sich nun der Durchmesser FD zum Durchmesser AB

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ebenso verhält wie die Strecke DE zu I, und weil O die vierte Proportionale zu DE und I ist, so wird sich der Widerstand des Zylinders DG zum Widerstand des Zylinders BC ebenso verhalten wie der Kubus von FD zum Kubus von BA. Folglich verhält sich der Widerstand des Zylinders DG zu dem des Zylinders BC wie die Strecke DE zu O. Weil nun das Moment des Zylinders BC seinem Widerstand gleich ist, so werden wir beweisen müssen, dass das Moment des Zylinders FE sich zum Moment des Zylinders BC ebenso verhält wie der Widerstand DF zum Widerstand BA , d. h. wie der Kubus von FD zum Kubus von BA , d. h. wie die Strecke DE zu O, um das angestrebte Ziel zu erreichen, dass nämlich das Moment des Zylinders FE gleich dem in FD angenommenen Widerstand sein soll. Das Moment des Zylinders FE verhält sich zum Moment des Zylinders DG wie das Quadrat von DE zum Quadrat von AC , d. h. wie die Strecke DE zu I. Aber das Moment des Zylinders DG verhält sich zu dem Moment des Zylinders BC wie das Quadrat von DF zum Quadrat BA , d. h. wie das Quadrat von DE zum Quadrat von I, d. h. wie das Quadrat von I zum Quadrat von M , d. h. wie I zu O; folglich ist, nach derselben Proportion, die Strecke DE zu O wie das Moment des Zylinders FE zum Moment des Zylinders BC , d. h. wie der Kubus DF zum Kubus BA , d. h. wie der Widerstand der Grundfläche DF zum Widerstand der Grundfläche BA ; und das ist es, was wir gesucht haben. (34) Sagr.  Das, Herr Salviati, ist eine lange Beweiskette, die man nur schwer im Gedächtnis behalten kann, wenn man sie nur einmal gehört hat. Ich wünschte mir deshalb, dass Sie sich bereit fänden, sie zu wiederholen. (35) Salv.  Ich werde Ihrem Wunsch nachkommen, aber vielleicht wäre es besser, eine schnellere und kürzere beizubringen; dazu brauchen wir aber eine etwas andere Darstellung. (36) Sagr.  Umso größer ist Ihr Entgegenkommen. Aber ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir das eben Erklärte



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schriftlich geben könnten, damit ich es in Ruhe durcharbeiten kann. (37) Salv.  Damit will ich Ihnen gerne dienen. Stellen wir uns nun einen Zylinder A vor, dessen Grundfläche einen Durchmesser wie die Strecke DC haben soll, und A sei das Maximum seiner Bruchfestigkeit. Dazu wollen wir einen dickeren finden, der wiederum ein Maximum und der einzige sein soll, der sich selbst stützt. Stellen wir uns dazu einen vor, der A ähnlich und so lang sein soll wie die bezeichnete Strecke. Dieser sei z. B. E , mit einer Grundfläche vom Durchmesser KL , und zu den beiden Strecken DC , KL sei MN die dritte Proportionale, welches der Durchmesser der Grundfläche des Zylinders X von gleicher Länge wie E sein soll. Ich behaupte, dass X derjenige [Zylinder] ist, den wir suchen. Es verhält sich nämlich der Widerstand DC zum Widerstand KL wie das Quadrat DC zum Quadrat KL , d. h. wie das Quadrat KL zum Quadrat MN , d. h. wie der Zylinder E zum Zylinder X , d. h. wie das Moment von E zum Moment von X . Aber der Widerstand KL verhält sich zu MN wie der Kubus von KL zum Kubus von MN, d. h. wie der Kubus DC zum Kubus KL , d. h. wie der Zylinder A zum Zylinder E , d. h. wie das Moment von A zum Moment von E , und folglich verhält sich in vertauschter Proportion [analogia perturbata] wie der Widerstand DC zu MN so auch das Moment von A zum Moment von X , folglich ist das Verhältnis von Moment und Widerstand beim Prisma X dasselbe wie beim Prisma A . Nun möchte ich das Problem etwas allgemeiner fassen. Es gelte der Satz: Bei einem gegebenen Zylinder AC mit einem beliebigen Verhältnis von Moment zu Widerstand und einer beliebigen gegebenen Länge DE finde man die Dicke des Zylinders, der die Länge DE hat, und dessen Moment zu seinem Widerstand dasselbe Verhältnis einhält wie das Moment des Zylinders AC zu dem seinen.

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Unter Bezugnahme auf die [vorletzte] obige Darstellung und praktisch auf dieselbe Vorgehensweise behaupte ich: Weil sich das Moment des Zylinders FE zum Moment des Teils DG ebenso verhält wie das Quadrat ED zum Quadrat FG, d. h. wie die Strecke DE zu I, und weil sich das Moment des Zylinders FG zum Moment des Zylinders AC ebenso verhält wie das Quadrat FD zum Quadrat AB, d. h. wie das Quadrat DE zum Quadrat I, d. h. wie das Quadrat I zum Quadrat M , d. h. wie die Strecke I zu O, deshalb verhält sich auf dieselbe Weise [ex aequali] das Moment des Zylinders FE zum Moment des Zylinders AC ebenso, wie sich die Strecke DE zu O verhält, d. h. wie der Kubus DE zum Kubus I, d. h. wie der Kubus von FD zum Kubus von AB, d. h. wie der Widerstand der Grundfläche FD zum Wider­stand der Grundfläche AB; und das ist, was geleistet werden sollte. Wir erkennen nun aus dem soeben Bewiesenen klar, wie es kommt, dass nicht nur die Kunst, sondern die Natur selbst unmöglich ihre Gebilde zu äußerster Größe anwachsen lassen kann, so dass es unmöglich ist, Schiffe, Paläste oder Tempel von extremster Ausdehnung zu bauen, deren Ruder, Rahen, Balkenwerke, Eisenketten und insgesamt alle ihre Teile zusammenhalten, wie auch die Natur selbst keine Bäume von unermesslicher Größe bilden könnte, weil deren Äste unter der Schwere ihres Eigengewichts schließlich abbrechen würden; und ebenso wäre es unmöglich, Knochenstrukturen für Menschen, Pferde oder andere Lebewesen zu bilden, die ohne zu brechen erhalten bleiben und in entsprechendem Verhältnis funktionieren könnten, wenn diese Lebewesen zu immenser Größe anwachsen würden, es sei denn, man ersetzte ihr übliches Material durch ein sehr viel härteres und bruchfesteres, oder man gäbe den Knochen eine andere Form, indem man sie unverhältnismäßig dicker machte, mit der Folge, dass die Gestalt und das Erscheinungsbild des Lebewesens ins Monströse verändert wäre. Das wollte vielleicht mein liebster Dichter andeuten, als er einen riesigen Giganten wie folgt beschrieb: Wie lang er ist war gar nicht zu ermessen, so maßlos war er allenthalben dick.



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Um nun von dem Gesagten ein kurzes Beispiel zu geben, habe ich einmal die Form eines nur dreifach verlängerten Knochens aufgezeichnet, der in solchem Verhältnis dicker war, dass er dem zugehörigen großen Lebewesen im Verhältnis eben dieselben Dienste leisten würde wie der kleinere Knochen dem viel kleineren Lebewesen, und hier ist das Ergebnis. Sie sehen daran, welches Missverhältnis sich für die Gestalt des vergrößerten Knochens ergibt. Hier zeigt sich, dass man, um bei einem riesigen Giganten die Verhältnisse der Glieder eines gewöhnlichen Menschen beizubehalten, für die Formung der Knochen ein sehr viel härteres und widerstandsfähigeres Material verwenden oder finden müsste, oder man müsste gar in Kauf nehmen, dass seine Widerstandsfähigkeit verhältnismäßig viel schwächer wäre als die von Menschen mittlerer Größe, dergestalt, dass er, zu maßloser Größe gewachsen, durch sein Eigengewicht erdrückt werden und fallen müsste. Umgekehrt sieht man hieran, dass die Verkleinerung der Körper nicht auch die Widerstandsfähigkeit verhältnisgleich verkleinert, sondern dass im Gegenteil bei den kleineren die Standfestigkeit in größerem Verhältnis zunimmt. Deshalb nehme ich an, dass ein kleiner Hund zwei oder drei ihm gleiche Hunde auf dem Rücken tragen kann, nicht aber, dass ein Pferd auch nur ein einziges ihm gleiches so tragen könnte. (38) Simp.  Wenn das aber so ist, so lassen mich doch die ungeheuren Massen, die wir bei Fischen sehen können, daran zweifeln, da ein Walfisch, soviel ich weiß, so groß sein kann wie zehn Elefanten, und doch fällt er nicht auseinander. (39) Salv.  Ihr Einwand, Herr Simplicio, gibt mir Anlass, auf einen Umstand hinzuweisen, den ich zunächst nicht angesprochen habe, mit dem es aber ebenfalls möglich wäre, Riesen und andere riesige Lebewesen zu formen, die nicht weniger stabil und beweglich sind als kleinere. Das wäre nämlich nicht nur der Fall, wenn man die Knochen und andere Teile widerstandsfähiger machen würde, welche die Aufgabe haben, das Eigengewicht und

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was darauf lastet zu tragen, sondern ebenso, vielmehr noch wirksamer würden bei unveränderten Verhältnissen des Knochenbaues derartige Strukturen zusammenhalten, sofern die Schwere der Materie der nämlichen Knochen und die des Fleisches sowie anderer Teile, die auf den Knochen lasten, im selben Verhältnis vermindert würde. Und dieses zweiten Kunstgriffs hat sich die Natur bei der Bildung der Fische bedient, indem es deren Knochen und Fleischteile nicht nur sehr leicht, sondern völlig gewichtslos gemacht hat. (40) Simp.  Ich sehe sehr gut, Herr Salviati, worauf Ihre Überlegungen hinauslaufen. Sie wollen sagen, dass das Element, in dem die Fische leben, das Wasser ist, welches aufgrund seiner körperlichen Natur, oder, wie andere wollen, aufgrund seiner Schwere das Gewicht von Körpern verringert, die darin eintauchen, weshalb die gewichtslose Materie sich erhalten kann, ohne die Knochen zu überlasten. Das reicht aber nicht aus, denn wenn auch die sonstige Materie der Fische nichts wiegen sollte, so wiegt doch zweifellos die Materie ihrer Knochen. Wer würde denn behaupten wollen, dass eine Walrippe, groß wie ein Balken, nicht so viel wiegen würde, dass sie im Wasser auf den Grund sinkt? Deshalb dürften diese nicht in der Lage sein, eine derart große Masse zu tragen. (41) Salv.  Ihr Einwand ist scharfsinnig. Um auf diesen Zweifel zu antworten, sagen Sie mir, ob Sie beobachtet haben, dass Fische nach ihrem Belieben unbeweglich im Wasser verharren, und, ohne mühsam zu schwimmen, nicht auf den Grund sinken oder an die Oberfläche kommen? (42) Simp.  Das lässt sich sehr leicht beobachten. (43) Sa lv.  Nun, dass die Fische mitten im Wasser unbewegt verharren können, ist ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass die Zusammensetzung ihrer Körpermasse die spezifische Schwere des Wassers ausgleicht. Weil aber einige Teile davon schwerer als Wasser sind, so müssen zwangsläufig andere, weniger schwere darunter sein, so dass sich das Gleichgewicht herstellen kann. Wenn aber die Knochen schwerer sind, so muss notwendigerweise das Fleisch oder etwas anderes da zu finden



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sein, das leichter ist, und das mit seiner geringeren Schwere das Gewicht der Knochen ausgleicht, so dass sich die Sache bei den Wassertieren genau anders verhält als bei den Erdbewohnern, bei denen es nämlich die Aufgabe der Knochen ist, ihr Eigengewicht und das des Fleisches zu tragen, während bei jenen das Fleisch sein Eigengewicht und das der Knochen trägt. Und so ist es nicht länger ein Wunder, dass es im Wasser riesige Lebewesen gibt, nicht aber auf der Erde, d. h. in der Luft. (44) Simp.  Ich bin damit zufrieden und bemerke darüber hin­ aus, dass diejenigen, die wir Erdbewohner nennen, noch besser Luftbewohner zu nennen wären, weil sie ja tatsächlich in der Luft leben, von der sie umgeben sind und die sie atmen. (45) Sagr.  Die Argumentation von Herrn Simplicio gefällt mir gut, sowohl sein Einwand als auch dessen Auflösung, und im Weiteren verstehe ich nun recht gut, dass ein solcher riesiger Fisch, aufs Land gezogen, sich wohl nicht auf lange Zeit erhalten könnte, dass vielmehr der Zusammenhalt der Knochen sich lösen und seine Masse zerdrückt werden würde. (46) Salv.  Ich neige vorerst dazu, das ebenfalls zu glauben, und ich bin nicht weit davon entfernt zu glauben, dass dasselbe mit einem riesengroßen Schiff passieren würde, welches, solange es auf dem Meer schwimmt, nicht unter der Last des Eigengewichts und vieler Frachtgüter und Ausrüstungen zerbricht, während es auf dem Trockenen, von Luft umgeben, wohl auseinanderbrechen würde. Gehen wir aber mit unserem Thema weiter und beweisen wir das Folgende: Gegeben sei ein prismatischer oder zylindrischer Körper und sein Gewicht sowie das Maximum des Gewichts, das er tragen kann. Man finde das Maximum der Länge, über die hinaus er nicht verlängert werden kann, ohne dass er allein unter seinem Eigengewicht zerbrechen würde. Es sei das Prisma AC und sein Eigengewicht gegeben, und ebenso das Gewicht D als das Maximum, das es am Endpunkt C tragen kann. Man finde die maximale Länge, über die hinaus man das besagte Prisma nicht verlängern kann, ohne dass es zerbricht. Man nehme die Länge CA zu AH, zwischen denen AG die mitt-

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lere Proportionale sei, so, dass beide sich zueinander verhalten wie das Gewicht des Prismas AC zur Summe aus dem Gewicht AC und dem Doppelten des Gewichts von D. Ich behaupte, dass AG die gesuchte Länge ist. Weil nun das gravitierende Moment des Gewichts D in C gleich dem Moment des doppelten Gewichts von D ist, wenn es in der Mitte von AC angebracht würde, wo sich auch der Mittelpunkt des Moments des Prismas befindet, so gleicht das Moment des Widerstands des Prismas AC , welches in A angreift, die Last aus dem Doppelten des Gewichts von D zusammen mit dem Gewicht AC aus, gesetzt diese ist in der Mitte von AC angehängt. Weil aber unter diesen Voraussetzungen HA zu AC , deren Mittlere AG ist, sich ebenso verhält wie das Moment dieser so angebrachten Gewichte, d. h. des Doppelten von D zusammen mit AC zum Moment von AC , deshalb verhält sich das Moment des Doppelten von D zusammen mit dem Moment von AC zum Moment von AC ebenso wie das Quadrat GA zum Quadrat AC . Weil sich aber das lastende Moment des Prismas GA zum Moment von AC ebenso verhält wie das Quadrat GA zum Quadrat AC , so wird die Länge AG das gesuchte Maximum sein, d. h. jene, bis zu der sich das Prisma AC halten, darüber hinaus verlängert aber zerbrechen würde. Bis jetzt haben wir die Momente und Widerstände prismatischer und zylindrischer Festkörper betrachtet, deren eines Ende unbeweglich fixiert sein soll, so dass die Einwirkung eines lastenden Gewichts nur am anderen angreifen kann, wobei wir diese für sich allein untersucht haben, oder in Verbindung mit der Schwere des besagten Festkörpers, oder die Schwere dieses Körpers allein. Nun möchte ich gerne einige dieser Prismen oder Zylinder untersuchen, wenn sie an beiden Enden befestigt sind, oder auch, wenn sie in einem einzigen Punkt zwischen den Endpunkten aufliegen. Zunächst behaupte ich, dass der Zylinder, welcher, belastet mit seinem Eigengewicht, nur die maximale



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Länge haben soll, jenseits derer er keinen Bestand haben könnte, ob er nun mittig von einer einzigen Stütze, oder ob er an beiden Enden durch zwei getragen wird, das Doppelte der Länge haben kann, die er, befestigt in einer Mauer, d. h. bei Stützung an nur einem Ende, haben könnte. Das versteht sich einigermaßen von selbst, denn wir sehen, dass der Zylinder, den ich mit ABC kennzeichne, und dessen Hälfte AB die äußerste Länge wäre, mit der er sich bei Fixierung am Endpunkt B halten könnte, sich ebenso hält, wenn er über einem Stützpunkt G liegend durch seine andere Hälfte BC im Gleichgewicht gehalten wird. In gleicher Weise steht fest, wenn der Zylinder DEF eine solche Länge hat, dass sich nur eine seiner Hälften, fixiert am Endpunkt D, halten könnte, und ebenso nur die andere, EF, fixiert am Endpunkt F, dass bei Anbringung von Stützen H, I unterhalb der Endpunkte D, F jedes Moment einer Einwirkung oder eines Gewichts, welches in E hinzu käme, hier einen Bruch auslösen würde. Eine subtilere Überlegung zu diesem Untersuchungsgegenstand ergibt sich, wenn man von der eigenen Schwere solcher Festkörper absieht und sich die Frage vornimmt, ob diejenige Einwirkung oder dasjenige Gewicht, welches, mittig an einem an den Endpunkten gestützten Zylinder angebracht, hinreicht, ihn zu zerbrechen, bei Anbringung an einer beliebigen anderen Stelle, näher an dem einen als an dem anderen der Endpunkte, denselben Effekt hat. Ob, wenn wir z. B. einen Stock zerbrechen wollen, indem wir ihn mit den Händen an den Endpunkten fassen und das Knie in der Mitte dagegenstemmen, die Einwirkung, die wir aufbringen müssen, um ihn auf diese Weise zu zerbre-

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chen, auch hinreichen würde, wenn wir das Knie nicht in der Mitte, sondern näher an einem der Endpunkte dagegenstemmen würden. (47) Sagr.  Ich denke, dass Aristoteles dieses Problem in seinen Questiones Mechanicae berührt hat. (48) Salv.  Aristoteles’ Fragestellung ist nicht genau dieselbe, denn er fragt nur, weshalb sich die Ursache ändern würde, wenn man, um Mühe zu sparen, das Holz zerbricht, indem man es mit den Händen nicht nahe beieinander, sondern an den Enden anfasst, also durchaus fern vom Knie, und er bringt dazu einen allgemeinen Lehrsatz vor, der die Ursache auf den Hebel zurückführt, welcher länger ist, wenn die Arme ausgebreitet werden, um die Endpunkte zu greifen. Unsere Fragestellung fügt dem etwas hinzu, indem untersucht wird, ob je nach dem Ansatzpunkt des Knies in der Mitte oder an anderer Stelle in allen Fällen dieselbe Einwirkung erforderlich ist, wobei die Hände immer an den Endpunkten anfassen. (49) Sagr.  Auf den ersten Blick scheint es so zu sein, weil die beiden Hebel gewissermaßen dasselbe Moment beibehalten, denn in dem Maß, in dem der eine verkürzt wird, verlängert sich der andere. (50) Salv.  Sehen Sie hier, wie nahe die Irrtümer liegen, und wie vorsichtig und umsichtig man vorgehen muss, um nicht darauf hereinzufallen. Was Ihre Annahme betrifft, die in der Tat auf den ersten Blick sehr viel für sich hat, so ist sie bei näherem Hinsehen freilich völlig falsch, denn ob das Knie, welches den Drehpunkt der beiden Hebel darstellt, in der Mitte oder anderswo angesetzt wird, macht einen derartigen Unterschied, dass die Einwirkung, die den Bruch in der Mitte bewirkt, an anderer Stelle angewandt, nicht hinreicht, dasselbe zu bewirken, wäre sie auch die vierfache, zehnfache, hundertfache oder tausend­ fache. Stellen wir dazu ebenso eine allgemeine Überlegung an, so werden wir alsdann zur genauen Bestimmung des Verhältnisses gelangen, in dem sich die Einwirkungen verändern, je nachdem, ob man den Bruch an dieser oder an einer anderen Stelle herbeiführen will.



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Zeichnen wir zunächst das Holzstück AB , welches in der Mitte über dem Auflagepunkt C auseinanderbrechen soll, und daneben zeichnen wir dasselbe, aber mit den Symbolen DE , welches über dem aus der Mitte verlagerten Auflagepunkt F zerbrechen soll. Zunächst, wo die Abstände AC , CB gleich sind, ist klar, dass die Einwirkung auf die Endpunkte B , A gleichmäßig verteilt ist. Zweitens, wenn der Abstand DF kleiner wird als der Abstand AC , wird das Moment der in D angreifenden Einwirkung kleiner sein als das Moment in A , d. h. angewandt auf den Abstand CA , und es wird im Verhältnis der Strecke DF zu AC abnehmen, und folglich wird man es vergrößern müssen, um den Widerstand von F auszugleichen oder zu überwinden. Man kann aber den Abstand DF im Verhältnis zum Abstand AC unendlich verkleinern, so dass man, um den Widerstand in F auszugleichen, die in D angreifende Einwirkung ins Unendliche wird vergrößern müssen. Umgekehrt wird aber in dem Maß, in dem der Abstand FE über CB hinauswächst, die zur Ausgleichung des Widerstands in F erforderliche Einwirkung in E geringer werden. Jedoch kann man den Abstand FE im Verhältnis zu CB nicht unendlich vergrößern, indem man den Auflagepunkt F zum Endpunkt D hin verlagert; gerade nur, dass man ihn verdoppeln kann. Deshalb wird die Einwirkung in E , die den Widerstand in F ausgleicht, immer größer sein als die Hälfte der Einwirkung in B. Man sieht nun, dass die Momente der verbundenen Einwirkungen in E , D bis ins Unendliche vergrößert werden müssen, um den in F angenommenen Widerstand auszugleichen oder zu überwinden, und zwar in demselben Maß, in dem der Auflagepunkt F sich dem Endpunkt D annähert. (51) Sagr.  Was sagen wir dazu, Herr Simplicio? Müssen Sie nicht zugeben, dass die Macht der Geometrie das wirkungsvollste aller Werkzeuge ist, um den Verstand zu schärfen und zu

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genauesten Untersuchungen und Beobachtungen zu befähigen? Und wie sehr doch Plato recht hatte, als er von seinen Schülern verlangte, dass sie sich vor allem anderen in der Mathematik kundig machen sollten? Ich habe die Wirkungsweise des Hebels sehr gut verstanden, und, wie mit der Zu- oder Abnahme seiner Länge das Moment der Einwirkung und das des Widerstands zunimmt oder vermindert wird; trotz alledem habe ich mich mit der Erklärung des gegenwärtigen Problems im Irrtum befunden, und nicht nur ein wenig, sondern unendlich. (52) Simp.  Ich fange tatsächlich an zu begreifen, dass die Logik, wenn sie auch das beste Werkzeug zur Ordnung unserer Untersuchung darstellt, nicht an die Macht der Geometrie heranreicht, wenn es darum geht, die Entdeckungsfähigkeit unseres Geistes zu wecken. (53) Sagr.  Ich denke die Logik lehrt uns erkennen, ob unsere Untersuchungen und bereits vollzogene und entdeckte Beweisführungen schlüssig durchgeführt wurden; dass sie uns aber lehren würde, die schlüssigen Untersuchungen und Beweisführungen zu entdecken, das glaube ich allerdings nicht. Es wird jedoch richtig sein, wenn Herr Salviati uns jetzt nachweist, in welchem Verhältnis die Momente der zur Überwindung des Widerstands dieses Holzstücks erforderlichen Einwirkungen entsprechend den verschiedenen Örtern der Bruchstelle anwachsen. (54) Salv.  Das Verhältnis, welches Sie suchen, ergibt sich wie folgt: Machen wir an der Länge eines Zylinders zwei Örter fest, an denen die Bruchstelle dieses Zylinders liegen soll. Die Widerstände an diesen beiden Örtern haben dann zueinander dasselbe Verhältnis wie die aus den Abständen dieser Örter gebildeten Rechtecke, umgekehrt genommen. Es seien die Einwirkungen A , B die kleinsten, die zum Bruch in C hinreichen, und ebenso E , F die kleinsten zum Bruch in D. Ich behaupte, dass die Einwirkungen A , D zu den Einwirkungen E , F dasselbe Verhältnis haben wie das Rechteck ADB zum Rechteck ACB. Ich gehe davon aus, dass die Einwirkungen A , B zu den Einwirkungen E , F in einem Verhältnis stehen, welches



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aus dem der Einwirkungen A , B zur Einwirkung B, von B zu F, und von F zu F, E zusammengesetzt ist. Aber wie die Einwirkungen A , B zur Einwirkung B, so verhält sich auch die Länge BA zu AC , und wie die Einwirkung B zu F, so verhält sich die Strecke DB zu BC , und wie die Einwirkung F zu F, E , so verhält sich auch die Strecke DA zu AB. Deshalb haben die Einwirkungen A , B zu den Einwirkungen E , F ein aus drei anderen zusammengesetztes Verhältnis, nämlich aus dem der Gerade BA zu AC , von DB zu BC , und von DA zu AB. Aber das Verhältnis von DA zu AC setzt sich aus den beiden DA zu AB und AB zu AC zusammen. Deshalb haben die Einwirkungen A , B zu den Einwirkungen E , F ein Verhältnis, das aus dem von DA zu AC und jenem anderen von DB zu BC zusammengesetzt ist. Aber das Rechteck ADB hat zum Rechteck ACB ein Verhältnis, das aus denen von eben diesem DA zu AC und von DB zu BC zusammengesetzt ist. Deshalb verhalten sich die Einwirkungen A , B zu E , F wie das Rechteck ADB zum Rechteck ACB. Ebenso gut kann man sagen, dass sich der Bruchwiderstand in C zu dem Widerstand gegen das Zerreißen in D ebenso verhält wie das Rechteck ADB zum Rechteck ACB. Das aber war zu beweisen. Aus diesem Satz folgt, dass wir ein recht merkwürdiges Problem lösen können, und zwar dieses: Gegeben sei das maximale Gewicht, das auf der Mitte eines Zylinders oder Prismas lasten kann, wo der Widerstand am geringsten ist, und gegeben sei ein Gewicht, das größer ist, und man finde auf dem Zylinder den Punkt, auf dem das gegebene größere Gewicht als Maximalgewicht lasten kann. Es soll sich das gegebene Gewicht, welches größer ist als das auf der Mitte des Zylinders AB lastende Maximalgewicht, zu diesem maximalen ebenso verhalten wie die Strecke E zu F. Nun muss man auf dem Zylinder den Punkt finden, an dem das gegebene Gewicht die maximale Stützung erhält. Zwischen E , F sei G die mittlere Proportionale, und wie E zu G, so verhalte sich AD

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zu S; S soll aber kleiner sein als AD. AD sei der HalbmesN ser des Halbkreises AHD, in welchem man AH gleich S D R A annehme und HD verbinde, B und man trage DR diesem E gleich ab. Ich behaupte, dass G H R der gesuchte Punkt ist, an F dem das gegebene Gewicht, S welches größer ist als das auf der Mitte D des Zylinders lastende Maximalgewicht, als Maximum lasten kann. Man konstruiere über der Länge BA den Halbkreis ANB, fälle von diesem das Lot RN und verbinde ND. Weil nun die beiden Quadrate NR , RD gleich dem Quadrat ND sind, d. h. gleich dem Quadrat AD, d. h. gleich den beiden AH, HD, und weil [das Quadrat] HD gleich dem Quadrat DR ist, deshalb wird das Quadrat NR , d. h. das Rechteck ARB, gleich dem Quadrat AH sein, d. h. gleich dem Quadrat S. Aber das Quadrat S verhält sich zum Quadrat AD wie F zu E , d. h. wie das in D lastende Maximalgewicht zu dem gegebenen größeren Gewicht. Deshalb wird dieses größere in R ebenso lasten wie ein Maximum, das hier gestützt werden könnte. Das ist es, was gesucht wurde. (55) Sagr.  Das verstehe ich sehr gut, und ich bin dabei zu erwägen, ob man, nachdem das Prisma AB in den weiter und weiter von der Mitte entfernten Teilen immer stabiler und gegen Druck widerstandsfähiger wird, sehr große Balken gegen das Ende zu deutlich leichter machen könnte, unter erheblicher Verminderung des Gewichts, was bei dem tragenden Gebälk großer Räume sehr willkommen und nützlich wäre. Und es wäre schön herauszufinden, welche Form derjenige Festkörper haben müsste, der in allen seinen Teilen den gleichen Widerstand leistet, so dass er von einem Gewicht stets gleich stark belastet wird, ob es nun in der Mitte oder an einer beliebigen anderen Stelle auf ihm lastet. (56) Sa lv.  Ich wollte Ihnen schon eben zu diesem Zweck ­etwas sagen, das sehr bemerkenswert und von großer Tragweite ist. Um es besser zu erklären, zeichne ich eine kleine Figur.



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D I Hier  sei DB ein Prisma, dessen Bruchwiderstand F O am Ende AD gegen einen am Endpunkt B wirkenN den Druck umso gerinB A C ger ist als der Widerstand am Ort CI, je kleiner die Länge CB im Verhältnis zu BA wird, was wir soeben bewiesen haben. Stellen Sie sich nun vor, das Prisma würde diagonal entlang der Linie FB durchgeschnitten, so dass die gegenüberliegenden Teile zwei Dreiecke wären, deren eines, das uns zugewandte, FAB ist. Dieser Festkörper hat eine Eigenschaft, die der des Prismas entgegengesetzt ist, insofern seine Bruchfestigkeit im Hinblick auf eine in B angreifende Einwirkung am Ende C gegenüber A um ebenso viel geringer ist, wie die Länge CB kleiner ist als BA . Das beweisen wir sehr leicht. Nehmen wir nämlich die Schnittfläche CNO parallel zu derjenigen von AFD, so wird die Strecke FA zu CN im Dreieck FAB dasselbe Verhältnis haben wie die Strecke AB zu BC . Und deshalb werden, wenn wir annehmen, dass die Punkte A , C die Drehpunkte zweier Hebel mit den Armen BA , AF, BC , CN sind, diese einander ähnlich sein. Folglich wird dasselbe Moment, welches die in B angreifende Einwirkung beim Abstand BA gegenüber dem im Abstand AF angenommenen Widerstand hat, auch dieselbe Einwirkung in B mit dem Abstand BC gegenüber demselben im Abstand CN angenommenen Widerstand haben. Aber der im Abstand CN angenommene Widerstand am Drehpunkt C , der durch die Einwirkung in B überwunden werden soll, ist gegenüber dem in A im selben Maß kleiner, in dem das Rechteck CO kleiner ist als das Rechteck AD, oder die Strecke CN kleiner als AF, oder CB kleiner als BA . Deshalb ist der Bruchwiderstand in C des Teils OCB im selben Maß kleiner als der Bruchwiderstand in A des ganzen Körpers DAB, in dem die Länge CB kleiner ist als AB. Wir haben also den Balken oder das Prisma DB um einen Teil leichter gemacht, nämlich um die Hälfte, indem wir es diagonal durchgeschnitten und den Keil oder das dreieckige Prisma stehen lassen haben. Nun haben wir zwei Körper mit

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gegensätzlichen Eigenschaften, nämlich einen, der umso mehr Widerstand leistet, je mehr er verkürzt wird, und einen anderen, mit dessen Verkürzung die Stabilität zugleich abnimmt. Bei dieser Sachlage scheint es durchaus vernünftig, ja zwingend, dass man hier einen Schnitt so führen kann, dass nach Wegnahme des Überflüssigen ein Körper von einer Gestalt übrig bleibt, bei der er in allen seinen Teilen den gleichen Widerstand leistet. (57) Simp.  Das ist allerdings zwingend, dass man beim Übergang vom Größeren zum Kleineren auch dem Gleichen begegnet. (58) Sagr.  Aber die Frage ist doch jetzt, herauszufinden, wie man die Säge führen muss, um diesen Schnitt zu machen. (59) Simp.  Mir scheint das eine recht leichte Aufgabe zu sein, denn wenn man das Prisma diagonal durchschneidet, so dass es um die Hälfte leichter wird und die verbleibende Gestalt eine dem ursprünglichen Prisma entgegengesetzte Eigenschaft annimmt, dergestalt, dass an allen Punkten, in denen dieses an Stabilität zunimmt, jene gleichermaßen daran verliert, so denke ich, dass dann, wenn man den Mittelweg wählt, d. h. diese Hälfte wiederum um die Hälfte leichter macht, also um ein Viertel des Ganzen, die verbleibende Gestalt in allen jenen Punkten, in denen der Verlust und der Gewinn an Stabilität bei den anderen beiden Gestalten immer gleich ist, an Stabilität weder zunehmen noch abnehmen wird. (60) Salv.  Herr Simplicio, Sie haben das Ziel verfehlt. Mit dem, was ich Ihnen zeigen werde, werden Sie sicher erkennen, dass jener Teil, den man von dem Prisma absägen kann, um es leichter zu machen, ohne seine Tragfähigkeit zu vermindern, nicht ein Viertel, sondern ein Drittel ist. Nun muss noch (wie Herr Sagredo angemerkt hat) festgestellt werden, auf welcher Linie die Säge vorgehen muss. Es wird sich erweisen, dass das eine parabolische Linie sein muss. Zunächst aber ist ein bestimmter Zusatz zu beweisen, nämlich dieser: Wenn zwei Waagebalken oder Hebel durch ihren Drehpunkt so geteilt werden, dass die beiden Abstände, in denen ihre Einwirkungen ansetzen, zueinander das doppelte Verhältnis haben wie die Abstände, in denen die Widerstände wirken, so verhalten



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sich diese Widerstände wie die zugehörigen Abstände, sofern die Stützungen gleich stark sind. Die beiden Hebel AB, CD seien durch ihre Drehpunkte E , F so geteilt, dass der Abstand EB zu FD das Doppelte des Verhältnisses hat, in dem der Abstand EA zu FC steht. Nun stellen wir uns in A , C Widerstände vor, die sich zueinander verhalten wie EA , FC . Ich behaupte, dass die Stützungen, welche in B, D den Widerständen in A , C standhalten, gleich stark sind. Man nehme EG als mittlere Proportionale zwischen EB und FD. Dann verhält sich GE zu FD und AE zu CF ebenso wie BE zu EG, und ebenso verhält sich, wie angenommen, auch der Widerstand in A zum Widerstand in C . Weil aber A B AE sich zu CF verhält wie EG zu E G FD, so wird sich umgestellt auch D C F DF zu FC wie GE zu EA verhalten. Und wenn (weil die beiden Hebel DC , GA in den Punkten F, E proportional geteilt sind) die Stärke der Stützung in D den Widerstand in C aufwiegt, so wird sie, nach G versetzt, denselben Widerstand wie in C in A aufwiegen. Aber voraussetzungsgemäß verhält sich der Widerstand in A zum Widerstand in C ebenso wie AE zu CF, d. h. wie BE zu EG. Daher wird die Stärke G, oder sagen wir D, die in B stützt, dem Widerstand in A standhalten. Das ist es, was zu beweisen war. Nachdem dies verstanden ist, zeichnen wir auf der Seitenfläche FB des Prismas DB eine parabolische Linie FNB mit der Spitze B, welcher die Schnittlinie durch das Prisma folgen soll, so dass ein Körper übrig bleibt, der von der Grundfläche AD, von der rechtwinkligen Fläche AG, von der geraden Strecke BG und der Oberfläche DGBF begrenzt wird, welch Letztere gemäß der parabolischen Linie FNB gekrümmt ist. Ich behaupte, dass dieser Körper überall denselben Widerstand leistet. Man mache einen Schnitt in der Ebene CO, parallel zu AD, und stelle sich zwei geteilte Hebel vor, die auf den Drehpunkten A , C lagern, und auf dem einen sollen die Abstände BA , AF liegen, auf dem anderen BC , CN. Weil sich nun bei der Parabel FBA AB zu BC verhält wie das Quadrat von FA zum Quadrat von CN, so steht

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fest, dass der Abstand BA des einen Hebels zum Abstand BC des anderen im doppelten Verhältnis dessen steht, welches der andere Abstand AF zu dem anderen Abstand CN hat. Und weil der Widerstand, den man mit D dem Hebel BA ausbalancieO F X ren kann, zum BalancierN widerstand des Hebels BC G sich ebenso verhält wie das B A C Rechteck DA zum Rechteck OC , welches Verhältnis dem der Strecke AF zu NC gleich ist, welches die beiden anderen Abstände der Hebel sind, so steht nach dem obigen Zusatz fest, dass dieselbe Stützung, welche, auf der Strecke BG angreifend, den Widerstand DA aufwiegt, auch den Widerstand CO aufwiegt. Und dasselbe lässt sich für jeden beliebigen Schnitt durch den Körper an jedem anderen Ort beweisen. Folglich leistet dieser parabolische Körper durchgehend überall denselben Widerstand. Dass aber das Prisma, wenn man es gemäß der parabolischen Linie FNB durchschneidet, um ein Drittel leichter wird, ist deshalb klar, weil die Halbparabel FNBA und das Rechteck FB die Grundflächen zweier zwischen zwei ebenen Parallelen, bzw. zwischen den Rechtecken FB, DG eingeschlossenen Körper darstellen, so dass sie sich zueinander ebenso verhalten wie ihre Grundflächen. Aber das Rechteck FB misst das Anderthalbfache der Halbparabel FNBA , so dass das Prisma, wenn man es an der parabolischen Linie auseinanderschneidet, um ein Drittel leichter wird. Hieran sieht man, wie man unter Verringerung des Gewichts um dreiunddreißig Prozent Balkenwerke herstellen kann, ohne dass deren Festigkeit das Mindeste einbüßt. Das kann bei großen Schiffen, besonders zur Stützung des Decks, von nicht geringem Vorteil sein, in Anbetracht dessen, dass bei solchen Konstruktionen die Gewichtsersparnis von außerordentlicher Bedeutung ist. (61) Sagr.  Die Nutzanwendungen sind so zahlreich, dass es unmöglich wäre, oder doch lange dauern würde, sie alle aufzuzählen. Ich lasse das beiseite und würde viel lieber verstehen, wie die Gewichtseinsparung nach den dargestellten Verhältnissen



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stattfindet. Dass der in der Diagonale geführte Schnitt das Gewicht um die Hälfte verringert, verstehe ich sehr gut. Dass aber der andere, der parabolische, ein Drittel des Prismas wegnimmt, kann ich dem immer wahrheitsliebenden Herrn Salviati wohl glauben; dennoch würde ich hier Wissen über Glauben stellen. (62) Salv.  Dann möchten Sie wohl den Beweis dafür haben, dass wirklich das Maß, um welches das Prisma mehr ist als der Körper, den wir jetzt parabolisch nennen, ein Drittel des ganzen Prismas beträgt. Ich weiß, dass ich das schon einmal bewiesen habe, und ich will jetzt versuchen, ob ich diese Beweisführung wieder zusammenbekomme, bei der ich mich, wie mir jetzt wieder einfällt, eines bestimmten Hilfssatzes des Archimedes bedient habe, aus seinem Buch über die Spiralen. Danach gilt, dass dann, wenn bei einer beliebigen Anzahl von Strecken alle nacheinander im selben Maß zunehmen, und die jeweilige Zunahme ist gleich der kürzesten von ihnen, und andererseits soll jede von ihnen gleich der längsten sein, die Quadrate über den Letzteren insgesamt weniger betragen werden als das Dreifache der Qua­ drate über denen, die zunahmen. Aber sie sind, nachdem man das Quadrat über der größten von ihnen abgezogen hat, auch mehr als das Dreifache davon, Unter dieser Voraussetzung ziehe man im Dreieck ACBP die parabolische Linie AB. Wir müssen beweiV

b

T

i

S

h f

c 

p o n r m q l e g k a d z

x

sen, dass das gemischte Dreieck [triangolo misto] BAP, dessen Seiten BP, PA sind, und dessen Grundlinie die parabolische Linie BA ist, ein Drittel des ganzen Rechtecks CP ausmacht. Gesetzt es gleicht dem nicht ganz, so wird es entweder mehr, oder weniger

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als ein Drittel sein. Es sei einmal angenommen, dass es weniger ist, und man stelle sich vor, das fehlende Stück sei gleich der Fläche X. Man teile sodann das Rechteck CP mittels zu den Seiten BP, CA paralleler Linien fortschreitend in gleiche Teile, so kommen wir schließlich zu solchen Teilen, deren jeder kleiner sein wird als die Fläche X. Nun sei einer davon das Rechteck OB und man lege durch die Punkte, in denen die anderen Parallelen die parabolische Linie schneiden, Parallelen zu AP. Auf diese Weise finden wir eine unserem gemischten Dreieck umschriebene Figur, die aus Rechtecken zusammengesetzt ist, nämlich BO, IN, HM , FL , EK , GA , welche Figur noch weniger als ein Drittel des Rechtecks CP sein wird, weil das Maß, mit dem diese Figur das gemischte Dreieck übertrifft, deutlich weniger ist als das Rechteck BO, welches wiederum weniger misst als die Fläche X. (63) Sagr.  Langsam, bitte, ich sehe nämlich nicht, wie das über das gemischte Dreieck hinausreichende Maß der ihm umschriebenen Figur deutlich weniger sein soll als das Rechteck BO. (64) Salv.  Ist das Rechteck BO nicht allen jenen Rechtecken gleich, welche unsere parabolische Linie durchläuft? Ich meine diese, BI, IH, HF, FE , EG, GA , von denen allen jeweils nur ein Teil außerhalb des gemischten Dreiecks liegt. Und hatten wir vom Dreieck BO nicht auch vorausgesetzt, dass es kleiner sein soll als die Fläche X? Daraus folgt doch, wenn andererseits das Dreieck zusammengenommen mit X ein Drittel des Rechtecks CP betragen soll, dass die umschriebene Figur, die dem Dreieck deutlich weniger als die Fläche X hinzufügt, immer noch kleiner wäre als ein Drittel des besagten Rechtecks CP. Das kann aber nicht sein, weil jenes mehr als ein Drittel ist. Folglich trifft nicht zu, dass unser gemischtes Dreieck weniger wäre als ein Drittel des Rechtecks. (65) Sagr.  Ich habe diese Aufklärung meines Zweifels verstanden. Nun muss aber bewiesen werden, dass die umschriebene Figur mehr als ein Drittel des Rechtecks ausmacht, womit wir, so denke ich, etwas mehr Mühe haben werden. (66) Salv.  Ach, das ist gar kein großes Problem. Es ist nämlich so, dass in der Parabel das Quadrat der Strecke DE sich zum



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Quadrat von ZG ebenso verhält wie die Strecke DA zu AZ , welches Verhältnis auch das Rechteck KE zum Rechteck AG hat (da die Höhen AK , KL gleich sind); deshalb ist das Verhältnis des Quadrats ED zum Quadrat ZG, d. h. des Quadrats LA zum Quadrat AK , dasselbe wie das des Rechtecks KE zum Rechteck KZ . Auf genau dieselbe Weise ist bewiesen, dass die übrigen Rechtecke LF, MH , NI, OB sich zueinander verhalten wie die Quadrate der Strecken MA , NA , OA , PA . Bedenken wir nun, dass die umschriebene Figur aus mehreren Flächen zusammengesetzt ist, die sich zueinander ebenso verhalten wie die Quadrate der Strecken, welche mit Zuwächsen, die der kleinsten von ihnen gleich sind, anwachsen, und, dass das Rechteck CP gleichfalls aus Flächen zusammengesetzt ist, deren jede gleich der größten ist, welches alle die Rechtecke sind, die gleich OB sind, so folgt mit dem Satz des Archimedes, dass die umschriebene Figur mehr als den dritten Teil des Rechtecks CP ausmacht. Sie war aber auch kleiner, und das kann unmöglich so sein. Deshalb ist das gemischte Dreieck nicht weniger als ein Drittel des Rechtecks CP. Ebenso behaupte ich, dass es nicht mehr ist. Wenn es nämlich mehr wäre als ein Drittel des Rechtecks CP, so stelle man sich die Fläche X gleich dem Überschuss des Dreiecks über den dritten Teil des besagten Rechtecks CP vor. Teilt man nun und unterteilt man das Rechteck in immer gleiche Dreiecke, so kommt man schließlich dahin, dass eines davon kleiner ist als die Fläche X. Hat man das gemacht und ist das Rechteck BO kleiner als X , und nimmt man nun die obige Figur, so ergibt sich eine dem gemischten Dreieck eingeschriebene Figur, zusammengesetzt aus den Rechtecken VO, TN, SM , RL , QK , welche wiederum nicht kleiner ist als ein Drittel des großen Rechtecks CP. Denn das gemischte Dreieck übertrifft die eingeschriebene Figur um deutlich weniger, als diese ein Drittel des besagten Rechtecks CP übertrifft, da ja der Überschuss des Dreiecks über den dritten Teil des Rechtecks CP gleich der Fläche X ist, die kleiner ist als das Rechteck BO, und dieses ist wiederum deutlich kleiner als der Überschuss des Dreiecks über die ihm eingeschriebene Figur. Es sind nämlich dem Rechteck BO alle die kleinen Recht-

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ecke AG, GE , EF, FH, HI, IB gleich, und nur mit weniger als der Hälfte davon reicht das Dreieck über die eingeschriebene Figur hinaus. Da das Dreieck den dritten Teil des Rechtecks CP deutlich um mehr übertrifft (weil es größer ist als die Fläche X), als die eingeschriebene Figur dahinter zurückbleibt, so wird diese Figur wiederum größer sein als der dritte Teil des Rechtecks CP. Aber nach dem vorausgesetzten Satz ist sie kleiner, denn das Rechteck CP, da es aus den größten Rechtecken zusammengesetzt ist, hat zu den Rechtecken, aus denen sich die eingeschriebene Figur zusammensetzt, dasselbe Verhältnis wie die Summe aller Quadrate über den Strecken, die der größten gleich sind, zu den Quadraten über den Strecken, die gleichförmig anwachsen, nach Abzug des größten Quadrats. Und deshalb ist (wie es bei den Quadraten der Fall ist) die Summe der größten von ihnen (das ist das Rechteck CP) mehr als das Dreifache der Summe jener, die, übereinander hinauswachsend, nach Abzug des größten zusammen die eingeschriebene Figur ausmachen. Also ist das gemischte Dreieck weder größer noch kleiner als ein Drittel des Rechtecks CP; daher ist es diesem gleich. (67) Sagr.  Eine schöne und geistreiche Beweisführung, umso mehr, als sie zugleich die Quadratur der Parabel zeigt, indem sie nachweist, dass diese vier Drittel des ihr eingeschriebenen Dreiecks beträgt, wobei das bewiesen wird, was Archimedes mit zwei untereinander sehr verschiedenen, aber gleich bewundernswerten Herleitungen aus vielen Lehrsätzen bewiesen hat. Dasselbe hat auch Luca Valerio kürzlich bewiesen, ein zweiter Archimedes unserer Zeit, welche Beweisführung in dem Buch zu finden ist, das er über das Schwerezentrum der Körper geschrieben hat. (68) Salv.  Wahrhaftig ein Buch, das nicht hinter dem zurücksteht, was sonst von den berühmtesten Geometern der Gegenwart und aller vergangenen Zeitalter geschrieben worden ist. Unser Akademiker, als er es kennen lernte, nahm von seinen eigenen Untersuchungen Abstand, die er durchzuführen im Begriff war, um über denselben Gegenstand zu schreiben, da er hier alles von Herrn Valerio überaus glücklich entdeckt und bewiesen fand.



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(69) Sagr.  Mich hat der Akademiker selbst über alle diese Vorgänge unterrichtet, und ich habe ihn gebeten, mir doch einmal die Beweise zu zeigen, die er gefunden hatte, als er das Buch von Herrn Valerio kennen lernte, aber es gelang mir nicht, etwas davon zu sehen. (70) Salv.  Ich habe eine Kopie davon und werde sie Ihnen zeigen, da Sie die unterschiedlichen Methoden interessieren, mit denen diese beiden Autoren bei der Prüfung derselben Schlussfolgerungen und bei ihren Beweisführungen vorgehen, wobei einige der Schlussfolgerungen sogar unterschiedliche, obwohl tatsächlich gleich wahre Erklärungen finden. (71) Sagr.  Ich werde sie sehr gerne einsehen, wenn Sie mir die Freude machen, sie bei Ihrer Wiederkehr zu den gewohnten Zusammenkünften mitzubringen. Unterdessen wäre es wohl für die Handwerker nicht schlecht, wenn sich für jene ebenso schöne wie für vielerlei mechanische Arbeiten nützliche Behandlung des Widerstands eines Festkörpers durch Entfernung eines parabolischen Ausschnitts aus einem Prisma eine einfache Methode fände, wie auf der Seitenfläche des Prismas eine solche parabolische Linie gezeichnet werden kann. (72) Sa lv.  Es gibt eine ganze Reihe von Methoden, solche Linien zu zeichnen, aber ich nenne Ihnen zwei, die schneller als alle anderen von der Hand gehen. Die eine davon ist wirklich ganz wunderbar, weil ich damit in kürzerer Zeit, als jemand anderer benötigt, um mit dem Zirkel sorgfältig vier oder sechs Kreise verschiedener Größe auf ein Blatt zu zeichnen, dreißig oder vierzig parabolische Linien zeichnen kann, die nicht weniger korrekt, sorgfältig und säuberlich sind als die Umfänge jener Kreise. Ich besitze eine sorgfältigst gerundete Bronzekugel, nicht größer als eine Nuss. Lässt man diese über einen Metallspiegel rollen, der nicht rechtwinklig zum Horizont gehalten, sondern ein wenig geneigt wird, so dass die Kugel in Bewegung darüberhin rollt, wobei sie, sich bewegend, einen geringen Druck ausübt, so hinterlässt sie eine sorgfältigst und säuberlichst beschriebene parabolische Linie, die breiter oder enger ist je nachdem, ob die Projektionsfläche mehr oder weniger geneigt ist. Das gibt uns

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auch einen klaren und sinnlich erfahrbaren Eindruck davon, dass die Bewegung geworfener Körper in parabolischen Linien verläuft, welcher Effekt erstmals von unserem Freund beobachtet worden ist, in dessen Buch über die Bewegung, das wir bei unserer nächsten Zusammenkunft gemeinsam kennenlernen werden, er nebst dem Beweis dargestellt ist. Diese Kugel, die auf solche Weise Parabeln beschreiben soll, muss man übrigens etwas in der Hand behalten und erwärmen sowie ein wenig feucht machen, damit sie auf dem Spiegel deutliche Spuren hinterlässt. Die andere Methode, um diese gesuchte Linie auf einem Prisma zu zeichnen, ist Folgende. Man befestige hoch an einer Wand zwei Nägel mit gleichem Abstand vom Horizont und voneinander doppelt so weit entfernt wie die Länge des Rechtecks, in das wir die Parabel einzeichnen wollen. Von diesen beiden Nägeln soll eine sehr feine Kette hängen, von solcher Länge, dass ihre Wölbung nach unten [sacca] ebenso weit reicht wie das Prisma lang ist. Dieses Kettchen formt eine parabelartige Figur, dergestalt, dass wir, wenn man an der Mauer den Verlauf des Kettchens Punkt für Punkt einzeichnet, eine vollständige Parabel erhalten, welche ein Lot, das in der Mitte der beiden Nägel hängt, in gleiche Teile teilt. Eine solche Linie auf die einander gegenüberliegenden Seiten eines Prismas zu übertragen ist nicht schwer, so dass es jeder mittelmäßige Handwerker leisten kann. Man könnte auch mit Hilfe der geometrischen Linien auf dem Zirkel unseres Freundes ohne Weiteres auf derselben Seitenfläche des Prismas diese selbe Linie punktieren. Bis hierher haben wir viele Schlussfolgerungen bewiesen, die sich auf die Untersuchung der Bruchwiderstände von Festkörpern beziehen, womit wir einen ersten Zugang zu dieser Wissenschaft unter der Voraussetzung gefunden haben, dass der Widerstand in Längsrichtung gegeben sei. Man kann von hier aus folgerichtig weiter vorgehen und immer weitere und weitere Schlussfolgerungen und ihre Beweise finden, wovon es in der Natur unendlich viele gibt. Für jetzt aber, zum Abschluss der heutigen Überlegungen, möchte ich eine Beobachtung betreffend die Widerstände luftleerer Hohlkörper hinzufügen, deren



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sich die Handwerkskunst, mehr aber noch die Natur bei tausend Gelegenheiten bedient, wo ohne Vermehrung des Gewichts die Widerstandsfähigkeit außerordentlich vergrößert wird, wie man an den Knochen der Vögel und an sehr vielen Röhren sieht, die leicht sind und außerordentlich widerstandsfähig gegen Biegen und Brechen; so dass ein Strohhalm, der eine Ähre trägt, die schwerer ist als der ganze Stengel, wenn er aus derselben Materiemenge, jedoch massiv gemacht wäre, gegen Biegen und Brechen erheblich weniger widerstandsfähig wäre. Und auf dieser Grundlage hat die Handwerkskunst beobachtet und hat sich die Erfahrung bestätigt, dass eine hohle Lanze oder ein Rohr aus Holz oder Metall sehr viel stärker ist, als wenn es bei demselben Gewicht und derselben Länge massiv und folglich sehr viel dünner wäre. Deshalb hat das Handwerk entdeckt, dass Lanzen hohl sein müssen, wenn sie stark und leicht sein sollen. Beweisen wir demgemäß, dass die Widerstände zweier gleicher und gleich langer Zylinder, deren einer hohl, der andere massiv sein soll, zueinander in demselben Verhältnis stehen wie ihre Durchmesser. Gegeben seien das Rohr oder der Hohlzylinder AE sowie der massive Zylinder IN von gleichem Gewicht und gleicher Länge. Ich behaupte, dass sich der Bruchwiderstand des Rohrs AE zum Widerstand des massiven Zylinders IN ebenso verhält wie der Durchmesser AB zum Durchmesser IL . Das ist vollkommen klar, denn da das Rohr und der Zylinder IN gleich und gleich lang sind, so wird der Kreis IL , die Grundfläche des Zylinders, gleich dem Kringel AB sein, der Grundfläche des Rohrs AE (Kringel nenne ich die verbleibende Fläche zwischen einem äußeren und einem konzentrischen inneren Kreis), und deshalb werden ihre absoluten Widerstände gleich sein. Um aber den Zylinder IN der Quere nach durchzubrechen, benützen wir die Länge LN mit dem Drehpunkt L als Hebel und dem Halbmesser oder dem Durchmesser LI als Gegenhebel, während beim Rohr der

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Teil des Hebels, d. h. die Strecke BE , gleich LN ist, aber der Gegenhebel jenseits des Drehpunkts B ist der Halbmesser oder der Durchmesser AB, womit klar ist, dass der Widerstand des Rohrs den des zylindrischen Festkörpers im selben Maß übertrifft wie der Durchmesser AB den Durchmesser IL . Das aber war zu beweisen. Man gewinnt also mit dem hohlen Rohr im Verhältnis zum vollen Zylinder Widerstandsfähigkeit nach dem Verhältnis der Durchmesser, freilich immer unter der Voraussetzung, dass beide aus demselben Material bestehen und gleich schwer und gleich lang sind. Es passt nun gut, wenn wir im Folgenden dazu übergehen, zu untersuchen, was ganz allgemein in anderen Fällen geschieht, mit beliebigen Rohren und festen Zylindern von gleicher Länge, jedoch unterschiedlichem Gewicht, die einmal mehr, einmal weniger ausgehöhlt sein sollen. Aber zunächst beweisen wir, wie man zu einem hohlen Rohr den vollen Zylinder finden kann, der ihm gleich ist. Diese Untersuchung ist sehr einfach durchzuführen. Die Strecke AB sei der Durchmesser des Rohrs, CD der Durchmesser der Höhlung. Man zeichne im größeren Kreis die dem Durchmesser CD gleiche Strecke AE und verbinde EB. Weil nun im Halbkreis AEB der Winkel bei E ein rechter ist, so wird der Kreis mit dem Durchmesser AB gleich zwei Kreisen mit den Durchmessern AE , EB sein. AE A ist aber der Durchmesser der Höhlung C des Rohres. Deshalb wird der Kreis mit dem Durchmesser EB gleich dem Kringel ACBD sein, und folglich wird der volle E Zylinder, dessen kreisrunde Grundfläche den Durchmesser EB haben wird, gleich D dem Rohr sein, sofern er von gleicher B Länge ist. Ist das bewiesen, so können wir sehr leicht herausfinden, in welchem Verhältnis die Widerstände eines beliebigen Rohrs und eines beliebigen Zylinders von gleicher Länge zueinander stehen. Das Rohr sei ABE , der gleich lange Zylinder sei RSM . Man finde heraus, in welchem Verhältnis ihre Widerstände zueinan-



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der stehen. Gemäß dem vorstehenden Lehrsatz bilde man den dem Rohr gleichen Zylinder ILN von gleicher Länge, und zu den Strecken IL , RS (den Durchmessern der Grundflächen der Zylinder IN, RM) sei die Strecke V die vierte Proportionale. Ich behaupte nun, dass sich der WiA derstand des Rohres AE zu dem des Zylinders RM ebenso verhält E B wie die Strecke AB zu V. Weil R I nämlich das Rohr AE gleich dem N gleich langen Zylinder IN ist, so V S L verhält sich der Widerstand des R Rohrs zu dem Widerstand des M Zylinders wie die Strecke AB S zu IL . Der Widerstand des Zylinders IN verhält sich aber zum Widerstand des Zylinders RM wie der Kubus IL zum Kubus RS , d. h. wie die Strecke IL zu V. Folglich wird in gleicher Weise der Widerstand des Rohrs AE sich zum Widerstand des Zylinders RM ebenso verhalten wie die Strecke AB zu V. Das ist, was zu beweisen war. HIER ENDET DER ZWEITE TAG.

DRITTER TAG

ÜBER DIE ÖRTLICHE BEWEGUNG IM R AUM

Über einen sehr alten Gegenstand bringen wir hier eine vollkommen neue Erkenntnis. Nichts in der Natur ist älter als die BEWEGUNG , und über diese gibt es sehr viele und umfangreiche Schriften der Philosophen. Dennoch habe ich darüber eine Menge wissenswerter Merkmale in Erfahrung gebracht, die bisher nicht beobachtet oder doch nicht bewiesen wurden. Einiges weniger Bedeutende ist durchaus bekannt, wie zum Beispiel, dass die natürliche Bewegung fallender Körper fortwährend beschleunigt wird. Aber nach welcher Proportion diese Beschleunigung geschieht, hat uns bisher niemand verraten. Denn niemand, soviel ich weiß, hat gezeigt, dass die Räume [spatii], welche ein aus der Ruhe fallender Körper in gleichen Zeiten beschreibt, dasselbe Verhältnis zueinander haben wie die auf die Einheit folgenden ungeraden Zahlen. Beobachtet hat man, dass Geschosse oder geworfene Gegenstände irgendeine krumme Linie beschreiben; dass das aber eine Parabel ist, hat noch nie jemand gelehrt. Dass dies jedoch so ist, und eine Menge anderer, nicht weniger wissenswerter Dinge, wird von mir bewiesen werden. Für das, was darüber hinaus meiner Meinung nach noch zu tun bleibt, wird der Zugang und Eintritt zu einer überaus weitreichenden und außerordentlich wichtigen Wissenschaft eröffnet, deren Anfänge diese unsere Arbeit vorstellt; in ihre tieferen Geheimnisse [abditio­res recessus] einzudringen bleibt Geistern vorbehalten, die dem meinen überlegen sind. Wir teilen diese Abhandlung in drei Teile: Der erste Teil handelt von der sich gleich bleibenden oder gleichförmigen Bewegung [circa motum uniformem]; im zweiten beschreiben wir die auf natürliche Weise gleichförmig beschleunigte Bewegung, in dritten die gewaltsame Bewegung bzw. diejenige geworfener Körper.

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Über die gleichförmige Bewegung Für die sich gleich bleibende oder gleichförmige Bewegung benötigen wir eine einzige Definition, die ich folgendermaßen einführe: DEFINITION Unter einer gleichbleibenden oder gleichförmigen Bewegung verstehe ich diejenige, bei der die in allen möglichen einander gleichen Zeiten von dem bewegten Körper durchmessenen Teile [des Raumes] einander gleich sind.

HINWEIS Der alten Definition (welche als gleichförmige Bewegung einfach diejenige bezeichnet, bei der in gleichen Zeiten gleiche Räume [spatia] beschrieben werden) müssen wir den Zusatz in allen möglichen hinzufügen, nämlich: in allen einander gleichen Zeiten [d. h. gleichgültig, welches Maß man für das einzelne Zeitteilchen nimmt]: Denn es kann sein, dass ein Körper in irgendwelchen gleichen Zeiten gleiche Räume durchmisst, während die in kleineren gleichen Teilen dieser Zeiten durchmessenen Räume nicht einander gleich sind. Von dieser Definition hängen die folgenden vier Axiome ab: A XIOM I Bei ein und derselben gleichförmigen Bewegung ist der in längerer Zeit durchmessene Raum größer als der in kürzerer Zeit durchmessene Raum. A XIOM II Bei ein und derselben gleichförmigen Bewegung ist die einem größeren Raum beigemessene Zeit länger als die Zeit, die einem kleineren Raum beigemessen ist. A XIOM III Bei ein und derselben Zeit ist der mit größerer Geschwindigkeit durchmessene Raum größer als der mit geringerer Geschwindigkeit durchmessene Raum.



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A XIOM IV Bei ein und derselben Zeit ist die Geschwindigkeit, mit der ein größerer Raum durchmessen wird, größer als die Geschwindigkeit, mit der ein geringerer Raum durchmessen wird. THEOREM I , LEHRSATZ I Wenn ein gleichförmig bewegter Körper mit derselben Geschwindigkeit zwei Räume durchmisst, so verhalten sich die Zeiten des Vollzugs zueinander ebenso wie die durchmessenen Räume. Ein gleichförmig bewegter Körper durchmesse mit ein und derselben Geschwindigkeit zwei Räume AB, BC , und die Zeit der Bewegung durch AB sei DE , aber die Zeit der Bewegung durch BC sei EF. Ich behaupte, dass sich ebenso wie der Raum AB zum Raum BC auch die Zeit DE zur Zeit EF verhält. J G

D E A B

F C

K H

Man verlängere die Räume und Zeiten beiderseits nach G, H und nach J, K und trage auf AG beliebig viele Räume gleich AB und analog auf DJ ebenso viele Zeiten gleich DE ab. Ebenso trage man auf CH eine beliebige Anzahl von Räumen gleich CB und ebenso auf FK der Zeit EF gleiche Zeiten ab. Dann sind der Raum BG und die Zeit EJ gleiche Vielfache des Raumes BA und der Zeit ED, gleich welche Vervielfachung angenommen wird, und analog sind der Raum HB und die Zeit KE gleiche Vielfache des Raumes CB und der Zeit EF, gleich bei welcher Verviel­fachung. Weil nun DE die Zeit der Bewegung durch AB ist, so wird EJ die ganze Zeit für das ganze BG sein, denn wir haben die Bewegung als gleichförmig angenommen, so dass diese ebenso viele Zeitteile gleich DE aufweist, wie in BG Raumteile gleich BA sind. Und analog ergibt sich, dass KE die Zeit ist, in der HB durchmessen wird. Da wir aber eine gleichförmige Bewegung angenommen haben, so wird, wenn der Raum GB gleich BH sein soll, auch die Zeit JE der Zeit EK gleich sein müssen. Und wenn GB größer ist als BH , so

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wird auch JE größer sein als EK , und wenn kleiner, dann kleiner. Wir haben deshalb vier Größen, AB die erste, BC die zweite, DE die dritte, EF die vierte, und wenn man die erste und die dritte nimmt, d. h. den Raum AB und die Zeit DE , so sind die Zeiten JE und die Räume GB deren Gleichvielfache bei jeder beliebigen Vervielfachung. Es ist aber schon bewiesen, dass die zweiten und vierten gleichen Vielfachen den Zeiten EK und den Räumen BH entweder gemeinsam gleich sind, oder gemeinsam dahinter zurückbleiben, oder gemeinsam über sie hinausreichen. Daher verhält sich [gemäß der viergliedrigen Proportion, oder tetraktys AB : BC = DE : EF] die erste zur zweiten, also der Raum AB zum Raum BC , ebenso wie die dritte zur vierten, d. h. die Zeit DE zur Zeit EF, was zu beweisen war.

THEOREM II, LEHRSATZ II Wenn ein bewegter Körper in gleichen Zeiten zweierlei Räume zurücklegt, so verhalten sich diese zueinander ebenso wie die Geschwindigkeiten. Und wenn die Räume sich verhalten wie die Geschwindigkeiten, so werden die Zeiten einander gleich sein. Unter Verwendung der obigen Zeichnung sollen AB, BC zwei in gleichen Zeiten zurückgelegte Räume sein, der Raum AB mit der Geschwindigkeit DE und der Raum BC mit der Geschwindigkeit EF. Ich behaupte, dass sich der Raum AB zum Raum BC ebenso verhalten wird wie die Geschwindigkeit DE zur Geschwindigkeit EF. Nimmt man nämlich wie oben sowohl von den Räumen als auch von den Zeiten in beliebiger Vervielfachung gleiche Vielfache, z. B . GB und JE jeweils von AB und DE und in gleicher Weise HB, KE jeweils von BC und EF, so folgt ebenso wie oben, dass die Vielfachen GB, JE gemeinsam entweder kleiner oder gleich oder größer sind als die gleichen Vielfachen BH und EK . Also ist auch diese Behauptung bestätigt. THEOREM III, LEHRSATZ III Ungleichen Geschwindigkeiten bei gleichen zurückgelegten Räumen entsprechen Zeiten, die den Geschwindigkeiten umgekehrt proportional sind.



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Von ungleichen Geschwindigkeiten sei A die größere, B die kleinere, und mit beiden finde eine Bewegung durch denselben Raum CD statt. Ich behaupte, dass die Zeit, in der mit der Geschwindigkeit A der Raum CD durchmessen wird, sich zur Zeit, in der derselbe Raum mit der Geschwindigkeit B durchmessen wird, ebenso verhält wie die Geschwindigkeit B zur Geschwindigkeit A . A C

E

D

B

Denn wie A zu B , so wird sich CD zu CE verhalten. Gemäß dem Vorangegangenen wird daher die Zeit, in der die Geschwindigkeit A [den Raum] CD durchmisst, dieselbe sein wie die, in der B [den Raum] CE durchmisst. Aber die Zeit, in der die Geschwindigkeit B CE durchmisst, verhält sich zu der Zeit, in der sie CD durchmisst, wie CE zu CD. Also verhält sich die Zeit, in der die Geschwindigkeit A CD durchmisst, zur Zeit, in der die Geschwindigkeit B ebenfalls CD durchmisst, wie CE zu CD, d. h. wie die Geschwindigkeit B zur Geschwindigkeit A , was zu zeigen war. THEOREM IV, LEHRSATZ IV Wenn zwei Körper gleichförmige Bewegungen vollziehen, jedoch mit ungleicher Geschwindigkeit, so werden die in ungleichen Zeiten von ihnen durchmessenen Räume in einem Verhältnis zueinander stehen, das aus dem Verhältnis der Geschwindigkeiten und dem der Zeiten zusammengesetzt ist. E

F

A C B D

G J L

Die beiden Körper E , F sollen sich gleichförmig bewegen, und die Geschwindigkeit des Körpers E verhalte sich zur Geschwindigkeit des Körpers F wie A zu B , aber die Zeit der Bewegung von E verhalte sich zur Zeit der Bewegung von F wie C zu D.

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Ich behaupte, dass der von E mit der Geschwindigkeit A in der Zeit C zurückgelegte Raum zu dem von F mit der Geschwindigkeit B in der Zeit D zurückgelegten Raum ein Verhältnis haben wird, welches aus dem Verhältnis der Geschwindigkeit A zur Geschwindigkeit B und dem Verhältnis der Zeit C zur Zeit D zusammengesetzt ist. Der von E mit der Geschwindigkeit A in der Zeit C zurückgelegte Raum sei G , und G verhalte sich zu J ebenso wie die Geschwindigkeit A zur Geschwindigkeit B. J verhalte sich aber zu L ebenso wie die Zeit C zur Zeit D. Dann steht fest, dass J derjenige Raum ist, durch den F in derselben Zeit bewegt wird, in der E durch G bewegt wird, weil die Räume G, J sich verhalten wie die Geschwindigkeiten A , B. Und weil sich J zu L verhält wie die Zeit C zur Zeit D, so wird J auch der Raum sein, den der Körper F in der Zeit D durchmisst, und L der Raum, welcher von F in der Zeit D mit der Geschwindigkeit B zurückgelegt wird. Das Verhältnis von G zu L setzt sich aber aus den Verhältnissen von G zu J und von J zu L zusammen, d. h. aus den Verhältnissen der Geschwindigkeit A zur Geschwindigkeit B und der Zeit C zur Zeit D. Und damit ist die Behauptung bestätigt.

THEOREM V, LEHRSATZ V Wenn zwei Körper gleichförmig bewegt werden, aber mit ungleichen Geschwindigkeiten und durch ungleiche Räume, so wird das Verhältnis der Zeiten aus dem Verhältnis der Räume und der Geschwindigkeiten in umgekehrter Proportion zusammengesetzt sein. Die beiden Körper seien A , B, und die Geschwindigkeit von A verhalte sich zur Geschwindigkeit von B wie V zu T, aber die A B

V S T R

C E G

durchlaufenen Räume verhalten sich wie S zu R . Ich behaupte, dass das Verhältnis der Zeit der Bewegung von A zur Zeit der Bewegung von B aus dem Verhältnis der Geschwindigkeit T zur



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Geschwindigkeit V und aus dem Verhältnis des Raumes S zum Raum R zusammengesetzt ist. C sei die Zeit der Bewegung von A , und die Zeit C verhalte sich zur Zeit E ebenso wie die Geschwindigkeit T zur Geschwindigkeit V. Sei nun C die Zeit, in welcher A mit der Geschwindigkeit V den Raum S durchmisst, und verhalte sich die Zeit C zur Zeit E ebenso wie die Geschwindigkeit T des Körpers B zur Geschwindigkeit V, so wird E diejenige Zeit sein, in welcher der Körper B den besagten Raum S durchmisst. Man mache nun die Maßverhältnisse so, dass sich die Zeit E zur Zeit G ebenso verhält wie der Raum S zum Raum R , so wird G die Zeit sein, in der B den Raum R durchmisst. Und weil das Verhältnis von C zu G aus den Verhältnissen von C zu E und von E zu G zusammengesetzt ist, so verhält sich C zu E ebenso wie die Geschwindigkeiten der Körper A , B in umgekehrter Proportion, d. h. wie T zu V. Aber E verhält sich zu G ebenso wie das Verhältnis der Räume S , R . Also ist die Behauptung bewiesen.

THEOREM VI, LEHRSATZ VI Wenn zwei Körper gleichförmige Bewegungen ausführen, so wird das Verhältnis ihrer Geschwindigkeiten aus dem Verhältnis der durchmessenen Räume und dem Verhältnis der Zeiten in umgekehrter Proportion zusammengesetzt sein. A B

V S T R

C E G

Zwei Körper A , B seien gleichförmig bewegt; die von ihnen durchmessenen Räume sollen sich verhalten wie V zu T, die Zeiten aber wie S zu R . Ich behaupte, dass die Geschwindigkeit des Körpers A zur Geschwindigkeit von B ein Verhältnis haben wird, welches aus dem Verhältnis des Raumes V zu dem Raum T und der Zeit R zur Zeit S zusammengesetzt ist.

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Die Geschwindigkeit C sei diejenige, mit welcher der Körper A den Raum V in der Zeit S durchmisst, und die Geschwindigkeit C habe zu einer anderen E dasselbe Verhältnis wie der Raum V zum Raum T, so wird E diejenige Geschwindigkeit sein, mit welcher der Körper B den Raum T in der nämlichen Zeit S durchmisst. Macht man, dass die Geschwindigkeit E zu einer anderen G sich verhält wie die Zeit R zur Zeit S , so wird G jene Geschwindigkeit sein, mit welcher der Körper B den Raum T in der Zeit R durchmisst. Wir haben also die Geschwindigkeit C , mit welcher der Körper A den Raum V in der Zeit S durchmisst, und die Geschwindigkeit G, mit welcher der Körper B den Raum T in der Zeit R durchmisst, und das Verhältnis von C zu G ist zusammengesetzt aus den Verhältnissen von C zu E und von E zu G . Aber das angenommene Verhältnis von C zu E ist dasselbe wie das Verhältnis des Raumes V zu dem Raum T, und das Verhältnis von E zu G ist dasselbe wie das Verhältnis von R zu S . Somit ist die Behauptung bewiesen. (1) Sa lv.  Was wir bis hierher gesehen haben, ist alles, was unser Autor über die gleichförmige Bewegung geschrieben hat. Gehen wir nun zu einer etwas scharfsinnigeren und neuen Untersuchung über, welche die auf natürliche Weise beschleunigte Bewegung betrifft, diejenige, welche im allgemeinen von schweren fallenden Körpern beschrieben wird; und hier folgt der Titel und die Einführung.

Über die natürlich beschleunigte Bewegung Die Vorgänge, die sich auf die gleichförmige Bewegung beziehen, sind im vorstehenden Buch betrachtet worden. Jetzt ist die beschleunigte Bewegung zu behandeln. Zunächst aber müssen wir eine Definition finden und erklären, die mit dem Wirken der Natur in möglichst hohem Grade übereinstimmt. Freilich kann man eine beliebige Art der Bewegung willkürlich erfinden und die daraus folgenden Eigenschaften im Geist betrachten (so, wie einige sich aus gewissen in der Natur nicht vorkommenden Bewegungen hervorgehende schneckenför-



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mige Linien und Konchoiden erdacht und deren Eigenschaften von der Voraussetzung her löblich bewiesen haben); da aber die Natur eine bestimmte Art der Beschleunigung fallender schwerer Körper vorgibt, so haben wir beschlossen, deren Eigenschaften herauszufinden, damit das, was wir mit unserer Definition der beschleunigten Bewegung vorstellen, mit dem Wesen der natürlich beschleunigten Bewegung harmonisch übereinstimme. Und das meinen wir in der Tat nach langwierigen geistigen Anstrengungen gefunden zu haben, insbesondere aufgrund des sehr starken Beweisgrundes, dass diejenigen Eigenschaften, die wir der Reihe nach bewiesen haben, denen vorzüglich zu entsprechen und mit ihnen zu harmonieren scheinen, welche aus der Natur genommene Erfahrungen den Sinnen vorstellen. Schließlich hat uns bei der Untersuchung der natürlich beschleunigten Bewegung die Beachtung der Gewohnheiten und Methoden der Natur selbst bei allen ihren anderen Verrichtungen sozusagen die Hand geführt, bei denen sie die allerersten, allereinfachsten und allerleichtesten Mittel einzusetzen pflegt. Es wird wohl keinen urteilsfähigen Menschen geben, der glaubt, dass das Schwimmen und das Fliegen auf einfachere und leichtere Weise stattfinden könne als so, wie es Fische und Vögel aus natürlichem Trieb zu tun pflegen. Wenn ich also beobachte, dass ein aus der Ruhelage in der Höhe herabfallender Stein der Reihe nach aufeinander folgend neue Geschwindigkeitszuwächse erfährt, warum soll ich dann nicht annehmen, dass diese Zuwächse in der einfachsten und nächstliegenden Weise stattfinden? Wenn wir es aufmerksam betrachten, so finden wir keine Hinzufügung und keinen Zuwachs einfacher als jenen, der stets in derselben Weise hinzukommt. Das leuchtet uns leicht ein, wenn wir die überaus enge Verwandtschaft von Zeit und Bewegung beachten: Wie nämlich die Gleichförmigkeit und Einförmigkeit der Bewegung durch die Gleichheit von Zeiten und Räumen beschrieben und erfasst wird (denn wir nennen die Bewegung dann gleichförmig, wenn in gleichen Zeiten gleiche Räume durchmessen werden), so können wir dank eben dieser Gleichheiten der Zeitteilchen die Zunahmen

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an Schnelligkeit auf einfache Weise zustandegekommen erfassen, indem wir nämlich annehmen, dass jene Bewegung gleichförmig und beständig auf dieselbe Weise beschleunigt sei, bei welcher der Schnelligkeit in beliebigen gleichen Zeiten gleiche Zuwächse hinzugefügt werden. So wird, wenn wir vom ersten Augenblick an, in dem der Körper die Ruhelage verlässt und zu fallen beginnt, beliebige gleiche Zeitteilchen annehmen, der nach dem im ersten und zweiten Zeitteilchen zusammen angenommene Schnelligkeitsgrad das Doppelte dessen sein, den der Körper im ersten Zeitteilchen angenommen hat; und der Grad, den er in drei Zeitteilchen gewinnt, wird dreifach sein, der in vier aber das Vierfache des Grades der ersten Zeit, so dass (zum besseren Verständnis) dann, wenn der Körper gemäß dem Grad oder Moment der Geschwindigkeit fortschreiten würde, den er im ersten Zeitteilchen angenommen hat, so dass er seine Bewegung alsdann mit demselben Grad gleichförmig fortsetzen würde, diese Bewegung um das Doppelte langsamer wäre als jene, welche er gemäß dem in zwei Zeitteilchen angenommenen Geschwindigkeitsgrad gewonnen hätte. Und so wird es keinesfalls der Vernunft widersprechen, wenn wir annehmen, dass die Verstärkung [intensio] der Geschwindigkeit der Verlängerung der Zeit [temporis extensionem] entspricht. Hiernach kann man die Definition derjenigen Bewegung, von der wir nun handeln werden, folgendermaßen fassen: Als gleichförmig oder einförmig beschleunigte Bewegung bezeichne ich diejenige, welche sich vom Ruhezustand aus in gleichen Zeiten um gleiche Momente der Schnelligkeit vermehrt. (2) Sagr.  Könnte ich ohne weitere Begründung diese oder jede andere von irgendeinem Autor festgelegte Definition ablehnen, weil sie alle willkürlich sind, so kann ich doch auch, ohne jemandem zu nahe zu treten, bezweifeln, ob diese abstrakt angenommene und erdachte Definition jener Art von beschleunigter Bewegung, welche natürlich fallende schwere Körper vollziehen, angemessen ist, entspricht und sich bei ihr bewahrheitet. Weil mir nun der Autor hier zu versichern scheint, dass das, was er definiert hat, die natürliche Bewegung schwerer Körper sei, so würde ich gerne einige Bedenken ausgeräumt sehen, welche mich



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verwirren, damit ich mich alsdann mit größerer Aufmerksamkeit den Lehrsätzen und ihren Beweisen, die folgen werden, widmen kann. (3) Salv.  Es ist gut, wenn Sie und Herr Simplicio die Schwierigkeiten hervorheben, von denen ich annehme, dass es dieselben sein werden, mit denen auch ich mich konfrontiert sah, als ich diese Abhandlung zum ersten Mal las, die mir dann aber teils der Autor durch eigene Erläuterungen auflöste, während ich sie zum anderen Teil selbst durch Nachdenken überwand. (4) Sagr.  Wenn ich mir einen schweren Körper vorstelle, der von der Ruhe aus, d. h. bei Abwesenheit jeglicher Geschwindigkeit, zu fallen und Bewegung aufzunehmen beginnt, wobei er fortschreitend im selben Verhältnis schneller wird, in dem die Zeit vom Beginn der Bewegung an wächst, und der z. B. nach acht Pulsschlägen acht Geschwindigkeitsgrade angenommen haben soll, wovon er nach dem vierten Pulsschlag vier, nach dem zweiten zwei und nach den ersten einen angenommen hat, so würde, da die Zeit ins Unendliche unterteilbar ist, folgen, dass demgemäß bei immer weiterer Verringerung der vorherigen Geschwindigkeit es keinen so kleinen Geschwindigkeitsgrad, oder sagen wir: keine so große Langsamkeit geben könnte, dass nicht der besagte Körper nach dem Verlassen der unendlichen Langsamkeit, d. h. des Ruhezustands, sich darin befunden haben muss. Folglich wird man, wenn jener Geschwindigkeitsgrad, den er nach vier Zeitimpulsen angenommen hätte, der­jenige sein soll, bei dessen gleichförmiger Fortsetzung er einen Weg von zwei Meilen in einer Stunde zurückgelegt hätte, und wenn er mit dem nach dem zweiten Pulsschlag angenommenen Geschwindigkeitsgrad eine Meile in einer Stunde zurückgelegt hätte, sagen müssen, dass er in Zeitpunkten, die dem Beginn seiner Bewegung von der Ruhe aus immer näher rücken, dermaßen langsam sein müsste, dass er (bei Fortsetzung der Bewegung mit eben dieser Langsamkeit) eine Meile weder in einer Stunde, noch in einem Tag, noch in einem oder in tausend Jahren durchlaufen würde, und dass er selbst in einem noch längeren Zeitraum nicht einmal eine Spanne zurücklegen würde, eine Erscheinung, die

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wir uns nur schwer vorstellen können, zumal wir sinnlich erfahren, dass ein fallender schwerer Körper sehr schnell große Geschwindigkeit erlangt. (5) Salv.  Das ist eine der Schwierigkeiten, die auch mir anfangs zu denken gaben, aber ich habe sie bald danach überwunden. Und das geschah durch dieselbe Überlegung, auf die Sie sich vorerst stützen. Sie behaupten, die Erfahrung scheine zu zeigen, dass ein schwerer Körper, sobald er den Ruhezustand verlässt, eine sehr merkliche Geschwindigkeit aufnimmt. Ich aber sage, eben dieselbe Erfahrung zeigt deutlich, dass die ersten dem fallenden Körper übertragenen unkörperlichen Bewegungskräfte [impeti], sei dieser auch außerordentlich schwer, überaus langsam und zögerlich sind. Setzen Sie einen schweren Körper auf ein nachgebendes Material und belassen Sie ihn da, bis seine bloße Schwere ihren vollen Druck ausgeübt hat. Offensichtlich wird er, wenn Sie ihn nun eine Elle oder zwei emporheben und dann auf dasselbe Material fallen lassen, mit dem Aufprall neuen und größeren Druck ausüben als zunächst durch sein bloßes Gewicht. Und diese Wirkung wird sich nach dem fallenden Körper in Verbindung mit der im Fall erlangten Geschwindigkeit bemessen, und sie wird zunehmend größer sein in dem Maß, in dem die Höhe bis zum Aufprall größer ist, d. h. entsprechend der größeren Geschwindigkeit des aufprallenden Körpers. Wir können also die Geschwindigkeit eines fallenden schweren Körpers ohne fehlzugehen aus der Eigenschaft und der Quantität des Aufpralls ermitteln. Aber sagen Sie mir, meine Herren: Jener Block, den man aus einer Höhe von vier Ellen auf einen Pfahl fallen lässt, so dass er ihn z. B. vier Finger tief in die Erde treibt, und entsprechend weniger, wenn er aus einer Höhe von zwei Ellen kommt, noch weniger aus der Höhe von einer, und weniger aus einer Spanne, und schließlich, wenn er gerade nur einen Finger hoch fällt, was wird er dann mehr bewirken, als wenn er ohne Aufprall darauf gesetzt wird? Gewiss doch außerordentlich wenig; und die Wirkung wäre ganz unmerklich, wenn er nur um die Dicke eines Blattes hoch gehoben worden wäre. Weil also die Wirkung des Aufpralls von der Geschwindigkeit des aufprallenden Kör-



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pers abhängt, so wird niemand bezweifeln, dass dann, wenn eine solche Wirkung unmerklich ist, auch die Bewegung außerordentlich langsam und die Geschwindigkeit geringer als minimal sein wird. Wir erkennen hier, wie groß die Macht der Wahrheit ist, da dieselbe Erfahrung, welche beim ersten Hin­sehen etwas Bestimmtes zu beweisen scheint, bei genauerer Überlegung das Gegenteil davon bestätigt. Aber auch ohne Beschränkung auf diese Erfahrung (die zweifellos sehr überzeugend ist) kann man, so denke ich, diese Wahrheit unschwer mit einer einfachen Überlegung erkennen. Nehmen wir einen schweren Stein, in Ruhelage in der Luft gestützt. Nimmt man die Stütze weg und setzt ihn frei, so wird er, da er schwerer ist als Luft, nach unten zu fallen beginnen, und zwar nicht mit gleichförmiger Bewegung, sondern zu Beginn langsam, und dann fortschreitend beschleunigt. Und weil die Geschwindigkeit unendlich vermehrt wie auch vermindert werden kann, was sollte mich also dazu bringen anzunehmen, dass dieser Körper, der mit unendlicher Langsamkeit beginnt (wie es die Ruhe ist), unvermittelt eher zehn Grad Geschwindigkeit annimmt als einen von vieren, oder eher diesen als einen von zweien, oder von einem, oder von einem halben, oder von einem Hundertstel? Oder überhaupt einen der unendlich vielen kleineren? Hören Sie, bitte. Ich glaube nicht, dass Sie sich weigern würden mir zuzugeben, dass die Zunahme des fallenden Steins an Geschwindigkeitsgraden vom Ruhezustand aus in derselben Reihung stattfinden könne wie die Verminderung oder der Verlust eben dieser Grade, wenn er von einer antreibenden Einwirkung [virtù] nach oben auf dieselbe Höhe zurückgeschleudert würde. Wenn es aber so ist, dann sehe ich nicht, wie man im Ungewissen darüber sein könnte, ob bei der Verminderung der Geschwindigkeit des hochfliegenden Steins, bis diese ganz aufgezehrt ist, der Zustand der Ruhe erreicht werden kann, ehe alle Grade der Langsamkeit durchmessen worden sind. (6) Simp.  Wenn aber die Grade größerer und immer größerer Langsamkeit unendlich viele sind, dann wird er sie niemals alle aufzehren können, so dass dieser hochsteigende schwere Körper

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niemals zur Ruhe kommen könnte, sondern, immer langsamer werdend, ohne Ende bewegt sein müsste, was denn doch nicht stattzufinden scheint. (7) Salv.  Genauso würde es stattfinden, Herr Simplicio, wenn der anhaltend bewegte Körper in jedem einzelnen Grad für eine gewisse Zeit verweilen würde; er durchläuft ihn aber lediglich, ohne mehr als einen Augenblick darin zu verweilen, und weil es in jedem endlichen Zeitraum, wie überaus klein er auch sein mag, unendlich viele Augenblicke gibt, deshalb reichen diese aus, um den unendlich vielen Graden der immer weiter verminderten Geschwindigkeit zu entsprechen. Dass aber ein solcher schwerer, aufsteigender Körper für gar keine endliche Zeit in irgendeinem dieser Geschwindigkeitsgrade verweilt, kann auch folgender­ maßen gezeigt werden: Gesetzt es könnte eine solche endliche Zeit angegeben werden, so würde sich ergeben, dass der Körper im ersten ebenso wie im letzten Augenblick dieser Zeit denselben Geschwindigkeitsgrad inne hätte, und er würde mit eben diesem zweiten Grad durch denselben Raum nach oben gestoßen werden, wie er vom ersten zum zweiten befördert wurde, und ebenso würde er vom zweiten in den dritten übergehen, und schließlich würde seine Bewegung gleichförmig ohne Ende andauern. (8) Sagr.  Mir scheint, man könnte aus dieser Überlegung eine sehr angemessene Erklärung der unter den Philosophen umstrittenen Frage gewinnen, welches die Ursache der Beschleunigung der natürlichen Bewegung schwerer Körper ist. Ich nehme nämlich an, dass bei dem nach oben geworfenen Körper jene ihm vom Werfenden eingeprägte Wirksamkeit [virtù impressagli], die ihn nach oben befördert, sich fortwährend immer weiter verringert, solange sie größer ist als die entgegengesetzte [Wirksamkeit] der Schwere. Treffen sich diese und jene miteinander verbunden im Gleichgewicht, so hört der Körper auf, weiter hochzusteigen und durchläuft den Zustand der Ruhe, in welchem die ihm eingedrückte unkörperliche Kraft [impeto impresso] noch nicht vollständig vernichtet, sondern nur jener Überschuss aufgezehrt ist, den sie vorher über die Schwere des bewegten Körpers hatte, und durch die er, solange diese überwog, nach oben getrieben wurde.



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Setzt sich alsdann die Verringerung dieser von außen übertragenen unkörperlichen Bewegungskraft [impeto straniero] fort, so dass in der Folge der Überschuss auf der Seite der Schwere liegt, so beginnt ebenso der Abstieg, freilich langsam wegen der entgegenwirkenden ihm eingedrückten Kraft [virtù impressa], von der noch ein nennenswerter Teil in dem bewegten Körper verblieben ist. Weil diese alsdann aber fortschreitend vermindert wird, so wird sie in immer größerem Maß von der Schwere übertroffen werden, und von daher rührt die fortschreitende Beschleunigung der Bewegung. (9) Simp.  Der Gedankengang ist scharfsinnig, aber eher spitzfindig als stichhaltig, Ich meine damit, dass er, wenn er stichhaltig wäre, lediglich auf jene natürlichen Bewegungen zuträfe, welchen eine gewaltsame Bewegung vorausging, wobei noch ein Teil der äußeren Kraft [virtù esterna] aktiv ist. Wo aber kein solcher Rest existiert, vielmehr der Körper zunächst längere Zeit in Ruhe war, endet die Überzeugungskraft der ganzen Überlegung. (10) Sagr.  Ich denke, dass Sie sich irren, und dass die von Ihnen getroffene Fallunterscheidung überflüssig, oder, um es genauer zu sagen, gegenstandslos ist. Denn, sagen Sie mir, ob ein Werfer dem Geworfenen einmal mehr, ein anderes Mal weniger Kraft einprägen kann, so dass es einmal hundert Ellen nach oben getrieben wird, ein anderes Mal zwanzig, oder vier, oder nur eine? (11) Simp.  Zweifellos ist das so. (12) Sagr.  Und ebenso kann es sein, dass diese eingeprägte Kraft [virtù impressa] den Widerstand der Schwere um so wenig übertrifft, dass sie ihn nicht mehr als ein Fingerbreit in die Höhe schafft, und schließlich kann die Kraft [virtù] des Werfenden auch nur so groß sein, dass sie den Widerstand der Schwere genau ausgleicht, so dass der bewegte Körper nicht weiter nach oben getrieben wird, sondern sich nur gestützt erhält. Wenn Sie also einen Stein in der Hand halten, was tun Sie dann anderes, als dass Sie ihm ebenso viel Kraft in Richtung nach oben eindrücken, wie seine Schwere ihn nach unten zu ziehen vermag? Und erhalten Sie nicht diese Ihre eingedrückte Kraft für die ganze Zeit auf-

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recht, in der Sie ihn in der Hand halten? Vermindert sich diese vielleicht über die Länge der Zeit, in der Sie ihn halten? Und diese Unterstützung, die den Stein am Fallen hindert, was macht es denn aus, ob Ihre Hand sie leistet, oder ein Tisch, oder ein Seil, an dem er hängt? Sicherlich gar nichts. Ziehen Sie also, Herr Simplicio, den Schluss, dass es überhaupt keinen Unterschied macht, ob dem Fallen des Steins eine längere oder kürzere oder nur einen Augenblick währende Phase der Ruhe vorausging, so dass also der Stein unter dem Einfluss der seiner Schwere entgegengesetzten Kraft, welche genau dazu hinreicht, ihn in Ruhe zu halten, in gar keiner Weise zu fallen beginnt. (13) Salv.  Es scheint mir gegenwärtig nicht der richtige Zeitpunkt, um in die Untersuchung einzutreten, was die Ursache der Beschleunigung der natürlichen Bewegung ist, worüber verschiedene Philosophen verschieden geurteilt haben. Einige haben sie auf die Annäherung an das Zentrum zurückgeführt, andere darauf, dass fortschreitend immer weniger Teile des zu teilenden Mediums verbleiben, wieder andere auf eine gewisse Verdrängung des umgebenden Mediums, welches, wenn es sich hinter dem bewegten Körper wieder zusammenfindet, dort Druck ausübt und beschleunigend stößt. Untersucht man diese und andere Phantasien, so wird man wenig Gewinn davon haben. Gegenwärtig genügt es unserem Autor, wenn wir verstehen, dass er hier einige Eigenschaften der beschleunigten Bewegung untersuchen und beweisen möchte (was immer auch die Ursache dieser Beschleunigung sein mag), und zwar, dass ihre Geschwindigkeitsmomente nach dem Verlassen des Ruhezustands gemäß jener sehr einfachen Proportion anwachsen, mit der die Zeit fortschreitend anwächst, was dasselbe ist wie die Feststellung, dass in gleichen Zeiten gleiche Zuwächse an Geschwindigkeit stattfinden. Sollte sich dann zeigen, dass die so zu beweisenden Erscheinungen bei der Bewegung natürlich fallender und beschleunigter Körper wirklich stattfinden, so werden wir annehmen dürfen, dass die gefundene Definition eben dieser Bewegung schwerer Körper entspricht, und dass wirklich deren Beschleunigung ebenso anwächst wie die Zeit und die Dauer der Bewegung.



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(14) Sagr.  So weit ich es bis jetzt verstehe, scheint mir, dass man vielleicht ohne Veränderung des Grundgedankens klarer definieren könnte: Beschleunigte Bewegung ist diejenige, bei der die Geschwindigkeit fortschreitend ebenso anwächst wie der durchmessene Raum, so dass z. B. der Geschwindigkeitsgrad, den ein bewegter Körper nach dem Fall durch vier Ellen angenommen hat, das Doppelte von dem ist, welchen er nach dem Fall durch zwei hatte, und dieser das Doppelte des nach dem Fall durch die erste Elle erreichten. Denn man kann, so scheint mir, nicht bezweifeln, dass ein schwerer Körper, der durch eine Höhe von sechs Ellen gefallen ist, die doppelte übertragene Bewegungskraft hat und im Aufprall zur Geltung bringt [perquota], verglichen mit der, die er hatte, nachdem er durch drei Ellen gefallen war, und das Dreifache derjenigen, die er nach zweien hatte, sowie das Sechsfache derjenigen, die er nach einem Raumteil hatte. (15) Salv.  Es beruhigt mich sehr, dass ich in meinem Irrtum einen solchen Begleiter gefunden habe, und ich kann Ihnen s­ agen, Ihre Überlegung hat so viel Plausibilität und Wahrscheinlichkeit für sich, dass selbst unser Autor, als ich ihm dies vortrug, nicht leugnete, für einige Zeit in demselben Irrtum befangen gewesen zu sein. Am meisten aber staunte ich darüber, wie mit vier sehr einfachen Worten zwei Behauptungen nicht nur als falsch, sondern als unmöglich bewiesen wurden, welche so überaus wahrscheinlich sind, dass unter den Vielen, denen ich sie vorgetragen habe, nicht einer zu finden war, der sie mir nicht ohne Weiteres zugegeben hätte. (16) Simp.  Allerdings zähle auch ich mich zu denen, die das zugeben. Dass nämlich ein schwerer fallender Körper vires acquirat eundo [fortlaufend Kräfte gewinnt], während die Geschwindigkeit im Verhältnis zum Raum anwächst, und dass die Wirkung eines solchen aufprallenden Körpers die Doppelte ist, wenn er aus doppelter Höhe kommt, halte ich für Sätze, die man ohne Widerspruch und ohne Meinungsverschiedenheit zugeben kann. (17) Salv.  Und doch sind sie ebenso falsch und unmöglich wie das zeitlose [in un istante] Entstehen von Bewegung, und

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hier haben Sie dazu einen sehr klaren Beweis. Hätten die Geschwindigkeiten dasselbe Verhältnis wie die durchmessenen oder zu durchmessenden Räume, so müssten diese Räume in gleichen Zeiten durchmessen werden, dergestalt, dass die Geschwindigkeit, mit der ein fallender Körper einen Raum von vier Ellen durchmisst, das Doppelte der Geschwindigkeit sein müsste, mit der er die ersten beiden Ellen durchmessen hat (wobei jener Raum das Doppelte dieses Raumes ist); folglich sind die Zeiten beider Durchmessungen einander gleich. Nun könnte aber ein und derselbe bewegte Körper diese vier Ellen und diese zwei nur dann in ein und derselben Zeit durchmessen, wenn es eine zeitlose Bewegung [moto instantaneo] gäbe. Wir sehen aber, dass ein fallender Körper seine Bewegung in der Zeit gewinnt, und dass er davon weniger für zwei Ellen benötigt als für vier. Folglich trifft es nicht zu, dass seine Geschwindigkeit ebenso wie der Raum anwachse. Der andere Satz kann ebenso klar als falsch erkannt werden. Weil nämlich der aufprallende Körper ein und derselbe sein soll, so bestimmt sich der Unterschied und die Wirkung des jeweiligen Aufpralls nur nach dem Unterschied der Geschwindigkeiten. Sollte nun der aufprallende Körper, wenn er aus der doppelten Höhe kommt, einen Stoß mit doppelter Wirkung ausführen, so müsste er mit der doppelten Geschwindigkeit aufprallen. Aber mit doppelter Geschwindigkeit würde er den doppelten Raum in derselben Zeit durchmessen, während wir sehen, dass die Zeit des Falls aus größerer Höhe länger ist. (18) Sagr.  Sie bringen uns Schlussfolgerungen, die bisher unbekannt waren, allzu selbstverständlich und allzu leicht nahe, welche außerordentliche Einfachheit sie von geringerem Wert erscheinen lässt, als wenn sie zunächst kontrovers gewesen wären. Ich denke, dass die Welt Erkenntnisse, die so mühelos errungen wurden, geringer schätzt als jene, um die es langwierige und unverständliche Auseinandersetzungen gibt. (19) Salv.  Diejenigen, die mit großer Leichtigkeit und Klarheit die Fehlerhaftigkeit allgemein in der ganzen Welt für wahr gehaltener Sätze beweisen, könnten es wohl ertragen, wenn anstelle von Beifall nur Verachtung auf sie zurückfiele. Als viel



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unangenehmer und lästiger erweist sich aber eine gewisse andere Haltung, die sich bei einigen einstellt, welche auf demselben Wissensgebiet jedermann zumindest ebenbürtig sein wollen, wenn sie sehen, dass von ihnen errungene und für wahr gehaltene Schlussfolgerungen alsdann von jemand anderem nach kurzer und leichter Überprüfung als falsch aufgedeckt und erklärt werden. Ich will diese Haltung nicht als Neid bezeichnen, der sich im allgemeinen in Hass und Zorn gegen die Entdecker solcher Irrtümer verwandelt, wohl aber bezeichne ich sie als einen Trieb und eine Neigung, alt eingewurzelte Irrtümer weit lieber aufrechtzuerhalten, als zuzulassen, dass neu entdeckte Wahrheiten angenommen werden. Diese Neigung verführt zuweilen dazu, das Gegenteil der Wahrheit zu schreiben, obwohl man diese bei sich selbst durchaus erkannt hat, nur um das Ansehen anderer im Urteil der zahlreichen und wenig einsichtsfähigen Menge zu schmälern. Von solchen fehlerhaften, für wahr gehaltenen, aber durchaus leicht zu widerlegenden Schlussfolgerungen hat mir unser Akademiker nicht wenige mitgeteilt, und einiges davon habe ich auch sorgfältig bewahrt. (20) Sagr.  Sie sollten diese nicht für sich behalten, sondern zu gegebener Zeit offenlegen, auch wenn dazu eine eigene Zusammenkunft notwendig sein sollte. Im jetzigen Zeitpunkt aber nehme ich unseren Faden wieder auf, wobei ich denke, dass wir zuletzt die Definition der gleichförmig beschleunigten Bewegung festgestellt haben, um die es bei den folgenden Überlegungen gehen soll, nämlich diese: Als gleichförmig oder einförmig beschleunigt bezeichnen wir diejenige Bewegung, bei der sich, ausgehend vom Ruhezustand, in gleichen Zeiten gleiche Zuwächse an Schnelligkeit zueinander addieren. (21) Salv.  Auf der Grundlage dieser Definition benötigt unser Autor nur ein einziges Prinzip, das er als wahr annimmt, nämlich dieses: Ich nehme die Geschwindigkeitsgrade ein und desselben Körpers, die er auf verschiedenen geneigten Ebenen gewinnt, dann als gleich an, wenn die Höhen dieser Ebenen gleich sind.

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Er bezeichnet als die Höhe einer geneigten Ebene die Senkrechte, welche vom oberen Ende dieser Ebene auf die horizontale Linie fällt, die durch das untere Ende der geneigten Ebene gezogen wird. Um das zu verstehen, ziehe man eine Linie AB parallel zum Horizont, über welcher die beiden Ebenen CA , CD geneigt sein sollen; der Autor bezeichnet dann die Senkrechte CB , welche auf die Horizontale BA fällt, als die Höhe der Ebenen CA , CD. Dabei nimmt er an, dass die erreichten Geschwindigkeitsgrade ein und desselben Körpers, der fallend die geneigten Ebenen CA , CD durchmisst, in den Endpunkten A , D gleich sein werden, weil in beiden Fällen CB die Höhe ist; und man darf gewiss sein, dass der Geschwindigkeitsgrad desselben Körpers, wenn er vom Punkt C aus fällt, am Endpunkt B ebenso groß sein wird. (22) Sagr.  Diese Annahme scheint mir allerdings so viel Wahrscheinlichkeit für sich zu haben, dass man sie ohne Wider­ spruch zugrunde legen kann, immer vorausgesetzt, dass alle zufälligen und äußeren Hindernisse entfernt sind, dass die Ebenen sehr fest und glatt sind, und dass der Körper eine perfekte Rundung aufweist, sowie, dass die Ebene und der Körper keinerlei Rauhigkeit besitzen. Sind alle Widerstände und Hindernisse beseitigt, so sagt mir die natürliche Vernunft ohne Weiteres, dass eine schwere, vollkommen gerundete Kugel, welche die Strecken CA , CD, CB durchfällt, die Endpunkte A , D, B mit jeweils derselben ihr übertragenen unkörperlichen Bewegungskraft [con impeti eguali] erreichen wird. (23) Salv.  Sie argumentieren mit der großen Wahrscheinlichkeit; ich möchte Ihnen aber, über das Wahrscheinliche hinaus, durch eine Erfahrung die Wahrscheinlichkeit so sehr steigern, dass nur wenig daran fehlen wird, sie einer zwingenden Beweisführung gleich zu erachten. Stellen Sie sich vor, dieses Blatt wäre eine auf der Horizontale errichtete Wand, und an einem daran befestigten Nagel hinge eine Bleikugel von einer oder zwei Unzen an dem dünnen Faden AB von zwei oder drei Ellen Länge,



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senkrecht zum Horizont. Zeichnen Sie auf die Wand die horizontale Linie DC , rechtwinklig dazu das Lot AB, welches von der Wand zwei oder drei Fingerbreit entfernt sein soll. Bringen A

E D

G

J

C F B

Sie nun den Faden AB mit der Kugel nach AC und lassen Sie diese Kugel frei. Sie werden dann sehen, wie diese zuerst im Fallen den Bogen CBD beschreibt und alsdann derart den Endpunkt B durchläuft, dass sie auf dem Weg durch den Bogen BD fast bis zu der gezeichneten Parallele CD aufsteigt, von der sie nur um ein äußerst kleines Stückchen zurückbleibt, weil der Widerstand der Luft und des Fadens sie hindert, genau bis dorthin zu kommen. Hieraus können wir tatsächlich folgern, dass die unkörperliche Kraft, welche die Kugel beim Fallen durch den Bogen CB im Punkt B angenommen hat, groß genug ist, um zu bewirken, dass sie durch einen entsprechenden Bogen BD zur selben Höhe gestoßen wird. Nachdem diese Erfahrung gemacht und mehrfach wiederholt wurde, wollen wir nun an der Wand nahe bei dem Lot AB einen Nagel anbringen, etwa in E oder auch in F, der fünf oder sechs Fingerbreit herausragt, und zwar so, dass der Faden AC , wenn er wie zuvor die Kugel durch den Bogen CB zurückführt, sobald diese in B angekommen ist, am Nagel E aufgehalten und gezwungen wird, den um den Mittelpunkt E beschriebenen Umkreis BG zu durchlaufen. Hieran sehen wir, was die besagte unkörperliche Kraft, welche kurz vorher, bis zum nämlichen Endpunkt B gewonnen wurde, bewirken kann, um den besagten Körper durch den Bogen BD zur Höhe der Horizontale CD emporzustoßen. Jetzt, meine Herren, werden Sie gerne sehen, wie die Kugel die Horizontale im Punkt

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G erreicht, und dasselbe geschieht, wenn die Blockierung etwas tiefer stattfindet, etwa in F, wo die Kugel den Bogen BJ beschreiben wird, wobei sie stets genau bis zur Linie CD hochsteigen

wird. Wenn aber die Blockierung durch einen Nagel so weit unten stattfindet, dass die darunter liegende Fadenlänge nicht hinreicht, um zur Höhe CD zu gelangen (was dann der Fall wäre, wenn [der Nagel] dem Punkt B näher wäre als dem Schnittpunkt von AB mit der Horizontale CD), so wird der Faden auf dem Nagel aufsitzen und ihn umwickeln. Diese Beobachtung lässt keinen Zweifel an der Wahrheit der Annahme, dass nämlich, da die beiden Bögen CB , DB gleich sind und gleichsinnig liegen, die im Fallen durch den Bogen CB gewonnene Kraft dieselbe ist wie nach dem Fall durch den Bogen DB. Aber die durch den Bogen CB in B gewonnene Kraft kann denselben Körper durch den Bogen BD emporstoßen. Daher ist auch die beim Fallen durch DB gewonnene Kraft gleich derjenigen, welche denselben Körper durch denselben Bogen von B nach D befördert, so dass, allgemein gesagt, jede beim Fallen durch einen Bogen gewonnene Kraft gleich derjenigen ist, welche denselben Körper durch denselben Bogen nach oben befördern könnte. Nun sind aber alle bewegenden Kräfte, die den Aufstieg durch alle Bögen BD, BG, BJ bewirken, einander gleich, denn sie ergeben sich als eben die Kraft, welche beim Fallen durch CB gewonnen wird, was die Erfahrung beweist. Folglich sind alle Kraftmomente, die beim Fallen durch die Bögen DB, GB, JB gewonnen werden, einander gleich. (24) Sagr.  Ich finde diese Darstellung überaus zutreffend, und die Erfahrung ist so gut geeignet, die Wahrheit der Annahme nachzuweisen, dass diese so akzeptiert zu werden verdient, wie wenn sie bewiesen worden wäre. (25) Salv.  Herr Sagredo, ich möchte, dass wir hier nicht mehr als nötig hineinlegen, und insbesondere, dass wir diese Annahme vornehmlich bei Bewegungen verwenden, welche längs ebener Oberflächen stattfinden, nicht bei gekrümmten, bei denen die Beschleunigung in einer Weise stattfindet, die sich sehr vom dem unterscheidet, was wir annehmen, wenn sie längs ebener Flächen



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auftritt. Das heißt also, dass wir, obwohl uns die hier herangezogene Erfahrung zeigt, dass beim Fallen durch den Bogen CB dem Körper eine Kraft mitgeteilt wird, welche ihn durch jeden beliebigen Bogen BD, BG, BJ auf dieselbe Höhe zurückführen kann, nicht mit derselben Evidenz nachweisen können, dass dasselbe stattfinden würde, wenn man eine vollkommene Kugel auf ebenen Flächen hinabrollen ließe, deren Neigung dieselbe ist wie die der Sehnen der besagten Bögen. Vielmehr ist glaubhaft, dass die durch eine dem Bogen CB entsprechende Neigung herabgerollte Kugel, da diese ebenen Flächen beim Endpunkt B Winkel bilden, durch die gemäß den Bögen BD, BG, BJ ansteigenden ebenen Flächen abgebremst würde, so dass sie beim Anstoß an ihnen etwas von ihrer Bewegungskraft verlieren würde und im Ansteigen nicht mehr bis zur Höhe der Linie CD gelangen könnte. Würde das Hindernis aber beseitigt, welches dieses Experiment beeinflusst, so wäre, denke ich, wohl einzusehen, dass die unkörperliche übertragene Bewegungskraft (die in der Tat ihre Stärke aus dem Maß der Fallhöhe gewinnt) in der Lage wäre, den Körper auf eben diese Höhe zurückzubefördern. Nehmen wir das also vorerst als eine Voraussetzung an, deren absolute Wahrheit dann bestätigt werden wird, wenn sich zeigt, dass weitere Ergebnisse, denen dieselbe Hypothese zugrunde liegt, der Erfahrung entsprechen und vollkommen mit ihr übereinstimmen. Unter Voraussetzung einzig dieses Prinzips geht der Autor zu Lehrsätzen über, die er schlüssig beweist, und deren erster ist der Folgende:

THEOREM I , LEHRSATZ I Die Zeit, in der ein Körper bei gleichförmig beschleunigter Bewegung von der Ruhelage aus einen beliebigen Raum durchmisst, ist gleich der Zeit, in welcher derselbe Raum von demselben Körper in einer gleichförmigen Bewegung durchmessen würde, deren Geschwindigkeitsgrad die Hälfte des höchsten und letzten Grades der Geschwindigkeit der vorherigen, gleichförmig beschleunigten Bewegung ist. Die Strecke AB stelle die Zeit dar, in der ein Körper bei gleichförmiger Beschleunigung von dem Ruhepunkt C aus den Raum

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CD beschreibt. Der äußerste und letzte Grad der durch die Teile der Zeit AB angesammelten Geschwindigkeit werde durch EB dargestellt und entsprechend über AB aufgetragen. Nun verbinde man AE , so dass alle Strecken, die von den einzelnen Punkten der Strecke AB in gleichen Abständen von BE C gezogen werden, die vom Zeitteil A aus anG A

wachsenden Geschwindigkeitsgrade darstellen. Teilt man alsdann BE hälftig in F und zieht die Parallelen FG, AG zu BA , BF, so wird sich das Parallelogramm AGFB ergeben, das dem Dreieck AEB gleich ist, da AE durch seine Seite J GF in J hälftig geteilt wird. Wenn nun die Parallelen im Dreieck AEB bis nach JG verlängert werden, so wird die Gesamtheit aller innerhalb der vier Seiten enthaltenen Parallelen der Gesamtheit aller im Dreieck AEB enthaltenen E F B gleich sein. Denn was in dem Dreieck JEF enthalten ist, ist gleich dem Inhalt des Dreiecks D GJA , während die im Trapez AJFB beiden gemeinsam sind. Und weil den einzelnen und allen Teilen der Zeit AB die einzelnen und alle Punkte der Strecke AB entsprechen, wobei die von hier aus gezogenen Parallelen im Dreieck AEB insgesamt die anwachsenden Grade der angewachsenen Geschwindigkeit darstellen, so werden die im Parallelogramm enthaltenen Parallelen in gleicher Weise ebenso viele Grade nicht angewachsener, sondern gleichförmiger Geschwindigkeit darstellen. Es zeigt sich, dass bei der beschleunigten Bewegung ebenso viele Geschwindigkeitsteile entsprechend den anwachsenden Parallelen im Dreieck AEB durchlaufen werden wie bei gleichförmiger Bewegung entsprechend den Parallelen im Parallelogramm GB . Was nämlich in der ersten Hälfte der beschleunigten Bewegung an Teilen fehlt (denn es fehlen die von den Parallelen im Dreieck AGJ dargestellten Teile), das wird durch die Teile ausgeglichen, die von den Parallelen im Dreieck JEF dargestellt werden. Also folgt, dass die von zwei Körpern in derselben Zeit durchlaufenen Räume gleich sein werden, wenn der eine von ihnen sich von



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der Ruhe aus gleichförmig beschleunigt bewegt, der andere aber gleichförmig mit der Hälfte des höchsten Geschwindigkeitsgrades der beschleunigten Bewegung, was zu beweisen war.

THEOREM II, LEHRSATZ II Wenn irgendein Körper von der Ruhelage aus gleichförmig beschleunigt fällt, so stehen die in beliebigen Zeiten von ihm durchmessenen Räume zueinander im doppelten Verhältnis ihrer Zeiten, d. h. [sie verhalten sich] wie die Quadrate ihrer Zeiten. Der Fluss der Zeit von irgendeinem ersten Augenblick A an werde durch die Strecke AB bezeichnet, auf welcher zwei beliebige Zeiten AD, AE angenommen werden, und HJ sei die Strecke, auf welcher der Körper vom Punkt H als dem allerersten Anfangspunkt der Bewegung ausgehend gleichförmig beschleunigt nach unten absteigt, HL aber sei der in der ersten A H Zeit AD durchmessene Raum, während HM der L Raum sei, der in der Zeit AE durchmessen wird. D O Ich behaupte, dass das Verhältnis des Raumes MH E P M zum Raum HL das Doppelte des Verhältnisses ist, F in dem die Zeit EA zur Zeit AD steht, oder, anders gesagt, dass die Räume MH, HL zueinander G dasselbe Verhältnis haben wie die Quadrate EA , AD. Man ziehe die Linie AC in einem beliebigen N Winkel zu AB . Von den Punkten D, E seien die Parallelen DO, EP gezogen; so wird DO den höchsten Grad der im Augenblick D durch die Zeit AD gewonnenen Geschwindigkeit darstellen, PE aber den höchsten Grad der im Augenblick E in der Zeit AE gewonnenen Geschwindigkeit. Weil aber oben bereits bewiesen wurde, dass, was die durchmesC B J senen Räume angeht, diejenigen untereinander gleich sind, die der Körper einerseits bei von der Ruhe aus gleichförmig beschleunigter Bewegung, andererseits und in derselben Zeit bei einer gleichförmigen Bewegung vollzieht, deren Geschwindigkeit die Hälfte der bei beschleunigter Bewegung erreichten Maximalgeschwindigkeit ist,

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so steht fest, dass die Räume MH , LH diejenigen sind, welche bei gleichförmigen Bewegungen, deren Geschwindigkeiten sich verhalten wie die Hälften von PE , OD, in den Zeiten EA , DA beschrieben würden. Wenn also gezeigt werden könnte, dass diese Räume MH, LH im doppelten Verhältnis der Zeiten EA , DA stehen, so wäre die Behauptung bewiesen. Nun ist aber im vierten Lehrsatz des ersten Buches [über die gleichförmige Bewegung, oben] bewiesen worden, dass die von einem gleichförmig bewegten Körper durchmessenen Räume zueinander ein Verhältnis haben, welches aus dem Verhältnis der Geschwindigkeiten und dem Verhältnis der Zeiten zusammengesetzt ist. Hier jedoch verhalten sich die Geschwindigkeiten ebenso, wie die Zeiten sich verhalten (denn das Verhältnis der Hälfte von PE zur Hälfte von OD oder des ganzen PE zum ganzen OD ist dasselbe wie das von AE zu AD); also stehen die durchmessenen Räume im doppelten Verhältnis der Zeiten, was zu beweisen war. Hieraus folgt aber, dass das Verhältnis dieser Räume zueinander das Doppelte des Verhältnisses der höchsten Geschwindigkeitsgrade ist, nämlich der Strecken PE , OD, weil PE sich zu OD ebenso verhält wie EA zu DA . ZUSATZ I

Hiernach steht fest, dass dann, wenn vom ersten Augenblick oder vom Beginn der Bewegung an gleiche Zeiten aufeinanderfolgen, wie viele auch immer, angenommen AD, DE , EF, FG , in denen die Räume HL , LM , MN , NJ durchmessen werden, sich diese Räume zueinander ebenso verhalten werden wie die ungleichen Zahlen von der Einheit an, nämlich wie 1, 3, 5, 7, denn so verhalten sich die Zuwächse der Quadrate der Strecken, die gleichmäßig übereinander hinauswachsen, und deren Zuwachs gleich der kleinsten von ihnen ist, oder sagen wir: [so verhalten sich] die von der Einheit aus aufeinanderfolgenden Quadrate. Während also die Geschwindigkeitsgrade in gleichen Zeiten gemäß der einfachen Zahlenreihe anwachsen, nehmen die Zuwächse der in denselben Zeiten durchmessenen Räume von der Einheit aus gemäß der Reihe der ungleichen Zahlen zu.



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(26) Sagr.  Ich bitte um eine kurze Unterbrechung der Lektüre, damit ich zu einem bestimmten Gedanken einen gewissen Einfall vorbringen kann, der mir gerade gekommen ist, und den ich zu meinem und Ihrem besseren Verständnis mit einer kleinen Zeichnung erläutern will. Ich bezeichne mit der Strecke AJ den Verlauf der Zeit vom ersten Augenblick in A an; alsdann füge ich in A unter einem beliebigen Winkel die Gerade AF an, und, indem ich die Endpunkte J, F verbinde, teile ich die Zeit AJ in der Mitte bei C und ziehe CB parallel zu JF. Indem ich nun CB als den höchsten Geschwindigkeitsgrad betrachte, der, beginnend D A von der Ruhe im ersten Augenblick A der Zeit an, gemäß dem bis zum Dreieck ABC verlängert reichenden Zuwachs der Parallelen zu BC angewachsen ist (d. h. angewachsen ist E C B wie die Zeit), nehme ich aufgrund der bisherigen Darlegungen ohne Weiteres an, dass der von einem fallenden Körper mit der während dieN G H J F ser Bewegung angewachsenen Geschwindigkeit durchmessene Raum jenem Raum gleich sein müsste, welchen derselbe Körper durchmessen würde, wenn er während derselben Zeit AC gleichförmig bewegt worden P R Q O wäre, sofern der Geschwindigkeitsgrad gleich EC wäre, die Hälfte von BC . Ich gehe nun weiter und stelle mir vor, dass der mit beschleunigter Bewegung gefallene Körper im Augenblick C den Geschwindigkeitsgrad BC haben wird. Dann ist klar, dass er dann, wenn er seine Bewegung ohne weitere Beschleunigung mit demselben Geschwindigkeitsgrad BC fortsetzen würde, in der nächstfolgenden Zeit CJ einen Raum durchmessen würde, welcher das Doppelte dessen ist, den er in derselben Zeit AC mit dem gleichbleibenden Geschwindigkeitsgrad EC , der Hälfte des Grades BC , durchmessen hätte. Weil aber der Körper mit einer in allen gleichen Zeiten gleichförmig

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anwachsenden Geschwindigkeit fällt, so werden diesem Grad CB in der folgenden Zeit CJ eben die Teile der zunehmenden Geschwindigkeit anwachsen, die den Parallelen des Dreiecks BFG entsprechen, welches dem Dreieck ABC gleich ist. Also werden wir, wenn zum Geschwindigkeitsgrad GJ die Hälfte des Grades FG hinzukommt, was das in beschleunigter Bewegung erreichte und durch die Parallelen des Dreiecks BFG bestimmte Maximum ist, jenen Geschwindigkeitsgrad JN haben, mit welchem eine gleichförmige Bewegung während der Zeit CJ stattgefunden haben würde; und weil dieser Grad JN das Dreifache des Grades EC ist, so ergibt sich überzeugend, dass der in der zweiten Zeit CJ durchmessene Raum das Dreifache des in der ersten Zeit CA durchmessenen sein muss. Stellen wir uns nun vor, es werde zu AJ ein weiterer gleicher Teil JO der Zeit hinzugefügt, und das Dreieck werde bis zu APO hin vergrößert, so steht fest, falls die Bewegung durch die ganze Zeit JO mit dem Geschwindigkeitsgrad JF anhielte, den sie in beschleunigter Bewegung durch die Zeit AJ angenommen hat, und da der besagte Grad JF das Vierfache von EC ist, dass der in der Zeit JO durchmessene Raum das Vierfache dessen sein muss, was in der gleichen ersten Zeit AC durchmessen wurde. Setzt sich aber die Zunahme der gleichförmigen Beschleunigung im Dreieck FPQ ebenso wie im Dreieck ABC weiter fort, was bei Reduzierung auf eine gleichförmige Bewegung einen Grad gleich EC hinzufügen würde, und wird der Zuwachs QR gleich EC hinzugefügt, so haben wir die gesamte während der Zeit JO gleichförmig stattfindende Geschwindigkeit als das Fünffache der gleichförmigen in der ersten Zeit AC , und folglich ist der durchmessene Raum das Fünffache des in der ersten Zeit AC durchmessenen. Man sieht daher auch bei dieser einfachen Überlegung, dass die Räume, welche in gleichen Zeiten von einem Körper durchmessen werden, der vom Ruhezustand aus Geschwindigkeiten in Übereinstimmung mit dem Anwachsen der Zeit gewonnen hat, sich zueinander verhalten wie die ungleichen Zahlen von der Einheit aus, 1, 3, 5; und nimmt man die durchmessenen Räume zusammen, so wird dies in doppelter Zeit das Vierfache dessen sein, was in der halben Zeit durchmessen



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wurde, und in der dreifachen Zeit das Neunfache, und insgesamt werden die durchmessenen Räume im doppelten Verhältnis der Zeiten stehen, d. h. sie verhalten sich wie Quadrate dieser Zeiten. (27) Simp.  Offen gesagt hat mir diese einfache und klare Überlegung von Herrn Sagredo besser gefallen als die für mich etwas undurchsichtigere Beweisführung des Autors, so dass ich nun besser verstehe, dass die Sache so behandelt werden muss, sobald man die Definition der gleichförmig beschleunigten Bewegung aufgestellt und angenommen hat. Dass aber die Natur sich bei der Bewegung ihrer fallenden schweren Körper eben dieser Beschleunigung bedient, bezweifle ich vorerst immer noch. Damit ich und andere, die mir ähnlich sind, das einsehen, würde es mir an dieser Stelle passend erscheinen, dass Sie einige Erfahrungen beisteuern, von denen es, wie Sie sagten, viele gibt, welche in verschiedenen Fällen mit den bewiesenen Schlussfolgerungen übereinstimmen. (28) Salv.  Sie erheben als wahrer Wissenschaftler eine sehr vernünftige Forderung, und so ist es üblicherweise in den Wissenschaften Sitte, welche auf natürliche Schlussfolgerungen mathematische Beweisführungen anwenden, wie man es bei denen findet, die sich mit der Perspektive auskennen, bei den Astronomen, den Mechanikern, den Musikern und anderen, welche ihre Prinzipien, auf die sich das gesamte nachfolgende Gebäude stützt, durch sinnliche Erfahrungen absichern. Deshalb möchte es mir hier nicht überflüssig erscheinen, dass wir diesen ersten und wichtigsten Grundsatz mit aller Ausführlichkeit behandeln, auf den sich ein unermessliches System mit unendlich vielen Schlussfolgerungen gründet, von denen wir hier in diesem Buch nur einen kleinen Teil vorliegen haben, die der Autor vorstellt, der eine Menge unternommen hat, um den Eingang und das Tor zu öffnen, welches den forschenden Geistern [ingegni specolativi] bisher verschlossen war. Was also die Erfahrungen betrifft, so hat der Autor diese nicht zu machen versäumt, und um sicher zu sein, dass die Beschleunigung natürlich fallender Körper der oben gezeigten Proportion folgt, habe ich das viele Male zusammen mit ihm folgendermaßen bewiesen.

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Auf einem Lineal oder meinetwegen einer hölzernen Latte von etwa 12 Ellen Länge, eine halbe Elle breit und drei Fingerbreit stark, war der Länge nach in die Seite geringer Stärke eine kleine Rinne eingegraben, etwas breiter als einen Finger. Diese war sehr genau geradeaus gerichtet und war, damit sie möglichst glatt und schlüpfrig sei, innen mit einem so gut wie möglich geglätteten und polierten Stück Pergament beklebt, so dass man darin eine sehr harte, bestens gerundete und geglättete Bronze­ kugel herabrollen lassen konnte, nachdem man dieses Lineal durch Anheben eines seiner Enden um beliebig eine oder zwei Ellen über die Horizontale abschüssig gemacht hatte. Ließ man nun (wie gesagt) die Kugel durch den nämlichen Kanal herabrollen und notierte dabei (ich werde gleich sagen wie) die Zeit, welche sie für den ganzen Lauf benötigte, und wiederholte man diesen Vorgang viele Male, um das Maß der Zeit sicher festzustellen, so ergab sich kein Unterschied auch nur von einem Zehntel eines Pulsschlags. Nachdem diese Vorrichtung hergestellt und genau ausgerichtet war, ließen wir die besagte Kugel nur über ein Viertel der Länge des Kanals herabrollen. Maßen wir die Zeit des Herabrollens, so ergab sich, dass diese stets genauestens die Hälfte der anderen war. Machten wir dann den Versuch mit anderen Teilstrecken, wobei wir nun die Zeit über die ganze Länge mit der Zeit über die halbe, oder mit der über zwei Drittel, oder über ¾, oder schließlich über beliebige andere Teilstrecken verglichen, so fand sich bei diesen wohl hundertmal wiederholten Versuchen stets, dass die durchlaufenen Räume sich zueinander verhielten wie die Quadrate der Zeiten, und zwar bei allen Neigungen der Ebene, d. h. des Kanals, in dem die Kugel herabrollte, wobei wir auch beobachteten, dass die Zeiten des Herabrollens bei verschiedenen Neigungen exakt dasjenige Verhältnis zueinander einhielten, welches wir weiter unten vom Autor bestimmt und bewiesen finden werden. Was aber die Messung der Zeit betrifft, so benützten wir einen großen Eimer voll mit Wasser, der oben befestigt war, aus dem durch ein kleines, am Boden angebrachtes Röhrchen ein feiner Wasserstrahl floss, der in einem kleinen Becher aufgefangen wurde, solange die Kugel durch den



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Kanal oder durch Teilstrecken davon rollte. Die so gesammelten kleinen Wassermengen wurden alsdann jedesmal mit einer Präzisionswaage gewogen, und die Unterschiede und Verhältnisse dieser Gewichte ergaben die Unterschiede und Verhältnisse der Zeiten, und zwar mit solcher Genauigkeit, dass, wie ich schon sagte, diese viele Male wiederholten Experimente niemals um ein Merkliches voneinander abwichen. (29) Simp.  Es wäre mir ein großes Vergnügen gewesen, bei diesen Versuchen anwesend zu sein. Da ich mir aber Ihrer Sorgfalt bei deren Ausführung und der Vertrauenswürdigkeit Ihres Berichts darüber völlig sicher bin, so bin ich ganz zufrieden und nehme sie als völlig gesichert und wahr an. (30) Salv.  Dann können wir also unsere Lektüre wieder aufnehmen und weitergehen.

ZUSATZ II Es folgt als Zweites, dass dann, wenn man vom Beginn der Bewegung an zwei beliebige Räume nimmt, die in beliebigen Zeiten durchmessen werden, die jeweiligen Zeiten sich zueinander ebenso verhalten, wie jede einzelne von ihnen sich zu dem S Raum verhält, den die mittlere Proportionale zwischen beiden darstellt. Nimmt man nämlich vom Beginn der Bewegung bei S die beiden Räume ST, SV, deren mittlere Proportionale SX sein soll, so verhält sich die Fallzeit durch ST zur Fallzeit durch SV ebenso wie ST zu SX , oder anders T gesagt, die Zeit durch SV verhält sich zur Zeit durch ST X ebenso wie VS zu SX . Denn es ist bewiesen worden, dass die durchmessenen Räume im doppelten Verhältnis der Zeiten stehen, oder (was dasselbe ist), dass sie sich verhalten wie Y die Quadrate der Zeiten. Ist aber das Verhältnis des Raumes VS zum Raum ST das Doppelte des Verhältnisses von VS zu SX , oder ist es dasselbe wie das der Quadrate VS , SX , so folgt, dass das Verhältnis der Zeiten der Bewegungen durch SV, ST dasselbe ist wie dasjenige der Räume, d. h. der Strecken, VS , SX .

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SCHOLIUM Was aber für die Bewegung in senkrecht durchmessenen Räumen bewiesen worden ist, ergibt sich auch auf dieselbe Weise über beliebig geneigte Ebenen. Denn hier wird angenommen, dass die Grade der Beschleunigung sich in demselben Verhältnis vermehren, nämlich gemäß den Zuwächsen der Zeit, oder sagen wir: gemäß der natürlichen und ersten Reihe der Zahlen. THEOREM III, LEHRSATZ III Wenn ein und derselbe Körper aus der Ruhelage über eine geneigte Ebene und in einer Senkrechte bewegt wird, wobei die Höhen einander gleich sind, so verhalten sich die Zeiten der Bewegungen zueinander ebenso wie die Längen dieser Ebene und der Senkrechte. Die geneigte Ebene sei AC und die Senkrechte AB , die beide dieselbe Höhe über der Horizontale CB haben sollen, d. h. dieselbe Strecke BA . Ich behaupte, dass die Zeit, in der dieser Körper die Ebene AC absteigend durchläuft, sich zur Zeit des senkrechten Falls durch AB ebenso verhält wie die Länge der Ebene AC zur Länge der besagten Senkrechte AB . Stellt man sich nämlich beliebige Strecken DG, EJ , FL parallel zur Horizontale vor, so steht nach dem Obigen fest, dass die Geschwindigkeitsgrade des von A aus bewegten Körpers, die er vom ersten Anbeginn der Bewegung bis zu den Punkten G, D angenommen hat, einander gleich sind, weil ihre Entfernungen von der Horizontale gleich sind. Entsprechend sind die Grade in den Punkten J, E dieselben, und auch die Grade in L und F. Wenn nun nicht nur alle diese, sondern Parallelen betrachtet werden, die von allen Punkten der Strecke AB bis zur Strecke AC verlaufen, so werden die Momente oder die Geschwindigkeitsgrade an den Endpunkten der einzelnen Par­ allelen immer einander gleich sein. Daher werden die beiden Räume AC , AB mit denselben Geschwindigkeitsgraden durch-



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laufen. Nun ist aber bewiesen worden, dass dann, wenn zwei Räume von einem Körper mit denselben Geschwindigkeitsgraden durchmessen werden, die Zeiten dieser Bewegungen sich ebenso zueinander verhalten wie diese Räume. Folglich verhält sich die Zeit der Bewegung durch AC zur Zeit durch AB wie die Länge der Ebene AC zur Länge der Senkrechte AB , was zu beweisen war. (31) Sagr.  Mir scheint, man könnte ebenso klar, aber in aller Kürze zu diesem Schluss kommen, da schon festgestellt worden ist, dass die Summe der beschleunigten Bewegung bei dem Durchlaufen von AC , AB dieselbe ist wie die gleichförmige Bewegung, deren Geschwindigkeitsgrad die Hälfte des Maximums CB ist. Werden also die beiden Räume AC , AB mit derselben gleichförmigen Geschwindigkeit durchmessen, so folgt schon aus dem ersten Lehrsatz des ersten [Buches], dass sich die Zeiten der Durchläufe zueinander ebenso verhalten wie diese Räume.

ZUSATZ Hieraus ergibt sich, dass die Zeiten des Absteigens über verschieden geneigte Ebenen, deren Höhen dieselben sind, sich zueinander verhalten wie deren Längen. Stellt man sich nämlich eine weitere Ebene AM von A aus bis zum selben Horizont CB reichend vor, dann erweist sich ebenso, dass sich die Zeit des Absteigens durch AM zur Zeit durch AB verhält wie die Strecke AM zu AB . Wie aber die Zeit AB sich zur Zeit durch AC verhält, so verhält sich die Strecke AB zu AC ; also verhält sich entsprechend die Zeit durch AM zur Zeit durch AC ebenso wie AM zu AC . THEOREM IV, LEHRSATZ IV Die Zeiten von Bewegungen über gleiche, aber ungleich geneigte Ebenen verhalten sich umgekehrt ebenso wie die Quadratwurzeln aus den Höhen dieser Ebenen. Von demselben Endpunkt B aus seien BA , BC zwei gleiche, aber ungleich geneigte Ebenen. Zieht man nun die horizontalen Linien AE , CD hin zu der Senkrechte BD, so dass die Ebene BA die Höhe BE und die Ebene BC die Höhe BD haben soll, und dass

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BJ die mittlere Proportionale dieser Höhen DB, BE ist, so ergibt sich, dass DB sich zu BJ ebenso verhält wie die Quadratwurzel aus dem Verhältnis von DB zu BE . Ich behaupte nun, dass sich

die Zeiten der Abstiege oder Abwärtsbewegungen über die Ebenen BA , BC , vertauscht genommen, ebenso verhalten wie DB zu BJ , weil nämlich der Zeit über BA die Höhe der einen Ebene BC zugehört, also BD, während BJ der Zeit über BC zugehört. Nun ist zu beweisen, dass sich die Zeit über BA zur Zeit über BC ebenso verhält wie DB zu BJ . Man ziehe JS in gleichem Abstand von DC . Weil schon bewiesen wurde, dass die Zeit des Absteigens über BA sich zur Zeit des Falles durch die Senkrechte BE ebenso verhält wie BA zu BE , deshalb verhält sich die Zeit über BE zur Zeit über BD wie BE zu BJ , und ebenso verhält sich die Zeit über BD zur Zeit über BC wie BD zu BC , d. h. wie BJ zu BS , und folglich wird sich entsprechend die Zeit über BA zur Zeit über BC verhalten wie BA zu BS , d. h. wie CB zu BS . Nun verhält sich aber CB zu BS wie DB zu BJ , so dass die Behauptung bestätigt ist.

THEOREM V, LEHRSATZ V Das Verhältnis der Zeiten des Absteigens über Ebenen, deren Neigungen und Längen sich voneinander unterscheiden, und deren Höhen ebenfalls ungleich sind, setzt sich zusammen aus dem Verhältnis der Längen dieser Ebenen und aus dem Verhältnis der Quadratwurzeln aus ihren Höhen, vertauscht genommen. AB , AC seien unterschiedlich geneigte Ebenen, deren Längen ungleich sein sollen, mit ebenfalls ungleichen Höhen. Ich behaupte, dass das Verhältnis der Zeit des Absteigens über AC zur Zeit über AB aus dem Verhältnis von AC zu AB und aus den vertauscht genommenen Quadratwurzeln ihrer Höhen zusammengesetzt ist. Zieht man nämlich die Senkrechte AD, welche die Horizontalen BG, CD schneidet, und die mittlere [Proportionale] zwischen den Höhen DA , AG sei AL , und eine von L



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parallel zur Horizontale gezogene Linie schneide die Ebene AC in F, so wird auch AF die Mittlere zwischen CA , AE sein. Weil nun die Zeit über AC sich zur Zeit über AE ebenso verhält wie die Strecke FA zu AE , so verhält sich auch die Zeit über AE zur Zeit über AB wie AE zu AB . Offensichtlich ist die Zeit über AC zur Zeit über AB wie AF zu AB . Daher muss nur noch bewiesen werden, dass das Verhältnis von AF zu AB sich aus dem Verhältnis CA zu AB und dem Verhältnis GA zu AL zusammensetzt, welches das Verhältnis der Quadratwurzeln aus den umgekehrt genommenen Höhen DA , AG ist. Das wird aber klar, wenn man CA zwischen FA , AB annimmt; denn das Verhältnis von FA zu AC ist dasselbe wie das Verhältnis von LA zu AD, oder von GA zu AL , welches das Verhältnis der Quadratwurzeln aus den Höhen GA , AD ist. Aber das Verhältnis CA zu AB ist gleich dem der Längen; also ist die Behauptung bewiesen.

THEOREM VI, LEHRSATZ VI Werden vom obersten oder untersten Punkt eines über der Horizontale errichteten Kreises beliebige geneigte Ebenen an den Umkreis gezogen, so werden die Zeiten des Absteigens über diese einander gleich sein. Gegeben sei ein über dem Horizont GH errichteter Kreis, dessen Durchmesser FA über dem untersten Punkt, d. h. über dem Berührungspunkt mit der Horizontale errichtet ist, und vom höchsten Punkt A erstrecken sich beliebige geneigte Ebenen AB, AC bis zum Umkreis. Ich behaupte, dass die Zeiten des Absteigens über diese einander gleich sind. Man ziehe BD, CE rechtwinklig zum Durchmesser, und die mittlere Proportionale zwischen den Höhen EA , AD der Ebenen sei AJ . Weil nun die Rechtecke FAE , FAD den Quadraten über AC , AB gleich sind, und weil das Rechteck FAE sich zum Rechteck FAD ebenso verhält wie EA zu AD, so verhält sich auch die Strecke EA zur Strecke AD wie das Quadrat CA zum Quadrat AB . Nun verhält

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sich aber wie die Strecke EA zu DA so auch das Quadrat JA zum Quadrat AD, und folglich verhalten sich die Quadrate über den Strecken CA , AB zueinander wie die Quadrate über den Strecken JA , AD, und daher verhält A sich wie die Strecke CA zu AB so auch JA zu AD. Im VoranstehenB D den ist aber bewiesen worden, J dass das Verhältnis der Zeit des Absteigens über AC zur Zeit des C E Absteigens über AB sich aus den Verhältnissen CA zu AB und DA zu AJ zusammensetzt, was dasselbe ist wie das Verhältnis BA zu AC . Folglich setzt sich das VerG F H hältnis der Zeit des Absteigens über AC zur Zeit des Absteigens über AB aus den Verhältnissen CA zu AB und BA zu AC zusammen. Daher ist das Verhältnis eben dieser Zeiten zueinander das der Gleichheit; damit ist die Behauptung bestätigt. Dasselbe lässt sich auf andere Weise aus der Mechanik beweisen, weil natürlich, wie in der folgenden Zeichnung, ein Körper [die Strecken] CA , DA in gleichen Zeiten durchläuft. Nimmt man nämlich BA gleich besagtem DA und zieht man die Senkrechten BE , DF, so steht nach den mechanischen C Elementarsätzen fest, dass sich H B das Moment eines Gewichtes auf J L G D der aufwärts verlaufenden Strecke ABC zu seinem gesamten A EF Moment ebenso verhält wie BE zu BA , und das Moment desselben Gewichts auf AD verhält sich zu seinem gesamten Moment wie DF zu DA oder BA . Folglich verhält sich das Moment desselben Gewichts auf eine gemäß DA geneigte Ebene zu dem Moment auf eine Neigung gemäß ABC



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wie die Strecke DF zu der Strecke BE , weshalb die Räume, welche dasselbe Gewicht in gleichen Zeiten auf den Neigungen CA , DA durchläuft, sich nach dem zweiten Lehrsatz des ersten Buches zueinander ebenso verhalten wie die Strecken BE , DF. Und in der Tat lässt sich beweisen, dass AC sich zu DA ebenso verhält wie BE zu DF, und folglich wird derselbe Körper in gleichen Zeiten die Strecken CA , DA beschreiben. Dass aber CA sich zu DA ebenso verhält wie BE zu DF, wird folgendermaßen bewiesen: Man verbinde CD und ziehe durch D und B jeweils parallel zu AF die Strecke DGL , welche CA im Punkt J schneidet, und [die Strecke] BH . Alsdann wird der Winkel ADJ gleich dem Winkel DCA sein, da sie auf den einander gleichen Bögen LA , AD stehen, und DAC ist der gemeinsame Winkel. Folglich werden die Seiten der gleichwinkligen Dreiecke CAD, DAJ, die gleiche Winkel einschließen, zueinander proportional sein, und wie CA zu DA , so verhält sich DA zu AJ, d. h. BA zu AJ , oder auch HA zu AG , d. h. BE zu DF, was zu beweisen war. Anders und einfacher lässt sich das so beweisen: Über der Horizontale AB werde ein Kreis errichtet, dessen Durchmesser CD senkrecht auf der Horizontale steht. Vom oberen Endpunkt D neige sich eine D beliebige Ebene DF bis zum Kreisumfang. Ich behaupte, dass sich der Abstieg ein und desselben Körpers über die Ebene DF G und der Fall durch den Durch- F messer DC in gleichen Zeiten ereignen. Zieht man nämlich E H die Linie FG parallel zur Horizontale, so dass sie rechtwinklig auf den Durchmesser DC trifft, A C B und verbindet man FC , so wird, weil die Zeit des Falles durch DC sich zur Zeit des Falles durch DG verhält wie die mittlere Proportionale zwischen CD, DG zu DG selbst, und weil diese Mittlere zwischen CD, DG angesichts des rechten Winkels DFC über dem Halbkreis und des rechten

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Winkels von FG mit DC eben DF ist, die Zeit des Falles durch DC zur Zeit des Falles durch DG sich ebenso verhalten wie die Strecke FD zu DG . Weil aber bereits bewiesen wurde, dass die Zeit des Absteigens durch DF sich zur Zeit des Absteigens durch DG ebenso verhält wie die besagte Strecke DF zu DG , so werden die Zeiten des Absteigens durch DF und des Falles durch DC zur Zeit des Falles durch DG selbst eben dasselbe Verhältnis haben; folglich sind sie einander gleich. Ebenso lässt sich beweisen, indem man von unteren Ende C aus die Sehne CE errichtet, EH parallel zur Horizontale zieht und ED verbindet, dass die Zeit des Absteigens durch EC der Zeit des Falles durch den Durchmesser DC gleich ist. Zusatz I Hieraus folgt, dass die Zeiten des Absteigens durch alle von den Endpunkten C oder D aus gezogenen Sehnen untereinander gleich sind. Zusatz II Zudem ergibt sich, dass dann, wenn von ein und demselben Punkt aus eine Senkrechte und eine geneigte Ebene abfallen, über welche die Abstiege in gleichen Zeiten stattfinden, sie in einem Halbkreis liegen, dessen Durchmesser die besagte Senkrechte ist.

Zusatz III Hieraus folgt, dass die Zeiten der Bewegungen über geneigte Ebenen dann einander gleich sind, wenn sich die Neigungen gleicher Teile dieser Ebenen zueinander ebenso verhalten wie die Längen dieser Ebenen: denn es ist in der vorletzten Figur gezeigt worden, dass die Zeiten durch CA , DA einander gleich sind, wenn die Höhe des Teils AB gleich AD, nämlich BE , sich zur Höhe DF ebenso verhält wie CA zu DA . (32) Sagr.  Würden Sie bitte die Lektüre der folgenden Gegenstände ein wenig aufschieben, damit ich mir Klarheit über einen Gedanken verschaffen kann, der meinen Geist gerade umtreibt. Es handelt sich dabei wo nicht um eine Täuschung, so doch nahezu um eine anmutige Spielerei der Natur oder der Notwendigkeit, wovon es viele gibt.



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Wenn in einem bestimmten Punkt auf einer horizontalen Ebene unendlich viele gerade Linien nach allen Richtungen hin errichtet werden und man annimmt, dass sich auf jeder von ihnen ein Punkt mit gleichförmiger Geschwindigkeit bewegen soll, wobei diese alle ihre Bewegungen von dem bezeichneten Punkt aus im selben Zeitpunkt beginnen und alle ihre Geschwindigkeiten gleich sind, so steht fest, dass diese bewegten Punkte folgerichtig die Umfänge von Kreisen beschreiben werden, welche immer größer und größer werden, alle konzentrisch um den ursprünglich bezeichneten Punkt, gerade so, wie man es bei kleinen Wellen in stehendem Wasser sehen kann, wenn ein Steinchen aus der Höhe hineingefallen ist, dessen Erschütterung hinreicht, um eine Bewegung durch alle Teile auszulösen, während es selbst der Mittelpunkt aller dieser von den kleinen Wellen gebildeten Kreise bleibt, die fortschreitend größer und größer werden. Wenn wir uns aber eine auf der Horizontale errichtete Ebene vorstellen und auf dieser Ebene hoch oben einen Punkt annehmen, von welchem unendlich viele geneigte Linien in allen Neigungen ausgehen, A über welche schwere Körper absteigen, wie wir uns vorstellen wollen, und zwar jeder von ihnen E mit natürlich beschleunigter BeC F wegung und mit einer der jeweiD ligen Neigung entsprechenden G Geschwindigkeit: In welcher Art J von Linien werden wir sie dann H fortschreitend angeordnet sehen, B vorausgesetzt, dass wir diese absteigenden Körper ständig beobachten können? Das ist es, was meine Verwunderung erregt, denn die vorangegangenen Beweisführungen vermitteln mir die Gewissheit, dass diese alle auf demselben Umkreis ständig anwachsender Kreise zu finden sein werden, wie ja auch fallende Körper sich fortschreitend immer weiter vom höchsten Punkt entfernen, an dem sie ihren Fall begonnen haben. Und um mich

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deutlicher zu erklären, zeichne ich den höchsten Punkt A , von dem Linien AF, AH in beliebiger Neigung ausgehen, sowie die Senkrechte AB, auf der ich die Punkte C und D annehme, um welche ich Kreise ziehe, die durch den Punkt A gehen und die geneigten Linien in den Punkten F, H, B, E , G, J schneiden. Nach den vorangegangenen Beweisführungen steht fest, dass von Körpern, die zur selben Zeit vom Anfangspunkt A ausgehend über diese Linien absteigen, dann, wenn der eine sich in E befindet, der andere in G sein wird und der nächste in J, und zwar so, dass sie bei fortgesetzt absteigender Bewegung sich zum selben Zeitpunkt in F, H und B befinden werden; und setzen diese und unendlich viele andere diese Bewegungen über unendlich viele verschiedene Neigungen fort, so werden sie sich immer fortschreitend auf denselben Umkreisen befinden, die immer größer und größer werden, bis ins Unendliche. Aus den beiden Arten der Bewegung, deren sich die Natur bedient, ergibt sich so in bewundernswert übereinstimmender Verschiedenheit die Erzeugung unendlicher Kreise. Bei jener befindet sich der feste Punkt und erzeugende Ursprung im Mittelpunkt unendlich vieler konzentrischer Kreise, bei dieser ergibt er sich als der oberste Berührungspunkt unendlich vieler konzentrischer Kreisumfänge. Jene entstehen aus insgesamt gleichen und gleichförmigen Bewegungen, diese aus Bewegungen, die alle in sich selbst ungleichförmig sind und deren jede von allen anderen, die sich aus den unendlich vielen verschiedenen Neigungen ergeben, verschieden ist. Wir können darüber hinaus feststellen, dass dann, wenn wir zwei Punkte annehmen, von denen solche Strahlen ausgehen, und wenn wir die Linien nicht nur in zwei Richtungen, horizontal und vertikal, sondern in alle möglichen erstrecken, jene, die von einem Punkte ausgehend Kreise hervorbrachten, vom kleinsten bis zum größten, nun, von einem Punkte ausgehend, unendliche Kugeln hervorbringen, oder besser gesagt eine einzige Kugel, die sich fortschreitend bis zu unendlicher Größe erweitert, und zwar auf zweierlei Weise, nämlich entweder mit dem Ursprung im Mittelpunkt, oder aber auf dem Umkreis dieser Kugeln.



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(33) Salv.  Das ist in der Tat eine sehr schöne Überlegung, die dem Scharfsinn des Herrn Sagredo entspricht. (34) Simp.  Ich verstehe immerhin die Überlegung bezüglich der beiden Arten, wie mit den beiden verschiedenen natürlichen Bewegungen die Kreise und die Kugeln hervorgebracht werden, wenn ich mir auch über diese Herstellung, insoweit sie von der beschleunigten Bewegung abhängt, und über deren Beweis nicht vollständig im Klaren bin. Da man aber jedenfalls sowohl den untersten Mittelpunkt als auch die oberste kugelförmige Oberfläche als den Ursprungsort solcher Ausstrahlungen bezeichnen kann, so möchte ich wohl glauben, es könnte ein gewisses großes Geheimnis in diesen wahren und bewundernswerten Erkenntnissen enthalten sein, ein Geheimnis nämlich, das sich auf die Erschaffung des Universums bezieht, von dem man annimmt, es sei kugelförmig, und auf den Sitz der ersten Ursache. (35) Sa lv.  Ich sehe keinen Hinderungsgrund, eben das zu glauben. Aber tiefschürfende Überlegungen dieser Art gehören zu sehr viel bedeutenderen Lehren als der unseren: Uns nämlich geziemt es, dass wir uns als jene weniger bedeutenden Künstler begreifen, welche in den Steinbrüchen den Marmor ent­decken und ausgraben, aus dem dann die unermüdlichen Bildhauer wunderbare Bildwerke hervortreten lassen, welche in dem rohen und ungeformten Material verborgen lagen. Wenn es Ihnen recht ist, so sollten wir jetzt weiter vorankommen.

THEOREM VII, LEHRSATZ VII Wenn die Höhen zweier Ebenen das Doppelte des Verhältnisses haben, in dem ihre Längen zueinander stehen, so werden bei Bewegungen von der Ruhe aus diese in gleichen Zeiten durchmessen. AE und AB seien ungleiche und verschieden geneigte Ebenen, deren Höhen FA , DA sein sollen, und so, wie sich AE zu AB verhält, soll sich quadratisch FA zu DA verhalten. Ich behaupte, dass die Zeiten, in denen Bewegungen die Ebenen AE , AB von der Ruhe in A aus durchmessen, einander gleich sind. Man ziehe zur Höhenlinie [AF] hin die horizontalen Parallelen EF und DB ,

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welch Letztere AE in G schneidet. Weil nun FA zu AD sich doppelt so verhält wie EA zu AB , und weil sich ebenso wie FA zu AD auch EA zu AG verhält, so ist das Verhältnis von EA zu AG das Doppelte des Verhältnisses von A EA zu AB . Folglich ist AB die Mittlere zwischen EA , AG . Und weil sich die Zeit des Absteigens durch AB zur Zeit durch AG ebenso verhält wie AB D B G zu AG , aber die Zeit des Absteigens durch AG zur Zeit durch AE sich verhält wie AG zur Mittleren zwischen F AG , AE , welche AB ist, so verhält sich E in gleicher Weise die Zeit durch AB zur Zeit durch AE ebenso, wie AB sich zu sich selbst verhält; folglich sind die Zeiten gleich, was zu beweisen war.

THEOREM VIII, LEHRSATZ VIII Bei Ebenen, welche von demselben über der Horizontale errichteten Kreis geschnitten werden, sind auf denen, welche mit einem Endpunkt des senkrechten Durchmessers zusammentreffen, sei es oben, sei es unten, die Zeiten der Bewegung gleich den Zeiten des Falls entlang des Durchmessers. Aber bei denen, welche den Durchmesser nicht erreichen, sind die Zeiten kürzer, während sie bei denen, die den Durchmesser schneiden, länger sind. Der senkrechte Durchmesser eiA nes über der Horizontale errichteten Kreises sei AB. Dass Ebenen, welche sich von den Endpunkten A , B D bis zum Umkreis erstrecken, in gleichen Zeiten durchmessen werden, ist bereits bewiesen worden. Dass die C Ebene DF, welche den Durchmesser FO nicht erreicht, in kürzerer Zeit durchB messen wird, erweist sich, wenn man die Ebene DB durchzieht, welche sowohl länger als auch weniger geneigt ist als DF; folglich ist die Zeit durch DF kürzer als durch



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DB , d. h. durch AB . Von einer Ebene aber, die den Durchmesser schneidet, z. B . CO, steht auf dieselbe Weise fest, dass sie in

längerer Zeit durchmessen wird, denn sie ist länger und weniger geneigt als CB . Damit ist die Behauptung bestätigt.

THEOREM IX, LEHRSATZ IX Wenn sich von einem Punkt auf einer zum Horizont parallelen Linie zwei Ebenen beliebig nach unten neigen und von einer Linie geschnitten werden, welche mit ihnen Winkel bildet, die wechselweise den Winkeln zwischen diesen Ebenen und der Horizontale entsprechen, so werden Bewegungen die von besagter Linie abgeschnittenen Teile in gleichen Zeiten durchmessen. L

A

B

C F

G D

X

E

G AB

L

C

X

D

E F

Vom Punkt C der horizontalen Linie X ausgehend neigen sich zwei Ebenen CD, CE beliebig nach unten, und an einem beliebigen Punkt der Linie CD werde der Winkel CDF gebildet, der dem Winkel XCE gleich ist. Dazu soll die Linie DF die Ebene CE in F schneiden, und zwar so, dass die Winkel CDF, CFD vertauscht genommen den Winkeln XCE , LCD gleich sind. Ich behaupte, dass die Zeiten des Absteigens durch CD, CF einander gleich sind. Dass nun (vorausgesetzt Winkel CDF sei gleich dem Winkel XCE) der Winkel CFD gleich dem Winkel DCL ist, liegt auf der Hand. Hat man aber von den drei Winkeln des Dreiecks CDF, die gleich zwei rechten sind, welche allen mit der Linie LX in C gebildeten Winkeln gleich sind, den gemeinsamen Winkel DCF weggenommen, so bleiben im Dreieck die beiden

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CDF, CFD übrig, die den beiden XCE , LCD gleich sind. Nun wurde jedoch vorausgesetzt, dass CDF gleich XCE ist, folglich auch der verbleibende [Winkel] CFD dem verbleibenden DCL . Man nehme die Ebene CE gleich der Ebene CD an und ziehe von den Punkten D, E die Senkrechten DA , EB auf die Horizontale XL , von C aus aber ziehe man CG lotrecht zu DF. Weil nun der Winkel CDG dem Winkel ECB gleich ist und die Winkel DGC , CBE rechte sind, so sind CDG, CBE gleichwinklige Dreiecke, und wie DC zu CG, so verhält sich auch CE zu EB. Nun ist aber DC gleich CE . Folglich wird CG gleich BE sein; und weil die Winkel C , A und F, G der Dreiecke DAC , CGF einander gleich sind, so wird sich wie CD zu DA auch FC zu CG verhalten, und vertauscht wird sich ebenso wie DC zu CF auch DA zu CG bzw. BE verhalten. Die Höhen der gleichen Ebenen CD, CE verhalten sich daher zueinander ebenso wie die Längen DC , CF. Folglich

sind nach dem ersten Zusatz zum vorstehenden sechsten Lehrsatz die entsprechenden Zeiten des Absteigens einander gleich, was zu beweisen war. Dasselbe auf andere Weise: Man fälle das Lot FS auf die Horizontale AS . Weil das Dreieck CSF dem Dreieck DGC ähnlich ist, so wird sich GC zu CD ebenso verhalten wie SF zu FC . Und weil L

A

C

S

X

F G G S

L

A C

D

X

D F

das Dreieck CFG dem Dreieck DCA ähnlich ist, so wird sich CD zu DA ebenso verhalten wie FC zu CG, und folglich in gleicher Weise CG zu DA ebenso wie SF zu CG. Aber CG ist die Mittlere zwischen SF, DA , und wie DA sich zu SF verhält, so verhält sich



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das Quadrat DA zum Quadrat CG. Da andererseits das Dreieck ACD dem Dreieck CGF ähnlich sein wird, so wird sich GC zu CF ebenso verhalten wie DA zu DC , und vertauscht wird sich DC zu CF ebenso verhalten wie DA zu CG, und das Quadrat DC zum Quadrat CF ebenso wie das Quadrat DA zum Quadrat CG. Es steht aber fest, dass das Quadrat DA sich zum Quadrat CG ebenso verhält wie die Strecke DA zur Strecke FS . Also verhält sich die Strecke DA zu FS wie das Quadrat DC zum Quadrat CF. Weil nun nach dem vorangegangenen Siebenten [Lehrsatz] die Höhen DA , FS der Ebenen CD, CF das Doppelte des Verhältnisses dieser Ebenen zueinander haben, so werden diese in gleichen Zeiten durchmessen.

THEOREM X , LEHRSATZ X Die Zeiten, in denen verschieden geneigte Ebenen durchmessen werden, deren Höhen gleich sind, verhalten sich zueinander ebenso wie die Längen dieser Ebenen, gleich ob die Bewegungen von der Ruhe aus stattfinden, oder ob ihnen eine Bewegung aus derselben Höhe vorausgegangen ist. Durch ABC und ABD sollen Bewegungen bis zur Horizontale DC hin stattfinden, und zwar so, dass die Durchmessung von AB derjenigen von BD und BC vorausgeht. Ich behaupte, dass sich die Zeit der Durchmessung von BD zur Zeit durch BC ebenso verhält wie die Länge BD zu A F BC . Man ziehe AF parallel zur Horizontale, und dorthin erstrecke sich DB bis zum Schnittpunkt in F, so wird FE die Mittlere zwischen DF, FB sein. Zieht man nun EO parallel zu DC , so B E O wird AO die Mittlere zwischen CA , AB sein. Nimmt man an, dass die C Zeit durch AB von AB repräsentiert D werde, so wird die Zeit durch FB von FB repräsentiert werden, und die Zeit durch die ganze Strecke AC wird der Mittleren AO, die Zeit durch FD aber wird FE entsprechen. Deshalb wird die Zeit durch die verbleibende BC wie BO, aber durch die verblei-

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bende BD wie BE sein. Denn wie BE zu BO, so verhält sich auch BD zu BC . Folglich werden die Zeiten durch BD, BC nach dem Fall durch AB, FB, oder, was dasselbe ist, durch die gemeinsame AB, sich zueinander ebenso verhalten wie die Längen BD, DC . Dass aber die Zeit durch BD sich zur Zeit durch BC von der Ruhe in B aus ebenso verhält wie die Länge BD zu BC , ist oben bereits bewiesen worden. Daher verhalten sich die Zeiten der Durchmessung verschiedener Ebenen, deren Höhen einander gleich sind, ebenso zueinander wie die Längen dieser Ebenen, sei es, dass die Bewegung von der Ruhe aus stattfindet, sei es, dass davor bereits eine Bewegung durch dieselbe Höhe stattgefunden hat, was zu beweisen war.

THEOREM XI, LEHRSATZ XI Wenn eine Ebene, auf der eine Bewegung von der Ruhe aus stattfindet, beliebig geteilt wird, so verhält sich die Zeit der Durchmessung des ersteren Teils zur Zeit der Durchmessung des nachfolgenden ebenso, wie dieser erstere Teil sich zu dem Maß verhält, in dem dieser Teil von der mittleren Proportionale zwischen der ganzen Ebene und dem besagten ersten Teil übertroffen wird. Eine Bewegung durch die ganze Strecke AB finde vom Ruhe­ punkt in A aus statt, und [die Strecke AB] sei in C beliebig ­geteilt. Die mittlere Proportionale zwischen der ganzen A BA und dem ersteren Teil AC sei AF. Dann wird CF der Überschuss der Mittleren FA über den Teil AC sein. Ich behaupte, dass sich die Zeit der Bewegung durch AC zur Zeit der nach­folgenden Durchmessung von CB ebenso verhält wie AC zu CF. Das ist offensichtlich, denn die Zeit C durch AC verhält sich zur Zeit durch das Ganze von AB F ebenso wie AC zur Mittleren AF. Aufgeteilt wird also die Zeit durch AC sich zu der Zeit durch die verbleibende CB ebenso verhalten wie AC zu CF. Daher wird, wenn wir B annehmen, dass die Zeit durch AC durch die Strecke AC gegeben ist, die Zeit durch CB durch CF gegeben sein, wie der Lehrsatz sagt.



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Wenn aber die Bewegung nicht fortschreitend über ACB hin stattfindet, sondern auf der gebrochenen Linie ACD bis zur Horizontale BD hin, zu der in F die Parallele FE gezogen wird, dann lässt sich ebenso zeigen, dass sich die Zeit durch AC zur Zeit über die abgelenkte [Strecke] CD ebenso verhält wie AC zu CE . Denn die Zeit durch AC verhält sich zu der Zeit durch CB ebenso wie AC zu CF. Aber die Zeit durch CB , das nach AC kommt, verhält sich zur Zeit durch CD nach diesem Abstieg durch AC erwiesenermaßen wie CB zu CD, d. h. wie CF zu CE . Also wird sich in gleicher Weise die Zeit durch AC zur Zeit durch CD ebenso verhalten wie die Strecke AC zu CE .

THEOREM XII, LEHRSATZ XII Wenn sich eine Senkrechte und eine beliebig geneigte Ebene zwischen denselben horizontalen Linien schneiden und man nimmt die mittleren Proportionalen aus ihren zwischen dem gemeinsamen Schnittpunkt und der oberen Horizontale eingeschlossenen Teilen, so wird sich die Zeit der Durchmessung der Senkrechte zur Zeit, die für die Durchmessung des oberen Teils der Senkrechte und alsdann für den unteren Teil der durchschnittenen Ebene benötigt wird, ebenso verhalten, wie sich die ganze Länge der Senkrechte zu einer Strecke verhält, welche aus der von der Senkrechte genommenen Mittleren und dem Maß zusammengesetzt ist, mit dem die ganze geneigte Ebene ihre Mittlere übertrifft. Die obere Horizontale sei AF, die untere CD, und zwischen ihnen schneiden sich die Senkrechte AC und die geneigte Ebene DF in B , und die Mittlere aus der gesamten Senkrechte CA und ihrem oberen Teil AB sei AR , aber die Mittlere aus dem ganzen DF und dessen oberem Teil BF sei FS . Ich behaupte, dass die Fallzeit durch die ganze Senkrechte AC zur Zeit durch ihren oberen Teil AB zusammengenommen mit dem unteren Teil der Ebene, nämlich mit BD, sich ebenso verhält wie AC zur Mittleren der Senkrechte, nämlich AR , zusammengenommen mit SD, welches

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der Überschuss der ganzen Ebene DF über deren Mittlere FS ist. Man verbinde RS , was eine zur Horizontale parallele Strecke sein wird. Weil nun die Fallzeit durch das Ganze von AC zur Zeit durch den Teil AB sich verhält A F N wie CA zur Mittleren AR , so wird, wenn wir AC für die Zeit des Falles durch AC nehmen, AR die Zeit des Falles durch AB und RC durch den B Rest BC . Ist aber, wie angenommen, S R die Zeit durch AC mit AC selbst gegeben, so wird die Zeit durch FD mit D O C FD gegeben sein, und ebenso folgt, dass DS die Zeit durch BD im Anschluss an FB oder an AB sein wird. Daher ist die Zeit durch die ganze AC gleich AR zusammengenommen mit RC , aber auf der gebrochenen Strecke ABD wird sie gleich AR zusammengenommen mit SD; was zu beweisen war. Dasselbe ergibt sich, wenn man durch den Ort auf der Senkrechte eine andere Ebene legt, wie z. B . NO; und die Beweisführung ist ganz dieselbe.

AUFGABE I , LEHRSATZ XIII Gegeben sei eine Senkrechte, welche sich mit einer Ebene schneiden soll, durch die, da sie dieselbe Höhe hat wie die gegebene Senkrechte, eine Bewegung im Anschluss an einen senkrechten Fall in derselben Zeit stattfindet wie von der Ruhe aus durch die besagte Senkrechte. A

G

B F

E

D

C

Die gegebene Senkrechte sei AB, welcher, nach C verlängert, ein Teil gleich BC hinzugefügt wird, und man ziehe die Horizontalen CE , AG. Nun soll sich von B aus eine Ebene unter einem Win-



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kel zur Horizontale CE hin erstrecken, auf der, im Anschluss an einen Fall von A aus, eine Bewegung stattfinden soll, die ebenso lange dauert wie die von der Ruhe in A aus durch AB. Man nehme CD gleich CB, ziehe BD und mache BE gleich den beiden Seiten BD, DC . Ich behaupte, dass BE die gesuchte Ebene ist. Man verlängere EB bis zum Schnittpunkt G mit der Horizontale AG , und die Mittlere von EG, GB sei GF. Dann wird sich EF zu FB verhalten wie EG zu GF, und das Quadrat EF zum Quadrat FB wie das Quadrat EG zum Quadrat GF, d. h. wie die Strecke EG zu GB. EG ist aber das Doppelte von GB; folglich ist das Qua­ drat EF das Doppelte des Quadrats FB. Aber das Quadrat DB ist auch das Doppelte des Quadrats BC; folglich verhält sich DB zu BC wie die Strecke EF zu FB, und nach Verbindung und Vertauschung BF zu BC wie EB zu DB, BC zusammengenommen. BE ist aber gleich DB plus BC; folglich ist BF gleich diesem BC , oder auch gleich BA . Nimmt man nun an, AB sei die Zeit des Falles durch AB, so wird GB die Zeit durch GB und GF die Zeit durch das ganze GE sein. Folglich wird BF die Zeit durch das verbleibende BE nach dem Fall von G aus sein, oder auch von A aus, wie es behauptet worden war.

AUFGABE II, LEHRSATZ XIV Zu einer gegebenen Senkrechte und einer dazu geneigten Ebene soll der obere Teil der Senkrechte gefunden werden, auf dem von der Ruhe aus das stattfände, was in gleicher Zeit nach dem Fall durch den gesuchten Teil der Senkrechte auf der geneigten Ebene stattfindet. D Die Senkrechte sei DB, die zu ihr geneigte Ebene AC . Nun soll man auf der R X Senkrechte AD denjenigen Teil finden, auf dem von der Ruhe aus in gleicher Zeit dasselbe geschähe wie nach dem A Fall auf der Ebene AC . Man ziehe die E Horizontale CB, so verhält sich CA zu CE ebenso wie BA plus zweimal AC zu B AC , und wie BA zu AC , so verhält sich C

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EA zu AR . Man fälle von R aus das Lot RX auf DB. Ich behaupte, dass X der gesuchte Punkt ist. Weil sich CA zu AE ebenso verhält wie BA plus das Doppelte von AC zu AC , so wird sich nach Teilung CE zu EA ebenso verhalten wie BA plus AC zu AC . Und weil sich EA zu AR ebenso verhält wie BA zu AC , so wird nach Zusammensetzung ER sich zu RA ebenso verhalten wie BA plus AC zu AC . Aber wie BA plus AC zu AC , so verhält sich auch CE zu EA ; folglich verhält sich ER zu RA ebenso wie CE zu EA ,

und die zusammengenommenen Vorderglieder wie die zusammengenommenen Hinterglieder, nämlich CR zu RE . Daher sind CR , RE , RA zueinander proportional. Weiterhin, weil EA zu AR sich ebenso verhalten soll wie BA zu AC , und weil die Dreiecke ähnlich sind, so verhält sich XA zu AR wie BA zu AC , folglich verhält sich wie EA zu AR auch XA zu AR ; daher sind EA , XA einander gleich. Stellen wir uns wiederum vor, dass RA die Zeit durch RA repräsentiert, so wird die Zeit durch RC gleich RE sein, der Mittleren aus CR , RA ; und AE wird die Zeit durch AC nach RA oder auch nach XA sein. Die Zeit durch XA ist aber XA , weil RA die Zeit durch RA ist. Da auch gezeigt worden ist, dass XA , AE einander gleich sind, so ist die Behauptung bestätigt.

AUFGABE III, LEHRSATZ XV Zu einer gegebenen Senkrechte und einer davon wegführenden Ebene soll auf dem unteren Abschnitt der Senkrechte die Teilstrecke gefunden werden, welche in derselben Zeit durchmessen wird, die auf der wegführenden Ebene für einen Fall durch die gegebene Senkrechte [benötigt wird]. Die Senkrechte sei AB , und die davon abgewinkelt wegführende Ebene sei BC . Gesucht wird auf dem unteren Abschnitt der Senkrechte diejenige Teilstrecke, welche nach einem Fall von A aus in derselben Zeit durchmessen wird wie BC nach einem gleichen Fall aus A . Man ziehe die Horizontale AD, welche die Verlängerung von CB in D schneidet, und die Mittlere aus CD, DB sei DE , und BF werde gleich BE angenommen. Schließlich soll noch AG die dritte Proportionale zu BA , AF sein. Ich behaupte, dass BG der Raum ist, welcher nach einem Fall durch AB



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A D in derselben Zeit durchmessen wird wie die Ebene BC nach einem gleichen Fall. Wenn wir nämlich zugrundelegen, dass B AB die Zeit durch AB repräsentiert, so wird die Zeit durch DB von DB repräE sentiert. Weil nun DE die Mittlere zwiF schen BD, DC ist, so wird DE die Zeit C durch das ganze DC und BE die Zeit durch das verbleibende BC , vom Ruhepunkt in D aus, oder nach einem Fall G durch AB . Auf entsprechende Weise ergibt sich, dass BF die Zeit durch BG ist, die auf denselben Fall folgt. BF ist aber gleich BE ; damit ist die Behauptung bestätigt.

THEOREM XIII, LEHRSATZ XVI Wenn die Teile einer geneigten Ebene und einer Senkrechte, die von der Ruhe aus in gleichen Zeiten durchmessen werden, im selben Punkt zusammentreffen, so wird ein aus beliebiger Höhe kommender Körper den Abschnitt der geneigten Ebene schneller durchmessen als den Abschnitt der Senkrechte. Die Senkrechte sei EB und die geneigte Ebene sei CE , die in demselben Punkt E zusammentreffen, wobei sie von der Ruhe in E aus in gleichen Zeiten durchmessen werden sollen. Nun werde auf der verlängerten Senkrechte ein beliebiger oberer Punkt A angenommen, von dem die Körper ausD A gehen. Ich behaupte, dass nach einem Fall durch AE die geneigte Ebene EC E in kürzerer Zeit durchmessen wird als F die Senkrechte EB . Man verbinde CB , ziehe die Horizontale AD und verG längere CE , so dass sie mit jener in D C zusammentrifft, und die mittlere Proportionale zu CD, DE sei DF, aber die Mittlere zu BA , AE sei AG. Nun ziehe man FG , DG: Weil die Zeiten gleich B sind, in denen EC , EB von der Ruhe

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in E aus durchmessen werden, so wird nach dem zweiten Zusatz zum sechsten Lehrsatz der Winkel bei C ein rechter sein. Aber auch bei A ist ein rechter Winkel, und die Scheitelwinkel bei E sind einander gleich. Also sind AED, CEB gleichwinklige Dreiecke, und die Seiten, die gleiche Winkel einschließen, sind zueinander proportional. Folglich verhält sich DE zu EA ebenso wie BE zu EC . Aber das Rechteck BEA ist gleich dem Rechteck CED. Weil nun das Rechteck CDE um das Quadrat ED größer ist als das Rechteck CED, und weil auch das Rechteck BAE um das Quadrat EA größer ist als das Rechteck BEA , so wird das Übermaß des Rechtecks CDE im Vergleich zum Rechteck BAE , d. h. des Quadrats FD im Vergleich zum Quadrat AG, dem Übermaß des Quadrats DE im Vergleich zum Quadrat AE gleich sein, welches Übermaß das Quadrat DA ist. Daher ist das Quadrat FD den beiden Quadraten GA , AD gleich, denen auch das Quadrat GD gleich ist. Folglich ist die Strecke DF gleich DG , und der Winkel DGF ist gleich dem Winkel DFG , auch ist der Winkel EGF kleiner als der Winkel EFG, und die gegenüberliegende Seite EF ist kleiner als die Seite EG. Wenn wir nun annehmen, dass AE die Zeit des Falles durch AE misst, so wird DE die Zeit durch DE messen, und weil AG die Mittlere zwischen BA , AE sein soll, so wird AG die Zeit durch das ganze AB messen, und das verbleibende EG wird die Zeit durch das verbleibende EB von der Ruhe in A aus sein. In entsprechender Weise ergibt sich, dass EF die Zeit durch EC nach einem Abstieg durch DE oder auch nach einem Fall durch AE ist. Nun ist aber bewiesen worden, dass EF kleiner ist als EG: Damit ist das Behauptete bewiesen.

ZUSATZ Hieraus und aus dem Vorstehenden folgt, dass der bei einem senkrechten Fall aus der Höhe in derselben Zeit, in der eine geneigte Ebene durchmessen wird, durchmessene Raum kleiner ist als derjenige, der in ebendieser Zeit ohne vorausgehenden Fall aus der Höhe auf der Neigung durchmessen wird, aber größer als die geneigte Ebene selbst. Da nämlich soeben bewiesen wurde, dass dann, wenn ein Körper von A ausgeht, die für EC benötigte



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Zeit kürzer ist als die vorausgegangene für EB, so steht fest, dass der Raum EB, wenn er in derselben Zeit beschrieben wird wie EC , kleiner ist als der ganze Raum EB. Dass aber dieser Raum auf der Senkrechte größer ist als EC , A D folgt aus der Figur zum vorangegangenen Lehrsatz, in welcher gezeigt wurde, dass die Durchmessung des B Teils BG der Senkrechte in derselben E Zeit geschieht wie diejenige des RauF mes BC nach einem Fall durch AB. C Auf folgende Weise ist zu zeigen, dass BG größer ist als BC . Da BE , FB einander gleich sein sollen, BA aber kleiG ner als BD, so hat FB zu BA ein größeres Verhältnis als EB zu BD, und zusammengesetzt FA zu AB ein größeres als ED zu DB. Nun verhält sich aber GF zu FB wie FA zu AB (denn AF ist die Mittlere zu BA , AG), und entsprechend verhält sich CE zu EB wie ED zu BD. Folglich hat GB zu BF ein größeres Verhältnis als CB zu BE: Also ist GB größer als BC .

AUFGABE IV, LEHRSATZ XVII Gegeben sei eine Senkrechte und eine dazu geneigte Ebene. Man bezeichne auf der gegebenen Ebene denjenigen Teil, auf dem nach einem Fall durch die Senkrechte eine Bewegung stattfindet, deren Zeit derjenigen gleich ist, in welcher der Körper die Senkrechte von der Ruhe aus durchmisst. Die Senkrechte sei AB und die dazu geneigte Ebene BE . Man soll nun auf BE denjenigen Raum bezeichnen, welchen der Körper nach einem Fall durch AB in einer Zeit durchmisst, die derjenigen durch die besagte Senkrechte AB von der Ruhe aus gleich ist. Eine horizontale Strecke AD schneide die Verlängerung der Ebene in D. FB werde gleich BA genommen, so wird sich FD zu DE ebenso verhalten wie BD zu DF. Ich behaupte, dass die Zeit durch BE nach dem Fall durch AB gleich ist der Zeit durch AB von der Ruhe in A aus. Nimmt man nämlich an, dass AB die Zeit

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durch AB bezeichnet, so wird DB die Zeit durch DB sein. Weil sich nun FD zu DE ebenso verhält wie BD zu DF, so wird DF die Zeit durch die ganze Ebene DE sein, und BF durch den Teil BE von D aus. Aber die Zeit durch BE nach DB ist dieselbe wie nach AB: Folglich wird die Zeit durch BE nach AB gleich BF sein, d. h. gleich der Zeit durch AB von der Ruhe in A aus, entsprechend der Behauptung.

AUFGABE V, LEHRSATZ XVIII Gegeben sei auf einer beliebigen Senkrechte ein vom Beginn einer Bewegung an in gegebener Zeit durchmessener Raum, und gegeben sei irgendeine andere kürzere Zeit. Man finde auf derselben Senkrechte den anderen Raum, welcher in der gegebenen kürzeren Zeit durchmessen wird. Die gegebene Senkrechte gehe aus von A , auf ihr sei der Raum AB gegeben, zu dem die Zeit AB von A aus gehören soll, und der Horizont sei CBE , und gegeben sei eine Zeit kleiner als AB, die auf dem Horizont gleich BC ist. Die Aufgabe ist, auf der besagten Senkrechte denjenigen zu AB gleichen Raum zu finden, welcher in der Zeit BC durchmessen wird. Man verbinde AC , und weil BC kleiner sein soll als AB, so wird der Winkel BAC kleiner sein als der Winkel BCA . CAE sei ihnen gleich, und die Linie AE schneide den Horizont im Punkt E , auf den das Lot ED gefällt wird, das die Senkrechte in D schneidet, und auf dieser werde DF gleich BA abgetragen. Ich behaupte, dass besagter Abschnitt FD auf der Senkrechte derjenige Teil ist, welchen eine von A ausgehende Bewegung in der gegebenen Zeit BC durchmessen wird. Weil nämlich in dem rechtwinkligen Dreieck AED vom rechten Winkel bei E aus EB lotrecht auf die gegenüberliegende Seite AB gezogen ist, so wird AB die Mittlere zu DA , AB sein, und BE die Mittlere zu DB, BA , oder auch zu FA , AB (denn FA ist gleich DB). Weil nun



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vorausgesetzt wurde, dass AB die Zeit von A aus sein soll, so wird AE oder EC die Zeit über das Ganze von AD sein, und EB die Zeit über AF. Folglich wird der Rest BC die Zeit für den Rest FD sein, was zu beweisen war.

AUFGABE VI, LEHRSATZ XIX Gegeben sei auf einer Senkrechte ein beliebiger, vom Bewegungsanfang aus durchmessener Raum. Gegeben sei auch die Fallzeit; gesucht wird die Zeit, in der ein anderer gleicher Raum, beliebig auf derselben Senkrechte angenommen, von demselben Körper anschließend durchmessen wird. Auf der Senkrechte AB werde vom Beginn der Bewegung in A aus ein beliebiger Raum AC angenommen, dem ein beliebiger anderer angenommener Raum DB gleich sein soll, und die Zeit der Bewegung durch AC A sei gegeben; sie sei eben AC . GeF sucht wird die Zeit der Bewegung E C durch DB im Anschluss an den Fall aus A . Um das Ganze von A AB schlage man den Halbkreis AEB, von C aus fälle man das Lot CE auf AB. Man verbinde AE , D F welches größer als EC sein wird. D EF werde gleich EC abgetragen. B Ich behaupte, dass der Rest FA die Zeit der Bewegung durch E C DB repräsentiert. Weil nämlich AE die Mittlere von BA , AC ist, und weil AC die Zeit des Falles durch AC ist, so wird AE die Zeit B über ganz AB sein. Und weil CE die Mittlere von DA , AC ist (denn DA ist gleich besagtem BC), so wird CE , d. h. EF, die Zeit über AD sein. Daher ist die verbleibende AF die Zeit über die verbleibende DB, wie behauptet worden war.

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ZUSATZ S Daraus folgt, dass dann, wenn man irgendeinen Raum annimmt und die Zeit, von der Ruhe aus, diesem Raum gleich ist, die Zeit nach der Durchmessung eines zusätzliA chen Raumes durch den Überschuss der Mittleren zwischen der Summe des letzteren und des vorausliegenden ersteren Raumes und dem ersteren Raum über die Mittlere zwischen dem ersteren und dem hinzugefügten gegeben sein wird. So wird auch, wenn man annimmt, die Zeit durch AB von B der Ruhe in A aus sei AB , und man fügt AS hinzu, die Zeit durch AB im Anschluss an SA gleich dem Überschuss der Mittleren zwischen SB, BA über die Mittlere zwischen BA , AS sein. AUFGABE VII, LEHRSATZ X X Zu einem beliebigen gegebenen Raum und darauf einem Teilstück nach einer Bewegung vom Anfangspunkt aus finde man gegen das Ende hin dasjenige andere Teilstück, welches in derselben Zeit durchmessen wird wie das gegebene erste. Der Raum sei CB, und darauf sei CD das nach dem Beginn der Bewegung in C gegebene Teilstück. Nun soll das andere Teilstück zum Ende B hin bestimmt werden, welches in derselben Zeit beschrieben wird wie das gegebene CD. Man nehme die MittC lere zu BC , CD und mache BA dieser gleich; und die dritte Proportionale zu BC , CA sei CE . Ich behaupte, dass EB D der Raum ist, der nach einem Fall aus C in derselben Zeit durchmessen wird wie CD. Wenn wir nämlich annehmen, dass die Zeit über das Ganze von CB durch CB gegeben ist, so wird BA (d. h. die Mittlere zu BC , CD) die Zeit über CD E sein. Weil nun CA die Mittlere zu BC , CE sein soll, so wird CA die Zeit über CE . Aber das Ganze von BC ist die Zeit A über ganz CB ; folglich wird das verbleibende BA die Zeit über das verbleibende EB nach einem Fall aus C sein. Auf dieselbe Weise wird BA die Zeit über CD. Folglich werden CD und EB von der Ruhe in A aus in gleichen Zeiten durchB messen, was zu zeigen war.



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THEOREM XIV, LEHRSATZ X XI Wenn auf einer Senkrechte ein Fall von der Ruhe aus stattfindet und man nimmt auf ihr vom Beginn der Bewegung aus einen Teil an, welcher in irgendeiner beliebigen Zeit durchmessen wird, woran anschließend die Bewegung auf irgendeine beliebig geneigte Ebene abgelenkt wird, so wird der Raum, welcher auf dieser Ebene in einer Zeit durchmessen wird, die der Zeit des gerade erst in der Senkrechte geschehenen Falls gleich ist, mehr als das Doppelte des in der Senkrechte durchmessenen Raumes sein, aber weniger als das Dreifache. Unterhalb des Horizonts AE liege die Senkrechte AB, auf der vom Ausgangspunkt A aus eine Fallbewegung stattfinden soll. Auf dieser nehme man einen beliebigen Teil AC an, und von C aus neige sich irgendeine Ebene CG, auf welcher sich die Bewegung nach dem Fall durch AC fortsetzt. Ich behaupte, dass der bei dieser Bewegung durchA E messene Raum auf CG, der A E in einer Zeit durchmessen wird, die der Zeit des C Falles durch AC gleich ist, C F mehr als das Doppelte, aber auch weniger als das DreiF fache des besagten Raumes G AC ist. Nimmt man nämB lich CF gleich AC , so wird, G nach Verlängerung der Ebene GC bis zu E auf der Horizontale, FE sich zu EG verhalten wie CE zu EF. Nimmt man daher an, dass die Zeit des Falles durch AC als Strecke AC gegeben ist, so wird CE die Zeit durch EC , und CF, oder CA , wird die Zeit der Bewegung durch CG sein. Folglich muss gezeigt werden, dass der Raum CG mehr als das Doppelte, aber weniger als das Dreifache von CA ist. Weil nun FE sich zu EG ebenso verhält wie CE zu EF, verhält sich CF zu FG in gleicher Weise. Nun ist aber EC kleiner als EF. Folglich wird sowohl CF kleiner sein als FG, als auch GC größer als das Doppelte von FC , d. h. von AC . Und weil FE wiederum kleiner

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ist als das Doppelte von EC (weil doch EC größer ist als CA , d. h. CF), so wird auch GF kleiner sein als das Doppelte von FC , und GC kleiner als das Dreifache von CF, d. h. von CA , was zu beweisen war. Man kann dasselbe auch allgemein setzen: Was nämlich auf der Senkrechte und der geneigten Ebene geschieht, ergibt sich auch, wenn die Bewegung über eine beliebig geneigte Ebene anschließend auf eine stärker geneigte abgelenkt wird, wie man auf der zweiten Darstellung sieht, und die Beweisführung ist dieselbe.

AUFGABE VIII, LEHRSATZ X XII Gegeben seien zwei ungleiche Zeiten sowie der Raum, welcher von der Ruhe aus auf einer Senkrechte in der kürzeren der gegebenen Zeiten durchmessen wird. Man führe eine Ebene vom oberen Endpunkt der Senkrechte zur Horizontale so, dass ein Körper sie in der längeren den beiden gegebenen Zeiten durchmisst. C

X

D A B

Die ungleichen Zeiten seien A , die größere, und B, die kleinere. Der Raum, welcher auf der Senkrechte von der Ruhe aus in der Zeit B durchmessen wird, sei CD. Gesucht wird eine vom Endpunkt C zur Horizontale führende Ebene, welche in der Zeit A durchmessen wird. CD soll sich zu einer anderen Strecke, welche gleich der Strecke CX von C aus zur Horizontale abwärts führt, ebenso verhalten wie B zu A . Dann steht fest, dass CX diejenige Ebene ist, welche ein Körper in der gegebenen Zeit A durchmisst. Denn es wurde bewiesen, dass sich die Zeit auf der geneigten Ebene zur Zeit durch deren Höhe ebenso verhält wie die Länge der Ebene zur Länge dieser Höhe. Daher verhält sich die Zeit durch CX zur Zeit durch CD ebenso wie CX zu CD, d. h. wie die Zeit A zur Zeit B. Nun ist aber die Zeit B diejenige, in der die



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Senkrechte CD von der Ruhe aus durchmessen wird. Folglich ist A die Zeit der Durchmessung der Ebene CX.

AUFGABE IX, LEHRSATZ X XIII Gegeben sei ein in irgendeiner Zeit von der Ruhe aus auf der Senkrechte durchmessener Raum, von dessen unterem Endpunkt aus eine Ebene sich neigen soll, auf welcher im Anschluss an einen senkrechten Fall in gleicher Zeit ein einem beliebigen gegebenen Raum gleicher Raum durchmessen wird, der jedoch mehr als das Doppelte, aber weniger als das Dreifache des in der Senkrechte durchmessenen Raumes sein soll. Auf der Senkrechte AS sei AC der in der Zeit AC von der Ruhe in A aus durchmessene Raum, von dem JR mehr als das Doppelte, aber weniger als das Dreifache sein soll. Man suche die von C ausgehende geneigte Ebene, J M N R auf welcher ein Körper in derselben Zeit AC nach dem E A Fall durch AC einen Raum C durchmisst, der gleich JR F OG ist. RN und MN seien gleich AC . Und ebenso, wie der Rest JM sich zu MN verhält, S soll AC sich zu einer anderen Strecke verhalten, gleich welcher CE von C aus zur Horizontale AE gezogen und nach O verlängert wird. Man nehme CF, FG, GO gleich RN, NM , MJ. Ich behaupte, die Zeit auf der Neigung CO nach dem Fall durch AC ist gleich der Zeit AC von der Ruhe in A aus. Weil nämlich FC sich zu CE ebenso verhält wie OG zu GF, so wird zusammengesetzt FE sich zu EC ebenso verhalten wie OF zu FG , d. h. zu FC , und wie eine Vorangehende zu einer Nachfolgenden, so verhalten sich alle zu allen, und zwar ganz OE zu EF wie FE zu EC . Daher sind OE , EF, EC fortschreitend zueinander proportional. Weil nun entsprechend der Voraussetzung die Zeit durch AC gleich AC sein soll, so wird EC die Zeit durch EC sein und EF die Zeit durch ganz EO und die verbleibende CF durch das verbleibende CO. Nun ist aber

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CF gleich CA ; damit ist das Erforderliche geleistet; denn es ist die Zeit CA die Zeit des Falles durch AC von der Ruhe in A aus, CF (welches CA gleich ist) ist die Zeit durch CO nach dem Abstieg durch EC , d. h. nach dem Fall durch AC ; das ist das Behauptete.

Es ist aber festzuhalten, dass dasselbe gilt, wenn die vorangegangene Bewegung nicht in der Senkrechte geschieht, sondern auf einer geneigten Ebene, wie in der nachfolgenden Zeichnung, in welcher die vorangegangene Bewegung auf der von der Horizontale AE abwärts führenden geneigten Ebene AS stattfindet; und die Beweisführung ist ganz dieselbe.

ZUSATZ Bei genauer Betrachtung erweist sich, dass, je weniger die gegebene Strecke JR vom Dreifachen von AC abweicht, jene geneigte Ebene, auf welcher die zweite Bewegung stattfinden soll, angenommen CO, umso näher bei der Senkrechte liegt, auf welcher M

J

N

R

A T

V

C

E X

F O

G S

schließlich in der gleichen Zeit AC das Dreifache des Raumes AC durchmessen wird. Denn wenn JR sich dem Dreifachen von AC annähert, so wird sich JM immer weiter MN annähern. Und wie JM sich zu MN verhält, so wird sich (gemäß der Darstellung) AC zu CE verhalten, so dass klar ist, dass man eben dieses CE wenig größer finden wird als CA , und folglich, dass man den Punkt E nahe bei dem Punkt A finden wird, und dass CO und CS einen sehr spitzen Winkel einschließen und fast zusammenfallen werden. Umgekehrt aber, wenn die gegebene JR das Doppelte von



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AC minimal übertrifft, so wird JM eine sehr kurze Strecke sein, woraus folgt, dass auch AC im Verhältnis zu CE sehr klein sein wird, welches sehr groß werden und nahezu mit einer durch C

gezogenen Parallele zur Horizontale zusammenfallen wird. Wir können hieraus auch entnehmen, dass dann, wenn in der obigen Darstellung nach einem Abstieg über die geneigte Ebene AC eine Abweichung in der horizontalen Strecke stattfindet, welche CT sein soll, der Raum, welchen der Körper in einer der Zeit des Abstiegs durch AC gleichen Zeit anschließend durchmisst, genau das Doppelte des Raumes AC sein wird. Das ergibt sich hier mit praktisch derselben Überlegung. Es folgt nämlich daraus, dass dann, wenn OE sich zu EF ebenso verhält wie FE zu EC , besagte FC die Zeit durch CO messen wird. Denn wenn die horizontale Teilstrecke TC , das Doppelte von CA , in V halbiert wird, so wird ihre Verlängerung nach X hin, welche einen Schnittpunkt mit der Verlängerung von AE sucht, unendlich sein, und das Verhältnis der Unendliche TX zur Unendliche VX wird D A kein anderes sein als das Verhältnis der Unendliche VX zur Unendliche XC . Dasselbe können wir mit einem anderen Ansatz finden, indem wir eine Überlegung ähnlich derjenigen wieder aufnehmen, die wir beim Beweis des ersten Lehrsatzes verwendet haben. Nehmen wir nämlich ein Dreieck ABC an, welches uns mit seinen Par­ allelen zur Grundlinie BC die entsprechend C B den Zuwächsen der Zeit fortschreitend anwachsenden Geschwindigkeitsgrade anzeigt, welche, da sie unendlich viele sind, wie auch die Punkte auf der Strecke AC und die Augenblicke in jedem beliebigen Zeitraum unendlich viele sind, die Fläche des besagten Dreiecks ausfüllen. Stellen wir uns nun vor, dass die Bewegung durch einen weiteren, ebenso langen Zeitraum fortgesetzt werde, jedoch nicht mehr in beschleunigter Bewegung, sondern in gleichförmiger, entsprechend dem höchsten angenommenen Geschwindigkeitsgrad, welcher Grad durch die Strecke BC repräsentiert werde, so wird sich aus diesen Gra-

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den eine Zusammenfügung entsprechend dem Parallelogramm ADBC ergeben, welches das Doppelte des Dreiecks ABC ist. Somit wird der Raum, der Grad für Grad entsprechend der Zeit durchmessen wird, das Doppelte des Raumes sein, der mit den vom dem Dreieck ABC repräsentierten Geschwindigkeitsgraden durchmessen wird. Die Bewegung auf einer horizontalen Ebene ist aber gleichförmig, da hier keine beschleunigende oder verzögernde Ursache [causa] existiert. Folglich ergibt sich, dass der Raum CD, welcher in einer Zeit gleich der Zeit AC durchmessen wird, das Doppelte des Raumes AC sein wird. Dieser ergibt sich nämlich mit einer von der Ruhe aus beschleunigten Bewegung entsprechend den Parallelen des Dreiecks, jener aber entsprechend den Parallelen des Parallelogramms, welche, da sie unendlich viele sind, das Doppelte der unendlich vielen Parallelen des Dreiecks sein werden. Überdies kann man hinzufügen, dass jeder Geschwindigkeitsgrad, den ein Körper angenommen hat, diesem seiner Natur nach unzerstörbar eingedrückt ist, solange äußere Ursachen der Beschleunigung oder Verzögerung aufgehoben sind, wie das nur auf einer horizontalen Ebene der Fall ist. Denn auf abwärts geneigten Ebenen wirkt eine Ursache größerer Beschleunigung, bei aufwärts geneigten aber der Verzögerung, woraus in gleicher Weise folgt, dass die Bewegung auf der Horizontale auch ewig anhalten wird. Denn wenn sie gleichförmig ist, so wird sie nicht geschwächt oder gebremst, geschweige denn ganz beseitigt. Ferner, da der jeweilige Geschwindigkeitsgrad, den ein Körper beim natürlichen Fall angenommen hat, diesem seiner Natur nach unzerstörbar und ewig anhaltend zukommt, so ergibt sich die Überlegung, dass dann, wenn nach einem Abstieg über eine abwärts geneigte Ebene eine Ablenkung auf eine andere, aufwärts geneigte Ebene stattfindet, auf dieser sogleich eine verzögernde Ursache wirksam wird; denn auf dieser Ebene steigt derselbe Körper von Natur aus ab. Daraus ergibt sich eine Vermischung gewissermaßen gegensätzlicher Einwirkungen, nämlich jenes beim vorausgegangenen Abstieg angenommenen Geschwindigkeitsgrades, mit welchem allein der Körper gleichförmig ins Unendliche geführt würde, und



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der natürlichen Neigung zur Abwärtsbewegung nach dem Maß der Beschleunigung, dem seine jeweilige Bewegung entspricht. Hiernach erscheint es vernünftig, dass wir bei der Untersuchung, was geschieht, wenn ein Körper nach dem Abstieg über irgendeine geneigte Ebene auf eine aufwärts geneigte Ebene abgelenkt wird, annehmen, dass jener beim Abstieg gewonnene maximale Grad als solcher andauernd beim Aufstieg über diese Ebene beibehalten wird, dass aber bei seinem Aufstieg die natürliche Neigung nach unten hinzukommt, nämlich eine von der Ruhe aus C

F

A

E G

B

D H

gemäß dem jeweils angenommenen Verhältnis beschleunigte Bewegung. Damit dies aber etwas deutlicher verstanden wird, soll es durch eine weitere Zeichnung näher erläutert werden. Man stelle sich dazu vor, es habe ein Abstieg über die geneigte Ebene AB stattgefunden, von wo aus die Bewegung abgelenkt auf der ansteigenden BC weitergehe, und die Ebenen seien zunächst ein­ ander gleich und erheben sich über die Horizontale GH mit gleichen Winkeln. Fest steht bereits, dass ein Körper, der von dem Ruhepunkt A aus über AB absteigt, Geschwindigkeitsgrade gleich den Zuwächsen der Zeit selbst annimmt, dass aber der Grad in B der höchste angenommene ist, der seiner Natur nach unveränderlich eingeprägt ist, d. h. sofern keine Ursachen neuer Beschleunigung oder Verzögerung wirken. Beschleunigung, sage ich, wäre gegeben mit einer weiteren Fortbewegung auf der verlängerten Ebene, Verzögerung aber, sofern eine Ablenkung auf die ansteigende Ebene BC stattfände. Auf der Horizontale GH aber würde sich eine gleichförmige Bewegung mit dem von A nach B angenommenen Geschwindigkeitsgrad ins Unendliche fortsetzen, und diese Geschwindigkeit wäre so groß, dass in einer Zeit gleich der des Abstiegs über AB zum Horizont das Doppelte von

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AB an Raum durchmessen würde. Stellen wir uns nun vor, der-

selbe Körper bewege sich mit demselben Geschwindigkeitsgrad gleichförmig auf der Ebene BC so, dass er auch auf der verlängerten BC in einer Zeit gleich der des Abstiegs über AB das Doppelte von AB an Raum durchmessen würde. Wir sehen aber, dass ihm, sobald er aufzusteigen beginnt, naturgemäß zusätzlich dasselbe widerfährt wie von A aus auf der Ebene AB , nämlich gewissermaßen ein Absteigen von der Ruhe aus entsprechend dem Grad jener Beschleunigung, kraft derer er von dem, was er über AB gewonnen hat, in derselben Zeit auf der aufsteigenden Ebene ebenso viel verliert, wie er über AB absteigend gewann. Damit steht fest, dass der Körper infolge dieser Verbindung gleichförmig aufsteigender und beschleunigt absteigender Bewegung auf der Ebene BC mit denselben jeweils gleichen Geschwindigkeitsgraden zum Endpunkt C hin geführt wird. Hieraus können wir folgern, dass dann, wenn man nun zwei Punkte D, E annimmt, die beiderseits gleich weit vom Winkel B entfernt liegen, DB in der gleichen Zeit durchmessen werden wird wie die Ablenkung längs BE . Man ziehe DF parallel zu BC . Nun steht fest, dass der Abstieg durch AD nach DF hin umkehrt. Wenn nun der Körper hinter D auf der Horizontale DE weitergeht, so wird die ihm übertragene Bewegungskraft in E gleich der übertragenen Bewegungskraft in D sein; folglich wird er von E nach C aufsteigen; das heißt aber, dass der Geschwindigkeitsgrad in D gleich dem Grad in E ist. D

C

A

E

B

Hiernach können wir also vernünftigerweise annehmen, dass dann, wenn ein Abstieg über eine beliebige geneigte Ebene stattfindet, dem eine Ablenkung auf eine aufsteigende Ebene folgt, der Körper durch die gewonnene Bewegungskraft bis zu derselben Höhe bzw. Erhebung über die Horizontale aufsteigt, so dass



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der Körper nach einem Abstieg über AB auf der abgelenkten Ebene BC bis zur Horizontale ACD weitergehen wird, und zwar nicht nur, wenn die Ebenen gleicherweise, sondern auch, wenn sie ungleich geneigt sind, wie die Ebene BD. Wir haben ja schon früher gelernt, dass die Geschwindigkeitsgrade, welche auf ungleich geneigten Ebenen angenommen werden, einander gleich sind, wenn jede dieser Ebenen dieselbe Er­ hebung über die Horizontale aufweist. Wenn nun bei gleicher Neigung der Ebenen EB, BD nach einem Abstieg über EB der Körper über die Ebene BD bis zu D hin befördert werden kann, weil diese Einwirkung gemäß der in Punkt B gewonnenen Geschwindigkeitskraft [velocitatis impetum] stattfindet, welche Kraft in B dieselbe ist, ob nun der Körper über AB oder über EB absteigt, so steht fest, dass der Körper in gleicher Weise über BD fortgetrieben wird, ob er nun durch AB oder durch EB abgestiegen ist. Tatsächlich ergibt sich, dass die Zeit des Aufstiegs über BD länger sein wird als über BC , wie auch der Abstieg über EB in längerer Zeit stattfinden wird als über AB. Es ist aber schon bewiesen worden, dass diese Zeiten sich zueinander ebenso verhalten wie die Längen dieser Ebenen. Daraus folgt sogleich, dass wir das Verhältnis der in gleichen Zeiten auf unterschiedlich geneigten, aber gleich hohen Ebenen durchmessenen Räume untersuchen, nämlich, wenn diese zwischen denselben horizontalen Parallelen liegen. Das aber geschieht gemäß der nachfolgenden Regel.

THEOREM XV, LEHSATZ X XIV Ist zwischen zwei parallelen Horizontalen eine Senkrechte gegeben und eine von deren unterem Ende aus ansteigende Ebene, so ist der Raum, welchen ein Körper nach dem Fall durch die Senkrechte auf der ansteigenden Ebene in der gleichen Zeit wie den Fallraum durchmisst, größer als diese Senkrechte, aber kleiner als deren Doppeltes. Zwischen den beiden horizontalen Parallelen BC , HG liege die Senkrechte AE und die aufsteigende Ebene EB, über die nach einem Fall durch die Senkrechte AE vom Endpunkt E aus eine Ableitung nach B hin stattfinden soll. Ich behaupte, dass der Raum,

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welchen ein Körper aufsteigend in einer Zeit durchmisst, die der Zeit des Abstiegs über AE gleich ist, größer ist als AE , aber auch kleiner als das Doppelte von AE . ED werde gleich EA angenomB

A

C

F D H

E

G

men, und wie ED sich zu BD verhält, so soll sich auch DB zu BF verhalten. Zu zeigen ist, erstens, dass der Punkt F die Stelle ist, zu welcher der Körper, abgelenkt auf EB, in einer der Zeit AE gleichen Zeit gelangt, alsdann, dass EF größer ist als EA , aber kleiner als das Doppelte davon. Nehmen wir an, die Zeit des Abstiegs über AE sei wie AE , so wird die Zeit des Abstiegs über BE oder des Aufstiegs über EB sich verhalten wie diese Strecke BE . Und weil DB die Mittlere zwischen EB, BF sein soll und BE die Zeit des Abstiegs durch ganz BE , so wird BD die Zeit des Abstiegs über BF, und die verbleibende DE die Zeit des Abstiegs über die verbleibende FE . Tatsächlich ist aber die Zeit durch FE von der Ruhe in B aus gleich der Zeit des Aufstiegs durch EF, weil in E der Geschwindigkeitsgrad des Abstiegs über BE bzw. AE angenommen wurde. Folglich wird ebendiese Zeit DE diejenige sein, in welcher der Körper nach dem Fall durch AE von A aus mit der auf EB abgelenkten Bewegung zur markierten Stelle F gelangen wird. Es war aber ED gleich AE angenommen, was als Erstes zu beweisen war. Weil sich nun der weggenommene Teil DB zum weggenommenen Teil BF ebenso verhält wie ganz EB zu ganz BD, so wird sich der verbliebene Teil ED zu DF ebenso verhalten wie ganz EB zu ganz BD. Aber EB ist größer als BD; folglich ist auch ED größer als DF und EF kleiner als das Doppelte von DE oder AE , was zu zeigen war. Dasselbe findet statt, wenn die vorangehende Bewegung nicht in der Senkrechte, sondern auf einer geneigten Ebene vor sich geht, und die Beweisführung ist dieselbe, wenn die abgelenkte Ebene weniger steil ansteigt bzw. länger als die abfallende Ebene ist.



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THEOREM XVI, LEHRSATZ X XV Wenn auf den Fall über irgendeine geneigte Ebene eine Bewegung auf einer horizontalen Ebene folgt, so wird sich die Zeit des Falles über die geneigte Ebene zur Zeit der Bewegung auf einer beliebigen Horizontale ebenso verhalten wie das Doppelte der Länge der geneigten Ebene zur jeweiligen Strecke auf der Horizontale. CB sei die Horizontale, AB die geneigte Ebene, und auf den Fall durch AB folge eine Bewegung auf der Horizontale, bei der ein beliebiger Raum BD durchmessen wird. Ich behaupte, dass die Zeit des Falles durch AB zur Zeit der Bewegung durch BD sich ebenso verhält wie das A Doppelte von AB zu BD. Nimmt man nämlich BC als das Doppelte von AB an, so C D B steht nach den vorangegangenen Beweisführungen fest, dass die Zeit des Falles durch AB der Zeit der Bewegung durch BC gleich sein wird. Aber die Zeit der Bewegung durch BC verhält sich zur Zeit der Bewegung durch DB wie die Strecke CB zur Strecke BD. Folglich verhält sich die Zeit der Bewegung durch AB zur Zeit der Bewegung durch BD wie das Doppelte von AB zu BD, was zu beweisen war. AUFGABE X , LEHRSATZ X XVI Gegeben sei eine Senkrechte zwischen parallelen Horizontalen, und gegeben sei auch ein Raum, der größer ist als diese Senkrechte, aber kleiner als ihr Doppeltes, welcher sich vom unteren Endpunkt der Senkrechte aus als Ebene zwischen den Parallelen erhebt, auf der ein Körper nach dem Fall durch die Senkrechte in abgelenkter Bewegung einen Raum gleich dem gegebenen durchmisst, und zwar in einer Zeit gleich der des Falles durch die Senkrechte. Zwischen den parallelen Horizontalen AO, BC liege die Senkrechte AB. Eine Strecke FE sei größer als BA , aber kleiner als das Doppelte davon. Man errichte von B aus eine Ebene zwischen den Horizontalen, auf welcher ein Körper im Anschluss an einen Fall

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von A nach B in abgelenkter Bewegung in einer Zeit gleich derjenigen des Abstiegs durch AB aufsteigend einen Raum gleich EF durchmisst. ED werde gleich AB gemacht; dann wird das verbleibende DF kleiner sein, weil ganz EF kleiner ist als das Doppelte von AB. DJ sei gleich DF, so wird O A DF sich zu einer anderen DX S R ebenso verhalten wie EJ zu JD, und von B aus werde die Gerade C B BO gleich EX abgelenkt. Ich beJ E X F D haupte, dass die Ebene durch BO diejenige ist, auf welcher ein Körper nach dem Fall durch AB in einer Zeit gleich der des Falles durch AB aufsteigend einen Raum durchläuft, der dem gegebenen Raum EF gleich ist. Man nehme BR , RS gleich ED, DF. Weil sich nun DF zu FX ebenso verhält wie EJ zu JD, so wird zusammengesetzt DX sich zu XF ebenso verhalten wie ED zu DJ, d. h. DX verhält sich zu XF und EX verhält sich zu XD wie ED zu DF, d. h. RO verhält sich zu OS ebenso wie BO zu OR . Wenn wir nun annehmen, dass AB die Zeit durch AB ist, so wird OB die Zeit durch OB sein und RO die Zeit durch OS , und das verbleibende BR die Zeit durch das verbleibende SB beim Abstieg von O nach B. Aber die Zeit des Abstiegs durch SB von der Ruhe in O aus ist gleich der Zeit des Aufstiegs von B nach S im Anschluss an den Abstieg durch AB. Folglich ist BO die von B aus aufsteigende Ebene, auf der nach einem Abstieg durch AB in der Zeit BR oder BA der Raum BS durchmessen wird, der dem gegebenen Raum EF gleich ist, was zu zeigen war.

THEOREM XVII, LEHRSATZ X XVII Wenn ein Körper über ungleiche Ebenen absteigt, deren Höhen gleich sind, so ist der Raum, den er auf dem unteren Teil der längeren in einer Zeit durchmisst, welche derjenigen gleich ist, in der er die ganze kürzere Ebene durchmisst, gleich dem Raum, der sich aus der Zusammensetzung der besagten kürzeren Ebene mit einem Teil ergibt, zu dem diese kürzere Ebene sich ebenso verhält, wie die längere sich zu dem Maß verhält, mit dem die längere die kürzere übertrifft.



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Die Ebene AC sei die längere, AB aber die kürzere, und ihre gleiche Höhe sei AD, und auf dem unteren Teil von AC nehme man CE gleich AB, und wie ganz CA sich zu AE verhält, nämlich zum Überschuss der Ebene CA über AB , so soll sich auch CE zu EF verhalten. Ich behaupte, dass der Raum FC derjenige ist, der nach dem Abstieg von A aus in einer Zeit gleich der des Abstiegs durch AB durchmessen wird. Weil sich nämlich ganz CA zu ganz AE ebenso verhält wie das Teilstück CE zum Teilstück EF, so wird sich das verbleibende EA zum verbleibenden AF ebenso verhalten wie das ganze CA zum ganzen AE . Daher sind CA , AE , AF drei fortschreitend zueinander proportionale [Strecken]. Weil nun, wie angenommen, die Zeit durch AB sich verhält wie AB, so wird AC wie die Zeit durch AC sein. Aber die Zeit durch AF wird wie AE , und durch das verbleibende FC wird sie sein wie EC . Nun ist aber EC gleich AB. Somit bestätigt sich die Behauptung.

AUFGABE XI, LEHRSATZ X XVIII Eine horizontale Linie AG berühre einen Kreis, und vom Berührungspunkt aus erstrecke sich der Durchmesser AB sowie zwei beliebige Sehnen AEB. Es soll das Verhältnis der Zeit des Falles durch AB zur Zeit des AbA G steigens über beide AEB bestimmt werden. Man verlängere BE bis zur E Tangente in G und teile den Winkel BAE mit der Linie AF in zwei gleiF che Hälften. Ich behaupte, dass sich die Zeit durch AB zur Zeit durch AEB ebenso verhalten wird wie AE zu AEF. Denn weil der Winkel FAB B gleich dem Winkel FAE ist, der Winkel EAG aber gleich dem Winkel ABF, so wird der ganze GAF gleich den beiden FAB, ABF sein. Diesen ist aber auch der Winkel GFA gleich; folglich ist die Strecke GF gleich GA . Weil nun

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das Rechteck BGE gleich dem Quadrat GA ist, so wird auch das Quadrat GF dem gleich, und die drei Strecken BG, GF, GE werden zueinander proportional sein. Wenn man nun annimmt, dass AE die Zeit durch AE ist, so wird GE die Zeit durch GE und GF die Zeit durch ganz GB sowie EF die Zeit durch EB nach dem Abstieg durch AE von G oder A aus. Daher verhält sich die Zeit durch AE oder durch AB zur Zeit durch AEB wie AE zu AEF, was zu beweisen war. Anders und kürzer: Man ziehe GF gleich GA . Dann steht fest, dass GF die mittlere Proportionale zwischen BG, GE ist. Das ­Übrige wie oben.

THEOREM XVIII, LEHRSATZ X XIX Gegeben sei ein beliebiger horizontaler Raum, in dessen Endpunkt eine Senkrechte errichtet sein soll, auf der eine Teilstrecke gleich der Hälfte des gegebenen horizontalen Raumes genommen werde; so wird ein Körper, der aus dieser Höhe absteigt und auf die Horizontale abgelenkt wird, den Raum auf der Hori­ zontale und in der Senkrechte zusammengenommen in kürzerer Zeit durchmessen als jeden beliebigen anderen Raum auf der Senkrechte zusammengenommen mit diesem selben horizon­ talen Raum. Gegeben sei eine horizontale Ebene, auf der ein beliebiger Raum BC gegeben sei, und von dem Endpunkt B aus erhebe sich eine Senkrechte, auf welcher BA die Hälfte von BC sein soll. Ich behaupte, dass die Zeit, in der ein von A aus gefallener Körper die beiden Räume AB, BC durchmisst, die kürzeste aller Zeiten ist, in denen derselbe Raum BC zusammengenommen mit einem senkrechten Teil, gleich ob dieser größer oder kleiner als AB ist, durchmessen werden wird. In der ersten Darstellung sei dieser Teil EB größer angenommen, in der zweiten kleiner. Gezeigt werden muss, dass die Zeit, in der die Räume EB, BC durchmessen werden, länger ist als die Zeit, in der AB, BC durchmessen werden. Man nehme an, dass die Zeit durch AB sich verhalte wie AB, und dies wird auch die Zeit der Bewegung auf der Hori­ zontale BC sein, weil BC das Doppelte von AB ist, und durch



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beide Räume ABC wird die Zeit das Doppelte von BA sein. BO sei die Mittlere zwischen EB , BA . Dann wird BO die Zeit des Falles durch EB sein. Sei außerdem der horizontale Raum BD das Doppelte von BE , so steht fest, dass die Zeit nach dem Fall durch EB ebenfalls BO ist. Nun verhalte sich OB zu BN wie DB zu BC oder wie EB zu BA ; weil nun die Bewegung auf der Horizontale gleichförmig ist, und weil OB die Zeit durch BD nach dem Fall von E aus ist, so wird NB die Zeit durch BC nach dem Fall aus derselben Höhe E sein. Damit steht fest, dass OB zusammen mit BN die Zeit durch EBC ist; und weil das Doppelte von BA die Zeit über ABC sein soll, so bleibt zu zeigen, dass OB zusammen mit BN größer ist als das Doppelte von BA. Weil aber OB die Mittlere zwischen EB, BA ist, so ist das Verhältnis von EB zu BA das Doppelte des Verhältnisses von OB zu BA. Und weil sich EB zu BA ebenso verhält wie OB zu BN , so wird auch das Verhältnis von OB zu BN das Doppelte des Verhältnisses von OB zu BA . Aber das Verhältnis von OB zu BN ist tatsächlich aus den Verhältnissen von OB zu BA und von AB zu BN zusammengesetzt; folglich verhält sich AB zu BN ebenso wie OB zu BA. Daher sind BO, BA , BN drei aufeinanderfolgende Proportionale, und OB und BN sind zusammen größer als das Doppelte von BA , womit die Behauptung bestätigt ist.

THEOREM XIX, LEHRSATZ X X X Wenn von irgendeinem Punkt auf einer Horizontale eine Senkrechte abwärts verläuft und von irgendeinem anderen auf derselben Horizontale angenommenen Punkt wird eine Ebene an die Senkrechte herangeführt, auf welcher ein Körper in kürzester Zeit bis zur Senkrechte hin absteigt, so wird das diejenige Ebene sein, welche von der Senkrechte einen Teil abschneidet, der gleich dem Abstand des auf der Horizontale angenommenen Punktes vom Endpunkt der Senkrechte ist.

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Die Senkrechte sei BD, die vom Punkt B auf der horizontalen Strecke AC aus abwärts verläuft, auf der ein beliebiger Punkt C liegen soll; man nehme auf der Senkrechte den Abstand BE gleich dem Abstand BC und ziehe CE . Ich behaupte, dass von allen von Punkt C bis zur Senkrechte herabführenden Ebenen CE J diejenige ist, auf der ein Abstieg bis H zur Senkrechte hin in der kürzesB A C ten aller Zeiten stattfindet. Nimmt man nämlich darüber wie darunter K L F geneigte Ebenen CF, CG an, und zieht man JK , welche den mit dem E Radius BC beschriebenen Kreis in G C berührt und von der Senkrechte überall gleichen Abstand hat, und zu CF sei EK parallel, welche bis zur Tangente verlängert sei, wobei D sie den Kreisumfang in L schneidet, so steht fest, dass die Zeit des Falles durch LE gleich der Zeit des Falles durch CE ist. Aber die Zeit durch KE ist länger als durch LE . Folglich ist die Zeit durch KE länger als durch CE . Aber die Zeit durch KE ist gleich der Zeit durch CF, weil beide gleich sind und mit derselben Neigung verlaufen; entsprechend werden die Zeiten der Bewegungen durch CG und JE gleich sein, weil beide gleich sind und im selben Neigungswinkel verlaufen. Aber die Zeit durch HE , welches kürzer als JE ist, ist kürzer als die Zeit durch JE . Folglich wird auch die Zeit durch CE (welche der Zeit durch HE gleich ist) kürzer sein als die Zeit durch JE . Somit ist die Behauptung bestätigt.

THEOREM X X, LEHRSATZ X X XI Man nehme über einer Horizontale eine beliebig geneigte gerade Linie an, so ist die von einem gegebenen Punkt auf der Horizontale zu der geneigten [Linie] hin gezogene Ebene, auf welcher ein Abstieg in der kürzesten aller Zeiten stattfindet, diejenige, welche den zwischen zwei von dem gegebenen Punkt ausgehenden



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Senkrechten eingeschlossenen Winkel halbiert, deren eine auf der horizontalen Linie, die andere auf der geneigten steht. CD sei die über der Horizontale AB beliebig geneigte Linie, und gegeben sei auf der Horizontale irgendein Punkt A , von dem aus AC senkrecht zu AB, aber AE C senkrecht zu CD gezogen werde, F und der Winkel CAE werde von E der Strecke FA hälftig geteilt. Ich D behaupte, dass von allen geneigten G Ebenen, die von beliebigen Punkten auf der Linie CD zum Punkt A hin gelegt werden, die durch FA verlaufende diejenige ist, auf der A B ein Abstieg in der kürzesten aller Zeiten stattfinden wird. Man ziehe FG parallel zu AE . Dann sind die Wechselwinkel GFA , FAE einander gleich. Aber EAF ist gleich FAG, also sind die Dreiecksseiten FG, GA einander gleich. Beschreibt man nun um den Mittelpunkt G mit dem Abstand GA einen Kreis, so wird dieser durch F gehen und die Horizontale und die geneigte Linie in den Punkten A , F berühren; denn der Winkel GFC ist ein rechter, weil GF zu AE denselben Abstand einhält. Folglich steht fest, dass alle von Punkt A aus zu der geneigten [Linie] hin gezogenen Linien über den Umkreis hinausreichen, so dass folgerichtig Bewegungen auf ihnen längere Zeit benötigen werden als durch FA , was zu beweisen war.

ZUSATZ Wenn zwei Kreise sich innen berühren, deren innerer eine beliebige gerade Linie berührt, während der äußere drei Linien schneidet, welche vom Berührungspunkt der Kreise zu drei Punkten der geraden Berührungslinie führen, und zwar zu deren Berührungspunkt mit dem inneren Kreis und zu ihren Schnittpunkten mit dem äußeren, so werden diese am Berührungspunkt der Kreise gleiche Winkel einschließen. Zwei Kreise sollen sich im Punkt A innen berühren, mit den Mittelpunkten B des kleineren, C des größeren. Den inneren

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Kreis berühre eine beliebige gerade Linie FG in Punkt H , und sie schneide den größeren in den Punkten F, G. Weiterhin sollen drei Strecken AF, AH, AG miteinander verbinden. Ich behaupte, dass die von diesen eingeschlossenen A Winkel FAH, GAH einander gleich sind. Man verlängere AH bis zu J auf dem Kreisumfang, ziehe von B den Mittelpunkten aus BH, CJ und C F verbinde die Mittelpunkte durch O H BC , deren Verlängerung zum Berührungspunkt A sowie zu O und N J auf den Kreisumfängen führt. Weil N G nun die Winkel JCN , HBO einander gleich sind, da jeder von ihnen das Doppelte des Winkels JAN ist, so werden die Strecken BH, CJ zueinander parallel sein. Und weil BH, vom Mittelpunkt zum Berührungspunkt führend, senkrecht auf FG steht, so wird auch CJ darauf senkrecht stehen, und der Bogen FJ wird dem Bogen JG gleich sein, und, was folgerichtig ist, der Winkel FAJ dem Winkel JAG. Was zu beweisen war.

THEOREM X XI, LEHRSATZ X X XII Nimmt man auf einer Horizontale zwei Punkte an, von deren einem eine beliebige gegen den anderen hin geneigte Linie ausgehe, von welchem aus eine gerade Linie zu der geneigten Linie hinführt, von der sie einen Teil abschneidet, der demjenigen gleich ist, welcher zwischen den Punkten auf der Horizontale liegt, so wird der Fall durch diese [Linie] schneller stattfinden als durch irgendeine andere Gerade, die von demselben Punkt zu der geneigten Linie hinführt. Aber auf anderen [Geraden], welche von dieser beiderseits im gleichen Winkel abzweigen, werden die Fallzeiten einander gleich sein. Auf einer Horizontale liegen zwei Punkte A , B, und von B aus führe die Gerade BC abwärts, auf der man vom Endpunkt B aus BD gleich BA abträgt, und man verbinde AD. Ich behaupte, dass ein Fall durch AD schneller stattfinden wird als durch irgendeine andere Linie, die von A aus an die geneigte Linie BC heranführt.



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Man ziehe dazu von den Punkten A und D aus senkrecht auf BA und BD die Linien AE , DE , die sich in E schneiden. Weil nun im gleichschenkligen Dreieck ABD die Winkel BAD, BDA einander gleich sind, so werden A B auch die sie zu rechten Winkeln ergänzenden DAE , EDA einander gleich sein. Daher wird G E ein um den Mittelpunkt E mit F dem Abstand EA beschriebener D Kreis auch durch D gehen und die Linien BA , BD in den PunkC ten A , D berühren. Weil nun A der Endpunkt der Senkrechte AE ist, so wird ein Fall durch AD schneller stattfinden als durch irgendeine beliebige andere, vom selben Endpunkt A über den Kreisumfang hinaus an die Linie BC gezogene Linie. Dies war zunächst zu beweisen. Wenn man nun die Senkrechte AE verlängert und darauf irgend­einen Mittelpunkt F annimmt und mit dem Abstand FA ­einen Kreis AGC beschreibt, der die Berührungslinie in den Punkten G und C schneidet, und man verbindet AG, AC , so werden diese von der Mittellinie AD in gleiche Winkel geteilt, wie vorstehend bewiesen wurde. Auf diesen aber werden Bewegungen in gleichen Zeiten stattfinden, da sie sich vom oberen Punkt A bis zum Umfang des Kreises AGC erstrecken.

AUFGABE XII, LEHRSATZ X X XIII Gegeben seien eine Senkrechte und eine zu ihr hin geneigte Ebene von gleicher Höhe und mit demselben oberen Endpunkt. Man finde jenen Punkt auf der Senkrechte oberhalb des gemeinsamen Endpunkts, von dem aus ein fallender Körper, welcher anschließend auf die geneigte Ebene abgelenkt wird, diese Ebene in derselben Zeit durchmisst, in der er die besagte Senkrechte von der Ruhe aus durchmessen würde. AB, AC seien die Senkrechte und die zu ihr hin geneigte Ebene von gleicher Höhe. Man finde auf dem von A ausgehend ver-

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längerten Teil der Senkrechte BA jenen Punkt, von dem aus fallend ein Körper den Raum AC in derselben Zeit durchmessen würde, in der er die gegebene Senkrechte AB von der Ruhe in A aus durchmisst. Man ziehe DCE rechtwinklig zu AC , H G trage darauf CD gleich AB A ab und verbinde AD. Dann E wird der Winkel ADC gröJ ßer sein als der Winkel CAD (weil nämlich CA C B größer ist als AB bzw. CD). Der Winkel DAE werde F gleich dem Winkel ADE D gemacht, und EF sei senkrecht zu AE , so dass sie die beiderseits verlängerte geneigte Ebene in F schneidet. Man mache AJ, AG beiderseits gleich CF und ziehe GH durch G parallel zur Horizontale. Ich behaupte, dass H der gesuchte Punkt ist. Nimmt man nämlich an, dass AB die Fallzeit durch die Senkrechte AB ist, so wird die Zeit durch AC von der Ruhe in A aus ebenfalls AC sein. Und zieht man im rechtwinkligen Dreieck AEF von dem rechten Winkel E aus EC senkrecht auf die Basis AF, so wird AE die Mittlere zwischen FA , AC und CE die Mittlere zwischen AC , CF, d. h. zwischen CA , AJ. Weil nun die Zeit durch AC von A aus AC ist, so wird AE die Zeit durch ganz AF sein und EC die Zeit durch AJ. Weil aber im gleichschenkligen Dreieck AED die Seite AE gleich der Seite ED ist, so wird ED die Zeit durch AF sein, und EC ist die Zeit durch AJ. Folglich wird CD, d. h. AB, die Zeit durch JF von der Ruhe in A aus sein, was dasselbe ist, wie wenn wir sagen, dass AB die Zeit durch AC von G aus ist, oder von H aus. Das ist es, was nachgewiesen werden sollte.

AUFGABE XIII, LEHRSATZ X X XIV Gegeben seien eine geneigte Ebene und eine Senkrechte mit einem gemeinsamen oberen Endpunkt. Man finde auf der ver­ längerten Senkrechte den weiter oben liegenden Punkt, von dem



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aus herabfallend ein Körper, der auf die geneigte Ebene abgelenkt wird, beide in derselben Zeit durchmisst wie die geneigte Ebene allein von der Ruhelage an ihrem oberen Endpunkt aus. AB, AC seien die geneigte X R Ebene und die Senkrechte mit dem gemeinsamen EndF H punkt A . Die Aufgabe ist, A S auf der über A hinaus verJ längerten Senkrechte den L N höheren Punkt zu finden, C B von dem aus herabfallend ein Körper, abgelenkt auf D E die Ebene AB , die senkrechte Teilstrecke und die geneigte Ebene in derselben Zeit durchmisst wie die Ebene AB allein vom Ruhepunkt A aus. Man ziehe die Horizontale BC und mache AN gleich AC . Dann verhält sich AL zu LC ebenso wie AB zu BN. Man mache AJ gleich AL , so wird CE , abgetragen auf der Verlängerung der Senkrechte AC , die dritte Proportionale zu AC , BJ sein. Ich behaupte, dass CE der gesuchte Raum ist, dergestalt, dass dann, wenn man die Senkrechte über A hinaus verlängert und darauf einen zu CE gleichen Teil AX abträgt, ein Körper von X aus den gesamten Raum XAB in derselben Zeit beschreiben wird wie AB allein von A aus. Man ziehe die Horizontale XR parallel zu BC , die in R auf die Verlängerung von BA trifft. Alsdann, nachdem man AB nach D verlängert hat, ziehe man ED parallel zu CB, beschreibe über AD einen Halbkreis und errichte in B auf DA eine Senkrechte BF bis zum Kreisumfang hin. Es ergibt sich dann, dass FB die Mittlere zwischen AB, BD ist und die Strecke FA die Mittlere zwischen DA , AB. Man nehme BS gleich BJ und FH gleich FB. Weil nun AC sich zu CE ebenso verhält wie AB zu BD, und weil BF die Mittlere zwischen AB, BD ist und BJ die Mittlere zwischen AC , CE , so wird BF sich zu BS ebenso verhalten wie BA zu AC; und weil FB sich zu BS ebenso verhält wie BA zu AC oder zu AN, so wird nach Umstellung des Verhältnisses BF zu BS wie AB zu BN, d. h.

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AL zu LC . Daher gleicht das Rechteck aus FB, CL dem Rechteck aus AL , SF. Dieses Rechteck AL , SF ist aber der Überschuss des Rechtecks aus AL , FB oder AJ, BF über das Rechteck AJ, BS oder AJB. Aber das Rechteck FB, LC ist der Überschuss des Rechtecks AC , BF über das Rechteck AL , BF. Weil nun das Rechteck AC , BF dem Rechteck ABJ gleich ist (denn es verhält sich FB zu BJ wie BA zu AC), so gleicht der Überschuss des Rechtecks ABJ über das Rechteck AJ, BF oder AJ, FH dem Überschuss des Rechtecks AJ, FH über das Rechteck AJB. Also ist das Doppelte des Rechtecks AJ, FH gleich der Summe aus ABJ, AJB, d. h. gleich dem Doppelten von AJB zusammen mit dem Quadrat BJ. Man füge beiden das Quadrat AJ hinzu, so wird das Doppelte des Rechtecks AJB mitsamt den beiden Quadraten AJ, JB, d. h. dem Quadrat AB, gleich dem Doppelten des Quadrats AJ, FH zusammen mit dem Quadrat AJ. Fügt man wiederum beiden das Quadrat BF hinzu, so werden die beiden Quadrate AB, BF, d. h. das eine Quadrat AF, gleich dem Doppelten des Rechtecks AJ , FH mitsamt den beiden Quadraten AJ, FB, d. h. AJ, FH. Das Quadrat AF ist aber gleich den Doppelten des Rechtecks AHF zusammen mit den beiden Quadraten AH, HF. Folglich ist das Doppelte des Rechtecks AJ, FH zusammen mit den Quadraten AJ, FH gleich dem Doppelten des Rechtecks AHF zusammen mit den Quadraten AH , HF. Aber nach Wegnahme des gemeinsamen Quadrats HF wird das Doppelte des Rechtecks AJ, FH zusammen mit dem Quadrat AJ gleich dem Doppelten des Rechtecks AHF zusammen mit dem Quadrat AH. Weil aber alle Rechtecke die Seite FH gemeinsam haben, so wird die Strecke AH gleich der Strecke AJ sein. Wäre sie nämlich größer oder kleiner, so wären auch das Rechteck FHA und das Quadrat HA größer oder kleiner als das Rechteck FH, JA und das Quadrat JA , entgegen dem, was bewiesen worden ist. Wenn wir also annehmen, dass AB die Zeit des Falles durch AB ist, so wird sich die Zeit durch AC wie AC verhalten, und JB, die Mittlere zwischen AC , CE , wird die Zeit durch CE sein, bzw. durch XA von der Ruhe in X aus. Und weil AF die Mittlere zwischen DA , AB oder RB, BA ist, aber BF, welche gleich FH ist, die Mittlere zwischen AB, BD, d. h. RA , AB, so wird nach dem



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vorstehend Bewiesenen der Überschuss AH die Zeit durch AB von der Ruhe in R aus, d. h. nach dem Fall von X aus, während AB die Zeit durch AB von der Ruhe in A aus sein wird. Daher ist JB die Zeit durch XA , aber [die Zeit] durch AB im Anschluss an RA , d. h. an XA , ist AJ. Also wird sich die Zeit durch XAB wie AB verhalten, d. h. ebenso wie die Zeit durch AB allein, von der Ruhe in A aus. Was zu beweisen war.

AUFGABE XIV, LEHRSATZ X X XV Gegeben sei eine Ablenkung von einer gegebenen Senkrechte. Es soll der Teil auf der Ablenkung angegeben werden, durch welchen von der Ruhe aus eine Bewegung in derselben Zeit stattfindet wie durch diesen und die Senkrechte zusammen.

Die Senkrechte sei AB, die Ablenkung von ihr BC . Auf BC soll der Teil angegeben werden, durch welchen allein von der Ruhe aus eine Bewegung in derselben Zeit stattfindet wie durch diesen und die Senkrechte AB zusammen. Man ziehe die Horizontale AD, welche die verlängerte Ablenkung CB in E schneidet, nehme BF gleich BA , und beschreibe um den Mittelpunkt E mit dem Abstand EF den Kreis FJG. Wird FE bis zu G auf dem Kreisumfang durchgezogen, dann wird sich BH zu HF verhalten wie GB zu BF, und HJ berührt den Kreis in J. Schließlich errichte man BK in B als Senkrechte auf FC , welche mit der Strecke EJL in L zusam-

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mentrifft. Zuletzt ziehe man LM senkrecht zu EL , welche mit BC in M zusammentrifft. Ich behaupte, dass eine Bewegung auf der Strecke BM von der Ruhe in B aus in derselben Zeit stattfindet wie von der Ruhe in A aus durch AB, BM zusammen. Man nehme EN gleich EL . Weil sich nun BH zu HF ebenso verhält wie GB zu BF, so wird nach Umstellung BF zu FH wie GB zu BH , und nach Teilung GH zu HB wie BH zu HF. Deshalb wird das Rechteck GHF gleich dem Quadrat HB sein. Aber dasselbe Rechteck ist auch dem Quadrat HJ gleich; folglich ist BH gleich HJ. Weil nun in dem Viereck JLBH die Seiten HB, BJ gleich und die Winkel B, J rechte sind, so wird auch die Seite BL gleich LJ sein. Aber EJ ist gleich EF. Folglich ist ganz LE oder NE den beiden LB, EF gleich. Man nehme den gemeinsamen Teil EF weg, so wird das verbleibende FN gleich LB. Aber FB wurde gleich BA genommen; folglich ist LB den beiden AB, BN gleich. Nimmt man wiederum an, dass AB die Zeit durch AB ist, so wird die Zeit durch EB gleich EB sein. Aber die Zeit durch ganz EM wird EN sein, d. h. die Mittlere zwischen ME , EB. Deshalb wird BN die Zeit des Falles durch die verbleibende BM nach EB oder nach AB. Es wurde aber angenommen, dass AB die Zeit durch AB ist. Folglich ist die Zeit des Falles durch beide ABM gleich ABN. Weil aber die Zeit durch EB von der Ruhe in E aus EB sein soll, so wird die Zeit durch BM von der Ruhe in B aus die mittlere Proportionale zwischen BE , BM . Das aber ist BL . Daher ist die Zeit durch beide ABM von der Ruhe in A aus ABN. Aber die Zeit durch BM allein von der Ruhe in B aus ist BL . Nun ist aber gezeigt worden, dass BL gleich den beiden AB, BN ist; folglich ist die Behauptung bestätigt. Anders und einfacher: BC sei die geneigte Ebene, BA die Senkrechte. Man ziehe durch B eine beiderseits verlängerte Senkrechte auf EC und nehme BH gleich dem Überschuss von BE über BA und den Winkel BHE gleich dem Winkel HEL . Die Verlängerung von EL treffe in L auf BK , und von L aus ziehe



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man LM senkrecht zu EL bis zum Punkt M auf BC . Ich behaupte, dass BM der gesuchte Raum auf der Ebene BC ist. Denn weil der Winkel MLE ein rechter ist, so wird BL die Mittlere zwischen MB, BE und LE die Mittlere zwischen ME , EB, welcher EL der Abschnitt EN gleich ist. Dann sind die drei Strecken NE , EL , LH einander gleich, und HB wird der Überschuss von NE über BL . HB ist aber auch der Überschuss von NE über NB, BA: Also sind die beiden NB, BA gleich BL . Da, wie angenommen, EB die Zeit durch EB ist, so wird BL die Zeit durch BM von der Ruhe in B aus sein, und BN wird dieselbe Zeit nach EB sein, oder nach AB, und AB wird die Zeit durch AB sein. Also sind die Zeiten durch ABM , bzw. ABN, gleich der Zeit durch BM allein von der Ruhe in B aus, was zu zeigen war. ZUSATZ DC stehe senkrecht auf dem Durchmesser BA , und vom Endpunkt B aus ziehe man BED in beliebiger Richtung, und man verbinde FB . Ich behaupte, dass FB die Mittlere zwischen DB , BE ist. Man verbinde EF und ziehe durch B die Tangente BG , welche zu CD parallel

sein wird. Somit wird der Winkel DBG dem Winkel FDB gleich sein. Aber diesem GBD ist auch der Winkel EFB im anliegenden Teil [in portione alterna] gleich. Folglich sind die Dreiecke FBD, FEB einander ähnlich, und FB verhält sich zu BE ebenso wie BD zu BF.

ZUSATZ Eine Strecke AC sei größer als DF, und AB stehe zu BC in einem größeren Verhältnis als DE zu EF. Ich behaupte, dass AB größer ist als DE . Denn weil AB zu BC ein größeres Verhältnis hat als DE zu EF, so wird DE zu einer kleineren als EF dasselbe VerhältB C nis haben wie AB zu BC . Es habe A dieses Verhältnis zu EG . Weil nun D E G F AB sich zu BC ebenso verhält wie

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DE zu EG , so wird nach Zusammensetzung und Umkehrung des Verhältnisses GD sich zu DE ebenso verhalten wie CA zu AB. CA ist aber größer als GD ; folglich wird BA größer sein als DE .

ZUSATZ ACJB sei ein Viertelkreis und BE von B aus sei parallel zu AC , und um einen beliebig darauf [auf BE] angenommenen Mittelpunkt werde der Kreis BOES beschrieben, der AB in B berührt und den Umfang des Viertelkreises A B in J schneidet. Nun werde CB verbunden und CJ bis S verlängert. Ich beD S haupte, dass die Strecke CJ stets kleiO ner sein wird als CO. Man ziehe AJ , J welche den Kreis BOE berührt. Wenn C man nun DJ zieht, so wird diese gleich E DB sein. Weil aber DB den ViertelN kreis berührt, so berührt ihn auch DJ, und zwar als Senkrechte auf dem Radius AJ. Deshalb berührt auch AJ den Kreis BOE in J. Und weil der Winkel AJC größer ist als der Winkel ABC , da er über dem größeren Abschnitt des Kreisumfangs steht, so wird auch B A der Winkel SJN größer sein als ABC . Aus diesem Grund ist der Kreisteil JES O D S größer als der Kreisteil BO, und die dem Mittelpunkt näher liegende StreJ C E cke CS ist größer als CB. Deshalb ist auch CO größer als CJ, denn SC verN hält sich zu CB wie OC zu CJ. Dasselbe trifft aber noch deutlicher zu, wenn (wie in der nächsten Figur) BJC weniger als einen Viertelkreis misst. Denn die Senkrechte DB durchschneidet dann den Kreis CJB , und ebenso DJ , weil es gleich DB ist; und weil der Winkel DJA ein stumpfer ist, durchschneidet auch AJN den Kreis BJE . Weil aber der Winkel ABC kleiner ist als der Winkel AJC , der gleich SJN



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ist, so ist auch dieser noch immer kleiner als derjenige, welcher am Berührungspunkt J mit der Strecke SJ gebildet wird. Deshalb ist der Abschnitt SEJ bei Weitem größer als der Abschnitt BO, und daher etc. Was zu beweisen war.

THEOREM X XII, LEHRSATZ X X XVI Wenn bei einem zu einer Horizontale hinaufgeführten Kreis­ bogen vom untersten Punkt aus eine Ebene aufgerichtet wird, die nicht mehr als ein Viertel des Kreisumfangs unterspannt, von dessen Endpunkten zwei andere Ebenen sich zu einem beliebigen Punkt auf dem Kreisumfang hin erstrecken, so wird ein Abstieg über die beiden abgeknickten Strecken in kürzerer Zeit stattfinden als allein auf der zuerst aufgerichteten Ebene, oder auch auf einer dieser beiden, nämlich auf der unteren. M

D

A

F O

B

V

N

C

T

G

S

R

P

Der vom unteren Punkt C zur Horizontale hinaufgeführte Kreis­ umfang sei CBD, nicht größer als ein Viertelkreis, in dem sich die Ebene CD aufwärts erstrecken soll, und zwei Ebenen sollen von den Endpunkten D und C aus zu einem beliebigen auf dem Kreisumfang angenommenen Punkt B hinführen. Ich behaupte, dass die Zeit des Abstiegs über die beiden Ebenen DBC kürzer ist als die Zeit des Abstiegs über DC allein oder nur über BC von der Ruhe in B aus. Man ziehe durch D die Horizontale MDA , mit welcher die Verlängerung von CB in A zusammentrifft. DN und MC sollen auf MD, und BN soll auf BD senkrecht stehen, und um das rechtwinklige Dreieck DBN werde der Halbkreis DFBN ge-

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DRIT TER TAG

zogen, der DC in F schneidet. DO sei die mittlere Proportionale zwischen CD, DF und AV die mittlere zwischen CA , AB. Nun soll PS die Zeit des Durchgangs durch ganz DC sein, oder auch durch BC (es steht nämlich fest, dass sie beide in gleichen Zeiten durchmessen werden), und die Zeit SP soll sich zur Zeit PR ebenso verhalten wie CD zu DO. Dann wird die Zeit PR diejenige sein, in der ein Körper von D aus DF durchmisst, RS aber diejenige für die verbleibende FC . Denn weil PS auch die Zeit sein soll, in welcher der Körper von B aus BC durchmisst, so dass sich SP zu PT ebenso verhält wie BC zu CD, so wird PT die Zeit des Falls von A nach C , weil DC die Mittlere zwischen AC , CB ist, wie zuvor bewiesen wurde. Es verhalte sich aber auch TP zu PG wie CA zu AV; dann wird PG die Zeit sein, in welcher der Körper von A aus nach B gelangt, und GT die Zeit für die restliche Bewegung BC , welche auf die Bewegung von A nach B folgt. Weil aber DN, der Durchmesser des Kreises DFN, zur Horizontale hin senkrecht ist, so werden die Strecken DF und DB in gleichen Zeiten durchmessen. Wenn also bewiesen wird, dass ein Körper BC nach einem Fall durch DB schneller durchmisst als FC nach der Durchmessung von DF, so haben wir das Gesuchte. Nun durchmisst der Körper, der von D aus über DB kommt, BC ebenso schnell, wie wenn er von A aus über AB kommt, weil er auf beiden Fallwegen DB, AB gleiche Geschwindigkeitsteile aufnimmt. Folglich wird zu beweisen sein, dass BC nach AB in kürzerer Zeit durchmessen wird als FC nach DF. Es wurde aber gezeigt, dass die Zeit der Durchmessung von BC nach AB gleich GT ist, aber die Zeit durch FC nach DF ist RS . Daher muss gezeigt werden, dass RS größer ist als GT. Das geschieht folgendermaßen: Weil CD zu DO gleich SP zu PR ist, so ist nach Vertauschung und Umstellung des Verhältnisses OC zu CD wie RS zu SP und DC zu CA wie SP zu PT. Und weil sich CA zu AV verhält wie TP zu PG, so wird sich nach Vertauschung des Verhältnisses auch AC zu CV verhalten wie PT zu TG. Folglich ist aufgrund der Gleichheit OC zu CV wie RS zu GT. Aber OC ist größer als CV, wie sogleich gezeigt werden wird; folglich ist die Zeit RS größer als die Zeit GT, was bewiesen werden sollte. Denn weil CF größer sein wird als CB, FD, aber



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kleiner als BA , so wird das Verhältnis von CD zu DF größer sein als CA zu AB. Es verhält sich aber wie CD zu DF so auch das Quadrat CO zum Quadrat OF, weil CD, DO, DF zueinander proportional sind. Wie aber CA zu AB, so verhält sich auch das Quadrat CV zum Quadrat VB. Folglich wird das Verhältnis von CO zu OF größer sein als das von CV zu VB. Daher ist nach dem vorherigen Hilfssatz CO größer als CV. Darüber hinaus steht fest, dass sich die Zeit durch BC zur Zeit durch DBC ebenso verhält wie DOC zu DO zusammen mit CV.

ZUSATZ Aus alledem, was bewiesen wurde, lässt sich wohl zusammenfassend entnehmen, dass die schnellste aller Bewegungen von einem Endpunkt zum anderen nicht auf der kürzesten Verbindungs­ linie, nämlich der Gerade, sondern auf dem Kreisbogen stattfindet. Denn auf dem Viertelkreis BAEC , dessen Seite BC sich senkrecht zur Horizontale hin A B erstreckt, sei der Bogen AC in beliebig viele gleiche Teile unterteilt, AD, DE , EF, FG, GC , und D es sollen Gerade von C aus zu den Punkten A , D, E , F, G hin gezogen werden, außerdem sollen die E geraden Verbindungslinien AD, DE , EF, FG, GC gezogen werden; F so steht fest, dass die Bewegung C G über die beiden ADC schneller vor sich geht als nur über AC allein, oder auch über DC von der Ruhe in D aus. Aber von der Ruhe in A aus wird DC schneller durchmessen als die beiden ADC , und über die beiden DEC findet von der Ruhe in A aus der Abstieg sicherlich gleichermaßen schneller statt als über CD allein. Folglich wird ein Abstieg über die drei ADEC schneller vor sich gehen als über die beiden ADC . Aber ebenso ist nach einem vorangegangenen Abstieg über ADE die Bewegung über die beiden EFC schneller als über EC allein. Infolgedessen ist die Bewegung über die vier ADEFC schneller als

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über die drei ADEC . Und schließlich wird die Bewegung über die beiden FGC nach einem vorangegangenen Abstieg über ADEF schneller vor sich gehen als über FC allein. Folglich wird auch ein Abstieg über die fünf ADEFGC schneller sein als über die vier ADEFC . Je mehr wir uns also durch eingeschriebene Vielecke dem Kreisumfang annähern, desto schneller läuft eine Bewegung zwischen den beiden bezeichneten Endpunkten A , C ab. Was aber für diesen Viertelkreis nachgewiesen wurde, trifft auch für den Kreisumfang eines kleineren Viertelkreises zu, und die Überlegung ist ganz dieselbe.

AUFGABE XV, LEHRSATZ X X XVII Gegeben seien eine Senkrechte und eine geneigte Ebene, die beide die gleiche Höhe haben, und man finde den Teil auf der Neigung, welcher der Senkrechte gleich ist und in derselben Zeit durchmessen wird wie die Senkrechte selbst AB sei die Senkrechte und AC die geneigte Ebene. Die Aufgabe ist, auf der geneigten Ebene den der Senkrechte AB gleichen Teil zu finden, welcher von der Ruhe in A aus in derselben Zeit durchmessen wird, in der die Senkrechte durchmessen wird. Man nehme AD gleich AB und halbiere die verbleibende DC in J. Dann wird CJ zu einer anderen AE , welcher DG gleich sein soll, sich verhalten wie AC zu CJ. Offensichtlich ist dann EG gleich AD und AB. Ich behaupte zudem, dass EG die­ jenige ist, welche ein Körper, der von dem Ruhepunkt A ausgeht, in derselben Zeit durchmisst, in der ein Körper durch AB fällt. Weil nämlich CJ zu AE oder auch JD zu DG sich ebenso verhält wie AC zu CJ, so wird durch Umstellung des Verhältnisses DJ zu JG wie CA zu AJ; weil außerdem der Abschnitt CJ sich zum Abschnitt JG ebenso verhält wie ganz CA zu ganz AJ, so wird die verbleibende JA zur verbleibenden AG wie ganz CA zu ganz AJ. Daher ist AJ die Mittlere zwischen CA , AG, und CJ die Mittlere zwischen CA , AE . Nimmt man daher an, dass AB die Zeit durch AB ist, so wird AC die Zeit



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durch AC sein und CJ oder JD die Zeit durch AE; und weil AJ die Mittlere zwischen CA , AG ist und CA die Zeit durch ganz AC , so wird AJ die Zeit durch AG und die verbleibende JC diejenige durch die verbleibende GC . Aber DJ war die Zeit durch AE; daher sind DJ, JC die Zeiten durch AE wie durch CG; also wird die verbleibende DA die Zeit durch EG sein, und zwar wird sie gleich der Zeit durch AB sein. Das ist es, was nachzuweisen war.

ZUSATZ Hiernach steht fest, dass der gesuchte Raum das Mittelstück zwischen dem oberen und dem unteren Teil ist, welche in gleichen Zeiten durchmessen werden. AUFGABE XVI, LEHRSATZ X X XVIII Zu zwei gegebenen horizontalen Ebenen, die von einer Senkrechte geschnitten werden, finde man auf der Senkrechte den oberen Punkt, von dem aus fallende Körper, die auf die horizontalen Ebenen abgelenkt werden, in den Fallzeiten gleichen Zeiten auf diesen Horizontalen, auf der oberen wie auch auf der unteren, Räume durchmessen, die zueinander, der kleinere zum größeren, ein gegebenes Verhältnis haben.

Die horizontalen Ebenen CD, BE werden von der Senkrechte ACB geschnitten, und N zu FG sei das Verhältnis des kleineren [Raumes] zum größeren. Man finde auf der Senkrechte AB

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den oberen Punkt, von dem aus ein fallender Körper, der auf die Ebene CD abgelenkt wird, in einer der Fallzeit gleichen Zeit einen Raum durchmisst, welcher zu dem von einem anderen Körper von demselben oberen Punkt her in einer seiner Fallzeit gleichen Zeit bei einer auf die Ebene BE abgelenkten Bewegung durchmessenen Raum dasselbe Verhältnis hat wie das gegebene von N zu FG. Man nehme GH gleich N, so wird sich BC zu CL ebenso verhalten wie FH zu HG. Ich behaupte, dass L der gesuchte obere Punkt ist. Man nehme dazu CM als das Doppelte von CL und ziehe LM , so dass sie in O auf die Ebene BE trifft; so wird BO das Doppelte von BL sein. Weil nun BC sich zu CL verhalten wird wie FH zu HG, so wird durch Verbindung und Umstellung CL zu LB, d. h. CM zu BO, sich verhalten wie HG, d. h. N, zu GF. Weil aber CM das Doppelte von LC sein soll, so ergibt sich, dass der Raum CM jener ist, den ein aus L kommender Körper nach dem Fall LC auf der Ebene CD durchmisst, und aus demselben Grund ist BO jener, der nach dem Fall LB in einer Zeit gleich der des Falls durch LB durchmessen wird, weil BO das Doppelte von BL ist. Damit ergibt sich das, was behauptet wurde. (36) Sagr.  Ich denke, man kann unserem Akademiker wahrhaftig zugestehen, dass es keine Übertreibung war, als er zur Einleitung dieser seiner Abhandlung für sich in Anspruch nahm, ein neues Wissen über einen sehr alten Gegenstand vorzubringen. Und zu sehen, mit welcher Leichtigkeit und Klarheit er aus einem überaus einfachen Grundsatz die Beweisführungen für so viele Lehrsätze herleitet, macht, dass ich mich nicht wenig darüber wundere, wie dieser Gegenstand von Archimedes, Apollonius, Euklid und so vielen anderen berühmten Mathematikern und Philosophen unberührt bleiben konnte, umso mehr, als es über die Bewegung umfangreiche und zahlreiche Schriften gibt. (37) Salv.  Es gibt ein kleines Fragment von Euklid über die Bewegung, aber man findet darin keine Spur davon, dass er begonnen hätte, die Proportion der Beschleunigung zu unter­ suchen und ihre Veränderungen auf verschiedenen Neigungen. Deshalb kann man tatsächlich sagen, erst jetzt ist die Tür zu einem neuen Forschungsgebiet geöffnet, voll mit unendlich weit



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reichenden und bewundernswerten Einsichten, welche andere in kommenden Zeiten daraus gewinnen können. (38) Sagr.  Ich glaube schon, dass, ebenso wie (beispielsweise) jene wenigen Eigenschaften des Kreises, die Euklid im dritten Buch seiner Elemente beweist, den Weg zu unzähligen anderen, weit verborgeneren öffnen, auch die Ergebnisse und Beweisführungen in dieser kurzen Abhandlung, wenn sie in die Hände anderer aufmerksamer Gelehrter gelangen sollten, den Weg zu immer mehr und immer wunderbareren Dingen zeigen, und man darf annehmen, dass das aufgrund der vorrangigen Bedeutung des Gegenstands für alle anderen Naturwissenschaften so geschehen wird. Der heutige Tag war lang und überaus arbeitsreich; ich habe dabei an den einfachen Lehrsätzen mehr Freude gehabt als an ihren Beweisen, von denen viele, so glaube ich, wenn ich sie wirklich verstehen wollte, mich für jeweils mehr als eine Stunde beschäftigen würden. Diese Aufgabe hebe ich mir auf, um sie in Ruhe zu lösen, sofern Sie mir das Buch zu treuen Händen überlassen, sobald wir jenen verbleibenden Teil davon kennengelernt haben werden, der sich mit der Bewegung geworfener Körper befasst; das sollte, wenn Sie wollen, am folgenden Tag sein. (39) Salv.  Ich werde sicherlich bei Ihnen sein.

SO ENDET DER DRITTE TAG.

VIERTER TAG

(1) Salv.  Da kommt noch Herr Simplicio, und gerade zur rechten Zeit. Gehen wir also gleich in der Bewegungslehre weiter; und hier ist der Text unseres Autors:

ÜBER DIE BEWEGUNG GEWORFENER KÖRPER Im Vorstehenden haben wir die Vorgänge bei der gleichförmigen Bewegung behandelt, desgleichen die der natürlich beschleunigten Bewegung über beliebige Neigungen von Ebenen. Mit den Überlegungen, die ich nun anstelle, will ich einige besondere, gleichermaßen wissenswerte Eigenschaften in den Mittelpunkt stellen und mit sicheren Beweisen bekräftigen, die sich bei einem Körper zeigen, der eine aus zweien, nämlich einer gleichförmigen und einer natürlich beschleunigten, zusammengesetzte Bewegung vollführt. Ich stelle mir irgendeinen auf einer horizontalen Ebene bewegten Körper vor, wobei jeglicher Widerstand aufgehoben sein soll; nach dem, was an anderer Stelle ausführlich dargelegt worden ist, wird sich diese Bewegung auf dieser Ebene gleichförmig und endlos fortsetzen, wenn sich die Ebene ins Unendliche erstreckte. Da wir sie uns aber endlich und oben liegend vorstellen, so wird sich in dem Körper, den ich mir als mit Schwere behaftet vorstelle, wenn er ans Ende der Ebene gelangt ist und darüber hin­ausgeht, der ursprünglichen gleichförmigen und unzerstör­ baren Bewegung jenes Streben nach unten hinzufügen, welches er dank seiner eigenen Schwere hat, so dass daraus eine gewisse, aus der horizontalen gleichförmigen und der nach unten gerichteten natürlich beschleunigten zusammengesetzte Bewegung hervorgeht, welche ich als Wurf bezeichne. Wir werden einige ihrer Eigen­schaften beweisen, deren erste nun folgt.

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THEOREM I , LEHRSATZ 1 Ein geworfener Körper beschreibt, während er eine aus einer horizontalen gleichförmigen und einer nach unten gerichteten natürlich beschleunigten zusammengesetzte Bewegung vollführt, die Linie einer Halbparabel. (2) Sagr.  Herr Salviati, wir müssen um meinetwillen und auch, so denke ich, zugunsten von Herrn Simplicio hier eine kleine Pause einlegen. Es ist so, dass ich in die Geometrie nicht so weit eingedrungen bin, dass ich den Apollonius studiert hätte; ich weiß nur, dass er über diese Parabeln und andere Kegelschnitte geschrieben hat. Ich glaube nicht, dass man, ohne darüber und über deren Eigenschaften Bescheid zu wissen, die Beweise anderer auf sie bezogener Lehrsätze wird verstehen können. Und weil schon in diesem ersten schönen Lehrsatz, den der Autor hier vorgestellt hat, bewiesen werden muss, dass die von dem geworfenen Körper beschriebene Linie parabolisch ist, so möchte ich annehmen, dass wir auch dann, wenn wir keine anderen als solche Linien behandeln müssen, doch unbedingt eine vollständige Kenntnis wenn auch nicht von allen Eigenschaften dieser von Apollonius behandelten Figuren, so doch wenigstens von denen haben sollten, die für den vorliegenden Lehrgegenstand [per la presente scienza] notwendig sind. (3) Salv.  Sie sind allzu bescheiden, wenn Sie Darlegungen noch einmal wiederholt haben wollen, die Sie vor nicht langer Zeit als gut verstanden akzeptiert haben. Ich erinnere daran, dass wir damals bei der Behandlung der Widerstände einen gewissen Lehrsatz von Apollonius hinzunehmen mussten, mit dem Sie keine Schwierigkeiten hatten. (4) Sagr.  Es mag sein, dass ich diesen zum Glück noch kannte, oder dass ich ihn für dieses eine Mal hinnahm, so weit mir das bei jener Abhandlung notwendig schien. Hier aber, wo mir scheint, dass wir alle Beweisführungen über derartige Linien verstanden haben müssen, sollten wir nicht einfach, um Zeit und Mühe zu sparen, alles schlucken, wie man so sagt. (5) Simp.  Und was mich betrifft, so mag Herr Sagredo, wie ich wohl glaube, für seinen Bedarf gut vorbereitet sein; mir aber



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kommen schon diese allerersten Sätze ganz neuartig vor. Denn obwohl unsere Philosophen diesen Gegenstand von der Bewegung geworfener Körper behandelt haben, so kann ich mich doch nicht erinnern, dass sie es unternommen hätten, die dabei beschriebenen Linien anders als ganz allgemein in dem Sinn zu definieren, dass es sich, ausgenommen beim senkrecht nach oben gerichteten Wurf, immer um krumme Linien handle. Wenn also das bisschen Geometrie, das ich früher bei unseren anderen Überlegungen von Euklid gelernt habe, nicht dazu hinreichen sollte, dass ich die für das Verständnis der folgenden Beweisführungen notwendigen Einsichten gewinne, so werde ich mich wohl damit begnügen müssen, die Lehrsätze nur zu glauben, ohne sie zu verstehen. (6) Salv.  Ich will aber, dass Sie sie mit Hilfe des Autors der Abhandlung selbst verstehen. Damals, als er mir Einsicht in dieses sein Werk gewährte, hatte auch ich die Bücher des Apollonius nicht im Kopf. Also machte er sich die Mühe, mir, ganz ohne irgendetwas vorauszusetzen, zwei allererste Eigenschaften dieser Parabel nachzuweisen, welches die einzigen sind, die wir zu der gegenwärtigen Abhandlung benötigen. Apollonius hat sie auch vollständig bewiesen, aber im Anschluss an vieles andere, was zu behandeln viel Zeit beanspruchen würde. Ich möchte nun, dass wir die Reise nach Möglichkeit abkürzen, indem wir die erste unmittelbar aus der reinen und einfachen Erzeugung dieser Parabel entnehmen, und daraus dann wiederum unmittelbar den Beweis der zweiten. Kommen wir also zur ersten: Man stelle sich einen geraden Kegel vor mit dem Kreis ibkc als Basis und dem Scheitelpunkt l, aus dem beim Schnitt durch eine zur Seite lk parallele Ebene der Abschnitt bac, eben diese Parabel, entsteht. Deren Grundlinie bc schneide den Durchmesser ik des Kreises ibkc in rechten Winkeln und bilde parallel zur Seite lk die Achse ad der Parabel. Nun nehme man irgendeinen beliebigen Punkt f auf der Strecke bfa und ziehe die Gerade fe parallel zu bd. Ich behaupte, dass sich das Quadrat über bd zum Quadrat über fe ebenso verhält wie die Achse da zu der Teilstrecke ae. Man stelle sich eine durch den Punkt e parallel zu dem Kreis

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ibkc gehende Ebene vor, welche aus dem Kegel einen Kreis schneiden soll, mit der Strecke geh als Durchmesser; und weil bd senkrecht zum Durchmesser ik des Kreises ibk ist, wird das Quadrat über bd gleich dem Rechteck aus den Seiten id, bk sein. Desgleichen wird im oberen Kreis, den man sich durch die Punkte g, f, h gehend vorstellt, das Quadrat über der Strecke fe gleich dem Rechteck aus den Seiten geh sein. Folglich hat das Qua­drat von bd zum Quadrat von fe dasselbe Verhältnis wie das Rechteck idk zum Rechteck geh. Und weil die Strecke ed zu hk parallel ist, so wird eh gleich dk sein, die ebenfalls parallel sind; und deshalb wird das Rechteck idk zum Rechteck geh dasselbe Verhältnis haben wie id zu ge, d. h. wie da zu ae. Somit hat das Rechteck idk zum Rechteck geh, d. h. das Quadrat bd zum Quadrat fe, dasselbe Verhältnis wie die Achse da zur Teilstrecke ae, was zu beweisen war. Die andere vorausgesetzte Eigenschaft, die für die vorliegende Abhandlung ebenfalls benötigt wird, machen wir folgender­ maßen klar. Wir zeichnen die Parabel, in der die Achse ca nach d verlängert sein soll, und man nehme einen beliebigen Punkt b, von dem aus die Strecke bc parallel zur Grundlinie dieser Parabel gezogen sein soll. Man nehme da gleich dem Teil ca der Achse an, so behaupte ich, dass die durch die Punkte d, b gezogene gerade Linie nicht ins Innere der Parabel, sondern nach außerhalb fällt, so dass sie diese lediglich in besagtem Punkt b berührt. Nehmen wir an, wenn das möglich wäre, sie verliefe nach innen, durch einen Schnittpunkt oberhalb, oder, verlängert, unterhalb, und auf ihr würde ein beliebiger Punkt g festgelegt, durch den die Gerade fge verliefe. Weil nun das Quadrat fe größer ist als das Quadrat ge, so wird dieses Quadrat fe zum Quadrat bc ein größeres Verhältnis haben als das Quadrat ge zu diesem bc.



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Und weil sich nach dem V ­ orherigen d das Quadrat fe zum Quadrat bc ebenso verhält wie ea zu ac, so hat ea zu ac ein größeres Verhältnis als das Quadrat ge zum Quadrat bc, d. h. als das a Quadrat ed zum Quadrat dc (da sich im Dreieck dge ed zu dc ebenso verhält wie ge zur Parallele bc). Aber die e f Strecke ea verhält sich zu ac, d. h. zu g ad, ebenso wie 4 Rechtecke ead zu 4 c b b Quadraten über ad, d. h. zum Quadrat e cd (welches gleich 4 Quadraten über ad f g ist). Folglich hätten 4 Rechtecke ead zum Quadrat cd ein größeres Verhältnis als das Quadrat ed zum Quadrat dc. Daher würden 4 Rechtecke ead größer sein als das Quadrat ed. Das ist aber falsch, denn sie sind kleiner, da die Teile ea, ad der Strecke ed nicht einander gleich sind. Daher berührt die Strecke db die Para­bel in b und schneidet sie nicht. Das war zu beweisen. (7) Simp.  Sie verfahren bei Ihren Beweisführungen allzu großzügig und gehen, wie mir scheint, immer von der Voraussetzung aus, dass mir alle Lehrsätze des Euklid so bekannt und gegenwärtig seien wie seine ersten Axiome, was nicht der Fall ist. Und eben jetzt wird mir daraus mitgeteilt, dass 4 Rechtecke ead kleiner sind als das Quadrat de, weil die Teile ea, ad der Strecke ed nicht einander gleich sind, was mir nicht einleuchtet, woran ich vielmehr zweifle. (8) Salv.  Es ist wirklich so, dass alle namhaften Mathematiker voraussetzen, dem Leser seien mindestens die Elemente des Euklid vollkommen gegenwärtig. Hier wird es, um Ihrem Wunsch zu entsprechen, hinreichen, einen Lehrsatz aus dem zweiten [Buch des Euklid] in Erinnerung zu rufen, in dem bewiesen wird, dass dann, wenn eine Strecke in gleiche und ungleiche Teile zerschnitten wird, das Rechteck aus den ungleichen Teilen im selben Maße kleiner ist als das Rechteck aus den glei-

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VIERTER TAG

chen Teilen (d. h. als das Quadrat aus der Hälfte) wie das Qua­ drat der zwischen den Teilpunkten liegenden Strecke, woraus folgt, dass das Quadrat über der ganzen, welches 4 Quadrate der Hälfte enthält, größer ist als 4 Rechtecke aus den ungleichen Teilen. Für jetzt müssen wir die beiden aus den Elementen der Kegelschnitte entnommenen Lehrsätze im Gedächtnis behalten, damit wir die in dieser Abhandlung nachfolgenden Gegenstände verstehen; nur diese beiden, nicht mehr verwendet der Autor. Somit können wir den Text wieder aufnehmen, um zu sehen, wie er seinen ersten Lehrsatz beweist, mit dem er zu beweisen beabsichtigt, dass die von einem schweren Körper beschriebene Linie, wenn dieser mit einer Bewegung fallen soll, welche aus einer gleichförmigen horizontalen und einer natürlichen nach unten zusammengesetzt ist, eine Halbparabel sein wird. e

d f

h

c

i

b o

a

g l

n

Man stelle sich oben liegend eine horizontale Linie ab vor, auf der sich ein Körper von a aus gleichförmig nach b bewege. In b aber entfalle die Stützung durch die Ebene, so dass in diesem Körper aufgrund seiner eigenen Schwere die natürliche Abwärtsbewegung gemäß der Senkrechte bn hinzukommt. Man stelle sich zudem vor, dass die Ebene ab durch die Linie be verlängert sei, gewissermaßen als Ausdruck oder Maß der Zeit, auf welcher nach Belieben irgendwelche Teile gleicher Zeiten abgetragen werden, bc, cd, de, und von den Punkten b, c, d, e aus sollen Linien in gleichen Abständen von bn senkrecht abwärts führen. Auf deren erster nehme man einen beliebigen Teil ci an, auf der folgen-



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den, df, das Vierfache davon, dann das Neunfache, eh, und so fort auf den weiteren im quadratischen Verhältnis zu cb, db, eb, oder sagen wir im doppelten Verhältnis dieser Strecken. Wenn wir uns nun vorstellen, dass dem Körper, der sich über b hinaus nach c in gleichförmiger Bewegung befindet, eine Abwärtsbewegung entsprechend dem Maß ci hinzugefügt wird, so wird man ihn nach der Zeit bc am Endpunkt i finden. Wenn er darüber hinaus weitergeht, so wird nach der Zeit db bzw. dem Doppelten von bc der Raum der Abwärtsbewegung das Vierfache des ersten Raumes ci sein, denn in der ersten Abhandlung wurde bewiesen, dass die von einem schweren Körper in natürlich beschleunigter Bewegung durchmessenen Räume im doppelten Verhältnis der Zeiten stehen. Demgemäß wird folgerichtig der in der Zeit be durchmessene Raum eh wie 9 sein. Damit steht fest, dass die Räume eh, df, ci sich zueinander verhalten wie die Quadrate der Strecken eb, db, cb. Werden nun von den Punkten i, f, h aus die Geraden io, fg, hl in gleichen Abständen von eb gezogen, so werden die Strecken hl, fg, io jeweils entsprechend den Strecken eb, db, cb gleich sein. Ebenso sind bo, bg, bl gleich ci, df, eh. Auch verhält sich das Quadrat hl zum Quadrat fg wie die Strecke lb zu bg und das Quadrat fg zum Quadrat io wie gb zu bo. Also liegen die Punkte i, f, h auf ein und derselben parabolischen Linie. Auf die gleiche Weise ist zu beweisen, dass, wenn man irgendwelche anderen gleichen Zeitteile beliebiger Größe annimmt, die Örter eines ebenso in zusammengesetzter Bewegung befindlichen Körpers zu diesen Zeiten sich auf ein und derselben parabolischen Linie befinden werden. Damit ist der Lehrsatz bestätigt. (9) Sa lv.  Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus der Umkehrung des ersten der beiden oben angenommenen Lehrsätze. Wenn nämlich beispielsweise die Parabel durch die Punkte b, h verläuft, und einer der 2 f, i läge nicht auf der beschriebenen parabolischen Linie, sondern innerhalb oder außerhalb, so dass folglich die Linie fg kleiner oder größer wäre als jene, die zu der Parabel hin reichen würde, so würde sich das Quadrat von hl nicht zum Quadrat von fg, sondern zu einem anderen größeren oder kleineren ebenso verhalten wie die Strecke lb zu bg. Es ver-

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hält sich aber so zum Quadrat von fg. Folglich liegt der Punkt f auf der Parabel, und ebenso alle anderen, usw. (10) Sagr.  Man kann nicht bestreiten, dass diese Überlegung neu, geistvoll und schlüssig ist, indem sie von der Voraussetzung her argumentiert, d. h. annimmt, dass sich die Querbewegung immer gleichförmig erhält, und dass auch die natürliche nach unten in gleicher Weise ihre Eigenart beibehält, sich unter Beschleunigung gemäß dem doppelten Verhältnis der Zeiten fortzusetzen, und dass diese Bewegungen und ihre Geschwindigkeiten in ihrer Vermischung sich nicht ändern oder stören oder hindern, so dass schließlich die Wurflinie im Fortgang der Bewegung sich nicht in eine andere abwandelt, was mir als unmöglich erscheinen will. Es ist doch so, dass die Achse unserer Parabel, der entsprechend die natürliche Bewegung schwerer Körper vor­ aussetzungsgemäß stattfinden soll, senkrecht auf dem Horizont steht, so dass sie im Mittelpunkt der Erde enden wird. Würde aber die parabolische Linie sich immer weiter von ihrer Achse entfernen, so würde kein geworfener Körper jemals im Mittelpunkt landen, wie es aber im Fortgang zwangsläufig sein müsste, so dass die Wurflinie in eine andere, von der parabolischen sehr verschiedene ausarten müsste. (11) Simp.  Ich füge diesem Einwand weitere hinzu. Einer ist, dass dann, wenn wir die horizontale Ebene voraussetzen, welche weder ansteigen noch abfallen soll, diese eine gerade Linie sein wird, so, als ob eine solche Linie in allen ihren Teilen gleich weit vom Mittelpunkt entfernt wäre, was nicht sein kann. Denn beim Fortgang von ihrer Mitte weg zu ihren Endpunkten hin wird sie sich immer weiter und weiter vom Mittelpunkt entfernen und also immer weiter ansteigen. Daraus ergibt sich, dass unmöglich die Bewegung gleichförmig andauern kann, sondern sie erhält sich auch auf gar keiner Strecke gleichförmig und wird sich im Gegenteil immer weiter vermindern. Ein weiterer ist, dass es mir unmöglich erscheint, hier den Widerstand des Mediums zu vernachlässigen, als ob er die Gleichförmigkeit der Querbewegung und die regelmäßige Beschleunigung der fallenden schweren Körper nicht aufheben würde. Diese Einwände machen es sehr



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unwahrscheinlich, dass sich die unter so wenig sicheren Voraussetzungen bewiesenen Behauptungen jemals durch die praktische Erfahrung verifizieren lassen werden. (12) Salv.  Die vorgebrachten Schwierigkeiten und Einwände sind alle so wohlbegründet, dass ich sie, wie ich denke, unmöglich ausräumen kann, und ich gestehe sie meinerseits sämtlich zu, wie ich auch annehme, dass unser Autor sie zugestehen würde. Und ich räume auch ein, dass die hier abstrakt bewiesenen Schlussfolgerungen sich im Konkreten anders ergeben und als dermaßen falsch erweisen, dass weder die Querbewegung gleichförmig wäre, noch die natürliche Beschleunigung der angenommenen Proportion entspräche, oder die Wurflinie parabolisch wäre usw. Gleichwohl verlange ich im Gegenzug, dass Sie unserem Autor nicht das verwehren, was andere große Geister, wenn auch fälschlich, angenommen haben. Und schon die Autorität des Archimedes kann einen jeden überzeugen, der in seiner Mechanik und bei der ersten Quadratur der Parabel als wahres Prinzip annahm, dass die Zunge der Balkenwaage oder der Laufgewichtswaage eine gerade Linie bildet, welche in all ihren Punkten gleich weit vom gemeinsamen Schwerezentrum entfernt ist, und dass die Aufhängungen der Gewichte zueinander parallel sind, eine Freiheit, die allgemein zugestanden wird, weil bei unseren praktischen Anwendungen unsere Instrumente und die Abstände, mit denen wir arbeiten, im Vergleich mit unserer riesigen Entfernung vom Erdmittelpunkt so klein sind, dass wir ohne weiteres einen kleinen Bogenabschnitt eines sehr großen Kreises als eine gerade Linie annehmen dürfen, und zwei Senkrechte, die von dessen Enden herabhängen, so, als wären sie zueinander parallel. Wollte man bei praktischen Arbeiten solche kleinen Abweichungen berücksichtigen, so müsste man darangehen, die Architekten zu korrigieren, welche die höchsten Türme mit Hilfe des Lotes in gleichen Abständen voneinander zu errichten glauben. Ich füge hier hinzu, dass wir sagen können, Archimedes und andere nahmen bei ihren Überlegungen an, sich unendlich weit vom Zentrum entfernt zu befinden, in welchem Fall ihre Annahmen nicht falsch sind und ihre Schlussfolgerun-

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gen absolute Beweiskraft haben. Wenn wir also das­jenige, was wir unter Voraussetzung riesiger Entfernung bewiesen haben, auf endliche Entfernungen anwenden wollen, so müssen wir von dem wirklich Bewiesenen dasjenige abziehen, was darauf beruht, dass unsere Entfernung vom Zentrum tatsächlich nicht unendlich groß ist, auch wenn man sie im Verhältnis zur Kleinheit unserer praktischen Werkzeuge riesig nennen kann. Am meisten wird das beim Abschuss von Projektilen der Fall sein, und hierbei speziell solchen der Artillerie, welche, wie weit sie auch reichen mag, doch kaum mehr als 4 von den vielen Milliarden Meilen bestreicht, die wir vom Zentrum entfernt sind. Und wo solche [Schüsse] auf der Oberfläche der Erdkugel enden, da wird sich kaum eine merkliche Abweichung von der Parabel­ linie ergeben, wenn auch einzuräumen ist, dass sich diese, fortgesetzt bis zum Ende im Erdmittelpunkt, überaus stark verändern würde. Wenn wir nun die Störung durch den Widerstand des Mediums betrachten wollen, so ist diese doch erheblicher, und aufgrund ihrer überaus großen Variabilität kann man sie unmöglich in festen Regeln und als Gegebenheit wissenschaftlich erfassen. Die Folge ist, dass wir, wenn wir auch nur den bloßen Widerstand der Luft in Rechnung stellen, welchen diese den untersuchten Bewegungen entgegensetzt, finden, dass er diese alle durcheinanderbringt und auf unendlich verschiedene Weise stört, in dem Maß, in dem die Gestalten, die Schwere und die Geschwindigkeiten der bewegten Körper voneinander abweichen. Zum Beispiel, was die Geschwindigkeit betrifft, so wird, je größer diese ist, auch der Widerstand größer sein, den die Luft ausübt, welche die bewegten Körper auch umso mehr behindert, je weniger schwer sie sind. Deshalb wird ein fallender schwerer Körper, obgleich er sich im doppelten Verhältnis der Dauer seiner Bewegung beschleunigen müsste, dennoch, wie überaus schwer der bewegte Körper auch immer wäre, beim Fall aus sehr großer Höhe einen solchen Widerstand der Luft erfahren, dass dieser die Geschwindigkeitszunahme aufhebt und ihn zur einförmigen und gleichförmigen Bewegung zwingt, und diese Anglei-



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chung ergibt sich umso schneller und durch geringere Höhe, je weniger schwer der Körper sein wird. Auch die Bewegung auf der horizontalen Ebene, die bei Wegfall sämtlicher Widerstände gleichförmig und unaufhörlich sein müsste, wird durch den Widerstand der Luft verändert werden und schließlich aufhören, und auch dies wieder umso schneller, je leichter der Körper sein wird. Von diesen Einflüssen der Schwere, der Geschwindigkeit und auch der Gestalt, die unendlich verschieden sein können, kann man nichts Genaues wissen. Deshalb muss man, um diese Materie wissenschaftlich zu behandeln, von ihnen absehen und, wenn man die Schlussfolgerungen unter Abzug der Widerstände gefunden und bewiesen hat, sich dieser in den Grenzen bedienen und sie praktisch anwenden, welche ihnen die Erfahrung setzt. Und der Nutzen wird nicht gering sein, wenn die Materialien und ihre Gestaltungen so gewählt werden, dass sie möglichst geringen Luftwiderstand erfahren, wie das bei sehr schweren und runden gegeben ist, und wenn zudem die Räume und die Geschwindigkeiten nicht so groß sind, dass ihr Ausmaß nicht mehr durch einfache Messung zu erfassen ist. Tatsächlich wird bei den Wurfkörpern, mit denen wir arbeiten, die von schwerer Materie und runder Gestalt sind, aber auch bei weniger schweren und zylindrischen Materialien, wie etwa bei Pfeilen, die mit Schleudern oder Bogen abgeschossen werden, die Abweichung ihrer Bewegung von der genauen parabolischen Linie kaum merklich sein. Überdies ist es so (und so viel Freiheit möchte ich mir schon nehmen), dass bei den kleinen Abmessungen der von uns verwendeten Gerätschaften die äußerlichen und zufälligen Widerstände, unter denen derjenige der Luft der beträchtlichste ist, kaum merkbar sind, was ich mittels zweier Erfahrungssätze beweisen kann. Ich betrachte Bewegungen durch die Luft, und das sind vorrangig die, über welche wir hier sprechen. Ihnen setzt sich die Luft auf zweierlei Weise wirksam ­entgegen: einmal, indem sie weniger schwere Körper mehr behindert als die schwereren, zum anderen, indem sie sich der größeren Geschwindigkeit ein und desselben Körpers stärker entgegenstellt als der geringeren. Was Ersteres betrifft, so beweist die Erfah-

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rung, dass zwei Kugeln gleicher Größe, deren eine aber 10 oder 12 Mal mehr wiegt als die andere, sie sei zum Beispiel aus Blei, die andere aus Eichenholz, wenn sie aus einer Höhe von 150 oder 200 Ellen fallen, mit kaum unterschiedlicher Geschwindigkeit auf der Erde aufprallen, was deutlich zeigt, dass der Widerstand der Luft und die Verzögerung bei beiden gering ist. Denn wenn die Bleikugel zur selben Zeit wie die andere aus Eichenholz von der Höhe herabfallend wenig verzögert würde und die andere mehr, so würde die bleierne beim Aufprall auf der Erde die hölzerne um eine merkliche Strecke hinter sich gelassen haben, zumal sie 10 Mal so schwer ist. Das aber geschieht keineswegs, sondern sie wird ihr um nicht mehr als um den hundertsten Teil der ganzen Höhe vorauseilen, und zwischen einer Kugel aus Blei und einer aus Stein, welche ein Drittel oder die Hälfte der Ersteren wiegt, wird der Zeitunterschied, mit dem sie auf der Erde auftreffen, kaum merklich sein. Weil also die unkörperliche Kraft, die eine Bleikugel beim Fall aus einer Höhe von 200 Ellen gewinnt (welche so groß ist, dass sie beim Fortgang in gleichförmiger Bewegung 400 Ellen in derselben Zeit durchmessen würde wie diesen ihren Fallraum), durchaus beträchtlich ist im Vergleich zu der Geschwindigkeit, die wir mit Bogen oder anderen Mitteln unseren Geschossen erteilen (abgesehen von den durch Feuerwaffen übertragenen Kräften), so können wir ohne merklichen Fehler die Lehrsätze, welche ohne Rücksicht auf Einflüsse des Mediums beweisbar sind, aufstellen und als absolut wahr annehmen. Was nun das Zweite betrifft, so muss man beweisen, dass der Widerstand, den die Luft ein und demselben Körper entgegensetzt, der sich mit großer Geschwindigkeit bewegt, um nicht viel größer ist als derjenige, den sie gegen seine langsame Bewegung ausübt; das wird durch die folgende Erfahrung mit aller Gewissheit bestätigt. An zwei gleich langen Schnüren von 4 oder 5 Ellen Länge sollen zwei gleiche Bleikugeln hängen, und an den besagten, oben befestigten Schnüren werden beide Kugeln aus dem senkrechten Zustand weg bewegt. Die eine entferne sich daraus um 80 Grad oder mehr, die andere um nicht mehr als 4 oder 5. Freigelassen fällt die eine und, indem sie die Senkrechte durch-



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läuft, beschreibt sie sehr große Bögen von 160, 150, 140 Grad usw., die sich fortschreitend ein wenig vermindern. Aber die andere beschreibt im freien Lauf kleine Bögen von 10, 8, 6 usw., die sich ebenfalls fortschreitend ein wenig vermindern. Hierzu sage ich zunächst, dass die erste ihre 180, 160 usw. Grad in derselben Zeit durchläuft wie die andere ihre 10, 8, usw. Daran erweist sich, dass die Geschwindigkeit der ersten Kugel 16 oder 18 Mal größer sein wird als die Geschwindigkeit der zweiten, so dass, wenn die größere Geschwindigkeit durch die Luft mehr beeinträchtigt würde als die kleinere, die Schwingungen durch die sehr großen Bögen von 180 oder 160 Grad usw. viel weniger sein müssten als durch die sehr kleinen von 10, 8, 4 und selbst von 2 und von 1. Dem steht aber die Erfahrung entgegen. Es ist nämlich so, dass zwei Leute, welche die Schwingungen zählen wollten, einer die sehr großen, der andere die sehr kleinen, finden würden, dass sie nicht nur bei der zehnten, sondern auch bei der hundertsten um nicht eine einzige differieren würden, d. h. um eine einzige Stelle. Und diese Beobachtung bestätigt zusammengefasst beide Lehrsätze, nämlich, dass sich die größten und die kleinsten Schwingungen, die einen wie die anderen, in gleichen Zeiten ereignen, und dass die Behinderung und Verzögerung durch die Luft bei sehr schnellen Bewegungen nicht stärker wirkt als bei sehr langsamen, entgegen dem, was davor der Fall zu sein schien, und was wir auch alle so beurteilt haben. (13) Sagr.  Weil man überdies nicht bestreiten kann, dass die Luft diese wie jene behindert, so kann man dann, wenn diese wie jene sich verlangsamen und letztlich enden, behaupten, dass die Verzögerungen bei diesem und bei jenem Vorgang nach demselben Verhältnis vor sich gehen. Aber nach welchem? Wenn in einem Fall ein größerer Widerstand geleistet wird als in einem anderen, welcher andere Vorgang könnte dem zugrunde liegen als der, dass im einen Fall übertragene Kraft und Geschwindigkeit in größerem Maß entgegenstehen, im anderen in geringerem? Wenn das aber so ist, dann ist eben diese Menge der Geschwindigkeit des Körpers zugleich der Grund und das Maß der Menge des Widerstands. Folglich werden alle Körper, ob sie langsam

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sind oder schnell, nach demselben Verhältnis verzögert oder gehindert, welche Feststellung mir nicht unwichtig erscheint. (14) Sa lv.  Wir können insgesamt auch in diesem zweiten Fall folgern, dass die Mängel der Darlegungen, insoweit Letztere unter Absehung von äußeren Umständen bewiesen werden, bei unseren praktischen Versuchen vernachlässigbar klein sind im Hinblick auf Bewegungen mit großer Geschwindigkeit, mit denen wir zumeist befasst sind, und auf Entfernungen, welche im Vergleich mit der Größe des Halbmessers und der Großkreise auf der Erdkugel überaus klein sind. (15) Simp.  Ich würde gerne die Gründe erfahren, weshalb Sie die Geschosse mit Feuerkraft, die auf der Kraft des Feuers beruhen, d. h. wohl mit Pulverexplosion, von den anderen Geschossen aus Schleudern, Bogen oder der Armbrust ausnehmen, etwa so, als unterlägen sie nicht in derselben Weise Veränderungen und Behinderungen durch die Luft. (16) Salv.  Es ist die außerordentliche, oder, um es so zu sagen, die unnatürliche Gewalt, welche diese Geschosse antreibt, was mich dazu bewegt; mir erscheint es kaum übertrieben, dass man die Geschwindigkeit, mit der eine Kugel aus einer Muskete oder einem Geschütz abgefeuert wird, unnatürlich nennen kann. Es ist aber so, dass eine solche Kugel beim natürlichen Fall durch die Luft aus welcher großen Höhe auch immer ihre Geschwindigkeit aufgrund des Widerstands der Luft nicht beständig vermehrt; vielmehr wird das, was man bei nicht sehr schweren, durch nicht sehr große Räume fallenden Körpern erfährt, nämlich die, wie ich behaupte, letztliche Zurückführung auf eine gleichförmige Bewegung, auch bei einer Kugel aus Eisen oder Blei nach einem Fall durch etliche tausend Ellen nicht anders sein. Und die endlich erlangte und letzte Geschwindigkeit kann man das Maxi­ mum dessen nennen, was ein solcher schwerer Körper auf natürliche Weise in der Luft haben kann. Ich schätze aber diese Geschwindigkeit erheblich geringer als jene, welche derselben Kugel durch explodierendes Pulver aufgeprägt wird. Davon kann uns eine sehr gelegen kommende Erfahrung überzeugen. Man schieße aus einer Höhe von hundert oder mehr Ellen ein Gewehr



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mit einer Bleikugel senkrecht nach unten auf einen Steinfußboden ab; dann ziele man mit diesem auf einen gleichartigen Stein in einer Entfernung von einer oder 2 Ellen, und sehe alsdann nach, welche der beiden Kugeln die größere Verformung aufweist. Wenn man nun findet, dass die aus der Höhe gekommene weniger platt ist als die andere, so ist das ein Anzeichen dafür, dass die Luft sie behindert und die Geschwindigkeit vermindert hat, welche ihr das Feuer beim Beginn der Bewegung mitgeteilt hat, und dass ihr folglich die Luft keine größere Geschwindigkeit erlaubt als die, welche sie bei einem Fall aus welcher großen Höhe auch immer gewinnen könnte. Würde nämlich die ihr vom Feuer aufgeprägte Geschwindigkeit nicht größer sein als die, welche sie beim natürlichen Fall selbst gewinnen könnte, so müsste ihr Trieb nach unten wohl deutlich kräftiger sein als geringer. Ich habe dieses Experiment nicht durchgeführt, neige aber zu der Annahme, dass eine Gewehr- oder Artilleriekugel, die aus beliebig großer Höhe fällt, nicht den Stoß ausüben wird, den sie gegen eine wenige Ellen entfernte Mauer ausübt, d. h. so wenig, dass der kurzzeitige Riss, oder besser gesagt Schnitt, den sie durch die Luft erzeugt, nicht hinreicht, um das Übermaß der unnatürlichen Gewalt auszugleichen, die ihr das Feuer aufgeprägt hat. Die außerordentliche Kraft solchermaßen angetriebener Geschosse kann gewisse Abweichungen der Wurflinie verursachen, indem sie den Beginn der Parabel weniger steil und gebogen macht als ihr Ende. Aber das bedeutet gegen unseren Autor wenig oder gar keinen Einwand bei praktischen Anwendungen, bei denen es hauptsächlich um die Aufstellung einer Tabelle für die so genannten Geschossweiten geht, welche die Entfernungen angibt, in denen mit verschiedenen Neigungen abgeschossene Kugeln herunterkommen. Da man zu diesen Schüssen Mörser und nicht viel Ladung einsetzt, so dass die übertragene Kraft nicht über das von Natur aus mögliche Maß hinausgeht, zeichnen die Geschosse ihre entsprechenden Kurven hinreichend genau. Das führt uns nun in der Abhandlung des Autors weiter, dorthin, wo er uns die Überlegungen und Untersuchungen zu der übertragenen Kraft eines Körpers nahebringen will, der eine Be-

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wegung ausführt, die aus zweien zusammengesetzt ist, und zwar zuerst bei einer, die aus zwei gleichförmigen zusammengesetzt ist, die eine horizontal, die andere vertikal.

theorem II, LEHRSATZ II Wenn irgendein gleichförmig bewegter Körper doppelt, nämlich horizontal und vertikal bewegt wird, so wird die übertragene Bewegungskraft oder das [wirksame] Moment der aus den beiden Bewegungen zusammengesetzten Bewegung gleich der [Vektor-]Summe aus den Momenten der beiden ursprünglichen Bewegungen sein. Ein beliebiger Körper bewege sich gleichförmig in doppelter Bewegung, und der Veränderung in der Senkrechte entspreche der Raum ab, aber der gleichzeitig in der Horizontale vollzogenen Bewegung entspreche bc. Weil nun bei gleichförmigen Bewegungen die Räume ab, bc in derselben Zeit zurückgelegt werden, so werden sich die Momente dieser Bewegungen ebenso zueinander verhalten wie ab, bc. Aber der Körper, der sich gemäß diesen beiden Veränderungen bewegt, wird die Diagonale ac beschreiben; das Moment seiner Geschwindigkeit wird sich ebenso verhalten wie ac. Tatsächlich ist der Kraftvektor [potentia] in Richtung ac gleich [der Vektorsumme von] ab, bc; folglich ist [auch] das aus beiden Geschwindigkeitsmomenten ab, bc zusammengesetzte Moment ebenso groß wie die Vektorsumme der beiden, was zu beweisen war. (17) Simp.  Mir regt sich da ein gewisser Zweifel, der ausgeräumt werden sollte. Mir scheint, dass das, was jetzt behauptet wird, einem anderen, früheren Lehrsatz der Abhandlung widerspricht, in dem behauptet wurde, dass die Bewegungskraft des Körpers, der von a nach b gelangt, gleich der sei, mit der er von a nach c kommt; jetzt aber wird behauptet, die Bewegungskraft in c sei größer als die in b. (18) Salv.  Alle beiden Lehrsätze sind wahr, Herr Simplicio, und sie unterscheiden sich sehr voneinander. Hier spricht man



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von einem einzigen Körper, der sich in einer einzigen Bewegung bewegt, die aber aus zweien zusammengesetzt ist, welche beide gleichförmig sind; dort spricht man von 2 Körpern, die in natürlich beschleunigten Bewegungen bewegt sind, die eine in der Senkrechte ab, die andere über die geneigte Ebene ac. Darüber hinaus sind die Zeiten dort nicht als gleich vorausgesetzt, sondern die Zeit über die geneigte Ebene ac ist länger als die Zeit durch die Senkrechte ab. Dagegen wird bei der Bewegung, von der jetzt die Rede ist, angenommen, dass die Bewegungen durch ab, bc, ac gleichförmig sind und in gleichen Zeiten stattfinden. (19) Simp.  Entschuldigen Sie; gehen wir also weiter; ich habe verstanden. (20) Salv.  Der Autor fährt damit fort, dass er ein Verständnis dafür wecken will, was mit der unkörperlichen übertragenen Kraft eines Körpers geschieht, der eine aus 2, nämlich einer horizontalen und gleichförmigen, sowie einer senkrechten und natürlich beschleunigten Bewegung zusammengesetzte Bewegung vollzieht, aus welcher Zusammensetzung schließlich die Bewegung eines geworfenen Körpers und die parabolische Wurf­l inie hervorgeht; zu jedem Punkt derselben versucht er das Maß dieser Kraft des geworfenen Körpers zu bestimmen. Um das zu verstehen, führt der Autor hier die Art und Weise, oder sagen wir, die Methode vor, mit der man diese Bewegungskraft auf der Linie einordnen und messen kann, welche bei der Bewegung eines mit natürlich beschleunigter Bewegung fallenden Körpers beschrieben wird, der von der Ruhe aus fällt. Er erklärt dazu:

theorem III, LEHRSATZ III Eine Bewegung durchmesse die Strecke ab von der Ruhe in a aus, und man nehme auf dieser einen beliebigen Punkt c, wobei ac nun die Zeit sein soll, oder das Maß der Zeit des Falles durch den Raum ac, sowie auch das Maß der unkörperlichen übertragenen Kraft oder ihres Momentes, das in Punkt c beim Abstieg durch ac angesammelt wurde. Ebenso nehme man auf derselben Strecke ab irgendeinen anderen Punkt, zum Beispiel b, in welchem die von dem Körper beim Abstieg durch ab angesammelte, ihm

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unkörperlich übertragene Kraft im Verhältnis zu jener Kraft bestimmt werden soll, die in c angesammelt worden war, und als deren Maß ac angesetzt wurde. Man nehme die mittlere Proportionale as zwischen ba, ac. Alsdann werden wir beweisen, dass sich die übertragene unkörperliche Kraft in b zur übertragenen Kraft in c ebenso verhält wie die Strecke sa zu ac. Wir ziehen die Horizontalen cd als das Doppelte von ac und be als das Doppelte von ba. Dann steht nach dem Bewiesenen fest, dass ein durch ac fallender und auf die Horizontale cd abgelenkter Körper ebenso gemäß der in c ihm übertragenen unkörperlichen Kraft in gleichförmiger Bewegung fortschreitend einen Raum cd in der gleichen Zeit durchmessen wird, wie er sie für die beschleunigte Bewegung benötigte, und ebenso wird er be in derselben Zeit durchmessen wie ab. Aber die Zeit des Absteigens durch ab ist as. Daher wird die Horizontale be in der Zeit as durchmessen werden. Also wird eb sich zu bl ebenso verhalten wie die Zeit sa zur Zeit ac. Weil nun die Bewegung durch be gleichförmig sein wird, so wird der Raum bl gemäß dem Moment der Schnelligkeit in b in der Zeit ac durchmessen werden. Aber in derselben Zeit ac wird der Raum cd gemäß dem Moment der Schnelligkeit in c durchmessen. Nun verhalten sich die Momente der Schnelligkeit zueinander ebenso wie die Räume, welche gemäß eben diesen Momenten in derselben Zeit durchmessen werden. Folglich verhält sich das Moment der Schnelligkeit in c zu dem Moment der Schnelligkeit in b ebenso wie dc zu bl. Nun aber verhalten sich ebenso wie dc zu be auch deren Hälften, nämlich ca zu ab. Aber wie eb zu bl, so verhält sich auch ba zu as. Folglich ist aufgrund der Gleichheit ca zu as ebenso wie dc zu bl, d. h. ca verhält sich zu as ebenso wie das Moment der Schnelligkeit in c zum Moment der Schnelligkeit in b, d. h. wie die Zeit durch ca zu der Zeit durch ab. Damit ergibt sich die Methode zur Bestimmung der unkörperlichen übertragenen Kraft oder des Momentes der Schnelligkeit auf der Strecke, auf der die absteigende Bewegung stattfindet,



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von welcher Kraft demnach anzunehmen ist, dass sie im Verhältnis der Zeiten wächst. An dieser Stelle ist aber, ehe wir weitergehen, daran zu erinnern, dass die aus einer gleichförmigen horizontalen und einer natürlich beschleunigten, abwärts gerichteten, zusammengesetzte Bewegung im weiteren das Thema e sein wird (denn aus dieser Zusammensetzung ergibt sich die Gestalt der Wurflinie, nämlich die Parabel), so dass wir irgendein verbindliches Maß definieren müssen, nach dem wir a d beides, die Geschwindigkeit der Bewegung und die unkörperliche übertragene Kraft oder deren Moment ausmessen können, weil doch die Geschwindigkeitsgrade gleichförmiger Bewegungen unzählbar viele sind, von denen nicht eine beliebige und zufällige, son- b c dern eine bestimmte aus jenen zahllosen mit dem Geschwindigkeitsgrad, der bei der natürlich beschleunigten Bewegung gewonnen wird, zusammengebracht und verbunden werden soll, zu deren Auswahl und Bestimmung ich mir keinen einfacheren Weg ausdenken konnte als den, etwas anderes von gleicher Art anzunehmen. Damit ich mich deutlicher erkläre, stelle man sich zur Horizontale cb eine Senkrechte ac vor, wobei ac die Höhe, cb aber die Weite der Halbparabel ab ist, welche aufgrund der Zusammensetzung zweier Bewegungen beschrieben wird, deren eine der Abstieg des Körpers über ac in natürlich beschleunigter Bewegung von der Ruhe in a aus ist, die andere die gleichförmige Querbewegung entlang der Horizontale ad. Die unkörperliche Kraft, die durch den Abstieg über ac in c übertragen ist, wird durch das Maß eben dieser Höhe ac bestimmt, denn die unkörperliche Kraft eines Körpers, der aus derselben Höhe fällt, ist immer dieselbe. Dagegen kann man in der Horizontale nicht einen einzigen, sondern unzählbar viele Geschwindigkeitsgrade gleichförmiger Bewegungen annehmen. Um nun aus deren Vielzahl den auszuwählenden von den übrigen zu trennen und sozusagen mit dem Finger auf ihn hinweisen zu können, verlän-

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gere ich die Höhe ca nach oben, auf der ich je nach Bedarf die aufragende Erzeugungsstrecke [sublimitas] ae festlege, von der ich annehme, dass auf ihr beim Fall von der Ruhe in e aus die bis zum Endpunkt a übertragene unkörperliche Kraft ganz dieselbe ist wie diejenige, welche, wie ich annehme, denselben Körper nach der Ablenkung auf die Horizontale ad weitertragen wird. Dessen Geschwindigkeitsgrad ist derjenige, mit welchem er in der Zeit des Absteigens durch ea auf der Horizontale einen Raum beschreiben würde, der das Doppelte von ea ist. Das muss vorab in Erinnerung gebracht werden. Darüber hinaus ist zu beachten, dass ich die Horizontale cb die »Amplitude« der Halbparabel ab nenne, »Höhe«, nämlich ac, die Achse dieser Parabel, und als »Erzeugungsstrecke« [sublimitas] bezeichne ich jene Höhe, aus deren senkrechter Durchmessung die unkörperliche übertragene Kraft der Horizontalbewegung hervorgeht. Nach diesen Klarstellungen und Definitionen gehe ich zu den Beweisführungen über. (21) Sagr.  Darf ich Sie bitte kurz unterbrechen, denn ich denke, man sollte hier lobend erwähnen, wie sehr dieser Gedankengang des Autors den Annahmen Platons bezüglich der Bestimmung der unterschiedlichen Geschwindigkeiten der gleichförmigen Bewegungen bei den Umläufen der Himmelskörper entspricht. Jener, nachdem er mit Glück erkannt hatte, dass kein Körper anders aus der Ruhe zu irgendeinem bestimmten Geschwindigkeitsgrad gelangen kann, in dem er sich dann gleichförmig erhalten soll, als dass er alle anderen Grade kleinerer Geschwindigkeiten, oder sagen wir größerer Langsamkeit, durchläuft, welche zwischen dem angenommenen Grad und der größten Langsamkeit, d. h. der Ruhe liegen, erklärte, dass Gott, nachdem er die beweglichen Himmelskörper erschaffen hatte, um ihnen die Geschwindigkeiten zuzumessen, mit denen sie sich alsdann in gleichförmiger Kreisbewegung anhaltend bewegen sollten, diese, indem er sie aus der Ruhe entließ, durch bestimmte Räume in derjenigen natürlichen und geradlinigen Bewegung fortgehen machte, in welcher wir erfahrungsgemäß Körper sich aus dem Ruhezustand zunehmend beschleunigt



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fortbewegen sehen, und er fügte hinzu, dass er, nachdem er sie den Geschwindigkeitsgrad hatte erreichen lassen, in dem sie nach seinem Willen alsdann sich gleichförmig erhalten sollten, ihre geradlinige Bewegung zur kreisförmigen umwandelte, welche allein sich gleichförmig erhalten kann, da sie stets, ohne sich an irgendeinen vorher durch ihn festgesetzten Punkt anzunähern oder davon zu entfernen, im Kreis herumgeht. Diese Konzeption ist Platons wahrhaft würdig, und sie ist umso höher zu schätzen, nachdem nun die von ihm nicht behandelten, aber durch unseren Autor aufgedeckten Grundlagen sie, unter Entfernung der poetischen Maske oder Erscheinungsform, als eine wirklich wahre Darstellung erweisen. Auch scheint mir, nachdem wir durch die astronomischen Erkenntnisse ein hinreichend genaues Wissen von den Größen der Umlaufbahnen der Planeten und ihren Abständen von dem Mittelpunkt haben, den sie umkreisen, wie auch von ihren Geschwindigkeiten, durchaus glaubhaft, dass unser Autor (dem die Platonische Konzeption nicht unbekannt war) neugierig manches Mal daran gedacht hat, die Untersuchung aufzunehmen, ob sich eine bestimmte Erzeugungsstrecke zuordnen lässt, von welcher, wenn die Körper der Planeten vom Zustand der Ruhe aus durch bestimmte Räume in gerad­ liniger und natürlich beschleunigter Bewegung fortgehen, sich, sobald die dabei angenommene Geschwindigkeit in gleichförmige Bewegung umgewandelt ist, herausstellt, dass sie der Größe von deren Umlaufbahnen und den Zeiten ihrer Umläufe entspricht. (22) Sa lv.  Ich glaube mich daran zu erinnern, dass er mir wohl erzählte, er habe das einmal berechnet und habe dabei auch eine hinreichende Übereinstimmung mit den Beobachtungen gefunden. Er wollte aber darüber nicht weiter sprechen, weil er meinte, dass er wegen des Ärgers, den die überaus große Neuheit seiner Entdeckungen bei vielen ausgelöst hatte, nicht weiter Öl ins Feuer gießen sollte. Wenn aber irgendjemand ähnliche Absichten hat, so könnte er ihnen wohl mittels der Lehren der vorliegenden Abhandlung nach Belieben Raum geben. Gehen wir jedoch in unserer Materie weiter, um Folgendes zu beweisen:

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AUFGABE I , LEHRSATZ IV Wie man auf einer gegebenen Wurfparabel die unkörperliche übertragene Kraft in den einzelnen Punkten bestimmen kann. Es sei bec eine Halbparabel mit der Amplitude cd und der Höhe db, welche nach oben verlängert mit der Tangente ca an die Parabel in a zusammentrifft, und durch den Scheitelpunkt b verlaufe bi parallel zur Horizontale und zu cd. Wenn nun die Amplitude cd gleich der ganzen Höhe da ist, so wird bi gleich ba und bd, und wenn wir ab selbst als das Maß der Zeit des Falls durch ab und des beim Abstieg durch ab von der Ruhe in a aus in b gewonnenen Geschwindigkeitsmomentes annehmen, so wird dc (d. h. das Doppelte von bi) der Raum sein, welcher als Wirkung der unkörperlichen übertragenen Kraft ab, nach deren Ablenkung auf die Horizontale, in derselben Zeit durchmessen wird. Was aber in derselben Zeit von der Ruhe in b aus durch bd fällt, durchmisst die Höhe bd. Also durchmisst der von der Ruhe in a aus durch ab fallende Körper nach der Ablenkung als Wirkung der unkörperlichen übertragenen Kraft ab in der Horizontale einen Raum gleich dc. Kommt aber der Fall durch bd hinzu, so wird die Höhe bd durchmessen und die Parabel bc beschrieben, deren unkörperliche übertragene Kraft im Endpunkt c zusammengesetzt ist aus der gleichförmigen Querbewegung, deren Moment sich verhält wie ab, und aus dem weiteren Moment, das beim Abstieg bd bis zu dem Endpunkt d oder c gewonnen wird, welche Momente einander gleich sind. Wenn wir also annehmen, dass dies eine [Moment] durch ab gemessen wird, angenommen das gleichförmige transversale, und dass bi, das gleich bd ist, das Maß der in d oder c gewonnenen unkörperlichen Kraft ist, so wird die Verbindungsstrecke ia die Menge des aus beiden zusammengesetzten Kraftmomentes sein. Folglich wird sie die Menge oder das Maß des verbundenen Kraftmomentes sein, welches der die Parabel bc beschreibende geworfene Körper in c mit sich führt. Dies halte



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man fest und nehme auf der Parabel einen beliebigen Punkt e an, in dem die übertragene Kraft des geworfenen Körpers bestimmt werden soll. Man ziehe die Horizontale ef und nehme bg als mittlere Proportionale zwischen bd, bf. Weil nun angenommen wurde, dass ab oder bd das Maß der Zeit und des Geschwindigkeitsmomentes nach dem Fall durch bd von der Ruhe in b aus ist, so wird bg die Zeit oder das Maß der Zeit und der unkörperlichen übertragenen Kraft in f von b her kommend sein. Nimmt man daher bo gleich bg, so wird die hinzugefügte Diagonale ao die Menge der übertragenen Kraft in Punkt e. Denn es wurde angenommen, dass ab die Zeit und die übertragene Kraft in b bestimmt, welche nach der Ablenkung auf die Horizontale stets dieselbe bleibt, während bo die übertragene Kraft in f oder in e nach dem Abstieg aus der Ruhe in b durch die Höhe bf bestimmt. Aber ao ist die Vektorsumme aus ab und bo. Damit bestätigt sich das, was gesucht wurde. (23) Sagr.  Die Untersuchung der Zusammensetzung dieser verschiedenen nichtkörperlichen Kräfte und der Menge der Kraft, welche sich aus dieser Mischung ergibt, ist für mich dermaßen neu, dass sie meinen Geist nicht wenig verwirrt. Ich spreche nicht von der Mischung zweier gleichförmiger Bewegungen, mögen sie auch untereinander verschieden sein, deren eine auf einer horizontalen Linie, die andere in der Senkrechte stattfindet, denn dass daraus eine Bewegung hervorgeht, deren Vektorsumme gleich diesen beiden Bestandteilen ist, weiß ich wohl; meine Verwirrung erwächst aus der Vermischung der gleichförmigen horizontalen mit der natürlich beschleunigten senkrechten. Es wäre mir daher willkommen, wenn wir dieses Thema gemeinsam gründlicher erörtern würden. (24) Simp.  Und ich wäre darauf umso mehr angewiesen, als ich auch die Lehrsätze, welche die ersten Grundlagen dessen bilden, was danach folgen soll, nicht so vollkommen verstanden habe, wie es notwendig wäre. Ich möchte hinzufügen, dass ich, auch, was die Vermischung zweier gleichförmiger Bewegungen angeht, einer horizontalen und einer senkrechten, deren Zusammensetzung in der Vektorsumme besser würde verstehen wollen.

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Sie, Herr Salviati, werden unser Anliegen und unsere Wünsche jetzt sicher verstehen. (25) Salv.  Das Anliegen ist durchaus vernünftig, und in der Erwägung, dass ich mehr Zeit zur Verfügung hatte, um über diese Dinge nachzudenken, will ich versuchen, Ihnen das Verständnis zu erleichtern. Sie werden aber wohl hinnehmen und mir nachsehen müssen, wenn ich bei der Darlegung einen Gutteil dessen wiederhole, was der Autor bereits erörtert hat. Wir können über die Bewegungen und ihre Geschwindigkeiten oder über die unkörperlichen übertragenen Kräfte, ob gleichförmig oder natürlich beschleunigt, nicht präzise sprechen, ohne zunächst den Maßstab genau zu bestimmen, den wir für die Messung dieser Geschwindigkeiten benützen wollen, und auch den Maßstab der Zeit. Was den Maßstab der Zeit betrifft, so besteht allgemeine Übereinstimmung, hierfür Stunden, Minuten und Sekunden usw. anzunehmen. Und ebenso wie dieser Maßstab der Zeit allgemein angenommen wird, so müssen wir einen für die Geschwindigkeiten finden, der alsdann allgemein von allen verstanden und angenommen wird, d. h. der alsdann für jedermann derselbe sein wird. Der Autor hat zu diesem Zweck, wie er erklärte, die Geschwindigkeiten schwerer, natürlich fallender Körper für geeignet angesehen, weil das Anwachsen der Geschwindigkeiten überall auf der Welt derselben Regel folgt, dergestalt, dass der Geschwindigkeitsgrad, welchen (zum Beispiel) eine Bleikugel von einem Pfund gewinnt, wenn sie von der Ruhe aus senkrecht durch die Höhe von einer Pike fällt, stets und an allen Orten der Welt derselbe ist, und deshalb lässt sich hiermit auf die allerbequemste Weise die Menge der unkörperlichen übertragenen Kraft erklären, die aus einem natürlichen Fall herrührt. Bleibt noch, die Art und Weise zu finden, wie man auch die Menge der unkörperlichen übertragenen Kraft bei einer gleichförmigen Bewegung so bestimmen kann, dass jeder, der davon und darüber sprechen wird, sich denselben Begriff von deren Maß und von ihrer Geschwindigkeit macht, so dass nicht einer sich dazu mehr, der andere weniger Geschwindigkeit vorstellt, mit der Folge, dass sich verschiedene Menschen bezüglich der Ver-



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bindung und Vermischung der als gleichförmig angenommenen mit der festgestellten beschleunigten Bewegung verschiedene Vorstellungen von verschieden großen unkörperlichen übertragenen Kräften machten. Um diese übertragene Kraft und die Geschwindigkeit im einzelnen zu bestimmen und anzugeben, hat unser Autor nichts anderes für besser geeignet befunden, als sich der unkörperlichen Kraft zu bedienen, welche einem Körper in natürlich beschleunigter Bewegung fortschreitend übertragen wird, wobei jedes beliebige gewonnene Kraftmoment nach der Umwandlung in eine gleichförmige Bewegung die zugehörige endliche Geschwindigkeit genauestens aufrechterhält, und zwar so, dass [der Körper] in einer Zeit gleich der des Falles das Doppelte des Raumes durchmisst, durch den er gefallen ist. Weil dies aber der wesentlichste Punkt der behandelten Materie ist, sollte uns wohl ein passendes Beispiel helfen, ihn vollkommen zu verstehen. Nehmen wir also noch einmal die Geschwindigkeit und die unkörperliche Kraft, die einem schweren Körper durch die Höhe einer Pike fallend übertragen wurde, wie wir gesagt haben, welcher Geschwindigkeit wir uns zur Messung anderer Geschwindigkeiten und unkörperlicher übertragener Kräfte in anderen Beispielen bedienen wollen. Wenn zum Beispiel feststeht, dass die Zeit eines solchen Falles 4 Sekunden sein soll, so dürfen wir, um daraus das Maß der Kraft des aus beliebiger anderer größerer oder kleinerer Höhe gefallenen Körpers zu ermitteln, nicht mit der Proportion operieren, welche diese andere Höhe zu der Höhe einer Pike hätte, und daraus die Menge der über diese zweite Höhe gewonnenen unkörperlichen Kraft herleiten, indem wir zum Beispiel annähmen, dass der aus der vierfachen Höhe gefallene Körper die vierfache Geschwindigkeit erreicht hätte, denn das ist falsch: Es ist nämlich so, dass die Geschwindigkeit der natürlich beschleunigten Bewegung nicht im Verhältnis der Räume zu- oder abnimmt, sondern in dem der Zeiten, welches von dem­ jenigen der Höhen im doppelten Verhältnis übertroffen wird, wie bereits bewiesen wurde. Wenn wir also auf einer geraden Linie einen Teil als Maß der Geschwindigkeit abgemessen hät-

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ten, und auch der Zeit und des in ebendieser Zeit durchmessenen Raumes (weil kurzerhand alle diese drei Größen oftmals durch ein und dieselbe Strecke dargestellt werden), so würden wir, um die Menge der Zeit und den Grad der Geschwindigkeit zu ermitteln, welche derselbe Körper durch eine andere Entfernung angenommen haben würde, diese nicht unmittelbar aus dieser zweiten Entfernung entnehmen, sondern aus der Strecke, welche zwischen diesen beiden Entfernungen die mittlere Proportionale ist. Ich kann das aber mit einem Beispiel besser erklären. Auf der Strecke ac, die senkrecht zum Horizont verläuft, nehme man den Teil ab als den Raum an, welchen ein natürlich fala lender Körper mit beschleunigter Bewegung durchmessen hat. Die Zeit dieser Durchmessung, für die ich eine belieb bige Strecke annehmen kann, möchte ich der Kürze halber durch ebendiese Strecke ab darstellen. Und gleichfalls kann d ich als Maß der unkörperlichen übertragenen Kraft und der angenommenen Geschwindigkeit dieser Bewegung ebendiese Strecke ab nehmen, so dass wir für alle Räume, die wir im Verlauf der Untersuchung zu bedenken haben c werden, den Teil ab als Maß nehmen können. ­Haben wir also nach unserem Belieben durch eine einzige Größe ab diese 3 Messwerte von Entitäten in unterschiedlichsten Mengen [generi di quantità diversissimi], nämlich von Räumen, von Zeiten und von unkörperlichen übertragenen Kräften, festgelegt, und soll nun die Aufgabe sein, zu dem bezeichneten Raum und der Höhe ac den Messwert der Zeit des Falls eines von a nach c gefallenen Körpers zu finden, und die Menge der unkörperlichen Kraft, welche ihm an diesem Endpunkt c übertragen sein wird, und zwar im Verhältnis zu der Zeit und zu der unkörperlichen Kraft, welche durch ab gemessen wurden, so wird die eine wie die andere Frage beantwortet, indem man zu den beiden Strecken ac, ab die mittlere Proportionale ad nimmt, womit sich bestätigt, dass die Zeit des Falls durch den ganzen Raum ac sich aus dem Verhältnis der Zeit ad zur Zeit ab ergibt, welch Letztere vorab als die Menge der Zeit des Falls durch ab angenommen wurde. Desgleichen sagen wir, dass die übertragene unkörper­



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liche Kraft oder der Grad der Geschwindigkeit, welchen der gefallene Körper im Endpunkt c erlangt hat, sich zu der unkörperlichen Bewegungskraft, die er bis zu b übertragen erhalten hat, ebenso verhält, wie ebendiese Strecke ad sich zu ab verhält, da ja die Geschwindigkeit im selben Verhältnis anwächst, in dem die Zeit anwächst. Wenn auch diese Folgerung als Voraussetzung angenommen wurde, so wollte der Autor doch ihre Anwendung oben, in dem dritten Lehrsatz, erklären. Haben wir diesen Punkt gut verstanden und festgestellt, so gehen wir weiter zur Betrachtung der unkörperlichen übertragenen Bewegungskraft, die für 2 zusammengesetzte Bewegungen ableitbar ist; deren eine sei aus einer horizontalen und immer gleichförmigen und einer zum Horizont senkrechten, ebenfalls gleichförmigen zusammengesetzt, die andere aber aus einer horizontalen, wiederum stets gleichförmigen, und einer natürlich beschleunigten senkrechten. Wenn beide gleichförmig sind, so haben wir soeben gesehen, dass die unkörperliche übertragene Bewegungskraft, die aus der Zusammensetzung der beiden resultiert, der Vektorsumme der beiden gleich ist, was wir zum vollen Verständnis folgendermaßen erklären. Angenommen der über die Senkrechte ab herabkommende Körper habe zum Beispiel 3 Grade an gleichförmiger Bewegungskraft, aber nach der Durchmessung von ab in Richtung c sei die Geschwindigkeit und die Bewegungskraft 4 Grade, dergestalt, dass er in derselben Zeit, in der er fallend in der Senkrechte z. B. 3 Ellen durchmessen würde, in der Horizontale 4 durchmessen würde. Aber mit der Zusammensetzung aus den beiden Geschwindigkeiten gelangt er in derselben Zeit von Punkt a zum Endpunkt c, wobei er stets die Diagonale ac durchläuft, welche nicht 7 misst, wie es die Zusammensetzung der beiden, ab 3 und bc 4, ergeben würde, sondern sie misst 5, und diese 5 ist die Vektorsumme der beiden 3 und 4. Es ist nämlich so, dass, wenn man die Quadrate von 3 und 4 nimmt, welche 9 und 16 sind, diese in der Verbindung 25 für das Quadrat über ac ergeben, das den beiden Quadraten über ab und über bc

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gleich ist. Daher wird ac ebensoviel sein wie die Seite, oder sagen wir die Wurzel aus dem Quadrat 25, also 5. Man muss deshalb nach dieser festen und gesicherten Regel dann, wenn man die Menge der unkörperlichen übertragenen Kraft bestimmen soll, die aus zwei gegebenen solchen Kräften hervorgeht, eine horizontal, die andere senkrecht, und beide gleichförmig, zu beiden die Quadrate bilden und, nachdem man diese zusammengenommen hat, aus der Verbindung die Wurzel ziehen, welche dann die Menge der aus jenen beiden zusammengesetzten unkörperlichen übertragenen Kraft ergeben wird. Im angenommenen Beispiel wird, wenn der Körper infolge der senkrechten Bewegung auf der Horizontale mit 3 Graden Wirksamkeit aufträfe, aber allein mit der Horizontalbewegung in c mit 4 Graden, er beim Auftreffen mit beiden verbundenen unkörperlichen übertragenen Kräften einen Aufprall haben, der dem eines Körpers entspricht, welcher mit 5 Graden Geschwindigkeit und Wirksamkeit auftrifft. Und dieser Aufprall wäre an allen Punkten der Diagonale ac so zu messen, weil die zusammengenommenen übertragenen Kräfte immer dieselben sind und weder zunehmen noch abnehmen. Betrachten wir nun den Vorgang der Zusammensetzung einer horizontalen gleichförmigen Bewegung mit einer Bewegung senkrecht zum Horizont, welche, von der Ruhe ausgehend, mit natürlicher Beschleunigung stattfindet. Wir wissen bereits, dass die Diagonale, das ist der Verlauf der aus diesen beiden zusammengesetzten Bewegung, keine gerade Linie ist, sondern eine Halbparabel, wie bewiesen wurde. Auf dieser nimmt die unkörperliche übertragene Kraft immer weiter zu, dank des beständigen Anwachsens der Geschwindigkeit der senkrechten Bewegung. Daher muss man, um die übertragene Kraft an einem bestimmten Punkt dieser parabolischen Diagonale zu bestimmen, zunächst die Menge der übertragenen Kraft in der Horizontale bestimmen, und danach fragt man nach der übertragenen Kraft des fallenden Körpers an dem bezeichneten Punkt, welche man nicht bestimmen kann, ohne die seit dem Beginn der Zusammensetzung der 2 Bewegungen verstrichene Zeit zu beachten, welche Berücksichtigung der Zeit bei der Zusammensetzung



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zweier gleichförmiger Bewegungen, deren Geschwindigkeiten und übertragene Kräfte immer dieselben sind, nicht erforderlich ist. Hier aber, wo wir es mit der Einmischung einer Bewegung zu tun haben, welche, beginnend von der maximalen Langsamkeit aus, ihre Geschwindigkeit entsprechend dem Fortschreiten der Zeit vermehrt, muss die Menge der Zeit die Menge des Geschwindigkeitsgrades am bezeichneten Punkt offenbaren. Was dann das Übrige angeht, so ist die aus den 2 zusammengesetzte übertragene Kraft (wie bei den gleichförmigen Bewegungen) in der Vektorsumme gleich ihren beiden Bestandteilen. Auch das kann ich aber mit einem Beispiel besser erklären. Man nehme auf einer zum Horizont senkrechten Strecke ac einen beliebigen Teil ab, welcher als Maß des a Raumes der auf der Senkrechte vollzogenen natürlichen Bewegung dienen soll, und er soll l d b f auch das Maß der Zeit sowie des Geschwindigkeitsgrades sein, oder, besser gesagt, der unköre c perlichen übertragenen Kräfte. Zunächst einmal steht fest, dass g dann, wenn die übertragene i o Kraft des aus der Ruhe in a nach b gefallenen Körpers sich zu einer gleichförmigen Bewegung auf der zum Horizont parallelen Strecke bd verwandelt, er eine solche Menge an Geschwindigkeit haben wird, dass er in der Zeit ab ein Raum vom Doppelten des Raumes ab durchmessen wird; und diesen bezeichne die Strecke bd. Nimmt man nun bc gleich ba, und hat man ce parallel zu bd und dieser gleich gezogen, so beschreiben wir durch die Punkte b, e die parabolische Strecke bei. Weil nun aber in der Zeit ab mit der übertragenen Kraft ab die Horizontale bd oder ce durchmessen wird, das Doppelte von ab, so wird in einer gleichen Zeit auch die Senkrechte bc mit der in c gewonnenen unkörperlichen Kraft, die dieser Horizontale gleich ist, durchmessen werden. Infolgedessen wird man finden, dass der Körper in ebenderselben Zeit ab auf der Parabel be von

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b nach e gelangt ist, mit einer aus zweien zusammengesetzten unkörperlichen Kraft, deren jede gleich der Kraft ab ist. Weil nun die eine von beiden horizontal, die andere senkrecht ist, so wird die aus beiden zusammengesetzte Kraft der Vektorsumme der beiden gleich sein, d. h. dem Doppelten der einen. Nimmt man daher bf gleich ba und zieht man die Diagonale af, so wird die unkörperliche Kraft und der Stoß in e größer sein als der Stoß des aus der Höhe a gefallenen Körpers in b, oder auch als der Stoß der horizontalen Kraft in Richtung bd, gemäß dem Verhältnis von af zu ab. Nun wird aber, wenn man stets ba als Maß des Fallraumes aus der Ruhe in a bis nach b und als Maß der Zeit sowie der dem fallenden Körper in b übertragenen Kraft verwendet, die Höhe bo nicht gleich, sondern größer als ab sein. Nimmt man bg als mittlere Proportionale zwischen ab, bo, so wird bg das Maß der Zeit und der Kraft in o sein, die nach dem Fall durch die Höhe bo in o angesammelt worden ist, und der Raum auf der Horizontale, welcher mit der übertragenen Kraft ab in der Zeit ab das Doppelte von ab wäre, wird durch die ganze Zeitdauer bg umso größer sein, wie bg im Verhältnis größer ist als ba. Wird nunmehr lb gleich bg genommen und die Diagonale al gezogen, so gibt uns diese die zusammengesetzte Menge der 2 übertragenen horizontalen und senkrechten Kräfte an, mit denen die Parabel beschrieben wird, deren horizontaler und gleichförmiger Anteil in b nach dem Fall durch ab gewonnen wurde, während der andere in o gewonnen wurde, oder sagen wir in i, nach dem Fall durch bo, dessen Zeit bg war, wie auch die Menge seines Bewegungsmoments. Mit einer gleichartigen Überlegung finden wir die übertragene Kraft am äußersten Endpunkt der Parabel, wenn deren Höhe geringer sein würde als die Erzeugungsstrecke ab, indem wir zwischen beiden die Mittlere nehmen. Wird deren Maß auf der Horizontale mit bf angenommen und die Diagonale gezogen, also af, so erhalten wir mit dieser die Menge der übertragenen Kraft am äußersten Endpunkt der Parabel. Dem, was wir bis hierher bezüglich dieser übertragenen Kräfte, der Schläge oder, wie ich sagen möchte, der Stöße solcher ge-



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worfener Körper durchgenommen haben, sollte man wohl eine andere, sehr notwendige Überlegung hinzufügen, nämlich die, dass es, um die Gewalt und die Energie [forza ed energia] eines Stoßes genau zu bestimmen, nicht genügt, lediglich die Geschwindigkeit des geworfenen Körpers in Betracht zu ziehen, sondern man muss unabhängig davon auch den Zustand und die Gegebenheiten des Objekts berücksichtigen, welches den Stoß empfängt, denn diese sind an dessen Wirksamkeit in mehr­facher Hinsicht beteiligt und haben daran Anteil. Zunächst einmal gibt es niemanden, der nicht wüsste, dass das gestoßene Objekt durch die Geschwindigkeit des Stoßenden ebenso viel Gewalt erleidet, wie es sich Letzterem widersetzt und die Bewegung des Ersteren gänzlich oder teilweise abbremst. Deshalb wird, wenn ein Stoß gegen etwas geführt wird, das der Geschwindigkeit des Stoßenden ohne jeden Widerstand nachgibt, dieser Stoß gleich Null sein. Und derjenige, welcher läuft, um seinen Feind mit der Lanze zu treffen, wird dann, wenn dieser, sobald er ihn erreicht, sich fliehend mit derselben Geschwindigkeit fortbewegt, gar keinen Stoß ausführen, sondern ihn bei der Ausführung lediglich berühren, ohne ihn zu verletzen. Wenn aber ein Objekt den Stoß empfängt, welches vor dem Stoßenden nicht ganz zurückweicht, sondern nur teilweise, so wird es der Stoß beschädigen, aber nicht mit der gesamten Kraft, sondern nur mit dem Überschuss der Geschwindigkeit des Stoßenden über die Geschwindigkeit, mit der das Gestoßene nachgibt und weicht, so dass, wenn z. B. das Stoßende mit 10 Geschwindigkeitsgraden auf das Gestoßene trifft, und dieses, teilweise nachgebend, mit 4 Graden zurückweicht, die Kraft und der Stoß 6 Grad haben wird. Und schließlich wird der Stoß seitens des Stoßenden vollständig sein und sein Maximum haben, wenn das Gestoßene gar nicht zurückweicht, sondern vollständigen Widerstand leistet und die gesamte Bewegung des Stoßenden beendet, sofern so etwas doch möglich sein sollte. Und ich sagte seitens des Stoßenden, denn wenn das Gestoßene sich mit einer Bewegung entgegengesetzt derjenigen des Stoßenden bewegen würde, so würde der Stoß und Zusammenprall in dem Maße heftiger sein, um das die 2 entgegenge-

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setzten Geschwindigkeiten zusammengenommen größer sind als die des Stoßenden allein. Darüber hinaus muss man auch beachten, dass das größere oder kleinere Zurückweichen nicht nur aus einer Eigenschaft der Materie herrühren kann, die mehr oder weniger hart ist, wie das bei Eisen, Blei oder Wolle usw. der Fall ist, sondern aus der Lage des Körpers, der den Stoß empfängt. Ist diese so beschaffen, dass die Bewegung des Stoßenden im rechten Winkel auftrifft, so wird die übertragene Kraft des Zusammenstoßes ihr Maximum haben. Wenn aber die Bewegung schräg oder, wie wir sagen, über Eck ankommt, so wird der Zusammenstoß schwächer sein, und das immer mehr entsprechend der größeren Schräglage, weil bei einem so gelagerten Körper, auch wenn er aus noch so fester Materie besteht, nicht die ganze übertragene Kraft und Bewegung des Stoßenden erlischt und ein Ende findet, welches anderswo hin ausweicht und seine Bewegung wenigstens teilweise über die Oberfläche eines ihm entgegengesetzt widerstehenden Körpers fortsetzt. Wenn man deshalb so wie oben die Größe der übertragenen Kraft in einem geworfenen Körper am höchsten Punkt der parabolischen Linie bestimmt, muss man sich dazu einen Stoß vorstellen, der auf einer Linie rechtwinklig zu jener parabolischen empfangen wird, d. h. zur Tangente an die Parabel in besagtem Punkt, weil nämlich jene Bewegung aus einer horizontalen und einer senkrechten zusammengesetzt ist, so dass die übertragene Kraft weder auf der Horizontale, noch auf einer zur Horizontale senkrechten Ebene ihr Maximum hat, da sie schräg zu beiden empfangen wird. (26) Sagr.  Dass Sie uns diese Stöße und den Zusammenprall wieder in Erinnerung bringen, hat mich von Neuem an ein Problem denken lassen, oder sagen wir, an eine Fragestellung aus der Mechanik, auf die ich bei keinem Schriftsteller eine Antwort gefunden habe, oder irgendetwas, das meine Verwunderung verringert oder doch wenigstens teilweise meinen Geist zufriedengestellt hätte. Dieser mein Zweifel und mein Erstaunen haben ihren Grund darin, dass ich nicht weiß, woher die Energie und die enorme Wirkfähigkeit [l’energia e la forza immensa] kommt und



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von welchem Prinzip sie abhängen könnte, die man beim Stoß beobachten kann, wenn man etwa beim einfachen Schlag eines Hammers, der nicht mehr wiegt als 8 oder 10 Pfund, derartige Widerstände überwindet, wie sie dem Gewicht eines schweren Körpers, der da ohne Stoß lediglich schwer aufliegend und drückend seine Kraft ausüben würde, niemals nachgeben würden, auch wenn sich dessen Schwere auf viele hundert Pfund beliefe. Ich würde schon gerne eine Methode kennen, um die Wirkfähigkeit eines solchen Stoßes zu messen, von der ich nämlich nicht denke, dass sie unendlich sei, sondern annehme, sie habe ein Maß, durch das man sie anderen Einwirkungen der Schwere oder solchen von Hebeln oder Schrauben oder anderen mechanischen Werkzeugen gleichstellen und schließlich bestimmen kann, bei denen ich die Vermehrung ihrer Wirkfähigkeit [forza] hinlänglich verstehe. (27) Salv.  Nicht nur Sie allein bestaunen diese Wirkung und die Unerklärlichkeit der Ursache dieser überaus bemerkenswerten Erscheinung. Ich selbst habe darüber einige Zeit lang mit wachsender Verwirrung vergebens nachgedacht, bis ich endlich, als ich die Bekanntschaft unseres Akademikers gemacht hatte, von diesem in zweifacher Hinsicht zu meiner Zufriedenheit belehrt wurde. Zum einen, als ich erfuhr, dass auch er sich über diese Sache lange Zeit im Unklaren war, und dann, als er mir sagte, dass er, nachdem er hierzu viele tausend Stunden seines Lebens mit Beobachten und Nachdenken verbracht habe, einige Erkenntnisse gewonnen habe, die weitab von unseren ersten Annahmen liegen und deshalb neu und ob ihrer Neuartigkeit bewundernswert sind. Weil ich nun weiß, dass Sie begierig sind, diese Gedanken zu erfahren, die so weit von allem Vorstellbaren entfernt sind, so will ich mich nicht erst bitten lassen, sondern verspreche, dass ich, sobald wir diese Abhandlung über die geworfenen Körper gelesen haben, Ihnen alle jene Einfälle, oder sagen wir Besonderheiten, die mir aus den Unterredungen mit dem Akademiker im Gedächtnis geblieben sind, erklären werde. Jetzt aber sollten wir mit den Lehrsätzen des Autors fortfahren.

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LEHRSATZ V, AUFGABE Man finde auf der verlängerten Achse einer gegebenen Parabel den oberen Punkt, von dem aus gefallen ein Körper diese Parabel beschreiben wird. Gegeben sei eine Parabel ab, deren Amplitude hb, und deren verlängerte Achse he, auf welcher die Erzeugungsstrecke gefunden werden soll, durch die ein Körper fallen muss, damit er, wenn seine in a gewonnene Bewegungskraft auf die Horizontale abgelenkt wird, die Parabel ab beschreiben wird. Man ziehe die Horizontale ag, welche parallel zu bh ist, nehme af gleich ah, und ziehe die Gerade fb, welche die Parabel in b berührt und die Horizontale ag in g schneidet. Nun nehme man ae als dritte Proportionale zu fa, ag. Ich behaupte, dass e der gesuchte obere Punkt ist, von dem bei Ruhelage in e ausgehend ein gefallener Körper, dessen in a gesammelte Bewegungskraft auf die Hori­ zontale abgelenkt wird, zusammen mit der infolge des Abstiegs von der Ruhe in a nach h hinzukommenden Bewegungskraft die Parabel ab beschreibt. Wenn wir nämlich annehmen, dass ea das Maß der Zeit des Abstiegs von e nach a ist, und ebenso der in a gesammelten Bewegungskraft, so wird ag (das ist die Mittlere zwischen ea, af) die Zeit und die Bewegungskraft eines von f nach a oder von a nach h gelangten Körpers sein. Weil er aber von e her kommt, so wird er in der Zeit ea mit der in a gesammelten Bewegungskraft in horizontaler Richtung mit gleichförmiger Bewegung das Doppelte von ea durchmessen, also wird er mit derselben Bewegungskraft in der Zeit ag auch das Doppelte von ga bewegt durchmessen, d. h. die Hälfte von bh (denn die mit derselben gleichförmigen Bewegung durchmessenen Räume verhalten sich zueinander ebenso wie die Zeiten ihrer Bewegungen), und er wird in senkrechter Bewegung von der Ruhe aus ah in derselben Zeit ga durchmessen. Folglich wird der Körper in derselben Zeit die Amplitude hb und die Höhe ah durchmessen. Deshalb wird er die Parabel ab nach dem Fall von der erzeugenden Höhe [sublimitas] e aus beschreiben, wonach in der Aufgabe gefragt war.



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ZUSATZ Damit steht fest, dass die Hälfte der Basis oder Amplitude einer Halbparabel (welches ein Viertel der Amplitude der ganzen Parabel ist) die mittlere Proportionale zwischen deren Höhe und der Erzeugungsstrecke ist, durch welche gefallen ein Körper diese [Halbparabel] beschreibt. LEHRSATZ VI, AUFGABE Bei gegebener Erzeugungsstrecke und Höhe einer Halbparabel finde man deren Amplitude. Auf der horizontalen Strecke dc stehe ac senkrecht, auf welcher die Höhe cb und die Erzeugungsstrecke ba gegeben seien. Man finde auf der Horizontale cd die Amplitude der Halb­ parabel, welche durch die Erzeugungsstrecke ba und die Höhe bc bestimmt wird. Hierfür nehme man zu cb, ba die mittlere Proportionale [ce] und verdopple diese, so dass sie cd wird. Ich behaupte, dass cd die gesuchte Amplitude ist. Und das ergibt sich aus dem Vorangegangenen. LEHRSATZ VII, theorem Von geworfenen Körpern, welche Halbparabeln gleicher Amplituden beschreiben, erfordert derjenige, welcher eine [Halbparabel] beschreibt, deren Amplitude das Doppelte ihrer Höhe ist, weniger Bewegungskraft als jeder beliebige andere. Die Halbparabel, deren Amplitude cd das Doppelte ihrer Höhe cb ist, sei bd, und auf ihrer nach oben verlängerten Achse werde ba gleich der Höhe bc genommen. Nun verbinde man ad, welche die Halbparabel in d berührt und die Horizontale be in e schneiden wird, und be sei gleich bc bzw. ba. Fest steht, dass derjenige geworfene Körper diese [Halbparabel] beschreiben wird, dessen gleichförmige Bewegungskraft in der Horizontale diejenige eines von der Ruhe in a aus gefallenen Körpers in b ist, welches eben diejenige Bewegungskraft ist, die bei natürlicher Abwärtsbewegung von der Ruhe in b aus in c gewonnen ist. Damit steht fest, dass die aus beiden zusammengesetzte Bewe-

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gungskraft, welche am Endpunkt d einwirkt, sich ebenso verhält wie die Diagonale ae, die ihre Vektorsumme ist. Nimmt man beispielsweise eine beliebige andere Halbparabel gd, deren Amplitude ebenfalls cd, deren Höhe cg aber größer oder kleiner ist als die Höhe bc, und zu der hd eine Tangente ist, welche eine durch g gezogene Horizontale in Punkt k schneidet, so dass sich kg zu gl ergibt wie hg zu gk, so wird nach dem bereits Bewiesenen die

l

m l a

a m n h b

e k n

d

k e

g b

g c

d

c

Höhe gl diejenige sein, von der aus fallend ein Körper die Parabel gd beschreiben wird. Die mittlere Proportionale zwischen ab und gl sei gm. Dann wird gm die Zeit und das Moment oder die Bewegungskraft eines von l aus nach g gefallenen Körpers (wobei nämlich angenommen wird, dass ab das Maß der Zeit und der Bewegungskraft ist). Wiederum wird gn, wenn es die Mittlere zwischen bc, cg ist, das Maß der Zeit und der übertragenen Kraft des Falles von g aus in c sein. Verbindet man nun mn, so wird dies das Maß der übertragenen Kraft des auf der Parabelbahn dg geworfenen Körpers, die am Endpunkt d einwirkt. Von dieser übertragenen Kraft behaupte ich, dass sie größer ist als die übertragene Kraft eines die Parabel bd beschreibenden Wurfkörpers, deren Menge sich wie ae verhält. Denn weil gn als Mittlere zwischen bc, cg genommen wurde, so ergibt sich bc gleich be, dh. kg (es sind nämlich beide die Hälfte von dc), und so wird ng zu gk wie cg zu gn; und wie sich cg oder hg zu gk verhält, so auch das



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Quadrat ng zum Quadrat gk. Aber wie hg zu gk, so wurde auch kg zu gl angenommen. Folglich verhält sich kg zu gl wie ng zum Quadrat gk. Aber wie kg zu gl, so verhält sich auch das Quadrat kg zum Quadrat gm, denn gm ist die Mittlere zwischen kg, gl. Also sind die drei Quadrate ng, kg, gm fortschreitend zueinander proportional, und nimmt man die beiden äußeren ng, gm zusammen, d. h. das Quadrat mn, so ist es größer als das Doppelte des Quadrats kg, dessen Quadrat das Doppelte von ae ist. Demnach ist das Quadrat mn größer als das Quadrat ae, und die Strecke mn ist größer als die Strecke ea. Was zu beweisen war.

ZUSATZ Hieraus wird klar, dass umgekehrt der Wurf eines Körpers vom Endpunkt d aus auf der Halbparabel db die Übertragung von weniger Kraft erfordert als auf jeder anderen mit einer größeren oder geringeren Steigung, als sie die Halbparabel bd hat, welche in Richtung der Tangente ad verläuft, die mit der Horizontale einen halben rechten Winkel einschließt. Weil das so ist, so steht fest, dass dann, wenn man mit ebendieser selben Kraft mehrere Körper vom Endpunkt d aus in verschiedenen Neigungswinkeln wirft, die größte Weite oder Amplitude der Halbparabel oder der ganzen Parabel in Richtung der Neigung mit einem halben rechten Winkel erzielt werden wird; alles andere, was in größeren oder kleineren Winkeln geschieht, wird kleiner ausfallen. (28) Sagr.  Wunderbar und zugleich überaus befriedigend ist die Macht zwingender Beweise, welche allein die mathematischen sind. Ich wusste schon, da ich den Erklärungen vieler Kanoniere vertraute, dass unter allen Schüssen der Artillerie oder aus Mörsern der größte, d. jener, bei dem die Kugel in der größten Entfernung herunterkommt, mit der Neigung eines halben rechten Winkels erzielt wird; sie nennen es den sechsten Punkt des Winkelmaßes. Aber die Einsicht, weshalb das so ist, reicht unendlich weit über das einfache Zeugnis anderer und auch über die vielfach wiederholte experimentelle Erfahrung hinaus. (29) Salv.  Sie haben vollkommen recht, und die Erkenntnis einer einzigen Wirkung, die man über ihre Ursachen gewinnt,

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öffnet den Geist für das Verständnis und die sichere Erklärung anderer Wirkungen, ohne dass man weiter auf die Erfahrung zurückgreifen muss, wie es sich gerade im vorliegenden Fall zeigt, wo der Autor, nachdem er durch eine beweisende Untersuchung die Gewissheit erhalten hat, dass die größte Schussweite unter einem halben rechten Winkel erzielt wird, etwas anderes beweist, das vielleicht durch die Erfahrung noch niemals bestätigt worden ist: dass nämlich von allen anderen Schüssen diejenigen gleiche Weiten erzielen, deren Neigungen den halbrechten Winkel in gleichem Winkel übertreffen oder darunter zurückbleiben, so dass Kugeln, die von der Horizontale hochgeschossen werden, eine mit einer Neigung von 7 Punkten und die andere von 5, in gleicher Entfernung auf der Horizontale auftreffen werden, und dasselbe gilt für Schüsse mit 8 oder mit 4 Punkten, mit 9 oder mit 3, usw. Sehen wir jetzt, wie dieser Beweis geführt wird.

THEOREM, LEHRSATZ VIII Die Amplituden der Parabeln, welche von Geschossen beschrieben werden, die mit derselben Kraft in Richtung von Neigungswinkeln abgeschossen werden, welche gleich weit oberhalb wie unterhalb des halbrechten liegen, sind einander gleich. In dem Dreieck mcb um den rechten Winkel bei c seien die Hori­zontale bc und die Senkrechte cm einander gleich. Dann wird der Winkel mbc ein halber rechter sein. Man verlängere nun cm nach d und bilde oberhalb und unterhalb der Diagonale mb in b zwei gleiche Winkel mbe, mbd. Dann kann bewiesen werden, dass die Parabelamplituden der mit gleicher unkörperlicher Bewegungskraft von dem Endpunkt b aus gemäß den Neigungswinkeln ebc, dbc abgeschossenen Körper einander gleich sind. Denn weil der äußere Winkel bmc den inneren mdb, dbm gleich ist, so ist diesen auch der Winkel mbc gleich. Nehmen wir mbe anstelle des Winkels dbm, so wird der Winkel mbc den beiden mbe, bdc gleich sein. Und hat man den gemeinsamen mbe abgezogen, so werden die verbleibenden bdc



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und ebc einander gleich sein. Also sind die Dreiecke dcb, bce einander ähnlich. Man teile die Geraden dc, ec hälftig in h und f und ziehe hi, fg in gleichbleibendem Abstand von der Horizontale cb, so wird ih zu hl wie dh zu hi. Das Dreieck ihl wird dem Dreieck ihd ähnlich sein, dem auch egf ähnlich ist, und weil ih, gf gleich sind (nämlich gleiche Hälften von bc), so wird fe, d. h. fc, gleich hl. Fügt man fh beiden hinzu, so wird ch gleich fl. Stellen wir uns daher eine durch h und b verlaufende Halbparabel vor, deren Höhe hc, deren Erzeugungsstrecke aber hl sein soll, so wird deren Amplitude cb sein, was das Doppelte von hi ist bzw. die Mittlere zwischen dh oder ch und hl, und db wird diese als Tangente berühren, da ch, hd einander gleich sind. Nehmen wir nun wiederum eine durch fb verlaufende Parabel an, mit der Erzeugungsstrecke fl und der Höhe fc, deren mittlere Proportionale fg ist, deren Doppeltes die Horizontale cb ist, so wird entsprechend cb deren Amplitude, und eb wird sie berühren, weil ef, fc einander gleich sind. Die Winkel dbc, ebc (bzw. deren Steigungen) liegen aber gleich weit von dem halben rechten Winkel entfernt, womit die Behauptung bestätigt ist.

THEOREM, LEHRSATZ IX Die Amplituden von Parabeln, deren Höhen und Erzeugungsstrecken [Sublimitates] einander umgekehrt entsprechen, sind einander gleich. a e

f h

g d

b c

Die Höhe gf der Parabel fh habe zur Höhe cb der Parabel bd dasselbe Verhältnis wie die Erzeugungsstrecke ba zur Erzeugungsstrecke fe. Ich behaupte, dass die Amplitude hg der Amplitude dc gleich ist. Denn weil die erste gf zur zweiten cb dasselbe Ver-

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hältnis haben soll wie die dritte ba zur vierten fe, so wird das Rechteck gfe aus der ersten und vierten gleich dem Rechteck cba aus der zweiten und dritten sein. Also werden Quadrate, welche diesen Rechtecken gleich sind, untereinander gleich sein. Aber das Rechteck gfe ist gleich dem Quadrat über der Hälfte von gh, und das Quadrat über der Hälfte von cd ist gleich dem Rechteck cba. Folglich werden diese Quadrate und ihre Seiten sowie das Doppelte ihrer Seiten einander gleich sein. Das aber sind die Amplituden gh, cd. Somit ist die Behauptung bestätigt.

HILFSSATZ FÜR DAS NÄCHSTFOLGENDE Wenn eine gerade Strecke beliebig geteilt wird, so sind die Quadrate über den Mittleren aus der ganzen und ihren Teilen gleich dem Quadrat über der ganzen. [Die Strecke] ab werde beliebig in c durchteilt. Ich behaupte, dass die Quadrate über den mittleren Proportionalen zwischen der ganzen und ihren Teilen ac, cb zusammengenommen gleich dem Quadrat über der ganzen ab sind. d Das aber ergibt sich, wenn man über der ganzen ba einen Halbkreis zeichnet und in c die Senkrechte cd errichtet, und c b a dann da, db verbindet. Denn da ist die Mittlere zwischen ba, ac, und db ist die Mittlere zwischen ab, bc, und die Quadrate über den Strecken da, db sind zusammengenommen gleich dem Quadrat über der ganzen ab, da der Winkel adb in dem Halbkreis ein rechter ist. Damit ist die Behauptung bestätigt. THEOREM, LEHRSATZ X Die übertragene Kraft oder das [Kraft-]Moment einer beliebigen Halbparabel gleicht dem Moment eines natürlich durch eine Senkrechte zur Horizontale gefallenen Körpers, dessen Maß sich aus der Zusammensetzung der Erzeugungsstrecke und der Höhe der Halbparabel ergibt. Die Halbparabel sei ab, ihre Erzeugungsstrecke da, aber ihre Höhe ac; aus diesen setze sich die Senkrechte dc zusammen. Ich behaupte, dass die übertragene Kraft der Halbparabel in b gleich



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dem Moment des von d nach c natürlich gefallenen Körpers ist. Gesetzt, dass das ganze dc das Maß der Zeit und der unkörperlichen übertragenen Kraft ist, und dass man die mittlere Proportionale zwischen cd, da genommen hat, die gleich d cf sein soll, sowie, dass außerdem ce die Mittlere e zwischen dc, ca sei, so wird nunmehr cf das Maß a der Zeit und des Momentes des von der Ruhe in d aus durch da abgestiegenen [Körpers] sein, aber ce wird die Zeit und das Moment des durch ac von der Ruhe in a aus abgestiegenen [Körpers] sein, und die Diagonale ef wird das aus jenen zusamc f b mengesetzte Moment sein, d. h. das der Halbpara­ bel in b. Und weil dc in a beliebig geteilt ist und cf, ce die Mittleren zwischen der ganzen cd und ihren Teilen da, ac sind, so werden deren Quadrate zusammengenommen gleich dem Quadrat über der ganzen sein, gemäß dem vorstehenden Hilfssatz. Aber diesen Quadraten ist auch das Quadrat über ef selbst gleich; folglich ist auch die Strecke ef gleich dc. Woraus folgt, dass die Momente durch dc und über die Halbparabel ab in c und in b einander gleich sind. Was zu zeigen war.

ZUSATZ Daraus folgt, dass bei allen Halbparabeln, bei denen die Zusammensetzung aus Höhe und Erzeugungsstrecke gleich ist, auch die unkörperlichen übertragenen Kräfte gleich sind. AUFGABE, LEHRSATZ XI Man finde bei gegebener Bewegungskraft und Amplitude einer Halbparabel deren Höhe. Die gegebene Bewegungskraft sei durch die zur Horizontale senkrechte [Strecke] ab bestimmt. Die horizontale Amplitude sei bc. Man finde die Erzeugungsstrecke der Halbparabel, deren unkörperliche Bewegungskraft ab und deren Amplitude bc sein soll. Nach dem, was schon bewiesen wurde, steht fest, dass die Hälfte der Amplitude bc die mittlere Proportionale zwischen der Höhe und der Erzeugungsstrecke jener Halbparabel sein wird, deren

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übertragene Bewegungskraft nach Vorstehendem dieselbe ist wie diejenige Kraft, welche einem aus der Ruhe in a durch ganz ab gefallenen Körper übertragen worden ist. Deswegen muss ba so geteilt werden, dass das Rechteck aus den a Teilen gleich dem Quadrat der Hälfte g von bc wird, welche bd sein soll. Man f sieht, dass dazu db notwendigerweise nicht größer sein darf als die Hälfte von ba, denn das Rechteck aus den e beiden Teilen ist am größten, sofern die ganze Strecke in gleiche Teile unterteilt wird. Man teile also ba in e in zwei gleiche Teile. Weil nun bd gleich i be sein wird, so ist die Aufgabe gelöst, d c b und die Höhe der Halbparabel wird be und ihre Erzeugungsstrecke ea sein (und zugleich sieht man, dass, wie oben bewiesen worden ist, die Amplitude einer unter einem halben rechten Winkel ansteigenden Parabel von allen, die durch dieselbe unkörperliche übertragene Kraft beschrieben werden, die größte ist). Nun sei aber bd kleiner als die hälftig geteilte ba, die so zu teilen ist, dass das Rechteck aus ihren Teilen dem Quadrat über bd gleich ist. Über ea beschreibe man einen Halbkreis, den af gleich bd von a aus trifft, und man ziehe fe, welche einen Teil gleich eg abschneiden soll. Dann ist das Rechteck bga zusammen mit dem Quadrat eg gleich dem Quadrat ea, dem auch die beiden Quadrate af, fe gleich sind. Zieht man nun die beiden gleichen Quadrate ge, fe ab, so bleibt das Rechteck bga übrig, das dem Quadrat af oder auch bd gleich ist, und die Strecke bd ist die mittlere Proportionale zwischen bg, ga. Damit ergibt sich, dass eine Halbparabel, deren Amplitude bc, deren übertragene Kraft aber ab ist, die Höhe bg und die Erzeugungsstrecke ga hat. Nimmt man bi gleich ba von unten her an, so wird dies die Höhe, ia aber die Erzeugungsstrecke der Halbparabel ic sein. Aufgrund des so Bewiesenen können wir



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AUFGABE, LEHRSATZ XII Amplituden aller Halbparabeln, welche Geschosse beschreiben, die mit ein und derselben Bewegungskraft abgefeuert werden, berechnen, zusammenstellen und tabellarisch bestimmen. Nach dem vorstehend Erwiesenen steht fest, dass Parabeln, welche von Geschossen beschrieben werden, denen gleiche Bewegungskräfte übertragen worden sind, und deren erzeugende Strecken mit ihren Höhen zusammengenommen werden, über dem Horizont gleiche Senkrechte aufweisen, so dass diese Senkrechten zwischen denselben parallelen Horizontalen eingeschlossen sein müssen. Zieht man also die Horizontale cb gleich der Senkrechte ba und verbindet man die Diagonale ac, so wird der Winkel acb ein halber rechter sein von 45 Grad. e Teilt man nun die Senkrechte ba hälftig in d, so wird die Halbparabel dc diejenige sein, welche durch o die erzeugende Strecke ad zusama g men mit der Höhe db beschrieben wird, und ihre übertragene Kraft f in c wird ebenso groß sein wie in b d diejenige eines Körpers, der von der Ruhe in a aus über die Strecke ab gekommen ist. Zieht man nun ag in gleichem Abstand zu bc, so werden r i b c die verbundenen Höhen und erzeugenden Strecken aller übrigen Halbparabeln, die dieselbe übertragene Kraft aufweisen sollen wie die eben beschriebene, den Raum zwischen den Parallelen ag, bc ausfüllen müssen. Da im übrigen soeben schon bewiesen worden ist, dass Halbparabeln, deren Tangenten von der halbrechten Steigung sei es oberhalb, sei es unterhalb gleich weit entfernt liegen, gleiche Amplituden haben, so werden die Berechnungen, die wir für größere Steigungen zusammenstellen werden, auch für die kleineren anwendbar sein. Wählen wir nun zehntausend Teile, 10 000, für die größte, bei einer Steigung von 45 Grad erreichbare Wurf­ amplitude einer Halbparabel; und so viele Teile sollen also die

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Strecke ba und die Amplitude bc der Halbparabel haben, wie vorausgesetzt. Wir wählen übrigens die Zahl 10 000, um sie zur Berechnung der Tangententafel einzusetzen, weil diese Zahl dort mit der Tangente bei 45 Grad zusammentrifft. Um nun diese Aufgabe anzugehen ziehe man ce, so dass der Winkel ecb den größeren (aber immer noch spitzen) Winkel acb einschließt, und es soll eine Parabel gezeichnet werden, welche von der Strecke ec berührt wird, deren erzeugende Strecke mit ihrer Höhe zusammengenommen gleich ba sei. Aus der Tangententafel entnehme man zu dem gegebenen Winkel bce den Tangens be, der bei f hälftig geteilt werde. Alsdann finde man zu bf, bi die dritte Proportionale (als Hälfte von bc), welche zwangsläufig größer sein wird als fa. Sie sei also fo. Daher ist die Höhe bf und die erzeugende Strecke fo der dem Dreieck ecb gemäß der Tangente ce eingeschriebenen Halbparabel gefunden, deren Amplitude cb ist. Nun reicht aber die ganze bo über die Parallelen ag, cb hinaus, zwischen denen wir sie doch einschließen müssen, weil jene und auch die Halbparabel dc von Körpern, die man mit derselben Kraft von c aus abschießt, beschrieben werden. Daher muss eine andere, dieser ähnliche gefunden werden (denn man kann in dem Winkel bce zahllose größere und kleinere, untereinander ähnliche finden), bei der die Zusammensetzung aus erzeugender Strecke und Höhe (nämlich übereinstimmend mit bc) gleich ba ist. Dazu verhalte sich also die Amplitude bc zu cr ebenso wie ob zu ba, und so wird man cr gefunden haben, d. h. die Amplitude einer Halbparabel gemäß der Steigung des Winkels bce, deren erzeugende Strecke zusammen mit der Höhe dem zwischen den Parallelen ga, cb eingeschlossenen Abstand gleich ist. Nach dieser war gefragt worden. Die Verfahrensweise ist also die Folgende: Man nehme zu dem gegebenen Winkel bce den Tangens, zu dessen Hälfte füge man die dritte Proportionale zwischen diesem und der Hälfte von bc hinzu, welche fo sein soll. Schließlich bildet man ein dem Verhältnis von ob zu ba gleiches aus bc und einer anderen, welche cr sein soll, und das ist die gesuchte Amplitude.



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Bilden wir ein Beispiel. Der Winkel ecb soll 50 Grad messen. Sein Tangens wird 11 918 sein, dessen Hälfte, d. h. bf, 5959. Die Hälfte von bc ist 5000. Die dritte Proportionale zu diesen Hälften ist 4195, die addiert zu bf 10 154 für bo ergibt. Wiederum soll sich wie ob zu ba, d. h. wie 10 154 zu 10 000, so bc, d. h. 10  000 (denn beide sind gleich dem Tangens von 45 Grad), zu einer anderen verhalten, und so finden wir für die gesuchte Amplitude rc 9848, während bc (die maximale Amplitude) 10 000 ist. Deren Doppelte aber sind die Amplituden der eingeschlossenen Parabeln, nämlich 19 696 und 20 000. Und auf dieselbe Weise erhalten wir die Amplitude der Parabel mit einer Steigung von 40 Grad, weil sie gleich weit von 45 Grad abweicht. (30) Sagr.  Mir fehlt zum vollkommenen Verständnis dieser Beweisführung das Wissen, weshalb wirklich die dritte Proportionale zu bf, bi notwendigerweise (wie der Autor sagt) größer sein muss als fa. (31) Sa lv.  Ich denke, dass man diesen Schluss folgender­ maßen herleiten kann. Das Quadrat über der mittleren aus drei proportionalen Strecken ist gleich dem Rechteck aus den beiden anderen. Daher muss das Quadrat über bi oder über bd, welches jenem gleich ist, gleich dem Rechteck aus der ersten fb und der gesuchten dritten sein. Diese muss notwendigerweise größer sein als fa, weil das Rechteck aus bf und fa kleiner ist als das Quadrat bd, und die Differenz ist so groß wie das Quadrat über df, wie Euklid an einer Stelle im zweiten [Buch] beweist. Man muss auch beachten, dass der Punkt f, welcher den Tangens eb hälftig teilt, in vielen anderen Fällen oberhalb des Punktes a liegen wird, und einmal auch in a selbst. In diesen Fällen versteht sich, dass die dritte Proportionale zu der Hälfte des Tangens und bi (welches die erzeugende Strecke ist) vollständig oberhalb von a liegt. Der Autor hat aber den Fall gewählt, in dem nicht offensichtlich war, dass die dritte Proportionale immer größer als fa sein muss, und dass sie deshalb, oberhalb des Punktes f angesetzt, über die Parallele ag hinausreichen muss. Gehen wir jetzt weiter. Es wird nicht ohne Nutzen sein, wenn man unter Verwendung dieser Tabelle eine weitere aufstellt, welche die Höhen aller jener

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Parabeln zusammenfasst, die durch dieselbe Kraft erzeugt werden. Die Konstruktion wird folgendermaßen sein.

AUFGABE, LEHRSATZ XIII Aus den gegebenen, in der vorgenannten Tabelle aufgeführten Amplituden von Halbparabeln und unter Beibehaltung der gemeinsamen übertragenen Kraft, durch welche jede von ihnen beschrieben wird, ermittle man die Höhen der einzelnen Halbparabeln. Die gegebene Amplitude sei bc, und die übertragene Kraft, die wir als stets gleichbleibend annehmen wollen, werde durch ob gemessen, das ist die Summe aus Höhe und erzeugender Strecke. Man finde und bestimme diese Höhe. Das o wird uns dann gelingen, wenn bo so geteilt wird, f dass das Quadrat über der Hälfte der Amplitude bc dem Inhalt des Rechtecks aus seinen Teilen gleich ist. Der Teilungspunkt liege in f, und ob, d bc seien jeweils in d, i hälftig geteilt. Daher ist das Quadrat ib gleich dem Rechteck bfo. Aber das Quadrat do ist gleich diesem Rechteck zu- c i b züglich des Quadrats fd. Wenn man daher von dem Quadrat do das Quadrat bi wegnimmt, welches dem Rechteck bfo gleich ist, so wird das Quadrat fd übrig bleiben; wird dessen Seite df der Strecke bd hinzugefügt, so wird sich die gesuchte Höhe bf ergeben. Mit den vorgegebenen Daten ergibt sich Folgendes: Man nehme von dem bekannten Quadrat der Hälfte von bo das ebenfalls bekannte Quadrat bi weg und ziehe aus dem verbleibenden Rest die Quadratwurzel, der man die bekannte db hinzufügt, und man wird die gesuchte Höhe bf gefunden haben. Ein Beispiel. Gesucht sei die Höhe einer Halbparabel, die mit einer Steigung von 55 Grad verläuft. Die Amplitude ist nach der vorgenannten Tabelle 9396. Deren Hälfte ist 4698, und das Quadrat davon 22 071 204. Zieht man dies von dem Quadrat der Hälfte von bo ab, welches stets dasselbe ist, nämlich 25 000 000, so bleibt als Rest 2 928 796, woraus die Quadratwurzel rund 1710



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ist. Dies zur Hälfte von bo, also 5000, hinzugefügt, ergibt 6710; und das ist die Höhe bf. Es wird nicht ohne Nutzen sein, eine dritte Tabelle aufzustellen, welche die Höhen und die erzeugenden Strecken der Halbparabeln enthält, deren Amplitude immer dieselbe sein soll. (32) Sagr.  Die möchte ich sehr gerne sehen, denn aus ihr kann ich die verschiedenen Bewegungskräfte und den jeweiligen Aufwand entnehmen, die erforderlich sind, um einen Körper mit Würfen, die man »di volata« nennt, in gleiche Entfernungen zu tragen. Ich denke, dass die Differenz bei den verschiedenen Steigungswinkeln sehr groß sein muss, so dass beispielsweise, wenn man mit einer Steigung von 3 oder 4 Grad oder einer solchen von 87 oder 88 Grad einen Ball so weit werfen wollte, wie er mit einer Steigung von 45 Grad geworfen werden kann (bei welcher erwiesenermaßen die geringste Bewegungskraft erforderlich ist), wohl ein immenser Aufwand erforderlich wäre. (33) Salv.  Sie haben vollkommen recht, und Sie werden sehen, dass man, um mit allen Steigungswinkeln dasselbe zu erreichen, einen großen Schritt auf eine unendlich große übertragene Kraft hin tun muss. Betrachten wir nun den Aufbau der Tabellen:

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Amplituden der mit derselben ­Bewegungskraft beschriebenen ­Parabeln:

Höhen von Halbparabeln, deren Bewegungskraft dieselbe sein soll:



VIERTER TAG Tafel zur Zusammenstellung der Höhen und Erzeugungsstrecken von Halbparabeln mit derselben Amplitude von angenommen 10 000 Teilen, berechnet für die einzelnen Neigungswinkel:

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LEHRSATZ XIV Man finde die Höhen und die erzeugenden Strecken von Halbparabeln, die dieselben Amplituden haben sollen, zu Steigungswinkeln verschiedenen Grades. Wir werden all dies mit einem einfachen Verfahren finden. Nimmt man nämlich die Teile der Amplitude der Halbparabel stets mit 10 000 an, so ergibt sich die Höhe für jeden beliebigen Steigungsgrad als der halbe Tangens. So wird zum Beispiel bei einer Halbparabel, deren Steigung 30 Grad ist, und deren Amplitude, wie angenommen, 10 000 ist, die Höhe 2887 sein, denn das ist näherungsweise die Hälfte des Tangens. Ist aber die Höhe gefunden, so erhalten wir die erzeugende Strecke folgendermaßen. Da bewiesen worden ist, dass die Hälfte der Amplitude einer Halbparabel die mittlere Proportionale zwischen der Höhe und der erzeugenden Strecke ist, und da die Höhe bereits gefunden sowie die Hälfte der Amplitude stets dieselbe ist, mit 5000 Teilen, wie gesagt, so ergibt sich die gesuchte erzeugende Strecke, indem wir das Quadrat der Letzteren durch die gegebene Höhe teilen. So ergibt in dem Beispiel, wo die Höhe mit 2887 gefunden war und das Quadrat von 5000 Teilen 25 000 000 ist, diese Zahl, geteilt durch 2887, etwa 8659 für die gesuchte erzeugende Strecke. (34) Salv.  Hier sieht man nun erstens, wie vollkommen richtig der oben angedeutete Gedanke ist, dass bei verschiedenen Steigungen, je mehr diese sich von der Mittellinie entfernen, gleich ob sie höher oder niedriger sind, umso mehr übertragene Kraft und Aufwand benötigt wird, um ein Objekt in dieselbe Entfernung zu werfen. Deshalb ist, da die übertragene Kraft aus der Vermischung zweier Bewegungen resultiert, einer horizontalen gleichförmigen und einer natürlich beschleunigten senkrechten, und da diese Kraft durch die Höhe und die erzeugende Strecke zusammengenommen gemessen wird, aus der vorstehenden Tabelle abzulesen, dass diese Summe bei einer Steigung von 45 Grad am kleinsten ist, bei welcher die Höhe und die erzeugende Strecke einander gleich sind, nämlich jeweils 5000, und ihre Summe 10 000. Wenn wir also nach einer anderen, größeren Höhe suchen, wie z. B. der bei 50 Grad, so finden wir für diese



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Höhe 5959 und die erzeugende Strecke zu 4196, was zusammengenommen 10 155 ergibt, und ebenso groß finden wir die übertragene Kraft bei 40 Grad, da diese und jene Steigung gleich weit von der Mittleren entfernt ist. Weshalb wir zweitens feststellen können, dass man tatsächlich für jeweils zwei gleich weit von der Mitte entfernte Steigungen die gleiche Kraft findet, und dazu dieses schöne Wechselspiel, dass die Höhen und die zugehörigen erzeugenden Strecken der höheren Steigungen umgekehrt den erzeugenden Strecken und Höhen der niedrigeren entsprechen, so dass, wenn im angenommenen Beispiel bei einer Steigung von 50 Grad die Höhe 5959 ist und die erzeugende Strecke 4196, sich bei einer Steigung von 40 Grad die Höhe mit 4196 und die erzeugende Strecke mit 5959 ergibt. Dasselbe aber findet man bei allen anderen ohne jede Abweichung, ausgenommen jene, bei denen wir, um die Mühe der Berechnung abzukürzen, einige Kommastellen weglassen, welche insgesamt bedeutungslos sind und sich nicht auswirken. (35) Sagr.  Mir fällt gerade auf, dass von den beiden übertragenen Kräften, der horizontalen und der senkrechten, bei Würfen, je höher sie sind, die horizontale umso geringer und die senkrechte umso größer ist, während andererseits bei den weniger steilen der Aufwand an übertragener Kraft in der Hori­ zontale groß sein muss, um den Wurfkörper durch die geringere Höhe zu befördern. Wenn ich das aber richtig verstanden habe, dann wird bei einer vollständigen Steigung von 90 Grad aller Kraftaufwand der Welt nicht hinreichen, um einen Körper auch nur um eines Fingers Breite aus der Senkrechte zu treiben; vielmehr wird dieser notwendigerweise zu demselben Ort zurückkehren, von dem aus er geworfen wurde. Dennoch getraue ich mich nicht mit gleicher Sicherheit zu behaupten, dass ebenso bei der Steigung Null, d. h. in horizontaler Linie, kein Kraftaufwand, der nicht unendlich groß ist, einen Körper in irgendeine Entfernung befördern könnte, so dass etwa nicht einmal eine Feldschlange in der Lage wäre, eine Eisenkugel in der Hori­ zontale auch nur um einen blanken Punkt, wie man sagt, d. h. um einen ausdehnungslosen Punkt, in der Horizontale zu be-

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fördern, solange nicht eine Steigung hinzukommt. Ich befinde mich, wie gesagt, bei diesem Problem in einigem Zweifel, denn wenn ich das Faktum auch nicht entschieden bestreite, so steht doch ein anderer Vorgang dagegen, der mir nicht weniger bemerkenswert erscheint, für den ich einen zwingenden, schlüssigen Beweis habe. Es ist die Tatsache, dass man ein Seil unmöglich so an beiden Enden ziehen kann, dass es genau geradlinig und parallel zum Horizont verläuft. Es hängt vielmehr immer durch und weist eine Krümmung auf, und keine Kraft [vi] oder Macht [forza] ist groß genug, um es geradlinig auszurichten. (36) Salv.  Nun, Herr Sagredo, in diesem Beispiel mit dem Seil wird sich Ihre Verwunderung über den bemerkenswerten Effekt in Grenzen halten, weil Sie den Beweis dafür ja schon haben. Wenn wir aber gründlicher darüber nachdenken, so könnten wir vielleicht einige Übereinstimmung zwischen dem Beispiel mit dem Projektil und dem mit dem Seil finden. Die Krümmung der Falllinie eines horizontal geworfenen Körpers hängt wohl von zwei Einwirkungen [forze] ab, deren eine (das ist die des Werfers) ihn horizontal vorantreibt, während die andere (das ist seine eigene Schwere) ihn bleiern nach unten zieht. Aber beim Auseinanderziehen des Seiles kommen Einwirkungen zusammen, diejenigen, die es in der Horizontale ziehen, und dazu noch das Gewicht des Seils selbst, welches von Natur aus nach unten drängt. Insofern sind diese beiden verschiedenen Vorgänge einigermaßen ähnlich. Da Sie nun dem Gewicht des Seils ein derartiges Vermögen [tanta possanza] und [solche] Energie [energia] zuschreiben, dass es jedem beliebigen großen Aufwand, mit dem es geradlinig auseinandergezogen wird, entgegenwirken und ihn überwinden kann, weshalb dann wollen Sie das für das Gewicht einer Kugel nicht gelten lassen? Ich möchte Ihnen aber darüber hinaus, um Sie zugleich zu verwundern und zu unterhalten, sagen, dass das mehr oder weniger gedehnte Seil Linien einnimmt, die sich durchaus parabolischen annähern, und die Ähnlichkeit ist so groß, dass Sie, wenn Sie auf eine ebene und zum Horizont senkrechte Fläche eine parabolische Linie zeichneten und diese umgekehrt nähmen, d. h. mit dem Scheitelpunkt



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nach unten und mit der Basis parallel zum Horizont, und Sie würden eine kleine Kette zwischen die Endpunkte der Basis der so gezeichneten Parabel hängen, dieses Kettchen, je nachdem, wie Sie es mehr oder weniger verlängern, sich biegen und der besagten Parabel annähern sehen würden, und diese Annäherung wäre umso genauer, je weniger gekrümmt, d. h. je weiter die gezeichnete Parabel wäre, so dass bei Parabeln mit einer Steigung nahe an 45 Grad das Kettchen sozusagen kaum einen Fingerbreit oberhalb der Parabel läge. (37) Sagr.  Also könnte man mit einer solchen feingliedrig gearbeiteten Kette auf einer ebenen Fläche ganz schnell viele para­ bolische Linien Punkt für Punkt aufzeichnen. (38) Salv.  Das könnte man, und übrigens mit nicht geringem Nutzen, wie ich Ihnen im Folgenden erklären werde. (39) Simp.  Ehe wir aber weitergehen, würde ich gerne noch wenigstens den einen Lehrsatz bestätigt bekommen, für den es, wie Sie sagten, einen vollkommen schlüssigen Beweis gibt, nämlich dass es, mit welchem immensen Aufwand auch immer, unmöglich sei, ein Seil genau geradlinig und parallel zum Horizont zu spannen. (40) Sagr.  Ich will sehen, ob ich diesen Beweis noch zusammenbringe. Damit Sie, Herr Simplicio, die Sache verstehen, müssen Sie etwas als wahr anerkennen, was sich bei allen mechanischen Gerätschaften nicht nur durch die Erfahrung, sondern auch beweisbar bestätigt, dass nämlich die Geschwindigkeit eines bewegten [Körpers], selbst bei nur geringem Kraftaufwand [forza], auch den größten Widerstand eines nur langsam zu bewegenden widerstehenden Objekts überwinden kann, sofern nur das Verhältnis der Geschwindigkeit des Bewegten zur Langsamkeit des Widerstehenden größer ist als dasjenige des Widerstands des zu bewegenden Objekts zum bewegenden Kraftaufwand. (41) Simp.  Das weiß ich sehr wohl, denn Aristoteles beweist es in seinen Quaestiones Mechanicae, und es bestätigt sich offensichtlich beim Hebel und bei der Laufgewichtswaage, wo ein Laufgewicht, das nicht mehr als vier Pfund wiegt, ein Gewicht

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von 400 heben kann, wenn die Entfernung dieses Gewichts vom Mittelpunkt, um den sich die Waage bewegt, um mehr als das Hundertfache größer ist als der Abstand des Punktes, an dem das große Gewicht hängt, vom selben Mittelpunkt, und das ist deshalb so, weil beim Absteigen des Laufgewichts ein Raum durchmessen wird, der den Raum, um den das große Gewicht in derselben Zeit emporsteigt, um mehr als das Hundertfache übertrifft. Ebenso könnte man sagen, dass sich das kleine Lauf­gewicht mit einer Geschwindigkeit bewegt, die mehr als das Hundertfache der Geschwindigkeit des großen Gewichts beträgt. (42) Sagr.  Sie stellen das völlig richtig dar, und Sie werden zweifellos zugeben, dass der bewegende Antrieb, wie gering er auch sein mag, jeden beliebig großen Widerstand überwinden wird, sofern nur die Geschwindigkeit groß genug ist, um dessen Widerstand und Schwere zu überwinden. Nehmen wir nun das Beispiel mit dem Seil. Dazu machen wir eine kleine Zeichnung und nehmen fürs Erste an, dass an den Endpunkten dieser Strecke ab, die zwischen den beiden stabilen Festpunkten a, b ver-

a

b

e i l f

h

c

d

g

m g a o

n eb i c d

f

läuft, zwei große Gewichte c, d hängen sollen, wie man sieht, die an ihr mit sehr großer Macht ziehen, wobei sie bewirken, dass jene tatsächlich geradeaus gestreckt verharrt, da sie ja eine bloße



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Strecke ohne jedes Gewicht ist. Jetzt muss ich hier aber etwas hinzufügen und sagen, dass dann, wenn man in deren Mitte, z. B. an dem Punkt e, ein Gewicht anhängt, wie gering auch immer, welches hier h sein soll, die Strecke ab nachgeben und sich in Richtung des Punktes f neigen und folglich sich verlängern wird, wobei sie die beiden schweren Gewichte c, d zwingen wird, nach oben aufzusteigen. Das beweise ich Ihnen folgendermaßen. Man beschreibe um die beiden Punkte a, b als Mittelpunkte 2 Kreisbogen, eig und elm. Da nun die beiden Halbmesser ai, bl den beiden ae, eb gleich sind, so werden die beiden Abweichungen fi, fl die Maße der Verlängerungen der Teile af, fb über ae, eb hin­ aus sein, und folglich bestimmen sie die Anstiege der Gewichte c, d, und zwar immer dann, wenn das Gewicht h die Möglichkeit hatte, sich in Richtung f abwärts zu neigen. Das kann aber dann geschehen, wenn die Strecke ef, welche diesen Abstieg des Gewichts h misst, zur Strecke fi, welche den Aufstieg der beiden Gewichte c, d misst, ein größeres Verhältnis hat als die Schwere dieser beiden Gewichte zusammen zur Schwere des Gewichts h. Das ist aber zwangsläufig immer der Fall, wie beliebig groß auch immer die Schwere der Gewichte c, d sei, und wie klein diejenige von h. Das ist so, weil die Gewichte c, d niemals um so viel schwerer sein können als h, dass nicht das Maß, um welches die Tangente ef den Sekantenabschnitt fi übertrifft, im Verhältnis dazu größer wäre. Das beweisen wir folgendermaßen. Gegeben sei ein Kreis mit dem Durchmesser gai. Und ebenso, wie sich die Schwere der Gewichte c, d zur Schwere von h verhält, so soll sich die Strecke bo zu einer anderen verhalten, sie sei c, und kleiner als diese soll d sein, so dass bo zu d ein größeres Verhältnis haben wird als zu c. Man nehme zu den beiden ob, d die dritte Proportionale be, so dass wie oe zu eb sich dann der Durchmesser gi (verlängert) zu if verhält, und man ziehe vom Endpunkt f die Tangente fn. Weil nun gi sich zu if gemäß der Voraussetzung ebenso verhalten soll wie oe zu eb, so wird zusammengesetzt gf sich zu fi ebenso verhalten wie ob zu be. Aber die Mittlere zwischen ob und be ist d, und die Mittlere zwischen gf, fi ist nf. Folglich hat nf zu fi dasselbe Verhältnis wie ob zu d, welches

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Verhältnis größer ist als das der Gewichte c, d zu dem Gewicht h. Da also der Abstieg oder die Geschwindigkeit des Gewichtes h zum Aufstieg oder der Geschwindigkeit der Gewichte c, d ein größeres Verhältnis hat als die Schwere dieser Gewichte c, d zur Schwere des Gewichtes h, so ist klar, dass das Gewicht h absteigen bzw. die Strecke ab von der geradlinigen Horizontale abweichen wird. Und das, was mit der schwerelosen Gerade ab geschieht, wenn man in e ein Gewicht anhängt, das beliebig klein sein kann, das geschieht mit einem solchen Seil ab von einigem Gewicht, ohne dass noch irgendetwas Schweres daran gehängt wird, insofern, als an ihm eben das Gewicht des Materials selbst hängt, aus dem dieses Seil ab gemacht ist. (43) Simp.  Damit bin ich völlig zufrieden gestellt. Nun mag also Herr Salviati, wie er versprochen hat, den Nutzen darlegen, den man der ähnlichen kleinen Kette abgewinnen kann, und danach die Überlegungen hinzufügen, welche unser Akademiker über die Wirksamkeit [forza] des Stoßes angestellt hat. (44) Salv.  Für diesen Tag haben wir mit dem, was wir durchgenommen haben, genug geleistet, und die ziemlich weit vorgerückte Zeit würde bei Weitem nicht hinreichen, die angesprochene Materie abzuhandeln. Vertagen wir deshalb unsere Zusammenkunft auf einen anderen, besser geeigneten Termin. (45) Sagr.  Ich stimme Ihrer Meinung zu, weil ich aus verschiedenen Unterhaltungen mit engen Freunden unseres Akademikers entnommen habe, dass diese Materie betreffend die Wirksamkeit des Stoßes recht schwierig zu verstehen ist, zumal sie bis heute niemand, der damit befasst war, bis in ihre entlegenen Winkel durchdrungen hat, die sehr im Dunkeln liegen und in jeder Hinsicht weit von den gewöhnlichen menschlichen Vorstellungen abweichen. Eines der Ergebnisse, die ich vorgetragen hörte, blieb mir als besonders ungewöhnlich in Erinnerung, dass nämlich die Macht des Stoßes unbegrenzt sei, um nicht zu sagen unendlich. Warten wir deshalb ab, bis Herr Salviati darauf zurückkommen wird. Sagen Sie mir aber inzwischen: Worum geht es bei alledem, was da im Anschluss an die Abhandlung über die Wurfgeschosse beschrieben wird?



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(46) Sa lv.  Es geht da um einige Lehrsätze betreffend das Schwerezentrum fester Körper, welche unser Akademiker in seiner Jugendzeit entdeckte, als er fand, dass dasjenige, was Federigo Comandino über diesen Gegenstand geschrieben hat, doch einige Mängel aufweist. Er nahm deshalb an, dass er mit diesen Lehrsätzen, die Sie dort finden, das, was Comandinos Buch zu wünschen übrig ließ, ergänzen könne, und er fügte sie jener Untersuchung auf Drängen des hochberühmten Herrn Grafen Guid’Ubaldo dal Monte hinzu, des größten Mathematikers seiner Zeit, als den ihn seine verschiedenen veröffentlichten Werke ausweisen, und er händigte diesem Herrn eine Abschrift aus, wobei er hoffte, diese Materie und auch andere, von Comandino nicht behandelte Gegenstände weiter verfolgen zu können. Als er aber einige Zeit danach mit dem Buch des Herrn Luca Valerio bekannt wurde, des größten Geometers überhaupt, und fand, dass dieser alles das erklärt und nichts dabei übersehen hatte, verfolgte er die Sache nicht weiter, obwohl seine Ansätze in eine ganz andere Richtung gingen, die von der des Herrn Valerio sehr verschieden war. (47) Sagr.  Es wäre deshalb gut, wenn Sie mir für die Zeit zwischen den vergangenen und dem künftigen Treffen das Buch überlassen könnten, damit ich es ganz durchsehen und mir die dort beschriebenen Lehrsätze Schritt für Schritt erarbeiten kann. (48) Salv.  Ich komme Ihrem Wunsch gerne nach und hoffe, dass Sie an diesen Lehrsätzen Ihre Freude haben werden.

ANHANG

enthaltend Lehrsätze und ihre Beweise, welche der Autor vor langer Zeit über das Schwerezentrum mehrerer Körper z­ usammengestellt hat. VOR AUSSETZUNG

Wir nehmen als gegeben an, dass, wenn gleiche Gewichte auf verschiedenen Waagen in entsprechender Weise angeordnet werden und ihr gemeinsames Schwerezentrum eine Waage nach irgendeinem Verhältnis teilt, dieses Schwerezentrum auch jede andere Waage nach demselben Verhältnis teilen wird. HILFSSATZ

Die Strecke ab sei in c hälftig geteilt, und die Hälfte ac sei in e geteilt, so dass ae sich zu ec ebenso verhält wie be zu ea. Ich behaupte, dass be das Doppelte von ea ist. Denn weil sich ea zu ec

ebenso verhält wie be zu ea, so wird durch Zusammensetzung und Umstellung ae sich zu ec ebenso verhalten wie ba zu ac. Nun verhält sich aber be zu ea ebenso wie ae zu ec, d. h. wie ba zu ac. Daraus folgt, dass be das Doppelte von ea ist. Auf dieser Grundlage beweisen wir: Wenn beliebige Größen einander in gleicher Weise übertreffen und ihre Unterschiede gleich der kleinsten von ihnen sind, und sie sind so auf einer Waage angeordnet, dass sie in gleichen Entfernungen hängen, so wird das allen gemeinsame Schwerezentrum die Waage so teilen, dass deren zu den kleineren hin liegender Teil das Doppelte des anderen sein wird. An einer Waage ab sollen also in gleichen Entfernungen in beliebiger Anzahl Größen f, g, h, k, n hängen, wie oben, deren kleinste n sein soll. Die Aufhängepunkte seien a, c, d, e, b, und das Schwerezentrum aller dieser so angeordneten Größen sei x. Gezeigt werden soll, dass der Teil bx der Waage in Richtung der

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kleineren Größen das Doppelte des anderen xa ist. Man teile die Waage hälftig in Punkt d, welcher entweder an einem Aufhängepunkt oder in der Mitte zwischen zwei Aufhängepunkten liegen muss. Die Abstände der übrigen Aufhängepunkte, die zwischen a und d liegen, werden alle in den Punkten m, i hälftig geteilt. Endlich sollen alle Größen in Teile gleich n unterteilt sein, und die Anzahl der Teile von f soll gleich sein derjenigen der an der Waage hängenden Größen. Die Teile von g aber sollen um einen weniger sein, und ebenso bei allen übrigen. Seien daher n, o, r, s, t die Teile von f, dann sind die von g also n, o, r, s, die von h entsprechend n, o, r, und von k schließlich n, o. Alle diese Teile, die n enthalten, seien zusammen gleich f; alle Teile mit o seien zusammen gleich g; alle Teile mit r seien zusammen gleich h, alle Teile mit s seien zusammen gleich k, und die Größe t sei gleich n. Weil nun alle diejenigen Größen, die n enthalten, untereinander gleich sind, so werden sie in Punkt d im Gleichgewicht sein, welcher die Waage ab hälftig teilt, und aus demselben Grund sind alle Größen, die o enthalten, in i im Gleichgewicht, die r enthaltenden aber in c, und die s enthaltenden sind in m im Gleichgewicht, während t in a angehängt ist. Dann hängen also an der Waage ad in gleichen Abständen d, i, c, m, a Größen, die einander um

jeweils das gleiche Maß übertreffen, wobei dieses Übermaß der kleinsten gleich ist. Aber die größte, welche aus allen n zusammengesetzt ist, hängt in d, die kleinste, welche t ist, hängt in a, und die übrigen sind der Reihe nach angeordnet. Nehmen wir nun wieder eine zweite Waage ab, an der andere Größen, welche an Zahl und Größe den vorigen gleich sind, in derselben Reihenfolge angeordnet sind, so werden die Waagearme ab, ad von den Schweremittelpunkten aller Größen im selben Verhältnis geteilt



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werden. Nun ist aber der Schweremittelpunkt der besagten Größen x; folglich teilt x die Waagearme ba, ad im selben Verhältnis, so dass sich xa zu xd ebenso verhält wie bx zu xa. Dann aber ist bx das Doppelte von xa, gemäß dem oben angenommenen Hilfssatz. Und das war zu beweisen. Wenn einem parabolischen Konoid eine Figur eingeschrieben und eine andere umschrieben wird, welche aus Zylindern gleicher Höhe bestehen, und die Achse des besagten Konoids so geteilt ist, dass der Teil zum Scheitelpunkt hin das Doppelte des Teils zu der Grundlinie hin sein soll, so wird der Schweremittelpunkt der eingeschriebenen Figur in dem der Grundlinie zugewandten Teil nahe bei dem Teilungspunkt liegen, während der Schweremittelpunkt der umschriebenen von der Grundlinie des Konoids weiter entfernt liegen wird als dieser Punkt, und beider Schwerpunkte werden von dem genannten Punkt einen Abstand haben, welcher gleich dem sechsten Teil der Höhe eines der Zylinder ist, aus ­denen die Figuren zusammengesetzt sind. Nehmen wir also ein parabolisches Konoid mit den besagten Figuren, die eine eingeschrieben, die andere umschrieben, und die Achse des Konoids, welche ae sein soll, sei in n geteilt, so dass an das Doppelte von ne sein soll. Es soll gezeigt werden, dass das Schwerezentrum der eingeschriebenen Figur auf der Strecke ne liegt, das Zentrum der umschriebenen aber auf an. Die so angenommenen Figuren sollen in einer Ebene, die durch die Achse geht, durchschnitten werden, und der Schnitt gehe durch die Parabel bac, und die ebene Schnittlinie mit der Grundlinie des Konoids sei die Strecke bc. Aber die Abschnitte der Zylinder seien die rechtwinkligen Figuren, wie sie die Zeichnung zeigt. Dann verhält sich der erste der eingeschriebenen Zylinder, dessen Achse de ist,

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zu dem Zylinder mit der Achse dy ebenso, wie sich das Quadrat id zum Quadrat sy verhält, d. h. wie da zu ay. Aber der Zylinder, dessen Achse dy ist, verhält sich zum Zylinder yz wie die Potenz von sy zu rz, d. h. wie ya zu az, und entsprechend verhält sich der Zylinder, dessen Achse zy ist, zu demjenigen, dessen Achse zu ist, wie za zu au. Daher verhalten sich die besagten Zylinder zueinander wie die Strecken da, ay, za, au. Diese aber übertreffen einander gleichmäßig, und das Übermaß ist gleich der kleinsten, so dass az das Doppelte von au sein wird; und ay ist davon das Dreifache, und da das Vierfache. Daher sind die besagten Zylinder sozusagen Größen, die einander gleichmäßig übertreffen, und deren Übermaße gleich dem kleinsten von ihnen sind. Aber von der Strecke xm, an der sie in gleichen Abständen hängen (denn jeder der Zylinder hat seinen Schwerpunkt in Achsenmitte), gilt, dass nach dem oben Bewiesenen der Schwerpunkt aller zusammengesetzten Größen diese Strecke xm so teilt, dass der zu x hin liegende Teil das Doppelte des anderen sein wird. Man teile dementsprechend, und xα sei das Doppelte von αm; dann ist α der Schwerpunkt der eingeschriebenen Figur. Nun teile man au hälftig in ε, so wird εx das Doppelte von me sein. Aber xα ist das Doppelte von αm; deshalb wird εe das Dreifache von eα sein. Aber ae ist das Dreifache von en. Damit steht fest, dass en größer ist als eα, und deshalb wird α, welches das Zentrum der eingeschriebenen Figur ist, näher bei der Grund­ linie des Konoids liegen als n. Und weil sich das weggenommene Teilstück εe zu dem weggenommenen Teilstück eα ebenso verhält wie ae zu en, so wird sich auch das übrig gebliebene zum übrig gebliebenen, d. h. aε zu nα, wie ae zu en verhalten. Daher ist αn ein Drittel von aε und ein Sechstel von au. Auf eben dieselbe Weise beweist man, dass die Zylinder in der umschriebenen Figur einander gleichmäßig übertreffen, und dass das Übermaß jeweils dem kleinsten gleich ist, sowie, dass ihre Schwerpunkte in gleichen Abständen auf der Strecke εm liegen. Wenn man nun εm in π so teilt, dass επ das Doppelte von dem verbleibenden πm ist, so wird π das Schwerezentrum aller umschriebenen Größen sein. Und weil επ das Doppelte von πm sein soll, aε aber kleiner



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als das Doppelte von em (weil es gleich ei sein soll), so wird das ganze ae kleiner sein als das Dreifache von eπ; folglich wird eπ größer sein als en. Und weil εm das Dreifache von mπ ist und me zusammen mit dem Doppelten von εa ebenso das Dreifache von me, so wird das ganze ae zusammen mit aε das Dreifache von eπ sein. Aber ae ist das Dreifache von en; deshalb wird das verbleibende aε das Dreifache des verbleibenden πn sein. Daher ist nπ ein Sechstel von au. Das aber ist, was bewiesen werden sollte. Hiernach steht fest, dass man einem parabolischen Konoid eine Figur so einschreiben und eine weitere so umschreiben kann, dass deren Schwerpunkte von dem Punkt n weniger weit entfernt liegen als um irgendeine bestimmte Strecke. Nimmt man nämlich ein Sechsfaches dieser bestimmten Strecke an, so werden die Achsen der Zylinder, aus denen die Figuren zusammengesetzt sind, kleiner als diese angenommene Strecke, und diejenigen Strecken, welche zwischen den Schwerpunkten dieser Figuren und dem Symbol n liegen, werden kleiner sein als die bestimmte Strecke. DASSELBE AUF ANDERE WEISE

Die Achse des Konoids, sie sei cd, werde in o so geteilt, dass co das Doppelte von od ist. Es soll gezeigt werden, dass das Schwerezentrum der eingeschriebenen Figur auf der Strecke od liegt, das Zentrum der umschriebenen aber auf co. Wie oben sollen die Figuren von einer Ebene durchschnitten werden, die durch die Achse und durch c verläuft. Dann verhalten sich die Zylinder sn, tm, vi, xe zueinander ebenso wie die Quadrate der Strecken sd, tn, vm, xi. Diese aber verhalten sich zueinander ebenso wie die Strecken nc, cm, ci, ce, die einander gleichmäßig übertreffen, wobei das Übermaß gleich der kleinsten ist, nämlich ce. Aber der Zylinder tm ist gleich dem Zylinder qn, während der Zylinder vi gleich pn und xe gleich ln ist. Folglich übertreffen die Zylinder sn, qn, pn, ln einander gleichmäßig, und die Übermaße sind gleich dem kleinsten von ihnen, nämlich dem Zylinder ln. Aber das Übermaß des Zylinders sn über den Zylinder qn ist ein Ring, dessen Höhe qt ist, d. h. nd, und seine Breite ist sq. Und

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das Übermaß des Zylinders qn über pn ist ein Ring, dessen Breite qp ist, während das Übermaß des Zylinders pn über ln ein Ring von der Breite pl ist. Somit sind die besagten Ringe sq, qp, pl untereinander sowie dem Zylinder ln gleich. Daher ist der Ring st gleich dem Zylinder xe; der Ring qv, der das Doppelte von st ist, gleicht dem Zylinder vi, der in gleicher Weise das Doppelte des Zylinders xe ist, und aus demselben Grund wird der Zylinder px dem Zylinder tm und der Zylinder le dem Zylinder sn gleich sein. Somit finden sich auf der Waage kf, welche die Mittelpunkte der Geraden ei, dn miteinander verbindet und durch die Punkte h, g in gleiche Teile geteilt wird, bestimmte Größen, nämlich die Zylinder sn, tm vi, xe, und das Schwerezentrum des ersten Zylinders ist k, das des zweiten aber h, des dritten g, des vierten f. Wir haben nun noch eine zweite Waage mk, welche die Hälfte von fk ist, und auf der in gleicher Weise Punkte in gleichen Abständen verteilt sind, nämlich mh, hn, nk, und dort weitere Größen, welche denen auf der Waage fk an Zahl und Größe gleich sind, und die ihre Schwerpunkte an den Örtern m, h, n, k haben; auch folgen sie in derselben Reihe aufeinander. Nun hat der Zylinder le sein Schwerezentrum in m und gleicht dem Zylinder sn mit dem Schwerezentrum in k; aber der Ring px hat das Zentrum h und gleicht dem Zylinder tm, dessen Zentrum h ist. Und der Ring qv, der sein Zentrum in n hat, gleicht dem Zylinder vi, dessen Zentrum g ist. Schließlich gleicht der Ring st mit dem Zentrum in k dem Zylinder xe, dessen Zentrum f ist. Daher teilt das Schwerezentrum der genannten Größen die Waage im selben Verhältnis. Weil aber ihr Zentrum



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nur eines ist, so ist das folglich irgendein gemeinsamer Punkt der beiden Waagen; dieser sei y. Daher wird sich fy zu yk ebenso verhalten wie ky zu ym. Nun ist aber fy das Doppelte von yk, und wenn man ce in z hälftig teilt, so wird zf das Doppelte von kd und folglich zd das Dreifache von dy. Aber die Gerade do ist das Dreifache von cd. Somit ist die Gerade do größer als dy, und deshalb liegt das Zentrum y der eingeschriebenen Figur näher bei der Basis als der Punkt o. Und weil das weggenommene zd zu dem weggenommenen dy sich ebenso verhält wie cd zu do, so wird auch das verbleibende cz zu dem verbleibenden yo sich verhalten wie cd zu do; es ist nämlich yo ein Drittel von cz, d. h. ein Sechstel von ce. Auf wiederum dieselbe Weise zeigen wir, dass die Zylinder der umschriebenen Figur einander gleichmäßig übertreffen, und dass ihr Übermaß das des kleinsten ist, sowie, dass ihre Schwerezentren in gleichen Abständen auf der Waage kz liegen, und auch, dass die diesen Zylindern gleichen Ringe auf der zweiten Waage kg, welche die Hälfte von kz ist, in gleicher Weise angeordnet sind, und dass deshalb das Schwerezentrum der umschriebenen Figur, welches r sei, die Waagen in der Weise teilt, dass sich zr zu rk ebenso verhält wie kr zu rg. Also wird zr das Doppelte von rk sein; aber cz ist der Gerade kd gleich, und nicht deren Doppeltes; so wird ganz cd kleiner sein als das Dreifache von dr, so dass die Gerade dr größer ist als do. Das heißt aber, dass das Zentrum der umschriebenen Figur weiter von der Basis entfernt liegt als Punkt o. Und weil zk das Dreifache von kr, und kd zusammen mit zweimal zc das Dreifache von kd ist, so wird ganz cd zusammen mit cz das Dreifache von dr sein. Aber cd ist das Dreifache von do. Folglich wird das verbleibende cz das Dreifache des verbleibenden ro sein. Das heißt aber, dass or ein Sechstel von ec ist. Was vorausgesetzt war. Gemäß dem vorstehend Bewiesenen kann gezeigt werden, dass das Schwerezentrum eines parabolischen Konoids dessen Achse in der Weise teilt, dass der zum Scheitelpunkt hin liegende Teil das Doppelte des restlichen zur Basis hin ist. Ein parabolisches Konoid habe die Achse ab, die in n so geteilt ist, dass an das Doppelte von nb sein soll. Es ist zu zeigen, dass

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Punkt n das Schwerezentrum dieses Konoids bezeichnet. Wäre dieses nicht n, so müsste es entweder unterhalb oder oberhalb davon liegen. Es sei zunächst unterhalb [angenommen], und zwar bei x, und man nehme die Strecke lo gleich nx an und teile lo irgendwo in s. Nun soll das Konoid sich zu einem Körper r ebenso verhalten wie bx zusammengenommen mit os zu os. Man schreibe dem Konoid eine Figur aus Zylindern gleicher Höhe ein, so, dass das, was zwischen deren Schwerezentrum und den Punkt n passt, kleiner sein soll als ls, und dass das Übermaß des Konoids kleiner sein soll als der Körper r. Dass das möglich ist, liegt auf der Hand. Sei nämlich die eingeschriebene [Figur] diejenige, deren Schwerezentrum i sein soll, dann wird ix größer sein als so. Weil aber das Konoid sich zu r ebenso verhält wie xb zusammen mit so zu so (denn r ist größer als das Übermaß des Konoids über die eingeschriebene Figur), so wird das Verhältnis des Konoids zu dem besagten Übermaß größer sein als bx plus os zu so, und nach Teilung wird die eingeschriebene Figur zu dem besagten Übermaß ein größeres Verhältnis haben als bx zu so. Nun hat aber bx zu xi ein kleineres Verhältnis als zu so. Folglich wird die eingeschriebene Figur zu den übrigen Teilen ein viel größeres Verhältnis haben als bx zu xi. Es wird daher irgendeine Strecke zu xi dasselbe Verhältnis haben wie die eingeschriebene Figur zu den übrigen Teilen, und sie wird notwendigerweise größer sein als bx; sie sei daher mx. Wir haben somit x als Schwerezentrum des Konoids; aber das Schwerezentrum der diesem eingeschriebenen Figur ist i. Das Schwerezentrum der übrigen Teile, um welche das Konoid die eingeschriebene Figur übertrifft, wird auf der Strecke xm liegen, und zwar auf dem Punkt, der so bestimmt wurde, dass das Verhältnis der eingeschriebenen Figur zum Überschuss, um den das Konoid sie übertrifft, dasselbe ist wie das ihre zu xi. Es ist aber gezeigt worden, dass diese Proportion diejenige ist, welche mx zu xi hat. Also sollte m das Schwerezentrum derjenigen Teile sein, um welche das Konoid die eingeschriebene Figur übertrifft. Das kann aber sicherlich nicht sein, denn wenn man durch m in gleichem Abstand von der Grundlinie des Konoids eine Ebene legt, so liegen alle genannten Teile auf demselben Abschnitt und



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werden nicht voneinander getrennt. Deshalb liegt das Schwerezentrum des Konoids nicht unterhalb des Punktes n. Aber auch nicht oberhalb. Er sei, wenn das möglich wäre, h. Wenn wiede-

rum, wie oben, die Strecke lo gleich hn genommen und irgendwo durch s beliebig geteilt wird, und das jeweilige Verhältnis von bn, so zu sl sei dasselbe wie das des Konoids zu r, und dem Konoid werde wie oben eine Figur aus Zylindern umschrieben, die jenes um weniger übertrifft, als der Körper r ist, und die Strecke zwischen dem Schwerezentrum der umschriebenen [Figur] und dem Symbol n soll kleiner als so sein, so wird die verbleibende uh größer sein als ls, und weil ebenso, wie beide bn, os sich zu sl verhalten, auch das Konoid sich zu r verhält (denn r ist größer als das Übermaß, um welches die umschriebene Figur das Konoid übertrifft), so ist das Verhältnis von bn, so zu sl kleiner als das des Konoids zu dem genannten Übermaß. Aber bu ist kleiner als bn mit so, und uh ist größer als sl. Folglich hat das Konoid zu den besagten Teilen ein weitaus größeres Verhältnis als bu zu uh. Welches Verhältnis also das Konoid zu den besagten Teilen hat, das wird zu uh auch eine Strecke haben, die größer ist als bu. Das soll so sein, und sie sei mu. Weil nun das Schwerezentrum

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der umschriebenen Figur u ist, das Zentrum des Konoids aber h, sowie weil sich das Konoid zu den verbliebenen Teilen ebenso verhält wie mu zu uh, so wird m das Schwerezentrum der verbliebenen Teile, was ebenso unmöglich ist. Also liegt das Schwerezentrum des Konoids nicht oberhalb des Punktes n. Es wurde aber bewiesen, dass es auch nicht unterhalb liegt; folglich muss es zwangsläufig in n selbst liegen. Nach derselben Überlegung wird dies für ein Konoid bewiesen, welches von einer Ebene durchschnitten wird, die nicht rechtwinklig zu dieser Achse liegt. Auf andere Weise lässt sich, wie nachfolgend festgestellt wird, ebenfalls zeigen, dass das Schwerezentrum eines parabolischen Konoids zwischen dem Zentrum der umschriebenen Figur und dem Zentrum der eingeschriebenen liegt. Gegeben sei ein Konoid mit der Achse ab, und das Zentrum der umschriebenen sei c, das der eingeschriebenen aber o. Ich behaupte, dass das Zentrum des Konoids zwischen den Punkten c, o liegt. Wäre das nicht so, dann müsste es unterhalb oder oberhalb oder in einem von ihnen liegen. Es sei unterhalb, etwa in r. Weil nun r das Schwerezentrum des gesamten Konoids ist, das Schwerezentrum der eingeschriebenen Figur aber o, so wird das Schwerezentrum der verbliebenen Teile, um welche das Konoid die eingeschriebene Figur übertrifft, auf der Strecke or jenseits von r liegen, nämlich an jenem Punkt, welcher einen solchen Abschnitt bildet, dass jedes Verhältnis, welches der besagte Überschuss zur eingeschriebenen [Figur] hat, auch das Verhältnis von or zu der Strecke sein wird, die zwischen r und jenem Punkt liegt. Dieses Verhältnis sei dasjenige, welches or zu rx hat. Daher liegt [der Punkt] x entweder außerhalb des Konoids oder innerhalb, oder auf dessen Basis. Dass er aber sei es außerhalb, sei es auf der Achse liege, ist bereits als absurd erwiesen. Er liege innerhalb;



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und da sich xr zu ro ebenso verhält wie die eingeschriebene Figur zum Überschuss, um den sie das Konoid übertrifft, so wird jenes Verhältnis, welches br zu ro hat, auch die eingeschriebene Figur zu einem Körper k haben, welcher notwendigerweise kleiner sein wird als der besagte Überschuss. Nun schreibe man eine andere Figur ein, welche das Konoid um ein Geringeres als k übertrifft; deren Schwerezentrum liegt innerhalb von oc. Es sei u: Weil nun die erstere Figur sich zu k ebenso verhält wie br zu ro, die zweite Figur mit dem Zentrum u aber größer ist als die erste und von dem Konoid um ein Geringeres als k übertroffen wird, so wird dasjenige Verhältnis, welches die zweite Figur zu dem Überschuss hat, um den sie von dem Konoid übertroffen wird, auch das Verhältnis einer Strecke zu ru sein, die größer ist als br. Nun ist aber r das Schwerezentrum des Konoids, u dasjenige der eingeschriebenen zweiten [Figur]; folglich wird das Zentrum der verbleibenden Teile außerhalb des Konoids und unterhalb von b liegen, was unmöglich ist. Auf dieselbe Weise wird bewiesen, dass der Schwerpunkt dieses Konoids nicht auf der Strecke ca liegt. Fest steht bereits, dass er nicht in einem der Punkte c, o liegt. Wollte man das nämlich behaupten und man beschreibt andere Figuren, so, dass die eingeschriebene größer ist als diejenige mit dem Zentrum o, die umschriebene aber kleiner als die mit dem Zentrum c, so würde das Zentrum des Konoids außerhalb der Zentren dieser Figuren liegen, was gerade eben als unmöglich bewiesen wurde. Also bleibt, dass es zwischen den Zentren der umschriebenen und der eingeschriebenen Figur liegt. Wenn das aber so ist, dann muss es notwendigerweise auf jenem Punkt liegen, der die Achse so teilt, dass der zum Scheitelpunkt hin liegende Teil das Doppelte des restlichen ist, weil nämlich Figuren so umschrieben und eingeschrieben werden können, dass jene Strecken, welche zwischen deren Zentrum und dem besagten Punkt liegen, kleiner als jede beliebige Strecke sein können. Wer das Gegenteil behaupten wollte, dem würden wir nachweisen, dass das unmöglich ist, weil dann z. B. das Zentrum des Konoids nicht zwischen den Zentren der eingeschrieben und der umschriebenen [Figur] liegen würde.

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Angenommen drei Strecken seien zueinander proportional, und wie die kleinste zu dem Überschuss, um den die größte die kleinste übertrifft, so verhalte sich auch irgendeine beliebig angenommene Strecke zu zwei Dritteln des Überschusses der größten über die mittlere, und wenn zudem jenes Verhältnis, welches die Zusammensetzung aus der größten und dem Doppelten der mittleren zur Zusammensetzung aus dem Dreifachen der größten und der mittleren hat, auch eine andere angenommene Strecke zum Überschuss der größten über die mittlere haben soll, so werden die beiden angenommenen Strecken zusammen ein Drittel der größten der proportionalen [Strecken] sein. Die drei proportionalen Strecken seien ab, bc, bf, und ms soll zu zwei Dritteln von ca dasselbe Verhältnis haben wie bf zu af. Aber jenes Verhältnis, welches die Zusammensetzung von ab und dem Doppelten von bc zu der Zusammensetzung von jeweils dreifach ab, bc hat, das soll auch eine andere [Strecke], nämlich sn, zu ac haben. Zu beweisen ist, dass mn ein Drittel von ab ist. Weil nun ab, bc, bf zueinander proportional sind, so werden auch ac, cf dasselbe Verhältnis zueinander haben. Daher verhält sich ac zu cf wie ab zu bc, und ac zu cf wie das Dreifache von ab zum Dreifachen von bc. Also wird das Verhältnis, welches das Dreifache von ab zusammen mit dem Dreifachen von bc zum Dreifachen von cb hat, auch ac zu einer Strecke haben, die kleiner ist als cf. Jene sei co. Folglich wird, nach Zusammensetzung und Umstellung der Proportion, oa zu ac dasselbe Verhältnis haben wie das Dreifache von ab zusammen mit dem Sechsfachen von bc zum Dreifachen von ab zusammen mit dem Dreifachen von bc.

Aber ac hat zu sn dasselbe Verhältnis wie das Dreifache von ab zusammen mit dem Dreifachen von bc zu ab zusammen mit dem Doppelten von bc. In gleicher Weise wird daher oa zu ns dasselbe Verhältnis haben wie das Dreifache von ab zusammen mit dem Sechsfachen von bc zu ab zusammen mit dem Doppelten von bc.



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Aber dreimal ab zusammen mit sechsmal bc ergibt das Drei­ fache von ab zusammen mit zweimal bc. Folglich ist ao das Dreifache von sn. Andererseits: Weil sich oc zu ca ebenso verhält wie dreimal cb zu dreimal ab zusammen mit dreimal cb, so verhält sich auch dreimal ab zu dreimal bc wie ca zu cf, und also wird sich gleicherweise, nach umgestellter Proportion, wie oc zu cf, so auch dreimal ab zu dreimal ab zusammen mit dreimal bc verhalten, und im umgekehrten Verhältnis, wie of zu fc so auch dreimal bc zu dreimal ab zusammen mit dreimal bc. Es verhält sich aber wie cf zu fb so auch ac zu ab, und dreimal ac zu dreimal bc. Daher in gleicher Weise, nach vertauschter Proportion, wie of zu fb so auch dreimal ac zu dreimal ab, bc zusammengenommen. Ganz ob wird sich daher zu bf ebenso verhalten wie sechsmal ab zu dreimal ab, bc zusammengenommen. Und weil fc, ca sich ebenso verhalten wie cb, ba, so wird bc zu ba wie fc zu ca und, zusammengesetzt, wie fa zu ac so auch jeweils ba, bc zusammengenommen zu ba, und ebenso das Dreifache zum Dreifachen. Folglich wie fa zu ac so die Zusammensetzung von dreimal ba und dreimal bc zu dreimal ab. Somit wie fa zu zwei Dritteln von ac so die Zusammensetzung von dreimal ba und dreimal bc zu zwei Dritteln des Dreifachen von ba, d. h. zum Doppelten von ba. Aber wie fa zu zwei Dritteln von ac so auch fb zu ms. Also wie fb zu ms so die Zusammensetzung von dreimal ba und dreimal bc zu zweimal ba. Weil sich aber wie ob zu fb, so auch sechsmal ab zu dreimal ab, bc zusammengenommen verhält, so wird in gleicher Weise ob zu ms dasselbe Verhältnis haben wie sechsmal ab zu zweimal ba, so dass ms ein Drittel von ob sein wird. Da aber bewiesen ist, dass sn ein Drittel von ao ist, so steht also fest, dass mn in gleicher Weise ein Drittel von ab ist. Und das war zu beweisen. Das Schwerezentrum eines beliebigen, stumpf abgeschnittenen parabolischen Konoids liegt auf einer geraden Linie, welche die Achse des Stumpfes bildet. Teilt man diese in drei gleiche Teile, so liegt das Schwerezentrum in dem mittleren und teilt diesen so, dass der der kleineren Basis zugewandte Teil sich zu dem Teil,

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welcher der größeren Basis zugewandt ist, ebenso verhält wie die größere zur kleineren Basis. Von einem Konoid, dessen Achse ab ist, sei ein Körper abgeschnitten, dessen Achse be ist, und die Schnittebene liege in gleichem Abstand von der Basis. Aber eine weitere Ebene schneide durch die auf der Basis errichtete Achse, und die Schnittfläche sei die Parabel urc, aber die geraden Strecken lm, uc seien deren Schnittflächen und Basisschnitte. Dann wird rb dieses Teilstück durchmessen, aber lm, uc werden in gleichem Abstand vonein­a nder angeordnet. Man teile nun eb in drei gleiche Teile, deren mittlerer qy sein soll. Diesen aber teile das Symbol i so, dass sich ebenso wie die Basis mit dem Durchmesser uc zur Basis mit dem Durchmesser lm, d. h. wie das Quadrat uc zum Quadrat lm, auch qi zu iy verhalten soll. Zu beweisen ist, dass i das Schwerezentrum des Stumpfes lmc ist. Man nehme eine Strecke ns gleich br, und sx sei gleich er. Zu ns, sx nehme man aber die dritte Proportionale sg. Welches Verhältnis nun ng zu gs hat, dasselbe hat auch die Strecke bq zu io. Es kommt aber nicht darauf an, ob der Punkt o oberhalb oder unterhalb von lm liegt. Weil nun in dem Abschnitt urc die Strecken lm, uc parallel angeordnet sind, so wird sich wie das Quadrat uc zum Quadrat lm, so auch die Strecke br zu re verhalten. Es verhält sich aber ebenso wie das Quadrat uc zum Quadrat lm auch qi zu iy, und wie br sich zu re verhält, so verhält sich auch ns zu sx. Folglich verhält sich qi zu iy wie ns zu sx. Deshalb wird sich wie qy zu yi so auch ns, sx zusammengenommen zu sx, und wie eb zu yi so auch die Zusammenfassung von dreimal ns und dreimal sx zu sx verhalten. Nun verhält sich aber wie eb zu by so auch dreimal ns, sx zusammengenommen zur Zusammensetzung von ns, sx, folglich wie eb zu bi, so auch die Zusammensetzung von dreimal ns und dreimal sx zur Zusammensetzung von ns



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und dem Doppelten von sx. Wir haben daher drei proportionale Strecken, ns, sx, gs. Welches Verhältnis nun sg zu gn hat, das hat auch die beliebig angenommene oi zu zwei Dritteln von eb, d. h. von nx. Welches Verhältnis aber die Zusammensetzung von ns und dem Doppelten von sx zu der Zusammensetzung von dreimal ns und dreimal sx hat, das habe auch eine andere beliebig angenommene ib zu be, d. h. zu nx. Aber nach dem, was oben bewiesen wurde, werden jene Strecken zusammengenommen der dritte Teil von ns sein, d. h. von rb. Also ist rb das Dreifache von bo. Folglich wird o das Schwerezentrum des Konoids urc sein. Es sei aber a das Schwerezentrum des Konoids lrm. Dann liegt das Schwerezentrum des Kegelstumpfs ulmc auf der Strecke ob, und zwar auf dem Punkt, der jene so zerteilt, dass die Strecke ao zu derjenigen, welche zwischen o und dem besagten Punkt liegt, dasselbe Verhältnis hat wie der Kegelstumpf ulmc zu dem Teil lrm. Und weil ro zwei Drittel von rb ist, ra aber zwei Drittel von re, so wird das restliche ao zwei Drittel des restlichen eb sein. Weil sich zudem der Kegelstumpf ulmc zu dem Teil lrm ebenso verhält wie ng zu gs, und weil wie ng zu gs so auch zwei Drittel von eb sich zu oi verhalten, aber die Strecke ao zwei Dritteln von eb gleich ist, so wird sich wie der Kegelstumpf ulmc zu dem Teilstück lrm, so auch ao zu oi verhalten. Also steht fest, dass das Schwerezentrum des Kegelstumpfs ulmc der Punkt i ist, und dass er die Achse dergestalt teilt, dass der zur kleineren Basis hin liegende Teil zu dem Teil, der zur größeren hin liegt, sich ebenso verhalten wird, wie sich das Doppelte der größeren Basis zusammen mit der kleineren zu dem Doppelten der kleineren zusammen mit der größeren verhält. Das ist die Behauptung, auf elegantere Weise bestätigt. Wenn beliebig viele Größen so zueinander angeordnet sind, dass die zweite die erste um das Doppelte der ersten übertrifft, die dritte die zweite um das Dreifache der ersten übertrifft, die vierte aber die dritte um das Vierfache der ersten übertrifft, und auf diese Weise jede nachfolgende der ihr vorausgehenden ein Vielfaches der ersten hinzufügt, entsprechend der Zahl, welche ihr selbst in der Reihenfolge zukommt, so behaupte ich, dass

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dann, wenn solche Größen der Reihe nach in gleichen Abständen an einer Waage hängen, der gemeinsame Gleichgewichtspunkt die Waage so teilt, dass der zu den kleineren Größen hin liegende Teil das Dreifache des anderen ist. Die Waage sei LT, und die Größen, die, wie gesagt, an ihr hängen sollen, seien A , F, G, H , K , wobei A in T hängend die erste sein soll. Ich behaupte, dass der Gleichgewichtspunkt die Waage TL so teilt, dass der zu T hin liegende Teil das Dreifache des anderen sein wird. Es sei TL das Dreifache von LI und SL das Dreifache von LP, und ebenso QL von LN und LP von LO; IP, PN, NO, OL werden einander gleich sein. Nun nehme man in F das Doppelte der Größe A an, in G aber davon das Dreifache, in H das Vierfache, und so der Reihe nach weiter, und die angenommenen Größen seien alle, in denen a zu finden ist. Ebenso verfahre man mit den Größen F, G, H, K , wobei die in F verbliebene Größe, nämlich b, gleich A sein soll und in G verdoppelt, in H verdreifacht werde, etc.; das sollen die Größen sein, in denen b zu finden ist. Auf dieselbe Weise verfahre man mit denen, die c, mit denen, welche d enthalten, und mit e. Dann sind alle, die a enthalten, gleich K , die Zusammensetzung aller b wird gleich H, die Zusammensetzung aller c gleich G , und die aus allen d zusammengesetzte wird gleich F sein; und e gleich A . Und weil TI das Doppelte von IL ist, so wird I der Punkt des Gleichgewichts der Größen sein, die aus allen a zusammengesetzt sind, und entsprechend, weil SP das Doppelte von PL sein soll, so wird P der Punkt des Gleichgewichts aller aus b zusammengesetzten sein; und aus demselben Grund wird N der Punkt des Gleichgewichts aller aus c zusammengesetzten sein, O aber der aus d zusammengesetzten, und L derer aus e. Wir haben also eine Waage TL , an der in gleichen Abständen gewisse Größen K , H, G, F, A hängen, und wir haben andererseits eine andere Waage LI, an der in entsprechenden



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gleichen Abständen Größen in gleicher Anzahl und in der gleichen Anordnung hängen wie die vorherigen; denn was aus allen a zusammengesetzt ist, hängt in I und ist gleich K , das in L hängt; was aus allen b zusammengesetzt ist und in P hängt, ist gleich H, das in P hängt; und entsprechend ist alles, was aus c zusammengesetzt ist und in N hängt, gleich G; was aus d zusammengesetzt ist und in O hängt, ist gleich F, und e, das in L hängt, ist gleich A . Deshalb werden die Waagen vom Zentrum der zusammengesetzten Größen im selben Verhältnis geteilt. Es gibt aber nur ein Zentrum der Zusammensetzungen aus den besagten Größen, so dass dieses Zentrum ein und derselbe Punkt auf der Gerade TL und der Gerade LI sein wird; er sei X. Also wird sich LX zu XI und die ganze TL zu LI ebenso verhalten wie TX zu XL . Aber TL ist das Dreifache von LI, weshalb auch TX das Dreifache von XL sein wird. Wenn beliebig viele Größen so angenommen werden, dass die zweite die erste um deren Dreifaches übertrifft, die dritte aber die zweite um das Fünffache der ersten, die vierte schließlich die dritte um das Siebenfache der ersten, und so weiter, dass einer jeden Übermaß über die ihr vorhergehende jeweils ein Vielfaches der ersten entsprechend den aufeinander folgenden ungleichen Zahlen ist, ebenso wie es bei Quadraten ist, deren Seiten einander in gleicher Weise übertreffen, wobei das Übermaß gleich der kleinsten ist, und wenn diese in gleichen Abständen an einer Waage hängen, so teilt das Gleichgewichtszentrum aller dieser zusammengesetzten Größen die Waage so, dass der zu den kleineren Größen hin liegende Teil mehr als das Dreifache des anderen Teils sein wird; nimmt man aber einen Abstand weg, so wird es weniger als das Dreifache sein. An einer Waage BE seien Größen so angebracht wie beschrieben, und von diesen seien irgendwelche Größen weggenommen, die planmäßig so aufgereiht wurden, wie vorstehend beschrieben. Es seien das die aus allen a zusammengesetzten. Dann werden die verbleibenden, die c enthalten, in derselben Ordnung aufgereiht sein, jedoch vermindert um die größte von ihnen. ED sei das Dreifache von DB und GF das Dreifache von FB, so wird

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D das Gleichgewichtszent-

rum der aus allen a zusammengesetzten sein, F aber dasjenige der aus allen c zusammengesetzten, weshalb das Zentrum der aus allen a, c zusammengesetzten zwischen D und F liegen wird; es sei O. Damit steht fest, dass EO mehr als das Dreifache von OB ist, GO aber ist weniger als das Drei­fache von OB, was zu beweisen war. Wenn irgendeinem Konoid oder einem Teil eines Konoids eine Figur aus Zylindern gleicher Höhe eingeschrieben und eine zweite umschrieben wird, und wenn zudem dessen Achse so geteilt wird, dass derjenige Teil, welcher zwischen dem Teilungspunkt und dem Scheitelpunkt liegt, das Dreifache des verbleibenden ist, so wird das Schwerezentrum der eingeschriebenen Figur näher zur Basis des Konoids liegen als jener Teilungspunkt, das Schwerezentrum der umschriebenen aber wird dem Scheitelpunkt näher liegen als jener Punkt. Nehmen wir also ein Konoid, dessen Achse nm in s so geteilt werde, dass ns das Dreifache des verbleibenden sm ist. Ich behaupte, dass das Schwerezentrum jeder dem Konoid in der dargestellten Weise eingeschriebenen Figur auf der Achse nm liegt und der Basis des Konoids näher ist als der Punkt s, und dass auch das Schwerezentrum der umschriebenen gleichermaßen auf der Achse nm liegt, jedoch näher zum Scheitelpunkt als s. Man stelle sich dazu die eingeschriebene Figur aus Zylindern bestehend vor, deren Achsen mc, cb, be, ea einander gleich sein sollen. Also wird der erste Zylinder mit der Achse mc zu dem Zylinder mit der Achse cb dasselbe Verhältnis haben wie seine Basis zur Basis des anderen (denn ihre Höhen sind gleich); dieses Verhältnis ist aber dasselbe wie dasjenige des Quadrats cn zum Quadrat nb. Auf dieselbe Weise zeigt man, dass der Zylinder mit der Achse cb zu dem Zylinder mit der Achse be dasselbe Verhältnis hat wie das



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Quadrat bn zum Quadrat ne, und dass der Zylinder mit der Achse be zu dem Zylinder um die Achse ea dasselbe hat wie das Quadrat en zu dem Quadrat na. Die Strecken nc, nb, en, na übertreffen einander aber in gleicher Weise, und ihr jeweiliges Übermaß ist gleich der kleinsten, nämlich na. Wir haben daher bestimmte Größen, und zwar die eingeschriebenen Zylinder, die zueinander der Reihenfolge entsprechend das­selbe Verhältnis haben wie die Qua­drate der einander in gleichem Maße übertreffenden Strecken, deren jeweiliges Übermaß dem kleinsten gleich ist, und sie seien auf der Waage ti dergestalt angeordnet, dass die einzelnen Schwerezentren auf dieser und in gleichen Abständen voneinander liegen. Nach dem oben Bewiesenen steht fest, dass das Schwerezentrum aller dieser zusammengesetzten [Größen] die Waage ti in der Weise teilt, dass der zu t hin liegende Teil mehr als das Dreifache des verbleibenden ist. Dieses Zentrum sei o; also ist to größer als das Dreifache von oi. Aber tn ist das Dreifache von im; folglich wird ganz mo kleiner sein als ein Viertel von ganz mn, als welches Viertel ms angenommen wurde. Also steht fest, dass das Symbol o der Basis des Konoids näher liegt als s. Nun sei eine Figur umschrieben, bestehend aus Zylindern, deren Achsen mc, cb, be, ea, an einander gleich sein sollen. Ebenso wie zu den eingeschriebenen gezeigt wurde, verhalten diese sich zueinander wie die Qua­d rate der Strecken mn, nc, bn, ne, an, welche einander in gleicher Weise übertreffen, und deren Übermaß der kleinsten an gleich ist. Dann wird, wie vorausgesetzt, das Schwerezentrum aller so angeordneten Zylinder, welches u sein soll, die Waage ri dergestalt teilen, dass der zu r hin liegende Teil, nämlich ru, mehr als das Dreifache des verbleibenden ui sein

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wird, tu jedoch weniger als dessen Dreifaches. Aber nt ist das Dreifache von im; daher ist ganz um größer als ein Viertel von ganz mn, wovon ms als ein Viertel angenommen wurde. Folglich liegt der Punkt u dem Scheitelpunkt näher als der Punkt s, was zu zeigen war. Einem gegebenen Konoid kann man eine Figur aus Zylindern, welche die gleiche Höhe haben, so umschreiben und eine zweite so einschreiben, dass die Strecke, die zwischen dem Schwerezentrum der umschriebenen und dem Schwerezentrum der eingeschriebenen liegt, kleiner sein wird als irgendeine angenommene Strecke. Gegeben sei ein Konoid, dessen Achse ab ist; gegeben sei dazu eine Gerade, diese sei k. Ich behaupte: Nimmt man einen Zylinder l gleich dem, der dem Konoid eingeschrieben ist, dessen Höhe die Hälfte der Achse ab ist, teilt man weiterhin ab in c so, dass ac das Dreifache von cb sein soll, so wird der Zylinder l zu einem Körper x dasjenige Verhältnis haben, welches ac zu k hat. Man umschreibe aber dem Konoid eine Figur aus Zylindern gleicher Höhe und schreibe ihm eine zweite so ein, dass die umschriebene die eingeschriebene um ein Maß übertrifft, welches kleiner ist als der Körper x, und es sei das Schwerezentrum der umschriebenen e, welches oberhalb von c liegen wird, das Zentrum der eingeschriebenen aber sei s, welches unterhalb von c liegt. So behaupte ich, dass es kleiner ist als die Strecke k. Denn wenn nicht, so nehme man ca gleich eo an, mit der Folge, dass oe zu k dasselbe Verhältnis haben wird wie l zu x, so dass die eingeschriebene Figur nicht kleiner ist als der Zylinder l, und der



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Überschuss, um den die besagte Figur von der umschriebenen übertroffen wird, kleiner als der Körper x. Alsdann würde die eingeschriebene Figur zu dem besagten Überschuss ein größeres Verhältnis haben als oe zu k. Aber das Verhältnis von oe zu k ist nicht kleiner als dasjenige von oe zu es, weil es nicht kleiner als k anzunehmen ist. Daher hat die eingeschriebene Figur zu dem Überschuss, um den die umschriebene sie übertrifft, ein größeres Verhältnis als oe zu es. Welches Verhältnis also die eingeschriebene zu dem besagten Überschuss hat, das wird auch eine Strecke, die größer als eo ist, zu der Strecke es haben. Jene sei er; aber das Schwerezentrum der eingeschriebenen Figur ist s, während das Zentrum der umschriebenen e ist. Damit steht fest, dass das Schwerezentrum der verbleibenden Teile, um welche die umschriebene die eingeschriebene übertrifft, auf der Strecke re liegt, und zwar in dem Punkt, durch den sie so geteilt wird, dass das Verhältnis, welches die eingeschriebene zu diesen besagten Teilen hat, auch die Strecke, welche zwischen e und jenem Punkt liegt, zur Strecke es haben wird. Aber das ist das Verhältnis von re zu es. Folglich wäre r das Schwerezentrum derjenigen verbleibenden Teile, um welche die umschriebene Figur die eingeschriebene übertrifft. Was freilich nicht sein kann, weil eine durch r in gleichbleibendem Abstand zu der Basis des Konoids gelegte Ebene die besagten Teile nicht schneidet. Es ist also nicht richtig, dass die Strecke es nicht kleiner ist als k; sie ist tatsächlich kleiner. Und es ist auf nicht unähnliche Weise zu beweisen, dass das bei einer Pyramide ebenso sein muss. Nach alledem steht fest, dass man einem gegebenen Konoid eine Figur so umschreiben und eine zweite einschreiben kann, die aus Zylindern gleicher Höhe bestehen, dass die Strecken, die zwischen deren Schwerezentren und einem Punkt liegen, welcher die Achse des Konoids dergestalt teilt, dass der dem Scheitelpunkt zugewandte Teil das Dreifache des übrigen ist, kleiner sein werden als jede andere angenommene Strecke. Denn weil, wie bewiesen wurde, der nämliche die Achse teilende Punkt, wie gesagt, immer zwischen den Schwerezentren der umschriebenen und der eingeschriebenen [Figur] zu finden sein wird, und weil

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es möglich ist, dass die Strecke, welche zwischen diesen Zentren liegt, kleiner ist als irgendeine angenommene Strecke, so wird, was zwischen beider Zentren und dem besagten, die Achse teilenden Punkt liegt, viel kleiner sein als die angenommene Strecke. Das Schwerezentrum eines beliebigen Konoids oder einer Pyra­ mide teilt die Achse so, dass der zum Scheitelpunkt hin liegende Teil das Dreifache des zur Basis hin liegenden ist. Ein Konoid habe die Achse ab, die in c so geteilt sei, dass ac das Dreifache des restlichen cb ist. Gezeigt werden soll, dass c das Schwerezentrum des Konoids ist. Denn wenn das nicht so ist, dann müsste das Schwerezentrum des Konoids entweder oberhalb oder unterhalb des Punktes c liegen. Es liege fürs Erste unterhalb, und es sei e. Nun ziehe man die Strecke lp gleich ce, welche beliebig in n geteilt werde. Welches Verhältnis alsdann zusammengenommen be, pn zu pn hat, das hat das Konoid zu einem Körper x. Nun werde dem Konoid ein aus Zylindern gleicher Höhe bestehender Körper eingeschrieben, dessen Schwerezentrum von dem Punkt c um weniger entfernt liege als um die Strecke ln, und der Überschuss, um den ihn das Konoid übertrifft, sei kleiner als der Körper x. Dass das der Fall sein kann, steht nach dem oben Bewiesenen fest. Die angenommene eingeschriebene Figur sei diejenige, deren Schwerezentrum i sein soll. Also wird die Strecke ie größer sein als np, weil lp gleich ce sein soll und ic kleiner als ln. Weil nun beide zusammengenommen be, np sich zu np verhalten wie das Konoid zu x, der Überschuss aber, um den das Konoid die eingeschriebene Figur übertrifft, kleiner ist als der Körper x, so wird das Konoid zu dem besagten Überschuss ein größeres Verhältnis haben als die beiden be, np zusammengenommen zu np. Und durch Teilung wird die eingeschriebene Figur zu dem Überschuss, um den sie das Konoid übertrifft, ein größeres Verhältnis haben als be



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zu np. Nun hat aber be zu ei immer ein kleineres Verhältnis als zu np, da ie größer ist als np. Folglich hat die eingeschriebene Figur zu dem Überschuss, um den sie das Konoid übertrifft, ein viel größeres Verhältnis als be zu ei. Welches Verhältnis also die eingeschriebene zu dem besagten Überschuss hat, das wird eine beliebig größer als be angenommene Strecke zu ei haben. Jene sei me; weil also me sich zu ei ebenso verhält wie die eingeschriebene Figur zu dem Überschuss, um den das Konoid sie übertrifft, und e das Schwerezentrum des Konoids, i aber das Schwerezentrum der eingeschriebenen ist, so würde m das Schwerezentrum der verbleibenden Teile sein, um welche das Konoid die ihm eingeschriebene Figur übertrifft. Das kann unmöglich sein. Also liegt das Schwerezentrum des Konoids nicht unterhalb des Punktes c. Aber auch nicht oberhalb davon. Es sei, wenn das möglich wäre, r. Dazu nehme man die Strecke lp an, die beliebig in n geteilt wird. Welches Verhältnis nun bc, np zusammengenommen zu nl haben, das habe das Konoid zu x. In gleicher Weise umschreibe man dem Konoid eine Figur, durch die es in einem Maß übertroffen wird, das kleiner ist als der Körper x, und die Strecke, welche zwischen dessen Schwerezentrum und c liegt, sei kleiner als np. Die umschriebene habe aber das Zentrum o; so wird die verbleibende or größer sein als nl. Weil sich nun das Konoid zu x ebenso verhält wie die beiden bc, pn zusammengenommen zu nl, aber der Überschuss der umschriebenen Figur über das Konoid kleiner ist als x, so ist bo kleiner als die beiden bc, pn zusammen, und or ist größer als ln. Daher wird das Konoid zu den verbleibenden Teilen, um welche die umschriebene Figur es übertrifft, ein viel größeres Verhältnis haben als bo zu or. Es habe mo zu or eben dieses Verhältnis. Dann wird mo größer sein als bc, und m würde das Schwerezentrum der Teile sein, um welche das Konoid von der umschriebenen Figur übertroffen wird; das passt aber nicht. Also liegt das Schwerezentrum dieses Konoids nicht oberhalb des Punktes c. Da es, wie bewiesen wurde, auch nicht unterhalb liegt, so wird es also c sein. Und dasselbe lässt sich, wiederum auf dieselbe Weise, für jede beliebige Pyramide beweisen.

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Angenommen man hat vier fortschreitend zueinander proportionale Strecken, und welches Verhältnis die kleinste von ihnen zum Überschuss der größten über die kleinste hat, das soll auch eine beliebig angenommene Strecke zu ¾ des Überschusses der größten über die zweite haben. Aber wie sich eine Strecke, die gleich der ersten, doppelten zweiten und dreifachen dritten ist, zu einer Strecke gleich dem Vierfachen der ersten, dem Vierfachen der zweiten und dem Vierfachen der dritten verhält, so soll sich eine beliebig angenommene andere zum Überschuss der ersten über die zweite verhalten. Dann werden diese beiden Strecken zusammengenommen ein Viertel der größten der proportionalen Strecken sein. Die vier proportionalen Strecken seien ab, bc, bd, be; und wie sich be zu ea verhält, so soll sich fg zu ¾ von ac verhalten. Aber welches Verhältnis eine Strecke gleich ab zusammen mit dem Doppelten von bc und dem Dreifachen von bd zu einer hat, die gleich dem Vierfachen von ab, bc, bd ist, das soll auch hg zu ac haben. Zu zeigen ist, dass hf der vierte Teil von ab ist. Weil nun ab, bc, bd, be zueinander proportional sind, so werden auch ac, cd, de in demselben Verhältnis zueinander stehen; und wie sich die Vierfachen von ab, bc, bd zu ab mitsamt dem Doppelten von bc und dem Dreifachen von bd verhalten, so verhalten sich auch die

Vierfachen von ac, cd, de, d. h. das Vierfache von ae, zu ac mitsamt dem Doppelten von cd und dem Dreifachen von de. Und ebenso verhält sich ac zu hg. Folglich verhält sich ¾ ac zu hg ebenso wie dreimal ae zu ac zusammen mit dem Doppelten von cd und dem Dreifachen von de. Aber ¾ ac verhält sich zu gf wie dreimal ae zu dreimal eb. Also verhält sich gemäß der umgekehrten Vierundzwanzigsten des Fünften [Buches Euklids] ¾ ac zu hf wie dreimal ae zu ac samt zweimal cd und dreimal db, und wie viermal ae zu ac samt zweimal cd und dreimal db, d. h. zu ab samt



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cb und bd, so auch ac zu hf, sowie durch Umstellung ab samt cb und bd zu hf wie das Vierfache von ae zu ac. Aber ab verhält sich zu ab samt cb und bd wie ac zu ae. Folglich verhält sich in gleicher Weise nach vertauschter Proportion ab zu hf ebenso wie viermal ae zu ae. Womit feststeht, dass hf ein Viertel von ab ist. Wird ein beliebiger Pyramiden- oder Kegelstumpf durch eine Ebene in gleichen Abständen von der Basis durchschnitten, so liegt sein Schwerezentrum in der Achse und teilt sie so, dass sich der Teil zur kleineren Basis hin zu dem übrigen ebenso verhält, wie sich das Dreifache der größeren Basis zusammengenommen mit dem Doppelten der Mittleren zwischen der größeren und der kleineren Basis nebst der kleineren Basis zu dem Dreifachen der kleineren Basis zusammengenommen mit demselben doppelten Maß der Mittleren und der größeren Basis verhält. Von einem Konoid oder einer Pyramide mit der Achse ad schneide eine Ebene in gleichem Abstand von der Basis einen Stumpf ab mit der Achse ud; und welches Verhältnis das Drei­ fache der größeren Basis zusammen mit dem Doppelten des Mittels und der kleineren zum Dreifachen der kleineren zusammen mit dem Doppelten des Mittels und der größeren hat, das soll uo zu ud haben. Gezeigt werden soll, dass das Schwerezentrum des Stumpfes in o liegt. um sei ein Viertel von ud. Man zeichne die Strecke hx gleich ad, und kx sei gleich au, aber die dritte Proportionale zu hx, kx sei xl, und die vierte xs. Und welches Verhältnis nun hs zu sx hat, das soll md zu einer angenommenen Strecke haben, die von o aus in Richtung a liegt; diese sei on. Weil sich nun die größere Basis zu der mittleren Proportionale zwischen der größeren und der kleineren verhält wie da zu au, d. h. wie hx zu xk, so verhält sich die besagte mittlere [Proportionale] zur kleineren wie kx zu xl. Die größere, die mittlere, und die kleinere Basis

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stehen dann zueinander im selben Verhältnis wie die Strecken hx, xk, xl. Deshalb verhält sich ebenso wie das Dreifache der größeren Basis zusammen mit dem Doppelten der Mittleren und der kleineren zum Dreifachen der kleineren zusammen mit dem Doppelten der Mittleren und der größeren, d. h. wie uo zu od, so [auch] das Dreifache von hx zusammen mit dem Doppelten von xk und xl zum Dreifachen von xl zusammen mit dem Doppelten von xk und xh; und durch Verbindung und Umstellung wird od zu du wie hx zusammen mit dem Doppelten von xk und dem Dreifachen von xl zum Vierfachen von hx, xk, xl. Wir haben also 4 proportionale Strecken, hx, xk, xl, xs, und welches Verhältnis xs zu sh hat, das soll die beliebig angenommene Strecke no zu ¾ von du haben, nämlich zu dm, d. h. zu ¾ von hk. Welches Verhältnis aber hx zusammen mit dem Doppelten von xk und dem Drei­ fachen von xl zum Vierfachen von hx, xk, xl hat, das hat auch die andere, beliebig angenommene od zu du, d. h. zu hk. Also wird (nach dem, was bewiesen wurde) dn ein Viertel von hx sein, d. h. von ad, und deshalb wird der Punkt n das Schwerezentrum des Konoids oder der Pyramide mit der Achse ad sein. Das Schwerezentrum der Pyramide oder des Konoids mit der Achse au sei i. Damit steht fest, dass das Schwerezentrum des Stumpfes auf der über n hinaus verlängerten Strecke in liegt, und so, dass zwischen diesem Punkt und dem Punkt n eine Strecke liegt, zu welcher in dasselbe Verhältnis hat, das der abgeschnittene Stumpf zu der Pyramide oder dem Konoid hat, dessen Achse au ist. Also bleibt zu zeigen, dass in zu no dasselbe Verhältnis hat wie der Stumpf zu dem Konoid mit der Achse au. Aber wie das Konoid mit der Achse da sich zu dem Konoid mit der Achse au verhält, so verhält sich der Würfel da zu dem Würfel au, d. h. der Würfel hx zu dem Würfel xk. Das ist aber eben das Verhältnis, welches hx zu xs hat. Aus diesem Grund wird durch Teilung der Kegelstumpf, dessen Achse du ist, sich zu dem Konoid oder der Pyramide mit der Achse ua ebenso verhalten, wie hs sich zu sx verhält. Aber wie hs zu sx, so verhält sich auch md zu on. Deshalb verhält sich der Kegelstumpf zu der Pyramide mit der Achse au ebenso wie md zu no. Und weil an ¾ von ad ist, aber ai ¾ von au, so wird die ver-



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bleibende in ¾ der verbleibenden ud sein, weshalb in gleich md sein wird. Aber es wurde bewiesen, dass sich md zu no ebenso verhält wie der Stumpf zu dem Konoid au. Damit steht fest, dass auch in zu no eben dieses Verhältnis hat. Womit das Behauptete bestätigt ist. ENDE

ANMERKUNG DES HER AUSGEBERS

Geozentrik, Heliozentrik, Kosmozentrik: Was beweist Galileis Jugendschrift »Über das Schwerezentrum mehrerer Körper«? Seit Jahrhunderten hat die Welt sich daran gewöhnt, die »Copernicanische Revolution« als Ersetzung und Ablösung des Ptolemäischen »geozentrischen« Weltbildes durch eine »heliozentrische« Perspektive zu verstehen. War zuvor eintausendfünfhundert Jahre hindurch mit Ptolemäus (griech.) »gaia« oder »ge«, die Erde, als ruhendes Zentrum der Welt verstanden worden, von dem aus alle himmlischen Bewegungen zu bestimmen waren, so sollte nun angeblich »helios«, die Sonne, im Mittelpunkt der Welt stehen und das ruhende Zentrum sein, d.h. der Bezugspunkt (das »Bezugssystem«), relativ zu dem sich die Himmelskörper einschließlich der Erde wirklich bewegten. Woher kommt diese »heliozentrische« Sichtweise? Wer lehrte sie? War es wirklich Copernicus, wie die Schulbücher behaupten? Wer Copernicus liest, stellt fest, dass dieser zwar die Himmelskörper um die Sonne kreisen sah. Daraus folgt aber nicht zwingend – und Copernicus behauptet auch nicht –, dass die Sonne ruhe und das unbewegte Weltzentrum sei. Tatsächlich schrieb er, dass Erde und Wandelsterne in jährlichem Umlauf die Sonne umkreisen (»errantes stellas annua revolutione circa solem transire«), in deren Nähe das ruhende Weltzentrum liegt (»et circa ipsum esse centrum mundi«). Dieses Zentrum liegt demnach als bloßer geometrischer Punkt irgendwo im leeren Raum, d.h. im Kosmos, nahe beim, aber gewiss nicht im Mittelpunkt der Sonne. Copernicus lehrte also keine »heliozentrische«, sondern eine »kosmozentrische« Perspektive. Ich habe hier in der Einleitung dargelegt, dass diese auch der Lehre Galileis vom »raumzeitlichen« Bezugssystem der Bewegung zugrunde lag und entspricht. Das ruhende Zentrum der Welt beschreibt Gali­lei im

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A nmerkung des Her ausgebers

Dialogo von 1632 als etwas, »il quale non sappiamo dove sia, né se sia, e che quando pur sia, non è altro ch’un punto imaginario ed un niente senza veruna facultà« (wovon wir nicht wissen, wo es liegt und ob es existiert, und das, wenn es doch existieren sollte, nichts ist als ein imaginärer Punkt und ein Nichts ohne jede Wirkfähigkeit). Um das Copernicanische Weltbild und dasjenige Galileis nicht irrtümlich als heliozentrisch, sondern richtig als kosmozentrisch zu verstehen, muss man sich von der materialistisch-­ relativistischen Sichtweise verabschieden, welche der verbreiteten irrigen Vorstellung zugrunde liegt, mit Copernicus und Galilei sei einfach der ruhende materielle Bezugspunkt »Erde« gegen den ruhenden materiellen Bezugspunkt »Sonne« vertauscht worden. Diese angenommene Vertauschbarkeit der Bezugssysteme atmet unübersehbar »relativistischen Geist«: Man kann sie als beliebig verstehen, d. h. so, dass keine der beiden Alternativen sich vor der anderen durch »Wirklichkeit« und »Wahrheit« auszeichnete, dass vielmehr beide »gleich richtig« seien, und dass die »heliozentrische« Alternative lediglich deshalb den Vorzug verdiene, weil sie mathematisch einfacher zu handhaben sei. Genau diese Auffassung (in der sich Relativismus und Pragmatismus die Hand reichen) vertrat im 19. Jahrhundert Ernst Mach, und zwar mit nachhaltiger Wirkung u. a. auf Albert Einstein, auf dessen relativistische Kosmologie und damit auf die ganze naturwissenschaftliche Moderne. Mittlerweile gilt Einsteins Kosmologie freilich als Tatsache und als Widerlegung des Copernicanismus und Galileis. So auch für Papst Johannes Paul II., der am 31. Oktober 1992 vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften eine Rede hielt, die als kirchliche Rehabilitierung Galileis ausgegeben wird, was sie nicht war: Denn der Papst bestätigte nicht etwa Galileis Sichtweise, sondern er erklärte diese sinngemäß als durch eine »umfassendere Sicht« (nämlich den Einsteinschen Relativismus) »überwunden«. Die Sache hat aber einen Pferdefuß: Einsteins relativistische Perspektive ist nur dann logisch schlüssig, wenn man Sonne und Erde bzw. deren Mittelpunkte lediglich als mathematische



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Punkte betrachtet, wenn man also die Realität der verschiedenen Massen dieser Himmelskörper ignoriert und folglich bei dieser abstrakten, sogenannten »kinematischen« Betrachtungsweise die diesen Massen entsprechenden Wirkkräfte unberücksichtigt lässt, die in der Realität die Bewegungsverhältnisse der Körper relativ zueinander bestimmen. Die kinematische Sichtweise ist jedoch auch aus folgendem Grund offensichtlich unrealistisch. In der Realität bilden zwei materielle, aufeinander bezogene Körper erfahrungsgemäß immer ein »gemeinsames Schwerezentrum«, um das sie sich ggf. bewegen, welches niemals mit dem Schwerezentrum eines dieser Körper, d. h. mit seinem Mittelpunkt, zusammenfallen kann. Das bestätigt sich schon bei jedem mechanischen Abwiegen schwerer Körper auf einer Balkenwaage, wie sie die Menschheit seit Jahrtausenden kennt. Aus dem genannten »mechanischen« Grund ist es deshalb ausgeschlossen anzunehmen, dass die Sonne im leeren Raum ruhe, während die Erde um sie rotiert. Das wusste Copernicus, das wusste Galilei, und das wusste jeder ihrer Zeitgenossen, der über die »Mechanik« der Balkenwaage aus der Erfahrung Bescheid wusste. Der Anhang zu den Discorsi, Galileis Jugendschrift »Über das Schwerezentrum mehrerer Körper«, beweist diese Erfahrung geometrisch: Das Schwerezentrum zweier aufeinander bezogener materieller Körper als »Bezugspunkt« liegt als bloßer geometrischer Punkt immer im leeren Raum irgendwo zwischen diesen Körpern. So lehrt es später auch Isaac Newton, Principia, Buch III, Hypothese I, Prop. XII Theor. XII. Dennoch liest man zu seinem Erstaunen in der oben erwähnten Rede Papst Johannes Pauls II.: » Zur Zeit des Galilei war eine Welt ohne physisch absoluten Bezugspunkt unvorstellbar.« Und: »Galilei hat … verstanden, dass nur die Sonne als Zentrum der Welt, wie sie damals bekannt war … infrage kam.« Beide Behauptungen sind, wie oben gezeigt wurde, offensichtlich falsch. Eine kinematische Lehre, mit der »Sonne als Zentrum der Welt«, wie sie Galilei hier unterstellt wird, hat er niemals vertreten. Woher also kommt diese Unterstellung?

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A nmerkung des Her ausgebers

Man begegnet ihr erstmals in einem Dekret der Inquisition vom 19. Februar 1616, mit dem Sachverständige des Hl. Offiziums beauftragt wurden, zwei (angeblich aus einer Schrift Galileis über die Sonnenflecken entnommene) Sätze zu begutachten, nämlich: »propositione censuranda che il sole sia centro del mondo et per consequenza immobile di moto locale; che la terra non è centro del mondo ne immobile ma si move secondo se tutta etiam di moto diurno« (zu prüfen sind die Sätze, dass die Sonne das Zentrum der Welt und folglich unbeweglich, und dass die Erde nicht das Zentrum der Welt und nicht unbeweglich sei, sondern sich im Ganzen selbst und auch in täglicher Umdrehung bewege). In Galileis Schrift über die Sonnenflecken findet man diese Sichtweise allerdings nicht, und insbesondere nicht die primäre Behauptung von der »Sonne als ruhendem Zentrum der Welt«. Warum die Beauftragten der Inquisition dem Galilei diese ­Behauptung einfach unterstellten, kann nur vermutet werden. Fest steht, dass nur diese Unterstellung gegen Galilei den Vorwurf der »Häresie« begründete, d. h. des Widerspruchs zur Heiligen Schrift. Denn aus der Hl. Schrift geht eindeutig die Sichtweise hervor, dass die Sonne sich bewegt, während dort über das ­Ruhen oder die Bewegung der Erde nichts vergleichbar Eindeutiges gesagt wird. Wenn man aber den Galilei zum Schweigen bringen wollte, sei es, dass er widerrief, sei es, dass er, falls er nicht widerrief, auf dem Scheiterhaufen endete wie zuvor Giordano Bruno, so musste man ihm die der Bibel widersprechende »häretische« Lehre vom Ruhen der Sonne im Weltmittelpunkt zur Last legen. Und so geschah es. Prompt verkündete schon vier Tage später, am 23. Februar 1616, die Versammlung der theologischen Sachverständigen ihr Prüfungsergebnis, wonach die Behauptung, die Sonne sei das ruhende Zentrum der Welt, als formell häretisch, d. h. der Bibel direkt widersprechend, beurteilt wurde. Die zweite Behauptung, die von der Bewegung der Erde, wurde milder beurteilt. Zwar sei sie falsch und irrig im Glauben, sie sei aber keine Häresie.



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Auf dieser Grundlage erging dann allerdings am 3. März 1616 durch Kardinal Bellarmin an Galilei die strenge Ermahnung, die heliozentrische Lehre vom Ruhen der Sonne und der daraus folgenden Bewegung der Erde nicht (als Wahrheit) zu lehren – welcher Anweisung Galilei, da er diese Lehre auch selbst und zu Recht für falsch hielt, ohne Weiteres Folge leisten konnte, wie er es dann auch tat. Die unerbittliche kirchliche Verfolgung setzte erst wieder ein, nachdem 1632 Galileis Dialogo im Druck erschienen war, in welchem Buch der Verfasser Gründe für die Copernicanische Lehre zur Diskussion stellt. Und nun scheint Galileis Verfolgern die Gelegenheit gekommen, ihn zugleich mit dem Vorwurf, der Ermahnung von 1616 zuwidergehandelt zu haben, erneut der Häre­ sie zu beschuldigen, da er gegen die Bibel das Ruhen der Sonne im Weltmittelpunkt behaupte, und ihn so endgültig zum Schweigen zu bringen. Vor dem Ende auf dem Scheiterhaufen kann ihn nur noch der Widerruf retten. Zwar versucht Galilei sich damit zu verteidigen, dass er die heliozentrische Lehre nicht vertreten habe, ja er bittet im zweiten Verhör darum, man möge ihm erlauben, sein Buch durch eine entsprechende Klarstellung zu ergänzen. Aber dieser Versuch, den Spieß umzudrehen und die lebensbedrohende Anklage als falsche Anschuldigung zu entlarven, schlägt nur zu seinem Nachteil aus: denn jetzt beschuldigen ihn die frommen Ankläger, die zwischen der kosmozentrischen Copernicanischen Theorie und ihrer heliozentrischen Missdeutung nicht unterscheiden können oder wollen, zusätzlich noch der Lüge. So kommt es am Ende dahin, dass Galilei, um dem Tod auf dem Scheiterhaufen zu entgehen, am 22. Juni 1633 die heliozentrische Lehre widerruft. Genauer gesagt: Er bekennt sich schuldig, sich der Häresie – nämlich des Glaubens an die Unbeweglichkeit der Sonne im Weltzentrum nebst daraus folgender Bewegung der Erde – »schwer verdächtig« gemacht zu haben, und er, um den falschen Verdacht auszuräumen, »schwört ab, verwünscht und verflucht« den heliozentrischen Irrtum – den er sich nie zu eigen gemacht, vertreten oder gelehrt hatte.

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Galilei hat, wie man sieht, mit dieser »Abschwörung« weder einen Meineid geleistet, noch hat er seine Wissenschaft oder seine kosmozentrische Lehre verraten. Den nicht gänzlich unberechtigten weiteren Vorwurf, er habe einen wirklichen Beweis für die Bewegung der Erde nicht vorgelegt, entkräftet er nachträglich, indem er die Discorsi schreibt und darin die Lehre von der wirklichen Bewegung und ihrer messenden Erkennbarkeit vorstellt. Und um zu zeigen, dass er schon als junger Mann wusste, dass die heliozentrische kinematische Perspektive absurd ist, weil sie elementaren mechanischen Prinzipien zuwiderläuft, wird Gali­ leis Jugendschrift »Über das Schwerezentrum mehrerer Körper« den Discorsi angehängt. Die Kirche aber, die als Hüterin der Wahrheit eingesetzt ist, beharrt bis heute darauf, dem Galilei den relativistischen Unsinn des »Heliozentrismus« zur Last zu legen. Und scheut sich nicht, sich zur Rechtfertigung ihres Urteils über Galilei des Einsteinschen Relativismus zu bedienen, obwohl gerade dieser die so sehr beklagte Wahrheits- und Gottferne des wissenschaftlichen Zeitalters nach sich zieht. Dass übrigens dieser Relativismus mit der galileischen Einsicht in die mechanische Absurdität sowohl der heliozentrischen als auch der geozentrischen Perspektive sofort in sich zusammenbricht, liegt auf der Hand. Es gibt sie ganz offensichtlich nicht, die »Gleichberechtigung aller Bezugssysteme«, die der relativistischen Bewegungslehre dogmatisch zugrunde liegt. Von Galilei kann man außerdem lernen, dass die moderne Behauptung von der Expansion des Weltalls nicht weniger unrealistisch (d. h. absurd) ist als die kinematisch-relativistische Bewegungslehre (siehe dazu meine Internetseite www. neutonus-reformatus. com, Eintrag Nr. 37). Ich habe im Februar 2014 einen Offenen Brief an den G ­ alileiExperten des Vatikan und Autor mehrerer Bücher zum Fall ­Galilei, Kardinal Professor Dr. Walter Brandmüller gerichtet, den ich nachfolgend auszugsweise zitiere: Rechtzeitig zum 450. Geburtstag Galileo Galileis am 15. Februar dieses Jahres bietet sich Ihnen die Gelegenheit, diesen Mann



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namens der katholischen Kirche endgültig wirksam zu rehabilitieren. Sie wissen, dass namhafte Wissenschaftler die verbreitete Behauptung, Papst Johannes Paul. II. habe Galilei bereits 1992 rehabilitiert, mit guten Gründen für unrichtig halten (Maurizio Finocchiaro, 2005; Michael Segre, 2010). Tatsächlich erschöpft sich die päpstliche Erklärung darin, Galilei und seinen geistlichen Verfolgern »ein tragisches und gegenseitiges Missverständnis« zugute zu halten, das aber zum Glück »inzwischen der Vergangenheit angehört«. Im Übrigen wiederholt hier der Papst, ignorant wie seine Vorgänger vor Jahrhunderten, die Behauptung, Galilei habe »verstanden, dass nur die Sonne als Zentrum der Welt infrage kam«, zumal »zur Zeit des Galilei eine Welt ohne physisch absoluten Bezugspunkt unvorstellbar« gewesen sei. Die Wahrheit ist aber: Galilei hat zu keiner Zeit die häretische – und falsche – Lehre von der »Sonne als Zentrum der Welt« vertreten. Und obwohl Galilei von Anfang bis Ende seiner kirchlichen Verfolgung, von 1616 bis zu seiner Verurteilung 1633, immer wieder beteuert hat, dieser falschen Lehre nicht anzuhängen, haben seine Verfolger sie ihm unbeirrt unterstellt, ihn insoweit gar der Lüge beschuldigt, und ihn damit 1633 zum Widerruf gezwungen, um nicht auf dem Scheiterhaufen zu sterben: zum Widerruf, wohlgemerkt, einer Lehre, die nie die seine war, weshalb denn auch sein Schwur, von dieser falschen Lehre abzulassen, kein Meineid war und kein Verrat an der wissenschaftlichen Wahrheit (ebenso schon, wie Sie seit langem wissen, Albrecht Fölsing, in seinem Buch »Galileo Galilei – Prozess ohne Ende«, München 1983, S. 336 f.). Dass die Anschuldigung, Galilei vertrete eine ketzerische Lehre, ungeheuerlich falsch war, konnte jeder Astronom wissen, und jeder, der Copernicus gelesen hatte, ebenso jeder, der Galileis Beteuerungen ernst nahm, und auch jeder andere, der nur die mindeste Ahnung davon hatte, was die seit Jahrtausenden bekannte Balkenwaage beweist: Niemals kann das ruhende Schwerezentrum zweier gegeneinander schwerer Körper (hier die Sonne, da die Erde) in den Mittelpunkt eines dieser Körper fallen.

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A nmerkung des Her ausgebers

Niemals also hat Galilei eine »heliozentrische« Weltsicht gelehrt, wie Papst Johannes Paul II. 1992 behauptete. Niemals hat Galilei eine Welt »ohne physisch absoluten Bezugspunkt für unvorstellbar« gehalten, wie Johannes Paul II. ebenfalls behauptete. Niemals hat Galilei, wie Johannes Paul II. ihm absurderweise unterstellte, »verstanden, dass nur die Sonne als Zentrum der Welt infrage kam«. Im Dialogo von 1632, in dem Buch, dessentwegen er verurteilt wurde, beschreibt Galilei ausdrücklich »den Mittelpunkt des Weltalls, von dem wir nicht wissen, wo und ob er überhaupt existiert«, als einen nur »gedachten Punkt, ein Nichts ohne irgendwelche Wirkfähigkeit«, d.h. als einen immateriellen Ort im leeren Raum. Dies alles wissen Sie. Dies alles führt, wie Sie selbst in Ihrem 1994 erschienenen Buch »Galilei und die Kirche« auf S. 90 (Fußnote 73) einräumen, dazu, dass sich die gesamte Angelegenheit »in völlig neuem Licht« darstellt. Das »neue Licht« schreibt als ein Menetekel an die Wand: Die römische Kirche verfolgte den Wahrheitssucher Galilei unchristlich mit falschen Anschuldigungen wider besseres Wissen unter Todesdrohung, um ihn zum Schweigen zu bringen. Sie ist schuld an allem, was daraus bis heute gefolgt ist, insbesondere an dem unseligen Schisma zwischen Glauben und Wissen, welches sie so laut beklagt. Wird das nicht endlich im Geist der Wahrheit eingeräumt und ausgestanden, so wird die »blutende Menschheitswunde« (Friedrich Dessauer, Galilei und wir, Frankfurt a. M. 1947, S. 77), welche die römische Kirche unter anhaltender d ­ emonstrativer Missachtung der Wahrheit in die Christenheit geschlagen hat, weiter schwären und den allgegenwärtigen Prozess des Niedergangs des Christentums nebst aller Sittlichkeit und Kultur weiter beschleunigen. »Der Ernstfall« ist da, Herr Kardinal: Geben Sie der Wahrheit, und geben Sie damit endlich Gott die Ehre! Eine Antwort auf diesen Brief gibt es nicht.