Die Zukunft des kirchlichen Liberalismus: Eine Stimme aus dem antiradikalen Lager [Reprint 2019 ed.] 9783111608037, 9783111232805

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Die Zukunft des kirchlichen Liberalismus: Eine Stimme aus dem antiradikalen Lager [Reprint 2019 ed.]
 9783111608037, 9783111232805

Table of contents :
Zur Idee des kirchlichen Liberalismus
Vorbemerkung
1.
2.
3.
4.
Aus der Welt des deutschen Christentums
Ein Kanzelwort
1.
2.
3.
4.
5.
Brauchen wir ein neues Bekenntnis?
Die Heilsbedeutung der geschichtlichen Jesusgestalt
Unser Christusproblem
Inhaltsverzeichnis des ersten Jahrgangs

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Die Zukunft des

kirchlichen Liberalismus eine Stimme aus dem antiradikalen Lager von

I. Burggraf Pastor an St. Hnsgarii in Bremen

Zur Idee des kirchlichen Liberalismus Hus der «leit des deutschen Christentums Brauchen wir ein neues Glaubensbekenntnis?

Die Reitebedeutung der geschichtlichen Jesusgestalt Unser Christusproblem

Giessen 1907

Verlag von Hlfred Opelmann (vormals J. Richer)

flbonnemenfspreis für den 18 Bogen starken 5ahrgang Mark 4.50 einzelnes Best Mk. 1.50

Die Zeitschrift erscheint feit Okt. 1906 vierteljährlich Die „Bremer Beiträge" haben die Absicht, sich mit der radikalen Bewegung, die unser Volkan seinem christlich-evan­ gelischen Besitzstände irre­ macht,auseinanderzusetzen; sie wollen aus der religiösen Zer­ fahrenheit und Verschwom­ menheit derselben wieder zur Sammlung auf die tiefen, wahren Bedürf­ nisse der Seele hinführen. Nehmen sie so von ei­ Ikerausgeber: Julius Lurggrsf nem entschieden freigesinnten Standpunkte aus Stellung wider den Radikalismus, wie er in Bremen zur Kanzelverkündigung geworden ist, so können sie diesen dennoch nicht als eine absolut unwahre Erscheinung be­ trachten. Vielmehr sehen sie hier in einer von vielen Irrtümern verworrenen und jedes tiefere christliche Gefühl beleidigenden Gestalt eine große Aufgabe und, wenn diese richtig erfaßt wird, eine neue Kraft der religiösen und kirchlichen Weiterentwicklung. Deshalb sind Herausgeber und Mitarbeiter dieser Zeitschrift bestrebt, alles, was Wahrheit ist in der gegnerischen Anschauung, in Christi Heilsleben zu läutern und zu vertiefen, um es dann in dieser Form mit Nachdruck zur Forderung an die Kirche der Gegenwart zu erheben. In dem Kampfe, besonders aber in dieser positiven Reformarbeit der Bremer Beiträge handelt es sich nicht um eine lediglich innerbremische Angelegenheit, sondern um ein Lebensinteresse des ganzen deutschen Protestantismus und seiner Kirche.

Inhalt des soeben erschienenen 1. Bestes vom 2. Hahrgange: Zur 5dee des kirchlichen Liberalismus. Pom ßerausgeber. Umbaugedanken. Von Pastor Otto Barfwidi in Bremen. Kalthoffs Reformations-Zeitalter. Von Pfarrer K. e. Schilling in Diersheim. Die Kunst an der Wiege des Protestantismus. Von Pfarrer Dr. e. Bademeister in eharlottenburg. Bus der Welt des deutschen Christentums. Von Pastor I. Burggraf. Wie kann einer orthodox fein t ? Von Pastor fric. W. Bruhn in St. Annen. Der Kampf ums 3 dl. Zeltgloffen von Pastor K. Rdfener in Beuerfjen. Zum hohngedanken im Christentum. Von Pastor prim. Suiius Bode In Stade. Friedrich Schleiermacher, ein Charakter. Von Studieninipektor üic. 3. Mehner in Wittenberg. Brauchen wir ein neues Bekenntnis ? - Kalthoffs Hbendmahlsformular. — Kalthoffs zweiter nachfolger. — ßarnack über den Bremer Radikalismus,

Zur Idee des kirchlichen Liberalismus.

1

Zur Idee des kirchlichen Liberalismus. Vorbemerkung. Die Bremer Beiträge brachten im April einen Aufsatz „Christliche Welt und Liberalismus". Darin zeichnete D. Rade die Entwicklung, die er und seine von Ritschl ausgegangenen Freunde durchgemacht haben.

Der Artikel er­ öffnete einen Einblick in das innerste Wesen jener großer Gruppe grundsätzlich

dem Protestantenverein ferngebliebener und dabei doch durchaus fortschrittlich gerichteter Theologen, die durch ihr Wirken auf mehreren hundert deutschen

Kanzeln, besonders auch durch ihre starke Vertretung an den Universitäten einen markanten Einfluß auf die kirchliche Gegenwart ausübt.

In solcher Aufschluß­

bereitschaft dürfte wohl die „moderne Theologie" noch nie über sich Rechenschaft gegeben haben. In aller Freimütigkeit rechnete sie hier durch einen ihrer nam­ haftesten Vertreter mit den ihr von Natur fremdartigen, aber allmählich ihr doch vertrauter gewordenen Bildungsfaktoren gesinnungsverwandter Geister, zu­ gleich aber auch mit den mehr oder weniger überholten und doch ihr unverlier­

bar bleibenden Entwicklungselementen ihrer eigenen Vergangenheit ab.

So hat benit auch das Protestantenblatt, das die Radeschen Ausführungen

aus unserer Zeitschrift abdruckte, jene „als ein bedeutsames Aktenstück zur kirch­ lichen Zeitgeschichte" bezeichnet. Allerdings mit unverkennbarem Widerspruch dazu, den aber die einleitenden Sätze der Redaktion nicht näher darlegten. In unseren Augen sind Rades Gedanken ein wohlgemeintes Freundeswort, das dem freien Protestantismus in der Gegenwirkung gegen seine kirchen­ zerstörenden Auswüchse in Bremen aufrichtig dienen, ihm zur Selbstbesinnung

und Erstarkung mithelfen will. Und weil wir dies fühlten, hielten wir uns für verpflichtet, uns ehrlich und gründlich damit auseinanderzusetzen. Der Leit­ artikel, mit dem jetzt der zweite Jahrgang der Bremer Beiträge eröffnet wird, Und der im folgenden (nur mit einem kurzen Zusatz am Schluß) wiedergegeben ist, stellt sich nun die Aufgabe, jener uns sehr sympathischen, im Grunde so gesinnungsverwandten Meinungsäußerung gegenüber doch Recht und Wahr­

heit unseres kirchlich-liberalen Bewußtseins zu vertreten.

1. In unserm Aprilhefte weist der Herausgeber der modern-theologischen Christlichen Welt für seine und seiner Freunde Bestrebungen die liberale Be­

nennung auf das bestimmteste ab.

Er tut es in Ausdrücken starker Antipathie

gegen dieses im Protestantenverein zur Losung gewordene Wort und den für sein Ohr darin liegenden Begriff. Burggraf, Die Zukunft der kirchliche» Lideralismus.

1

Zur Idee des kirchlichen Liberalismus.

2

Diese Opposition Professor D. Rades gegen den „kirchlichen Liberalismus" ist für den Laien, jedenfalls hier in unseren Kreisen, eine schwer zu begrei­

Ja, wenn es sich bei den „modernen" Theologen um nur

fende Erscheinung.

halb und scheu freigerichtete Vermittlungstheologen handelte!

So aber weiß

er — und in dem Artikel bestätigt sich ihm das, — daß sie Männer von wissen­

schaftlicher Klarheit und Entschiedenheit sind, die uns in Unbefangenheit des religiösen Sinnes durchaus gleichstehen.

Es ist ihm bekannt, daß sie einem ehr­

lich fortschreitenden Protestantismus huldigen und daß sie mit der vollen Wahr­

haftigkeit eines all und jede orthodoxe Beengung durchbrechenden, vorwärts wollenden Kirchenwillens, wie dieser ja Woche für Woche aus den Nummern

der Christlichen Welt spricht, die „Religionsgeschichtlichen Volksbücher" geschaffen

haben, in der Gegenwart ohne Frage das verdienstvollste Werk der Gemeinde­

aufklärung.

Da vermag man trotz allem, was D. Rade zur Erklärung seiner

Stellungnahme in unseren Spalten vorgebracht hat, seine Ablehnung der uns für solche undogmatische, in ihrem Denken innerlich freie Geistesrichtung so ge­ läufigen Bezeichnung nicht recht zu verstehen.

Man würde dafür wohl einiger­

maßen Verständnis haben, wenn er den Ausdruck „liberal" etwa deshalb nicht acceptieren wollte, weil die Oberflächlichkeit liberal mit lax identifizierte und

unter einem liberalen Geistlichen sich einen solchen vorzustellen geneigt wäre, der

es mit dem Ernst des Christentums leicht nehme und an seine Gemeinde weniger Ansprüche stelle. er auch nicht.

Aber daran denkt der Herr Verfasser gar nicht.

Das kann

Denn auch die Bezeichnung, die er und seine Gruppe für sich

gewählt haben, ist Mißdeutungen ausgesetzt und wird von gewissenlosen Gegnern

oft genug gegen sie im Sinne einer wandelsüchtigen, der ewigen Heilswahrheit untreu gewordenen Moderne gebraucht.

Das beirrt sie aber nicht.

Sie zeigen

zur Genüge, wie sie es meinen, im Sinne einer lebensvoll auf die Zeitbedürfniffe

gerichteten Umgestaltung des ihnen unwandelbaren Evangeliums.

Und da ihnen

das Wort „moderne Theologie" in diesem, dem Kerne protestantischen Geistes entnommenen Gepräge für ihr Bestreben so passend erscheint wie kein anderes,

so bekennen sie sich dazu. wissen von unserer

Warum sollten wir nicht mit demselben guten Ge­

„liberalen Theologie" reden, wenn dieser Ausdruck mehr

als irgend ein anderer die Richtung unserer wissenschaftlichen und praktischen

Arbeit charakterisiert?

Trägt er ja doch nicht minder den Stempel des hei­

ligen Geistes unserer protestantischen Kirche!

Doch eben das bestreitet unser verehrter Freund.

Liberal ist ihm kein dem

Wesen des Glaubens genuines Wort, sondern so recht ein „Begriff von der

Welt", aus dem politischen Getriebe mit seinem gar leicht vergewaltigenden und bedenkliche Mittel heiligenden Parteiwesen: es würden darunter in das religiös­

kirchliche Leben störende, dessen Wahrheit und Gesundheit gefährdende Elemente eingeführt.

Zur Idee des kirchlichen Liberalismus.

3

Man kann dem Leiter der Christlichen Welt sehr verwandt sein in der Emp­ findlichkeit gegen alle Anleihen, die die parteiische Organisation in der Kirche beim Geiste des irdischen Jnteressenkampfes macht.

Man kann es als einen peinlichen

Widerspruch empfinden, wenn Glaubensideale durchgesetzt werden sollen in einer

Benutzung von Menschen und Verhältnissen, die etwas Unideales an sich hat, oder wenn ein Recht der eigenen Überzeugung erstritten werden soll durch Ein­

griffe in das Gebiet des zartesten Innenlebens, die dort als ein wehetuendes Unrecht erlitten werden.

Auch uns widerstreben in der Kirche der Gewissens­

freiheit äußerliche Machinationen, kirchenpolitische Nivellierungsdisziplin und durch­ drückende Majoritätskraft, mag es sich auch um wirkliche Werte der Gemeinde­ selbständigkeit und der sittlich-religiösen Volkskultur handeln.

Wir leiden unter

der Erkenntnis, daß jeder Parteikampf, mag er auch auf noch so objektiver Höhe er­ halten werden, etwas die Gemüter Entzweiendes, christliche Brüder widereinander Verbitterndes hat.

Und das ist sehr zu beklagen in Anbetracht des gemeinsamen

heiligen Gutes, das wir gegen die Mächte der Negation zu verteidigen haben. Parteienthusiasten, selbst solche, die es sehr gut meinen, haben in unseren Augen immer einen gewissen Glaubens- und Seelendefekt.

Und ich bedauere

alle, die viel Parteiarbeit tun müssen; sie werden früh alt, und ihre Seele büßt

den höheren Schwung ein. " Dennoch fragt es sich, ob in diesem Zeitenlauf solche unleidliche Arbeit nicht auch unter uns getan werden muß?

Ob wir

überhaupt den Boden unserer freien Glaubensexistenz heute noch hätten, wenn

nicht der Protestantenverein, ob auch ohne eigentlich posiüve Erfolge im religiösen Leben, — denn diese sind auf Parteiwegen überhaupt nicht zu erringen — der Verblendung in der Orthodoxie und dem Unverstand der in der Kirche mit­

wirtschaftenden staatlichen Faktoren so lange als Wehr der Wahrheit entgegen­ gestanden hätte?

Diese Bedeutung des organisierten Liberalismus, wenigstens

für Preußen, entzieht sich den Blicken des Herrn Verfassers nicht (Seite 176). Wir schätzen aber seine in der Kirchengeschichte der letzten Jahrzehnte mitwirkende

Kraft höher ein, als es D. Rade tut. Zudem aber steht doch der Protestantenverein längst nicht mehr als ein­

ziges Parteigebilde der geschlossenen Phalanx konservativ-reaktionärer Interessen gegenüber.

Der Drang der Umstände hat auch

weithin in den Reihen der

modernen Theologen trotz Ritschls überspannender Abneigung gegen das Partei­

wesen zu Organisationen geführt: die einen von ihnen haben sich zu einer neuen

Mittelpartei, die anderen zu kirchenpolitischen Gruppierungen auf der Linken zu­ sammengeschlossen.

Und das ist wohl der Wille Gottes, der zu seinen großen

Zwecken in der religiösen Geistesgeschichte unseres Volkes nicht bloß Reforma­

toren und seelengewaltig wirkende Propheten braucht, sondern zum Schutz ihrer Ideen unter den rauhen Stürmen

der Gegenwart wohl auch

das derbere

Material der diese Stürme bezwingenden Parteimächte erschaffen hat. 1*

Darin

4

Zur Idee des kirchlichen Liberalismus.

werden wir, die wir aus innerster Individualität Parteilose sind, uns zu finden

haben.

Und unsere Aufgabe wird es sein, wie das auch die „Christliche Welt"

so meisterhaft tut, zu wachen und zu mahnen, daß das Parteileben auf unserer

Seite in evangelischer Zucht bleibe.

Bei dieser Lage der Dinge geht es doch nun aber nicht mehr an, dem kirchlichen Liberalismus so stark seinen Parteicharakter anzurechnen, wie es in

jenem Artikel geschieht.

Immer wieder und fast ausschließlich wird er darin

als kirchenpolitische Organisation behandelt.

Damit fließt in die Zeilen, die

D. Rades allbekanntes Gerechtigkeitsgefühl für alles Große und Gute in anders­

gearteten kirchlichen Erscheinungen diktiert hat, aus seiner am Parteiwesen nicht frohwerdenden Seelenstimmung eine gewisse Trübung in das angeschaute Objekt

hinein, die zwar das Bild des Liberalismus in seinem Urteil nicht unfreundlich verzerrt, die aber den Herrn Verfasser doch wohl hindert, die Bedeutung des

Liberalismus für die Entwicklung der evangelischen Kirche voll zu würdigen. 2.

Protestantenverein und kirchlicher Liberalismus sind zwei verschiedene Dinge.

Ersterer ist die äußere, die zeitweilige, nur vorläufige, dem Wandel und der Vergänglichkeit unterworfene, dabei zwar treu gemeinte, aber menschlich mangel­ hafte Erscheinungsform des Liberalismus und nicht einmal des ganzen, bei

weitem nicht des ganzen. Manifestation des

Er selbst ist ein bleibender Ideengehalt,

in unserer Volksseele verklärten Christus,

eine

eine gewaltige

Gottestat in unserer Kirchengeschichte, die noch in voller Entfaltung begriffen ist, und zu deren Auswirkung viele werden beitragen müssen, die es heute noch

nicht ahnen. Wenn einer aus der Journalistik des vorigen Jahrhunderts einmal nach­ weisen könnte, wann, wo und wie die Ausdrücke „liberale Richtung"

und

„liberale Theologie" aufgekommen sind, so würde es sich herausstellen, daß sie anfangs gar nicht, in Analogie mit der politischen Welt, den Gegensatz zu einer

konservativen Richtung in Kirche und Theologie bedeuteten.

„Liberal" war

ursprünglich jedenfalls nicht das Gegenteil von „orthodox", wenigstens nicht

von orthodox schlechthin.

Vielmehr war es gemeint als Auflehnung wider das

unter den orthodoxen Formen vielfach liegende engmenschlich konfessionelle^ starrseelisch dogmatische Wesen: wider den katholisierenden Sauerteig in der

Kirche.

Nur daß hinter diesem wiedererwachenden protestantischen Prinzip, das

schon einmal im Pietismus jugendlich aufgelebt war, nun eine Tendenz ftaitb, die

die geistesfreie,

an Formeln nicht gebundene Denkweise

hervorkehrte.

Durch Schleiermachers Lebenswerk vermittelt, hing dieser Geist zwar mit der rationalistischen Aufklärung zusammen, hatte aber diese in ihrer Dürre und Leere überwunden und war ein neuer Humanismus, ein Humanismus innerhalb

Zur Idee des kirchlichen Liberalismus. der Religion und Kirche.

Darüber gleich mehr.

5

Vorläufig nur soviel: die

Bezeichnung „liberal" im kirchlichen Gebiete ist aus den Empfindungen einer über beschränktes Kirchentum hinausgreifenden, den Begriff des reinen, freien Menschentums in sich tragenden, durchaus christlichen und wahrhaft evangelisch­ protestantischen Gesinnung gemünzt. Nicht stammt er aus der Parteisprache, und der kirchlich-liberale Gedanke trägt an sich den Willen zur Partei genau ebensowenig in sich, wie die später hervorgetretene modern-theologische Idee.

Am allerwenigsten ist bei der Geburt dieses Schlagwortes an solche Verquickung mit den gleichnamigen politischen Bestrebungen gedacht worden, wie sie nach

D. Rades Bericht 1881 der ehemalige Bremer Pastor Frickhoeffer auf dem Berliner Protestantentage versuchte, und wie Ähnliches, nachdem man sich aus dem Liberalismus heraus zur Partei organisiert hatte, im Protestantenverein wohl manchmal gewünscht und erstrebt sein mag. Das ist ja nun natürlich, daß der kirchliche Liberalismus bei seinem frischen

Vorwärtsstreben von Anfang an besonders unter denen Anhänger fand, die auch im politischen Gebiete an einem neuen Leben bauten. Ebenso, daß sein Kampf

mit der engen, starren Buchstabengläubigkeit, wo sich bald fast die ganze, auch

nichtkonfcssionelle und nichtdogmatische Altgläubigkeit wider ihn warf, sein Kampf mit den schwerfälligen, außerhalb des geistigen Werdeprozesses stehenden Kirchen-

regimenten ihm Bundesgenossen unter den liberalen Parteien der Volksver­ tretung warb. Stand man doch dort verwandten Mächten gegenüber. Je mehr sich nun diese hier und dort zu reaktionärem Gegendruck auf die kirchliche Re­ formbewegung verbanden und zur Gegenparteibildung des Protestantenvereins nötigten, desto mehr begann man sich bei uns als Gegner eines in Haltung und Denkart parteimäßig konservativen Prinzips zu fühlen. So nahm das schöne Wort „liberal" — „freisinnig", indem es das Antikonservative in sich aufnehmen mußte, einen in seinen humanen Begriff hineinschillernden Neben­

sinn aus dem Parteiwesen an. Aber auch nur einen Nebensinn, gegen den die Kreise meiner Jugend­ entwicklung, diese nach meinem Eindruck bei aller antikonservativen, immer aus­ gesprochener antiorthodox gewordenen Parteistellung doch durchaus religiös kon­

servativ gesinnten Kreise, beständig protestierten. Wenn ich zurückdenke an die -Zeiten, wo einst aus dem Munde von akademischen Dozenten und Protestanten« vereinlichen Führern der kirchliche Liberalismus um meine Seele warb, so finde

ich in meiner Erinnerung die deutlichsten Spuren dringlicher Warnung vor Verlotterung des Sinnes im Parteitreiben und ernster Mahnung zu wissen­ schaftlicher und religiöser Vertiefung. Dieses unser religiöses Wachstum unter dem Einfluß der Schleiermacherschen Linken und des Pfleidererschen Geistes war

freilich anderer Art, als es D. Rade in seiner trefflichen, von Herzensdankbarkeit erfüllten Wiedergabe der biblisch-lutherschen Atmosphäre um Ritschl zeichnet.

Zur Idee des kirchlichen Liberalismus.

6

Es waren bei uns Stunden auf dem Berge der Verklärung, wo das innere Auge den Herrn sah, umgeben hinter Moses und Elias von den Gesetzgebern

und

Propheten

der

philosophisch-ästhetischen

Geistesreformation

Deutschlands. 3.

Wir sprachen von dem neuen Humanismus in Religion und Kirche.

ist kirchlicher Liberalismus?

Was

Eben dies, daß wir das 16. Jahrhundert nicht

als „die letzte große Offenbarungsepoche der Religion, die wir Deutschen er­

lebt haben", betrachten und daß wir bei vollem Bekenntnis zu dieser uns nun doch nicht begnügen können an der „Aufklärung über den wahren geschichtlichen Sinn der Lutherschen Reformation", wie es die Grundstimmung der modern­

theologischen Gruppe ist (Seite 172). Der Liberalismus in der Kirche ist die Anschauung, daß, zwar aus Luthers Tat erwachsen, nur durch ihre dem Klerikalismus sich entwindende Glaubens­ freiheit möglich, vollständig in ihrem religiösen Individualismus und in ihrem

ethischen Welt- und Menschenbegriff begründet, uns doch in der Ausreise, die diese Prinzipien unter der Sonne außerbiblischer Einflüsse gefunden haben, im deutschen Idealismus des 18. Jahrhunderts eine die Luthersche Glaubensoffen­

barung vollendende

und

ergänzende göttliche Geisteserschließung

zuteil

geworden ist. Der Liberalismus ist die Überzeugung, daß dieses große, reiche Geistes­

leben unserer Dichter und Denker, das darin sich offenbarende Lebensempfin­ den, wenn es auch nicht wie Luthers Aussprache gleich durch das ganze Volk hin in unmittelbarer Berührung die Herzen ergriff, doch in seiner Mitteilung reinen, hohen Wesens zum wahren Seelenheil, zur rechten christlichen Volkskultur

so unentbehrlich ist wie Luthers Christuspredigt, ja daß es, ob auch von Tönen menschlichen Irrtums durchklungen, im Grunde ebenfalls ein Wort des unter uns weiterwirkenden Herrn an unser Volk ist. Der Liberalismus ist die Forderung, daß die Erkenntnis eines Kant und

Fichte, die schöpferische Gefühlsweise eines Schiller und Goethe mit ihren neuen Blicken, Antrieben und Werten, und was in ihrer Entwicklung sich immer mehr daraus ergibt, — die ja als Leben umwandelnde Kraft von den Höhen der Bildung weiter und weiter in die Volkstiefen dringt — nicht als eine Welt

des Schönen und Wahren neben der biblisch-religiösen Welt stehen darf, voll­ ständig von ihr abgeschlossen, wohl gar innerlich ihr entgegengesetzt: ein un­ versöhnter Dualismus des höheren Geisteslebens in uns.

Der kirchliche Liberalismus ist die Bestrebung, diese Versöhnung zwischen

dem alten Glaubensgut und dem neuen Lebensfund zu stiften: die Weltbildung einerseits aus dem Evangelium der Kirche zu korrigieren, von unwahren

Elementen zu befreien, und andrerseits die Kirche der Reformation mit dem,

Zur Idee des kirchlichen Liberalismus.

7

was an der deutschen Geistesbildung göttliche Wahrheit ist, zu komplettieren.

Er geht darauf aus, das Glaubensleben im Geiste dieses deutschen Idealismus zu vergeistigen, den Glaubenssinn

an seiner Sinnesweite auszuweiten, den

Glaubensinhalt aus der in ihm eröffneten Lebensfülle zu bereichern, die Glau-

bensstimmung durch ihn zur Naturwahrheit und dabei doch zum idealen Hoch­ flug zu führen, die kirchliche Pflanzstätte des Glaubens in ihrem Wesen, ihrem

Leben, ihrem Gottesdienst

und

ihrer

Einrichtung

umzubilden

nach der

Grundrichtung dieses neuen Protestantismus.

Es ist für uns keine Frage, daß dieser Liberalismus ein Gotteswille und

ein Gotteswerk an unserer Kirche ist, mag auch seine bisherige Darstellung vielfach noch nicht den darin waltenden Gottesweisungen entsprechen, und die

Form, die er in manchen protestantenvereinlichen Kreisen angenommen hat, keine

Zukunft haben.

Ganz ersichtlich ist es, daß auch die Entwicklung der modernen

Theologie jetzt auf ihn hinstrebt. D. Rade redet von ihrer Weiterbildung über Ritschl hinaus und er hebt dabei besonders Professor D. Troeltsch in Heidel­

berg

hervor.

Es ist das der an systematisch-produktiver Kraft bedeutendste

Vertreter dieser Richtung.

Was nun aber aus D. Troeltschs letzten Schriften,

so auch jetzt aus seiner Rektoratsrede spricht, ist nichts anderes als jener kirch­

lich-liberale Gedanke. trefflich

Wir haben sogar fast den Eindruck, daß bei seiner vor-

definierenden Gegenüberstellung des alten,

unter Luthers

Einfluß

stehenden und des neuen, wesentlich vom deutschen Idealismus ausgehenden Protestantismus letzterem in der Wertbeurteilung etwas zu sehr das Übergewicht

über den ersteren eingeräumt wird.

Trotz dieser Annäherung an den Liberalismus besteht zwischen unseren

Gesinnungsgenossen von der „Christlichen Welt" und uns die Verschiedenheit, daß

bei ihnen das vom neuen Geistesleben bestimmte theologische Bewußtsein doch mehr zurücktritt hinter ihrem kirchlichen Allgemeingefühl, uns die ganze Berufsauffassung energisch beherrscht.

während es bei

Sie wissen sich bei ihrem

ausgesprochenen Freisinn doch nicht so sehr als Freisinnige wie als Prediger

des Einen Evangeliums; und als solche auf dem aller evangelischen Christenheit gemeinsamen Lebensgrunde des Heils in Christo die Geistesgemeinschaft auch mit denen, die am Alten hängen, zu empfinden und zu pflegen, das ist ein charak­

teristisches Hauptstück ihres Berufsgefühls, das ihre ganze Haltung bestimmt.

Darum wollen sie keinen Namen, der wie das Wort „liberal" — auch in

unserem Nichtparteisinn — eine Sonderstellung in der Kirche markiert. Wir dagegen, zumal hier in Bremen, haben gerade die Absicht, unser Sein und Wollen von der altkirchlichen Art ausdrücklich abzuheben.

Nicht

als ob wir letztere geringschätzten und unserer Geisteseinheit mit jedem treuen

Jünger des Herrn uns nicht freuten. Ja, daß es, eng mit uns verwandt, neben uns eine Gruppe gibt, die von Marburg aus, prinzipiell so charakterfest, doch

8

Zur Idee des kirchlichen Liberalismus.

durch ihr eigenartiges Wesen und Auftreten immer wieder eine Verbindung mit

der Rechten herzustellen sucht, ist uns eine herzliche Genugtuung.

Aber für

meine Freunde und inich liegt die, an Dringlichkeit alle anderen Aufgaben und Rücksichten überragende göttliche Notwendigkeit vor, an einem neukirchlichen

Glaubens- und Lebensgebilde zu schaffen. ■ Nur in dieser unserer besonderen Aufgabe, nicht so sehr nach seinem allgemein evangelischen Inhalt hin, können

wir unseres kirchlichen Amtes recht froh werden.

Und weil wir es aus unserer

Geistesgeschichte, aus unserer Individualität und dem uns angewiesenen Platze

heraus als Gottes heiligen Auftrag an uns empfinden, das Glaubensleben der reformatorischen Kirche zu jener Beschaffenheit hinzuleiten, wo es die huma­

nistisch-idealistische Christusoffenbarung des Neuprotestantismus in sich ausge­ nommen haben wird, so ist es uns vor unserem Gewissen, vor unseren Ge­

meinden, vor unserem Volke ein Bedürfnis, diese liberale Seite unseres kirch­ lichen Selbstbewußtseins scharf hervorzukehrcn.

4. Wir rechnen es zu den erfreulichsten Symptomen der Zeit, daß die Linien der Entwicklung zwischen dem kirchlichen Liberalismus und der modernen Theo­

logie jetzt hinüber- und herübergehen.

Da werden die Freunde der „Christlichen

Welt" ihre Auffassungen von dem, was wir sind und wollen, vielfach einer un­

befangenen Revision zu unterziehen haben.

In unseren Reihen aber wird man

immer mehr verpflichtet, die liberale Praxis nach dem von dort uns ansprechen­ den Geiste zu korrigieren und zu vertiefen.

Es darf wohl gesagt werden, daß

die, nicht im Parteileben, aber in der kirchlichen Wirksamkeit hervorragendsten Kräfte auf unserer Seite mit den von der modernen Theologie ausgehenden Anregungen längst in enger Fühlung stehen.

So empfehlen wir unseren Freunden angelegentlichst die Beherzigung dessen, was V.Rade in unserem Blatte von dem „eminent konservativen Geiste" schreibt, der die moderne Theologie, aber so auch jede echt wissenschaftliche, auch die

Pfleiderersche beherrsche — natürlich religiös und christlich konservativ, — ebenso seine wahre Bemerkung von der Kritik und der Negation, die eine Arbeit

„nicht wie an einem Leichnam, sondern wie an einem Lebendigen" sein müsse (Seite 174 ff.).

In dieser Hinsicht ist vom Parteigeist, der bei seinem Glauben

an die Masse oft genug öde Negation mit hineinreden ließ, und vom ein­ seitigen Intellektualismus einer Theologie ohne Herzensstellung und Pneuma

unter uns viel gesündigt worden.

Sonst hätten wir nicht in Bremen diesen

Radikalismus hervorgebracht mit seiner absoluten Verständnislosigkeit für Reli­

gion und Kirche, mit seiner Polemik gegen die heiligsten Gefühle unseres christ­

lichen Volkes. Wir hätten nicht unter uns diese skeptischen Elemente ohne den Enthusiasmus der Überzeugung oder ohne Klarheit und Sicherheit, die, obwohl

Zur Idee des kirchlichen Liberalismus.

9

durch ihre Stellung nicht nur, sondern auch durch ihren eigenen besseren Sinn

an die christliche Wahrheit gebunden, dennoch beständig der Welt verkünden, daß

sie, um keine Halben zu seien, keinerlei Grenzpfähle für ihr Denken und Reden anerkennen.

Es wird ja keinem gerecht Urteilenden einfallen, derartiges der Idee des

kirchlichen Liberalismus zuzuschreiben.

Aber hier liegen Schäden vor, die da­

rauf schließen lassen, daß der guten, wahren Idee zu ihrer Verwirklichung noch eine ihr notwendige Beimischung nötig sei. Es ist meine längst gehegte Über­

zeugung, und Rades Ausführungen haben mich darin bestärkt, daß wesentliche Zukunftsbedingungen des Liberalismus in der modernen Theologie

liegen: in ihrer,

aller

intellektualistischcn Blässe und Hohlheit abgekehrten

lebendig religiösen Tendenz und in ihrer unbeirrt kirchlichen Geistes­

Die altliberale Theologie hat dem kirchlich-liberalen Gedanken die Wege

art.

gebahnt, auch die Ziele gewiesen. ist ihr bleibendes Verdienst.

Besonders letzteres konnte nur sie, und das

Aber die Kraft zu seiner Entfaltung in die Breite

unseres Volkslebens und die ihn gesund erhaltende und stark machende Lebens­ kraft, die Kraft seiner Selbstbehauptung dem radikalen Ansturm gegenüber wird dem kirchlichen Liberalismus erst aus der modernen Theologie erwachsen!

Es bliebe noch viel zu sagen über das Verhältnis des Liberalismus zum Radikalismus: wie sie beide jene Umbildung der Kirche und des Christentums in der Richtung des neuprotestantischen Geisteslebens fordern, wie jedoch das

religiös-theologische Ergebnis dieses Prozesses hier und dort ein ganz entgegen­

gesetztes ist, — zwei unvereinbare Welten.

Aber am 10. Oktober wird die

Jahresversammlung der Freunde der „Christlichen Welt" sich über den Bremer Radikalismus auszusprechen haben.

Da möchten wir dieser Tagung in

Marburg mit unserem Urteil nicht vorgreifen.

Wir wollen aber der Zeichnung

des wahren kirchlichen Liberalismus, die hiermit von Bremen aus dazu bei­ gesteuert wird, abschließend noch ein wesentliches Moment hinzufügen.

Der echte, gesunde Liberalismus ist von ganzer Seele ein Sohn der

Kirche.

In ihr hat er sein Herz, in der Heiligen Schrift sein Gewissen, in

dem sittlich-religiösen Kindschaftsbewußtsein Jesu seinen Lebensgeist, in dem festen Zusammenhänge mit der Heilandsgestalt die Richtung seiner Gedanken,

in der Gewißheit der aus dieser historischen Heilandsgestalt immer neu hervor­

gehenden und weitergehenden Lebensoffenbarung des Christusgeistes sein Glau­

bensbekenntnis.

Diese Stellung ist uns Liberalen nicht durch Geburt, Tradition und Pietät aufgenötigt.

Wohl verdanken wir unserer christlich-kirchlichen Erziehung die

persönliche Erfahrung eines durch Jesus und sein Evangelium uns vermittelten Heils.

Aber wir haben unser Glaubensleben hindurchgehen lassen durch die

kalten Regionen einer wissenschaftlich wahrhaftigen Kritik, einer streng historisch

Zur Idee des kirchlichen Liberalismus.

10

Vorgehenden und religionsphilosophisch nüchternen Prüfung.

Da ist vieles in der

Bibel und auch in Jesu Zeiterscheinung, was uns vielleicht einmal unentbehrlich

erschien, als unhaltbar hingefallen.

Der Kern seines Lebens und Wortes jedoch,

eben das an der eigenen Seele als Heil Empfundene, hat sich uns als die alle

sonstige menschliche Glaubensaussage hehr und groß überragende Gotteswahrheit bewährt.

Nun haben wir uns ihm und dem Dienste seiner Kirche gelobt —

nun stehen wir unentwegt, innerlich gewiß und mit frohem Herzen

dafür ein! Wir haben das lebendige Geisteswalten Christi bei den Denkern und Dichtern der klassischen Epoche bis hinein in unsere Tage wahrgenommen, seinen Zuruf,

seinen Auftrag an uns gehört.

Von unserm Standort aus erkennen wir nun

aber mit klarem Auge, was daran wirklich sein Geist, und was auch hier ver­ gängliche Hülle seiner Offenbarung, vielleicht ihre recht menschliche Entstellung

ist.

Von unserer positiv christlichen Stellung aus ziehen wir das Neue, auf

seinen ewigen Wahrheitskern erfaßt, auf das darinliegende Gotteswort abgeklärt, in das kirchliche Glaubensleben hinein.

Wir stehen dem deutschen Idealismus

mit Freude und Begeisterung, mit dankbarem Bekenntnis zu ihm gegenüber;

aber wir stehen ihm frei und selbständig gegenüber in dem Bewußtsein der Superiorität des evangelisch-kirchlichen

legen.

Maßstabes, den wir daran

Wir lassen uns nicht hinreißen von der Welt- und Zeitbildung, daß

wir der Menschen Knechte werden, sondern wir machen Welt- und Zeitbildung

uns, unserer Kirche, unserem christlichen Volke dienstbar.

Und was aus Welt

und Leben sich uns darbietet, das amalgamiert sich uns mit dem tiefen, innigen Glaubenssinn der Apostel und Propheten.

Denn Kunst und Philosophie sind

ein Großes, aber das Große hat den Beruf, einzugehen als Licht und Reichtum und

Schönheit in das Eine, was vor allem not tut, in des Herzens

lebendige Frömmigkeit, in die Frömmigkeit nach dem Herzen Jesu Christi. Das ist uns der kirchliche Liberalismus.

Wir verhehlen uns nicht, daß

damit fteilich ein neuer Typus des liberalen Gedankens in der Kirche

gezeichnet ist: eine religiöse Denkweise, in der der altliberale Geist bereits eine innige Verbindung mit dem modern-theologischen geschlossen hat, — eine Rich­ tung, die in ihrer idealistisch-humanistischen Reformarbeit an der Kirche diese

Reform doch in neue Christustiefen, in ein lebendigeres und wärmeres religiöses Empfindungsleben, sowie zu einer viel mehr kirchlich bestimmten und dem evangelischen Gesamtbilde harmonischer sich einfügenden Haltung

führt.

Nur in dieser Gestalt, nach der meine Freunde und ich, solche vom

Protestantenverein wie von der modern-theologischen Seite her, streben, hat der

Liberalismus eine Zukunft.

In der wird er aber eine große Zukunft haben

ö

Aus der Welt des deutschen Christentums.

11

Hus der Melt des deutschen Christentums. Ein Kanzelwort. Philipper 3, 12—14: Nicht, daß ich es schon ergriffen habe oder schon voll­

kommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin.

griffen habe.

Ich schätze mich selbst noch nicht, daß ich es er­

Eins aber sage ich: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich

zu dem, waS da vorne ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod,

welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu.

1. Liebe Gemeinde!

Ruhe setzen können.

Christen sind reiche Leute, aber solche, die sich nie zur

Im Heilszusammenhange mit ihrem Vater erfreuen sie

sich einer Wahrheit, die ihre Seelenexistenz sichert und sie getrosten Mutes dem Leben und dem Tode entgegensetzen läßt.

In ihrer vom Reinen und

Großen bestimmten Lebensanschauung wissen sie sich im Besitze einer festen Grundlage, geordneter Verhältnisse, eines schönen Vermögens an Wollen und

Vollbringen.

Von Gottes Gnade bin ich, was ich bin, rühmt der Apostel, —

und dennoch steht im Mittelpunkte dieses Bewußtseins sein Bekenntnis: All unser Wissen ist nur Stückwerk, und unser Tun ist Unfertigkeit, mein Glauben ist ein nie abschließendes Suchen, mein Leben ein rastloses Streben, ich muß be­

ständig zunehmen an Erkenntnis und Verständnis Gottes, ich muß wachsen und werden ohne Unterlaß!

Dieses in geistlicher Beziehung nimmer zufriedene Wesen ist das Kennzeichen

des lebendigen Christen.

Er steht in der Wahrheit, und doch verstummt auf

seinen Lippen nie die Wahrheitsfrage.

Er wandelt im Rechten, und dabei bleibt

sein Sinn doch stets ein Hungern und Dürsten nach Gerechtigkeit.

Allein die

Menschen des großen Verlangens erkennt der Herr als seine Jünger, und die

Kulturbedeutung seines Werkes ist die federnde Unruhe, die er dem sittlich­ religiösen Seelenleben der Menschheit und damit dem ganzen menschlichen Dasein eingesetzt hat.

Die hat das Christentum zur Erweckerin der Völker und Ge­

schlechter gemacht. Die ist immer wieder die Krafterregerin zu jedem edlen Fort­ schritt.

In ihr ist die Verheißung begründet, daß unserer Religion die Welt

gehört, und wer den christlichen Missionsgedanken ablehnt, entzieht sich einer der wichtigsten Aufgaben humaner Verpflichtung, wie das schon Goethe erkannt

12

Aus der Welt des deutschen Christentums.

Wir sind es aller Kreatur schuldig, ein Feuer anzuzünden auf Erden im

hat.

heiligen Geiste jener Unruhe, die aus des Paulus Munde spricht: „Ich jage ihm nach, ob ich cs auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christo Jesu er­

griffen bin." Es wurde eben des einen unserer Dichter Erwähnung getan.

Darin vor

allem hat Goethe seinen tiefinnerlichen Zusammenhang mit Christentum und

Protestantismus, daß er von solchem nie stillstehenden seelischen Vorwärtsdrange so völlig beherrscht war.

Bei ihm, dem Lebensbildner, äußerte sich dieser in dem

bis ins höchste Alter rege gebliebenen Trachten nach Persönlichkeit.

In un­

ermüdlicher Veredlung seiner Natur, in heißem Kampfe mit sich und mit der Welt, in seiner Offenheit für alles, was seine Lernbegierde befriedigte, selbst in

all seinem Dichten und Schaffen erstrebte er eine immer reichere, immer bestimm­ tere, immer abgeklärtere Gestaltung seines Wesens.

Und neben ihm Lessing,

der Künstler mit dem ticfdringenden Forscherblick, in jener Wahrhaftigkeit, der das Suchen nach Wahrheit mehr wert war als ihr Besitz.

Auf der anderen

Seite Schiller, der Prophet und Führer unserer Nation, in seinem Aufstieg zu den immer mächtiger vor ihm herwachsenden Firnen der freien und schönen Empfindung.

Dazu Herder, allen dreien geistesverwandt, in dem die klassische

Denkweise ihre eigentliche, unter der ästhetischen liegende religiöse Grundfärbung zeigte.

Dieser ganze deutsche Idealismus, von dem Geiste einer großen Periode

philosophischen Aufschwungs genährt, hat in dem Luthererbe, wovon unser Volk

lebt, die drängende, sehnende, strebende Unruhe des Reformators als einen der Hauptwerte des christlichen Sinnes in den Vordergrund gerückt.

Die seelische Aktivität, die damit dem neueren Protestantismus noch viel nichr eigen ist als dem alten, dem infolge seiner dogmatischen Fessel doch noch viel Passivität innewohnte, prägt nun seit einem Jahrhundert den Charakter

der Laienreligion in deren Leistungen und echten Bewährungen, wie in ihren Ver­ irrungen und mancherlei Fehlbildungen.

Die Losung der Volksreligion bis

weit in den deutschen Katholizismus hinein ist das praktische Christentum der weltverbessernden Liebestat, ihr Geist ist der männliche Glaube voll Kraft und

Mut und ihre Tendenz Aufklärung und Fortschritt.

Und dieser rührig aus­

greifende Wille bestimmt auch vornehmlich die Predigt der Gegenwart.

Die

Kirche unserer Zeit redet mit Vorliebe von dem Wirken, solange es Tag ist,

und dem Laufen in den Bahnen, die uns weiterführen, von dem Leben, das

Bewegung ist, und von dem Ringen der Seele, die vorwärtsstrebt. Das Wahr­

zeichen der heutigen Kirche ist der Christus, der zu ruheloser Arbeit die Hand an den Pflug legt und der zum Kampf nach innen und außen den Seinen das

Schwert reicht.

Sein Christuswort an die jetzt lebende Gemeinde lautet: Ihr

sollt nicht wähnen, daß ich gekommen bin, Frieden zu bringen I

Und als Echo

tönt es aus unserem Geschlechte: Ich habe keine Zeit, müde zu sein!

Aus der Welt des deutschen Christentums,

13

2.

Dennoch sind und bleiben wir Menschen, die sich immer wieder nach Frieden

sehnen.

Zwei Seelen leben in unserer Brust.

Angestrengtes Schaffen ist unser

Element, und dabei ruft es heute überall nach Verkürzung der Arbeitszeit.

Da,

wo im Zusammensein der vielen des Marktes lauter Lärm uns umgibt, in den

Städten will jetzt alles wohnen, und trotzdem ist wenigstens des germanischen Gemütes herzlichstes Bedürfnis die stille Natur.

Heilige Stille, selige Ruhe,

— ach, wie seufzt danach gerade das Kind dieser Zeit und nach einer heili­ Stille, als der Wald sie bietet, nach einer seligeren Ruhe, als die

geren

Feierglocke sie bringt I

Von dem aufgeregten Leben, in dem wir jetzt stehen,

so oft zerhastet, umdrängt von Mühen und Sorgen mit verbrauchter Kraft, unter dem Druck der Leiden abgespannt in unsrer Seele, geängstigt vielleicht

durch Schatten, die dem eigenen Inneren ersteigen, verlangen wir nach einem

Zustande der Versöhnung, wo wir aus aller Weltverwirrung, in einem Höheren neu belebt, uns wiederfinden möchten mit gesammeltem Sinn und zu unserem besseren Selbst zurückgekehrt: meine Zeit in Unruhe, meine Ruhe in Gott! Der du von dem Himmel bist, Alles Leid und Schmerzen stillest, Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung füllest, — Ach, ich bin des Treibens müde, Was soll all der Schmerz, die Lust? Süßer Friede, Koinm, ach komm in meine Brust.

So singt ja der, dessen Geist wir in erster Linie als die treibende Kraft neu­

zeitlicher Lebensunruhe empfinden.

So sang er schon in den Tagen brausenden

Dranges. Und was ist es anderes als dieses Bedürfnis der Einkehr, der tiefinncr-

lichen Beschwichtigung, was aus der stark mystischen Richtung des heutigen Geistes­ lebens spricht? O die Kirche mag noch so sehr eine Macht des strebenden Lebens

werden, — und das muß sie allerdings immer mehr werden, wenn sie in unserem Geschlechte ihre Bestimmung erfüllen will, das ist die vollberechtigte Forderung in unserer an sich so unwahren religiös-radikalen Bewegung — sie würde aber doch

keine Kirche Christi mehr sein, wenn sie nicht imstande wäre, mit ihrem Gottesdienste auch jenem Ruheverlangen des Menschen Genüge zu tun.

Eine Kirche auf der

Höhe des Lebens und der Bildung, die mit Prophetenblick erschaut, was in der Tiefe der Volksseele als Gottes Schöpferwille gärend drängt, und die mit be­

geisterndem Worte die großen Losungen auszugeben vermag für das Wollen

und Werden der Zeit, eine solche Kirche verschafft sich wohl die Achtung der Welt.

Aber Liebe, Dankbarkeit, treue Anhänglichkeit erwirbt sie sich doch erst,

wenn sie bei allem, was sie an geistiger Anregung zu geben hat, zugleich eine

Aus der Welt des deutschen Christentums.

14

Zufluchtsstätte ist für das arme, bedürftige Menschenherz.

Und das ist sie nur

dann, wenn sie, wie einst Johannes vor den Griechen, unter der Lebensherrlich­

keit des in die Zeit sich verklärenden Christus doch immer zugleich den Seelen­

heiland Predigt, der den geistlich Armen, auch unter den Hohen, Reichen und Gebildeten, freundlich zuruft: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und

beladen seid, ich will euch erquicken!

Doch wie verträgt sich nun mit dem Christus der Gegenwart, diesem Un­ ruhestifter unseres Glaubens und Lebens, solch ein besänftigender Heilandssinn? Zur Beantwortung dieser Frage laßt mich euch zwei Friedensstimmungen christ­

licher Sinnesart vergleichend vorführen. Wo findet die Seele die Heimat, die Ruh'? Wer deckt sie mit schützenden Fittigen zu?

Ach, bietet die Welt keine Freistatt mir an, Wo Sünde nicht herrschen, nicht anfechten kann?

Nein, nein, nein, nein, hier ist sie nicht,

Die Heimat der Seele ist droben im Licht. Verlasse die Erde, die Heimat zu sehn,

Die Heimat der Seele, so herrlich, so schön! Jerusalem droben, von Golde gebaut, Ist dieses die Heimat der Seele, der Braut?

Ja, ja, ja, ja, dieses allein

Kann Ruhplatz und Heimat der Seele nur sein. Wie selig die Ruhe bei Jesu im Licht! Tod, Sünde und Schmerzen, die kennt man dort nicht.

Das Rauschen der Harfen, der liebliche Klang Bewillkommt die Seele mit süßem Gesang. Ruh', Ruh', Ruh', Ruh', himmlische Ruh' Im Schoße des Mittlers, ich eile dir zu!

So das bekannte, aus dem Englischen stammende Lied. Glaubensruhe, von der unser Text Zeugnis gibt.

Daneben die

Es hatte im Leben des

Paulus eine Zeit gegeben, da sein ganzer innerer Mensch mit sich im Wider­ streit stand.

Brust.

Seine Seele erzitterte in Unruhe, und dunkel durchwogte es seine

Unter dem Eindruck der Worte Jesu in der Gestalt seiner Bekenner

hatte sich der Wahrheitssinn in ihm erhoben gegen seine jüdisch-gesetzliche Selbst­ gerechtigkeit und seine kreatürliche Selbstgewißheit.

Aber mit leidenschaftlicher

Seele wehrte sich der Glaubenseiferer wider den Stachel, den das Gewissen doch immer fester in sich hineinzog, als wider eine Störung von Satans Tücke.

Er haßte diesen Christus, den sein Innerstes doch liebend suchte.

Da war alle

Sicherheit weg, alle Freude des Lebens, bis ihm die Stunde von Damaskus kam, wo in der Liebe des Gekreuzigten die höhere Wahrheit ihn überwältigte,

und aus des Heilands Geisteswelt ein hehrer Glanz seine Brust durchflutete.

Aus der Welt des deutschen Christentums. Nun wurde es still in ihm.

Wesen.

15

Frieden der Versöhnung kam über sein ganzes

Eine felsenfeste Gewißheit von großer Gnade, die ihm widerfahren war.

Er verspürte eine Erquickung, wie er sie noch nie empfunden hatte.

Und wollte

er dem einen Namen geben — es war ein seliger Bann, in den er gefallen

war, als der Gefangene Christi so reich befriedigt, in diesen Seelenketten zur Freiheit erstanden und zur Kraft der weltanfassenden Tat: was ihm dieses neue,

friedcvolle Lebensgefühl gab, war die Ergriffenheit unter des Herrn Gewalt! Meine Freunde!

Schon aus der bloßen Gegenüberstellung jenes frommen

Sehnsuchtsliedes und dieses apostolischen Bekenntnisses dürfte es ersichtlich sein, daß wir hier auf dem gleichen Boden des Glaubens an Christus als den Ruhe­ spender für alles mühselige und beladene Menschenwesen doch zwei recht verschie­

dene Weisen der Empfindung vor uns haben.

Welche von beiden entspricht

unserer Art und unseren Bedürfnissen?

3. Keiner von uns wird anders wie mit tiefer Rührung der frommen Ge­

mütssprache jenes Liedes lauschen. warm in Erinnerungen.

Und

manchem

wird davon

die

Seele

Da sehe ich im Geiste vor mir den Lehrer unserer

Sonntagsschule, wie er einst mit ehrwürdigem Greisenangesicht vor uns Kindern

stand, wie sein Auge leuchtete vom heiligen Widerschein der Jesusliebe, die das treue Herz durchglühte, und wie seine Stimme bebte im Vorgeschmack der Himmelsruhe, wenn er uns diese Strophen vorsprach.

Der junge Sinn sang

sie dann andächtig nach, ganz versunken in die Heimat der Seele droben im

Licht und ruhend in des Mittlers Schoße, gedeckt von den Fittigen seiner Liebe. Viele Jahre später vernahm ich fern von der Vaterstadt diese Verse wieder

fast an jedem Abend.

Aus der Versammlung beim pietistischen Stundenhalter

tönten sie über die Dächer des Keinen süddeutschen Ortes herüber, ein Gesang voll

Glaubensglück und Inbrunst.

Mit gefallenen Händen stand dann der Vikar oft

am offenen Fenster seines Arbeitsstübchens und folgte ihnen zum Ruhplatz der Seele, so herrlich, so schön, bewillkommt vom Rauschen der himmlischen Harfen, dem lieblichen Klang.

Freilich, waren die Stimmen da drüben dann verstummt,

so regten sich wohl drinnen in der Brust die Stimmen der Kritik.

Kritik an den Glaubcnsvorstellungen des Liedes.

Nicht der

Denn wußte auch der

erkennende Geist längst nichts mehr von einem Jerusalem hinter den Wolken von Golde gebaut, so war ihm das doch ein Sinnenbild, in das sich die nun

vergeistigten Erwartungen von der Herrlichkeit des ewigen Lebens wohl hinein­ legen konnten.

Dagegen wurde schon damals — und heute noch viel mehr

— diese ganze Friedenssehnsucht und die darin sich aussprechende Christus­

auffassung in der ihr zugrunde liegenden Seelenstimmung als etwas der reli­

giösen Richtung des Herzens fremdartig Gewordenes empfunden.

Aus der Welt des deutschen Christentums.

16

Was ist denn hier im Liede die Ruhe bei Jesus im Licht?

Das Sich-

flüchten des Küchleins unter die Flügel der Henne, das Sichbergen des Kindes auf des Vaters oder der Mutter Schoß, das Sichanschmiegen der Braut an

das Herz des Geliebten, — in jeder Lage eine Abspannung des Willens- und Seelennervs, ein nicht mehr Fürchten, aber auch nicht mehr Kämpfen, ein nichts

mehr Leiden, aber auch nichts mehr Begehren, ein seliges Vergessen der Welt und

seiner selbst: eine zeitweilige Auflösung der Persönlichkeit.

Jesus Christus eine

Macht der süßen Erschlaffung, eine zwar dem Tode, der Sünde und den Schmerzen, aber auch dem Leben entrückende Gewalt der Einschläferung!

Die

Hingebung an ihn also ein erdenmüdes Hingezogenwerden in weltenferne Phan­

tasienfreiheit; Weltflucht und Seelenschlummer und Glaubensträumerei die Er­ füllung der Ruhesehnsucht des Herzens.

Können wir uns unseren Heiland, den Jesus, der für unser Auge jetzt immer mehr aus dem, was er allmählich in der Menschen Gedanken und

Gefühlen geworden ist, als geschichtliche Wirklichkeit hervortritt in seiner zwar

gütigen und herzensmilden, aber dabei doch so markigen, scharf einschneidenden und feurig heroischen Eigenart, diesen seelenlebendigen und weltenschöpferischen Menschengeist, können wir uns den verklärten Christus, wie er sich als der Ge­ waltige Gottes, der Lebenumwälzer in unserer wetterharten Zeit offenbart, — als den Mittelpunkt eines solchen Ruhekultus denken?

Man sage nicht, daß

er selbst ja diesen sanktioniert habe durch das bekannte Wort auf der Passions­

straße.

Wäre auch jenes Tempelwort ein Ausspruch seines Mundes, was sehr

zweifelhaft erscheint:

„Jerusalem, wie oft habe ich deine Kinder versammeln

wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel, und ihr habt

nicht gewollt", o, es würde aber doch als anklagender Liebesruf des sterbenden

Propheten vor dem Volke der Priesterstadt etwas wesentlich anderes sein wie

das gleiche Bild in der träumerisch weltentfliehenden Jenseitsstimmung unseres Liedes.

Und ist denn solche Glaubensflucht in einen jenseitigen Frieden nun auch wirklich die Erquickung, nach der die Seele verlangt?

Sie will ausruhen von

der Hast, dem Weh, den Widersprüchen und dem Streit eines Lebens, in das sie doch wieder hineintreten muß.

söhnende Gesichtspunkte.

Da braucht sie für dieses Erdenleben ver­

Sie sucht, das allein kann die rechte Erholung sein,

zu diesem Erdenleben neuen Mut.

Auch Schillers Geist leitet über des Da­

seins schwankend getrübte Erscheinungen hinweg in ein Reich, von dem es heißen kann: Tod, Sünde und Schmerzen, die kennt man dort nicht.

Aber

das Reich seines Idealismus ist ein innerweltliches und steht mit dem Leben in allerengster Beziehung.

Aus der weltenthobenen Freistatt des religiösen

Dichters hingegen kann die müde Seele immer nur wiederkehren in einer ge­ wissen Abkehrstimmung.

Da muß der Kontrast peinlich verspürt, da muß jedes-

Verlag von.Alfred Töpelmann fvorm. I. Ricker) in Giehen

Francis G. Peabody Professor an der Harvard-Universität in^Cambridge

In autorisierten Übersetzungen von E. Müllenhoff sind erschienen:

Jesus Christus und der christliche (TH flsYff ft vlJUluUlvl

fassers.

Vorlesungen im W.-S. 1905/6 gehalten an der Universität Berlin. Mit dem Bildnis des Ver­

IV, 271 Seiten Großoktav. Geheftet M. 4.—, gebunden M. 5.—

Peabody überrascht den Leser durch die originelle Art, wie er die Probleme anfaßt und durchdenkt, so, daß sich ihnen ganz neue Blicke und ungeahnte Perspektiven in bezug auf die Bedeutung Jesu für die Gegenwart und Zukunft in der geistigen Ent­ wicklung der Welt eröffnen. . . . Wir Deutschen haben mit dieser Gabe keinen geringen Gewinn gemacht. (F. Herzog im Buchwart)

Jesus Christus und die soziale Frage VI, 328 Seiten Grohoktav.

Geheftet M. 5.

, gebunden M.

6.—

Peabody versteht es wie wenige, mit fast divinatorischer Kraft nicht so sehr aus Einzel­ zügen als vielmehr aus den Grundgedanken Jesu, durch ein Sicheinleben in den Geist Christi, auch da, wo scheinbar zunächst gar nichts Soziales sich ausdrängt, die An­ knüpfungspunkte und die sozialen Forderungen für die Gegenwart abzuleiten. (Hochland)

Die Religion eines Gebildeten



Peabodys Religion appelliert nicht überwiegend an das Gefühl oder den Verstand, sondern an den Willen des Menschen. Sie ist, wenn man so sagen darf, eine männ­ liche, praktische Religion, die uns nicht um die Schwierigkeiten herum, sondern festen Mutes durch sie hindurchführt, die aber voll vereinbar ist mit einer innigen Freude am Leben selbst. (Th. Kappstein in der Rational-Zeitung)

Abendstunden VII, 160 Seiten Großoktav.

Religiöse Betrachtungen Fein kartoniert M.

2.50

Aber das Beste kommt zuletzt. Und das sind Peabodys Andachten. An ihnen ist alles interessant und eigenartig. . . . Prachtvoll versteht es Peabody, von Fragen des Wissens oder der andern großen Lebensgebiete aus seinem Tert eine feine psycho­ logische Wendung ins ethisch-religiöse Leben zu geben. Mit seinen Andachten hat Peabody etwas ganz Besonderes und Mustergültiges geleistet.

(F. Riebergall in der Christlichen Welt)

Oktober 1907

Verlag von Alfred Töpelmann (vorm. I. Ricker) in Gießen

Reden und Aufsätze von Adolf Harnack Zweite Ausl. Zwei Bände in gediegener Ausstattung. Geh. 10 M., geb. 12 M. I. Band 1. Abtlg.: Reden. — Legenden als Geschichtsquellen — Sokrates und die alte Kirche — Augustins Konfessionen — Das Mönchtum, seine Ideale und seine Geschichte — Martin Luther in seiner Bedeutung für die Geschichte der Wissenschaft und der Bildung — Philipp Melanchthon — August Reander — 2. Abtlg.: Aufsätze. Das apostolische Glaubensbekenntnis, ein geschichtlicher Bericht nebst einer Einleitung und einem Nachwort — Antwort auf die Streitschrift D. Cremers: Ium Kampf um das Apostolikum — Als die Zeit erfüllet war. Der Heiland — Über die jüngsten Ent­ deckungen auf dem Gebiete der ältesten Kirchengeschichte. II. Band 1. Abtlg.: Reden. — Das Christentum und die Geschichte — Die evangelisch­ soziale Aufgabe im Lichte der Geschichte der Kirche -- Die sittliche' und soziale Be­ deutung des modernen Bildungsstrebens — Grundsätze der evangelisch-protestantischen Mission — Jur gegenwärtigen Lage des Protestantismus — Die Aufgabe der theo­ logischen Fakultäten und die allgemeine Religionsgeschichte, nebst einem Nachwort — Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften — 2. Abtlg.< Aufsätze. — The present state of research in early church history — Einige Bemerkungen zur Geschichte der Entstehung des Neuen Testaments — Was wir von der römischen Kirche lernen und nicht lernen sollen — Das Testament -Leos XIII. — Die Bedeutung der Reformation innerhalb der allgemeinen Religionsgeschichte — Der evangelisch­ soziale Kongreß zu Berlin — Ritschl und seine Schule — Über Wissenschaft und Religion. Angeeignetes und Erlebtes.

Einzeln sind daraus zu haben:

Das Mönchtum, feine Ideale und feine Geschichte. Auflage.

1907.

7. verbesserte

M. 1.40

Augustins Konfessionen. Ein Vortrag. 3. Auflage. 1903. M. —.60 Sokrates und die alte Kirche. Rektoratsrede. 1901. M. —.50 Martin Luther in seiner Bedeutung für die Geschichte der Wissen­ schaft und der Bildung. 3. durchgesehene Auflage. 1901. M. —.60 Die Aufgabe der theologischen Fakultäten und die allgemeine Religionsgeschichte. 1.-3. Auflage. 1901. M. .50 . . . Diese Reden und Aufsätze bilden als Ganzes schlechthin ein Stück Nationalliteratur. (Deutsche Revue) ... So recht ein Buch für jeden gebildeten Deutschen ist diese Sammlung von Reden und Aufsätzen des geistvollen, tiefgründigen und weitschauenden Kirchenhistorikers . . . Harnacks einzigartige Verschmelzung von höchster Grazie des Geistes und wuchtig heiligem Ernst zu schildern, geht über die Grenze einer kurzen Anzeige. Darum lieber: tolle lege — nimm und lies! (Schwäbischer Merkur) ... Es ist mir angesichts dieser beiden Bände erst lebhaft zum Bewußtsein gekommen, was es für die Wertschätzung eines einflußreichen Mannes bedeutet, wenn das, was zerstreut hervortrat und umherflattert, gesammelt und vereint einem in die Hand ge­ legt wird; es ist als erhöhte sich der Wert des einzelnen, wenn es in der Ber­ einigung auftritt. (Professor D. Paul Drews in der Deutschen Literaturzeitung)

Verlag von Alfred Töpelmann (vorm. I. Ricker) in Gießen

Lic. Dr. Martin Schian Pastor und Privatdozent in Breslau

Die evangelische Kirchgemeinde Inhalt: Einleitung — I. Das Wesen der evangelisHen Gemeinde — II. Die Auf­

gaben der evangelischen Gemeinde — III. Grundsätze für die Arbeit der Gemeinde — IV. Die Organisation der Gemeinde — V. Die praktische Arbeit der Gemeinde — VI. Das Verhältnis der Gemeinde zu verwandten Bestrebungen in ihrer eigenen Mitte — VII. Das Verhältnis der Gemeinde zu anderen lokalen religiösen Ge­ meinschaften — VIII. Die evangelische Gemeinde und die Gesamtkirche

Zur Beurteilung der modernen positiven Theologie Etwa 8 Bogen Grostoktav. ca. M. 2.40 Inhalt: 1. Die Prinzipien der mod. positiven Rheologie — 2. Die Christologie der mod. positiven Theologie. — 3. Wie die mod. positive Theologie ihre christologischen Aussagen gewinnt. — 4. Wie kommt nach der mod. positiven Theologie der Glaube zu seinen Objekten ?

Luther

in den Wandlungen seiner Kirche.

Von Lic. Horst Stephan, Privatdozent der Theologie an der Universität Marburg. Etwa 9 Bogen lörüßoktav. ca. M. 3.—

Die Zukunft des kirchlichen Libera­ lismus Eine Stimme aus dem antiradikalen Lager. Von I. Burggraf, Pastor an St. Ansgarii in Bremen. 32 Seiten. M. —.50 Inhalt: Zur Idee des kirchlichen Liberalismus — Aus der Welt des deutschen Christentums — Brauchen wir ein neues Glaubensbekenntnis? — Die Heilbedeutung der geschichtlichen Christusgestalt — Unser Christusproblem

Was nun?

Aus der kirchlichen Bewegung und wider den kirchlichen Radikalismus in Bremen. Bon demselben Verfasser. 64 Seiten Großoktav. 1906. Preis nur M.—.50

Das Hauptstück ist das gerecht und vornehm gehaltene Charakterbild Kalthoffs.

Verlag von Alfred Töpelmann (vorin. I. Ricker) in Gießen

Walter Kinkel a. o. Professor der Philosophie an der Universität Gießen

Geschichte der Philosophie als Einleitung in das System der Philosophie

I. Teil: Bon Thales bis auf die Sophisten

VIII, 352 Seiten Großoktav.

Geheftet M. 6.—, gebunden M.

7.—

...So kommt denn das neue Buch des Gießener Philosophen in der Tat einem Bedürfnis entgegen, zumal da es überdies noch einen besonderen Zweck verfolgt: in die Probleme der theoretischen und praktischen Philosophie einzuführen. Demgemäß bringt es fast nichts Biographisches und sieht von philologisch-historischen Einzelfragen vollkommen ab; e^ will vielmehr zeigen, was die einzelnen Denker für die Philosophie selbst und damit in letzter Linie für die moderne Kultur geleistet haben. (Prof. Dr. K. Vorländer im Literaturbl. der frankfurter Zeitung vom 7./X. 1906)

vom Sein und von der Seele Idealisten

VI, 143 Seiten. ■ Fein gebunden M.

Gedanken eines

2.—

Ein Zeugnis feiner und gediegener Kultur! Schon in formaler Hinsicht: eine jeden Schein von Gelehrsamkeit verschmähende Sprache, reich an Bildern und poin­ tierten Gedanken, die sich auch als Aphorismen sehen lassen könnten. . . . Hier hätten wir wirklich einmal Derstandesklarheit und Gemütstiefe als Verbündete und nicht als Gegner. (Monatshefte der Comenius- Gesellschaft, 1907 Heft 1)

Soeben erschienen:

Aus Traum und Wirklichkeit der Seele Stille Gedanken aus einsamen Stunden

Fein gebunden

M. 2.-

Die günstige Aufnahme, welche das im Vorjahre erschienene Büchlein „Vom Sein und von der Seele" gefunden hat, ermutigt den Verfasser diese im selben Sinne gehaltenen Aufsätze zu veröffentlichen. — Wer für große und gute Gedanken empfänglich ist, wird auch dies neue Bändchen lieb gewinnen.

Universität Gießen.

271 Seiten.

Von Or. Karl Groos, ord. Pro­ fessor der Philosophie an der Geheftet M. 4.80, gebunden M. 6.—

Wem es um Aufklärung über die ästhetischen Hauptfragen zu tun ist, der möge zu diesem Buche des Gießener Philosophen greifen, der . . . nunmehr zu seinem ersten Ausgangspunkt, der Ästhetik, vertieft und bereichert zurückgekehrt ist. (Literaturbl. der Frankfurter Zeitung)

Verlag von Alfred Töpelmann (norm. I. Ricker) in Gießen

Deutsches Wörterbuch Fünfte Auflage in der

von Fr. L. A. Weigand

neusten für Deutschland,

Österreich

und

die

Schweiz gültigen amtlichen Rechtschreibung. Nach des Verfassers Tode vollständig neu bearbeitet von Karl von Bahder, a. o. Professor an der Universität Leipzig, Herman Hirt, a. o. Professor an der Universität Leipzig, u. Karl Kant, Privatgelehrtem in Leipzig. Herausgegeben von Herman Hirt

Die erste Lieferung ist eben erschienen Vollständig bei rund 150 Druckbogen in Groß-Lexikon-Format in 12 Liefe­ rungen zum Subskriptionspreise von je M. 1.60. Gesamtpreis des Werkes somit etwa M. 19.—. Der Subskriptionspreis weicht spätestens nach dem Erscheinen der letzten Lieferung einem erhöhten Ladenpreise. Das Manuskript für diese neue Auflage liegt zum größten Teile druckfertig vor, so daß die Ausgabe der Lieferungen in Zwischenräumen von nur wenigen Monaten wird erfolgen können.

Fünfzehn Jahre hat der „Weigand", nachdem vier Auflagen vergriffen waren, auf dem Büchermärkte gänzlich gefehlt; nun tritt er nach jahrelangen Vorbereitungen zum fünfteümal auf den Plan. Die Gunst, die er früher in so reichem Maße besessen hat, möchte er sich wieder gewinnen, den alten Ruhm aufs yeue an sich heften: „es gibt lein deutsches Wörterbuch,

dem sich jeder mit so gutem Gewissen anvertrauen könnte wie dem von Weigand".

Lieferung 1 legt jede gute Buchhandlung zur Einsicht vor

Die deutsche Soldatensprache Zweite wohlfeile Ausgabe.

von Paul Horn

Geheftet M. 1.—, gebunden M. 1.75

Ein prächtiges, originelles Geschenk für alle, die zum Heer in Beziehung stehen Reich, mannigfaltig und kernig ist das Sprachgut, das der Verfasser (Professor an der Universität Straßburg), der 1885 als Einjahrig-Freiwilliger gedient und seither manche militärische Übung zurückgelegt hat, in drittehalbtausend soldatischen Be­ zeichnungen, Ausdrücken und Redewendungen zusammenträgt, wobei er sich statt der bloßen lexikalischen Aufzeichnung eine zusammenhängende Charakteristik angelegen sein läßt. Horn packt ein durch und durch realistisches Lebensgebiet realistisch, d. h. wahr und natürlich an, und der Stand, dem er sein liebevolles Büchlein widmet, hat diese Ehrlichkeit gewiß am allerwenigsten zu scheuen.

Verlag von Alfred Töpelmann (vorn. I. Ricker) in Giehen Soeben erschienen:

Goethes Metamorphose der Pflanzen Geschichte einer botanischen Hypothese

von Dr.

Adolph Hansen,

Geh. Hofrat, Professor der Botanik an der Universität Gießen. 3n zwei Teilen. Mit 9 Tafeln von Goethe und 19 Tafeln vom Verfasser. Bro­ schiert M. 22.—; gebunden M. 24.50 Zu diesem Werke war vielleicht keiner so berufen wie der Verfasser, ein Schüler des großen Physiologen Sachs, und zugleich ein in der Philosophie und Literatur wohl­ bewanderter Gelehrter und Schriftsteller. So bietet er uns hier ein Werk, aus dem wohl jeder Gebildete eine Fülle von Anregung schöpfen kann. Der in der Botanik nicht Orientierte wird durch einen längeren Abschnitt in die heutigen An­ sichten über Metamorphose bei den Pflanzen eingeführt,' diesem Zwecke dienen auch die neunzehn Tafeln des Verfassers, die in einem besonderen Atlas größeren Formats beigefügt sind. Noch mehr Interesse freilich verdienen die ersten neun Täfeln dieses Atlasses, denn sie sind Reproduktionen der auf Goethes Veranlassung angefertigten Aquarelle, die zur Illustration seiner Metamorphose der Pflanzen dienen sollten, aber niemals von ihm veröffentlicht sind; Hansen hat sie bei seinen Studien im Goethehaus zu Gesicht bekommen und die Erlaubnis zu ihrer Wiedergabe erhalten. Diese präch­ tigen Bilder, die noch heute jedem wissenschaftlichen Lehrbuch der Botanik zur Zierde gereichen würden, legen allein schon einen deutlichen Beweis von dem Ernste ab, mit dem Goethe seine Studien betrieben hat. „Ein hundert Fahre altes Unrecht der Ver­ kennung eines gleich genialen, wie streng gewissenhaften und wissenschaftlichen Strebens erkannt und hoffentlich beseitigt zu haben", das ist's, was Hansen von seinen Unter­ suchungen sagen kann. (Prof. Dr. M. Möbius im Literaturbl. der Frankfurter Zeitung)

Haeckels „Welträtsel" und Herders Weltvon demselben Verfasser.

Preis M.

1.20

Zu dem noch immer nötigen Kampf um die „Welträlsel" gibt der Gießener Ordinarius für Botanik einen sehr lesenswerten Beitrag. Er zeigt auf der einen Seite die Dürftigkeit dessen, was Haeckel als die neue Philosophie des Monismus anpreist, auf der andern Seite, wie die positiven und fruchtbaren Elemente der Entwicklungslehre schon von Herder in seinen „Ideen" zum Aufbau einer großen einheitlichen Welt­ anschauung verwertet sind. (Prof. Dr. Fr. Paulsen in der Deutschen Lit.-Ieitung)

Turm- und Elockenbüchlein

Eine Wanderung

durch deutsche Wächter- und Glockenstuben von Prof. Dr. Karl Bader. Mit Buchschmuck von B. Wenig und 20 Abbildungen. 234 Seiten. Geheftet M. 4.—, gebunden M. 5.— Hinter diesem bescheidenen Namen verbirgt sich eine feinsinnige Arbeit, die nicht nur von jedem Laien mit Genuß und Anregung gelesen werden wird, sondern auch dem Forscher neues Material zuführt und neuere Ausblicke eröffnet. Die Vereinigung dieser beiden Eigenschaften verleiht dem Buche seine besondere Anziehungskraft und seinen Wert. Der Verfasser lebt in seinem Gegenstände, und diese Frische der Dar­ stellung geht unwillkürlich auf den Leser über. (Schweiz. Archiv für Volkskunde)

Verlag von Alfred Töpelmann (vorn». I. Nicker) in Siehen

Mutter und Kind Kindern behandeln kann hat es verdeutscht.

Wie man heikle Gegenstände mit Stellte

4.—8. Tausend.

I. Grimm —.75

schrieb's holländisch.

Fein gebunden M.

3n welch zarter Weise die notwendige Aufklärung dem Kinde gegeben werden kann, wie sie sich schrittweise mit der zunehmenden Reife desselben erweitert, und wie sie darum, weil der körperlichen und geistigen Verfassung des Kindes sich anpassend, viel leichter ohne sittlichen Nachteil als die von unberufenem Munde gemachte Unter­ weisung ertragen werden kann, das zu zeigen bemüht sich am besten wohl dies aus dem Holländischen übersetzte Büchlein. (Hochland)

Gesundheit und Erziehung Eine Vorschule der Ehe von Univ.-Prof. Dr. med. IV, 275 Seiten.

Georg Sticker. 5.—

Zweite vermehrte Auflage.

Gebunden M.

Die Absicht des Verfassers ist, „jungen Leuten, die aus dem Elternhaus und der Schule in das freiere Leben treten, ärztliche Aufklärung über Dinge zu geben, auf welche viele von ihnen mit Unruhe oder Leichtsinn sehen, je nachdem ihre Erzieher beim Ab­ schied davon zu sprechen sich scheuten oder vorher den unreifen Jüngling unvorsichtig daran teilnehmen liehen" . . . Das Buch sollte vielen Eltern wie vielen ge­ bildeten jungen Männern in die Hand gelegt werden. (Konservative Monatsschrift)

Nervöse Kinder

Medizinische, pädagogische und allge­ meine Bemerkungen von H. Bosma. Aus dem Holländischen über­ setzt. 100 Seiten. Geheftet M. 1.60, gebunden M. 2.30

Auf Grund sorgfältigsten Studiums der einschlägigen Literatur behandelt der Verfasser „die Nervosität unserer Zeit", „die allgemeinste Krankheitserscheinung in der Welt der Gebildeten" in bezug auf die Kinder . . . Manche herkömmliche Vorstellung wird der Leser fahren lassen müssen. "Immer aber wird man dem Verfasser dankbar sein für sein ernstes, offenes, belehrendes Wort. Daher sei allen, die mit Kindern zu tun haben, eigenen oder fremden, die Lektüre dieses anregenden Buches aufs an­ gelegentlichste empfohlen. (Die christliche Kleinkinderpflege)

Soeben erschienen:

Die Gefahren der Einheitsschule nationale Erziehung

von Professor Dr.

Ludwig-Georgs-Gymnasium

I

Hugo Müller,

in Darmstadt.

für unsere

Oberlehrer am

VIII, 142 Seiten.

M.

2.40

Verfasser versucht dies brennende Problem der Schulorganisation in systematischer und zusammenfassender Weise fürs gebildete Publikum darzustellen und kommt dabei zur entschiedenen Ablehnung der für alle Kinder obligatorischen Volksschule. Die prak­ tischen Erfahrungen mit der Einheitsschule im Ausland und Inlande werden ausführlich behandelt.

_____________________________________

Kleinere Schriften ans dem Verlage von Alfred Töpelmann in Gießen Die Rechtslage des deutschen Protestantismus 1800 und 1900. Von Pfarrer D. Erich Foerster.in Frankfurt a. M.

M.—.80

Das Wesen der deutsch-evangelischen Volkskirche der Gegenwart. Von Prof. D. Karl Eger, Direktor des Predigerseminars in Fried­ berg in Hessen. M. 1.25

Die Trennung von Staat und Kirche in Frankreich. Von Landrichter Dr.iur. I. K. Julius Friedrich, Priv.-Doz. des Kirchenrechts und der Rechtsphilosophie in Gießen. M. 1.40

Der Methodismus in Deutschland. in Bonn.

3. Ausl.

Von em. Pfarrer Iohs. Jüngst Geh. M. 2.40; geb. M. 3.20

Das Stimmrecht der Frauen in kirchlichen Angelegenheiten. Pfarrer Emil Güder in Aarwangen.

Von

M. —.80

Religion gegen Theologie und Kirche.

Notruf eines Weltkindes. Von Dr.phil. Ed. Platzhoff-Lejeune in Bern. M. 1.40

Die Friedhofsfrage.

Konfessions- oder Simultanfriedhöfe? Ein Lösungsversuch auf Grund der Tatsachen. DonPfarrer Eberh.Goes. M.3.—

Die kirchliche Beerdigung der Selbstmörder. Von Pastor O. Nöldeke. Mit einem Vorworte von Prof. D. O. Baumgarten.

M. 1.40

Katholizismus und Reformation.

Kritisches Referat über die wissenschaftlichen Leistungen der neueren katholischen Theologie auf dem Gebiete der Reformationsgeschichte. Von Prof. D. Walther Köhler in Gießen. M. 1.80

Antilegomena. Die Reste der außerkanonischen Evangelien und urchristlichen Überlieferungen. Herausgeg. u. übers, von Prof. D. Erwin Preuschen. 2. umgearbeitete und erweiterte Aufl. Geh. M. 4.40; geb. M. 5.20

Ausgewählte christliche Reden. von Julie von Reincke.

Don Sören Kierkegaard. Geh. M. 3.—; geb. M. 4.—

Deutsch

Das sittliche Recht des Krieges. Kattenbusch in Halle a. 2.

Von Geh. Kirchenrate Prof. D. Ferd. M. —.60

War Lessing ein frommer Mann?

Von Lic. Paul Gastrow, Direktor der höheren Töchterschule in Bückeburg. M. —.50

Tolstoj und sein Evangelium.

Von Lic. Paul Gastrow. I M. 1—

Henrik Ibsen. Eine Gedächtnisrede. Von Prof.Dr. I. Eollin in Gießen. M.—.50 Über den Aufbau des Schuldbegriffs. Von Prof. Dr. Reinhard Frank in Tübingen.

M. —.80

Das Problem der Kriminalität der Juden. Dr. Franz von Liszt in Berlin.

Von Geh. Instizrat Prof.

M. —.50

Jnformativprozesse. gebung.

Anregungen ZU einer Ergänzung der Prozeßgesetz­ Von Prof. Dr. Ernst Beling in Tübingen. M. 1.60

Die überstaatliche Rechtsstellung der deutschen Dynastien. Von Prof. Dr. Hermann Rehm in 2traßburg.

M. 1.—

Eigne Aktien als Bestandteile des Vermögens einer Aktiengesell­ schaft. Don Geh. Fustizrat Pros. Dr. Konrad Eosack in Bonn. M. —.80 Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig.

33 446.

Aus der Welt des deutschen Christentums.

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mal erst eine mehr oder weniger lähmende Unlust an der hier wieder Vorgefun­

denen Armseligkeit überwunden werden. Dieses Verlassen der Erde, die Heimat zu sehn, ist, auch wenn es so keusch

und geistig edel wie in unserem Liede sich äußert, ein Versuch religiöser Be­ täubung.

Ein solches Ruhebedürfnis braucht ja nicht ohne weiteres entnervend

auf das Christenleben zn wirken. Zwar wo es vorherrscht, erzeugt es jene schwär­ merische Religiosität, in der die Lebensbetätigung bedenklich erschlafft.

Manche

jedoch, die diesem Zuge folgen, sind Menschen von gesunder Leistungskraft.

Der

ihrem Wesen eigene Duft aus dem Himmel hat vielleicht für viele etwas An­ ziehendes und befähigt sie in besonderem Maße zu segnender Liebestat.

Nichts­

destoweniger ist es eine Vereinigung zwiespältiger Elemente in derselben Per­

sönlichkeit.

Es führt nun einmal keine natürliche Brücke von der drängenden

Unruhe des Erdensinnes, ohne den es keine Lebensregsamkeit gibt, zu jenem

Himmelssinn mit seiner stillstandfrohen Ruhe.

Wer, wie Paulus, einem in

sich und mit der Welt vorwärtswollenden Streben huldigt, dem muß sich aus

dieser Sinnesart ein ganz andersartiges Friedensbedürfnis ergeben.

4. Liebe Gemeinde! Bei aller Innigkeit seines Christusglaubens, und so un­ bedingt auch die Ewigkeit und die Überzeugung von seinem dort erst zur Voll­

endung kommenden Leben dem Apostel den leuchtenden Hintergrund seines christ­

lichen Glaubens bildet, wird man ihn sich doch schwerlich in den Stimmungen

des eben besprochenen Liedes vorzustellen vermögen.

Dieser geharnischte Bote

des Evangeliums an die Völker, diese Seele in ihrem männlich starken Gefühl, wie könnte die das Verlangen haben, auszuruhen im Schoße des Mittlers? Ja, selbst bei einem weiblichen Wesen von der religiösen Bestimmtheit und Mündig­

keit des Paulus wäre solche Sehnsucht nach Welt- und Selbstvergessenheit unter den Fittigen des Heilands eine gar nicht denkbare Empfindung.

Wir sahen schon, worin diesem Zlpostel die Ruhe der Seele besteht.

„Ich

jage ihm nach, ob ich es auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christo

Jesu ergriffen bin."

Leben gewesen.

Das ist nicht bloß jene eine große Stunde in seinem

Gemeint sind zugleich fortgehende Erlebnisse seines Innern,

jene Höhepunkte seiner religiösen Erfahrung, wo seine Seele, ganz von Christus

hingenommen, sich in alle Himmel entzückt und von Worten angesprochen fühlte, welche kein Mensch sagen könne (2. Kor. 12).

In solchen Augenblicken wüßte

er nicht, wie es dort heißt, ob er in dem Leibe oder außer dem Leibe sei.

Streifen wir davon das Ekstatische ab, das in der Natur des Paulus begründet

war, so haben wir hier vor uns den Zustand hoher Begeisterung, wie auch

der Dichter, wie jeder Idealist ihn kennt, nur hier religiös vertieft: vom Glanze der göttlichen Liebe und Wahrheit umflossen, erschließt sich in des Menschen Burggraf, Die Zukunst des kirchlichen Liberalismus.

2

Aus der Welt des deutschen Christentums.

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Brust

ein Himmel

als

voll Seligkeit ein Neuland

großer Gedanken und

Gefühle.

Welch ein Unterschied zwischen dieser Seelenstimmung und jenem der Erde entrinnenden Bedürfnis nach jenseitiger Himmelsruhe, wie anders auch die darin sich äußernde Christusauffassung!

Dort wurde Christus als die bergende Macht

empfunden, die, der Henne gleich, ihre Flügel über das Kleine, Schwache breitet. Hier ist er — gleichviel ob Paulus sich des Bildes klar bewußt ist oder nicht,

es ist jedenfalls nach seinem Sinne — als der Adler zu denken, stark und ge­ waltig, wie er seine Fänge in die Menschenseele schlägt, daß sie nun ihm angehören

muß, der mit seinem Geiste über sie Herr geworden ist.

Wie er niederwirft

das Kleine, Arme, Unreine in ihrem Wesen, was nicht ihr wahres Selbst ist, was sie drückt und fesselt, so daß der Mensch dies alles vergessen kann, und

Schwachheit und Versuchung für ihn dahinten ist.

Wie er mit dem Schwung

der Riesenfittige die Erlöste emporreißt zu den Firnen seines Lebens, wo sie nun frei und groß ihre Bestimmung erschaut, ein Wort voll Kraft zu neuem

Vorwärtsstreben.

Das ist das Ausruhen der Seele unter der Ergriffenheit

durch Christus.

Wo findet demnach die Seele die Heimat, die Ruh'?

Bei dem, der, im

Evangelium als Mann des machtvollen Glaubens gezeichnet, unter uns lebt

und wirkt als starker Weltüberwinder.

Gerade in seinem starken, fest zugreifenden

Geiste ist der Friede, wie wir ihn brauchen.

Und ruft er die Mühseligen, die

Beladenen fteundlich zu sich, um sie zu erquicken, so tönt uns durch solche

Milde

seiner

Adlerseele.

Heilandsstimme

doch immer das markige

Wesen dieser seiner

O daß alle Welt diesen Ton vernähme, der in der Sprache, wie die

Kirche Christum zumeist reden läßt, so schwer vernehmbar ist!

Deshalb, ja

deshalb vor allem ist sein Name vielen Kindern unserer Zeit ein leerer Schall,

seine Gestalt ein blasser Schatten.

Ist sie nicht auch uns oft recht unlebendig?

Aber dann haben wir auch

wieder Stunden, gesucht oder nicht gesucht, da kommt er über uns in unseren Sorgen und Kümmernissen, in unseren bitteren und verbitternden Erfahrungen,

und die Trauergeister liegen danieder, wir sind auf einmal ganz andere Menschen. Er bricht herein in unser trübes, so kleinmütiges Anschauen der Dinge, in

unseres Lebens Müdigkeit und Zweifel, und uns ergreift das Geheimnis seiner

siegenden Kraft. Seine Glaubensgewißheit, in solchen Stunden kein Anschauungs­ bild nur, sondern eine überwältigende Größe, entnimmt uns der Enge unserer

Weltvorstellung und der Dumpfheit unseres Weltgefühls.

Sein geistesmächtiges

Nahesein bringt uns in seelische Berührung mit der Allmacht in der Schöpfung,

daß wir sie mit ihm wieder als Liebe des Vaters empfinden und in ihm unsere eigenen Führungen erleben als Weisheit und Treue und Weihe zur Tat.

Und

dieses Erfassen des Lebens in seiner heiligen Tiefe, da das Herz aus Christi

Aus der Welt des deutschen Christentums.

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Ergebung still wird im Frieden der Versöhnung mit dem Geschick und dabei

zugleich stark wird unter dem Aufruf des Ewigen aus des Sohnes Mund, — die Versenkung in seinen großzügig frommen Sinn, wo an ihm das Wirrsal

des Daseins sich uns Härt, wo er uns Rätselgestalten in Heilsgedanken ver­

wandelt, und wo wir nun Weiten überschauen mit froh vertrauendem Blick: das ist uns die Ruhe der Seele bei Jesu im Licht. Ruhe also in jenem Erdenchristus, der in der Bibel seinen Hochsitz hat,

aber von hier lebensgewaltig die Welt unserer Ideale durchdringt; der sich

tausendfach seine Starken schafft und auch da, wo sein Bild selbst gar nicht erscheint, seines Lebens uns einen Hauch verspüren läßt.

Ruhe in der Seelen­

stärke des Gottessohnes, der in eines Paulus durch ihn alles vermögenden

Sinn, aber auch in eines Schillers Heldennatur mit Geistesgriffen unsere Seele packt; der auf das von der Angst der Welt geplagte Herz herfährt mit auf­ richtender, ermannender Glaubenskraft.

Die auf den Herrn harren, kriegen

neue Kraft, daß sie selber auffahren mit Flügeln wie ein Adler, — und dieses

Adlergefühl, das dem Menschen zuwächst, sobald er dem in die Hände fällt,

der der König ist im Reiche der reinen, freien Lüfte, das ist für uns das rechte, wahre Ruhegefühl.

Aber genügt denn dieser Erdenchristus, dieser Gewaltige Gottes mit seiner

Feuer sprühenden Seele, mit dem flammend sich einbohrenden Blick seines Lebenswillens, wirklich allen Bedürfnissen des Menschenherzens?

Wenn das

Herz, in sich zerrissen, über sich selber seufzt, wenn Taten und Gefühle im Ge­

wissen zu Anklägern werden, die weder die Arbeit noch die Lust des Lebens zum Schweigen bringen können, wenn das Weh seiner Sünde den Menschen

zur Kirche führt und trotz flehenden Bitten, obschon von Predigtworten der Vergebung umklungen, er dann doch wieder seine Schuld aufnehmen und sie

gequält heimtragen niuß in sein Kämmerlein, muß er da nicht doch einstimmen in des Liedes Weise: Ach, bietet die Welt keine Freistatt mir an, Wo Sünde nicht herrschen, nicht anfcchten kann? Nein, nein, nein, nein, hier ist sie nicht —

und ist das nicht eine Stimmung, wo man sich denn doch flüchten möchte unter die sanft deckenden Flügel eines alles Gedenken auslöschenden himmlischen

Christus? Nein, gerade in seinem Schuldgefühl kann das Herz Heil erst dann er­

warten, wenn die starken Schwingen dieses Christusadlers über ihm rauschen.

Warum denn so vergeblich all das Suchen nach Frieden?

nur wird, wo Kampf war, blutiger Kampf. Heiland werden.

Weil Friede doch

Christus will Herzblut, soll er der

Er will nicht die gütige Macht sein, unter der sich das sün2*

Aus der Welt des deutschen Christentums.

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dige Leben birgt im Vertrauen auf seinen Gnadenschutz.

vom Fürsprecher ist gar nicht nach seinem Sinn.

Der kirchliche Gedanke

Vielmehr ist er eine Macht,

die mit der ganzen Schärfe einschneidender Forderungen auf die Seele eindringt und die zwingend über den Ihrigen waltet, den Entschluß der Preisgabe des

Unwahren und Unguten ihnen abringend, nicht der Fürsprecher, sondern der Gewalttätige, der Unbarmherzige.

Erlöst werden heißt Gewalt erleiden.

Das

Christusheil liegt in dem Christusdrang, der nicht abläßt, bis alles Sträuben, alles Verweigern sich aufgelöst hat in opfernde Hingebung an seines Vaters Willen.

Erst dann vernimmt die geängstete Seele der Gnade beseligendes Wort.

Erst

dann durchlebt sie wirklich an sich die Vergebung, die ihr so lange nur die

Stimme eines klingenden Erzes blieb.

Erst muß der Herr ihr furchtbar ge­

worden sein, ehe sie ihn als den Freund erfahren kann, der ihr Leben vom

Verderben errettet und ihren Mund fröhlich macht, daß sie wieder jung wird

zu freiem, hohem Schwünge. Und die Stunden, da der Mensch im Stillhalten unter Christi Überfall seinem Ideal erliegt und in solcher Niederlage seines kreatürlichen Sinnes das Wiedererwachen seiner seelischen Schwungkraft spürt,

das und nichts anderes sind einem Menschen, wie wir ihn an uns kennen,

-die Ruhestunden bei Jesu im Licht.

5. Solche Christusruhe steht in vollem Einklang mit dem jetzt zu neuer Ent­ wicklung sich vorwärts streckenden Menschheitswillen. Die Kirche kann in freu­ diger Überzeugung dem Geiste kraftvollen Seins und Werdens Ausdruck ver­ leihen und dabei doch gerade aus solchem männlichen Christentum heraus die

Herzen trösten und zu ihrem Heile führen.

Es sollte das einmal mit aller Be­

stimmtheit festgestellt werden gegenüber der Besorgnis, daß die Predigt jenes starken Christus, wie er der heutigen biblischen Forschung und der Zeitstimmung entspricht, der Gemeinde doch wohl nicht recht das geben könnte, was die

Frömmigkeit in der Kirche sucht. Unsere Ausführungen hatten aber noch einen anderen Zweck.

Liebe Ge-

meinde, schon wiederholt ist vor dir der Gedanke ausgesprochen, daß die Kirche,

wenn sie in Zukunft unserm Volke noch etwas bedeuten solle, in ihrer Denk-

und Gefühlsweise eines Umbaues

bedürfe.

Diese geistige Umwandlung, die

Gott der Kirche unserer Tage als ihre Aufgabe gestellt habe, wurde darin ge­ funden, daß das biblisch-kirchliche Christentum von allem, was unserem Volks­

charakter fremdartig sei, geläutert und in das modern-germanische Wesen um­ gestimmt werde» müsse.

Dienten auch schon die Schillerpredigten ganz diesem

Bestreben, so mag doch der Begriff des deutschen Christentums manchem immerhin noch nicht recht faßlich sein.

was es sich handelt.

Hier tritt es nun deutlich zutage, um

Aus der Welt des deutschen Christentums.

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Seht, jenes Lied, von dem wir gesprochen haben, ist in seiner religiösen

Stimmung wohl christlich, auch ganz gut evangelisch und doch — durchaus undeutsch! Was wir darin als uns fremdartig Gewordenes ablehnten, die ganze Christusauffassung, seine Außerweltlichkeit, seine deckenden Flügel, das einseitige Vorherrschen des mild erbarmenden Zuges, dazu die Äußerung der Glaubens­

liebe und Glaubenstreue als träumerisch weiche Anschmiegsamkeit, die weltflüchtig jenseitige Richtung dieser Frömmigkeit, diese so passiv geartete Sehnsucht nach Ruhe, das alles widerspricht unserem Bewußtsein nicht deshalb etwa, weil es

orthodox ist und wir uns als freisinnige Protestanten fühlen, — mit diesem

Unterschied der kirchlichen Stellung hat das gar nichts zu tun — sondern weil es ein nicht germanischer Fremdstoff ist.

Zum Teil haftet derselbe dem

Christentum noch von seinem orientalischen Ursprung her an, zum Teil hat er sich ihm im Laufe der Entwicklung aus anderen Volksarten angesetzt, und die

germanische Frömmigkeit hat sich das alles nur lediglich anempfun­ den.

Bei aller Ehrlichkeit ist das für uns nicht echt, bei aller Innigkeit, die

das deutsche Gemüt da hineinlegt, ist es dem auf seine Wahrheit sich be­ sinnenden deutschen Geiste unerträglich und wird ihm immer unerträglicher.

Und dasselbe gilt von so vielem in den Gesangbüchern, Agenden und

Predigten der Kirche.

Es besteht eine weitgehende Disharmonie zwischen ihrem

Empfindungsleben und dem innersten und edelsten Kerne deutscher Gefühlsweise. Man verfolge einmal das geistige Leben unseres Volkes seit der Reformation und man wird die Beobachtung machen, daß sich das Denken und Sinnen der

Volksseele, besonders von unserer klassischen Dichterperiode ab, mehr und mehr von der kirchlichen Religiosität entfernt hat.

Liegt das daran, daß die Volks­

bildung in steigendem Maße der Entchristlichung verfällt?

Das wird man trotz

mancher schweren Verirrung modernen Wesens gerade vom heutigen Zeitgeiste

am allerwenigsten sagen dürfen.

Welch ein mächtiges Sichauswirken christlicher

Gedanken im Leben unserer Tage, welch ein gewaltiger Durchbruch christlicher Anschauungen in dem Schaffen unserer Künstler und Schriftsteller!

Aber vor

Altar und Kanzel findet dieses Weltchristentum sich nicht ein, auch wo der

Geistliche ganz auf dem Boden wissenschaftlich freier Erkenntnis steht; eine

mancherorten recht kleine, hier und dort größere Zahl, aber doch immerhin nur Vereinzelter sucht das Heiligtum auf, die Volksseele im großen und ganzen scheint dem Gottesdienste der Gemeinde entfremdet zu sein.

Es fehlt eben bei aller Richtung der Gegenwart auf Chrfftus hin an der

christlichen Frömmigkeit, wird kirchlicherseits geklagt.

achtens ein sehr bedenkliches Wegschieben des Problems.

Das ist unseres Er­

Sollte es wirklich

solch christlich gestimmtes Lebens- und Seeleninteresse geben, wie es unserm Geschlechte eigen ist, ohne frommen Sinn?

Wird nicht vielmehr das die Ur­

sache der Abkehr sein, daß der Volksidealismus den Begriff und die Art seiner

22

Aus der Welt des deutschen Christentums.

Dann wäre es die Auf­

Frömmigkeit in der Kirche zu wenig wiedererkennt?

gabe der Kirche, die Welt ihrer religiösen Empfindungen einmal einer gründ­ In der Tat wird es sich darum handeln.

lichen Revision zu unterziehen.

Zwischen Kirche und Leben steht heute zweierlei: die aus der wissenschaftlichen Bewegung der Zeit stammende, mehr intellektuelle Differenz der Weltanschauungs­ frage und — diese an Bedeutung noch überragend, wenn auch vielfach damit

zusammenhängend

Protest

der



ihre

ein spezifisch Eigenart

religiöses Anliegen

behauptenden

der Volksseele,

deutschen

der

Frömmigkeit

wider das im kirchlichen Wesen als fremdes Geistesleben ihr Wider­

strebende.

Und der Radikalismus, wie er unter uns die Geister verwirrt, ist

nur der unreife und ungestüme und leider in seiner unklaren Verquickung mit allerlei Phantastereien naturwissenschaftlicher und philosophischer Halbwahrheiten arg verunreinigte, damit aber in Christentumsentfremdung und Kirchenfeindschaft

umschlagende Ausdruck dieses berechtigten Dringens.

So gilt es denn, unsere Religiosität von allen Anempfindungen zu be­ freien und sie, wie das hier in der Frage nach der Seelenruhe des Christen

versucht ist, ganz in unser Eigenleben umzubilden.

War doch

auch schon

Luther nichts anderes, als ein Protest des germanischen Empfindens gegen die Fremdherrschaft romanischer Glaubensart.

Die fortschreitende Kirche der Gegen­

wart muß nun diese Verdeutschung des Christentums, die die Reformation noch mehr unbewußt begonnen hat, in aller Bestimmtheit weiterführen.

Ihr kirchen­

geschichtlicher Beruf ist es, unserem Volke eine gründliche Geistesübersetzung des überlieferten Glaubens zu vermitteln.

Das ist aber keine Operation, bei der die ernste Frömmigkeit eine Schä­

digung der evangelischen Offenbarung zu befürchten hätte.

Sind wir ja doch in

der glücklichen Lage, dabei mit Jesus Christus und dessen großem Apostel in aller-

engster Fühlung bleiben zu dürfen, weil beide, ob sie auch keineswegs ihres Volkes Art verleugnen, bei manchem uns Fremdartigen in ihrem Geistesleben doch im

Kern ihres Wesens uns Deutschen so wunderbar verwandt sind.

Da werden

wir, wenn wir nur durch alle Umbildungen der Zeiten auf ihre wirkliche Erschei­

nung zurückgreifen, immer wieder auf unser eigenes tiefstes Innere gewiesen. Und indem wir von einer Germanisierung der Christentums, also unserem

Werke, reden, merken wir, je überzeugungsfroher wir es betreiben, daß es sich dabei

nur

handelt

um

das

Aufgehen unseres Auges und Ohres für ein

Werk, das Gott selbst unter uns vollbringt: für die Geistesbekundung

seines verklärten, in Kraft und Herrlichkeit an der deutschen Volksseele wir­

kenden Christus.

Der Sohn Gottes ist in dem Volke unserer Zeit auferstanden

und waltet adlergewaltig in unsrer Mitte; er redet zu uns im Geist und im Feuer und Leben unserer Sprache von der einen, unvergänglichen Wahrheit, mit der er, der Geliebte des Vaters, die Welt erlösen soll!

Amen.

Brauchen wir ein neues Bekenntnis?

23

Brauchen wir ein neues Bekenntnis? Daß das altkirchlich-dogmatische Apostolikum uns als zutreffender Ausdruck unseres heutigen Glaubensbewußtseins nicht mehr gelten kann, darüber sind wir uns ja alle einig. Aber auch die Orthodoxie, soweit sie im lebendigen Fluß der Entwicklung steht, vermag es nur noch durch Umdeutungen zu halten, die vom Standpunkte historischer Wahrhaftigkeit zu verwerfen find. Diese Wahrhaftigkeit liegt aber so sehr im Geiste des Protestantismus, daß es auch hier immer mehr zu einer wenigstens inneren Ablehnung des sogenannten apostolischen Glaubens­ bekenntnisses kommen wird. Ist nun eine verjüngende Umbildung des kirchlichen Bekenntnisses zu erstreben? Darauf antwortet ein freisinniger Bremischer Theologe, Pastor Baars in Vegesack, in einer kürzlich erschienenen Schrift (Evang. Verlag, Heidelberg) mit einem unbedingten Nein. Er will von einem Glaubensbekenntnis überhaupt nichts mehr wissen. Religion ist ganz individuelles Seelenleben, das sich nicht in einigen allgemeingültigen Sätzen aussprechen läßt. Jeder Versuch, es zu tun, wird zu einem theologischen Flickwerke. Glaubensüberzeugungen haben wir zwar alle, aber in größter Abweichung voneinander; zudem sind diese heutzutage in unserer Übergangszeit mit ihrem Gären, Fragen, Zweifeln und Schwanken be­ ständiger Revision unterworfen. Auch entscheidet ja gar nicht die Glaubens­ aussage, sondern die sittliche Tat über den christlichen Charakter eines Menschen. So mögen denn orthodoxe Gemeinden bekennende Gemeinden sein, es soll ihnen unbenommen bleiben; aber wir wollen daneben als bekenntnisfreie Gemeinden stehen. Jedes Streben nach einer neuen Bekenntnisgemeinschaft ist abzulehnen. Das einzig gültige und wirklich alle verbindende, das in der protestantischen Kirche allein mögliche und notwendige ist das Bekenntnis des Lebens. Diese von religiöser Wärme beseelten Ausführungen des Verfassers haben etwas Gewinnendes. Mancher Laie im Protestantenverein mag ihnen schnell zu­ gestimmt haben. Im einzelnen steht auch viel Gutes in dem Vortrage. Dennoch beruht diese ganze Auffassung auf einer Verkennung des Wesens und der Be­ dürfnisse einer kultischen Gemeinschaft. Eine solche könnte gar nicht bestehen, wenn sie sich nicht im Besitze eines objektiven Religionsgutes wüßte, das als ein ganz bestimmtes, allen gleiches unter den individuell auseinandergehenden religiösen Empfindungen liegt und das bei allem Wechsel der religiösen Stimmung und Vor­ stellungsform doch in sich unwandelbar ist. Mögen in der protestantischen Kirche auch die einzelnen Glaubensansichten nach kirchlichen Gruppen und in denselben wieder nach persönlicher Eigenart noch so verschieden sein und sich zurzeit vielfach in recht schwankender Bewegung befinden, so wäre doch die Kirche keine Kirche, die Gemeinde keine Gemeinde mehr, wenn nicht bei aller Mannigfaltigkeit und bei vielleicht großer Unbestimmtheit der Denkweise doch eine im Grunde allen gemein­ same Seelenstellung zu dem Heiligen vorhanden wäre: ein gemeinsames Gott­ empfinden, das gleiche sittlich-religiöse Selbstgefühl, ein und dieselbe Heilsbeur­ teilung, ein alle verbindender geistesverwandter Glaubenswille. Und nur um diese Richtungsaussprache der Seele kann es sich in einem protestantisch­ evangelischen Glaubensbekenntnis handeln! Um Einzelfragen des Glaubenslebens

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Brauchen wir ein neues Bekenntnis?

nur soweit, als es Grunderfahrungen der kirchlichen Gemeinschaft sind, resp, zu werden beginnen, die unter den feindlich eingreifenden oder aber freundlich wecken­ den Einflüssen der Zeitbildung eben aus dieser religiösen Seelenrichtung sich er­ geben und das besondere Zeitbewußtsein der Kirche ausmachen. Diese Prinzipien unserer Religion und Kirche, die die eigentliche Geistes­ substanz unseres evangelischen Bewußtseins sind, unterliegen für die Gemeinde keinerlei Revision. Es gibt denn doch für den religiös gesinnten und christlich überzeugten Menschen manches, was ihm empirisch unbedingt feststeht. Und sobald wir uns für den Dienst der Gemeinde in der Kirche entschieden haben und solange wir uns nicht etwa davon zurückziehen, erkennen wir durch unsere Stellung die volle Berechtigung dieser allgemein kirchlich-christlichen Prinzipien an. Wir erklären dadurch, daß wir Pastoren sind und solange wir es bleiben, daß die­ selben uns über jeder Kritik stehen. Jene hyperkritische Sucht, als Geistlicher in den Fundamenten des Christentums und der Kirche zweifelnd herumzuwühlen, ist nicht protestantische Wahrhaftigkeit, sondern eine innere Unwahrheit. Darin wird Baars wohl mit uns einig sein. Sollte nun diese, Christus und seine Gottes­ offenbarung in Heilsfreudigkeit umfassende Sinnesweise nicht reich und stark genug sein für eine Bekenntnisgemeinschaft zwischen den Alt- und Neugläubigen in der Kirche? Diese Seelenrichtung geht ja doch, was uns auch immer trennen mag, als Lebensader durch ihr und unser ganzes religiöses Leben hindurch. Ge­ wiß wollen wir jene Differenzen nicht übersehen. Im Gegenteil, wir wollen sie gerade zum Besten unserer Kirche und ihrer fortschrittlichen Entwicklung kräftig hervorheben, daß das, was wir Liberalen zu vertreten haben, der Gemeinde so recht zum Bewußtsein komme und sich in der Kirche auswirke. Aber als ein Kirchenwerk wollen wir es behandeln. Ein solches zu tun und darin unserm Volke und der Menschheit zu dienen, dazu sind wir berufen! Alles, was uns auf­ getragen ist, verliert sofort seine Berechtigung in der Kirche und büßt seine gött­ liche Segenskraft ein, wenn wir es der Welt und der Weltbildung zulieb betreiben, unser Angesicht nach draußen kehren, uns in den Strom der unkirchlichen und antikirchlichen Zeitbewegung werfen, in ihr die eigentliche Richtung und den Zweck unseres Wirkens suchen, statt ihn zu suchen in dem inneren Zusammenhang mit dem Geiste unserer Kirche und mit denen, die kirchlichen Sinnes sind. Unser Liberalismus hat nur soweit Recht und Wert in der Kirche, als in ihm das Seelenband mit der Herzensfrömmigkeit aller anders gerichteten evangelischen Elemente bestehen bleibt! Das ist aus dem Sinn der Gemeinde heraus gesprochen. Eine freisinnige Gemeinde, sofern sie sich wirklich als Kirchengemeinde fühlt, kann und darf der Baarsschen Forderung bekenntnisfreier Gemeinden nicht zustimmen. In ihrer Idee liegt vielmehr die umgekehrte Forderung, daß alles religiöse Leben auf unserer liberalen Seite zu einem diese Geistesverbundenheit zum Aus­ druck bringenden Bekenntnisleben werde. Denn aus dem Wesen der kirch­ lichen Gemeinschaft ergibt sich naturnotwendig das Bedürfnis, daß das die einzelnen mit der ganzen evangelischen Christenheit Zusammenhaltende bei der Taufe und bei der Konfirmation, aber auch im Gottesdienste, wenn auch nicht in jedem, so doch öfter und vor allem am Pfingst- und Reformationsfeste feierlich hervortrete. Zumal in dieser Zeit des schrankenlosen Subjektivismus, der den christlichen Religions­ besitz in den Gemeinden zu unterspülen sucht und ihn so leicht zerbröckelt, der die Herzen, ohne daß sie es recht merken, vielfach in eine ganz falsche, von Christus abführende Richtung drängt, erhebt die Kirchenidee ihre zum Bekenntnis aufrufende

Brauchen wir ein neues Bekenntnis?

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Stimme. Jede religiös lebendige Gemeinde muß und wird in der Tat ein starkes Interesse daran haben, aus dem Munde des Mannes ihres Vertrauens das all­ gemeine evangelische Glaubensbewußtsein so aussprechen zu hören, daß es wie ein Panier — ihr zur Bewahrung, ihm selbst zur Verpflichtung — über ihrem gottesdienstlichen Leben stehe. Finden wir uns nun hier von unserer liberalen Position aus mit der modern­ theologischen Preußischen Kirchenzeitung zusammen, die in Nr. 36 dem Baarsschen Nein ein kräftiges Ja entgegenhält und nach einem das Apostolikum ersetzenden zeitgemäßen Bekenntnis verlangt, nach einem nicht juridisch zu handhabenden, sondern gewissensmäßig zu verstehenden und rein religiösen Zwecken dienenden Glaubensbekenntnis, so sehen wir uns doch genötigt, dagegen Einspruch zu erheben, daß „es ein gemeinsames Bekenntnis für alle Gemeinden sein muß, wenn nicht die Kirche in lauter innerlich getrennte Gemeinden zersplittern soll". Es wäre gegen unser liberales Gemeindebewußtsein, daß eine Synode oder gar das Kirchenregiment ein Glaubensbekenntnis aufstellte und es den Gemeinden überwiese. Wohl hätte das Kirchenregiment sämtliche Gemeinden zu ver­ pflichten zum kirchlich-liturgischen Bekenntnisstande, — das spreche ich als liberaler Theologe Bremens auch gerade im Hinblick auf Bremen aus! Aber ganz aus dem Leben der Einzelgemeinde und durch das Herz des mit ihr seelisch ver­ bundenen Predigers hätte das Glaubensbekenntnis zu ersteigen. Und es sollte auch nicht festgelegt werden, damit nicht einmal des Buchstabens Plage den Geist trübe. Es müßte, obschon in sich sehr bestimmt, ein Fluidum bleiben, das sich je nach dem Zeitbedürfnis und dem inneren Drange in seiner Gestalt ändern dürfte. Dann würde es in tausend Gemeinden vielleicht tausendfach verschieden lauten, — was schadete das? Es könnte darum doch ein und dasselbe Bekenntnis sein. Gerade je mehr den Gemeinden Vertrauen erwiesen wird und ihnen in voller Freiheit die Gestaltung überlassen bleibt, desto sicherer werden einerseits aus ihrem religiösen Verantwortlichkeitsgefühl heraus, andererseits durch das brüderlich alle Elemente in den Gemeinden zusammenfassende Rücksichtsgefühl aus der Mitte der Gemeinden Bekenntnisse hervorgeheu, die, wenn sie auch die Individualität der be­ treffenden Gemeinde deutlich spiegeln, doch wirklich kirchlichen Allgemeincharakter haben. Wir rechnen auf den guten Geist der Gemeinden und ihrer Pastoren. Wo es aber in unevangelischer Negation oder unprotestantischem Dogmatismus an diesem kirchlichen Allgemeingeiste fehlte, da würde die egoistische Beschränktheit zur Linken und zur Rechten denn doch überwunden werden von dem schließlich durch­ brechenden besseren Christensinn. An dessen Vorhandensein in jeder Gemeinde glauben wir, weil alle Gemeinden Glieder am Leibe des verklärten Christus sind. Und wäre eine Gemeinde das doch nicht mehr, dann müßte ihr gerade an der mit voller Berechtigung ihr auferlegten Notwendigkeit, ihren christlich-kirchlichen Bekenntnisstand vor sich selbst und vor der Welt geltend zu machen, das Bewußtsein ihrer innerlichen Trennung von der evangelischen Kirchengesamtheit aufgehen. Es mag zum Abschluß dieser Besprechung der Bekenntnisfrage hier das Glaubensbekenntnis wiedergegeben werden, nach dem jetzt der Herausgeber (in etwa achtzig Stunden) die Jugend seiner Ansgariigemeinde unterrichtet und das er bei der Konfirmation, ebenso bei der Taufe, da natürlich sehr verkürzt, und in etwas abgekürzter Form auch hin und wieder in Gottesdiensten benutzt. Bemerkt sei, daß es nicht durch Gemeindebeschluß fixiert, doch, wie wir glauben, aus dem

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Brauchen wir ein neues Bekenntnis?

tiefsten Lebensgrunde gerade dieser Gemeinde hervorgegangen ist, wie uns auch noch nie der geringste Widerspruch dagegen, wohl aber schon oft die herzlichste Zustimmung aus der Gemeinde geäußert ist. Nach jeder Richtung hin: in dem immanenten, aber nicht „monistischen", sondern durchaus theistischen Gottesbegriff, in der nicht speku­ lativen, sondern historisch begründeten, doch die geistige Entwicklung einbegreifenden Christologie, in der Religionsauffassung, in der Stellung zur Kirche, in der Be­ stimmung des konfessionellen Verhältnisses, in soteriologischer und eschatologischer Beziehung, in der Zeichnung des bei seiner evangelisch-religiösen Richtung doch ganz ethisch-humanistischen Lebensideals — prägt sich hier der Charakter einer gebildeten Bremer Gemeinde aus, die in ihrem ganzen Umfange entschieden freigesinnt ist, aber dem Radikalismus grundsätzlich fernsteht. Wohl würde das eigene Bekenntnis, wie wir es fordern, in der Liebfrauengemeinde oder in der noch weiter rechts stehenden von St. Stephani sich ganz anders gestalten. Aber wer von dorther bei uns einkehrt oder etwa an einer Tauffeier in unseren Kreisen teilnimmt, wird doch ganz gewiß den Eindruck haben, daß er sich unter seinen Glaubensgenossen befindet, und daß der Geist der evangelischen Kirche zu ihm redet. Mag sich unter den folgenden Worten, die doch wohl nicht Theologie, sondern Religion enthalten, auch manches bei ihm in andere Vorstellungen und Empfindungen um­ setzen, als bei uns, so wird er sich doch mit uns in Bekenntnisgemeinschaft fühlen und von Herzen mit uns sprechen: Wir glauben an Gott, einen Gott, der welterfüllend alles durchwirkt, und in dessen Willen alles, was ist, sein Leben und seines Daseins Zwecke hat. Wir preisen ihn als ben Vater, der uns in Freuden wie in Leiden, aus Armut und Sünde zu sich erheben will, auf daß wir in seiner Kraft schöpferische Geister werden zur Verwirklichung seiner Gedanken. Wir glauben an Jesus Christus, den Menschen, der uns nach Gottes Ratschluß durch das Evangelium seines Lebens und Sterbens erlöst hat. Wir weihen uns dem Gottessohn, der, zur Herrlichkeit, auch in unseres Volkes Seele auferstanden, sich in der Welt der Geister weiterlebend offenbart und, im Worte der Heiligen Schrift dem Herzen nahe, uns der Eine bleibt, in dem all unser Heil beschlossen ist. Wir glauben an den heiligen Geist, den Geist seiner Gemeinde, der die Welt verklärt zum Reiche Gottes und uns in immer reinerer Ge­ staltung unseres Wesens der Seligkeit des ewigen Lebens gewiß macht. In Einigkeit dieses Geistes verbunden mit allen echten Christen, ob Pro­ testanten oder Katholiken, ob sie Gott anbeten in alten oder neuen Formen, bekennen wir uns zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes und damit zu dem Werke der Reformation, das sich vollenden wird in einer Kirche des deutschen Christentums. In diesem Glauben wollen wir wachsen und uns vertiefen. Wir wollen ihn bezeugen durch Tat und Leben, in redlichem Kampfe wider alles Böse in uns und außer uns. Wir wollen in Treue uns zu unserer Kirche halten, in evangelischer Gesinnung einmal an ihr weiter­ bauen und uns bestreben, in ihr tüchtige Glieder unseres Volkes und Vertreter des edlen Menschentums Christi zu werden. Gott helfe uns und segne uns!

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Die Hcilsbedeutung der geschichtlichen Jesusgestalt.

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Vie F)dlsbeckutimg der gefcbicbtlicben Je fusge statt. Vortrag auf der Missionsversammlung in Osnabrück am 25. September 1907. Der Allgemeine evangelisch-protestantische Missionsverein betreibt ein christlich­ religiöses Kulturwerk. Vor jene Völker in der Heidenwelt, die so stolz sind auf ihren Besitz an Bildung, Wissenschaft und Sitte, an Reichtum, Schönheit, Feinheit des Lebens, treten wir wie Paulus vor den Atheneraltar, auf dem geschrieben stand: Dem unbekannten Gott. Wir rufen ihnen zu: Was ihr kulturgläubigen Chinesen mit all eurem Vätererbe, ihr kulturdurstigen Japaner mit all euren Errungenschaften nur träumend, sehnend ahnt, das verkündigen wir euch: die wahre Lebenskultur, die aus der Herzenskultur erwächst und die ihren Boden hat in der Seelenkultur des Christentums. Es gibt, wie einst eine jüdische, so auch eine chinesisch-japanische Messias­ hoffnung. Die spricht sich aus in dem kulturfreudigen Verlangen dieser buddhi­ stischen Völkerschaften. Vor ihnen muß das Christentum zu der frohen Botschaft werden: Das Wort, das euer Glauben und Denken bestimmt, worauf euer Suchen und Streben gerichtet ist, dies Wort ward Fleisch! Es wohnet unter uns, wir sehen seine Herrlichkeit, die Herrlichkeit der in der Freiheit der Kinder Gottes uns werdenden Humanität! Die religiöse Humanitätskultur, wie sie sich im Evangelium offenbarte, wie sie in der Herzensfrömmigkeit des germanischen Ge­ mütes ein tiefes, drängendes Leben geworden ist und wie sie dann int Idealismus unserer Denker und Dichter sich abklärte, um nun jetzt im modernen Protestan­ tismus — wohl vor einer Periode gewaltiger Entfaltung — sich erst noch mal unter vielem Widerspruch der Zeit so recht auf ihr innerstes Wesen, ihre unver­ gängliche Wahrheit und Schönheit zu besinnen, das ist unsere Missionsgabe an Asien. Es ist das eine Welt hoher Ideen, reiner Gefühle. Eine Welt der schöpferisch seelenbildenden Kräfte. Eine Welt des Idealismus und Optimismus aus dem göttlichen Urgründe der Menschheit mit ihrem Kindesjauchzen und ihrem Helden­ willen, mit ihren Liebesquellen und ihrer durchbrechenden Glaubensmacht. Von Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und ich lasse dich nicht, bis daß ich dich ge­ segnet habe, — so steht in uns die Kultur des deutschen Christentums vor dem Osten: kein Priester mit seinen Zeremonien, kein Eiferer mit seinen Dogmen, kein Schwärmer mit seinen Phantasmen, kein Intellektualist mit seinen Spekula­ tionen, sondern ein Genius der Erlösung mit jener Herzenswahrheit, die Geist und Leben ist, christlicher Humanitätsgeist in einem Leben evangelischer Innerlichkeit. Damit ist die Tendenz unseres Vereins und der Glaubensbesitz unserer Send­ boten gezeichnet, nicht aber das, was in ihrer und unserer Arbeit die treibende Feder ist. Diese Energie im christlichen Missionsgedanken ist die heilige, begeisterte Freude an der Gestalt Jesu Christi, an seiner kindlich frommen und heroisch gewaltigen Lebenserscheinung. Alle Mission ist seelenlos, von vorn­ herein tot, ob sie auch die reichste Geistesfülle in reinster Wahrheitsform den Heiden zu vermitteln vermöchte, wenn nicht warme Liebe zu dem Menschensohne das Missionswerk erfüllte und die Missionsvölker ergriffe, — warme, treue, über­ zeugungsfrohe Christusliebe!

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Ja, das Heil der Welt ist der Geist des Christentums, seine große Kultur­ idee. Aber erst durch Jesu hochbegnadigte Persönlichkeit, die in die schöpferischen Tiefen des göttlichen Geistes hineinreicht, und erst durch den innigen Glaubens­ zusammenhang mit dieser wird die in der großen Idee liegende Heilskraft zum Leben entbunden, daß sie den Missionar zum weltüberwindenden Heilsträger, die Heidenländer zum empfänglich aufnehmenden Heilsboden macht. Hier stehe ich im Namen Jesu, in der Kraft des Vertrauens auf ihn, in der Freude an meinem Herrn und Meister! — so muß der Missionar sprechen können oder er bleibe daheim, so muß es aus dem Missionsverein klingen oder er spare sich die Mühe. Meine Freunde, das bringe ich, Ihrer vollen Zustimmung gewiß, Ihnen als Geistesgruß der Gesinnungsverwandten in der Stadt, wo die Totenglocke geläutet ist über den historischen Jesus, und wo nun auf Grund dieser Kalthoffschen Be­ hauptung, daß es mit Jesus Christus nichts sei, daß der nie wirklich gelebt habe, eine große Masse der Gebildeten sich auf ein Christentum ohne Christus einge­ richtet hat, auf einen Häckelschen, etwas christlich angefärbten Monismus, in dem Christus jedenfalls nur noch als Schemen gilt ohne Leben, ohne Bedeutung. Ist es da eine Zufälligkeit, daß unser Missionsverein über Bremen und seinen auffallenden Mangel an Interesse für die liberalen Missionsbestrebungen klagen muß? Ein religiös so triebkräftiger Boden mit seinen kirchlich so lebendigen Gemeinden, und doch in der Missionsfrage versagt er fast völlig. In unserer Handelsstadt, soweit der Liberalismus in Betracht kommt, ein geringeres Verständnis für die große Sache unserer christlichen Kulturverpflichtung an den überseeischen Völkern als irgendwo. Zwischen dieser Kälte gegen die Mission und jener Christus­ ablehnung dürfte ein innerer Zusammenhang bestehen. Wo man solche theologische Verirrung als eine Großtat bewundern kann oder sie doch wenigstens als etwas Irrelevantes, das den innersten Nerv des Glaubens und der Kirche nicht verletze, zu ertragen vermag, da fehlt es eben doch am rechten Herzensver­ ständnis für die Persönlichkeit Jesu und damit für das innerste Geheimnis der Erlösungsreligion. Und das wohl nicht bloß in den ausgesprochen radikalen Kreisen. Wo man aber diesen Tiefblick für die alles überragende Einzigartigkeit der Heilandsgestalt und für das Leben und Weben der in ihm sich offenbarenden Heilsmächte nicht hat, damit dann auch nicht die felsenfeste Gewißheit, daß alles, was Mensch heißt, ihn unbedingt braucht, da kann bei aller hohen christlichen Kultur, deren wir uns in Bremen rühmen dürfen, der Missionswille natürlich nicht recht aufkommen, und der Missionsgedanke erlahmt an allerlei äußeren Ein­ wänden und Zweifeln. Missionsfreudigkeit ist nur allein da, wo einen die Gestalt des Herrn so über­ wältigt hat, daß man ganz unter den von ihm ausgehenden Herzens­ impulsen steht. Das zeigt sich an Paulus. Den größten Missionar aller Zeiten hat nicht das Christentum, sondern Christus zum Weltmissionar gemacht, nicht sein überzeugter Glaube an die christliche Wahrheit, sondern seine persönliche Glaubensstellung zu dem Heilande. Ein seltener Reichtum stand diesem Manne zur Verfügung. In einem geist­ vollen Gewebe religionsphilosophischer Anschauungen eine solche Fülle von Ver­ söhnungsgewißheit, von tiefem Kindschaftsglauben, von Hochgefühl für des Christen­ lebens Herrlichkeit, Freiheit und Seligkeit, in scheinbar ganz abstrakten Begriffen eine solche Überfülle von drängenden, lebensgewaltigen Trieben hoher Emfindung,

daß seine Seele seufzte unter dem schmerzensvollen Glück, ein auserwähltes Werk-

Die Heilsbedeutung der geschichtlichen Jesusgestalt.

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zeug des göttlichen Heilsratschlusses zu sein, das in seiner Menschlichkeit zu arm und schwach wäre, dies alles zu ertragen. Der Inhalt drohte oft das Gefäß zu zersprengen. Und doch war nicht das Bedürfnis, sich auszugeben, die eigentlich bestimmende Ursache seines Missionsentschlusses. Auch nicht in erster Linie die Reflexion über den allgemein menschlichen Wert und die Unentbehrlichkeit seines religiösen Besitzstandes für alle Welt. Sondern es waren die großen Heilands­ motive besonders in der leidenden Jesusgestalt, die Liebe, die sich für alle in den Tod gegeben hatte. Die ließ ihm keine Ruhe. Daß diese Aufopferung doch allen Menschen bekannt werde, daß sein Herzenswille doch von aller Welt erfaßt werden möchte, damit der Herr sein bitteres Leiden nicht umsonst erduldet hätte, und seine treue Hingabe nicht ohne Widerhall und Wirkung bliebe, das war dem Paulus das drängende Anliegen; und daraus erst erwuchsen ihm die sachlichen Beweg­ gründe zur Weltmission. So, glaube ich, ist dieser Apostel aufzufassen. Nicht von dem Theologen und seinem System her, sondern aus dem Menschen und seiner Christusliebe heraus ist der Missionar zu verstehen. Und was er nun den Völkern brachte, waren es große Gedanken, leuchtende Ideen, ein neues Lebensgefühl, ein willensstarker Glaube, so war dies alles doch nur eine Ausstrahlung der Christusherrlichkeit, die der Inbegriff seiner ganzen Predigt war. Freilich ist ja der Christus im paulinischen Heidenevangelium nicht der Jesus der heiligen Geschichte, sondern der verklärte Herr. Was er so als himmlische Glorienerscheinung anschaut und dann wieder als belebende Macht im eigenen Herzen erfährt, das ist das in dem Paulus und vor seinem religiösen Entdeckerblicke sich entfaltende Leben der großen Christentumsidee. Aber eben dies, daß vor dem Apostel, so oft er in seine Brust griff, all das flimmernde Sonnen­ gold seines neugewordenen Bewußtseins zur Lichtgestalt des himmlischen Christus Jesus zusammenfloß, — eben dies, daß all die empordringenden Lebenstriebe neuen Denkens, starken Wollens in ihm immer nur wieder zum Bilde des zu Geist und Kraft auferstandenen Meisters sich verdichteten, das zeigt denn doch deutlich, daß das treibende Element in seinem Glauben wie in seiner Mission etwas war, was aus dieser geschichtlichen Gestalt herrührte. Allerdings hat er den Herrn nie gesehen. Er hat sich auch nach seiner Be­ kehrung nicht mit den Jüngern besprochen, um Erkundigungen über die Vorgänge und Reden in Galiläa einzuziehen. Eine Berührung mit Jesus durch eine reich ihm zugeführte evangelische Tatsachenkenntnis ist vollständig ausgeschlossen. Die hat Paulus sicher nicht besessen?) Das Christuszeugnis des Apostels ist vielmehr ein Produkt seiner religiösen Spekulation. Und doch, wer nur allein diese selbst­ schaffende Produktion seines Geistes darin sehen will, der ist absolut nicht imstande, die über alles, was Paulus schreibt, sich ausbreitende Seelenbestimmtheit seiner tiefen Christusliebe zu erklären. Sollte diese Christusmystik bei ihm das Resultat eines in sein eigenes Gedankengebilde sich hineinliebenden Herzens gewesen sein, so wie etwa der Dichter sich mit einer Gestalt in seinem Drama liebend ver­ webt? Das wird man im Ernst nicht behaupten können, wenn man -sich ver­ gegenwärtigt, daß gerade die Stellen, wo jene mystische Herzensverbundenheit mit *) Wo man das doch nachzuweisen sucht, wie jetzt wieder der Schweizer Arnold Ruegg mit seinem im übrigen recht guten „Der Apostel Paulus und sein Zeugnis von Jesus Christus", da dient man nur jener apologetischen Tendenz, die sich eine innere Einheit zwischen den Paulusbriefen und den Evangelienbüchern nicht denken kann ohne eine äußere, leistet aber mit solcher Harmonisierung nichts wirklich Überzeugendes.

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Christus besonders hervortritt, immer die sittlich und religiös fruchtbarsten sind, wo die Seelenfreude der Versöhnung sich im Apostel am sichersten fühlt, und die ethische Kraft seiner Seele am gewaltigsten durchschlägt. Diese Christusliebe ist die eigentliche Offenbarungsseite an Paulus. Wie sie nach meiner bestimmtesten Überzeugung auch der Faktor ist, der die ganze Christus­

spekulation bei ihm erst hervorgebracht hat, so ist sie, die Leben erzeugende, selber auch das Erzeugnis des Lebens: eine Kraftwirkung aus der göttlichen Heils- und Offenbarungsquelle in der Persönlichkeit Jesu von Nazareth, — und zwar im Durchfluß nicht durch Berichte über ihn, sondern durch das Lebens- und noch viel mehr Leidenszeugnis der von Saulus einst verfolgten Christus­ gemeinde. Stellt Paulus sich selbst manchmal (z. B. 2. Cor. 4, 10) in solcher leibgeistigen Einheit mit dem Erlöser dar, daß er sein eigenes Leiden als eine Fortsetzung des Kreuzesleidens Christi empfand, also daß in all seinem persönlichen Erdulden und Erleben sich auch Christi Sinn kund täte, so wird er auf ähnliche Empfindungen auch bei den Verfolgten gestoßen sein. Und wären sie selbst sich dessen auch nicht bewußt gewesen, so erschaute doch sein intuitiver Sinn in ihnen, seinen Getreuen, ihn, der sie beseelte, — und da blickte ihn aus ihrer Seelenhaltung in Wort und Tat das Auge des Dornengekrönten an, das tiefe, große Jesusauge mit seiner stillen Ergebung und seiner doch so sieghaften Feuerseele, die Herzensgewalt des Reichen und Starken vom See Genezareth. Was dann sein Geist auch aus der Kreuzestatsache an Versöhnungstheorien spann, diese wären doch nie in ihm eine solche Macht der Umkehr und der Beseligung gewor­ den, wenn nicht vor denselben und dann immer wieder durch sie hindurch Jesus nach ihm gegriffen hätte, der irdische Jesus der Geschichte in seinen Schmerzen und in seiner Seelenhoheit. Dieses Bildes heilige Gewalt, aus den lebenden Christen von ihm seelisch eingesogen, ist es gewesen, die ihn vor Damaskus in den Staub warf, die ihn um­ schuf zu der neuen Kreatur und die ihn in die Welt Hinaustrieb als seiner Liebe, seines Lebens Boten. Ein Diener des Evangeliums, wie es nun reich und groß aus dem rabbinisch-spekulativen Seelengrunde des Paulus erwuchs, so geht dieser hin, so wirkt er; aber was ihn dazu beseelte, war nichts anderes als der Zauber der Persönlichkeit Jesu, der Bann seines Wesens. Ja, aus der armen Pro­ phetengestalt ist ihm ein Glorienbild erstanden, aus seinem — des Paulus — höheren Selbst ist es erstanden, und sein Glaube umfängt es mit der Gewißheit seiner Rechtfertigung vor Gott; aber daß es ihm erstand, und daß er es mit solcher Frohgewißheit umfangen konnte und daß er es nun auch aller Welt bringen mußte, das hat im Anstoß seiner liebeweckenden Kraft in dem Christus seiner Spekulation der Jesus der Geschichte vollbracht. Freilich scheint der Apostel diesen idealen Bann der Persönlichkeit Jesu ein­ mal schroff zu durchbrechen. Als seine judaistischen Gegner ihm vorwarfen, daß seine gesetzesfreie Heidenmission mit dem in jüdischen Formen gehaltenen und auf das jüdische Volk beschränkten Wirken Jesu nicht zusammenstimme, da wagt er den Ausruf, daß er den Christus im Fleisch nicht kennen, eine in dessen Namen ihm auferlegte Beschränkung nicht anerkennen wolle (2. Kor. 5, 16), — was gehe ihn der geschichtliche Jesus an! Doch es wäre höchst verkehrt, dieses Wort zu einem Glaubensprinzip des Paulus zurechtzupressen, um damit seinem Christus­ bilde das Lebensblut des heilsgewaltigen Menschensohnes aus den Adern zu jagen. Der Christus nach dem Fleisch war eine in seinem Geisteschristus ihn doch mächtig

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bestimmende Größe! In Wirklichkeit durchbricht er mit jenem Ausspruche gar nicht den Herzensbann der sittlich-religiösen Persönlichkeit Jesu, sondern nur eine Schranke, die dessen Auftreten nach dieser Seite hin noch hatte und haben mußte, um sich über solche zeitgeschichtliche Beschränkung hinweg auf den großen Sinn des Wesens Jesu zu berufen. Stellt nun dieses innerste Wesen Jesu sich ihm allerdings als Wille des himmlischen Herrn dar, so kennt Paulus doch keinerlei Differenz zwischen dem Gebot des Verklärten und dein tiefen Lebenssinn des irdisch Geschichtlichen. Alles, was sich in dem Apostel als Auswirkung der christlichen Prinzipien vollzieht, sind eben in der Tat Jdeenerzeugnisse, die in Paulus zustande kamen unter dem Eindruck des, kraft seiner Intuition, in ihm zur Potenz gewordenen Seelenbildes Jesu. Wie sehr aber dieses in seiner Christusliebe wirkende Seelenbild Jesu ihn be­ herrscht, das zeigt sich besonders auf den Höhepunkten seiner Missionspredigt, wenn der Denker zum Dichter wird, und wenn sein Glaube aus vollster Eigenerfahrung Jubelhymnen singt. In solchen Momenten erlebt er dann ganz ihn, den in seiner Gemeinde Erschauten. Die Jesusgestalt ist es, die unsichtbar und doch greifbar durch den Lobgesang des 13. Kapitels im 1. Korintherbriefe schreitet: Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete! Vor Jesu Liebe fühlt er das eigene Sein und Lieben wie ein Stückwerk, und erst in höherem Lichte wird jenes Heilands­ bild an ihm Erfüllung werden, dann, wenn alles aufhört, wenn selbst der Glaube nicht mehr sein wird, weil alles dann in solcher Liebe lebt. Oder nehmen wir das Sturmlied des Missionars wider alle Drangsal und Not: Verführer und dabei wahrhaftig, die Sterbenden und siehe, wir leben, traurig und doch immer nur fröhlich, so arm und machen dabei alle Welt so reich (2. Kor. 6.), — das ist ein Selbstruhm, den er nicht über die Lippen brächte, wenn sein Auge hier nicht gerichtet wäre auf jenen Weltüberwinder, vor dem sein nachstrebender Sinn, ohne ihn zu nennen, sich in Begeisterung beugt. Solche Stücke aus des Paulus Briefen könnte man zusammensetzen zu einem kurzen, aber inhaltschweren 5. Evangelium, das, dann freilich ganz und gar nicht ein Erzählungsbuch und noch weniger als die vier anderen ein Geschichtsbuch, uns doch das Bild Jesu vervollständigen würde, wie es durch den Geistesverwandtesten der Apostel seinen Christusglanz über Europa auszubreiten begann. Das Allerheiligste in diesem paulinischen Reflex des historischen Jesus ist ja nun jene Darstellung der Abendmahlseinsetzung mit ihrem „Solches tuet zu mei­ nem Gedächtnis!" Damit aber haben wir so recht den prägnanten Ausdruck für das psychologische Motiv und zugleich für das Energieelement in dem ganzen Missionswerke des Apostels: seine Mission war eine Tat, zu der die innere Verpflichtung wohl in der Heilsbotschaft selber lag, die sich ihm jedoch auf­ drängte als .seines Herrn Gedächtnis; seine Missionspredigt war das größte Kulturwerk, das je verrichtet worden ist, für seine Empfindung jedoch war sie etwas wie eine weihevolle Abendmahlsfeier mit der ganzen Welt. Und noch nie ist seitdem wieder Mission getrieben mit wahrem und bleibendem Kultur­ gewinn, wo die Sendboten nicht ihren opferschweren Weg antraten dem Heiland zu Lieb und Ehren und unter der Kraft des segnenden Christusbildes. So hat denn auch unser liberaler Missionsverein, der gerade im Geiste und in der Freiheit und in der Weitherzigkeit des Apostels wirken will, in sein schönes evangelisch­ humanistisches Kulturwerk an China und Japan das warme und herzerwärmende Wort hineingeschrieben: Die Liebe Christi dringet uns also!

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Unser Christusproblem.

Unser Cbristusproblem. Wie es keine wirksame evangelische Missionsarbeit gibt, so überhaupt keine wahrhaft evangelische Kirche und kein volles evangelisches Christentum, wo nicht die Freude an unseres Gottes Offenbarung in Christo und an der schöpferisch originalen, die Heilskräfte des Lebens uns vermittelnden Persönlichkeit Jesu das Zentrum des religiösen Empfindens bildete. Der kirchliche Liberalismus, wenn er wirklich sein Existenzrecht innerhalb der kirchlichen Entwicklung behaupten will, kann und darf sich deshalb mit keiner Bewegung des religiösen Freisinns, die über Jesus hinwegstürmt oder auch nur an ihm innerlich indifferent vorübergeht, geistesverwandt fühlen. Vielmehr wird er danach zu streben haben, mit seiner durchaus geistesfreien Auffassung von Religion und Kirche eine lebendige Herzens­ stellung zu dem Erlöser zu vereinen. Nur in einer Christusliebe, die mehr ist als ein gelegentlicher Hinblick auf das Vorbild des Herrn, vermag er eine Be­ deutung in der Kirche zu gewinnen und eine für unser Volk segensreiche Kraft zu entfalten. Daß wir aber darunter ganz und gar nichts Pietistisches verstehen, zeigt die Predigt in dieser Broschüre. Der Liberalismus ist Kraft, Frische, Schwung und Freiheit, er kann und soll nichts Pietistisches an sich haben! Ein liberaler Pietismus, wie er jetzt manchmal gefordert wird, wäre etwas Wider­ sinniges. Aber wie ist ihm solche Christusliebe, von der unbedingt seine Zukunft ab­ hängen wird, möglich, wo er doch von Jesus nicht nur zwei Jahrtausende getrennt ist, sondern aus seiner Wahrhaftigkeit heraus verpflichtet ist, es immer wieder her­ vorzuheben, wie viel uns von Jesus von Nazareth auch innerlich trennt? Ein Kultus des geschichtlichen Jesus, wie er im Ritschlschen Historizismus liegen kann, dürfte für das religiöse Rein- und Tiefgefühl auf die Dauer unerträglich sein. Freilich der altliberale Idealismus, der nur einen Christus als Vehikel und Illustration der Heilsidee kennt, kann darin dem kirchlich-religiösen Bewußt­ sein ebensowenig genügen. Der Liberalismus der Zukunft muß der Gemeinde eine kultische, wahrhaft seelische Verbindung mit dem Heilsschöpferischen in der Jesus­ gestalt ermöglichen. Sein Christus muß, wenn das Herz ihn in starker, frommer Liebe umfassen soll, als eine persönliche, geschichtlich-reale und dabei doch geistig­ ideale, ewige Größe sich geben. Hier steht ein Christusproblem vor uns, unendlich tiefer und fruchtbarer, als das Kalthoffsche, — seinem negativen und kirchenzer­ störenden gegenüber ein positives, dem Aufbau in der Kirche und wirklich dem Fortschritt des religiösen Lebens dienendes Christusproblem! Die Bremer Beiträge sehen in dem Versuche der Lösung desselben eine ihrer Hauptaufgaben. Haben die Mitarbeiter sich schon mehrfach in anregendster Weise damit beschäftigt, jeder auf seinen Wegen, so wird der jetzt beginnende neue Jahr­ gang, in dem auch der Herausgeber sich über seine Auffassung vom „deutschen Christus" auszusprechen gedenkt, unserem antiradikalen Christusproblem weiter nähertreten.

Jnbaltsverzeicbms cles ersten Jahrgangs 1. Rest (Oktober 1906) [Neues Leben» Gedicht von Th. B. ©rund, Zweck und Richtung unseres Merkes. Vom Herausgeber. Zur Verständigung über kirchlichen Radikalismus. Von Pastor Otto Hartwich in Bremen. Das [Napoleonproblem. Von Professor Dr. Oskar Henke in Bremen. Über die Wartburg zur Kanzel. Von Julius Burggraf. Das Christliche und das Hellenische in Schiller und Goethe. Religionsunterricht oder nicht? — Zur radikalen Schulbewegung in Bremen. — pfarrwahl in piartini, Lipstus Kalthoffs [Nachfolger. — 6in Bremer Bauherr.

2. Rest (Januar 1907) freundschaftliche Mus spräche mit dem protestantenblatt und der Christlichen Welt. Von Julius Burggraf.

Jesus als Individualist und seine Bedeutung für das individualistische Lebensideal.

Von Pastor

Otto Hartwich.

Deutsche Weihnacht. Gedicht von Theodor Burggraf. Germanisches Christentum in der Schule. Von Johanne Schäferdiek, Schulvorsteherin in Lemgo. [Nietzsches Radikalismus. Von Pastor Karl Rösener in Heuerßen. Voltairiana. Bon Arthur Fitger in Horn bei Bremen. Benke und das [Napoleonproblem. Vom Herausgeber. Pastor Steudels Kampfesweise. — Liberaler Pietismus. — Hbgrenzung nach links. — Kalthoffs [Nachfolger, Lie« friedrich Lipstus.

3. Rest (Sprit 1907) Die radikalen Gemeinden Bremens. Vom Herausgeber. Kalthoffs Ideale. Von Pastor Dr. Otto Veeck in Bremen. Christliche Welt und Liberalismus. Bon Professor D. Martin Rade in Marburg. Jesus als Individualist und seine Bedeutung für das individualistische Lebensideal. (II. Teil.) Von Pastor Otto Hartwich.

Ordination auf der Wartburg. Von Julius Burggraf. JNietzsches Radikalismus. (II. Teil.) Von Pastor Karl Rösener. Zur Reform des kirchlichen Lebens. Von Pastor Hermann Weingart in Bremen-Borgfeld. Umbau des evangelischen Kultus. —- Ein Schulprozess. — Der Stolz des ^onistenbundes.

4. Rest (Juli 1907) Die Mystik der deutschen Theologie. Von Professor D. Otto Pfleiderer in Berlin. Das Wesen des pionismus. Von Professor Dr. Wilhelm Grosse in Bremen. Kalthoffs Ideale. (Schluß.) Von Pastor Dr. Otto Veeck. [Nietzsches Radikalismus. (Schluß.) Von Pastor Karl Rösener. Jesus Christus und der deutsche Volkscharakter. Von Militärpfarrer Johannes Kübel in München.

Romane als Sprachrohr. Von Pastor Otto Hartwich. In den Wettern einer neuen Geburt. Von Pastor Burggraf.

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Verlag von Alfred Cöpelmann (vormals I. Ricker) In Stehen

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Hus der kirchlichen Bewegung kirchlichen Radikalismus in Bremen ■

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Von Pastor Julius Burggraf

Unhalt: Hus den Schillerpredigfen — Huf vulkanischem Boden — Zur Abgrenzung der Lehrfreiheit — Rach Kalthoffs Code Glänzend ist die Würdigung Kalthoffs geschrieben, die dieses Buch enthält. Man soll jedem Gerechtigkeit widerfahren lassen; auch und nicht zuletzt dem Gegner. Schöner konnte diese Forderung christlicher Sittlichkeit nicht durchgeführt werden als hier von B. Ein klares, feines Lebensbild Kalthoffs hat er tiefbohrend zu geben gewußt. (Preußische Kirchenzeitung.)

Eine nach allgemeinem Urteil vorzügliche

Sekhichte der israelitischen und jüdischen Religion bieten dar;

Die Religion des Volkes Das religiöse Leben der Juden nach dem Exil Israel bis zur Verbannung

von Prof. D. Karl Budde in niarburg | von Prof.D.U.K.Cheynein Oxford Der Wunsch, „sich nicht zu begnügen mit zehn gelehrten liefern, wenn man alle die um sich versammeln kann, welche die Vergangenheit des menschlichen Geistes anzieht und interessiert", führte den beiden in ihrem Fadi als Autoritäten anerkannten Verfassern die Feder, und sie haben in der Cat im besten Sinne des Wortes populäre Arbeiten geliefert, die dem freier einen klaren Überblick ohne hemmende und störende Einzel­ heiten verschaffen, feine religiöse Erkenntnis wirklich zu mehren und zugleich das Zutrauen zur wissenschaftlichen Arbeit zu wecken und zu stärken vermögen.

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■J C. G. Röder G. m. d. H., Leipzig.