Die Zwangsvollstreckung als Nagelprobe für den modernen Enteignungsbegriff: Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts, kritisch hinterfragt anhand der Eigentumsübertragung nach § 817 Abs. 2 ZPO - Ein Beitrag zur Auslegung des Art. 14 GG [1 ed.] 9783428518951, 9783428118953

Die Zwangsvollstreckung wird allgemein nicht als Enteignung aufgefasst. Gleichwohl erfüllt sie bei unbefangener Betracht

153 35 49MB

German Pages 328 [329] Year 2006

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die Zwangsvollstreckung als Nagelprobe für den modernen Enteignungsbegriff: Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts, kritisch hinterfragt anhand der Eigentumsübertragung nach § 817 Abs. 2 ZPO - Ein Beitrag zur Auslegung des Art. 14 GG [1 ed.]
 9783428518951, 9783428118953

Citation preview

FRANK RAUE

Die Zwangsvollstreckung als Nagelprobe für den modernen Enteignungsbegriff

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wolfgang Graf Vitzthum in Gemeinschaft mit Martin Heckel, Karl-Hermann Kästner Ferdinand Kirchhof, Hans von Mangoldt Martin Nettesheim, Thomas Oppermann Günter Püttner, Barbara Remmert, Michael Ronellenfitsch sämtlich in Tübingen

Band 74

Die Zwangsvollstreckung als Nagelprobe für den modernen Enteignungsbegriff Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts, kritisch hinterfragt anhand der Eigentumsübertragung nach § 817 Abs. 2 ZPO Ein Beitrag zur Auslegung des Art. 14 GG

Von Frank Raue

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D 21 Alle Rechte vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 3-428-11895-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Juli 2003 bei der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation eingereicht. Für die Veröffentlichung wurde sie auf den Stand der Rechtsprechung und Literatur vom Oktober 2005 gebracht. Bedanken möchte ich mich bei der Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg, die die Arbeit mit einem Promotionsstipendium förderte, und bei der Reinhold-und-Maria-Teufel-Stiftung Tuttlingen, die sie mit dem Reinhold-undMaria-Teufel-Preis ausgezeichnet hat. Dank gebührt ferner Prof. Dr. Dr. h.c. Hans von Mangoldt, der die Arbeit als Doktorvater betreut und das Erstgutachten verfasst hat, Prof. Dr. Wolfgang Marotzke, der das Zweitgutachten erstellt und mir manch wertvollen Hinweis zur zwangsvollstreckungsrechtlichen Seite der Arbeit gegeben hat, sowie Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Graf Vitzthum, auf dessen Vorschlag hin sie in diese Schriftenreihe aufgenommen worden ist. Für die kritische Lektüre verschiedener Fassungen des Manuskripts danke ich Armin Kupsch und Daniel Couzinet. Widmen möchte ich dieses Buch meinen Eltern, denen ich unendlich viel verdanke. Das Vertrauen, das sie stets in mich gesetzt haben, hat mir sehr dabei geholfen, diese Arbeit, die sich als zäher und langwieriger als von mir erwartet erwies, fertig zu stellen. Berlin, November 2005

Frank Raue

Inhaltsverzeichnis Α. Einleitung

21

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs nach § 817 Abs. 2 ZPO, gedacht als Enteignung

28

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG 1. Das Wohl der Allgemeinheit (Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG) a) Verhältnismäßigkeit des Eigentumsentzugs aa) Die erste Konstellation: Der Eigentümer als materieller Schuldner des Vollstreckungsgläubigers

28 29 29 31

(1) Die Legitimität des verfolgten Zieles

31

(2) Die Eignung

32

(3) Die Erforderlichkeit

32

(4) Die Angemessenheit

33

bb) Die zweite Konstellation: Der materiell nicht schuldende Eigentümer

35

(1) Nicht mit der Befriedigung des die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubigers zu rechtfertigen

35

(2) Effektivität der Zwangsvollstreckung materiell gegenüber dem Eigentümer berechtigter Vollstreckungsgläubiger

36

(a) Rechtskräftiges Fehlurteil

36

(b) Vorläufig vollstreckbares Fehlurteil

37

(c) Situation des § 771 ZPO bzw. § 767 ZPO

38

cc) Ergebnis b) Weitere „enteignungsspezifische" Anforderungen? 2. Die Entschädigung (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 bis 4 GG) a) Die erste Konstellation: Der Eigentümer als materieller Schuldner des Vollstreckungsgläubigers

40 41 50 51

aa) Art der Entschädigung

51

bb) Interessengerechte Entschädigung (Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG)

52

cc) Regelung von Art und Ausmaß der Entschädigung im Gesetz (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG)

53

(1) Anwendbarkeit der Junktimklausel

54

10

nsverzeichnis (2) Erster Teil der Entschädigung: Das Erlöschen der Verbindlichkeit

55

(3) Zweiter Teil der Entschädigung: Eigentum am Resterlös bzw. Bereicherungsanspruch

55

dd) Offenhalten des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten (Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG)

56

ee) Ergebnis

58

b) Die zweite Konstellation: Der materiell nicht schuldende Eigentümer ...

58

aa) Die Vollstreckung eines rechtskräftigen Fehlurteils

58

bb) Die Vollstreckung eines vorläufig vollstreckbaren Fehlurteils

59

cc) Die Vollstreckung eines Titels, dessen Unrichtigkeit nach § 767 ZPO geltend gemacht werden könnte

61

dd) Die Vollstreckung in eine einem Dritten gehörende Sache

63

c) Zusammenfassung

64

3. Die Gesetzmäßigkeit (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG)

65

4. Ergebnis

67

Π. Die Eröffnung des Rechtswegs (Art. 19 Abs. 4 GG)

67

1. Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 4 GG

68

2. Eröffnung des Rechtswegs

70

a) Grundsätzliche Unbedenklichkeit der Verweisung auf präventiven Rechtsschutz

70

b) Die Verweisung des Vollstreckungsschuldners auf präventiven Rechtsschutz

72

c) Die Verweisung des Dritteigentümers auf präventiven Rechtsschutz

73

3. Ergebnis III. Zusammenfassung

76 76

C. Die Enteigmingsdefimtion des Bundesverfassungsgerichts und die Zwangsvollstreckung

77

I. Verlust einer „konkreten durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition"

77

1. Der Zusammenhang zwischen Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG und dem Vorliegen einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition

78

a) Die der Zahlungspflicht zugrunde hegende materiellrechtliche Norm als Inhaltsbestimmung?

80

b) Die §§ 808 ff. ZPO als Inhaltsbestimmungen?

85

nsverzeichnis aa) Subsumtion unter die Inhaltsbestimmungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

85

bb) Das Problem: Die Bezeichnung der Zwangsversteigerung durch das Bundesverfassungsgericht als Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum

85

(1) Erfolglose Erklärungsversuche

86

(a) Das Zwangsvollstreckungsrecht doch keine Inhaltsbestimmung des Eigentums?

86

(b) „Inhaltsbestimmung" nur eine andere Bezeichnung für „Schrankenbestimmung"?

88

(c) Zwangsversteigerung nur „Eingriff 4 im untechnischen Sinne?

88

(2) Die Widersprüchlichkeit des verfassungsgerichtlichen Interpretationskonzepts als Ursache des Problems

90

(3) Schlussfolgerung für die weitere Untersuchung

92

2. Nähere Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG und dem Vorliegen einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition

92

a) Die Konstituierung des Gegenstandes des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes - des „Eigentums" - durch den einfachen Gesetzgeber ..

93

aa) Eigentum als Produkt des Rechts

94

bb) Eigentum als Produkt des einfachen Rechts

98

(1) Die Struktur des Eigentums

99

(2) Das Problem des Leerlaufens gegenüber dem Gesetzgeber

100

(3) Der verfassungsunmittelbare Begriff des Eigentums

106

(4) Ergebnis

107

cc) Ausnahme: Die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten natürlichen Handlungsmöglichkeiten 107 dd) Zusammenfassung und Konsequenzen

110

(1) Konsequenzen im Hinblick auf die beiden Thesen, dass das Eigentum durch den Gesetzgeber konstituiert wird und dass es nur drei Arten von eigentumsgrundrechtsrelevanten Regelungen gibt 110 (2) Auswirkungen auf den Enteignungsbegriff

114

(3) Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Einordnung des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs 116 b) Konstituierung des Umfangs des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes - des „werden gewährleistet" - durch den einfachen Gesetzgeber? .. 117 aa) Das Problem

117

bb) Argument 1: Kompatibilität von Eigentum als Produkt des einfachen Rechts und Wirkungsweise des Eigentumsgrundrechts als verfassungsunmittelbares Abwehrrecht 120

12

nsverzeichnis cc) Argument 2: Die zivilrechtliche Herkunft des Eigentumsbegriffs und die qualifizierten Anforderungen an öffentlichrechtliche Eigentumspositionen 124 dd) Argument 3: Vermeidung von Zuordnungsdefiziten im Verhältnis Eigentümer/Staat 126 ee) Argument 4: Der Eingriffscharakter von Legalenteignungen und Reformgesetzen, die bereits bestehende Eigentumspositionen verkürzen 128 ff) Argument 5: Der Eingriffscharakter der Administrativenteignung .. 129 (1) Fehlen des Eingriffscharakters, wenn sich der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes aus Inhaltsbestimmungen ergibt 130 (2) Eingriffscharakter bei verfassungsunmittelbarem Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes 131 (3) Der Einwand des der zu enteignenden Rechtsposition anhaftenden Untergangsrisikos

132

(4) Entkräftung des Einwands: Der Unterschied zwischen Risikoauferlegung und Risiko Verwirklichung

132

(a) Der rechtstechnische Unterschied zwischen Risikoauferlegung und Risikoverwirklichung

132

(b) Der materielle Unterschied zwischen Risikoauferlegung und Risikoverwirklichung (aa) Das Beispiel des § 950 BGB

134 134

(bb) Das Eigengewicht der Risikoverwirklichung gegenüber der Risikoauferlegung 134 (cc) Das Beispiel der §§ 932 ff. BGB

135

(dd) Das Beispiel der Legalenteignung

139

(5) Ergebnis

140

gg) Argument 6: Der unterschiedliche Regelungsgehalt von Inhaltsbestimmung und Enteignungsnorm (sog. Trennungsmodell) 140 (1) Das Trennungsmodell als zentrales Element der Konzeption des Bundesverfassungsgerichts 141 (2) Inkompatibilität von Trennungsmodell und der These, dass der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes sich aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergibt 144 (3) Funktionieren des Trennungsmodells auf der Grundlage der hier vertretenen Auffassung 146 hh) Argument 7: Möglichkeit einer flexibleren Handhabung des Verhältnismäßigkeitsprinzips 147 ii) Ergebnisse

150

(1) Keine Konstituierungsbedürftigkeit des Umfangs des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes als Rechtsfolge des Grundrechts 150 (2) Das Eigentum als Gegenstand des Grundrechts

150

nsverzeichnis (3) Der grundrechtliche Abwehranspruch als Rechtsfolge des Grundrechts 151 (4) Die Trennung von Inhaltsbestimmungen des Eigentums und Schrankenbestimmungen des Eigentumsgrundrechts 152 (a) Inhaltsbestimmungen des Eigentums

152

(b) Schrankenbestimmungen des Eigentumsgrundrechts

152

(c) Überschneidungen

153

(d) Abgrenzung zu anderen TrennungsVorschlägen (aa) Parodi

154 155

(bb) Lubberger

156

(cc) Ramsauer

157

(dd) Lutz, Wendt

157

(ee) Chlosta, Timm

158

(ff) Schwerdtfeger

160

(5) Der Sonderfall öffentlichrechtlicher Eigentumspositionen

160

c) Auflösung des oben unter C. I. 1. b) bb) (2) herausgearbeiteten Widerspruchs 162 3. Folgen für die Zwangsvollstreckung: Der Verlust des Sacheigentums in der Zwangsvollstreckung als Verlust einer „konkreten durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition" II. Der „Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen"

163 164

1. Der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug als „Eingriff" des Staates 166 2. Keine Besonderheiten aufgrund der Antragsabhängigkeit der Zwangsvollstreckung 168 3. Keine Besonderheiten wegen des privatrechtlichen Kontextes der Zwangsvollstreckung - das Drittwirkungsproblem 170 a) Keine unmittelbare Drittwirkung zwischen Privaten

175

b) Keine Ineffektivität der Zwangsvollstreckung

178

c) Ergebnis

179

4. Exkurs: Die Konstellationen der Vollstreckung, in denen ein Privater bei der Eigentumsübertragung eingeschaltet wird 180 5. Ergebnis

183

ΠΙ. Der zielgerichete Entzug

184

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

185

1. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" nach der Umlegungsentscheidung (BVerfGE 104,1 [9 f.]) 187

14

nsverzeichnis 2. Verbleibende Unklarheiten und Probleme

192

a) Versagen der Kriterien der „Güterbeschaffung" und des „konkreten Vorhabens" beim zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzug 192 b) Die Problematik des Kriteriums der Absicht des Ausgleichs privater Interessen 193 c) Die „Fremdnützigkeit" als mögliches weiteres Kriterium

198

d) Die fehlende „Surrogation" als mögliches weiteres Kriterium

199

e) Die Nutzungsabsicht als mögliches weiteres Kriterium

201

f) Fazit

204

3. Die Ursache der Unklarheiten und Probleme

205

a) Das Grundproblem: Entschädigungswürdigkeit der Enteignung trotz rein formalem Enteignungsbegriff 205 aa) Keine Problemlösung durch das Merkmal des „Entzugs"

207

bb) Keine grammatikalischen oder systematischen Anhaltspunkte für weitere formale zugleich die Entschädigungswürdigkeit garantierende Begriffsmerkmale 208 cc) Das Scheitern teleologischer Ansätze

212

(1) Zwangskauf (Rittstieg)/Zwangskontrakt (Lege)

213

(2) Durchbrechung der (BVerwG, Rozek)

218

einfachrechtlichen

Eigentumsordnung

(3) Enteignung als Entzug selbständiger Eigentumsrechte (Sieckmann) 220 (4) Eigentum nicht per se sozialhinderlich (Eschenbach) dd) Das Problem des historischen Lösungsansatzes

221 222

(1) Kein „Zurück zum klassischen Enteignungsbegriff* als solchem 223 (2) Keine Lösung durch Orientierung am Bild der klassischen Enteignung 236 ee) Fazit b) Die Unrichtigkeit der These vom rein formalen Enteignungsbegriff

240 240

aa) Die Unabdingbarkeit der Entschädigung als Argument für materielle Kriterien 240 bb) Keine unzulässige Verlagerung von Kriterien der Eingriffsrechtfertigung auf die Ebene des Eingriffstatbestandes

241

cc) Die Vereinbarkeit materieller Kriterien mit den Erfordernissen der Junktimklausel 242 (1) Die Argumentation der Verfechter eines formalen Enteignungsbegriffs 242

nsverzeichnis (2) Die Überzeichnung der Wirkungen materieller Kriterien im Hinblick auf die Anforderungen der Junktimklausel 244 (a) Keine Notwendigkeit eines rein materiellen, alle entschädigungswürdigen Belastungen des Eigentums umfassenden Enteignungsbegriffs 244 (b) Keine salvatorische Entschädigungsregelungen erfordernde aus der „Natur" materieller Kriterien folgende Unbestimmtheiten 248 (c) Voreilige Gleichsetzung der Charakteristika der Schwellentheorien mit denen materieller Kriterien 250 (3) Die Problematik eines rein formalen Enteignungsbegriffs gerade im Hinblick auf die Junktimklausel 251 dd) Keine Wesensverschiedenheit von Verhältnismäßigkeitsausgleich oder Lastenausgleich einerseits und Enteignungsentschädigung andererseits 254 ee) Die Vereinbarkeit materieller Kriterien mit den Anforderungen des Gebots rechtsstaatlicher Bestimmtheit (Art. 20 Abs. 3 GG) und des Gewaltenteilungsgrundsatzes (Art. 20 Abs. 2 Halbsatz 2 GG) 260 ff) Zusammenfassung 4. Auswirkungen auf den Enteignungsbegriff

262 262

a) Festhalten am „Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen" und am „zielgerichteten Entzug konkreter durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützter Rechtspositionen" 262 b) Erweiterung um ein materielles Kriterium

263

c) Das Schicksal des „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" ... 264 d) Abgrenzung zu ähnlichen Vorschlägen

270

aa) Wendt

270

bb) Ossenbühl

271

cc) Lubberger

271

dd) Ehlers

271

ee) Sieckmann

272

5. Die Konsequenzen für den Charakter des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs 272 D. Zusammenfassende Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Auslegung des Art. 14 GG 274 I. „Eigentum" - der Gegenstand des Grundrechts

274

II. Das „werden gewährleistet" - die Pflichten des Staates im Hinblick auf das „Eigentum" und die damit korrespondierenden Rechte des Eigentümers 278 1. Das „werden gewährleistet" als Unterlassungspflicht - der Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG

278

16

nsverzeichnis 2. Das „werden gewährleistet" als Handlungspflicht - der Leistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG

282

a) Die Leistungspflicht des Gesetzgebers - die Institutsgarantie des Eigentums 282 b) Die Leistungspflicht der Exekutive und Judikative - der Anspruch auf faire Verfahrensführung 283 III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Eingriffen in den Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG 1. Art. 14 Abs. 3 GG

284 284

a) Vorliegen einer Enteignung

284

b) Rechtfertigungsanforderungen

286

2. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 GG (ggf. i.V.m. Art. 14 Abs. 2 GG)

287

3. Verfassungsimmanente Schranken?

288

IV. Die beiden Hauptfehler der Eigentumsgrundrechtsdogmatik des Bundesverfassungsgerichts 288 E. Zusammenfassende Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Zwangsvollstreckung 289 I. Der Eigentumsverlust nach § 817 Abs. 2 i.V.m. §§ 808 ff. ZPO

289

Π. Ausblick auf sonstige Konstellationen der Zwangsvollstreckung

291

1. Anderweitige Verwertung der gepfändeten Sache

291

2. Vollstreckung in Forderungen, sonstige Vermögensrechte und Immobilien .. 292 3. Vollstreckung von Ansprüchen auf Übereignung

294

4. Vollstreckung von Herausgabeansprüchen

296

Literaturverzeichnis

298

Sachverzeichnis

324

Abkürzungsverzeichnis Für nicht in diesem Abkürzungsverzeichnis enthaltene Abkürzungen wird auf Kirchner, Hildebert/Butz, Cornelie, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 5. Auflage, Berlin 2003, verwiesen. Bad

Badisch(es)

BadEntG

Enteignungsgesetz vom 26. 6. 1899 (Gesetzes- und Verordnungsblatt für das Großherzogthum Baden, S. 359 ff.)

BadLR

Badisches Landrecht von 1809 (zitiert nach Kah, K., Das badische Landrecht in seiner jetzigen Geltung annotiert nach Gesetzen, Verordnungen und Parallelstellen, 2. Auflage, Freiburg i.B. 1870)

BadVU

Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden vom 22. 8. 1818 (Staats- und Regierungsblatt, S. 101 ff.; auch abgedruckt bei E. R. Huber, Dokumente I 3 , S. 172 ff.)

Bay

Bayerische(s)

BayEntG

Gesetz die Zwangsabtretung von Grund-Eigenthum für öffentliche Zwecke betreffend vom 27. 11. 1837 (Gesetzblatt für das Königreich Bayern, Sp. 109 ff.)

BayStaatsR

Bayerisches Staatsrecht

BayVGHG

Gesetz vom 8. August 1878, betreffend die Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofes und das Verfahren in Verwaltungsrechtssachen (Gesetz- und Verordnungs-Blatt für das Königreich Bayern, S. 69 ff.).

BayV U

Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern vom 26. 5. 1818 (Bayerisches Gesetzblatt, S. 101 ff.; auch abgedruckt bei E. R. Huber, Dokumente I 3 , S. 155 ff.)

BW

Baden-Württemberg

BW EntG

Landesenteignungsgesetz vom 6. 4. 1982

CMBC

Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756 (Nachdruck 1985, Keip Verlag Frankfurt a.M.)

ders.

derselbe

Einl.

Einleitung

EntG

Enteignungsgesetz

Hamb

Hamburgisch

HambEntG

Enteignungsgesetz in der Neuveröffentlichung vom 26. 4. 1920 (Gesetzsammlung der freien und Hansestadt Hamburg, I. Abteilung, S. 151 ff.)

2 Raue

Abkürzungsverzeichnis

18 HannovVerfG

Landesverfassungsgesetz für das Königreich Hannover vom 6. 8. 1840 (Hannoversche Gesetz-Sammlung, S. 141 ff.; auch abgedruckt bei E. R. Huber, Dokumente I 3 , S. 305 ff.)

HChE

Herrenchiemseer Entwurf

Hess

Hessisch(es) Gesetz, die Enteignung von Grundeigentum betreffend, vom 26. 7. 1884 (Großherzogliches Hessisches Regierungsblatt, S. 33 ff.)/Fassung der Bekanntmachung vom 30. 09. 1899 (Gesetz-Sammlung für das Großherzogtum Hessen, 1899, S. 223 ff.)

HessEntG

Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Hessen vom 18. 12. 1820 (Hessisches Regierungsblatt, S. 535 ff.; auch abgedruckt bei E. R. Huber, Dokumente I 3 , S. 221 ff.)

HessVU

Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von Ritter, Joachim/ Gründer, Karlfried, Band 3, G-H, Basel u. a. 1974 Hist. Wb. Philos. ΙΠ Hk-BGB 4

in der Fassung der Bekanntmachung vom

i. d. F. d. Bek. v. i. Erg.

im Ergebnis insbesondere im Sinne

insb.

in Verbindung mit

i. S.

Kammerentscheidung

i. V. m.

Verfassungsurkunde für das Kurfürstentum Hessen vom 5. 1. 1831 (Gesetz- und Verordnungs-Sammlung, S. 1 ff.; auch abgedruckt bei R. Huber, Dokumente I 3 , S. 238 ff.)

Κ KurhessVU LB MAK-BVerfGG

Bürgerliches Gesetzbuch, Handkommentar, Schriftleiter: Schulze, Reiner, 4. Auflage, Baden-Baden 2005

Lehrbuch 2

MAK-GG

Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, hrsg. von Umbach, Dieter C./Clemens, Thomas /Dollinger, Franz-Wilhelm, 2. Auflage, Heidelberg 2005 Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, hrsg. von Umbach, Dieter C./Clemens, Thomas, Band I und II, Heidelberg 2002

MünchKomm-BGB 4 Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Rebmann, Kurt u. a., Band 6,4. Auflage, München 2004 MünchKomm-ZPO2

Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, hrsg. von Lüke, Gerhard/Wax, Peter, 2. Auflage, München, Band 1 - 3 , 2000-2002

NordÖR

Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland

NWVB1.

Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter

ParlR 5/1

Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, hrsg. vom Deutschen Bundestag und dem Bundesarchiv, Band 5/1, Ausschuss für Grundsatzfragen, bearbeitet von Eberhard Pikart und Wolfram Werner, Boppard am Rhein 1993

Abkürzungsverzeichnis

19

PaulskirchenV

Paulskirchenverfassung vom 28. 3. 1849 (RGBl. S. 101)

Pr

Preußisch(es)

PrBergG

Allgemeines Berggesetz für die Preußischen Staaten vom 24. 6. 1865 (Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, S. 705 ff.)

PrEisenbahnG

Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen vom 3. 11. 1838 (Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, S. 505 ff.)

PrEntG

Gesetz über die Enteignung von Grundeigenthum vom 11. 6. 1874 (Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, S. 221 ff.)

PrOVG

Preußisches Oberverwaltungsgericht

PrOVGE

Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts

PrStaatsR

Preußisches Staatsrecht

PrVU

Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 5. 12. 1848 (Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, S. 375; auch abgedruckt bei E. R. Huber, Dokumente I 3 , S. 484 ff.) bzw. Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. 1. 1850 (GesetzSammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, S. 17 ff.; E. R. Huber, Dokumente I 3 , S. 501 ff.)

PrVwZustG v. 1876

Gesetz, betreffend die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und der Verwaltungsgerichtsbehörden im Geltungsbereiche der Provinzialordnung vom 29. Juni 1875 vom 26. Juli 1876 (Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, S. 297 ff.)

PrVwZustG v. 1883

Gesetz über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 (Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, S. 237 ff.)

RDV

Recht der Datenverarbeitung

RhPf

Rheinland-Pfälzisch(es)

Sächs

Sächsisch(es)

SächsEntG

Enteignungsgesetz für das Königreich Sachsen vom 24. 6. 1902 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, S. 28 ff.)

SächsVU

Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen vom 4. 9. 1831 (Sächsische Gesetzsammlung, S. 241; auch abgedruckt bei E. R. Huber, Dokumente I 3 , S. 263 ff.)

StaatsR

Staatsrecht

st. Rspr.

ständige Rechtsprechung

StuW

Steuer und Wirtschaft

SV

Sondervotum

Univ.

Universität

Var.

Variante

VU

Verfassungsurkunde

VwR

Verwaltungsrecht

WiVwR

Wirtschaftsverwaltungsrecht

2*

20

Abkürzungsverzeichnis

Württ

Württembergisch(es)

WürttEntG

Gesetz, betreffend die Zwangsenteignung von Grundstücken und von Rechten an Grundstücken vom 20. 12. 1888 (Regierungsblatt für das Königreich Württemberg, S. 446 ff.)

WürttVU

Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg vom 25. 9. 1819 (Staats- und Regierungs-Blatt, S. 634 ff.; E. R. Huber, Dokumente I 3 , S. 187 ff.)

ZfIR

Zeitschrift für Immobilienrecht

ZDtR

Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft

ZStaatsW

Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft

ZVR

Zwangsvollstreckungsrecht

Α. Einleitung Nach wie vor herrscht keine vollständige Klarheit darüber, was genau „Enteignung" im Sinne von Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG ist. Nicht nur, dass diese Frage sehr umstritten ist; die gegebenen Antworten sind - wie sich sogleich zeigen wird auch oft Formeln mit vielen Unbekannten. Dabei ist der Begriff der Enteignung von großer Bedeutung. Denn Normen, die Enteignungen vornehmen (vgl. Art. 14 Abs. 3 Satz 2 Var. 1 GG), sog. Legalenteignungen, oder zu ihrer Vornahme ermächtigen (vgl. Art. 14 Abs. 3 Satz 2 Var. 2 GG), sog. Ermächtigungen zur Administrativenteignung, müssen von Normen, die Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmen (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG), abgegrenzt werden. Damit entscheidet das jeweilige Verständnis von Enteignung nicht nur über den Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 3 GG, sondern enthält - gewollt oder ungewollt - auch eine Stellungnahme zur Struktur und Wirkungsweise des Eigentums und dessen verfassungsrechtlicher Gewährleistung (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) schlechthin. Dies rechtfertigt es, eine Untersuchung zum Begriff der Enteignung als Beitrag zur Auslegung des Art. 14 GG (und nicht nur des Art. 14 Abs. 3 GG) zu bezeichnen. Verwundern mag nun aber, dass gerade die zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsübertragung nach § 817 Abs. 2 ZPO geeignet sein soll, die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts kritisch zu hinterfragen. Schließlich behauptet kaum jemand ernsthaft, der in der Zwangsvollstreckung bewirkte Eigentumsverlust beim Vollstreckungsschuldner oder einem Dritten sei eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG. 1 Vielmehr ist man nahezu einhellig der Ansicht, dass Maßnahmen der Zwangsvollstreckung keinen Enteignungscharakter haben.2 Das Problem hierbei ist jedoch, dass sich diese Ansicht keineswegs ohne ι Lediglich Marotzke (NJW 1978, S. 133 [134]), Säcker (JZ 1971, S. 156 [159 f.]) und Schwabe (FS Thieme, S. 251 [260, 266 ff.]) ziehen die Bejahung einer Enteignung ernsthaft in Betracht. Marotzke und Säcker tun dies freilich nur für eine bestimmte Konstellation der Mobiliarvollstreckung, die nach der ihrer Ansicht nach richtigen Auslegung der §§ 808 ff. ZPO allerdings gar nicht eintreten kann, nämlich den Erwerb von Dritteigentum durch einen Bösgläubigen. Die Bejahung des Enteignungscharakters ist für sie damit nur ein (weiteres) Argument für die Unrichtigkeit der (herrschenden) Gegenansicht. Schwabe bejaht zwar durchweg den Enteignungscharakter der Zwangsvollstreckung, doch nur, um auf die „Misere des Enteignungsbegriffs" (so der Titel seines Aufsatzes) hinzuweisen, die darin bestehe, dass die h. M. mit ihrem eigenen Enteignungsbegriff nicht die selbstgesteckten Ziele - u. a. Ausschluss des Enteignungscharakters von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen - erreichen könne, nicht, weil er das Messen von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen an Art. 14 Abs. 3 GG für sachgerecht hält. 2

Den Enteignungscharakter von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen verneinen ausdrücklich BGHZ 30, 123 (125 f.); 32, 240 (244 f.); 32, 208 (211); NJW 1959, S. 1085; BB 1967,

22

Α. Einleitung

Weiteres auf die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts stützen kann. Denn das Bundesverfassungsgericht 3, dem die herrschende Meinung insoweit folgt, 4 definiert Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG als Zugriff S. 941; VersR 1984, S. 870; W M 1986, S. 204 (207); NVwZ 1998, S. 878; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 414, 468; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 78; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 83; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 122; ders., Modelle, S. 314 f.; Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 95, 194; ders., NJW 1982, S. 721 (724); Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 659; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 282; Sass, Art. 14, S. 276, 280; Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 53; ders., FS Dürig, S. 293 (305); Schwerdtfeger, Struktur, S. 24; Ehlers, W D S t R L 51 (1992), S. 211 (239); Lege, Zwangskontrakt, S. 74; Hösch, Eigentum, S. 164; Steinberg/Lubberger, S. 169 ff.; Gaul, Rpfleger 1971, S. 41 (42); ders., in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 25; ders., ZZP 112 (1999), S. 135 (176); Lippross, Grundlagen, S. 128 f.; ders., Vollstreckungsrecht 9, Rn. 261 a.E.; Münzberg, in: Stein/Jonas 22, vor § 704 Rn. 43 Fn. 232; Nikolaou, Schutz, S. 91, 94 f.; Jauernig, ZVR 1 7 , S. 78 (ab der 18. Auflage wird zu diesem Problem nicht mehr Stellung genommen); Baur/Stürner, ZVR, S. 43; Pesch, JR 1993, S. 358 (361); Haas, NVwZ 2002, S. 272 (274 f.); Weyland, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 38; Obudzinski, Bedeutung, S. 93; Haertlein, DGVZ 2002, S. 81 (84); Wolf, Dike International 3 (1996), S. 201 (202); Schuschke / Walker 3, Anhang zu § 771 Rn. 16; Hager, FS Canaris, S. 1 (9). - Das BVerfG hat zu der Frage, ob Zwangsvollstreckungsmaßnahmen Enteignungen sein können, nicht ausdrücklich Stellung genommen, weil es die Zwangsvollstreckung betreffende Fälle schon über Art. 3 Abs. 1 GG bzw. über den aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG entnommenen Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes gelöst hat (vgl. BVerfGE 42, 64 [72 ff.]; 46, 325 [333 ff.]; 49, 220 [225 ff.]; 49, 252 [256 ff.]; 51, 150 [156 ff.]). Eindeutig Stellung bezogen hat nur der Richter Böhmer in zwei Sondervoten (BVerfGE 49, 228 [232]; 56, 266 [272]), in denen er das Zwangsvollstreckungsrecht als Inhalts- und Schrankenbestimmung bezeichnet hat, was nach seinem Enteignungskonzept (vgl. ζ. B. Böhmer, NJW 1988, S. 2561 [2572]) nur die Verneinung des Enteignungscharakters bedeuten kann, bzw. die Zwangsvollstreckung einen von der Enteignung abzugrenzenden Eingriff in das Eigentum genannt hat. 3 BVerfGE 70, 191 (199 f.); 72, 66 (76); 100, 226 (239 f.); 101, 239 (259), 102, 1 (15 f.); 104. 1 (9); NJW 2005, S. 2363 (2373). Vgl. auch BVerfGE 24, 367 (394); 42, 263 (299), wo statt von „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" von „im Interesse der Allgemeinheit" die Rede ist; ferner die Formulierungen in BVerfGE 45, 297 (325 f.); 52, 1 (27); 56, 249 (260); 74, 264 (280); 79, 174 (191), die auf das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" bzw. ,4m Interesse der Allgemeinheit" verzichten, allerdings - von BVerfGE 52, 1 (27); 56, 249 (260) abgesehen - auch keinen abschließenden Charakter haben. Man kann also durchaus von einer bis zu BVerfGE 24, 367 (394) zurückreichenden st. Rspr. sprechen. 4 Vgl. BVerwGE 84, 361 (366); BGHZ 143, 321 (326); /araw/Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 70; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 4 , Art. 14 Rn. 408; Bryde, in: v. Münch/ Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 58, 72; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 77; Rozek, Unterscheidung, S. 246; Ehlers, W D S t R L 51 (1992), S. 211 (236); Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 41; Schmidt-Aßmann, JuS 1986, S. 833 (837); i. Erg. ähnlich auch Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 195; Lege, Zwangskontrakt, S. 73; wohl jetzt auch dem BVerfG folgend Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 531 ff. (im Unterschied zu seiner vorherigen Kommentierung von 1994 [Rn. 377] verzichtet er nunmehr auf eine eigene Definition und legt seiner Kommentierung die Definition des BVerfG zugrunde). A.A. Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 78: „Eine Enteignung i s t . . . ein rechtmindernder oder entziehender Zugriff auf rechtssatzmäßig ausgeformte Vermögenspositionen, bei dem sich der Staat über die durch das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gesetzte Schranke hinwegsetzt, um übergeordnete Ziele des Gemeinwohls durchzusetzen"; Hösch, Eigentum, S. 237: „Enteignung ist der rechtmäßige (Hervorhebung F.R.) hoheitliche Entzug eines konkreten privaten Eigentumsrechts zu dem Zweck, das Eigentums-

Α. Einleitung

des Staates auf das Eigentum des Einzelnen, gerichtet auf den teilweisen oder vollständigen Entzug konkreter durch Art. 14 Abs. 1 Satzl GG geschützter Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben. Wird nun in der Zwangsvollstreckung nach §§ 808 ff. ZPO nicht auf das Eigentum des Einzelnen zugegriffen, nämlich das Sacheigentum des Vollstreckungsschuldners oder sogar eines Dritten 5? Geschieht das nicht durch den Staat, der in Gestalt des Gerichtsvollziehers das Sacheigentum mit der Pfändung (§§ 803 f., 808 ff. ZPO) erst „sturmr e i f schießt,6 es dann versteigert (§§ 814 ff. ZPO) und schließlich mit der Ablieferecht einer konkreten, das Allgemeinwohl fördernden Nutzung durch einen Dritten zuzuführen, der zur Verwirklichung seines Vorhabens auf die Nutzung des Eigentumsobjekts angewiesen ist"; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 559: „Eine »Enteignung4 ... liegt vor, wenn durch einen Rechtsakt ein durch Art. 14 I 1 gewährleistetes Eigentum ganz oder teilweise entzogen wird." 5 Inwieweit Dritte ihr Eigentum in der Zwangsvollstreckung verlieren können, ist sehr umstritten. Unstreitig ist jedoch, dass es geht. Gestritten wird nur über die Voraussetzungen, die hierfür erforderlich sind. Die sog. privatrechtliche Theorie fordert, dass der Erwerber analog § 1244 BGB gutgläubig im Hinblick auf das Eigentum des Vollstreckungsschuldners ist (vgl. Säcker, JZ 1971, S. 156 [160 ff.]; Pinger, JR 1973, S. 94 [98]; Marotzke, NJW 1978, S. 133 [136 f.]; Bruns/E. Peters 3, S. 157 f.; Pesch, JR 1993, S. 358 [358 f.]; G. Huber, Versteigerung, S. 143 ff.; 192; Wieling, Sachenrecht, S. 737 f.; Grunsky, ZVR 5 Rn. 103; Wiegand, in: Staudinger 14, Anh zu § 1257 Rn. 21ê, Hager, FS Canaris, S. 1 [19]; G. Paulus, FS Nipperdey, S. 909 (925); M Wolff/Raiser 10, S. 701 mit Fn. 7; M. Wolff, FG Hübler, S. 63 [66 ff.]; auch das Reichsgericht bis RGZ 156, 395 (397 ff.), vgl. RGZ 104, 300 [301 f.]). Nach der herrschenden, sog. gemischt privatrechtlich-öffentlichrechtlichen Theorie, und der öffentlichrechtlichen Theorie ist dies nicht erforderlich. Diesen genügt eine wirksame Pfändung und die Einhaltung der wesentlichen Verfahrensvorschriften bei der Verwertung (vgl. nur Brox/ Walker, ZVR 7 , Rn. 411 ff, 387, 388). 6 Die Pfändung ist nach fast allen Ansichten unverzichtbare Voraussetzung für eine wirksame Eigentumsübertragung. Nach der herrschenden, sog. gemischt privatrechtlich-öffentlichrechtlichen Theorie ist Grundlage für eine wirksame Eigentumsübertragung nämlich die „Verstrickung" der Sache (grundlegend F. Stein, Grundfragen, S. 56; vgl. ferner Brox /Walker, ZVR 7 , Rn. 412, 382 m. w. N.). Diese Verstrickung, die ein öffentlichrechtliches Gewahrsamsverhältnis ist (Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 361), entsteht durch die Pfändung der Sache (vgl. Brox /Walker, ZVR 7 , Rn. 361). Nach der sog. privatrechtlichen Theorie ist Grundlage der Eigentumsübertragung zwar nicht die Verstrickung, sondern das Pfändungspfandrecht (so die in Fn. 5 Genannten; vgl. ferner Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 380, 387). Dieses entsteht aber nicht ohne Pfändung (vgl. § 804 Abs. 1 ZPO). Auch nach der sog. öffentlichrechtlichen Theorie ist die Wirksamkeit der Eigentumsübertragung vom durch die Pfändung entstehenden Pfändungspfandrecht abhängig (so G. Lüke, 7ZP 67 [1954], S. 356 [357]; vgl. ferner Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 381, 387 m. w. N.). Der Unterschied zur privatrechtlichen Theorie liegt nur darin, dass nach der öffentlichrechtlichen Theorie dieses Pfandrecht nicht den Regeln der §§ 1204 ff. BGB unterworfen wird, sondern öffentlichrechtlicher Natur sein soll und deshalb bereits mit jeder wirksamen Pfändung entstehen soll (so G. Lüke, ZZP 67 [1954], S. 356 [357]; vgl. ferner Brox/Walker, Z V R , Rn. 387, 381). Nach der privatrechtlichen Theorie handelt es sich dagegen um ein Pfandrecht i. S. der §§ 1204 ff. BGB, so dass neben einer wirksamen Pfändung auch die zu vollstreckende Forderung, soweit ihr Bestehen nicht von der Rechtskraft umfasst wird, bestehen und der Vollstreckungsschuldners Eigentümer der Sache sein muss (so die in Fn. 5 Genannten; vgl. ferner Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 380). Nur nach einer Mindermeinung kann sogar das Fehlen der Pfändung selbst analog § 1244 BGB durch den guten Glauben des Erwerbers überspielt werden (so Wieling, Sachenrecht, S. 739;

24

Α. Einleitung

rung 7 nach § 817 Abs. 2 ZPO auf den Erwerber überträgt? Wird dabei nicht eine konkrete durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtsposition, nämlich das Eigentum an der gepfändeten Sache, zielgerichtet entzogen? Ist es nicht eine öffentliche, nämlich rechtsstaatliche, Aufgabe, die damit erfüllt wird? Ein unbefangener Betrachter, d. h., ein Betrachter, der sich diesen Fragen nicht nur vom „gewünschten Ergebnis" - Zwangsvollstreckung darf keine Enteignung sein - her nähert, wird sie wohl eher bejahen denn verneinen. Ein klareres Bild ergibt sich auch nicht durch die jüngst vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene begriffliche Beschränkung der Enteignung „auf solche Fälle, in denen Güter hoheitlich beschafft werden, mit denen ein konkretes, der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienendes Vorhaben durchgeführt werden soll" und in denen „mit dem Entzug [nicht] der Ausgleich privater Interessen beabsichtigt" ist. 8 Denn geschieht die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe „ Z w a n g s v o l l streckung" nicht dadurch, dass der Staat ein konkretes Vorhaben, nämlich die Befriedigung des Vollstreckungsgläubigers, mit der entzogenen Sache, die er sich zu diesem Zwecke hoheitlich beschafft, durchführt? Man wird vielleicht einwenden, das Vorhaben diene dem Ausgleich privater Interessen, nämlich der von Vollstreckungsgläubiger und Vollstreckungsschuldner. Jedoch: Wenn es auf dieses Merkmal entscheidend ankommt, wie will man dann den fehlenden Enteignungscharakter der der ZPO nachgebildeten9 Vollstreckung öffentlichrechtlicher Geldforderungen begründen? Private Interessen werden hier jedenfalls nicht ausgeglichen. Darüber hinaus zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass das Ausschlusskriterium des privaten Interessenausgleichs auch im Falle eines privaten Vollstreckungsgläubigers keineswegs als selbstverständlich gegeben angesehen werden kann. Denn - wie später 10 noch genauer gezeigt werden wird - liegt auch bei der allgemein anerkannten sog. privatbegünstigenden Enteignung ein privater Interessenkonflikt vor, der durch die Enteignung gelöst wird. Der Entzug kann also allenfalls dann seinen Enteignungscharakter verlieren, wenn er „in erster Linie" den Ausgleich privater Interessen beabsichtigt. Ob das bei der Zwangsvollstreckung Bruns/E. Peters 3, S. 157 f.; Lindacher, JZ 1970, S. 360 [362]; für die h.M. vgl. Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 412, 362 ff.). 7 Vgl. Schilken, in: MünchKomm-ZPO2, § 817 Rn. 7; W. Lüke, in: Wieczorek/Schütze 3, § 817 Rn. 13, 27; Münzberg, in: Stein/Jonas22, § 817 Rn. 21. Dass mit der Ablieferung das Eigentum übergeht, ist unstreitig. Streitig ist nur, welche Rechtsnatur (einseitiger Hoheitsakt, Teil eines öffentlichrechtlichen oder privatrechtlichen Vertrages) man ihr zuerkennt (siehe dazu unten S. 166 f.) und welche weiteren Voraussetzungen (nur wirksame Pfändung und Einhaltung der wesentlichen Verfahrensvorschriften oder auch die in §§ 1242 Abs. 1, 1244 BGB enthaltenen) man für einen wirksamen Eigentumsübergang fordert (vgl. dazu oben Fn. 5 f.). Das ändert jedoch nichts daran, dass es ohne Ablieferung keinen Übergang des Sacheigentums gibt. s BVerfGE 104,1 (10 [Klammerzusatz F.R]). 9 Vgl. §§ 281 ff. AO; § 5 Abs. 1 VwVG; §§ 13 ff. BW VwVG; BGHZ 119, 75 (76 ff.); BVerfGE 46, 325 (330). 10 S. 193 ff.

Α. Einleitung

nun der Fall ist und nach welchen Kriterien das zu beurteilen ist, darüber kann man streiten. Ohne nähere Erläuterung und Untersuchung der einzelnen Merkmale des Enteignungsbegriffs wird man die o.g. Fragen also überzeugend weder mit „Ja" noch mit „Nein" beantworten können.11 Wenn nun aber ein Ergebnis, über das weitgehend Einigkeit besteht, nicht reibungslos zu dem Konzept passt, aus dem es sich ergeben soll, so sind Ergebnis oder Konzept im besten Fall ungenau, im schlimmsten Falle sogar falsch. Jedenfalls bietet die Reibungsfläche - hier also die Zwangsvollstreckung - den idealen Ansatzpunkt, die Ursachen für die Reibung zwischen abstraktem Konzept und „gewünschtem Ergebnis" offenzulegen und nach Lösungen Ausschau zu halten. Diese können, je nachdem, welcher Art die Ursachen des Problems sind, von der bloßen Präzisierung des Ergebnisses oder des Konzepts bis zur vollständigen Widerlegung des einen oder des anderen reichen. Das ist es, was die Zwangsvollstreckung zur Nagelprobe für den Enteignungsbegriff des Bundesverfassungsgerichts macht. Die Arbeit hat also den Charakter eines „Experiments". Es wird versucht, den zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzug nach § 817 Abs. 2 ZPO unvoreingenommen unter den o.g. Enteignungsbegriff zu subsumieren, mit dem Ziel, Erkenntnisse über den Begriff der Enteignung in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG zu gewinnen. Nun wäre ein solches Unterfangen reine Begriffsjurisprudenz, wollte man dabei die Folgen, welche die Bejahung oder Verneinung des Enteignungscharakters des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs im realen Leben hätte, ausblenden.12 Es entspricht vielmehr den Grundsätzen der Interessenjurisprudenz, diese Folgen, die den Rechtsanwender ohnehin - ob er sich dessen bewusst ist oder nicht - bei Auslegung und Subsumtion steuern, 13 offen zu legen. 14 Die tatsächlichen Folgen der Einordnung des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs als Enteignung hängen nun entscheidend davon ab, ob er den Anforderungen genügen würde, die das Grundgesetz an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Enteignungen stellt. Denn könnte er diesen Anforderungen nicht standhalten, wäre eine effektive Zwangsvollstreckung per Verfassung verboten und damit nicht mehr möglich - ein offensichtlich absurdes Ergebnis, das vom Grundgesetz keinesfalls gewollt sein kann. Es würde dazu zwingen, den Enteignungscharakter des vollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs auf jeden Fall zu verneinen, so dass sich nur noch die Frage stellte, wie dies auch dogmatisch schlüssig begründet wer11 Dieses Phänomen dürfte erklären, weshalb die Enteignung seit jeher gern zur Erklärung der Zwangsvollstreckungsrechts herangezogen wurde, vgl. Hellwig, Zivilprozeßrecht Π, S. 109 Fn. 27; Geib, Rechtsschutzbegehren, S. 87 Fn. 1; F. Stein, Grundfragen, S. 30, 74; aus jüngerer Zeit: G. Lüke, ZZP 67 (1954), S. 356 (359, 363 Fn. 41); dazu Näheres unten S. 228. 12 Vgl. Heck, Rechtsgewinnung2, S. 9 ff., insb. S. 10 und 13; Triepel, Staatsrecht, S. 8 ff. 13 Vgl. hierzu insb. Triepel, Staatsrecht, S. 21 ff. 14 Vgl. Heck, Rechtsgewinnung2, S. 26 f f ; Triepel, Staatsrecht, S. 37 ff.

Α. Einleitung

26

den kann. 15 Würde sich der vollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug hingegen als Enteignung rechtfertigen lassen, lägen die Dinge anders. Die Bejahung einer Enteignung wäre dann nicht bereits „vom Ergebnis her" ausgeschlossen. Wir werden daher, bevor wir - unter C. - versuchen, den vollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzug unter die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts zu subsumieren, zunächst - unter B. - klären, inwieweit er sich als Enteignung verfassungsrechtlich rechtfertigen ließe, wobei sein Enteignungscharakter zu diesem Zwecke als Arbeitshypothese unterstellt wird. Unter D. werden dann die bei B. und C. für die Auslegung des Art. 14 GG gewonnenen Erkenntnisse zusammenfassend systematisch dargestellt, unter E. die für die Zwangsvollstreckung gewonnenen. Diese Herangehensweise erlaubt es, auf „vor die Klammer" gezogene allgemeine Ausführungen zum Enteignungsbegriff oder zum Eigentumsgrundrecht zu verzichten. Auf Fragen des Regelungszusammenhangs, der Geschichte etc. sowie vom Bundesverfassungsgericht abweichende Meinungen wird bei der Prüfung der einzelnen Rechtfertigungserfordernisse und Begriffsmerkmale der Enteignung - „am Fall" - eingegangen. Die Einschränkung auf die Vollstreckung wegen Geldforderungen in bewegliche körperliche Gegenstände (§§ 808 ff. ZPO) und hier auf die Versteigerung durch den Gerichtsvollzieher als typischen Fall der Verwertung 16 hat ihren Grund darin, dass es für die beabsichtigte „experimentelle" Betrachtung, die in erster Linie Erkenntnisse für die Auslegung des Art. 14 GG hervorbringen soll, nicht erforderlich ist, alle Arten der Vollstreckung und der Verwertung zu durchleuchten. Die §§ 808 ff. ZPO bieten sich deshalb in besonderem Maße an, weil dort, im Rahmen des Streits um die sog. Pfändungspfandrechtstheorien, des Öfteren die Nähe der Enteignung zur Zwangsvollstreckung als Argument verwendet 15

Die Ansicht, dass der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug schon deshalb keine Enteignung sein könne, weil er als solche nicht verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sei, vertreten im Hinblick auf das Entschädigungserfordernis Steinberg/Lubberger, S. 169; Sass, Art. 14, S. 276 mit Fn. 48, S. 279 f.; Haas, NVwZ 2002, S. 272 (274); wohl auch Wolf, Dike International 3 (1996), S. 201 (202); im Hinblick auf das Erfordernis einer gesetzlichen Entschädigungsregelung Weyland, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 38; im Hinblick auf das Allgemeinwohlerfordernis Schwabe, FS Thieme, S. 251 (58). 16 Die Ablieferung nach § 817 Abs. 2 ZPO im Anschluss an eine vom Gerichtsvollzieher vorgenommene Versteigerung ist nur der Regelfall der Verwertung in der Vollstreckung nach §§ 808 ff. ZPO. Geld liefert der Gerichtsvollzieher gemäß § 815 Abs. 1 ZPO direkt beim Vollstreckungsgläubiger ab. Dann besteht gemäß § 825 Abs. 1 ZPO, § 821 ZPO und § 817a Abs. 3 Satz 2 ZPO noch die Möglichkeit des freihändigen Verkaufs durch den Gerichtsvollzieher selbst bzw. eine von ihm beauftragte Privatperson. Schließlich kann die Sache auch gemäß § 825 Abs. 2 ZPO durch eine privaten Auktionator versteigert werden oder gemäß § 825 Abs. 1 ZPO vom Gerichtsvollzieher dem Vollstreckungsgläubiger „zugewiesen" werden. Vgl. zu diesen Sonderformen der Verwertung Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 417 ff. Soweit die Andersartigkeit dieser Verwertungsarten eine abweichende verfassungsrechtliche Beurteilung nahezulegen scheint, wird auf sie im Rahmen von Exkursen eingegangen.

Α. Einleitung

wird. 17 Es stellen sich aber selbstverständlich auch bei anderen Arten der Vollstreckung und Verwertung ähnliche Fragen, wie sie in der vorliegenden Untersuchung für die Vollstreckung nach §§ 808 ff. ZPO aufgeworfen werden. In einem kurzem Ausblick unter E. II. wird gezeigt, dass die für die Mobiliarvollstreckung gefundenen Ergebnisse in den meisten Fällen auch dort verwertet werden können.

π Vgl. Säcker, JZ 1971, S. 156 (159 f.); Pesch, JR 1993, S. 358 (361); Marotzke, NJW 1978, S. 133 (134), die sie als Argument für eine privatrechtliche Konstruktion der Zwangsvollstreckung bemühen; G. Lüke, ZZP 67 (1954), S. 356 (359), der sie als Argument für die öffentlichrechtliche Konstruktion bemüht.

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs nach § 817 Abs. 2 ZPO, gedacht als Enteignung Dem oben Gesagten entsprechend werden wir uns nun der Frage zuwenden, inwieweit der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug nach § 817 Abs. 2 ZPO verfassungsgemäß ist, wenn man unterstellt, dass es sich um eine Enteignung handelt. Dann müsste er zunächst den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG genügen. Ferner müsste er sich an Art. 19 Abs. 4 GG messen lassen. Bei der Prüfung dieser Fragen ist jedoch zu beachten, dass nicht jeder Verfassungsverstoß Argumente dafür liefert, dass der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug schon „vom Ergebnis her" keine Enteignung sein kann, sondern lediglich diejenigen, die nur unter Inkaufnahme einer ineffektiven Zwangsvollstreckung behoben werden könnten. Kein Argument in diesem Sinne wäre insbesondere der Nachweis, dass die Bejahung des Enteignungscharakters Abweichungen von der Dogmatik oder Regelungssystematik des Vollstreckungsrechts nach sich zieht. Sollte sich aus den Anforderungen, welche die Verfassung an die Verfassungsmäßigkeit von Enteignungen stellt, beispielsweise ergeben, dass eine bestimmte Zugriffsreihenfolge einzuhalten ist, dann kann dem nicht einfach entgegengehalten werden, das geltende Zwangsvollstreckungsrecht kenne keinen gradus executionis. 18 Denn die Verfassung gibt den Rahmen vor, in dem sich das einfache Recht zu bewegen hat, nicht das einfache Recht den Rahmen, in dem die Verfassung Geltung beanspruchen kann. Erst wenn der Nachweis erbracht ist, dass die Ineffektivität der Zwangsvollstreckung droht, kann von einem auch von der Verfassung nicht gewollten Ergebnis gesprochen werden.

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG Die in Art. 14 Abs. 3 GG geregelten Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit der Enteignung betreffen den Zweck der Enteignung, die Enteignungsentschädigung und die normative Grundlage der Enteignung. 18 In diesem Sinne lassen sich aber die Ausführungen von Gaul, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken11, S. 28, verstehen: Durch eine durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bewirkte Einschränkung der Wahlfreiheit des Gläubigers werde dessen Recht auf freien Vollstreckungszugriff als Grundprinzip des geltenden Zwangsvollstreckungsrechts in Frage gestellt. Vgl. auch Schilken, in: MünchKomm-ZPO2, § 803 Rn. 40: Die Verhältnismäßigkeit spiele im Rahmen des § 803 Abs. 1 Satz 2 ZPO keine Rolle, weil das Zwangsvollstreckungsrecht kein allgemeines Verhältnismäßigkeitsgebot kenne. Richtig dagegen Rauscher, Dike International 3 (1996), S. 213 (220 f.).

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

29

1. Das Wohl der Aügemeinheit (Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG) Nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG ist die Enteignung „nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig."19 Diesem Erfordernis wird nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Meinung nicht schon durch jedes beliebige öffentliche Interesse genüge getan. Vielmehr müsse ein qualifizierter Enteignungszweck, d. h. ein besonders schwerwiegendes und dringendes öffentliches Interesse, vorliegen. 20

a) Verhältnismäßigkeit

des Eigentumsentzugs

Ein schwerwiegendes und dringendes öffentliches Interesse wird nur dann bejaht, wenn das Bestandsinteresse des Eigentümers gegenüber dem am Eigentumsentzug bestehenden öffentlichen Interesse als nachrangig erscheint, wenn letzteres ersteres überwiegt. 21 Das entspricht in der Sache dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit mit seinen drei Elementen Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit 22 . Denn das hinter dem Entzug stehende Interesse kann das Bestandsinteresse nur dann „überwiegen", wenn der Entzug zu dessen Verwirklichung sowohl geeignet und erforderlich ist als auch der für das Entzugsinteresse erzielte Nutzen in einem angemessenen Verhältnis zum durch den Bestandsverlust angerichteten Schaden steht. Die Verhältnismäßigkeit wird hier also über das „Wohl der Allgemeinheit" zum Prüfungsmaßstab erhoben. 23 Das ist durchaus keine Besonder19 Die in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG statuierte Zulässigkeitsvoraussetzung „zum Wohle der Allgemeinheit" darf nicht mit dem nach h.M. für das begriffliche Vorliegen einer Enteignung erforderlichen „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" verwechselt werden. Mit den Problemen, die daraus erwachsen, dass eine ähnliche Zwecksetzung sowohl Zulässigkeits- als auch Begriffsmerkmal der Enteignung sein soll, werden wir uns unten (S. 185 ff., insb. S. 210 ff.) noch zu beschäftigen haben. 20 Vgl. BVerfGE 74, 264 (285, 289). Siehe ferner Böhmer, SV, BVerfGE 56, 266 (273 ff.); BVerwGE 116, 365 (377); Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 585; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 80; Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 205; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 160; Kimminich, in: BK, Art. 14 Rn. 395; Uerpmann, Interesse, S. 122; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 423; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 161; Badura, in: HdbVerfR 2, § 10 Rn. 62; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 604.

21 Vgl. BVerfGE 38, 175 (180); BVerwGE 117, 138 (139); Depenheuer, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 423; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 160; Badura, in: HdbVerfR 2, § 10 Rn. 62; Breuer, DVB1. 1981, S. 971 (974); Uerpmann, Interesse, S. 122; v. Brünneck, NVwZ 1986, S. 425 (427 ff.); Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 81; Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 207; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 604. 22 Vgl. zu den Elementen der Verhältnismäßigkeit BVerfGE 81, 156 (188 f.); Dreier, in: Dreier Γ , Vorb. Rn. 146; Schlink, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 445 (449). 23 So auch v. Brünneck, NVwZ 1986, S. 425 (427 ff.); Breuer, DVB1. 1981, S. 971 (974); Uerpmann, Interesse, S. 122; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 85; Kimminich, in: BK, Art. 14 Rn. 395; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, S. 267; tendenziell auch BVerfGE 38,

30

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

heit. Auch bei den Grundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht die Notwendigkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bereits aus dem Erfordernis der „allgemeinen Gesetze" in Art. 5 Abs. 2 GG abgeleitet.24 Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, alle denkbaren Fälle des Eigentums verlusts nach den §§ 808 ff. ZPO auf ihre Verhältnismäßigkeit hin überprüfen zu wollen. 25 Doch dies ist für die Zwecke dieser Untersuchung auch nicht erforderlich. Denn unser Ausgangspunkt für die Prüfung, ob der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug sich als Enteignung rechtfertigen lässt, war die Frage, ob die Bejahung des Enteignungscharakters die Ineffektivität der Zwangsvollstreckung zur Folge hätte. Von einer ineffektiven Zwangsvollstreckung kann man aber nicht schon dann sprechen, wenn sich einige Sonderfälle der Zwangvollstreckung in bewegliche Sachen als verfassungswidrig erweisen, sondern erst, wenn eine effektive Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen als solche nicht mehr möglich ist. Um dies festzustellen, ist nur eine Untersuchung der Hauptkonstellationen der Zwangsvollstreckung erforderlich. Dabei müssen im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit zwei Gruppen von Konstellationen unterschieden werden: In die erste gehören alle Fälle der Vollstreckung, in denen der Eigentümer der verlorengehenden Sache tatsächlich (materiell) Schuldner des Vollstreckungsgläubigers ist, also die Konstellation, die man gewissermaßen als Idealfall der Vollstreckung bezeichnen könnte. 26 In die zweite gehören alle Fälle, in denen das nicht so ist, in denen also entweder ein Dritter Eigentümer der Sache ist oder der Titel nicht der materiellen Rechtslage entspricht, und zwar zunächst unabhängig davon, ob dies noch nach § 767 ZPO geltend gemacht werden kann oder nicht, wie ζ. B. beim rechtskräftigen Fehlurteil. Eine Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen ist deshalb erforderlich, weil die Verhältnismäßigkeit des Eigentumsverlusts bei der zweiten Gruppe nicht mit denselben Erwägungen begründet werden kann wie bei der ersten.

175 (180); 53, 336 (349). Tendenziell das Verhältnismäßigkeitsprinzip dagegen eher als zum Allgemeinwohlerfordernis hinzutretend ansehend BVerfGE 24, 367 (404); 45, 297 (335); Böhmer, SV, BVerfGE 56,266 (280); ähnlich Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 214: „zusätzliche verfassungsrechtliche Grundlage der Verhältnismäßigkeitskontrolle"; unklar: Depenheuer, in: v. Mangoldt / Klein / Starck I 4 , Art. 14 Rn. 430, 432 einerseits, 433 andererseits; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 592 einerseits, 589 f. andererseits. 24 Vgl. BVerfGE 7,198 (208 ff.). 25 Vgl. stattdessen Wieser, Grundsatz, passim; Weyland, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, passim. Beide konzentrieren sich allerdings auf die erste Gruppe, der sogleich näher vorzustellenden Konstellationen. 26 Vgl. BGHZ 119, 75 (84): Zweck der Zwangsvollstreckung ist die Befriedigung des Gläubigers auf Kosten seines Schuldners.

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

31

aa) Die erste Konstellation: Der Eigentümer als materieller Schuldner des Vollstreckungsgläubigers Der Eigentumsverlust ist in dieser Konstellation ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel zum Erreichen eines legitimen Zieles.

(1) Die Legitimität

des verfolgten

Zieles

Der Eigentumsentzug in der Zwangsvollstreckung soll die Befriedigung des Vollstreckungsgläubigers ermöglichen. 2 7 Dadurch dient er auch der Bewährung der Rechtsordnung, der Wiederherstellung des Rechtsfriedens und letztlich - als Ersatz für die private Selbsthilfe - der Sicherung des staatlichen Gewaltmonopols, also öffentlichen - rechtsstaatlichen - Interessen. 28 Zieht man darüber hinaus i n Betracht, dass die durchzusetzende Forderung des Gläubigers unter Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallendes Eigentum i s t 2 9 und der Staat somit - weil die Forderung sonst in der Regel nicht den Namen „Eigentum" verdienen 3 0 würde - verpflichtet ist, für ihre Durchsetzbarkeit zu sorgen, 31 dann ist sogar die Befriedigung des Gläubigers - also die Verwirklichung des privaten Interesses - „als solche" eine auch i m öffentlichen Interesse liegende Staatsaufgabe. 32 27 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 1; C. G. Paulus, in: Wieczorek/Schütze 3, vor § 704 Rn. 13; Münzberg, in: Stein/Jonas22, vor § 704 Rn. 43; Henckel, Prozeßrecht, S. 356. 28 Vgl. BVerfGE 61, 126 (136); C. G. Paulus, in: Wieczorek/Schütze 3, vor § 704 Rn. 1, der zu Recht auf den Zusammenhang dieser Ziele mit dem „gesellschaftsvertraglichen" Daseinszweck des Staates verweist; ähnlich Haertlein, DGVZ 2002, S. 81 (83 f.); in diesem Sinne auch schon Geib, Rechtsschutzbegehren, S. 95: „Kein Zweifel kann aber daran bestehen, dass es das Interesse des Staates ist an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, welches die Rechtsordnung zum Verbot der Selbsthilfe und damit im Zusammenhang dazu veranlasst hat, die öffentliche Zwangsgewalt dem Gläubiger zum Zweck der zwangsweisen Befriedigung seines Privatrechtsanspruchs zur Verfügung zu stellen." 29 Vgl. BVerfGE 45, 142 (179); 68, 193 (222); 83, 201 (208); NJW 2005, S. 879 (880); Wolf, Dike International 3 (1996), S. 201 (201); Berkemann, in: MAK-GGI, Art. 14 Rn. 160, 409 ff. Zum grundrechtlich abgesicherten Justizgewährleistungsanspruch vgl. BVerfGE 80, 103 (107); 88, 118 (123 f.); 93, 99 (107); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rn. 16, 23; Baur/Stürner, ZVR, S. 85; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 25; Gerhardt, 7Z Ρ 95 (1982), S. 467 (487). 30 Vgl. BVerfGE 24, 367 (389). 31 Vgl. Baur/Stürner, ZVR, S. 85; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 25; Gerhardt, 7ZP 95 (1982), S. 467 (487); Lippross, Grundlagen, S. 118; Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 1, 1159; Wolf, Dike International 3 (1996), S. 201 (202); allgemeiner auch BVerfGE 88, 118 (123 f.); 93, 99 (107); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 16, 23. 32 Vgl. dazu auch Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht ΠΙ/2, S. 349, der in einem allgemeineren Kontext darauf hinweist, dass ein prinzipieller Ausschluss von Individualbelangen aus dem Gemeinwohl weder der begriffsgeschichtlichen Entwicklung des Gemeinwohlbegriffs (vgl. hierzu Herzog, in: Hist. Wb. Philos. ΙΠ, Sp. 248 [253 ff.]) noch der Gemeinwohlkonzeption des Grundgesetzes, das den Schutz der Menschenwürde und der anderen grundrechtlichen Schutzgüter zur Staatsaufgabe macht (vgl. Dreier, in: Dreier I 2 , Vorb. Rn. 102; Uerp-

32

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

(2) Die Eignung Dass der Entzug des Eigentums des Schuldners geeignet ist, diese Ziele zu erreichen, liegt auf der Hand. Der Gläubiger wird mit dem aus der Veräußerung der entzogenen Sache erzielten Erlös befriedigt, die materielle Rechtsordnung damit bewährt, der durch die Nichtzahlung gestörte Rechtsfrieden wiederhergestellt. Es wird erwiesen, dass das Forderungseigentum „effektiv" ist und der Staat damit seiner Pflicht, Eigentum zu schaffen, das diesen Namen verdient, nachgekommen ist. Die staatliche Zwangsvollstreckung stellt sich damit als echte Alternative zu der das staatliche Gewaltmonopol gefährdenden privaten Selbsthilfe dar. Als ungeeignet würde sich der Eigentumsverlust allenfalls dann erweisen, wenn die Verwertung der gepfändeten Gegenstände einen Überschuss über die Kosten der Vollstreckung nicht erwarten ließe. Denn dann käme es nicht zu einer - wenn auch nur teilweisen - Befriedigung der Forderung. Doch genau dieser Konstellation trägt § 803 Abs. 2 ZPO Rechnung, indem er in einem solchen Fall den Vollstreckungszugriff verbietet. 33 (3) Die Erforderlichkeit Im Hinblick auf die Erforderlichkeit, also im Hinblick auf die Frage, ob es kein milderes Mittel gibt, das mindestens ebenso geeignet ist, die angestrebten Ziele zu erreichen, sind zwar durchaus mildere Mittel vorstellbar. Zu denken wäre etwa an eine Zwangsnutzung des gepfändeten Gegenstandes anstelle der zum endgültigen Verlust führenden Veräußerung. Ein milderes Mittel wäre auch die Pfändung und Verwertung eines Gegenstandes, der zwar einen ebenso großen oder größeren Verkaufswert als der tatsächlich gepfändete und verwertete hat, aber einen für den Eigentümer geringeren Gebrauchswert. Jedoch genügen diese Mittel in aller Regel nicht dem Erfordernis der mindestens gleichen Eignung des Mittels. Denn bereits die bloße Prüfung dieser Fragen inklusive der dazu erforderlichen Ermittlungen bedeutete einen zusätzlichen Zeitaufwand, der die Effektivität der Befriedigung (und aller daran hängenden Ziele) beeinträchtigen würde. Entscheidendes Kriterium für die Effektivität der Zielerreichung ist nämlich nicht nur das „Ob" der Befriedigung, sondern auch das „Wie mann, Gemeinwohlkriterien, S. 180; Maurer, VwR 1 5 , § 1 Rn. 10), entspricht. Auch das BVerfG wird, wenn es ζ. B. im Apothekenurteil (BVerfGE 7, 377 [405]) von „vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls" oder „überragenden Gemeinschaftsgütern" spricht, keineswegs zum Ausdruck gebracht haben wollen, dass Beschränkungen der Berufsfreiheit nicht wegen Individualbelangen möglich sein sollen. Aus diesen Gründen dürfte es auch schwierig sein, die »Allgemeinheit" in Art. 14 Abs. 2 GG oder Art. 14 Abs. 3 GG mit einer unbestimmten Vielzahl zu identifizieren (so aber Wieland, in: Dreierl 2 , Art. 14 Rn. 101). 33 Vgl. auch Weyland, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 24; Wolf, Dike International 3 (1996), S. 201 (202); E. Peters, Dike International 3 (1996), S. 53 (58), Gaul, Dike International 3 (1996), S. 27 (49).

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

33

lange". Bei der Zwangsnutzung käme über den Ermittlungszeitaufwand hinaus noch eine weitere Verzögerung hinzu, weil ein und derselbe Betrag in der Regel durch einen Verkauf schneller erzielt wird als ζ. B. durch eine Vermietung des Gegenstandes. Sollten aufgrund besonderer Umstände jedoch einmal keine Verzögerungen zu befürchten sein, ζ. B. weil ein potentieller Mieter bekannt ist, der bereit ist, mit der ersten Mietrate so viel, wie zur Befriedigung des Gläubigers erforderlich ist, zu zahlen, dann kann dem durch eine verfassungskonforme Auslegung des Zwangsvollstreckungsrechts - hier des § 825 Abs. 1 Satz 1 ZPO, unter dessen Wortlaut („Verwertung") sich auch die Zwangsnutzung subsumieren lässt,34 - Rechnung getragen werden. 35 (4) Die Angemessenheit Im Hinblick auf die Angemessenheit sind im Regelfall die für eine Eigentumsentziehung nach dem Regime der §§ 808 ff. ZPO sprechenden Gründe gewichtiger als die dagegen sprechenden. Auf der einen Seite, der des Gläubigers, ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Effektivität der Befriedigung in ihrer zeitlichen Dimension schon dadurch beeinträchtigt ist, dass der Gläubiger sich überhaupt des Vollstreckungsverfahrens bedienen muss. Alles, was im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens Verzögerungen (ζ. B. Ermittlungen wie sie eben geschildert wurden) verursacht, bedeutet also eine weitere Verzögerung. Auf der anderen Seite kann der Vollstreckungsschuldner den zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzug mit seinen spezifischen Härten (ζ. B. Verlorengehen von Gegenständen mit hohem Gebrauchswert) in der Regel ohne weiteres selbst abwenden oder abmildern. Er kann ζ. B. die Entscheidung darüber, welche seiner Eigentumsstücke für die Begleichung der Schuld eingesetzt werden, dadurch an sich ziehen, dass er diejenigen, welche er am ehesten entbehren kann oder will, selbst „versilbert" und damit die Schuld begleicht.36 Ihm diese Obliegenheit aufzubürden, ist auch sachgerecht, da er am ehesten einschätzen kann, an welchen Gegenständen sein Be34 So auch Schilken, in: MünchKomm-ZPO2, § 825 Rn. 13; Münzberg, in: Stein/Jonas 22, § 825 Rn. 3 jeweils m. w. N. 35 So auch Weyland, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 112 f.; ähnlich auch Wolf, Dike International 3 (1996), S. 201 (206), für die Immobiliarvollstreckung. Weyland (a. a. Ο. S. 99 ff.) weist außerdem auf § 803 Abs. 1 Satz 2 ZPO (und § 777 ZPO) hin, der eine Inanspruchnahme der beweglichen Gegenstände des Schuldners, die über das für eine kostendeckende Befriedigung des Gläubigers notwendige Maß hinausgeht, verbietet. Die Frage, ob § 803 Abs. 1 Satz 2 GG damit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Geltung verschaffen will (ablehnend Jauernig, ZVR 2 1 , S. 10; Obudzinski, Bedeutung, S. 78 ff.; bejahend Wolf, Dike International 3 [1996], S. 201 [202]; wohl auch Rauscher, Dike International 3 [1996], S. 213 [220]), kann auf sich beruhen, solange sein objektiver Regelungsgehalt den Vorgaben der Verhältnismäßigkeit - gewollt oder ungewollt - entspricht. 36 Er kann dann das Vollstreckungsverfahren beenden, vgl. §§ 775 Nr. 4, 5 ZPO. Auf die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Umfinanzierung weisen auch Baur/Stürner, ZVR, S. 455, und im allgemeineren Kontext BVerfGE 61, 126 (136 f.) hin. Vgl. auch Jauernig, ZVR 2 1 , S. 9; Obudzinski, Bedeutung, S. 79. 3 Raue

34

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

standsinteresse besonders hoch ist und an welchen n i c h t 3 7 . Aufgrund dieser Interessenlage kann aus dem Erfordernis der Angemessenheit - zumindest in der Regel - weder das Gebot einer bestimmten Reihenfolge der Zugriffsarten 3 8 oder der Ermittlung milderer Verwertungsarten von Amts wegen 3 9 noch das Verbot der Vollstreckung von sog. Bagatellforderungen 40 abgeleitet werden. Für mögliche Härtefalle hat das Zwangsvollstreckungsrecht weitestgehend Vorsorge getroffen. 41 Die §§ 811 Abs. 1, 811 c Abs. 1, 812 ZPO setzen dem Zugriff auf Gegenstände, an denen das Bestandsinteresse des Eigentümers wegen ihres Gebrauchswerts (§§ 811, 812 ZPO) oder aus sonstigen Gründen (§ 811 c Abs. 1 ZPO) bekanntermaßen sehr hoch ist, von vornherein Grenzen. 4 2 Die §§ 817 a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Sätze 1 und 2 , 821 ZPO wirken einer Verschleuderung von Eigentum entgegen. 43 § 806 b ZPO lockert die fehlende Pflicht zur Prüfung von Amts wegen etwas auf, und § 813 a und § 813 b sowie nicht zuletzt § 765 a ZPO bieten Möglichkeiten für eine flexible Handhabung der Normen des Vollstreckungsrechts für nicht vorhergesehene Härtefälle. 4 4

37 So zu Recht E. Peters, Dike International 3 (1996), S. 53 (59); vgl. ferner BVerfGE 84, 82 (88): Anscheinsbeweis im Verfahren nach § 890 ZPO verfassungsgemäß, weil seine Erschütterung dem Schuldner zumutbar, da er dem Vorgang, der das Ordnungsgeldverfahren auslöst, näher stehe als der Gläubiger und besser als dieser in der Lage sei, die entscheidungserheblichen Tatsachen aufzuklären. 38 So auch Münzberg, in: Stein /Jonas 22 , vor § 704 Rn. 44; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken11, S. 28 m. w. N.; Weyland, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 124 ff.; E. Peters, Dike International 3 (1996), S. 53 (58 f.); G. Lüke, Dike International 3 (1996), S. 161 (162); einschränkend Böhmer, SV, BVerfGE 49, 228 (234); Rauscher, Dike International 3 (1996), S. 213 (223). 39 So auch Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 27 f.; G. Lüke, Dike International 3 (1996), S. 161 (162); im Hinblick auf § 765 a ZPO auch BVerfGE 61, 126 (137 f.) und Wolf, Dike International 3 (1996), S. 201 (204 f.) (der aber auf § 139 ZPO und das - von Amts wegen zu berücksichtigende - fehlende Rechtsschutzbedürfnis in Fällen „besonders grober Unverhältnismäßigkeit" hinweist). Zumindest tendenziell auch BVerfG-K, NJW 2003, S. 279 (279 f.) im Hinblick auf das Antragserfordernis des § 850 k Abs. 1 ZPO. 40

So i. Erg. auch Münzberg, in: Stein/Jonas22, vor § 704 Rn. 44 m. w. N.; Baur/Stürner, ZVR, S. 455 f.; Jauernig, ZVR 2 1 , S. 9; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 28; Obudzinski, Bedeutung, S. 79; E. Peters, Dike International 3 (1996), S. 53 (58); G. Lüke, Dike International 3 (1996), S. 161 (162). A.A. Böhmer, SV, BVerfGE 49, 228 (229 ff.), der freilich sehr auf die besonderen Umstände des Falles abstellt. 41 Vgl. - auch zum Folgenden - Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 29; ders., Dike International 3 (1996), S. 27 (49); Lippross, Grundlagen, S. 173 ff.; Rauscher, Dike International 3 (1996), S. 213 (220). 42 Vgl. zu §§ 811, 812 ZPO Weyland, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 25, 166, 170 f.; zu § 812 ZPO E. Peters, Dike International 3 (1996), S. 53 (58). 4 3 Vgl. BVerfGE 46, 325 (332); Münzberg, in: Stein/Jonas22, vor § 817a Rn. 1; Wolf, Dike International 3 (1996), S. 201 (203). 44 Vgl. Weyland, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 142 f., 208 f. Zu § 765 a ZPO als Einbruchstelle der Grundrechte vgl. auch BVerfGE 52, 214 (219); BVerfG-K, NJW 1994, S. 1719 (1719 f.); Wolf, Dike International 3 (1996), S. 201 (204 f.).

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

35

bb) Die zweite Konstellation: Der materiell nicht schuldende Eigentümer Wie steht es nun mit der Verhältnismäßigkeit des Eigentumsverlusts in den Fällen, in denen der Vollstreckungsgläubiger gegen den betroffenen Eigentümer keine Forderung hat? Hierzu gehören die Fälle, in denen die Sache eines Dritten gepfändet und versteigert wird (Situation des § 771 ZPO) oder die titulierte Forderung nicht (mehr) besteht und der Vollstreckungsschuldner dies nach § 767 ZPO geltend machen könnte. Darüber hinaus zählt hierzu auch die Vollstreckung eines rechtskräftigen oder vorläufig vollstreckbaren (von vornherein) falschen Titels. (1) Nicht mit der Befriedigung des die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubigers zu rechtfertigen In diesen Fällen können die Befriedigung des die Zwangvollstreckung betreibenden Vollstreckungsgläubigers und die damit verbundenen rechtsstaatlichen Ziele anders als in der ersten Konstellation - nicht die legitimen Ziele sein, die den Eigentumsentzug verhältnismäßig erscheinen lassen. Für die Situationen des § 771 ZPO, des § 767 ZPO 4 5 und der Vollstreckung eines vorläufig vollstreckbaren Fehlurteils würde es hierfür schon an der Geeignetheit des Mittels fehlen. 46 Denn der Vollstreckungsgläubiger darf in diesen Konstellationen die durch die Auszahlung des Verwertungserlöses erlangte Bereicherung nicht behalten. In den Situationen der §§771 und 767 ZPO ist er einem den Erlös umfassenden Bereicherungsanspruch des Eigentümers bzw. des Vollstreckungsschuldners ausgesetzt.47 In der Situation des vorläufig vollstreckbaren Fehlurteils ist er einem verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch des Vollstre45 Zu dem Streit, ob in diesen Situationen das Eigentum nur verloren geht, wenn der Erwerber i. S. des § 1244 BGB gutgläubig ist, vgl. oben S. 23 Fn. 5. 46 A.A. Weyland, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 69 f. (für den Fall von Dritteigentum), der entsprechend zu den Grundsätzen der Anscheinsgefahr im Polizeirecht auf die „subjektive Geeignetheit", also auf die Eignung aus der Sicht des Vollstreckungsorgans abstellt. Damit kann man aber nicht die Eignung der den Handlungen des Vollstreckungsorgans zugrunde liegenden Normen begründen. Denn der Gesetzgeber ist im Gegensatz zum Vollstreckungsorgan nicht der Überzeugung, dass eine Sache des Schuldners betroffen ist. Sonst hätte er § 771 ZPO nicht geschaffen. 47 Dieser soll sich nach h.M. aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 BGB ergeben, vgl. RGZ 156, 395 (399 f.) für die Situation des § 771; BGHZ 83, 278 (279 f.) für die Situation des § 767; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 828; ders., in: MünchKomm-ZPO2, § 804 Rn. 33, 38 m. w. N.; nach a.A. aus § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB, vgl. G. Huben Versteigerung, S. 166 ff. Vollständig verneint wird ein Bereicherungsanspruch gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger - jedenfalls für die Konstellation des § 771 ZPO - von Gloede, MDR 1972, S. 291 (293); BaumbachIHartmann, ZPO 63 , § 819 Rn. 5; Böhm, Zwangsvollstreckung, S. 63, 68, 88. Sie bejahen stattdessen einen Bereicherungsanspruch gegen den Vollstreckungsschuldner.

3*

36

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

ckungsschuldners aus § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO ausgesetzt, der jedenfalls betragsmäßig den ausgezahlten Erlös immer mit umfassen dürfte. 48 Beim rechtskräftigen Fehlurteil darf der Vollstreckungsgläubiger den Erlös zwar behalten, weil die Richtigkeit des Urteils wegen der Rechtskraft grundsätzlich nicht mehr hinterfragt werden darf. Hier wäre der Eigentumsentzug also ein geeignetes und erforderliches Mittel zur Bereicherung des Vollstreckungsgläubigers. Doch ist der Eigentumsentzug zum Zwecke des Erreichens dieses Zieles nicht angemessen. Denn der Vollstreckungsgläubiger ist, materiell gesehen, nur ein Scheingläubiger. Damit ist nicht ersichtlich, weshalb gerade sein Bereicherungsinteresse das Bestandsinteresse des Eigentümers überwiegen sollte. Auch fördert die Bereicherung des Vollstreckungsgläubigers hier nicht in derselben Weise wie bei der ersten Konstellation die Bewährung der materiellen Rechtsordnung, die Wiederherstellung des Rechtsfriedens und die Sicherung des staatlichen Gewaltmonopols. Denn in der Durchsetzung einer in Wirklichkeit gar nicht bestehenden Forderung bewährt sich weder die materielle Rechtsordnung noch fördert sie wirklich den Rechtsfrieden zwischen den Parteien. Folglich stellt sie sich auch nicht als adäquate Alternative zur Selbsthilfe und damit als Beitrag zur Sicherung des staatlichen Gewaltmonopols dar. (2) Effektivität der Zwangsvollstreckung materiell gegenüber dem Eigentümer berechtigter Vollstreckungsgläubiger Die Hinnahme des Eigentumsverlusts in den Konstellationen, in denen der betroffene Eigentümer materiell nichts schuldet, ist jedoch ein geeignetes, erforderliches und in aller Regel auch angemessenes Mittel zur Erhöhung bzw. Gewährleistung der Effektivität der Zwangsvollstreckung in den Konstellationen, in denen ein materiell gegenüber dem Eigentümer berechtigter Vollstreckungsgläubiger vollstreckt. (a) Rechtskräftiges Fehlurteil Ohne Rechtskraft und damit ohne Inkaufnahme materiell unberechtigter Eigentumsverluste könnte sich nämlich auch der materiell berechtigte Vollstreckungsgläubiger nie der Befriedigung seiner Forderung endgültig sicher sein. Dies würde die Effektivität seines Forderungseigentums schwer beeinträchtigen, die staatliche Rechtsdurchsetzung in seinen Augen nicht als adäquate Alternative zur Selbsthilfe erscheinen lassen und der endgültigen Bewährung der Rechtsordnung und Wiederherstellung des Rechtsfriedens entgegenstehen. Der Verlust des Eigentums eines materiell zu nichts Verpflichteten ist zwar besonders schwerwiegend. Trotzdem ist er zur Erreichung des verfolgten Zieles an48 Vgl. zum Umfang des Schadensersatzanspruchs Münzberg, in: Stein /Jonas 22 , § 717 Rn. 25 ff.; Schilken, in: MünchKomm-ZPO2, § 717 Rn. 18.

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

37

gemessen, weil das Prozessrecht Vorkehrungen getroffen hat, um das Risiko der Entstehung von vornherein falscher Titel zu minimieren. Der gesetzliche Regelfall ist ein Streitverfahren vor unabhängigen Richtern, 49 die diverse Hinweispflichten haben,50 in dem rechtliches Gehör gewährt wird 5 1 und das sich teilweise über mehrere Instanzen erstrecken kann. 52 Abweichend von diesen Standards kann ein rechtskräftiger Titel nur zustande kommen, wenn der Beklagte hiermit einverstanden ist (Anerkenntnisurteil) 53 oder in schuldhafter Weise seinen Prozessobliegenheiten nicht nachkommt (Versäumnisverfahren, 54 Mahnverfahren 55). Hinzu kommt, dass für die Fälle, in denen trotz Beobachtung dieser Standards der Eigentumsentzug für die Zwecke der Rechtskraft nicht angemessen erscheint, Härteklauseln zur Verfügung stehen, mit denen die Rechtskraft durchbrochen werden kann. Das sind einmal die Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens (§§ 578 ff. ZPO) 56 und dann - ζ. B. für Fälle, in denen „die materielle Unrichtigkeit des Titels ... bereits so eindeutig und schwerwiegend ist, dass jede Vollstreckung allein schon deswegen das Rechtsgefühl in schlechthin unerträglicher Weise verletzen würde" 57 - eine Leistungsklage aus § 826 BGB auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung und Herausgabe des Titels 58 . (b) Vorläufig vollstreckbares Fehlurteil Ähnliches gilt für den Eigentumsverlust in den Fällen der Vollstreckung eines vorläufig vollstreckbaren, aber von vornherein falschen Titels. 59 Er ist erforderlich, um eine in zeitlicher Hinsicht effektive Befriedigung materiell berechtigter Gläubiger zu ermöglichen. Als Ausgleich dafür, dass es anders als bei der Vollstreckung rechtskräftiger Fehlurteile nicht um die Effektivität der Befriedigung schlechthin, sondern „nur" um die zeitliche Dimension geht, ist mit § 712 ZPO eine zusätzliche 49 Vgl. Art. 97 GG, § 1 GVG. 50 Vgl. §§ 139, 504 ZPO. 51 Vgl. Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 118, 136-139, 141, 337, 547 Nr. 4 ZPO. 52 Vgl. §§ 511 ff. ZPO. 53 Vgl. § 307 ZPO. 54 Vgl. §§ 330 ff. ZPO. 55 Vgl. §§ 688 ff. ZPO. 56 Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren fallen unter § 775 Nr. 1 ZPO (Münzberg, in: Stein/Jonas22, § 775 Rn. 6; Schuschke/Walker 3, § 775 Rn. 7). Beachte auch § 775 Nr. 2 i.V.m. § 707 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 ZPO (vgl. dazu Münzberg, in: Stein/Jonas 22, § 775 Rn. 15; Schuschke/ Walker 3, § 775 Rn. 8). 57 BGHZ 101, 380 (385). Zu den Voraussetzungen einer solchen Klage aus § 826 BGB vgl. - neben BGHZ 101, 380 (384 f.) - Gottwald, in: MünchKomm-ZPO2, § 322 Rn. 206; Musielak / Musielak, ZPO 4 , § 322 Rn. 91 ff. 58 Vgl. zu den Rechtsfolgen einer solchen Klage Gottwald, in: MünchKomm-ZPO2, § 322 Rn. 214; Musielak ! Musielak, ZPO 4 , § 322 Rn. 96. 59 Hier i. Erg. die Verhältnismäßigkeit bejahend auch G. Lüke, Dike International 3 (1996), S. 161 (165 f.).

38

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

Sicherung eingebaut. Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass die §§ 811 Abs. 1, 811c Abs. 1, 812 ZPO gewährleisten, dass Sachen, an denen das Bestandsinteresse wegen ihres für den Eigentümer hohen Gebrauchs- oder Affektionswerts besonders groß ist, ohnehin nicht „in die Mühlen der Vollstreckung" geraten. (c) Situation des § 771 ZPO bzw. § 767 ZPO Problematischer ist die Verhältnismäßigkeit des Eigentumsverlusts in den Situationen des § 771 ZPO bzw. § 767 ZPO. Im Ergebnis kann sie aber auch hier bejaht werden. Geht man mit der herrschenden Ansicht davon aus, dass der Eigentumsverlust nicht von der Gutgläubigkeit hinsichtlich des Eigentums des Vollstreckungsgläubigers bzw. des Bestehens der titulierten Forderung abhängt,60 kann man die Verhältnismäßigkeit nicht mit der Schutzwürdigkeit des Erwerbers begründen. 61 Daher kommt auch hier nur die Steigerung der Effektivität der Zwangsvollstreckung in den Konstellationen materiell berechtigter Vollstreckung als Ansatzpunkt für eine Rechtfertigung des Eigentumsverlusts in Betracht. 62 Denn dadurch, dass der Erwerber sich seines Erwerbs auf jeden Fall sicher sein kann, wird die Teilnahme an der Versteigerung auch für bösgläubige Erwerber attraktiv, also für solche Erwerber, die glauben, dass der Vollstreckungsschuldner nicht Eigentümer ist bzw. die zu vollstreckende Forderung in Wirklichkeit nicht besteht, oder die insoweit zumindest Nachforschungen für geboten halten 63 . Dies führt zur Erhöhung der Anzahl von Teilnehmern und damit prinzipiell zu höheren Erlösen. 64 Darüber, ob dieser Nutzen in einem angemessenen Verhältnis zum Verlust des Eigentums steht, lässt sich sicherlich streiten. 65 Lange Zeit war nämlich die sog. privatrechtliche Theorie, die Gutgläubigkeit forderte, in der Rechtsprechung herrschend,66 ohne dass bekannt wäre, dass dies „katastrophale Folgen für die Bietbereitschaft" 67 hatte. 68 Andererseits ist jedoch zu berücksichtigen, dass man, ohne 60 Vgl. oben S. 23 Fn. 5 f. 61 So zu Recht Säcker, JZ 1971, S. 156 (159); Pinger, JR 1973, S. 94 (95); Marotzke, NJW 1978, S. 133 (136); Haertlein, DGVZ 2002, S. 81 (85); Hager, FS Canaris, S. 1 (11 f.). 62 Pesch, JR 1993, S. 358 (360 f.). 63 Zum Begriff der grob fahrlässigen Unkenntnis i. S. von § 932 Abs. 2 BGB vgl. Henssler, in: Soergel 13, § 932 Rn. 20. 64 Vgl. Münzberg, in: Stein/Jonas22, § 817 Rn. 21: Die Anwendung des § 1244 BGB hätte katastrophale Folgen für die Bietbereitschaft. 65 Im Ergebnis ablehnend z. B. G. Huber, Versteigerung, S. 144. 66 Vgl. RGZ 61, 330 (333); 104, 300 (301); 126, 21 (26); vgl. auch die Nachweise zur privatrechtlichen Theorie oben S. 23 Fn. 5. 67 Münzberg, in: Stein/Jonas22, § 817 Rn. 21. 68 Soweit ich das überblicke, behauptet das jedenfalls niemand. Die Gründe für die Abkehr vom Gutgläubigkeitserfordernis waren eher dogmatischer Natur. So argumentiert

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

39

dass hiergegen verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht werden, auch im Bereich der klassischen Grundstücksenteignung seit jeher davon ausgeht, dass der Eigentümer sein Eigentum auch dann verliert, wenn das Enteignungsverfahren nicht gegen ihn, sondern gegen den Bucheigentümer durchgeführt wurde, und zwar unabhängig von der Gut- oder Bösgläubigkeit desjenigen, auf den das Grundstück übertragen wird. 69 Außerdem knüpft § 808 ZPO mit dem Gewahrsam des Vollstreckungsschuldners an einen Tatbestand an, der auch nach materiellem Recht - vgl. § 1006 BGB - eine Vermutung für das Eigentum begründet. 70 Ferner hat der Dritteigentümer bzw. der Vollstreckungsschuldner die Möglichkeit, die Vollstreckung durch Erhebung der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO bzw. Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO zu stoppen und so den drohenden Eigentumsverlust zu verhindern, vorausgesetzt natürlich er erfährt rechtzeitig von der Vollstreckung. Das dürfte beim Vollstreckungsschuldner in der Situation des § 767 ZPO, da er sich regelmäßig im Besitz der gepfändeten Sache befindet, zwar eher gewährleistet sein als beim Dritteigentümer in der Situation des § 771 ZPO. Jedoch besteht auch beim Dritteigentümer immerhin die Möglichkeit, dass ihn der Vollstreckungsschuldner von der Pfändung unterrichtet, dass der Dritteigentümer die Pfandsiegel an seinen Sachen sieht (vgl. § 808 Abs. 2 ZPO) oder dass er aufgrund der öffentlichen Bekanntmachung der Versteigerung (vgl. §816 Abs. 3 ZPO) misstrauisch wird und sich nach dem Verbleib seiner Sache erkundigt. 71 Schließlich werden die Härten des Eigentumsverlusts auch bei Bösgläubigkeit des Erwerbers dadurch abgefedert, dass dem Eigentümer in Arglistfallen ein AnRGZ 156, 395 (397 ff.), die den Wendepunkt markiert, mit der „neueren Auffassung von der Stellung des Gerichtsvollziehers und dem Wesen der Zwangsvollstreckung" (S. 397), wonach der Gerichtsvollzieher mit der Versteigerung und der Ablieferung einen „staatlichen Hoheitsakt" vornehme (S. 398). Zudem wird auf die angeblich größeren Sicherungen bei der Versteigerung im Rahmen der Zwangsvollstreckung im Vergleich zum normalen Pfandverkauf nach §§ 1228 ff. BGB verwiesen (S. 389 f.). Die geringen Erlöse bei Versteigerungen beweglicher Sachen sind wohl eher damit zu erklären, dass die Nachfrage nach gebrauchten Gegenständen des Alltagsbedarfs sehr gering ist (vgl. Weyland, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 106). 69 Vgl. für heute ßata's/Krautzberger/ Lohr, BauGB 9 , § 117 Rn. 10; Dyong, in: Ernst/ Zinkhahn/Bielenberg, BauGB, § 117 Rn. 18. Für die vorgrundgesetzliche Zeit vgl. Laband, AcP 52 (1869), S. 151 (174); Layer, Principien, S. 605 f.; Ο. Mayer, VwR II 3 , S. 25; Gierke, Privatrecht II, S. 499; Wittmayer, HdWStaatsW III 4 , S. 730 (742); Grünhut, Enteignungsrecht, S. 180. 70 Vgl. Schilken, in: MünchKomm-ZPO2, § 808 Rn. 1. 71

Bedenklich ist angesichts dieser wenigen Möglichkeiten der Kenntnisnahme eine Mindermeinung (vgl. oben S. 23 Fn. 6 a.E.), welche die Unwirksamkeit der Verstrickung, also ζ. B. wenn keine Pfandsiegel angelegt wurden (vgl. Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 364), analog § 1244 BGB bei Gutgläubigkeit des Erwerbers als dem Eigentumsverlust nicht im Wege stehend ansieht. Vgl. ferner zu diesem Problem unter dem Gesichtspunkt des Art. 19 Abs. 4 GG unten S. 73 Fn. 242. Bedenklich ist vor diesem Hintergrund auch, dass nach h.M. § 816 Abs. 3 ZPO nicht zu den Verfahrensvorschriften gehören soll, deren Nichteinhaltung die Nichtigkeit des Eigentumserwerbs nach sich zieht (vgl. Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 413).

40

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

spruch auf Rückübereignung gegenüber dem Erwerber aus §§ 826, 249 Satz 1 BGB zugestanden wird 7 2 und der Gerichtsvollzieher eine Sache, obwohl er sie im Gewahrsam des Vollstreckungsschuldners vorfindet (vgl. § 808 Abs. 1 ZPO), auch dann nicht pfändet, wenn offenkundig ist, dass ein Dritter der Eigentümer ist. 73 Zieht man nun noch den Prognose- und Beurteilungsspielraum, welcher dem Gesetzgeber bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit zugestanden wird, 74 in Betracht, so erscheint es durchaus vertretbar, die Angemessenheit des Eigentumsverlusts zu bejahen. Aber selbst wenn man dieser Argumentation nicht folgt und die Verhältnismäßigkeit des Eigentumsverlusts in der Situation des § 771 oder des § 767 ZPO nur dann - im Interesse des Erwerbers - bejaht, wenn der Erwerber gutgläubig ist, 75 hat man damit kein Argument gegen die Einordnung des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs als Enteignung wegen „schlechthin untragbarer Ergebnisse" gewonnen, was ja Ausgangspunkt unserer Betrachtungen über die Rechtfertigungsfähigkeit des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs war 76 . Denn dann wäre lediglich eine Interpretation des Zwangsvollstreckungsrechts geboten, die jahrzehntelang der Rechtsprechung zugrunde lag und offensichtlich keineswegs zu untragbaren Zuständen im Hinblick auf die Effektivität der Zwangsvollstreckung geführt hat. 77 cc) Ergebnis Das in dem „zum Wohle der Allgemeinheit" (Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG) liegende Erfordernis des Überwiegens der für die Enteignung sprechenden Belange wäre im Falle der Zwangsvollstreckung also prinzipiell gegeben. Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der §§ 808 ff. ZPO gibt es nur an Einzelpunkten. Problema72 Vgl. Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 826; Münzberg, in: Stein/Jonas22, § 817 Rn. 21; Schuschke/Walker 3, Anhang zu § 771 Rn. 14; Jauernig, ZVR 2 1 , S. 85; ähnlich Lippross, Vollstreckungsrecht 9, Rn. 260, der über §§ 242, 985 BGB - Arglisteinwand - vorgehen will. 73 Vgl. BGHZZ Ρ 70 (1975), S. 251 (252); Schilken, in: MünchKomm-ZPO2, § 808 Rn. 11; W Lüke, in: Wieczorek/Schütze 3, § 808 Rn. 29 f.; Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 259; Thomas/ Putzo, ZPO 27 , § 808 Rn. 9; vgl. ferner Musieiak/ Becker, ZPO 4 , § 808 Rn. 5; Schuschke/ Walker 3, § 808 Rn. 5; Münzberg, in: Stein/Jonas22, 808 Rn. 8; ZöMer/Stöber, ZPO 25 , § 808 Rn. 3; Baumbach I Hartmann, ZPO 63 , § 819 Rn. 2, wobei die Letztgenannten davon ausgehen, dass der Gerichtsvollzieher pfänden muss, wenn der Vollstreckungsgläubiger es ausdrücklich verlangt. 74 Vgl. dazu Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 1 Rn. 279 ff. Darauf im Kontext der Zwangsvollstreckung zu Recht hinweisend Baur/Stürner, ZVR, S. 91 f. 75 Vgl. Pesch, JR 1993, S. 358 (360 f.); Hager, FS Canaris, S. 1 (11 f.); ferner Marotzke, NJW 1978, S. 133 (134 ff.), der allerdings weniger auf die Verhältnismäßigkeit als auf den Gesetzesvorbehalt und Art. 19 Abs. 4 GG abstellt. 76 Vgl. oben S. 25 f., 28, 30. 77 Siehe oben S. 38.

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

41

tisch ist ζ. B. eine Auslegung des § 825 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die eine Zwangsnutzung als Verwertung „in anderer Weise" von vornherein ausschließt,78 eine Auslegung des § 817 Abs. 2 ZPO, wonach das Fehlen einer wirksamen Pfändung für die Wirksamkeit des Eigentumsverlusts unerheblich ist, wenn der Erwerber diesbezüglich gutgläubig ist, 79 und eine Einordnung des § 816 Abs. 3 ZPO als bloße Ordnungsvorschrift. 80 Doch diesen Bedenken kann durch (verfassungskonforme) Auslegung der genannten Vorschriften Rechnung getragen werden, und zwar, ohne dass die Effektivität der Zwangsvollstreckung darunter in „unerträglicher Weise" leiden müsste. Die diesbezüglichen Befürchtungen in der zwangsvollstreckungsrechtlichen Literatur vor einer Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 81 haben sich somit als unbegründet erwiesen, weil die Belange, bei denen man befürchtet, sie würden hierbei auf der Strecke bleiben, insbesondere die Effektivität der Zwangsvollstreckung, im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung angemessen berücksichtigt werden können und auch müssen.82 Eine Verneinung des Enteignungscharakters des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs wegen des Verhältnismäßigkeitserfordernisses kommt also nicht in Betracht. b) Weitere „enteignungsspezifische"

Anforderungen?

Die Bedeutung des „zum Wohle der Allgemeinheit" in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG erschöpft sich nach herrschender Ansicht jedoch nicht darin, die Verhältnismäßigkeit zum Prüfungsmaßstab für die Enteignung zu erheben. Vielmehr habe dieses Zulässigkeitsmerkmal einen darüber hinaus gehenden spezifischen Gehalt.83 Dieser wird mit Formeln wie, das Wohl der Allgemeinheit erfasse nur bestimmte Gemeinwohlzwecke,84 die bloße Verwirklichung privater Interessen könne eine 78 Vgl. oben S. 32 f. 79 Vgl. oben S. 39 Fn. 71. so Vgl. oben S. 39 Fn. 71. 81 Vgl. G. Lüke, in: MünchKomm-ZPO2, Einl. Rn. 371: „Die zwangsläufig willkürliche Beurteilung der Frage, was noch verhältnismäßig ist, bringt eine unerträgliche Rechtsunsicherheit in das Vollstreckungsrecht,..." (Hervorhebung F.R.); ferner C. G. Paulus, in: Wieczorek/Schütze 3, vor § 704 Rn. 66; Münzberg, in: Stein/Jonas22, vor § 704 Rn. 43 f.; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 27; Jauernig, ZVR 2 1 , S. 9 f.; Gilles, Dike International 3 (1996), S. 111(138). 82 Ähnlich auch Weyland, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 98, im Hinblick auf die Erforderlichkeit; vgl. auch E. Peters, Dike International 3 (1996), S. 53 (60 ff.). 83 Vgl. v. Mangoldt/Klein 2, Art. 14 Anm. VII. 6; Schulte, Eigentum, S. 85; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 576; Weber, in: HdbGR II, S. 331 (382); Schwabe, FS Thieme, S. 251 (259); siehe auch Böhmer, SV, BVerfGE 56, 266 (273 ff.). 84 Vgl. BVerfGE 38, 175 (180) und BVerwGE 87, 241 (243) jeweils im Kontext klassischer Grundstücksenteignungen; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 424; Schulte, Eigentum, S. 85 ff.; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 576; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 99 f.

42

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

Enteignung nie rechtfertigen, 85 es müsse ein strenger Sachzweckbezug vorhanden sein, 86 die Enteignung sei kein Instrument zur Mehrung des Vermögens des Staates 87 oder Privater, 88 zum Ausdruck gebracht. Dass der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug nicht nur der Verwirklichung privater Interessen, sondern auch öffentlicher, insbesondere rechtsstaatlicher, dient, wurde bereits gezeigt.89 Welches der in der Zwangsvollstreckung verfolgten Ziele „in erster Linie" verfolgt wird, die Befriedigung des Vollstreckungsgläubigers 90 oder die damit verknüpften rechtsstaatlichen Anliegen, lässt sich aufgrund ihrer gegenseitigen Verflechtung nur sehr schwer sagen, wenn es denn überhaupt feststellbar ist. 91 Doch diese Frage kann hier letztlich dahin stehen. Denn die Tatsache, dass die Enteignung auch der Verwirklichung privater Interessen dient, ist als solche nach herrschender Ansicht nicht schädlich,92 solange durch die oder neben der Förderung von Privatinteressen Gemeinwohlzwecke verfolgt werden, die den Entzug rechtfertigen. Man spricht dann von privatbegünstigenden Enteignungen.93 So hat man die Zulässigkeit bejaht für eine Enteignung zum Zwecke der Beschaffung von Siedlungsland für Heimatvertriebene, 94 für Enteignungen 85

Vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 84; Depenheuer, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 424; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 576 f.; Schwerdtfeger, Struktur, S. 32; Böhmer, SV, BVerfGE 56, 266 (285 f.); v. Brünneck, NVwZ 1986, S. 425 (430); Hager, Verkehrsschutz, S. 59; Berkemann, in: MAK-GGI, Art. 14 Rn. 619. 86 Weber, in: HdbGR Π, S. 331 (383); v. Mangoldt/Klein 2, Art. 14 Anm. V I I 6; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 576. S7 Siehe hierzu BVerfGE 38, 175 (180); BVerfG-K, NJW 1999, S. 1176 (1176); Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 576; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 83; Kimminich, in: BK, Art. 14 Rn. 396; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 100; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 163; Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 208; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 4 , Art. 14 Rn. 431; Jarass/ Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 80; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 619. 88

Vgl. Böhmer, SV, BVerfGE 56, 266 (290); Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 577; Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 211; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/StarckI 5 , Art. 14 Rn. 424; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 100. S9 Siehe oben S. 31. 90 So wohl die h.M., vgl. BGHZ 32, 240 (244); Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 1 f.; Pesch, JR 1993, S. 358 (359); Pinger, JR 1973, S. 94 (95). 91 Vgl. oben S. 31. Man wird diese Frage nur unter Rückgriff auf die Interessentheorie beantworten können, und die Einwände gegen diese sind hinlänglich bekannt (vgl. dazu bereits Thon, Rechtsnorm, S. 110 ff.; ferner Maurer, VwR 1 5 , § 1 Rn. 10, § 3 Rn. 15; Bull/Mehde, VwR 7 , § 2 Rn. 67; H. J. Wolff/ Bachof/Stober, VwR I 1 1 , § 22 Rn. 19; Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, VwR AT 1 2 , § 2 Rn. 15, § 1 Rn. 29). 92 Vgl. BVerfGE 74, 264 (284). 93 Vgl. Bullinger, Der Staat 1 (1962), S. 449 (452 ff.); Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 84; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 428; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 578; Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 210; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 161; Wieland, in: Dreier I , Art. 14 Rn. 103; Schwerdtfeger, Struktur, S. 32; Schmidt-Aßmann, JuS 1986, S. 833 (832); Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 642 f.; Battis/ Otto, DVB1. 2004, S. 1501 (1505).

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

43

zugunsten privater Energieversorgungsunternehmen 95 oder für Enteignungen zugunsten privater Unternehmen, die Arbeitsplätze für die Region schaffen. 96 Problematisch wäre im Falle der Zwangsvollstreckung allerdings das Erfordernis des Sachzweckbezugs des Eigentumsentzugs. Denn die verfolgten Ziele verwirklichen sich - anders als in den eben genannten Fällen der privatbegünstigenden Enteignung - nicht über die gegenständliche Nutzung des entzogenen Gutes (Besiedelung des Grundstücks, Bau von Energieversorgungsleitungen, Bau von Betriebsanlagen), sondern gerade über die Einverleibung des Vermögenswertes des entzogenen Guts 97 (Veräußerung und Auszahlung des Erlöses). 98 Es stellt sich allerdings die Frage, ob es richtig ist, das Wohl der Allgemeinheit in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG derart einschränkend auszulegen, so dass bestimmte Gemeinwohlzwecke eine Enteignung auch dann nicht rechtfertigen, wenn die Enteignung ein verhältnismäßiges Mittel zu ihrer Verwirklichung ist und sie damit das Bestandsinteresse des Eigentümers überwiegen. 99 Aus dem Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG - „nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig" - ergibt sich ein Erfordernis der Sachzweckbezogenheit bzw. ein Ausschluss von Zielen, die über die durch die Enteignung ermöglichte Vermögensmehrung Privater oder des Staates verwirklicht werden, jedenfalls nicht. 1 0 0 Dies wird letztlich auch indirekt eingestanden, indem man das „dem Wohle der Allgemeinheit" in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG keineswegs in einem derart „spezifischen" Sinne interpretiert. 101 94 Vgl. BVerfGE 46, 268 (288 f.); zustimmend Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 619. 95 Vgl. BVerfGE 66, 248 (257); zustimmend Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 619. 96 Vgl. BVerfGE 74, 264 (284 ff.). Im konkreten Fall wurde die Zulässigkeit der Enteignung zwar verneint. Der Grund hierfür war aber nicht die Tatsache der Privatbegünstigung, sondern dass der zur Enteignung ermächtigende Gesetzgeber keine hinreichenden Vorkehrungen getroffen hatte, um die Erreichbarkeit des Gemeinwohlzwecks als mittelbare Folge der Unternehmenstätigkeit sicherzustellen. 97 Vgl. auch Böhmer, SV, BVerfGE 56, 266 (290); Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 577, denen zu folge, die Enteignung nicht eingesetzt werden dürfe, um einen mit den Mitteln der Privatautonomie und des Privatrechtsverkehrs nicht lösbaren privaten Interessenwiderstreits durch Hoheitsakt zu lösen. 98 Vermutlich ist dies der Grund, weshalb Schwabe, der sich zumindest hypothetisch mit der Rechtfertigungsfähigkeit von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen als Enteignung befasst, das Wohl der Allgemeinheit verneint (vgl. Schwabe, FS Thieme, S. 251 [259], ders., Drittwirkung, S. 130 ff.; ders., JZ 1983, S. 273 [275]). 99 Vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 577; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 84; Bullinger, Der Staat 1 (1962), S. 449 (450). 100 Vgl. zum Begriff des Allgemeinwohls auch schon oben S. 31 Fn. 32. ιοί Vgl. nur Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 87 ff.; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 516. Darauf zu Recht hinweisend Schwabe, JZ 1983, S. 273 (275 Fn. 13); vgl. auch Böhmer, SV, BVerfGE 56, 266 (275 f.), der das Spezifische des Wohls der Allgemeinheit in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG gegenüber dem in Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG nicht aus dem Wortlaut,

44

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

Auch systematische Gründe für solch eine Auslegung sind nicht ersichtlich. Es mag zwar richtig sein, dass eine Enteignung, deren Ziele über die bloße Vermögensmehrung einer anderen Person erreicht werden, regelmäßig wegen des Entschädigungserfordernis sinnlos ist. 1 0 2 Es mag ferner richtig sein, dass eine solche Enteignung Bedenken im Hinblick auf die Wettbewerbsfreiheit (Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) oder den Gleichbehandlungsanspruch Nichtbegünstigter (Art. 3 Abs. 1 GG) aufwirft, wenn es um die Bereicherung eines Privaten geht, 103 oder im Hinblick auf die „Schutz- und Begrenzungsfunktion" der Finanzverfassung, 104 wenn es um die Bereicherung des Fiskus geht. 105 Doch diesen Bedenken muss nicht durch eine restriktive Interpretation des Wohls der Allgemeinheit in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG Rechnung getragen werden. Ist eine Vermögensverschiebung mittels Enteignung sinnlos, weil sie über die Entschädigung wieder „rückabgewickelt" werden muss, dann fehlt es bereits an der Eignung der Enteignung zur Erreichung des angestrebten Zieles und somit an der Verhältnismäßigkeit. Verstößt die Bereicherung gegen Art. 3 Abs. 1 GG oder die Schutz- und Begrenzungsfunktion der Finanzverfassung, dann ist eine Enteignungsnorm, die zu einer derart motivierten Enteignung ermächtigt oder sie selbst vornimmt, wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG oder die Art. 104 a ff. GG verfassungswidrig und nichtig, so dass es bereits an einer Enteignung „durch oder auf Grund eines Gesetzes" im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG fehlen würde. Die Lösung dieser Probleme unter der Überschrift „Sachzweckbezogenheit der Enteignung" bzw. „Enteignung - kein Mittel zur Vermögensverschiebung" verstellt lediglich den Blick auf die eigentlich entscheidenden Gesichtspunkte (Verhältnismäßigkeit, Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 104 a ff. GG). Hat das Erfordernis der Sachzweckbezogenheit also nur einen Sinn, wenn es über die Erfordernisse der Verhältnismäßigkeit und der Beachtung sämtlicher Vorschriften der Verfassung hinausgeht, und ergibt es sich insoweit weder aus dem Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG noch aus systematischen Erwägungen, so ist zu vermuten, dass es irgendwelche teleologischen Gründe für eine solche Interpretation des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG gibt. Solche werden jedoch kaum vorgetragen, und wenn, dann sind sie nicht sehr überzeugend. So wird gegen den Einsatz der Enteignung zur Bewirkung von Vermögensverschiebungen zwischen Privaten vorgebracht, die Enteignung sei kein Mittel, um einen mit den Mitteln der Privatautonomie und des Privatrechtsverkehrs nicht lösbaren Widerstreit privater Interessen durch Hoheitsakt zu lösen. 106 Nichts anderes passierte aber bei der allgemein sondern aus der unterschiedlichen Funktion von Enteignung und Inhaltsbestimmung abzuleiten versucht. 102 So Heydt, Wirtschaftslenkung, S. 153 f.; F. Klein, StuW 1966, Sp. 433 (470 f.); P. Kirchhof, VVDStRL 39 (1981), S. 213 (241); so auch schon Layer, Principien, S. 63. 103 Vgl. Uerpmann, Interesse, S. 121. 104 Siehe dazu BVerfGE 93, 319 (342 ff.). 105 Vgl. Uerpmann, Interesse, S. 121 f.; v. Brünneck, NVwZ 1986, S. 425 (427). Vergleichbar auch schon für die klassische Enteignung argumentierend Layer, Principien, S. 185, 272.

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

45

für zulässig erachteten Enteignung zur Beschaffung von Siedlungsland für Heimatvertriebene. 107 Weil letztere mangels finanzieller Mittel sich kein Siedlungsland mit den Mitteln der Privatautonomie und des Privatrechtsverkehrs verschaffen konnten, hat man die Enteignung eingesetzt und den Interessenkonflikt mittels Hoheitsakt gelöst. Ein Unterschied zwischen Heimatvertriebenenfall und Zwangsvollstreckung besteht - abgesehen von der Sachzweckbezogenheit, die aber gerade auf dem Prüfstand steht - nur insoweit, als im ersten Fall der Staat sich in seiner Eigenschaft als Sozialstaat - „zur Linderung der wirtschaflichen N o t " 1 0 8 zum Einsatz des Hoheitsaktes „Enteignung" veranlasst sah, während er im zweiten Fall in seiner Eigenschaft als Rechtsstaat auftritt, weil der Schuldner nicht zahlungswillig ist und aus diesem Grunde die Mittel des Privatrechtsverkehrs (freiwillige Zahlung, § 362 BGB) versagen. Ein sachlicher Grund dafür, weshalb rechtsstaatliche im Gegensatz zu sozialstaatlichen Zielen eine Enteignung per se nicht rechtfertigen können sollen, ist aber nicht erkennbar, und es wird auch keiner genannt. Der Grund dafür dürfte sein, dass nicht nur das Wohl der Allgemeinheit als Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung, sondern auch dessen „spezifische" Interpretation - keine reinen Privatinteressen, 109 keine rein fiskalischen Interessen, 110 keine bloße Vermögens Verschiebung,111 Verfolgung eines Sachzwecks112 - sich über Art. 153 Abs. 2 Satz 1 WRV, 113 die Enteignungsartikel der Verfassungen der So Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 577; vgl. auch Böhmer, SV, BVerfGE 56, 266 (299). Zu Recht kritisch hierzu Voßkuhle, Kompensationsprinzip, S. 266 f. 107 Vgl. BVerfGE 46, 248 (288 f.). los BVerfGE 46, 248 (289). 109 Für die klassische Enteignung vgl. Treichler, ZDtR 12 (1848), S. 123 (139); Häberlin, AcP 39 (1856), S. 147 (164 f.); Seydel/Scheringer, PrEntG 4, § 1 Anm. 1, S. 14; W Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 404. Für Art. 153 Abs. 2 WRV vgl. Anschütz, WRV 1 4 , Art. 153 Anm. 11, S. 717; Scheicher, WRV III, Art. 153, S. 226, 221; M. Wolff, FG Kahl, S. 15. no Für die klassische Enteignung vgl. Laband, AcP 52 (1869), S. 151 (170); O. Mayer, VwR II 3 , S. 10 f.; Layer, Principien, S. 185 f., 272; Dernburg, LB 5 , S. 67; W Jellinek, Verwaltungsrecht3, S. 404; Fleiner, Institutionen8, S. 309; Wittmayer, HdWStaatsW ΙΠ 4 , S. 730 (740). Für Art. 153 Abs. 2 WRV vgl. Anschütz, WRV 1 4 , Art. 153 Anm. 11, S. 717; Gebhard, WRV, Art. 153 Anm. 5 b., S. 543; Scheicher, WRV ΠΙ, Art. 153, S. 221, 226; C. Schmitt, Unabhängigkeit, S. 17; Triepel, Goldbilanzenverordnung, S. 24; M. Wolff, FG Kahl, S. 15; RGZ 136, 113 (123); 103, 200 (202). Hl Für die klassische Enteignung vgl. Laband, AcP 52 (1869), S. 151 (170); Dernburg, LB 5 , S. 67; Ο. Mayer, VwR II 3 , S. 11. Für Art. 153 Abs. 2 WRV vgl. Triepel, Goldbilanzenverordnung, S. 24; in der Sache auch RGZ 103, 200 (202). h 2 Dies geht zurück auf die Forderung nach einem „Unternehmen", dem das entzogene Gut zu dienen habe, und zwar - wie O. Mayer, VwR II 3 , S. 11, betont - „mit seiner Körperlichkeit"; vgl. hierzu auch W. Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 404: „gewisse äußere Veranstaltungen". Zur Aufweichung dieses Erfordernisses unter der Geltung des Art. 153 Abs. 2 WRV vgl. M. Wolff, FG Kahl, S. 14; Triepel, Goldbilanzenverordnung, S. 24; Wittmayer, HdWStaatsW III 4 , S. 730 (740). 113 Dieser enthielt ebenfalls schon die Wendung „zum Wohle der Allgemeinheit".

46

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

deutschen Einzelstaaten 1 1 4 bis zu den Enteignungsgesetzen des 19. Jahrhunderts 115 zurückverfolgen lassen. Dieser Umstand, der auch den an der Schaffung des Grundgesetzes Beteiligten bekannt w a r , 1 1 6 scheint der herrschenden Meinung eine hinreichende Gewähr dafür zu bieten, dass es mit der Fortführung der überkommenen Auslegungsformeln auch bei Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG schon seine Richtigkeit haben w i r d . 1 1 7 Beleuchtet man jedoch den systematischen Entstehungskontext dieser Formeln näher, so stellt man fest, dass sie i n einer Zeit entstanden, in der die Bewertung der Nutzen-Schaden-Relation der Enteignung, also das, was wir heute i m Rahmen der Verhältnismäßigkeit i m engeren Sinne nachprüfen, 1 1 8 i m Gegensatz zur Frage der 114 Vgl. Art. 9 PrVU v. 1850: „aus Gründen des öffentlichen Wohles"; Titel IV, § 8 BayVU v. 1818; Art. 27 HessVU v. 1820: „für öffentliche Zwecke"; § 14 BadVU v. 1818: „zu öffentlichen Zwecken"; § 30 WürttVU v. 1819: „für allgemeine Staats- oder Corporationszwecke"; § 32 Kurhess VU ν. 1831: „für Zwecke des Staates oder der Gemeinde, oder solcher Personen, welche Rechte derselben ausüben"; § 31 SächsVU v. 1831: „zu Staatszwecken"; § 35 HannovVerfG v. 1840: „zu Staats- oder anderen öffentlichen Zwecken"; ferner § 164 PaulskirchenV v. 1849: „aus Rücksichten des gemeinen Besten"; vgl. auch Layer, Principien, S. 147 ff. us Vgl. 4. Theil, 3. Kap., § 2 CMBC v. 1756: „um des gemeinen Bestens willen"; Titel 11, § 4 ALR v. 1794: „zum Wohl des gemeinen Wesens"; Art. 545 BadLR v. 1809: „um des öffentlichen Nutzens willen"; Art. I BayEntG v. 1837: „für öffentliche, nothwendige und gemeinnützige Zwecke ... zu folgenden Unternehmungen"; § 1 PrEntG v. 1874: „aus Gründen des öffentlichen Wohles für ein Unternehmen, dessen Ausführung die Ausübung des Enteignungsrechts erfordert"; Art. 1 HessEntG v. 1884: „für ein zum öffentlichen Nutzen dienendes Unternehmen"; Art. 1 WürttEntG v. 1888: „für ein Unternehmen zu allgemeinen Staats- oder Korporationszwecken"; § 1 BadEntG v. 1889: „nur für ein bestimmtes, dem öffentlichen Nutzen dienendes Unternehmen"; § 1 SächsEntG v. 1902: „für ein dem öffentlichen Nutzen gewidmetes Unternehmen"; § 1 HambEntG v. 1920: „nur für Anlagen zum allgemeinen Besten, insbesondere ..."; ferner die Darstellung der Enteignungsgesetzgesetzgebung bei Layer, Principien, S. 163 ff. 116 Vgl. folgende Ausführung des Abgeordneten Schmid zum „Wohle der Allgemeinheit" im Grundsatzausschuss: „Welche Fälle dadurch gedeckt werden können, ist in einer jahrhundertealten Judikatur ziemlich klar abgegrenzt worden" (aus: ParlR 5/1, S. 198). 117 Vgl. nur BVerfGE 38, 175 (180); Weber, in: HdbGR II, S. 331 (381 ff.); Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 424. Siehe aber auch Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 206, 209, 213, der trotz Betonung des geschichtlichen Zusammenhangs, eine Verschiebung des ,,Spektrum[s] legitimer Enteignungszwecke mit der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung" für möglich hält. - Ein weiteres Beispiel für den Rückgriff auf Argumentationsmuster des klassischen Enteignungsrechts ist BVerfGE 74, 264 ff. Das dort aus dem „zum Wohle der Allgemeinheit" abgeleitete Erfordernis, dass der Gesetzgeber bei Enteignungen zugunsten eines privaten Unternehmens die Erreichung des mittelbar aus der Unternehmenstätigkeit fließenden gemeinen Nutzens sicherstellen müsse (a. a. O. S. 286 ff., 295 ff.), gab es bereits im klassischen Enteignungsrecht, vgl. nur Treichler, ZDtR 12 (1848), S. 123 (139); v. Seydel/Piloty, BayStaatsR I , S. 877.

us Die Geeignetheit und Erforderlichkeit („Notwendigkeit") der Enteignung für die Durchführung des Unternehmens bzw. das gemeine Wohl waren zwar regelmäßig gesetzlich normierte Voraussetzungen der Enteignung (vgl. Titel 11, § 4 ALR v. 1794; Art. I BayEntG v. 1837; § 1 PrEntG v. 1874; Art. 1 HessEntG v. 1884; Art. 1 WürttEntG v. 1888; § 3

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

47

Angemessenheit der Entschädigung 1 1 9 noch als eine rechtlicher Prüfung grundsätzlich nicht zugängliche Ermessensentscheidung angesehen w u r d e . 1 2 0 Es war vielmehr gerade die Funktion dieser Formeln sicherzustellen, dass das Instrument der Enteignung nicht missbraucht wird, dass sie von sachlichen Erwägungen geleitet ist, dass der erreichte Nutzen den angerichteten Schaden wert i s t . 1 2 1 Dies gelang ihnen annäherungsweise auf zweierlei Weise. Einmal indem sie einerseits - negativ - den Einsatz der Enteignung in typischen Missbrauchskonstellationen (Bereicherung des Landesherrn, Bereicherung irgendwelcher Privater) von vornherein unmöglich machten. Dann indem sie - positiv - durch das Erfordernis eines konkreten Unternehmens, dem die Sache mit ihrer „Körperlichkeit" dienen musste, dazu zwangen, das Abwägungsmaterial und den Abwägungsprozess offenzulegen. A u f diese Weise schlossen sie gemeinplatzartige Begründungen des „überragenden Nutzens" aus und bewirkten so eine Art „Verhältnismäßigkeit durch Verfahren". 1 2 2 BadEntG v. 1889; §§ 1, 10 Abs. 1 SächsEntG v. 1902; § 1 HambEntG v. 1920), jedoch mit Ausnahme von Bayern, Württemberg, Hessen und Hamburg (vgl. Art. 8 Nr. 10 BayVGHG v. 1878; Art. 25 Abs. 1 WürttEntG v. 1888; Art. 131 Nr. 21 HessVwRPflG v. 1911 i.V.m. Art. 33 Nr. 1 HessEntG i. d. F. d. Bek. v. 1899; § 28 HambEntG v. 1920; W. Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 406 mit Fn. 1; Gierke, Privatrecht II, S. 475 mit Fn. 47, 493; Layer, Principien, S. 368) nicht gerichtlich nachprüfbar (vgl. Titel 11, § 10 ALR v. 1794; §§ 2, 3, 22 PrEntG v. 1874; § 157 PrVwZustG v. 1876, § 150 Abs. 3 PrVwZustG v. 1883; § 33 BadEntG v. 1899; § 34 SächsEntG v. 1902; W. Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 406 f.; Gierke, Privatrecht Π, S. 475, 492 f.; Layer, Principien, S. 368, 409; ferner [jeweils zum preußischen Recht] RGZ 44, 325 [329 ff.]; 62, 193 [194 ff.]; Koffka, PrEntG 2, § 1 N. 29, S. 45). Noch zu Art. 153 Abs. 2 WRV erklärte RGZ 107, 370 (375), dass es ausreiche, wenn „die Maßnahme dem Wohle der Allgemeinheit zu dienen bestimmt ist" und dass ihre Gültigkeit nicht davon abhänge, „inwieweit dieses Ergebnis tatsächlich erreicht wird." 119 Über die Entschädigung konnte man vor den ordentlichen Gerichten streiten, vgl. Titel 11, § 11 ALR v. 1794; Art. XIX BayEntG v. 1837; § 11 PrEisenbahnG v. 1838; § 30 PrEntG v. 1874; Art. 42 Abs. 3, 44 Abs. 3 HessEntG v. 1884; Art. 41 WürttEntG v. 1888; § 45 BadEntG v. 1889; § 33 SächsEntG v. 1902. 120 Vgl. O. Mayer, VwR II 3 , S. 13; Layer, Principien, S. 302 f., 313; Scheicher, WRV III, Art. 153, S. 227; Gebhard, WRV, Art. 153 Anm. 5 a.), S. 543; Häberlin, AcP 39 (1856), S. 147 (148 f.); Koffka, PrEntG 2, § 1 N. 13, S. 32; Seydel/Scheringer, PrEntG 4, § 1 Anm. 1, S. 13; Wittmayer, HdWStaatsW HI 4 , S. 730 (740); sogar noch zu Art. 153 WRV Gebhard, WRV, Art. 153, Anm. 5 a., S. 543. Einen großzügigen Prognosespielraum einräumend auch RGZ 107, 370 (375). Die Frage der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne wird in den „klassischen" Enteignungsgesetzen, aus denen der klassische Enteignungsbegriff abstrahiert wurde, schon von vornherein nicht erwähnt, auch nicht als nur von der Enteignungsbehörde zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzung. - Auch außerhalb des Enteignungsrechts, im sonstigen Verwaltungsrecht, ζ. B. im Polizeirecht, überprüfte man nicht die Nutzen-Schaden-Relation im engeren Sinne, sondern verlangte lediglich einen rechtmäßigen Zweck und ein zur Erreichung dieses Zweckes geeignetes und erforderliches Mittel, vgl. PrOVGE 13, 424 (427 f.); 31, 409 (410); 44, 342 (343); 51, 284 (288 f.); 51, 313 (314 f.); 61, 255 (262); Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 2 ff.

121 Vgl. Anschütz, WRV 1 4 , Art. 153 Anm. 11, S. 717; Gierke, Privatrecht II, S. 473 f.; W Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 404; O. Mayer, VwR II 3 , S. 7, 9, 13; Wittmayer, HdWStaatsW III 4 , S. 730 (732); Scheicher, WRV ΠΙ, Art. 153, S. 221, 227; Triepel, Goldbilanzenverordnung, S. 23; Häberlin, AcP 39 (1856), S. 147 (155, 161); Randa, GrünhutsZ, 10(1883), S. 613 (623 f.).

48

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

Propft man diese Formeln nun einfach auf eine materielle Nachprüfung des Nutzen-Schaden-Verhältnisses, wie wir sie heute im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen, auf, so erzeugt man eine Art „ÜberVerhältnismäßigkeit". Damit schießt man deutlich über ihr ursprüngliches Anliegen hinaus. Vor dem Hintergrund einer uneingeschränkten Nachprüfung der Verhältnismäßigkeit, wie wir sie heute praktizieren, kann man den hergebrachten Interpretationsformeln daher allenfalls die Bedeutung von Regelbeispielen zusprechen, die eine Indizwirkung für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Enteignung entfalten, aber nicht die Ergebnisse der viel feiner justierenden eigentlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung überspielen können. Doch selbst als Regelbeispiele sind sie nur begrenzt tauglich, da sie dem klassischen Enteignungsrecht entstammen und somit auf einen zumindest potentiell engeren Anwendungsbereich der Enteignung zugeschnitten waren. Denn die Grundsätze der klassischen Enteignung wurden von der Rechtswissenschaft durch Abstrahieren von den Begriffen der einfachen Enteignungsgesetze gewonnen.123 Diese hatten von vornherein einen sehr begrenzten Anwendungsbereich, der es erlaubte, die Zulässigkeitsmerkmale der Enteignung in einer sehr spezifischen Weise zu interpretieren. Zum Teil steckte schon der Wortlaut deutliche Grenzen ab. 1 2 4 Darüber hinaus hatten sich die allgemeinen Enteignungsgesetze aus einer Vielzahl spezieller Enteignungsgesetze entwickelt, die hauptsächlich die Bereitstellung von Verkehrsinfrastruktur - also den Bau von Straßen und Eisenbahnen 1 2 5 - betrafen. 126 Dieses historische Leitbild prägte auch die Interpretation der allgemeinen Enteignungsgesetze.127 Die Enteignung wurde als Rechtsinstitut des 122 Vgl. Scheicher, WRV III, Art. 153, S. 227. - Wie diese „Verhältnismäßigkeit durch Verfahren" funktionierte, zeigen im Kontext des Polizeirechts auch sehr schön PrOVGE 51, 284 (288 f.); 51, 313 (314 f.): Die Unzumutbarkeit der Belastung als solche sei kein Kriterium für die Rechtmäßigkeit der Polizeiverfügung. Um feststellen zu können, ob die Maßnahme „notwendig" sei, müsse die Behörde jedoch die Interessen des Betroffenen mit denen der Allgemeinheit sachgemäß abwägen. Hierfür wiederum müsse sie ihn anhören. Unterlasse sie das, überschreite die Maßnahme das notwendige Maß. 123 Vgl. Layer, Principien, S. 1 ff., 13, 150 ff.; Dernburg, LB 5 , S. 67; Fleiner, Institutionen8, S. 306 f.; ferner W. Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 402; Anschütz, WRV 1 4 , Art. 153 Anm. 6, S. 707 f.; Gierke, Privatrecht Π, S. 467 f.; Scheicher, WRV ΠΙ, Art. 153, S. 208; O. Mayer, VwR II 3 , S. 10; ferner rückblickend BGHZ 6, 270 (276); Bullinger, Der Staat 1 (1962), S. 449 (460 ff.); Maurer, FS Dürig, S. 293 (296 ff.); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht 5, S. 128, 146; Grimm, Entwicklung, S. 264 ff.; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 523. Mehr zu dieser Methode der Rechtsfindung unten S. 226 f. 124 Art. I BayEntG v. 1837 zählt ζ. B. die Einsatzzwecke der Enteignung enumerativ auf. 125 Vgl. ζ. B. §§ 7 ff. PrEisenbahnG v. 1838. 126 Darüber hinaus betrafen die speziellen Enteignungsgesetze auch die Errichtung und den Betrieb von Bergwerken (ζ. B. §§ 135 ff. PrBergG v. 1865). Zur Entwicklung der Enteignungsgesetzgebung von Spezialgesetzen betreffend den Berg-, Straßen- oder Eisenbahnbau zu allgemeinen Enteignungsgesetzen vgl. Häberlin, AcP 39 (1856), S. 1 (36 ff.); Meyer, Expropriation, S. 142 ff.; Gierke, Privatrecht II, S. 467 f.; Bullinger, Der Staat 1 (1962), S. 449 (461); Schmidbauer, Enteignung, S. 33 ff.; Frenzel, Interesse, S. 28 ff.

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

49

besonderen Verwaltungsrechts begriffen. 128 Schließlich fand die Enteignung als Institut des einfachen Rechts, eben des besonderen Verwaltungsrechts, ohnehin ihre (systematischen) Grenzen im Anwendungsbereich anderer speziellerer Institute des einfachen Rechts. Demgegenüber will eine Verfassungsnorm zumindest grundsätzlich Maßstab für die gesamte einfache Rechtsordnung sein. Das verbietet es, die im Hinblick auf den spezifischen Anwendungsbereich der klassischen Enteignungsgesetze entwickelten 129 Interpretationsformeln zum Gemeinwohlerfordernis unbesehen auf das „zum Wohle der Allgemeinheit" in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG zu übertragen. Dies gilt umso mehr, als schon Zeitgenossen und Verfechter der klassischen Enteignung die Gemeinwohlklauseln in den Verfassungsnormen weiter interpretierten als im klassischen - einfachen - Enteignungsrecht. 130 Nur wenn man, was noch zu untersuchen sein wird, aus irgendwelchen Gründen die Enteignung im verfassungsrechtlichen Sinne begrifflich auf den Anwendungsbereich der klassischen Enteignung reduziert, kann man die traditionellen „spezifischen" Auslegungen des Wohls der Allgemeinheit beibehalten, aber auch hier wohlgemerkt nur als Regelbeispiele für die Verhältnismäßigkeit der Enteignung. Gegen die hier vertretene Auffassung, dass sich das Wohl der Allgemeinheit in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG letztlich im Erfordernis der Verhältnismäßigkeit erschöpft und keine darüber hinaus reichenden „spezifischen" Anforderungen an Enteignungen stellt, könnte man vorbringen, dass dann Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG überflüssig sei, weil Enteignungen schon nach den „allgemeinen Regeln" für Grundrechtseingriffe verhältnismäßig sein müssen. Dieser Einwand übersieht jedoch, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip als „allgemeine" Schranken-Schranke für Grundrechtseingriffe keineswegs so deutlich im Grundgesetz angelegt ist, wie seine heute selbstverständliche Anwendung vielleicht suggeriert. 132 Denn keine der herkömmlichen Begründungen, aus denen sich die allgemeine Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ergeben soll - „Wesen der Grundrechte", 133 Rechts127

Der Erlass allgemeiner Enteignungsgesetze nach Art des PrEntG v. 1874 bezweckte mehr eine Ordnung der Materie als eine wesentliche Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Enteignung (vgl. Seydel/Scheringer, PrEntG 4, § 1 Anm. 1, S. 14, die zwar betonen, dass sich der Gesetzgeber bewusst gegen eine abschließende Aufzählung der einzelnen Fälle, wie sie in Art. I BayEntG v. 1837 erfolgt, entschieden habe, deren Beispiele sich dann aber doch im Rahmen der hergebrachten Fälle bewegen). 128 Vgl. Prazak, Recht, S. 16; ferner die Inhaltsverzeichnisse der Lehrbücher von W. Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. ΧΙΠ und Meyer, VwR I 2 , S. IX. 129 Die Abhängigkeit der Gemeinwohlzwecke vom Entwicklungsstand der Gesetzgebung wurde auch ausdrücklich anerkannt, vgl. nur Meyer, Expropriation, S. 179 f. 130 Vgl. 0. Mayer, VwR II 3 , S. 12 Fn. 23, der für die Enteignung zur Beförderung der deutschen Ansiedlung in Westpreußen und Posen nach dem Gesetz vom 20. 3. 1908 das Wohl der Allgemeinheit i. S. des PrEntG verneint, das i. S. von Art. 9 PrVU hingegen bejaht; ähnlich W. Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 404 im Hinblick auf Art. 153 Abs. 2 WRV.

131 Siehe unten S. 187 ff. 132 In diesem Sinne auch Osterloh, DVB1. 1991, S. 907 (909). 4 Raue

50

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

staatsprinzip, 134 Art. 1 Abs. 3 GG, 1 3 5 Art. 19 Abs. 2 GG, 1 3 6 objektivrechtliche Grundrechtsgehalte 137 - , ist wirklich zwingend. 138 Vor diesem Hintergrund sind Ansatzpunkte in einzelnen Grundrechtsvorschriften für eine Verhältnismäßigkeitskontrolle wie das Erfordernis des allgemeinen Gesetzes in Art. 5 Abs. 2 GG oder eben das des Wohls der Allgemeinheit in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG durchaus verständlich. Zusammenfassend kann damit festgehalten werden, dass die Erfordernisse des „zum Wohle der Allgemeinheit" in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG nicht über das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit der Enteignung hinausgehen.139 Verhältnismäßig ist der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug. Dessen Einordnung als Enteignung würde also nicht wegen Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG „untragbare" Folgen zeitigen. 140

2. Die Entschädigung (Art 14 Abs. 3 Satz 2 bis 4 GG) Sieht man im zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzug eine Enteignung, dann ist er nach Art. 14 Abs. 3 Satz 2 bis 4 GG nur dann verfassungsgemäß, wenn der Eigentümer eine Entschädigung bekommt, diese nach Art und Ausmaß im Enteignungsgesetz geregelt ist, der gerechten Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten entspricht und dem Eigentümer bei Streitigkeiten über die Höhe der Entschädigung der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht versperrt ist. Diese Anforderungen sind in den Augen einiger bei der Zwangsvollstreckung so evident nicht erfüllt, dass sie das Entschädigungserfordernis als Argument dafür anführen, dass eine Einordnung des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs als Enteignung von vornherein nicht in Betracht komme. 141 Diese Beurteilung erweist sich bei näherer Betrachtung aber als vor133 So BVerfGE 19, 342 (348 f.). Ähnlich Alexy, Theorie, S. 101 ff.; Merten, FS Schambeck, S. 349 (372 ff.); v. Arnauld, JZ 2000, S. 277 (278 ff.). 134 So BVerfGE 23, 127 (133) m. w. N.; ähnlich Lerche, Übermaß, S. 61 ff., 134 ff., 350 („dirigierende Verfassung" und „variierende und produktive Kraft modernen Rechtsstaatsverständnisses"); so wohl auch die h.M., vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 1 Rn. 285. 135 So Starck, in: v. Mangoldt /Klein /Starck I 5 , Art. 1 Rn. 285; ähnlich Schlink, FS 50 Jahre BVerfG Π, S. 445 (448). 136 So Düng, AöR 81 (1956), S. 117 (146 f.); neuerdings Krebs, Jura 2001, S. 228 (233). 137 So Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1 (19 ff.). 138 Vgl. dazu Lerche, Übermaß, S. 29 ff. 139 Für Gleichsetzung des Wohls der Allgemeinheit mit dem Verhältnismäßigkeitserfordernis auch BVerwGE 117, 138 (139); v. Brünneck, NVwZ 1986, S. 425 (427 ff.); Uerpmann, Interesse, S. 122; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 161 Fn. 550. 1 4 0 Eine Vereinbarkeit der privaten Zwangsvollstreckung mit Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG dagegen verneinend Schwabe, FS Thieme, S. 251 (255). 141 Vgl. die Nachweise oben S. 26 Fn. 15.

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

51

eilig, und zwar sowohl für die Fälle, in denen der Eigentümer der versteigerten Sache tatsächlich Schuldner des Vollstreckungsgläubigers ist, als auch für die Fälle, in denen er es nicht ist. a) Die erste Konstellation: Der Eigentümer als materieller Schuldner des Vollstreckungsgläubigers aa) Art der Entschädigung Ist der Eigentümer der verwerteten Sache auch Schuldner des Vollstreckungsgläubigers, so wird er gemäß § 819 ZPO 1 4 2 mit Empfangnahme des Erlöses durch den Gerichtsvollzieher von der Verbindlichkeit befreit, und zwar in Höhe des erzielten Veräußerungserlöses, abzüglich der Vollstreckungskosten 143. Soweit der Erlös über den Betrag der Verbindlichkeit und der Vollstreckungskosten hinausgeht, hat er einen Anspruch auf Auszahlung des Differenzbetrages. Denn kraft Surrogation setzt sich das Eigentum an der Sache am Erlös fort. 1 4 4 Dieser Auszahlungsanspruch wandelt sich in einen Bereicherungsanspruch gegen den Vollstreckungsgläubiger aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 BGB, wenn der Gerichtsvollzieher auch diesen Teil des Erlöses an den Vollstreckungsgläubiger auskehrt. 145 Indem Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG dem Gesetzgeber aufgibt, die Art der Entschädigung zu regeln, bringt er zum Ausdruck, dass mehrere Arten von Entschädigung denkbar und zulässig sind. 146 Es ist also als solches kein Problem, dass der Eigentümer nur, soweit er den Resterlös ausgezahlt bekommt, in Geld entschädigt wird, ansonsten aber mit dem Erlöschen der Verbindlichkeit und einem Bereicherungs142

Handelt es sich bei den verwerteten Sachen um Geld, regelt § 815 Abs. 3 ZPO Entsprechendes. Es handelt sich bei diesen Vorschriften nach h. M. zwar nur um Gefahrtragungsregeln (siehe Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 421, 453; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 821), doch auch als solche stellen sie sicher, dass der Schuldner ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zahlen muss, dass er also wirtschaftlich frei geworden ist. 143

Vgl. §§ 13 Abs. 1 Nr. 2,15 Abs. 1 GvKostG. 144 Vgl. Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 452; Schuschke/Walker*, § 819 Rn. 1; Thomas/Putzo, ZPO 27 , § 819 Rn. 1; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 821; W Lüke, in: Wieczorek/Schütze 3, § 819 Rn. 2; Münzberg, in: Stein/Jonas22, § 819 Rn. 1. 145 BGHL 100, 95 (99 f.); Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 454, 470. Man geht davon aus, dass der Gerichtsvollzieher durch Auskehrung des Erlöses an den Vollstreckungsgläubiger diesem das Eigentum am Erlös verschafft, auch wenn er ihn hätte an den Eigentümer auskehren müssen (vgl. Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 454). 146 So auch die h.M., vgl. BVerfGE 24, 367 (419); Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 278; Lege, Zwangskontrakt, S. 86; Weber, in: HdbGR Π, S. 331 (388); Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 592; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 169; /aross/Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 86; Kreft, Ersatzleistungen2, Rn. 308; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 175; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 664. - Die meisten klassischen Enteignungsgesetze schrieben demgegenüber Entschädigung in Geld als Regel vor, vgl. § 7 Satz 1 PrEntG v. 1874; Art. 5 Satz 2 HessEntG v. 1884; Art. 8 Abs. 2 WürttEntG v. 1888; § 6 Abs. 2 BadEntG v. 1889;§ 20 SächsEntG v. 1902. *

52

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

anspruch gegen den Vollstreckungsgläubiger. Ganz im Gegenteil, die Einräumung von schuldrechtlichen Ansprüchen gegen eine Privatperson ist sogar die typische Art der Entschädigung bei privatbegünstigenden Enteignungen.147 Auch die Entlastung von einer Verbindlichkeit erfüllt prinzipiell den Zweck einer Entschädigung, 148 nämlich den durch den Bestandsverlust eingetretenen Vermögensverlust wieder auszugleichen. Dass damit im Ergebnis beim Schuldner eine „Vermögensumschichtung" 149 stattfindet, spricht nicht gegen die Annahme einer Enteignungsentschädigung.150 Denn eine Vermögensumschichtung findet bei jeder verfassungsmäßigen Enteignung statt. Nichts anderes verbirgt sich schließlich hinter dem Satz, dass sich durch eine verfassungsmäßige Enteignung die Bestandsgarantie des Eigentums in eine Weitgarantie verwandle 151 . Der Staat nimmt ein bestimmtes Vermögensstück und gibt dem Eigentümer dafür einen anderen Vermögenswert zurück.

bb) Interessengerechte Entschädigung (Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG) Diese Entschädigung entspricht in aller Regel auch den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG. Die Summe des Betrags der erloschenen Verbindlichkeit und des Resterlöses erreicht zwar in der Regel nicht den Verkehrswert der verwerteten Sache. Jedoch legt Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG nach seinem Wortlaut den Gesetzgeber auch nicht auf den Verkehrswert fest, und die Entstehungsgeschichte zeigt, 152 dass dies auch so gewollt war. 153 Eine gerechte Abwägung mag zwar in vielen Fällen zu einer Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes führen, aber das ist nicht das unausweichliche Ergebnis für jede Konstellation der Enteignung. Bei der Zwangsvollstreckung erscheint ein Zurückbleiben hinter dem Verkehrswert durchaus als gerecht. Denn der Eigentümer trägt selbst Schuld daran, dass 147 Vgl. Kimminich, in: BK, Art. 14 Rn. 532; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht 5, S. 215; Rüf ner, in: Erichsen/Ehlers, VwR AT 1 2 , § 48 Rn. 31; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 461 f. Vgl. ferner § 94 Abs. 2 Satz 1 BauGB; § 8 Abs. 2 BW EntG; § 7 Satz 1 PrEntG als Beispiele der klassischen Enteignung. 148 So auch Schwabe, Drittwirkung, S. 135. 149 Lippross, Grundlagen, S. 129. 150 So aber Lippross, Grundlagen, S. 129; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 25; ders., ZZP 112 (1999), S. 135 (177); Obudzinski, Bedeutung, S. 96. 151 Vgl. BVerfGE 24, 367 (397); 45, 63 (76); 58, 300 (323); 74, 264 (281). 152 Vgl. Doemming/Füßlein/Matz, JöR 1 (1951), S. 1 (149 ff.). 153 Gegen eine Festlegung auf den Verkehrswert auch BVerfGE 24, 367 (421); 41, 126 (161); 46, 268 (285); Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 595; Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 227; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 92; Jarass/Pieioth, GG 7 , Art. 14 Rn. 87; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 115 jeweils m. w. N. Im Ergebnis ebenso, wenn auch den Verkehrswert als Regelfall auffassend, Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 445, 448; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 163; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 169; Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 68.

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

53

seine Sache im Wege der Zwangsvollstreckung und damit in der Regel unter Wert veräußert werden muss. Wäre er seiner Zahlungsverpflichtung rechtzeitig nachgekommen, wäre es nicht zur Zwangsvollstreckung gekommen. Im Übrigen sorgen die §§ 803 Abs. 2, 817 a ZPO dafür, dass ein gewisses Mindestmaß der Entschädigung gewährleistet ist. Denn sie verbieten die Pfändung bzw. Verwertung, wenn ein Überschuss über die Kosten der Zwangsvollstreckung nicht zu erwarten ist oder die Hälfte des gewöhnlichen Verkehrswertes nicht erreicht wird.

cc) Regelung von Art und Ausmaß der Entschädigung im Gesetz (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG) Indem Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG, die sog. Junktimklausel, den Gesetzgeber zwingt, im Enteignungsgesetz Art und Ausmaß der Entschädigung zu regeln, stellt er sicher, dass dieser in verfassungsmäßiger Weise keine Enteignung gestatten oder selbst vornehmen kann, ohne sich über deren Folgen für die betroffenen Grundrechtsträger und den Staatshaushalt Rechenschaft abgelegt zu haben und die Verantwortung für diese Folgen übernommen, die „wesentlichen Entscheidungen"154 selbst getroffen, zu haben. 155 Zum einen verstärkt Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG damit in ähnlicher Weise wie das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG) den Grundrechtsschutz - möglicherweise geht der Gesetzgeber angesichts der Folgen noch einmal in sich und verzichtet auf den Eingriff. Zum anderen sichert er in Ergänzung zu Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG (und den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Normen) die Haushaltshoheit der Parlamente - keine Verwaltungsbehörde und kein Gericht kann Enteignungsentschädigung zusprechen, ohne dass dies im Gesetz geregelt ist, und zwar nach Art und Ausmaß. Entsprechend eng wird Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG ausgelegt: Der Gesetzgeber könne sich seiner Regelungsverantwortung nicht durch salvatorische Entschädigungsklauseln entziehen,156 sondern müsse entscheiden, ob die Entschädigung in 154 Auf den Zusammenhang zwischen Junktimklausel und Wesentlichkeitstheorie, nach welcher dem Gesetzgeber aus rechtsstaatlichen und demokratischen Gründen die wesentlichen Entscheidungen vorbehalten sind (vgl. BVerfGE 33, 125 [175 ff.]; 47, 46 [78 ff.]; 49, 89 [126 ff.]; 57, 295 [320 ff.]; 58, 257 [268 ff.]; 77, 170 [230 f.]; 83, 130 [151 ff.]; 84, 212 [226 f.]; 88, 103 [116 f.]; 101, 1 [33 ff.]), hinweisend Böhmer, NJW 1988, S. 2561 (2565); Rozek, Unterscheidung, S. 88. iss Vgl. BVerfGE 4, 219 (235); 46, 268 (286 f.); Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 88; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 437; Jarass! Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 83; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 561 ff.; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 166; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 108; Kraft, BayVBl. 1994, S. 97 (99); Melchinger, NJW 1991, S. 2524 (2525); Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 647 f. 156 So BVerwGE 84, 361 (364 ff.); NVwZ 1997, S. 887 (889); Papier, NWVB1. 1990, S. 397 (400); Pietzcker, JuS 1991, S. 369 (372); ders., NVwZ 1991, 418 (426); Melchinger, NJW 1991, S. 2524 (2525); Detterbeck, DÖV 1994, S. 273 (276); Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 439 f.; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 90; /öraw/Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 83; Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 63; Rüfner, in: Erichsen/

54

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

Geld oder anderen Werten bestehen soll und welche Bewertungsgrundlagen sowie welche Maßstäbe entscheidend sein sollen. 157 Gewohnheitsrechtlich anerkannte Aufopferungsgrundsätze (Art. 74, 75 Einl. ALR) könnten eine fehlende oder unzureichende gesetzliche Entschädigungsregelung nicht - gewissermaßen als latente Entschädigungsregelung - ersetzen. 158 Ausreichend sei andererseits aber, dass das Gesetz, welches die Enteignung vornimmt oder gestattet, auf eine Entschädigungsregelung, die ihrerseits den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG genügt, verweist. 159 Ferner sei bei vorkonstitutionellen Gesetzen die Junktimklausel nicht anwendbar 160. (1) Anwendbarkeit der Junktimklausel Das Regelungsregime der §§ 808 ff. ZPO stammt zwar aus der Zeit vor Erlass des Grundgesetzes,161 aber durch diverse Änderungen der zwangsvollstreckungsrechtlichen Vorschriften 162 und Neubekanntmachungen der ZPO 1 6 3 hat es der an das Grundgesetz gebundene Gesetzgeber in seinen Willen aufgenommen und damit zu nachkonstitutionellem Recht gemacht. 164 Die Junktimklausel des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG ist also anwendbar.

Ehlers, VwR AT 1 2 , § 48 Rn. 23; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 655 f.; wohl auch Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 111; einschränkend dagegen Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 167; Badura, in: HdbVerfR 2, § 10 Rn. 64; Kleinlein, DVB1. 1991, S. 365 (373 f.): zulässig, wenn künftige Sachverhaltsgestaltungen für Gesetzgeber nicht vorhersehbar; Weyreuther, Entschädigungsregelungen, S. 42: ausnahmsweise Erweiterung einer vorhandenen Entschädigungsregelung durch verfassungskonforme Auslegung möglich; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 566 f.: Möglichkeit der analogen Anwendung bestehender gesetzlicher Entschädigungsregelung auf Konstellationen, die im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt sind. 157 Vgl. BVerfGE 24, 367 (419); Depenheuer, in: v. Mangoldt /Klein /Starck I 5 , Art. 14 Rn. 438. 158 Vgl. BVerfGE 4, 219 (231). 159 Vgl. BVerfGE 45, 297 (320); 66, 248 (259); Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 110; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 91; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 438; Pieroth/Schlink, Grundrechte^ 0 Rn. 941; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 595, 653. 160 Vgl. BVerfGE 4, 219 (236 f.); 46, 268 (287 f.) und für die h.M. nur Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 649; so schon H. P. Ipsen, VVDStRL 10 (1952), S. 74 (97). 161 Vom 30. 11. 1877 (RGBl. S. 83). 162 Ζ. B. durch Gesetz vom 17. 12. 1997 (BGBl. IS. 3039). 163 Neubekanntmachungen vom 12. 9. 1950 (BGBl. I S. 533) und 9. 12. 2005 (BGBl. I S. 3202). 164 Vgl. zu den Anforderungen an eine Aufnahme in den Willen des nachkonstitutionellen Gesetzgebers BVerfGE 66, 248 (254 f.).

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

55

(2) Erster Teil der Entschädigung: Das Erlöschen der Verbindlichkeit Der erste Teil der Entschädigung, das Erlöschen der Verbindlichkeit, ist nach Art und Ausmaß geregelt, nämlich in den §§ 819, 815 Abs. 3, 817 Abs. 4 Satz 2 ZPO. (3) Zweiter Teil der Entschädigung: Eigentum am Resterlös bzw. Bereicherungsanspruch Beim zweiten Teil der Entschädigung, dem herausgabefähigen Eigentum am Resterlös bzw. dem im Falle der Auskehrung an den Vollstreckungsgläubiger an seine Stelle tretenden Bereicherungsanspruch gegen den Vollstreckungsgläubiger, kann man das mit derselben Gewissheit allenfalls dann behaupten, wenn man der privatrechtlichen Theorie 165 der Zwangsvollstreckung folgt. Denn ihr zufolge enthalten § 804 Abs. 1 und 2 ZPO eine Verweisung auf die Pfandrechtsvorschriften der §§ 1204 ff. BGB und erklären diese für anwendbar, soweit die §§ 803 ff. ZPO keine abweichende Regelung treffen. 166 Verwiesen wäre damit zum einen auf § 1247 Satz 2 BGB, der ausdrücklich die Surrogation am Erlös regelt, und zum anderen - indirekt - auch auf die §§ 812 ff. BGB. Denn die §§ 1204 ff. BGB als Teil des Gesamtregelungskonzepts des BGB nehmen ihrerseits auf das Bereicherungsrecht des BGB Bezug. Legt man hingegen die herrschende Ansicht 167 zugrunde, wonach der Eigentumsverlust in der Zwangsvollstreckung abschließend von den §§ 803 ff. ZPO geregelt wird, kann man eine solche Verweisung nicht annehmen. Insbesondere die Geltung des Grundsatzes der Surrogation kann man dann nur damit erklären, dass man § 1247 Satz 2 BGB analog anwendet168 oder dass man ihn als Grundsatz, der schon vor Erlass von BGB und ZPO galt, vom Gesetzgeber als selbstverständlich vorausgesetzt und stillschweigend anerkannt ansieht. 169 Das ist angesichts der Tatsache, dass BVerfGE 4, 219 (231) den Rückgriff auf ungeschriebene Entschädigungsgrundsätze als mit Art. 14 Abs. 3 GG unvereinbar angesehen hat, auf den ersten Blick nicht unproblematisch. Andererseits darf aber nicht verkannt werden, dass im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG zwischen dem ungeschriebenen Grundsatz der Surrogation und einem ungeschriebenen Grundsatz des Inhalts, dass jeder 165 Vgl. oben S. 23 Fn. 5. 166 Vgl. Marotzke, NJW 1978, S. 133 (136); Pesch, JR 1993, S. 358 (359); Säcker, JZ 1971, S. 156 (162); Pinger, JR 1973, S. 94 (97 f.); Wieling, Sachenrecht, S. 739. 167 Vgl. oben S. 23 Fn. 6. 168 So Thomas/Putzo, ZPO 27 , § 819 Rn. 1; wohl auch Schilken, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken 11 , S. 821; für möglich haltend W. Lüke, in: Wieczorek/Schütze 3, § 819 Rn. 2. 169 So Münzberg, in: Stein/Jonas 22, § 819 Rn. 1; auch schon F. Stein, Grundfragen, S. 78 f.

56

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

erhebliche Eingriff in die vermögensrechtliche Rechtssphäre als Enteignung aufzufassen sei und zu einer angemessenen Entschädigung verpflichte, wie er Gegenstand von BVerfGE 4, 219 ff. war, erhebliche Unterschiede bestehen. Der letztgenannte Grundsatz versucht in der Tat, den Gesetzgeber nach allen Seiten hin abzusichern. Denn er gewährleistet eine angemessen Entschädigung auch dann, wenn der Gesetzgeber die Entschädigungserheblichkeit seiner Regelung gar nicht oder nicht in dem entsprechenden Ausmaße erkannt hat. Er entbindet ihn damit davon, über die Folgen seines Handelns für die betroffenen Grundrechtsträger und den Staatshaushalt zu reflektieren und dafür die Verantwortung zu übernehmen. Demgegenüber liegen die Anwendungsfälle des Grundsatzes der Surrogation in der Zwangsvollstreckung und seine Rechtsfolgen eindeutig auf der Hand. Eine ausdrückliche Regelung ist hier nicht unterblieben, weil man sich auf jede nicht vorhergesehene Eventualität einstellen wollte, sondern weil man die Surrogation als ohnehin selbstverständliche Folge der zwangsvollstreckungsrechtlichen Verwertung des Sacheigentums ansah, weil der Gesetzgeber und jede Rechtsanwendungsinstanz sich darüber im Klaren sind, wann diese Art von Entschädigung zu gewähren ist und wie hoch sie ist. Gleichwohl auch für die Surrogation eine ausdrückliche Regelung in der ZPO zu fordern, wäre damit ein übertriebener - vom Sinn und Zweck der Junktimklausel jedenfalls nicht geforderter 170 - Formalismus. Selbst wenn man aber einen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG bejaht, so wäre das kein Beleg dafür, das der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug schon deshalb, weil er nicht mit den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG in Einklang zu bringen wäre, keine Enteignung sein darf. Denn dieser Fehler ließe sich ohne Probleme durch den Gesetzgeber bereinigen, ohne dass die Zwangsvollstreckung dadurch ihre Effektivität verlöre. dd) Offenhalten des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten (Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG) Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG erklärt für Streitigkeiten über die Höhe die Entschädigung die ordentlichen Gerichte für ausschließlich zuständig. Unter der Prämisse, dass der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug eine Enteignung ist, würde demzufolge ein Verstoß gegen diese Norm vorliegen, wenn das einfache Recht Streitigkeiten über die Höhe der dem Eigentümer in der Zwangsvollstreckung zu gewährenden Entschädigung anderen als den ordentlichen Gerichten zuwiese oder diesbezüglich sogar jeden Rechtsweg ausschlösse. Das Nichtmehrbestehen der erloschenen Verbindlichkeit bzw. der Vollstreckbarkeit des Titels kann der Eigentümer im Streitfalle je nach Lage des Falles mit der 170 Hinzuweisen ist auch noch darauf, dass der Haushaltssicherungszweck der Junktimklausel hier von vornherein nicht greift, weil die in der Zwangsvollstreckung gewährte Entschädigung - Erlöschen der Verbindlichkeit, Erlös bzw. Bereicherungsanspruch gegen den Vollstreckungsgläubiger - nicht aus den öffentlichen Haushalten finanziert wird.

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

57

Feststellungsklage (§ 256 ZPO) oder der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) vor den ordentlichen Gerichten geltend machen. Der Anspruch auf Auszahlung des Resterlöses ist mit der Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) geltend zu machen; 171 zuständig sind die ordentlichen Gerichte (vgl. §§ 766 Abs. 1 Satz 1, 764 Abs. 1 ZPO, 20 Nr. 17 Satz 2 RPflG, 12 GVG). Der im Falle der Auskehrung des Erlöses an den Vollstreckungsgläubiger an die Stelle dieses Anspruchs tretende Bereicherungsanspruch ist gemäß § 13 GVG ebenfalls vor den ordentlichen Gerichten einzuklagen. Für sämtliche vom Gesetz 172 für den zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzug vorgesehenen Entschädigungen steht also der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten offen. Freilich gilt das für die Feststellungs- und die Bereicherungsklage nur solange, wie es um die Vollstreckung einer klassischen zivilrechtlichen Geldforderung geht. Hierauf konzentrieren sich zwar unsere Überlegungen, aber es darf doch gleichwohl nicht übersehen werden, dass bereits, wenn es um die Vollstreckung des Urteils eines Arbeitsgerichts über einen Zahlungsanspruch aus einem Arbeitsvertrag geht, nicht mehr die ordentlichen Gerichte, sondern nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 a) ArbGG die Arbeitsgerichte 173 zuständig sind. Doch dieser Verfassungsverstoß wäre keiner der zu der Schlussfolgerung berechtigte, der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug dürfe unter keinen Umständen wegen der dann zu befürchtenden Auswirkungen im wirklichen Leben als Enteignung angesehen werden. Denn Folge eines solchen Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG wäre lediglich, dass anstelle der vom Gesetz vorgesehenen Gerichte die ordentlichen Gerichte zuständig wären. 174 Das wäre vielleicht in vielen Fällen nicht sonderlich praktikabel, 175 und ganz sicher wäre es ungewohnt. 171 Vgl. Münzberg, in: Stein/Jonas 22, § 819 Rn. 13 i.V.m. Rn. 6 f.; W Lüke, in: Wieczorek/Schütze 3, § 819 Rn. 7 f. 172 Nur darauf, ob dem Enteigneten eine den gesetzlichen Bestimmungen entsprechende Entschädigung gewährt worden ist, bezieht sich die Kompetenz der ordentlichen Gerichte CBVerfGE 58, 300 [319]; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 97; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 696; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 463; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 645; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 122), wie sich bereits aus der Junktimklausel des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG (vgl. dazu oben S. 53 ff.) ergibt (so auch BVerfGE 58, 300 [314]; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 645; Wieland, in: Dreierl 2 , Art. 14 Rn. 122). 173 Mit „ordentlichen Gerichten" meint Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG die allgemeine ordentliche Zivilgerichtsbarkeit (Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 692; Bryde, in: v. Münch/ Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 96; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I , Art. 14 Rn. 463; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 644). 174 Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG selbst eröffnet bereits den Rechtsweg; es bedarf hierzu keiner weiteren gesetzlichen Regelung (so auch Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 644: „besondere Zuweisung ... i. S. des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO"; Kimminich, in: BK, Art. 14 Rn. 563, 566; Sodan, in: Sodan/Ziekow, § 40 Rn. 502; a.A. offenbar Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 692, unter insoweit, wie ich meine, unzutreffender Berufung auf BVerfGE 4, 387). 175 Dass die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte sonderlich praktikabel ist, wird übrigens nicht einmal für die klassischen Fälle der Enteignung behauptet (vgl. Bryde, in:

58

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

Die Effektivität der Zwangsvollstreckung würde es aber nicht aufs Spiel setzen, und nur dies wäre ein Grund für die Annahme, dass der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug von vornherein keine Enteignung sein darf. ee) Ergebnis In der Konstellation der Zwangsvollstreckung, in welcher der Eigentümer der Sache zugleich Schuldner des Vollstreckungsgläubigers ist, sind die §§ 808 ff. ZPO also mit Art. 14 Abs. 3 Satz 2 bis 4 GG vereinbar bzw. leiden allenfalls an solchen Fehlern, die sich problemlos - ohne Effektivitätseinbußen bei der Zwangsvollstreckung - beseitigen lassen. b) Die zweite Konstellation: Der materiell nicht schuldende Eigentümer Bei den Fällen, in denen der Eigentümer der verwerteten Sache nicht zugleich materiellrechtlich Schuldner des Vollstreckungsgläubigers ist, empfiehlt es sich im Hinblick auf die Entschädigung zwischen vier Fallgruppen zu unterscheiden: Es wird ein rechtskräftiges Fehlurteil vollstreckt; es wird ein vorläufig vollstreckbares Fehlurteil vollstreckt; es wird aus einem Titel vollstreckt, dessen Unrichtigkeit nach § 767 ZPO vom Vollstreckungsschuldner geltend gemacht werden kann; es wird in eine Sache vollstreckt, die im Eigentum eines Dritten steht.

aa) Die Vollstreckung eines rechtskräftigen Fehlurteils Bei der Vollstreckung eines rechtskräftigen Fehlurteils wird der Eigentümer genauso entschädigt wie der Eigentümer bei der Vollstreckung eines inhaltlich richtigen Titels: Die sein Vermögen belastende rechtskräftig festgestellte Verbindlichkeit erlischt (soweit der Erlös reicht) und er bekommt den Resterlös nach Abzug der Vollstreckungskosten bzw. - wenn dieser bereits an den Vollstreckungsgläubiger ausgekehrt wurde - einen entsprechenden Bereicherungsanspruch gegen diesen. Obwohl die Verbindlichkeit „in Wirklichkeit" nicht besteht, wird der Vermögenssaldo des Vollstreckungsschuldners durch ihre Beseitigung genauso erhöht wie bei der Befreiung von einer „echten" Verbindlichkeit. Weil die Rechtskraft verhindert, dass er die Unrichtigkeit des Titels geltend machen kann, mindert eine solche Verbindlichkeit nämlich den Wert seines Vermögens genauso wie eine, die tatsächlich besteht. Das gilt unabhängig davon, ob man einer materiellen Rechtskrafttheorie folgt, nach der die Rechtskraft eine Verbindlichkeit schafft bzw. eine v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 96, 98; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 123; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 691; bereits für Art. 153 Abs. 2 Satz 3 WRV M. Wolff, FG Kahl, S. 20).

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

59

unwiderlegliche Vermutung für die Richtigkeit des Urteils erzeugt, oder einer prozessualen Rechtskrafttheorie, nach welcher der Schuldner sich gegenüber dem Titelinhaber „nur" nicht mehr auf die materielle Rechtslage berufen kann. 176 Diese Entschädigung entspricht auch einer gerechten Abwägung der Interessen der Beteiligten und der Allgemeinheit im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG. Denn würde man dem Eigentümer für den Fall, dass der Titel unrichtig ist, eine höhere Entschädigung zugestehen als dem Eigentümer, den tatsächlich eine Verbindlichkeit trifft, dann müsste man die Richtigkeit des Titels noch einmal überprüfen. Das hätte zur Folge, dass das Institut der Rechtskraft seinen Sinn verlöre und die mit ihm verfolgten Ziele nicht mehr erreicht werden könnten. Die entschädigungsmäßige Gleichstellung mit dem Eigentümer, den tatsächlich eine Verbindlichkeit trifft, ist also zum einen absolut notwendig, um das mit dem Eigentumsentzug in diesen Fällen verfolgte Ziel zu erreichen. Zum anderen hat der Gesetzgeber das Prozessrecht so ausgestaltet, dass es zu Titeln, deren Unrichtigkeit nicht mehr geltend gemacht werden kann, erst nach einem Verfahren kommt, dessen Mechanismen das Risiko der Entstehung falscher Titel gering halten und eine hohe Richtigkeitsgewähr bieten. 177 Schließlich steht mit § 826 BGB eine Härteklausel bereit, mit deren Hilfe der zu Unrecht in Anspruch genommene Eigentümer unter Umständen eine höhere Entschädigung, nämlich den Ersatz seines gesamten durch die Vollstreckung entstandenen Vermögensschadens,178 erlangen kann. Hinsichtlich des Erfordernisses der Regelung von Art und Ausmaß der Entschädigung (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG) und der Eröffnung des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten (Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG) kann, was das Erlöschen der Verbindlichkeit und den Anspruch auf den Resterlös bzw. den nach Auskehrung desselben an den Vollstreckungsgläubiger an dessen Stelle tretendenden Bereicherungsanspruch angeht, auf das oben 179 zur Situation des materiell dem Vollstreckungsgläubiger verpflichteten Eigentümers Gesagte verwiesen werden. Die in Härtefällen greifende Regelung des § 826 BGB entspricht ebenfalls den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG; im Streitfalle sind - im Einklang mit Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG - die ordentlichen Gerichte zuständig (vgl. § 13 GVG).

bb) Die Vollstreckung eines vorläufig vollstreckbaren Fehlurteils Wird das Eigentum des Vollstreckungsschuldners bei der Vollstreckung eines vorläufig vollstreckbaren, aber - wie sich später in der Berufung oder Revision 176 Vgl. zu den Rechtskrafttheorien Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht 16, § 150 Rn. 3 ff.; Leipold, in: Stein/Jonas21, § 322 Rn. 19 ff. 1 77 Vgl. oben S. 37. 178 Vgl. Gottwald, in: MünchKomm-ZPO2, § 322 Rn. 214; Musieizk / Musielak, ZPO 4 , § 322 Rn. 96. 179 s. 55 ff.

60

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

herausstellt 1 8 0 - falschen Titels entzogen, so erlangt der Vollstreckungsschuldner gemäß § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO einen nach Art und Ausmaß i m Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG geregelten verschuldensunabhängigen Anspruch gegen den Vollstreckungsgläubiger auf Ersatz des Schadens, den der Vollstreckungsschuldner durch die Vollstreckung erlitten hat. Dieser ist gemäß § 13 G V G oder gemäß § 717 Abs. 2 Satz 2 ZPO vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen und steht somit i m Einklang mit Art. 14 Abs. 3 Satz 4 G G . 1 8 1 Er ermöglicht den Ausgleich sämtlicher Vermögensschäden, die aufgrund des Eigentumsentzugs entstanden sind. Zieht man außerdem i n Betracht, dass dieser Schadensersatzanspruch i m Regelfall wirtschaftlich durch die Sicherheitsleistung, die der Vollstreckungsgläubiger grundsätzlich gemäß § 709 Satz 1 ZPO zu erbringen hat, abgesichert ist, so kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Entschädigung auch den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG vollauf genügt. 1 8 2

180 wird die Fehlerhaftigkeit des Urteils von der Berufungs- oder Revisionsinstanz nicht erkannt, so steht der Eigentümer wie im Falle der Vollstreckung eines rechtskräftigen Fehlurteils, so dass insofern auf das oben Gesagte verwiesen werden kann. 181 Auch hier gilt das oben S. 57 f. für die Vollstreckung eines materiell richtigen Titels Gesagte entsprechend: Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte und damit der Gleichklang mit Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG besteht nicht mehr, wenn ζ. B. ein arbeitsgerichtlicher Titel vollstreckt wird (vgl. Schuschke/Walker 3, § 717 Rn. 19; Münzberg, in: Stein /Jonas 22 , § 717 Rn. 74). Das ist aber kein Fehler, der zu der Annahme berechtigen würde, der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug dürfe unter keinen Umständen als Enteignung angesehen werden. ι 8 2 Doch auch in den Konstellationen, in denen von diesen Standards zum Nachteil des Eigentümers abgewichen wird, indem auf die Sicherheitsleistung des Vollstreckungsgläubigers verzichtet wird oder die Entschädigung auf das Geleistete oder Gezahlte beschränkt wird (vgl. § 717 Abs. 3 ZPO), liegt kein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG vor. Zum einen kann daraus, dass die durch eine Sicherheitsleistung materiell abgesicherte Entschädigung i. S. des § 717 Abs. 2 ZPO Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG entspricht, nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass eine niedrigere oder weniger gesicherte Entschädigung automatisch dagegen verstößt. Zum anderen sind die Abweichungen vom Prinzip der Sicherheitsleistung und des vollen Schadensersatzes sachlich gerechtfertigt. Berufungsurteile bieten eine besondere Richtigkeitsgewähr, und es ist legitim, die Zahl der Revisionen, die ohnehin in erster Linie der Einheitlichkeit der Rspr. dienen und nicht der Einzelfallgerechtigkeit, einzudämmen, indem man im Falle einer erfolgreichen Revision keinen vollen Schadensersatz, sondern nur einen Bereicherungsausgleich gewährt (§ 717 Abs. 3 ZPO). Der Eigentümer steht dann immer noch so wie ein rechtskräftig Verurteilter, dessen Wiederaufnahmeantrag Erfolg hat. Vom Prinzip der Sicherheitsleistung des Vollstreckungsgläubigers wird immer dann abgewichen, wenn den Eigentümer ein Mitverschulden am schnellen Zustandekommen des vorläufig vollstreckbaren Titels trifft (§ 708 Nr. 1 - 5 ZPO), die Belange des Vollstreckungsgläubigers als besonders eilbedürftig erscheinen (§§ 708 Nr. 6 - 9 , 710 ZPO), die Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Titels überdurchschnittlich hoch ist (§ 708 Nr. 10 ZPO) oder die drohenden Vermögensschäden begrenzt sind (§ 708 Nr. 11 ZPO). Hinzu kommt, dass der Eigentümer in einigen Fällen, den Vollstreckungsgläubiger durch eine eigene Sicherheitsleistung zur Sicherheitsleistung „zwingen" kann (vgl. § 711 ZPO).

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

61

cc) Die Vollstreckung eines Titels, dessen Unrichtigkeit nach § 767 ZPO geltend gemacht werden könnte Verliert der Vollstreckungsschuldner sein Eigentum bei der Vollstreckung einer in Wirklichkeit nicht (mehr) bestehenden Forderung und hätte er deren Nichtbestehen gemäß § 767 ZPO mit der Vollstreckungsgegenklage geltend machen könn e n , 1 8 3 so erlangt er einen Anspruch auf Herausgabe des gesamten Erlöses (allerdings abzüglich der Vollstreckungskosten) 184 bzw., falls der Gerichtsvollzieher den Erlös an diesen ausgekehrt hat, einen an dessen Stelle tretenden Bereicherungsanspruch gegen den Vollstreckungsgläubiger 185 (der ebenfalls die Vollstreckungskosten nicht mit umfasst) 1 8 6 . Hinzu kommen gegebenenfalls Schadensersatzansprüche gegen den Vollstreckungsgläubiger aus § 280 Abs. 1 B G B 1 8 7 , § 823 Abs. 1 Var. 5 BGB oder § 826 B G B . 1 8 8 A l l e diese den Regelungsanforderungen des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG genügenden Ansprüche sind i m Einklang mit Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen. Für die Ansprüche aus §§ 280 Abs. 1 BGB, 823 Abs. 1 BGB, 826 B G B und 812 B G B folgt das aus § 13 GVG. Für den sich auf Auszahlung des beim Gerichtsvollziehers liegenden Erlös richtenden Anspruch, der mit der Vollstreckungsgegenklage geltend zu machen i s t , 1 8 9 folgt das 183 Nach der sog. privatrechtlichen Theorie verliert er in dieser Situation das Eigentum nur dann, wenn der Erwerber i. S. des § 1244 BGB gutgläubig im Hinblick auf das Bestehen der Forderung ist; nach der herrschenden Meinung kommt es auf darauf indes nicht an, vgl. die oben S. 23 Fn. 5 genannten Nachweise. 184 So jedenfalls die h. M. für die insoweit vergleichbare Konstellation, dass das Eigentum eines Dritten versteigert wird, vgl. unten S. 63 Fn. 194. 185 Siehe oben S. 35. 186 Vgl. Schilken, in: MünchKomm-ZPO2, § 804 Rn. 33 m. w. N.: Die Vollstreckungskosten seien nicht vom Gläubiger „erlangt" (§812 Abs. 1 Satz 1 BGB), weil es sich um notwendige Kosten zum Erwerb des prozessualen Verwertungsrechts handele. 187 Für Fälle vor dem 1.1. 2003, für die § 280 BGB in der derzeit geltenden Fassung noch keine Anwendung findet (vgl. Art. 229 § 5 EGBGB), ergibt sich der Anspruch aus positiver Forderungsverletzung. Vgl. dazu die sogleich in Fn. 188 Genannten. 188 Vgl. Schilken, in: MünchKomm-ZPO2, § 804 Rn. 33; ders., in: Rosenberg/Gaul/ Schilken11, S. 828; Schuschke/Walker 3, § 767 Rn. 44; Münzberg, in: Stein/Jonas22, vor § 767 Rn. 56; W. Lüke, in: Wieczorek/Schütze 3, § 804 Rn. 46; Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 1328. 189 Das wird so ausdrücklich zwar nicht gesagt. Es ergibt sich aber indirekt daraus, dass die Vollstreckungsgegenklage bis zum Ende der Vollstreckung, d. h. bis zur Auskehrung des Erlöses (vgl. Musielak / Lackmann, ZPO 4 , § 767 Rn. 18; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/ Schilken11, S. 685), zulässig ist (vgl. K. Schmidt, in: MünchKomm-ZPO2, § 767 Rn. 43; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 638) und erst danach die als „verlängerte Vollstreckungsgegenklage" bezeichnete Bereicherungsklage auf Herausgabe des an den Vollstreckungsgläubiger ausgekehrten Erlöses (vgl. K. Schmidt, in: MünchKomm-ZPO2, δ 767 Rn. 21; Schuschke / Walker 3, § 767 Rn. 10; Musielak/Lackmann, ZPO 4 , § 767 Rn. 15; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 653). Die Vollstreckungsgegenklage ist deshalb

62

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

aus § 767 Abs. 1 ZPO. Denn das,,Prozessgericht" ist in den hier untersuchten Konstellationen ein ordentliches Gericht. 190 Problematisch erscheint im Hinblick auf Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG, dass sich der Eigentümer - da der Versteigerungserlös regelmäßig hinter dem Verkehrswert der Sache zurückbleibt - mit einer hinter dem Verkehrswert seiner Sache zurückbleibenden Entschädigung begnügen muss, von der auch noch die Vollstreckungskosten abgezogen werden. Er bekommt damit im Endeffekt keine höhere Entschädigung als der Vollstreckungsschuldner, gegen den tatsächlich eine Verbindlichkeit bestand. Denn auch dessen Entschädigung (Erlöschen der Verbindlichkeit in Höhe des Erlöses, Resterlös abzüglich Vollstreckungskosten) geht nicht über den Betrag des Gesamterlöses abzüglich Vollstreckungskosten hinaus. 191 Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Vollstreckungsschuldner zum einen an der Entstehung der Gefahrenquelle „Titel" häufig eine gewisse Mitverantwortung trägt: Hat er ζ. B. die titulierte Forderung durch Erfüllung nach dem Zeitpunkt des § 767 Abs. 2 ZPO zum Erlöschen gebracht (vgl. § 362 Abs. 1 BGB), so kann ihm vorgehalten werden, dass er durch Erfüllung vor diesem Zeitpunkt, zu der er ja an sich auch verpflichtet war, die Entstehung eines Titels von vornherein hätte verhindern können. Einige Titel, wie ζ. B. Prozessvergleiche (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder vollstreckbare Urkunden (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) entstehen ohne seine aktive Mitwirkung schon gar nicht. Zum anderen erfährt der Vollstreckungsschuldner von der Vollstreckung. 192 Damit hat er in der Regel die Möglichkeit, die Gefahr des Eigentumsverlusts durch Erhebung der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO (ggf. i.V.m. § 769 ZPO) selbst zu bannen. Wagt man daher die Interessen des Vollstreckungsschuldners mit denen der anderen Beteiligten, d. h. des Vollstreckungsgläubigers und der Allgemeinheit ab, dann kann man diese Entschädigung nicht als ungerecht bezeichnen. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Vollstreckungsgläubiger oder die Allgemeinheit die Vollstreckungskosten tragen und die Differenz zwischen Verkehrswert der Sache und Verwertungserlös aufbringen sollten. Diese Bewertung ändert sich nur dann, wenn der Vollstreckungsgläubiger schuldhaft aus dem falschen Titel vollstreckte, wenn er also wusste oder fahrlässig nicht wusste, dass ihm der Anspruch in Wirklichkeit nicht zusteht. Doch dieser noch bis zur Auskehrung des Erlöses zulässig, weil die Zwangsvollstreckung erst mit diesem Vorgang beendet ist (vgl. Schuschke/ Walker, § 767 Rn. 44). 190 Für die Konstellationen, in denen das Prozessgericht kein ordentliches Gericht, sondern ζ. B. ein Arbeitsgericht war (vgl. dazu Schuschke /Walker 3 , § 767 Rn. 14), gilt das oben S. 57 f. Gesagte entsprechend. 191 Siehe oben S. 51. 192 Einmal durch die Zustellung des Titels (vgl. § 750 Abs. 1 ZPO) und dann in der Regel auch durch die Pfändung, soweit sie sich auf Sachen in seinem Gewahrsam bezieht (vgl. § 808 Abs. 1 ZPO).

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

63

Konstellation wird Rechnung getragen. Denn dem Vollstreckungsschuldner wird gegen den Vollstreckungsgläubiger ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 Var. 5 BGB bzw. § 280 Abs. 1 BGB eingeräumt. Damit kann er sich die Differenz zwischen Erlös und Verkehrswert und den Vollstreckungskostenabzug wiederholen. Den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 bis 4 GG wäre also Rechnung getragen.

dd) Die Vollstreckung in eine einem Dritten gehörende Sache Verliert bei der Vollstreckung in ein Vermögensobjekt, das nicht im Eigentum des Vollstreckungsschuldners steht, jemand sein Eigentum, 193 so erlangt dieser dieselbe Rechtsstellung wie der sein Eigentum verlierende Vollstreckungsschuldner, der die Unrichtigkeit des gegen ihn gerichteten Titels gemäß § 767 ZPO hätte geltend machen können: Ihm steht der Gesamterlös zu bzw. - im Falle der Auszahlung desselben an den Vollstreckungsgläubiger - ein Bereicherungsanspruch (wiederum ohne die Vollstreckungskosten) 194 gegen diesen. 195 Hat der Vollstreckungsgläubiger vom Eigentum des Dritten gewusst oder fahrlässig davon nichts gewusst, so hat der Eigentümer außerdem gegen den Vollstreckungsgläubiger einen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 1 Var. 5 BGB oder § 826 BGB. 1 9 6 Für alle Ansprüche steht dem Eigentümer der ordentliche Rechtsweg zur Verfügung. Für die Schadensersatzansprüche und den Bereicherungsanspruch folgt das wiederum aus § 13 GVG, für den mit der Drittwiderspruchsklage geltend zu machenden197 Anspruch auf Auskehrung des beim Gerichtsvollzieher liegenden Erlös aus §§ 771 Abs. 1 ZPO, 13 GVG. 1 9 8 193 Das kann nach der privatrechtlichen Theorie wiederum nur passieren, wenn der Erwerber i. S. des § 1244 BGB gutgläubig in Bezug auf das Eigentum des Vollstreckungsschuldners ist, während es nach h.M. darauf nicht ankommt. 194 RGZ 40, 288 (293); BGHZ 32, 240 (244); 66, 150 (155 ff.); Schilken, in: MünchKomm-ZPO2, § 804 Rn. 38; Zöller/Herget, ZPO 25 , § 771 Rn. 23; Jauernig, ZVR 2 1 , S. 59; Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 471: Stattdessen habe der Eigentümer bezüglich der Vollstreckungskosten einen Bereicherungsanspruch gegen den Vollstreckungsschuldner, weil dieser zu Unrecht von seiner Kostenverbindlichkeit befreit wurde. A.A. Blomeyer, Vollstreckungsverfahren, S. 168 f.; Münzberg, in: Stein/Jonas 22, § 771 Rn. 87; Gerlach, Zwangsvollstreckung, S. 64 ff. 195 Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 827; Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 470; vgl. auch S. 35. 196 BGHZ 55, 20 (24 ff.) im Hinblick auf § 823 Abs. 1 BGB; BGHZ 58, 207 (214 f.); Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 466 f.; Schuschke/Walker 3, Anh. zu § 771 Rn. 6 im Hinblick auf positive Forderungsverletzung bzw. § 280 Abs. 1 BGB; a.A. im Hinblick auf positive Forderungsverletzung/§ 280 Abs. 1 BGB und dafür §§ 990, 989 BGB bejahend Schilken, in: MünchKomm-ZPO2, § 804 Rn. 37. Außerdem sind Ansprüche aus §§ 687 Abs. 2, 681, 667, 678 BGB denkbar, vgl. Schilken, in: MünchKomm-ZPO4, § 804 Rn. 38; Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 468.

64

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

Problematisch ist allerdings im Hinblick auf Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG, dass den Dritteigentümer im Unterschied zum Vollstreckungsschuldner keine Verantwortung für die Entstehung des gefahrbringenden Titels trifft. Dieser Aspekt kann hier also nicht das Zurückbleiben der Entschädigung hinter dem Verkehrswert des entzogenen Eigentumsobjekts und die Auferlegung der Vollstreckungskosten erklären. Auch ist es beim Dritteigentümer im Unterschied zum Vollstreckungsschuldner reiner Zufall, ob er von der Vollstreckung in seine Sache erfährt. Deshalb kann man ihm in der Regel auch nicht vorwerfen, den Eigentumsverlust nicht selbst durch rechtzeitige Erhebung der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO verhindert zu haben. Vor diesem Hintergrund ist es hier schwieriger als beim Vollstreckungsschuldner, der sein Eigentum durch die Vollstreckung eines im Sinne des § 767 ZPO falschen Titels verliert, zu begründen, weshalb es einer gerechten Abwägung der Interessen der Beteiligten und der Allgemeinheit entspricht, den Eigentümer auf den Erlös abzüglich der Vollstreckungskosten zu verweisen und ihm - über Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 1 Var. 5 BGB und § 280 Abs. 1 BGB gegen den Vollstreckungsgläubiger - die Realisierung des vollen Verkehrswertes nur zu ermöglichen, wenn der Vollstreckungsgläubiger vom Dritteigentum wusste bzw. fahrlässig nicht wusste. Angesichts des Gestaltungsspielraums, den Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG dem Gesetzgeber zugesteht,199 hält es sich aber noch im Rahmen einer unter gerechter Abwägung der Interessen der Beteiligten zustande gekommenen Entschädigung, dem Eigentümer das Risiko, dass der Erlös hinter dem Verkehrswert der Sache zurückbleibt, aufzuerlegen. c) Zusammenfassung Unterstellt man, dass die Zwangsvollstreckung Enteignungscharakter hat, so würde in den meisten Fällen der Eigentumsverlust in einer den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 Sätze 2 bis 4 GG entsprechenden Weise entschädigt. Problematisch erscheinen im Hinblick auf die Junktimklausel des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG müder Grundsatz der Surrogation 200 und im Hinblick auf die Rechtswegzuweisung des Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG einige Fälle der Vollstreckung, in denen für bestimmte Entschädigungsarten keine Zuweisung an die ordentlichen Gerichte vorliegt 2 0 1 . Aber diese Probleme lassen sich lösen, ohne die Effektivität der Zwangsvollstreckung aufs Spiel zu setzen. Die Aussage, schon wegen der Entschädigungserfordernisses des Art. 14 Abs. 3 GG könne der zwangsvollstreckungsrechtliche 197 Vgl. Münzberg, in: Stein/Jonas22, § 819 Rn. 13; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11 , S. 821; Brox/Walken ZVR 7 , Rn. 452,1405. 198 Vgl. Schuschke/ Walker 3, § 771 Rn. 9; Münzberg, in: Stein/Jonas22, § 771 Rn. 51. 199 Vgl. BVerfGE 4, 219 (233): Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG lege nur einen Rahmen fest. 200 Vgl. oben S. 55 ff. 201 Vgl. oben S. 57 f., S. 60 Fn. 181, S. 62 Fn. 190.

I. Die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG

65

Eigentumsverlust keine Enteignung sein, 202 hat sich damit als nicht tragfähig erwiesen.

3. Die Gesetzmäßigkeit (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG) Bei Zugrundelegung des Prüfungsumfangs, der für das Bundesverfassungsgericht maßgeblich ist, geschieht der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug auch aufgrund eines Gesetzes, nämlich aufgrund der §§ 808 ff. ZPO. 2 0 3 Zwar ist umstritten, ob sich aus den §§ 808 ff. ZPO die Rechtsmacht des Gerichtsvollziehers ergibt, einem Erwerber auch dann Eigentum zu verschaffen, wenn die gepfändete Sache im Eigentum eines Dritten steht oder die titulierte Forderung aus Gründen, die gemäß § 767 ZPO geltend gemacht werden können, nicht (mehr) besteht und der Erwerber diesbezüglich nicht gutgläubig im Sinne des § 1244 BGB ist. 2 0 4 Richtig ist ferner die Annahme, dass eine Enteignung auf der Basis einer zu weiten Auslegung eines bestehenden Ermächtigungsgrundlage eine Enteignung ohne gesetzliche Grundlage ist. Denn es kann keinen Unterschied machen, ob ein Gesetz überhaupt nicht besteht oder „nur" insoweit nicht besteht, dass es die in Frage stehende Enteignung nicht abdeckt 205 Jedoch ist nicht jede derartige Verletzung des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich. Denn wäre das Bundesverfassungsgericht angehalten, unter der Überschrift „enteignungsrechtlicher Gesetzesvorbehalt" jede Enteignung dahin gehend zu überprüfen, ob sie auf der Grundlage einer zu weit ausgelegten Ermächtigungsnorm erfolgte, würde es unweigerlich zur „Superrevisionsinstanz" 206 werden und damit die in den Art. 92, 95 GG angelegte Kompetenzverteilung zwischen Fachgerichten und Verfassungsgericht unterlaufen. 207 Deshalb können aus verfassungsrechtlicher Perspektive nur solche Fehlinterpretationen des einfachen Rechts relevant sein, die zugleich eine Verletzung „spezifischen Verfassungsrechts" darstellen. 208 Eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts ist zum einen dann zu bejahen, wenn die Fehlinterpretation des einfachen Rechts darauf beruht, dass Vorgaben der Verfassung bei der Ermittlung des Anwendungsbereichs des einfachen Rechts nicht beachtet wurden (Stichwort: verfassungskonforme Auslegung). Diese Möglichkeit wurde auf den vorhergehenden Seiten im Hinblick auf Art. 14 GG geprüft 202 203 204 205 206

Vgl. oben S. 26 Fn. 15. A.A. Marotzke, NJW 1978, S. 133 (134 f.) für die nachfolgenden Fallkonstellationen. Vgl. oben S. 23 Fn. 5. Vgl. Schiaich/Korioth 6 Rn. 284. BVerfGE 7,198 (207).

207 Vgl. BVerfGE 208 Vgl. BVerfGE 5 Raue

22, 93 (97 f.); Schiaich/Korioth 6 Rn. 285. 18, 85 (92); im Einzelnen Schiaich/Korioth

6

Rn. 286 ff.

66

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

und verneint. Selbstverständlich würde es auch an einer gesetzlichen Grundlage im Sinne von Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG fehlen, wenn die §§ 808 ff. ZPO in der Auslegung, die sie durch die herrschende Meinung erfahren haben, gegen andere Normen des Grundgesetzes, etwa kompetenzrechtliche Bestimmungen oder andere Grundrechte, verstießen. Doch diese Fragen gehören nicht mehr zum Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Zum anderen führen Fehlinterpretationen des einfachen Rechts dann zu einer Verletzung spezifischen Verfassungsrechts, wenn sie so grob fehlerhaft sind, dass sie als willkürlich (und damit als Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG) 2 0 9 bzw. als normsetzend (und damit als Verletzung von Art. 20 Abs. 3 G G ) 2 1 0 bezeichnet werden müssen. Die Anforderungen hieran sind hoch. „Selbst eine zweifelsfrei fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts begründet" in den Augen des Bundesverfassungsgerichts „noch keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Hinzukommen muß vielmehr, daß die fehlerhafte Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht." 21 ^ i e Auslegung dürfe „unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar" sein. 212 Sie müsse in einem derart „krassen Widerspruch zu allen zur Anwendung gebrachten Normen" stehen, dass das Gericht sich „aus der Rolle des Normanwenders in die einer Norm setzenden Instanz" begibt, „sich also der Bindung an Gesetz und Recht i.S. von Art. 20 III GG" entzieht. 213 Das lässt sich für die Auslegung der §§ 808 ff. ZPO dahin gehend, dass sie es zulassen, dass ein Dritteigentümer oder ein Vollstreckungsschuldner, der das Nichtbestehen der Forderung nach § 767 ZPO hätte geltend machen können, sein Eigentum an einen bösgläubigen Erwerber verliert, nicht sagen. Zunächst ist diese Auslegung vom Wortlaut der einschlägigen Vorschriften gedeckt. Zwar heißt es in § 804 Abs. 1 ZPO, dass der Gläubiger durch die Pfändung ein Pfandrecht an dem gepfändeten Gegenstand erwirbt. Doch daraus folgt nicht zwingend, dass sämtliche das Pfandrecht betreffende Vorschriften des BGB - und damit auch der Gutgläubigkeit fordernde § 1244 BGB - in der Zwangsvollstreckung zur Anwendung kommen. Denn die §§ 804 ff. ZPO schweigen sich (von den hier nicht einschlägigen Absätzen 2 und 3 des § 804 abgesehen) über die Bedeutung und Folge des Pfandrechts für die weitere Zwangsvollstreckung aus. Es 209 Die Anknüpfung an Art. 3 Abs. 1 GG ist dogmatisch fragwürdig. Denn eine grob fehlerhafte Auslegung führt dann nicht zu einer Ungleichbehandlung, wenn sie konsequent durchgehalten wird, wenn - mit anderen Worten - alle gleich schlecht behandelt werden (vgl. Sachs, JuS 1997, S. 124 [125]; Schiaich/Korioth 6 Rn. 300). 210 So BVerfG, NJW 2005, S. 1927 (1928), das - ohne in der Sache andere Maßstäbe anzulegen - nicht mehr Art. 3 Abs. 1 GG, sondern Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausgangspunkt nimmt.

211 BVerfGE 70, 93 (97). 212 BVerfGE 96,189(203). 213 BVerfG, NJW 2005, S. 1927 (1928).

Π. Die Eröffnung des Rechtswegs (Art. 19 Abs. 4 GG)

67

erscheint daher keineswegs als Missachtung des Wortlauts der ZPO, wenn die herrschende Meinung annimmt, dass dem Pfandrecht nur Bedeutung für die Berechtigung am Erlös zukommt, nicht aber für die Frage, unter welchen Voraussetzungen das Eigentum an der gepfändeten Sache verloren geht. Das gilt umso mehr, als in den die Verwertung regelnden §§ 814 ff. ZPO stets nur von „gepfändeten Sachen", nicht aber vom Pfandrecht die Rede ist und § 806 ZPO als Grundlage der Veräußerung nur die Pfändung, nicht das Pfandrecht erwähnt. 214 Ferner führt die herrschende Meinung teleologische Argumente für ihre Sichtweise ins Feld. Es entspreche dem „Wesen" der Zwangsvollstreckung als Ausdruck staatlicher Hoheitsgewalt, wenn die Frage der Wirksamkeit der Eigentumsverschaffung nicht von zivilrechtlichen Vorgaben wie den in § 1244 BGB genannten abhängig ist. 2 1 5 Zum anderen erhöhe die Möglichkeit des bösgläubigen Erwerbs die Bietbereitschaft, führe damit zu höheren Erlösen und steigere auf diese Weise die Effektivität der Zwangsvollstreckung insgesamt.216 Man mag der herrschenden Meinung vielleicht zu Recht entgegenhalten können, dass die §§ 814 ff. ZPO nur das (prozessrechtliche) „Dürfen" des Vollstreckungsorgans, nicht aber sein (materiellrechtlichens) „Können" regeln wollten, dass sie zum Teil „begriffsjuristisch" argumentiere und zu Wertungswidersprüchen führe. 2 1 7 Damit lässt sich aber allenfalls aufzeigen, dass die herrschende Auslegung fehlerhaft ist, nicht, dass sie „unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar" ist. Nur dies würde aber dem Bundesverfassungsgericht erlauben, eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts und damit des enteignungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts zu bejahen.

4. Ergebnis Art. 14 Abs. 3 GG enthält also keine Anforderungen, die der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug nur auf Kosten der Effektivität der Zwangsvollstreckung erfüllen könnte.

Π. Die Eröffnung des Rechtswegs (Art. 19 Abs. 4 GG) Unterstellt man, dass der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug eine Enteignung ist, so stellt sich die Frage, ob das Zwangsvollstreckungsrecht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist, wonach jedem, der durch die öffentliche Gewalt

214 Vgl. RGZ 156, 395 (398). 215 Vgl. RGZ 156, 395 (397 ff.). 216 Vgl. Münzberg, in: Stein/Jonas22, § 817 Rn. 21. 217 In diesem Sinne Säcker, JZ 1971, S. 156 (158 ff.); Marotzke, (134 f.); Pinger, JR 1973, S. 94 (96). 5*

NJW 1978, S. 133

68

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

in seinen Rechten verletzt ist, ein Rechtsweg offen stehen m u s s . 2 1 8 Denn ist mit Ablieferung der Sache durch den Gerichtsvollzieher (vgl. § 817 Abs. 2 ZPO) das Eigentum erst einmal auf den Erwerber übergegangen, kann dieser Eigentumsverlust nach ganz herrschender Meinung vom früheren Eigentümer nicht mehr rückgängig gemacht werden; er ist gewissermaßen unanfechtbar. 219 Es fragt sich, ob sich das mit der Forderung des Art. 19 Abs. 4 G G verträgt, dass jedem, der durch einen A k t der öffentlichen Gewalt in seinen Rechten verletzt ist, ein Rechtsweg offen stehen muss.

1. Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 4 GG Das Tatbestandsmerkmal „ i n seinen Rechten verletzt" ist bereits dann zu bejahen, wenn eine Rechtsverletzung möglich erscheint. 2 2 0 Folglich kann man die Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 G G nicht bereits mit der Begründung verneinen, der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug sei i n der Regel gerechtfertigt, so dass i m Ergebnis keine Verletzung von Rechten vorliege. 2 2 1 Die Möglichkeit der Rechtsverletzung i m Einzelfall ist dadurch nicht ausgeschlos222

sen. Die hier in Frage stehenden Maßnahmen des Gerichtsvollziehers sind auch öffentliche Gewalt i m Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 G G . 2 2 3 Zwar wird dieser 218 Vereinbarkeit verneinend: Nikolaou, Schutz, S. 111 ff., der deshalb zumindest bei der Versteigerung von Dritteigentum den Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnen will, und Marotzke, NJW 1978, S. 133 (135 f.), für den Fall, dass die Sache eines Dritten an einen Bösgläubigen veräußert wird. - Im Gegensatz zur Frage der Vereinbarkeit des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs mit Art. 14 Abs. 3 GG stellt sich diese Frage nicht nur, wenn man den zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzug als Enteignung qualifiziert. Denn Art. 19 Abs. 4 GG begnügt sich mit (irgendeinem) Akt der öffentlichen Gewalt und setzt nicht zwingend eine Enteignung voraus. 219 A.A. soweit ersichtlich nur Nikolaou, Schutz, S. 111 ff., der für den Fall, dass Eigentum eines Dritten versteigert wurde, diesem eine Anfechtungsmöglichkeit gemäß §§ 23 ff. EGGVG eröffnen will. 220 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier I 2 , Art. 19 IV Rn. 75; Ramsauer, in: AK-GG 3 , Art. 19 Abs. 4 Rn. 72; Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rn. 283; P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck I 5 , Art. 19 Rn. 417. 221 So aber wohl Jauernig, ZVR 1 7 , S. 78: kein „Anfechtungsgrund" (seit der 18. Auflage nimmt er zu diesem Problem nicht mehr Stellung). 222 Das bedeutet natürlich auch, dass sich die Art.-19-Abs.-4-Frage nicht nur in den Fällen „materiell unberechtigter Vollstreckung" (Situation des § 767 oder § 771 ZPO) stellt, sondern auch, wenn gegen wegen einer noch immer bestehenden Forderung in eine Sache des Vollstreckungsschuldners vollstreckt wird. 223 So auch Schenke, in: BK, Art. 19IV Rn. 41; Nikolaou, Schutz, S. 62; Schmidt-Aßmann, in: Schoch, VwGO, Einl. Rn. 16; Baur/Stürner, ZVR, S. 99; a. A. G. Huber, Versteigerung, S. 102. Entscheidungen des Rechtspflegers als öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG ansehend BVerfGE 49. 252 (256); 101, 397 (407); Böhmer, SV, BVerfGE 49, 228 (241); Papier, in: HdbStR VI, § 154 Rn. 37; Schulze-Fielitz, in: Dreier I 2 , Art. 19 IV Rn. 53;

. Die Eröffnung des Rechtswegs (Art. 19 Abs. 4 GG)

69

Begriff bei Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vom Bundesverfassungsgericht 224 und der wohl noch herrschenden Meinung 225 dahin gehend einschränkend ausgelegt, dass Rechtsprechungsakte nicht darunter fallen. Man könnte daher überlegen, diese Ausnahme auf die hier in Frage stehenden Vollstreckungsakte zu übertragen. Jedoch greifen die diese Auslegung tragenden Gründe - Verhinderung eines endlosen Instanzenzuges226; sachliche und persönliche Unabhängigkeit des Richters 227 hier nicht. Denn unabhängig davon, ob man die Tätigkeit des Gerichtsvollziehers als „Verwaltung" oder als „Rechtspflege" ansieht, 228 genießt er keine sachliche und persönliche Unabhängigkeit. Die gerichtliche Überprüfung der Ablieferung wäre folglich die erste Überprüfung durch eine sachlich und persönlich unabhängige Instanz. Der Garantie eines endlosen Instanzenzuges würde man damit erst das Wort reden, wenn man Art. 19 Abs. 4 GG auch auf die Überprüfungsentscheidung anwendete. Man kann auch nicht sagen, dass die zum Eigentumsverlust führenden Maßnahmen des Gerichtsvollziehers dergestalt durch das zu vollstreckende Urteil präjudiziell sind, dass eine gerichtliche Überprüfung dieser Maßnahmen in Wirklichkeit noch einmal eine Überprüfung der Richtigkeit des - von sachlich und persönlich unabhängigen Richtern gefällten - Urteils wäre. Zum einen beruht nicht jeder Vollstreckungstitel auf einer richterlichen Entscheidung (vgl. ζ. B. § 794 Abs. 1 Nr. 4 und 5 ZPO). Zum anderen sagt der Titel nichts darüber aus, welches konkrete Eigentumsstück auf welche Weise verwertet wird. Dies entscheidet erst der Gerichtsvollzieher, der dabei selbständig das Gesetz anwendet. An der Einordnung der Maßnahmen des Gerichtsvollziehers als öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG würde sich übrigens auch dann nichts ändern, 229 wenn man die Zwangsvollstreckung in der Weise „privatrechtlich" konstruiert, dass die zum Eigentumsverlust führenden Maßnahmen des GerichtsSchmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 103; Schenke, in: BK, Art. 19IV Rn. 41; Ramsauer, in: AK-GG 3 , Art. 19 Abs. 4 Rn. 55; P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 19 Rn. 436.

224 Vgl. BVerfGE

11, 263 (265); 49, 329 (340); 76, 93 (98); 107, 395 (404 ff.).

225 Vgl. P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 19 Rn. 434; Papier, in: HdbStR VI, § 154 Rn. 37; Hartmut Krüger/Sachs, in: Sachs3, Art. 19 Rn. 120 f.; SchulzeFielitz, in: Dreier I 2 , Art. 19 IV Rn. 49; Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rn. 275; SchmidtAßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rn. 96 ff. jeweils m. w. N. - Außerdem fallen nach h.M. auch Akte der parlamentarischen Gesetzgebung nicht darunter, vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier I 2 , Art. 19IV Rn. 50 m. w. N. 226 Vgl. Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rn. 275; Schulze-Fielitz, in: Dreier I 2 , Art. 19 IV Rn. 49; P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 19 Rn. 435. 227 Vgl. P. M Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 19 Rn. 435. 228 Vgl. zu dieser Frage Gaul, Rpfleger 1971, 41 (41, 49 f.). Nach Ansicht des BVerfG ist Art. 19 Abs. 4 GG keineswegs auf die Exekutive im organisatorischen Sinne begrenzt, sondern umfasst ζ. B. auch Akte des Rechtspflegers (vgl. BVerfGE 107, 395 [405 f.]). 229 So aber Marotzke, NJW 1978, S. 133 (136). Wie hier Münzberg, in: Stein/Jonas22, § 814 Rn. 2 Fn. 14.

70

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

Vollziehers sich als Abgabe einer Willenserklärung und Übergabe einer Sache im Sinne der §§ 929 Satz 1, 1242 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellen. Die Rechtsform, welcher sich der Staat bedient, ist für Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nämlich unerheblieh230 Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist also anwendbar.

2. Eröffnung des Rechtswegs Eine Form des repressiven Rechtsschutzes gegen die mit der Ablieferung erfolgte Eigentumsübertragung stellt das Zwangvollstreckungsrecht dem Eigentümer nicht zur Verfügung. Insoweit wird ihm also kein Rechtsweg eröffnet. Jedoch kann der Eigentümer - je nach Konstellation - mit Hilfe der Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO), der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO), des Vollstreckungsschutzantrags (§ 765 a ZPO) oder der Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) den Eigentumsverlust, wenn dieser seine Rechte verletzen würde, vorbeugend verhindern. 231 Es stellt sich daher die Frage, ob diese Verweisung des Eigentümers auf einen ausschließlich präventiven Rechtsschutz mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar ist.

a) Grundsätzliche Unbedenklichkeit der Verweisung auf präventiven Rechtsschutz Grundsätzlich bestehen gegen eine solche Eröffnung des Rechtswegs keine Bedenken. Denn Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist ein ausgestaltungsbedürftiges Grundrecht. Ein „Rechtsweg" ist nämlich (ähnlich wie das Eigentum) kein von der Rechtsordnung vorgefundenes Gut, sondern setzt vom Staat zu erbringende normative und sachliche Vorkehrungen voraus. 232 Diese Ausgestaltungsbedürftigkeit impliziert einen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.233 Die repressive Anfechtung, wie sie ζ. B. die VwGO vorsieht, erscheint damit nur als eine von mehreren Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu gewähren. 234 Hinzu kommt, dass gerade die Ersetzung repressiven Rechtsschutzes durch vorbeugenden Rechtsschutz besonders sachlich legitimiert sein kann. Denn sie vermeidet Schwierigkeiten der Folgenbeseitigung,235 dient der Rechtssicherheit und trägt Belangen Dritter, die 230 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rn. 66 ff.; Schulze-Fielitz, Dreier I , Art. 19IVRn. 55. 231

in:

Vgl. §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO. 232 Vgl. BVerfGE 60, 253 (268); Schulze-Fielitz, in: Dreier I 2 , Art. 19 IV Rn. 79; Ramsauer, in: AK-GG 3 , Art. 19 Abs. 4 Rn. 77. 233 Vgl. BVerfGE 60, 253 (268); Ramsauer, in: AK-GG 3 , Art. 19 Abs. 4 Rn. 77. 234 Vgl. Ramsauer, in: AK-GG 3 , Art. 19 Abs. 4 Rn. 96. 235 Vgl. dazu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19IV Rn. 285.

II. Die Eröffnung des Rechtswegs (Art. 19 Abs. 4 GG)

71

einem optimalen Rechtsschutz des Betroffenen entgegenstehen, unter Umständen besser Rechnung. Diese Aspekte hat der Gesetzgeber bei der Wahrnehmung seiner Gestaltungsaufgabe mit zu berücksichtigen und gegen die Rechtschutzinteressen des Betroffenen abzuwägen. Sie bestimmen mit, was „effektiver Rechtsschutz" im Ergebnis heißt. 236 Modelle präventiven Rechtsschutzes werden denn auch durchaus praktiziert, ohne dass man hierin einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG sieht. So geht im klassischen Enteignungsrecht dem eigentlich eigentumsentziehenden Enteignungsbeschluss eine Planungsentscheidung - in der Regel ein Planfeststellungsbeschluss - voraus, die als solche die Eigentumsverhältnisse zwar unberührt lässt, aber die zu entziehende Rechtsposition bereits fixiert und die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Enteignung mit Bindungswirkung für das spätere Verfahren feststellt (sog. enteignungsrechtliche Vorwirkung). 237 Diese Streckung des Verfahrens hat zur Folge, dass der Eigentümer die als solche nicht eigentumsentziehende Planungsentscheidung mit Einwänden, welche die Zulässigkeit der Enteignung betreffen, gerichtlich angreifen kann und - wenn er nicht mit ihnen präkludiert sein will auch muss. 238 Er kann mit anderen Worten sich insoweit gegen den eigentumsentziehenden Akt nur präventiv, nämlich durch Angreifen der vorwirkenden planerischen Entscheidung, zur Wehr setzen. Mag es im Detail auch viele Unterschiede geben, so ist der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug doch, was die Verfahrensstreckung und das Vorverlagern des Rechtsschutzes angeht, im Grunde ähnlich strukturiert: Die Pfändung, die als solche die Eigentumsverhältnisse unberührt lässt, fixiert - ähnlich wie der Planfeststellungsbeschluss - die zu entziehende Eigentumsposition. Sie kündigt den Entzug dieser Position an und stellt das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen für das nachfolgende Verfahren verbindlich fest. 239 Sie setzt da236 Vgl. BVerfGE 60, 253 (267 f.); Schulze-Fielitz, in: Dreier I 2 , Art. 19 IV Rn. 81.; Schmidt-Aßmann, in: Schoch, VwGO, Einl. Rn. 152 ff. Mit solchen Erwägungen wird denn auch die sog. materielle Präklusion nach § 73 Abs. 4 Satz 3 VwGO, die bewirkt, dass der Betroffene mit bestimmten Einwendungen, die er im Verwaltungsverfahren nicht geltend gemacht hat, im gerichtlichen Verfahren präkludiert ist, gerechtfertigt, vgl. P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 19 Rn. 493; Schulze-Fielitz, in: Dreier I 2 , Art. 19 IV Rn. 99; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 19 IV Rn. 260; Ramsauer, in: AK-GG 3 , Art. 19 Abs. 4 Rn. 139 f. 237 Vgl. zur enteignungsrechtlichen Vorwirkung BVerfGE 45, 297 (319 f.); 56, 249 (263 ff.); 74, 264 (281 f.); 95, 1 (22); Ronellenfltsch, in: Marschall/Schroeter/Kastner, FStrG 5 , § 17 Rn. 188; Dürr, in: Knack, VwVfG 8 , § 75 Rn. 18; ders., in: Kodal/Krämer 6 , Kap. 34 Rn. 22.4.; Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 6 , § 75 Rn. 32 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG 9 , § 75 Rn. 12 f.; Ramsauer/Bieback, NVwZ 2002, S. 277 (282); Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 398, 583, 687 f. 238 Vgl. BVerfGE 74, 264 (282); Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 6 , § 75 Rn. 32; Dürr, in: Knack, VwVfG 8 , § 75 Rn. 18; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 687 f. 239 Die Pfändung ist zwar insoweit nicht verbindlich, als das Vollstreckungsverfahren immer noch gestoppt werden kann, aber das ist im Prinzip beim Planfeststellungsbeschluss auch

72

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

mit einen Prozess in Gang, der „automatisch" in den Entzug der Rechtsposition mündet. 240 Der Eigentümer hat nun einen Angriffspunkt - er weiß, für welche Position es ernst wird - und die Möglichkeit, bis zur eigentumsübertragenden Ablieferung das Verfahren zu stoppen. Macht er davon keinen Gebrauch, so ist eine nachträgliche Anfechtung des eigentlich eigentumsübertragenden Aktes, der Ablieferung, nicht mehr möglich. Der Rechtsschutz wurde - wie bei der Planfeststellung - nach vorn verlagert, um ein In-Frage-Stellen des - immerhin rechtsgestaltenden - Übertragungsaktes zu vermeiden. Die Frage ist freilich, ob diese als solche unbedenkliche Art der Rechtswegeröffnung beim zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzug konkret so ausgestaltet ist, dass dem Eigentümer im Ergebnis ein effektiver Rechtsschutz gewährt wird. b) Die Verweisung des Vollstreckungsschuldners auf präventiven Rechtsschutz Soweit Eigentum des Vollstreckungsschuldners betroffen ist, kann man diese Frage bejahen. In den meisten Fällen kann der Vollstreckungsschuldner problemlos von den Möglichkeiten des ihm zur Verfügung stehenden präventiven Rechtsschutzes (Vollstreckungsgegenklage, § 767 ZPO; Vollstreckungserinnerung, § 766 ZPO; Vollstreckungsschutzantrag, § 765 a ZPO) Gebrauch machen. Aufgrund der Zustellung des Titels (vgl. § 750 Abs. 1 Satz 1 ZPO) erlangt er von der Vollstreckung Kenntnis, und er hat zwischen Pfändung und Versteigerung mindestens eine Woche Zeit (vgl. § 816 Abs. 1 ZPO), aktiv zu werden. Sollte die Sache ohne vorherige Pfändung versteigert werden, ist die Eigentumsübertragung unwirksam. Denn mangels Pfändung fehlt es an einer wirksamen Verstrickung der Sache (der nach der herrschenden Meinung entscheidenden Voraussetzung für eine wirksame Eigentumsübertragung) bzw. einem Pfändungspfandrecht (der nach der privatrechtlichen Theorie entscheidenden Voraussetzung). 241 In dieser Konstellation, in der mangels Pfändung kein tauglicher Angriffspunkt für einen effektiven vorgelagerten Rechtsschutz vorhanden wäre, wird ihm ein solcher also auch nicht zugemutet. Der Vollstreckungsschuldner bleibt Eigentümer und kann die Sache mittels einer auf § 985 BGB gestützten Leistungsmöglich, indem erfolgreich Anfechtungsklage gegen diesen erhoben wird. Entscheidend ist in beiden Fällen - bei der Pfändung und beim Planfeststellungsbeschluss - , dass das Ergebnis des Pfändungs- bzw. Planfeststellungsverfahren im nachfolgenden Verwertungs- bzw. Enteignungsverfahren zugrunde gelegt wird. 240 Treffend spricht BGHZ 119, 75 (84) auch von der „Heranziehung" des Eigentums zur Versteigerung. Auch in der Rspr. des BVerfG taucht die Vorwirkungsargumentation außerhalb des Planfeststellungsrechts auf, ζ. B. bei der Baulandumlegung, vgl. BVerfGE 104,1 (9). 241 Vgl. oben S. 23 Fn. 6.

. Die Eröffnung des Rechtswegs (Art. 19 Abs. 4 GG)

73

klage vom Erwerber heraus verlangen. 242 Hat er ein besonderes Rechtsschutzinteresse an der Feststellung, dass die Versteigerung rechtswidrig war, kann er dies gemäß § 766 Abs. 1 Satz 1 ZPO feststellen lassen. Da es sich um die Verletzung eines seiner Grundrechte, Art. 14 Abs. 1 GG, handelt, wird ein solches „Fortsetzungsfeststellungsinteresse" regelmäßig zu bejahen sein. 243 Problematisch ist allerdings, dass die Nichtbeachtung der Wochenfrist des § 816 Abs. 1 ZPO nach herrschender Ansicht nicht zu den Verfahrensverstößen zählt, die zur Unwirksamkeit der Eigentumsübertragung führen. 244 Denn das bedeutet, dass - ohne dass dies wie im Falle des § 816 Abs. 1 Halbsatz 2 Var. 2 ZPO durch überwiegende gegenläufige Interessen gerechtfertigt ist - das an sich gestreckte zum Eigentumsverlust führende Verfahren so eng zusammengezogen werden kann, dass der Eigentümer keine wirkliche Chance hat, den Verlust seines Eigentums mit Hilfe des präventiven Rechtsschutzes zu verhindern. Dem kann jedoch durch eine verfassungskonforme Auslegung dahin gehend Rechnung getragen werden, dass auch § 816 Abs. 1 ZPO zu dem Kreis der Verfahrensvorschriften zu zählen ist, deren Nichtbeachtung zur Unwirksamkeit der Eigentumsübertragung führt. c) Die Verweisung des Dritteigentümers auf präventiven Rechtsschutz Problematisch ist die Effektivität des Rechtsschutzes bei der Veräußerung von Sachen, die im Eigentum eines Dritten stehen. Denn seine Chancen, von der drohenden Versteigerung seines Eigentums zu erfahren, sind im Vergleich zu denen des Vollstreckungsschuldners gering. Da ihm als nicht am Verfahren Beteiligten nichts zugestellt wird (und auch nicht könnte, weil er sowohl dem Vollstreckungsgläubiger als auch dem Vollstreckungsorgan in der Regel unbekannt ist), kann er eigentlich nur über die öffentliche Bekanntmachung der Versteigerung nach § 816 Abs. 3 ZPO, in der allerdings die Sachen nur allgemein bezeichnet werden, von dieser Kenntnis erlangen oder darauf hoffen, dass der Vollstreckungsschuldner ihn über die Pfändung informiert bzw. er zufällig die Pfandsiegel (vgl. § 808 Abs. 2 242 Vor diesem Hintergrund ist es bedenklich, dass nach einer Mindermeinung (vgl. oben S. 23 Fn. 6 a.E.) auch das Erfordernis einer wirksamen Pfändung durch Gutgläubigkeit analog § 1244 BGB überspielt werden kann (vgl. dazu schon oben S. 39 Fn. 71). 243 A.A. wohl die h.M., die - weil die rechtswidrige Vollstreckung bereits beendet und an der entstandenen Situation nichts mehr zu ändern sei - ein Rechtsschutzbedürfnis verneint (vgl. K. Schmidt, in: MünchKomm-ZPO2, § 766 Rn. 45; Salzmann, in: Wieczorek/Schütze 3, § 766 Rn. 35; MusielakILackmann, ZPO 4 , § 766 Rn. 17; ZöllertStöber, ZPO 25 , § 766 Rn. 13; unklar Münzberg, in: Stein/Jonas22, § 766 Rn. 40 i.V.m. § 758a Rn. 30), dabei aber wohl die Rspr. des BVerfG übersieht, wonach bei Grundrechtsverletzungen gerade wegen Art. 19 Abs. 4 GG ein (feststellender) Rechtsschutz auch gegen erledigte Maßnahmen gewährt werden muss (vgl. BVerfGE 96, 27 [39 ff.]; Schenke, in: BK, Art. 19 IV Rn. 139 ff.). Auch der Wortlaut des § 766 ZPO steht einer solchen Feststellungs-Erinnerung nicht entgegen. 244 Vgl. nur Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 413; vgl. auch schon oben S. 39 Fn. 71.

74

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

Satz 2 ZPO) an seinen Sachen sieht. Es stellt sich daher die Frage, ob der Gesetzgeber mit der Verweisung auch des Dritteigentümers auf den präventiven Rechtsschutz 245 seinen ihm bei der Ausgestaltung eines effektiven Rechtswegs im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten hat oder ob gegenläufige schutzwürdigere Interessen als die des Eigentümers an einem optimalen Rechtsschutz dies rechtfertigen. 246 Als eine solche gegenläufige Position kommen hier (wie auch schon oben im Rahmen der Verhältnismäßigkeit) 247 nur das Interesse an generell höheren Versteigerungseriösen und die dahinter stehenden Interessen an einer effektiven Zwangsvollstreckung - Effektivität des durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Forderungseigentums, Festigung des staatlichen Gewaltmonopols etc. - in Betracht. Um beurteilen zu können, ob dies ausreicht, ist es hilfreich, andere Konstellationen, in denen eine Verweisung auf präventiven Rechtsschutz für zulässig erachtet wird, näher zu betrachten und mit der in der Mobiliarvollstreckung zu vergleichen. Hierzu gehört zunächst der Verlust von Dritteigentum in der Immobiliarvollstreckung. Auch hier verliert der Dritte mit dem Zuschlag sein Eigentum an dem Grundstück, ohne dass er diesen unter Berufung auf sein Eigentum anfechten kann (vgl. § 100 ZVG). Zwar wird das Grundstück bei der öffentlichen Bekanntmachung der Versteigerung (vgl. § 39 ZVG) genau bezeichnet (vgl. § 37 Nr. 1 ZVG), und Dritte werden zur Geltendmachung ihrer Rechte aufgefordert (vgl. § 37 Nr. 5 ZVG). Doch dadurch werden die Chancen des Dritteigentümers, mit Hilfe des ihm zur Verfügung stehenden präventiven Rechtsschutzes den Eigentumsverlust zu verhindern, im Vergleich zum Eigentümer einer beweglichen Sache nicht wesentlich erhöht. Der nicht im Grundbuch eingetragene Dritteigentümer - bei ihm stellt sich das Problem vor allem 2 4 8 - wird in der Regel nämlich deshalb nicht eingetragen sein, weil er von seiner Eigentümerstellung nichts weiß. Sonst hätte er vermutlich schon längst für eine Grundbuchberichtigung gesorgt. Weiß er aber nicht, dass er Eigentümer des Grundstücks ist, so nützt ihm die konkrete Bezeichnung desselben in der öffentlichen Bekanntmachung ebenso wenig und ebenso viel 245 Ganz vollständig fehlt ein repressiver Rechtsschutz allerdings nicht. Denn in Fällen, in denen der Erwerber sittenwidrig handelt, gesteht die h.M. dem Eigentümer einen gerichtlich einklagbaren Anspruch aus §§ 826, 249 Satz 1 BGB auf Rückübereignung zu (vgl. oben S. 39 f.). Hierin kann ein Rest von repressiven Rechtsschutz erblickt werden. 246 Dies wird i. Erg. verneint von Nikolaou, Schutz, S. 11 ff. und Marotzke, NJW 1978, S. 133 (135 f.). Bejahend hingegen Obudzinski, Bedeutung, S. 96 f.; Schilken, in: Rosenberg/ Gaul/Schilken 11 , S. 821; G. Lüke, Dike International 3 (1996), S. 161 (165), die auch die nachträglichen Ausgleichsansprüche aus § 812 BGB mit einbeziehen. Das ist problematisch, denn eine Klage auf Zahlung (Herausgabe des Erlöses) scheint mir kein Rechtsschutz gegen den Verlust des Eigentums an der gepfändeten und versteigerten Sache zu sein. 247 Vgl. oben S. 38. 248 ist der Dritteigentümer im Grundbuch eingetragen, wird die Versteigerung ohnehin nicht angeordnet (vgl. § 17 Abs. 1 ZVG). Wird sie trotzdem durchgeführt, so ist das einer der Gründe, die den Eigentümer berechtigen, den Zuschlag gemäß §§ 100 Abs. 1, 83 Nr. 5 bzw. 6,17 Abs. 1 ZVG anzufechten (vgl. Stöber, ZVG 1 7 , § 17 Rn. 3.4.).

. Die Eröffnung des Rechtswegs (Art. 19 Abs. 4 GG)

75

wie dem Eigentümer der beweglichen Sache die allgemeine Bezeichnung der zu versteigernden Sachen.249 Trotzdem geht man davon aus, dass es mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist, ihn auf den präventiven Rechtsschutz zu verweisen. 250 Eine der Immobiliarvollstreckung vergleichbare Konstellation ist die des gegen den Bucheigentümer durchgeführten Enteignungsverfahrens. 251 Man erachtet hier die Enteignung auch gegenüber dem wirklichen Eigentümer als wirksam, mit der Folge, dass der Enteignungsverwaltungsakt, einem Monat, nachdem er dem Bucheigentümer bekannt gegeben worden ist, auch dem wirklichen Eigentümer gegenüber bestandskräftig und damit unanfechtbar wird (vgl. §§70 Abs. 1 Satz 1, 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies obwohl eine Bekanntgabe gegenüber dem wahren Eigentümer nie stattgefunden hat und - wenn der Enteignung ein Planfeststellungsbeschluss zugrunde lag - allenfalls eine öffentliche Bekanntmachung desselben (vgl. § 74 Abs. 4 Satz 2 VwVfG). Zu erwähnen ist schließlich die Rechtsfigur der Rechtsnachfolge in Verwaltungsakte, die sich auch auf bestandskräftige Verwaltungsakte bezieht 252 . Hier hatte der Rechtsnachfolger nie eine Chance, sich gegen den Verwaltungsakt zur Wehr zu setzen: Solange er noch nicht Rechtsnachfolger war, fehlte ihm die Widerspruchs- bzw. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO); im Augenblick der Rechtsnachfolge ist der Verwaltungsakt meistens schon bestandskräftig. Gleichwohl wird an der Vereinbarkeit dieser Rechtsfigur mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht gezweifelt. Das Fazit, das man hieraus ziehen kann, ist, dass sich die Einbußen, welche der Dritteigentümer in der Mobiliarvollstreckung durch die Verweisung auf den präventiven Rechtsschutz nach § 771 ZPO im Hinblick auf die Effektivität seines Rechtsschutzes hinnehmen muss, durchaus im Rahmen dessen halten, was anderen potentiell in ihren Rechten Verletzten an Einbußen zugemutet wird. Grundsätzlich liegt daher im präventiven Charakter des Rechtsschutzes des Dritteigentümers kein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Bedenklich ist allenfalls, dass Verstöße gegen § 816 Abs. 1 und 3 ZPO sowie gegen die Pflicht des Gerichtsvollziehers, die Pfändung zu unterlassen, wenn das Eigentum des Dritten offensichtlich ist, 2 5 3 nicht zu den Verfahrensfehlern gehören sollen, welche die Eigentumsübertragung 249 So auch Münzberg, in: Stein/Jonas22, § 814 Rn. 2 Fn. 14; a.A. Marotzke, NJW 1978, S. 133 (135 f.), der den durch die konkrete Bezeichnung hervorgerufenen Informationsvorsprung für ausschlaggebend hält und deshalb bei der Immobiliarvollstreckung die Vereinbarkeit mit Art. 19 Abs. 4 GG bejaht, bei der Mobiliarvollstreckung, zumindest soweit auch Bösgläubige Eigentum erwerben können, aber verneint. 250 Vgl. Marotzke, NJW 1978, S. 133 (135 f.). 251 Vgl. dazu oben S. 39. 252 Vgl. § 58 Abs. 2 Var. 2 LBO BW; Kopp/Schenke, VwGO 1 4 , § 74 Rn. 6; Stelkens/Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 6 , § 41 Rn. 50; Redeker/ v. Oertzen, VwGO 1 4 , § 42 Rn. 92; Rennert, in: Eyermann/Fröhler, VwGO 1 1 , § 74 Rn. 10. 253 Vgl. BGH LM Nr. 2 zu § 808 Rn. 29; W. Lüke, in: Wieczorek/Schütze 3, § 808 Rn. 29; Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 59, 793; ders., in: MünchKomm-ZPO2, § 808 Rn. 11; Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 363.

76

Β. Die Verfassungsmäßigkeit des Eigentumsentzugs

unwirksam machen, 254 und dass gemäß § 816 Abs. 1 Halbsatz 2 Var. 1 ZPO Schuldner und Gläubiger (gegebenenfalls unbewusst) ohne weiteres zu Lasten des Dritteigentümers die Frist zwischen Pfändung, die durch das Anliegen der Pfandsiegel immerhin eine mögliche Informationsquelle für diesen schafft, 255 und Versteigerung abkürzen können. Doch diesen Bedenken lässt sich weitgehend durch verfassungskonforme Auslegung der entsprechenden Vorschriften Rechnung tragen.

3. Ergebnis Auch Art. 19 Abs. 4 GG zwingt also nicht dazu, eine Einordnung des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs als Enteignung um jeden Preis zu vermeiden.

ΙΠ. Zusammenfassung Die Einordnung der eigentumsübertragenden Maßnahmen des Gerichtsvollziehers als Enteignung würde also keineswegs zu unlösbaren, weil einer effektiven Zwangsvollstreckung entgegenstehenden, Rechtfertigungsproblemen führen. Der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug ließe sich sogar als Enteignung durchaus verfassungsrechtlich rechtfertigen. Das heißt nicht, dass es überhaupt keine Probleme auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung gibt. 2 5 6 Doch es sind lösbare und deshalb keine, die den Schluss rechtfertigten, eine Einordnung als Enteignung komme schon deshalb „von vornherein" nicht in Frage, weil dies zu „untragbaren Ergebnissen", nämlich der Ineffektivität der Zwangsvollstreckung, führe.

254 Vgl. für § 816 Abs. 1 und 3 ZPO Brox/Walker, ZVR 6 , Rn. 413. Vgl. für Pfändung trotz Offensichtlichkeit des Dritteigentums (nur Anfechtbarkeit nach § 766 ZPO) BGHZ 80, 296 (298); Schilken, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 793; Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 363. 255 Zu Recht wird deshalb das Nichtanlegen der Pfandsiegel (vgl. § 808 Abs. 2 Satz 2 ZPO) als Fehler behandelt, der zur Nichtigkeit der Pfändung und damit zur Unwirksamkeit der Eigentumsübertragung führt, vgl. Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 364. 256 Vgl. oben S. 40 f., S. 64 f. und S. 75 f.

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts und die Zwangsvollstreckung Dass die Verneinung des Enteignungscharakters des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs nicht geboten ist, um untragbare Auswirkungen auf die Effektivität der Zwangsvollstreckung zu vermeiden, bedeutet nun aber keinesfalls im Umkehrschluss, dass es sich tatsächlich auch um eine Enteignung handelt. Das ist vielmehr nur dann der Fall, wenn die Anforderungen der Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts erfüllt sind, wenn es sich also tatsächlich um einen Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen, gerichtet auf den vollständigen oder teilweisen Entzug einer konkreten durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben 257 handelt.

I. Verlust einer „konkreten durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition" Nimmt man die Definition des Bundesverfassungsgerichts beim Wort, so könnte man zunächst Zweifel haben, ob denn eine Rechtsposition wirklich verloren gehen muss. Denn laut dieser Definition ist die Enteignung „darauf gerichtet"; keine Rede ist hingegen davon, dass dieses Ziel tatsächlich erreicht werden muss. 258 Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach hervorgehoben, dass die Enteignung tatsächlich „den Entzug konkreter Rechtspositionen voraus [setzt]", dass „entscheidendes Merkmal [der Enteignung] ... der Entzug des Eigentums und der dadurch bewirkte Rechts- und Vermögensverlust" i s t 2 5 9 und dass ,,[d]ie Prüfung, ob ein Vorgang als Enteignung zu qualifizieren ist, ... zunächst die Feststellung [fordert], ob dem Betroffenen im Zeitpunkt des Zugriffs eine enteignungsfähige Rechtsposition zusteht." 260 Der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug 257 Vgl. oben S. 22 f. 258 Vgl. BVerfGE 70, 191 (199 f.); 72, 66 (76); 100, 226 (239 f.); 101, 239 (259), 102, 1 (15 f.). 259 Vgl. BVerfGE 83, 201 (211); vgl. ferner BVerfGE 24, 267 (394); 42, 263 (299): „ . . . entzogen wird". Ferner hat es die Enteignung als Eingriff in das Grundrecht (vgl. BVerfGE 25, 112 [121]; 38, 175 [184]; 58, 300 [323]) bzw. eine „Überwindung grundrechtlicher Schranken" bezeichnet (so zuerst Böhmer in einem Sondervotum in BVerfGE 56, 266 [271, 275 f.], welches sich das BVerfG in BVerfGE 100, 226 [240] insoweit zu Eigen macht). 260 Vgl. BVerfGE 25,112 (121); 58, 300 (332). So i. Erg. auch die h.M. (vgl. Rozek, Unterscheidung, S. 142; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 77; Maurer, VwR , § 27 Rn. 27;

78

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

kann also nur dann eine Enteignung sein, wenn dem Betroffenen (Vollstreckungsschuldner oder Dritten) im Zeitpunkt des Vollstreckungszugriffs überhaupt eine durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtsposition zusteht. 261

1. Der Zusammenhang zwischen Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG und dem Vorliegen einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition Die Bejahung dieser Voraussetzung scheint zunächst keine größeren Schwierigkeiten zu bereiten. Denn „Eigentum" im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist jedes vermögensweite Recht, das seinem Inhaber zum privaten Nutzen zugeordnet ist. 2 6 2 Dazu gehört das bürgerlich-rechtliche Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen.263 Im Zeitpunkt der Ablieferung nach § 817 Abs. 2 ZPO, dem Zeitpunkt, in dem das Eigentum an der versteigerten Sache auf den Erwerber übergeht, 264 ist der Betroffene, also der Vollstreckungsschuldner oder ein Dritter, Sacheigentümer. Folglich - so der scheinbar zwingende Schluss - steht ihm im Zeitpunkt des Vollstreckungszugriffs eine konkrete durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtsposition zu. Das muss jedoch gleich wieder in Frage gestellt werden, sobald man sich folgende Aussage des Bundesverfassungsgerichts über das Zusammenspiel von einfachem Gesetzesrecht und dem Eigentumsgrundrecht in seiner Funktion als Abwehrrecht des Einzelnen gegen den Staat vor Augen hält: „Aus der Gesamtheit der verfassungsmäßigen Gesetze, die den Inhalt des Eigentums bestimmen, ergeben Ossenbühl, Staatshaftungsrecht 5, S. 178; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 539, 550 f., 553 f.; Böhmer, AgrarR 1984, Beilage I, S. 2 [14]; Lutz, Eigentumsschutz, S. 134, 156; Grochtmann, Art. 14, S. 275 f.; Kraft, BayVBl. 1994, S. 97 [97]; siehe auch schon Lerche, Übermaß, S. 106, 107,111,142, 249; ferner: Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 188; SchulzeOsterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 260 f. und Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 76, die von einer „Durchbrechung der Rechtsstellungsgewährleistung" bzw. der „Bestandsgarantie" sprechen).

261 Vgl. BVerfGE 58, 300 (332). 262 BVerfGE 70, 191 (199); 78, 58 (71); 79, 174 (191); 83, 201 (209); 89, 1 (6); 91, 207 (220); 91, 294 (307); 101, 239 (258); NJW 2005, S. 879 (880). Besonderheiten gelten bei Vermögenswerten Rechten des öffentlichen Rechts, also in der Sache Leistungsansprüchen gegen den Staat. Hier fordert das BVerfG in st. Rspr. im Hinblick auf sozialversicherungsrechtliche Leistungsansprüche, dass sie, um „Eigentum" zu sein, auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruhen und der Sicherung seiner Existenz dienen müssen (vgl. BVerfGE 69, 271 [300]; 72, 9 [18 f.]; 92, 365 [405]; ferner BVerfG-K, NVwZ 2002, S. 197 [197]; NJW 2002, S. 3460 [3460]). 263 Vgl. BVerfGE 83,201 (208); 89, 1 (6); Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 13 f.; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 4 , Art. 14 Rn. 114; /araw/Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 8; Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 59; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 43; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 39,45. 264 Vgl. oben S. 24 Fn. 7.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

79

sich . . . Gegenstand und Umfang des durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Bestandsschutzes und damit auch, wann ein zur Entschädigung verpflichtender Rechtsentzug [ i m Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG] v o r l i e g t . " 2 6 5 Anders ausgedrückt: „Die konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie ergibt sich erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums", 2 6 6 bzw.: „Der verfassungsrechtliche Schutz einer Eigentumsposition reicht . . . nicht weiter als die mit ihr zulässigerweise verbundenen gesetzlich definierten Befugniss e . " 2 6 7 Treffen diese Aussagen zu, was w i r zunächst einmal mit der herrschenden M e i n u n g 2 6 8 unterstellen w o l l e n , 2 6 9 dann kann die Anwendung einer verfassungsm ä ß i g e n 2 7 0 Inhaltsbestimmung, solange sie sich i m Rahmen der Vorgaben der Inhaltsbestimmung hält, nie zum Entzug einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition und damit zu einer Enteignung führen. Die den Entzug gestattende Inhaltsbestimmung hätte die Eigentumsposition und den Umfang ihres verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes bereits so ausgeformt, dass sie gegenüber 265 BVerfGE 58, 300 (336 [Klammerzusatz F.R.], vgl. auch S. 330). Siehe ferner BVerfGE 20, 351 (355 f.); 24, 367 (396); 37,132 (141). „Bestand" meint dabei das Eigentum „in seiner konkreten Gestalt in der Hand des einzelnen Eigentümers" (vgl. BVerfGE 20, 351 [355]; 24, 367 [389, 400]; 31, 229 [239]; 38, 175 [181, 184 f.]; 42, 263 [294]; 51, 193 [220]; 58, 300 [323]; 74, 264 [281, 283]; 78, 58 [75]; 83, 201 [208]). Dies bestätigt, dass mit „verfassungsrechtlichem Bestandsschutz" bzw. „Bestandsgarantie" (BVerfGE 42, 263 [294]; 51, 193 [220]; 58, 300 [323]; 78, 58 [75]) die - gemeinhin als Hauptfunktion der Grundrechte bezeichnete (vgl. BVerfGE 7, 198 [204 f.]) - Funktion des Grundrechts als Abwehrrecht des Einzelnen gegen den Staat angesprochen wird (deutlich erkennbar in BVerfGE 24, 367 [400]; 31, 229 [239]; 45, 63 [76]; vgl. ferner nur Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 45; Appel, Entstehungsschwäche, S. 23). Von dieser Abwehrfunktion abzugrenzen ist insbesondere die Funktion des Grundrechts als Institutsgarantie, die sich auf den Normenkomplex (das Rechtsinstitut) „Eigentum" bezieht (dazu und zum Verhältnis der Institutsgarantie zu den „objektivrechtlichen Grundrechtsgehalten" mehr unten S. 100 ff.), und die Funktion als Eigentumswertgarantie, die unter bestimmten Umständen (vgl. Art. 14 Abs. 3 GG) an die Stelle der Bestandsgarantie treten kann (vgl. oben S. 52 Fn. 151). 266 BVerfGE 50, 290 (339 f.); 53, 257 (292); 58, 81 (109); 70, 101 (110); 72, 9 (22); 75, 78 (97); 76, 220 (238); 100, 1 (37); 101, 54 (75). 267 BVerfGE 95, 64 (82 f.). 268 Vgl. BVerwGE 106, 228 (234); Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 25, 38; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 4, 11; Schmidt-Aßmann, FS Uni Heidelberg, S. 107 (114); /arass/Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 21; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 44; ders., Eigentum, S. 62, 71; Schoch, Jura 1989, S. 113 (117); Erbguth, JuS 1988, S. 699 (702); Baur/Stürner, Sachenrecht17, § 24 Rn. 11; Lee, Eigentumsgarantie, S. 32; Ramsauer, Beeinträchtigungen, S. 27; Rozek, Unterscheidung, S. 26; Schönfeld, BayVBl. 1996, S. 673 (674); ähnlich bereits Lerche, Übermaß, S. 107. Zu einschränkenden Ansichten unten S. 99 Fn. 352. 269 Unten S. 92 ff. wird sich zeigen, dass diese Aussage erheblich zu relativieren ist. 270 Auch im Falle der Verfassungswidrigkeit der Inhaltsbestimmung wäre, wenn die zitierte Aussage des BVerfG zutrifft, ihre Anwendung nicht automatisch ein Eingriff in eine geschützte Rechtsposition, sondern nur dann, wenn die Verfassungswidrigkeit kein ungeregeltes „Vakuum" hinterlässt. Vielmehr müssten an die Stelle der verfassungswidrigen Inhaltsbestimmung andere (alte oder subsidiär eingreifende) Inhaltsbestimmungen treten, die eine entsprechende geschützte Rechtsposition zum Entstehen bringen (so zu Recht Lutz, Eigentumsschutz, S. 134).

80

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

dem sich im Rahmen der Inhaltsbestimmung haltenden Entzugsakt nicht geschützt wäre. Der Entzugsakt selbst wäre dann kein Eingriff in eine geschützte Rechtsposition, sondern nur eine deklaratorische Verlautbarung bzw. Aktualisierung der der Rechtsposition von vornherein innewohnenden Grenzen und Schwächen.271 Für die Zwangsvollstreckung würde daraus folgen, dass der durch sie bewirkte Verlust des Sacheigentums kein Entzug einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition sein kann, wenn eine Zusammenschau272 aller einschlägigen die Rechtsstellung des Sacheigentümers betreffenden Inhaltsbestimmungen ergibt, dass das Sacheigentum gegenüber dem Vollstreckungszugriff nicht geschützt ist. Ein solches Schutzdefizit könnte dem Sacheigentum aus zwei Gründen anhaften. Zum einen - freilich nur im Hinblick auf das Eigentum des Schuldners - aufgrund der materiellrechtlichen Vorschriften, aus denen sich die in der Vollstreckung durchzusetzende Geldforderung ergibt (z. B. § 433 Abs. 2 BGB). 2 7 3 Zum anderen aufgrund der §§ 808 ff. ZPO, auf die sich der Vollstreckungszugriff unmittelbar stützt. a) Die der Zahlungspflicht zugrunde liegende materiellrechtliche Norm als Inhaltsbestimmung? Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts „versteht das Grundgesetz unter Inhaltsbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG die generelle und abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten durch den Gesetzgeber hinsichtlich solcher Rechtsgüter, die als Eigentum im Sinne der Verfassung zu verstehen sind. Sie ist auf die Normierung objektiv-rechtlicher Vorschriften gerichtet, die den ,Inhalt4 des Eigentumsrechts vom Inkrafttreten des Gesetzes an für die Zukunft in allgemeiner Form bestimmen." 274 271 Vgl. BVerfGE 58, 300 (336 f.); 24, 367 (396); Böhmer, AgrarR 1984, Beilage I, S. 2 (14); ders., NJW 1988, S. 2561 (2572); ders., Der Staat 24 (1985), S. 157 (198 f.); Lutz, Eigentumsschutz, S. 156 f.; Grochtmann, Art. 14, S. 275, 290 ff.; Appel, Entstehungsschwäche, S. 240 ff.; BGHZ 84, 223 (226); 84, 230 (233); wohl auch JarasslPieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 21: „für künftig entstehende Eigentumspositionen wird [durch die Inhaltsbestimmung, F.R.] dagegen der Schutzbereich zurückgenommen, mit der Folge, dass es bereits an einer Eigentumsbeeinträchtigung fehlt." 272 Vgl. zum Erfordernis der „Zusammenschau" BVerfGE 58, 300 (336). 273 Für den Fall, dass eine schuldnerfremde Sache versteigert wird oder die materiellrechtliche Verbindlichkeit in Wirklichkeit gar nicht (mehr) besteht, ist das natürlich ausgeschlossen. Für diese Fälle kommen nur die §§ 808 ff. ZPO in Betracht. 274 BVerfGE 52, 1 (27); 58, 300 (330); 72, 66 (76). Siehe ferner BVerfGE 56, 249 (260); 70, 191 (200); 71, 137 (143); 100, 226 (240); 102, 1 (16); BVerfG-K, NJW 1998, S. 367. So auch BVerwGE 84, 361 (366 f.); 94,1 (43). Aus der Literatur vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 54; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 203; Jarassl Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 36; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 74; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 254.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

81

Die materiellrechtlichen Vorschriften, aus denen sich die zu vollstreckende Forderung ergibt, legen zweifellos generell und abstrakt Rechte und Pflichten fest, nämlich die Zahlungspflicht des Schuldners und das mit dieser Pflicht korrespondierende Recht des Gläubigers auf Zahlung. Doch geschieht dies auch „hinsichtlich solcher Rechtsgüter, die als Eigentum im Sinne der Verfassung zu verstehen sind"? Dies könnte man ohne weiteres bejahen, wenn „Eigentum" im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG auch das Vermögen im Sinne des Saldos der Aktiva und Passiva einer Person 275 ist. Durch das Statuieren einer neuen Geldleistungspflicht werden nämlich die Passiva vermehrt und damit der Inhalt des Vermögens bestimmt. Doch abgesehen davon, dass das Bundesverfassungsgericht einen solchen - direkten Schutz des Vermögens über Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG weitestgehend ablehnt, 276 würde er hier auch nicht weiterhelfen. Denn wir suchen ja eine Erklärung für den Verlust der rechtlichen Inhaberschaft an der einzelnen gepfändeten und verwerteten Sache, dem bürgerlich-rechtlichen Sacheigentum. Hierzu müssten die materiellrechtlichen Vorschriften, aus denen sich die Forderung ergibt, Inhaltsbestimmungen dieses Sacheigentums am konkreten verwerteten Vermögensgegenstand nicht eines getrennt hiervon zu denkenden „Eigentums" am Vermögen als Ganzem - sein. Einige Autoren 277 scheinen dies - teilweise unter Berufung auf die Pflichtexemplarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts 278 - bejahen zu wollen. Die bereits aus der schuldrechtlichen Verpflichtung folgende Vermögenshaftung belaste nicht nur das Vermögen als Ganzes, sondern jedes einzelne Vermögensobjekt des Schuldners von vornherein mit dem Risiko, zum Zwecke der Befriedigung des Gläubigers in Anspruch genommen zu werden. Doch trifft das wirklich zu? Man stelle sich vor, dass eine Rechtsordnung den Zugriff auf das Eigentum des Schuldners als Sanktion für die Nichterfüllung der Zahlungspflicht regelrecht verbietet und statt dessen vorsieht, ihn oder seine Angehörigen einzusperren oder gar körperlich zu misshandeln, um ihn damit zu zwingen, doch noch seine Zahlungs275 Vgl. auch BVerfGE 95, 267 (300): „Inbegriff aller geldwerten Güter einer Person". 276 Vgl. BVerfGE 4, 7 (17); 27, 326 (343); 65,196 (209); 72, 175 (295); 74, 129 (148); 75, 108 (154); 77, 308 (339); 78, 232 (243 f.); 89, 48 (61); 91, 207 (220); 95, 267 (300); BVerfG-K, NJW 2000, 649 (649). Der zweite Senat des BVerfG ist etwas großzügiger, doch auch er geht nicht so weit zu argumentieren, dass das Vermögen als solches „Eigentum" i. S. von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist und somit jede Statuierung einer Geldleistungspflicht eine an Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu messende Inhaltsbestimmung des Eigentums, vgl. BVerfGE 72, 200 (253 f., 258); 87,153 (169); 93,121 (137); 97, 67 (79). 277 Münzberg, in: Stein/Jonas22, vor § 704 Rn. 43 Fn. 232; Nikolaou, Schutz, S. 91; Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 25; Lippross, Grundlagen, S. 129; Pesch, JR 1993, S. 358 (361); Sass, Art. 14, S. 281; wohl auch Obudzinski, Bedeutung, S. 93: Der Vollstreckungszugriff sei keine Enteignung, weil das Vermögen materiellrechtlich für den Anspruch des Gläubigers hafte. 278 BVerfGE 58, 137 ff. Auf diese berufen sich Münzberg, in: Stein/Jonas 22, vor § 704 Rn. 43 Fn. 232; Nikolaou, Schutz, S. 91 Fn. 21. 6 Raue

82

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

pflicht zu erfüllen. Niemand wird für solch eine Konstellation behaupten wollen, dass die Norm, welche die Zahlungspflicht statuiert, das Eigentum des Schuldners an seinen einzelnen Vermögensobjekten mit dem Risiko belastet, für die Zwecke der Befriedigung des Gläubigers in Anspruch genommen zu werden. Wenn hier etwas mit einem Risiko der „Inanspruchnahme" belastet wird, dann seine oder seiner Angehörigen persönliche Freiheit oder körperliche Unversehrtheit. Auch dies geschieht aber nicht durch die materiellrechtliche Norm, aus der sich die Zahlungspflicht ergibt, sondern ausschließlich durch die Sanktionsnorm, die sagt, was im Falle der Nichtzahlung passieren soll. 2 7 9 So belastet auch in unserem Rechtssystem nicht die Zahlungspflicht als solche, sondern erst die Sanktionsnorm, also das Vollstreckungsrecht, das Eigentum des Schuldners mit dem Risiko, zum Zwecke der Befriedigung des Gläubigers in Anspruch genommen zu werden. Es ist insoweit letztlich nicht anders als bei der strafrechtlichen Bewehrung von Verhaltenspflichten. Die Verhaltenspflicht als solche, ζ. B. das in § 211 StGB enthaltene Tötungsverbot, beschränkt nur die Handlungsfreiheit, nicht die Freiheit der Person. Letzteres geschieht erst durch die ebenfalls in § 211 StGB enthaltene Sanktionsnorm, die für den Fall der Nichtbeachtung des Verbots den Entzug der persönlichen Freiheit vorsieht. 280 Das Tötungsverbot ist nur Beweggrund für die Schaffung der die persönliche Freiheit belastenden Sanktionsnorm, genauso wie die materiellrechtliche Norm, aus der sich die Zahlungspflicht des Schuldners ergibt, natürlich Beweggrund für die Regelung der §§ 808 ff. ZPO ist. Aufgrund dieses Motivationszusammenhangs mag es gerechtfertigt sein, zu sagen, dass die Vermögenshaftung bereits aus dem materiellen Recht „folgt" 2 8 1 bzw. in diesem „angelegt" 282 ist. Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Norm, aus der sich die Zahlungspflicht ergibt, als solche hinsichtlich des Eigentums an den Vermögensobjekten des Schuldners keinerlei Rechte und Pflichten festlegt, sondern lediglich hinsichtlich seiner Handlungsfreiheit („Du musst zahlen!") und seines Vermögens als solchem (es verringert sich um den Betrag der Verbindlichkeit). 283 Es handelt sich bei der die Zahlungspflicht statuierenden Norm also nicht um eine Inhaltsbestimmung des Sac/ieigentums des Schuldners. 279 Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Primär- und Sekundärnormen, vgl. nur Schwabe, Drittwirkung, S. 29 m. w. N. 280 Vgl. BVerfGE 90,145 (171 ff.) für das strafbewehrte Verbot des Drogenbesitzes. 281

Münzberg, in: Stein/Jonas22, vor § 704 Rn. 43 Fn. 232. 282 Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 25. 283 Dies scheint auch die Sichtweise des zivilrechtlichen Schrifttums zu sein, dem zu Folge die Vermögenshaftung zwar regelmäßige Folge der Schuld, ihr aber nicht immanent sei. Vgl. Gernhuber, in: HdbSchR Vm, S. 68 f., 70 f.; J. Schmidt, in: Staudinger 13, Einl. zu §§ 241 ff. Rn. 175. Freilich wird diese Frage dort nicht aus dem Blickwinkel der Grundrechte gestellt, so dass die dort gemachten Äußerungen zum Verhältnis von materieller Verbindlichkeit und Vermögenshaftung nicht einfach eins zu eins in unseren Kontext übertragen werden können.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

83

Dieses Ergebnis wird durch eine weitere Überlegung bestätigt. Wäre eine Norm, die eine Geldleistungspflicht statuiert, bereits aus diesem Grunde eine Inhaltsbestimmung des Eigentums an den einzelnen Vermögensstücken des Schuldners, dann müsste sich jede Norm, die eine solche Pflicht statuiert, als Inhaltsbestimmung des Eigentums an Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG messen lassen. Nach herrschender Meinung soll aber gerade das Gegenteil der Fall sein: Normen, die Geldleistungspflichten statuieren, seien nur ausnahmsweise an Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen. Dieser sei nur dann einschlägig, wenn die Geldleistungspflicht sich erdrosselnd, konfiskatorisch, übermäßig belastend284 oder die Institutsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG aushöhlend285 auswirkt oder wenn ihr Tatbestand an das Innehaben oder Nutzen von Eigentumsobjekten anknüpft 286 . Auch jene, die Argumente dafür liefern, dass jede Geldleistungspflicht an Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen ist, behaupten nicht, dass die Norm, aus der sich die Geldleistungspflicht ergibt, Rechte und Pflichten im Hinblick auf die einzelnen Vermögensobjekte des Schuldners festlegt. Vielmehr wird damit argumentiert, dass Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG neben dem Eigentum an den einzelnen Vermögensstücken auch das Vermögen als Ganzes 287 oder die Handlungsfreiheit im vermögensrechtlichen Bereich 288 schütze und dass diese Schutzgüter durch Geldleistungspflichten beeinträchtigt seien. Zum Teil wird auch darauf abgestellt, dass der Schuldner durch die Zahlungspflicht faktisch gezwungen sei, selbst sein Eigentum an einzelnen Vermögensstücken aufzugeben, um die Zahlungspflicht erfüllen zu können. 289 In den ersten beiden Varianten ist also das Sacheigentum überhaupt 284 So BVerfGE 4,7 (17); 14, 221 (241); 23,288 (314 f.); 78, 232 (243 f.); 95, 267 (300 f.); 96, 375 (397); 105, 17 (32). BVerfGE 95, 267 (300 f.); 96, 375 (397) stellen klar, dass dies auch für zivilrechtliche Geldleistungspflichten gilt. 285 So Selmer, Steuerinterventionismus, S. 302, 309; Ramsauer, Beeinträchtigungen, S. 141; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 56; ähnlich Flume, FS Smend, S. 59 (62). Vielleicht ist dies auch der tragende Gedanke, der hinter der Formel von der „erdrosselnden Wirkung" steckt. 286 in diese Richtung Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 169 ff.; Bryde, in: v. Münch/ Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 23; Jarassl Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 16 f.; Selmer, Steuerinterventionismus, S. 336; Ramsauer, Beeinträchtigungen, S. 141 f.; P. Kirchhof, W D S t R L 39 (1981), S. 213 (237 f.); Schuppen, FS Zeidler, S. 691 (698, 700); Schmidt-Bleibtreu/Schäfer, DÖV 1980, S. 489 (493). In der Sache auch BVerfGE 34, 139 (145 f.); 55, 249 (257 f.). Möglicherweise auch BVerfGE 72,200 (253 f.); 97, 67 (79). 287 in diese Richtung Friauf, JurA 1970, S. 298 (308 f.); Kirchhof, W D S t R L 39 (1981), S. 213 (236); ders., in: HdbStR IV, § 88 Rn. 88; Schmidt-Bleibtreu/Schäfer, DÖV 1980, S. 489 (494 f.); Siecbnann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 53, 107; ähnlich BVerfGE 93, 121 (137 f.) im Hinblick auf Vermögensstamm und Vermögensertrag. 288 in diesem Sinne BVerfGE 87, 153 (169); 93, 121 (137); Vogel, FS Maurer, S. 297 (303 ff.); J. Ipsen, FS Badura, S. 201 (211 ff.). BVerfGE 105,17 (32 f.) verortet diesen Aspekt freilich wieder ausschließlich in Art. 2 Abs. 1 GG. 289 In diese Richtung Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 89, 169; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 38; ders., Eigentum, S. 318; Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 258; J. Ipsen, FS Badura, S. 201 (211 f.). 6*

84

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

kein Thema, sondern nur das Vermögen als Ganzes oder die Handlungsfreiheit im vermögensrechtlichen Bereich. In der dritten Variante ist es zwar betroffen, aber nur mittelbar bzw. faktisch (über den Zwang zur Selbstschädigung), nicht unmittelbar rechtlich. 290 Ein Blick auf die Diskussion über das Verhältnis von Geldleistungspflichten und Art. 14 GG bestätigt also, dass eine Geldleistungspflichten statuierende Norm keine Bestimmung des Inhalts des Sac/ieigentums des Schuldners ist. Dieses Ergebnis verträgt sich auch durchaus mit der Pflichtexemplarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dort entschied das Gericht zwar in der Tat, dass eine Norm, die Verleger zur Ablieferung einer bestimmten Anzahl von Exemplaren einer Auflage verpflichtet, eine Inhaltsbestimmung des Eigentums sei. 291 Doch dabei meinte es mit „Eigentum" nicht das Sacheigentum an den einzelnen Exemplaren, die der Verleger in Erfüllung seiner Pflicht abliefert bzw. die ihm im Wege der Vollstreckung dieser Pflicht genommen werden. Vielmehr meinte es das hiervon zu unterscheidende „Eigentum" (im verfassungsrechtlichen Sinne) des Verlegers an der Auflage als Summe aller Exemplare, das sog. „Druckwerk". 292 Das Bundesverfassungsgericht stellte sich hier, bei einer Buchablieferungspflicht, also auf einen Standpunkt, den es im Zusammenhang mit Geldablieferungspflichten weitgehend ablehnt, nämlich dass die Summe mehrerer einzelner Eigentumspositionen als solche selbst wieder eine von diesen zu trennende Eigentumsposition ist. Nur letztere wird durch die Ablieferungspflicht in ihrem Inhalt gestaltet. Wie der Verlust des Sacheigentums an dem Exemplar, das der Verleger in Erfüllung seiner Pflicht abliefert oder das ihm im Wege der Vollstreckung dieser Pflicht genommen wird, eigentumsgrundrechtlich zu erklären ist, darüber verlor das Bundesverfassungsgericht kein Wort. Das legt nahe, dass es das Sacheigentum durch die allein den Streitgegenstand bildende Ablieferungspflicht gar nicht tangiert sah. Dies entspricht dem soeben zum Verhältnis von Geldleistungspflicht und Sacheigentum Gesagten in vollem Umfange. Die materiellrechtlichen Vorschriften, aus denen die zu vollstreckende Forderung resultiert, sind also keine Inhaltsbestimmungen des Sacheigentums des Schuldners. Sie können folglich nicht bewirken, dass sein Sacheigentum gegenüber dem Vollstreckungszugriff nicht geschützt ist. Unter Hinweis auf die Zahlungspflicht des Schuldners lässt sich mithin nicht begründen, dass der vollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug von vornherein nicht auf eine durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtsposition trifft.

290

So spricht Wendt, Eigentum, S. 316 ff., von einer Schrankenbestimmung sui generis. 291 Vgl. BVerfGE 58,137 (144 f.). 292 Das „Eigentum am Druckwerk als der Gesamtheit aller Druckstücke" (BVerfGE 58, 137 [144 f.]).

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

85

b) Die §§ 808 ff. ZPO als Inhaltsbestimmungen? Damit bleibt die Frage, ob die §§ 808 ff. ZPO Inhaltsbestimmungen des Eigentums sind, die bewirken, dass das bürgerlich-rechtliche Eigentum an der in der Zwangsvollstreckung verwerteten Sache gegenüber dem Vollstreckungszugriff keine durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtsposition ist. aa) Subsumtion unter die Inhaltsbestimmungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts Aus den §§ 808 ff. ZPO ergibt sich zum einen die Befugnis des Gerichtsvollziehers, Handlungen vorzunehmen, die bei Vorliegen bestimmter im Einzelnen streitiger Voraussetzungen293 dazu führen, dass der bisherige Eigentümer sein Eigentum verliert und der Erwerber es erhält, und zum anderen - damit korrespondierend - die Pflicht des Vollstreckungsschuldners, die Vornahme dieser Handlungen zu dulden. 294 Sie legen also Rechte und Pflichten hinsichtlich des Sacheigentums fest und bestimmen damit unter Zugrundelegung der Inhaltsbestimmungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts den Inhalt des Sacheigentums.295 Hält man dieses Ergebnis mit der Aussage des Bundesverfassungsgerichts zusammen, dass Gegenstand und Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes sich aus der Gesamtheit aller inhaltsbestimmenden Gesetze ergeben und der verfassungsrechtliche Schutz der Eigentumsposition nicht weiter reicht als die zulässigerweise mit ihr verbundenen gesetzlichen Befugnisse, 296 dann bewirken die §§ 808 ff. ZPO, dass das Sacheigentum gegenüber Vollstreckungsmaßnahmen, die sich im Rahmen dieser Vorschriften halten, nicht geschützt ist. Der als Folge dieser Maßnahmen eintretende Verlust des Sacheigentums kann folglich nicht der Entzug einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition sein.

bb) Das Problem: Die Bezeichnung der Zwangsversteigerung durch das Bundesverfassungsgericht als Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum Obwohl das soeben gefundene Ergebnis auf der Inhaltsbestimmungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts und dem, was es über das Verhältnis von Inhalts293 Siehe dazu oben S. 24 Fn. 7. 294 Vgl. Böhmer, SV, BVerfGE 49, 228 (232) für die insoweit vergleichbare Immobiliarvollstreckung. 295 Vgl. Böhmer, SV, BVerfGE 49, 228 (232) im Hinblick auf die Immobiliarvollstreckung; Lippross, Grundlagen, S. 129; Steinberg/Lubberger, S. 170; Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 258; Sieckmann, Modelle, S. 314 f.; Weyland, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, S. 39; Obudzinski, Bedeutung, S. 132. 296 Siehe oben S. 78 f.

86

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

bestimmung zum Gegenstand und Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes sagt, beruht, kommt das Bundesverfassungsgericht selbst, ohne das näher zu begründen, zu genau dem entgegengesetzten Ergebnis. Es bezeichnet die Zwangsversteigerung nämlich als ,,schwerwiegende[n] Eingriff [ . . . ] in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum des Schuldners". 297 Wie ist dieser Widerspruch zwischen den allgemeinen dogmatischen Prämissen des Bundesverfassungsgerichts und der von ihm vorgenommenen verfassungsrechtlichen Einordnung der Zwangsversteigerung zu erklären? (1) Erfolglose Erklärungsversuche (a) Das Zwangsvollstreckungsrecht doch keine Inhaltsbestimmung des Eigentums? Eine Erklärung für die Bezeichnung des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs als Eingriff in eine geschützte Rechtsposition könnte sein, dass es sich beim Zwangsvollstreckungsrecht eben doch nicht um Inhaltsbestimmungen des Eigentums handelt. Hierfür könnte sprechen, dass das Bundesverfassungsgericht in den genannten Entscheidungen das Zwangsvollstreckungsrecht auch nicht ausdrücklich als Inhaltsbestimmung bezeichnet hat. 2 9 8 Andererseits passt die Inhaltsbestimmungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts - wie gesehen - auf das Zwangsvollstreckungsrecht recht gut. Folglich müsste man, wenn man dessen inhaltsbestimmenden Charakter verneinen will, auch über eine einschränkende Modifikation der Inhaltsbestimmungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts nachdenken. Darüber hinaus würde sich die Frage stellen, was die Normen des Vollstreckungsrechts, wenn sie keine Inhaltsbestimmungen sind, dann sind. Bei der Beantwortung dieser Frage sähe man sich umgehend mit dem Problem konfrontiert, dass es nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nur drei Arten von eigentumsrelevanten Gesetzen gibt: Inhaltsbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, 2 9 9 Ent297 BVerfGE 46, 325 (335); vgl. ferner BVerfGE 49, 220 (225); 49, 252 (256); 51, 150 (156); Böhmer, SV, BVerfGE 49, 228 (232, 234, 241); ders., SV, BVerfGE 56, 266 (272). Die Fälle betrafen zwar die Immobiliarvollstreckung, aber die hier zitierten Aussagen des BVerfG sind so allgemein gehalten, dass sie auch für die Mobiliarvollstreckung Geltung beanspruchen können. - In BVerfGE 42, 64 ff., wo es auch um die Verfassungsmäßigkeit einer Zwangsversteigerung ging, prüfte das Gericht diese nur am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG (a. a. O., S. 72 ff.) und berücksichtigte Art. 14 Abs. 1 GG lediglich als Gesichtspunkt bei der Beurteilung der Frage, ob die Entscheidungen auf „sachfremden Erwägungen" beruhen (a. a. O., S. 76 ff.). 298 Vgl. die Nachweise in Fn. 297. Nur Böhmer (SV, BVerfGE 49, 228 [232]) spricht ausdrücklich von Inhalts- und Schrankenbestimmungen. 299 Das BVerfG trennt nicht zwischen Inhaltsbestimmung und Schrankenbestimmung, sondern spricht meist von „Inhalts- und Schrankenbestimmung" (BVerfGE 21, 150 [154 f.]; 26,

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

87

eignungen durch Gesetz nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 Var. 1 GG (sog. Legalenteignungen) und Ermächtigungen zur Vornahme einer Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 GG (sog. Ermächtigungen zur Administrativenteignung). 3 0 0 Da das Bundesverfassungsgericht sicherlich nicht zum Ausdruck bringen wollte, dass das Zwangsvollstreckungsrecht eine Legalenteignung oder eine Ermächtigung zur Administrativenteignung i s t , 3 0 1 müsste man also auch diese Aussage relativieren. Man müsste - wie i n der Literatur auch teilweise vorgeschlagen 3 0 2 - das Drei-Regelungstypen-Modell u m einen weiteren Regelungstyp ergänzen: die Schrankenbestimmung, unter die dann die §§ 808 ff. ZPO zu subsumieren wären.

215 [220]; 71, 230 [247]; 74, 264 [280]; 86, 59 [63]; 97, 350 [370]; 100, 226 [239 f.]; 102, 1 [16 f.]) oder schlicht von „Inhaltsbestimmung" (ζ. B. BVerfGE 52, 1 [27 f.]; 72, 66 [76]). Soweit ich das überblicken kann, taucht die Bezeichnung „Schrankenbestimmung" isoliert nur in zwei Entscheidungen - BVerfGE 22, 387 (422) und BVerfG-K, NJW 1996, S. 246 - , die beide die strafrechtliche Einziehung betreffen, auf. Eine Erklärung für diese Abweichung von seiner üblichen Terminologie wird nicht gegeben. In der überwiegenden Zahl von eine Einziehung betreffenden Entscheidungen (siehe BVerfGE 44, 308 [313]; BVerfG-K, NJW 1990, S. 1229; NVwZ 1997, S. 159 f.; EuGRZ 1999, S. 611; BVerfGE 110, 1 [24 f.]) ist auch wieder von „Inhalts- und Schrankenbestimmung" die Rede. Wenn es von „Inhalts- und Schrankenbestimmung" spricht, meint es in der Sache „Inhaltsbestimmung." Das zeigt sich daran, dass es sagt: „Die konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie ergibt sich erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums" (BVerfGE 50, 290 [339 f.]; Hervorhebung F.R.; siehe ferner BVerfGE 20, 351 [355 f.]; 24, 367 [396]; 53, 257 [292]; 58, 81 [109]; 58, 300 [330, 336]; 70, 101 [110]; 72, 9 [22]; 75, 78 [97]; 76, 220 [238]; 95, 48 [58]; 101, 54 [75]), und der Gesetzgeber schaffe mit Normen i. S. von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG diejenigen Rechtssätze, die die Rechtsstellung des Eigentümers begründen und ausformen (BVerfGE 58, 300 [330]). Wie das BVerfG sieht es auch die h. L., vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 51; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 307; Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 165 ff.; ders., Eigentum, S. 361 f.; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 76; Schoch, Jura 1989, S. 113 (117 Fn. 59); Lerche, Übermaß, S. 144 Fn. 140; Schneider, VerwArch 58 (1967), S. 195 (212); Breuer, Bodennutzung, S. 19 f.; Lege, Zwangskontrakt, S. 88 ff.; Böhmer, AgrarR 1984, Beilage I, S. 2 (14); Haas, NVwZ 2002, S. 272 (273); Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 253; zu abweichenden Ansichten siehe unten Fn. 302. 300 BVerfGE 58, 300 (330 f.). 301 Völlig ausgeschlossen ist es bei Böhmer, der in seinen Sondervotum, die dem Vollstreckungszugriff zugrunde liegenden Normen ausdrücklich als Inhalts- und Schrankenbestimmungen bezeichnet, vgl. Böhmer, SV, BVerfGE 49, 228 (232). 302 Für eine Trennung von Inhaltsbestimmung und Schrankenbestimmung: Leisner, HdbStR VI, § 149 Rn. 70; Lutz, Eigentumsschutz, S. 158 ff.; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 55; ders., Eigentum, S. 147 ff.; J. Ipsen, Staatsrecht II 8 , Rn. 698, 701; Ramsauer, Beeinträchtigungen, S. 69 ff.; Thormann, Abstufungen, S. 137 ff.; Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht ΙΠ/2, S. 408; Kempen, Eingriff, Rn. 115 ff.; Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 257 ff.; Kutschera, Bestandsschutz, S. 69 ff.; Parodi, Eigentumsbindung, S. 78 ff.; Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 225 ff.; Chlosta, Wesensgehalt, S. 31 f.; Timm, Eigentumsgarantie, S. 48; Grochtmann, Art. 14, S. 281 ff.; unklar Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 12 und 103 f. Dazu mehr unten S. 154 ff.

88

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

(b) „Inhaltsbestimmung" nur eine andere Bezeichnung für „Schrankenbestimmung"? Eine Erklärung für die Bezeichnung der Zwangsversteigerung als „Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum", die es erlauben würde, auf die Einführung eines vierten Regelungstyps „Schrankenbestimmung" zu verzichten, könnte sein, dass Inhaltsbestimmungen in der Sache in keinem anderen Verhältnis zum Eigentumsgrundrecht stehen als das, was wir bei anderen Grundrechten Schrankenbestimmungen nennen. Dann wäre ihr Vollzug zweifellos ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Folglich wäre die Einordnung des Zwangsvollstreckungsrechts als Inhaltsbestimmung und die Bezeichnung seines Vollzugs als „Eingriff 4 kein Widerspruch mehr. Gegen diese Deutung spricht aber, dass sie sich nicht mit der Aussage des Bundesverfassungsgerichts vereinbaren lässt, wonach sich Gegenstand und Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandschutzes erst aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergeben. 303 Denn ergeben sich Gegenstand und Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums, dann kann - wie gesehen304 - der gesetzmäßige Vollzug einer verfassungsmäßigen Inhaltsbestimmung kein Eingriff in eine geschützte Rechtsposition sein, sondern nur die deklaratorischen Verlautbarung ihrer Grenzen. Ist der Vollzug der Inhaltsbestimmung aber kein Eingriff, dann kann der Begriff „Inhaltsbestimmung" nicht einfach als Synonym für das, was man bei anderen Grundrechten „Schrankenbestimmung" oder „Beschränkung" nennt, verstanden werden. Das wäre nur dann möglich, wenn man die These, dass sich Gegenstand und Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes aus einfachrechtlichen Inhaltsbestimmungen ergeben, aufgibt. (c) Zwangsversteigerung nur „Eingriff 4 im untechnischen Sinne? Eine Erklärung für die Bezeichnung der Zwangsversteigerung als „Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum", die es ermöglichte, sowohl am Drei-Regelungstypen-Modell als auch an der Aussage von der Gesetzesabhängigkeit des Gegenstandes und des Umfangs des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes uneingeschränkt festzuhalten, könnte sein, dass das Bundesverfassungsgericht sich mit der Bezeichnung der Zwangsvollstreckung als Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum nur missverständlich ausgedrückt hat. Vielleicht wollte es lediglich zum Ausdruck bringen, dass auch der Vollzug von Inhaltsbestimmungen - auch wenn er im technischen Sinne kein Eingriff in das Grundrecht ist - gewissen verfassungsrechtlichen Anforderungen, die normalerweise durch das Vorliegen eines Grundrechteingriffs ausgelöst werden, genügen muss? 303 Vgl. oben S. 78 f. 304 s . 7 9 f.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

89

Hierfür ließe sich ins Feld führen, dass das Bundesverfassungsgericht, obwohl es an sich zwingend aus seiner dogmatischen Prämisse, dass Gegenstand und Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes durch Inhaltsbestimmungen konstituiert werden, folgt, 3 0 5 auch in anderen Zusammenhängen nur ungern eingesteht, dass die gesetzmäßige Anwendung einer verfassungsmäßigen Inhaltsbestimmung kein Eingriff in eine verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsposition sein kann. Es spricht stattdessen von einer „Berührung" des Schutzbereichs oder sogar von einem „die Eigentumsbeschränkung aktualisierenden Eingriffsakt". 306 Problematisch an dieser Erklärung ist jedoch, dass das Gericht in den Zwangsversteigerungsfällen gerade die typische Rechtfertigungsanforderung an Grundrechtseingriffe, das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit, 307 überhaupt nicht geprüft hat. Vielmehr hat es den „Eingriff 4 lediglich am Anspruch des Eigentümers auf eine „faire Verfahrensführung" gemessen.308 Dieser setzt als Ausfluss des objektivrechtlichen Grundrechtsgehalts 309 keineswegs zwingend einen Eingriff in den Abwehrgehalt des Grundrechts voraus. 310 Ein Hinweis, dass der Nichteingriff „Zwangsversteigerung" wie ein echter Eingriff zu behandeln ist, war zur Begründung der Anwendbarkeit des Anspruchs auf faire Verfahrensführung also gar nicht erforderlich. Verstanden als ein solcher untechnischer Hinweis auf die Anwendbarkeit der bei echten Grundrechtseingriffen geltenden Rechtfertigungserfordernisse 305 Siehe oben S. 79 f. 306 Vgl. BVerfGE 100, 226 (246); 102, 1 (14); 104, 1 (8); ähnlich widersprüchlich oder doch zumindest missverständlich drückt man sich auch im Schrifttum aus, vgl. nur König, JA 2001, S. 345 (345): „Greift der Staat durch hoheitliche Regelung in das Eigentum seiner Bürger ein, so kann dies . . . bedeuten . . . eine Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, also lediglich die Festlegung der Reichweite der Eigentumsgarantie"; Pieroth/Schlink, Grundrechte Rn. 899: Inhaltsbestimmung definiert Schutzbereich für die Zukunft, Rn. 925, 946: Vollzug der Inhaltsbestimmung ist Eingriff; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 270: Vollzugsakt einer Inhalts- und Schrankenbestimmung „reproduziert nur die ihm vorgegebene Rechtslage" und - Rn. 386 - „verändert den Schutzbereich von Art. 14 I nicht", ist aber - Rn. 270 - ein „Eingriff im grundrechtsdogmatischen Sinne"; ähnlich Siekmann/Duttge 3, Rn. 611, 654. Kritisch zur Inkonsequenz des BVerfG auch Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 220 ff., insb. S. 225; Grochtmann, Art. 14, S. 290 f.; Appel, Entstehungsschwäche, S. 245 Fn. 496. 307 Vgl. nur Dreier, in: Dreier I 2 , Vorb. Rn. 134 i.V.m. Rn. 145. 308 Vgl. BVerfGE 46, 325 (333 ff.); 49, 220 (225 ff.); 49, 252 (256 ff.); 51,150 (156 ff.). 309 Vgl. BVerfGE 77, 170 (229); Dreier, in: Dreier ί , Vorb. Rn. 94 i.Vm. Rn. 105; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 176 f.; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 40; Stern, in: Stern/Sachs, Staatsrecht ffl/1, S. 972; Ruffert, Vorrang, S. 277, 280. - Unter die objektivrechtlichen Gehalte fasst man in der Regel die Funktion der Grundrechte als „Wertentscheidung", „Schutzpflicht", ,Auslegungsrichtlinie", „Verfahrensgarantie" etc. Vgl. zum Ganzen Böckenförde, Der Staat 29 [1990], S. 1 ff.; Jarass, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 35 ff.; ferner unten S. 104 f., S. 170 Fn. 696, S. 174. 310 Das bedeutet freilich nicht, dass diese verfahrensrechtliche Seite nicht auch bei Eingriffskonstellationen unterstützend zum Abwehrgehalt hinzutreten kann, vgl. Dreier, in: Dreier I 2 , Vorb. Rn. 105, der gerade die o.g. Entscheidungen des BVerfG als Beleg hierfür anführt; ferner Jarass, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 35 (46); Ruffert, Vorrang, S. 279.

90

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

wirft die Verwendung des Begriffes „Eingriff 4 folglich mehr Fragen (insbesondere: Weshalb keine Verhältnismäßigkeitsprüfung?) 311 auf, als sie ausräumt. Das spricht eher dafür, dass das Bundesverfassungsgericht, als es die Zwangsversteigerung als „Eingrifft' bezeichnete, auch einen echten Eingriff meinte. Hierfür spricht ferner die verfassungsgerichtliche Definition der Enteignung als staatlicher Entzug konkreter durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützter Rechtspostionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben. 312 Denn diese Definition impliziert, dass es neben der Enteignung aufgrund eines Gesetzes noch eine weitere Form von staatlichen Eingriffen in geschützte Rechtspositionen aufgrund eines Gesetzes geben muss, nämlich den Entzug, der nicht zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben geschieht.313 Genau solch einen nichtenteignenden Entzug einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG könnte das Bundesverfassungsgericht in der Zwangsversteigerung gesehen haben, als es diese als „Eingrifft' bezeichnete. Mit dieser Deutung wäre man jedoch wieder beim ersten oder zweiten Erklärungsversuch (Zwangsvollstreckungsrecht keine Inhaltsbestimmung bzw. „Inhaltsbestimmung" bedeutet nichts anderes als normale Schrankenziehung) angelangt, die sich - wie gesehen - nicht mit dem Drei-Regelungstypen-Modell und der These von der Gesetzesabhängigkeit von Gegenstand und Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes in Einklang bringen lassen. Das zeigt, dass die Ursache dafür, dass sich das Zwangsvollstreckungsrecht einerseits unter die Inhaltsbestimmungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts subsumieren lässt, andererseits der Vollzug dieser Inhaltsbestimmung vom Bundesverfassungsgericht aber als Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum bezeichnet wird, nicht nur darin gesehen werden kann, dass das Bundesverfassungsgericht sein Interpretationskonzept unsauber auf die Zwangsvollstreckung anwendet. Vielmehr ist das Interpretationskonzept selbst nicht in sich stimmig. (2) Die Widersprüchlichkeit Interpretationskonzepts

des verfassungsgerichtlichen als Ursache des Problems

Die Unstimmigkeit besteht darin, dass drei zentrale Aussagen des Bundesverfassungsgerichts nicht miteinander kompatibel sind, nämlich - erstens - seine Definit i So wirft denn auch Böhmer, SV, BVerfGE 49, 228 (228 f.), der Mehrheit prompt vor, nicht eine Verletzung des materiellen Grundrechts geprüft zu haben. 312 Vgl. oben S. 22 f. 313 Damit können nicht nur von vornherein verfassungswidrige Eingriffe gemeint sein. Dann wäre es einfacher gewesen, diesen Eingriffen Enteignungscharakter zuzugestehen und das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" als Zulässigkeitsmerkmal der Enteignung anzusehen. Als Begriffsmerkmal der Enteignung ist es nur sinnvoll, wenn sein Fehlen nicht automatisch das Verdikt der Verfassungswidrigkeit nach sich zieht.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

91

tion der Enteignung, - zweitens - seine These, dass Art. 14 GG nur drei Arten von verfassungsrechtlich zulässigen gesetzgeberischen Einwirkungen auf das Eigentumsgrundrecht kennt, und - drittens - seine These, dass sich Gegenstand und Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergeben. Denn die Definition der Enteignung als Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen, gerichtet auf den Entzug konkreter durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützter Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben, impliziert, dass es neben der Enteignung weitere staatliche Entziehungen konkreter durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützter Rechtspositionen - durch und aufgrund eines Gesetzes - geben muss, nämlich solche, die nicht zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben geschehen.314 Gibt es nur drei Arten von eigentumsrelevanten Regelungen (Legalenteignung, Ermächtigung zur Administrativenteignung und Inhaltsbestimmung), kommt als Ermächtigungsgrundlage für einen solchen nichtenteignenden Entzug von durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtspositionen nur eine Inhaltsbestimmung des Eigentums in Betracht. Eine Inhaltsbestimmung des Eigentums scheidet als Grundlage eines Entzugs einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition jedoch deshalb aus, weil sie Gegenstand und Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes bereits so ausgeformt hat, dass der Bestand der Rechtsposition gegenüber dem auf der Grundlage der Inhaltsbestimmung stattfindenden Entzugsakt von vornherein nicht geschützt ist. Die erste These des Bundesverfassungsgerichts (seine Enteignungsdefinition) setzt also die Existenz einer Art von Eigentumseingriff voraus, die nach seiner zweiten und dritten These (es gibt nur drei Arten eigentumsrelevanter Regelungen; Gegenstand und Gegenstand und Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes ergeben sich aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums) gar nicht existieren kann. Wenigstens eine dieser Thesen muss also falsch sein. Sicherlich ungewollt (sonst würde es nicht nach wie vor an ihnen festhalten) und indirekt gesteht sogar das Bundesverfassungsgericht ein, dass die drei Thesen nicht gleichzeitig nebeneinander Bestand haben können. So betont es - völlig in Einklang mit der o.g. Enteignungsdefinition - in BVerfGE 22, 387 (422) ausdrücklich, dass die Enteignung nicht der einzige Titel sei, auf dessen Grundlage Eigentum entzogen werden könne. Prompt rückt es hier auch von der Drei-Regelungstypen-These ab, indem es die Grundlage solcher nichtenteignenden Eigentumsentziehungen - völlig entgegen seinem sonstigen Terminologie 315 - als „Schrankenbestimmung" bezeichnet.316 In der Entscheidung, in der es das Drei-Rege314

Dass damit nicht von vornherein verfassungswidrige Eigentumsentziehungen gemeint sein können, wurde bereits oben S. 90 Fn. 313 gezeigt. 315 Vgl. oben S. 86 Fn. 299. 316 Man muss freilich berücksichtigen, dass es in seiner damaligen Rspr. weder die Enteignungsdefinition noch die Drei-Regelungstypen-These schon voll entfaltet hatte.

92

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

lungstypen-Modell und die These von der Konstituierungsbedürftigkeit von Gegenstand und Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes besonders herausstellt, der Nassauskiesungsentscheidung, rückt es hingegen von der These, dass die Verfassung neben der Enteignung weitere Eigentumsentziehungen neben der Enteignung kennt, ab. Denn dort heißt es, dass der Bürger nur unter den Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 GG den Eingriff in sein Eigentum dulden

(3) Schlussfolgerung für die weitere Untersuchung Angesichts dieses grundsätzlichen Widerspruchs im Interpretationskonzept des Bundesverfassungsgerichts kann man nur zu willkürlichen Ergebnissen kommen, wenn man allein auf der Grundlage dieses Konzepts ermitteln wollte, ob die den Eigentumsübergang bewirkenden Maßnahmen des Gerichtsvollziehers auf „geschützte Rechtspositionen" treffen. Das Ergebnis hinge allein davon ab, welche der o.g. sich widersprechenden Aussagen man zufällig zum Ausgangspunkt der Prüfung macht. Daher muss zunächst Klarheit darüber geschaffen werden, welche der drei o.g. Aussagen - die Gesetzesabhängigkeitsthese, das Drei-Regelungstypen-Modell oder die Enteignungsdefinition - falsch oder zumindest überzogen ist. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Gesetzesabhängigkeitsthese, also die Aussage, dass sich Gegenstand und Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergeben. Ist sie vollständig falsch, dann sind Inhaltsbestimmungen des Eigentums in der Sache durchweg Schrankenbestimmungen und ihr Vollzug ein ganz normaler Grundrechtseingriff. Ist sie nur teilweise falsch, dann ist das Drei-Regelungstypen-Modell (Inhaltsbestimmung, Ermächtigung zur Enteignung, Enteignung durch Gesetz) „nur" um einen vierten Regelungstypus, die Schrankenbestimmung, zu ergänzen. Daher wird zunächst die Frage untersucht, inwieweit die Aussage, dass Gegenstand und Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes sich aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergeben, richtig ist.

2. Nähere Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG und dem Vorliegen einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition Die Frage, ob und inwieweit Gegenstand und Umfang des durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Bestandsschutzes sich aus den verfassungsmäßigen Gesetzen, die den Inhalt des Eigentums bestimmen, ergibt, kann in zwei Teilfragen 317 Vgl. BVerfGE

58, 300 (330 f. und 323).

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

93

aufgespalten werden. Einmal, ob und inwieweit sich der Gegenstand des verfassungsrechtlichen Schutzes, also das, was Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG als „Eigentum" bezeichnet, aus einfachen Gesetzen ergibt. Dann, ob und inwieweit das auch für den Umfang des sich hierauf beziehenden grundrechtlichen Schutzes, also das, was Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG mit „werden gewährleistet" umschreibt, gilt. a) Die Konstituierung des Gegenstandes des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes - des „Eigentums " durch den einfachen Gesetzgeber Dafür, dass sich das „Eigentum", also der Gegenstand des verfassungsrechtlichen Schutzes, aus einfachen Gesetzen ergibt, spricht zunächst der Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Andererseits ist diese Deutung nicht zwingend. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG könnte man nämlich auch so verstehen, dass wegen der in Art. 14 Abs. 2 GG anklingenden gesellschaftspolitischen Brisanz des Eigentums 3 1 8 nur zum Ausdruck gebracht werden soll, dass, um das Eigentumsgrundrecht sozialverträglich zu machen, der Gesetzgeber zu gegebenenfalls sehr weitgehenden Schrankenziehungen ermächtigt und verpflichtet ist. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG würde dann im Grunde nichts anderes meinen als die auch bei anderen Grundrechten bestehende319 Aufgabe des Gesetzgebers, durch Schrankenziehung das Grundrecht mit kollidierenden Gemeinwohl- und Individualbelangen in Einklang zu bringen. Ein Beispiel für solch eine Interpretation findet sich bei Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Dort heißt es auch nicht, dass der Gesetzgeber die Berufsausübung beschränkt, sondern dass er sie regelt, was so etwas wie Inhaltsbestimmung zumindest nahelegt. Trotzdem geht man überwiegend nicht davon aus, dass die Berufsausübungsfreiheit erst gesetzlich konstituiert werden muss, sondern dass es sich bei den Regelungen im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG in der Sache um gewöhnliche Grundrechtsbeschränkungen handelt. 320 Übertragen auf das Eigentumsgrundrecht würde das bedeuten, dass auch „Inhaltsbestimmung" im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG in der Sache nichts anderes heißt als „Beschränkung", nur dass durch den Begriff Inhaltsbestimmung die Notwendigkeit der Beschränkung besonders betont und ihr der Geruch des potentiell Grundrechtswidrigen genommen wird.

318 Vgl. Herbert Krüger, FS Schack, S. 71 (71); Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 62. 319 Vgl. zu den Grundrechtsschranken als »Ausdruck der Koordinierungs- und Kompatibilisierungsbedürftigkeit der Grundrechte" Stern, FS 50 Jahre BVerfG Π, S. 1 (9). 320 Vgl. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 12 Rn. 5 f., 102; Wieland, in: Dreier I , Art. 12 Rn. 103. A.A. möglicherweise BVerfGE 105, 252 (265): „ . . . wird die Reichweite des [durch Art. 12 Abs. 1 gewährleisteten, F.R.] Freiheitsschutzes auch durch die rechtlichen Regeln mitbestimmt, die den Wettbewerb ermöglichen und begrenzen." Das lässt sich freilich auch im Häberle'schen Sinne (dazu gleich) interpretieren.

94

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Diese Interpretation entspräche der Sichtweise Häberles. 321 Dieser sieht in jeder gesetzgeberischen Grundrechtsbeschränkung nicht nur einen „Eingriff 4 in das Grundrecht, sondern vor allem eine auch durch das Grundgesetz selbst gebotene Ausgestaltung des vom Grundrecht vorgegebenen Leitbildes. Denn ohne grundrechtsbegrenzende Gesetze würden statt Freiheit Willkür, Gewalt, Auflösung und Anarchie herrschen. Erst solche Gesetze machten die grundrechtliche Freiheit für das „soziale Leben im Ganzen" funktionsfähig. 322 Für ein solches Verständnis des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ließe sich sogar die Äußerung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Eigentum, „um im Rechtsleben praktikabel zu sein, notwendigerweise rechtlicher Ausformung" 323 bedürfe, anführen. Denn die Ausgestaltungsbedürftigkeit erscheint hier - wie bei Häberle - nicht als Problem der Existenz des grundrechtlichen Schutzgutes, sondern als Problem der Praktikabilität des Grundrechts.

aa) Eigentum als Produkt des Rechts Eine solche Reduzierung des Bedeutungsgehalts der Befugnis zur Bestimmung des Inhalts des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG würde jedoch die besondere Struktur des Schutzobjekts des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, des Eigentums, vernachlässigen. Die Schutzobjekte der überwiegenden Anzahl von Grundrechten etwa das Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), Versammlungen (Art. 8 Abs. 1 GG) oder eben die berufliche Tätigkeit (Art. 12 Abs. 1 GG) - sind Güter oder Handlungsoptionen des Einzelnen. Sie bestehen unabhängig von der Rechtsordnung und können durch diese nur noch unterdrückt, geschützt oder gefördert werden. Demgegenüber ist Eigentum eine erst durch das Recht vorgenommene Zuordnung von Vermögenswerten Gütern an eine Privatperson. 324 Ohne Rechtsnormen, die eine solche Zuordnung vornehmen, ist das „Eigentum" nicht nur nicht „geschützt" oder nicht „praktikabel", sondern es existiert erst gar nicht; Eigentum ist ein „Werk der Gesetze".325 321

Auf Häberles Lehre für die Interpretation des Art. 14 GG Bezug nehmend: Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 76 Fn. 370; Ramsauer, Beeinträchtigungen, S. 70; Kutschera, Bestandsschutz, S. 70. 322 Vgl. Häberle, Wesensgehaltgarantie3, S. 179, 184, 187, 189, 226. Zu den möglichen Konsequenzen der Häberle'sehen Sichtweise siehe Böckenförde, NJW 1974, S. 1529 (1542 f.). 323 BVerfGE 58, 300 (330); 79, 29 (40). Siehe ferner Forsthoff, VwR I 1 0 , S. 340; Menger, in: BK, Art. 191 Rn. 178; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 29. 324 BVerfGE 79, 29 (40): „Eigentum ist die Zuordnung eines Rechtsguts zu einem Rechtsträger"; vgl. ferner BVerfGE 42, 263 (294);105, 252 (278): „Art. 14 GG schützt nur normativ zugeordnete Rechtspositionen,..."; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 115. 325 Bentham, Grundsätze Π, S. 277; vgl. ferner Hume, Traktat Π, S. 234: „die Güter, deren Besitz uns durch die Gesetze der Gesellschaft gesichert ist"; Kant, Metaphysik I, § 8, S. 63: „Etwas Äußeres als das Seine zu haben, ist nur in einem rechtlichen Zustande, unter einer öffentlich-gesetzgebenden Gewalt, d.i. im bürgerlichen Zustande möglich"; Ramsauer,

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

95

Diese existentielle Abhängigkeit des Eigentums vom Recht, die den entscheidenden Unterschied zur alle Grundrechte erfassenden Konzeption Häberles ausmacht, 326 resultiert nicht etwa aus ideologischen Vorbehalten der Verfassung gegen das Eigentum 327 . Entscheidend sind vielmehr, wie der englische Rechtsphilosoph David Hume 3 2 8 erkannt hat, die besonderen Gefahren, denen der Genuss des Besitzes, den wir „durch Fleiß und gut Glück" erworben haben, im Vergleich zu den anderen beiden Arten von Gütern, die wir besitzen, die innere Befriedigung unserer Seele und die äußerlichen Vorzüge unseres Körpers, ausgesetzt ist. Letztere sind bis zu einem gewissen Grade auf natürliche Weise geschützt; die innere Befriedigung unserer Seele, weil sie uns keiner nehmen kann, und die äußerlichen Vorzüge unseres Körpers, weil man sie zwar rauben kann, dies aber dem, der sie raubt, kaum Vorteile bringt. Den Besitz, den wir durch Fleiß und gut Glück erworben haben, kann dagegen zum einen jeder nehmen und für seine Zwecke verwenden, und zum anderen besteht danach in der Regel auch eine große Nachfrage. Dieses Defizit an natürlichem Schutz wird durch einen künstlichen, d. h. vom Menschen geschaffenen, Schutz („remedy ... not derìv'd from nature, but from artifice " ) 3 2 9 ausgeglichen - eine die Sicherheit des Besitzes gewährleistende Übereinkunft, 330 die alle Mitglieder der Gesellschaft eingehen, und die unmittelbar zur Rechtsordnung und zum Eigentum führt. Beeinträchtigungen, S. 25 f., 130; Schwerdtfeger, Struktur, S. 13; Burgi, NVwZ 1994, S. 527 (527, 529 f.); Eschenbach, Jura 1997, S. 519 (519); Sachs, Verfassungsrecht 2, S. 434 Rn. 4; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 25; Ehlers, W D S t R L 51 (1992), S. 211 (214); Schoch, Jura 1989, S. 113 (117); Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 4 , Art. 14 Rn. 29 ff.; Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 47; Böhmer, AgrarR 1984, Beilage I, S. 2 (12); ders., NJW 1988, S. 2561 (2568 mit Fn. 51, 2573); Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 5; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 117, 132 f.; Schwabe, Der Staat 27 (1988), S. 93 (93); Leisner, HdbStR VI, § 149 Rn. 57 f.; Rozek, Unterscheidung, S. 25 f.; Lege, Zwangskontrakt, S. 65; Alexy, Theorie, S. 177; Herzog, in: EvStL 3 , Sp. 673; Schmidt-Aßmann, FS Uni Heidelberg, S. 107 (112); J. Ipsen, Staatsrecht Π 8 , Rn. 697 (einschränkend dann aber in Rn. 698); Herbert Krüger, FS Schack, S. 71 (71); Schönfeld, BayVBl. 1996, S. 673 (678); Mampel, NJW 1999, S. 975 (975); Lepsius, Besitz, S. 54; Appel, Entstehungsschwäche, S. 91. - Das dürfte auch gemeint sein, wenn es heißt, es gebe keinen vorgegebenen und absoluten Begriff des Eigentums, vgl. BVerfGE 20, 351 (355); 31, 229 (240); Forsthoff, VwR I 1 0 , S. 340; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 59; Kimminich, in: BK, Art. 14 Rn. 133; Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht m / 2 , S. 408; Lutz, Eigentumsschutz, S. 129. 326

Häberle behauptet nicht, dass bei den Freiheitsrechten der Abwehranspruch gegen den Staat ohne gesetzliche Ausgestaltung nicht bestehe (vgl. Häberle, Wesensgehaltgarantie3, S. 202), sondern nur, dass er ohne gesetzliche Ausgestaltung wegen seiner Unbegrenztheit im sozialen Leben unpraktikabel sei. Beim Eigentumsgrundrecht ist der grundrechtliche Abwehranspruch ohne eigentumskonstituierende Normen nicht nur unpraktikabel, sondern er existiert erst gar nicht, weil ihm der Bezugspunkt, das Eigentum, fehlt. 327 Zur Ideologieanfälligkeit des Eigentums Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 24. 32 « Traktat Π, S. 231 ff. bzw. Treatise Π, S. 261 ff. 329 Hume, Treatise Π, S. 262. 330

Diese „Übereinkunft" („convention") versteht Hume nicht als Versprechen, also als Vertrag, sondern als die gegenseitige Kundgabe des allgemeinen Bewusstseins eines gemeinsamen Interesses (vgl. Hume, Traktat Π, S. 232 f. bzw. Hume, Treatise II, S. 263).

96

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Die Erkenntnis, dass Eigentum eine „künstliche Veranstaltung", nämlich ein Produkt des Rechts, ist, klingt auch in der Eigentumsdefinition des Bundesverfassungsgerichts deutlich an, der zufolge Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG jedes privatnützige Vermögenswerte Recht ist. 3 3 1 Sie wird von ihm auf den Punkt gebracht, wenn es sagt: „Das Grundrecht des Einzelnen setzt das Rechtsinstitut ,Eigentum' voraus." 332 Nun ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts freilich nicht nur die rechtliche Zuordnung eines Vermögenswerten Gutes zu einem Einzelnen als solche durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Vielmehr rechnet das Bundesverfassungsgericht zur „Substanz des Eigentums" 333 auch bestimmte Elemente 334 des Genusses bzw. der Nutzung dieser Zuordnung. 335 Viele dieser Nutzungsarten, wie etwa das „Veräußern" von Eigentum 336 oder das »Aufrechnen" mit einer Forderung, sind ebenso wenig wie die Zuordnung des Guts allein Ausfluss der natürlichen, unabhängig von der Rechtsordnung bestehenden Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen, sondern durch Rechtsnormen, die ihm die entsprechende Rechtsfolgenbewirkungsmacht einräumen, bewirkte künstliche Erweiterungen seiner Handlungsmöglichkeiten (die Aufrechnungserklärung als solche bewirkt noch kein Erlöschen der Forderungen, sondern nur, weil eine Rechtsnorm diese Rechtsfolge anordnet). 337 Insoweit gilt für diese Nutzungsmöglich331 Vgl. oben S. 78. 332 BVerfGE 24, 367 (389). 333 BVerfGE 50, 290 (341); 68, 361 (368); 72, 66 (78); ähnlich („Substanz des Rechts") auch schon BVerfGE 42, 263 (295). 334 Welche Nutzungsformen „nur" unter die Freiheitsrechte und welche unter Art. 14 Abs. 1 GG fallen, ist unklar, vgl. Schwabe, Probleme, S. 370 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte 2 0 Rn. 914 ff.; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 13, 109; Jarassl Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 5, 19; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 72; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 181; Lege, Zwangskontrakt, S. 64; Bleckmann, Grundrechte 4, § 35 Rn. 4; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 83 f. 335 Vgl. BVerfGE 38, 348 (370); 42, 263 (294); 79, 292 (303 f.); 81, 29 (34), 87,153 (169); 88, 366 (377); 93, 121 (137); 97, 350 (370); 101, 54 (75); 104, 1 (8 f.); 105, 17 (30); 105, 252 (277 f.); 110, 141 (173); ferner Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 13; Jarassl Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 19; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 150; Wendt, in: Sachs2, Art. 14 Rn. 41; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 8; Ossenbühl, JZ 1999, S. 899 (899); ders., FS Leisner, S. 689 (690 f.); Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 72; ders., Modelle, S. 70; Badura, in: HdbVerfR 2, § 10 Rn. 38, 39; Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht ffl/2, S. 109; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 31, 43, 83, 216 ff. A.A. Hösch, Eigentum, S. 11, 136 f., 140, 142, 166, 167, 243, 267, der diese Nutzungselemente durch die Freiheitsrechte schützen lassen will; in ähnlicher Weise die Handlungselemente aus dem Eigentum ausklammernd auch schon Friedrichs, AöR 40 (1921), S. 257 (287). Diese Lösung hätte den Vorteil, dass sich die soeben in Fn. 334 angesprochenen Abgrenzungsprobleme erübrigten. Gegen sie spricht jedoch Art. 14 Abs. 2 GG, der offenbar davon ausgeht, dass die Nutzung („Gebrauch") von Eigentum zumindest teilweise in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fällt. 336 Vgl. dazu BVerfGE (75); 105,252 (277 f.).

21, 73 (78 f.); 21, 87 (90 f.); 26, 215 (222); 79, 292 (304); 101, 54

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

97

keiten nichts anderes als für die rechtliche Zuordnung selbst - sie sind ein Produkt des Rechts. 338 Soweit freilich die Nutzung allein in der Wahrnehmung natürlicher Handlungsmöglichkeiten besteht, etwa beim Bebauen eines Grundstücks, kann man das nicht mehr sagen. Die Fähigkeit, ein Grundstück zu bebauen, ist kein Produkt des Rechts, sondern - in den Worten Humes - ein äußerer Vorzug unseres Körpers. Diesem Aspekt müssen wir uns später 339 noch näher zuwenden. Festgehalten werden kann jedoch, dass die rechtliche Zuordnung als solche und die sich auf das zugeordnete Gut beziehenden künstlich geschaffenen Handlungsoptionen Produkte des Rechts sind. Mit der Formulierung des Bundesverfassungsgerichts, der Zweck der Eigentumsgarantie bestehe darin, „dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sicherzustellen und ihm damit die eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen," 340 lässt sich das durchaus in Einklang bringen. Dass Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG die Sicherstellung eines Freiheitsraumes bezweckt, muss nämlich nicht heißen, dass es sich durchweg um einen natürlichen, von der Rechtsordnung bereits vorgefundenen, Freiheitsraum handeln muss. Vielmehr umfasst die Formulierung auch einen künstlichen, vom Recht erst geschaffenen Freiheitsraum und deutet dessen Künstlichkeit sogar selbst an, wenn es heißt: „Freiheitsraum im Vermögens rechtlichen Bereich". 341 Im Übrigen ist zwischen Zweck des Grundrechtsschutzes (Freiheitsraum) und Gegenstand des Grundrechtsschutzes (Vermögenswerte private Rechte) zu differenzieren. So wie das Grundrecht der Berufsfreiheit, obwohl es (zumindest auch) den Zweck hat, durch den Schutz der Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt des Einzelnen zu gewährleisten, 3 4 2 nicht das zu diesem Zwecke Erworbene selbst schützt, 343 schützt Art. 14 337 Vgl. G. Jellinek, System2, S. 47; Alexy, Theorie, S. 220 ff., die von Ermächtigungsbzw. Kompetenznormen sprechen. 338 So in der Sache auch Lepsius, Besitz, S. 75. 339 Unten S. 107 ff. 340 BVerfGE 24, 367 (389); 30, 292 (334); 31, 229 (239); 41, 126 (150); 42, 64 (76 f.); 46, 325 (334); 50, 290 (339); 51, 193 (218); 53, 257 (290); 68, 193 (222); 68, 361 (375); 69. 272 (300); 78, 58 (73); 83, 201 (208); 97, 350 (370 f.); 102, 1 (15); 104, 1 (8); 105, 252 (277); h. M., vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 3; /araw/Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 1; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 1; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 30; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 4; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 38; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 26. 341 Hervorhebung F.R. 342 Vgl. Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 12 Rn. 31, 34; Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 12 Rn. 36 f. 343 Das Erworbene wird „nur" durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, nicht durch Art. 12 Abs. 1 GG, geschützt, vgl. BVerfGE 30, 292 (335); 81, 70 (96); 84, 133 (157); 85, 360 (383); 88, 366 (377); Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 71, obwohl es fraglos in einem „inneren Zusammenhang" zur durch Art. 12 Abs. 1 geschützten Arbeit steht (so auch Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 72: „funktionell* aufeinander bezogen"; erinnert sei auch an die 7 Raue

98

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Abs. 1 Satz 1 GG - von den o.g. Elementen der natürlichen und künstlichen Handlungsfreiheit abgesehen - „nur" die rechtliche Zuordnung vermögenswerter Güter als materielle Voraussetzung der Freiheit. 3 4 4 „Eigentum" in diesem Sinne steht also zwar in einem „inneren Zusammenhang" zur Freiheit 3 4 5 und ist gleichermaßen schutzwürdig. Doch deswegen ist es - worüber man sich bei der Schaffung des Grundgesetzes durchaus i m Klaren w a r 3 4 6 und wie auch die klassische rechtsstaatliche Formel von „Freiheit und Eigentum" nahelegt 3 4 7 - noch nicht ein Unterfall derselben, 3 4 8 sondern tritt zu dieser als etwas strukturell völlig anders Geartetes hinzu.349

bb) Eigentum als Produkt des einfachen Rechts Nun würde die Tatsache, dass „Eigentum" - von den noch zu behandelnden 3 5 0 , ebenfalls durch Art. 14 GG geschützten Elementen der natürlichen HandlungsfreiTheorie John Lockes, wonach Eigentum durch Arbeit entsteht, vgl. Locke, Zwei Abhandlungen, § 27). Die Beispiele für ein arbeitsteiliges Zusammenwirken der Grundrechte, das es unnötig macht, alles, was in einem sachlichen Zusammenhang zu einem bestimmten grundrechtlichen Schutzgut steht, dem entsprechenden Grundrecht zuzuordnen, lassen sich vermehren. So wird die politische Meinungsäußerung oder Versammlung im Zusammenhang mit Bundestagswahlen, auch wenn sie in einem „inneren Zusammenhang" zum aktiven und passiven Wahlrecht steht, nicht über Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG, sondern über Art. 5 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 GG geschützt. 344 Vgl. BVerfGE 30, 292 (334); 31, 229 (239); 40, 65 (83 f.); 68,193 (222); 83, 201 (208);

97, 350 (370).

345 Vgl. BVerfGE 24, 367 (389); 31, 229 (239); 50, 20 (339). 346 Vgl. v. Mangoldt, Bericht, S. 11. 347 Vgl. die Formulierungen der Landesverfassungen des 19. Jahrhunderts, ζ. B. Titel IV, § 8 Abs. 1 BayVU v. 1818; § 13 BadVU v. 1818; § 24 WürttVU v. 1819; Art. 23 HessVU v. 1820; § 31 KurhessVU v. 1831; § 27 SächsVU v. 1831; § 28 HannovVerfG v. 1840. 348 Vgl. BVerfGE 14, 263 (277); 42, 64 (76 f.), wo Freiheit und Eigentum nebeneinander gestellt werden. 349 Vgl. BVerfGE 14, 288 (293); 30, 292 (334). In diesem Sinne zum Verhältnis von Freiheit und Eigentum auch Weber, in: HdbGR Π, S. 331 (353); Hesse, Grundzüge 20 Rn. 442; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 2 (seine dort geäußerte Kritik bezieht sich lediglich auf bestimmte Schlussfolgerungen, die aus diesem Verhältnis gezogen werden); Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 4; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 38; Lege, Zwangskontrakt, S. 64; wohl auch Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 28. Α. A. Kempen, Eingriff, Rn. 12: Eigentum sei mehr als nur ein funktionaler Annex zur Freiheit, es sei Freiheit. Sonst müsste man zwischen geschütztem freiheitsnotwendigen und schutzlos gestelltem nicht freiheitsnotwendigen Eigentum unterscheiden. Wieso müsste man das? Auch bei Art. 12 Abs. 1 GG unterscheidet man nicht zwischen geschützten, weil für den Lebensunterhalt unbedingt notwendigen, und ungeschützten, weil darüber hinaus gehenden, Tätigkeiten. - Berücksichtigt werden muss freilich, dass mitunter ein sehr weiter Freiheitsbegriff vertreten wird, nach dem „Freiheit" letztlich mit „schutzwürdigem Gut" gleichgesetzt wird. Dann ist natürlich auch die Rechtsmacht über andere Personen „Freiheit", ebenso wie „Leben" oder „körperliche Unversehrtheit", mit der Folge, dass letztlich jedes Grundrecht ein „Freiheitsgrundrecht" ist. Ich verstehe unter Freiheit jedoch nur Handlungsfreiheit.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

99

heit des Eigentümers abgesehen - ein Produkt der Rechtsordnung ist, für sich allein noch nicht zwingend bedeuten, dass es erst durch Inhaltsbestimmungen des einfachen Gesetzgebers hervorgebracht wird. Denn auch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist Teil der Rechtsordnung und kommt damit grundsätzlich selbst als eigentumskonstituierende Rechtsnorm in Betracht. 351 (1) Die Struktur des Eigentums Doch bezieht man die Art und Weise, in der die rechtliche Zuweisung eines Vermögenswerten Gutes an eine Person funktioniert, näher in die Betrachtung mit ein, dann wird deutlich, dass Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG beim Wort genommen werden möchte und in der Tat nur meinen kann, dass diese rechtliche Zuweisung nicht bereits durch die Verfassung selbst geschieht, sondern erst durch den von der Verfassung in die Pflicht genommenen einfachen Gesetzgeber. 352 Die rechtliche Zuordnung eines Vermögenswerten Gutes zu einem Privaten geschieht durch an andere adressierte Imperative, die sich auf das zuzuweisende Gut beziehen.353 Diese können gebietender oder verbietender Art sein. So wird im Fall von Forderungseigentum ein Vermögenswert durch den Imperativ: „Du hast an X soundsoviel zu zahlen!", also einen gebietenden Imperativ, begründet. Bei Sachen wird die Zuordnung sowohl durch Gebote („Gib die Sache an mich heraus!" 354 ) als auch Verbote („Nimm die Sache nicht weg!", „Nutze die Sache nicht!" 3 5 5 ) erreicht. Ohne diese Imperative gibt es keine Rechtspösition „Eigentum". Eine Zuweisung durch einen Rechtssatz des Inhalts: „ A wird der Vermögenswert X als Eigentum zugewiesen", geht ins Leere, es sei denn, hinter „Eigentum" verbirgt 350 Unten S. 107 ff. 351 Schwerdtfeger, Struktur, S. 13; Appel, Entstehungsschwäche, S. 91; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 36; ders., FS Leisner, S. 277 (291); Cornils, Ausgestaltung, S. 299. 352 So auch die h.M., vgl. oben S. 78 f. Verfassungsunmittelbare Eigentumspositionen hingegen für möglich haltend: Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 248 ff.; Bleckmann, Grundrechte 4, § 35 Rn. 36; Badura, AöR 98 (1973), S. 153 (154); ihm folgend: Meyer-Abich, Schutzzweck, S. 23; Andersen, Probleme, S. 75; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 4 , Art. 14 Rn. 57 f. 353 Vgl. Kelsen, Rechtslehre2, S. 135 ff.; Nawiasky, Rechtslehre2, S. 164; Düng, ZStaatsW 109 (1953), S. 326 (347); Rupp, Grundfragen 2, S. 166, 224 f.; Rittstieg, NJW 1982, S. 721 (724); ders., in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 69; ders., FS Thieme, S. 183 (188); Ramsauer, Beeinträchtigungen, S. 25 f.; Thon, Rechtsnorm, S. 154; Röhl, Rechtslehre2, S. 342; Hösch, Eigentum, S. 124., der aber mit seiner Verbotsrechtstheorie die Rolle der gebietenden Imperative unterschätzt (vgl. a. a. O. S. 139, 270, 313). Das ist natürlich auch dort so, wo wir der Einfachheit halber von „Rechten an Sachen" sprechen, vgl. neben den soeben Genannten G. Jellinek, System2, S. 10; Wendt, Eigentum, S. 66 f.; Lege, Zwangskontrakt, S. 39; Friedrichs, AöR 40 (1921), S. 257 (287); so auch schon Kant, Metaphysik I, § 11, S. 68 ff. 354 Vgl. § 985 BGB. 355 Vgl. § 903 Satz 1 Var. 2 BGB und § 1004 BGB. *

100

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

sich die Verweisung auf einen ganzen Komplex von Normen, die eigentumszuweisende Imperative statuieren. Würde Eigentum nun unmittelbar durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG konstituiert, dann würden auch diese eigentumszuweisenden Imperative unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG folgen. Sind diese, wie das zumindest die Regel ist, 3 5 6 an andere Private adressiert, hätte dies zur Folge, dass Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG unmittelbar Pflichten für Privatpersonen erzeugt und unmittelbar Rechtsbeziehungen zwischen Privaten regelt, also unmittelbare Drittwirkung entfaltet. 357 Es wäre dann Aufgabe der Rechtsprechung, und zwar im Endeffekt der Verfassungsrechtsprechung, allein durch Auslegung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu ermitteln, welche Freiheitsbeschränkungen den Nichteigentümern aus dem Eigentum erwachsen. 358 Auch dort, wo die eigentumskonstituierenden Imperative nicht an Private adressiert sind, nämlich bei Vermögenswerten subjektiven öffentlichen Rechten des öffentlichen Rechts, käme es zu Problemen. Da es sich hierbei nämlich meistens um Zahlungsansprüche gegen den Staat handelt, 359 müsste die Rechtsprechung diese unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ableiten mit den entsprechenden Folgen für die Budgethoheit der Parlamente. 360 Angesichts dieser Konsequenzen ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht beim Wort genommen werden möchte und Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG selbst Eigentum konstituiert. (2) Das Problem des Leerlaufens gegenüber dem Gesetzgeber Dies gilt umso mehr, als die existentielle Abhängigkeit des Eigentums von der Tätigkeit des Gesetzgebers keineswegs - wie teilweise befürchtet 361 - zu einem 356

Mit der Frage, inwieweit „Eigentum" auch aus an den Staat adressierten Imperativen besteht, beschäftigen wir uns unten auf S. 117 ff. näher. Dort wird sich zeigen, dass von den ausnahmsweise unter Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallenden Vermögenswerten subjektiven öffentlichen Rechten abgesehen „Eigentum" in der Tat nur die an Private adressierten Imperative meint. 357 Vgl. auch Gallwas, Grundrechte 2 Rn. 529 f.; Sachs, in: Stern /Sachs, Staatsrecht III/2, S. 309; Appel, Entstehungsschwäche, S. 92 ff., 273 f. Zu den gegen eine solche unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte sprechenden Argumenten siehe unten S. 136. 358 Vgl. Appel, Entstehungsschwäche, S. 93. Diesen Aspekt der Freiheitsbeschränkung Dritter nicht hinreichend würdigend Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 46, der den Gesetzgeber nur darüber entscheiden lassen will, ob ein Vermögenswert überhaupt zugewiesen wird, das Zugewiesene dann aber kraft Verfassung als ein „freies, unbeschränktes und absolutes Recht" ansieht. Die unausweichliche Frage, wie viel Freiheitsbeschränkung für Nichteigentümer dieses „unbeschränkte" Recht des Eigentümers bedeutet, beantwortet Depenheuer a. a. O. Rn. 61 ff. letztlich unter Verweis auf das Sacheigentum des BGB, das er damit zum Inhalt der Verfassung erklärt. 359 Vgl. oben S. 78 Fn. 262. 360 Zur Problematik grundrechtlicher Geldleistungsansprüche des Einzelnen gegen den Staat, vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 1 Rn. 189 ff.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

101

Leerlaufen des Grundrechts gegenüber dem Gesetzgeber führen muss. Dieser Abhängigkeit des Eigentums vom einfachen Gesetzgeber wirkt Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nämlich dadurch entgegen, dass er den Gesetzgeber verpflichtet, ein Rechtsinstitut, das den Namen „Eigentum" verdient, 3 6 2 zur Verfügung zu stellen. 3 6 3 Diese Leistungspflicht klingt i m Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG („werden . . . gewährleistet") bereits a n 3 6 4 und sie macht den eigentlichen Gehalt der sog. Institutsgarantie aus. 3 6 5 Der Gesetzgeber kommt ihr durch Schaffung von Inhaltsbestimmungen n a c h , 3 6 6 und zwar solcher Inhaltsbestimmungen, die das, was sich 361 Vgl. Depenheuer, FS Leisner, S. 277 (289); ferner - insbesondere im Hinblick auf die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips - Sass, Art. 14, S. 303 ff., 277 Fn. 52; Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 223; Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht ΙΠ/2, S. 405; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 126. 562 Vgl. BVerfGE 24, 367 (389). 363 Vgl. BVerfGE 31, 229 (240 f.); 37, 132 (140); 49, 382 (392); 58, 300 (335); 79, 1 (25); 81, 12 (17); 89, 1 (5); Schwerdtfeger, Struktur, S. 17; Badura, FS Maunz, S. 1 (8); Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 11; ders., Eigentum, S. 191; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 11; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 29, 74, 125; Hesse, Grundzüge 20 Rn. 448; Wahl, FS Redeker, S. 245 (249, 256).. Wohl auch Ehlers, W D S t R L 51 (1992), S. 211 (216); Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 4 , Art. 14 Rn. 91, 96; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 60; Lutz, Eigentumsschutz, S. 129.

364 Es ist nicht ganz klar, ob das BVerfG die Regelungspflicht an Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG (so BVerfGE 31, 229 [229]; 79, 1 [25]; so auch Schwerdtfeger, Struktur, S. 17) oder an Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (so BVerfGE 37, 132 [140]; 49, 382 [392]; 58, 300 [338]; 89, 1 [5]; so auch Hesse, Grundzüge 20 Rn. 448; Roller, NJW 2001, S. 1003 [1004]) festmacht. 365 Für eine Verknüpfung von Regelungspflicht und Institutsgarantie auch Böhmer, NJW 1988, S. 2561 (2563); Badura, FS Maunz, S. 1 (8); Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 11; ders., Eigentum, S. 191; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 11; Bleckmann, Grundrechte 4, § 35 Rn. 80; Wahl, FS Redeker, S. 245 (249); Alexy, Theorie, S. 441 ff.; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 117; Seilmann, Eigentumsgarantie, S. 46; Appel, Entstehungsschwäche, S. 207; vielleicht auch BVerfGE 81, 12 (17). - Gewöhnlich wird zwar immer die verbietende, nicht die gebietende Seite der Institutsgarantie betont (vgl. BVerfGE 24, 367 [389]; Lerche, Übermaß, S. 110 Fn. 48; im Hinblick auf Art. 153 Abs. 1 WRV, bei dem der Gedanke der Institutsgarantie zuerst entwickelt wurde, ferner M. Wolff, FG Kahl, S. 5; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 170; Anschütz, WRV 1 4 , Art. 153 Anm. 5, S. 706). Doch dies dürfte damit zu erklären sein, dass bei den meisten Vermögenswerten, die eine rechtliche Zuordnung verdienen, der Gesetzgeber schon geleistet hat (oft - wie beim Sacheigentum - sogar schon vor Entstehung der verfassungsrechtlichen Leistungspflicht). Dann wandelt sich das Gebot der Leistung selbstverständlich zu einem Verbot, die Leistung wieder zurückzunehmen (so wie im Zivilrecht ein schuldrechtlicher Leistungsanspruch nach Erbringen der Leistung zum Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung wird). Das ändert aber nichts daran, dass es sich primär um eine Leistungspflicht handelt. Jedenfalls entspräche diese Sichtweise dem Zweck der Institutsgarantie, ein Gegengewicht für die Gesetzesabhängigkeit des Eigentums zu sein (vgl. BVerfGE 24, 367 [489]), am meisten. In anderen Zusammenhängen und allgemein ist auch durchaus anerkannt, dass aus Einrichtungsgarantien Handlungspflichten folgen können (vgl. Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht ffl/1, S. 872; Dreier, in: Dreier I 2 , Vorb. Rn. 107; BVerfGE 74, 297 [324]; 105, 313 [344 f.]; BVerwGE 27, 360 [362 f.]; a.A. Ruffert, Vorrang, S. 84 f.). 366 Es handelt sich also um etwas, was Alexy, Theorie, S. 179 f., als Leistungspflicht im weiteren Sinne bezeichnen würde, da im grundrechtsdogmatischen Sprachgebrauch Leistung

102

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

die Verfassung unter „Eigentum" vorstellt, die privatnützige Zuordnung von vermögensweiten Gütern, verwirklichen. Die leitbildartigen Anforderungen dieser Regelungspflicht können auch durchaus ein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung sein. 367 Eine solche setzt nämlich keineswegs notwendig einen „Eingriff 4 voraus. 368 Zwar ist es richtig, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung als Test zur Feststellung der erlaubten Abweichung von einer generellen Vorgabe 369 ohne eine solche Vorgabe gewissermaßen „in der Luft hängt." Doch weshalb soll diese Vorgabe nicht in einer Handlungspflicht bestehen können, sondern nur - wie beim „Eingriffe' - in einer Unterlassungspflicht? Hinter den Handlungsvorgaben darf eben nur nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit zurückgeblieben werden. Für die Eigentumsgarantie bedeutet das: Der Gesetzgeber schuldet den Erlass von Normen, die eine privatnützige Zuordnung von Vermögenswerten zu Einzelnen bewirken, die den Namen „Eigentum" verdient. Er kann über dieses geschuldete Minimum hinausgehen. Dahinter zurückbleiben darf er aber nur, soweit dies geeignet, erforderlich und angemessen, kurzum: verhältnismäßig, ist, um anderen legitimen, einer Zuordnung widerstreitenden Belangen gerecht zu werden. 370 Es ist also keineswegs inkonsequent - wenn auch nicht zwingend 371 - , wenn das Bundesverfassungsgericht 372 und die herrschende Meinung 373 Inhaltsbestimmungen - auch wenn sie nicht in nach alten Recht bereits entstandene Rechtspositionen eingreifen 3 7 4 - einer Verhältnismäßigkeitskontrolle unterziehen. normalerweise mit der Vornahme einer faktischen Handlung, nicht - wie hier - einer normativen Handlung identifiziert wird. 367 Vgl. Appel, Entstehungsschwäche, S. 210 ff. 368 So auch Appel, Entstehungsschwäche, S. 209; a.A. Lerche, Übermaß, S. 140 f. (einschränkend ders., HdbStR V, § 122 Rn. 10 mit Fn. 30); Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 223; Sass, Art. 14, S. 277 Fn. 52, S. 303 ff.; Kempen, Eingriff, Rn. 118; Sachs, in: Stern/ Sachs, Staatsrecht III/2, S. 405. 369 Vgl. Alexy, Theorie, S. 100 f. 370 Das heißt, die Verknüpfung von Verhältnismäßigkeit und Institutsgarantie setzt keineswegs zwingend voraus, dass die letztere ein Optimierungsgebot im Alexy'schen Sinne (vgl. Alexy, Theorie, S. 75 f.) ist, also grundsätzlich fordert, dass der Gesetzgeber dem Eigentümer so viel wie möglich zuordnet. Zumindest i. Erg. so auch BVerfGE 58, 300 (345): ,Aus der verfassungsrechtlichen Garantie des Grundeigentums lässt sich nicht ein Anspruch auf Einräumung gerade deijenigen Nutzungsmöglichkeit herleiten, die dem Eigentümer den größtmöglichen Vorteil verspricht." Anders müsste es wohl Alexy sehen, wenn man das in seiner „Theorie" auf S. 75 f. und 100 ff. Gesagte zugrunde legt. 371 Vgl. dazu näher unten S. 148 f. 372 Vgl. BVerfGE 49, 382 (400); 52, 1 (29 f.); 55, 249 (258); 58, 137 (147 f.); 58, 249 (258); 58, 300 (346 ff.); 70, 191 (200); 72, 66 (77 f.); 79, 29 (40); 79, 174 (198); 100, 226 (240 f.); 102, 1(16 ff.). 373 Vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 63; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 38; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 126 f.; Lutz, Eigentumsschutz, S. 130 ff.; Breuer, Bodennutzung, S. 22 ff.; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 57. 374 in solchen Reformgesetzen sieht das BVerfG einen Eingriff in die betroffenen, bereits entstandenen Eigentumspositionen (vgl. dazu unten S. 128.). Deshalb kann es in solchen

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

103

Das Bundesverfassungsgericht begründet das Verhältnismäßigkeitserfordernis in diesen Fällen zwar nicht ausdrücklich mit der Regelungspflicht des Gesetzgebers, sondern mit der Notwendigkeit der Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen der verfassungsrechtlichen Anerkennung des Privateigentums in Art. 14 Abs. 1 GG einerseits und kollidierenden verfassungsrechtlichen Belangen, insbesondere Art. 14 Abs. 2 GG, andererseits. 375 Doch steckt, wenn auch verklausuliert, letztlich der Gedanke der Leistungspflicht hinter diesen Formulierungen. 376 Denn die Anerkennung des Privateigentums ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts eine „Wertentscheidung", 377 und aus den in den Grundrechten enthaltenen objektiven Wertentscheidungen leitet das Bundesverfassungsgericht die Schutzpflichten des Staates, also Handlungspflichten, ab. 3 7 8 Schutzgewährung bedeutet bei Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG aber für den Gesetzgeber vor allem, Inhaltsbestimmungen zu schaffen. 379 Kommt der Gesetzgeber seiner Leistungspflicht gar nicht oder nur unzureichend nach (was nur der Fall ist, wenn eine verfassungskonforme Auslegung an sich unzureichender Inhaltsbestimmungen nicht möglich ist) 3 8 0 , so liegt zwar von Seiten der Exekutive bzw. Judikative, die sich das zunutze machen und auf den Vermögenswert zugreifen, mangels einer geschützten Rechtsposition keine Grundrechtsverletzung vor. 3 8 1 Jedoch hat die Legislative das Grundrecht durch gesetzgeberisches Unterlassen verletzt. Konstellationen das Verhältnismäßigkeitserfordernis am Eingriffscharakter der Inhaltsbestimmung festmachen (vgl. unten S. 129 Fn. 489). 375 Vgl. BVerfGE 52, 1 (29); 55, 249 (258); 58, 137 (147 f.); 70, 191 (200); 79, 29 (40); 102,1(16 f.); 104,1(11). 376 Ähnlich Appel, Entstehungsschwäche, S. 211 f. 377 Vgl. BVerfGE 14, 263 (277 f.) 378 Vgl. BVerfGE 39, 1 (41); 49, 89 (141 f.); 53, 30 (57); 56, 54 (73); 96, 56 (64); vgl. ferner Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1 (12 f.); Dreier, in: Dreier I 2 , Vorb. Rn. 102. 379 Vgl. Steinberg, NJW 1984, S. 457 (459); ähnlich auch Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 223. Ganz in diesem Sinne heißt es in BVerfG, NJW 2005, S. 2376 (2377), der in Art. 14 Abs. 1 GG enthaltene objektivrechtliche Schutzauftrag verpflichte den Gesetzgeber, Vorkehrungen dafür zu treffen, dass die Versicherten einer kapitalbildenden Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung an den durch die Prämienzahlung geschaffenen Vermögenswerten angemessen beteiligt werden (ähnlich BVerfG, NJW 2005, S. 2363 [2366 ff.]). Hier zeigt sich, wie nah die Gedanken der Schutzpflicht, der Institutsgarantie und der Wertentscheidung beieinander hegen (ähnlich auch Jarass, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 35 [39 Fn. 45], Obermeyer, KritV 86 [2003], S. 142 [161 f.]). 380 So zu recht Lutz, Eigentumsschutz, S. 133 f.; Mampel, NJW 1999, S. 975 (977). Zu den hierbei geltenden Anforderungen vgl. BVerfGE 68, 361 (372); 79, 283 (290); 82, 6 (15); Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 57; ferner unten S. 112 Fn. 425. Zu den Voraussetzungen und Grenzen der verfassungskonformen Auslegung allgemein vgl. unten S. 260 Fn. 1126. 381 So zu recht Lutz, Eigentumsschutz, S. 134; vgl. auch Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 56: Eigentümer hat gegenüber Exekutive und Judikative keine weitergehenden Schutzrechte, als die Gesetze ihm gewähren.

104

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Diese Verletzung der Eigentumskonstituierungspflicht kann mit der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG angegriffen werden. Auch aus Rechtsschutzgesichtspunkten droht damit kein „Leerlaufen" des Eigentumsgrundrechts. 382 Denn mit der Regelungspflicht des Gesetzgebers korrespondiert ein Regelungsanspruch des Einzelnen. 3 8 3 Die Bezeichnung des Regelungsauftrags als „objektiv-rechtlich" 3 8 4 besagt als solche noch nichts Gegenteiliges. „Objektivrechtlich" bringt i m grundrechtlichen Zusammenhang nämlich zunächst nur, wenn auch i n etwas missverständlicher Weise, zum Ausdruck, dass es sich um einen Grundrechtsinhalt handelt, der zum klassischen - sog. „subjektivrechtlichen" - (negatorischen) Abwehrgehalt hinzutritt. 3 8 5 Nicht gemeint ist hingegen, dass es von vornherein keine mit dem objektivrechtlichen Gehalt korrespondierenden subjektiven Rechte g i b t . 3 8 6 So hat das Bundesverfassungsgericht in der Nichtbeachtung der Ausstrahlungswirkung der objektivrechtlichen Grundrechtsgehalte auf das Privatrecht stets eine Verletzung auch des sub382 wie die Entscheidung des BVerfG im Falle einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde gegen gesetzgeberisches Unterlassen aussieht, beurteilt sich nach den Grundsätzen, die das BVerfG im Hinblick auf Art. 3 GG und Normenkontrollen, bei denen grundrechtliche Schutzpflichten Prüfungsmaßstab waren, entwickelt hat. Das heißt, bei völligem Unterlassen ergeht gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ein Feststellungsurteil. Bei sog. „unechten" Unterlassen (eine gesetzliche Regelung ergeht zwar, sie bleibt aber hinter dem vom Grundrecht geforderten Standard zurück) wird in der Regel gemäß § 31 Abs. 2 Var. 2 BVerfGG die Unvereinbarkeit der Regelung mit dem Grundgesetz festgestellt (vgl. gerade am Beispiel von Art. 14 Abs. 1 GG BVerfG, NJW 2005, S. 2363 [2366 f.]). Es ist hier aber auch - vgl. BVerfGE 88, 203 (208 f.) - eine Nichtigkeitserklärung gemäß § 95 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG i.V.m. einer Vollstreckungsanordnung gemäß § 35 BVerfGG, in der eine Regelung für die Zeit bis zum Erlass eines verfassungsmäßigen Gesetzes getroffen wird, denkbar. Vgl. zu diesem Fragenkreis Stark, in: MAK-BVerfGG , § 95 Rn. 34, 85 ff.; Möstl, DÖV 1998, S. 1029 (1039). 383 Vgl. BVerfGE 37, 132 (140); Hesse, Grundzüge 20 Rn. 442; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 22, 91; Alexy, Theorie, S. 442 ff.; Ehlers, W D S t R L 51 (1992), S. 211 (214 Fn. 8); Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 118; a.A. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 III Rn 28; Appel, Entstehungsschwäche, S. 221 f., 265 f., 280 f.; im Grundsatz auch Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 96 f. - So wie die Schutzpflicht für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG auf das einzelne Leben und nicht nur auf menschliches Leben allgemein bezogen ist (vgl. BVerfGE 88, 203 [255]), muss auch die Regelungspflicht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG letztlich auf das Eigentum des Einzelnen und nicht nur auf das Rechtsinstitut „Eigentum" bezogen sein (in diesem Sinne bereits Dürig, ZStaatsW 109 [1953], S. 326 [338], der unter Berufung auf den vorstaatlichen Charakter der Grundrechte von einem „Recht auf Eigentum" spricht). Appel, Entstehungsschwäche, S. 265 f., 280, will dem Betroffenen stattdessen über Art. 2 Abs. 1 GG in seiner Funktion als Auffanggrundrecht helfen: Nur wenn die Regelung mit der Institutsgarantie im Einklang stehe, sei sie Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung i. S. von Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 GG. Er übersieht jedoch, dass ein Fall gesetzgeberischen Unterlassens und somit schon gar kein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG, die allgemeine Handlungsfreiheit, vorliegt. 384 BVerfGE 89,1 (5). 385 Vgl. zu den objektivrechtlichen Grundrechtsgehalten auch schon oben S. 89 Fn. 309. 386 Vgl. Sachs in: Sachs3, Vor Art. 1 Rn. 28; Jarass, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 35 (47).

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

105

jektiven Grundrechts durch die Zivilgerichte gesehen.387 Aus der im Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) enthaltenen Wertentscheidung hat es ein Recht des Grundrechtsträgers auf solche staatlichen Maßnahmen, die zum Schutz des grundrechtlich gesicherten Freiheitsraumes unerlässlich sind, abgeleitet. 388 Die schwankende und letztlich unentschiedene Haltung, die das Gericht gerade in Bezug auf die Subjektivierung gesetzgeberischer 389 Handlungspflichten an den Tag legt, 3 9 0 ist nicht berechtigt. Denn sämtliche Argumente, die gegen eine solche Subjektivierung vorgetragen werden - Abhängigkeit der Erfüllbarkeit von politischen und finanziellen Gegebenheiten, Vielzahl von Erfüllungsmöglichkeiten, generelle Unbestimmtheit, Einschränkung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums zugunsten der Judikative 391 - , sind letztlich Argumente, die schon gegen die Existenz solcher Pflichten oder zumindest deren Justitiabilität sprechen. 392 Solange das Gericht hieraus keine Konsequenzen zieht und die Einhaltung dieser Pflichten weiterhin ζ. B. im Wege der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG überprüft, 393 besteht kein Grund, gerade die durch den Träger des entsprechenden Grundrechts veranlasste gerichtliche Kontrolle über eine Verfassungsbeschwerde für unzulässig zu halten. 394 Eine Vielzahl von Erfüllungsmöglichkeiten besteht im Übrigen auch bei Art. 3 Abs. 1 GG, ohne dass man deshalb dieser Vorschrift ihren Charakter als subjektives Recht aberkennen würde. 395 Mit Recht geht daher die herrschende Lehre davon aus, dass mit den „objektivrechtlichen" grundrechtlichen Handlungspflichten, soweit sie bestehen, subjektive Rechte korrespondieren. 396 387 Vgl. BVerfGE 7, 198 (206 f.); 84, 192 (195); 99,185 (194 f.). 388 Vgl. BVerfGE 35, 79 (114 ff.); 88,129 (136 f.). 389 Den Unterschied zwischen exekutivischen und legislativen Unterlassen betonend BVerfG-K, NJW 1998, S. 3264 (3265). 390 Sehr restriktiv: BVerfGE 1,97 (100); 11, 255 (216); 12, 139 (142); 23, 242 (249); offen lassend: BVerfGE 56, 54 (68 f.); K-NJW 1998, S. 3264 (3265); bejahend: BVerfGE 77, 170 (214); 79, 174 (201 f.); BVerfG-K, NJW 1995, S. 2343 (2343); der Frage über § 93a Abs. 2 BVerfGG ausweichend: BVerfG-K, NJW 1987, S. 353 (353); 1996, S. 651 (651); 1998, S. 2961 (2961); NVwZ 2001, S. 908 (908 f.); 2002, S. 908 (908). Zurückhaltung anmahnend auch Stern, in: Stern/Sachs, Staatsrecht m / 1 , S. 988 f.; J. Ipsen, Staatsrecht Π 8 , Rn. 96 f.; differenzierend Dreier, in: Dreier I 2 , Vorb. Rn. 95. 391 Vgl. BVerfGE 56, 54 (69); BVerfG-K, NJW 1987, S. 2287 (2287); Steinberg, NJW 1984, S. 457 (461); J. Ipsen, Staatsrecht II 8 , Rn. 94 ff.; Stern, in: Stern/Sachs, Staatsrecht m/l,S.988f.

392 So zutreffend Alexy, Der Staat 29 (1990), S. 49 (60 ff.). 393 Vgl. ζ. B. BVerfGE 88, 203 (213 ff.). 394 in diesem Sinne auch Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1 (17); H. H. Klein, DVB1. 1994, S. 489 (493). 395 Gegen das Argument der Vielzahl von Erfüllungsmöglichkeiten Jarass, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 35 (49). 396 Vgl. Sachs, in: Sachs3, Vor Art. 1 Rn. 41; Enders, in: Berliner Kommentar, vor Art. 1 Rn. 83; Jarassl Pieroth, GG 7 , Vorb. vor Art. 1 Rn 6; ders., FS 50 Jahre BVerfG II, S. 35 (48 f.); Isensee, in: HdbStR V, § 111 Rn. 183; Maurer, Staatsrecht4, § 9 Rn. 21; Alexy, Der

106

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Der These von der Gesetzesabhängigkeit des Eigentums kann also nicht entgegengehalten werden, dass sie zu einem im Vergleich zu anderen Grundrechten ineffektiven Grundrechtsschutz führt. Es ist nur so, dass - weil das Eigentum des Einzelnen das Rechtsinstitut „Eigentum" voraussetzt 397 - dem Leistungsgehalt des Grundrechts eine größere Bedeutung zukommt als bei anderen Grundrechten. Die Regelungspflicht des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG tritt nicht nur - wie bei anderen Grundrechten die Schutzpflichten - ergänzend zum Abwehrgehalt hinzu, sondern geht ihm gewissermaßen voraus. 398 (3) Der verfassungsunmittelbare

Begriff des Eigentums

Es steht der These von der Gesetzesabhängigkeit des Eigentums auch nicht entgegen, dass das Bundesverfassungsgericht in derselben Entscheidung, in der es diese These entwickelt, sagt: „Der Begriff des von der Verfassung gewährleisteten Eigentums muß aus der Verfassung selbst gewonnen werden. Aus Normen des einfachen Rechts, die im Range unter der Verfassung stehen, kann ... der Begriff des Eigentums im verfassungsrechtlichen Sinn [nicht] abgeleitet... werden." 399 Das wird deutlich, wenn man sich die verschiedenen Schritte vor Augen hält, die bei der Prüfung, ob im konkreten Fall eine durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtsposition vorliegt, zu durchlaufen sind. Zunächst ist - auf der Ebene des Obersatzes - zu klären, was der Begriff „Eigentum" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG bedeutet. Hierauf bezieht sich die soeben zitierte Passage aus der Nassauskiesungsentscheidung. Das Bundesverfassungsgericht stellt damit klar, dass es seine Eigentumsdefinition - vermögensweites privatnütziges Recht - ausschließlich durch Auslegung des Grundgesetzes ermittelt hat und dass sie in keiner Weise zur Disposition des einfachen Gesetzgebers steht. Um zu erfahren, ob und ggf. inwieweit im konkreten Fall Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinne vorliegt, muss aber noch in einem zweiten Schritt - auf der Ebene des Untersatzes - untersucht werden, ob das als Eigentum in Betracht gezogene Phänomen tatsächlich die Merkmale des oben definierten Eigentumsbegriffs aufweist, ob es mit anderen Worten, ein vermögenswertes privatnütziges Recht ist. Allein hierauf - auf den Untersatz - bezieht sich die Gesetzesabhängigkeitsthese des Bundesverfassungsgerichts. Ob etwas ein vermögenswertes privatnütziges Recht (Obersatz) ist, kann nämlich nur durch eine „Zusammenschau aller ... die Staat 29 (1990), S. 49 (60 ff.); H. H. Klein, DVB1. 1994, S 489 (493); Erichsen, Jura 1997, S. 85 (89); Möstl, DÖV 1998, S. 1029 (1032); Pieroth/Schlink, Grundrechte 20 Rn. 81; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 I I I Rn 28 (Vermutung für subjektive Berechtigung); speziell im Hinblick auf Einrichtungsgarantien vgl. Mager, Einrichtungsgarantien, S. 443 ff.

397 Vgl. BVerfGE 24, 367 (389). 398 Vgl. dazu auch unten S. 147 f. 399 BVerfGE 58, 300 (335 [Klammerzusatz F.R.]).

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

107

Eigentümerstellung regelnden gesetzlichen Vorschriften" 400 (Untersatz) festgestellt werden. Doch durch diese Konsultation des einfachen Rechts auf der Ebene der Bildung des Untersatzes wird in keiner Weise die Verfassungsunmittelbarkeit des Eigentumsbegriffs auf der Ebene des Obersatzes in Frage gestellt. Zu welchem Ergebnis die „Zusammenschau aller ... die Eigentümerstellung regelnden gesetzlichen Vorschriften" nämlich auch führen mag, an der Definition des Begriffes „Eigentum" als vermögenswertes privatnütziges Recht ändert sich hierdurch nicht das Geringste. 401 (4) Ergebnis An der Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass der Gegenstand des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes, das Eigentum, erst durch Inhaltsbestimmungen des Gesetzgebers konstituiert wird, ist folglich - von einer sogleich zu erörternden Ausnahme abgesehen - festzuhalten. cc) Ausnahme: Die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten natürlichen Handlungsmöglichkeiten Nur für die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Elemente natürlicher Handlungsfreiheit des Eigentümers greifen die soeben genannten Argumente für die Gesetzesabhängigkeit des Schutzobjekts nicht. Die Fähigkeit, ein Haus zu bauen 4 0 2 oder abzureißen 403, Kies zu baggern, 404 Wein anzubauen405 oder Hunde zu züchten 406 , muss nicht erst rechtlich begründet werden, 407 sondern gehört - in den Worten Humes 408 - zu den äußeren Vorzügen unseres Körpers. Es handelt sich um Dinge, welche die Rechtsordnung vorfindet, die sie schützen oder verbieten kann, die aber unabhängig von ihr existieren. 409 Eine Art existentielle Abhängigkeit von gesetzlichen Regelungen kann hier nur künstlich erzeugt werden, indem man aus 400 BVerfGE

58, 300 (336).

401 Ahnlich auch Kutschern, Bestandsschutz, S. 23 i.V.m. S. 15 f.; Appel, Entstehungsschwäche, S. 32 ff. 402 Vgl. BVerfGE 25,112 ff.; 35, 263 (276); 104, 1 (11); BVerwGE 106, 228 ff. 403 Vgl. BVerfGE 100, 226 ff. 404 Vgl. BVerfGE 58, 300 ff. 405 Vgl BVerfGE 21, 150 ff. 406 Vgl. BVerfGE 110,141 (173). 407 So auch Hösch, Eigentum, S. 233, 270. Er will deshalb diese Aspekte völlig aus dem Anwendungsbereich des Art. 14 GG ausblenden, vgl. oben S. 96 Fn. 335. 408 Siehe oben S. 95. 409 Man muss sich nur das gesellschaftliche Phänomen „Recht" hinwegdenken und sich fragen, ob dann Häuser gebaut werden könnten. Die Antwort lautet:, Ja". Fragt man sich hingegen, ob unter diesen Umständen Güter Einzelnen rechtlich zugeordnet sein könnten, lautet die Antwort: „Nein".

108

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

der Verfassung ableitet, dass die Vornahme der fraglichen Handlungen dem Eigentümer grundsätzlich verboten ist, bis ihm die entsprechende Handlungsbefugnis gesetzlich eingeräumt wird. Erst dann könnte man sagen, dass auch die unter Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallenden Elemente der natürlichen Handlungsfreiheit der Konstituierung durch Inhaltsbestimmungen bedürfen. Bestimmte Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts 410 und der herrschenden Meinung 411 lassen sich in der Tat in diesem Sinne deuten, etwa wenn der Gebrauch des Eigentums als Frage der gesetzlichen Bestimmung des Eigentumsinhalts bezeichnet wird. Jedoch würde ein solches Verständnis der Eigentümerhandlungsfreiheit - wenn man es konsequent durchhielte - zu ziemlich grotesken Ergebnissen führen: Solange das einfache Recht keine Aussage zur Bebauung von Grundstücken trifft, könnte man unter Berufung auf das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 G G 4 1 2 oder eines spezielleren Freiheitsrechts jedes herrenlose Grundstück bebauen.413 Ist man hingegen Eigentümer des Grundstücks mit der Folge, dass die entsprechenden Handlungen nicht durch Art. 2 Abs. 1 GG, sondern von Art. 14 Abs. 1 GG erfasst werden, 414 müsste man warten, bis einem die Befugnis zum Bauen gesetzlich zugeteilt wird. Eine solche Schlechterstellung des Eigentümers ließe sich nicht mit der Erwägung rechtfertigen, dass sie gewissermaßen der Preis sei, den er für die exklusive Zuordnung des vermögensweiten Gutes zahlen müsse und dass das Grundgesetz auf diese Weise versuche, die Sozi410 Vgl. BVerfGE 21, 73 (83): Gebrauch des Eigentums als Frage der gesetzlichen Bestimmung des Eigentumsinhalts; BVerfGE 21, 150 (154): Beschränkung des Weinanbaus Inhaltsund Schrankenbestimmung des Eigentums; BVerfGE 25, 112 (115 f., 121 ff.): Befugnis der Bebauung von Deichgrundstücken vom Gesetzgeber einzuräumende Befugnis; BVerfGE 35, 263 (276): „Recht..., Grundstück im Rahmen der Gesetze zu bebauen, ... durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt" (Hervorhebung F.R.; ähnlich BVerfG-K, NJW 2001, S. 424 [424]; BVerfGE 104, 1 [11]); BVerfGE 58, 300 (338 f.): Trennung der „Befugnis zur Benutzung des Grundwassers" vom Grundeigentum Inhalts- und Schrankenbestimmung; BVerfGE 100, 226 (228 f., 239 f.): Beschränkung der Abrissmöglichkeiten eines denkmalgeschützten Hauses Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums und Versagung der Abrissgenehmigung Aktualisierung dieser Beschränkung; BVerfGE 105, 252 (278): „ rechtliche Befugnis, Sachen zum Verkauf anzubieten, zum erworbenen und über Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Bestand zu rechnen" (Hervorhebung F.R.); BVerfGE 110, 141 (173): Zuchtverbot „den Eigentumsinhalt bestimmende[s] Gesetz." 411 Vgl. BVerwGE 106, 228 (234); BGHZ 84, 223 (226); 84, 230 (233); 90, 4 (8 f.); Böhmer, NJW 1988, S. 2561 (2569 ff.); Jarass/Pieroih, GG 7 , Art. 14 Rn. 22, 24; Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 69; Breuer, Bodennutzung, S. 162 ff., insb. S. 166; Wendt, Eigentum, S. 170 Fn. 120; Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht ΙΠ/2, S. 407; Lege, Zwangskontrakt, 5. 64; Maiwald, BayVBl. 1991, S. 101 (102 f.); Pieroth/Schlink, Grundrechte 20 Rn. 901 f.; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 250, 381; Appel, Entstehungsschwäche, S. 140, 274; ders., NuR 2005, S. 427 (429). 412 Zur Auslegung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit als allgemeine Handlungsfreiheit vgl. BVerfGE 6, 32 (36 ff.). 413 Vgl. BVerwGE 42,115 ff. 414 Zur Subsidiarität des Art. 2 Abs. 1 GG gegenüber anderen Grundrechten vgl. BVerfGE 6, 32 (37); 44, 59 (69); 50, 290 (362); 70, 1 (32), 70,115 (123); 89,1 (13).

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

109

alverträglichkeit des Eigentums zu gewährleisten. Denn Art. 14 Abs. 2 GG, der sich gerade auf den „Gebrauch" des Eigentums und damit auf die Handlungsfreiheit des Eigentümers bezieht, liefert bereits zu diesem Zwecke eine breite Legitimationsbasis für Beschränkungen der Handlungsfreiheit des Eigentümers. Des Kunstgriffes, seine Handlungsfreiheit von der gesetzlichen Zuweisung von Handlungsbefugnissen abhängig zu machen, bedarf es also gar nicht. 415 Auch das Bundesverfassungsgericht hält die Gesetzesabhängigkeitsthese im Hinblick auf die unter Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallenden Elemente der Handlungsfreiheit des Eigentümers letztlich nicht konsequent durch. Zwar bezeichnet es Normen, welche die Handlungsfreiheit des Eigentümers beschränken, einerseits als Inhaltsbestimmungen des Eigentums, 416 was an sich voraussetzt, dass die Handlungsfreiheit des Eigentümers erst einfachrechtlich konstituiert werden muss. Andererseits spricht es jedoch auch davon, dass solche Normen eine „Einschränkung von Eigentümerbefugnissen" bewirken, 417 und zwar ohne immer den Nachweis zu erbringen, dass das einfache Recht dem Eigentümer die fraglichen Handlungsbefugnisse vorher eingeräumt hatte. 418 Auch das Erfordernis einer Verhältnismäßigkeitsprüfung scheint es in diesen Fällen nicht aus der Notwendigkeit eines Ausgleichs zwischen der Pflicht des Gesetzgebers, ein Eigentum, das diesen Namen verdient, zur Verfügung zu stellen, und gegenläufigen Belangen 419 abzuleiten, sondern allein aus der Tatsache der „Einschränkung". 420 Dies setzt gedanklich aber eine dem Gesetzgeber vorgegebene prinzipiell unbeschränkte Handlungsfreiheit 415 Zu dem Argument, dass weite Schranken auch für eine weiten Schutzbereich sprechen, vgl. BVerfGE 6, 32 (36) zu Art. 2 Abs. 1 GG. 416 Vgl. oben Fn. 410. 417 Vgl. BVerfGE 21, 150 (155); 25, 112 (118); 58, 300 (339 f.); 100, 226 (240 f.). - Als Elemente von in der Sache vorgegebener Handlungsfreiheit werden dabei sogar Dinge behandelt, auf die das gar nicht zutrifft, weil es sich in Wirklichkeit um rechtliche Erweiterungen der natürlichen Handlungsfreiheit handelt, wie ζ. B. die Übertragbarkeit der rechtlichen Inhaberschaft über Grundstücke und Forderungen. Vgl. hierzu BVerfGE 21, 306 (310); 26, 215 (222); 50, 290 (340): Veräußerungsverbot von Grundstücken „Eingriff in ... Freiheitsbereich des Bürgers"; BVerfGE 42, 263 (294 f.): Beseitigung der privatautonomen Verfügungsbefugnis über Ansprüche „Eingriff in den grundsätzlichen Freiheitsbereich des Bürgers"; BVerfGE 104, 1 (9): Neuordnung der Eigentumsverhältnisse durch Baulandumlegung „schränkt die verfassungsrechtlich gewährleistete Verfügungsfreiheit des Eigentümers ... und damit zugleich die von Art. 14 I 1 GG geschützte Handlungsfreiheit im Bereich der Eigentumsordnung ein."

418 Vgl. BVerfGE 21, 150 (154 ff.); 100, 226 (241 ff.). Eine Ausnahme ist insoweit BVerfGE 25, 112 (121 f.). In BVerfGE 58, 300 (348 ff.) setzt es sich mit dieser Frage zwar im Hinblick auf von nach früheren Recht möglichen Nutzungsbefugnissen, von denen bereits Gebrauch gemacht worden ist, auseinander. Aber es spricht auch von einer „Begrenzung von Eigentümerbefugnissen", soweit das nicht der Fall ist (vgl. BVerfGE a. a. O. S. 338). 419

Vgl. zu dieser Ableitung des Verhältnismäßigkeitsprinzips oben S. 102 f. 420 Vgl. BVerfGE 21, 150 (155); 26, 215 (222); 42, 263 (294 f.); 100, 226 (241). Eine Ausnahme ist auch insoweit BVerfGE 58, 300 (338 ff.). Auch hier wird aber hervorgehoben, dass es um eine „Begrenzung von Eigentümerbefugnissen" geht (BVerfG a. a. O. S. 338).

110

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

des Eigentümers voraus. Im Ganzen stellt sich die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts folglich als widersprüchlich dar. Um die in ihren Ergebnissen zu begrüßende Behandlung von Handlungsbefugnissen auf eine in sich schlüssige dogmatische Grundlage zu stellen, ist daher wie folgt zu differenzieren: Das Eigentum im eigentlichen Sinne, d. h. die sich auf einen bestimmten Vermögenswert beziehende Rechtsmacht über andere, sowie die unter Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallenden Elemente künstlicher Handlungsfreiheit (Verfügungsmacht) müssen durch einfache Gesetze, welche die entsprechende Rechts- und Verfügungsmacht statuieren, konstituiert werden. Die unter Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallenden Elemente natürlicher Handlungsfreiheit hingegen bedürfen einer solchen Konstituierung nicht. Im Hinblick auf diese natürliche Handlungsfreiheit ist Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ein „normales" Freiheitsrecht. 421 Das heißt, das geschützte Verhalten ist grundsätzlich erlaubt, der Gesetzgeber kann diese Erlaubnis jedoch nach Maßgabe der auch bei den Freiheitsrechten geltenden Grundsätzen, insbesondere der Verhältnismäßigkeit, einschränken. Im Übrigen ist es kein Freiheitsrecht, sondern schützt „nur" Rechtspositionen, also einfachrechtliche Rechts- oder Verfügungsmacht.

dd) Zusammenfassung und Konsequenzen Aus dem oben Gesagten ergeben sich bereits erste Konsequenzen für die drei o.g. Thesen des Bundesverfassungsgerichts. (1) Konsequenzen im Hinblick auf die beiden Thesen, dass das Eigentum durch den Gesetzgeber konstituiert wird und dass es nur drei Arten von eigentumsgrundrechtsrelevanten Regelungen gibt Soweit auch Elemente natürlicher Handlungsfreiheit des Eigentümers in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallen, ergibt sich der Gegenstand des Grundrechtsschutzes nicht aus Inhaltsbestimmungen des einfachen Gesetzgebers, sondern wird - als ein empirisch-faktisches Phänomen - von diesem bereits vorgefunden. Insoweit ist die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass sich Gegenstand und Umfang des verfassungsrechtlichen Schutzes aus dem einfachen Recht, nämlich aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums, ergeben, also falsch. Daraus ergibt sich als weitere Folge, dass Normen, die sich auf diese von Art. 14 Abs. 1 GG erfassten Elemente der Handlungsfreiheit beziehen, keine Inhaltsbestimmungen des Eigentums sind, die sich „nur" an der den Gesetzgeber treffenden Leistungspflicht, ein Eigentum, das diesen Namen verdient, zur Verfügung zu stellen, messen lassen müssen. Vielmehr handelt es sich, soweit diese Normen eine 421 Zum Begriff der Freiheit vgl. oben S. 98 Fn. 349.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

111

Beschränkung der Handlungsfreiheit bewirken, 422 um am Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu messende Schrankenbestimmungen.423 Die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, dass es nur drei Arten von eigentumsgrundrechtsrelevanten Gesetzen, nämlich Inhaltsbestimmungen, Legalenteignungen und Ermächtigungen zur Administrativenteignung, gibt, ist in diesem Punkt also ebenfalls falsch. Es gibt noch einen vierten Regelungstyp: die Schrankenbestimmung. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die von Art. 14 Abs. 1 GG erfasste natürliche Handlungsfreiheit des Eigentümers beschränkt. Die Beschränkung kann direkt erfolgen, indem dem Eigentümer die Vornahme bestimmter Handlungen verboten wird (ζ. B. Bauen ohne Baugenehmigung), oder indirekt, indem ihm von vornherein nur die Vornahme bestimmter Handlungen gestattet wird. Als richtig erwiesen hat sich die Gesetzesabhängigkeitsthese des Bundesverfassungsgerichts jedoch im Hinblick auf die Imperative, die dem Eigentümer das Vermögenswerte Gut im Verhältnis zu den Adressaten dieser Imperative zuordnen, und die sich auf diese Rechtslage beziehende Verfügungsmacht. Normen, die eine Aussage zu solchen Imperativen oder dieser Verfügungsmacht treffen, haben inhaltsbestimmenden Charakter. Dies gilt nicht nur dann, wenn diese Aussagen, aus der Sicht des Eigentümers positiv sind, weil sie ihm - wie ζ. B. § 985 BGB oder § 929 Satz 1 BGB - Rechtsoder Verfügungsmacht einräumen. Es gilt vielmehr auch dann, wenn sie aus Sicht des Eigentümers negativ sind, weil sie seiner Rechts- oder Verfügungsmacht Grenzen setzen, wie das ζ. B. bei § 986 BGB oder § 138 BGB der Fall ist. Das hängt damit zusammen, dass für die Frage, ob und inwieweit sich ein Individuum in der Rechtslage, die wir „Eigentum" nennen, befindet, entscheidend ist, ob und ggf. welche eigentumszuweisenden Imperative und Verfügungsbefugnisse sich in einer bestimmten Situation „in seiner Hand" 4 2 4 befinden. Diese Frage wird ihrerseits nicht nur durch Normen beantwortet, die solche Imperative und Verfügungsbefugnisse positiv errichten (wie ζ. B. § 985 BGB oder § 929 Satz 1 BGB), sondern auch durch solche, die sie suspendieren (wie ζ. B. § 986 BGB oder § 138 BGB). Denn es kann für die Frage, ob einer Person nach dem einfachen Recht ein bestimmter eigentumszuweisender Imperativ oder eine bestimmte Verfügungsbefugnis zur Seite steht, keinen Unterschied machen, ob der Imperativ oder die Befugnis von vornherein nicht statuiert wird oder aber grundsätzlich statuiert wird, aber für die 422

Soweit sie dem Eigentümer positiv Handlungsbefugnisse einräumen, wie ζ. B. § 903 Satz 1 Var. 1 BGB, wiederholen sie lediglich, was dieser kraft des Grundrechts ohnehin schon darf, nicht anders als ein einfaches Gesetz, das es dem Einzelnen gestattet, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Solche Normen sind weder Inhaltsbestimmungen noch Schrankenbestimmungen. 423 So wohl auch Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 104, wobei mir aber nicht klar ist, weshalb dann trotzdem „eine Schrankenbestimmung stets auch eine Inhaltsbestimmung" sein soll. 424 Die Formulierung lehnt sich an BVerfGE 24, 367 (389) an, wonach Art. 14 Abs. 1 GG das Eigentum „in der Hand des Einzelnen" schützt.

112

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

fragliche Situation durch eine andere Norm suspendiert wird. 4 2 5 Durch den Grundsatz lex specialis derogat legi generali entfaltet nämlich die durch die suspendierende Norm verdrängte imperativ- bzw. verfügungsmachterrichtende Norm in der fraglichen Situation keine Wirkung, so als ob es sie von vornherein nicht gäbe. Man erhält ein verzerrtes Bild von der einfachrechtlichen Rechtslage und damit vom „Eigentum", wenn man das nicht beachtet. Der durch die Zusammenschau aus imperativ- und verfügungsmachterrichtenden Normen einerseits und imperativ- und verfügungsmachtsuspendierenden Normen andererseits zu ermittelnde Saldo an Imperativen und Verfügungsbefugnissen ist das durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Eigentum in der Hand des Einzelnen. 426 Normen wie die §§ 904, 905 Satz 2, 906 und 986 BGB sind daher ebenso Inhaltsbestimmungen des Eigentums (und nicht etwa Schrankenbestimmungen)427 wie § 903 Satz 1 Var. 2 BGB und § 985 BGB, obwohl sie aus Sicht des Eigentümers negative Aussagen enthalten. 4 2 8 Sie müssen sich als solche an der Leistungspflicht des Gesetzgebers messen lassen, solche Imperative und Verfügungsbefugnisse zur Verfügung zu stellen, die eine Rechtslage hervorbringen, die den Namen „Eigentum" verdient. Inhaltsbestimmungen sind aber auch solche Normen, die dem „Eigentümer" die Pflicht auferlegen, Handlungen von Nichteigentümern in Bezug auf das ihm „zugewiesene" Gut zu dulden, wie z. B. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB. Sie enthalten zwar auch ein Handlungsverbot, nämlich das Verbot, den Nichteigentümer ζ. B. durch Gewalt, an der Vornahme der zu duldenden Handlung zu hindern. Man könnte auf den ersten Blick daher meinen, es müsse sich um die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Handlungsfreiheit des Eigentümers beschränkende Normen, also 425 Vgl. BVerfGE 58, 300 (336); Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 51; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 307; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 260. - Das heißt nicht, dass die Art der vom Gesetzgeber gewählten Konstruktion überhaupt nicht praktisch relevant werden kann. Sie kann vielmehr für die Möglichkeiten der verfassungskonformen Auslegung von Bedeutung sein (vgl. dazu schon oben S. 103). Wählt der Gesetzgeber - wie im Falle des Sacheigentums (vgl. § 903 BGB) - eine Regel-Ausnahme-Konstruktion, so bringt er damit den Willen zu einer möglichst umfassenden Zuweisung des Guts an den Eigentümer zum Ausdruck. Sollte man also zu dem Ergebnis kommen, dass eine bestimmte Suspendierung eines eigentumszuweisenden Imperativs hinter den Anforderungen der Leistungspflicht des Gesetzgebers zurückbleibt und deshalb verfassungswidrig ist, kann man die entstandene Lücke durch die Grundregel auffüllen. Zählt der Gesetzgeber dagegen abschließend die Befugnisse des Eigentümers auf und bleibt er damit hinter den Erwartungen des Art 14 Abs. 1 Satz 1 GG zurück, so bleibt nur die Feststellung, dass der Gesetzgeber seinen verfassungsrechtlichen Pflichten nicht nachgekommen ist und zur Abhilfe verpflichtet ist. Eine Schließung der Schutzlücke durch die Gerichte selbst kommt - sieht man einmal von den oben S. 104 Fn. 382 dargestellten eng begrenzten Möglichkeiten des BVerfG ab - nicht in Betracht. 426 So richtig BVerfGE 58, 300 (336). 427 A.A. Wendt, Eigentum, S. 147 ff.; Lutz, Eigentumsschutz, S. 163 ff. Vgl. dazu auch unten S. 157 f. 428 Weitere Beispiele für Inhaltsbestimmungen mit einer aus Sicht des Eigentümers negativen, weil imperativ- oder verfügungsmachtsuspendierenden, Aussage sind: § 14 Satz 1 BImSchG; §§ 104 ff. BGB; §§ 134 ff. BGB; §§ 399 f. BGB.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

113

Schrankenbestimmungen, handeln. Dann würde man jedoch übersehen, dass die Duldungspflicht gegenüber dem Nichteigentümer zugleich bedeutet, dass dem Eigentümer kein Abwehrrecht gegen die Handlung des Nichteigentümers zur Verfügung steht. 429 Das heißt nichts anderes, als dass es insoweit an einem eigentumszuweisenden Imperativ fehlt und in diesem Umfange eine Zuordnungslücke besteht. In der Duldungspflicht steckt insoweit also eine am Leistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu messende Inhaltsbestimmung des Eigentums. Sie bewirkt, dass der Eigentümer insoweit gerade nicht Eigentümer des Guts ist, dass ihm das Gut insoweit gerade nicht zugeordnet ist. Dann sind seine Handlungen, die sich auf diesen, ihm nicht zugeordneten, Aspekt des Guts beziehen, aber auch keine durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Handlungen in Bezug auf sein Eigentum. Vielmehr sind es „nur" durch die Freiheitsrechte, in der Regel Art. 2 Abs. 1 GG, geschützte Handlungen eines - insoweit - Nichteigentümers. Das in der Duldungspflicht auch steckende Handlungsverbot muss sich also nicht an Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG messen lassen, sondern ausschließlich an Art. 2 Abs. 1 GG oder einem spezielleren Freiheitsrecht. Daraus folgt, dass eine etwas ge- oder verbietende Norm nur dann eine Schrankenbestimmung im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG ist, wenn sie die einfachrechtlichen eigentumszuweisenden Imperative unberührt lässt. Ob das so ist, kann eine schwierige Auslegungsfrage sein. 430 In der Regel ist das aber immer dann der Fall, wenn dem Eigentümer etwas verboten wird, was allen anderen auch verboten ist, ζ. B. ein denkmalgeschütztes Haus abzureißen.

429

Zum Inhalt von Duldungspflichten vgl. auch Alexy, Theorie, S. 418 f. So kann man die in der Nassauskiesungsentscheidung (BVerfGE 58, 300 ff.) auf dem Prüfstand stehenden Normen des Wasserhaushaltsgesetzes (vgl. BVerfG a. a. O. S. 305 f.) so verstehen, dass sie dem Grundstückseigentümer „nur" die Befugnis, das unter seinem Grundstück befindliche Grundwasser zu nutzen, nehmen, aber die sich auf das Grundwasser beziehenden Imperative in der Hand des Eigentümers unberührt lassen. Dann wären es „nur" Schrankenbestimmungen der durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Handlungsfreiheit des Eigentümers. Man kann ihren Regelungsgehalt aber auch so verstehen, dass dem Grundstückseigentümer im Hinblick auf das Grundwasser schon keine eigentumszuweisenden Imperative zustehen sollen. Dann wären es Inhaltsbestimmungen des Eigentums und Beschränkungen seiner durch die allgemeinen Freiheitsrechte geschützten Handlungsfreiheit. Wie das BVerfG sie interpretiert hat, ist nicht ganz klar. Es sagt a. a. O. S. 329 einerseits: „Der materielle Gehalt des zur Prüfung gestellten Normenkomplexes lässt sich folglich dahin zusammenfassen, dass das Wasserhaushaltsgesetz dem Grundeigentümer prinzipiell nicht das Recht gewährt, auf im Untergrund vorhandene Wasser einzuwirken." Das spricht für eine „bloße" Beschränkung der durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Handlungsfreiheit des Eigentümers. Andererseits fährt es aber a. a. O. fort: „So wie seine Befugnisse an den Grundstücksgrenzen enden, endet seine Rechtsstellung in der Tiefe prinzipiell dort, wo er mit dem Grundwasser in Berührung kommt." Das lässt sich so interpretieren, dass auch die sich auf das Grundwasser beziehenden eigentumszuweisenden Imperative suspendiert werden, mit der Folge, dass ihm insoweit schon kein Eigentum zugewiesen ist. Der Grund für die Unklarheit liegt darin, dass das Gericht auch die Handlungsfreiheit des Eigentümers von einer rechtlichen Zuweisung abhängig macht. Allein deren Beschränkung stellt sich dann schon als Begrenzung seiner „Rechtsstellung in der Tiefe" dar. 430

8 Raue

114

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

(2) Auswirkungen auf den Enteignungsbegriff Diese Differenzierung zwischen einfachrechtlicher Zuordnung und Verfügungsmacht einerseits und vom einfachen Recht unabhängiger Handlungsfreiheit andererseits wirkt sich bereits auf den begrifflichen Anwendungsbereich der Enteignung aus. Denn die Beschränkungen der von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Elemente der Handlungsfreiheit können nie eine Enteignung sein, wenn eine Enteignung begrifflich den Entzug einer Rechtsposition voraussetzt. 431 Man könnte zwar einwenden, dadurch, dass diese Handlungsfreiheit von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt wird, werde sie ebenfalls zu einer „Rechtsposition". Doch dann wäre jeder Eingriff in den Schutzbereich eines Freiheitsrechts, etwa das Verbot einer Meinungsäußerung, der Entzug einer Rechtsposition. Das Bundesverfassungsgericht will mit der Formulierung „Entzug einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition" aber offensichtlich eine Eigenheit gerade der Enteignung zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus zeigen die Worte „durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtsposition", dass „Rechtsposition" nicht der durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG begründete Abwehranspruch sein soll, sondern bereits eine außerhalb dieses Anspruchs bestehende, durch das einfache Recht hervorgebrachte Rechtsposition, auf die sich der grundrechtliche Abwehranspruch lediglich bezieht. Auch das Argument, durch Beschränkungen der Handlungsfreiheit des Eigentümers werde mittelbar bzw. faktisch auch die „Rechtsposition" betroffen, 432 vermag, am Fehlen des „Entzugs einer geschützten Rechtsposition" nichts zu ändern. Zwar ist nicht zu bestreiten, dass durch „bloße" Handlungsbeschränkungen die einfachrechtliche Zuordnung und Verfügungsmacht unter Umständen vollständig entwertet bzw. „ausgehöhlt" werden kann: Der Eigentümer „hat" zwar viel und er „kann" auch viel, aber er hat nichts davon, weil er nichts „darf 1 . 4 3 3 Jedoch steht das Merkmal des „Entzugs" der Subsumtion solcher mittelbarer Beeinträchtigungen der Rechtsposition unter den Enteignungsbegriff entgegen. Denn dieses Merkmal ist neben dem Merkmal des „Zugriffs des Staates" nur dann sinnvoll, wenn es mehr meint als „Eingriff 4 . Dieses „Mehr" ist der als unmittelbare Folge eines Rechtsakts 43! So i. Erg. auch Hösch, Eigentum, S. 228, 237 f. Für ihn folgt dieses Ergebnis freilich schon daraus, dass er Nutzungshandlungen von vornherein aus dem Schutzbereich der Eigentumsgarantie ausklammert (vgl. oben S. 96 Fn. 335). 432 in diesem Sinne etwa Ossenbühl, AöR 124 (1999), S. 1 (19 ff.); ders., JZ 1999, S. 899 (899); Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 48. 433 Vgl. Ossenbühl, AöR 124 (1999), S. 1 (19 ff.); ders., JZ 1999, S. 899 (899); ders., FS Leisner, S. 689 (689 ff.); Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 48. Man spricht in solchen Zusammenhängen auch häutig von einem nudum ius. Freilich muss man hierbei berücksichtigen, dass die faktische Entwertung sehr von zeitbedingten Umständen abhängig sein kann. Es besteht immer die Möglichkeit, dass ζ. B. der wissenschaftlich-technische Fortschritt neue Nutzungsmöglichkeiten eröffnet, so dass eine bislang wertlose „Eigentumshülse" plötzlich sehr wertvoll sein kann. Der technische Entzug der Rechtsposition als solcher ist deshalb immer zumindest eine Spur intensiver als die faktische Entwertung.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

115

eintretende, „rechtstechnische" - nicht nur faktische - Verlust der Rechtsposition. 4 3 4 Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht also Beschränkungen von Handlungsbefugnissen nie Enteignungscharakter zugesprochen, 435 sondern sie im Ergebnis stets als nichtenteignende Eingriffe in den Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1GG behandelt.436

434 So i. Erg. die h.M. (vgl. Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 410; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 72; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 533; ders., Stand, S. 96; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 77, 80 ff.; Jarass!Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 71; Ehlers, VVDStRL 51 [1992], S. 211 [238 f.]; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 548, 550), die deshalb ζ. B. Realakten die Enteignungstauglichkeit von vornherein abspricht (vgl. BVerwGE 77, 295 (298); Ehlers, VVDStRL 51 [1992], S. 211 [238]; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 359, 532, 535; ders., Stand, S. 96; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 548; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 77, 82; Jarass/Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 71; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 410, 412; a.A. Lege, Zwangskontrakt, S. 84). 435 Vgl. BVerfGE 102, 1 (15 f.) in Bezug auf eine Sanierungspflicht; BVerfGE 100, 226 (240) in Bezug auf eine denkmalschutzrechtliche Unterlassungspflicht; BVerfG-K, NJW 1998, S. 347 (367) in Bezug auf eine naturschutzrechtliche Unterlassungspflicht; BVerfGE 110, 141 (173) in Bezug auf ein Zuchtverbot für Hunde sogar mit dem Argument, das keine Enteignung vorliege, „weil Eigentum nicht entzogen wird"; vgl. ferner Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 385. Das BVerfG begründet dies allerdings nicht explizit mit dem Fehlen des „Entzugs einer Rechtsposition". Vielmehr scheint es vom Fehlen des Merkmals „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" auszugehen, vgl. dazu unten S. 190 f. Einige Autoren (Ossenhühl, JZ 1999, S. 899 [900]; Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 48) meinen allerdings, in seiner Entscheidung zu denkmalschutzrechtlichen Nutzungsbeschränkungen (BVerfGE 100, 226 ff.) habe das BVerfG es für möglich gehalten, dass eine Enteignung auch in sehr intensiven Nutzungsbeschränkungen liegen kann. Die Passage, auf die man sich dabei beruft, lautet: „Die Rechtsposition des Betroffenen nähert sich damit einer Lage, in der sie den Namen »Eigentum4 nicht mehr verdient. Die Versagung einer Beseitigungsgenehmigung ist dann nicht mehr zumutbar. Erfordert das Allgemeinwohl nach Auffassung des Gesetzgebers dennoch die Erhaltung des geschützten Kulturdenkmals, wie es bei Bauwerken hoher kulturhistorischer Bedeutung denkbar ist, kann dies nur auf dem Wege der Enteignung (§ 30 I Nr. 1 RhPfDSchPflG) erreicht werden." (BVerfGE 100, 226 [243]). Das Gericht sagt hier aber gerade nicht, dass eine Nutzungsbeschränkung in einer solchen Situation eine Enteignung ist, sondern nur, dass so etwas allenfalls im Wege der Enteignung der Rechtsposition geht. Eine entsprechende Nutzungsbeschränkung wäre also verfassungswidrig (weil „nicht mehr zumutbar"). Der Staat kann aber versuchen, die Rechtsposition als solche zu entziehen, um seine Ziele zu verwirklichen. Dann muss er freilich die Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG beachten. In diesem Sinne auch Rozek, Unterscheidung, S. 181; Lepsius, Besitz, S. 78 ff.; BVerfGE 102, 1 (16): „Eine Enteignung liegt auch dann nicht vor, wenn die Anwendung einer inhaltsbestimmenden Norm das Eigentum völlig entwertet." Problematisch an der Passage in BVerfGE 100, 226 (243) ist freilich, dass das Gericht wie selbstverständlich davon ausgeht, dass dieser Entzug der Rechtsposition auch die anderen begrifflichen Anforderungen der Enteignung erfüllt, insbesondere das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben". 436 Vgl. oben S. 109 f. 8*

116

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

(3) Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Einordnung des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs Aus dem soeben Gesagten lässt sich für die verfassungsrechtliche Einordnung des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsverlusts bereits zweierlei ableiten: - Erstens: Die §§ 136, 288 StGB, die dem Eigentümer als Folge der Pfändung nach §§ 803, 808 ff. ZPO diverse Handlungsverbote, etwa das Verbot, die Sache zu veräußern oder zu zerstören, auferlegen, 437 sind keine Inhaltsbestimmungen des Eigentums, sondern Schrankenbestimmungen. Denn sie betreffen nicht die sich auf die gepfändete Sache beziehende Rechts- und Verfügungsmacht, sondern beschränken „nur" die natürliche Handlungsfreiheit des Eigentümers, die allerdings, soweit es um die durch die §§ 136, 288 StGB verbotenen Handlungen geht, ebenfalls durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt ist. - Zweitens: Die Vorschriften, die als Folge der Pfändung die Verfügungsmacht des Eigentümers beschränken 438 und als Folge der Ablieferung nach § 817 Abs. 2 ZPO den Totalverlust des Sacheigentums anordnen, 439 sind insoweit in der Tat Inhaltsbestimmungen des Eigentums. Denn sie ordnen den Untergang bzw. - im Falle der Pfändung - das Ruhen der sich auf die Sache beziehenden aus dem einfachen Recht resultierenden Rechts- und Verfügungsmacht des Eigentümers an. Aus dem inhaltsbestimmenden Charakter dieser Normen folgt freilich noch nicht zwangsläufig, dass der in der Zwangsvollstreckung bewirkte Verlust des Sacheigentums nicht der Entzug einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition sein kann. Letzteres ist vielmehr erst dann der Fall, wenn sich neben der These, dass der Gegenstand des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes durch den einfachen Gesetzgeber konstituiert wird (soweit es um Rechts- und Verfügungsmacht geht), auch die These, dass Gleiches für den Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes gilt, als richtig erweist. Denn dann hätten die §§ 808 ff. ZPO, indem sie dem Gerichtsvollzieher die Vornahme der Handlungen gestatten, die zum Verlust des Sacheigentums führen, den Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes dieser Rechtsposition so ausgeformt, dass diese gegenüber diesen Handlungen nicht geschützt ist. Es käme bei Vornahme dieser Handlungen zwar zum Verlust einer Rechtsposition, nicht aber zum Verlust einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition. Die Richtigkeit der These des Bundesverfassungsgerichts, dass sich neben dem Gegenstand auch der 437 Durch die Pfändung werden die Sachen verstrickt (Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 361). Folge der Verstrickung ist ein öffentlichrechtliches Gewaltverhältnis, das nicht nur bewirkt, dass Verfügungen des Eigentümers über die Sachen nach §§136 Abs. 1 Satz 1, 135 BGB unwirksam sind, sondern auch Anknüpfungspunkt für die das rechtliche Dürfen des Eigentümers betreffenden §§ 133, 288 StGB ist (vgl. Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 361). 438 Siehe oben Fn. 437. 439 Vgl. oben S. 24 Fn. 7.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

117

Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes aus Inhaltbestimmungen des Eigentums ergibt, ist daher näher zu beleuchten. b) Konstituierung des Umfangs des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes - des „werden gewährleistet" - durch den einfachen Gesetzgeber? aa) Das Problem Wenn sich nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums nicht nur der Gegenstand des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes ergibt, sondern auch der Umfang des durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Bestandsschutzes bzw. die „konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie", 440 dann ist das mehr als Konstituierung des Eigentums durch den einfachen Gesetzgeber. Es bedeutet nämlich, dass sich der Inhaltsbestimmungsvorbehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur auf das Wort „Eigentum" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, das den Gegenstand des Grundrechts bezeichnet, bezieht, sondern grundsätzlich auch auf die Worte „werden gewährleistet", die die Rechtsfolge des Grundrechts (den „Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes" eben) bezeichnen.441 Auf den Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG kann sich die These von der Gesetzesabhängigkeit des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes nicht mit derselben Selbstverständlichkeit stützen wie die These von der Gesetzesabhängigkeit des Eigentums. Denn es ist zumindest zweifelhaft, ob sich die Worte: „Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt", nicht nur auf „Eigentum" und „Erbrecht", sondern auch auf das „werden gewährleistet" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG beziehen. Wenn das Bundesverfassungsgericht gleichwohl auch den Umfang 440 Vgl. Oben S. 78 f. 441 Es ist das Verdienst Böhmers (NJW 1988, S. 2561 [2563 mit Fn. 8]) auf den Unterschied zwischen dem Gegenstand des Grundrechts, dem Eigentum, und dem Grundrecht selbst, der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Eigentums, hingewiesen zu haben. Er zieht daraus aber andere Folgerungen, als ich sie auf den folgenden Seiten ziehen werde. Obwohl auch er davon ausgeht, dass die Gewährleistung des Eigentums der Disposition des einfachen Gesetzgebers entzogen ist (vgl. Böhmer, Der Staat 24 [1985], S. 157 [158 mit Fn. 2]), sieht er auch das Verhältnis des Eigentümers zum Staat (er spricht vom Verhältnis des „MeinDein" zum „Wir") als Frage des Inhalts des Eigentums an (vgl. Böhmer, NJW 1988, S. 2561 [2567 ff.]). Für eine konsequente Trennung von Gegenstand des Grundrechts und grundrechtlicher Garantie auch Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 248. Auch er hält diese Trennung i. Erg. aber nicht konsequent durch, indem er die grundrechtliche Garantie mit dem - ebenfalls nur durch Verfassungsinterpretation zu ermittelnden (vgl. oben S. 106 f.) - Begriff des Eigentums gleichsetzt (vgl. a. a. O. S. 248). Indes handelt es sich um drei verschiedene Fragen. Erstens, was meint Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG mit „Eigentum"? Zweitens: Liegt im konkreten Fall Eigentum vor? Drittens: Was meint Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG mit „werden gewährleistet"? (vgl. zu Frage 1 und 2 auch schon oben S. 106 f.) Ein ähnlicher Fehler wie Lubberger unterläuft Kutschera, Bestandsschutz, S. 68, wenn er den Begriff „Eigentum" (er spricht von „Intension", vgl. a. a. O. S. 15 und 23) mit „Rechtsverhältnis zwischen Rechtsinhaber und Staat" gleichsetzt.

118

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes, also das, was der grundrechtsgebundene Staat im Hinblick auf den Gegenstand des Grundrechts, das Eigentum, zu unterlassen hat, 442 aus der Gesamtheit der verfassungsmäßigen Gesetze, die den Inhalt des Eigentums (!) bestimmen, entnehmen will, so liegt dem offenbar die Vorstellung zugrunde, dass sich beide Fragen, die nach dem Inhalt des Eigentums und die nach dem Inhalt des Eigentumsgrundrechts, nicht voneinander trennen lassen.443 Und in der Tat muss man einräumen, dass die Trennung von Gegenstand des Grundrechtsschutzes und Inhalt des Grundrechtsschutzes bei den meisten anderen Grundrechten einfacher ist als bei Art. 14 GG. So ist der Gegenstand des Grundrechtsschutzes des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG - die Meinungsäußerung - ein schlichtes Faktum, aus dem als solchem keinerlei Rechtsmacht des Einzelnen erwächst. Der Inhalt des Grundrechts - die Meinungsäußerungs/rez/ze/i - hingegen ist Rechtsmacht des Einzelnen (über den Staat). Demgegenüber sind Eigentum und Eigentumsgrundrecht nicht nur gleichermaßen Erscheinungen der rechtlichen Welt, sondern bestehen beide auch noch aus sich auf ein vermögenswertes Gut beziehender Rechtsmacht. Legt man nun noch den Begriff „Eigentum" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG allein nach dessen Funktion aus, einen künstlichen Schutz des Besitzes, den wir uns durch „Reiß und gut Glück" erworben haben, gegenüber anderen an diesem Besitz ebenfalls „Interessierten" zu bieten, 444 so erscheint es durchaus plausibel, dass die Frage des Inhalts des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes letztlich nur ein Teilaspekt der Frage nach dem Inhalt des Eigentums ist. Denn nicht nur unsere Mitmenschen stellen eine Bedrohung für unsere Vermögenswerten Güter dar, sondern auch der Staat selbst. Unter diesen Vorzeichen darf die künstliche Schutzvorrichtung „Eigentum", will sie diesen Namen verdienen, nicht nur aus an andere Private adressierten Imperativen bestehen, die dem Eigentümer das Vermögenswerte Gut diesen Privaten gegenüber zuordnen. Vielmehr muss sie auch aus an den Staat adressierten Imperativen bestehen, die das Gut dem Eigentümer gegenüber dem Staat zuordnen. Letzteres ist aber normalerweise auch die Funktion des grundrechtlichen Abwehranspruchs. Dieser sichert Individualgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) oder Handlungsoptionen (vgl. z. B. Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 4 Abs. 1 GG, Art. 5 Abs. 1 GG) gegenüber staatlichen Zugriffen und ordnet sie damit dem Einzelnen gegenüber dem Staat rechtlich zu. Ist dies bei Vermögenswerten Gütern bereits ein

442

Vgl. dazu, dass der Terminus „Bestandsschutz" eine Bezugnahme auf den Abwehrgehalt des Grundrechts ist, oben S. 79 Fn. 265. 443 Gleiches lässt sich für das verfassungsrechtliche Schrifttum sagen, vgl. ζ. B. Mampel, NJW 1999, S. 975 (975), der im Hinblick auf die Inhaltsbestimmungsbefugnis des Gesetzgebers Eigentum und Eigentumsgrundrecht ohne weiteres gleichsetzt; ferner Kreft, Ersatzleistungeir, Rn. 34: „Der Schutz durch die Eigentumsgarantie ergibt sich in seiner konkreten Reichweite erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, ... Denn nur das durch entsprechende Gesetze ausgeformte Eigentum bildet den Gegenstand der Eigentumsgarantie und ist verfassungsrechtlich geschützt" (Hervorhebungen F.R.). 444 Vgl. oben S. 95.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

119

Teilaspekt des Eigentums und wird das Eigentum durch Inhaltsbestimmungen des einfachen Gesetzgebers konstituiert, dann wird auch der grundrechtliche Abwehranspruch erst durch Inhaltsbestimmungen des Eigentums hervorgebracht. Gibt es hingegen auch hier einen verfassungsunmittelbaren Abwehranspruch, dann gehört dieser Aspekt, also die staatsgerichtete Seite des künstlichen Schutzes, nicht mehr zum Inhalt des Eigentums. Die Gleichsetzung des Begriffes „Eigentum" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG mit einem perfekten, d. h. nach allen Seiten wirkenden, Eigentumsbegriff hätte also in der Tat zur Folge, dass sich der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes, d. h. der Inhalt des grundrechtlichen Abwehranspruchs, aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergibt. Die entscheidende Frage ist aber, ob - wovon das Bundesverfassungsgericht offenbar ausgeht445 - der Begriff „Eigentum" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG tatsächlich einen perfekten Eigentumsbegriff - einen künstlichen Schutz gegenüber anderen Privaten und dem Staat - meint. Die Verneinung dieser Frage würde keinesfalls bedeuten, dass der Einzelne einen solchen perfekten Schutz im Ergebnis nicht haben soll. Es wäre vielmehr nur so, dass der perfekte, in alle Richtungen wirkende Schutz sich nicht bereits vollständig aus dem „Eigentum" im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ergibt. Denn denkbar wäre ja, dass sich der perfekte künstliche Schutz erst aus einem „arbeitsteiligen" Zusammenwirken von einfachem Recht und Grundrecht ergibt. Zuerst ordnet der einfache Gesetzgeber - angehalten durch die grundrechtliche Leistungspflicht - das vermögensweite Gut dem Eigentümer gegenüber anderen Privaten zu, indem er an diese adressierte sich auf das Vermögenswerte Gut beziehende Imperative statuiert. Sobald aufgrund dieser gesetzgeberischen „Initialzündung" ein solches Bündel von Imperativen in der Hand des Einzelnen entstanden ist, entfaltet in derselben „logischen Sekunde" der an dieses anknüpfende grundrechtliche Abwehranspruch, das „werden gewährleistet" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, seine Wirkung. Er klärt die noch offene Zuordnungsfrage im Verhältnis zum Staat, indem er diesem - vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Rechtfertigung - verbietet, auf das Vermögenswerte Gut und die es umhegende Rechtslage zuzugreifen. 446 Das Wort „Eigentum" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG würde dann - von den dann eine Sonderrolle spielenden öffentlichrechtlichen Eigentumspositionen abgesehen 445 Vgl. BVerfGE 58, 300 (335 f.); ferner Böhmer, NJW 1988, S. 2561 (2567 ff.), der nicht nur die Frage des „Mein-Dein" als Inhalt des Eigentums bezeichnet, sondern auch die Frage des „Mein-Dein" zum „Wir", also zur Gemeinschaft; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 27: „Eigentum im verfassungsrechtlichen Sinne ist zugleich Exklusivität rechtlich gebundener Herrschaft gegenüber jedermann" (Hervorhebung F.R.). 446 Ein Stück weit in diese Richtung Wendt, Eigentum, S. 134 ff.; Ramsauer, Beeinträchtigungen, S. 146 f.; Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 248 ff.; Kutschera, Bestandsschutz, S. 68 f.; Parodi, Eigentumsbindung, S. 79; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 116. Sie ziehen daraus aber nicht den meiner Ansicht nach gebotenen Schluss, dass „Eigentum" i. S. des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nur der künstliche Schutz gegenüber anderen Privaten, nicht auch gegenüber dem Staat ist. Mehr dazu unten S. 123 f.

120

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

- noch nicht einen perfekten - sowohl gegenüber privaten Konkurrenten als auch gegenüber dem „Leviathan" wirkenden - „künstlichen Schutz" meinen, sondern zunächst nur den durch den „Leviathan" gewährten künstlichen Schutz gegenüber den privaten Konkurrenten. Die Frage: Wer schützt mich vor meinem Beschützer?, würde erst das „werden gewährleistet" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG beantworten. Der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes ergäbe sich dann allein aus dem grundrechtsunmittelbaren Abwehranspruch. Einfachrechtliche Normen, welche die aus dem Abwehranspruch resultierenden Unterlassungspflichten des Staates suspendieren wollen, etwa indem sie eine staatliche Stelle zum Zugriff auf das vermögensenswerte Gut ermächtigen, wären mithin keine Inhaltsbestimmungen des Eigentums. 447 Es wären Schrankenbestimmungen des Eigentumsgrundrechts, die sich am Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG messen lassen müssen. Inhaltsbestimmungen des Eigentums wären damit nur 4 4 8 solche Normen, welche die Rechtsmacht des Eigentümers über andere Private konstituieren, indem sie an diese adressierte Imperative und sich hierauf beziehende Verfügungsmacht des Eigentümers statuieren oder suspendieren. Für diese Sichtweise sprechen, wie nunmehr zu zeigen sein wird, die besseren Argumente.

bb) Argument 1: Kompatibilität von Eigentum als Produkt des einfachen Rechts und Wirkungsweise des Eigentumsgrundrechts als verfassungsunmittelbares Abwehrrecht Für diese Auslegung des Art. 14 Abs. 1 GG spricht zunächst, dass sie es ermöglicht, den strukturellen Besonderheiten des „Eigentums" als Produkt des einfachen Rechts voll Rechnung zu tragen, ohne deshalb die Wirkungsweise des Eigentumsgrundrechts gegenüber den Grundrechten, die Güter der faktisch-empirischen Welt schützen, mehr als erforderlich zu modifizieren. Dies wird deutlich, wenn wir uns die Argumente ins Gedächtnis rufen, die uns weiter oben 449 dazu bewogen hatten, keine verfassungsunmittelbaren Eigentumspositionen aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG abzuleiten und Eigentum damit den natürlichen Schutzgütern von vornherein gleichzustellen. Der entscheidende Grund war, dass Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG wegen der Drittgerichtetheit des Eigentums dann unmittelbare Drittwirkung zwischen 447

Es wären auch dann keine Inhaltsbestimmungen, wenn sie dem Eigentümer mehr Rechtsmacht über den Staat einräumen als der grundrechtliche Abwehranspruch. Nur ausnahmsweise, wenn die qualifizierten Voraussetzungen öffentlichrechtlicher Eigentumspositionen (Eigenleistung, Existenzsicherungszweck, vgl. dazu oben S. 78 Fn. 262) vorliegen, würden solche Normen „Eigentum" konstituieren (vgl. näher unten S. 125 f., S. 160 f.). Das heißt natürlich nicht, dass der Erlass solcher Normen ansonsten verboten wäre, sondern nur, dass sie im Hinblick auf Art. 14 GG gewissermaßen grundrechtsneutral sind. 448 Zu den Besonderheiten bei öffentlichrechtlichen Eigentumspositionen siehe unten S. 160 f. 449 s. 99 f.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

121

Privaten gehabt hätte und - damit zusammenhängend - sich die Kompetenz zur Errichtung von Freiheitsbeschränkungen in großem Umfange vom Gesetzgeber auf die Judikative verschoben hätte. 450 Diese aus der besonderen Struktur des grundrechtlichen Schutzgutes resultierende Gefahr ist aber vollständig gebannt, wenn der Gesetzgeber die an Private adressierten eigentumszuweisenden Imperative statuieren muss. Mehr erfordern die strukturellen Besonderheiten des Eigentums nicht. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG kann jetzt genauso funktionieren wie die Abwehrgehalte der Grundrechte, die natürliche Schutzgüter zum Gegenstand haben: Aufgrund der durch den Gesetzgeber geschaffenen an andere Private adressierten Imperative ist eine Rechtslage - eine „Rechtsposition" - entstanden, an die der grundrechtliche Abwehranspruch in derselben Weise anknüpfen kann, als wäre es ein natürlicher Gegenstand, etwa eine Meinungsäußerung. So wie die Meinungsäußerung als solche keinerlei Rechte des Einzelnen gegenüber dem Staat begründet, begründet auch die Rechtsposition „Eigentum" noch keine Rechte des Einzelnen gegen den Staat. Dies bewirkt erst der an die Meinungsäußerung bzw. an die Rechtslage „Eigentum" anknüpfende und gemäß Art. 1 Abs. 3 GG die gesamte staatliche Gewalt als unmittelbar geltendes Rechts bindende grundrechtliche Abwehranspruch aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bzw. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Würde man hingegen die Frage der Rechtsmacht über den Staat als Frage des Inhalts des Eigentums betrachten, dann würde der Grundrechtsschutz wie folgt funktionieren: Der Gesetzgeber wäre nicht nur verpflichtet, die Zuordnungsfrage im Verhältnis Eigentümer/Bürger, sondern auch im Verhältnis Eigentümer/Staat durch entsprechende Inhaltsbestimmungen zu klären, und zwar in einer Weise, dass das Ergebnis den Namen „Eigentum" verdient. Bliebe er hinter den Anforderungen dieser Regelungspflicht zurück, ohne dass dies zum Erreichen legitimer den Eigentümerinteressen widerstreitender Zwecke geeignet, erforderlich und angemessen ist, so verletzte er Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG durch Unterlassen. 451 Verwaltung und Judikative griffen mithin nur dann in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ein, wenn sie sich nicht im Rahmen dieser Inhaltsbestimmungen hielten oder eine verfassungswidrige Inhaltsbestimmung anwendeten.452 Dabei hätten sie zu beachten, dass sie Inhaltsbestimmungen gegebenenfalls im Lichte der den Gesetzgeber treffenden Leistungspflicht verfassungskonform auszulegen haben. All das hätte zur Folge, dass sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung von der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung auf die des Schutzbereichs verschöbe 453 und ein Eingriff in den Schutzbereich gleichbedeutend mit einer Verlet450 Formal würde es sich natürlich nicht um „Errichtung" i. S. von Rechtserzeugung handeln, sondern nur um Ermittlung der in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG bereits enthaltenen Freiheitsbeschränkungen mittels Auslegung. Angesichts der Unbestimmtheit des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG wäre dies aber in der Sache nur als Auslegung verbrämte Rechtsschöpfung durch die Judikative. 451 Vgl. auch schon oben S. 100 ff. im Hinblick auf das „Eigentum". 4 52 Vgl. oben S. 79 f.

122

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

zung des Grundrechts wäre. Kann ein Eingriff in den Schutzbereich nämlich nur in einem gesetzeswidrigen Vollzugsakt oder im Vollzug einer verfassungswidrigen Inhaltsbestimmung liegen, dann ist eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines solchen Eingriffs nicht denkbar. Man könnte fragen, ob sich eine solche Abweichung vom „allgemeinen" Eingriffs-Rechtfertigungs-Schema der Abwehrrechtsprüfung nicht mit der Überlegung rechtfertigen ließe, dass auch im Verhältnis Staat-Bürger eine gesetzliche Eigentumsausformung aus praktischen Gründen notwendig sei. Denn der grundrechtliche Abwehranspruch ist als solcher möglicherweise viel zu „plump", um das komplexe Problem, was der Staat im Hinblick auf das Vermögenswerte Gut zu unterlassen hat und was er tun darf, einer „praktikablen" Lösung zuzuführen. 454 Doch eine solche Argumentation würde verkennen, dass man es nicht mit einem spezifischen Problem des Eigentumsgrundrechts zu tun hat, sondern mit einem, das es bei den Grundrechten, die natürliche Schutzobjekte haben, genauso gibt. Nicht zuletzt deshalb ist ja Häberle auch im Hinblick auf alle Grundrechte der Ansicht, dass es angesichts der „Anarchie" und „Willkür", zu welcher der unbeschränkte grundrechtliche Abwehranspruch führen würde, geboten ist, beschränkende gesetzliche Regelungen als Ausgestaltung des betroffenen Grundrechts und nicht nur als „Eingriffe' in dasselbe zu begreifen. 455 Selbst er leugnet deshalb aber nicht, dass der grundrechtliche Abwehranspruch ohne solche gesetzlichen „Ausgestaltungen" zunächst einmal existiert. 456 Weshalb sollte es beim Eigentumsgrundrecht anders sein, zumal der Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG eben nicht nur von Inhaltsbestimmungen, sondern auch von Schrankenbestimmungen spricht und somit dem Gesetzgeber - wie bei den meisten anderen Grundrechten - die Möglichkeit eingeräumt haben könnte, den „ungehobelten" grundrechtlichen Abwehranspruch zu beschränken und so „praktikabel" zu machen? Der Grund für solch eine Differenzierung könnte sein, dass das Grundgesetz dem privaten Machtfaktor „Eigentum" mit größerem Misstrauen begegnet457 als den privaten Machtfaktoren „Meinungsäußerung", „Versammlung" oder allgemein „Handlung" und deshalb hier nicht das Risiko eines zunächst unbeschränkten Abwehranspruchs, der dann vom Gesetzgeber erst „zurecht zu stutzen" ist, eingehen will. Doch dafür spricht nicht viel. Aus der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes ergibt sich jedenfalls nicht, dass man auf diese Weise an der überkommenen 453

Im Ergebnis ähnlich Grochtmann, Art. 14, S. 304 ff., der freilich weniger auf die hinter der Inhaltsbestimmung liegende Regelungspflicht abstellt, sondern primär darauf, dass neue Inhaltsbestimmungen in nach dem alten Recht entstandenen Rechtspositionen eingreifen und deshalb verhältnismäßig sein müssen (vgl. dazu näher unten S. 128 f.). Mit dieser Konstruktion kommt man spätestens dann in Schwierigkeiten, wenn es keine Altrechtspositionen gibt, ζ. B. weil ein bestimmter Vermögenswert das erste Mal zum Recht gemacht wird. 4 4 * In diesem Sinne wohl Rupp, Grundfragen 2, S. 233 ff., insb. auf S. 239 f. 4 55 Vgl. oben S. 94. 4 56 Vgl. Häberle, Wesensgehaltgarantie3, S. 202. 4 57 In diesem Sinne Herbert Krüger, FS Schack, S. 71 (71).

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

123

rechtsstaatlichen Gleichwertigkeit von „Freiheit und Eigentum" 458 rütteln wollte. 4 5 9 Vielmehr sprechen Art. 14 Abs. 2 und 3 sowie Art. 15 GG dafür, dass den spezifischen „Bedrohungen" durch das Eigentum mit Spezialregelungen Rechnung getragen werden soll. 4 6 0 Auch das Bundesverfassungsgericht ist letztlich - wie schon bei der Frage der unter Art. 14 Abs. 1 GG fallenden Elemente der Handlungsfreiheit 461 - nicht bereit, die Konsequenzen aus seinen dogmatischen Prämissen zu ziehen und Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG im oben beschriebenen Sinne leistungsgrundrechtlich zu konstruieren. 462 Vielmehr sollen unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, also offenbar doch ohne gesetzliche Vermittlung, gegen den Staat gerichtete Ansprüche des Eigentümers auf Abwehr, 463 Folgenbeseitigung464 und effektiven Rechtsschutz465 resultieren. Wie das gehen soll, wenn der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes sich erst aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergibt und zum Inhalt des Eigentums auch die Zuordnung des Vermögenswerten Gutes im Verhältnis Eigentümer/Staat gehört, bleibt offen. 466 Ähnliche Versuche einer solchen Quadratur des Kreises werden auch im Schrifttum unternommen. So versucht Wendt 467 die Konstituierungsbedürftigkeit des Eigentums auch in seiner staatsgerichteten Seite und den „eigengearteten, spezifisch eigentumsgrundrechtlichen Abwehranspruch" dadurch miteinander zu verbinden, dass er letzteren nur solange maßgebend sein lassen will, wie es keine „spezielle 458 Vgl. die oben S. 98 Fn. 347 zitierten Vorschriften der Landesverfassungen des 19. Jahrhunderts, die Freiheit und Eigentum „in einem Atemzug" nennen. 459 Der Vorschlag, den verfassungsrechtlichen Schutz auf das „der persönlichen Lebenserhaltung oder der eigenen Arbeit dienende Eigentum" zu beschränken, konnte sich im Grundsatzausschuss nicht durchsetzen, vgl. Doemming/ Füßlein /Matz, JöR 1 (1951), S. 1 (145 f.). 460

Ahnlich auch Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 4.

« ι Vgl. oben S. 109 f. 462 Ähnlich die Kritik von Appel, Entstehungsschwäche, S. 244 f. 463 Vgl. BVerfGE 24, 367 (396, 400); 31, 229 (239); 45, 63 (76); NJW 2005, S. 879 (880). 464 Vgl. BVerfGE 38,175 (181); 97, 89 (96 f.). Vgl. BVerfGE 37, 132 (141); ferner BVerfGE 35, 263 (277); 348 (361); 37, 132 (141, 148); 39, 276 (294); 45, 297 (333); 46, 325 (334); 49, 220 (225); 252 (257); 51,150 (156). 466 Die dogmatische Verunsicherung des BVerfG zeigt sich auch daran, dass es den Vollzug von Inhaltsbestimmungen als „Berührung des Schutzbereichs" oder „die Eigentumsbeschränkung aktualisierenden Eingriffsakt" bezeichnet (vgl. oben S. 89). Zu den praktischen Konsequenzen dieser dogmatischen Unklarheiten vgl. BVerwGE 85, 96 (99), wo einerseits unter Berufung auf BVerfGE 38, 175 eine Verpflichtung zur Rückabwicklung „kraft Verfassungsrechts (Art. 1411 GG)" in Betracht gezogen wird (diese offenbar sogar auch auf Private [!] erstreckt wird), andererseits aber im konkreten Fall wegen der Existenz einer einfachgesetzlichen (!) Regelung, die solche Ansprüche ausschließe, der „Rückgriff auf verfassungsunmittelbare (!) Rückabwicklungsansprüche" ausgeschlossen wird; ähnlich auch BVerwG, NJW 1990, S. 2400 (2400). 467 Wendt, Eigentum, S. 134 ff.

124

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

verwaltungsrechtliche Modifizierung des Eigentums" „für den Umfang des öffentlich-rechtlichen Respektierungs- und Abwendungsanspruchs" g i b t . 4 6 8 Nicht erklärt wird jedoch, wie ein grundrechtsunmittelbarer Anspruch so ohne weiteres durch einfachrechtliche „Modifizierungen" verschwinden kann, ohne seine Verfassungsunmittelbarkeit zu verlieren, oder, anders herum gesagt, wie es auf verwaltungsrechtliche Modifizierungen ankommen kann, wenn es einen verfassungsunmittelbaren Abwehranspruch g i b t . 4 6 9

cc) Argument 2: Die zivilrechtliche Herkunft des Eigentumsbegriffs und die qualifizierten Anforderungen an öffentlichrechtliche Eigentumspositionen Eine grundsätzliche Eingrenzung des Inhalts des „Eigentums" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG auf die sich auf eine vermögenswertes Gut beziehende Rechtsmacht über andere Private und die Ausgrenzung der entsprechenden Rechtsmacht über den Staat entspricht auch der zivilrechtlichen Herkunft des Begriffes „Eigentum", von der sich das Verfassungsrecht i m Laufe der Zeit erst allmählich emanzipiert e . 4 7 0 Zwar beschränkten die Landesverfassungen des 19. Jahrhunderts den Eigen468 Ähnlich wie Wendt auch schon Ramsauer, Beeinträchtigungen, S. 146 f., sowie später Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 248 ff. und Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 207, 212, 214, 404. Sie erkennen in der Sache verfassungsunmittelbare Abwehransprüche des Eigentümers gegen den Staat aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG an, können sich aber nicht von der Vorstellung lösen, dass es sich dabei an sich um eine Frage des Inhalts des Eigentums handelt. Ramsauer spricht davon, dass Art. 14 Abs. 1 GG die im Privatrecht konstituierte Rechtsposition zu einem Teil der „als Eigentum in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Gesamtrechtsposition" mache. Lubberger sieht hierin einen Fall von verfassungsunmittelbaren Eigentumspositionen. Berkemann führt im Kontext des nachbarlichen Drittschutzes im Baurecht, der ja in Ansprüchen des Nachbarn gegen den Staat (Baurechtsbehörde) besteht, aus, dass allenfalls „substituierend" unmittelbar auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zurückgegriffen werden könne, nämlich dann, wenn der Gesetzgeber es in verfassungswidriger Weise unterlassen habe, eine Regelung i. S. des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu treffen. Sie gehen also davon aus, dass diese „verfassungsunmittelbaren" Ansprüche nur dann zur Anwendung kommen, wenn es keine ausreichenden einfachrechtlichen das Verhältnis Staat-Bürger betreffenden Inhaltsbestimmungen des Eigentums gibt. 4 69 Aufgrund dieses Subsidiaritätsverhältnisses von „verfassungsunmittelbaren" Anspruch des Bürgers gegen den Staat und dieses Verhältnis betreffenden einfachrechtlichen Normen können Wendt, Ramsauer und Lubberger ihren im Grunde richtigen Ausgangspunkt auch nicht für eine Trennung von Inhaltsbestimmungen und Schrankenbestimmungen fruchtbar machen. Ihre Trennungsvorschläge stützen sich folglich auch nicht auf diesen Ausgangspunkt (vgl. Ramsauer a. a. O. S. 76 f.; Wendt a. a. O. S. 147 ff.; Lubberger a. a. O. S. 257 ff). 470 Hätte „Eigentum" auch die sich auf ein vermögenswertes Gut beziehende Rechtsmacht über den Staat umfasst, dann hätte es ζ. B. im absolutistischen Polizeistaat kein vollwertiges Eigentum gegeben, weil es Rechte des Bürgers gegen den Staat im eigentlichen Sinne überhaupt nicht gab (vgl. O. Mayer, VwR I 3 , S. 39, 44 ff.). Erst mit der Idee des Rechtsstaats wurde dies möglich (vgl. O. Mayer, VwR I 3 , S. 54 ff., 69 f.). Doch auch hier sah man den Schutz des Eigentums gegenüber den Staat nicht durch - nun theoretisch mögliche - rechtsmachtverleihende Gesetze gewährleistet, sondern durch den Vorbehalt des Gesetzes.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

125

tumsschutz nicht auf die rechtliche Herrschaft über bewegliche und unbewegliche Sachen, also das, was das BGB unter „Eigentum" versteht, sondern erfassten alle privatrechtlichen Vermögensrechte. 471 Doch dies war keine Abkoppelung vom zivilrechtlichen Eigentumsbegriff. Dieser umfasste damals nämlich, anders als das erst später geschaffene BGB, alle privatrechtlichen Vermögensrechte. 472 Hieran knüpften die Eigentumsgewährleistungen der Landesverfassungen an. 4 7 3 Unter Geltung des Art. 153 WRV hielt man an diesem Eigentumsbegriff fest, 474 obwohl sich der zivilrechtliche Eigentumsbegriff seit Inkrafttreten des BGB inzwischen verengt hatte. Nahezu einhellig abgelehnt wurde aber nach wie vor die Subsumtion von Vermögenswerten subjektiven öffentlichen Rechten unter den Eigentumsbegriff der Verfassung. 475 Erst seit Geltung des Grundgesetzes wird solchen Rechten „Eigentumsfähigkeit" zuerkannt, freilich nur als Ausnahme und nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen (erheblicher Eigenleistungsanteil, Existenzsicherungszweck). 476 Gerade dieser gespaltene Eigentumsbegriff mit den besonderen Anforderungen an öffentlichrechtliche Eigentumspositionen lässt sich leichter erklären, wenn man davon ausgeht, dass grundsätzlich - also auch bei Vermögenswerten Privatrechten - die Frage der Zuordnung im Verhältnis Eigentümer/Staat nicht zum Inhalt des Eigentums gehört. Denn ist schon bei privatrechtlichen Vermögensrechten die sich auf das Vermögenswerte Gut beziehende Rechtsmacht über den Staat nicht Teil des „Eigentums", dann ist es selbstverständlich, dass eine Vermögenswerte Rechtsposition, die ausschließlich aus Rechtsmacht über den Staat besteht, grundsätzlich ebenfalls nicht „Eigentum" sein kann. Ebenso versteht sich dann von selbst, dass - wenn sie es aus letztlich teleologischen Gründen doch sein soll 4 7 7 - dies eine begründungsbedürftige Ausnahme darstellt, die nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen zu bejahen ist. Ist man hingegen wie das Bundesverfassungsgericht der Ansicht, dass schon bei privatrechtlichen Vermögensrechten, wie ζ. B. dem Sacheigentum, zum Inhalt des Eigentums nicht nur die Rechtsmacht des Eigentümers über andere Private, sondern in gleichem Maße die Rechtsmacht des 471 Vgl. Titel IV,§ 8 Abs. 1 BayVU v. 1818; § 30 WürttVU v. 1819; § 32 KurhessVU v. 1831; § 31 SächsVU v. 1831; § 35 Abs. 1 HannovVerfG v. 1840. Art. 9 PrVU v. 1850, der nur von „Eigenthum" sprach, wurde in diesem Sinne ausgelegt, vgl. Schulze-Gävernitz, PrStaatsR I 2 , S. 400; Rönne/Zorn, PrStaatsR, Π 5 , S. 214 f.; a.A. (rückblickend) Scheicher, WRV ΙΠ, Art. 153, S. 199 f.: nur dingliche Rechte. 472 Vgl. Titel 8, § 1 ALR v. 1794. 473 Vgl. Stödter, Entschädigung, S. 93 ff.; Böhmer, Der Staat 24 (1985), S. 157 (182 Fn. 72). 474 Vgl. Anschütz, WRV 1 4 , Art. 153 Anm. 2, S. 704 m. w. N.; a.A. zunächst Scheichen FischersZ 60 (1927), S. 137 (139 ff.), der für eine Gleichsetzung mit dem Eigentumsbegriff des BGB plädierte. 475 Vgl. RGZ 129, 246 (250 f.); Anschütz, WRV 1 4 , Art. 153 Anm. 2, S. 705. 476 Vgl. dazu oben S. 78 Fn. 262. 477 Vgl. BVerfGE 53, 257 (290); Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 28; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 72, 77.

126

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Eigentümers über den Staat gehört, dann ist es schwierig zu begründen, weshalb Vermögenswerte Rechtsmacht ausschließlich über den Staat plötzlich nur unter besonderen Voraussetzungen „Eigentum" sein soll. 4 7 8

dd) Argument 3: Vermeidung von Zuordnungsdefiziten im Verhältnis Eigentümer/Staat Die Richtigkeit der hier vertretenen Auslegung wird weiter dadurch bestätigt, dass diverse Ungereimtheiten, die auftreten, wenn man die Frage der sich auf das Vermögenswerte Gut beziehenden Rechtsmacht des Eigentümers gegenüber dem Staat als Aspekt des Eigentums ansieht und damit dem Tätigkeitsfeld des inhaltsbestimmenden Gesetzgebers zuordnet, sofort aus dem Weg geräumt sind, wenn man diese Frage dem grundrechtlichen Abwehranspruch und dem Tätigkeitsfeld des grundrechtsbeschränkenden Gesetzgebers zurechnet. So fragt sich, wenn man den Standpunkt einnimmt, dass die sich auf das Vermögenswerte Gut beziehende Rechtsmacht des Eigentümers über den Staat in den Tätigkeitsbereich des inhaltsbestimmenden Gesetzgebers fallt, welche Inhaltsbestimmungen eigentlich die Imperative statuieren, die das Vermögenswerte Gut dem Eigentümer gegenüber dem Staat zuordnen. 479 Eine ehrliche Zusammenschau aller einfachrechtlichen Normen, die zu dieser Frage eine Aussage treffen, würde nämlich in den meisten Fällen ergeben, dass es zwar zahlreiche Normen gibt, die staatlichen Stellen etwas im Hinblick auf das Vermögenswerte Gut erlauben, aber so gut wie keine, die dem Staat etwas verbieten. 480 So gelten die §§ 1004, 985, 823 BGB, die dem Eigentümer einer Sache die Rechtsmacht einräumen, andere vom Zugriff auf die Sache auszuschließen, nur gegenüber anderen Privaten. 481 Welche durch Inhaltsbestimmungen konstituierten 478

Zu Recht kritisch zur dogmatischen Begründbarkeit der qualifizierten Anforderungen daher Rupp- v. Brünneck, SV, BVerfGE 23,129 (142); Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 121; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 28; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 63; Lepsius, Besitz, S. 49 f.; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 181. 479 Vgl. hierzu Rupp, Grundfragen 2, S. 233 ff.; ferner Ramsauer, Beeinträchtigungen, S. 146 f.; Wendt, Eigentum, S. 132 ff. 480 Es würde auch nicht weiterhelfen, in die vielen Erlaubnisse implizit ein Verbot aller anderen Einwirkungen auf das Gut oder die Rechtslage seitens des Staates hineinzuinterpretieren. Denn diese „anderen Einwirkungen" sind so vielfältig, dass man die Geltung des Verbots nur auf einige von ihnen erstrecken würde, denen man den Charakter eines „Eingriffs" zubilligt. Dann stellt sich aber sofort die Frage, nach welchem Maßstab sich bestimmt, welche Einwirkungen diesen Charakter haben und damit unter das „einfachrechtliche Verbot" fallen, und welche nicht. Dabei wird man letztlich auf das Grundrecht unmittelbar zurückgreifen, indem man sagt, diese staatliche Handlungen will das Grundrecht verbieten und jene nicht, so dass man am Ende bei genau jenem grundrechtsunmittelbaren Verbot landet, das der hier vertretenen Konstruktion zugrunde hegt. 48 1 Vgl. Papier, Öffentliche Sachen3, S. 154; Gursky, in: Staudinger 14, § 1004 Rn. 183; J. R Baur, in: Soergel 13, § 903 Rn. 113.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

127

Imperative verbieten es dann aber der Exekutive, auf die Sache zuzugreifen, sie zu zerstören, sie wegzunehmen? Noch offensichtlicher als beim Sacheigentum, bei dem man sich vielleicht noch mit einer analogen Anwendung der das Verhältnis zwischen Eigentümer und seinen Rechtsgenossen regelnden Inhaltsbestimmungen (z. B. § 1004 BGB) helfen kann, ist das Problem beim Forderungseigentum. Dieses wird konstituiert durch den Imperativ, der dem Schuldner die Zahlung an den Gläubiger gebietet und diesem die Rechtsmacht gibt, die Zahlung einzufordern. Irgendwelche Abwehransprüche gegen den Staat kann man aus der dieser Rechtsmacht zugrunde liegenden Inhaltsbestimmung beim besten Willen auch im Wege der Analogie nicht gewinnen. Man müsste also an sich den Schluss ziehen, dass das Gut dem Zugriff des Staates schutzlos ausgeliefert ist. Hieran würde auch der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes nichts ändern. 484 Denn der setzt einen Eingriff in Freiheit und Eigentum voraus. Doch „Eigentum" läge im Verhältnis zum Staat mangels es konstituierender Inhaltsbestimmungen gerade nicht vor. Staatliche Einwirkungen auf das Gut könnten damit auch keine „Eingriffe in das Eigentum" sein. Es bliebe nur der Schluss, dass der Gesetzgeber die Zuordnungsfrage im Verhältnis Eigentümer/Staat in den meisten Fällen bislang nicht in einer Art und Weise geklärt hat, dass das Ergebnis den Namen „Eigentum" verdient, und dadurch seine Leistungspflicht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt hat. Geht man hingegen wie hier davon aus, dass die Frage, was der Staat in Bezug auf das Vermögenswerte Gut zu unterlassen hat, gar nicht zum Inhalt des Eigentums gehört, sondern vom grundrechtlichen Abwehranspruch beantwortet wird, hat man diese Schutzlücke nicht. Sobald dem Eigentümer ein vermögenswertes Gut gegenüber anderen Privaten zugeordnet ist, verbietet es der grundrechtliche Abwehranspruch, der staatlichen Gewalt auf dieses zuzugreifen. Auch die Geltung des Gesetzesvorbehalts versteht sich dann von selbst. Immer dann, wenn sich die Verwaltung über den grundrechtlichen Abwehranspruch hinwegsetzen und somit in den Schutzbereich des Grundrechts „eingreifen" will, braucht sie ein Gesetz.

482 Vgl. BVerwGE 79, 254 (256); 81,197 (199). 483 Vgl. hierzu auch Ramsauer, Beeinträchtigungen, S. 146 f. Er will, falls keine öffentlichrechtlichen Inhaltsbestimmungen vorhegen, mit einer durch Art. 14 Abs. 1 GG bewirkten Transformation der privatrechtlichen Positionen in die öffentlichrechtliche Rechtsstellung des Eigentümers gegenüber der staatlichen Gewalt helfen. Das kommt der hier vertretenen Lösung in der Sache nahe. Der Unterschied hegt aber darin, dass die Geltung des grundrechtlichen Abwehranspruchs, das, was Ramsauer „Transformation" nennt, nach der hier vertretenen Lösung nicht unter den Vorbehalt des Fehlens öffentlichrechtlicher Inhaltsbestimmungen steht. Vgl. dazu auch schon oben S. 123 f. 484 Von der Geltung des Vorbehalts des Gesetzes geht man aber überwiegend aus, vgl. nur Weber, in: HdbGR Π, S. 331 (364); v. Mangoldt, GG 1 , Art. 14 Anm. 2, S. 100. So auch die klassische Formulierung seines Anwendungsbereichs: „Eingriffe in Freiheit und Eigentum Vgl. auch oben S. 98 Fn. 347.

128

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Natürlich stellt sich nach der hier vertretenen Ansicht die Frage, welche staatlichen Einwirkungen auf das Vermögenswerte Gut vom grundrechtlichen Abwehranspruch verboten sind und welche nicht. Denn fest steht, dass nicht jede noch so geringfügige, ggf. gar nicht vorhersehbare oder nur mittelbar verursachte Einwirkung verboten sein kann. Es ist auch keine Frage, dass Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG mit „werden gewährleistet" sich zu diesem Problem sehr bedeckt hält. Doch das sind keine spezifischen Probleme des Art. 14 GG, 4 8 5 wie die auch bei anderen Grundrechten geführte Diskussion um den sog. mittelbaren oder faktischen Eingriff 4 8 6 zeigt. Sie können daher schwerlich als Beleg dafür dienen, dass zur Lösung dieses Problems bei Art. 14 GG Inhaltsbestimmungen vonnöten sind. ee) Argument 4: Der Eingriffscharakter von Legalenteignungen und Reformgesetzen, die bereits bestehende Eigentumspositionen verkürzen Das Bundesverfassungsgericht und die herrschende Meinung gehen davon aus, dass Legalenteignungen Eingriffscharakter haben. 487 Gleiches soll für Reformgesetze gelten, die bereits bestehende Inhaltsbestimmungen durch negative Aussagen zu den rechtsgutzuweisenden Imperativen verändern (ζ. B. indem sie die Befugnisse von Nichteigentümern nach § 904 BGB erweitern) und dabei auch nach altem Recht bereits entstandene Rechtspositionen erfassen. 488 485

Vgl. dazu auch Häberle, Wesensgehaltgarantie3, S. 102: „Generalklauselcharakter"; Böckenförde, NJW 1974, S. 1529 (1529): die Grundrechtsbestimmungen seien „ihrer Wortfassung und Sprachgestalt nach Lapidarformeln und Grundsatzbestimmungen, die aus sich selbst inhaltlicher Eindeutigkeit weithin entbehren." Diese Bewertung ist im Hinblick auf die Bezeichnungen der Grundrechtsgegenstände („Leben", „körperliche Unversehrtheit", „Eigentum" etc.) sicherlich überzogen (insoweit richtig Starck, JuS 1981, S. 237 [239]), im Hinblick auf die Rechtsfolgen der Grundrechte trifft sie jedoch zu. 486 Vgl. nur Sachs, in: Stem /Sachs, Staatsrecht III/2, S. 128 ff.; ferner BVerfGE 105, 252 (265 ff.) zu Art. 12 Abs. 1 GG; BVerfG, NJW 2002, 2626 (2628 f.) zu Art. 4 Abs. 1, 2 GG. 487 Vgl. BVerfGE 24, 367 (401 f.); 58, 300 (330 ff.); 45, 297 (325 f.); 95,1 (21). 488 Vgl. BVerfGE 31, 275 (284 f.); 36, 281 (293); 52, 1 (28); 83, 201 (212); Ramsauer, Beeinträchtigungen, S. 74 ff.; ihm folgend: Thormann, Abstufungen, S. 137 f.; Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht ΙΠ/2, S. 408; Kempen, Eingriff, Rn. 115 ff. - Die Abgrenzung beider Erscheinungsformen der gesetzgeberischen Beseitigung von bestehenden Rechtspositionen ist unklar. Anfänglich ging das BVerfG (BVerfGE 52, 1 [27 f.]; 58, 300 [331 f.]; 79, 174 [192]) davon aus, dass in einem bereits entstandene konkrete Eigentumspositionen verkürzenden Reformgesetz im Hinblick auf die verkürzten bzw. beseitigten Eigentumspositionen eine Legalenteignung stecken könne (aber nicht müsse), im Hinblick auf die in Zukunft entstehenden Rechtspositionen hingegen eine Inhaltsbestimmung liege. Inzwischen geht es aber wohl davon aus, dass der inhaltsbestimmende Charakter des Reformgesetzes die Annahme einer Legalenteignung ausschließt (vgl. BVerfGE 83, 201 [211 f.]; 100, 226 [240]; ganz deutlich BVerfG-K, NJW 1998, 367 [367 f.]), so dass Legalenteignungen nur noch in Gestalt nicht abstrakt-genereller Gesetze, also als Verwaltungsakte in Gesetzesform, denkbar sind (so auch Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 55; Rozek, Unterscheidung, S. 23 f., 150 ff., 225, 230, 247 Fn. 323, 251; Kraft, BayVBl. 1994, S. 97 [100]; Lege, Zwangskontrakt, S. 41

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

129

Beide Annahmen sind sehr problematisch, wenn man damit Ernst macht, dass der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes erst durch den einfachen Gesetzgeber bestimmt wird. Dann lässt sich ein Eingriff im Falle von Reformgesetzen oder Legalenteignungen nämlich nur bejahen, wenn sich bei der Zusammenschau der die Rechtsposition gegenüber dem Staat ausformenden Inhaltsbestimmungen eine fände, die es künftigen Gesetzgebern verbietet, einmal entstandene Rechtspositionen zu beseitigen, und dem Eigentümer einen hiermit korrespondierenden Abwehranspruch einräumt. Doch einen solchen an künftige Gesetzgeber gerichteten Verbotsgehalt haben einfache Gesetze in aller Regel nicht. Der Eingriffscharakter von Reformgesetzen und Legalenteignungen lässt sich dagegen problemlos begründen, wenn man - wie hier - konsequent zwischen dem gesetzlich zu begründenden Eigentum als Tatbestandsmerkmal des Grundrechts und dem grundrechtlichen Abwehrrechtsmacht als selbständige Rechtsfolge des Grundrechts differenziert. Legalenteignung und Altrechtspositionen erfassendes Reformgesetz setzen sich dann, weil sie bereits entstandene konkrete Rechtspositionen partiell oder vollständig beseitigen wollen, über den grundrechtlichen Abwehranspruch, der eben dies (vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Rechtfertigung) verbietet, hinweg. Sie sind damit Eingriffe in den Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und müssen deshalb den Anforderungen standhalten, die für Eingriffe in den Abwehrgehalt von Grundrechten gelten. 489

ff) Argument 5: Der Eingriffscharakter der Administrativenteignung Auch Enteignungen aufgrund eines Gesetzes, Administrativenteignungen, sollen nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Meinung Eingriffscharakter haben, zum Entzug einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützFn. 33; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht 5, S. 180; Schwabe, FS Thieme, S. 251 [265]; Roller, NJW 2001, S. 1003 [1005]; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 53, 356 f., 584 f., der sich allerdings [Rn. 259] eine Hintertür für den Fall des „Formenmissbrauchs" offen hält; a.A. ζ. B. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 559). Zu den Hintergründen dieser Abgrenzung siehe unten S. 141 ff. 489 Das sind zunächst die „allgemeinen" Rechtfertigungsanforderungen für Grundrechtseingriffe, insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, vgl. BVerfGE 31, 275 (289 f.); 36, 281 (293); 58, 300 (351); 70, 101 (111); 70, 191 (201 f.); 72, 9 (22 f.); 74, 203 (214); 75, 78 (97); 76, 220 (238); 83, 201 (212). Dieser kann also bei eigentumsrelevanten Normen zwei Ansatzpunkte haben. Bei Inhaltsbestimmungen ist es die Leistungspflicht des Gesetzgebers, hinter der dieser nur nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit zurückbleiben darf (vgl. oben S. 102 f.), bei Schrankenbestimmungen ist es der klassische Ansatzpunkt, die Unterlassungspflicht der staatlichen Gewalt, von der diese nur nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit abweichen darf. Erfüllt die schrankenbestimmende Norm die Merkmale der Enteignung, kommen die speziellen Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG hinzu. Vgl. zu den unterschiedlichen Bezugspunkten des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch näher unten S. 147 ff. 9 Raue

130

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

ten Rechtsposition führen. 490 Das lässt sich jedoch nur begründen, wenn man die These aufgibt, dass sich neben dem Gegenstand auch der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergibt und somit der verfassungsrechtliche Schutz der Eigentumsposition nicht weiter reicht als die mit ihr zulässigerweise verbundenen gesetzlichen Befugnisse 491. (1) Fehlen des Eingriffscharakters, wenn sich der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes aus Inhaltsbestimmungen ergibt Eine Ermächtigung zur Enteignung verpflichtet den Eigentümer zur Duldung der Enteignung. 492 D. h., der Eigentümer hat keine gesetzliche Befugnis, einen sich im Rahmen der Ermächtigungsnorm haltenden Entzug seines Eigentums abzuwehren. 493 Reichte nun der verfassungsrechtliche Schutz der Eigentumsposition nicht weiter als die mit ihr zulässigerweise verbundenen gesetzlichen Befugnisse, dann hätte der Eigentümer auch keine verfassungsrechtliche Befugnis zur Abwehr solch eines Eigentumsentzugs. Dieser könnte damit unmöglich der Entzug einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition sein. Die sich im Rahmen der Ermächtigungsnorm haltende Administrativenteignung wäre dann kein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts. Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn man die Definition der Inhaltsbestimmung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausgangspunkt nimmt. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist Inhaltsbestimmung die generelle und abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten durch den Gesetzgeber hinsichtlich solcher Rechtsgüter, die als Eigentum im Sinne der Verfassung zu verstehen sind. 494 Gehörten zum Inhalt des Eigentums nicht nur Rechte und Pflichten zwischen dem Eigentümer und anderen Privaten, sondern auch - wie das Bundesverfassungsgericht annimmt - zwischen Eigentümer und Staat, dann gehörte die Befugnis, eine Enteignung abzuwehren, bzw. die Pflicht, sie zu dulden, zum Inhalt des Eigentums. Die Ermächtigung zur Administrativenteignung statuiert - wie gesehen - genau solch eine Pflicht, und zwar generell und abstrakt. Sie wäre folglich eine Inhaltsbestimmung des Eigentums. 495 Ergäbe sich nun der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes aus der Gesamtheit der verfassungsmäßigen Gesetze, die den Inhalt des Eigentums bestimmen, gäbe es keinen verfassungs490 Vgl. oben S. 77 Fn. 259. 491 Vgl. zu dieser These oben S. 78 ff. 492 Vgl. Böhmer, SV, BVerfGE 56, 266 (270). 493 Eine Duldungspflicht impliziert die Abwesenheit eines Verbotsrechts, vgl. oben S. 113. 494 Siehe oben S. 80. 495 Vgl. auch Osterloh, DVB1. 1991, S. 907 (911 f.); ferner: Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 117; Schulte, DVB1. 1965, S. 386 (387); Lutz, Eigentumsschutz, S. 159, 164; Wendt, Eigentum, S. 160 f.; a.A. Appel, Entstehungsschwäche, S. 203 ff.

131

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

rechtlichen Bestandsschutz gegenüber auf einer gesetzlichen Grundlage basierenden Administrativenteignung. Denn die Ermächtigung zur Administrativenteignung hätte als Inhaltsbestimmung des Eigentums den Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes so gestaltet, dass der Enteignete keine Befugnis zur Abwehr der Enteignung hätte, solange diese sich innerhalb der Vorgaben der gesetzlichen Ermächtigung bewegt. In solch einer Administrativenteignung könnte kein Entzug einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition, kein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts liegen, sondern nur eine deklaratorische Verlautbarung von dessen Umfang. 496 (2) Eingriffscharakter bei verfassungsunmittelbarem des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes

Umfang

Der Eingriffscharakter der Enteignung aufgrund eines Gesetzes lässt sich dagegen erklären, wenn man das hier vertretene Verständnis von „Eigentum" zugrunde legt. Denn hiernach gehört zum Inhalt des Eigentums und damit zum Tätigkeitsfeld des inhaltsbestimmenden Gesetzgebers nur noch die Zuordnung des vermögensweiten Gutes im Verhältnis zu anderen Privatpersonen und die sich auf diese Zuordnungsrechtslage beziehende Verfügungsmacht. Die Zuordnungsfrage im Verhältnis zum Staat regelt hingegen der verfassungsunmittelbare Abwehranspruch des Eigentümers, der es dem Staat verbietet, auf das Vermögenswerte Gut und die es umhegende Zuordnungs- und Verfügungsmachtrechtslage zuzugreifen. Der Eigentümer ist insoweit also nicht auf ein aus dem einfachen Recht erwachsendes Verbotsrecht angewiesen. Sein unmittelbar aus dem „werden gewährleistet" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG resultierendes Verbotsrecht schützt die Rechtsposition „in seiner Hand", ohne dass es hierzu noch irgendwelcher Inhaltsbestimmungen bedürfte. Staatliche Stellen, welche diese Rechtsposition im Wege einer Enteignung entziehen, setzen sich damit (vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Rechtfertigung) über ein verfassungsrechtliches Verbot hinweg, greifen also in das Grundrecht ein. Dass ein Gesetz im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 Var. 2 GG sie hierzu ermächtigt, ändert daran nichts. Denn der einfache Gesetzgeber kann nicht einfach den Inhalt eines Verbots, dessen Umfang sich unmittelbar aus der Verfassung ergibt, ändern. Er kann es lediglich - wenn ihm das die Verfassung erlaubt - beschränken. 4 9 7 Doch das führt allenfalls zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des 496 So i. Erg. auch schon Lutz, Eigentumsschutz, S. 158 f., 164, und Wendt, Eigentum, S. 160 f. Beide leiten hieraus auch die Notwendigkeit einer Trennung von Inhaltsbestimmungen und Schrankenbestimmungen ab, nehmen diese Trennung dann aber nach anderen als den hier vorgeschlagenen Kriterien vor, vgl. dazu unten S. 157 f. 497 Legt man Häberles Sichtweise (vgl. dazu oben S. 94, 122) zugrunde, dann kann man solche Normen natürlich auch als Inhaltsbestimmungen bezeichnen. Der Unterschied zwischen solchen „Inhaltsbestimmungen" zu echten Inhaltsbestimmungen des Eigentums würde aber in der Sache weiterhin bestehen. Letztere müssten sich am Leistungsgehalt des Art. 14

*

132

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Eingriffs, nicht zur Negierung des Eingriffscharakters. Ermächtigungen zur Administrativenteignung sind folglich, soweit sie einer staatlichen Stelle den Entzug einer Eigentumsposition gestatten, Schrankenbestimmungen des Eigentumsgrundrechts. Die Administrativenteignung selbst ist der Entzug einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition, mithin ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts. (3) Der Einwand des der zu enteignenden Rechtsposition anhaftenden Untergangsrisikos Nun wird mancher vielleicht einwenden, dass auch nach der hier vertretenen Auffassung die Regelungen, welcher einer Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 GG zugrunde liegen, unausweichlich einen inhaltsbestimmenden Regelungsgehalt hätten. Denn diese Normen beschränkten sich ja nicht darauf, eine staatliche Stelle zur Vornahme der Enteignung zu ermächtigen und den Eigentümer zur Duldung zu verpflichten. Damit die Enteignung überhaupt funktionieren könne, ordneten sie vielmehr darüber hinaus an, dass als Folge der staatlichen Maßnahme die gegen andere Privatpersonen gerichteten Imperative und die sich hierauf beziehende Verfügungsmacht „in der Hand" des Eigentümers erlöschen. Damit ließen sie dieses Imperativen- und Verfügungsmachtbündel von vornherein nur unter der auflösenden Bedingung einer Enteignung entstehen und belasteten es mit dem Risiko des Untergangs. Insoweit träfen sie eine Aussage zum Inhalt des Eigentums. In der Verwirklichung dieses, aus der Inhaltbestimmung resultierenden Untergangsrisikos durch die enteignende staatliche Stelle könne somit kein Eingriff in eine geschützte Rechtsposition gesehen werden. (4) Entkräftung des Einwands: Der Unterschied zwischen Risikoauferlegung und Risikoverwirklichung Richtig an dieser Argumentation ist, dass auch nach der hier vertretenen Auffassung jeder Ermächtigung zur Administrativenteignung ein inhaltsbestimmender Regelungsgehalt innewohnt. Dieser besteht in der Tat darin, dass die Rechtsposition mit dem Risiko belastet wird, durch die Vornahme der Enteignung „in der Hand" des einzelnen Eigentümers zu erlöschen. (a) Der rechtstechnische Unterschied zwischen Risikoauferlegung und Risikoverwirklichung Doch darin erschöpft sich der Regelungsgehalt einer Ermächtigung zur Administrativenteignung nicht. Neben der - inhaltsbestimmenden - Regelung, dass die Abs. 1 Satz 1 GG messen lassen, erstere am Abwehrgehalt. Letztere wären Inhaltsbestimmungen des Eigentums (als Gegenstand des Grundrechts), erstere Inhaltsbestimmungen des Eigentumsgrundrechts.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

133

Eigentumsposition im Falle des Eintritts eines bestimmten Ereignisses - der Enteignung - erlischt, gestattet sie nämlich außerdem einer staatlichen Stelle - der Enteignungsbehörde - dieses Ereignis herbeizuführen. Dieser Regelungsgehalt ist nach der hier vertretenen Auffassung nicht inhaltsbestimmend. Denn mag die Rechtsposition im Zeitpunkt der Vornahme des staatlichen Aktes auch mit dem Risiko des Untergangs belastet sein, existent ist sie in diesem Zeitpunkt noch immer. Folglich kann der grundrechtliche Abwehranspruch, dessen Umfang sich nach der hier vertretenen Auffassung unmittelbar und ausschließlich aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ergibt, an sie anknüpfen und sie davor schützen, dass eine staatliche Stelle das ihr anhaftende Untergangsrisiko verwirklicht. Verwirklicht die staatliche Stelle es trotzdem, so setzt sie sich (vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Rechtfertigung) über diesen Abwehranspruch hinweg, greift also in den Schutzbereich des Grundrechts ein. Eine Norm, welche der staatlichen Stelle eine solche Hinwegsetzung gestattet, ist insoweit folglich keine Inhaltsbestimmung, sondern eine Schrankenbestimmung des Grundrechts. Nur dann, wenn man wie das Bundesverfassungsgericht davon ausginge, dass der grundrechtliche Abwehranspruch - der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes - durch den einfachen Gesetzgeber konstituiert wird, wäre dieser Regelungsgehalt ebenfalls inhaltsbestimmend, mit der Folge, dass der Entzug der Rechtsposition kein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG wäre. Es müssen bei einer Ermächtigung zur Enteignung also zwei Regelungsgehalte strikt voneinander unterschieden werden. Zum einen belastet die Ermächtigung zur Enteignung die Rechtsposition mit dem Risiko, im Falle eines bestimmten Ereignisses - der Enteignung - unterzugehen. Zum anderen erlaubt sie einer staatlichen Stelle, dieses Risiko durch Vornahme der Enteignung zu verwirklichen. Dass es sich um zwei voneinander zu trennende Regelungsgehalte handelt, kommt mitunter auch darin zum Ausdruck, dass sie in verschiedenen Vorschriften enthalten sind. So regeln die §§ 85 ff. BauGB, unter welchen Voraussetzungen die Enteignung vorgenommen werden darf. Sie enthalten also die - schrankenbestimmende - Ermächtigung zur Risikoverwirklichung. Die - inhaltsbestimmende - Risikobelastung jedoch, nämlich dass als Folge der Enteignung die Rechtsposition „in der Hand" des bisherigen Eigentümers erlischt, ist allein in § 117 Abs. 1 BauGB geregelt. 498 Unter Zugrundelegung des Eigentumsverständnisses des Bundesverfassungsgerichts sind beide Regelungsgehalte inhaltsbestimmend. Unter Zugrundelegung des hier vertretenen Eigentumsverständnisses ist es nur der erste, der, der das Untergangsrisiko begründet. Der zweite, der, der eine staatliche Stelle zur Verwirklichung dieses Risikos ermächtigt, ist hingegen eine Schrankenbestimmung. 498 Eine noch deutlichere räumliche Trennung zwischen schrankenbestimmendem und inhaltsbestimmendem Regelungsgehalt weisen auch die - nach h.M. allerdings keine Enteignungsnormen darstellenden - §§ 74 ff. StGB auf. § 74 e Abs. 1 StGB regelt (rein inhaltsbestimmend), dass als Folge der Einziehung das Sacheigentum verloren geht. Zur Herbeiführung dieser Folge wird jedoch (rein schrankenbestimmend) in § 74 StGB ermächtigt.

134

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

(b) Der materielle Unterschied zwischen Risikoauferlegung und Risikoverwirklichung Die Frage ist, ob gegen diese Differenzierung nicht eingewendet werden kann, sie sei zu spitzfindig. Denn man könne zwischen den beiden Regelungsgehalten Risikobelastung (Inhaltsbestimmung) / Ermächtigung zur Risikoverwirklichung (Schrankenbestimmung) - in Wirklichkeit nicht trennen, weil das Bestehen eines Risikos bereits die Legitimation zur Verwirklichung des Risikos in sich trage. Deshalb könne der grundrechtliche Abwehranspruch nicht so verstanden werde, dass er auch mit einem Untergangsrisiko belastete Eigentumspositionen vor der Verwirklichung dieses Risikos schützen will. Daher könne die Verwirklichung dieses Risikos auch nach der hier vertretenen Auffassung nicht als Entzug einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition angesehen werden. (aa) Das Beispiel des § 950 BGB Dagegen, dass das Bestehen eines Risikos bereits die Legitimation zur Verwirklichung des Risikos in sich trägt, spricht jedoch, dass es Normen gibt, die Eigentumspositionen zwar mit dem Risiko belasten, im Falle der Vornahme einer bestimmten Handlung unterzugehen, deshalb aber noch nicht die Vornahme der fraglichen Handlung erlauben. So verliert der bisherige Eigentümer gemäß § 950 BGB sein Eigentum, wenn ein anderer die Sache verarbeitet. Doch das heißt nicht, dass § 950 BGB die Verarbeitung fremder Sachen damit automatisch zu einer erlaubten Handlung erklärt. Vielmehr kann der mit ihr nicht einverstandene Eigentümer selbstverständlich nach § 1004 BGB das Unterlassen der Verarbeitung verlangen, und diese ist eine unerlaubte Handlung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB. 4 9 9 Dieses Beispiel zeigt, dass es bereits im Ansatz verfehlt ist, von der Auferlegung eines Risikos auf die Erlaubnis zur Verwirklichung desselben zu schließen. Es kann vielmehr ersteres ohne letzteres existieren. (bb) Das Eigengewicht der Risikoverwirklichung gegenüber der Risikoauferlegung Dass das Bestehen eines Risikos noch nicht die Legitimation zur Verwirklichung des Risikos in sich trägt und derrisikobelastetenPosition somit nicht die grundrechtliche Schutzwürdigkeit nimmt, folgt zudem aus dem erheblichen Eigengewicht, welches der Risikoverwirklichung gegenüber der Risikobelastung zukommt. So folgt aus dem Umstand, dass jemand an einem Felsabgrund hängt und sich in großer Lebensgefahr befindet, keineswegs, dass ein Polizist, der ihn so vorfindet und hinunterstürzt, nicht in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eingreift und ein Gesetz, das den Polizisten hierzu ermächtigt, nicht eine ebenfalls am Ab499 Vgl. § 951 Abs. 2 Satz 1 BGB.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

135

wehrgehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu messende Schrankenbestimmung des Grundrechts ist. Genauso ist es in der Situation der Administrativenteignung: Die Rechtsposition des Einzelnen ist zum Zeitpunkt der Vornahme der Enteignung ohne Frage - ebenso wie das Leben des an der Felswand Hängenden - bereits mit dem Risiko des Verlusts behaftet. Trotzdem ist sie - wie dieses - noch existent. Sie erfüllt, solange das Risiko sich nicht realisiert hat, ihre Funktion als „künstlicher Schutz" gegenüber anderen Privaten genauso wie eine nicht risikobelastete Position. Erst das Hinunterstürzen bzw. die Enteignung bewirken den Verlust des Lebens bzw. der konkreten Eigentumsposition und müssen sich deshalb am Abwehrgehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bzw. des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG messen lassen. Eine andere Behandlung der Enteignung ist auch nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil die Risikobelastung (die Enteignungsermächtigung) bereits vom Staat herbeigeführt wurde. Denn man kann auch das Felswandbeispiel so bilden, dass bereits der Polizist den an der Felswand Hängenden in diese missliche Lage gebracht hat. Auch dann wäre die Risikoverwirklichung durch den Polizisten, also das Hinunterstürzen, ein Eingriff in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Dann gibt es aber keinen Grund, das Vernichten einer risikobelasteten Eigentumsposition allein deshalb aus dem Anwendungsbereich des Abwehrgehalts des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG auszuklammern, weil bereits der Staat das Risiko begründet hat. Welches Gewicht der Risikoverwirklichung (also der Enteignung) gegenüber der Risikobegründung (also der Enteignungsermächtigung) zukommt, erkennt man auch sehr deutlich daran, dass das Inkrafttreten eines Gesetzes, welches die bisher bestehenden Enteignungsmöglichkeiten der Verwaltung erweitert, sicherlich als solches zu einem Wertverlust bei allen der für eine solche Enteignung in Frage kommenden Rechtspositionen führen kann. Doch dieser ist längst nicht so groß wie der bei einer Rechtsposition, hinsichtlich derer ein konkretes Enteignungsverfahren bereits eingeleitet, die Risikoverwirklichung also bereits in Gang gesetzt, ist.

(cc) Das Beispiel der §§ 932 ff. BGB Ferner liefert nur das Eigengewicht der Risikoverwirklichung eine plausible Erklärung für bestimmte Differenzierungen, die aus dem Zusammenspiel von Art. 14 Abs. 3 GG und Art. 1 Abs. 3 GG resultieren und auf den ersten Blick willkürlich erscheinen mögen. So ist es grundsätzlich ausgeschlossen, den Verlust von Eigentumspositionen, der durch privates Verhalten, ζ. B. die Verfügung eines Nichtberechtigten nach §§ 932 Abs. 1, 929 Satz 1 BGB, 5 0 0 herbeigeführt wird, als Enteignung einzustu500 Weitere Beispiele: Anfechtung nach §§ 142 Abs. 1, 119 f., 123 BGB; Aufrechnung nach §§ 387 ff. BGB. - Diese oder ähnliche Konstellationen werden i.d.R. unter Stichwörtern wie „bürgerlichrechtliche Aufopferung" (Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 65) oder „privatrechtliche Eingriffs- und Einwirkungsbefugnisse" (Wendt, Eigentum, S. 334) dis-

136

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

fen. 5 0 1 Um eine Enteignung aufgrund eines Gesetzes kann es sich bei solchem privaten Verhalten nicht handeln, weil „Enteignung" in Art. 14 Abs. 3 GG ein staatliches Verhalten meint. 502 Das ergibt sich aus Art. 1 Abs. 3 GG, der klarstellt, dass die grundrechtlichen Abwehrgehalte Verbotsnormen nur gegenüber dem Staat, nicht auch gegenüber Privaten sind. 503 Es kann sich aber auch nicht um eine Enteignung durch Gesetz handeln. 504 Zwar kann der Private den Verlust der Rechtsposition nur herbeiführen, wenn eine Norm (hier § 932 BGB) seinem Handeln eine solche Wirkung beimisst. Doch das ist bei einer klassischen Enteignung aufgrund eines Gesetzes durch Verwaltungsakt letztlich auch so. Auch hier funktioniert, wie wir gesehen haben, 505 der Rechtsverlust nur deshalb, weil eine Norm an den Erlass des Verwaltungsaktes diese Rechtsfolge knüpft. 506 Würde das ausreichen, um den Rechtsverlust als Legalenteignung einzuordnen, dann wäre jede Enteignung aufgrund eines Gesetzes zugleich eine Enteignung durch Gesetz. Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG geht aber davon aus, dass es sich um zwei verschiedene Dinge handelt. 507 Deshalb fordert das Bundesverfassungsgericht für das Vorliegen einer Legalenteignung zu Recht, dass der Eigentumsverlust unmittelbar durch das Inkrafttreten des Gesetzes, nicht erst durch einen sich hierauf stützenden Anwendungsakt herbeigeführt wird. 5 0 8 Damit kann ein Gesetz, welches den Verlust von Eigentum als Folge privaten Handelns vorsieht (wie eben § 932 BGB), nie eine Legalenteignung sein.

kutiert. Unter diese Schlagwörter fasst die h.M. (vgl. ζ. B. Wendt, Eigentum, S. 336 f.; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 65) aber auch Konstellationen, in denen durchaus eine staatliche Stelle an der Risikoverwirklichung mitwirkt (ζ. B. BVerfGE 14, 263 ff.; BGHZ 48, 46 [50 f.]; 53, 226 [238 ff.]). Für diese Konstellationen gelten die folgenden Ausführungen und Argumente daher nicht oder zumindest nicht ohne weiteres. Die Einschlägigkeit des grundrechtlichen Abwehrgehalts kann hier nur teleologisch - etwa mit Drittwirkungsargumenten - „wegreduziert" werden. Wir werden uns unten S. 168 ff. anhand der Zwangsvollstreckung mit diesem Problem noch näher befassen. soi Vgl. Wendt, Eigentum, S. 355; ferner Schwabe, Drittwirkung, S. 118 ff., insb. S. 131 f., der sich über diese Vorgaben aus teleologischen Gründen aber hinwegsetzen will, vgl. a. a. O. S. 132 ff. 502 Vgl. F. Peters, Entzug, S. 32, im Hinblick auf den gutgläubigen Erwerb nach § 932 BGB; ferner BVerfGE 14, 263 (277) im Hinblick auf eine Umwandlung gemäß § 15 UmwG. 503 Gegen eine solche unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte spricht außerdem Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG, der sie ausnahmsweise einmal vorsieht, und die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes (vgl. v. Mangoldt, Bericht, S. 5); vgl. ferner die weiteren Argumente bei Canaris, AcP 184 (1984), S. 201 (203 ff.). 504 Vgl. auch F. Peters, Entzug, S. 33. 505 Oben S. 132. 506 Bereits Laband (AcP 52 [1869], S. 151 [178, 181 f.]) hat festgestellt, dass auch die Administrativenteignung „nur" ein Eigentumsverlust kraft Gesetzes ist. Siehe auch Grünhut, Enteignungsrecht, S. 183; O. Mayer, VwR II 3 , S. 24. 507 Deutlich Legal- und Administrativenteignung voneinander absetzend auch BVerfGE 58, 300 (331). 508 Vgl. BVerfGE

58, 300 (331); ferner BVerfGE

14, 263 (277); BVerfGE 45, 297 (326).

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

137

Das durch diese systematischen Vorgaben bedingte vollständige Herausfallen von Eigentumsverlusten, die auf gesetzlicher Grundlage durch privates Handeln bewirkt werden, aus dem Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 3 GG mag auf den ersten Blick vielleicht willkürlich erscheinen. Denn privates Verhalten kann - genauso wie staatliches - den Verlust einer Rechtsposition letztlich nur herbeiführen, wenn die Rechtsfolge eines Gesetzes dies anordnet. In beiden Konstellationen hat der Eigentumsverlust also i m Gesetz seinen „Ausgangspunkt", 5 0 9 und es hängt oft von Zufälligkeiten ab, ob ein privates oder ein staatliches Verhalten die gesetzliche Rechtsfolge auslöst. 5 1 0 Macht man sich aber das oben dargestellte Eigengewicht der Risikoverwirklichung bewusst, so leuchtet ein, dass es aus Sicht des Abwehrgehalts des Grundrechts nicht gleichgültig sein kann, ob eine staatliche Stelle das der Rechtsposition anhaftende Risiko verwirklicht oder ein Privater nach seinem freiem Belieben. 5 1 1 I m letzteren Falle entscheidet eben ein Privater, dem die 509 So argumentiert Schwabe, Drittwirkung, S. 120 ff., der deshalb Art. 14 Abs. 3 GG extensiv auslegen will; ders., FS Thieme, S. 251 (255, 259 f.); ähnlich, wenngleich weniger drastisch und mit anderen Schlussfolgerungen, Wendt, Eigentum, S. 336; im Hinblick auf den gutgläubigen Erwerb ferner Hager, Verkehrsschutz, S. 66; F. Peters, Entzug, S. 35, der sich deshalb an den Wertungen des Art. 14 Abs. 3 GG orientieren will. 510 Um sich das bewusst zu machen, muss man nur §§ 929, 932 BGB und §§ 873, 892 BGB gegenüberstellen. Der Eigentumsverlust nach §§ 929, 932 BGB fällt automatisch aus dem Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG heraus. Das lässt sich für den Eigentumsverlust nach §§ 873, 891 BGB nicht mehr ohne weiteres sagen. Denn hier tritt der Eigentumsverlust nur ein, wenn das Grundbuchamt die Rechtsänderung einträgt. Man kann zwei Strategien beobachten, um dieses „willkürliche" Ergebnis zu vermeiden und eine Gleichbehandlung beider Konstellationen zu erreichen. Die eine, die Schwabe, Drittwirkung, S. 118 ff., favorisiert, besteht darin, die erste Konstellation wegen ihres gesetzlichen Ausgangspunktes ebenfalls am grundrechtlichen Abwehrgehalt zu messen. Die zweite Strategie, welche die h.M. favorisiert (vgl. nur BVerfGE 14, 263 [277], wo der Eintragung der Umwandlung in das Handelsregister eine untergeordnete Rolle zugesprochen wurde), besteht darin, die zweite Konstellation aus Gründen der „Drittwirkung" aus dem Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG auszuklammern und so der ersten gleichzustellen. Dabei wird von beiden Seiten - möglicherweise zu Unrecht (vgl. dazu unten S. 148 f.) - unterstellt, dass der Grundrechtsteil des Grundgesetzes eine solche „Schieflage" unmöglich gewollt haben kann. 511 Ich denke, Schwabe (a. a. O.) übersieht diesen Punkt, weil er seine für Freiheitsrechte durchaus richtigen Beobachtungen (a. a. O. S. 28 ff.) zu voreilig auf alle Grundrechte überträgt. Es ist in der Tat richtig, dass ein Gesetz, dass ein grundrechtlich - ζ. B. durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG - geschütztes Verhalten verbietet, unmittelbar die Freiheitssphäre verkürzt, und dass der sich im Rahmen dieses Gesetzes haltende Vollzug dieser Verkürzung nichts Entscheidendes mehr hinzufügt (von irgendwelchen Sanktionen natürlich abgesehen). Aber das läßt sich für Grundrechte, die andere Güter als Freiheit schützen, nicht ohne weiteres sagen. So verkürzt ζ. B. ein Gesetz, welches die Tötung von Menschen erlaubt, unabhängig davon, ob es sie Privaten oder dem Staat erlaubt, gerade noch nicht unmittelbar das Leben. Dies bewirkt vielmehr erst der sich auf das Gesetz stützende private oder staatliche Totungsakt. Die in der Erlaubnis steckende Duldungspflicht verkürzt unmittelbar nur die Freiheit, sich zur Wehr zu setzen. Die Freiheit, sich zur Wehr zu setzen, ist aber eben „Freiheit" und nicht „Leben". Für das Leben erzeugt das Gesetz nur eine Gefahr, indem es dem Grundrechtsträger die Freiheit, sich zur Wehr zu setzen, nimmt und seine Tötung legalisiert. Der eigentüche Schaden, vor dem das Grundrecht, seinen Träger schützen will, tritt erst durch den „Vollzug" des Gesetzes ein. Die Verantwortlichkeit des Gesetzes gegenüber dem Grundrecht des Art. 2

138

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Grundrechte nichts verbieten wollen, darüber, welche Rechtsposition welches Eigentümers zu welchem Zeitpunkt untergeht bzw. ob sie überhaupt untergeht. Dann liegt es auf der Hand, dass sich der Staat nicht für die außerhalb seines W i l lens liegende Verwirklichung des Risikos verantworten muss, sondern „ n u r " 5 1 2 dafür, dass er i n Gestalt des inhaltsbestimmenden Gesetzgebers das Eigentum so ausgestaltet hat, dass es überhaupt mit solchen Risiken behaftet i s t . 5 1 3 Nur dann, wenn der Staat auch das Risiko selbst verwirklicht, liegt ein Eingriff in den Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vor. Dabei mag es durchaus schwierige „ M i s c h f o r m e n " 5 1 4 geben, bei denen sowohl Private als auch staatliche Stellen an der Risiko Verwirklichung beteiligt sind, ζ. B. Abs. 2 Satz 1 GG muss also im Unterschied zu Freiheitsrechten näher begründet werden (gemeint ist natürlich theoretisch; dass ein solches Gesetz, sich i. Erg. „irgendwie" an Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG messen lassen muss, soll - im Hinblick auf Schwabe, Drittwirkung, S. 126 f. - hier nicht in Frage gestellt werden). Diese Begründung fällt, wenn das Gesetz einer staatlichen Stelle die Tötung erlaubt, leichter, als wenn es sie einem Privaten erlaubt. Denn der staatlichen Stelle ist gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 3 GG die Tötung verboten. Von diesem (grundsätzlichen) verfassungsrechtlichen Verbot versucht das (einfache) Gesetz, die staatliche Stelle zu befreien. Das macht es zur Einschränkung des Grundrechts. Einem Privaten verbietet Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als „unmittelbar geltendes Recht" (Art. 1 Abs. 3 GG) aber gerade nicht die Tötung eines Menschen. Die Privaten erteilte gesetzliche Erlaubnis zur Tötung kann also auch keine versuchte Befreiung von einem solchem Verbot sein. Die Verantwortlichkeit des Gesetzgebers muss also auf andere Weise begründet werden. Etwa, indem man sagt: Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützt nicht nur das Leben als solches, sondern auch die Freiheit, sich gegen Tötungen zur Wehr zu setzen. Oder: Der Gesetzgeber hat hier indirekt an der Tötung mitgewirkt, weil er dem Privaten die „Rückendeckung" der Rechtsordnung zu verschaffen versucht hat und ihn damit entscheidend ermutigt hat und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützt auch vor solchen indirekten Mitwirkungen. Oder: Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützt überhaupt schon vor der Verursachung von Gefahren für das Leben. Oder: Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet den Staat, den Grundrechtsträger vor Tötungen durch Private zu schützen, und er handelt dieser Schutzpflicht zuwider, wenn er die Tötung durch Private erlaubt. Welche Begründung man auch wählen mag (man wird im Endeffekt vermutlich immer bei denselben Kriterien landen), im Vergleich zu der bei einem Gesetz, das einer staatlichen Stelle die Tötung erlaubt, ist sie aufwendiger und „problematischer". Während es bei Freiheitsrechten für die Frage der grundrechtsbeschränkenden Wirkung eines Gesetzes also völlig egal ist, wer es vollzieht (der Staat oder ein Privater) und ob es überhaupt vollzogen wird, kommt diesen Fragen bei Grundrechten, die keine Freiheit schützen, durchaus Bedeutung zu. - Für das Eigentumsgrundrecht folgt daraus die Notwendigkeit zu differenzieren: Soweit man durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG auch Handlungsfreiheit geschützt sieht, greift das Argument Schwabes, soweit es - wie bei Art. 14 Abs. 3 GG - um den Schutz der Rechtsmacht „Eigentum" geht, greift es nicht. 512 Man darf nicht vergessen, dass gerade wegen der Gesetzesabhängigkeit des Eigentums der Leistungsgehalt bei Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sehr stark ausgeprägt sein kann. Vgl. dazu oben S. 100 ff. und unten S. 147 f. 513 Aus diesem Grunde ist es auch problematisch, dass F. Peters, Entzug, S. 39, den Eigentumsverlust aufgrund der §§ 932 ff. BGB an der Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG messen lassen will und von einem „Eingriff* spricht, also offenbar von der Anwendbarkeit des Abwehrgehalts ausgeht. 514 Sie sind ein weiteres Argument Schwabes, vgl. ders., Drittwirkung, S. 128 f.; ders., FS Thieme, S. 251 (260).

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

139

ein Gesetz ermächtigt eine Behörde, einen Privaten zur Herbeiführung des Eigentumsverlusts zu ermächtigen. In solchen Fällen gilt, dass die staatliche Stelle die Steuerung der Risikoverwirklichung nicht dadurch verliert, dass sie einen Privaten sozusagen als „Geheißperson" vorschickt, sich die wesentlichen Entscheidungen, also ζ. B. die über die Konkretisierung des zu entziehenden Objekts oder das „Ob" des Entzugs, aber vorbehält und gerade nicht der Entscheidung des Privaten überlässt. Dies zu beurteilen, mag im Einzelfall schwierig sein, 515 aber das sind keine eigentumsspezifischen Schwierigkeiten, sondern solche, die es bei anderen Grundrechten auch gibt. Das Eigengewicht, welches der Risikoverwirklichung gegenüber der Risikobegründung zukommt, macht also deutlich, weshalb man es im Ergebnis zu Recht ablehnt, die §§ 929, 932 BGB oder ähnliche Konstellationen, in denen Private in eigener Verantwortung das einer Rechtsposition anhaftende Risiko deren Untergangs verwirklichen, an den Vorgaben des Art. 14 Abs. 3 GG zu messen,516 und in ihnen „nur" Inhaltsbestimmungen des Eigentums sieht. 517 (dd) Das Beispiel der Legalenteignung In dem Eigengewicht, welches der Risikoverwirklichung gegenüber der Risikobegründung zukommt, wurzelt schließlich auch das Misstrauen, das man seit jeher der Legalenteignung entgegengebracht hat. 5 1 8 Bei dieser fallen Risikobegründung und Risikoverwirklichung nämlich in einem Akt, dem Enteignungsgesetz, zusammen. Käme der Risikoverwirklichung gegenüber der Risikobelastung ohnehin keine große Bedeutung zu, dürfte das an sich nicht weiter stören. Doch die Trennung beider Ebenen - wie sie bei der Enteignung aufgrund eines Gesetzes stattfindet - ermöglicht nicht nur einen breiteren repressiven gerichtlichen Rechtsschutz, weil es gegen Verwaltungsmaßnahmen mehr Rechtsschutzmöglichkeiten als gegen Gesetze gibt. 5 1 9 Sie ermöglicht darüber hinaus auch und vor allem, dass

515 Wir werden unten S. 180 ff. auf eine solche Konstellation noch näher eingehen. Unten S. 168 f. werden wir uns mit dem umgekehrten Fall befassen: Eine staatliche Stelle verwirklicht das der Rechtsposition anhaftende Risiko, aber nur auf Geheiß eines Privaten. 516 Eine Enteignung ausdrücklich verneinend: Hager, Verkehrsschutz, S. 56 ff.; F. Peters, Entzug, S. 32 ff. 517 Die Vorschriften über den redlichen Erwerb als Inhaltsbestimmungen des Eigentums auffassend: F Peters, Entzug, S. 34, 39; Quack, in: MünchKomm-BGB 4 , § 932 Rn. 2; Ruffert, Vorrang, S. 382 ff.; a.A. wohl Hager, Verkehrsschutz, S. 65 ff., der sie als „Kollisionsregeln" begreift (a. a. O. S. 75 ff.). 518 Vgl. nur Ο. Mayer, VwR II 3 , S. 3 mit Fn. 8; C. Schmitt, JW 1929, S. 495 (497); BVerfGE 24, 367 (401 ff.); 95, 1 (22). 519 So argumentiert das BVerfG, das im Einsatz der Legalenteignung, gegen die nur Verfassungsbeschwerde erhoben werden kann, die Gefahr einer Umgehung des Art. 19 Abs. 4 GG, der den Rechtsschutz gegen die Verwaltung gewährleistet, sieht (vgl. BVerfGE 24, 367 [401 ff.]; 95, 1 [22]).

140

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

sich zwischen Risikobegründung und Risikoverwirklichung ein in der Diktion C. Schmitts als due process of law 520 bezeichneter Grundrechtschutz durch Verfahren schieben kann. 521 (5) Ergebnis Der gegen die hier vertretene Begründung des Eingriffscharakters der Administrativenteignung denkbare Einwand, dass das Bestehen eines Verlustrisikos bereits die Legitimation zur Verwirklichung des Risikos in sich trage, ist also nicht haltbar. Folglich bleibt es bei dem oben Gesagten: Der Eingriffscharakter der Administrativenteignung lässt sich auf der Grundlage der hier vertretenen Auffassung über das Verhältnis von Eigentum und Eigentumsgrundrecht erklären, 522 nicht jedoch auf der Grundlage der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, wonach sich auch der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergibt. 523 gg) Argument 6: Der unterschiedliche Regelungsgehalt von Inhaltsbestimmung und Enteignungsnorm (sog. Trennungsmodell) Der Umstand, dass sich auf der Grundlage des Eigentumskonzeptes des Bundesverfassungsgerichts der Eingriffscharakter der Enteignung nicht schlüssig erklären lässt, wäre für sich betrachtet vielleicht gar nicht so schlimm, wenn man - wie es den früher herrschenden Schwellentheorien 524 nachgesagt wird 5 2 5 - den Sinn des 520 c. Schmitt, JW 1929, S. 495 (497). Er nimmt damit auf den 5. und 14. Zusatzartikel der U.S. Verfassung Bezug, die, soweit sie hier von Interesse sind, lauten: „No person shall... be deprived of life, liberty, or property, without due process of law;..." bzw.: „ . . . nor shall any state deprive any person of life, liberty or property, without due process of law;..." 521 Das Abschneiden dieses due process of law durch den Einsatz der Legalenteignung hat Carl Schmitt dazu bewogen, die Worte „auf gesetzlicher Grundlage" in Art. 153 Abs. 2 Satz 1 WRV als Verbot der Legalenteignung zu deuten (vgl. C. Schmitt, JW 1929, S. 495 [497]). 522 s. 132 f. 523 s. 130 f. 524 Zu nennen sind hier die Schweretheorie des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwGE 5,143 [145]; 7, 297 [299]; 11, 68 [75]; 15,1 [1]; 61, 295 [302 f.]), die in der Tradition der noch zu Art. 153 WRV entwickelten Schutzwürdigkeitslehre Walter Jellineks (vgl. W. Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 413 f.) und Zumutbarkeitslehre Stödters (vgl. Städter, Entschädigung, S. 195 ff., insb. S. 209 ff.) stand, und die Sonderopfertheorie des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 6, 270 [278 ff.]; 23, 30 [32 ff.]; 20, 338 [340 ff.]; 32, 338 [346]; 50, 93 [96 ff.]; 54, 293 [295 ff.]; 57, 359 [363]; 60, 126 [130 ff.]; 72, 211 [216 f.]; 77, 351 [353 f.]; 80, 111 [114 f.]; 99, 24 [27]; 105, 15 [16]), die in der Tradition der zu Art. 153 WRV entwickelten Einzelaktstheorie des Reichsgerichts (vgl. dazu unten S. 223 Fn. 1004) stand. Vgl. zu diesen Theorien (und weiteren im Schrifttum vertretenen Schwellentheorien) v. Brünneck, Eigentumsgarantie, S. 170 ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht 5, S. 169 ff. 525 Vgl. Böhmer, Der Staat 24 (1985), S. 157 (158 f.); Depenheuer, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 198, 204, 405; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 52;

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

141

Art. 14 Abs. 3 GG darin sehen würde, eine Regelung für alle vom Staat ausgehenden entschädigungswürdigen Belastungen des Eigentümers zu sein. Enteignungsnormen (Legalenteignungen und Ermächtigungen zur Administrativenteignung) wären dann i n der Sache als Inhaltsbestimmungen mit besonderer Belastungswirkung für die betroffenen Eigentümer zu begreifen. Die Charakterisierung der Enteignung als „Eingriff" wäre eben nur eine untechnische Bezeichnung für „entschädigungswürdige Belastung". Doch so sehen Bundesverfassungsgericht 526 und herrschende M e i n u n g 5 2 7 die Enteignung gerade nicht.

(1) Das Trennungsmodell als zentrales Element der Konzeption des Bundesverfassungsgerichts Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts haben Inhaltsbestimmungen und Enteignungsnormen nämlich schon i m Hinblick auf F u n k t i o n 5 2 8 und Regelungsg e h a l t 5 2 9 einen so unterschiedlichen Charakter, 5 3 0 dass eine Inhaltsbestimmung selbst dann nicht in eine Enteignungsnorm „umschlage", wenn ihr Inkrafttreten Jarass/Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 70; Rozek, Unterscheidung, S. 7 f., 86 f.; Appel, Entstehungsschwäche, S. 111 f. 526 Vgl. BVerfGE 52, 1 (26 f.); 58, 137 (145); 58, 300 (330 f.); 70, 191 (199 f.); 71, 137 (143); 72, 66 (76); 79, 174 (192); 83, 201 (211 f.); 100, 226 (240); 102, 1 (16); BVerfG-K, NJW, 1998, S. 367 (367); 2000, S. 798 (799). 527 Vgl. BVerwGE 84, 361 (367); 94, 1 (5 f.); NVwZ 1997, S. 887 (890); BGHZ 99, 24 (28 f.); 100, 136 (144); Böhmer, SV, BVerfGE 56, 266 (271, 275 f.); ders., AgrarR 1984, Beilage I, S. 2 (14); Lege, Zwangskontrakt, S. 61 ff., 72 ff., 88; Rozek, Unterscheidung, S. 19 ff., 182 ff.; Bryde, in: v. Münch/Kunie I 5 , Art. 14 Rn. 52 ff.; Jarass/Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 36, 70, 75; Rittstieg , in: AK-GG , Art. 14 Rn. 195 f.; ders., Eigentum, S. 411; ders., FS Thieme, S. 183 (192); Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 73; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 197 f., 203 ff.; Kraft, BayVBl. 1994, S. 97 (99 f.); Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (234 ff.); Schmitt-Kammler, FS Wolf, S. 595 (598 f.); ders., NJW 1990, S. 2515 (2516 ff.); ders., FS Universität Köln, S. 821 (823 ff.); Burgi, NVwZ 1994, S. 527 (527, 530); Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 27 ff.; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 272 f.; Papier, DVB1. 2000, S. 1399 (1399); Külpmann, JuS 2000, S. 646 (647); Roller, NJW 2001, S. 1003 (1005); König, JA 2001, S. 345 (345, 349); Hendler, FS Maurer, S. 127 (127); Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 52 f., 546, 560; Seilmann, Eigentumsgarantie, S. 48 ff.; Appel, Entstehungsschwäche, S. 116, 158; ähnlich auch schon Düng, JZ 1954, S. 4 (8 ff.); Lerche, Übermaß, S. 106 f., 111, 142 f., 249 f.; Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 259 ff. (skeptischer allerdings dies., DVB1. 1991, S. 907 [911 ff.]). Kritisch zum Ganzen: Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 150 ff.; Detterbeck, DÖV 1994, S. 273 (275 f.); Pietzcker, JuS 1991, S. 369 (370 f.); ders., NVwZ 1991, S. 418 (419); Maiwald, BayVBl. 1991, S. 101 (104); Breuer, NuR 1996, S. 537 (545 f.); Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 117; Wilhelm, Sachenrecht2, Rn. 224 ff.; Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 201, 206 f., 273 f.; Leisner, HdbStR VI, § 149 Rn. 148; Schwabe, FS Thieme, S. 251 (257 f.). 528 BVerfGE 58,137(145). 529 BVerfGE 79,174 (192). 530 BVerfGE 102, 1 (16) und BVerfG-K, NJW 1998, S. 367 (367). Siehe ferner BVerfGE 58, 300 (331): „eigenständige Rechtsinstitute".

142

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

oder ihre Anwendung zu Belastungen führe, die denen einer Enteignung entsprec h e n . 5 3 1 Solche Inhaltsbestimmungen seien wegen Verstoßes gegen das Übermaßverbot oder den Gleichheitssatz grundsätzlich verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe zwar unter Umständen 5 3 2 die Möglichkeit, die Belastungen durch die Statuierung von Ausgleichsansprüchen abzufedern und auf diese Weise einen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip oder den Gleichheitssatz zu vermeiden. 5 3 3 In jedem Falle aber blieben es ausschließlich - entweder verfassungswidrige oder, wenn der Gesetzgeber von der soeben erwähnten Abfederungsmöglichkeit gebraucht gemacht hat, ausgleichspflichtige - Inhaltsbestimmungen. In der Literatur werden diese Aussagen des Gerichts dahin gehend verstanden bzw. „zu Ende gedacht", dass die Inhaltsbestimmung ein Mittel zur Gestaltung der Eigentumsordnung, 5 3 4 die Enteignung hingegen ein Mittel zur Durchbrechung der Eigentumsordnung 5 3 5 sei. Beide Regelungstypen seien damit so grundlegend ver531 Vgl. BVerfGE 52, 1 (26 f.); 58, 137 (147 ff.); 70, 191 (199); 83, 201 (212 f.); 100, 226 (244); 102, 1 (16); 110, 1 (24 f.). Aus einer Bemerkung in BVerfGE 100, 226 (243) wird jedoch gelegentlich gefolgert, das Gericht halte sich eine Hintertür für die Berücksichtigung materieller Kriterien offen (vgl. dazu oben S. 115 Fn. 435). Nicht ganz auf materielle Kriterien verzichten wollen jedenfalls Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (Fn. 128 auf S. 235, S. 238); Schmitt-Kammler, FS Wolf, S. 595 (598 ff.); ders., NJW 1990, S. 2515 (2526 ff.); Ossenhühl, Staatshaftungsrecht 5, S. 178 Fn. 65; ders., JZ 1999, S. 899 (900); ders., AöR 124 (1999), S. 1 (19 ff.); Kluth, ZIP 1997, S. 1217 (1220); wohl auch (siehe unten S. 239 Fn. 1032) Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 259 ff.; dies., DVB1. 1991, S. 907 (911, 913); Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 272 f. Kritisch zu einer Anreicherung des Konzepts des BVerfG mit materiellen Kriterien Rozek, Unterscheidung, S. 164 ff.; König, JA 2001, S. 345 (346 f.); Hendler, FS Maurer, S. 127 (131, 135). Mehr zu dieser Frage unten S. 240 ff. 532 Die Statuierung einer Ausgleichspflicht ist keine Patentlösung für die Herstellung verhältnismäßiger Zustände, insbesondere wenn das Interesse des Eigentümers nicht in erster Linier wirtschaftlicher Natur ist, vgl. BVerfGE 100, 226 (244 ff.); Roller, NJW 2001, S. 1003 (1008); Papier, DVB1. 2000, S. 1399 (1402 ff.). 533 Vgl. hierzu BVerfGE 58, 137 (147 ff.); 79, 174 (192); 83, 201 (212 f.); 100, 226 (244); ferner BVerfGE 14, 263 (283); 31, 229 (243); 49, 382 (398 f.). Vgl. ferner BVerwGE 77, 295 (298); 84, 361 (367); 94, 1 (5); 100 (107); BGHZ 121, 328 (332); 123, 242 (244 f.); 133, 271 (274 f.). Im Schrifttum grundlegend Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 235 ff.; dies., NJW 1981, S. 2537 (2541); im Hinblick auf die Gleichheitskomponente auch schon Düng, JZ 1954, S. 4 (5 f.); ders., in: Maunz/Dürig, Art. 3 I Rn. 56. Vgl. ferner Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 65, 100a; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 236 ff.; Jarass!Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 46; Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 183; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 178; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 348; Rozek, Unterscheidung, S. 76 ff., 278; Ossenhühl, Staatshaftungsrecht 5, S. 181 ff.; in eingeschränkter Form auch Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 135; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 343 ff.; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 83 f., 150. - Das BVerfG hat sich damit für das erste der beiden bereits 1952 von H. P. Ipsen vorgeschlagenen Interpretationsmodelle - enger Enteignungsbegriff und dafür Entschädigung auch im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG oder weiter Enteignungsbegriff und dafür keine Entschädigung im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. H. P. Ipsen, VVDStRL 10 [1952], S. 74 [93 f., 121]) - entschieden. 534 So Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 53.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

143

schieden,536 dass Überschneidungen von Inhaltsbestimmungen und Enteignungsnormen ausgeschlossen seien. 537 Als „Beweis" für die Richtigkeit bzw. konsequente Anwendung dieses sog. Trennungsmodells 538 wird die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 539 zur Abgrenzung der Legalenteignung von der Inhaltsbestimmung angeführt. 540 Früher hatte das Bundesverfassungsgericht nicht ausgeschlossen, dass in dem Erlass neuer Inhaltsbestimmungen eine Legalenteignung liegen kann, wenn und soweit dabei Rechtspositionen, die nach der alten Rechtslage entstanden waren, zum (teilweisen oder vollständigen) Erlöschen gebracht wurden. 541 Nunmehr geht es jedoch davon aus, dass dieser im Rahmen der Neugestaltung eines Rechtsgebiets stattfindende Eigentumsverlust trotz seiner unter Umständen „enteignenden" Wirkung keine Legalenteignung ist. 5 4 2 Der Gestaltungscharakter des inhaltsbestimmenden Reformgesetzes schließt also automatisch den Enteignungscharakter aus. Legalenteignungen sind folglich nur noch als nicht abstrakt-generelle Gesetze, als Verwaltungsakte in Gesetzesform, denkbar. 543 Sie „durchbrechen" die vom Gesetzgeber selbst geschaffenen „Spielregeln" der bestehenden Eigentumsordnung, gestalten sie aber nicht um. Die Entschädigung nach Art. 14 Abs. 3 GG stellt sich als der „Preis" dar, den der Gesetzgeber zahlen muss, um sich in einem Einzelfall (oder einer feststehenden Anzahl von Einzelfällen) einmal nicht an die eigenen Spielregeln halten zu müssen.

535 So BVerwGE 94, 1 (5); Rozek, Unterscheidung, S. 212, 246 f.; Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (238); Schmitt-Kammler, FS Wolf, S. 595 (598 f.); ders., NJW 1990, S. 2515 (2516 ff.); Burgi, NVwZ 1994, S. 527 (530); Roller, NJW 2001, S. 1003 (1005); Seilmann, Eigentumsgarantie, S. 49; Koch, NJW 2000, S. 1529 (1532 f.). 536 Mitunter wird davon gesprochen, dass die Enteignung gegenüber der Inhaltsbestimmung ein Aliud sei, vgl. Rittstieg, Eigentum, S. 411; ders., in: AK-GG I 3 , Art. 14 Rn. 188; Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (235); Roller, NJW 2001, S. 1003 (1005); Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 204. 537 Für eine strenge Exklusivität insbesondere Rozek, Unterscheidung, S. 150 ff., 223 ff.; Lege, Zwangskontrakt, S. 150; Jarass, NJW 2000, S. 2841 (2842); Jarass/Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 70. 538 Rozek, Unterscheidung, S. 23; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 205. 539 Siehe dazu oben S. 128 Fn. 488. 540 Vgl. Rozek, Unterscheidung, S. 230 ff.; Roller, NJW 2001, S. 1003 (1005). 541 Siehe oben S. 128 Fn. 488. 542 Siehe oben S. 128 Fn. 488. 543 Siehe oben S. 128 Fn. 488.

144

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

(2) Inkompatibilität von Trennungsmodell und der These, dass der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes sich aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergibt Bei der Abgrenzung der Ermächtigung zur Administrativenteignung von der Inhaltsbestimmung des Eigentums funktioniert dieses Konzept aber nicht mehr, wenn man das herrschende Eigentumsverständnis des Bundesverfassungsgerichts zugrunde legt. Denn dann wäre - wie gesehen544 - jede Ermächtigung zur Enteignung in vollem Umfange auch eine Inhaltsbestimmung des Eigentums. Die Ermächtigung zur Enteignung unterschiede sich - entgegen den Aussagen des Bundesverfassungsgerichts - von der Inhaltsbestimmung des Eigentums gerade nicht mehr grundlegend nach „Regelungsgehalt" und „Funktion", sondern wäre ein Spezialfall der Inhaltsbestimmung. Bundesverfassungsgericht und herrschende Meinung versuchen, dieses Problem dadurch zu lösen, dass sie die Zweckrichtung der staatlichen Maßnahme zum entscheidenden Abgrenzungskriterium erklären. 545 Doch damit lässt sich eine Abgrenzung nach „Funktion" und „Regelungsgehalt" nicht bewerkstelligen. Das liegt nicht etwa daran, dass die für die Enteignung angeblich typische Zweckrichtung mit sehr unbestimmten Formulierungen - das Bundesverfassungsgericht spricht von „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" 546 - umschrieben wird. Zwar ist auch das, wie wir noch sehen werden, 547 ein Problem, aber an dieser Stelle spielt es keine Rolle. Denn auch dort, wo unstreitig eine enteignungsspezifische Zweckrichtung gegeben ist, nämlich in den Konstellationen der sog. klassischen Enteignung, ändert das nichts daran, dass unter Zugrundelegung des herrschenden Eigentumsverständnisses die Ermächtigung zur Enteignung vollständig einen inhaltsbestimmenden Regelungsgehalt hat. Gehört nämlich zum Inhalt des Eigentums auch die Frage, was der Eigentümer dem Staat im Hinblick auf das vermögensweite Gut verbieten kann, dann bestimmt eine Norm, die ζ. B. eine staatliche Stelle dazu ermächtigt, Grundstückseigentum zu entziehen, um darauf eine Eisenbahn oder Straße zu bauen, 548 unausweichlich den Inhalt des Eigentums. Sie bestimmt, dass der Eigentümer den Zugriff auf das Gut nicht verbieten kann. Damit gestaltet sie die einfachrechtliche Eigentumsordnung. 549 Mit dieser Norm ist die Eigentumsordnung eine andere als ohne sie. Der Vollzug dieser Norm, die Enteignung, kann folglich auch keine Durchbrechung der einfachrechtlichen Eigen544 Oben S. 130 f. 545 Vgl. nur Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 58; Depenheuer, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 414; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 83; Külpmann, JuS 2000, S. 646 (648); Schönfeld, BayVBl. 1996, S. 721 (722). Kritisch dazu Kraft, BayVBl. 1994, S. 97 (102). 546 Siehe oben S. 22 f. 547 Unten S. 185 ff. 548 Das sind klassische Enteignungszwecke, vgl. oben S. 48. 549 Vgl. bereits oben S. 130 f.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

145

tumsordnung sein. Er zeigt nur im Einzelfall auf, wie die Ermächtigungsnorm die Eigentumsordnung umgestaltet hat. Wie wenig die Zweckrichtung über Gestaltung und Nichtgestaltung aussagt, zeigt sich auch dort, wo die Abgrenzung nach Funktion und Regelungsgehalt problemlos funktioniert: bei der Abgrenzung der Legalenteignung (verstanden als Verwaltungsakt in Gesetzesform) von der Inhaltsbestimmung. Denn ein Einzelfallgesetz durchbricht die Eigentumsordnung auch dann, wenn es einen Zweck verfolgt, der unstreitig nicht enteignungstypisch ist. Man stelle sich nur eine Einziehung von Eigentum als Strafsanktion - unstreitig kein Enteignungszweck550 unmittelbar durch ein Einzelfallgesetz vor. 5 5 1 Die Eigentumsordnung, die einfachgesetzlichen allgemeinen „Spielregeln", sind hinterher diesselben wie vorher. Sie werden nur „punktuell" durchbrochen, nicht umgestaltet. Das Zweckkriterium ist also lediglich ein Notbehelf, um den gewünschten grundverschiedenen Regelungsgehalt von Ermächtigung zur Enteignung und Inhaltsbestimmung wenigstens fingieren zu können. Objektiv ist ein solcher Unterschied unter Zugrundelegung des Eigentumsverständnisses des Bundesverfassungsgerichts nicht vorhanden. 552 Der Notbehelfscharakter des Zweckkriteriums im Hinblick auf die Trennung von Inhaltsbestimmung und Enteignungsnorm deutet sich auch in der Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an. In den Entscheidungen, in denen das Bundesverfassungsgericht das Dogma der grundsätzlichen Verschiedenheit von Inhaltsbestimmung und Enteignungsnorm etablierte, in der Kleingartenentscheidung553 und der Nassauskiesungsentscheidung,554 war von dem Zweckkriterium noch keine Rede. 555 Würde es sich um einen zentralen Baustein des Modells „Gestaltung der Eigentumsordnung"/„Durchbrechung der Eigentumsordnung" gehandelt haben, wäre es dort sicherlich aufgetaucht. 556

550 Siehe unten S. 190 f. 551 Dass ein solches Gesetz vermutlich gegen viele Normen der Verfassung verstoßen wird, macht die Frage, ob es sich um eine Legalenteignung handelt, vielleicht „praktisch" überflüssig, nicht aber dogmatisch. Die Frage ist dann, ob es auch gegen Art. 14 Abs. 3 GG verstößt. 552 So in der Sache wohl auch Osterloh, DVB1.1991, S. 907 (911), wenn sie sagt, dass sich die Enteignung „nicht durch systematisch oder teleologisch begründete generell-abstrakte Definitionsmerkmaie von der Sozialbindung unterscheiden" lasse. 553 Vgl. BVerfGE 52,1 (27 f.). 554 Vgl. BVerfGE 58, 300 (320, 321 f.). 555 Vgl. BVerfGE 52, 1 (27), 58, 300 (330 f.). Wirklich fest etabliert wurde das Zweckkriterium erst in BVerfGE 100, 226 (239 f.). Bis dahin schwankte das Gericht, vgl. dazu unten S. 186 Fn. 774. 556 Zumal es in früheren Entscheidungen des Gerichts bereits auftauchte, wie in BVerfGE 24, 367 (394) und BVerfGE 42, 263 (299). Bezeichnenderweise verwiesen die Kleingartenentscheidung und die Nassauskiesungsentscheidung nur auf BVerfGE 24, 367 (394), wo das 10 Raue

146

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

(3) Funktionieren des Trennungsmodells auf der Grundlage der hier vertretenen Auffassung Klammert man hingegen, wie hier vertreten, die Frage, was der Staat im Hinblick auf das Vermögenswerte Gut zu tun und zu unterlassen hat, aus dem Inhalt des Eigentums aus und ordnet sie dem inhaltlich vom einfachen Recht unabhängigen „werden gewährleistet" (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) zu, dann wird eine Ermächtigung zur Enteignung problemlos nach Regelungsgehalt und Funktion von einer bloßen Inhaltsbestimmung des Eigentums unterscheidbar. Die der Enteignungsbehörde erteilte Ermächtigung, das der Rechtsposition innewohnende Risiko des Untergangs zu verwirklichen, betrifft dann nicht den Inhalt des Eigentums, sondern ist eine Ermächtigung zur Hinwegsetzung über den unmittelbar aus dem „werden gewährleistet" folgenden grundrechtlichen Abwehranspruch. 557 Zwar enthält - wie gesehen558 - auch nach der hier vertretenen Lösung eine Ermächtigung zur Enteignung einen inhaltsbestimmenden Regelungsgehalt. Denn damit die Enteignung überhaupt die beabsichtigte Wirkung erzielen kann, muss es eine Norm geben, die anordnet, dass als Folge der Enteignung die Rechtsposition in der Hand des Einzelnen untergeht. 559 Doch dieser inhaltsbestimmende Regelungsgehalt trägt, wie wir gesehen haben, 560 noch nicht die Ermächtigung zur Herbeiführung der Rechtsfolge des inhaltsbestimmenden Regelungsgehalts in sich. Der inhaltsbestimmende Regelungsgehalt allein, mag er für den Eigentümer auch noch so verheerende Folgen haben können, kann daher nie eine Ermächtigung zur Enteignung sein. Eine solche setzt vielmehr das Hinzutreten eines weiteren Regelungsgehalts, eben der Ermächtigung zur Vornahme der risikoverwirklichenden Handlung, voraus. Dieser Regelungsgehalt betrifft nach dem hier vertretenen Eigentumsverständnis ausschließlich den grundrechtlichen Abwehranspruch. Er ist grundrechtsschrankenbestimmend, nicht eigentumsinhaltsbestimmend. Damit ist es unmöglich, dass eine Inhaltsbestimmung des Eigentums (z. B. § 932 BGB) allein wegen der Intensität der von ihr ausgehenden Belastung in eine Enteignungsnorm „umschlägt". Die Enteignung selbst erscheint als „von außen" kommende Durchbrechung der Eigentumsordnung, weil der zu ihr ermächtigende Regelungsgehalt selbst nicht den Inhalt des Eigentums bestimmt. Der schrankenbestimmende Regelungsgehalt, nicht der „enteignungstypische Zweck" unterscheidet die Enteignungsnorm von der Inhaltsbestimmung des Eigentums. 561 Zweckkriterium keine entscheidende Rolle spielte, nicht aber auf BVerfGE 42, 263 (299), wo es von ausschlaggebender Bedeutung war. 557 Vgl. oben S. 131 f. 558 Oben S. 132. 559 ... und gegebenenfalls in der Hand eines anderen wieder aufersteht. Denn zumindest die klassische Enteignung setzt die Übertragung der entzogenen Rechtsposition voraus, vgl. unten S. 188 f. 560 Oben S. 132 ff.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

147

hh) Argument 7: Möglichkeit einer flexibleren Handhabung des Verhältnismäßigkeitsprinzips Ein weiteres Argument für das hier vertretene Eigentumsverständnis ist, dass es eine flexible und gleichwohl dogmatisch überzeugende Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf eigentumsrelevante Normen gestattet. Alles, was nach dem oben Gesagten eine Schrankenbestimmung des Grundrechts (ζ. B. Enteignungsnormen, Reformgesetze die Altrechtspositionen verkürzen, Beschränkungen der Handlungsfreiheit des Eigentümers) oder der Vollzug einer solchen (ζ. B. Administrativenteignungen) ist, ist eine Hinwegsetzung über den grundrechtlichen Abwehranspruch und damit - in herkömmlicher Terminologie - ein Eingriff in den Schutzbereich. D. h., die Geltung des Verhältnismäßigkeitserfordernisses ergibt sich in diesen Konstellationen bereits aus dem Vorliegen eines solchen Eingriffs. Bei bloßen 562 Inhaltsbestimmungen (z. B. §§ 932, 950,904,906 BGB) hingegen ist das anders. Sie müssen sich nicht am Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG messen lassen, sondern „nur" an der Institutsgarantie, also an der Leistungspflicht des Staates, ein Eigentum zur Verfügung zu stellen, das diesen Namen verdient. Eine Bindung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip kann man hier nur dadurch erzeugen, dass man das Verhältnismäßigkeitserfordernis an diese Leistungspflicht koppelt. 563 Wir haben oben 564 gesehen, dass eine solche Koppelung durchaus möglich ist. Es lassen sich für eine solche Interpretation der Institutsgarantie auch gute Gründe anführen: Zwar wird der Gesetzgeber bei anderen Grundrechten nicht so stark in die Pflicht genommen. Er verletzt seine Schutzpflichten hier erst, wenn er gänzlich ungeeignete oder völlig unzulängliche Maßnahmen trifft. 5 6 5 Jedoch sind bei diesen 561 Die Zweckrichtung ist aber möglicherweise von Bedeutung für die Abgrenzung von nichtenteignenden Schrankenbestimmungen und Enteignungsnormen. Ob dem „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" tatsächlich diese Funktion zukommt, wird noch unten S. 185 ff. zu untersuchen sein. 562 Hat eine inhaltsbestimmende Norm auch einen schrankenbestimmenden Regelungsgehalt, wie ζ. B. das Reformgesetz, soweit es Altrechtspositionen erfasst, so resultiert das Verhältnismäßigkeitserfordernis insoweit auch schon aus der Tatsache des Eingriffs. 563 A.A. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 38, 315, der meint, dass sich das Verhältnismäßigkeitserfordernis für Inhaltsbestimmungen bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebe. Das ist problematisch. Denn in seiner rechtstaatlichen historisch überkommenen Ausprägung gilt es wohl in der Tat nur für Eingriffe (vgl. Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck I 4 , Art. 20 Rn. 308 f.). 564 S. 102 f. 565 Vgl. BVerfGE 56, 54 (80 ff.); 77, 170 (214 f.); 79, 174 (202); 85, 191 (212 f.); 92, 26 (46); BVerfG-K, NJW 1995, S. 2343 (2343); 1996, S. 651 (651); 1996, S. 651 (652); 1998, S. 2961 (2962); 1998, S. 3264 (3265); NVwZ 2001, S. 908 (908); etwas strenger BVerfGE 88, 203 (254 f., 262 f.); für eine Koppelung der Schutzpflichten mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Michael, JuS 2001, S. 148 (150 f.).

1*

148

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Grundrechten Schutzpflicht- und Abwehrgehalt auch nicht so stark aufeinander bezogen wie bei Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. 5 6 6 So funktioniert Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als Abwehrrecht auch dann noch, wenn der Staat seinen Schutzpflichten für das Leben überhaupt nicht nachkommt. Schafft der Gesetzgeber hingegen von vornherein kein Eigentum, dann kann sich auch der Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht entfalten. Dem Abwehranspruch würde der Bezugspunkt fehlen. 567 Die Koppelung von Institutsgarantie und Verhältnismäßigkeit wäre ein Ausgleich für diese besondere Abhängigkeit. Gleichwohl lassen sich aber auch Argumente gegen eine Verknüpfung von Institutsgarantie und Verhältnismäßigkeit finden. Zunächst wäre der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum extrem eingeengt. Denn der Zuordnungsmechanismus „Eigentum" funktioniert, wie wir gesehen haben, 568 durch an andere Private gerichtete Imperative. Die dadurch bewirkten Eingriffe in die Freiheitsgrundrechte der Nichteigentümer sind ebenfalls nur nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit möglich. Der Gesetzgeber wäre also „eingeklemmt" zwischen der aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden Pflicht, ein Mindestmaß an Zuordnung zu gewährleisten, hinter dem er nur nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit zurückbleiben dürfte, und der aus den Freiheitsgrundrechten der Nichteigentümer folgenden Pflicht, so wenig wie möglich zuzuordnen. Hinzu käme noch die aus Art. 14 Abs. 2 GG folgende Pflicht, die Belange der Allgemeinheit angemessen zu berücksichtigen. 569 Darüber hinaus könnte man sagen, dass das Grundgesetz generell stärker auf die Schutzleistungsbereitschaft des Staates vertraut als auf seine Zurückhaltung. Das Grundgesetz will kein Gesellschaftsvertrag sein, der den Einzelnen aus der Anarchie des Naturzustandes befreit. 570 Denn dann hätte es ζ. B. zunächst regeln müssen, dass niemand (auch kein Privater) einen anderen töten darf. Ein solches Verbot lässt sich ihm aber nicht entnehmen. Es begnügt sich mit einer vagen Schutzpflicht (die im Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht einmal eine Stütze findet) und konzentriert sich auf die „an sich" aus gesellschaftsvertraglicher Perspektive nachrangige Frage des Machtmissbrauchs durch den „Leviathan". Das Grundgesetz geht also offenbar davon aus, dass die an sich vorrangige Frage nach dem Schutz der Einzelnen voreinander in der Praxis kein Problem (mehr) ist, so dass es sich hier mit einer geringeren Regelungsdichte begnügen kann. 571 Dann wäre es aber

566 Vgl. bereits oben S. 106. 567 Vgl. oben S. 121. 568 Oben S. 100. 569 Vgl. zu Art. 14 Abs. 2 GG als Richtschnur für den Gesetzgeber BVerfGE 21, 73 (83); 25, 112 (117); 37,132 (140); 50, 108 (112); 68, 361 (367); 79, 29 (40 f.); 80, 137 (150 f.); 89, 1 (5); Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 68; Depenheuer, in: v. Mangoldt /Klein/ Starck V, Art. 14 Rn. 218; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 510 ff.; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 87. 570 Vgl. Bettermann, Hypertrophie, S. 49 (53: „Staatsordnung, keine Gesellschaftsordnung", 58: „Staatsform keine Lebensform").

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

149

plausibel, dass es dem Staat auch im Hinblick auf die Zuordnung vermögenswerter Güter zwischen den Einzelnen ein entsprechendes Vertrauen entgegenbringt und sich mit einem den Schutzpflichten entsprechenden, mithin nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip verknüpften Regelungsgebot begnügt. Die für und gegen eine Verknüpfung von Institutsgarantie und Verhältnismäßigkeit sprechenden Argumente müssen hier nicht ausdiskutiert werden. Es genügt zu wissen, dass es jedenfalls gute Gründe gibt, den inhaltsbestimmenden Gesetzgeber einer weniger strengen Bindung zu unterwerfen als den schrankenbestimmenden. Entscheidend ist nämlich, dass das hier vertretene Eigentumsverständnis eine solche differenzierende Lösung problemlos ermöglicht. Geht man hingegen davon aus, dass sich der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergibt, lässt sich dem teilweise verspürten Bedürfnis 572 nach einer Differenzierung hinsichtlich der Bindungsstrenge zwischen Normen wie §§ 950,932,904 BGB und Normen wie §§ 85 ff. BauGB oder §§ 74 ff. StGB dogmatisch nur schwer Rechnung tragen. Denn dann wären auch letztere Normen keine Schrankenbestimmungen des Eigentumsgrundrechts, sondern Inhaltsbestimmungen des Eigentums. Ihr Vollzug wäre - vorausgesetzt der Vollzugsakt hält sich an die Vorgaben der Inhaltsbestimmung - kein Eingriff in den Schutzbereich, sondern nur eine Nachzeichnung der Grenzen dieses Schutzbereichs. 573 Das Verhältnismäßigkeitserfordernis könnte auch hier folglich nicht über die Einschlägigkeit des Abwehrgehalts des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ins Spiel gebracht werden, sondern nur über die Institutsgarantie. Wenn man aber die Institutsgarantie erst einmal mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip koppelt, dann wird es schwierig, hiervon in einigen Fällen, in denen man es als unpassend empfindet, abzuweichen. Man ist zu einer Einheitslösung verdammt, und es ist nicht auszuschließen, dass nur deshalb das Bundesverfassungsgericht 574 Inhaltsbestimmungen generell am Maßstab der Verhältnismäßigkeit misst.

571

Aus historischer Perspektive leuchtet eine solche Sichtweise ein. Denn das Bürger-Bürger-Problem ist durch das Zivil- und Strafrecht schon lange befriedigend gelöst. Das StaatBürger-Problem musste dem Verfassungsgeber hingegen insbesondere im Hinblick auf die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur im besonderem Maße regelungsbedürftig erscheinen. 572 Vgl. ζ. B. Breuer, Bodennutzung, S. 24 ff., der die Geltung des Erforderlichkeitsprinzip auf den verwaltungsmäßigen Vollzug von Inhaltsbestimmungen (das wäre nach der hier vertretenen Ansicht wohl durchgehend der Vollzug von Schrankenbestimmungen) begrenzen will. 573 Vgl. bereits oben S. 79 f. und S. 121 f. 574 Vgl. die Nachweise oben S. 102 Fn. 372.

150

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

ii) Ergebnisse (1) Keine Konstituierungsbedürftigkeit des Umfangs des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes als Rechtsfolge des Grundrechts Aus dem oben Gesagten ergibt sich zunächst, dass an den Aussagen des Bundesverfassungsgerichts, dass sich neben dem Gegenstand auch der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes bzw. die konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergebe und dass der verfassungsrechtliche Schutz einer Eigentumsposition nicht weiter reiche als die zulässigerweise mit ihr verbundenen gesetzlich definierten Befugnisse, 575 nicht festgehalten werden kann. Eine solche Sichtweise ist nicht erforderlich, um den strukturellen Erfordernissen des Eigentums als Produkt des Rechts gerecht zu werden. 576 Sie vermengt Gegenstand und Rechtsfolge des Eigentumsgrundrechts, 577 widerspricht „allgemeinen" Vorstellungen über die Wirkungsweise von Grundrechten 578 und der historischen Entwicklung des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs. 579 Bei konsequenter Anwendung führt sie zu erheblichen Schutzlücken.580 Sie negiert den Eingriffscharakter der Enteignung581 und zwingt zu einer Koppelung von Verhältnismäßigkeitsprinzip und gesetzgeberischen Handlungspflichten 582. Schließlich kollidiert sie mit binnensystematischen Anforderungen des auf Art. 14 GG bezogenen Interpretationskonzepts des Bundesverfassungsgerichts, wie ζ. B. der Abgrenzung von Inhaltsbestimmung und Enteignungsnorm nach Regelungsgehalt und Funktion. 583 Der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandschutzes ergibt sich vielmehr allein aus dem grundrechtlichen Abwehranspruch als „unmittelbar geltendes Recht" (Art. 1 Abs. 3 GG). 5 8 4 Dieser ist als Rechtsfolge des Grundrechts („werden gewährleistet", Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) streng vom Gegenstand des Grundrechts („Eigentum", Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) zu trennen. (2) Das Eigentum als Gegenstand des Grundrechts Nicht zum Inhalt des Eigentums gehört damit - bis auf den Sonderfall der öffentlichrechtlichen Eigentumspositionen585 - die Frage der Zuordnung des ver575 576 577 578 579 580

Vgl. oben S. 78 f. Vgl. oben S. 120 ff. Vgl. oben S. 117 ff. Vgl. oben S. 120 ff. Vgl. oben S. 124 ff. Vgl. oben S. 126 ff.

581 Vgl. oben S. 128 ff. 582 Vgl. oben S. 147 ff. 583 Vgl. oben S. 140 ff.; zu einem weiteren inneren Widerspruch siehe S. 90 ff. 584 Vgl. oben S. 120 ff. 585 Siehe dazu unten S. 160 f.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

151

mögenswerten Gutes gegenüber dem Staat. „Eigentum" ist nur die Zuordnung eines Vermögenswerten Gutes gegenüber anderen Privaten, 586 die sich hierauf beziehende Verfügungsmacht 587 und bestimmte Betätigungen der Handlungsfreiheit des Eigentümers. 588 (3) Der grundrechtliche Abwehranspruch als Rechtsfolge des Grundrechts Die Zuordnung des Vermögenswerten Gutes gegenüber dem Staat übernimmt vielmehr der grundrechtliche Abwehranspruch als „unmittelbar geltendes Recht" (Art. 1 Abs. 3 GG), sobald das einfache Recht das Vermögenswerte Gut dem Eigentümer im Verhältnis zu anderen Privaten zugeordnet hat. 5 8 9 Der grundrechtliche Abwehranspruch verbietet es (vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Rechtfertigung), Exekutive und Judikative auf das der Rechtsposition zugrunde liegende Vermögenswerte Gut (die „Substanz" des Eigentums) real zuzugreifen (ζ. B. durch Zerstören einer Sache), 590 das (teilweise oder vollständige) Erlöschen der Rechtsposition zu bewirken (ζ. B. durch eine Administrativenteignung oder eine strafrechtliche Einziehung) 591 oder die Handlungsfreiheit des Eigentümers, soweit sie unter Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fällt, 5 9 2 zu beschränken (ζ. B. durch ein naturschutzrechtliches Nutzungsverbot). 593 Der Legislative verbietet er (wiederum vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Rechtfertigung), Exekutive oder Judikative zu den soeben bezeichneten Maßnahmen zu ermächtigen 594 oder selbst unmittelbar durch den Erlass eines Gesetzes die Rechtsposition zum Erlöschen zu bringen 595 oder die unter Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallenden Elemente der Handlungsfreiheit zu beschränken. 596 Setzen sich Exekutive, Judikative oder Legislative über eines dieser Verbote hinweg, liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vor, der verfassungsrechtlicher Rechtfertigung bedarf. Die Enteignung (durch oder aufgrund eines Gesetzes) ist ein Spezialfall eines solchen Eingriffs.

586 587 588 589 590

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

oben S. 120 ff. oben S. 96 f. oben S. 107 ff. oben S. 119,121. oben S. 126 ff.

591 Vgl. oben S. 129 ff. 592 Vgl. dazu oben S. 96 Fn. 334. 593 Vgl. oben S. 107 ff. 594 ζ . B. durch eine Ermächtigung zur Vornahme einer Administrativenteignung, vgl. S. 146 f. 595 Vgl. oben S. 128 f. 596 Ein Zugriff durch die Legislative auf das Vermögenswerte Gut mittels Realakt ist wohl nicht denkbar. Wäre er es, so wäre auch er verboten.

152

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

(4) Die Trennung von Inhaltsbestimmungen des Eigentums und Schrankenbestimmungen des Eigentumsgrundrechts Die grundsätzliche Ausklammerung der Zuordnung des Vermögenswerten Gutes gegenüber dem Staat aus dem Inhalt des Eigentums sowie der vom einfachen Recht inhaltlich unabhängige grundrechtliche Abwehranspruch führen zu einem engeren Begriff der Inhaltsbestimmung des Eigentums und implizieren die Existenz von Schrankenbestimmungen des Eigentumsgrundrechts. Nicht nur die These des Bundesverfassungsgerichts, dass sich der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergibt, sondern auch die These, dass es nur drei Arten von eigentumsrelevanten Gesetzen (Inhaltsbestimmungen, Legalenteignungen und Ermächtigungen zur Enteignung) gibt, 5 9 7 hat sich damit als falsch erwiesen. (a) Inhaltsbestimmungen des Eigentums Gesetze sind Inhaltsbestimmungen des Eigentums, wenn sie eine Aussage zur Zuordnung des Vermögenswerten Gutes gegenüber anderen Privaten oder zur sich auf diese Zuordnung beziehenden Verfügungsmacht des Eigentümers treffen. 598 Das ist der Fall, wenn sie an andere Private adressierte Imperative, die sich auf das Vermögenswerte Gut beziehen, statuieren (wie z. B. § 985 BGB) oder suspendieren (wie z. B. § 986 BGB) 5 9 9 oder die sich auf dieses Imperativenbündel beziehende Verfügungsmacht des Eigentümers statuieren (wie z. B. § 929 BGB) oder suspendieren (wie z. B. § 138 BGB). (b) Schrankenbestimmungen des Eigentumsgrundrechts Gesetze sind Schrankenbestimmungen des Eigentumsgrundrechts, wenn sie sich über die aus dem grundrechtlichen Abwehranspruch folgenden Verbote hinwegzusetzen versuchen. Das ist zum einen der Fall, wenn sie unmittelbar das Erlöschen einer Rechtsposition (wie ζ. B. die Legalenteignung) oder eine Beschränkung der unter Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallenden Elemente der Handlungsfreiheit des Eigentümers (wie ζ. B. die §§ 29 ff. BauGB) anordnen. Das ist zum anderen der Fall, wenn sie eine andere staatliche Stelle dazu ermächtigen, das Erlöschen einer Rechtsposition zu bewirken (wie ζ. B. die Ermächtigung zur Administrativenteignung), die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Handlungsfreiheit des Eigentümers zu beschränken (wie ζ. B. die Ermächtigung zum Erlass einer Nutzungsbeschränkung) oder real auf das zugeordnete Gut mittels Realakt zuzugreifen. Enteignungsnormen sind ein Spezialfall der Schrankenbestimmung. 597 Vgl. oben S. 86 f., 90 ff. 598 Vgl. auch schon oben S. 120. 599 Dazu, dass auch solche, aus der Sicht des Eigentümers negative Normen Inhaltsbestimmungen des Eigentums sind, vgl. oben S. 111 f.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

153

(c) Überschneidungen Schrankenbestimmende und inhaltsbestimmende Regelungsgehalte können durchaus in einer Norm zusammentreffen und zusammenwirken. Ein Beispiel hierfür ist das Reformgesetz, das auch nach alter Rechtslage entstandene Eigentumspositionen verkürzt. 600 Soweit es solche Altrechtspositionen verkürzt, ist es eine Schrankenbestimmung des Eigentumsgrundrechts. Was hingegen seinen in die Zukunft weisenden Regelungsgehalt angeht, bestimmt es, welche Rechtsmacht die Eigentümer in Bezug auf das Vermögenswerte Gut über andere Private in Zukunft haben sollen. Insoweit ist es eine Inhaltsbestimmung des Eigentums. 601 Das gilt nicht nur für in Zukunft erst entstehende Rechtspostionen, sondern auch für die bereits entstandenen und durch den schrankenbestimmenden Regelungsgehalt verkürzten. Ein weiteres Beispiel ist die Ermächtigung zur Enteignung (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG). Sie belastet zum einen Rechtspositionen vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an mit dem Risiko, im Falle einer Enteignung zu erlöschen (inhaltsbestimmender Regelungsgehalt). Zum anderen ermächtigt sie eine staatliche Stelle dazu, dieses Risiko durch Vornahme der Enteignung zu verwirklichen (schrankenbestimmender Regelungsgehalt).602 Das Zusammentreffen inhaltsbestimmender und schrankenbestimmender Regelungsgehalte in einer Norm hat zur Folge, dass sich die Norm im Hinblick auf ersteren am Leistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG (der Institutsgarantie) und im Hinblick auf letzteren am Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG messen lassen muss. 603 Dieses Zusammentreffen inhaltsbestimmender und schrankenbestimmender Regelungsgehalte in einer Norm ist aber nicht etwa ein Beleg dafür, dass Inhaltsbestimmung des Eigentums und Schrankenbestimmung des Eigentumsgrundrechts nur „begrifflich-formal" unterscheidbar seien, dies aber ohne „rechtsdogmatische und sachliche Bedeutung" sei. 604 Denn ein solches Zusammentreffen ist nicht 600 Vgl. oben S. 128 f. 601 So i. Erg. auch Ramsauer (Beeinträchtigungen, S. 74) der das, da er nicht von einen wirklich verfassungsunmittelbaren grundrechtlichen Abwehranspruch ausgeht (siehe dazu oben S. 123 f. mit Fn. 468 f.), nur - ergebnisorientiert - damit begründen kann, dass es wegen der ,»relativen Selbständigkeit der Position" „spitzfindig" wäre, „die effektive Schmälerung von Eigentümerbefugnissen nicht als Beschränkung anzusehen." Zu Recht - aus dogmatischen Gesichtspunkten - daher die Kritik von Alexy, Theorie, S. 304. 602 Vgl. oben S. 146 f. 603 Die Verknüpfung kann allerdings dazu führen, dass die Verfassungswidrigkeit des einen Regelungsgehalts die des anderen nach sich zieht, etwa weil ohne den einen der andere sinnlos wird und damit die Eignung verliert, die Ziele, die ihn rechtfertigen sollen, zu verwirklichen. 604 So aber Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 307. Von seiner Prämisse aus, dass das Verhältnismäßigkeitserfordernis wegen des Rechtsstaatsprinzips für die nichteingreifende

154

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

rechtslogisch zwingend, sondern beruht allein auf einer rechtspolitischen Entscheidung des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber könnte die einfachrechtliche Eigentumsordnung auch reformieren, ohne die nach alter Rechtslage bereits entstandenen Eigentumspositionen zu verkürzen (rein inhaltsbestimmender Regelungsgehalt), und er könnte - wie bei der Legalenteignung durch ein Einzelfallgesetz - bereits entstandene Eigentumspositionen verkürzen, ohne die Eigentumsordnung zu reformieren (rein schrankenbestimmender Regelungsgehalt). Der Gesetzgeber könnte Rechtspositionen von vornherein mit dem Risiko belastet entstehen lassen, im Fall einer bestimmten staatlichen Maßnahmen zu erlöschen, ohne die staatliche Stelle zur Vornahme dieser Maßnahme zu ermächtigen (rein inhaltsbestimmender Regelungsgehalt),605 und er könnte eine staatliche Stelle ermächtigen, auf das einem Privaten zugeordnete Gut (mittels Realakt) zuzugreifen, ohne die Zuordnung des Gutes gegenüber anderen Privaten zu verändern (rein schrankenbestimmender Regelungsgehalt).606 Rein schrankenbestimmend sind auch Normen, welche nur die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Handlungsfreiheit des Eigentümers verkürzen oder Exekutive oder Judikative zu solchen Verkürzungen ermächtigen. (d) Abgrenzung zu anderen Trennungsvorschlägen Diese Trennung von Inhaltsbestimmung und Schrankenbestimmung überschneidet sich zum Teil mit bisher in der Literatur gemachten Trennungsvorschlägen, 607 stimmt aber mit keinem in Ergebnis und Begründung hundertprozentig überein.

Eigentumsausgestaltung genauso wie für Eingriffe gilt (vgl. oben S. 147 Fn. 563), ist sein Urteil allerdings, was die „sachliche Bedeutung" (nicht die „rechtsdogmatische") angeht, zutreffend. Ähnlich wie Papier auch Appel, Entstehungsschwäche, S. 272. 605 Die das Risiko verwirklichende staatliche Maßnahme wäre dann freilich in aller Regel verfassungswidrig. Denn sie wäre ein Eingriff in den Abwehrgehalt des Grundrechts, der wegen Fehlens einer gesetzlichen Ermächtigung nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre. Eine andere Bewertung käme nur dann in Betracht, wenn der risikoverwirklichenden staatlichen Handlung bereits nach allgemeinen Kriterien die Eingriffsqualität fehlte. Denn ein Eingriff setzt mehr voraus als die bloße Verursachung einer Beeinträchtigung des grundrechtlich geschützten Gutes (vgl. unten S. 165). Was das ist, ist streitig. Gesetzt den Fall, dass eine gewisse Vorhersehbarkeit der Beeinträchtigung dazu gehört (vgl. dazu unten S. 245 Fn. 1061), würde der Risikoverwirklichung der Eingriffscharakter fehlen, wenn die staatliche Stelle die Eigentumsposition bei der Vornahme ihrer Handlung in keiner Weise im Blick hätte, wenn also die Rechtsfolge der Norm an die staatliche Handlung wie an ein Naturereignis anknüpfte. 606 Um eine Ermächtigung zur Enteignung kann es sich unter Zugrundelegung des herrschende Enteignungsbegriffs dann allerdings nicht mehr handeln, weil eine Enteignung begrifflich gerade den Entzug der Rechtsposition voraussetzt (vgl. dazu oben S. 114 f.). 607 Vgl. die Nachweise oben S. 87 Fn. 302.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

155

(aa) Parodi Parodi unterscheidet im Grundansatz ähnlich wie hier zwischen der Ausgestaltung von Eigentümerrechten im Bürger-Bürger-Verhältnis (Inhaltsbestimmung) und der Einschränkung der Garantie des Eigentums als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe (Schrankenbestimmung). 608 Dann wird dieser Ansatz jedoch wieder verwässert, indem er mit Zweckerwägungen angereichert wird. Die Einordnung einer Norm als Inhaltsbestimmung wird nämlich davon abhängig gemacht, dass sie ihre Festlegungen „nicht in erster Linie im öffentlichen, d. h. staatlichen Interesse, sondern im Interesse der optimalen Ausnutzung des Eigentums durch die betroffenen Eigentümer" trifft. 6 0 9 Dies ist nach der hier vertretenen Ansicht indes unerheblich. Eine Norm, die einem Privaten Vermögenswerte Rechtsmacht über andere Private gewährt, ist auch dann eine Inhaltsbestimmung des Eigentums, wenn sie das ausschließlich oder überwiegend im öffentlichen Interesse tut. Genauso bleibt eine Norm, die eine staatliche Stelle zur Verwirklichung eines einer Rechtsposition anhaftenden Risikos ermächtigt oder selbst als Reformgesetz bestehende Rechtspositionen verkürzt oder beseitigt, auch dann eine Schrankenbestimmung, wenn sie das zur Lösung privater Interessenkonflikte tut. 6 1 0 Angesichts der bekannten Einwände gegen die Interessentheorie 611 (die weder von Parodi noch von anderen Vertretern einer Abgrenzung nach dem mit der Regelung verfolgten Interesse 612 entkräftet oder auch nur zur Kenntnis genommen werden 6 1 3 ) fragt sich überdies, woran man überhaupt erkennen soll, ob eine Norm „in erster Linie" im öffentlichen Interesse erlassen wird. 6 1 4 Parodi übersieht schließlich auch, dass die Beschränkung von unter Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallender Handlungsfreiheit des Eigentümers stets eine Schrankenbestimmung darstellt. 615 Denn sie spricht den Normen der BauNVO, die solche Beschränkungen der Nutzung des Eigentums enthalten, wegen ihrer angeblichen Ausrichtung auf das „Nebeneinander von Eigentümern" inhaltsbestimmenden Charakter zu.

608

Vgl. Parodi, Eigentumsbindung, S. 78 ff. Vgl. Parodi, Eigentumsbindung, S. 80 f. 610 In diesem Sinne auch Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht ΙΠ/2, S. 406. 611 Vgl. oben S. 42 Fn. 91. 612 Z. B. Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 259 f. (dazu gleich). 613 Eine Ausnahme stellt in gewissen Sinne Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 262, dar, der daraus denn auch prompt den Schluss zieht, dass eine Abgrenzung nach seinen (!) Kriterien in bestimmten Bereichen „gar nicht möglich" sei. 614 Dieses Problem wird uns weiter unten (S. 193) in einem etwas anderen Kontext erneut begegnen. 615 Vgl. oben S. 110 f. 609

156

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

(bb) Lubberger Lubberger will ähnlich wie Parodi 616 eine Unterscheidung „nach Maßgabe des Gemeinwohlzwecks" treffen. 617 Inhaltsbestimmungen seien „die Normen, die für die Praktikabilität des Eigentumsschutzes erforderlich sind." 6 1 8 Schrankenbestimmung sei der Bereich, „in dem der Gesetzgeber unmittelbar zum Zweck der Gemeinwohlverwirklichung auf bestehende Eigentumsrechte zugreift." 619 Die Erforderlichkeit für die Praktikabilität des Eigentumsschutzes (und damit der inhaltsbestimmende Charakter) liege vor bei Normen, welche die Verfügungsmacht des Eigentümers etablieren. 620 Was den Zusammenhang zwischen Etablierung der Verfügungsmacht und Inhaltsbestimmung angeht, deckt sich seine Unterscheidung im Ergebnis mit der hier vertretenen. 621 Sein Inhaltsbestimmungsbegriff geht über den hier vertretenen jedoch hinaus. Denn er schließt auch Normen ein, welche „die aus dem Eigentumsrecht unmittelbar folgenden Abwehransprüche rechtsförmlich ausgestalten."622 „Ausgestaltungen" des grundrechtlichen Abwehranspruchs sind, wenn es sich in der Sache um Verkürzungen handelt, aber stets Schrankenbestimmungen des Eigentumsgrundrechts. 623 Doch auch wenn sie darüber hinaus gehen (das schwebt Lubberger offenbar vor), handelt es sich nur dann um Inhaltsbestimmungen des Eigentums, wenn die besonderen Voraussetzungen für die Entstehung öffentlichrechtlicher Eigentumspositionen vorliegen. Ansonsten handelt es sich um Normen, denen das Eigentumsgrundrecht indifferent gegenüber steht, die also weder Inhaltsbestimmungen noch Schrankenbestimmungen sind. 624 Zudem ist sein Begriff der Schrankenbestimmung enger als der hier vertretene, weil er ihn mit dem einschränkenden Merkmal des Zugriffs „unmittelbar zum Zweck der Gemeinwohlverwirklichung" versieht. Insoweit kann auf das oben zu Parodi Gesagte verwiesen werden. Letztlich kann Lubbergers Trennungsvorschlag der hier vorgenommenen Unterscheidung auch gar nicht entsprechen. Denn er hält die ihr zugrunde liegende Trennung zwischen Eigentum und verfassungsrechtlicher Gewährleistung des Eigentums, deren Notwendigkeit Lubberger im Grundsatz durchaus erkennt, nicht konsequent durch. 625 616

Auf die er auf S. 260 f. Fn. 74 a.E. auch Bezug nimmt. Vgl. Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 260. 618 Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 259. 619 Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 260. 620 Vgl. Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 259. Er selbst spricht von für „institutionelle Handlungen" konstitutive Normen. Dass hierunter (zumindest auch) das fällt, was hier Verfügungsmacht genannt wird, ergibt sich aus seiner Bezugnahme auf Alexy, Theorie, S. 175. 617

621 Vgl. oben S. 152. 622 Vgl. Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 259. 623 Vgl. oben S. 152. 624 Vgl. oben S. 120 mit Fn. 447. 625 Vgl. oben S. 117 Fn. 441.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

157

(cc) Ramsauer Nach Ramsauer liegt immer dann eine Schrankenbestimmung vor, wenn ein Gesetz den Inhalt des Eigentums für die Zukunft neu bestimmt und dabei auch nach alter Rechtslage bereits entstandene Rechtspositionen verkürzt. 626 Im Hinblick auf die Zukunft handele es sich um eine (nur an der Institutsgarantie zu messende) Inhaltsbestimmung, im Hinblick auf die nach altem Recht bereits entstandenen Positionen um eine (am Abwehrgehalt des Grundrechts zu messende) Schrankenbestimmung. Damit erfasst er die Reformgesetze zutreffend, freilich ohne eine dogmatisch befriedigende Erklärung für deren Eingriffscharakter zu liefern. 627 Nicht als Schrankenbestimmung erfassen kann dieser Ansatz jedoch Regelungen, die staatliche Stellen zum Entzug von Eigentumspositionen ermächtigen (ζ. B. Ermächtigungen zur Administrativenteignung), wenn diese Regelungen - was meistens der Fall ist - bereits existierten, als die zu entziehende Rechtsposition entstand. Denn dann fehlt es an einer nach altem Recht bereits entstandenen Rechtsposition, deren Inhalt nun nachträglich beschränkt wird. Nicht als Schrankenbestimmungen erfasst werden abweichend von der hier vertretenen Ansicht ferner Regelungen, welche die Handlungsfreiheit des Eigentümers beschränken. (dd) Lutz, Wendt Lutz 6 2 8 und Wendt 629 zufolge weisen Inhaltsbestimmungen pflichtneutral Eigentümerbefugnisse zu. Demgegenüber sollen Schrankenbestimmungen Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungspflichten auferlegen oder zur Geltendmachung solcher Pflichten ermächtigen, um auf diese Weise Bürger-Bürger- und Staat-Bürger-Konflikte, die aus der Innehabung und Nutzung von Eigentum resultieren, zu lösen. 630 Dieser weite Begriff der Schrankenbestimmung geht über den hier vertretenen deutlich hinaus. Von ihm erfasst werden, weil Duldungspflicht und damit nicht „pflichtneutral", auch Normen wie § 904 BGB, 6 3 1 die nach hier vertretener Auffassung Inhaltsbestimmungen sind. 632 Lutz und Wendt verkennen damit die Wir626

Ramsauer, Beeinträchtigungen, S. 73 ff.; ähnlich Thormann, Abstufungen, S. 137 f.; Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, S. 408; ders., Verfassungsrecht 2, S. 440 f. Rn. 25 f.; Ehlers, W D S t R L 51 (1992), S. 211 (225); Grochtmann, Art. 14, S. 281 ff. 62i Siehe oben S. 153 Fn. 601, ferner S. 128 f. 628

Lutz, Eigentumsschutz, S. 163 ff.. 629 Wendt, Eigentum, S. 147 ff.; ders., in: Sachs3, Art. 14 Rn. 55. 630 Ähnlich Leisner, HdbStR VI, § 149 Rn. 70; J. Ipsen, Staatsrecht II 8 , Rn. 698; Kutschera, Bestandsschutz, S. 72 ff.; auch schon Hamann, BB 1960, S. 1306 (1307). 631 So ausdrücklich Wendt, Eigentum, S. 152. 632 Vgl. oben S. 111 f.

158

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

kungsweise des Grundsatzes lex specialis derogat legi generali und erliegen Zufälligkeiten der Gesetzestechnik.633 Diesem Vorwurf kann man nur entgehen, wenn man die durch eine Norm wie § 904 BGB dem Eigentümer „genommene" Rechtsmacht über andere Private nicht erst aus Zuweisungen anderer einfachrechtlicher Normen entnimmt, sondern bereits unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. 6 3 4 Die Gründe, die gegen solches verfassungsunmittelbares Eigentum sprechen, wurden schon dargelegt. 635 Schließlich wird die Kennzeichnung der Inhaltsbestimmung als pflichtneutrale Befugniszuweisung 636 und der Schrankenbestimmung als Konfliktregelung auch der Funktion des Eigentums nicht gerecht. Denn „Eigentum" ist letztlich die Kurzbezeichnung für diejenigen Normen, welche Konflikte zwischen Privaten bezüglich der Nutzung und Verwertung eines bestimmten Vermögenswerten Gutes regeln. Sie räumen einem Privaten, den wir dann „Eigentümer" nennen, die Rechtsmacht ein, die anderen Privaten von der Nutzung auszuschließen. Eigentum und damit auch Inhaltsbestimmungen des Eigentums haben also notwendig Konflikte zum Gegenstand und können deshalb nicht „pflichtneutral" sein. 637 (ee) Chlosta, Timm Chlosta und Timm zufolge soll die Trennlinie zwischen Inhaltsbestimmung und Schrankenbestimmung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht verlaufen. 638 Demgegenüber wurde oben 639 gezeigt, dass sich nach der hier vertretenen Auffassung auch in Normen, die wir dem öffentlichen Recht zurechnen, nämlich Ermächtigungen zur Administrativenteignung, inhaltsbestimmende Regelungsgehalte finden. Ganz falsch wäre deshalb auch die Annahme, dass jeder für den Eigentümer nachteilige behördliche Vollzug einer öffentlichrechtlichen Norm ein Eingriff in sein Eigentumsgrundrecht und die Norm damit eine Schrankenbestimmung sei. Ist nämlich ζ. B. die Entstehung einer Eigentumsposition von einem Mitwirkungsakt einer staatlichen Stelle, ζ. B. einer Genehmigung, abhängig,640 dann stellt das Unterlassen der 633 Siehe auch oben S. 111 f.; so auch Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht m / 2 , S. 407. 634 Dies tun einige Vertreter dieses weiten Schrankenbestimmungsbegriffs denn auch mehr oder weniger verdeckt, wie etwa Leisner, HdbStR VI, § 149 Rn. 70, der von natürlich abgegrenzten Gütern spricht, oder J. Ipsen, Staatsrecht Π 8 , Rn. 698, 701, der in der Inhaltsbestimmung nur die rechtliche Anerkennung eines im Verkehr bereits anerkannten Vermögenswertes sieht. 635 Oben S. 99 f. 636 Gleiches gilt für die Ansicht von J. Ipsen, Staatsrecht Π 8 , Rn. 698, wonach Inhaltsbestimmungen Güter nur verkehrsfähig machen. 637 So auch Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht ΙΠ/2, S. 408. 638 So Chlosta, Wesensgehalt, S. 31 f.; Timm, Eigentumsgarantie, S. 48. 639 s. 132, 146,153. 640 Zu unterscheiden hiervon sind Normen, welche die von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Handlungsfreiheit des Eigentümers (zu bauen, Kies zu baggern) unter einen Genehmigungsvorbehalt stellen. Hier gilt dasselbe wie bei Freiheitsrechten. Das Genehmigungs-

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

159

Erteilung der Genehmigung (sprich: die Antragsablehnung) keinen Eingriff in den Abwehrgehalt des Grundrechts dar, und die Norm, die das Genehmigungserfordernis statuiert, ist keine Schrankenbestimmung des Grundrechts, sondern eine Inhaltsbestimmung des Eigentums. Denn im Zeitpunkt des fraglichen staatlichen Verhaltens existierte noch keine Eigentumsposition, so dass es an der Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals des grundrechtlichen Abwehranspruchs fehlt. Beurteilt werden müssen solche Konstellationen vielmehr vor dem Hintergrund der grundrechtlichen Leistungspflicht (Institutsgarantie). Denn sie bezieht sich anders als die Unterlassungspflicht (Abwehrgehalt) nicht auf bereits entstandene, sondern auf noch zur Entstehung zu bringende Eigentumspositionen. Für den Gesetzgeber bedeutet diese Leistungspflicht, dass er eine angemessene normative „Infrastruktur" 641 für die Entstehung von Eigentumspositionen, die diesen Namen verdienen, zur Verfügung zu stellen hat. 642 Für Judikative und Exekutive bedeutet sie, dass sie sich im Rahmen dieser „Infrastruktur" so zu bewegen haben, dass diese ihrer Funktion, Grundlage für die Entstehung von konkretem Eigentum in der Hand des Einzelnen zu sein, gerecht werden kann. Der grundrechtliche Leistungsanspruch auf angemessene Normsetzung wandelt sich auf der Ebene der Normanwendung zu einem Anspruch auf „fairen Normenvollzug". Hier dürfte die eigentliche Daseinsberechtigung des vom Bundesverfassungsgericht unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG abgeleiteten Anspruchs auf „faire Verfahrensführung" bzw. „effektiven Rechtsschutz"643 liegen. Dieser Aspekt der Leistungspflicht wird umso wichtiger, je mehr Entscheidungsspielräume der Gesetzgeber den normvollziehenden Staatsorganen bei der Entstehung von Eigentumspositionen zugesteht. Eine Unterscheidung öffentliches Recht/Privatrecht erfasst auch anders als die hier vertretene nicht durchgängig die Normen als Schrankenbestimmung, welche die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Elemente der Handlungsfreiheit des Eigentümers beschränken. Denn Handlungsfreiheit kann auch durch in von uns herkömmlich dem Privatrecht zugeordneten 644 Normen enthaltene Gebote oder Verbote beschränkt werden. erfordernis als solches beschränkt bereits die Handlungsfreiheit, die Nichterteilung der Genehmigung ist ein Eingriff in den Abwehrgehalt des Grundrechts. Vgl. BVerfGE 20, 150 (155). 641 Böhmer, NJW 1988, S. 2561 (2568). 642 Siehe oben S. 101 f. 643 Siehe die Nachweise oben S. 108 Fn. 467. Für Eingriffskonstellationen dürfte dieser Anspruch i. Erg. dagegen kaum mehr bieten, als schon aus dem Abwehranspruch folgt. Soweit ich das überblicke, wird er vom BVerfG auch nie zusätzlich zum grundrechtlichen Abwehranspruch geprüft, sondern immer nur, wenn sich das Gericht aus irgendwelchen Gründen mit diesem gar nicht befasst. 644 An Private adressierte Ge- und Verbote sind als solche - worauf Schwabe (Drittwirkung, S. 31 ff.) zu Recht hinweist - einer Unterteilung in öffentlichrechtliche und privatrechtliche an sich gar nicht zugänglich bzw. nur nach der allseits abgelehnten Interessentheorie. An dieser Stelle tritt der öffentlichrechtliche Gehalt, den schon Schultze, Privatrecht, S. 60, in jeder Privatrechtsnorm entdeckt hat, in Erscheinung. Ein Beispiel für eine Schran-

160

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Ferner kann die Unterscheidung öffentliches Recht/Privatrecht nicht den schrankenbestimmenden Regelungsgehalt von Reformgesetzen auf dem Gebiet des Zivilrechts, die nach altem Recht bereits entstandene konkrete Rechtspositionen verkürzen, erfassen. Schließlich geben diejenigen, welche die Trennlinie zwischen Inhaltsbestimmung und Schrankenbestimmung mit der Trennlinie zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht gleichsetzen wollen, keine Antwort auf die nach wie vor ungeklärte Frage 645 , nach welchen Maßstäben sich beurteilt, ob eine Norm dem öffentlichen oder dem Privatrecht zuzuordnen ist. (ff) Schwerdtfeger Schwerdtfeger 646 schließlich sieht in Inhaltsbestimmungen die konstitutive Bestimmung des Eigentumsinhalts und in Schrankenbestimmungen Eingriffe in typusprägende - letztlich der Institutsgarantie zu entnehmende647 - Elemente des Eigentums. Darauf kommt es nach der hier getroffenen Unterscheidung nicht an. Entscheidend ist allein, ob die von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Elemente der Handlungsfreiheit des Eigentümers normativ beschränkt werden oder eine Hinwegsetzung über den jede Eigentumsposition schützenden grundrechtlichen Abwehranspruch vorliegt. Letztlich bleibt auch unklar, wie man sich einen Eingriff in typusprägende Elemente konkret vorzustellen hat, 6 4 8 insbesondere, ob diese Elemente bereits normativ durch Inhaltsbestimmungen ausgestaltet gewesen sein müssen oder ob es sich um eine Art verfassungsunmittelbares Kerneigentum, aus denen Rechtspositionen auch ohne gesetzgeberische Gestaltung resultieren können, handelt. (5) Der Sonderfall öffentlichrechtlicher

Eigentumspositionen

Ausnahmsweise kann auch Vermögenswerte Rechtsmacht über den Staat „Eigentum" sein. Das ist dann der Fall, wenn der Vermögenswert auf nicht unerheblichen Eigenleistungen beruht und der Existenzsicherung des Inhabers dient. Bei kenbestimmung, die - unter den eben gemachten Vorbehalten - „privatrechtlich" genannt werden könnte, sind die jeden Eigentümer treffenden Verkehrsicherungspflichten, vorausgesetzt natürlich, die dort gebotenen Handlungen gehören zu den Elementen der Handlungsfreiheit des Eigentümers, welche die h.M. über Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG schützt. 645 Vgl. dazu nur H. J. Wolff/ Bachof/Stober, VwR I 1 1 , § 22 Rn. 13; Ehlers, in: Erichsen/ Ehlers, VwR AT 1 2 , § 2 Rn. 14; Achterberg, VwR 2 , § 1 Rn. 13; Maurer, VwR 1 5 , § 3 Rn. 14 ff. 646 Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 225 ff. 647 Vgl. Schwerdtfeger, Mitbestimmung, S. 228. 648 Schwerdtfeger gesteht das selbst ein Stück weit ein, wenn er a. a. O. auf S. 226 in Fn. 507 sagt, dass fließende Übergänge möglich sind.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

161

diesen öffentlichrechtlichen Eigentumspositionen handelt es sich anerkanntermaßen um eine atypische - nur teleologisch begründbare Form - von „Eigentum" im Sinne der Verfassung. 649 Aus ihrer besonderen Struktur können daher keine allgemeinen Rückschlüsse auf die Interpretation des Art. 14 gezogen werden. Bei öffentlichrechtlichen Eigentumspositionen verbietet es der grundrechtliche Abwehranspruch Legislative, Judikative oder Exekutive, die Eigentumsposition teilweise oder vollständig zum Erlöschen zu bringen. Zu überlegen ist allerdings, ob man die öffentlichrechtliche Rechtsposition nur insoweit als geschützt ansieht, als sie vom Eigenleistungsanteil und dem Existenzsicherungszweck getragen wird. 6 5 0 Hierfür spräche die ratio des Schutzes öffentlichrechtlicher Rechtspositionen durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Eine Inhaltsbestimmung des Eigentums liegt somit hier vor, soweit die von der Norm konstituierte Rechtsmacht über den Staat sich auf einen Vermögenswert bezieht, der auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Berechtigten beruht und seiner Existenzsicherung dient. Auch hier hängt der inhaltsbestimmende Charakter nicht davon ab, dass die Norm positiv Rechtsmacht einräumt. Auch Normen, welche die vermögenswertzuweisenden Imperative suspendieren, haben einen inhaltsbestimmende Regelungsgehalt. „Eigentum" ist nur, was dem Einzelnen bei einer Zusammenschau all dieser Normen zu einem bestimmten Zeitpunkt konkret an vermögenswerter Rechtsmacht über den Staat zusteht. Ergibt diese Zusammenschau, dass ihm gemessen an seinem Eigenleistungsanteil oder dem Existenzsicherungszweck zu wenig zugeordnet ist, so ist das eine Verletzung der gesetzgeberischen Leistungspflicht, ein Eigentum, das diesen Namen verdient, zur Verfügung zu stellen. Eine Schrankenbestimmung liegt vor, wenn ein Gesetz unmittelbar die Vermögenswerte Rechtsmacht in der Hand des Einzelnen, soweit sie auf Eigenleistungen des Berechtigten beruht oder seiner Existenzsicherung dient, (teilweise oder vollständig) zum Erlöschen bringt oder eine staatliche Stelle hierzu ermächtigt. Solche Regelungsgehalte können mit inhaltsbestimmenden Regelungsgehalten in einer Norm - nämlich bei Reformgesetzen und Ermächtigungsnormen zusammentreffen. Es gilt insoweit das oben zu einem solchen Zusammentreffen Gesagte.

649 Vgl. oben S. 125 f. 650 Ablehnend insoweit aber das BVerfG, vgl. BVerfGE 58, 81 (109); 69, 272 (301); Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 137, das aber immerhin im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung nach dem Grad der Betroffenheit des Eigenleistungsanteils differenziert, vgl. BVerfGE 53, 257 (293); 58, 81 (112); 69, 272 (301); Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 137 ff. 11 Raue

162

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

c) Auflösung des oben unter C. 1.1. b) bb) (2) herausgearbeiteten Widerspruchs Ausgangspunkt der vorstehenden Ausführungen unter C.I.2. war, dass das Bundesverfassungsgericht drei Aussagen zur Auslegung des Art. 14 GG trifft, die nicht gleichzeitig nebeneinander Bestand haben können. 651 Die daraus resultierenden Unklarheiten machten die Beantwortung der Frage, ob durch die Ablieferung nach §817 Abs. 2 ZPO eine „durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtsposition" verloren geht, unmöglich. Dieses Problem ist nunmehr gelöst. Als korrekturbedürftig erwiesen hat sich zunächst die Aussage, dass sich Gegenstand und Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergeben. 652 Sie ist im Hinblick auf den Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes komplett falsch. Dieser ergibt sich allein aus dem grundrechtlichen Abwehranspruch, der als „unmittelbar geltendes Recht" (Art. 1 Abs. 3 GG) aus dem „werden gewährleistet" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG folgt. 653 Im Hinblick auf den Gegenstand des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes, das was Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG als „Eigentum" bezeichnet, ist sie insoweit falsch, als sie sich auch auf Elemente der unter Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallenden Handlungsfreiheit des Eigentümers bezieht. Diese werden als empirischfaktische Phänomene unmittelbar durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt.654 Richtig ist die Aussage, dass sich der Gegenstand des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes aus Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergibt, hingegen insoweit, als „Eigentum" die Zuordnung eines Vermögenswerten Gutes an einen Rechtsträger und die sich auf diese Zuordnung beziehende Verfügungsmacht meint. Dabei ist, von den sog. öffentlichrechtlichen Eigentumspositionen abgesehen, allerdings zu beachten, dass „ Z u o r d n u n g " hier nur die Zuordnung gegenüber anderen Privaten meint. 655 Die Zuordnung gegenüber dem Staat übernimmt der grundrechtliche Abwehranspruch, sobald das Gut dem Einzelnen durch das einfache Recht im Verhältnis zu anderen Privaten zugeordnet ist. 6 5 6 Die zweite Aussage des Bundesverfassungsgerichts war, dass es nur drei Arten von verfassungsrechtlich zulässigen eigentumsrelevanten Gesetzen geben kann: Inhaltsbestimmungen des Eigentums, Ermächtigungen zur Enteignung und Enteignungen durch Gesetz. 657 Die Korrekturbedürftigkeit dieser Aussage ergibt sich aus der Korrekturbedürftigkeit der ersten. Die inhaltliche Unabhängigkeit des grundrechtlichen Abwehranspruchs und der natürlichen Handlungsfreiheit des Eigen651 Vgl. 652 Vgl. 653 Vgl. 654 Vgl. 655 Vgl. 656 Vgl. 657 Vgl.

oben S. 90 ff. oben S. 78 f. oben S. 117 ff., insb. S. 150. oben S. 107 ff. oben S. 150 f. oben S. 151. oben S. 86 f., 91.

I. Verlust einer geschützten Rechtsposition

163

tümers vom einfachen Recht impliziert, dass es eine vierte Gruppe von Normen geben muss, von denen die Enteignungsnormen nur ein Spezialfall sind. 658 Das sind die Schrankenbestimmungen des Eigentumsgrundrechts. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich über den grundrechtlichen Abwehranspruch hinwegzusetzen versuchen. Als richtig erwiesen hat sich die dritte Aussage des Bundesverfassungsgerichts. Diese besagte, dass die Verfassung neben der Enteignung durch oder aufgrund eines Gesetzes, weitere Eingriffe in das Eigentum durch oder aufgrund eines Gesetzes kennt. 659 Das sind die Eingriffe durch oder aufgrund derjenigen Schrankenbestimmungen des Eigentumsgrundrechts, die nicht die qualifizierten begrifflichen Anforderungen des enteignenden Eingriffs aufweisen, d. h. - unter Zugrundelegung der Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts 660 - entweder nicht zu einem zielgerichteten Entzug einer Rechtsposition führen oder nicht der Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben zu dienen bestimmt sind.

3. Folgen für die Zwangsvollstreckung: Der Verlust des Sacheigentums in der Zwangsvollstreckung als Verlust einer „konkreten durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition" Nach dieser dogmatischen Klärung können wir uns erneut der oben 661 aufgeschobenen Frage zuwenden, ob mit der Ablieferung nach § 817 Abs. 2 ZPO eine durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtsposition verloren geht. Diese Frage ist zu bejahen. Denn eine Zusammenschau aller die Stellung des Sacheigentümers regelnden Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergibt, dass dem Eigentümer im Zeitpunkt der Ablieferung eine Eigentumsposition im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zusteht. Zwar ist diese von Beginn ihrer Entstehung an durch die - insoweit eigentumsinhaltsbestimmenden - §§ 808 ff. ZPO mit dem Risiko belastet, als Folge einer Ablieferung nach § 817 Abs. 2 ZPO unterzugehen. Doch dieses Verlustrisiko ändert weder etwas daran, dass die Rechtsposition im Zeitpunkt der Ablieferung noch existiert, 662 noch nimmt es ihr die Schutzwürdigkeit gegenüber staatlichen Einwirkungen, die das Untergangsrisiko verwirklichen. 663 Der grundrechtliche Abwehranspruch schützt nämlich auch derart risikobelastete Eigentumspositionen vor der Verwirklichung des ihnen anhaftenden Risikos. 658 Vgl. oben S. 152 ff. 659 Vgl. oben S. 90, 91. 660 Vgl. oben S. 22 f. 661 Vgl. oben S. 77 f., 92. 662 Vgl. oben S. 133. 663 Vgl. oben S. 134 ff. 11*

164

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

An diesem Schutz ändert sich auch nichts dadurch, dass die §§ 808 ff. ZPO den Gerichtsvollzieher ermächtigen, das der Rechtsposition anhaftende Risiko zu verwirklichen. Denn der Inhalt des grundrechtlichen Abwehranspruchs, der „Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes", wird - anders als das Bundesverfassungsgericht meint 6 6 4 - nicht durch das einfache Recht, hier also die §§ 808 ff. ZPO, bestimmt. Er ergibt sich vielmehr „als unmittelbar geltendes Recht" (Art. 1 Abs. 3 GG) aus dem „werden gewährleistet" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Dass einfachrechtliche Normen staatliche Stellen zur Hinwegsetzung über den grundrechtlichen Abwehranspruch ermächtigen, kann allenfalls auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eine Rolle spielen. Zum Zeitpunkt der Ablieferung liegt also eine „durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtsposition" vor. Durch die Ablieferung geht mithin eine solche verloren. Das heißt jedoch noch nicht automatisch, dass die Ablieferung eine Hinwegsetzung über den grundrechtlichen Abwehranspruch, ein Eingriff in den Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, ist. Denn nur der Staat ist Gegner des grundrechtlichen Abwehranspruchs. Private Risikoverwirklichungshandlungen - wie die Verfügung eines Nichtberechtigten nach §§ 929, 932 BGB - führen zwar zum Verlust einer „durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition", sind aber nicht durch den grundrechtlichen Abwehranspruch verboten. 665 Sollte also das Handeln des Gerichtsvollziehers aus irgendwelchen Gründen 666 als privates Handeln zu bewerten sein, würde es zwar den Verlust einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition bewirkt haben, wäre aber trotzdem nicht am Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen. Bei einer äußeren Betrachtung kann nun zwar kein Zweifel daran bestehen, dass der Vollstreckungszugriff eine staatliche Risikoverwirklichungshandlung und damit ein Eingriff in den Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist. Doch näher zu untersuchen ist dies erst unter Π. bei der Frage, ob ein „Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen" vorliegt. Uns hat unter I. ja zunächst nur interessiert, ob in der Zwangsvollstreckung eine „konkrete durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Rechtsposition" verloren geht, 667 und dies ist - wie gesehen - zu bejahen.

Π. Der „Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen44 Die Formulierung „Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen" bringt zum Ausdruck, dass die Enteignung eine staatliche Maßnahme ist, die sich am Ab664 Vgl. oben S. 78 f. 665 So wie die Tötung eines Menschen durch einen Privaten eine durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Position beseitigt, ohne durch den Abwehrgehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verboten zu sein. Vgl. oben S. 135 ff. 666 Vgl. oben S. 135 ff., insb. Fn. 500, 510, S. 138 f. 667 Vgl. oben S. 77 f.

II. Der „Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen"

165

wehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG messen lassen muss, dass es sich mit anderen Worten um etwas handelt, das der grundrechtliche Abwehranspruch vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Rechtfertigung verbietet. Gemeinhin bezeichnet man solche staatlichen Verhaltensweisen als „Eingriff 4 . 6 6 8 Dass das Bundesverfassungsgericht die Formulierung „Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen" in diesem Sinne gebraucht, ergibt sich nicht nur aus der begrifflichen Nähe von „Zugriff' und „EingriffeAuch die Formulierung „Eigentum des Einzelnen" nimmt auf die Funktion des Grundrechts als subjektives Abwehrrecht des Einzelnen gegen den Staat Bezug. 669 Die Frage, die hier zu stellen ist, lautet also: Hat die zum Eigentumsverlust führende Handlung des Gerichtsvollziehers - die Ablieferung nach § 817 Abs. 2 ZPO 6 7 0 - Eingriffscharakter? Ist sie zu bejahen, dann handelt es sich um einen „ Z u g r i f f des Staates auf das Eigentum des Einzelnen". Nicht ausreichend für das Vorliegen eines Eingriffs ist, dass ein staatliches Organ - wie hier der Gerichtsvollzieher - die Vernichtung einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition in der Hand des Einzelnen irgendwie verursacht. Dies ist zwar eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung. 671 Vielmehr muss, damit es nicht zu einem uferlosen Grundrechtsschutz kommt, das Grundrecht gerade vor Verursachungsbeiträgen der fraglichen Art schützen wollen. 672 Erst dann rechnet man den „Erfolg" dem staatlichen Handeln zu, spricht man von einem „Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts. Welche Kriterien das im Einzelnen sind, ist nach wie vor umstritten und hängt auch sehr vom jeweiligen Grundrecht ab. Einig ist man sich jedoch darüber, dass - vorbehaltlich gewisser Besonderheiten im Kontext der staatlichen Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Privatpersonen 673 - die Abwehrgehalte der Grundrechte jedenfalls vor sog. klassischen Eingriffen schützen.674 Klassische Eingriffe sind durch Imperativität, Finalität und Unmittelbarkeit gekennzeichnete staatliche Rechtsakte,675 wobei das Kriterium der „Imperativität" auch bei unmittelbar rechtsgestaltenden Maßnahmen erfüllt i s t 6 7 6 . 668 Vgl. nur Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht ΙΠ/2, S. 76 f. und 79 ff. m. w. N. 669 Vgl. auch BVerfGE 24, 367 (389, 400); 31, 229 (239); 38, 175 (181), 42, 263 (294); 58, 300 (323); 74, 264 (281), wo betont wird, dass Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG den Bestand des Eigentums in der Hand des Eigentümers sichern wolle. Siehe zum Eingriffscharakter der Enteignung auch oben S. 77 Fn. 259, S. 128, S. 129 f. 670 Vgl. zum Zusammenhang von Ablieferung und Eigentumsverlust oben S. 24 Fn. 7. 671 Vgl. Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht ΠΙ/2, S. 128 f. 672 Vgl. Ramsauer, Beeinträchtigungen, S. 54 f. 673 Siehe dazu unten S. 170 ff. 674 Das Vorliegen der Kriterien des klassischen Eingriffsbegriffs ist hinreichende aber nicht notwendige Voraussetzung für Zurechnung des Erfolgs zum staatlichen Verhalten, vgl. Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht I I I / 2 , S. 104 m. w. N. 675 Zum klassischen Eingriffsbegriff siehe Dreier, in: Dreier I 2 , Vorb. Rn. 124; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 1 Rn. 265; Sachs, in: Sachs3, Vor Art. 1 Rn. 80. 676 Jede rechtsgestaltende Maßnahme kann als abgekürzte - den Willen des Betroffenen nicht nur beugende, sondern ignorierende - Form einer aufgrund Staatsakts zu fingierenden

166

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Wir werden also zunächst - unter 1. - untersuchen, ob die Verursachungsbeiträge des Gerichtsvollziehers als solche, d. h. ohne Berücksichtigung der Tatsache, dass sie der Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche dienen und nur auf Antrag eines Privaten, des Vollstreckungsgläubigers, gesetzt werden, Eingriffsqualität haben. Sodann wird, soweit das bejaht wurde, - unter 2. und 3. - die Frage aufgeworfen, ob sich an diesem Ergebnis wegen der Antragsabhängigkeit der Zwangsvollstreckung oder des „privatrechtlichen" Kontextes, in dem sie stattfindet, etwas ändert. Unter 4. werden wir uns dann im Rahmen eines Exkurses mit den Sonderformen der Verwertung befassen, insbesondere mit denen, bei denen Private im Auftrag der Vollstreckungsorgane das Eigentum an der Sache übertra-

1. Der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug als „Eingriff 4 des Staates Die Ablieferung der Sache an den Erwerber gemäß § 817 Abs. 2 ZPO, mit welcher der Gerichtsvollzieher das Eigentum auf den Erwerber überträgt, 678 weist alle Merkmale eines klassischen Eingriffs - Rechtsakt, Imperativität, Zielgerichtetheit, Unmittelbarkeit - auf. Das liegt auf der Hand, wenn man mit der herrschenden Meinung im Vorgang der Ablieferung einen einseitigen eigentumszuweisenden Hoheitsakt 679 sieht. Gestaltung durch den Betroffenen selbst konstruiert werden (vgl. Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht ΠΙ/2, S. 113 f.). So wurde - anknüpfend an die Formulierungen vieler Enteignungsgesetze (vgl. ζ. B. 4. Theil, 3. Kap., § 2 CMBC v. 1756; Titel 11, §§ 4 - 1 1 ALR v. 1794; Art. I BayEntG v. 1837; § 135 PrBergG v. 1865; Art. 545 BadLR v. 1809) - die klassische Enteignung anfangs auch als durch Hoheitsakt begründeter, den Eigentümer zur Übereignung verpflichtender Zwangskauf konstruiert (so ζ. B. von Häberlin, AcP 39 [1856], S. 147 [201 f.]; Eger, AcP 70 [1886], S. 249 [259 m. w. NJ; ähnlich auch Meyer, Expropriation, S. 183 ff.; weitere Nachweise bei Lay er, Principien, S. 318 Fn. 1). Vgl. zu den Hintergründen der Zwangskaufkonstruktion unten S. 217 f. Auch heute wird mitunter, wenn auch aus anderen Gründen, auf die Zwangskaufkonstruktion zurückgegriffen, vgl. dazu unten S. 213 ff. 677 Vgl. zu diesen Formen der Verwertung oben S. 26 Fn. 16. 678 Vgl. oben S. 24 Fn. 7.

Grundlegend E Stein, Grundfragen, S. 62, 70. Siehe ferner RGZ 156, 395 (398); BGHZ 55, 20 (25); wohl auch BGHZ 119,75 (76), wo eine Eigentumsverschaffung durch Hoheitsakt nur für eine Versteigerung durch einen privaten Auktionator verneint wird; Münzberg, in: Stein/Jonas 22 , § 817 Rn. 21; W Lüke, in: Wieczorek/Schütze 3, § 817 Rn. 28; Schuschke/ Walke§ 817 Rn. 7; Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 411; Baur/Stürner, ZVR, S. 375 f.; Jauernig, 21 Z V R , S. 84; Lippross, Vollstreckungsrecht 9, Rn. 260; G. Lüke, ZZP 67 (1954), S. 356 (359); Lindacher, JZ 1970, S. 360 (361); MusielakIBecker, ZPO 4 , § 817 Rn. 2, 4, § 815 Rn. 2; ZöllerIStöber, ZPO 2 5 , § 817 Rn. 8; Thomas/ΡμΓζο, ZPO 2 7 , § 817 Rn. 1, 7; Baumbach IHartmann, ZPO 6 3 , § 817 Rn. 8; Henckel, Prozeßrecht, S. 313 ff., insb. S. 316 und S. 318. - Von einem Hoheitsakt gehen auch die meisten Vertreter der sog. privatrechtlichen Theorie aus, vgl. Säcker, JZ 1971, S. 156 (160 ff.); Bruns/E. Peters 3, S. 156 f.; G. Paulus, FS Nipperdey, S. 909 (925); G. Huber, Versteigerung, S. 30 f., 143 ff.; M. Wolff/Raiser 10, S. 701 mit Fn. 7;

II. Der „Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen"

167

Erblickt man in der Ablieferung einen Teil eines eigentumsverschaffenden öffentlichrechtlichen Vertrages zwischen Gerichtsvollzieher und Erwerber, 680 ändert sich an dieser Einschätzung nichts. Denn aus Sicht des betroffenen Eigentümers ist es egal, ob er sein Eigentum durch einen einseitigen, jedoch der Mitwirkung des Erwerbers bedürftigen Hoheitsakt verliert oder durch einen Vertragsschluss zwischen Gerichtsvollzieher und Erwerber. Durch den Erlass des Hoheitsakts bzw. die Abgabe der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärung verliert er - ohne dass es auf seine Zustimmung ankäme - sein Eigentum. Aus diesem Grunde macht es auch keinen Unterschied, wenn man die Ablieferung als Teil einer privatrechtlichen Eigentumsübertragung nach §§ 929 Satz 1, 1242 Abs. 1 Satz 1 BGB einstuft. 681 Das Eigentum geht auch hier ohne Zustimmung des Eigentümers verloren. Dass das Staatsorgan „Gerichtsvollzieher" sich hierbei der Formen des Privatrechts bedient, 682 indem es den Eigentumsübergang durch die Abgabe einer „privatrechtlichen" Willenserklärung herbeiführt, macht es nicht zum nicht grundrechtsgebundenen Privaten. Ebenso wenig wie es angesichts der Bindung aller drei Staatsgewalten an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) für die Grundrechtsbindung des Gerichtsvollziehers erforderlich ist, dass seine Tätigkeit gerade als „vollziehende Gewalt" eingestuft wird, 6 8 3 ist es erforderlich, dass er sich der Instrumente des Verwaltungsrechts (Verwaltungsakt, Verwaltungsvertrag) bedient. 684 Wieling, Sachenrecht, S. 737 f.; Marotzke, NJW 1978, S. 133 (136 f.), der von einer öffentlichrechtlichen Handlung des Gerichtsvollziehers spricht, die den Eigentumsübergang nur bewirken könne, wenn ein Pfändungspfandrecht entstanden oder der Erwerber gutgläubig sei; Grunsky, ZVR 5 Rn. 103. Sie sind lediglich der Ansicht, der Hoheitsakt verschaffe dem Erwerber nur unter den im BGB geregelten materiellen Voraussetzungen (vgl. §§ 1242 Abs. 1, 1244 BGB) das Eigentum, vgl. oben S. 23 Fn. 5; vgl. auch schon M. Wolff, FG Hübler, S. 63 ff., der sich zwar für eine „unmittelbare Anwendung des § 1244 BGB" ausspricht (a. a. O. S. 66 ff.), nichtsdestotrotz die publizistische Konstruktion für vorzugswürdig erachtet (a. a. O. S. 72). So auch das Reichsgericht in st. Rspr. (RGZ 16, 396 [409]; 17, 332 [333]; 56, 84 [89]; 82, 85 [86], 104, 284 [285]; 126, 21 [23]; 153, 257 [261]). Das Neue in RGZ 156, 395 (398) war nämlich nicht, dass das Reichsgericht nunmehr davon ausging, dass der Gerichtsvollzieher hoheitlich handelt, sondern dass es hieraus auf die Nichtanwendbarkeit des § 1244 BGB schloss. Als rein „privatrechtlich" hatte das Reichsgericht schon vorher immer nur das Verhältnis zwischen Gerichtsvollzieher und Vollstreckungsgläubiger (vgl. RGZ 17, 332; 56, 84; 82, 85), nicht das zwischen Gerichtsvollzieher und Vollstreckungsschuldner bzw. Dritteigentümer eingestuft. 680 So wohl Schilken, in: MünchKomm-ZPO2, § 817 Rn. 11; ders., in: Rosenberg/Gaul/ Schilken11, S. 818. 681 In diesem Sinne Pinger, JR 1973, S. 94 (97 f.); wohl auch Pesch, JR 1993, S. 358 (364); Wieczorek, ZPO 1 , § 817 Anm. D I b 1. 682 Vgl. Pinger, JR 1973, S. 94 (95 ff.); ähnlich Pesch, JR 1993, S. 358 (360), allerdings für den Zuschlag. 683 Vgl. Dreier, in: Dreier I 2 , Art. 1 ΠΙ Rn. 53. Die Diskussion, ob die Maßnahmen des Gerichtsvollziehers „materiell Verwaltung" sind (so G. Huber, Versteigerung, S. 30 f.) oder „Rechtspflege" (so wohl Gaul, Rpfleger 1971, 41 [49 f.]), kann hier also auf sich beruhen.

168

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Liegen die Merkmale eines staatlichen Eingriffs also an sich vor, 6 8 5 so fragt sich, ob wegen der Antragsabhängigkeit des Vollstreckungsverfahrens und des privatrechtlichen Kontextes der Zwangsvollstreckung ausnahmsweise doch die Anwendbarkeit des Abwehrgehalts des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG auf Maßnahmen des Gerichtsvollziehers zu verneinen ist.

2. Keine Besonderheiten aufgrund der Antragsabhängigkeit der Zwangsvollstreckung Der Gerichtsvollzieher nimmt gemäß § 753 Abs. 1 ZPO die den Eigentumsverlust verursachenden, risikoverwirklichenden Handlungen nur auf Antrag des Vollstreckungsgläubigers, also eines Privaten, vor. 6 8 6 So gesehen, ist der Gerichtsvollzieher nur eine Art „Erfüllungsgehilfe" eines Privaten, weil letzterer die Entscheidung über das „Ob" der Risikoverwirklichung durch die Antragsabhängigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen in der Hand hält. 6 8 7 Wir haben oben 688 gesagt, eine Hinwegsetzung des Staates über den aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG resultierenden Abwehranspruch, also ein Eingriff, liegt auch dann vor, wenn zwar äußerlich betrachtet ein Privater handelt, dieser aber bei näherer Betrachtung nur „Erfüllungsgehilfe" einer staatlichen Stelle ist, welche die Risikoverwirklichung steuert. Man könnte hieraus schlussfolgern, dass in der umgekehrten Konstellation, also wenn der Staat nur „Erfüllungsgehilfe" eines Privaten ist, keine staatliche Hinwegsetzung über den grundrechtlichen Abwehranspruch vorliegt. Die Ablieferung durch den Gerichtsvollzieher wäre dann kein staatlicher Eingriff in den Abwehrgehalt des Grundrechts. 689 Voraussetzung hierfür ist, dass der Abwehrgehalt des Grundrechts von privater Hand gesteuerte Risikoverwirklichungshandlungen staatlicher Stellen nicht verbieten will. Doch dies ist bei näherer Betrachtung zweifelhaft, was sich am Felswandbeispiel von oben 690 gut verdeutlichen lässt: Es leuchtet ein, dass ein Polizist, der 684 Vgl. z u r Grundrechtsbindung bei Nutzung privatrechtlicher Instrumente nur Dreier, in: Dreier ί Art. 1 Ι Π Rn. 65, 68 m. w. N. 685 So auch Gaul, in: Rosenberg/Gaul/Schilken 11, S. 6, 17, 21, 88; ders., Rpfleger 1971, 1 (2, 9); Baur/Stürner, ZVR, S. 43, 86 ff., 453 f.; Blomeyer, Erkenntnisverfahren 2, S. 1; Henckel, Prozeßrecht, S. 350; Obudzinski, Bedeutung, S. 92; Wolf, Dike International 3 (1996), S. 201 (201); Brox/Walker, ZVR 7 , Rn. 1159; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 240, 282. 686 Vgl. Thomas /Putzo, ZPO 27 , Vorbem § 704 Rn. 38 f. 687 Der Vollstreckungsgläubiger wird deshalb auch zu Recht als „Herr der Zwangsvollstreckung" (BGH, MDR 1983, S. 739 [739]) bezeichnet. 688 s. 138 f. 689 So i. Erg., wenngleich in der Begründung nur teilweise mit der Antragsabhängigkeit operierend: Münzberg, in: Stein/Jonas , vor § 704 Rn. 43 Fn. 232: „Der Zugriff erfolgt materiellrechtlich und vom Antrag her gesehen durch den Gläubiger." 690 s. 134 f.

II. Der „Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen"

169

einem Privaten die Anweisung gibt, einen an einer Felswand Hängenden hinunterzustürzen, in den Abwehrgehalt des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG des Hinuntergestürzten eingreift; dass ihn das „Vorschicken" des Privaten nicht von seiner Verantwortung entbindet. Doch das heißt doch keineswegs automatisch, dass ein Polizist, der gesetzlich dazu verpflichtet ist, auf Anweisung eines Privaten an einer Felswand Hängende hinunterzustürzen, nicht in deren Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit eingreifen würde. Es wäre ja auch ein Eingriff, wenn er es in Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht tun würde, die nicht an privatautonome Entscheidungen, sondern ausschließlich an den Eintritt eines Naturereignisses anknüpft, ζ. B.: Bei Einbruch der Dunkelheit sind an einer Felswand Hängende hinunterzustoßen. Die gesetzliche Verpflichtung würde das sie vollziehende Staatsorgan nicht von seiner Verantwortung vor dem Abwehrgehalt des Grundrechts des Betroffenen befreien. Sonst könnten Exekutive und Judikative nur bei Ermessensentscheidungen oder Gesetzesübertretungen in Grundrechte eingreifen. 691 Weshalb soll es aber einen Unterschied im Hinblick auf die Grundrechtsbindung des Staatsorgans machen, ob seine gesetzliche Handlungspflicht, bei deren Erfüllung es ein grundrechtlich geschütztes Gut beeinträchtigt, durch ein nicht grundrechtsgebundenes - Naturereignis oder durch den - nicht grundrechtsgebundenen - Willensakt eines Privaten ausgelöst wird? Die mögliche zivilrechtliche Haftung des Vollstreckungsgläubigers wegen „unberechtigter Zwangsvollstreckung" aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 280 Abs. 1 BGB, § 823 BGB, § 717 Abs. 2 ZPO 6 9 2 rechtfertigt eine solche Unterscheidung jedenfalls nicht. Denn ein schädigendes Ereignis schließt mehrere Verantwortliche nicht aus, wie zahlreiche Beispiele aus dem Zivilrecht (§ 830 BGB) und Strafrecht („Täter hinter dem Täter", § 25 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB; § 25 Abs. 2 StGB) belegen. Die Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB (im Zusammenhang mit Art. 34 Satz 1 GG) bestätigt, dass dies auch für die Haftung von Staat und Privaten gilt. Diese Regelung setzt geradezu voraus, dass ein Nebeneinander von privater und staatlicher Haftung nicht schon aus „übergeordneten" Gründen (die im Übrigen auch gar nicht ersichtlich sind) ausgeschlossen ist. Die Tatsache, dass der Gerichtsvollzieher nur auf Antrag eines Privaten tätig wird, kann für sich allein also noch kein Grund sein, seine zielgerichtet und unmittelbar zum Verlust der geschützten Rechtsposition führenden Maßnahmen nicht als durch den grundrechtlichen Abwehranspruch verboten anzusehen. Hierfür bedarf es weiterer Gründe.

691

Das würde letztendlich ein Stück weit wieder eine Grundrechtsgeltung nach Maßgabe des einfachen Gesetzes sein. »2 Vgl. dazu oben S. 35 f., 59 f., 61, 63.

170

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

3. Keine Besonderheiten wegen des privatrechtlichen Kontextes der Zwangsvollstreckung - das Drittwirkungsproblem Eine Ausklammerung der Ablieferung nach § 817 Abs. 2 ZPO aus dem Anwendungsbereich des Abwehrgehalts des Art. 14 Abs. 1 GG könnte aufgrund der folgenden Überlegung i n Betracht zu ziehen sein: Ein zivilgerichtliches Leistungsurteil und der ihm zugrunde liegende privatrechtliche Anspruch sind unzweifelhaft staatliche an den Verurteilten bzw. den Schuldner adressierte Ge- oder Verbote. 6 9 3 Zumindest äußerlich weisen sie damit alle Merkmale eines klassischen Eingriffs i n dasjenige Freiheitsrecht des Verurteilten bzw. Schuldners auf, welches das fragliche ge- oder verbotene Verhalten schützt. 6 9 4 Trotzdem wird nach wie vor vertreten, dass der Anspruch bzw. der I n h a l t 6 9 5 des Urteils grundsätzlich nicht am Abwehrgehalt des entsprechenden Freiheitsrechts zu messen sei, sondern dass lediglich dessen objektivrechtlicher Wertentscheidungs- bzw. Schutzpflichtgehalt 6 9 6 einschlägig s e i . 6 9 7 Der Grund hierfür liege darin, dass die Beziehung zwischen Privat693

Jeder privatrechtliche Anspruch (vgl. § 194 Abs. 1 BGB) enthält eine sich aus dem Gesetz ergebende Verhaltenspflicht. Das gilt auch für vertragliche Ansprüche, da die beiden miteinander korrespondierenden Willenserklärungen nur dann und insoweit einen Anspruch und damit eine Rechtspflicht erzeugen, als der staatliche Rechtssatz „pacta sunt servanda" dies anordnet. In diesem Sinne auch Flume, Rechtsgeschäft 4, S. 2 f., S. 5 f.; Schwabe, Drittwirkung, S. 20 ff., 67, 96; ders., Probleme, S. 103 ff.; Schnur, W D S t R L 22 (1965), S. 101 (141 mit Fn. 107); Höfling, Vertragsfreiheit, S. 27, 48; Laufke, FS Lehmann I, S. 145 (180); siehe auch schon Windscheid/Kipp, Lehrbuch I 9 , § 63 mit Fn. 1, § 68 Fn. 1; Savigny, System I, S. 12 mit Fn. (b); Kaufmann, Wesen, S. 174 f. A.A. offenbar Canaris, AcP 184 (1984), S. 201 (217 f.); ders., Grundrechte, S. 37; Sachs, in: Stern /Sachs, Staatsrecht III/2, S. 108 mit Fn. 150. 694 Ge- oder Verbot von grundrechtlich geschützten Verhalten als klassischer Eingriff, vgl. Gallwas, Beeinträchtigungen, S. 10 f.; Liibbe-Woljf, Eingriffsabwehrrechte, S. 43 f.; Sachs, in: Stern/Sachs, Staatsrecht ΠΙ/2, S. 104 f.; Schwabe, Drittwirkung, S. 28; Ruffert, Vorrang, S. 94. 695 Hinsichtlich der Art und Weise der Urteilsfindung wird eine volle Grundrechtsbindung an die Abwehrgehalte der Grundrechte des Verurteilten angenommen, vgl. Diirig, FS Nawiasky, S. 157 (157 f.); ders., in: Maunz/Dürig, Art. 1 HI Rn. 119 ff.; BVerfGE 7, 198 (203); Stern, in: Stern/Sachs, Staatsrecht m / 1 , S. 1444 f.; Rüfner, in: HdbStR V, § 117 Rn. 30; Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 400; Lorenz, AöR 105 (1980), S. 623 (628); Hermes, NJW 1990, S. 1764 (1764). 696 Die zunehmende Bezugnahme auf die Schutzpflichtfunktion der Grundrechte durch die neuere Rspr. (vgl. BVerfGE 81, 241 [256]) und Literatur (vgl. z. B. Canaris, AcP 184 (1984), S. 201 [225 ff.]; Stern, in: Stern/Sachs, Staatsrecht ΠΙ/1, S. 1533, 1560 f., 1572; Hermes, NJW 1990, S. 1764 [1768]; Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 III Rn. 64) ist letztlich nur eine inhaltlich konkretere Anwendung der objektivrechtlichen Dimension. Denn nach h. M. und Rspr. resultieren die Schutzpflichten gerade aus den objektivrechtlichen Grundrechtsgehalten (vgl. oben S. 103 Fn. 378) und/oder - wie bei Dürig - aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG (so vor allem BVerfGE 88, 203 [251]; auch schon BVerfGE 39, 1 [41]; 46, 160 [164]). 697 Grundlegend Dürig, FS Nawiasky, S. 157 ff.; ders., in: Maunz/Dürig, Art. 1 ΙΠ Rn. 127 ff. und Art. 3 I Rn. 505 ff. Er spricht zwar nicht ausdrücklich von subjektivrechtlichen und objektivrechtlichen Grundrechtsgehalten. Jedoch ergibt sich die Einwirkung der

. Der „Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen"

171

rechtsgesetzgeber und Schuldner bzw. Zivilrichter und Verurteiltem i n ein Dreiecksverhältnis eingebettet sei, in dem sich auch Schuldner und Gläubiger bzw. Kläger und Beklagter gegenüber stünden, also zwei Private, zwischen denen die Grundrechte nicht als Abwehrrechte, sondern allenfalls als Elemente einer objektiven Werteordnung Geltung beanspruchten. Eine unbesehene Anwendung der grundrechtlichen Abwehrgehalte i m Verhältnis Schuldner/Privatrechtsgesetzgeber bzw. Beklagter/Zivilrichter 6 9 8 würde - so fürchtet man - reflexartig, gleichsam „durch die H i n t e r t ü r " , 6 9 9 auch eine Bindung des Gläubigers bzw. Klägers an die Abwehrgehalte der Grundrechte des Schuldners bzw. Beklagten, eben eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte, b e w i r k e n . 7 0 0 Dies sei vom Grundgesetz Grundrechte auf das Privatrecht nach seiner als „mittelbare Drittwirkung" bezeichneten Konzeption aus der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG, der nach seiner Ansicht keine subjektivrechtliche Anspruchsnorm, sondern „oberstes Konstitutionsprinzip allen objektiven Rechts" ist, und einem „in Art. 1 I und Art. 2 I GG deklaratorisch anerkannten, der Verfassung vorgegebenen Wertsystem", von dem die Einzelgrundrechte nur Erscheinungsformen seien und das er deutlich von dem in den Einzelgrundrechten statuierten Anspruchssystem des Einzelnen gegen den Staat, also dem, was wir als subjektivrechtliche Grundrechtsgehalte bezeichnen, absetzt (vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 11 Rn. 4; ders., FS Nawiasky, S. 157 [176]; vgl. zu diesem Ansatz auch die Neubearbeitung der Kommentierung zu Art. 1 Abs. 1 GG durch Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 I Rn. 18). Ebenfalls explizit den Eingriff scharakter eines zivilrechtlichen Anspruchs verneinend BVerfGE 30, 173 (199); die objektivrechtliche bzw. Schutzpflichtdimension betonend BVerfGE 7, 198 (203 ff.); 66, 116 (135); 73, 261 (269); 81, 242 (253). Vgl. ferner Zöllner, RDV 1985, S. 3 (6, 8 f.); Diederichsen, in: Rangordnung, S. 39 (46 ff.); Clemens, in: MAK-GG I, Vor Art. 2 ff. Rn. 19 ff.; Windel, Der Staat 37 (1986), S. 385 (387 f., 393 ff.); Jarass, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 35 (42); Enders, in: Berliner Kommentar, vor Art. 1 Rn. 69 f.; Badura, in: HGR I, § 20 Rn. 26 f. Zumindest bei aufgrund privatautonomer Einigung zustandegekommenen Ansprüchen den Eingriffscharakter verneinend Canaris, AcP 184 (1984), S. 201 (212 f., 217 ff.); ders., Grundrechte, S. 37, 47 f.; Manssen, Grundrechte 4 Rn. 124; Hermes, NJW 1990, S. 1764 (1766); Hager, JZ 1994, S. 373 (374 ff.); Oeter, AöR 119 (1994), S. 529 (534 ff., 542 ff.); Pietzcker, FS Dürig, S. 345 (349); Heun, Schranken, S. 56 f.; J. Ipsen, Staatsrecht II 8 , Rn. 58 f.; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 485, 519; wohl auch Stern, in: Stern /Sachs, Staatsrecht IH/1, S. 1551; Dreier, in: Dreier I 2 , Vorb. Rn. 99; Rujfert, Vorrang, S. 139 ff.; ferner Murswiek, in: Sachs3, Art. 2 Rn. 37a, und Isensee, FS Großfeld, S. 485 (491, 499 ff.), die sogar der Anwendung der Schutzpflichtfunktion skeptisch gegenüber stehen. 698 Mitunter wird suggeriert, dass das Ganze nur ein Problem der Grundrechtsbindung des Zivilrichters und nicht auch der des Privatrechtsgesetzgebers sei, der ohne Einschränkung auch an die Abwehrgehalte der Grundrechte gebunden sein soll. Eine solche Differenzierung zwischen Zivilrichter und Zivilrechtsgesetzgeber würde jedoch die Modifikationen der Grundrechtsbindung des Zivilrichters wirkungslos machen. Denn über die Gesetzesbindung des Zivilrichters (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung würde die volle Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers auf den Zivilrichter durchschlagen (in diesem Sinne zu Recht Schwabe, Drittwirkung, S. 90 ff.).

6" Vgl. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 176 ff. 700 So Eckhold-Schmidt, Legitimation, S. 79 ff.; Reuter, Kindesgrundrechte, S. 75 f.; Rupp, Verfassungsrecht, S. 187 (199 f.); Oldiges, FS Friauf, S. 281 (284); Windel, Der Staat 37 (1998), S. 385 (387 f.); Stern, in: Stern/Sachs, Staatsrecht III/1, S. 1551; v. Münch, in: v. Münch/Kunig I 5 , Vorb. Art. 1 - 1 9 Rn. 33; Bleckmann, Grundrechte 4, § 10 Rn. 83; Bettermann, Hypertrophie, S. 49 (53 f.); im Hinblick auf Ansprüche, die auf privatautonomer Gestaltung beruhen, auch Canaris, AcP 184 (1984), S. 201 (217 ff.); Isensee, FS Großfeld,

172

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

nicht gewollt und würde zu untragbaren Ergebnissen, insbesondere i m Hinblick auf die Privatautonomie, führen. Diese teleologische Reduktion der Abwehrgehalte der Grundrechte hinsichtlich staatlicher auf private Rechtsverhältnisse einwirkender Maßnahmen ist auch bei Art. 14 Abs. 1 GG anerkannt. 7 0 4 Eine Übertragung dieser Argumente auf die grundrechtliche Beurteilung der zum Eigentumsverlust führenden Maßnahmen des Gerichtsvollziehers liegt nahe.705 Zum einen kann auf diese Weise sichergestellt werden, dass das Anliegen, das durch eine teleologische Reduktion der grundrechtlichen Abwehrgehalte in Bezug auf den privatrechtlichen Anspruch und das zivilgerichtliche Urteil verfolgt wird, nicht auf der Ebene der Vollstreckung wieder ausgehebelt w i r d . 7 0 6 Z u m anderen ist das Verhältnis zwischen Gerichtsvollzieher und Vollstreckungsschuldner selbst auf ähnliche Weise in eine Dreiecksbeziehung, in der sich auch zwei Private gegenüberstehen, eingebettet wie das Verhältnis zwischen Privatrechtsgesetzgeber und Schuldner bzw. Zivilrichter und Beklagten. Der Staat i n Gestalt des Gerichtsvollziehers wird gewissermaßen nur als „neutraler D r i t t e r " 7 0 7 wegen der von ihm verbotenen privaten Selbsthilfe 7 0 8 zur Regulierung eines Streits zwischen Privaten S. 485 (490 ff.). Zumindest fragend Murswiek, Risiken, S. 92 ff.; Heun, Schranken, S. 57. Vgl. auch Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1 (11). 701 So insbesondere Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 3 I Rn. 506; ferner Canaris, AcP 184 (1984), S. 201 (219) für vertragliche Ansprüche. 702 Die thematisierten Konstellationen (Anspruch, Leistungsurteil) decken den Bereich der Drittwirkungsdiskussion nicht vollständig ab. Unter dem Stichwort „Drittwirkung" wird vielmehr auch die Frage aufgeworfen, ob und wie ein Privater in seinen Grundrechten verletzt sein kann, wenn ihm gerade kein zivilrechtlicher Anspruch gegen einen anderen Privaten, der ihn in einem seiner grundrechtlich geschützten Güter beeinträchtigt, zusteht bzw. ihm ein entsprechendes Leistungsurteil verweigert wird. Vgl. dazu unten S. 175 Fn. 722. ™3 Canaris, JZ 1987, S. 993 (993); ders., Grundrechte, S. 11; Schwabe, Drittwirkung, S. 146 f. 7 ö//en einer bestimmten öffentlichen Aufgabe meinen, während man die Frage, ob der Eigentumsentzug das gesteckte Ziel auch tatsächlich erreicht, ausschließlich als Frage der Zulässigkeitsvoraussetzung „ z u m Wohle der Allgemeinheit" ansieht. 9 0 5 A u f diese Weise reserviert man zwar dem

903 in diesem Sinne auch Schwabe, FS Thieme, S. 251 (260 ff.); Sieckmann, Modelle, S. 311; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 270; Marotzke, NJW 1978, S. 133 (134); Breuer, Bodennutzung, S. 282 f.; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 530; Lege, Zwangskontrakt, S. 75, der deshalb an sich für das begriffliche Vorliegen der Enteignung nur fordert, dass die Verwirklichung eines konkreten Projekt, nicht jedoch notwendig eines Gemeinwohlprojekts bezweckt sein müsse. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass auch er die Art der öffentlichen Aufgabe, die mit dem Projekt erfüllt werden soll, bereits auf der Ebene des Enteignungsbegriffs berücksichtigt, indem er die Enteignung als „marktinternes Zwangsgeschäft" definiert (a. a. O. S. 73), das dadurch gekennzeichnet sei, dass der Staat nicht als Marktveranstalter, sondern als von einem Sonderzugriffsrecht Gebrauch machender Nachfrager eines Gutes auftritt (a. a. O. S. 73 ff.), und bestimmte öffentliche Aufgaben wie Gefahrenabwehr oder Zwangsvollstreckung zu solchen des Marktveranstalters erklärt (a. a. O. S. 73 f.). 904 Vgl. zum Wohl der Allgemeinheit oben S. 41 f.; zum „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgabe" oben S. 187 ff. Vgl. zur Doppelfunktion des Enteignungszwecks als Begriffs- und als Zulässigkeitsmerkmal ferner BVerfGE 66, 248 (257): „Das Opfer, das der Enteignete zu bringen hat, wird allein dadurch gerechtfertigt, dass sein Eigentumsobjekt zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben benötigt wird. Der Zugriff ist nur dann zulässig, wenn er einem besonderen im öffentlichen Nutzen liegenden Zweck dient" (Hervorhebungen F.R.); BVerfG-K, NJW 1999, S. 1176 (1176): „Nach Art. 14 ΠΙ 1 GG ist eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Die Enteignung ist damit ihrer Funktion nach ein Mittel zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben. Sie muss (Hervorhebung F.R.) mit dem erklärten Ziel erfolgen, das Eigentumsobjekt für eine konkrete, dem Wohl der Allgemeinheit dienende Aufgabe zu gebrauchen"; Böhmer, SV, BVerfGE 56, 266 (272): „Die jeweilige Legitimation ist ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Abgrenzung der Enteignung von anderen Eigentumseingriffen ...", der dann wenig später und anderer Stelle freilich schreibt: „Der Zweck der Enteignung ist kein Bestandteil des Enteignungsbegriffs, sondern betrifft die Zulässigkeit der Enteignung" (Böhmer, Der Staat 24 [1985], S. 157 [185 Fn. 83]; siehe auch schon oben Fn. 901). 905 So Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 53; Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (239 mit Fn. 143), Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 152; ähnlich Maurer-Appel, NordÖR 2002, S. 50 (53). Zunichte gemacht wird diese feine Differenzierung freilich durch BVerfG-K, NJW 1999, S. 1176 (1176), wo auch schon das Erfüllenwollen dem Zulässigkeitsmerkmal „zum Wohle der Allgemeinheit" zugeschlagen wird.

14*

1

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

„zum Wohle der Allgemeinheit" einen eigenen Anwendungsbereich als Zulässigkeitsvoraussetzung der Enteignung und vermeidet einen eklatanten Widerspruch zum Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG. Doch, dass Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG dem rein subjektiv verstandenen Begriffsmerkmal „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" nicht zwingend entgegensteht, heißt noch nicht automatisch, dass er ein Argument für dieses Begriffsmerkmal ist. 9 0 6 Ganz im Gegenteil. Gerade aus der Tatsache, dass Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG Enteignungen nur zulässt, wenn sie „zum Wohle der Allgemeinheit" sind, folgern zu wollen, dass Enteignungen begrifflich bereits mit dem Vorsatz geschehen, dem Wohle der Allgemeinheit zu dienen, ist ein wenig so, als ob man aus der Tatsache, dass Feuer mit Wasser gelöscht werden kann, folgern wollte, dass Feuer von vornherein schon ein bisschen nass sein müsse. Aus dem Entschädigungsgebot des Art. 14 Abs. 3 Satz 2, 3 GG ergibt sich kein weiteres formales Begriffsmerkmal der Enteignung. Vielmehr legt die Tatsache, dass eine Enteignung offenbar immer ein entschädigungswürdiger Vorgang ist, eher ein materielles Begriffsmerkmal als ein formales nahe. Aus der Junktimklausel, also dem Gebot, jede Enteignungsnorm mit einer Entschädigungsregelung zu versehen (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG), 9 0 7 und auch aus Art. 14 Abs. 3 Satz 4 G G 9 0 8 mag man zwar ableiten können, dass der Enteignungsbegriff nicht jede entschädigungswürdige - gegebenenfalls gar nicht vorhersehbare - Belastung des Eigentümers erfassen kann. Doch damit weiß man zunächst nur, dass er nicht rein materiell sein kann, also auch formale, handlungsbezogene Merkmale enthalten muss. Man weiß jedoch noch nicht, welchen Inhalt diese Merkmale haben und wie viele es sind, geschweige denn, ob darunter ein Merkmal ist, dass etwas mit der „Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" zu tun hat. Schon gar nicht weiß man, wie diese formalen Merkmale die Entschädigungswürdigkeit der Enteignung garantieren sollen. Dazu ist man auf die oben stehenden, wie wir gesehen haben, insoweit unergiebigen grammatikalischen und systematischen Anhaltspunkte angewiesen oder auf sogleich zu erörternde teleologische oder historische.

cc) Das Scheitern teleologischer Ansätze Auch die Versuche, über den Zweck, die „Funktion" oder das „Wesen" der Enteignung eine Definition derselben zu entwickeln, die einerseits formal ist, andererseits aber doch die Entschädigungswürdigkeit des Entzugs garantiert, müssen als gescheitert betrachtet werden.

906 So i. Erg. auch Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 112, der noch darauf hinweist, dass es aus Sicht des Grundrechtsträgers völlig unerheblich ist, welchen Zweck der Eigentumsentzug verfolgt. In diesem Sinne auch schon Dürig, JZ 1954, S. 4 (9 f.). 907 Dazu oben S. 53 f.; ferner unten S. 242 ff. 908 Dazu näher unten S. 266.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

(1) Zwangskauf (Rittstie g ) /Zwangskontrakt

1

(Lege )

Manche sehen in der Enteignung eine Art Zwangskauf 909 bzw. Zwangskontrakt 910 . Auf den ersten Blick scheint diese Charakterisierung den oben geschilderten Erfordernissen durchaus gerecht zu werden. Zum einen ist wie bei der Enteignung, die stets zu entschädigen (oder zu unterlassen) ist, auch beim Kauf stets eine Gegenleistung zu erbringen, nämlich der Kaufpreis zu zahlen. Zum anderen ist das Vorliegen eines Kaufes - so wie es auch bei der Enteignung angestrebt wird allein anhand formaler Kriterien feststellbar, nämlich der Einigung von Käufer und Verkäufer über den Austausch der Leistungen. Jedoch: Genau an diesem formalen Element, der Einigung, fehlt es bei der Enteignung.911 Sie ist eben kein wirklicher Kauf, sondern ein Zwangskauf. Damit ist die Zwangskauf-Sichtweise zunächst wieder bei der Ausgangsfrage angelangt: Welches formale Kriterium garantiert bei der Enteignung die Entschädigungswürdigkeit des Eigentumsentzugs? Im die Einigung ersetzenden „Zwang" kann es nicht liegen. „ Z w a n g " ist zwar „formal" bzw. „handlungsbezogen", er garantiert aber nicht die Entschädigungswürdigkeit. Andernfalls wäre jeder klassische Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG entschädigungswürdig. Auch die in der in der gesetzlichen Entschädigungsregelung erkennbare „Kaufabsicht" 912 des Staates ist kein Garant für die EntschädigungsWürdigkeit der Enteignung. 913 Denn die Entschädigungsregelung ist ein Erfordernis, das die Verfassung an die Enteignung stellt, also nichts, was der Enteignung schon von vornherein innewohnen kann. Zudem wäre wegen der Möglichkeit der Statuierung von 909 So Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 193; ein wenig auch Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 525. 910 So Lege, Zwangskontrakt, S. 73 ff. 911 So auch Hösch, Eigentum, S. 220. Das war übrigens auch ein Hauptkritikpunkt der Gegner der Zwangskauftheorie bei der klassischen Enteignung, vgl. Laband, AcP 52 (1869), S. 151 (171 f.); W. Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 408; Gierke, Privatrecht II, S. 470. 912 Lege, Zwangskontrakt, S. 78; vgl. auch S. 76: Ziel müsse ein „ 7a«sc/z(-geschäft)" sein. Letztlich bleibt aber unklar, woran er die Kauf- bzw. Tauschabsicht festmachen will, denn auf S. 69 sagt er, der „Zwangskontrakt" müsse nicht begriffsnotwendig entgeltlich sein. 913 Zumindest prima facie auf die Entschädigungsregelung abstellend aber Kleinlein, DVB1. 1991, S. 365 (370 f.), der eine gesetzliche Entschädigungsregelung als Merkmal des verfassungsrechtlichen Enteignungsbegriff bezeichnet, und Böhmer, Der Staat 24 (1985), S. 157 (196), der sagt: „Sieht der Gesetzgeber von einer Entschädigungsregelung ab, so bringt er für den Bürger, die Exekutive und die Gerichte verbindlich (!) zum Ausdruck , dass es sich bei der erlassenen Vorschrift nicht um eine zu Enteignungen ermächtigende Norm handeln und sie auch nicht in dieser Weise angewendet werden soll." Allerdings relativiert Böhmer diese Aussage wieder, indem er es für möglich hält, dass „der Gesetzgeber unter dem Etikett einer Regelung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG - bewusst oder in Verkennung der Rechtslage - in Wahrheit eine Enteignungsnorm nach Art. 14 Abs. 3 geschaffen ... hat, ..." (Böhmer, Der Staat 24 [1985], S. 157 [196]), was voraussetzt, dass er gerade nicht durch Weglassen einer Entschädigungsregelung verbindlich über den Enteignungscharakter einer Norm entscheiden kann.

1

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Entschädigungsansprüchen in Normen im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG das Vorliegen einer Entschädigungsregelung auch kein treffsicheres Begriffsmerkmal. Man müsste gewissermaßen verlangen, dass der Gesetzgeber die Entschädigung als Enteignungsentschädigung bezeichnet. Doch dann wäre seine Bindung an Art. 14 Abs. 3 GG eine reine Frage des gesetzgeberischen Ermessens, was nichts anderes hieße, als dass es insoweit keine Verfassungsbindung des Gesetzgebers gäbe - ein mit Art. 1 Abs. 3 GG nicht in Einklang zu bringendes Ergebnis. 914 Lege bezeichnet die Enteignung als marktinternes Zwangsgeschäft, bei dem eine Eigentumsposition aufgrund eines Sonderzugriffsrechts auf der Nachfrageseite des Marktes beschafft wird. 9 1 5 Er will eine Enteignung folglich dann bejahen, wenn der das Eigentum entziehende Staat sich nicht in der Rolle des Marktveranstalters, sondern der eines Marktteilnehmers befindet. 916 Das Problem hierbei ist, dass man einen Marktteilnehmer normalerweise daran erkennt, dass er sich der Mittel des Marktes, also insbesondere des Vertrages bedient. Gerade das ist bei der Enteignung aber nicht der Fall. Der Staat setzt bei der Enteignung hoheitlichen Zwang ein, also genau das Mittel, dessen er sich auch als Marktveranstalter bedient. 917 Woran soll man dann aber erkennen, ob er als „an sich" normaler Marktteilnehmer, der „nur" mit einem Sonderzugriffsrecht ausgestattet ist, auftritt oder aber als Marktveranstalter, der aufgrund eines „normalen" Zugriffsrechts konkretes Eigentum entzieht? Lege will dieses Problem dadurch lösen, dass er zunächst bestimmte Aufgabenbereiche wie Gefahrenabwehr, Strafrechtspflege oder Zwangsvollstreckung von vornherein zu solchen des Marktveranstalters erklärt. Zur Erfüllung solcher Aufgaben geschehende Eigentumsentziehungen können damit per se keine Enteignungen sein. 918 Im Übrigen stellt er darauf ab, ob „es sich um einen Vorgang handelt, der normalerweise nur durch Rechtsgeschäft zu regeln ist, nicht also durch einseitigen Rechtsakt geregelt werden darf." 919 Offen bleibt allerdings zum einen, weshalb Gefahrenabwehr, Zwangsvollstreckung und Strafrechtspflege Aufgaben des Marktveranstalters sein sollen, nicht aber ζ. B. die für die Enteignung typische Bereitstellung einer Verkehrsinfrastruktur durch den Bau von Straßen. 920 Zum anderen fragt sich, wer oder was festlegt, ob ein Vorgang „normalerweise" durch Rechtsgeschäft zu regeln ist, nicht aber durch einseitigen Rechtsakt. 914 So auch Rozek, Unterscheidung, S. 191 ff., insb. S. 196 ff.; vgl. auch Haas, NVwZ 2002, S. 272 (273), die klarstellt, dass dem Willen des Gesetzgebers keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. 915 Vgl. Lege, Zwangskontrakt, S. 73. 916 Vgl. Lege, Zwangskontrakt, S. 73 ff. 917 Ähnlich auch Rozek, Unterscheidung, S. 229; Hösch, Eigentum, S. 220. 918 Vgl. Lege, Zwangskontrakt, S. 73 f. 919 Lege, Zwangskontrakt, S. 74, 76. 920 Ahnlich auch die Kritik von Sieckmann, Modelle, S. 332. Zu einem möglichen Erklärungsversuch (rechtsstaatliche Aufgaben/sozialstaatliche Aufgaben) vgl. oben S. 195 ff.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

1

Die Formulierungen Leges („zu regeln ist", „geregelt werden darf 4 ) legen nahe, dass es für die Frage, was der „normale" Weg ist, auf die Rechtsordnung ankommt. Das ist problematisch, weil Zugriffsrechte des Staates selbst Teil der Rechtsordnung sind. Sie entscheiden daher über die Frage, ob die Rechtsordnung „normalerweise" für den fraglichen Vorgang ein Rechtsgeschäft fordert, mit. Um zu entscheiden, ob sie am „Normalzustand" etwas ändern, müsste man bereits wissen, ob es sich „nur" um ein die grundsätzliche Regel nicht antastendes Sonderzugriffsrecht handelt oder nicht. Das ist aber gerade die Frage, die man mit Hilfe des Kriteriums „normalerweise ein Rechtsgeschäft erforderlich" beantworten möchte. Ganz abgesehen davon fragt sich, ob es angesichts der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers nicht bedenklich ist, die Frage, ob etwas Enteignung ist oder nicht, davon abhängig zu machen, wie sich ein vom Gesetzgeber geschaffenes Zugriffsrecht zu einer wiederum vom Gesetzgeber selbst aufgestellten Grundregel verhält. Das gilt umso mehr, als dem Begriff „Enteignung" in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG - anders als dem Begriff „Eigentum" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG - kein Inhaltsbestimmungsvorbehalt für den Gesetzgeber zur Seite gestellt wird. Man könnte die Formulierung, dass es sich um einen Vorgang handeln müsse, der normalerweise nicht durch einseitigen Rechtsakt geregelt werden darf, sondern nur durch Rechtsgeschäft, aber auch so verstehen bzw. dahin gehend modifizieren, dass nicht maßgebend ist, was der Staat „normalerweise" darf, sondern, was ein Privater, der den gleichen Zweck verfolgt und dem wirklich nur die Mittel des Kaufs und des Tauschs zur Verfügung stehen, zu tun bereit wäre. Würde er den Abschluss eines Kaufvertrages oder eines Tausches in Betracht ziehen, dann befände sich der den gleichen Zweck verfolgende einseitig das Eigentum entziehende Staat in der Rolle des Marktteilnehmers, machte folglich von einem Sonderzugriffsrecht Gebrauch, enteignete also. Würde ein Privater hingegen die Anbahnung eines Kaufes oder Tausches nicht in Erwägung ziehen, entweder weil Private den fraglichen Zweck ohnehin nicht verfolgen oder weil ein Kaufen oder Tauschen für die Förderung des Zwecks nicht förderlich wäre, befände sich der den gleichen Zweck verfolgende einseitig das Eigentum entziehende Staat nicht in der Rolle des Marktteilnehmers und sein Zugriff hätte keinen enteignenden Charakter. Mit dieser Formel ließen sich in der Tat sowohl der Enteignungscharakter der typischen /klassischen Enteignungsfälle (ζ. B. Eigentumsentzug zum Bau von Straßen oder Eisenbahnen) erklären als auch der fehlende Enteignungscharakter der typischen Nichtenteignungsfälle (Reformgesetz, Flurbereinigung, Gefahrenabwehr, strafrechtliche Einziehung, Zwangsvollstreckung). Denn es ist vorstellbar, dass ein Privater eine Straße oder eine Eisenbahnlinie baut - einer der typischen Gründe für eine Enteignung - und dass er das hierzu erforderliche Land käuflich erwirbt. Folglich handelt der Staat als „Marktteilnehmer", wenn er für den gleichen Zweck Eigentum einseitig entzieht. Beim Reformgesetz und bei der normalen Flurbereinigung hingegen werden Zwecke verfolgt, die Private von vornherein nicht verfolgen. Eine Umgestaltung der Rechtsordnung (Reformgesetz) ist durch

1

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

einen einzelnen Privaten nicht denkbar. Die Ermöglichung einer wirtschaftlich effektiveren Nutzung einer bestimmten mehrere Grundstücke umfassenden Fläche (Umlegung) 921 ist für ihn nicht interessant. Auf jeden Fall würde er aber - als sich rational verhaltendes Wirtschaftssubjekt - nicht bereit sein, zur Verfolgung dieses Zweckes Grundstücke käuflich zu erwerben. Letzteres trifft auch auf die Gefahrenabwehr, die Bestrafung und die Zwangsvollstreckung zu. Es ist durchaus denkbar wenn in unserer durch das staatliche Gewaltmonopol gekennzeichneten Rechtsordnung auch zur Zeit überwiegend nicht vorgesehen - , dass ein Privater Gefahren abwehrt (ζ. B. im Wege der Nothilfe oder Notwehr), dass er andere, die ihn in seinen Rechtsgütern verletzt haben, selbst bestraft oder dass er selbst zwangsweise seine Forderungen durchsetzt. Jedoch wird für ihn zur Verfolgung dieser Zwecke nie ein käuflicher Erwerb von Eigentum in Betracht kommen. Die Zwangsvollstreckung oder die Bestrafung würden regelrecht sinnlos werden, wenn vom Schuldner oder vom Straftäter die zu verwertende oder einzuziehende Sache vorher käuflich erworben würde. Und auch zur Abwehr einer von einer gefährlichen Sache ausgehenden Gefahr wird niemand zum Kauf der Sache bereit sein. Obwohl sich also mit einer so verstandenen Zwangskaufsichtweise die Entschädigungswürdigkeit der meisten typischen Fälle der Enteignung einleuchtend auf „formalem" Wege begründen lässt, bleibt doch zweifelhaft, ob das Kriterium der grundsätzlichen Zahlungsbereitschaft eines sich in einer vergleichbaren Situation befindenden Privaten durchgängig die Entschädigungswürdigkeit jeder Enteignung erklären kann. So sind (teilweise) Eigentumsentziehungen denkbar, die zwar Zwecke verfolgen, die auch Private verfolgen und für deren Verfolgung sie den käuflichen Erwerb von Eigentum prinzipiell in Betracht ziehen würden, bei denen der Rechtsverlust des Eigentümers aber so wenig spürbar ist, dass - zumindest wenn der Staat zur Verfolgung gemeinnütziger Zwecke das Eigentum entzieht 922 sie nicht entschädigungswürdig erscheinen. Man stelle sich ζ. B. ein Gesetz vor, dass es einer Behörde erlaubt, ein Grundstück mit einer Dienstbarkeit zu belasten - ein klassischer Fall des Teilentzugs923 - , um die unterirdische Durchführung einer relativ dünnen Leitung zu ermöglichen. 924 Grundsätzlich mag man zwar auch 921 Zu den Zwecken der Regelflurbereinigung und Baulandumlegung vgl. oben S. 197 Fn. 829. 922 Dass dies ein ausschlaggebender Gesichtspunkt für die Frage der Entschädigungswürdigkeit sein kann, wird - in einem nichtenteignenden Kontext - auch in BVerfG-KNJW 2003, S. 196 (198) angedeutet. 923 Vgl. zur Begründung einer Dienstbarkeit als Erscheinungsform der klassischen Enteignung O. Mayer, VwR II 3 , S. 21; Grünhut, Enteignungsrecht, S. 1; Gierke, Privatrecht II, S. 465; W. Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 402 f.; Koffka, PrEntG 2, § 1 N. 7, S. 30. Falsch ist daher die Einschätzung von Kraft, BayVBl. 1994, S. 97 (102), hier werde der Bereich der klassischen Enteignung verlassen. Auch heute sieht die h.M. in der Auferlegung einer Dienstbarkeit einen Teilentzug i. S. der Enteignungsdefinition (vgl. BVerfGE 45, 297 [338]; 56, 249 [260]; BVerwGE 117, 138 [139]; BGHZ 120, 38 [42]; Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 47; ders., FS Dürig, S. 293 [304]; Ehlers, VVDStRL 51 [1992], S. 211 [236]; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 79; Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 190; Hendler, FS Maurer, S. 127 [129]).

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

17

hier die Entschädigungswürdigkeit bejahen können, nicht jedoch, wenn ζ. B. das zu belastende Grundstück ohnehin schon als öffentlicher Weg g e w i d m e t 9 2 5 w a r . 9 2 6 Verneinen kann man die Rolle des Marktteilnehmers i n einer solchen Konstellation nur dann, wenn man sagt, ein Gebrauchmachen vom Mittel des Kaufes komme deshalb nicht in Betracht, weil das Erbringen einer Gegenleistung den Umständen nach nicht angemessen sei, so dass ein vernünftiger Marktteilnehmer zwar prinzipiell zahlungsbereit wäre, hier aber von einer Teilnahme am Markt absehen würde. Die Frage nach der „Angemessenheit" einer Gegenleistung wäre aber nichts anderes als die verdeckte Prüfung der Entschädigungswürdigkeit des Eigentumsentzugs. Das Ziel einer rein formalen Bestimmung des Enteignungsbegriffs wäre damit verfehlt. Betrachtet man die historischen Wurzeln des Zwangskaufmodells, 9 2 7 so muss man ohnehin feststellen, dass es nicht dazu diente, Kriterien dafür zu liefern, unter welchen Umständen der Gesetzgeber einen bestimmten Eigentumsentzug als entschädigungspflichtige Enteignung auszugestalten hat. Vielmehr diente es dazu, die gesetzlich bereits vorhandene Entschädigungspflicht als zivilrechtlichen Anspruch des Bürgers gegen den Fiskus erfassen zu können. Da der Staat nämlich nicht i n seiner Eigenschaft als Hoheitsträger, sondern nur i n seiner Eigenschaft als Fiskus, 924

Ein Beispiel hierfür wäre die Verlegung von Telekommunikationsleitungen, wenn dies rechtlich - wie bei der Verlegung von Energieversorgungsleitungen (vgl. dazu BVerwGE 117, 138 ff.) - durch die Belastung mit einer Dienstbarkeit bewerkstelligt würde und nicht, wie in § 57 Abs. 1 TKG a.F. bzw. § 76 Abs. 1 TKG n.F. vorgesehen, über eine „bloße" Duldungspflicht, die nach h.M. für die Bejahung eines für das Vorhegen einer Enteignung erforderlichen Teilentzugs nicht ausreicht (vgl. zu letzterem die Nachweise oben S. 208 Fn. 883; vgl. speziell im Hinblick auf § 57 Abs. 1 TKG a.F. BVerfG-K, NJW 2000, S. 798 [799]; 2001, S. 2960 [2961]; 2003, S. 196 [197]; Schütz, in: Büchner, TKG 2 , § 57 Rn. 44; Ulmen, in: Scheurle/Mayen, TKG, § 57 Rn. 20 f.). Im Hinblick auf die Entschädigungswürdigkeit sind aber beide Wege - Dienstbarkeit und Duldungspflicht - miteinander vergleichbar, so dass man insoweit aus letzterem Rückschlüsse auf ersteren ziehen kann. 925 Hierdurch geht das Privateigentum am Grundstück nicht unter (vgl. Herber, in: Kodal/ Krämer 6, Kap. 7, Rn. 4; Ulmen, in: Scheurle/Mayen, TKG, § 50 Rn. 34). 926 Vgl. d i e insoweit verfassungsrechtlich nicht beanstandete Parallelwertung in § 57 Abs. 2 Satz 1 TKG a.F. bzw. § 76 Abs. 2 Satz 1 TKG n.F. Auch beim Ausgleichanspruch nach § 57 Abs. 2 Satz 2 TGK ist zumindest umstritten, ob die dort statuierte durchgängige Entschädigungspflicht verfassungsrechtlich geboten ist (verneinend: Ulmen, in: Scheurle/ Mayen, TKG, § 57 Rn. 18; bejahend BVerfG-K, NJW 2003, S. 196 [198], das freilich entscheidend darauf abstellt, dass „der aus der Nutzung der betroffenen Grundstücksflächen zur kommerziellen Telekommunikation erzielte Ertrag nicht vorrangig der Allgemeinheit, sondern den Inhabern des Leitungsrechts zugute kommt." D. h., es sind auch nach Ansicht des BVerfG prinzipiell Umstände denkbar, in denen die Unentgeltlichkeit gerechtfertigt werden könnte). Ein weiterer - ebenfalls als Dienstbarkeitsfall denkbarer - Parallelfall könnte Art. 24 Abs. 2 Satz 3 BayGemO sein: Durch eine Satzung (staatlicher Hoheitsakt) wird der Eigentümer verpflichtet, die Verlegung einer Versorgungsleitung zu dulden (Entzug des Anspruchs aus § 1004 BGB). Eine Enteignung wird hier sogar von Kraft, BayVBl. 1994, S. 97 (105), und Hösch, Eigentum, S. 227 f. (der die damit an sich fällige Entschädigung aber im Wege der Vorteilsausgleichung auf Null reduzieren möchte) bejaht. 9

27 Vgl. oben S. 165 Fn. 676.

18

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

als juristische Person des Privatrechts, verklagt werden konnte, 928 konstruierten viele Enteignungsgesetze und ihnen folgend die Rechtswissenschaft die Enteignung als Zwangskauf. 929 Damit wurde der aus dem jeweiligen Enteignungsgesetz folgende Anspruch auf Enteignungsentschädigung zum zivilrechtlichen Kaufpreisanspruch und seine gerichtliche Durchsetzung möglich. 930 (2) Durchbrechung der einfachrechtlichen (BVerwG, Rozek) 931

Eigentumsordnung

Noch weniger als der Gedanke des Zwangskaufs oder Zwangskontrakts vermag der - terminologisch ebenfalls mit der klassischen Enteignung verbundene 932 Gedanke, dass die Enteignung ein Instrument zur Durchbrechung der einfachrechtlichen Eigentumsordnung ist, ein formales Begriffsmerkmal der Enteignung zu begründen, das die Gewähr dafür bietet, dass nur entschädigungswürdige Eigentumsentziehungen Enteignung sind. Zum einen wurde bereits oben 933 gezeigt, dass dieses Konzept durchgängig ohnehin nur funktioniert, wenn man dem hier vertretenen Eigentumsverständnis folgt und zum Inhalt des Eigentums nur die sich auf ein vermögenswertes Gut beziehende Rechtsmacht des Inhabers über andere Private und die sich hierauf beziehende Verfügungsmacht rechnet. Auch dann taugt es aber nur zur Abgrenzung der Inhaltsbestimmung des Eigentums von Enteignungsnormen, nicht jedoch 928 Vgl. zur Fiskustheorie O. Mayer, VwR I 3 , S. 49 ff., insb. S. 51. 929 Vgl. oben S. 165 Fn. 676. Als der Gesetzgeber die Enteignung nicht mehr als Zwangskauf konstruierte, nahmen auch Lehre und Rspr. wieder davon Abstand, vgl. Meyer, FG Bekker, S. 110 (124 ff.); RGZ 61,102 (104 ff.). 930 Vgl. O. Mayer, VwR I 3 , S. 52 f. mit Fn. 27; Böhmer, Der Staat 24 (1985), S. 157 (172 ff.). Das erklärt auch, weshalb Laband, AcP 52 (1869), S. 151 (169 ff., 179 f.), der sich ansonsten vehement gegen die zivilrechtliche Konstruktion der Enteignung wendet, was den Entschädigungsanspruch angeht, an ihr festhält. - Vgl. auch O. Mayer, VwR II 3 , S. 23 mit Fn. 1, der generell auf den niedrigen Entwicklungsstand des erst in den Kinderschuhen steckenden öffentlichen Rechts im Polizeistaat hinweist und die sich daraus ergebende Notwendigkeit des Rückgriffs auf das Zivilrecht zur Erklärung bestimmter Phänomene, wie ζ. B. den Eigentumsübergang auf den an sich nicht eigentumsfähigen Staat. 931 BVerwGE 94, 1 (5); Rozek, Unterscheidung, S. 212, 225 f., 246 f.; Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (238); Schmitt-Kammler, FS Wolf, S. 595 (598 f.); ders., NJW 1990, S. 2515 (2516 ff.); Burgi, NVwZ 1994, S. 527 (530); König, JA 2001, S. 345 (349). Die Charakterisierung als Instrument zur Durchbrechung der Rechtsstellungsgewährleistung bzw. Bestandsgarantie (Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 188; Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 260 f.; Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 76) weist von vornherein nicht über das Kriterium des Entzugs einer konkreten geschützten Rechtsposition hinaus, weshalb dann die Enteignung von Wendt a. a. O. auch als spezifische Durchbrechung der Rechtsstellungsgewährleistung bezeichnet wird. 932 Vgl. Scheicher, Rechtswirkungen, S. 2 Fn. 2; RGZ 26, 337 (340); rückblickend auch Kutscher, Enteignung, S. 45. 933 S. 142 ff.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

1

zur Abgrenzung der Enteignungsnorm von anderen Schrankenbestimmungen bzw. der Enteignung von anderen Eigentumseingriffen. Denn der Durchbrechungscharakter ist gerade das, was die Enteignung mit anderen Eigentumseingriffen gemein hat. Zum anderen wurde ebenfalls bereits oben 934 gezeigt, dass selbst in den Fällen, in denen die Enteignung auch bei Zugrundelegung des herrschenden weiten Eigentumsverständnisses als Durchbrechung der Eigentumsordnung bezeichnet werden kann, nämlich bei der Legalenteignung, verstanden als nur-förmliches, also nicht abstrakt-generelles, Gesetz, dies nichts mit dem Begriffsmerkmal „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" zu tun hat. An dem dort gewählten Beispiel, der strafrechtlichen Einziehung durch Einzelfallgesetz, zeigt sich auch, dass der „Durchbrechungscharakter" einer Maßnahme keineswegs ein Garant für deren Entschädigungswürdigkeit ist. Denn trotz aller Bedenken, die man gegen ein solches Gesetz sicherlich haben kann, ist kein Grund ersichtlich, weshalb eine Entschädigung des Straftäters für den Eigentumsentzug angemessen sein sollte. Wie wenig mit der Durchbrechungs- / Gestaltungs-rafto das Spagat zwischen Gewährleistung der Entschädigungswürdigkeit der Enteignung und einem rein formalen Enteignungsbegriff gelingt, zeigt sich auch daran, dass das Bundesverwaltungsgericht 935 zwar terminologisch auf dieses Konzept Bezug nimmt, sich dann aber doch gezwungen sieht, es mit materiellen Kriterien anzureichern. Es charakterisiert einerseits die Enteignung als „Durchbrechung der gesetzlichen Eigentumsordnung" und betont, dass zwischen dieser und Maßnahmen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG „verfassungssystematisch ein grundlegender Unterschied besteht." 936 Andererseits charakterisiert es dann aber Normen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG als „nach ihrem objektiven Sinn und Zweck auf eine situationsbedingte (Um-) Gestaltung der Eigentumsordnung" gerichtet. 937 Damit nimmt es nicht nur auf ein Kriterium, die Situationsbedingtheit, Bezug, das jahrzehntelang die Grundlage für eine materielle Abgrenzung von entschädigungspflichtiger Enteignung und entschädigungsloser Sozialbindung bildete. 938 Es interpretiert es auch noch nach wie vor in diesem materiellen Sinne. „Situationsbedingtheit" sei nämlich die Prägung eines Gegenstandes „durch seine Lage und Beschaffenheit sowie Einbettung in seine Umwelt", aus der sich „eine Art immanenter, d. h. dem [Gegenstand] selbst anhaftender Beschränkung der Eigentümer934 935 936 937

Vgl. S. 145. BVerwGE 94, 1 ff. vgl. BVerwGE 94,1 (5 f.). Vgl. BVerwGE 94, 1 (5), Hervorhebung F.R.

938 Vgl. zur „Situationsbedingtheit" als materielles Kriterium, das auch heute noch für die Abgrenzung von ausgleichspflichtiger und nicht ausgleichspflichtiger Inhaltsbestimmung herangezogen wird, auch BVerwGE 15, 1 ff.; 49, 365 (367 f.); 61, 295 (302); BGHZ 23, 30 (32 ff.); 48, 193 (196 f.); 60, 126 (130 ff.); 72, 211 (216 f.); 77, 351 (353 f.); 80, 111 (115 ff.); 87, 66 (71 f.); 90, 4 (14 f.); 99, 24 (31); 105, 15 (17 f.); 133, 271 (275 f.); MDR 1996, S. 912 (913); zusammenfassend Bartlsperger, DVB1. 2003, S. 1473 (1478 ff.).

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

befugnisse, die durch [Normen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG] lediglich nachgezeichnet wird", ergebe. 939 Damit ist es wieder in materielle Kriterien abgerutscht. 940 (3) Enteignung als Entzug selbständiger Eigentumsrechte (Sieckmann) Auch Sieckmanns Konzept, nach dem Enteignung der Entzug selbständiger Eigentumsrechte ist, 9 4 1 stellt - wenn auch verdeckt - letztlich auf materielle Kriterien ab. Mit ihm lässt sich also ebenfalls nicht das Anliegen einer rein formalen Abgrenzung verwirklichen. 942 Denn ein selbständiges Eigentumsrecht soll vorliegen, wenn die Kompetenz zur Aufhebung des Rechts nicht bereits zu dessen Inhalt gehöre. 943 Diese Frage sei durch eine verfasssungsorientierte Auslegung des einfachen Rechts zu beantworten. 944 Dabei streite die Funktion von Eigentumsrechten als Mittel eigenverantwortlicher Lebensgestaltung zwar grundsätzlich für die Selbständigkeit. Diese könne aber fehlen, wenn ein Recht mit gegenläufigen Interessen kollidiere und ein Ausgleich der kollidierenden Belange notwendig erscheine. 945 Als Kriterium für das „Notwendig-Erscheinen" eines Ausgleichs (mit der Folge fehlender Selbständigkeit des entzogenen Rechts und damit fehlenden Enteignungscharakters des Entzugs) wird insbesondere die Sozialpflichtigkeit des Eigentums genannt. Aus dieser könne sich ergeben, „dass der Eigentümer aufgrund sozialer 939

Vgl. BVerwGE 94, 1 (4 [Klammerzusatz F.R.). - Ein ähnliches ungewolltes Abrutschen in materielle Kriterien ist auch bei Külpmann, JuS 2000, S. 646 (648), zu beobachten. Er nutzt den Topos der Situationsgebundenheit einerseits zur Abgrenzung der Inhaltsbestimmung von der Enteignung und andererseits als Kriterium dafür, wann eine durch eine Inhaltsbestimmung dem Eigentümer auferlegte Belastung nicht mehr angemessen ist. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (238), räumt sogar freimütig ein, dass sich hinter seinem Kriterium der „Durchbrechung der Eigentumsordnung" ein materielles Kriterium, nämlich das Überschreiten der Sozialbindungsgrenze, verbirgt. 940 Ähnlich auch die Einschätzung von Pietzcker, JuS 1991, S. 369 (371), im Hinblick auf BVerwG, NJW 1990, S. 2572 (2574). Vgl. auch die Kritik von Schönfeld, BayVBl. 1996, S. 673 (674 f.), an der Verwendung des Topos der Situationsgebundenheit. In einem besseren Licht erscheint die Entscheidung dagegen bei Rozek, Unterscheidung, S. 212 ff. 941

Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 120. Es ist nicht ganz klar, ob Sieckmann einen rein formalen Enteignungsbegriff überhaupt anstrebt, da er einerseits zwar einen materiellen Enteignungsbegriff ablehnt (a. a. O. Rn. 124), andererseits aber auch die formalen Kriterien des bundesverfassungsgerichtlichen Modells und anderer Versuche einer formalen Abgrenzung (a. a. O. Rn. 117). Trotzdem kann man sich aber die Frage stellen, ob die Enteignungsdefinition Sieckmanns, da sie zumindest äußerlich formal ist, das gesuchte, die Entschädigungswürdigkeit sicherstellende, formale Kriterium - bewusst oder unbewusst - enthält. 942

943 944 945

Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 16. Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 59. Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 59.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

1

Pflichten gegenüber Dritten oder der Allgemeinheit bestimmte Eingriffe entschädigungslos hinnehmen muss, d. h. ihnen vernünftigerweise nicht widersprechen kann." 9 4 6 Damit verbirgt sich - in ähnlicher Weise wie bei der oben dargestellten Konzeption des Bundesverwaltungsgerichts - hinter dem äußerlich formalen Kriterium der „Selbständigkeit" nichts anderes als das materielle - eine Abwägung der widerstreitenden Interessen erfordernde - Kriterium der Entschädigungswürdigkeit. 9 4 7 Das gilt umso mehr, als Sieckmann im Kontext der Sozialpflichtigkeit ebenfalls auf Kriterien wie die „Situationsgebundenheit" verweist. 948 (4) Eigentum nicht per se sozialhinderlich

(Eschenbach)

Eschenbach sieht das entscheidende formale Merkmal der Enteignung neben dem Entzug einer Eigentumsposition darin, dass mit der Enteignung Gemeinwohlziele verfolgt werden, die nicht bereits mit dem Entzug der Rechtsposition als solchem erreicht seien, sondern erst durch einen sich an den Entzug anschließenden Verwertungs- oder Umsetzungsakt. Dieser könne sowohl in der Verwendung des Gutes als auch in der Nutzung des durch den Entzug freigewordenen Rechtsraumes liegen. 949 Diese Zweiaktigkeit folge aus der Art des Interessenkonflikts, für dessen Lösung die Enteignung gedacht sei: Der Gesetzgeber verfolge bei der Enteignung einen Gemeinwohlbelang, dem die bestehende Eigentumsordnung zunächst indifferent gegenüber stehe. Denn die entzogene Eigentumsposition stehe bei der Enteignung an sich den verfolgten Gemeinwohlbelangen nicht feindlich gegenüber, sie sei nicht per se „sozialschädlich", sondern sie stehe ihnen nur in einer bestimmten Situation „im Wege". Demgegenüber gehe es bei Normen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG darum, einen gerechten Ausgleich zwischen den Rechtssphären der am Wirtschaftsleben Beteiligten und/ oder den Interessen der Allgemeinheit herbeizuführen. Dies erkenne man daran, dass bei Normen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG bereits mit dem Inkraft946

Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 123. Unabhängig davon, ob er überhaupt eine rein formale Abgrenzung anstrebt (vgl. dazu oben Fn. 942), wird seine Eigentumsdefinition jedenfalls seinen eigenen Maßstäben nicht gerecht. Denn das, was er sowohl dem materiellen Enteignungsbegriff als auch dem des BVerfG vorwirft, nämlich „in ein bloßes Abwägungsmodell zu kollabieren" (Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 125), passiert auch seiner eigenen Enteignungskonzeption. 947

948 Siehe Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 169 mit Fn. 584. Das verdeckte Abstellen auf materielle Kriterien zeigt sich auch in Sieckmanns Begründung für den fehlenden Enteignungscharakter von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Die Selbständigkeit des Eigentumsrechts fehle hier, weil der Eigentümer Verpflichtungen eingegangen sei, die einen Eingriff in seinen Rechtssphäre erforderten; die Anerkennung des Eigentumsrechts als eines der objektiven Rechtsordnung vorgegebenes Schutzgut wie Leben und Freiheit sei hier nicht gerechtfertigt (vgl. Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 122; ders., Modelle, S. 315). 949 Siehe Eschenbach, Schutz, S. 384 f.; ders., Jura 1997, S. 519 (521).

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

treten der Norm oder dem behördlichen Vollzugsakt das Spannungsverhältnis zwischen den Rechtssphären der Beteiligten gelöst sei. Demgegenüber sei das mit der Enteignung verfolgte Ziel erst durch einen weiteren zum Entzug hinzutretenden Verwertungs- oder Umsetzungsakt erreichbar. 950 Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass auch bei den Interessenkonflikten, die den Normen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zugrunde liegen, das Eigentum nicht immer per se sozialhinderlich ist. So kann man nicht sagen, dass das Eigentum einer effektiven Gefahrenabwehr, der Erhaltung von Denkmälern oder der Bestrafung von Straftätern - Konstellationen, in denen die herrschende Meinung das Vorliegen einer Enteignung verneint 951 - per se entgegensteht. Vielmehr ist es auch hier so, dass in bestimmten Situationen das Eigentum eines Einzelnen der Verwirklichung eines Gemeinwohlzieles, das „an sich" dem Eigentum indifferent gegenüber steht, „bloß" im Wege steht. Darüber hinaus hat das Kriterium des zum Entzug hinzutretenden zweiten Verwertungs- oder Umsetzungsaktes nicht genug Trennschärfe, insbesondere wenn man hierunter auch - wie Eschenbach - die Nutzung des durch den Entzug gewonnenen Freiheitsraumes durch den Staat oder Private subsumiert. So ist durch die Beschlagnahme eines tollwütigen Tieres - nach Eschenbach ein Fall der Nichtenteignung - noch keineswegs die Gefahr für die öffentliche Sicherheit gebannt, sondern erst durch dessen Tötung oder In-Quarantäne-Nehmen, also durch die „Nutzung" des durch die Zurückdrängung der sich auf das Gut beziehenden Rechtsmacht gewonnenen Freiheitsraums. Auch der Enteignungscharakter des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs ließe sich nicht verneinen. Denn die durch den Vollstreckungszugriff verfolgten Ziele (Befriedigung des Vollstreckungsgläubigers und die anderen damit zusammenhängenden) sind mit dem bloßen Entzug des Eigentums noch nicht erreicht. Vielmehr ist noch ein Verwendungsakt vonnöten, nämlich die Veräußerung der Rechtsposition, auf jeden Falle aber die Auskehrung des Erlöses an den Vollstreckungsgläubiger. 952 Auch die Art des dem Entzug zugrundeliegenden Interessenkonflikts ergibt also kein brauchbares formales Abgrenzungskriterium. dd) Das Problem des historischen Lösungsansatzes Ergeben sich also weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik oder aus Sinn und Zweck des Art. 14 Abs. 3 GG Abgrenzungskriterien, die einerseits formal 950 Siehe Eschenbach, Schutz, S. 380 ff.; ders. Jura 1997, S. 519 (521). 951 Siehe für die Gefahrenabwehr oben S. 190 Fn. 801 ; für den Denkmalschutz oben S. 190 Fn. 802; für die strafrechtlich Einziehung oben S. 191 Fn. 803. 952 Eschenbach deutet diese Probleme selbst an, wenn er (in Schutz, S. 384 Fn. 1442) sagt, dass die die Enteignung charakterisierende Zweiakügkeit nicht mit der auch bei Normen i. S. des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG anzutreffenden Unterscheidung von Vorziel und Fernziel zu verwechseln sei. Er sagt aber nicht, wie solche Verwechslungen vermieden werden können.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

sind, andererseits aber auch die Entschädigungswürdigkeit der Enteignung garantieren, bleibt nur zu fragen, durch welche formalen Kriterien Eigentumsentziehungen, bei denen man sicher sein kann, dass sie der Verfassungsgeber als Enteignung (und damit auch als entschädigungswürdig) eingestuft hat, gekennzeichnet sind. Darunter sind dann womöglich auch die gesuchten formalen Kriterien, die die Entschädigungswürdigkeit der Enteignung garantieren. In Frage kommt für ein solches Unterfangen eigentlich nur die sog. klassische Enteignung. Denn so vielen Wandlungen der Enteignungsbegriff auch unterworfen gewesen sein mag, immer ging man doch davon aus, dass die Konstellationen der klassischen Enteignung, die man mit Hilfe formaler Kriterien definierte, auf jeden Fall unter den neuen Enteignungsbegriff zu subsumieren seien. Die Frage war immer nur, ob und wie weit der Enteignungsbegriff über die Fälle der klassischen Enteignung hinaus zu erstrecken sei, nie, ob diese oder einige davon, aus dem Enteignungsbegriff auszugrenzen seien. Es ist so gesehen kein Zufall, dass man sich gerade von einem „Zurück zum klassischen Enteignungsbegriff 4953 bzw. einer „Orientierung ... am Bild der klassischen Enteignung" 954 für die Zwecke einer formalen, handlungsbezogenen Interpretation des Tatbestandsmerkmals „Enteignung" in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG viel verspricht und dass das Bundesverfassungsgerichts nunmehr auf diese Linie eingeschwenkt ist. Ob eine solche Rückbesinnung auf die klassische Enteignung freilich hält, was sie verspricht, ist noch zu klären. (1) Kein „Zurück zum klassischen Enteignungsbegriff"

als solchem

Von vornherein nicht tauglich für eine den o.g. Anforderungen entsprechende Konkretisierung des Enteignungsbegriffs in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG ist der sog. klassische Enteignungsbegriff als solcher. Zwar haben die Gesetze, aus denen er im Wege der Abstraktion 955 von der Rechtswissenschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts herausgefiltert wurde, durchaus eine dem Art. 14 Abs. 3 GG vergleichbare Struktur. Wie Art. 14 Abs. 3 GG lassen sie die Enteignung nur gegen Entschädigung zu und unterwerfen sie einer Zweckbindung. 956 So lautete ζ. Β. § 1 BadEntG v. 1899: „Das Eigenthum und sonstige Rechte an Grundstücken können im Wege der Enteignung nur für ein bestimmtes, dem öffentlichen Nutzen dienendes Unternehmen und nach vorgängiger Entschädigung entzogen oder beschränkt werden. " An sich läge es also nahe, dass auch der aus diesen Enteignungsgesetzen abstrahierte allgemeine Begriff der 953 Dürig, JZ 1954, S. 4 ff. 954 Osterloh, DVB1. 1991, S. 907 (911); vgl. ferner die Nachweise oben S. 188 Fn. 788. 955 Vgl. die Nachweise oben S. 48 Fn. 123. 956 Vgl. die oben S. 46 Fn. 115 genannten Normen. Die Ähnlichkeit wird noch größer, wenn man das „Wohl der Allgemeinheit" in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG i. S. der h.M. (vgl. dazu oben S. 41 ff.) auslegt.

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts Enteignung eine ähnliche Struktur wie das Tatbestandsmerkmal „Enteignung" in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG aufweist. Das Problem ist jedoch, dass der klassische Enteignungsbegriff sich gar nicht als Definition des i n den Enteignungsgesetzen enthaltenen Tatbestandsmerkmals „Enteignung" verstand. Vielmehr handelte es sich u m eine Definition einer bereits i m Einklang mit diesen Gesetzen stehenden Eigentumsentziehung, kurzum: einer rechtmäßigen Enteignung. Das ist zum einen daran zu erkennen, dass statt von „Enteignung" auch vom „Rechtsinstitute der Enteignung" 9 5 7 oder vom „Recht der Expropriation" 9 5 8 die Rede ist und dass diejenigen, die vom Begriff der Enteignung sprechen, ohne weiteres auf die verweisen, die vom „Rechtsinstitut" oder „Enteignungsrecht" sprechen. 9 5 9 Vor allem erkennt man es aber daran, dass sämtliche oder doch fast sämtliche Zulässigkeitsmerkmale der klassischen Enteignungsgesetze, nämlich fast immer das Unternehmenserfordernis und zum Teil auch das Entschädigungserfordernis, als Begriffsmerkmale der Enteignung auftauc h e n . 9 6 0 So umschreibt Walter Jellinek, von dem der Ausdruck klassische Enteignung s t a m m t 9 6 1 und auf dessen Definition sich wohl die meisten beziehen, wenn sie von „klassischer Enteignung" sprechen, diese „ als die Entziehung oder Belastung von Grundstücken oder dinglichen Rechten an ihnen, soweit die Maßnahme 957 So Layer, Principien, S. 5 ff., insb. S. 17. 958 Vgl. Meyer, Expropriation, S. 4: „Das Recht der Expropriation heisst demnach das Recht der Staatsgewalt einen Staatsangehörigen im öffentlichen Interesse und gegen Entschädigung zur Abtretung seines Eigenthums oder anderer ihm zugehöriger dinglicher Rechte zu zwingen." Ders., VwR I 2 , S. 280 definiert dann „Enteignung" als „Verwaltungsakt, durch welchen der Staat im öffentlichen Interesse und gegen Entschädigung Eigentum oder andere dingliche Rechte entzieht, um sie auf sich selbst oder einen Privaten zu übertragen." Vgl. ferner v. Rohland, Theorie, S. 1: „Das Enteignungsrecht (Expropriationsrecht) ist das Recht des Staates, das zu öffentlichen Unternehmungen nothwendige Grundeigenthum gegen volle Entschädigung zu entziehen oder zu beschränken"; Grünhut, Enteignungsrecht, S. 1 ff., der zunächst (S. 1) das Vorliegen einer Enteignung dann annehmen will, „sobald die Staatsverwaltung für sich die Constituierung eines dinglichen Rechts an einer fremden Sache oder die Uebertragung des Eigenthumsrechts selbst in das öffentliche Gut verlangt und gegen den Willen des Eigenthümers durchführt;..." dann (S. 2) die Entschädigung als „wesentliches Merkmal" in „dem Begriffe der Enteignung" erklärt und schließlich zu einer Definition des Enteignungsrechts des Staates schreitet, die lautet: „Das Enteignungsrecht im eigentlichen Sinne ist demnach das Recht der Staatsgewalt, die zwangsweise Entziehung des individuellen Eigenthumsrechtes und die Uebertragung desselben in das öffentliche Gut, resp. die zwangsweise Constituierung eines dinglichen Rechtes an einer fremden Sache für das öffentliche Gut, im allgemeinen Interesse gegen Entschädigung zu verfügen." Randa, GrünhutsZ, 10 (1883), S. 613 (618) versteht unter „Enteignung" ,jene Function der Staatsverwaltung, kraft welcher dieselbe unter freier Abwägung der Umstände Privatrechte an beweglichen oder unbeweglichen Sachen zu Gunsten einer gemeinnützigen Unternehmung gegen volle Entschädigung entzieht oder beschränkt"; ähnlich Prazak, Recht, S. 18: „Enteignung ... jene Function ... kraft welcher..." 959 Vgl. Layer, Principien, S. 14 Fn. 1. 960 Vgl. oben S. 178 f. und S. 179 Fn. 793. Dies auch schon ausdrücklich feststellend M. Wolff, FG Kahl, S. 20; Scheicher, WRV ΙΠ, Art. 153, S. 226. 961 Vgl. Anschütz, WRV 1 4 , Art. 153 Anm. 6, S. 708 Fn. 1.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

für ein bestimmtes öffentliches Unternehmen nötig ist, durch Verwaltungsakt gegen Entschädigung. " 962 Das ergibt nur dann einen Sinn, wenn mit „Enteignung" nicht der Tatbestand, dessen Vorliegen diese Zulässigkeitsanforderungen erst auslöst, gemeint ist, sondern der Tatbestand, der vorliegt, wenn all diese Anforderungen erfüllt sind. Das moderne Gegenstück zum klassischen Enteignungsbegriff wäre also nicht die Definition des Tatbestandsmerkmals „Enteignung" in Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG, sondern eine Definition der im Einklang mit Art. 14 Abs. 3 GG stehenden Enteignung, der verfassungsmäßigen Enteignung. Diese würde in etwa lauten: „Staatliche Entziehung von Eigentum zum Wohle der Allgemeinheit, durch oder aufgrund eines Gesetzes gegen Entschädigung, die einer gerechten Abwägung der Interessen der Beteiligten und der Allgemeinheit entspricht und im Gesetz nach Art und Ausmaß geregelt ist." Befreit man den klassischen Enteignungsbegriff nun von den Bestandteilen, die nach den Enteignungsgesetzen lediglich Zulässigkeitsmerkmale der Enteignung waren, also vom Unternehmenserfordernis und vom Entschädigungserfordernis, dann bleibt als Begriffsmerkmal bestenfalls „Entziehung oder Belastung von Grundeigentum durch Verwaltungsakt", schlimmstenfalls: „Entziehung oder Belastung von Eigentum". 963 Einem derart von Zulässigkeitsvoraussetzungen bereinigten klassischen Enteignungsbegriff wäre damit gerade das Merkmal abhanden gekommen, von dem man sich heute so viel für die Interpretation des verfassungsrechtlichen Enteignungsbegriffs verspricht: das Merkmal der Ausrichtung der Maßnahme auf ein „bestimmtes öffentliches Unternehmen" 964 oder, wie es das Bundesverfassungsgericht ausdrückt, auf ein ,»konkretes, der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienendes Vorhaben." 965 Dem kann man nicht entgegenhalten, es bleibe ja noch das Merkmal der „Übertragung" bzw. - modern ausgedrückt - der „Güterbeschaffung", das im klassischen Enteignungsbegriff enthalten war, 9 6 6 ohne in den Enteignungsgesetzen (sofern diese nicht ausdrücklich von „Abtretung" sprachen) zugleich als Zulässigkeitsmerkmal Erwähnung gefunden zu haben. 967 Denn bei näherer Betrachtung handelt es sich hierbei nur um eine durch Auslegung gewonnene Konkretisierung des Unternehmenserfordernisses. Als die Enteignung rechtfertigende Unternehmen kamen nämlich nur solche in Betracht, deren Durchführung die körperliche Inanspruchnahme des Grundstücks erforderte. 968 Um diese (rechtlich) zu ermöglichen, 962 w. Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 402. 963 So i. Erg. auch schon Dürig, JZ 1954, S. 4 (8 ff.), dessen „Zurück zum klassischen Enteignungsbegriff!" sich auf das Merkmal des Entzugs von Eigentum, das, wie gesehen (oben S. 207 f.), die Entschädigungswürdigkeit nicht garantiert, beschränkte. 964 w Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 402; vgl. auch die oben S. 179 in Fn. 793 Genannten. 965 BVerfGE 104, 1 (10). 966 Vgl. die Definitionen der oben S. 189 in Fn. 791 Genannten. 967 Vgl. die oben S. 46 in Fn. 115 genannten Vorschriften. 968 Vgl. oben S. 45 Fn. 112. 15 Raue

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

musste das Eigentum am Grundstück entweder vollständig auf den Unternehmer übertragen werden oder zumindest teilweise, indem es zugunsten des Unternehmers mit einer Dienstbarkeit belasten wurde, die den Eigentümer zur Duldung der Durchführung des Unternehmens verpflichtete 969 . Wer von „Übertragung" sprach, brachte damit als nur eine notwendige Beschaffenheit des durchzuführenden Unternehmens zum Ausdruck. Das erklärt, weshalb bei vielen Autoren entweder nur das Unternehmenserfordernis oder nur das Übertragungserfordernis auftaucht, ohne das erkennbar ist, dass sie in der Sache verschiedene Dinge meinen oder sich von jenen unterscheiden wollen, die sowohl die Übertragung als auch das Unternehmen erwähnen. 970 Dass eine echte Rückkehr zum klassischen Enteignungsbegriff keine befriedigende Antwort auf die entscheidende Frage, welches formale Begriffsmerkmal die Entschädigungswürdigkeit der Enteignung i.S. des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistet, gibt, mag zunächst verblüffen. Dies leuchtet jedoch ein, wenn man das verfassungsrechtliche Umfeld der Entstehung des klassischen Enteignungsbegriffs mit in die Betrachtung einbezieht. Als der klassische Enteignungsbegriff im 19. und frühen 20. Jahrhundert entstand, gab es in den deutschen Einzelstaaten zwar bereits Verfassungen, die auch sich auf das Eigentum und die Enteignung beziehende Grundrechtsbestimmungen enthielten. 971 Jedoch war die Bindung des Gesetzgebers an diese Normen kaum ausgeprägt, 972 und gegenüber der Exekutive sah man Freiheit und Eigentum als durch den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hinreichend geschützt an. 9 7 3 Gleichwohl gab es das heute vor allem durch die Grundrechte befriedigte 974 Bedürfnis nach „übergeordneten" Grundsätzen, in deren Lichte das einfache Recht ausgelegt werden und an denen sich der Gesetzgeber bei der Weiterentwicklung des Rechts orientieren kann. 975 Dem (begriffs-)juristischen Zeitgeist entspre969

Zur Begründung einer Dienstbarkeit als Erscheinungsform der klassischen Enteignung vgl. die Nachweise oben S. 216 Fn. 923. 9 ™ Vgl. die Definitionen der oben S. 189 in Fn. 791 Genannten. 971 Vgl. die oben S. 46 in Fn. 114 genannten Normen. 972 Grundrechte galten gegenüber dem Gesetzgeber als Direktiven für zu gebende Gesetze (vgl. RGZ 26, 337 [349]; 45, 251 [253]; Layer, Principien, S. 150; Anschütz, PrVU, Vorb. Art. 3 ff. Anm. 3 I, S. 94 f., Art. 9 Anm. 8, S. 167 f.). Sie waren als solche zwar rechtlich bindend (vgl. Anschütz, PrVU, Art. 9 Anm. 8, S. 168), aber nicht justitiabel (vgl. PrOVGE 49. 382[388]; Anschütz, PrVU, Art. 4 Anm. 5, S. I l l , Art. 9 Anm. 5, S. 161 f., Anm. 9, S. 168). Zumindest praktisch war der Gesetzgeber damit gegenüber den Grundrechten „souverän" (so auch ausdrücklich Anschütz, PrVU, Art. 9 Anm. 5, S. 161, im Hinblick auf Art. 9 Satz 1 PrVU v. 1850). 973 Die Hauptbedeutung der Grundrechte wurde denn auch darin gesehen, den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verfassungsrechtlich verankert zu haben, vgl. Anschütz, PrVU, Vorb. Art. 3 ff. Anm. 3 HI, S. 96 ff.; Art. 9 Anm. 3, S. 159 f.; O. Mayer, VwR I 3 , S. 70 mit Fn. 12; in diesem Sinne auch Bornhak, PrStaatsR I 2 , S. 295 („verwaltungsrechtlicher Natur"), 296; Giese, Grundrechte, S. 76 („bei sämtlichen Verwaltungshandlungen"). 974 Vgl. Böckenförde, Der Staat 29 (1990), S. 1 (28).

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" c h e n d 9 7 6 wurde es durch „allgemeine", das „Wesen" oder die „ N a t u r " 9 7 7 des jeweiligen Rechtsinstituts widerspiegelnde Begriffe befriedigt, die man ihrerseits aus den das Rechtsinstitut „beherrschenden" Rechtssätzen deduzierte. 9 7 8 So kristallisierte sich durch vertikales und horizontales Vergleichen der sich mit der Enteignung befassenden Rechtssätze allmählich auch das heraus, was wir heute als klassischen Enteignungsbegriff bezeichnen. 9 7 9 Fragt man nun nach den genauen Anforderungen, denen der klassische Enteignungsbegriff als Auslegungsrichtlinie für die an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit gebundene Verwaltung gerecht werden musste, so kann man zweierlei feststellen: Erstens war damals die Frage, ob der Anwendungsbereich der Enteignungsgesetze eröffnet war, also ob tatbestandlich eine an den Anforderungen der Enteignungsgesetze zu messende Enteignung vorlag, weit weniger schwierig zu beantworten bzw. weit weniger wichtig als heute die Frage, ob eine Enteignung i m Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG vorliegt. Zweitens bestand auch viel weniger Anlass, sich darum zu sorgen, dass nicht entschädigungswürdige Fälle vom Enteignungsbegriff erfasst werden.

975

Vgl. zu dieser Funktion allgemeiner Rechtsgrundsätze Ossenbühl, FG 50 Jahre BVerwG, S. 289 (297, 299 f.). 976 Vgl. hierzu (kritisch) Heck, Rechtsgewinnung2, S. 9 ff., und im Hinblick auf das öffentliche Recht, wo sich diese ursprünglich aus dem Zivilrecht stammende Methode sehr lange behauptete (Triepel, Reichsaufsicht, S. 166 Fn. 3), Triepel, Staatsrecht, S. 8 ff. Wie sie auch die Enteignungsdogmatik beherrschte, zeigt sich deutlich in der Kritik von Meyer, Expropriation, S. 77 ff., am Enteignungsbegriff des Mittelalters, die sich letztlich darin erschöpft, dass die „Schubladen" Privatrecht, Staatsrecht, Strafrecht, Völkerrecht nicht säuberlich getrennt werden. 977 Layer, Principien, S. 1 f., spricht ζ. B. vom „Begriff und Wesen der Enteignung als eines allgemeinen Rechtsinstituts"; Dernburg, LB 5 , S. 67, von „allgemeinen Grundsätzen der Expropriationen". 9 ™ Vgl. hierzu F. F. Mayer, Grundsätze, S. IV f.; Meyer/Dochow, VwR I 4 , S. 26 f. mit Fn. 14-17; O. Mayer, VwR I 3 , S. 20-22, insb. Fn. 14; Meyer, Expropriation, S. 76 f.: Entstehung von Rechtsinstituten mit allgemeinen Grundsätzen aus einzelnen Rechtssätzen, „wenn die Doctrin sich dieser bemächtigt"; rückblickend Maurer, VwR 1 5 , § 2 Rn. 9, § 4 Rn. 29 ff., insb. Rn. 32. 979 Vgl. bereits oben S. 48 Fn. 123. - Nicht zutreffend, weil auf einem zu engen Betrachtungswinkel basierend, ist daher die Annahme von Roller, NJW 2001, S. 1003 (1004), der klassische Enteignungsbegriff gehe auf Art. 9 PrVU v. 1850 zurück. Vielmehr handelte es sich in erster Linie um einen Begriff des einfachen Rechts, der von den Interpreten der Landesverfassungen nur - mehr oder weniger unbesehen - übernommen wurde (vgl. dazu unten S. 231 f.). Vgl. zur Rolle der Verfassungsbestimmungen über die Enteignung beim „Herausfiltern" des klassischen Enteignungsbegriffs Lay er, Principien, S. 140 f., 150 f., 177. Das Gewicht, welches man den einfachen Enteignungsgesetzen beimaß, erklärt auch, weshalb viele die Enteignung auf Immobilien begrenzten (ζ. B. v. Rohland, Theorie, S. 2; vgl. ferner oben S. 179 Fn. 793.). Nicht dass es entsprechendes bei Mobilien gar nicht gegeben hätte, war der Grund, sondern dass es der Gesetzgeber nicht in „Enteignungsgesetzen", sondern in speziellen Normen geregelt hatte (vgl. Gierke, Privatrecht II, S. 465; Meyer, VwR I 2 , S. 280; Dernburg, LB 5 , S. 66; W. Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 409).

15*

8

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Zunächst war es nämlich eine Selbstverständlichkeit, dass sich nicht an den Enteignungsgesetzen messen lassen musste, was vom „souveränen" 980 Gesetzgeber durch spezielle Normen geregelt war, also Eigentumsentziehungen aufgrund des Polizeirechts, des Strafrechts, des Zwangsvollstreckungsrechts oder Eigentumsentziehungen unmittelbar durch Gesetz. Hier liegt letztlich die Erklärung dafür, weshalb man - in aus heutiger Sicht zunächst etwas unverständlicher Weise - im zwangsvollstreckungsrechtlichen Schrifttum jener Zeit 9 8 1 den zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzug relativ sorglos als „Enteignung" bezeichnen konnte. Die Frage hatte angesichts des gegenüber den Enteignungsgesetzen spezielleren (und seit 1877 auch höherrangigen) 982 Zwangsvollstreckungsrechts nur dogmatische Konsequenzen,983 keine praktischen. Theoretisch hätte man die Nichtanwendbarkeit der Enteignungsgesetze auf diese spezialgesetzlich geregelten Fälle auf zweierlei Weise begründen können. Erstens: es liegt zwar tatbestandlich eine Enteignung vor, diese ist aber durch ein spezielleres Gesetz geregelt. 984 Zweitens: es liegt, weil die Eigentumsentziehung unter anderen Voraussetzungen zulässig ist als den in den Enteignungsgesetzen genannten, schon begrifflich keine Enteignung vor. Die zweite Variante musste - zumindest den Enteignungsrechtsspezialisten985 - in der Regel vorzugswürdig erscheinen. Denn sie wurde besser dem Bedürfnis nach über die gesetzgeberische Tagespolitik erhabenen, scheinbar tiefere Wahrheiten verkündenden Begriffen gerecht, 980 So Anschütz, PrVU, Art. 9 Anm. 5, S. 161, vgl. auch Wittmayer, in: 36. DJT U (1931), S. 389 (400). 981 Vgl. Hellwig, Zivilprozeßrecht II, S. 109 Fn. 27: „Wird dem Schuldner das Eigentum oder ein Forderungsrecht (ZPO § 835 II) genommen und auf den Gläubiger übertragen, so ist dies eine staatliche Enteignung; von der zu öffentlichen Zwecken geschehenden unterscheidet sie sich durch den Grund und die Formen der Vollziehung und auch durch die Voraussetzungen ihrer Wirksamkeit."; Geib, Rechtsschutzbegehren, S. 87 Fn. 1: „Auch wenn der Schuldner das Eigentum oder das Forderungsrecht genommen und solches auf den Gläubiger übertragen worden ist, wird dabei seitens der Vollstreckungsorgane dem Schuldner gegenüber lediglich staatliches Enteignungsrecht ausgeübt" (Hervorhebungen F.R.); vgl. auch F. Stein, Grundfragen, S. 74, der auf Geib Bezug nimmt. 982 Mit dem Inkrafttreten der ZPO war das Zwangsvollstreckungsrecht Reichsrecht. Selbst wenn die Grundrechtsbestimmungen der Landesverfassungen auch den Gesetzgeber als unmittelbar geltendes Recht gebunden hätten, hätte das auf die Gültigkeit von Reichsrecht keinen Einfluss gehabt (vgl. Art. 2 Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. 4. 1872 [RGBl. S. 63]). 983 Allein unter dogmatischen Gesichtspunkten setzte man sich daher auch mit der Frage, ob die Zwangsvollstreckung eine Enteignung ist, auseinander. Denjenigen, welche für eine eher öffentlichrechtliche Konstruktion der Zwangsvollstreckung eintraten, war die Gleichsetzung von zwangsvollstreckungsrechtlichem Eigentumsentzug und Enteignung willkommen (vgl. Geib, Rechtsschutzbegehren, S. 72 ff.; Hellwig, Zivilprozeßrecht II, S. 103 ff.; F Stein, Grundfragen, passim). Wer hingegen eher „von Hause aus" privatrechtlich konstruierte, musste sie als unerträglich empfinden (siehe nur Reichel, JherJb. 53 [1908], S. 108 [157 f.]). 984 So spricht Dernburg, LB 5 , S. 66, von der spezialgesetzlich geregelten „Enteignung von Mobilien im polizeilichen Interesse", womit er z. B. Maßregeln gegen Viehseuchen meint. 985 Vgl. z. B. Koffka, PrEntG 2, § 1 N. 16, S. 33.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

ohne dabei die Souveränität des Gesetzgebers anzutasten. Hätte man nämlich die erste Variante gewählt, hätte man bei jeder neuen Norm, die Eigentumsentziehungen abweichend von den Enteignungsgesetzen regelte, die „allgemeinen Grundsätze der Enteignung" modifizieren müssen. So aber waren solche Eigentumsentziehungen - zumindest solange der Gesetzgeber sie nicht ausdrücklich und durchgängig als „Enteignung" bezeichnete - schon per definitionem keine Enteignung, ja man konnte sogar sagen, der „allgemeine Enteignungsbegriff' sei durch die Neuregelung bestätigt worden. Die von den Enteignungsgesetzen abweichenden Zulässigkeitsmerkmale der andere Eigentumsentziehungen gestattenden Normen wurden so zum Argument für die Nichtanwendbarkeit der Enteignungsgesetze und das NichtVorliegen einer Enteignung: 986 Weil ζ. B. die strafrechtliche Einziehung der Bestrafung und nicht der Durchführung eines bestimmten öffentlichen Unternehmens im Sinne der Enteignungsgesetze diente, war sie keine Enteignung. 987 Gab es für den in Frage stehenden Eigentumsentzug keine Spezialnorm und kamen nur die Enteignungsgesetze als Ermächtigungsgrundlage in Betracht, mussten - wenn die Verwaltung dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung genüge tun wollte - sämtliche Voraussetzungen des Enteignungsgesetzes vorliegen. Fehlte es hier ζ. B. an dem Ziel, die Durchführung eines bestimmten öffentlichen Unternehmens zu ermöglichen, so durfte die Eigentumsentziehung ohnehin nicht vorgenommen werden. Die Frage, ob gerade das Tatbestandsmerkmal „Enteignung" vorlag oder nicht vorlag, war nicht entscheidend. Entweder - wenn man das Tatbestandsmerkmal „Enteignung" bejahte - handelte es sich um eine nicht den Anforderungen der Enteignungsgesetze genügende und damit den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes verletzende Enteignung oder - wenn man es verneinte um einen den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes verletzenden nichtenteignenden Eingriff in das Eigentum. Auch in dieser Konstellation wirkte sich eine Vermengung von Zulässigkeitsmerkmalen der Enteignungsgesetze mit dem Tatbestandsmerkmal „Enteignung" nicht auf das Ergebnis aus. Das erklärt, weshalb in vielen Texten über die klassische Enteignung die Zulässigkeitsanforderungen der 986 So erklärt O. Mayen VwR II 3 , S. 3, den selbstverständlich zulässigen Entzug von Eigentum durch ein Einzelfallgesetz, der nicht den Grundsätzen des Rechtsinstituts „Enteignung", das einen Verwaltungsakt verlangte, entsprach, einfach zur Nichtenteignung. Vgl. auch Gierke, Privatrecht II, S. 469 f. Fn. 17 a.E.: „Endlich versteht sich von selbst, dass durch besonderes Gesetz die Enteignung für ein konkretes Unternehmen stets abweichend geregelt werden kann", und Lay er, Principien, S. 21, der die Entschädigung deshalb zum begrifflichen Bestandteil der Enteignung erklärt, weil alle Expropriationsgesetze normierten, dass eine Enteignung nur gegen Entschädigung zulässig ist. W. Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 408, spricht der Flurbereinigung und der Umlegung einfach deshalb den Enteignungscharakter ab, weil die Entschädigung in Land gewährt wird. 987 Vgl. zur Heranziehung des Zwecks der Maßnahme zur Begründung des fehlenden Enteignungscharakters Lay er, Principien, S. 62 (Strafrechtspflege, Konfiskation und Pohzei Verfügung); Scheicher, Rechts Wirkungen, S. 2 (strafrechtliche Einziehung, Gefahrenabwehr und Grundstückszusammenlegung); Anschütz, PrVU, Art. 9 Anm. 7, S. 165 f. (Beschlagnahme, Konfiskation, Besteuerung und Konfiskation).

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Enteignungsgesetze nonchalant mal als Begriffsmerkmale der Enteignung auftauchen und mal als Zulässigkeitsmerkmale. 988 Ganz anders stellen sich die Dinge dar, wenn es um die Auslegung einer auch den Gesetzgeber bindenden Verfassungsnorm wie Art. 14 Abs. 3 GG geht. Anders als die klassischen Enteignungsgesetze findet der Anwendungsbereich einer solchen Norm nicht mehr selbstverständlich seine Grenze in spezielleren den Entzug von Eigentum regelnden einfachen Gesetzen. Als Verfassungsnorm steht sie über diesen Regelungen, nicht mehr neben ihnen. Die Frage ist nicht mehr, ob der („souveräne") Gesetzgeber entschieden hat, dass der Eigentumsentzug sich nicht an den Grundsätzen der Enteignung messen lassen muss, sondern ob der (nicht mehr „souveräne") Gesetzgeber dies entscheiden durfte. Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich die Bindung des Gesetzgebers an Art. 14 Abs. 3 GG anders auswirkt als die Bindung der Verwaltung an die klassischen Enteignungsgesetze. Lag beim Entzug von Eigentum durch die Verwaltung schon ein Zulässigkeitsmerkmal des Enteignungsgesetzes, ζ. B. das „zur Durchführung eines bestimmten im öffentlichen Nutzen liegenden Unternehmens", nicht vor, dann war der Eigentumsentzug - wie gesehen - , soweit nicht ein Spezialgesetz ihn gestattete, auf jeden Fall rechtwidrig. In diesen Fällen kam es auf die Frage, ob tatbestandsmäßig eine Enteignung vorlag, nicht an. Genügt demgegenüber ein Gesetz, das den Entzug von Eigentum regelt, nicht den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG, so hängt seine Verfassungsmäßigkeit ganz entscheidend davon ab, ob der von ihm geregelte Entzug unter das Tatbestandsmerkmal „Enteignung" fällt oder nicht. Denn während die Verwaltung jenseits der Enteignungsgesetze und etwaiger Spezialnormen sich ohnehin im verbotenen Raum bewegte, ist der Gesetzgeber jenseits von Art. 14 Abs. 3 GG nicht auf irgendwelche speziellen verfassungsrechtlichen Ermächtigungen angewiesen, sondern wird von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG aufgefangen. Nur dann, wenn der von ihm geregelte Entzug nicht den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG genügt und eine Enteignung ist, bewegt er 988 Vgl. Treichler, ZDtR 12 (1848), S. 123 (124): „Ein Haupterfordernis zum Begriffe der Expropriation ist, dass die Abtretung zum Besten des allgemeinen oder öffentlichen Wohles geschehe. Für bloße Privatinteressen gibt es also keine Expropriation"; (139): „Für Privatzwecke ist keine Expropriation zulässig"; Gierke, Privatrecht Π, der auf S. 464 f., wo er die Enteignung von anderen einfachrechtlichen Instituten abgrenzt, sie begrifflich gekennzeichnet sieht als Eingriff „behufs Verwendung einer Sache zu einem vom öffentlichen Wohl geforderten Gebrauch", auf S. 473 aber erklärt, die Enteignung sei nur zulässig, wenn sie „für ein Unternehmen erforderlich ist, an dessen Durchführung ein öffentliches Interesse besteht"; W. Jellinek, Verwaltungsrecht 3, der die Notwendigkeit der Entziehung für ein bestimmtes öffentliches Unternehmen auf S. 402 als Begriffsmerkmal der Enteignung bezeichnet, auf S. 404 aber als Zulässigkeitsmerkmal; O. Mayer, VwR II 3 , S. 1 einerseits und S. 7 ff. andererseits, insbesondere den kryptischen Satz auf S. 10: „Sie [die allgemeinen Enteignungsgesetze, F.R.] bezeichnen gebräuchlicherweise das Unternehmen, welches seinem Zwecke nach die Voraussetzungen der Enteignung erfüllt, ganz einfach durch Verweisung auf das, was das Rechtsinstitut seinem Begriff und Wesen nach in dieser Hinsicht erfordert"; ferner Seydel/ Scheringer, PrEntG 4, Einl. Anm. 1, S. 3 und § 1 Anm. 1, S. 13 f.; Fleiner, Institutionen8, S. 308 und 309.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

1

sich im verbotenen Raum. Auch deswegen kommt der Frage, was Begriffsmerkmal der „Enteignung" ist und was Zulässigkeitsvoraussetzung, bei der Interpretation des Art. 14 Abs. 3 GG eine viel größere Bedeutung zu als bei der Interpretation der klassischen Enteignungsgesetze. Es sind also gerade die ursprünglichen Vorteile des klassischen Enteignungsbegriffs, die eingebauten Sicherungen zur Wahrung der „Souveränität" des Gesetzgebers, die zu Nachteilen werden, wenn es um die Interpretation von den Gesetzgeber bindenden Verfassungsnormen geht. Schließlich spielte auch die Frage, ob der anhand formaler Kriterien als Enteignung eingeordnete Eigentumsentzug tatsächlich entschädigungswürdig ist, eine ganz andere Rolle als heute. Selbst wenn unter die Enteignungsgesetze einmal ein nicht entschädigungswürdiger Eigentumsentzug gefallen wäre (was aufgrund des sehr eingeengten Anwendungsbereiches der neben vielen anderen Eigentumsentzugsnormen stehenden Enteignungsgesetze fast ausgeschlossen war), hätte man sagen können, der Entschädigungsanspruch beruht auf einer Entscheidung des Gesetzgebers und es ist für diesen kein Problem, diese Situation anders zu regeln. Fällt hingegen unter Art. 14 Abs. 3 GG (der als über dem gesamten einfachen Recht stehende Norm einen viel größeren potentiellen Anwendungsbereich hat) ein nicht entschädigungswürdiger Eingriff, dann hat das zur Folge, dass der Gesetzgeber auf diese Art von Eingriff völlig verzichten muss oder aber gezwungen ist, einen in der Sache nicht gerechtfertigten Entschädigungsanspruch einzuräumen. Nur die Verfassungsänderung könnte dann Abhilfe schaffen. Der fehlenden Eignung des klassischen Enteignungsbegriffs für die Zwecke der Interpretation von Verfassungsnormen wurde auch durchaus schon sehr früh, nämlich bei der Interpretation der Enteignungsvorschriften der Landesverfassungen des 19. Jahrhunderts Rechnung getragen, wenn auch nur zum Teil und eher intuitiv als bewusst. So betont Anschütz in seinem Kommentar zur Preußischen Verfassung zwar, dass Art. 9 Satz 2 PrVU und seine Analoga in den anderen Verfassungen „das nach dem Rechtsbewusstsein schon der Entstehungszeit der Verfassung wohlabgegrenzte Institut der Enteignung" meinen. 989 In der Definition, die er dann präsentiert, 990 fehlt dann aber schon die Entschädigung als Begriffsmerkmal der Enteignung, und das, obwohl er sie in einem nicht verfassungsrechtlichen Zusammenhang kurz vorher noch selbst als Begriffsmerkmal der Enteignung genannt hatte. 991 Die Ungereimtheiten, die sofort ins Auge springen, wenn man den klassischen Enteignungsbegriff als Definition des Tatbestandsmerkmals „Enteignung" in der Verfassung heranzieht, werden also - freilich ohne ein Wort darüber zu verlieren bereinigt. Die anderen werden jedoch nicht erkannt oder in Kauf genommen. So 989 Anschütz, PrVU, Art. 9 Anm. 7, S. 165 f. m. w. N. 990 „Entziehung und Übertragung von Privateigentum oder anderen dinglichen Rechten durch Verwaltungsakt, vorgenommen im Interesse eines gemeinnützigen Unternehmens." 991 Vgl. Anschütz, Ersatzanspruch, S. 33: „derjenige Verwaltungsakt, durch welchen der Staat im öffentlichen Interesse und gegen Entschädigung Eigenthum oder andere dingliche Rechte entzieht, um sie auf sich oder einen Privaten zu übertragen" (Hervorhebung F.R.).

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

wird etwa das Ziel, das Eigentum auf ein dem öffentlichen Nutzen dienendes Unternehmen zu übertragen, weiterhin als Begriffsmerkmal der Enteignung genannt, obwohl es an sich ein Rechtsmäßigkeitserfordernis derselben ist. Der Grund hierfür dürfte zum einen darin liegen, dass - wie bereits ausgeführt 992 - die Verfassungsbindung des Gesetzgebers sich erst allmählich Bahn brach und zu diesem Zeitpunkt eher theoretischer Natur war. Zum anderen entsprach es auch dem historischen Willen des Verfassungsgebers, am klassischen Enteignungsbegriff anzuknüpfen. 993 Daher unterblieb die Kontrolle der Stimmigkeit des historischen Willens des Verfassungsgebers mit den Erfordernissen einer, wenn auch nur grundsätzlich, den Gesetzgeber bindenden Verfassung. 994 Dies wäre aber erforderlich gewesen, um auch die nicht sofort ins Auge springenden Ungereimtheiten zu erkennen. Hinzu kommt noch ein Weiteres: Die ohnehin nur schwach ausgeprägte Verfassungsbindung des Gesetzgebers wurde als ausschließlich zukunftsgerichtet angesehen. 995 Damit war es von vornherein ausgeschlossen, die überkommene einfachrechtliche Rechtslage in Frage zu stellen und zum Beispiel strafrechtliche oder polizeirechtliche Eigentumseinziehungen unter dem Blickwinkel der Enteignung im verfassungsrechtlichen Sinne auch nur zu durchdenken. Diesem Anspruch, das alte Recht nicht nur als verfassungsgemäß, sondern auch als unproblematisch verfassungsgemäß erscheinen zu lassen, konnte man letztlich nur durch Beibehaltung der alten - freilich unter ganz anderen Prämissen entwickelten und funktionierenden Abgrenzungsstrategien, also der Verwendung von Zulässigkeitsanforderungen als Abgrenzungsmerkmale, gerecht werden. Die verbliebenen Ungereimtheiten, insbesondere das zwiespältige Verhältnis, welches das Begriffsmerkmal „zur Übertragung auf ein dem öffentlichen Nutzen dienendes Unternehmen" zur Zulässigkeitsvoraussetzung „zum Wohle der Allgemeinheit" und damit zur Verfassungsbindung des Gesetzgebers hatte, drangen stärker ins Bewusstsein,996 als unter dem Regime der Weimarer Reichsverfassung der Gesetzgeber sich nicht mehr im Rahmen der gewachsenen Strukturen des ein992 Oben S. 226 f. 993 Vgl. Anschütz, PrVU, Art. 9 Anm. 7, S. 164 f. 994 So argumentiert Anschütz in erster Linie mit dem historischen Willen des Verfassungsgebers, ohne das Ergebnis systematisch und teleologisch ernsthaft gegenzuprüfen (vgl. Anschütz, PrVU, Art. 9 Anm. 7, S. 164 f.). 995 Vgl. Anschütz, PrVU, Vorb. Art. 3 ff. Anm. 3 I, S. 94: „Die hier in Rede stehenden Verfassungsartikel enthalten kein aktuell geltendes und anwendbares Recht, sie sind nicht schon gegebene, sondern Direktiven für zu gebende Gesetze", Art. 9 Anm. 7, S. 167: „Art. 9 Satz 2 ist, wie man es meist formuliert, Direktive für die Gesetzgebung. Er ist in diesem Sinne (für Partei und Richter) nicht schon gegebenes, sondern Programm und Richtschnur für ein erst zu gebendes Gesetz." 996 Vgl. M Wolff, FG Kahl, S. 20 ff.; Triepel, Goldbilanzenverordnung, S. 18; W Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 413; Scheicher, WRV ΠΙ, Art. 153, S. 218 f.; RGZ 111, 320 (327 f.) unter Berufung auf Wolff a. a. Ο.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" fachen Rechts zu bewegen schien und dadurch auch ein stärkeres politisches Bedürfnis nach einer effektiveren Verfassungsbindung desselben verspürt w u r d e . 9 9 7 Auch hier führte das aber nicht zu einem endgültigen Abschied vom klassischen Enteignungsbegriff und einem neuen grundsätzlichen Durchdenken des Tatbestandsmerkmals „Enteignung" i n Art. 153 Abs. 2 Satz 1 W R V nach systematischen und teleologischen Gesichtspunkten, sondern nur zu einer weitereren „ M o d i fikation" des klassischen Enteignungsbegriffs. 998 Denn auch hier sollten nicht überkommene Rechtsinstitute (strafrechtliche Einziehung, Gefahrenabwehr 9 9 9 etc.) hinterfragt werden, sondern nur den neuen, vermeintlich politisch radikalisierten (Landes-)Gesetzgebern Schranken aufgezeigt w e r d e n . 1 0 0 0 Einerseits bereinigte man - i m Hinblick auf den modernen „konfiskationslüsternen" Landesgesetzgeber - den klassischen Enteignungsbegriff weiter von Zulässigkeitsmerkmalen 1 0 0 1 (löste ihn damit i n den Augen der Kritiker dieses Prozesses weiter a u f ) 1 0 0 2 und reicherte ihn mit an der Entschädigungswürdigkeit des Eigentumszugriffs orientierten, also materiellen, 1 0 0 3 Kriterien, die der klassische Enteignungsbegriff j a nicht enthielt, a n . 1 0 0 4 Andererseits hielt man - i m Hinblick auf die „Errungen99? Vgl. Anschütz, WRV 1 4 , Art. 153 Anm. 8, S. 710 f.; M. Wolff, FG Kahl, S. 21 mit der berühmten Warnung vor dem „konfiskationslüsternen Landesgesetzgeber"; ferner RGZ 103, 200 (201 f.), 109, 310 (323); 111, 320 (322 f.): Die Gerichte haben das Recht und die Pflicht, Parlamentsgesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung hin zu überprüfen und gegebenenfalls außer Anwendung zu lassen; zum richterlichen Prüfungsrecht mit einem Überblick über den damaligen Meinungsstand vgl. auch Anschütz, WRV 1 4 , Art. 70 Anm. 3 ff., S. 369 ff.; v. Hippel, in: HdbDStR II, § 99, S. 546 (552 ff.). 998 Einen wirklichen Bruch mit dem klassischen Enteignungsbegriff vollziehen eigentlich nur W. Jellinek und Stödter (vgl. auch schon oben S. 209 Fn. 889). 999 Vgl. hierzu RGZ 128, 18 (30). 1000 So auch BVerwGE 5, 143 (146): „ . . . die Erweiterung des Enteignungsbegriffs, die seit dem ersten Weltkrieg eingesetzt hat, [wollte] denjenigen Eingriffen des Staates begegnen [ . . . ] , die der moderne Staat im Rahmen seines veränderten Aufgabenbereichs vornahm, nicht aber solche Eingriffe in ihrem Wesen verändern [ . . . ] , die aus der geschichtlichen Entwicklung als Inhaltbestimmung des Eigentums überkommen waren." 1001 So verabschiedete sich das Reichsgericht allmählich (noch offenlassend RGZ 111, 320 [328]; 139, 177 [182 f.]) vom Merkmal der Überführung (RGZ 129, 146 [148 f.]) und beschränkte die Enteignung nicht mehr begrifflich auf Grundeigentum (RGZ 111, 224 [226]; 111, 320 [328]; 129, 146 [148 f.]) und Verwaltungsakte (RGZ 111, 320 [325 f.]; 116, 268 [271 f.]; 129, 146 [148 f.]; 139, 177 [182]; vgl. ferner StGH RGZ 124, Anh. 19 [33]). 1002 So C. Schmitt, JW 1929, S. 495 ff., der sich in seinem Plädoyer für den klassischen Enteignungsbegriff aber auch bewusst gegen eine Bindung des Gesetzgebers entscheidet; ähnlich auch Kirchheimer, Grenzen, S. 39 f. 1003 Zu beachten ist, dass die Zeitgenossen, das Kriterium des Einzelakts bzw. Sonderopfers als „formal" empfanden. Verglichen mit den Vorstellungen, welche heute die h.M. mit einem formalen Enteignungsbegriff verbindet, ist es aber „materiell". 1004 Der Staatsgerichtshof und das Reichsgericht sahen im Einzelakt bzw. Sonderzugriff das entscheidende Kriterium, vgl. StGH RGZ 124, Anh. S. 19 (33), RGZ 128, 165 (171); 129, 146 (149); 133, 124 (125); 135, 308 (311), 136, 113 (124); 139, 177 (182 f.), 150, 9 (13); dem folgend Anschütz, WRV 1 4 , Art. 153 Anm. 7 ff., S. 710 ff. Zur Rezeption dieses Ansatzes durch die Rspr. des BGH zu Art. 14 Abs. 3 GG vgl. oben S. 140 Fn. 524.

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts Schäften" der alten Gesetzgeber - partiell an der Heranziehung von Zulässigkeitsmerkmalen als Begriffsmerkmalen f e s t . 1 0 0 5 Die zwangsläufig etwas schwammigen Resultate dieser Strategie 1 0 0 6 ließen sich dogmatisch nur schwer erklären. Festere Konturen konnte man ihnen letztlich nur geben durch Nennung der - sich i m Ergebnis scheinbar von selbst verstehenden - Fälle, die man auszugrenzen gedachte. A m eindrucksvollsten wird dieses Dilemma durch die Ausführungen Scheichers dokumentiert, der einerseits die Einbeziehung des Zwecks der Maßnahme i n den Enteignungsbegriff als „unlogisch" bezeichnet, dann aber unter Berufung auf das „Wesen" der Enteignung und das Abgrenzungsbedürfnis zur strafrechtlichen Einziehung und Gefahrenabwehr den Zweck doch „irgendwie" i n den Enteignungsbegriff mit einbeziehen w i l l . 1 0 0 7 Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die Auflösung des klassischen Enteignungsbegriffs unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung und loos So wendet sich M. Wolff, FG Kahl, S. 22, zwar gegen ein Begriffsmerkmal „zugunsten eines öffentlichen Unternehmens", hält aber auf S. 25 an einem begrifflichen Erfordernis der „Gewinnung eines bestimmten Rechts, dessen man für einen bestimmten Zweck benötigt", fest (wobei die Gewinnung nicht in einer juristisch-technischen Übertragung bestehen müsse und der Zweck nicht notwendig ein öffentlicher sein müsse), um die Enteignung von der „Strafkonfiskation, Einziehung, Vernichtung gefahrbringender Güter u. dgl." abgrenzen zu können. Triepel, Goldbilanzenverordnung, S. 24, möchte das Unternehmenserfordernis als Begriffsmerkmal der Enteignung nicht vollständig verabschieden, sondern nur „richtig verstanden" wissen, was sich auf S. 18 wie folgt liest: „Sowohl das Motiv, aus dem, wie der Zweck, zu dem eine Enteignung geschieht, sind für den Begriff der Enteignung gleichgültig. Nach dem Zwecke der Enteignung bestimmt sich die Zulässigkeit, nicht der Begriff der Enteignung. Nur ein sozusagen nächster Zweck ist allerdings der Enteignung wesentlich: sie geschieht, um dem Begünstigten auf Kosten eines anderen einen Vermögenszuwachs zu bringen; dadurch unterscheidet sie sich von der Einziehung zum Zwecke der Strafe und ähnlichen Maßnahmen." Scheicher, WRV III, Art. 153, meint, es sei „rein logisch betrachtet" richtig, zwar die Zulässigkeit nicht aber den Begriff der Enteignung durch ihren Zweck zu bestimmen (S. 223 Fn. 38a und S. 218 f.), bejaht dann aber trotzdem ein solches Begriffsmerkmal (S. 218 f., 221 ff.), weil das „Wesen der Enteignung" hierdurch geprägt sei (S. 219, 223 Fn. 38a) und um den fehlenden Enteignungscharakter der strafrechtlichen Einziehung oder der Beseitigung gemeingefährlicher Sachen erklären zu können (S. 222 f.). Anschütz, WRV 1 4 , Art. 153 Anm. 6, S. 708 ff., löst seinen Enteignungsbegriff weiter auf, indem er auf die Erfordernisse eines Verwaltungsakts, einer Übertragung und einer Zweckbeziehung des Enteignungsaktes zu einem bestimmten Unternehmen verzichtet (S. 708), hält aber daran fest, dass der Eingriff „aus höheren Rücksichten des Staatswohls" erfolgen müsse (S. 710). Die Rspr., die es ablehnt, eine Enteignung i. S. des Art. 153 Abs. 2 WRV nur dann anzunehmen, „wenn das Privateigentum an bestimmten einzelnen Sachen durch Verwaltungsakt und im Interesse eines gemeinnützigen Unternehmens dem Eigentümer entzogen und auf einen anderen übertragen wird", verlangt immer noch, dass „das Recht des Eigentümers, mit seiner Sache gemäß § 903 BGB nach Belieben zu verfahren, zugunsten eines Dritten beeinträchtigt wird" (RGZ 116, 268 [272, Hervorhebung F.R.]; vgl. auch oben S. 210 Fn. 897). Auch ihr „neues" Kriterium des „Einzeleingriffs" (vgl. oben Fn. 1004) stellt sich als Fortentwicklung des klassischen Begriffsmerkmals des Verwaltungsakts dar, vgl. StGH RGZ 124 Anh. S. 19 (33); RGZ 128, 165 (171). 1006 Vgl. Fn. 1005. loo? Scheicher, WRV III, Art. 153, S. 218 ff.; ähnlich M Wolff, FG Kahl, S. 22; Triepel, Goldbilanzenverordnung, S. 18; Krückmann, Enteignung, S. 3 f.; vgl. auch Fn. 1005.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

seine Ablösung durch materielle Enteignungskonzepte nicht - wie oft behauptet w i r d 1 0 0 8 - rein prozessualen Ursprungs sind. Sie lassen sich keineswegs allein damit erklären lassen, dass das Reichsgericht und große Teile des Schrifttums über Art. 153 Abs. 2 Satz 3 WRV bestehende Defizite im Bereich des Primärrechtsschutzes auf der Ebene des Sekundärrechtsschutzes ausgleichen wollten und deshalb an einem möglichst weiten Enteignungsbegriff interessiert waren. Das mag bestimmte Eigenheiten der reichsgerichtlichen Rechtsprechung erklären, ζ. B. das Zusprechen von Entschädigung, obwohl das Gesetz sie nicht vorsieht 1009 . Jedoch: Auch wenn ein dem heutigen Stand entsprechender Primärrechtsschutz auch gegen Parlamentsgesetze 1010 schon damals existiert hätte (so dass der „Trick" des Reichsgerichts unnötig gewesen wäre), hätte man am klassischen Enteignungsbegriff wegen seiner oben 1 0 1 1 erläuterten, den Erfordernissen einer den Gesetzgeber bindenden Verfassung diametral entgegengesetzten Struktur unmöglich festhalten können. 1 0 1 2 Nur so kann man auch erklären, dass der Auflösungsprozess, wenn auch kaum wahrgenommen, schon unter dem Regime der Landesverfassungen des 19. Jahrhunderts einsetzte. Der klassische Enteignungsbegriff als solcher ist für die Zwecke der Interpretation einer den Gesetzgeber bindenden Verfassungsnorm, wie wir sie in Art. 14 Abs. 3 GG haben, also unbrauchbar. 1013 D. h., die Tatsache, dass ein zur Interpretation des Begriffes „Enteignung" in Betracht gezogenes Kriterium bereits im klassischen Enteignungsbegriff vorhanden war, kann als solches nicht als Argument für loos Vgl. Böhmer, Der Staat 24 (1985), S. 157 (191): „rein prozessualen Ursprungs"; ders., AgrarR 1984, Beilage I, S. 2 (6 ff.); ders., NJW 1988, S. 2561 (2562 f.); Roller, NJW 2001, S. 1003 (1004); auch schon Weber, NJW 1950, S. 401 (402). 1009 Vgl. RGZ 112, 189 (191); 116, 268 (274); 128, 18 (34); 132, 69 ff.; vgl. aber auch RGZ 109, 310 (323), wo eine Heilung durch Zuerkennung gesetzlich nicht vorgesehener Entschädigung explizit abgelehnt wird, weil das die Entziehung anordnende Gesetz verfassungswidrig und die Enteignung damit hinfällig sei. 1010 Vgl. Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 100 Abs. 1 GG, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG. Zu den Möglichkeiten der direkten und indirekten Normenkontrolle unter der Geltung der WRV vgl. die Nachweise oben S. 233 Fn. 997. ion s. 226 ff. 1012 Dass man eine Verfassungsbindung des Gesetzgebers nicht ohne eine Auflösung des klassischen Enteignungsbegriffs haben kann, ergibt sich indirekt auch sehr schön aus den Ausführungen von C. Schmitt, JW 1929, S. 495 (496 f.). Schmitt meint, ein Einzelfallgesetz, das Eigentum ohne Zwischenschaltung eines Verwaltungsaktes entzieht, verstoße gegen Art. 153 Abs. 2 Satz 1 WRV, weil nach diesem eine Enteignung nur „auf gesetzlicher Grundlage", also durch Verwaltungsakt, nicht unmittelbar durch Gesetz erfolgen könne. Der Entzug durch Verwaltungsakt ist aber Begriffsmerkmal der klassischen Enteignung (vgl. oben S. 189 und S. 225). Ein solches Gesetz wäre also gar keine klassische Enteignung (vgl. dazu auch oben S. 229 Fn. 986) und deshalb auch nicht an Art. 153 Abs. 2 Satz 1 WRV zu messen. Für sein kleines Stück Verfassungsbindung des Gesetzgebers muss also auch er den klassischen Enteignungsbegriff ein kleines Stück auflösen. 1013 So i. Erg. auch Schwabe, FS Thieme, S. 251 (266 f.).

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

die Verwendung dieses Kriteriums bei der Interpretation des Art. 14 Abs. 3 GG angeführt werden. 1014 Das Gegenteil ist der Fall. (2) Keine Lösung durch Orientierung am Bild der klassischen Enteignung Dem Begriff der klassischen Enteignung lassen sich also keine Merkmale entnehmen, die sowohl formal sind als auch die Entschädigungswürdigkeit des Eigentumsentzugs garantieren. Zu erwägen ist jedoch, durch eine eigene Analyse der einzelnen - unstreitig entschädigungswürdigen - Erscheinungsformen der klassischen Enteignung solche Merkmale zu gewinnen, indem man sich die Frage stellt: Durch welche formalen Merkmale sind die durch die klassischen Enteignungsgesetze geregelten Fälle des Entzugs von Eigentum gekennzeichnet? Diese Vorgehensweise, die vielleicht das widerspiegelt, was Osterloh als „Orientierung am konkreten historischen Typus bzw. Bild der klassischen Enteignung" bezeichnet, 1 0 1 5 ist allerdings aus drei Gründen problematisch. Der erste Grund ist, dass die in den klassischen Enteignungsgesetzen geregelten Fälle der Eigentumsentziehung nicht nur unstreitig Enteignungen im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG sind, sondern - weil Art. 14 Abs. 3 GG in seiner Struktur den klassischen Enteignungsgesetzen sehr ähnelt 1 0 1 6 - auch unstreitig Fälle der in Einklang mit Art. 14 Abs. 3 GG stehenden, also der verfassungsmäßigen, Enteignung. Das hat zur Folge, dass man nicht genau wissen kann, ob eine bestimmte formale Eigenheit des Vorgangs der Eigentumsentziehung in den Fällen der klassischen Enteignung bereits eine Eigenheit der „Enteignung" als solcher oder erst eine Eigenheit der,/echtmäßigen Enteignung" ist. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Die Eigentumsentziehung bei der klassischen Enteignung geschieht immer in der Absicht, das entzogene Eigentum körperlich - etwa für den Bau einer Straße - zu nutzen. 1017 Aber ist diese Absicht dem Vorgang bereits deshalb zu eigen, weil der Vorgang tatbestandlich eine Enteignung darstellt, oder ist sie ihm erst deshalb zu eigen, weil er eine rechtmäßige, nämlich dem Wohl der Allgemeinheit dienende, Enteignung darstellt? 1018 Mit 1014

In diesem Sinne auch schon Scheuner, Grundfragen, S. 63 (83 ff., insb. 85 und 93). 1015 Vgl. Osterloh, DVB1. 1991, S. 907 (911); dies., Eigentumsopferentschädigung, S. 258, 267; dem folgend Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 272 f. Unklar ist freilich, ob beide tatsächlich eine rein formale Begriffsbestimmung anstreben, vgl. dazu unten S. 239 Fn. 1032. 1016 Vgl. oben S. 223 f. ion Vgl. oben S. 201 f. lois Ein weiteres Beispiel: Bei der in den klassischen Enteignungsgesetzen geregelten Enteignung entzieht der Staat das Eigentum immer in der Absicht, Entschädigung dafür zu leisten, also eine Art „Gegenleistung" zu erbringen. Doch kann man diese Beobachtung nur deshalb machen, weil die in den klassischen Enteignungsgesetzen geregelte Enteignung den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG entspricht oder bereits deshalb, weil eine Gegenleistungs-

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

7

grammatikalischen, systematischen oder teleologischen Gesichtspunkten können wir diese Frage - wie bereits gezeigt 1019 - nicht befriedigend beantworten. Denn greift man konsequent auf diese Gesichtpunkte zurück, so landet man beim „staatlichen Entzug von Eigentum" oder vielleicht auch beim „staatlichen Entzug von Eigentum zu einem spezifischen Zweck", also bei Kriterien, welche die Entschädigungswürdigkeit der Enteignung - wie wir gesehen haben 1020 - nicht garantieren können. Das zweite Problem ist, dass man - auch wieder wegen des Mangels grammatikalischer, systematischer oder teleologischer Gesichtspunkte - keinen Maßstab hat, anhand dessen man entscheiden könnte, welche bei den Fällen der klassischen Enteignung zu beobachtenden Phänomene nur zufällige Begleiterscheinungen sind und welche wirklich der Enteignung immanent sind. Mit anderen Worten: man weiß nicht, wie weit man die Abstraktion formaler Merkmale treiben darf oder muss. So kann man die klassische Enteignung durchaus zusammenfassend kennzeichnen als „Entzug, der die körperliche Nutzung von Grundstückseigentum zum Ziel hat". Doch dann stellt sich sofort die Frage: Kommt es darauf an, dass es gerade Grundstückseigentum ist, oder hat sich das nur zufällig so ergeben? Tendiert man in der Beantwortung dieser Frage zu letzterem, hat man das grundsätzliche Problem keineswegs gelöst. Denn es erhebt sich sogleich die Frage: Kommt es gerade auf eine körperliche Nutzung an, oder ist das auch nur eine zufällige Folge, die sich aus der zufälligen Beschränkung der klassischen Enteignung auf Grundeigentum ergibt? Reicht nicht auch irgendeine Art der Nutzung oder gar nur irgendein zweiter Umsetzung- oder Verwertungsakt 1021 aus? Hinzu kommt, dass, je abstrakter die durch eine Orientierung am konkreten Bild der klassischen Enteignung gewonnenen Merkmale sind, desto größer ist das Risiko, dass auch nicht entschädigungswürdige Eigentumsentziehungen unter die gefundene Formel fallen, mithin Enteignung und folglich entschädigungspflichtig sind. Nicht einmal mit der noch relativ engen Formel von der Güterbeschaffung zum Zwecke der Durchführung eines in der körperlichen Nutzung eines Grundstücks bestehenden Unternehmens ließe sich dieses Risiko gänzlich ausschließen. Denn es sind staatliche Teilentziehungen von Grundstückseigentum denkbar, die geschehen, um das Grundstück in seiner Körperlichkeit zu nutzen, die aber gleichwohl nicht immer entschädigungswürdig sind. Dies haben wir am Beispiel der hoheitlichen Begründung einer Dienstbarkeit zum Zwecke der Durchführung einer Leitung bereits gesehen: 1022 Durch die Auferlegung der Dienstbarkeit wird ein Teil erbringungsabsicht bereits der Enteignung als solcher immanent ist, so dass rechtswidrige und rechtmäßige Enteignung sich nur dadurch unterscheiden, dass bei letzterer die Gegenleistung auch tatsächlich erbracht wird. 1019 Vgl. oben S. 208 ff. 1020 Oben S. 207 ff. 1021 So Eschenbach, Schutz, S. 384 f. Siehe dazu oben S. 221 ff. 1022 Oben S. 216 f.

8

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

der sich auf das Vermögenswerte Gut beziehenden einfachrechtlichen Rechtsmacht „herausgebrochen". Denn durch die Dienstbarkeit besteht der Anspruch aus § 1004 BGB, was die Durchführung des geplanten Projekts angeht, nicht mehr. Das Argument, die Rechtsposition sei für einen teilweisen Entzug nicht „verselbstständigt" 1023 genug, 1024 verfängt demgegenüber nicht. 1 0 2 5 Denn eben das Gesetz, welches die Entstehung der Dienstbarkeit als Folge der staatlichen Handlung anordnet, hat eine solche „Verselbständigung" bewirkt. 1 0 2 6 Im Übrigen würde die Verneinung eines teilweisen Entzugs auch nicht mehr einer Orientierung am Bild der klassischen Enteignung entsprechen. Denn hierzu zählte zweifellos auch die hoheitliche Belastung von Grundeigentum mit Dienstbarkeiten. 1027 Aus demselben Grunde lässt sich auch das Merkmal der Übertragung (Überführung, Güterbeschaffung) nicht verneinen, obwohl in der Hand des durch die Dienstbarkeit Begünstigten nicht genau das Teilrecht entsteht, das in der Hand des Eigentümers erloschen ist, nämlich der sich gegen die Durchführung des Unternehmens richtende negatorische Anspruch aus § 1004 B G B . 1 0 2 8 Der einzig überzeugende Grund, der hoheitlichen Belastung eines Grundstücks mit einer Dienstbarkeit, um darauf eine Straße, Eisenbahnlinie oder Gondelbahn 1029 bauen zu können, Enteignungscharakter zuzusprechen, aber nicht der hoheitlichen Belastung, um darunter einer Leitung verlegen zu können, besteht nicht darin, dass es im letzteren Falle an der für klassische Enteignungen typischen Güterbeschaffungs-, Unternehmensdurchführungsoder Nutzungsabsicht fehlen würde. Er besteht vielmehr einzig und allein darin, dass die Belastung im letztgenannten Fall regelmäßig zu geringfügig ist, um eine Entschädigung zu rechtfertigen. Doch hierauf abzustellen, hieße, das Dogma vom rein formalen Enteignungsbegriff mit materiellen Kriterien zu „verunreinigen". 1030 Diese Lösung kommt, solange man von der Richtigkeit dieses Dogmas ausgeht, also nicht in Betracht. Folglich könnte man mit einer Orientierung am Bild der klassischen Enteignung das Risiko, nicht entschädigungswürdige Konstellationen zu erfassen, nur dadurch bannen, dass man ausschließlich konkrete historische Fälle der klassischen Enteignung als Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG anerkennt. Doch dann 1023 Zu diesem Kriterium der h.M. vgl. oben S. 208 Fn. 883. 1024 Vgl. Burgi, NVwZ 1994, S. 527 (531 Fn. 38). 1025 Auch die h.M. sieht in der Auferlegung einer Dienstbarkeit durch Hoheitsakt einen Teilentzug i. S. der Enteignungsdefinition (vgl. oben S. 216 Fn. 923). 1026 Vgl. zum inhaltsbestimmenden Regelungsgehalt von Normen, die staatliche Stellen dazu ermächtigen, gestaltend auf Eigentumspositionen einzuwirken, oben S. 132, 146 und 153. 1027 Vgl. oben S. 216 Fn. 923. 1028 Die Forderung, dass sich der Inhalt nicht ändern dürfe, erhebt Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 193. Er sieht sich dadurch freilich nicht gehindert, der Begründung von Dienstbarkeiten Enteignungscharakter zuzusprechen (vgl. a. a. O. Rn. 190). 1029 Vgl. BVerfGE 56, 249 ff. 1030 Vehement hiergegen insb. Rozek, Unterscheidung, S. 164 ff.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

käme man zu kaum hinnehmbaren und unter keinem Gesichtspunkt einleuchtenden Differenzierungen. Der Entzug von Eigentum zum Bau einer Straße oder Eisenbahn, weil konkreter Fall klassischer Enteignung, müsste sich an Art. 14 Abs. 3 GG messen lassen, aber schon nicht mehr der Entzug von Eigentum zum Bau eines Atomkraftwerkes oder einer Magnetschwebebahn. Das wäre eine so offensichtlich willkürliche Differenzierung, dass sie wohl niemand hinnehmen wollte, man sich also wenigsten ein bisschen von den Einzelkonstellationen entfernen und ein bisschen abstrahieren würde. Doch dann stellte sich sofort die Frage: Wie viel ist „ein bisschen"; was ist der tragende Grund für die im Ergebnis so einleuchtende Gleichbehandlung der o.g. Fälle? Ist entscheidend, dass man Grundeigentum körperlich für die Durchführung eines Unternehmens nutzen will, dass man Eigentum körperlich nutzen will, dass man Eigentum irgendwie nutzen will oder dass man überhaupt mit dem Eigentum „etwas vor" hat? Wie kann man willkürliche Ausgrenzungen vermeiden, ohne dabei das Risiko einzugehen, ohne es zu merken, auch Konstellationen zu erfassen, die nicht entschädigungswürdig sind? Dieses Dilemma dürfte die Erklärung dafür sein, weshalb jene, die eine Orientierung am Bild bzw. Typus der klassischen Enteignung empfehlen, nicht nur vor einer subsumtionsfahigen abschließenden Definition der Enteignung zurückzuschrecken scheinen, 1031 sondern auch das „Gewicht" der klassischen Enteignung offenbar doch nicht gänzlich unberücksichtigt lassen wollen. 1 0 3 2 Es dürfte ferner die Erklärung dafür sein, dass sich das Bundesverfassungsgericht so lange Zeit 1031 Vgl. Osterloh, DVB1. 1991, S. 907 (911): „Dagegen ist die Realisierung bestimmter staatlicher Infrastrukturmaßnahmen durch Nutzung von Grundstücken auch im Normalfall auf das Zwangsinstrument der Grundstücksenteignung als ultima ratio angewiesen", (913): „Art. 14 III GG ... gilt nur dann, wenn der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang auch das Instrument der zwangsweisen Güterbeschaffung zum Zweck künftiger Nutzung des Gutes durch Träger öffentlicher Gewalt oder private Dritte so einsetzt, wie es nach Art und Gewicht der klassischen Enteignung entsprichtManssen, Privatrechtsgestaltung, S. 272 f.: „Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG ist ein solcher Vorgang, der dem Bild eines klassischen Güterbeschaffungsvorgangs modal und hinsichtlich der Intensität entspricht. Dies dürfte mit einer Beschränkung auf den Entzug von Sachen im Sinne des § 90 BGB einhergehen" (Hervorhebungen F.R.). - Hinter dieses Formulierungen, deren kursiv gedruckte Teile jede Menge Hintertürchen offenlassen, steckt die Hoffnung, „dass mit dem Typus der klassischen Enteignung ein relativ klar umrissenes Institut bezeichnet ist" (Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 267), das nicht weiter erklärt werden muss, sondern auf das man mit Formulierungen wie „spezifischer Güterbeschaffungsvorgang" oder „Mittel zur Verwirklichung eines bestimmten Verwaltungszwecks" (dies. a. a. O. S. 267) nur verweisen muss. Doch diese Hoffnung ist - wie wir gesehen haben - trügerisch. 1032 Osterloh, DVB1. 1991, S. 907 (913), spricht von „Art und Gewicht der klassischen Enteignung", Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 272 f., von einer Entsprechung „modal und hinsichtlich der Intensität". Da beide aber keine abschließende Definition der Enteignung geben, sondern sich darauf beschränken, einige typische Kennzeichen zu benennen (vgl. oben Fn. 1031), bleibt letztlich unklar, ob das „Gewicht" bzw. die „Intensität" ein eigener Priifüngspunkt sein soll oder ob sie davon ausgehen, dass „Gewicht" bzw. „Intensität" bei der Erfüllung der modalen Kriterien automatisch gegeben sind. Die von ihnen genannten Kriterien (Infrastrukturmaßnahmen, Nutzung von Grundstücken, Güterbeschaffung) sind jedenfalls ausschließlich modal.

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

damit begnügte, das entscheidende formale Kriterium der Enteignung, den spezifischen Enteignungszweck, mit der sehr unbestimmten, wenig aussagekräftigen Formulierung „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" zu umschreiben.

ee) Fazit Der Mangel grammatikalischer, systematischer und teleologischer Anhaltspunkte für ein formales, wenngleich die Entschädigungswürdigkeit der Enteignung garantierendes Begriffsmerkmal „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" lässt sich also auch nicht durch eine Rückbesinnung auf den klassischen Enteignungsbegriff als solchen oder eine Orientierung am Bild der klassischen Enteignung beheben. Es hat sich zudem gezeigt, dass eine Orientierung an der klassischen Enteignung, insbesondere aber am klassischen Enteignungsfcegn# in einem problematischen Verhältnis zur Verfassungsbindung des Gesetzgebers steht. Ob dies gegen jegliche Berücksichtigung von Elementen der klassischen Enteignung spricht, insbesondere zu einer völligen Verabschiedung vom spezifischen Zweckbezug als Begriffserfordernis der Enteignung führt, ist an dieser Stelle noch nicht zu entscheiden. 1 0 3 3 Wichtig ist, hier zunächst nur festzuhalten, dass das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben", wie man es auch immer formal interpretieren mag, nicht garantieren kann, dass nur entschädigungswürdige Eingriffe als Enteignung qualifiziert werden. b) Die Unrichtigkeit

der These vom rein formalen Enteignungsbegriff

Dies lässt es als legitim erscheinen, die Prämisse, aufgrund derer ein solches Begriffsmerkmal überhaupt erforderlich erscheint, kritisch zu hinterfragen - die Notwendigkeit eines rein formalen Enteignungsbegriffs, der ohne materielle, sich an der Entschädigungswürdigkeit des Eingriffs orientierende Kriterien auskommt. 1 0 3 4 Es ist zu untersuchen, ob die Enteignung nicht doch - zumindest auch - dadurch gekennzeichnet ist, dass sie eine Belastung des Eigentümers verursacht, die sich ohne Entschädigung als unverhältnismäßig oder gleichheitswidrig darstellt. aa) Die Unabdingbarkeit der Entschädigung als Argument für materielle Kriterien Dafür, dass der Enteignungsbegriff auch materielle Kriterien enthält, spricht zunächst die Tatsache, dass nach Art. 14 Abs. 3 GG eine Enteignung ohne Entschä1033 Dazu später unten S. 264 ff. 1034 Vgl. dazu oben S. 205.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

1

digung nie verfassungsgemäß sein kann. Denn daraus folgt, wie wir bereits gesehen haben, 1035 dass jede Enteignung ein entschädigungswürdiger Vorgang ist. Die Entschädigungswürdigkeit einer Maßnahme ergibt sich aber - darüber dürfte Einigkeit herrschen - daraus, dass die fragliche Maßnahme sich ohne Gewährung eines Ausgleichs entweder als unverhältnismäßig oder als gleichheitssatzwidrig darstellt, also aus einer Betrachtung der sog. materiellen Auswirkungen der Maßnahme. 1036 Dass die Enteignung ganz entscheidend zumindest auch durch ihre belastende Wirkung gekennzeichnet ist, gesteht indirekt und ohne damit materielle Kriterien zum Begriffsmerkmal der Enteignung erheben zu wollen, auch das Bundesverfassungsgericht ein. So bezeichnet es in seiner Entscheidung zum Denkmalschutz den Entzug des Grundstückseigentums im Wege der Enteignung als einzige Möglichkeit zur Erhaltung eines geschützten Kulturdenkmals, falls das Übermaßverbot (also ein materielles Kriterium) den Weg über Nutzungsbeschränkungen verstellt. 1 0 3 7 Noch deutlicher rückt es die belastenden Wirkungen der Enteignung in seiner Entscheidung zum Vorkaufsrecht in den Vordergrund. Dort führt es im Hinblick auf die Ausgleichsbedürftigkeit der Umgestaltung oder Beseitigung von Eigentumsrechten durch ein Reformgesetz aus: „Selbst wenn Art. 14 Abs. 3 GG nicht unmittelbar eingreift, ist das darin zum Ausdruck kommende Gewicht des Eigentumsschutzes bei der vorzunehmenden Abwägung zu beachten, da sich der Eingriff für den Betroffenen wie eine (Teil- oder Voll-) Enteignung auswirkt." 1038 Das Entschädigungsgebot des Art. 14 Abs. 3 GG wird hier also eng mit den Wirkungen der Enteignung verknüpft, und die „analoge" Anwendung des Art. 14 Abs. 3 GG wird ausschließlich mit den vergleichbaren Wirkungen erklärt. Wenn jedoch die belastenden Wirkungen bei der analogen Anwendung des Art. 14 Abs. 3 GG maßgebend sind, wie können sie dann bei seiner direkten Anwendung völlig außer Betracht bleiben? Das wäre so, als ob man sich weigerte, eine Norm teleologisch auszulegen.

bb) Keine unzulässige Verlagerung von Kriterien der Eingriffsrechtfertigung auf die Ebene des Eingriffstatbestandes Zu schematisch ist in meinen Augen das von Sieckmann gegen eine Berücksichtigung materieller Kriterien vorgebrachte Argument. In unzulässiger Weise würden Kriterien der Eingriffsrechtfertigung auf die Ebene des Eingriffstatbestandes verlagert. 1039 1035 Oben S. 205 ff. 1036 Darauf stellt jedenfalls die h.M ab, wenn sie danach fragt, ob eine Norm i. S. des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG „ausgleichspflichtig" ist, vgl. oben S. 142 f. 1037 BVerfGE 100, 226 (243), vgl. dazu auch oben S. 115 Fn. 435. 1038 BVerfGE 83, 201 (212 f.). 16 Raue

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Dies wäre nämlich nur dann ein überzeugendes Gegenargument, wenn die Berücksichtigung dieser Kriterien auf der Ebene des Eingriffstatbestandes zu Wertungswidersprüchen führen würde. Dass die Enteignung ein materiell entschädigungswürdiger Vorgang ist, steht - wie wir bereits gesehen haben 1040 - jedoch nicht im Widerspruch zu den Wertungen des Art. 14 Abs. 3 GG, sondern entspricht ihnen. Dass dies dazu führt, dass Kriterien, die „normalerweise" nur auf der Ebene der Eingriffsrechtfertigung eine Rolle spielen, bereits auf der Ebene des Eingriffstatbestandes relevant sind, zeigt eben nur, dass die Enteignung kein „normaler" Eingriff ist. cc) Die Vereinbarkeit materieller Kriterien mit den Erfordernissen der Junktimklausel Dass die Enteignung trotzdem ein vom Vorliegen solcher Kriterien unabhängiger Vorgang sei, leitet die herrschende Meinung in erster Linie daraus ab, dass nach Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG, der sog. Junktimklausel, Art und Ausmaß der Entschädigung gesetzlich geregelt sein müssen. 1041 (1) Die Argumentation der Verfechter eines formalen Enteignungsbe griffs Eine Regelung von Art und Ausmaß der Entschädigung setze voraus, dass eine Enteignung bereits für den Gesetzgeber, der sie vornimmt bzw. hierzu ermächtigt, als solche erkennbar ist. 1 0 4 2 Eine solche Ex-ante-Beurteilung sei aber nur anhand formaler, handlungsbezogener Kriterien möglich, nicht anhand materieller, an der Intensität oder Lastengleichheit des Zugriffs orientierter Kriterien. 1043 Denn diese hingen von den nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilenden Auswirkungen des Eingriffs auf den jeweiligen Eigentümer ab. Diese Auswirkungen ließen sich aber mit Sicherheit erst durch eine Ex-post-Betrachtung, die nicht der Gesetzgeber, sondern erst die Gerichte anstellen könnten, feststellen und ermessen. 1044 1039 Vgl. Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 124; ders., Modelle, S. 301. Diesen Vorwurf müsste sich, wie wir gesehen haben (oben S. 220 f.), auch Sieckmanns eigenes Modell gefallen lassen, weil es ebenfalls (wenn auch verdeckt) auf materielle Kriterien abstellt. 1040 Oben S. 205 ff. 1041 Grundlegend Düng, JZ 1954, S. 4 (8); vgl. ferner Böhmer, AgrarR 1984, Beilage I, S. 2 (15 f.); Rozek, Unterscheidung, S. 86 ff.; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 90; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 272 f.; Burgi, NVwZ 1994, S. 527 (527); Kraft, BayVBl. 1994, S. 97 (99 f.); Lege, Zwangskontrakt, S. 15; Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 12, 63. 1042 Vgl. (auch zum Folgenden) Kraft, BayVBl. 1994, S. 97 (99 f.); Maurer-Appel, NordÖR 2002, S. 50 (55). 1043 Vgl. nur BVerwG, NJW 1990, S. 2572 (2573); Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 12; König, JA 2001, S. 345 (346). 1044 Vgl. nur Dürig, JZ 1954, S. 4 (8).

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG sei auch beim Wort zu nehmen und dürfe nicht durch salvatorische Entschädigungsregelungen, die für den Fall, dass ein bestimmter staatlicher Zugriff enteignende Auswirkungen hat, einen Anspruch auf angemessene Entschädigung einräumen, 1045 aufgeweicht werden. 1046 Denn Zweck des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG sei es, die haushalts- und grundrechtsrelevante Entscheidung über die Ersetzung der Bestands- in eine Wertgarantie im Gewaltenteilungsgefüge dem Gesetzgeber, der sich die Folgen seiner Regelung bewusst machen und dafür die volle Verantwortung übernehmen soll, vorzubehalten. Er stehe damit Regelungen entgegen, die durch ihre Unbestimmtheit bewirken, dass in der Sache die Judikative die „wesentlichen" Entscheidungen trifft. 1 0 4 7 Als Beleg für solche mit den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG nicht in Einklang zu bringenden Folgen materieller Kriterien werden die Eigenheiten der früher herrschenden und auf materielle Kriterien wie Schwere, Zumutbarkeit, Schutzwürdigkeit oder Sonderopfer abstellenden Schwellentheorien 1048 angeführt. 1 0 4 9 Die Herrschaft dieser materiellen Abgrenzungstheorien war in der Tat dadurch geprägt, dass unter den Begriff der Enteignung tendenziell auch solche entschädigungswürdigen Belastungen des Eigentümers subsumiert wurden, die - wie beim sog. „enteignenden Eingriff 4 oft der F a l l 1 0 5 0 - nicht oder nur schwer vorhersehbar waren, 1051 und salvatorische Entschädigungsregelungen 1052 oder sogar ein Zusprechen von Entschädigung ohne jede gesetzliche Grundlage akzeptiert wurden. 1053 1045 Etwa wie folgt: „Stellen Maßnahmen aufgrund dieses Gesetzes eine Enteignung dar, ist eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten." (vgl. BGHZ 99, 24 [27] mit Nachweisen entsprechender Gesetze). 1046 Vgl. oben S. 53 f. 1047 Zu diesem Zusammenhang zwischen Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG, Haushaltshoheit der Parlamente, Grundrechtsschutz des Einzelnen und Wesentlichkeitstheorie vgl. bereits oben S. 53. 1048 Siehe oben S. 140 Fn. 524. 1049 Vgl. nur Rozek, Unterscheidung, S. 86 f.; Kraft, BayVBl. 1994, S. 97 (99 f.). 1050 Vgl. BGHZ 99, 24 (27): erfasst „die unzumutbaren - meist atypischen und unvorhergesehenen - Nebenfolgen eines an sich rechtmäßigen Eingriffs"; ähnlich BGHZ 91, 20 (26 f.); DVB1. 2004, S. 945 (946); vgl. auch Maurer, VwR , § 27 Rn. 24; Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 701. - Das Vorhegen eines atypischen und unvorhergesehenen Nachteils ist nach Ansicht des BGH jedoch keine notwendige Voraussetzung, vgl. BGH, NJW 1986, S. 2423 (2424); W. Schmidt, NJW 1999, S. 2847 (2848 f.). 1051 Vgl. zum „enteignenden Eingriff 4 als Unterfall der Enteignung BGHZ 64, 220 (222); NJW 1965, S. 1907 (1908). Heute, nachdem er sich dem formalen Enteignungsbegriff angeschlossen hat (vgl. oben S. 141 Fn. 527), stützt der BGH den Entschädigungsanspruch wegen enteignenden Eingriffs auf den „allgemeinen Aufopferungsgrundsatz der §§ 74, 75 Einl. ALR ... in seiner richterrechtlichen Ausprägung" (BGHZ 91, 20 [27 f.]). 1052 Vgl. BGHZ'99, 24 (28) m. w. N. 1053 Vgl. BGHZ 53, 226 (243 f.): Gewährung von Entschädigung „auf der Rechtsgrundlage des Art. 14 GG"; BGHZ 99,24 (27): aufgrund der „Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG" und der „Gesamtregelung des Art. 14 GG"; ferner BGHZ 57, 359 ff.; NJW 1965, 16*

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

(2) Die Überzeichnung der Wirkungen materieller Kriterien im Hinblick auf die Anforderungen der Junktimklausel Diese Argumentation überzeichnet die Wirkungen materieller Begriffsmerkmale jedoch erheblich. Bei näherer Betrachtung zeigt sich nämlich, dass sich materielle Begriffsmerkmale durchaus mit den Anforderungen der Junktimklausel in Einklang bringen lassen. (a) Keine Notwendigkeit eines rein materiellen, alle entschädigungswürdigen Belastungen des Eigentums umfassenden Enteignungsbegriffs So ist es zwar in der Tat richtig, dass ein Enteignungsbegriff, der alle entschädigungswürdigen Belastungen des Eigentümers erfasste, zu einer großzügigeren Auslegung des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG zwingen würde. Denn würde man hier detaillierte Regelungen von Art und Ausmaß der Entschädigung verlangen, würden sich auch solche das Eigentum betreffenden Maßnahmen als verfassungswidrige Enteignungen darstellen, die - wie die sog. enteignenden Eingriffe 1054 - nach allgemeiner Ansicht zulässig sein sollen. Ein derart weiter, alle entschädigungswürdigen Belastungen des Eigentümers umfassender Enteignungsbegriff ist jedoch nicht die zwangsläufige Folge der Berücksichtigung materieller Kriterien bei der Beurteilung des Enteignungscharakters einer staatlichen Maßnahme. Zu eng ist der Satz, man habe sich zu entscheiden zwischen einem ausschließlich materiellen Enteignungsbegriff, der - wie angeblich die Schwellentheorien - tendenziell alle entschädigungswürdigen Belastungen des Eigentums erfasst, dafür aber eine Aufweichung der Anforderungen der Junktimklausel notwendig macht, und einem ausschließlich formalen Enteignungsbegriff, der - wie der klassische Enteignungsbegriff - nicht alle entschädigungswürdigen Belastungen des Eigentums erfasst, dafür aber den Vorgaben der Junktimklausel gerecht wird. 1 0 5 5 Denn aus dem Entschädigungsgebot des Art. 14 Abs. 3 GG folgt zunächst nur, dass jede Enteignung ein entschädigungswürdiger Vorgang ist und deshalb zumindest auch die Entschädigungswürdigkeit sicherstellende materielle Kriterien zu prüfen sind. Aus dem Entschädigungsgebot des Art. 14 Abs. 3 GG folgt jedoch nicht, dass jeder entschädigungswürdige Vorgang eine Enteignung ist und deshalb ausschließlich materielle Kriterien eine Rolle spielen. S. 1907 (1908); 80, S. 770 (770). Vgl. auch Papier, DVB1. 2000, S. 1399 (1400); Roller, NJW 2001, S. 1003 (1005). - Vgl. auch schon die Rspr. des Reichsgerichts oben S. 235 Fn. 1009. 1054 Vgl. zu diesen oben S. 243. 1055 So zuerst wohl H. P. Ipsen, VVDStRL 10 (1952), S. 74 (93 f., 121 Nr. 6); vgl. ferner nur Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 90; Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 63; Rozek, Unterscheidung, S. 171, 191, 284 ff., der eine Kombination materieller und formeller Kriterien als Methodensynkretismus bezeichnet (a. a. O. S. 171).

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

Eine ausschließlich materielle Begriffsbestimmung ist aber nicht nur nicht erforderlich. Vielmehr würde sie den Vorgaben des Grundgesetzes ebenso wenig entsprechen wie eine ausschließlich formale Begriffsbestimmung. So wie sich nämlich aus der Entschädigungspflicht ergibt, dass eine Enteignung entschädigungswürdig ist, ergibt sich aus Art. 1 Abs. 3 GG, dass „Enteignung" ein staatlicher Eingriff in den Abwehrgehalt des Eigentumsgrundrechts ist. 1 0 5 6 Damit ist das (formale) Merkmal „ Z u g r i f f des Staates auf das Eigentum des Einzelnen", mit dem - wie wir gesehen haben 1057 - das Bundesverfassungsgericht den Eingriffscharakter der Enteignung zum Ausdruck bringt, unverzichtbar. Ferner legt der Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG („Enteignung") nahe, dass nur die sich auf das Vermögenswerte Gut beziehende Rechtsmacht des Eigentümers, also die eigentumszuweisenden Imperative und Verfügungsbefugnisse, nicht auch die sich auf das zugewiesenen Gut beziehenden durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ebenfalls geschützten natürlichen Handlungen des Eigentümers, Gegenstand der Enteignung sind. 1 0 5 8 Denn ein „Aus-dem-Eigentum-Setzen", also ein Wegnehmen, ist bei Handlungen eigentlich nicht denkbar. Allenfalls deren Vornahme kann verboten oder behindert werden. Damit ist plausibel begründbar, dass dem Begriff „Enteignung" auch das - ebenfalls formale - Merkmal „Entzug einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition" immanent ist. Diese beiden formalen Merkmale - „ Z u g r i f f des Staates auf das Eigentum des Einzelnen" und „Entzug von durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtspositionen" - minimieren das Risiko nicht oder nur schwer vorhersehbarer Enteignungen erheblich. Durch das erste Merkmal werden zunächst sämtliche entschädigungswürdige Belastungen, die keinen Eingriffscharakter haben, aus dem Enteignungsbegriff ausgeschieden. Das betrifft zum einen Rechtsverluste, die aufgrund privater Risikoverwirklichungshandlungen eintreten (z. B. § 932 BGB). 1 0 5 9 Zum anderen betrifft es auch jene vom Staat (mittelbar oder faktisch) verursachten entschädigungswürdigen Belastungen, die - wie zu weiten Teilen der sog. enteignende Eingriff 1 0 6 0 · nicht vorhersehbar sind und deshalb schon nach allgemeinen Grundsätzen nicht die Qualität eines Grundrechseingriffs haben 1061 . 1056 Vgl. dazu schon oben S. 136. 1057 Oben S. 165. 1058 Vgl. dazu bereits oben S. 114 f. 1059 Vgl. oben S. 135 ff. 1060 Vgl. dazu oben S. 243. 1061 ist _ wie bei Grundrechten - ein bestimmtes Handeln wegen seiner Folgen verboten, so müssen die Folgen für den Adressaten des Handlungsverbots vorhersehbar sein. Andernfalls würde das Handlungsverbot Unmögliches verlangen. Die Vorhersehbarkeit der Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzguts als Voraussetzung eines Grundrechtseingriffs folgt also bereits aus der Funktion des Abwehrgehalts des Grundrechts als Unterlassungsanpruch (str., vgl. Sachs, in: Sachs3, Vor Art. 1 Rn. 84; ders., in: Stern/Sachs, Staatsrecht III/2, S. 153 f.; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 159 ff.; auf die Vorhersehbarkeit abstellend

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Durch das zweite Merkmal, das des „Entzugs einer Rechtsposition", beschränkt sich die Enteignung auf den technischen (teilweisen oder vollständigen) Verlust des Bündels an Imperativen und Verfügungsbefugnissen in der Hand des Einzelnen. 1 0 6 2 Da solch ein Entzug nur möglich ist, wenn eine Rechtsnorm ihn als Rechtsfolge einer rechtgestaltenden Handlung vorsieht, ist er für den Gesetzgeber immer vorhersehbar. Die typischen Erscheinungsformen der sog. „Zufallsenteignung", Handlungsverbote und Beeinträchtigungen des zugeordneten Vermögenswerten Guts durch Realakt, fallen - mögen sie auch entschädigungswürdig sein damit aus dem Enteignungsbegriff heraus. Ein Verzicht auf die den Enteignungsbegriff eingrenzenden formalen Merkmale des „Zugriffs des Staates auf das Eigentum des Einzelnen" und des „Entzugs von durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtspositionen" wäre - gegen Art. 1 Abs. 3 GG und den Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG - allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn man aus Art. 14 Abs. 3 GG im Umkehrschluss folgern müsste, dass die Gewährung eines Verhältnismäßigkeits- oder Sonderopferausgleichs außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 14 Abs. 3 GG ausgeschlossen ist. 1 0 6 3 Hiergegen sprechen aber schon praktisch-teleologische Erwägungen. Zwar könnte man dem praktischen Bedürfnis nach einem Verhältnismäßigkeits- bzw. Sonderopferausgleich im Kontext des Art. 14 GG noch durch einen extrem weiten Enteignungsbegriff gerecht werden, wenn auch auf Kosten von Reibungen mit anderen systematischen Vorgaben wie dem Verzicht auf den Charakter der Enteignung als staatlicher Eingriff. Denn anders könnte man beispielsweise die Ausgleichsregelungen in § 904 Satz 2 BGB oder § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht unter diesen Enteignungsbegriff fassen. Gar nicht mehr gerecht werden könnte man jedoch dem Bedürfnis nach der Möglichkeit eines Verhältnismäßigkeits- oder Sonderopferausgleichs bei anderen Grundrechten, z. B. Art. 12 Abs. 1 G G . 1 0 6 4 ζ. B. BVerwGE 84, 37 [43 f.]; auch BVerfGE 105, 279 [300] hält die Tatsache des In-KaufNehmens nachteiliger Rückwirkungen auf das grundrechtlich geschützte Gut zumindest für erwähnenswert). Der sog. „enteignende Eingriff 4 ist, soweit er auch nicht vorhersehbare Beeinträchtigungen erfasst, also gar kein Eingriff im grundrechtlichen Sinne (a.A. - zumindest terminologisch - ζ. B. BGHZ 97, 361 [363]). Man könnte sonst auch schwerlich begründen, dass er vom Eigentümer zu dulden ist (vgl. BGHZ 91, 20 [22 f.]; 64, 220 [222, 223]; NJW 1980, S. 770 [770]), denn Grundrechtseingriffe können vom Grundrechtsträger abgewehrt werden (in diesem Sinne auch Berkemann, in: MAK-GG I, Art. 14 Rn. 704; wohl auch W. Schmidt, NJW 1999, S. 2847 [2848]). 1062 Vgl auch bereits oben S. 115 f., 184. 1063 Auf die Möglichkeit eines solchen Umkehrschlusses hinweisend Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 211 (213); Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 135; Papier, in: Maunz/ Dürig, Art. 14 Rn. 343 ff. 1064 Vgl. z u finanziellen Ausgleichsmaßnahmen bei anderen Grundrechten BVerfGE 97, 228 (263); 54, 251 (271); 57, 107 (117); Schulze-Osterloh, NJW 1981, S. 2537 (2541 f.); Ehlers, W D S t R L 51 (1992), S. 211 (232 f.); Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 178.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

7

Neben diesen praktisch-teleologischen Erwägungen spricht gegen einen Umkehrschluss aus Art. 14 Abs. 3 GG aber auch der dogmatische Entstehungskontext des Grundgesetzes. Das Problem der Herstellung verhältnismäßiger oder gleichheitssatzgemäßer Zustände durch Gewährung eines finanziellen Ausgleichs war bei Schaffung des Grundgesetzes keineswegs in allen Facetten ausgelotet. Denn schon sein Nährboden, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Mittel der Lösung des Konflikts von Grundrechtsbindung des Gesetzgebers und politischer Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, war keineswegs eindeutig im Grundgesetz angelegt. 1 0 6 5 Von den Normen, die sich in allgemeingültiger Weise mit diesem Konflikt befassen (Art. 19 Abs. 1 und Abs. 2 GG), macht nur Art. 19 Abs. 2 GG eine sehr vage und vieldeutige Aussage („Wesensgehalt") zu den materiellen Grenzen zwischen gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit und Grundrechtsbindung des Gesetzgebers. Das legt nahe, dass man hier vieles der zukünftigen Entwicklung überlassen wollte. 1 0 6 6 Dies spricht wiederum dafür, in Normen wie Art. 14 GG, die aufgrund historischer Besonderheiten 1067 für einzelne Sachgebiete schon über die allgemeinen Aussagen hinausgehende, konkretere Antworten auf die Frage nach den Bindungen des Gesetzgebers bereit halten, eher eine Basis für Analogien, einen Orientierungspunkt für die Richtung, in welche die „allgemeinen Grundsätze" zu interpretieren sind, zu sehen als eine Basis für Umkehrschlüsse. Ein finanzieller Verhältnismäßigkeits- bzw. Sonderopferausgleich außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 14 Abs. 3 GG ist also möglich. Mithin besteht kein Grund, aus teleologischen Gründen auf die aus dem systematischen Zusammenspiel von Art. 14 GG mit Art. 1 Abs. 3 GG und dem Wortlaut des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG folgenden formalen Merkmale „Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen" und „Entzug durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützter Rechtspositionen" zu verzichten. Diese können also ihre den Begriff der Enteignung eingrenzende Wirkung entfalten. Das wiederum hat zur Folge, dass die meisten entschädigungswürdigen, jedoch nicht oder nur schwer vorhersehbaren Eigentumseingriffe schon tatbestandlich keine Enteignungen sind und damit im Hinblick auf die Regelungsanforderungen der Junktimklausel keine Probleme verursachen können.

1065 Vgl. dazu oben S. 49 f. 1066 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Kommentierung des Mitglieds des Parlamentarischen Rats v. Mangoldt zu Art. 19 Abs. 2 GG, in der er der Rspr. die Aufgabe zuweist den „sich in allgemeinen Worten und mit allgemeingültiger Wirkung nicht umschreiben" lassenden Wesensgehalt der Grundrechte „näher zu umschreiben und die gezogenen Grenzen in Übereinstimmung mit dem Wechsel der Anschauungen der Zeit zu halten" (v. Mangoldt, GG 1 , Art. 19 Anm. 4, S. 120). 1067 Gemeint ist die in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts aufkommende Angst vor „konfiskationslüsternen" eigentumsfeindlichen Landesgesetzgebern, welche die (teleologische) Interpretation des Art. 153 WRV durch das Reichsgericht und die h.L. prägte, vgl. dazu oben S. 232 ff.

8

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

(b) Keine salvatorische Entschädigungsregelungen erfordernde aus der „Natur" materieller Kriterien folgende Unbestimmtheiten Was bleibt, ist freilich die Unbestimmtheit, die aus der Einzelfallabhängigkeit der Verhältnismäßigkeits- oder Gleichheitssatzprüfung als solcher resultiert. Mag der aufgrund eines staatlichen Zugriffs erfolgende Entzug einer Rechtsposition für den Gesetzgeber auch eindeutig vorhersehbar sein, ob und inwieweit er nach Verhältnismäßigkeits- oder Gleichheitsmaßstäben entschädigungswürdig ist, hängt sehr von den konkreten Umständen ab, in denen er stattfindet, und diese sind nicht immer hundertprozentig vorhersehbar. Eine nicht hundertprozentige Vorhersehbarkeit führt aber noch nicht zwangsläufig durchweg zur Notwendigkeit salvatorischer Entschädigungsregelungen. 1068 Denn das den Verlust einer Rechtsposition anordnende Gesetz knüpft diese Rechtsfolge an einen in einer bestimmten Situation stattfindenden staatlichen Zugriff. Es ist für den durch die Statuierung der Rechtsfolge „Verlust der Rechtsposition" entsprechend alarmierten Gesetzgeber durchaus möglich, sich diese Situation vorzustellen, zu überlegen, unter welchen Umständen der Eigentumsverlust in dieser Situation ohne Entschädigung unverhältnismäßig oder gleichheitssatzwidrig ist, und hierfür eine Regelung über „Art und Ausmaß" der Entschädigung zu treffen. Würde allein die Tatsache, dass der Enteignungscharakter des staatlichen Entzugs auch von Verhältnismäßigkeits- oder Gleichheitserwägungen abhängt, dazu führen, dass Regelungen über Art und Ausmaß der Entschädigung nicht möglich sind, müsste das erst recht für Ausgleichregelungen im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gelten. Denn dort hängen die Notwendigkeit sowie Art und Umfang der Entschädigung ausschließlich von Verhältnismäßigkeits- bzw. Gleichheitserwägungen ab. 1 0 6 9 Gleichwohl halten das Bundesverfassungsgericht 1070 und ein Großteil des Schrifttums 1071 hier eine Regelung sowohl 1068 Ähnlich auch schon Weyreuther,

Entschädigungsregelungen, S. 16.

1069 Vgl. oben S. 142 ff. 1070 Vgl. BVerfGE 100, 226 (246): Der Gesetzgeber habe „auf normativer Ebene mit der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums auch Voraussetzungen, Art und Umfang des Ausgleichs sonst unverhältnismäßiger Belastungen zu regeln" (Hervorhebung F.R.). Diese Formulierung schließt salvatorische Entschädigungsklauseln aus (Battis, NuR 2000, S. 421 [425]; Wilhelm, JZ 2000, S. 905 [912 Fn. 56]; Lepsius, Besitz, S. 80; wohl auch Roller, NJW 2001, S. 1003 [1009]; Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 83; Papier, DVB1. 2000, S. 1399 [1406]; a. A. Külpmann, JuS 2000, S. 646 [650]; W. Schmidt, NJW 1999, S. 2847 [2847 Fn. 6, 2850]; Hendler, DVB1. 1999, S. 1501 [1503 f.]). 1071 Salvatorische Entschädigungsregelungen im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG für unzulässig (und damit auch für vermeidbar) haltend: Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 100a; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I , Art. 14 Rn. 248 ff.; Wieland, in: Dreier I 2 , Art. 14 Rn. 135; Papier, NWVB1. 1990, S. 397 (400 f.); Pietzcker, NVwZ 1991, 418 (426); ders., JuS 1991, S. 369 (372); Ehlers, W D S t R L 51 (1992), S. 211 (233 f.); Detterbeck, DÖV 1994, S. 273 (277); Rozek, Unterscheidung, S. 130 f.; grundsätzlich auch Roller, NJW 2001, S. 1003 (1009); Schoch, FS Boujong, S. 655 (667 ff.); Melchinger, NJW

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

der Voraussetzungen als auch der Art und des Umfangs des Ausgleichs für geboten und damit auch für möglich. Sollte sich nun aufgrund völlig atypischer und deshalb vom Gesetzgeber nicht vorhergesehener und nicht geregelter Umstände ein gesetzlich vorgesehener staatlicher Entzug von Eigentum als ohne Entschädigung unverhältnismäßig oder gleichheitssatzwidrig darstellen, so ist zwischen zwei Konstellationen zu unterscheiden. In der ersten Konstellation ist die Entschädigungswürdigkeit des Entzugs zwar für die gesetzesanwendende Stelle, nicht aber für den Gesetzgeber erkennbar. Dann hat der staatliche Zugriff, weil nicht in einer den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG genügenden Weise geregelt, eben zu unterbleiben. Dies führt keineswegs zu schwerwiegenden praktischen Problemen, die nur durch die Zulassung salvatorischer Entschädigungsregelungen gelöst werden könnten. Sobald eine solche Situation nämlich das erste Mal eingetreten ist, verliert sie ihre Nicht-Vorhersehbarkeit. Es ist nun bekannt, dass der Entzug in bestimmten bisher nicht bedachten Umständen zu entschädigungswürdigen Belastungen des Eigentümers führen kann. Dem Gesetzgeber ist es nunmehr möglich und unbenommen, hierfür eine hinreichend bestimmte Entschädigungsregelung zu schaffen. In der zweiten Konstellation ist die Entschädigungswürdigkeit des Entzugs auch nicht im Moment der Vornahme der staatlichen Maßnahme erkennbar. Dann können die Folgen dem Staat auch insoweit nicht als abwehrgrundrechtlich relevant zugerechnet werden. Es liegt insoweit nur ein sog. enteignender Eingriff vor, der soweit er unvorhersehbar ist - eben gerade kein Eingriff im Sinne einer den Abwehrgehalt des Grundrechts auslösenden staatlichen Maßnahme i s t 1 0 7 2 und damit auch keine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG sein kann. Die Frage, inwieweit er zu entschädigen ist, beurteilt sich somit nicht nach Art. 14 Abs. 3 GG. Auch hier ist freilich zu beachten, dass einmal Nicht-Vorhersehbares keineswegs für immer nicht vorhersehbar bleiben muss. 1073 Denn dadurch, dass eine solche Konstellation auftritt, kann sie erkennbar und damit vorhersehbar werden. Ab diesem Zeitpunkt ist die abwehrrechtliche Zurechenbarkeit der entschädigungswürdigen Folgen zu bejahen. Der Entzug hat dann bei Vorliegen der die Entschädigungswürdigkeit herbeiführenden Umstände zu unterbleiben, es sei denn, der Gesetzgeber schafft hierfür eine den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG entsprechende Entschädigungsregelung. 1991, S. 2524 (2528 ff.); Schiette, JuS 1996, S. 204 (206); wohl auch Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 569 f.: „höchst bedenklich." Salvatorische Entschädigungsregelungen hier für zulässig haltend hingegen BVerwGE 94, 1 (10); NVwZ 1997, S. 887 (889); BGHZ 99, 24 (28); 121, 73 (78); 126, 379 (381); 133, 271 (273 f.); Külpmann, JuS 2000, S. 646 (650); Rüfner, FS Boujong, S. 643 (646 ff.); ders., in: Erichsen/Ehlers, VwR AT 1 2 , § 48 Rn. 50; Detterbeck / Windthorst / Sproll, § 15 Rn. 34 f. 1072 Vgl. oben S. 245 Fn. 1061. 1073 in diesem Sinne auch Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 108.

250

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Den Gesetzgeber trifft also eine Art Nachbesserungsobliegenheit 1074: Je mehr empirische Erfahrungen hinsichtlich eines bestimmten staatlichen Entzugs von Eigentum gewonnen sind, desto detaillierter muss die Regelung über Art und Ausmaß der Entschädigung sein. Auch die aus der Einzelfallabhängigkeit der Verhältnismäßigkeits- oder Gleichheitssatzprüfung „als solche" resultierenden Unbestimmtheiten machen einen Rückgriff auf salvatorische Entschädigungsregelungen und damit ein Aushebeln der Junktimklausel also keineswegs erforderlich. (c) Voreilige Gleichsetzung der Charakteristika der Schwellentheorien mit denen materieller Kriterien Der Grund für die Überbewertung der Folgen einer Integration materieller Kriterien in den Enteignungsbegriff durch die herrschende Meinung dürfte wohl darin liegen, dass sie zu vorschnell von den Eigenheiten der historischen Schwellentheorien - „Heilungskompetenz" der Zivilgerichte, 1075 Hinnahme salvatorischer Entschädigungsklauseln1076 - auf die Eigenheiten materieller Kriterien als solcher schließt. 1077 Dabei trägt sie nämlich in diesem Punkt nicht hinreichend dem Umstand Rechnung, dass die historischen Schwellentheorien, die unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung entstanden und an die für die Zwecke der Interpretation des Art. 14 Abs. 3 GG anfangs einfach angeknüpft wurde, 1 0 7 8 ihre konkrete Gestalt nicht nur der Einsicht verdankten, dass die Entschädigungswürdigkeit der Enteignung ausschließlich durch die Prüfung materieller Kriterien sichergestellt werden kann, sondern auch dem Bedürfnis nach einer effektiven gerichtlichen Kontrolle des das Eigentum regelnden Gesetzgebers. 1079 Da es den Art. 93 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4a und 100 Abs. 1 GG vergleichbare Möglichkeiten der Normenkontrolle nicht gab, entwickelte das Reichsgericht eine Art indirekte Normenkontrolle über seine aus Art. 153 Abs. 2 Satz 3 WRV folgende Kompetenz, im Streitfalle über die Höhe der Enteignungsentschädigung zu entscheiden.1080 Hierfür günstig war ein weiter 1074 Zu Beobachtungs- und Nachbesserungspflichten in anderen grundrechtlichen Zusammenhängen vgl. BVerfGE 49, 89 (130 ff.); 50, 290 (335, 377 f.); 56, 54 (78 ff.); 88, 203 (309 ff.); angedeutet auch schon in BVerfGE 25, 1 (13). 1075 Vgl. oben S. 235 Fn. 1009 für das Reichsgericht, S. 243 Fn. 1053 für den BGH. 1076 vgl. oben S. 243 Fn. 1052. 1077 Fast immer wird mit einer Darstellung der Nachteile der Schwellentheorien des BGH oder des BVerwG begonnen und diese sodann den Vorteilen des formalen Enteignungsbegriffs gegenüber gestellt, vgl. nur Kraft, BayVBl. 1994, S. 97 (99 f.); Rozek, Unterscheidung, S. 5 ff. 1078 vgl. BGHZ 6, 270 (276 ff.); Weber, in: HdbGR II, S. 331 (345 f.). Kritisch dazu insb. Böhmer, Der Staat 24 (1985), S. 157 (165 ff.). 1079 Vgl. oben S. 232 f. 18 Vgl. oben S. .

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

251

- möglichst viele entschädigungswürdigen Belastungen des Eigentümers umfassender - Enteignungsbegriff. Denn nur beim Vorliegen einer Enteignung war die Zuständigkeit nach Art. 153 Abs. 2 Satz 3 WRV eröffnet. Ferner ist zu berücksichtigen, dass nicht nur die Kontrolle des Gesetzgebers, sondern auch die Kontrolle anhand materieller Maßstäbe damals ein Novum war, und zwar eines, das sich nur allmählich und gegen heftige Widerstände durchzusetzen vermochte. 1081 Das musste notwendigerweise zu Diskussionen über den Inhalt dieser Maßstäbe 1082 und damit zu einer Vielzahl von Theorien über die „richtigen" Kriterien (Sonderopfer, Schutzwürdigkeit, Zumutbarkeit) führen. Diese Faktoren - nicht die „Natur" materieller Begriffsmerkmale - erklären in der Hauptsache die relative Konturenlosigkeit und Vielzahl der historischen Schwellentheorien 1083 sowie die Inanspruchnahme einer „Heilungskompetenz" der Zivilgerichte, 1084 die gesetzgeberische Entschädigungsregelungen überflüssig und damit salvatorische Entschädigungsregelungen als akzeptabel erscheinen ließ. (3) Die Problematik eines rein formalen Enteignungsbegriffs gerade im Hinblick auf die Junktimklausel Hinzu kommt, dass durch die Integration materieller Kriterien in den Enteignungsbegriff die praktische Wirksamkeit der Junktimklausel wesentlich höher ist als bei einem rein formalen Enteignungsbegriff. 1085 Denn bei einem rein formalen Enteignungsbegriff ist sie von vornherein nur auf Konstellationen anwendbar, in denen ihre Anforderungen vom Gesetzgeber problemlos erfüllt werden können. Die im Hinblick auf ihre Anforderungen kritischen, weil in ihren materiellen Auswirkungen nur schwer vorhersehbaren, Fälle der Ersetzung der Bestands- durch eine Wertgarantie spielen sich hingegen im Bereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ab. Wenn es nun aber tatsächlich das Ziel der Junktimklausel ist, den Bestandsschutz gegenüber dem bloßen Wertschutz zu stärken und die Haushaltshoheit der 1081 Vgl. ζ. B. Anschütz, Ersatzanspruch (1897), S. 117: „ . . . die Tiefe des staatlichen Eingriffs ist ein juristisch ganz belangloses Moment"; ders., PrVU (1912), Art. 9 Anm. 7, S. 166: „Rehms Unterscheidungen sind zudem, soweit sie mit dem Momente der ,Beträchtlichkeit' operieren, unjuristisch." 1082 Vgl. ζ. B. die Ablehnung der Schutzwürdigkeitstheorie von W. Jellinek, Verwaltungsrecht 3, S. 413 f., die letztlich dem entspricht, was wir heute im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne prüfen, durch Anschütz, WRV 1 4 , Art. 153 Anm. 9, S. 713: „ . . . lässt dem richterlichen Ermessen zu viel Spielraum... ist unscharf ..."; vgl. ferner die Skepsis gegenüber materiellen Kriterien bei Wittmayer, in: 36. DJT I I (1931), S. 404 f.; Kirchheimer, Grenzen, S. 58 f. 1083 Vgl. die Kritik bei Böhmer, Der Staat 24 (1985), S. 157 (161). 1084 in diesem Sinne auch Detterbeck, DÖV 1994, S. 273 (275 f.). Hinzuweisen ist außerdem auf RGZ 109, 310 (323), wo das Gericht eine „Heilung" ausdrücklich ablehnt und stattdessen erklärt, das Gesetz müsse außer Anwendung gelassen werden. loss Ähnlich auch Olivet, DÖV 1985, S. 697 (699); Pietzcker, JuS 1991, S. 369 (372); Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 124.

252

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Parlamente zu sichern, müsste sie gerade auf diese kritischen Fälle anwendbar sein. Das Bundesverfassungsgericht trägt dem in gewissem Umfange Rechnung. Denn es fordert auch bei Ausgleichsregelungen im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, dass der Gesetzgeber „auf normativer Ebene mit der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums auch Voraussetzungen, Art und Umfang des Ausgleichs sonst unverhältnismäßiger Belastungen" regelt. 1086 Damit wendet es letztlich die Junktimklausel in der Sache analog an. 1 0 8 7 Doch es ist trotzdem ein seltsames Ergebnis, dass eine Norm in ihrem direkten Anwendungsbereich weniger praktische Wirksamkeit entfaltet als dort, wo nur ihre Wertungen herangezogen werden. Das ist auch mehr als nur ein dogmatisch-ästhetisches Problem. Denn die von einer Norm ausgehenden disziplinierenden Wirkungen sind erheblich größer, wenn sie direkt anwendbar ist, und zwar auch auf Konstellationen, in denen die Erfüllung ihrer Anforderungen schwierig oder sogar unmöglich ist. Muss der Gesetzgeber nämlich damit rechnen, dass er den Enteignungscharakter einiger seiner Regelungen nicht auf den ersten Blick erkennt, wird er - ehe er das Risiko ihrer Verfassungswidrigkeit eingeht - die verschiedenen Konstellationen, in denen eine Norm zur Anwendung kommen kann, genauer durchdenken. Zwangsläufig werden damit auch die Entschädigungsregelungen detaillierter. Entpuppt sich ein von ihm vorgenommener oder gestatteter Entzug von Eigentum tatsächlich in von ihm nicht vorhergesehener Weise als entschädigungswürdig und damit als, weil ohne hinreichende Entschädigungsregelung, verfassungswidrige Enteignung, wird er entweder für die Zukunft Abhilfe schaffen, indem er auf der Grundlage der gemachten Erfahrungen eine Entschädigungsregelung für die entsprechende Konstellation schafft, oder - wenn er diesen derart belastenden Eigentumsentzug nicht will keine Abhilfe schaffen. Die Junktimklausel führt so zu einer ständigen Überprüfung und Verbesserung des einfachen Rechts; sie wirkt dynamisch. 1088 Demgegenüber bewirkt die Überformalisierung des Enteignungsbegriffs eine statische Einordnung von eigentumsrelevanten Maßnahmen in für den Gesetzgeber in ihren Auswirkungen deutlich vorhersehbare und nicht hinreichend vorhersehbare. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass aufgrund gemachter Erfahrungen aus einst nicht vorhersehbaren hinreichend vorhersehbare Belastungen des Eigentums werden können. So mag beim ersten U-Bahn-Bau 1089 oder beim ersten Bau einer Kläranlage 1090 in der Tat weder für den Gesetzgeber noch für die gesetzesanwendenden Stellen vorhersehbar gewesen sein, dass und inwieweit hierdurch entschä1086 BVerfGE 100, 226 (245); so auch i. Erg. diejenigen, welche salvatorische Klauseln im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG für unzulässig halten, vgl. oben S. 248 Fn. 1071. 1087 Zur Frage, ob es sich dabei um eine Analogie handelt oder ob sich das bereits aus „allgemeinen Grundsätzen" ergibt, siehe sogleich S. 258 ff. 1088 sie wird damit zu einem Spezialfall der den Gesetzgeber treffenden Beobachtungsund Nachbesserungspflichten. Vgl. hierzu bereits oben S. 250. 1089 Vgl. BGH, NJW 1965, S. 1907 ff.; BGHZ 57, 359 ff. 1090 Vgl. BGHZ 91, 20 ff.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

253

digungswürdige Belastungen für benachbarte Eigentümer entstehen können. Inzwischen hat man diesbezüglich aber Erfahrungen gesammelt und weiß, unter welchen Umständen es zu solchen Belastungen kommt. 1 0 9 1 Trotzdem werden diese oder ähnliche Beeinträchtigungen nach wie vor in der Sache als „nicht vorhersehbar" und damit nicht regelbar behandelt. 1092 Nun mag mancher einwenden, das Risiko der Verfassungswidrigkeit des Zugriffs wegen nicht vorhersehbarer Entschädigungswürdigkeit sei, auch wenn es nur den ersten Fall des Zugriffs betrifft, „unerträglich", so dass für solche Konstellationen salvatorische Entschädigungsregelungen zulässig sein müssen. Angenommen das stimmt (was ich verneinen würde), weshalb soll es besser sein, diesem Bedürfnis durch eine Verlagerung solcher Konstellationen in den Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG mit einer - der begrenzten Zulässigkeit salvatorischer Entschädigungsregelungen offenbar nicht entgegenstehenden - Anwendung der Grundgedanken des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG Rechnung zu tragen als durch eine von vornherein etwas flexiblere Auslegung des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG? Wenn nämlich die Grundgedanken der Junktimklausel - Sicherung der Budgethoheit der Parlamente und Stärkung der Bestandsgarantie gegenüber der bloßen Wertgarantie - der begrenzten Zulässigkeit von salvatorischen Entschädigungsregelungen im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht entgegenstehen, dann gibt es doch eigentlich keinen Grund, derartig auf den, offenbar insoweit vom Sinn und Zweck der Norm nicht getragenen, Wortlaut der Junktimklausel („Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt") zu pochen. 1093 Dies gilt umso mehr, als man - wenn man genau hinsieht - im Rahmen klassischer Entschädigungsregelungen durchaus salvatorische Reste für atypische Konstellationen akzeptiert. 1094 Auch bei anderen verfassungsrechtlichen Regelungsaufträgen - Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, 1 0 9 5 Art. 103 Abs. 2 GG, 1 0 9 6 allgemeines rechtsstaatliches Bestimmtheitsgebot aus Art. 20 Abs. 3 GG, 1 0 9 7 Wesentlichkeits1091 Vgl. auch W. Schmidt, NJW 1999, S. 2847 (2848). 1092 Der BGH gewährt hier unter Berufung auf den Rechtsgedanken des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB Entschädigung wegen eines enteignenden Eingriffs, vgl. BGHZ 91, 20 (27); 97, 114 (116 f.); 97, 361 (362 f.); 122,76 (76 ff.); 129, 124 (125 f.). Treffend hierzu die Einschätzung von W. Schmidt, NJW 1999, S. 2847 (2849): „Der Sache nach handelt es sich bei diesen »enteignenden Eingriffen' um eine ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmung ohne gesetzliche Regelung des Ausgleichsanspruchs." 1093 Vgl. auch Pietzcker, JuS 1991, S. 369 (372), der an die Regelungsdichte für Ausgleichsregelungen im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nur solche Anforderungen stellen will, die der Gesetzgeber erfüllen kann; ähnlich auch Detterheck, DÖV 1994, S. 273 (279), und Roller, NJW 2001, S. 1003 (1009). 1094 Vgl. nur § 96 Abs. 1 Satz 2 BauGB; § 10 Abs. 1 Satz 2 BW EntG für heute. Vorsorge für nicht vorhersehbare Schäden trifft ζ. B. auch § 30 Abs. 1 SächsEntG v. 1902. 1095 Vgl. BVerfGE 58, 257 (277 f.); 76, 130 (143). 1096 Vgl. BVerfGE 11, 234 (237 f.); 28, 175 (183); 45, 363 (371 f.); 48, 48 (56 f.); 73, 206 (238 f.); 78, 374 (389); 96, 68 (97 f.). 1097 Vgl. BVerfGE 48, 210 (221 f.); 49, 168 (181); 59, 104 (114); 78, 205 (212 f.); 84, 133 (149); 86, 288 (311); 87, 234 (263); 89, 69 (84); 93, 213 (238); 103, 111 (135); 108, 186 (234 f.); 110, 370 (396 f.).

254

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

theorie (Art. 20 Abs. 1 und 3 G G ) 1 0 9 8 - macht man schließlich die Anforderungen an die Regelungsdichte von den Eigenheiten des Sachgebiets abhängig und stellt sie so unter den Vorbehalt des Machbaren. Wer gegen diese Parallele einwenden will, dass es im Unterschied zu den letztgenannten Regelungsaufträgen bei der Junktimklausel auch um die Sicherung der Budgethoheit der Parlamente gehe und dies eine strengere Handhabung derselben erfordere, muss sich fragen, ob der Junktimklausel wirklich eine so überragende Bedeutung für die Sicherung der Budgethoheit der Parlamente zukommt, wie gemeinhin behauptet wird. Denn unabhängig davon, ob die Entschädigungsregelung salvatorischen Charakter hat oder nicht, ist sie doch - jedenfalls bei der Enteignung aufgrund eines Gesetzes - immer abstrakt-generell. D. h., welche finanzielle Belastung tatsächlich auf die öffentlichen Haushalte zukommt, lässt sich aus ihr nicht entnehmen. Deren Umfang hängt vielmehr davon ab, wie oft die Verwaltung von der Enteignungsermächtigung Gebrauch macht. 1099 Nur bei der Legalenteignung ist die Belastung der öffentlichen Haushalte in ihrem Umfange wirklich absehbar, aber dort spielt das Problem der salvatorischen Entschädigungsregelungen (auch gerade deshalb, weil die Belastung absehbar ist) praktisch keine Rolle.

dd) Keine Wesensverschiedenheit von Verhältnismäßigkeitsausgleich oder Lastenausgleich einerseits und Enteignungsentschädigung andererseits Dagegen, dass das Vorliegen einer Enteignung sich auch danach bestimmt, ob der durch den staatlichen Eigentumszugriff bewirkte Entzug einer von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition sich ohne Entschädigung als unverhältnismäßig oder gleichheitssatzwidrig darstellt, wird vorgebracht, dass die Enteignungsentschädigung im Vergleich zur sich unstreitig nach Verhältnismäßigkeitsoder Lastengleichheitsgesichtspunkten beurteilenden Entschädigung im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG „wesensverschieden" sei. 1 1 0 0 Zum Teil wird das darauf gestützt, dass die Enteignungsentschädigung der „Preis" für eine Durchbrechung der Bestandsgarantie oder die Enteignung eine Art Zwangskauf sei. 1 1 0 1 Insoweit kann auf die oben 1 1 0 2 gemachten Ausführungen, in denen die Probleme 1098 Vgl. BVerfGE 47, 46 (83); 49, 89 (127); 76, 1 (75); 77, 170 (230 f.); 98, 218 (251 f.); 101,1 (35 f.); 111,192 (216 f.). 1099 Vgl. darüber hinaus auch die Bemerkung oben S. 56 Fn. 170. 1100 So Ossenbühl, Staatshaftungsrecht 5, S. 181 Fn. 76; ders., AöR 124 (1999), S. 1 (14 f.); ders., FS Leisner, S. 689 (697); Rozek, Unterscheidung, S. 128 f., 263 ff.; Ehlers, W D S t R L 51 (1992), S. 211 (232 f.); Eschenbach, Jura 1998, S. 401 (401); Kischel, JZ 2003, S. 604 (607); a.A. Melchinger, NJW 1991, S. 2524 (2526 ff.). noi In diesem Sinne wohl Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 260 f., 266; dies., NJW 1981, S. 2537 (2541, 2543), welche die Grundlage ihrer Argumentation (Durchbrechung der Bestandsgarantie/Ausgestaltung des Eigentums) später in DVB1. 1991, S. 906 (912) allerdings erheblich relativiert.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

255

eines „Duchbrechungs"- oder „Zwangskaufskonzepts" zur Charakterisierung der Enteignung dargelegt wurden, verwiesen werden. Es werden für die „Wesensverschiedenheit" jedoch weitere Argumente vorgetragen, die unabhängig von der Frage „Durchbrechung" bzw. „Zwangskauf' Bestand haben könnten. Es wird zum Beispiel gesagt, die Entschädigung im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sei eines von mehreren Mitteln zur Vermeidung ansonsten unverhältnismäßiger oder gleichheitswidriger Belastungen. Demgegenüber sei die Entschädigungspflicht im Rahmen des Art. 14 Abs. 3 GG die unvermeidbare Folge einer Maßnahme, die als solche verhältnismäßig und gleichheitssatzgemäß sei. 1 1 0 3 Deshalb müsse im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG im Gegensatz zur Enteignung auch keine volle Entschädigung gewährt werden, sondern nur so viel, dass die Belastung auf ein verhältnismäßiges bzw. gleichheitssatzgemäßes Maß zurückgeführt wird. 1 1 0 4 Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, dass diese Unterschiede nur auf den ersten Blick bestehen. So ist es keineswegs richtig, dass eine Enteignung unabhängig von der Entschädigung verhältnismäßig bzw. gleichheitssatzgemäß sein kann. Denn in aller Regel ist es zur Erreichung des verfolgten Zieles nicht erforderlich, auf jeden Fall aber nicht angemessen1105, dem Eigentümer neben der Rechtsmacht über ein vermögenswertes Gut auch den darin verkörperten Wert zu nehmen, indem man ihm eine Entschädigung vorenthält. Auch lässt sich kein sachlicher Grund dafür finden, zur Erreichung des verfolgten Gemeinwohlzieles durch die Verweigerung einer Entschädigung ausschließlich das Vermögen gerade dieses Eigentümers zu belasten. Erst durch die Gewährung einer Entschädigung wird die Enteignung also vollständig mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 1106 und dem Gleichheitssatz 1 1 0 7 in Einklang gebracht. s. 213 ff. 1103 Vgl. BVerwGE 84, 361(368); Eschenbach, Jura 1998, S. 401 (401); Ossenhühl, Staatshaftungsrecht 5, S. 190; ders., AöR 124 (1999), S. 1 (15); ders., FS Leisner, S. 689 (697); Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (232 f.); Rozek, Unterscheidung, S. 264; Burgi, NVwZ 1994, S. 527 (527); Kischel, JZ 2003, S. 604 (607). 1104 So Rozek, Unterscheidung, S. 128 f.; Schiette, JuS 1996, S. 204 (206); de Witt, DVB1. 1995, S. 107 (108 f.). nos Papier, DVB1. 2000, S. 1399 (1402); ders., FG 50 Jahre BGH ΙΠ, S. 863 (879), weist für die Ausgleichspflicht im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG darauf hin, dass das Unterlassen eines finanziellen Ausgleichs regelmäßig noch nicht gegen das Erforderlichkeitsprinzip verstößt, weil eine Eigentumsbeeinträchtigung mit finanziellem Ausgleich teurer ist als eine Enteignungsbeeinträchtigung ohne finanziellen Ausgleich und deshalb zum Erreichen des verfolgten Zieles nicht genauso gut geeignet ist wie diese. 1106 So auch schon für die klassische Enteignung Häberlin, AcP 39 (1856), S. 147 (180); Laband, AcP 52 (1869), S. 151 (179). So auch im Hinblick auf Art. 14 Abs. 3 GG zu Recht Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 81; Jarass!Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 82; Lerche, Übermaß, S. 181 ff. 1107 So auch schon Dürig, JZ 1954, S. 4 (5 f.); ders., in: Maunz/Dürig, Art. 3 I Rn. 57; BGHZ 6, 270 (295); ferner Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 82; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 593; Sachs, Verfassungsrecht 2, S. 445, Rn. 42. 1102

256

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Was unter der Überschrift „Verhältnismäßigkeit der Enteignung" in der Tat isoliert von der Frage der Entschädigung geprüft wird, 1 1 0 8 ist nur die Frage, ob die Enteignung, selbst dann, wenn sie großzügig entschädigt werden sollte, unverhältnismäßig ist. Das ist ζ. B. dann der Fall, wenn die gegenständliche Inanspruchnahme eines privaten Grundstücks nicht erforderlich ist, da die zu bauende Straße ebenso auf einem im Eigentum des Staates stehenden Grundstück gebaut werden könnte. 1109 Bejaht man insofern die Verhältnismäßigkeit, dann heißt das lediglich, dass die Enteignung nicht aus Gründen unverhältnismäßig ist, die unabhängig von einer etwaigen Entschädigung bestehen. Es heißt nicht, dass die Enteignung ohne Entschädigung verhältnismäßig ist. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Enteignung wird also gewissermaßen in zwei Teilkomplexe aufgespalten. Erstens (unter der Überschrift „Verhältnismäßigkeit" oder „zum Wohle der Allgemeinheit"): Gibt es Gründe, die unabhängig von einer Entschädigung zur Unverhältnismäßigkeit der Enteignung führen? Zweitens (unter der Überschrift „Gerechte Entschädigung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG"): Führt die gewährte Entschädigung die Belastung auf ein verhältnismäßiges Maß zurück? 1110 Diese Aufspaltung und Reihenfolge ist durchaus sinnvoll, weil sich bei Verneinung der ersten Frage eine Prüfung der zweiten erübrigt. Dies darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass sich bei Bejahung der ersten Frage ein endgültiges Urteil über die Verhältnismäßigkeit an sich erst nach Beantwortung der zweiten fällen lässt. Entsprechendes gilt für die Vereinbarkeit der Enteignung mit Art. 3 Abs. 1 GG: Der Gleichheitssatz ist auf jeden Fall dann verletzt, wenn es schon keinen sachlichen Grund gibt, die geplante Straße gerade auf diesem Grundstück zu bauen. Doch heißt das umgekehrt noch nicht, dass, wenn sich hierfür ein sachlicher Grund findet, die Enteignung „als solche", d. h. unabhängig von der Frage, ob und welche Entschädigung gewährt wird, mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Deshalb geht es nicht nur beim Ausgleich im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, sondern auch bei der Enteignungsentschädigung darum, die durch den Entzug des Eigentums verursachte Belastung des Eigentümers auf ein verhältnismäßiges bzw. dem Gleichheitssatz entsprechendes Maß abzumildern. 1111 Wenn hiergegen eingewandt wird, bei der Enteignung werde der volle Verkehrswert ersetzt und es gäbe keinen „Sozialbindungsabzug", so werden zwei Dinge übersehen. Zum einen wird ignoriert, dass nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG gerade keine Festlegung auf den vollen Verkehrswert bezweckt 1112 und somit nos Vgl. nur Pieroth/Schlink, Grundrechte 20 Rn. 957; Sachs, Verfassungsrecht 2, S. 445 f., Rn. 42 ff. ut» Vgl. Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 85; Sachs, Verfassungsrecht 2, S. 445 f., Rn. 46. mo So auch Jarassl Pieroth, GG 7 , Art. 14 Rn. 82: Angemessenheit der Enteignung meist gegeben, weil der Entzug durch die Entschädigung erheblich gemildert wird, i m So auch Wilhelm, JZ 2000, S. 905 (910), ders., Sachenrecht2, Rn. 231. 1112 Siehe oben S. 52.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

257

sehr wohl Raum für einen „Sozialbindungsabzug" vorhanden ist. 1 1 1 3 Zum anderen und vor allem wird aber übersehen, dass auch in der Gewährung des „vollen Verkehrswertes" ein gewisser „Sozialbindungsabzug" steckt. Denn die Entschädigung gleicht nur den Vermögensverlust aus, während der Verlust des konkreten Enteignungsgegenstandes eine über den bloßen Vermögensverlust hinausgehende Beeinträchtigung des Affektionsinteresses bedeutet, auf welcher der Eigentümer „sitzen bleibt". Ferner muss berücksichtigt werden, dass der von der Enteignung betroffene Eigentümer genauso Steuern zahlt wie alle anderen und damit sein „Scherflein" zur finanziellen Verwirklichung von Gemeinwohlprojekten bereits beigetragen hat. Damit hat er einen Sozialbeitrag im Voraus schon erbracht, so dass er insgesamt weniger als den vollen Verkehrsweit bekommt. Für einen weiteren Sozialbindungsabzug besteht in der Regel kein sachlicher Grund. Schließlich trifft es nicht zu, dass im Gegensatz zur Enteignungsentschädigung der finanzielle Ausgleich im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Satz GG nur eines von mehreren Mitteln zur Vermeidung ansonsten unverhältnismäßiger oder gleichheitswidriger Belastungen ist. Zwar können Verhältnis- bzw. gleichheitssatzgemäße Zustände im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG in der Tat auch durch Ausnahmeklauseln und Übergangsfristen hergestellt werden. Auch im Rahmen des Art. 14 Abs. 3 GG hat der Staat jedoch die Möglichkeit, auf den ohne Entschädigung unverhältnismäßigen oder gleichheitswidrigen Entzug zu verzichten. 1114 Enteignungsentschädigung und Verhältnismäßigkeits- bzw. Sonderopferausgleich sind also keineswegs „wesensverschieden". 1115 Das gestehen letztlich indirekt auch alle ein, welche die Enteignung als Sonderfall der Aufopferung bezeich1116

nen. Wäre es anders, könnte man auch nur schwer erklären, weshalb man gerade unter Berufung auf die dem Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG zugrunde liegende ratio Wahrung der Budgethoheit der Parlamente, Vorrang der gegenständlichen Zuord1113 Die Möglichkeit eines Sozialbindungsabzugs bejahend auch Bryde, in: v. Münch/ Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 94; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14 Rn. 605; andeutungsweise, insbesondere über die Bezugnahme auf BVerfGE 8, 71 (80) und BVerfGE 20, 351 (361), auch BVerfGE 24, 367 (421). Kritisch dagegen Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 4 , Art. 14 Rn. 455; Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 163; Maurer, VwR 1 5 , § 27 Rn. 69. 1114 Wenn Ossenbühl, AöR 124 (1999), S. 1 (15), auf den Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bestimmung dessen, was verhältnismäßig ist, verweist, so ist darauf hinzuweisen, dass dem Gesetzgeber auch nach Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG ein erheblicher Beurteilungsspielraum zukommt (siehe oben S. 52).

ms So auch schon Dürig, JZ 1954, S. 4 (6); ders., in: Maunz/Dürig, Art. 3 I Rn. 57, obwohl er mit als erster für einen formalen Enteignungsbegriffs eintrat; ferner Wilhelm, JZ 2000, S. 905 (909 f.); ders., Sachenrecht2, Rn. 228 ff. 1116 So ζ. B. Rittstieg, in: AK-GG 3 , Art. 14 Rn. 183; Sachs, Verfassungsrecht 2, S. 445, Rn. 42; Depenheuer, in: v. Mangoldt/Klein/Starck I 5 , Art. 14 Rn. 445; für die klassische Enteignung vgl. Koffka, PrEntG 5, § 1 N. 1, S. 27; Anschütz, PrVU, Art. 9 Anm. 10, S. 170, 174; ders., Ersatzanspruch, S. 120; O. Mayer, VwR II 3 , S. 30. 17 Raue

258

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

nung des Gutes vor bloßer Garantie des Wertes - auch für die Gewährung eines Verhältnismäßigkeits- bzw. Sonderopferausgleichs im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG eine hierzu ermächtigende gesetzliche Regelung verlangt, die Voraussetzungen sowie Art und Umfang des Ausgleichs regelt. 1117 Denn würde es sich tatsächlich um ihrem „Wesen" nach völlig verschiedenen Dinge handeln, könnte man eine solche analoge Anwendung der Junktimklausel des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG wohl kaum rechtfertigen. Nun wird zwar von vielen bestritten, dass hier überhaupt eine Analogie vorliegt. 1 1 1 8 Für eine solche sei gar kein Raum, weil sich das Erfordernis einer gesetzlichen Regelung des Ausgleichs bereits aus „allgemeine(n) grundrechtliche(n) und rechtsstaatliche(n) Prinzipien" 1119 ergebe. Jedoch zeigt sich bei näherem Hinsehen, dass den angeführten „allgemeinen Prinzipien" - der Budgethoheit der Parlamente, der Wesentlichkeitstheorie, dem Gebot rechtsstaatlicher Bestimmtheit 1120 - keineswegs mit der behaupteten Sicherheit ein solches Erfordernis entnommen werden kann. Erst dann, wenn man diese Prinzipien im Lichte der Wertungen der Junktimklausel interpretiert, 1121 kann man aus ihnen das Erfordernis einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Regelung des Verhältnismäßigkeits- bzw. Sonderopferausgleichs ableiten. Das ist dann aber eben doch nichts anderes als eine analoge Anwendung der Junktimklausel im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Aus „allgemeinen Grundsätzen" ergibt sich nämlich ohne weiteres zunächst nur die grundsätzliche Möglichkeit, durch Gewährung einer Entschädigung einen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip oder den Gleichbehandlungsgrundsatz zu vermeiden. Denn ein Verstoß gegen die Verhältnismäßigkeit oder den Gleichbehandlungsgrundsatz folgt nie allein aus einer staatlichen Maßnahme als solcher, 1117 Vgl. oben S. 252. ms Eine Analogie verneinend, obwohl der Junktimklausel entsprechende Regelungsanforderungen bejahend, Rozek, Unterscheidung, S. 130. Eine Analogie bejahen dagegen Steinberg/Lubberger, S. 151 f. mit Fn. 452; Schönfeld, BayVBl. 1996, S. 673 (681); Melchinger, NJW 1991, S. 2524 (2528 f.); Schiette, JuS 1996, S. 204 (207). Eine Analogie nahe legt auch folgende, wenn auch nicht im Kontext der Anforderungen an die Regelungsdichte von Ausgleichregelungen gemachte, Aussage des BVerfG in BVerfGE 83, 201 (212 f.): „Selbst wenn Art. 14 Abs. 3 GG nicht unmittelbar eingreift, ist das darin zum Ausdruck kommende Gewicht des Eigentumsschutzes bei der vorzunehmenden Abwägung zu beachten, da sich der Eingriff für den Betroffenen wie eine (Teil- oder Voll-)Enteignung auswirkt." Vgl. dazu bereits oben S. 241. 1119 Rozek, Unterscheidung, S. 130. 1120 vgl. Pietzcker, JuS 1991, S. 369 (372); Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (233): „In Anbetracht der besonderen Grundrechtsrelevanz einerseits und der Folgen für die öffentlichen Haushalte andererseits..."; Detterbeck, DÖV 1994, S. 273 (278); Rozek, Unterscheidung, S. 131 f.; Bryde, in: v. Münch/Kunig I 5 , Art. 14 Rn. 100a; Schoch, FS Boujong, S. 655 (667). 1121 Ahnlich wohl auch Pietzcker, JuS 1991, S. 369 (372): „allgemeine grundrechtliche Bestimmtheitsanforderungen - wenngleich durch Art. 14 III 2 GG mit einem besonderen Akzent versehen".

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

259

sondern immer auch aus den Umständen, dem Umfeld, in denen die Maßnahme stattfindet. Ein und diesselbe Maßnahme kann, je nach den Umständen, mal unverhältnismäßig oder gleichheitssatzwidrig sein, mal verhältnismäßig und gleichheitssatzgemäß. Daraus ergeben sich für den Staat grundsätzlich immer zwei Möglichkeiten, unverhältnismäßige oder gleichheitswidrige Belastungen zu vermeiden: Das Unterlassen der Maßnahmen in Umständen, in denen sie sich als unverhältnismäßig oder gleichheitswidrig darstellt, oder eine entsprechende Veränderung des Umfeldes, in dem die Maßnahmen stattfinden, so dass sie sich nicht mehr als unverhältnismäßig oder gleichheitssatzwidrig darstellen. Der erste Weg wird über Härteklauseln bzw. einschränkende verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes (punktuelles Unterlassen) oder Übergangsfristen (temporäres Unterlassen) eingeschlagen, der zweite über die Gewährung eines finanziellen Ausgleichs. Deshalb ist es insoweit auch folgerichtig, dass das Bundesverfassungsgericht einen Verhältnismäßigkeits· oder Sonderopferausgleich auch bei anderen Grundrechten, wie z. B. Art. 12 Abs. 1 GG, zulässt. 1122 Doch dass die Vornahme solcher finanziellen Umfeldbeeinflussungsmaßnahmen gesetzlich ermächtigt und nach Art und Ausmaß geregelt sein muss, ist damit noch nicht gesagt. Wenn unter Hinweis auf die Budgethoheit der Parlamente etwas anderes nahegelegt wird, so wird übersehen, dass das Grundgesetz in Bezug auf die Haushaltshoheit der Parlamente zunächst nur verlangt, dass der alle Einnahmen und Ausgaben erfassende Haushaltsplan durch Gesetz festgestellt werden muss (vgl. Art. 110 Abs. 1, 2 GG für den Bund, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG für die Länder 1 1 2 3 ). Diesem „allgemeinen Grundsatz" wäre Rechnung getragen, wenn im Haushaltsplan ein Posten für Ausgleichszahlungen enthalten ist. Eine materiellrechtliche Regelung mit Außen Wirkung jedoch erfordert er nicht. 1 1 2 4 Ein solches Erfordernis ergibt sich erst, wenn man Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG heranzieht. Denn dieser bringt für das Beispiel der Enteignung zum Ausdruck, dass für finanzielle Umfeldbeeinflussungsmaßnahmen zum Zwecke des Verhältnismäßigkeits- bzw. Lastenausgleichs nicht nur ein Posten im Haushaltsplan vorgesehen sein muss, sondern auch ein Gesetz im materiellen Sinne erforderlich ist. Viel zu kurz greift auch das Argument, weil der Ausgleich im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG „das verfassungsrechtlich unabdingbare Korrelat eines Grundrechtseingriffs" sei, erfordere die grundrechtliche Wesentlichkeitstheorie eine gesetzliche Regelung des Ausgleichsanspruchs. 1125 Denn dann müsste Ähnliches auch für die andere Möglichkeit der Vermeidung unverhältnismäßiger oder 1122 Vgl. oben S. 246 Fn. 1064. Der Erfolg dieses Weges setzt natürlich voraus, dass die UnVerhältnismäßigkeit oder die Gleichheitssatzwidrigkeit gerade durch die wirtschaftliche Belastung verursacht wird; es handelt sich also nicht um eine Lösung, die immer funktioniert, vgl. BVerfGE 100, 226 (244 ff.) und oben S. 142 Fn. 532. 1123 Vgl. Dreier, in: Dreier II, Art. 28 Rn. 59. 1124 Vgl. zum Charakter des Haushaltsplangesetzes als nur-förmliches Gesetz Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck III 4 , Art. 110 Rn. 95. 1125 Vgl. Detterbeck, DÖV 1994, S. 273 (278); Rozek, Unterscheidung, S. 131 f. 17*

260

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

gleichheitssatzwidriger Belastungen, das Unterlassen der entsprechenden staatlichen Maßnahme, gelten. Das würde aber bedeuten, die Nichtanwendung einer Regelung in einer Konstellation, in der die Anwendung unverhältnismäßig oder gleichheitswidrig wäre, dürfte erst erfolgen, wenn der Gesetzgeber dies geregelt hat, also eine ausdrückliche Regelung für solche Härtefälle getroffen hat. Das verlangt man aber gerade nicht. Vielmehr kann die gesetzesvollziehende staatliche Stelle das Problem im Wege einschränkender verfassungskonformer Interpretation der Norm mit der Folge ihrer Nichtanwendbarkeit auf die problematische Konstellation selbst lösen, es sei denn, die Norm steht einer solchen Interpretation eindeutig entgegen. 1126 Wenn also die Wesentlichkeitstheorie für diesen Weg der Vermeidung unverhältnismäßiger oder gleichheitswidriger Belastungen nicht verlangt, dass eine Norm ihn ausdrücklich erlaubt, sondern sich damit begnügt, dass eine Norm ihm nicht eindeutig im Wege steht, weshalb soll es dann bei der Vermeidung unverhältnismäßiger oder gleichheitswidriger Belastungen im Wege der finanziellen Umfeldbeeinflussung nicht ebenfalls ausreichen, dass eine Norm dem nicht eindeutig entgegensteht? Dies kann man wiederum nur den Wertungen des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG entnehmen, der für das Beispiel der Enteignung zum Ausdruck gebracht hat, dass die Verfassung an diesen Weg der Vermeidung unverhältnismäßiger oder gleichheitswidriger Belastungen strengere Anforderungen stellt als an den anderen. Auch das Angewiesensein auf die Wertungen des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG für die Lösung des Entschädigungsproblems im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zeigt also, dass die beiden Entschädigungsarten nicht „wesensverschieden" sein können. Auch dies kann also kein Argument gegen die Integration materieller Kriterien in den Enteignungsbegriff sein.

ee) Die Vereinbarkeit materieller Kriterien mit den Anforderungen des Gebots rechtsstaatlicher Bestimmtheit (Art. 20 Abs. 3 GG) und des Gewaltenteilungsgrundsatzes (Art. 20 Abs. 2 Halbsatz 2 GG) Als weiteres Argument gegen die Berücksichtigung materieller Kriterien bei der Bestimmung dessen, was Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG ist, lassen sich die Ausführungen Böhmers 1127 über die Vereinbarkeit der Schwellentheorien mit den Forderungen des Rechtsstaatsprinzips an die Bestimmtheit von Gesetzen und des Art. 20 Abs. 2 Halbsatz 2 GG an die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Judikative verstehen.

1126 Vgl. BVerfGE 8, 28 (33 f.); 83,130 (144), 88, 145 (166), 93, 37 (81). Zu den hierdurch eröffneten sehr umfangreichen Möglichkeiten der verfassungskonformen Auslegung vgl. beispielhaft BVerfGE 85,69 (74 f.) mit SV Seibert und Henschel, S. 77 f. Zur Anwendung dieser Grundsätze auch im Rahmen des Art. 14 GG vgl. oben S. 103 Fn. 380. 1127 Böhmer, Der Staat 24 (1985), S. 157 (160 ff.).

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

261

Materielle, sich an der Entschädigungswürdigkeit orientierende, Kriterien ermöglichten es den Gerichten, ihre subjektiven Vorstellungen und ideologische Motivation einfließen zu lassen. 1128 Die Frage, ob eine Enteignung vorliegt, werde damit für den Grundrechtsträger, die Verwaltung und den Gesetzgeber zum „Lotteriespiel".1129 Das mache es dem Betroffenen schwer, die Rechtslage zu erkennen und sein Verhalten danach auszurichten, 1130 und greife in das dem Gesetzgeber zustehende „Recht der Normqualifizierung" ein. 1 1 3 1 Zum Großteil decken sich diese Argumente mit denen, die gegen eine Vereinbarkeit materieller Kriterien mit den Erfordernissen der Junktimklausel des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG vorgebracht werden. 1132 Insoweit kann zu ihrer Entkräftung auf die oben 1 1 3 3 gemachten Ausführungen verwiesen werden. Im Übrigen beklagt diese Kritik Zustände, die aus der Bindung des Gesetzgebers an materielle Maßstäbe und deren gerichtlicher Kontrolle als solche resultieren. Ob ζ. B. eine bestimmte Einschränkung der Versammlungsfreiheit sich in den Augen des Verwaltungsgerichts als unverhältnismäßig oder gleichheitssatzwidrig darstellt (und damit gegen Art. 8 Abs. 1 GG verstößt) oder nicht (und damit vom Grundrechtsträger hinzunehmen ist), kann für den betroffenen Grundrechtsträger, die gesetzesanwendende Verwaltungsbehörde und den die Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff statuierenden Gesetzgeber in der gleichen Weise zum „Lotteriespiel" werden wie das von Böhmer geschilderte Szenario. Wenn wir bereit sind, dort diese aus der justitiablen Bindung des Gesetzgebers an materielle Maßstäbe (insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) resultierenden Auswirkungen auf die Rechtssicherheit und die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Judikative generell zu akzeptieren, dann können wir sie im Rahmen des Art. 14 Abs. 3 GG nicht von vornherein für unerträglich halten. Nur aus spezifischen Vorgaben des Art. 14 Abs. 3 GG könnte sich etwas anderes ergeben, doch das ist - wie wir gesehen haben 1134 - nicht der Fall. Darüber hinaus ist auch das behauptete „Qualifizierungsrecht" des Gesetzgebers im Hinblick auf die Frage, ob eine Norm im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG vorliegt, mit Skepsis zu betrachten. Ein solches zu bejahen, hieße, den Gesetzgeber über die Frage seiner Bindung an Art. 14 Abs. 3 GG selbst entscheiden zu lassen. Das wäre insoweit eine Rückkehr zur „Souveränität" des Gesetzgebers der klassischen Enteignungsgesetze,1135 die sich mit Art. 1 Abs. 3 GG nur schwer vereinbaren ließe. 1128 A. a. O. S. 161. 1129 A. a. O. S. 161. 1130 A. a. O. S. 161. 1131 A. a. O. S. 164. 1132 Vgl. oben S. 242 f. 1133 s. 244 ff. 1134 Oben S. 244 ff. 1135 Vgl. dazu oben S. 226 ff.

262

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Zu Recht spricht Böhmer selbst denn auch dem Gesetzgeber implizit das Normqualifizierungsrecht wieder ab. Denn er hält es für möglich, dass „der Gesetzgeber unter dem Etikett einer Regelung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG - bewusst oder in Verkennung der Rechtslage - in Wahrheit eine Enteignungsnorm nach Art. 14 Abs. 3 GG" schaffen kann. 1 1 3 6

ff) Zusammenfassung Die gegen eine Integration materieller Kriterien in den Enteignungsbegriff vorgebrachten Argumente sind also allesamt nicht überzeugend. Es besteht folglich kein Grund, nach einem formalen Begriffsmerkmal der Enteignung zu suchen, das deren Entschädigungswürdigkeit gewährleistet. Der Versuch, dies mit dem Merkmal „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" trotzdem zu bewerkstelligen, hat sich als erfolglos erwiesen: Entweder rutscht man bei der inhaltlichen Konkretisierung dieses Merkmals - gewollt oder ungewollt - in materielle Kriterien a b 1 1 3 7 oder die Konkretisierungen bleiben derart unbestimmt, dass sie nicht wirklich subsumtionsfahig sind 1 1 3 8 .

4. Auswirkungen auf den Enteignungsbegriff Was bedeutet die Unrichtigkeit der These vom rein formellen, handlungsbezogenen Enteignungsbegriff nun für die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts?

a) Festhalten am „Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen" und am „ zielgerichteten Entzug konkreter durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützter Rechtspositionen " Es bedeutet zunächst nicht, dass die Definition des Bundesverfassungsgerichts völlig durch eine ausschließlich an der Entschädigungswürdigkeit der für den Ei1136 Vgl. Böhmer, Der Staat 24 (1985), S. 157 (196). Vgl. auch schon oben S. 213 Fn. 913. Das Problem wandelt sich bei Böhmer dann plötzlich von einem zwischen Gesetzgeber und Judikative zu einem zwischen BVerfG und Fachgerichtsbarkeit. Auch hier sind seine Ausführungen (a. a. O. S. 196) aber zumindest missverständlich. Dass die Fachgerichte nach Art. 100 Abs. 1 GG keine Normverwerfungskompetenz haben, heißt nicht, dass sie sich nicht mit der „Vorfrage", ob eine (gegebenenfalls verfassungswidrige) Enteignung vorliegt, auseinander setzen dürfen und hier an eine vom Gesetzgeber vorgenommene Qualifizierung gebunden wären. Ganz im Gegenteil, Art. 100 Abs. 1 GG setzt geradezu voraus, dass sie diese Frage prüfen. Nur verwerfen dürfen sie die Norm nicht. 1137 Vgl. oben S. 219 f., 220 f. 1138 Vgl. oben S. 187 ff.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

263

gentümer verursachten Belastung orientierte - rein materielle - Definition zu ersetzen ist. 1 1 3 9 Ein solcher Enteignungsbegriff, der versucht, alle entschädigungswürdigen Belastungen des Eigentümers zu erfassen, wäre ebenso wenig mit den Vorgaben des Art. 14 Abs. 3 GG zu vereinbaren wie ein rein formaler Enteignungsbegriff. 1140 Vielmehr ist an den formalen Kriterien des „Zugriffs des Staates auf das Eigentum des Einzelnen" und des „zielgerichteten teilweisen oder vollständigen Entzugs konkreter durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützter Rechtspositionen" festzuhalten. 1141 Ge- oder Verbote durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützter Handlungen, ζ. B. naturschutzrechtliche oder denkmalschutzrechtliche Nutzungsverbote oder polizeirechtliche Störungsbeseitigungspflichten, können folglich nie eine Enteignung sein. Hier fehlt es am Entzug einer Rechtsposition.1142 Dasselbe gilt für die reale Beeinträchtigung des als Eigentum zugeordneten Gutes, ζ. B. die Zerstörung einer gefährlichen Sache durch einen Polizeibeamten.1143 Mangels Zugriffs des Staates auf das Eigentum des Einzelnen können auch ausschließlich durch private Handlungen bewirkte Verluste geschützter Rechtspositionen (ζ. B. nach § 932 BGB) keine Enteignung sein, mögen sie sich auch als entschädigungswürdig (vgl. § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB) darstellen. 1144

b) Erweiterung

um ein materielles Kriterium

Unvermeidlich ist jedoch die Ergänzung der Merkmale des „Zugriffs des Staates auf das Eigentum des Einzelnen" und des „zielgerichteten Entzugs einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition" um ein materielles Kriterium, das die von Art. 14 Abs 3 GG vorausgesetzte EntschädigungsWürdigkeit der Enteignung garantiert. 1145 Nur wenn sich der Entzug ohne Entschädigung als unverhältnismäßig oder gleichheitssatzwidrig darstellt, kann es sich um eine Enteignung handeln. Wird ein Grundstück durch Hoheitsakt mit einer Dienstbarkeit belastet, um darunter eine Leitung zu verlegen, so handelt es sich schlicht und einfach deshalb nicht in jedem Falle um eine Enteignung, 1146 weil hier der durch 1139 Dafür aber wohl Wilhelm, JZ 2000, S. 905 (909 ff.). 1140 Vgl. oben S. 244 ff. 1141 Vgl. oben S. 245 ff. 1142 Vgl. oben S. 114 f., S. 190 Fn. 801 f. 1143 Vgl. oben S. 115 mit Fn. 434. i m Vgl. oben S. 135 ff. und S. 245 f. Anders stellt sich das Ganze aber dar, wenn eine staatliche Stelle an der Herbeiführung des Entzugs beteiligt ist, wie ζ. B. bei §§ 873, 892 BGB. Hier kann man den Zugriff allenfalls mit Drittwirkungsargumenten teleologisch wegreduzieren, vgl. dazu oben S. 137 Fn. 510. 1145 Vgl. oben S. 240 ff. Für die Berücksichtigung materieller Kriterien auch die oben S. 142 in Fn. 531 Genannten. 1146 Siehe dazu oben S. 216 f.. und S. 237 f.

264

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

einen staatlichen Zugriff zielgerichtet bewirkte Teilentzug einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition nicht in jedem Falle entschädigungswürdig ist.

c) Das Schicksal des „zur Erfüllung

bestimmter öffentlicher

Aufgaben"

Fraglich ist, ob damit der Enteignungsbegriff bereits abschließend definiert ist oder ob das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" oder, allgemeiner gesprochen, das Zweckkriterium noch in irgendeiner Weise eine Rolle als Begriffsmerkmal spielt. Gegen ein Festhalten an diesem Merkmal neben den Merkmalen des staatlichen Zugriffs und des Entzugs einer geschützten Rechtsposition, der sich ohne Entschädigung als unverhältnismäßig oder gleichheitssatzwidrig darstellt, spricht eine Reihe gewichtiger Gründe: Das Zweckmerkmal kann die ihm zugedachte Funktion - die spezifische ratio der Enteignung, etwa als „Zwangskauf 4 oder als „Durchbrechung der Eigentumsordnung", widerzuspiegeln und dabei „nebenbei" die Entschädigungswürdigkeit der Enteignung zu gewährleisten - nicht erfüllen. 1147 Aufgrund seiner historischen Wurzeln 1148 steht es in einem bedenklichen Verhältnis zum Zulässigkeitsmerkmal „zum Wohle der Allgemeinheit". 1149 Aus beiden Gründen ist es auch noch äußerst unbestimmt. 1150 Ein endgültiger Abschied von diesem Merkmal würde zudem der Einsicht, dass der klassische Enteignungsbegriff, in dem dieses Merkmal verwurzelt ist, 1 1 5 1 für die Interpretation einer den Gesetzgeber bindenden Verfassung ungeeignet ist, 1 1 5 2 am besten Rechnung tragen. 1153 Schließlich würde dies die praktische Wirksamkeit der Junktimklausel erheblich steigern, weil sich der Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 3 GG um die Fälle erweitern würde, die aufgrund des Zweckkriteriums bislang als Nichtenteignung qualifiziert werden. 1154 Problematisch an einem Verzicht auf das Zweckkriterium wäre jedoch, dass sich die „Mütter und Vater" des Grundgesetzes - wie auch schon die der Weimarer Reichsverfassung und der Landesverfassungen des 19. Jahrhunderts 1155 - das Spannungsverhältnis zwischen Verfassungsbindung des Gesetzgebers und klassischem Enteignungsbegriff wohl nicht hinreichend bewusst gemacht und deshalb 1147 1148 1149 uso

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

oben S. 212 ff. oben S. 222 ff. oben S. 210 ff. oben S. 192 ff.

usi Vgl. oben S. 188 f. 1152 Vgl. oben S. 223 ff. 1153 So auch Schwabe, FS Thieme, S. 251 (266). 1154 Vgl. oben S. 251 ff. 1155 Vgl. oben S. 231 ff.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

265

auch nicht konsequent gelöst haben. Zwar hatte man - wie insbesondere die Anerkennung einer Enteignung durch Gesetz in Art. 14 Abs. 3 Satz 2 G G 1 1 5 6 oder auch die Diskussionen über den Charakter der Umlegung 1157 zeigen - keineswegs im Auge, den Enteignungsbegriff des Art. 14 Abs. 3 GG auf den klassischen Enteignungsbegriff festzulegen. Vielmehr wollte man wohl an die unter Geltung der Weimarer Reichsverfassung entwickelten „modernen" Enteignungsbegriffe anknüpfen. 1 1 5 8 Da diese jedoch überwiegend 1159 nicht auf einer Überwindung, sondern nur einer schrittweisen Auflösung des klassischen Enteignungsbegriffs basierten 1 1 6 0 und insbesondere an dem im klassischen Enteignungsbegriff verwurzelten Dogma der „spezifischen Zweckrichtung" festhielten, 1161 musste man insoweit im klassischen Enteignungsbegriff auch weiterhin zumindest einen (von ggf. mehreren) Ausgangspunkten für die Interpretation des Enteignungsbegriffs des Art. 14 Abs. 3 GG sehen. Dies zeigt sich in den Diskussionen im Grundsatzausschusses, in denen deutlich das Bestreben zum Ausdruck kommt, an gewissen überkommenen eng mit dem klassischen Enteignungsbegriff und hier insbesondere mit dessen spezifischer Zweckrichtung verknüpften Denkmustern festzuhalten. Polizeilichen Eigentumsbeschränkungen und, soweit ihr der Enteignungscharakter abgesprochen 11AO

ιι

wurde, auch der Umlegung, klassischen Fälle der Nichtenteignung also, wird hier der Enteignungscharakter schlicht und einfach unter Verweisung auf „bewährte Grundsätze" abgesprochen. 1164 Eine neue - systematisch oder teleologisch 1156 Vgl. auch die Ausführungen des Abgeordneten v. Mangoldt im Grundsatzausschuss zur Enteignung durch Gesetz (in: ParlR 5/1, S. 734). Demgegenüber wurde diese überwiegend nicht unter den Begriff der klassischen Enteignung subsumiert, vgl. oben S. 191 Fn. 805 und S. 229 Fn. 986. 1157

Der Abgeordnete Kaufmann verneinte den Enteignungscharakter (vgl. ParlR 5/1, S. 199, 211), die Abgeordneten v. Mangoldt, Zinn und Schmid bejahten ihn (a. a. Ο. S. 199, 211) (was interessanterweise von BVerwGE 1, 225 [228 f.] für unbeachtlich erklärt wurde). 1158 Vgl. v. Mangoldt, Bericht, S. 11 (Anknüpfung an die zu Art. 153 WRV entwickelten Grundsätze); vgl. ferner ders., GG 1 , Art. 14 Anm. 5; H. P. Ipsen, VVDStRL 10 (1952), S. 74 (86 f., 94, 97 f.); Ridder, VVDStRL 10 (1952), S. 124 (128 f.); Weber, in: HdbGR II, S. 331 (345 f.). 1159 Zu den hart bekämpften (vgl. oben S. 251 Fn. 1081) Ausnahmen vgl. oben S. 233 Fn. 998. 1160 Vgl. oben S. 231 ff. nei Vgl. oben S. 209 f., 231 ff. 1162 Vgl. dazu oben Fn. 1157. 1163 Vgl. oben S. 191 Fn. 805. 1164 Vgl. zum Polizeirecht die Ausführungen des Abgeordneten v. Mangoldt: „Es ist einer der Grundsätze unseres Polizeirechts, dass keine Enteignung vorliegt, wenn eine Polizeiverfügung ergeht, die dem Eigentümer eine Auflage macht, die ihn irgendwie in seinem Verfügungsrecht über das Eigentum beschränkt. Es besteht die große Gefahr, dass, wenn wir die Beschränkung hineinbringen, dieses bewährte Polizeirecht leidet." (zitiert aus: ParlR 5/1, S. 211); zur Umlegung die des Abgeordneten Kaufmann: Bei der Umlegung handele es „sich doch in vielen Fällen nicht um Enteignung im eigentlichen Sinne." (zitiert aus: ParlR 5/1, S. 199, vgl. auch S. 211).

266

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

ansetzende - Begründung scheint überflüssig. Diese Gewissheit im Hinblick auf das Ergebnis kann man sich nur leisten, wenn man sich von der klassischen Vorstellung der Enteignung als einem „extraordinären" 1165 bzw. „spezifischen", nicht alltäglichen Eigentumseingriff nicht völlig gelöst hat. Würde es sich dabei nun nur um Vorstellungen der an der Schaffung des Grundgesetzes Beteiligten handeln, die im Grundgesetz nicht zum Ausdruck gekommen wären, wäre das nicht weiter problematisch. Doch die Vorstellung vom „extraordinären" Charakter der Enteignung hat leider ihren Niederschlag in Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG gefunden. Würde man Enteignung nur definieren als durch einen staatlichen Zugriff verursachten Entzug konkreter durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützter Rechtspositionen, der sich ohne Entschädigung als unverhältnismäßig oder gleichheitssatzwidrig darstellt, dann würde dies zu einer Ausdehnung der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte führen, die durch Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG gewiss nicht bezweckt ist. Denn die Festschreibung der ausschließlichen Zuständigkeit der Zivilgerichte, die unverkennbar in einer gewissen Schieflage zu dem in Art. 19 Abs. 4 GG für den Primärrechtsschutz zum Ausdruck gebrachten Grundgedanken steht und die auch die WRV nicht kannte (vgl. Art. 153 Abs. 2 Satz 3 WRV), 1 1 6 6 knüpft offensichtlich an die durch das Reichsgericht begründete Tradition, den Reformgesetzgeber über die Entschädigungsrechtsprechung der ordentlichen Gerichte zur Mäßigung zu zwingen, 1167 an. 1 1 6 8 Die Befassung der Zivilgerichte mit „im Ergebnis unproblematischen", „seit jeher zulässigen" Eigentumseingriffen, wie eben der Zwangsvollstreckung, unter Enteignungsentschädigungsgesichtspunkten passt nicht in dieses Bild. Dieses Festhalten am „klassisch-extraordinären" Charakter der Enteignung einerseits und die Etablierung einer „vollen" Verfassungsbindung des Gesetzgebers (Art. 1 Abs. 3 GG) andererseits und damit der Versuch, zwei an sich nicht miteinander kompatible Konzepte 1169 miteinander zu kombinieren, berechtigt durchaus zu der Feststellung, dass Art. 14 Abs. 3 GG in gewissem Sinne „verkorkst" 1170 ist (wie auch schon seine Vorgänger in der WRV und den Landesverfassungen). 1165 So die spätere Formulierung von Wendt, in: Sachs3, Art. 14 Rn. 77; ebenso Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (235). 1166 Trotz der in Art. 153 Abs. 2 Satz 3 WRV enthaltenen Öffhungsklausel bemängelte schon M. Wolff, FG Kahl, S. 20, die pauschale Zuweisung an die ordentlichen Gerichte.

1167 Vgl. dazu oben S. 232 ff. und S. 250 f. 1168 Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG verdankt seine Existenz einem Antrag des Abgeordneten Dehler (vgl. Doemming/Füßlein/Matz, JöR 1 [1951], S. 1 [153]), der später dazu sagte: „Das war mein Antrag, weil ich wußte, dass ein ordentliches Gericht immer den Verkehrswert zugrunde legen wird" (Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 3. Wahlperiode 1957-60, Stenographische Berichte, Band 46 [1960], S. 6859; siehe dazu auch Rittstieg, Eigentum, S. 422). 1169 Vgl. oben S. 226 ff. 1170 So Schwabe, FS Thieme, S. 251 (268, vgl. auch S. 251: „dogmatisch verunglückte Struktur"); ähnlich Battis, NuR 2000, S. 421 (424).

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

267

Dieses Dilemma eröffnet ein gewisses Spektrum an „vertretbaren" Lösungen, von denen freilich keine passgenau sämtlichen Rahmenvorstellungen, die mit der Enteignung und Art. 14 Abs. 3 GG verknüpft sind, entsprechen wird und kann. Will man jedoch die Grenze zwischen Verfassungsauslegung und Verfassungsfortbildung nicht überschreiten, so darf man keinen der sich widersprechenden grammatikalischen, systematischen, teleologischen und historischen Eckpfeiler völlig unberücksichtigt lassen. Vielmehr muss man versuchen, beiden Aussagen so weit wie möglich gerecht zu werden, sich dabei aber der Tatsache bewusst sein, dass sie an sich in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Das bedeutet im Einzelnen: Auf das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" oder, besser gesagt, ein Zweckkriterium als Begriffsmerkmal der Enteignung, kann ebenso wenig völlig verzichtet werden wie auf ein materielles Kriterium. Eine gewisse durch seine Beibehaltung unvermeidliche Spannung zum Zulässigkeitsmerkmal „zum Wohle der Allgemeinheit" 1171 ist damit hinzunehmen. Die Konkretisierung dieses Zweckmerkmals darf aber nicht in der Hoffnung geschehen, in ihm die ratio der Enteignung zu entdecken oder mit seiner Hilfe auf formalem Wege sicherstellen zu können, dass nur im Ergebnis entschädigungswürdige Eigentumszugriffe Enteignungen sind. Vielmehr muss man sich bewusst machen, dass seine Funktion allein darin besteht, dafür zu sorgen, dass bestimmte traditionelle Fälle der Nichtenteignung auch Nichtenteignungen bleiben, so dass der „extraordinäre" Charakter der Enteignung erhalten bleibt. Diese Entlastung des Zweckmerkmals von Funktionen, die es ohnehin nicht wahrnehmen kann, erlaubt es immerhin, bei der Konkretisierung dieses Merkmals etwas mutiger zu sein, als das bisher der Fall war. 1 1 7 2 Eine klare Konkretisierung des Zweckmerkmals ist auch erforderlich, um das Spannungsverhältnis zum Zulässigkeitsmerkmal „zum Wohle der Allgemeinheit" nicht unnötig zu verschärfen. Unter diesen Vorzeichen mag es zunächst am zweckmäßigsten erscheinen, Enteignung zu definieren als durch einen Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen bewirkten zielgerichteten Entzug konkreter durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützter Rechtspositionen, der sich ohne Entschädigung als unverhältnismäßig oder gleichheitssatzwidrig darstellt, es sei denn, es handelt sich um Maßnahmen der strafrechtlichen Einziehung, der Zwangsvollstreckung, der Gefahrenabwehr, der Regelflurbereinigung usw. 1 1 7 3 Das Problem bei einer solchen Negativu s Vgl. oben S. 210 ff. 1172 Vgl. oben S. 187 ff. 1173 Eine solche Negativkatalogdefinition wird vorgeschlagen von Schneider, VerwArch 58 (1967), S. 301 (331); auch BVerfGE 2, 387 (422) tendiert in diese Richtung; ähnlich auch E. R. Huber, WiVwR II 2 , S. 40, der von einem ungeschriebenem Verfassungssatz ausgeht, wonach diese Maßnahmen zulässig sind. Eine solche Ausgrenzung kraft Tradition andeutend auch Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 122; ähnlich die Überlegung von Schwabe, FS Thieme, S. 251 (266).

268

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

kataloglösung liegt jedoch auf der Hand: Was ist, wenn sich der Gesetzgeber an diesen Rechtsinstituten zu schaffen macht? Können sie dabei ihren Charakter als klassische Nichtenteignung verlieren, und wenn ja, wie stark müssen sie dazu verändert werden? 1174 Diese Lösung ist folglich abzulehnen. In ähnliche Schwierigkeiten gerät man, wenn man den umgekehrten Weg einschlägt und Enteignung definiert als durch einen staatlichen Zugriff auf das Eigentum des Einzelnen verursachten zielgerichteten Entzug konkreter durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützter Rechtspositionen, soweit es sich um Fälle der klassischen Enteignung handelt. Das wurde bereits 1175 dargelegt. Am besten ist es daher, das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben" in einer zwar abstrakten, aber doch subsumtionsfähigen Formel zu konkretisieren, die gewährleistet, dass traditionelle Nichtenteignungen auch zukünftig Nichtenteignungen bleiben. Die Schwierigkeiten, welche die herrschende Meinung beim Entwickeln einer solchen Formel bislang hatte, 1176 bestehen hier nicht. Denn diese muss hier weder die Aufgabe erfüllen, auf formalem Wege die Entschädigungswürdigkeit der Enteignung zu gewährleisten, noch verknüpft sich mit ihr die Hoffnung, das „Wesen" der Enteignung zu Tage zu fördern. Ihre Funktion liegt vielmehr nur darin, zu gewährleisten, dass bestimmte entschädigungswürdige durch einen staatlichen Zugriff verursachte Entziehungen von Eigentum, die traditionell als Nichtenteignung anerkannt sind, nicht unter den Enteignungsbegriff fallen. Die vom Bundesverfassungsgericht erst jüngst ins Spiel gebrachte Einschränkung auf „Fälle, in denen Güter hoheitlich beschafft werden, mit denen ein konkretes, der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienendes Vorhaben durchgeführt werden soll", es sei denn, es wird mit dem Entzug nur „der Ausgleich privater Interessen beabsichtigt", 1177 geht unter diesen Gesichtspunkten grundsätzlich durchaus in die richtige Richtung. Diese Formel ist jedoch insoweit zu ergänzen, als das Gut gerade „mit seiner Körperlichkeit", 1178 also durch eine Inanspruchnahme seiner Gebrauchseigenschaften, der Durchführung des Unternehmens dienen muss. Erst dann können die Kriterien der „Güterbeschaffung" und des „konkreten Vorhabens" nämlich genügend Abgrenzungskraft entfalten. 1179 Verzichten sollte man dafür auf das Ausschlusskriterium der Absicht des Ausgleichs privater Interessen sowie auf das Erfordernis, dass die Durchführung des Unternehmens der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienen muss. Sie sind beide nicht erforderlich zur Ausgrenzung traditioneller Fälle der Nichtenteignung. Das Private-Interessenausgleichs-Krite1174

So auch schon Eser, Sanktionen, S. 149 f. im Hinblick auf die Einziehung nach §§ 74 ff. StGB, ins oben S. 238 f. 1176 1177 1178 1179

Vgl. oben S. 187 ff. Vgl. oben S. 187. O. Mayer, VwR Π 3 , S. 11; siehe auch oben S. 201. Vgl. oben S. 192 f., S. 201 f.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

269

rium ist zudem noch sehr unpraktikabel, 1180 und das „zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben" erhöht unnötig die Spannungen zum Zulässigkeitsmerkmal „zum Wohle der Allgemeinheit". 1181 Nach alledem sollte Enteignung definiert werden als der durch einen Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen bewirkte zielgerichtete Entzug von konkreten durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtspositionen, der sich ohne Entschädigung als unverhältnismäßig oder gleichheitssatzwidrig darstellt und zu dem Zwecke geschieht, das durch die Rechtsposition zugeordnete Gut in seiner „Körperlichkeit" in einer vorher bestimmten Art und Weise einem konkreten Vorhaben dienstbar zu machen. „In einer bestimmten Art und Weise" ist dabei nicht als Verweisung auf einen bestimmten Kreis von Nutzungsarten zu verstehen. Es kann sich prinzipiell um jede denkbare Art der Nutzung der Gebrauchseigenschaften des Guts handeln. Nur muss beim Entzug bereits feststehen, um welche Art der Nutzung es sich handeln wird. Es reicht nicht aus, dass man das Gut irgendwie körperlich zu nutzen beabsichtigt, ohne sich auf eine bestimmte Nutzung festzulegen. Es mag zwar sein, dass einige Eigentumseingriffe von dieser Formel nicht erfasst werden, obwohl sie von einem der Gesetze, aus denen der klassischen Enteignungsbegriff abstrahiert wurde, erfasst wurden. 1182 Doch dies zu gewährleisten, ist ja auch gar nicht unser Anliegen. Entscheidend ist allein, dass der in Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG sich niederschlagenden, etwas diffusen Vorstellung des Verfassungsgebers von der „besonderen Spezifik" der Enteignung Rechnung getragen wird. Diese Vorstellung hat eher einen ausgrenzenden als einen eingrenzenden Charakter: Bestimmte Eigentumseingriffe, wie etwa polizeiliche Verfügungen oder strafrechtliche Einziehungen, sollen keine Enteignung sein. Die klassische Enteignung ist nur insoweit von Belang, als jene ausgrenzende Vorstellung hier letztlich ihre Wurzeln hat. Einen darüber hinausgehenden systematischen oder teleologischen Wert für die Interpretation des Art. 14 Abs. 3 GG hat die klassische Enteignung hingegen nicht. Es ist daher auch nicht vonnöten, jede Konstellation, die von irgendeinem Enteignungsgesetz des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts erfasst wurde, zu erfassen. Aufgrund der Vielzahl dieser Normen ließe sich das, wenn überhaupt, nur auf Kosten der Subsumtionsfähigkeit des Enteignungsbegriffs erreichen. Man »80 Vgl. oben S. 193 ff. 1181 Vgl. oben S. 210 ff. 1182 Vgl. Schwabe, FS Thieme, S. 251 (263), der unter Verweis auf Seydel/Scheringer, PrEntG 4, § 1 Anm. 4, und Reise, Enteignung, S. 90 (gemeint ist vermutlich S. 91) daraufhinweist, dass auch das bloße Auferlegen von Handlungspflichten oder das Vernichten von Rechtspositionen ohne Nutzungsabsicht Enteignung sein konnte. Bei den Fällen, von denen Seydel/Scheringer und Reise sprechen, handelt es sich jeweils um Annexmaßnahmen, die zu einer alle oben genannten Kriterien erfüllenden Enteignung hinzutreten (Freilegen von Baumwuchs, um Waldbrände, die durch von den Lokomotiven der zu bauenden Eisenbahnstrecke ausgehenden Funkenflug entstehen könnten, zu vermeiden; Erlöschen von Hypotheken, die auf dem enteigneten Grundstück lasten).

270

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

würde sich zudem ein Ziel setzen, das zu erreichen nicht einmal der klassische Enteignungsbegriff anstrebte. Denn dieser war auch nur der Versuch, durch Abstraktion des „Wesen" der Enteignung zu erfassen, nicht aber jede einzelne Regelung der Enteignungsgesetze.1183 Es bleibt also dabei: Enteignung ist der durch einen Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen bewirkte zielgerichtete Entzug von konkreten durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtspositionen, der sich ohne Entschädigung als unverhältnismäßig oder gleichheitssatzwidrig darstellt und zu dem Zwecke geschieht, das durch die Rechtsposition zugeordnete Gut in seiner „Körperlichkeit" in einer vorher bestimmten Art und Weise einem konkreten Vorhaben dienstbar zu machen. d) Abgrenzung zu ähnlichen Vorschlägen Der hier gemachte Vorschlag ist nun keineswegs der erste, der versucht, die Enteignung durch eine Kombination materieller und formaler Kriterien zu definieren. aa) Wendt So definiert Wendt 1 1 8 4 Enteignung als rechtsmindernden oder -entziehenden Zugriff auf rechtssatzmäßig ausgeformte Vermögenspositionen, bei der sich der Staat über die durch das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gesetzte Schranke hinwegsetzt, um übergeordnete Ziele des Gemeinwohls durchzusetzen. 1 1 8 5 Der Unterschied zur hier vertretenen Auffassung liegt darin, dass es meiner Ansicht nach nicht notwendig ist, dass der Gesetzgeber sich gerade über das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne hinwegsetzt. Ferner verwendet Wendt mit dem „um übergeordnete Ziele des Gemeinwohls durchzusetzen" gegenüber dem hier vorgeschlagenen „das Gut, in seiner Körperlichkeit dienstbar zu machen" ein sehr unbestimmtes Zweckkriterium. Es bleibt auch unklar, was er selbst darunter versteht. 1186 Außerdem fragt sich, wie das Gemeinwohlziel „übergeordnet" sein kann, obwohl sich der Staat mit seiner Verfolgung über das Gebot der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne hinwegsetzt. Schließlich subsumiert Wendt 1 1 8 7 im Unterschied zur hier vertretenen Auffassung 1188 unter „Enteignung" auch Beschränkungen der durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Handlungsfreiheit des Eigentümers. 1183 Vgl. nur Prazak, Recht, S. 15; Layer, Principien, S. 2. 1184 Vgl. zu weiteren Unterschieden im Hinblick auf die Auslegung des Art. 14 GG zwischen mir und Wendt oben S. 157 f. 1185 Wendt, Eigentum, S. 324 f.; ders., in: Sachs2, Art. 14 Rn. 78,148. 1186 Vgl. Wendt, Eigentum, S. 325. 1187 Wendt, in: Sachs2, Art. 14 Rn. 149,157 a. use Vgl. oben S. 114 f., 263.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

271

bb) Ossenbühl Der letztgenannte Punkt unterscheidet die hier vertretene Auffassung auch von der Ossenbühls. Dieser spricht sich nämlich gerade deshalb für eine Berücksichtigung materieller Gesichtspunkte aus, um auch Beschränkungen der durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Elemente der Handlungsfreiheit des Eigentümers erfassen zu können. 1189

cc) Lubberger Nach Lubberger 1190 liegt eine Enteignung vor bei einem zielgerichteten, im öffentlichem Gemeinwohlinteresse stattfindenden Eingriff 1 1 9 1 in gesetzlich definierte oder unmittelbar aus der Verfassung abgeleitete Rechtspositionen,1192 wenn dieser unter Zugrundelegung der Zumutbarkeitstheorie nicht mehr entschädigungslos hinnehmbar ist. 1 1 9 3 Im Unterschied zur hier vertretenen Lösung wird damit, wie er selbst einräumt, 1194 keine „tatbestandsgenaue Abgrenzung" zwischen gemeinwohlorientierten und nicht gemeinwohlorientierten Eingriffen ermöglicht. Ferner betrachtet er alle Schutzgegenstände des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, also auch die Eigentümerhandlungsfreiheit, als enteignungsfähig.

dd) Ehlers Ehlers, der Enteignung definiert als „die vollständige oder teilweise Entziehung einer subjektiven Eigentumsposition im Wege einer Durchbrechung der Eigentumsordnung durch einen gezielten öffentlichen Rechtsakt zum Zwecke der Indienstnahme der entzogenen Position für die Erfüllung von Staatsaufgaben", 1195 bestimmt das Merkmal der „Durchbrechung" materiell. Denn eine „Durchbrechung der Eigentumsordnung" soll gegeben sein, wenn die Belastungswirkung die Sozialbindungsgrenze überschreitet. 1196 Offen bleibt bei ihm jedoch, wie die Sozialbindungsgrenze zu ermitteln ist. Unter „Indienstnahme" versteht er zudem auch das mittelbare Zu-Nutze-Machen, 1197 was vermutlich weiter ist als das hier vertretene Nutzen des Guts in seiner Körperlichkeit. Ferner verneint er das Vorliegen 1189 Vgl. oben S. 114 f. und die dort genannten Nachweisen. 1190 Vgl. zur Unterscheidung von Lubberger auch schon oben S. 156. 1191 Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 267, 285. 1192 Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 268. 1193 Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 268 ff., 274. 1194 Lubberger, Eigentumsdogmatik, S. 274. 1195 Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (236). 1196 Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (238). 1197 Vgl. Ehlers, W D S t R L 51 (1992), S. 211 (239).

272

C. Die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts

seines Zweckkriteriums, wenn der Zugriff zumindest gleichgewichtig den Interessen des betroffenen Eigentümers dient, 1 1 9 8 was ich ablehne. 1199 Schließlich ist auch kein Vorteil darin zu sehen, ein in der Sache materielles Kriterium (Überschreiten der Sozialbindungsgrenze) formal (Durchbrechung der Eigentumsordnung) zu verpacken. 1200

ee) Sieckmann Sieckmann 1201 definiert Enteignung als Entzug selbständiger Enteignungsrechte, wobei das zentrale Kriterium der „Selbständigkeit" sowohl im Lichte bestimmter traditioneller Fälle der Nichtenteignung 1202 als auch - wenn auch verdeckt - im Lichte materieller Aspekte 1203 gesehen wird. Es wird jedoch nicht der Versuch unternommen, diesen im Grundsatz richtigen Gesichtspunkten vollständig mit Hilfe subsumtionsfähiger Begriffe Ausdruck zu verleihen. Letzteres trifft auch auf andere Autoren zu, die zwar - zu Recht - eine Kombination materieller und formaler Begriffsmerkmale befürworten, letztlich aber offen lassen, wie diese genau aussehen.1204

5. Die Konsequenzen für den Charakter des zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzugs Welche Konsequenzen hat das für den zwangsvollstreckungsrechtlichen Eigentumsentzug nach §§ 808 ff. ZPO? Nachdem wir bereits oben 1 2 0 5 das Vorliegen eines Zugriffs des Staates auf das Eigentums des Einzelnen und eines zielgerichteten Entzugs einer konkreten durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition bejaht haben, bleibt jetzt nur noch die Frage zu beantworten, ob sich dieser Entzug ohne Entschädigung als unverhältnismäßig oder gleichheitssatzwidrig darstellt und ob er zu dem Zwecke geschieht, die Sache in ihrer Körperlichkeit der Durchführung eines bestimmten Vorhabens dienstbar zu machen. Π98 Vgl Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (239). 1199 Vgl. oben S. 198 f. 1200 Vgl. dazu schon oben S. 219 f. 1201 Vgl. zu seinem Konzept oben S. 220 f. 1202 Vgl. Sieckmann, in: Berliner Kommentar, Art. 14 Rn. 122. 1203 Siehe oben S. 220 f. 1204 Vgl. Schmidt-Aßmann, JuS 1986, S. 833 (836 f.); Schmitt-Kammler, NJW 1990, S. 2515 (2517 f.); ders., FS Wolf, S. 595 (598 f.); wohl auch Schwabe, FS Thieme, S. 251 (257 f., 266); hierher zu rechnen sind mit dem oben (S. 239 Fn. 1032) gemachten Vorbehalt womöglich auch Osterloh, DVB1. 1991, S. 907 (911, 913), und Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 272 f. 1205 s. 164 f., 183, 184 f.

IV. Das „zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben"

273

Die erste Teilfrage ist zu bejahen. Ohne die dem Eigentümer gewährten Ausgleichsleistungen, angefangen vom Erlöschen der Verbindlichkeit bis zur Auszahlung des Resterlöses, würde sich der Eigentumsentzug als unverhältnismäßig darstellen. Denn würde die Verbindlichkeit nicht erlöschen, würde schon das mit dem Eigentumsentzug verfolgte Ziel der Herstellung von Rechtsfrieden nicht erreicht werden. Es würde dann an der Eignung des Mittels fehlen. Nicht erforderlich zur Erreichung des angestrebten Zieles und damit ebenfalls unverhältnismäßig wäre es, den nicht zur Tilgung der Forderung und der Vollstreckungskosten erforderlichen Teil des Erlöses einzubehalten. Die zweite Teilfirage hingegen ist zu verneinen. Es wird nicht beabsichtigt, den Gebrauchswert der Sache zur Durchführung des Vorhabens „Befriedigung des Vollstreckungsgläubigers" einzusetzen, sondern den Vermögenswert. Aus diesem Grunde ist der zwangsvollstreckungsrechtliche Eigentumsentzug keine Enteignung. Vielmehr handelt es sich um einen nichtenteignenden staatlichen Entzug einer durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition, der sich aus diesem Grunde am Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG messen lassen muss, nicht aber an den spezifischen Vorgaben des Art. 14 Abs. 3 GG.

D. Zusammenfassende Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Auslegung des Art. 14 GG Eine wesentliche Erkenntnis der vorstehenden Untersuchung ist, dass einer der Gründe für die Reibungen und Unstimmigkeiten innerhalb des sich auf Art. 14 GG beziehenden Auslegungskonzepts des Bundesverfassungsgerichts 1206 darin zu sehen ist, dass das Gericht die Frage nach dem „Eigentum" als Gegenstand des Grundrechts und die Frage nach dem „werden gewährleistet" als Rechtsfolge des Grundrechts nicht konsequent genug auseinander hält. 1 2 0 7 Dies mag zwar - weil „Eigentum" und „Eigentumsgrundrecht" beides Phänomene der rechtlichen Welt sind - durchaus schwierig sein. Gleichwohl ist es absolut notwendig. Denn will man wissen, ob eine bestimmte staatliche Maßnahme (Tun oder Unterlassen) im Widerspruch zu Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, der Gewährleistung des Eigentums steht, so muss man sich zunächst im Klaren darüber sein, was unter „Eigentum" zu verstehen ist (I.). Sodann muss man wissen, welche verfassungsrechtlichen Verhaltenspflichten den Staat im Hinblick auf das Eigentum treffen, mit anderen Worten, was das „werden gewährleistet" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG bedeutet (Π.). Schließlich ist danach zu fragen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Zuwiderhandlungen gegen diese Verhaltenspflichten gerechtfertigt sind (ΙΠ.).

I. „Eigentum" - der Gegenstand des Grundrechts Mit gewissen Vorbehalten für Eigentumspositionen des öffentlichen Rechts wie Rentenansprüchen und Arbeitslosengeldansprüchen 1208 meint „Eigentum" im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG - zunächst und vor allem 1 2 0 9 die Zuordnung eines Vermögenswerten Gutes zu einer bestimmten Person (dem Eigentümer) gegenüber anderen Privatrechtssub1206 Vgl. hierzu oben S. 90 ff. 1207 Siehe oben S. 117 ff. 1208 Bei ihnen handelt es sich um atypische, allein teleologisch erklärbare, Formen von Eigentum, die deshalb für die grundsätzliche Funktionsweise des Art. 14 GG nicht maßgebend sein können. Insoweit sei auf die Ausführungen oben auf S. 125 f., 160 f. verwiesen. 1209 Das Element der Zuordnung verdient deshalb hervorgehoben zu werden, weil es notwendiger Anknüpfungspunkt für die folgenden beide Aspekte des Eigentums, die Verfügungsmacht und die Nutzungshandlung, ist. Ohne Zuordnung ist die Verfügung keine Verfügung über sein Eigentum, ist die Nutzungshandlung keine Nutzung seines Eigentums.

I. „Eigentum" - der Gegenstand des Grundrechts

275

jekten, 1210 die dadurch bewirkt wird, dass das einfache Recht dem Eigentümer ein Bündel von Imperativen zur Verfügung stellt, die an andere Private adressiert sind und die sich auf das Vermögenswerte Gut beziehen, 1211 die ihm - kurz gesagt - sich auf das Vermögenswerte Gut beziehende Rechtsmacht über andere Private einräumen; - ferner die Fähigkeit des Eigentümers, über diese Zuordnungsrechtslage wirksam verfügen zu können, die daraus resultiert, dass ihm das einfache Recht die entsprechende Verfügungsmacht einräumt 1212 - und schließlich jede Handlung, mit welcher der Eigentümer das ihm zugeordnete Gut nutzt, 1 2 1 3 vorausgesetzt, sie wird nicht durch ein spezielleres Freiheitsrecht geschützt. 1214 Ob und wieweit einem Einzelnen ein vermögenswertes Gut als Eigentum zugeordnet ist und ob und wieweit er über diese Zuordnung verfügen kann, ergibt sich aus einer Zusammenschau aller Normen, die hierzu eine Aussage treffen. Diese Normen sind Inhaltsbestimmungen des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 GG. Eine Norm ist demzufolge eine Inhaltsbestimmung des Eigentums, wenn sie - sich auf das Vermögenswerte Gut beziehende, an andere Private adressierte Imperative und damit korrespondierende Rechte des Eigentümers festlegt oder - die Verfügungsmacht des Eigentümers im Hinblick auf diese Rechtslage regelt. 1 2 1 5 Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Regelung aus Sicht des Eigentümers vorteilhaft ist, weil sie die Zuordnung verdichtet (z. B. §§ 985, 1004 BGB) oder seine Verfügungsmacht erweitert (§§ 387, 398, 929 BGB). Auch aus Sicht des Eigentümers nachteilige Regelungen, die (wie §§ 904, 986 BGB) die sich auf das Vermögenswerte Gut beziehenden Verhaltenspflichten der anderen Privaten oder (wie §§ 399 f., 104 ff., 134 ff. BGB) die Verfügungsmacht des Eigentümers einschränken oder deren Rechtsfolgen (wie z. B. § 932 BGB) gar den Untergang der Zuordnungsrechtslage bewirken, sind Inhaltsbestimmungen und daher bei der Zusammenschau zu berücksichtigen. Nur der sich dabei ergebende Saldo an zuordnender Rechtsmacht und Verfügungsmacht ist „Eigentum" im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 G G . 1 2 1 6

1210 Siehe oben S. 150 f. 1211 Siehe oben S. 99 f. 1212 Siehe oben S. 96,151. 1213 Siehe oben S. 97,107 ff., 151. 1214 Siehe zu diesem Konkurrenzproblem oben S. 96 Fn. 334. 1215 Siehe oben S. 111 ff., 152. 1216 Siehe oben S. 111 f. 18*

276

D. Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Auslegung des Art. 14 GG

Keine Inhaltsbestimmungen des Eigentums sind jedoch Normen, die ausschließlich - sich auf das Vermögenswerte Gut oder die es umhegende Rechtslage (Zuordnung und Verfügungsmacht im oben beschriebenen Sinne) beziehende Rechte und Pflichten zwischen Staat und Eigentümer festlegen (ζ. B. eine staatliche Stelle zur Zerstörung einer Sache ermächtigen) oder - die unter Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallenden Handlungen des Eigentümers betreffen (ζ. B. Nutzungsverbote; § 903 Satz 1 Var. 1 BGB: „mit der Sache nach Belieben zu verfahren"). Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass Normen, die eine solche nicht inhaltsbestimmende Regelung enthalten, daneben auch einen inhaltsbestimmenden Regelungsgehalt haben. 1217 Ein Beispiel hierfür ist die gesetzliche Ermächtigung zur Enteignung. 1218 Damit ergeben sich im Hinblick auf den Gegenstand des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, das „Eigentum", drei Abweichungen von den Vorstellungen des Bundesverfassungsgerichts. Zum einen stellt sich der Gegenstand des Eigentumsgrundrechts nur teilweise als Produkt des einfachen Rechts dar, nämlich nur soweit es um die Zuordnung des Vermögenswerten Gutes und die Verfügungsmacht des Eigentümers geht. 1 2 1 9 Die Freiheit des Eigentümers zur Vornahme von sich auf das Vermögenswerte Gut beziehenden Nutzungshandlungen (ζ. B. das Bebauen seines Grundstücks) wird hingegen ohne weiteres, d. h. ohne gesetzgeberische Vermittlung, von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet. 1220 Sich nur auf diese Handlungen beziehende Normen sind keine Inhaltsbestimmungen des Eigentums, und zwar auch dann nicht, wenn sie dem Eigentümer Nutzungsbefugnisse „einräumen" (wie z. B. § 903 Satz 1 Var. 1 BGB). 1 2 2 1 Ver- oder gebieten sie dem Eigentümer die Vornahme dieser Handlungen, handelt es sich um Schrankenbestimmungen des Eigentumsgrundrechts. 1222 Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist insoweit ein normales Freiheitsgrundrecht. 1223 Das Bundesverfassungsgericht verhält sich in diesem Punkt widersprüchlich. Es bezeichnet einerseits Normen, welche dem Eigentümer etwas ge- oder verbieten, als Inhaltsbestimmungen des Eigentums. Das setzt an sich voraus, dass es von der Notwendigkeit der gesetzlichen Konstituierung der Handlungsbefugnisse des Eigentümers ausgeht. Andererseits behandelt es solche Normen dann aber im Ergebe n Siehe oben S. 153 ff. 1218 Siehe oben S. 153. 1219 Siehe oben S. 110 ff. 1220 Siehe oben S. 107 ff. 1221 Siehe oben S. 111 Fn. 422. 1222 Siehe oben S. 110 ff. 1223 Siehe oben S. 110.

I. „Eigentum" - der Gegenstand des Grundrechts

277

nis (und zu Recht) doch wie „von außen" kommende Eingriffe in einem vom Staat bereits vorgefundenen Freiheitsraum. 1224 Der zweite Punkt, in dem die oben stehende Eigentumsdefinition von den Vorstellungen des Bundesverfassungsgerichts abweicht, betrifft die Frage der Zuordnung des Vermögenswerten Gutes. Nach hier vertretener Ansicht gehört zum Inhalt des Eigentums - mit gewissen Vorbehalten für Eigentumspositionen des öffentlichen Rechts 1225 - nur die Zuordnung im Verhältnis zu anderen Privaten. Die Zuordnung im Verhältnis zum Staat übernimmt hingegen der aus dem „werden gewährleistet" (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) resultierende grundrechtliche Abwehranspruch „als unmittelbar geltendes Recht" (Art. 1 Abs. 3 GG). Sobald aufgrund des einfachen Rechts ein Bündel von an andere Private adressierten sich auf das Vermögenswerte Gut beziehenden Imperativen „in der Hand des Einzelnen" entstanden ist, liegt das Tatbestandsmerkmal „Eigentum" vor. An dieses knüpft der grundrechtliche Abwehranspruch an. Er verbietet es nun auch dem Staat, auf das Vermögenswerte Gut oder die es umhegende Rechtslage zuzugreifen. 1226 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gehören hingegen sowohl die Zuordnung im Verhältnis zu anderen Privatpersonen als auch die Zuordnung im Verhältnis zum Staat zum Inhalt des Eigentums. 1227 Damit verwischt es die Trennlinie zwischen Gegenstand/Tatbestand des Grundrechts („Eigentum") einerseits und Rechtsfolge des Grundrechts („werden gewährleistet") andererseits. Das kommt plakativ in dem Satz zum Ausdruck, Gegenstand und Umfang des durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Bestandsschutzes ergäben sich aus der Gesamtheit der verfassungsmäßigen Gesetze, die den Inhalt des Eigentums (!) bestimmen. Die Argumente, die gegen dieses Sichtweise - auch im Hinblick auf andere dogmatische Prämissen des Bundesverfassungsgerichts - sprechen, wurden bereits ausführlich dargestellt. 1228 Die dritte Abweichung zum Konzept des Bundesverfassungsgerichts betrifft den begrifflichen Anwendungsbereich inhaltsbestimmender Normen. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist jede generelle und abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten durch den Gesetzgeber hinsichtlich solcher Rechtsgüter, die als Eigentum im Sinne der Verfassung zu verstehen sind, Inhaltsbestimmung des Eigentums. 1229 Erfasst werden wegen des weiten Eigentumsbegriffs des Bundesverfassungsgerichts davon auch Normen, die nach hier vertretener Auffassung keinen inhaltsbestimmenden Charakter haben, weil sie entweder nur die unmittelbar durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Handlungsfreiheit des Eigentümers betreffen (Nutzungsverbote) oder nur Rechte und Pflichten zwischen Staat und Eigentü1224 1225 1226 1227 1228 1229

Siehe oben S. 108 ff. Siehe oben S. 160 f. Siehe oben S. 119,121, 151. Siehe - auch zum Folgenden - oben S. 117 ff. ObenS. 117 ff. siehe oben S. 80.

278

D. Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Auslegung des Art. 14 GG

mer festlegen. Die dritte Abweichung vom Konzept des Bundesverfassungsgerichts, das engere Verständnis vom Begriff der Inhaltsbestimmung, ergibt sich also letztlich aus der ersten und zweiten Abweichung. Das Bundesverfassungsgericht bringt sich mit seiner weiten Auffassung von „Inhaltsbestimmung" in erhebliche dogmatische Schwierigkeiten. So wird an sich jede Ermächtigung zur Administrativenteignung vollständig von dieser Inhaltsbestimmungsdefinition erfasst, 1230 obwohl Inhaltsbestimmungen und Enteignungsnormen gerade nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts wesensverschiedene Regelungsgehalte haben sollen. 1231 Ferner setzt die Enteignungsdefinition des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass es neben der Enteignung aufgrund eines Gesetzes weitere Formen des Eingriffs in das Eigentum aufgrund eines Gesetzes geben muss. Sein weiter Inhaltsbestimmungsbegriff lässt hierfür aber an sich gar keinen Raum. 1 2 3 2 Die hier vertretene Auffassung wird hingegen beiden Vorgaben gerecht. 1233 Das Bundesverfassungsgericht zieht also aus einem an sich richtigen Ausgangspunkt, nämlich dass „Eigentum" im Kern ein Produkt des einfachen Rechts ist, überzogene Folgerungen: Es erstreckt diese Prämisse unbesehen auch auf die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Elemente der Eigentümerhandlungsfreiheit und die Rechtsfolge des Grundrechts, den Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes.

Π. Das „werden gewährleistet" - die Pflichten des Staates im Hinblick auf das „Eigentum" und die damit korrespondierenden Rechte des Eigentümers Aus dem „werden gewährleistet" in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ergeben sich sowohl Unterlassungs- als auch Handlungspflichten des Staates.

1. Das „werden gewährleistet" als Unterlassungspflicht der Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verbietet - vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Rechtfertigung - der staatlichen Gewalt in das Eigentum in der Hand des Einzelnen einzugreifen. Das bedeutet, dass es dem Staat verboten ist, (1) das rechtsgutzuweisende Imperativenbündel oder die sich hierauf beziehende Verfügungsmacht des Eigentümers, die sich aus den zum Zeitpunkt der fragli1230 Siehe oben S. 130 f., 144 f. 1231 Siehe oben S. 141 ff. 1232 Siehe oben S. 91 f. 1233 Siehe oben S. 131 ff., 146 f., 162 f.

. Pflichten des Staates im Hinblick auf das „Eigentum"

279

chen staatlichen Maßnahmen geltenden Inhaltsbestimmungen des Eigentums ergeben, zu schmälern (Voll- oder Teilentzug der Rechtsposition), (2) auf das vermögensweite Gut als solches (faktisch) zuzugreifen oder (3) die unter Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG fallenden Elemente der Handlungsfreiheit des Eigentümers zu beschränken. 1234 Handelt er diesem Verbot zuwider, dann liegt ein „Eingriff in den Schutzbereich" vor, der vom Eigentümer abgewehrt werden kann, es sei denn, er ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Beispiele für Eingriffe der soeben unter (1) beschriebenen Art seitens Exekutive oder Judikative sind die Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 Satz 2 Var. 2 GG (die sog. Administrativenteignung), die strafrechtliche Einziehung nach §§ 74 ff. StGB oder die Pfändung nach § 808 Abs. 1 ZPO. Die Enteignung kann zu einem vollständigen oder teilweisen Erlöschen der Imperative und der Verfügungsmacht führen. Bei der strafrechtlichen Einziehung erlischt beides vollständig. Bei der Pfändung wird nur die Verfügungsmacht geschmälert. 1235 Dass diese Maßnahmen (Enteignung, Einziehung, Pfändung) auf einer gesetzlichen Grundlage erfolgen und dass die betroffene Rechtsposition mithin schon zum Zeitpunkt der Vornahme der Maßnahme mit dem Risiko belastet ist, im Fall der Vornahme der Maßnahme vollständig oder teilweise zu erlöschen, nimmt diesen Maßnahmen nicht den Eingriff scharakter. 1236 Ein Beispiel für einen Eingriff der oben unter (2) beschriebenen Art ist die Zerstörung einer im Eigentum (im Sinne des BGB) eines Einzelnen stehenden Sache (im Sinne des § 90 BGB). 1 2 3 7 Beispiele für Eingriffe der oben unter (3) beschriebenen Art sind der Erlass einer an den Grundstückseigentümer adressierten Nutzungsuntersagung (ζ. B. im Denkmalschutz-, Naturschutz- oder Baurecht) oder die Auferlegung einer polizeirechtlichen Sanierungspflicht. Die legislative muss sich zunächst immer dann vor dem Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG rechtfertigen, wenn sie Exekutive und Judikative zu den soeben beschriebenen Eingriffen ermächtigt. Bei solchen Normen handelt es sich um Schrankenbestimmungen des Eigentumsgrundrechts. Schrankenbestimmungen können (müssen aber nicht) neben ihrem schrankenbestimmenden Regelungsgehalt auch einen inhaltsbestimmenden Regelungsgehalt aufweisen. 1238 Ein Bei1234 Siehe oben S. 151. 1235 Die Folge der Pfändung ist ein Veräußerungsverbot i. S. der §§ 136, 135 Abs. 1 Satz 1 BGB, vgl. Brox/Walker, ZVR* Rn. 361. 1236 Siehe oben S. 132 ff. 1237 Manche Vermögenswerten Güter sind nicht greifbar, sondern von vornherein erst Konstrukte des Rechts, wie ζ. B. eine Forderung. Hier sind solche faktischen/realen Eingriffe nicht denkbar. 1238 Siehe oben S. 132 f., 153 f.

280

D. Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Auslegung des Art. 14 GG

spiel für ein solches Zusammenwirken inhaltsbestimmender und schrankenbestimmender Regelungsgehalten ist die Ermächtigung zur Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 Var. 2 G G . 1 2 3 9 Beispiele für einen rein schrankenbestimmenden Regelungsgehalt sind gesetzliche Ermächtigungen zu Nutzungsuntersagungen. Ferner müssen sich diejenigen Akte der Legislative am Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG messen lassen, die mit ihrem Inkrafttreten unmittelbar das teilweise oder vollständige Erlöschen bereits entstandener Rechtspositionen bewirken. 1240 Die Enteignung durch Gesetz im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 Var. 1 GG kann hierfür als Beispiel angeführt werden, aber auch Reformgesetze, die auch nach altem Recht entstandene Rechtspositionen erfassen. Letztere sind im Übrigen ein weiteres Beispiel für das Zusammentreffen schrankenbestimmender und inhaltsbestimmender Regelungsgehalte in einer Norm. 1 2 4 1 Schließlich greifen auch solche Normen in den Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ein, welche die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Handlungsfreiheit des Eigentümers unmittelbar beschränken, indem sie ihm die Vornahme solcher Handlungen, die durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt sind, ge- oder verbieten. Einen rein inhaltsbestimmenden Regelungsgehalt haben und damit nicht am Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen sind hingegen 1242 Normen, die - den Untergang einer Rechtsposition für den Fall der Vornahme eines bestimmten privaten Aktes vorsehen, und zwar unabhängig davon, ob sie den Privaten zur Vornahme dieses Aktes ermächtigen (z. B. § 387 BGB, §§ 142, 119 BGB) oder nicht (z. B. § 950 BGB, § 932 BGB), 1 2 4 3 - den Eigentümer zur Duldung einer auf das Vermögenswerte Gut bezogenen Handlung eines anderen Privaten verpflichten (z. B. § 904 Satz 1 B G B ) 1 2 4 4 oder - den Untergang einer Rechtsposition für den Fall der Vornahme eines bestimmten staatlichen Aktes vorsehen, ohne die entsprechende staatliche Stelle zur Vornahme dieses Aktes zu ermächtigen. Für die letztgenannte Variante ist darauf hinzuweisen, dass der staatliche Akt selbst in aller Regel (soweit die allgemeinen Anforderungen an das Vorliegen eines Eingriffs gegeben sind) den Charakter eines Grundrechtseingriffs hat. Es handelt sich eben nur um einen, der sich nicht auf eine gesetzliche Grundlage stützen kann und deshalb verfassungswidrig ist. 1239 Siehe oben S. 133, 153. 1240 Siehe oben S. 128 f., 151, 152. 1241 Siehe oben S. 153. 1242 Vorbehaltlich des schrankenbestimmenden Charakters, den sie als Reformgesetz im Hinblick auf nach altem Recht bereits entstandene Rechtspositionen haben können. 1243 Siehe oben S. 135 ff. 1244 Siehe oben S. 112 f.

II. Pflichten des Staates im Hinblick auf das „Eigentum"

281

Voraussetzung für die Bejahung eines Eingriffs ist in allen o.g. Konstellationen auch nach der hier vertretenen Ansicht natürlich, dass die „allgemeinen" Voraussetzungen für das Vorliegen eines Eingriffs gegeben sind. 1 2 4 5 Diese Frage kann sich insbesondere bei Realakten im Hinblick auf das Problem des sog. faktischen Eingriffs stellen. 1246 Darüber hinaus ist, je nachdem, wie sehr man sich für eine teleologische Reduktion der Abwehrgehalte der Grundrechte zur Vermeidung „ungewollter" Rückwirkungen der Grundrechte im Verhältnis zwischen Privaten begeistern kann, in Konstellationen, in denen eine der o.g. Maßnahmen auf Antrag oder im „Interesse eines Privaten" oder zur Regulierung eines „Bürger-BürgerKonflikts" ergeht, unter Umständen eine Verneinung des Eingriffscharakters aus Drittwirkungsgründen zu erwägen. 1247 Die hier vertretene strikte Trennung von Gegenstand des Eigentumsgrundrechts („Eigentum") und Rechtsfolgen des Eigentumsgrundrechts („werden gewährleistet") eröffnet dem Abwehrgehalt des Eigentumsgrundrechts also einen breiteren Anwendungsbereich als ein Interpretationsmodell, das wie das des Bundesverfassungsgerichts davon ausgeht, dass auch der Umfang des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes durch Inhaltsbestimmungen des Eigentums konstituiert wird. Es wird nur soweit von der „Denkweise" der Grundrechte, die Güter der faktisch-empirischen Welt (Körper, Leben, Meinungen, Versammlungen etc.) schützen, abgewichen, als dies erforderlich ist, um der besonderen Struktur des „Eigentums" als Phänomen der rechtlichen Welt Rechnung zu tragen. 1248 Um auf der Grundlage seiner eigenen dogmatischen Prämissen ein vergleichbares Schutzniveau zu erreichen, müsste das Bundesverfassungsgericht Art. 14 GG an sich viel stärker leistungsgrundrechtlich auslegen 1249 und in den meisten der o.g. Konstellationen das Vorliegen eines Eingriffs in den Abwehrgehalt verneinen. 1 2 5 0 Davor scheint es jedoch zurückzuschrecken. Denn es bringt lieber auf Kosten der inneren Stimmigkeit seiner Konzepts den Abwehrgehalt des Grundrechts zur Anwendung, wo es ihm im Ergebnis angemessen erscheint. 1251

1245 1246 1247 1248 1249

Siehe oben S. Siehe oben S. Siehe oben S. Siehe oben S. Siehe oben S.

164 f. 126 ff., insb. S. 128. 168 ff., 170. 120 ff. 121 f.

1250 Siehe oben S. 107 ff. für Beschränkungen der Handlungsfreiheit, S. 126 ff. für Zugriffe auf das zugeordnete Gut mittels Realakt, S. 128 f. für Reformgesetze und Legalenteignungen, S. 129 ff. für Enteignungen aufgrund eines Gesetzes. 1251 Vgl. die Seitenangaben der vorhergehenden Fußnote.

282

D. Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Auslegung des Art. 14 GG

2. Das „werden gewährleistet" als Handlungspflicht der Leistungsgehalt des Art 14 Abs. 1 Satz 1 GG Soweit „Eigentum" ein Produkt des einfachen Rechts ist, also soweit die einfachrechtliche sich auf ein vermögenswertes Gut beziehende Rechts- und Verfügungsmacht in Rede steht, besteht eine besondere Anfälligkeit des Schutzguts gegenüber staatlichem, insbesondere gesetzgeberischem, Unterlassen, die es so bei den Grundrechten, die Güter der faktisch-empirischen Welt schützen, nicht gibt. Schafft der Gesetzgeber nämlich keine Inhaltsbestimmungen, aus denen sich auf einen Vermögenswert bezogene Rechtsmacht und Verfügungsmacht ergibt, so kann auch keine solche Rechts- und Verfügungsmacht „in der Hand" des Einzelnen entstehen. Die Frage, was der Staat gegenüber dem Grundrechtsträger im Hinblick auf sein Eigentum zu unterlassen hat, kann sich dann mangels Eigentums von vornherein nicht stellen. Mit anderen Worten: der Abwehrgehalt des Eigentumsgrundrechts läuft leer. Dasselbe passiert, wenn Inhaltsbestimmungen des Eigentums die Entstehung von Eigentumspositionen von Handlungen der Exekutive oder Judikative, ζ. B. einer Grundbucheintragung, abhängig machen und diese einfach untätig bleiben. a) Die Leistungspflicht des Gesetzgebers die Instituts garantie des Eigentums Deshalb heißt „werden gewährleistet" zunächst, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, die zur Entstehung von sich auf ein vermögenswertes Gut beziehender Rechts- und Verfügungsmacht notwendigen Inhaltsbestimmungen zu schaffen. Er muss - wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht bemerkt - einen Normenkomplex zur Verfügung stellen, ein Rechtsinstitut „Eigentum", das diesen Namen verdient. 1 2 5 2 Die sog. Institutsgarantie des Eigentums ist also in erster Linie eine Leistungspflicht des Gesetzgebers. 1253 Mit ihr korrespondiert ein Anspruch des einzelnen Grundrechtsträgers. 1254 Der Gesetzgeber hat hierbei einen weiten Gestaltungsspielraum, der insbesondere Rücksichtnahme auf gegenläufige öffentliche oder private Interessen (insbesondere Freiheitsrechte Dritter, die durch die Rechtsmacht „Eigentum" automatisch beschränkt werden 1255 ) erlaubt. Er muss aber für eine angemessene privatnützige Zuordnung sorgen, insbesondere wenn Private Vermögenswerte durch ihre eigene Arbeit schaffen. Die Frage, nach welchen Maßstäben sich die „Angemessenheit" der Zuordnung beurteilt, insbesondere nach welchem Test die Berücksichtigung der gegenläufigen 1252 1253 1254 1255

Siehe oben S. 100 ff. Siehe oben S. 101. Siehe oben S. 104 f. Vgl. oben S. 100.

. Pflichten des Staates im Hinblick auf das „Eigentum"

283

Interessen zu erfolgen hat, die Frage nach den Grenzen dieses Gestaltungsspielraumes also, musste im Rahmen dieser Arbeit nicht abschließend beantwortet werden. Eine Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist jedenfalls möglich und das Bundesverfassungsgericht scheint in diese Richtung zu tendieren. 1256 Es gibt aber auch gute Gründe für einen größeren Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. 1257 Die hier vertretene Auffassung hat jedenfalls den Vorteil, dass sie diesen Gründen Rechnung tragen kann, ohne das Verhältnismäßigkeitserfordernis in den oben unter D. II. I . 1 2 5 8 beschriebenen Konstellationen, also den Eingriffskonstellationen, aufzugeben. 1259 Demgegenüber ist das Bundesverfassungsgericht, das diese Konstellationen dogmatisch an sich leistungsgrundrechtlich erfassen müsste, nahezu gezwungen, das Verhältnismäßigkeitsprinzip durchgängig anzuwenden. 1260 Unabhängig davon, für welchen Prüfungsmaßstab man sich letztlich entscheidet, hat der Gesetzgeber unter Umständen die Möglichkeit, eine an sich defizitäre Zuordnung eines Gutes im Verhältnis zwischen Eigentümer und anderen Privaten dadurch mit der Institutsgarantie in Einklang zu bringen, dass er das Defizit durch Geldleistungsansprüche ausgleicht. Dies wird in der Regel ein Anspruch gegen denjenigen Privaten sein, gegenüber dem die Zuordnungslücke besteht und der deshalb davon profitiert. Beispiele für solche ausgleichspflichtigen Inhaltsbestimmungen, die von den noch zu behandelnden ausgleichspflichtigen Schrankenbestimmungen 1261 und Enteignungsentschädigungsregelungen1262 zu unterscheiden sind, sind § 904 Satz 2 BGB, § 816 Abs. 1 Satz 1 (i.V.m. § 932) BGB und § 951 Abs. 1 BGB. 9

b) Die Leistungspflicht der Exekutive und Judikative der Anspruch auf faire Verfahrensführung Bei der Anwendung von Inhaltsbestimmungen durch staatliche Stellen sind diese im Lichte der gesetzgeberischen Pflicht zur Schaffung eines Rechtsinstituts, das diesen Namen verdient, (ggf. verfassungskonform) auszulegen. Das wird insbesondere dann bedeutsam, wenn eine Inhaltsbestimmung die Entstehung eigentumszuweisender Imperative und Verfügungsbefugnisse von dem Handeln einer staatlichen Stelle - etwa einer Grundbucheintragung (vgl. § 873 Abs. 1 BGB) abhängig macht. So wie der Gesetzgeber das Entstehen von Eigentumspositionen nicht von vornherein dadurch verhindern darf, dass er keine Inhaltsbestimmungen 1256 Siehe oben S. 102 f., 147 ff. 1257 Siehe oben S. 148 f. 1258 s. 278 ff.

1259 Siehe oben S. 147 ff. 1260 Siehe oben S. 147 ff. 1261 Siehe dazu unten S. 287. 1262 Siehe dazu unten S. 286.

284

D. Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Auslegung des Art. 14 GG

zur Verfügung stellt, darf die gesetzesanwendende staatliche Stelle das Entstehen von Eigentum „in der Hand" des Einzelnen nicht einfach dadurch verhindern, dass sie es unterlässt, die Tatbestandsmerkmale einer eigentumszuweisende Imperative errichtenden Norm auszufüllen, obwohl die Institutsgarantie hier die rechtliche Zuordnung des Guts fordert. Ist letzteres der Fall ist, muss die staatliche Stelle handeln. Ansonsten verletzt sie das Grundrecht durch Unterlassen. Die Leistungspflicht des Gesetzgebers setzt sich hier auf der Ebene der Gesetzesanwendung also in einem Anspruch auf faire Verfahrensführung fort. 1 2 6 3

ΠΙ. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Eingriffen in den Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 G G 1 2 6 4 Eine Rechtfertigung von Eingriffen in den Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist auf der Grundlage des Art. 14 Abs. 3 GG und des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 (ggf. i.V.m. Art. 14 Abs. 2 GG) möglich. Dabei ist Art. 14 Abs. 3 GG als speziellere Norm vorrangig zu prüfen.

1. Art. 14 Abs. 3 GG a) Vorliegen einer Enteignung Enteignung ist der durch einen Zugriff des Staates auf das Eigentum des Einzelnen bewirkte zielgerichtete Entzug von konkreten durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtspositionen, der sich ohne Entschädigung als unverhältnismäßig oder gleichheitssatzwidrig darstellt und zu dem Zwecke geschieht, das durch die Rechtsposition zugeordnete Gut in seiner „Körperlichkeit" in einer vorher bestimmten Art und Weise einem konkreten Vorhaben dienstbar zu machen. 1265 Das Merkmal des Zugriffs des Staates bringt zum Ausdruck, dass die Enteignung ein Eingriff in den Abwehrgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG i s t . 1 2 6 6 Es bewirkt somit, dass sich Normen wie § 932, § 950 oder §§ 142, 119 BGB nicht an Art. 14 Abs. 3 GG messen lassen müssen, obwohl sie sich aus Sicht des betroffenen Eigentümers ebenso verheerend auswirken mögen wie ζ. B. die §§ 85 ff. BauGB. 1 2 6 7 1263 Siehe oben S. 159. 1264 Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Zuwiderhandlungen gegen die Leistungspflicht wurde oben S. 282 f. bereits mit behandelt. Es ist üblich, bei der Prüfung von Leistungspflichten die Ebene des pn'ma-/