Direktwahl der Ministerpräsidenten: Als Kern einer Reform der Landesverfassungen [1 ed.] 9783428520329, 9783428120321

Die schon seit der Neugründung der Bundesländer immer wieder diskutierte Frage, ob nicht eine Direktwahl der Ministerprä

140 35 2MB

German Pages 462 Year 2006

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Direktwahl der Ministerpräsidenten: Als Kern einer Reform der Landesverfassungen [1 ed.]
 9783428520329, 9783428120321

Citation preview

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 178

Direktwahl der Ministerpräsidenten Als Kern einer Reform der Landesverfassungen

Von

Jan L. Backmann

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

JAN L. BACKMANN

Direktwahl der Ministerpräsidenten

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 178

Direktwahl der Ministerpräsidenten Als Kern einer Reform der Landesverfassungen

Von

Jan L. Backmann

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-12032-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Caroline

Vorwort Die Arbeit hat im Sommersemester 2004 der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer als Dissertation vorgelegen. Literatur und Rechtsprechung sind, soweit dies möglich und sinnvoll war, bis Sommer 2005 nachgetragen. Professor Dr. Hans Herbert von Arnim hat die Arbeit vorzüglich betreut und das Erstgutachten erstellt. Professor Dr. Karl-Peter Sommermann hat freundlicherweise das Zweitgutachten verfasst. Dafür und für wertvolle Hinweise in der Sache gilt beiden mein besonderer Dank. Dank schulde ich auch dem Senat der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften für die Aufnahme in die Schriftenreihe der Hochschule sowie meinen Schwiegereltern Christine und Christian Stelzer, die mich als Journalisten auf zahlreiche wertvolle Zeitungsfundstellen aufmerksam machten. Den größten Dank möchte ich meiner Ehefrau Caroline Backmann aussprechen. Sie hat nicht nur bereits die zweite Dissertation mit viel Geduld begleitet und bei der Manuskriptüberarbeitung viel wertvolle Hilfe geleistet. Kurz nach Abschluss des Promotionsverfahrens, nämlich am 29. Juli 2005, hat sie mir mit der Geburt unseres Sohnes Robert das schönste Geschenk gemacht, das man sich wünschen kann.

Plön, im Januar 2006

Jan L. Backmann

Inhaltsübersicht §1

Einleitung ................................................................................................................................ 37 I. Einführung in die Thematik................................................................................................ 37 II. Erste Bestandsaufnahme................................................................................................ 38 III. Ziele der Untersuchung ................................................................................................ 40 IV. Zur Terminologie................................................................................................ 42

§2

46 Die Reform der Landesverfassungen im Kontext ................................................................ I. Die historische Entwicklung des Länderparlamentarismus ................................ 46 II. Die gegenwärtigen Regierungssysteme in den Bundesländern................................ 50 III. Der Länderparlamentarismus im mehrstufigen Bundesstaat................................ 58 IV. Der deutsche Länderparlamentarismus im internationalen Vergleich ................................ 63 V. Reformbestrebungen in Bund und Ländern im Überblick ................................ 68

§3

69 Aktueller Stand der Diskussion ................................................................................................ I. Skepsis bei Theodor Heuss? ................................................................................................ 69 II. Die Entwicklung der Theorie bei Theodor Eschenburg................................ 70 III. Die Kritik des Länderparlamentarismus bei Wilhelm Hennis ................................ 73 IV. Erster Anklang in jüngerer Zeit bei Oschatz................................................................ 75 V. Der neue Diskussionsanstoß durch Hans Herbert von Arnim................................ 75 VI. Die Direktwahl als Forderung der Frankfurter Intervention................................ 79 VII. Hans H. Klein als schärfster Kritiker................................................................ 80 VIII. Die Befürwortung der Direktwahl durch Brun-Otto Bryde ................................ 84 IX. Die Thesen Albert Janssens................................................................................................ 86 X. Die jüngste Untersuchung von Hartmut Maurer ................................................................ 90 XI. Weitere Äußerungen................................................................................................ 92

§4

94 Versuch einer Systematisierung der Streitpunkte und Argumente ................................ I. Streit über Konsequenzen und Streit über deren Bewertung ................................ 94 II. Keine Beschränkung auf den bisherigen Diskussionsstand ................................ 95 III. Gegenständliche Ordnung ................................................................................................ 96

§5

109 Methodik der Untersuchung ................................................................................................ I. Die beiden methodischen Aufgaben ................................................................ 109 II. Das Problem der Maßstäbe................................................................................................ 110 III. Das Problem der Vorhersage ................................................................................................ 112

10

Inhaltsübersicht

§6

Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie ................................ 123 I. Mehr Einfluss durch Direktwahl?................................................................123 II. „Natürlicher Vorrang“ direkt-demokratischer Elemente?................................ 138 III. Bedenken gegen direkt-demokratische Elemente ................................................................ 148 IV. Politischer Einfluss und Politikverdrossenheit ................................................................ 156

§7

Die demokratische Legitimation in den Bundesländern ................................ 163 I. Das Erfordernis demokratischer Legitimation................................................................ 163 II. Das Wesen demokratischer Legitimation ................................................................ 167 III. Das Richtmaß für die Verteilung demokratischer Legitimation ................................ 175 IV. Aufgaben und Befugnisse der Bundesländer und ihre Verteilung in184 nerhalb der Bundesländer ................................................................................................ V. Fazit – Folgen im Hinblick auf den Grundsatz der Akzessorietät von 192 Machtausübung und Legitimationserfordernis ................................................................

§8

194 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern................................................................ I. Die Landesverfassungsgerichte ................................................................ 194 II. Die „Stärkung“ des Ministerpräsidenten ................................................................ 199 III. Die Verschiebung in der Entscheidungszuständigkeit über die Person 202 des Ministerpräsidenten als Ausgangspunkt ................................................................ IV. Kompensierung durch Mitwirkung des Landtages bei der Regie215 rungsbildung? ................................................................................................ V. Der Landtag als pluralistisches Organ und die Parteien ................................ 218 VI. Auswirkungen auf die Landtage als Volksvertretung ................................ 238 VII. Die Kontrolle der Regierung als Ausdruck der Gewaltenteilung................................ 242 VIII. Der Landtag als Gesetzgeber ................................................................................................ 254 IX. Fazit: Belebung der Gewaltenteilung auf Landesebene ................................256

§9

Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl ................................ 258 I. Die Bedeutung der Frage nach dem Qualitätsmaßstab ................................258 II. Ausgangspunkt Lincoln-Formel: Demokratie als Entscheidung für 258 das Volk................................................................................................................................ III. Das Problem der Beantwortungskompetenz ................................................................ 259 IV. Folgen für die Untersuchung ................................................................................................ 259 V. Gemeinwohl – was ist das? ................................................................................................ 260 VI. Gemeinwohl und Personalentscheidungen ................................................................ 266 VII. Gemeinwohl und Sachentscheidungen ................................................................ 274 VIII. Demagogie als unreflektierte Identifizierung mit Allgemeininteres283 sen ................................................................................................................................ IX. Fazit: (Gemeinwohl-)Optimierung der politischen Entscheidungspro285 zesse ................................................................................................................................

Inhaltsübersicht

11

X. Annex: Die veränderte Mitwirkung der Parteien bei der politischen 286 Willensbildung ................................................................................................ § 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates................................ 289 I. Die Autonomie der Bundesländer – Soll und Ist ................................................................ 289 II. Ursachen für den Verlust sachlicher Autonomie ................................................................ 293 III. Auswirkungen einer Direktwahl der Ministerpräsidenten auf die 305 Länderautonomie................................................................................................ IV. Auswirkungen auf den Bund ................................................................................................ 314 V. Auswirkungen auf den Gesamtstaat: Wider dem Verschiebebahnhof 320 für parlamentarische Verantwortung ................................................................ VI. Auswirkungen im Hinblick auf die Mitwirkung des Bundesrates in 321 Angelegenheiten der Europäischen Union................................................................ VII. Ausblick: Die Direktwahl vor dem Hintergrund der Entwicklung der 325 Europäischen Union ................................................................................................ § 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte................................ 327 I. Fazit: Präsidialsystem für die Länder?................................................................ 327 II. Die Ausgestaltung des Regierungssystems auf Grundlage einer Di334 rektwahl ................................................................................................................................ III. Flankierende Maßnahmen ................................................................................................ 351 IV. Mögliche Anschlussreformen................................................................ 357 370 § 12 Zulässigkeit der Einführung eines Präsidialsystems in den Ländern ................................ I. Die Ewigkeitsklauseln der Landesverfassungen................................................................ 370 II. Das Homogenitätsgebot des Grundgesetzes ................................................................ 376 388 § 13 Landesrechtliche und -politische Möglichkeiten der Umsetzung................................ I. „Herkömmliche“ Verfassungsänderung ................................................................ 388 II. Möglichkeiten der Volksgesetzgebung in den Ländern ................................390 III. Beurteilung der politischen Realisierbarkeit................................................................ 402 410 § 14 Zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Ergebnisse ................................ I. Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie ................................410 II. Die demokratische Legitimation in den Bundesländern ................................ 412 III. Die Gewaltenteilung in den Bundesländern................................................................ 413 IV. Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl ................................ 417 V. Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates ................................ 419 VI. Die Beantwortung der Regierungssystemfrage für die Länder ................................ 421 VII. Zur Ausgestaltung des Regierungssystems................................................................ 422 VIII. Weitere Reformschritte ................................................................................................ 423 IX. Zulässigkeit ................................................................................................ 424

12

Inhaltsübersicht X. Möglichkeiten der Umsetzung................................................................

424

Literaturverzeichnis................................................................................................

426

Sachwortverzeichnis................................................................................................

455

Inhaltsverzeichnis §1

Einleitung ................................................................................................................................ 37 I. Einführung in die Thematik................................................................................................ 37 II. Erste Bestandsaufnahme................................................................................................ 38 III. Ziele der Untersuchung ................................................................................................ 40 1. Systematisierung der Streitpunkte und Argumente ................................ 40 2. Klärung der Methodik ................................................................................................ 41 3. Versuch einer Beantwortung der „Regierungssystemfrage“................................ 41 4. Verfassungsrechtliche und Folgefragen ................................................................ 41 5. Praktische Umsetzung ................................................................................................ 42 6. Gang der Untersuchung................................................................................................ 42 7. Beschränkung auf die deutschen Bundesländer................................ 42 IV. Zur Terminologie................................................................................................ 42 1. Ministerpräsident, Regierungschef ................................................................ 43 2. Landtag, Landesparlament ................................................................ 43 3. Parlamentarisches und Präsidialsystem ................................................................ 43 4. Exekutive und Legislative ................................................................ 45 5. Unmittelbare Demokratie ................................................................ 45

§2

46 Die Reform der Landesverfassungen im Kontext ................................................................ I. Die historische Entwicklung des Länderparlamentarismus ................................ 46 1. Die Länder zur Zeit der Weimarer Republik ................................................................ 46 2. Die Entwicklung der heutigen Landesverfassungen ................................47 a) Diskussion eines direkt gewählten Staatspräsidenten bei den 48 frühen Verfassungen ................................................................................................ b) Der Verfassungsentwurf der CDU für Württemberg-Hohenzollern ................................................................................................49 c) Der Verfassungsentwurf der CDU für Baden-Württemberg ................................ 49 II. Die gegenwärtigen Regierungssysteme in den Bundesländern................................ 50 1. Baden-Württemberg ................................................................................................ 51 2. Bayern ................................................................................................ 51 3. Berlin................................................................................................ 52 4. Brandenburg................................................................................................ 52 5. Bremen ................................................................................................ 53 6. Hamburg................................................................................................ 53 7. Hessen ................................................................................................ 53

14

Inhaltsverzeichnis 8. Mecklenburg-Vorpommern................................................................ 54 9. Niedersachsen................................................................................................ 54 10. Nordrhein-Westfalen ................................................................................................ 55 11. Rheinland-Pfalz................................................................................................ 55 12. Saarland................................................................................................ 56 13. Sachsen................................................................................................ 56 14. Sachsen-Anhalt................................................................................................ 57 15. Schleswig-Holstein................................................................................................ 57 16. Thüringen ................................................................................................57 III. Der Länderparlamentarismus im mehrstufigen Bundesstaat................................ 58 1. Der Parlamentarismus im Bund................................................................58 2. Die Europäische Union ................................................................................................ 59 3. Die Kommunalverfassungen ................................................................ 59 a) Die vier herkömmlichen kommunalen Verfassungstypen ................................ 60 (1) Die Norddeutsche Ratsverfassung ................................................................ 60 (2) Die Magistratsverfassung................................................................ 60 (3) Bürgermeisterverfassung ................................................................ 61 (4) Die Süddeutsche Ratsverfassung ................................................................ 61 b) Die Kommunalverfassungsreform der 1990er Jahre ................................ 61 IV. Der deutsche Länderparlamentarismus im internationalen Vergleich ................................ 63 1. USA................................................................................................................................ 63 a) Der Bundesstaat ................................................................................................ 63 b) Die Gliedstaaten................................................................................................ 64 2. Israel................................................................................................ 64 3. Österreich ................................................................................................66 4. Frankreich ................................................................................................66 5. Schweiz ................................................................................................ 67 V. Reformbestrebungen in Bund und Ländern im Überblick ................................ 68

§3

69 Aktueller Stand der Diskussion ................................................................................................ I. Skepsis bei Theodor Heuss? ................................................................................................ 69 II. Die Entwicklung der Theorie bei Theodor Eschenburg................................ 70 1. Parlamentarismus für Verwaltungsstaat funktional ungeeignet ................................ 70 2. Mangelnde Kontrollmöglichkeit durch das Volk ................................ 71 3. Mangelnde parlamentarische Kontrolle................................................................ 71 4. Übermäßige Abhängigkeit des Ministerpräsidenten von den Re72 gierungsparteien ................................................................................................ 5. Versachlichung durch Unabhängigkeit................................................................ 72 6. Direktwahl als Form der Selbstbestimmung................................................................ 72 7. Keine Besorgnis übermächtiger Ministerpräsidenten ................................ 72 8. Keine Besorgnis der Wahl von Demagogen................................................................ 73 9. Keine Besorgnis der Manipulation ................................................................ 73

Inhaltsverzeichnis

15

73 III. Die Kritik des Länderparlamentarismus bei Wilhelm Hennis ................................ 1. Koalitionszwang................................................................................................ 73 2. Strukturell bedingte Einflussnahme der Bundespolitik ................................ 74 3. Keine Grundsatzentscheidungen ................................................................ 74 IV. Erster Anklang in jüngerer Zeit bei Oschatz................................................................ 75 V. Der neue Diskussionsanstoß durch Hans Herbert von Arnim................................ 75 1. Angleichung an Aufgabenverschiebung in Praxis bereits vollzo75 gen................................................................................................................................ 2. Größere Unabhängigkeit von der eigenen Partei ................................ 76 3. Stärkung der parlamentarischen Kontrolle ................................................................ 76 4. Zurückdrängung von übermäßigem Parteieneinfluss und Partei76 buchwirtschaft ................................................................................................ 5. Zurückdrängung der übermäßigen Durchsetzung von Partikularinteressen................................................................................................ 77 6. Stärkere Gemeinwohlorientierung der Landespolitik ................................ 77 7. Direktwahl des Ministerpräsidenten als Voraussetzung für eine Parlamentsreform ................................................................................................ 78 8. Stärkere Maßgeblichkeit des Volkswillens als Mittel gegen Par78 teienverdrossenheit................................................................................................ 9. Keine Besorgnis der Wahl von Demagogen................................................................ 78 10. Keine Besorgnis von übermäßig starken Ministerpräsidenten................................ 78 VI. Die Direktwahl als Forderung der Frankfurter Intervention................................ 79 VII. Hans H. Klein als schärfster Kritiker................................................................ 80 1. Stärkerer politischer Einfluss der Ministerpräsidenten ................................ 80 2. Keine Manipulierbarkeit und Überforderung des Volkes ................................ 80 3. Stärkung von Ministerpräsident und Parlament................................ 80 4. Einfluss der Parteien bleibt................................................................ 81 5. Versachlichung der parlamentarischen Diskussion fraglich ................................ 81 6. Kein taugliches Mittel gegen Ämterpatronage ................................ 81 7. Direktwahl und Gemeinwohlorientierung ................................................................ 82 8. Die Aufgabenverschiebung in den Ländern und die Gewaltentrennung ................................................................................................ 83 VIII. Die Befürwortung der Direktwahl durch Brun-Otto Bryde ................................ 84 1. Hauptproblem: Mangelnde Transparenz infolge Verantwortungs84 verflechtung................................................................................................ 2. Entbehrlichkeit institutioneller Übereinstimmung von Regierung 84 und Parlamentsmehrheit ................................................................................................ 3. Mangelnde parlamentarische Kontrolle................................................................ 85 4. Belebung der diskursiven parlamentarischen Willensbildung ................................ 85 5. Angleichung von demokratischer Legitimation und Aufgaben85 wahrnehmung................................................................................................

16

Inhaltsverzeichnis 6. Stärkung des Parlaments als Gegengewicht zum Ministerpräsidenten................................................................................................ 86 7. Bedenken wegen zusätzlicher Personalisierung ................................ 86 IX. Die Thesen Albert Janssens................................................................................................ 86 1. Verlust sachlicher Autonomie der Länder als Legitimitätsprob86 lem des deutschen Bundesstaates ................................................................ 2. Parteipolitische Gleichschaltung als Ursache für den Verlust 87 sachlicher Autonomie................................................................................................ 3. Wiederherstellung echter parlamentarischer Kontrolle ................................ 88 4. Rückbesinnung auf das Landeswohl im Bundesrat ................................ 89 5. Schaffung einer hinreichenden demokratischen Legitimation des Bundesrates für seine Stellungnahmen nach Art. 23 Abs. 2, 4 bis 89 6 GG................................................................................................ 6. Nebeneffekt: Zurückdrängung der Ämterpatronage ................................90 X. Die jüngste Untersuchung von Hartmut Maurer ................................................................ 90 1. Die Argumente pro Direktwahl ................................................................91 2. Die Argumente contra Direktwahl ................................................................ 91 3. Grundsätzliche Befürwortung bei verbleibender Skepsis ................................ 92 XI. Weitere Äußerungen................................................................................................ 92

§4

94 Versuch einer Systematisierung der Streitpunkte und Argumente ................................ I. Streit über Konsequenzen und Streit über deren Bewertung ................................ 94 II. Keine Beschränkung auf den bisherigen Diskussionsstand ................................ 95 III. Gegenständliche Ordnung ................................................................................................ 96 1. Keine scharfe inhaltliche Trennbarkeit................................................................ 96 2. Orientierung an den Primärzielen................................................................ 97 3. Stärkung der Selbstbestimmung ................................................................ 98 a) Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie ................................ 98 b) Direktwahl als Legitimationsquelle................................................................ 99 4. Stärkung der Gewaltenteilung ................................................................ 99 a) Unmittelbare Auswirkung auf die Gewaltenteilung ................................ 100 b) Verbindung zwischen Selbstbestimmung und Gewaltentei100 lung: Transparenz................................................................................................ 5. Stärkung des Gemeinwohlbezugs................................................................ 101 a) Verbindung zwischen Selbstbestimmung und Gemeinwohl102 bezug: Gemeinwohl und Volkswille ................................................................ b) Verbindung zwischen Gewaltenteilung und Gemeinwohlbe102 zug: Kontrolle und Unabhängigkeit ................................................................ c) Untersuchungsprogramm ................................................................103 6. Stärkung der Länderautonomie ................................................................ 105 a) Verbindung zwischen Selbstbestimmung und Länderauto106 nomie: Interessen des Landesvolks ................................................................

Inhaltsverzeichnis

17

b) Verbindung zwischen unmittelbarer Legitimation und Län106 derautonomie: Landesregierung als Legitimationsmittler ................................ c) Verbindung zwischen Gewaltenteilung und Länderautonomie: Stärkere Kontrolle der Bundesratstätigkeit durch die 106 Landesparlamente ................................................................................................ d) Verbindung zwischen Gemeinwohl und Länderautonomie: 107 Auflösung der „parteipolitischen Gleichschaltung“ ................................ e) Untersuchungsprogramm ................................................................107 7. Verbleibende Fragen ................................................................................................ 108 §5

109 Methodik der Untersuchung ................................................................................................ I. Die beiden methodischen Aufgaben ................................................................ 109 II. Das Problem der Maßstäbe................................................................................................ 110 1. Mangel an anerkannten konkreten Maßstäben ................................ 110 2. Ableitung konkreter Maßstäbe ................................................................ 111 3. Erfahrung konkreter Maßstäbe ................................................................ 111 4. Auslegung von Rechtssätzen ................................................................ 111 III. Das Problem der Vorhersage ................................................................................................ 112 1. Vergleich ................................................................................................112 a) Die Logik des Vergleichs................................................................113 b) Die Länder als Vergleichseinheiten ................................................................ 113 2. Die andere Seite: mögliche Vergleichsgruppen................................ 114 a) Die Vergleichbarkeit der Bundesländer mit den Kommunen ................................ 114 b) Die Vergleichbarkeit der Bundesländer mit den „histori116 schen“ Kommunen................................................................................................ c) Die Vergleichbarkeit der Bundesländer mit ausländischen 117 Staaten................................................................................................ 3. Statischer und dynamischer Vergleich ................................................................ 117 4. Die Kombination mit Induktion und Deduktion ................................ 118 5. Der Ausgangspunkt: Die unterstellte Einführung der Direktwahl ................................ 119 a) Bedeutung der Konkretisierung der Hypothese................................119 b) Umfang des Hypothesegegenstandes ................................................................ 120 c) Konkrete Ausgestaltung: Das herrschende Modell ................................ 120 d) Abweichungen ................................................................................................ 121

§6

Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie ................................ 123 I. Mehr Einfluss durch Direktwahl?................................................................123 1. Unmittelbar: Selbstentscheidung einer Personalfrage ................................ 123 a) Formeller Zuwachs an Entscheidungszuständigkeit ................................ 124 b) Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit ................................ 124 c) Materieller Zuwachs an Entscheidungszuständigkeit? ................................ 124

18

Inhaltsverzeichnis d) Derzeitiger Einfluss des Volkes auf die Entscheidung über den Ministerpräsidenten nach Landtagswahlen und zu erwartende Veränderungen ................................................................ 126 (1) Landtagswahl als Präsidentschaftswahl? ................................ 126 (2) Landtagsabgeordnete als Wahlmänner................................ 127 (3) Ausnahme: Nachträgliche Koalitionsbildung ................................ 128 (4) Der „Link“ zwischen Partei und Kandidat ................................128 (5) Zwischenergebnis: Einflusszuwachs................................................................ 129 (6) Annex: Einflusszuwachs auch durch Rücksichtnahme der 129 Parteien bei der Kandidatenkür................................................................ e) Derzeitiger Einfluss des Volkes auf die Entscheidung über den Ministerpräsidenten während einer Amtsperiode und zu 130 erwartende Veränderungen ................................................................ (1) Zusammenfallen von Volks- und Parlamentswille................................ 130 (2) Auseinanderfallen von Volks- und Parlamentswille ................................ 131 (3) Gleichlauf von Volks- und Parlamentswille als graduelle 132 Bindung ................................................................................................ (4) Änderung durch Volkswahl – Grundmodell ................................ 132 (5) Änderung durch Volkswahl – bei Möglichkeit eines par133 lamentarischen Misstrauensvotums ................................................................ (6) Zwischenergebnis: weiterer Einflusszuwachs während 133 der Amtsperiode................................................................................................ f) Ergebnis: Einfluss auf Person des Ministerpräsidenten 134 wächst ................................................................................................ 2. Mittelbar: Einfluss auf die Regierungstätigkeit ................................ 134 a) Verantwortung als Kehrseite von Bestimmung und Kontrolle ................................ 134 b) Verschiebung der Verantwortlichkeit vom Parlament zum Volk ................................................................................................135 c) Tätigkeitsorientierung als Folge von Verantwortlichkeit ................................ 136 d) Orientierung am Volk ≠ Entscheidung durch das Volk................................ 136 (1) Fehlende Thematisierung durch das Volk ................................ 136 (2) Kein einheitlicher „Volkswille“................................................................ 137 (3) Phlegmatik und Hemmschwelle................................................................ 137 (4) Umgekehrter Einfluss ................................................................138 e) Ergebnis: Mittelbarer Einfluss auf Sachentscheidungen, aber 138 keine Volksentscheidungen................................................................ II. „Natürlicher Vorrang“ direkt-demokratischer Elemente?................................ 138 1. Bewertungsmaßstäbe und Bewertungskriterien ................................ 139 2. Mögliche Bewertungsmaßstäbe................................................................ 139 3. Der Zusammenhang zwischen Bewertungsmaßstäben und De140 mokratieideal................................................................................................

Inhaltsverzeichnis

19

a) Bestehender Zusammenhang als potenzielle Gefahr für die 140 wissenschaftliche Diskussion................................................................ b) Der potenzielle Zusammenhang als Gefahr für die wissenschaftliche Diskussion................................................................ 141 c) Die Gefahr der „Unwiderlegbarkeit“................................................................ 142 d) Die Gefahr der Politisierung ................................................................ 142 e) Die Gefahr der Ausuferung ................................................................ 143 f) Die Entschärfung der Gefahren................................................................ 143 4. Keine Vermutung zugunsten einer möglichst weitgehenden mit143 telbaren Demokratie ................................................................................................ a) Vermutung zugunsten mittelbarer Demokratie allenfalls für 144 das Staatsprinzip als solches ................................................................ b) Keine Regel für einzelne demokratische Elemente ................................ 144 5. Vermutung zugunsten möglichst weitgehender unmittelbarer 145 Demokratie? ................................................................................................ a) Die Lincoln-Formel................................................................................................ 145 b) Volkssouveränität und Demokratie ................................................................ 146 c) Staatstheoretischer Vorrang direkter Demokratie und direktdemokratischer Elemente ................................................................146 d) Praktische Bedeutung................................................................ 147 III. Bedenken gegen direkt-demokratische Elemente ................................................................ 148 1. Politische Reife des Volkes ................................................................ 148 2. Praktikabilität ................................................................................................ 149 a) Der praktische Ablauf der Direktwahl ................................................................ 150 b) Der Aufwand einer Volkswahl................................................................ 150 (1) Kostenaufwand ................................................................................................ 150 (2) Aktivierungsaufwand................................................................151 c) Zwischenergebnis................................................................................................ 152 3. Manipulierbarkeit ................................................................................................ 152 a) Keine unmittelbar populistische Entscheidung ................................153 b) Keine Formulierungsspielräume ................................................................ 153 4. Komplexität................................................................................................ 154 5. „Versteinerung“................................................................................................ 154 6. Keine Befürchtung „schlechter“ Entscheidungen ................................ 155 IV. Politischer Einfluss und Politikverdrossenheit ................................................................ 156 1. Politikverdrossenheit als Demokratieproblem................................................................ 156 a) Das Akzeptanz- und Vertrauensdefizit................................................................ 156 b) Gefahr für die Demokratie ................................................................ 157 2. Ursachen der Politikverdrossenheit ................................................................ 158 a) Entscheidungsschwäche der Staatsorgane................................................................ 159 b) Ausufernder Parteieneinfluss ................................................................ 159 c) Unausgewogenheiten im pluralistischen Kräftespiel................................ 160

20

Inhaltsverzeichnis 160 d) Bürokratisierung................................................................................................ e) Fehlende Transparenz ................................................................ 161 f) Ohnmacht................................................................................................ 161 3. Akzeptanzerhöhung durch mehr Selbstentscheidung ................................ 162

§7

Die demokratische Legitimation in den Bundesländern ................................ 163 I. Das Erfordernis demokratischer Legitimation................................................................ 163 1. Das Legitimationserfordernis als Folge der Volkssouveränität ................................ 164 2. Legitimation nur durch demokratische Machtvermittelung................................ 165 3. Der inhaltliche Legitimationsstrang ................................................................ 165 4. Der persönliche Legitimationsstrang................................................................ 166 II. Das Wesen demokratischer Legitimation ................................................................ 167 1. Der Grad demokratischer Legitimierung als Kernproblem der 167 Legitimation von Landesgewalt ................................................................ 2. Die grundsätzliche Anerkennung gradueller Legitimationsunterschiede................................................................................................ 168 a) Stand in Rechts- und Politikwissenschaft................................................................ 168 b) Mögliche Ansätze ................................................................................................ 169 c) Von der Funktion demokratischer Legitimation zu ihrer graduellen Abstufung................................................................ 170 (1) Zusammenhang zwischen Entscheidungsgegenstand und 170 inhaltlichem Legitimationsbedarf ................................................................ (2) Zusammenhang zwischen Aufgabengebiet und persönli171 chem Legitimationsbedarf................................................................ (3) Die Kritik Hartmut Maurers ................................................................ 171 d) Anerkennung von Legitimationsunterschieden im Demokra172 tieverständnis des Grundgesetzes................................................................ (1) Die rechtswissenschaftliche Anerkennung von graduel172 len Abstufungen................................................................................................ (2) Graduelle Abstufungen im Grundgesetz ................................ 173 e) Anerkennung von Legitimationsunterschieden in den Lan175 desverfassungen ................................................................................................ f) Zwischenergebnis: materielle Unterschiede demokratischer 175 Legitimation................................................................................................ III. Das Richtmaß für die Verteilung demokratischer Legitimation ................................ 175 1. Zusammenhang zwischen Aufgabenbedeutung und demokratischer Legitimation in den deutschen Demokratien ................................176 2. Die Bedeutung der Wesentlichkeitstheorie für das erforderliche 177 Maß an materieller Legitimation ................................................................ a) Reichweite des Gesetzesvorbehalts und demokratische Legi177 timation ................................................................................................

Inhaltsverzeichnis

21

b) Die Reichweite des Gesetzesvorbehalts als Gegenstand der Wesentlichkeitstheorie ................................................................ 178 c) Die Aussage der Wesentlichkeitstheorie ................................................................ 179 d) Die Geltung der Wesentlichkeitstheorie in den Bundesländern ................................................................................................ 179 e) Die politikwissenschaftliche Bedeutung der Wesentlichkeits180 theorie ................................................................................................ f) Maßstab: Bedeutung für den Bürger ................................................................ 181 g) Zwischenergebnis: Zusammenhang zwischen Aufgabenbe181 deutung und Legitimationserfordernis ................................................................ 3. Das Quantum der politischen Entscheidungen ................................ 182 4. Der Anknüpfungspunkt: Formelle Zuständigkeit oder tatsächliche Aufgabenwahrnehmung? ................................................................182 a) Relevanz für die Diskussion................................................................ 182 b) Maßgeblichkeit der faktischen Machtverteilung ................................ 183 5. Grenzen der Akzessorietät von Legitimationserfordernis und 184 Aufgabenbedeutung................................................................................................ IV. Aufgaben und Befugnisse der Bundesländer und ihre Verteilung 184 innerhalb der Bundesländer ................................................................................................ 1. Gesamtbetrachtung der Landeskompetenzen ................................................................ 185 2. Die föderale Aufgabenverteilung nach der Konzeption des 185 Grundgesetzes ................................................................................................ a) Die Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer als Regel ................................ 185 b) Die Verwaltungskompetenz der Bundesländer als Regel ................................ 186 3. Die tatsächliche Aufgabenverteilung zwischen Bund und Län186 dern................................................................................................................................ a) Die faktische Verwaltungskompetenzverteilung ................................ 186 b) Die Gesetzgebungskompetenzverteilung ................................................................ 187 (1) Weitreichende Gesetzgebungskompetenzen des Bundes schon bei Schaffung des Grundgesetzes ................................ 187 (2) Bundesfreundliche Rechtsprechung zur konkurrierenden 188 Gesetzgebungskompetenz................................................................ (3) Erweiterung der Zuständigkeitskataloge mit Zustimmung 188 des Bundesrates................................................................................................ (4) Europäisierung des Rechts ................................................................ 189 (5) Annex: Abgestimmte Gesetzentwürfe ................................ 189 (6) Verbleibt: „Kultur- und Organisationshoheit“ ................................ 189 4. Ausgleich der Diskrepanz durch neue Länderkompetenzen? ................................ 190 a) Entwicklung zum Beteiligungs- und Exekutivföderalismus................................ 190 b) Landesinterne Zuständigkeit ................................................................ 191 c) Zwischenergebnis: Länder als Exekutiveinheiten ................................ 192

22

Inhaltsverzeichnis V. Fazit – Folgen im Hinblick auf den Grundsatz der Akzessorietät von 192 Machtausübung und Legitimationserfordernis ................................................................

§8

194 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern................................................................ I. Die Landesverfassungsgerichte ................................................................ 194 1. Die Landesverfassungsgerichte als rechtsprechende Staatsgewalt 195 und Verfassungsorgane ................................................................................................ 2. Mögliche Ansätze für eine Auswirkung auf die Landesverfas195 sungsgerichte................................................................................................ 3. Die Kontrollbefugnisse der Landesverfassungsgerichte ................................ 196 a) Beschränkung auf Rechtmäßigkeitsprüfung................................ 196 b) Allenfalls quantitativer Zuwachs der Rechtmäßigkeitsprüfung ................................................................................................ 197 4. Einfluss auf die Landesverfassungsgerichte ................................................................ 198 5. Fazit und Bedeutung für die weitere Untersuchung ................................ 199 II. Die „Stärkung“ des Ministerpräsidenten ................................................................ 199 1. Qualitative Beschreibung der neuen Position als Ziel ................................ 199 2. Die Relativität der Stärke des Ministerpräsidenten................................200 3. Kein zwingender Schluss von Stärkung eines Organs auf Schwä201 chung des anderen ................................................................................................ III. Die Verschiebung in der Entscheidungszuständigkeit über die Person 202 des Ministerpräsidenten als Ausgangspunkt................................................................ 1. Prinzipieller Einflussschwund beim Landtag ................................................................ 202 2. Einschränkung der Auswirkungen durch Parteienbindung ................................ 202 a) Die parteipolitische Bindung als Klammer ................................ 203 b) Die parteipolitischen Bindungen des kandidierenden oder 203 gewählten Ministerpräsidenten ................................................................ (1) Das Aufstellen als Kandidat und die Unterstützung der 204 Kandidatur durch die Parteien................................................................ (2) Die Wahl in Parteiämter und die „Übertragung“ sonstiger 205 Mandate ................................................................................................ (3) Parteiinterne Strömungen und Einzelinteressen ................................ 206 c) Parteilose Ministerpräsidenten? ................................................................ 207 (1) Die Wahl des Kandidaten der Mehrheitspartei als Folge 207 parteipolitischer Verzahnung ................................................................ (2) Parteilose Kandidaten im gegenwärtigen Länderparla208 mentarismus? ................................................................................................ (3) Parteilose Kandidaten bei Direktwahl nicht mehr system208 widrig................................................................................................ (4) Unvermindertes Bestreben der Parteien zur „politischen 209 Willensbildung“ beim Volk ................................................................

Inhaltsverzeichnis

23

(5) Der organisatorische und finanzielle Aufwand einer Kan210 didatur um das Amt des Ministerpräsidenten ................................ (6) Zwischenergebnis: Parteilose Ministerpräsidenten nicht 211 zu erwarten................................................................................................ d) Kohabitationen („divided governments“)................................................................ 212 (1) Entfallen des „Link“ zwischen Partei und Ministerpräsi212 dent ................................................................................................ (2) Auswirkungen des Zeitpunktes der Direktwahl ................................ 212 e) Die Bindung gegenüber „fremden“ Parteien ................................ 213 f) Veränderungen im Verhältnis zur eigenen (Mehrheits-)Partei ................................ 213 (1) Parteienbindung auch bei Direktwahl ................................................................ 214 (2) Volksbindung als Antagonist zur Parteienbindung ................................ 214 (3) Fazit: Stärkung gegenüber der eigenen Partei ................................ 214 IV. Kompensierung durch Mitwirkung des Landtages bei der Regie215 rungsbildung? ................................................................................................ 1. Regierungsbildung nach der Frankfurter Intervention ................................ 215 2. Alternative Modelle der Regierungsbildung................................................................ 217 3. Fazit: Alleinige Regierungsbildung durch Ministerpräsident als 217 Grundlage für die weitere Untersuchung................................................................ 4. Annex: Stabilisierung der Landesregierungen................................................................ 218 V. Der Landtag als pluralistisches Organ und die Parteien................................ 218 1. Untersuchungsumfang: Funktion und weitere Aufgaben des 218 Landtages ................................................................................................ 2. Die Willensbildung im Landtag ................................................................ 219 a) Der Grundsatz der Mehrheitsentscheidung ................................ 220 b) Die Erscheinung der dauerhaften Mehrheits-Formierung ................................ 220 c) Die Parteien im Parlament ................................................................ 221 (1) Die Fraktion als Partei im Parlament ................................................................ 221 (2) Der Grund für die Fraktionsbildung................................................................ 222 d) Die Fraktionsdisziplin ................................................................ 222 (1) Trennung von Fraktionsbildung und Fraktionsdisziplin ................................ 222 (2) Fraktionszwang und Fraktionsdisziplin in der Praxis ................................ 223 (3) Regierungsfähigkeit als Ursache der Fraktionsdisziplin ................................ 224 (4) Durchsetzung parteipolitischer Konzepte als Ursache der Fraktionsdisziplin................................................................ 225 e) Der Zwang zur Koalitionsbildung................................................................ 225 (1) Mehrheitskoalition ersetzt Mehrheitspartei ................................226 (2) Die Institutionalisierung der Koalition................................ 226 (3) Die Bindung innerhalb der Koalition................................................................ 226 (4) Regierungsbildung als einziger struktureller Grund für 227 Koalitionen ................................................................................................ 3. Änderungen bei Direktwahl des Ministerpräsidenten................................ 228

24

Inhaltsverzeichnis 228 a) Bedürfnis für Fraktionen bleibt ................................................................ b) Zwang der Mehrheitsfraktion zur Regierungstreue schwindet ................................ 228 (1) Keine Wahrnehmung des Scheiterns der Regierung als 229 Scheitern der Mehrheitsfraktion................................................................ (2) Entfallen der Rücktrittsdrohung als Druckmittel auf die Mehrheitsfraktion................................................................ 229 (3) Verbleibender Zwang aufgrund Parteienbindung ................................ 229 (4) Entfallen jeglichen Zwangs bei parteifremdem Minister230 präsidenten................................................................................................ (5) Fazit: Entfallen „blinder Regierungstreue“ und stärkere 230 Gegenstandsorientierung................................................................ c) Exkurs: Die Frage der Bewertung – Erforderlichkeit institu231 tioneller Übereinstimmung?................................................................ (1) Parlamentstreue der Regierung in den Ländern erforder231 lich? ................................................................................................ (2) Regierungstreue der Parlamente in den Ländern erforder232 lich? ................................................................................................ d) Bedürfnis für Ausübung von Fraktionsdisziplin schwindet ................................ 234 (1) Zwang der Abgeordneten zur Regierungstreue schwindet (Wiederherstellung des freien Mandats) ................................ 235 (2) Gegenstandsorientierung hier Frage des Wahlrechts ................................ 235 e) Bedürfnis für Koalitionsbildung entfällt ................................................................ 236 f) Annex: Entfallen von Machtverzerrungen und Erhöhung der Transparenz als demokratiepolitische Folgen des Ver238 schwindens von Koalitionen ................................................................ VI. Auswirkungen auf die Landtage als Volksvertretung ................................ 238 1. Bedenken gegen zweiten Volksvertreter als Bedenken gegen Präsidentialismus als solchen ................................................................239 2. Keine Abhängigkeit der Volksvertretungsfunktion von der Legi239 timation der Exekutive ................................................................................................ 3. Abhängigkeit der Volksvertretungsfunktion von eigener Legitimation und Kompetenzgefüge................................................................240 4. Verschiedene Arten der Volksvertretung ................................................................ 240 5. Ergebnis: Parlamentarische Funktion als Volksvertretung nicht 241 beeinträchtigt................................................................................................ VII. Die Kontrolle der Regierung als Ausdruck der Gewaltenteilung................................ 242 1. Entfallen oder Einschränkung des konstruktiven Misstrauensvo242 tums................................................................................................................................ a) Kein konstruktives Misstrauensvotum in bisheriger Form ................................ 243 b) Ausschluss des Misstrauensvotums contra Misstrauensvotum mit Zweidrittelmehrheit ................................................................ 243

Inhaltsverzeichnis

25

c) Initiativrecht des Landtages für Neuwahl oder echtes Miss244 trauensvotum? ................................................................................................ d) Auswirkung auf die parlamentarische Kontrolle ................................ 245 2. Misstrauensvoten gegen Minister? ................................................................ 246 3. Die Ausübung der Kontrolle durch die Landtage ................................ 247 a) Grundsätzlicher Zusammenhang zwischen innerparlamentarischer Willensbildung und Ausübung parlamentarischer 247 Kontrolle ................................................................................................ b) Die Ausübung der einzelnen Kontrollinstrumentarien ................................ 248 (1) Öffentliche Kritik................................................................ 248 (2) Untersuchungsausschüsse ................................................................ 249 (3) Finanzkontrolle ................................................................................................ 249 (4) Misstrauensvoten ................................................................ 249 c) Die Folgen einer Abschwächung der Regierungsgebundenheit der Mehrheitsfraktion................................................................250 (1) Die Kontrolle bei einer Kohabitation................................................................ 250 (2) Die Kontrolle des „eigenen“ Ministerpräsidenten ................................ 251 d) Die weiteren Auswirkungen des Entfallens von Koalitionen 252 und einer etwaigen Abschwächung der Fraktionsdisziplin ................................ 4. Fazit: Belebung der parlamentarischen Kontrolle ................................ 252 5. Annex: Belebung der Kontrolle der Parlamente durch die Regierungen................................................................................................ 253 VIII. Der Landtag als Gesetzgeber ................................................................................................ 254 1. Weniger Einfluss der Exekutive auf die Gesetzgebung ................................ 254 2. Verantwortungsrückgewinnung bei den Landtagen ................................ 255 3. Belebung und schärfere Konturierung der Trennung von gesetz256 gebender und ausführender Staatsgewalt................................................................ 4. Stärkere Legitimation der Landtage und der Staatsqualität der 256 Bundesländer................................................................................................ IX. Fazit: Belebung der Gewaltenteilung auf Landesebene ................................256 1. Stärkung des Ministerpräsidenten ≠ Schwächung des Landtages ................................ 257 2. Erhöhung der Transparenz ................................................................ 257 §9

Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl ................................ 258 I. Die Bedeutung der Frage nach dem Qualitätsmaßstab ................................258 II. Ausgangspunkt Lincoln-Formel: Demokratie als Entscheidung für 258 das Volk................................................................................................................................ III. Das Problem der Beantwortungskompetenz ................................................................ 259 IV. Folgen für die Untersuchung ................................................................................................ 259 V. Gemeinwohl – was ist das? ................................................................................................ 260 1. Der Gemeinwohlbegriff in der Kritik ................................................................ 260 2. Der Gemeinwohlbegriff der Frankfurter Intervention................................ 261

26

Inhaltsverzeichnis 262 3. Die Gemeinwohllehre von Arnims ................................................................ a) Die Gemeinwohlrichtigkeit und ihre normativen Grundlagen ................................ 262 b) Die Lehre von den Gemeinwohlgrundwerten ................................ 263 c) Die Lehre von den Optimierungsverfahren ................................ 264 4. Zwischenergebnis: Einigkeit in Bezug auf die Relativität des 265 Gemeinwohls................................................................................................ a) Einzelstreitfragen auf Basis der Gemeinwohllehre von Arnims................................................................................................ 265 b) „Optimierungsoptimierung“ durch direkt gewählten Minis266 terpräsidenten als grundsätzliche Frage................................................................ VI. Gemeinwohl und Personalentscheidungen ................................................................ 266 1. Die Gemeinwohlwerte in Art. 33 Abs. 2, 3 GG und den entsprechenden Regelungen der Landesverfassungen ................................ 267 2. Effektivität der Regierung als zu berücksichtigender Gemein267 wohlwert?................................................................................................ 3. Verfassungswidrigkeit und Gemeinwohlschädlichkeit der Ämterpatronage ................................................................................................268 4. Ursachen der Ämterpatronage ................................................................269 a) Ursachen erster Stufe (Motivation) ................................................................ 269 b) Ursachen zweiter Stufe (fehlende Hindernisse) ................................ 270 5. Veränderungen durch Direktwahl des Ministerpräsidenten ................................ 271 a) Angewiesenbleiben auf loyale Mitarbeiter? ................................ 271 b) Geringere Parteizwänge? ................................................................272 c) Stärkere parlamentarische Kontrolle der Personalpolitik? ................................ 273 d) Fazit: Ämterpatronage kein alleiniger Grund für Einführung 274 der Direktwahl ................................................................................................ VII. Gemeinwohl und Sachentscheidungen ................................................................ 274 1. Allgemeine Interessen und Partikularinteressen ................................ 274 2. Allgemeine Interessen contra Partikularinteressen ................................275 a) Die Durchsetzungsschwäche allgemeiner Interessen ................................ 275 b) Die Untersuchung Gerhard Banners zur Kommunalpolitik................................ 276 3. Mögliche Ansätze für Veränderungen durch die Direktwahl der 277 Ministerpräsidenten................................................................................................ a) Der Weg der Partikulareinflüsse ................................................................ 278 b) Organisierte und unorganisierte allgemeine Interessen ................................ 278 c) Der Vergleich mit den Kommunen ................................................................ 279 4. Auswirkungen der Direktwahl der Ministerpräsidenten auf die 279 Interessenverbände? ................................................................................................ 5. Auswirkung des veränderten Parteieneinflusses auf die Durch280 setzungsstärke von allgemeinen und Partikularinteressen ................................ a) Veränderungen beim Interessenausgleich im Bereich Exekutive ................................................................................................ 280

Inhaltsverzeichnis

27

281 (1) Vergleich mit den Kommunen................................................................ (2) Vergleich mit anderen Präsidialsystemen ................................ 281 b) Veränderungen beim Interessenausgleich im Bereich Legislative ................................................................................................282 c) Fazit: Weniger Vereinnahmung der Landesorgane durch Par282 tikularinteressen ................................................................................................ VIII. Demagogie als unreflektierte Identifizierung mit Allgemeininteres283 sen ................................................................................................................................ 1. Demagogie contra Gemeinwohl ................................................................ 283 2. Kein Zwang zum Populismus................................................................284 3. Keine „Freibier-Ministerpräsidenten“ ................................................................ 284 IX. Fazit: (Gemeinwohl-)Optimierung der politischen Entscheidungspro285 zesse ................................................................................................................................ X. Annex: Die veränderte Mitwirkung der Parteien bei der politischen 286 Willlensbildung ................................................................................................ 1. Der Grat zwischen zu viel und zu wenig Einfluss ................................ 286 2. Die Veränderung der Stellung der Parteien ................................................................ 287 a) Keine Schwächung der Parteien................................................................ 287 b) Die veränderte Position der Parteien ................................................................ 287 3. Fazit: Stärkung der Parteien und Erhöhung der Transparenz ................................ 288 § 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates................................ 289 I. Die Autonomie der Bundesländer – Soll und Ist ................................................................ 289 1. Die Bedeutung der Länderautonomie ................................................................ 290 a) Entbehrlichkeit der Bundesländer? ................................................................ 290 b) Die Garantie der Bundesländer durch das Grundgesetz ................................ 290 c) Das Gebot effektiver sachlicher Autonomie ................................ 291 2. Schwäche der Bundesländer als konsentierter Befund ................................ 292 II. Ursachen für den Verlust sachlicher Autonomie ................................................................ 293 1. Kompetenzverluste................................................................................................ 293 2. Länderkoordination ................................................................................................ 294 3. Der Bundesrat als Instrument der Bundespolitik ................................ 295 a) Der Einfluss des Bundesrates................................................................ 295 b) Der Einigungszwang im Bundesrat................................................................ 296 c) Der Zusammenschluss der Länder zu parteipolitischen Lagern ................................................................................................ 296 d) Die Dominanz der Bundes- über Landesinteressen ................................ 298 e) Exkurs: Praktische Probleme für den Bundesstaat ................................ 298 4. Ursachen der Berücksichtigung landesfremder Motive im Ent300 scheidungsprozess der Landesorgane ................................................................ a) Verknüpfung durch die Parteien: Landesvertreter als Bundes300 politiker................................................................................................

28

Inhaltsverzeichnis 301 (1) Die vertikale parteipolitische Gleichschaltung................................ (2) Strukturelle Gegenläufigkeit von Parteiensystem und 302 Bundesstaat ................................................................................................ (3) Folge: Dreh- und Angelpunkt für alle Strukturreforman303 sätze ................................................................................................ b) Verknüpfung über den Bürger: Landtagswahlen als „Zwi303 schenwahlen“ ................................................................................................ c) Verknüpfung über die Medien: Dominanz der Bundesnach304 richten ................................................................................................ III. Auswirkungen einer Direktwahl der Ministerpräsidenten auf die Länderautonomie................................................................................................ 305 1. Von „föderalen Mischwahlen“ zu Landeswahlen................................ 305 a) Fokussierung des Landesvolkes auf die Person des Minister306 präsidenten ................................................................................................ (1) Personenwahl................................................................................................ 306 (2) Transparenz................................................................................................ 306 (3) Präsentation und Wahrnehmung ................................................................ 307 b) Fokussierung des Landesvolkes auf die Landespolitik................................ 308 c) Die Landtagswahlen, ihr Zeitpunkt und der Einfluss auf die 309 Direktwahl des Ministerpräsidenten................................................................ 2. Stärkere Identifizierung des Ministerpräsidenten mit dem Landesvolk ................................................................................................ 310 a) Regierungstätigkeit ................................................................................................ 310 b) Tätigkeit im Bundesrat................................................................ 311 3. Konzentrierung der gestärkten parlamentarischen Kontrolle auf 311 Landesinteressen ................................................................................................ 4. Stärkung der Länderautonomie durch Stärkung der Landesge312 setzgebung................................................................................................ 5. Fazit: Stärkere Identifizierung des Landesvolkes und der Lan313 despolitiker mit dem eigenen Bundesland................................................................ IV. Auswirkungen auf den Bund ................................................................................................ 314 1. Folgen der Veränderungen beim Bundesrat ................................................................ 314 2. Die Ministerpräsidenten und der Bundeskanzler ................................ 315 a) Die Stärkung der Ministerpräsidenten gegenüber dem Bun316 deskanzler ................................................................................................ b) Verhältnis Bürgermeister und Ministerpräsident zum Ver316 gleich?................................................................................................ c) Die Körperschaftskompetenzen und die unmittelbare demokratische Legitimation................................................................ 317 d) Folgen auf Bundesebene als vom Landesverfassungsgeber zu 318 berücksichtigender Belang? ................................................................ e) Direktwahl des Bundeskanzlers?................................................................ 318

Inhaltsverzeichnis

29

319 f) Direktwahl des Bundespräsidenten? ................................................................ 3. Auswirkungen auf den Bundestag? ................................................................ 320 4. Ergebnis ................................................................................................320 V. Auswirkungen auf den Gesamtstaat: Wider dem Verschiebebahnhof 320 für parlamentarische Verantwortung ................................................................ VI. Auswirkungen im Hinblick auf die Mitwirkung des Bundesrates in 321 Angelegenheiten der Europäischen Union................................................................ 1. Erhöhung der demokratischen Legitimation des Bundesrates bei 321 Volkswahl in allen Bundesländern ................................................................ 2. Exkurs: Erhöhung der demokratischen Legitimation der Europäi322 schen Union?................................................................................................ 3. Die Kontrolle der Bundesregierung durch den Bundesrat ................................ 323 4. Zentraler Gesichtspunkt für die Länder: Mitbestimmung................................ 324 VII. Ausblick: Die Direktwahl vor dem Hintergrund der Entwicklung der 325 Europäischen Union ................................................................................................ § 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte................................ 327 I. Fazit: Präsidialsystem für die Länder?................................................................ 327 1. Befürwortung eines Präsidialsystems ................................................................ 328 a) Gesamtschau der Erkenntnisse zur Direktwahl der Minister328 präsidenten ................................................................................................ b) Auswirkungen auf die Politikverdrossenheit................................ 329 2. Die Erfahrungen mit der Direktwahl des Regierungschefs in Is330 rael................................................................................................................................ 3. Der Reformwunsch als Missverständnis? – Patzelts Theorie vom 332 „latenten Verfassungskonflikt“................................................................ a) Reform contra Bildung?................................................................ 332 b) Sachliche Diskussion contra Populismus!................................................................ 333 c) Annex: Systemwechsel per se schlecht? ................................................................ 334 II. Die Ausgestaltung des Regierungssystems auf Grundlage einer Direktwahl ................................................................................................ 334 1. Amtszeit ................................................................................................335 a) Verlängerte Amtsperioden?................................................................ 335 b) Höchstdauer der Amtsperiode von 5 Jahren ................................ 336 c) Gleiche Länge der Amtszeit des Ministerpräsidenten und der 338 Legislaturperiode ................................................................................................ 2. Zeitpunkt der Wahl................................................................................................ 339 a) Pro gleichzeitige Wahlen ................................................................339 b) Contra gleichzeitige Wahlen ................................................................ 340 c) Fazit ................................................................................................340 d) Annex: Folgen bei Neuwahl eines Organs ................................ 341 3. Begrenzung der Amtszeiten?................................................................ 342

30

Inhaltsverzeichnis 342 4. Erforderliche Mehrheit ................................................................................................ a) Absolute Mehrheit................................................................................................ 342 b) Relative Mehrheit................................................................................................ 343 c) Stellungnahme im Hinblick auf die Bundesländer ................................ 344 5. Abwahl ................................................................................................ 345 a) Keine Abwahl durch den Landtag................................................................ 345 b) Vorzeitige Neuwahl durch das Volk ................................................................ 346 (1) Befürwortung eines „Recall“ des Ministerpräsidenten ................................ 346 (2) Bedingungen für die erforderlichen Quoren ................................ 347 (3) Die Regelungen über die Auflösung der Landtage durch 347 Volksentscheid................................................................................................ (4) Vorschlag für die Quoren beim „Recall“ ................................ 348 6. Regierungsbildung ................................................................................................ 348 a) Der Vorschlag einer Volkswahl der Regierung ................................349 b) Direktwahl der Regierungsmitglieder?................................................................ 349 c) Direktwahl der Landesregierungen? ................................................................ 350 III. Flankierende Maßnahmen ................................................................................................ 351 1. Unvereinbarkeit von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat ................................ 352 a) Inkompatibilitätsregelung ................................................................352 b) Einführung des ruhenden Mandats? ................................................................ 353 2. Abschaffung der Fünfprozenthürde................................................................ 355 a) Der Meinungsstreit................................................................................................ 355 b) Stellungnahme................................................................................................ 356 IV. Mögliche Anschlussreformen................................................................ 357 1. Parlamentsreform ................................................................................................ 358 a) Landtagswahlrecht ................................................................................................ 359 (1) Die Forderung einer Personalisierung der Landtagswah359 len ................................................................................................ (2) Eigene Stellungnahme ................................................................ 360 b) Teilzeitparlamente? ................................................................................................ 361 (1) Der Vorschlag der Teilzeitparlamente ................................ 361 (2) Eigene Stellungnahme ................................................................ 362 c) Verkleinerung?................................................................................................ 363 2. Erweiterung direkt-demokratischer Sachentscheidungen? ................................ 364 3. Annex: Föderalismusreform im Bund ................................................................ 365 a) Transparenzerhöhung: Entflechtung von Landes- und Bun366 despolitik................................................................................................ b) Entflechtung der Entscheidungsmechanismen ................................366 c) Reföderalisierung ................................................................................................ 367 d) Neugliederung des Bundesgebietes................................................................ 367 e) Abschaffung der Bundesländer? ................................................................ 368

Inhaltsverzeichnis

31

370 § 12 Zulässigkeit der Einführung eines Präsidialsystems in den Ländern ................................ I. Die Ewigkeitsklauseln der Landesverfassungen................................................................ 370 1. Die Regelungen ................................................................................................ 371 2. Präsidentialismus und Demokratieprinzip................................................................ 373 3. Präsidentialismus und parlamentarische Staatsform ................................ 375 II. Das Homogenitätsgebot des Grundgesetzes ................................................................ 376 1. Ausgangspunkt: Verfassungshoheit und -autonomie der Bundesländer................................................................................................ 376 2. Demokratie „im Sinne des Grundgesetzes“................................................................ 377 a) Volkswahl des Ministerpräsidenten und Präsidialsystem zu377 lässig (h.M.) ................................................................................................ b) Gegenauffassungen ................................................................................................ 378 c) Die Rechtsprechung ................................................................................................ 379 d) Eigene Stellungnahme................................................................ 381 (1) Folgen einer übereinstimmenden Auslegung von Art. 28 382 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG (h.M.)................................................................ (2) Folgen bei einer extensiveren Auslegung: Störungen für 383 Gesamtstaat entscheidend ................................................................ (3) Störungen im Verhältnis zu den anderen Bundesländern? ................................ 383 (4) Störungen auf Bundesebene? ................................................................ 384 (5) Rechtfertigung eines etwaigen Verstoßes?................................385 (6) Zur Gegenmeinung ................................................................ 386 3. Ergebnis ................................................................................................387 388 § 13 Landesrechtliche und -politische Möglichkeiten der Umsetzung................................ I. „Herkömmliche“ Verfassungsänderung ................................................................ 388 1. Keine Realisierungschancen................................................................ 388 2. Ausnahme: Dominoeffekt ................................................................ 390 II. Möglichkeiten der Volksgesetzgebung in den Ländern ................................390 1. Verfassungsänderung durch Volksentscheid ................................................................ 390 a) Länder ohne Möglichkeit der Verfassungsänderung durch 390 das Volk ................................................................................................ b) Baden-Württemberg................................................................................................ 391 c) Bayern................................................................................................ 392 d) Brandenburg................................................................................................ 392 e) Bremen................................................................................................ 393 f) Hamburg ................................................................................................ 393 g) Mecklenburg-Vorpommern................................................................ 394 h) Niedersachsen ................................................................................................ 394 i) Rheinland-Pfalz................................................................................................ 395 j) Sachsen ................................................................................................ 395 k) Sachsen-Anhalt ................................................................................................ 395

32

Inhaltsverzeichnis 396 l) Schleswig-Holstein ................................................................................................ m) Thüringen................................................................................................ 396 n) Gegenständliche Reichweite der Regelungen ................................ 397 2. Parlamentarische Verfassungsänderung aufgrund Volksbegeh398 rens ................................................................................................................................ a) Selbsteintrittsrecht................................................................................................ 398 b) Die Vorwirkungen direktdemokratischer Entscheidungsmög399 lichkeiten................................................................................................ (1) Aktivierung der Politik ................................................................ 399 (2) Abwehrbestrebungen ................................................................399 (3) Voraussetzungen einer Sogwirkung................................................................ 400 (4) Verstärkung des Effekts bei beginnender Reaktion ................................ 400 (5) Beispiel: Kommunalverfassungsreform ................................ 401 (6) Länderübergreifende Wirkung................................................................ 401 III. Beurteilung der politischen Realisierbarkeit................................................................ 402 1. Volkswille zur Direktwahl der Ministerpräsidenten? ................................ 402 a) Umfragen zur Einstellung der Deutschen zu mehr Bürgerbe403 teiligung ................................................................................................ b) Umfragen zur Wirkung von mehr Bürgerbeteiligung................................ 403 c) Die Umfragen zur Direktwahl der Bürgermeister und Landräte ................................................................................................ 403 d) Umfragen zur Direktwahl des Ministerpräsidenten und zum 404 Präsidialsystem ................................................................................................ e) Prognose: hohe Zustimmung................................................................ 404 2. Vergleich der rechtlichen Voraussetzungen ................................................................ 405 3. Realisierungschancen nach Ländern................................................................ 406 a) Kritisch: Zweidrittelmehrheit................................................................ 406 b) Hauptproblem: Beteiligungsquorum ................................................................ 407 c) Ergebniskontrolle: Praxis der Volksgesetzgebung ................................ 409

410 § 14 Zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Ergebnisse ................................ I. Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie ................................410 II. Die demokratische Legitimation in den Bundesländern ................................ 412 III. Die Gewaltenteilung in den Bundesländern................................................................ 413 IV. Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl ................................ 417 V. Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates ................................ 419 VI. Die Beantwortung der Regierungssystemfrage für die Länder ................................ 421 VII. Zur Ausgestaltung des Regierungssystems................................................................ 422 VIII. Weitere Reformschritte................................................................................................ 423 IX. Zulässigkeit ................................................................................................ 424 X. Möglichkeiten der Umsetzung................................................................ 424

Inhaltsverzeichnis

33

Literaturverzeichnis................................................................................................

426

Sachwortverzeichnis................................................................................................

455

Abkürzungsverzeichnis a. A. Abs. Abschn. a. E. a. F. AfK AöR Art., Artt. Aufl. Az. BaWüVerf BayVerf BayVerfGH BayVGHE

BbgVerf BerlVerf BerlVerfGH Beschl. Bd. BGB BremVerf BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BWVBl. bzw. ca. ders. dies.

anderer Ansicht Absatz Abschnitt am Ende alte Fassung Archiv für Kommunalwissenschaften (Jahr, Seite) Archiv für öffentliches Recht (Band [Jahr], Seite) Artikel Auflage Aktenzeichen Verfassung des Landes Baden-Württemberg Verfassung des Freistaates Bayern Bayerischer Verfassungsgerichtshof Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, des Bayerischen Dienststrafhofs und des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte (Band Teil, Seite) Verfassung des Landes Brandenburg Verfassung von Berlin Berliner Verfassungsgerichtshof Beschluss Band Bürgerliches Gesetzbuch Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Band, Seite) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Band, Seite) Baden-Württembergisches Verwaltungsblatt – Landesbeilage der Zeitschrift Die Öffentliche Verwaltung (Jahr, Seite) beziehungsweise zirka derselbe dieselben

Abkürzungsverzeichnis Diss. DÖV DVBl. DVP Entsch. Erg.lfg. EuGRZ evtl. f., ff. FAZ Festschr. Fn. GG ggf. GVG HessStGH HessVerf h. M. HmbVerf Hrsg. i. E. i. e. S. i. S. v. i. V. m. i. w. S. JÖR JURA JuS JZ krit. LKV

m. Nachw. M-VVerf m. w. Nachw. NdsVerf NJW NRW NRWVerf NVwZ NWVBl.

35

Dissertation Die Öffentliche Verwaltung (Jahr, Seite) Deutsches Verwaltungsblatt (Jahr, Seite) Deutsche Verwaltungspraxis (Jahr, Seite) Entscheidung Ergänzungslieferung Europäische Grundrechte-Zeitschrift (Jahr, Seite) eventuell fortfolgend(e) Frankfurter Allgemeine Zeitung Festschrift. Fußnote Grundgesetz gegebenenfalls Gerichtsverfassungsgesetz Hessischer Staatsgerichtshof Verfassung des Landes Hessen herrschende Meinung Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg Herausgeber im Ergebnis im engeren Sinn im Sinne von in Verbindung mit im weiteren, weitesten Sinn Jahrbuch des Öffentlichen Rechts (Band [Jahr], Seite) Juristische Ausbildung (Jahr, Seite) Juristische Schulung (Jahr, Seite) Juristenzeitung (Jahr, Seite) kritisch Landes- und Kommunalverwaltung – Verwaltungsrechts-Zeitschrift für die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (Jahr, Seite) mit Nachweis(en) Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit weiteren Nachweisen Niedersächsische Verfassung Neue Juristische Wochenschrift (Jahr, Seite) Nordrhein-Westfalen Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Jahr, Seite) Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (Jahr, Seite)

36 o. ä. Red. red. Verantw. RhPfVerf Rn. RuP S. s. SaarlVerf SächsVerf SchlHVerf sog. StGH StGH Br SZ TAZ ThürVerf u. u. a. Urt. u. U. v. v. a. VBlBW VerfGH VerfLSA vgl. VVDStRL zahlr. z. B. ZBR ZG ZfP ZParl ZPol ZRP z. T.

Abkürzungsverzeichnis oder ähnliches Redaktion redaktionelle Verantwortung Verfassung für Rheinland-Pfalz Randnummer(n) Recht und Politik (Band [Jahr], Seite) Seite siehe Verfassung des Saarlandes Verfassung des Freistaates Sachsen Verfassung des Landes Schleswig-Holstein sogenannt Staatsgerichtshof Sammlung von Entscheidungen des Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen (Band, Seite) Süddeutsche Zeitung Die Tageszeitung Verfassung des Freistaats Thüringen und unter anderem Urteil unter Umständen vom vor allem Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg (Jahr, Seite) Verfassungsgerichtshof Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vergleiche Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (Band [Jahr], Seite) zahlreich(e) zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Gesetzgebung (Jahr, Seite) Zeitschrift für Politik (Jahrgang [Jahr], Seite) Zeitschrift für Parlamentsfragen ([Band] Jahr, Seite) Zeitschrift für Politikwissenschaft (Band [Jahr], Seite) Zeitschrift für Rechtspolitik (Jahr, Seite) zum Teil

§ 1 Einleitung Es wäre „sinnvoll, einmal zu prüfen, ob sich das parlamentarische System in den Ländern bewährt hat, zum anderen, ob unter den bestehenden ein zweckmäßigeres zu finden wäre, oder ob die eigene Phantasie in der Lage ist, ein völlig neues oder eine Kombination aus den bisherigen Systemen zu finden.“

I. Einführung in die Thematik Diese Feststellung traf Theodor Eschenburg im Jahre 1952 im Zusammenhang mit der Gründung des Südweststaates1. Sie ist heute aktueller denn je. Die sachliche Autonomie der deutschen Bundesländer hat in der Zeit seit den fünfziger Jahren aufgrund verschiedener Entwicklungen2 stetig abgenommen. An vorderer Stelle ist die zunehmende europäische Integration zu nennen, die immer wieder die Frage nach der Rolle der Bundesländer in einer sich zunehmend einem staatsähnlichen Gebilde annähernden Europäischen Union aufgeworfen hat. Schon das Auftreten dieser Frage kratzt an der Legitimität der Bundesländer und des deutschen Föderalismus, zeigt es doch, dass die Antwort keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Diese wie auch weitere Entwicklungen – etwa der Verlust von Gesetzgebungskompetenzen an den Bund und die verminderte eigenständige Wahrnehmung der verbliebenen Kompetenzen – haben gerade in jüngster Zeit die verfassungspolitische Diskussion über eine Föderalismusreform im Bund wieder neu entfacht3. Ungeachtet der wesentlich geringeren Wahrscheinlichkeit der praktischen Umsetzung einer Verfassungsreform auf Bundesebene4 als einer solchen in zumindest einem Teil der Bundesländer5 kann die Diskussion dabei jedenfalls nicht Halt machen. Gerade die aufgezeig-

___________ 1

Eschenburg, S. 59. Bryde, in: Festschr. Hessen, S. 433 ff., 434 ff., spricht vom Unitarisierungsdruck. 3 Vgl. die Vorschläge der CDU zur Grundgesetzänderung aus dem Jahr 2003, formuliert von Oschatz, Röttgen, de Maizière und Kirchhof; wiedergegeben etwa bei Müller, FAZ v. 16. September 2003, S. 10; näher dazu noch § 11 IV. 3. 4 Einer Abschaffung der Landesebene steht Art. 79 Abs. 3 GG entgegen, s. Lücke, in: Sachs, Art. 79 Rn. 26 m.w.Nachw. 5 So zu Recht Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 150. 2

38

§ 1 Einleitung

ten Entwicklungen, wenn auch nicht unbedingt alle6, wären nämlich ohne eine Mitwirkung der Bundesländer selbst nicht möglich gewesen. Im Bund steht ihnen mit dem Bundesrat ein Organ zur Durchsetzung ihrer Interessen zur Verfügung und für die weitreichende Selbstkoordination im Bereich der Verwaltung sowie die Abstimmung von Landesgesetzen besteht rechtlich kein Zwang. Wenn aber der Verlust von sachlicher Autonomie im Einvernehmen mit den Bundesländern erfolgte oder sogar durch diese selbst verursacht wurde, steht zu befürchten, dass eine Vermehrung der Landeskompetenzen durch eine Reform des Grundgesetzes auf halbem Wege stehen bliebe. Neue oder zurück gewonnene alte Kompetenzen bewirken nur dann einen Zuwachs an sachlicher Autonomie, wenn sie auch tatsächlich wahrgenommen werden. Das setzt ein echtes Interesse der Bundesländer an (nicht lediglich ein halbherziges Fordern von) Eigenständigkeit voraus und lenkt den Blick auf die Wahrer der Landesinteressen, die Landesorgane. Wie kann erreicht werden, dass diese sich künftig stärker auf das Wohl ihres Landes besinnen, für dessen Interessen eintreten und seine Kompetenzen verteidigen? Dem derzeit in allen Bundesländern verwirklichten parlamentarischen System steht als Gegenkonzept ein präsidiales System, ein solches mit einem direkt gewählten Ministerpräsidenten, gegenüber7, von welchem sich seine Befürworter eben dies versprechen. Man ist angelangt bei der zitierten Feststellung Eschenburgs8 und dem Hauptanliegen dieser Abhandlung: der Beantwortung der Frage nach dem in heutiger Zeit für die deutschen Bundesländer am Besten geeigneten Regierungssystem.

II. Erste Bestandsaufnahme Die erste wissenschaftliche Veröffentlichung, in welcher die Frage nach dem geeigneteren Regierungssystem in den Bundesländern thematisiert wird, ist das Werk „Verfassung und Verwaltungsaufbau des Südweststaates“ von Theodor Eschenburg aus dem Jahre 1952. Wie der Titel vermuten lässt, befasst sich Eschenburg darin – neben vielem anderen – mit dem Regierungssystem vor allem im Hinblick auf die bevorstehende Neugründung des Südweststaates9. Eine Reihe seiner Thesen sind jedoch nicht bundeslandspezifisch und haben die Basis für die aktuelle Diskussion gelegt. Vor allem anderen bemerkenswert an Eschenburgs Untersuchung ist, dass er zu dem Schluss gelangt, der Parlamenta___________ 6 Etwa die bundesfreundliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu Art. 72 Abs. 2 GG a. F., näher dazu § 7 IV. 3. b) (2). 7 Zwischenzeitlich wurden auch verschiedene andere Modelle diskutiert und verworfen, wie etwa eine Übernahme des Schweizer Bundesratssystems oder der kommunalen Magistratsverfassung, vgl. Siegloch, in: Steffani/Thaysen, Parlamente, S. 365 ff., 377 ff. 8 Eschenburg, S. 59. 9 Eschenburg, S. 59 ff.

II. Erste Bestandsaufnahme

39

rismus sei für die Bundesländer ungeeignet, und eine Direktwahl des Regierungschefs vorschlägt. Hier taucht der jetzt diskutierte Vorschlag in der Literatur erstmals auf. Bemerkenswert ist dies vor allem, weil sich Eschenburg damit vom „Mainstream“ der Verfassungsjuristen der fünfziger Jahre absetzte10. In den sechziger und siebziger Jahren übte sich Hennis mit Kritik am Länderparlamentarismus11. Die Vorschläge von Eschenburg und Hennis wurden 1993 von Hans Herbert von Arnim in seinem Werk „Staat ohne Diener“ aufgegriffen und für die Gegenwart untersucht. Von Arnim erstreckt die Untersuchung von vornherein auf alle Bundesländer und versucht nachzuweisen, wie mit der Direktwahl auch viele aktuelle Probleme gelöst werden können. Neben der politikwissenschaftlichen Frage, ob die Direktwahl sinnvoll ist, geht von Arnim erstmals auch auf die konkreten Möglichkeiten der Umsetzung einer Reform des Regierungssystems in den Ländern ein12. Indem zunächst er und daraufhin die Frankfurter Intervention13 sich den Vorschlag der Direktwahl zu Eigen gemacht haben, hat von Arnim letztlich die neuerliche Diskussion angestoßen. Zur wissenschaftlichen Kontroverse wurde der Vorschlag von Arnims vor allem durch den Aufsatz von Hans H. Klein „Direktwahl der Ministerpräsidenten“ in der Festschrift für Martin Kriele14. Klein hinterfragt sämtliche für die Reform angeführten Begründungen sehr kritisch und zeigt auf, welche Punkte seines Erachtens zusätzlich noch bedacht werden müssen15. Nach seinem Selbstverständnis möchte er aber noch keinen Schlussstrich unter die Diskussion ziehen. Zwar überwiegt bei ihm am Ende Skepsis, doch hält er den Vorschlag für interessant und beschränkt sich deshalb auf das Fazit, dass er noch nicht zu Ende gedacht sei16. Einen Teil seiner auf dem 3. Speyerer Demokratieforum zur Reform der Landesverfassungen angestellten Überlegungen hat auch der jetzige Verfassungsrichter Brun-Otto Bryde der Direktwahl der Ministerpräsidenten gewidmet17. Bryde befasst sich darin mit der Direktwahl weniger unter dem Gesichtspunkt der Stärkung der Demokratie durch ein zusätzliches unmittelbares Ent-

___________ 10

Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 60. Hennis, ZParl 1971, 289 f.; Hennis, in: ders., S. 105 ff., 115 ff. 12 von Arnim, Staat ohne Diener, S. 331 f. 13 Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff. 14 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff. 15 Dazu eingehend § 3 VII. 16 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 586. 17 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 153 ff. 11

40

§ 1 Einleitung

scheidungselement, als vielmehr in ihrer Bedeutung für das Verhältnis von Aufgaben- und Organisationsstruktur der Länder18. In einem Hartmut Maurer gewidmeten Aufsatz über die Reform des deutschen Bundesstaates aus verfassungsrechtlicher Sicht hat sich Albert Janssen mit der Direktwahl der Ministerpräsidenten befasst19. Er untersucht die Direktwahl vor allem vor dem Hintergrund einer Stärkung der Länderautonomie und damit im Hinblick auf das höhere Ziel der Wiederherstellung der aus seiner Sicht abhanden gekommenen Legitimität des Bundesstaates an sich. Auch führt er mit seiner Untersuchung der Auswirkungen der Direktwahl auf die Kontrolle der Bundesregierung durch den Bundesrat in Angelegenheiten der Europäischen Union einen neuen bedeutsamen Aspekt von möglicherweise sogar rechtlicher Tragweite in die Diskussion ein. Der vorerst jüngste Beitrag zur Diskussion stammt von Hartmut Maurer20, der sich im Ergebnis für den Versuch einer Einführung der Direktwahl in einem Bundesland ausspricht21. An einer monografischen Abhandlung der Thematik unter Berücksichtigung sämtlicher Einzeluntersuchungen fehlt es bislang. Diese Lücke will die vorliegende Arbeit schließen.

III. Ziele der Untersuchung Problematisch bei der Diskussion um die Reform der Landesverfassungen ist ihre Vielschichtigkeit. Sie erstreckt sich über verschiedene Bereiche und Ebenen.

1. Systematisierung der Streitpunkte und Argumente Aufgeworfen sind zunächst einmal Fragen der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit, der verfassungspolitischen Zweckmäßigkeit und der verfassungssystematischen Stimmigkeit22. Die Fragen der verfassungspolitischen Zweckmäßigkeit sind ihrerseits äußerst vielschichtig und überlagern sich teilweise. Ein wesentliches Ziel der Arbeit liegt deshalb in einer Systematisierung der Streitpunkte und der zugehörigen Argumente. ___________ 18

Vgl. Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 153. Janssen, in: Henneke, S. 59 ff. 20 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff. 21 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 158. 22 Vgl. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 145. 19

III. Ziele der Untersuchung

41

2. Klärung der Methodik Ein weiteres Ziel besteht in der Klärung der anzuwendenden Methodik. Gerade jener Rahmen den man mit Maurer als verfassungspolitische Zweckmäßigkeit umreißen kann23, birgt im weiteren Sinne politikwissenschaftliche Argumentation und politische Überzeugung. Dies zwingt zu einer Auseinandersetzung mit der Frage, wie gewährleistet werden kann, dass durch die Untersuchung wissenschaftlich fundierte Ergebnisse erzielt und nicht lediglich politische Überzeugungen begründet werden.

3. Versuch einer Beantwortung der „Regierungssystemfrage“ Das Hauptziel ist sodann die Klärung der Kernfrage mit Hilfe dieser Methodik. Hier steht in der Tat das traditionelle parlamentarische Regierungssystem im Landesbereich insgesamt auf dem Prüfstand24. Nach Möglichkeit soll eine Antwort auf die Frage nach dem für die Bundesländer am Besten geeigneten Regierungssystem gegeben werden. Viel wichtiger dabei ist jedoch das methodische Nachzeichnen der bereits vorgebrachten und möglichst weiterer Argumente, um Wissenschaftlern und politischen Verantwortungsträgern eine hinreichend fundierte Grundlage für ihre Entscheidung zu liefern.

4. Verfassungsrechtliche und Folgefragen Ziel der Arbeit ist dann selbstverständlich auch die Untersuchung der beiden übrigen Bereiche, nämlich der Einbettung in das weitere System der Landesverfassungen und der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit. Im Rahmen ersterer ist zu klären, wie die Volkswahl ggf. konkret auszugestalten ist, welche weiteren Veränderungen und begleitenden Reformschritte die Einführung einer Direktwahl nach sich ziehen würde und welche weiteren Reformschritte auf Basis einer Direktwahl möglich und sinnvoll wären, mit dieser aber nicht in zwingendem Zusammenhang stehen. Es gilt, das gesamte Regierungssystem auf Basis einer Direktwahl des Ministerpräsidenten neu auszutarieren25.

___________ 23

Vgl. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 145. Das betont zu Recht Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 145. 25 Vgl. Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 57. 24

§ 1 Einleitung

42

5. Praktische Umsetzung Schließlich ist zu untersuchen, wie eine Direktwahl in den Bundesländern praktisch eingeführt werden könnte. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die zahlreichen Unterschiede bei der Zulässigkeit von Verfassungsänderungen durch Volksentscheid in den Bundesländern zu legen sein.

6. Gang der Untersuchung Sinnvoll erscheint eine Durchführung der Untersuchung in der Reihenfolge der aufgezeigten Einzelziele. Vor allem bietet es sich an, die ganz überwiegend bejahte Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit erst im Anschluss an eine Klärung der Konsequenzen der Direktwahl zu thematisieren, da die Auswirkungen für die rechtliche Beurteilung durchaus von Bedeutung sein können. Der Systematisierung voranzustellen sind eine Beleuchtung des Kontextes des Reformvorschlages (gegenwärtige Systeme, historische Entwicklung, vergleichbare Systeme in ausländischen Staaten und auf anderen staatlichen Ebenen) und eine eingehende Bestandsaufnahme.

7. Beschränkung auf die deutschen Bundesländer Die Untersuchung beschränkt sich auf die deutschen Bundesländer. Eine vergleichbare Ausgangslage findet sich in Österreich. Hier hat sich Fried Esterbauer um die Frage der Einführung einer Direktwahl in Bund und Ländern verdient gemacht26. Soweit seine Überlegungen nicht auf spezifisch österreichischen Aspekten beruhen, können sie auch für die vorliegende Untersuchung fruchtbar gemacht werden, wie umgekehrt die Hoffnung besteht, dass sich einige der im Folgenden zu gewinnenden Erkenntnisse auch auf andere Demokratien übertragen lassen.

IV. Zur Terminologie Vorab seien noch einige für Missverständnisse anfällige27 Begrifflichkeiten geklärt: ___________ 26

Insbesondere Esterbauer, Demokratiereform, S. 5 ff.; ders., in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 161 ff.; ders., in: Böttcher, S. 13 ff. 27 Vgl. auch Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 51.

IV. Zur Terminologie

43

1. Ministerpräsident, Regierungschef In begrifflicher Sicht sei zunächst angemerkt, dass der Titel der Arbeit zugunsten besserer Greifbarkeit eine Ungenauigkeit enthält. Nicht in allen Bundesländern lautet die Bezeichnung für den Regierungschef „Ministerpräsident“. In Berlin lautet sie „Regierender Bürgermeister“28. In Bremen ist Regierungschef der „Präsident des Senates“, der zugleich Bürgermeister ist29. In Hamburg steht der „Erste Bürgermeister“ (Präsident des Senats) an der Spitze der Regierung30. Diese terminologischen Abweichungen beruhen auf der besonderen Eigenschaft der genannten Länder als Stadtstaaten. Das Regierungssystem als solches unterscheidet sich bei ihnen nicht von jenem der Flächenstaaten. Sämtliche Ausführungen zum Ministerpräsidenten beziehen sich deshalb auch ohne besondere Erwähnung unterschiedslos auf die Regierungschefs der Stadtstaaten.

2. Landtag, Landesparlament Gleiches gilt für die Bezeichnung der Landesparlamente. In sämtlichen Flächenstaaten lautet die Bezeichnung für das Landesparlament „Landtag“, weshalb diese Begriffe in der vorliegenden Abhandlung synonym verwendet werden. Davon umfasst sind auch das Berliner „Abgeordnetenhaus“31 und die „Bürgerschaft“ in Bremen32 und Hamburg33.

3. Parlamentarisches und Präsidialsystem Wesentlich bedeutsamer ist, was unter den Begriffen des parlamentarischen und des präsidentiellen Regierungssystemtypus zu verstehen ist, deren Unterscheidung das Verhältnis der beiden Kerngewalten des politischen Systems, nämlich Exekutive und Legislative, kennzeichnet34. Nach vor allem unter deutschen Politikwissenschaftlern herrschender Meinung35 liegt das entscheidende ___________ 28

Art. 55 Abs. 2 BerlVerf. Artt. 114 f. BremVerf. 30 Art. 33 Abs. 1 HmbVerf. 31 Art. 38 Abs. 1 BerlVerf. 32 Artt. 75 ff. BremVerf. 33 Art. 6 Abs. 1 HmbVerf. 34 Vgl. Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 51. 35 Von Beyme, S. 38 ff.; Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 52 f.; Kaltefleiter, S. 26 ff.; Steffani, S. 1 ff.; für eine Definition von den charakteristischen Folgen her (Gegeneinan29

44

§ 1 Einleitung

Kriterium für die Unterscheidung zwischen beiden Grundtypen von Regierungssystemen in der Abberufbarkeit oder Nicht-Abberufbarkeit der Regierung. Typisch für das parlamentarische Regierungssystem ist, dass die Regierung in ihrem Bestand vom Vertrauen des Parlaments abhängig ist, also zurücktreten muss, wenn ihr das Parlament das Vertrauen entzieht36. Häufig – so in Deutschland in Bund und Ländern – wird die Regierung bzw. der Regierungschef vom Parlament auch bestellt. Sofern das selbständige Amt eines – monarchischen oder republikanischen – Staatsoberhauptes existiert (in Gliedstaaten häufig nicht), kann die Bestellung aber auch durch dieses erfolgen. Für die vorliegende Untersuchung hat dieser Fall keine Relevanz, so dass die umstrittene Frage, ob ein weiteres, die Bestellung der Regierung betreffendes Unterscheidungsmerkmal erforderlich ist37, offen bleiben kann. Das derzeit in den deutschen Bundesländern bestehende Regierungssystem ist unzweifelhaft als Parlamentarismus zu qualifizieren. Dem parlamentarischen System steht das Präsidialsystem gegenüber, bei welchem der Präsident als Regierungschef wie das Parlament unmittelbar vom Volk gewählt wird38 und vom Parlament grundsätzlich nicht abgewählt werden kann. Klassisches Beispiel für das Präsidialsystem sind die USA. Danach, ob nur der Regierungschef oder die ganze Regierung vom Volk gewählt wird, kann man monokratischen und kollegialen Präsidentialismus unterscheiden39. Jedenfalls in seiner „Reinform“ – also ohne Möglichkeit der Landtage zur Abwahl des direkt gewählten Ministerpräsidenten – handelt es sich bei dem hier diskutierten Reformvorschlag um ein (monokratisches) Präsidialsystem. In diesem Sinne werden die Systembegriffe unter Zurückstellung anderer Auffassungen40 vorliegend verwendet. Davon werden kombinierte Systeme unterschieden, bei denen die Regierung sowohl vom Vertrauen des Parlaments als auch vom Vertrauen des Staatspräsidenten abhängig ist, wie etwa in Frankreich, Polen und nach der Weimarer Reichsverfassung41. Eine solche Kombination kommt im vorliegenden Themenbereich schon deswegen nicht in Betracht, weil in den deutschen Bundesländern das selbständige Amt eines Staatspräsi___________ der von Regierungsparteien und Opposition im Parlamentarismus, von Regierung und Parlament im Präsidentialismus) Kleinsteuber, S. 89 ff. 36 Herzog, Staatslehre, S. 264 ff.; Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 145; Stern, Staatsrecht I, § 22 II 3 (S. 956). 37 Vgl. Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 52 f., m.w.Nachw. 38 Statt vieler Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 53; Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 146. 39 Esterbauer, Demokratiereform, S. 15. 40 Vgl. Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 51 f. 41 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 146.

IV. Zur Terminologie

45

denten nicht existiert, vielmehr der Ministerpräsident die Aufgaben eines Staatsoberhauptes mit ausübt. Ein echtes Mischsystem zwischen beiden Regierungstypen gibt es nach dieser Terminologie nur insofern, als ein vom Volk gewählter Regierungschef trotzdem vom Vertrauen des Parlaments abhängig bliebe42. Hier wäre der abgewandelte Reformvorschlag – konstruktives Misstrauensvotum durch das Parlament mit Zweidrittelmehrheit – einzuordnen43.

4. Exekutive und Legislative Die Begriffe Exekutive und Legislative werden trotz zunehmender Schwierigkeit einer strikten Trennung44 im Sinne klassischer Gewaltenteilung verwendet, so dass im vorliegenden Kontext Legislative mit dem Landtag und Exekutive mit der Landesregierung gleichbedeutend ist.

5. Unmittelbare Demokratie Für die Direktwahl des Ministerpräsidenten wird von den Reformbefürwortern unter anderem angeführt, als Element unmittelbarer Demokratie belebe sie die Demokratie und wirke so zunehmender Politikverdrossenheit entgegen. Herkömmlich bezieht sich der Terminus „unmittelbare Demokratie“ indessen regelmäßig auf Sachentscheidungen, so dass unmittelbar demokratisch solche Sachentscheidungen sind, die vom Volk selbst getroffen werden, mittelbar solche, die von Repräsentanten des Volkes getroffen werden. Ob zwischen Volk und Entscheidung ein Repräsentationsorgan geschaltet ist, hat aber mit dem Gegenstand der Entscheidung nichts zu tun. Es ist deshalb kein Grund ersichtlich, weshalb nicht auch eine vom Volk selbst getroffene Personalentscheidung als unmittelbar demokratisch angesehen werden sollte, weshalb also im Hinblick auf die Nähe zum Volk als Träger aller Staatsgewalt zwischen Sach- und Personalentscheidungen differenziert werden solle. Mit von Arnim45 werden deshalb Direktwahlen in der vorliegenden Abhandlung ebenso als Elemente unmittelbarer Demokratie angesehen wie Volksentscheide in Sachfragen.

___________ 42

Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 53; siehe zum Sonderfall Schweiz § 2 IV. 5. Er stammt von Janssen. Siehe dazu § 3 III. 5. d). 44 Von Beyme, S. 46. 45 Von Arnim, DÖV 1990, 85 ff., 85 f., m.w.Nachw. 43

§ 2 Die Reform der Landesverfassungen im Kontext Zur späteren Bezugnahme und zum besseren Verständnis des gegenwärtigen Länderparlamentarismus sei dieser mitsamt seiner geschichtlichen Entwicklung kurz dargestellt und den Regierungssystemen in ausgewählten ausländischen Staaten und der „Verfassung“ der Hoheitsgewalt auf den anderen staatlichen Ebenen gegenübergestellt.

I. Die historische Entwicklung des Länderparlamentarismus Entwickelt hat sich das parlamentarische Regierungssystem in England als Ergebnis eines langwierigen Prozesses der Demokratisierung der Regierung und des Machtkampfes zwischen Parlament und dem Monarchen1. In Deutschland wurde es nach dem Zusammenbruch der Monarchie im Jahre 1918 eingeführt.

1. Die Länder zur Zeit der Weimarer Republik Die Einführung des parlamentarischen Regierungssystems erfolgte sowohl im Reich als auch in allen Ländern2. Fraglich ist, ob nach der Weimarer Reichsverfassung stattdessen in den Ländern auch die Einführung einer Volkswahl des Ministerpräsidenten oder der Regierung zulässig gewesen wäre3. Die dem heutigen Art. 28 Abs. 1 GG4 entsprechende Regelung des Art. 17 Abs. 1 WRV bestimmte: „Die Landesregierung bedarf des Vertrauens der Volksvertretung.“ Zwar verbietet das keine Direktwahl der Exekutive5, führt dann aber ___________ 1 Eingehend dazu Kluxen, S. 15 ff.; zur Entwicklung der parlamentarischen Regierungssysteme in Europa s. Beyme, Regierungssysteme, S. 27 ff. So alt wie der Parlamentarismus ist auch die Kritik daran, vgl. die Übersicht über die Entwicklung bei Schmitt, Parlamentarismus, S. 27 ff. 2 Vgl. Koellreutter, in: Anschütz/Thoma, S. 138 ff., 144 f., 667 ff.; Meißner, S. 97 ff. 3 Vgl. dazu Anschütz, Art. 17 Anm. 5 (S. 135 ff., 136); Wenzel, in: Anschütz/Thoma, S. 604 ff., 615 ff. 4 Siehe dazu § 12 II. 5 So auch Anschütz, Art. 17 Anm. 5 (S. 135 ff., 136); Wenzel, in: Anschütz/Thoma, S. 604 ff., 616.

I. Die historische Entwicklung des Länderparlamentarismus

47

nach der hier verwendeten Terminologie6 zu einem Mischsystem. Die Vorschrift gebietet nämlich zumindest, dass der Ministerpräsident zusätzlich der Zustimmung des Parlaments bedarf und gegen dessen Willen nicht im Amt verbleibt7. In der Praxis gab es keine entsprechenden Bemühungen, so dass während der gesamten Dauer der Weimarer Republik in allen Ländern der Ministerpräsident oder die Regierung vom Landtag gewählt wurde und auch wieder abberufen werden konnte.

2. Die Entwicklung der heutigen Landesverfassungen Nach der Zeit des nationalsozialistischen Zentralismus begannen die Militärregierungen von 1945 an in ihrer jeweiligen Besatzungszone mit der Dezentralisierung durch die Bildung von Bundesländern, wobei sie sich nur teilweise an historisch gewachsenen Zusammenhängen orientierten und mit der insofern wohl bedeutendsten Änderung gegenüber dem Vorkriegszustand, dass Preußen aufgelöst blieb8. Die Verfassungen der Länder in der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszone9 knüpften an die Vorkriegsverfassungen an und übernahmen das parlamentarische Regierungssystem mehr oder weniger unreflektiert10. Z.T. wurde sogar fälschlich11 davon ausgegangen, das Grundgesetz verpflichte die Länder zum parlamentarischen Regierungssystem12. Die Länder in der sowjetischen Besatzungszone erhielten zunächst kommunistisch geprägte Verfassungen13, wurden nach der Gründung der DDR ___________ 6

Vgl. § 1 IV. 3. Wie hier von Arnim, Staat ohne Diener, S. 323. 8 Menger, Rn. 403 ff. 9 Siehe zum historischen Ablauf Frotscher/Pieroth, Rn. 691 ff. 10 Vgl. für Bayern Schmidt, Staatsgründung Bd. 1, S. 205 ff., 222 ff. (Diskussion über – vom Landtag gewählten – Staatspräsidenten), für Bremen Kringe, S. 136 ff. (zur Diskussion, ob Senat aus der Mitte der Bürgerschaft gewählt werden sollte), für Niedersachsen Dauster, S. 9 (dort Fn. 34), für Schleswig-Holstein Dauster, S. 9 f. (dort Fn. 34, 37); für Nordrhein-Westfalen Dauster, S. 10 f. (dort Fn. 37, 39). Auch bei späteren Verfassungsänderungen versuchte man stets auf Basis des parlamentarischen Regierungssystems auf Probleme zu reagieren. Etwa wurde bei der Schaffung der neuen niedersächsischen Verfassung auf den Bedeutungsverlust der Landesparlamente als Gesetzgeber und die „notwendige Zusammenarbeit zwischen Regierung und den sie tragenden Fraktionen“ dadurch reagiert, dass man die Kontrollbefugnisse gegenüber der Regierung auf einzelne Abgeordnete und Minderheiten verlagerte, s. Berlit, NVwZ 1994, 11 ff., 15 f. Ähnliches gilt für Schleswig-Holstein, vgl. Fn. 16. 11 Siehe § 10 II. 12 Dauster, S. 10 (dort Fn. 37). 13 Siehe dazu Frotscher/Pieroth, Rn. 694, 700 f.; Willoweit, S. 377 f.; eingehend auch Braas, S. 5 ff. 7

§ 2 Die Reform der Landesverfassungen im Kontext

48

abgeschafft14 und übernahmen nach der Wiedervereinigung Deutschlands – wie auch Berlin15 – ebenfalls das parlamentarische Regierungssystem16.

a) Diskussion eines direkt gewählten Staatspräsidenten bei den frühen Verfassungen Allerdings diskutierte man in der Anfangszeit des Verfassungsgebungsprozesses nach dem Ende des 2. Weltkrieges Alternativen, die im Sinne der hier verwendeten Terminologie auch Mischsysteme17 aus Parlamentarismus und Präsidentialismus beinhalteten. Im Gegensatz zu der sich später bei der Fassung des Grundgesetzes durchsetzenden und auch heute noch immer wieder bei dessen Auslegung bemühten Auffassung18, für das Scheitern der Weimarer Verfassung seien deren Regelungen über den Reichspräsidenten verantwortlich gewesen, machten eine Reihe von Politikern dafür in erster Linie die Parteien und Parlamente verantwortlich19. Um deren Macht einzugrenzen, wurde eine zweite Kammer und – vor allem hierin werden die Unterschiede bei der Bewertung der Weimarer Zeit deutlich – das selbständige Amt eines Staatspräsidenten vorgeschlagen20. Für diesen Staatspräsidenten wurde neben einer Wahl durch beide Kammern oder mit qualifizierter Mehrheit durch das Parlament auch eine

___________ 14

Etwa Kimnich, S. 628. Zur Entwicklung in Berlin Breunig, S. 30 ff.; Dauster, S. 11 (dort Fn. 39); auch Haus, RuP 30 (1994), 10 ff. 16 Von Mangoldt, S. 73 ff.; Rux, ZParl 192, 291 ff., 305 f. Allerdings reflektieren die Verfassungen der neuen Bundesländer in Anlehnung an die 1990 als Folge der Barschel-Affäre novellierte Verfassung Schleswig-Holsteins die Probleme des parlamentarischen Regierungssystems zumindest insofern, als sie deutlich gestärkte Oppositionsund Minderheitenrechte vorsehen. Entsprechende Bestrebungen gibt es auch in den alten Bundesländern (für Rheinland-Pfalz Meier, RuP 31 (1995), 218 ff., 225). Sie sind geprägt von dem Bemühen, eine effektive Kontrolle der Regierung zu schaffen und wollen damit der Erkenntnis Rechnung tragen, dass die Konfliktlinien im parlamentarischen Regierungssystem häufig nicht zwischen Parlament und Regierung, sondern zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit einerseits und Opposition andererseits verlaufen, Sacksofsky, NVwZ 1993, 235 ff., 236, m. w. Nachw. Gerade auf diesen Umstand wird es auch im Folgenden noch ankommen, siehe vor allem § 8 V.-VII. 17 Vgl. § 1 IV. 3. 18 Siehe § 10 IV. 2. e) m.Nachw. 19 Eingehend Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 148, m.w.Nachw. 20 Feuchte, Verfassungsgeschichte, S. 90 f.; Hoegner, S. 248 ff., 252 ff.; Klaas, S. 68 f.; Koellreutter, in: Anschütz/Thoma, S. 138 ff., 145; Nawiasky/Leusser, S. 35 f., 39 f.; Pfetsch, Ursprünge, S. 313 ff.; Sauer, Quellen Bd. 1, S. 10, 26 ff., 376 f.; Schmidt, Staatsgründung Bd. 1, S. 205 ff.; Süsterhenn/Schäfer, S. 313; Weber, S. 276. 15

I. Die historische Entwicklung des Länderparlamentarismus

49

Direktwahl durch das Volk diskutiert21. Die von ihm eingesetzte Regierung sollte allerdings zusätzlich vom Vertrauen des Parlaments abhängig sein.

b) Der Verfassungsentwurf der CDU für Württemberg-Hohenzollern Eine weitere Ausnahme von der unreflektierten Übernahme der Vorkriegssysteme und zugleich der erste und bislang am weitesten gediehene Versuch der Einführung einer Direktwahl des Regierungschefs in einem Bundesland findet sich in der Geschichte Baden-Württembergs, nämlich vor der Vereinigung der drei südwestdeutschen Länder bei der Verfassungsgebung in Württemberg-Hohenzollern. Dort lehnte die alleine über die notwendige Mehrheit verfügende CDU zunächst eine Übernahme der Verfassung von WürttembergBaden ab und beschloss einen Entwurf der Abgeordneten Lorenz Bock und Emil Niethammer22. Dieser Entwurf sah eine Volkswahl des Regierungschefs und erhebliche Rechte des direkt gewählten Regierungschefs gegenüber dem Parlament vor. Der u.a. wegen dieser starken Stellung des Ministerpräsidenten von den übrigen Parteien abgelehnte Entwurf scheiterte schließlich an der von der französischen Militärregierung – auch wegen der Direktwahl – verweigerten Zustimmung, möglicherweise auf Betreiben des damaligen Regierungschefs Carlo Schmid (SPD)23.

c) Der Verfassungsentwurf der CDU für Baden-Württemberg Die Idee wurde von der baden-württembergischen CDU nach dem Zusammenschluss der Länder Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden weiterverfolgt. Die CDU legte der „Verfassunggebenden Landesversammlung“ einen Entwurf vor, der die Direktwahl des Ministerpräsidenten durch das Volk vorsah24 und sich dabei auf die mittlerweile veröffentlichten Thesen Theodor Eschenburgs25 stützte. Besonderheiten dieses Entwurfs waren die notwendige Zustimmung des Landtages für die Ernennung der Minister und die Verpflichtung des Ministerpräsidenten zur Entlassung eines Ministers bei

___________ 21 Vgl. Brüneck, JÖR Bd. 3 (1954), 213 ff., 221; Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 245; Feuchte, Verfassungsgeschichte, S. 91. 22 Siehe Scheyhing, BWVBl. 1959, 65 ff.; Pfetsch, Verfassungsreden, S. 449 ff. 23 Vgl. Weber, Carlo Schmid, S. 280 f. 24 Art. 68 des Entwurfs, Verfassunggebende Landesversammlung, Beilage 118, abgedruckt bei Feuchte, Quellen II, S. 52 ff. 25 Näher dazu § 3 II.

§ 2 Die Reform der Landesverfassungen im Kontext

50

einem entsprechenden Verlangen des Landtages mit Zweidrittelmehrheit26. Der Ministerpräsident selbst konnte nach dem Entwurf vom Landtag nicht gestürzt werden, so dass an rein staatstheoretischen Kriterien27 gemessen der Entwurf ein präsidentiales Regierungssystem beinhaltete. Wegen der notwendigen Mitwirkung des Landtages bei der Regierungsbildung wäre ein solches System in seinen praktischen Auswirkungen aber doch eher einem Mischsystem gleichgekommen28. Der Entwurf sah weiter vor, dass der Landtag mit Zweidrittelmehrheit einen Volksentscheid über die Abwahl herbeiführen konnte – mit dem Risiko, dass bei einem Scheitern der Landtag als aufgelöst gelten sollte29. Auf den Entwurf wird noch zurückzukommen sein30. Durchsetzen konnte er sich damals nicht.

II. Die gegenwärtigen Regierungssysteme in den Bundesländern Diese Entwicklung führte zum heutigen Status quo: In allen Bundesländern ist der Ministerpräsident heute zugleich Staatsoberhaupt31 und Regierungschef32 und wird vom Landtag gewählt. Die Aufgabenverteilung zwischen Exekutive und Legislative ist weitgehend gleich ausgestaltet und auch die Kontrollinstrumente des Landtages gegenüber der Regierung entsprechen sich weitgehend. Die gegenwärtigen Systeme in den Bundesländern seien deshalb nur mitsamt den schärfsten Kontrollinstrumenten in Form einer Übersicht dargestellt33:

___________ 26 Vgl. Art. 70 des Entwurfs, Verfassunggebende Landesversammlung, Beilage 118, abgedruckt bei Feuchte, Quellen II, S. 52 ff. 27 Vgl. § 1 IV. 3. 28 Näher dazu noch § 8 IV. 29 Art. 71 des Entwurfs, Verfassunggebende Landesversammlung, Beilage 118, abgedruckt bei Feuchte, Quellen II, S. 52 ff. 30 Siehe § 11 I. 31 Nur nach Art. 57 NRWVerf vertritt originär die Landesregierung das Land nach außen, kann die Vertretung aber auf den Ministerpräsidenten übertragen. 32 Die typische Formulierung lautet: „Der Ministerpräsident bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung gegenüber dem Landtag.“, vgl. etwa Art. 47 Abs. 2 BayVerf. 33 Siehe auch die Darstellungen bei Friedrich, JÖR 24 (1975), 61 ff., 63 ff.; ders., JÖR 30 (1981), 197 ff.; Menzel, DÖV 1969, 765 ff., 768 f.; Schneider, in: Benda/Maihofer/Vogel, S. 537 ff., 558 f.

II. Die gegenwärtigen Regierungssysteme in den Bundesländern

51

1. Baden-Württemberg Regierung34: Zusammensetzung:

Regierungsbildung:

Misstrauensvotum:

Ministeranklage: Amtszeit36:

Landesregierung Ministerpräsident und Minister, fakultativ Staatssekretäre und ehrenamtliche Staatsräte (Art. 45 Abs. 2 BaWüVerf) Ministerpräsident beruft und entlässt Minister, Staatssekretäre und Staatsräte; Regierung bedarf zur Amtsübernahme der Bestätigung durch den Landtag; nachträgliche Berufung von Regierungsmitgliedern bedarf der Zustimmung des Landtags (Art. 46 BaWüVerf) Wahl eines neuen Ministerpräsidenten mit der Mehrheit der Mitglieder und Bestätigung der von diesem gebildeten Regierung (Art. 54 BaWüVerf)35 gegen Mitglieder der Regierung wegen vorsätzlicher oder grobfahrlässiger Verletzung der Verfassung oder eines anderen Gesetzes (Art. 57 BaWüVerf) 5 Jahre (Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BaWüVerf)

2. Bayern Regierung: Zusammensetzung: Regierungsbildung:

Misstrauensvotum:

Staatsregierung Ministerpräsident und bis zu 17 Staatsminister und Staatssekretäre (Art. 43 Abs. 2 BayVerf) Ministerpräsident beruft und entlässt mit Zustimmung des Landtages die Staatsminister und Staatssekretäre (Art. 45 BayVerf) Ministerpräsident muss zurücktreten, wenn die politischen Verhältnisse ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten zwischen ihm und dem Landtag unmöglich machen (Art. 44 Abs. 3 Satz 2 BayVerf)37

___________ 34

Aufgeführt ist jeweils die offizielle Bezeichnung nach der Verfassung. Es handelt sich dabei also um ein konstruktives Misstrauensvotum. Dem steht das einfache Misstrauensvotum in Ländern wie Berlin gegenüber. Bayern geht beim Misstrauensvotum einen Sonderweg. 36 In allen Bundesländern entspricht die Amtszeit des Ministerpräsidenten der Wahl/Legislaturperiode des Landtags. Angegeben ist jeweils die Regelung der Legislaturperiode. 37 Damit geht Bayern einen Sonderweg, siehe Schneider, in: Benda/Maihofer/Vogel, S. 537 ff., 559; siehe zur historischen Entwicklung dieser Konstruktion Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 147 (dort v.a. Fn. 19). 35

52

§ 2 Die Reform der Landesverfassungen im Kontext

Ministeranklage:

Amtszeit: Besonderheit:

gegen Ministerpräsidenten, Staatsminister und Staatssekretär wegen vorsätzlicher Verletzung der Verfassung oder eines Gesetzes (Art. 61 BayVerf) 5 Jahre (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 BayVerf) bis 1999 als zusätzliches Landesorgan der Senat als Vertretung der sozialen, wirtschaftlichen und gemeindlichen Körperschaften des Landes mit im Wesentlichen Initiativ- und Stellungnahme-, nicht aber echten Entscheidungsbefugnissen (Artt. 34 ff. BayVerf a.F.)

3. Berlin Regierung: Zusammensetzung: Regierungsbildung:

Misstrauensvotum:

Ministeranklage: Amtszeit:

Senat Regierender Bürgermeister und bis zu acht Senatoren, davon zwei Bürgermeister (Art. 55 Abs. 2 BerlVerf) Wahl der Senatoren und Bürgermeister auf Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters durch das Abgeordnetenhaus (Art. 56 Abs. 2 BerlVerf) Abgeordnetenhaus kann Senat und einzelnen Mitgliedern mit Mehrheit der gewählten Mitglieder das Ver trauen entziehen; Betroffener muss sofort zurücktreten (Art. 57 BerlVerf) nicht vorgesehen 4 Jahre (Art. 54 Abs. 1 Satz 1 BerlVerf)

4. Brandenburg Regierung: Zusammensetzung: Regierungsbildung: Misstrauensvotum: Ministeranklage: Amtszeit:

Regierung des Landes Brandenburg Ministerpräsident und Landesminister (Art. 82 BbgVerf) Ministerpräsident ernennt und entlässt Minister (Art. 84 BbgVerf) Wahl eines neuen Ministerpräsidenten mit den Stimmen der Mehrheit seiner Mitglieder (Art. 86 BbgVerf) nicht vorgesehen 5 Jahre (Art. 62 Abs. 1 Satz 1 BbgVerf)

II. Die gegenwärtigen Regierungssysteme in den Bundesländern

53

5. Bremen Regierung: Zusammensetzung: Regierungsbildung:

Misstrauensvotum:

Ministeranklage:

Amtszeit:

Senat Senatoren und fakultativ Staatsräte (Art. 107 Abs. 1 BremVerf) Senatsmitglieder werden von der Bürgerschaft (Landtag) gewählt, zunächst der Präsident des Senats in einem besonderen Wahlgang, Staatsräte auf Vorschlag des Senats (Art. 107 Abs. 2 BremVerf) Senat oder ein Mitglied des Senats hat zurückzutreten (bzw. einzelnes Mitglied verliert bei bestimmten Pflichtverletzungen Mitgliedschaft im Senat unmittelbar), wenn Bürgerschaft ihm mit der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl das Vertrauen entzieht (Art. 110 BremVerf) Senatorenanklage gegen Senatsmitglieder wegen vorsätzlicher Verletzung der Verfassung (Art. 111 BremVerf) 4 Jahre (Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BremVerf)

6. Hamburg Regierung: Zusammensetzung: Regierungsbildung:

Misstrauensvotum: Ministeranklage: Amtszeit:

Senat Erster Bürgermeister (Präsident des Senats) und Senatoren (Art. 33 Abs. 1 HmbVerf) Erster Bürgermeister beruft und entlässt seinen Stellvertreter (Zweiter Bürgermeister) und die übrigen Senatoren, gemeinsame Bestätigung durch die Bürgerschaft (Landtag), bei nachträglicher Berufung von Senatoren gesonderte Bestätigung (Art. 34 Abs. 2 HmbVerf) Wahl eines neuen Ersten Bürgermeisters durch die Bürgerschaft (Art. 35 Abs. 3 HmbVerf) nicht vorgesehen 4 Jahre (Art. 10 Abs. 1 Satz 1 HmbVerf)

7. Hessen Regierung: Zusammensetzung:

Landesregierung (Kabinett) Ministerpräsident und Minister (Art. 100 HessVerf)

54

§ 2 Die Reform der Landesverfassungen im Kontext

Regierungsbildung:

Misstrauensvotum: Ministeranklage:

Amtszeit:

Ministerpräsident ernennt Minister und zeigt Ernennung dem Landtag an; Landtag muss der gesamten Regierung durch Beschluss das Vertrauen aussprechen (Art. 101 HessVerf); Abberufung eines Ministers durch den Ministerpräsidenten nur mit Zustimmung des Landtages (Art. 112 HessVerf) Ministerpräsident muss zurücktreten, wenn Landtag ihm sein Vertrauen entzieht (Art. 114 HessVerf) gegen jedes Regierungsmitglied wegen schuldhafter Verletzung der Verfassung oder der Gesetze (Art. 115 HessVerf) 4 Jahre (Art. 79 Satz 1 HessVerf)

8. Mecklenburg-Vorpommern Regierung: Zusammensetzung: Regierungsbildung:

Misstrauensvotum:

Ministeranklage: Amtszeit:

Landesregierung Ministerpräsident und Minister (Art. 41 Abs. 2 M-VVerf) Ministerpräsident ernennt Minister, beauftragt einen Minister mit seiner Vertretung und zeigt die Entscheidungen unverzüglich dem Landtag an (Art. 43 M-VVerf) Amt des Ministerpräsidenten endet, wenn Landtag ihm dadurch das Vertrauen entzieht, dass es einen Nachfolger wählt (Art. 50 Abs. 2 M-VVerf) nicht vorgesehen 4 Jahre (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 M-VVerf)

9. Niedersachsen Regierung: Zusammensetzung: Regierungsbildung:

Landesregierung Ministerpräsident und Minister (Art. 28 Abs. 2 NdsVerf) Ministerpräsident beruft die übrigen Regierungsmitglieder und bestimmt einen Minister, der ihn vertritt; gesamte Regierung bedarf der Bestätigung durch den Landtag; Entlassung und Berufung von Ministern nach der Bestätigung bedarf der Zustimmung durch den Landtag (Art. 29 Abs. 2 bis 4 NdsVerf); keine Bestätigung der Regierung erforderlich, wenn Regierungsbil-

II. Die gegenwärtigen Regierungssysteme in den Bundesländern

Misstrauensvotum: Ministeranklage:

Amtszeit:

55

dung einmal gescheitert ist und der Landtag nicht die Auflösung beschließt (Art. 30 NdsVerf) Wahl eines neuen Ministerpräsidenten (Art. 32 NdsVerf) gegen Mitglieder der Landesregierung wegen vorsätzlicher Verletzung der Verfassung oder eines Gesetzes (Art. 40 NdsVerf) 5 Jahre (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 NdsVerf)

10. Nordrhein-Westfalen Regierung: Zusammensetzung: Regierungsbildung:

Misstrauensvotum: Ministeranklage:

Amtszeit:

Landesregierung Ministerpräsident und Landesminister (Art. 51 NRWVerf) Ministerpräsident ernennt und entlässt Minister, beauftragt ein Regierungsmitglied mit seiner Vertretung und zeigt seine Entscheidungen unverzüglich dem Landtag an (Art. 52 Abs. 3 NRWVerf) Wahl eines neuen Ministerpräsidenten (Art. 61 NRWVerf) gegen Ministerpräsidenten und Landesminister wegen vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der Verfassung oder eines anderen Gesetzes (Art. 63 NRWVerf) 5 Jahre (Art. 34 Satz 1 NRWVerf)

11. Rheinland-Pfalz Regierung: Zusammensetzung: Regierungsbildung:

Misstrauensvotum:

Landesregierung Ministerpräsident und Minister (Art. 98 Abs. 1 RhPfVerf) Ministerpräsident ernennt und entlässt Minister; gesamte Regierung bedarf der ausdrücklichen Bestätigung des Landtages; zur Entlassung eines Ministers ist die Zustimmung des Landtages erforderlich (Art. 98 Abs. 2 RhPfVerf) dem Ministerpräsidenten, der Landesregierung insgesamt oder einem Minister kann das Vertrauen entzogen werden; Geschäfte werden so lange weitergeführt, bis neuer Ministerpräsident gewählt bzw. neue Lan-

56

§ 2 Die Reform der Landesverfassungen im Kontext

Ministeranklage:

Amtszeit:

desregierung oder Minister bestätigt ist (Art. 99 RhPfVerf) gegen jedes Mitglied der Landesregierung wegen vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der Verfassung oder eines Gesetzes sowie wegen schuldhafter schwerer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Wohlfahrt des Landes in oder bei der Amtsführung (Art. 131 RhPfVerf) 5 Jahre (Art. 83 Abs. 1 Satz 1 RhPfVerf)

12. Saarland Regierung: Zusammensetzung: Regierungsbildung:

Misstrauensvotum:

Ministeranklage:

Amtszeit:

Landesregierung Ministerpräsident und Minister (Art. 86 SaarlVerf) Ministerpräsident ernennt und entlässt mit Zustimmung des Landtages die Minister (Art. 87 Abs. 1 Satz 2 SaarlVerf) Landtag kann dem Ministerpräsidenten und den Ministern durch ausdrückliche Erklärung das Vertrauen entziehen; dadurch scheiden sie aus dem Amt, haben aber bis zur Übernahme des Amts durch ihren Nachfolger das Amt weiterzuführen (Art. 88, Art. 87 Abs. 5 SaarlVerf) gegen Ministerpräsidenten und Minister wegen vorsätzlicher Verletzung der Verfassung oder eines Gesetzes (Art. 94 SaarlVerf) 5 Jahre (Art. 67 Abs. 1 Satz 1 SaarlVerf)

13. Sachsen Regierung: Zusammensetzung: Regierungsbildung:

Misstrauensvotum: Ministeranklage:

Staatsregierung Ministerpräsident und Staatsminister, fakultativ Staatssekretäre (Art. 59 Abs. 2 SächsVerf) Ministerpräsident beruft und entlässt die Staatsminister und Staatssekretäre und bestellt seinen Stellvertreter (Art. 60 Abs. 4 SächsVerf) Wahl eines neuen Ministerpräsidenten (Art. 69 SächsVerf) nur wegen früherer Stasi-Tätigkeit oder Verletzung der Menschenrechte (Art. 118 SächsVerf)

II. Die gegenwärtigen Regierungssysteme in den Bundesländern

Amtszeit:

57

5 Jahre (Art. 44 Abs. 1 Satz 1 SächsVerf)

14. Sachsen-Anhalt Regierung: Zusammensetzung: Regierungsbildung:

Misstrauensvotum: Ministeranklage: Amtszeit:

Landesregierung Ministerpräsident und Minister (Art. 64 Abs. 1 Satz 2 VerfLSA) Ministerpräsident ernennt und entlässt die Minister und bestimmt seinen Stellvertreter (Art. 65 Abs. 3 VerfLSA) Wahl eines neuen Ministerpräsidenten (Art. 72 VerfLSA) nicht vorgesehen 4 Jahre (Art. 43 Satz 1 VerfLSA)

15. Schleswig-Holstein Regierung: Zusammensetzung: Regierungsbildung:

Misstrauensvotum: Ministeranklage: Amtszeit:

Landesregierung Ministerpräsident und Landesminister (Art. 26 Abs. 1 Satz 2 SchlHVerf) Ministerpräsident beruft und entlässt die Landesminister und bestellt aus diesem Kreis für sich einen Vertreter (Art. 26 Abs. 2 Satz 2 SchlHVerf) Wahl eines neuen Ministerpräsidenten (Art. 35 SchlHVerf) nicht vorgesehen 5 Jahre (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 SchlHVerf)

16. Thüringen Regierung: Zusammensetzung: Regierungsbildung:

Misstrauensvotum: Ministeranklage:

Landesregierung Ministerpräsident und Minister (Art. 70 Abs. 2 ThürVerf) Ministerpräsident ernennt und entlässt Minister und bestimmt einen Minister zu seinem Stellvertreter (Art. 70 Abs. 4 ThürVerf) Wahl eines neuen Ministerpräsidenten (Art. 73 ThürVerf) nicht vorgesehen

§ 2 Die Reform der Landesverfassungen im Kontext

58

Amtszeit:

5 Jahre (Art. 50 Abs. 1 Satz 1 ThürVerf)

III. Der Länderparlamentarismus im mehrstufigen Bundesstaat Im Vergleich der deutschen Länder mit den anderen für sie relevanten Hoheitsebenen ergibt sich das folgende Bild:

1. Der Parlamentarismus im Bund Im Bund besteht ein klassisch parlamentarisches Regierungssystem. Zwar existiert das selbständige Amt des Bundespräsidenten als Staatsoberhaupt. Dieser ist jedoch vom Grundgesetz mit nur wenigen Kompetenzen ausgestattet. Er ernennt den Kanzler (Art. 63 GG) und die Bundesminister (Art. 64 Abs. 1 GG), doch hat er dabei nach ganz h.M. in der Rechtswissenschaft38, der die ständige Verfassungspraxis entspricht, keinen eigenen politischen Spielraum39. Vielmehr wird der Kanzler nach dem in Art. 63 GG geregelten Verfahren vom Bundestag bestimmt und der Bundeskanzler bestimmt seinerseits die Minister (Art. 64 Abs. 1 GG). Im Wege des konstruktiven Misstrauensvotums kann der Bundestag den Bundeskanzler abwählen, indem er einen Nachfolger wählt (Art. 67 GG), und auch die übrigen Kontrollinstrumente gegenüber der Regierung entsprechen grundsätzlich jenen auf Landesebene. Eine Ministeranklage existiert nicht. Nur der Bundespräsident kann wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht angeklagt werden (Art. 61 GG). Neben dem auf 4 Jahre gewählten Bundestag (Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG) besteht der Bundesrat, durch den die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mitwirken (Art. 50 Abs. 1 GG). Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine echte zweite Kammer. Vom Bundesrat, der naturgemäß auf Landesebene keine Entsprechung findet40, und dem relativ bedeutungslosen Amt des Bundespräsidenten abgesehen, entsprechen sich damit die Regierungssysteme von Bund und Ländern weitgehend.

___________ 38 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 63 Rn. 51, Art. 64 Rn. 10 ff.; Schmidt-Bleibtreu/ Klein, Art. 63 Rn. 6, Art. 64 Rn. 1; Schröder, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 63 Rn. 40, Art. 64 Rn. 28 f.; jeweils m.w.Nachw. 39 Vom Ausnahmefall des Art. 63 Abs. 4 Satz 3 GG abgesehen. 40 Allenfalls der mittlerweile abgeschaffte bayerische Senat (siehe § 2 II 2) ähnelt dem Bundesrat insofern, als darin auch die gemeindlichen Körperschaften des Landes vertreten waren (vgl. Art. 34 BayVerf a.F.).

III. Der Länderparlamentarismus im mehrstufigen Bundesstaat

59

2. Die Europäische Union Die Europäische Union ist bzw. die Europäischen Gemeinschaften sind zwar zumindest staatsähnlich. Es fehlt aber bislang an einer Verfassung. Die Hoheitsgewalt ist in den Gründungsverträgen und einer Reihe von Ergänzungen verfasst. Zudem handelt es sich um abgeleitete Hoheitsgewalt. Vor allem deshalb und wegen des allgemein unbestrittenen und enormen Demokratiedefizits41, das auch (aber nicht ausschließlich) daraus resultiert, dass die Verteilung der Hoheitsgewalt nicht den Prinzipien der klassischen Gewaltenteilung folgt, ist die Europäische Ebene als Vergleichsobjekt für die vorliegende Betrachtung weitgehend ungeeignet und ihr System soll hier nicht im Einzelnen dargestellt werden42. Eher könnte umgekehrt ein reformierter und neu belebter deutscher Föderalismus Vorbild für die Ausgestaltung der europäischen Ebene sein, wenn nicht die Chancen für eine solche Ausgestaltung wegen der Aufnahme zahlreicher neuer Mitglieder ohne vorherige Klärung der Grundfragen ohnehin vertan sind.

3. Die Kommunalverfassungen Wesentlich interessanter für die vorliegende Abhandlung sind die Kommunen und zwar deshalb, weil diese in weiten Teilen des Bundesgebietes eine Reform, wie sie hier für die Länder untersucht wird, bereits erfahren haben. Natürlich sind die Kommunen keine Staaten und der Gemeinderat bzw. Kreistag ist nicht der Legislative zuzuordnen, doch sind die Kommunal„verfassungen“, wie im Einzelnen noch zu zeigen sein wird43, im Hinblick auf die Ausgestaltung des Verhältnisses von Rat und Bürgermeister zueinander und die Bestimmung beider Organe durchaus mit den Landesverfassungen vergleichbar. Eine grundsätzliche Vergleichbarkeit folgt auch schon daraus, dass in jeder Kommune letztlich eine Person an der Spitze der Verwaltung (i.e.S.) stehen muss und dass nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG das Volk in allen Gemeinden und Kreisen eine Vertretung haben muss, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist.

___________ 41

Näher dazu § 10 VI. 2. Auch bei Anlegung von staatswissenschaftlichen Kriterien lässt sich die EU weder dem parlamentarischen noch dem präsidentiellen Typus zuordnen, Decker, RuP 37 (2001), S. 51 ff., 54. 43 Siehe § 5 III. 2. 42

§ 2 Die Reform der Landesverfassungen im Kontext

60

a) Die vier herkömmlichen kommunalen Verfassungstypen Obgleich sich auch innerhalb einer jeden Kategorie z.T. deutliche Unterschiede von Land zu Land ergaben, unterscheidet die Kommunalwissenschaft ursprünglich vier Typen der Kommunalverfassung44.

(1) Die Norddeutsche Ratsverfassung Die Norddeutsche Ratsverfassung fand sich vor der Kommunalverfassungsreform in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Sie ist gekennzeichnet durch eine „Zweiköpfigkeit“ mit dem Bürgermeister als Ratsvorsitzenden und dem Gemeindedirektor45 als Chef der Verwaltung, der im Auftrag des vom Volk gewählten Rates tätig wird46. Mit dem Bürgermeister in den anderen Ländern und den Ministerpräsidenten vergleichbar (Hauptverwaltungsbeamter, Bürgermeister nach klassischem „Laienverständnis“) ist hier der Gemeindedirektor. Die Norddeutsche Ratsverfassung wurde von der britischen Besatzungsmacht ohne Rücksicht auf die gewachsene politische Kultur eingeführt und brachte in der Praxis oft große Probleme aufgrund von Machtkämpfen innerhalb der „Doppelspitze“ mit sich. Eine Abschaffung scheiterte lange Zeit nur an der fehlenden Bereitschaft je eines „Spitzenpolitikers“ pro Gemeinde zum Verzicht auf sein Amt47.

(2) Die Magistratsverfassung Über eine Magistratsverfassung verfügten die Gemeinden in Hessen und die Städte in Schleswig-Holstein. Kennzeichnend war der Namen gebende Magistrat, eine neben dem Rat bestehende „Gemeinderegierung“ mit dem Bürgermeister als Vorsitzenden. Unmittelbar vom Volk wurde auch hier nur der Rat gewählt48. In der Praxis führte die Magistratsverfassung wie die Norddeutsche Ratsverfassung tendenziell zu schwachen Bürgermeistern und starken Gemeindevertretungen49.

___________ 44

Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 9; Tettinger, Rn. 67 ff. Je nach Gemeindegröße auch Stadtdirektor oder Oberstadtdirektor. 46 Vgl. Tettinger, Rn. 68. 47 Wehling, Politische Studien 1984, S. 27 ff., 31. 48 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 9. 49 Wehling, Politische Studien 1984, S. 27 ff., 30, 32. 45

III. Der Länderparlamentarismus im mehrstufigen Bundesstaat

61

(3) Bürgermeisterverfassung Bei der ursprünglichen Bürgermeisterverfassung im Saarland, RheinlandPfalz und Schleswig-Holstein standen sich Rat und Bürgermeister als Chef der Verwaltung und Vertretung der Gemeinde nach außen gegenüber50. Der Bürgermeister wurde vom Rat gewählt und war deshalb von diesem abhängig. Trotzdem führte die Bürgermeisterverfassung zu stärkeren Bürgermeistern als die vorgenannten Systeme, weil der Bürgermeister zugleich Vorsitzender des Rates und aller seiner Ausschüsse war51.

(4) Die Süddeutsche Ratsverfassung Die Süddeutsche Ratsverfassung fand sich ursprünglich nur in BadenWürttemberg und Bayern, wurde schließlich aber zum Grundmodell für die Kommunalverfassungen aller Bundesländer52. Sie entspricht der Bürgermeisterverfassung mit dem bedeutsamen Unterschied, dass der Bürgermeister direkt vom Gemeindevolk gewählt wird. In der Praxis führt das – das wurde besonders deutlich, als es das Nebeneinander der verschiedenen Kommunalverfassungstypen noch gab – tendenziell zu starken Bürgermeistern und zu einem verhältnismäßig hohen Anteil von parteilosen Bürgermeistern53 und solchen der Minderheitspartei, allgemein zu einer stärkeren Orientierung an den fachlichen Qualitäten der Kandidaten als an der Parteizugehörigkeit54.

b) Die Kommunalverfassungsreform der 1990er Jahre Wegen der vorstehend aufgeführten praktischen Auswirkungen und aus einer Reihe von weiteren Gründen, die im Wesentlichen denen entsprechen, die auch für die Einführung der Direktwahl der Ministerpräsidenten angeführt werden, wurde in den achtziger Jahren und Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zunächst in der Wissenschaft die Forderung nach einer Übertra-

___________ 50

Vgl. Tettinger, Rn. 71. Im Saarland allerdings ohne Stimmrecht, sog. unechte Bürgermeisterverfassung. 52 Vgl. von Arnim, in: Festschr. Hochschule Speyer, S. 297 ff., 304; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 9, 10b; Tettinger, Rn. 69; Wehling, in: von Arnim, Demokratie vor neuen Herausforderungen, S. 91 ff. 53 Das korrespondiert mit der großen Rolle, die die freien Wählergemeinschaften seit jeher in Süddeutschland spielen, von Arnim, DÖV 2002, 585 ff., 586. 54 Wehling, Politische Studien 1984, S. 27 ff., 32 ff. 51

62

§ 2 Die Reform der Landesverfassungen im Kontext

gung des süddeutschen Modells auf die übrigen Bundesländer laut55. Widerstand kam vor allem von Rats- und Fraktionsvorsitzenden und Beigeordneten in den Kommunen56. Darauf und wie es in den neunziger Jahren trotzdem zu einer umfassenden Kommunalverfassungsreform (bzw. einer Vielzahl einzelner Reformen in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang) kommen konnte, wird bei der Untersuchung der Umsetzungschancen für eine Reform der Landesverfassungen noch zurückzukommen sein57. Das gilt auch für die Folgen der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte im Einzelnen. An dieser Stelle soll genügen, dass im Zuge der Reformen die Direktwahl der Bürgermeister in allen dreizehn58 und die Direktwahl der Landräte immerhin noch in elf – die Ausnahmen sind Baden-Württemberg und Brandenburg – Flächenstaaten eingeführt wurde. Man bezeichnet diese Entwicklung als Siegeszug der Süddeutschen Ratsverfassung59 und spricht im Zusammenspiel mit den gleichzeitig in allen Ländern eingeführten direkt-demokratischen Elementen Bürgerbegehren und Bürgerentscheid60 sowie der Verbreitung des Kumulierens und Panaschierens bei den Gemeinderats- und Kreistagswahlen von einer Entwicklung hin zur Bürgerverfassung61. Jedenfalls ist auf kommunaler Ebene ein Siegeszug der Direktwahl zu attestieren und gerade dieser ist vor dem Hintergrund der in der vorliegenden Abhandlung zu diskutierenden Regierungssystemfrage interessant. Ein weiteres Element der süddeutschen Ratsverfassung hat sich indessen nicht durchgesetzt: die Nichtabberufbarkeit des Bürgermeister. Nur in Bayern und Baden-Württemberg kann der Bürgermeister während einer laufenden Amtszeit nicht abgesetzt werden – weder vom Rat noch vom Volk. In den übrigen Flächenstaaten gibt es mit dem sog. „kommunalen Recall“ hingegen eine solche Möglichkeit62. Da es sich dabei um eine Abberufung durch das Volk handelt und nicht durch den Rat, sind gleichwohl alle heutigen deutschen ___________ 55 Zaghaft noch bei Banner, DÖV 1984, 364 ff., 372, und Wehling, Politische Studien 1984, S. 27 ff., 36; deutlich dann bei von Arnim, DÖV 1990, 85 ff., 87, 93 ff., 97; sowie Oschatz, S. 20. 56 Von Arnim, DÖV 2002, 585 ff., 586 f. 57 Siehe § 13 II. 2. b) (5). 58 In Hessen wurde allerdings der Magistrat beibehalten; in Schleswig-Holstein sind kleine (!) Gemeinden von der Direktwahl ausgenommen, s. zu diesen und anderen kleineren „Rückständen“ der alten Systeme von Arnim, DÖV 2002, 585 ff., 591 f. 59 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 323; Decker, RuP 37 (2001), S. 51 ff., 56; s. auch Banner, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 133 ff., 138 („Erdrutsch“). 60 Dazu etwa Muckel, NVwZ 1997, 223 ff.; Paust, S. 51 ff. Ursprünglich gab es Bürgerbegehren und Bürgerentscheid nur in Baden-Württemberg, s. dazu Seeger, ZParl 1988, 516 ff.; Wehling, AfK 1989, 110 ff. 61 Von Arnim, DVBl. 1999, 417 ff., 418 ff.; Banner, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 133 ff. („Bürgerkommune“); Ossenbühl, in: Festschr. Rommel, S. 247 ff., 249, spricht von einer „völlig neuen Phase in der Kommunalpolitik“. 62 Siehe dazu Gabriel/Kunz/Ahlstich, in: Gabriel/Holtmann, S. 340 (Übersicht), 343; Witte, ZParl 32 (2001), 57 ff.

IV. Der deutsche Länderparlamentarismus im internationalen Vergleich

63

Kommunalverfassungen gemessen an staatstheoretischen Kriterien präsidentiell63.

IV. Der deutsche Länderparlamentarismus im internationalen Vergleich Oft werden in der Diskussion die deutschen Bundesländer auch mit ausländischen Staaten – Gliedstaaten wie souveränen Staaten – verglichen. Inwieweit solche Vergleiche – unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten – zulässig sind, wird noch zu erörtern sein64. Jedenfalls ist es geboten, sich mit den entsprechenden Argumentationen auseinanderzusetzen. Zu diesem Zweck seien die wesentlichen Vergleichsfälle kurz dargestellt. Es handelt sich vornehmlich um Systeme, die vom (in Europa vorherrschenden65) parlamentarischen System abweichen.

1. USA Die USA bilden das klassische Beispiel für ein präsidentiales Regierungssystem. Zum Vergleich wird überwiegend der Bundesstaat herangezogen. Für die vorliegende Untersuchung sind aber auch und gerade die Gliedstaaten von besonderem Interesse.

a) Der Bundesstaat Das amerikanische politische System ist wesentlich gekennzeichnet durch einen direkt gewählten Präsidenten und eine weitgehend strikte Gewaltentrennung („seperation of powers“)66. Der Präsident ist zugleich Staatsoberhaupt und Regierungschef. Er wird in jedem Schaltjahr vom Volk gewählt. Zwar handelt es sich formell nicht um eine Direktwahl, weil das Volk – aufgeteilt nach Bundesstaaten67 – unmittelbar nur Wahlmänner68 wählt und erst diese dann den Präsidenten wählen. Materiell ist die Wahl des amerikanischen Präsidenten ___________ 63

Decker, RuP 37 (2001), S. 51 ff., 56. Siehe § 5 III. 2. c). 65 Vgl. Hagedorn/Maruhn, S. 10 ff. 66 Siehe die Darstellungen bei Brugger, S. 32 ff., 70 ff.; Fraenkel, S. 220 ff.; Hübner, S. 107 ff.; Kleinsteuber, S. 87 ff.; Shell, S. 95 ff. 67 Je Bundesstaat gilt das Prinzip „the winner takes it all“ (Mehrheitswahl aller Wahlmänner en bloc). 68 Die Anzahl entspricht der Zahl der Abgeordneten des Staates im Kongress. 64

64

§ 2 Die Reform der Landesverfassungen im Kontext

aber eine Volkswahl, weil die Wahlmänner faktisch keinen Entscheidungsspielraum haben69. Eine Wiederwahl ist nur einmal zulässig70. Die Legislative bildet der Kongress, bestehend aus dem Repräsentantenhaus und dem Senat (echtes Zweikammersystem mit zwei grundsätzlich gleichberechtigten Kammern). Der Senat besteht aus zwei Senatoren je Staat, von denen alle zwei Jahre ein Drittel neu gewählt wird. Das Repräsentantenhaus besteht aus 435 für zwei Jahre gewählten Abgeordneten. Der Präsident ernennt die Minister („secretaries“) mit Zustimmung des Senats. Darin liegt jedoch keine echte Durchbrechung der Gewaltentrennung, weil das Kabinett (dem auch noch der Vizepräsident und weitere hohe Beamte und persönliche Berater angehören) nur beratende Funktion hat und die Exekutive alleine beim Präsidenten liegt. Der Präsident ist dem Kongress gegenüber nicht verantwortlich. Er kann nur durch ein ImpeachmentVerfahren71 abgesetzt werden, das vergleichbar ist mit der Ministeranklage in Deutschland. Der Kongress hat die Haushaltshoheit und übt die Gesetzgebung aus. Der Präsident hat allerdings ein aufschiebendes Vetorecht, bei dessen Ausübung das betroffene Gesetz in beiden Kammern mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden muss.

b) Die Gliedstaaten Die Regierungssysteme der Gliedstaaten entsprechen der Struktur auf Bundesebene weitgehend. Außer Nebraska haben alle Einzelstaaten Parlamente mit zwei Kammern als Legislativorgane. Die Exekutive liegt beim Gouverneur. Der Gouverneur ist zugleich Staatsoberhaupt und Regierungschef. Er wird unmittelbar vom Volk gewählt. Die Verwaltungskompetenzverteilung entspricht ursprünglich und grundsätzlich auch noch heute der Gesetzgebungskompetenzverteilung: Jede Ebene führt ihre Gesetze selbst aus72.

2. Israel Das politische System Israels73 ist – trotz erheblicher Unterschiede in der politischen Kultur, die eine Vergleichbarkeit Israels mit den deutschen Bundesländern nahezu unmöglich machen74 – vor allem deshalb interessant, weil dort ___________ 69

Siehe auch § 11 I. 4. a). Bis 1951 galt diese Einschränkung nicht. 71 Siehe dazu noch näher § 11 I. 5. b). 72 Rechtsvergleichend zur Kompetenzstruktur in Föderalstaaten Bothe, S. 10 ff. 73 Allgemeine Darstellungen bei Arian, S. 155; Wolffsohn, S. 437 ff. 74 Vgl. auch Decker, RuP 37 (2001), S. 51 ff., 54. 70

IV. Der deutsche Länderparlamentarismus im internationalen Vergleich

65

1992 mit der Direktwahl des Premierministers (Regierungschef) ein echtes Mischsystem zwischen Parlamentarismus und Präsidentialismus („Parliadential System of Government“) eingeführt wurde75. Ziel war eine Stärkung des Premierministers gegenüber dem Parlament, vor allem weniger Abhängigkeit von den kleinen Parteien (als Koalitionspartner) und die Verhinderung einer weiteren Zersplitterung der Parteienlandschaft76. Der Premierminister wurde nicht mehr vom Staatspräsidenten (vom Parlament auf 5 Jahre gewähltes Staatsoberhaupt), sondern unmittelbar vom Volk gewählt. Bei der Regierungsbildung war er zunächst frei. Gelang sie ihm binnen 45 Tagen nicht, war er vom Volk neu zu wählen. Allerdings konnte das israelische Parlament, die für 4 Jahre gewählte Knesset (Einkammerparlament), verlangen, dass die ernannten Minister von ihr zu bestätigen waren, was in der Praxis auch geschah. Zudem war der direkt gewählte Premierminister vom Vertrauen der Knesset abhängig. Für ein erfolgreiches Misstrauensvotum genügte die einfache Mehrheit. Allerdings hatte nur bei Zustandekommen einer Zweidrittelmehrheit das Misstauensvotum nicht auch die Parlamentsauflösung zur Folge. Das könnte für die Bundesländer insofern ein Vorbild sein, als auch dort vorgeschlagen wird, bei Einführung einer Direktwahl dem Parlament die Möglichkeit des konstruktiven Misstrauensvotums zu erhalten – ggf. auch mit qualifizierter Mehrheit77. In Israel führte das System allerdings zu einer Entfremdung der Premierminister von ihrer Partei, zu Auflösungserscheinungen bei den großen Parteien und zur weiteren Zersplitterung der Parteienlandschaft, weshalb dort die Direktwahl im Jahre 2003 wieder abgeschafft wurde78. Bisweilen wird dieser Versuch in Israel als Argument gegen die Direktwahl der Ministerpräsidenten angeführt79, worauf noch einzugehen sein wird80.

___________ 75

Eingehend Keller, ZPol 8 (1998), 597 ff. Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 54; Hänsel, Die Wahl in Israel vom 6. Februar 2001 – Ende der Direktwahl des Premierministers, http://www1.kas.de/publikationen/2001/ai/ 03_haensel.pdf (ausgedruckt am 24. Januar 2004), S. 4; Keller, ZPol 8 (1998), 597 ff., 598 ff. 77 Siehe dazu § 8 VII. 1. 78 Hänsel, Die Wahl in Israel vom 6. Februar 2001 – Ende der Direktwahl des Premierministers, http:// www1.kas.de/publikationen/2001/ai/03_haensel.pdf (ausgedruckt am 24. Januar 2004), S. 18 f.; zweifelnd bereits Keller, ZPol 8 (1998), S. 597 ff., 620 ff., nach einer ersten Bilanz. 79 So von Borchert, S. 215. 80 Siehe § 11 I. 2. 76

66

§ 2 Die Reform der Landesverfassungen im Kontext

3. Österreich Österreich ist für die vorliegende Diskussion insofern von Interesse, als es sich wie bei Deutschland um einen Föderalstaat handelt und für die österreichischen Bundesländer die Forderung nach einer Direktwahl der Landeshauptmänner (Regierungschefs) bzw. der Landesregierungen ebenfalls erhoben wird81. Das politische System ist jenem in der Bundesrepublik Deutschland sehr ähnlich82 mit der Ausnahme, dass der Bundespräsident direkt gewählt wird (für 6 Jahre)83. Die Legislative besteht aus dem vom Volk für 4 Jahre gewählten Nationalrat und dem Bundesrat84, der die Interessen der 9 Bundesländer wahrt und dessen Mitglieder von den Landtagen gewählt werden85. Der Bundespräsident ernennt und entlässt die aus Bundeskanzler, Vizekanzler, Ministern und Staatssekretären bestehende Regierung. Diese ist allerdings vom Vertrauen des Nationalrats abhängig, der die Regierung im Wege des Misstrauensvotums stürzen kann86, so dass das Regierungssystem Österreichs als parlamentarisches System (mit präsidialem Einschlag) zu qualifizieren ist. Das gilt auch für die österreichischen Bundesländer87, wo es wie bei den deutschen Bundesländern das selbständige Amt eines Staatsoberhauptes nicht gibt. Dort setzt sich die Regierung sogar proportional aus den im Landtag vertretenen Parteien zusammen und entscheidet regelmäßig als Kollegialorgan.

4. Frankreich Ähnlich wie in Österreich wird in Frankreich der Staatspräsident direkt vom Volk gewählt und zwar auf 5 Jahre88. Der Präsident ist Staatsoberhaupt. Er ernennt und entlässt den Premierminister und auf dessen Vorschlag die weiteren Minister89. Der Premierminister und die Minister bilden die Regierung. Sie muss zurücktreten, wenn ihr die Nationalversammlung das Misstrauen ausspricht90. Auch hierbei handelt es sich also um ein kombiniertes System (nicht ___________ 81

Esterbauer, S. 5 ff.; ders., in: Böttcher, S. 13 ff., 15 ff. Siehe zum politischen System Österreichs Gerlich/Müller, S. 25 ff.; Pelinka/Rosenberger, S. 97 ff., 211 ff. 83 Art. 60 Bundesverfassungs-Gesetz der Republik Österreich; naher dazu Dickinger, S. 69 ff., 70 ff. 84 Artt. 24 ff. Bundesverfassungs-Gesetz der Republik Österreich. 85 Die Anzahl der Mitglieder hängt wie in Deutschland von der Größe des Bundeslandes ab. 86 Art. 74 Bundesverfassungs-Gesetz der Republik Österreich. 87 Siehe dazu etwa Dachs/Fallend/Wolfgruber, S. 13 ff. 88 Art. 6 Verfassung der Republik Frankreich. 89 Art. 8 Verfassung der Republik Frankreich. 90 Artt. 49 f. Verfassung der Republik Frankreich. 82

IV. Der deutsche Länderparlamentarismus im internationalen Vergleich

67

um ein Mischsystem, weil der Premierminister selbst nicht direkt gewählt wird), wobei die Kompetenzen des Staatspräsidenten mehr Spielraum für eine in Richtung Präsidentialismus gehende Verfassungswirklichkeit lassen91. Das Parlament besteht aus Nationalversammlung und Senat92. Die Mitglieder der Nationalversammlung werden direkt vom Volk für 5 Jahre gewählt, die Senatsmitglieder für 6 Jahre von Wahlmännerkollegien in den Departements (regionale Verwaltungseinheiten mit mittlerweile in Ansätzen gewährter sachlicher Autonomie). Ähnlich wie beim amerikanischen Senat wird alle 3 Jahre ein Drittel der Senatoren neu gewählt.

5. Schweiz Die Schweiz ist allgemein bei Diskussionen wie der vorliegenden von Interesse, weil ihr politisches System besonders stark direkt-demokratisch geprägt ist93. Die Schweiz ist ein Bundesstaat aus 20 Kantonen und 6 Halbkantonen. Die Exekutive liegt bei der Regierung, dem aus 7 gleichgeordneten Ministern (Bundesräten) bestehenden Bundesrat. Von den Ministern ist jeweils einer zugleich für ein Jahr als primus inter pares Bundespräsident (Staatsoberhaupt). Einen echten Regierungschef gibt es nicht94. Die Legislative liegt bei der Bundesversammlung. Dabei handelt es sich um ein echtes Zweikammernparlament. Es besteht aus dem auf 4 Jahre vom Volk gewählten Nationalrat und dem auf ebenfalls 4 Jahre von den Kantonen – dort teils vom Volk, teils von den Kantonsparlamenten – gewählten Ständerat95. Die Bundesversammlung selbst ist ein Teilzeitparlament („Milizparlament“), das viermal pro Jahr zu je drei- bis vierwöchigen Sitzungsperioden zusammentritt. Die Bundesversammlung wählt den Bundesrat für 4 Jahre und den Bundespräsidenten auf 1 Jahr. Sie hat die Gesetzgebungs- und Haushaltshoheit. Ein Misstrauensvotum fehlt. Weder der Bundesrat insgesamt noch ein einzelnes Mitglied kann während der Legislaturperiode abberufen werden. Diese Kombination von parlamentarischer Bestellung und Nichtabberufbarkeit ist ein weltweites Unikum und macht die Schweiz zu einem echten Mischtypus aus Parlamentarismus und Präsidentialismus96. In der Verfassungspraxis der Schweiz werden die Bundesräte zudem stets wiedergewählt, so dass die Bundesversammlung in der praktischen Ent___________ 91

Siehe im Einzelnen Haensch/Lory, S. 74 ff.; Hübner/Constantinesco, S. 44 ff.; Kempf, S. 26 ff. 92 Artt. 24 ff. Verfassung der Republik Frankreich. 93 Siehe Bütler, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 175 ff., 175 („wohl am stärksten entwickelte direkte Demokratie“); Linder, in: Klöti/Knoepfel, S. 109 ff. 94 Klöti, in: Klöti/Knoepfel, S. 159 ff. 95 Lüthi, in: Klöti/Knoepfel, S. 131 ff. 96 Decker, RuP 37 (2001), S. 51 ff., 53.

§ 2 Die Reform der Landesverfassungen im Kontext

68

scheidungszuständigkeit letztlich auf Fälle freiwilligen Rücktritts oder Todes beschränkt ist. Ein Gegengewicht zur starken Stellung der Regierung bilden vor allem die in weitem Umfang vorhandenen direkt-demokratischen Rechte der Bürger. In den Kantonen gibt es entsprechend als Verwaltungsorgane sog. Regierungsräte, die aus 5 bis 7 Staats- oder Regierungsräten (Ministern) bestehen, welche vom Volk ohne Listenbindung im Wege der Mehrheitswahl gewählt werden97. Daneben bestehen die Kantonsparlamente98, die teils im Wege der Verhältniswahl, teils im Wege der Mehrheitswahl gewählt werden99.

V. Reformbestrebungen in Bund und Ländern im Überblick Neben dem Vorschlag der Direktwahl der Ministerpräsidenten werden seit längerem und z.T. immer mal wieder eine Reihe weiterer Vorschläge zur Reform der Landesverfassungen diskutiert. Vor allem sind eine Begrenzung der Amtszeit der Ministerpräsidenten, die Unvereinbarkeit von Abgeordnetenmandat und Regierungsamt, die Abschaffung der Fünfprozenthürde bei Landtagswahlen, ein flexibleres Landtagswahlrecht, die Verkleinerung der Landtage und deren Umgestaltung zu Teilzeitparlamenten sowie die Erweiterung direktdemokratischer (Sach-)Entscheidungsmöglichkeiten zu nennen. Die Darstellung dieser Vorschläge erfolgt im Anschluss an eine Erörterung der hauptsächlich thematisierten Direktwahl100, weil sie dafür nur als flankierende Maßnahmen relevant sind, im Übrigen aber auch weitgehend selbständig verwirklicht werden könnten. Für den Bund insgesamt gehen Reformbestrebungen derzeit vor allem dahin, das Geflecht aus Zuständigkeiten zwischen den Ebenen zu lichten und die Gesetzgebungskompetenzen der Länder zu stärken. Die damit seit Oktober 2003 befasste Föderalismuskommission konnte sich allerdings nicht auf gemeinsame Vorschläge verständigen und stellte im Dezember 2004 ihre Arbeit ein101. Eine in unmittelbarem Zusammenhang mit der Zukunft des deutschen Föderalismus immer wieder auftretende Grundsatzfrage ist schließlich jene nach einer Neugliederung des Bundesgebietes. ___________ 97

Z.B. Art. 95 Abs. 1 Verfassung des Kantons Uri. Z.B. Art. 87 Verfassung des Kantons Uri: Landrat aus 64 Mitgliedern. 99 Z.B. Art. 88 Abs. 1 Satz 1 Verfassung des Kantons Uri: „Für Gemeinden, denen drei oder mehr Landräte zustehen, gilt das System der Verhältniswahl, für die übrigen das System der Mehrheitswahl“; siehe im Einzelnen Germann, in: Klöti/Knoepfel, S. 387 ff., 399 ff. 100 Siehe § 11. 101 Siehe dazu § 11 III. 3. 98

§ 3 Aktueller Stand der Diskussion Ein Ziel der vorliegenden Abhandlung ist die Systematisierung der im Streit um die Direktwahl der Ministerpräsidenten vorgebrachten Argumente. Bevor die Argumente systematisiert werden können, gilt es, sie möglichst vollständig zu erfassen. Das soll im Folgenden geschehen. Nicht erforderlich ist an dieser Stelle – wohl aber bei der anschließenden wissenschaftlichen Bewertung – Vollständigkeit der Äußerungen1. Es gilt vielmehr, die für die Diskussion wichtigsten, eingehendsten und umfassendsten Beiträge zu erfassen. Anhand dieser kann und soll dann ein System entwickelt werden, das zum einen Leitfaden für die anschließende Untersuchung ist und in das sich zum anderen alle weiteren Argumente und Streitpunkte einfügen lassen. Die folgende Darstellung ist mithin nicht Selbstzweck sondern Basis für die im Anschlusskapitel vorzunehmende Systematisierung. Im Hinblick darauf werden die Argumente bereits vorgeordnet und zum Teil mit ersten Anmerkungen versehen.

I. Skepsis bei Theodor Heuss? Vom ehemaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss ist überliefert, dass er schon Anfang der zwanziger Jahre den Parlamentarismus der Länderregierungen in der Weimarer Reichsverfassung kritisiert hat und im Jahre 1951 in Kiel die Notwendigkeit des Parlamentarismus in den Bundesländern in Frage gestellt hat2. Möglicherweise war dies der Ursprung der jetzigen Diskussion. Näheres ist jedoch nicht bekannt. Soweit ersichtlich hat sich Heuss zu dem Thema nicht schriftlich geäußert. Jedenfalls bezieht sich Eschenburg auf die Äußerungen von Heuss, so dass Heuss zumindest den ersten Anstoß zur aktuellen Diskussion über den Parlamentarismus in den Bundesländern gegeben haben dürfte.

___________ 1 2

Soweit ersichtlich vollständige Aufzählung unter § 3 XI. Eschenburg, S. 60.

70

§ 3 Aktueller Stand der Diskussion

II. Die Entwicklung der Theorie bei Theodor Eschenburg Im Jahre 1952 stellte der Tübinger Staatsrechtler und Politologe Theodor Eschenburg im Zusammenhang mit der Gründung des Südweststaates Überlegungen über dessen zukünftiges Regierungssystem an3. Zu dieser Zeit war Eschenburg zugleich Staatsrat im baden-württembergischen Innenministerium. Hier wird der Vorschlag der Direktwahl des Regierungschefs erstmals konkret im Zusammenhang mit einem Bundesland wissenschaftlich näher erörtert. Zwar hatte es zuvor schon den dargestellten Versuch zur Einführung der Direktwahl des Ministerpräsidenten bei der Verfassung Württemberg-Hohenzollerns gegeben, doch sind wissenschaftliche Abhandlungen aus dieser Zeit nicht bekannt und der Versuch war gescheitert4. In dem neu zu gründenden Staat musste die Staatsgewalt ohnehin neu verfasst werden, so dass es sich bei Eschenburgs Thesen nicht um Reformvorschläge im eigentlichen Sinn handelt. Jedoch waren die Ausgangsstaaten Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden parlamentarisch verfasst, weshalb man bereits von einer angestrebten Reformierung sprechen kann5. Eschenburg entwickelte seine Theorie für Baden-Württemberg, jedoch sind seine Ausführungen fast ausnahmslos so grundsätzlich, dass sie ohne weiteres auch die übrigen Bundesländer erfassen. Eschenburg ist damit der eigentliche Schöpfer der Theorie, dass der Präsidentialismus das für die Bundesländer geeignetste Regierungssystem darstellt6.

1. Parlamentarismus für Verwaltungsstaat funktional ungeeignet Eschenburg befürwortete die Direktwahl des Ministerpräsidenten – bei ihm noch Landespräsident genannt7 – vor allem vor dem Hintergrund der im parlamentarischen System gegebenen Abhängigkeit des Ministerpräsidenten vom Parlament8. Zunächst führt Eschenburg dazu aus, dass eine Abhängigkeit in den Bundesländern anders als im Gesamtstaat nicht erforderlich sei9. Nur wo Grundsatzentscheidungen getroffen würden, sei es erforderlich, dass die Regierungspoli___________ 3

Eschenburg, S. 59 ff. Siehe § 2 I. 5 So auch das Selbstverständnis von Eschenburg, vgl. Eschenburg, S. 14. 6 Ebenso von Arnim, Staat ohne Diener, S. 323; Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 54; Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 144. 7 Eschenburg, S. 65. 8 Eschenburg, S. 59 ff. 9 Eschenburg, S. 59 f. 4

II. Die Entwicklung der Theorie bei Theodor Eschenburg

71

tik der Parlamentsmehrheit entspreche. Grundsatzentscheidungen würden in der Bundesrepublik Deutschland vom Gesamtstaat getroffen, wohingegen die Länder mit Ausnahme der Kulturpolitik auf die Ausführung von Verwaltungsaufgaben beschränkt seien. Dafür sei das parlamentarische System nicht notwendig. Bei der schwerpunktmäßigen Ausübung von Verwaltungsbefugnissen, also der bloßen Ausführung bereits getroffener Grundsatzentscheidungen könnten Parteiunterschiede nicht so stark zum Ausdruck kommen10.

2. Mangelnde Kontrollmöglichkeit durch das Volk Im Gegenteil gelangt Eschenburg zu der Auffassung, die Abhängigkeit der Regierung vom Parlament sei in einem Mehrparteienstaat sogar schädlich11. Er illustriert dies am Vergleich mit dem Zweiparteienstaat, wo der Parlamentarismus seinen Ursprung hat. Dort habe der Wähler die Möglichkeit der klaren Kontrolle, weil sich beide Parteien gegenseitig kontrollierten und ablösten12. Gemeint ist Folgendes: Im Zweiparteienstaat stellt die Mehrheitspartei die Regierung, trägt also für diese auch die alleinige Verantwortung. Passt dem Wähler die Regierung nicht, kann er die Mehrheitspartei abwählen und die Opposition die Regierung bilden lassen. Anders verhalte es sich im Mehrparteienstaat. Hier werde durch Regierungskoalition einerseits und Oppositionskoalition andererseits die klare Verantwortlichkeit vor der Wählerschaft und Regierungsund Parlamentsbefugnisse verwischt13. Da zudem erfahrungsgemäß eine vollständige Ablösung der Parteien in Regierung und Opposition nie möglich sei, sei eine klare Kontrolle durch das Volk nicht gewährleistet14.

3. Mangelnde parlamentarische Kontrolle Außerdem werde im Parlamentarismus häufig die Opposition zu schwach und die Regierungskoalition sei aus Gefolgschaftstreue nicht bereit, ihre Kontrollbefugnisse auszuüben15. Nach Eschenburg wird dadurch die parlamentarische Kontrolle der Regierung durch das Parlament insgesamt kraftlos.

___________ 10

Eschenburg, S. 60. Eschenburg, S. 60 f. 12 Eschenburg, S. 60. 13 Eschenburg, S. 61. 14 Eschenburg, S. 60. 15 Eschenburg, S. 61. 11

§ 3 Aktueller Stand der Diskussion

72

4. Übermäßige Abhängigkeit des Ministerpräsidenten von den Regierungsparteien Als vierten Punkt spricht bereits Eschenburg die aus der Abhängigkeit vom Parlament resultierende Abhängigkeit des Ministerpräsidenten von den Regierungsparteien an. Die Regierung wirke nicht mehr als über den Parteien stehende Obrigkeit sondern als „Kollegium von Parteigesandten“16. Sie werde in der Praxis nicht mehr wie vorgesehen vom Regierungschef gebildet, sondern von den beteiligten Parteien.

5. Versachlichung durch Unabhängigkeit Nach Eschenburg weist der Präsidentialismus diese Probleme nicht bzw. nicht in diesem Maße auf. Im Gegenteil führe die Direktwahl zu einer begrüßungswürdigen Unabhängigkeit des Regierungschefs. Ein weitgehend unabhängiger Ministerpräsident stelle ein wichtiges Gegengewicht zu den politischen Parteien dar und ließe ein Denken und Handeln auch über Parteigrenzen hinweg erwarten17. Hier sind erstmals bereits die Gesichtspunkte der Integration und der Versachlichung des Regierungshandelns angesprochen.

6. Direktwahl als Form der Selbstbestimmung Daneben begründet schon Eschenburg sein Votum für die Direktwahl mit den Vorteilen unmittelbarer Demokratie. Das Volk werde direkt angesprochen und es erlebe die Demokratie unmittelbar, weil gerade Personalentscheidungen gegenüber Sachentscheidungen ein wesentlich größeres Interesse erregten18.

7. Keine Besorgnis übermächtiger Ministerpräsidenten Auch mit möglichen Gegenargumenten setzt sich Eschenburg bereits auseinander. Er sieht keine Gefahr eines „Bonapartismus“19. Gemeint ist ein übermächtiger, nicht mehr kontrollierbarer Regierungschef und damit eine Gefahr für die demokratische Herrschaftsform selbst. Interessanterweise begründet Eschenburg dies mit der Kontrolle, die der Gesamtstaat insoweit ausübe. ___________ 16

Eschenburg, S. 62. Eschenburg, S. 64. 18 Eschenburg, S. 63. 19 Eschenburg, S. 63. 17

III. Die Kritik des Länderparlamentarismus bei Wilhelm Hennis

73

8. Keine Besorgnis der Wahl von Demagogen Die Gefahr der Wahl von Demagogen sei gering20. Hier beschränkt sich Eschenburg allerdings auf eine Begründung für den konkreten Fall: Die relative Bedächtigkeit und Mäßigkeit der baden-württembergischen Bevölkerung lasse dies kaum erwarten.

9. Keine Besorgnis der Manipulation Schließlich setzt sich Eschenburg ansatzweise auch schon mit jenen Argumenten auseinander, die heute häufig gegen unmittelbare Sachentscheidungen durch das Volk angeführt werden. Namentlich sei nicht die Gefahr der politischen Manipulation, etwa durch die Art der Fragestellung, gegeben.

III. Die Kritik des Länderparlamentarismus bei Wilhelm Hennis Im Jahre 1956 befasste sich Wilhelm Hennis in einem Vortrag vor der Wirtschaftspolitischen Gesellschaft in Frankfurt a.M. mit dem Parlamentarismus in den Bundesländern21 und kritisierte ihn scharf22:

1. Koalitionszwang Ausgang seiner Überlegungen ist ein Vergleich mit dem parlamentarischen Regierungssystem in England23. Dieser zeige, dass im Parlamentarismus die Aufgabe der Parlamentsmehrheit in der Unterstützung und Deckung des Kabinetts vor Angriffen der Opposition liege, deren ganzes Ziel darauf gerichtet sei, von der Mehrheit genügend Abtrünnige abzuspalten, um durch ein Misstrauensvotum die Regierung stürzen zu können24. Voraussetzung für den Parlamentarismus sei in der soziologischen Wirklichkeit ein Zweiparteiensystem, in welchem die Opposition die Rolle einer alternativen Regierung übernehme25. In ___________ 20

Eschenburg, S. 63. Siehe darüber hinaus Hennis, ZParl 1971, 289 f.; ders., Große Koalition, S. 24. 22 Siehe den daraus hervorgegangenen Aufsatz in: Hennis, S. 105 ff., 115 ff.; krit. speziell dazu Siegloch, in: Steffani/Thaysen, Parlamente, S. 365 ff. Den Thesen der Frankfurter Intervention (siehe § 3 VI.) widersprach Hennis aber, s. Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 16. 23 Hennis, in: ders., S. 105 ff., 107 ff. 24 Hennis, in: ders., S. 105 ff., 109. 25 Hennis, in: ders., S. 105 ff., 110. 21

§ 3 Aktueller Stand der Diskussion

74

einem Mehrparteiensystem sei die große Mehrheitspartei demgegenüber in der Regel darauf angewiesen, ihr Programm zu modifizieren, je nachdem welcher Koalitionspartner sich findet26. Dies zwinge zur Unverbindlichkeit und Unklarheit und verwische die Verantwortung gegenüber dem Volk. Niemand könne mehr beim Wort genommen werden, weil alle Politik unter dem Vorbehalt des unbekannten Koalitionspartners stehe27. Der kleine Koalitionspartner könne es sich leisten, „Opposition in Koalition“ zu spielen („Koalitionsopportunismus“), was langfristig auch für ihn schädlich sei28. Dies alles werde durch die Praxis in den Bundesländern bestätigt, weshalb der Länderparlamentarismus abzulehnen sei29.

2. Strukturell bedingte Einflussnahme der Bundespolitik Ein weiteres Argument gegen den Länderparlamentarismus sieht Hennis in der Ausgestaltung des Bundesrates. Ebenso wie es legitim sei, dass sich der Bundeskanzler im Bundestag eine Mehrheit zu verschaffen versucht (und die Opposition dies zu verhindern versucht), müsse ihm, der Bundesregierung und der Opposition zugestanden werden, dasselbe auch im Hinblick auf den Bundesrat zu versuchen. Dies aber führe zu einer Fernbestimmung der Regierungsbildung in den Ländern durch die Bundespolitik30.

3. Keine Grundsatzentscheidungen Schließlich stünden in den Bundesländern keine Grundsatzentscheidungen zur Debatte. Das parlamentarische Regierungssystem passe aber nur dort, wo im politischen Körper zwei große Richtungen miteinander konkurrieren. Wo es nur noch die Person der Verwaltungsexekutoren zu wählen gebe, habe der Parlamentarismus als Regierungssystem keine Berechtigung31.

___________ 26

Hennis, in: ders., S. 105 ff., 113. Hennis, in: ders., S. 105 ff., 113. 28 Hennis, in: ders., S. 105 ff., 114. 29 Hennis, in: ders., S. 105 ff., 115. 30 Hennis, in: ders., S. 105 ff., 116 f. 31 Hennis, in: ders., S. 105 ff., 118 f. 27

V. Der neue Diskussionsanstoß durch Hans Herbert von Arnim

75

IV. Erster Anklang in jüngerer Zeit bei Oschatz Im Jahre 1990 hielt Georg-Berndt Oschatz32 einen Vortrag in der HermannEhlers-Akademie, aus welchem die Schrift „Perspektiven des Parteienstaates – Volksparteien in der Krise?“ hervorgegangen ist. Darin klingt erstmals in jüngerer Zeit die Idee einer Direktwahl der Ministerpräsidenten wieder an. Oschatz geht von der These aus, jede direkt vom Volk kommende, nicht allein über den „Transmissionsriemen Partei“ wirkende Regierungsgewalt sei ein Stück mehr Unabhängigkeit von den Parteien und trage zur Eindämmung von deren Machterweiterungsstreben bei33. Als Konsequenz schlägt Oschatz in erster Linie die – mittlerweile verwirklichte34 – Direktwahl der Bürgermeister und Landräte vor. Denkbar sei aber auch die Ausdehnung dieses Prinzips bis zu den Ländern hin, die „ohnehin im vereinigten Europa und auf Grund unserer anderen überstaatlichen Einbindungen immer mehr höhere Kommunaleinheiten“ würden35.

V. Der neue Diskussionsanstoß durch Hans Herbert von Arnim Im Jahre 1993 gab Hans Herbert von Arnim den Anstoß zu der neueren Diskussion über die Einführung einer Direktwahl der Ministerpräsidenten36. In seinem Werk „Staat ohne Diener“ knüpft er an die Thesen von Eschenburg und Hennis an37 und untersucht deren Tauglichkeit in heutiger Zeit.

1. Angleichung an Aufgabenverschiebung in Praxis bereits vollzogen Ausgangspunkt ist bei von Arnim die These, dass das Schwergewicht der deutschen Bundesländer inzwischen völlig bei der Verwaltung liege38. Zunächst einmal zeige bereits die derzeitige Praxis, dass für die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben ein System, in welchem die Regierung vom Parlament gewählt und notfalls abgewählt werde, nicht voll angemessen sei. Deshalb sei der Übergang zur Direktwahl der Ministerpräsidenten in Wahrheit schon ___________ 32 Der frühere Bundesratsdirektor Oschatz ist auch an den Vorschlägen der CDU zur Reform des Föderalismus aus dem Jahre 2003 maßgeblich beteiligt, vgl. Müller, FAZ v. 16. Juni 2003, S. 10. 33 Oschatz, S. 20. 34 Siehe § 2 III. 3. 35 Oschatz, S. 20. 36 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 323 ff. 37 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 323 f. 38 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 323.

§ 3 Aktueller Stand der Diskussion

76

halb vollzogen39. Bei Landtagswahlen orientiere sich der Bürger am ehesten an den beiden Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten.

2. Größere Unabhängigkeit von der eigenen Partei Gleichwohl macht nach von Arnim die Einführung einer „richtigen“ Direktwahl noch Sinn. Dadurch werde der Ministerpräsident unabhängiger von „seiner“ Partei40. Notfalls könne er auch ohne die Partei wiedergewählt werden, wenn es ihm gelingt, das Vertrauen der Bevölkerung zu erlangen. Dies zeige insbesondere der Vergleich mit den süddeutschen Großstädten, wo die Bürgermeister schon lange direkt gewählt werden41.

3. Stärkung der parlamentarischen Kontrolle Durch die Einführung einer Direktwahl werde die Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative wieder hergestellt42. Von Arnim belegt anhand zweier zentraler Kontrollmechanismen, dass in den Bundesländern die Kontrolle von Regierung und Verwaltung durch das Parlament weitgehend leer läuft, nämlich der Haushaltsbewilligung und der Untersuchungsausschüsse. Diese und andere Kontrollmechanismen würden durch die Einführung der Direktwahl neu belebt.

4. Zurückdrängung von übermäßigem Parteieneinfluss und Parteibuchwirtschaft Sodann greift von Arnim die postulierte Auswirkung der Direktwahl „größere Unabhängigkeit von der Partei“ wieder auf. Wurde zunächst die Betonung auf die allgemeine Tragweite dieser Wirkung gelegt, nämlich die stärkere Orientierung der Regierung am Willen des Volkes anstatt am Willen der Parteien, wird nun ein konkreter Aspekt der Auswirkung näher beleuchtet: die Zurückdrängung der „Parteibuchwirtschaft“43. Auch hier zeige ein Vergleich mit den süddeutschen Großstädten, dass die Direktwahl das Bestreben fördere, Ämterpat___________ 39

Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 324. Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 324. 41 Mittlerweile ist dies keine Besonderheit Süddeutschlands mehr, siehe § 2 III. 3. 42 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 325 f. 43 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 326 f. 40

V. Der neue Diskussionsanstoß durch Hans Herbert von Arnim

77

ronage zu vermeiden. Später spricht von Arnim allgemeiner vom übermäßigen Parteieneinfluss44.

5. Zurückdrängung der übermäßigen Durchsetzung von Partikularinteressen Derselbe Vergleich belege, dass ein direkt gewählter Ministerpräsident besser in der Lage sei, dem Überhandnehmen von Partikularinteressen wirkungsvoll entgegenzutreten45. Wie der direkt gewählte Bürgermeister werde er der natürliche Patron des Wohls des gesamten Landes und ein wirkungsvolles Gegengewicht zu den ansonsten häufig dominierenden Partikularinteressen.

6. Stärkere Gemeinwohlorientierung der Landespolitik Mit dem „Wohl des gesamten Landes“ bzw. dem „Gemeinwohl“ oder dem „Interesse des gesamten Gemeinwesens“46 wird ein gedanklicher Zwischenschritt zwischen der größeren Unabhängigkeit des direkt gewählten Ministerpräsidenten und dem Entgegentreten gegenüber Parteibuchwirtschaft und Partikularinteressen aufgezeigt, nämlich jener des Gemeinwohls. Die Überlegung ist Folgende: Es gibt ein Gemeinwohl47. Dem Gemeinwohl kann ein direkt gewählter Ministerpräsident besser dienen. Parteibuchwirtschaft und übermäßige Orientierung an Partikularinteressen sind gemeinwohlschädlich. Den Zwischenschritt fasst von Arnim an späterer Stelle48 wie folgt zusammen: Die Staatlichkeit im Sinne eines überparteilichen Gemeinwohlbezugs würde gestärkt. Das überzogene, weniger sach- als machtorientierte Konfrontationsdenken würde abgebaut.

___________ 44

Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 331. Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 327 f. Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 327 f. 47 Mit dem Gemeinwohlbegriff selbst hat sich von Arnim in seiner Habilitationsschrift eingehend auseinandergesetzt, s. von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 5 ff. 48 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 331. 45 46

§ 3 Aktueller Stand der Diskussion

78

7. Direktwahl des Ministerpräsidenten als Voraussetzung für eine Parlamentsreform Die Direktwahl ermögliche weiter eine echte Parlamentsreform49. Damit lenkt von Arnim den Blick erstmals auf die Bedeutung einer Einführung der Volkswahl für mögliche weitere Reformen und rückt sie ins Zentrum der Diskussion um die Reform der Landesverfassungen.

8. Stärkere Maßgeblichkeit des Volkswillens als Mittel gegen Parteienverdrossenheit Schließlich bewirke die zu erwartende stärkere Orientierung des direkt gewählten Ministerpräsidenten am Volk und die damit verbundene Abkehr vom Parteienabsolutismus eine Aktivierung des Volkes und sei folglich ein Mittel gegen die zunehmende Parteienverdrossenheit50.

9. Keine Besorgnis der Wahl von Demagogen Dem Gegenargument, die Direktwahl führe zur Wahl von Demagogen, hält von Arnim wiederum den Vergleich mit dem direkt gewählten Bürgermeister in den süddeutschen Großstädten entgegen51.

10. Keine Besorgnis von übermäßig starken Ministerpräsidenten Gegen das Argument, der direkt gewählte Ministerpräsident werde übermäßig stark, führt er an, dass die Landtagswahlen schon jetzt verschleierte Direktwahlen seien und dass aufgrund der bereits postulierten gleichzeitigen Stärkung des Parlaments und der damit verbundenen Wiederherstellung der Gewaltenteilung ein wirksamer Schutzmechanismus bestehe52.

___________ 49

Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 330. Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 330. 51 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 330. 52 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 330. 50

VI. Die Direktwahl als Forderung der Frankfurter Intervention

79

Seine Thesen zur Volkswahl hat von Arnim mittlerweile in einer Reihe weiterer Publikationen aufgegriffen und fortgeführt53

VI. Die Direktwahl als Forderung der Frankfurter Intervention Die Thesen von Arnims hatten maßgeblichen Einfluss auf die Thesen der Frankfurter Intervention aus dem Jahre 199454. Dabei handelt es sich um eine Gruppierung mit Politik befasster Persönlichkeiten von unterschiedlichen politischen Standorten55. Ihr Anliegen ist es, sich unabhängig von den Parteien in die Politik einzumischen56. Erstmals machte sie im Jahre 1993 von sich reden, als sie Jens Reich für das Amt des Bundespräsidenten empfahl. Inhaltlich stimmen ihre Thesen zur Direktwahl mit den Thesen von Arnims überein, weshalb sie an dieser Stelle nicht im Einzelnen wiedergegeben werden sollen. Interessant im Hinblick auf die Direktwahl ist jedoch die Zustimmungsverteilung innerhalb der Frankfurter Intervention. Von 30 Mitgliedern waren 23 für57 und lediglich 7 gegen58 die Einführung einer Direktwahl der Ministerpräsidenten59.

___________ 53 Von Arnim, Das System, S. 336 ff.; ders., DER SPIEGEL v. 20. Dezember 1993, S. 35 ff.; ders., DVBl. 1999, 417 ff., 420; ders., DVP 1999, 47 ff.; ders., FAZ v. 11. Februar 2000, S. 44; ders., Fetter Bauch regiert nicht gern, S. 389; ders., Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 09. Juli 2000, S. 4; ders., in: Deutscher Beamtenbund, S. 27 ff., 47; ders., in: Die Umkehr der demokratischen Idee (Interview), Schwäbische Zeitung v. 16. Mai 2003; ders., in: Festschr. König, S. 371 ff.; ders., in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 21 ff.; ders., in: Zimmermann, S. 7 ff., 21; ders., Parlament – Beilage 2000, Nr. 16, S. 30 ff.; ders., RuP 36 (2000), 83 ff., 89; ders., Verantwortlichkeit gegenüber den Bürgern stärken, SZ v. 16. September 2002; ders., Vom schönen Schein, S. 112 f., 154 ff.; ders., Wählen wir die Länderchefs direkt!, DIE WELT v. 28. Februar 2004; ders., Wirtschaftsdienst 2002, 193 ff., 196 f. 54 Abgedruckt in gekürzter Form in: Stuttgarter Zeitung v. 23. September 1994, S. 4; ungekürzt in: RuP 31 (1995), 16 ff. 55 Vgl. Stuttgarter Zeitung v. 23. September 1994, S. 4. 56 Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 16. 57 Konrad Adam, Meinhard Ade, Hans Herbert von Arnim, Bernd Peter Arnold, Daniel Cohn-Bendit, Warnfried Dettling, Hans Magnus Enzensberger, Joachim Fest, Alexander Gauland, Matthias Greffrath, Klaus Harpprecht, E. Haverkampf, Wolfgang Herles, Frank Herterich, Peter Iden, Udo Knapp, Wolf Lepenis, Günther Nooke, Mathias Platzeck, Jens Reich, Konrad Schily, Dieter Simon, Cora Stephan. 58 Ralf Dahrendorf, Lothar Gall, Dieter Grimm, Wilhelm Hennis, H. Markl, Thomas Schmid, Antje Vollmar. 59 Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 16.

§ 3 Aktueller Stand der Diskussion

80

VII. Hans H. Klein als schärfster Kritiker Im Jahre 1997 hat Hans H. Klein die Direktwahl des Ministerpräsidenten zum Gegenstand eines Aufsatzes in der Festschrift für Martin Kriele gemacht60. Darin setzt er sich vor allem mit den Erwartungen, welche die Befürworter an die Reform haben, auseinander. In der wissenschaftlichen Literatur ist Klein mit seiner Abhandlung die kritischste Stimme. Das heißt nicht, dass er die Direktwahl ablehnt. Er warnt vielmehr vor einer überhasteten Reform. Am Ende seiner Untersuchung „überwiegt Skepsis“61 und er gelangt zu dem Fazit: „Der Vorschlag, die Ministerpräsidenten der Länder direkt zu wählen, ist interessant. Zu Ende gedacht ist er nicht.“

1. Stärkerer politischer Einfluss der Ministerpräsidenten Klein gesteht zunächst zu, dass die Wahl des Regierungschefs unmittelbar durch das Volk dessen politischen Einfluss nicht unerheblich zu verstärken geeignet sei62.

2. Keine Manipulierbarkeit und Überforderung des Volkes Die Direktwahl unterliege als Personalentscheidung auch nicht den gleichen Einwänden, wie sie gegen unmittelbare Sachentscheidungen durch das Volk bestünden, namentlich der Überforderung der Bevölkerung und der Manipulierbarkeit63.

3. Stärkung von Ministerpräsident und Parlament Schließlich hält auch Klein eine Stärkung von Autorität und Durchsetzungsfähigkeit des Regierungschefs sowie der Selbständigkeit und Durchschlagskraft des Parlaments und damit der parlamentarischen Kontrollfunktion durch die Einführung der Direktwahl für „hoch wahrscheinlich“64.

___________ 60

Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff. Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 586. 62 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 576 f. 63 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 577. 64 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 577 f. 61

VII. Hans H. Klein als schärfster Kritiker

81

4. Einfluss der Parteien bleibt Für verfehlt hält Klein hingegen die Erwartung, die Direktwahl werde zu einer ins Gewicht fallenden Begrenzung des Einflusses der Parteien auf die Landespolitik führen. Erstens sei es nur schwer vorstellbar, dass ein nicht einer Partei verpflichteter, einer solchen nicht angehörender Kandidat bei der Wahl Erfolg haben könnte65. Hier greife der Vergleich mit der kommunalen Ebene nicht, da dort ausschließlich in kleineren Gemeinden mitunter parteilose Kandidaten zum Zuge kämen. Die Verhältnisse in einem Bundesland seien andere. Zweitens bleibe ein direkt gewählter Ministerpräsident auf die Zusammenarbeit mit dem Parlament, dessen Zustimmung er zur Ernennung der Minister bedürfe, und damit auch auf inhaltliche Absprachen mit dem Parlament angewiesen66. Die Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit von Koalitionsabsprachen sei daher mehr eine Frage der Zusammensetzung des Parlaments und damit des Wahlrechts, als eine solche des Regierungssystems.

5. Versachlichung der parlamentarischen Diskussion fraglich Die Frage, ob die Direktwahl die politische Auseinandersetzung im Parlament versachlichen würde, hält Klein für zumindest offen67. Grundsätzlich bleibe ja das Bestreben der Minderheit, zur Mehrheit zu werden, sowie das Bemühen, mit dem eigenen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten bei den nächsten Wahlen zu obsiegen, unberührt.

6. Kein taugliches Mittel gegen Ämterpatronage Klein sieht in der Direktwahl der Ministerpräsidenten auch kein probates Mittel zur Eindämmung der – in ihrer Schädlichkeit und Verfassungswidrigkeit nicht bestrittenen68 – Ämterpatronage im öffentlichen Dienst. Gerade in den USA mit dem am längsten bewährten Präsidialsystem werde bei einem Machtwechsel zu einem Präsidenten einer anderen Partei regelmäßig fast das gesamte Führungspersonal der Verwaltung ausgetauscht69. Für die deutschen Kommunen, in denen der Bürgermeister vom Volk gewählt wird, sei der Beweis, dass die Parteizugehörigkeit bei Personalentscheidungen eine geringere Rolle spie___________ 65

Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 578. Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 578 f. 67 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 579. 68 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 579. 69 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 579. 66

82

§ 3 Aktueller Stand der Diskussion

len würde, ebenfalls nicht erbracht70. Das bedeutendste Argument Kleins in diesem Kontext ist jedoch, dass er einen Zusammenhang zwischen parteilicher Abhängigkeit und Ämterpatronage leugnet: Das Phänomen der Ämterpatronage habe „seine eigentliche Ursache ja nicht darin, dass Parteien und Fraktionen „ihren“ Regierungschefs und Ministern unablässig im Nacken sitzen, treue Parteisoldaten mit irgendwelchen Posten zu versorgen“71. Vielmehr sei die Parteipolitisierung des öffentlichen Dienstes die Folge einer seit den sechziger Jahren eingetretenen allgemeinen Politisierung der Gesellschaft. Ein Verwaltungschef könne es nicht riskieren, dass seine Entscheidungen nicht selbständig weitergedacht und in eigener Initiative ausgeführt, sondern behindert oder konterkariert werden72. Mit anderen Worten: Der Verwaltungschef tue mit der Einstellung bzw. Ernennung nicht seinen Parteigenossen einen Gefallen, sondern sich selbst, weil er nur so sein politisches Konzept umsetzen kann.

7. Direktwahl und Gemeinwohlorientierung Im Folgenden setzt sich Klein mit dem Postulat von Arnims und der Frankfurter Intervention auseinander, die Direktwahl führe zu einer Stärkung der Unabhängigkeit des Ministerpräsidenten im Sinne einer überparteilichen und überverbandlichen Gemeinwohlorientierung. Diese Erwartung verfehle die Wirklichkeit73. In ihr spiegele sich die Illusion, es gebe ein objektives Gemeinwohl, das sich in einem rationalen Erkenntnisprozess aufspüren lasse, wenn man nur die störende Konkurrenz der Partikularinteressen hinter sich lasse. Das sei eine gefährliche Mystifikation74. Stattdessen sei Gegenstand der Idee des Gemeinwohls die an jeden Amtsträger gerichtete, rechtlich verpflichtende Aufforderung, sich im Amte mit keinem partikularen Interesse, vor allem nicht mit seinem eigenen, zu identifizieren75. Weder Staat noch Amtsträger dürften sich von partikularen Interessen vereinnahmen lassen, sondern hätten diese nach bestem Wissen und Können zusammenzuführen und zu einem für alle hinnehmbaren Ausgleich zu bringen. Hier stellt sich die Frage, ob die Frankfurter Intervention und von Arnim nicht genau das meinen, ob nicht Klein aufgrund einer Missinterpretation an der eigentlichen Kernaussage der Gegenmeinung vorbei argumentiert. Diese Kernaussage wäre, dass ein direkt gewählter Bürgermeister genau diese von Klein dargestellte Idee des Gemeinwohls besser ___________ 70

Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 579. Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 579 f. 72 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 580. 73 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 580. 74 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 581. 75 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 582 f. 71

VII. Hans H. Klein als schärfster Kritiker

83

verwirklichen kann, der Gefahr, sich von Partikularinteressen vereinnahmen zu lassen, mithin besser trotzen kann. Darauf wird noch zurückzukommen sein76.

8. Die Aufgabenverschiebung in den Ländern und die Gewaltentrennung Nur weil sich ein Teil der mit der Reform verknüpften Erwartungen nicht erfülle, so räumt Klein ein, spreche dies noch nicht gegen die Reform77. Darüber müsse letztlich eine Abwägung der Vor- und Nachteile entscheiden, wofür es wesentlich auf die Aufgaben der Länder ankomme. Klein legt zunächst Wert auf die Feststellung, dass die Länder sich nicht zu bloßen Exekutiveinheiten entwickelt hätten, sondern dass anstelle der verloren gegangenen Legislativbefugnisse umfangreiche Mitwirkungsbefugnisse auf Bundesebene getreten seien („Beteiligungs- und Exekutivföderalismus“)78. Den Machtzuwachs der Exekutiven bei gleichzeitigem Rückgang der Bedeutung der Landesparlamente gesteht Klein den Befürwortern der Reform zu79, doch legt er bei der weiteren Betrachtung das Augenmerk ausschließlich auf die (mittelbaren) Folgen für die Kontrolle der Exekutiven durch das Parlament und nicht auf das primäre Anliegen der Reformbefürworter, die unmittelbare Legitimation und Kontrolle durch das Volk müsse den geänderten Machtverhältnissen angepasst werden. Im Hinblick auf die Kontrolle durch das Parlament stellt er die zunächst auch von ihm bejahte80 Stärkung der parlamentarischen Kontrolle für die Praxis aus zweierlei Gründen wieder in Frage: Zum einen bezweifelt er, dass die Abgeordneten den gesteigerten Anforderungen einer Kontrolle der neuen Exekutivbefugnisse gewachsen sind bzw. dass künftig entsprechend befähigte Abgeordnete gewählt würden81. Zum anderen bezweifelt Klein, dass die Landtage überhaupt über geeignete Kontrollinstrumente verfügen, zumal wenn ihnen die Möglichkeit einer Abwahl des Ministerpräsidenten genommen wird82.

___________ 76

Siehe § 9 V. Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 583. Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 583 f. 79 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 584. 80 Siehe § 3 VII. 3. 81 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 585. 82 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 585 f. 77 78

§ 3 Aktueller Stand der Diskussion

84

VIII. Die Befürwortung der Direktwahl durch Brun-Otto Bryde Der jetzige Bundesverfassungsrichter Brun-Otto Bryde hat sich in seinem Beitrag über die Reform der Landesverfassungen auf dem 3. Speyerer Demokratieforum 1999 mit der Direktwahl der Ministerpräsidenten befasst83.

1. Hauptproblem: Mangelnde Transparenz infolge Verantwortungsverflechtung Ausgangspunkt ist auch bei Bryde die Aufgabenverschiebung bei den Ländern, wobei Bryde den Bundesstaat insgesamt in den Blickpunkt der Betrachtung rückt84. Er bezieht sich auf Ellwein, der schon in den siebziger Jahren von einem „Verschiebebahnhof für parlamentarische Verantwortung“85 sprach. Die Gesetzgebung liege weitgehend beim Bund bzw. der Europäischen Union, die Ausführung bei den Ländern. So könne auf Bundesebene der Bundestag die Bundesregierung nicht kontrollieren, weil diese seine Gesetze nicht ausführe, und auf Landesebene sich die Landesregierung gegenüber dem Landtag häufig auf verbindliche Bundesvorgaben berufen86. Weiter geht Bryde vom demokratischen Ideal größtmöglicher Selbstbestimmung der von der Politik Betroffenen aus87. Vor diesem Hintergrund sei die Verflechtung nicht in erster Linie ein Problem der Entscheidungsfähigkeit sondern der mangelnden Zurechenbarkeit von Entscheidungen und damit der Unmöglichkeit, Verantwortung deutlich zu machen88. Die Betonung liegt hier also auf Transparenz bei der Verantwortungsverteilung als Grundlage für eine wirksame Kontrolle.

2. Entbehrlichkeit institutioneller Übereinstimmung von Regierung und Parlamentsmehrheit Im Folgenden thematisiert Bryde die Direktwahl in ihrer Bedeutung für das Verhältnis von Aufgaben- und Organisationsstruktur der Länder89. Das parlamentarische Regierungssystem sei durch die institutionalisierte Übereinstim___________ 83

Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff. Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 147 f. 85 Ellwein, S. 74; s. auch heute noch Ellwein/Hesse, S. 88 („Verschiebebahnhof von Verantwortung“). 86 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 148. 87 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 149; ders., in: Sitter-Liver, S. 223 ff., 228 ff. („Demokratie als Opitmierungsgebot“). 88 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 149. 89 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 153 ff. 84

VIII. Die Befürwortung der Direktwahl durch Brun-Otto Bryde

85

mung von Regierung und Parlamentsmehrheit gekennzeichnet und habe seine besondere Leistungsfähigkeit daher, wenn es um die effektive Durchsetzung von Gesetzgebungsprogrammen im Parlament geht, also im Gesetzgebungs-, nicht im Verwaltungsstaat90. Im politischen System der Bundesländer sei dieses Regierungssystem hinsichtlich der Gesetzgebungsfunktion nicht erforderlich. Notfalls lasse sich auch weitgehend ohne eine parlamentarische Mehrheit regieren91.

3. Mangelnde parlamentarische Kontrolle Als Hauptnachteil des parlamentarischen Systems zeigt Bryde die mangelnde parlamentarische Kontrolle auf. In einem Verwaltungsstaat sei Hauptaufgabe des Parlaments die Kontrolle der Exekutiven. Diese müsse, um effektiver zu werden, von der Notwendigkeit befreit werden, die von der Mehrheit bestellte Regierung zu stützen92.

4. Belebung der diskursiven parlamentarischen Willensbildung Allgemein sieht es Bryde als Nachteil des parlamentarischen Systems an, dass eine diskursive politische Willensbildung regelmäßig durch den ritualisierten Schlagabtausch zwischen Mehrheit und Opposition ersetzt sei93. Der Wegfall des dem parlamentarischen System immanenten Gefolgschaftszwangs würde politische Diskussionslinien offener ins politische Forum bringen94.

5. Angleichung von demokratischer Legitimation und Aufgabenwahrnehmung Weiter sei es nur konsequent, wenn Hauptfunktion der Länder die Verwaltung ist, den Bürger auch an der Bestellung dieser Staatsgewalt unmittelbar zu beteiligen und auch der Exekutive unmittelbare demokratische Legitimation zu verleihen95. ___________ 90

Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 153. Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 154. 92 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 154. 93 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 153. 94 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 154. 95 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 154. 91

§ 3 Aktueller Stand der Diskussion

86

6. Stärkung des Parlaments als Gegengewicht zum Ministerpräsidenten Dem Gegenargument einer weiteren Stärkung der Exekutive (ins Übermaß) hält Bryde entgegen, dass gerade in gewaltenteilenden Systemen Parlamente in der Regel selbstbewusster und kontrollfreudiger seien, als in parlamentarischen96.

7. Bedenken wegen zusätzlicher Personalisierung Bedenklich sei hingegen, dass mit der Direktwahl die „ohnehin stark auf Landesfürsten zugeschnittenen“ politischen Systeme der Länder zusätzlich personalisiert würden. Dem will Bryde mit einer Volkswahl der gesamten Regierung entgegnen97.

IX. Die Thesen Albert Janssens Albert Janssen hat sich in einem Hartmut Maurer gewidmeten Beitrag zur „Reformbedürftigkeit des deutschen Bundesstaates aus verfassungsrechtlicher Sicht“ näher mit der Direktwahl der Ministerpräsidenten befasst98. Noch stärker als bei Bryde steht bei Janssen die Betrachtung der Bundesländer im Gefüge des deutschen Bundesstaates im Vordergrund. Die Argumentationslinie lässt sich grob wie folgt nachzeichnen:

1. Verlust sachlicher Autonomie der Länder als Legitimitätsproblem des deutschen Bundesstaates Zunächst weist auch Janssen auf eine große Einbuße an sachlicher Autonomie bei den Bundesländern hin99. Auf der sachlichen Autonomie der Länder als Teilstaaten beruhe aber die verfassungsrechtliche Legitimität des deutschen Bundesstaates100. Die sachliche Autonomie der Länder sei nicht Selbstzweck, sondern finde ihre Rechtfertigung erstens in der dadurch gegebenen Möglichkeit, ein sachnahes staatliches Handeln und Entscheiden sowie einen Wettbewerb zwischen den Ländern wie auch zwischen Bund und Ländern um die ___________ 96

Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 154. Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 155. 98 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff. 99 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 59. 100 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 62. 97

IX. Die Thesen Albert Janssens

87

beste Lösung zu erreichen101. Zweitens resultiere die sachliche Autonomie der Bundesländer aus einer Verbindung von Freiheit und Demokratie und legitimiere so gemeinsam mit der sachlichen Autonomie des Bundes den Bundesstaat102. Es gehe dem Bundesstaat des Grundgesetzes im Ergebnis um möglichst weitgehende demokratische Teilhabe des Bürgers. Deshalb gehe mit dem Mangel sachlicher Autonomie der Länder ein Verlust des Bundesstaates an Legitimität einher und sei umgekehrt die Stärkung der Länderautonomie der einzige Weg zur Überwindung der Krise des deutschen Bundesstaates103.

2. Parteipolitische Gleichschaltung als Ursache für den Verlust sachlicher Autonomie Die Einzelursachen für den Verlust sachlicher Autonomie der Länder zeigt Janssen auf breiter Front auf. Für die Gesetzgebung verweist er auf die starke Abwanderung ursprünglicher Landeskompetenzen auf den Bund und die ständig zunehmende Europäisierung des Bundes- und Landesrechts, ferner auf die Rechtsprechung des BVerfG zur alten Fassung von Art. 72 Abs. 2 GG104. Für die Einengung der finanziellen Handlungsspielräume der Länder seien vor allem die durch Bundesgesetze veranlassten Ausgaben der Länder verantwortlich105. Auch ein Verlust an Verwaltungskompetenzen sei zu verzeichnen, ausgelöst neben zunehmender Intensität der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle vor allem durch ein extensives Gebrauchmachen des Bundes von seinen in Art. 84 Abs. 1 und 2 GG eingeräumten Befugnissen und den gezielten Ausbau der bundeseigenen Verwaltung nach Art. 87 Abs. 3 GG106. Die Erweiterung der Zustimmungsvorbehalte des Bundesrates kompensiere jedenfalls nicht den bei den Landtagen als wesentlichen Trägern der sachlichen Autonomie eingetretenen Kompetenzverlust107. Selbst in jenen Bereichen, in denen den Ländern noch eigene Befugnisse zustehen, werde von diesen nur spärlich wirklicher Gebrauch gemacht. Häufig seien eine freiwillige Selbstkoordinierung im Bereich der Verwaltung und praktisch identische, auf gemeinsamen Entwürfen der Landesregierungen beruhende Gesetze108. ___________ 101

Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 62. Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 63. 103 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 64. 104 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 59 f. 105 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 60. 106 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 60. 107 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 61. 108 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 60. 102

§ 3 Aktueller Stand der Diskussion

88

Das letztere Phänomen sowie weitgehend die Kompetenzverluste, die die Länder über den Bundesrat in den meisten Fällen hätten verhindern können, also das Gros der Einzelursachen, finden ihre Ursache nach Janssen ihrerseits in der „parteipolitischen Gleichschaltung“109. Die Ministerpräsidenten bzw. Landesregierungen nähmen im Bundesrat nicht die Interessen ihres Landes wahr, sondern jene ihrer Bundesparteien. Die Landtage wiederum, die korrigierend auf die Regierungen einwirken könnten, täten dies ebenfalls aus parteipolitischer Räson nicht, weil die Regierungskoalition „ihre“ Regierung nicht „im Regen stehen lassen“ wolle110. Nicht zuletzt aus diesem Grund stelle die Erweiterung der Zustimmungsvorbehalte des Bundesrates auch keine wirkliche Kompensation für den Verlust an sachlicher Autonomie dar. Da mithin das grundsätzliche Problem des deutschen Bundesstaates in der strukturellen Gegenläufigkeit von Parteiensystem und Bundesstaat liege, könne es nur beseitigt bzw. verringert werden, wenn der Einfluss des unitarischen Parteiensystems auf den Bundesstaat zurückgedrängt werde111. Dies wiederum lasse sich wirksam nur durch die Einführung einer Direktwahl der Ministerpräsidenten erreichen. Janssen begründet das mit drei Überlegungen:

3. Wiederherstellung echter parlamentarischer Kontrolle Zunächst würde auch nach Janssen die Einführung einer Direktwahl der Ministerpräsidenten eine wirksame parlamentarische Kontrolle der Landesregierungen durch die Landesparlamente ermöglichen112. Im Sinne der eigentlichen Intention des Gewaltenteilungsprinzips würde der Regierung wesentlich häufiger als im bisherigen System das gesamte Parlament als Kontrollorgan gegenübertreten und nicht bloß die Opposition. Auch träten die Landtage wieder weitaus stärker in ihrer, ihnen per Verfassung zugewiesenen Funktion als eigenständig entscheidende Gesetzgebungsorgane in Erscheinung113.

___________ 109

Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 61. Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 61. 111 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 74. 112 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 74 f. 113 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 75. 110

IX. Die Thesen Albert Janssens

89

4. Rückbesinnung auf das Landeswohl im Bundesrat Zur Bekämpfung der Gleichschaltung im Bundesrat, wo sich die strukturelle Gegenläufigkeit von Parteiensystem und Bundesstaat angesichts des weit verbreiteten Selbstverständnisses der politischen Parteien als Bundesparteien besonders deutlich zeige, komme als einzige landesverfassungsrechtliche Reformmaßnahme ebenfalls die Direktwahl der Ministerpräsidenten in Betracht114. Es sei zu erwarten, dass ein direkt gewählter Ministerpräsident sein Verhalten im Bundesrat primär an den Interessen des Landesvolkes als dem unmittelbaren Stifter seiner Legitimation ausrichten werde und nur sekundär an den Interessen der Bundesparteien.

5. Schaffung einer hinreichenden demokratischen Legitimation des Bundesrates für seine Stellungnahmen nach Art. 23 Abs. 2, 4 bis 6 GG Einen völlig neuen Aspekt führt Janssen mit seiner Untersuchung der Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union in die hier geführte Diskussion über die Direktwahl der Ministerpräsidenten ein115. Die beiden wesentlichen Argumentationsschritte lauten: Die Mitwirkung des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union nach Art. 23 Abs. 2, 4-6 GG sei eine quasi-parlamentarische Kontrolle116. Bundesrat und Bundestag kontrollierten beide die Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union und zwar jeder einen bestimmten, allein ihn betreffenden Tätigkeitsbereich – der Bundesrat jenen Bereich, für den innerstaatlich die Länder zuständig wären. Da somit erst beide zusammen eine vollständige demokratische Kontrolle der Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union gewährleisteten, könne der Bundesrat die für seine quasiparlamentarische Kontrolle der Bundesregierung erforderliche demokratische Legitimation auch nur aus sich selbst heraus stiften117. Hierbei sei fraglich, ob eine mittelbare demokratische Legitimation (über die Landtage) ausreiche. Das verneint Janssen mit der Begründung, dass parlamentarisch-demokratische Kontrolle, auch in der hier vorliegenden Form, ein echtes demokratisches Äquivalent zu verbindlichen Eigenbeschlüssen des Parlaments

___________ 114

Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 76. Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 77 ff. 116 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 77 f. 117 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 78. 115

§ 3 Aktueller Stand der Diskussion

90

darstelle118. Dann bedürfe sie auch derselben unmittelbaren demokratischen Legitimation. Diese These ist in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen. Berücksichtigt man nämlich, dass die Europäische Union ihrerseits ihre demokratische Legitimation auf eine doppelte Legitimationsbasis stützt, neben der europäischen auch auf die national vermittelte Legitimation119, so kratzt die These samt den derzeitigen Gegebenheiten (mittelbare Wahl der Ministerpräsidenten) an der demokratischen Legitimation der Europäischen Union. Umgekehrt und ein wenig abgemildert bedeutet sie, dass die Direktwahl der Ministerpräsidenten möglicherweise geeignet wäre, die demokratische Legitimation der Europäischen Union aus deutscher Sicht zu erhöhen120.

6. Nebeneffekt: Zurückdrängung der Ämterpatronage Schließlich geht auch Janssen davon aus, dass die Direktwahl der Ministerpräsidenten die Ämterpatronage verringern würde121. Angesichts seines primären Ziels, der Stärkung der Länderautonomie, handelt es sich für ihn dabei quasi um einen positiven Nebeneffekt.

X. Die jüngste Untersuchung von Hartmut Maurer Die soweit ersichtlich jüngsten Thesen zur Direktwahl der Ministerpräsidenten stammen von Hartmut Maurer, der diesem Thema in der Festschrift für Ekkehart Stein einen Beitrag gewidmet hat122. Darin befasst sich Maurer zunächst umfassend mit dem historischen Hintergrund der gegenwärtigen Diskussion123 und der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Einführung einer Direktwahl124. Im Rahmen seiner anschließenden verfassungspolitischen Erwägungen knüpft er an die bisherigen Untersuchungen an und stellt deren Argumente einander gegenüber125.

___________ 118

Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 79. Koenig/Haratsch, Rn. 102 ff.; Oppermann, Rn. 242; Streinz, Rn. 283a; weitere Nachw. unter § 10 VI. 2. 120 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 79. 121 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 76 (dort Fn. 47). 122 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff. 123 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 145 ff. 124 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 152 ff. 125 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 156 ff. 119

X. Die jüngste Untersuchung von Hartmut Maurer

91

1. Die Argumente pro Direktwahl So treffe es zu, dass die auf eine Person gerichtete Wahl für den Wähler fassbarer werde und dazu führe, dass das Spektrum der Kandidaten grundsätzlich erhöht wird und die Parteien sich bei der Kandidatenauswahl eher an den Vorstellungen der Bürger und der Qualität des Kandidaten als an dessen parteiinternen Verdiensten orientieren126. Der Bürger sei nicht mehr gezwungen, den Kandidaten der von ihm befürworteten Partei oder die Partei des gewünschten Kandidaten zu wählen. Insgesamt würden deshalb die demokratischen Rechte des Bürgers verbessert127. Der Ministerpräsident erlange eine stärkere Stellung; er sei nicht mehr „Exponent der Parlamentsmehrheit“, sondern eigenständiges Verfassungsorgan. Auch die Parlamente würden freier und der Einfluss der Bundesparteien ginge zurück128.

2. Die Argumente contra Direktwahl Demgegenüber bleibe der direkt gewählte Ministerpräsident aber auf die Zusammenarbeit mit dem Parlament angewiesen. Bei einer Regierung ohne Parlamentsmehrheit könne es sich allenfalls um eine Art vorübergehende Notregierung handeln, weshalb es beim Auftreten von Koalitionen bleibe und diese möglicherweise schon im Vorfeld von Wahlen aufträten129. Maurer wendet sich gegen die Argumentation mit dem Gemeinwohl. Der vom Volk gewählte Ministerpräsident sei kein „deus ex machina“, sondern werde mit Hilfe politischer Parteien von der Mehrheit des Volkes gewählt. Das Gemeinwohl sei kein objektiver, bei gutem Willen und notwendiger Einsicht fassbarer Wert, kein „Destillat der Partikularinteressen“, sondern müsse im Diskurs ermittelt werden130. Auch die Argumentation der Reformbefürworter mit der Exekutivfunktion der Bundesländer gehe fehl. Wenn überhaupt, handele es sich um ein Gegenargument, denn nicht der Chef einer Verwaltungseinheit, sondern die Spitze einer politischen Einheit müsse direkt gewählt werden131.

___________ 126

Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 156. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157. 128 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157. 129 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 158. 130 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 158. 131 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 159. 127

§ 3 Aktueller Stand der Diskussion

92

3. Grundsätzliche Befürwortung bei verbleibender Skepsis Schließlich warnt Maurer davor, die verfassungspolitischen Überlegungen zu überschätzen, da es für die konkreten praktischen Auswirkungen stark auf die jeweiligen Personen ankomme132. Im Ergebnis sprechen nach seinem Dafürhalten aber die besseren Gründe für eine Volkswahl133.

XI. Weitere Äußerungen Die vorstehende Darstellung des aktuellen Standes der Diskussion erhebt insoweit keinen Anspruch auf Vollständigkeit, als damit nicht alle Veröffentlichungen zur Direktwahl der Ministerpräsidenten erfasst sind. Vollständigkeit ist vielmehr angestrebt bezüglich der Streitpunkte und Argumente. Deshalb wurden diejenigen Autoren herausgegriffen, die sich am eingehendsten und umfassendsten mit dem Reformvorschlag auseinandergesetzt haben bzw. deren Äußerungen für die Entwicklung der Diskussion von besonderer Bedeutung sind. Eine Reihe weiterer Veröffentlichungen greifen einzelne dieser Argumente auf, nehmen dazu in der einen oder anderen Richtung Stellung134, sprechen das Thema zwar an, lassen die Grundfrage aber letztlich unbeantwortet135 oder geben schlicht die politische Meinung des Verfassers pro136 oder

___________ 132

Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 158. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 158. 134 Borchert, S. 215 (ablehnend); Lehmbruch, S. 167 f., im Hinblick auf den Vorschlag, zum Ausgleich verlorener Landesgesetzgebungskompetenzen auf Bundesebene sämtliche Gesetze von der Zustimmung des Bundesrates abhängig zu machen; Giesing, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 75 ff., 84 f. (befürwortend); van Ooyen, RuP 36 (2000), 165 ff., 167 (ablehnend); Patzelt, Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/2000, S. 3 f., 4 (ablehnend); Rupp, in: Bitburger Gespräche – Jahrbuch 1993/2, S. 111 ff., 118 (befürwortend); Schneider, S. 102 ff. (eher krit.). 135 So Friedrich, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 47 ff., 48; Leisner, DÖV 1968, 389 ff., 390; Möller, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 75 ff., 78 ff. 136 Für eine Direktwahl sprechen sich noch aus: Escher, in: FOCUS 32/1997, S. 50; und Meyer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 65 ff., 71 ff. (für echtes Präsidialsystem). Kolportiert sind auch noch zustimmende Äußerungen des ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, des ehemaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe, des ehemaligen thüringischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel und des ehemaligen hamburgischen Ersten Bürgermeisters Henning Vorscherau, siehe von Arnim, Wirtschaftsdienst 2002, 193 ff., 197; ferner von Hans-Olaf Henkel und Gregor Gysi, s. von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 378. 133

XI. Weitere Äußerungen

93

contra137 eine Direktwahl der Ministerpräsidenten wieder. Diese Äußerungen werden in der vorliegenden Abhandlung an denjenigen Stellen berücksichtigt, an die sie nach der hier zu erarbeitenden Systematik gehören. Für die Systematisierung ist ihre Darstellung nicht erforderlich.

___________ 137 Gegen eine Direktwahl der Ministerpräsidenten sind: Althaus, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 17 f.; Bausewein, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 33 ff., 34; Dewes, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 43 ff., 44 f. („zumindest zum derzeitigen Zeitpunkt“); von Hassel, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 51 f.; Kretschmer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 53 ff., 55 f.; Zimmer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 89 ff., 90 ff. Von Arnim, Wirtschaftsdienst 2002, 193 ff., 197, berichtet außerdem von ablehnenden Äußerungen durch den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (s. dazu auch das bei von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 384, wiedergegebene Streitgespräch im Trierischen Volksfreund), den ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Hans Eichel und den ehemaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau, der sich allerdings während seiner Amtszeit als Bundespräsident mittlerweile für die Direktwahl des Bundespräsidenten ausgesprochen hat, s. „Rau fordert Direktwahl des Präsidenten“, DIE WELT v. 06. September 2003.

§ 4 Versuch einer Systematisierung der Streitpunkte und Argumente Um die komplexe Streitfrage, welches das beste oder bessere Regierungssystem für die Bundesländer darstellt, beantworten zu können, ist es erforderlich, das eigentlich Streitige vom Unstreitigen1 zu trennen. Das Unstreitige ist später zur Absicherung der wissenschaftlichen Lückenlosigkeit der Ergebnisbegründung zu verifizieren, das Streitige zu entscheiden. Vorher muss beides jedoch systematisiert werden. Die Vielschichtigkeit der Ausgangsfrage schlägt sich nieder in einer Vielschichtigkeit der angeführten Argumente. Insbesondere ist zu verzeichnen, dass nicht selten ein Argument ein anderes bedingt, die Kehrseite eines anderen Arguments darstellt oder – und das ist für die Systematisierung der schwierigste Fall – sich mit einem anderen Argument überschneidet. Vor allem gilt es daher die Argumente und ihre konkreten Streitgegenstände zueinander ins logische Verhältnis zu setzen. Wenn weiter oben2 die Rede davon ist, ein System zu entwickeln, muss dies also dahingehend präzisiert werden, dass es wesentlich darum geht, die bestehenden Zusammenhänge aufzuzeigen, also das hinter den Argumenten bereits bestehende System aufzudecken. Das soll im Folgenden versucht werden.

I. Streit über Konsequenzen und Streit über deren Bewertung Eine Kategorisierung der aufgeführten Argumente kann auf vielfältige Weise erfolgen. In Betracht kommt etwa eine Ordnung nach den primären Reformzielen. Man könnte die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie, in ihrer Bedeutung für die Aufgaben- und Organisationsstruktur der Länder, als Instrument zur Stärkung der Länderautonomie sowie als Mittel zur „Verbesserung“ der Entscheidungen in der Landespolitik betrachten. Eine solche Ordnung nach inhaltlichen Kriterien soll zunächst zurückgestellt werden. Unabhängig von deren Ausgestaltung lässt sich nämlich bereits eine quasi in der Natur der Sache liegende Ordnung ausmachen, nämlich jene, die in der Überschrift mit Konsequenzen und Bewertung bezeichnet ist. Gemeint ist Fol___________ 1 2

In vielen Einzelfragen herrscht in der Wissenschaft immerhin Einigkeit. Siehe § 3 eingangs.

II. Keine Beschränkung auf den bisherigen Diskussionsstand

95

gendes: Unabhängig vom sachlichen Gegenstand lassen sich Streitigkeiten darüber, was als Folgen einer Einführung der Direktwahl einträte, von Streitigkeiten darüber unterscheiden, ob diese Folgen erstrebenswert sind. Zwei Beispiele: Es lässt sich die Frage, ob die Einführung der Direktwahl zu einer Stärkung der Selbstbestimmung des Volkes führt, trennen von der Frage, ob mehr Selbstbestimmung des Volkes positiv wäre. Es lässt sich die Frage, ob die Einführung der Direktwahl zu einer Stärkung auch des Parlaments führt, trennen von der Frage, ob eine Stärkung des Parlaments wünschenswert ist. Die beiden Beispiele zeigen, dass mit dieser Aufteilung schon viel gewonnen ist. So wird im ersten Beispiel der Schwerpunkt der Problematik auf der Frage liegen, wie mehr Selbstbestimmung des Volkes zu bewerten ist. Dass die Direktwahl zu mehr Selbstbestimmung führt, dürfte leichter nachzuweisen sein und auch von Kritikern der Reform eher zugestanden werden. Umgekehrt dürfte es im zweiten Beispiel liegen: Dass eine Stärkung der Landtage sinnvoll ist, dürfte wesentlich mehr Zustimmung finden, als die Behauptung, dass die Direktwahl ebendies bewirke. Meist wird ja sogar das Gegenteil befürchtet3. Diese Beispiele zeigen, dass schon der erste Unterscheidungsschritt zu einer erheblichen Entflechtung der Diskussion führt, indem Unstreitiges bzw. leichter Nachzuweisendes von Streitigem oder hoch Problematischem gesondert wird. Die Unterscheidung zwischen Konsequenzen der Direktwahl und ihrer Bewertung gilt es im Folgenden innerhalb der gegenständlichen Ordnung durchzuhalten. Man nähert sich dem Ergebnis dann jeweils von zwei Seiten. Auf der einen Seite steht die Ableitung der konkreten Folgen einer Einführung der Direktwahl, auf der anderen Seite die Herleitung des Bewertungsmaßstabes für die Folgen aus möglichst gesichertem wissenschaftlichem Befund.

II. Keine Beschränkung auf den bisherigen Diskussionsstand Wenn im Folgenden zunächst der aktuelle Diskussionsstand gegenständlich strukturiert wird, heißt das nicht, dass sich die anschließende wissenschaftliche Erörterung ausschließlich darauf beschränkt. Gerade die Erkenntnis, dass zwischen Konsequenzen der Direktwahl und deren Bewertung zu unterscheiden ist, verleitet dazu, umgekehrt vorzugehen: Erst zu untersuchen, ob die Reformziele zu befürworten sind (welche Ziele also legitim sind) und dann zu klären, ob die Einführung der Direktwahl dies zu leisten vermag. Doch stellen die Ziele nur einen Ausschnitt aus den möglichen Folgen der Reform dar, nämlich jene Folgen, die die Befürworter der Reform als positiv und in erster Linie erstrebens___________ 3 Exemplarisch von Hassel, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 51 f., 52.

96

§ 4 Versuch einer Systematisierung der Streitpunkte und Argumente

wert bewerten. Allgemein geht es in der offenen wissenschaftlichen Diskussion natürlich nicht nur um die Bewertung dieses Ausschnitts, sondern sämtlicher nachzuweisender Folgen einer Einführung der Direktwahl. Eine Konzentrierung auf die Ziele könnte als „negativstes“ Resultat ja ergeben, dass die Ziele nicht erreicht werden können und die Reform damit überflüssig ist. Eine Bewertung sämtlicher Folgen könnte durchaus auch das Ergebnis bringen, dass die Reform den gegenwärtigen Zustand verschlimmern würde, sich also verbietet4.

III. Gegenständliche Ordnung Gleichwohl eignen sich die Ziele und die bereits vorgetragenen Argumente wie Gegenargumente aber für eine gegenständliche Strukturierung des Fragenkomplexes. Sie stehen jedenfalls ungeachtet ihrer Bewertung fest. Die wirklichen Folgen der Reform stehen hingegen noch nicht fest. Also ist es am sinnvollsten, sich bei der gegenständlichen Gliederung an den Zielen und bisher vorgebrachten Argumentationslinien zu orientieren.

1. Keine scharfe inhaltliche Trennbarkeit Besonders wünschenswert wäre es, wenn man die Diskussion auch inhaltlich in gesonderte Teilkomplexe zerlegen und jeden für sich entscheiden könnte. Hier kommt jedoch das Problem zum Tragen, dass viele der Argumente und Ziele sich nicht trennen lassen, sich gegenseitig bedingen oder sich überlappen. Beispielsweise erscheint es wenig sinnvoll die Bekämpfung der Ämterpatronage neben die Zurückdrängung des Einflusses der Parteien zu stellen, soll doch erstere aus letzterer folgen. Eine strenge und schematische Aufteilung der Streitgegenstände ist folglich nicht möglich. Dazu ist das zu reformierende System zu komplex, sind die Argumente zu sehr miteinander verwoben. Immer wird es auch Querverbindungen geben; das wird auch die sogleich vorzustellende gröbst mögliche Einteilung zeigen. Eine vollkommene Trennung ist indessen auch gar nicht erforderlich, ist die Systematisierung doch nicht Selbstzweck, sondern soll ausschließlich die anschließende Überprüfung und Diskussion erleichtern.

___________ 4

So zu Recht Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 583.

III. Gegenständliche Ordnung

97

2. Orientierung an den Primärzielen Eine gewisse Erleichterung bringt es vor diesem Hintergrund, die Primärziele zu betrachten, wobei ein Primärziel jeweils das Hauptziel in einem bestimmten Themengebiet sein soll5. Sekundärziele sind dann Ziele, die sich jeweils einem dieser Themengebiete gegenständlich zuordnen lassen, mit dem Hauptziel in diesem Themengebiet also am stärksten zusammenhängen, durchaus aber auch Zusammenhänge zu anderen Zielen aufweisen können. Betrachtet man die eingangs gegebene6 Übersicht näher, lassen sich vier wesentliche Themengebiete ausmachen, über die sich die Frage der Direktwahl erstreckt: • • • •

Unmittelbare Demokratie Gewaltenteilung Gemeinwohl Länderautonomie Wie noch zu zeigen sein wird, lassen sich nahezu alle Argumente mindestens einem dieser Themengebiete zuordnen. Die primären Ziele der Reformbefürworter in den einzelnen Themengebieten lauten: • • • •

Stärkung der Selbstbestimmung Stärkung der Gewaltenteilung Stärkung des Gemeinwohlbezugs der Landespolitik Stärkung der Länderautonomie

Wie schon ausgeführt7 ist diese Einteilung nicht auf ein einziges Unterscheidungskriterium zurückzuführen. Jede Gruppe hat vielmehr ein eigenes Ordnungskriterium. Die vier Themengebiete stehen zueinander nicht im Verhältnis selbständiger Äste sondern sich überlappender Kreise. Die einzelnen Argumente bilden ein Netz gegenseitiger Abhängigkeiten. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie der gegenwärtige Diskussionsstand auf diese Schwerpunkte verteilt werden kann und wo Überschneidungen bestehen.

___________ 5 Die Einteilung hat nichts mit einer Gewichtung der Ziele nach ihrer Bedeutsamkeit zu tun. 6 Siehe § 4 I. 7 Siehe § 4 III. 1.

98

§ 4 Versuch einer Systematisierung der Streitpunkte und Argumente

3. Stärkung der Selbstbestimmung Beim ersten Primärziel geht es darum, dem Volk mehr Einfluss auf die politische Willensbildung einzuräumen, zunächst innerhalb der Bundesländer. Unmittelbares Ziel ist mehr Selbstentscheidung durch Bestimmung und Kontrolle des Ministerpräsidenten. Damit geht es auch um eine erhöhte Verantwortlichkeit des Ministerpräsidenten gegenüber dem Volk und um mehr Einfluss des Volkes auf die Entscheidungen des Ministerpräsidenten, seien dies Sach- oder Personalentscheidungen. Das soll zu einer erhöhten Akzeptanz dieser Entscheidungen in der Bevölkerung und zu einer politischen Aktivierung der Bevölkerung führen. Schließlich soll mit dem erhöhten Einfluss die Legitimation des Ministerpräsidenten und seiner Entscheidungen (und damit die Legitimation aller Entscheidungen in Regierung und Verwaltung) erhöht und so einem beim Ministerpräsidenten vermuteten Aufgabenschwergewicht Rechnung getragen werden. Für die Untersuchung lässt sich dieses Primärziel also noch einmal nach dem Bezugspunkt des erhöhten Volkseinflusses unterteilen:

a) Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie Aus Sicht des Volkes soll die Direktwahl seinen Einfluss auf die Willensbildung im Land stärken. Insoweit wird die Direktwahl meist als eine Form unmittelbarerer Demokratie angesehen8. Von den dargestellten Argumenten gehören hierhin unmittelbar die Argumente „mangelnde Kontrollmöglichkeit durch das Volk“, „Direktwahl als Form der Selbstbestimmung“ und „stärkere Maßgeblichkeit des Volkswillens als Mittel gegen Parteienverdrossenheit“. Die Bedenken der „Manipulierbarkeit und Überforderung des Volkes“ zielen auf die (mangelnde) Befähigung des Volkes zu mehr Selbstbestimmung. Als Prüfungsprogramm lässt sich zu diesem Punkt festhalten: Es ist zunächst zu klären, ob die Direktwahl wirklich zu mehr Einfluss des Volkes führt (und wie dieser ggf. beschaffen ist). Trifft das zu, ist weiter zu klären, ob der erhöhte Einfluss des Volkes auf den Ministerpräsidenten und seine Entscheidungen sinnvoll ist. Dabei geht es noch nicht um Fernwirkungen einer stärkeren Mitbestimmung, sondern nur um unmittelbare Folgen wie höhere Akzeptanz von Exekutiventscheidungen und Belebung des politischen Interesses. ___________ 8

Siehe bereits § 1 IV. 5.

III. Gegenständliche Ordnung

99

b) Direktwahl als Legitimationsquelle Aus Sicht des Ministerpräsidenten soll die Direktwahl dessen Legitimation erhöhen, weil er sich nun unmittelbar auf eine Entscheidung des Volkes zu seinen Gunsten stützen kann. Darauf zielen Argumente wie „stärkerer politischer Einfluss des Ministerpräsidenten“ und „Angleichung von demokratischer Legitimation und Aufgabenwahrnehmung“. Ebenso gehört hierhin unmittelbar das Argument, der Parlamentarismus sei für den Verwaltungsstaat ungeeignet, sowie die Behauptung, deshalb sei die Angleichung an die Aufgabenverschiebung in der Praxis bereits vollzogen; wenngleich beide bereits einen Bezug zum nächsten Themenbereich (Gewaltenteilung9) aufweisen. Für diesen Themenbereich ergibt sich folgendes Prüfungsprogramm: Es ist zu klären, wie sich die Einführung der Direktwahl auf die Legitimation des Ministerpräsidenten, der weiteren Regierung und der Verwaltung sowie von deren Hoheitsakten auswirken würde und ob eine solche Veränderung der Legitimation zu begrüßen oder sogar zu fordern ist. Dabei wird vor allem zu klären sein, welche Aufgaben Ministerpräsident und Regierung in den Bundesländern überhaupt wahrnehmen und wie Aufgabenwahrnehmung und Legitimationserfordernis zusammenhängen.

4. Stärkung der Gewaltenteilung Beim zweiten Primärziel geht es darum, die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung in den Ländern wieder zu beleben. Der Ministerpräsident soll durch Befreiung aus seiner Abhängigkeit vom Parlament (Bestimmung, Kontrolle und Legitimation unmittelbar durch das Volk, statt durch den Landtag; Verantwortlichkeit auch unmittelbar gegenüber dem Volk, statt nur gegenüber dem Landtag) gestärkt werden. Umgekehrt soll dem Parlament bzw. der Parlamentsmehrheit die Möglichkeit gegeben werden, von den verfassungsmäßigen Kontrollmöglichkeiten gegenüber dem Ministerpräsidenten Gebrauch zu machen ohne damit zugleich eine eigene Personalentscheidung zu kritisieren. Unmittelbar durch diese Stärkung der parlamentarischen Kontrolle sowie mit___________ 9 Das Prinzip der Gewaltenteilung hat neben der Funktion, die Staatsgewalt zu mäßigen und die Freiheit des Einzelnen zu schützen, auch die Aufgabe, für eine rationale und sachgerechte Organisation des Staates zu sorgen, vgl. BVerfG, Urt. v. 18. Dezember 1984, Az. 2 BvE 13/83, BVerfGE 68, 1 ff., 86; Hesse, Rn. 482; Jarass, S. 6; Maunz/Zippelius, § 13 III 1 (S. 92 f.); Sachs, in: ders., Art. 20 Rn. 81; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 24 Rn. 50; Seifert/Hönig, vor Art. 38 Rn. 1; Stern, Staatsrecht II, § 36 III 3 (S. 530).

100

§ 4 Versuch einer Systematisierung der Streitpunkte und Argumente

telbar, indem das Parlament sich aufgrund der Befreiung aus seiner Abhängigkeit vom Ministerpräsidenten auch wieder freier seiner zweiten Hauptaufgabe, nämlich der Gesetzgebung und dem politischen Diskurs, widmen kann, soll das Parlament gestärkt werden. Das soll im Ergebnis dazu führen, dass beide Organe und die parlamentarische Kontrolle gleichzeitig so gestärkt werden, dass die Machtverteilung wieder ausgewogen ist. Diesem Primärziel sind unmittelbar die folgenden Argumente zuzuordnen: „mangelnde parlamentarische Kontrolle“, „Stärkung der parlamentarischen Kontrolle“, „Stärkung von Ministerpräsident und Parlament“, „Entbehrlichkeit institutioneller Übereinstimmung von Regierung und Parlamentsmehrheit“ und „Stärkung des Parlaments als Gegengewicht zum Ministerpräsidenten“. Auch das Gegenargument eines zu starken Ministerpräsident, eines „Bonapartismus“ bzw. einer übertriebenen Personalisierung und natürlich jenes der Schwächung des Parlaments gehören hierher.

a) Unmittelbare Auswirkung auf die Gewaltenteilung Zu prüfen sind hier die unmittelbaren Auswirkungen der Direktwahl vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung. Es sind die Kräfteverhältnisse von Ministerpräsident bzw. Regierung einerseits und Parlament andererseits jetzt und nach einer Einführung der Direktwahl zu untersuchen. Sodann ist zu klären, welche Machtverteilung dem Ziel der Gewaltenteilung besser entspricht, vor allem also, ob im einen oder anderen Fall ein Organ zu stark oder zu schwach ist10.

b) Verbindung zwischen Selbstbestimmung und Gewaltenteilung: Transparenz Eine Verbindung zum ersten Ziel (mehr Selbstbestimmung) besteht insoweit, als die Stärkung des Ministerpräsidenten gerade dadurch erreicht werden soll, dass er nun „genauso nah am Volk“ und damit ebenfalls unmittelbar demokratisch legitimiert ist. Zusätzliche Prüfungsgesichtspunkte ergeben sich daraus nicht. ___________ 10

Eine Funktion der Gewaltenteilung ist es, die Staatsgewalt zu mäßigen und die Freiheit des Einzelnen zu schützen, vgl. BVerfG, Urt v. 27. April 1959, Az. 2 BvF 2/58, BVerfGE 9, 268 ff., 279; BVerfG, Urt. v. 17. Juli 1984, Az. 2 BvE 11, 15/83, BVerfGE 67, 100 ff., 130; BVerfG, Urt. v. 18. Dezember 1984, Az. 2 BvE 13/83, BVerfGE 68, 1 ff., 86; Hesse, Rn. 482; Maunz/Zippelius, § 13 III 1 (S. 92 f.); Sachs, in: ders., Art. 20 Rn. 81; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 24 Rn. 49; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 202; Stern, Staatsrecht II, § 36 III 3 (S. 530).

III. Gegenständliche Ordnung

101

Es besteht jedoch auch eine umgekehrte Verbindung, nämlich insoweit, als die Stärkung der Gewaltenteilung zu einer schärferen Konturierung der Gewalten und damit zu einer Verdeutlichung der Verantwortung der Entscheidungsträger führen soll und diese erhöhte Transparenz wiederum eine bessere Kontrolle beider Staatsgewalten durch das Volk (also eine Form der Mitbestimmung) ermöglichen soll. Darauf zielt das Argument „mangelnde Transparenz infolge Verantwortungsverflechtung“. Im Anschluss an die Auswirkungen auf das Machtverhältnis selbst sind folglich die Auswirkungen auf die Transparenz dieses Machtverhältnisses und deren Bedeutung für die Kontrolle durch das Volk zu untersuchen. Die Frage, ob mehr Kontrolle bzw. mehr Mitbestimmung durch das Volk sinnvoll ist, ist dann schon untersucht und es kann an die gefundenen Ergebnisse angeknüpft werden.

5. Stärkung des Gemeinwohlbezugs Hinter diesem schillerndsten der vier Primärziele steckt die allgemeine Überlegung, dass sich Amtsträger bei ihren Entscheidungen generell ausschließlich am Gemeinwohl (was immer das ist) orientieren sollten und dass weiter allgemein formuliert – fraglich, ob es so allgemein wirklich gemeint ist11 – ein unabhängigerer (genauer: vom Volk statt vom Parlament abhängiger) Ministerpräsident und ein unabhängigeres Parlament eher das Interesse und die Stärke haben, ihre Entscheidungen ausschließlich am Wohl der Allgemeinheit auszurichten. Der so verstandene Gemeinwohlbezug soll Maßstab für die inhaltliche Richtigkeit der politischen Entscheidungen sein. Zusätzlich oder statt dieser allgemeinen Überlegung kann man das Ziel „Stärkung des Gemeinwohlbezugs“ auch als Oberbegriff für die Bekämpfung zweier konkreter in Bezug auf die Regierungen behaupteter Missstände verwenden (dann illustriert die offene Formulierung lediglich, dass neben diese Fallgruppen in Zukunft noch weitere treten können, bei denen sich die größere Unabhängigkeit ebenso günstig auswirken würde): • •

Übermäßiger Parteieneinfluss (vor allem bei Personalentscheidungen – Ämterpatronage) Übermäßiger Einfluss von Partikularinteressen (vor allem bei Sachentscheidungen)

___________ 11

Siehe bereits § 3 VII. 7.

102

§ 4 Versuch einer Systematisierung der Streitpunkte und Argumente

Diesem Primärziel sind Argumente wie „Versachlichung durch Unabhängigkeit“ und „Stärkere Gemeinwohlorientierung der Landespolitik“ zuzuordnen.

a) Verbindung zwischen Selbstbestimmung und Gemeinwohlbezug: Gemeinwohl und Volkswille Verbindungen bestehen zu den beiden ersten Zielen. Zum Primärziel verstärkter Selbstbestimmung durch das Volk besteht insoweit eine Verbindung, als gerade die stärkere Abhängigkeit vom Volk gewährleisten soll, dass sich der Ministerpräsident verstärkt dem Gemeinwohl widmen wird bzw. sich dem übermäßigen Einfluss von Koalitionsparteien und Partikularinteressen besser widersetzt. Auf diese Verbindung zielen Argumente wie: „Zurückdrängung der übermäßigen Durchsetzung von Partikularinteressen“. Genau bei dieser Verbindung ist umgekehrt die Befürchtung der Demagogie anzusiedeln. Dahinter steht die Überlegung, dass Gemeinwohl nicht per se gleichbedeutend mit Wille der Volksmehrheit ist und dass ein direkt gewählter Ministerpräsident sich eher am Volkswillen denn am Gemeinwohl orientieren wird. Allgemein gehören hierher alle Äußerungen, die sich mit der Geeignetheit des Volkes auseinandersetzen, über die Person des Ministerpräsidenten zu entscheiden sowie verstärkten Einfluss auf dessen Entscheidungen zu nehmen („Manipulierbarkeit“, „Überforderung“, „Wahl von Demagogen“). Hinter allen diesen Äußerungen steckt die Befürchtung, die Entscheidungen des Volkes könnten dem Gemeinwohl (einer übergeordneten Vernunft) zuwider laufen.

b) Verbindung zwischen Gewaltenteilung und Gemeinwohlbezug: Kontrolle und Unabhängigkeit Eine Verbindung zum Primärziel der Gewaltenteilung besteht insofern als der Gewaltenteilung die Aufgabe zukommt, zu verhindern, dass ein Staatsorgan zu mächtig wird und sich nicht mehr am Gemeinwohl orientiert. Die Reformbefürworter versprechen sich von einer Stärkung der Gewaltenteilung eine intensivere Ausrichtung der stärker von den jeweils anderen Gewalten kontrollierten Organe am Gemeinwohl. Darauf zielt etwa das Argument einer „Belebung der diskursiven parlamentarischen Willensbildung“, umgekehrt natürlich auch die Befürchtung, dass eine Versachlichung der parlamentarischen Diskussion fraglich sei.

III. Gegenständliche Ordnung

103

Ferner besteht eine Verbindung insoweit, als die größere Unabhängigkeit des Ministerpräsidenten von der Parlamentsmehrheit eine größere Unabhängigkeit von den Mehrheitsparteien bewirken soll und der übermäßige Parteieneinfluss entweder schon an sich als gemeinwohlschädlich angesehen wird oder aber zumindest in seiner behaupteten Ausprägung der Ämterpatronage. Hierher gehören Argumente wie „übermäßige Abhängigkeit des Ministerpräsidenten von den Regierungsparteien“, „größere Unabhängigkeit von der eigenen Partei“, „Zurückdrängung von übermäßigem Parteieneinfluss und Parteibuchwirtschaft“, ebenso natürlich die Gegenbehauptung, dass der Einfluss der Parteien bei Einführung einer Direktwahl ungeschmälert bliebe und dass die Direktwahl kein taugliches Mittel gegen Ämterpatronage sei.

c) Untersuchungsprogramm Es geht also auch bei diesem Primärziel und Prüfungskomplex um die Auswirkungen der Direktwahl auf die Willensbildung in den Bundesländern, hier jedoch um die Folgen für die inhaltliche Ausrichtung der Entscheidungen. Anknüpfend an die Untersuchungen zur Struktur des Willensbildungsprozesses im Verhältnis Volk-Ministerpräsident-Parlament in den vorherigen Abschnitten ist zu klären, wie sich die veränderten Strukturen auf den Interesseneinfluss bei Entscheidungen der Landesorgane auswirken. Zwischen der veränderten Entscheidungsstruktur im Staatsgefüge und einem veränderten Interesseneinfluss stehen natürlich noch die Mittler dieser Interessen, so dass es ganz wesentlich darauf ankommt, wie sich die veränderten Entscheidungsstrukturen auf deren Einfluss auswirken: Beim Volk selbst kann man nicht von einem „Mittler“ sprechen, doch zielt gerade die Befürchtung der Demagogie auf einen übermäßigen Einfluss des Volkes. Ob es zu einer Stärkung des Einflusses des Volkes kommt, wird dann bereits geklärt sein (beim Primärziel Stärkung der Selbstbestimmung12). Es geht nur noch um die Frage des Übermaßes, also der Bewertung des Einflusses. Für die anderen „Interessenmittler“, nämlich Parteien und Interessengruppen (Verbände, Gewerkschaften etc.) muss noch geklärt werden, wie sich die Veränderung der Entscheidungsstrukturen auf ihren Einfluss auswirkt. Hinzu tritt die Bewertung dieser veränderten Einflüsse. Neutral und offen formuliert bedeutet das, es sind Maßstäbe zu finden, nach denen man entscheiden kann, wie viel Einfluss richtig und welche Entscheidungen gut sind. Es bietet sich an, mit den Entscheidungen zu beginnen. Fände sich dafür ein Maß___________ 12

Vgl. § 4 III. 3. a).

104

§ 4 Versuch einer Systematisierung der Streitpunkte und Argumente

stab, böte dieser auch eine Orientierung für die Einflüsse: Sie wären genau dann zu stark, wenn ihr Einfluss zu schlechten Entscheidungen führte. Von einem exakten Entscheidungsmaßstab kann aber natürlich ohnehin keine Rede sein, soll in der Demokratie doch die Entscheidung gerade Ausdruck eines Ausgleichs aller Interessen sein. Es geht also um einen Orientierungsmaßstab und als solcher kommt wenn überhaupt nur das von den Reformbefürwortern angeführte Gemeinwohl in Betracht. Also ist zu untersuchen, ob es etwas wie Gemeinwohl gibt und inwieweit es Richtschnur für die Entscheidungen der Politik ist. Unabhängig von dieser umstrittenen Abstraktion, lassen sich möglicherweise für bestimmte Entscheidungsarten konkrete, konsensfähige Maßstäbe gewinnen: Es lässt sich schließlich nicht bestreiten, dass bei allem demokratischen Disput doch eine Reihe von Fragen existieren, in denen allgemeine Einigkeit herrscht, was positiv (bzw. gemeinwohldienlich) oder negativ (bzw. gemeinwohlschädlich) ist und wo die Antwort zudem möglicherweise auch noch normiert ist. Das gilt es für die Sach- und Personalentscheidungen der Regierung und des Parlaments zu untersuchen. Bei Sachentscheidungen geht es vor allem um den Gegensatz von allgemeinen und Partikularinteressen13, bei Personalentscheidungen lässt sich das noch weiter konkretisieren. Der Gedankengang sei an einem Beispiel verdeutlicht: Auch ohne auf einen abstrakten Maßstab des Gemeinwohls zurückzugreifen, könnte sich der Nachweis erbringen lassen, dass es eine falsche Entscheidung ist, eine Stelle im öffentlichen Dienst mit einer Person deshalb zu besetzen, weil diese dem Entscheidungsträger persönlich bekannt, mit ihm verwandt oder Mitglied in derselben Partei ist. Dabei sind sogar Feinabstufungen denkbar. Die beiden ersten Entscheidungskriterien könnten etwa immer falsch sein, für das dritte könnten Ausnahmen bestehen14. Für die Bewertung des Einflusses der „Interessenmittler“ bedeutet das: Er ist dann zu stark, wenn er zu solchen Fehlentscheidungen führt. Es muss also ein Kausalzusammenhang zwischen den Einflüssen und den Fehlentscheidungen nachweisbar sein. Zudem setzt die Bewertung als strukturelles Problem ein gewisses Maß an Quantität und Schwere der Fehlentscheidungen voraus. Käme es im obigen Beispiel etwa aufgrund des Parteieneinflusses nur ganz vereinzelt zu relativ unbedeutenden Fehlentscheidungen im öffentlichen Dienst, könnte man womöglich nicht von einem strukturellen Problem sprechen. Umgekehrt ___________ 13 Für eine Erhöhung der Abgeordnetendiäten wäre ein sachliches Argument etwa ein signifikanter Preisanstieg seit der letzten Erhöhung. Ein Partikularinteresse wäre das persönliche Interesse der Abgeordneten an höherem Einkommen. Freilich können in der öffentlichen Diskussion den verfolgten Partikularinteressen sachliche Argumente vorgeschoben sein. 14 Für besonders hohe (politische) Positionen.

III. Gegenständliche Ordnung

105

kann aber auch schon eine gewichtige Fehlentscheidung aufgrund der Einflüsse ein strukturelles Problem darstellen. Wenn man sich von einem allgemeingültigen Maßstab des Gemeinwohls löst und wie eben aufgezeigt eigentlich Grenzen sucht, bei deren Überschreitung der ihnen nur noch als Ideal zugrunde liegende Maßstab verletzt ist, muss man bei der Bewertung des Einflusses natürlich auch den anderen Pol im Auge haben: Grenzen für zu wenig Einfluss. Auch diese gilt es zu untersuchen. Vor allem für die Parteien ist zu klären, ob nicht ihre Funktion, bei der politischen Willensbildung mitzuwirken15, der Beschneidung ihres Einflusses Grenzen setzt. Es verbleibt die Bestimmung der Grenze für den Einfluss des Volkes – und zwar die Höchstgrenze (der andere Pol – zu wenig Entscheidung – wurde dann schon untersucht). Damit ist der Gesichtspunkt gemeinwohlschädlicher Demagogie angesprochen, der in diesem Zusammenhang den letzten Prüfungsabschnitt bilden soll.

6. Stärkung der Länderautonomie Ein an die anderen drei Primärziele anknüpfendes Fernziel ist die Stärkung der Länderautonomie. Hier geht es um das Verhältnis der Länder als Körperschaften im Verhältnis zum Bund und zur Europäischen Union. Ziel der Reformbefürworter ist in diesem Zusammenhang mehr Selbstbestimmung durch die Länder und mehr Eigenständigkeit der Länder. Unter der Prämisse, dass die sachliche Autonomie der Bundesländer derzeit wenigstens de facto stark eingeschränkt ist und dass eine hinreichend ausgeprägte Autonomie für den deutschen Bundesstaat unabdingbar ist, geht die Überlegung dahin, dass noch so viele (ggf. neue) Zuständigkeiten der Bundesländer hieran nichts ändern würden, wenn diese von den Ländern nicht auch aktiv ausgeübt und verteidigt werden. Da hierfür nur die Landesorgane – unter anderem auch über den Bundesrat – in Betracht kommen und die Wahrung von Landesinteressen ohnehin deren ureigenste Aufgabe ist, sollen die Landesorgane – Regierung und Parlament – aus jenen Abhängigkeiten befreit werden, die sie bislang davon abhalten, ihrer Aufgabe nachzugehen. Hier besteht der Zusammenhang zu den übrigen Primärzielen:

___________ 15

Vgl. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG.

106

§ 4 Versuch einer Systematisierung der Streitpunkte und Argumente

a) Verbindung zwischen Selbstbestimmung und Länderautonomie: Interessen des Landesvolks

Indem das Landesvolk mehr Einfluss auf die Landesregierung erhält und diese stärker kontrolliert, soll das Bestreben der Regierung erhöht werden, sich bei der Ausübung der Kompetenzen und dem Ringen um Kompetenzen an Landesinteressen zu orientieren. Hier hat die Untersuchung an die Feststellungen zur Stärkung der Selbstbestimmung anzuknüpfen. Es geht nur noch um die Frage, ob ein stärkerer Einfluss des Volkes auf die Entscheidungen der Landespolitik auch tatsächlich dazu führt, dass die Landespolitik stärker von Landesthemen bestimmt wird.

b) Verbindung zwischen unmittelbarer Legitimation und Länderautonomie: Landesregierung als Legitimationsmittler

Eine weitere Verbindung zum ersten Primärziel soll insofern bestehen, als die erhöhte Legitimation der Landesregierungen quasi „nach oben weitergegeben wird“ und die Landesregierungen so auch zum Legitimationsmittler für die höheren Ebenen werden, für Bund und Europäische Union. Hierher gehört die Argumentation „Schaffung einer hinreichenden demokratischen Legitimation des Bundesrates für seine Stellungsnahmen nach Art. 23 Abs. 2, 4-6 GG“.

c) Verbindung zwischen Gewaltenteilung und Länderautonomie: Stärkere Kontrolle der Bundesratstätigkeit durch die Landesparlamente

Die verstärkte Kontrolltätigkeit der Landesparlamente soll sich auch auf das Verhalten der Tätigkeit der Landesregierungen im Bundesrat erstrecken und so gewährleisten, dass sich die Regierungen hier stärker auf Landesinteressen besinnen. Darauf zielt die Argumentation mit der „Rückbesinnung auf das Landeswohl im Bundesrat“. Es ist ggf. zu klären, ob die zuvor ausgemachte Stärkung der parlamentarischen Kontrolle in den Ländern ebenfalls dazu beiträgt, dass die Ministerpräsidenten sich stärker Landesinteressen widmen, vor allem im Bundesrat.

III. Gegenständliche Ordnung

107

d) Verbindung zwischen Gemeinwohl und Länderautonomie: Auflösung der „parteipolitischen Gleichschaltung“ Da der Schwund an Länderautonomie vor allem an der „Gleichschaltung“ der Landesorgane über die Bundesparteien festgemacht wird, soll durch die als gemeinwohlförderlich angesehene größere Unabhängigkeit von den Parteien zugleich die Orientierung der Landesorgane an Landesinteressen erhöht werden. Das ist Kern des Postulats „Parteipolitische Gleichschaltung als Ursache für den Verlust sachlicher Autonomie“.

e) Untersuchungsprogramm Es erscheint sinnvoll, diesen letzten Gesichtspunkt gemeinsam mit den Punkten a) und c) zu untersuchen. Dabei ist zunächst zu klären, ob eine Stärkung der Länderautonomie erforderlich bzw. sinnvoll ist. Es geht dabei um die gegenwärtige Rolle der Bundesländer im deutschen Föderalismus, insbesondere natürlich um die Frage, ob beim jetzigen Stand der Dinge wirklich die Legitimität des deutschen Bundesstaates in Frage gestellt ist. Lässt sich das erweisen, muss die Untersuchung zeigen, ob die Direktwahl für eine Stärkung der Länderautonomie zwingende Voraussetzung oder zumindest ein sinnvoller Schritt ist. Dafür ist zu prüfen, ob Ursachen für die Schwäche der Länderautonomie auf Landesebene selbst auszumachen sind. Auf den ersten Blick mag es ja verblüffend erscheinen, dass die Länder sich selbst16 gegenüber dem Bund stärken, sich quasi selbst aus dem Sumpf ziehen können sollen. Das hängt zum einen davon ab, ob im Bundesrat tatsächlich zu wenig Landesinteressen wahrgenommen werden, wobei die Funktion des Bundesrates – gerade auch im Hinblick auf die Willensbildung in der Europäischen Union – zu beleuchten ist. Trifft die Behauptung zu, sind deren Ursachen zu erforschen. Auch hier sind in jedem Fall die drei behaupteten Ursachen zu überprüfen, nämlich dass die mangelnde Interessenwahrung am fehlenden Einfluss des Landesvolkes, an einer zu schwachen Kontrolle durch die Landesparlamente und an einer parteipolitischen „Gleichschaltung“ der Ministerpräsidenten bzw. Landesregierungen liege, wobei im letzten Punkt an die Erörterungen zur Abhängigkeit der Regierungen von den Parteien angeknüpft werden kann. ___________ 16

Durch die Reform ihrer Verfassungen.

108

§ 4 Versuch einer Systematisierung der Streitpunkte und Argumente

Zum anderen ist das Postulat zu überprüfen, die Arbeit der Landesparlamente selbst, vornehmlich deren Verabschiedung bzw. „Absegnung“ bundesweit einheitlicher Gesetze, schwäche die Länderautonomie. Erweist sich das als richtig, kann die Untersuchung zu den Auswirkungen der Direktwahl hier wiederum an die Untersuchung zu den allgemeinen Auswirkungen auf die Position der Landtage – insbesondere auf ihre Tätigkeit als Gesetzgeber – anknüpfen. Abschließend ist auf die unter b) angesprochene Legitimationsfrage einzugehen. Diese Frage lässt sich relativ unabhängig von den meisten anderen beantworten und betrifft weniger die Länder selbst, als vielmehr den Bund und die Europäische Union. Anknüpfend an die Feststellungen zur Auswirkungen der Direktwahl auf die Legitimation des Ministerpräsidenten ist zu untersuchen, welche Folgewirkungen auf die demokratische Legitimation im Bund und in der Europäischen Union zu verzeichnen sind – und wie diese zu bewerten sind.

7. Verbleibende Fragen Damit sind nahezu alle Streitfragen und Argumente in einem System von Zusammenhängen erfasst. Es verbleiben Argumentationen, die nicht mehr die Direktwahl als solche sondern weitere Folgen und Möglichkeiten auf deren Basis betreffen. Hier ist beispielsweise von Arnims These, die Direktwahl der Ministerpräsidenten ermögliche eine echte Parlamentsreform17, anzusiedeln. Diese Aspekte stehen außerhalb der Primärziele und sind im Anschluss an die eigentliche Direktwahl zu erörtern18, wobei sich möglicherweise in abgeschwächter Form wieder Rückschlüsse auf die Direktwahl selbst ziehen lassen.

___________ 17 18

Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 330. Vgl. bereits § 1 III. 4.

§ 5 Methodik der Untersuchung Nachdem das Prüfungsprogramm abgesteckt ist, fragt sich, wie die Klärung der einzelnen Punkte zu erfolgen hat. Diese Frage ist mindestens ebenso wichtig wie die Systematisierung, geraten in der Diskussion um die Direktwahl der Ministerpräsidenten wissenschaftliche Argumentation und politische Überzeugung doch gefährlich nahe aneinander. Betroffen sind davon freilich nur die politikwissenschaftlichen Fragestellungen. Die rechtswissenschaftlichen Aspekte sind methodologisch unproblematisch1 und bleiben im Folgenden zunächst ausgeklammert2.

I. Die beiden methodischen Aufgaben Zu Beginn des letzten Kapitels wurde festgestellt, dass unabhängig vom sachlichen Gegenstand über zweierlei diskutiert wird: über die Konsequenzen, die sich aus der Einführung der Direktwahl ergeben würden, und über die Bewertung dieser Konsequenzen3. Beides stellt an die Methodik ganz unterschiedliche Anforderungen. Bei beidem ist die Methodik für die wissenschaftliche Klärung elementar. Das sei durch das Beispiel des Prüfungsprogramms zur Rolle der Direktwahl als Form der Selbstbestimmung durch das Volk belegt: Zu entscheiden ist, ob die Direktwahl wirklich zu mehr Einfluss des Volkes führt und ob ein erhöhter Einfluss des Volkes auf den Ministerpräsidenten und seine Entscheidungen sinnvoll ist. Auf beide Fragen gibt es Antworten, die einer politischen (oder sonstigen nicht-wissenschaftlichen) Überzeugung entspringen4, auf die erste etwa ein schlichtes „glaube ich nicht“, auf die zweite ein „halte ich für schlecht“. Diese Stufe gilt es zu überwinden. Natürlich sind die Überzeugungen im vorliegenden Zusammenhang nicht so profan formuliert. Wenn aber Klein etwa über von Arnim schreibt, er verfolge einen „radikaldemokratischen Ansatz“ und „trachte ___________ 1 Grundlegend zur Gesetzesauslegung Larenz, S. 320 ff.; Larenz/Canaris, S. 141 ff.; Pawlowski, Rn. 359 ff.; speziell zur verfassungsrechtlichen Methodik Müller, S. 37 ff. 2 Siehe dazu § 12. 3 Siehe § 4 I. 4 Zur Abgrenzung von Politik und Politikwissenschaft etwa von Alemann/Forndran, S. 32 ff., 42 ff.

110

§ 5 Methodik der Untersuchung

danach, die repräsentative Demokratie „in jeder nur erdenklichen Weise um plebiszitäre Elemente anzureichern“5, so klingt darin doch der Vorwurf an, die Argumentation werde von einem ganz bestimmten Demokratieideal bestimmt, das eben Überzeugungssache sei. Beide Fragen stellen die Methodik vor unterschiedliche Aufgaben. Bei der ersten bedarf es einer Methode, mit der möglichst sicher die Folgen einer Einführung der Direktwahl ermittelt werden können. Die zweite Frage erfordert Maßstäbe und zwar Maßstäbe, die wissenschaftlich fundiert und akzeptiert sind und nicht ihrerseits Überzeugungen entspringen.

II. Das Problem der Maßstäbe Besinnt man sich auf Grundlegendes, so finden sich in den aufgezeigten Themengebieten überwiegend leicht Maßstäbe. Im eben genannten Beispiel etwa ist ein gefestigter Maßstab das Demokratieprinzip (das insoweit auch rechtlich vorgegeben ist, Art. 20 GG). Bis zu einem gewissen Grad wird man möglicherweise auch noch das Prinzip der mittelbaren und repräsentativen Demokratie als anerkannt voraussetzen können6. Doch wie die zitierte Äußerung von Klein7 zeigt, wirklich allenfalls bis zu einem gewissen Grad. Als Prinzip anerkannt und bundesrechtlich ebenfalls vorgegeben ist ferner das Bekenntnis zur Gewaltenteilung. In den anderen Themengebieten wird es schon schwieriger. Das Gemeinwohl ist schon in seinem grundlegenden Verständnis problematisch, lässt sich als Maßstab aber möglicherweise seinerseits aus dem Demokratieprinzip ableiten. Die Länderautonomie ist auch als solche in den Gegenstand der Diskussion geraten8. Doch lässt sich vor allem angesichts der zwingenden Vorgabe des Bundesstaatsprinzips9 hier möglicherweise zwischen Reformbefürwortern und Kritikern ein Konsens dahingehend ausmachen, dass Länderautonomie bei gewisser Ausgestaltung und unter bestimmten Voraussetzungen sinnvoll ist.

1. Mangel an anerkannten konkreten Maßstäben Wesentlich konkretere Maßstäbe sind auf den ersten Blick nicht erkennbar. Ein Verfechter möglichst weitreichender unmittelbarer Demokratie wird sich ___________ 5

Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 574. Vgl. etwa Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 37 ff. 7 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 574. 8 Vgl. etwa von Arnim, Das System, S. 148 ff., 152 ff. 9 Lücke, in: Sachs, Art. 79 Rn. 26, m.w.Nachw. 6

II. Das Problem der Maßstäbe

111

ebenso auf das Demokratieprinzip berufen, wie ein Befürworter einer möglichst weitgehenden Entscheidungsverlagerung auf Repräsentativorgane. Sowohl Reformbefürworter als auch Reformgegner berufen sich auf den Grundsatz der Gewaltenteilung. Beide Gruppen berufen sich im Grunde auch auf das Gemeinwohl, dem durch Bekämpfung gewisser Missstände besser genügt werde oder dem durch Demagogie geschadet werde.

2. Ableitung konkreter Maßstäbe In ihrer Allgemeinheit helfen die aufgezeigten Maßstäbe also nicht weiter. Sie stützen eine Argumentation nur dann, wenn sich aus ihnen konkretere Maßstäbe ableiten lassen, an denen sich die Konsequenzen der Direktwahl dann unmittelbar messen lassen. Damit steht zugleich die diesbezügliche Methode fest. Ob sich aus den grundlegenden und feststehenden Maßstäben konkrete Maßstäbe gewinnen lassen, ist im Wege der Deduktion zu untersuchen.

3. Erfahrung konkreter Maßstäbe Häufig wird man dabei allerdings nicht sonderlich weit kommen, kann es doch mitunter sehr schwierig sein, aus einem Prinzip eine konkrete Aussage abzuleiten. Das gilt umso mehr, wenn das Prinzip sehr vage formuliert ist. Konkretere Erkenntnisse lassen sich empirisch gewinnen. Möglicherweise bedarf es im Ausgangsbeispiel überhaupt nicht der Rückbesinnung auf das Demokratieprinzip, wenn sich im Wege der Empirie eine Politikverdrossenheit in der Bevölkerung als Problem und damit als ganz konkreter Maßstab nachweisen lässt. Dann wären nur noch die erwiesenen Konsequenzen der Direktwahl (mehr, weniger oder kein Einfluss auf die Selbstbestimmung) daraufhin zu untersuchen, ob sie zu mehr oder weniger Politikverdrossenheit führen oder keine Auswirkungen haben. Je nachdem spräche das dann für oder gegen die Einführung der Direktwahl oder würde diesen Punkt zumindest als Argument für die Direktwahl widerlegen.

4. Auslegung von Rechtssätzen Soweit die genannten Prinzipien zugleich geltendes Verfassungsrecht darstellen, vor allem über Art. 20 GG und die entsprechenden Vorschriften der Lan-

112

§ 5 Methodik der Untersuchung

desverfassungen10, steht am Beginn der Ableitung die Gesetzesauslegung. Diese hat wiederum mittels der anerkannten juristischen Methodik11 zu erfolgen, in erster Linie also mit dem Larenz`schen Auslegungskanon12.

III. Das Problem der Vorhersage Zur Ermittlung der Folgen einer Direktwahl der Ministerpräsidenten scheidet die Empirie aus. Obgleich theoretisch nicht völlig ausgeschlossen, erscheint es doch vollkommen unpraktikabel, eine Direktwahl quasi „testweise“ einmal einzuführen, um deren Auswirkungen zu studieren. Im Rahmen der vorliegenden Abhandlung gilt das umso mehr, weshalb dem nicht weiter nachgegangen werden soll. Gleichwohl sei an dieser Stelle angemerkt, dass damit die Empirie für die Erforschung der Vor- und Nachteile einer Direktwahl des Ministerpräsidenten nicht für alle Zeit verloren ist. Zeigt die vorliegende Untersuchung mit den jetzt zur Verfügung stehenden Methoden, dass sich eine Einführung der Direktwahl empfiehlt, so böte die Einführung in einem einzigen Bundesland die Möglichkeit, die gefundenen Ergebnisse empirisch zu überprüfen13. Das wäre für die Beantwortung der Ausgangsfrage von unschätzbarem Erkenntniswert, ist jedoch Zukunftsmusik.

1. Vergleich Nahe liegt indessen eine Methode, die andere – vorhandene – Erfahrungen für ähnliche Fälle fruchtbar macht: der Vergleich. Nicht umsonst nimmt der Vergleich eine herausgehobene Stellung im Spektrum der gesellschaftswissenschaftlichen Methoden ein14. Sein besonderer Nutzen entfaltet sich gerade in Fällen der vorliegenden Art. Dem Vergleich kommt eine Ersatzfunktion für die insbesondere in der Politikwissenschaft kaum praktizierbare Möglichkeit, kon___________ 10 Art. 23 Abs. 1, Art. 25 BaWüVerf; Artt. 2, 5 BayVerf; Artt. 2, 3 BerlVerf; Art. 2 Abs. 1, 2, 4 BbgVerf; Art. 65 Abs. 1, Artt. 66, 67 BremVerf; Art. 3 HmbVerf; Artt. 65, 70 HessVerf; Artt. 2, 3, 4 M-VVerf; Art. 1 Abs. 2, Art. 2 NdsVerf; Artt. 2, 3 NRWVerf; Art. 74 Abs. 1, Art. 75 Abs. 1, Art. 77 Abs. 1 RhPf Verf; Art. 60 Abs. 1, Art. 61 Abs. 1 SaarlVerf; Art. 3 Abs. 1, 2 SächsVerf; Art. 2 VerfLSA; Art. 2 Schl HVerf; Art. 44 Abs. 1 Satz 2, Artt. 45, 47 ThürVerf. 11 Siehe Larenz, S. 320 ff.; Larenz/Canaris, S. 141 ff.; Pawlowski, Rn. 359 ff.; Müller, S. 37 ff.; jeweils m.w.Nachw. 12 Vgl. Larenz, S. 320 ff.; Larenz/Canaris, S. 141 ff.; Pawlowski, Rn. 359 ff. 13 In diese Richtung auch Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 158, wonach ein Versuch in einem Land „die Sache wert“ sei. 14 Vgl. Bürklin/Welzel, in: Mols/Lauth/Wagner, S. 353 ff., 385.

III. Das Problem der Vorhersage

113

trollierte Experimente durchzuführen15, zu. Er wird deshalb auch als „QuasiExperiment“ bezeichnet16.

a) Die Logik des Vergleichs Die allgemeine Logik des Vergleichs sei nur insoweit kurz wiedergegeben, als sie zum Verständnis der vorliegend angewandten Methodik von Bedeutung ist. Ein Vergleich ist die Kontrolle von Randbedingungen durch Auswahl geeigneter Vergleichsfälle. Dabei reicht das Spektrum sozialer Einheiten, die als zu vergleichende Fälle im Quer- oder Längsschnitt betrachtet werden, in der Politikwissenschaft von einzelnen Individuen bis hin zu nationalen politischen Systemen und Systemverbänden17. Das Ziel ist stets die Untersuchung von Abhängigkeiten. Deshalb sind abhängige von unabhängigen Variablen zu unterscheiden. Die Vergleichsgruppe muss sich in der Ausprägung der unabhängigen Variablen vom Untersuchungsgegenstand unterscheiden18. Der eigentliche Vergleich liegt dann in der Prüfung, ob mit einer Veränderung der unabhängigen Variablen eine Veränderung der abhängigen Variablen einhergeht. Ist das der Fall, besteht zunächst eine Vermutung für einen Zusammenhang. Zu überprüfen ist noch, ob es sich nicht um einen Scheinzusammenhang handelt, der durch Verschiebungen in sonstigen (Rand-)Bedingungen entsteht19.

b) Die Länder als Vergleichseinheiten Übertragen auf die vorliegende Untersuchung bedeutet das Folgendes: Die zu vergleichenden Einheiten sind auf der einen Seite die Bundesländer20. Im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand sind sie sehr homogen. Sie verfügen alle über das grundsätzlich gleiche Regierungssystem21 und gleichen sich auch im übrigen Staatsaufbau stark, bedingt neben der historischen Entwicklung nicht zuletzt durch das Homogenitätsprinzip des Grundgesetzes (Art. 28 GG). Hier ist folglich keine weitere Unterscheidung angezeigt. Welches Bundesland ___________ 15

Von Alemann/Forndran, S. 167. Bürklin/Welzel, in: Mols/Lauth/Wagner, S. 353 ff., 385. Bürklin/Welzel, in: Mols/Lauth/Wagner, S. 353 ff., 386; Schmidt, in: von Alemann, S. 327 ff., 333. 18 Von Alemann/Forndran, S. 155; Bürklin/Welzel, in: Mols/Lauth/Wagner, S. 353 ff., 386. 19 Bürklin/Welzel, in: Mols/Lauth/Wagner, S. 353 ff., 386. 20 Siehe zum Vergleich subnationaler Systeme (dort Parlamentsvergleich der Bundesländer) auch Plöhn, in: Steffani/Thaysen, S. 386 ff. 21 Siehe § 2 II. 16 17

§ 5 Methodik der Untersuchung

114

man konkret betrachtet, ist weitgehend unerheblich. Das bestätigt die Untersuchung von Eschenberg, der seine Betrachtung zwar auf Baden-Württemberg fokussiert, im Hinblick auf das Regierungssystem aber letztlich nur einen einzigen landestypischen Aspekt postuliert, nämlich die „relative Bedächtigkeit und Mäßigkeit der baden-württembergischen Bevölkerung“22.

2. Die andere Seite: mögliche Vergleichsgruppen Wesentlich weniger homogen zeigen sich die in Betracht kommenden Vergleichsgruppen. Deren Kreis ist klein und wurde von anderer Seite bereits aufgezeigt23. Es handelt sich um die übrigen Gebietskörperschaften Deutschlands und um ausländische Staaten samt deren Untergliederungen. Dass nur staatliche Gebilde für einen Vergleich in Betracht zu ziehen sind, liegt in der Natur der Sache. Regierungssysteme gibt es nur dort.

a) Die Vergleichbarkeit der Bundesländer mit den Kommunen Diese Erkenntnis weckt sogleich Zweifel an der Geeignetheit der ersten Vergleichsgruppe, den Kommunen. Bei den Kommunen handelt es sich nicht um Staaten. Die Kommunen – Gemeinden und Landkreise – bilden im föderalen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland keine dritte staatliche Ebene neben Bund und Ländern, sondern sind Teil der Bundesländer24. Bedeutsamer noch ist, dass sie innerhalb der Länder der Exekutive zugeordnet und damit der Landesregierung grundsätzlich untergeordnet sind25. Ob und inwieweit der Vergleich mit den Kommunen legitim ist, ist vor diesem Hintergrund umstritten26. Von Arnim bejaht die Vergleichbarkeit jedenfalls mit den Großstädten27. Wenigstens partiell wird die Vergleichbarkeit demgegenüber verneint von Klein28 und Schneider29.

___________ 22

Eschenburg, S. 63. Insbesondere von Arnim, Staat ohne Diener, S. 327 f.; Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 579. 24 Dreier, in: ders., Art. 28 Rn. 88 (dort auch zur Idee der „dritten Säule“ neben Bund und Ländern), m.w.Nachw. 25 Stober, § 6 III. (S. 48 ff.). 26 Vgl. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 144. 27 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 323 ff. 28 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 578. 29 Schneider, S. 102 ff. 23

III. Das Problem der Vorhersage

115

Auf den ersten Blick erscheint es perplex, das Regierungssystem der Länder mit der internen Struktur einer nachgeordneten Exekutiveinheit vergleichen zu wollen. Doch ist dieser Vergleich nicht neu und hat sich in anderen Bereichen bewährt. Trotz der Einbindung in den Staatsaufbau dürfen die Besonderheiten der Kommunen nämlich nicht außer Acht gelassen werden. Erste Besonderheit ist die kommunale Selbstverwaltung. Sie ist durch das Grundgesetz garantiert (Art. 28 Abs. 2 GG)30 und schafft den Kommunen im örtlichen Bereich einen durchaus mit der sachlichen Autonomie31 vergleichbaren Gestaltungsraum32. In diesen örtlichen Angelegenheiten unterliegen die Kommunen nur einer Rechtsaufsicht durch die Länder, nicht aber fachlichen Weisungen33. Nur soweit sie vom Land übertragene Aufgaben wahrnehmen, sind sie als staatliche Behörden in den hierarchischen Aufbau der Landesexekutive eingebunden34. Das macht sie vergleichbar mit den Ländern. Betrachtet man die Bundesländer in der föderalen Struktur der Bundesrepublik, so lässt sich auch hier vor allem die Verwaltung eigener Angelegenheiten mit Rechtsaufsicht (vgl. Art. 83 GG) von der Verwaltung im Bundesauftrag mit Fachaufsicht (Art. 85 GG) unterscheiden. Die zweite Besonderheit der Kommunen ist ihre innere Organisation. Anders als Verwaltungsbehörden verfügen die Kommunen über einander gegenüberstehende Organe. Auf Gemeindeebene stehen sich Bürgermeister35 und Gemeinderat36, auf Kreisebene Landrat und Kreistag gegenüber. Dabei steht der Bürgermeister bzw. Landrat an der Spitze der Verwaltung i.e.S. Insbesondere führt er die Beschlüsse des Gemeinderats aus. Er ist insofern mit dem Ministerpräsidenten der Länder vergleichbar, der die Gesetze des Landtages ausführt. Beim Gemeinderat bzw. Kreistag handelt es sich um ein Kollegialorgan. Hier ist eine Ähnlichkeit mit den Staatsparlamenten unverkennbar. Trotz der staatstheoretischen und staatsrechtlichen Zugehörigkeit zur (Landes-)Exekutive dient das Kollegialorgan wie das Parlament der Meinungsbildung durch einen diskursiven Meinungsaustausch. Wie die Landtage bildet es eine Plattform für Rede und Gegenrede. Wie die Landtage ist es mit den allgemeinen, grundlegenden Angelegenheiten der Körperschaft befasst, insbesondere mit dem Erlass ___________ 30

Wenngleich nur „im Rahmen der Gesetze“. Auch bei den Bundesländern handelt es sich ja nicht um souveräne Staaten. Dieser ist in der Praxis allerdings zunehmend eingeschränkt, vgl. Schmidt-Aßmann, in: ders., Besonderes Verwaltungsrecht, S. 9 ff., Rn. 16 f.; Stober, § 7 (S. 57 ff.); Waechter, Rn. 45 ff. 33 Seewald, in: Steiner, S. 1 ff., Rn. 353; Tettinger, Rn. 173. 34 Seewald, in: Steiner, S. 1 ff., Rn. 362 f.; Tettinger, Rn. 183. 35 Auch Oberbürgermeister oder Erster Bürgermeister. 36 Auch Rat, Stadtrat, Gemeindevertretung, Stadtvertretung, Bürgerschaft oder Stadtverordnetenversammlung. 31 32

116

§ 5 Methodik der Untersuchung

abstrakter Vorschriften37. Trotz des Fehlens einer echten Gewaltenteilung, stehen sich Verwaltungsspitze und Kollegialorgan deshalb als „Kontrastorgane“ gegenüber38. Seinen Sinn findet dies gerade im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung. Die demokratische Willensbildung im Gemeinderat bzw. Kreistag dient der Ausfüllung eben jenes Freiraums, der durch die kommunale Selbstverwaltung geschaffen ist. Es wurde schon gesagt, dass der Vergleich zwischen Kommunen und Bundesländern nicht neu ist: In eben diesem Zusammenhang führte er – in umgekehrter Richtung – zur Ausgestaltung des „Kommunalverfassungsstreits“, zum Schließen eben jener Lücke, die durch das Fehlen einer „dritten Gewalt“ (Rechtsprechung) auf kommunaler Ebene bestand39. Es ist keineswegs der Verdienst des Verfassers, den Vergleich mit den Kommunen für die vorliegende Diskussion entdeckt zu haben40, doch belegen die vorstehenden Ausführungen dessen Legitimität, sofern man sich gleichzeitig die Unterschiede zwischen Kommunen und Bundesländern vor Augen führt und ggf. entsprechend differenziert41. Bei diesen Unterschieden handelt es sich um das, was weiter oben mit „Randbedingungen“ bezeichnet wurde42. Stets ist zu überprüfen, ob durch den Vergleich mit den Kommunen erzielte Erkenntnisse nicht auf jenen Unterschieden beruhen und damit Scheinzusammenhänge sind.

b) Die Vergleichbarkeit der Bundesländer mit den „historischen“ Kommunen Betrachtet man die historische Entwicklung der „Kommunalverfassung“, so erhält man sogar zwei Vergleichgruppen. In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die Kommunalverfassung in Deutschland grundlegend reformiert43. Darauf wurde bereits eingegangen44. Der wichtigste Aspekt ___________ 37

Vgl. Stober, § 15 II. 4. a) (S. 194). Bethge, DVBl 1980, 309 ff., 313; Erichsen/Biermann, JURA 1997, 157 ff., 159; Erlenkämper, NVwZ 1998, 354 ff., 363; Herbert, DÖV 1994, 108 ff., 111 f.; Kisker, JuS 1975, 704 ff., 708 f. 39 Vgl. statt vieler Fromm, S. 48 ff.; Gern, VBlBW 1989, 449 ff., 449 f.; ders., Kommunalrecht, Rdnr. 420; Kiock, S. 9; Stober, § 15 X 2 (S. 219 a.E.); Tettinger, Rdnr. 113; Wohlfarth, Rdnr. 293. 40 Der Vergleich stammt vielmehr von von Arnim, Staat ohne Diener, S. 323 ff.; s. auch ders., in: Festschr. König, S. 371 ff., 372 f. 41 Z. B. zwischen Großstädten und Kleinstgemeinden. 42 Siehe § 5 III. 1. a). 43 Vgl. von Arnim, DÖV 2002, 585 ff., unter Anknüpfung an seine vor der Reform gemachten Vorschläge in von Arnim, DÖV 1990, 85 ff.; Jung, in: von Arnim, Demokratie vor neuen Herausforderungen, S. 103 ff., 107 f.; Wehling, in: von Arnim, Demokratie vor neuen Herausforderungen, S. 91 ff. 38

III. Das Problem der Vorhersage

117

der Reform, die Einführung der Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten, ist so grundlegend, dass dadurch im Hinblick auf die vorliegende Untersuchung zwei Vergleichsgruppen zur Verfügung stehen, nämlich die Kommunen vor der Reform (mit Ausnahme der Kommunen in jenen Bundesländern, in denen schon vor der Reform eine Direktwahl vorgesehen war – Bayern und BadenWürttemberg) und die Kommunen nach der Reform. Ein zusätzlicher Erkenntniswert erwächst daraus, dass beide Gruppen, von der Reform abgesehen, identisch sind, so dass durch einen Vergleich der Kommunen nach Einführung der Direktwahl mit den Kommunen vor der Einführung Schlüsse auf die durch die Reform bewirkten Veränderungen gezogen werden können.

c) Die Vergleichbarkeit der Bundesländer mit ausländischen Staaten Da es sich bei den deutschen Bundesländern um echte – wenngleich nicht souveräne – Staaten handelt45, ist eine Vergleichbarkeit mit ausländischen Staaten und ggf. deren Gliedstaaten grundsätzlich gegeben. Hier gilt es jedoch in besonderem Maße, die jeweiligen Gesamtsysteme einschließlich der politischen Kulturen im Auge zu behalten. Dies macht die unmittelbare Übertragung von Beobachtungen auf die deutschen Bundesländer schwierig, lässt jedoch jedenfalls die Bestätigung anderweitig untermauerter Thesen mit Beispielen aus dem Ausland zu.

3. Statischer und dynamischer Vergleich Die obige Betrachtung der Kommunen zeigt, dass vorliegend zwei Arten von Vergleichen zu unterscheiden sind. Man kann einen statischen Vergleich zwischen dem Ist-Zustand der Bundesländer auf der einen Seite und den heutigen Kommunen, den Kommunen vor der Kommunalverfassungsreform, Staaten mit parlamentarischem Regierungssystem und Staaten mit präsidentiellem Regierungssystem anstellen. Die logische Schlussfolgerung lautet dann jeweils wie folgt: Weil in den Vergleichsobjekten a, b, c dasselbe Problem auftritt und diese ebenfalls parlamentarische Regierungssysteme haben, ist das Problem eine Auswirkung des Parlamentarismus. Oder umgekehrt: Weil in den Vergleichsobjekten a, b, c das Problem nicht (bzw. schwächer) auftritt und diese ___________ 44

Siehe § 2 III. 3. Vgl. etwa Barschel, S. 167 ff.; Bartlsperger, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht IV, § 96 Rn. 3 (S. 458); Herdegen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht IV, § 97 Rn. 1 ff. (S. 479 ff.); Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht IV, § 98 Rn. 64 ff. (S. 552 ff.). 45

§ 5 Methodik der Untersuchung

118

ein präsidentielles Regierungssystem haben (im Übrigen aber vergleichbar sind – Vermeidung von Scheinzusammenhängen), ist das Problem eine Auswirkung des Parlamentarismus. Als Ableitung aus diesem Vergleichsergebnis ergibt sich dann (Umkehrschluss): Die Einführung des Präsidentialismus behebt das Problem. Unabhängige Variable ist hier jeweils das Regierungssystem; abhängige Variablen sind die jeweiligen Probleme (vorbehaltlich deren Bewertung als solche). Ein zu eliminierender Scheinzusammenhang würde vorliegen, wenn das Problem beim Vergleichsobjekt x, das über ein präsidentielles Regierungssystem verfügt, zwar nicht besteht, dies aber nicht auf dem dortigen Regierungssystem sondern (ausschließlich) auf anderen Faktoren beruht. Solche Scheinzusammenhänge sind beim dynamischen Vergleich von vornherein unwahrscheinlicher. Ein dynamischer Vergleich ist im vorliegenden Zusammenhang möglich zwischen der Kommunalverfassungsreform in den neunziger Jahren46 und der hier diskutierten Landesverfassungsreform bzw. zwischen der Einführung der Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten und der (hypothetischen) Einführung einer Direktwahl der Ministerpräsidenten. Die Tatsache, dass in derselben politischen Kultur relativ zeitnah eine mit der Einführung der Direktwahl der Ministerpräsidenten vergleichbare Reform durchgeführt wurde, ermöglicht es, unmittelbar diesen Vorgang und die durch ihn bewirkten Veränderungen zu betrachten. Das ist insofern gegenüber statischen Vergleichen von höherem Erkenntniswert, als eine wesentlich geringere Gefahr des Auftretens von Scheinzusammenhängen besteht. Hat sich nämlich zeitgleich mit der Kommunalverfassungsreform ein Problem entschärft (oder ist ein neues aufgetreten), ist es, wenngleich nicht ausgeschlossen, doch höchst unwahrscheinlich, dass dies nicht mit der Reform zusammenhängt. Beim statischen Vergleich etwa der jetzigen Bundesländer mit einem ausländischen Staat kommen demgegenüber deutlich mehr Faktoren außerhalb des Regierungssystems in Betracht, die für das Bestehen oder Nichtbestehen eines Problems kausal sein können (z.B. Bildungsstand im Hinblick auf politisches Engagement, Beamten- und Individualarbeitsrecht im Hinblick auf Ämterbesetzung).

4. Die Kombination mit Induktion und Deduktion Zumindest beim dynamischen Vergleich ist indessen der Vergleich alleine nur notwendige, nicht aber hinreichende Methode zur möglichst sicheren Vorhersage, welche Auswirkungen eine Einführung der Direktwahl in den Bundesländern hätte. Soweit es nicht auf den rein statischen Vergleich zweier bestehender Zustände ankommt, sondern auf die Frage, ob eine Veränderung (die ___________ 46

Vgl. § 2 III.

III. Das Problem der Vorhersage

119

Reform) bestimmte Auswirkungen haben wird, setzt der Vergleich auf einer Unterstellung dieser Veränderung auf. Er ist dann Mittel bei der Ableitung von Folgen aus einer unterstellten Maßgabe. Man mag das als Induktion (der Direktwahl) oder als Deduktion aus einer hypothetischen Maßgabe (wiederum der Direktwahl) ansehen. Wichtig ist insoweit nicht die genaue kategorische Erfassung – sofern vorliegend überhaupt möglich – sondern der Gang der logischen Schlussfolgerung. Er lautet: Eine Einführung der Direktwahl in den Bundesländern hätte diese oder jene Veränderung zur Folge, weil die Einführung der Direktwahl in den Kommunen diese Folge ebenfalls hatte (und beide Gruppen im Übrigen vergleichbar sind). Sowohl hier, aber auch bei der Ableitung von Schlussfolgerungen aus den statischen Vergleichen, kommt es wesentlich darauf an, was genau unterstellt wird: Die Untersuchung der Auswirkungen einer Einführung der Direktwahl basiert notgedrungen auf einer Hypothese.

5. Der Ausgangspunkt: Die unterstellte Einführung der Direktwahl Ein letzter Punkt möge deshalb überleiten vom Untersuchungsprogramm zur Untersuchung: Die Konkretisierung des Reformvorschlages. Eine Untersuchung, die sich auf eine Hypothese stützt, muss zunächst einmal festlegen, was genau unterstellt wird. Nur so erhält man den genauen Vergleichs- und Diskussionsgegenstand.

a) Bedeutung der Konkretisierung der Hypothese Für den wissenschaftlichen Diskurs ist das elementar, gewährleistet es doch, dass nicht „aneinander vorbei geredet“ wird. Insoweit ist Direktwahl nämlich nicht gleich Direktwahl. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die mit der Direktwahl in Zusammenhang stehen, sich aber von Vergleichsgruppe zu Vergleichsgruppe unterscheiden können, etwa die Ernennung der Minister (Regierungsbildung), die Kontrollrechte des Parlaments etc. Möglicherweise lassen sich sogar alleine durch eine präzise Äußerung über den konkreten Gegenstand der „Einführung der Direktwahl“ schon Streitigkeiten aus dem Weg räumen. Das liegt etwa nahe, wenn Klein eine Schwächung der parlamentarischen Kontrolle u.a. damit begründet, dass den Landtagen mit der Möglichkeit der Abwahl ein wichtiges Kontrollinstrument genommen werde47. Dass dieses Mittel wirklich wegfällt, ist zunächst einmal noch nicht gesagt. So schlägt etwa Janssen ein konstruktives Misstrauensvotum des Parlaments auch gegen den direkt gewähl___________ 47

Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 585 f.

§ 5 Methodik der Untersuchung

120

ten Ministerpräsidenten vor48. Das Beispiel zeigt einmal mehr, dass man, wenn über Folgen diskutiert wird, zunächst einmal sagen muss: Folgen wovon?

b) Umfang des Hypothesegegenstandes Das hängt davon ab, wie genau die „Direktwahl“ ausgestaltet wird. Die regelmäßige Titulierung „Direktwahl der Ministerpräsidenten“ greift ja nur den Kern der Reform heraus. Natürlich ist mit der Einführung der Direktwahl weit mehr verbunden. Es geht schließlich um nichts Geringeres als die Ablösung des Regierungssystems. Essentiell sind mindestens noch die Fragen, wie die übrigen Mitglieder der Regierung bestimmt werden (Regierungsbildung) und welcher – rechtliche – Einfluss des Parlaments auf die Person des Ministerpräsidenten verbleibt, namentlich ob die Landtage befugt bleiben, den Ministerpräsidenten abzusetzen. Wenn von Reform der Landesverfassungen die Rede ist, kommen meist eine Reihe weiterer Reformgegenstände hinzu, doch soll wie eingangs erwähnt49 alles, was nicht zwingend mit der Direktwahl verbunden ist (z.B. Änderungen im Wahlsystem, Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde etc.) hier zunächst ausgeklammert bleiben. Es gilt also nur, das Modell bezüglich der Bestimmung der übrigen Regierungsmitglieder und bezüglich der Kontrolle der Regierung durch das Parlament näher festzulegen.

c) Konkrete Ausgestaltung: Das herrschende Modell Es bietet sich an, zunächst das Modell der Mehrheit der Reformbefürworter zugrunde zu legen. Dabei handelt es sich nicht um eine der Wissenschaftlichkeit abträgliche Voreingenommenheit, sondern lediglich um ein erstes Festlegen der Diskussionsgrundlage. Sobald an einem Punkt der Untersuchung ein Abweichen in den Vorschlägen relevant wird, ist die Alternative ebenfalls zu untersuchen. Umgekehrt kann, wo sich das herrschende Modell als problematisch erweist, möglicherweise auch eine noch nicht vorgeschlagene Korrektur in einem Einzelaspekt das Modell verbessern und Bedenken ausräumen. Schließlich dient die Untersuchung nicht nur der Überprüfung des „Ob“ einer Einführung der Direktwahl sondern ggf. auch der Überprüfung und Erarbeitung des besten „Wie“. Als herrschendes Modell soll jenes der Frankfurter Intervention zugrunde gelegt werden. Innerhalb der Gruppe der Reformbefürworter – die Skeptiker ___________ 48 49

Wobei er eine Zweidrittelmehrheit fordert, vgl. Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 75. Siehe § 1 III. 4.

III. Das Problem der Vorhersage

121

entwerfen naturgemäß kein eigenes Modell – kann es, da im Wege einer kollektiven Meinungsäußerung platziert, ohne Zweifel die meisten Stimmen auf sich vereinigen50. Neben der Direktwahl des Ministerpräsidenten selbst (hier also im engsten Sinne verstanden) zeichnet es sich wie folgt aus: • Die Minister sind vom Ministerpräsidenten zu ernennen und bedürfen der Bestätigung durch den Landtag51. • Ein Zwang zur Entlassung einzelner Regierungsmitglieder52 oder der gesamten Regierung auf Verlangen des Landtages besteht nicht53. Lediglich soweit die Landesverfassungen Ministeranklagen vorsehen, bleiben diese – da andere Zielrichtung (Missbrauchskontrolle54) – bestehen55. Zu diesen Punkten äußern sich die Frankfurter Intervention und die meisten anderen Diskussionsbeiträge nicht. Zunächst soll von dieser Variante größtmöglicher Unabhängigkeit des Ministerpräsidenten ausgegangen werden. • Eine Abwahl des direkt gewählten Ministerpräsidenten durch das Parlament ist nicht möglich56. Auch hierzu nimmt die Frankfurter Intervention nicht explizit Stellung. Ihrem Geiste am nächsten kommt aber die hier angenommene Variante. • Dem Ministerpräsidenten kann vom Volk das Vertrauen dadurch entzogen werden, dass es einen neuen Ministerpräsidenten wählt. Beschränkt auf den Zweck, zunächst eine einheitliche Diskussionsgrundlage zu schaffen, soll vorerst von dieser Möglichkeit ausgegangen werden. Es erscheint nahe liegender, dass auch zwischen den Wahlen irgendeine ultima ratio der Kontrollmöglichkeiten gegenüber dem Ministerpräsidenten bestehen muss, als dies die Alternative tut.

d) Abweichungen An diskutierten und zu überprüfenden abweichenden Vorschlägen sind die folgenden zu nennen:

___________ 50

Siehe die Nachweise unter § 3 VI. Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 17; s. auch Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 160. 52 Wie er etwa in Art. 56 BaWüVerf vorgesehen ist. 53 Vgl. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157, 159 f. 54 Siehe § 8 I. 3. a). 55 So auch Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 160. 56 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 160. 51

122

§ 5 Methodik der Untersuchung

• Dem Landtag wird die Möglichkeit eines konstruktiven Misstrauensvotums mit einfacher oder Zweidrittelmehrheit eingeräumt57. • Die gesamte Regierung wird vom Volk gewählt58. • Die Ernennung der weiteren Regierungsmitglieder erfolgt ohne Zustimmung des Landtages59. • Auf Verlangen des Landtages sind einzelne Regierungsmitglieder oder die gesamte Regierung vom Ministerpräsidenten zu entlassen60.

___________ 57

Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 75. Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 155. 59 Vgl. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 160. 60 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157. 58

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie Entsprechend der aufgezeigten Untersuchungsfolge1 ist im folgenden Kapitel zu klären, ob die Einführung einer Direktwahl wirklich, wie es die Reformbefürworter behaupten2, zu mehr Einfluss des Volkes führt und wie dieser gegebenenfalls beschaffen ist. Lässt sich eine Stärkung des Volkseinflusses nachweisen, ist sodann zu untersuchen, ob der verstärkte Einfluss des Volkes auf den Ministerpräsidenten und seine Entscheidungen sinnvoll ist. Dabei geht es noch nicht um Fernwirkungen einer stärkeren Mitbestimmung3, sondern nur um unmittelbare Folgen wie höhere Akzeptanz von Exekutiventscheidungen und Belebung des politischen Interesses.

I. Mehr Einfluss durch Direktwahl? Für eine möglichst exakte Erfassung der Auswirkungen einer Direktwahl der Ministerpräsidenten auf die politischen Entscheidungen, gilt es, die Wirkungskette möglichst lückenlos nachzuzeichnen.

1. Unmittelbar: Selbstentscheidung einer Personalfrage Eine Wahl ist genau genommen nichts anderes als das Treffen einer Entscheidung. Steht dem Volk neben der Entscheidung über die Zusammensetzung des Parlaments zusätzlich auch die Entscheidung über die Person des Ministerpräsidenten zu, so hat es mehr zu entscheiden. Damit steht ein Zuwachs an Selbstbestimmung scheinbar außer Frage, auch wenn sich dieser zunächst einmal nur auf diese eine konkrete Personalentscheidung4 bezieht.

___________ 1

Siehe § 4 III. 3. a). Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 330; Eschenburg, S. 63; Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 156 f. 3 Siehe dazu §§ 8 ff. 4 Siehe bereits Eschenburg, S. 63. 2

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

124

a) Formeller Zuwachs an Entscheidungszuständigkeit Selbstverständlich ist dieser Schluss jedoch nur im Hinblick auf die rechtliche Seite. Das Volk erhält durch die Direktwahl das Recht zur Entscheidung über die Person des Ministerpräsidenten (zurück5). Unzweifelhaft steht ihm dieses Recht derzeit nicht zu, denn sämtliche Landesverfassungen bestimmen, dass der Ministerpräsident vom Landtag gewählt wird6.

b) Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit Dabei darf die Untersuchung in diesem Punkt aber nicht stehen bleiben. Vom Verfassungsrecht ist die Verfassungswirklichkeit zu unterscheiden7. Nicht jeder bestehende Einfluss findet eine rechtliche Grundlage in der Verfassung (im Gegenteil) und nicht jedes bestehende Recht wird auch ausgeübt. Gerade die Verfassungswirklichkeit interessiert aber bei der vorliegenden Untersuchung, geht es ihr doch vor allem um die tatsächlichen Auswirkungen einer Direktwahl – nämlich auf die tatsächlich bestehenden Probleme.

c) Materieller Zuwachs an Entscheidungszuständigkeit? Ob sich mit der formellen Entscheidungszuständigkeit auch der tatsächliche Einfluss auf die Entscheidung erhöht, hängt davon ab, inwieweit die Bevölkerung trotz fehlender rechtlicher Zuständigkeit schon jetzt einen faktischen Einfluss auf diese Entscheidung hat und inwieweit es von seinem neuen Recht auch tatsächlich Gebrauch machen würde. Den ersten Faktor hat von Arnim in die Diskussion eingeführt. Er behauptet, die Direktwahl sei in Wahrheit in der Praxis schon halb vollzogen, denn Landtagswahlen stellten sich schon heute oft als eine Entscheidung zwischen zwei ___________ 5

Als pouvoir constituant stand ihm diese originär einmal zu. Art. 46 Abs. 1 BaWüVerf; Art. 44 Abs. 1 BayVerf; Art. 56 Abs. 1 BerlVerf; Art. 83 Abs. 1 Satz 1 BbgVerf; Art. 107 Abs. 2 BremVerf; Art. 34 Abs. 1 HmbVerf; Art. 101 Abs. 1 HessVerf; Art. 42 Abs. 1 M-VVerf; Art. 29 Abs. 1 NdsVerf; Art. 52 Abs. 1 NRWVerf; Art. 98 Abs. 2 Satz 1 RhPfVerf; Art. 87 Abs. 1 SaarlVerf; Art. 60 Abs. 1 SächsVerf; Art. 65 Abs. 1 VerfLSA; Art. 26 Abs. 2 Satz 1 SchlHVerf; Art. 70 Abs. 3 ThürVerf. 7 Das ist im Grunde unbestritten, s. etwa Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 79 Rn. 11; lediglich über Ausmaß und Bewertung der Abweichung herrscht in vielen Bereichen Streit. Umfassend hat die Diskrepanz jüngst von Arnim in seinem Werk „Das System“ untersucht. 6

I. Mehr Einfluss durch Direktwahl?

125

Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten dar8. Trifft das zu, scheint es indessen – entgegen der Intention des Zitats – auf den ersten Blick zumindest nicht für eine Einführung der Direktwahl zu sprechen, denn dann würde nur die Rechtslage der Wirklichkeit angepasst, sich aber tatsächlich nichts ändern. Auf die Spitze getrieben stellt die These sogar die ganze Reform in Frage, denn Ziel einer Veränderung kann kaum der bestehende Zustand sein. So weit wird, zumal sich die Reform ja nicht auf die bloße Volkswahl beschränkt, niemand gehen wollen und tut dies in der wissenschaftlichen Diskussion auch niemand, doch zwingt das denkbare Gegenargument wenigstens zu einer Betrachtung der gegenwärtigen Situation. Im Hinblick auf den Einfluss des Volkes sind zwei Arten der Entscheidung über den Ministerpräsidenten zu unterscheiden: solche nach einer Landtagswahl und solche während einer laufenden Legislaturperiode. Zwischen beiden Arten bestehen schon rechtliche Unterschiede. Nach allen Landesverfassungen ist die Wahl des Ministerpräsidenten durch den neu gewählten Landtag der Regelfall9. Grundsätzlich ist der Ministerpräsident für die gesamte Legislaturperiode gewählt. Sein Amt endet mit dem Zusammentritt des neuen Landtages10. Zu einer Wahl während einer laufenden Legislaturperiode kommt es nur, wenn ein Ministerpräsident stirbt, zurücktritt oder aufgrund eines konstruktiven Misstrauensvotums ein anderer Ministerpräsident gewählt wird11.

___________ 8 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 324; ders., Vom schönen Schein, S. 156; ihm folgend Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157. 9 Art. 46 Abs. 1 BaWüVerf; Art. 44 Abs. 1 BayVerf; Art. 56 Abs. 1 BerlVerf; Art. 83 Abs. 1 Satz 1 BbgVerf; Art. 107 Abs. 2 BremVerf; Art. 34 Abs. 1 HmbVerf; Art. 101 Abs. 1 HessVerf; Art. 42 Abs. 1 M-VVerf; Art. 29 Abs. 1 NdsVerf; Art. 52 Abs. 1 NRWVerf; Art. 98 Abs. 2 Satz 1 RhPfVerf; Art. 87 Abs. 1 SaarlVerf; Art. 60 Abs. 1 SächsVerf; Art. 65 Abs. 1 VerfLSA; Art. 26 Abs. 2 Satz 1 SchlHVerf; Art. 70 Abs. 3 ThürVerf. 10 Art. 55 Abs. 2 BaWüVerf; Art. 44 Abs. 1 BayVerf; Art. 56 Abs. 1 BerlVerf; Art. 85 Abs. 1 Satz 1 BbgVerf; Art. 107 Abs. 2 Satz 1 BremVerf; Art. 35 Abs. 1 HmbVerf; Art. 113 Abs. 2 HessVerf; Art. 50 Abs. 1 Satz 1 M-VVerf; Art. 33 Abs. 2 NdsVerf; Art. 62 Abs. 2 NRWVerf; Art. 87 Abs. 3 Satz 1 SaarlVerf; Art. 68 Abs. 2 SächsVerf; Art. 71 Abs. 1 Satz 1 VerfLSA; Art. 27 Abs. 1 SchlHVerf; Art. 75 Abs. 2 Satz 1 ThürVerf. 11 Vgl. Art. 54 BaWüVerf; Art. 57 BerlVerf; Art. 86 BbgVerf; Art. 110 BremVerf; Art. 35 Abs. 3 HmbVerf; Art. 114 HessVerf; Art. 50 Abs. 2, 3 M-VVerf; Art. 32 NdsVerf; Art. 61 NRWVerf; Art. 99 RhPfVerf; Art. 88 SaarlVerf; Art. 69 SächsVerf; Art. 72 VerfLSA; Art. 35 SchlHVerf; Art. 73 ThürVerf. Dem Misstrauensvotum entspricht in Bayern Art. 44 Abs. 3 Satz 2 BayVerf, wonach der Ministerpräsident zurücktreten muss, wenn die politischen Verhältnisse ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten zwischen ihm und dem Landtag unmöglich machen.

126

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

d) Derzeitiger Einfluss des Volkes auf die Entscheidung über den Ministerpräsidenten nach Landtagswahlen und zu erwartende Veränderungen Bei der Wahl des Ministerpräsidenten im Anschluss an Landtagswahlen ist eine faktische Nähe zur direkten Volkswahl offensichtlich. Das zeigt sich schon daran, dass es überhaupt einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten gibt. Nach der rechtlichen Zuständigkeitsverteilung wären vor der Landtagswahl nur Kandidaten für die Landtagsmandate erforderlich. Erst den gewählten Landtagsabgeordneten dürften sich dann Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten präsentieren. In ihrer Entscheidung über den richtigen Kandidaten wären die Abgeordneten frei. Diese Entscheidung wurde ihnen als Teile des Repräsentativorgans Landtag zur eigenständigen Wahrnehmung übertragen.

(1) Landtagswahl als Präsidentschaftswahl? Die Praxis sieht freilich ganz anders aus: Nicht nur gibt es schon vor der Landtagswahl einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten; dieser dominiert auch den Wahlkampf12. Während viele Kandidaten um Landtagsmandate der breiten Bevölkerung nicht einmal namentlich bekannt sind, fokussiert sich – man kann durchaus sagen immer – die Aufmerksamkeit auf den sog. „Spitzenkandidaten“13. Dasselbe Phänomen tritt auch auf Bundesebene auf und wird dort, obwohl auf Bundesebene dem Parlament vom Umfang seiner Zuständigkeiten her sogar wesentlich mehr Bedeutung zukommt, besonders augenscheinlich. Herausgegriffen sei nur das besonders plastische Beispiel der sog. „TV-Duelle“. Im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2002 stellten sich erstmals14 die beiden Kandidaten der großen Parteien für das Amt des Bundeskanzlers gemeinsam in einer Live-Sendung den Fragen von Journalisten. Schon die Herkunft dieser TV-Duelle15 belegt die Nähe eines solchen Wahlkampfs zu einer Direktwahl. Die Fernsehduelle wurden aus dem amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, wo 1960 das erste TV-Duell zwischen Richard Nixon und John F. Ken___________ 12 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 324; ders., Vom schönen Schein, S. 156; ihm folgend Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157; auch Giesing, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 75 ff., 84; Schneider, S. 104. 13 Vgl. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157. 14 Siehe etwa DER SPIEGEL – Jahres-Chronik 2002, S. 194 ff., 194. 15 Allgemein ist ein dem amerikanischen „Vorbild“ folgender stetiger Bedeutungszuwachs des Fernsehens für die Politik zu verzeichnen, vgl. von Arnim, Das System, S. 194 ff.; Jarren, in: Sarcinelli, S. 74 ff.; Kaase, in: Sarcinelli, S. 24 ff., 35 ff.; Sarcinelli, in: ders., S. 273 ff.; Wallow, in: ders., S. 182 ff.

I. Mehr Einfluss durch Direktwahl?

127

nedy stattfand16 und wo solche TV-Duelle hohe Einschaltquoten erzielen, unbesehen auf den deutschen Bundestagswahlkampf übertragen. In den USA, wo der Präsident, von der formellen Zwischenebene der Wahlmänner einmal abgesehen17, direkt gewählt wird, erscheint es durchaus folgerichtig, dass die Kandidaten dem Wahlvolk Rede und Antwort stehen18. In Deutschland erscheint dies bezogen auf das rechtliche System systemwidrig. Die Parlamentarier, denen die Aufgabe, den besten Kandidaten zum Bundeskanzler zu wählen, nach der Verfassung zusteht, verkommen bezogen auf diese Aufgabe19 zu Statisten. Systemgerecht müssten sich die Kandidaten den Parlamentariern präsentieren. Umgekehrt belegt es die Nähe des faktischen Systems zum System der Direktwahl. Gleiches gilt für die parallel dazu veranstalteten „Zeitungs-Duelle“20. Mittlerweile finden in Deutschland TV-Duelle auch im Landtagswahlkampf statt. Das erste seiner Art war soweit ersichtlich der gemeinsame Fernsehauftritt des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gabriel (SPD) und seines Herausforderers Wulff (CDU) am 19. Januar 2003.

(2) Landtagsabgeordnete als Wahlmänner Ob die Fokussierung auf den Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten im Wahlkampf immer dazu führt, dass derselbe Kandidat gewählt wird, der bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten gewählt würde, mag vorerst offen bleiben. Jedenfalls führt sie immer dazu, dass nach der Landtagswahl auch derjenige Kandidat zum Ministerpräsidenten gewählt wird, mit dem die Parlamentsmehrheit oder zumindest die sie dominierende große Partei im Landtagswahlkampf angetreten ist. Die Gründe für diesen Zusammenhang liegen in zweierlei: Zum einen wäre es trotz der rechtlichen Befugnis der entstandenen Mehrheit aufgrund des öffentlichen Drucks faktisch unmöglich, nach der Wahl einen anderen als den präsentierten Kandidaten zu wählen. Zum anderen wird vor der Landtagswahl regelmäßig ein Kandidat aufgestellt, der über einen besonders großen Rückhalt in der Partei verfügt bzw. der sich im parteiinternen Wettbewerb durchgesetzt hat21. Sein Einfluss auf die Partei und deren Land___________ 16

Der SPIEGEL – Jahres-Chronik 2002, S. 194 ff., 195. Diese treffen insoweit keine freie Entscheidung. 18 Selbst dort dürfte die Vorauswahl der zwei aussichtsreichsten Kandidaten unter demokratischen Gesichtspunkten indessen bedenklich sein. 19 Und ungeachtet eines etwaigen parteiinternen Einflusses bei der Bestimmung des Kandidaten. 20 Vgl. DER SPIEGEL – Jahres-Chronik 2002, S. 194 ff., 196. 21 Vgl. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 156. 17

128

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

tagsabgeordnete ist mithin regelmäßig groß. Nicht selten ist er sogar zugleich Landesvorsitzender. Fraktionschef ist häufig eine Person seines besonderen Vertrauens. Bei Wahlen während einer laufenden Legislaturperiode fällt dieser Zusammenhalt und Einfluss bisweilen weg. Im Anschluss an eine Landtagswahl trägt er jedoch stets mit dazu bei, dass der Kandidat der Mehrheit auch Ministerpräsident wird.

(3) Ausnahme: Nachträgliche Koalitionsbildung Anders verhält es sich, wenn nach einer Wahl keine Partei über die absolute Mehrheit der Sitze verfügt und die Parteien nicht mit festen Koalitionsplänen und -aussagen zur Wahl angetreten sind oder keine der angetretenen Koalitionen die absolute Mehrheit erreicht. Dann beruft sich zwar regelmäßig die stärkste Partei auf den „Wählerauftrag zur Regierungsbildung“. Die eigentliche Entscheidung, wer Ministerpräsident wird, fällt in diesen Fällen aber erst in nichtöffentlichen Koalitionsverhandlungen, auf die das Volk praktisch keinen Einfluss mehr hat22. Dann hat zwar u.U. der einzelne Abgeordnete auch nicht mehr Einfluss als ein Wahlmann, weil die Fraktionsvorsitzenden und Parteigrößen die Verhandlungen führen. Bezogen auf das Volk ist diese Situation jedoch eher vergleichbar mit einem Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten während einer laufenden Legislaturperiode23.

(4) Der „Link“ zwischen Partei und Kandidat Mithin hat es in der Tat das Volk schon in der derzeitigen Verfassungswirklichkeit im Regelfall in der Hand, über die Person des Ministerpräsidenten zu entscheiden. Dennoch würde auch bei Ministerpräsidentschaftswahlen, die zeitnah oder sogar zeitgleich mit Landtagswahlen stattfinden, die Direktwahl zu einem Zuwachs an Entscheidungsfreiheit führen. Das momentane System ermöglicht es dem Volk nämlich nicht, einen Ministerpräsidenten zu wählen, ohne zugleich auch mehrheitlich seine Partei zu wählen24. Einen parteilosen Ministerpräsidenten kann es gar nicht wählen. Häufig gehen die Sympathien für den Spitzenkandidaten und seine Partei zwar miteinander einher. Dies belegen etwa Umfragen zum hessischen Land___________ 22

Von Arnim, ZRP 2002, 223 ff., 229; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 18. 23 Dazu sogleich § 6 I. 1. e). 24 Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 18; Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157.

I. Mehr Einfluss durch Direktwahl?

129

tagswahlkampf 2003. Danach lag vor der Landtagswahl sowohl die CDU gegenüber der SPD regelmäßig vorne25, als auch der Kandidat der CDU Roland Koch gegenüber seinem Herausforderer Gerhard Bökel von der SPD26. Ein solcher „Gleichlauf der Präferenzen“ ist jedoch keineswegs zwingend. Es kommt durchaus vor, dass die Bevölkerung einen bestimmten Kandidaten als Person deutlich favorisiert, seine Partei aber mehrheitlich ablehnt. Dies belegen Umfragen, die beide Fragen zeitgleich stellen. Als Beispiel seien die Umfragen zum niedersächsischen Landtagswahlkampf 2003 herausgegriffen. Sie ergaben regelmäßig einen Vorsprung des SPD-Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel gegenüber seinem Herausforderer Christian Wulff (CDU), während unter den Parteien die CDU vorne lag27. Diese gewann dann auch die Wahl, wodurch Wulff letztlich neuer niedersächsischer Ministerpräsident wurde. Zur gleichen Konstellation kann die umgekehrte Motivationsrichtung führen, nämlich dass eine bestimmte Partei mehrheitlich favorisiert wird, die Mehrheit in der Bevölkerung deren Kandidaten aber ablehnt und „verhindern will“. Zum ersten Fall kommt es in den Ländern vor allem, wenn die Partei des beliebten Kandidaten wegen ihrer aktuellen Aktivitäten auf Bundesebene abgelehnt wird und quasi über die Landtagswahl „bestraft“ werden soll. Zum zweiten Fall kann es etwa aufgrund eines persönlichen Skandals des Kandidaten kurz vor der Wahl kommen.

(5) Zwischenergebnis: Einflusszuwachs Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass trotz der schon jetzt bestehenden Einflussmöglichkeit des Volkes auf die Wahl des Ministerpräsidenten im Anschluss an eine Landtagswahl durch die Einführung einer Direktwahl der Einfluss noch verstärkt würde, weil nunmehr auch der Kandidat einer Partei gewählt werden kann, die für den Landtag keine Mehrheit findet28.

(6) Annex: Einflusszuwachs auch durch Rücksichtnahme der Parteien bei der Kandidatenkür Vom formellen Mehr an Einfluss abgesehen, würde sich der Einfluss des Volkes mit hoher Wahrscheinlichkeit mittelbar dadurch weiter erhöhen, dass ___________ 25

Und erzielte bei der Wahl dann auch die absolute Mehrheit. Siehe nur FAZ v. 09. Januar 2003, S. 5. 27 FAZ v. 09. Januar 2003, S. 5; FAZ v. 11. Januar 2003, S. 7. 28 So auch von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 376 f.; Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157. 26

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

130

die Parteien sich bei der Aufstellung der Kandidaten stärker am Volk orientierten29. Das Spektrum von reinen „Parteisoldaten“ bis zur volksnahen Persönlichkeit30, die „ihrer“ Partei den eigenen Stempel aufdrückt, würde sich zum letztgenannten Pol hin verschieben. In diese Richtung weisen jedenfalls die Erfahrungen mit der Direktwahl des Bürgermeisters31.

e) Derzeitiger Einfluss des Volkes auf die Entscheidung über den Ministerpräsidenten während einer Amtsperiode und zu erwartende Veränderungen Anders verhält sich die faktische Bindung der Parlamentarier an den Volkswillen, wenn es während einer Legislaturperiode zu einer Neuwahl des Ministerpräsidenten kommt. Hier gibt es keinen (Landtags-)Wahlkampf und deshalb auch keine Abstimmung durch das Volk, der sich mittelbar auch der Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten stellen muss32. Die Mehrheit im Landtag muss auf den Volkswillen weniger Rücksicht nehmen und kann frei nach ihren eigenen Präferenzen entscheiden – so wie es von den Landesverfassungen an sich vorgesehen ist.

(1) Zusammenfallen von Volks- und Parlamentswille Das bedeutet nicht automatisch, dass ein Kandidat gewählt wird, der vom Volk nicht zum Ministerpräsidenten gewählt würde. Überprüfen lässt sich das ohnehin nur schwer, weil die Alternative spekulativ bleibt. Es ist aber zu verzeichnen, dass die ganz überwiegende Zahl von während einer Legislaturperiode gewählten Ministerpräsidenten, die bei der darauf folgenden Landtagswahl auch Spitzenkandidat ihrer Partei waren, wiedergewählt wurden. Insgesamt kam dies in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dreißig Mal vor (Stand: 2003). Beispielsweise wurde 1994 in Rheinland-Pfalz Rudolf Scharping von Kurt Beck (beide SPD) als Ministerpräsident abgelöst. Seither wurde Kurt Beck bereits zweimal wiedergewählt. Es ist davon auszugehen, dass er im Jahre 1994 auch bei einer Direktwahl zum Ministerpräsidenten gewählt worden wäre.

___________ 29

Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 156. Vgl. von Arnim, Vom schönen Schein, S. 156, mit Beispielen. 31 Näher dazu noch § 8 III. 2. f). 32 So zu Recht von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 376 f.; ders., Vom schönen Schein, S. 156 f.; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 18. 30

I. Mehr Einfluss durch Direktwahl?

131

(2) Auseinanderfallen von Volks- und Parlamentswille Doch kommt die Wahl eines Ministerpräsidenten, der bei einer Direktwahl keine Chance gehabt hätte und folgerichtig bei der nächsten Landtagswahl auch seine Mehrheit verliert, durchaus vor. Im Jahre 1988 wurde der bei der Bevölkerung sehr populäre33 rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel auf einem Landesparteitag de facto abgewählt, weil er nicht wieder zum Landesvorsitzenden der CDU gewählt wurde, sondern statt ihm sein parteiinterner Konkurrent Hans-Otto Wilhelm. Dies zwang Vogel, der später noch viele Jahre34 erfolgreich als Ministerpräsident von Thüringen wirkte, politisch zum Rücktritt35. Wilhelm war zu jener Zeit 63 % der Bevölkerung unbekannt36. Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten wurde Carl-Ludwig Wagner und bei der nächsten Landtagswahl im Jahre 1991 verlor die Regierungskoalition aus CDU und FDP ihre Mehrheit, was zu einer Regierungskoalition aus SPD und FDP mit Rudolf Scharping als Ministerpräsident führte. Ein weiteres Beispiel ist die Wahl Reinhard Klimmts zum saarländischen Ministerpräsidenten im Jahre 1998 nach dem Wechsel des bisherigen und verhältnismäßig populären Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine in die Bundesregierung. Bei der darauf folgenden Landtagswahl im Jahre 1999 verlor die SPD ihre absolute Mehrheit an die CDU. Auch hier wäre bei einer Direktwahl im Jahr 1999 Reinhard Klimmt wohl nicht gewählt worden. Insgesamt sind die Fälle, in denen ein während einer Legislaturperiode vom Landtag gewählter Ministerpräsident bei der nächsten Landtagswahl nicht vom Volk „bestätigt“ wurde, aber deutlich geringer als der umgekehrte Fall. Bis zum Jahr 2003 kam dies in der Bundesrepublik sechsmal vor37. ___________ 33 Vogel wurde damals nach einer Umfrage von 43 % der Befragten als Ministerpräsident gewünscht, der Oppositionsführer Rudolf Scharping lediglich von 14 %, vgl. Haungs, ZParl 1989, 504 ff., 505. 34 Von 1992 bis 2003. 35 Zu den Hintergründen eingehend Haungs, ZParl 1989, 504 ff. 36 Haungs, ZParl 1989, 504 ff., 505. 37 Neben den aufgeführten und dem bereits geschilderten Fall Sigmar Gabriel in Niedersachsen (siehe § 6 I. 1. d) (3)), der zwar ebenfalls während einer Legislaturperiode Ministerpräsident wurde, dies aber wohl auch bei einer Direktwahl geworden wäre, die Folgenden: 1956 wurde in Nordrhein-Westfalen nach konstruktivem Misstrauensvotum Karl Arnold (CDU) durch Fritz Steinhoff (SPD) ersetzt. Bei der nächsten Landtagswahl im Jahr 1958 erlangte die CDU mit Franz Meyers die absolute Mehrheit. Im Jahr 1981 folgte Hans-Jochen Vogel (SPD) Dietrich Stobbe (SPD) nach dessen Rücktritt in der Garski-Affäre ins Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin nach, und bei vorgezogenen Neuwahlen vier Monate später erzielte die CDU die (relative) Mehrheit. Daraufhin wurde Richard von Weizsäcker (CDU) mit Unterstützung der FDP zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt.

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

132

(3) Gleichlauf von Volks- und Parlamentswille als graduelle Bindung Derzeit hat mithin das Volk während einer Legislaturperiode einen wesentlich geringeren Einfluss auf die Bestimmung des Ministerpräsidenten als im unmittelbaren Anschluss an eine Landtagswahl. Dies führt zwar nicht immer dazu, dass der Volkswille insoweit übergangen wird, doch kommen solche Fälle in der Praxis vor. Die Ursächlichkeit eines Gleichlaufs in der Auffassung über den geeignetsten Ministerpräsidenten bei Parlamentsmehrheit und Volk reicht dabei von einer faktischen Bindung der Parlamentsmehrheit an den Volkswillen bis hin zu Zufall. Das führt derzeit zu einer wellenförmigen Einflusskurve, die ihre Spitzen bei den Landtagswahlen und ihre Täler in der Mitte38 der Legislaturperioden hat, wo die „Hemmschwelle“ der Parlamentarier, im Hinblick auf die Person des Ministerpräsidenten auch einmal vom Volkswillen abzuweichen, am geringsten sein dürfte.

(4) Änderung durch Volkswahl – Grundmodell Vergleicht man das Grundreformmodell, wonach während einer laufenden Amtsperiode keine Abwahl des Ministerpräsidenten durch das Parlament erfolgen kann39, mit der gegenwärtigen Situation, so führte die Reform insofern zu einer Änderung, als Fälle der letztgenannten Art der Vergangenheit angehörten. Grundsätzlich würde der vom Volk gewählte Ministerpräsident bis zur nächsten regulären Volkswahl amtieren. Im Falle seines Todes oder vorzeitigen Rücktritts würden vorzeitige Neuwahlen stattfinden – wiederum durch das Volk. Eine vorzeitige Absetzung wäre nur durch das Volk selbst möglich. Es würde gleichzeitig ein neuer Ministerpräsident unmittelbar gewählt. Der Gesamtakt ist unmittelbare Volksentscheidung. In diesem Zusammenhang darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass schon die Nichtausübung der Möglichkeit zur Abwahl eine permanente unmittelbare Volksentscheidung darstellt. Die ständige Beobachtung des Ministerpräsidenten durch das Volk, verbunden mit der Möglichkeit zur Abwahl, ist dauerhafte Kontrolle und damit tägliche Bestätigung im Amt.

___________ 1993 wurde Werner Münch in Sachsen-Anhalt von Christoph Bergner als Ministerpräsident abgelöst (beide CDU). Bei der Landtagswahl 1994 verlor die Koalition aus CDU und FDP ihre Mehrheit. Nachfolger wurde Reinhard Höppner (SPD). 38 Anders dürfte es sich bei unpopulären Sachentscheidungen verhalten. Hier dürfte das Tal relativ nahe nach einer Wahl zu verorten sein und die Kurve dann bis zur Wahl wieder ansteigen. 39 Vgl. § 5 III. 5. c).

I. Mehr Einfluss durch Direktwahl?

133

(5) Änderung durch Volkswahl – bei Möglichkeit eines parlamentarischen Misstrauensvotums Eine gewisse Abschwächung erführe diese grundsätzliche Stärkung der Beachtung des Volkswillens, wenn im Zuge der Reform der Alternativvorschlag eingeführt würde, wonach dem Parlament das Instrument eines konstruktiven Misstrauensvotums mit Zweidrittelmehrheit zur Verfügung stünde40. Rein rechtlich betrachtet, könnte der Landtag sogleich nach jeder Regierungswahl den unmittelbar gewählten Ministerpräsidenten wieder abwählen und durch einen ihm genehmen Kandidaten ersetzen41. Praktisch würde dies die Hürde der Zweidrittelmehrheit indessen unmöglich machen. Zum einen könnte es sich kein Landtag erlauben, sich ohne Grund über den unmittelbar demokratisch geäußerten Volkswillen hinwegzusetzen. Auch die Landtagsabgeordneten sind schließlich von der unmittelbaren Wahl durch das Volk abhängig. Zum anderen würde es sich auch beim unmittelbar gewählten Ministerpräsidenten praktisch meistens um den „Kandidaten“ einer der großen Parteien handeln, ohne deren Unterstützung eine Zweidrittelmehrheit nicht zustande kommt. Auch bei einer Direktwahl wären die Kandidaten für ihren Wahlkampf nämlich regelmäßig noch auf die Unterstützung der Parteien angewiesen – darauf wird noch zurückzukommen sein42. Das lässt es als nahe liegend erscheinen, dass ein konstruktives Misstrauensvotum mit Zweidrittelmehrheit in der Praxis tatsächlich die ihm zugedachte Funktion einer ultima ratio für den Fall einer völligen Entfremdung des Ministerpräsidenten vom Parlament und der Bevölkerung ausfüllte43.

(6) Zwischenergebnis: weiterer Einflusszuwachs während der Amtsperiode Im vorliegenden Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass die Einführung der Direktwahl den Einfluss des Volkes auf die Entscheidung über die Person des Ministerpräsidenten auch insofern noch verstärken würde, als die bislang zuweilen zu beobachtende Wahl von reinen „Parteikandidaten“ während laufender Amtsperioden entfallen würde oder – bei gleichzeitiger Einführung eines konstruktiven Misstrauensvotums mit Zweidrittelmehrheit – in ihrer Wahrscheinlichkeit doch zumindest deutlich reduziert würde. ___________ 40

Siehe § 5 III. 5. d). Maurer bezeichnet dies als „Korrekturvorbehalt“, Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 160. 42 Siehe § 8 III. 2. c). 43 Siehe dazu auch § 8 VII. 1. 41

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

134

f) Ergebnis: Einfluss auf Person des Ministerpräsidenten wächst Die ursprüngliche Bestimmung des Ministerpräsidenten durch das Volk und die permanente Kontrolle durch das Volk bei jeder Wahl und durch die Möglichkeit der zwischenzeitlichen Abwahl bewirken mehr Selbstbestimmung des Volkes in der Entscheidung über die Person des Ministerpräsidenten. Unmittelbarste „Folge“ der Direktwahl ist deshalb ein Zuwachs an Selbstbestimmung durch das Volk, zunächst jedoch nur bei dieser einen konkreten Personalfrage.

2. Mittelbar: Einfluss auf die Regierungstätigkeit Dass ein Mehr an Einfluss auf die Person des Ministerpräsidenten zu einem Mehr an Einfluss auf dessen Entscheidungen führt, ist praktisch unstreitig. Der Gedanke liegt dem Argument der Reformbefürworter zugrunde, dass die Direktwahl eine Abnahme der Politikverdrossenheit bewirke44. Sie gehen davon aus, dass die Politikverdrossenheit ihre Ursache (auch) darin hat, dass das Volk seine eigenen Wünsche in den Entscheidungen der Regierung zu wenig widergespiegelt findet und dass sich dies durch eine Direktwahl ändern würde, weil sich eine direkt gewählte Regierung eher am Volkswillen orientieren wird. Der Gedanke liegt auch dem Argument der Reformgegner zugrunde, dass eine Direktwahl die Gefahr der Demagogie berge45. Hier wird ein zu großer Einfluss des Volkes auf die Regierungstätigkeit befürchtet. Streit herrscht also weniger über das „Ob“ eines Zuwachses an Einfluss, als über dessen Maß und Bewertung. Gleichwohl sei das „Ob“ in der gebotenen Kürze reflektiert.

a) Verantwortung als Kehrseite von Bestimmung und Kontrolle Abstrakt lässt sich die Regel aufstellen, dass ein gewählter Amtsinhaber demjenigen gegenüber verantwortlich für seine Amtsausübung ist, von dem ihm das Amt übertragen wurde und der diese Entscheidung fortwährend kontrolliert. Rechtlich gilt das ohne weiteres. Wird der Amtsinhaber seiner Verantwortung nicht gerecht, kann er im Rahmen der vorgesehenen Mechanismen abgesetzt werden. Für das tatsächliche Verantwortungsempfinden des Amtsinhabers gilt nichts anderes. Der Amtsinhaber, der dies bleiben möchte, wird sich stets an jenen orientieren, die ihn ins Amt gebracht haben und darüber weiterhin befin___________ 44 Frankfurter Intervention, Stuttgarter Zeitung v. 23. September 1994, S. 5; von Arnim, Staat ohne Diener, S. 330. 45 Vgl. insbesondere von Hassel, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 51 f., 51: Die Direktwahl sei die „große Zeit der Demagogen“.

I. Mehr Einfluss durch Direktwahl?

135

den. Insoweit folgt das tatsächliche ohne weiteres aus dem rechtlichen Abhängigkeitsverhältnis. Freilich setzt das stets einen zu vermutenden – quasi natürlichen – Willen voraus, im Amt zu bleiben. Meistens ist dieser auch vorhanden. Er kann etwa fehlen, wenn der Zeitraum bis zur nächsten regulären Wahl kurz ist und der Amtsinhaber ohnehin nicht wieder gewählt werden kann46. Bei den Bundesländern scheidet das aus, weil hier die Wiederwahl unbegrenzt zulässig ist47. Er kann ferner fehlen, wenn ohnehin schon klar ist, dass der Kandidat nicht wieder antreten wird (Altersgründe, parteiinterner Nachfolger, Aussichtslosigkeit einer Wiederwahl aufgrund persönlicher Affären). In solchen Fällen – und das belegt den Zusammenhang – ist, obwohl der Amtsinhaber sich rechtlich nach wie vor zu verantworten hat, das tatsächliche Verantwortungsempfinden geschwächt. Begnadigt beispielsweise der Gouverneur eines amerikanischen Bundesstaates, der nicht mehr wiedergewählt werden kann, zwei Tage vor dem Ende seiner Amtszeit sämtliche zum Tode verurteilten Gefangenen48, so ist dies dafür ein plastischer Beleg. Trotz rechtlicher Verantwortung gegenüber der Bevölkerung des Bundesstaates fühlt er sich sicher genug, eine keineswegs populäre aber seiner persönlichen Überzeugung entspringende Entscheidung zu treffen, weil er keine Rücksicht mehr auf die Stimmung in der Bevölkerung nehmen muss49.

b) Verschiebung der Verantwortlichkeit vom Parlament zum Volk Mit dem festgestellten Einflusszuwachs beim Volk geht bei Zugrundelegung des Grundmodells ein völliger Einflussschwund des Parlaments (nicht unbedingt der Mehrheitspartei) auf die Person des Ministerpräsidenten (nicht unbedingt auch auf seine Entscheidungen50) einher. Behielten die Landtage die Möglichkeit der Abwahl mit Zweidrittelmehrheit, würde der Einfluss der Landtage immer noch stark schrumpfen. Zu beobachten ist also eine Verschiebung in der Entscheidungszuständigkeit. Folge dieser Verschiebung ist eine Ver-

___________ 46 Das muss bedenken, wer wie Bausewein, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 33 ff., 33, eine Begrenzung der Amtszeit des Ministerpräsidenten auf zwei Legislaturperioden vorschlägt. 47 Jedenfalls bislang. Die Landesverfassungen enthalten keine Begrenzung der Amtszeiten des Ministerpräsidenten. 48 So geschehen am 11./12. Januar 2003 im Bundesstaat Illinois durch George Ryan, s. FAZ v. 17. Januar 2003, S. 31; Nordkurier v. 13. Januar 2003, S. 1. 49 Bisweilen wird dies durch ein Verantwortungsempfinden gegenüber dem parteiinternen Nachfolgekandidaten abgeschwächt. 50 Siehe dazu § 8 II. -VII.

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

136

schiebung in der Verantwortung des Ministerpräsidenten. Dieser wäre nicht mehr primär dem Landtag, sondern dem Volk gegenüber verantwortlich51.

c) Tätigkeitsorientierung als Folge von Verantwortlichkeit Die Verschiebung in der Verantwortlichkeit führt grundsätzlich auch zu einer Veränderung der Entscheidungsfindung beim Ministerpräsidenten. Im Regelfall, dass der Amtsinhaber ein Interesse daran hat, im Amt zu bleiben, wird der direkt gewählte Ministerpräsident seine Tätigkeit stärker am Volk orientieren. Trifft er nämlich zu viele Entscheidungen die dem Volk nicht passen, oder trifft er auch nur einige wenige schwerwiegende derartiger Entscheidungen (im Extremfall sogar nur eine52), kann das Volk von seiner Kontroll- und Bestimmungsmöglichkeit Gebrauch machen und den Amtsinhaber absetzen. Mehr Verantwortung des Ministerpräsidenten gegenüber dem Volk bedeutet gleichzeitig also auch mehr Einfluss des Volkes auf die Tätigkeit des Ministerpräsidenten, also auf dessen Personal- und Sachentscheidungen53.

d) Orientierung am Volk ≠ Entscheidung durch das Volk Das Maß des Einflusses und dessen Bewertung ist noch offen54. Doch sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass jedenfalls eine Gleichsetzung von Orientierung am Volk und Entscheidung durch das Volk, mithin auch eine Gleichsetzung von Direktwahl des Ministerpräsidenten und unmittelbarer Demokratie i.e.S.55, unzulässig ist.

(1) Fehlende Thematisierung durch das Volk Im Bereich der Exekutive sind zahlreiche Entscheidungen zu treffen, die das Volk als solches überhaupt nicht näher interessieren und die gar nicht wahrgenommen werden. Welche Sekretärin im Ministerium X eingestellt wird oder ___________ 51 Ungeachtet der verbleibenden rechtlichen Verantwortung gegenüber dem Landtag, vgl. etwa Art. 47 Abs. 2 BayVerf; Art. 89 BbgVerf; Art. 102 HessVerf; Art. 104 Satz 1 RhPfVerf; Art. 88 Abs. 1 Satz 1 SaarlVerf. 52 Schön zu sehen am Regierungswechsel in Spanien im März 2004, der praktisch ausschließlich auf die Ablehnung der Irak-Politik der konservativen Regierung in der Bevölkerung zurückzuführen war. 53 Wie hier von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 376 f.; Schneider, S. 102. 54 Siehe dazu § 9 VII. 6. 55 Vgl. § 1 IV. 5.

I. Mehr Einfluss durch Direktwahl?

137

welche Bleistifte in der Behörde Y angeschafft werden, wird kaum jemals Gegenstand eines „Volkswillens“ sein. Die Ernennung eines Ministers oder die Vergabe eines Milliardenauftrags hingegen schon. Der Einfluss des Volkes auf die Tätigkeit des Ministerpräsidenten kann deshalb von vornherein dergestalt eingegrenzt werden, dass er sich auf besonders wichtige und grundlegende (Exekutiv-)Entscheidungen beschränkt. Desto bedeutsamer eine Thematik ist, desto eher wird sich die Öffentlichkeit mit ihr befassen und desto eher wird es eine Orientierung des Ministerpräsidenten an der Bevölkerung geben.

(2) Kein einheitlicher „Volkswille“ Es darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass „das Volk“ keineswegs eine homogene Masse ist. Es bildet sich nicht zu jedem bedeutsamen Thema eine einhellige Meinung. Oft werden sich keine klar erkennbaren oder nur sehr knappe Mehrheiten bilden56. Lässt sich ein Volkswille nicht ausmachen57, kann und muss sich der Ministerpräsident auch nicht am Volk orientieren.

(3) Phlegmatik und Hemmschwelle Selbst wenn es einen eindeutigen Volkswillen gibt, bedeutet Orientierung daran nicht dessen bedingungslose Umsetzung. Es gilt: Desto weniger stark eine Mehrheit ausgeprägt ist, desto eher wird sich der Ministerpräsident ein Abweichen von ihr „leisten können“. Und: Desto eher für eine unpopuläre Entscheidung ein sachliches Bedürfnis besteht und desto mehr der Ministerpräsident von ihrer Notwendigkeit überzeugt ist, desto eher wird sich der Ministerpräsident auch in einer bedeutenden Frage über den Volkswillen hinwegsetzen. Nicht jede Differenz zwischen Volk und Ministerpräsident führt schließlich dazu, dass das Volk von seiner Möglichkeit der Abwahl Gebrauch macht. Hier wird auch nach Einführung der Direktwahl noch gelten, dass sich der Ministerpräsident während einer laufenden Amtsperiode ein Abweichen vom Volkswillen eher wird erlauben können58, weil die Einleitung eines Neuwahlverfahrens doch mit einem erheblichen Aufwand verbunden ist und eine Mobilisierung der Bevölkerung unabhängig von den regulären Wahlen nur bei besonders krassen Divergenzen möglich sein wird. Das zeigen zumindest die ___________ 56

So auch von Arnim, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 23; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 19. 57 Das heißt aber nicht, dass es nie einen Volkswillen gibt; a.A. (alte Streitfrage) van Ooyen, RuP 36 (2000), 165 ff., 166, m.w.Nachw.; dazu noch § 9 II. 58 Entsprechend den Ausführungen zum Landtag, s. § 6 I. 1. e) (3).

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

138

Erfahrungen mit anderen direkt-demokratischen Elementen, wie Volksabstimmungen und Volksentscheid. Auch diese Formen der Äußerung des Volkswillens betreffen regelmäßig besonders bedeutsame Themen59. Der Ministerpräsident muss also nicht bei jedem „Grummeln in der Bevölkerung zittern“.

(4) Umgekehrter Einfluss Schließlich steht es dem Ministerpräsidenten auch frei, das zunächst abgeneigte Volk von der Notwendigkeit und dem Sinn einer Entscheidung zu überzeugen. Dies müssen die im Parlament vertretenen Parteien schon bisher und dies zählt sogar zu ihrer ureigensten Aufgabe (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG)60. Es erscheint keinesfalls von vornherein ausgeschlossen, dass ein Ministerpräsident die Bevölkerungsmehrheit in bestimmten Fragen durch Argumentation „auf seine Seite ziehen“ kann. Darauf wird bei der Bewertung des Volkseinflusses noch zurückzukommen sein61. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, wieso ein Ministerpräsident dabei größere Schwierigkeiten haben sollte, als derzeit die Parteien.

e) Ergebnis: Mittelbarer Einfluss auf Sachentscheidungen, aber keine Volksentscheidungen Als These bleibt festzuhalten, dass eine Direktwahl der Ministerpräsidenten insgesamt zu mehr Einfluss des Volkes auf die Tätigkeit der Exekutive, also Sach- und Personalentscheidungen innerhalb der Verwaltung, führen würde, dass dies aber keineswegs mit echter unmittelbarer Demokratie i.e.S. gleichzusetzen ist. Die Volkswahl ist insoweit lediglich ein direkt-demokratisches Element.

II. „Natürlicher Vorrang“ direkt-demokratischer Elemente? Für die Bewertung dieser Auswirkungen gilt es, politische Überzeugung und wissenschaftliche Erkenntnis voneinander zu trennen und erstere auszugrenzen. Die Trennung ist keineswegs leicht. Sofern sich eine Argumentation nicht mit hinreichender Sicherheit wissenschaftlich begründen lässt, ist sie im Zweifel als ___________ 59 Vgl. die Auflistung bei Jung, ZRP 2000, 440 ff., und die eingehende Zusammenstellung bei Jürgens, S. 162 ff. 60 Für parteilose Ministerpräsidenten gilt nichts anderes. 61 Siehe § 9 VIII.

II. „Natürlicher Vorrang“ direkt-demokratischer Elemente?

139

politische Überzeugung auszuklammern; sonst wird das Ergebnis angreifbar und mit der Untersuchung ist nichts gewonnen.

1. Bewertungsmaßstäbe und Bewertungskriterien Die wissenschaftliche Bewertung einer unzweifelhaft auch politischen Entscheidung kann anhand abstrakter Maßstäbe oder konkreter Kriterien erfolgen. Man mag das mit einer Beweisführung vergleichen, wo Beweislastregel und Beweis zu unterscheiden sind. Die Regel ist der abstrakte, lückenlose Maßstab. Besteht sie, so gewährleistet sie, dass eine Entscheidung auch dann möglich ist, wenn sich ein Beweis in die eine oder andere Richtung nicht erbringen lässt. Zum genaueren Ergebnis führt indessen der Beweis. Übertragen auf die Bewertung von demokratischen Entscheidungselementen bedeutet dies: Besteht ein Prinzip möglichst weitgehender unmittelbarer oder möglichst weitgehender mittelbarer Demokratie, so trifft denjenigen, der sich für den Ministerpräsidenten auf eine Ausnahme beruft, die Argumentationslast. Lassen sich keine konkreten Gründe anführen, weshalb die Ausnahme zu machen ist, oder nur solche, die einer politischen Überzeugung entspringen, ist nach dem Prinzip zu entscheiden. Im Folgenden sollen deshalb zunächst die konkreten Bewertungskriterien ausgeklammert bleiben62 und untersucht werden, ob sich ein abstrakter Bewertungsmaßstab, eine Vermutung in die eine oder andere Richtung herleiten lässt.

2. Mögliche Bewertungsmaßstäbe Als Bewertungsmaßstäbe sind nur zwei einander widersprechende Prinzipien denkbar: Das Prinzip möglichst weitgehender unmittelbarer Demokratie und eines möglichst weitgehender mittelbarer Demokratie. Ersteres wurde seitens von Arnim in die Diskussion um die Einführung direkt-demokratischer Elemente auf Gemeindeebene eingeführt63. Als Ideal größtmöglicher Selbstbestimmung der von der Politik Betroffenen legt auch Bryde es seinen Ausführungen zur Reform der Landesverfassungen zugrunde64. An anderer Stelle spricht er von Demokratie als Optimierungsgebot65. Lässt sich ein solches Prinzip möglichst weitgehender Selbstentscheidung des Volkes nachweisen, ist aufgrund des festgestellten Zuwachses an Selbstentscheidung grundsätzlich die Direkt___________ 62

Siehe dazu § 6 III. Von Arnim, DÖV 1990, 85, 91. 64 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 149. 65 Bryde, in: Sitter-Liver, S. 223 ff., 228 ff. 63

140

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

wahl der Ministerpräsidenten gegenüber dem jetzigen System zu bevorzugen, es sei denn es fänden sich triftige Gründe, gerade beim Ministerpräsidenten eine Ausnahme zu machen. Das gegenläufige Prinzip wird im vorliegenden Zusammenhang nicht behauptet. In der Diskussion um direkt-demokratische Elemente werden gegen solche Elemente vielmehr stets eine Reihe von Einzelbedenken geäußert (mangelnde Fachkompetenz des Volkes, Beeinflussbarkeit etc., dazu sogleich66). Einige dieser Kriterien, beispielsweise die mangelnde Praktikabilität direkt-demokratischer Entscheidungsfindung67, sind indessen von solcher Allgemeinheit, dass sich hinter ihnen durchaus auch ein Prinzip verbergen könnte.

3. Der Zusammenhang zwischen Bewertungsmaßstäben und Demokratieideal Bevor dem im Einzelnen nachgegangen wird, lässt sich aber schon ein ganz grundlegendes Problem feststellen: Gerade in diesem Punkt kristallisiert sich nämlich heraus, dass in der Diskussion um die Direktwahl der Ministerpräsidenten nicht nur Einzelargumente sondern offenbar Grundauffassungen vom Ideal der Demokratie aufeinander treffen.

a) Bestehender Zusammenhang als potenzielle Gefahr für die wissenschaftliche Diskussion Weit über die Diskussion um die Volkswahl der Ministerpräsidenten hinaus, wird bekanntlich schon seit Jahrhunderten über das Wesen der Demokratie und die beste Form ihrer Umsetzung diskutiert68. In diesem größeren Disput werden verschiedene Grundvorstellungen deutlich, die man je nach Hauptbetrachtungsmerkmal unterschiedlich kategorisieren kann69. Bezogen auf das Betrachtungsmerkmal der unmittelbaren Volksbeteiligung lassen sich die beiden Pole ___________ 66

Siehe § 6 III. Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 40; Kriele, S. 298; Obst, S. 269 ff. 68 Zum Demokratieprinzip und seiner Entwicklung von Arnim, Staatslehre, S. 23 ff.; Badura, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 23 (S. 953 ff.); Bertges, S. 8 ff.; Böckenförde, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 22 (S. 887 ff.); ders., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht II, § 30 (S. 29 ff.); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 40; Stern, Staatsrecht I, § 18 (S. 435 ff.); von Münch, Rn. 119 ff.; Schnapp, in: von Münch/Kunig, Art. 20 Rn. 13 ff.; Schmitt, S. 223 ff.; Stein, in: Alternativkommentar I, Art. 20 Abs. 1-3 Abschn. II Rn. 1 ff. 69 Siehe insbesondere die umfassende Zusammenstellung bei Stern, Staatsrecht I, § 18 I. 3. (S. 441 ff.). 67

II. „Natürlicher Vorrang“ direkt-demokratischer Elemente?

141

möglichst viel und möglichst wenig unmittelbarer Entscheidung durch das Volk differenzieren. Natürlich gibt es auch eine Reihe von Konzepten, die zwischen diesen beiden Polen angesiedelt sind, doch sind die Extremata besonders interessant und verdeutlichen die potentielle Gefahr eines Zusammenhangs der vorliegenden Frage mit der grundlegenden Diskussion um die „ideale Demokratie“ besonders deutlich: Es ist zumindest nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, dass ein Verfechter möglichst weitreichender Volksbeteiligung sich wegen seiner Grundüberzeugung – und nicht aufgrund nachgewiesener Vorteile – für die Direktwahl der Ministerpräsidenten ausspricht, etwa wenn er in diesem Zusammenhang allgemein vom „Mehrwert direkt-demokratischer Entscheidungen“70 spricht. Umgekehrt besteht die potentielle Gefahr, dass ein Gegner unmittelbarer Demokratie um dieser Grundüberzeugung willen die Direktwahl der Ministerpräsidenten pauschal ablehnt, ohne sich mit ihren konkreten Vor- und Nachteilen auseinanderzusetzen. Auf beiden Seiten besteht zudem die Gefahr, dass das eigene Ideal zwar nicht von vornherein allein entscheidend ist, dafür aber Einfluss auf die Bewertung und Gewichtung der Einzelargumente hat und damit letztlich doch wieder ausschlaggebend ist.

b) Der potenzielle Zusammenhang als Gefahr für die wissenschaftliche Diskussion Oder aber – und das ist genauso gefährlich für die Diskussion – aufgrund des (potentiellen) Zusammenhangs mit dem Demokratieideal wirft eine Seite der anderen vor, sie würde genau dies tun, nämlich nicht die einzelnen Gesichtspunkte mit wissenschaftlicher Neutralität beurteilen, sondern sie im Hinblick auf ein Fernziel (Klein spricht vom „Endziel“71) einsetzen. So setzt Klein die Forderung von Arnims in Bezug zu dessen an anderer Stelle geäußerter These: „Das Grundübel unserer Demokratie liegt darin, dass sie keine ist. Das Volk, der nominelle Herr und Souverän, hat in Wahrheit nichts zu sagen.“72 Diese These sei Ausdruck eines Demokratiekonzepts, nach welchem die repräsentative Demokratie bestenfalls ein „Ersatz für die praktisch unerreichbare Souveränitätsdemokratie“ und daher letztlich das „Nichtdemokratische an der Demokratie“ sei73. Es sei geboten, sich diesen „radikaldemokratischen Ansatz“ von Arnims, das Streben nach einer Anreicherung der Demokratie um plebiszi-

___________ 70

Von Arnim, DÖV 1990, 85 ff., 91. Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 574. 72 Von Arnim, Staat ohne Diener (Taschenbuchausgabe), S. 357. 73 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 574. 71

142

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

täre Elemente in „jeder nur denkbaren Weise“, bei der Auseinandersetzung vor Augen zu führen74. Ähnlich äußert sich Patzelt über von Münch75.

c) Die Gefahr der „Unwiderlegbarkeit“ Solche Äußerungen sind doppelt gefährlich. Zum einen haben sie etwas von einem „Totschlagargument“76. Der Vorwurf, eine Argumentation sei nur vorgeschoben und man verfolge letztlich ganz andere (weitergehende, politische) Ziele ist schnell erhoben und nur schwer zu widerlegen. Das gilt für beide Seiten. Allerdings beruft sich soweit ersichtlich in der vorliegenden Diskussion niemand darauf, die Reformgegner würden nur ihr eigenes Demokratieideal verfolgen.

d) Die Gefahr der Politisierung Unabhängig von ihrer Herkunft drängen jedenfalls solche Äußerungen die Diskussion ab in einen Bereich politischer Überzeugungen und damit heraus aus dem Fokus politikwissenschaftlicher Betrachtung. Selbstverständlich hat die Diskussion um den Ministerpräsidenten eine politische Komponente77. Doch ist diese in der wissenschaftlichen Diskussion gerade auszuklammern. Es gilt im Moment noch, die wissenschaftlichen Grundlagen für die sich anschließende (bzw. parallel geführte) politische Diskussion zu schaffen78. Das Abdrängen in den politischen Bereich birgt zudem die Gefahr, einen an sich in konkreten Einzelaspekten gegebenen Konsens zu verschleiern oder einen insoweit möglichen Konsens zu verhindern. ___________ 74

Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 574. Siehe dazu § 11 I. 3. c). Also einem Argument, mit dem man bestimmte Thesen oder Vorschläge ausgrenzt und ihre Vertreter in eine bestimmte Ecke stellt und an den Rand drängt, ohne zu den Argumenten selbst sachlich Stellung zu beziehen und eigene Argumente anzuführen, vgl. von Arnim, Das System, S. 204. 77 Vgl. die Äußerungen von Althaus, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 17 f.; Bausewein, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 33 ff., 34; Dewes, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 43 ff., 44 f.; Escher, in: FOCUS 32/1997, S. 50; Friedrich, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 47 ff., 48; von Hassel, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 51 f.; Möller, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 75 ff., 78 ff.; Zimmer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 89 ff., 90 ff. 78 Vgl. § 5 I. 75 76

II. „Natürlicher Vorrang“ direkt-demokratischer Elemente?

143

e) Die Gefahr der Ausuferung Fast ebenso schwerwiegend ist, dass damit eine Verknüpfung hergestellt wird, die vorher möglicherweise nicht oder nur sehr schwach existiert, die Auseinandersetzung in der Sache aber enorm verkompliziert. Ließen sich die Streitfrage des für die Bundesländer geeigneteren Regierungssystems und die Frage nach dem „besten“ Demokratiekonzept nicht (weitgehend) trennen, müsste sich eine wissenschaftliche Unersuchung ersterer zunächst mit letzterer befassen und sie klären. Sofern das überhaupt möglich ist, würde es jedenfalls den Rahmen der vorliegenden Abhandlung bei weitem sprengen.

f) Die Entschärfung der Gefahren Wie ist diesen Problemen nun konkret zu begegnen? Berechtigt an einem Vorwurf wie dem von Klein ist seine Abstraktion: Politische Überzeugungen sind im vorliegenden Rahmen möglichst weit auszuklammern. Das wurde schon festgestellt79. Insofern verdeutlicht der Vorwurf nur einmal mehr, wie wichtig das ist. Von einer grundlegenden Diskussion der verschiedenen Demokratieideale ist abzusehen. Stattdessen soll das Augenmerk schwerpunktmäßig darauf gelegt werden, welche Bedeutung dem Demokratieideal im Zusammenhang mit der Frage nach dem geeigneteren Regierungssystem für die Bundesländer wirklich zukommt und inwieweit sich unabhängig davon ein gemeinsamer Konsens feststellen lässt. Das soll im Folgenden versucht werden.

4. Keine Vermutung zugunsten einer möglichst weitgehenden mittelbaren Demokratie Obwohl niemand von einem prinzipiellen Mehrwert mittelbarer Demokratie spricht, drängt sich bisweilen der Eindruck auf, dass insoweit von einem Prinzip ausgegangen wird, sich die Einzelbedenken gegen unmittelbare Volksentscheidungen i.w.S. zu einer Vermutung dahingehend verdichten, dass im Zweifel die mittelbare Entscheidung zu bevorzugen sei. So ist bei Herzog die Rede von den „Gesichtspunkten, die für diese eindeutige Bevorzugung der mittelbaren Demokratie sprechen“80. Es stelle sich heute ganz allgemein81 die Frage, ob das zunehmende Komplizierterwerden der politischen Probleme und damit auch der politischen Entscheidungen nicht überhaupt weitgehend den intellek___________ 79

Siehe § 5 I. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art.20 Abschn. II Rn. 38. 81 Hervorhebung durch den Verfasser 80

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

144

tuellen Rahmen des Volkes sprenge82. In solchen Äußerungen klingt eine Vermutung zugunsten einer möglichst weitgehenden mittelbaren Demokratie zumindest an.

a) Vermutung zugunsten mittelbarer Demokratie allenfalls für das Staatsprinzip als solches Gleichwohl zieht diesen Schluss in letzter Konsequenz soweit ersichtlich niemand. So räumt auch Herzog ein, dass „ungeachtet aller Einzelprobleme, die damit verbunden sein mögen“, die Staatsgewalt jedenfalls dann vom Volk ausgeht, wenn das Volk eine anstehende Frage selbst entscheidet83. Für sich gesehen sei das Prinzip der Volkssouveränität in der unmittelbaren oder direkten Demokratie jedenfalls der Theorie nach stets verwirklicht84. Soweit also von einer „eindeutigen Bevorzugung der mittelbaren Demokratie“85 wegen der praktischen Probleme der unmittelbaren Demokratie gesprochen wird, bezieht sich dies allenfalls auf das staatsorganisatorische System als Ganzes – wo eine solche Grundentscheidung getroffen werden muss –, nicht aber auf einzelne direkt-demokratische Elemente.

b) Keine Regel für einzelne demokratische Elemente Die Grundentscheidung – mittelbare oder unmittelbare Demokratie – ist für die vorliegende Diskussion indessen nicht relevant. Sie ist getroffen und rechtlich vorgegeben86. In heutiger Zeit wird sie kaum jemals irgendwo praktisch relevant. Man mag insoweit wegen Inpraktikabilität einer reinen unmittelbaren Demokratie auf Staatsebene der mittelbaren Demokratie generell den Vorrang geben. Für die vorliegende Untersuchung ist nur wichtig, dass sich daraus keine Regel für – bzw. gegen – einzelne direkt-demokratische Elemente ableiten lässt. Für sie ist jeweils eine gesonderte Bewertung anhand der Einzelkriterien, z.B. ___________ 82

Herzog, in: Maunz/Dürig, Art.20 Abschn. II Rn. 41. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art.20 Abschn. II Rn. 37. 84 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art.20 Abschn. II Rn. 37. 85 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art.20 Abschn. II Rn. 38. 86 Das Homogenitätsprinzip nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG verbietet Landesverfassungen, die eine rein unmittelbare Demokratie vorsehen, vgl. Krause, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch Staatsrecht II, § 39 Rn. 20; Maunz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht IV, § 95 Rn. 4; Tettinger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 28 Rn. 41 ff., 47. 83

II. „Natürlicher Vorrang“ direkt-demokratischer Elemente?

145

eine Prüfung auf Praktikabilität vorzunehmen. Festzuhalten bleibt, dass es über eine eventuelle Vermutung zugunsten der mittelbaren Demokratie als Staatsform (dem Grunde nach) hinaus keine Vermutung zugunsten einer möglichst weitgehenden mittelbaren Demokratie (keine Vermutung im Hinblick auf die Reichweite) gibt.

5. Vermutung zugunsten möglichst weitgehender unmittelbarer Demokratie? Die Anknüpfung an die Volkssouveränität legt vielmehr auf den ersten Blick das umgekehrte Prinzip nahe, nämlich ein Prinzip möglichst weitgehender Selbstentscheidung des Volkes87.

a) Die Lincoln-Formel Schon Abraham Lincoln hat in seiner berühmten Gettysburg-Rede Demokratie definiert als „rule of the people, by the people, for the people“88. Auf dieses „Handeln durch das Volk und für das Volk“ bezieht sich die Frankfurter Intervention89. Die zweite Komponente der Lincoln`schen Formel, das Handeln für das Volk betrifft die Funktion von Politik und beantwortet die Frage: Was soll Politik? Das bezieht sich auf die Maßstäbe der Politik (und beantwortet die Frage mit: dem Gemeinwohl dienen) und wird im Rahmen der vorliegenden Abhandlung an späterer Stelle behandelt90. Indem die Frankfurter Intervention auf die Lincoln-Formel91 Bezug nimmt, macht sie sich aber auch die erste Komponente, das Handeln durch das Volk zu Eigen und übernimmt damit die These vom Prinzip größtmöglicher Selbstbestimmung des Volkes. Diese Komponente beruht auf der Überlegung, dass dem Prinzip der Volkssouveränität nicht alleine dadurch Genüge getan ist, dass die Staatsgewalt im Interesse des Volkes und zu seinem Wohl ausgeübt wird, weil die Maxime „salus publica

___________ 87 So von Arnim, DÖV 1990, 85 ff., 91; Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 149; ders., in: Sitter-Liver, S. 223 ff., 228 ff. 88 Die Rede besteht aus lediglich 12 Sätzen (im Original 270 Worte). In deutscher Übersetzung ist sie vollständig abgedruckt etwa bei http://aphorismen-archiv.de/autoren /autorenl/lincoln.html (Datum: 2. August 2003). 89 Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 23. 90 Siehe § 9. 91 Siehe grundsätzlich zur Tauglichkeit der Lincoln-Formel als politikwissenschaftlicher Maßstab von Arnim, Vom schönen Schein, S. 26 f.

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

146

suprema lex“ auch von einem Monarchen erfüllt werden kann („alles für das Volk, nichts durch das Volk“)92.

b) Volkssouveränität und Demokratie Unstreitig ist jedenfalls noch dieser Ausgangspunkt: das Prinzip der Volkssouveränität93. Dieses Prinzip ist rechtlich vorgegeben. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG bestimmt: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Obgleich die Idee der Volkssouveränität in ihrer Ursprünglichkeit nichts mit Demokratie zu tun hatte, sondern der Legitimierung der Selbständigkeit des Kaisers gegenüber dem Papst diente (Ableitung seiner Gewalt vom Volk, nicht von Gott)94, ist sie heute mit dem Demokratieprinzip untrennbar verbunden95.

c) Staatstheoretischer Vorrang direkter Demokratie und direkt-demokratischer Elemente Aus diesem Verschmelzen von Volkssouveränität und Demokratie folgt unmittelbar der bereits erwähnte und insoweit auch von strikten Befürwortern mittelbarer Demokratie eingeräumte theoretische Vorrang direkt-demokratischer Entscheidungen96. Jede hoheitliche Entscheidung ist Ausübung von Staatsgewalt und keine Entscheidung ist „näher am Volk“ als eine solche, die das Volk selbst trifft97. Es ist also richtig, die möglichst weitgehende Selbstentscheidung des Volkes als zentrales Prinzip der Demokratie zu bezeichnen98. Das führt auch unmittelbar zu einem „Mehrwert direkt-demokratischer Entscheidungen“99. Der „Mehrwert“ – und diese Unterscheidung ist sehr bedeutsam – bezieht sich aber nicht auf die inhaltliche Qualität der Entscheidungen (darauf ist noch einzugehen – zweite Komponente der Lincoln-Formel100), son___________ 92

Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 22 (S. 890). Vgl. statt aller Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 22 Rn. 2 ff. (S. 888 ff.). 94 Näher dazu Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 34. 95 Statt aller Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 22 Rn. 8 (S. 892); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 36. 96 Siehe § 6 II. 2. 97 Äußerster – theoretischer – Fall der Demokratie ist deshalb die Volksherrschaft ohne Staat („Identität von Herrschern und Beherrschern“), vgl. Badura, D 10 (S. 234); Kriele, § 70 (S. 278). 98 So von Arnim, DÖV 1990, 85 ff., 91; Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 149; ders., in: Sitter-Liver, S. 223 ff., 228 ff. 99 Vgl. von Arnim, DÖV 1990, 85 ff., 91. 100 Siehe § 9 II. 93

II. „Natürlicher Vorrang“ direkt-demokratischer Elemente?

147

dern ausschließlich auf die bessere Verwirklichung des theoretischen Prinzips der Volkssouveränität, die demokratische Höherwertigkeit101.

d) Praktische Bedeutung Deshalb schließt sich auch sogleich die nächste Frage an, nämlich welche praktischen Konsequenzen daraus gezogen werden können. Es wurde bereits ausgeführt, dass trotz des theoretischen Hintergrundes die Grundentscheidung zugunsten einer mittelbaren Demokratie gefallen ist und heute wohl auch nicht mehr anders fallen kann, sie jedenfalls aber auch von den Reformbefürwortern nicht angegriffen wird102. Damit wird grundsätzlich auch eine Einschränkung des Prinzips, eine demokratische Minderwertigkeit (zugunsten jedenfalls der Praktikabilität) in Kauf genommen. Geht es um die konkrete Grenzziehung, um die Frage, inwieweit die mittelbare Demokratie durch direkt-demokratische Elemente zu ergänzen ist, versagt das Prinzip. Es entbindet nicht von der Notwendigkeit, die in Betracht kommenden Elemente daraufhin zu untersuchen, ob jene Gesichtspunkte, die zu einer Einschränkung des Prinzips geführt haben, auch den Ausschluss dieser Elemente rechtfertigen oder sogar bedingen. Hier zeigt sich deutlich die bereits im Rahmen der Methodik103 angesprochene Problematik, dass sich aus nachweisbaren Prinzipien eben häufig keine konkreten Entscheidungen ableiten lassen. Gleichwohl ist damit das Prinzip auch für die Praxis nicht bedeutungslos. Zum einen folgt daraus eine Zweifelsregel. Gilt keiner der Gründe, die zu einer Einschränkung des Prinzips geführt haben, für die Direktwahl des Ministerpräsidenten, lässt sich also kein Grund nachweisen, weshalb dem Volk die Wahl des Ministerpräsidenten vorenthalten werden sollte, spricht das für eine Direktwahl. Lassen sich sowohl Gründe gegen die Direktwahl als auch Gründe für die Direktwahl nachweisen, wirkt das Prinzip bei der dann erforderlichen Abwägung zugunsten der Reform. Seine Gewichtung mag dann Überzeugungssache sein, als „Zünglein an der Waage“ aber vermag es jedenfalls zu wirken.

___________ 101 Er führt auch zu einem Mehrwert der Selbstverwaltung durch den Bürger sowie jeder Form von Mitverwaltung (Partizipation), die demgegenüber ein Weniger darstellt, vgl. von Münch, Rn. 129. 102 Wenn man im Zusammenhang mit Demokratie überhaupt von radikal sprechen möchte, wie dies Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 574, tut, wäre die Bezeichnung wohl für ein solches Ablehnen mittelbarer Demokratie als Staatsform zu reservieren. 103 Siehe § 5 II. 2., 3.

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

148

Zum anderen bewirkt die aus dem Prinzip folgende Begründungsobliegenheit für die Einschränkung direkt-demokratischer Elemente, dass dort, wo solche Einschränkungen stattfinden, auch das Verhältnis solcher Einschränkungen zueinander zu begründen ist. Das wird von Erkenntniswert sein bei der Untersuchung der demokratischen Legitimation der Staatsorgane104. Ist nämlich bei einem Staatsorgan das Prinzip der Direktwahl verwirklicht, bei einem anderen nicht, sind also die Hoheitsakte dieser Organe (Landesregierung, Landtag) möglicherweise unterschiedlich stark legitimiert, muss es für diese Differenzierung einen sachlichen Grund geben.

III. Bedenken gegen direkt-demokratische Elemente Damit sind im Folgenden die gegen direkt-demokratische Verfassungselemente konkret angeführten Gründe im Hinblick auf die Wahl des Ministerpräsidenten zu untersuchen.

1. Politische Reife des Volkes Mangelnde politische Reife des Volkes wird zwar heute nicht mehr gegen direkt-demokratische Elemente angeführt, war aber insbesondere bei der Schaffung des Grundgesetzes – die Landesverfassungen sind insoweit offener105 – der maßgebliche Beweggrund gegen die Aufnahme direkt-demokratischer Elemente106. Diese Argumentation hat etwas Überhebliches an sich107. Die Sorge war aber nach den Erfahrungen der Weimarer Zeit (Instrumentalisierung der Plebiszite zur Störung der Regierungs- und Parlamentspolitik108) und der Jahre 1933 bis 1945 (Missbrauch durch den Nationalsozialismus109) möglicherweise berechtigt.

___________ 104

Siehe dazu § 7. Vgl. § 13 II. 106 Vgl. von Arnim, Staatslehre, S. 512; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 39; Krause, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht II, § 39 Rn. 11 (S. 320 f.). 107 Ebenso jene mit der intellektuellen Überforderung der Bevölkerung, s. § 6 III. 3. 108 Vgl. Maunz/Zippelius, § 11 IV 1 (S. 72); von Münch, Rn. 137; Weber, S. 19 f.; näher zu den plebiszitären Elementen der Weimarer Verfassung und ihren praktischen Auswirkungen Frotscher, DVBl. 1989, 541 ff.; Jung, Direkte Demokratie, S. 15 ff.; Schiffers, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 51 ff.; Strenge, ZRP 1994, 271 ff. 109 Friedrich, S. 650; näher zu den Volksabstimmungen unter der Herrschaft des Nationalsozialismus Jung, Plebiszit und Diktatur, S. 6 ff. 105

III. Bedenken gegen direkt-demokratische Elemente

149

Fraglich bleibt, ob die Reaktion eine geeignete Antwort war und ob der Parlamentarische Rat nicht über das Ziel hinausgeschossen ist110. Jedenfalls nach über fünfzig Jahren erfolgreicher demokratischer Kultur in Westdeutschland und erfolgreicher Übernahme der demokratischen Kultur in Ostdeutschland kann dem Volk nicht mehr generell die hinreichende politische Reife abgesprochen werden. Es kommt hinzu, dass die mangelnde politische Reife auch keine Differenzierung zwischen Parlaments- und Präsidentschaftswahl rechtfertigt. Weshalb sollte die Bevölkerung reif genug sein, ihre Gesetzgeber zu wählen, aber nicht reif genug, auch den Ministerpräsidenten zu wählen? Die Befürchtung der Wahl eines Extremisten vermag einen Unterschied jedenfalls nicht zu begründen. Insoweit wird im Parlamentarismus das Problem allenfalls verlagert und die Wahl einer extremistischen Partei zwischengeschaltet111. Hier wie dort hat das Volk Personalentscheidungen zu treffen. Anhaltspunkte für eine Differenzierung zwischen der Entscheidung über geeignete Parlamentarier einerseits und einen geeigneten Regierungschef andererseits sind nicht ersichtlich und werden auch nicht behauptet. Vielmehr belegt die bereits aufgezeigte Fokussierung sämtlicher Parlamentswahlkämpfe auf die Person des Regierungschefs112, also der faktische Beginn eines Übergangs zur Direktwahl, deutlich, dass mittlerweile allgemein von einer hinreichenden Reife zur Entscheidung über die Person des Regierungschefs ausgegangen wird. Dieser herrschenden Auffassung ist zu folgen.

2. Praktikabilität Gegen direkt-demokratische Entscheidungsformen wird häufig deren mangelnde Praktikabilität angeführt113. Bezogen auf die Direktwahl des Ministerpräsidenten hängt die Tauglichkeit des Argumentes davon ab, ob eine Direktwahl praktische Probleme nennenswerten Ausmaßes mit sich bringen würde. Dazu muss man sich deren praktischen Ablauf vor Augen führen.

___________ 110

Krit. etwa Bertges, S. 56 ff. Näher zu diesem Gesichtspunkt noch § 9 VIII. 3. 112 Vgl. § 6 I. 1. d) (1) und (2). 113 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 40; Kriele, S. 298; Obst, S. 269 111

ff.

150

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

a) Der praktische Ablauf der Direktwahl In ihrem Ablauf gliche die Direktwahl der Ministerpräsidenten den jetzigen Landtagswahlen. Der Wahl würde ein Wahlkampf vorausgehen, in welchem sich die Kandidaten – möglicherweise mit Unterstützung einer Partei114 – dem Wahlvolk präsentieren und um die Stimmen der Wahlberechtigten werben würden. Unabhängig davon, ob für die Wahl des Ministerpräsidenten ein eigener Wahltermin angesetzt würde oder sie zeitgleich115 mit der jeweiligen Landtagswahl abgehalten würde116, bestünde der eigentliche Wahlakt für den Bürger jedenfalls im Ankreuzen eines Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten auf dem Wahlzettel. Daran würde sich das Auszählen der Stimmen und die Bekanntgabe des Wahlergebnisses und je nachdem evtl. noch eine Stichwahl anschließen. All dies ist grundsätzlich vergleichbar mit der jetzigen Landtagswahl und mit der Direktwahl der Bürgermeister.

b) Der Aufwand einer Volkswahl Das gegen direkt-demokratische Elemente gerichtete Praktikabilitätsargument bezieht sich meist nicht auf einen konkreten Aspekt der Entscheidungsfindung, sondern schon auf die unmittelbare Volkentscheidung als solche. Überspitzt formuliert geht es dahin, dass nicht für jede noch so unbedeutende Frage der Aufwand einer Volksentscheidung betrieben werden kann. Gemeint ist neben dem Kosten- der Aktivierungsaufwand. Das Argument geht dahin, dass zu viel direkte Demokratie Abnutzungserscheinungen zeitigt, was sich in geringen Beteiligungszahlen niederschlägt117.

(1) Kostenaufwand Für die Direktwahl des Ministerpräsidenten ist zunächst festzustellen, dass es sich um eine zusätzliche Wahl handelt, was selbstverständlich auch zusätzliche Kosten für den Staat aufwirft. Allerdings ist diese Gefahr bei weitem nicht so groß wie bei sonstigen Volksentscheiden. Während Sachfragen praktisch laufend auftreten, steht die Personalentscheidung „Ministerpräsident“ grundsätz___________ 114

Siehe dazu noch näher § 8 III. 2. c). Und in gleichen periodischen Abständen. 116 Siehe dazu § 11 II. 2. 117 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 40; Stein, in: Alternativkommentar I, Art. 20 Abs. 1-3 Abschn. II Rn. 40. 115

III. Bedenken gegen direkt-demokratische Elemente

151

lich nur einmal pro Wahlperiode118 an. Der zusätzliche Kostenaufwand ist daher überschaubar und gering. Er kann weiter minimiert werden, wenn die Wahl des Ministerpräsidenten zeitgleich mit einer Landtagswahl durchgeführt wird. Von der (eigenen Besonderheiten unterliegenden) Parteien- und Wahlkampffinanzierung einmal abgesehen, würde die Direktwahl des Ministerpräsidenten dann nur einen minimalen weiteren Kostenaufwand verursachen, vergleichbar jenem, der entsteht, wenn für den Landtag ein zusätzlicher Wahlkreis geschaffen wird. Dieser Kostenaufwand ist jedenfalls so gering, dass er als eigenständiges Argument in der vorliegenden Diskussion nicht zu tragen vermag.

(2) Aktivierungsaufwand Einen zusätzlichen Aktivierungsaufwand würde die Wahl ebenfalls nur mit sich bringen, wenn sie zeitversetzt zu den Landtagswahlen stattfinden würde. Dann müsste zur Erzielung einer möglichst hohen Wahlbeteiligung zweimal erheblicher Aufwand betrieben werden, namentlich ein doppelter Wahlkampf geführt werden. Selbst für diesen Fall erscheint es jedoch fraglich, dieses Phänomen allein der Wahl des Ministerpräsidenten zuzurechnen. Der zusätzliche Aufwand resultierte schlicht daraus, dass nunmehr zwei Staatsorgane anstatt eines gewählt werden. Gegen die Direktwahl des Ministerpräsidenten spricht das nicht. Es spricht jedoch bei ihrer Einführung für einen chronologischen Gleichlauf von Landtags- und Ministerpräsidentenwahl. Ob sich ein solcher im Ergebnis empfiehlt, hängt aber auch noch von anderen Faktoren ab119 und hat deshalb zunächst offen zu bleiben120. Bei einer gleichzeitigen Durchführung beider Wahlen könnte der Aktivierungsaufwand sogar verringert werden. Naturgemäß sind unmittelbare Personalentscheidungen für den Bürger von großem Interesse121. Es besteht daher eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Bürger, die für Parteien wenig übrig haben, sich aber für die Person des Ministerpräsidenten interessieren122, aus diesem Grunde zur Wahl gehen – und dann auch den Landtag wählen. Jedenfalls würde bei gleichzeitiger Durchführung der Wahlen kein zusätzlicher Aufwand betrieben werden müssen, um eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu erzielen. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass Bürger nicht zur Wahl gehen, weil sie die Möglichkeit haben, in deren Rahmen eine weitere Entscheidung zu treffen. Vielmehr liegt es umgekehrt nahe, dass jedenfalls jeder Land___________ 118

Also alle 4 oder 5 Jahre. Siehe etwa § 8 III. 2. d) (2). 120 Abschließende Beurteilung unter § 11 II. 2. 121 Eschenburg, S. 63. 122 Vgl. § 6 I. 1. d) (3). 119

152

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

tagswähler auch von seiner Möglichkeit zur unmittelbaren Entscheidung über den Ministerpräsidenten Gebrauch macht. Im Ergebnis würden sich im Hinblick auf die Wahlbeteiligung dann beide Wahlen gegenseitig befruchten123.

c) Zwischenergebnis Bei Zusammenlegung der Direktwahl des Ministerpräsidenten mit der Landtagswahl lässt sich der praktische Zusatzaufwand auf ein Minimum reduzieren. Selbst bei Durchführung einer gesonderten Wahl bestehen jedoch aufgrund der regelmäßigen Seltenheit der Wahl keine mit dem Aufwand bei anderen direktdemokratischen Elementen vergleichbaren Schwierigkeiten124, die für eine Ablehnung der Direktwahl Ansatzfläche böten.

3. Manipulierbarkeit Das Argument der Manipulierbarkeit125 bezieht sich bei Volksabstimmungen regelmäßig auf die postulierte Möglichkeit, durch die Vorformulierung der zu entscheidenden Frage Einfluss auf die Stimmung in der Bevölkerung zu nehmen. Darin erschöpft es sich jedoch nicht. Bei komplexeren Sachverhalten geht damit die Befürchtung einher, durch Pauschalisierung oder Herausgreifen von eingänglichen Einzelaussagen seitens der Politiker könnten diese Einfluss auf die Entscheidungsfindung bei der Bevölkerung nehmen126. Damit ist bereits der Gesichtspunkt der Komplexität angesprochen127. Ferner geht mit dem Argument die Befürchtung einher, durch Hervorhebung von negativen und unpopulären Folgen einer bestimmten Entscheidung könne das Volk von der Entscheidung abgebracht, es mithin gesteuert werden. Die Rede ist regelmäßig von der „Vorformung des politischen Willens“128.

___________ 123

Von diesem Synergieeffekt wird auch sonst bei der Zusammenlegung von Wahlen – v.a. Landtags-, Kommunal- und Europawahlen – Gebrauch gemacht. 124 Veränderungen sind auch dort durch die wachsenden Möglichkeiten der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie zu erwarten, vgl. Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 185 f. 125 Siehe etwa Kriele, S. 299; Zippelius, § 23 I 1 b (S. 179 f.). 126 Kriele, S. 299. 127 Dazu sogleich § 6 III. 4. 128 Seit Scheuner, Zeitschrift für evangelische Ethik 1957 (Heft 1), S. 30 ff., 34 ff.; s. auch BVerfG, Urt. v. 30. Juli 1958, Az. 2 BvF 3,6/58, BVerfGE 8, 104 ff., 113; Hesse, VVDStRL 17 (1959), 11 ff., 23.

III. Bedenken gegen direkt-demokratische Elemente

153

a) Keine unmittelbar populistische Entscheidung Auf den letzten Aspekt der inhaltlichen „Richtigkeit“ politischer Entscheidungen wird noch zurückzukommen sein129. Im vorliegenden Zusammenhang stellt er kein Problem dar, geht es bei der zu treffenden Entscheidung doch ausschließlich um eine Personalentscheidung, nicht um eine Sachentscheidung. Die Personalentscheidung hat keine unmittelbaren Konsequenzen für den Einzelnen, insbesondere keine finanziellen Auswirkungen. Eine andere Frage sind die finanziellen Auswirkungen der Politik des gewählten Ministerpräsidenten, deren Thematisierung im Wahlkampf durchaus zu einer Beeinflussung der Bevölkerung führen kann („Senkung von Verwaltungsausgaben ja oder nein?“). Doch ist dies weniger eine Frage der Manipulierbarkeit – die im Wahlkampf angekündigte Politik soll ja gerade die Wahl beeinflussen –, als eine Frage der Bewertung, nämlich wann ein weitergehender Einfluss des Volkes auf die Entscheidungsträger und Entscheidungen der Exekutive umschlägt in schädliche Demagogie130. Jedenfalls sind die negativen Folgen der Entscheidungen der zu wählenden Regierung wesentlich ferner, als wenn das Volk selbst diese Entscheidungen zu treffen hätte.

b) Keine Formulierungsspielräume Im Hinblick auf die Fragestellung ist gegenüber dem jetzigen System keine negative Veränderung zu erwarten. Eine Manipulation durch geschicktes Formulieren von Fragen ist angesichts der Singularität und Schlichtheit der Fragestellung nicht zu befürchten. Die Frage, welcher Kandidat Ministerpräsident werden soll, lässt sich nicht weiter versimplifizieren. Das geht allenfalls bei dessen politischem Programm, wobei man wieder am Gesichtspunkt der Demagogie angelangt ist131. Die eigentlich vom Wahlvolk zu entscheidende Frage wird indessen allenfalls entschleiert, nicht aber verschleiert. Schon jetzt bemühen sich nämlich die Parteien, den Willen der Wahlbevölkerung bezüglich der Person des Ministerpräsidenten weitestmöglich zu beeinflussen. Als Frage wird indessen derzeit auf dem Wahlzettel noch jene nach den geeignetsten Landtagsabgeordneten formuliert. Unter diesem Blickwinkel nimmt die Täuschung der Bevölkerung also allenfalls ab.

___________ 129

Siehe § 9. Siehe dazu § 9 VIII. 131 Siehe § 9 VIII. 130

154

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

4. Komplexität Der Gesichtspunkt der Komplexität und Überforderung der Bevölkerung132 zielt ganz wesentlich auf Sachentscheidungen. Auch dort ist er keine Selbstverständlichkeit, doch liegt jedenfalls die Befürchtung näher, dass mit gewissen Fragen der durchschnittliche Bürger schlichtweg überfordert ist. Dem Abgeordneten wird – die Berechtigung mag dahinstehen – eher zugetraut, ein gewisses Fachwissen mit sich zu bringen oder im Laufe der (oft spezialisierten) politischen Laufbahn erworben zu haben, wenigstens aber über die notwendigen Ressourcen zu verfügen, es sich im nötigen Umfang anzueignen. Diese Überlegungen greifen jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang nicht. Es geht ausschließlich um die Personalentscheidung „Ministerpräsident“, nicht um dahinter stehende Sachentscheidungen133. Die Personalentscheidung aber ist keineswegs komplex, sondern wie bereits festgestellt äußerst einfach. Sie erfordert keine besondere Sachkenntnis und über die Kenntnis des politischen Programms hinaus (selbst das wird oft Wunschdenken bleiben) überhaupt keine nähere Befassung mit der Fragestellung. Jedenfalls aber stellt sie keine höheren Anforderungen an den Intellekt des Wählers als andere Personalentscheidungen, namentlich die Besetzung von Landtagssitzen, welche dem Wähler ohne weiteres zugetraut werden.

5. „Versteinerung“ Ein letzter Punkt sei nur der Vollständigkeit halber angeführt: Herzog wendet gegen direkt-demokratische Elemente ergänzend ein, die unmittelbare Meinung des Volkes sei im Allgemeinen mehr auf Beharrung als auf Veränderung ausgerichtet134, während es in der dynamisch gewordenen Umwelt häufig gerade Aufgabe politischer Entscheidungen sei, den Staat den in „der Welt der Tatsachen nun einmal ablaufenden Veränderungen“ anzupassen135. Dazu ist zunächst zu bemerken, dass zur Welt der Tatsachen jedenfalls mittlerweile auch gehört, dass gerade die politischen Verantwortungsträger bei den wirklich erforderli-

___________ 132

Vgl. Herzog, Staatslehre, S. 207 f.; ders., in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 41; Obst, S. 277 ff. 133 Hier verfügt die Regierung über die nötigen Fachressourcen. 134 Gegen Volksabstimmungen wird aber auch das genaue Gegenteil angeführt, nämlich die Überreaktion des Volkes auf Augenblicksereignisse (z.B. Befürwortung der Todesstrafe nach spektakulärem Mord), vgl. von Münch, Rn. 197; s. auch Obst, S. 295 („Kriterium der Stabilität“) und Zippelius, § 23 I 1 a („Handlungsunfähigkeit“). 135 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 41.

III. Bedenken gegen direkt-demokratische Elemente

155

chen Reaktionen136 diese Dynamik selbst gerade nicht (mehr) aufbringen – Stichwort „Reformstau“. Umgekehrt ist in unbedeutenderen Einzelfragen (wo wenig Widerstand überwunden werden muss) mitunter eine erstaunliche Dynamik zu verzeichnen, die aber weit über das Ziel hinaus schießt – Stichwort „Aktionismus“. Angesichts dessen könnte es sich bei der von Herzog bemühten „Beharrung“ auch um Besonnenheit handeln. Dem soll jedoch nicht näher nachgegangen werden. Bezogen auf den Ministerpräsidenten könnte Beharrung allenfalls bedeuten, dass dieselbe Person immer wieder gewählt wird. Das ist jedoch weder zwingend schlecht noch neu. So war Johannes Rau (SPD) zwanzig Jahre137 Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Peter Altmeier (CDU) war zweiundzwanzig Jahre Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Ob eine solche „Versteinerung“ in der Person des Ministerpräsidenten negativ zu beurteilen ist, ist eine andere Diskussion. Wenn ja, kann dieser – wie im Parlamentarismus – auch auf Basis eines präsidentialen Systems unproblematisch mit einer Begrenzung der Amtszeiten138 begegnet werden139.

6. Keine Befürchtung „schlechter“ Entscheidungen Bei den drei vorgenannten Argumenten kommt noch Folgendes hinzu: Sie setzen sämtlich stillschweigend voraus, dass es einen (wie auch immer gearteten) Maßstab für politische Entscheidungen, dass es gute und schlechte Entscheidungen gibt. Darauf ist in anderem Zusammenhang noch einzugehen140. Für die Entscheidung über die Person des Ministerpräsidenten als solche lässt sich auch die Befürchtung schlechter Entscheidungen entkräften. Wissenschaftlich greifbar ist eine Fehlentscheidung bei der Person des Ministerpräsidenten – vom hier ausgeklammerten Aspekt der Demagogie abgesehen141 – nämlich allenfalls theoretisch. Beispiele wären die Wahl eines Analphabeten, eines Taubstummen etc. Eine ähnliche Problematik ist von der Diskussion um die Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten bei der Ernennung von Ministern bekannt. Auch hier wird eine Ablehnungsbefugnis wegen Ungeeignetheit nur für Extremfälle diskutiert und niemals praktisch relevant142. Selbst wenn deshalb das Volk bei der Wahl manipuliert würde, von der Entscheidung intellek___________ 136 Schon lange als erforderlich anerkannt sind etwa Rentenreform, Gesundheitsreform und Steuerreform. 137 Von 1978 bis 1998. 138 In den USA besteht z.B. eine Beschränkung des Präsidenten auf zwei Amtszeiten. 139 So etwa der Vorschlag von Bausewein, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 33 ff., 34; näher dazu noch § 11 II. 3. 140 Siehe § 9. 141 Siehe dazu § 9 VIII. 142 Siehe z.B. von Münch, Rn. 822 (minderjähriger Minister).

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

156

tuell überfordert oder dafür geistig zu unbeweglich wäre, würde daraus kein weitergehender (wissenschaftlich greifbarer) Schaden entstehen. Das würde nur dazu führen, dass der gewählte Ministerpräsident einem „Idealwähler“, unmanipulierbar, von überragendem Intellekt und hinreichender Progressivität, möglicherweise – aber auch nicht zwingend – politisch unliebsam wäre. Das ist aber nichts Besonderes sondern der Demokratie geradezu immanent. Die Bevölkerung soll ihre Repräsentanten gerade „aus ihrer Mitte“ und ohne besondere fachlich-berufliche Qualifikation wählen können.

IV. Politischer Einfluss und Politikverdrossenheit Als Argument für eine positive Bewertung der nunmehr nachgewiesenen primären Folge einer Direktwahl des Ministerpräsidenten wird angeführt, dass der Zuwachs an Selbstentscheidung bei der Bevölkerung zu einer Abnahme der Politikverdrossenheit führe143.

1. Politikverdrossenheit als Demokratieproblem Mit Politikverdrossenheit144 wird zumeist eines der drängendsten Probleme unserer Zeit bezeichnet145, das von Hamm-Brücher mit „tiefen Einbrüchen in das Ansehen und in die Glaubwürdigkeit unserer demokratischen Ordnung im öffentlichen Bewusstsein“ beschrieben wird146.

a) Das Akzeptanz- und Vertrauensdefizit Man versucht mit „Politikverdrossenheit“, dem Wort des Jahres 1992147, das Phänomen zu erfassen, dass sich immer mehr Menschen resignativ von der Politik abwenden. Immer weniger Menschen sind politisch aktiv und selbst der ___________ 143

Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 20; von Arnim, Staat ohne Diener, S. 330. 144 Andere sprechen bei unterschiedlicher Akzentuierung im Hinblick auf die Ursachen von Parteienverdrossenheit, so von Arnim, Staat ohne Diener, S. 330, oder von Politikerverdrossenheit, so Hamm-Brücher, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 9 ff. 145 So von der Frankfurter Intervention, RuP 31 (195), S. 16 ff., 20. 146 Hamm-Brücher, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 9 ff., 10. 147 Schuchardt, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 85 ff.; von Weizsäcker, in: Theodor-Heuss-Stiftung, S. 7 f., 7, spricht von einem Unwort.

IV. Politischer Einfluss und Politikverdrossenheit

157

Minimalaufwand der Beteiligung an Wahlen und, wo diese stattfinden, Abstimmungen ist vielen schon zuviel148. Das politische System in seiner gegenwärtigen tatsächlichen Ausprägung149 – nicht aber Politik und Politiker als solche150 – stößt auf breite Ablehnung in der Bevölkerung. Das Akzeptanz- und Vertrauensdefizit als solches ist unstrittig151. Insbesondere wird es von den Gegnern der Reform nicht in Abrede gestellt. Deshalb soll darauf an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.

b) Gefahr für die Demokratie Alle Politiker und Politikwissenschaftler, die sich näher mit der Thematik auseinandersetzen152 sehen das Akzeptanzdefizit als gravierend an, wenngleich Politiker bisweilen dazu neigen, das Problem zu verharmlosen153. Es wird befürchtet, die Vertrauenskrise könne sich zur Demokratiekrise entwickeln, die im Extremfall zum Ende der bundesdeutschen Demokratie führen könnte154. Man vergleicht das gegenwärtige Akzeptanzdefizit mit jenem, das Ende der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts herrschte und das letztlich zum Ende der ersten deutschen Republik führte155. Unabhängig davon, ob man im Zusammenhang mit der Politikverdrossenheit (ggf. auch im Zusammenspiel mit anderen Problemen) von einer Demokratiekrise sprechen mag, ist jedenfalls ___________ 148

Siehe zur Entwicklung der Wahlbeteiligung in Deutschland Eilfort, S. 48 ff., 50; zu den Motiven der Nichtwähler Völker/Völker, S 97 ff.; Scheuch/Scheuch, in: Scheer, S. 51 ff.; s. auch von Arnim, in: Deutscher Beamtenbund, S. 27 ff., 28. 149 Umfassend von Arnim, Das System. 150 Deshalb trifft die Bezeichnung „Parteienverdrossenheit“ die Problematik wohl am exaktesten, obwohl auch Politiker einen stetigen Ansehensverlust in der Bevölkerung erfahren, vgl. von Arnim, ZRP 2002, 223 ff., 230 f. 151 Siehe die Beiträge von Ole von Beust (S. 69 ff.), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (S. 75 ff.), Cornelia Pieper (S. 81 ff.), Rudolf Scharping (S. 85 ff.), Waltraud Schoppe (S. 91 ff.), Rita Süssmuth (S. 95 ff.), und Christian Wulff (S. 101 ff.), in: Scheer, S. 69 ff. 152 Etwa von Arnim, in: Schmitz, S. 27 ff.; ders., in: Deutscher Beamtenbund, S. 27 ff., m.w.Nachw.; Arzheimer; Boher; Feist; Güllner, in: Buchholz, S. 33 ff., 48 ff.; HammBrücher, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 9 ff., 10 f.; Maier; Schuchardt, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 85 ff., 85; Zippelius, ZRP 1993, 241 ff.; sowie die unter § 6 IV. 1. a) genannten. 153 Z.B. von Weizsäcker, in: Theodor-Storm-Stiftung, S. 7 f.: Die Kritik an den Parteien ziele auf den Bürger selbst, der sich stärker politisch engagieren müsse und es selbst besser machen könne. 154 Feist, S. 102 ff. („Tief der Demokratie“); Hamm-Brücher, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 9 ff., 11; Schröter, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 81 ff., 82. 155 Hamm-Brücher, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 9 ff., 11.

158

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

eine Gefahr für die Demokratie der Bundesländer nicht zu leugnen, lebt doch letztlich Demokratie von der politischen Aktivität des Volkes156 und vom Vertrauen der Bürger in System und Politik157. Und ebenso wenig wie man ein Haus erst repariert, wenn es einzustürzen droht, entsteht in einer Demokratie Reformbedarf erst dann, wenn die Demokratie zusammenzubrechen droht. Soweit die Politikverdrossenheit strukturelle Ursachen hat, gilt es deshalb, die Strukturen möglichst frühzeitig zu verbessern.

2. Ursachen der Politikverdrossenheit Das lenkt den Blick auf die Ursachen der Politikverdrossenheit. Woraus Politikverdrossenheit letztlich resultiert, kann nicht pauschal gesagt werden. Immerhin geht es um die Analyse einer Volksstimmung. So heterogen, wie die Masse der Wahlbevölkerung ist, so vielseitig und so unterschiedlich können die Motive sein, die beim Einzelnen zu einer Abkehr von der Politik führen. Mag beim einen nur seine persönliche Situation, die er Staat, Regierung und Politik zuschreibt, evtl. sogar nur ein einziger (vielleicht recht unpolitischer) Hoheitsakt Politikverdrossenheit bewirkt haben, tat dies bei einem anderen möglicherweise ein ganzes Bündel von Einzelursachen. Bei manch einem mag vielleicht schon das bloße Unterliegen gegenüber der politischen Mehrheit zu einer dauerhaften Verdrossenheit führen, was sicherlich kein strukturelles Problem sondern gerade typisch für Demokratie als Herrschaft der Mehrheit158 ist. Es gilt deshalb in der vorliegenden Untersuchung, jene Ursachen herauszufiltern, • • • •

die bei einer Vielzahl von Menschen zur Abkehr von der Politik führen, die weitgehend auch als (Einzel-)Problem anerkannt sind und die strukturimmanent (sonst durch eine Verfassungsreform nicht zu beheben), die aber nicht der Demokratie wesensimmanent sind.

Als Ursachen, die diese Voraussetzungen erfüllen, werden in der Literatur die folgenden aufgezeigt, die sich z.T. wiederum gegenseitig bedingen und über___________ 156 So jedenfalls die klassische Demokratietheorie, differenzierend der sog. elitetheoretische Ansatz („gesunde Apathie“), vgl. Völker/Völker, S. 7 f., m.w.Nachw.; siehe auch die Analyse von Eilfort zum Zusammenhang zwischen Politikverdrossenheit und Wahlverhalten, Eilfort, S. 253 ff.; auch Bürklin, in: Birke/Brechtken, S. 101 ff., 103 ff.; Feist, S. 98 ff. 157 Wobei sich notwendiges Vertrauen in Politik und System als Ganzes und ein „gesundes Misstrauen“ im Einzelnen (v.a. gegenüber den Akteuren) nicht ausschließen, im Gegenteil im Hinblick auf die Kontrolle durch das Volk genauso zu einer lebendigen Demokratie gehören; zu den wissenschaftlichen Ansätzen Schweer, in: ders., S. 9 ff. 158 Statt aller Stern, Staatsrecht I, § 18 II 6 c (S. 458 ff.).

IV. Politischer Einfluss und Politikverdrossenheit

159

schneiden. Wohlgemerkt erhebt dieser Katalog keinen Anspruch auf Vollständigkeit159. Weitere Ursachen mögen bei Teilen der Bevölkerung schon jetzt hinzukommen160 und können jederzeit hinzutreten. Die Aufzählung erfasst die wichtigsten Ursachen unserer Zeit, bei denen ein Bezug zur Direktwahl der Ministerpräsidenten in Betracht kommt, bleibt aber im Übrigen offen.

a) Entscheidungsschwäche der Staatsorgane Das vom Verfasser bereits angesprochene161 Problem der Entscheidungsschwäche bei der Lösung dringender Gemeinschaftsaufgaben162 (etwa der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit163) ist anerkanntermaßen auch systembedingt, soweit es auf dem Zwang zu fortwährendem Aushandeln von Kompromissen (zwischen Regierungskoalition und Opposition, innerhalb der Regierungskoalition und zwischen Bundestag und Bundesrat) beruht. Nicht der Demokratie wesensimmanent ist dieser Kompromisszwang, soweit er seinerseits auf einer überzogenen Machtversessenheit der Parteien164 und einem damit einhergehenden Missbrauch der Staatsorgane für sachfremde Zwecke (z.B. des Bundesrates für Interessen der Bundespartei) und dem Wahlsystem165 beruht. Nichts fördert aber Politikverdrossenheit mehr, als wenn die Politik ihrer eigentlichen Aufgabe (Entscheidung für das Volk166) nicht nachkommt.

b) Ausufernder Parteieneinfluss In weiten Teilen der Parteien hat sich ein übertrieben vorteilsorientierter Handlungsstil ausgebreitet. Es dominiert das Eigeninteresse an Macht, Posten

___________ 159 Etwa zählt Mohr, in: Wallow, S. 138 ff., 154, noch eine Verdrossenheit des Volkes über die eigene Unzulänglichkeit („Volksverdrossenheit“) hinzu. 160 Siehe nur Gloede, S. 45 ff.; sowie die repräsentative Umfrage des Münchener IMAS-Instituts zu den Ursachen der Wahlmüdigkeit aus dem Jahr 2000, www.imasinternational.de/report/92000.pdf (ausgedruckt am 22. Januar 2004). 161 Siehe § 6 III. 5. 162 Von Arnim, in: Schmitz, S. 27 ff., 29, 31 ff.; ders., in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 20; ders., in: Deutscher Beamtenbund, S. 27 ff., 28 ff.; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 17; Gloede, S. 223 ff.; Güllner, in: Buchholz, S. 33 ff., 48 ff.; Zippelius, ZRP 1993, 241 ff., 242. 163 Vgl. Rönsch, in: Matthöfer, S. 344 ff., 367 ff. 164 Von Arnim, in: Schmitz, S. 27 ff., 29, 31 ff. 165 Zippelius, ZRP 1993, 241 ff., 242. 166 Siehe § 6 II. 5. a) und näher § 9.

160

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

und Geld167. Dieses Streben hat zu einem unkontrollierten Anwachsen des Einflusses der Parteien über die verfassungsmäßigen Grenzen hinaus geführt168, was sich besonders in der Besetzung unpolitischer Ämter mit Parteimitgliedern169 und der staatlichen Politikerversorgung und Parteienfinanzierung170 äußert. Auch dies ist der Demokratie nicht wesensimmanent und führt zu Politikverdrossenheit, weil die Politik insoweit ihrer dienenden und Vorbildfunktion nicht nachkommt. Mitursächlich hierfür ist wiederum die parteipolitische Gleichschaltung der Staatsorgane, hier in ihrer gegenseitigen Kontrollfunktion171.

c) Unausgewogenheiten im pluralistischen Kräftespiel Unter dem Gesichtspunkt des Gerechtigkeitsempfindens trägt die Dominanz von organisierten Sonderinteressen – insbesondere Großindustrie und Gewerkschaften – gegenüber schwach oder gar nicht organisierten (vornehmlich allgemeinen) Interessen zur Politikverdrossenheit bei172. Sie widerstrebt dem Demokratieprinzip, wonach es gerade Aufgabe der Politik ist, sämtliche Interessen zu einem gerechten Ausgleich zu bringen173.

d) Bürokratisierung Abstoßend auf viele Bürger wirkt auch die zunehmende Bürokratisierung und Normierung. Zippelius spricht von einem „Wuchern von Normen und Bürokratie“174. Plastischstes Beispiel ist das deutsche Steuerrecht, wo Unüberschaubarkeit und Notwendigkeit einer Vereinfachung schon als allgemeiner Konsens ___________ 167 Von Arnim, in: Schmitz, S. 27 ff., 29; ders., in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 20; ders., FAZ v. 11. Februar 2000, S. 44; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 17; Feist, S. 100; Zippelius, ZRP 1993, 241 ff., 242; eingehend von Arnim, Das System, S. 34 ff., 60 ff. 168 Zippelius, ZRP 1993, 241 ff., 242. 169 Von Arnim, in: Schmitz, S. 27 ff., 32 ff.; Zippelius, ZRP 1993, 241 ff., 242; s. dazu noch näher u. m.w.Nachw. § 9 VI. 170 Das Thema ist Gegenstand umfangreicher Spezialliteratur, siehe z.B. von Arnim, Das System, S. 87 ff.; ders., Der Staat als Beute, S. 19 ff.; ders., Diener vieler Herren, S. 15 ff.; ders., Die Partei der Abgeordnete und das Geld, S. 17 ff.; ders., Gutachten; ders., in: Wewer, S. 134 ff.; ders., ZPR 2003, 235 ff.; Ebbighausen, S. 141 ff.; Hartmann, in: Wewer, S. 334 ff.; Hettich, S. 3 ff.; Schütte, S. 54 ff. 171 Von Arnim, in: Schmitz, S. 27 ff., 33 ff. 172 Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 17; Zippelius, ZRP 1993, 241 ff., 242 f. 173 Siehe dazu näher § 9. 174 Zippelius, ZRP 1993, 241 ff., 243.

IV. Politischer Einfluss und Politikverdrossenheit

161

gelten dürfen175. Politikverdrossenheit entsteht durch Bürokratisierung und Normierung unter dem Gesichtspunkt des Freiheitsempfindens. Der Bürger fühlt sich unnötig eingeengt und vielfach überfordert.

e) Fehlende Transparenz Eng mit der zunehmenden Bürokratisierung und Normierung hängt die fehlende Transparenz des politischen Systems zusammen. Die Bürger vermögen Entscheidungen oder die Blockade wichtiger Entscheidungen vielfach nicht mehr einem bestimmten Verantwortungsträger zuzuordnen (geschweige denn, als Konsequenz auf diesen Einfluss zu nehmen, z.B. durch gezielte Abwahl eines Abgeordneten). Was nicht verstanden wird, wird tendenziell eher abgelehnt. Verständnis ist Voraussetzung für die Ausübung demokratischer Rechte. Mangelnde Transparenz trägt deshalb ebenfalls zur Politikverdrossenheit bei176.

f) Ohnmacht Schließlich führt ein Ohnmachtsempfinden in der Bevölkerung zum Entstehen von Politikverdrossenheit: das Gefühl, als Volk nicht zu Wort zu kommen und von den politischen Parteien ersetzt zu werden, die eigene Interessen verfolgen177 und nicht als Mittler zwischen Staat und Volk fungieren178. Die bestehenden Entscheidungsmöglichkeiten, insbesondere die Beschränkung auf die Wahl zwischen wenigen Parteien nur alle 4 oder 5 Jahre, werden als unzureichend empfunden179. Hildegard Hamm-Brücher spricht in diesem Zusammenhang von einer Zuschauerdemokratie180.

___________ 175

Dabei handelt es sich zugleich um ein Beispiel für Entscheidungsschwäche. Schröter, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 81 ff., 81. 177 Verbindung zu oben c). 178 Von Arnim, in: Schmitz, S. 27 ff., 29. 179 Von Arnim, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 19; ders., in: Deutscher Beamtenbund, S. 27 ff., 28 ff.; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 17; eingehend von Arnim, Staat ohne Diener (Taschenbuchausgabe), S. 19 ff.; jüngst Kube, ZRP 2004, 52 ff., 53. 180 Hamm-Brücher, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 9 ff. 176

§ 6 Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

162

3. Akzeptanzerhöhung durch mehr Selbstentscheidung Auf die letztgenannte Ursache wirkt sich das durch eine Direktwahl herbeizuführende Mehr an Mitbestimmung durch das Volk aus181. Die anderen Ursachen werden hierdurch unmittelbar nicht tangiert, doch besteht die Möglichkeit, dass eine Direktwahl der Ministerpräsidenten mittelbar auch noch auf anderem Wege Politikverdrossenheit entgegen wirkt182. Schon jetzt lässt sich aber resümieren, dass die Einführung der Direktwahl im Hinblick auf das Problem der Politikverdrossenheit positiv zu bewerten ist, weil jedenfalls eine ihrer Ursachen abgeschwächt wird. Und mehr als das Bekämpfen einzelner Ursachen kann bei einem komplexen Gesamtsyndrom wie der Politikverdrossenheit ohnehin nicht erwartet werden, weil unvorhersehbar ist, welche Veränderung in welchem Maße beim Einzelnen dazu führt, dass sein Verdruss nachlässt.

___________ 181 182

Wie hier von Arnim, Staat ohne Diener, S. 330. Abschließende Beurteilung unter § 11 I. 1. b).

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern Wurde im vorangegangenen Kapitel die Bedeutung eines Zuwachses an Einfluss des Volkes auf den Ministerpräsidenten und mittelbar auf die Tätigkeit der Exekutive unter dem Gesichtspunkt der Selbstbestimmung quasi aus Sicht des Volkes untersucht, so erfasst dies nur eine Wirkungskomponente eines stärkeren Volkseinflusses. Eine zweite Wirkungskomponente wird diskutiert und ist zu untersuchen: Die Bedeutung des Einflusszuwachses für die demokratische Legitimation in den Bundesländern1. Obwohl die Frage eng mit jener der Selbstbestimmung zusammenhängt, besteht keine Identität. Ob ein Legitimationszuwachs bei der Exekutive nämlich eine automatische Folge von mehr Volkseinfluss auf diese ist, hängt wesentlich vom Verständnis demokratischer Legitimation ab. Außerdem fließen in die Bewertung eines etwaigen Zuwachses an demokratischer Legitimation andere Gesichtspunkte mit ein: Obwohl ein Mehr an Selbstbestimmung aus Sicht des Volkes positiv zu bewerten ist2, kann der damit verbundene Legitimationszuwachs auch eine andere Bewertung erfahren, etwa wenn er zu einer „Übermacht“ bei der Exekutive führt. Das ist von Bedeutung vor allem im Hinblick auf das im Anschluss zu untersuchende Verhältnis der Staatsorgane zueinander3. Im folgenden Kapitel ist deshalb zu klären, wie sich die Einführung der Direktwahl auf die Legitimation des Ministerpräsidenten, der weiteren Regierung und der Verwaltung sowie von deren Akten auswirken würde und ob eine solche Veränderung der Legitimation zu begrüßen ist. Das Augenmerk liegt dabei vor allen auf den Fragen, welche Aufgaben der Ministerpräsident wahrnimmt und wie Aufgabenwahrnehmung und Legitimationserfordernis zusammenhängen.

I. Das Erfordernis demokratischer Legitimation Sowohl das Erfassen von Veränderungen bei der demokratischen Legitimation als auch die Bewertung solcher Veränderungen hängen stark vom Verständnis des Wesens demokratischer Legitimation ab. Auch hier besteht die bereits ___________ 1

Siehe bereits § 4 III. 3. b). Siehe § 6. 3 Siehe § 8. 2

164

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern

erörterte4 Gefahr, dass sich in der Bewertung des konkreten Reformvorschlages Grundvorstellungen vom Wesen der Demokratie widerspiegeln und diese – potentielle – Verknüpfung die Diskussion ins Uferlose treibt. Das betrifft hier die im Zusammenhang mit unmittelbarer Demokratie auf Gemeindeebene geäußerte These von Arnims, es wäre „falsch anzunehmen, demokratische Legitimation sei entweder gegeben oder nicht gegeben, so dass für Abstufungen je nach dem Grad der Mitbestimmung kein Raum bliebe“5. Zunächst ist deshalb zu klären, inwieweit auch hier noch ein wissenschaftlicher Konsens und damit eine geeignete Grundlage für eine von staatstheoretischen Grundfragen unabhängige Beurteilung der Direktwahl der Ministerpräsidenten besteht.

1. Das Legitimationserfordernis als Folge der Volkssouveränität Noch unstreitig ist jedenfalls, dass das Prinzip der Volkssouveränität eine besondere Legitimation für jede Art der Ausübung von Hoheitsgewalt – und von Gewalt schlechthin – erfordert6. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG bestimmt eindeutig: „Jede Staatsgewalt geht vom Volke aus“. Es wurde bereits dargelegt, dass dies nicht bedeutet „Ausübung durch das Volk“, sondern nur „Zurückführen auf das Volk“7. Hinter diesem Zurückführen auf das Volk verbirgt sich das sog. „Legitimationsproblem“. Herzog erfasst es treffend mit der Frage, wie „sichergestellt werden kann, daß die im zweiten Satzteil des Art. 20 II 2 [GG8] vorgesehenen Staatsorgane der gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt die ihnen übertragenen Machtbefugnisse nicht kraft eigenen Rechts und im eigenen Interesse, sondern – wie es das demokratische Volkssouveränitätsprinzip fordert – „im Namen des Volkes“ und dementsprechend auch im Interesse des Volkes ausüben“9. Darin kommen wie bei der Lincoln-Formel10 die beiden Komponenten des Prinzips der Volkssouveränität zum Ausdruck, diesmal aus Sicht der Träger von Hoheitsgewalt. Die zweite Komponente (im Interesse des Volkes) wird wiederum zurückgestellt11. ___________ 4

Vgl. § 6 II. 3. Von Arnim, DÖV 1990, 85 ff., 91 (dort Fn. 60). 6 Statt aller Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 22 Rn. 11 ff. (S. 894 ff.); ders., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht II, § 30 Rn. 15 (S. 36); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 46 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 20 Rn. 12; Schnapp, in: von Münch/Kunig, Art. 20 Rn. 18 ff.; Stern, Staatsrecht I, § 18 II 5 (S. 451 ff.); Tettinger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 28 Rn. 50. 7 Siehe § 6 II. 5. 8 Ergänzung durch den Verfasser. 9 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 46. 10 Siehe § 6 I. 5. a). 11 Siehe dazu § 9. 5

I. Das Erfordernis demokratischer Legitimation

165

2. Legitimation nur durch demokratische Machtvermittelung Es wurde bereits erörtert, dass heute das Prinzip der Volkssouveränität untrennbar mit jenem der Demokratie verknüpft ist12. Daraus folgt, dass hoheitliche Gewalt nur auf demokratischem Wege, mit demokratischen Mitteln, verliehen werden kann. Nach heute herrschender Verfassungslehre13 ruht die demokratische Legitimation eines Hoheitsträgers auf zwei Säulen, einer sachlichinhaltlichen und einer personellen14. Beide Formen der Legitimation müssen kumulativ vorliegen15. Das gilt ohne weiteres auch für die Bundesländer16.

3. Der inhaltliche Legitimationsstrang Der erste Legitimationsstrang ergibt sich unmittelbar aus der genannten Verknüpfung. Das Volk kann seine Staatsgewalt durch Wahlen und Abstimmungen ausüben (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG). Abstimmungen sind unmittelbare Ausübung von Hoheitsgewalt und legitimieren deshalb unmittelbar Eigenentscheidungen des Volkes, nicht aber Fremdentscheidungen von Staatsorganen und anderen Hoheitsträgern. Diese können nur durch Wahlen legitimiert werden. Wie das geschieht, lässt sich nicht anschaulicher ausdrücken, als es Kriele 1970 auf der Speyerer Staatsrechtslehrertagung getan hat: „Der Kern der demokratischen Legitimation ist die regelmäßig wiederkehrende Wahl des Bundestages und der Landtage. Sie vermittelt die demokratische Legitimität der Gesetze. Auch die demokratische Legitimität aller übrigen Staatsorgane ist durch sie vermittelt: einmal durch ihre unmittelbare oder mittelbare Abhängigkeit organisatorischer, budgetmäßiger Art und die rechtliche und politische Kontrolle, zum anderen durch Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Unterworfenheit des Richters unter das Gesetz (das demokratisch unerlässliche Korrelat der Unabhängigkeit) und das Verwerfungsmonopol des BVerfG.“17 Diese Legitimationskomponente ___________ 12

Siehe § 6 II. 5. b), m.w.Nachw. Statt vieler Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 22 Rn. 16 ff. (S. 896 ff.); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 46 ff.; Schnapp, in: von Münch/Kunig, Art. 20 Rn. 20. 14 Die daneben genannte funktionell-institutionelle Legitimation betrifft nicht das aus dem Demokratieprinzip folgende Legitimationserfordernis, vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 22 Rn. 15 (S. 896); Schnapp, in: von Münch/ Kunig, Art. 20 Rn. 21. 15 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 22 Rn. 23 ff. (S. 901 ff.); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 47; Stein, in: Alternativkommentar I, Art. 20 Abs. 1-3 Abschn. II Rn. 42. 16 Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 28 Rn. 17; Tettinger, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 28 Rn. 50. 17 Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46 ff., 82. 13

166

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern

vermittelt Legitimation unter dem Gesichtspunkt inhaltlicher Bindung. Die gesamte Tätigkeit des Staates wird inhaltlich an den Willen der unmittelbar vom Volk gewählten Organe – in den Ländern derzeit der Landtage – und darüber an den Willen des Volkes gebunden18. Man spricht deshalb zumeist von materieller oder materiell-demokratischer Legitimation19. Im vorliegenden Zusammenhang soll diese Komponente – ohne sachlichen Unterschied – als „inhaltliche Legitimation“ bezeichnet werden, da man den Begriff des „Materiellen“ unter anderem Blickwinkel auch auf den Grad der Legitimation beziehen kann und es darauf vorliegend noch ankommen wird.

4. Der persönliche Legitimationsstrang Der zweite Legitimationsstrang folgt als zwingende Ergänzung des ersten ebenfalls aus der Verknüpfung von Volkssouveränität und Demokratie. Von den unmittelbar gewählten Organwaltern abgesehen, nimmt die inhaltliche Legitimation nämlich keine Rücksicht auf die Person der Organ- und Amtswalter. Die Tätigkeit eines durch einen Automatismus20, also generellabstrakt bestimmten Organ- oder Amtswalters wäre danach legitimiert, weil er inhaltlich an den Willen des Volkes gebunden ist. Das Demokratieprinzip fordert aber mehr. Danach bedürfen alle Entscheidungen im Zusammenhang mit der Ausübung von Hoheitsgewalt einer Legitimation, nicht nur Sach-, sondern auch Personalentscheidungen. Folglich müssen alle staatlichen Organund Amtswalter unabhängig davon, wo sie im Einzelnen tätig sind, individuell ausgewählt werden und ihren Auftrag, sofern sie nicht unmittelbar vom Volk berufen werden, in einer ununterbrochenen Legitimationskette auf einen Auftrag des Volkes zurückführen können21. Das erste Glied in dieser Kette ist immer die Berufung eines Organwalters durch das Volk, der dann weitere Organ- und Amtswalter beruft, die – jeweils im Rahmen der verliehenen Legitimation – ihrerseits wieder weitere Organ- und Amtswalter berufen können usw. So muss letztlich der Auftrag an jeden noch so unbedeutenden Träger von Hoheitsgewalt konkret-individuell auf den Volkssouverän (als einziges geborenes Staatsorgan) zurückzuführen sein. Man spricht von einer ___________ 18 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 22 Rn. 21 ff. (S. 900 f.); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 48; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 10. 19 Etwa Schnapp, in: von Münch/Kunig, Art. 20 Rn. 20. 20 Z.B. Erbfolge. 21 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 22 Rn. 16 (S. 896 f.); ders., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht II, § 30 Rn. 15 (S. 36); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 52; Schnapp, in: von Münch/Kunig, Art. 20 Rn. 20; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 9.

II. Das Wesen demokratischer Legitimation

167

ununterbrochenen Kette individueller Berufungsakte und bezeichnet diesen Grundsatz als „Prinzip der individuellen Berufung der Amtswalter“22.

II. Das Wesen demokratischer Legitimation Die eigentlich spannende und für die Diskussion um die Direktwahl der Ministerpräsidenten Schlüsselfrage baut darauf auf: Sind diese Legitimationsketten – auch die sachlich-inhaltliche Legitimation kann man ja letztlich als ununterbrochene Kette begreifen23 – schon hinreichende oder nur (rechtlich) notwendige Voraussetzung demokratischer Legitimation? Oder anders ausgedrückt: Sind sie ihrerseits rein formell zu verstehen oder bestehen Raum und Notwendigkeit für graduelle Abstufungen?

1. Der Grad demokratischer Legitimierung als Kernproblem der Legitimation von Landesgewalt Misst man die derzeitigen Gegebenheiten und den Reformvorschlag an den dargestellten Legitimationserfordernissen, ergibt sich auf den ersten Blick kein Unterschied. Schon im jetzigen Landesparlamentarismus genügt alle Staatsgewalt den Anforderungen an die sachlich-inhaltliche Legitimation. Formell ist der Ministerpräsident schon jetzt über den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, seine Verantwortung gegenüber dem Parlament etc. an den Willen des Volkes inhaltlich gebunden. Formell besteht schon jetzt eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk bis zum Ministerpräsidenten – mit dem einen Zwischenglied Landtag. Wären also die aufgezeigten Erfordernisse hinreichende Voraussetzungen demokratischer Legitimation, ließe sich unter diesem Gesichtspunkt eine Direktwahl der Ministerpräsidenten nicht rechtfertigen. Freilich ließe sich aus diesem Gesichtspunkt auch kein Argument gegen die Direktwahl ableiten. Auch der direkt gewählte Ministerpräsident wäre über seine fortbestehende Verantwortung gegenüber dem Parlament nach wie vor inhaltlich formell an den Volkswillen gebunden und die „ununterbrochene Kette individueller Berufungsakte“ würde sich lediglich um ein Glied verkürzen. Unter dem Gesichtspunkt demokratischer Legitimation wäre eine Direktwahl der Ministerpräsidenten dann schlicht überflüssig. Anders indessen, wenn ___________ 22

Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 22 Rn. 16 (S. 896 f.); ders., in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch Staatsrecht II, § 30 Rn. 15 (S. 36); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 53; Schnapp, in: von Münch/Kunig, Art. 20 Rn. 20. 23 Konkret z.B.: Parlamentsgesetz als Rechtsgrundlage für eine Verordnung, diese als Rechtsgrundlage für einen Verwaltungsakt.

168

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern

man die demokratische Legitimation nicht ausschließlich als formelle Legitimationsstränge begreift, sondern Raum für graduelle (materielle!) Abstufungen sieht. Wenn die Legitimationsstränge auch dicker oder dünner sein können und – je nachdem, was genau legitimiert wird – sein müssen, kann die Direktwahl sehr wohl einen Unterschied machen.

2. Die grundsätzliche Anerkennung gradueller Legitimationsunterschiede Zur Überprüfung steht deshalb die These, dass demokratische Legitimation je nach dem Grad der Mitbestimmung abgestuft vorhanden sein kann und sollte24.

a) Stand in Rechts- und Politikwissenschaft Juristen haben sich mit dem Problem konkret nur wenig befasst25. Das liegt daran, dass es sich auf den ersten Blick um ein politikwissenschaftliches Problem handelt26. Es wird nur in Themenkonstellationen wie der vorliegenden aufgeworfen und hier ist die juristische Antwort schon gegeben: Dass das Weniger an materieller Legitimation, das der Exekutiven gegenüber der Legislativen zukommt, nicht verfassungswidrig ist, folgt unmittelbar aus den Staatsorganisationsnormen des Grundgesetzes, die das parlamentarische System selbst vorsehen27 (bzw. entsprechend aus den Normen der Landesverfassungen). Ein ähnliches Problem diskutieren Juristen aber im Zusammenhang mit Lücken oder Schwächen in der Legitimationskette, wie sie bei der Mitwirkung nicht demokratisch legitimierter Personen in einem Kollegialorgan28 oder an der Entscheidung eines Staatsorgans29 auftreten. Überwiegend wird eine Kompensation von Lücken oder Schwächen in einer Legitimationskette dabei zumindest grundsätzlich für möglich gehalten, sofern bei einer bilanzierenden Gesamtbe-

___________ 24

Im Zusammenhang mit Direktwahlen aufgestellt durch von Arnim, DÖV 1990, 85 ff., 91 (dort Fn. 60). 25 Im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand von Arnim an der zitierten Stelle, DÖV 1990, 85 ff., 91 (Fn. 60); Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 154; allgemein: Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 74 ff.; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 175; näheres unter § 7 II. 2. d). 26 Siehe aber § 7 III. 2. 27 Und ihrerseits lediglich an dem unzweifelhaft nicht tangierten Art. 79 Abs. 3 GG zu messen sind. 28 Vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 22 Rn. 17 ff. 29 Vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 22 Rn. 20.

II. Das Wesen demokratischer Legitimation

169

trachtung insgesamt ein hinreichendes Legitimationsniveau erreicht wird30. Im Wesentlichen stellt sich die Frage der Existenz und des Bedürfnisses nach Legitimationsunterschieden aber als politikwissenschaftliches Problem dar31. Weitgehend stillschweigend werden graduelle Abstufungen grundsätzlich bejaht. Angegriffen werden nur die Tatbestandsvoraussetzungen der These (nämlich Qualität und Umfang der Aufgabenverschiebung bei den Bundesländern32) und der Anknüpfungspunkt für die Abstufung (Abstraktionsgrad der Entscheidungen statt Umfang der Zuständigkeiten33), nicht aber die These der Abstufbarkeit demokratischer Legitimation selbst.

b) Mögliche Ansätze Als Maßstab, wie die demokratische Legitimation in materieller Hinsicht beschaffen sein sollte, kann nur ihr Sinn und Zweck, ihre Funktion, dienen. Es ist also nicht nur die Frage nach dem Wesen demokratischer Legitimation sondern auch jene nach dem Wesen der Demokratie aufgeworfen. So würde auch an dieser Stelle die Diskussion wieder zur Grundfrage nach dem Demokratieideal führen, was wie schon gezeigt34 für die praktischen Ergebnisse und deren Überzeugungskraft wenig fruchtbar ist. Ob sich aus dem Wesen der Demokratie eine Antwort auf die Frage nach den materiellen Anforderungen an demokratische Legitimation ableiten lässt, kann indessen möglicherweise offen bleiben, wenn sich schon aus der mittelbaren Demokratie, so wie sie vom Grundgesetz und den Landesverfassungen ausgeformt wurde, ein diesbezüglicher Maßstab ableiten lässt. Sieht das Grundgesetz eine graduelle Abstufung demokratischer Legitimation vor und beruht diese auf einer Grundentscheidung der Verfassung, ist diese nämlich möglicherweise für die Ausgestaltung des Regierungssystems in den Bundesländern bindend oder zumindest zulässiges Leitbild. Deshalb soll zunächst nur sehr kurz darauf eingegangen werden, was man aus einem Demokratieideal ableiten könnte, im Übrigen die Untersuchung aber auf die Ausprägung der deutschen Demokratien durch das Grundgesetz konzentriert werden. ___________ 30 BVerfG, Urt. v. 31. Oktober 1990, Az. 2 BvF 3/89, BVerfGE 83, 60 ff., 72; BVerfG, Beschl. v. 24. Mai 1995, Az. 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37 ff., 66 f.; Schnapp, in: von Münch/Kunig, Art. 22 Rn. 11. 31 Die Bezugnahme von Arnims DÖV 1990, 85 ff., 91 (Fn. 60), auf die juristische Methodenlehre (Alexy, S. 59 ff.; Koch/Rüßmann, S. 99) ist gleichwohl zutreffend, da sie die Merkmale von Prinzipien betrifft, die wissenschaftlicher Logik entspringen und deshalb Disziplin übergreifend gelten. 32 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 583 f. 33 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 159. 34 Vgl. § 6 II. 3.

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern

170

c) Von der Funktion demokratischer Legitimation zu ihrer graduellen Abstufung Führt man sich die Funktion demokratischer Legitimation vor Augen, nämlich zu gewährleisten, dass alle Ausübung von Staatsgewalt auf das Volk zurückzuführen ist, erscheint die Existenz bzw. (positivistisch) Vornahme einer graduellen Abstufung nahe liegend und sinnvoll. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass von den vielen Entscheidungen, die in einem Staatswesen zu treffen sind, von den vielen Aufgaben, die wahrzunehmen sind, manche bedeutsamer als andere sind. Besonders bedeutsame Entscheidungen sind etwa jene, die regelmäßig in Verfassungen getroffen werden, also die Gewährung von Grundrechten, der Aufbau des Staatswesens, seine Konstitution und Auflösung, der Beitritt zu einer Vereinigung von Staaten (neuem Staat, Staatenbund, internationale Organisation) usw. Relativ unbedeutend – für den Volkssouverän – ist demgegenüber etwa die Versagung einer einzelnen Baugenehmigung, das Nichtversetzen eines Schülers oder die Verkehrsregelung auf einem einsamen Feldweg. Dazwischen und sicher auch noch darunter gibt es ein breites Spektrum von mehr oder minder bedeutsamen Entscheidungen, auch wenn sich zwei Entscheidungen oder zwei Aufgaben nicht immer in ein eindeutiges Verhältnis zueinander setzen lassen, weil sie ihrerseits vielseitig sind, jede Seite unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden kann und der Volkssouverän aus vielen Betrachtern besteht. Im größeren Zusammenhang lassen sich jedenfalls Bedeutungsunterschiede ausmachen. Dann erscheint es aber auch sinnvoll, unterschiedliche Anforderungen an die Legitimation zu stellen.

(1) Zusammenhang zwischen Entscheidungsgegenstand und inhaltlichem Legitimationsbedarf Es drängt sich auf, die inhaltliche Legitimation an die Bedeutsamkeit des Entscheidungsgegenstandes anzugleichen. Desto mehr Bedeutung eine Frage für das Volk hat, desto höhere Anforderungen sind an die Legitimierung ihrer Entscheidung zu stellen, desto mehr sollte also gewährleistet sein, dass die Entscheidung den Volkswillen widerspiegelt (den Aspekt der inhaltlichen „Richtigkeit“ des Volkswillens noch ganz außer Acht lassend35). Desto unbedeutender die Entscheidung ist, desto weniger wichtig ist dies. Gerade bei unbedeutenden Entscheidungen ließe sich ja selbst in einer direkten Demokratie ein Wille des Volkssouveräns kaum feststellen. So wird sich in den obigen Beispielen bei der Erteilung der Baugenehmigung keine über die formal___________ 35

Dazu § 9.

II. Das Wesen demokratischer Legitimation

171

inhaltliche Bindung hinausgehende materielle Legitimation als erforderlich erweisen, wohl hingegen beim Beitritt eines Staates zur EU. Dieser Gedanke liegt auch jenen Verfassungsnormen zugrunde, die für besonders bedeutsame Entscheidungen, etwa Verfassungsänderungen, größere Mehrheiten vorsehen36. Sie gewährleisten bei diesen Entscheidungen ein Mehr an materieller Legitimation.

(2) Zusammenhang zwischen Aufgabengebiet und persönlichem Legitimationsbedarf Dementsprechend ist die persönliche Legitimation abzustufen: Die Kette zwischen Volk und Entscheidungsträger sollte bei bedeutsamen Entscheidungen möglichst kurz sein und kann bei relativ unbedeutenden Entscheidungen ruhig etwas länger sein. Möglicherweise ließe sich daraus sogar ableiten, dass die bedeutsamsten Entscheidungen das Volk selber treffen sollte. Solche Überlegungen ließen sich sogar bis hin zu ganz konkreten Aussagen verdichten, etwa: Dem Demokratieprinzip widerspräche es, wenn ein Beamter im Ministerium X über die Auflösung eines Bundeslandes entschiede. Allgemein ließe sich formulieren: Desto bedeutsamere Aufgaben ein Organ- oder Amtswalter wahrnimmt, desto höhere Anforderungen sind an seine persönliche Legitimation zu stellen.

(3) Die Kritik Hartmut Maurers Maurer wendet gegen das Legitimationsargument ein, die ihm zugrunde liegende Vorstellung, der Chef einer Verwaltungseinheit müsse unmittelbar, der Chef einer politischen Einheit müsse dagegen mittelbar gewählt werden, sei unverständlich. Vielmehr müsse gerade umgekehrt argumentiert werden; die Volkswahl sei nur im politischen Bereich sinnvoll37. Das zielt gegen die soeben aufgestellten Thesen, trifft diese aber nicht. Erstens geht es in der vorliegenden Diskussion nicht um den „Chef einer Einheit“, sondern um die Verteilung demokratischer Legitimation auf die verschiedenen Organe der Einheit Bundesland (möglicherweise einer Verwaltungseinheit38). Bezogen auf die Bundesländer als „höhere Verwaltungseinheiten“ – dies einmal unterstellt – würde Maurers These bedeuten, dass dort unter legitimatorischen Gesichtspunkten niemand mehr unmittelbar gewählt werden müsste. Selbst wenn man in Maurers ___________ 36

Z.B. Art. 78 Abs. 2 GG. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 159. 38 Von Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 159, offen gelassen. 37

172

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern

Argumentation statt dessen die Spitze der Exekutiven der („Spitze“ der39) Legislativen gegenüberstellt, trifft die Argumentation aber nicht den Ansatz bei der Bedeutung der Entscheidungsgegenstände: Zweitens sind nämlich gerade die bedeutsamen Entscheidungen politische Entscheidungen. Der Beitritt zu einer internationalen Organisation ist eine politische Entscheidung, die Erteilung einer Baugenehmigung in der Regel nicht, wobei grundsätzlich jede Frage für das Volk bedeutsam und damit zu einem Politikum werden kann. Und drittens findet Politik gerade auch im Bereich der Exekutive statt40. Die Gegenüberstellung Verwaltungseinheit/politische Einheit im Sinne von unpolitisch/politisch ist also falsch. Unausgesprochen geht aber auch diese Argumentation davon aus, dass sich demokratische Legitimation danach richten sollte, wo die Politik gemacht wird, von welchen Hoheitsträgern also in welchem Umfang für das Volk bedeutsame Entscheidungen getroffen werden.

d) Anerkennung von Legitimationsunterschieden im Demokratieverständnis des Grundgesetzes Dem Verfasser erscheint der Zusammenhang auf der Hand liegend, wohl wissend, dass man dies auch anders sehen mag. Ob sich der Zusammenhang leugnen lässt, ist eine Frage, die sich dem Bereich politischer Überzeugung doch stark annähert und die deshalb jeder für sich beantworten sollte. Der weiteren Untersuchung sollen die Erkenntnisse deshalb nicht ohne weiteres zugrunde gelegt, noch soll ihnen selbständig weiter nachgegangen werden. Zu prüfen ist jedoch, ob sich solche Erwägungen im Leitbild der Demokratie des Grundgesetzes nachweisen lassen und auf diese Weise fruchtbareren Eingang in die Diskussion finden können.

(1) Die rechtswissenschaftliche Anerkennung von graduellen Abstufungen Zunächst ist allgemein für das Verfassungsrecht festzustellen, dass – bei unterschiedlicher Terminologie – graduelle Abstufungen der demokratischen Legitimation im Grunde anerkannt sind41. Näher haben sich damit Herzog und ___________ 39

In einer Demokratie kann es begrifflich eine Hierarchie innerhalb der Legislative nicht geben. 40 Vgl. nur Art. 65 Satz 1 GG: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung.“ 41 Von Arnim, DÖV 1990, 85 ff., 91 (Fn. 60); Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 154; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 74 ff.; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 175; ihm folgend Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 9.

II. Das Wesen demokratischer Legitimation

173

Sommermann befasst. Für den inhaltlichen Legitimationsstrang weist Herzog darauf hin, dass es einen beträchtlichen Unterschied mache, ob der notwendige Steuerungs- und Kontrolleffekt nur auf finanz- oder sogar nur rechtsaufsichtlichen Befugnissen beruht oder ob er Folge der Bindung an ein förmliches Gesetz ist42. Auch für das förmliche Gesetz selbst weist Herzog noch Abstufungen nach, die aus der Formulierung der inhaltlichen Festlegungen resultieren, je nachdem, wie „kompakt“ oder „diffus“ diese sind43. Gleiches stellt Herzog für die persönliche Legitimation fest: Hier seien graduelle Unterschiede noch deutlicher erkennbar, denn es könne klar unterschieden werden zwischen Organen, die ihre Legitimation unmittelbar einer Wahl durch das Volk verdanken und Organen, bei denen die Legitimationskette aus einer „Reihe von Gliedern besteht“. Im letzteren Fall müsse die daraus entstehende Legitimation als „eingeschränkt“ empfunden werden44. Auch nach Sommermann entstehen unterschiedliche Legitimationsniveaus durch die Eröffnung engerer oder weiterer Spielräume in Gesetzen und sonstigen Verordnungen sowie dadurch, dass die Zahl vermittelnder Glieder in der Legitimationskette größer oder kleiner sein kann45. Sommermann resümiert: „Das durch Art. 20 Abs. 2 GG geforderte Legitimationsniveau ist eine nicht statische Größe.“46

(2) Graduelle Abstufungen im Grundgesetz Diese Unterschiede der demokratischen Legitimation von Hoheitsträgern und Hoheitsakten lassen sich im Grundgesetz vielfach nachweisen. Ausgangspunkt der Betrachtung muss der Bundestag sein. Er ist das einzige Staatsorgan, das sich unmittelbar auf die Wahl durch das Volk berufen kann47. Folgerichtig müsste ihm die größte Legitimation der Bundesorgane, der höchste demokratische Rang, zukommen. Genau so verhält es sich: Es soll vorliegend nicht im Detail auf die Kompetenzverteilung der Bundesorgane eingegangen werden. Unzweifelhaft und anerkannt sind jedenfalls eine Reihe von Kompetenzabgrenzungen, die dem Bundestag einen eindeutigen Vorrang unter den Verfassungsorganen sichern48. ___________ 42

Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 74. Unter Anknüpfung an Herzog, VVDStRL 24 (1966), 183 ff., 191. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 74. 45 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 175. 46 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 175. 47 Art. 38 GG. 48 Badura, E Rn. 1 f.; Grummer, in: von Westphalen, S. 171 ff.; Hesse, Rn. 572 ff.; Ipsen, Rn. 153; Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46 ff., 63; Meyer, VVDStRL 33 (1975), 69 ff., 80; Schramm, § 4 A (S. 57); Trute, in: von Münch/Kunig, Art. 38 Rn. 7; a.A. Magiera, in: Sachs, Art. 38 Rn. 13. 43 44

174

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern

Im hier besonders interessierenden Verhältnis zur Bundesregierung ergibt sich der Vorrang zunächst daraus, dass der Bundestag den Bundeskanzler wählt und ihn – bei gleichzeitiger Wahl eines neuen Bundeskanzlers – jederzeit stürzen kann49. Es handelt sich dabei um einen Vorsprung an persönlicher Legitimation. Ein inhaltlicher Vorrang folgt aus dem Vorbehalt des Gesetzes, der in seinem Anwendungsbereich ein Tätigwerden der Exekutive von einer Ermächtigung des Bundestages abhängig macht50. Ein inhaltlicher Legitimationsvorrang gegenüber der Bundesregierung ergibt sich ferner aus dem Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes. An förmliche Parlamentsgesetze ist die Regierung bei ihrer Tätigkeit gebunden51. Gegenüber der nachgeordneten Verwaltung wirken sich beide Grundsätze als Bestandteile des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung aus52. Gegenüber der Judikative äußert sich der Legitimationsvorsprung im Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts53. Anderen Gerichten ist es grundsätzlich verwehrt, Gesetze des Bundestages zu verwerfen oder nicht anzuwenden. Gegenüber dem Bundesrat äußert sich der Legitimationsvorsprung zumindest noch in einem Vorrang bei nicht zustimmungsbedürftigen Gesetzen54. Diese Betrachtungen ließen sich noch beliebig fortsetzen. Gegenüber keinem anderen Organ besteht ein absoluter Vorrang und es ist auch keinesfalls gewährleistet, dass sich der Bundestag im Einzelfall inhaltlich stets durchsetzt, doch ist als Folge der Kompetenzverteilung grundsätzlich anerkannt, dass der „Bundestag wegen seiner besonderen Legitimationshöhe auch den höchsten Rang unter den Verfassungsorganen einzunehmen“ hat55. Legitimationsunterschiede lassen sich auch in weiteren Bereichen nachweisen. Insbesondere sind der hierarchische Verwaltungsaufbau in Bund- und Ländern und die (unterschiedlich weit reichenden) Weisungsbefugnisse von oben nach unten ebenfalls Ausdruck einer unterschiedlich starken und nach unten hin abnehmenden demokratischen Legitimation der Verwaltungsglieder. Hierher zählen auch die schon erwähnten Vorschriften, die für bestimmte Entscheidungen wie Verfassungsänderungen besondere Mehrheiten vorsehen. ___________ 49

Art. 67 GG. Vgl. Ipsen, Rn. 695; Schramm, § 15 D (S. 250 ff.); Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 263 ff.; Stein/Frank, § 20 III 2 (S. 154 f.). 51 Hesse, Rn. 200; Maunz/Zippelius, § 13 III 4 (S. 95 ff.); Schramm, § 15 C (S. 249 f.); Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 261 f. 52 Maunz/Zippelius, § 13 III 4 (S. 95 ff.); Schramm, § 15 H (S. 260 ff.); Seifert/Hönig, Art. 20 Rn. 9b; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 260 ff., 260; Stein/Frank, § 20 III 1 (S. 154). 53 Maunz/Zippelius, § 41 IV 1 (S. 375 f.); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 100 Rn. 2. 54 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 76. 55 Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46 ff., 63; Meyer, VVDStRL 33 (1975), 69 ff., 80. 50

III. Das Richtmaß für die Verteilung demokratischer Legitimation

175

e) Anerkennung von Legitimationsunterschieden in den Landesverfassungen Die Grundentscheidung des Art. 20 Abs. 2 GG für die Volkssouveränität und die daraus folgenden Grundsätze der demokratischen Organisation und Legitimation von Staatsgewalt sind nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG für die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern bindend56. Ungeachtet der Frage, wie weit diese Bindung im Einzelnen reicht57, ist damit die Demokratie des Grundgesetzes jedenfalls ein stets zulässiger Maßstab bei der Ausgestaltung der Landesverfassungen und die Landesverfassungen sind auch weitgehend entsprechend ausgestaltet bzw. sind die entsprechenden Vorschriften wie im Grundgesetz auszulegen. Insbesondere die Grundsätze vom Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes und der Präponderanz des Parlaments58 sind auch dort verwirklicht59, so dass grundsätzlich auch von den Landesverfassungen Legitimationsunterschiede anerkannt sind.

f) Zwischenergebnis: materielle Unterschiede demokratischer Legitimation Als Ergebnis ist zu diesem Punkt festzuhalten, dass sich, wenn man dies nicht schon aus dem Wesen demokratischer Legitimation selbst folgern will, jedenfalls in den vom Grundgesetz und den Landesverfassungen ausgestalteten Demokratien graduelle Abstufungen der Legitimation nachweisen lassen. Demokratische Legitimation ist damit nicht nur gegeben oder nicht gegeben, sondern kann auch in unterschiedlichem Maße vorhanden sein. Dieses Maß an demokratischer Legitimation macht die materielle Legitimation eines Hoheitsträgers und seiner Entscheidungen aus.

III. Das Richtmaß für die Verteilung demokratischer Legitimation Damit ist zur Legitimation indessen zunächst nur festgestellt, dass Hoheitsgewalt unterschiedlich stark legitimieren sein kann. Die Hauptbedeutung im vorliegenden Zusammenhang liegt auf der nachgeordneten Frage, ob sich dem durch das Grundgesetz geprägten Demokratieprinzip nicht nur entnehmen lässt, dass es eine unterschiedliche starke Legitimation gibt, sondern auch, nach welchen Kriterien diese verteilt sein sollte, insbesondere welche Zusammenhänge mit den Legitimationsunterschieden das Grundgesetz selbst herstellt. Das ___________ 56

Tettinger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 28 Rn. 41. Siehe dazu § 12 II. 58 Kriele, VVDStRL 29 (1971), 46 ff., 63. 59 Siehe auch Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 28 Rn. 17, 21. 57

176

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern

knüpft zugleich an die Feststellung im vorangegangenen Kapitel an, dass es für einen unterschiedlichen Grad an demokratischer Legitimation einen sachlichen Grund geben muss60.

1. Zusammenhang zwischen Aufgabenbedeutung und demokratischer Legitimation in den deutschen Demokratien Schon die vorgenommene Betrachtung führt zu der Vermutung, dass ein Zusammenhang zwischen materieller Legitimation und Bedeutung der wahrzunehmenden Aufgabe bzw. Aufgabenzuständigkeit besteht. Es liegt auf der Hand, dass die besonders starke demokratische Legitimation des Bundestages und seine Zuständigkeit für so bedeutende Aufgaben wie die Wahl und Kontrolle des Bundeskanzlers, den Erlass förmlicher Gesetze, an welche die übrigen Hoheitsträger gebunden sind und die in bestimmtem Maße Voraussetzung für ein Tätigwerden der Exekutive überhaupt sind61, kein zufälliges Zusammentreffen sind. Besonders augenscheinlich wird der Zusammenhang, wenn man die demokratische Legitimation des Bundestages und seine Zuständigkeit auf höchster Abstraktionsebene betrachtet: Dann steht dem Verfassungsorgan mit dem höchsten Rang – der Präponderanz des Bundestages62 – dessen grundsätzliche Allzuständigkeit63, das vom Grundgesetz stillschweigend vorausgesetzte Recht, jede beliebige Frage gesetzlich zu regeln, gegenüber. Auch das andere Ende der Legitimationskette belegt den Zusammenhang deutlich: Der unterste Beamte der untersten nachgeordneten Behörde, der also am schwächsten demokratisch legitimiert ist, hat den geringsten und unbedeutendsten Aufgabenbereich und selbst bei diesem hat er praktisch keinen eigenen Entscheidungsspielraum, weil er sogar bei der Ausführung von Normen, die ihm ein Ermessen einräumen, noch rechtlichen Bindungen64 und fachlichen Weisungen der nächst höheren Beamten unterworfen ist. Daraus und aus den zahlreichen Zwischengliedern folgt ein Zusammenhang, den man von zwei Seiten her beschreiben kann: Desto stärker ein Träger von Hoheitsgewalt demokratisch legitimiert ist, desto bedeutendere Aufgaben sind ihm übertragen – oder umgekehrt: desto größere Kompetenzen ein Hoheitsträger hat, desto stärker ist er regelmäßig demokratisch legitimiert. In der Rechtswissenschaft hat sich mit diesem Zu___________ 60

Siehe § 6 II. 5. d). Ipsen, Rn. 695; Schramm, § 15 D (S. 250 ff.); Sommermann, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 20 Rn. 263 ff.; Stein/Frank, § 20 III 2 (S. 154 f.). 62 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 77. 63 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 84. 64 Siehe nur Bühler, in: Schweickhardt, Rn. 272 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 17 ff.; Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers, § 10 II (S. 209 ff.); Wolff, S. 155 ff. 61

III. Das Richtmaß für die Verteilung demokratischer Legitimation

177

sammenhang soweit ersichtlich nur Sommermann eingehender befasst65. Er hat festgestellt: „Je größer die Bedeutung und Reichweite der zu treffenden Entscheidung, desto höher muss das Legitimationsniveau sein.“66 Sommermann stützt den Nachweis dieses Zusammenhangs noch mit einer Reihe weiterer Ausprägungen im Grundgesetz. Er zeigt sich sowohl im Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für die Rechtsetzung der Exekutive (Art. 80 GG), als auch in Art. 59 Abs. 2 GG und Art. 23 GG67.

2. Die Bedeutung der Wesentlichkeitstheorie für das erforderliche Maß an materieller Legitimation Diese Erkenntnis könnte sich nun auf die im Grundgesetz vorgenommene Kompetenzverteilung beschränken. Dann war der aufgedeckte Zusammenhang zwar Richtschnur für den Parlamentarischen Rat (und andere Verfassungsgeber), hätte aber keine zwingende Bedeutung für die vorliegende Diskussion. Ihm könnte aber auch eine weitergehende Aussage über die im Grundsgesetz selbst ausgestaltete Legitimationsverteilung hinaus zu entnehmen sein.

a) Reichweite des Gesetzesvorbehalts und demokratische Legitimation Hier kommt – der Zusammenhang wird von Sommermann aufgezeigt68 – der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts69 besondere Bedeutung zu. Bei ihr handelt es sich um nichts anderes als die rechtliche Lösung desselben Problems, das in der vorliegenden Diskussion politikwissenschaftlich aufgeworfen ist. Die Frage, inwieweit einzelne Hoheitsträger und mit ihnen ihre Hoheitsakte demokratisch legitimiert sein sollten, stellt sich rechtlich vor allem im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit von belastenden70 Hoheitsak___________ 65

Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 176 ff. Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 176. 67 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 180. 68 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 176 ff. 69 BVerfG, Beschl. v. 28. Oktober 1975, Az. 2 BvR 883/73, 379, 497, 525/74, BVerfGE 40, 237 ff., 249; BVerfG, Beschl. v. 08. August 1978, Az. 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89 ff., 126; BVerfG, Urt. v. 16. Juni 1981, Az. 1 BvL 89/78, BVerfGE 57, 295 ff., 320 f.; BVerfG, Beschl. v. 20. Oktober 1981, Az. 1 BvR 640/80, BVerfGE 58, 257 ff., 268 f.; BVerfG, Beschl. v. 20. Oktober 1982, Az. 1 BvR 1470/80, BVerfGE 61, 260 ff., 275; BVerfG, Beschl. v. 29. Oktober 1987, Az. 2 BvR 624, 1080, 2029/93, BVerfGE 77, 170 ff., 230 f. 70 Die Frage stellt sich als Frage des Dürfens der Verwaltung grundsätzlich auch bei begünstigenden Hoheitsakten (Leistungsverwaltung). Von ihrer Beantwortung hängt ab, 66

178

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern

ten als Frage, inwieweit sie dies müssen. Dort wird die Frage in dem Mantel des Erfordernisses einer (ausreichenden) Ermächtigungsgrundlage aufgeworfen. Das zeigt, dass es letztlich auch hier um hinreichende demokratische Legitimation geht und es sich nicht um eine bloße Zuständigkeitsfrage handelt71.

b) Die Reichweite des Gesetzesvorbehalts als Gegenstand der Wesentlichkeitstheorie Als (den Bürger) belastender Hoheitsakt in diesem Sinne ist – ohne dass auf die damit verbundene Diskussion72 im Einzelnen eingegangen werden soll – grundsätzlich jeder Hoheitsakt mit Grundrechtsrelevanz zu verstehen, was jedenfalls nicht nur finale Eingriffe in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen umfasst73. In diesem Bereich wird der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG durch die Regelung der jeweils einschlägigen Grundrechte (Artt. 1 ff. GG) verdrängt. Überwiegend enthalten diese eigene, sog. grundrechtliche Gesetzesvorbehalte. Soweit sie „vorbehaltlos“ gewährt werden, stehen sie immer noch unter dem Vorbehalt der verfassungsimmanenten Schranken, die ihrerseits durch einfache Gesetze konkretisiert sein können74. Traditionell wird die Reichweite dieser Gesetzesvorbehalte mit der Formel umschrieben, dass alle Eingriffe in Freiheit und Eigentum75 einer gesetzlichen Ermächtigung bedürfen76. Damit ist indessen der Kern der Problematik noch nicht hinreichend erfasst, stellt sich doch sogleich die Frage, wie pauschal, wie allgemein gehalten diese gesetzliche Ermächtigung sein kann bzw. wie konkret sie gefasst sein muss77. Auch hier verdeutlichen die beiden theoretisch denkbaren Pole die Problematik: Muss der Gesetzgeber als am stärksten demokratisch legitimiertes Organ jeden Grundrechtseingriff selbst vornehmen oder kann er umgekehrt jede noch so grundlegende Frage zur Entscheidung auf die Exekutive übertragen? So unzweifelhaft, wie beides zu verneinen ist, so schwierig ist die genaue Grenzziehung. Gleichwohl kommt es auf die genaue Grenze häufig an. Dies ist Ausgangspunkt und Gegenstand der Wesentlichkeitstheorie. ___________ ob der Vorbehalt des Gesetzes ein „Totalvorbehalt“ ist. Siehe dazu näher Ipsen, Rn. 695; von Münch, Rn. 351; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 176. 71 Vgl. Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 176 ff. 72 Vgl. Bleckmann, S. 335 ff.; Schmalz, Rn. 114 ff. 73 Bleckmann, S. 335 ff.; Sachs, Grundrechte, S. 105 ff., 108 ff.; Schmalz, Rn. 114 ff. 74 Etwa Maurer, Staatsrecht I, § 9 Rn. 58 ff. 75 Geprägt von der konstitutionellen bürgerlich-liberalen Staatsauffassung des 19. Jahrhunderts. 76 Statt vieler Maurer, Staatsrecht I, § 8 Rn. 22. 77 Z.B. wird im Bereich der Leistungsverwaltung diskutiert, ob die bloße Bereitstellung von Finanzmitteln im Haushalt genügt.

III. Das Richtmaß für die Verteilung demokratischer Legitimation

179

c) Die Aussage der Wesentlichkeitstheorie Kernaussage der Wesentlichkeitstheorie ist die Formel, dass „der Gesetzgeber verpflichtet ist, in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen“78. Auch in dieser Formel wird der Zusammenhang zwischen dem Erfordernis einer gesetzgeberischen Entscheidung und der demokratischen Legitimation deutlich. Bedeutsamer noch für die vorliegende Diskussion ist die Konkretisierung dessen, was „wesentlich“ ist: „Die Entscheidung aller grundsätzlichen Fragen, die den Bürger unmittelbar betreffen“, muss durch ein formelles Gesetz erfolgen79. Dies zeigt, wie auch die zahlreichen dazu ergangenen Urteile, dass es auf eine qualitative und nicht auf eine quantitative Betrachtung ankommt80. Jede Entscheidung, die eine „grundsätzliche Frage“ betrifft, ist dem Parlament vorbehalten. Man spricht deshalb auch vom Parlamentsvorbehalt81. Ferner zeigt das Abstellen auf die „Betroffenheit des Bürgers“, dass es, auch was die Reichweite des Gesetzesvorbehaltes anbelangt, auf die Auswirkungen der Hoheitsakte gegenüber dem Volk ankommt.

d) Die Geltung der Wesentlichkeitstheorie in den Bundesländern Letzteres ist nichts anderes als die rechtliche Normierung der Aussage: Desto grundlegendere politische Bedeutung einer Frage zukommt, desto höhere Anforderungen sind an die demokratische Legitimation des zur Entscheidung berufenen Hoheitsträgers zu stellen. Diese Aussage, entwickelt aus der Dogmatik des Grundgesetzes, lässt sich ohne weiteres auf die Länder übertragen. Einerseits folgt dies schon aus dem vergleichbaren Staatsaufbau und dem vergleichbaren verfassungsrechtlichen Rahmen (Gewährung von Grundrechten und Geltung des Vorbehalts des Gesetzes). Man kann sie deshalb entsprechend aus jeder Landesverfassung ableiten. Andernfalls folgt dies aber auch aus dem ___________ 78

BVerfG, Beschl. v. 08. August 1978, Az. 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89 ff., 126; BVerfG, Beschl. v. 20. Oktober 1981, Az. 1 BvR 640/80, BVerfGE 58, 257 ff., 268 f.; BVerfG, Beschl. v. 20. Oktober 1982, Az. 1 BvR 1470/80, BVerfGE 61, 260 ff., 275; BVerfG, Beschl. v. 29. Oktober 1987, Az. 2 BvR 624, 1080, 2029/93, BVerfGE 77, 170 ff., 230 f.; übernommen vom BVerwG, etwa BVerwG, Urt.v. 07. Oktober 1983, Az. 7 C 54.82, BVerwGE 68, 69 ff., 72. 79 BVerfG, Beschl. v. 28. Oktober 1975, Az. 2 BvR 883/73, 379, 497, 525/74, BVerfGE 40, 237 ff., 249; BVerfG, Urt. v. 16. Juni 1981, Az. 1 BvL 89/78, BVerfGE 57, 295 ff., 320 f. 80 Eingehend Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 265 ff. 81 Von Münch, Rn. 352; Seifert/Hönig, vor Art. 70 Rn. 3.

180

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern

Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GG, da die Wesentlichkeitstheorie Bestandteil des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips ist und in den Ländern deshalb ebenfalls gelten muss. Obwohl sein kann, was nicht sein darf, spricht dies jedenfalls dafür, die entsprechenden Bestimmungen in den Landesverfassungen grundgesetzkonform dahingehend auszulegen, dass die Wesentlichkeitstheorie nach den Landesverfassungen82 auch in den Bundesländern gilt.

e) Die politikwissenschaftliche Bedeutung der Wesentlichkeitstheorie Problematischer ist die Übertragbarkeit ihres Telos in den Bereich der Politikwissenschaft. Man mag dagegen einwenden, die Wesentlichkeitstheorie erschöpfe sich in ihrer rechtlichen Intention. Ihr ließen sich nur im Rahmen der gegebenen Verfassungen Aussagen über das rechtliche Müssen, nicht jedoch Aussagen für das politikwissenschaftliche Sollen der demokratischen Legitimation in den Ländern entnehmen. Für die Theorie als solche trifft das zu. Man unterläge einem Zirkelschluss, wollte man aus der zunächst ihrerseits aus Verfassungsnormen abgeleiteten Wesentlichkeitstheorie nun Regeln darüber ableiten, wie diese Verfassungsnormen zu beschaffen sein haben. Dieser Zirkelschluss ist jedoch rasch aufgelöst, wenn man berücksichtigt, dass die Wesentlichkeitstheorie aus solchen Verfassungssätzen gefolgert wird, die ihrerseits weder zur rechts- noch zur politikwissenschaftlichen Diskussion oder Disposition stehen. Sowohl das Demokratieprinzip als solches, als auch die Präponderanz der Parlamente, als auch der Vorbehalt des Gesetzes, als auch in ihrem Kern die Grundrechte sind nach Art. 79 Abs. 3 GG – über Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GG und die Ewigkeitsklauseln in den Landesverfassungen83 auch in den Bundesländern84 – unantastbar85. Ebenso wenig stehen sie (in heutiger Zeit zumindest ganz überwiegend) zur politikwissenschaftlichen Debatte. Da der Zusammenhang zwischen der Bedeutung von Hoheitsakten und den Anforderungen an das Maß ihrer demokratischen Legitimation also letztlich aus Fun-

___________ 82 Soweit es um die Ausführung von Bundesgesetzen in den Ländern geht (in der Praxis überwiegend, siehe § 7 IV.), gilt sie selbstverständlich schon über Art. 31 GG, weshalb es zur hier interessierenden Ableitung zusätzlich aus den Landesverfassungen auch soweit ersichtlich keine Gerichtsentscheidungen gibt. 83 Aufgelistet unter § 12 I. 1. 84 Löwer, in: von Münch/König, Art. 28 Rn. 17 (Volkssouveränität), 21 (Bindung an Recht und Gesetz). 85 Lücke, in: Sachs, Art. 79 Rn. 39 (Volkssouveränität), 46 (Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes).

III. Das Richtmaß für die Verteilung demokratischer Legitimation

181

damentalnormen und damit in Deutschland dauerhaften (ewigen86) Gegebenheiten folgt, hat er auch eine politikwissenschaftliche Komponente. Für die politikwissenschaftlichen Fragestellungen stellen diese rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten den Rahmen dar. Aufgabe der Politik- bzw. im vorliegenden Themenbereich Staatswissenschaft ist die Ergründung, wie dieser Rahmen am Besten auszufüllen ist, so dass die vorgegebenen Maßgaben am Besten erfüllt werden und die Ausgestaltung des Systems (der Staatsorganisation) im Einzelnen mit dem Rahmen am Besten harmoniert.

f) Maßstab: Bedeutung für den Bürger Die Bedeutung der Wesentlichkeitstheorie für die Politikwissenschaft liegt dabei in der Anknüpfung an die Betroffenheit der Bürger. Der Maßstab für die „Grundsätzlichkeit“ der Fragen, wie ihn die Wesentlichkeitstheorie näher aufstellt87, würde ja stets dazu führen, dass eine stärkere Legitimation des Parlaments als Gesetzgeber erforderlich ist, weil dieser Maßstab gerade der Abgrenzung von Exekutiv- und Legislativbefugnissen dient. Die weiteren Konkretisierungen der Wesentlichkeitstheorie lassen sich für die politikwissenschaftliche Fragestellung deshalb nicht mehr fruchtbar machen. Entscheidend ist ihre grundlegende Aussage: Desto stärker die Bürger von einer Frage betroffen sind, desto höhere Anforderungen sind an die Legitimation desjenigen zu stellen, der sie zu beantworten hat.

g) Zwischenergebnis: Zusammenhang zwischen Aufgabenbedeutung und Legitimationserfordernis Für die Verteilung der demokratischen Legitimation der Hoheitsträger in den Bundesländern lässt sich deshalb festhalten, dass diese den wahrgenommenen Aufgaben angepasst sein sollte. Für die Landesorgane bedeutet dies, dass ein Organ desto stärker demokratisch legitimiert sein sollte, desto bedeutendere Aufgaben es wahrnimmt88.

___________ 86

Vgl. die Bezeichnung von Art. 79 Abs. 3 GG als „Ewigkeitsgarantie“, etwa Fangmann, in: Blank/ Fangmann/Hammer, Art. 79 Rn. 7; oder „Ewigkeitsklausel“, etwa Battis/Gusy, Rn. 205. 87 Eingehend Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 265 ff. 88 Ebenso auch Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 9.

182

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern

3. Das Quantum der politischen Entscheidungen Damit ist noch nicht gesagt, ob sich die demokratische Legitimation der Staatsorgane auch am Umfang der wahrgenommenen Aufgaben orientieren sollte. Insoweit ist die Wesentlichkeitstheorie nicht leistungsfähig. Sie wurde von der Rechtsprechung anhand von Einzelfällen entwickelt89. Zu entscheiden war jeweils nur, ob die Grundsätzlichkeit der konkreten Frage eine Entscheidung des stärker legitimierten Gesetzgebers erforderlich machte. Damit ist die Annäherung an die Fragestellung eine andere und mit der Wesentlichkeitstheorie keine Aussage zur Gesamtheit der wahrgenommenen „grundsätzlichen Aufgaben“ und zum dafür erforderlichen Legitimationsniveau verbunden. Gleichwohl kann im Hinblick auf die Quantität der wahrgenommenen Aufgaben nichts anderes gelten. Für den Bürger ist von ebensolcher Relevanz wie der Gegenstand der Entscheidung das Ausmaß der getroffenen (bedeutsamen, politischen) Entscheidungen. Er ist desto stärker betroffen, desto bedeutsamer die Entscheidungen sind und desto häufiger solche Entscheidungen ihm gegenüber getroffen werden. Das Legitimationsniveau hat sich deshalb auch daran zu orientieren, wie viele politische Entscheidungen ein Hoheitsträger trifft.

4. Der Anknüpfungspunkt: Formelle Zuständigkeit oder tatsächliche Aufgabenwahrnehmung? Ein letzter Punkt bleibt für den Maßstab demokratischer Legitimation zu klären: Kommt es für die erforderliche Legitimation eines Organs darauf an, welche Aufgaben ihm nach dem Konzept der Verfassung zustehen oder welche es nach ihrer konkreten Ausgestaltung und in der Verfassungswirklichkeit90 wahrnimmt?

a) Relevanz für die Diskussion Das ist gerade für die vorliegende Diskussion von erheblicher Bedeutung, berufen sich doch die Reformbefürworter auf eine tatsächliche Aufgabenwahr___________ 89

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 28. Oktober 1975, Az. 2 BvR 883/73, 379, 497, 525/74, BVerfGE 40, 237 ff., 249; BVerfG, Beschl. v. 08. August 1978, Az. 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89 ff., 126; BVerfG, Urt. v. 16. Juni 1981, Az. 1 BvL 89/78, BVerfGE 57, 295 ff., 320 f.; BVerfG, Beschl. v. 20. Oktober 1981, Az. 1 BvR 640/80, BVerfGE 58, 257 ff., 268 f.; BVerfG, Beschl. v. 20. Oktober 1982, Az. 1 BvR 1470 /80, BVerfGE 61, 260 ff., 275; BVerfG, Beschl. v. 29. Oktober 1987, Az. 2 BvR 624, 1080, 2029/93, BVerfGE 77, 170 ff., 230 f. 90 Siehe zur Diskrepanz bereits § 6 I. 1. b).

III. Das Richtmaß für die Verteilung demokratischer Legitimation

183

nehmung im Verhältnis zwischen Bund und Ländern, wonach die Länder schwerpunktmäßig Exekutiv-, der Bund schwerpunktmäßig Legislativaufgaben wahrnimmt91 (an dieser Behauptung setzt die Kritik von Klein an92). Dies soll eine Verschiebung in der Bedeutung der Tätigkeiten von Landtagen und Ministerpräsidenten mit Relevanz für das Legitimationserfordernis zur Folge haben. Nach dem eigentlichen Konzept des Grundgesetzes kann davon jedenfalls keine Rede sein, weshalb sich die Frage stellt, ob damit nicht schon die Argumentation mit der demokratischen Legitimation ins Leere geht. Da nach Art. 70 Abs. 1 GG nämlich die Gesetzgebungskompetenz grundsätzlich den Ländern zusteht, erscheint es zunächst einmal fern liegend, die Länder als Exekutiveinheiten zu bezeichnen. Die Regelung spricht wenigstens für ein Gleichmaß der Bedeutung von Verwaltung und Gesetzgebung auf Landesebene und eher für ein Defizit an Gesetzgebungsaufgaben beim Bund. Dann aber wäre es nur folgerichtig, dass auch das Landesgesetzgebungsorgan über die höchste demokratische Legitimation im Land verfügt.

b) Maßgeblichkeit der faktischen Machtverteilung Es wurde indessen bereits ausgeführt, dass für die politikwissenschaftliche Betrachtung nicht auf das ursprüngliche Verfassungskonzept sondern auf die aktuelle Verfassungswirklichkeit, also die praktische Ausfüllung der Verfassungsnormen durch Judikative, Exekutive und Legislative abzustellen ist93. Dies gilt angesichts der vorstehenden Ausführungen zum Zusammenhang zwischen Aufgabenbedeutung und demokratischer Legitimation umso mehr. Dieser Zusammenhang hat seinen Grund gerade in der tatsächlichen Bedeutung der Aufgaben für den Bürger, in der Machtausübung. Ob ein Hoheitsträger für Hoheitsakte, die er nie erlässt, eine hinreichende Legitimation hätte, ist für das Volk eine allenfalls theoretisch interessante Frage, wenngleich natürlich schon die rechtliche Befugnis demokratische Legitimation erforderlich macht. Entscheidend ist hingegen, dass jene Hoheitsträger, die tatsächlich Hoheitsgewalt ausüben, hinreichend demokratisch legitimiert, also vom Volk bestimmt und kontrolliert94 sind. Für die Anforderungen an das Maß demokratischer Legitimation ist deshalb auf die tatsächliche Aufgabenwahrnehmung abzustellen. Nur der Vollständigkeit halber sei noch ergänzt, dass es sich freilich stets um ___________ 91 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 323; Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 148; Eschenburg, S. 59 f.; Janssen, in: Henneke, S. 59 ff.; Oschatz, S. 20. 92 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 583 f.; krit. gegenüber der Schlussfolgerung, dass die Länder sich damit „Verwaltungseinheiten“ angenähert haben, auch Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., S. 159. 93 Siehe § 6 I. 1. b). 94 Siehe § 6 I. 2. a).

184

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern

rechtmäßige Machtausübung handeln muss. Verfassungswirklichkeit in diesem Sinne umfasst nicht etwa den Verfassungsbruch, sondern meint nur die praktische Anwendung von Normen (die allerdings mitunter sehr weit vom Wortlaut der Normen abweichen kann). Gegenüber rechtswidriger Machtausübung bestehen eigene Regelungsmechanismen.

5. Grenzen der Akzessorietät von Legitimationserfordernis und Aufgabenbedeutung Der festgestellte Zusammenhang gilt sowohl als Rechtsprinzip95 als auch als politikwissenschaftliches Prinzip nicht uneingeschränkt96. Seine Grenze findet er in der Gewaltenteilung. Sommermann hat dies für das Rechtsprinzip nachgewiesen97, das seine Grenze an der Funktionsordnung des Grundgesetzes findet98. Für das politikwissenschaftliche Prinzip kommt es auf die konkrete Ausgestaltung in der betroffenen Verfassung nicht an – deren Sinnhaftigkeit steht ja gerade zur Überprüfung. Das Gewaltenteilungsprinzip als solches vermag indessen auch hier legitimatorische Unterschiede zu rechtfertigen. Politikwissenschaftlich stellt sich dann die Frage, ob es sinnvoll ist, im Hinblick auf die Gewaltenteilung (Funktion und Zusammensetzung der Landesorgane) Abstriche von dem Akzessorietätsprinzip in Kauf zu nehmen99. Da jedoch an dieser Stelle zunächst nur untersucht wird, ob sich die Direktwahl im Hinblick auf die demokratische Legitimation empfiehlt, kann diese Grenze vorerst außer Betracht bleiben.

IV. Aufgaben und Befugnisse der Bundesländer und ihre Verteilung innerhalb der Bundesländer Es bleibt zu untersuchen, ob jene von den Reformbefürwortern behauptete Diskrepanz zwischen Aufgabenwahrnehmung und demokratischer Legitimation in den Bundesländern wirklich besteht.

___________ 95

Siehe dazu Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 177 f. Siehe auch bereits die Feststellung im vorangegangenen Kapitel, dass Unterschiede und Einschränkungen bei der Verwirklichung der Selbstbestimmung des Volkes einer sachlichen Rechtfertigung bedürfen, also gerechtfertigt werden können, § 6 III. 5. d). 97 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 177 f. 98 Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 177. 99 Siehe dazu § 8. 96

IV. Aufgaben und Befugnisse der Bundesländer

185

1. Gesamtbetrachtung der Landeskompetenzen Wenn, dann kann eine solche Diskrepanz sich nur auf die Gesamtheit der von den Landesorganen wahrgenommenen Aufgaben beziehen. Im Verhältnis von Ministerpräsident und Landtag untereinander gilt – das wurde bereits gezeigt100 – die Wesentlichkeitstheorie und sorgt dafür, dass die grundlegenden Entscheidungen einem Parlamentsgesetz vorbehalten bleiben. In diesem Verhältnis scheint es zunächst einmal also ebenso konsequent, dass der Landtag als Gesetzgebungsorgan unmittelbar und der Ministerpräsident als „lediglich“ ausführendes Organ nur mittelbar demokratisch legitimiert ist, wie auf Bundesebene. Etwas anderes kann nur gelten, wenn nach der Zuständigkeit der Länder auf Landesebene überhaupt keine oder nur sehr wenige „wesentliche“ Fragen im Sinne der Wesentlichkeitstheorie anfallen, wenn die Länder also nur wenige Gesetzgebungskompetenzen haben, dafür aber aufgrund weitreichender Verwaltungskompetenzen in größerem Umfang bedeutsame Exekutiventscheidungen getroffen werden. Zu überprüfen ist deshalb, welche Aufgaben von den Bundesländern und von wem diese in den Bundesländern wahrgenommen werden und wie diese Aufgaben von ihrem Umfang und ihrer Bedeutung her zu bewerten sind.

2. Die föderale Aufgabenverteilung nach der Konzeption des Grundgesetzes Von den zwischen Bund und Ländern zu verteilenden Aufgaben interessieren vorliegend nur die Gesetzgebung und die Verwaltung.

a) Die Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer als Regel Die Gesetzgebungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern ist in den Artt. 70 ff. GG geregelt. Die grundlegende Regel findet sich in Art. 70 Abs. 1 GG: „Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.“ Die Vorschrift legt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Bundesländer fest. Danach besitzt der Bund lediglich die ihm eigens zugewiesenen Kompetenzen, der gesamte unbenannte Rest, die sog. Residiualkompetenz101, liegt bei den Bundesländern. Nach der eigentlichen Konzeption des Grundgesetzes sind die Länder also eher eine „Gesetzgebungseinheit“ als der Bund. ___________ 100 101

Siehe § 7 III. 2. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 70 Rn. 1.

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern

186

b) Die Verwaltungskompetenz der Bundesländer als Regel Die Verwaltungskompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern ist in den Artt. 83 ff. GG geregelt. Die Grundnorm ist Art. 83 GG, der ein doppeltes Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Bundesländer statuiert. Im Hinblick auf die Verwaltungsgegenstände besitzt der Bund nur die ihm eigens zugewiesenen Verwaltungskompetenzen. Der unbenannte Rest (die Residualkompetenz) steht den Bundesländern zu102. Als Regel-Verwaltungsform ist die Landeseigenverwaltung vorgeschrieben. Andere Verwaltungstypen müssen eigens im Grundgesetz vorgesehen sein103. Damit stehen nach der Konzeption des Grundgesetzes Gesetzgebungs- und Verwaltungsaufgabe in den Ländern nebeneinander.

3. Die tatsächliche Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern Betrachtet man demgegenüber die faktische104 Kompetenzverteilung in der Bundesrepublik Deutschland, ergibt sich ein differenziertes Bild105:

a) Die faktische Verwaltungskompetenzverteilung Die faktische Verteilung der Verwaltungskompetenzen entspricht dem beschriebenen Regel-Ausnahmeverhältnis106. Obgleich die Länder infolge der Ausübung der Rechte nach Art. 84 Abs. 1 und 2 GG (Regelung der Einrichtung von Behörden und des Verwaltungsverfahrens) durch den Bund und den Ausbau der bundeseigenen Verwaltung nach Art. 87 Abs. 3 GG – jeweils mit der erforderlichen Zustimmung des Bundesrates – auch Verwaltungskompetenzen verloren haben107, liegt die Verwaltung auch in der Praxis noch ganz überwiegend bei den Ländern108. Große politische Gestaltungsspielräume eröffnet das den Ländern zwar nicht, weil es sich überwiegend um die Verwaltung von ___________ 102

Dittmann, in: Sachs, Art. 83 Rn. 3; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 83 Rn. 9. Dittmann, in: Sachs, Art. 83 Rn. 10 f.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 83 Rn. 9. 104 Faktisch im Sinn von konkreter Ausgestaltung durch Einzelnormen, Rechtsprechungs-, Regierungs- und Gesetzgebungspraxis. 105 Siehe auch Oschatz, in: Merten, S. 135 ff., 137 f. 106 Bull, in: Alternativkommentar II, vor Art. 83 Rn. 5; Hesselberger, Art. 83 Rn. 1; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht IV, § 98 Rn. 198 (S. 630); Lerche, in: Maunz/Dürig, Art. 83 Rn. 4. 107 Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 17; Oeter, S. 159 ff., 166 ff., 441 ff. 108 Z.T. werden die Verwaltungskompetenzen aber – vergleichbar mit abgestimmten Gesetzesentwürfen (siehe § 7 IV. 3. b) (5)) – aufgrund freiwilliger Selbstkoordination der Länder nicht selbständig wahrgenommen, vgl. Oeter, S. 169 ff. 103

IV. Aufgaben und Befugnisse der Bundesländer

187

Bundesgesetzen und europäischem Recht handelt109. Das führt im vorliegenden Zusammenhang aber nur zur Fragwürdigkeit von parteipolitischen Programmen auf Landesebene110 und nicht zu einem Machtverlust bei der Landesexekutiven. Im Gegenteil nimmt die Macht der Landesregierungen zu111.

b) Die Gesetzgebungskompetenzverteilung Anders verhält es sich bei der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen. Hier liegt das faktische Schwergewicht beim Bund112. Da dies als solches unbestritten ist113, seien die Ausführungen insoweit auf eine Wiedergabe der Ursachen geschränkt:

(1) Weitreichende Gesetzgebungskompetenzen des Bundes schon bei Schaffung des Grundgesetzes Das in Art. 70 Abs. 1 GG statuierte Regel-Ausnahme-Verhältnis war schon bei Schaffung des Grundgesetzes aufgrund extensiver „Ausnahmen“ durch die nachfolgenden Regelungen über die ausschließliche, konkurrierende und Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes ins Gegenteil verkehrt. Die Artt. 73, 74 und 75 GG enthielten bereits damals weitreichende Kataloge mit Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes114.

___________ 109

ff.

110

Von Arnim, Vom schönen Schein, S. 68; Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 17

Siehe dazu § 9 X. 2. b). Dazu noch sogleich § 7 IV. 4. 112 Erbguth, DVBl. 1988, 317 ff., 326; Fangmann, in: Blank/Fangmann/Hammer, Art. 70 Rn. 1; Hesselberger, Art. 83 Rn. 1; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht IV, § 98 Rn. 198 f. (S. 630 f.); Model/Müller, Art. 70 Rn. 1; eingehend zur Entwicklung Eicher, S. 76 ff. 113 Siehe nur Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 583 f. (als Kritiker einer Volkswahl); Giesing, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 75 ff., 81 f. Man spricht meist von „Unitarisierung“, s. nur Volkmann, DÖV 1998, 613 ff., 617; eingehend von Arnim, Vom schönen Schein, S. 60 ff. 114 Vgl. die jeweiligen Vorschriften. Die neu hinzugekommenen Bereiche sind unter (3) angeführt. 111

188

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern

(2) Bundesfreundliche Rechtsprechung zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Nur scheinbar bestand mit Art. 72 Abs. 2 GG a.F. im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung eine Einschränkung zugunsten der Länder115. Die Ziffern 1 und 2 der Vorschrift erlangten nie nennenswerte praktische Bedeutung116. Ziffer 3 wurde vom Bund extensiv ausgelegt und vom BVerfG letztlich als nicht justiziabel behandelt117. Jedenfalls wurde nie ein Gesetz wegen Verstoßes gegen Art. 72 Abs. 2 GG a.F. für verfassungswidrig erklärt. Die Vorschrift wurde im Jahre 1994 neu gefasst und soll durch eine Präzisierung der Tatbestandsmerkmale118 zu ihrer Justiziabilität und damit einer schärferen Abgrenzung der Zuständigkeiten führen119. Die tatsächliche Entwicklung bleibt abzuwarten.

(3) Erweiterung der Zuständigkeitskataloge mit Zustimmung des Bundesrates Die Zuständigkeitskataloge der Artt. 72, 73, 74 GG wurden in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich erweitert120. Besonders viele Erweiterungen gab es bei der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes121: Kernenergie (1959), Kriegesgräberpflege (1965), wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und Regelung der Krankenhauspflegesätze (1969), Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung (1972), Staatshaftung sowie künstliche Befruchtung ___________ 115

Die Vorschrift lautete: „Der Bund hat in diesem Bereiche das Gesetzgebungsrecht, soweit ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, weil 1. eine Angelegenheit durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden kann oder 2. die Regelung einer Angelegenheit durch ein Landesgesetz die Interessen anderer Länder oder der Gesamtheit beeinträchtigen könnte oder 3. die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus sie erfordert.“ 116 Pieroth, in: Jarass/Pieroth (1. Aufl.), Art. 72 GG Rn. 8. 117 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 22. April 1953, Az. 1 BvL 18/52, BVerfGE 2, 213 ff., 224 f.; BVerfG, Urt. v. 15. Dezember 1983, Az. 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83, BVerfGE 65, 1 ff., 63; BVerfG, Beschl. v. 08. Juni 1988, Az. 2 BvL 9/85, 3/86, BVerfGE 78, 249 ff., 270; Knorr, S. 82 ff.; Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 72 Rn. 22; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 72 Rn. 17; Müller, Grundgesetzrevision, S. 46 ff. 118 Und durch das neue Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 a GG. 119 Degenhart, in: Sachs, Art. 72 Rn. 10; Oeter, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Rn. 87; näher Müller, Grundgesetzrevision, S. 51 ff. 120 Eingehend Eicher, S. 76 ff. 121 In Klammern jeweils die Jahreszahl der Grundgesetzänderung.

IV. Aufgaben und Befugnisse der Bundesländer

189

beim Menschen, Untersuchung und Veränderung von Erbinformationen und Transplantation von Organen und Geweben (1994). Die nötigen Verfassungsänderungen erfolgten jeweils mit Zustimmung des Bundesrates (Art. 79 Abs. 2 GG), also dem überwiegenden Teil der Landesregierungen122.

(4) Europäisierung des Rechts Weiter wurde die Kompetenz der Bundesländer durch eine zunehmende Europäisierung des Bundes- und Landesrechts und damit immer enger werdende eigene Gestaltungsspielräume eingeschränkt123.

(5) Annex: Abgestimmte Gesetzentwürfe Wo eigene Kompetenzen noch bestehen, werden diese häufig nicht eigenständig ausgeübt124. Zu beobachten ist insbesondere die Entwicklung, dass die Landesregierungen Gesetzesentwürfe abstimmen, die die jeweiligen Landtage dann erlassen125. Beispiele sind der Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz von 1970, der zu einem im Wesentlichen einheitlichen deutschen Polizeirecht führte126, und die Zusammenarbeit der Länder in der Kultusministerkonferenz127.

(6) Verbleibt: „Kultur- und Organisationshoheit“ Heute ist die Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer als Ergebnis dieser Entwicklungen im Wesentlichen beschränkt auf das interne Organisations- und ___________ 122

Siehe nur Janssen, in: ZG Sonderheft 2000 „Stärkung des Föderalismus“, S. 41 ff.,

43.

123

Siehe dazu Eicher, S. 83 ff.; Pernice, DVBl. 1993, 909 ff., 910 ff.; Reich, EuGRZ 2001, 1 ff.; Stein, VVdStRL 53 (1994), 26 ff. 124 Dies ist ein gegenüber der Kompetenzverteilung nachgeordneter Aspekt, der aber für die demokratische Legitimation genauso bedeutsam ist und deshalb an dieser Stelle mitbehandelt wird; näher dazu von Arnim, Vom schönen Schein, S. 62 ff. 125 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 60, vergleicht dies mit der Ratifizierung von Staatsverträgen. 126 Götz, Rn. 59; Habermehl, Rn. 31; Knemeyer, Rn. 11 ff. 127 Näher Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 19 f.; Leisner, DÖV 1968, 389 ff., 391 ff.; Oschatz, in: Merten, S. 135 ff., 139 f.; Pietzcker, in: Starck, Zusammenarbeit, S. 17 ff.; Püttner/Kretschmer, S. 265 f.; Vogel, in: Benda/Maihofer/Vogel, § 22 Rn. 125 (S. 1094); auch von Arnim, Die Entmachtung der Landesparlamente und die Existenzfrage, Frankfurter Rundschau v. 10. Dezember 2002.

190

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern

Verfahrensrecht, das Kommunalrecht, das Polizei- und Ordnungsrecht sowie das Kulturrecht, wobei die Kompetenz im Polizei- und Ordnungsrecht weitgehend einheitlich ausgeübt wird und auch die Unterschiede im Verfahrensrecht verschwindend gering sind. Man spricht von der verbliebenen Kultur- und Organisationshoheit der Bundesländer128.

4. Ausgleich der Diskrepanz durch neue Länderkompetenzen? Klein ist der Auffassung, es sei trotz dieser Verlagerung des Schwergewichts der Gesetzgebung auf den Bund (und die Europäische Union) verfehlt, in den Ländern eine Art „zu groß geratene Regierungsbezirke“ zu sehen129.

a) Entwicklung zum Beteiligungs- und Exekutivföderalismus Dem Verlust an Gesetzgebungskompetenzen stehe nämlich eine erweiterte Beteiligung der Länder an den auf Bundes- und europäischer Ebene zu treffenden politischen Entscheidungen gegenüber130. Das ist zunächst einmal richtig. In der Tat haben die Bundesländer dort, wo sie Gesetzgebungskompetenzen an den Bund verloren haben, nunmehr die Beteiligung auf Bundesebene über den Bundesrat. In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken sie nach Art. 23 GG über den Bundesrat an der bundesinternen Willensbildung bzw., „wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind“, über einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder131 sogar unmittelbar an der Willensbildung auf europäischer Ebene mit132. Man kann deshalb ungeachtet einer Bewertung dieser Entwicklung133 von einem Beteiligungs- und Exekutivföderalismus sprechen134. ___________ 128 Allerdings beruht der praktisch bedeutsamste Bereich der Schul- und Hochschulpolitik überwiegend auf (einstimmigen) Beschlüssen der Kultusministerkonferenz, was auch diesen Bereich zum großen Teil auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner unitarisiert, s. von Arnim, Wirtschaftsdienst 2002, 193 ff., 194. 129 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 584. 130 In diese Richtung auch Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 148. 131 Art. 23 Abs. 6 Satz 1 GG. 132 Siehe auch Art. 50 GG: „Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit“. 133 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 148, sieht gerade in dieser erweiterten Beteiligung eine Gefahr für den Parlamentarismus im Bund. 134 Vgl. Böckenförde, in: Festschr. Schäfer, S. 182 ff., 185 f.; Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 584.

IV. Aufgaben und Befugnisse der Bundesländer

191

b) Landesinterne Zuständigkeit Selbst wenn man daraus mit Klein weiter folgern mag, dass die Eigenart des deutschen Föderalismus deshalb weniger in einer säuberlichen Trennung der Aufgabenbereiche von Bund und Ländern als in der gemeinsamen Wahrnehmung der gleichen Aufgaben (häufig ist auch die Rede vom „kooperativen Föderalismus“135) in geteilter Verantwortung liegt136, kommt es im vorliegenden Zusammenhang – anders möglicherweise im Hinblick auf die Autonomie der Länder137 – doch entscheidend darauf an, welches Organ innerhalb der Länder die (neuen) Aufgaben wahrnimmt138. Für die Exekutivaufgaben ist dies unzweifelhaft die Landesregierung mit dem Ministerpräsidenten an der Spitze. Für die Beteiligungsbefugnisse gilt aber nichts anderes: Unmittelbar werden diese Beteiligungsbefugnisse wie gesehen vom Bundesrat ausgeübt bzw. von dem vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder. Der Bundesrat seinerseits besteht aus Mitgliedern der Landesregierungen (Art. 51 Abs. 1 GG). Die Zustimmung der Ministerpräsidenten im Bundesrat zur Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen auf den Bund oder die Europäische Union ist deshalb in der Tat vergleichbar mit einem „Geschäft zu Lasten Dritter“139 (eine ähnliche Entmachtung der Parlamente findet übrigens bei Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen auf die Europäischen Gemeinschaften statt, wo überwiegend der Ministerrat die von den nationalen Parlamenten übernommenen Kompetenzen ausübt, die nationalen Regierungen also über Dinge entscheiden, die sie nach der Wesentlichkeitstheorie und klassischer Demokratielehre innerhalb des einzelnen Staates niemals regeln könnten). Eine Beteiligung der Landtage am „Beteiligungs- und Exekutivföderalismus“ findet damit gegenwärtig nicht statt140. Dementsprechend räumt auch Klein ein, bei der stärker in den Vordergrund tretenden Beteiligungsfunktion der Länder handele es sich genauer um eine solche der Landesregierungen und insbesondere der Ministerpräsidenten, weshalb der deutsche Föderalismus derzeit durch einen augenscheinlichen Machtzuwachs der Exekutiven bei gleichzeitigem Rückgang der Bedeutung der Landesparlamente gekennzeichnet sei141. Letztere hätten es nicht vermocht, die ___________ 135

Statt vieler Erbguth, DVBl. 1988, 317 ff., 326; Storr, S. 287. Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 584; ders., in: Bundesrat, S. 95 ff., 100. 137 Siehe dazu § 10. 138 Ebenso Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 61; Leisner, DÖV 1968, 389 ff., 390 ff.; Storr, S. 285 ff. 139 In diese Richtung von Arnim, ZRP 2002, 223 ff., 227 f. 140 Die Beteiligung der Landtage beschränkt sich im Wesentlichen auf eine nachträgliche Unterrichtung über das Ergebnis der Bundesratssitzungen durch die jeweilige Landesregierung, s. Portz, in: Greß, S. 149 ff. 141 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 584; ebenso viele andere, etwa von Arnim, Staat ohne Diener (Taschenbuchausgabe), S. 322 ff. („Niedergang der Landesparlamente“); Möller, in: Greß, S. 11 ff., 21. 136

192

§ 7 Die demokratische Legitimation in den Bundesländern

Ausdünnung ihrer Legislativfunktion durch eine Intensivierung ihrer Kontrollfunktion, insbesondere mit dem Ziel einer Mitwirkung an den bundespolitischen Aktivitäten der Landesregierungen, wettzumachen. Dem ist beizupflichten.

c) Zwischenergebnis: Länder als Exekutiveinheiten Im Ergebnis fehlt es damit an einer Kompensation des Verlustes an Landtagskompetenzen142 und das Gros der Kompetenzen einschließlich sämtlicher neu hinzugewonnener Kompetenzen liegt bei der Landesexekutiven. Ob man damit die Länder als bloße „Verwaltungseinheiten“ oder mehr ansieht, spielt im Hinblick auf die demokratische Legitimation der Landesorgane letztlich überhaupt keine Rolle mehr. Jedenfalls handelt es sich schwerpunktmäßig um Exekutiveinheiten143 und das ist für eine sinnvolle Verteilung der demokratischen Legitimation von Bedeutung.

V. Fazit – Folgen im Hinblick auf den Grundsatz der Akzessorietät von Machtausübung und Legitimationserfordernis Im Ergebnis haben damit derzeit die Landtage innerhalb der Länder kaum noch Kompetenzen, weil die Länder ihrerseits nur noch über wenige Gesetzgebungskompetenzen verfügen, und auf höheren Ebenen praktisch überhaupt keine Befugnisse. Dem steht die stärkste denkbare demokratische Legitimation, die unmittelbare Wahl durch das Volk, gegenüber. Ketzerisch könnte man die Frage aufwerfen, ob dies nicht entbehrlich ist, jedenfalls schadet ein etwaiges „Übermaß“ an demokratischer Legitimation aber nicht. Demgegenüber sind auf Seiten der Landesregierungen nicht nur die herkömmlichen Exekutivaufgaben – politische Exekutiventscheidungen wie reine Verwaltungstätigkeit144 – bestehen geblieben. Die Landesregierungen haben auch in erheblichem Umfang bedeutsame Aufgaben hinzugewonnen. Insbesondere wirkt das Landesvolk als solches ausschließlich über die Landesregierung auf Entscheidungen der Europäischen Union ein145. In sämtlichen Gesetzgebungsbereichen, die auf den Bund oder die EU verlagert wurden, wirken über den Bundesrat nunmehr die ___________ 142

So auch Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 60. Wie hier von Arnim, Staat ohne Diener, S. 323; ders., Vom schönen Schein, S. 85 ff.; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 18. 144 Vgl. § 7 II. 2. c) (3). 145 Siehe zur Bedeutung für die demokratische Legitimation der Europäischen Union § 10 VI. 2. 143

V. Fazit

193

Landesregierungen mit. Selbst wenn man mit Maurer also Verwaltungstätigkeit und Gesetzgebungstätigkeit im Sinne von unpolitisch und politisch einander gegenüberstellen wollte146, würden damit die Landesregierungen schon im politischen Bereich wirken – und hier wesentlich weiter reichend, als es die Landesparlamente jemals taten (nämlich zusätzlich Bundes- und europäische Gesetzgebung). Hinzu kommen aber noch für das Volk bedeutsame (und damit politische) Entscheidungen im klassischen Exekutivbereich. Insgesamt überwiegen damit die Bedeutung und das Ausmaß der vom Ministerpräsidenten zu verantwortenden Entscheidungen gegenüber jenen des Landtages deutlich. Dem steht eine nur mittelbare Legitimation über die Wahl durch den Landtag gegenüber. Das widerspricht dem Grundsatz der Akzessorietät von wahrgenommenen Aufgaben (ausgeübter Macht) und dem Erfordernis demokratischer Legitimation und. Als Ergebnis ist im Hinblick auf die demokratische Legitimation in den Bundesländern die Direktwahl der Ministerpräsidenten deshalb klar zu fordern.

___________ 146

Vgl. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 159.

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern Auch ohne die bereits dargestellte Diskussion des Reformvorschlags vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung würden die festgestellten Auswirkungen der Einführung einer Direktwahl des Ministerpräsidenten zu einer Untersuchung des Verhältnisses der Staatsgewalten in den Bundesländern untereinander zwingen. Es liegt nahe, dass eine höhere Legitimation des Ministerpräsidenten diesen stärkt. Unabhängig davon, dass es bei dieser pauschalen Feststellung sicher nicht bleiben kann, sondern die „Stärkung“ im Einzelnen festzustellen und zu beschreiben sein wird, ist dies jedenfalls nicht unproblematisch. Das Machtverhältnis zwischen den Staatsgewalten ist ein vom jeweiligen Verfassungsgeber vor allem im Hinblick auf historische Erfahrungen mit dem Machtmissbrauch aufgrund von Machtkonzentration sorgsam austariertes System. Schon ein leichter Eingriff in ein empfindliches System der „Checks and Balances“1 kann schwerwiegende Auswirkungen an anderer Stelle haben. Neben dem Bewertungsproblem stellt sich dabei im Besonderen die bereits aufgezeigte Frage einer sicheren Vorhersage dieser Auswirkungen. Hinzu kommt, dass es sich bei dem Übergang zur Volkswahl des Ministerpräsidenten keineswegs um einen leichten „Eingriff“ handelt und deshalb auf die Untersuchung der denkbaren Auswirkungen ganz besondere Sorgfalt zu verwenden ist.

I. Die Landesverfassungsgerichte Aus diesem Grund sei zunächst ein Punkt angesprochen, der in der Diskussion – im Ergebnis zu Recht2 – häufig außer Acht gelassen wird, in einer vollständigen Analyse des Systems der Staatsgewalten aber nicht fehlen darf. Neben den im Fokus des Disputs befindlichen Staatsgewalten Parlament und Regierung besteht schließlich noch eine dritte Staatsgewalt: die Judikative3. Bei der gebotenen unvoreingenommenen Annäherung an die Thematik erscheint es keineswegs von vornherein ausgeschlossen, dass die Judikative von einer Verschiebung der Machtverteilung bei den übrigen Staatsgewalten völlig unberührt bleibt. In diesem Fall könnte sich entweder die Machtverschiebung verbieten ___________ 1

Statt aller Degenhart, Rn. 218; Katz, Rn. 178. Siehe § 8 I. 5. 3 Statt vieler Degenhart, Rn. 222; Hesse, Rn. 547 ff.; Katz, Rn. 508 ff. 2

I. Die Landesverfassungsgerichte

195

oder es könnten zumindest flankierende Maßnahmen zur Wiederherstellung des Gleichgewichts mit der Judikative erforderlich sein.

1. Die Landesverfassungsgerichte als rechtsprechende Staatsgewalt und Verfassungsorgane Auf der hier betrachteten Ebene wird die rechtsprechende Gewalt ausschließlich durch die Landesverfassungsgerichte ausgeübt. Dies gilt auch dort, wo ausnahmsweise das Bundesverfassungsgericht die Kompetenzen eines Landesverfassungsgerichts ausübt, in der Praxis ausschließlich in Schleswig-Holstein4. Dort wird das Bundesverfassungsgericht insoweit als Landesverfassungsgericht tätig5. Die Organisation und Zuständigkeit der übrigen Gerichte ist weitgehend durch Bundesrecht geregelt6. Diese Fachgerichte sind aber, obwohl ebenfalls Teil der rechtsprechenden Gewalt, keine Verfassungsorgane, so dass sie für das hier zu untersuchende Verhältnis der Verfassungsorgane untereinander außer Betracht bleiben können. In vielen Landesverfassungen wird diese besondere Rolle der Landesverfassungsgerichte als Gerichte einerseits und Verfassungsorgane in einem System der „Checks and Balances“ andererseits dadurch besonders betont, dass ihnen gegenüber den sonstigen Gerichten ein eigener Abschnitt neben den anderen Verfassungsorganen gewidmet wird7. Die Stellung der Verfassungsgerichte als Verfassungsorgane steht aber auch in den anderen Bundesländern außer Frage8.

2. Mögliche Ansätze für eine Auswirkung auf die Landesverfassungsgerichte Ob und ggf. welchen Einfluss eine Änderung in der Machtverteilung bei Parlament und Ministerpräsident auf deren Machtverhältnis zu den Landesverfassungsgerichten hat, ist in zweierlei Richtungen zu untersuchen. Zunächst hängt die Frage wesentlich davon ab, welche Kontrollbefugnisse dem Landesverfassungsgericht gegenüber dem Landtag und dem Ministerpräsidenten zustehen. Sind diese z.B. gegenüber einem Organ schwach, gegenüber dem anderen stark ausgeprägt und würde nun das Organ, gegenüber dem sie stark ausgeprägt sind, ___________ 4

Vgl. Art. 99 GG i.V.m. Art. 44 SchlHVerf. Pestalozza, Rn. 100. V.a. durch Artt. 92 ff. GG und das GVG. 7 Vgl. Artt. 60-69 BbgVerf; Artt. 130-133 HessVerf; Artt. 52-54 M-VVerf; Artt. 7576 NRWVerf; Artt. 129-136 RhPfVerf; Artt. 96, 97 SaarlVerf; Artt. 74-76 VerfLSA; Artt. 79, 80 ThürVerf. 8 Vgl. zur Organqualität Schlaich/Korioth, Rn. 25 ff., 33. 5 6

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

196

geschwächt, so würde die Position des Landesverfassungsgerichts vermutlich geschwächt werden. Dort, wo seine Befugnisse am stärksten ausgeprägt sind, würde nämlich ein Weniger an Machtausübung stattfinden. In gegenläufiger Richtung ist der Einfluss auf das Landesverfassungsgericht zu untersuchen: Wird das Organ, das insoweit die größte Kontrolle ausübt, gestärkt, könnte dies die Position des Verfassungsgerichts schwächen – obwohl dieser Zusammenhang weniger augenscheinlich ist und sicher eingehenderer Analyse bedürfte. Diese beiden möglichen Wege einer Auswirkung auf die Landesverfassungsgerichte seien deshalb betrachtet.

3. Die Kontrollbefugnisse der Landesverfassungsgerichte Wenn zur Verdeutlichung der Funktion der Landesverfassungsgerichte im System der „Checks and Balances“ von Kontrollbefugnissen gesprochen wird, darf zunächst einmal nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich dabei nicht um eine Kontrolle aus eigener Initiative sondern – hier wird der Charakter als Gericht deutlich – um eine Rechtmäßigkeitsprüfung auf Anstoß von Außen hin handelt. Die alte Regel „wo kein Kläger, da kein Richter“ gilt auch hier. Mit dieser Einschränkung und im Hinblick auf den Gegenstand der vorliegenden Abhandlung erscheint es aber zulässig, von Kontrollbefugnissen zu sprechen9.

a) Beschränkung auf Rechtmäßigkeitsprüfung Vorliegend interessieren jene gegenüber der Exekutive und gegenüber der Legislative. In Einzelfragen unterscheiden sich diese in den sechzehn Bundesländern deutlich10. Für die Beurteilung eines Einflusses der Einführung einer Direktwahl auf die Machtverhältnisse der Judikative zu den übrigen Staatsgewalten können die Unterschiede im Detail aber jedenfalls dann außer Betracht bleiben, wenn schon im Großen keine Veränderungen zu erwarten sind. So verhält es sich, wenn man sich den Charakter der Kontrollbefugnisse verdeutlicht. Namentlich handelt es sich um Ministeranklagen11 und Anklagen gegen Abgeordnete, die Wahl- und Mandatsprüfung, Organstreitigkeiten und Normenkontrollen, schließlich um Popularklagen und Verfassungsbeschwerden, je___________ 9

Vgl. Hesse, Rn. 559 ff.; Katz, Rn. 527. Etwa führt die Ministeranklage in Baden-Württemberg zu einer Überprüfung, ob das angeklagte Regierungsmitglied die Verfassung oder ein einfaches Gesetz vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat, Art. 57 Abs. 1 BaWüVerf. In Bayern ist die Prüfung auf Vorsatz beschränkt, Art. 61 Abs. 2 BayVerf. 11 Siehe dazu die Übersicht unter § 2 II. 10

I. Die Landesverfassungsgerichte

197

weils soweit nach der Landesverfassung zulässig12. Allen diesen Kontrollbefugnissen ist eigen, dass die Landesverfassungsgerichte sich auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Handelns eines Organs oder Amtswalters beschränken. Zum Teil ist diese Prüfung noch weiter eingeschränkt, etwa auf das Vorliegen einer „vorsätzlichen Verletzung der Verfassung“13. Jedenfalls steht den Landesverfassungsgerichten aber kein eigener Ermessensspielraum zu. Sie werden bei der Ausübung ihrer Kontrollbefugnisse niemals im eigenen Interesse tätig, auch nicht in einem solchen zum höheren Wohle des Volkes. Vielmehr haben sie sich auf die Vereinbarkeit von Hoheitsakten und der Tätigkeit von Amtswaltern mit dem durch den Verfassungsgesetzgeber gesetzten Recht zu beschränken. Schon deshalb kann sich die Direktwahl des Ministerpräsidenten auf die Kontrollfunktion der Landesverfassungsgerichte nicht auswirken. Die Staatsgewalt Judikative steht insoweit quasi über den anderen Staatsgewalten, nicht aber in einem Konkurrenzverhältnis mit diesen.

b) Allenfalls quantitativer Zuwachs der Rechtmäßigkeitsprüfung Dieses Ergebnis wird durch eine Betrachtung der einzelnen Kontrollbefugnisse bestätigt. Einen direkten Bezug zum Verhältnis von Legislative und Exekutive zueinander haben die Ministeranklage und Organstreitigkeiten. Bei diesen könnte die Direktwahl des Ministerpräsidenten zu einem zahlenmäßigen Anstieg führen. Das hängt von der noch zu klärenden Frage ab, ob die Direktwahl das Konkurrenzverhältnis zwischen Landtag und Regierung verschärft und ob mit einer Zunahme der Kontrolle der Regierungen durch die Landtage (bzw. der gegenseitigen Kontrolle) zu rechnen ist14. Hieran zeigt sich auch, dass es sich bei diesen Kontrollinstrumenten in erster Linie um solche des Landtages handelt, wenngleich dieser nur den Anstoß gibt, nicht aber die Entscheidung trifft. Wenn die Landtage bei Direktwahl des Ministerpräsidenten von solchen Rechtsbehelfen öfter Gebrauch machen würden oder wenn der Ministerpräsident öfter seine Kompetenzen gegenüber dem Landtag gerichtlich klären ließe, würde dies die Machtposition der Landesverfassungsgerichte unberührt lassen. Es führte allenfalls zu einer höheren Arbeitsbelastung, änderte aber nichts an der Beschränkung auf eine Rechtmäßigkeitsprüfung. Noch weniger ist bei den übrigen Zuständigkeiten der Landesverfassungsgerichte mit einer Veränderung ihrer Stellung gegenüber den anderen Staatsgewalten zu rechnen. Die Anklage eines Abgeordneten15 betrifft in erster Linie diesen als solchen, nicht aber das ___________ 12

Guter Überblick bei Degenhart, Rn. 529 ff. Z.B. Art. 61 Abs. 2 BayVerf. 14 Siehe dazu § 8. VI. 15 Siehe etwa Art. 42 BaWüVerf; Art. 61 Abs. 1, 3, 4 BayVerf. 13

198

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

Organ Landtag. Bei der Wahl- und Mandatsprüfung käme insofern eine neue Zuständigkeit auf die Landesverfassungsgerichte zu, als diesen auch die Überprüfung der Direktwahl des Ministerpräsidenten zukommen müsste. Auch hier wären sie aber auf eine Rechtmäßigkeitsprüfung beschränkt und erlangten keinen Machtzuwachs. Nichts anderes gilt bei Normenkontrollverfahren, Popularklagen und Verfassungsbeschwerden.

4. Einfluss auf die Landesverfassungsgerichte In einem Rechtsstaat erscheint ein „Einfluss auf Gerichte“ als (System-)Widerspruch. Zumindest sollte er ein Widerspruch sein. Das gilt ohne Einschränkung auch für die Bundesländer, die sich entsprechend Art. 97 Abs. 1 GG sämtlich zur Unabhängigkeit der Richter bekennen16. Auch hier gilt aber, dass es legitim und notwendig ist, soweit die Landesverfassungsgerichte als Verfassungsorgane untersucht werden, die möglichen Einflüsse auf diese Organe zu untersuchen. Einfluss auf die Landesverfassungsgerichte als Verfassungsorgane – weitergehende Einflüsse bestehen möglicherweise auf die Richter als Personen – haben die übrigen Verfassungsorgane in allen Bundesländern nur bei der Zusammensetzung der Gerichte. Im Hinblick auf die Ernennung der Landesverfassungsrichter unterscheiden sich die Verfassungen z.T. deutlich. Ihnen allen ist jedoch gemeinsam, dass die Bestimmung der Verfassungsrichter sehr detailliert geregelt ist und dass der Ministerpräsident auf die Bestimmung keinen Einfluss hat17. Soweit nicht eine Zugehörigkeit qua Amtes besteht18, werden die Mitglieder der Landesverfassungsgerichte ausschließlich vom Landtag gewählt19. Der Ministerpräsident hat mithin auf die Zusammensetzung der Landesverfassungsgerichte keinen Einfluss und hierdurch würde sich bei Einführung seiner Direktwahl nichts ändern. Auch insofern ist mithin eine Verschie___________ 16 Art. 65 Abs. 2 BaWüVerf; Art. 85 BayVerf; Art. 79 Abs. 1, Art. 80 BerlVerf; Art. 108 Abs. 1 BbgVerf; Art. 135 Abs. 1 BremVerf; Art. 62 Satz 1 HmbVerf; Art. 126 Abs. 2, Art. 128 HessVerf; Art. 76 Abs. 1 Satz 2 M-VVerf; Art. 51 Abs. 4 NdsVerf; Art. 3 Abs. 3 NRWVerf; Art. 121 RhPfVerf; Art. 110 SaarlVerf; Art. 77 Abs. 2 SächsVerf; Art. 83 Abs. 2 VerfLSA; Art. 43 Abs. 1 Satz 2 SchlHVerf; Art. 86 Abs. 2 ThürVerf. 17 Einzige Ausnahme ist Hamburg, wo die Landesregierung aber nur das Vorschlagsrecht für den Präsidenten und ein weiteres Mitglied hat (Art. 65 Abs. 2 HmbVerf). 18 So sind etwa nach Art. 134 Abs. 2 RhPfVerf der Präsident und der Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts stets Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs. 19 Art. 68 Abs. 3 BaWüVerf; Art. 68 Abs. 3 BayVerf; Art. 84 Abs. 1 Satz 2 BerlVerf; Art. 112 Abs. 4 Satz 1 BbgVerf; Art. 139 Abs. 2 BremVerf; Art. 65 Abs. 2 HmbVerf (Präsident und ein Mitglied aber auf Vorschlag der Landesregierung); Art. 130 Abs. 1, 2 HessVerf; Art. 52 Abs. 3 M-VVerf; Art. 55 Abs. 2 NdsVerf; Art. 76 Abs. 1 NRWVerf; Art. 134 Abs. 3 RhPfVerf; Art. 96 Abs. 1 SaarlVerf; Art. 81 Abs. 3 SächsVerf; Art. 74 Abs. 3 VerfLSA; Art. 79 Abs. 3 Satz 3 ThürVerf.

II. Die „Stärkung“ des Ministerpräsidenten

199

bung der Machtverhältnisse durch die Direktwahl des Ministerpräsidenten ausgeschlossen.

5. Fazit und Bedeutung für die weitere Untersuchung Können nennenswerte Auswirkungen einer Direktwahl der Ministerpräsidenten auf das Kräfteverhältnis von Regierung und Parlament gegenüber der Judikativen demnach ausgeschlossen werden, sind im Folgenden die Kräfteverhältnisse von Ministerpräsident bzw. Regierung einerseits und Parlament andererseits jetzt und nach einer Einführung der Direktwahl zu überprüfen. Sodann ist zu klären, welche Machtverteilung dem Ziel der Gewaltenteilung besser entspricht. Dabei geht es vor allem um die Frage, ob im einen oder anderen Fall ein Organ zu stark oder zu schwach ist bzw. wird. Erst im Anschluss an die Auswirkungen auf das Machtverhältnis selbst kann dann die Auswirkung auf die Transparenz dieses Machtverhältnisses und deren Bedeutung für die Kontrolle durch das Volk seinerseits einer näheren Betrachtung unterzogen werden20.

II. Die „Stärkung“ des Ministerpräsidenten Es wurde bereits festgestellt, dass die demokratische Legitimation des Ministerpräsidenten und mit ihm der Regierung durch eine Direktwahl des Ministerpräsidenten eine wesentliche Stärkung erfahren würde21.

1. Qualitative Beschreibung der neuen Position als Ziel Daraus wird regelmäßig der Schluss einer „Stärkung“ des Ministerpräsidenten gezogen22. Das erscheint durchaus nahe liegend, ist in dieser Allgemeinheit für eine Untersuchung des Machtverhältnisses zum Landtag aber nicht hinreichend. Spricht man von „Stärke“ lenkt dies – zumindest zunächst – den Blick allzu sehr auf eine quantitative Erfassung der Veränderungen, auf die „Menge an Macht“, die Machtfülle. Gerade im Hinblick auf die im Anschlusskapitel noch näher zu untersuchende und für das schon erörterte Fernziel einer Be___________ 20

Siehe § 8 IX. 2. Siehe § 7. 22 Etwa von Arnim, Staat ohne Diener, S. 324, 327 f.; Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 577 f. 21

200

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

kämpfung der Politikverdrossenheit23 viel wichtigere Art der Machtausübung sollte der Versuch indessen dahingehen, die neue Position des Ministerpräsidenten auch vollständig qualitativ zu erfassen. Erforderlich ist deshalb eine eingehendere Betrachtung der neuen Stärke des Ministerpräsidenten. Dies gilt umso mehr, als eine quantitativ exakte Erfassung von Macht unmöglich ist. Es könnte dabei von vornherein nur um die Frage gehen, ob der direkt gewählte Ministerpräsident mächtiger als die jetzigen Ministerpräsidenten wäre. Dies wiederum hängt von einem Geflecht aus zahlreichen verschiedenen Faktoren ab, von denen viele auch nichtstruktureller Natur sind, wie in der Tat z.B. die Persönlichkeit des jeweiligen Amtsinhabers24. Es ist deshalb folgerichtig, wenn etwa von Arnim zunächst zu der Frage Stellung bezieht, ob die Direktwahl dem Ministerpräsidenten „eine völlig andere Stellung“ verschafft (in diesem Fall im Verhältnis zu seiner Partei)25 und erst anschließend dazu, ob diese andere26 Stellung im Ergebnis stärker oder schwächer als die derzeitige Stellung ist27.

2. Die Relativität der Stärke des Ministerpräsidenten Das Zitat zeigt zugleich einen zweiten zu beachtenden Aspekt auf, nämlich die Relativität der Stärke. Wie stark oder schwach der Ministerpräsident ist, lässt sich nicht absolut feststellen, sondern nur in Bezug auf ein anderes Machtsubjekt. Als Bezugsgrößen kommen beim Ministerpräsident naturgemäß zunächst die übrigen Staatsorgane, aber auch Parteien28, Interessengruppen29, nachrangige Amtswalter30 und das Volk31 selbst in Betracht. Diese Relativität der Stellung des Ministerpräsidenten wurde bereits berücksichtigt, wenn zunächst Auswirkungen auf das Machtverhältnis zur Judikative untersucht wurden. Klassischer „Gegenspieler“ der Exekutiven im System der Gewaltenteilung ist indessen die Legislative. Weil das System der Checks and Balances ganz besonders der Ausbanlancierung des Verhältnisses dieser beiden Staatsgewalten dient, kann ein größerer Eingriff auf der einen Seite praktisch kaum ohne Einfluss auf die andere Seite bleiben. Für die weitere Untersuchung der ___________ 23

Siehe § 6 IV. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 158. 25 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 324. 26 Hervorhebung durch den Verfasser. 27 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 325 ff. 28 Dazu sogleich und § 9 IX. 29 Dazu § 9 VII. 4. 30 Gegenüber der nachgeordneten Verwaltung sind Veränderungen nur dann zu erwarten, wenn die Direktwahl zu einem Rückgang der Ämterpatronage führt und sich der Ministerpräsident deshalb innerhalb der Verwaltung weniger „Parteifreunden“ ausgesetzt sieht, auf die es Rücksicht zu nehmen gilt, s. dazu § 9 VI. 31 Siehe dazu bereits § 6 und unter dem Gesichtspunkt der Demagogie § 9 VIII. 24

II. Die „Stärkung“ des Ministerpräsidenten

201

Auswirkungen der Direktwahl auf dieses Systems bedeutet die Relativität, dass nicht etwa Ministerpräsident und Landtag gesondert betrachtet und sodann – im Sinne einer Bilanz – die Feststellung getroffen werden kann, welches Organ schwächer oder stärker wird. In Verbindung mit der erforderlichen qualitativen Betrachtung bedeutet sie vielmehr, dass von vornherein die Veränderungen auf das Verhältnis beider Organe zueinander zu untersuchen sind.

3. Kein zwingender Schluss von Stärkung eines Organs auf Schwächung des anderen Wichtiger noch als diese Erkenntnis ist, dass sich aus der Verbindung mit der Notwendigkeit einer qualitativen Betrachtung32 ein sonst nur allzu leicht aus der Relativität abzuleitender (Fehl-)Schluss von vornherein als jedenfalls nicht zwingend erweist: Eine Stärkung der einen Staatsgewalt geht gerade nicht zwingend mit einer Schwächung der anderen einher33. Vielmehr bleibt die aufgezeigte notwendige Herangehensweise offen für ein Endergebnis, wonach beide Staatsgewalten stärker werden (oder aber auch schwächer im Sinne einer gegenseitigen Lähmung). Eine rein quantitative Untersuchung zunächst des einen – in diesem Fall wohl des Ministerpräsidenten –, dann des anderen Organs und ein anschließender Vergleich mittels einer „Waagschalentechnik“ würde sich einem solchen Ergebnis von vornherein versperren, zumindest aber zu dem aufgezeigten Fehlschluss verleiten. Würde nämlich eine Stärkung des Ministerpräsidenten festgestellt und ginge man von einer begrenzten Menge an absolut zu verteilender Macht aus, nötigte dies zu dem Schluss auf einen Machtverlust beim Parlament. Die hier favorisierte Annäherung bleibt insoweit offen. Mehr noch rückt sie die Bedeutung einer abschließenden quantitativen Erfassung der Machtfülle beider Staatsorgane in den Hintergrund: Wenn etwa festgestellt würde, dass aufgrund der Direktwahl beide Staatsgewalten ihre Aufgaben effektiver wahrnehmen können, könnte sich die Untersuchung auf die konkreten Erkenntnisse hierzu beschränken und es bedürfte der aus den genannten Gründen ohnehin stets unzureichenden Antworten auf die Frage, wie „stark“ denn nun welches Organ letztlich wird, aus wissenschaftlicher Sicht überhaupt nicht mehr.

___________ 32

Siehe § 8 II. 1. A.A. für die kommunale Ebene offenbar Wehling, Politische Studien 1984, 27 ff. 32 („… starke Bürgermeister – und dementsprechend schwächere Räte …“). 33

202

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

III. Die Verschiebung in der Entscheidungszuständigkeit über die Person des Ministerpräsidenten als Ausgangspunkt Ausgangspunkt für die Untersuchung der Auswirkungen auf das Verhältnis von Ministerpräsident und Landtag müssen die Feststellungen zum Einflusszuwachs des Volkes auf die Person des Ministerpräsidenten bei Einführung einer Direktwahl sein34.

1. Prinzipieller Einflussschwund beim Landtag Nichts anderes als die Kehrseite dieses Einflusszuwachses ist ein Einflussschwund in dieser Frage beim Parlament35. Das gilt wie gezeigt36 selbst dann, wenn dem Parlament die Möglichkeit einer Abwahl erhalten bleibt. Formell ist der Landtag bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten für die Entscheidung dieser Personalfrage nicht mehr zuständig und dementsprechend wird auch der faktische Einfluss auf die Person des Ministerpräsidenten zumindest geringer. Aufgrund des weiterhin festgestellten Zusammenhangs zwischen Bestimmung und Kontrolle einerseits und Verantwortlichkeit andererseits37, wirkt sich dieser Einflussschwund des Parlaments auch zwingend auf die Verantwortlichkeit des Ministerpräsidenten gegenüber dem Parlament aus. Ein direkt gewählter Ministerpräsident wird sich eher am Volk orientieren, das ihn gewählt hat und von dem er sich eine Wiederwahl erhofft38. Auf den Landtag ist der Ministerpräsident dafür nicht mehr angewiesen. Insoweit ist eine Auswirkung der Direktwahl auf die Position des Ministerpräsidenten gegenüber dem Landtag zu attestieren39. Ob der Einfluss auf die Bestimmung des Ministerpräsidenten trotz formeller Unzuständigkeit des Landtages völlig oder auch nur weitgehend schwindet, ist eine andere Frage.

2. Einschränkung der Auswirkungen durch Parteienbindung Auch hier interessieren im Ergebnis nur die Auswirkungen auf die Verfassungswirklichkeit40 und für diese sind eine Reihe weiterer – insbesondere auch außerrechtlicher – Einflüsse mitbestimmend. Zuvorderst sind Bindungen auf___________ 34

Siehe § 6. Siehe bereits § 6 I. 2. b). Siehe § 6 I. 1. e) (5). 37 Siehe § 6 I. 2. a). 38 Siehe § 6 I. 2. c). 39 Für sich genommen im quantitativen Sinne eine Stärkung. 40 Siehe § 6 I. 1. b). 35 36

III. Die Verschiebung in der Entscheidungszuständigkeit

203

grund Parteizugehörigkeit zu nennen41. In letzter Konsequenz haben auch diese eine rechtliche Wurzel (Parteien- und Vereinsrecht), doch hat sich dem vorgelagert ein wesentlich feineres System politischer Bindungen herausgebildet. Diese parteipolitischen Bindungen42 gilt es für die zu erwartenden Auswirkungen der Direktwahl auf den Einfluss des Landtages zu berücksichtigen.

a) Die parteipolitische Bindung als Klammer Schon jetzt sei darauf hingewiesen, dass es sich bei der parteipolitischen Bindung des Ministerpräsidenten keineswegs um eine „Einbahnstraße“ handelt43. Zwar interessiert an dieser Stelle der Einfluss des Landtages auf den Ministerpräsidenten aufgrund dessen Zugehörigkeit zur Partei der Landtagsmehrheit. Soweit es sodann jedoch auch um die Einflüsse auf Sachentscheidungen geht, interessiert neben dem Einfluss auf das Parteimitglied Ministerpräsident auch dessen Einfluss auf die seiner Partei angehörenden Landtagsabgeordneten und damit das Kollegialorgan Landtag44. Wenn von parteipolitischer Bindung gesprochen wird, ist also stets zu berücksichtigen, dass diese in zwei Richtungen verläuft oder zumindest verlaufen kann und sich damit als eine Klammer zwischen Ministerpräsident und Parlament darstellt45.

b) Die parteipolitischen Bindungen des kandidierenden oder gewählten Ministerpräsidenten Die parteiinterne Bindung des (potentiellen) Ministerpräsidenten und der Einfluss der Partei46 auf den Ministerpräsidenten sind nicht stets gleich beschaffen. Sie variieren nicht nur zeitlich von Bundesland zu Bundesland und von Partei zu Partei, sondern sind auch ihrerseits wiederum von äußeren Einflüssen wie der politischen Gesamtlage, dem Vorhandensein von geeigneten Alternativen, dem Ansehen der verschiedenen Kandidaten etc. abhängig47. Gleichwohl lassen ___________ 41 Ungeachtet von deren Bewertung im Hinblick auf die Parteien (dazu § 9 IX.) und das Regierungssystem (zusammenfassend unter § 8 IX.). 42 Und die ihnen zugrunde liegenden Verflechtungen, s. Sachs, in ders., Art. 20 Rn. 92. 43 Das übersieht Borchert, S. 215. 44 Siehe § 8 V. 2. 45 Bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten ist allerdings zu beachten, dass seine Partei nicht unbedingt über die Mehrheit im Landtag verfügt, s. dazu § 8 IV. 3. 46 Ausgeübt wird dieser Einfluss in der Regel von den Funktionären der Parteien. 47 Die Behauptung Borcherts, S. 215, es sei nicht nachgewiesen, dass die Ministerpräsidenten zu sehr unter der „Knute“ ihrer Partei stünden, verkürzt deshalb die Problematik zu sehr.

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

204

sich im Hinblick auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand grob zwei Arten parteipolitischer Bindung unterscheiden.

(1) Das Aufstellen als Kandidat und die Unterstützung der Kandidatur durch die Parteien Eine besonders augenscheinliche Abhängigkeit des Ministerpräsidenten von seiner Partei ist diejenige im Zusammenhang mit der Aufstellung als Kandidat der Partei und der Unterstützung im Wahlkampf. Es wurde bereits ausgeführt, dass es dabei formal derzeit um den Landtagswahlkampf geht und in diesem Wahlkampf es einen Kandidaten um das Amt des Ministerpräsidenten im rechtstechnischen Sinne nicht gibt, dass es aber gleichwohl auch schon im jetzigen System faktisch mit um eine Präsidentschaftswahl geht und deshalb zumindest die großen Parteien stets Kandidaten für dieses Amt aufstellen48. Es liegt auf der Hand, dass als Folge dieser Gegebenheiten die Kandidaten einer Bindung an ihre Partei unterliegen. Zunächst einmal müssen sie in einem parteiinternen Auswahlprozess die Mehrheit innerhalb der eigenen Partei für sich gewinnen, d.h. bei den Parteimitgliedern (der „Basis“), zumindest aber bei den entscheidenden Funktionsträgern. Sodann sind sie auf die fortwährende Unterstützung der Partei bis zur Landtagswahl und zu ihrer anschließenden Wahl durch den Landtag angewiesen. Diese Abhängigkeit wirkt auch während der laufenden Wahlperiode, denn insoweit ist „nach der Wahl gleich vor der Wahl“. Zu seiner Wiederwahl benötigt der amtierende Ministerpräsident erneut die Unterstützung seiner Partei. Zwar mag diese Form von Abhängigkeit während einer Legislaturperiode etwas geschwächt sein, weil der Ministerpräsident während dieser Zeit nicht von einem aktiven Tun (der Ernennung) seiner Partei abhängig ist, sondern nur von einem Unterlassen (nämlich der Absetzung49). Wie schon gezeigt, ist jedoch in dieser Zeit auch seine Partei gegenüber der Bevölkerung, der öffentlichen Meinung, freier50 und kann sich51 eine parteiin___________ 48

Siehe § 6 I. 1. d). Dabei muss es sich nicht um die Abwahl im Wege eines formellen Misstrauensvotums des von der Partei beherrschten Landtages handeln. Von gleicher faktischer Wirkung kann ein Vertrauens-/Unterstützungsentzug in der Öffentlichkeit sein. So verhält es sich etwa bei der Abwahl aus dem Parteivorsitz, wenn dieser politisch mit dem Amt des Ministerpräsidenten verknüpft ist (praktisch wohl immer, wenn die Personenidentität erst einmal besteht). Ein Beispiel hierfür ist der Rücktritt Bernhard Vogels nach dem Verlust des Landesvorsitzes der CDU in Rheinland-Pfalz im Jahre 1988; eingehend dazu Haungs, ZParl 1989, 504 ff. 50 Siehe § 6 I. 1. e). 51 Siehe wiederum das Beispiel des ehemaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Vogel; s. näher Haungs, ZParl 1989, 504 ff. 49

III. Die Verschiebung in der Entscheidungszuständigkeit

205

terne Absetzung eher erlauben52. Auf die Ursachen dieses Ist-Zustandes – namentlich auf die Art und das Maß an erforderlicher Unterstützung im Wahlkampf – wird bei der Frage, ob nach einer Reform parteilose Ministerpräsidenten vorstellbar sind, noch zurückzukommen sein53. Bezogen auf Landtagsabgeordnete hat z.B. die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) diese Art parteipolitischer Bindung mit den Worten erfasst, sie „hoffe doch sehr, dass die SPD-Parlamentarier wissen, dass sie natürlich immer noch ein Stück der Partei verpflichtet sind, die sie aufgestellt und für sie Wahlkampf gemacht hat.“54

(2) Die Wahl in Parteiämter und die „Übertragung“ sonstiger Mandate Schon die Angewiesenheit auf Unterstützung durch die Partei im Landtagswahlkampf ist in aller Regel nicht ausschließlich eine Folge der Kandidatur um das Amt des Ministerpräsidenten. Zumeist bekleidet der Ministerpräsident gleichzeitig andere wichtige Parteiämter. Häufig ist er Landesvorsitzender seiner Partei55. Er trägt dann auch für das Abschneiden der Partei bei der eigentlichen Landtagswahl – für die Zahl der errungenen Stimmen und Mandate – die persönliche Verantwortung und ist auch insoweit auf die Unterstützung seiner Partei angewiesen. Das gilt auch umgekehrt: Der Erfolg der Partei und wenigstens der unbekannteren Listenkandidaten um Landtagsmandate56 hängt wesentlich vom Engagement und der Beliebtheit des „Spitzenkandidaten“ ab57. Gerade hier zeigt sich die beschriebene Gegenseitigkeit58 besonders deutlich. Ganz allgemein treten neben diese Abhängigkeit weitere Abhängigkeiten, die man ebenso allgemein als Folge weitergehender Ambitionen (neben dem oder über das Amt des Ministerpräsidenten hinaus) kategorisieren kann. Ein Ministerpräsident, der außerdem Landesvorsitzender seiner Partei sein will, bedarf der Unterstützung der Partei insoweit ebenso59, wie ein solcher, der zusätzlich ___________ 52

Das Volk kann dies erst bei der nächsten Landtagswahl wieder beurteilen, s. § 6 I. 1. e). 53 Dazu sogleich § 8 III. 2. c). 54 Interview in den Kieler Nachrichten v. 10. Mai 2003, S. 3. 55 So etwa viele Jahre der ehemalige saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine (SPD) und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU). 56 Überblick über das Listenwahlrecht in den Ländern bei von Arnim, JZ 2002, 578 ff., 581. 57 Weil insoweit unmittelbar nur die Parteien gewählt werden, s. von Arnim, JZ 2002, 578 ff., 582 f. 58 Siehe § 8 III. 2. a). 59 Zu sehen am Beispiel Bernhard Vogel in Rheinland-Pfalz, der sie bis 1988 hatte und dem sie dann versagt wurde, vgl. Haungs, ZParl 1989, 504 ff.

206

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

Landtagsabgeordneter sein will60. Völlig konkret lassen sich diese Abhängigkeiten nicht erfassen. Sie können sich im Extremfall zu regelrechten Absprachen verdichten (Unterstützung bei der parteiinternen Wahl gegen Unterstützung bei einer anderen Wahl, bei einer Sachabstimmung etc.). Sie können sich aber auch auf das diffuse (Unter-)Bewusstsein beschränken, im Laufe der (partei-)politischen Karriere in zwar noch nicht absehbarer Weise, dafür aber umso sicherer noch öfter auf die Unterstützung der Partei und ihrer Mächtigen angewiesen zu sein. Diese Abhängigkeiten, die nebenbei die Frage einer Trennung von Amt und Mandat61 aufwerfen62, sind einem laufenden Wandel und ständigen Wechselwirkungen mit anderen Machtfaktoren unterworfen, bleiben aber ständig zumindest latent vorhanden und sind gerade deswegen nicht zu unterschätzen. Einschränkungen sind entsprechend den Ausführungen zum faktischen Abhängigkeitsverhältnis von Politikern gegenüber dem Volk63 dort zu machen, wo der Ministerpräsident aus den genannten Gründen ohnehin am Ende seiner Laufbahn steht. Diese Ausnahme bestätigt indessen nur die Regel.

(3) Parteiinterne Strömungen und Einzelinteressen Charakteristisch für die parteininternen Bindungen sind neben dieser Diffusion ihrer Intensität und Erscheinungsform schließlich auch Variationen beim Subjekt „Partei“. Oft ist es nicht „die Partei“, die mit einer Stimme auf den Ministerpräsidenten (oder ein anderes Parteimitglied) einzuwirken versucht, sondern es sind parteiinterne Strömungen (Kreise um den Ministerpräsidenten ebenso wie parteiinterne Opposition) oder sogar einzelne Funktionsträger, die sich – nicht unbedingt im Sinne der Parteimehrheit oder überhaupt parteibezogen – mit einem Anliegen an „ihren“ Ministerpräsidenten wenden.

___________ 60

Wo beides miteinander vereinbar ist, haben in der Regel die Ministerpräsidenten den besten Listenplatz. 61 Dazu äußern sich etwa Althaus, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 17 f.; Bausewein, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 33 ff., 33 f.; Dewes, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 43 ff., 43 f.; von Hassel, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 52; Kretschmer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 56 ff.; Meyer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 65 ff.; z.T. m.w.Nachw. 62 Sie würden durch eine Trennung aber nicht beseitigt, weil Politiker auch die Zeit vor und nach Übernahme des Amtes oder Mandates im Auge haben (müssen). 63 Siehe § 6 I. 2. a).

III. Die Verschiebung in der Entscheidungszuständigkeit

207

c) Parteilose Ministerpräsidenten? Gegenüber dem bereits verworfenen Szenario, dass der faktische Einfluss des Landtages völlig unverändert bleibt, ist der denkbare Gegenpol ein völliger Einflussschwund. Dem stehen indessen die – mit Ausnahme evtl. des Misstrauensvotums – verbleibenden Instrumente parlamentarischer Kontrolle64 und die derzeit geringen Möglichkeiten der Einflussnahme durch gesetzliche Regelungen65 entgegen. Daneben hängt der verbleibende Einfluss davon ab, inwieweit bei einer Direktwahl auch die parteipolitischen Bindungen des Ministerpräsidenten entfielen. Die größte Unabhängigkeit von den Parteien ist bei einem parteilosen Ministerpräsidenten zu vermuten. Aufgeworfen ist damit die Frage, ob eine Direktwahl die Wahrscheinlichkeit der Wahl parteiloser Ministerpräsidenten erhöht.

(1) Die Wahl des Kandidaten der Mehrheitspartei als Folge parteipolitischer Verzahnung Im gegenwärtigen parlamentarischen System der Bundesländer tendiert diese Wahrscheinlichkeit gegen Null, obgleich sie theoretisch auch schon jetzt besteht. Das ist unmittelbare Folge der beschriebenen parteipolitischen Bindungen. Parteilose „Kandidaten“ gibt es schlicht nicht (weshalb ist sogleich nachzutragen). Das ist zwar theoretisch irrelevant, weil es im Landtagswahlkampf einen formellen Kandidaten um das Amt des Ministerpräsidenten ohnehin nicht gibt, so dass der Landtag nach seinem Zusammentritt auch einen Ministerpräsidenten wählen könnte, der keiner Partei angehört. Wie ausgeführt, gibt es jedoch im Landtagswahlkampf bei jenen Parteien, die sich eine Chance auf die Mehrheit der Landtagsmandate ausrechnen, zumindest aber bei den großen Parteien, einen Kandidaten, auf den der Wahlkampf sogar weitgehend zugeschnitten ist66. Aufgrund der parteipolitischen Verzahnung ist es dann praktisch unvorstellbar, dass die Mehrheitspartei oder die von ihr dominierte Koalition nicht diesen Kandidaten zum Ministerpräsidenten wählt. Schon weil es gerade das natürliche Bestreben der Parteien ist, Einfluss auf Entscheidungen im Staat zu gewinnen und sie einen solchen auf „ihren“ Kandidaten hat, wird sie ihn wählen, erst recht aber, weil sie umgekehrt auch ihm gegenüber in die Verantwortung getreten ist, als sie mit ihm und für ihn Wahlkampf geführt hat. Vor dem Hintergrund der öffentlichen Wahrnehmung wäre die Wahl eines anderen ohnedies kaum vorstellbar, sind doch in den Bundesländern die Kandidaten für ___________ 64

Dazu § 8 VII. Dazu § 8 VIII. 66 Siehe § 6 I. 1. d). 65

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

208

das Amt des Ministerpräsidenten quasi die Gallionsfiguren der Parteien, in deren Wettstreit sich das politische Gegeneinander der Parteien kristallisiert.

(2) Parteilose Kandidaten im gegenwärtigen Länderparlamentarismus? Darin liegt zugleich die Begründung, weshalb es im gegenwärtigen Länderparlamentarismus parteilose Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten nicht geben kann. Denn auf welche Landtagsabgeordneten sollte der parteilose Kandidat sich stützen? Wer sollte ihn nach der Landtagswahl wählen? Trotz aller äußerlichen Ähnlichkeit mit einer Präsidentschaftswahl67, handelt es sich um eine Parlamentswahl. Da die Parteien ausscheiden, blieben als „Wahlmänner“ nur ebenfalls parteilose Landtagsabgeordnete. Zum einen gibt es solche aber im gegenwärtigen Landesparlamentarismus nicht in nennenswerter Zahl. Dies ist im Wesentlichen eine Folge des Wahlrechts, worauf an anderer Stelle noch zurückzukommen sein wird68. Zum anderen würde das „Setzen auf parteilose Abgeordnete“ – soll es den Aufwand einer Kandidatur mittels einer realistischen Chance auf deren Unterstützung rechfertigen – ein Mindestmaß an politischer Einigung und Organisation mit diesen erfordern. Dann aber ist man schon wieder bei einer neuen Partei oder zumindest Wählervereinigung anbelangt. Es lässt sich mithin festhalten, dass parteilose Kandidaten um das Amt des Ministerpräsidenten dem gegenwärtigen Länderparlamentarismus systemfremd sind. Dementsprechend spielen parteilose Ministerpräsidenten in der Praxis keine Rolle. Es gab sie nur vereinzelt kurz nach der Schaffung der Bundesländer in der unmittelbaren Nachkriegszeit69 und im Saarland in den Jahren 1955 bis 195670. Seitdem gab es in Deutschland keinen parteilosen Ministerpräsidenten mehr.

(3) Parteilose Kandidaten bei Direktwahl nicht mehr systemwidrig Die beiden vorgenannten, parteilose Ministerpräsidenten gegenwärtig verhindernden systemimmanenten Gründe fielen bei einer Direktwahl weg. Über die Person des Ministerpräsidenten entschiede nicht die Mehrheitspartei, sondern das Volk und für die Wahl als solche wäre keine Organisation mit Parla___________ 67

Vgl. § 6 I. 1. d). Siehe § 11 IV. 1. a). 69 Namentlich Rudolf Petersen (Hamburg 1945 bis 1946), Erich Vagts (Bremen 1945), Arthur Werner (Berlin 1945 bis 1946), Rudolf Amelungxen (Nordrhein-Westfalen 1946 bis 1947), Karl Geiler (Hessen 1945 bis 1947), Fritz Schäffer (Bayern 1945). 70 Heinrich Welsch. 68

III. Die Verschiebung in der Entscheidungszuständigkeit

209

mentariern (bzw. Kandidaten für Landtagsmandate) mehr erforderlich. Das lässt parteilose Ministerpräsidenten zunächst wahrscheinlicher erscheinen71. Dafür spricht auch ein Vergleich mit den politischen Systemen auf kommunaler Ebene. Hier führt die Direktwahl der Bürgermeister zu einem verhältnismäßig hohen Anteil parteiloser Bürgermeister. So war in Baden-Württemberg schon in den 1980er Jahren die Hälfte aller Bürgermeister parteilos72. Ferner spricht für eine solche Wahrscheinlichkeit die Beobachtung, dass die Besetzung von politischen Ämtern häufig gerade dann mit parteilosen Kandidaten erfolgt, wenn sich zwei oder mehr Parteien auf eine Person verständigen müssen, sich mithin die parteipolitischen Einflüsse gegenseitig neutralisieren und sich nicht auswirken können73. Jedenfalls wären parteilose Ministerpräsidenten nicht mehr systemfremd.

(4) Unvermindertes Bestreben der Parteien zur „politischen Willensbildung“ beim Volk Indessen hängt das Erscheinen von parteilosen Ministerpräsidenten noch von weiteren Faktoren ab, welche seine Wahrscheinlichkeit wieder relativieren. Wegen den diesbezüglich unveränderten bundesrechtlichen und -politischen Gegebenheiten, der Gewachsenheit der politischen Kultur, den damit einhergehenden Denkstrukturen in der Bevölkerung und dem allgemeinen Bestreben, sich zur Durchsetzung politischer Interessen zu vereinigen, das auch in klassischen Präsidialsystemen zu Parteienbildung und -macht führt74, ist zu erwarten, dass sich das Bemühen der Parteien, Einfluss auf die Bestimmung des Ministerpräsidenten zu nehmen, in gleichem Maße, wie die formelle Zuständigkeit ihrer Abgeordneten abnimmt, verstärken wird. Und zu einer „Unzuständigkeit“ der Parteien würde die Direktwahl ja auch nicht führen. Bei der Willensbildung in der Bevölkerung im Hinblick auf die Person des Ministerpräsidenten wirken sie weiterhin mit. Die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung ist nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ihre ureigenste Aufgabe, und eine Regelung, wonach ___________ 71

So auch Möller, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 75 ff.,

80.

72

Wehling, Politische Studien 1984, S. 27 ff., 33; ders., in: Schimanke, S. 84 ff., 88. Ein Beispiel hierfür ist die Ernennung von Gernot Piestert zum Chef der Berliner Schutzpolizei im Jahre 1993. Der parteilose Piestert wurde nach eigenem Bekunden nur deshalb ernannt, weil „sich die große Koalition weder auf den Kandidaten mit CDUnoch auf den mit SPD-Parteibuch hat einigen können“, wiedergegeben bei Plarre, TAZ v. 29. April 2002, S. 23. 74 Siehe vor allem die Zugehörigkeit der überwiegenden Zahl amerikanischer Präsidenten und Gouverneure (der Gliedstaaten) zur demokratischen oder republikanischen Partei. 73

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

210

es den Parteien verwehrt ist, bei der Wahl in Erscheinung zu treten, wird deshalb für die Wahl des Ministerpräsidenten auch nicht diskutiert. Damit ist zumindest davon auszugehen, dass es beim Aufstellen von Kandidaten – die dann auch formell echte Kandidaten wären – durch die großen Parteien bleibt. Diese würden nach wie vor bei jeder Wahl antreten und vermutlich von den Parteien noch stärker in den Vordergrund gerückt und noch stärker als jetzt unterstützt werden. Mit ihnen müssten es parteilose Kandidaten politisch aufnehmen, sich also zunächst einmal politisch positionieren und abgrenzen. Das schließt parteilose Kandidaten nicht aus. Wie aber auch der Vergleich mit anderen Präsidialsystemen zeigt75, lässt es jedenfalls keine politischen Landschaften aus parteilosen Kandidaten und Ministerpräsidenten erwarten, sondern eher deren vereinzeltes Auftreten vor besonderen Hintergründen (z.B. Skandale innerhalb der großen Parteien in einem Land, Parteiaustritt eines im Volk angesehenen Kandidaten, Antreten als Kandidat für eine Gegenposition in einer ein Bundesland aktuell besonders bewegenden Frage).

(5) Der organisatorische und finanzielle Aufwand einer Kandidatur um das Amt des Ministerpräsidenten Dies gilt umso mehr, wenn man neben dem politischen Rahmen auch die für die Prognose ebenso wichtigen praktischen Gegebenheiten betrachtet. Wesentlich stärker noch als ein Wahlkampf in Gemeinden76 – dort freilich auch von der Größe abhängig – setzt ein Wahlkampf auf Landesebene heute ein hohes Maß an Organisation und eine lange Vorbereitung voraus77. Ein Wahlkampf erfordert den gezielten Einsatz von Massenmedien, auf Landesebene vor allem des Regionalfernsehens78 und regionaler Printmedien79. Dies muss koordiniert und zumindest vorfinanziert werden. De facto ebenso zwingend ist die Aufstellung einer potentiellen Regierungsmannschaft80, des sog. Schattenkabinetts. Der Wähler will wissen, mit wem er es nach der Wahl ggf. zu tun bekommt. Diese Mannschaft gilt es der Öffentlichkeit zu präsentieren und im Einzelnen ___________ 75

ff.

76

Seihe z.B. für die USA Lowi/Ginsberg, S. 168 ff.; McKay, S. 80 ff.; Röder, S. 261

Vgl. Gerster, in: Althaus, S. 159 ff. Althaus, in: ders., S. 198 ff.; Busenbender, in: Althaus, S. 139 ff.; Meyer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 65 ff., 73; Steinseifer-Pabst/Wolf, S. 50 ff.; eingehend Strohmeier. 78 Hier besteht ein Unterschied zum Kommunalwahlkampf. Auf eine Gemeinde bezogene Fernsehsender gibt es derzeit nur in wenigen deutschen Großstädten, von denen lediglich München nicht zugleich Bundesland ist. 79 Steinseifer-Pabst/Wolf, S. 95 ff. 80 Steinseifer-Pabst/Wolf, S. 62 ff. 77

III. Die Verschiebung in der Entscheidungszuständigkeit

211

zu positionieren. Dafür muss ein Programm erstellt werden. Öffentliche Auftritte und Äußerungen müssen aufeinander abgestimmt werden. Dies alles erfordert professionelles Wahlkampfmanagement (sog. political consulting)81, das der Kandidat nicht alleine bewältigen kann. Es bleibt praktisch nur der Rückgriff auf eine Partei, deren Stab an freiwilligen Helfern und ihre Wahlkampfkasse oder aber das Anheuern professioneller Wahlkampfmanager82 und deren Finanzierung aus Eigenmitteln und Spenden (sog. Fundraising83). Dies kommt in Präsidialsystemen, wie ein Vergleich mit den USA84 zeigt, durchaus vor, ist aber nicht der Regelfall. Die überwiegende Anzahl an Kandidaten tritt auch in Präsidialsystemen für eine Partei an, wenngleich im Hinblick auf die Unterstützung durch die Partei von Land zu Land erhebliche Unterschiede bestehen85. Im Hinblick auf die Anforderungen an den Wahlkampf sind die Bundesländer desto weniger mit Kommunen86 vergleichbar und desto mehr mit anderen Präsidialsystemen, je größer an Fläche und v.a. Einwohnerzahl sie sind, so dass die Wahrscheinlichkeit von parteilosen Ministerpräsidenten in den Stadtstaaten noch am höchsten sein dürfte. Leichter hat es auch diesbezüglich ein Ministerpräsident, der zur Wiederwahl antritt87, weil er bereits bekannt ist und seine Auftritte als Amtsinhaber für Öffentlichkeitsarbeit nutzen kann.

(6) Zwischenergebnis: Parteilose Ministerpräsidenten nicht zu erwarten Als Zwischenergebnis lässt sich mithin festhalten, dass eine Direktwahl der Ministerpräsidenten die prinzipielle Möglichkeit parteiloser Ministerpräsiden___________ 81 Althaus, in: ders., S. 198 ff.; Gerster, in: Althaus, S. 159 ff., 161 ff.; SteinseiferPabst/Wolf, S. 70 f. 82 Oft beauftragen die Parteien ebenfalls zusätzlich professionelle Wahlkampfmanager. 83 Oldopp, in: Althaus, S. 103 ff. 84 Etwa die Kandidatur des texanischen Ölmilliardärs Ross Perot um das Amt des amerikanischen Präsidenten in den Jahren 1992 und 1996 (bei der zweiten Kandidatur für eine von ihm zwischenzeitlich gegründete und finanzierte Partei). 85 Gerade in den USA führen die Parteien nicht den Wahlkampf für die Kandidaten, Althaus, in: ders., S. 198 ff., 200, weshalb es dort relativ häufig zum Einsatz von Eigenmitteln und der Kandidatur von – oft bis dahin politisch kaum in Erscheinung getretenen – reichen Privatpersonen kommt, s. etwa die Kandidatur von Arnold Schwarzenegger um das Amt des kalifornischen Gouverneurs bei einem Recall (eine Art Misstrauensvotum durch das Volk, näher § 11 II 5 b) im Jahre 2003. Gerade den Aspekt, kein Geld der Interessenverbände zu brauchen, weil er selbst genügend habe, hob er im Wahlkampf besonders hervor, s. „Arnold Schwarzenegger will in Kalifornien aufräumen“, Die Welt v. 07. August 2003. 86 Dort kann u.U. auch ein verhältnismäßig kostengünstiger Wahlkampf geführt werden, s. Gerster, in: Althaus, S. 159 ff. 87 So auch Steinseifer-Pabst/Wolf, S. 57.

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

212

ten eröffnen würde, dass dies aber in der Praxis eine Einzelerscheinung bleiben würde88. Auch bei Einführung der Direktwahl ist zu erwarten, dass im Regelfall die Ministerpräsidenten einer der großen Parteien angehören werden. Das verdient besondere Beachtung auch im Hinblick auf die noch vorzunehmende Untersuchung der Veränderungen durch die Reform auf die Parteien89.

d) Kohabitationen („divided governments“) Gleichfalls entfielen die parteipolitischen Bindungen gegenüber der Landtagsmehrheit, wenn vom Volk ein Ministerpräsident gewählt würde, der einer anderen Partei angehört. Solche Kohabitationen – man spricht auch etwas ungenau vom „divided government“ – wären ebenso wie parteilose Ministerpräsidenten nicht mehr systemwidrig. Sie sind von den Voraussetzungen her sogar wahrscheinlicher als parteilose Ministerpräsidenten, weil der gewählte Kandidat im Wahlkampf ja die finanzielle und organisatorische Unterstützung einer Partei hatte (nur eben einer anderen als derjenigen, die im Landtag über die Mehrheit verfügt).

(1) Entfallen des „Link“ zwischen Partei und Ministerpräsident Für das Auftreten von Kohabitationen sprechend auch die Erkenntnisse bei der Untersuchung der derzeitigen Verlinkung zwischen Partei und Kandidat: Es gibt durchaus politische Stimmungslagen, wonach die Mehrheit in der Bevölkerung die eine Partei, aber die als Ministerpräsident kandidierende Person der anderen Partei bevorzugt90.

(2) Auswirkungen des Zeitpunktes der Direktwahl Das lenkt den Blick auf einen weiteren bedeutsamen Aspekt, nämlich den Zeitpunkt der Direktwahl. Sind schon bei zeitgleicher Wahl von Ministerpräsident und Landtag jedenfalls vereinzelt Kohabitationen in der Praxis zu erwarten, gilt dies erst recht bei einem zeitlichen Auseinanderfallen. Fänden Land___________ 88 So auch Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 23; Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 156; Meyer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 65 ff., 73 f.; Möller, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 75 ff., 80. 89 Siehe § 9 IX. 90 Siehe § 6 I. 1. c) (3).

III. Die Verschiebung in der Entscheidungszuständigkeit

213

tags- und Präsidentschaftswahl jeweils um eine halbe (gleich lange) Amtsperiode versetzt statt, kommt nämlich die Möglichkeit einer Reaktion des Volkes auf die Tätigkeit der Parteien im Landtag bei der Wahl des Ministerpräsidenten (oder umgekehrt) hinzu und ließe Kohabitationen noch einmal wesentlich wahrscheinlicher werden. In welchem Rhythmus die Direktwahl ggf. stattfinden sollte, hängt aber noch von weiteren Faktoren ab und soll deshalb erst später abschließend beurteilt werden91. Im vorliegenden Zusammenhang genügt die Feststellung, dass es bei einer Volkswahl des Ministerpräsidenten zu Kohabitationen kommen kann und dann eine Parteienbindung des Ministerpräsidenten gegenüber dem Landtag bzw. der Landtagsmehrheit entfällt.

e) Die Bindung gegenüber „fremden“ Parteien Vorweggenommen sei an dieser Stelle bereits, dass auch bei einem der Mehrheitspartei angehörenden Ministerpräsidenten zumindest eine Form der parteipolitischen Bindung entfiele, nämlich jene an den Koalitionspartner. Wie im Rahmen der Untersuchung der Veränderungen innerhalb der Landtage noch näher auszuführen sein wird92, entfällt bei einer Direktwahl das Bedürfnis für die Bildung von Koalitionen, so dass ein direkt gewählter Ministerpräsident nur noch an seine Partei gebunden wäre. Für die Bewertung dieses neuen Freiraums ist ein Weiteres zu beachten: Mit dem Entfallen von Koalitionsverträgen entfällt auch eine – ungeachtet der Frage ihrer rechtlichen Verbindlichkeit93 – starke formale Bindung94. Das Festschreiben eines Programms für die Regierungsarbeit nach einer Landtagswahl im Koalitionsvertrag engt die Spielräume des Ministerpräsidenten nämlich deutlich ein, schon weil es einen Begründungszwang für das Abweichen vom „Vertrag“ schafft und Gegnern innerhalb der Koalition einer aus sachlichen Erwägungen zu treffenden Entscheidung die Berufung auf einen Text, etwas „Geschriebenes“ ermöglicht.

f) Veränderungen im Verhältnis zur eigenen (Mehrheits-)Partei Der aufgrund seiner voraussichtlichen Häufigkeit bedeutsamste Fall ist damit auch bei einer Direktwahl die jetzige Konstellation, dass im Landtag die Partei des Ministerpräsidenten wenigstens eine relative Mehrheit hat. ___________ 91

Siehe § 11 II. 2. Siehe § 8 V. 3. e). 93 Vgl. Degenhart, Rn. 435; Hesse, Rn. 178; Katz, Rn. 407; jeweils m.w.Nachw. 94 Vgl. Jun, S. 26 ff. 92

214

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

(1) Parteienbindung auch bei Direktwahl Die beschriebenen Bindungen95 gegenüber dieser bestehen grundsätzlich fort. Sowohl ist der direkt gewählte Ministerpräsident seiner Partei gegenüber wegen deren Unterstützung im Wahlkampf verpflichtet, als auch muss er die Parteiinteressen im Hinblick auf zugleich ausgeübte Parteiämter und seine weitere politische Laufbahn berücksichtigen.

(2) Volksbindung als Antagonist zur Parteienbindung Neben diese Bindung gegenüber seiner Partei tritt beim direkt gewählten Ministerpräsidenten jedoch die bereits festgestellte und beschriebene Bindung gegenüber dem Volk96. Diese wirkt als Gegenspieler zur Parteienbindung. Denn noch weniger als sich der Ministerpräsident einen Verlust der Unterstützung seiner Partei erlauben kann, kann er auf das Vertrauen des Volkes verzichten. Es entsteht die Möglichkeit für einen Ministerpräsidenten, sich um der Sache willen von seiner Partei zu distanzieren, ohne damit automatisch jede Chance auf eine Wiederwahl zu verlieren. Das bestätigt die Untersuchung Wehlings zu den unterschiedlichen Auswirkungen der Kommunalverfassungen mit und ohne Direktwahl des Bürgermeisters97. Gerade die Süddeutsche Ratsverfassung, nach welcher der Bürgermeister schon seit jeher direkt gewählt wird98, verhindert eine Politisierung der Kommunalverwaltungen, weil diese vom Bürger bestraft wird. Wehling weist sogar Entfremdungserscheinungen des direkt gewählten Verwaltungschefs von seiner Partei nach, etwa bei HansJochen Vogel und Georg Kronawitter in München99. Dem entsprechen die Erfahrungen nach Einführung der Direktwahl des Regierungschefs in Israel100.

(3) Fazit: Stärkung gegenüber der eigenen Partei Mit von Arnim ist deshalb – und das räumen auch Kritiker eines präsidialen Regierungssystems ein101 – als Fazit festzuhalten, dass dem direkt gewählten Ministerpräsidenten im Verhältnis zu seiner Partei eine andere – und zwar stärkere – Stellung verschafft wird, weil der Ministerpräsident in letzter Konse___________ 95

Siehe § 8 III. 2. b). Siehe § 6 I. Wehling, Politische Studien 1984, S. 27 ff. 98 Vgl. § 2 III. 3. a) (4). 99 Wehling, Politische Studien 1984, S. 27 ff. 100 Siehe § 2 IV. 2. 101 Van Ooyen, RuP 36 (2000), 165 ff., 167. 96 97

IV. Kompensierung?

215

quenz notfalls auch ohne Unterstützung seiner Partei eine Chance auf eine Wiederwahl hat, wenn es ihm gelingt, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen102. Im Regelfall wird der Ministerpräsident aber bemüht sein, die verschiedenen Interessen (so sie verschieden sind) zu einem Ausgleich zu bringen103. Dabei kann er sich den Antagonismus zu Nutze machen, indem er notfalls publik macht, wo seine Partei oder Teile davon sachfremde Interessen verfolgen (und sich so bei der Bevölkerung Ansehen verschafft) und indem er mit Hilfe der Partei auf die politische Willensbildung in der Bevölkerung Einfluss nimmt und diese von der sachlichen Notwendigkeit einer Entscheidung überzeugt. Mit diesen Veränderungen steht aber immer noch kein zwingender Einflussschwund beim Parlament auf die Tätigkeit des Ministerpräsidenten fest. Dies hängt vielmehr von der näheren Ausgestaltung und den weiteren Veränderungen ab, die die Direktwahl bewirken würde.

IV. Kompensierung durch Mitwirkung des Landtages bei der Regierungsbildung? Als weitere Schiene für einen Einfluss des Landtages auf den Ministerpräsidenten kommt dessen etwaige Mitbestimmung bei der Regierungsbildung in Betracht.

1. Regierungsbildung nach der Frankfurter Intervention Nach dem Grundmodell der Frankfurter Intervention sind die Minister vom Ministerpräsidenten zu ernennen und bedürfen ihrer Bestätigung durch den Landtag104. Eine solche Bestätigung würde unabhängig von der Parteizugehörigkeit des Ministerpräsidenten dem Landtag wieder Einfluss auf den Ministerpräsidenten verschaffen. Zwar könnte der Landtag nicht über die Person des Ministerpräsidenten entscheiden und es wäre auch nicht möglich, sämtliche Regierungsmitglieder gegen den Willen des Ministerpräsidenten zu bestimmen. Formell wäre es aber möglich, vom Ministerpräsidenten gewünschte Regierungsmitglieder zu verhindern. Je nach Ausgestaltung der Bestätigung105 ginge dies mehr oder weniger präzise. Grundsätzlich hätte aber der Landtag die Mög___________ 102 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 324; auch ders., Vom schönen Schein, S. 159; ebenso Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157. 103 Siehe zum Maßstab § 9. 104 Siehe § 5 III. 5. c). 105 Bestätigung der Regierung als Ganzes oder Bestätigung jedes einzelnen Regierungsmitglieds.

216

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

lichkeit, auch wegen eines einzelnen unliebsamen Vorschlages des Ministerpräsidenten die Regierung scheitern zu lassen. Es steht auch durchaus zu erwarten, dass sich die Landtagsmehrheit mit ihrer Meinung zu einzelnen, vorab in der Öffentlichkeit diskutierten oder vom Ministerpräsidenten ins Spiel gebrachten potentiellen Regierungsmitgliedern nicht zurückhalten würde und versuchen würde, schon im Vorfeld Einfluss auf die Bestimmung zu nehmen. Bei einer ablehnenden Haltung gegenüber einem Anwärter hätte der Ministerpräsident dann die Möglichkeit, es „darauf ankommen zu lassen“. Die Landtagsparteien müssten sich überlegen, ob sie das vorgeschlagene Regierungsmitglied dann tatsächlich nicht bestätigen und ggf. einen Ansehensverlust in der Bevölkerung in Kauf nehmen. Durch einen solchen Machtkampf würde der Ministerpräsident aber zumindest eine Verzögerung bei der Regierungsbildung, im äußersten Fall sogar eine öffentliche Niederlage riskieren. Ein gewisser Anreiz für eine Rücksichtnahme auf die Landtagsmehrheit schon bei der Ernennung der Regierungsmitglieder ist damit gegeben; das gilt ganz besonders bei Zughörigkeit des Ministerpräsidenten zur Mehrheitspartei. Angesichts der politischen Kultur in Deutschland ist vor einem solchen Hintergrund auch rasch wieder die Gefahr von Absprachen gegeben, wie etwa „vier Regierungsmitglieder nach Wunsch der Landtagsmehrheit, vier nach Wunsch des Ministerpräsidenten“. Man kennt dies z.B. von der Ernennung der Bundesverfassungsrichter, wo ebenfalls eine regelrechte Vereinbarung zwischen den Parteien über die Verteilung nach Parteienproporz besteht106. Verfügt keine Partei über die absolute Mehrheit, geht mit der Wahrscheinlichkeit von Absprachen zugleich die Wahrscheinlichkeit von Koalitionen einher. Im Ergebnis würde nach dem Modell der Frankfurter Intervention die Unabhängigkeit des direkt gewählten Ministerpräsidenten damit aufgrund der Regierungsbildung deutlich abgeschwächt bzw. gar nicht erst entstehen. Damit ist die Gegenargumentation Kleins107 bezogen auf das Modell der Frankfurter Intervention zutreffend. Maurer bezeichnet dies als Wiedereinführung des parlamentarischen Regierungssystems „durch die Hintertüre“108.

___________ 106

Vgl. Maurer, Staatsrecht I, § 20 Rn. 15 f.; Müller, FAZ v. 02. März 2001, S. 12. Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 578 f. 108 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157; ebenso von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 374; der Sache nach auch Meyer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 65 ff., 72. 107

IV. Kompensierung?

217

2. Alternative Modelle der Regierungsbildung Anders verhielte es sich, wenn der Ministerpräsident in der Regierungsbildung frei wäre und der Landtag auf eine Kontrolle der Tätigkeit dieser Regierung109 beschränkt wäre. Es käme dann zu der festgestellten Abschwächung des Einflusses des Landtages, der lediglich durch eine etwaige Parteienbindung abgeschwächt wäre. Ebenso verhielte es sich natürlich, wenn das Volk die gesamte Regierung unmittelbar wählen würde110.

3. Fazit: Alleinige Regierungsbildung durch Ministerpräsident als Grundlage für die weitere Untersuchung Ohne dass die Frage der sinnvollsten Form der Regierungsbildung in den Bundesländern an dieser Stelle abschließend beantwortet werden soll111, lässt sich damit jedenfalls feststellen, dass die Alternativmodelle im Hinblick auf das Ziel einer größeren Unabhängigkeit des Ministerpräsidenten vom Landtag – und umgekehrt112 – bzw. einer Stärkung des Ministerpräsidenten konsequenter und damit Erfolg versprechender sind. Geht man mit dem Verfasser davon aus, dass eine Bestätigung der Minister durch die Landtage die Folgen der Direktwahl für die Gewaltenteilung in den Bundesländern wieder weitgehend zurücknehmen würden113, oder sogar davon, dass es sich dabei um die Wiedereinführung des parlamentarischen Regierungssystems „durch die Hintertüre“ handelte114, sind bei Zugrundelegung des herrschenden Reformmodells weitere Untersuchungen zum Verhältnis von Exekutive und Legislative nicht angezeigt. Es bliebe dann insoweit bei Einführung der Direktwahl im Wesentlichen alles beim Alten. Für die weitere Untersuchung zu diesem Gegenstand soll deshalb nicht das Modell der Frankfurter Intervention sondern das Modell einer alleinigen Regierungsbildung durch den Ministerpräsidenten zugrunde gelegt werden. Wer sich der These des Verfassers vom Zusammenhang zwischen einer Beteiligung des Landtages bei der Regierungsbildung und einem Einfluss auf den Ministerpräsidenten nicht anzuschließen vermag, kann die folgenden Betrachtungen auf das Modell der Frankfurter Intervention übertragen.

___________ 109

Siehe dazu § 8 VII. Vgl. zu diesen Alternativvorschlägen § 5 III. 5. d) und § 11 I. 6. Siehe zur Frage der Volkswahl nur des Ministerpräsidenten, der ganzen Regierung oder aller Regierungsmitglieder einzeln § 11 I. 6. 112 Siehe dazu § 8 VI.-VIII. 113 So auch die Argumentation von Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 578 f. 114 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157. 110 111

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

218

4. Annex: Stabilisierung der Landesregierungen Als Folge fehlender Mitwirkung der Landtage an der Regierungsbildung und des Entfallens von Koalitionen115 würden die Landesregierungen deutlich unempfindlicher gegenüber politisch instabilen Verhältnissen im Landtag werden116. Derart schwache Regierungen wie diejenige des Hamburger Regierenden Bürgermeisters Ole von Beust (CDU) von 2001 bis 2003, nur notdürftig getragen von einer Koalition aus CDU (die sich nur auf einen Stimmenanteil von 26 % bei der vorangegangenen Landtagswahl stützen konnte), FDP und Schill-Partei und folgerichtig auch gescheitert, gäbe es nicht mehr117.

V. Der Landtag als pluralistisches Organ und die Parteien Ob und welche weiteren Veränderungen im Verhältnis von Ministerpräsident und Parlament die Direktwahl zur Folge hätte, ist weniger augenscheinlich. Betrachtet man den Reformvorschlag als solchen, finden schließlich mit evtl. einer Ausnahme bei den Kontrollmitteln (Misstrauensvotum) unmittelbar keine weiteren Veränderungen im Kompetenzgefüge mehr statt. Es geht hier mithin um mittelbare Folgen, die sich nur über die Aufdeckung von Kausalzusammenhängen mit relativer Sicherheit vorhersagen lassen.

1. Untersuchungsumfang: Funktion und weitere Aufgaben des Landtages Dazu ist zunächst einzugrenzen, durch welche Regelungsmechanismen das Kompetenz- und Machtgefüge von Ministerpräsident und Landtag bestimmt wird. Die Bestimmung des Ministerpräsidenten ist nach den Systemen der Landesverfassungen Teil des jeweiligen Regelungskomplexes über die Regierung118 und dort die entscheidende Verbindung zur Legislative. Diesen Regelungskomplexen vorangestellt ist jeweils ein Abschnitt über den Landtag als solchen, in welchem dessen grundlegende Funktion und seine wichtigsten Auf___________ 115

Näher § 8 V. 3. e). Ebenso von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 377 f.; Schneider, S. 103 f. 117 Von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 378, nennt als weiteres Beispiel die SPD-/PDS-Koalition in Berlin unter Klaus Wowereit (SPD). 118 Artt. 45 ff. BaWüVerf; Artt. 43 ff. BayVerf; Artt. 55 ff. BerlVerf; Artt. 82 ff. BbgVerf; Artt. 107 ff. BremVerf; Artt. 33 ff. HmbVerf; Artt. 100 ff. HessVerf; Art. 41 ff. M-VVerf; Artt. 28 ff. NdsVerf; Artt. 51 ff. NRWVerf; Artt. 98 ff. RhPfVerf; Artt. 86 ff. SaarlVerf; Artt. 59 ff. SächsVerf; Artt. 64 ff. VerfLSA; Artt. 26 ff. SchlHVerf; Artt. 70 ff. ThürVerf. 116

V. Der Landtag als pluralistisches Organ und die Parteien

219

gaben normiert sind119. Hier finden sich weitere Verbindungen zur Exekutive. Der Funktion des Landtages als Vertretung des ganzen Volkes entspricht eine grundsätzliche Allzuständigkeit des Landtages für die Befassung mit Landesangelegenheiten, soweit diese nicht auf Regierung oder Rechtsprechung übertragen sind. Zwei konkrete – klassisch parlamentarische – Aufgaben verbleiben jedoch nach allen Landesverfassungen stets den Landtagen: Nach allen Landesverfassungen übt der Landtag die gesetzgebende Gewalt aus und nach allen Landesverfassungen überwacht er die Ausübung der vollziehenden Gewalt, jeweils nach näherer Maßgabe der Verfassung120. Besonders die zweite Aufgabe (Kontrolle) verknüpft die Tätigkeit der Landtage mit der Funktion der Exekutive. Nichts anderes gilt aber für die Gesetzgebungsfunktion, denn Hauptaufgabe der Exekutiven ist gerade die Vollziehung der Gesetze121 (wenngleich nicht ausschließlich von Landesgesetzen). Diese Aufgaben und vor allem ihre praktische Umsetzung bestimmen neben der Frage der unmittelbaren Bestimmung des Ministerpräsidenten mithin ganz wesentlich das Verhältnis von Exekutive und Legislative. Damit ist zugleich der notwendige aber auch hinreichende Gegenstand der weiteren Untersuchung konkretisiert.

2. Die Willensbildung im Landtag Zuvor ist jedoch noch ein Aspekt zu beleuchten, der sämtliche dieser Untersuchungsgegenstände betrifft. Sowohl die Gesetzgebung als auch die Kontrolle besteht im Kern aus dem Treffen (oder Unterlassen) einer Entscheidung und dem vorgeschalteten Entscheidungsprozess, namentlich der Entscheidung, ein bestimmtes Gesetz zu erlassen oder eine bestimmte Kontrollmaßnahme zu ergreifen. Um klären zu können, wie sich eine Direktwahl des Ministerpräsi___________ 119

Artt. 27 ff. BaWüVerf; Artt. 13 ff. BayVerf; Artt. 38 ff. BerlVerf; Artt. 55 ff. BbgVerf; Artt. 75 ff. BremVerf; Artt. 6 ff. HmbVerf; Artt. 75 ff. HessVerf; Art. 20 ff. M-VVerf; Artt. 7 ff. NdsVerf; Artt. 30 ff. NRWVerf; Artt. 79 ff. RhPfVerf; Art. 65 ff. SaarlVerf; Artt. 39 ff. SächsVerf; Artt. 41 ff. VerfLSA; Artt. 10 ff. SchlHVerf; Artt. 48 ff. ThürVerf. 120 Art. 27 Abs. 2 BaWüVerf; Art. 5 Abs.1 BayVerf; Artt. 3 Abs. 1 Satz 1, 48 ff. BerlVerf; Art. 2 Abs. 4 Satz 1 BbgVerf; Art. 67 Abs. 1 BremVerf; Art. 6 Abs. 1 HmbVerf; Art. 116 Abs. 2 HessVerf; Art. 20 Abs. 1 Satz 3 M-VVerf; Art. 7 Satz 2 NdsVerf; Art. 3 Abs. 1 NRWVerf; Art. 79 Abs. 1 Satz 2 RhPfVerf; Art. 65 Abs. 2, 3 SaarlVerf; Art. 39 Abs. 2 SächsVerf; Art. 41 Abs. 1 Satz 2, Satz 4 VerfLSA; Art. 10 Abs. 1 Satz 3 SchlHVerf; Art. 48 Abs. 2 ThürVerf. 121 Art. 45 Abs. 1 BaWüVerf; Artt. 5 Abs. 2, 43 Abs. 1 BayVerf; Art. 3 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz BerlVerf; Art. 2 Abs. 4 Satz 2 BbgVerf; Art. 67 Abs. 2, Art. 118 Abs. 1 Satz 1 BremVerf; Art. 33 Abs. 2, Art. 55 HmbVerf; Art. 41 Abs. 1 M-VVerf; Art. 28 Abs. 1 NdsVerf; Art. 3 Abs. 2 NRWVerf; Art. 59 Abs. 1 SächsVerf; Art. 64 Abs. 1 Satz 1 VerfLSA; Art. 26 Abs. 1 Satz 1 SchlHVerf; Art. 70 Abs. 1 ThürVerf.

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

220

denten auf die Kontrolltätigkeit des Landtages, auf seine Gesetzgebungstätigkeit und allgemein auf seine Vertretung des Volkes auswirkt, wird es – da sich am äußeren Kompetenzrahmen außer der Bestimmung des Ministerpräsidenten und ggf. den Voraussetzungen einer Abwahl nichts ändert – wesentlich darauf ankommen, wie sich die Direktwahl des Ministerpräsidenten auf die Entscheidungsfindung im Landtag auswirken würde.

a) Der Grundsatz der Mehrheitsentscheidung Der Prozess der Entscheidungsfindung ist in den Landesverfassungen näher ausgestaltet und macht das Wesen des Parlaments aus. Er lässt sich grob auf die Formel „Mehrheitsentscheidung bei Schutz der Minderheit“ bringen, die ihrerseits unmittelbar Ausdruck des demokratischen Prinzips ist122. Darin zeigt sich besonders deutlich die Funktion des Landtages als Vertretung des ganzen (Landes-)Volkes. Der Landtag ist ein pluralistisches Kollegialorgan123, das aus Abgeordneten des Volkes besteht. Die Meinungsbildung im Landtag erfolgt in einem Prozess politischer Diskussion zwischen diesen Abgeordneten. Die in einer Frage zuletzt gebildete Mehrheitsmeinung wird zur Position des Landtages. Dabei gilt der Grundsatz der einfachen Mehrheit, insbesondere für einfache Gesetze und das bislang wichtigste Kontrollinstrument, das konstruktive Misstrauensvotum.

b) Die Erscheinung der dauerhaften Mehrheits-Formierung Wichtiger für die vorliegende Untersuchung ist indessen ein anderer Punkt, nämlich die Frage, wie diese Mehrheiten zustande kommen. Grundsätzlich – auch hier gibt es Ausnahmen – handelt es sich nicht um Mehrheiten von Fall zu Fall. So würde es der Verfassungswortlaut an sich nahe legen. Danach würde jeder Abgeordnete als Vertreter des ganzen Volkes in jeder zur Entscheidung stehenden Frage nur nach seinem Gewissen, nicht aber nach Aufträgen oder Weisungen abstimmen124. Er würde also nicht regelmäßig „mit seinem Banknachbarn“ abstimmen und es gäbe keine Sitzverteilung nach politischer Couleur125, sondern vielmehr eine Art bunten Teppich. Die Praxis sieht indessen anders aus126. Mehrheiten formieren sich grundsätzlich dauerhaft für eine ___________ 122

Hesse, Rn. 140 ff.; Stein/Frank, § 8 II 3 (S. 54 f.). Siehe § 8 VIII. 2. 124 Vgl. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG. 125 Jedenfalls wenn man das Wahlrecht außer Acht lässt. 126 Siehe auch von Arnim, Das System, S. 312 f. 123

V. Der Landtag als pluralistisches Organ und die Parteien

221

Wahlperiode. In der Regel ist es dann über die ganze Legislaturperiode dieselbe Mehrheit, die alle Entscheidungen des Landtages trifft, die allenfalls von Fall zu Fall noch durch Teile der Minderheit (in rechtlich unerheblicher Weise) verstärkt wird. Ob sich die Direktwahl des Ministerpräsidenten auf die Kontroll- oder Gesetzgebungstätigkeit des Landtages auswirkt, hängt folglich zum einen davon ab, ob und wie sich diese Formierung dauerhafter Mehrheiten auf den jeweiligen Tätigkeitsbereich auswirkt127, und zum anderen davon, ob die Direktwahl des Ministerpräsidenten an dem Auftreten solcher dauerhaften Mehrheiten etwas ändern würde. Für die zweite Frage kommt es auf die Ursachen dieser Formierung an.

c) Die Parteien im Parlament In den deutschen und den meisten anderen Parlamenten befinden sich zwischen dem Gros der Abgeordneten und dem Organ Parlament als weitere Ebene der Meinungsbildung die Parteien.

(1) Die Fraktion als Partei im Parlament Von Ausnahmefällen abgesehen, in denen sich eine Frage schlechterdings nicht einer politischen Richtung zuordnen lässt (z.B. Hauptstadtfrage) und in denen den Abgeordneten die Entscheidung deshalb bisweilen freigestellt wird, verständigen sich zunächst die Abgeordneten einer Partei128 als Fraktion auf eine Meinung und sodann erfolgt die Meinungsbildung im Parlament, wobei sich regelmäßig diejenige Fraktion durchsetzt, welche über die Mehrheit der Abgeordneten verfügt. Da in Deutschland parteilose Abgeordnete auf Landeswie auf Bundesebene keine nennenswerte Rolle spielen, führt die Gruppierung nach Parteien, die sich innerhalb der Parlamente als Fraktionen widerspiegeln129, in Verbindung mit dem Prinzip der Mehrheitsentscheidung zum Prinzip der Entscheidung durch diejenige(n) Partei(en), der die Mehrheit der Abgeordneten angehören.

___________ 127

Siehe dazu § 8 VIII. (Gesetzgebung) und § 8 VII. (Kontrolle). Im Bund auch von zweien – CDU/CSU. 129 Hesse Rn. 579; Ipsen, Rn. 217 ff. 128

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

222

(2) Der Grund für die Fraktionsbildung Dabei ist die Erscheinung der Fraktion nichts weiter als eine Folge der Existenz von Parteien und damit quasi eine „natürliche“ – i.S.v. systemimmanente – Erscheinung. In den Parteien schließen sich Politiker einer gemeinsamen Grundrichtung zur Verwirklichung ihrer politischen Ziele zusammen. Es ist dann nur folgerichtig, wenn jene Politiker dieser Partei, die in den Landtag gewählt werden, diesen Zusammenschluss auch in den Landtag tragen und sich dort als Fraktion formieren. Wenngleich längst nicht so häufig wie aufgrund der im Folgenden zu beschreibenden Zwänge, werden doch Abgeordnete gleicher politischer Richtung und gleicher Parteiangehörigkeit in den zu entscheidenden Sachfragen besonders häufig gleicher Meinung sein130 bzw. wird sich unter ihnen eine gemeinsame Linie am ehesten finden und so letztlich eine parlamentarische Mehrheit erzielen lassen.

d) Die Fraktionsdisziplin Keine zwingende oder unmittelbare Folge der Fraktionsbildung sind Fraktionszwang und -disziplin.

(1) Trennung von Fraktionsbildung und Fraktionsdisziplin Wenn sich Politiker einer gemeinsamen Grundrichtung zu Parteien und entsprechend Abgeordnete zu Fraktionen zusammenschließen, bedeutet dies nicht, dass sie auch stets als Formation auftreten und abstimmen müssen. Im Gegenteil bedingt der Grund, der zur Fraktionsbildung geführt hat – die mehrheitliche Übereinstimmung in Grundpositionen –, an sich ein Ausscheren aus der Fraktion, wo in einer Einzelfrage die politische Überzeugung des Abgeordneten von der Mehrheit der Fraktion abweicht. Im Hinblick auf die politische Effektivität wäre es aus der (maßgeblichen131) Sicht des Abgeordneten sinnvoll, sich mit insoweit gleich gesinnten Abgeordneten anderer Parteien zusammen zu schließen und spontane Mehrheiten zu bilden132. Die Bindung ausschließlich an das Gewissen verlangt dies sogar. Jedenfalls würde es dem „natürlichen“ Streben ___________ 130

Entsprechend dem vorher beschlossenen Parteiprogramm. Vgl. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG. 132 Vgl. Hamm-Brücher, Der Politiker und sein Gewissen, S. 60 ff.; dies., in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 9 ff., 9 f.; insbesondere zu entsprechenden Bemühungen der „Interfraktionellen Initiative Parlamentsreform“. 131

V. Der Landtag als pluralistisches Organ und die Parteien

223

des Abgeordneten entsprechen, möglichst viele seiner politischen Forderungen im Parlament umzusetzen.

(2) Fraktionszwang und Fraktionsdisziplin in der Praxis Gleichwohl sieht die Praxis anders aus. Dort bestehen regelrechte Fraktionshierarchien, innerhalb derer gezielt Einfluss auf das Abstimmungsverhalten genommen wird133. Das gilt für sämtliche Fraktionen gleichermaßen. Rechtlich wird überwiegend differenziert zwischen Fraktionsdisziplin und Fraktionszwang. Dabei soll Fraktionsdisziplin die Einwirkung auf die fraktionsangehörigen Abgeordneten zur Erreichung eines möglichst geschlossenen Auftretens im Parlament durch Verfahrens- oder Verhaltensregeln sein134 und Fraktionszwang die Einwirkung mit Sanktionen wie dem Fraktionsausschluss135. Die Diskussion über die rechtliche Zulässigkeit solcher Maßnahmen und ihrer Reichweite wird dabei überwiegend für den Bund geführt136. Für die Bundesländer gelten aber keine abweichenden Gesichtspunkte137. Von der Rechtsprechung werden Einschränkungen des Grundsatzes des freien Mandats durch die Fraktionszugehörigkeit grundsätzlich gebilligt138 und zwar z.T. auch solche, die nach vorstehender Abgrenzung als Fraktionszwang zu qualifizieren sind139. In der Literatur wird überwiegend auch bei der Zulässigkeit differenziert und die Fraktionsdisziplin als zulässig, der Fraktionszwang als unzulässig angesehen140. Das ist nicht minder fragwürdig, insbesondere weil der Unterschied lediglich gradueller Natur ist und eine überzeugende Abgrenzung noch niemandem gelungen ___________ 133

Statt vieler Hamm-Brücher, Der Politiker und sein Gewissen, S. 60 ff.; dies., in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 9 ff., 9 f.; zum Ganzen auch dies., Der freie Volksvertreter – eine Legende?. 134 Degenhart, Rn. 406; Stein/Frank, § 9 IV 1 (S. 71 f.). 135 Degenhart, Rn. 406 f.; Stein/Frank, § 9 IV 1 (S. 71 f.). 136 Vgl. nur Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Rn. 41; Degenhart, Rn. 406 f.; Hesse, Rn. 600 ff.; Katz, Rn. 357; Stein/Frank, § 9 IV 1 (S. 71 f.). 137 In diesem Sinne auch die Entscheidungen StGH Bremen, Entsch. v. 13. Juli 1969, Az. St 2/69, DÖV 1970, 639 ff.; Verfassungsgericht Brandenburg, Urt. v. 20. Juni 1996, Az. 14/96, DÖV 1997, 292 ff. 138 BVerfG, Urt. v. 14. Juli 1959, Az. 2 BvE 2, 3/58, BVerfGE 10, 4 ff., 14 f.; StGH Bremen, Entsch. v. 13. Juli 1969, Az. St 2/69, DÖV 1970, 639 ff.; Verfassungsgericht Brandenburg, Urt. v. 20. Juni 1996, Az. 14/96, DÖV 1997, 292 ff. 139 Siehe StGH Bremen, Entsch. v. 13. Juli 1969, Az. St 2/69, DÖV 1970, 639 ff. (Zulässigkeit eines Fraktionsausschlusses); Verfassungsgericht Brandenburg, Urt. v. 20. Juni 1996, Az. 14/96, DÖV 1997, 292 ff. (Ablehnung einer einstweiligen Anordnung gegen vorläufige Suspendierung der Mitgliedschaft in einer Fraktion). 140 Vgl. Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Rn. 41; Degenhart, Rn. 406 f.; Hesse, Rn. 600 ff.; Katz, Rn. 357; Stein/Frank, § 9 IV 1 (S. 71 f.).

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

224

ist141, spielt aber für die weitere Untersuchung auch keine Rolle. Entscheidend ist, dass jedenfalls die Fraktionsdisziplin in der Praxis in nicht unerheblichem Umfang vorkommt und die Willensbildung im Parlament beeinflusst. Da der Zweck der Fraktion den Fraktionszwang nicht bedingt – der bloße Zusammenschluss zur Erreichung politischer Ziele erfordert wie gezeigt gerade keine „Einstimmigkeit um jeden Preis“ –, stellt sich die Frage, was denn dann die Ursachen für den Zwang zum dauerhaft einheitlichen Auftreten der Fraktion sind.

(3) Regierungsfähigkeit als Ursache der Fraktionsdisziplin Darüber gibt die rechtliche Diskussion Aufschluss. Die rechtliche Zulässigkeit wenigstens der Fraktionsdisziplin wird mit der Notwendigkeit eines geschlossenen Auftretens im Parlament begründet142. Diese findet ihre Hauptursache darin, dass es das Bestreben einer Mehrheitsfraktion ist, den von ihr gewählten Regierungschef und mit ihm die Regierung zu unterstützen sowie in dem gegenläufigen Bestreben der Minderheitsfraktionen, die gewählte Regierung möglichst zu ersetzen143. Die Regierung ist häufig darauf angewiesen, dass ein bestimmtes Gesetz erlassen wird, weil sie aus Gründen des Gesetzesvorbehalts eine Rechtsgrundlage für ein beabsichtigtes Exekutivhandeln benötigt. Mitunter werden die Abgeordneten – und weitergehend die Partei selbst – vom Regierungschef sogar ausdrücklich mit der Drohung mit dem „Scheitern der Regierung“ bzw. dem Rücktritt unter Druck gesetzt144. Dass das theoretisch denkbare Gegenargument, das Scheitern der Regierung müsse die Mehrheitsfraktion nicht berühren, nicht greift, zeigt schon die praktische Beobachtung, dass die Ausübung von entsprechendem Druck durch die Regierung regelmäßig Erfolg zeigt. Zwar macht die Regierung mitunter noch Zugeständnisse an die Fraktion, Fraktions- oder Parteiteile, doch lässt im Ernstfall, wenn es also wirklich zur Abstimmung kommt, fast nie eine Fraktion – und innerhalb der Fraktion die Abgeordneten – die von ihr gewählte Regierung „im Regen stehen“145, lehnt etwa einen von dieser eingebrachten Gesetzesentwurf ab oder ergreift gegenüber dieser eine einschneidende Kontrollmaßnahme. Aufgrund der aufge___________ 141

So zu Recht Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Rn. 41. Magiera, in: Sachs, Art. 38 Rn. 50, m.w.Nachw. 143 So auch von Arnim, Staat ohne Diener, S. 326; ders., in: Festschr. König, S. 371 ff., 378; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 20. 144 Z.B. die Drohung des Bremer Regierungschefs Henning Scherf (SPD) vom 24. Juni 2003, falls die Landespartei dem mit der CDU ausgehandelten Koalitionsvertrag nicht zustimme, sei er „raus aus der Politik“, s. Stahn, Die Welt v. 26. Juni 2003; s. auch „Schröder droht indirekt mit Rücktritt“, SPIEGEL ONLINE v. 28. April 2003. 145 Getreu dem Motto: „Right or wrong, my government.“ 142

V. Der Landtag als pluralistisches Organ und die Parteien

225

zeigten – mehrschichtigen – Verknüpfung der Mehrheitsfraktion mit ihrem Ministerpräsidenten146 in Zusammenhang mit der Darstellung in den öffentlichen Medien wäre dies einerseits ein Eingeständnis eigener Fehlbarkeit. Denn das Scheitern der Regierung implizierte in der öffentlichen Wahrnehmung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine fehlende einheitliche Linie der Partei und die Unfähigkeit der Mehrheitspartei, eine funktionsfähige Regierung zu stellen, ein Risiko, das einzugehen im Hinblick auf die nächste Landtagswahl (oder von anderen Wahlen, die für Teile der Bevölkerung über die Parteien politisch verknüpft sind147) tunlichst zu vermeiden ist. Auf der anderen Seite kann das Regieren durch das Verhindern von Gesetzen wenigstens erschwert werden. Sowohl auf Seite der Regierungsfraktionen148 als auch auf Seite der Opposition dient damit die Fraktionsdisziplin letztlich der Einflussnahme auf die Tätigkeit der Exekutive. Dabei kommt es gerade bei knappen Mehrheiten oft auf jede Stimme an, woraus das Bestreben erwächst, ein Abweichen in der eigenen Fraktion mit möglichst effektiven Mitteln zu verhindern. Dies gilt erst recht für die Kontrolltätigkeit des Parlaments.

(4) Durchsetzung parteipolitischer Konzepte als Ursache der Fraktionsdisziplin Indessen ist die Regierungstreue nicht die einzige Ursache für die Fraktionsdisziplin. Auch unabhängig davon sind die Parteien bestrebt, beschlossene politische Konzepte im Parlament umzusetzen. Umgekehrt sind die Minderheitsfraktionen häufig bestrebt, ein eigenes Konzept anstelle des gegnerischen umzusetzen, wenigstens aber letzteres zu verhindern. Auch hieraus resultiert die Ausübung von Druck auf die eigenen Abgeordneten. Diese Ursache betrifft ebenfalls sowohl die Gesetzgebungs- als auch die Kontrolltätigkeit.

e) Der Zwang zur Koalitionsbildung Die zweite Erscheinungsform der dauerhaften Formierung von Mehrheiten ist die Koalition149. ___________ 146

Siehe § 8 III. 2. b). Insbesondere landesweite Kommunalwahlen. 148 Greß/Huth, S. 58, sprechen von der „wichtigen regierungsstützenden Funktion“ der Fraktionsdisziplin. 149 Vgl. Degenhart, Rn. 435; Hesse, Rn. 178; Katz, Rn. 407; jeweils m.w.Nachw.; speziell zu Koalitionen in den Ländern Heinrich, in: Sturm/Kropp, S. 120 ff.; Jesse, in: Sturm/Kropp, S. 146 ff. (Koalitionen in den neuen Bundesländern); Jun, S. 85 ff.; Kropp/Sturm, Koalitionen, S. 131 ff.; sowie die Praxisberichte von Bauckhage, in: Sturm/ Kropp, S. 216 ff.; Fikentscher, in: Sturm/Kropp, S. 236 ff. 147

226

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

(1) Mehrheitskoalition ersetzt Mehrheitspartei Versteht man als Mehrheit einmal jene, die erforderlich ist, um den Ministerpräsidenten zu wählen, also die absolute Mehrheit, so gibt es eine solche für eine Partei alleine verhältnismäßig selten. Meist erreicht keine Partei die absolute Mehrheit der Abgeordnetenmandate. Dann tritt bei der Wahl des Ministerpräsidenten an die Stelle der Mehrheitspartei die Mehrheitskoalition. Die Partei mit der relativen Mehrheit der Landtagssitze ist zur Wahl „ihres“ Kandidaten auf die Stimmen einer oder mehrerer anderer Parteien angewiesen. Gemeinsam bilden sie die Mehrheits- oder Regierungskoalition150.

(2) Die Institutionalisierung der Koalition Die Funktion der Koalition erschöpft sich aber nicht in der anfänglichen Bildung der Regierung. Die Regierungskoalition ist auf eine feste Verbindung der angehörenden Fraktionen für die Dauer der Wahlperiode angelegt. Nirgends wird dies deutlicher als im Koalitionsvertrag151. Darin wird das politische Programm sowohl für die Legislativtätigkeit als auch für die Tätigkeit der Exekutive – sowie deren Zusammensetzung – für die Dauer der Wahlperiode festgelegt. Ungeachtet der äußerst problematischen Frage ihrer Rechtsverbindlichkeit152 illustriert schon die verwendete Bezeichnung, dass sich die Koalitionspartner an dieses Programm binden wollen. Und ungeachtet der Frage der rechtlichen Durchsetzbarkeit geschieht dies auch. Für die Dauer der Wahlperiode erfolgt also auch hier eine gewisse Institutionalisierung, die Formierung zu einer dauerhaften Mehrheit.

(3) Die Bindung innerhalb der Koalition Der Zusammenschluss zu einer Koalition und damit die Bindung innerhalb der Koalition erfolgt zweistufig. Auf der ersten Stufe sind die Abgeordneten zu Fraktionen zusammengeschlossen. Für die Bindung auf dieser Stufe und ihre Ursachen gelten die obigen Ausführen153. Auf der zweiten Stufe binden sich die Fraktionen durch den Koalitionsvertrag. Für die zu erwartenden Veränderungen ___________ 150

Statt vieler Hesse, Rn. 178. Eingehend Jun, S. 26 ff. 152 Degenhart, Rn. 435; Hesse, Rn. 178; Katz, Rn. 407; Kropp/Sturm, Koalitionen, S. 88 ff.; jeweils m.w. Nachw. 153 Siehe § 8 V. 2. d). 151

V. Der Landtag als pluralistisches Organ und die Parteien

227

im innerparlamentarischen Willensbildungsprozess sind die Ursachen zu ergründen, sich dieser Bindung zu unterwerfen.

(4) Regierungsbildung als einziger struktureller Grund für Koalitionen Schon die Bezeichnung als Regierungskoalition weist darauf hin, dass Koalitionen ihren einzigen Grund154 in der Regierungsbildung und dem Unterstützen der Regierung für die Dauer der Wahlperiode, mithin in der sog. Regierungsfähigkeit, haben. Insoweit gilt zunächst einmal nichts anderes, als zur Mehrheitsfraktion ausgeführt wurde155. Das ist unmittelbare Folge davon, dass die Mehrheitskoalition an die Stelle der Mehrheitsfraktion tritt. Demgegenüber entfällt der zweite Grund der Fraktionsbildung. Zur Durchsetzung eines politischen Programms – unabhängig von der Exekutiven – ist die Bildung einer Koalition nicht erforderlich. Dieser Zweck wird gerade schon durch die Fraktionen erfüllt. Bestünde zwischen zwei Fraktionen oder Parteien dauerhaft – i.S.v. über den Zeitraum einzelner Wahlperioden hinweg – eine grundsätzliche politische Übereinstimmung, würde dies einen Zusammenschluss zu einer Fraktion bedingen oder zumindest sinnvoll erscheinen lassen. Dann stünde nämlich die grundsätzliche Berechtigung der politischen Trennung in Frage. Demgegenüber ist eine Koalition eine Art „Notzusammenschluss“, wenn die Gemeinsamkeiten für ein dauerhaftes Zusammengehen gerade nicht ausreichend sind, für eine Wahlperiode im Hinblick auf die Vorteile, an der Regierungsbildung beteiligt zu sein und in der Hoffnung jeder Partei, danach eine absolute Mehrheit zu erzielen, aber eine gemeinsame (Kompromiss-)Linie gefunden werden kann. Zur bloßen Durchsetzung der politischen Ziele im Bereich der Gesetzgebung ist eine Koalition nicht nur nicht erforderlich sondern sogar kontraproduktiv. Was für die Abgeordneten bereits aufgezeigt wurde156, gilt nämlich hier für die Fraktionen: Es wäre wesentlich sinnvoller, von Entscheidung zu Entscheidung zu prüfen, mit welcher oder welchen anderen Fraktionen eine Mehrheit für eine möglichst nahe am eigenen Konzept liegende Lösung zustande kommen kann. Obgleich sich in Koalitionen regelmäßig Fraktionen von einer gewissen politischen Nähe zusammenschließen („Rot-Grün“, „Schwarz-Gelb“), ist es schließlich keine Seltenheit, dass ein Koalitionspartner in einer Einzelfrage mit einer anderen Fraktion übereinstimmt und so sein Ziel besser verwirklichen könnte, als sich von vornherein an einen bestimmten Partner zu binden und sich innerhalb der Koalition auf einen Kompromiss einlassen zu müssen. Das alles könn___________ 154 Relevant sind hier nur strukturelle Gründe. Für die konkrete Koalitionsbildung kommen zahlreiche weitere Einflüsse hinzu; siehe Jun, S. 35 ff. 155 Siehe § 8 V. 2. d) (3). 156 Siehe § 8 V. 2. d) (1).

228

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

te man kaum treffender formulieren, als es Bündnis 90/Die Grünen und SPD in ihrer Koalitionsvereinbarung (für den Bund) vom 20. Oktober 1998 getan haben157: „Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.“ Festzuhalten ist deshalb, dass Koalitionen von Fraktionen ihre einzige Ursache in der Regierungsbildung mitsamt nachfolgender Unterstützung haben. Selbstverständlich – insoweit ist Klein158 beizupflichten – muss stets noch ein Wahlsystem bestehen, nach dem nicht automatisch eine Partei die absolute Mehrheit hat159.

3. Änderungen bei Direktwahl des Ministerpräsidenten In Anbetracht der Ausführungen zu den Strukturen des Willensbildungsprozesses innerhalb der Landtage lassen sich nunmehr die Auswirkungen einer Direktwahl des Ministerpräsidenten mit hinreichender Sicherheit vorhersagen:

a) Bedürfnis für Fraktionen bleibt Am grundsätzlichen Bedürfnis, sich zu Fraktionen zusammenzuschließen, ändert sich nichts, da dieses nicht Folge der Wahl des Ministerpräsidenten durch den Landtag ist. Insbesondere am Bedürfnis für Zusammenschlüsse politisch gleich gesinnter Abgeordneter würde sich nichts ändern. Fraktionen wird es nach der Einführung der Direktwahl deshalb unverändert geben.

b) Zwang der Mehrheitsfraktion zur Regierungstreue schwindet Wenngleich sich dafür kein genaues Maß angeben lässt, ist mit Sicherheit zu erwarten, dass bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten der Zwang der Mehrheitsfraktion mit dem Fraktionsvorsitzenden an der Spitze zur Regierungstreue schwinden würde160. ___________ 157

Zitiert nach von Arnim, Das System, S. 271. Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 579. 159 Entgegen Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 579, ist die Entbehrlichkeit von Koalitionsabsprachen aber nicht mehr sondern auch eine Frage des Wahlrechts. Man mag das Wahlrecht auch als strukturelle Ursache ansehen. Es handelt sich aber um eine überwiegend nicht in den Landesverfassungen angelegte Ursache. 160 Wie hier von Arnim, Staat ohne Diener, S. 326; ders., in: Festschr. König, S. 371 ff., 378; ders., in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 28 ff.; 158

V. Der Landtag als pluralistisches Organ und die Parteien

229

(1) Keine Wahrnehmung des Scheiterns der Regierung als Scheitern der Mehrheitsfraktion Würde nämlich die Regierung scheitern, wäre damit nicht mehr per se ein Versagen der Mehrheitsfraktion impliziert161. Diese hat schließlich den Ministerpräsidenten nicht gewählt. Das schließt nicht aus, dass je nach den konkreten Umständen und dem Gegenstand der Meinungsdifferenzen zwischen Ministerpräsident und Mehrheitsfraktion ein Scheitern der Regierung gleichwohl auf die Mehrheitsfraktion zurückfällt oder abfärbt. Einen entsprechenden Automatismus würde es aber nicht mehr geben. Die grundsätzliche Verbundenheit der Mehrheitsfraktion gegenüber „ihrem“ Ministerpräsidenten würde schwächer.

(2) Entfallen der Rücktrittsdrohung als Druckmittel auf die Mehrheitsfraktion Gleichzeitig ist zu erwarten, dass der Ministerpräsident die Möglichkeit einer Rücktrittsdrohung als politisches Instrument gegenüber der Fraktion praktisch nicht mehr würde ausüben können. Der direkt gewählte Ministerpräsident wäre wie gesehen162 auch unmittelbar dem Volk gegenüber verantwortlich und würde durch die Drohung mit seinem Rücktritt in erster Linie dessen Vertrauen enttäuschen. Es ist deshalb zu erwarten, dass ein direkt gewählter Ministerpräsident eher ohne die nötigen Gesetze nur im Rahmen des gerade möglichen reagieren würde163, als „seinen Hut in den Ring zu werfen“164. Wenn er doch einmal zurückträte, käme es für die politischen Folgen wiederum auf den konkreten sachlichen Anlass an, namentlich darauf, ob im Hinblick auf diesen Anlass der Rücktritt vom Volk als gerechtfertigt angesehen wird.

(3) Verbleibender Zwang aufgrund Parteienbindung Andererseits bleibt regelmäßig die parteipolitische Verknüpfung des gewählten Ministerpräsidenten165. Eine parteininterne Zerstrittenheit wäre für die Fraktion sogar schädlicher als für den direkt gewählten Ministerpräsidenten. Dieser ___________ Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 74 f.; Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 578; Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157; Meyer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 65 ff., 73; Schneider, S. 103. 161 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 578. 162 Siehe § 6 I. 2. b). 163 Dazu sogleich § 8 V. 3. c). 164 Ausnahmen gelten wieder in den bereits aufgezeigten Sondersituationen, siehe § 6 I. 2. a). 165 Siehe § 8 III. 2.

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

230

könnte notfalls auch ohne seine Partei vom Volk wiedergewählt werden. Bei einer Wiederwahl ist er auf eine Parteienunterstützung ja weniger angewiesen als bei der erstmaligen Wahl166. Zum einen wiegt aber diese Parteienbindung der Fraktionsmitglieder das Entfallen der anderen Bindungsmechanismen nicht auf. Zum anderen hängt sie wiederum ganz wesentlich vom Gegenstand des Zerwürfnisses ab. Besonders deutlich kann man sich dies an Extremata, nämlich sehr populären oder sehr unpopulären Maßnahmen verdeutlichen: Hat die Partei einen unpopulären Gesetzesentwurf der Regierung – etwa Steuererhöhungen zur Finanzierung einer bestimmten Verwaltungsaufgabe – verhindert, kann das Zerwürfnis mit dem Ministerpräsidenten die Partei sogar stärken.

(4) Entfallen jeglichen Zwangs bei parteifremdem Ministerpräsidenten Völlig würde der Zwang der Parlamentsmehrheit zur Regierungstreue entfallen, wenn im Landtag eine andere Partei über die Mehrheit der Abgeordnetenmandate verfügt, als jene, der der Ministerpräsident angehört („divided government“). Im Gegenteil stünde hier eher zu befürchten, dass die Parlamentsmehrheit zum Ministerpräsidenten auf Konfrontation „um der Konfrontation willen“ geht. Dies birgt indessen für beide Seiten dasselbe Risiko, nämlich dass in der Bevölkerung der Eindruck erweckt wird, es gehe der Streitpartei um Macht-, nicht aber um Sachinteressen, und es wären beide Seiten auf die Gunst des Volkes für die Wiederwahl angewiesen. Auch hier kommt es mithin wieder auf den Gegenstand des Disputs an. Es ist deshalb auch bei unterschiedlicher Parteienzugehörigkeit nicht davon auszugehen, dass an die Stelle „blinder Regierungstreue“ eine Art „blinder Konfrontation“ tritt.

(5) Fazit: Entfallen „blinder Regierungstreue“ und stärkere Gegenstandsorientierung Als Fazit lässt sich festhalten, dass die derzeit häufig „blinde“ Regierungstreue167 entfallen würde. Wem eine Konfrontation zwischen Mehrheitsfraktion und Regierung im Hinblick auf die öffentliche Meinung und die Chancen der Wiederwahl schadet, wird wesentlich stärker vom Gegenstand des Konfrontation abhängen. Dementsprechend werden beide auch ihre Auffassungen und

___________ 166

Vgl. § 8 III. 2. c) (4) und (5). Vgl. etwa Meyer, in: Greß, S. 35 ff., 42: „Regierungsmehrheit in Parlament und Regierung sind auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet.“ 167

V. Der Landtag als pluralistisches Organ und die Parteien

231

Entscheidungen wesentlich stärker am sachlichen Gegenstand orientieren168. Eine andere Frage ist, welchen Maßstab sie hierbei anlegen werden und anlegen sollten169.

c) Exkurs: Die Frage der Bewertung – Erforderlichkeit institutioneller Übereinstimmung? An dieser Stelle – und das lenkt den Blick vorübergehend wieder auf den Ministerpräsidenten und die Regierung – setzt Kritik am Vorschlag der Direktwahl an, die im Kern dahin geht, dass just die Übereinstimmung zwischen Parlament und Regierung erforderlich sei, vor allem weil der Ministerpräsident zum Regieren auf das Parlament angewiesen sei und deshalb eine dauerhafte „eigene Mehrheit“ brauche.

(1) Parlamentstreue der Regierung in den Ländern erforderlich? Eschenburg hat die Erforderlichkeit institutioneller Übereinstimmung noch im Wesentlichen als eine Frage der Effektivität der Parlamentsarbeit gesehen und sie verneint170. Nur wo Grundsatzentscheidungen getroffen würden, sei es erforderlich, dass die Regierungspolitik der Parlamentsmehrheit entspreche. Grundsatzentscheidungen würden in den Bundesländern aber kaum getroffen und bei der Ausführung von Gesetzen könnten Parteiunterschiede nicht so stark zum Ausdruck kommen171. Hennis hat das so formuliert: „Da von der Sache, vom Inhalt der Landespolitik her jeder Partei jede Koalition offen steht, könnten Programme, streift man gewisse Stimmungsfloskeln ab, sich auch ähneln wie ein Ei dem anderen. Der faktische Charakter der Länder als autonome Verwaltungsprovinzen lässt für Programme im klassischen Sinne keinen Raum: Es gibt keinen christlichdemokratischen Straßenbau und keine sozialdemokratische Wasserwirtschaft“172. Mit gleicher Begründung verneint auch Bryde das Erfordernis einer institutionellen Übereinstimmung173. Nach den Feststellungen ___________ 168 Kretschmer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 53 ff., 55 f., widerspricht sich, wenn er einerseits wechselnde Mehrheiten ebenfalls für wahrscheinlich hält, andererseits aber behauptet, die Neigung der Parteien zu „konstruktiver Mitarbeit“ würde geschwächt und die Gefahr des „Einfließens nicht sachgerechter Kriterien“ in Regierungsentscheidungen würde verstärkt. 169 Siehe dazu § 9. 170 Eschenburg, S. 59 f. 171 Eschenburg, S. 60. 172 Hennis, in: ders., S. 105 ff., 118. 173 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 153 f.

232

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

zur Aufgabenwahrnehmung der Bundesländer und in den Bundesländern174 ist dem beizupflichten. Zwar besteht grundsätzlich ein Bedürfnis der Parlamente, dass die Regierungen die von ihnen erlassenen Gesetze bei der Ausführung auch eigenständig „weiter denken“. Aufgrund der festgestellten Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern, an der sich insoweit auch auf absehbare Zeit nichts signifikant ändern wird175, ist dieses Bedürfnis in den Bundesländern (wo nahezu ausschließlich Verwaltungsaufgaben wahrgenommen und nicht politische Programme der Landtagsmehrheit umgesetzt werden) jedoch nur gering. Ihm kann dort durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung176 und die im Anschluss noch näher zu erörternden Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Regierung177 ausreichend Rechnung getragen werden. Auch ein möglicherweise bestehendes praktisches Bedürfnis für „informelle Informationskanäle“178 vermag den Parlamentarismus sicher nicht zu rechtfertigen.

(2) Regierungstreue der Parlamente in den Ländern erforderlich? Die Kritik setzt deshalb – und das ist wiederum bezeichnend für die Aufgabenverteilung in den Bundesländern – auch umgekehrt an. Maurer sieht eine sachliche Angewiesenheit des Ministerpräsidenten auf das Parlament, das die Gesetze zu beschließen und den jährlichen Haushalt festzustellen hat und über die parlamentarische Kontrolle Einfluss auf die Regierungstätigkeit nehmen kann179. Alles andere könne nur eine Art „vorübergehender Notregierung“ sein180. Aber auch ein Befürworter der Direktwahl wie Bryde spricht nur davon, dass die Regierung „wenn es hart auf hart geht“ auf Landesebene eine Mehrheit für die Wahl der Regierung und den Haushalt brauche, im Übrigen aber ohne Parlament regieren könne181. Ungeachtet der Tatsache, dass es aufgrund der gegenseitigen parteipolitischen Bindungen für den Ministerpräsidenten sicher deutlich einfacher ist, wenn seine Partei über die Mehrheit im Landtag verfügt, sind mit Bryde Gesetzgebung und (Schutz vor) Kontrolle kein zwingender ___________ 174

Siehe § 7 IV. Näher dazu § 11 IV. 3. c). 176 Vgl. § 7 I. 2. d) (2). 177 Siehe § 8 VII. 178 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 161; näher dazu Greß/Huth, S. 47. 179 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157 f.; krit. auch Althaus, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 17 f., 18; Dewes, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 43 ff., 44 f.; Grimm, Trierischer Volksfreund v. 21./22. Oktober 2000 (zitiert nach von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 379 f.), Greß/Huth, S. 38. 180 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 158. 181 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 154. 175

V. Der Landtag als pluralistisches Organ und die Parteien

233

Grund für eine Übereinstimmung von Parlamentsmehrheit und Regierung. Wie gesehen182 führt der Ministerpräsident weitgehend Bundesgesetze und europäisches Recht aus. Niemand aber fordert eine Übereinstimmung mit den Gesetzgebern auf diesen Ebenen. Erst recht muss eine solche dann auf Landesebene entbehrlich sein. Wenn der Ministerpräsident ein politisches Ziel verwirklichen will, für das die Änderung eines Landesgesetzes erforderlich ist (weil eine wesentliche Frage im Sinne der Wesentlichkeitstheorie betroffen ist, die zudem unter die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fällt), bleibt ihm die Möglichkeit, die Fraktionen im Landtag bzw. eine Mehrheit der Abgeordneten in einer öffentlichen Diskussion zu überzeugen. Die Feststellung einer stärkeren Gegenstandsorientierung183 lässt dies leichter als derzeit erscheinen184. Gelingt es nicht, kann das Volk dies bei der nächsten Landtagswahl sanktionieren. Andernfalls bleibt das Ziel – als Folge der Gewaltenteilung – unverwirklicht. Eine etwa eintretende Verschärfung der parlamentarischen Kontrolle185 kann und muss sich der Ministerpräsident gefallen lassen. Die hiergegen gerichtete Argumentation mit erforderlicher Regierungstreue ist eine Argumentation gegen die Kontrollfunktion der Parlamente schlechthin. Einem etwaigen Missbrauch kann der Ministerpräsident durch Anrufung der dritten Staatsgewalt in Form des Landesverfassungsgerichts begegnen186. Dass im Hinblick auf Kontrolle und Gesetzgebung eine politische Übereinstimmung von Parlament und Regierung nicht – und zwar nicht nur „wenn es hart auf hart kommt“, sondern grundsätzlich nicht – erforderlich ist, zeigen auch die praktischen Erfahrungen mit langjährigen Minderheitsregierungen im Saarland187 und Sachsen-Anhalt188. Auch die langjährigen Erfahrungen mit „divided governments“ in den USA und anderen Präsidialsystemen sowie auf kommunaler Ebene189 belegen dies klar190. ___________ 182

Siehe § 7 IV. Soeben § 8 V. 3. b). 184 So auch von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 379; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 21. 185 Siehe dazu § 8 VII. 186 Siehe bereits § 8 I. 3. b). 187 Von 1975 bis 1979 unter Franz-Josef Röder (CDU) mit Duldung der FDP. 188 Von 1994 bis 1998 Regierungskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen und 1998 bis 2002 Alleinregierung der SPD, jeweils unter Reinhard Höppner (SPD) mit Duldung der PDS, s. dazu Fikentscher, in: Sturm/Kropp, S. 236 ff. 189 Dewes Argument, auf kommunaler Ebene könnten Blockaden durch die Kommunalaufsicht aufgelöst werden (Dewes, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 43 ff., 45) vermag demgegenüber nicht zu verfangen: Die Kommunalaufsicht beschränkt sich im Autonomiebereich (Selbstverwaltung) auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle. Auf Landesebene können Rechtsstreitigkeiten im Wege des Organstreitverfahrens vor den Landesverfassungsgerichten ausgetragen werden. Für die Auflösung politischer Blockaden ohne Rechtsverletzungen kommen auf beiden Ebenen nur politische Mittel in Betracht, so dass Vergleichbarkeit auch unter diesem Gesichtspunkt durchaus gegeben ist. 183

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

234

Von einer „vorübergehenden Notregierung“ lässt sich angesichts dessen nicht sprechen. Aus Sicht des direkt gewählten Ministerpräsidenten handelt es sich zwar nicht um den Wunsch-, genauso wenig aber um einen Notfall. Die Beispiele zeigen auch, dass sich Minderheitsregierungen die erforderlichen Mehrheiten für die Haushaltsfeststellung in der Praxis verschaffen können. Durch die zunehmende Gegenstandsorientierung wird sich die erforderliche Mehrheit für einen sachlich sinnvollen Haushalt – und nur ein solcher hat eine Mehrheit verdient – sogar noch leichter erreichen lassen191. Entgegen Decker192 besteht damit auf Ebene der Bundesländer schon keine ernsthafte Gefahr eines Stillstands (sog. deadlock). Der Kompromisszwang dürfte sich auch nicht erhöhen193 sondern nur verändern, möglicherweise sogar verringern. Bereits jetzt sind Kompromisse zwischen Ministerpräsident und eigener Fraktion bzw. Regierungskoalition nötig. Nach einer Reform wären auch Einigungen mit wechselnden Mehrheiten im Landtag möglich. Im Ergebnis bedarf es damit weder für die Funktionsfähigkeit des einen noch für die des anderen Organs der vom Parlamentarismus gewährleisteten institutionellen Übereinstimmung von Regierung und Parlament. Deshalb sei nur der Vollständigkeit halber angeführt, dass „deadlocks“ auch noch mit anderen Instrumentarien begegnet werden kann. Selbst wenn ihre Gefahr bestünde, ließe dies also nicht den zwingenden Schluss auf die Erforderlichkeit einer institutionellen Übereinstimmung zu. So sah der Entwurf von Bock und Niethammer194 die Möglichkeit des direkt gewählten Ministerpräsidenten vor, den Landtag aufzulösen, was die Neuwahl beider Organe zur Folge gehabt hätte195.

d) Bedürfnis für Ausübung von Fraktionsdisziplin schwindet In den Landtagen würde das Bedürfnis für die Ausübung von Fraktionsdisziplin und Fraktionszwang auch bei einer Direktwahl der Ministerpräsidenten jedenfalls nicht vollständig entfallen. Unverändert würde die Mehrheit der Abgeordneten innerhalb einer Fraktion, wenn die Zustimmung sämtlicher Frak___________ 190

Von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 379; ders., Das System, S. 340. Für echte Notfälle sehen die Verfassungen schließlich noch das sog. Nothaushaltsrecht der Regierung vor, s. Art. 80 BaWüVerf; Art. 78 Abs. 4 BayVerf; Art. 89 BerlVerf; Art. 102 BbgVerf; Art. 132 a BremVerf; Art. 67 HmbVerf; Art. 140 HessVerf; Art. 62 M-VVerf; Art. 66 NdsVerf; Art. 82 NRWVerf; Art. 116 Abs. 4, 5 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 3, 4 SaarlVerf; Art. 98 SächsVerf; Art. 94 VerfLSA; Art. 51 SchlHVerf; Art. 100 ThürVerf. 192 Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 56. 193 So aber Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 56. 194 Siehe § 2 I. 2. b). 195 Siehe Scheyhing, BWVBl. 1959, 65 ff., 67. 191

V. Der Landtag als pluralistisches Organ und die Parteien

235

tionsmitglieder zur Herbeiführung der Mehrheit im Parlament erforderlich ist, bestrebt sein, „Abweichler“ auf ihre Seite zu ziehen und erforderlichenfalls sich auch der Mittel von Fraktionsdisziplin und Fraktionszwang bedienen. Ob und inwieweit dieses Bedürfnis solche Maßnahmen rechtfertigen kann, ist eine andere Frage, der hier nicht weiter nachgegangen werden muss.

(1) Zwang der Abgeordneten zur Regierungstreue schwindet (Wiederherstellung des freien Mandats) Mit dem schwindenden Zwang zur Regierungstreue der Mehrheitsfraktion würden aber die andere Ursache und damit das Bedürfnis für die Ausübung von Fraktionsdisziplin in der Mehrheitsfraktion insgesamt schwinden. Es ist zu erwarten, dass es häufiger zu einem Abweichen einzelner Abgeordneter von der Linie des Ministerpräsidenten und der Mehrheit innerhalb der Fraktion käme196. Das erscheint nur folgerichtig und wird auch von Kritikern der Direktwahl eingeräumt197. Da der Ministerpräsident eben auch ohne seine Partei und seine Fraktion regieren kann198, kommt es auch nicht mehr in gleichem Maße darauf an, alle Abgeordneten „bei der Stange zu halten“. Ähnlich müssen die anderen Fraktionen nicht mehr krampfhaft versuchen, die Regierung zu stürzen; im Gegenteil könnte dies sogar gefährlich sein, weil sie sich damit gegen eine Entscheidung des Volkes stellten. Von der „natürlichen“ Fraktionsdisziplin aufgrund des gemeinsamen Verfolgens politischer Ziele abgesehen, erfolgt also in der Tat eine Widerherstellung des freien Mandats, wie es Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und den inhaltsgleichen Bestimmungen der Landesverfassungen199 entspricht200.

(2) Gegenstandsorientierung hier Frage des Wahlrechts Ob dies auch für jeden einzelnen Abgeordneten dazu führt, dass er sich von sich aus verstärkt am Gegenstand der anstehenden Entscheidungen im Hinblick auf die Auffassung des Volkes orientiert201, ist anders als bei der Fraktionsfüh___________ 196 So von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 378; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 20; Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 578. 197 Van Ooyen, RuP 36 (2000), 165 ff., 167. 198 Siehe § 8 V. 3. c). 199 Siehe nur Art. 11 Abs. 1 SchlHVerf. 200 Von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 378; ders., in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 26 f.; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 20. 201 Offen gelassen von Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 579.

236

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

rung nicht ausschließlich eine Frage des (Entscheidungs-)Zwangs, so dass an dieser Stelle keine abschließende Antwort und Bewertung gegeben werden kann. Beim einzelnen Abgeordneten tritt nämlich die Frage hinzu, wie ihm seine Entscheidung vom Volk zugerechnet wird und wie das Volk über das einzig zur Verfügung stehende Mittel der nächsten Landtagswahl die Entscheidung des Abgeordneten überhaupt spezifisch sanktionieren kann. Nur202 wenn das der Fall ist, wird auch der einzelne Abgeordnete den neu eröffneten Freiraum durch eine stärkere Sachorientierung nutzen203. Diese Möglichkeit verkennen Autoren, die den Abgeordneten als per se in ein „wahres Beziehungsgeflecht zahlreicher anderer (als die Partei204), bisweilen gar nicht erkennbarer Interessengruppen eingebunden“ sehen und deshalb den sachorientierten „Honoratiorenpolitiker“ für den Mythos einer verklärten Vorstellung vom Parlamentarismus halten205.

e) Bedürfnis für Koalitionsbildung entfällt Schließlich wird es als mittelbare Folge der Direktwahl keine Koalitionen mehr geben206. Das Bedürfnis solcher Regierungskoalitionen folgt wie gezeigt ausschließlich aus der Notwendigkeit, eine parlamentarische Mehrheit zur Bildung und Unterstützung einer Regierung zu schaffen, wenn keine Fraktion über die absolute Mehrheit verfügt. Mit dem Entfallen der Aufgabe des Landtages, den Ministerpräsidenten zu wählen, entfällt auch dieses Bedürfnis. Die gegenteilige Auffassung vertritt Maurer. Den Fortbestand der Regierungskoalitionen in ihrer bisherigen Form begründet Maurer mit der bereits zurückgewiesenen207 These vom Erfordernis einer Übereinstimmung zwischen Parlament und Regierung208. Weitergehend ist er aber der Auffassung, es werde bei einer Volkswahl des Ministerpräsidenten möglicherweise sogar schon vor der Wahl zu Koalitionen im Parlament kommen, wenn und weil kleinere Par___________ 202 Dies bezieht sich hier ausschließlich auf die wissenschaftliche Erfassung der Entscheidungsprozesse. Freilich besteht unabhängig davon die Hoffnung, dass sich ein großer Teil der Abgeordneten auch ohne die Gefahr einer Sanktionierung – dem Gewissen folgend – ausschließlich am Sachgegenstand orientiert. 203 Siehe dazu § 11 IV. 1. a). 204 Ergänzung im wörtlichen Zitat durch den Verfasser. 205 So van Ooyen, RuP 36 (2000), 165 ff., 167 f., gegen Carl Schmitt und von Arnim. 206 So auch von Arnim, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 25; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 19; Giesing, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 75 ff., 84 f. 207 Siehe § 8 V. 3. c). 208 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157 f.

V. Der Landtag als pluralistisches Organ und die Parteien

237

teien ihren potentiellen Wählern empfehlen, für den Kandidaten einer bestimmten anderen Partei zu stimmen209. Das würde zwar wiederum die These bestätigen, dass es Koalitionen nur zur Beschaffung von Mehrheiten für die Regierung bedarf (dann bei der Bevölkerung), ist aus verschiedenen Gründen aber unwahrscheinlich. Erstens kann die vorherige Festlegung einer kleinen auf eine bestimmte große Partei „nach hinten losgehen“, wenn nämlich die große Partei bzw. deren Kandidat unterliegt. Schon jetzt versuchen deshalb die kleinen – wie auch die großen – Parteien meist, sich möglichst nicht auf einen Koalitionspartner festzulegen, wenn sich dies vermeiden lässt. Zweitens sind in anderen Staaten mit präsidentiellen Regierungssystemen solche formalen Absprachen vor einer Wahl selbst dann, wenn die kleine Partei eine Wahlempfehlung abgibt, nicht zu beobachten. Drittens lässt sich in der Praxis feststellen, dass auch kleine und im Hinblick auf die Präsidentschaftswahl aussichtslose Parteien nicht selten einen eigenen Kandidaten aufstellen. Das hat etwa bei der letzten Präsidentschaftswahl in den USA den Kandidaten der „Linken“ Al Gore den Wahlsieg gekostet210, ist aber sogar aus parlamentarischen Systemen bekannt, wie etwa an der „Kanzlerkandidatur“ von Guido Westerwelle für die FDP bei der Bundestagswahl 2002 zu sehen211. Viertens werden auch jetzt schon Koalitionen nur dann geschlossen, wenn es sich nicht vermeiden lässt, wenn also die absolute Mehrheit fehlt oder angesichts der politischen Verhältnisse zu knapp ist. Vor der Wahl ist das aber noch nicht bekannt und für den Kandidaten ist die Unterstützung durch eine bestimmte kleine Partei nicht unbedingt ein Vorteil. Ob die Wähler dem Aufruf folgen, ist ungewiss. Gewiss ist aber im Falle des Obsiegens eine Verantwortung des Ministerpräsidenten gegenüber dieser Partei und damit eine Einschränkung seiner Handlungsspielräume. Zudem würde die Unterstützung gerade in Deutschland die Unterstützung des Kandidaten der anderen großen Partei (CDU/CSU oder SPD) durch die andere kleine Partei (Bündnis 90/Die Grünen oder FDP) zur Folge haben. Vollends unwahrscheinlich werden solche antizipierten Koalitionen schließlich, wenn Landtags- und Ministerpräsidentenwahl zeitversetzt stattfinden. Andernfalls würde nämlich eine dauerhafte Zementierung der einmal bestehenden Koalitionen erfolgen. Es ist deshalb die Prognose begründet, dass es bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten keine Koalitionen mehr gäbe.

___________ 209

Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 158. Kandidatur des grünen Politikers Nader, vgl. Wieland, FAZ v. 18. November 2000, S. 3; s. auch bereits FAZ v. 23. Oktober 2000, S. 4. 211 Siehe FAZ v. 12. Mai 2002, S. 1; FAZ v. 13. Mai 2002, S. 1, S. 43. 210

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

238

f) Annex: Entfallen von Machtverzerrungen und Erhöhung der Transparenz als demokratiepolitische Folgen des Verschwindens von Koalitionen Die Folgen von Koalitionen unter demokratischen Gesichtspunkten sind bekannt212: Der kleine Koalitionspartner erhält auf die Staatspolitik im Verhältnis zu seiner Unterstützung in der Bevölkerung überproportional viel Einfluss, stellt etwa im Gegensatz zur großen Oppositionspartei eigene Minister und wird bei Sachentscheidungen „Zünglein an der Waage“213. Die eigentliche Entscheidung, wer die Regierung bilden kann, fällt oft erst in Koalitionsverhandlungen zwischen den Parteien214. Koalitionsausschüsse und „Elefantenrunden“ entstehen, in denen wesentliche Entscheidungen im kleinen Kreis getroffen werden215 – intransparent für das Volk und viele Parlamentarier. Dies alles würde mit den Koalitionen entfallen. „Koalitionsgewinne“216 gäbe es nicht mehr. Der gleiche Einfluss aller Abgeordneten entspräche besser dem Prinzip der Gleichheit der Wahl. Im Verhältnis sämtlicher Parteien zueinander führte das im Landtag zu einer Machtverteilung, die strikt proportional im Verhältnis zur Zahl der erlangten Sitze wäre. Die erhöhte Transparenz steigerte die Kontrollmöglichkeiten durch das Volk217.

VI. Auswirkungen auf die Landtage als Volksvertretung Welche Folgen haben die festgestellten Auswirkungen der Direktwahl bei den Entscheidungsträgern in den Landtagen (Abgeordnete, Fraktionen, Koalitionen) nun auf die Funktion und Aufgaben der Landtage? Die grundlegende Funktion des Landtages ist die Vertretung des Volkes218. Formal würde sich durch die Direktwahl des Ministerpräsidenten hieran nichts ändern. Gleichwohl weisen die Vertretung des Volkes durch den Landtag und die Direktwahl des Ministerpräsidenten zwei Berührungspunkte auf. Erstens äußert sich die Vertretung des Volkes durch den Landtag gerade darin, dass der Landtag unmittelbar ___________ 212

Vgl. Jun, S. 43 ff., m.w.Nachw.; auch von Arnim, Das System, S. 270 ff. Von Arnim, Das System, S. 271; Esterbauer, S. 12; Frankfurter Intervention, RuP 1995, 16 ff., 19. 214 Frankfurter Intervention, RuP 1995, 16 ff., 18. 215 Von Arnim, Das System, S. 270; Frankfurter Intervention, RuP 1995, 16 ff., 19 f. 216 Jun, S. 43 ff. 217 Näher dazu noch § 8 IX. 2. 218 Art. 27 Abs. 1 BaWüVerf; Art. 5 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 BayVerf; Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Art. 38 Abs. 1 BerlVerf; Art. 55 Abs. 1 BbgVerf; Art. 7 Abs. 1 Satz 1 HmbVerf; Art. 77 HessVerf; Art. 20 Abs. 1 Satz 1 M-VVerf; Art. 7 Satz 1 NdsVerf; Art. 3 Abs. 1 NRWVerf; Art. 79 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 RhPfVerf; Art. 65 Abs. 1 SaarlVerf; Art. 39 Abs. 1 SächsVerf; Art. 41 Abs. 1 Satz 1 VerfLSA; Art. 10 Abs. 1 Satz 1 SchlHVerf; Art. 48 Abs. 1 ThürVerf. 213

VI. Auswirkungen auf die Landtage als Volksvertretung

239

durch das Volk gewählt wird. Bislang kann sich der Landtag als einziges Landesorgan unmittelbar auf das Volk berufen und steht somit dem Volk am nächsten. Diese Exklusivität ginge verloren, wenn der Ministerpräsident als zweites unmittelbar demokratisch legitimiertes Organ hinzuträte. Ob dadurch die Funktion des Landtages als Volksvertretung beeinträchtigt wird, gilt es zu untersuchen. Zweitens gilt es zu klären, wie sich die Veränderungen im parlamentarischen Willensbildungsprozess auf die Ausfüllung dieser Funktion durch den Landtag in den beiden wichtigsten Aufgabengebieten – Gesetzgebung und Kontrolle – auswirkt219.

1. Bedenken gegen zweiten Volksvertreter als Bedenken gegen Präsidentialismus als solchen Kelsen sah im Hinzutreten eines zweiten direkt vom Volk gewählten Staatsorgans noch eine Schwächung des Repräsentationsprinzips220. Bedenken, dass dem Landtag seine Rolle als Volksvertretung streitig gemacht würde221, lassen sich aber schon durch einen Vergleich mit anderen Staaten relativ leicht ausräumen. Diese Bedenken richten sich in der Sache gegen den Präsidentialismus als solchen. Zwei unmittelbar durch das Volk gewählte Staatsorgane sind gerade ein bestimmendes Merkmal für den Präsidentialismus.

2. Keine Abhängigkeit der Volksvertretungsfunktion von der Legitimation der Exekutive Präsidialsysteme finden sich in vielen Ländern. Hierunter gibt es solche, in denen die Parlamente ihre Funktion als Volksvertretung kraftvoll und lebendig ausfüllen, etwa die USA und Frankreich. Darunter gibt es auch solche, in denen die Parlamente eine Art Schattendasein neben oder hinter einem übermächtigen Präsidenten fristen, bis hin zu reinen „Marionettenparlamenten“ in einigen ___________ 219

Siehe dazu § 8 VII. und VIII. Kelsen, S. 19 ff. 221 Soweit ersichtlich werden solche in der vorliegenden Diskussion nicht erhoben. Bisweilen wird aber pauschal behauptet, die Direktwahl schwäche das Parlament, etwa Bausewein, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 33 ff., 34; von Hassel, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 51 f., 52; Zimmer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 89 ff., 90 f.; weitere Nachweise bei von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 380 ff. Im Hinblick auf solche Behauptungen und das der Arbeit zugrunde liegende umfassende Themenverständnis verstehen sich die folgenden Ausführungen als Auseinandersetzung mit einem denkbaren Gegenargument. 220

240

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

Staaten der dritten Welt oder in (ehemals) sozialistischen Staaten. Dass es beides und jede Menge Abstufungen dazwischen gibt, zeigt, dass kein Kausalzusammenhang zwischen der klassisch-parlamentarischen Funktion der Volksvertretung und der Existenz eines zweiten unmittelbar demokratisch legitimierten Organs besteht.

3. Abhängigkeit der Volksvertretungsfunktion von eigener Legitimation und Kompetenzgefüge Vielmehr zeigt der Vergleich mit den unterschiedlichen Ausprägungen des Präsidentialismus in anderen Staaten, dass die Volksvertretungsfunktion des Parlaments wesentlich durch seine eigene demokratische Legitimation und sodann von seinen Kompetenzen im gesamten Staatsgefüge bestimmt wird. Ein „Parlament“, das selbst nicht demokratisch legitimiert ist, weil das Volk aufgrund des Wahlsystems oder äußerer Umstände wie Zwang oder Stimmenkauf keine freie Entscheidung trifft, ist keine Volksvertretung. Dies gilt aber unabhängig davon, ob die Spitze der Exekutive vom Volk frei gewählt wird. Wird sie ebenfalls nicht frei gewählt, gibt es überhaupt keine Volksvertretung. Ein Parlament, das zwar vom Volk frei gewählt wird, aber nur geringe Kompetenzen hat, ist eine, aber keine kraftvolle Volksvertretung. Auch dies hängt nicht mit der Legitimation der Exekutiven zusammen, sondern mit seinen Befugnissen. Das sehen auch die Kritiker einer Volkswahl so222.

4. Verschiedene Arten der Volksvertretung Aus einem weiteren Grund gefährdet das Hinzutreten eines unmittelbar gewählten (Minister-)Präsidenten als zweites Volksvertretungsorgan die Stellung des Parlaments als Volksvertretung nicht. Die Art der Volksvertretung durch Parlament und Präsident ist eine andere. Das Parlament setzt sich aus einer Vielzahl von Abgeordneten zusammen. Sie sollen im Grundsatz die verschiedenen Bevölkerungsgruppen und politischen Richtungen im Staat widerspiegeln und durch öffentliche Diskussion in den grundlegenden Fragen zu Entscheidungen finden, die im Ideal auch von der Mehrheit der Bevölkerung getragen werden223. Eine solche Art der Volksvertretung kann naturgemäß nur durch ein pluralistisches Organ erfolgen. Ein monokratisches Organ kann hierzu auch bei noch so starker demokratischer Legitimation niemals in echte Konkurrenz treten. Demgegenüber würde der direkt gewählte Ministerpräsident das ___________ 222 223

Siehe Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 577. Herzog, Staatslehre, S. 214 ff.; Hesse, Rn. 573; Ipsen, Rn. 193 ff.

VI. Auswirkungen auf die Landtage als Volksvertretung

241

Volk in den vielen Einzelentscheidungen unmittelbar vertreten, die bei der Durchführung der vom Landtag (und dem Bundestag und Organen der EU) durch Gesetze getroffenen grundlegenden Entscheidungen anfallen. Diese Art der Volksvertretung vermag jedenfalls grundsätzlich224 ein Parlament nicht zu leisten, schon weil der aufgezeigte Entscheidungsfindungsprozess im Parlament wesentlich schwerfälliger als jener durch ein monokratisches Organ ist. Dieses Nebeneinander verschiedener Arten der Volksvertretung kommt auch in Verfassungsnormen wie Art. 66 Abs. 2 b BremVerf225 zum Ausdruck.

5. Ergebnis: Parlamentarische Funktion als Volksvertretung nicht beeinträchtigt Nimmt man zu diesen Feststellungen die Beobachtung hinzu, dass schließlich auch im jetzigen System der Bundesländer das Volk im Bereich der Exekutive schon „vertreten“ wird, denn das Demokratieprinzip bedingt ja gerade, dass auch diese Form der Ausübung von Hoheitsgewalt auf das Volk zurückzuführen ist226, lässt sich festhalten, dass die klassisch parlamentarische Funktion der Landtage als Volksvertretungen durch die Direktwahl des Ministerpräsidenten nicht gefährdet ist227. Es handelt sich um verschiedene Arten der Volksvertretung in grundsätzlich getrennten Aufgabenbereichen. Dass dann auch der Ministerpräsident das Volk unmittelbar vertritt, beeinträchtigt die Stellung des Landtages nicht. Insbesondere wird die allgemeine Verantwortlichkeit des Ministerpräsidenten gegenüber dem Landtag als Vertreter des Volkes während der Wahlperiode228 nicht aufgehoben. Inwieweit gleichwohl das schon jetzt formell bestehende und dem Gewaltenteilungsprinzip eigene Konkurrenzverhältnis zwischen Landtag und Ministerpräsident stärker „angeheizt“ wird, ist eine Frage der Ausübung der bestehenden Kompetenzen, vor allem der parlamentarischen Kontrolle.

___________ 224

Graduelle Abstufungen und Abhängigkeit auch von der Größe des Staates. Die Vorschrift lautet: „Sie [die Staatsgewalt] wird nach Maßgabe dieser Verfassung und der auf Grund der Verfassung erlassenen Gesetze ausgeübt: […] mittelbar durch den Landtag (Bürgerschaft) und die Landesregierung (Senat).“ 226 Vgl. § 7 I. 227 Ebenso Meyer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 65 ff., 71. 228 Vgl. etwa Art. 47 Abs. 2 BayVerf. 225

242

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

VII. Die Kontrolle der Regierung als Ausdruck der Gewaltenteilung Die Kontrolle der Regierung durch die Landtage ist der für das Kräfteverhältnis beider Staatsgewalten wichtigste Bereich. Auswirkungen kann die Einführung einer Direktwahl des Ministerpräsidenten in diesem Bereich auf zweierlei Weise haben. Einmal über das bereits angesprochene Entfallen des konstruktiven Misstrauensvotums oder seine Einschränkung. Das wäre die einzige formelle Änderung bei den Kontrollbefugnissen der Landtage, jedoch eine sehr bedeutsame, handelt es sich beim konstruktiven Misstrauensvotum doch um das schärfste parlamentarische Kontrollinstrument. Zweitens können sich die Veränderungen im innerparlamentarischen Willensbildungsprozess229 auf die Ausübung der bestehenden Kontrollmöglichkeiten auswirken.

1. Entfallen oder Einschränkung des konstruktiven Misstrauensvotums Zwar geht das herrschende Reformmodell davon aus, dass der direkt gewählte Ministerpräsident von den Landtagen nicht abgewählt werden könnte230. Zwingend ist das aber nicht. Wie der Vorschlag von Janssen zeigt231, ist weiterhin auch an ein Misstrauensvotum durch die Landtage zu denken. Dann verbliebe den Parlamenten dieses Kontrollinstrument zwar grundsätzlich. Freilich wäre auch bei der Umsetzung des Vorschlages die Kontrolle gegenüber der jetzigen Situation formell deutlich eingeschränkt. Zum einen soll nach dem Vorschlag Janssens die Abwahl – um die Abweichung von der eigentlichen Intention der Verfassung deutlich zu machen – nur mit Zweidrittelmehrheit (also verfassungsändernder Mehrheit232) möglich sein233. Zum anderen könnten sich die Landtage ein solches Hinwegsetzen über die Entscheidung des Volkes wohl nur in Extremfällen erlauben. Dies führt zu einem der Hauptbedenken von Klein. Nach seiner Ansicht würde sich die Kontrolle der Regierung durch die Landtage nicht verbessern, weil den Landtagen geeignete Kontrollinstrumente fehlen, erst recht wenn die Möglichkeit eines konstruktiven Misstrauensvotums entfiele234. Der daneben angeführte Gesichtspunkt der Wahl geeigneter Abgeordneter235 ist nicht eine Frage der Wahl des Ministerpräsidenten und kann an dieser Stelle außen vor bleiben. Ob die anderen Kontrollmechanismen geeignet sind oder nicht, ist ebenfalls keine Frage der Direktwahl. Insoweit be___________ 229

Vgl. § 8 V. Vgl. § 5 III. 5. c). Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., S. 75. 232 Siehe im Einzelnen § 13 I. 233 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., S. 75. 234 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 585 f. 235 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 585. 230 231

VII. Die Kontrolle der Regierung als Ausdruck der Gewaltenteilung

243

gründet Klein236 seine Kritik auch nicht näher. Es handelt sich dabei um die klassischen parlamentarischen Kontrollinstrumente, die sich grundsätzlich insoweit bewährt haben, als sie bei entsprechender Ausübung eine ausgewogene Gewaltenteilung gewährleisten können. Damit bleibt die Frage, ob und inwieweit dem Landtag das Recht zur Abwahl des Ministerpräsidenten verbleiben kann und sollte.

a) Kein konstruktives Misstrauensvotum in bisheriger Form Jedenfalls könnten die bisherigen Regelungen über das konstruktive Misstrauensvotum nicht beibehalten werden. Zwar stünden diese mit einer Direktwahl des Ministerpräsidenten nicht in formellem, wohl aber in klarem konzeptionellem Widerspruch. Der Landtag hätte es in der Hand, den vom Volk gewählten Ministerpräsidenten und dessen Regierung sogleich wieder abzusetzen und einen anderen Ministerpräsidenten zu wählen237. Auch hier bliebe zwar der öffentliche Druck und die Gefahr einer „Bestrafung“ der Mehrheitspartei durch das Volk bei der nächsten Landtagswahl oder durch eine Auflösung des Landtages per Volksentscheid238. Gleichwohl würde eine solche Lösung auf halbem Wege stehen bleiben. Unmittelbares Ziel einer Direktwahl ist es, die Verantwortung für die Bestimmung des Ministerpräsidenten originär in die Hände des Volkes zu legen239. Dieser originären Zuständigkeit widerspräche die Möglichkeit einer Abwahl durch den Landtag mit einfacher Mehrheit240.

b) Ausschluss des Misstrauensvotums contra Misstrauensvotum mit Zweidrittelmehrheit Wenn die Möglichkeit einer Abwahl durch den Landtag überhaupt bestehen bliebe, müsste sie also dadurch gekennzeichnet sein, dass sie deutlich hinter jener des Volkes zurücktritt, dass es sich um eine Art Notzuständigkeit handelt. Hinreichend gewährleistet wäre das bei der von Janssen vorgeschlagenen Abwahlmöglichkeit mit Zweidrittelmehrheit241. Eine solche Lösung sieht die USVerfassung mit dem Impeachment-Verfahren („öffentliche Anklage“) vor, bei welchem für einen Schuldspruch eine Zweidrittelmehrheit im Senat erforder___________ 236

Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 585 f. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 160. 238 Siehe zu dieser Möglichkeit § 11 II. 5. b) (3). 239 Vgl. § 6. 240 Ebenso Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 160. 241 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., S. 75. 237

244

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

lich ist242. Diese Mehrheit entspricht in den meisten Bundesländern243 der für Verfassungsänderungen notwendigen Mehrheit. Hierin kommt die besondere Bedeutung der Entscheidung zum Ausdruck. Zudem gewährleistet die erforderliche Zweidrittelmehrheit Schutz vor einem leichtfertigen Gebrauchmachen von der Möglichkeit der Abwahl. Die Abwahl des direkt gewählten Ministerpräsidenten wäre auf Extremfälle beschränkt, in denen ein vom Volk gewählter Ministerpräsident schlechterdings nicht mehr tragbar ist. In diesen Fällen spricht eine Vermutung dafür, dass er auch das Vertrauen des Volkes nicht mehr genießt. Allerdings hätte nach dem herrschenden Reformmodell grundsätzlich auch das Volk die Möglichkeit, während einer laufenden Legislaturperiode einen anderen Ministerpräsidenten zu wählen244. Es bestünde insofern also eine doppelte Zuständigkeit zur Entscheidung über die Fortdauer des Amtes des Ministerpräsidenten. Solange das Volk von seiner Möglichkeit der Abwahl keinen Gebrauch macht, bestätigt es de facto den Ministerpräsidenten im Amt und dieser Bestätigung widerspräche eine Abwahl durch den Landtag. Ohnehin dürfte durch das Misstrauensvotum kein Dauerzustand geschaffen werden. Die Ratio des Misstrauensvotums als Ausnahme von der originären Zuständigkeit des Volkes bedingt, dass das Misstrauensvotum zwingend zu neuen Direktwahlen führt245.

c) Initiativrecht des Landtages für Neuwahl oder echtes Misstrauensvotum? Dann ist es nur konsequent, dem Landtag ein Misstrauensvotum im herkömmlichen Sinn ganz zu versagen und die Entscheidung über den Ministerpräsidenten in allen Fällen dem Volk zu belassen246. Für die angeführten Extremfälle, in denen ein Ministerpräsident dem Parlament schlechterdings nicht mehr tragbar erscheint, sollte dem Landtag anstatt eines Misstrauensvotums ein Initiativrecht zu einer Abwahl durch das Volk zustehen247. Als weniger einschneidendes Mittel gegenüber der Abwahl durch das Parlament ist ein solches Recht zu befürworten. Die Entscheidung liegt dann wieder beim Volk. Dem Landtag wird nur die Möglichkeit eingeräumt, anstelle der latenten Volksent___________ 242

Näher dazu noch § 11 I. 5 b). Siehe § 13 I. Vgl. § 5 III. 5. c). 245 Denkbar wären auch Zwischenlösungen, etwa dergestalt, dass es nur bei einem Misstrauensvotum in der ersten Hälfte (oder den ersten zwei Dritteln) der Amtsperiode zu Neuwahlen kommt. 246 So auch von Arnim, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 27; Esterbauer, S. 3; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 21; für ein Mischsystem dagegen Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 57. 247 Erwogen bereits von Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 160. 243 244

VII. Die Kontrolle der Regierung als Ausdruck der Gewaltenteilung

245

scheidung über die Person des Ministerpräsidenten (durch „Nichtstun“) eine aktuelle Entscheidung des Volkes herbeizuführen. Im Hinblick auf die Gefahr eines Missbrauchs und den Ausnahmecharakter sollte eine Zweidrittelmehrheit erforderlich sein. Der Sache nach handelte es sich auch dabei um ein Misstrauensvotum. Primärer Adressat wäre allerdings das Volk, das aufgefordert wird, die Entscheidung über den Ministerpräsidenten im Hinblick auf die Entwicklung seit der letzten Wahl zu überprüfen. Sinnvoll ist im Ergebnis eine Regelung wie sie im Verfassungsentwurf der CDU bei der Gründung BadenWürttembergs vorgesehen war248: Danach ist ein Volksentscheid über die Abwahl des Ministerpräsidenten durchzuführen, wenn der Landtag dies mit Zweidrittelmehrheit beschließt. Scheitert die Abwahl, gilt der Landtag als aufgelöst.

d) Auswirkung auf die parlamentarische Kontrolle Selbst solche Mechanismen stellten gegenüber den jetzigen Regelungen formell – und das ist ja gerade beabsichtigt – noch eine deutliche Einschränkung dar. Für die praktischen Auswirkungen ist jedoch zu beachten, dass konstruktive Misstrauensvoten auf Landesebene praktisch so gut wie nicht vorkommen249. Insoweit scheidet jedenfalls eine Verschlechterung durch die Reform aus. Für die Verfassungswirklichkeit ist denn auch wesentlich bedeutsamer die Möglichkeit eines Misstrauensvotums. Wenn überhaupt, entfaltet es auf Landesebene darin seine eigentliche Bedeutung250. Schon derzeit ist das Misstrauensvotum aber kein ständig über dem Ministerpräsidenten schwebendes Damokles-Schwert, sondern lediglich eine vorstellbare ultima ratio. Insbesondere setzt das Misstrauensvotum schon derzeit de facto eine Entfremdung des Ministerpräsidenten mit mehr als zwei Dritteln der Landtagsabgeordneten, vor allem mit jenen der eigenen Partei voraus. Dieser Ausnahmecharakter würde lediglich normiert und stärker akzentuiert. Die stärkere Betonung der Qualität des Misstrauensvotums als schärfstes Mittel parlamentarischer Kontrolle schadet der parlamentarischen Kontrolle nicht. Im Gegenteil wird dadurch die Wichtigkeit einer effektiven parlamentarischen Kontrolle bei sorgfältiger Abwägung des gestuften Einsatzes ihrer Mittel stärker in den Vordergrund der praktischen Parlamentstätigkeit gerückt. Und vor allem wird deutlich betont, in wessen ___________ 248

Vgl. Art. 71 des Entwurfs, Verfassunggebende Landesversammlung, Beilage Nr. 118, abgedruckt bei Feuchte, Quellen II, S. 52 ff. 249 Das soweit ersichtlich einzige Misstrauensvotum in einem Bundesland fand im Jahre 1956 in Nordrhein-Westfalen gegen Karl Arnold (CDU) statt. An seiner statt wurde Fritz Steinhoff (SPD) zum Ministerpräsidenten gewählt. 250 Anders auf Bundesebene, wo bereits zwei solcher Verfahren eingeleitet wurden, von denen eines erfolgreich war, nämlich jenes gegen Helmut Schmidt im Jahre 1982, durch welches Helmut Kohl an die Macht kam.

246

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

Namen das Parlament die Kontrolle ausübt, denn letztlich – und darauf werden beide Organe achten – liegt die Entscheidung wieder beim Volk.

2. Misstrauensvoten gegen Minister? Vor dem Hintergrund vorstehender Feststellungen und den Ausführungen zum Einfluss der Landtage auf die Regierungsbildung251 ist die Frage, ob der Ministerpräsident auf Verlangen des Landtages verpflichtet sein sollte, einzelne Regierungsmitglieder oder die gesamte übrige Regierung zu entlassen, wie folgt zu beantworten: Grundsätzlich ist ein Einfluss des Landtages auf die Regierungsbildung abzulehnen252. Die Landtage sollten den Ministerpräsidenten nicht schon deshalb zur Entlassung von Regierungsmitgliedern zwingen können, weil diese nicht das Vertrauen der Landtagsmehrheit besitzen. Ein Entlassungszwang bei einfacher Mehrheit scheidet deshalb aus. Entsprechend den Ausführungen zum Ministerpräsidenten253 wäre allenfalls an ein Misstrauensvotum mit Zweidrittelmehrheit zu denken, wie es der Verfassungsentwurf der CDU bei der Gründung Baden-Württembergs vorsah254. Ein solches Instrument gegenüber den Ministern erscheint aber jedenfalls dort entbehrlich, wo eine Ministeranklage existiert. Eine Ministeranklage lässt sich zwar leichter erheben, ein Missbrauch für politische Zwecke wird aber dadurch verhindert, dass über die Ministeranklage die Verfassungsgerichte entscheiden. Dass damit der Landtag gegenüber Ministern auf ein Vorgehen gegen Rechtsverstöße beschränkt ist, erscheint nur konsequent, weil nach der hier vertretenen Auffassung die Verantwortung für die Zweckmäßigkeit der Regierungsbildung alleine dem Ministerpräsidenten obliegt255. Wo keine Ministeranklage existiert, könnte eine solche eingeführt werden. Zwingend erforderlich ist das aber nicht, da der direkt gewählte Ministerpräsident selbst ein wesentlich stärkeres Interesse an der Kontrolle seiner Minister haben wird, für die er gegenüber dem Volk die Verantwortung trägt. Eher bietet sich ein der Ministeranklage (und nach der Art der erhobenen Vorwürfe auch dem amerikanischen Imeachment-Verfahren) vergleichbares Verfahren zur Ahndung von Rechtsverstößen gegenüber dem Ministerpräsidenten an, über dessen Ergebnis letztlich das Landesverfassungsgericht zu entscheiden hätte256. ___________ 251

Siehe § 8 IV. Vgl. § 8 IV. 3. 253 Siehe § 8 VI. 1. 254 Art. 70 Abs. 3 des Entwurfs, Verfassunggebende Landesversammlung, Beilage Nr. 118, abgedruckt bei Feuchte, Quellen II, S. 52 ff. 255 Siehe § 8 IV. 3. 256 In manchen Bundesländern existiert ein solches Verfahren schon jetzt; siehe die Übersicht unter § 2 II. 252

VII. Die Kontrolle der Regierung als Ausdruck der Gewaltenteilung

247

3. Die Ausübung der Kontrolle durch die Landtage Bei einer Reihe von Unterschieden im Detail verfügen doch alle Landtage derzeit grundsätzlich über die gleichen Kontrollmittel gegenüber den Landesregierungen. Neben dem erörterten konstruktiven Misstrauensvotum sind die öffentliche Diskussion im Parlament, Anfragen an die Regierung und die Anhörung von Regierungsmitgliedern, die Bildung von Untersuchungsausschüssen, die Ministeranklage und die Einleitung von Organstreitverfahren sowie die besonderen Mittel der Finanzkontrolle, nämlich die Nicht- bzw. eingeschränkte Bewilligung des Haushaltes und die Versagung der Entlastung zu nennen.

a) Grundsätzlicher Zusammenhang zwischen innerparlamentarischer Willensbildung und Ausübung parlamentarischer Kontrolle Ein Hauptargument für eine Reform der Landesverfassungen ist, dass von diesen Kontrollinstrumentarien praktisch kein Gebrauch gemacht wird, dass diese bisweilen sogar in ihr Gegenteil verkehrt werden257. Über diesen Ausgangsbefund herrscht in der wissenschaftlichen Diskussion sogar Einigkeit. Ebenso herrscht Einigkeit, dass dies auf der bereits untersuchten258 Verantwortung der Parlamentsmehrheit für „ihre“ Regierung beruht. Beides ist im Grunde genommen auch selbstverständlich259. Ein Kontrollinstrument, das der Regierung ernstlich schaden könnte und das die Parlamentsminderheit selbständig ausüben könnte, gibt es nicht und kann es nicht geben. Es würde dem Mehrheitsprinzip zuwiderlaufen und zu einer innerparlamentarischen Lähmung führen. Eine effektive parlamentarische Kontrolle setzt deshalb immer auch eine Mitarbeit der Mehrheitsfraktion oder eben die Bildung wechselnder Mehrheiten voraus. Die Mehrheitsfraktion, die sich der von ihr gewählten Regierung verantwortlich fühlt, hat aber gerade kein Interesse, dieser in der Öffentlichkeit zu schaden. Ebenso wenig hat sie ein Interesse daran, zu diesem Zweck einzelnen Abgeordneten ein Ausscheren zu ermöglichen260. Damit und in Verbindung mit der bereits getroffenen Feststellung, dass eine Direktwahl zu einer Abschwä___________ 257 Etwa von Arnim, Staat ohne Diener, S. 325, für den Untersuchungsausschuss im Hamburger Diätenfall. 258 Siehe § 8 V. 2. 259 Siehe nur Greß/Huth, S. 48: „Leistungskontrolle ist Hauptaufgabe der Opposition“; Meyer, in: Greß, S. 35 ff., 51: „… bis auf die seltenen Fälle, in denen zu Lasten der Regierung die Flucht nach vorne für die Regierungsmehrheit die einzige strategische Alternative ist – also in den Fällen drohender Palastrevolution“. 260 Es besteht also das Dilemma, dass diejenigen die kontrollieren wollen, nicht können (Opposition) und diejenigen, die können (Regierungsmehrheit), nicht wollen, von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 378, und öfter.

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

248

chung der Regierungstreue der Parlamentsmehrheit führen würde261, liegt eine Verstärkung der parlamentarischen Kontrolle als Folge der Direktwahl an sich schon auf der Hand. Selbst Klein als schärfster Kritiker der Reform hält eine Stärkung der Selbständigkeit und Durchschlagskraft des Parlaments und damit der parlamentarische Kontrollfunktion durch die Einführung der Direktwahl für „hoch wahrscheinlich“262.

b) Die Ausübung der einzelnen Kontrollinstrumentarien Im Einzelnen äußert sich dieser Zusammenhang wie folgt:

(1) Öffentliche Kritik Die formal schwächste – in ihrer möglichen Wirksamkeit aber nicht zu unterschätzende – Form der parlamentarischen Kontrolle ist die öffentliche Auseinandersetzung mit der Tätigkeit der Regierung263. Das schließt sowohl die rein innerparlamentarische Diskussion über die Arbeit der Regierung als auch die Anhörung von Regierungsmitgliedern durch schriftliche Anfragen oder persönlich im Parlament ein. Diese Auseinandersetzung ist derzeit als solche kaum erkennbar. Eine Kritik der Regierung durch das Parlament nach einer innerparlamentarischen Mehrheitsbildung findet schlicht nicht statt264. Vielmehr bleibt jede Form der Kritik schon im innerparlamentarischen Willensbildungsprozess stecken. Wahrnehmbar nach außen sind lediglich eine Diskussion und ein Schlagabtausch zwischen Parteien, nicht aber zwischen Staatsorganen265. Zum Teil werden diese Kontrollmechanismen sogar in ihr Gegenteil verkehrt: Die Regierungskoalitionen nutzen die parlamentarischen Rechte, um der Regierung Gelegenheit zur Selbstdarstellung zu geben, z.B. durch „bestellte Anfragen“266.

___________ 261

Siehe § 8 V. 3. b). Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 577 f. 263 Darunter liegt lediglich noch die sog. informelle Kontrolle, die sich den Augen der Öffentlichkeit entzieht, s. dazu Greß/Huth, S. 47. 264 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 325; Germis, S. 59 ff.; Heinzerling, in: Busch/Berger, S. 120 ff., 122; Leibholz, in: Luchtenberg/Erbe, S. 57 ff., 63 f.; Meyer, in: Greß, S. 35 ff., 51 f. 265 Stern, Staatsrecht I, § 23 (S. 1022 ff.). 266 Heinzerling, in: Busch/Berger, S. 120 ff., 121. 262

VII. Die Kontrolle der Regierung als Ausdruck der Gewaltenteilung

249

(2) Untersuchungsausschüsse Ähnliches gilt für die übrigen Kontrollinstrumente. Untersuchungsausschüsse präsentieren sich als verkleinerte Abbilder des Parlaments. Auch hier liegt der Schwerpunkt auf der parteipolitischen Auseinandersetzung innerhalb des Ausschusses. Die Mehrheit ist regelmäßig bestrebt, die Regierung zu schützen und gibt einen Bericht ab, der mit dem von den Oppositionsfraktionen gefertigten Minderheitenbericht oftmals keine Gemeinsamkeiten hat267. Auch hier stehen sich de facto keine Staatsgewalten gegenüber. Anders verhält es sich allenfalls, wenn Gegenstand des Untersuchungsausschusses die Regierungstätigkeit vergangener Legislaturperioden ist und sich die Mehrheitsverhältnisse zwischenzeitlich geändert haben.

(3) Finanzkontrolle Am anschaulichsten zeigt sich die Identifizierung der Parlamentsmehrheit mit der Regierung bei den sog. Haushaltsdebatten, also der „Diskussion“ des von der Regierung vorgelegten Haushaltsplans im Landtag. Diese haben sich zu einer Generalabrechnung der Oppositionsparteien mit der Politik der Regierungsparteien und einer gegenüber stehenden pauschalen Verteidigung durch die Regierungsparteien im Parlament entwickelt268. Das führt dazu, dass weder der Gesamthaushaltsplan noch Pläne für die Einzelhaushalte der Minister jemals nicht bewilligt werden oder (z.B. aufgrund von Beanstandungen der Rechnungshöfe) der Regierung die Entlastung versagt wird269.

(4) Misstrauensvoten Zu Misstrauensvoten ist bereits alles gesagt270. Sie kommen in der Praxis der Bundesländer kaum vor271 und auch von der Möglichkeit ihrer Androhung wird praktisch kein Gebrauch gemacht. ___________ 267 Abitz, in: Busch/Berger, S. 20 ff., 24 ff.; von Arnim, Staat ohne Diener, S. 325; Charrissee, in: Busch/ Berger, S. 50 ff.; Firlei, in: Schäffer, S. 71 ff., 81 ff. (bezogen auf die österreichischen Bundesländer); eingehend zur Praxis parlamentarischer Untersuchungsausschüsse in den Bundesländern Germis, S. 59 ff.; Plöhn, S. 65 ff.; Simons, S. 40 ff. 268 Busch, S. 93 f. 269 Eingehend Busch, S. 87 ff.; Leibholz, in: Luchtenberg/Erbe, S. 57 ff., 63 ff; s. auch von Arnim, Staat ohne Diener, S. 325; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 21 f. 270 Siehe § 8 VII. 1.

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

250

c) Die Folgen einer Abschwächung der Regierungsgebundenheit der Mehrheitsfraktion Aufgrund der gemeinsamen Ursache für die zurückhaltende Ausübung der verschiedenen Kontrollinstrumente können die Auswirkungen der Veränderungen beim innerparlamentarischen Willensbildungsprozess für alle gemeinsam untersucht werden. Wie gesehen ist danach zu unterscheiden, ob der direkt gewählte Ministerpräsident der Partei angehört, die im Landtag die absolute272 Mehrheit hat.

(1) Die Kontrolle bei einer Kohabitation Stellt man sich die verschiedenen möglichen Szenarien bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten vor, so würde dies jedenfalls schlagartig anders werden, wenn der Ministerpräsident keiner oder nicht derjenigen Partei angehört, die im Landtag die Mehrheit hat. Eben jenes Streben nach öffentlicher Profilierung, welches die Mehrheitsfraktion derzeit dazu zwingt, ihre Regierung zu stützen, würde dann zu möglichst scharfer öffentlicher Kritik führen. Die fortbestehende Parteienbindung der Mitglieder der Mehrheitsfraktion würde unter diesen Voraussetzungen als Katalysator für die parlamentarische Kontrolle dienen. Das Bestreben der Mehrheitspartei, künftig auch den Ministerpräsidenten zu stellen, böte starken Anreiz, die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten weitest möglich auszuschöpfen und jeden Missstand im Bereich von Regierung und Verwaltung möglichst öffentlichkeitswirksam zu bekämpfen. Das gilt grundsätzlich für alle Kontrollinstrumentarien. Der Anreiz, Beanstandungen der Rechnungshöfe gegenüber den Regierungen aufzugreifen, würde ebenso erhöht wie das Bestreben, mit dem von der Mehrheit beherrschten Untersuchungsausschuss auch tatsächlich die Vorkommnisse auf Seite der Regierung zu untersuchen. Eher bestünde hier schon die Gefahr von zu viel Kontrolle, nämlich von Kontrolle um der Kontrolle und nicht mehr um der Sache willen. Davon abgesehen, dass die Kohabitation das unwahrscheinlichere Szenario ist273, stehen einer Realisierung dieser Gefahr aber die Möglichkeit des landesverfassungsgerichtlichen Organstreitverfahrens und die mit einem Missbrauch der Kontrollmechanismen verbundene Gefahr eines Ansehensverlustes in der Öffentlichkeit ___________ 271 Soweit ersichtlich gab es nur ein Misstrauensvotum auf Landesebene, nämlich jenes gegen Karl Arnold (CDU) 1956 in Nordrhein-Westfalen, siehe § 8 VII. 1. e). 272 Nur hierauf kommt es an, da die Partei des Ministerpräsidenten bei nur relativer Mehrheit mangels Koalitionspartner eine Kontrollmaßnahme nicht aus eigener Kraft verhindern kann. 273 Vgl. § 8 III. 2. c).

VII. Die Kontrolle der Regierung als Ausdruck der Gewaltenteilung

251

mit den entsprechenden Folgen entgegen. Ständige Untersuchungsausschüsse, die keine Fehler der Regierung zu Tage fördern, werden eher der Parlamentsmehrheit als dem Ministerpräsidenten schaden. Im Ergebnis führt dies zu einer Versachlichung. Es ist mit mehr Untersuchungsausschüssen zu rechnen, allerdings nur dann, wenn für ein Bedürfnis nach einer Untersuchung tatsächliche Anhaltspunkte bestehen. Das gilt entsprechend auch für die Finanzkontrolle.

(2) Die Kontrolle des „eigenen“ Ministerpräsidenten Längst nicht so stark würden sich die Auswirkungen zeigen, wenn der Ministerpräsident der Mehrheitspartei angehört. Es wurde festgestellt, dass dann zwar die Parteienbindung einen Teil der Wirkung der Direktwahl abfedert. Es wurde aber auch festgestellt, dass ein Zerwürfnis der Mehrheitsfraktion mit der Regierung in der Öffentlichkeit nicht mehr als Scheitern der Fraktion empfunden würde, dass das Druckmittel der Rücktrittsdrohung durch den Ministerpräsidenten entfiele und dass es bei einem Zerwürfnis zwischen Ministerpräsident und Partei für die Bewertung in der Öffentlichkeit auf den konkreten Gegenstand des Disputs ankommt. Dies alles führt zu wesentlich mehr Spielraum der Mehrheitsfraktion, den Ministerpräsidenten zu kontrollieren. Vor allem bei den schwächeren Kontrollmechanismen wie einer öffentlichen Erörterung der Regierungsarbeit bestünden für die Mehrheitsfraktion keine größeren Gefahren mehr. Zusätzlich führten die aufgezeigten Veränderungen zu einem wesentlich höheren Anreiz für die Nutzung dieser Kontrollmöglichkeiten auch gegenüber dem „parteieigenen“ Ministerpräsidenten. Man kann sich dies wieder am besten an einer äußerst unpopulären Handlung des Ministerpräsidenten oder eines Regierungsmitgliedes vorstellen, etwa dem Privatgebrauch eines Dienstfahrzeuges (Missbrauch des Amtes). Die Minderheit im Landtag wird dies ohnehin kritisieren und möglichst publik machen. Während bisher vornehme Zurückhaltung mit Kommentaren aus Sicht der Mehrheitsfraktion noch die aus ihrer Sicht beste Verhaltensvariante darstellte, könnte es unter den veränderten Umständen durchaus sinnvoll sein, mit der Minderheit das Regierungsmitglied zu kritisieren und gegebenenfalls auch schärfere Kontrollmittel anzuwenden. Sowohl auf die Partei als auch auf die Fraktion würde dies ein positives Licht werfen – im Sinne von „Sachlichkeit vor Parteifreundschaft“. Eine Eigenkritik läge darin nicht mehr, weil das Regierungsmitglied ja nicht von der Fraktion gewählt wurde. Letztlich könnte dies sogar dem Ministerpräsidenten dienen, der frühzeitig auf den rechten Weg zurückgeführt wird und nicht erst dann, wenn Missstände innerhalb von Regierung und Verwaltung so groß geworden sind, dass er kaum noch tragbar ist. Gerade in den vielen Sachfragen, die nicht von ganz grundlegender Bedeutung sind, böte sich den Abgeordneten der Mehrheitsfraktion die Möglichkeit, sich stärker auch gegenüber dem Ministerpräsidenten und

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

252

innerparteilich zu profilieren. Umso mehr gilt dies, als aufgrund der seinerseits abgeschwächten Bindung des Ministerpräsidenten an seine Partei auch von diesem ein verstärktes Ausschöpfen seiner Spielräume zu erwarten ist274. Trotz der grundsätzlich bleibenden (gegenseitigen) Parteienbindung ist deshalb zu erwarten, dass sich bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten Parlament und Regierung öfter als zwei Staatsgewalten gegenüber stünden.

d) Die weiteren Auswirkungen des Entfallens von Koalitionen und einer etwaigen Abschwächung der Fraktionsdisziplin Diese Prognosen werden durch die weiteren Feststellungen, dass es bei Einführung der Direktwahl keine Koalitionen mehr gäbe275 und dass die Fraktionszwänge innerhalb der Mehrheitsfraktion abnehmen würden276, noch wahrscheinlicher. Aufgrund der abnehmenden Fraktionsdisziplin und der wegen Wegfalls der Ministerpräsidentenwahl wesentlich stärkeren Betonung der übrigen parlamentarischen Aufgaben wird auch der einzelne Abgeordnete eher einmal einer Kontrollmaßnahme gegenüber dem Ministerpräsidenten seiner Partei zustimmen, wenn er dies in der Sache für geboten hält. Gerade die Kontrolle der Regierung ist neben der Gesetzgebungstätigkeit eines der Felder, auf denen sich auch der einzelne Abgeordnete profilieren kann und der Zwang zur Profilierung wird grundsätzlich erhöht, weil der Landtagsabgeordnete eben nicht mehr im Sog einer faktischen Ministerpräsidentenwahl mitgewählt würde, sondern sich die Abgeordneten in ihrer eigenen Wahl behaupten müssten – wobei für die weitere Differenzierung freilich noch das Wahlrecht eine besondere Rolle spielt277. Zudem entfiele für die derzeit häufig in Koalitionen eingebundenen Abgeordneten der sog. kleineren Parteien jeglicher Grund für eine Rücksichtnahme gegenüber dem Ministerpräsidenten.

4. Fazit: Belebung der parlamentarischen Kontrolle Praktisch führte damit die Direktwahl des Ministerpräsidenten zu einem wesentlich differenzierteren und kraftvolleren System parlamentarischer Kontrolle. Einem Übermaß oder Missbrauch der parlamentarischen Kontrolle stünde die ihrerseits differenziertere – da von der Kontrolle der Regierungen losgelöste – Kontrolle durch das Volk entgegen. Insgesamt ist damit eine deutliche Bele___________ 274

Siehe § 8 III. und § 8 VII. 5. Siehe § 8 VI. 5. e). 276 Siehe § 8 VI. 5. b). 277 Siehe dazu § 11 IV. 1. a). 275

VII. Die Kontrolle der Regierung als Ausdruck der Gewaltenteilung

253

bung der parlamentarischen Kontrolle zu erwarten. Das bestätigt die allgemeine These, dass in gewaltenteilenden Systemen regelmäßig ein selbstbewussteres Auftreten des Parlaments zu verzeichnen ist278. Vorbehaltlich etwaiger gegenläufiger Tendenzen im Bereich der Gesetzgebung (dazu sogleich) führt dies zu einer höheren Legitimation279 der Landtage, denn die Regierungskontrolle ist eine ihrer grundlegenden Aufgaben.

5. Annex: Belebung der Kontrolle der Parlamente durch die Regierungen Zu Recht betont die Frankfurter Intervention die Gegenseitigkeit der Kontrolle280. Nicht nur sollen die Landtage die Landesregierungen kontrollieren, sondern auch umgekehrt. In modernen Verfassungen ist es vor allem Aufgabe der Regierung, die Bewilligung von Haushaltsgeldern durch das Parlament zu kontrollieren, um allzu freigiebigen Subventionen und der damit einhergehenden Staatsverschuldung vorzubeugen – auch im Hinblick auf künftige Generationen, die für diese „Selbstbedienung“ aufkommen müssen281. Deshalb sehen die Landesverfassungen vor, dass ausgabenerhöhende Beschlüsse des Parlaments von der Zustimmung der Regierung abhängig sind282. Diese Kontrolle wird durch einen selbstbewussteren, dem Volk stärker und den Parteien im Landtag weniger verantwortlichen Ministerpräsidenten283 intensiviert, so dass insgesamt die gegenseitige Kontrolle der Staatsgewalten gestärkt wird284.

___________ 278

Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 154. An dieser Stelle nicht im Sinne demokratischer Legitimation verstanden; s. auch § 8 III. 4. 280 Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 22. 281 Überblick über die völlig unterschätzte Problematik der Absicherung der Belange künftiger Generationen in demokratischen Verfassungen bei Tremmel, ZRP 2004, 44 ff. 282 Siehe z.B. Art. 82 Abs. 1 BaWüVerf: „Beschlüsse des Landtags, welche die im Haushaltsplan festgesetzten Ausgaben erhöhen oder neue Ausgaben mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der Regierung. Das gleiche gilt für Beschlüsse des Landtags, die Einnahmeminderungen mit sich bringen. Die Deckung muß gesichert sein.“ 283 Siehe § 8 III. 284 Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 22. Das bestätigen auch die Untersuchungen Banners zur Haushaltspolitik unter direkt gewählten Bürgermeistern, s. dazu § 9 VII. 2. b). 279

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

254

VIII. Der Landtag als Gesetzgeber Auf die ureigenste Aufgabe der Landtage als Legislative auf Landesebene285 lassen sich die vorstehenden Überlegungen übertragen. Eine formelle Änderung tritt hier durch die Einführung der Direktwahl nicht ein, so dass es nur um die Frage geht, wie sich die Direktwahl auf das Ausfüllen der Gesetzgebungsfunktion durch die Landtage auswirken würde.

1. Weniger Einfluss der Exekutive auf die Gesetzgebung Auch hier ist zu erwarten, dass der Anreiz der eigenen Fraktion schwächer wird, ein Gesetz nur deshalb zu erlassen oder zu unterlassen, weil dies für den Ministerpräsidenten hilfreich ist. Vielmehr wird es im Hinblick auf die eigene Kontrollierung durch das Volk zu einer stärkeren Gegenstandsorientierung kommen. Auch hier gilt dies umso mehr, als es aufgrund einer Abschwächung des Fraktionszwangs und des Entfallens von Koalitionen zu wechselnden Mehrheiten kommen wird. Ungeachtet der aus der Natur der Sache resultierenden Unmöglichkeit, ein genaues Maß zu nennen, folgt hieraus ein geringerer Einfluss der Exekutive auf die Gesetzgebung. Nach wie vor kann die Regierung Gesetzesentwürfe in den Landtag einbringen. Diese werden es jedoch insofern schwerer haben, als ein bloßes „Abnicken“ der vom Ministerpräsidenten gewünschten Gesetze unwahrscheinlicher wird286. Auch die Abgeordneten der eigenen Fraktion müssen sich gegenüber dem Volk stärker profilieren. Abweichlern aus den eigenen Reihen kommt ein größeres Gewicht zu. Zudem gibt es die fest formierte Mehrheit der Regierungskoalition nicht mehr, auf welche die Ministerpräsidenten derzeit bequem zurückgreifen können287, und es entfällt eines der in schärferen Auseinandersetzungen häufig eingesetzten Mittel zur Einflussnahme auf die Gesetzgebung, nämlich die Drohung mit dem Rücktritt. Umgekehrt eröffnen sich dem Ministerpräsidenten aufgrund der seinerseits abgeschwächten Parteienbindung größere Spielräume, mit dem politischen Gegner zusammenzuarbeiten. Dies setzt freilich eine Überzeugung in der Sache ___________ 285 Art. 27 Abs. 2 BaWüVerf; Art. 5 Abs.1 BayVerf; Artt. 3 Abs. 1 Satz 1, 48 ff. BerlVerf; Art. 2 Abs. 4 Satz 1 BbgVerf; Art. 67 Abs. 1 BremVerf; Art. 6 Abs. 1 HmbVerf; Art. 116 Abs. 2 HessVerf; Art. 20 Abs. 1 Satz 3 M-VVerf; Art. 7 Satz 2 NdsVerf; Art. 3 Abs. 1 NRWVerf; Art. 79 Abs. 1 Satz 2 RhPfVerf; Art. 65 Abs. 2, 3 SaarlVerf; Art. 39 Abs. 2 SächsVerf; Art. 41 Abs. 1 Satz 2, Satz 4 VerfLSA; Art. 10 Abs. 1 Satz 3 SchlHVerf; Art. 48 Abs. 2 ThürVerf. 286 So auch Meyer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 65 ff., 73. 287 Wenn die Partei nicht über die absolute Mehrheit verfügt.

VIII. Der Landtag als Gesetzgeber

255

voraus, so dass auch deshalb im Bereich der Gesetzgebung mit einer stärkeren Gegenstandsorientierung zu rechnen ist.

2. Verantwortungsrückgewinnung bei den Landtagen Eine stärkere Gegenstandsorientierung und der Einflussschwund auf Seite des Ministerpräsidenten führt dazu, dass die Funktion der Gesetzgebung wieder stärker in den Vordergrund rückt. Sowohl nach der klassischen Gewaltenteilungslehre als auch nach den Regelungen in den Landesverfassungen kommt den Landtagen die Aufgabe zu, die grundlegenden Regeln für das Zusammenleben der Bürger in Form von Gesetzen zu formulieren288. Für die Festelegung dieser grundlegenden Regeln ist es besonders wichtig, dass ein Austausch zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und eine Diskussion der unterschiedlichen Auffassungen im Land statt findet289 und genau dem dient die Existenz der Landtage als Kollegialorgane. Aufgrund dieser Form der Entscheidungsfindung besteht für Gesetze eine gewisse „Richtigkeitsvermutung“, wenigstens im Sinne einer Nähe zum Volkswillen290. Dafür trägt umgekehrt der Landtag die Verantwortung. Dieser Verantwortung entledigen sich die Landtage bei einer bloßen Übernahme von Gesetzesentwürfen der Exekutiven. Besonders gilt dies für solche Gesetze, die eine Mehrheit von Landesregierungen entworfen hat („Einheitsentwürfe“291) und die damit von landesfremden Motiven mitbestimmt sind. Diese führen sowohl die horizontale Gewaltenteilung als auch den Föderalismus ad absurdum. Mithin gewinnen in gleichem Maße, wie der Einfluss der Exekutiven auf die Gesetzgebung schwindet und sich der Anreiz für die Landtage erhöht, ihre Gesetzgebungskompetenzen eigenständig und kraftvoll auszüben, die Landtage ihre Verantwortung für die grundlegende Regelung des menschlichen Zusammenlebens in den Ländern zurück.

___________ 288

Vgl. Art. 27 Abs. 2 BaWüVerf; Art. 5 Abs.1 BayVerf; Artt. 3 Abs. 1 Satz 1, 48 ff. BerlVerf; Art. 2 Abs. 4 Satz 1 BbgVerf; Art. 67 Abs. 1 BremVerf; Art. 6 Abs. 1 HmbVerf; Art. 116 Abs. 2 HessVerf; Art. 20 Abs. 1 Satz 3 M-VVerf; Art. 7 Satz 2 NdsVerf; Art. 3 Abs. 1 NRWVerf; Art. 79 Abs. 1 Satz 2 RhPfVerf; Art. 65 Abs. 2, 3 SaarlVerf; Art. 39 Abs. 2 SächsVerf; Art. 41 Abs. 1 Satz 2, Satz 4 VerfLSA; Art. 10 Abs. 1 Satz 3 SchlHVerf; Art. 48 Abs. 2 ThürVerf. 289 Sog. Repräsentationsprinzip, vgl. Herzog, Staatslehre, S. 193 f., 258; von Münch, Rn. 625 f. 290 Näher zum inhaltlichen Maßstab für Gesetze und andere politische Entscheidungen § 9. 291 Siehe § 7 IV. 3. b) (5).

§ 8 Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

256

3. Belebung und schärfere Konturierung der Trennung von gesetzgebender und ausführender Staatsgewalt Das führt insgesamt zu einer stärkeren Trennung und einem stärkeren Hervortreten der Funktionen von Legislative und Exekutive. Die Landtage erlassen die grundlegenden Regeln in Form von Gesetzen und tragen hierfür die Verantwortung gegenüber dem Volk. Die Regierungen und die nachgeordnete Verwaltung führen diese aus und tragen dafür die Verantwortung gegenüber dem Landtag und gegenüber dem Volk. Bildlich gesprochen rückt damit jede Staatsgewalt wieder stärker „auf ihre Seite“.

4. Stärkere Legitimation der Landtage und der Staatsqualität der Bundesländer Damit trägt die Einführung einer Direktwahl des Ministerpräsidenten auch über die Stärkung (oder Aufhebung der Schwächung) der Landtage im Bereich der Gesetzgebung zu einer Erhöhung der Legitimation292 der Landtage selbst bei. Ein Gesetzgeber ist schließlich nur erforderlich, wenn er auch die Gesetze gibt. Ebenso bedeutsam aber ist, dass sich hierdurch auch die Legitimation der Staatsqualität der Bundesländer erhöht. Nach heutigem demokratischen Staatsverständnis ist hierfür mehr erforderlich als eine bloße Exekutiveinheit. Gerade in einer eigenständigen Gesetzgebung liegt deshalb auch die Berechtigung der Bundesländer und das Bedürfnis für die Bundesländer. Auf diesen Gesichtspunkt ist bei den Auswirkungen der Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates noch zurückzukommen293.

IX. Fazit: Belebung der Gewaltenteilung auf Landesebene Insgesamt lässt sich für das Verhältnis der Staatsorgane auf Landesebene festhalten, dass durch eine Direktwahl der Ministerpräsidenten die Gewaltenteilung auf Landesebene deutlich belebt würde.

___________ 292 Gemeint ist auch hier nicht demokratische Legitimation sondern Legitimation durch beste Eignung zur Wahrnehmung einer Aufgabe, sog. „Legitimation durch Richtigkeit“, s. von Arnim, AöR 113 (1988), 1 ff., 11 ff.; s. auch § 9 VIII. 7. 293 Siehe § 10 III. 4.

IX. Fazit: Belebung der Gewaltenteilung auf Landesebene

257

1. Stärkung des Ministerpräsidenten ≠ Schwächung des Landtages Bedenken, die Direktwahl der Ministerpräsidenten führten zu einer Schwächung der Landtage, sind damit ebenso ausgeräumt wie Bedenken, die Ministerpräsidenten könnten im Verhältnis zu den Landtagen zu stark werden. Einen „Bonapartismus“294, „cäsaristische oder hindenburgische Entwicklungen“295 würde es nicht geben. Etwas anderes könnte sich allenfalls noch bei einer – nicht zwingend mit der Direktwahl einhergehenden – deutlich längeren Amtsperiode des Ministerpräsidenten gegenüber dem Landtag ergeben296. Will man ein Fazit in quantitativer Hinsicht ziehen, muss dieses lauten, dass beide Staatsgewalten an Stärke hinzugewinnen. Qualitativ liegt dies daran, dass durch die Direktwahl Parteifunktionen gegenüber Staatsfunktionen zurücktreten und die Ausübung der in den Vordergrund tretenden Staatsfunktionen stärker gegenseitig und durch das Volk kontrolliert wird. Der allgemeine Satz, dass nicht etwa im parlamentarischen System das Parlament besonders stark ist, sondern umgekehrt gerade im Präsidialsystem Parlamente besonders stark sind297, gilt also auch für die deutschen Bundesländer.

2. Erhöhung der Transparenz Diese Befreiung der Staatsgewalten von einem Übermaß parteipolitischer Verflechtung und die schärfere Konturierung der Tätigkeiten ihrer Amtsträger führen zu einer Erhöhung der Transparenz298. Eher als im gegenwärtigen System kann das Volk einen Hoheitsakt bestimmten Verantwortungsträgern zuordnen. Dies ermöglicht dem Volk die bessere Kontrolle der Staatsgewalten. Eine bessere Kontrolle, ob Gesetze im Interesse des Volkes erlassen werden einerseits und ob sie im Interesse des Volkes ausgeübt werden andererseits, stellt wiederum eine Form der Mitbestimmung durch das Volk dar und erhöht die Legitimation der Hoheitsakte beider Staatsgewalten299.

___________ 294

Borchert, S. 215. Vgl. Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 19. 296 Siehe dazu § 11 II. 1. c). 297 Von Arnim, Vom schönen Schein, S. 157; Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 154; Dahrendorf, Sprachlose Parlamente, SZ v. 29. August 2002; Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 51. 298 Entgegen Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 56. 299 Ebenso Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 148 f. 295

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl Die festgestellten zu erwartenden Auswirkungen auf die Entscheidungsprozesse bei Ministerpräsident und Landtag führen zwangsläufig zu der Frage, wie sich diese Auswirkungen im Entscheidungsprozess auf die Qualität der Ergebnisse auswirken. Dieser äußerst vielschichtigen Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.

I. Die Bedeutung der Frage nach dem Qualitätsmaßstab Welche Folgen haben die größere Unabhängigkeit des Ministerpräsidenten von seiner Partei und die fehlende Bindung an einen Koalitionspartner auf das Regierungshandeln? Welche Folgen hat die Feststellung, dass der Ministerpräsident und die Mehrheitsfraktion ihre Auffassungen und Entscheidungen bei einer Direktwahl stärker am Gegenstand der Entscheidung orientieren können, für die Qualität der Landespolitik? Gerade diese Fragen sind von entscheidender Bedeutung für die Bekämpfung des Problems der Politikverdrossenheit1. Schließlich hat diese eine Hauptursache in dem Empfinden der Bevölkerung, dass Politik gegenwärtig zumindest partiell nicht in ihrem Sinne und/oder zum Wohl der Gemeinschaft betrieben wird. Aufgeworfen ist damit die Frage nach der Bewertung von Politik. Deren Beantwortung hängt entscheidend vom anzulegenden Maßstab ab, dem Ideal, an welchem Ministerpräsident und Landtag ihr Handeln auszurichten haben, und davon, ob es überhaupt einen solchen übergeordneten Maßstab gibt.

II. Ausgangspunkt Lincoln-Formel: Demokratie als Entscheidung für das Volk Angesprochen ist damit die zweite Komponente der Lincoln-Formel2: Demokratie ist Entscheidung für das Volk. Dieser Ausgangsbefund ist als solcher

___________ 1 2

Siehe dazu § 6 IV. Siehe § 6 II. 5. a).

IV. Folgen für die Untersuchung

259

noch unstreitig3. Damit ist indessen noch kein Qualitätsmaßstab verbunden. Jeder kann behaupten, im Interesse des Volkes zu handeln. Empirisch lässt sich weder der Nachweis erbringen noch das Gegenteil beweisen. Selbst eine unmittelbare Befragung des Volkes, ob eine bestimmte Entscheidung in seinem Interesse liegt, vermag – obgleich höchst demokratisch – diese Erkenntnis nicht zwingend zu erbringen: Nicht auszuschließen ja, dass selbst das Volk – bzw. allgemein ein „Subjekt“4 – eine Entscheidung wider das eigene Interesse trifft5.

III. Das Problem der Beantwortungskompetenz Das führt zu einem noch grundlegenderen Problem: Wer entscheidet, ob es einen solchen Maßstab gibt? Die Politik selbst? Die Verfassung? Die Wissenschaft? Übergeordnetes (Natur-)Recht? Reicht es nicht oder ist es nicht geradezu der Demokratie immanent, dass das Volk durch Wahlen den jeweils gültigen Maßstab für die Politik bestimmt6? Werden die Verantwortlichen wiedergewählt, war die Politik gut? Werden sie abgewählt, war die Politik schlecht? Ist Raum für einen übergeordneten Maßstab, dem selbst eine Entscheidung unmittelbar durch das Volk einmal widersprechen könnte? Und natürlich: Kann eine wissenschaftliche Arbeit diesen Maßstab ergründen und darf sie daran Politik bewerten?

IV. Folgen für die Untersuchung Schon diese Art der Fragestellung zeigt, dass die Möglichkeit und (für das Ziel der Arbeit) Gefahr einer philosophischen Ausuferung des Fragenkomplexes besteht7, die den vorliegenden Rahmen sprengen und im Hinblick auf die Praxisbezogenheit der Reformvorschläge einer auf möglichst breiter Ebene überzeugenden Lösung abträglich wäre. Mag das Ergebnis lauten, dass es einen übergeordneten Maßstab gibt oder auch nicht. In jedem Fall muss eine Aussage ___________ 3 Statt vieler von Arnim, DÖV 1990, 85 ff., 91 f.; ders., in: ders., Finanzkontrolle, S. 39 ff., 44 f.; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abschn. II Rn. 46; Hesse, VVDStRL 17 (1959), 11 ff., 19 f.; Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 46 ff., 60. 4 Kritiker der Gemeinwohllehre verneinen z.T. schon die Existenz eines Volkswillens: „Vox populi vox nihili. Die Stimme des Volkes ist die Stimme des Nichts! Denn die Stimme des „Volkes“ – eine volonté général – gibt es gar nicht“, van Ooyen, RuP 36 (2000), 165 ff., 166; dort auch zum geisteswissenschaftlichen und geschichtlichen Hintergrund, m.w.Nachw. 5 Das ist umstritten, s. § 9 V. 1. 6 In diesem Fall hätte die zweite Komponente der Lincoln-Formel keine eigenständige Bedeutung. 7 Vgl. von Arnim, ZRP 2002, 223 ff., 223; ders., Staatslehre, S. 124 ff.

260

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

dazu abstrakt bleiben. Das führt zwangsläufig zur Angreifbarkeit von daraus abgeleiteten Bewertungen politischer Entscheidungen. Damit wäre wenig gewonnen. Man gelangte in den Bereich politischer Überzeugungen oder aber wäre in der Diskussion in diesen Bereich abdrängbar8. Vordringlichste Aufgabe im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist deshalb die Prüfung, inwieweit es eines so abstrakten Maßstabes überhaupt bedarf oder ob nicht weitgehend auch aus möglichst breit konsentierten Einzelerkenntnissen hinreichende Schlussfolgerungen gezogen werden können.

V. Gemeinwohl – was ist das? Als abstrakter Maßstab in obigem Sinne kommt nur das von den Reformbefürwortern angeführte9 Gemeinwohl in Betracht10. Der Begriff ist verfassungsrechtlich verankert11. Man kann es anders bezeichnen, etwa als Gesamtwohl, Volkswohl12 oder bezogen auf das Land auch als Landeswohl, doch ändert die verwendete Bezeichnung nichts daran, dass es sich notgedrungen um eine Leerformel handeln muss. Auf den Gegenstand des Gemeinwohls kommt es an und wenn überhaupt, dann gilt es diesen zu erfassen.

1. Der Gemeinwohlbegriff in der Kritik Der von den Reformbefürwortern in die Diskussion eingeführte Gemeinwohlbegriff ist einer der Hauptstreitpunkte in der Diskussion um die Direktwahl des Ministerpräsidenten. Hier liegt der wesentliche Ansatz für die Kritik von Klein. Zur Lösung der Problematik erscheint es am vielversprechendsten, bei dieser Kritik anzusetzen. Die Kritik Kleins wurde bereits im Einzelnen dargestellt13. Sie geht in ihren wesentlichen Zügen dahin, dass das Postulat der Reformbefürworter, die Direktwahl führe zu einer Stärkung der Unabhängigkeit des Ministerpräsidenten im Sinne einer überparteilichen und überverband___________ 8

Vgl. § 6 II. 3. d). Vgl. von Arnim, ZRP 2002, 223 ff.; ders., Staat ohne Diener, S. 331; Frankfurter Intervention, RuP 1995, 16 ff., 19. 10 Siehe allgemein zur Gemeinwohlgebundenheit von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 13 ff.; ders., Staatslehre, S. 127 ff., 235 ff.; ders., Das System, S. 31 ff.; ders., ZRP 2002, 223 ff., 223; Link, VVDStRL 48 (1990), 7 ff., 19 ff. 11 Siehe von Arnim, ZRP 2002, 223 ff., 223, m.w.Nachw. (für Art. 1 Abs. 1 GG); und Normen wie z.B. Art. 1 Abs. 2, 3 RhPfVerf. 12 Art. 30 Abs. 2 NRWVerf. 13 Siehe § 3 VII. 7. 9

V. Gemeinwohl – was ist das?

261

lichen Gemeinwohlorientierung, an der Wirklichkeit vorbei gehe14, weil sich in ihr die Illusion spiegele, es gebe ein objektives Gemeinwohl, das sich in einem rationalen Erkenntnisprozess aufspüren lasse, wenn man die störende Konkurrenz der Partikularinteressen hinter sich lasse15. Dem stellt Klein die Idee eines Gemeinwohls als an jeden Amtsträger gerichtete, rechtlich verpflichtende Aufforderung, sich im Amte mit keinem partikularen Interesse einschließlich des eigenen zu identifizieren, gegenüber, wonach Staat und Amtsträger sämtliche partikulare Interessen nach bestem Wissen und Können zusammenzuführen und zu einem für alle hinnehmbaren Ausgleich zu bringen haben16. In diese Richtung argumentiert auch Maurer17. Das Gemeinwohl sei kein objektiver, bei gutem Willen und der notwendigen Einsicht fassbarer Wert, sondern müsse im Diskurs ermittelt werden, wobei sich schnell zeige, dass es ohne Kompromisse nicht gehe. Letztlich handelt es sich dabei um den alten (seit Rousseau) Streit über die pluralistische Demokratietheorie18.

2. Der Gemeinwohlbegriff der Frankfurter Intervention Der Verfasser hat bereits erste Zweifel geäußert, ob nicht diese Kritik von Klein an dem Gemeinwohlargument der Reformbefürworter vorbeigeht19. Klein bezieht die Kritik ausdrücklich auf das Gemeinwohlverständnis der Frankfurter Intervention, das er für eine gefährliche Mystifikation20 hält. Zuzugeben ist ihm insoweit, dass man jedenfalls die schlagwortartige Aufführung des Gemeinwohlbegriffs in der Frankfurter Intervention so verstehen kann. Man kann dem Begriff der überverbandlichen Gemeinwohlorientierung entnehmen, dass es ein absolutes überverbandliches Gemeinwohl geben muss. Zwingend ist dies aber nicht; es kann auch etwas ganz anderes gemeint sein. Befasst man sich schon mit Auslegung, ist zu berücksichtigen, dass die Frankfurter Intervention ein politischer Aufruf war21. Weder standen auf Seite der Aufrufenden ausschließlich Wissenschaftler22, noch war die Frankfurter Intervention an Wissenschaftler gerichtet, noch erhob sie inhaltlich wissenschaftlichen Anspruch. Ihr Ziel war es, mit einer kurzen Botschaft „aufzurütteln“ und Lösungs- und Begrün___________ 14

Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 580. Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 581; ihm folgend Schneider, S. 103. Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 582 f. 17 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 158. 18 Den Zusammenhang zeigt auf van Ooyen, RuP 36 (2000), 165 ff., 166. 19 Siehe § 3 VII. 7. 20 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 581. 21 Siehe § 3 VI. 22 Vgl. die namentliche Aufführung in RuP 1995 16 ff., 16, und Stuttgarter Zeitung v. 23. September 1994, S. 5; sowie unter § 3 VI. 15 16

262

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

dungsansätze aufzuzeigen, nicht diese bis in jede Verästelung wissenschaftlich zu belegen. Verkürzt aber eine Streitpartei eine Argumentation auf ein Schlagwort, das in unterschiedlichem Sinne verstanden werden kann, entbindet das den Gegner, der sich mit dieser Argumentation und wissenschaftlichem Anspruch auseinandersetzt, nicht von der Notwendigkeit, sich mit sämtlichen Möglichkeiten auseinanderzusetzen, soll das Argument vollständig widerlegt werden. Notfalls – und das ist der sicherste Weg um Missverständnisse auszuräumen – muss er zur Präzisierung auffordern.

3. Die Gemeinwohllehre von Arnims Vorliegend ist weitere Präzisierung aber entbehrlich. Die Gemeinwohlargumentation wurde sowohl in die Diskussion um die Direktwahl des Ministerpräsidenten23 als auch in die Frankfurter Intervention24 durch von Arnim eingeführt. Von Arnim aber hat sich in diesem Zusammenhang weder speziell noch erstmals mit dem Gemeinwohlbegriff befasst. Vielmehr hat er bereits in seiner Habilitationsschrift aus dem Jahre 1977 eine umfassende Gemeinwohllehre entwickelt. Darauf basiert insoweit die Frankfurter Intervention. In die Kritik der Reformgegner müsste und in die wissenschaftliche Diskussion muss dieser Hintergrund einbezogen werden. Vorliegend kann diese Lehre nur in ihren wesentlichen, für die Diskussion aber hinreichenden und entscheidenden Zügen nachgezeichnet werden.

a) Die Gemeinwohlrichtigkeit und ihre normativen Grundlagen Das Gemeinwohl versteht von Arnim, wie auch die Kritiker einer Verwendung des Gemeinwohlbegriffs und wie es auch in der vorliegenden Abhandlung verwendet wird, als „Richtigkeit von Gemeinschaftsentscheidungen“25. Genau daran entzündet sich die Kritik, nämlich an der Frage, ob und inwieweit es eine Richtigkeit von Gemeinschaftsentscheidungen geben kann. Für diese gängige Kritik – der Streit war auch schon damals in der Staatsphilosophie keineswegs neu – weist von Arnim nach, dass sie jedenfalls an seinem Gemeinwohlkonzept vorbeigeht26. Namentlich handelt es sich dabei um historische Argumente, um die Instrumentalisierung des Begriffs gerade durch Partikulargruppen, um die Unbestimmtheit des Begriffs und um das Postulat, die Formulierung eines ___________ 23

Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 331. Vgl. RuP 1995, 16 ff., 16. 25 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 5. 26 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 5 ff. 24

V. Gemeinwohl – was ist das?

263

einheitlichen allumfassenden Zieles des Staates und der Politik sei überflüssig und irreführend, ja gefährlich. Bei dem letztgenannten Gegenargument handelt es sich letztlich schon um das Argument von Klein und Maurer. Schon bevor von Arnim seine eigene Lehre entwickelt, zeigt er hierzu auf, dass der Gedanke, das Ergebnis des freien Spiels der Individuen oder Gruppen sei automatisch – also immer – gemeinwohlkonform, nicht mehr akzeptabel ist27. So sieht dies i.E. auch Klein, denn wenn er ein Streben jedes Amtsträgers fordert, sich im Amte mit keinem Partikularinteresse zu identifizieren, impliziert dies, dass auch das Gegenteil möglich und nicht gemeinwohlkonform ist. Die Einwände gegen den Gemeinwohlbegriff berücksichtigend entwickelt von Arnim seine Gemeinwohllehre, indem er den philosophischen Werterelativismus mit der Wertetrias Radbruchs (menschliche Persönlichkeit, Gesamtpersönlichkeit eines Staates oder Verbandes, geschaffenes Werk) wegen der Erhebung der Menschenwürde zum obersten Wert durch das Grundgesetz28 hinter sich lässt29. Dieser heute zwingende (verfassungs-)rechtswissenschaftliche Ansatz verschafft der Gemeinwohllehre Gültigkeit über Deutschland hinaus für alle Gemeinschaftssysteme, die auf dem Primat der Menschenwürde basieren und führt zu einer zweigliedrigen Gemeinwohllehre.

b) Die Lehre von den Gemeinwohlgrundwerten Die erste Stufe der Gemeinwohllehre nimmt eine Wertelehre ein30. Die Menschenwürde entfaltet sich danach in einer Reihe von sog. Gemeinwohlgrundwerten, die sich teilweise überlagern und teilweise in Spannungsverhältnissen zueinander stehen31. Namentlich handelt es sich um Freiheit, Gerechtigkeit, (Rechts-)Sicherheit sowie Frieden und Wohlstand, die dem Grundgesetz zugrunde liegen und sich ableiten lassen aus den Grundrechten, dem Rechtsstaats, Sozialstaats-, und Demokratieprinzip und der Verpflichtung der öffentlichen Hand auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht. Gemeinwohlkonform sind diejenigen gemeinschaftserheblichen Entscheidungen, die eine relative, auf die jeweilige Situation bezogene Optimierung der Gemeinwohlwerte bewirken32. Damit handelt es sich bei dem Gemeinwohlbegriff von Arnims nicht um einen ___________ 27 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 8, unter Verweis auf Dürig, JZ 1953, 193 ff., 196; s. auch von Arnim, in: Zimmermann, S. 7 ff., 11, unter Hinweis auch auf die Lehre Hermann Soells; dagegen van Ooyen, RuP 36 (2000), 165 ff., 166, m.w.Nachw. 28 Vgl. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG. 29 Vgl. von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 9 ff. 30 Vgl. von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 11 ff. 31 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 22 ff. 32 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 48 ff.

264

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

absoluten Gemeinwohlbegriff. Dass sich im Einzelfall eine Gemeinwohlkonformität oder -nonkonformität feststellen lässt33, steht dem nicht entgegen. Sie ist nicht Ausdruck eines absoluten Gemeinwohlgegenstandes, sondern Ergebnis der Relation34. Von einer „Mystifikation“35 kann man schon deshalb nicht sprechen. Jedenfalls ist aber das „Gefährliche“36 an ihr ausgeräumt.

c) Die Lehre von den Optimierungsverfahren Die zweite Stufe der Gemeinwohllehre von Arnims bilden die Verfahren der Willensbildung und Entscheidung im Gemeinwesen. Diese teilt von Arnim in zwei Gruppen, nämlich die macht- und interessentendeterminierten Verfahren einerseits und die wert- und erkenntnisorientierten Verfahren andererseits, die unterschiedliche Anforderungen an die angemessene Ausgestaltung stellen37. Den hier interessierenden politischen Prozess in der pluralistischen Demokratie ordnet von Arnim teilweise der ersten, teilweise der letzen Verfahrensart zu38. Für die wert- und erkenntnisorientierten Verfahren gelangt von Arnim zu dem Ergebnis, dass sich damit auch bei Berücksichtigung früherer Entscheidungen ein fester Kern von halbwegs präzisen Ergebnissen nur innerhalb eines weiten Bereichs von Unsicherem und Zweifelhaften ermitteln lässt, dass sich aber dieser Unsicherheitsbereich durch die Subsumtionsmethode erheblich eindämmen lässt39. Auch für den politischen Prozess gilt danach: Wenn sich im Einzelfall eine konkrete Aussage zur Gemeinwohlkonformität treffen lässt, ist diese nicht Ausdruck eines absoluten Kerns des Gemeinwohls, sondern Ergebnis der Relation der Gemeinwohlwerte.

___________ 33

So wird bei Entgegennahme einer Gegenleistung für die Entscheidung (Korruption, s. dazu etwa Ostendorf, NJW 1999, 615 ff., m.w.Nachw.) zumindest eine Vermutung oder ein „Anscheinsbeweis“ dafür sprechen, dass Gemeinwohlgrundwerte außer Acht gelassen wurden oder andere „Werte“ unzulässigerweise mit berücksichtigt wurden. 34 Deutlich auch von Arnim, Das System, S. 31: Das Gemeinwohl diene „als aufgegebene Zielrichtung, nicht als vorgegebene Größe“. 35 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 581. 36 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 581. 37 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 50 ff. 38 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 190 ff. 39 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 75.

V. Gemeinwohl – was ist das?

265

4. Zwischenergebnis: Einigkeit in Bezug auf die Relativität des Gemeinwohls Damit lässt sich als Zwischenergebnis festhalten, dass die Kritik von Klein und Maurer das Argument der Reformbefürworter, durch die Direktwahl würde die Unabhängigkeit des Ministerpräsidenten im Sinne einer überparteilichen und überverbandlichen Gemeinwohlorientierung gestärkt, nicht entkräften kann, weil es dieses Argument, so wie es tatsächlich gemeint ist, schon nicht trifft. Es haben insoweit beide Seiten Recht: Wenn Klein anführt, jeden Amtsträger treffe die Pflicht, sich im Amte mit keinem partikularen Interesse einschließlich des eigenen zu identifizieren und statt dessen sämtliche partikulare Interessen nach bestem Wissen und Können zusammenzuführen und zu einem für alle hinnehmbaren Ausgleich zu bringen40, ist dies nichts anderes als eine Optimierung der Gemeinwohlwerte im Einzelfall nach der Gemeinwohllehre von Arnims. Deutlich kommt dies auch in der These zum Ausdruck, dass sich zwar häufig nicht feststellen lässt, was dem Gemeinwohl entspricht, sich aber bisweilen41 eindeutig feststellen lässt, was gemeinwohlschädlich ist42. Eine solche Inhaltsbestimmung für den Einzelfall ist nicht ungewöhnlich; sie ist bekannt von den sog. unbestimmten Rechtsbegriffen wie z.B. den „guten Sitten“43, wo ebenfalls keine genaue abstrakte Inhaltsbestimmung möglich ist, gleichwohl aber Verstöße (z.B. Sittenwidrigkeit) festgestellt und für den Einzelnen dadurch sogar Rechtsfolgen ausgelöst werden können.

a) Einzelstreitfragen auf Basis der Gemeinwohllehre von Arnims Fraglich und streitbar sind deshalb im Zusammenhang mit dem Gemeinwohl zwei andere Punkte. Erstens geht es um die Frage, welche relevanten Gemeinwohlwerte im Einzelnen ermittelt werden können. Zweitens geht es um die Frage, ob ein direkt gewählter Ministerpräsident und aufgrund der infolge seiner Direktwahl eingetretenen Veränderungen auch die Landtage diese Gemeinwohlwerte besser, schlechter oder unverändert gut optimieren können. Man betrachte das Beispiel von Personalentscheidungen in der Verwaltung: Reformkritiker, die einwenden, durch die Direktwahl würde Ämterpatronage nicht eingedämmt, erkennen mit den Reformbefürwortern Ämterpatronage als gemeinwohlschädlich an; sie werfen nur die zweite Frage auf. Ein Kritiker wie ___________ 40

Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 582 f. Hervorhebung durch den Verfasser. 42 Von Arnim, Staatslehre, S. 125, unter Hinweis auf Aristoteles und den Vers von Wilhelm Busch: „Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, das man lässt.“ 43 Vgl. § 138 Abs. 1 BGB. 41

266

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

Klein, der einwendet, ein Verwaltungschef könne es nicht riskieren, dass seine Entscheidungen nicht selbständig weitergedacht und in eigener Initiative ausgeführt, sondern behindert oder konterkariert werden44, leugnet schon, dass Ämterpatronage überhaupt gemeinwohlschädlich ist. Das ist nichts anderes als die Behauptung, dass es entweder keine der Ämterpatronage entgegenstehenden Gemeinwohlgrundwerte gibt oder dass die Ämterpatronage ihrerseits durch höherwertige Gemeinwohlgrundwerte bzw. Ausprägungen von Gemeinwohlgrundwerten (z.B. Effektivität der Verwaltung, Regierungsfähigkeit o.ä.) gerechtfertigt ist. All dies ist aber Kritik auf dem Boden der von Arnim`schen Gemeinwohllehre – nicht an ihr.

b) „Optimierungsoptimierung“ durch direkt gewählten Ministerpräsidenten als grundsätzliche Frage Von grundsätzlicher Natur verbleibt im Zusammenhang mit dem Gemeinwohl deshalb nur die Frage, ob ein direkt gewählter Ministerpräsident und ein infolge dessen von ihm unabhängigerer Landtag in ihren politischen Willensbildungsverfahren allgemein Gemeinwohlgrundwerte besser optimieren können, als dies im gegenwärtigen Landesparlamentarismus der Fall ist. Zu dieser Frage nimmt Klein letztlich keine Stellung. Wenn er ausführt, der Gegenstand der Idee des Gemeinwohls sei die an jeden Amtsträger gerichtete, rechtlich verpflichtende Aufforderung, sich im Amte mit keinem partikularen Interesse zu identifizieren45, sagt dies nichts darüber aus, ob nicht ein direkt gewählter Ministerpräsident genau dies besser verwirklichen kann, der Gefahr, sich von Partikularinteressen vereinnahmen zu lassen, also besser trotzen kann. Genauso stellt sich für die Tätigkeit der Landtage die Frage, ob nicht bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten die Landtage besser in der Lage sind, einer Vereinnahmung von Partikularinteressen zu widerstehen. Dies ist für Sachentscheidungen im Bereich der Exekutive und Legislative zu klären46.

VI. Gemeinwohl und Personalentscheidungen Dass sich mit der Gemeinwohllehre von Arnims, also gerade ohne einen absoluten und fest umrissenen Gegenstand des Gemeinwohls, durchaus praktikable Maßstäbe und praktische Ergebnisse gewinnen lassen, belegt der Bereich Personalentscheidungen in der öffentlichen Verwaltung: ___________ 44

Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 580. Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 582 f. 46 Siehe dazu § 9 VII. 45

VI. Gemeinwohl und Personalentscheidungen

267

1. Die Gemeinwohlwerte in Art. 33 Abs. 2, 3 GG und den entsprechenden Regelungen der Landesverfassungen Nach der Gemeinwohlwertelehre sind zunächst die relevanten Gemeinwohlgrundwerte zu ermitteln. Schon dies führt zu greifbaren Erkenntnissen. Für den Zugang zu „jedem öffentlichen Amte“ sind die Grundwerte nämlich näher konkretisiert. Maßgebliche Kriterien sind Eignung, Befähigung und fachliche Leistung47. Andere Kriterien sind ausgeschlossen48. Als höhere und hinter diesen normativen Vorgaben stehende Gemeinwohlgrundwerte mag man den Gleichheitssatz und das Rechtsstaatsprinzip ansehen. Letztlich braucht dies aber gar nicht geklärt zu werden, weil Konkretisierungen im Verfassungsrecht als Entscheidungsrahmen schon wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu beachten sind. Da die genannten Kriterien für die Besetzung öffentlicher Ämter grundsätzlich abschließend sind49 und weil die Kriterien von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung noch weiter konkretisiert sind, erhält man so schon einen sehr präzisen Maßstab. Bevor man daraus Schlüsse zieht – die Parteizugehörigkeit ist eindeutig nicht aufgeführt – gilt es jedoch, alle relevanten Gemeinwohlwerte zu erfassen.

2. Effektivität der Regierung als zu berücksichtigender Gemeinwohlwert? Als gegenläufiger Gemeinwohlwert kommt die von Klein angeführte50 Effektivität der Verwaltung in Betracht. Sicherlich gebieten es eine Reihe von Normen des Grundgesetzes und der Landesverfassungen, insbesondere aber das Erfordernis einer persönlichen Legitimationskette bis zum untersten Amtswalter51, dass die Regierung nicht durch Unfolgsamkeit und konterkarierendes Verhalten der nachgeordneten öffentlichen Verwaltung lahmgelegt werden darf. Es mag auch sein, dass es ein Verwaltungschef nicht riskieren kann, dass seine Entscheidungen nicht selbständig weitergedacht und in eigener Initiative ausgeführt, sondern behindert oder konterkariert werden52. Dies alles ist jedoch irrelevant, weil insoweit mit Art. 33 GG und den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Vorschriften Spezialregelungen existieren, in denen die Verfassungsgeber diesen Ausgleich bereits vorgenommen haben. Nur wenn man ___________ 47

Für den Bund Art. 33 Abs. 2 GG. Die Landesverfassungen enthalten entsprechende Regelungen, s. etwa Art. 134 HessVerf. 48 Etwa die Religionszugehörigkeit ausdrücklich nach Art. 33 Abs. 3 GG, Art. 134 HessVerf. 49 Jachmann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 33 Rn. 17. 50 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 580. 51 Siehe § 7 I. 4. 52 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 580.

268

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

über deren Gemeinwohlkonformität diskutiert, ist Raum für Kleins Argument. Solange die Verfassungen einen Ausgleich vorgenommen haben und im Hinblick auf Bedenken wie die von Klein die Weisungsgebundenheit der nachgeordneten Verwaltung für ausreichend erachten, sind die Ministerpräsidenten und Regierungen hieran gebunden. Solange die Verfassung konkrete Vorschriften über die Besetzung öffentlicher Ämter enthalten, sind diese ausschließlich zu beachtende Gemeinwohlwerte.

3. Verfassungswidrigkeit und Gemeinwohlschädlichkeit der Ämterpatronage Als gegenläufige Gemeinwohlwerte kommen deshalb nur verfassungsimmanente Grenzen auf gleicher Konkretisierungsstufe in Betracht. Die Parteizugehörigkeit darf bei einer Stellenbesetzung also nur dort berücksichtigt werden, wo das Amt nach anderen Vorschriften der jeweiligen Verfassung parteipolitisch gebunden ist53. Jede darüber hinaus gehende Ämterpatronage durch politische Parteien ist – das räumt auch Klein ein54 – verfassungswidrig55. Damit ist zugleich ganz konkret die Gemeinwohlschädlichkeit festgestellt56 und gezeigt, dass es sowohl Gemeinwohlschädlichkeit als auch ein Gemeinwohl gibt. Obwohl der Begriff als solcher hier keinen zusätzlichen Erkenntniswert vermittelt, zeigt er doch wenigstens, dass das für sich genommen schon unstreitige Ergebnis der Ablehnung der Ämterpatronage nicht „im leeren Raum hängt“, sondern auf einer für jeden Einzelnen nachzuvollziehenden Begründung beruht. In dieser Zweischneidigkeit liegt wahrscheinlich die eigentliche Ursache für die verbreitete Skepsis gegenüber dem Begriff des Gemeinwohls: Man kann in der Politikwissenschaft aus dem Begriff selbst nichts ableiten, braucht ihn zur Kurzdarstellung der Begründung von Ergebnissen aber doch. Lässt man ihn weg, fehlt etwas: So wirft denn Kleins Äußerung, die Ämterpatronage sei in ihrer Schädlichkeit nicht bestritten57, unweigerlich die Frage auf: Schädlich wofür? ___________ 53 BVerwG, Urt. v. 17. September 1964, Az. II C 161.62, BVerwGE 19, 252 ff., 260; BVerwG, Urt. v. 06. Februar 1975, Az. II C 68.73, BVerwGE 47, 330 ff., 354; von Arnim, in: Haungs/Jesse, S. 202 ff., 204; s. auch Klein, FAZ v. 05. Juli 1999, S. 13. 54 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 579. 55 Von Arnim, Das System, S. 160 f.; ders., in: Haungs/Jesse, S. 202 ff., 204 f.; Battis, in: Sachs, Art. 33 Rn. 39; Lecheler, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht III, § 72 Rn. 108 (S. 758 f.). 56 Eingehend von Arnim, Das System, S. 59 ff., 309 ff.; ders., Staat ohne Diener (Taschenbuchausgabe), S. 133 ff. 57 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 579.

VI. Gemeinwohl und Personalentscheidungen

269

4. Ursachen der Ämterpatronage Der Streit um die Ursachen der Ämterpatronage58 dürfte seinerseits die Ursache darin haben, dass die Streitparteien unausgesprochen postulieren, diese habe nur eine Ursache.

a) Ursachen erster Stufe (Motivation) Jedenfalls erweckt die Argumentation, das Phänomen der Ämterpatronage habe „seine eigentliche Ursache ja nicht darin, dass Parteien und Fraktionen „ihren“ Regierungschefs und Ministern unablässig im Nacken sitzen, treue Parteisoldaten mit irgendwelchen Posten zu versorgen“, vielmehr sei die Parteipolitisierung des öffentlichen Dienstes die Folge einer seit den sechziger Jahren eingetretenen allgemeinen Politisierung der Gesellschaft, diesen Eindruck59. Beides ist nicht falsch, aber eben auch nicht vollständig. In ihrer Allgemeinheit trifft die Aussage zu, dass Parteien und Fraktionen „ihren“ Regierungschefs und Ministern nicht unablässig im Nacken sitzen, treue Parteisoldaten mit irgendwelchen Posten zu versorgen. Schon die Einschränkung „nicht unablässig“ impliziert aber auch, dass dies durchaus vorkommt. Ernsthaft wird auch niemand leugnen, dass es diese Ursache der Ämterpatronage gibt. Freilich geht es dabei häufig nicht um „irgendwelche“ Posten, sondern um ganz konkrete Positionen und man darf auch nicht den Fehler der Pauschalisierung in die andere Richtung begehen, dass dies nämlich immer und überall (in jedem Bundesland) in gleichem Maße der Fall ist. Das Drängen von Parteigenossen nach guten Positionen in der öffentlichen Verwaltung ist aber jedenfalls kein Einzelfall60. Im Zusammenspiel mit dem bereits erörterten Einfluss der Regierungspartei(en) auf „ihre“ Regierung61 führt es zur Ämterpatronage. Für extreme Auswüchse aufgrund langer Herrschaft einer Partei in einem Gemeinwesen hat sich der Ausdruck „(Parteien-)Filz“ eingebürgert. ___________ 58 Darunter versteht man Personalentscheidungen, bei denen ein Kandidat wegen Eigenschaften (insbesondere der Parteizugehörigkeit) in ein Amt gehoben wird, die mit den Sachanforderungen der Stelle nichts zu tun haben, Scheuch, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 21. Juni 1998, S. 4. 59 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 579 f. 60 Berichte darüber finden sich in Zeitungen und Nachrichtenmagazinen regelmäßig, s. nur Scheuch, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 21. Juni 1998; und „Würdeloses Schauspiel“, DER SPIEGEL 26/1998 v. 22. Juni 1998; „Vorstandsposten für Politiker“, FAZ v. 11. September 1993, S. 4; „SPD behandelt Staat schon jetzt als Beute“, FAZ v. 04. Juni 1998, S. 7; Fromme, FAZ v. 15. Oktober 2002, S. 12 (für die Justiz). 61 Siehe § 8 III. 2.

270

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

Genauso kommt die Besetzung von Positionen in der öffentlichen Verwaltung aus inhaltlich-politischer Verbundenheit vor. Ein natürliches Bestreben eines Regierungschefs, über möglichst viele möglichst gleichgesinnte Mitarbeiter in den nachgeordneten Ebenen zu verfügen, die seine Konzepte selbständig weiter tragen, ist keineswegs von der Hand zu weisen62. Beide Ursachen können sogar im konkreten Einzelfall zusammentreffen und dies wird sogar der häufigste Fall sein. Festzuhalten bleibt aber jedenfalls, dass es Fälle gibt, in denen Stellen an Parteigenossen nur zu deren Versorgung vergeben werden63. So verhält es sich z.B. bei der Besetzung von Posten mit parteiinternen Widersachern. Von deren Benötigung zur Umsetzung des eigenen Konzeptes kann kaum die Rede sein.

b) Ursachen zweiter Stufe (fehlende Hindernisse) Zu wenig wird in der Diskussion bisher berücksichtigt, dass zu diesen Ursachen, die die Motivation des Ministerpräsidenten und der Regierung betreffen, Ämterpatronage zu betreiben, weitere Ursachen hinzutreten müssen, damit es zur Ämterpatronage kommen kann. Das Betreiben von Ämterpatronage ist nach den getroffenen Feststellungen64 nichts anderes als ein Missbrauch des Amtes. Gegen einen Missbrauch des Amtes aber gibt es Kontrollmechanismen. Bei Ämterpatronage unmittelbar durch den Ministerpräsidenten und die Regierung ist dies die parlamentarische Kontrolle. Bei Ämterpatronage auf nachgeordneten Ebenen – nicht in jede Postenvergabe ist ja der Ministerpräsident involviert – ist dies die Kontrolle durch den jeweiligen Dienstvorgesetzten bis hin zur ihrerseits dann durch den Landtag kontrollierten Regierung. Zur mangelnden parlamentarischen Kontrolle ist das Notwendige schon gesagt65. Es soll deshalb genügen, den Zusammenhang zwischen der mangelnden parlamentarischen Kontrolle und der Ämterpatronage aufzuzeigen: Die Parteien der Regierungsmitglieder haben zugleich die Mehrheit im Landtag und bestimmen dessen Willensbildung und damit die Ausübung der parlamentarischen Kontrolle. Die Abgeordneten haben innerhalb der Partei regelmäßig verhältnismäßig hohe ___________ 62 Vgl. etwa die Äußerung des Fraktionsvorsitzenden der CDU in MecklenburgVorpommern Eckhardt Rehberg: „Wir sollten die entscheidenden Punkte mit Personen besetzen, die unser Vertrauen genießen“, DER SPIEGEL 29/1992, S. 55. 63 Kurz vor der Bundestagswahl 1998, als ein Regierungswechsel im Bund wahrscheinlich wurde, wurden systematisch zahlreiche CDU- und FDP-Politiker mit lukrativen Stellen in Staat und staatseigenen Privatunternehmen (etwa Deutsche Bundesbahn AG) abgesichert, s. eingehend „Würdeloses Schauspiel“, DER SPIEGEL 26/1998 v. 22. Juni 1998. 64 Siehe § 9 VI. 3. 65 Siehe § 8 VII.

VI. Gemeinwohl und Personalentscheidungen

271

Funktionen und sind ihrerseits anderen Parteimitgliedern verantwortlich, denen sie diese Positionen verdanken. Damit sind gerade sie häufig Schaltstellen bei der Vermittlung der Begehrlichkeiten von Parteimitgliedern auf bestimmte Positionen in der öffentlichen Verwaltung. Kontrollmaßnahmen gegenüber der Regierung würde sie insoweit noch stärker als sonst66 selbst mit in Misskredit ziehen, so dass das im System gegenüber der Ämterpatronage vorgesehene Hindernis parlamentarischer Kontrolle praktisch entfällt. Das Volk stellt insoweit keine geeignete Kontrollinstanz dar, als es zum einen keinen unmittelbaren Einfluss auf den Ministerpräsidenten hat und zum anderen die einzelnen Personalentscheidungen im Verhältnis zu großen Sachentscheidungen regelmäßig zu wenig ins Gewicht fallen, als dass dies für eine hinreichende Aktivierung der Öffentlichkeit reichen würde.

5. Veränderungen durch Direktwahl des Ministerpräsidenten Entscheidend in Bezug auf die Folgen einer Direktwahl der Ministerpräsidenten für die Erscheinung der Ämterpatronage sind die Auswirkungen der zu erwartenden Veränderungen im System der politischen Abhängigkeiten auf diese Ursachen.

a) Angewiesenbleiben auf loyale Mitarbeiter? Soweit Ämterpatronage (auch) auf dem Bedürfnis des Ministerpräsidenten nach loyalen Untergebenen beruht, ist keine Veränderung zu erwarten. Dieses Bedürfnis wird grundsätzlich bestehen bleiben. Eher noch ist ein direkt gewählter Ministerpräsident, der sich einem stärker kontrollierenden Parlament gegenüber sieht67, darauf angewiesen, wenigstens seine Verwaltung ganz auf seiner Seite zu haben. Dies gilt umso mehr, wenn der Ministerpräsident keiner oder nicht der Mehrheitspartei angehört. Insoweit würde sich allenfalls die Motivationsrichtung (hin zu persönlichen Vertrauten, nicht mehr allgemein zu Parteivertrauten) ändern, nicht aber diese Ursache verschwinden. Diesen Punkt trifft Klein, wenn er ausführt, dass gerade in den USA mit dem am längsten bewährten Präsidialsystem bei einem Machtwechsel zu einem Präsidenten einer anderen Partei regelmäßig fast das gesamte Führungspersonal der Verwaltung ausgetauscht wird68. Gerade auch der direkt gewählte Präsident ist auf dem Weg in ___________ 66

Vgl. § 8 VII. 3. Siehe § 8 VII. 3., 4. 68 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 579; Schneider, S. 103. 67

272

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

sein Amt auf viele Helfer angewiesen, die nicht ausschließlich aus altruistischen Motiven handeln.

b) Geringere Parteizwänge? Auch das Streben sämtlicher Parteien nach Stellen in der öffentlichen Verwaltung wird sich quantitativ nicht verändern. Jedoch wird sich hier die bereits festgestellte größere Unabhängigkeit des direkt gewählten Ministerpräsidenten auswirken: Ist er parteilos, ist unter ihm grundsätzlich keine parteibezogene Ämterpatronage mehr zu erwarten. Wenn er dann ein Amt mit einem Parteiangehörigen besetzt, steht zu erwarten, dass dies entweder aus einer sonstigen Abhängigkeit69 oder, wie es sein soll (und wie dies ja auch derzeit durchaus vorkommt), aufgrund der von den Landesverfassungen genannten Kriterien geschieht. Der parteiangehörige Ministerpräsident wird sich Wünschen aus anderen Parteien wie derzeit relativ leicht widersetzen können, wenn er nicht aus anderen Gründen auf einen „Deal“ eingehen muss70. Einen Koalitionspartner – und damit eine weitere Partei, gegenüber der sich der Ministerpräsident verpflichtet fühlen könnte – gibt es nicht mehr71, was nicht heißt, dass nicht die eigene Partei die entsprechenden Positionen dann für sich beanspruchen könnte. Im Hinblick auf den Hauptfall von Wünschen der eigenen Partei sind die Auswirkungen einer Direktwahl ohnehin am schwierigsten abzuschätzen. Mit der größeren Unabhängigkeit ist auch die Möglichkeit gegeben, sich Postenwünschen der eigenen Partei eher zu widersetzen. Indessen handelt es sich keineswegs um eine völlige Unabhängigkeit. Es kommt hinzu, dass die größere Unabhängigkeit gegenüber der eigenen Partei gerade darauf beruht, dass sich deren Abgeordnete im Landtag stärker gegenüber dem Volk profilieren müssen und dass sie und die Regierung einer stärkeren Kontrolle durch das Volk infolge erhöhter Transparenz und erweiterter Mitbestimmung durch die unmittelbare Wahl von Ministerpräsident und Landtag unterliegen72. Dies führt zwar zu einer stärkeren Gegenstandsorientierung73, aber im Wesentlichen dort, wo dieser Gegenstand auch durch die Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Differenzen mit der eigenen Partei würden keineswegs zum Regelfall werden. Echte Konfrontationen mit den Abgeordneten der eigenen Partei würden auf Notfälle, insbesondere bei bedeutsamen Sachentscheidungen, beschränkt bleiben. We___________ 69

Etwa einer persönlichen Beziehung, Teil der sog. Vetternwirtschaft. Gerade solche Absprachen zwischen Parteien über die Besetzung von Stellen gibt es aber häufig, vgl. Scheuch, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 21. Juni 1998, S. 4. 71 Siehe § 8 V. 3. e). 72 Vgl. § 8 IX. 2. 73 Vgl. § 8 V. 3. 70

VI. Gemeinwohl und Personalentscheidungen

273

sentlich leichter ist das Regieren bei einer wohl gesonnenen Mehrheit im Landtag allemal. Gerade Personalentscheidungen auf nachgeordneten Ebenen werden aber in der Öffentlichkeit häufig nicht oder kaum wahrgenommen und selten bewegt eine einfache Personalentscheidung das Volk so sehr, als dass es zu einer Abwahl kommen könnte. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass solche Personalentscheidungen meist74 unmittelbar nach einer Wahl getroffen werden, bis zur nächsten Wahl also wieder in Vergessenheit geraten bzw. in ihrer Bedeutsamkeit durch aktuellere Fragen überholt sind. Zwar ist in deutschen Kommunen, in denen der Bürgermeister vom Volk gewählt wird, das Ausmaß und die Intensität der Ämterpatronage deutlich geringer75, doch ist diese Erkenntnis nicht ohne weiteres auf den direkt gewählten Ministerpräsidenten übertragbar. Zum einen werden Personalentscheidungen in unteren Rängen der Verwaltung auf kommunaler Ebene – vor allem in kleinen Kommunen – wesentlich stärker wahrgenommen als in einem Bundesland. Zum anderen sind anders als auf kommunaler Ebene parteilose Ministerpräsidenten76 kaum zu erwarten. Im Hinblick auf Personalentscheidungen wäre damit ein direkt gewählter Ministerpräsident nicht in gleichem Maße von parteipolitischen Zwängen befreit wie ein direkt gewählter Bürgermeister und würde auch nicht in gleichem Maße seine Wiederwahl gefährden77.

c) Stärkere parlamentarische Kontrolle der Personalpolitik? Aus den vorgenannten Gründen ist im auch bei einer Direktwahl zu erwartenden Regelfall, dass die Partei des Ministerpräsidenten die Mehrheit im Landtag hat, auch grundsätzlich keine wesentliche Veränderung durch eine stärkere parlamentarische Kontrolle zu erwarten. Eine Veränderung ist aber zu erwarten, wenn diese Partei nicht über die absolute Mehrheit der Stimmen verfügt, also die meisten Kontrollmaßnahmen nicht mehr alleine verhindern kann (einen Koalitionspartner hat sie dafür nicht mehr78). Die anderen Parteien haben nämlich ein ganz erhebliches Interesse an einer Kontrolle der Personalpolitik der ___________ 74

Wenn nicht die Wahlniederlage abzusehen ist und schon vorher eine Versorgungswelle einsetzt, siehe dazu eingehend: „Würdeloses Schauspiel“, DER SPIEGEL 26/1998 v. 22. Juni 1998. 75 Vgl. von Arnim, Staat ohne Diener, S. 326; Wehling, Politische Studien 1984, S. 27 ff., 34; krit. Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 579; Schneider, S. 102. 76 Siehe § 8 III. 2. c). 77 A.A. von Arnim, Staat ohne Diener, S. 327; ders., in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 25; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 20; Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 76; Meyer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 65 ff., 72. 78 Siehe § 8 V. 3. e).

274

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

Exekutiven. Sie sind es, die bei einem Machtwechsel gegen den vorhandenen „Filz“ ankämpfen müssen. Diese Parteien hätten wesentlich eher als jetzt die Chance, eine Mehrheit für eine Kontrollmaßnahme zu erzielen und die Landesregierung zu einer an fachlichen Kriterien ausgerichteten Personalpolitik anzuhalten, so dass die Wahrscheinlichkeit eines Rückgangs der Ämterpatronage je nach Konstellation variiert.

d) Fazit: Ämterpatronage kein alleiniger Grund für Einführung der Direktwahl Im Ergebnis teilt der Verfasser in diesem Punkt aber die Skepsis Kleins79. Die Direktwahl würde den gegenwärtigen Zustand zwar keinesfalls verschlechtern, so dass das Ergebnis nicht gegen die Direktwahl spricht. Sie ist jedoch auch kein hinreichend sicheres und schon gar kein alleiniges Mittel, um die Ämterpatronage zu bekämpfen. Hierfür sind effektivere und weniger einschneidende Mittel (insbesondere unabhängige Kontrollinstanzen ähnlich der Rechnungshöfe) denkbar. Lassen sich indessen ausreichende andere Gründe für die Direktwahl nachweisen, darf mit ihr die vage Hoffnung auf eine Veränderung eher zum Positiven hin auch im Hinblick auf den Missstand der Ämterpatronage verbunden werden.

VII. Gemeinwohl und Sachentscheidungen Anders liegen die Dinge bei den Sachentscheidungen. Zum einen ist der Bereich der Sachentscheidungen wesentlich vielfältiger und komplexer. Zum anderen sind es gerade die Sachentscheidungen, die – wenngleich in durchaus unterschiedlichem Maße – das Volk interessieren und im Fokus der öffentlichen Meinung stehen.

1. Allgemeine Interessen und Partikularinteressen Innerhalb des rechtlichen Rahmens (für die Exekutive aufgrund des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung alle materiellen Gesetze; für die Landtage jeweils höherrangiges Recht) lassen sich keine allgemeingültigen Aussagen zu den bei Sachentscheidungen zu berücksichtigenden Maßstäben treffen. Zu unterschiedlich ist ihr Gegenstand. Es gilt hier zu klären, ob bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten in Regierung, Verwaltung und Land___________ 79

Wie hier auch Schneider, S. 103.

VII. Gemeinwohl und Sachentscheidungen

275

tag die Gemeinwohlgrundwerte beim Treffen der Einzelentscheidungen besser optimiert werden können, ob also durch die Direktwahl des Ministerpräsidenten die Entscheidungsverfahren selbst optimiert werden. Um es mit Klein zu formulieren, stellt sich die Frage, ob die Genannten ihrem Auftrag, alle Partikularinteressen nach bestem Wissen und Können zusammenzuführen und zu einem für alle hinnehmbaren Ausgleich zu bringen, besser nachkommen können. Von Arnim differenziert zwischen Partikularinteressen und allgemeinen Interessen. Allgemeine Interessen sind dabei solche, die von allen oder einem großen Teil der Staatsbürger geteilt werden, etwa jene der Konsumenten, des Umweltschutzes und der Steuerzahler80. Insoweit besteht jedoch in der Sache kein Unterschied zwischen den Lehren Kleins und von Arnims. Auch wenn Klein die allgemeinen Interessen nicht explizit neben die Partikularinteressen stellt, ist davon auszugehen, dass auch er sie bei dem vom einzelnen Amtsträger vorzunehmenden Interessenausgleich berücksichtigt wissen will.

2. Allgemeine Interessen contra Partikularinteressen Wie sich die verschiedenen Interessen im freien Spiel der Kräfte verhalten, hat von Arnim in seiner Habilitationsschrift eingehend untersucht81. Banner hat dies für die Gemeinden am Beispiel der Haushaltspolitik getan82.

a) Die Durchsetzungsschwäche allgemeiner Interessen Ausgehend von der Erkenntnis, dass Demokratie einen balancierten Willensbildungsprozess zwingend erfordert und dass die Durchsetzungschance der Interessen ihrer Bedeutung entsprechen muss83, hat von Arnim nachgewiesen, dass im freien „Laissez-faire-Pluralismus“ grundsätzlich die Gefahr besteht, dass allgemeine Interessen (und weniger gut organisierte Interessen bestimmter Randgruppen und benachteiligter Untergruppen84) von gut organisierten Partikularinteressen überspielt werden85, dass also „von alleine“ ein harmonischer Interessenausgleich nicht stattfindet86. Das räumen auch die Anhänger der plu___________ 80

Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 155. Dazu sogleich § 9 VII. 2. a). 82 Banner, DÖV 1984, 364 ff. 83 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 128 f. 84 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 162 f. 85 Praktische Beispiele auch bei von Arnim, in: Zimmermann, S. 7 ff., 11 ff. 86 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 151 ff.; ders., FAZ v. 27. November 1993, S. I; ders., in: Zimmermann, S. 7 ff., 11, unter Hinweis auf Zweifel bereits bei Hermann Soell. 81

276

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

ralistischen Demokratietheorie ein87. Als Gründe für die Durchsetzungsschwäche der allgemeinen Interessen hat von Arnim die größere Attraktivität direkter Sonderinteressen der Menschen gegenüber ihren indirekten allgemeinen Interessen88, die größere Attraktivität der Einkommens- gegenüber der Ausgabensphäre89 und die spezifische Organisationsschwäche der allgemeinen Interessen90 entdeckt. Die Unzulänglichkeit der pluralistischen Gleichgewichtslehre führt zu der Konsequenz, dass es im Sinne des Due-Process-Pluralismus91 besonderer Vorkehrungen bei der Ausgestaltung der Willensbildungsprozesse bedarf, um einen harmonischen Interessenausgleich im Einzelfall zu gewährleisten, dass also die Entscheidungsfindungsprozesse mit diesem Ziel zu optimieren sind. In gleicher Weise fordert Scharpf, dass die Politik „gerade auf jene Bedürfnisse, Interessen, Probleme und Konflikte“ reagieren können muss, die „innerhalb der pluralistischen Entscheidungssstrukturen nicht ausreichend berücksichtigt werden“92. Die vorliegend entscheidende Frage lautet, ob dies durch die Einführung der Direktwahl der Ministerpräsidenten geschieht.

b) Die Untersuchung Gerhard Banners zur Kommunalpolitik Bevor die Frage beantwortet wird, sei noch auf die Untersuchung von Gerhard Banner zur Praxis der Entscheidungsfindung in den Kommunen verwiesen93. Ausgangspunkt dieser Untersuchung war in den 1980er Jahren das starke Süd-Nord-Gefälle bei der Entwicklung der Kommunalhaushalte94. Bei der Erforschung von deren Ursachen stellte sich für Banner die gleiche Frage wie hier; nur näherte er sich ihr von der anderen Seite. Später hat Banner seine Untersuchung über die Haushaltspolitik hinaus erstreckt und seine Thesen auch noch mit den Bereichen Personalpolitik und Bürgerpolitik belegt95. Dabei rückt Banner die traditionelle Gegenüberstellung Rat/Bürgermeister, die häufig mit Politiker/Beamter gleichgesetzt wird, in den Hintergrund und differenziert nach den Politikinhalten zwischen Fach- und Steuerungspolitik96. ___________ 87

Van Ooyen, RuP 36 (2000), 165 ff., 166. Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 153 ff.; eine in ihrer Bedeutung für die Politik- und Wirtschaftswissenschaft weit über den vorliegenden Rahmen hinaus reichende Erkenntnis. 89 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 158 f. 90 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 159 ff. 91 Vgl. von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 183 ff. 92 Scharpf, S. 75. 93 Banner, DÖV 1984, 364 ff. 94 Banner, DÖV 1984, 364 ff., 364; s. dazu auch Wehling, in: Schimanke, S. 84 ff. 95 Banner, in: Schimanke, S. 37 ff. 96 Vgl. Banner, DÖV 1984, 364 ff., 366; ihm folgend Freis, S. 44 ff. 88

VII. Gemeinwohl und Sachentscheidungen

277

Entsprechend gibt es je nach Position sowohl Steuerungspolitiker, die dem Ganzen des Gemeinwesens (bei Banner der Gemeinde) verantwortlich sind, und Fachpolitiker mit Verantwortung in einem bestimmten, abgegrenzten Politikbereich97. Beide Arten kommen sowohl im Rat als auch in der Verwaltung i.e.S. vor, wobei die Fachpolitiker den Steuerungspolitikern (insbesondere Bürgermeister, Dezernenten für allgemeine und Finanzverwaltung, Mitglieder von Haupt- und Finanzausschüssen im Rat) aber zahlenmäßig bei weitem überlegen sind98. Banner weist ein natürliches Interesse der Fachpolitiker nach, sich in ihren Ressorts durch umfangreiche Aktivitäten und regelmäßig damit einhergehende Ausgaben zu profilieren, weil sie eben daran gemessen werden und sich nur dort profilieren können99. Ebenso zeigt er die naturgemäß schwächere Ausgangsposition der Steuerungspolitiker auf, die das als solches schwieriger konkret wahrnehmbare Ganze im Auge haben müssen und bei einer Intervention gegenüber Fachpolitikern – etwa aus Gründen der Haushaltsräson – leicht als „Bremser“ dastehen100. Das Gleichgewicht ist also strukturell labil zu Ungunsten der Steuerungspolitik und kann nur durch besondere steuerungspolitische Anstrengungen gehalten werden101. Das bestätigt die These von Arnims anhand praktischer Beobachtungen auf Gemeindeebene. Der Gegensatz von Fach- und Steuerungspolitik ist nichts anderes als ein Ausschnitt (nämlich bezogen auf politische Entscheidungen102) der durch von Arnim festgestellten103 höheren Durchschlagskraft der Partikularinteressen gegenüber den allgemeinen Interessen (welche die Steuerungspolitiker wahrzunehmen haben). Zur Vergleichbarkeit der Kommunen mit den Bundesländern ist das Nötige schon gesagt104.

3. Mögliche Ansätze für Veränderungen durch die Direktwahl der Ministerpräsidenten Von den drei Gründen für die Durchsetzungsschwäche der allgemeinen Interessen gegenüber den Partikularinteressen bzw. der Steuerungs- gegenüber der Fachpolitik kommen Veränderungen durch die Direktwahl nur beim Letzteren in Betracht. Die größere Attraktivität direkter Sonderinteressen gegenüber den ___________ 97

Banner, DÖV 1984, 364 ff., 365. Banner, DÖV 1984, 364 ff., 365. 99 Ihm folgend auch Wehling, Politische Studien 1984, S. 27 ff., 34 f. 100 Banner, DÖV 1984, 364 ff., 365. 101 Banner, DÖV 1984, 364 ff., 365. 102 Von Arnims Thesen verstehen sich umfassender. 103 Siehe § 9 VII. 2. a). 104 Siehe § 5 III. 2. a). 98

278

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

indirekten allgemeinen Interessen liegt in der Natur des Menschen begründet und ist unveränderbar105 und auch an der größeren Attraktivität der Einkommenssphäre würde eine Direktwahl des Ministerpräsidenten nichts ändern. Zu untersuchen sind deshalb die Folgen der Direktwahl für den Organisationsgrad der verschiedenen Interessen und vor allem für die Auswirkungen des unterschiedlichen Organisationsgrades im politischen Willensbildungsprozess. Dafür ist es zunächst erforderlich, den Gang der Einflüsse nachzuzeichnen.

a) Der Weg der Partikulareinflüsse Ihren Ausgangspunkt nehmen die Partikulareinflüsse naturgemäß bei den Mitgliedern der Personengruppe, die gerade durch ihr gemeinsames Partikularinteresse gebildet wird. Erste Mittler auf dem Weg zu den Staatsorganen sind die Interessenverbände106. In diesen manifestiert sich ihre durch feste Organisation erzielte Bündelung, Formulierung und Zielgerichtetheit, die zugleich der Grund für den im Verhältnis zu allgemeinen Interessen übermäßigen Einfluss der Partikularinteressen ist. Deshalb sind auch gerade die wohl organisierten Partikularinteressen von besonderer Durchsetzungsstärke und sind umgekehrt schlecht organisierte Partikularinteressen weniger durchsetzungsstark107. Zweiter Mittler auf dem Weg zu den Staatsorganen sind die politischen Parteien. Diese sind in ihrem Bestreben, die politische Macht zu erlangen oder zu behalten, auf die Unterstützung der Interessenverbände angewiesen und aus diesem Grunde bereit, dem Anliegen der Interessenverbände Gehör zu geben108. In der Praxis reicht dies bis hin zu dauerhaften „Verbindungen“ bestimmter Verbände mit einer politischen Partei109. Sodann reicht der Einfluss entsprechend den bereits erörterten parteipolitischen Bindungen über die „eigenen“ Abgeordneten und Regierungsmitglieder auf die von diesen bekleideten Ämter und von ihnen gesteuerten Staatsorgane.

b) Organisierte und unorganisierte allgemeine Interessen Auch verschiedene allgemeine Interessen sind mittlerweile in der ein oder anderen Form organisiert (Bund der Steuerzahler, Verbraucherschutzvereinigungen, Umweltschutzverbände). Soweit dies der Fall ist, gilt für ihren Einfluss auf ___________ 105

Vielleicht das Hauptproblem aller menschlichen Gemeinschaft. Näher von Arnim, Staat ohne Diener (Taschenbuchausgabe), S. 261 ff. 107 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 163. 108 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 136 ff. 109 Etwa der SPD mit den Gewerkschaften. 106

VII. Gemeinwohl und Sachentscheidungen

279

die staatlichen Entscheidungsprozesse dem Grunde nach nichts anderes als für Partikularinteressen. Die Stärke des Einflusses wird insoweit maßgeblich vom Grad der Organisation und der (v.a. finanziellen) Ausstattung dieser Organisationen bestimmt. Soweit allgemeine Interessen nicht organisiert sind, ist ihre Durchsetzung davon abhängig, dass entweder das Volk diese Interessen sich aktuell zu Eigen macht und formuliert. Dann folgen sie dem Einfluss des Volkes über die Parteien auf die Staatsorgane, also über Wahlen und die öffentliche Meinung (Demonstrationen, Umfragen, Medienberichte etc.). Oder die Durchsetzung kann erfolgen, indem eine Partei diese Interessen von sich aus aufgreift und für das Volk formuliert. Dabei handelt es sich um echte „Mitwirkung an der politischen Willensbildung“ i.S.v. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG. Soweit diese politische Partei „an der Macht“ ist, besteht unmittelbarer Einfluss auf ihre Amtsträger. Ansonsten handelt es sich um einen Anstoß an das Volk, den dieses aufgreifen und mit den aufgezeigten Mitteln durchsetzen kann.

c) Der Vergleich mit den Kommunen Auch diese Zusammenhänge werden durch einen Vergleich mit den Kommunen bestätigt110. Für die Kommunen gelangt Banner im Anschluss an seine Erkenntnisse zum Gegensatz zwischen Steuerungs- und Fachpolitik111 zu folgendem Zusammenhang, der – da struktureller Natur – ebenfalls nicht auf die Haushaltspolitik beschränkt ist, sich dort aber besonders deutlich zeigt: Je geringer die Durchschlagskraft der Fachpolitik und die parteipolitische Aufladung der Entscheidungen und je größer das Eigengewicht des zentralen Politikers, desto günstiger sind die Chancen, Steuerungs- und Fachpolitik auf Gleichgewichtskurs zu halten – und umgekehrt112.

4. Auswirkungen der Direktwahl der Ministerpräsidenten auf die Interessenverbände? Auf den Organisationsgrad der Interessenverbände bzw. auf die Durchschlagskraft der Fachpolitik für sich genommen sind sowohl die Direktwahl des Ministerpräsidenten selbst, als auch deren bereits festgestellte weiteren Folgen ohne Einfluss. Es ist nicht zu erwarten, dass sich an der spezifischen Organisa___________ 110

Siehe zur Vergleichbarkeit § 5 III. 2. a). Siehe § 9 VII. 2. b). 112 Banner, DÖV 1984, 364 ff., 366; ihm folgend von Arnim, Staat ohne Diener, S. 327 f.; auch ders., in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 24 f. 111

280

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

tionsschwäche der allgemeinen Interessen oder der grundsätzlich größeren Organisationsstärke der Partikularinteressen etwas ändert. Auch an dem Bemühen der Interessengruppen, etwa Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, auf die Entscheidungen der Landesregierungen und Landtage in ihrem Sinne Einfluss zu nehmen, würde die Direktwahl nichts ändern. Eine Optimierung der politischen Willensbildungsprozesse im Sinne der Gemeinwohllehre kommt deshalb nur über Veränderungen beim Interessenmittler „politische Parteien“ in Betracht.

5. Auswirkung des veränderten Parteieneinflusses auf die Durchsetzungsstärke von allgemeinen und Partikularinteressen Für den durch Regierung und Landtag vorzunehmenden Interessenausgleich würden die Feststellungen zur Abschwächung der Parteienbindung zwischen dem Ministerpräsidenten und den Parteien113 Folgendes bedeuten:

a) Veränderungen beim Interessenausgleich im Bereich Exekutive Zunächst einmal würde aufgrund der größeren Unabhängigkeit des Ministerpräsidenten und der übrigen Regierungsmitglieder von den politischen Parteien der Einfluss der Partikularinteressen auf die Entscheidungen im Bereich der Exekutive abnehmen. Dies würde sich ggf. noch verstärken, wenn es zugleich zu einem Abbau der Ämterpatronage käme114, denn dann würde auch der unmittelbare Parteieneinfluss auf die nachgeordneten Verwaltungsebenen schwinden. Zugleich würde die größere Abhängigkeit des Ministerpräsidenten vom Volk und die gesteigerte Verantwortung gegenüber dem Volk115 für ihn den Anreiz erhöhen, allgemeine Interessen wahrzunehmen, handelt es sich bei diesen doch gerade um solche, die von allen oder wenigstens einem großen Teil der Staatsbürger geteilt werden116. Im Sinne des von Banner aufgedeckten Zusammenhangs117 würde es auf Seite der Exekutiven also einerseits zu einer Abschwächung der parteipolitischen Aufladung und andererseits zu einem größeren Eigengewicht des zentralen Politikers – im Bundesland eben der Mi-

___________ 113

Siehe § 8 III. 2. Vgl. § 9 VI. 115 Siehe §§ 6, 7. 116 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 155. 117 Siehe § 9 VII. 3. c). 114

VII. Gemeinwohl und Sachentscheidungen

281

nisterpräsident – kommen, was gleichgewichtsfördernd ist. Der Ministerpräsident würde tatsächlich zum Patron des Wohls des gesamten Landes118.

(1) Vergleich mit den Kommunen Für diese Prognose sprechen denn auch die Erfahrungen mit direkt gewählten Bürgermeistern im Vergleich zu (vor den Kommunalverfassungsreformen der 1990er Jahre) mittelbar gewählten Bürgermeistern119: Danach führten neben Unterschieden bei der Durchschlagskraft der Fachpolitik in den Kommunen der verschiedenen Bundesländer die Tatsachen, dass die Entscheidungen in Bayern und Baden-Württemberg am geringsten parteipolitisch aufgeladen waren120 und dass der Bürgermeister in Bayern und Baden-Württemberg ein stärkeres Gegengewicht zur Fachpolitik darstellte als in den anderen Bundesländern121, zu dem Süd-Nord-Gefälle bei den Gemeindefinanzen.

(2) Vergleich mit anderen Präsidialsystemen Weiter wird die Prognose gestützt durch Vergleiche mit anderen Präsidialsystemen. Von Arnim nennt als Beispiele die Haushaltskonsolidierungen zu Beginn der 5. Republik in Frankreich und unter Ronald Reagan in den USA122. Hinzufügen möchte man die ebenfalls überaus erfolgreiche Haushaltssanierung unter Bill Clinton, die ebenfalls den Schluss nahe legt, dass grundsätzlich Präsidialsysteme zu geringeren Staatsausgaben neigen123 und jedenfalls den besseren Rahmen für Haushaltskonsolidierungen eröffnen. Nebenbei bemerkt handelt es sich gerade bei den Haushaltslöchern um einen Aspekt, in dem die Gemeinwohlschädlichkeit auf breiten Konsens treffen dürfte: In der Regel versuchen überschuldete Gemeinwesen, den wohlhabenden nachzueifern und halten diesen nicht vor, die „Mystifikation“124 eines ausgeglichenen Haushaltes zu verfolgen.

___________ 118

Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 328; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 19. 119 Siehe bereits von Arnim, Staat ohne Diener, S. 327 f. 120 Banner, DÖV 1984, 364 ff., 368 ff. 121 Banner, DÖV 1984, 364 ff., 370 ff. 122 Von Arnim, Das System, S. 336 f. 123 Von Arnim, Das System, S. 336, m.w.Nachw. 124 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 581.

282

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

b) Veränderungen beim Interessenausgleich im Bereich Legislative Gleiches gilt auf Seite der Landesparlamente. Die größere Unabhängigkeit vom Ministerpräsidenten und die eigene Verantwortung gegenüber dem Volk würden dazu führen, dass die Landtage die Möglichkeit hätten, ihre Gesetzgebungs- und Kontrolltätigkeit gegenüber dem Ministerpräsidenten ohne Rücksicht auf dessen Interessen auszuüben. Es ist zu erwarten, dass die Landtage hiervon auch Gebrauch machen würden. Wie ausgeführt, müssten sich die politischen Parteien und die einzelnen Abgeordneten auch gegenüber dem eigenen Ministerpräsidenten stärker profilieren125. Dies führte auch auf Seite der Landtage zu einer verstärkten Wahrnehmung allgemeiner Interessen und jedenfalls vor Identifizierung mit einem Partikularinteresse zu sorgsamerer Überprüfung, insbesondere also zu einem besseren Gleichgewicht von Steuerungs- und Fachpolitik. Auch dies wird durch die Untersuchung Banners zu den Kommunen bestätigt, die gerade nicht auf ein bestimmtes Organ beschränkt ist126 und auch den parlamentsähnlichen Gemeinderat umfasst127.

c) Fazit: Weniger Vereinnahmung der Landesorgane durch Partikularinteressen Schließlich ist zu erwarten, dass die verstärkte gegenseitige Kontrolle dazu führen würde, dass die Vereinnahmung eines Staatsorgans durch ein Partikularinteresse von dem Gegenspieler im System der Gewaltenteilung eher moniert würde. Ingesamt dürfte die Veränderung im Bereich der Landesparlamente zwar deutlich, aber nicht ganz so stark ausfallen wie auf Seite des Ministerpräsidenten. Im Einzelnen sei auf die Ausführungen zum Verhältnis von Ministerpräsident und Landtag zueinander verwiesen128. Das dort festgestellte Ergebnis einer stärkeren Gegenstandsorientierung ist vor dem Hintergrund der Gemeinwohllehre nichts anderes als die gebotene stärkere Eigenkontrolle, ob im jeweiligen Einzelfall die Gemeinwohlgrundwerte zu einem optimalen Ausgleich gebracht wurden und nicht einem Interesse ohne sachlichen Grund der Vorrang eingeräumt wurde129. Für die Landespolitik würde durch die Direktwahl des Ministerpräsidenten also die Forderung von Scharpf erfüllt, wonach der politische Prozess so ausgestaltet sein muss, dass die Entscheidungen in „relativer ___________ 125

Siehe § 8 V. 3. Banner, DÖV 1984, 364 ff., 368 ff. Siehe § 5 III. 2. a). 128 Siehe § 8 V. und VIII. 129 Wobei im Einzelfall durchaus einmal die Optimierung der Gemeinwohlgrundwerte zu demselben Ergebnis wie die Befolgung eines einzigen Partikularinteresses führen kann – Demokratie bedeutet nicht immer Kompromiss. 126 127

VIII. Demagogie

283

Unabhängigkeit von Pressionen der organisierten Interessengruppen“ getroffen werden können130.

VIII. Demagogie als unreflektierte Identifizierung mit Allgemeininteressen Das Ergebnis zwingt zu einer letzten Prüfung: Führt nicht die Schwächung der Durchsetzungskraft der Partikularinteressen zu einem Übermaß an Durchsetzungskraft der allgemeinen Interessen? Damit ist der von Gegnern direktdemokratischer Entscheidungselemente angeführte Gesichtspunkt der Demagogie131 angesprochen.

1. Demagogie contra Gemeinwohl Im Sinne der Gemeinwohllehre bedeutet Demagogie die Vereinnahmung von einem (vermeintlich) allgemeinen Interesse, die Vorgabe, ein solches zu verfolgen, oder aber die Vorgabe, dass eine populäre Entscheidung einem allgemeinen Interesse oder dem Ausgleich sämtlicher Interessen am Besten entspricht132. Sie ist ebenso gemeinwohlschädlich wie die Vereinnahmung von einem Partikularinteresse. Zwar kann der vorzunehmende Interessenausgleich auch dazu führen, dass im Ergebnis einem allgemeinen Interesse zur Durchsetzung verholfen wird. Dies darf aber nicht unter Außerachtlassen der übrigen Interessen geschehen. Eine Steuersenkung ausschließlich aufgrund des stets vorhandenen Interesses der Staatsbürger an Steuersenkungen ohne Rücksicht, ob der Steuersenkung nicht andere – gerade auch allgemeine – Interessen gegenüberstehen, wäre gemeinwohlschädlich. Eine Steuersenkung nach sorgfältiger Abwägung, ob auf die dadurch entfallenden Einnahmen verzichtet werden kann (z.B. aufgrund einer Verwaltungsrationalisierung) würde dem Optimierungsgebot entsprechen. Dass Demagogie gemeinwohlschädlich ist, zeigt auch die Historie133 und ist im Grunde unbestritten.

___________ 130

Scharpf, S. 75. Vgl. § 3 II. 8. 132 Krit. gegenüber der Möglichkeit einer Definition des Begriffs Leisner, NJW 2002, 1699 f., 1699 („leeres Wort, reiner Kampfbegriff“). 133 Siehe § 6 III. 1. 131

284

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

2. Kein Zwang zum Populismus Schon das Beispiel zeigt indessen, dass Entscheidungen im ersteren Sinne kaum zu erwarten sind. Gefördert wird durch die Direktwahl zwar die Wahrnehmung von allgemeinen Interessen. Häufig wird einem populären allgemeinen Interesse des Volkes aber ein gegenläufiges ebenfalls allgemeines Interesse entgegenstehen. Es ist dann Aufgabe von Ministerpräsident und Landtag, diesen Antagonismus aufzuzeigen und der Bevölkerung etwa zu verdeutlichen, dass die Senkung von Landesabgaben weniger Neueinstellungen von Polizisten zur Folge hätte. Genau dies ist Mitwirkung an der politischen Willensbildung. Der stärkere Anreiz zur Wahrnehmung allgemeiner Interessen ist mithin kein Befolgungszwang134 sondern eine Begründungsobliegenheit. Sie führt nicht dazu, dass die Landesorgane einer in der Bevölkerung vorherrschenden Meinung blind folgen müssen, sondern lediglich dazu, dass sie ihr Nichtbefolgen sachlich begründen müssen. Dann kann das Volk bei der nächsten Wahl entscheiden, ob es dies akzeptiert oder nicht.

3. Keine „Freibier-Ministerpräsidenten“ Dass hiergegen nicht mehr eine mangelnde politische Reife des Volkes eingewendet werden kann, wurde schon gezeigt135. Die praktischen Erfahrungen in anderen Staaten mit Präsidialdemokratien und in den deutschen Kommunen – in den süddeutschen schon sehr lange – belegt, dass dieser Mechanismus funktioniert und dass eine Direktwahl nicht zur Wahl von Demagogen und Volksverführern führt136. Wer ein Gegenbeispiel kennt, möge dieses anführen. Selbst die praktischen Erfahrungen mit dem gegenwärtigen Länderparlamentarismus sprechen dagegen. Weil die Landtagswahlen insoweit de facto schon Ministerpräsidentenwahlen sind137, müssten sonst schon jetzt Demagogen die deutschen Bundesländer regieren. Im Gegenteil führen Direktwahlen im Bereich der Exekutive häufig zur Wahl besonders tatkräftiger, starker Charaktere mit großer fachlicher Kompetenz138. Gegen die Erwartung der Wahl von Demagogen spricht schließlich auch die völlig außer Frage stehende Direktwahl der

___________ 134

Siehe bereits § 6 I. 2. d). Siehe § 6 III. 1. 136 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 330; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 19. 137 Siehe § 6 I. 1. d) (1). 138 Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 19. 135

IX. Fazit

285

Parlamente139. Demagogie ist ja nicht auf Einzelpersonen beschränkt. Es müsste also, träfe das Gegenargument zu, die Direktwahl der Landtage zur Wahl demagogischer, volksverführender Parteien führen. Gut fünfzig Jahre demokratischer Kultur in der Bundesrepublik belegen, dass dies nicht der Fall ist und dass auch die im Vorfeld der Wahlen abgegebenen Versprechen überwiegend nicht die Grenze zum reinen Populismus überschreiten140 und, wo doch, von der Mehrheit der Bevölkerung auch als solcher erkannt werden. Landesvölker, die keine „Freibier-Parteien“ wählen, werden auch keine „Freibier-Ministerpräsidenten“141 wählen.

IX. Fazit: (Gemeinwohl-)Optimierung der politischen Entscheidungsprozesse Abschließend ist festzuhalten, dass durch eine Direktwahl der Ministerpräsidenten sowohl die vom Ministerpräsidenten und der Verwaltung zu treffenden Sachentscheidungen als auch die Entscheidungen der Landtage im Rahmen ihrer Kontroll- und Gesetzgebungstätigkeit dahingehend optimiert würden, dass diese eine bessere Gewähr für eine angemessene Berücksichtigung sämtlicher Interessen im Einzelfall und damit für eine Optimierung der Gemeinwohlgrundwerte böten. Ungeachtet des verbleibenden „Hofes von Unsicherem und Zweifelhaften“142 sind damit im Ergebnis jedenfalls häufiger eindeutig gemeinwohlkonforme und seltener eindeutig gemeinwohlschädliche Entscheidungen der Landespolitik zu erwarten143. Im Zusammenspiel mit der festgestellten deutlichen Erhöhung der Transparenz der Verantwortlichkeiten im Verhältnis der Landesorgane zueinander144, der Parteien zueinander145 und der ganz konkret tätig werdenden Personen ist von einer öffentlichen Wahrnehmung dieser Veränderungen ein deutlicher Rückgang der Politikverdrossenheit zu erwarten. ___________ 139

Deshalb verstrickt sich rasch in Widersprüche, wer einen Versuch der näheren Begründung von demagogischen Tendenzen gerade durch die Direktwahl der Ministerpräsidenten unternimmt, z.B. Möller, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 75 ff., 80. 140 Wenngleich sich dies die Parteien im Wahlkampf gern und häufig gegenseitig vorwerfen. 141 Vgl. von Arnim, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 23; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 19. 142 Von Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, S. 75. 143 Im Wege der „Legitimation durch Richtigkeit“, vgl. von Arnim, AöR 113 (1988), 1 ff., 11 ff., erhöht dies die Legitimation von Landesregierung und Landtag. 144 Siehe § 8 IX. 2. 145 Dazu sogleich § 9 X.

286

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

X. Annex: Die veränderte Mitwirkung der Parteien bei der politischen Willensbildung Bislang wurden die Parteien lediglich als Mittler im Dreiecksverhältnis Ministerpräsident/Landtag/Volk untersucht. Die ihnen von Verfassung wegen zugewiesene Aufgabe der Mitwirkung an der politischen Willensbildung146 bedingt jedoch auch eine Betrachtung der Veränderungen aus Sicht der Parteien.

1. Der Grat zwischen zu viel und zu wenig Einfluss Gegenüber anderen Interessengruppen nehmen die politischen Parteien eine Sonderstellung ein. Das Grundgesetz räumt ihnen gerade die Funktion ein, bei der politischen Willensbildung mitzuwirken, also Einfluss zu nehmen. Welche Auswirkungen eine Direktwahl des Ministerpräsidenten auf ihre Stellung hätte, ist deshalb doppelt relevant: Zum einen sollen die Parteien gerade politische Konzepte zur Lösung von Problemen vorschlagen, sich mit diesen zur Wahl stellen und nach Abstimmung durch das Volk in Form von Wahlen dann diese Konzepte umsetzen. Von daher ist es grundsätzlich sogar geboten, dass die Parteien die Möglichkeit erlangen können, Einfluss auf die Staatsorgane zu nehmen. Den Reformgegnern ist damit wenigstens ein richtiger Ansatz zu attestieren, wenn sie die Befürchtung äußern, dass die Direktwahl des Ministerpräsidenten ins Gegenteil umschlägt und die Parteien zu sehr schwächt. Da die Parteien nach den Konzepten der Landesverfassungen unter dem Grundgesetz147 fest in die politischen Entscheidungsprozesse eingebunden sind und mit dem Transportieren, Diskutieren und Vorformulieren von Meinungen auch einen wichtigen Zweck erfüllen, könnte eine Schwächung dieser Funktion das Ziel der Optimierung der Entscheidungsprozesse wieder konterkarieren. Zum anderen hätte dies auch eine rechtliche Relevanz. Die bundesverfassungsrechtlich vorgeschriebene Aufgabe der Mitwirkung darf durch die Ausgestaltung der Landesverfassungen nicht unterlaufen werden. Es darf in den bei einer Reform neu zu schaffenden Strukturen keine Verfassungswirklichkeit angelegt sein, die dem Grundgesetz widerspricht, indem sie die garantierte Mitwirkung der Parteien aushebelt.

___________ 146

Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Landesverfassungen enthalten keine eigenständigen Regelungen über die Parteien. 147 Nicht unbedingt nach den Landesverfassungen für sich genommen.

X. Annex: Die veränderte Mitwirkung der Parteien

287

2. Die Veränderung der Stellung der Parteien Für alle Parteien gilt, dass sich mit dem bereits erörterten Verhältnis des Landtages zum Ministerpräsidenten148 auch die Stellung der im Landtag vertretenen politischen Parteien ändert:

a) Keine Schwächung der Parteien Auf der einen Seite entfällt eine unmittelbar gestaltende Einflussnahme auf die Regierungstätigkeit. Auf der anderen Seite erhöhen sich die Möglichkeiten einer kontrollierenden Einflussnahme. Da sich insgesamt in den Landtagen die Freiräume für gesetzgeberische Gestaltung erhöhen, erhöhen sich auch die Möglichkeiten der Parteien, insoweit Einfluss auf die Staatspolitik zu nehmen149. Grundsätzlich ist diese Veränderung nicht anders zu qualifizieren, als die Veränderung im Verhältnis Ministerpräsident/Landtag. Da der Landtag nicht geschwächt wird150, werden es auch die Parteien nicht. Soweit sie in den Landtag gewählt werden, stehen ihnen die dann veränderten und insgesamt eher gestärkten151 faktischen Kompetenzen zur Verfügung, nicht aber geschwächte Kompetenzen. Ihrem Auftrag aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG, an der politischen Willensbildung mitzuwirken, tut dies keinen Abbruch152.

b) Die veränderte Position der Parteien Als qualitative Veränderung ist eine stärkere Ausrichtung der Parteiprogramme und Parteiarbeit an den veränderten Aufgaben des Landtages zu erwarten. Trotz des schwächeren Einflusses selbst auf den eigenen Ministerpräsidenten ist davon auszugehen, dass sich das Mitwirken an der politischen Willensbildung weiterhin auch auf die Regierungstätigkeit beziehen wird. Dies gilt schon deshalb, weil die Kontrolltätigkeit der Landtage an Bedeutung gewinnt153 und die Parteien Aussagen dazu machen müssen, wie sie die Kontrollbefugnisse bei ihrer Wahl in den Landtag auszuüben gedenken. Daneben wird es aufgrund der neuen Freiräume im Bereich Gesetzgebung und der Notwendigkeit, sich gegenüber dem Wahlvolk stärker zu profilieren, zu einem verstärkten Be___________ 148

Siehe § 8. Also die bestehenden Kompetenzen besser auszuschöpfen und ggf. auch für neue Gesetzgebungskompetenzen einzutreten, s. dazu § 11 IV. 3. c). 150 Siehe § 8 IX. 1. 151 Siehe § 8 VII., VIII. 152 Ebenso Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 23. 153 Siehe § 8 VIII. 149

288

§ 9 Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

mühen der Parteien kommen, die Gesetzgebungskompetenzen auch parteipolitisch auszuschöpfen, sich also gerade hier mit Parteiprogrammen gegenüber den politischen Gegnern abzusetzen. Und um den Kreis zu schließen: Berücksichtigt man die Erkenntnis, dass Parteiprogramme gerade im Bereich der Gesetzgebung ihren eigentlichen Sinn haben154, wird die zu erwartende Stellung der Parteien auf Landesebene dem Auftrag des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG wesentlich besser gerecht als die derzeitige Situation.

3. Fazit: Stärkung der Parteien und Erhöhung der Transparenz Im Ergebnis führt die Direktwahl des Ministerpräsidenten im Hinblick auf die ihnen zuerkannte Aufgabe155 zu einer Stärkung der Parteien und zu mehr Transparenz auch im Verhältnis der Parteien zueinander. Beide Effekte verstärken sich noch einmal gegenseitig: Die Mitwirkung einer Partei an der politischen Willensbildung setzt die Erkennbarkeit eines Parteiwillens und die Unterscheidbarkeit der Parteien voraus. Für die Landesparteien ist ein weiterer Kausalitätsstrang im Hinterkopf zu behalten, dessen Verifizierung aus systematischen Gründen an späterer Stelle zu erfolgen hat156: Die Konzentration der Landtage und der in ihnen vertretenen politischen Parteien auf die Gesetzgebungstätigkeit kann zu einem Streben nach mehr Gesetzgebungskompetenzen für die Bundesländer und damit langfristig zu einem Mehr an Länderkompetenzen führen. Dies würde das Betätigungsfeld der Landesparteien erweitern und ihre Mitwirkung an der politischen Willensbildung weiter stärken. Last but not least wird die Glaubwürdigkeit der Parteien drastisch erhöht, da sie nicht mehr zu Koalitionen157, also zu Verbindungen mit dem politischen Gegner und den damit einhergehenden „Kuhhandeln“ und Verbiegungen gezwungen sind158. Dies kann langfristig nur in ihrem Sinne sein.

___________ 154

Siehe § 8 V. 3. c). Nicht im Hinblick auf ihre Macht und ihren Einfluss insgesamt, für die es aber auch keine rechtliche oder anders geartete Legitimation gibt. Siehe dazu auch von Arnim, Staat ohne Diener (Taschenbuchausgabe), S. 89 ff. 156 Siehe § 10 III. 4., § 11 IV. 3. c). 157 Vgl. § 8 V. 3. e). 158 Ebenso Esterbauer, S. 12. 155

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates Wurden bisher schwerpunktmäßig die Bundesländer für sich als Staaten betrachtet, gilt es nun, die Auswirkungen auf den deutschen Föderalismus insgesamt zu untersuchen. Anders als dies bei souveränen Staaten der Fall ist, handelt es sich bei den Bundesländern nicht um geschlossene Systeme, sondern sie sind mit dem Gesamtstaat auf vielfältige Weise verbunden. Die Untersuchung muss deshalb die Folgen einbeziehen, welche eine Direktwahl der Ministerpräsidenten auf den Bundesstaat1 und auf die Stellung der Bundesländer im Gesamtstaat hat. Aufgrund der Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union gilt es schließlich auch, die Auswirkungen einer Direktwahl vor dem Hintergrund dieser weiteren staatsähnlichen (immerhin sind ernsthafte Bestrebungen zur Schaffung einer eigenen Verfassung im Gange2) Ebene zu klären3.

I. Die Autonomie der Bundesländer – Soll und Ist Zum Verhältnis der Bundesländer zum Gesamtstaat steht die These Albert Janssens zur Diskussion, eine Direktwahl sei eine – wenngleich nicht die alleinige4 – notwendige Maßnahme zur Stärkung der sachlichen Autonomie der Bundesländer5. Das setzt voraus, dass ein mehr oder weniger bestimmtes Maß an sachlicher Autonomie der Länder im deutschen Föderalismus sinnvoll und erforderlich ist – zumindest von einem theoretischen Standpunkt aus keine Selbstverständlichkeit. Weiter müsste dieses Maß derzeit unterschritten sein. Dann erst ist Raum für eine Untersuchung der Ursachen und der Prüfung, ob eine Direktwahl an ihnen etwas zu ändern vermag. Auf der anderen Seite, der ___________ 1

Siehe dazu § 10 IV. Vgl. Häberle, DÖV 2003, 429 ff.; Magiera, DÖV 2003, 578 ff.; Oppermann, DVBl. 2003, 1 ff.; ders., DVBl. 2003, 1165 ff.; ders., DVBl. 2003, 1234 ff.; Weber, NJW 2000, 537 ff. 3 Siehe § 10 V. 4 Daneben fordert Janssen eine Reihe von Änderungen des Grundgesetzes, eine Neugliederung des Bundesgebietes sowie Grenzen für die Europäisierung des Rechts, s. Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 64 ff., 80 ff. 5 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 74 ff. 2

290

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

Länderautonomie Grenzen setzend und einer Direktwahl möglicherweise entgegenstehend, kommt dann nur noch der Gesamtstaat in Betracht.

1. Die Bedeutung der Länderautonomie Von einem völlig offenen staatstheoretischen Standpunkt aus betrachtet, bedürfte es zur Begründung des Erfordernisses einer sachlichen Autonomie der Bundesländer zumindest einigen Argumentationsaufwandes, ebenso wie zur Begründung des Erfordernisses ihrer Existenz.

a) Entbehrlichkeit der Bundesländer? Viele ausländische Staaten, durchaus auch solche, die von ihrer Größe an Fläche und Einwohnerzahl her mit Deutschland vergleichbar sind (z.B. Frankreich), sind Zentralstaaten und funktionieren. Man könnte die Entwicklung, dass immer mehr Kompetenzen auf den Bund übertragen werden und die Beobachtung, dass das Nebeneinander der Länder in jenen Bereichen, in denen sie noch für die Gesetzgebung zuständig sind, nämlich gerade im Bildungsbereich, oft als hinderlich empfunden wird6, auch zum Anlass nehmen, die Bundesländer selbst in Frage zu stellen. Vor allem angesichts der kleinen Bundesländer käme man bei der Rechtfertigung einer weiteren Ebene zwischen den an praktischen Verwaltungsbedürfnissen ausgerichteten und deshalb von der Leistungsfähigkeit her homogeneren Kommunen (v.a. die Kreise und kreisfreien Städte) und dem Bund möglicherweise in Bedrängnis. Es ginge um die Herleitung des Subsidiaritätsprinzips, um die Frage, warum dieses in Deutschland die Ebene der Bundesländer bedingt, warum es sie als Staaten bedingt und welches Maß an Autonomie erforderlich ist. Daneben ginge es um historische Erwägungen, um die sog. „landsmannschaftliche Verbundenheit“7.

b) Die Garantie der Bundesländer durch das Grundgesetz Einer Annäherung an die Problematik von solcher Ferne ist indessen weder geboten noch zulässig. Schon zu Eingang der Abhandlung wurde ausgeführt, dass der Föderalismus in Deutschland durch das Grundgesetz festgeschrieben8 ___________ 6

Vgl. § 7 IV. 3. Siehe dazu Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 62. 8 Art. 20 Abs. 1 GG. 7

I. Die Autonomie der Bundesländer – Soll und Ist

291

und durch die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG geschützt ist9. Die Existenz der Bundesländer und ihre Qualität als Staaten ist damit schon rechtlich eine gesetzte Ausgangsbedingung. Damit ist aber noch wesentlich mehr verbunden. Die Staatlichkeit der Bundesländer garantiert ihnen die Ausübung einer eigenen, originären Staatsgewalt über ein Staatsvolk auf ihrem Staatgebiet, wobei sich das Staatsvolk durch eine engere Verbindung zum Staatsgebiet auszeichnet10. Den Bundesländern ist durch das Grundgesetz eine Verfassungsautonomie eingeräumt, um die Ausübung dieser Staatsgewalt selbständig zu regeln11. Da über Art. 28 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG den Ländern die repräsentative Demokratie und das Prinzip der Gewaltenteilung vorgegeben sind, bedingt die Staatlichkeit der Bundesländer zugleich das Vorhandensein und die Ausübung von Hoheitsgewalt auch im Bereich der Legislative, also ein Mindestmaß an Gesetzgebungskompetenzen.

c) Das Gebot effektiver sachlicher Autonomie Ob sich exakte rechtliche Grenzen dieses Gebots einer sachlichen Autonomie der Bundesländer ausmachen lassen, kann offen bleiben, solange nicht die Länder diese selbst einfordern. Sinnvoll ist der Föderalismus jedenfalls nur, wenn die Autonomie auch tatsächlich besteht, wenn die Länder tatsächliche Handlungsspielräume haben und diese ausüben, mithin wenn die Länder ein staatliches Eigenleben12 entfalten13. Das Bundesstaatsprinzip darf sich nicht darin erschöpfen, dass die Länder formell existieren und formell über Landesgewalten verfügen. Den Landesgewalten müssen auch Kompetenzen zugewiesen sein, die von ihnen gegenüber dem Landesvolk wahrgenommen werden14. Wie Janssen zu Recht ausführt, ist die sachliche Autonomie kein Selbstzweck, sondern soll vor allem ein sachnahes staatliches Handeln und Entscheiden ermöglichen15. Darin kommt das Subsidiaritätsprinzip zum Ausdruck16: Hoheits___________ 9

Siehe § 1 I., dort Fn. 4, m.Nachw. Überwiegend wird an den Wohnsitz, für die Ausübung bestimmter Mitwirkungsrechte z.T. zusätzlich an eine zeitliche Komponente, angeknüpft, vgl. Herdegen, in: Isensee/Kirchof, Handbuch Staatsrecht IV, § 97 Rn. 8 (S. 483); Sachs, AöR 108 (1983), 68 ff., 69 ff.; Thedieck, S. 137 ff. 11 BVerfG, Beschl. v. 11. Mai 1955, Az. 1 BvO 1/54, BVerfGE 4, 178 ff., 189; BVerfG, Beschl. v. 29. Januar 1974, Az. 2 BvN 1/69, BVerfGE 36, 342 ff., 361; BVerfG, Beschl. v. 24. März 1982, Az. 2 BvH 1, 2/82, 2 BvR 233/82, BVerfGE 60, 175 ff., 207; BVerfG, Beschl. v. 29. Juni 1983, Az. 2 BvR 1546/79, BVerfGE 64, 301 ff., 317; Boehl, S. 164 ff., 171 ff.; Stiens, S. 27 ff., 29; Storr, S. 190 ff. 12 Maunz, in: Isensse/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht IV, § 95 Rn. 3 (S. 445). 13 Näher von Arnim, Vom schönen Schein, S. 118 ff. 14 Volkmann, DÖV 1998, 613 ff., 614 f. 15 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 62. 10

292

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

entscheidungen sollen auf jener Ebene getroffen werden, die dafür am besten geeignet ist, weil sie sich auf dieser Ebene auswirken17. Und der Wettbewerb zwischen den Ländern soll zusätzlich zum Finden der jeweils bestmöglichen Lösung18, mithin zu einer optimalen Funktionalität der Staatsorganisation beitragen. Neben dem reinen Funktionsprinzip kommen in der Subsidiarität der höheren Ebenen auch das Demokratieprinzip und der Freiheitsgedanke zum Ausdruck19: Die tatsächlich Betroffenen sollen entscheiden und sollen Freiheit vor Fremdbestimmung (durch Entscheidung auf einer Ebene, auf welcher auch Nichtbetroffene Einfluss haben) genießen20. Aufgrund dieses Zweckes folgt aus dem Bundesstaatsprinzips das Gebot einer effektiven sachlichen Autonomie. Der umgekehrte Schluss trifft ebenfalls zu: Fehlt es an einer effektiven sachlichen Autonomie, ist rechtspolitisch die Legitimität des Bundesstaates in Frage gestellt21. Da eine Abschaffung aber auch de lege ferenda nicht möglich ist, kann es in der Praxis nur gelten, das Gebot umzusetzen.

2. Schwäche der Bundesländer als konsentierter Befund Naturgemäß lässt sich keine exakte Grenze für das Maß an erforderlicher Effektivität bestimmen. Unstreitig ist aber das Gebot einer effektiven sachlichen Autonomie der Bundesländer derzeit nicht erfüllt. Diese Einsicht hat sich sowohl in der Wissenschaft22 als auch in der Politik durchgesetzt. Politiker aus ___________ 16 Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 95 ff., 358 ff., 361 ff., m.w.Nachw.; Janssen, S. 129 ff., 133 ff.; Kuttenkeuler, S. 164, 169 f.; Oppermann, JuS 1996, 569 ff., 571 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 70 Rn. 5; Volkmann, DÖV 1998, 613 ff., 615. 17 Eingehend Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 14 ff.; ferner Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 28 Rn. 6; Rojahn, in: von Münch/Kunig, Art. 23 Rn. 30 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 23 Rn. 11. 18 Diskussionspapier der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente zur Weiterentwicklung und Stärkung des Föderalismus, in: ZG Sonderheft 2000 „Stärkung des Föderalismus“, S. 4 ff., 6; Janssen, in: ZG Sonderheft 2000 „Stärkung des Föderalismus“, S. 41 ff., 47 f., 50 f., 58, 61 f.; Volkmann, DÖV 1998, 613 ff., 614. Bei der Frage, wie weit dieses Prinzip im Einzelnen verwirklicht werden sollte und wie weit das gegenläufige Prinzip des „solidarischen Füreinander-Einstehens“ zu verwirklichen ist, gehen die Meinungen weit auseinander, s. etwa Zypries, ZRP 2003, 265 ff., 265; sowie den Artikel „Senat statt Bundesrat?“, DIE WELT v. 11. November 2003 über die These des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel, der „wahre Föderalismus“ setze nicht auf Umverteilung, sondern auf Wettbewerb zwischen den Ländern. 19 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 63. 20 Vgl. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 22 Rn. 35 ff. (S. 909 ff.). 21 Diese beruht auf der Staatlichkeit der Bundesländer, s. Volkmann, DÖV 1998, 613 ff., 614 f., 620 ff., m.w.Nachw. 22 Siehe nur Volkmann, DÖV 1998, 613 ff., 617 f.

II. Ursachen für den Verlust sachlicher Autonomie

293

allen Lagern beklagen mittlerweile, dass die autonomen Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume der Bundesländer im Laufe der Zeit zu eng geworden sind23. Man spricht von der Erosion der Länderautonomie oder der Unitarisierung des Bundesstaates. Dieser Befund – neben einem ebenfalls festgestellten Autonomiedefizit beim Bund und mit der Folge (zugleich als Folge) einer gegenseitigen Lähmung24 – hat dazu geführt, dass Bundestag und Bundesrat im Oktober 2003 eine „Föderalismus-Kommission“25 eingesetzt haben, welche Reformvorschläge für eine Neugestaltung der bundesstaatlichen Ordnung insgesamt, vor allem aber für eine Reform der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen erarbeiten sollte26, sich aber nicht auf gemeinsame Vorschläge verständigen konnte.

II. Ursachen für den Verlust sachlicher Autonomie Zwei Hauptursachen für den Schwund an sachlicher Autonomie der Bundesländer wurden bereits angesprochen:

1. Kompetenzverluste Im Bereich der Gesetzgebung haben die Bundesländer aufgrund von Kompetenzzuweisungen an den Bund, der zunehmenden Europäisierung des Rechts und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von ihren schon bei der Gründung der Bundesrepublik nur spärlichen Kompetenzen viele an den Bund und die Europäischen Gemeinschaften verloren27. Die zum „Ausgleich“ gewährten Mitwirkungskompetenzen über den Bundesrat und in Angelegenheiten der Europäischen Union auch über einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder wurden im Hinblick auf die landesinterne Zuständigkeit bereits untersucht28. Für die Autonomie der Bundesländer bedeuten sie keine auch nur annähernd gleichwertige Kompensation. Das Mitentscheiden über den Bundes___________ 23 Siehe nur Zypries (SPD), ZRP 2003, 265 ff., 266; Teufel (CDU), bei: „Senat statt Bundesrat“, DIE WELT v. 11. November 2003. 24 Dies zeigt sich vor allem bei der Umsetzung von europäischem in innerstaatliches Recht, am deutlichsten im Bereich der Rahmengesetzgebung (v.a. Umweltrecht). 25 Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung. 26 Siehe dazu Zypries, ZRP 2003, 265 ff. (Überblick); sowie die Darstellung und Dokumentation im Einzelnen im Internet unter http://www1.bundesrat.de, Stichwort: Bundesstaatskommission (ausgedruckt am 20. März 2004); s. auch Henneke, DVBl. 2003, 845 ff., Schultze, ZfP 46 (1999), 173 ff. 27 Siehe § 7 IV. 3. b). 28 Siehe § 7 IV. 4.

294

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

rat und durch den von diesem benannten Vertreter bedingt gerade, dass sich die Bundesländer untereinander verständigen und zwar auf einen Entschluss. Diese Uniformität konterkariert den aufgezeigten Sinn und Zweck des Bundesstaatsprinzips. Während eigene Landeskompetenzen eine auf das jeweilige Bundesland bezogene und auf dessen besondere Bedürfnisse angepasste Lösung ermöglichen, ggf. also auch 16 unterschiedliche Lösungen auf dem Bundesgebiet, kann sich bei unterschiedlichen Vorstellungen der Länder im Bundesrat nur ein Land (möglicherweise sogar keines vollständig) durchsetzen, so dass es für die Länder bei einem Kompromiss bleibt. Eigene Gesetzgebungskompetenzen tragen deshalb ganz wesentlich zu einer effektiven Autonomie der Bundesländer, ihr Fehlen ganz wesentlich zur Schwäche der Bundesländer bei.

2. Länderkoordination Gleiches gilt, wenn die Bundesländer von vorhandenen Verwaltungs- und Gesetzgebungskompetenzen uniformen Gebrauch machen29. Auch dieses Phänomen wurde bereits angesprochen30. Zwar besteht hier kein rechtlicher, doch aber häufig ein faktischer Einigungszwang, zumal wenn sich die Zusammenarbeit der Bundesländer institutionalisiert (z.B. Kultusministerkonferenz)31. Stellen etwa die „Kultusminister der unionsregierten Länder“ eine Forderung auf, tritt die Landesindividualität in den Hintergrund und es besteht auch hier die Gefahr, dass einzelne Bundesländer parteipolitisch überstimmt werden. Effektive sachliche Autonomie der Bundesländer bedeutet demgegenüber, dass das zuständige Landesorgan sich ausschließlich an Landesinteressen orientiert, eine durch diese Interessen gebotene Zusammenarbeit ggf. auch mit einem vom politischen Gegner beherrschten Bundesland eingeht, im Regelfall aber die am besten auf die Landesbedürfnisse zugeschnittene Individuallösung sucht. Die Wirkung der freiwilligen Koordination der Länder untereinander und z.T. mit dem Bund ist nicht zu unterschätzen, gibt es doch fast tausend solcher Koordinationsgremien32.

___________ 29 Näher von Arnim, Vom schönen Schein, S. 62 ff., 69 ff.; Oschatz, in: Merten, S. 135 ff., 139 ff. 30 Siehe § 7 IV. 3. b) (5). 31 Näher dazu Pietzcker, in: Starck, Zusammenarbeit, S. 17 ff.; Püttner/Kretschmer, S. 265 f.; Vogel, in: Benda/Maihofer/Vogel, § 22 Rn. 125 (S. 1094). 32 Von Arnim, ZRP 2002, 223 ff., 228.

II. Ursachen für den Verlust sachlicher Autonomie

295

3. Der Bundesrat als Instrument der Bundespolitik „Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit“, lautet Art. 50 GG und konstituiert damit den Bundesrat als ein föderativ-demokratisches Verfassungs- und oberstes Bundesorgan, das dazu dient, bei Exekutiv- und Legislativentscheidungen im Bund eine ausreichende Berücksichtigung der Länderinteressen zu gewährleisten33.

a) Der Einfluss des Bundesrates Art. 50 GG enthält dabei nur die grundsätzliche Aufgabenzuweisung. Die konkreten Kompetenzen des Bundesrates ergeben sich aus anderen Bestimmungen des Grundgesetzes und aus einfachen Bundesgesetzen34. Sie sind im Bereich der vollziehenden Gewalt35, vor allem aber im Bereich der Gesetzgebung zahlreich36. Von besonderer Bedeutung für die Mitwirkung bei der Gesetzgebung ist das Zustimmungserfordernis nach Art. 84 Abs. 1 GG. Gemäß dessen Wortlaut bedürfen Bundesgesetze, welche die Einrichtung von Behörden und das Verwaltungsverfahren für den Bereich der Landeseigenverwaltung (der Großteil der Verwaltungsaufgaben) regeln, der Zustimmung des Bundesrates. Nach der Einheitstheorie des Bundesverfassungsgerichts gilt dieses Zustimmungserfordernis nicht nur für die konkrete Einzelnorm, sondern für das gesamte Gesetz, das eine solche Norm enthält37. So erfasst das Zustimmungserfordernis auch materiell-rechtliche Vorschriften38. Vor allem diese Auslegung führt dazu, dass mittlerweile fast 60 % der Gesetze und die wichtigsten Rechtsverordnungen des Bundes zustimmungspflichtig sind39, von den inhaltlich ___________ 33 Vgl. BVerfG, Urt. v. 21. Mai 1952, Az. 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299 ff., 311; BVerfG, Urt. v. 30. Juli 1958, Az. 2 BvF 6/58, BVerfGE 8, 104 ff., 120; Maunz/Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 50 Rn. 1, 5; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 50 Rn. 1. 34 Korioth, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 50 Rn. 21 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 50 Rn. 2 ff.; Robbers, in: Sachs, Art. 50 Rn. 8, 19 ff. 35 Siehe den Katalog bei Korioth, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 50 Rn. 23. 36 Siehe den Katalog bei Korioth, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 50 Rn. 22. 37 Ständige Rechtsprechung seit BVerfG, Beschl. v. 12. November 1958, Az. 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57, BVerfGE 8, 274 ff., 294 f.; auch BVerfG, Beschl. v. 09. Oktober 1968, Az. 2 BvE 2/66, BVerfGE 24, 184 ff., 194 ff.; BVerfG, Urt. v. 10. Dezember 1980, Az. 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 174 ff., 319, 326 f.; Bull, in: Alternativkommentar, Art. 84 Rn. 23 ff.; Dittmann, in: Sachs, Art. 84 Rn. 15; a.A. Trute, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 84 Rn. 23 ff.; s. auch Gramm, AöR 124 (1999), 212 ff., 221 ff. 38 Zwar kann der Bundestag durch ein Aufsplitten in mehrere Gesetze begrenzt entgegenwirken, doch wird dann meist die praktische Durchführung des nicht zustimmungspflichtigen Teiles gehemmt. 39 Jüngst Zypries, ZRP 2003, 265 ff., 265; Zahlen für vergangene Zeiträume bei Krebs, in: von Münch/ Kunig, Art. 50 Rn. 16 (von 41,8 % ansteigend).

296

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

wichtigen Gesetzen sogar über 90 %40. Zustimmungspflichtigkeit bedeutet, dass eine Einigung von Bundestag und Bundesrat erforderlich ist und hier setzt die praktische Problematik an.

b) Der Einigungszwang im Bundesrat Für die Stellung der Bundesländer als solche ist dies nur auf den ersten Blick ein bedeutender Machtfaktor. Rückt man, wie es geboten ist41, nämlich deren sachliche Autonomie in den Vordergrund der Betrachtung, ist zu verzeichnen, dass auch die Entscheidungsfindung im Bundesrat zur Uniformität zwingt. Gerade bei den Zustimmungsgesetzen gibt es nur die Möglichkeiten, die Zustimmung zu erteilen, sie zu verweigern oder einen Kompromiss auszuhandeln, an dem dann nicht nur die 16 Länder beteiligt sind, sondern auch noch der Bund. Für die bundesratsinterne Abstimmung gilt das Mehrheitsprinzip42, wobei die Länder eine unterschiedliche Anzahl von Stimmen entsprechend ihrer Einwohnerzahl haben43. Zu diesem Einigungszwang ist das Nötige schon gesagt44.

c) Der Zusammenschluss der Länder zu parteipolitischen Lagern Von noch größerer Bedeutung für die Bundesländer ist, dass in der Praxis sich – wie bei der Länderkoordination außerhalb des Bundesrates45 – die von denselben Parteien regierten Länder (bzw. Ressorts bei großen Koalitionen) grundsätzlich zusammenschließen und diejenige Partei, die aufgrund der Anzahl der von ihr regierten Länder und der den Ländern zustehenden Stimmenzahl im Bundesrat über die Mehrheit der Stimmen verfügt, regelmäßig die Entscheidungen des Bundesrates trifft46. Dieser Befund ist als solcher unstrei___________ 40

Oschatz, in: Merten, S. 135 ff., 144. Siehe § 10 I. 1. c). 42 Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GG. 43 Art. 51 Abs. 1 GG. 44 Siehe § 10 II. 1. 45 Siehe § 10 II. 2. 46 Die Aufteilung bei der Vorbereitung der Ausschusssitzungen in Arbeitsgruppen und die Koordinierung der Ländergruppen erfolgt bezeichnenderweise nach dem Schema: ALänder = SPD-regierte Länder und SPD-geführte Länderressorts in großen Koalitionen, B-Länder = CDU/CSU-regierte Länder und CDU-geführte Länderressorts in großen Koalitionen. Von kleinen Koalitionspartnern geführte Ressorts nehmen je nach Führung der Landesregierung an den Arbeitsgruppen teil. Es erfolgt eine gesonderte Koordinierung mit den Bundesgremien der jeweiligen Partei, vgl. Stegmann, in: Postlep, S. 141 ff., 45. 41

II. Ursachen für den Verlust sachlicher Autonomie

297

tig47. Nur über seine Bewertung streitet man insofern, als viele Politiker und Staatsrechtler die Meinung vertreten, dies sei wegen der im Grundgesetz verankerten Parteienstaatsdemokratie hinzunehmen48. Der parteipolitische Zusammenschluss im Bundesrat wird dort zwar noch nicht bei der Anordnung der Sitze deutlich und es gibt keine Fraktionen49. Er tritt aber ständig in Erscheinung. Besonders deutlich kommt die Regel auch hier in Ausnahmen zum Ausdruck, wenn etwa die Bundesvorsitzende der CDU die Entscheidung über das Vorziehen der Steuerreform im Bundesrat freigibt50. Eine solche „Freigabe“ der Abstimmung dürfte bereits an eine Verspottung der Entscheidungsautonomie der Länder grenzen. Mit den Bundesvorsitzenden entscheiden Personen, die vom betroffenen Landesvolk in keiner Weise legitimiert wurden. Auf die Spitze getrieben wird die Dominanz der bundespolitischen Parteiinteressen, wenn sie dazu führt, dass die Spaltung durch die Gruppe der Vertreter eines einzigen Landes läuft. So geschah es am 22. März 2002, als im Bundesrat über das von der Regierungskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag verabschiedete Zuwanderungsgesetz abgestimmt wurde. Die Vertreter Brandenburgs stimmten entsprechend ihrer Parteizugehörigkeit teilweise für und teilweise gegen das Gesetz51. Nur ganz selten schert einmal ein Land ohne „Freigabe“ aus der Parteienfront aus, meist dann, wenn sich die Landesregierung in einer (Finanz-)Krise befindet und vom Bund im Gegenzug Zugeständnisse oder Leistungen erhält52. Grundsätzlich lässt sich aber festhalten, dass die „Länderkammer“ in der Praxis als bundespolitisches Werkzeug der Parteien Gebrauch findet. Ob es sich um einen Missbrauch handelt, hängt von den Folgen für die Länder ab, da der Bundesrat deren Interessen auf Bundesebene wahren soll und nicht die bundespolitischen Interessen der Parteien.

___________ 47 Giesing, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 75 ff., 78 f.; Gramm, AöR 124 (1999), 212 ff., 214 f., m.w.Nachw.; Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 61; eingehend und z.T. etwas einschränkend Schneider, S. 241 ff. 48 Vgl. Blanke, JURA 1995, 57 ff., 60; Korioth, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 50 Rn. 17 f.; Krebs, in: von Münch/Kunig, Art. 50 Rn. 6; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 50 Rn. 24 ff; Robbers, in: Sachs, Art. 50 Rn. 16. 49 Stegmann, in: Postlep, S. 141 ff., 165. 50 Frey, Der Ruck ist da, in: ZDF Politik und Zeitgeschehen, 07. November 2003, veröffentlicht im Internet unter http://www.zdf.de/inhalt/19/0,1872,2079475,00.html (Ausdruck am 22. Februar 2004). 51 Siehe die Wiedergabe des Sitzungsprotokolls bei BVerfG, Urt. v. 18. Dezember 2002, Az. 2 BvF 1/02, BVerfGE 106, 310 ff., 318 ff. 52 So bei der Abstimmung über die rot-grüne Steuerreform im Sommer 2000, als Berlin unter dem damaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen der Steuerreform zustimmte, nachdem von der Bundesregierung finanzielle Zusagen an die Hauptstadt in Höhe von 300 Millionen DM erfolgt waren, vgl. DIE WELT v. 30. September 2002 („Kraftprobe“).

298

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

d) Die Dominanz der Bundes- über Landesinteressen Zwingende Folge des aufgezeigten Zusammenschlusses ist ein Zurücktreten der Wahrnehmung von Landesinteressen gegenüber den Interessen auf Bundesebene. Das wird am Beispiel des Abstimmungsverhaltens Brandenburgs bei der Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz besonders deutlich. Das unterschiedliche Abstimmungsverhalten der Vertreter Brandenburgs führte dazu, dass dessen Stimmen schließlich gar nicht zu berücksichtigen waren53, das Land Brandenburg mithin an sich (bei verfassungsgemäßer Fortführung der Abstimmung54) auf die Sachentscheidung überhaupt keinen Einfluss mehr gehabt hätte. Allgemein führt der Einfluss der Bundesparteien auf die Abstimmung der Landesvertreter dazu, dass sich die Abstimmung an den entsprechenden Interessen auf Bundesebene und nicht an Landesinteressen orientiert. Auch wenn diese im Einzelfall miteinander einhergehen mögen, ist die Ausrichtung an den Bundesinteressen mit dem Zweck des Bundesrates, die Länderinteressen zu wahren, unvereinbar und aus Sicht der Länder ein unersetzlicher Nachteil, weil damit die Landesinteressen auf der Bundesebene, wo vor allem der Großteil der Gesetzgebungskompetenzen liegt55, ihr Sprachrohr und ihr Einfallstor verlieren. Besonders krass wirkt sich das bei Zustimmungen gem. Art. 79 Abs. 2, Art. 84 Abs. 1 und 2 sowie Art. 87 Abs. 3 Satz 2 GG aus, durch welche die Länder dauerhaft Kompetenzen abgeben56. Aus Sicht der Länder stellt sich damit die gegenwärtige Praxis als Missbrauch des Bundesrates dar und ist im Ergebnis abzulehnen. Es ist Raum für eine Überprüfung, ob eine Direktwahl der Ministerpräsidenten ihr entgegen wirkt.

e) Exkurs: Praktische Probleme für den Bundesstaat Naturgemäß haben sich die Länder bei der Ausgestaltung ihrer Verfassungen daran zu orientieren, wie sie ihre Staatsgewalt so verfassen können, dass diese ihre Interessen bestmöglich wahrt. In den Grenzen des Homogenitätsgebots57 müssen sie dabei die Verhältnisse auf Bundesebene nicht berücksichtigen. Die Probleme auf Bundesebene können ohnehin auch nur dort gelöst werden. Damit ___________ 53

So die Entscheidung des BVerfG, Urt. v. 18. Dezember 2002, Az. 2 BvF 1/02, BVerfGE 106, 310 ff., 330 ff. 54 Weil Bundesratspräsident Wowereit (SPD) auf die Stimmen des brandenburgischen Ministerpräsidenten Stolpe (SPD) abgestellt hatte, war das Gesetz nichtig, BVerfG, Urt. v. 18. Dezember 2002, Az. 2 BvF 1/02, BVerfGE 106, 310 ff., 312 ff. 55 Siehe § 7 IV. 3. b). 56 Siehe bereits § 7 IV. 3. b) (3). 57 Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG.

II. Ursachen für den Verlust sachlicher Autonomie

299

befasste sich zuletzt die mittlerweile gescheiterte Föderalismuskommission58. Gleichwohl sei in der gebotenen Kürze aufgezeigt, dass der Zusammenschluss der Länder nach parteipolitischen Lagern auch für den Bund massive Probleme mit sich bringt. Werden Bundestag – mit ihm die Bundesregierung – und Bundesrat von unterschiedlichen politischen Kräften dominiert, können diese sich oft nur auf den kleinsten gemeinsamen politischen Nenner verständigen59. Es gibt dann, von den wenigen Fragen, in denen sich die großen Parteien einig sind, abgesehen, in wichtigen Fragen entweder Stillstand (Stichwort: „Blockadepolitik“60), weil keine Einigung zustande kommt, oder nur Minimallösungen aus Konzessionen an beide Seiten, die weder in sich konsequent sind, noch zu den vorhandenen Regelungen im Sinne eines widerspruchsfreien Systems passen. Das hat zur Folge, dass es in der Bundespolitik keine Linie gibt, weder eine „linke“ noch eine „rechte“, sondern nur ein Gemenge aus Einzelvorstellungen beider Seiten, die sich in ihren Zielen häufig widersprechen und nicht selten aus einer Not – weil sich eine Lösung nicht mehr weiter aufschieben lässt und über die an sich erforderliche Reform keine Einigung erzielt werden kann – geboren sind. Der Handlungsspielraum der Regierung tendiert gegen Null61. Diese Konstellation – unterschiedliche Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat – ist in der Praxis auch keine Ausnahmeerscheinung von kurzer Dauer, die sich verschmerzen ließe, sondern der Regelfall. In den letzten dreißig Jahren stand in etwa zwei Dritteln der Zeit dem Bundestag ein von der Opposition beherrschter Bundesrat gegenüber62. Nimmt man hinzu, dass es einer gewissen Anlaufzeit bedarf, bis ein politisches Lager die in beiden Organen einmal errungene Mehrheit auch zu nutzen vermag, ist dies denkbar wenig Zeit, in welcher eine politische Kraft in der Bundesrepublik wirklich einmal in der Lage war, Konzepte umzusetzen – von den Einigungserfordernissen im eigenen politischen Lager (insbesondere mit dem Koalitionspartner) einmal ganz abgesehen. Die Folgen für den Bund sind weitreichend und hochproblematisch (fehlende Transparenz, mangelnde Problemlösungskompetenz, Politikverdros___________ 58 Siehe dazu die Darstellung und Dokumentation im Einzelnen im Internet unter http://www1.bundesrat.de, Stichwort: Bundesstaatskommission (ausgedruckt am 20. März 2004). 59 Man spricht von einer „ganz großen“ oder „faktischen großen Koalition“, Gramm, AöR 124 (1999), 212 ff., 214 f., von einer „Allparteienregierung“, Böckenförde, in: Festschr. Schäfer, S. 182 ff., 191, oder auch vom „Allparteienföderalismus“, Kisker, in: von Münch, Probleme des Föderalismus, S. 23 ff., 33. Den Oppositionsblock im Bundesrat bezeichnet man bisweilen gar als „Mit-“ oder „Nebenregierung“, Stegmann, in: Postlep, S. 141 ff., 165. 60 Siehe Giesing, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 75 ff., 78; s. auch von Arnim, Das System, S. 307 f.; ders., in: Wirtschaftsdienst 2002, 193 ff., 194; Schmidt, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 41 ff. 61 Gramm, AöR124 (1999), 212 ff., 214. 62 Siehe nur Zypries, ZRP 2003, 265 ff., 266.

300

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

senheit etc.). Zur Entflechtung wird als Reforminstrument auf Bundesebene vor allem die Umgestaltung zu einem – bei Schaffung des Grundgesetzes noch abgelehnten63 – Senat vorgeschlagen64. Dem ist hier jedoch nicht weiter nachzugehen.

4. Ursachen der Berücksichtigung landesfremder Motive im Entscheidungsprozess der Landesorgane Gemeinsam ist den Ursachen „Kompetenzverlust“ und „Zusammenschluss der Länder inner- und außerhalb des Bundesrates“, dass auf Landesebene eine „Mitschuld“ liegen muss. Denn theoretisch haben es bei allen Ursachen die Länder in der Hand, sie zu beseitigen. Es handelt sich durchweg nicht um rechtliche Zwänge. Rechtlich können die Länder nicht zu einem bestimmten Verhalten im Bundesrat gezwungen werden, ebenso wenig zu einer Koordination ihrer Gesetzgebungs- und Verwaltungsaktivitäten. Da die Zustimmung des Bundesrates zur Verlagerung von Gesetzgebungskompetenzen auf den Bund erforderlich ist, könnten die Länder auch diese Form der Aushöhlung ihrer Autonomie verhindern bzw. hätten sie in der Vergangenheit verhindern können65. Welche Ursachen hat es also seinerseits, dass die Landesorgane ohne rechtlichen Zwang landesfremde Motive (überwiegend bundespolitische Motive) bei ihrer Tätigkeit berücksichtigen?

a) Verknüpfung durch die Parteien: Landesvertreter als Bundespolitiker Eine dieser Ursachen wurde beim Bundesrat bereits aufgezeigt66 und gilt darüber hinaus. Man kann sie als parteipolitische Gleichschaltung67 bezeichnen, und zwar im Gegensatz zu der an früherer Stelle angesprochenen horizontalen Gleichschaltung der Landesorgane68 als vertikale parteipolische Gleichschaltung (der Landesorgane über die Landesverbände der herrschenden Parteien mit dem Bundesverband dieser Parteien).

___________ 63

Korioth, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 51 Rn. 4 ff., m.w.Nachw. Siehe etwa den Artikel „Senat statt Bundesrat“, DIE WELT v. 11. November 2003, betreffend den dahingehenden Vorschlag des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier; s. auch von Arnim, Vom schönen Schein, S. 111 f. 65 Siehe § 7 IV. 3. b) (3). 66 Siehe § 10 II. 3. c). 67 So Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 61. 68 Siehe § 8 III. 2., V. 64

II. Ursachen für den Verlust sachlicher Autonomie

301

(1) Die vertikale parteipolitische Gleichschaltung Die Mitglieder der Landesregierungen und der Landtage sind ganz überwiegend Mitglied der im entsprechenden Landtag über die Mehrheit verfügenden Partei(-en). Diese Parteien sind Bundesparteien bzw. im Falle von CDU/CSU gemeinsam mit der Schwesterpartei auf Bundesebene tätig, die von den staatlichen Ebenen für die Parteien die größte Bedeutung hat69. Die Parteien sind entsprechend zur Bundesebene hin organisiert und auf Bundesebene findet sich jeweils das höchste Gremium. Eine typische innerparteiliche Karriere verläuft von der Landes- in die Bundespolitik und nicht umgekehrt70. Die starke Organisation zur Bundesebene hin unterscheidet die Parteienlandschaft Deutschlands auch von jener in anderen Föderalstaaten wie den USA oder der Schweiz71. Zudem konkurrieren die Landesverbände einer Partei innerparteilich miteinander und müssen sich mit ihren Vorstellungen ggf. gegen die anderen Landesverbände durchsetzen. Die Grundsatzprogramme werden auf Bundesebene beschlossen und für einen einzelnen Landesverband ist es schwierig, eine abweichende Vorstellung gegen eine einmal auf Bundesebene getroffene parteipolitische Entscheidung zu behaupten72. Schließlich bekleiden Landespolitiker nicht selten auch Parteiämter auf Bundesebene. Insgesamt haben dadurch die Parteigremien auf Bundesebene innerparteilich einen wesentlich stärkeren Einfluss auf die Landespolitiker der Partei als umgekehrt. Im Verhältnis der CDU zur CSU gilt dies abgeschwächt73 ebenfalls. Lehmbruch meint, es sollte deshalb einmal untersucht werden, wie die Einflussnahme der Bundespartei auf die Landesverbände rechtlich möglich ist und dieser Widerspruch zum Staatssystem aufgezeigt werden74. Solange man sich nicht mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Regelungen des Parteienrechts befasst, erscheint Ersteres zwar entbehrlich. Entscheidend für die politikwissenschaftliche Bewertung ist ___________ 69

Siehe dazu sogleich § 10 II. 4. b), c). Man betrachte nur die letzten Bundeskanzler, die alle zuvor Ministerpräsidenten eines Landes waren, während es den umgekehrten Fall bisher nicht gab. 71 Giesing, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 75 ff., 80. 72 Deshalb ist es nicht nachvollziehbar, wenn Leisner, DÖV 1968, 389 ff., 395, in der Gleichschaltung von Bundes- und Landespolitik eine „dringend erforderliche Stärkung der Landesparlamente“ sieht, ohne die echte Gewaltenteilung im Lande politisch kaum mehr real wäre. 73 In dieser Abschwächung, die in der Aufgliederung in zwei Parteien und der Verknüpfung der CSU mit genau einem Bundesland begründet liegt, dürfte ein wesentlicher Grund für den dauerhaften Erfolg Bayerns im Wettbewerb der Länder liegen: Wo ein CDU-Landesverband innerparteilich einfach überstimmt werden kann, findet bei einer Abweichung der CSU von der Mehrheitsmeinung in der CSU gleich ein „Gipfeltreffen“ statt, bei dem sich die CSU anders als die CDU-Landesverbände nicht 14 gleichberechtigten Gegnern, sondern nur einem gleichberechtigten Gegner gegenüber sieht. 74 Lehmbruch (2. Aufl.), S. 136 ff., 170 ff., 180. 70

302

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

vielmehr, dass es diese Einflussnahme gibt und sie praktisch funktioniert. Anzumerken ist hierzu lediglich noch, dass „Einflussnahme“ im weitesten Sinne zu verstehen ist oder einer Ergänzung bedarf. Es verhält sich keineswegs so, dass immer, wenn von Landespolitikern die Interessen ihres Landes preisgegeben werden, von der Bundespartei hierzu konkret gedrängt wird (auch dies kommt aber natürlich vor). Die Preisgabe kann auch aus eigenem Antrieb erfolgen, nämlich – von Fällen der gezielten Wählertäuschung abgesehen75 – weil der Landespolitiker aufgrund eines Amtes im Bundesverband, aufgrund der Verbundenheit mit Parteifreunden auf Bundesebene oder auch nur als Mitglied seiner Bundespartei sich auch landesfremden Interessen verpflichtet fühlt. Diese wesentlich subtilere Form der „Einflussnahme“ (das verbreitete Denken in politischen „Lagern“) dürfte sogar einem Großteil jener Entscheidungen zugrunde liegen.

(2) Strukturelle Gegenläufigkeit von Parteiensystem und Bundesstaat Wichtig ist aber der zweite von Lehmbruch angesprochene76 Aspekt, der Widerspruch zum Staatssystem, genauer zum Bundesstaatsprinzip. Dieser liegt darin, dass einerseits zwei staatliche Ebenen mit zwei unterschiedlichen Autonomieräumen und jeweils besonderen Organen zu deren Ausfüllung – und zu ihrer Verteidigung gegenüber der anderen Ebene – existieren und andererseits die Personen, die die Ämter in diesen Organen bekleiden, über die Ebenen hinweg miteinander dergestalt verbunden sind, dass sie die Interessen beider Ebenen wahrzunehmen haben. Das muss zwingend dazu führen, dass diejenige Ebene, deren Interessen aufgrund weiterer Faktoren grundsätzlich durchsetzungsschwächer sind, verliert. Lehmbruch spricht treffend von der strukturellen Gegenläufigkeit von Parteiensystem und Bundesstaat77. Dass Landesinteressen grundsätzlich durchsetzungsschwächer sind als Bundesinteressen, liegt neben der im Folgenden noch anzusprechenden Wahrnehmung durch die Medien und den Bürger schon in der Vielzahl der Bundesländer sowie darin begründet, dass aufgrund der deutschlandweiten Verflechtungen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich im Zusammenspiel mit der „Kompetenzkompetenz“ des Bundes78 eine Art Sog hin zur höheren Ebene besteht. ___________ 75 Siehe das bei von Arnim, ZRP 2002, 223 ff., 227, geschilderte Beispiel Roland Koch. 76 Lehmbruch (2. Aufl.), S. 136 ff., 165 ff. 77 Lehmbruch (2. Aufl.), S. 180; ihm folgend Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 74, 76. 78 Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 73 Rn. 2; Rozek, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 70 Rn. 23.

II. Ursachen für den Verlust sachlicher Autonomie

303

(3) Folge: Dreh- und Angelpunkt für alle Strukturreformansätze Vertikale parteipolitische Gleichschaltung und strukturelle Gegenläufigkeit von Parteiensystem und Bundesstaat führen dazu, dass die Bundesparteien das Abstimmungsverhalten der Landesregierungen im Bundesrat maßgeblich mitbestimmen79. Die Länder bräuchten Organe, die ihre Interessen kraftvoll wahrnehmen und überhaupt erst formulieren. In dem Fehlen solcher Organe liegt die Wurzel für die Schwäche der Länder und darin muss deshalb zugleich der zentrale Ansatzpunkt für Reformen liegen. Das zeigt zugleich, dass dieses Problem nur auf Landesebene gelöst werden kann. An der strukturellen Gegenläufigkeit von Parteiensystem und Bundesstaat wird sich bei realistischer Betrachtung kaum etwas ändern lassen, ebenso wenig an den durchaus ja gewünschten Verflechtungen im nichtpolitischen Bereich80. Die Forderung Janssens, die Einflussnahme der Bundesparteien auf das Abstimmungsverhalten der Länder im Bundesrat zurückzudrängen81, ist folglich dahingehend zu erweitern und konkretisieren, dass es gilt, die Mitglieder der Landesorgane (Landesregierungen und Landtage im Hinblick auf ihre Kontroll- und Gesetzgebungsfunktion82) resistenter gegen versuchte Einflussnahmen von außen und gegen bestehende Einflüsse zu machen und zugleich den Anreiz zu erhöhen, sich ausschließlich auf die Interessen des eigenen Bundeslandes zu konzentrieren.

b) Verknüpfung über den Bürger: Landtagswahlen als „Zwischenwahlen“ Die Verknüpfung über die Parteien ist zwar die Hauptursache für die Fokussierung auf bundespolitische Themen, keineswegs aber die einzige. Von den bereits erwähnten nichtpolitischen Verflechtungen über Landesgrenzen hinweg abgesehen, werden Landespolitiker auch vom Bürger immer wieder „in die Bundespolitik gedrängt“. Derzeit werden die wesentlichen und bedeutendsten Entscheidungen auf Bundesebene getroffen. Die grundlegenden Entscheidungen werden durch Gesetze getroffen und der Großteil der Gesetzgebungskom___________ 79 Gramm, AöR 124 (1999), 212 ff., 214 f., m.w.Nachw.; Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 61. 80 Zumindest solange keine Neugliederung der Bundesländer erfolgt und deren Größen weiterhin von der einer Kommune (z.B. Bremen) bis zu jener eines souveränen Staates (z.B. Bayern) reicht, bietet es sich für nichtstaatliche Organisationen schon aus rein praktischen Erwägungen nicht an, sich streng nach Bundesländern zu organisieren (z.B. Sportligen, Vertriebsgebiete etc.). 81 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 76 f. 82 Vgl. die Forderung Eschers, die Landtage müssten sich von ihrer Teilnahmeverpflichtung an „Bonner Rollenspielen“ lösen können, FOCUS 32/1997, S. 50.

304

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

petenzen liegt beim Bund83. Darauf konzentriert sich der Bürger und nimmt deshalb vorrangig die Tätigkeit der Bundesparteien wahr. Mit der Tätigkeit der im Bund regierenden Parteien ist der Bürger zufrieden oder nicht zufrieden. Bei besonderer Betroffenheit in die eine oder andere Richtung, vor allem aber bei besonders starker Unzufriedenheit, versucht das Volk dies kundzutun und entsprechend Einfluss zu nehmen. Da es zwischen zwei Bundestagswahlen auf Bundesebene hierzu keine effektive Möglichkeit hat84, werden die Landtagswahlen, auch Kommunalwahlen, hierfür genutzt. Das ist dann der viel zitierte „Rückenwind“ oder „Gegenwind“ aus Berlin85. Dieses Phänomen der Landtagswahlen als „Zwischenwahlen“86 oder „Testläufe“87 für die Bundestagswahl ist bekannt, als solches unstreitig und wegen des faktischen Dauerwahlkampfes88 auch für den Gesamtstaat problematisch. Für die Landespolitik ist entscheidend, dass das Landesvolk insoweit seinen Einfluss nicht als Landesvolk, sondern als Teil des Bundesvolkes geltend macht und auch dies dazu führt, dass sich Landespolitiker zu den aktuellen bundespolitischen Themen äußern89 und diese in den Landtagswahlkampf einfließen und so die Diskussion der Landesinteressen zurückdrängen90.

c) Verknüpfung über die Medien: Dominanz der Bundesnachrichten Das große Interesse des Bürgers an der Bundespolitik wird auch von der deutschen Medienlandschaft geschürt und bestimmt diese zugleich (mit). Vor allem jenes Medium, durch welches sich die meisten Menschen über Politik informieren, das Fernsehen, ist überwiegend ein „Bundesmedium“. Die meisten deutschen Fernsehsender, insbesondere praktisch alle privaten und alle Nachrichtensender, strahlen ihr Programm bundesweit aus und konzentrieren sich ___________ 83

Siehe § 7 IV. 3. b). Nach überwiegender Auffassung sollen unmittelbare Volksabstimmungen im Bund nur in den (wenigen) ausdrücklich in der Verfassung vorgesehenen Fällen zulässig sein, s. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Rn. 42 ff.; Sachs, in: ders., Art. 20 Rn. 31 f.; Schnapp, in: von Münch/Kunig, Art. 20 Rn. 18; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 155 f.; krit. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 7, m.w.Nachw. 85 Siehe z.B. „Zahlenspiel unterm Brandenburger Adler“, Nordkurier v. 01. September 1999, S. 3 („durch gegenläufige bundespolitische Trends überlagert“). 86 Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 57. 87 Escher, FOCUS 32/1997, S. 50. 88 Infolge der unterschiedlich langen Wahlperioden und der zeitlichen Versetzung der Landtags- zu den Bundestagswahlen. 89 Auch hier sind Personalentscheidungen wieder von exponiertem Interesse. Oft werden Landtagswahlen zu „Vorwahlen“ (der Begriff ist dem US-amerikanischen Wahlsystem entliehen) über den Kandidaten einer Partei für das Amt des Bundeskanzlers. 90 Vgl. auch Giesing, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 75 ff., 79 ff. 84

III. Auswirkungen auf die Länderautonomie

305

bei ihren Nachrichtensendungen entsprechend auf Bundesnachrichten. Auch die großen deutschen Nachrichtenmagazine erscheinen bundesweit. Anders verhält es sich zwar bei den Tageszeitungen und Rundfunksendern, doch nehmen auch hier Bundesnachrichten noch einen breiten Raum ein. Im Einzelnen soll dem nicht weiter nachgegangen werden. Jedenfalls führt die Dominanz der Bundesnachrichten in den Medien dazu, dass in großen Teilen der Bevölkerung tendenziell mehr von der Bundespolitik wahrgenommen wird als von der Landespolitik. Das liegt natürlich auch daran, dass dort der Hauptteil der für den Bürger wichtigen Entscheidungen getroffen wird91 und deshalb Bundesnachrichten für den Bürger – Leser oder Zuschauer – von großem Interesse sind. Oft finden aber gerade auf diesem Weg bundespolitische Themen Einzug in Landtagswahlkämpfe und die „Landespolitik“. Vorliegend ist nur wichtig, diese mediale Verknüpfung von Bundes- und Landespolitik bei der Untersuchung der Auswirkungen einer Direktwahl mit zu berücksichtigen.

III. Auswirkungen einer Direktwahl der Ministerpräsidenten auf die Länderautonomie Entscheidend für die Bewertung einer Direktwahl der Ministerpräsidenten im Hinblick auf die Stellung der Länder im Gesamtstaat ist, was die Direktwahl an diesen Ausgangsbefunden ändern würde.

1. Von „föderalen Mischwahlen“ zu Landeswahlen Ob Wahlen auf Landesebene zu echten Landeswahlen werden, hängt wesentlich davon ab, inwieweit sich die Trennung beider Ebenen bei der Bevölkerung durchsetzt, inwieweit sich die Verfassungsräume auch „in den Köpfen der Menschen“ wieder trennen lassen. Politiker sind flexibel und anpassungsfähig. Es ist durchaus davon auszugehen, dass Landespolitiker sich wieder als solche präsentieren würden und Landespolitik in den Fokus der Diskussion rücken würden, wenn dies vom Landesvolk erwartet würde92.

___________ 91

Siehe § 7 IV. Vgl. zum Zusammenhang zwischen Bestimmung, Verantwortlichkeit und Tätigkeitsorientierung § 6 I. 2. 92

306

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

a) Fokussierung des Landesvolkes auf die Person des Ministerpräsidenten Der Ausgangspunkt der Untersuchung muss deshalb beim Wahlvolk liegen. Skepsis könnte nun gerade die Tatsache hervorrufen, dass es überwiegend die Bevölkerung ist, welche bisher die Landtagswahlen zu „Zwischenwahlen für den Bund“ macht93. Warum also sollte sie nicht auch die Ministerpräsidentenwahl zu einer Protestwahl machen? Immerhin wurde festgestellt, dass direkt gewählte Ministerpräsidenten vermutlich überwiegend nicht parteilos wären und auch bei einer Direktwahl die Kandidaten im Wahlkampf aktiv von Parteien unterstützt würden94. Und es wurde festgestellt, dass schon in den derzeitigen Landtagswahlen die von den Parteien für das Amt des Ministerpräsidenten vorgesehenen Politiker eine zentrale Rolle einnehmen95.

(1) Personenwahl Ein wesentlicher Unterschied liegt darin, dass bei einer echten Direktwahl nicht die Parteien selbst zur Wahl antreten, auch nicht neben Direktkandidaten. Anders als bei der Landtagswahl hat der Wähler keine Möglichkeit und keinen Zwang, sich (auch) zwischen Listen verschiedener Parteien zu entscheiden. Er hat die Möglichkeit und ist gleichzeitig gezwungen, sich zwischen ganz konkreten Personen zu entscheiden. Finden bei einer Direktwahl die Landtagswahlen zeitgleich mit der Wahl des Ministerpräsidenten statt96, treten die Bedeutungsunterschiede klar zu Tage. Bei manch einem Bürger wird möglicherweise dieses Nebeneinander der Wahlen erst ein Verständnis für das Nebeneinander der Staatsorgane wecken. Jedenfalls entfällt der attestierte Link zwischen Ministerpräsidentenkandidat und Partei und, dass die Bevölkerung im Grunde zwischen Person und Partei zu differenzieren vermag97, wurde bereits festgestellt98.

(2) Transparenz Weiter anders als bei der Landtagswahl, wo es ja ebenfalls Direktkandidaten gibt, handelt es sich bei der Volkswahl des Ministerpräsidenten um eine sehr ___________ 93

Siehe § 10 II. 4. b). Siehe § 8 III. 2. 95 Siehe § 6 I. 1. d). 96 Siehe dazu § 11 I. 2. 97 Dazu näher noch sogleich § 10 III. 1. b). 98 Siehe § 6 I. 1. d) (4). 94

III. Auswirkungen auf die Länderautonomie

307

überschaubare Personenwahl. Bei Landtagswahlen sind die Direktkandidaten der Mehrzahl der Bürger häufig nicht einmal namentlich bekannt und bei der Wahl orientiert sich der Bürger dann mangels anderweitiger Kenntnisse an den in Klammern angegebenen Parteizusätzen. Bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten mit einem landesweiten Wahlkampf der Kandidaten ist zu erwarten, dass diese der Mehrheit der Bürger bekannt wären99. Die Entscheidung ist in ihren Auswirkungen überschaubar und nachvollziehbar. Anders als bei einer Reihe unbekannter Listenkandidaten bei Landtags- und Kommunalwahlen sowie dem System von Ausgleichs- und Überhangmandaten, das die Auswirkungen seiner Entscheidung für den Bürger weiter verschleiert100, trifft der Bürger bei der Direktwahl des Ministerpräsidenten eine einzige klare und eindeutige Personalentscheidung und gerade solche konkreten Personalentscheidungen stoßen beim Bürger auf besonderes Interesse101.

(3) Präsentation und Wahrnehmung Schließlich fällt es einer einzelnen Person, die als Kandidat um das Amt des Ministerpräsidenten in den Medien wesentlich mehr Beachtung findet als einzelne Landtagskandidaten, deutlich leichter, sich in politischen Fragen von der eigenen Partei zu distanzieren. Bei den Landtagswahlen in ihrer gegenwärtigen Form will der Spitzenkandidat gerade, dass die Bevölkerung seine Partei wählt. Ist er in aktuellen bundespolitischen Fragen anderer Meinung, steckt er in einem Dilemma. Bei einer Direktwahl will er erreichen, dass die Landesbevölkerung ihn wählt. Er wird also, sofern es ihm nicht gelingt, bundespolitische Fragen ganz aus dem Landeswahlkampf zu halten (das hat er nicht alleine in der Hand), Unterschiede zur Mehrheitsmeinung seiner Partei auf Bundesebene deutlich machen und sich ggf. auch öffentlich distanzieren. Das alles lässt als Folge erwarten, dass der Bürger stärker als bei den gegenwärtigen Landtagswahlen jedenfalls bezüglich der Volkswahl des Ministerpräsidenten102 zwischen Partei und Person trennt.

___________ 99

Insofern besteht möglicherweise ein Unterschied zu Kommunalwahlen, wo ein Durchschlagen von Stimmungen gegenüber den Parteien auf deren Bürgermeisterkandidaten auch nach Einführung der Direktwahlen noch bisweilen zu beobachten ist, wenn Rat und Bürgermeister gleichzeitig gewählt werden, s. das Beispiel der hessischen Kommunalwahl im Herbst 1999 bei von Arnim, DÖV 2002, 585 ff., 591. 100 Siehe dazu von Arnim, JZ 2002, 578 ff., 580 f. 101 Eschenburg, S. 63. 102 Siehe zur Landtagswahl sogleich § 10 III. 1. c).

308

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

b) Fokussierung des Landesvolkes auf die Landespolitik Nimmt man die Erkenntnis hinzu, dass schon jetzt die Bevölkerung durchaus zwischen Partei103 und Person des Ministerpräsidenten zu differenzieren vermag, sich an einer Differenzierung aber durch das parlamentarische Regierungssystem gehindert sieht104, steht zu erwarten, dass bei einer Direktwahl der Ministerpräsidenten wenigstens für diese Wahl105 eine Abkopplung von den Bundesparteien und der Bundespolitik erfolgte. Wie schon erwähnt106, ist auch zu erwarten, dass die Kandidaten diese Abkopplung nutzen und damit weiter forcieren würden. Einem Kandidaten, der die gegenwärtige Politik seiner Partei auf Bundesebene nicht trägt, wird es leichter gemacht, sich von der Politik seiner Partei abzukoppeln. Seinen Gegenkandidaten wird es dann schwerer fallen, ihn mit bundespolitischen Themen anzugreifen. Dies ist nicht etwa ein Zirkelschluss, sondern es handelt sich um zwei sich gegenseitig verstärkende Effekte: Das System der Direktwahl begünstigt eine Ablösung der Kandidaten von den Bundesparteien und eine entsprechende Differenzierung in der Bevölkerung. Die zunehmende Differenzierung in der Bevölkerung begünstigt weiter ein selbstbewussteres Auftreten der Kandidaten gegenüber der Partei. Neben diesem Abkopplungsdrang von der Bundespolitik würde die Landespolitik aus einem weiteren Grund in den Vordergrund rücken. Aufgrund der Personalisierung stünden für das Volk auch die konkreten Leistungen der konkreten Personen stärker im Vordergrund, beim wieder kandidierenden Ministerpräsidenten also die Ausübung seiner Kompetenzen für das Land, bei den übrigen Kandidaten die beabsichtigte Ausübung dieser Kompetenzen und bisherigen Leistungen für das Land. Damit wird die Ministerpräsidentenwahl mehr zu einer Abstimmung, ob eine konkrete Entscheidung oder eine Gesamtheit von Entscheidungen im Sinne des Landesvolkes war oder nicht, als zu einer Abstimmung über die Bundespolitik. Ein Ministerpräsident, der eine Länderkoordinierung eingegangen ist oder dessen Regierung im Bundesrat in einer Weise abgestimmt hat, die den Interessen des Landesvolks zuwider läuft, würde dies bei einer Direktwahl wesentlich eher zu spüren bekommen – immer vorausgesetzt natürlich, es handelt sich um eine Frage von hinreichender Be-

___________ 103 Nicht aber naturgemäß zwischen Bundes- und Landespartei, wobei wiederum die CSU eine Ausnahme darstellt und als solche die Regel bestätigt, weil die CSU in Bayern regelmäßig auch in bundespolitisch für die Union ungünstigen Zeiten überdurchschnittlich erfolgreich ist. 104 Siehe § 6 I. 1. d) (4). 105 Siehe zur Landtagswahl sogleich § 10 III. 1. c). 106 Soeben § 10 III. 1. a).

III. Auswirkungen auf die Länderautonomie

309

deutung und diese ist zur Zeit der Wahl auch noch gegenwärtig107. Über die Konzentration auf die Person des – um mit Banners Worten108 zu sprechen – zentralen Politikers der Länder, also jenes Politikers, der für die Gesamtbelange des Landes zuständig ist109, rücken eben jene Belange wieder in den Vordergrund: die Interessen der Landesvolkes. Betrachtet man die Direktwahl für sich, besteht mithin die begründete Erwartung, dass sie zu einer echten Landeswahl würde.

c) Die Landtagswahlen, ihr Zeitpunkt und der Einfluss auf die Direktwahl des Ministerpräsidenten Würde sich an den Landtagswahlen nichts ändern und würden diese gleichzeitig mit der Direktwahl des Ministerpräsidenten stattfinden, würde dies die gerade aufgezeigten Auswirkungen abschwächen. Zwar trennt die Bevölkerung zwischen der Person des Ministerpräsidenten und seiner Partei und auch bei zeitgleicher Wahl kann dies zu unterschiedlichen Ergebnissen führen110, doch würden jedenfalls dann, wenn der Kandidat auch im Landtagswahlkampf seiner Partei eine exponierte Stellung einnimmt (z.B. als Landesvorsitzender) durch die Hintertür doch wieder bundes-parteipolitische Themen auch in den Wahlkampf betreffend das Amt des Ministerpräsidenten eingeführt111, zumal sich beide Wahlkämpfe jedenfalls in der Wahrnehmung der Bevölkerung kaum trennen ließen. Dann müsste ggf. die Direktwahl durch eine zeitliche Trennung von der Landtagswahl und/oder durch eine Trennung von Kandidatur und Parteiamt flankiert werden, um den aufgezeigten effet utile der Direktwahl zu wahren. Indessen sind Änderungen auch bei den Landtagswahlen zu erwarten. Von der Durchführung weiterer Reformvorschläge – wie der Einführung des Kumulierens und Panaschierens bei Landtagswahlen – abgesehen112, sind die Erkenntnisse zur Auswirkung der Direktwahl auf die Tätigkeit der Landtage113 zu berücksichtigen. Durch die Direktwahl würde eine Intensivierung bei der Wahrnehmung der Kontrollfunktion und der Gesetzgebungsfunktion der Landtage eintreten114, im Verhältnis zum Ministerpräsidenten eine stärkere Fokus___________ 107 Die Direktwahl des Ministerpräsidenten ist eben nicht mit unmittelbarer Demokratie im engeren Sinne gleichzusetzen, siehe § 1 IV. 5. 108 Siehe Banner, DÖV 1984, 364 ff. 109 Vgl. § 9 VII. 2. b). 110 Vgl. § 8 III. 2. c), d). 111 Jedenfalls teilweise, s. das Beispiel der hessischen Kommunalwahl im Herbst 1999 bei von Arnim, DÖV 2002, 585 ff., 591. 112 Siehe dazu § 11 III. 1. a). 113 Siehe § 8 V.-VIII. 114 Siehe § 8 VII. und VIII.

310

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

sierung auf Sach- denn auf parteipolitische Belange115. Dies alles betrifft die gesamte Landespolitik. Wenn der Ministerpräsident stärker an seiner Wahrnehmung der Landesinteressen gemessen wird, müssen die Parteien im Landtagswahlkampf nachziehen. Damit rückt auch hier Landespolitik, nämlich die Kontrolle der Ministerpräsidenten bei der Wahrnehmung von Landesbelangen und die Ausübung der Landesgesetzgebung in den Vordergrund. Vermutlich würde hier allerdings die Konzentration auf die Landespolitik stärker von den Landtagskandidaten ausgehen als vom Volk und wäre mehr ein kontinuierlicher Prozess. Wie gezeigt müssten sich die Landtagskandidaten gegenüber dem Volk und auch gegenüber dem Ministerpräsidenten stärker profilieren116. Das ist ihnen praktisch nur auf dem Gebiet der Landespolitik möglich. Zudem sind die Landtagsmitglieder und -kandidaten selbst überwiegend weniger stark mit der Bundesebene ihrer Partei verknüpft. Stärkstes Bindeglied zwischen Bundesund Landespartei ist bislang meist gerade die „zentrale Figur“ eines Landesverbandes, nämlich regelmäßig der Kandidat um das Amt des Ministerpräsidenten. Dessen stärkere Bindung an die Landesinteressen führt deshalb auch zu einer „Befreiung“ der übrigen Landespolitiker von ihrem Bundesverband. Käme es auch bei Landtagswahlen infolge der erwähnten weiteren Reformvorschläge zusätzlich noch zu einer stärkeren Personalisierung, würde sich diese Entwicklung noch verstärken. Der Zeitpunkt der Landtagswahl würde entsprechend weiter an Bedeutung für die Direktwahl des Ministerpräsidenten verlieren117.

2. Stärkere Identifizierung des Ministerpräsidenten mit dem Landesvolk Die Fokussierung des Landesvolkes auf die Landespolitik würde sich ihrerseits wieder auf die Tätigkeit der Landesorgane auswirken. Noch einmal118: Dabei handelt es sich nicht um einen Zirkelschluss, sondern um sich gegenseitig befruchtende Entwicklungen. Das sei hier nur kurz wiedergegeben.

a) Regierungstätigkeit Der direkt gewählte Ministerpräsident hätte insgesamt ein stärkeres Interesse, sich an den Interessen des eigenen Landesvolkes zu orientieren, weil er eben darüber bewertet und anhand seiner Leistungen über seine Wiederwahl ent___________ 115

Dazu noch näher sogleich § 10 III. 3. und 4. Siehe § 8 V. 3. 117 Siehe zum Zeitpunkt der Landtagswahlen bei einer Direktwahl der Ministerpräsidenten § 11 I. 2. 118 Siehe § 10 III. 1. b). 116

III. Auswirkungen auf die Länderautonomie

311

schieden wird119. Dass keine Gefahr einer zu starken Orientierung am Landesvolk im Sinne von Demagogie besteht, wurde bereits erörtert120. Im Hinblick auf die Länderautonomie ist bedeutsam, dass als Folge dieses Interesses der direkt gewählte Ministerpräsident seine Politik oder Verwaltungsaufgaben nur dann mit anderen Bundesländern koordinieren würde, wenn dies zum konkreten Nutzen seines Bundeslandes ist. Er wäre weniger versucht, aus bloßer Parteiraison gemeinsam mit anderen Bundesländern zu handeln und hätte ein natürliches Bestreben, auch mit Ländern, die vom politischen Gegner regiert werden, zusammenzuarbeiten, wenn dies im Interesse seines Landes liegt. Das stärkt die Länderautonomie.

b) Tätigkeit im Bundesrat Gleiches gilt für die Tätigkeit im Bundesrat. Auch hier hätte der direkt gewählte Ministerpräsident ein stärkeres Interesse daran, die Interessen seines Landes möglichst weitgehend durchzusetzen, auch gemeinsam mit dem parteipolitischen Gegner (etwa mit Nachbarbundesländern, Bundesländern mit ähnlicher wirtschaftlicher Ausrichtung, mit vergleichbarer Größe, einem vergleichbaren Problem o.ä., eben nach den jeweiligen sachlichen Kriterien in dem fraglichen Politikbereich) und auch gegen den parteipolitischen Freund121. Nur wenn es sachlich schon praktisch zwingend geboten ist, erscheint es vorstellbar, dass bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten die Vertreter eines Landes der Übertragung von Landeskompetenzen auf den Bund zustimmen. Das stärkt die sachliche Autonomie der Länder weiter und beugt künftigen Aushöhlungen vor.

3. Konzentrierung der gestärkten parlamentarischen Kontrolle auf Landesinteressen Spätestens die neu aktivierte parlamentarische Kontrolle in den Ländern würde zudem einer allzu leichtfertigen Preisgabe von Landeskompetenzen im Bundesrat einen Riegel vorschieben. Gerade im Bereich der Gesetzgebung, wo die Verlagerung von Kompetenzen in der Praxis stattfindet122, haben die Landtage ihr ohnehin schon stark begrenztes Hauptbetätigungsfeld, auf dem sie sich ___________ 119

Siehe soeben § 10 III. 1. Siehe § 9 VIII. 121 So auch von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 382; Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 76 f.; Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157. 122 Siehe § 7 IV. 3. b). 120

312

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

– und das gilt für alle Landesverbände aller Parteien – nun auch noch stärker profilieren müssen123. Es wäre also mit heftigem Widerstand der Landtage gegen die Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen auf den Bund oder die Europäische Union124 zu rechnen. Das würde zumindest dazu führen, dass diese Fragen wieder öffentlich diskutiert würden – und zwar in jenem Forum, das dafür geschaffen ist. Neben den bereits besprochenen Folgen erhöhter Transparenz gegenüber dem Volk und verstärkter Kontrolle durch das Volk125 würde dieser Widerstand auch aufgrund des Drucks auf beide Seiten – Landesregierung und Landtage – zu mehr Sachlichkeit126 dazu führen, dass es wesentlich seltener zur Übertragung von Kompetenzen auf den Bund käme und nur dann, wenn dies im Landesinteresse liegt (was ja kein zwingender Widerspruch ist). Ebenso wie der Preisgabe von Landeskompetenzen würde die stärkere Kontrolle der Landtage ganz allgemein der Preisgabe von Landesinteressen im Bundesrat einen weiteren Riegel vorschieben. Im Zusammenspiel mit den Änderungen beim Ministerpräsidenten selbst würde dies dazu führen, dass die Bundesparteien das Abstimmungsverhalten der Länder im Bundesrat anders als bisher127 nicht mehr entscheidend mitbestimmen würden. Ebenso würde die erstarkte Kontrolle der Landtage auch der Preisgabe von Landesinteressen bei der sonstigen Regierungstätigkeit entgegenwirken. Insgesamt stärkt das die sachliche Autonomie der Länder weiter.

4. Stärkung der Länderautonomie durch Stärkung der Landesgesetzgebung Der Zwang der Landtage, sich gegenüber einem direkt gewählten Ministerpräsidenten durch Ausübung der eigenen Kompetenzen zu behaupten128, wird schließlich nicht nur dazu führen, dass bestehende Gesetzgebungskompetenzen stärker verteidigt werden und selbständiger – auch hier Veränderungen bei der Koordinierung der Länder (Stichwort: Musterentwürfe) entsprechend den Ausführungen beim Ministerpräsidenten129 – ausgeübt werden, sondern auch zum Einfordern neuer Gesetzgebungskompetenzen für die Länder. Die festgestellte Befreiung gerade auch der Landtagsmitglieder und Kandidaten, insgesamt der ___________ 123 124

Siehe § 8 V. 3. Dafür ist nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG die Zustimmung des Bundesrates erforder-

lich.

125

Siehe § 8 VIII. 3., IX. 2. Siehe § 8 V. 3., § 9 VII. 127 Vgl. § 10 II. 3. 128 Siehe § 8 V. 3., VII., VIII. 129 Siehe § 10 III. 2. 126

III. Auswirkungen auf die Länderautonomie

313

Landesverbände130, von zu großen Einflüssen der Bundesparteien wird dazu führen, dass Landtagsmehrheiten, die glauben, bestimmte Fragen auf Landesebene besser selbst regeln zu können, sich zur politischen Durchsetzung dieser Forderung eher mit dem politischen Gegner zusammenschließen werden, sowohl im Land als auch mit den Landtagen aus anderen Ländern131, wo dieselbe Auffassung vorherrscht132. Möglicherweise wird dies Bestrebungen zum Zusammenschluss bzw. zur Neugliederung zu für staatliche Aufgaben gleich leistungsfähigen Einheiten133 neuen oder weiteren Auftrieb geben134. Im Hinblick auf die sachliche Autonomie der Länder führt es zu einer weiteren Stärkung bzw. ist die Basis für eine weitere Stärkung.

5. Fazit: Stärkere Identifizierung des Landesvolkes und der Landespolitiker mit dem eigenen Bundesland Insgesamt ist für die Länderautonomie durch die Einführung einer Direktwahl der Ministerpräsidenten eine deutliche Stärkung der Länderautonomie zu erwarten und durch die Befreiung der Landespolitik von bundespolitischen Inhalten mitsamt der bislang daraus resultierenden Importierung von landesfremden Konflikten eine effektivere Lösung der Landesprobleme zu erwarten und damit im Sinne der Lincoln-Formel135 bessere Politik für das Volk – nämlich für das insoweit allein maßgebliche Landesvolk. Dies führt zu einer stärkeren Identifizierung des Volkes mit der Tätigkeit seiner Vertreter und mit dem Bundesland insgesamt. Auch dieses Bewusstsein für das eigene Land und das selbstbewusstere Auftreten stärkt das Land, wie am Beispiel Bayerns zu sehen. Bezogen auf den Gesamtstaat wird der Wettbewerb unter den Bundesländern verschärft und die Zweistufigkeit im Staatsaufbau stärker betont. Die stärkere Föderalisierung erfasst dabei nicht nur das Verhältnis Bund zu Ländern, sondern auch innerhalb der Parteien das Verhältnis des Bundesverbandes zu den Landesverbänden.

___________ 130

Siehe soeben § 10 III. 1. c). Siehe zur „interparlamentarischen Kooperation“ Lieber, in: Greß, S. 99 ff.; sowie Huth, in: Greß, S. 109 ff. 132 Auch eine einheitliche Gesetzgebung aller Länder kann ja im Einzelfall sinnvoll sein. Sie aber unreflektiert als Wert an sich anzusehen, so z.B. Rottmann, ZRP 2003, 439 ff. (für Gefahrhunderegelungen), bedeutet das Bundesstaatsprinzip zu verkennen. 133 Näher § 11 IV. 3. 134 Das ist dann – ähnlich wie bei Zusammenschlüssen in der Wirtschaft – eine Folge des Wettbewerbsföderalismus (vgl. § 10 I. 1. c)). 135 Siehe § 9 II. 131

314

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

IV. Auswirkungen auf den Bund Für die vertikale Gewaltenteilung gilt wie für die horizontale Gewaltenteilung136, dass die Stärkung des einen (Länder) nicht unbedingt die Schwächung des anderen (Bund) zur Folge hat.

1. Folgen der Veränderungen beim Bundesrat Änderungen für den Bund sind im Wesentlichen über den Bundesrat zu erwarten. Dass die Länderkoordinierung sich durch die Direktwahl verändert, betrifft den Bund nicht. Obgleich dem Bundesrat de facto durchaus ähnlich, sind Gremien wie die Konferenz der Innenminister keine Bundesgremien. Selbst wenn sie vollständig entfallen würden, schwächte dies weder den Bund noch den Föderalismus. Für den Bund lässt die stärkere Interessenwahrnehmung der Länder erwarten, dass der Bundesrat selbst wesentlich stärker für die Länderinteressen eintritt137, zumal wenn die Ministerpräsidenten in allen Bundesländern direkt gewählt würden. Das lässt dem ersten Anschein nach eine härtere Auseinandersetzung zwischen Bundesrat und Bundestag bzw. der Bundesregierung erwarten. Indessen würde diese Auseinandersetzung um Länderinteressen nur die gegenwärtige und dauerhafte Auseinandersetzung um Parteiinteressen138 ersetzen. Deren Folgen für die bundesdeutsche Politik wurden bereits aufgezeigt139. Größer als gegenwärtig kann die gegenseitige Lähmung praktisch nicht mehr werden. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist die zeitweise Ablehnung des Vorziehens der „Steuerreform“ durch die CDU-regierten Länder im Bundesrat im Herbst 2003, bei gleichzeitiger Einigkeit durch alle politischen Lager und gesellschaftlichen Gruppen, dass diese zur Konjunkturbelebung Not tat140. Die andauernde Pattsituation führte – neben anderem – schließlich sogar dazu, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder im Juli 2005 im Bundestag die Vertrauensfrage stellte mit dem Ziel, eine Neuwahl herbeizuführen. Eher ist schon deshalb zu erwarten, dass die Konflikte mit dem Bundesrat abnehmen würden. Das gilt umso mehr, weil sie sich stärker auf diejenigen Felder beschränken würden, in denen die Länder tatsächlich andere Interessen als der Bund haben. Bei einer Rückübertragung von Gesetzgebungskompetenzen auf ___________ 136

Vgl. § 8 II. 3., IX. 1. Ebenso von Arnim, Vom schönen Schein, S. 159. 138 Vgl. § 10 II. 3. c). 139 Siehe § 10 II. 3. e). 140 Siehe nur den Beitrag „Bundesrat: Union gegen Steuerreform und Hartz IV“, sueddeutsche.de v. 26. September 2003, veröffentlicht im Internet unter http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/694/ 18676/print.html (ausgedruckt am 20. März 2004); am Ende kam wieder ein Kompromiss heraus. 137

IV. Auswirkungen auf den Bund

315

die Länder anstelle der Beteiligung auf Bundesebene (wofür die Direktwahl die Voraussetzungen schafft), würde die Lähmung im Bund sogar mit Sicherheit abnehmen. In welchem Umfang letztlich Bundesrat und Bundestag um die Durchsetzung von Landes- und Bundesinteressen ringen würden, lässt sich nicht genau erfassen, ist schwer vorherzusagen und im Ergebnis auch irrelevant. Bei diesen Auseinandersetzungen handelt es sich nämlich um solche, die dem Föderalismus immanent sind und von denen der Föderalismus lebt – und vor allem um solche, zu deren Austragung der Bundesrat vom Grundgesetz gerade konzipiert ist141. Dass diese Intention des Grundgesetzes durch die Direktwahl erstmals verwirklicht wird, spricht für und nicht gegen sie. Nicht zutreffend und im Hinblick auf die geschilderten Reformvorschläge für die Ausgestaltung des Bundesrates142 ohnehin kein Gegenargument ist die These, der Bundesrat würde durch die Direktwahl ein Stück an einen Senat heranrücken143. Das Senatsmodell zeichnet sich gerade dadurch aus, dass die Senatsmitglieder nicht zugleich den Landesregierungen angehören144. Auch der Unterschied bei der demokratischen Legitimation der direkt gewählten Ministerpräsidenten und der übrigen Bundesratsmitgliedern wirft keine Probleme auf145. Ein solcher Unterschied besteht aufgrund der unterschiedlich langen „Legitimationsketten“ schon jetzt und führt in der Praxis nicht zu Problemen.

2. Die Ministerpräsidenten und der Bundeskanzler Von Klein wurde die bis dahin nicht untersuchte und auch bei ihm nur angedachte Frage aufgeworfen, wie sich die Direktwahl aller Ministerpräsidenten auf deren politisches Gewicht gegenüber dem Bundeskanzler auswirken würde146. Dieser Frage ist nachzugehen, da mit der Direktwahl nach dem bisher Gesagten sicher auch ein neues Selbstbewusstsein der Ministerpräsidenten verbunden wäre und dies sicher auch gegenüber dem Bundeskanzler, der auf Ebene des Bundes die „zentrale politische Figur“ ist.

___________ 141

Siehe § 10 II. 3. Siehe § 10 II. 3. e). 143 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 155. 144 Vgl. „Senat statt Bundesrat?“, DIE WELT v. 11. November 2003. 145 Krit. diesbezüglich Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 155. 146 Siehe Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 586. 142

316

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

a) Die Stärkung der Ministerpräsidenten gegenüber dem Bundeskanzler Eine Schwächung des Bundeskanzlers ist zwar auch hier keine zwingende Folge, doch könnten sich in jedem Disput die Ministerpräsidenten der Länder auf ihre unmittelbare Legitimation durch das Volk berufen – in der politischen Diskussion ebenso wie Umfragen in der Bevölkerung durchaus ein gewichtiger Faktor. Das würde sich desto stärker auswirken, je mehr Ministerpräsidenten direkt gewählt würden und je mehr sich dem Bundeskanzler entgegenstellten. Im Bundesrat ist ein solches Selbstbewusstsein nicht nur hinzunehmen, sondern sinnvoll147. Außerhalb könnte es aber im Extremfall dazu führen, dass nun die Länder in den Bereich von Bundeskompetenzen vorstoßen und dort einzelne oder besonders starke Ministerpräsidenten die Linie vorgeben.

b) Verhältnis Bürgermeister und Ministerpräsident zum Vergleich? Dagegen könnte der Vergleich mit den direkt gewählten Bürgermeistern148 sprechen. Im Verhältnis der direkt gewählten Bürgermeister zum Ministerpräsidenten ist ein solches Problem nie aufgetreten. In den Stadtstaaten kommt es ohnehin nicht in Betracht, aber auch darüber hinaus haben es selbst starke, langjährige und in der Bevölkerung über einen besonders großen Rückhalt verfügende Bürgermeister149 nie geschafft, den Ministerpräsidenten generell in den Hintergrund zu drängen. Das Phänomen, dass es Bürgermeistern bisweilen gelingt, später selbst Ministerpräsident zu werden150, ist nicht zu beanstanden. Indessen hinkt dieser Vergleich. Anders als die Bürgermeister größtenteils auf Landesebene spielen die Ministerpräsidenten durchaus auch auf Bundesebene eine gewichtige Rolle im politischen Leben, sei es über den Bundesrat, in den Medien oder eben innerparteilich. Anders als die Bürgermeister sind sie nicht auf einen kleinen geographischen Wirkungskreis beschränkt und es gibt sie nicht in kaum überschaubarer Zahl. Alleine mit dem Hinweis auf die direkt gewählten Bürgermeister lässt sich die Gefahr einer Schwächung des Bundeskanzlers durch die Stärkung der Ministerpräsidenten somit nicht ausräumen. ___________ 147

Soeben § 10 IV. 1. Vgl. § 5 III. 2. a). 149 Man denke etwa an den langjährigen Stuttgarter Oberbürgermeister und Präsidenten des Deutschen Städtetages Manfred Rommel, vgl. u.a. Seiler, in: Festschr. Rommel, S. 9 ff. 150 Z.B. Kurt Beck (SPD), 1989-1994 Oberbürgermeister in Steinfeld, seit 1994 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz; Erwin Teufel (CDU), 1964-1972 Bürgermeister von Spaichingen, seit 1991 Ministerpräsident von Baden-Württemberg. 148

IV. Auswirkungen auf den Bund

317

c) Die Körperschaftskompetenzen und die unmittelbare demokratische Legitimation Weiterführend erscheint eine grundlegendere Fragestellung, nämlich jene, ob es eine „überhöhte demokratische Legitimation“ – nichts anderes steckt ja in Bezug auf eine Reform der Landesverfassungen hinter den Bedenken von Klein – angesichts der bisher getroffenen Feststellungen überhaupt geben kann. Die andere mögliche Schlussfolgerung – zu schwache demokratische Legitimation des Bundeskanzlers – ist eine Frage der Grundgesetzreform. Es wurde festgestellt, dass aufgrund des Schwerpunktes der Länder im Bereich der Exekutive151 eine wenigstens ebenso starke demokratische Legitimation der Landesexekutive wie der Legislative geboten ist und folglich nur eine unmittelbare Legitimation durch das Volk in Betracht kommt152. Wenn dadurch der Bundeskanzler im Verhältnis zu den Ministerpräsidenten schwächer wird, ist dem also entweder durch eine entsprechende Reform auf Bundesebene entgegenzuwirken oder dies ist als Folge der Spezifika des deutschen Föderalismus – namentlich der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern – hinzunehmen. Für Letzteres spricht, dass der Bund schwerpunktmäßig eine Gesetzgebungseinheit ist153. Bezogen auf den Bund entspricht die Legitimationsverteilung also dem festgestellten Grundsatz der Akzessorietät von demokratischer Legitimation und Aufgabenverteilung154. Soweit es um die Ausübung von Bundeskompetenzen im Bereich der Gesetzgebung geht, also den Großteil der Bundeskompetenzen, bedarf der Bundeskanzler unverändert des (Mit-)Wirkens des Bundestages. Einflüssen der direkt gewählten Ministerpräsidenten stünde der ebenfalls direkt gewählte Bundestag entgegen, der sich zudem auf die Wahl durch das insoweit maßgebliche Bundesvolk stützen kann und nicht nur auf ein oder mehrere Landesvölker155. Hier sind also keine Verzerrungen zu befürchten. Allenfalls rückt gegenüber dem Bundeskanzler die Verantwortung des Bundestages für die Gesetzgebung stärker in den Vordergrund. Das aber ist nur systemgerecht.

___________ 151 Daran wird sich auch bei der möglicherweise anstehenden Grundgesetzreform nichts ändern, vgl. dazu § 11 III. 3. 152 Siehe § 7 III., V. 153 Siehe § 7 IV. 154 Vgl. § 7 III. 155 Siehe dazu noch § 10 IV. 3.

318

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

d) Folgen auf Bundesebene als vom Landesverfassungsgeber zu berücksichtigender Belang? So oder so würde das Verhältnis zum Bundeskanzler aber nicht gegen eine Einführung der Direktwahl der Ministerpräsidenten sprechen. Dabei handelt es sich um eine von den Ländern autonom zu beantwortende Staatsorganisationsfrage. Die Länder haben ihre Verfassungen im Rahmen des bundesrechtlich Erlaubten156 so auszugestalten, dass ihre Belange bestmöglich wahrgenommen werden157. Führt das tatsächlich zu Problemen auf Bundesebene, müssen diese dort gelöst werden158.

e) Direktwahl des Bundeskanzlers? Als Gegenmaßnahme käme praktisch nur eine Direktwahl auch des Bundeskanzlers in Betracht. Jedenfalls zunächst erscheint eine solche nicht erforderlich. Erstens sieht sich der Bundeskanzler auch derzeit durchaus schon starken Widersachern unter den Ministerpräsidenten gegenüber, die sich auf großen Rückhalt in ihrem Land berufen können und dies auch regelmäßig tun, ohne dass das den Rahmen des politischen Kräftespiels im Gesamtstaat sprengen würde. Zweitens ist der Bundeskanzler eben nun einmal die Spitze der Exekutive159 in einer schwerpunktmäßigen Legislativeinheit. Gewisse Abstriche bei seiner Stellung gegenüber den Ministerpräsidenten und auch seiner gegenwärtig verhältnismäßig starken Position im Bund wird man als Folge der föderalen Aufgabenverteilung hinzunehmen haben. Die weitere Entwicklung wäre aber zu beobachten. Gegebenenfalls müsste man sich noch einmal näher mit einer Direktwahl der Exekutive auch im Bund auseinandersetzen160.

___________ 156

Siehe dazu § 12 II. Dieser Blickwinkel aus Sicht des Landesverfassungsgebers findet sich auch bei von Arnim, Staat ohne Diener, S. 331. 158 Ausführungen zum Gesamtstaat lassen oft eine Erklärung des Autors vermissen, wie diese in der Praxis Eingang in den Entscheidungsprozess finden sollen. 159 Formal zählt zwar auch der Bundespräsident zur Exekutive, s. Fink, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 54 Rn. 5. Er hat jedoch kaum echte Exekutivbefugnisse (dazu noch sogleich § 10 IV. 2. f)). 160 Sie könnte durchaus am Ende der Entwicklung stehen. Das klingt an bei von Arnim, in: Festschrift König, S. 371 ff., 385. 157

IV. Auswirkungen auf den Bund

319

f) Direktwahl des Bundespräsidenten? Ebenfalls nicht zwingend erforderlich ist jedenfalls derzeit eine Direktwahl des Bundespräsidenten. Folgt man der herrschenden Auffassung, wonach die Stellung des Bundespräsidenten vom Grundgesetz schwach ausgestaltet ist und dass dies im Hinblick auf historische Erfahrungen auch so bleiben soll161, würde eine Direktwahl des Bundespräsidenten, wie sie hin und wieder diskutiert wird162, bzw. die Einführung eines Präsidialsystems im Bund163 dem Grundsatz der Akzessorietät von Aufgabenwahrnehmung und demokratischer Legitimation164 wohl zuwider laufen, wäre unter legitimatorischen Gesichtspunkten aber jedenfalls nicht geboten. Das Gleiche gilt unter dem Gesichtspunkt der Selbstbestimmung. Dem Volk würden Mitbestimmungsrechte gewährt – und könnten weitergehenden Forderungen fortan entgegengehalten werden –, wo es nichts zu bestimmen gibt. Durchaus erwägenswert ist demgegenüber eine Einführung der Direktwahl des Bundespräsidenten bei gleichzeitiger Übertragung weiterer Kompetenzen165. Das gilt noch mehr seit den allgemein als das Amt entwürdigend empfundenen Querelen bei CDU/CSU und FDP um die Nominierung ihres Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten im März 2004. Solange der Bundespräsident nicht direkt gewählt wird, kann dies einer Direktwahl der Ministerpräsidenten nicht mit der Begründung entgegen gehalten werden, dadurch verfügte der Bundesratspräsident und damit der Stellvertreter des Bundespräsidenten (Art. 57 GG) über ein höheres Legitimationsniveau als der Bundespräsident selbst166. Bezogen auf das insoweit relevante Bundesvolk wäre der Bundesratspräsident nicht höher legitimiert als der Bundespräsident. Die zusätzliche unmittelbar-demokratische Legitimation durch ein Landesvolk erscheint im Hinblick auf den Reservecharakter der Vertretungsfunktion und die mittelbare demokratische Legitimation des Bundespräsidenten über die Bundesversammlung durch das Bundesvolk und die Landesvölker167 unbedenklich.

___________ 161

Hemmrich, in: von Münch/Kunig, Art. 54 Rn. 1; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 54 Rn. 6 ff.; Jekewitz, in: Alternativkommentar, vor Art. 54 Rn. 5 ff.; Nierhaus, in: Sachs, Art. 54 Rn. 2 f. 162 Siehe etwa den Artikel „Rau fordert Direktwahl des Präsidenten“, DIE WELT v. 06. September 2003, betreffend einen dahingehenden Vorschlag des Bundespräsidenten Johannes Rau. 163 Vgl. von Arnim, Das System, S. 342. 164 Siehe § 7 III. 165 Siehe dazu Isensee, NJW 1994, 1329 f. 166 Vgl. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 154. 167 Siehe Art. 54 GG.

320

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

3. Auswirkungen auf den Bundestag? Maurer ist darin zuzustimmen, wenn er ausführt, dass vom Wähler nicht zwischen der Ministerpräsidenten- und der Bundesratsfunktion unterschieden würde168. Das ist auch nur folgerichtig. Es soll ja gerade der am besten geeignete Kandidat für alle mit dem Amt verbundenen Aufgaben gewählt werden. Gleichwohl bleibt die Funktion des Bundestages unangetastet und es tritt nicht etwa der Bundesrat in Konkurrenz dazu. Der Bundestag repräsentiert unverändert alleine das Bundesvolk und nicht wie der Bundesrat die Summe der Landesvölker. Diese Unterscheidung vermag das Volk durchaus zu treffen und es wird sie aufgrund der stärkeren Indentifikation des Landesvolkes mit dem Land und „seinem“ Ministerpräsidenten auch treffen169. Unbedenklich ist die Direktwahl deshalb auch im Hinblick auf das Recht der Bundesratsmitglieder auf Zutritt und Rede im Bundestag und seinen Ausschüssen170. Im Übrigen wird der Bundestag eher gestärkt171.

4. Ergebnis Als gesichertes Ergebnis lässt sich festhalten, dass Veränderungen im Verhältnis zu den Bundesgewalten und zwischen den Bundesgewalten jedenfalls nicht dagegen sprechen, die Direktwahl der Ministerpräsidenten zum Kern einer Reform der Landesverfassungen zu machen.

V. Auswirkungen auf den Gesamtstaat: Wider dem Verschiebebahnhof für parlamentarische Verantwortung Im Zusammenspiel mit den Erkenntnissen zum Verhältnis der Landesorgane zueinander ergibt sich aus Vorstehendem, dass die Einführung eines Präsidialsystems in den Ländern dem beklagten „Verschiebebahnhof für parlamentarische Verantwortung“172 entgegenwirkt: Bei einem Zuwachs der Landesgesetzgebungskompetenzen, einer stärkeren Ausnutzung derselben und einer verstärkten parlamentarischen Kontrolle würden die Landtage die Landesregierun___________ 168

Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 155. Siehe § 10 III. Auch dieser Aspekt wird von Maurer angesprochen, s. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 154. 171 Siehe § 10 IV. 2. c). 172 Ellwein, S. 74; Ellwein/Hesse, S. 88; auch Bryde, in: Festschr. Hessen, S. 433 ff., 435; Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 55. 169 170

VI. Auswirkungen im Hinblick auf die Europäische Union

321

gen auch wieder verstärkt bei der Ausführung ihrer Gesetze kontrollieren und die Verantwortlichkeiten würden transparenter. Gleichwohl würde es, solange nicht wie in den USA173 jede Ebene ihre Gesetze grundsätzlich selbst vollzieht, also Verwaltungs- und Gesetzgebungskompetenz miteinander einhergehen, bei der strukturellen Anlage des Vollzugsföderalismus und damit der unzureichenden parlamentarischen Kontrolle der Ausführung von Bundesgesetzen und europäischem Recht bleiben.

VI. Auswirkungen im Hinblick auf die Mitwirkung des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union Janssen betont die Bedeutung einer Direktwahl der Ministerpräsidenten für die demokratische Legitimation des Bundesrates bei der Abgabe von Stellungnahmen nach Art. 23 Abs. 2, 4 ff. GG, die er als eine „quasi-parlamentarische“ Kontrolle der Bundesregierung versteht174. Diese Thesen gilt es zu überprüfen. Von vornherein ist aber festzuhalten, dass sich unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Legitimation wie auf Landesebene selbst175 auch für die höheren Ebenen nur Argumente für eine Volkswahl der Ministerpräsidenten gewinnen lassen. Eine Verschlechterung der demokratischen Legitimation kommt weder für den Bundesrat noch für die Europäische Union ernsthaft in Betracht.

1. Erhöhung der demokratischen Legitimation des Bundesrates bei Volkswahl in allen Bundesländern Unter Anknüpfung an die Erkenntnisse zur demokratischen Legitimation in den Bundesländern176 lässt sich Janssens These einer Erhöhung der Legitimation des Bundesrates durch die Direktwahl der Ministerpräsidenten177 grundsätzlich bestätigen. Die Direktwahl erhöht die demokratische Legitimation der Ministerpräsidenten und der Landesregierungen. Da sich aus diesen der Bundesrat zusammensetzt, erhöht sich durch die Direktwahl seine Legitimation in gleichem Maße wie jene der Landesregierungen. Das gilt so allgemein allerdings nur, wenn die Direktwahl in allen Bundesländern verwirklicht wird. Bis dahin kommt es zu „Legitimationsverzerrungen“, weil der Bundesrat partiell unterschiedlich stark legitimiert ist. Ein echtes Novum ist das nicht. Auch der___________ 173

Siehe § 2 IV. 1. b). Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 77 ff. 175 Vgl. § 7. 176 Siehe § 7. 177 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 79 f. 174

322

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

zeit sind die Ministerpräsidenten und die im Bundesrat auftretenden Minister zum Teil unterschiedlich stark demokratisch legitimiert, weil in manchen Bundesländern die Minister ausschließlich vom Ministerpräsidenten bestimmt werden178, die Ministerpräsidenten selbst aber durchweg vom Landtag gewählt werden, zu ihnen also die kürzere persönliche Legitimationskette179 führt. Diese Legitimationsunterschiede wirken sich aber wegen der zwingend einheitlichen Stimmabgabe für jedes Land180 nicht auf die demokratische Legitimation der Stimmenabgabe aus, während bei einer Direktwahl in nur einigen Bundesländern deren Stimmen über eine höhere demokratische Legitimation als die Stimmen der anderen Bundesländer verfügten. Ein Nachteil gegenüber dem Status quo wäre das nicht, weil es sich nicht auf die Stimmengewichtung bei der Entscheidung auswirkt181. Der Effekt, den Janssen im Auge hat, würde aber nur eintreten, wenn in allen Bundesländern eine Direktwahl stattfände182. Weil die Entscheidungen des Bundesrates ihre Legitimation aus der Gesamtheit aller Teilvölker (Landesvölker) beziehen183, richtet sich das Legitimationsniveau nach der „schwächsten Säule“. Das Legitimationsniveau kann deshalb auch nur von allen Ländern gemeinsam angehoben werden. Für die weitere Betrachtung soll dieses Szenario zugrunde gelegt werden.

2. Exkurs: Erhöhung der demokratischen Legitimation der Europäischen Union? Geht man vom herrschenden Modell einer doppelten Legitimationsbasis der Europäischen Union aus184, besteht grundsätzlich auch ein Ansatz für Auswirkungen der Volkswahl in den Bundesländern auf die demokratische Legitimation der Europäischen Union selbst, nämlich (dort, wo der Bundesrat mit zu entscheiden hat) über die nationale, vom deutschen Volk vermittelte Legitimation. So könnte die Direktwahl der Ministerpräsidenten möglicherweise zum ___________ 178

Siehe z.B. Art. 84 BbgVerf. Vgl. § 7 I. 4. 180 Nach Art. 51 Abs. 3 Satz 2 GG. 181 Siehe Artt. 51 Abs. 2, 52 Abs. 2 Satz 1 GG. 182 Davon geht offenbar auch Janssen aus, wenn er fordert, es müssten „die Vertreter der Landesregierungen im Bundesrat eine direkte demokratische Legitimation besitzen“, Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 79. Auch sein Vergleich mit den Vertretern der verbündeten Regierungen nach der Reichsverfassung von 1871, s. Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 77 (dort Fn. 48), geht von einer gleichen Legitimation der Vertreter aller Länder aus. 183 Vgl. Müller-Terpitz, S. 308 ff., 310 f., m.w.Nachw. 184 Classen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 23 Rn. 28 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 23 Rn. 8; Koenig/Haratsch, Rn. 102 ff.; Oppermann, Rn. 242; Pernice, in: Dreier, Art. 23 Rn. 52 ff.; Rojahn, in: von Münch/Kunig, Art. 23 Rn. 23; Streinz, Rn. 283a; ders., in: Sachs, Art. 23 Rn. 24 ff. 179

VI. Auswirkungen im Hinblick auf die Europäische Union

323

Abbau des Demokratiedefizits bei der Europäischen Union185 beitragen. Das eben zum Bundesstaat Gesagte gilt aber auch hier: Eine höhere demokratische Legitimation in einem Mitgliedsstaat alleine vermag das Legitimationsniveau nicht zu heben. Bei der durch die Mitgliedsstaaten vermittelten demokratischen Legitimation der Europäischen Union kommen noch andere Verzerrungen hinzu, beruhend auf den unterschiedlichen nationalen Wahl- und Regierungssystemen und den unterschiedlichen Entscheidungsmechanismen innerhalb der EU. Solche Probleme und das Defizit bei der unmittelbaren Legitimation der Gemeinschaftsorgane durch die Unionsbürger (der zweiten Legitimationsbasis) lassen sich nur auf europäischer Ebene lösen186. Durch Reformen auf Landesebene – gleich welcher Art – werden sie zwar nicht vergrößert, bei realistischer Betrachtung aber ganz sicher auch nicht gelöst.

3. Die Kontrolle der Bundesregierung durch den Bundesrat Bezogen auf die von Deutschland vermittelte demokratische Legitimation würde eine Direktwahl der Ministerpräsidenten in allen Ländern aber jedenfalls bewirken, dass die Kontrolle der Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union für den Bereich, für den innerstaatlich an sich der Bund zuständig wäre, und für jenen, für den innerstaatlich die Länder zuständig wären (vgl. Wortlaut des Art. 23 GG), nicht mehr durch zwei unterschiedlich stark legitimierte Organe erfolgen würde. Ungeachtet einer Bezeichnung der Mitwirkung des Bundesrates als „quasi-parlamentarische Kontrolle“187 ist das nur konsequent, weil die Mitwirkung von Bundesrat und Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union jedenfalls keine grundlegend unterschiedliche Funktion hat. Beides dient letztlich der Beteiligung des Volkes – Bundesvolk und Landesvölker – am Willensbildungsprozess in der Europäischen Union.

___________ 185 Siehe etwa Abromeit, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 187 ff.; von Arnim, Vom schönen Schein, S. 170 ff. 186 Siehe zu entsprechenden Bestrebungen Classen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 23 Rn. 33 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 23 Rn. 8; Rojahn, in: von Münch/ Kunig, Art. 23 Rn. 24; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 23 Rn. 57; jeweils m.w.Nachw.; s. auch Schachtschneider, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 203 f., 216 ff. 187 Siehe dazu Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 78 f., m.w.Nachw., unter Hinweis auf die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gegenüber dem Reichsrat nach der Weimarer Reichsverfassung.

324

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

4. Zentraler Gesichtspunkt für die Länder: Mitbestimmung Ob sich daraus zwingende Argumente für die Reform gewinnen lassen, hängt vom Adressaten ab und erscheint, vor allem wenn man die praktische Umsetzung der Reform im Auge hat, auf den ersten Blick fraglich: Mag die demokratische Legitimation des Bundesrates und die der Europäischen Union auch zu schwach sein, ist es ja grundsätzlich nicht Aufgabe des einzelnen Bundeslandes, dies zu ändern. Umgekehrt haben die höheren Ebenen keine Kompetenz zur Änderung der Landesverfassungen, auch wenn dies ihre Legitimationsprobleme lösen würde. Damit ist erneut das schon bei den Folgen für den Bundeskanzler angesprochene188 Problem aufgeworfen, inwieweit solche Folgen auf Ebene des Bundes und der Europäischen Union die Länder überhaupt zu interessieren haben. Dass solche Folgen von den Ländern – quasi „freiwillig“ – berücksichtigt werden dürfen, steht außer Frage, doch wird in der praktischen Diskussion in den Ländern, wo über die Reform entschieden wird, nur reüssieren, wer Vorteile für die Länder aufzuzeigen und nachzuweisen vermag. Ein solches Einfallstor in die konkrete Reformdiskussion in den Ländern ergibt sich hier aus der in der vorliegenden Abhandlung getrennt untersuchten189 Kehrseite demokratischer Legitimation, nämlich der demokratischen Mitbestimmung. Aus Sicht des Landesvolkes ist die Direktwahl nach den getroffenen Feststellungen ein Weg, sich aus eigener Kraft auf den höheren Ebenen mehr Mitbestimmung und damit u.U. auch gegenüber anderen Völkern und Teilvölkern der Europäischen Union mehr Einfluss zu verschaffen. Wie bei der übrigen Regierungs- und Bundesratstätigkeit190 rückt das Landesvolk über die Direktwahl näher an die Sachentscheidung heran. Nimmt man die Befreiung des Bundesrates aus dem Kampf um Parteiinteressen191 hinzu, wird die Kontrolle der Bundesregierung bei ihrem Wirken in Angelegenheiten der Europäischen Union deutlich verschärft und der Einfluss der Länder erhöht. Das lässt auch die Preisgabe von Landesinteressen durch den Bund an die Europäische Union unwahrscheinlicher werden. Es beseitigt zwar nicht das Demokratiedefizit auf europäischer Ebene, auch nicht aus Sicht des betroffenen Landesvolkes, ist aber ein Beitrag – und zwar der einzige aus eigener Kraft mögliche –, den die Bundesländer dazu leisten können.

___________ 188

Siehe § 10 IV. 2. d). Vgl. §§ 6, 7. 190 Siehe § 6 I. und § 10 III. 2. 191 Siehe § 10 IV. 1. 189

VII. Ausblick

325

VII. Ausblick: Die Direktwahl vor dem Hintergrund der Entwicklung der Europäischen Union Abschließend sei noch ein kurzer Ausblick auf die Auswirkungen der Direktwahl vor dem Hintergrund der zunehmenden europäischen Integration gewagt. Derzeit ist schwierig abzusehen, wohin die Entwicklung der Europäischen Union geht. Einerseits schreitet die europäische Integration vor allem in der jüngeren Vergangenheit rasch voran. Es gibt Anzeichen für die Entwicklung zu einem Staat oder zumindest zu einem stark staatsähnlichen Gebilde192. Den Status „gewöhnlicher“ Internationaler Organisationen193 haben die Europäischen Gemeinschaften jedenfalls schon lange hinter sich gelassen194. Andererseits zeigen gerade die gegenwärtigen Bemühungen um eine europäische Verfassung195, wie schnell dieser Prozess ins Stocken geraten kann. Jüngstes Beispiel ist die Ablehnung der europäischen Verfassung bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden im Mai und Juni 2005. Ebenso wenig wie die Entwicklung zu einem europäischen Staat lässt sich das Erreichen eines Schlusspunktes oder sogar ein break even, der Beginn einer gegenläufigen Autonomiebewegung, ausschließen. Letzteres wird umso wahrscheinlicher, je mehr Mitgliedsstaaten aufgenommen werden und je weniger grundlegende Fragen bis dahin beantwortet sind. Eine Gefahr für die Bundesländer ist zumindest bei der Herausbildung eines europäischen Staates durchaus nicht von der Hand zu weisen196. Viele Mitgliedsländer sind keine Bundesstaaten und kennen nicht einmal Regionen mit einer sachlichen Autonomie. Der europäische Staat wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit selbst ein Bundesstaat. Die Beteiligung eines Gliedstaates, der seinerseits ein Bundesstaat ist, führte zu einem (partiell) dreistufigen Bundesstaat – jedenfalls in dieser Größenordnung ein Novum mit ganz neuen Fragen, Problemen und Herausforderungen. Wohin die Entwicklung auch geht197: Wenn man die Existenz der Bundesländer befürwortet und das ist ___________ 192 Überwiegend spricht man derzeit von einem Staatenbund oder einer Staatengemeinschaft, vgl. nur Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 23 Rn. 2, m.w.Nachw. 193 Vgl. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rn. 106 ff. 194 Man versucht dies mit der Bezeichnung als „Supranationale Organisation“ zu erfassen, s. Seidl-Hohenveldern/Loibl, Rn. 113. 195 Vgl. nur Häberle, DÖV 2003, 429 ff.; Magiera, DÖV 2003, 578 ff.; Oppermann, DVBl. 2003, 1 ff.; ders., DVBl. 2003, 1165 ff.; ders., DVBl. 2003, 1234 ff.; Weber, NJW 2000, 537 ff. 196 Siehe auch Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 82 ff., 86; obgleich die zunehmende Konzentration auf die europäische Ebene die Bedeutung regionaler Autonomie und föderalistischer Eigenstaatlichkeit nicht reduziert, sondern erhöht, s. Esterbauer, S. 22. 197 Wenn die Bundesländer aufgrund der europäischen Integration einmal zu reinen „höheren Verwaltungseinheiten“ werden sollten, würde für sie der Vergleich mit der Kommunalebene natürlich erst recht gelten und die Direktwahl wäre schon aus diesem

326

§ 10 Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

jedenfalls aus ihrer Sicht und nach dem Grundgesetz198 zwingend vorauszusetzen, ist es in einem solch schwer vorhersehbaren und von einem Land alleine ohnehin nur schwer zu beeinflussenden Prozess von entscheidender Bedeutung, dass die bestehenden Möglichkeiten zur Verteidigung von Landeskompetenzen und zur Wahrung von Landesinteressen möglichst effektiv genutzt werden. Im Interessenwettbewerb mit anderen Bundesländern, dem Bund, anderen Mitgliedstaaten, deren Untergliederungen und der EU können es sich die Bundesländer nicht leisten, ihre ohnehin schon spärlichen Mitwirkungsmöglichkeiten zur Wahrung der Interessen Dritter (insbesondere bundes-parteipolitischer Interessen) einzusetzen. Vielmehr müssen diese Mitwirkungsmöglichkeiten im ausschließlichen Landesinteresse und unter Verbündung mit gleichgerichteten Interessenten (z.B. auch einmal aller Bundesländer gegen den Bund oder gemeinsam mit den Untergliederungen anderer Mitgliedstaaten gegen Maßnahmen der EU199) möglichst weitgehend ausgeschöpft werden. Genau dies gewährleistet nach den getroffenen Feststellungen die Direktwahl der Ministerpräsidenten. Unabhängig davon, wie sich die Europäische Union tatsächlich weiterentwickelt, verschafft die Reform den Bundesländern damit das nötige Rüstzeug für eine Behauptung in diesem Prozess und möglicherweise sogar die Voraussetzung für ihre dauerhafte Existenz.

___________ Grunde geboten, vgl. Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 86. Diesem aus Sicht der Länder fatalistischen Gedanken soll hier aber nicht weiter nachgegangen werden. 198 Siehe bereits § 1 I. (dort Fn. 4, m.Nachw.). 199 Auf diese Weise ließen sich etwa Vorschläge wie derjenige von Esterbauer, S. 35 ff., eines Europas der Regionalstaaten verwirklichen: Danach soll es bei den fünf großen Mitgliedstaaten als zusätzliche Ebene zu EU und Mitgliedstaat eine Ebene föderativer Gliedstaaten in der Größe der anderen Mitgliedstaaten geben (sog. Makroregionen).

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte Nachdem nunmehr nahezu alle Argumente des für und wider die Direktwahl der Ministerpräsidenten und alle sie betreffenden Aspekte behandelt sind, ist noch auf zwei Gegenargumente einzugehen, die im bisherigen Raster nicht einzuordnen waren. Unter Berücksichtigung dieser Punkte ist die Ausgangsfrage nach dem für die Länder am besten geeigneten Regierungssystem zu beantworten und sodann auf dessen konkrete Ausgestaltung einzugehen, denn eine Reform der Landesverfassungen kann sich nicht in der Anordnung der Direktwahl des Ministerpräsidenten erschöpfen. Andere Fragen sind in diesem Zusammenhang zwingend zu regeln, damit das neue Regierungssystem in sich schlüssig wird. Bei weiteren Fragen bietet es sich möglicherweise an, diese ggf. im Zuge einer einzigen Landesverfassungsreform mitzuregeln1.

I. Fazit: Präsidialsystem für die Länder? Zwei Argumente, die gegen die Direktwahl der Ministerpräsidenten angeführt werden, lassen sich nicht in die bisher verfolgte gegenständliche Ordnung einordnen: Borcherts Vergleich mit der Einführung der Direktwahl des Premierministers in Israel2, weil der Vergleich zu allgemein gehalten ist und sich nicht auf bestimmte Folgen bezieht, und die im Einzelnen noch darzustellenden Thesen Patzelts3, weil diese viel grundlegender angesiedelt sind, nämlich letztlich an der Berechtigung der Regierungssystemlehre selbst rütteln. Deshalb sei zunächst das Ergebnis nach bisherigem Untersuchungsstand dargestellt und erst im Anschluss darauf eingegangen, ob die Thesen Borcherts und Patzelts dieses zu erschüttern vermögen. ___________ 1 Ausgeklammert bleiben eine Reihe von Einzelfragen, die sich bei Einführung der Direktwahl unproblematisch auf Ebene des einfachen Rechts regeln lassen, wie etwa die Anknüpfung der Übertragungszeiten von Wahlwerbung an die Kandidaten, die Kostenerstattung für Wahlkämpfe, Wahlvorbereitungsurlaub etc. Ebenso bleiben selbstverständliche Aspekte ausgeklammert, wie die Geltung der allgemeinen Wahlgrundsätze (vgl. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) auch für die Volkswahl des Ministerpräsidenten. 2 Borchert, S. 215. 3 Patzelt, Politische Vierteljahresschrift 39 (1998), 725 ff.; ders., Aus Politik und Zeitgeschichte B 7-8/99, S. 31 ff.; ders., Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/2000, S. 3 f.

328

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

1. Befürwortung eines Präsidialsystems Für die Einführung der Direktwahl in den Bundesländern sprechen sowohl die bisher gewonnenen Erkenntnisse als auch eine Bewertung der festgestellten Folgen vor dem Hintergrund des zentralen Problems der Politikverdrossenheit4.

a) Gesamtschau der Erkenntnisse zur Direktwahl der Ministerpräsidenten Die bisher gewonnenen Erkenntnisse ergeben ein eindeutiges Bild: Unter dem Gesichtspunkt der Mitbestimmung des Volkes ist die Direktwahl uneingeschränkt zu befürworten5. Es ließen sich keine Gründe nachweisen, dem Volk die Selbstbestimmung in dieser Frage zu versagen und von einer stärkeren Mitbestimmung ist eine höhere Akzeptanz der Landespolitik in der Bevölkerung zu erwarten. Auch die zu erwartenden Auswirkungen im Verhältnis der Landesgewalten zueinander6 sprechen klar für eine Volkswahl. Die Befürchtung, dass dadurch die Landtage geschwächt würden, konnte entkräftet werden. Im Gegenteil würden auch die Landtage gestärkt. Weil eine blinde Regierungstreue der Landtagsmehrheit und Koalitionen entfielen und eine Abschwächung der Fraktionsdisziplin einträte, könnten die Landtage gegenüber der Regierung freier agieren und ihre ureigensten Funktionen Kontrolle und Gesetzgebung wieder kraftvoll ausüben. Die Gewaltenteilung würde gestärkt und die Entscheidungsverantwortlichkeit transparenter, was auch die Kontrollmöglichkeiten durch das Volk erhöhte. Insgesamt würden die Entscheidungsprozesse versachlicht bzw. die für eine Versachlichung notwendigen Freiräume geschaffen. Dadurch erhöhte sich die Legitimation der Landesgewalten und der Staatsqualität der Bundesländer. Nebenbei würden die mit Regierungskoalitionen einhergehenden Friktionen und Undurchsichtigkeiten entfallen. Auch die Auswirkungen auf die Qualität der Landespolitik sprechen für eine Einführung der Direktwahl7. Vor allem aufgrund der Abschwächung der Parteienbindung des direkt gewählten Ministerpräsidenten und seiner gesteigerten Verantwortung gegenüber dem Volk erhöht sich für ihn der Anreiz, stärker allgemeine Interessen zu beachten, und die Möglichkeit, der natürlichen Durchsetzungsstärke der Partikularinteressen entgegenzutreten. Damit wird der Entscheidungsprozess als Gemeinwohloptimierungsprozess seinerseits optimiert. In den Landtagen stellen sich die zu erwartenden Veränderungen im innerparlamentarischen Willensbildungsprozess ebenfalls als eine solche Optimierung dar. Zwar blieb ___________ 4

Vgl. § 6 IV. 1. Siehe § 6. 6 Siehe § 8. 7 Siehe § 9. 5

I. Fazit: Präsidialsystem für die Länder?

329

aufgrund der Besonderheiten bei Personalentscheidungen fraglich, ob dies auch zu einer Versachlichung von Personalentscheidungen, sprich zu einem Rückgang der Ämterpatronage, führt. Damit entfällt aber lediglich ein Argument für die Direktwahl, ohne dass daraus ein Gegenargument erwachsen würde. Die Befürchtung, dass die Volkswahl zur Wahl von Demagogen führen könnte, konnte ebenfalls entkräftet werden. Auch würden die Parteien bezogen auf ihre von der Verfassung zugewiesene Aufgabe eher gestärkt als geschwächt. Bezogen auf den Gesamtstaat spricht für die Direktwahl, dass sie die allgemein als zu schwach empfundene sachliche Autonomie der Bundesländer stärken und mit ihr die Legitimation des deutschen Föderalismus erhöhen würde. Sie wäre für die Länder auch von Vorteil im Hinblick auf den weiteren Ausbau der Europäischen Union. Zugleich konnte nachgewiesen werden, dass wesentliche Nachteile für den Bund daraus nicht entstehen. Zwingend und damit das wichtigste für die Direktwahl sprechende Argument ist schließlich die Notwendigkeit, die Verteilung der demokratischen Legitimation in den Bundesländern an Bedeutung und Umfang der tatsächlich von den Landesorganen wahrgenommenen Aufgaben anzupassen und deshalb den Ministerpräsidenten eine ebenso starke demokratische Legitimation zu verschaffen wie den Landtagen8. Schon damit ist im Ergebnis die Frage, ob ein präsidentielles Regierungssystem für die Länder besser geeignet ist als das parlamentarische System, klar zu bejahen.

b) Auswirkungen auf die Politikverdrossenheit Das Ergebnis wird noch weiter untermauert, wenn man die Auswirkungen eines präsidentiellen Regierungssystems in den Ländern den Ursachen des zentralen Problems der Demokratie, der Politikverdrossenheit9, gegenüber stellt: Dass eine Direktwahl dem Gefühl der Bürger entgegenwirkt, auf die Politik keinen Einfluss zu haben, wurde bereits ausgeführt10. Die Stärkung sowohl des Ministerpräsidenten als auch des Landtages wirkt der Entscheidungsschwäche dieser Organe entgegen. Das geht noch weiter, wenn es infolge der durch die Direktwahl geschaffenen Voraussetzungen zu einer erfolgreichen Föderalismusreform im Bund kommt und infolge dessen auch die Blockadepolitik im Bundesrat nachlässt. Der ausufernde Parteieneinfluss, eine der Hauptursachen von Politikverdrossenheit11, wird in jedem Fall zurückgedrängt. Das Entfallen von Koalitionen mitsamt den notwendigen Kompromissen und Ver___________ 8

Siehe § 7. Vgl. § 6 IV. 2. 10 Siehe § 6 IV. 3. 11 Siehe § 6 IV. 2. b). 9

330

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

biegungen erhöht die Glaubwürdigkeit der Parteien12. Der sachbezogenere öffentliche Diskussionsstil anstatt blinder parteipolitischer Konfrontation macht die gesamte politische Auseinandersetzung glaubwürdiger und interessanter. Kehrseite der festgestellten Gemeinwohloptimierung der (Sach-)Entscheidungsprozesse ist eine Abnahme der vom Bürger als abstoßend empfundenen Unausgewogenheiten und Ungerechtigkeiten im pluralistischen Kräftespiel. Gemessen an der Lincoln-Formel13 bedeutet die Direktwahl mehr „Handeln durch das Volk und für das Volk“. Vor allem aber trägt die Einführung eines Präsidialsystems sowohl in den Ländern als auch, wenn es infolge dessen zu einer Entflechtung zwischen Bund und Ländern kommt, bezogen auf den Gesamtstaat zu einer deutlichen Erhöhung der Transparenz der politischen Entscheidungsfindung und -verantwortung bei. Mit Ausnahme der Überbürokratisierung führt die Reform damit zum Abbau aller bedeutenden Ursachen der Politikverdrossenheiten und ist auch deshalb zu befürworten.

2. Die Erfahrungen mit der Direktwahl des Regierungschefs in Israel Wird nun dies alles widerlegt durch die Erfahrungen, die in Israel gemacht wurden, nachdem dort im Jahr 1992 die Direktwahl des Premierministers eingeführt wurde14? Nach Borchert sind diese Erfahrungen jedenfalls nicht dazu angetan, von einer Direktwahl der Ministerpräsidenten in den deutschen Bundesländern einen positiven Effekt zu erwarten15. Offenbar geht es Borchert dabei vor allem um den Aspekt der Befreiung des Regierungschefs aus der Abhängigkeit von den Parteien, wenngleich er nicht näher ausführt, welche Erfahrungen genau gemeint sind. Ungeachtet der Tatsache, dass bei Vergleichen der deutschen Bundesländer mit ausländischen – souveränen – Staaten im Allgemeinen16 und mit Israel aufgrund dessen politischer Kultur im Besonderen17 Vorsicht geboten ist, würde der „Versuch“ in Israel die in dieser Abhandlung gewonnenen Erkenntnisse nicht widerlegen, sondern untermauern. Es zeigt sich erneut18, dass Direktwahl nicht gleich Direktwahl ist. Man muss schon die Regierungssysteme insgesamt miteinander vergleichen und darf für einen Vergleich nicht lediglich einen Einzelaspekt herausgreifen. In Israel konnte sich in der Tat der Premierminister nicht aus der Abhängigkeit der Parteien befreien, wenngleich im Verhältnis zur eigenen Partei Entfremdungs___________ 12

Ebenso Esterbauer, S. 12. Vgl. § 6 II. 5. a). Dargestellt unter § 2 IV. 2. 15 Borchert, S. 215. 16 Siehe § 5 III. 2. c). 17 Siehe § 2 IV. 2., m.Nachw. 18 Siehe bereits § 5 III. 5. 13 14

I. Fazit: Präsidialsystem für die Länder?

331

erscheinungen durchaus festzustellen waren. Allerdings blieb der Premierminister in Israel anders als für die deutschen Bundesländer vorgeschlagen19 für die Regierungsbildung auf die Zustimmung des Parlaments angewiesen20. Damit trat genau das ein, was in der vorliegenden Untersuchung unter Anknüpfung an Maurer21 als „Einführung des parlamentarischen Regierungssystems durch die Hintertüre“ bezeichnet wurde22. Seine Wahl alleine ermöglicht dem Regierungschef eben noch nicht das Regieren. Dazu bedarf er auch der weiteren Regierung und wenn bei deren Bildung das Parlament zustimmen muss, benötigt er dort eine Mehrheit und muss sich mit seiner eigenen Partei und in einer zersplitterten Parteienlandschaft wie derjenigen Israels mit kleinen Koalitionspartnern einigen. Damit tritt dann bezogen auf das Verhältnis von Exekutive zur Legislative natürlich auch keiner der vorliegend nachgewiesenen Effekte23 ein24. Konsequenterweise blieb es in Israel insbesondere dabei, dass der Ministerpräsident zur Regierungsbildung die kleinen Parteien in mühsamer Überzeugungsarbeit für sich gewinnen musste, die Regierungsbildung nicht transparenter wurde, die Regierung mehr mit Stabilisierungsbemühungen als mit inhaltlichen Fragen befasst war und der Premierminister (vor allem durch ultraorthodoxe Parteien) leicht erpressbar blieb25. Lediglich einem Scheitern der Regierung beugte das „Parliadential System“ vor, weil für einen Sturz der Regierung ohne Auflösung der Knesset eine Zweidrittelmehrheit erforderlich war26. Borcherts Vergleich27 spricht deshalb äußerstenfalls gegen ein Mischsystem, im Grunde aber sogar gegen das parlamentarische und für das präsidiale Regierungssystem.

___________ 19

Siehe § 8 IV. Siehe § 2 IV. 2. 21 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 157. 22 Siehe § 8 IV. 23 Siehe § 8 V.-IX. 24 So bereits § 8 IV. 25 Eingehend Keller, ZPol 8 (1998), 597 ff., 598 ff., 621 f. 26 Vgl. Keller, ZPol 8 (1998), 597 ff., 598 ff., 622. 27 Nebenbei ist Borcherts Argumentation insofern widersprüchlich, als er ein Präsidialsystem – zutreffend (siehe § 8 V.) – als Voraussetzung für eine Abschwächung der Fraktionsdisziplin ansieht, Borchert, S. 217. 20

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

332

3. Der Reformwunsch als Missverständnis? – Patzelts Theorie vom „latenten Verfassungskonflikt“ Eine überhaupt nicht ins bisherige Schema passende, im Ergebnis aber ebenfalls zur Ablehnung der Direktwahl der Ministerpräsidenten führende28 These, vertritt Patzelt.

a) Reform contra Bildung? Danach beruht die Kritik am parlamentarischen Regierungssystem und die starke Befürwortung des präsidentiellen Regierungssystems in der Bevölkerung29 auf dem fehlenden Systemverständnis der Bürger30. Umfragen zeigten, dass dem überwiegenden Teil der Bevölkerung das Verständnis für das parlamentarische Regierungssystem fehle31. Ihre an das System gerichteten Erwartungen beruhten auf der deutschen Tradition der Monarchie und das Präsidialsystem sei nichts anderes als die republikanisch-demokratische Variante der Monarchie32, ferner auf einer verflachten Darstellung der Gewaltenteilungslehre Montesquieus in den Schulbüchern und der fehlenden Korrektur dieses Verständnisses durch Medien und Unterricht33. Diese Divergenz zwischen Verfassung und vermuteter Verfassung bezeichnet Patzelt (terminologisch fragwürdig) als latenten Verfassungskonflikt. Er wirft die Frage auf, ob „wir unser politisches System dem Vorstellungshorizont der Bürger oder eher deren politisches Wissen der Komplexität unseres Institutionensystems anpassen“ sollten34. In dieser Verkürzung auf zwei Pole liegt, wie auch die gegebene Antwort zeigt, der Grund, warum Patzelts These für die vorliegende Diskussion im Ergebnis keine Relevanz hat: Das System sei anzupassen, wenn unsere Demokratie vor ___________ 28

Patzelt, Politische Vierteljahresschrift 39 (1998), 725 ff., 753; ders., Aus Politik und Zeitgeschichte B 7-8/99, S. 31 ff., 37; ders., Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/2000, S. 3 f. 29 Näher dazu § 13 III. 1. 30 Patzelt, Politische Vierteljahresschrift 39 (1998), 725 ff.; ders., Aus Politik und Zeitgeschichte B 7-8/99, S. 31 ff.; ders., Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/2000, S. 3 f. 31 Patzelt, Politische Vierteljahresschrift 39 (1998), 725 ff., 731 ff.; ders., Aus Politik und Zeitgeschichte B 7-8/99, S. 31 ff., 34 ff.; sehr kritisch zu deren Ausgestaltung und Auswertung Günther, Politische Vierteljahresschrift 41 (2000), 327 ff. 32 Patzelt, Politische Vierteljahresschrift 39 (1998), 725 ff., 751 ff.; ders., Aus Politik und Zeitgeschichte B 7-8/99, S. 31 ff., 33 f, 37 f.; ebenso van Ooyen, RuP 36 (2000), 165 ff., 167 (Präsident als „Ersatzkaiser“). 33 Patzelt, Politische Vierteljahresschrift 39 (1998), 725 ff., 751; ders., Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/2000, S. 3 f., 3. 34 Patzelt, Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/2000, S. 3 f., 4.

I. Fazit: Präsidialsystem für die Länder?

333

allem Fehlleistungen produziert hätte. Da sich die politischen Institutionen aber im Wesentlichen bewährt hätten, solle das System nur dort verbessert werden, wo es mangelhaft funktioniert, im Übrigen aber beim Bürger das entsprechende Verständnis geweckt werden35. Die vage Antwort zeigt, wie wenig ergiebig schon die Fragestellung ist: Selbstverständlich sollte man ein System nicht ausschließlich und unreflektiert aufgrund eines entsprechenden Wunsches in der Bevölkerung ändern und ebenso selbstverständlich sollte die politische Bildung ein möglichst weitgehendes – und ideologiefreies – Verständnis des vorhandenen Systems (wie aber auch der Alternativen) vermitteln. Die Antwort kann also nur lauten: Es kommt darauf an. Es kommt darauf an, ob der Wunsch in der Bevölkerung sinnvoll ist. Das kann selbst dann der Fall sein, wenn er auf falschen Annahmen beruht, also eine Art „Zufallstreffer“ ist. Dann stellt sich lediglich die Frage, ob es (moralisch) legitim ist, diese Fehlvorstellung zur Umsetzung auszunutzen. Man ist also bei der Ausgangsfrage der eigentlichen Problematik für die Politikwissenschaft36 angelangt: Empfiehlt sich die Einführung des Präsidialsystems für die deutschen Bundesländer?

b) Sachliche Diskussion contra Populismus! Das erahnt auch Patzelt, wenn er ausführt: „Hüten wir uns aber davor, antiquierten Systemvorstellungen nur deshalb37 zu folgen, weil sie populär sind.“38 Wenn es auch ihm aber nur darum geht, Popularität und sachliche Notwendigkeit zu trennen, erstaunt es, dass er gleichwohl zu einer Beantwortung der Sachfrage gelangt, und bleibt andererseits zur Begründung nicht viel übrig. Genauso müssten Patzelt und jeder andere der These zustimmen, dass man sich hüte, eine (möglicherweise sinnvolle) Forderung nur deshalb abzulehnen, weil sie in der Bevölkerung falsch begründet wird. Beide Thesen werden in der gesamten vorliegenden Diskussion – und das zeigt ihre Selbstverständlichkeit – denn auch ohne weiteres stillschweigend befolgt. Niemand beruft sich auf den Volkswillen als Argument für oder gegen die Einführung der Direktwahl. Der Volkswille spielt in der Diskussion vielmehr nur bei der Beurteilung der praktischen Realisierungschancen eine Rolle39. Genau genommen – und damit soll es zu diesem Punkt sein Bewenden haben – hat Patzelts These auch nichts mit dem Regierungssystem oder selbst der Verfassung zu tun. Solche Fehlvorstel___________ 35

Patzelt, Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/2000, S. 3 f., 4. Nebenbei vergisst Patzelt auch, dass sich eine Reihe namhafter Politik- und Rechtswissenschaftler für das Präsidialsystem aussprechen (vgl. § 3) und es sich keineswegs ausschließlich um eine „Volksmeinung“ handelt. 37 Hervorhebung vom Verfasser. 38 Patzelt, Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/2000, S. 3 f., 4. 39 Siehe dazu § 13 III. 1. 36

334

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

lungen des Bürgers bezüglich des Systems bestehen in weiten Bereichen (etwa Gerichtsorganisation, Strafzumessung etc.) und überall ist es notwendig, Politik und Politikwissenschaft von Populismus freizuhalten40.

c) Annex: Systemwechsel per se schlecht? Was also bleibt für die sachliche Diskussion der Kernfrage? Sicher nicht der Hinweis auf die antiquierten Vorstellungen41 des Volkes. Auch nicht jener auf die traditionellen und der parlamentarischen Regierungsweise unangemessenen Denkstrukturen bei anderen Wissenschaftlern42. Letztlich stützt Patzelt die Ablehnung der Direktwahl der Ministerpräsidenten nur darauf, dass diese einen „fundamentalen Systemwechsel hin zum präsidentiellen Regierungssystem oder wenigstens zu einer Mischung schlecht zusammenpassender Systemelemente nach sich ziehen würde“, dass die erfolgreich gelebte Verfassung den „latenten Konflikt“ gewinnen sollte43. In der Sache also nichts Neues. Sollte dies im Übrigen wirklich so gemeint sein, wie es klingt, dass nämlich ein Systemwechsel per se etwas Schlechtes ist44, stellte Patzelt die gesamte Regierungssystemlehre und ein Stück weit auch die Demokratie in Frage. Dann erlangte freilich auch die Forderung nach einer hinreichenden „Bildung“ der Bevölkerung eine ganz andere Bedeutung, nämlich hin zu einer – strikt abzulehnenden – ideologischen Umerziehungsmaßnahme und was man mit dieser These alles rechtfertigen könnte, mag sich jeder selbst überlegen45.

II. Die Ausgestaltung des Regierungssystems auf Grundlage einer Direktwahl Auf eine zwingende Änderung sind bei einer Umsetzung der Reform alle Verfassungsnormen zu überprüfen, die die Wahl des Ministerpräsidenten und seine Amtszeit, seine Abwahl und die Regierungsbildung, mithin die unmittel___________ 40 Deshalb ist das, was Patzelt aufgedeckt zu haben glaubt, auch kein „Verfassungskonflikt“, sondern ein Unverständnis in Teilen der Bevölkerung für unser Staatssystem, das dafür aber nicht nur latent, sondern aktuell und gegenwärtig ist. 41 So ausdrücklich Patzelt, Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/2000, S. 3 f., 4. 42 So Patzelt, Politische Vierteljahresschrift 39 (1998), 725 ff., 752 (dort Fn. 66: „drastisches Beispiel“) gegen von Münch. Zur Qualität solcher Äußerungen bereits § 6 II 3. 43 Patzelt, Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/2000, S. 3 f., 4. 44 So auch das Verständnis bei von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 382 f. 45 Ablehnend auch von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 383; und schon im Hinblick auf die von Patzelt zugrunde gelegten Ausgangsbefunde Günther, Politische Vierteljahresschrift 41 (2000), 327 ff.

II. Die Ausgestaltung des Regierungssystems

335

bare Ausgestaltung des Regierungssystems in den Ländern betreffen. Soweit diese Aspekte schon abschließend behandelt wurden, sei das jeweilige Ergebnis der guten Übersicht halber noch einmal mit aufgeführt.

1. Amtszeit Bei einer unmittelbaren Wahl von Landtag und Ministerpräsident ist es nicht mehr zwingend, dass beide Wahlperioden gleich lang sind. Das ist im derzeitigen Länderparlamentarismus vielmehr gerade eine Folge der vom jeweiligen Landtag abgeleiteten demokratischen Legitimation des Ministerpräsidenten. Deshalb muss unter diesem Gesichtspunkt die Amtszeit des Ministerpräsidenten bei einer Direktwahl auch nicht zwingend 4 oder 5 Jahre46 betragen. Kürzere Zeiträume als 4 Jahre sind aber angesichts des Aufwandes einer Wahl und der Dauer, bis eine neue Landesregierung effektiv ihre Arbeit aufgenommen hat, sowie der Dauer des (faktischen) Wahlkampfes vor einer Wahl kaum praktikabel und aus diesem Grunde abzulehnen47.

a) Verlängerte Amtsperioden? Denkbar sind Amtszeiten, die länger als die (derzeitige) Wahlperiode der Landtage dauern. Aus anderen Präsidialsystemen sind solche längeren Amtszeiten bekannt, etwa aus Frankreich (5 Jahre, bis 2000 sogar 7 Jahre48). Aber auch in Deutschland gibt es Entsprechungen, nämlich auf Ebene der Kommunen. Die Amtszeiten der Bürgermeister und Landräte reichen bis hin zu 8 Jahren49. Im Hinblick auf die starke Exekutivlastigkeit der Länder50 könnte dies für längere Amtsperioden des direkt gewählten Ministerpräsidenten als 5 Jahre sprechen. Der Verfassungsentwurf der CDU bei der Gründung Baden-Württembergs sah eine Amtszeit von 6 Jahren vor51. Für den Bundespräsidenten werden ___________ 46

Vgl. die Übersicht über die Dauer der Legislaturperioden unter § 2 II. Siehe auch BVerfG, Urt. v. 16. Februar 1983, Az. 2 BvE 1, 2, 3, 4/83, BVerfGE 62, 1 ff., 44 (vierjährige Amtsperiode soll Arbeitsfähigkeit des Parlaments sichern); Morlok, in: Dreier, Art. 39 Rn. 10 (für Parlamentswahl); Versteyl, in: von Münch/Kunig, Art. 39 Rn. 5. 48 Art. 6 Verfassung der Republik Frankreich. 49 In Mecklenburg-Vorpommern kann die Hauptsatzung für Bürgermeister und Landräte sogar eine Amtszeit bis zu 9 Jahren festlegen. Siehe zur Dauer der Amtszeiten in den Bundesländern die Übersicht bei von Arnim, in: Festschr. Vogel, S. 453 ff., 460 f. 50 Siehe § 7 IV. 3. 51 Vgl. Art. 69 Abs. 1 des Entwurfs, Verfassunggebende Landesversammlung, Beilage Nr. 118, abgedruckt bei Feuchte, Quellen II, S. 52 ff. 47

336

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

gar bisweilen 7 Jahre vorgeschlagen52. Für längere Amtszeiten könnte auch ein Argument sprechen, das in Deutschland häufig für eine Verlängerung der Wahlperioden der Parlamente angeführt wird, nämlich der sog. „Dauerwahlkampf“53. Gemeint ist die aus den unterschiedlich langen Wahlperioden, der zeitlichen Versetzung bei gleich langen Wahlperioden und der parteipolitischen Verzahnung aller Landeswahlkämpfe miteinander und vor allem mit und über den Bundestagswahlkampf resultierende Erscheinung, dass praktisch immer irgendwo in Deutschland Wahlkampf über die letztlich immer gleich Grundfrage, nämlich Unions- oder SPD-geführte Regierung, stattfindet. Diese Erscheinung führt dazu, dass als Folge der fortwährend gegenwärtigen Kontrolle durch zumindest einen Teil des Bundesvolkes das Regieren im Hinblick auf die Notwendigkeit auch unpopulärer Entscheidungen als schwierig empfunden wird. Das korrespondiert mit den Erkenntnissen zum zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Handeln von Politikern und dem Volkswillen – nämlich mit einer besonders engen Bindung zu den Wahlen hin54. Außerdem werden Ressourcen über das betroffene Land hinaus gebunden, denn es ist üblich, die Parteifreunde im Wahlkampf zu unterstützen.

b) Höchstdauer der Amtsperiode von 5 Jahren Unabhängig davon, dass es nicht gegen Kontrolle durch das Volk spricht, wenn diese als hemmend empfunden wird, und dass nach den hier gewonnenen Erkenntnissen Kontrolle durch das Volk unpopuläre Entscheidungen nicht verhindert, sondern nur zu einer erweiterten Darlegungs- und Begründungsobliegenheit hinsichtlich ihrer sachlichen Notwendigkeit und Gerechtigkeit führt55, stehen längeren Amtsperioden gewichtige Gründe entgegen. Die zeitliche Begrenzung des Amtes des direkt gewählten Ministerpräsidenten ist wie die Wahlperiode des Parlaments56 eine Ausprägung des Demokratieprinzips. Demokratie bedeutet Herrschaft auf Zeit. Die regelmäßige Neuwahl soll den Einfluss des Volkes auf das gewählte Organ sichern, indem das Volk das bishe___________ 52 Siehe den Artikel „Rau fordert Direktwahl des Präsidenten“, DIE WELT v. 06. September 2003. 53 Vgl. „Die Union hat viel zu verlieren im Wahlmarathon 2004“, Welt am Sonntag v. 21. Dezember 2003; „Lieber länger regieren“, DIE WELT v. 04. Dezember 2002; auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier spricht vom „faktischen Dauerwahlkampf“, s. „Senat statt Bundesrat“, DIE WELT v. 11. November 2003; s. auch Friedrich, ZRP 1993, 363 ff., zur Problematik der Zusammenlegung von Wahlterminen. 54 Siehe § 6 I. 1. e) (3). 55 Siehe § 9 VIII. 2. 56 Vgl. nur Kretschmer, in: Bonner Kommentar, Art. 39 Rn. 1; Morlok, in: Dreier, Art. 39 Rn. 10.

II. Die Ausgestaltung des Regierungssystems

337

rige Handeln sanktionieren und für die Zukunft neue Prioritäten setzen kann. Das wird mit zunehmendem Zeitablauf und zunehmender Zahl der seit der letzten Wahl getroffenen Entscheidungen immer schwieriger57. Aus dem Demokratieprinzip folgt deshalb und aus verfassungsgeschichtlichen und -vergleichenden Gründen58 nach in der Rechtswissenschaft h.M., dass Legislaturperioden59 nicht länger als 5 Jahre dauern dürfen, weil andernfalls dieser Zweck nicht mehr hinreichend gewahrt ist und auch die Veränderung in der Bevölkerung gegenüber der letzten Wahl zu groß ist (Herrschaft des jeweiligen Volkes)60. Diese Überlegungen gelten grundsätzlich gleichermaßen auch für die Amtszeit des Ministerpräsidenten61. Infolge der festgestellten Auswirkungen einer Direktwahl entfallen aber mit ihrer Einführung ohnehin auch die Argumente für längere Wahlperioden und Amtszeiten. Durch die Direktwahl der Ministerpräsidenten werden Landes- und Bundespolitik, Landes- und Bundestagswahlkampf und die Landesverbände von der Bundesebene der Parteien deutlich entflochten62. Eine Regierung wird also durch eine Wahl in einem anderen Land oder auf einer anderen Ebene nicht mehr, zumindest nicht mehr in gleichem Maße, faktisch kontrolliert. Wahlkämpfe beschränken sich wieder mehr auf den jeweiligen Verfassungsraum. Sicher werden Wahlen in einem Land auch weiterhin im restlichen Bundesgebiet Beachtung finden. Der als misslich empfundene „Dauerwahlkampfeffekt“ wird aber abgeschwächt. Auch der Vergleich mit den Kommunen und der Hinweis auf die Exekutivlastigkeit der Länder stützen dann keine längeren Wahlperioden mehr. Durch die Volkswahl der Ministerpräsidenten wird gerade die Basis für eine Stärkung der Legislative auf Landesebene geschaffen und die Staatlichkeit der Länder gestärkt63. Je mehr dies geschieht, desto weniger bleiben die Bundesländer mit den Kommunen vergleichbar und desto mehr gilt für sie die aus dem Demokratieprinzip folgende zeitliche Begrenzung vom Volk delegierter Staatsmacht. Längere Amtsperioden als 5 Jahre sind deshalb abzulehnen. ___________ 57

Morlok, in: Dreier, Art. 39 Rn. 10. Siehe die Aufstellung bei Sommermann, in: von Mangolt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 153 (dort Fn. 43), m.w.Nachw. 59 Die Begriffe Legislaturperiode und Wahlperiode des Parlaments werden hier – vor dem vorliegenden Hintergrund unbedenklich – synonym verwendet. 60 Dreier, in: ders., Art. 20 (Demokratie) Rn. 69; Friedrich, ZRP 1993, 363 ff., 363; Jekewitz, ZParl 7 (1976), 373 ff., 399; Kretschmer, in: Bonner Kommentar, Art. 39 Rn. 13; Zeh, ZParl 7 (1976), 353 ff., 358; a.A. BayVerfGH, Entsch. v. 13. Februar 1958, Az. Vf. 148 IX 56; BayVGHE 11 II, 1 ff., 7 f. (6 Jahre mit Demokratieprinzip noch vereinbar); Maunz/Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 39 Rn. 23 (äußerstenfalls 6 Jahre). 61 Dreier, in: ders., Art. 20 (Demokratie) Rn. 69. 62 Siehe § 10 III. 63 Siehe § 8 VIII. 58

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

338

c) Gleiche Länge der Amtszeit des Ministerpräsidenten und der Legislaturperiode Damit bleibt die Frage, ob die Amtszeit 4 oder 5 Jahre betragen sollte. Seit jeher tun sich Wissenschaftler schwer, das eine oder andere Ergebnis – Zwischenlösungen sind aus praktischen Erwägungen abzulehnen – schlüssig zu begründen64. Überwiegend werden 4 Jahre als ein gelungener Kompromiss angesehen65. Zwingende rechtswissenschaftliche Gründe gibt es nicht. Im Übrigen wird eher einer Begrenzung auf 4 Jahre zusprechen, wer möglichst weitgehende demokratische Befugnisse des Volkes favorisiert, und 5 Jahre befürworten, wer möglichst lange Perioden möglichst „unbehelligter“ Regierungsarbeit für erforderlich hält. Das zeigt, dass es sich um eine Frage politischer Überzeugung handelt, die jeder für sich beantworten mag. Ungeachtet einer möglichen zeitlichen Versetzung von Landtags- und Ministerpräsidentenwahl sollten jedenfalls die Amtszeit des Ministerpräsidenten und die Legislaturperiode gleich lang sein, damit die Wahlen nicht mal zusammen und mal auseinander fallen. Zwingend ist das zwar nicht. Der Verfassungsentwurf der CDU bei der Gründung Baden-Württembergs etwa sah eine sechsjährige Amtszeit des Ministerpräsidenten bei einer nur vierjährigen Legislaturperiode vor66. Dafür spricht aber auch, dass die längere Amtsdauer bei einem Organ diesem gegenüber dem Gegenspieler im System der Gewaltenteilung eine deutlich stärkere Stellung verschafft und dies dann möglicherweise doch67 das Gleichgewicht der Staatsgewalten zu stören geeignet wäre68.

___________ 64 Jüngst für eine Verlängerung auf 5 Jahre im Bund Kube, ZRP 2004, 52 ff., 53; gegen eine Verlängerung von Arnim, Der getäuschte Souverän, Rheinischer Merkur, Nr. 4/2003, S. 4. 65 Siehe etwa Magiera, in: Sachs, Art. 39 Rn. 5; Versteyl, in: von Münch/Kunig, Art. 39 Rn. 5 a.E.; jeweils m.w.Nachw.; auch Kretschmer, in: Bonner Kommentar, Art. 39 Rn. 13 („erträglicher Kompromiss“). 66 Art. 43 Abs. 1 Satz 1, Art. 69 Abs. 1 des Entwurfs, Verfassunggebende Landesversammlung, Beilage Nr. 118, abgedruckt bei Feuchte, Quellen II, S. 52 ff. Auch werden die Bürgermeister in Baden-Württemberg für 8 Jahre gewählt, die Gemeinderäte alle 5 Jahre. 67 Vgl. § 8 IX. 1. 68 So auch Wehling, Politische Studien 1984, 27 ff., 32, bezogen auf eine „wesentlich längere“ Wahlperiode beim Bürgermeister gegenüber dem Gemeinderat; SchmidtBleibtreu/Klein, Art. 54 Rn. 3, für die siebenjährige Amtszeit des Reichspräsidenten nach der Weimarer Verfassung.

II. Die Ausgestaltung des Regierungssystems

339

2. Zeitpunkt der Wahl Offen ist noch, ob die Direktwahl des Ministerpräsidenten zeitgleich oder zeitlich versetzt zur Landtagswahl stattfinden sollte.

a) Pro gleichzeitige Wahlen Die – schwächeren – Gesichtspunkte des Kosten- und Zeitaufwandes sprechen nach den bereits gewonnenen Erkenntnissen69 für eine zeitgleiche Durchführung beider Wahlen. Ebenso spricht der Aspekt des Aktivierungsaufwandes für zeitgleiche Wahlen70. Dabei handelt es sich um ein gewichtigeres Argument. Für die demokratische Legitimation der zu wählenden Organe und für eine nicht nur formale, sondern lebendige Demokratie, letztlich für den Erfolg der Demokratie in einem Staatswesen, ist es von maßgeblicher Bedeutung, dass sich viele Menschen daran beteiligen und von ihren demokratischen Rechten Gebrauch machen, mithin dass die Wahlbeteiligung möglichst hoch ist71. Aufgrund der festgestellten Synergieeffekte wäre die Wahlbeteiligung bei gleichzeitigen Landtags- und Ministerpräsidentenwahlen höher, als wenn beide Wahlen zeitversetzt stattfänden. Für die Landtagswahl könnten aufgrund der tendenziell höheren Attraktivität der Ministerpräsidentenwahl als Personenwahl72 sogar höhere Wahlbeteiligungen als derzeit erzielt werden – die Ministerpräsidentenwahl würde quasi als „Zugpferd“ wirken. Bei der getrennten Durchführung könnte es hingegen leicht zu Ermüdungserscheinungen kommen, vor allem bei der hier befürworteten verhältnismäßig kurzen Wahlperiode. Sinnvoll wäre eine zeitliche Versetzung überhaupt nur dann, wenn sie genau um die Hälfte der – gleich langen – Amts- bzw. Legislaturperiode erfolgte, sonst gäbe es einmal einen kürzeren, einmal einen längeren Abstand zwischen den Wahlen. Das aber würde für die Landesbevölkerung alle zwei bzw. zweieinhalb Jahre eine Wahl bedeuten. Bei so kurzen Abständen besteht durchaus die Befürchtung, dass die Wahlen für den Bürger an Bedeutung, die Teilnahme an einer Wahl ihre Attraktivität verliert.

___________ 69

Siehe § 6 III. 2. b) (1) und (2). Siehe § 6 III. 2. b) (3). So jedenfalls die klassische Demokratietheorie, differenzierend der sog. elitetheoretische Ansatz („gesunde Apathie“), vgl. Völker/Völker, S. 7 f., m.w.Nachw. Manche Demokratien sehen sogar spezielle Mechanismen zur Absicherung vor, etwa ein Beteiligungsquorum (Präsidentschaftswahl in Russland) oder eine Wahlpflicht (Griechenland). 72 Vgl. Eschenburg, S. 63. 70 71

340

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

b) Contra gleichzeitige Wahlen Andererseits wurde festgestellt, dass gerade das zeitliche Auseinanderfallen die Bedeutung jeder Wahl und die unterschiedliche Funktion der zu wählenden Organe für den Bürger besonders deutlich macht73 und dass bei einem zeitlichen Auseinanderfallen auch am ehesten Kohabitationen zu erwarten sind74. Einer möglichst weitreichenden Gewaltenteilung entspricht am besten die zeitliche Versetzung beider Wahlen. Schließlich wurde festgestellt, dass die Trennung zwischen Partei und Person und zwischen Land und Bund in den Augen der Bevölkerung und im Wahlkampf und infolge dessen auch in der politischen Praxis am besten verwirklicht wird, wenn beide Wahlen zeitlich versetzt stattfinden, dass aber gleichwohl diese Effekte auch bei einer zeitgleichen Durchführung eintreten75.

c) Fazit Ein zwingendes Ergebnis gibt es demnach nicht. Nur Zwischenlösungen76 scheiden angesichts der Größe und Leistungsfähigkeit der Bundesländer aus. Nach diesseitigem Dafürhalten ergibt sich aber ein Übergewicht der Argumente für zeitgleiche Wahlen77. Grundsätzlich werden die mit einer Direktwahl des Ministerpräsidenten verbundenen positiven Auswirkungen alle auch dann erzielt, wenn die Wahlen zusammenfallen78. Und die zeitgleiche Durchführung führt am ehesten zu einer möglichst weitreichenden Akzeptanz in der Bevölkerung und damit zum eigentlichen Erfolg der Reform. Eine zeitgleiche Wahl sah auch der schon dargestellte79 Entwurf von Bock und Niethammer vor80. Wohlgemerkt bezieht sich Zeitgleichheit bei der Wahl des Ministerpräsidenten auf den ersten Wahlgang. Ein etwa erforderlicher zweiter Wahlgang81 müsste im Anschluss stattfinden.

___________ 73

Siehe § 10 III. 1. Siehe § 8 III. 2. d) (2). 75 Siehe § 10 III. 1. c). 76 In den USA wird z.B. alle zwei Jahre ein Drittel des Senats (reine Direktwahl) neu gewählt. Die Präsidentschaftswahl fällt jeweils mit einer dieser Wahlen zusammen. 77 Ebenso Esterbauer, S. 15 f. 78 So auch Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 57, unter Hinweis auf die praktischen Erfahrungen in Israel. 79 Siehe § 2 I. 2. b). 80 Siehe Scheyhing, BWVBl. 1959, 65 ff., 67. 81 Dazu sogleich § 11 II. 4. 74

II. Die Ausgestaltung des Regierungssystems

341

d) Annex: Folgen bei Neuwahl eines Organs So oder so kommt es im Ergebnis zu einer verkürzten Amtszeit oder einer verkürzten Legislaturperiode, wenn es zu Neuwahlen kommt. Keinesfalls hat die vorzeitige Abwahl des direkt gewählten Ministerpräsidenten die Auflösung des Landtages zur Folge oder die Auflösung des Landtages die Neuwahl auch des Ministerpräsidenten. Dies ist eine Folge davon, dass beide ihre demokratische Legitimation unabhängig voneinander unmittelbar vom Volk beziehen und diese auch unabhängig voneinander bestehen bleibt. Spricht man sich also für dauerhaft gleichzeitige Wahlen aus – genauso aber bei dauerhaft zeitlich versetzten Wahlzeitpunkten –, muss es beim vorzeitig neu gewählten Ministerpräsidenten zu einer verkürzten Amtszeit bzw. beim vorzeitig neu gewählten Landtag zu einer verkürzten Legislaturperiode kommen.

3. Begrenzung der Amtszeiten? Bisweilen wird vorgeschlagen, die Zahl der zulässigen Amtszeiten für den Ministerpräsidenten auf zwei zu beschränken82. Damit wird quasi eine automatische Kontrolle gegen dauerhafte Machtkonzentration geschaffen und gewissermaßen das Volk vor sich selbst geschützt. Bekannt ist eine solche Regelung vor allem aus den USA, wo der Präsident nur einmal wiedergewählt werden kann83. Theoretisch sind natürlich auch andere Begrenzungen als gerade auf zwei Amtszeiten vorstellbar. Für die deutschen Bundesländer ist einer Begrenzung mit Skepsis zu begegnen84. Ministerpräsidenten, die ihr Amt mehr als zwei Amtsperioden lang bekleiden, gab und gibt es häufig, ohne dass dadurch besondere Probleme erkennbar geworden wären. Und es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ein solcher „Selbstschutz“ dem Demokratieprinzip auch zuwider läuft. Denn mit einfacher Mehrheit kann ein (künftiges) Landesvolk einen Ministerpräsidenten nicht ein drittes Mal wählen und damit im konkreten Fall möglicherweise die für es beste Entscheidung nicht treffen. Im vorliegenden Zusammenhang ist indessen nur bedeutsam, dass die Frage nicht in zwingendem Zusammenhang zur Direktwahl steht. Sie stellt sich im Parlamentarismus ebenso85 und ___________ 82 Etwa Bausewein, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 33 ff., 34; Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 75. 83 XXII. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika (1951 in Kraft getreten). 84 Krit. auch Borchert, S. 215. 85 Siehe etwa Bausewein, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 33 ff., 34.

342

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

kann unabhängig vom Regierungssystem beantwortet werden. Ihr soll an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden.

4. Erforderliche Mehrheit Als Persönlichkeitswahl wäre die Direktwahl des Ministerpräsidenten eine Mehrheitswahl. Gewählt ist derjenige Kandidat, der die meisten abgegebenen Stimmen86 auf sich vereint. Zu klären bleibt, ob dabei (zunächst) eine absolute Mehrheit erforderlich sein oder die relative Mehrheit der Stimmen genügen sollte87.

a) Absolute Mehrheit Das Erfordernis einer absoluten Mehrheit hat den Vorteil, dass es eine besonders weitgehende Übereinstimmung des Wahlvolkes mit dem gewählten Ministerpräsidenten bewirkt. Nur derjenige wird Ministerpräsident, der mehr als die Hälfte88 der abgegebenen Stimmen erzielt. Ein solcher Ministerpräsident verfügt über starken Rückhalt in der Bevölkerung und über eine hohe demokratische Legitimation. Das verschafft ihm tendenziell eine hohe Akzeptanz seiner Politik und erleichtert das Regieren auch gegenüber dem Landtag, der mit ihm politisch ja nicht mehr zwingend übereinstimmt89. Aus diesen Gründen ist das Erfordernis der absoluten Mehrheit bei Personenwahlen, also soweit nicht Verhältniswahlen stattfinden oder Mischsysteme zur Anwendung kommen90, weit verbreitet. Allerdings wird gerade im klassischen Beispiel für den Präsidentialismus, den USA, der Präsident zwar mit der absoluten Mehrheit der Wahlmännerstimmen gewählt, die Wahlmänner selbst werden aber mit relativer Mehrheit (in den meisten Staaten reine Listenwahl) gewählt91, so dass im Ergebnis92 die relative Mehrheit im ersten und einzigen Wahlgang entscheidet.

___________ 86 Da keine Wahlpflicht herrscht, kommen als Maßstab nur die tatsächlich abgegebenen Stimmen in Betracht. 87 Dazu auch Meyer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 65 ff., 74. 88 Genau: 50 % + 1 Stimme. 89 Siehe § 8 V. 3. 90 Die meisten Bundesländer etwa haben für die Landtagswahlen derzeit gemischte Wahlsysteme. 91 Alle Wahlmänner eines Staates müssen ihrerseits einheitlich stimmen („The winner takes it all.“).

II. Die Ausgestaltung des Regierungssystems

343

Das Erfordernis einer absoluten Mehrheit hat den Nachteil, dass eine solche häufig nicht zustande kommt. Erzielt kein Kandidat mehr als 50 % der Stimmen, ist deshalb zumindest noch eine weitere Wahl (mit relativer Mehrheit oder Stichwahl) oder ein anderer Mechanismus erforderlich, der sicherstellt, dass die Position nicht dauerhaft unbesetzt bleibt und keine Lähmung in der Staatsführung eintritt. In den USA ist für diesen (dort aus o.g. Gründen praktisch nicht relevanten) Fall eine Art Übergang zur indirekten Wahl vorgesehen: Erzielt kein Kandidat die absolute Mehrheit der Wahlmännerstimmen, wird der Präsident vom Repräsentantenhaus aus den drei erfolgreichsten Kandidaten mit absoluter Mehrheit gewählt; ansonsten wird der Vizepräsident Präsident93.

b) Relative Mehrheit In diesen weiteren Wahlgängen liegt der Nachteil des Erfordernisses einer absoluten Mehrheit. Weitere Wahlgänge sind aufwendig, verzögern die Regierungsbildung und führen irgendwann doch dazu, dass ein Kandidat mit relativer Mehrheit der abgegebenen Stimmen gewählt wird, weil bei einer freien Wahl nur eine relative Mehrheit zwingend zustande kommt. Dieser Nachteil wird vermieden, wenn sogleich auf die relative Mehrheit abgestellt wird. Das ist zwar in der Praxis selten, kommt aber vor. Relative Mehrheitswahlen sind etwa die amerikanischen und britischen Parlamentswahlen. Allgemein haben Mehrheitswahlen den Nachteil, dass sie zu einer Ungleichbehandlung in der Stimmengewichtung führen. Der Erfolgswert der Stimmen, die auf die nicht gewählten Kandidaten entfallen, ist gleich Null. Bei einer absoluten Mehrheit wird das im Ergebnis dadurch abgeschwächt, dass mehr als die Hälfte der Stimmen Erfolg haben. Bei einer relativen Mehrheit kommt u.U. nur einem sehr kleinen Teil der Stimmen ein Erfolgswert zu. Wenn viele Kandidaten angetreten sind, können schon sehr geringe Stimmenanteile eines Kandidaten zu dessen Wahl führen. Im Ergebnis setzt sich damit eine Minderheit gegenüber der in sich gespaltenen Mehrheit durch.

___________ 92

Wenn man die Aufteilung in Einzelstaaten außer Betracht lässt, die sogar dazu führen kann, dass bezogen auf den Gesamtstaat eine Minderheit ausreicht. Geschehen ist dies bereits vier Mal. 93 Wobei es weitere Regelungen gibt, wenn auch ein solcher nicht gewählt werden konnte.

344

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

c) Stellungnahme im Hinblick auf die Bundesländer Aus dem zuletzt genannten Grund ist unbedingt zunächst eine absolute Mehrheit anzustreben94. Gerade bei einem mit großer Mehrheit gewählten Ministerpräsidenten kommen einige der festgestellten Vorteile einer Volkswahl – starke Ministerpräsidenten und verschärfte Kontrolle durch ebenfalls erstarkte Landtage95 – auch erst voll zur Geltung. Schon im jetzigen Landesparlamentarismus führen große Mehrheiten und vor allem absolute Mehrheiten bei den Landtagswahlen zu starken und selbstbewusst auftretenden Persönlichkeiten. Grundsätzlich ist es deshalb – auch im Hinblick auf den Wettbewerb der Länder untereinander96 – für jedes Bundesland erstrebenswert, wenn sich sein Ministerpräsident auf eine breite Zustimmung in der Landesbevölkerung stützen kann. Für das Volk ist eine breite Mehrheit ohnehin ausschließlich vorteilhaft, weil dadurch besonders viele Bürger ihre (Personal-)Entscheidung verwirklicht sehen. Das alles gewährleistet die Wahl mit absoluter Mehrheit. Es ist auch zu erwarten, dass erfolgreiche erste Wahlgänge keine Ausnahmeerscheinung sein werden. Schon jetzt erzielen Parteien in manchen Bundesländern fast regelmäßig (z.B. Bayern) und in den anderen Bundesländern mitunter absolute Mehrheiten und die Zustimmung für den Kandidaten selbst ist oft noch höher97. Wegen den Nachteilen weiterer erforderlicher Wahlgänge sollte nur noch ein weiterer Wahlgang durch das Volk stattfinden. Ein Übergang zur indirekten Wahl nach dem Vorbild der USA ist abzulehnen. Er mag dort, wo aufgrund des Wahlmännersystems bei deren Abstimmung so gut wie nie keine absolute Mehrheit für den Präsidenten zustande kommt und ein zweiter bundesweiter Wahlgang mit einem enormen Aufwand verbunden wäre, seine Berechtigung haben. Es handelt sich aber um einen Systembruch, der in der politischen Wirklichkeit der Länder mit Sicherheit häufiger zur Anwendung käme und dann dazu führte, dass der Ministerpräsident einmal direkt, ein andermal indirekt gewählt würde. Es sollte deshalb ggf. ein zweiter Wahlgang stattfinden, der zwingend zu einem Ergebnis führt. Dabei ist an eine neuerliche Wahl mit relativer Mehrheit zu denken oder auch an eine Stichwahl zwischen den erfolgreichsten Kandidaten, wobei die Ausgestaltung im Einzelnen durchaus von Land zu Land unterschiedlich erfolgen kann. Im Hinblick auf das Reformziel einer Stärkung des Ministerpräsidenten ist eine Stichwahl unter den beiden im

___________ 94

Im Ergebnis ebenso Meyer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 65 ff., 74. 95 Siehe § 8 III. und VII. 96 Vgl. § 10 I. 1. c). 97 Vgl. bereits § 6 I. 1. e) (4).

II. Die Ausgestaltung des Regierungssystems

345

ersten Wahlgang erfolgreichsten Kandidaten am sinnvollsten98, weil sie garantiert, dass auf den letztlich gewählten Kandidaten mehr als die Hälfte der im zweiten Wahlgang abgegebenen Stimmen entfallen, dieser also von der Mehrheit der interessierten Bevölkerung getragen wird99. Sinnvoll ist deshalb eine Regelung, wie sie im Entwurf der CDU für die Verfassung Baden-Württembergs vorgesehen war: Wenn kein Kandidat im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen erreicht, sollte danach im Abstand von 14 Tagen eine Stichwahl zwischen den beiden Bewerbern mit den meisten Stimmen stattfinden100.

5. Abwahl Die Frage der Abwählbarkeit des Ministerpräsidenten – wobei die Abwahl zugleich das Ende der von ihm bestimmten Regierung zur Folge hätte – wurde bereits abschließend behandelt. Die Abwahl durch das Volk ist in ihrer Ausgestaltung noch zu konkretisieren.

a) Keine Abwahl durch den Landtag Eine Abwahl durch den Landtag scheidet aus101. Der Landtag hat aber die Möglichkeit, mit Zweidrittelmehrheit eine Neuwahl des Ministerpräsidenten zu initiieren102. Scheitert sie, gilt der Landtag als aufgelöst. Gegenüber Ministern und Ministerpräsident kann eine „Ministeranklage“ („impeachment“) vor dem Landesverfassungsgericht zur zusätzlichen Missbrauchskontrolle vorgesehen werden. Eine solche ist aber nicht zwingend erforderlich103.

___________ 98 So im Ergebnis auch Meyer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 65 ff., 74. 99 Für die Gefahr des Zusammenschlusses zu Parteikoalitionen zur Unterstützung der Stichwahlkandidaten gilt das bereits allgemein zu Koalitionen bei einer Direktwahl Gesagte entsprechend, siehe § 8 V. 3. e. 100 Vgl. Art. 68 Abs. 3 des Entwurfs, Verfassunggebende Landesversammlung, Beilage Nr. 118, abgedruckt bei Feuchte, Quellen II, S. 52 ff. 101 Siehe § 8 VII. 1. b) und sogleich b). 102 Siehe § 8 VII. 1. c). 103 Siehe § 8 VII. 2.

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

346

b) Vorzeitige Neuwahl durch das Volk Von der Möglichkeit einer Abwahl durch das Volk wurde von Anfang an ausgegangen104. Daran ist nach den Ausführungen zum Misstrauensvotum105 festzuhalten.

(1) Befürwortung eines „Recall“ des Ministerpräsidenten Als ultima ratio kann auf die Möglichkeit der vorzeitigen Abwahl des Ministerpräsidenten nicht verzichtet werden. Andernfalls könnte ein Ministerpräsident auch bei völliger Entfremdung zwischen ihm und dem Volk noch bis zum Ende der Amtsperiode, also u.U. eine verhältnismäßig lange Zeit, weiterregieren. Eine solche „Diktatur auf Zeit“ widerspräche dem Demokratieprinzip. Auch in den Gliedstaaten der USA trug die Einführung solcher Recalls106 während der „Progessive Era“ maßgeblich zur Beseitigung von Missständen in den Regierungen bei107. Und auf Bundesebene, wo das Volk nicht die Möglichkeit einer vorzeitigen Abwahl des Präsidenten hat, gibt es mit dem ImpeachmentVerfahren (eine Art „öffentliche Anklage“ und eher mit der Ministeranklage vergleichbar)108 die Möglichkeit einer vorzeitigen Absetzung durch das Parlament109. Die reguläre Wahl einerseits und vorzeitige Neuwahlen andererseits in unterschiedliche Hände zu legen, ist jedoch systemwidrig110. Jedenfalls bei Neuwahlen durch den Landtag mit einfacher Mehrheit würde das parlamentarische Regierungssystem durch die Hintertür wieder eingeführt und eine Zweidrittelmehrheit könnte die Neuwahl als Kontrollinstrument lähmen. Wenn der Ministerpräsident durch das Volk gewählt wird, sollte deshalb dem Volk auch das alleinige Recht zur Neuwahl zustehen. Für die Mehrheit gilt bei der Neuwahl selbst nichts anderes als bei der regulären Wahl. Die Initiative kann vom Landtag ausgehen (dort mit Zweidrittelmehrheit)111 oder vom Volk selbst112. ___________ 104

Siehe § 5 III. 5 c). Vgl. § 8 VII. 1. d). 106 Vgl. Witte, ZParl 32 (2001), 57 ff. 107 Siehe von Arnim, Das System, S. 322 ff., 325. 108 Das Verfahren wird durch das Repräsentantenhaus mit einfacher Mehrheit eingeleitet. Die Entscheidung liegt beim Senat. Für einen Schuldspruch, der zum Verlust des Amtes führt, ist dort eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. 109 Die Amtsenthebung setzt die Erfüllung eines mehr oder weniger bestimmten Tatbestandes (Hochverrat, Bestechlichkeit, sonstige schwere Verbrechen) voraus, worüber der Senat jedoch selbst entscheidet. 110 Siehe § 8 VII. 1. b). 111 Siehe § 8 VII. 1. c). 112 Beim „kommunalen Recall“ gibt es in den Bundesländern unterschiedliche Lösungen. Überwiegend muss die Initiative vom Gemeinderat ausgehen, während in Branden105

II. Die Ausgestaltung des Regierungssystems

347

Dem Landtag kann daneben zur Ahndung von Rechtsbrüchen die Ministeranklage zustehen, die auch auf den Ministerpräsidenten erstreckt werden könnte113.

(2) Bedingungen für die erforderlichen Quoren Für die Bemessung der erforderlichen Quoren zur Herbeiführung einer Neuwahl durch das Volk ist zu beachten, dass diese einerseits eine leichtfertige Abwahl und das ständige Herbeiführen von Neuwahlen durch Minderheiten verhindern müssen, andererseits aber auch nicht so restriktiv ausgestaltet sein dürfen, dass sie prohibitorisch wirken, denn die Abwahl ist trotz ihres Ausnahmecharakters ein legitimes Kontrollinstrument des Volkes.

(3) Die Regelungen über die Auflösung der Landtage durch Volksentscheid Untersucht man die Landesverfassungen auf Regelungen, welche sich möglicherweise fruchtbar machen lassen, stößt man auf einen ähnlichen Fall: Verschiedene Länder sehen die Möglichkeit einer vorzeitigen Auflösung des Landtages durch das Volk vor114. Das ist mit der vorzeitigen Abwahl einer direkt gewählten Regierung vergleichbar. Im Einzelnen ergibt sich folgendes Bild: In Baden-Württemberg ist ein Antrag von 1/6 der Wahlberechtigten erforderlich und sodann die Zustimmung von 50 % der Stimmberechtigten bei der anschließenden Volksabstimmung115. Nach Art. 18 Abs. 3 BayVerf kann der Landtag auf Antrag von einer Million Wahlberechtigten durch Volksentscheid abberufen werden. Beim Volksentscheid genügt die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen116. Die Berliner Verfassung verlangt ein Volksbegehren, das von wenigstens 1/5 der Wahlberechtigten unterstützt wird, sowie eine Beteiligung von 50 % der Wahlberechtigten an der anschließender Volksabstimmung, bei der die Mehrheit entscheidet117. Nach der Verfassung Brandenburgs gelten für die Vorstufe keine Besonderheiten gegenüber sonstigen Volksbegehren. Zur ___________ burg, Sachsen und Schleswig-Holstein die Bürger neben und unabhängig von der Gemeindevertretung ein Initiativrecht haben, siehe dazu und zu ersten praktischen Erfahrungen Witte, ZParl 32 (2001), 57 ff., 59 ff. 113 Siehe § 8 VII. 2. 114 Vgl. etwa die derzeitige Regelung für Neuwahlen des Landtages in Berlin (Art. 54 Abs. 3 BerlVerf): „Die Wahlperiode kann auch durch Volksentscheid vorzeitig beendet werden.“ 115 Art. 43 Abs. 1 BaWüVerf. 116 Art. 86 Bayerisches Landeswahlgesetz. 117 Art. 63 Abs. 3 BerlVerf.

348

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

Auflösung des Landtages sind aber 2/3 der abgegebenen und gültigen Stimmen, mindestens jedoch der Hälfte der Stimmberechtigten erforderlich118. Bremen verlangt ein Volksbegehren durch 1/5 der Stimmberechtigten und die Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten119. Besonders geringe Anforderungen an die Zustimmung werden in Rheinland-Pfalz gestellt. Dort genügt die Mehrheit der abgegebenen und gültigen Stimmen bei Beteiligung von 1/4 der Stimmberechtigten120. In den übrigen Bundesländern ist die Auflösung des Landtages durch Volksentscheid nicht vorgesehen.

(4) Vorschlag für die Quoren beim „Recall“ Betrachtet man die Regelungen der Landesverfassungen zur Auflösung des Landtages durch Volksentscheid, fällt auf, dass nur Brandenburg und Rheinland-Pfalz aus dem Rahmen fallen. Ein so geringes Beteiligungsquorum wie in Rheinland-Pfalz wird der Bedeutung der Abwahl als ultima ratio nicht gerecht und ist abzulehnen. Andererseits dürfte ein Zustimmungsquorum von 2/3 wie in Brandenburg, obwohl es den Ausnahmecharakter deutlich macht, angesichts des zusätzlich in jedem Fall zu fordernden Beteiligungsquorums über das Ziel hinaus schießen. Sinnvoll erscheint für den eigentlichen Entscheid eine Regelung entsprechend jener in den übrigen Bundesländern, also ein Beteiligungsquorum von 50 % der Wahlberechtigten und als Zustimmungsquorum die einfache Mehrheit der gültigen Stimmen. Für das vorgeschaltete Volksbegehren bietet sich ein Zustimmungsquorum von 1/4 oder 1/5 der Wahlberechtigten an, wobei 1/4 angesichts des hohen Beteiligungsquorums am ehesten gewährleisten dürfte, dass aussichtslose Abwahlbemühungen schon im Vorstadium stecken bleiben. Die erforderlichen Quoren müssen allerdings auch nicht zwingend in allen Bundesländern gleich geregelt sein, so dass hier Raum für eine landesindividuelle Ausgestaltung und, wo solche Regelungen existieren, auch für eine Anpassung an die Regelungen über die Auflösung des Landtages besteht.

6. Regierungsbildung Auf die denkbaren Modelle für die Regierungsbildung wurde bereits eingegangen. Abgelehnt wurde eine Beteiligung des Landtages, weil dadurch das parlamentarische System durch die Hintertür wieder eingeführt würde121. Die ___________ 118

Art. 78 Abs. 3 BbgVerf. Art. 76 Abs. 1 b, Abs. 2 BremVerf. 120 Art. 109 Abs. 4 Satz 3 RhPfVerf. 121 Siehe § 8 IV. 3. 119

II. Die Ausgestaltung des Regierungssystems

349

Erfahrungen in Israel bestätigen dies122. Es bleibt also zu klären, ob der Ministerpräsident die Regierungsmitglieder nach der Wahl frei bestimmen können soll oder ob der das Volk die gesamte Regierung wählen sollte123.

a) Der Vorschlag einer Volkswahl der Regierung Von Esterbauer stammt in der aktuellen Diskussion der für Österreich (Bund und Länder) gemachte Vorschlag einer Volkswahl der gesamten Regierung124. Gegenüber dem Vorschlag einer Direktwahl nur des Regierungschefs begründet er deren Notwendigkeit damit, dass die Direktwahl des Regierungschefs alleine nicht die Nachteile einer nur indirekten demokratischen Legitimation überwinde125. Vielmehr berge sie die Gefahr einer zusätzlichen Instabilität. Es gelte eine Einpersonenherrschaft zu vermeiden und mehr Demokratie zu erreichen126. Eine Volkswahl der einzelnen Regierungsmitglieder erweise sich demgegenüber als kontraproduktiv, da sie in der Praxis gemeinsame Regierungsprogramme verhindere127. Erforderlich seien im Wahlkampf konkurrierende Teams und Programme und als Folge ein echtes Regierungskollegium mit einem gemeinsamen Regierungsprogramm, das von den Wählern gutgeheißen wurde128. Im Übrigen gelten die von Esterbauer angeführten Argumente129 für die Direktwahl der Regierungschefs und die Direktwahl der Regierung gleichermaßen. Bryde fordert die Volkswahl der ganzen Regierung, um eine zusätzliche Personalisierung der „ohnehin stark auf die Landesfürsten zugeschnittenen“ politischen Systeme der Länder zu verhindern130. Das geht ebenfalls in Richtung „Verhinderung einer Einpersonenherrschaft“.

b) Direktwahl der Regierungsmitglieder? Wie nach Esterbauer für Österreich ist eine unmittelbare Wahl der einzelnen Regierungsmitglieder durch das Volk (nach dem Vorbild der Schweizer Kantone131) für die deutschen Bundesländer abzulehnen. Sie hat zwar den Vorteil, ___________ 122

Siehe § 11 I. 2. Vgl. § 8 III. 2. Esterbauer, S. 5 ff., 15 ff.; ders., in: Böttcher, S. 13 ff., 24 ff. 125 Esterbauer, S. 5. 126 Esterbauer, S. 5. 127 Esterbauer, S. 5. 128 Esterbauer, S. 15; ders., in: Böttcher, S. 13 ff., 26. 129 Esterbauer, S. 7 ff., ders., in: Böttcher, S. 13 ff., 15 ff. 130 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 155. 131 Vgl. § 2 IV. 5. 123 124

350

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

dass der Bürger durch sie für verschiedene Politikbereiche Grundentscheidungen unabhängig voneinander treffen kann. Wer eine schwarze Sicherheitspolitik möchte, muss also nicht mehr zwingend auch eine schwarze Umweltpolitik mitwählen, wer eine grüne Verkehrspolitik will, kann sich zugleich für den Verfechter einer konservativen Familien- oder Bildungspolitik entscheiden usw. Eine solche Lösung hat aber auch den von Esterbauer aufgezeigten132 Nachteil, dass gerade diese differenzierte Prioritätensetzung gemeinsame Regierungsprogramme verhindert. Für die Dauer der Amtsperiode ist es unverzichtbar, dass die Regierung als Team zusammenarbeitet und nicht als Gesamtheit von „Einzelkämpfern“ miteinander konkurriert. Viele Politikbereiche sind auch derart miteinander verzahnt, dass zwei unterschiedliche Grundrichtungen über eine Amtsperiode zu einer Lähmung führen können, etwa bei einer grünen Umwelt- und einer konservativen Verkehrspolitik133. Schon bei den derzeitigen Regierungskoalitionen erschweren derartige Konstellationen das Regieren. Bei einer Vielzahl unterschiedlicher Grundeinstellungen innerhalb der Regierung würden sich die Probleme noch potenzieren. Die mit einer Reform der Landesverfassungen bezweckte Verbesserung der Ausnutzung der sachlichen Länderautonomie und der Stärkung ihrer Schlagkraft134 würde dadurch konterkariert. So verlockend der Gedanke einer Wahl der einzelnen Regierungsmitglieder auf den ersten Blick erscheint, ist er deshalb für die Praxis der deutschen Bundesländer abzulehnen.

c) Direktwahl der Landesregierungen? Die Direktwahl der Landesregierung als Team hätte diese Nachteile nicht. Sie hätte aber gegenüber einer Direktwahl nur des Ministerpräsidenten auch keinen erheblichen Vorteil. Das Argument der demokratischen Legitimation ist insofern ein schwaches. Zwar wären formell alle Regierungsmitglieder gleich stark legitimiert. Es entfällt aber dafür die Individualität der Legitimation des Ministerpräsidenten. Er, der zentrale Politiker in den Bundesländern135, wird nur noch als Teil eines Kollektivs legitimiert und die stärker an Partikularinteressen orientierten Fachpolitiker136 würden mit ihm auf eine Stufe gehoben. Dies würde – auch aufgrund der zahlenmäßigen Überlegenheit der Minister – eine Optimierung der Gemeinwohlwerte erschweren137 und ist schon deshalb ___________ 132

Esterbauer, S. 5. Beispiel: Flughafenausbau. 134 Siehe § 10. 135 Vgl. § 9 VII. 2. b). 136 Vgl. § 9 VII. 2. b). 137 Siehe im Einzelnen § 9 VII. 133

III. Flankierende Maßnahmen

351

abzulehnen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass auch bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten – wie auch im Landesparlamentarismus – die von jedem Kandidaten beabsichtigte Regierungsbildung oft schon im Wahlkampf feststehen und (ggf. auf Drängen von Wählern und Medien) präsentiert werden wird138, der Wähler dies also bei seiner Entscheidung berücksichtigen kann. Ihren Hauptnachteil entfaltet die Direktwahl der Regierung aber, wenn während einer Amtsperiode ein Regierungsmitglied neu bestimmt werden muss, etwa aufgrund eines Rücktritts oder eines Todesfalls. In Anbetracht der Anzahl der Regierungsmitglieder kommt dieser Fall wesentlich häufiger vor als beim Ministerpräsidenten. Jedes Mal eine Neuwahl der gesamten Regierung wäre schon nicht praktikabel; eine Neuwahl des einzelnen Regierungsmitgliedes ebenfalls nicht, außerdem würden dann die Nachteile einer Direktwahl der Regierungsmitglieder139 noch hinzutreten. Man gelangt also entweder zu Listen mit Nachrückkandidaten, die bei der Wahlentscheidung ebenso wenig eine praktische Rolle spielen würden, wie die Nachrückkandidaten auf den Listen bei den Landtagswahlen derzeit140, so dass unter demokratischen Gesichtspunkten praktisch nichts gewonnen wäre. Oder man gelangt doch wieder zur Bestimmung durch den Ministerpräsidenten selbst. Dann aber ist es nur konsequent und wesentlich flexibler, die Regierungsbildung von vornherein alleine in die Hand des Ministerpräsidenten zu legen und das Volk auf die Entscheidung über den zur Regierungsbildung am besten befähigten Kandidaten zu beschränken. Das letzte Argument Esterbauers141 und Brydes142, es gelte eine Einpersonenherrschaft zu vermeiden, greift nach den hiesigen Feststellungen zur Steigerung der parlamentarischen Kontrolle und zur Stärkung der Gewaltenteilung durch die Volkswahl143 nicht.

III. Flankierende Maßnahmen Als flankierende Maßnahmen sind solche zu untersuchen, die sich zwar theoretisch auch von der Direktwahl trennen lassen, die aber Voraussetzung sind, um die bisher festgestellten Effekte der Direktwahl erst vollständig herbeizuführen oder die Abschaffung von Regelungen zum Gegenstand haben, die nach einem Systemwechsel sinnlos sind. ___________ 138

Siehe bereits § 8 III. 2. c) (5). Soeben § 11 II. 6. b). 140 Vgl. von Arnim, JZ 2002, 578 ff., 579 ff. 141 Esterbauer, S. 5. 142 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 155. 143 Vgl. § 8 VII. und IX. 139

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

352

1. Unvereinbarkeit von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat Als unhaltbar erweist sich zunächst die derzeit noch nach den meisten Landesverfassungen gegebene Möglichkeit der gleichzeitigen Ausübung eines Regierungsamtes und eines Abgeordnetenmandats.

a) Inkompatibilitätsregelung Für den Präsidentialismus typisch ist die Inkompatibilität von Abgeordnetenmandat und Regierungsamt. Nach Kleinsteubers Definition des Präsidentialismus, wonach nicht auf die Nichtabberufbarkeit der Regierung durch das Parlament oder die unabhängige Legitimation beider Organe abzustellen ist144, sondern auf die Trennung der Gewalten zwischen Regierung und Parlament (anstatt zwischen Mehrheit und Opposition im Parlamentarismus), ist die Inkompatibilität sogar ein Definitionsmerkmal des Präsidentialismus145. Jedenfalls folgt die Unvereinbarkeit der gleichzeitigen Ausübung öffentlicher Funktionen in verschiedenen Staatsgewalten durch eine Person – bei Zulässigkeit von einzelnen Durchbrechungen und Raum für eine konkrete Ausgestaltung der Inkompatibilitätsregelungen durch die Verfassung – aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung146. Dem Zweck der Gewaltenteilung, nämlich einer gegenseitigen Kontrolle der Staatsgewalten, widerspricht es, wenn auf kontrollierender und zu kontrollierender Seite dieselben Personen agieren. Man kann deshalb mit gutem Grund auch die Vereinbarkeit von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat für den Parlamentarismus in Frage stellen147 bzw. die politische Forderung ihrer Abschaffung erheben148. In manchen Bundesländern ist sie schon jetzt ausdrücklich ausgeschlossen149. Unabhängig davon, inwieweit der Inkompatibilitätsgrundsatz in den übrigen Ländern schon derzeit ohnehin verfassungsrechtlich zwingend oder zumindest als Programmsatz gilt150, ist es jedenfalls aus politikwissenschaftlicher Sicht geboten, dass mit der Einführung ___________ 144

So die h.M., vgl. § 1 IV. 3. Vgl. Kleinsteuber, S. 89 ff., 89. 146 Hesse, Rn. 489; Schnapp, in: von Münch/Kunig, Art. 20 Rn. 41; SchmidtBleibtreu/Klein, Art. 20 Rn. 19; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 63. 147 Zum Meinungsstand Epping, DÖV 1999, 529 ff., 530; ders., in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 66 Rn. 17; Oldiges, in: Sachs, Art. 66 Rn. 25 ff. 148 Bausewein, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 33 ff., 33 f.; Beike, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 37 ff.; Dewes, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 43 ff., 43 f. 149 Siehe z.B. Art. 108 Abs. 1 BremVerf: „Die Senatsmitglieder können nicht gleichzeitig der Bürgerschaft angehören.“ 150 Kretschmer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 53 ff., 56 ff.; Meyer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 65 ff. 145

III. Flankierende Maßnahmen

353

der Direktwahl, deren Ziel auch die Verstärkung der gegenseitigen Kontrolle (Gewaltentrennung151) ist152, auch die gleichzeitige Ausübung eines Regierungsamtes – bezüglich der nachgeordneten Verwaltung enthalten die Landesverfassungen bereits entsprechende Vorschriften153 – und eines Abgeordnetenmandats verboten wird154. Dies hat ausdrücklich, gleichzeitig mit der Einführung der Direktwahl und auf Ebene des Verfassungsrechts zu geschehen155.

b) Einführung des ruhenden Mandats? Das wirft die Frage auf, was im Fall einer Vereinigung von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat in einer Person geschehen soll. Dazu könnte es trotz der Inkompatibilitätsregelung nach wie vor kommen, weil die Inkompatibilität nicht im Vorfeld wirkt. Insbesondere wird dadurch nicht das passive Wahlrecht beschnitten, so dass ein Bewerber um das Amt des Ministerpräsidenten auch – praktisch relevant bei gleichzeitiger Wahl – für den Landtag kandidieren kann. Der häufigste Fall dürfte aber die Berufung eines Abgeordneten in die Landesregierung sein. Belässt man es bei der hier vorgeschlagenen Regelung, müsste sich in solchen Konstellationen der Betroffene entscheiden. Entweder übernimmt er das Regierungsamt nicht und behält (bzw. übernimmt) dafür sein Mandat. Oder – so dürfte die Entscheidung regelmäßig ausfallen – er tritt in die Landesregierung ein und legt gleichzeitig sein Abgeordnetenmandat nieder (bzw. übernimmt es gar nicht erst). Das setzt ihn dem Risiko aus, dass er weder über das eine noch über das andere verfügt, wenn er sein Regierungsamt verliert. Dem begegnet die Einrichtung des sog. ruhenden Mandats. Darunter versteht man Regelungen, nach denen der Betroffene automatisch156 oder durch einen voluntativen Akt (Wiedereintrittsrecht)157 sein ursprüngliches Abgeordneten___________ 151

Vgl. Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 198. Siehe dazu § 8 VII. 153 Vgl. etwa Art. 57 BayVerf. 154 Ebenso bereits von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 374; auch Althaus, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 17 f., 18. 155 Die (Sonder-)Regelung in Nordrhein-Westfalen, wonach der Ministerpräsident aus der Mitte des Landtages zu wählen ist (Art. 52 Abs. 1 NRWVerf), würde damit selbstverständlich entfallen. 156 Vgl. Art. 38a Abs. 2 HmbVerf: „Das Bürgerschaftsmandat eines Senators ruht während der Amtszeit als Senator.“ 157 Vgl. Art. 108 Abs. 2 Satz 1 BremVerf: „Ist ein Bürgerschaftsmitglied in den Senat gewählt und daraufhin gemäß Absatz 1 dieses Artikels aus der Bürgerschaft ausgetreten, so hat es, wenn es von dem Amt eines Senatsmitgliedes zurücktritt, das Recht, wieder in 152

354

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

mandat, das in der Zwischenzeit von einem Nachrücker ausgeübt wird, wiedererlangt. Das ist problematisch, weil der zwischenzeitlich nachgerückte Mandatsträger sein Mandat wieder verlieren muss, damit es nicht zu einer nicht gerechtfertigten Sitzvermehrung kommt158. Sein Mandat steht damit für die gesamte Legislaturperiode unter der auflösenden Bedingung, dass der Vorgänger sein Regierungsamt verliert bzw. im Anschluss daran eine Erklärung abgibt, wonach er sein ruhendes Mandat wieder ausübt. Das beeinträchtigt den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl, weil für die Rückkehr auf den Abgeordnetensitz nicht mehr die im Wahlakt bekundete Willensentscheidung des Wählers bestimmend ist sondern die Entscheidung eines Dritten, nämlich zumindest diejenige des ursprünglich Gewählten, sein Mandat wieder ausüben zu wollen. Bei der Entscheidung zur Rückkehr ist er anders als bei einer Rücktrittsentscheidung nicht Abgeordneter, so dass im Ergebnis eine vom Wähler nicht (mehr) dazu legitimierte Person über die Zusammensetzung des Landtages entscheidet159. Weiter beeinträchtigen solche Regelungen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl, der die formale Gleichstellung aller Abgeordneten gebietet, sowie die Garantie des freien Mandats, da der nachgerückte Abgeordnete anders als die übrigen Abgeordneten jederzeit sein Mandat auch gegen seinen Willen wieder verlieren kann („mittelbarer Recall“), also eine ungleich schwächere Stellung innehat160. Im Wesentlichen diese Gesichtspunkte haben dazu geführt, dass der Hessische Staatsgerichtshof im Jahr 1977 eine einfachgesetzliche Einführung des ruhenden Mandats für verfassungswidrig erklärt hat161. Bei einer Verankerung des ruhenden Mandats in der Verfassung, wie sie sich vorliegend anböte, wäre die Rechtslage zwar eine andere. Die Regelung wäre nur an dem änderungsfesten Kern der vorgenannten Grundsätze zu messen und vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. Indessen sprechen die aufgezeigten Gesichtspunkte aus politikwissenschaftlicher Sicht stark gegen die Einführung des ruhenden Mandats. Auf der einen Seite steht die Bedeutsamkeit der eingeschränkten Grundsätze – elementare Prinzipien der repräsentativen Demokratie – und auf der anderen Seite letztlich nur das persönliche Interesse des Betroffenen, möglichst ohne Risiko eines Rückschritts auf der politischen Karriereleiter höher zu steigen. Außerdem erscheint das ruhende Mandat in einem System, das sich durch möglichst weitgehende Gewaltentrennung auszeichnet und in welchem Ereignisse bei einer Staatsgewalt (hier z.B. Entlassung eines Regierungsmitglieds) ___________ die Bürgerschaft als Mitglied einzutreten; wer an seiner Stelle aus der Bürgerschaft auszuscheiden hat, bestimmt das Wahlgesetz.“ 158 Gralher, NJW 1977, 156 ff., 158. 159 HessStGH, Urt. v. 07. Juli 1977, Az. P. St. 783, NJW 1977, 2065 ff., 2066 f. 160 HessStGH, Urt. v. 07. Juli 1977, Az. P. St. 783, NJW 1977, 2065 ff., 2067 ff. 161 HessStGH, Urt. v. 07. Juli 1977, Az. P. St. 783, NJW 1977, 2065 ff.

III. Flankierende Maßnahmen

355

sich grundsätzlich nicht auf die anderen Staatsgewalten auswirken sollten, als Fremdkörper.

2. Abschaffung der Fünfprozenthürde Umstritten ist, ob bei Einführung der Direktwahl die sog. Fünfprozentklausel abgeschafft werden sollte oder muss, nach der nur solche Parteien in die Landesparlamente einziehen, die bei der Landtagswahl wenigstens 5 % der Stimmen erzielen162.

a) Der Meinungsstreit Befürworter der Direktwahl halten es als deren Folge überwiegend für sinnvoll163 oder sogar zwingend164, die Fünfprozenthürde abzuschaffen, weil deren Hauptaufgabe, die Erleichterung der Regierungsbildung, entfiele. Wie auf kommunaler Ebene spätestens seit Einführung der Direktwahl der Bürgermeister165 lasse sich der gleichheitswidrige Ausschluss kleinerer Parteien nicht mehr rechtfertigen. Die Frankfurter Intervention166 forderte die Abschaffung neben der Einführung der Direktwahl, um den politischen Wettbewerb offen zu halten167. Dagegen argumentiert Klein, wenn die Klausel abgeschafft wird, werde eine entschiedene Willensbildung im Parlament deutlich erschwert. Dadurch werde eine wirksame Kontrolle des volksgewählten Regierungschefs vollends unmöglich168. Auch einige Reihe Mitglieder der Frankfurter Intervention sprachen sich gegen die Abschaffung aus169. ___________ 162 Fünfprozentsperrklauseln gibt es in allen Bundesländern. In manchen Bundesländern gibt es wie im Bund daneben eine sog. Grundmandatsklausel, wonach auch Parteien, die die Fünfprozenthürde nicht erreichen, ins Parlament einziehen, wenn sie eine gewisse Anzahl von Direktmandaten (eines oder zwei, im Bund drei) erzielen. 163 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 329 f. 164 Von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 375; Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 155 f. 165 Vgl. von Arnim, in: Festschr. Vogel, S. 453 ff.; Ehlers, JURA 1999, 660 ff., 664 ff, m.zahlr.w.Nachw.; Heinig/Morlok, ZG 2000, 371 ff. 166 Vgl. § 3 VI. 167 Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), S. 16 ff., 22 f.; ebenso von Arnim, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 30 f. 168 Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 585 (Fn. 44 a.E.). 169 Namentlich Konrad Adam, Bernd Peter Arnold, Daniel Cohn-Bendit, Warnfried Dettling, H.M. Enzensberger, Joachim Fest, Lothar Gall, Alexander Gauland, Matthias Greffrath, Wolfgang Herles, Udo Knapp, H. Markl, Dieter Simon, Cora Stephan, Antje Vollmar.

356

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

b) Stellungnahme Aufgabe der Fünfprozentklausel ist es, Splitterparteien den Einzug ins Parlament zu verwehren. Unstreitig verstößt die Fünfprozenthürde gegen den zwingenden170 Verfassungsgrundsatz der Gleichheit der Wahl, weil sie zu einem unterschiedlichen Erfolgswert der abgegebenen Stimmen führt171. Die h.M. in Rechtsprechung172 und Rechtswissenschaft173 sieht diesen Verstoß durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu gewährleisten. Diese Begründung steht ohnehin mehr denn je auf wackeligen Beinen, impliziert sie doch, dass ohne Fünfprozentklausel Stabilität in den Parlamenten nicht gewährleistet wäre, weil eine Vielzahl kleiner Parteien einzöge, was zur Zersplitterung der Parlamente führte und eine Willensbildung erschwerte oder verhinderte. Nachdem bei allen Wahlen in der Nachkriegszeit das Gros der Parteien, die an der Fünfprozenthürde scheiterten, insgesamt nicht einmal auf 5 % der Stimmen kamen, dürfte diese Prämisse empirisch widerlegt sein174. Jüngere Entscheidungen des BVerfG175 vermeiden denn auch eine Aussage dazu. ___________ 170

Für die Länder schon nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG. Wenn mehrere Parteien an der Fünfprozenthürde scheitern, können im Ergebnis zumindest theoretisch sogar die Stimmen von weiten Teilen der Bevölkerung unberücksichtigt bleiben. 172 BVerfG, Urt. v. 05. April 1952, Az. 2 BvH 1/52, BVerfGE 1, 208 ff., 248 ff., 256; BVerfG, Beschl. v. 22. Mai 1979, Az. 2 BvR 193, 197/79, BVerfGE 51, 222 ff., 237; StGH Bremen, Entsch. v. 04. Mai 1981, Az. St 1/80, StGHE Br 4, 111 ff.; a.A. für Kommunalwahlen BerlVerfGH, Urt. v. 17. März 1997, Az. VerfGH 90/95, LKV 1998, 142 ff., VerfGH NRW, Urt. v. 06. Juli 1999, Az. 14/98, 15/98, DVBl. 1999, 1271 ff.; s. auch VerfGH NRW, Urt. v. 21. November 1995, Az. 21/94, NWVBl. 1995, 58 ff. In BerlVerfGH, Beschl. v. 17. März 1997, Az. VerfGH 82/95, LKV 1998, 147 f., klingen auch Zweifel an der Berechtigung der Sperrklausel für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus an. Da die Sperrklausel in Berlin aber in der Verfassung festgeschrieben ist, hatte sich das Gericht auf die wesentlich engere Prüfung der Vereinbarkeit mit höherrangigem Verfassungsrecht zu beschränken und bejahte diese. 173 Magiera, in: Sachs, Art. 38 Rn. 94; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 38 Rn. 50; Morlok, in: Dreier, Art. 38 Rn. 104; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 38 Rn. 10; Schneider, in: Alternativkommentar, Art. 38 Rn. 50; krit. gegenüber Sperrklauseln auch unabhängig von der Frage der Direktwahl Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Rn. 138 f.; Bryde/Kleindiek, JURA 1999, 36 ff., 42; Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 156; Murswiek, JZ 1979, 48 ff., 49 ff., m.w.Nachw.; Trute, in: von Münch/Kunig, Art. 38 Rn. 59; zur Kritik auch Becht, S. 75 ff., 121 ff. 174 Abzustellen ist auf die jeweils konkrete Situation, den „spezifischen Kontext“; eine abstrakte Fortschreibung verbietet sich angesichts der Bedeutung des Grundsatzes der Wahlgleichheit, s. BerlVerfGH, Urt. v. 17. März 1997, Az. VerfGH 90/95, LKV 1998, 142 ff., 143 ff.; Heinig/Morlok, ZG 2000, 371 ff., 383 f. 175 Etwa BVerfG, Beschl. v. 22. Mai 1979, Az. 2 BvR 193, 197/79, BVerfGE 51, 222 ff., 237. 171

IV. Mögliche Anschlussreformen

357

Nur wenn man die Prämisse – auch für die Bundesländer176 – überhaupt noch akzeptiert, kann an der Fünfprozentklausel festgehalten werden. Dann allerdings würde sie im Ansatz auch bei einer Direktwahl der Ministerpräsidenten noch gerechtfertigt sein. Die Regierungsbildung ist nicht der einzige Willensentschluss der Parlamente und für die Willensbildung im Übrigen würde die Klausel ihre Wirkung weiterhin entfalten. Allerdings ist eine diskursive Willensbildung gerade Aufgabe der Parlamente, die das Spektrum der Auffassungen in der Bevölkerung widerspiegeln sollen. Das Zustandekommen eines Beschlusses (i.w.S.) ist deshalb kein Selbstzweck. Auch das Nichtzustandekommen ist Willensbildung. Findet ein Gesetz oder eine Kontrollmaßnahme gegenüber der Regierung keine Mehrheit, kommt das Gesetz eben nicht zustande, wird die Kontrollmaßnahme nicht ergriffen. Im Parlamentarismus besteht für die Regierungsbildung insofern ein Unterschied, als hierzu zwingend eine positive Entscheidung getroffen werden muss. Das gilt im Gesetzgebungsstaat (z.B. Bund) möglicherweise auch noch für bestimmte Gesetze. Für die Bundesländer aber gilt: Gibt es eine Regierung, kann das Land notfalls auch ohne Mehrheit im Landtag regiert werden. Darauf wurde bereits eingegangen177. Damit findet die Fünfprozentklausel, wenn überhaupt178, ihre Rechtfertigung ausschließlich in der parlamentarischen Aufgabe der Regierungsbildung und ist bei Einführung der Direktwahl sowohl rechtlich als auch rechtspolitisch zwingend abzuschaffen. Bei einer gleichzeitigen Parlamentsverkleinerung179 würden sich je nach Größe der Landtage ohnehin noch faktische Sperren ergeben. Eine Parlamentsgröße von 50 Abgeordneten entspricht etwa einer Zweiprozentklausel180. Die Abschaffung der formellen Fünfprozentklausel hat durch eine Änderung der Landeswahlgesetze – bzw. der Verfassung, wo sie wie in Berlin181 in der Verfassung verankert ist – zugleich mit der Reform der jeweiligen Landesverfassung oder zeitnah im Anschluss daran zu erfolgen.

IV. Mögliche Anschlussreformen Schließlich werden einige Reformvorschläge diskutiert, die nicht zwingend mit der Direktwahl zusammenhängen, die aber doch erst nach ihrer Einführung ___________ 176

Im Hinblick auf die bereits aufgezeigte Möglichkeit von Minderheitsregierungen in den Ländern (vgl. § 8 V. 3. c)) liegt auch eine Differenzierung zwischen Bund und Ländern nahe, vgl. Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 156. 177 Siehe § 8 V. 3. c). 178 Auch sie garantiert ja keine Mehrheiten. 179 Siehe dazu § 11 IV. 1. c). 180 Beispiel von Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 156. 181 Art. 39 Abs. 2 BerlVerf.

358

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

wirklichen Sinn ergeben und die einige der Ziele der Direktwahl konsequent weiter führen. Für die meisten dieser Reformschritte gilt, dass sie wesentlich stärker umstritten sind, als die Volkswahl selbst. Auf diese z.T. sehr weitreichenden eigenständigen Diskussionen kann hier nicht mehr im Einzelnen eingegangen werden. Es sei deshalb nur jeweils aufgezeigt, was die wesentlichen Erkenntnisse der bisherigen Untersuchung für diese Reformschritte bedeuten. Für das praktische Angehen einer Reform der Landesverfassungen ist immer im Auge zu behalten, dass die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung mit steigender Anzahl der verknüpften Änderungsvorschläge schwindet. Soweit es sich um Reformschritte auf Landesebene handelt, können diese auch in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich verwirklicht werden. Beim Bemühen der zeitgleichen praktischen Umsetzung mehrerer Reformschritte im Wege der Volksgesetzgebung182 sollten jedenfalls keine zwingenden Pakete geschnürt werden, um Kritik am einen Vorschlag nicht auf die anderen Reformteile durchschlagen zu lassen.

1. Parlamentsreform Für auf Veränderungen bei den Landtagen gerichtete Reformbestrebungen gilt nach den bisherigen Feststellungen, dass von Arnims These, erst die Direktwahl ermögliche eine echte Parlamentsreform183, grundsätzlich zutrifft. Das gilt vor allem für den einschneidendsten Reformschritt, nämlich die Personalisierung der Landtagswahlen. Die damit bezweckte weitere Abschwächung der parteipolitischen Bindungen der Abgeordneten ist nur dann sinnvoll, wenn die Parlamentarier von der Verantwortung für „ihre“ Regierung bzw. dem Zwang zur Opposition gegen die „fremde“ Regierung befreit sind und genau das geschieht durch die Direktwahl der Ministerpräsidenten184. Die weiteren Reformschritte – Teilzeitabgeordnete und kleinere Parlamente – sind auch ohne Direktwahl des Ministerpräsidenten vorstellbar. Wichtig ist aber vor allem, dass nach den festgestellten Auswirkungen der Direktwahl auf den Landtag185 die Direktwahl selbst mittelbar schon eine echte Parlamentsreform darstellt. Selbst Veränderungen im Landtagswahlrecht könnten die Aufgabenwahrnehmung und das Selbstverständnis der Landtage kaum so stark beeinflussen wie die Änderung des Regierungssystems.

___________ 182

Siehe dazu § 13. Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 330. 184 Siehe § 8 V. 3. 185 Siehe § 8 V.-VIII. 183

IV. Mögliche Anschlussreformen

359

a) Landtagswahlrecht Als institutionelle Ergänzung der Direktwahl wird überwiegend die Abschwächung der parteipolitischen Bindungen der Landtagsabgeordneten gefordert186.

(1) Die Forderung einer Personalisierung der Landtagswahlen Die Abschwächung der parteipolitischen Bindungen soll durch mehr Bürgereinfluss auf die personelle Zusammensetzung bei den Landtagswahlen geschehen187. Überwiegend wird vorgeschlagen, es bei einer Verhältniswahl zu belassen und flexible, von den Wählern durch Kumulieren und Panaschieren veränderbare Listen einzuführen188. Zu denken ist aber auch an eine Mehrheitswahl in mehreren übersichtlichen Wahlkreisen189. Sie bietet den Vorteil hoher Transparenz für den Bürger und einer besonders engen Verbindung des gewählten Direktkandidaten mit seinem Wahlkreis, hat aber die bereits erwähnten Nachteile einer jeden Mehrheitswahl190. Gefordert wird eine stärkere Personalisierung auch noch aus anderen Gründen, namentlich um die Chancen für beruflich erfolgreiche Kandidaten gegenüber reinen Parteipolitikern („Parteisoldaten“) und Beamtenpolitikern zu erhöhen (Qualitätssteigerung)191, als Form der besseren Bürgerbeteiligung192 (mehr Einfluss durch „Vorwahleneffekt“193 und freiere Entscheidung durch Kumulieren und Panaschieren), zur Erhöhung der ___________ 186 Von Arnim, Das System, S. 342 ff.; ders., Staat ohne Diener, S. 328 f.; ders., in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 21, 22 f.; Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 155; Escher, FOCUS 32/1997; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), S. 16 ff., 17, 22. 187 Von Arnim, Das System, S. 343 ff.; ders., in: Deutscher Beamtenbund, S. 27 ff., 47; ders., in: Festschr. König, S. 371 ff., 374; ders., in: JZ 2002, 578 ff., 587 f.; ders., Staat ohne Diener, S. 328 f.; ders., in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 21, 22 f.; Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 155; Escher, FOCUS 32/1997; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), S. 16 ff., 17, 22. 188 Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 328; Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 155; Escher, FOCUS 32/1997; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), S. 16 ff., 17. 189 In diese Richtung von Arnim, Das System, S. 347 ff.; ders., Fetter Bauch regiert nicht gern, S. 393 ff.; ders., Mut zu eine legalen Revolution, Kölner Stadt-Anzeiger v. 29. Januar 2003, S. 4; ders., Staat ohne Diener, S. 329. 190 Siehe § 11 II. 4. b). 191 Von Arnim, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 22 f.; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 18. 192 Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 155; ebenso Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 18. 193 Gemeint ist die stärkere Antizipierung der Wählerentscheidung schon im parteiinternen Nominierungsverfahren.

360

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

Legitimation der Landtage194, zur Versachlichung der Arbeit der Parlamentarier und weil starre Listen im Hinblick auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl bedenklich sind195. Schließlich wird auch die Einführung von Vorwahlen nach amerikanischem Vorbild, d.h. eine echte Beteiligung der Wähler an der parteiinternen Kandidatenkür, diskutiert196.

(2) Eigene Stellungnahme Ob eine Personalisierung des Landtagswahlrechts wirklich dazu führen würde, dass mehr Fachleute in die Landespolitik streben, mag an dieser Stelle dahingestellt sein. Zweifel bestehen insofern, als die Tätigkeit eines Landtagsabgeordneten selbst bei gleichzeitiger Einführung des „Teilzeitabgeordneten“ immer noch viel Zeit in Anspruch nehmen wird und für einen Beamten oder „Parteisoldaten“ auch finanziell lukrativer bleiben wird als für den Chef eines erfolgreichen Unternehmens197. Zu einer besseren Bürgerbeteiligung führt die Personalisierung zweifellos. Vor allem ist in der Tat der Effekt offener Vorwahlen zu erwarten, dass sich nämlich die Parteien bei der Aufstellung der Listen stärker an den voraussichtlichen Wählerpräferenzen orientieren und dass nicht mehr der Großteil der Kandidaten wie bisher weder dem Volk namentlich bekannt ist noch auf dem Wahlzettel überhaupt genannt wird198. Ebenso wie die „Links“ zwischen Partei und Kandidat199 würden die zwingenden Verbindungen zwischen verschiedenen (z.B. einem beliebten und einem unbeliebten) Kandidaten entfallen. Das erhöhte die materielle demokratische Legitimation der Landtage, weil die Zusammensetzung stärker dem konkreten Volkswillen entspräche. Damit bleibt die Frage, ob die Personalisierung die Arbeit der Parlamentarier versachlichen würde. Dazu wurde festgestellt, dass die Direktwahl des Ministerpräsidenten die Voraussetzung für eine Versachlichung schafft, dass diese für den einzelnen Abgeordneten aber auch davon abhängt, inwieweit ihm seine Entscheidungen vom Volk zugerechnet werden und wie das Volk über das einzig zur Verfügung stehende Mittel der nächsten Landtagswahl die ___________ 194

Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 155. Von Arnim, JZ 2002, 578 ff., 582 ff.; ders., Die Hessen haben nicht viel zu wählen, SZ v. 10. Januar 2003; ders., Der getäuschte Souverän, Rheinischer Merkur Nr. 4/2003, S. 4. 196 Siehe dazu von Arnim, Das System, S. 352 f., m.w.Nachw. 197 Insofern dürfte es sinnvoller sein, die Entschädigung der Abgeordneten daran zu orientieren, worauf sie für ihre Abgeordnetentätigkeit verzichten – am bisherigen Beruf. 198 So zu Recht von Arnim, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 22. 199 Siehe § 6 I. 1. d) (4). 195

IV. Mögliche Anschlussreformen

361

Entscheidungen des Abgeordneten spezifisch sanktionieren kann200. Denn darin liegt der Anreiz für den Abgeordneten, seinen neu eröffneten Freiraum auch gegenstandsorientiert zu nutzen201. Eine Personalisierung der Landtagswahl führt genau zu einer solchen Zurechnung und zur Möglichkeit der spezifischen Sanktionierung. Ein Abgeordneter, der aus parteipolitischer Räson eine sachlich sinnvolle Entscheidung verhindert, kann vom Volk bei der nächsten Landtagswahl durch Panaschieren dafür alleine „bestraft“ werden, ohne dass zugleich auch ein Abgeordneter bestraft wird, der der parteipolitischen Räson standgehalten hat. Bei den Landtagswahlen sitzen also nicht mehr alle Abgeordneten einer Partei im selben Boot. Durch Kumulieren sind zudem auch abgestufte Sanktionen möglich. Vor diesem Hintergrund ist die Personalisierung der Landtagswahl mithin ebenfalls zu befürworten.

b) Teilzeitparlamente? Der Vorschlag, die Landtage zu Teilzeitparlamenten zu machen202, hängt mit jenem der Personalisierung des Landtagswahlrechts zusammen, lässt sich aber durchaus unabhängig von Letzterem verwirklichen und bewerten. Vorgeschlagen wird etwa die Konzentration der Parlamentstätigkeit auf zehn Sitzungswochen pro Jahr203. Verwirklicht sind zeitlich begrenzte Sitzungsperioden in den meisten Gliedstaaten der USA und in der Schweiz sogar auf Bundesebene204.

(1) Der Vorschlag der Teilzeitparlamente Wie die Personalisierung des Landtagswahlrechts wird der Vorschlag der Umgestaltung zu Teilzeitparlamenten mit der Notwendigkeit begründet, einen Anreiz zur Kandidatur um Landtagsmandate für in Beruf und Gesellschaft erfolgreiche Personen zu schaffen, für kreative und erfahrene Köpfe, die diese politische Aufgabe neben dem Privat- und Berufsleben nur so bewältigen kön-

___________ 200

Siehe § 8 V. 3. d) (2). Siehe § 8 V. 3. d) (2). 202 Von Arnim, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 27 f.; Escher, FOCUS 32/1997, S. 50; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), S. 16 ff., 21; Rupp, in: Bitburger Gespräche – Jahrbuch 1993/2, S. 111 ff., 118; ablehnend Bausewein, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 33 ff., 34 f.; van Ooyen, RuP 36 (2000), 165 ff., 168. 203 Escher, FOCUS 32/1997, S. 50. 204 Siehe § 2 IV. 5. 201

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

362 205

nen . Da mit der Abschaffung der Vollzeittätigkeit die Abschaffung der Voll206 alimentation einherginge , sollen die dann finanziell von Partei und Staat unabhängigeren Abgeordneten zudem stärker dem Wohle des Volkes207 verpflichtet sein. Als weitere Begründung wird angeführt, die Ausgestaltung der Landtage als Vollzeitparlamente habe aufgrund des Aufgabenverlustes der Landesparlamente keine Berechtigung mehr208. Schließlich sollen die einzelnen Sitzungsperioden jeweils zu einer stärkeren Aufmerksamkeit der Bevölkerung und zu einer phasenweisen Politisierung der Öffentlichkeit führen209. Ausnahmen sieht der Reformvorschlag für einzelne Positionen in den Landtagen vor, die an die Ausübung besondere Anforderungen stellen, wie etwa den Fraktionsvorsitz210.

(2) Eigene Stellungnahme Im Grunde genommen handelt es sich bei dem Vorschlag um nichts anderes als eine Rückführung der Landtage auf ihre ursprüngliche Konzeption, die auch heute noch in Regelungen wie Art. 17 Abs. 1 BayVerf zum Ausdruck kommt: „Der Landtag tritt jedes Jahr im Herbst am Sitz der Staatsregierung zusammen.“ Verbliebe es beim gegenwärtigen System, verdient der Vorschlag zumindest in Anbetracht der Aufgaben der Landtage211 und der in der Tat zu erwartenden „Politisierungsphasen“ durchaus Zustimmung. Im Hinblick auf die These, dass dadurch mehr Fachleute in die Landtage kämen, wurden bereits leise Zweifel angedeutet212. Für reine Berufspolitiker wären Landtagsmandate ___________ 205 Von Arnim, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 28; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), S. 16 ff., 21; Rupp, in: Bitburger Gespräche – Jahrbuch 1993/2, S. 111 ff., 118; die Kritik bei van Ooyen, RuP 36 (2000), 165 ff., 168, ist überzogen. Das Schaffen eines Anreizes für beruflich erfolgreiche Persönlichkeiten kann nicht mit dem bisweilen ebenfalls vorgeschlagenen Aufstellen formell-persönlicher Wählbarkeitsvoraussetzungen (z.B.: „mindestens 10 Jahre Bewährung in einem Beruf, der den Lebensunterhalt voll deckt“) gleichgesetzt werden. 206 Zum Zusammenhang und zur Bedeutung des sog. Diätenurteils des BVerfG dabei s. Bryde, in: Festschr. Hessen, S. 433 ff., 443 f. 207 Dem Gemeinwohl, s. § 9. 208 Von Arnim, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 27 f.; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), S. 16 ff., 21; im Anschluss an den Bericht der Kissel-Kommission vom Juni 1993, Bericht und Empfehlungen der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Abgeordnetenrechts vom 3.6.1993, Bundestagsdrucksache 12/5020. 209 Escher, FOCUS 32/1997, S. 50. 210 Von Arnim, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 28; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), S. 16 ff., 21. 211 Vgl. § 7 IV. 212 Soeben § 11 III. 1. a).

IV. Mögliche Anschlussreformen

363

aber nicht mehr in gleichem Maße attraktiv. Letztlich kann das offen bleiben, weil mit dem Kern der Reform gerade eine Veränderung des Tätigkeitsbildes der Landtage bezweckt und dieser Zweck nach den gewonnenen Erkenntnissen auch erreicht wird. Danach führt die Einführung der Direktwahl der Ministerpräsidenten zu einer verstärkten parlamentarischen Kontrolle als Folge einer erhöhten Notwendigkeit nach und einer freieren Möglichkeit zu parlamentarischer Kontrolle213. Ferner führt die Direktwahl zu einer stärkeren und eigenständigeren Wahrnehmung der Gesetzgebungsbefugnisse214 und soll und wird die Basis sein für das Einfordern und die Übertragung weiterer Gesetzgebungsbefugnisse auf die Länder („Reföderalisierung“)215. Das alles führt aber dazu, dass die Aufgaben des Landtagsabgeordneten eher zeitaufwändiger und anspruchsvoller werden216. Bei gleichzeitiger Umgestaltung der Landtage zu Teilzeitparlamenten besteht die Gefahr, dass man „aneinander vorbei reformiert“ und im Ergebnis wieder eine Schieflage besteht. Die Forderung nach Teilzeitparlamenten sollte deshalb zurückgestellt werden. Zu groß ist die Gefahr, dass sie wichtige Effekte der Direktwahl konterkariert. Die Entwicklung nach Einführung der Direktwahl und etwaiger anderer Reformschritte wie der Verkleinerung der Landtage und der Personalisierung des Wahlrechts sollte beobachtet werden. Last but not least wird auch von Bedeutung sein, ob es zu einer Neugliederung der Länderstruktur kommt, denn allgemein gilt, dass Teilzeitparlamente desto eher geeignet sind, je kleiner das Land ist und umgekehrt217.

c) Verkleinerung? Vor diesem Hintergrund erscheint der weitere Vorschlag einer Verkleinerung der Landtage218 wesentlich sinnvoller. Ein solcher Konzentrationsprozess auf weniger Abgeordnete hätte gesteigerte Anforderungen an deren Aufgabenwahrnehmung zur Folge. Auf den einzelnen Abgeordneten entfiele mehr Kontrolltätigkeit und mehr Gesetzgebungsarbeit. Das „Hinterbänklerwesen“ würde entfallen. Das würde auch dann zu einer Professionalisierung der Landtagsarbeit führen, wenn dort nicht Parteipolitiker von „Privatleuten“ verdrängt wür___________ 213

Siehe § 8 VII. Siehe § 8 VIII. 215 Siehe § 11 IV. 3. c). 216 Krit. deshalb auch Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 585 (dort Fn. 44). 217 Vgl. auch die Gemeinderäte in den Kommunen. 218 Von Arnim, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff., 31.; Escher, FOCUS 32/1997, S. 50; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), S. 16 ff., 17, 23. 214

364

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

den219. Fach- und Parteipolitik muss ja kein Widerspruch sein. Es ist durchaus vorstellbar, dass eine Reform der Landesverfassungen auf diesem Wege – und in Verbindung mit einer Personalisierung des Landtagswahlrechts220 – auch zu einer Veränderung der Landesverbände der Parteien (weniger Anfälligkeit für die Vereinnahmung durch Partikularinteressen, echte „Volksparteien“) und zu einer weiteren Stärkung gegenüber der Bundesebene führt. Für das Volk wäre die Arbeit des einzelnen Abgeordneten wesentlich besser zu kontrollieren, die Parlamentstätigkeit insgesamt transparenter. Größeren Teilen der Bevölkerung wären mehr Abgeordnete bekannt, was vor allem eine sinnvolle Ergänzung zu einer Personalisierung der Landtagswahlen221 ist. Die gestärkte Kontrolle durch das Volk und die gesteigerte Verantwortung des einzelnen Abgeordneten gegenüber dem Volk würden trotz einer Professionalisierung der Tätigkeit des Landtagsabgeordneten gewährleisten, dass der Landtagsabgeordnete nicht zum Fachpolitiker im Sinne der Lehre Banners222 wird, sondern dem Ausgleich aller Interessen im Sinne der Gemeinwohllehre223 verbunden bleibt und stärker verbunden wird. Das korrespondiert mit der These der Frankfurter Intervention, dass eine Verkleinerung die Bedeutung des einzelnen Mandats aufwerten, seine Anziehungskraft für fähige Personen erhöhen und die Arbeitsfähigkeit des Parlaments verbessern würde224. Wie die Verkleinerung im Einzelfall auszusehen hat, hängt vor allem wiederum davon ab, ob und wie die Länder dereinst neu gegliedert werden. Das (auch finanzielle) Einsparpotenzial ist aber hoch, gibt es doch in Deutschland derzeit etwa 2000 Landtagsabgeordnete. Zumindest eine Halbierung dürfte ohne weiteres realisierbar sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Vorschlag, die Zahl der Abgeordneten an die Wahlbeteiligung zu knüpfen225.

2. Erweiterung direkt-demokratischer Sachentscheidungen? Die immer wieder erhobene Forderung nach erweiterten Möglichkeiten für direkt-demokratische Sachentscheidungen226, insbesondere zur Absenkung von ___________ 219

Vgl. soeben § 11 IV. 1. a) und b). Immerhin verlagert sich dadurch im Ergebnis für nahezu alle bedeutenden Landespolitiker, nämlich die entscheidenden Funktionsträger in Exekutive und Legislative, der Orientierungspunkt hin zum Volk. 221 Vgl. soeben § 11 IV 1. a). 222 Siehe § 9 VII. 2. b). 223 Vgl. § 9 V. 224 Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), S. 16 ff., 23. 225 So von Arnim, Das System, S. 345 f. 226 Eingehend von Arnim, Vom schönen Schein, S. 167 ff.; s. auch ders., in: Festschr. König, S. 371 ff., 376; Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 151 ff.; Fliegauf, LKV 1993, 181 ff. 220

IV. Mögliche Anschlussreformen

365

z.T. prohibitorisch wirkenden Voraussetzungen der in den Ländern227 durchweg im Grundsatz bestehenden Entscheidungsmöglichkeiten und zur Erweiterung ihrer Sachgegenstände228, steht mit der Direktwahl des Ministerpräsidenten in keinem zwingenden Zusammenhang. Die Einführung der Direktwahl bedingt nicht auch die Einführung weiterer Direktentscheidungen, obwohl deren vorherige Einführung für Verfassungsänderungen möglicherweise die Einführung der Direktwahl erleichtern würde229. Umgekehrt sind direkt-demokratische Sachentscheidungen möglicherweise auch dann – oder gerade dann – sinnvoll, wenn es zur Direktwahl der Ministerpräsidenten nicht kommt. Ob und wieweit unmittelbare Sachentscheidungen durch das Volk sinnvoll und zu befürworten sind, ist aber gerade hoch umstritten230. Auf diesen Meinungsstreit wurde bereits teilweise eingegangen231. Wegen der Strittigkeit der Thematik und der Trennbarkeit von der Frage der Direktwahl, sollten beim Versuch einer Reform der Landesverfassungen beide Komplexe in keiner Weise – nicht einmal durch eine zeitgleiche Abstimmung – miteinander verknüpft werden. Die Sinnhaftigkeit erweiterter Sachentscheidungsmöglichkeiten für das Volk ist ein eigenständiges Thema, dem hier nicht weiter nachgegangen werden soll.

3. Annex: Föderalismusreform im Bund Ebenfalls nicht weiter eingegangen werden kann auf die Föderalismusreform im Bund232. Hier befindet sich die Entwicklung derzeit im raschen Fluss. Die im Oktober 2003 eingesetzte Föderalismuskommission233 hat zwar im Dezember 2004 die Tätigkeit eingestellt, nachdem sich ihre Mitglieder nicht auf gemeinsame Vorschläge verständigen konnten. Gleichzeitig haben aber alle politischen Lager betont, dass dies nicht das Ende der Reformbemühungen darstellen dürfe. Inwieweit diesen Lippenbekenntnissen Taten folgen werden, ist derzeit nicht abzusehen. Jedenfalls zeigt das Scheitern der Föderalismuskommission, wie schwierig sich die Reformziele auf Bundesebene erreichen lassen und welchen Wert deshalb Reformen auf Landesebene haben, die in die gleiche ___________ 227

Siehe dazu auch die Übersicht unter § 13 II. 1. Tabellarische Übersicht bei von Arnim, Vom schönen Schein, S. 316 ff. 229 Die Möglichkeit der Verfassungsänderung durch das Volk besteht nicht in allen Bundesländern, s. § 13 II. 1. a). 230 Vgl. zu den Gegenargumenten von Arnim, Vom schönen Schein, S. 178 ff. 231 Siehe § 6 III. 232 Krit. gegenüber der Reformierbarkeit Lehmbruch, Wirtschaftsdienst 2002, 197 ff. 233 Dazu Zypries, ZRP 2003, 265 ff. (Überblick); sowie die Darstellung und Dokumentation im Einzelnen im Internet unter http://www1.bundesrat.de, Stichwort: Bundesstaatskommission (ausgedruckt am 20. März 2004); s. auch Henneke, DVBl. 2003, 845 ff.; Schultze, ZfP 46 (1999), 173 ff. 228

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

366

Richtung wirken oder die Föderalismusreform im Bund erleichtern. Wie sich dies für die wichtigsten, den Gesamtstaat betreffenden Ziele bei einer Direktwahl der Ministerpräsidenten verhält, sei im Folgenden aufgezeigt234:

a) Transparenzerhöhung: Entflechtung von Landes- und Bundespolitik Zu einem wichtigen Ziel der Föderalismusreform, einer Erhöhung der Transparenz der politischen Verantwortung zwischen Bund und Ländern235, trägt die Direktwahl der Ministerpräsidenten bei236. Soweit die beiden Ebenen derzeit über die Parteien stark miteinander verzahnt sind237, führt die Reform der Landesverfassungen zu einer Entflechtung und zur schärferen Trennung der Verfassungsräume. Da bislang alle Reformvorschläge zum Bundesstaatsrecht an die faktische Grenze der Verzahnung von Bundes- und Landespolitik stoßen238, wird so die Direktwahl der Ministerpräsidenten zu einer wichtigen Voraussetzung für eine Föderalismusreform im Bund239.

b) Entflechtung der Entscheidungsmechanismen Soweit Bund und Länder daneben auch über die bestehenden Entscheidungsmechanismen und eine weitreichende Mischfinanzierung stark miteinander verzahnt sind240, kann die Direktwahl daran nichts ändern. Diese Entscheidungsmechanismen sind bundes(verfassungs)rechtlich geregelt und können auch nur auf dieser Ebene geändert werden241. Auch die aus der Beteiligung der Länder an Entscheidungsmechanismen auf Bundesebene – vor allem im Bundesrat – resultierenden Probleme betreffen in erster Linie den Bund242. Aus ___________ 234

Diese hängt natürlich maßgeblich davon ab, in wie vielen Bundesländern die Direktwahl eingeführt wird. 235 Zypries, ZRP 2003, 266 ff., 266. 236 Siehe § 10 V. 237 Eingehend von Arnim, ZRP 2002, 223 ff., 227 ff. 238 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 76. 239 So auch von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 382. 240 Siehe von Arnim, ZRP 2002, 223 ff., 227 ff.; von Dohnanyi, Wirtschaftsdienst 2002, 187 ff.; Giesing, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 75 ff., 77 f.; Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 64 ff., 70 ff.; ders., in: ZG Sonderheft 2000 „Stärkung des Föderalismus“, S. 41 ff., 45 ff., 50 ff.; Kirchgässner, Wirtschaftsdienst 2002, 191 ff. 241 Ebenfalls ein Ziel der Föderalismusreform, s. bereits den Beschluss der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente, in: ZG Sonderheft 2000 „Stärkung des Föderalismus“, S. 5 ff., 5 f.; Henneke, DVBl., 2003, 845 ff., 846 f.; Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 64 ff.; Zypries, ZRP 2003, 265 ff., 265. 242 Siehe § 10 II. 3. e).

IV. Mögliche Anschlussreformen

367

Sicht der Länder gilt im Grundsatz: Je mehr Mitbestimmung auf höheren Ebenen, desto besser. Entscheidend ist aber, dass davon auch Gebrauch gemacht wird, wozu die Direktwahl nach den gewonnenen Erkenntnissen beiträgt243.

c) Reföderalisierung Obwohl also für die Länder der Verlust von Mitentscheidungsbefugnissen zunächst als reiner Nachteil erscheint, gewinnen die Länder durch eine Föderalismusreform, wenn das zentrale Reformanliegen der „Reföderalisierung“244 verwirklicht wird. Die Mitwirkungsbefugnisse auf höherer Ebene sind ja nur ein „zweitklassiger“ Ausgleich für Eigenentscheidungsbefugnisse, die den Ländern im Bereich der Gesetzgebung weitgehend fehlen245. Erhalten die Länder wieder verstärkt originäre Gesetzgebungskompetenzen (zurück), stärkt dies ihre sachliche Autonomie ganz entscheidend. Hierfür schafft die Direktwahl die Voraussetzungen auf Landesebene, indem sie das Verteidigen bestehender Gesetzgebungskompetenzen, das Einfordern neuer Gesetzgebungskompetenzen und vor allem deren landesindividuelles Ausschöpfen durch die Landtage gewährleistet246. Fehlt es daran, wird umgekehrt eine Reföderalisierung ins Leere laufen. Für eine lebendige Reföderalisierung als Erfolg einer Föderalismusreform im Gesamtstaat wird so die hier diskutierte Reform der Landesverfassungen zu einer entscheidenden Voraussetzung247.

d) Neugliederung des Bundesgebietes Die Frage der Neugliederung des Bundesgebietes – ursprünglich zwingender Verfassungsauftrag und als solcher nur aufgrund mangelnder Problemlösungskompetenz der Politik aufgehoben248 – ist weniger eine Frage des „Ob“ als eine solche des „Wie“ und vor allem des „wie lange es sich noch aufschieben ___________ 243

Siehe § 10 III. Siehe nur Decker, RuP 37 (2001), S. 51 ff., 58; Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 64 ff.; Oschatz, in: Merten, S. 135 ff., 146 f.; Rux, ZParl 1992, 291 ff., 313; zweifelnd an der Ernsthaftigkeit dieser Forderung Kilper/Lhotta, S. 256 ff. („symbolischer Föderalismus“). 245 Vgl. § 7 IV. 3. und 4. 246 Siehe § 8 VIII. und § 10 III. 3. und 4. 247 Und es ist nicht etwa umgekehrt eine Reföderalisierung eine Voraussetzung für die Reform der Landesverfassungen, wie hier von Arnim, Das System, S. 341; Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 74. 248 Vgl. Klatt, ZBR 1997, 137 ff., 143; eingehend dazu von Arnim, Vom schönen Schein, S. 54 ff.; Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 80 ff.; Greulich, S. 43 ff., 120 ff.; s. auch von Arnim, Staat ohne Diener (Taschenbuchausgabe), S. 318 ff. 244

368

§ 11 Ergebnis, Ausgestaltung und weitere Reformschritte

lässt“249. Vor allem die schlechte Leistungsfähigkeit der kleinen Länder, absolut betrachtet und im Verhältnis zu den größeren Bundesländern, sowie das mit abnehmender Größe immer schlechtere Kosten-/Leistungsverhältnis250 dürften zwingende Gründe für die Zusammenlegung bestehender Länder sein251. Allerdings hat das auf die Einführung der Direktwahl keinen Einfluss. Diese ist in den Ländern unabhängig von der Größe sinnvoll. Sie wird eine Neugliederung auch nicht erschweren, aufgrund der stärkeren Orientierung der Landespolitiker an sachlichen Notwendigkeiten eher erleichtern252.

e) Abschaffung der Bundesländer? Die radikalste denkbare Reform im Gesamtstaat ist natürlich die Abschaffung der Länder. Allein der Gedanke hat in Deutschland – vor allem seit dem nationalsozialistischen Zentralismus – einen ketzerischen Beigeschmack, doch es lässt sich nicht leugnen, dass auch hierdurch vielen jetzt bestehenden Problemen253, vor allem der starken Verflechtung, der Aufgeblähtheit des deutschen Staatsapparates (2000 Landtagsabgeordnete, 200 Landesminister und zahlreiche 16- oder 17fach vorhandene Positionen), der „Atomisierung“ von Staatsgewalt durch Verteilung auf unzählige Ebenen und Organe und der kaum noch vorhandenen Transparenz für den Bürger entgegengewirkt würde254. Gleichwohl lohnt es wegen Art. 79 Abs. 3 GG255 nicht, das Gedankenspiel weiter zu verfolgen. Zwar wird die Frage bisweilen aufgeworfen256 und letztlich folgt sie ___________ 249

Bemühungen hat es auch in jüngerer Zeit schon gegeben: Im Jahre 1996 scheiterte ein Zusammenschluss von Berlin und Brandenburg am Widerstand der Bürger Brandenburgs, s. Klatt, ZBR 1983, 137 ff., 144 ff. Die Bemühungen gehen weiter, s. „Hildebrandt fordert baldige Fusion“, Uckermark Kurier / Prenzlauer Zeitung v. 17. April 2001, S. 5. Diskutiert wird auch der Zusammenschluss von Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Schleswig-Holstein zum „Nordstaat“ und von Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, s. Nordkurier v. 21. Januar 2003, S. 2; schließlich von Bremen und Niedersachen sowie des Saarlandes mit Rheinland-Pfalz, s. Nordkurier v. 20. Januar 2003, S. 1. 250 Einige Länder beginnen aus diesem Grund, nach und nach einzelne Behörden oder Einrichtungen zusammenzulegen, etwa Hamburg und Schleswig-Holstein ihre Landeszentralbanken – eine Art Zusammenschluss auf Raten. 251 Vgl. dazu etwa Giesing, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 75 ff., 82 f.; Greulich, S. 173 f.; Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 80 ff.; sowie Klatt, ZBR 1997, 137 ff., 148 f.; krit. Vondenhoff, DÖV 2000, 949 ff., 953 ff.; jeweils m.w.Nachw. 252 Vgl. § 10 III. 4. 253 Siehe auch bereits § 10 I. 1. a). 254 Andererseits brächte der Zentralismus natürlich auch die bekannten Nachteile mit sich, vor allem weitreichende Fremdbestimmung im Bereich der Exekutive. 255 Siehe bereits § 1 I. (dort Fn. 4, m.Nachw.). 256 Etwa von Arnim, Vom schönen Schein, S. 164 f.; Berth, S. 58 ff.

IV. Mögliche Anschlussreformen

369

ja auch als ein logisch nächster Schritt aus dem allgemeinen Befund der derzeit unzureichenden sachlichen Autonomie der Länder257. Wer sie aufwirft – und damit soll es auch hier sein Bewenden haben –, begreift den Gedanken aber nicht ernsthaft als Forderung, sondern als Bild einer ultima ratio258, das die Wichtigkeit einer Reform des Bundesstaates und der Landesverfassungen unterstreicht und zur Tat mahnt.

___________ 257

Siehe § 10 I. 2. Etwa von Arnim, Vom schönen Schein, S. 165, unter Hinweis auf eine eventuelle Möglichkeit der Abschaffung nach Art. 146 GG; im Grunde auch Janssen, wenn er die gefährdete Legitimität des deutschen Bundesstaates betont, Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 62 ff. 258

§ 12 Zulässigkeit der Einführung eines Präsidialsystems in den Ländern Nach der hier vertretenen Auffassung steht zur nun erforderlichen1 Überprüfung seiner rechtlichen Zulässigkeit ein echtes präsidentielles Regierungssystem, in dem der Landtag den vom Volk gewählten Ministerpräsidenten nicht aus eigener Kraft stürzen kann2. Im Hinblick auf die aufgezeigten Alternativen bei der Ausgestaltung3 und die Möglichkeit einer unterschiedlichen Ausgestaltung in den Ländern seien aber sowohl die Zulässigkeit des echten Länderpräsidentialismus als auch diejenige einer „bloßen“ Volkswahl des Ministerpräsidenten beleuchtet. Es wurde bereits dargestellt, dass die parlamentarischen Regierungssysteme in den Landesverfassungen verankert sind4 und deshalb in jedem Fall eine Verfassungsänderung erforderlich wäre5. Als rechtliche Grenzen kommen deshalb nur zwei Arten von Normen in Betracht: höherrangige (veränderungsresistente) Regelungen der Landesverfassungen und Bundesrecht.

I. Die Ewigkeitsklauseln der Landesverfassungen In der Diskussion um die Direktwahl der Ministerpräsidenten beschränken sich nahezu alle Beiträge, die sich mit der Zulässigkeit der Direktwahl befassen, auf eine Erörterung der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Dabei wird außer Acht gelassen, dass auch verschiedene Landesverfassungen Normen enthalten, die ihrer Änderung Grenzen setzen, sog. Ewigkeitsgarantien6. Auf die Diskussion, ob es trotz der damit verbundenen Einschränkung der Volkssouveränität solch höherrangiges Verfassungsrecht überhaupt geben kann, mit der Folge, dass dem zuwiderlaufende Verfassungsänderungen nichtig sind („verfassungswidriges Verfassungsrecht) und die Ewigkeitsklauseln selbst nicht ___________ 1

Vgl. § 1 III. 6. Vgl. § 11 II. 5. 3 Siehe § 11 II. 4 Im Einzelnen § 2 II. 5 Dazu § 13. 6 Angesprochen wird die Zulässigkeit nach Landesverfassungsrecht kurz bei Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 155 f.; sowie jüngst bei von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 373 f. 2

I. Ewigkeitsklauseln der Landesverfassungen

371

eingeschränkt werden können, soll hier nicht eingegangen werden7. Von der h.M. wird diese Frage bejaht8, allerdings mit der Maßgabe, dass die Klauseln aus dem genannten Grund eng auszulegen sind9.

1. Die Regelungen In den Verfassungen der Bundesländer finden sich die folgenden Regelungen10: • Baden-Württemberg:

• Bayern:

• Berlin: • Brandenburg: • Bremen:

• Hamburg:

kein Widerspruch von Verfassungsänderungen zu den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats (Art. 64 Abs. 1 Satz 2 BaWüVerf) kein Widerspruch zu den demokratischen Grundgedanken der Verfassung (Art. 75 Abs. 1 Satz 2 BayVerf) keine Ewigkeitsklausel keine Ewigkeitsklausel keine echte Ewigkeitsklausel, aber bestimmte Verfassungsänderungen nur durch Volksentscheid oder einstimmigen Beschluss der Bürgerschaft (Art. 125 Abs. 4 BremVerf) keine Ewigkeitsklausel

___________ 7

Siehe dazu Bryde, in: von Münch/Kunig, Art. 79 Rn. 26 f.; Dreier, in: ders., Art. 79 III Rn. 11 ff.; Evers, in: Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 3 Rn. 30, 133 ff. (eingehend); Maunz/Dürig, in: dies., Art. 79 Rn. 21 ff.; Ridder, in: Alternativkommentar, Art. 79 Rn. 26 f.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 79 Rn. 36, 38. 8 BVerfG, Urt. v. 15. Dezember 1970, Az. 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68, 308/69, BVerfGE 30, 1 ff., 24 f.; Dreier, in: ders., Art. 79 III Rn. 11 ff.; Lücke, in: Sachs, Art. 79 Rn. 22 f.; Maunz/Dürig, in: dies., Art. 79 Rn. 21 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 79 Rn. 5; Ridder, in: Alternativkommentar, Art. 79 Rn. 26 f.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 79 Rn. 36, 38; krit. Bryde, in: von Münch/Kunig, Art. 79 Rn. 27. 9 Für Art. 79 Abs. 3 GG: BVerfG, Urt. v. 15. Dezember 1970, Az. 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68, 308/69, BVerfGE 30, 1 ff., 25; Maunz/Dürig, in: dies., Art. 79 Rn. 27; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 79 Rn. 5; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 79 Rn. 37; für eine enge Auslegung auch Bryde, in: von Münch/Kunig, Art. 79 Rn. 68; Thiele/Pirsch/Wedemeyer, Art. 56 Rn. 5 (für Art. 56 Abs. 3 M-VVerf); krit. und für eine eher strenge Auslegung („wehret den Anfängen“) BVerfG, Urt. v. 15. Dezember 1970, Az. 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68, 308/69, BVerfGE 30, 1 ff., 38 (Sondervotum); Dreier, in: ders., Art. 79 III Rn. 15; Ridder, in: Alternativkommentar, Art. 79 Rn. 26; Evers, in: Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 3 Rn. 150. 10 Siehe dazu auch Bushart, S. 60 ff.

372

§ 12 Zulässigkeit der Einführung eines Präsidialsystems in den Ländern

• Hessen:

keine Antastung der demokratischen Grundgedanken und der republikanisch-parlamentarischen Staatsform, keine Errichtung einer Diktatur, keine Änderung der Ewigkeitsklausel selbst11 (Art. 150 HessVerf) • Mecklenburg-Vorpommern: Verfassungsänderung darf der Würde des Menschen und den in Art. 2 M-VVerf niedergelegten Grundsätzen – republikanischer, demokratischer, sozialer und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichteter Rechtsstaat – nicht widersprechen (Art. 56 Abs. 3 M-VVerf) • Niedersachsen: Verfassungsänderungen dürfen den in Art. 1 Abs. 2, Art. 2 NdsVerf niedergelegten Grundsätzen – freiheitlicher, republikanischer, demokratischer, sozialer und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichteter Rechtsstaat in der Bundesrepublik Deutschland und Teil der europäischen Völkergemeinschaft – nicht widersprechen (Art. 46 Abs. 2 NdsVerf) • Nordrhein-Westfalen: keine Ewigkeitsklausel • Rheinland-Pfalz: keine Änderung der im Vorspruch und in Artt. 1, 74 RhPfVerf niedergelegten Grundsätze sowie der Ewigkeitsklausel selbst (Art. 129 RhPfVerf); für die vorliegende Thematik von Interesse nur Art. 74 Abs. 1 und 2 RhPfVerf (demokratischer und sozialer Gliedstaat Deutschlands, Träger der Staatsgewalt ist das Volk) • Saarland: Verfassungsänderung darf den Grundsätzen des demokratischen und sozialen Rechtsstaats nicht widersprechen (Art. 101 Abs. 2 SaarlVerf) • Sachsen: Änderung darf den Grundsätzen in Artt. 1, 3, 14 und 36 SächsVerf nicht widersprechen (Art. 74 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf); für die vorliegende ___________ 11 Wo die Ewigkeitsklausel selbst in den Katalog der unveränderbaren Normen nicht ausdrücklich aufgenommen ist – bei den meisten anderen Landesverfassungen und dem Grundgesetz –, wird ihre Unveränderbarkeit überwiegend aus ihrem Sinn und Zweck hergeleitet, s. nur für Art. 79 Abs. 3 GG: BVerfG, Urt. v. 15. Dezember 1970, Az. 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68, 308/69, BVerfGE 30, 1 ff., 24; Dreier, in: ders., Art. 79 III Rn. 11 ff.; Lücke, in: Sachs, Art. 79 Rn. 22 f.; Maunz/Dürig, in: dies., Art. 79 Rn. 21 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 79 Rn. 5; Ridder, in: Alternativkommentar, Art. 79 Rn. 26 f.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 79 Rn. 36, 38; krit. Bryde, in: von Münch/Kunig, Art. 79 Rn. 27; Evers, in: Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 3 Rn. 133 ff. (eingehend).

I. Ewigkeitsklauseln der Landesverfassungen

• Sachsen-Anhalt:

• Schleswig-Holstein: • Thüringen:

373

Thematik von Interesse nur Art. 1 Satz 2 SächsVerf (demokratischer, dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Kultur verpflichteter sozialer Rechtsstaat), Art. 3 Abs. 1 SächsVerf (entspricht Art. 20 Abs. 2 GG) und Art. 3 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SächsVerf (Gesetzgebung steht dem Landtag oder unmittelbar dem Volk zu; vollziehende Gewalt liegt in der Hand der Staatsregierung und Verwaltung) Änderung darf den Grundsätzen in Artt. 2 und 4 VerfLSA nicht widersprechen (Art. 78 Abs. 3 VerfLSA); für die vorliegende Thematik von Interesse nur Art. 2 Abs. 1 VerfLSA (demokratischer, sozialer und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichteter Rechtsstaat) und Art. 2 Abs. 2 VerfLSA (entspricht Art. 20 Abs. 2 GG) keine Ewigkeitsklausel Änderung darf die in Artt. 1, 44 Abs. 1, 45 und 47 Abs. 4 niedergelegten Grundsätze nicht berühren (Art. 83 Abs. 3 ThürVerf); für die vorliegende Thematik von Interesse ist nur Art. 44 Abs. 1 S. 2 ThürVerf (demokratischer, sozialer und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen verpflichteter Rechtsstaat) und Art. 45 ThürVerf (entspricht Art. 20 Abs. 2 GG)

2. Präsidentialismus und Demokratieprinzip Wo Ewigkeitsklauseln vorhanden sind, gehört jeweils das Demokratieprinzip zu den unveränderbaren Grundsätzen bzw. Grundgedanken (Bayern und Hessen). Demokratie bedeutet, dass alle Staatsgewalt vom Volk auszugehen hat12. In den meisten Landesverfassungen ist diejenige Regelung, die das (entsprechend Art. 20 Abs. 2 GG) klarstellt, ebenfalls ausdrücklich mit in die Ewigkeitsklausel aufgenommen. Auch im Übrigen gehört das Prinzip der Volkssouveränität aber unzweifelhaft zu den demokratischen Grundsätzen und selbst zu den demokratischen „Grundgedanken“. Mit oder ohne Möglichkeit der Abberu___________ 12

Das wurde bereits dargestellt, siehe § 6 II. 5. b), m.Nachw.

374

§ 12 Zulässigkeit der Einführung eines Präsidialsystems in den Ländern

fung durch den Landtag genügt die Direktwahl diesem Prinzip ohne weiteres. Durch die Volkswahl des Ministerpräsidenten rückt die vollziehende Gewalt sogar näher an den Souverän heran als vorher und am Ausgehen der übrigen Gewalten „vom Volke aus“ ändert sich nichts. Bedenken könnten sich allenfalls dann ergeben, wenn die Ewigkeitsklauseln die Grundsätze im Sinne der jeweiligen Verfassung schützen würden und wenn dies auch die weitere Ausgestaltung der Grundsätze durch die jeweilige Verfassung und so auch das festgelegte Regierungssystem mit umfassen würde. An einer ähnlichen Frage entzündet sich, wie noch zu sehen sein wird13, der Streit bei Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG. Bei den Ewigkeitsklauseln scheidet eine solche Interpretation indessen aus. Anders als bei Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG („im Sinne dieses Grundgesetzes“) lässt sie schon bei keiner der Ewigkeitsklauseln der Wortlaut – Grenze jeder Auslegung – überhaupt zu und gäbe es Zweifel, wäre eine enge Auslegung geboten14. Bei denjenigen Ewigkeitsklauseln, die auf bestimmte Normen Bezug nehmen15, spricht zudem das systematische Argument gegen eine Einbeziehung auch des Regierungssystems, dass mit der Aufzählung die geschützten Regelungen abschließend erfasst sind (Umkehrschluss). Schließlich sprechen Sinn und Zweck der Ewigkeitsklauseln und deren historische Entwicklung gegen eine Einbeziehung auch des parlamentarischen Regierungssystems. Die Klauseln sollen gewährleisten, dass diejenigen fundamentalen Regelungen der jeweiligen Verfassung dauerhaften Bestand haben, ohne die die Verfassung ihren Charakter verlöre. Sie schützen also selbst bei den in Bezug genommenen Normen nicht einen komplexen Norminhalt, sondern nur den substanziellen Kerngehalt16. Dementsprechend steht nach ganz h.M. keine Ewigkeitsklausel einschließlich jener des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 3 GG) der Einführung einer Volkswahl der Exekutive oder eines präsidentiellen Regierungssystems entgegen17. ___________ 13

Siehe § 12 II. 2. Für Art. 79 Abs. 3 GG: BVerfG, Urt. v. 15. Dezember 1970, Az. 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68, 308/69, BVerfGE 30, 1 ff., 24 f.; Maunz/Dürig, in: dies., Art. 79 Rn. 27; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 79 Rn. 5; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 79 Rn. 37; auch Bryde, in: von Münch/Kunig, Art. 79 Rn. 68; Thiele/Pirsch/Wedemeyer, Art. 56 Rn. 5 (für Art. 56 Abs. 3 M-VVerf); krit. BVerfG, Urt. v. 15. Dezember 1970, Az. 2 BvF 1/69, 2 BvR 629/68, 308/69, BVerfGE 30, 1 ff., 38 (Sondervotum); Dreier, in: ders., Art. 79 III Rn. 15; Evers, in: Bonner Kommentar, Art. 79 Abs. 3 Rn. 150; Ridder, in: Alternativkommentar, Art. 79 Rn. 26. 15 Siehe § 12 I. 1. 16 Statt aller Dreier, in: ders., Art. 79 III Rn. 21, m.w.Nachw.; s. auch zur Entwicklung der Vorschrift und ihrer Bedeutung vor dem Hintergrund der Lehren von Gerhard Anschütz und Carl Schmitt die Darstellung bei Ipsen, Rn. 899 ff. 17 Bryde, in: von Münch/Kunig, Art. 79 Rn. 40; Dreier, in: ders., Art. 79 III Rn. 75; Herzog, in: Maunz/ Dürig, Art. 20 Rn. 81; Hofmann, S. 129 ff., 137 f.; Maunz/Dürig, in: dies., Art. 79 Rn. 48; Menzel, DÖV 1969, 765 ff., 767 f.; a.A. Brauneck, ZParl 1995, 295 ff., 303 (allerdings beruhend auf der nicht haltbaren These, Art. 20 Abs. 2 GG gebiete die Wahl des Bundeskanzlers durch das Parlament; siehe dazu § 12 II. 2. b) und d) 14

I. Ewigkeitsklauseln der Landesverfassungen

375

3. Präsidentialismus und parlamentarische Staatsform Daneben könnte man Bedenken allenfalls noch im Hinblick auf den Schutz der parlamentarischen Staatsform erheben. Soweit ersichtlich, geschieht dies nicht. Jedenfalls bei einer intentiösen Betrachtung – bei Verfassungsinterpretationen ja durchaus im Bereich dessen, womit man in der Praxis rechnen muss – könnte man aber auf die Idee kommen, die hessische Ewigkeitsklausel (Art. 150 HessVerf), wonach die „republikanisch-parlamentarische Staatsform“ nicht angetastet werden darf, einer Abschaffung des parlamentarischen Regierungssystems entgegenzuhalten. Dem steht jedoch nach diesseitigem Dafürhalten schon der Wortlaut entgegen. Die Rede ist von der Staatsform, nicht vom Regierungssystem. Unter der Staatsform versteht man nur die Grundordnung eines Staates. Ursprünglich fiel darunter nur die Frage, wer Oberhaupt eines Staates ist und den Staat völkerrechtlich vertritt (Republik oder Monarchie). Im weiteren Sinne werden mit der Staatsform heute allerdings auch einzelne Formen der Herrschaftsausübung und der Machtverteilung im Staat erfasst18. Für eine solche Auslegung des Staatsformbegriffs in Art. 150 HessVerf spricht die Kombination der Adjektive „parlamentarisch“ und „republikanisch“, denn die Frage, ob das Staatsoberhaupt gewählt wird oder sein Amt erbt, ist schon mit „republikanisch“ beantwortet. Gleichwohl bedeutet parlamentarische Staatsform dann lediglich, dass ein Parlament (eine Volksvertretung) existieren muss und die Macht des Staatsoberhauptes beschränkt. Von der parlamentarischen Staatsform – heute der parlamentarischen Demokratie – ist das parlamentarische Regierungssystem strikt zu unterscheiden19, auch wenn beides häufig mit „Parlamentarismus“ bezeichnet wird. Das Regierungssystem regelt, wie im Einzelnen bereits dargestellt20, ob die Regierung vom Vertrauen des Parlaments abhängig ist oder nicht, also das konkrete Verhältnis zwischen dem Parlament und einer vorhandenen Regierung. Art. 150 HessVerf steht deshalb einem präsidentiellen Regierungssystem ebenso wenig entgegen21 wie die übrigen Verfassungen, wenn sie die Art. 20 Abs. 2 GG entsprechenden Regelungen schützen, nach welchen die Staatsgewalt vom Volk in Wahlen und Abstimmungen ___________ (5)); a.A. auch Meder, Art. 75 Rn. 3 i.V.m. Art. 2 Rn. 5 f. für Art. 75 Abs. 1 BayVerf (ohne jede Begründung); im Übrigen verweisen die Kommentierungen der Landesverfassungen überwiegend nur auf die Rechtslage bei Art. 79 Abs. 3 GG, etwa Linck/Jutzi/ Hoppe, Art. 83 Rn. 9 (Thüringen); Müller, Art. 74 Ziff. 2 (Sachsen); Neumann, Art. 37 Rn. 4 (Niedersachsen); Thiele/Pirsch/Wedemeyer, Art. 56 Rn. 4 (Mecklenburg-Vorpommern). 18 Vgl. Herzog, Staatslehre, S. 197. 19 Achterberg/Schulte, in: von Mangolt/Klein/Starck, Art. 38 Rn. 1 ff., 15 f.; Badura, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 23 Rn. 7 f.; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Rn. 78 ff.; Weis, S. 100. 20 Siehe § 1 IV. 3. 21 So offenbar auch Bushart, S. 61.

376

§ 12 Zulässigkeit der Einführung eines Präsidialsystems in den Ländern

und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird22. Im Ergebnis ist folglich nach allen Landesverfassungen die Einführung eines präsidentiellen Regierungssystems – im Wege der für Verfassungsänderungen vorgesehenen Verfahren23 – zulässig24.

II. Das Homogenitätsgebot des Grundgesetzes Damit könnte allenfalls noch Bundesrecht der Verfassungsreform entgegenstehen. Obwohl nach Art. 31 GG grundsätzlich Bundesrecht jeder Stufe Landesverfassungsrecht brechen kann, ergeben sich die Grenzen für den Staatsorganisationsteil der Landesverfassungen nur aus Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG25.

1. Ausgangspunkt: Verfassungshoheit und -autonomie der Bundesländer Art. 28 Abs. 1 GG setzt die Verfassungshoheit und -autonomie der Länder voraus und garantiert sie zugleich, indem ihr nur bestimmte Grenzen gesetzt werden26. Im Übrigen stehen die Verfassungsräume von Bund und Ländern selbständig nebeneinander27. Das bedeutet, dass inhaltliche Überschneidungen sonstigen Bundesrechts mit den Staatsorganisationsregelungen einer Landesverfassung ausgeschlossen sind. Dem Bund fehlt es von vornherein an der Kompetenz für Regelungen im Staatsorganisationsbereich der Länder. Die Kollisionsregel des Art. 31 GG aber kommt nur dann zum Tragen, wenn sich (im Übrigen) gültige Normen des Bundes- und des Landesrechts überschneiden28.

___________ 22 Etwa Art. 74 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 SächsVerf, Art. 78 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 VerfLSA oder Art. 83 Abs. 3 i.V.m. Art. 45 ThürVerf. 23 Dazu § 13. 24 So auch Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 156. 25 Siehe zum Vergleich zur Rechtslage unter der Weimarer Reichsverfassung § 2 I 1; zur Rechtslage in Österreich Esterbauer, S. 25, 30. 26 Dreier, in: ders., Art. 28 Rn. 47; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 28 Rn. 4; Maunz/Scholz, in: Maunz /Dürig, Art. 28 Rn. 2; Nierhaus, in: Sachs, Art. 28 Rn.6. 27 BVerfG, Beschl. v. 11. Mai 1955, Az. 1 BvO 1/54, BVerfGE 4, 178 ff., 189; BVerfG, Beschl. v. 29. Januar 1974, Az. 2 BvN 1/69, BVerfGE 36, 342 ff., 361; BVerfG, Beschl. v. 24. März 1982, Az. 2 BvH 1, 2/82, 2 BvR 233/82, BVerfGE 60, 175 ff., 207; BVerfG, Beschl. v. 29. Juni 1983, Az. 2 BvR 1546/79, BVerfGE 64, 301 ff., 317; Dreier, in: ders., Art. 28 Rn. 47; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 28 Rn. 1a. 28 Statt vieler Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 31 Rn. 15.

II. Das Homogenitätsgebot des Grundgesetzes

377

2. Demokratie „im Sinne des Grundgesetzes“ Grenzen können sich also nur aus Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG ergeben und hier nur aus dem Passus: „Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muss den Grundsätzen des … demokratischen Rechtsstaats im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen.“ Zu klären ist, ob dies bei einer Präsidialverfassung bzw. einer Volkswahl des Ministerpräsidenten der Fall ist.

a) Volkswahl des Ministerpräsidenten und Präsidialsystem zulässig (h.M.) Nach ganz h.M. in der Literatur steht Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG der Einführung einer Direktwahl des Ministerpräsidenten29 und eines präsidentiellen Regierungssystems30 in den Ländern nicht entgegen. Soweit sich Äußerungen dabei auf die Zulässigkeit der Direktwahl beschränken, erklärt sich dies jeweils aus dem Zusammenhang und bedeutet nicht, dass nach der Auffassung des betreffenden Verfassers der direkt gewählte Ministerpräsident vom Vertrauen des Parlaments abhängig sein muss31. Nähere Begründungen für die Auffassung finden sich allerdings nur selten. Kretschmer stellt für das Mindestmaß an Übereinstimmung auf Art. 20 Abs. 2 GG ab, wonach nur die Existenz eines Parlaments und einer Regierung geboten, eine nicht durch das Parlament vermittelte Regierungsverantwortung aber nicht ausgeschlossen sei32. Der Landesverfassungsgeber könne deshalb das Verhältnis von Parlament und Regierung, die Stellung des Ministerpräsidenten, das Staats- und Landesoberhaupt und die Bildung der Verfassungsorgane einschließlich ihrer Kompetenzen und Bezeichnungen abweichend regeln33. Wie Kretschmer stellt eine Reihe weiterer Autoren auf Art. 20 Abs. 2 GG ab und gelangt so zur Zulässigkeit des Präsidi___________ 29

Von Arnim, Staat ohne Diener, S. 331; Dreier, in: ders., Art. 28 Rn. 62; SchmidtBleibtreu/Klein, Art. 28 Rn. 3; Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 75; Tettinger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 28 Rn. 42; Vogelgesang, in: Berliner Kommentar, Art. 28 Rn. 31. 30 Bothe, in: Alternativkommentar, Art. 28 Rn. 11; Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 55; Dreier, in: ders., Art. 28 Rn. 62; Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9 ff., 50 f.; Häberle, JZ 1969, 613 ff., 616; Herdegen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht IV, § 97 Rn. 24; Klein, in: Festschr. Kriele, S. 573 ff., 578; Maunz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht IV, § 95 Rn. 7; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 28 Rn. 32; Maunz/ Zippelius, § 16 II 1 a (S. 121); Meyer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 65 ff., 71; Nierhaus, in: Sachs, Art. 28 Rn. 14; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 28 Rn. 2 f.; Schneider, S. 33; Stern, in: Bonner Kommentar, Art. 28 Rn. 27, 33, 35; Vogelgesang, in: Berliner Kommentar, Art. 28 Rn. 31. 31 Gegenauffassungen sind vielmehr unter § 12 II. 2. b) dargestellt. 32 Kretschmer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 53 ff., 54. 33 Kretschmer, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 53 ff., 55.

378

§ 12 Zulässigkeit der Einführung eines Präsidialsystems in den Ländern

alsystems oder der Volkswahl des Regierungschefs für die Länder34. In diese Richtung geht auch die Argumentation von Partsch, wonach das Demokratieund das rechtsstaatliche Gewaltenteilungsprinzip nur eine verantwortliche Regierung zwingend voraussetzen, indessen keine Aussage darüber treffen, wem gegenüber diese Verantwortung bestehen muss35. Die könne ebenso gut unmittelbar das Volk sein. Ein in der Diskussion bislang weitgehend unbeachteter Ansatz für eine weitere Begründung, die sich von Vorstehendem grundlegend unterscheidet, findet sich bei Maurer: Bei der abschließenden verfassungsrechtlichen Bewertung sei auch zu prüfen, ob die Volkswahl der Ministerpräsidenten bzw. das Präsidialsystem im Landesbereich als Reaktion auf bereits eingetretene verfassungsrechtliche Entwicklungen sinnvoll oder sogar zwingend ist36. Als Beispiel nennt er Janssens These zur Legitimation des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union37.

b) Gegenauffassungen Nach einer, ebenfalls nur selten näher begründeten, Mindermeinung schreibt Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG demgegenüber die Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen des Parlaments, mithin das parlamentarische Regierungssystem, zwingend vor38. Dauster vertritt dazu die Auffassung, eine Präsidialverfassung sei zwar demokratisch, nicht aber demokratisch „im Sinne des Grundgesetzes“. Das Grundgesetz schreibe den Ländern diejenige Form der Demokratie vor, die es selbst verwirklicht hat39. Das aber sei „grob gesprochen“ die freiheitliche und daher wertgebundene, gewaltenhemmende und repräsentative Demokratie mit einer vom Vertrauen des Parlaments abhängigen und dem Parlament verantwortlichen Regierung40. Nur bei diesem Verständnis könne Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG seine Funktion erfüllen, auch in der Frage der politischen Herrschaftsausübung ein Mindestmaß an Gleichklang bei Bund und Ländern sicherzustellen41. Schließlich spreche die Historie der Vorschrift für ein solches Verständnis, denn der Parlamentarische Rat habe nur deshalb auf die ausdrückliche Festschreibung des parlamentarischen Regierungssystems verzichtet, weil alle ___________ 34

Etwa Tettinger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 28 Rn. 42. Partsch, JZ 1960, 23 f.; auch ders., Der Städtetag 1959, 149 ff., 150. Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 155. 37 Siehe dazu § 10 VI. 38 Badura, ZParl 1980, 573 ff., 578; Brauneck, ZParl 1995, 295 ff., 300, 302; Dauster, S. 9 ff.; Grawert, NJW 1987, 2329 ff., 2332; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 28 Rn. 15; offenbar auch Meyer, VVDStRL 33 (1975), 69 ff., 73. 39 Dauster, S. 9 f. 40 Dauster, S. 10. 41 Dauster, S. 10 f. 35 36

II. Das Homogenitätsgebot des Grundgesetzes

379

Länder, die sich bereits Verfassungen gegeben hatten, es verwirklicht hatten und man davon habe ausgehen können, dass sich die übrigen Länder dem anschließen würden42. Der Auffassung Dausters schließt sich Löwer mit der Begründung an, aus dem Grundgesetz ergebe sich der „abweichende Typus der parlamentarischen Demokratie, also ein parlamentarisches Regierungssystem“43. Allerdings müsse sich die parlamentarische Verantwortlichkeit nicht unbedingt im Misstrauensvotum niederschlagen und der Ministerpräsident müsse nicht wie der Bundeskanzler gewählt werden. Dann allerdings wäre man bei Verwendung der korrekten Terminologie44 bereits bei einem Präsidialsystem angelangt. Noch weiter geht Brauneck. Er vertritt die Auffassung, die Ministerpräsidenten seien nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG wie der Bundeskanzler zu wählen und der Bundeskanzler sei nach Art. 20 Abs. 2 GG (!) vom Bundestag zu wählen45. Er begründet die Auffassung damit, dass in Art. 20 Abs. 2 GG das parlamentarische Regierungssystem lediglich deshalb nicht ausdrücklich aufgenommen worden sei, weil dieses bereits an anderer Stelle im Grundgesetz festgeschrieben geworden sei46. Interessant ist an Braunecks Auffassung vor allem ihr Hintergrund: Er untersucht die Frage, ob es in einem Land, wo der Ministerpräsident „aus der Mitte des Landtages“ zu wählen ist, nicht schon gegen Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG verstößt, dass die Bürger in seinem Landtagswahlkreis mit der Wahl die Voraussetzung für dessen spätere Wahl zum Ministerpräsidenten (passives Wahlrecht) schaffen und damit „das Volk“ an der Wahl des Ministerpräsidenten beteiligt sei47. Einige weitere Autoren sprechen die Frage der Zulässigkeit zwar an, lassen sie letztlich aber unbeantwortet48.

c) Die Rechtsprechung Da bislang kein Versuch hinreichend weit gediehen ist, musste das Bundesverfassungsgericht zur Vereinbarkeit eines präsidentiellen Regierungssystems in den Ländern mit Art. 28 Abs. 1 GG bislang keine Stellung beziehen. Es finden sich allerdings in einigen Entscheidungen Hinweise auf die Haltung des ___________ 42

Dauster, S. 11, unter Verweis auf von Doemming/Füsslein/Matz, JÖR 1 (1951), 1 ff., 248 ff. 43 Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 28 Rn. 15. 44 Siehe § 1 IV. 3. 45 Brauneck, ZParl 1995, 295 ff., 300, 302. 46 Brauneck, ZParl 1995, 295 ff., 300. 47 Brauneck, ZParl 1995, 295 ff., 299 ff. 48 So Leisner, DÖV 1968, 389 ff.; 390; Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 152 ff., 155; Menzel, DÖV 1969, 765 ff., 768; Niedobitek, in: Festschr. König, S. 355 ff., 357 f.; Rauschnig, in: Festgabe Bundesverfassungsgericht Bd. 2, S. 214 ff., 224; Schneider, in: Benda/Maihofer/Vogel, S. 537 ff., 558 f.; Weis, S. 100.

380

§ 12 Zulässigkeit der Einführung eines Präsidialsystems in den Ländern

Bundesverfassungsgerichts in dieser Frage. Schon früh hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, es sei „die Bestimmung der Regeln, nach denen sich die Bildung der Landesverfassungsorgane, ihre Funktionen und ihre Kompetenzen bemessen, ausschließlich Sache des Landes. Dazu gehören auch die Vorschriften darüber, wie oft und bei welchen Gelegenheiten der Bürger von seinem Stimmrecht Gebrauch machen kann, und unter welchen Voraussetzungen ein gewählter Landtag sein Ende findet.“49 In einer Entscheidung aus dem Jahr 1959 findet sich ein echtes obiter dictum, wonach den Ländern das parlamentarische Regierungssystem nicht vorgeschrieben ist50: „Der demokratische Rechtsstaat im Sinne des Grundgesetzes (Art. 28 Abs. 1 Satz 1) setzt notwendig eine funktionsfähige und verantwortliche Regierung voraus. Die Abgrenzung der Regierungsbefugnisse und die Ausgestaltung der Verantwortlichkeit mag zwar im einzelnen verschieden sein. So wird durch Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG die Form des parlamentarischen Regierungssystems, in dem die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament im Misstrauensvotum Ausdruck findet, für die Landesverfassungen nicht zwingend vorgeschrieben. Auch mögen in den Ländern einzelne Kompetenzen zwischen Parlament und Regierung in verschiedener Weise verteilt sein; in jedem Fall aber müssten der Regierung die Befugnisse erhalten bleiben, die erforderlich sind, damit sie selbständig und in eigener Verantwortung gegenüber Volk und Parlament ihre „Regierungs-“funktion erfüllen kann.“ Das Bundesverfassungsgericht geht also davon aus, dass Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung nicht mit Abhängigkeit im Bestand gleichzusetzen ist. Später spricht es treffend von der „Sachverantwortung“51 gegenüber dem Parlament52. Nur scheinbar in eine andere Richtung deutet die spätere Äußerung, Art. 28 Abs. 1 GG fordere nicht, „das parlamentarische Regierungssystem in einem Bundesland müsse in allen Einzelheiten der Regelung, die dieses System im Grundgesetz gefunden hat, entsprechen.“53 Man könnte den Satz in der Tat so verstehen, dass er das Gebot eines parlamentarischen Regierungssystems für die Länder impliziert. Den wahren Sinn der Äußerung erhellt aber schon der vorangegangene Satz: „Die Schleswig-Holsteinische Landessatzung hat ein parlamentarisches Regierungssystem eingeführt.“ Dieser und der erweiterte Zusammenhang sprechen dafür, dass das Bundesverfassungsgericht seine Auffassung zur grundsätzlich bestehenden „Typenfreiheit“ nicht aufgeben wollte, sondern nur die Homogenitätsanforderungen an ein parlamentarisches Regierungssystem ___________ 49

BVerfG, Urt. v. 23. Oktober 1951, Az. 2 BvG 1/51, BVerfGE 1, 14 ff., 34. BVerfG, Urt. v. 27. April 1959, BVerfGE 9, 268 ff., 281. 51 Entsprechend der Unterscheidung zwischen persönlicher und inhaltlicher Legitimation, s. § 7 I. 52 BVerfG, Urt. v. 27. April 1959, BVerfGE 9, 268 ff., 281 f. 53 BVerfG, Urt. v. 22. Juli 1969, Az. 2 BvK 1/67, BVerfGE 27, 44 ff., 56. 50

II. Das Homogenitätsgebot des Grundgesetzes

381

für den Fall, dass ein solches eingeführt ist, konkretisieren wollte. Letztlich ist das – ebenso wie die missverständliche Äußerung des Bundesverwaltungsgerichts, „das demokratische und parlamentarische Prinzip des Art. 28 Abs. 1 GG“ gebiete den Ländern „die Ministerverantwortlichkeit“54 – aber auch unerheblich, weil daraus keinesfalls eine bindende Festlegung für die Zukunft folgt. Derzeit jedenfalls deutet alles darauf hin, dass auch das Bundesverfassungsgericht der h.M. in der Literatur zuneigt.

d) Eigene Stellungnahme Was zulässig ist, hängt zunächst von der Auslegung von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG ab, wobei es auf die Auslegung nicht mehr ankommt, wenn nach allen denkbaren Auslegungsvarianten Direktwahl und Präsidialsystem zulässig sind. Einig ist man sich noch darin, dass Art. 28 Abs. 1 GG das Bundesstaatsprinzip konkretisiert, indem er die Verfassungsautonomie der Länder voraussetzt und begrenzt55. Einig ist man sich weiter, dass die Vorschrift nicht Konformität oder Uniformität verlangt56, sondern lediglich ein Mindestmaß an Homogenität57. Im Weiteren herrscht Streit, weil die aufgeführten Grundsätze und vor allem das hier interessierende Demokratieprinzip im Grundgesetz an unterschiedlicher Stelle und in unterschiedlichem Zusammenhang aufgeführt werden.

___________ 54

BVerwG, Urt. v. 5. November 1965, Az. VII C 119.64, BVerwGE 22, 299 ff., 310. Dreier, in: ders., Art. 28 Rn. 47; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 28 Rn. 4; Maunz/Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 28 Rn. 2; Nierhaus, in: Sachs, Art. 28 Rn. 6. 56 Nierhaus, in: Sachs, Art. 28 Rn. 9; Dreier, in: ders., Art. 28 Rn. 53; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 28 Rn. 3, 17 ff.; Tettinger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 28 Rn. 5. 57 BVerfG, Urt. v. 27. April 1959, Az. 2 BvF 2/58, BVerfGE 9, 268 ff., 279; BVerfG, Urt. v. 18. Dezember 1968, Az. 1 BvR 638, 673/64, 200, 238, 249/65; BVerfGE 24, 367 ff., 390; BVerfG, Urt. v. 22. Juli 1969, Az. 2 BvK 1/67, BVerfGE 27, 44 ff., 56; BVerfG, Beschl. v. 29. Januar 1974, Az. 2 BvN 1/69, BVerfGE 36, 342 ff., 361; Dauster, S. 5; Dreier, in: ders., Art. 28 Rn. 53; Häberle, JZ 1969, 613 ff.; 616; Maunz, in: Mauz/Dürig, Art. 28 Rn. 17; Mauz/Zippelius, § 16 II 1 (S. 121); Nierhaus, in: Sachs, Art. 28 Rn. 9; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 28 Rn. 1 b. 55

382

§ 12 Zulässigkeit der Einführung eines Präsidialsystems in den Ländern

(1) Folgen einer übereinstimmenden Auslegung von Art. 28 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG (h.M.) Nach h.M. sind die in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG genannten Grundsätze die Gleichen wie die über Art. 79 Abs. 3 GG gesicherten58. Das wird mit dem Korrespondenzverhältnis von Artt. 20, 28 und 79 GG begründet sowie damit, dass der Bund den Gliedstaaten nur das vorschreiben könne und müsse, was für ihn selbst unabdingbare Grundlage der Art und Form seiner politischen Existenz ist59. Der Hinweis auf das Korrespondenzverhältnis dürfte ein Zirkelschluss sein, denn genau die Frage, ob sich die Vorschriften insoweit tatbestandlich entsprechen, gilt es ja zu beantworten. Überzeugender ist der zweite Argumentationsstrang: Warum sollte der Bundesverfassungsgeber dem Landesverfassungsgeber aus Homogenitätsgründen Regelungen vorschreiben, deren Abänderung er selbst sich vorbehält? Machte der Bund von seiner Änderungsmöglichkeit Gebrauch, müssten jeweils alle Länder nachziehen. Das ginge schon stark in Richtung Landesverfassungsgebung durch den Bund und spricht in der Tat für eine an Sinn und Zweck des Homogenitätsprinzips orientierte Auslegung dahingehend, dass der Landesverfassungsgeber nur an solche grundlegenden Prinzipien gebunden sein soll, die auch für den Bund selbst zwingend sind. Folgt man dieser Auffassung, gilt das zu den Ewigkeitsklauseln und zu dem von Art. 20 GG (darauf verweist Art. 79 Abs. 3 GG) geschützten Demokratieprinzip bereits Gesagte60 hier entsprechend: Es steht weder der Einführung der Direktwahl noch der eines präsidentiellen Regierungssystems auf Landesebene entgegen. Gefordert ist vom Grundgesetz nur eine verantwortliche Regierung und so weit wie Partsch, der eine Verantwortlichkeit ausschließlich gegenüber dem Volk ausreichen lässt61, muss man dabei gar nicht gehen. Auch in dem hier vorgesehenen Präsidialsystem besteht ja eine Verantwortlichkeit gegenüber dem Landtag, nämlich, wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht betont62, eine Verantwortlichkeit aufgrund der inhaltlichen Bindung (Sachverantwortung durch Vorrang des Gesetzes und den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung) und der parlamentarischen Kontrolle63.

___________ 58

Dreier, in: ders., Art. 28 Rn. 57; Nierhaus, in: Sachs, Art. 28 Rn. 8; Tettinger, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 28 Rn. 37. 59 Dreier, in: ders., Art. 28 Rn. 57; Nierhaus, in: Sachs, Art. 28 Rn. 8; Tettinger, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 28 Rn. 37. 60 Siehe § 12 I. 2. 61 Partsch, JZ 1960, 23 f. 62 BVerfG, Urt. v. 27. April 1959, BVerfGE 9, 268 ff., 281 f. 63 Siehe § 8 VII.

II. Das Homogenitätsgebot des Grundgesetzes

383

(2) Folgen bei einer extensiveren Auslegung: Störungen für Gesamtstaat entscheidend Da der Meinungsstreit über die Auslegung von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG nicht das Thema der Abhandlung ist, sei zur Vereinbarkeit einer präsidialen Landesverfassung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch bei einer extensiveren Auslegung Stellung genommen. Andere Autoren stellen nämlich stärker auf die mit Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG vergleichbare Funktion der Vorschrift als Integrationsklausel64 ab und messen letztlich den Worten „im Sinne dieses Grundgesetzes“ die entscheidende, das Homogenitätsprinzip tatbestandlich über die Ewigkeitsgarantie hinaus erstreckende Bedeutung bei. Das führt zu einem Verständnis von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG als „Nichtstörungsklausel“65. Die Landesverfassungen dürfen danach nicht das bundesstaatliche Gesamtkonzept stören und desintegrierend wirken. Folgt man dieser Auffassung, bekommen die Ausführungen zur Direktwahl der Ministerpräsidenten im Gefüge des deutschen Bundesstaates66 rechtliche Relevanz. Die Folgen für den Bund, die rechtspolitisch für den Landesverfassungsgeber eine untergeordnete Rolle spielen67, bekommen dann über das Homogenitätsprinzip eine ganz wesentliche Bedeutung auch für den Landesverfassungsgeber.

(3) Störungen im Verhältnis zu den anderen Bundesländern? Indessen würde angesichts der festgestellten Folgen einer Direktwahl für den Gesamtstaat68 auch die extensivere Auslegung von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG am Ergebnis nichts ändern. Folgen der Einführung in einem Land für die anderen Bundesländer sind überhaupt nur insofern zu verzeichnen, als dies möglicherweise zu einem faktischen Zugzwang für die Landtage führen würde, sich der Reform in einem Land anzuschließen69. Das läge aber an einem entsprechenden Druck des jeweiligen Landesvolkes, motiviert durch den Erfolg in bereits reformierten Bundesländern. Die freie Entscheidung der anderen Landesvölker und die tatsächlichen und rechtlichen internen Strukturen der übrigen Länder blieben unangetastet. Eine andere Betrachtungsweise in diesem Punkt würde im Übrigen zu dem kuriosen Ergebnis führen, dass, sobald erst einmal die Mehrheit der Bundesländer die Direktwahl eingeführt hätte, die übrigen ___________ 64

So Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 153. Dauster, S. 5; Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 154. 66 Siehe § 10. 67 Siehe § 10 IV. 2. d). 68 Siehe § 10 V. 69 Dazu noch näher § 13 I. 2. und § 13 II. 2. b). 65

384

§ 12 Zulässigkeit der Einführung eines Präsidialsystems in den Ländern

Bundesländer nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG verpflichtet wären, sich dem anzuschließen!

(4) Störungen auf Bundesebene? Bedeutender sind schon die Folgen für den Bund. Auch für den Bund wurden aber keine Störungen festgestellt70. Die Stärkung der Länderautonomie wirkt zwar in Maßen desintegrierend, doch handelt es sich dabei um eben jenes Maß, das vom Bundesstaatsprinzip gefordert wird71. Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass die Integration von Bund und Ländern derzeit viel zu weit geht und die beiden Ebenen zu stark miteinander vermengt sind. Insoweit behebt die Direktwahl eher eine Störung, als dass sie eine solche herbeiführt. Bei den Parteien führt die Direktwahl zu Veränderungen, die ihr Tätigkeitsbild dem von Art. 21 GG vorgegebenen eher wieder annähern72; zudem ist höchst zweifelhaft, ob solche Störungen im Rahmen des Art. 28 Abs. 1 GG selbst bei extensivster Auslegung zu berücksichtigen wären. Die Folgen für den Bundesrat sind zumindest unbedenklich und im Hinblick auf die Mitwirkung des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union möglicherweise sogar rechtlich geboten. Für den Bundeskanzler sind gewisse Machtverluste im Hinblick auf die föderale Aufgabenverteilung und den Umstand, dass er Kopf der Exekutive in einer schwerpunktmäßigen Legislativeinheit ist, hinzunehmen. Im Übrigen steht ein Machtverlust noch nicht fest und bei einer Auslegung von Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG als Nichtstörungsklausel obliegt es dem Bund, die Störung der gesamtstaatlichen Integrität durch die landesverfassungsrechtliche Regelung darzulegen und zu „beweisen“73. Es gilt also: im Zweifel zugunsten der Landesverfassungshoheit. Ggf. kann die Unvereinbarkeit erst nach einer praktischen „Bewährungszeit“ festgestellt werden. Derzeit jedenfalls besteht kein Anhaltspunkt für eine Störung des Gesamtstaates durch die Einführung der Direktwahl oder eines präsidentiellen Regierungssystems – einschließlich einer Regelung über die Abwahl des Ministerpräsidenten durch das Volk74 – in den Ländern.

___________ 70

Siehe § 10 IV. Siehe § 10 I., II., III. 72 Siehe § 9 X. 73 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 154. 74 Ebenso Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 75. 71

II. Das Homogenitätsgebot des Grundgesetzes

385

(5) Rechtfertigung eines etwaigen Verstoßes? Weil jedenfalls vertreten wird, dass Direktwahl und Präsidialsystem gegen Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG verstoßen, sei noch kurz auf die bereits angesprochene Frage einer Rechtfertigung eines Verstoßes gegen das Homogenitätsprinzip eingegangen. In diese Richtung geht offenbar die Argumentation von Maurer: Bei der abschließenden verfassungsrechtlichen Bewertung sei auch zu prüfen, ob die Volkswahl der Ministerpräsidenten bzw. das Präsidialsystem im Landesbereich als Reaktion auf bereits eingetretene verfassungsrechtliche Entwicklungen sinnvoll oder sogar zwingend ist75. Eine solche Prüfung lässt Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG an sich nicht zu. Danach ist eine gegen das Homogenitätsprinzip verstoßende Regelung immer nichtig, also auch dann, wenn sie auf Landesebene noch so gewünscht und sinnvoll ist. Gleichwohl erscheint es lohnenswert, dem Gedanken nachzugehen. Dogmatisch handelt es sich dabei zwar insofern um ein Novum, als bei Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich nicht zwischen Tatbestandserfüllung und Rechtfertigung unterschieden wird, sondern nur einheitlich festgestellt wird, ob ein Verstoß gegen das Homogenitätsprinzip vorliegt oder nicht76. Allerdings ist eine solche Trennung von anderen Verfassungsnormen (etwa den Grundrechten) bekannt und es ist nicht auszuschließen, dass eine Regelung in einer Landesverfassung einmal zwar dem Homogenitätsprinzip zuwiderläuft, aber durch ein anderes Verfassungsprinzip gerechtfertigt ist. Dabei handelte es sich um eine verfassungsimmanente Schranke und Fälle sind nur schwer vorstellbar, zumal es sich um eine Schranke aus dem Grundgesetz handeln müsste. Das im Einzelnen zu erörtern, führte hier zu weit. Wenn überhaupt, dann wäre aber jedenfalls zu fordern, dass die Regelung der Landesverfassung geboten, dass sie Ausdruck der verfassungsimmanenten Schranke ist. Allein der Umstand, dass die Regelung sinnvoll ist, genügte nicht, weshalb dies entgegen Maurer bei der Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit auch nicht zu prüfen ist. Ansonsten verlagerte man auch die gesamte verfassungspolitische Diskussion in den rechtlichen Bereich. Davon aber, dass die Einführung der Direktwahl durch eines der in Frage kommenden Prinzipien (Verteilung der demokratischen Legitimation, effektive parlamentarische Kontrolle, demokratische Mitbestimmung, sachliche Autonomie der Länder etc.) rechtlich zwingend geboten wäre, kann ebenfalls keine Rede sein. All diese Prinzipien lassen die Direktwahl als sinnvoll erscheinen und gebieten verfassungspolitisch auch die Reaktion der Verfassungsgeber. Rechtlich verdichten ihre Anforderungen den Entscheidungsspielraum der Verfassungsgeber aber nicht auf Null. Da es nach der ___________ 75 76

Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 155. Derartiges wird oft als „offener Tatbestand“ bezeichnet.

386

§ 12 Zulässigkeit der Einführung eines Präsidialsystems in den Ländern

hier vertretenen Auffassung schon an einem Verstoß gegen das Homogenitätsprinzip fehlt und es für die Durchsetzung eines rechtlichen Handlungsgebots zudem am prozessualen Mittel fehlt, kommt dem aber letztlich keine Bedeutung zu.

(6) Zur Gegenmeinung Die fehlende Erwähnung der Vertreter der Gegenauffassung bei vorstehendem Lösungsweg liegt daran, dass deren Argumentation an der eigentlichen Problematik vorbei geht. Die meisten ihrer Äußerungen sind nur Worthülsen und führen lediglich zu einer terminologischen Verlagerung des Problems. Beispiel Dauster: Inwieweit das Grundgesetz den Ländern diejenige Form der Demokratie vorschreibt, die es selbst verwirklicht hat77, ist gerade die durch Auslegung zu beantwortende Ausgangsfrage. Es gilt gerade zu klären, welches „Mindestmaß an Gleichklang in der Frage der politischen Herrschaftsausübung“78 sichergestellt werden soll. Damit kann man nicht argumentieren, will man sich nicht im Kreise drehen. Bei Löwers Begründung, aus dem Grundgesetz ergebe sich der „abweichende Typus der parlamentarischen Demokratie, also ein parlamentarisches Regierungssystem“79 liegt das Problem im Wörtchen „also“. Parlamentarische Demokratie und parlamentarisches Regierungssystem sind eben gerade nicht dasselbe80. Deshalb folgt entgegen Brauneck aus Art. 20 Abs. 2 GG auch nicht, dass der Bundeskanzler vom Bundestag zu wählen ist81. Das folgt vielmehr aus Art. 63 GG und die gegenteilige Auffassung wird auch durch die Behauptung nicht richtiger, in Art. 20 Abs. 2 GG sei das parlamentarische Regierungssystem lediglich deshalb nicht ausdrücklich aufgenommen worden, weil es bereits aus Art. 63 GG folge82. Selbst wenn dem so wäre, würde das Argument schon wegen der Wortlautgrenze und auch deswegen nicht verfangen, weil man es genauso gut gegen eine Einbeziehung des parlamentarischen Regierungssystems in Art. 20 Abs. 2 GG anführen kann (nämlich vom Verfassungsgeber bewusst nicht auch noch in Art. 20 Abs. 2 GG aufgenommen). Gleiches gilt für Dausters weiteres Argument, der Parlamentarische Rat sei ohnehin davon ausgegangen, dass alle Länder das parlamentarische Regierungssystem einführen ___________ 77

So Dauster, S. 9 f. Dauster, S. 10 f. 79 Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 28 Rn. 15. 80 Siehe § 12 I. 3. 81 Brauneck, ZParl 1995, 295 ff., 300, 302. 82 Brauneck, ZParl 1995, 295 ff., 300. 78

II. Das Homogenitätsgebot des Grundgesetzes

387

würden83. Diese Behauptung ist im Übrigen falsch. Zunächst wurde für Art. 28 GG der folgende Zusatz diskutiert: „Die Regierungen der Länder müssen durch das Vertrauen der aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangenen Volksvertretungen berufen sein.“ Dieser Satz wurde erst im Allgemeinen Redaktionsausschuss fallen gelassen. Der Ausschuss begründete die Auslassung ausdrücklich damit, dass die Frage, ob die Regierung durch die Volksvertretung oder auf andere Weise unter Wahrung der demokratischen Grundsätze berufen wird, der Regelung der Länder überlassen werden sollte84. Man kann die historische Auslegung deshalb sogar als weiteres Argument für die h.M. anführen. Bei Brauneck fehlt dann weiterhin auch noch eine Antwort auf die zentrale Frage, warum Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG für die Ministerpräsidenten das gleiche System gebietet. Letztlich drücken sich alle Vertreter der Gegenauffassung – wie oben gesehen aus gutem Grund – um den entscheidenden Schritt: Wer die Auffassung vertritt, ein präsidiales Regierungssystem verstoße gegen Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG, muss im Einzelnen darlegen, wie es den Gesamtstaat stören soll. Dazu fehlt es an jeder Aussage.

3. Ergebnis Im Ergebnis bleibt damit die Diskussion um die Direktwahl des Ministerpräsidenten und den Länderpräsidentialismus in die eine wie in die andere Richtung eine rein politikwissenschaftliche. Weder verbietet noch gebietet das Grundgesetz eine Volkswahl des Ministerpräsidenten oder ein präsidentielles Regierungssystem85.

___________ 83

Dauster, S. 11. Siehe von Doemming/Füsslein/Matz, JÖR 1 (1951), 1 ff., 251. 85 Das unterscheidet die Rechtslage von jener in Österreich, wo das parlamentarische System für die Länder durch die Bundesverfassung vorgeschrieben ist, s. Esterbauer, S. 25, 30. 84

§ 13 Landesrechtliche und -politische Möglichkeiten der Umsetzung Um sich nicht gar zu sehr Vorwürfen der „politischen Utopie“1 oder „akademischer Weltferne“2 auszusetzen, hat sich die Abhandlung last but not least mit den Realisierungschancen einer Einführung der Direktwahl der Ministerpräsidenten in den deutschen Bundesländern zu befassen.

I. „Herkömmliche“ Verfassungsänderung Ohne weiteres rechtlich möglich3 wäre die Umsetzung in allen Bundesländern im Wege der Verfassungsänderung durch den Gesetzgeber. Eine Verfassungsänderung durch den Landtag bedarf in allen Bundesländern außer Hessen (dort einfache Mehrheit4) einer Zweidrittelmehrheit5. In Bayern6 und Hessen7 ist daneben die Zustimmung des Volkes in einem Referendum erforderlich8.

1. Keine Realisierungschancen Selbst unter den Reformbefürwortern räumt einer Umsetzung der Reform durch eine solche „herkömmliche“ Verfassungsänderung niemand ernsthafte Chancen ein9. Die Frankfurter Intervention, an der viele Praktiker beteiligt ___________ 1

Vgl. von Arnim, Staat ohne Diener, S. 331. Vgl. Bryde, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff., 149. 3 Nach den Feststellungen unter § 12. 4 Art. 123 Abs. 2 HessVerf. 5 Art. 75 Abs. 2 Satz 1 BayVerf, Art. 100 Satz 1 BerlVerf, Art. 79 Satz 2 BbgVerf, Art. 125 Abs. 3 BremVerf, Art. 51 Abs. 2 Satz 2 HmbVerf, Art. 56 Abs. 2 M-VVerf, Art. 46 Abs. 3 Satz 1 NdsVerf, Art. 69 Abs. 1 Satz 2 NRWVerf, Art. 129 Abs. 1 RhPfVerf, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 SaarlVerf, Art. 74 Abs. 2 SächsVerf, Art. 78 Abs. 2 VerfLSA, Art. 40 Abs. 2 SchlHVerf, Art. 83 Abs. 2 Satz 1 ThürVerf. 6 Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayVerf. 7 Art. 123 Abs. 2 HessVerf. 8 Für dieses gelten die Ausführungen zur politischen Realisierbarkeit unter § 13 III entsprechend. 9 Ausdrücklich von Arnim, Staat ohne Diener, S. 331; ders., in: Festschr. König, S. 371 ff., 372 f.; Decker, RuP 37 (2001), 51 ff., 58; Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 23 f.; Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 87. 2

I. „Herkömmliche“ Verfassungsänderung

389

waren10, führt dazu aus, dass die derzeitigen Regeln des Machterwerbs von jenen amtierenden Positionsinhabern, die ihnen ihre Macht verdanken, kaum freiwillig geändert werden11. Das ist nach den vorliegend getroffenen Feststellungen in der Tat zu befürchten. Verlierer einer Einführung der Direktwahl sind, wenngleich nur vordergründig und nicht gemessen an ihrem eigentlichen Verfassungsauftrag12, die Parteien und diese haben derzeit einen maßgeblichen Einfluss auf die Abgeordneten, die der Partei ihr Mandat verdanken. Selbst einzelne die Reform begrüßende Abgeordnete würden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit der Fraktionsdisziplin unterwerfen, da sie der Unterstützung der Partei bei der Aufstellung für die nächste Landtagswahl bedürfen. Zwar würden die Landtage von der Reform deutlich profitieren13, die Landtagsabgeordneten aber sind in erster Linie Parteimitglieder und erst in zweiter Linie Volksvertreter. Bei vielen Abgeordneten steht die Wahl nämlich bereits fest, wenn sie parteiintern auf einen guten Listenplatz gesetzt werden14, und ohne Unterstützung der Partei ist selbst die Erringung eines Direktmandats derzeit kaum möglich. Unter diesen Vorzeichen erscheint schon das Zustandekommen einer Mehrheit innerhalb nur einer Fraktion unwahrscheinlich, geschweige denn das Zustandekommen einer Zweidrittelmehrheit, für die in nahezu allen Landesparlamenten wenigstens zwei Fraktionen zustimmen müssten. Janssen hat den philosophisch-theologischen Hintergrund dieser Einstellung näher beleuchtet15. Die bisherigen praktischen Erfahrungen mit der – bestenfalls halbherzigen – Behandlung entsprechender Reformvorschläge in den Landtagen16 sprechen ebenfalls für die Prognose, dass es zu einer Einführung der Direktwahl auf diesem Wege nicht kommen wird. Dafür sprechen auch die anfänglichen17 Widerstände der Parteipolitiker gegen eine Einführung der Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten in vielen Bundesländern18.

___________ 10

Siehe § 3 VI. Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 24. Siehe § 9 X. 13 Siehe § 8 V.-VIII. 14 Siehe von Arnim, JZ 2002, 578 ff., 579 ff. 15 Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 87 f. 16 Vgl. die Darstellung bei von Arnim, Festschr. König, S. 371 ff., 385; Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 87. 17 Näher zur Aufgabe dieser Widerstände § 13 II. 2. b) (5). 18 Vgl. die Darstellung bei von Arnim, DÖV 2002, 585 ff., 586 ff. 11 12

390

§ 13 Landesrechtliche und -politische Möglichkeiten der Umsetzung

2. Ausnahme: Dominoeffekt Eine Ausnahme19 ist praktisch vorstellbar: Ist die Direktwahl in einigen Bundesländern eingeführt und dort erfolgreich, könnte eine Art „Dominoeffekt“ eintreten, der auch die übrigen Länder, insbesondere auch jene, in denen die Umsetzung der Reform im Wege der Volksgesetzgebung ausscheidet, faktisch dazu zwingt, die Reform zu übernehmen. Das wird umso wahrscheinlicher, je mehr Bundesländer die Reform durchführen20. In einem Bundesland alleine etwa würden die Parteien den Parlamentarismus kaum mehr halten können21.

II. Möglichkeiten der Volksgesetzgebung in den Ländern Damit bleibt zunächst nur die Möglichkeit einer Einführung der Direktwahl im Wege der Volksgesetzgebung22.

1. Verfassungsänderung durch Volksentscheid Die meisten Bundesländer sehen mittlerweile die Möglichkeit vor, durch einen Volksentscheid auch die Verfassung zu ändern23. Spätestens seit der Abschaffung des Bayerischen Senats durch Volksentscheid im Jahre 1998 hat dieses Instrument auch als Mittel zur Gestaltung der Staatsorganisation praktische Bedeutung erlangt.

a) Länder ohne Möglichkeit der Verfassungsänderung durch das Volk Allerdings enthalten einige Landesverfassungen dem Volk die Änderung der Verfassung durch Volksentscheid immer noch vor. In Berlin ist die Verfassung als Gegenstand von Volksbegehren und Volksentscheid ausdrücklich ausge___________ 19 Eine weitere Ausnahme („Selbsteintrittsrecht“) wird im Rahmen der Volksgesetzgebung dargestellt, § 13 II. 20 Die Reformbefürworter sprechen sogar schon bei der Umsetzung in nur einem Bundesland von einem „demokratischen Urknall“, etwa Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 24. 21 Zur Ursache dieses Dominoeffekts noch näher unten § 13 II. 2. b). 22 Siehe auch von Arnim, Das System, S. 367 ff. („Volksgesetzgebung als Reformmotor“). 23 Im Bund besteht diese Möglichkeit nicht, siehe § 10 II. 4. b). Siehe zu direktdemokratischen Verfahren in ausländischen Staaten die Übersicht bei Jung, S. 240 ff.

II. Möglichkeiten der Volksgesetzgebung in den Ländern

391

schlossen24. Zulässig ist aber eine „Einwohnerinitiative“25, mit welcher der im Anschluss noch zu schildernde „Umschwenkeffekt“26 wie bei einem Volksbegehren ebenfalls erzielt werden könnte. Die Verfassungen Hessens und Nordrhein-Westfalens27 sehen Verfassungsänderungen durch Volksentscheid nicht vor. Anders als in Berlin ist die Verfassungsänderung zwar nicht ausdrücklich ausgenommen, es ist aber auch keine besondere Mehrheit für Verfassungsänderungen durch das Volk geregelt28, was zumindest dagegen spricht, dass die Verfassungen von dieser Möglichkeit ausgegangen sind29. Im Saarland ist zwar ein auf die Änderung der Verfassung gerichtetes Volksbegehren zulässig. Darüber findet aber kein Volksentscheid statt30. Auch im Saarland könnte es durch das Volksbegehren aber wenigstens zu dem noch zu schildernden „Umschwenkeffekt“ kommen31. Im Übrigen scheiden diese Länder für die Reform zumindest zunächst, also bis auch dort die Verfassungsänderung durch Volksentscheid zulässig wird oder der „Dominoeffekt“32 greift, aus. Für die übrigen Länder seien die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Volksentscheid in Form einer Übersicht dargestellt33:

b) Baden-Württemberg Vorstufe: Antragsquorum35:

Zulassungsantrag34 10.000 = ca. 0,14 %

___________ 24

Art. 62 Abs. 5 BerlVerf. Art. 61 BerlVerf. 26 Siehe § 13 II. 1. b). 27 In Nordrhein-Westfalen kann aber der Landtag oder die Regierung einen Volksentscheid herbeiführen, wenn im Landtag keine Zweidrittelmehrheit zustande kommt (Art. 69 Abs. 2 NRWVerf). Von dieser Möglichkeit wurde bisher noch kein Gebrauch gemacht, s. Dästner, Art. 69 Rn. 3. 28 Vgl. Artt. 123 f. HessVerf und Artt. 68 f. NRWVerf. 29 Gegen dieses herrschende und keineswegs zwingende Verständnis spricht allerdings die Entstehungsgeschichte der Vorschriften (historische Auslegung), s. von Arnim, Vom schönen Schein, S. 250 ff., m. Nachw. 30 Art. 100 Abs. 4 SaarlVerf. 31 Siehe dazu § 13 II. 1. b). 32 Siehe § 13 I. 2. 33 Eine eingehende Darstellung findet sich etwa bei Jürgens, S. 49 ff. (einschließlich einfacher Volksgesetzgebung); tabellarische Übersicht bei von Arnim, Vom schönen Schein, S. 316 ff. 34 Ein Zulassungsantrag führt zu einer Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit der Vorlage. 35 Jeweils erforderliche Anzahl der Stimmberechtigten und Anteil an der Gesamtzahl der Stimmberechtigten (zuerst ist jeweils die rechtliche Voraussetzung aufgeführt und anschließend die ungefähre Umrechnung, wobei auf die Berechnungen von Arnims, 25

392

§ 13 Landesrechtliche und -politische Möglichkeiten der Umsetzung

Antragsverfahren36: Volksbegehrensquorum37, 38: Dauer der Stimmensammlung (Art): Quorum für Volksentscheid39, 40:

keine Frist, keine parlamentarische Behandlung 1/6 = 16,67 % (Art. 59 Abs. 2 Satz 2 BaWüVerf) 14 Tage, Sollvorschrift (amtlich) Mehrheit der Stimmberechtigten (Art. 64 Abs. 3 BaWüVerf)

c) Bayern Vorstufe: Antragsquorum: Antragsverfahren: Volksbegehrensquorum: Dauer der Stimmensammlung (Art): Quorum für Volksentscheid:

Zulassungsantrag 25.000 = ca. 0,28 % keine Frist, keine parlamentarische Behandlung 10 % (Art. 74 Abs. 1 BayVerf) 14 Tage (amtlich) Mehrheit der abgegebenen Stimmen; diese Mehrheit muss 25 % der Stimmberechtigten entsprechen41

d) Brandenburg Vorstufe: Initiativquorum: Initiativverfahren: Volksbegehrensquorum:

Volksinitiative 20.000 = ca. 0,97 % (Art. 76 BbgVerf) Unterschriftensammlung 1 Jahr, Behandlung im Parlament 80.000 = ca. 3,94 % (Art. 77 Abs. 3 Satz 1 BbgVerf)

___________ Vom schönen Schein, S. 316 ff., zurückgegriffen wurde). Das Antragsquorum ist überwiegend einfachgesetzlich geregelt. 36 Die Unterschriftensammlung erfolgt in der Vorstufe in allen Ländern frei. 37 Jeweils erforderliche Anzahl der Stimmberechtigten und Anteil an der Gesamtzahl der Stimmberechtigten (zuerst ist jeweils die rechtliche Voraussetzung aufgeführt und anschließend die ungefähre Umrechnung; wobei auf die Berechnungen von Arnims, Vom schönen Schein, S. 316 ff., zurückgegriffen wurde). 38 Das Erreichen des Quorums ist erforderlich, damit ein Volksentscheid über das Begehren stattfindet. 39 Das Erreichen des Quorums ist erforderlich, damit das begehrte Gesetz zustande kommt. Aufgeführt ist nur das Quorum für Verfassungsänderungen. 40 Jeweils in % der Stimmberechtigten. 41 Art. 79 Abs. 1 Bayerisches Landeswahlgesetz.

II. Möglichkeiten der Volksgesetzgebung in den Ländern

Dauer der Stimmensammlung (Art): Quorum für Volksentscheid:

393

4 Monate (amtlich) 2/3 der abgegebenen und gültigen Stimmen, mindestens jedoch die Hälfte der Stimmberechtigten42 (Art. 78 Abs. 3 BbgVerf)

e) Bremen Vorstufe: Antragsquorum: Antragsverfahren: Volksbegehrensquorum:

Dauer der Stimmensammlung (Art): Quorum für Volksentscheid:

Zulassungsantrag 5.000 = ca. 1,01 % keine Frist, keine parlamentarische Behandlung für Verfassungsänderung 1/5 der Stimmberechtigten (Art. 70 Abs. 1 d Satz 2 BremVerf) 3 Monate (freie Sammlung) Mehrheit der Stimmberechtigten (Art. 72 Abs. 2 BremVerf)

f) Hamburg Vorstufe: Initiativquorum: Initiativverfahren: Volksbegehrensquorum: Dauer der Stimmensammlung (Art): Quorum für Volksentscheid:

Besonderheit:

Volksinitiative (Art. 50 Abs. 1 HmbVerf) 20.000 = ca. 1,65 % (Art. 50 Abs. 1 Satz 3 HmbVerf) Unterschriftensammlung 6 Monate, Behandlung im Parlament 10 % (Art. 50 Abs. 2 Satz 2 HmbVerf) 14 Tage (amtlich) 2/3 der abgegebenen Stimmen, mindestens jedoch die Hälfte der Wahlberechtigten (Art. 50 Abs. 3 Satz 4 HmbVerf) 3 Monate vor einer allgemeinen Wahl kein Volksentscheid (Art. 50 Abs. 5 HmbVerf)

___________ 42 Solche Kombinationen aus Zustimmungs- und Beteiligungsquorum sind für Verfassungsänderungen durch Volksentscheid typisch.

394

§ 13 Landesrechtliche und -politische Möglichkeiten der Umsetzung

g) Mecklenburg-Vorpommern Vorstufe: Initiativquorum: Initiativverfahren: Antragsquorum: Antragsverfahren: Volksbegehrensquorum: Dauer der Stimmensammlung (Art):

Quorum für Volksentscheid:

fakultativ Volksinitiative (Art. 59 M-VVerf); sonst direkt Antrag 15.000 = ca. 1,06 % (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 M-VVerf) keine Frist, Behandlung im Parlament kein besonderes Quorum keine parlamentarische Behandlung 140.000 = ca. 9,94 % (Art. 60 Abs. 1 Satz 3 M-VVerf) 2 Monate für Amtseintragung (findet auf Antrag zusätzlich zur unbefristeten freien Stimmensammlung statt, wenn es zuvor eine Volksinitiative gab) 2/3 der abgegebenen und gültigen Stimmen, mindestens jedoch die Hälfte der Wahlberechtigten (Art. 60 Abs. 4 Satz 2 M-VVerf)

h) Niedersachsen Vorstufe:

Initiativquorum: Initiativverfahren: Quorum bei Anzeige:

Volksbegehrensquorum: Dauer der Stimmensammlung (Art): Quorum für Volksentscheid:

fakultativ Volksinitiative (Art. 47 NdsVerf); sonst genügt bloße Anzeige des Beginns mit der Stimmensammlung 70.000 = ca. 1,18 % (Art. 47 NdsVerf) 1 Jahr, Behandlung im Parlament nicht erforderlich, beim Stand von 25.000 Unterschriften (= ca. 0,42 %) für Volksbegehren wird auf Antrag die Zulässigkeit geprüft 10 % (Art. 48 Abs. 3 Satz 1 NdsVerf) 6 Monate ab Feststellung der Zulässigkeit (frei) Mehrheit der abgegebenen Stimmen, mindestens die Hälfte der Wahlberechtigten (Art. 49 Abs. 2 NdsVerf)

II. Möglichkeiten der Volksgesetzgebung in den Ländern

395

i) Rheinland-Pfalz Vorstufe: Initiativquorum: Initiativverfahren: Antragsquorum: Antragsverfahren: Volksbegehrensquorum: Dauer der Stimmensammlung (Art): Quorum für Volksentscheid:

fakultativ Volksinitiative; sonst direkt Zulassungsantrag 30.000 = ca. 1,00 % keine Frist, Behandlung im Parlament 20.000 = 0,66 % Unterschriftensammlung 1 Jahr, keine parlamentarische Behandlung 300.000 = 9,95 % (Art. 109 Abs. 3 Satz 1 RhPfVerf) 2 Monate (amtlich) Mehrheit der Stimmberechtigten (Art. 129 Abs. 1 RhPfVerf)

j) Sachsen Vorstufe: Antragsquorum: Antragsverfahren: Volksbegehrensquorum:

Dauer der Stimmensammlung (Art): Quorum für Volksentscheid:

Volksantrag (Art. 71 SächsVerf) 40.000 = 1,1 % (Art. 71 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf) keine Frist, Behandlung im Parlament 450.000 = ca. 12,49 %; 15 % stets ausreichend (Art. 72 Abs. 2 Satz 1 SächsVerf) 8 Monate (frei) Mehrheit der Stimmberechtigten (Art. 74 Abs. 3 Satz 3)

k) Sachsen-Anhalt Vorstufe: Initiativquorum: Initiativverfahren: Antragsquorum: Antragsverfahren:

fakultativ Volksinitiative; sonst direkt Zulassungsantrag 35.000 = ca. 1,63 % (Art. 80 Abs. 2 Satz 1 VerfLSA) keine Frist, parlamentarische Behandlung 10.000 = ca. 0,46 % Unterschriftensammlung 6 Monate, keine parlamentarische Behandlung

396

§ 13 Landesrechtliche und -politische Möglichkeiten der Umsetzung

Volksbegehrensquorum: Dauer der Stimmensammlung (Art): Quorum für Volksentscheid:

250.000 = ca. 11,63 % (Art. 81 Abs. 1 Satz 4 VerfLSA) 6 Monate (frei) 2/3 der abgegebenen Stimmen, mindestens die Hälfte der Wahlberechtigten (Art. 81 Abs. 5 VerfLSA)

l) Schleswig-Holstein Vorstufe: Initiativquorum: Initiativverfahren: Volksbegehrensquorum: Dauer der Stimmensammlung (Art): Quorum für Volksentscheid:

Volksinitiative 20.000 = ca. 0,94 % (Art. 41 Abs. 1 Satz 3 SchlHVerf) Unterschriftensammlung 1 Jahr, Behandlung im Parlament 5 % (Art. 42 Abs. 1 Satz 5 SchlHVerf n.F.43) 6 Monate (amtlich) 2/3 der Abstimmenden, mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten (Art. 42 Abs. 4 Satz 2 SchlHVerf n.F.)

m) Thüringen Vorstufe: Antragsquorum: Antragsverfahren: Volksbegehrensquorum: Dauer der Stimmensammlung (Art): Quorum für Volksentscheid:

Zulassungsantrag44 5.000 = ca. 0,25 % Unterschriftensammlung 6 Wochen, keine parlamentarische Behandlung 10 % bei freier Stimmensammlung, 8 % bei Amtseintragung 4 Monate bei freier Stimmensammlung, 2 Monate bei Amtseintragung 40 % der Stimmberechtigten

___________ 43 Art. 42 SchlHVerf wurde neu gefasst durch das Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein und des Volksabstimmungsgesetzes vom 14. Februar 2004, Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein 2004, Nr. 2, S. 54 ff. 44 In Thüringen wurden die Anforderungen im Jahr 2003 auf Betreiben des Volksbegehrens „Mehr Demokratie in Thüringen“ erheblich gesenkt (vorher Volksbegehrensquorum von 14 % und Zustimmungsquorum beim Volksentscheid über Verfassungsänderungen von 50 %).

II. Möglichkeiten der Volksgesetzgebung in den Ländern

397

n) Gegenständliche Reichweite der Regelungen Die vorgestellten Verfahren beschränken sich auf Verfassungsänderungen. Nicht zulässig ist es, auf diesem Wege die bestehende Verfassung zu ersetzen. Das gilt jedenfalls für eine ausdrückliche Ersetzung durch eine neue Verfassung. Eine solche Möglichkeit sieht lediglich Art. 115 BbgVerf vor, wonach das Volk die Möglichkeit hat, die Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung zu verlangen. Fraglich erscheint die Zulässigkeit von Änderungen, die materiell so weit reichen, dass sie einer Ersetzung gleich kommen (Gesamtänderungen), bei denen also die bisherige Verfassung nur noch als „Hülse“ dient. Das ist indessen kein Problem speziell der Volksgesetzgebung, sondern würde auch bei entsprechend weitreichenden Verfassungsänderungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber auftreten. Gerade das Nebeneinander der Verfahren zur Verfassungsänderung und -ersetzung in Brandenburg zeigt aber, dass sich die Grenzziehung zugleich als materielles Problem (Schranken über die Ewigkeitsklauseln hinaus, insbesondere quantitativer Art, zur Verhinderung einer Umgehung des in den meisten Landesverfassungen enthaltenen ungeschriebenen Verbots der Abschaffung der Verfassung?45) und als formelles Problem (in Brandenburg Frage nach dem anzuwendenden Verfahren) darstellt. Jedenfalls in Bundesländern, deren Verfassungen Ewigkeitsklauseln enthalten46, spricht vieles dafür, dass im Wege der vorgesehenen Verfassungsänderungsverfahren um den änderungsfesten Kern herum auch weitestreichende Verfassungsänderungen zulässig sind. Weiter ist dem an dieser Stelle jedoch nicht nachzugehen. Die hier in Rede stehende Reform beschränkt sich trotz praktisch weitreichender Folgen nämlich auf die Änderung einzelner Normen. Weder quantitativ noch qualitativ reichen diese so weit, dass sie den Charakter oder gar die Identität der betroffenen Verfassung ändern47. An der rechtlichen Umsetzbarkeit im Wege der vorgestellten Verfahren zur Änderung der Landesverfassung durch das Volk kann deshalb kein Zweifel bestehen.

___________ 45

Die grundlegende rechtsphilosophische, zugleich aber im Hinblick auf die Bedeutung dieser ungeschriebenen Verbote sowie von Art. 146 GG auch verfassungsrechtliche Frage, ob (und ggf. unter welchen Voraussetzungen) nicht ein Volk sich in freier Entscheidung als pouvoir constituant immer eine neue Verfassung geben können muss, sei hier zugunsten der Praxisnähe außer Acht gelassen, siehe dazu statt vieler Huber, in: Sachs, Art. 146 Rn. 1 ff., m.w.Nachw. 46 Siehe die Übersicht unter § 12 I. 1. 47 Siehe § 11.

398

§ 13 Landesrechtliche und -politische Möglichkeiten der Umsetzung

2. Parlamentarische Verfassungsänderung aufgrund Volksbegehrens Die dargestellten Formen der Volksgesetzgebung erschöpfen sich in ihrer Wirkung nicht in einer Herbeiführung der Verfassungsänderung durch das Volk. Vielmehr kann bereits die realistische Möglichkeit eines erfolgreichen Volksentscheids über eine Verfassungsänderung einen so starken Druck auf die Abgeordneten ausüben, dass diese sich, bevor das Volk an ihrer Stelle selbst entscheidet, bemühen, noch rechtzeitig „auf den Zug aufzuspringen“ und sich das Volksbegehren zu Eigen machen bzw. die Initiative übernehmen. Man spricht auch von „Vorwirkungen“ direktdemokratischer Entscheidungsmöglichkeiten48.

a) Selbsteintrittsrecht Eine „Einstiegsmöglichkeit“ bieten die Selbsteintrittsrechte der Parlamente im Volksgesetzgebungsverfahren. In allen Bundesländern haben die Landtage die Möglichkeit, sich den Vorschlag des Volkes zu Eigen zu machen und ihn, bevor darüber ein Volksentscheid stattfindet, selbst zu verabschieden. Je nachdem, in welchem Verfahrensstadium der Landtag davon Gebrauch macht, hat sich dann das Volksbegehren, die Volksinitiative, der Antrag oder die Vorbereitung dafür49 erledigt. In Schleswig-Holstein ist das Selbsteintrittsrecht auf das Stadium der Volksinitiative beschränkt50, in Sachsen auf das Stadium des Volksantrages51. In Bayern besteht zwar ein Selbsteintrittsrecht. Bei einer Verfassungsänderung findet aber in jedem Fall ein Volksentscheid statt52, so dass sich durch den Selbsteintritt im Ergebnis nur dann etwas ändert, wenn dieser erfolgt, bevor die nötige Stimmenzahl für das Volksbegehren erreicht ist. In jedem Fall bewirkt bei einer erfolgreichen Abstimmung der Selbsteintritt aber auch hier, dass sich der Landtag noch rechtzeitig „auf die Seite des Volkes geschlagen“ hat.

___________ 48

Jung, in: Jahrbuch Staats- und Verwaltungswissenschaft 1995, S. 107 ff., 108 ff. Reagiert der Landtag schon auf laufende Vorbereitungen für ein Volksbegehren (der praktisch unwahrscheinlichste Fall), handelt es sich formell noch nicht um einen Selbsteintritt, sondern um gewöhnliche gesetzgeberische Tätigkeit. 50 Art. 42 SchlVerf. 51 Art. 72 SächsVerf. 52 Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayVerf. 49

II. Möglichkeiten der Volksgesetzgebung in den Ländern

399

b) Die Vorwirkungen direktdemokratischer Entscheidungsmöglichkeiten Genau dieses „Sich-auf-Volkes-Seite-schlagen“ kennzeichnet den Effekt am besten und lässt zugleich dessen Voraussetzungen erkennen. Es geht darum, dass Politiker einen zunächst mehrheitlich abgelehnten (und zumindest hier: parteipolitisch neutralen) Vorschlag im Hinblick auf einen erkennbar werdenden mehrheitlichen Volkswillen mehrheitlich übernehmen, mag dies auch mehr oder weniger „zähneknirschend“ und notgedrungen geschehen. Dafür bestehen zwei Gründe, die miteinander einhergehen können:

(1) Aktivierung der Politik Erstens wird nicht jeder Vorschlag, den die Politik nicht von sich aus aufgreift, von allen Politikern auch aus tiefer Überzeugung abgelehnt. Vielfach sind nur andere Themen derzeit wichtiger oder man ahnt zwar die sachliche Berechtigung, hält die Änderung aber für unbequem, weicht der Thematik aus, befasst sich nicht weiter damit und lässt entsprechende Bemühungen schleifen oder einschlafen. Dann bewirkt der Beginn eines Volksgesetzgebungsverfahrens einen Zwang, sich nunmehr ernsthaft mit der Problematik auseinanderzusetzen und es kann zu einer Überzeugung von der Richtigkeit des Vorschlages kommen. Gerade bei der vorliegenden Frage bestehen aufgrund der bisherigen Behandlung durch die Landtage53 erhebliche Anzeichen für ein solches Ausweichen. Das legt den Eintritt eines Sogeffektes nahe.

(2) Abwehrbestrebungen Zweitens stellt sich eine beginnende Volksgesetzgebung aus Sicht des Parlamentariers als ein Eingriff in seinen originären Aufgabenbereich dar. Obgleich nach den Landesverfassungen beide Formen der Gesetzgebung überwiegend formell gleichberechtigt nebeneinander stehen, stellt die Volksgesetzgebung in der Praxis und vor allem aus Sicht des Parlamentariers doch den Ausnahmefall dar, einen Eingriff in seine Aufgabe der Volksvertretung und im Fall des Erfolges den inzidenten Vorwurf, dieser Aufgabe nicht gerecht geworden zu sein. Hinzu kommt die Befürchtung, dass das Beispiel Schule macht. Das gilt es aus Sicht des Parlamentariers zu verhindern54 und kann auch bei (ursprünglichen) Gegnern eines Vorschlages zu dessen Unterstützung führen. ___________ 53 54

Vgl. Janssen, in: Henneke, S. 59 ff., 87. So auch Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 24 f.

400

§ 13 Landesrechtliche und -politische Möglichkeiten der Umsetzung

(3) Voraussetzungen einer Sogwirkung Damit ist man bei den Voraussetzungen einer solchen Sog- oder (je nach Blickwinkel) Zwangswirkung. Beide Gründe setzen einen erkennbaren Volkswillen voraus und eine realistische Chance der Realisierung des Gewollten auch gegen den Willen der verantwortlichen Politiker55. Den „erkennbaren Volkswillen“ gilt es zu präzisieren. Es wurde bereits ausgeführt, dass ein solcher nicht immer zu Tage tritt56. Wichtig ist eine Mehrheit in der Bevölkerung, wobei die Sogwirkung umso größer ist, je klarer und eindeutiger die Mehrheit ist. Freilich ist es in dem Moment, in dem die Mehrheit per Volksentscheid festgestellt wird, schon zu spät. Die hier ins Auge gefasste Feststellung eines Volkswillens erfolgt vielmehr durch Umfragen im Vorfeld des Volksentscheids. Grundsätzlich kann deshalb der Effekt auch unabhängig von einem Volksbegehren durch Umfragen ausgelöst werden. Das eingeleitete Verfahren gewährleistet aber die Realisierbarkeit auch gegen den Willen der Politiker und sorgt dafür, dass entsprechende Umfragen überhaupt durchgeführt werden und die notwendige Medienpräsenz erlangen.

(4) Verstärkung des Effekts bei beginnender Reaktion Beginnt der Umschwenkeffekt erst einmal, entfaltet er rasch eine Eigendynamik. Je mehr Politiker sich für den Vorschlag aussprechen, desto mehr weitere Politiker sehen sich gezwungen, dazu zumindest Stellung zu beziehen, insbesondere sobald das Thema von den Medien aufgegriffen wird. Dabei können Spitzenpolitiker (Ministerpräsidenten, Parteivorsitzende, Minister) Schlüsselfunktionen einnehmen. Vor allem aber verstärkt es den Effekt für die Regierungskoalition, wenn die Oppositionsparteien auf die Linie der Volksmehrheit einschwenken und umgekehrt. Das ist auch Politikern bewusst und wird bisweilen durch Einleitung oder Androhung eines Volksbegehrens gezielt eingesetzt, um (auch in den eigenen Reihen) Mehrheiten herbeizuführen57.

___________ 55

Siehe zum Zusammenhang zwischen der Bindung der Politiker an den Volkswillen und der Möglichkeit des Volkes, die Umsetzung zu sanktionieren, bereits § 6 I. 1. e) (3) sowie § 6 I. 2. a) und c). 56 Siehe § 6 I. 2. d) (1) und (2). 57 Siedentopf, Niedersächsischer Landkreistag 6/1995, 4.

II. Möglichkeiten der Volksgesetzgebung in den Ländern

401

(5) Beispiel: Kommunalverfassungsreform Dass das alles keine graue Theorie ist, zeigt das Beispiel der Kommunalverfassungsreform der 1990er Jahre58. Dort spielte die dargestellte Sogwirkung eine entscheidende Rolle für den Siegeszug der Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten durch ganz Deutschland. In Hessen, wo für die Einführung der Direktwahl eine Verfassungsänderung erforderlich war, nutzte der damalige Ministerpräsident Walter Wallmann (CDU) die Popularität der Direktwahl – eine Umfrage der CDU hatte eine Zustimmung in der Bevölkerung von 71 % ergeben – in der Vorwahlzeit dazu, die Direktwahl in der eigenen Partei durchzusetzen und den Widerstand der SPD zu überwinden59. Das Volk stimmte der beschlossenen Verfassungsänderung anschließend mit 82 % der abgegebenen Stimmen zu60. In Nordrhein-Westfalen61 und Schleswig-Holstein führte jeweils ein von den Oppositionsparteien CDU und FDP initiiertes und gut gestartetes Volksbegehren (Nordrhein-Westfalen) bzw. eine Volksinitiative (SchleswigHolstein) dazu, dass es der SPD-Regierung gelang, die bis dahin vorherrschenden parteiinternen Widerstände zu überwinden. Bei Umfragen in NordrheinWestfalen hatten sich zuvor über 80 % der Bevölkerung für die Direktwahl ausgesprochen62. In Niedersachsen nutzte der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) ein von Oppositionsführer Christian Wulff (CDU) zur Direktwahl der Bürgermeister und Landräte angekündigtes Volksbegehren als Druckmittel, um in seiner Partei eine (knappe) Mehrheit herbeizuführen63. Auch im Saarland führte erst ein von der CDU eingeleitetes Volksbegehren dazu, dass die SPD ihren Widerstand gegen die Direktwahl aufgab und mit ihrer Mehrheit im Landtag die Reform schließlich verabschiedete64.

(6) Länderübergreifende Wirkung Dieser Umschwenkeffekt tritt zwar am stärksten im jeweils betroffenen Bundesland auf, ist darauf aber nicht beschränkt. In Fragen, die sich in gleicher ___________ 58 Eingehend von Arnim, DÖV 2002, 585 ff.; ders., Vom schönen Schein, S. 258 ff.; Jung, in: Jahrbuch Staats- und Verwaltungswissenschaft 1995, S. 107 ff., 110 ff.; s. auch von Arnim, DVBl. 1997, 749 ff. 59 Das Vorgehen Wallmanns ist dargestellt bei von Arnim, DÖV 2002, 585 ff., 587. 60 Siehe die Darstellung bei von Arnim, DÖV 2002, 585 ff., 587; ders., DÖV 1992, 330 ff.; s. auch Jung, Blätter für deutsche und internationale Politik 1996, 567 ff., 569. 61 Siehe von Arnim, DÖV 2002, 585 ff., 588 f.; Freis, S. 113 ff.; Jung, in: Jahrbuch Staats- und Verwaltungswissenschaft 1995, S. 107 ff., 110 ff.; Kleinfeld/Nendza, in: Kleinfeld, S. 73 ff., 78 ff. 62 Jung, in: Jahrbuch Staats- und Verwaltungswissenschaft 1995, S. 107 ff., 118. 63 Von Arnim, DÖV 2002, 585 ff., 589. 64 Dazu und zur Entwicklung in Rheinland-Pfalz von Arnim, DÖV 2002, 585 ff., 590.

402

§ 13 Landesrechtliche und -politische Möglichkeiten der Umsetzung

Weise auch in anderen Bundesländern stellen und bei denen auch keine Anhaltspunkte für landesindividuelle Besonderheiten bei der Einstellung der Bevölkerung bestehen, werden vor allem klare Willensbekundungen durch große Mehrheiten auch von Politikern in anderen Bundesländern wahrgenommen. So rüttelte das Ergebnis des hessischen Referendums zur Kommunalverfassungsreform auch die Politiker in anderen Bundesländern wach und wirkte dort fortan als Katalysator beim Reformprozess65. Das Postulat, dass eine Willenbekundung des Volkes in einem Land zugleich ein Indikator für den Volkswillen in anderen Bundesländern mit vergleichbarer Ausgangslage ist, ließ sich dort jeweils durch große Zustimmung in den (beginnenden) Volksgesetzgebungsverfahren objektivieren. Die länderübergreifende Wirkung verstärkt sich noch einmal mit der Zahl von Ländern, in denen das Volk sich äußert und kann eine regelrechte Eigendynamik entfalten, den bereits dargestellten Dominoeffekt66.

III. Beurteilung der politischen Realisierbarkeit Abschließend soll darauf eingegangen werden, in welchem Bundesland am ehesten die „Initialzündung“ für einen solchen Dominoeffekt erfolgen könnte und ob die Direktwahl der Ministerpräsidenten überhaupt eine Chance auf Einführung in einem Bundesland hat. Aus dem „stecken gebliebenen“ Versuch der Freien Wählergemeinschaft in Rheinland-Pfalz im Jahr 2001 können keine Rückschlüsse gezogen werden, weil dort das Thema als Zugpferd für eine Landtagswahl instrumentalisiert und fallen gelassen wurde, als nach der Wahl der Zweck hinfällig geworden war67.

1. Volkswille zur Direktwahl der Ministerpräsidenten? Beim Einleiten eines Volksgesetzgebungsverfahrens mit dem Ziel der erstmaligen Einführung der Direktwahl des Ministerpräsidenten in einem Bundesland käme es für die Erfolgsaussicht zwar auf die konkrete Zustimmung der Bevölkerung im konkreten Bundesland zum betreffenden Zeitpunkt an und diese lässt sich nicht mit Sicherheit vorhersagen. Es bestehen aber eine Reihe von Anzeichen, die auf eine durchgehend hohe Zustimmung in allen Bundesländern schließen lassen.

___________ 65

Siehe von Arnim, DÖV 2002, 585 ff., 588. Siehe § 13 I. 2. 67 Siehe von Arnim, in: Festschr. König, S. 371 ff., 384. 66

III. Beurteilung der politischen Realisierbarkeit

403

a) Umfragen zur Einstellung der Deutschen zu mehr Bürgerbeteiligung Die Direktwahl der Ministerpräsidenten ist eine Form unmittelbarer Demokratie und ein Mehr an unmittelbarer Demokratie ist von der Mehrheit der Bevölkerung gewollt. Bei einer repräsentativen Umfrage des Münchener IMASInstituts aus dem Juli 200068 sprachen sich auf die Frage, ob eine höhere Bürgerbeteiligung begrüßt oder abgelehnt werde, 61 % der deutschen Bevölkerung für mehr Bürgerbeteiligung aus; nur 5 % lehnten dies ab (20 % gleichgültig, 14 % weiß nicht bzw. keine Angabe). Unter den politisch Interessierten, bei denen am ehesten mit einer hohen Beteiligung im Volksgesetzgebungsverfahren zu rechnen ist, sprachen sich sogar 79 % für mehr Bürgerbeteiligung aus.

b) Umfragen zur Wirkung von mehr Bürgerbeteiligung Bei einer repräsentativen Umfrage des IMAS-Instituts zur erwarteten Wirkung einer stärkeren Bürgerbeteiligung wurde als Beispiel ausdrücklich die Direktwahl führender Politiker wie Bundeskanzler oder Bundespräsident genannt69. Davon versprachen sich 43 %, dass das Interesse der Bürger an der Politik stärker würde, während 33 % nicht an eine Änderung glaubten und nur 6 % ein sinkendes Interesse für wahrscheinlich hielten (18 % weiß nicht bzw. keine Angaben). Von den politisch Interessierten erwarteten sogar 59 % einen positiven Einfluss von mehr direkter Demokratie auf das Politikinteresse.

c) Die Umfragen zur Direktwahl der Bürgermeister und Landräte Schon die vorstehenden Zahlen sprechen für eine breite Zustimmung in der Bevölkerung, wenn es um mehr Einfluss auf die Politik geht. Dass diese noch höher wird, wenn es um ein konkretes Mittel der Mitwirkung, vor allem an einer Personalentscheidung geht, darauf weisen die bereits geschilderten Umfragen und Ergebnisse der Volksabstimmungen im Zuge der Kommunalverfassungsreform der 1990er Jahre hin: Zustimmung von 71 % bei einer Umfrage in Hessen, Zustimmung von 82 % bei der anschließenden Volksabstimmung, Zustimmung von über 80 % bei Umfragen in Nordrhein-Westfalen. Vor allem der Trend in Hessen spricht zudem dafür, dass die Zustimmung umso höher ist, je mehr Menschen gezwungen sind, sich mit der Frage der Direktwahl ausei___________ 68 Umfrageberichte von IMAS-international, Nr. 5, September 2000, veröffentlicht im Internet unter www.imas-international.de/report/9_2000.pdf, S. 2a. 69 Umfrageberichte von IMAS-international, Nr. 5, September 2000, veröffentlicht im Internet unter www.imas-international.de/report/9_2000.pdf, S. 2a.

404

§ 13 Landesrechtliche und -politische Möglichkeiten der Umsetzung

nanderzusetzen, dass eine intensivere Befassung mit der Direktwahl die Zustimmung also eher noch steigen lässt.

d) Umfragen zur Direktwahl des Ministerpräsidenten und zum Präsidialsystem Dass die Zustimmung zur Direktwahl der Bürgermeister und Landräte ein starker Indikator für die Haltung der Bevölkerung zur Direktwahl auch der Ministerpräsidenten ist, wird bestätigt durch eine im Jahr 2000 durchgeführte TED-Umfrage des Trierischen Volksfreundes70: Dabei sprachen sich 88 % für eine Direktwahl des Ministerpräsidenten aus. Das etwa gleiche Zustimmungsniveau bestätigt auch die bereits geäußerte These, dass die Direktwahl kein landesspezifisches Thema ist und deutschlandweit mit gleich hohen Zustimmungsraten zu rechnen ist, wobei in Ostdeutschland allgemein eher eine noch höhere Befürwortung stärkerer Bürgerbeteiligung zu verzeichnen ist71. Auch die bereits erwähnten72 Umfragen Patzelts ergaben durchweg eine hohe Zustimmung zum präsidentiellen Regierungssystem73 und die zahlreichen im Frühjahr 2004 durchgeführten (allerdings überwiegend nicht repräsentativen) TV-Umfragen zur Direktwahl des Bundespräsidenten ergaben durchgehend Zustimmungswerte jenseits der 70 %.

e) Prognose: hohe Zustimmung Da einerseits die Unzufriedenheit der Bürger mit den Parteien seit den zitierten Willensäußerungen eher noch gestiegen ist, andererseits mit der Direktwahl der Bürgermeister und Landräte positive Erfahrungen gemacht wurden, ja diese schon wie selbstverständlich als zur politischen Kultur gehörend empfunden werden, sei die Prognose gewagt, dass sich wenigstens in der näheren Zukunft in allen Bundesländern bei einem Volksentscheid eine hohe Zustimmung zur Direktwahl der Ministerpräsidenten ergäbe74, vermutlich jenseits der 70 %. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit träten damit auch die geschilder___________ 70

Zitiert nach von Arnim, Das System, S. 370 f.; ders., in: Festschr. König, S. 371 ff.,

373. 71

Vgl. die IMAS-Umfrage aus dem Juli 2000, Umfragebereichte von IMASinternational, Nr. 5, September 2000, veröffentlicht im Internet unter www.imasinternational. de/report/9_2000.pdf, S. 2a (70 % Zustimmung gegenüber 59 % im Westen). 72 Siehe § 11 I. 3. a). 73 Patzelt, Politische Vierteljahresschrift 39 (1998), 725 ff., 731 ff.; ders., Aus Politik und Zeitgeschichte B 7-8/99, S. 31 ff., 34 ff. 74 So auch Frankfurter Intervention, RuP 31 (1995), 16 ff., 24.

III. Beurteilung der politischen Realisierbarkeit

405

ten Vorwirkungen eines eingeleiten Volksentscheidungsverfahrens ein, wobei die Realisierungschancen von Land zu Land variieren.

2. Vergleich der rechtlichen Voraussetzungen Vergleicht man den rechtlich gegebenen Rahmen in den einzelnen Bundesländern, wie er bereits dargestellt wurde75, bietet sich zunächst folgendes dreistufiges Bild: Ein Teil derjenigen Bundesländer, die eine Verfassungsänderung durch Volksentscheid zulassen, nämlich Brandenburg, Hamburg, MecklenburgVorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein verlangen ein Beteiligungsquorum von der Hälfte der Stimmberechtigten und ein Zustimmungsquorum von 2/3 der abgegebenen Stimmen. Das sind die für den Volksentscheid höchsten Hürden. Baden-Württemberg, Bremen, Niedersachsen, RheinlandPfalz und Sachsen verlangen die Mehrheit der Stimmberechtigten als Beteiligungs- und Zustimmungsquorum. Noch niedriger sind die Hürden in Bayern und Thüringen. In Thüringen ist jetzt nur noch ein Beteiligungs- und Zustimmungsquorum von 40 % erforderlich. Schließlich gibt es die bayerische Regelung, wonach die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist, diese Mehrheit aber zugleich 25 % der Stimmberechtigten betragen muss. Auf der ersten Stufe stellen alle Bundesländer keine höheren Hürden auf als für die einfache Volksgesetzgebung. Sie bewegen sich überall bei unter 2 % der Stimmberechtigten, überwiegend um etwa 1 %, wobei in Niedersachsen diese Stufe gänzlich entfallen kann. Die Quoten für ein erfolgreiches Volksbegehren liegen überwiegend zwischen 10 und 15 % der Stimmberechtigten, wobei Bremen für Verfassungsänderungen mit 20 % an der Spitze steht. Besonders niedrige Quoren verlangen Brandenburg (80.000 Unterschriften, damit weniger als 5 % der Stimmberechtigten) und Schleswig-Holstein (5 %). Von Bedeutung ist dabei aber auch, wie lange die Stimmen gesammelt werden. Hier liegt Sachsen mit 8 Monaten an der Spitze und es folgen Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Niedersachsen mit 6 Monaten, wobei in allen diesen Bundesländern die Stimmensammlung frei erfolgt, also durch Bemühungen des Verfahrensinitiators forciert werden kann76. ___________ 75

Siehe § 13 II. 1. Die Initiative Mehr Demokratie e.V. hat die rechtlichen Rahmenbedingungen – allerdings nicht speziell auf Verfassungsänderungen bezogen – in allen Bundesländern einer Art Test unter Einbeziehung der jeweiligen Verfassungsrechtsprechung und von Themenausschlüssen unterzogen, veröffentlicht im Internet unter http://mehrdemokratie.de/bu/_pdf/ranking.pdf (ausgedruckt am 22. Februar 2004). Danach ergibt sich für die Landesebene folgendes „Volksentscheid-Ranking“ (je besser der Platz, desto günstiger die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das Volk): 1. Bayern, 2. Hamburg, 3. Sachsen, 4. Nordrhein-Westfalen, 5. Sachsen-Anhalt, 6.-9. Niedersachsen, 76

406

§ 13 Landesrechtliche und -politische Möglichkeiten der Umsetzung

3. Realisierungschancen nach Ländern Fände sich in Folge der Diskussion, zu der sich diese Abhandlung als Beitrag versteht, eine Gruppe von Initiatoren, die sich des Projektes der Direktwahl annähme, wäre diese möglicherweise – wenn es sich um eine örtliche Initiative handelt – an ein Bundesland gebunden und hätte keine Auswahl. Mit Ausnahme von Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland hätte eine solche Initiative in allen Bundesländern realistische Chancen. Mit Hessen und Nordrhein-Westfalen fallen allerdings zwei Bundesländer weg, für die im Hinblick auf die Umfragen und Abstimmungsergebnisse bei der Kommunalverfassungsreform besonders zuverlässig mit einer Zustimmung der Bevölkerung zu rechnen wäre. Mit Berlin fällt ein Stadtstaat weg und in Stadtstaaten lassen sich aufgrund der räumlichen Dichte Volksgesetzgebungsverfahren tendenziell leichter einleiten und durchführen (Unterschriftensammlung, Werbung etc.) als in Flächenstaaten.

a) Kritisch: Zweidrittelmehrheit Im Übrigen bestehen bei einer Zustimmung von über 70 % in der Bevölkerung realistische Chancen selbst in jenen Bundesländern, die eine Zweidrittelmehrheit verlangen. Fände sich allerdings eine überörtliche Initiative, die die Direktwahl zunächst einmal – um mit Maurer zu sprechen77 – versuchsweise in einem Bundesland einführen möchte, sollte von jenen Ländern, die eine Zweidrittelmehrheit verlangen, erst einmal abgesehen werden. Eine Mehrheit von 50 % oder 40 % (in Thüringen) ist demgegenüber angesichts der dargestellten bisherigen Willensäußerungen nahezu sicher. Zudem besteht die Gefahr für die Reform weniger in Reformgegnern als in Gleichgültigkeit. Selbst bei einer Zustimmung von nur 50 % in der Bevölkerung läge die Zustimmung beim Volksentscheid vermutlich deutlich höher. An Volksabstimmungen nehmen tendenziell vor allem Personen teil, die den Vorschlag durchsetzen oder verhindern wollen, und eine nennenswerte Bewegung von Gegnern einer Direktwahl bzw. eines Präsidialsystems ist in der Bevölkerung angesichts der dargestellten Umfragen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten.

___________ Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Thüringen, 10. Schleswig-Holstein, 11. Brandenburg, 12. Hessen, 13. Berlin, 14. Bremen, 15. Baden-Württemberg, 16. Berlin. 77 Maurer, in: Festschr. Stein, S. 143 ff., 158.

III. Beurteilung der politischen Realisierbarkeit

407

b) Hauptproblem: Beteiligungsquorum Hauptproblem wäre also nicht das Zustimmungs-, sondern das Beteiligungsquorum. Die in Baden-Württemberg als einzigem Bundesland bestehende Pflicht zur Ausübung des Stimmrechts78 ist nicht sanktioniert und in der Praxis nichts weiter als ein weiteres Beispiel für die Diskrepanz zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit79, von dem positive Auswirkungen auf die Abstimmungsbeteiligung nicht zu erwarten sind. Strukturell würde sich Bayern anbieten. Bei einer hohen Zustimmung unter den Teilnehmern ist dort das Beteiligungsquorum verhältnismäßig niedrig. Im Extremfall von 100 % Zustimmung liegt es bei nur 25 % der Stimmberechtigten, also bei nur halb so vielen wie in allen anderen Bundesländern mit Ausnahme Thüringens (40 %). Die höheren Beteiligungsquoren von 50 % in den anderen Bundesländern sind in der Praxis kaum erreichbar und wirken damit prohibitiv80. Für Bayern spricht zudem, dass dort schon einmal eine einschneidende Staatsorganisationsmaßnahme per Volksentscheid beschlossen wurde, nämlich 1998 die Abschaffung des Bayerischen Senats. Dort betrug die Abstimmungsbeteiligung 39,9 %81; für die Abschaffung stimmten 69,2 %. Auch das Antragsquorum von 25.000 Unterstützern ist in Bayern niedrig und das Volksbegehrensquorum von 10 % liegt im Durchschnitt. Gegen Bayern spricht nur die kurze Dauer der Stimmensammlung und dass Bayern ein Flächenstaat ist, was es verhältnismäßig schwierig macht, vielen Bürgern die Reform zu vermitteln. Allerdings wurde trotz der kurzen Frist das Volksbegehrensquorum schon mehrfach erreicht und ein Scheitern im Stadium des Volksbegehrens wäre für das Vorhaben insgesamt wesentlich weniger schädlich als eine Ablehnung beim Volksentscheid. So böten Hamburg und Bremen als Stadtstaaten zwar ein Umfeld für eine organisatorisch verhältnismäßig leicht zu realisierende Mobilisierung der Bevölkerung, stellen mit einem Beteiligungsquorum von 50 % aber deutlich höhere Anforderungen als Bayern. In Hamburg ließ sich bislang die Wahrscheinlichkeit eines Erreichens des Beteiligungsquorums über den Zeitpunkt der Antragstellung erhöhen, weil dort nach Art. 50 Abs. 5 HmbVerf drei Monate vor einer Wahl kein Volksentscheid mehr stattfindet. So konnte, da nach dem Hamburgischen Volksabstimmungsgesetz auch einen Monat nach einer Wahl kein Volksentscheid stattfinden darf, erreicht werden, dass der Volksentscheid mit einer Wahl zusammenfällt und von der Wahlbeteiligung profitiert82. Dieser vom ___________ 78

Art. 26 Abs. 3 BaWüVerf. Siehe bereits § 6 I. 1. b). 80 BayVerfGH, Entsch. v. 02. Dezember 1949, Az. Vf. 5-VII-49, BayVGHE 2 II, 181 ff., 216 ff., m.w. Nachw.; von Arnim, Vom schönen Schein, S. 257. 81 Auch diese Zahl belegt, wie entscheidend das Beteiligungsquorum ist. 82 Siehe zu diesem Gesichtspunkt von Arnim, Vom schönen Schein, S. 231. 79

408

§ 13 Landesrechtliche und -politische Möglichkeiten der Umsetzung

Hamburgischen Verfassungsgeber ausdrücklich gewünschte Effekt83, wurde in der Vergangenheit auch rege genutzt84. Mit einer Reihe fadenscheiniger Argumente85 hat die CDU-Mehrheit in der Hamburger Bürgerschaft dem in klarer Missachtung des Willens des Verfassungsgebers nun einen Riegel vorgeschoben, indem sie das Volksabstimmungsgesetz dahingehend geändert hat, dass auch am Wahltag selbst keine Volksentscheide stattfinden dürfen. Diese Regelung dürfte verfassungswidrig sein, da sie trotz Vereinbarkeit mit dem Wortlaut des Art. 50 Abs. 5 HmbVerf dessen o.g. Sinn und Zweck zuwiderläuft. Sollte die Regelung vom Landesverfassungsgericht aufgehoben werden, könnte dieser Weg auch für die Einführung der Direktwahl genutzt werden. Das erlaubte zugleich die vage Hoffnung, dass sich eine Oppositionspartei für die Direktwahl ausspricht und diese auch Eingang in den Landtagswahlkampf findet. Allerdings besteht in Hamburg das bereits genannte Risiko eines Scheiterns bei der eigentlichen Abstimmung aufgrund der erforderlichen Zweidrittelmehrheit und nichts wäre dem Vorhaben insgesamt abträglicher als ein gescheiterter Volksentscheid in einem Bundesland. Günstig sind die Voraussetzungen auch noch in Thüringen, seit und vor allem auch weil dort auf Betreiben des Volksbegehrens „Mehr Demokratie für Thüringen“ bei breiter Zustimmung in der Bevölkerung die Anforderungen an die Volksgesetzgebung vom Landtag zurückgeschraubt wurden (nebenbei bemerkt einstimmig, was ein weiterer Beleg für die geschilderte Sogwirkung sein dürfte).

___________ 83

Verfassungsausschuss der Bürgerschaft, Protokoll v. 21. März 1995, Drucksache 15/27, S. 9. 84 Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, Stellungnahme v. 28. Dezember 2004 zu dem Ersuchen der Bürgerschaft vom 10./11. November 2004 betreffend die Novellierung des Volksabstimmungsgesetzes, Drucksache 18/1524, S. 3. 85 Widersprüchlicherweise wird zugleich die aufgezeigte Wirkung der Zusammenlegung in Zweifel gezogen und mit dieser Wirkung das Verbot begründet, weil sie zu einer Ungleichbehandlung der Volksentscheide führe. Außerdem führe eine Mehrzahl von Volksentscheiden dazu, dass die Wahlhelfer am Wahlabend überlastet werden könnten und langfristig keine Wahlhelfer mehr gefunden werden könnten (!), s. Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, Stellungnahme v. 28. Dezember 2004 zu dem Ersuchen der Bürgerschaft vom 10./11. November 2004 betreffend die Novellierung des Volksabstimmungsgesetzes, Drucksache 18/1524, S. 3. Angesichts der offensichtlichen Gegenargumente, dass nämlich – von Sonderfällen wie vorgezogenen Neuwahlen abgehen – jede Initiative die Möglichkeit nutzen konnte und einer Überlastung der Wahlhelfer – eine solche war in der Praxis nie aufgetreten – ohne weiteres z. B. mit einer sukzessiven Auszählung (erst die Wahlzettel, die Abstimmungszettel am nächsten Tag o.ä.) hätte begegnet werden können, ist diese Begründung als vorgeschoben anzusehen und als eigentliches Ziel die Eindämmung der unliebsamen Volksgesetzgebung zu vermuten.

III. Beurteilung der politischen Realisierbarkeit

409

c) Ergebniskontrolle: Praxis der Volksgesetzgebung Das Ergebnis – beste Realisierungschancen in Bayern – wird durch eine Betrachtung der Praxis der Volksgesetzgebung bestätigt. Bislang (Stand: Herbst 2003) ergibt sich unter den Bundesländern, die eine Verfassungsänderung durch Volksentscheid zulassen, nach Zahlen das folgende Bild86: • Baden-Württemberg: • Bayern: • Brandenburg: • Bremen: • Hamburg: • MecklenburgVorpommern: • Niedersachsen: • Rheinland-Pfalz: • Sachsen: • Sachsen-Anhalt: • Saarland: • Schleswig-Holstein: • Thüringen:

4 Anträge, kein Volksbegehren, kein Volksentscheid 32 Anträge, 13 Volksbegehren, 5 Volksentscheide 20 Volksinitiativen, 6 Volksbegehren, kein Volksentscheid 11 Anträge, 3 Volksbegehren, kein Volksentscheid 15 Anträge, 3 Volksbegehren, 2 Volksentscheide 15 Volksinitiativen, kein Volksbegehren, kein Volksentscheid 6 Anträge, 2 Volksbegehren, kein Volksentscheid 3 Anträge, 1 Volksbegehren, kein Volksentscheid 9 Volksinitiativen, 3 Volksbegehren, 1 Volksentscheid 2 Anträge, 2 Volksbegehren, kein Volksentscheid 2 Anträge, kein Volksbegehren, kein Volksentscheid 10 Volksinitiativen, 3 Volksbegehren, 2 Volksentscheide 4 Anträge, 3 Volksbegehren, kein Volksentscheid

In dieser Praxis kommen auch die unterschiedlichen rechtlichen Voraussetzungen der Volksgesetzgebung auf Landesebene zum Ausdruck. Bayern bietet sich für die Einführung der Direktwahl auch deshalb an, weil es in der Praxis mit 5 Volksentscheiden an der Spitze liegt und die Bevölkerung mit dem Instrumentarium entsprechend vertraut ist. Man sollte die „Initialzündung“ nicht unbedingt in einem Bundesland versuchen, in dem dies die erste Volksabstimmung wäre.

___________ 86

Siehe auch die Darstellung bei Jung, ZRP 2000, 440 ff.

§ 14 Zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Ergebnisse Die wesentlichen Erkenntnisse der Untersuchung lassen sich in folgenden Thesen festhalten:

I. Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie 1. Als Element unmittelbarer Demokratie erhöht eine Direktwahl des Ministerpräsidenten gegenüber dem parlamentarischen Regierungssystem unmittelbar den Einfluss des Volkes auf die Person des Ministerpräsidenten. Zwar weisen die Landtagswahlen schon derzeit faktisch eine Nähe zu einer Ministerpräsidentenwahl auf. Bei einer echten Direktwahl entfällt aber für den Bürger die zwingende Verbindung zwischen der zu wählenden Partei und dem Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten. Die bestehenden Mitbestimmungslücken bei nachträglichen Koalitionsbildungen und bei Neubesetzungen des Amtes während einer laufenden Amtsperiode werden geschlossen. 2. Mittelbar führt dies zu mehr Einfluss des Volkes auf die Tätigkeit der Landesexekutive. Ein Entscheidungsträger orientiert sich am ehesten an dem Willen jenes Subjektes, dem er seine Entscheidungsbefugnis verdankt und das ihn kontrolliert. Diese stärkere Orientierung der Regierungstätigkeit am Volkswillen kann aber nicht mit unmittelbaren Volkentscheidungen (unmittelbarer Demokratie i.e.S.) gleichgesetzt werden. Es verbleibt eine (Sach-) Verantwortlichkeit des Ministerpräsidenten auch gegenüber dem Landtag, es gibt in den meisten Fragen keinen aktiv in Erscheinung tretenden Volkswillen und es liegt am Ministerpräsidenten, die Mehrheit in der Bevölkerung ggf. von der sachlichen Notwendigkeit einer unpopulären Entscheidung zu überzeugen. 3. Für die Bewertung des Maßes an Volkseinfluss in einer Demokratie sind abstrakte Regeln nur bedingt tauglich. Eine Vermutung zugunsten mittelbarer Demokratie besteht für das Staatsprinzip als solches; auf Staatsebene sind rein unmittelbare Demokratien überwiegend nicht mehr praktikabel. Hieraus folgt aber keine Vermutung gegen einzelne unmittelbar demokratische Entscheidungselemente. Aus den heute untrennbar miteinander ver-

I. Die Direktwahl als Element unmittelbarer Demokratie

411

schmolzenen Prinzipien der Demokratie und der Volkssouveränität folgt vielmehr ein staatstheoretischer Vorrang direkter Demokratie und direktdemokratischer Entscheidungselemente. Er führt nicht per se dazu, dass direkt-demokratischen Elementen bei der praktischen Ausgestaltung von demokratischen Verfassungen der Vorrang einzuräumen ist. Der Ausschluss einer unmittelbaren Volksentscheidung bedarf aber einer Rechtfertigung und im Zweifel – wenn gleichgewichtige Gründe für und gegen eine unmittelbare Volksentscheidung sprechen – ist der unmittelbaren Volksentscheidung der Vorrang einzuräumen. 4. Es gibt keinen Grund, dem Landesvolk die unmittelbare Entscheidung über den Ministerpräsidenten zu versagen. Weder ist die Entscheidung übermäßig komplex, noch besteht die Gefahr einer Manipulierung des Volkes durch die Art der Fragestellung und die Vorformulierung der Antworten. Das Gegenargument der mangelnden politischen Reife des Volkes ist überholt, würde auch gegen die derzeitigen „faktischen Präsidentenwahlen“ sprechen und rechtfertigt keine Differenzierung zwischen den verschiedenen Staatsorganen. Ungeachtet eines Maßstabes für politische Entscheidungen (dazu IV.) sind schlechte Entscheidungen über die Person des Ministerpräsidenten nicht zu erwarten. Wissenschaftlich greifbar sind nur die geringen formell-qualitativen Anforderungen an die Person des Ministerpräsidenten, die keine praktische Relevanz haben. Eine „Versteinerung“ ist nicht eher als im Landesparlamentarismus zu erwarten; ihr könnte mit einer Begrenzung der Amtszeiten begegnet werden. Eine Volkswahl des Ministerpräsidenten ist auch praktikabel. Der bei einem zeitlichen Auseinanderfallen von Landtags- und Ministerpräsidentenwahl entstehende zusätzliche Kosten-, Zeit- und Aktivierungsaufwand fällt gegenüber der Bedeutung der demokratischen Entscheidung nicht ins Gewicht. Bei gleichzeitiger Durchführung beider Wahlen könnten sogar Synergieeffekte erzielt werden (dazu VI.). 5. Für die Einführung einer Direktwahl des Ministerpräsidenten unter dem Gesichtspunkt der Selbstbestimmung spricht, dass sie es vermag, der zunehmenden Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Als Akzeptanzdefizit stellt Politikverdrossenheit eine Gefahr für die Demokratie dar. Ihre Ursachen sind vielfältig und nicht abschließend erfassbar, abgrenzbar und messbar. Es handelt sich um ein Problem, das niemals gelöst, sondern dem nur als Massenphänomen durch das Bekämpfen von Einzelursachen quantitativ entgegengewirkt werden kann. Hauptursachen der Politikverdrossenheit sind das Empfinden einer Entscheidungsschwäche der Staatsorgane, eines ausufernden Parteieneinflusses, von Unausgewogenheiten im pluralistischen Kräftespiel („Ungerechtigkeit“), von übermäßiger Bürokratisierung („Freiheitseinschränkung“) und von eigener Ohnmacht. Dem Ohnmachtsempfin-

412

§ 14 Zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Ergebnisse

den wirken das Mehr an unmittelbarem Einfluss auf die Personalentscheidung Ministerpräsident und das Mehr an mittelbarem Einfluss auf die Tätigkeit der Landesexekutive entgegen.

II. Die demokratische Legitimation in den Bundesländern 1. Das Erfordernis demokratischer Legitimation der Landesorgane folgt unmittelbar aus dem Prinzip der Volkssouveränität. Zu trennen ist die juristische Frage, wie die demokratische Legitimation der Landesorgane beschaffen sein muss, von der politikwissenschaftlichen Frage, wie sie beschaffen sein sollte. Politikwissenschaftlich kann mehr geboten sein, als ein inhaltlicher und persönlicher Legitimationsstrang vom Volk bis hin zum Ministerpräsidenten und seinen Entscheidungen. 2. Ein politikwissenschaftlicher Maßstab lässt sich aus dem Demokratieprinzip als politischem Prinzip gewinnen. Aus der Funktion demokratischer Legitimation ist abzuleiten, dass desto höhere Anforderungen an den inhaltlichen und persönlichen Legitimationsbedarf zu stellen sind, je bedeutsamere Entscheidungen ein hoheitlicher Entscheidungsträger zu treffen hat. 3. Ein politikwissenschaftlicher Maßstab lässt sich auch aus dem (durch das Grundgesetz geprägten) Verfassungsrecht gewinnen, da und soweit dieses nicht selbst in der politischen Diskussion steht. Das Verfassungsrecht bietet konkretere und damit weniger angreifbare Ableitungsgrundlagen. 4. Grundgesetz und Landesverfassungen erkennen Legitimationsunterschiede an, vor allem indem sie dem Parlament als am stärksten demokratisch legitimierten Organ die formal stärkste Stellung einräumen: grundsätzliche Allzuständigkeit, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes. Schon aufgrund dieser (nach Art. 79 Abs. 3 GG, in den Ländern auch über Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GG und die „Ewigkeitsklauseln“ der Landesverfassungen) unantastbaren Prinzipien ist das demokratische Legitimationsniveau zwingend als nicht statisch aufzufassen. 5. Die Wesentlichkeitstheorie ist eine Regelung für das erforderliche Maß an demokratischer Legitimation in Bund und Ländern, denn sie bestimmt (mit umgekehrter Zielrichtung), welche Fragen vom höchst legitimierten Organ selbst geregelt werden müssen und welche auch einem weniger stark legitimierten Organ, derzeit nämlich der Regierung, zur Entscheidung überlassen werden können. Sie folgt aus dem Vorbehalt des Gesetzes und den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten und steht ihrerseits nicht zur Disposition. Ihr Telos gilt auch für das politikwissenschaftliche Soll an demokratischer Legitimation. Daraus folgt eine Akzessorietät von erforderlichem Niveau an

III. Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

413

demokratischer Legitimation eines hoheitlichen Entscheidungsträgers und der Bedeutung und Quantität der von diesem Machtsubjekt zu treffenden Entscheidungen für den Bürger. Die weitergehenden Konkretisierungen der Wesentlichkeitstheorie lassen sich auf das politikwissenschaftliche Akzessorietätsprinzip nicht übertragen.

6. Für die akzessorische Anknüpfung der Legitimationsverteilung an die wahrgenommenen Aufgaben ist auf die faktische Aufgabenverteilung abzustellen – „faktisch“ im Sinne von konkreter Ausgestaltung des Kompetenzgefüges nach dem Grundgesetz und den Landesverfassungen sowie der Wahrnehmung dieser Kompetenzen in der Verfassungswirklichkeit. Die Länder haben sowohl nach dem Konzept der Aufgabenverteilung des Grundgesetzes als auch nach der faktischen Aufgabenverteilung weitreichende Verwaltungskompetenzen. Obgleich das Konzept des Grundgesetzes bei der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Länder ausgeht, haben die Bundesländer in der Praxis nur geringe Gesetzgebungskompetenzen (Organisations- und Kulturhoheit) und nehmen diese noch eingeschränkter selbständig wahr. Zum Ausgleich erhaltene Beteiligungskompetenzen auf den höheren Ebenen Bund und Europäische Union werden landesintern überwiegend von den Regierungen ausgeübt, so dass sich Bedeutung und Quantität der Exekutiventscheidungen in den Ländern weiter erhöht haben und die Landtage keine für die Landesvölker bedeutsamen Entscheidungen in größerem Umfang mehr treffen. 7. Bei der derzeitigen Aufgabenverteilung im Bundesstaat und innerhalb der Länder verstößt die Verteilung der demokratischen Legitimation gegen den Akzessorietätsgrundsatz. Da die Landtage über die größtmögliche demokratische Legitimation verfügen, gebietet es der Akzessorietätsgrundsatz angesichts des deutlichen Übergewichts der Exekutiven bei der Aufgabenwahrnehmung, die demokratische Legitimation der Landesregierungen auf dieses – höchste – Niveau anzuheben. Das kann nur durch eine Direktwahl des Ministerpräsidenten geschehen.

III. Die Gewaltenteilung in den Bundesländern 1. Auswirkungen einer Volkswahl der Ministerpräsidenten auf das Machtverhältnis der Landesverfassungsgerichte zu den Landtagen und Landesregierungen sind nicht zu erwarten. Sie sind bei ihren Kontrollbefugnissen gegenüber Legislative und Exekutive auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt und können nicht von sich aus tätig werden. Als einzige Verände-

414

§ 14 Zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Ergebnisse

rung ist bei der Judikative ein quantitativer Anstieg von Organstreitverfahren und möglicherweise von Ministeranklagen zu erwarten. 2. Es gilt, die durch eine Direktwahl bewirkten Veränderungen im Machtverhältnis zwischen Landesregierung und Landtag qualitativ zu erfassen. Die Machtfülle lässt sich weder präzise erfassen, noch ist der Schluss von der Stärkung eines Organs auf eine Schwächung seines Gegenspielers zwingend. 3. Unmittelbare Folge der Verschiebung bei der Zuständigkeit für die Bestimmung des Ministerpräsidenten vom Landtag zum Volk ist ein Einflussschwund des Landtages auf die Exekutive. 4. Der Einflussschwund des Landtages wird (neben einer Stärkung der parlamentarischen Kontrolle, dazu 12.) abgefedert durch die parteiinternen Bindungen des Ministerpräsidenten. Diese sind eine Folge der Aufstellung als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten durch eine Partei sowie der Aufstellung und Wahl in sonstige (Partei-)Ämter. Die parteiinternen Bindungen verlaufen auch in umgekehrter Richtung (Bindung der Parlamentarier einer Partei an „ihren“ Ministerpräsidenten“), sind von zahlreichen Faktoren abhängig und können auch nur partiell als Bindungen gegenüber bestimmten parteiinternen Strömungen oder einzelnen Parteifunktionären bestehen. Bei einem parteilosen Ministerpräsidenten würden diese Bindungen vollständig entfallen. Obgleich parteilose Ministerpräsidenten nicht mehr systemwidrig wären, werden sie aber auch bei Einführung einer Direktwahl die Ausnahme bleiben. Dies ist im Wesentlichen eine Folge des unvermindert fortbestehenden Machtstrebens der Parteien und des organisatorischen wie finanziellen Aufwandes einer Kandidatur um das Amt des Ministerpräsidenten. Bei einer Kohabitation („divided government“) würden die parteipolitischen Bindungen des Ministerpräsidenten gegenüber der Landtagsmehrheit ebenfalls vollständig entfallen. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Kohabitationen hängt maßgeblich vom Zeitpunkt der Ministerpräsidentenwahl ab. Der wahrscheinlichste Fall bleibt auch bei einer Direktwahl, dass der Ministerpräsident der Mehrheitspartei angehört. Seine Bindung gegenüber fremden Parteien entfällt weitgehend, da er für seine Wahl keinen Koalitionspartner mehr benötigt. Gegenüber der eigenen Partei bleibt die Bindung grundsätzlich bestehen. Die stärkere Bindung gegenüber dem Volk wirkt sich aber als Antagonist zur Parteienbindung aus, was zu einer Stärkung des Ministerpräsidenten gegenüber der eigenen Partei und zu einer Versachlichung des Ausnutzens beider Formen der Bindung führt. 5. Für das Kräfteverhältnis von Ministerpräsident und Landtag ist von wesentlicher Bedeutung, ob der direkt gewählte Ministerpräsident für die Regierungsbildung der Zustimmung des Landtages bedarf. Ein Zustimmungser-

III. Die Gewaltenteilung in den Bundesländern

415

fordernis verhindert eine weitgehende Unabhängigkeit des direkt gewählten Ministerpräsidenten, weil er schon bei der Ernennung der Minister auf die Vorstellungen des Landtages Rücksicht nehmen muss und die Landtagsmehrheit die Erteilung ihrer Zustimmung mit inhaltlichen Forderungen verknüpfen kann. Man wäre letztlich wieder bei Koalitionsvereinbarungen angelangt. Für die weitere Untersuchung wurde deshalb davon ausgegangen, dass kein Zustimmungserfordernis besteht. Mit der Notwendigkeit von Regierungskoalitionen entfallen auch aus der Not geborene schwache und instabile Landesregierungen. 6. Mittelbar ergeben sich weitere Veränderungen im Verhältnis von Ministerpräsident und Landtag, weil die Direktwahl zu Veränderungen im innerparlamentarischen Willensbildungsprozess und damit zu einer veränderten Aufgabenwahrnehmung beim Landtag führt. 7. An der Fraktionsbildung in den Landtagen ändert sich durch die Direktwahl nichts, weil sie ihre Ursache wie der Zusammenschluss zu Parteien im Verfolgen gemeinsamer politischer Ziele einer einheitlichen Grundrichtung hat. Die Fraktionsdisziplin nimmt bei Einführung einer Direktwahl aber ab. Neben der Erhöhung der Durchschlagskraft bei der Verfolgung gemeinsamer politischer Ziele der Abgeordneten hat sie ihre Hauptursache in der Regierungsfähigkeit bzw. im möglichst schlagkräftigen Angriff auf die Regierung, um diese zu stürzen. Diese Ursache entfällt bei einer Volkswahl. Ein Scheitern der Regierung wird nicht mehr als Scheitern der Mehrheitsfraktion wahrgenommen. Der vom Volk gewählte Ministerpräsident kann seiner Partei nur noch sehr eingeschränkt mit dem Rücktritt drohen. Das Ziel eines Sturzes der Regierung tritt bei den übrigen Fraktionen in den Hintergrund, weil Wahl und Abwahl der Regierung grundsätzlich dem Volk obliegt. Welcher Seite Konflikte zwischen Landtagsmehrheit und Ministerpräsident schaden, hängt stärker vom Gegenstand des Konflikts ab. Dies führt zur Versachlichung der Diskussion zwischen Parlament und Regierung: „blinde Regierungstreue“ entfällt ebenso wie „blinde Opposition“. 8. Koalitionen gibt es nach Einführung einer Direktwahl nicht mehr. Sie finden ihren einzigen Grund in der Regierungsbildung. Damit entfallen auch gleichheitswidrige Machtverzerrungen („Koalitionsgewinne“) und Koalitionsausschüsse, was die Entscheidungszuständigkeiten und Verantwortlichkeiten deutlich transparenter macht. 9. Mit dem Entfallen von Koalitionen und der Abschwächung der Fraktionsdisziplin in der Partei des Ministerpräsidenten wird die Bindung des Landtages (über die Landtagsmehrheit) an den Ministerpräsidenten schwächer. Die institutionelle Übereinstimmung entfällt. Das freie Mandat der Abge-

416

§ 14 Zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Ergebnisse

ordneten wird wiederhergestellt. Insgesamt können auch die Landtage gegenüber den Landesregierungen freier agieren. 10. Die institutionelle Übereinstimmung zwischen Regierung und Parlament ist in den Ländern nicht erforderlich. Das Bedürfnis der Landtage, dass die Regierungen ihre Gesetze beim Vollzug selbständig weiterdenken, ist gering, weil die Landesregierungen überwiegend Bundes- und Europäisches Recht vollziehen. Das Regieren ist auf Landesebene auch längerfristig ohne fest formierte unterstützende Parlamentsmehrheit möglich. Sollte es in der Praxis wider Erwarten zu Fällen gegenseitiger Lähmung („deadlocks“) kommen, könnte dem notfalls mit ergänzenden Mechanismen begegnet werden (z.B. Befugnis des Ministerpräsidenten zur Auflösung des Landtages mit der Folge einer Neuwahl beider Organe). 11. Die grundlegende Funktion des Landtages als Volksvertretung wird durch eine Direktwahl des Ministerpräsidenten nicht eingeschränkt. Die unmittelbare Volksvertretung durch den Ministerpräsidenten und jene durch den Landtag sind nicht miteinander vergleichbar und schränken sich gegenseitig nicht ein; ihre Qualität wird jeweils bestimmt durch die eigene Legitimation und die eigenen Kompetenzen sowie deren Ausübung. 12. Die Kontrollfunktion der Landtage läuft derzeit weitgehend leer. Dies ist eine unmittelbare Folge der institutionellen Übereinstimmung von Landtag und Regierung. Durch die Einführung einer Direktwahl werden die Landtage in der Ausübung ihrer Kontrollfunktion gegenüber dem Ministerpräsidenten freier. Selbst wenn der Ministerpräsident der Mehrheitspartei im Landtag angehört, ist in sachlich begründeten Fällen mit Kritik durch den Landtag zu rechnen. Die parlamentarische Kontrolle wird damit neu belebt und effektiver. Ein Übermaß an Kontrolle ist auch im Falle einer Kohabitation nicht zu befürchten. 13. Das (gebotene) Entfallen des konstruktiven Misstrauensvotums in seiner bisherigen Form ändert daran nichts. Abzulehnen ist selbst ein konstruktives Misstrauensvotum mit Zweidrittelmehrheit, weil es zu einer doppelten Zuständigkeit für die Entscheidung über den Ministerpräsidenten (Mischsystem) führen würde. Dem Landtag ist aber ein Initiativrecht zu einem Volksentscheid über die Beendigung des Amtes des Ministerpräsidenten einzuräumen. Erforderlich ist aufgrund des Ausnahmecharakters eine Zweidrittelmehrheit im Landtag. Ein Scheitern der Abwahl hätte die Auflösung des Landtages zur Folge. Misstrauensvoten gegenüber der übrigen Regierung oder einzelnen Ministern sollte es allenfalls mit Zweidrittelmehrheit geben. Es bedarf ihrer aber jedenfalls in jenen Ländern nicht, die eine Ministeranklage kennen. Sinnvoll erscheint eine Ministerpräsidentenanklage („Im-

IV. Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl

417

peachment“) vor dem Landesverfassungsgericht zur Ahndung von Rechtsverstößen bzw. von Missbrauchsfällen. 14. Eine Volkswahl des Ministerpräsidenten hat weniger Einfluss der Exekutive auf die Gesetzgebung zur Folge und eröffnet im Landtag mehr Möglichkeiten für wechselnde Mehrheiten. Die Gesetzgebungsverfahren werden freier von sachfremden Einflüssen und es ist mit einer stärkeren Gegenstandsorientierung zu rechnen. Das führt zu einer Verantwortungsrückgewinnung bei den Landtagen für ihre grundlegendste Aufgabe. Die Trennung von gesetzgebender und vollziehender Gewalt in den Ländern wird schärfer konturiert. Die Legitimation der Landtage und der Staatsqualität der Bundesländer erhöht sich. 15. Durch eine Direktwahl werden im Ergebnis sowohl die Ministerpräsidenten und Landesregierungen als auch die Landtage gestärkt. Ihre ureigensten Funktionen als Staatsorgane treten stärker in den Vordergrund. Die Gewaltenteilung wird neu belebt, ohne dass ein Organ übermächtig wird. Die Verantwortung für politische Entscheidungen in den Bundesländern wird transparenter und ermöglicht eine bessere Kontrolle beider Staatsgewalten durch das Volk. Dies erhöht wiederum die Legitimation beider Organe.

IV. Die Orientierung der Landespolitik am Gemeinwohl 1. Der Streit um den Gemeinwohlbegriff im Rahmen der Diskussion um die Direktwahl der Ministerpräsidenten ist gegenstandslos. Sowohl Reformbefürworter als auch Reformgegner gehen von einem relativen Gemeinwohlbegriff aus. Grundsätzlich ist diejenige (politische) Entscheidung richtig, die auf die jeweilige Situation bezogen alle relevanten Gemeinwohlwerte optimal zum Ausgleich bringt. Für Einzelerscheinungen und -entscheidungen kann deren Gemeinwohlschädlichkeit allerdings auch schon ohne Überprüfung dieses Ausgleichs feststellbar sein. 2. Bei Personalentscheidungen im öffentlichen Dienst sind die zu berücksichtigenden Gemeinwohlgrundwerte verfassungsrechtlich zwingend und abschließend vorgegeben und konkretisiert. Den Ausgleich zwischen fachlicher Eignung und Effektivität der Regierung (Regierungstreue) haben die Verfassungsgesetzgeber in Bund und Ländern bereits vorgenommen. Die Berücksichtigung der Parteizugehörigkeit scheidet bei unpolitischen Ämtern aus. Ämterpatronage ist verfassungswidrig und gemeinwohlschädlich. Ursächlich für Ämterpatronage innerhalb der Verwaltung sind einerseits eine entsprechende Motivation der Regierungsmitglieder, die auf dem Drängen von Parteimitgliedern und/oder dem Streben nach möglichst vielen loyalen Mitarbeitern im nachgeordneten Dienst beruhen kann, und andererseits eine

418

§ 14 Zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Ergebnisse

fehlende diesbezügliche Kontrolle durch die Landtage. Ob sich an den Ursachen bei einer Direktwahl etwas ändern würde oder ob diesen besser entgegengetreten werden könnte, lässt sich nicht mit Sicherheit vorhersagen. Das liegt vor allem daran, dass einzelnen Personalentscheidungen in der nachgeordneten Verwaltung vom Volk wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wird (und werden kann), dass auch der direkt gewählte Ministerpräsident bestrebt sein wird, über möglichst viele gleichgesinnte Mitarbeiter in seiner Verwaltung zu verfügen und dass im weiterhin wahrscheinlichsten Fall einer Mehrheit seiner Partei im Landtag sich weiterhin auswirken wird, dass gerade die Abgeordneten als Träger der parlamentarischen Kontrolle in den Parteien häufig Schlüsselfunktionen einnehmen und damit selbst Schaltstellen von Postenwünschen sind. 3. Für Sachentscheidungen lassen sich im Hinblick auf die große Vielfalt ihrer Gegenstände keine generellen Aussagen zum Verhältnis der Gemeinwohlwerte treffen, sondern nur Aussagen zum Entscheidungsprozess. Ziel ist es, die politischen Entscheidungsprozesse so zu optimieren, dass sie eine Optimierung der Gemeinwohlgrundwerte im Einzelfall regelmäßig gewährleisten. Zu unterscheiden sind allgemeine Interessen, die von allen oder einem Großteil der Landesbürger geteilt werden, und Partikularinteressen einzelner Gruppen. Im freien Spiel der Interessen setzen sich Partikularinteressen eher gegenüber allgemeinen Interessen durch. Eine Ursache hierfür ist der höhere Organisationsgrad der Partikularinteressen. Ein idealer Entscheidungsprozess gleicht die den allgemeinen Interessen immanente Durchsetzungsschwäche aus und bringt unabhängig von ihr alle Interessen im konkreten Einzelfall zu einem Ausgleich. Mittler der Partikularinteressen auf dem Weg zu den Entscheidungsträgern sind die Interessenverbände und die Parteien. Auf die Interessenverbände wirkt sich die Einführung einer Direktwahl nicht aus. Vor allem aufgrund der Abschwächung der Parteienbindung des direkt gewählten Ministerpräsidenten und seiner gesteigerten Verantwortung gegenüber dem Volk erhöhten sich aber für den direkt gewählten Ministerpräsidenten der Anreiz, stärker allgemeine Interessen zu beachten, und die Möglichkeit, der Durchsetzungsstärke der Partikularinteressen entgegenzutreten. Damit wird der politische Entscheidungsprozess als Gemeinwohloptimierungsprozess seinerseits optimiert. In den Landtagen stellen sich die zu erwartenden Veränderungen im innerparlamentarischen Willensbildungsprozess ebenfalls als eine solche Optimierung dar. 4. Demagogie ist die Vereinnahmung eines Entscheidungsträgers von einem (vermeintlich) allgemeinen Interesse, die Vorgabe, ein allgemeines Interesse zu verfolgen, oder aber die Vorgabe, dass eine populäre Entscheidung einem allgemeinen Interesse oder dem Ausgleich sämtlicher Interessen am besten entspricht. So oder so ist sie im Sinne der Gemeinwohllehre stets

V. Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates

419

gemeinwohlschädlich. Trotz der stärkeren Orientierung des Ministerpräsidenten am Volk führt die Direktwahl aber nicht zur Wahl von Demagogen und nicht zur Demagogie. 5. Bezogen auf die verfassungsmäßige Aufgabe der Parteien, an der politischen Willensbildung mitzuwirken, stärken die bei ihren Einflüssen zu erwartenden Veränderungen die Parteien. Durch das Wiedererstarken der Gesetzgebungsfunktion im Landtag entstehen neue politische Betätigungsfelder und Spielräume für die Parteien. Durch das Erstarken der Kontrollfunktion verbleibt eine Mitwirkung an der politischen Willensbildung bei der Regierungstätigkeit. Für „Oppositionsparteien“ wird diese sogar größer. Die Abschwächung der Stellung der Parteien außerhalb der politischen Willensbildung ist von diesen hinzunehmen und im Übrigen zu begrüßen, da es für einen weitergehenden Einfluss keine Legitimation gibt.

V. Die Direktwahl im Gefüge des deutschen Bundesstaates 1. Das rechtlich zwingend vorgegebene Bundesstaatsprinzip gebietet eine effektive sachliche Autonomie der Bundesländer. Dabei muss sich das staatliche Eigenleben auf alle Staatsgewalten erstrecken. Derzeit ist die Autonomie der Bundesländer zu schwach und genügt diesem Gebot nicht. 2. Neben dem Verlust von Gesetzgebungskompetenzen und der freiwilligen Länderkoordination liegt die Schwäche der Länder daran, dass der Bundesrat in der Praxis vor allem ein Instrument der Bundes-Parteipolitik geworden ist. Der Missbrauch des Bundesrates als Werkzeug der Opposition im Bund führt auch auf Bundesebene zu schwerwiegenden Problemen („Allparteienregierung“). Für die Länder führt er zum Verlust des wichtigsten Instrumentariums zum Schutz und zur Durchsetzung von Länderinteressen auf den höheren Ebenen Bund und EU. Nur so konnten die Bundesländer viele Kompetenzen überhaupt erst verlieren. Dass die Länder sich in dieser Form instrumentalisieren lassen, liegt an der starken Verknüpfung der Landesmit der Bundespolitik über die Bürger, die Medien und vor allem über die Parteien. Die vertikale parteipolitische Gleichschaltung (Organisation der Parteien zur Bundesspitze hin) läuft dem Konzept des Föderalismus (zwei getrennte staatliche Ebenen) strukturell zuwider. 3. Eine Direktwahl des Ministerpräsidenten würde die sachliche Autonomie der Länder stärken. Dies würde schon bei den Wahlen beginnen. Die Wahlen der Ministerpräsidenten wären echte Landeswahlen, weil es den Kandidaten möglich wäre, sich als Person von den Parteien abzukoppeln und weil das Landesvolk sich stärker auf die Landespolitik konzentrieren würde – zwei Effekte, die sich noch einmal gegenseitig verstärken. Der Effekt wäre

420

§ 14 Zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Ergebnisse

bei einem zeitlichen Auseinanderfallen von Ministerpräsidenten- und Landtagswahl zwar am größten, würde aber auch bei gleichzeitigen Wahlen noch eintreten, weil aufgrund der Veränderungen bei den Landtagen auch die Landtagswahlen selbst „landespolitisiert“ würden. Die Landesregierungen würden sich in der Folgezeit sowohl bei ihrer Regierungstätigkeit als auch bei ihrer Tätigkeit im Bundesrat stärker am Landesvolk und an Landesinteressen orientieren. Allianzen würden sie nur noch eingehen, wo dies sachlich geboten ist, dann aber auch mit dem parteipolitischen Gegner. Die dauerhafte Preisgabe von Landeskompetenzen wäre nur noch in Ausnahmefällen vorstellbar. Dazu würde auch die neu erstarkende parlamentarische Kontrolle durch die Landtage beitragen. Schließlich würde die stärkere und landesindividuellere Ausnutzung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Landtage die sachliche Autonomie der Länder weiter stärken. Insgesamt würden die Landespolitiker gegenüber der Bundesebene ihrer Parteien freier, würde die Landespolitik von bundespolitischen Inhalten und Konflikten befreit. 4. Für den Bund hätte die Stärkung der Länderautonomie keine nachteiligen Folgen. Die Konflikte mit dem Bundesrat würden sich zunächst einmal nur qualitativ verändern, weg vom Gegeneinander Regierung/Opposition hin zum Gegeneinander Bund/Länder, wie es der Konzeption des Grundgesetzes entspricht. In der Folgezeit würden, vor allem bei einer Rückgewinnung von Gesetzgebungskompetenzen durch die selbstbewusster auftretenden Länder, die Konflikte quantitativ eher abnehmen, weil damit zugleich der „Beteiligungsföderalismus“ abnähme, in dem diese Konflikte wurzeln. Die Funktion des Bundestages als Vertretung des Bundesvolkes wird durch die Direktwahl der Ministerpräsidenten nicht beeinträchtigt. Eine Schwächung des Bundeskanzlers gegenüber den direkt gewählten Ministerpräsidenten ist nicht auszuschließen, vom Landesverfassungsgeber aber nicht zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die vertikale und horizontale Kompetenzverteilung sind gewisse Abstriche von der derzeitigen Machtposition des Bundeskanzlers, der die Exekutive in einer schwerpunktmäßigen Legislativeinheit führt, auch noch hinzunehmen. Denkbar ist aber, dass sich dereinst auch im Bund die Notwendigkeit einer Direktwahl der Exekutive – Bundeskanzler oder bei gleichzeitigem Kompetenzzuwachs Bundespräsident – ergibt. Auch die Funktion des Bundesratspräsidenten als Stellvertreter des Bundespräsidenten steht seiner Direktwahl als Ministerpräsident in einem Bundesland nicht entgegen. 5. Eine Erhöhung der demokratischen Legitimation des Bundesrates tritt durch die Direktwahl nur dann ein, wenn sie in allen Bundesländern eingeführt wird. Die Erhöhung wäre im Hinblick auf die Mitwirkung des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union konsequent. Die Kontrolle der

VI. Die Beantwortung der Regierungssystemfrage

421

Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union durch den Bundestag einerseits und den Bundesrat andererseits (je nach innerstaatlicher Kompetenz), die die gleiche („parlamentarische“) Funktion hat, erfolgte dann nicht mehr durch zwei unterschiedlich stark legitimierte Organe. Maßgeblich für das einzelne Bundesland ist aber mehr der Gesichtspunkt der Mitbestimmung: Durch die Direktwahl rückt das Landesvolk näher an die Sachentscheidung auf den höheren Ebenen heran. Die Preisgabe von Landesinteressen an die Europäische Union lässt sich besser verhindern. Bei einer solchen Erhöhung der demokratischen Legitimation des Bundesrates würde sich – quasi als Nebeneffekt – auch die nationale, vom deutschen Volk vermittelte demokratische Legitimation der Europäischen Union erhöhen, ohne dass dies allerdings das dort vorhandene Demokratiedefizit beseitigen würde. 6. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Europäischen Integration ist die Direktwahl der Ministerpräsidenten sinnvoll, weil sie gewährleistet, dass in dem ungewissen Entwicklungsprozess mit zahlreichen Beteiligten jedenfalls die wenigen bestehenden Möglichkeiten zur Wahrung der Länderkompetenzen und Durchsetzung der Landesinteressen durch dafür engagierte Landesregierungen und Landtage bestmöglich gewahrt werden. Möglicherweise trägt die Direktwahl auf diese Weise zum dauerhaften Bestand der Bundesländer bei. Ihre Bedeutung erhält so eine ganz neue Dimension.

VI. Die Beantwortung der Regierungssystemfrage für die Länder Die vorstehenden Erkenntnisse, vor allem aber die zu fordernde Akzessorietät von politischer Macht und demokratischer Legitimation, sprechen für die Einführung eines präsidentiellen Regierungssystems in den Ländern. Das würde zugleich mehreren Ursachen der Politikverdrossenheit entgegenwirken und so die Politikverdrossenheit eindämmen. Gegen ein Präsidialsystem für die Bundesländer spricht nicht der Vergleich mit dem Reformversuch in Israel, unter anderem deshalb, weil es sich dort um ein Mischsystem handelte, das im entscheidenden Punkt (Regierungsbildung) parlamentarisch ausgestaltet war. Die Gegenargumentation mit dem fehlenden Verständnis des Volkes für das parlamentarische System schließlich geht an der eigentlichen Sachdiskussion vorbei.

422

§ 14 Zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Ergebnisse

VII. Zur Ausgestaltung des Regierungssystems Das Präsidialsystem in den Ländern sollte wie folgt ausgestaltet sein: 1. Die Wahlperioden von Ministerpräsident und Landtag sollten von gleicher Dauer sein und betragen entweder 4 oder 5 Jahre. Die Wahlen finden entweder zeitgleich oder um genau eine halbe Amtsperiode zeitlich versetzt statt. Ein zwingendes Ergebnis in diesem Punkt gibt es nicht. Es dürfte sich ein leichtes Übergewicht der Gründe für eine gleichzeitige Wahl ergeben, wobei allerdings Raum für eine landesindividuelle Regelung besteht. Ein vorzeitiges Ende des Amtes des Ministerpräsidenten hat auf den Landtag keinen Einfluss, ebenso wenig eine vorzeitige Auflösung des Landtages auf den Fortbestand der Regierung. In einem solchen Fall sollte es dort, wo eine Neuwahl stattfindet, zu einer verkürzten Amtsperiode kommen, damit der reguläre Rhythmus beibehalten bleibt. 2. Einer Begrenzung der Amtszeiten des Ministerpräsidenten ist mit Skepsis zu begegnen. Die Frage ist allerdings nicht zwingend mit der Regierungssystemfrage verbunden, stellt sich für das parlamentarische Regierungssystem ebenso und kann landesindividuell beantwortet werden. 3. Zur Wahl eines Ministerpräsidenten sollte im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich sein. Wird diese von keinem Kandidaten erreicht, findet binnen 14 Tagen ein zweiter Wahlgang statt. Obgleich auch hier Raum für eine landesindividuelle Ausgestaltung besteht, sollte es sich dabei am besten um eine Stichwahl zwischen den beiden erfolgreichsten Kandidaten des ersten Durchgangs handeln. 4. Mit Ausnahme des Entfallens eines konstruktiven Misstrauensvotums (siehe III. 13) verbleiben dem Landtag die bisherigen Kontrollmöglichkeiten. 5. Für eine Abwahl des Ministerpräsidenten durch das Volk („Recall“) ist in Anlehnung an die Regelungen der Landesverfassungen zur Auflösung der Landtage durch Volksentscheid ein Beteiligungsquorum von 50 % der Wahlberechtigten und als Zustimmungsquorum die einfache Mehrheit der gültigen Stimmen zu fordern. Für das vorzuschaltende Volksbegehren bietet sich ein Zustimmungsquorum von 1/4 oder 1/5 der Wahlberechtigten an, wobei 1/4 angesichts des hohen Beteiligungsquorums am ehesten gewährleistet, dass aussichtslose Abwahlbemühungen schon im Vorstadium stecken bleiben. Bei der Ausgestaltung der Quoren und des Verfahrens bietet sich aber auch Raum für landesindividuelle Lösungen. 6. Die Regierung wird durch den Ministerpräsidenten gebildet. Er bedarf zur Ernennung und Entlassung der übrigen Regierungsmitglieder keiner

VIII. Weitere Reformschritte

423

Zustimmung des Landtages. Demgegenüber ist die Volkswahl der gesamten Landesregierung oder aller einzelnen Regierungsmitglieder abzulehnen. 7. Als flankierende Maßnahme ist in den Landesverfassungen ausdrücklich die Unvereinbarkeit von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat zu verankern.

VIII. Weitere Reformschritte 1. Spätestens mit der Einführung der Direktwahl entfällt die Rechtfertigung der Fünfprozenthürde bei Landtagswahlen. Die Abschaffung der Fünfprozentklausel hat durch eine Änderung der Landeswahlgesetze zugleich mit der Reform der jeweiligen Landesverfassung oder zeitnah im Anschluss daran zu erfolgen. 2. Die Einführung eines präsidentiellen Regierungssystems in den Ländern ermöglicht, weil dadurch der Landtag aus der Verantwortung für die Regierung befreit wird, eine echte Parlamentsreform bei den Landtagen. 3. Eine stärkere Personalisierung der Landtagwahlen durch Einführung des Kumulierens und Panaschierens von Stimmen ist zu befürworten, vor allem um durch eine stärkere Kopplung des einzelnen Abgeordneten an den Volkswillen einen Anreiz für eine sachbezogene Ausnutzung der neu gewonnenen Entscheidungsspielräume (Abschwächung der Fraktionsdisziplin, Wiederherstellung des freien Mandats) zu schaffen. 4. Der Vorschlag einer Umgestaltung der Landtage zu Teilzeitparlamenten ist zurückzustellen, da sich durch die Einführung des präsidialen Regierungssystems das Tätigkeitsbild der Landtage verändert und nach den hier gewonnenen Erkenntnissen zu erwarten ist, dass ein bedeutendes Argument für die Umgestaltung (Aufgabenverlust bei den Landtagen) entfällt bzw. zu einem Gegenargument wird (stetige Zunahme der Landesgesetzgebung und der parlamentarischen Kontrolle der Landesregierungen). 5. Die Frage erweiterter Sachentscheidungsmöglichkeiten für das Volk ist eigenständig und an anderer Stelle zu beantworten. Mit der Volkswahl sollte die hochstrittige Forderung nach erweiterten Sachentscheidungsmöglichkeiten auf keinen Fall verbunden werden. 6. Die Direktwahl der Ministerpräsidenten trägt zu einem wichtigen Ziel der Föderalismusreform im Bund, der Erhöhung der Transparenz der politischen Verantwortung zwischen Bund und Ländern, bei, indem sie die starke Verzahnung beider Ebenen über die Parteien abmindert, an der bislang die meisten Reformen scheiterten. Für ein weiteres Ziel der Föderalismusre-

424

§ 14 Zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Ergebnisse

form, die „Reföderalisierung“, schafft die Direktwahl die Voraussetzungen auf Landesebene, indem sie das Verteidigen bestehender Gesetzgebungskompetenzen, das Einfordern neuer Kompetenzen und vor allem deren landesindividuelles Ausschöpfen durch die Landtage gewährleistet. Damit ist die Direktwahl eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Föderalismusreform im Bund. 7. Auf Bestrebungen zur Neugliederung des Bundesgebietes hat die Einführung der Direktwahl keine Auswirkungen.

IX. Zulässigkeit 1. In keinem Bundesland, dessen Verfassung eine sog. Ewigkeitsgarantie enthält, steht diese der Einführung einer Direktwahl des Ministerpräsidenten oder eines präsidentiellen Regierungssystems entgegen. Beides verstößt weder gegen das von den Ewigkeitsklauseln geschützte Demokratieprinzip noch ist es mit der von verschiedenen Ewigkeitsgarantien geschützten parlamentarischen Staatsform unvereinbar. 2. Das Homogenitätsgebot (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) steht weder einer Volkswahl des Ministerpräsidenten noch einem präsidentiellen Regierungssystem in den Ländern entgegen. Das gilt sowohl bei einer der Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes (Art. 79 Abs. 3 GG) entsprechenden Auslegung als auch bei einer erweiterten Auslegung im Sinne einer Nichtstörungsklausel, weil keine Störungen für den Gesamtstaat zu erwarten sind.

X. Möglichkeiten der Umsetzung 1. Die Einführung einer Volkswahl des Ministerpräsidenten oder eines Präsidialsystems im Wege der Verfassungsänderung durch den Landtag ist politisch äußerst unwahrscheinlich. Realistischer wird diese Möglichkeit, wenn die Reform bereits in einigen Bundesländern erfolgreich umgesetzt ist und zum Nachahmen einlädt. So könnte es zu einem schließlich alle Länder erfassenden „Dominoeffekt“ kommen. 2. Die Einführung einer Volkswahl des Ministerpräsidenten oder eines Präsidialsystems im Wege der Verfassungsänderung durch das Volk hat politisch gute Chancen. Es ist mit einer Zustimmung in der Bevölkerung jenseits der 70 % zu rechnen. Allerdings lassen Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen und das Saarland eine Änderung der Verfassung durch das Volk nicht zu. In den anderen Ländern stellt die größte Hürde auf dem Weg zur erfolgreichen

X. Möglichkeiten der Umsetzung

425

Verfassungsänderung das Beteiligungsquorum beim Volksentscheid dar. Den günstigsten Rahmen für einen erfolgreichen Volksentscheid bietet insofern Bayern, gefolgt von Thüringen. 3. Die Einleitung eines Volksentscheidungsprozesses kann eine Sogwirkung dergestalt erzeugen, dass sich die politischen Entscheidungsträger das vom Volk Gewollte zu Eigen machen. Diese sog. Vorwirkungen direktdemokratischer Entscheidungsmöglichkeiten haben ihre Ursache in einer Aktivierung der Politik durch die anstehende Entscheidung und in einem Bestreben der Politiker, die Entscheidung formell in der Hand zu behalten. Der Eintritt der Vorwirkungen setzt einen erkennbaren Volkswillen voraus und eine realistische Chance, ihn auch gegen den Willen der Politiker umzusetzen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Sogwirkung kann auch über Ländergrenzen hinweg eintreten und so den „Dominoeffekt“ herbeiführen. Letztlich könnte es auf diese Weise zur Umsetzung der Reform auch in Ländern kommen, die dem Volk derzeit noch die Änderung der Verfassung versagen.

Literaturverzeichnis Abitz, Reinhard: Die Untersuchungsausschüsse – oppositionelle oder gesamtparlamentarische Kontrolle?, in: Busch/Berger, S. 20 ff. Abromeit, Heidrun: Mögliche Antworten auf Demokratiedefizite in der Europäischen Union, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 187 ff. von Alemann, Ulrich (Hrsg.): Politikwissenschaftliche Methode – Grundriss für Studium und Forschung, Opladen 1995 von Alemann, Ulrich / Forndran, Erhard: Methodik der Politikwissenschaft – Eine Einführung in die Arbeitstechnik und Forschungspraxis, 5. Aufl., Stuttgart/Berlin/Köln 1995 Alexy, Robert: Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: Rechtstheorie – Beiheft 1 (1979), S. 59 Alternativkommentar: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in zwei Bänden (Reihe Alternativkommentare, Gesamtherausgabe: Wassermann, Rudolf) – Band 1 – Art. 1-37, 2. Aufl., Neuwied/Frankfurt 1989 – Band 2 – Art. 38-146, 2. Aufl., Neuwied/Frankfurt 1989 Althaus, Dieter: Verknüpfung von Amt und Mandat hat sich in der Praxis bewährt, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 17 f. Althaus, Marco (Hrsg.): Kampagne! – Neue Strategien für Wahlkampf, PR und Lobbying, Münster 2001 Althaus, Marco: Political Consulting – Beratung durch Profis in amerikanischen Wahlkämpfen, in: Althaus, S. 198 ff. Anschütz, Gerhard: Die Verfassung des deutschen Reiches vom 11. August 1919 – ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 14. Aufl., Berlin 1933 Anschütz, Gerhard / Thoma, Richard (Hrsg.): Handbuch des Deutschen Staatsrechts – Erster Band, Tübingen 1930 Arian, Asher: Politics in Israel – The Second Generation, Catham 1985 von Arnim, Hans Herbert (Hrsg.): Adäquate Institutionen: Voraussetzungen für „gute“ und bürgernahe Politik? – Vorträge auf dem 2. Speyerer Demokratie-Forum vom 14.

Literaturverzeichnis

427

bis 16. Oktober 1998 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1999, (zitiert: von Arnim, Adäquate Institutionen) – Auf dem Weg zur optimalen Gemeindeverfassung, in: Festschr. Hochschule Speyer, S. 297 ff.; auch: DVBl. 1997, 749 ff. – Das System – Die Machenschaften der Macht, München 2001 – (Hrsg.): Demokratie vor neuen Herausforderungen – Vorträge und Diskussionsbeiträge auf dem 1. Speyerer Demokratie-Forum vom 29. bis 31. Oktober 1997 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1999, (zitiert: von Arnim, Demokratie vor neuen Herausforderungen) – Der getäuschte Souverän – Von einer Verlängerung der Legislaturperioden profitiert allein die politische Klasse, in: Rheinischer Merkur Nr. 4/2003, S. 4 – Der Staat als Beute – Wie Politiker in eigener Sache Gesetze machen (Taschenbuchausgabe), München 1993 – Der verstimmte Bürger – Alarmzeichen für unsere Demokratie?, in: Deutscher Beamtenbund, S. 27 ff. – Die Besoldung von Politikern – Der Zusammenhang mit ihrer Rekrutierung und der Leistungs- und Handlungsfähigkeit der Politik, in: ZRP 2003, 235 ff. – Die Entmachtung der Landesparlamente und die Existenzfrage, in: Frankfurter Rundschau vom 10. Dezember 2002 – Die Hessen haben nicht viel zu wählen, in: SZ vom 10. Januar 2003 – Diener vieler Herren – Die Doppel- und Dreifachversorgung von Politikern (Taschenbuchausgabe), München 1998 – Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, Mainz 1991 – Die politische Durchsetzung der Kommunalverfassungsreform der neunziger Jahre, in: DÖV 2002, 585 ff. – „Die Umkehr der demokratischen Idee“ (Interview), in: Schwäbische Zeitung vom 16. Mai 2003 – Die Unhaltbarkeit der Fünfprozentklausel bei Kommunalwahlen nach der Reform der Kommunalverfassungen, in: Festschrift Vogel, S. 453 ff. – (Hrsg.): Direkte Demokratie – Beiträge auf dem 3. Speyerer Demokratieforum vom 27. bis 29. Oktober 1999 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 2000, (zitiert: von Arnim, Direkte Demokratie) – Ein demokratischer Urknall, in: DER SPIEGEL vom 20. Dezember 1993, S. 35 ff. – Fetter Bauch regiert nicht gern – Die politische Klasse – selbstbezogen und abgehoben, München 1997

428

Literaturverzeichnis

– Fetter Bauch regiert nicht gern – Von der Selbstblockade der Reformbestrebungen zum Ende der Lähmung, in: DVP 1999, 47 ff. – (Hrsg.): Finanzkontrolle im Wandel – Vorträge und Diskussionsbeiträge der 15. Verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung 1988 des Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung bei der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1989, (zitiert: von Arnim, Finanzkontrolle) – Finanzkontrolle in der Demokratie – Einordnung der Rechnungshofkontrolle in das politisch-administrative System der Bundesrepublik Deutschland, in: von Arnim, Finanzkontrolle, S. 39 ff. – Gemeindliche Selbstverwaltung und Demokratie, in: AöR 113 (1988), 1 ff. – Hat die Demokratie Zukunft? – Die Parteien sind nicht mehr fürs Ganze da, sondern nur noch für sich selbst, in: FAZ vom 27. November 1993, S. I – Ministerpräsidenten direkt vom Volk wählen lassen – Ein Plädoyer für neue Länderverfassungen / Der „Urknall“ könnte in Rheinland-Pfalz geschehen, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 09. Juli 2000, S. 4 – Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie auf Gemeindeebene, in: DÖV 1990, 85 ff. – Mut zu einer legalen Revolution – Wahlrecht bedarf der Erneuerung, in: Kölner StadtAnzeiger vom 29. Januar 2003, S. 4 – Parteiendefizite in der Parteiendemokratie, in: Schmitz, S. 27 ff. – Patronage: Defizit der Parteiendemokratie, in: Haungs/Jesse, S. 202 ff. – Politik ohne Verantwortung, in: RuP 36 (2000), 83 ff. – Reform der Gemeindeverfassung in Hessen, in: DÖV 1992, 330 ff. – Reformstau durch deformierten Föderalismus, in: Wirtschaftsdienst 2002, 193 ff. – Staat ohne Diener – Was schert die Politiker das Wohl des Volkes?, München 1993 (auch erschienen als ergänzte Taschenbuchausgabe, München 1993 – wo diese zitiert wird, ist dies als Klammerzusatz vermerkt) – Staat und Verwaltung vor neuen Herausforderungen, in: Zimmermann, S. 7 ff. – Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, München 1984 – Strukturprobleme des Parteienstaates, in: Parlament – Beilage 2000 Nr. 16, S. 30 ff. – Systemwechsel durch Direktwahl des Ministerpräsidenten?, in: Festschrift König, S. 371 ff. – Verantwortlichkeit gegenüber den Bürgern stärken – zu „Sprachlose Parlamente“ SZ vom 29. August 2002, in: SZ vom 16. September 2002

Literaturverzeichnis

429

– Verfassungsfragen der Fraktionsfinanzierung im Bundestag und in den Landesparlamenten, in: Wewer, S. 134 ff. – Verfassungsrechtliches Gutachten über die Erhöhung der Wahlkampfkosten in Nordrhein-Westfalen (Drittes Gesetz zur Änderung des Wahlkampfkostengesetzes vom 9.10.1990, GV.NW S. 572) für den Bund der Steuerzahler Nordrhein-Westfalen e.V., Düsseldorf 1991, (zitiert: von Arnim, Gutachten) – Vom schönen Schein der Demokratie – Politik ohne Verantwortung – am Volk vorbei (Taschenbuchausgabe), München 2002, (zitiert: von Arnim, Vom schönen Schein) – Wählen wir die Länderchefs direkt!, in: Die Welt vom 28. Februar 2004 – Wählen wir unsere Abgeordneten unmittelbar?, in: JZ 2002, 578 ff. – Wege aus der Krise des Parteienstaates, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 19 ff. – Werden kommunale Wählergemeinschaften im politischen Wettbewerb diskriminiert?, in: DBVl. 1999, 417 ff. – Wer kümmert sich um das Gemeinwohl? – Auflösung der politischen Verantwortung im Parteienstaat, in: ZRP 2002, 223 ff. – Wie aus der Krise eine Chance werden kann – Die Erneuerung der Demokratie verlangt auch eine Fortentwicklung der Verfassungstheorie, in: FAZ vom 11. Februar 2000, S. 44 Arzheimer, Kai: Politikverdrossenheit – Bedeutung, Verwendung und empirische Relevanz eines politikwissenschaftlichen Begriffs, Wiesbaden 2002 Badura, Peter: Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 23 (S. 953 ff.) – Die parlamentarische Verantwortlichkeit der Minister, in: ZParl 11 (1980), 573 ff. – Staatsrecht – Systematische Erläuterung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., München 1996 Banner, Gerhard: Die drei Demokratien der Bürgerkommune, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 133 ff. – Kommunale Steuerung zwischen Gemeindeordnung und Politik – am Beispiel der Haushaltspolitik, in: DÖV 1984, 364 ff. – Kommunalverfassungen und Selbstverwaltungsleistung, in: Schimanke, S. 37 ff. Bartlsperger, Richard: Das Verfassungsrecht der Länder in der gesamtstaatlichen Verfassungsordnung, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht IV, § 96 (S. 457 ff.)

430

Literaturverzeichnis

Barschel, Uwe: Die Staatsqualität der deutschen Länder – Ein Beitrag zur Theorie und Praxis des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg/Hamburg 1982 Battis, Ulrich / Gusy, Christoph: Einführung in das Staatsrecht, 4. Aufl., Heidelberg 1999 Bauckhage, Hans-Artur: Erfahrungen mit der sozialliberalen Koalition in RheinlandPfalz, in: Sturm/Kropp, S. 216 ff. Bausewein, Andreas: Für Wahlrecht ab 16 – Gegen Direktwahl des Ministerpräsidenten, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 33 ff. Becht, Ernst: Die 5%-Klausel im Wahlrecht – Garant für ein funktionierendes parlamentarisches Regierungssystem?, Stuttgart/München/Hannover 1990 Beike, Rainer: Gewaltenteilung ist tragendes Prinzip des Rechtsstaates, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 37 ff. Benda, Ernst / Maihofer, Werner / Vogel, Hans-Jochen (Hrsg.): Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Berlin/New York 1994 Benz, Arthur / Siedentopf, Heinrich / Sommermann, Karl-Peter (Hrsg.): Institutionenwandel in Regierung und Verwaltung – Festschrift für Klaus König zum 70. Geburtstag, Berlin 2004, (zitiert: Festschrift König) Berlit, Uwe: Die neue niedersächsische Verfassung – Zur Ablösung eines provisorischen Organisationsstatuts, in: NVwZ 1994, 11 ff. Bertges, Karl Josef: Die repräsentative Demokratie und das plebiszitäre Element, Köln/ Bad Honnef 1987 Berth, Rolf: Die ausgebrannte Republik – Kampfansage an Zukunftsverweigerer, Frankfurt a.M. 1998 Bethge, Herbert: Grundfragen innerorganisationsrechtlichen Rechtsschutzes, in: DVBl 1980, 309 ff. von Beyme, Klaus: Die parlamentarische Demokratie – Entstehung und Funktionsweise 1789 - 1999, 3. Aufl., Opladen, Wiesbaden 1999 – Die parlamentarischen Regierungssysteme in Europa, München 1970, (zitiert: von Beyme, Regierungssysteme) Birke, Adolf / Brechtken, Magnus: Politikverdrossenheit – Der Parteienstaat in der historischen und gegenwärtigen Diskussion – Ein deutsch-britischer Vergleich, München/New Providence/London/Paris 1995 Blank, Michael / Fangmann, Helmut / Hammer, Ulrich: Grundgesetz – Basiskommentar, 2. Aufl., Köln 1996

Literaturverzeichnis

431

Blanke, Hermann-Josef: Der Bundesrat im Verfassungsgefüge des Grundgesetzes, in: JURA 1995, 57 ff. Bleckmann, Albert: Staatsrecht II – Die Grundrechte, 3. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 1989 Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 22 (S. 887 ff.) – Demokratische Willensbildung und Repräsentation, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht II, § 30 (S. 29 ff.) – Sozialer Bundesstaat und parlamentarische Demokratie – Zum Verhältnis zwischen Parlamentarismus und Föderalismus unter den Bedingungen des Sozialstaates, in: Festschrift Schäfer, S. 182 ff. Boehl, Henner Jörg: Verfassunggebung im Bundesstaat – Ein Beitrag zur Verfassungslehre des Bundesstaats und der konstitutionellen Demokratie, Berlin 1997 Böttcher, Winfried (Hrsg.): Europäische Perspektiven, Münster/Hamburg/London 2002 Boher, Sylvia: Parteienverdrossenheit – Ursachen und Lösungsstrategien, München 1996 Borchert, Jens: Die Professionalisierung der Politik – Zur Notwendigkeit eines Ärgernisses, Frankfurt a.M./New York 2003 Bothe, Michael: Die Kompetenzstruktur des modernen Bundesstaates in rechtsvergleichender Sicht, Berlin 1977 Braas, Gerhard: Die Entstehung der Länderverfassungen in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1946 – 1947, Köln 1987 Brauneck, Jens: Die Mandatsgebundenheit des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten als deutsches Verfassungsphänomen, in: ZParl 1995, 295 ff. Breunig, Werner: Verfassungsgebung in Berlin 1945 – 1950, Berlin 1990 von Brünneck, Wiltraut: Die Verfassung des Landes Hessen vom 1.12.1946, in: JÖR 3 (1954), 213 ff. Brugger, Winfried: Einführung in das öffentliche Recht der USA, 2. Aufl., München 2001 Bryde, Brun-Otto: Auf welcher politischen Ebene sind welche Probleme vorrangig anzugehen?, in: Sitter-Liver, S. 223 ff. – Die Reform der Landesverfassungen, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 147 ff. – Verfassungsreform der Länder unter bundesverfassungsrechtlichem Unitarisierungsdruck, in: Festschrift Hessen, S. 433 ff.

432

Literaturverzeichnis

Bryde, Brun-Otto / Kleindiek, Ralf: Der allgemeine Gleichheitssatz, in: JURA 1999, 36 ff. Buchholz, Jochen (Hrsg.): Parteien in der Kritik, Bonn 1993 Bürklin, Wilhelm: Die deutsche Parteienkritik im Wandel – Die 1970er bis 1990er Jahre, in: Birke/Brechtken, S. 101 ff. Bürklin, Wilhelm / Welzel, Christian: Theoretische und methodische Grundlagen der Politikwissenschaft, in: Mols/Lauth/Wagner, S. 353 ff. Bütler, Hugo: Direkte Demokratie – aus schweizerischer Sicht, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 175 ff. Bundesrat (Hrsg.): Vierzig Jahre Bundesrat – Tagungsband zum wissenschaftlichen Symposion in der Evangelischen Akademie Tutzing vom 11. bis 14. April 1989, Baden-Baden 1989 Busch, Eckart: Parlamentarische Kontrolle – Ausgestaltung und Wirkung, 4. Aufl., Heidelberg 1991 Busch, Eckart / Berger, Frithjof (Hrsg.): Die parlamentarische Kontrolle – Institution und Funktionen des Deutschen Bundestages, Berglen 1989 Busenbender, Jörg: Die richtigen Köpfe finden – Professionelle Personalrekrutierung für Politik und Kampagnen, in: Althaus, S. 139 ff. Bushart, Christoph: Verfassungsänderung in Bund und Ländern, München 1989 Charrissee, Ursula: In Sachen Kießling – Darstellung und Bewertung eines parlamentarischen Untersuchungsverfahrens, in: Busch/Berger, S. 50 ff. Dachs, Herbert / Fallend, Franz / Wolfgruber, Elisabeth: Länderpolitik – Politische Strukturen und Entscheidungsprozesse in den österreichischen Bundesländern, Wien 1997 Dästner, Christian: Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen – Kommentar, Köln/Stuttgart/Berlin 1996 Dahrendorf, Ralf: Sprachlose Parlamente – In den Staaten Europas haben die gewählten Abgeordneten immer weniger zu sagen, in: SZ vom 29. August 2002 Dauster, Manfred: Die Stellung des Ministers zwischen Regierungschef, Parlament und Regierung nach dem Verfassungsrecht der Länder, Köln/Berlin/Bonn/München 1984 Decker, Frank: Direktwahl der Ministerpräsidenten?, in: RuP 37 (2001), 51 ff. Degenhart, Christoph: Staatsrecht I – Staatszielbestimmungen, Staatsorgane, Staatsfunktionen, 14. Aufl., Heidelberg 1998 Deutscher Beamtenbund: Politik kontra Bürger? Das politische System auf dem Prüfstand, Bonn 1994

Literaturverzeichnis

433

Dewes, Richard: Mit Reformen Signale setzen, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 43 ff. von Dohnanyi, Klaus: Warum ist unsere Politik so schwach?, in: Wirtschaftsdienst 2002, 187 ff. Dickinger, Christian: Der Bundespräsident im politischen System Österreichs, Innsbruck/Wien 1999 von Doemming, Klaus-Berto / Füsslein, Rudolf Werner / Matz, Werner: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JÖR 1 (1991), 1 ff. Dolzer, Rudolf / Vogel, Klaus / Graßhof, Karin (Hrsg.): Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Heidelberg, Stand: 109. Erg.-lfg. 2003, (zitiert: Bonner Kommentar) Dreier, Horst (Hrsg.): Grundgesetz – Kommentar – Band II (Artikel 20-82), Tübingen 1998 Dürig, Günter: Verfassung und Verwaltung im Wohlfahrtsstaat, in: JZ 1953, 193 ff. Ebbighausen, Rolf: Die Kosten der Parteiendemokratie – Studie und Materialien zu einer Bilanz staatlicher Parteienfinanzierung, Opladen 1996 Ehlers, Dirk: Sperrklauseln im Wahlrecht, in: JURA 1999, 660 ff. Eichel, Hans / Möller, Klaus Peter (Hrsg.): 50 Jahre Verfassung des Landes Hessen – eine Festschrift, Wiesbaden 1997, (zitiert: Festschrift Hessen) Eicher, Hermann: Der Machtverlust der Landesparlamente – Historischer Rückblick, Bestandsaufnahme, Reformansätze, Mainz 1988 Eilfort, Michael: Die Nichtwähler – Wahlenthaltung als Form des Wahlverhaltens, Paderborn/München/Wien/Zürich 1994 Ellwein, Thomas: Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., Opladen 1973 Ellwein, Thomas / Hesse, Joachim Jens: Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 6. Aufl., Opladen 1987 Ellwein, Thomas / Grimm, Dieter / Hesse, Joachim Jens / Schuppert, Gunnar Folke (Hrsg.): Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft – Band 8, Baden-Baden 1995 Epping, Volker: Die Trennung von Amt und Mandat – Die parlamentarische Grundposition von Bündnis 90/Die Grünen und die Regierungsbeteiligung – Schlägt die Wirklichkeit den Anspruch?, in: DÖV 1999, 529 ff. Erbguth, Wilfried: Bundesstaatliche Kompetenzverteilung im Bereich der Gesetzgebung – Aktuelle Entwicklungen und allgemeine Grundlagen, in: DVBl. 1988, 317 ff.

434

Literaturverzeichnis

Erichsen, Hans-Uwe / Ehlers, Dirk (Hrsg.): Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl., Berlin 2002 Erichsen, Hans-Uwe / Biermann, Christian: Der Kommunalverfassungsstreit, in: JURA 1997, 157 ff. Erlenkämper, Friedel: Entwicklungen im Kommunalrecht, in: NVwZ 1998, 354 ff. Eschenburg, Theodor: Jahre der Besatzung – 1945 - 1949, Stuttgart/Wiesbaden 1983 – Verfassung und Verwaltungsaufbau des Südweststaates, Stuttgart 1952 Escher, Klaus: Für Teilzeit-Landtage und Direktwahlen – Der Föderalismus braucht einen Neuanfang, in: FOCUS 32/1997, S. 50 Esterbauer, Fried: Demokratiereform – Volkswahl der Regierung und Bundesstaatsreform, 2. Aufl., Wien 1997 – Volkswahl der Regierung? Thesen zu einem demokratischeren und stabileren Regierungssystem, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 161 ff. – Zur Notwendigkeit von Demokratiereformen, in: Böttcher, S. 13 ff. Faber, Heiko / Frank, Götz (Hrsg.): Demokratie in Staat und Wirtschaft – Festschrift für Ekkehart Stein zum 70. Geburtstag, Tübingen 2002, (zitiert: Festschrift Stein) Feist, Ursula: Die Macht der Nichtwähler – Wie die Wähler den Volksparteien davonlaufen, Ulm 1994 Feuchte, Paul: Quellen zur Verfassung von Baden-Württemberg, Zweiter Teil – Juni bis Oktober 1952, Stuttgart 1988, (zitiert: Feuchte, Quellen II) – Verfassungsgeschichte von Baden-Württemberg, Stuttgart 1983, (zitiert: Feuchte, Verfassungsgeschichte) Fikentscher, Rüdiger: Erfahrungen mit der PDS-tolerierten rot-grünen Minderheitskoalition in Sachsen-Anhalt 1994 – 1998, in: Sturm/Kropp, S. 236 ff. Firlei, Klaus: Parlamentarische Untersuchungsausschüsse aus Sicht der Länder, in: Schäffer, S. 71 ff. Fliegauf, Harald: Verfassungsgesetzgebung und Volksentscheid, in: LKV 1993, 181 ff. Fraenkel, Ernst: Das amerikanische Regierungssystem – eine politologische Analyse, 2. Aufl., Köln/Opladen 1962 Frankfurter Intervention: Wege aus der Krise des Parteienstaates, in: RuP 31 (1995), 16 ff. Freis, Guido: Die Reform der Gemeindeverfassung in Nordrhein-Westfalen, Frankfurt a.M./Berlin/Bonn/New York/Paris/Wien 1998

Literaturverzeichnis

435

Friauf, Heinrich / Höfling, Wolfram (Hrsg.): Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Berlin 2000, Stand: 9. Erg.-lfg. 2003, (zitiert: Berliner Kommentar) Friedrich, Carl: Der Verfassungsstaat der Neuzeit, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1953 Friedrich, Manfred: Das parlamentarische Regierungssystem in den deutschen Bundesländern, in: JÖR 30 (1981), 197 ff. – Zur Entwicklung und Lage der Parlamentskontrolle in den Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland, in: JÖR 24 (1975), 63 ff. Friedrich, Peter: Demokratie braucht Vertrauen, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 47 ff. Friedrich, Thomas: Gemeinsamer Termin für die Wahl zum Bundestag und zu den Landtagen in den neuen Bundesländern im Jahr 1994?, in: ZRP 1993, 363 ff. Friesenhahn, Ernst: Parlament und Regierung im modernen Staat, in: VVDStRL 16 (1958), 9 ff. Fromm, Markus: Kommunalverfassungsstreitigkeiten, gemeindliche Streitentscheidungsmöglichkeiten und verwaltungsgerichtlicher Austrag in Rheinland-Pfalz, Mainz 1980 Fromme, Friedrich Karl: Die unauffällige Lösung – Die Besetzung der obersten Richterstellen bleibt ein Politikum, in: FAZ vom 15. Oktober 2002, S. 12 Frotscher, Werner: Direkte Demokratie in der Weimarer Verfassung, in: DVBl. 1989, 541 ff. Frotscher, Werner / Pieroth, Bodo: Verfassungsgeschichte, 3. Aufl., München 2002 Gabriel, Oscar / Holtmann, Everhard (Hrsg.): Handbuch Politisches System der Bundesrepublik Deutschland, München/Wien 1997 Gerlich, Peter / Müller, Wolfgang: Grundzüge des politischen Systems Österreichs, 2. Aufl., Wien 1989 Germis, Carsten: Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und politischer Skandal – Dargestellt am Beispiel des Deutschen Bundestages, Frankfurt a.M. 1988 Gern, Alfons: Das Kommunalverfassungsstreitverfahren, in: VBlBW 1989, 449 ff. – Kommunalrecht – einschließlich Kommunales Abgabenrecht, 8. Aufl., Baden-Baden 2002, (zitiert: Gern, Kommunalrecht) Gerster, Martin: Lokal, aber oho – Low-Budget-Wahlkampagnen für örtliche Kandidaten, in: Althaus, S. 198 ff. Gesellschaft für Rechtspolitik Trier: Bitburger Gespräche – Jahrbuch 1993/2, München 1993

436

Literaturverzeichnis

Giesing, Hans-Horst: Kritische Fragen zum Föderalismus, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 75 ff. Gloede, Walter: Zur Hölle mit den Politikern – Warum der Wähler das Vertrauen verliert, München 1993 Götz, Volkmar: Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 13. Aufl., Göttingen 2001 Gralher, Martin: Ruhendes Mandat und demokratisches Repräsentationsverständnis, in: ZRP 1977, 156 ff. Gramm, Christof: Gewaltenverschiebung im Bundesstaat – Zu Möglichkeiten und Grenzen der Verfassungsrechtsdogmatik, in: AöR 124 (1999), 212 ff. Grawert, Rolf: Die Bedeutung gliedstaatlichen Verfassungsrechts in der Gegenwart, in: NJW 1987, 2329 ff. Greß, Franz (Hrsg.): Landesparlamente und Föderalismus – hat das parlamentarische System in den Bundesländern eine Zukunft?, Wiesbaden 1990 Greß, Franz / Huth, Ronald: Die Landesparlamente – Gesetzgebungsorgane in den deutschen Ländern, Heidelberg 1998 Greulich, Susanne: Länderneugliederung und Grundgesetz – Entwicklungsgeschichte und Diskussion der Länderneugliederungsoption nach dem Grundgesetz, Baden-Baden 1995 Grummer, Klaus: Aufgabe und Zuständigkeit des Parlaments, in: Graf von Westphalen, § 9 (S. 171 ff.) Güllner, Manfred: Parteien und Wahlen – „Volkes Stimme“? Empirische Analyse einer Entfremdung, in: Buchholz, S. 33 ff. Günther, Klaus: Zur Kritikbedürftigkeit von Werner Patzelts Maßstäben der Kritik an Volksvertretern und Volk, in: Politische Vierteljahresschrift 41 (2000), 327 ff. Habermehl, Kai: Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl., Baden-Baden 1993 Häberle, Peter: Die Herausforderungen des europäischen Juristen vor den Aufgaben unserer Verfassungs-Zukunft – 16 Entwürfe auf dem Prüfstand, in: DÖV 2003, 429 ff. – „Landesbrauch“ oder parlamentarisches Regierungssystem? – Zum SchleswigHolstein-Urteil des BVerfG vom 22.7.1969, in: JZ 1969, 613 ff. Haensch, Günther / Lory, Alain: Frankreich – Band 1 Staat und Verwaltung, München 1976 Hagedorn, Franziska / Maruhn, Roman: Verfassungsvergleich der 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, München 2003 Hamm-Brücher, Hildegard: Der freie Volksvertreter – eine Legende? – Erfahrungen mit parlamentarischer Macht und Ohnmacht, 2. Aufl., München 1991

Literaturverzeichnis

437

– Der Politiker und sein Gewissen – Eine Streitschrift für mehr parlamentarische Demokratie, 2. Aufl., München 1987 – Wege in die und Wege aus der Politik(er)verdrossenheit, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 9 ff. Hartmann, Jürgen: „Wider die Verschwendung öffentlicher Mittel“ – Der Bund der Steuerzahler und die Parteien- und Abgeordnetenfinanzierung, in: Wewer, S. 334 ff. von Hassel, Kai Uwe: Direktwahl schwächt die Parlamentarier, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 51 ff. Haungs, Peter: Der Führungswechsel in der rheinland-pfälzischen CDU - Innenpolitische Entsolidarisierung oder demokratische Politische Kultur?, in: ZParl 1989, 504 ff. Haungs, Peter / Jesse, Eckhard (Hrsg.): Parteien in der Krise? In- und ausländische Perspektiven, Köln 1987 Haus, Wolfgang: Berliner Verfassungsreform?, in: RuP 30 (1994), 10 ff. Heinig, Hans Michael / Morlok, Martin: Konkurrenz belebt das Geschäft! Zur Problematik der 5%-Klausel im Kommunalwahlrecht, in: ZG 2000, 371 ff. Heinrich, Gudrun: Der kleine Koalitionspartner in den Ländern – Koalitionsstrategien von F.D.P. und Bündnis 90/Die Grünen im Vergleich, in: Sturm/Kropp, S. 120 ff. Heinzerling, Stefan: Funktionen der Fraktionen als Träger der parlamentarischen Kontrolle, in: Busch/Berger, S. 120 ff. Henneke, Hans-Günter: Föderalismusreform kommt in Fahrt, in: DVBl. 2003, 845 ff. – (Hrsg.): Verantwortungsteilung zwischen Kommunen, Ländern, Bund und Europäischer Union – Professorengespräch 2001 des deutschen Landkreistages am 22. und 23. März 2001 in Syke/Landkreis Diepholz, Stuttgart 2001 Hennis, Wilhelm: Haben die Länderparlamente eine Zukunft – Diskussionsbeitrag, in: ZParl 1971, 289 f. – Parlamentarische Opposition und Industriegesellschaft – Zur Lage des parlamentarischen Regierungssystems, in: Hennis, S. 105 ff. – Politik als praktische Wissenschaft – Aufsätze zur politischen Theorie und Regierungslehre, München 1968 Herbert, Alexander: Die Klagebefugnis von Gremien – Ein Beitrag zur Diskussion des In-sich-Prozesses, in: DÖV 1994, 108 ff. Herdegen, Matthias: Strukturen und Institute des Verfassungsrechts der Länder, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht IV, § 97 (S. 479 ff.) Herzog, Roman: Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a.M. 1971, (zitiert: Herzog, Staatslehre)

438

Literaturverzeichnis

– Gesetzgeber und Verwaltung, in: VVDStRL 24 (1966), 180 ff. Hesse, Konrad: Der unitarische Bundesstaat, Karlsruhe 1962 – Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im modernen Staat, in: VVDStRL 17 (1959), 11 ff. – Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1995 Hesselberger, Dieter: Das Grundgesetz – Kommentar für die politische Bildung, 10. Aufl., Neuwied/Kriftel/Berlin 1996 Hettich, Christof: Parteispenden und Verfassungsrecht – Die verfassungsrechtlichen Vorgaben einer Spendenfinanzierung politischer Parteien, Mannheim 1989 Hoegner, Wilhelm: Der schwierige Außenseiter – Erinnerungen eines Abgeordneten, Emigranten und Ministerpräsidenten, München 1959 Hofmann, Hasso: Verfassungsrechtliche Perspektiven – Aufsätze aus den Jahren 19801994, Tübingen 1995 Hübner, Emil: Das politische System der USA – Eine Einführung, 4. Aufl., München 2001 Hübner, Ulrich / Constantinesco, Vlad: Einführung in das französische Recht, 4. Aufl., München 2001 Huth, Ronald: Die Konferenz der Präsidenten der Deutschen Landesparlamente - Ergebnisse und Thesen aus einer wissenschaftlichen Untersuchung, in: Greß, S. 109 ff. Ipsen, Jörn: Staatsrecht I – Staatsorganisationsrecht, 13. Aufl., Neuwied, Kriftel 2001 Isensee, Josef: Braucht die Republik einen Präsidenten?, in: NJW 1994, 1329 f. – Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht IV, § 98 (S. 517 ff.) – Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht – Eine Studie über das Regulativ des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft, 2. Aufl., Berlin 2001, (zitiert: Isensee, Subsidiaritätsprinzip) Isensee, Josef / Kirchhof, Paul (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, (zitiert: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht mit Bandangabe als römische Ziffer) – Band I: Grundlagen von Staat und Verfassung – Band II: Demokratische Willensbildung – Die Staatsorgane des Bundes, Heidelberg 1987 – Band III: Das Handeln des Staates, Heidelberg 1988

Literaturverzeichnis

439

– Band IV: Finanzverfassung – Bundesstaatliche Ordnung, Heidelberg 1990 Janssen, Albert: Die Reformbedürftigkeit des deutschen Bundesstaates aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: Henneke, S. 59 ff. – Über die Grenzen des legislativen Zugriffsrechts – Untersuchungen zu den demokratischen und grundrechtlichen Schranken der gesetzgeberischen Befugnisse, Tübingen 1990 – Wege aus der Krise des deutschen Bundesstaats – Anmerkungen zu einem notwendigen Vorschlag zur Reform des Grundgesetzes, in: ZG Sonderheft 2000 „Stärkung des Föderalismus“, S. 41 ff. Jarass, Hans: Politik und Bürokratie als Elemente der Gewaltenteilung, München 1975 Jarass, Hans / Pieroth, Bodo: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Kommentar, (zitiert ist grundsätzlich die jüngere Auflage; beim Zitat der älteren ist dies als Klammerzusatz vermerkt) – 2. Aufl., München 1992 – 6. Aufl., München 2002 Jarren, Otfried: Medien, Mediensystem und politische Öffentlichkeit im Wandel, in: Sarcinelli, S. 74 ff. Jekewitz, Jürgen: Herrschaft auf Zeit – Aus aktuellem Anlass zur Geschichte des Verhältnisses von Repräsentation und Legitimation, in: ZParl 7 (1976), 373 ff. Jekewitz, Jürgen / Melzer, Michael / Zeh, Wolfgang (Hrsg.): Politik als gelebte Verfassung – Aktuelle Probleme des modernen Verfassungsstaates – Festschrift für Friedrich Schäfer, Opladen 1980, (zitiert: Festschrift Schäfer) Jesse, Eckhard: Koalitionen in den neuen Bundesländern – Varianten. Veränderungen. Versuchungen, in: Sturm/Kropp, S. 146 ff. Jürgens, Gunther: Direkte Demokratie in den Bundesländern – Gemeinsamkeiten – Unterschiede – Erfahrungen – Vorbildfunktion für den Bund?, Diss. Marburg, Marburg 1992 Jun, Uwe: Koalitionsbildung in den deutschen Bundesländern – Theoretische Betrachtungen, Dokumentation und Analyse der Koalitionsbildungen auf Länderebene seit 1949, Opladen 1994 Jung, Otmar: Aktuelle Probleme der direkten Demokratie in Deutschland, in: ZRP 2000, 440 ff. – Plebiszit und Diktatur – die Volksabstimmungen der Nationalsozialisten, Tübingen 1995, (zitiert: Jung, Plebiszit und Diktatur)

440

Literaturverzeichnis

– Direkte Demokratie in der Weimarer Republik – Die Fälle „Aufwertung“, „Fürstenenteignung“, „Panzerkreuzerverbot“ und „Youngplan“, Frankfurt/New York 1989 – Siegeszug direktdemokratischer Institutionen als Ergänzung des repräsentativen Systems? Erfahrungen der 90er Jahre, in: von Arnim, Demokratie vor neuen Herausforderungen, S. 103 ff. – Volksentscheide in der Bundesrepublik – Eine aktuelle Übersicht, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1996, 567 ff. – Wenn der Souverän sich räuspert… – Vorwirkungen direktdemokratischer Korrekturmöglichkeiten, dargestellt an Beispielen aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, in: Jahrbuch Staats- und Verwaltungswissenschaft 1995, S. 107 ff. Jung, Sabine: Die Logik direkter Demokratie, Wiesbaden 2001 Kaase, Max: Demokratisches System und Mediatisierung von Politik, in: Sarcinelli, S. 24 ff. Kaltefleiter, Werner: Die Funktionen des Staatsoberhauptes in der parlamentarischen Demokratie, Köln/Opladen 1970 Katz, Alfred: Staatsrecht, 14. Aufl., Heidelberg 1999 Keller, Philipp: Die Direktwahl des Premierministers: Israels Verfassungsreform von 1992, in: ZPol 8 (1998), 597 ff. Kelsen, Hans: Vom Wesen und Wert der Demokratie, Tübingen 1920 Kempf, Udo: Das politische System Frankreichs – Eine Einführung, Opladen 1975 Kilper, Heiderose / Lhotta, Roland: Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland – Eine Einführung, Opladen 1996 Kimnich, Otto: Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. Aufl., Baden-Baden 1987 Kiock, Wolfgang: Die Kommunalverfassungsstreitigkeiten und ihre Eingliederung in die Verwaltungsgerichtsordnung, Köln 1972 Kirchgässner, Gebhard: Reformstau durch ein Zuwenig an Föderalismus, in: Wirtschaftsdienst 2002, 191 ff. Kirchhof, Paul / Lehner, Moris / Raupach, Arndt / Rodi, Michael (Hrsg.): Staaten und Steuern – Festschrift für Klaus Vogel zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2000, (zitiert: Festschrift Vogel) Kisker, Gunter: Ideologische und theoretische Grundlagen der bundesstaatlichen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland – Zur Rechfertigung des Föderalismus, in: von Münch, Probleme des Föderalismus, S. 23 ff. – Organe als Inhaber subjektiver Rechte – BVerwGE 45, 207, in: JuS 1975, 704 ff.

Literaturverzeichnis

441

Klaas, Helmut: Die Entstehung der Verfassung für Rheinland-Pfalz – eine Dokumentation, Boppard am Rhein 1978 Klatt, Hartmut: Länder-Neugliederung – Eine staatspolitische Notwendigkeit, in: ZBR 1997, 137 ff. Klein, Hans: Die Legitimation des Bundesrates und sein Verhältnis zu Landesparlamenten und Landesregierungen, in: Bundesrat, S. 95 ff. – Direktwahl der Ministerpräsidenten?, in: Festschrift Kriele, S. 573 ff. – Eine demokratische Notwendigkeit – Die Parteien als Mittler zwischen Staat und Gesellschaft, in: FAZ vom 05. Juli 1999, S. 13 Kleinfeld, Ralf: Kommunalpolitik – Eine problemorientierte Einführung, Opladen 1996 Kleinfeld, Ralf / Nendza, Achim: Die Reform deutscher Gemeindeverfassungen unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung in Nordrhein-Westfalen und in den neuen Bundesländern, in: Kleinfeld, S. 73 ff. Kleinsteuber, Hans: Die USA – Politik, Wirtschaft, Gesellschaft – Eine Einführung, Neuausgabe, Hamburg 1984 Klöti, Ulrich / Knoepfel, Peter / Kriesi, Hanspeter / Linder, Wolf / Papadopoulos, Yannis: Handbuch der Schweizer Politik, 2. Aufl., Zürich 1999, (zitiert: Klöti/Knoepfel) Kluxen, Kurt: Geschichte und Problematik des Parlamentarismus, Frankfurt a.M. 1983 Knemeyer, Franz-Ludwig: Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl., München 2000 Knorr, Philipp: Die Justiziabilität der Erforderlichkeitsklausel i.S.d. Art. 72 II GG – eine rechtsmethodische Kritik der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Frankfurt a.M. 1998 Koch, Hans-Joachim / Rüßmann, Helmut: Juristische Begründungslehre, München 1982 Koelreutter, Otto: Die neuen Landesverfassungen, in: Anschütz / Thoma, S. 138 ff. – Die Staatsministerien und das Regierungssystem in den Ländern mit Ministerialverfassung, in: Anschütz / Thoma, S. 667 ff. Koenig, Christian / Haratsch, Andreas: Europarecht, 3. Aufl., Tübingen 2000 Krause, Peter: Verfassungsrechtliche Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht II, § 39 (S. 313 ff.) Kretschmer, Otto: Vielschichtigkeit der Pro und Contra, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 53 ff. Kriele, Martin: Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, in: VVDStRL 29 (1971), 46 ff.

442

Literaturverzeichnis

Kringe, Wolfgang: Die Entstehung der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Oktober 1947, Frankfurt a.M./Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1993 Kropp, Sabine / Sturm, Roland (Hrsg.): Koalitionen und Koalitionsvereinbarungen – Theorie, Analyse und Dokumentation, Opladen 1998, (zitiert: Kropp/Sturm, Koalitionen) Kube, Hanno: Zehn Thesen für Demokratie und Reformfähigkeit in Deutschland, in: ZRP 2004, 52 ff. Kunig, Philip (Hrsg.): Grundgesetz-Kommentar, (zitiert: von Münch/ Kunig) – Band 2 (Art. 20 bis Art. 69), 4./5. Aufl., München 2001 – Band 3 (Art. 70 bis Art. 146), 3. Aufl., München 1996 Kuttenkeuler, Benedikt: Die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips im Grundgesetz – ein Beitrag zur Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips für die Kompetenzabgrenzung im Bundesstaat, Frankfurt a.M. 1998 Larenz, Karl: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., Berlin/Heidelberg/New York 1991 Larenz, Karl / Canaris, Claus-Wilhelm: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., Berlin/Heidelberg 1995 Lecheler, Helmut: Der öffentliche Dienst, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht III, § 72 (S. 717 ff.) Lehmbruch, Gerhard: Parteienwettbewerb im Bundesstaat, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1976 – Parteienwettbewerb im Bundesstaat – Regelsystem und Spannungslage im Institutionsgefüge der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Opladen/Wiesbaden 1998, (wo die 2. Auflage zitiert ist, ist dies in Klammern vermerkt) – Restriktionen und Spielräume einer Reform des Bundesstaates, in: Wirtschaftsdienst 2002, 197 ff. Leibholz, Gerhard: Die Kontrollfunktion des Parlaments, in: Luchtenberg/Erbe, S. 57 ff. Leisner, Walter: Schwächung der Landesparlamente durch grundgesetzlichen Föderalismus – Vertikale gegen horizontale Gewaltenteilung, in: DÖV 1968, 389 ff. – Ungeeignete Themen für Wahlkämpfe? – Zurück zum unmündigen Bürger?, in: NJW 2002, 1699 f. Lieber, Joachim: Interparlamentarische Kooperation am Beispiel der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzendenkonferenz – Thesen zur Kooperationsfähigkeit zwischen Bundesund Landespartei, in: Greß, S. 99 ff.

Literaturverzeichnis

443

Linck, Joachim / Jutzi, Siegfried / Hopfe, Jörg: Die Verfassung des Freistaates Thüringen – Kommentar, Stuttgart/München/Hannover/Berlin/Weimar/Dresden 1994 Link, Christoph: Staatszwecke im Verfassungsstaat – nach 40 Jahren Grundgesetz, in: VVDStRL 48 (1990), 7 ff. Lowi, Theodore / Ginsberg, Benjamin: American Government – Freedom and Power, 4. Aufl., New York/London 1996 Luchtenberg, Paul / Erbe, Walter (Hrsg.): Macht und Ohnmacht der Parlamente, Stuttgart 1965 Lüder, Klaus (Hrsg.): Staat und Verwaltung – Fünfzig Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1997, (zitiert: Festschrift Hochschule Speyer) Magiera, Siegfried: Die Arbeit des europäischen Verfassungskonvents und der Parlamentarismus, in: DÖV 2003, 578 ff. Maier, Jürgen: Politikverdrossenheit in der Bundesrepublik Deutschland – Dimensionen, Determinanten, Konsequenzen, Opladen 2000 von Mangoldt, Hans: Die Verfassungen der neuen Bundesländer – Einführung und synoptische Darstellung, 2. Aufl., Berlin 1997 Matthöfer, Hans (Hrsg.): Bürgerbeteiligung und Bürgerinitiativen, Villingen 1977 Maunz, Theodor: Verfassungshomogenität von Bund und Ländern, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht IV, § 95 (S. 443 ff.) Maunz, Theodor / Dürig, Günter / Badura, Peter / di Fabio, Udo / Herdegen, Matthias / Herzog, Roman / Klein, Hans / Korioth, Stefan / Lerche, Peter / Papier, Hans-Jürgen / Rendelzhofer, Albrecht / Schmidt-Aßmann, Eberhard / Scholz, Rupert: Grundgesetz – Kommentar, (zitiert: Maunz/Dürig) – Band II – Art. 12 - 20, Stand: 42. Erg.-lfg., München 2003 – Band III – Art. 20a – 53, Stand: 42. Erg.-lfg., München 2003 – Band IV – Art. 53a - 88, Stand: 42. Erg.-lfg., München 2003 Maunz, Theodor / Zippelius, Reinhold: Deutsches Staatsrecht – Ein Studienbuch, 30. Aufl., Müchen 1998 Maurer, Hartmut: Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl., München 2000 – Staatsrecht I – Grundlagen, Verfassungsorgane, Staatsfunktionen, 2. Aufl., München 2001 – Volkswahl des Ministerpräsidenten?, in: Festschrift Stein, S. 143 ff. McKay, David: American Politics & Society, 3. Aufl., Oxford, Cambridge 1993

444

Literaturverzeichnis

Meder, Theodor: Die Verfassung des Freistaates Bayern – Handkommentar, 3. Aufl., Stuttgart/München/Hannover 1985 Meier, Rolf: Reform der Verfassung von Rheinland-Pfalz, in: RuP 31 (1995), 218 ff. Meißner, Otto: Das Staatsrecht des Reichs und seiner Länder, 2. Aufl., Berlin 1923 Menger, Christian-Friedrich: Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit – Eine Einführung in die Grundlagen, 8. Aufl., Heidelberg 1993 Menzel, Eberhard: Das parlamentarische System in den deutschen Ländern und die Toleranzgrenze des Art. 28 GG – Bemerkungen zum Urteil des BVerfG vom 22. 7.1969 – 2 BvK 1/67, in: DÖV 1969, 765 ff. Merten, Detlef (Hrsg.): Der Bundesrat in Deutschland und Österreich, Berlin 2001 Meyer, Hans: Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes – Anlage – Erfahrungen – Zukunftseignung, in: VVDStRL 33 (1975), 69 ff. – Thesen zur Trennung von Ministeramt und Abgeordnetenmandat sowie zur Direktwahl des Ministerpräsidenten als Bestandteil einer parlamentarischen Reform in Thüringen, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 65 ff. – Was können und was sollen Landesparlamente leisten?, in: Greß, S. 35 ff. Model, Otto / Müller, Klaus: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - Taschenkommentar für Studium und Praxis, 11. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 1996 Möller, Klaus Peter: Aufgaben, Anforderungen und Reformansätze des Landesparlamentarismus. Das Beispiel Hessischer Landtag, in: Greß, S. 11 ff. Möller, Olaf: Parlamentsreform – ein breites Spektrum und viele Fragen, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 75 ff. Mohr, Reinhard: Politikverdrossenheit als Volkssport, in: Wallow, S. 138 ff. Mols, Manfred / Lauth, Hans-Joachim / Wagner, Christian (Hrsg.): Politikwissenschaft: Eine Einführung, 2. Aufl., Paderborn/München/Wien/Zürich 1996 Muckel, Stefan: Bürgerbegehren und Bürgerentscheid – wirksame Instrumente unmittelbarer Demokratie in den Gemeinden?, in: NVwZ 1997, 223 ff. Müller, Friedrich: Juristische Methodik, 7. Aufl., Berlin 1997 Müller, Klaus: Verfassung des Freistaats Sachsen – Kommentar, Baden-Baden 1993 Müller, Martha Dagmar: Auswirkungen der Grundgesetzrevision von 1994 auf die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern, Münster 1996 Müller, Reinhard: Die Richter und ihre Wähler – Über den Bundestag und den Bundesrat haben die Parteien das Sagen, in: FAZ vom 2. März 2001, S. 12

Literaturverzeichnis

445

– Gegen den verdeckten Einheitsstaat – Ein Vorschlag der Union zur Reform des Föderalismus, in: FAZ vom 16. Juni 2003, S. 10 Müller-Terpitz, Ralf: Die Beteiligung des Bundesrates am Willensbildungsprozess der Europäischen Union – Das Bundesratsverfahren nach Art. 23 Abs. 2, 4 bis 7 GG unter besonderer Berücksichtigung seiner verfahrensrechtlichen Ausgestaltung, Stuttgart/ München/Hannover/Berlin/Weimar/Dresden 1999 von Münch, Ingo: Staatsrecht I – Einführung; Deutschland; Teilung und Vereinigung; Staatsform; Staatsorgane; Deutschland in der Europäischen Gemeinschaft, 6. Aufl., Stuttgart/Berlin/Köln 2000 – (Red.): Probleme des Föderalismus, Tübingen 1985 Murswiek, Dietrich: Die Verfassungswidrigkeit der 5%-Sperrklausel im Europawahlgesetz, in: JZ 1979, 48 ff. Nawiasky, Hans / Leusser, Claus: Die Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dezember 1946 – systematischer Überblick und Handkommentar mit einer Darstellung der nationalsozialistischen Revolution vom staatsrechtlichen Blickpunkt sowie den wichtigsten Durchführungsbestimmungen zur Verfassung, München 1948 Neumann, Heinzgeorg: Die Vorläufige Niedersächsische Verfassung – Handkommentar, 2. Aufl., Stuttgart/München/Hannover 1987 Niedobitek, Matthias: Die Landesregierung in den Verfassungen der deutschen Länder, in: Festschrift König, S. 355 ff. Obst, Claus-Hennig: Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland – Zulässigkeit und politische Konsequenzen, Köln 1986 Oeter, Stefan: Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht - Untersuchungen zu Bundesstaatstheorie unter dem Grundgesetz, Tübingen 1998 Oldopp, Birgit: Dialog statt Rasselbüchse – Professionelles Fundraising für politische Kassen, in: Althaus, S. 103 ff. van Ooyen, Robert: Präsidialsystem und Honoratiorenpolitiker?, in: RuP 36 (2000), 165 ff. Oppermann, Thomas: Eine Verfassung für die Europäische Union – Der Entwurf des Europäischen Konvents – 1. Teil, in: DVBl. 2003, 1165 ff. – Eine Verfassung für die Europäische Union – Der Entwurf des Europäischen Konvents – 2. Teil, in: DVBl. 2003, 1234 ff. – Europarecht, 2. Aufl., München 1990 – Subsidiarität als Bestandteil des Grundgesetzes, in: JuS 1996, 569 ff.

446

Literaturverzeichnis

– Vom Nizza-Vertrag 2001 zum Europäischen Verfassungskonvent 2002/2003, DVBl. 2003, 1 ff. Oschatz, Georg-Berndt: Kooperativer Zentralismus, in: Merten, S. 135 ff. – Perspektiven des Parteienstaates – Volksparteien in der Krise?, Kiel 1990 Ossenbühl, Fritz: Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, in: Festschrift Rommel, S. 247 ff. – Rechtsquellen und Rechtsbindungen der Verwaltung, in: Erichsen/ Ehlers, S. 133 ff. Partsch, Karl Josef: Anmerkung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. April 1959, Az. 2 BvF 2/58, in: JZ 1960, 23 f. – Probleme der Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsreform, in: Der Städtetag 1959, 149 ff. Patzelt, Werner: Ein latenter Verfassungskonflikt? – Die Deutschen und ihr parlamentarisches Regierungssystem, in: Politische Vierteljahresschrift 39 (1998), 725 ff. – Politikverdrossenheit, populäres Parlamentsverständnis und die Aufgaben der politischen Bildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 7-8/99, S. 31 ff. – Reformwünsche in Deutschlands latentem Verfassungskonflikt, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 28/2000, S. 3 f. Paust, Andreas: Direkte Demokratie in der Kommune – Zur Theorie und Empirie von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, Bonn 1999 Pawlowski, Hans-Martin: Methodenlehre für Juristen – Theorie der Norm und des Gesetzes, 3. Aufl., Heidelberg 1999 Pelinka, Anton / Rosenberger, Sieglinde: Österreichische Politik – Grundlagen, Strukturen, Trends, Wien 2000 Pernice, Ingold: Europäische Union – Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, in: DVBl. 1993, 909 ff. Pestalozza, Christian: Verfassungen der deutschen Bundesländer – Einführung, in: Verlag C.H. Beck, S. XIII ff. Pfetsch, Frank: Ursprünge der Zweiten Republik – Prozesse der Verfassungsgebung in den Westzonen und in der Bundesrepublik, Opladen 1996, (zitiert: Pfetsch, Ursprünge) – Verfassungsreden und Verfassungsentwürfe – Länderverfassungen 1946-1953, Frankfurt a.M. 1986, (zitiert: Pfetsch, Verfassungsreden) Pietzker, Jost: Zusammenarbeit der Gliedstaaten im Bundesstaat – Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, in: Starck, Zusammenarbeit, S. 17 ff. Plarre, Plutonia: Ohne Piestert läuft nichts, in: TAZ vom 29. April 2002, S. 23

Literaturverzeichnis

447

Plöhn, Jürgen: Parlamentsvergleich auf subnationaler Ebene – Zur Theorie und Methode am Beispiel der Untersuchungsverfahren in den deutschen Landesparlamenten, in: Steffani/Thaysen, S. 386 ff. – Untersuchungsausschüsse der Landesparlamente als Instrumente der Politik, Opladen 1991 Portz, Frank-Edgar: Die Rolle des Bundesrates im föderativen System unter besonderer Berücksichtigung der Funktion der Landesparlamente, in: Greß, S. 149 ff. Postlep, Rolf-Dieter (Hrsg.): Aktuelle Fragen zum Föderalismus – Ausgewählte Probleme aus Theorie und politischer Praxis des Föderalismus, Marburg 1996 Püttner, Günter / Kretschmer, Gerald: Die Staatsorganisation, 2. Aufl., München 1993 Rauschnig, Dietrich: Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Festgabe Bundesverfassungsgericht Bd. 2, S. 214 ff. Reich, Dietmar: Zum Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Kompetenzen der deutschen Bundesländer, in: EuGRZ 2001, 1 ff. Röder, Karl-Heinz (Hrsg.): Das politische System der USA – Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Köln 1987 Rönsch, Horst-Dieter: Reaktionen auf staatliches Handeln am Beispiel des Wahlverhaltens, in: Matthöfer, S. 344 ff. Rottmann, Verena: Die Gefahrhunde-Judikatur als Impuls für eine einheitliche Landesgesetzgebung?, in: NJW 2003, 439 ff. Rupp, Hans Heinrich: Politische Teilhabe – Politische Kultur, in: Bitburger Gespräche – Jahrbuch 1993/2, S. 111 ff. Rux, Johannes: Die Verfassungsdiskussion in den neuen Bundesländern – Vorbild für die Reform des Grundgesetzes?, in: ZParl 1992, 291 ff. Sachs, Michael: Das Staatsvolk in den Ländern – Überlegungen zur Landesstaatsangehörigkeit und zur staatsbürgerlichen Gleichheit im Bundesstaat, in: AöR 108 (1983), 68 ff. – (Hrsg.): Grundgesetz – Kommentar, 2. Aufl., München 1999 – Verfassungsrecht II – Grundrechte, Berlin/Heidelberg/New York 2000, (zitiert: Sachs, Grundrechte) Sacksofsky, Ute: Landesverfassungen und Grundgesetz – am Beispiel der neuen Bundesländer, in: NVwZ 193, 235 ff. Sarcinelli, Ulrich: Parteien und Politikvermittlung – Von der Parteien- zur Mediendemokratie?, in: Sarcinelli, S. 273 ff.

448

Literaturverzeichnis

– (Hrsg.): Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft – Beiträge zur politischen Kommunikationskultur, Opladen/Wiesbaden 1998 Sauer, Paul: Quellen zur Entstehung der Verfassung von Württemberg-Baden – Teil 1 Februar bis Juni 1946, Stuttgart 1995, (zitiert: Sauer, Quellen Bd. 1) Schachtschneider, Karl Albrecht: Regieren für statt durch das Volk? Demokratiedefizite in der Europäischen Union? in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 203 ff. Schaeffer, Heinz (Hrsg.): Untersuchungsausschüsse – Politische Praxis – rechtliche Neugestaltung, Wien 1995 Scharpf, Fritz: Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 2. Aufl., Konstanz 1972 Scheuch, Erwin: „Die Ämterpatronage legt sich wie Mehltau über dieses Land“ – Teil des Parteienfilzes und der Ruin für Qualität – Klüngel in der Politik, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 21. Juni 1998, S. 4 Scheuch, Erwin / Scheuch, Ute: Eine Bestandsaufnahme zur Vertrauenskrise in Deutschland, in: Scheer, S. 51 ff. Scheuner, Ulrich: Der Staat und die intermediären Kräfte, in: Zeitschrift für evangelische Ethik 1957 (Heft 1), 30 ff. Scheyhing, Robert: Die Entwürfe zur Verfassung des ehemaligen Landes WürttembergHohenzollern vom 20. Mai 1947, in: BWVBl. 1959, 65 ff. Schiffers, Reinhard: Schlechte Weimarer Erfahrungen?, in: von Arnim, Direkte Demokratie, S. 51 ff. Schimanke, Dieter (Hrsg.): Stadtdirektor oder Bürgermeister – Beiträge zu einer aktuellen Kontroverse, Basel/Boston/Berlin 1989 Schlaich, Klaus / Korioth, Stefan: Das Bundesverfassungsgericht – Stellung, Verfahren, Entscheidungen, 5. Aufl., München 2001 Schmalz, Dieter: Grundrechte, 4. Aufl., Baden-Baden 2001 Schmidt, Eduard: Staatsgründung und Verfassungsgebung in Bayern – Die Entstehung der Bayerischen Verfassung vom 8. Dezember 1946 – Band 1, München 1993, (zitiert: Schmidt, Staatsgründung Bd. 1) Schmidt, Manfred: Institutionelle Bedingungen von Reformblockaden – Zehn Thesen, in: von Arnim, Adäquate Institutionen, S. 41 ff. – Vergleichende Politikforschung mit Aggregatdaten – Inwieweit beeinflussen Parteien Regierungspolitik?, in: von Alemann, S. 327 ff. Schmidt-Aßmann, Eberhard (Hrsg.): Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl., Berlin/ New York 1995

Literaturverzeichnis

449

– Der Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht I, § 24 (S. 987 ff.) – Kommunalrecht, in: Schmidt-Aßmann, S. 1 ff. Schmidt-Bleibtreu, Kuno / Klein, Franz: Kommentar zum Grundgesetz, 9. Aufl., Neuwied, Kriftel 1999 Schmitt, Carl: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 8. Aufl., Berlin 1996, (zitiert: Schmitt, Parlamentarismus) – Verfassungslehre, 8. Aufl., Berlin 1993 Schmitz, Mathias: Politikversagen? Parteienverschleiß? Bürgerverdruß? – Streß in den Demokratien Europas, Regensburg 1996 Schneider, Hans-Peter: Das parlamentarische System, in: Benda/Maihofer/Vogel, S. 537 ff. Schneider, Herbert: Ministerpräsidenten – Profil eines politischen Amtes im deutschen Föderalismus, Opladen 2001 Schramm, Theodor: Staatsrecht – Band I – Parlamentarische Demokratie – Bundesstaat – Sozialer Rechtsstaat, 4. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 1987 Schröter, Gisela: Mehr Transparenz in politische Macht, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 81 ff. Schuchardt, Gerd: „Politikverdrossenheit“ – in Deutschland das Wort des Jahres 1992, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 85 ff. Schütte, Volker: Bürgernahe Parteienfinanzierung, Baden-Baden 1992 Schultze, Rainer-Olaf: Föderalismusreform in Deutschland: Widersprüche – Ansätze – Hoffnungen, ZfP 46 (1999), 173 ff. Schweer, Martin: Politisches Vertrauen – Theoretische Ansätze und empirische Befunde, in: Schweer, S. 9 ff. – (Hrsg.): Politische Vertrauenskrise in Deutschland? – Eine Bestandsaufnahme, Münster/New York/München/Berlin 2000 Schweickhardt, Rudolf (Hrsg.): Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl., Stuttgart/Berlin/Köln 1995 Seeger, Richard: Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Baden-Württemberg, in: ZParl 1988, 516 ff. Seewald, Otfried: Kommunalrecht, in: Steiner, S. 1 ff. Seidl-Hohenveldern, Ignaz / Loibl, Gerhard: Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, 7. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/ München 2000

450

Literaturverzeichnis

Seifert, Karl-Heinz / Hömig, Dieter: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Taschenkommentar, 6. Aufl., Baden-Baden 1999 Seiler, Gerhard (Hrsg.): Gelebte Demokratie – Festschrift für Oberbürgermeister a.D. Dr. h.c. Manfred Rommel, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1997, (zitiert: Festschrift Rommel) Shell, Kurt: Das politische System der USA, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1975 Siedentopf, Heinrich: Gedanken zum kommunalverfassungsrechtlichen „Puzzle“ in Niedersachsen – Anmerkungen zum Regierungsentwurf, in: Niedersächsischer Landkreistag 6/1995, S. 4 Siegloch, Klaus-Peter: Kritik und Alternativen zum parlamentarischen Regierungssystem in den Bundesländern – Ein Beitrag zu Thesen von Wilhelm Hennis und Manfred Friedrich über den Länderparlamentarismus in der Bundesrepublik, in: Steffani/Thaysen, Parlamente, S. 365 ff. Simons, Wolfgang: Das parlamentarische Untersuchungsrecht im Bundesstaat – Zu den Auswirkungen der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes auf das parlamentarische Untersuchungsrecht in Bund und Ländern, Berlin 1991 Sitter-Liver, Beat (Hrsg.): Herausgeforderte Verfassung – Die Schweiz im globalen Kontext – 16. Kolloquium (1997) der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, Freiburg (Schweiz) 1999 Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag (Hrsg.): Parlamentarische Reformen – Streitpunkte, Erfurt 1998 Stahn, Heino: Basis rebelliert gegen Henning Scherf, in: Die Welt vom 26. Juni 2003 Starck, Christian (Hrsg.): Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz – Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts – Zweiter Band Verfassungsauslegung, Tübingen 1976, (zitiert: Festgabe Bundesverfassungsgericht Bd. 2) – Das Bonner Grundgesetz – Kommentar, (zitiert: von Mangoldt/Klein/Starck) – Band 2: Artikel 20 bis 78, 4. Aufl., München 2000 – Band 3: Artikel 79 bis 146, 4. Aufl., München 2001 – (Hrsg.): Zusammenarbeit der Gliedstaaten im Bundesstaat - Landesberichte und Generalbericht der Tagung für Rechtsvergleichung 1987 in Innsbruck, Baden-Baden 1988, (zitiert: Starck, Zusammenarbeit) Steffani, Winfried: Parlamentarische und präsidentielle Demokratie – strukturelle Aspekte westlicher Demokratien, Opladen 1979

Literaturverzeichnis

451

Steffani, Winfried / Thaysen, Uwe (Hrsg.): Demokratie in Europa – Zur Rolle der Parlamente – Sonderband zum 25jährigen Bestehen der Zeitschrift für Parlamentsfragen, Opladen 1995 – (Hrsg.): Parlamente und ihr Umfeld – Daten und Analysen zu einer herausfordernden Regierungsform, Opladen/Wiesbaden 1997, (zitiert: Steffani/Thaysen, Parlamente) Stegmann, Helmut: Das Gesetzgebungsverfahren im Bundesrat – Akteure und ihre Einflussnahme, in: Postlep, S. 141 ff. Stein, Ekkehart / Frank, Götz: Staatsrecht, 18. Aufl., Tübingen 2002 Stein, Thorsten: Europäische Union – Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, in: VVDStRL 53 (1994), 26 ff. Steiner, Udo (Hrsg.): Besonderes Verwaltungsrecht – Ein Lehrbuch, 5. Aufl., Heidelberg 1995 Steinseifer-Pabst, Anita / Wolf, Werner: Wahlen und Wahlkampf in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Heidelberg 1994 Stern, Klaus: Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland – Band I: Grundbegriffe und Grundlagen des Staatsrechts, Strukturprinzipien der Verfassung, München 1977 – Band II: Staatsorgane, Staatsfunktion, Finanz- und Haushaltsverfassung, Notstandsverfassung, München 1980, (zitiert: Stern, Staatsrecht mit Bandangabe als römische Ziffer) Stiens, Andrea: Chancen und Grenzen der Landesverfassungen im deutschen Bundesstaat der Gegenwart, Berlin 1997 Stober, Rolf: Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., Stuttgart/ Berlin/Köln 1996 Storr, Stefan: Verfassunggebung in den Ländern – Zur Verfassunggebung unter den Rahmenbedingungen des Grundgesetzes, Stuttgart/München/Hannover/Berlin/Weimar/ Dresden 1995 Streinz, Rudolf: Europarecht, 2. Aufl., Heidelberg 1995 Strenge, Irene: Plebiszite in der Weimarer Zeit – Abschreckende Beispiele für die Verfassungsdiskussion?, in: ZRP 1994, 271 ff. Strohmeier, Gerd: Moderne Wahlkämpfe – wie sie geplant, geführt und gewonnen werden, Baden-Baden 2002 Sturm, Roland / Kropp, Sabine (Hrsg.): Hinter den Kulissen von Regierungsbündnissen – Koalitionspolitik in Bund, Ländern und Gemeinden, Baden-Baden 1999

452

Literaturverzeichnis

Süsterhenn, Adolf / Schäfer, Hans: Kommentar der Verfassung für Rheinland-Pfalz mit Berücksichtigung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Koblenz 1950 Tettinger, Peter: Besonderes Verwaltungsrecht/1 – Kommunalrecht, Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl., Heidelberg 2001 Thedieck, Karl: Deutsche Staatsangehörigkeit im Bund und in den Ländern – Genese und Grundlagen der Staatsangehörigkeit in deutschlandrechtlicher Perspektive, Berlin 1989 Theodor-Heuss-Stiftung (Hrsg.): Wider die Politik(er)verdrossenheit – Ergebnisse einer Ausschreibung, Bonn 1994 Thiele, Burkhard / Pirsch, Jürgen / Wedemeyer, Kai: Die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern – Kommentierte Textausgabe, Berlin 1995 Tremmel, Jörg: Institutionelle Verankerung der Rechte nachrückender Generationen, in: ZRP 2004, 44 ff. Verlag C.H. Beck (red. Verantw.): Verfassungen der deutschen Bundesländer, 7. Aufl., München 2001 Völker, Marion / Völker, Bernd: Wahlenthaltung – Normalisierung oder Krisensymptom?, Wiesbaden 1998 Vogel, Hans-Jochen: Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes, in: Benda/Maihofer/Vogel, § 22 (S. 1041 ff.) Volkmann, Uwe: Bundesstaat in der Krise?, in: DÖV 1998, 613 ff. Vondenhoff, Christoph: Grundgesetzliche Begründung und Voraussetzung eines gleichgewichtigen Föderalismus – Ein Beitrag zur Diskussion um die Neugliederung des Bundesgebiets, in: DÖV 2000, 949 ff. Waechter, Kay: Kommunalrecht – Ein Lehrbuch, 2. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 1995 Wallow, Hans: Die Symbiose zwischen Fernsehen und Politik, in: Wallow, S. 182 ff. – Richard von Weizsäcker in der Diskussion, Düsseldorf/Wien/New York/Moskau 1993 Weber, Albrecht: Die Europäische Grundrechtscharta – auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung, in: NJW 2000, 537 ff. Weber, Petra: Carlo Schmitt 1896-1979 – Eine Biographie, München 1996 Weber, Werner: Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 3. Aufl., Berlin 1970 Wehling, Hans-Georg: Auswirkungen der Kommunalverfassung auf das lokale politischadministrative Handeln, in: Schimanke, S. 84 ff.

Literaturverzeichnis

453

– Besonderheiten der Demokratie auf Gemeindeebene, in: von Arnim, Demokratie vor neuen Herausforderungen, S. 91 ff. – Der Bürgermeister und „sein“ Rat – Kommunalpolitik in der Bundesrepublik im Vergleich, in: Politische Studien 1984, S. 27 ff. – Politische Partizipation und Bürgerentscheid, Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl in Baden-Württemberg, in: AfK 1989, 110 ff. Weis, Hubert: Regierungswechsel in den Bundesländern – Verfassungspraxis und geltendes Recht, Berlin 1980 von Weizsäcker, Richard: Über Politikverdrossenheit, in: Theodor-Heuss-Stiftung, S. 7 f. Wenzel, Max: Die reichsrechtlichen Grundlagen des Landesverfassungsrechtes, in: Anschütz/Thoma, S. 604 ff. Werthmüller, Doris: Parteienfinanzierung und Spendenpraxis – Dargestellt am Beispiel des gescheiterten Gesetzesvorhabens zur Amnestie von Straftaten im Zusammenhang mit Spenden an politische Parteien, München 1990 Westphalen, Raban Graf von (Hrsg.): Parlamentslehre – das parlamentarische Regierungssystem im technischen Zeitalter, München/Wien 1993 Wewer, Göttrik (Hrsg.): Parteienfinanzierung und politischer Wettbewerb – Rechtsnormen, Realanalysen, Reformvorschläge, Opladen 1990 Wieland, Leo: Männer für Bush, Frauen und alle Minderheiten für Gore – Im neuen amerikanischen Wählermosaik hat vor allem die „dritte Kraft“ verloren, in: FAZ vom 18. November 2000, S. 3 Willoweit, Dietmar: Deutsche Verfassungsgeschichte – Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, 4. Aufl., München 2001 Witte, Jan: Der kommunale „Recall“ in Deutschland – erste Anwendungserfahrungen, in: ZParl 32 (2001), 57 ff. Wohlfarth, Jürgen: Kommunalrecht, 2. Aufl., Baden-Baden 1998 Wolff, Wilfried: Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., Baden-Baden 1991 Wolffsohn, Michael: Politik in Israel – Entwicklung und Struktur des politischen Systems, Opladen 1983 Zeh, Wolfgang: Zur Diskussion der Reform von Dauer und Beendigung der Wahlperiode des deutschen Bundestages, in: ZParl 7 (1976), 353 ff. Ziemske, Burkhardt / Langheid, Theo / Wilms, Heinrich / Haverkate, Görg (Hrsg.): Staatsphilosophie und Rechtspolitik – Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag, München 1997, (zitiert: Festschrift Kriele)

454

Literaturverzeichnis

Zimmer, Gabriele: Parlamentsreformen müssen Opposition stärken, in: Sozialdemokratische Fraktion im Thüringer Landtag, S. 89 ff. Zimmermann, Reinhard (Hrsg.): Hermann Soell zum Gedenken – Staat und Veraltung, Recht der natürlichen Lebenswelt, Umwelt und Besteuerung, Köln 1996 Zippelius, Reinhold: Allgemeine Staatslehre – Politikerwissenschaft, 13. Aufl., München 1999 – Politikverdrossenheit, in: ZRP 1993, 241 ff.

Sachwortverzeichnis Ämterpatronage – Direktwahl 271–274 – Gemeinwohlschädlichkeit 268 – Ursachen 269–271 Allgemeininteressen 274–283 Ausland – Frankreich 66–67 – Israel 64–65 – Österreich 66 – Schweiz 67–68 – USA 63–64 Baden 49 Baden-Württemberg – Gründung 49–50 – Regierungssystem 51 – Volksentscheid 391–392 Bayern – Regierungssystem 51–52 – Volksentscheid 392 Berlin – Regierungssystem 52 Beteiligungsföderalismus 190 Brandenburg – Regierungssystem 52 – Volksentscheid 392–393 Bremen – Regierungssystem 53 – Volksentscheid 393 Bürgermeisterverfassung 61 Bürokratisierung 160–161 Bund – Direktwahl 314–320 – Reformbestrebungen 68 – Regierungssystem 58

Bundeskanzler – Direktwahl Bundeskanzler 318 – Ministerpräsident 315–318 Bundesländer – Abschaffung 368–369 – Bedeutung 290–292 – Bundesrat 295–300 – Europäische Integration 325– 326 – Garantie 290–291 – Legitimation 256 – Schwächung 292–293 – Staatsqualität 256 – Verfassungsautonomie 376 – Verfassungshoheit 376 Bundespräsident 319 Bundesrat – Blockadepolitik 298–300 – Demokratische Legitimation 321–322 – Direktwahl 314–315 – Einfluss 295–296 – Kontrolle 323 – Landesinteressen 311–312 – Parteipolitik 296–297 Bundesstaat – Aufgabenverteilung 185–192 – Beteiligungsföderalismus 190 – Direktwahl 320–321 – Exekutivföderalismus 190 – Föderalismusreform 68 – Gesetzgebungskompetenzen 187–190 – Länderautonomie 289–293 – Landtagswahlen 303–304

456

Sachwortverzeichnis

– Medien 304–305 – Neugliederung 367–368 – Parteienbindung 300–303 – Reföderalisierung 367 – Verantwortung 320–321 – Verwaltungskompetenzen 186– 187 – Transparenz 320–321 Bundestag 320 Demagogie 283–285 Demokratie – Bewertungsmaßstäbe 139–140 – Demokratieideal 140–143 – Volkssouveränität 146 Demokratische Legitimation – Abstufungen 167–175 – Aufgabenwahrnehmung 182– 184 – Inhaltliche Legitimation 165– 166 – Landesorgane 192–193 – Legitimationserfordernis 163– 167 – Personelle Legitimation 166– 167 – Richtmaß 175–184 – Volkssouveränität 164 – Wesen 167–175 – Wesentlichkeitstheorie 177–181 Direktwahl – Aufwand 150–152 – Bedeutung 305–311 – Bundeskanzler 315–318 – Bundespräsident 319 – Bundesrat 314–315 – Bundesstaat 289–326 – Bundestag 320 – Demokratische Legitimation 163–193 – Einführung 370–409 – Gemeinwohl 258–288

– Gewaltenteilung 194–257 – Landespolitik 308–309 – Landtagswahl 309–310 – Modell 119–122 – Parteien 286–288 – Parteienbindung 213–215 – Politikverdrossenheit 329–330 – Regierung 134–138 – Selbstbestimmung 123–138 – Unmittelbare Demokratie 123– 162 – Varianten 121–122 Divided Government s. Kohabitation Einführung der Direktwahl – Ewigkeitsklauseln 370–376 – Homogenitätsgebot 376–387 – Realisierbarkeit 402–409 – Verfassungsänderung 388–390 – Volksgesetzgebung 390–402 – Zulässigkeit 370–387 Europäische Integration 325–326 Europäische Union – Bundesländer 325–326 – Demokratische Legitimation 322–323 – Direktwahl 322–323 – Verfassung 59 Europäisierung des Rechts 189 Ewigkeitsgarantien s. Ewigkeitsklauseln Ewigkeitsklauseln 370–376 Exekutive – Begriff 45 Exekutivföderalismus 190 Fachpolitik 276–277 Finanzkontrolle 249 Föderalismuskommission 365–366 Föderalismusreform – Direktwahl 365–369

Sachwortverzeichnis – Überblick 68 – Ziele 366–367 Fraktion – Bedeutung 221 – Bildung 222 – Direktwahl 228–231 – Fraktionsdisziplin 221–225 – Fraktionszwang 223–224 Fraktionsdisziplin – Direktwahl 234–236 – Parteipolitik 225 – Regierungsfähigkeit 224–225 Frankreich – Regierungssystem 66–67 Freies Mandat – Wiederherstellung 235 Fünfprozenthürde 355–357 Gemeinwohl – Begriff 260–266 – Direktwahl 258–288 – Gemeinwohlgrundwerte 263– 264 – Gemeinwohllehre 262–264 – Gemeinwohlrichtigkeit 262–263 – Optimierungsverfahren 264 – Reformziel 101–102 Gemeinwohlorientierung – Ämterpatronage 268 – Allgemeininteressen 274–283 – Demagogie 283–285 – Lincoln-Formel 258–259 – Parteieneinfluss 280–283 – Partikularinteressen 274–277 – Personalentscheidungen 266– 274 – Politikverdrossenheit 160 – Populismus 284 – Sachentscheidungen 274–283 Gesetzgebung – Direktwahl 254–256 – Landespolitik 312–313

– Regierungseinfluss 254–255 – Verantwortung 255 Gesetzgebungskompetenzen 187– 190 Gewaltenteilung – Direktwahl 256–257 – Kohabitation 212–213 – Landesgewalten 194–257 – Parlamentstreue 231–232 – Parteienbindung 202–215 – Reformziel 99–101 – Regierungstreue 232–234 – Transparenz 257 – Verfassungsgericht 194–199 Hamburg – Regierungssystem 53 – Volksentscheid 393 Hessen – Regierungssystem 53–54 Homogenitätsgebot 376–387 Interessenverbände 279–280 Israel – Erfahrungen 330–331 – Regierungssystem 64–65 Koalitionen – Bildung 225–228 – Koalitionsvertrag 226 – Institutionalisierung 226 – Machtverzerrung 238 – Parteienbindung 213 – Regierungsbildung 227–228 – Transparenz 238 Koalitionsausschuss 238 Koalitionsbildung – Direktwahl 236–237 – Regierungsbildung 227–228 – Ursache 225–228 – Volkseinfluss 128 Koalitionsgewinne 238

457

458

Sachwortverzeichnis

Kohabitation – Direktwahl 212–213 – Parlamentarische Kontrolle 250– 251 – Parlamentstreue 231–232 – Regierungstreue 232–234 Kommunalpolitik 276–277 Kommunalverfassung – Auswirkungen 276–277 – Reform 61–63, 401 – Typen 60–61 Kommunalverfassungsreform 61– 63, 401 Kulturhoheit 189–190 Länderautonomie – Bedeutung 290–292 – Direktwahl 305–313 – Effektivität 291–292 – Länderkompetenzen 184–192 – Reformziel 105–108 – Schwächung 293–305 Länderparlamentarismus – Kritik 69–93 – Reformbestrebungen 68 Landesparlament s. Parlament Landespolitik – Bundesstaat 300–305 – Direktwahl 308–309 – Gesetzgebung 312–313 – Medien 304–305 – Parlamentarische Kontrolle 311– 312 – Parteienbindung 300–303 – Regierungstätigkeit 310–311 Landesregierung s. Regierung Landtag s. Parlament Landtagswahl – Bedeutung 126–128

– Bundesstaat 303–304 – Direktwahl 309–310 – Fünfprozenthürde 355–357 – Personalisierung 359–361 Legislative – Begriff 45 Legitimation – Landtag 256 – Staatsqualität 256 Lincoln-Formel 145–146, 258–259 Magistratsverfassung 60 Mecklenburg-Vorpommern – Regierungssystem 54 – Volksentscheid 394 Medien 304–305 Methodik – Aufgaben 109–110 – Reformmaßstäbe 110–112 – Vergleich 112–118 Minister – Ernennung 217 – Misstrauensvotum 246 Ministerpräsident – Bundeskanzler 315–318 – Kandidatur 204–205 – Misstrauensvotum 242–245 – Mitarbeiter 271–272 – Parteiämter 205–206 – Parteienbindung 202–215 – Parteiloser 207 – Personalpolitik 266–274 – Regierungsbildung 215–218 – Stärkung 199–201 – Wahlkampf 210–211 Misstrauensvotum 242–246 Mitbestimmung s. Selbstbestimmung Mittelbare Demokratie – Staatsprinzip 143–145 Neugliederung 367–368

Sachwortverzeichnis Neuwahl – Folgen 341 – Initiativrecht 244–245 Niedersachsen – Regierungssystem 54–55 – Volksentscheid 394 Norddeutsche Ratsverfassung 60 Nordrhein-Westfalen – Regierungssystem 55 Österreich – Regierungssystem 66 Parlament – Aufgaben 184–192 – Einflussschwund 202 – Entscheidungsschwäche 159 – Fraktion 221 – Funktion 218–219 – Gemeinwohlorientierung 282 – Gesetzgebung 254–256 – Legislaturperiode 338 – Legitimation 192–193 – Mehrheiten 220–221 – Reformbestrebungen 358–364 – Regierungsbildung 215–218 – Regierungskontrolle 242–253 – Regierungstreue 232–234 – Teilzeitparlament 361–363 – Verkleinerung 363–364 – Volksvertretung 238–241 – Willensbildung 219–228 Parlamentarische Kontrolle – Ausübung 247–252 – Direktwahl 250–252 – Finanzkontrolle 249 – Kohabitation 250–251 – Landespolitik 311–312 – Misstrauensvotum 242–246 – Neuwahl 244–245 – Öffentliche Kritik 248 – Personalpolitik 273–274

– Untersuchungsausschuss 249 – Willensbildung 247–248 Parlamentarisches System – Begriff 43–45 – Systemwechsel 334 Parlamentarismus s. Parlamentarisches System Parlamentstreue 231–232 Parteien – Blockadepolitik 298–300 – Direktwahl 286–288 – Funktion 286 – Kohabitation 212–213 – Parteienbindung 202–215 – Parteieneinfluss 159–160 – Parteienverdrossenheit 157 – Politische Willensbildung 286 – Stärkung 288 – Transparenz 288 Parteienbindung – Ämterpatronage 272–273 – Bundesrat 296–297 – Bundesstaat 300–303 – Direktwahl 213–215 – Landespolitik 300–303 – Volkswille 214 Partikularinteressen 274–277 Politikverdrossenheit – Begriff 156–157 – Bedeutung 157–158 – Direktwahl 329–330 – Ursachen 158–161 Populismus 284 Präsidentialismus s. Präsidialsystem Präsidentielles System s. Präsidialsystem Präsidialsystem – Begriff 43–45 – Bundesländer 328–330 – Systemwechsel 334 – Zulässigkeit 370–387

459

460

Sachwortverzeichnis

Recall 346–348 Reföderalisierung 367 Reformbestrebungen – Direktwahl 69–93 – Landtagswahlrecht 359–361 – Maßstäbe 110–112 – Parlamentsreform 358–364 – Überblick 68 – Volksgesetzgebung 364–365 Regierung – Aufgaben 184–192 – Bundesrat 311 – Demokratische Legitimation 192–193 – Entscheidungsschwäche 159 – Gemeinwohlorientierung 280– 281 – Landespolitik 310–311 – Misstrauensvotum 242–246 – Parlamentstreue 231–232 – Stabilisierung 218 – Tätigkeitsorientierung 136 – Verantwortlichkeit 135–136 – Volkseinfluss 134–138 – Volksvertretung 238–241 Regierungsbildung – Direktwahl Minister 349–350 – Direktwahl Regierung 349 – Modelle 215–217 Regierungssystem – Abwahl 345–348 – Amtszeit 335–338 – Amtszeitbegrenzung 341–342 – Ausgestaltung 334–351 – Inkompatibilität 352–353 – Mehrheit 342–345 – Regierungsbildung 348–351 – Ruhendes Mandat 353–355 – Zeitpunkt der Wahl 339–341 Regierungstreue 232–234 Rheinland-Pfalz – Regierungssystem 55–56

– Volksentscheid 395 Saarland – Regierungssystem 56 Sachsen – Regierungssystem 56–57 – Volksentscheid 395 Sachsen-Anhalt – Regierungssystem 57 – Volksentscheid 395–396 Schleswig-Holstein – Regierungssystem 57 – Volksentscheid 396 Schweiz – Regierungssystem 67–68 Selbstbestimmung – Bundesrat 324 – Politikverdrossenheit 162 – Reformziel 98 – Stärkung 138 Steuerungspolitik 276–277 Süddeutsche Ratsverfassung 61 Teilzeitparlament 361–363 Terminologie – Exekutive 45 – Legislative 45 – Parlamentarisches System 43– 45 – Präsidialsystem 43–45 – Regierungschef 43 – Unmittelbare Demokratie 45 Thüringen – Regierungssystem 57–58 – Volksentscheid 396 Transparenz – Bundesstaat 320–321 – Gewaltenteilung 256–257 – Koalition 238 – Parteien 288 – Politikverdrossenheit 161 – Verantwortung 256–257

Sachwortverzeichnis Unmittelbare Demokratie – Bedenken 148–156 – Begriff 45 – Direktwahl 123–162 – Kostenaufwand 150–151 – Lincoln-Formel 145–146 – Praktikabilität 149–152 – Reformbestrebungen 364–365 – Vorrang 146–147 Untersuchungsausschuss 249 USA – Bundesstaat 63–64 – Gliedstaaten 64 – Regierungssystem 63–64 Verantwortlichkeit 135–136 Verantwortung – Bedeutung 134–135 – Bundesstaat 320–321 – Gesetzgebung 255 – Transparenz 256 Verfassungsautonomie 376 Verfassungsgericht – Kontrollbefugnisse 196–198 – Verfassungsorgan 194–195 Verfassungshoheit 376 Vergleich – Ausländische Staaten 117 – Länder und Kommunen 114– 117 – Logik 113 Verwaltungskompetenzen 186– 187 Volksentscheid 390–397

461

Volksgesetzgebung – Selbsteintrittsrecht 398 – Stärkung 364–365 – Verfassungsänderung 390–397 – Vorwirkungen 399–402 Volkssouveränität – Demokratische Legitimation 163–164 – Prinzip 146 Volkswahl s. Direktwahl Volkswille – Bedeutung 136 – Bildung 136–138 – Entscheidungsohnmacht 161 – Komplexität 154 – Manipulierbarkeit 152–153 – Parteieneinfluss 214 – Politikverdrossenheit 162 – Politische Reife 148–149 – Praktizierbarkeit 149–152 – Regierungseinfluss 138 – Versteinerung 154–156 Wahlkampf – Aufwand 210–211 – Direktkandidatur 210–211 – TV-Duell 126–127 – Spitzenkandidat 126–127 – Zeitungsduell 127 Weimarer Republik 46–47 Wesentlichkeitstheorie 177–181 Württemberg-Baden 49 Württemberg-Hohenzollern 49