Die Wissenschaftspolitik Maximilians II. von Bayern (1848 - 1864): Nordlichterstreit und gelehrtes Leben in München [1 ed.] 9783428486748, 9783428086740

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Die Wissenschaftspolitik Maximilians II. von Bayern (1848 - 1864): Nordlichterstreit und gelehrtes Leben in München [1 ed.]
 9783428486748, 9783428086740

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ACHIM SING

Die Wissenschaftspolitik Maximilians 11. von Bayern (1848-1864)

MÜNCHENER UNIVERSITÄTSSCHRIFTEN Universitäts archiv LUDOVICO MAXIMILIANEA Universität Ingolstadt-Landshut-München Forschungen und Quellen Herausgegeben von Laetitia Boehrn Forschungen Band 17

Die Wissenschaftspolitik Maximilians 11. von Bayern (1848-1864) Nordlichterstreit und gelehrtes Leben in München

Von

Achim Sing

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Sing, Achim: Die Wissenschaftspolitik Maximilians II. von Bayern (1848 1864) : Nordlichterstreit und gelehrtes Leben in München / von Achim Sing. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Ludovico Maximilianea : Forschungen; Bd. 17) Zugl.: München, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08674-0 NE: Universität (München): Ludovico Maximilianea / Forschungen

Alle Rechte vorbehalten Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany © 1996

ISSN 0720-7662 ISBN 3-428-08674-0

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @

Zum Geleit Die Münchener Universitätsgeschichte seit 1826 wurde, abgesehen von mehreren bis ins 20. Jahrhundert reichenden disziplinengeschichtlichen Studien, bisher vornehmlich für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts angegangen. Innerhalb der Reihe Ludovico Maximilianea sind zu nennen die von Harald Dickerhof herausgegebenen Dokumente zur Studiengesetzgebung (Quellen 2, 1975) sowie die Dissertation von Ursula Huber über Universität und Ministerialverwaltung während der Ministerien Oettingen-Wallerstein und Abel 18321847 (Forschungen 12, 1987); außerhalb dieser Reihe erschien die Untersuchung von Rainer A. Müller über "Akademische Ausbildung zwischen Staat und Kirche. Das bayerische Lyzealwesen 1773-1849" (Paderborn 1986). Die kulturgeschichtlich wie politisch eigengeprägte, dennoch bislang im Schatten gestandene Regierungsperiode König Maximilians 11., dieses wenig populären, dennoch wirkungsstarken Erben der ludovicianischen Ära, begann in jüngerer Zeit zunehmend Beachtung zu finden. Anstöße gab zum einen das über die Fachwelt hinaus den interessierten Laien ansprechende, vom Haus der Bayerischen Geschichte herausgegebene und von Rainer A. Müller redigierte Sammelwerk "König Maximilian 11. von Bayern 1848-1864" (Rosenheim 1988), zum anderen die Arbeit von Manfred Hanisch "Für Fürst und Vaterland. Legitimitätsstiftung in Bayern zwischen Revolution 1848 und deutscher Einheit" (München 1991) sowie die zeitlich umfassendere kultur- und didaktikgeschichtliche Studie von Hans-Michael Körner "Staat und Geschichte im Königreich Bayern 1806-1918" (München 1992), eine Phänomenologie politisch motivierten öffentlichen Umgangs mit der Vergangenheit, worin dem dritten König Bayerns naturgemäß angemessene Berücksichtigung zukommt. Die hiermit vorgelegte Untersuchung von Achim Sing wendet sich einem für Wissenschaftspolitik und Universitätsgeschichte Bayerns im 19. Jahrhundert zentralen Kapitel zu. Der sog. Nordlichterstreit bildet ein zwar viel zitiertes, aber bislang kaum methodisch analysiertes komplexes Problemfeld, das nicht zuletzt auch hinsichtlich der politischen, geistigen und konfessionellen Integration des neuen Bayern und insonderheit der gelehrten Welt Münchens ein dringendes Desiderat war. Dafür mußte archivalisches Neuland erschlossen werden. Erstmals hat der Verfasser jene Ära, in welcher die Entwicklung der positiven Wissenschaften sogleich mit steilem Aufstieg einsetzte, auf der Grundlage eines breiten, größtenteils ungedruckten Quellenmaterials ausgeleuchtet; erstmals hat er dafür zum Beispiel den Nachlaß König Maximilians 11.

VI

Zum Geleit

im Geheimen Hausarchiv systematisch ausgewertet, überdies die Nachlässe des Kabinettssekretärs Franz Seraph von Pfistermeister und des Innen- bzw. Kultusministers Theodor von Zwehl, die österreich ischen und preußischen Gesandtschaftsberichte sowie mehr als ein Dutzend Gelehrtennachlässe herangezogen, dazu aber auch reiches gedrucktes Quellenmaterial wie Memoiren und vor allem die zeitgenössische Presse einbezogen. Die Grundlage der Monographie von Achim Sing bildete eine bei der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaft eingereichte Dissertation, die von Privatdozent Dr. Winfried Müller betreut und von Prof. Dr. Walter Ziegler als Korreferent mitbegutachtet wurde. Dank Förderung durch die Studienstiftung des deutschen Volkes konnte der Autor seine Promotion zügig abschließen. Angesichts seiner umfassenden Quellenkenntnis wurde ihm durch die Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften der Auftrag erteilt, die Memoiren Maximilians 11. zu edieren. Mit dem neuen Ansatz zur allgemeinen Universitätsgeschichte im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert verbindet sich die Hoffnung auf Weiterführung historischer Studien zur Geschichte der Ludovico Maximilianea, die im Jahre 1997 ihren 525. Geburtstag begehen kann. Das in Vorbereitung befindliche, von Wolfgang Smolka bearbeitete Repertorium der Bestände des UniversitätsArchivs möge zu gegebener Zeit dafür Anregung und Hilfestellung geben. Im Juli 1996

Laetitia Boehm Vorstand des Universitäts-Archivs

Vorwort Diese Studie wurde im Sommersemester 1995 von der Philosophischen Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften der Ludwig-MaximiliansUniversität München als Dissertation angenommen. Für vielfältige Unterstützung möchte ich Frau Professor Dr. Laetitia Boehm danken, die die Aufnahme in die Reihe Ludovico Maximilianea angeregt hat und in deren Colloquium ich mein Dissertationsprojekt vorstellen konnte. Für ihre Hilfsbereitschaft danke ich Herrn Professor Dr. Rainer A. Müller, Herrn Professor Dr. Friedrich Prinz sowie besonders Herrn Professor Dr. Walter Ziegler, der immer ein offenes Ohr für meine Anliegen hatte. Herrn Dr. Wolfgang Smolka danke ich für seine Hilfsbereitschaft bei der Erstellung der Druckvorlage. Spezieller Dank gebührt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Winfried Müller; seit Beginn meines Studiums war er stets ein aufmerksamer und freundschaftlicher Gesprächspartner, der mir viele hilfreiche Anregungen geben konnte. Die Aufnahme in die Promotionsförderung der Studienstiftung des deutschen Volkes bot mir die materielle Absicherung, die konzentriertes Arbeiten an einem Forschungsprojekt erst ermöglicht. Der freundlichen Hilfsbereitschaft und der Kompetenz zahlreicher Bibliothekare und Archivare, vor allem des Geheimen Hausarchivs München, wo ich einige Monate 'Stammgast' war, verdanke ich viele Hinweise bei der Suche nach Quellen. Der Zuspruch eines festen Freundeskreises und besonders die Kritik von Peter Aumeier, Bettina Groß, Thomas Hackner und Stefan Laube waren wichtig, um diese Arbeit entstehen zu lassen; mit Geduld haben sie mich durch die Höhen und Tiefen während der Niederschrift der Arbeit mit nützlichen Ratschlägen begleitet. Vor allem möchte ich meinen Eltern danken, denn ohne ihr Verständnis und ohne ihren Beistand hätte ich diese Arbeit nicht realisieren können. München, 13.3.1996

Achim Sing

Inhalt A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

l. Gliederung und Fragestellung der Arbeit Il. Forschungsstand und Quellenlage . . . .

B. Wissenschaftspolitik Maximilians 11. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. Rahmenbedingungen der Wissenschajtspolitik Maximilians 11.: Die Regierungsweise Maximilians 11. im Zusammenspiel mit seinen Beratern

5

14

14

1. Charakter und Regierungsweise Maximilians 11.

14

2. Der Beraterkreis um Maximilian 11. .........

25

a) Die Rolle von Wilhelm Doenniges und Franz Löher

33

b) Das Kabinettssekretariat Pranz Seraph von Pfistermeisters. Maximilian 11. - ein König im Bannkreis seiner Berater? ..

52

11. Wissenschajtspolitik und Wissenschajtsverständnis im 19. Jahrhundert .

60

lll. Ziele der Wissenschajtspolitik Maximilians 11.

76

IV. Konzeption und Realisierung der Wissenschajtspolitik Maximilians 11.

89

1. Die Berufungen an die Universität München. . . . . . . . . . . . . . .

116

2. Maximilian 11. und die Förderung der Geschichtswissenschaft . . . .

153

a) Die institutionelle Vermittlung von Geschichte: Historische Kommission, Historisches Seminar, Historische Zeitschrift . . . . . . . . . .

155

b) Die personelle Vermittlung von Geschichte: Die Berufungen an die Münchener Universität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161

C. Gelehrte und gelehrtes Leben im München Maximilians 11. . . . . . .

178

I. Die Rolle der Gelehrten und der Aufstieg des Bildungsbürgertums in der Gesellschajt des 19. Jahrhunderts ... . . . . . . . . .

178

Il. Das Leben der Berufenen in München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

184

1. Maximilians 11. Bemühungen zur Integration der Berufenen: Der Maximiliansorden und die Symposien . . . . . . . . . . . . . . . . .

196

2. Die Selbstdarstellung der Berufenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201

x

Inhalt

D. Die Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik Maximilians 11.: Der Nordlichterstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

213

I. Aspekte zu Pressepolitik und öffentlicher Meinung während der Regierungszeit Maximilians Il. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213

Il. Der Nordlichterstreit während der Regierungszeit Maximilians Il.

227

1. Der Nordlichterstreit - ein Beispiel für konfessionell bedingte Wissenschaftsauffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

232

a) 'Ultramontanismus' und politischer Katholizismus . . . . . . . . . . . ..

232

b) Katholische Wissenschaftsauffassung zur Zeit des Nordlichterstreites .

245

c) Konfessionelle Standpunkte im Nordlichterstreit . . . . . . . . . . . . . .

269

2. Zielkonflikt von bayerischer Eigenstaatlichkeit und deutscher Einheit ..

290

3. Benachteiligung einheimischer Gelehrter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

303

4. Die Auflösung der "Nordlichterkolonie" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

332

5. Maximilian 11. im Nordlichterstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

344

6. "Verbreitung nachtheiliger Gerüchte über den König" . . . . . . . . . . ..

355

E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

368

Verzeichnis der ungedruckten Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

381

Verzeichnis der gedruckten Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

384

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

396

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

423

Liste der zwischen 1848 und 1864 an die Universität München Berufenen. ..

423

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

426

Abkürzungsverzeichnis ADB

Allgemeine deutsche Biographie

AEM

Archiv des Erzbistums München und Freising

ao. Prof.

außerordentlicher Professor

AZ

Allgemeine Zeitung

BSB

Bayerische Staatsbibliothek München

BayHStA

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München

Diss.

Dissertation

fl.

Gulden

GG

Geschichtliche Grundbegriffe

GWU

Geschichte in Wissenschaft und Unterricht

GHA

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Abt. III, Geheimes Hausarchiv

GStAPK

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin

Hg.

Herausgeber

HHStA

Österreichisches Staatsarchiv , Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien

HJb

Historisches Jahrbuch

HKG

Handbuch der Kirchengeschichte

HPBI

Historisch-Politische Blätter

hrsg.

herausgegeben

HZ

Historische Zeitschrift

mG

Institut für Bayerische Geschichte an der Universität München

LThK

Lexikon für Theologie und Kirche

MA

Staatministerium des Äußeren

masch.

maschinenschriftlich

MBM

Miscellanea Bavarica Monacensia

MF

Staatsministerium der Finanzen

Mlnn

Staatsministerium des Innern

MK

Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten

NDB

Neue deutsche Biographie

NI

Nachlaß

NMZ

Neue Münchener Zeitung

XII

Abkürzungsverzeichnis

NN

Neueste Nachrichten

o. Prof.

ordentlicher Professor

Priv.-Doz.

Privat-Dozent

StAM

Stadtarchiv München

UAM

Universitätsarchiv München

UBM

Universitätsbibliothek München

Vb

Volksbote für den Bürger und Landmann

V.d.K.A.

Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten

ZBLG

Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte

A. Einleitung I. Gliederung und Fragestellung der Arbeit Um das Ansehen und die Bedeutung Bayerns zu erhöhen, betrieb König Maximilian 11. eine intensive Wissenschaftspolitik, die einen wichtigen Zweck für das Gesamtkonzept der Triaspolitik erfüllte: die deutschen Mittelmächte sollten unter bayerischer Führung als dritte Kraft neben die beiden Großmächte Österreich und Preußen treten. Für dieses Ziel wollte der König Bayern auf geistigem und wissenschaftlichem Gebiet zu einem Musterstaat ausbauen, der seiner angestrebten Führungsrolle als dritte deutsche Macht gerecht werden konnte. Einen zentralen Stellenwert in der Wissenschaftspolitik nahm die Universität München als eine der größten und bedeutendsten deutschen Universitäten ein, die als Aushängeschild für das hohe wissenschaftliche Niveau Bayerns dienen sollte. Im Zuge der Berufungen bedeutender Gelehrter, die zu einem erheblichen Teil aus außerbayerischen Gebieten stammten, zudem mehrheitlich der protestantischen Konfession angehörten und oftmals kleindeutsch eingestellt waren, regte sich bald von bayerischer Seite Widerstand gegen die fremden Gelehrten, die mit dem ironischen, leicht abfälligen Begriff 'Nordlichter' bedacht wurden. Der wegen der Berufungspolitik entstandene Nordlichterstreit stellt mehr dar als nur ein lokalgeschichtliches Kuriosum, da sich in den Auseinandersetzungen grundSätzliche politische sowie konfessionelle Positionen und unterschiedliche Wissenschaftsauffassungen manifestierten. Das Jahrzehnt nach 1848 ist noch immer "das am wenigsten erforschte in der Geschichte des 19. Jahrhunderts. "1 Diese Feststellung läßt sich für den Bereich der bayerischen Geschichte voll bestätigen. So stand Maximilian 11. stets im Schatten seines Vaters, Ludwig 1., und seines Sohnes, Ludwig 11. Während die Säkularisation, die Revolution von 1848 und die Prinzregentenzeit viel Aufmerksamkeit fanden, wurde die Regierungszeit Maximilians 11. (1848-1864) immer ein wenig vernachlässigt. Die Untersuchung teilt sich in drei Hauptkomplexe, die Wissenschaftspolitik Maximilians 11., das gelehrte Leben in München und den Nordlichterstreit. Die Wissenschaftspolitik nahm einen wichtigen Stellenwert innerhalb der Regie-

1

Wolfram Siemann: Gesellschaft im Aufbruch. Deutschland 1849-1871. Frankfurt/M. 1990, 12.

I Sing

2

A. Einleitung

rungstätigkeit Maximilians 11. ein. Kein anderer deutscher Monarch dieser Zeit trat so engagiert für eine kontinuierliche Förderung der Wissenschaften ein. Daher bildet die Regierungszeit Maximilians 11. den zeitlichen Rahmen für meine Arbeit. Maximilian war der Hauptinitiator der Wissenschaftspolitik, die bald nach dem Regierungsantritt energisch vorangetrieben wurde, während sein Nachfolger Ludwig 11. im Jahr 1864 eine bewußte Abkehr von der Politik des Vaters vollzog. Die Abhängigkeit der Wissenschaftspolitik von der Person des Herrschers macht es notwendig, zunächst Charakter und Regierungsweise Maximilians 11. zu skizzieren, wobei auch das schwer durchschaubare Umfeld der persönlichen königlichen Berater einzubeziehen ist, von denen die besonders aktiven Ratgeber Wilhelm Doenniges, Franz Löher sowie der Kabinettssekretär Franz Seraph von Pfistermeister näher behandelt werden. Der bedächtige und zögerlich agierende Monarch wollte stets alle Aspekte eines Problems erfassen; hierfür ließ er sich stets mehrere Gutachten anfertigen, die es dem Historiker heute ermöglichen, interne Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse nachzuvollziehen. Ausgehend von dieser Quellenbasis sollen - nach einer allgemeinen Einordnung des Verständnisses von Wissenschaftspolitik im 19. Jahrhundert Ziel und Konzeption der Wissenschaftspolitik Maximilians 11. dargelegt werden. Daran schließt sich die Frage an, ob und wie die verschiedenen Pläne in die Tat umgesetzt wurden. Die Planung und Realisierung der Wissenschaftspolitik läßt sich am besten anhand ihrer dauerhaft betriebenen Hauptelemente verdeutlichen: die Berufungen an die Universität München und die Förderung der Geschichtswissenschaft. Die Münchener Universität bildet den geeigneten institutionellen Rahmen, um Intentionen und Ablauf der Berufungspolitik exemplarisch darzustellen, da sich Maximilian 11. vornehmlich auf die prestigeträchtige Landesuniversität der Hauptstadt konzentrierte, während die beiden anderen bayerischen Universitäten in Würzburg und Erlangen eher beiläufig in die Planungen einbezogen wurden. Schulpolitik und Kulturpolitik, die Förderung von Literatur, Theater und Kunst sollen im Rahmen dieser Arbeit ausgespart bleiben, da diese Aspekte bei Maximilian 11. weniger Aufmerksamkeit fanden als die Wissenschaftspolitik. Übergreifend zu einem rein institutionengeschichtlichen und biographischen Rahmen stehen die Gesamtlinien der Wissenschaftspolitik und die daraus resultierenden Konflikte stets als leitende Fragestellung im Mittelpunkt. Es sollen weniger einige herausragende Einzelpersönlichkeiten gewürdigt, sondern vielmehr gruppenspezifische Phänomene zwischen den Berufenen untereinander sowie von Berufenen und Einheimischen thematisiert werden. Nach einer allgemeinen Einführung zu Selbstverständnis und Rolle der Gelehrten als Teil des aufstrebenden deutschen Bürgertums während des 19. Jahrhunderts versucht der zweite Hauptteil über das gelehrte Leben in München zu

1. Gliederung und Fragestellung

3

klären, welche Stellung die Neuankömmlinge in der bayerischen Haupt- und Residenzstadt einnahmen. Im Zuge der Berufungswelle der 1850er Jahre bildete sich in München ein Kreis von Wissenschaftlern und Literaten, dem unter anderen der Chemiker Justus von Liebig, der Kulturhistoriker Wilhelm Heinrich Riehl, die Historiker Heinrich von Sybel und Wilhelm Giesebrecht, der Dichter Emanuel Geibel sowie der spätere Nobelpreisträger für Literatur, Paul Heyse, angehörten. Anhand von Briefen und Tagebüchern lassen sich das gesellige Leben, das Selbstverständnis und das Zusammengehörigkeitsgefühl, aber auch die erheblichen Rivalitäten zwischen den Berufenen nachvollziehen. Ein großer Teil der berufenen Gelehrten und Literaten pflegte mit Maximilian 11. einen engen persönlichen Kontakt, so etwa bei den regelmäßig stattfindenden Abendunterhaltungen, den sogenannten Symposien. Hofzugang und unmittelbare Gespräche mit dem Herrscher bedeuteten neben Auszeichnungen, wie dem 1853 gestifteten Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst, eine erhebliche Aufwertung des Sozialprestiges. Die Berufenen bemühten sich durch eine positive Selbstdarstellung in der Presse oder in publikumswirksamen Vorträgen um öffentliche Akzeptanz. Mit Hilfe einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit und einer populären Präsentation ihrer Forschungen versuchten sie, ihre Bedeutung für die Entwicklung des Staates unter Beweis zu stellen. Den dritten Hauptaspekt der Arbeit bilden Ursachen und Ablauf des sogenannten Nordlichterstreits, der die Gemüter einer breiten Öffentlichkeit erhitzte. Im Gegensatz zum Nordlichterstreit in der Ära Montgelas, lag zum Konflikt während der Regierungszeit Maximilians 11. bislang noch keine umfassende Gesamtdarstellung vor. Zeitgenössische Zeitschriften und Flugschriften bieten hierfür eine wahre Fundgrube, weil die Streitparteien den Weg an die Öffentlichkeit suchten und erbitterte Pressefehden austrugen, bei denen die polemischen Argumente in regem Schlagabtausch aufeinanderstießen. Da der Nordlichterstreit zu einem erheblichen Teil in der Presse stattfand, und die Regierung versuchte, die Öffentlichkeit zu beeinflussen, ist es notwendig, allgemeine Erläuterungen zum zeitgenössischen Verständnis von öffentlicher Meinung und zur Gestaltung der Pressepolitik voranzustellen. Ergänzend zu der Darlegung des Konfliktes anhand einzelner Zeitungen wie etwa der Allgemeinen Zeitung oder des Volksboten - sollen ferner Gutachten beteiligter Gelehrter und private Aufzeichnungen von Zeitgenossen

2 Anhand folgender Darstellungen lassen sich Parallelen und Unterschiede der beiden Nordlichterkonflikte herausarbeiten: Wolfgang Altgeld: Akademische Nordlichter. Ein Streit um Aufklärung, Religion und Nation nach der Neueröffnung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Jahre 1807. In: Archiv für Kulturgeschichte 67 (1985), 339-388; Paul Ruf: Säkularisation und die Bayerische Staatsbibliothek. Wiesbaden 1962. RudolfBurkhard: Die Berufungen nach Altbayem unter dem Ministerium Montgelas. Diss. München 1927.

I'

4

A. Einleitung

ausgewertet werden. Zum Verhalten der Münchener Studenten, die sich nicht aktiv in den Nordlichterstreit publizistisch einmischten, fanden sich keine ergiebigen Quellen. Auf der Basis dieses Quellenmaterials lassen sich die wesentlichen Ursachen des Nordlichterkonfliktes herausarbeiten: Ein Grund lag in der Unzufriedenheit der Einheimischen, die sich durch die Bevorzugung außerbayerischer Kräfte benachteiligt fühlten. Zusätzlich stieß der Wunsch nach Erhalt der bayerischen Eigenständigkeit auf die kleindeutsche, propreußische Einstellung vieler Berufener. In enger Verbindung zu den Auseinandersetzungen um vermutete oder tatsächliche Mentalitätsunterschiede von Nord- und Süddeutschen stand der Konfessionskonflikt, der sämtliche Phasen des Nordlichterstreits durchdrang. Im Nordlichterstreit manifestierten sich konfessionell bedingte Wissenschaftsauffassungen, wobei diese Diskussion maßgeblich von katholischer Seite geprägt wurde. Die Forderungen nach einer konfessionellen Orientierung der Wissenschaftspolitik, der Lehrinhalte und der Berufungspraxis wurden vor allem von katholischen Vertretern erhoben, so daß zum näheren Verständnis eine ausführliche Darlegung der allgemeinen Entwicklung des politischen Katholizismus, des 'Ultramontanismus' sowie der katholischen Wissenschaftsauffassung in der Mitte des 19. Jahrhunderts notwendig ist. Der Nordlichterstreit eignet sich zur exemplarischen Darlegung von konfessionell bedingten, grundsätzlichen Wissenschaftsauffassungen, wie sie in Akademie- und Rektoratsreden, auf Katholikentagen und in Streitschriften geäußert wurden. Während in den ersten beiden Hauptkapiteln zur Wissenschaftspolitik Maximilians 11. sowie zum gelehrten Leben in München der von Fortschrittsgläubigkeit getragene Bildungs- und Wissenschaftsoptimismus zutage tritt, läßt sich im Abschnitt über den Nordlichterstreit die Kritik an der Wissenschaftsgläubigkeit verdeutlichen. Die Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik ist an den von der Regierung eingezogenen zeitgenössischen Stimmungsberichten ablesbar, die versuchten, die jeweiligen Einstellungen der Bevölkerung zu bestimmten Ereignissen und Zuständen zu erfassen. Breite Schichten aus allen Landesteilen verfolgten den Nordlichterstreit mit großer Aufmerksamkeit und unterzogen die Wissenschaftspolitik des Königs einer skeptischen Beurteilung. Dabei ist zu untersuchen, wie Maximilian 11. auf die Rezeption der Wissenschaftspolitik in der öffentlichen Meinung reagierte.

11. Forschungsstand und Quellenlage

5

11. Forschungsstand und QueUenlage Zur Regierungszeit Maximilians 11. bietet ein vom Haus der Bayerischen Geschichte edierter Aufsatzband3 einen ersten kursorischen Überblick. Laut Vorwort richtet sich der Band vornehmlich an den historisch interessierten Laien. Die Beiträge versuchen, ein breit gefächertes Themenspektrum abzudecken und wollen aufzeigen, daß weite Bereiche der Regierungszeit Maximilians 11. bislang von der historischen Forschung vernachlässigt wurden. Des weiteren liegt eine zweibändige Biographie zu Maximilian 11. von Michael Dirrigl 4 vor, die jedoch weniger eine eigenständige Forschungsarbeit leistet, als vielmehr oftmals weitschweifig und ohne erkennbare Gliederung die Erkenntnisse bisheriger Untersuchungen sowie zeitgenössischer Publikationen wiedergibt. Langatmige historische Exkurse machen das Werk zu einer unhandlichen, schwer lesbaren Materialsammlung. Entsprechend dem Titel von Dirrigls Reihe, Kulturkönigtum der Wittelsbacher, wird Maximilian 11. verklärend als selbstloser Förderer von Wissenschaft und Kultur dargestellt, wobei eine kritische Beleuchtung der Absichten und Wirkungen der Wissenschaftspolitik des Monarchen nicht stattfindet. Eine zusammenfassende Gesamtwürdigung der Regierungszeit Maximilians 11. liefert Andreas Kraus in seinem Beitrag zum Handbuch der Bayerischen Kirchengeschichte'. Über das Verhältnis des Herrschers zur Kirche hinausgehend erfolgt eine Charakterisierung Maximilians 11. und die Skizzierung wichtiger Schwerpunkte der Regierungszeit, wie die Deutschland-, Sozial- und Pressepolitik. In der kurzen Darlegung der Wissenschafts- und Berufungspolitik wird klargestellt, daß die Förderung der Wissenschaften keineswegs Selbstzweck war, sondern wichtige politische Aufgaben zu erfüllen hatte. Für die Regierungszeit Maximilians 11. liegen neben einschlägigen Gesamtdarstellungen, dem Handbuch der Bayerischen Geschichte, Michael Doeberls Entwicklungsgeschichte Bayerns und Andreas Kraus' Geschichte Bayerns',

3 Haus der Bayerischen Geschichte (Hg.): König Maximilian 11. von Bayern. 1848-1864. München 1988. Darin Harald Dickerhof: "Es soll eine neue Ära in München begründet werden ... " Zur Rolle der "Nordlichter" in der Modernisierung der bayerischen Universität, 271-283. 4 Michael Dirrigl: Maximilian 11. von Bayern. 1848-1864. 2 Bde. München 1984. S Andreas Kraus: Ringen um kirchliche Freiheit - Maximilian 11. In: Handbuch der Bayerischen Kirchengeschichte. Dritter Band. Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zum Zweiten VatikanischenKonzil. Hrsg. v. WalterBrandmüller. St. Ottilien 1991, 167-204. AndreasKraus, MaximiIian 11. In: NDB 16, 490-495. • Max Spindler (Hg.): Bayerische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. 1800-1970. 2 Bde. München 1978. Darin vor allem Laetitia Boehm: Das akademische Bildungswesen in seiner organisatorischen Entwicklung (1800-1920), 995-1033. Eberhard Weis: Bayerns Beitrag zur

6

A. Einleitung

lediglich spezialisierte Darstellungen zu Teilbereichen vor'. Eine systematische, die zahlreichen Quellen aufbereitende Untersuchung zur Wissenschaftspolitik Maximilians 11. wurde bisher noch nicht geleistet. Einen gut untersuchten Einzelbereich bildet die Geschichtswissenschaft, die von Maximilian 11. nicht zuletzt aus persönlichem Interesse gefördert wurde'. Hedwig Dickerhof-Fröhlich rückt die institutionengeschichtliche Komponente in den Mittelpunkt ihrer Dissertation zur Entwicklung des Faches Geschichte an der Universität München'. Der Historiker Heinrich von Sybel, dessen Berufung und Wirken in München damals heftig angegriffen wurde, steht im Zentrum des Buches von Volker Dotterweich 1o , der sich nicht nur mit der Forschungsarbeit sondern auch mit dem politischen Engagement Sybels als Gutachter für den König zugunsten einer propreußischen Lösung der deutschen Frage auseinandersetzte. Hans-Michael Körner betont in seiner Habilitationsschrift, daß Erinnerung an Geschichte, "nie ein Monopol der Geschichtswissenschaft"" war. Die Vermittlung von Historie erfolgte nicht nur wissenschaftlich und durch Unterricht, sondern vor allem auch in populärer Form durch die Feier historischer Jubiläen, sowie durch Errichtung und Pflege von Denkmälern. In der Untersuchung wird ein Hauptgewicht auf die Zeit Ludwigs I. gelegt, wobei Ludwig I. in manchen Zügen zum Maßstab gerät, an dem die folgenden Herrscher und die jeweiligen Projekte gemessen werden. Für die Phase Maximilians 11. arbeitet Körner heraus, daß der Herrscher Geschichte verstärkt als Bildungserlebnis verstand und somit der Einsatz von Historie zu politischen Zwecken, wie zur

Wissenschaftsentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, 1034-1088. Michael Doeberl: Entwicklungsgeschichte Bayerns. Bd. 3. Hrsg. v. Max Spindler. München 1931. Andreas Kraus: Geschichte Bayerns. Von den Anfangen bis zur Gegenwart. München 1983. Max Liedtke: Handbuch der Geschichte des bayerischen Bildungswesens. Bd. 2. Geschichte der Schule in Bayern. Von 1800-1918. Bad Heilbrunn 1993. , So etwa Hans Körner: Der bayerische Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst und seine Mitglieder. In: ZBLG 47 (1987), 285-300. Ingolf Bauer: König Maximilian 11., sein Volk und die Gründung des Bayerischen Nationalmuseums. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 38 (1988), 1-38. Max Brunner: Die Hofgesellschaft. Die führende Gesellschaftsschicht während der Regierungszeit König Maximilians 11. München 1987. Günther Müller: König Max 11. und die soziale Frage. München 1964. • Laetitia Boehm: König Maximilian 11. und die Geschichte. In: Haus der Bayerischen Geschichte (Hg.): König Maximilian 11. von Bayern, 247-262. • Hedwig Dickerhof-Fröhlich: Das historische Studium an der Universität München im 19. Jahrhundert. Vom Bildungsfach zum Berufsstudium. München 1979. 10 Volker Dotterweich: Heinrich von Sybel. Geschichtswissenschaft in politischer Absicht. Göttingen 1978. 11 Hans-Michael Körner: Staat und Geschichte im Königreich Bayern 1806-1918. München 1992, 93.

11. Forschungsstand und Quellenlage

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Integration der neubayerischen Gebiete, etwas in den Hintergrund trat zugunsten von mehr historiographischer Seriosität. Die Habilitationsschrift von Manfred Hanisch '2 setzt sich unter dem Aspekt der Legitimitätsstiftung auch eine Neubewertung Maximilians 11. zum Ziel. Der Autor zog den Nachlaß Maximilians heran, um festzustellen, wie sich der König mit Hilfe von Gutachten einen Eindruck von den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen verschaffte. Hanisch verdeutlicht die Schockwirkung der Revolution von 1848/49 auf den Herrscher und hebt die grundsätzlichen königlichen Ängste vor dem "Wandel der Zeit" hervor, dem Maximilian 11. durch die Ausbildung eines bayerischen Nationalgefühls gegensteuern wollte. Hierfür beleuchtet der Autor Innen- und Außenpolitik, Beamtenapparat, Kirche, Presse- und Kulturpolitik sowie Brauchtumspflege jeweils unter dem Aspekt "Hebung des Nationalgefühls". Der Verfasser betont die reaktionäre Grundhaltung Maximilians 11., der gegen seinen Willen als konstitutioneller Monarch regierte. Die Kultur- und Wissenschaftspolitik, bei deren Erläuterung sich Hanisch weitgehend auf die Pörderung der Geschichte durch den König beschränkt, wird lediglich als ein Instrument von vielen gesehen, das zur Hebung des Nationalgefühls beitragen sollte. Die Wissenschaftspolitik nimmt gemäß dieser Einschätzung einen weitaus geringeren Stellenwert im Gesamtkonzept des Monarchen ein, da die intensiv betriebene Wissenschaftspolitik zu stark in ihrem instrumentalisierten Charakter im Dienst der Legitimitätsstiftung gesehen wird, und damit ihre Konturen verwischt werden IJ. Zur Umgebung des Monarchen stammen Beiträge aus den 1930er und 1940er Jahren; so beschäftigt sich Helene Laible mit dem einflußreichen und damals äußerst umstrittenen persönlichen Berater Maximilians 11., Wilhelm Doenniges 14 • Laible legt den Schwerpunkt auf die Darstellung der deutschlandpolitischen Tätigkeit Doenniges', bringt aber auf solider Quellengrundlage auch Anmerkungen zu seiner Person, seiner tatkräftigen Beteiligung an den Berufungen fremder Gelehrter, seiner dominierenden Stellung innerhalb der 'Premdenkolonie' und seiner Rolle als einer der am meisten angegriffenen Persönlichkeiten im Nordlichterstreit. Den Beraterkreis um den Herrscher untersucht Eugen Pranz, der jedoch ebenso wie Laible wissenschaftspolitische Aspekte lediglich am Rande behandelt und sich auf deutschlandpolitische Themen konzentriert. Es wird kritisch zu untersuchen sein, ob die Porschungsliteratur die Stellung Doenniges' nicht

12 Manfred Hanisch: Für Fürst und Vaterland. Legitimitätsstiftung in Bayern zwischen Revolution und deutscher Einheit. München 1991. 13 Vgl. ebd. 90. 14 Helene Laible: Wilhelm Doenniges und König Max II. von Bayern. Ein Versuch zur Lösung der deutschen Frage. Diss. masch. München 1943.

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A. Einleitung

überbewertet. Die Beiträge von Franz aus den 1930er Jahren setzen sich intensiv mit der Tätigkeit und den Ideen des Ministers des königlichen Hauses und des Äußeren Ludwig Freiherr von der Pfordten auseinander". Die sich daran entzündende Forschungsdiskussion faßt Hubert Glaser prägnant zusammen, um Entstehung sowie Durchführung der Triasidee zu bilanzieren'·. Erkenntnisse zum Problem des Nordlichterstreits und zum gesellschaftlichen Leben der Berufenen in München geben biographische Untersuchungen, wie etwa zum Begründer der wissenschaftlichen Volkskunde, Wilhelm Heinrich Riehl " , zum Chemiker Justus von Liebig" , sowie zum Literatenkreis, der sich um die Schriftsteller Emanuel Geibel und Paul Heyse sammelte'9. Die literaturgeschichtliche Dissertation von Karl-Heinz Fallbacher zur literarischen Kultur in München schlägt einen Bogen von Ludwig I. bis zu Maximilian 11. Der Autor erläutert durch eine Bestandsaufnahme der "literarischen Infrastruktur" , daß München zur Zeit Ludwigs I. noch keine "literarische Anziehungskraft"20 besaß, und die Stadt erst mit der Berufung auswärtiger Dichter durch Maximilian 11. Attraktivität für ganz Deutschland gewann. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf der Regierungszeit Maximilians. Der Autor fügt die Literaturförderung in den Kontext der Kulturpolitik des Königs ein. Die Rahmenbedingungen für die Entstehung des literarischen Lebens, wie etwa Planung und Organisation von Wissenschaft und Kunst, sowie die Propagierung dieser Aktivitäten durch eine aktive Pressepolitik nehmen einen breiten

'5 Hier seien erwähnt: Eugen Franz: König Maximilian H. und seine geheimen politischen Berater. In: ZBLG 5 (1932),219-242. Ders.: Ludwig Freiherr von der Pfordten. München 1938. Ders.: Persönlichkeiten um Ludwig Freiherr von der Pfordten. Eine Untersuchung auf Grund neuer Quellen. In: ZBLG 12 (1939/40), 137-162. ,. Hubert Glaser: Zwischen Großmächten und Mittelstaaten. Über einige Konstanten der deutschen Politik Bayerns in der Ära von der Pfordten. In: Österreich und die deutsche Frage im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. v. Heinrich Lutz, Helmut Rumpier. Wien 1982, 140-188. " Antonie Hornig: Wilhelm Heinrich Riehl und König Max 11. von Bayern. Diss. München 1938. Florian Simhart: Bürgerliche Gesellschaft und Revolution. Eine ideologiekritische Untersuchung des politischen und sozialen Bewußtseins in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Dargestellt an einer Gruppe des Münchener Bildungsbürgertums. München 1978. ,. Sigrid von Moisy, Otto P. Krätz: Die Rolle Justus von Liebigs im München König Max 11. In: Justus von Liebig: Liebigs Experimentalvorlesung. Vorlesungsbuch und Kekules Mitschrift. Hrsg. v. Otto P. Krätz, Claus Priesner. Weinheim 1983, 47-61. . '9 Johannes Mahr (Hg.): Die Krokodile. Ein Münchener Dichterkreis. Stuttgart 1987. Michael Krausnick: Paul Heyse und der Münchener Dichterkreis. Bonn 1974. Sigrid von Moisy (Hg.): Paul Heyse. Ein Münchener Dichterfiirst im bürgerlichen Zeitalter. München 1981. Walter Henche, J ohannes John: Literatur und literarisches Leben in München um 1855. In: Zeitschrift für Deutsche Philologie 111 (1992),532-557. 20 Karl-Heinz Fallbacher: Literarische Kultur in München zur Zeit Ludwigs 1. und Maximilians 11. München 1992, 4 und 56.

11. Forschungsstand und Quellenlage

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Raum ein, während dagegen kaum nähere Informationen zu den einzelnen Dichtem und ihren Kontakten untereinander gegeben werden21 • Das literarische Leben in München zur Zeit Maximilians 11. erläutert Fallbacher lediglich am Beispiel von Paul Heyse, auf andere Schriftsteller wird leider nicht näher eingegangen22 • Da der Nordlichterstreit zu einem erheblichen Teil in Zeitungen öffentlich ausgetragen wurde, ist es unumgänglich, den pressegeschichtlichen Zusammenhang miteinzubeziehen. Zum Pressewesen dieser Zeit ist die Forschungslage noch spärlich; in den 1930er Jahren entstanden zwar zahlreiche zeitungsgeschichtliche Dissertationen, die jedoch aufgrund mangelnder historischer Fundierung nicht ausreichen. Als nützlich erwies sich die Dissertation von Elmar Roeder zu Ernst Zander, der sich als einer der erbittertsten publizistischen Gegner der Berufenen hervortat23 • Eine wichtige Grundkomponente des Konflikts um die Berufungspolitik Maximilians 11. bildeten konfessionell bedingte Auseinandersetzungen. Grundlegend sind hierzu die Erläuterungen in Thomas Nipperdeys Deutscher Geschichte und der noch immer unverzichtbare Band zu den religiösen Kräften im 19. Jahrhundert von Franz SchnabeP4. Das Beispiel des Nordlichterstreits zeigt die Etablierung des politischen Katholizismus, also das Bemühen, durch den Aufbau eines katholischen Presse- und Vereinswesens eine wirksame Vertretung katholischer Belange zu erreichen. Es wird zu untersuchen sein, inwiefern sich bereits während der 1850er Jahre im Nordlichterstreit ein katholi-

21 Fallbacher schweift leicht vom eigentlichen Thema ab und verliert sich in Bereiche, die nichts mit "literarischer Kultur" zu tun haben, so behandelt er beispielsweise Sozial- und Innenpolitik ziemlich ausführlich. Vgl. 113-120. 22 Es wäre wohl auch sinnvoll gewesen, den zeitgenössischen Roman von August Becker: Vervehmt. Berlin 1868. einzubeziehen, der sarkastisch die literarische Szene der Berufenen mit verschlüsselten Namen beschreibt. 23 Elmar Roeder: Der konservative Publizist Ernst Zander und die politischen Kämpfe seines "Volksboten ". München 1972. 24 Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 1983. Franz Schnabel: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd 4. Die religiösen Kräfte. Freiburg/Br. 19553 . Des weiteren sei aus der breit gefächerten Literatur genannt: Heinz Hürten: Kurze Geschichte des Katholizismus. 1800-1960. Mainz 1986. Anton Rauscher (Hg.): Probleme des Konfessionalismus in Deutschland seit 1800. Paderborn u.a. 1984. Heribert Raab: "Lutherisch-deutsch". Ein Kapitel Sprach- und Kulturkampf in den katholischen Territorien des Reiches. In: ZBLG 47 (1984), 15-42. Karl Buchheim: Ultramontanismus und Demokratie. Der Weg der deutschen Katholiken im 19. Jahrhundert. München 1963. Ono Weiß: Der Ultramontanismus. Grundlagen - Vorgeschichte - Struktur. In: ZBLG 41 (1978), 821-877. Werner Blessing: Staat und Kirche in der Gesellschaft. Institutionelle Autorität und mentaler Wandel in Bayern während des 19. Jahrhunderts. Göttingen 1982. Wilfried Loth (Hg.): Deutscher Katholizismus im Umbruch zur Modeme. Stuttgart u.a. 1991.

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A. Einleitung

sches Unterlegenheitsgefühl manifestierte, das nach dem Kulturkampf Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland diskutiert wurde2!l. Zur Klärung des Wissenschaftsverständnisses in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden zeitgenössische Akademie- und Rektoratsreden26 sowie zentrale Lexika27 herangezogen. Anhand solcher Beispiele lassen sich besonders die konfessionell bedingten Wissenschaftsauffassungen illustrieren. Hierfür eignen sich auch die Protokolle der Katholikentagell , bei denen sich deutlich der Offensivcharakter des politischen Katholizismus manifestierte. Als Grundtenor durchzog alle diese Versammlungen der Appell zur Einheit der Katholiken und zur Bekämpfung der katholischen Inferiorität in Schulen und Universitäten. Zum Leben der Berufenen in München geben Tagebuchaufzeichnungen und Briefwechsel Auskunft, die teilweise auch ediert vorliegen29 • Briefwechsel spiegeln zusammen mit Tagebüchern die frei von der Seele geschriebenen Eindrücke wider; positive Beobachtungen, besonders jedoch ärgerliche, teils boshafte Bemerkungen wurden unverblümt und ohne Rücksichtnahme auf Kollegen oder gar den König formuliert. Mit Hilfe dieser Quellen lassen sich das Leben der Gelehrten und Literaten in München, ihre gesellschaftlichen Gepflogenheiten, ihre Anschauungen, ihr Zusammengehörigkeitsgefühl, aber auch ihre Rivalitäten nachvollziehen. Die Nachlässe und Autographen in der Bayerischen

2!1 Vgl. die Untersuchung von Martin Baumeister: Parität und katholische Inferiorität. Untersuchung zur Stellung des Katholizismus im Deutschen Kaiserreich. Paderbom u.a. 1987. 26 Vgl. z. B. die heftig umstrittene Rede von Johann Nepomuk Ringseis: Über die Nothwendigkeit der Autorität in den höchsten Gebieten der Wissenschaft. Rektoratsrede am 11.12.1855. München 1855. Die Festreden vor der Akademie der Wissenschaften (1846-1864) von Thiersch und Liebig sind in der Bayerischen Staatsbibliothek chronologisch gebunden unter der Signatur 4' Bavar. 2132 U• Y• 27 Johann Caspar Bluntschli, Karl Brater: Deutsches Staats-Wörterbuch. Bd. 1-11. Stuttgart, Leipzig 1857-1867. Karl Rotteck, Karl Welcker: Das Staats-Lexikon. Bd. 1-14. Leipzig 18561866). Hermann Rolfus, Adolph Pfister: Real-Encyklopädie des Erziehungs- und Unterrichtswesens nach katholischen Principien. Bd. 1-5. Mainz 1863-1884. Heinrich Joseph Wetzer, BenediktWeite: Kirchen-Lexikon oder Encyklopädie der katholischen Theologie und ihrer Hilfswissenschaften. Bd. 1-12. Freiburg/Br. 1847-1856. II Verhandlungen der [1. bis 16.] Versammlung des katholischen Vereines Deutschlands. 18481864. Die Haltung des Katholizismus zur Wissenschaft wurde auf Initiative Döllingers intensiv diskutiert bei: Verhandlungen der Versammlung katholischer Gelehrten [sie] in München vorn 28. September bis 1. Oktober 1863. Regensburg 1863. 29 Als Editionen seien hier erwähnt: Erich Petzet (Hg.): Der Briefwechsel von Emanuel Geibel und Paul Heyse. München 1922. Kurt Sundermeyer: Friedrich Bodenstedt und die Lieder des "Mirza Schaffy". Diss. Kiel 1930 (enthält Tagebuchaufzeichnungen Bodenstedts). August Wilhelm Hofmann (Hg.): Aus Justus Liebig's und Friedrich Wöhler's Briefwechsel in den Jahren 18291873. Braunschweig 1888. Johann Gustav Droysen: Briefwechsel. Hrsg. v. Rudolf Hübner. Leipzig, Berlin 1929.

11. Forschungsstand und Quellenlage

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Staatsbibliothek30 erlauben einen Blick hinter die Kulissen und modifizieren das oftmals in den Memoiren hannonisch gezeichnete Bild. Als informativ erwiesen sich die Erinnerungen von Johann Caspar Bluntschli, Felix Dahn, Julius Grosse, Paul Heyse und Wilhelm Heinrich Riehpl, bei denen etwas zaghafter als in den Briefwechseln über Zeitgenossen und Ereignisse geurteilt wurde, da sich im Rückblick vieles verklärte. Die Wissenschaftspolitik und der Bildungshunger Maximilians 11., das Leben der Berufenen in München und deren Auseinandersetzungen mit den Einheimischen nahmen in den Memoiren einen breiten Raum ein. Der Nordlichterstreit soll hier nicht nur auf der Basis von Selbstzeugnissen sowie der Aktenlage von Universität und Ministerien erläutert werden, sondern es sollen auch die Strömungen der öffentlichen Meinung Beachtung finden. Die Auswertung der zeitgenössischen Presse, die der Wissenschaftspolitik Maximilians und dem Nordlichterkonflikt große Aufmerksamkeit schenkte, ermöglicht einen Einblick in die damalige Diskussion. Als Grundlage wurde ein Pressequerschnitt aus bayerischen Zeitungen erarbeitet: Die Allgemeine Zeitung, die die Wissenschaftspolitik Maximilians 11. und die Berufenen mit zahlreichen Artikeln unterstützte, galt als gemäßigt liberales Blatt und war damals das dominierende Presseorgan im deutschen Sprachraum32 • Auch in der offiziösen Neuen Münchener Zeitung und den Neuesten Nachrichten fanden die Berufenen Beistand. Dagegen lehnten die Historisch-Politischen Blätterfürdas katholische Deutschland die Berufungen von protestantischen Gelehrten nach München ab. Ebenso, nur in noch viel schärferem Ton, bekämpfte der täglich erscheinende Volksbote für den Bürger und Landmann, der sich betont katholisch und konservativ gab, die 'Nordlichter'. Das Satireblatt Münchener Punsch nahm die Berufenen oftmals als Zielscheibe scharfer Satiren und Karikaturen. Zum Nordlichterstreit entstanden einige Flugschriften, die große Beachtung bei den Zeitgenossen fanden. An erster Stelle ist hierbei der Münchner Nord-

30 Besonders ergiebig waren die Nachlässe von Franz Löher, Joseph Haller, Paul Heyse, Justus von Liebig und Franz Seraph von Pfistenneister. 31 Johann Caspar Bluntschli: Denkwürdiges aus meinem Leben. Zweiter Teil. Die deutsche Periode. Erste Hälfte. München 1848-1861. Nördlingen 1884. Felix Dahn: Erinnerungen. 4 Bde. Leipzig 1890-1895. Julius Grosse: Ursachen und Wirkungen. Lebenserinnerungen. Braunschweig 1896. Paul Heyse: Jugenderinnerungen und Bekenntnisse. Bd. 1. Aus dem Leben. Stuttgart 1912'. Wilhelm Heinrich Riehl: Kulturgeschichtliche Charakterköpfe. Leipzig 18922 • 32 Unter den Korrespondenten der Allgemeinen Zeitung befanden sich auch zahlreiche Professoren, die allerdings nicht namentlich im Blatt genannt wurden. Für die Identifizierung einer langen Liste von Autoren der einzelnen Artikel danke ich herzlich Frau M. Weigl vom Cotta-Archiv in Marbach a.N.

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A. Einleitung

licht-Kalender3 zu nennen, der sich an ein breites Publikum wandte und die Berufenen polemisch angriff. Nützliche Rückschlüsse auf die Bewertung der Wissenschaftspolitik lassen sich durch zeitgenössische Biographien und Schriften zu Maximilian 11. sowie durch eine Sammlung von Trauerreden in der Bayerischen Staatsbibliothek zum Tod des Monarchen im Jahr 1864 ziehen3' . Den umfangreichsten und wichtigsten Quellenbestand für die Dissertation bildet der bislang unter dieser Fragestellung noch nicht systematisch ausgewertete Nachlaß Maximilians 11. im Geheimen Hausarchiv in München. Dieses Material wirft ein Licht auf die zögerliche und gewissenhafte Regierungsweise Maximilians 11., der stets von verschiedenen Seiten umfangreiche Gutachten einzog. Sein Drang, alle Gedanken schriftlich niederzulegen, bietet dem Historiker Einblicke in die schwankenden Ansichten des Herrschers. Außerdem ermöglichen die verschiedenen Stellungnahmen der zahlreichen Ratgeber sowie die Vorlagen aus den Ministerien eine Skizzierung der Wissenschaftspolitik Maximilians 11.

Im Geheimen Hausarchiv lagert nicht nur Material, das die Perspektive des Herrschers erhellt, sondern auch Teile des Nachlasses des Kabinettssekretärs Franz Seraph von Pfistermeister und des Kultusministers Theodor von Zwehl. Darin befinden sich neben internen Briefwechseln mit Maximilian 11. über die Stimmungslage an der Universität und zu Berufungsplänen auch vertrauliche Schreiben des Ministerpräsidenten von der Pfordten, der oftmals bei Pfistermeister über den Regierungsstil des Königs und dessen Ratgeber klagte. Diese Schlaglichter auf den Beraterkreis um Maximilian werden ergänzt durch den Nachlaß von der PfordtensH , aus dem Briefe verschiedener Absender die Intrigen am Hof illustrieren und dazu beitragen, die oftmals schlechte Stimmung der Ministerialbürokratie über die Saumseligkeit und den Wankelmut Maximilians 11. nachzuvollziehen. Im Bayerischen Hauptstaatsarchiv befinden sich neben den Volksstimmungsberichten noch Quellen, die nähere Einblicke in die Wissenschaftspolitik und zum Problem der Presselenkung durch die Regierung geben. Außerdem

33 Münchner Nordlicht-I. Doenniges war für Preußen eine inter. es sante Informationsquelle. Er wirkte durchaus "als eine Art von 'Geheimagent''' 136; so findet sich eine Abschrift eines außenpolitischen Gutachtens von Doenniges für den bayerischen König, das der preußische Gesandte nach Berlin weitergeleitet hatte l37 • Seit dem Jahr 1852 erkannte der preußische Gesandte wegen der immer heftiger werdenden Angriffe gegen den Berater, daß zwar vertrauliche Informationen aus der Residenz zu erhalten waren, aber eine tatsächliche Beeinflussung des Königs nicht stattfinden konnte. Bei allen Hoffnungen, die Doenniges beim Gesandten weckte, den Herrscher lenken zu können - so berichtete Bockelberg etwa, wie er zusammen mit Doenniges Gedankenspiele anstellte, welche neuen Minister nach einem Sturz v~n der Pfordtens ausgewählt werden könnten 138 mußten die preußischen Diplomaten bald einsehen, daß bei der bedächtigen Regierungsweise Maximilians eine Einflußnahme schwierig war139 • Auch dem

13' Vgl. GStAPK HA III 309, Bockelberg an Manteuffel, 25.11.1851. Bockelberg plagte die Angst, daß sich das Verhältnis zu von der Pfordten dramatisch verschlechtern könnte, falls der Ministerpräsident das Doppelspiel Doenniges' entdecken würde, vgl. ebd., 6.1.1852. m "Gewöhnlich pflegt Seine Majestät nach Eingang der schriftlichen Gutachten dergleichen Gegenstände noch mündlich mit Herrn Doenniges durchzusprechen ... " GStAPK HA III 309, Bockelberg an Manteuffel, 24.1.1852. 136 Roeder, Publizist Zander, 226, vgl. ebd. 226 f. 137 Der Gesandte wies darauf hin, "daß die in dieser Abschrift mit Blei gekennzeichneten Stellen im Originale von der Hand Seiner Majestät des Königs selbst angestrichen sind, also wohl ein Rückschluß auf dasjenige zu richten gestatten, was die Aufmerksamkeit dieses Monarchen darin besonders in Anspruch genommen hat." Des weiteren bat er darum, "von der Beilage dieses gehorsamsten Berichts nur den sorgfältigsten und beschränktesten Gebrauch zu machen und jede Verlautbarung deren Besitzers, hochgeneigtest vorbeugen zu sollen." GStAPK HA III 312, Bockelberg an Manteuffel, 4.1.1854. Auch in Wien fand sich in Abschrift ein Gutachten Doenniges' zur Italienischen Frage; hier könnte von der Pfordten, der zu den österreichischen Geschäftsträgern gute Kontakte pflegte, als ÜbermittIer gewirkt haben. Vgl. HHStA PA IV 25, März 1859. 13& "Wir gingen hierauf alle Männer durch, welche irgend in Betracht gezogen werden vermöchten." GStAPK HA III 309, Bockelberg an Manteuffel, 8.3.1852. 139 " ••• daher ist es doppelt schwer, eine Einwirkung auf seine [= Maximiliansl Anschauungen zu üben." GStAPK HA III 312, Bockelberg an Manteuffel, 3.11.1853.

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B. Wissenschaftspolitik Maximilians II.

preußischen Gesandten blieb die rapide sinkende Bedeutung Doenniges' im Jahr 1852 nicht verborgen. Der Berater fand immer weniger Möglichkeiten, in persönlichen Kontakt mit dem Herrscher zu treten. Das preußische Mißtrauen gegen Doenniges nahm erneut zu, wobei in den Berichten nach Berlin verstärkt auf das ungeschickte, brüske Auftreten sowie das wenig solide Privatleben hingewiesen wurde"". Bei Regierungsantriu Maximilians 11. gehörte Doenniges zu den Mitarchitekten der Triaspolitik, gemäß der Bayern dazu berufen war, als gleichberechtigte dritte Macht neben Österreich und Preußen eine leitende Funktion zu übernehmen'''. Noch zu Beginn des Jahres 1851 stellte der österreichische Gesandte bei Doenniges einen gehäßigen "Antagonismus gegen Preußen" 142 fest, aber bereits kurze Zeit später orientierte sich der Berater immer stärker an Preußen. Doenniges warnte nun davor, Maximilian 11. durch usurpatorische preußische Töne zu erschrecken, und somit in das "Oesterreichische Lager"'43 zu treiben. Dem österreichischen Gesandten blieb Doenniges' Annäherung an Preußen nicht verborgen, wobei er auf die Gefahr verwies, daß der Berater seinen König mißtrauisch gegen Österreich stimmen könnte. In diesem Zusammenhang interpretierte der österreichische Gesandte auch die nun einsetzenden Berufungsverhandlungen mit preußischen Professoren als eindeutigen Beleg für eine Hinwendung Bayerns nach Preußen'''. Doenniges produzierte sich gerne in der Rolle eines Vermittlers zwischen Bayern und Preußen, der mit genauer Kenntnis der Lage in beiden Ländern zu sondieren versuchte, indem er Kontakte knüpfte und Informationen austauschte. Er stellte seine Informantentätigkeit auch in den Dienst der Allgemeinen Zeitung. Dies geschah jedoch nicht immer nur aus Eigenmächtigkeit, sondern in vielen Fällen auf Wunsch oder mit Billigung der bayerischen Regierung. Die Allgemeine Zeitung ihrerseits wußte diese Funktion sehr wohl zu schätzen, da Doenniges des öfteren mit seinen vertraulichen Hinweisen der Zeitung einen wichtigen Nachrichtenvorsprung verschaffte"~. Doenniges konnte sich stets

,.

m Vgl. Verhandlungen des katholischen Vereines, Michaelis, 22.9.1853, 165: "unsere Feinde wissen es am besten, welche Wunde sie uns schlagen, wenn sie unsere Universitäten zerttiimmem." Vgl. auch AEM Ordinariat 288, Stiftung des Pfarrers Franz, 22.12.1861, 25.11.1863. 236 Vgl. dazu die ausführliche Untersuchung von Brandt, Katholische Universität, 145-169; 216 f.; Dickerhof, "Katholische Universität", 149-157; Dickerhof, Katholische Universität und pluralistische Gesellschaft, 157-183. 237 Vgl. AEM Ordinariat 289, Münchener Ordinariat an Ludwig II., 28.11.1864; Verhandlungen des katholischen Vereines, Vorwort, Mai 1849, XII; ebd. Moufang, 9.5.1849, 25 f.; ebd. Merz, 25.9.1850, 159 f.; ebd. Heinrich, 21.9.1863, 92. 23' Buß, Reform der katholischen Gelehrtenbildung, 399, vgl. auch IV-VI, 259,273,278,293, 298-300,400,417,425; Buß, Unterschied der katholischen und protestantischen Universitäten, 2, 262-264, 379 f.

264

D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

Bürokratie ihres katholischen Wesens beraubt worden sei. Mit dem Vordringen protestantischer Gelehrter habe "in den positiven Wissenschaften jener aufzehrende, verderbende Rationalismus" und "jener ausschließende blinde Empirismus"239 Fuß gefaßt. Außerdem seien die Universitäten wegen ihrer Staatsabhängigkeit zu "bloßen Abrichtungsanstalten der Beamtung"240 geworden, die sich nur noch um fachwissenschaftliche Einzelaspekte kümmerten, während ganzheitliche, philosophisch-theologische Lehrinhalte in den Hintergrund gerückt wurden. Die Studenten hätten zuviel Freiraum zur Selbstentwicklung, obwohl es gerade für junge Leute notwendig sei, straffe Anleitung und Erziehung zu erhalten. In verstärktem Maße müßten die Studenten nach dem Vorbild der kirchlich gestifteten mittelalterlichen Universitäten zu Glaube und Gehorsam erzogen werden24 ,. Da katholische Studenten an den durch Aufklärung und Protestantismus dominierten Universitäten in der Gefahr stünden, ihren Glauben zu verlieren, müsse für eine katholische Universität gesorgt werden, die in allen Wissenschaftsbereichen auf katholischen Grundsätzen beruhte. "Wissenschaftliche Ausbildung ohne Gefahr für das Seelenheil "242 war nur an Schulen und Universitäten möglich, die den katholischen Dogmen entsprachen. Die Katholiken lehnten das staatliche Unterrichtsmonopol ab, das sie für die Benachteiligung der Katholiken im Bildungsbereich hauptsächlich verantwortlich machten. Die Belange katholischer Gläubiger sollten in Erziehung, Bildung und Wissenschaft stärker von den deutschen Regierungen berücksichtigt werden243 . Wegen der Zerstörung des katholischen Bildungswesens im Zuge der Säkularisation und dem konsequenten Zurückdrängen des kirchlichen Einflusses hatte der Katholizismus bislang gesichert geltende Vorrechte verloren. Wäh-

230

Ebd. 280; vgl. auch 414.

240 Ebd. 24' Vgl. ebd.; Buß, Refonn der katholischen Gelehrtenbildung, 1-3, 300-305. 242 HPBI 52 (1863), Schaezler, Freie katholische Universität, 37; vgl. auch Buß, Refonn der katholischen Gelehrtenbildung, 431-442; Verhandlungen der katholischen Vereine, Phillips, 22.9.1863, 139 f.; Giesebrechts Geschichtsmonopol, 6 f.; Denzler, Bayerische Bischofskonferenz, 793 f.; Weber, Katholizismus und protestantischer Bildungsanspruch, 158 f. 243 "Aber die katholischen Untertbanen zahlen so gut ihre Steuern, wie die protestantischen, und sie können fordern, daß die Anstalten in einem katholischen Sinne' errichtet und geleitet werden. Wogegen wir uns erklären, das ist das Staatsmonopol der Erziehung und des Unterrichts." Verhandlungen der katholischen Vereine, PhilIips, 22.9.1863, 140. Vgl. Denkschriften des bayerischen Episkopats für Maximilian 11., 20.10.1850 und 15.5.1853, in: Huber, Staat und Kirche Bd. 2, 128, 147-150; Lukas, Schulzwang, ein Stück moderner Tyrannei, 19-34; Mast, Erziehungsanstalten, in: Wetzer/Welte Bd. 3,700-704; Garhamrner, Götzenbild des alleinlehrenden Staates, 118, 121; Garhamrner, Reisach, 85-92; Benz, Riedei, 111-121; Kirzl, Staat und Kirche, 186-194; Kraus, Ringen um kirchliche Freiheit, 184-188; Buchheim, Ultramontanismus und Demokratie, 136, 146 f.; Andernach, Einfluß der Parteien, 19-25, 86-96.

11. Nordlichterstreit

265

rend der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich im deutschen Katholizismus eine Haltung, die darauf zielte, die staatliche Vorherrschaft im Bildungswesen zugunsten der Kirche zu brechen. Erziehung und Ausbildung sollte nach katholischer Ansicht nicht alleinige Staatsaufgabe sein, sondern die Erziehung in erster Linie den Eltern obliegen, die darin von der Kirche unterstützt wurden244 • Das staatliche Unterrichtsmonopol sowie der Ausbau des staatlichen Bildungswesens wurde von katholischer Seite als Ausdruck glaubensloser Tyrannei gesehen, die zu Orientierungslosigkeit und Unruhe führte, weil auf den konfessionell indifferenten Staatsanstalten ausschließlich Wissen und Verstandesbildung vermittelt wurden, aber keine Erziehung zu Glaube, Sitte, Charakterfestigkeit, Gottesfurcht und Gehorsam stattfand24S • Mit der Bürokratisierung und Verweltlichung des modernen Staatswesens konnte eine zunehmend glaubensfeindliche Orientierung des Bildungswesens Boden gewinnen. Der alle Lebensbereiche vereinnahmende Staat habe eine stetige Entchristlichung der Gesellschaft verursacht, die den Einsturz der alten Ordnung begünstigte". Die Universitäten verloren ihren Charakter als "katholisch-wissenschaftliche Corporation" und "wissenschaftlich-autoritative Instanz "247 , die umfassend lehrte, erzog und zum Glauben führte. Der Umbau der Universitäten zu Staatsanstalten, die zunehmende bürokratische Kontrolle und die Stellung der Professoren als Staatsdiener hätte die Gleichgültigkeit gegenüber dem Glauben gesteigert. Dagegen wurde von liberaler Seite die Pflicht des modernen Staates betont, für Einrichtung, Ausstattung sowie Unterhalt des Bildungswesens zu sorgen. Kirchliche Einflüsse auf das Bildungswesen sollten unterbleiben; zwar habe die Kirche im Mittelalter sich Verdienste als Träger von Bildungsinstitutionen erworben, doch wurde in der Neuzeit der Anschluß an neue Entwicklungen verpaßt. Außerdem verlor die Kirche ihre bislang vorherrschende Stellung wegen der zunehmenden allgemeinen Säkularisierung, in der konfessionelle Auffassungen in den Hintergrund gerieten, und sich die Wissenschaften zunehmend mit rein weltlichen Phänomenen befaßten. Da sich das von der Kirche getragene Bildungswesen zu sehr auf theologische Inhalte fixierte und durch religiöse Vorbehalte beschränkt wurde, erschien der Staat besser geeignet, die Bildung seiner Bürger zu gewährleisten. Eine einseitig konfessionelle Orientierung

244 Vgl. Lukas, Schulzwang, ein Stück moderner Tyrannei, 40; Ruckgaber, Unterrichtsfreiheit, in: Wetzer/Welte Bd. 11,455-459. 245 Vgl. z. B. Lukas, Schulzwang, ein Stück moderner Tyrannei, 41, 45, 50, 148. 2..

Vgl. Häusle, Universitäten, in: Wetzer/Welte Bd. 11,446.

Ebd. 451: "Hier begegnet uns das bureaucratisch-geordnete, religiös-indifferente Professorenthum, die bloße Unterrichtsanstalt für staatliche Zwecke, weder lehrend, noch erziehend, bloß unterrichtend und hier und dort etwa abrichtend". 247

266

D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

von Wissenschaft und Bildung sollte durch die staatliche Aufsicht, Auswahl, Ausbildung und Bezahlung der Lehrkräfte verhindert werden. Ein von 'ultramontanen' Tendenzen dominiertes Bildungswesen wurde von liberalen Gelehrten, wie dem Münchener Staatsrechtsprofessor Johann Caspar Bluntschli, als Hemmschuh für Bildung und Fortschritt angesehen: "Soweit die Macht des Ultramontanismus reicht, wird der Geist der Nation verdüstert, die allgemeine Volksbildung gehemmt, die Bildung der höhern Klassen zu einer geistlichen Abrichtung verdorben, aller wirthschaftliche und technische Fortschritt untergraben und gebunden, in den Familien Unfrieden und Mißtrauen, Beängstigung ausgesäet, das Selbstvertrauen der Völker geknickt und gedemüthigt, jede freie Regung des Geistes unterdrückt, die Wissenschaft von der Kirche geknechtet, der Staat entmannt und entwürdigt, das modeme Leben versumpft und erstickt. "248 Die kirchliche Vormundschaft über die Wissenschaften brachte Verengungen und Einschränkungen mit sich, während dagegen der Staat als Garant der freien wissenschaftlichen Entwicklung erschien. Dabei durfte der Staat allerdings lediglich für günstige Rahmenbedingungen sorgen, die Inhalte sollten von den Forschern völlig frei bestimmt werden249 • Wie in seinen Lexikonartikeln forderte Bluntschli auch bei den Gutachten für Maximilian 11. staatliche Obhut für die Wissenschaften, wobei die Ausübung kirchlicher Autorität im Bildungsbereich als Unterdrückung der Wissenschaften verurteilt wurde: "Die Folge davon ist die geistige Erniedrigung des Staates und der Nation, Rückschritt der Civilisation, die zu schützen eine Pflicht und ein Recht des Staates ist. "250 Der Staat mußte nach Bluntschlis Auffassung darauf achten, daß die Gläubigen nicht in einen Widerspruch zur Staatsordnung gerieten; der Gehorsam gegenüber der Kirche sollte auf keinen Fall die Loyalität der Gläubigen zum Staat in Frage stellen. Die Kirche durfte sich nicht zur Gefahr für den Fortbestand des Staates entwickeln. Das Christentum sollte sich als moralische Kraft entfalten können, aber keinesfalls als politischer Machtblock innerhalb des Landes etablieren. Den zentralen Aspekt im Verhältnis von Kirche und Staat sah Bluntschli im Bereich von Bildung und Wissenschaft; der Kirche gebührten zwar Teilhaberechte für Erziehung, Glaube und Moral, während jedoch die Oberleitung des Bildungswesens eindeutig dem Staat vorbehalten

248 Bluntschli, Ultramontanismus, in: Bluntschli/Brater Bd. 10,641; vgl. auch Frohschammer, Erziehung, in: BluntschlilBrater Bd. 3, 433 f.; Holtzmann, Schule, in: BluntschliIBrater Bd. 9, 265,278-280; Eckstein, Schulen, in: RottecklWelcker Bd. 13, 197-199; Held, Universitäten, in: RottecklWelcker Bd. 14, 789 f.; Eckstein, Unterricht, in: RottecklWelcker Bd. 14, 28l. 249 Vgl. Bluntschli, Akademie, in: BluntschlilBrater Bd. I, 116; Bluntschli, Lchr- und Lcmfreiheit, in: BluntschlilBrater Bd. 6, 367 f. 250 GHA NI Max 78/1/114 (27/3/4), Bluntschli, "Zur Erinnerung an das Gespraech bei seiner Majestaet über das Verhaeltniß des Staates zur Kirche", 16.2.1856.

II. Nordlichterstreit

267

bliebm . Die Wissenschaften sollten keinesfalls in ihrer Unabhängigkeit durch konfessionelle oder staatliche Vorbehalte beschränkt werden: "Freiheit ist das Lebenselement der Wissenschaft. "2'2 Als Verfechter der Wissenschaftsfreiheit trat auch der katholische Theologe und Philosoph Jakob Frohschammer auf, der nach seiner Lehrtätigkeit an der Theologischen Fakultät der Münchener Universität auf Intervention Maximilians 11. einen Lehrstuhl an der Philosophischen Fakultät verliehen bekam. Nicht zuletzt aufgrund der 1861 publizierten Schrift "Ueber die Freiheit der Wissenschaft", die neben zwei anderen seiner Werke auf den Index gesetzt wurde, geriet Frohschammer in Konflikt mit der Amtskirche, bis er 1863 von seinen geistlichen Funktionen suspendiert, und 1871 exkommuniziert wurde. Das Beispiel Frohschammers illustriert das Erstarken der neuscholastischen und 'ultramontanen' Richtung des Katholizismus, die mit Härte gegen aufgeklärte Ideen vorgingm. In der zeitgenössischen Öffentlichkeit erregte der Fall Frohschammer großes Aufsehen, wobei vor allem die rigorose Vorgehensweise der Amtskirche gegen den Priester als Beleg für die 'ultramontane' Gesamthaltung der katholischen Kirche gewertet wurde2,",. Maximilian 11. hielt trotz aller Turbulenzen stets zu Frohschammer, der zu Beginn der 1860er Jahre vehement gegen die dogmatische Stellung des Papsttums und gegen kirchliche Bevormundung der Wissenschaften eintrat. Frohschammer plädierte dafür, daß die Wissenschaften nur ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten, und nicht fremden unwissenschaftlichen Vorgaben folgten. Bei Erfassung und Interpretation wissenschaftlicher Phänomene sollten keine dogmatischen Schranken oktroyiert, sondern die rationale Verifikation und Argumentation ermöglicht werden. Die Unterwerfung unter eine höhere Autorität, wie sie von katholischer Seite eingefordert wurde, lehnte Frohschammer als Behinderung der Forschung ab: "Nur durch freie Vernunftprüfung hat das Christenthum Eingang gefunden in

2"

Vgl. GHA NI Max 78/11114 (27/317), Bluntschli an MaximiIian 11., 10.4.1856.

m [Bluntschlil anonym, Kampf der liberalen und der katholischen Partei, 93. Vgl. auch AZ 15.11.1858 (Sybel), 5146. m Vgl. Frohschammer, Autobiographie, 62-69, 73; Lachner, Frohschammer, 50-53, 74 f.; Hausi, Frohschammer, 180-187; Landersdorfer, Gregor von ScheIT, 301-314. 2,", Vgl. l. B. AZ 16.4.1863 (Frohschammer), 1748; AZ 21.4.1863 (Huber), 1828; GHA NI Max 74/5/15 c (monatlich), Fischer an MaximiIian H., "allgemeine Volksstimmung während des Monats April 1863", 13.5.1863; Fischer an MaximiIian H., "allgemeine Volksstimmung während des Monats Mai 1863", 20.6.1863. Obwohl sich Frohschammer "einigemale allzuschroff" in seinen Schriften geäußert habe, teilte der Münchener Theologe Ignaz von Döllinger die Kritik am harten Vorgehen Roms: "Ich kann wohl sagen, daß ich in den 37 Iahren meines Wirkens an hiesiger Universität kein so trauriges, voraussichtlich so nachtheiIig wirkendes Ereigniß erlebt habe." GHA NI Max 78/1/111 (4/18/5), Döllinger, "Ueber das Verfahren gegen den Prof. Frohschammer", 14.4.1863.

268

D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

die Menschheit, nicht durch Unterwerfung unter die Auctorität, und durch Verzichten auf selbstständige Forschung." m Der Gelehrte sollte nicht mit bereitwilligem Gehorsam im Offenbarungsglauben verharren; alle Aussagen waren rational und kritisch auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Auch Autoritäten mußten sich nach Frohschammer stets einer eingehenden Untersuchung stellen2s6 • Die Wissenschaften benötigten somit keinerlei übergeordnete Instanz, da eine Autorität nicht in der Lage war, über die wirklichen Bedürfnisse von Forschern oder die richtige Methode zu urteilen2S7 • Freiheit galt als wesentliche Voraussetzung für die gedeihliche Entfaltung der Wissenschaften. Bevor auf das Münchener Beispiel des Nordlichterstreits einzugehen ist, sollen die allgemeinen Ausführungen zur katholischen Wissenschaftsauffassung während der Mitte des 19. Jahrhunderts nochmals kurz zusammengefaßt werden. Die Katholiken beklagten das Vordringen eines aufgeklärten Bildungsverständnisses sowie die Säkularisierung der Wissenschaften, die zu Glaubensabfall und einer allgemeinen Entchristlichung des öffentlichen Lebens geführt hätten. Als Gegenentwurf zur gängigen liberalen und aufgeklärten Wissenschaftsauffassung des 19. Jahrhunderts wurde auf das Mittelalter, mit der als vorbildlich empfundenen Einheit von Geist, Kunst und Religion verwiesen. Reformation, Humanismus und Aufklärung schienen diese Universalität des Wissens beeinträchtigt zu haben, bis schließlich die Säkularisation das katholische Bildungswesen grundlegend zerstörte. Durch den Vergangenheitsbezug auf das Mittelalter wollten die katholischen Gelehrten alte Traditionen wiederbeleben, nach denen alle Lebens- und Wissensbereiche ihre Einheit im gemeinsamen Glauben zu finden hatten, da die einseitig rationale Verstandesbildung als wichtige Ursache für die gesellschaftlichen sowie politischen Umbrüche seit Ende des 18. Jahrhunderts bezeichnet wurde. Die freie Entwicklung der Wissenschaften hatte demgemäß zum Bruch der alten Ordnung, zu Willkür und anarchischen Zuständen geführt, weil Religion und Gehorsam nicht mehr respektiert wurden. Um diesen Zustand wieder umzukehren, sollte der Glaube an die göttliche Offenbarung in den Mittelpunkt

m

Frohschammer, Freiheit der Wissenschaft, 47, vgl. auch 38.

"Das Verdienst des Gillubens soll durchaus nicht in Abrede gestellt werden, aber es besteht doch sicher in etwas Anderem, als in blindem, priifungslosem Annehmen einer Offenbarung und Auctorität als göttlicher, weil sie sich als solche ankündigt! Und besteht ebenso wenig in urtheilslosem Fürwahrhalten dessen, was Gott geoffenbart hat." Ebd. 53, vgl. auch 62 ( 2S7 "Die Kirche, oder die Auctorität in ihren Trägern, hat weder die Aufgabe und Macht, noch die Fähigkeit, zu bestimmen, welches überhaupt oder in einer gegebenen Zeit die rechte wissenschaftliche Methode sey. Das kann nur die Wissenschaft selbst bestimmen; die Kirche ist keine wissenschaftliche Behörde oder Auctorität." Ebd. 91, vgl. auch 63; Bluntschli, Lehr- und Lernfreiheit, in: Bluntschli/Brater Bd. 6, 372-374; Bluntschli, Wissenschaft, in: Bluntschli/Brater Bd. 11, 207 f.; Welcker, Akademie, in: Rotteck/Welcker Bd. 1,398. 2S6

II. Nordlichterstreit

269

rucken und den Forschern bewußt werden, daß viele Phänomene der menschlichen Erkenntnis verschlossen blieben. Daher erhob sich vor allem Kritik an den rationalen, empirischen Naturwissenschaften, die den Menschen nicht als göttliche Schöpfung, sondern lediglich als Materie und Teil der Natur sahen. Das zu große Vertrauen auf die Wissenschaften schien den Hochmut des Forschers zu fördern, der glaubte, alles erklären zu können, was der göttlichen Offenbarung vorbehalten war. Durch den von Aufklärungsgeist bestimmten Wissenschaftsbetrieb wurde nach katholischer Ansicht dem Unglauben und Antikatholizismus Vorschub geleistet. Nur wenn die Kirche klare Schranken setzte, und die Wissenschaften fest in der Religion verankert waren, konnten sie sich in den richtigen Bahnen entwickeln. Alleine die Orientierung am katholischen Glauben garantierte somit eine zur Wahrheit führende Wissenschaft. Aus diesem Grund forderten die Vertreter des deutschen Katholizismus Bildungsinstitutionen, die der konfessionell geprägten Wissenschaftsauffassung entsprachen. Die Katholiken fühlten sich aufgrund der staatlichen Dominanz im Bildungswesen benachteiligt durch eine nach antikatholischen Prinzipien verfahrende Bürokratie, die systematisch von glaubensbestimmten Inhalten wegführte. Da Bildung und Wissenschaft als Machtfaktoren für das öffentliche Leben erkannt wurden, bedeutete die Benachteiligung der Katholiken in diesem Bereich auch eine Verdrängung des katholischen Einflusses in Gesellschaft und Politik. Insgesamt verdeutlichte die katholische Diskussion um Wissenschaft und Bildung - nicht zuletzt die rigorose Behandlung des Falles Frohschammer sowie die zunehmende Kritik Döllingers an der römischen Hierarchie -, wie die 'ultramontane' Richtung den Katholizismus zunehmend bestimmte. c)

Konfessionelle Standpunkte im Nordlichterstreit

Bei den Verhandlungen der Katholikentage über die katholische Wissenschaftsauffassung wurde häufig auf München verwiesen. Anders als unter Ludwig I. spielte die Stadt während der Regierungszeit Maximilians 11. nicht mehr in so bestimmendem Maß die Rolle eines verläßlichen Anwalts für das katholische Deutschland. Des weiteren galt die Münchener Universität der 1850er und 1860er Jahre als mahnendes Beispiel, weil die Wissenschaftspolitik Maximilians 11. keine einseitig konfessionelle Orientierung mehr besaß2S8 • Die Katholiken fühlten sich durch die Wissenschaftspolitik Maximilians bedrängt und versuchten, mit Hinweisen auf die Entwicklung an der Münchener Universität das Bewußtsein für die Notwendigkeit eines stärkeren katholischen Engagements in den Wissenschaften zu stärken. Auf den Katholikentagen wurde die

21'

Vgl. Gollwitzer, Abel, 410 f.

270

D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

Berufungspraxis Maximilians 11. angeprangert, die zahlreiche Gelehrte geschickt zu benutzen verstanden, um ihre Vorstellungen durchzusetzen. Mit Anspielung auf München wurde davor gewarnt, daß einzelne Professoren "um einer Gehaltserhöhung willen gleich Trödeljuden von Ort zu Ort" zogen, wobei sie "durch marktschreierische Wissenschaftlichkeit Carriere zu machen "2'. versuchten. Je mächtiger die antikatholische Phalanx an den Universitäten zu werden drohte, desto schwieriger wurde es für junge katholische Talente, an den Universitäten unterzukommen2"'. Somit schien der Katholizismus unter dem Übergewicht der protestantischen, konfessionell indifferenten oder aufgeklärten Richtung zu leiden. Bei den Forderungen nach einer konfessionellen Umorientierung der Wissenschaften richtete sich die besondere Aufmerksamkeit auf Bayern als einem traditionellen katholischen Kernland. Die bayerische Bevölkerung sollte sich nicht durch Neuerungen ablenken lassen, sondern am althergebrachten Glauben unbeirrt festhalten. So wurde auf dem Katholikentag des Jahres 1861, der in München stattfand, in Gedichtform appelliert: "Drum bitt ich euch, ihr lieben Bayern, / Trotz aller Leierkasten Leiern: / Nur festgehalten an der Treue / Im Glauben, und hinweg das Neue! / Es ist und bleibt ein Phrasenregen / Und bracht' und bringt euch keinen Segen. "261 Große Bedeutung bei der katholischen Prägung der Wissenschaften hatte für alle Fachbereiche die personelle Ausstattung der Universitäten mit Dozenten, die das besondere Vertrauen der Amtskirche besitzen solltenl6l • Nur ein verläßlicher katholischer Lehrkörper erschien in der Lage, für eine unbedenkliche, dem katholischen Sinn entsprechende Ausbildung zu sorgen. Der Volksbote verwies in diesem Zusammenhang auf die Behandlung der Reformation im Fach Geschichte, die protestantische Gelehrte so positiv darstellen würden, daß junge Katholiken einen grundlegend falschen, im Widerspruch zur katholischen Lehre stehenden Eindruck bekämen26J • Selbst in anderen Fachrichtungen könnten katholische Grundsätze und Lehrauffassungen erschüttert werden, wenn

HO Verhandlungen der katholischen Vereine, Kreuser, 9.9.1861, 61. 2'" " ... immer gibt die immense antikatholische Majorität den Ton an. Thr Wort regiert Alles, ihre Meinung, ihre Richtung allein darf gelten. Wenn der junge katholische Gelehrte die Resultate seiner Studien veröffentlicht, so bedroht ihn die antikirchliche Kritik, und, wenn es gilt, Berufungen vorzunehmen, einen frei gewordenen Lehrstuhl zu besetzen, so fragt man natürlich die wissenschaftlichen Celebritäten und ... die akatholische Mehrheit pflegt die ihrigen zu empfehlen." Verhandlungen der katholischen Vereine, Moufang, 13.9.1864, 158. 261 Verhandlungen der katholischen Vereine, Kreuser, 9.9.1861, 62; vgl. auch Buß, Unterschied der katholischen und protestantischen Universitäten, 424. 262 Vgl. [Ringseis] anonym, Manifest der bayerischen Ultramontanen, 14 f. 26J Vgl. Vb 24.8.1855, 797.

11. Nordlichterstreit

271

etwa in der Medizin Zweifel an der Unsterblichkeit der Seele erhoben würden. Auf diese Weise konnten auch Wissenschaften, die auf den ersten Blick keine Berührungspunkte mit Glaubensfragen besaßen, ein enonnes Gefahrenpotential für den katholischen Glauben entwickeln. Die Notwendigkeit einer katholischen Orientierung umfaßte alle Wissensbereiche, gerade auch die venneintlich glaubensneutralen Naturwissenschaften. Die bayerischen Bischöfe fonnulierten in einer Eingabe an den bayerischen König: "Es wäre eine arge Täuschung, wenn man glauben würde, der große Kampf zwischen Christenthum und Antichristenthum, welcher fast identisch ist mit dem Kampfe zwischen der katholi~ sehen Kirche und dem was außer ihr ist, werde blos auf theologischem Gebiete gestritten. Im Gegentheil trägt das gegenwärtige Stadium dieses Kampfes gerade die Signatur, daß der Unglaube sich der weltlichen Wissenschaften zu bewältigen sucht, in sie sein zerfressendes Gift legt, und durch diese ungläubige und widerchristliehe Wissenschaften unbefangenen Jüngern derselben den religiösen Glauben aus dem Herzen reißt. "264 Auf die Geschichtswissenschaft konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der katholischen Würdenträger, da hier ein weiter Bereich gesehen wurde, der die Institution der Kirche und ihrer Würdenträger durch die historische Darstellung zu diskreditieren versuchte. Der Erfolg solcher Geschichtsschreibung sowie der große Zulauf zu den universitären Lehrveranstaltungen erklärte sich durch die wissenschaftliche, schriftstellerische und didaktische Befähigung der großenteils protestantischen Historiker6s • Die Dominanz von Historikern der RankeSchule entfaltete eine enonne Tragweite wegen der geschickten publizistischen Verbreitung ihrer Forschungen. Der Geschichtsunterricht an den Schulen bekam eine eminente Bedeutung für die weltanschauliche Prägung der jungen Katholiken zugesprochen; so äußerte ein Redner vor den Teilnehmern des Katholikentages: "Sie wissen, welch' gewaltiges Gewicht der Unterricht in der Geschichte für die Bildung unserer Jugend hat, und daß die Geschichte, wie sie der Jugend vorgetragen wird, unvertilgbare Spuren in dem Gemüthe des Jünglings zurückläßt, und daß diesem entsprechend sich seine weitere politische und religiöse Lebensanschauung entweder nach der rechten oder nach der verkehrten Seite hinwendet. "266

264 AEM Erzbischöfliches Hausarchiv 13, bayerische Bischöfe an Ludwig 11., 1865 [Hervorhebung im Original]. 26S Ebd.: " ... wie auch auf dem Wege der Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung das Christenthum und dessen Stifter, die Kirche und ihre Institutionen in der ungerechtesten und unbegründetsten Weise besudelt werden, und wie letzteres insbesondere auch von öffentlichen Lehrern in Bayern, bisweilen in der anziehenden Hülle einer vollendeten Darstellung auch was noch geflihrlicher ist, mit dem Scheine der unbefangensten Unpartheilichkeit, geschieht." 266 Verhandlungen des katholischen Vereines, Wosen, 23.9.1857, 220 f.

272

D. ÖffentIichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

Eine im antikatholischen Geist verfaßte Geschichte könnte die jungen Katholiken somit leicht vom Glauben abkehren, indem eine entstellende Darstellung die Kirche verleumdete, wenn zum Beispiel die Kreuzzüge im einem negativen Licht erschienen oder das Mittelalter zum dunklen Zeitalter der "'Barbarei' und 'Finsterniß'''267 degradiert wurde. Das katholische Deutschland verurteilte das Vordringen der protestantischen "Tendenzhistoriker" 26B, die sich als Feinde des Katholizismus bekannten. Die Dominanz der historisch-kritischen Schule erschien auch als eine Folge von Opportunismus und Karrieresucht aufstrebender Forscher, die sich unter Leugnung einer wahrhaften, christlich-katholischen Wissenschaftlichkeit für politische Zwecke benutzen ließen269 • Da Historiker vornehmlich an den staatlichen Universitäten Anstellungsmöglichkeiten fanden, gestalteten sie ihre Untersuchungen häufig im Sinn der Regierung, von der die weitere Universitätskarriere abhing. Aufgrund solcher Abhängigkeitsverhältnisse hätten sich Historiker oft veranlaßt gesehen, bei der Abfassung ihrer Werke nicht an die wissenschaftliche Objektivität zu denken, sondern an die eigene Karriere, die man nicht durch mißliebige politische Aussagen gefährden wollte. Nach katholischer Ansicht konnten sich besonders viele protestantischpreußische Historiker profilieren, die in ganz Deutschland tätig wurden, um ihre konfessionellen und politischen Auffassungen zu verbreiten270 . Besondere Kritik erhob sich in diesem Zusammenhang gegen das Münchener Historische Seminar, das zunächst von seinem Gründer Sybel, und ab 1862 von dessen Nachfolger Giesebrecht geleitet wurde. In dieser Funktion fiel den beiden protestantischen Historikern das alleinige Prüfungsrecht für Lehramtskandidaten zu. Angehende bayerische Geschichtslehrer erschienen somit in ihrer Ausbildung maßgeblich von protestantischen Dozenten beeinflußt. Um dies zu verhindern, forderten die bayerischen Bischöfe, "daß keinem Katholiken protestantischer Geschichtsunterricht gleichsam aufgezwungen werde";

267 Ebd. 224; 221: "Es haben die Katholiken oft genug die Hände in den Schooß gelegt, während die Gegner die Gelegenheit ergriffen, aus der Geschichte eine große Verläumdung der Kinder gegen die Eltern, der Nachkommen gegen ihre Vorfahren zu machen. Fragen Sie den ersten jungen Menschen, der heute von Berlin oder ... aus gewissen Collegien in München kommt und dort seine Bildung geholt hat, was die Kreuzzüge gewesen sind, er wird Ihnen allerlei zu sagen wissen, wie damals durch den Fanatismus einiger Wenigen das dumme Volk sich habe verleiten lassen, daß es Gut und Blut vergeudet habe an einer annseligen Aufgabe des Aberglaubens!" Vgl. auch Verhandlungen der katholischen Vereine, Jäger, 25.9.1860, 115. 268 [Roth von Schreckenstein] anonym, Moderne Geschichtswissenschaft, 17.

269 "Wissenschaftlichkeit bietet noch keineswegs eine sichere Gewähr gegen Charakterlosigkeit. Wie oft haben große Gelehrte, geblendet etwa durch den Glanz eines Hofes, der Wahrheit aufs Empfindlichste in's Angesicht geschlagen! Wer kennt nicht jene sog. historischen Schulen, die, obwohl ausgerüstet mit einem massenhaften Apparat von Gelehrsamkeit, gleichwohl im Dienste der Lüge stehen?" [Niedennayer] anonym, Klerus und Wissenschaft, 4. 270 Vgl. Klopp, Gothaische Geschichtsauffassung, 13-17, 56.

11. Nordlichterstreit

273

katholische Schüler und Studenten sollten "nicht in die Lehrsäle der ungläubigen oder protestantischen Geschichtslehrer"271 gezwungen werden. Geschichte galt als besonders wichtiges Fach, in dem junge Gläubige schon früh beeinflußt wurden. Daher war für die Katholiken eine streng konfessionelle Orientierung des Geschichtsunterrichtes an Schulen und Universitäten unabdingbar212 • Die Angst vor einer antikatholischen Indoktrination der angehenden Geschichtslehrer und somit des gesamten Geschichtsunterrichtes durch Giesebrecht thematisierte die 1865 anonym erschienene Schrift Giesebrechts Geschichtsmonopol im paritätischen Bayern. Darin wurde kritisiert, daß Giese c brecht, der sich bei seiner Münchener Antrittsvorlesung ausdrücklich als Preuße und Protestant vorgestellt hatte, so große Kompetenzen für die Gestaltung des bayerischen Geschichtsunterrichtes eingeräumt bekam. Auf diese Weise gerate das Land in Gefahr, durch kleindeutsche und protestantische Einflüsse unterwandert zu werden. Im wichtigen Fach Geschichte dürfe auf keinen Fall ein so dezidiert protestantischer und preußischer Historiker wie Giesebrecht das Lehrmonopol erhalten273 • Die Bayern wurden aufgerufen, nicht länger die antikatholischen Verleumdungen einer protestantisch-kleindeutsch geprägten Geschichtswissenschaft hinzunehmen, sondern für die konfessionelle Umorientierung zu kämpfen. Die Flugschrift appellierte, "die Weltgeschichte nicht mehr von dem unendlich beschränkten und krankhaft verwirrten protestantischen, sondern von dem erhabenen, Alles richtig durchschauenden und ordnenden Standpunkte der Wahrheit, das heißt von dem katholischen Standpunkte zu betrachten .... Wer noch länger den Tölpel machen will, der mag es thun auf seine Kosten und Gefahr: wir haben genug, wir Katholiken, wir thun es nicht. "274 Da die Rettung "vor dem socialen und religiösen Abgrund "215

271 AEM Enbischöfliches Hausarchiv 13, bayerische Bischöfe an Ludwig 11., 1865. Die Bischöfe forderten, den Geschichtsunterricht an den Schulen ganz den ReligionsIehrem anzuvertrauen, da diese "allein die nöthigen Garantien zu bieten vennögen, daß die katholischen Schüler in die katholische Geschichtsanschauung eingeführt und darin gefördert werden. " Vgl. auch die Denkschrift der bayerischen Bischöfe für Maximilian 11.,20.10.1850, in: Huber, Staat und Kirche Bd. 2, 128; Garhammer, Reisach, 87 f. 212 AEM Enbischöfliches Hausarchiv 13, bayerische Bischöfe an Ludwig 11., 1865: "Die Geschichte ist kein neutrales Gebiet, auf welchen sich gläubige und ungläubige Forscher, katholische wie protestantische Schriftsteller in allweg friedlich die Hände reichen könnten. Nach alter und immer gleichmäßiger Erfahrung prägt sich, abgesehen von gewissen wenigen feststehenden Thatsachen, in jedem geschichtlichen Eneugnisse die persönliche Richtung des Auctors aus, und es gibt darum ... eine christliche und unchristliche, eine katholische und eine unkatholische Geschichtsauffassung und Geschichtsdarstellung." Vgl. auch AEM Enbischöfliches Hausarchiv 5 a, Protokoll der Sitzung der bayerischen Bischöfe, 18.7.1865; Denzler, Bayerische Bischofskonferenz, 780, 793 f. 273 Vgl. Giesebrechts Geschichtsmonopol, 1-5, 9; Roeder, Publizist Zander, 249-252. 27. Giesebrechts Geschichtsmonopol, 13. 18 Sing

274

D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

allein in der katholischen Weltanschauung liege, mußten die katholischen Belange offensiv in allen wissenschaftlichen Bereichen vertreten werden. Die katholischen Forderungen nach einer konfessionellen Gestaltung der Wissenschaften waren durch eine antiprotestantische Zielrichtung gekennzeichnet. Der konfessionelle Antagonismus bildete eine Grundkonstante der Diskussion um das Wissenschaftsverständnis . Die Hinwendung zur Religion sollte gerade in Zeiten des Umbruchs Halt, Geborgenheit, Orientierung und Kontinuität vermitteln. Die Identifikation mit der Konfession bot einen festen Bezugspunkt und stärkte ein Gemeinschaftsgefühl, das durch politische Grundeinstellungen ergänzt werden konnte. So überschnitten sich in Bayern katholische mit konservativen Standpunkten, wobei Liberalismus und kleindeutscher Nationalismus abgelehnt wurden. Dies wirkte sehr stark auf die gläubige Bevölkerung, weil der Klerus sowie ein reges katholisches Vereins- und Pressewesen sich dafür offensiv einsetzten27'. Im Bereich der Wissenschaften organisierten sich die Katholiken mit großem Gemeinschaftsbewußtsein, das sich aus Inferioritätsängsten speiste. Die Gläubigen stellten sich hierbei unzweifelhaft in den Dienst der Kirche; so betonte der katholische Publizist Joseph Edmund Jörg, "daß die Organe der katholischen Wissenschaft innerhalb der Kirche stehen müssen, und daß sie in und durch die Kirche wie für die Kirche thätig zu seyn streben, und darin liegt ein auszeichnendes Merkmal der katholischen vor der protestantischen Wissenschaft. "277 Anders als die um ihre Selbstbehauptung kämpfenden Katholiken traten die Protestanten weit weniger geschlossen auf, zumal eine länderübergreifende oberste Hierarchie wie das Papsttum fehlte. Die Zugehörigkeit zu einer Konfession begründete sich zu einem erheblichen Teil durch die Ablehnung der anderen Konfession, so bekannten sich viele Gebildete, wie dies im Nordlichterstreit sichtbar wird, zum Protestantismus, um sich vom Katholizismus bewußt zu distanzieren27 •• Aus dem konfessionellen Antagonismus resultierten eine Reihe von stereotypen Vorurteilen, welche die öffentliche Diskussion beherrschten, so etwa die Gleichsetzung von Protestantismus und Deutschtum. Des weiteren galten die Katholiken als feste Einheit wegen ihrer Betonung von

m Ebd. 19.

Vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866,403-405; Gollwitzer, Bemerkungen zum politischen Katholizismus, 295 f.; Blessing, Kirchenfromm, 100-107. m HPBl 21 (1848), Jörg, Begründung einer katholischen Wissenschaft, 176. 27'

m "Im Anti-Katholizismus fühlen sich auch die Nicht-Christen noch 'protestantisch'." Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, 432, vgl. auch 423-431; Nipperdey, Arbeitswelt und Bürgergeist, 468,529 f.; Schnabel, Deutsche Geschichte Bd. 4, 358-362; Kantzenbach, Protestantische Geisteskultur, 16; Köhle-Hezinger, Konfession als Forschungsproblem, 226-236; Fries, Konfession, in: Staatslexikon Bd. 3, 609 f.; Grosse, Ursachen und Wirkungen, 150, 298.

II. Nordlichterstreit

275

Kirchentreue und der Ausübung von Frömrnigkeitsfonnen, die im Gegensatz zum aufgeklärt-rationalen Protestantismus als geistiger Zwang, bigotter Aberglaube oder Götzendienst diskreditiert wurden. In katholischer Perspektive kursierte als Absetzung gegen den Protestantismus das Selbstbild einer frömmeren und gefühlsbetonten Gläubigkeit, die einen sicheren Hort für die Gläubigen bot. Die lange Kontinuität und Tradition des katholischen Glaubens vermittelte zusätzliche Legitimität und Autorität. Der Katholizismus bot als politischer, gesellschaftlicher und weltanschaulicher Ordnungsfaktor Einheitlichkeit und Sicherheit, während Protestantismus von dessen Gegnern für Sittenverfall, zersetzende Ideen und Verweltlichung verantwortlich gemacht wurde279 • Daher sammelten sich die Katholiken mit dem Willen, als fester Block die eigenen Interessen zu verteidigen, wobei häufig harte Töne angeschlagen wurden, weil ein "schwerer Kampf mit dem Protestantismus"28o auszufechten war. Dies galt besonders für Wissenschaft und Bildung, wo protestantische Einflüsse schlechte Auswirkungen auf Staat und Gesellschaft nach sich gezogen hätten, da verwerfliche humanistische, rationalistische, unchristliche und revolutionäre Ideen durch den Protestantismus in die Wissenschaften vorgedrungen seien. Die schnelle Verbreitung des gefährlichen Gedankenguts in weiten Teilen der Bevölkerung sei aufgrund einer protestantischen Durchdringung des Bildungswesens sowie einer regen Publikationstätigkeit erfolgt. Auf diese Weise seien antikatholische Inhalte im Bewußtsein vieler Deutscher dauerhaft verankert worden2Sl • Diese Entwicklung führte zu einer Dominanz protestantisch geprägter Ideen in Deutschland, so daß deutsche Kultur häufig mit Protestantismus gleichgesetzt wurde, was insbesondere, ausgehend von der Bibelübersetzung Luthers, an der Pflege der deutschen Sprache lag282 . Aus der Betonung der kulturellen Überlegenheit des Protestantismus wurde im 18. Jahrhundert eine Gleichsetzung von protestantischer und deutscher Kultur abgeleitet, die bis weit in das

279 Vgl. Köhle-Hezinger, Evangelisch-Katholisch, 99-104; Zeeden, Katholische Kirche in Sicht des Protestantismus, 454 f.; Hase, Handbuch der protestantischen Polemik, XIV, 635-640; Riehl, Das katholische und protestantische Deutschland, 350-354; Westermayer, Katholisch und Protestantisch, 3-5, 85 f. 2"1 Verhandlungen des katholischen Vereines, Michelis, 23.9.1852, 215, 216: "Anders aber verhält es sich mit dem Principe des Protestantismus, der in der Auflehnung gegen die Kirche, in der Läugnung Christi in der Kirche besteht. Mit diesem Principe der Verneinung und Zerstörung ist kein befreundetes Nebeneinanderstehen, ist kein Verständniß, nicht einmal ein ehrlicher Waffenstillstand möglich und erlaubt." Vgl. auch ebd. Sepp, 24.9.1850, 93-99. 2MI Vgl. Häusle, Universitäten, in: Wetzer/Welte Bd. 11, 446; Buß, Unterschied der katholischen und protestantischen Universitäten, 414; Buß, Reform der katholischen Gelehrtenbildung, 339-345, 392-394; Verhandlungen des katholischen Vereines, Heising, 25.9.1856, 211-214, 218, 221. 202 Vgl. Lill, Großdeutsch und kleindeutsch, 31; Raab, Lutherisch-deutsch, 20-22.

IS"

276

D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

19. Jahrhundert hineinwirkte und sich für die Katholiken zu einem "belastenden Trauma"28J entwickelte. Auf katholischer Seite herrschte das Empfinden vor, daß der Aufschwung der deutschen Wissenschaft und Literatur zu einem erheblichen Teil vom protestantischen Norden ausgegangen sePB4. Die Überzeugung von der geistigen Überlegenheit des Protestantismus bestimmte das Selbstbewußtsein der norddeutschen Berufenen, die in München eine Art Missionshaltung an den Tag legten. Dem als ungebildet geltenden katholischen Land sollte der Zugang zu den Wissenschaften geebnet werden, damit Bayern Anschluß an die geistige Entwicklung im Norden gewinnen konnte. München wurde hierfür als ideales Betätigungsfeld angesehen, da durch Maximilian 11. gute äußere Rahmenbedingungen gewährleistet waren, und die Studenten mit großem Interesse auf das Wirken der berufenen Professoren reagierten. Dazu äußerte der Münchener Staatsrechtsprofessor Johann Caspar Bluntschli, der aufgrund seiner schweizer Herkunft die Lage in Süddeutschland mit größerem Einfühlungsvermögen beurteilte als mancher seiner norddeutschen Kollegen: "Man weiß übrigens hier recht gut, daß die deutsche Litteratur und die deutsche Wissenschaft vomämlich auf dem Geiste beruht, der den Protestantismus hervorgerufen, und auch vorzugsweise protestantisch ist. Und das darf wohl auch gelehrt werden. Es kommt nun allerdings nicht darauf an, die Katholiken zu Protestanten machen zu wollen, wohl aber ist die Aufgabe, auch sie für geistreiche Mitwirkung in Wissenschaft und Litteratur zu gewinnen und zu erwecken .... Zur Zeit aber müssen wir Protestanten auch im Süden die Bahn öffnen und als Lehrmeister dienen. "lIS Die norddeutschen Berufenen waren mit antikatholischen Vorurteilen schnell bei der Hand, wenn es darum ging, süddeutsch-katholische Gelehrte mit dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit zu disqualifizieren. Die gegenseitige

28J Boehm, Bildungs- und Hochschulwesen nach der Säkularisation, 25; vgl. auch Lill, Großdeutsch und kleindeutsch, 32-36; Kantzenbach, Protestantische Geisteskultur, 9-16; Maier, Katholisch-protestantisches Ungleichgewicht, 278-280; Köhle-Hezinger, Evangelisch-Katholisch, 287-290; Verhandlungen des katholischen Vereines, Döllinger, 26.9.1850, 200 f. Zum Phänomen des Ende des 19. Jahrhunderts entstehenden 'Kulturprotestantismus' vgl. folgende Beiträge: Graf, Kulturprotestantismus, 230-243; Graf, Spaltung des Protestantismus, 159-163, 184-190; Müller (Hg.), Kulturprotestantismus, 21-77, 150-164, 294-310; Hübinger, Kulturprotestantismus und Politik, 7-23,34-38, 164-168; Hübinger, Kulturprotestantismus und liberaler Revisionismus, 272274,283-292; Hölscher, Religion des Bürgers, 615-627. 2" "Es ist ganz richtig, was schon oft behauptet wurde, daß der modeme Geist eigentlich der protestantische Geist sei. Modeme Wissenschaft, moderner Staat, modeme Bildung sind zwar nicht völlig identisch mit Protestantismus, tragen aber alle mehr oder weniger das protestantische Princip in sich." Lukas, Presse, ein Stück moderner Versimpelung, 104; vgl. auch Frohschammer, Freiheit der Wissenschaft, 119-121, 130 f. m Bluntschli an Wackernagel, 24.12.1851, zit. nach Fleiner, Briefwechsel Bluntschli und Wackernagel, 256 f.

II. Nordlichterstreit

277

scharfe Abgrenzung verursachte im Nordlichterstreit ein kontrastbetonendes Schwarzweißbild, nach dem sich zwei feindliche Lager gegenüberstanden. Seitens der Berufenen wurden die bayerisch-katholischen Gelehrten gerne als rückständig und geistig unbeweglich verurteilt. Die katholische Seite reagierte hierauf mit dem Hinweis auf talentierte eigene Kräfte, die nur wegen eines antikatholischen Umfeldes benachteiligt worden seien. Außerdem wurde die bis ins Mittelalter reichende Tradition eines blühenden geistigen Lebens im katholischen Bayern herausgestrichen. Gerade zu Beginn der 1850er Jahre herrschte bei den bayerischen Katholiken die Neigung zum Abkapseln vor dem bedrohlich wirkenden Zeitgeist. Es bestand nur wenig Bereitschaft, sich mit den aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen auseinanderzusetzen. Statt dessen fand ein selbstgenügsamer Rückzug hinter Glaubenspositionen statt. Demonstrativ wurde die Notwendigkeit einer entschieden konfessionellen Ausrichtung der Wissenschaften hervorgehoben1l6 • Die Betonung des konfessionellen Aspektes spielte bei der Beurteilung von Maximilians Wissenschaftspolitik eine besondere Rolle. Die Berufenen hoben stets hervor, daß der bayerische König seine Personalentscheidungen allein nach der Beurteilung des wissenschaftlichen Ranges traf; protestantische Dozenten seien nur deshalb ausgewählt worden, "weil sie zu den Besten gehörten. "117 Die Hervorhebung des Leistungsprinzips enthielt stets unverhohlene Seitenhiebe auf die angeblich mangelhafte Qualifikation von katholischen Gelehrten, die in ein schlechtes Licht gerückt wurden, um zu zeigen, daß sie mit ihren protestantischen Kollegen nicht konkurrieren konnten. Aus katholischer Sicht waren solche Qualifikationskriterien lediglich ein Vorwand, um die konsequente Verdrängung katholischer Gelehrter mit vorgeschützten Argumenten zu verschleiern. Der katholische Publizist Joseph Edmund Jörg vermutete in der Berufungspraxis ein Komplott von bayerischer Regierung und Ministerialbürokratie, die sich zum Ziel gesetzt hätten, die Katholiken in

116 Vgl. [Roth von Schreckenstein] anonym, Modeme Geschichtswissenschaft, 60 f.; HPBl 21 (1848), Jörg, Begründung einer katholischen Wissenschaft, 87; Häusle, Universitäten, in: Wetzer/ Weite Bd. 11, 445 f. 287 [Brater] anonym, Münchener Professoren-Berufungen und die Ultramontanen, 9. Diese Schrift erschien als Antwort auf einen Artikel Joseph Edmund Jörgs in den "Zeitläufen" der Historisch-Politischen Blätter 38 (1856), 735-751. Jörg setzte sich in seinem Beitrag wiederum mit einem Artikel von Saint Rene Taillandier, L' Allemagne pendant le congres de Paris, in: Revue des deux mondes (1856) auseinander, wo der französische Autor überschwenglich den Aufschwung der Wissenschaften unter Maximilian 11. pries. Er lobte die Berufungspolitik, die nicht mehr auf Konfession, sondern nur auf Leistung achtete. Taillandier beschrieb die Lage der Wissenschaften unter Ludwig I. als schlecht und rückständig, während dagegen die Wissenschaftspolitik Maximilians 11. als vorbildlich gelobt wurde. Die hier kurz dargelegten Stellen wurden in den HistorischPolitischen Blättern von Jörg ausführlich zitiert. Die Zitate der HPBl, 742 stammen aus Taillandier, 139; die Zitate der HPBI, 743, 744, 746 wurden aus Taillandier, 140 f. übernommen.

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D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

Wissenschaft und Bildung zu benachteiligen. Die Gegner der Katholiken wurden von Jörg zwar nicht näher charakterisiert, aber es war nicht nur die ausdrücklich erwähnte Beamtenschaft gemeint, sondern auch der dafür verantwortliche bayerische König2l1 • Die von der Regierung vorangetriebene konfessionell neutrale Berufungspolitik wurde verdächtigt, die Universität systematisch entkatholisieren zu wollen. Die katholischen Gelehrten und Publizisten verwiesen auf den konfessionellen Charakter der Münchener Universität, die auf den Ursprüngen einer katholischen Stiftung beruhte. Nach dieser Interpretation galten in Bayern Würzburg als katholische, Erlangen als protestantische Universität. Da der Konfessionsproporz mit zwei katholischen und einer protestantischen Universität dem konfessionellen Zahlenverhältnis in Bayern gerecht zu werden schien, sollte der konfessionelle Charakter der drei bayerischen Universitäten strikt beibehalten werden. So verurteilte der katholisch-konservative Volksbote Maximilians Berufungspolitik, die es ermöglicht habe, daß "die Sturmläufer gegen den katholischen Charakter der Münchener Universität aufzutreten wagen, ohne darin gehemmt zu werden. "21' Da die Gründung der Universität auf kirchlichen Geldern beruht habe, müßten Lehrinhalt und Personal auswahl dem katholischen Stiftungscharakter gerecht werden. Die Bewahrung des stiftungsmäßig katholischen Charakters der Universitäten gehörte zu den häufig geäußerten Wünschen des katholischen Deutschland290 • Hierbei bezog sich die Argumentation vor allem auf die Dotierung der alten Universitäten aus Kirchengütern. Aus der ursprünglich katholischen Gründung und Finanzierung der Universitäten wurden Rechte eingefordert, die jedoch - zumal nach der Säkularisation - in der Praxis keineswegs einklagbar waren2' 1 • Die Forderung nach einer konfessionellen Ausgestaltung der Münchener Berufungspolitik wurde von katholischer Seite mit dem Hinweis geführt, daß auch Preußen konfessionelle Maßstäbe anlegte, indem es prote-

28M Jörg verwies auf die systematische Verdrängung von Katholiken, wobei "höhere Beamten es unumwunden als unverbrüchliches System hinstellen, es dürfe kein 'Ultramontaner' zu einer irgend bedeutenderen Stelle gelangen." HPBI 38 (1856), Jörg, Zeitläufe, 745. 219 Vb 24.8.1855,797; vgl. auch Vb 1.7.1852, 621; HPBI 30 (1852), Ringseis, Historischer Commentar zu den neulichen "Berufungen", 162 f.; HPBI38 (1856), Jörg, Zeitläufe, 745: "Das Recht der Katholiken auf die Münchener Hochschule steht nicht weniger fest als das der bayerischen Souverainetät." 2"'1 Vgl. AEM ErzbischÖfliches Hausarchiv 13, bayerische Bischöfe an Ludwig 11., 1865; Denkschrift der bayerischen Bischöfe für Maximilian 11., 15.5.1853, in: Huber, Staat und Kirche Bd. 2, 147; Häusle, Universitäten, in: Wetzer/Welte Bd. 11,427-429,450; "Gelehrtenschulen " , in: Rolfus/Pfister Bd. 2, 166 f.; Verhandlungen des katholischen Vereines, Michelis, 22.9.1853, 165; Brandt, Katholische Universität, 189-192. 291 "Stiftungsrechtliche Argumentationen, wie sie damals durchaus energisch verfochten wurden, blieben de facto unwirksam. " Boehm, Bildungs- und Hochschulwesen nach der Säkularisation, 51.

11. Nordlichterstreit

279

stantische Gelehrte einseitig bevorzugte, während katholische Professoren aufgrund ihrer Konfession zurückgewiesen wurden. Die Verengung auf konfessionelle Gesichtspunkte war keineswegs ein katholisch-bayerisches Spezifikum, sondern ist als gesamtdeutsche Realität zu betrachten, die von beiden Glaubensbekenntnissen getragen wurde"2. Die Berufenen wiesen eine konfessionelle Orientierung der Wissenschaften zurück; sie empfanden den Nordlichterstreit als den "Kampf des Ultramontanismus gegen die freie Wissenschaft"293. Demnach gefährdeten die 'Ultramontanen' unter dem Vorwand von Glaubensinteressen die unabhängige Fortentwicklung der Wissenschaften, wohingegen die Berufenen sich als Verteidiger der Wissenschaftsfreiheit und Motor wissenschaftlichen Fortschritts präsentierten. Die Berufenen betonten die Eigenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität als bayerischer Landesuniversität, an der nicht nur katholische, sondern auch protestantische Landeskinder studierten, und die als angesehene deutsche Hochschule auch für protestantische Nicht-Bayern attraktiv sein sollte. Daher mußten an der Landesuniversität eines paritätischen Staates beide Religionsbekenntnisse ausgewogen vertreten sein"'. Maximilian 11. folgte dieser Argumentation, da er während seiner gesamten Regierungszeit auf einen Ausgleich zwischen den Konfessionen achtete. Bereits als Kronprinz bekundete er den Willen, die "schroffen Gegensätze zwischen Katholizismus und Protestantismus möglichst" zu mildem, "und eine gewiß für ganz Deutschlands Gegenwart und Zukunft segensreiche Annäherung"29S zu erreichen. Maximilian pflegte seit seiner Studienzeit enge Kontakte mit Protestanten, zeigte reges Interesse für protestantische Vorstellungen und war mit einer Protestantin, Marie von Preußen, verheiratet. Diese Offenheit in konfessionellen Belangen brachte ihm den Vorwurf ein, antikatholisch zu sein296 . Wegen der protestantischen Umgebung Maximilians 11. kursierten in der Öffentlichkeit Mutmaßungen, daß sich

292 Auf dieses Problem ging der Vallesbate häufig ein, vgl. z. B. Vb 1.7.1852, 621; Vb 24.8.1855,797; Vb 25.8.1855, 801. Vgl. Weber, Fall Spahn, 38-40; Gollwitzer, Abel, 411 f.; Gollwitzer, Bemerkungen zum politischen Katholizismus, 287 f.; Baumeister, Parität und Inferiorität, 19-22,39 f.; [Schultz] anonym, Beleuchtung der Parität, 6-11, 37-40; [Floß] anonym, Denkschrift über die Parität, 19-23,88-93, 137-139. 293 [Brater] anonym: Münchener Professoren-Berufungen, 11. 294 Vgl. ebd. 6-11; GHA NI Max 77/3/77 (27/1/33), Doenniges, Berufung eines Historikers, ohne Datum; Pözl, Rede zum Stiftungstag, 5.6.1864, 7; AZ 13.4.1852 (Doenniges), 1665; AZ 15.5.1859 (Liebig), 2268 f.; Sybel, Deutsche Universitäten, 38. 29S Maximilian 11. an Schelling, 10.2.1844, zit. nach Trost/Leist, Maximilian 11. und Schelling, 97; vgl. auch 17.12.1853, 246. 296 Vgl. Greipl, Maximilian 11. und die Religion, 142-147; RaU, Maximilian 11. und die Kirche, 739; Brunner, Hofgesellschaft, 121 f.; Kraus, Ringen um kirchliche Freiheit, 168-170; Riehl, Charakterköpfe, 288; Bastgen, Heiliger Stuhl über den Aufenthalt des Kronprinzen, 182-184.

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D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

der Monarch vom Katholizismus abgekehrt habe oder gar ein heimlicher Protestant sei. Die protestantischen Einflüsse um den König wurden daher von katholischer Seite stets mit großer Skepsis kommentiert. Da die Gerüchte um eine antikatholische Grundhaltung des Königs nicht verstummen wollten, gab Maximilian den Auftrag, die öffentliche Meinung genau zu erkunden, um festzustellen, ob "die Ansicht verbreitet [sei], als wären Seine Majestät der katholischen Kirche, ja selbst der katholischen Religion nicht geneigt. "297 In der Berufungspolitik vermuteten zeitgenössische katholische Beobachter eine konsequente Zurücksetzung der Katholiken, wobei nach Ansicht des österreichischen Gesandten "streng katholisch bewährte Professoren durch protestantische Gelehrte"298 ersetzt wurden. Die Mutmaßungen um eine religiöse Abweichung des Königs waren allerdings völlig unbegründet; im Nachlaß Maximilians finden sich hierfür keinerlei Anhaltspunkte, es zeigt sich dort vielmehr die intensive persönliche Religiosität Maximilians, der wenig Wert auf die äußerliche Demonstration seines Glaubens legte. Gegenüber Protestanten hegte der König keinerlei Vorbehalte; wegen seines Selbstverständnisses als Herrscher eines paritätischen Staates versuchte er stets, ein versöhnliches Klima zwischen den Glaubensbekenntnissen herzustellen. Wie bereits bei den Darlegungen zum 'Ultramontanismus' deutlich wurde, lehnte Maximilian 11. radikale, 'ultramontane' Strömungen innerhalb des Katholizismus ab299 . Gerade die 'ultramontane' Seite bildete den Kern des Widerstandes gegen die Wissenschaftspolitik Maximilians, deren Folgen für den Fortbestand Bayerns als höchst bedrohlich eingeschätzt wurden. So bezeichnete Joseph Edmund Jörg die Berufenen als "die Schlangen am Busen Bayerns"300, die ihr Gift ausbreiteten, um bayerischen Patriotismus und Gläubigkeit von innen her-

297

BayHStA MInn 45789, Reigersberg an Maximilian 11.,5.2.1854.

29& HHStA PA IV 20, Esterhazy an Schwarzenberg, 30.6.1852; vgl. ebd. 15.2.1852: "Bezeich-

nend erscheint mir die Furcht des Königs vor dem Gespenst des Ultramontanismus und der Jesuiten, hingegen seine Neigung zum Protestantismus. Die Berufung deutscher Professoren, die Verleihung von Decorationen an Schriftsteller, welche durch ihre anti-katholischen Stimmungen bekannt sind, wie z. B. Herr Ranke in Berlin, Höchstseine Intimität mit Leuten von preußischer und protestantischer Färbung sind Thatsachen, die mit Recht hier böses Blut machen." Vgl. auch GStAPK HA 111 312, Bockelberg an den preußischen König, 3.1l.1853. Ebenso berichtete der preußische Gesandte in Rom von der Unzufriedenheit der Kurie über die konfessionelle Haltung Maximilians sowie seine Berufungspolitik. Vgl. GStAPK HA 111 291, Thiele an Manteuffel, 2.5.1856 und 27.6.1858. 299 Vgl. z. B. GHA NI Max 76/6/37 (Zu Betreibendes 111., Beilage), Maxirnilian 11., "Anhang zu Betreibendes 111.", ohne Datum; BSB Döllingeriana 11, Löher an Döllinger, 14.3.1864. 300 HPBI 38 (1856), Jörg, Zeitläufe, 746.

11. Nordlichterstreit

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aus zu zerstören. Ausgehend von der Münchener Universität würden die Wissenschaften in Bayern antikatholisch geprägt, um schließlich ihre zersetzende Kraft auf das gesamte Land auszubreiten: "So gibt es in aller Welt nichts Verkehrteres und Verderblicheres als die neue Münchener Pflanzschule und ihre Situation; denn was sie pflanzt, ist nicht Charakter, sondern Verderben des Charakters, ja Charakterlosigkeit aus Charakterlosigkeit. "301 Diese Befürchtungen über die gefährlichen Folgen einer protestantisch orientierten Wissenschaftspolitik äußerte auch ein 20seitiges Gutachten mit dem Titel "Ueber verschiedene Gerüchte in Bayern", das 1859 für Maximilian 11. verfaßt wurde302 • Der Autor behandelte mit enormer universitätsinterner Sachkenntnis die Ereignisse und Streitpunkte des Nordlichterkonflikts, wobei er 'ultramontane' Positionen verteidigte. Die Argumentationsweise läßt den Schluß zu, daß es sich bei dem Autor um den Mediziner Johann Nepomuk von Ringseis handelt. Dieser Eindruck bestätigt sich, da im gleichen Akt ein Brief Ringseis ' abgelegt ist, der offensichtlich als Anschreiben für das Gutachten diente303 • Ringseis leitete dieses eigentlich vertrauliche Gutachten für den König an das Erzbischöfliche Ordinariat weiter; aus dem Aktenfund im Ordinariatsarchiv läßt sich schließen, daß offensichtlich engere informelle Kontakte bestanden hatten. Im Begleitschreiben zum Gutachten betonte Ringseis seine Treue zum Königshaus, die langjährigen Dienste für Bayern sowie sein hohes Alter, das es ihm erlaube, völlig unverblümt die Meinung zu äußern. Ringseis konzentrierte sich auf zwei Punkte, die politischen Aspekte des Nordlichterstreits und die konfessionellen Ursachen. Ringseis stellte gleich anfangs klar, daß er "aufs Tiefste überzeugt sei von der Wahrheit und Vorzüglichkeit der katholischen Lehre."304 Die Volksstimmung beobachte mißfaJ.lig, wie die "Feinde des Christenthums" von Maximilian 11. bevorzugt würden, während bewährte bayerische Talente sträflich vernachlässigt worden seien. Mit der Dominanz antikatholischen und propreußischen Lehrpersonals, das sich die Entkatholisierung

301

Ebd. 748.

GHA NI Max 81/6/349 (Briefe), "Ueber verschiedene GeIiichte in Bayern". Das Gutachten wurde im Aktenfaszikel "Allgemeine Correspondenz in alphabetischer Ordnung" als anonymes Schreiben abgelegt. 303 Ebd. Ringseis an Maximilian 11., 25.12.1859. Absolute Gewißheit über die Autorschaft von Ringseis verschaffte der Aktenfund im Münchener Ordinariatsarchiv , da der Mediziner eine Abschrift des Gutachtens samt Teilen seines Anschreibens dem Ordinariat zugeleitet hatte. V gl. AEM Erzbischöfliches Hausarchiv 13, "Professoren-Berufungen, eine vertrauliche Mittheilung eines Promemoria an S. Majestät von Dr. Ringseis v. J. 1859." Vgl. auch Ringseis, Erinnerungen Bd. 4, 104 f. 304 GHA NI Max 81/6/349 (Briefe), Ringseis an Maximilian 11., 25.12.1859 [Hervorhebung im Original). 302

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D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

Bayerns zum Ziel gesetzt habe, sei die wahre, an kirchliche Autorität gebundene Wissenschaft ins Hintertreffen geraten. Das Vordringen autoritätsloser Wissenschaften führe nicht, wie von den Berufenen behauptet, zu mehr Wissen, besseren Lebensverhältnissen und Wohlstand, sondern zu "Unsittlichkeit und gänzlicher Verarmung "305. Ringseis beschwor die Ideale des Autoritäts- und Obrigkeitsdenkens, das auch den sicheren Fortbestand des gottgewollten monarchischen Systems gewährleisteJ06 • Durch preußische und antikatholisch gesinnte Gelehrte, für die er als abschreckendstes Beispiel den Historiker Sybel anführte, werde Bayern in Gefahr gebracht; diesen bedrohlichen Einflüssen müsse mit aller Schärfe entgegengetreten werden: "Mit solchen Unchristen, ja Widerchristen, mit so verpreußten Kleindeutschen kann der großdeutsch und christlich gesinnte Bayer keinen Vertrag, keinen Frieden, selbst keinen Waffenstillstand abschliessen! "307 In seinem Gutachten ging Ringseis ausführlich auf die Vorwürfe der Berufenen gegen die 'Ultramontanen' ein, wobei der Mediziner - ganz im Bewußtsein, daß er beim König als einer der führenden bayerischen 'Ultramontanen' galt - das Bestehen einer 'ultramontanen' "Partei"3OI negierte. Es gebe überhaupt keine 'Ultramontanen', dies sei lediglich ein Schlagwort, um strenggläubige Katholiken zu verleumden, indem man ihnen vorwarf, den Staat durch verschwörerische Aktivitäten zu unterwandern. Ringseis stellte sich als Opfer von fanatischen Ungläubigen dar, welche die Autorität der göttlichen Offenbarung leugneten und das Christentum verachteten. Der Haß der antichristlieh eingestellten Gelehrten richte sich gegen die katholische Kirche, "weil diese in ihrer Organisation ihnen den größten Widerstand bietet"309. Ringseis versuchte, die Berufenen nicht nur als Feinde der Katholiken, sondern des Christentums insgesamt zu diskreditieren; unter der "Partei der Christenthums-Feindlichen"3lO machte er Bluntschli und Sybel als die gefährlichsten Gegner aus. Für Ringseis galt der von den Berufenen stilisierte Kampf von Verteidigern der Wissenschaftsfreiheit gegen den 'Ultramontanismus' nur als Vorwand, um die

305

Ebd.

Ebd.: "Erschüttert diesen Glauben und ihr erschüttert damit die sprichwörtlich gewordene Treue der Bayern gegen ihre angestammten Monarchen. " 307 Ebd. Ringseis schloß sein Schreiben an den König mit einer eindringlichen Warnung vor der. durch die Berufenen ausgehenden Gefahr, wobei er zustimmend den letzten Satz des kurz zuvor erschienenen Nordlichtkalenders zitierte: "mit dem wesentlichen Inhalt desselben ist gewiß jeder gläubige Bayer einverstanden: 'Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Sybel, Amen.' Es ist Gefahr auf Verzug!" 301 GHA NI Max 81/6/349 (Briefe), [Ringseis] anonym, "Ueber verschiedene Gerüchte in Bayern", Dezember 1859. 309 Ebd. [Hervorhebung im Original]. 310 Ebd. J06

11. Nordlichterstreit

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katholische Kirche in ihrer Gesamtheit zu bekämpfen. Der 'Ultramontanismus' sei "ein von den Unglaubens-Fanatikern willkürlich ausgehecktes Phantom, ein Popanz, um Leichtgläubige zu schrecken und Mißtrauen zwischen Fürsten und ihren Völkern zu erregen. Was diese Fanatiker unter dem Aushängeschild des Ultramontanismus und Jesuitismus wirklich bekämpfen, das ist die von Gott eingesetzte Autorität überhaupt, das ist die verfassungsmäßig berechtigte katholische Kirche, das ist das positive Christenthum im Allgemeinen, das ist die von Gottes Gnaden geordnete fürstliche Herrschaft."311 Nach Ansicht von Ringseis zogen die autoritätslosen, freien Wissenschaften unheilvolle Konsequenzen nach sich, da sie den Bestand des Staates und der herkömmlichen Gesellschaftsordnung untergruben. Die religiös ungebundenen Wissenschaften zerstörten den Bestand der alten, gottgewollten Ordnung und stürzten somit alle Menschen ins Unglück. Um dies zu verhindern mußte nach Ringseis in allen Fachbereichen die Dominanz antikatholischer Forscher durch eine Berufungspraxis gebrochen werden, die überzeugte Katholiken bevorzugte. Das Beispiel Ringseis' zeigte die Neigung der 'ultramontanen' Katholiken, sich unversöhnlich hinter konfessionelle Schranken zurückzuziehen, um die Gläubigen zu einer festen Bastion gegen den Zeitgeist zu einen. Die Katholiken schotteten sich mißtrauisch von den aktuellen wissenschaftlichen Strömungen ab, um ihre eigene, spezifisch katholische Wissenschaft zu pflegen. Diese Beschränkung gründete in einem fast schon trotzigen Selbstbewußtsein, das die eigenen Qualitäten demonstrativ herausstrich; dabei wurde es nicht eigenen Fehlentwicklungen, sondern einer feindlichen Umgebung und ungünstigen staatlichen Rahmenbedingungen zugeschrieben, daß die Katholiken im Wissenschaftsbereich ins Hintertreffen gerieten. Die Inferiorität rückte zunehmend ins katholische Blickfeld; in Abgrenzung zum selbstgenügsamen Abkapseln der 'ultramontanen' Richtung, formierten sich einige Katholiken, die aus dem katholischen Sonderbewußtsein auszubrechen versuchten. Vor allem in den 1860er Jahren appellierten sie an die katholischen Gelehrten, sich nicht mehr ängstlich zurückzuziehen, sondern die Herausforderung auf geistigem Gebiet anzunehmen, indem zunächst eine kritische Bestandsaufnahme der eigenen Defizite geleistet wurde. Anstatt sich auf Klagen zu beschränken, durch eine übelwollende Publizistik und einen protestantisch beherrschten Wissenschaftsbetrieb benachteiligt zu werden, sollten die Ursachen für die katholische Inferiorität schonungslos offengelegt werden: "Ja, wir sind schuld, weil wir uns nicht klar werden über das, was uns fehlt. Wir sollen uns nicht ewig lobhudeln. Wir sollen offen den Uebeln ins Angesicht schauen. Es ist Vieles falsch und faul; ... Wir haben uns Manches aus der

311

Ebd. [Hervorhebung im Original].

284

D. Öffentlichkeits wirkung der Wissenschaftspolitik

Hand reißen lassen und dahin rechne ich zuerst und vor Allem die Wissenschaft .... Wir sind in den verschiedenen Zweigen der Wissenschaft unsern Gegnern noch nicht ebenbürtig. "312 Durch kritische Selbstreflexion sollten die katholischen Defizite in den Wissenschaften behoben werden. Auf den Katholikentagen riefen einige Redner dazu auf, anstelle der bisherigen larmoyanten Haltung mit kritischer Offenheit von den Gegnern zu lernen, um den wissenschaftlichen Rückstand wieder aufzuholen. Der schlechte Zustand sei weniger in ungünstigen Rahmenbedingungen begründet, sondern" großen Theils beinahe ausschließlich der Fehler der Katholiken selbst. "JIJ Die Katholiken sollten sich daher dem direkten Wettbewerb mit den Protestanten stellen, um in den Wissenschaften wieder an Boden zu gewinnen. In bestimmten Wissensgebieten, vor allem in Naturwissenschaften und Geschichte, hätten die Katholiken den Protestanten vorschnell das Terrain überlassen) 14 • Das geschärfte Problembewußtsein für das katholische Bildungsdefizit veranlaßte die Münchener Theologieprofessoren Ignaz von Döllinger und Daniel Haneberg dazu, die katholischen Gelehrten Deutschlands zu einer Versammlung nach München einzuladen. Da die "negativen und destruktiven Tendenzen in Literatur, Wissenschaft und Leben immer mehr Boden"m gewonnen hätten, sollte versucht werden, dieser Entwicklung durch eine Stärkung der katholischen Wissenschaften entgegenzuwirken. Die Gelehrtenversammlung plädierte für ein wissenschaftsfreundliches Klima, das den katholischen Forschern in allen Bereichen der Geistes- und Naturwissenschaften enge Kooperationsmöglichkeiten bot, um durch das gemeinsame Zusammenwirken eine Stagnation der katholischen Wissenschaften zu verhindern. Zur besseren Konkurrenzfähigkeit im deutschen Wissenschaftsbetrieb sollten die katholischen Gelehrten einen größeren inneren Zusammenhalt entwickeln)16. Besondere Brisanz bekam die Gelehrtenversammlung durch die Redebeiträge Döllingers, der klare Worte gegen eine einseitig 'ultramontane' Richtung im Katholizismus fand. Der renommierte Theologe kritisierte das von der Scho-

312 Verhandlungen der katholischen Vereine, Schulte, 9.9.1862, 137. Vgl. auch [Niedermayer] anonym, Klerus und Wissenschaft, 20 f.; Albrecht, Jörg Briefwechsel, Philipps an Jörg, 7.11.1858,73: "Uebrigens'muß ich leider bekennen, daß wir katholischerseits nur zu arm an Kräften sind. " JIJ Verhandlungen der kätholischen Vereine, Andlaw, 10.9.1862, 175. ) 14

Vgl. [N iedermayer] anonym, Klerus und Wissenschaft, 37, 67-69.

m Verhandlungen der Versammlung katholischer Gelehrten, Einladungsschreiben Döllingers, Hanebergs, Alzogs 4.8.1863, 5. Zur Münchener Gelehrtenversammlung vgl. Brandt, Katholische Universität, 300-333, 396 f.; Landersdorfer, Gregor von ScheIT, 284-301. )16 Vgl. Verhandlungen der Versammlung katholischer Gelehrten, 6; Haneberg, 28.9.1863, 3; Michelis, 29.9.1863, 83; Deutinger, 30.9.1863, 105.

11. Nordlichterstreit

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lastik geprägte Wissenschaftsverständnis und die zu starke Betonung der kirchlichen Autoritäe l7 • Die Theologie dürfe nicht in ein strenges Korsett kirchlicher Dogmen gepreßt werden, sondern es solle die freie wissenschaftliche Diskussion von Lehrmeinungen gewährleistet bleiben: "Der Wissenschaft ist diese Freiheit so unentbehrlich als dem Körper die Luft zum Athmen, und wenn es Theologen gibt, welche ihren Fachgenossen diese Lebenslust unter dem Vorwand der Gefahr für das Dogma entziehen wollen, so ist dieß ein kurzsichtiges und selbstmörderisches Beginnen. "318 Das Plädoyer Döllingers für eine freie theologische Forschung stieß allerdings bereits bei den versammelten Gelehrten auf Widerstand. Auch die Kurie beobachtete die Gelehrtenversammlung mit großem Argwohn, da sie befürchtete, der Gehorsam gegenüber der kirchlichen Autorität könnte geschwächt werden. Aus diesem Grund wurde eine weitere katholische Gelehrtenversammlung von der Amtskirche unterbunden. Diese Entwicklung zeigt das starke Vordringen 'ultramontaner' Kräfte im deutschen Katholizismus, die jegliche Annäherungen an eine freiere Wissenschaftsauffassung verhinderten. Auf der Münchener Gelehrtenversammlung zeichneten sich bereits Ansätze einer Inferioritätsdebatte ab, die zu Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland ihren Höhepunkt erreichte. Diese Debatte setzte in Punkten an, die von einer 'ultramontan' dominierten Kirche während der 1860er Jahre rigoros unterdrückt worden waren, und die während des Kulturkampfes nicht zur Geltung kamen, da sich die katholische Kirche einem beständigen Verteidigungsdruck ausgesetzt sah319 • Der Kulturkampf führte die Inferioritätsstellung der Katholiken im öffentlichen Leben vor Augen; als einer der Hauptgründe wurde die Rückständigkeit auf geistig-kultureller Ebene gesehen320 • Beginnend mit dem Zeitalter der Aufklärung wurden die Katholiken immer stärker auf das konfessionelle Ungleichgewicht hingewiesen, das einen deutlichen Schlußpunkt in

317

Vgl. Döllinger, 28.9.1863, ebd. 56.

Ebd. 57. Das Zitat iIIustrien den Wandel des Theologen und Kirchenhistorikers, der seit seiner Münchener Professur 1826 als engagiener Mitstreiter von Görres wirkte und in der Frankfuner Paulskirche als profiliener Venreter des Katholizismus auftrat. In den 1850er Jahren entwikkelte sich Döllinger von einem kämpferischen Haupt der 'Ultramontanen' zum Kritiker der Kirche, der schließlich in Widerspruch zu Pius IX. geriet. Er wandte sich gegen das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit, so daß er 1871 exkommunizien wurde. Vgl. Hünen, Geschichte des Katholizismus, 126 f.; Schwaiger, Döllinger, 108-122; Friedrich, DöllingerBd. 3,173 f.; Schwedt, Vom ultramontanen zum liberalen Döllinger, 130-135; Garhammer, Seminaridee und Klerusbildung , 204 f.; Weiss, Döllinger und Italien, 222-235; Weiss, Gedächmis des Todestages Döllingers, Forschungsbericht, 482-495. 319 Vgl. Nipperdey, Arbeitswelt und Bürgergeist, 443-453. 318

32ll Vgl. Maier, Katholisch-protestantisches Ungleichgewicht, 275-278; Raab, Katholische Wissenschaft, 62-64; Alterrnatt, Katholizismus und Modeme, 228 f.

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D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

der deutschen Einigung von 1871 fand, als die katholische Bevölkerung in eine Minderheitenposition geriet. Die Diskussion um das katholische Bildungsdefizit soll hier noch als Ausblick kurz behandelt werden, um die Entwicklung der katholischen Wissenschaftsauffassung im 19. Jahrhundert abzurunden. Zudem wurde bei der Frage nach den Ursachen für die katholische Inferiorität auch auf die Wissenschaftspolitik Maximilians 11. verwiesen, die als Beispiel für antikatholische staatliche Eingriffe diente, die das Vordringen des Protestantismus ermöglicht hätten32 '. Der Begriff "Bildungsdefizit" wurde in den 1890er Jahren durch Georg von Hertling, dem Münchemir Philosophieprofessor und Vorsitzenden der GörresGesellschaft, in die Diskussion gebracht, wobei der spätere bayerische Ministerpräsident und Reichskanzler auf das zahlenmäßige Mißverhältnis von Katholiken und Protestanten in wichtigen Positionen hinwies322 • Dieses gesellschaftliche Ungleichgewicht lag im geringen Katholikenanteil an höheren Schulen und Universitäten begründet. Unter der Professorenschaft waren die Protestanten in Relation zu ihrem Bevölkerungsanteil überproportional vertreten323 • Wegen des geringen katholischen Anteils an der höheren Bildung waren die Katholiken auch schwächer in gesellschaftlichen, politischen und staatlichen Spitzenpositionen repräsentiert. Hertling befürchtete eine Fortsetzung dieser Tendenz, so daß langfristig die Katholiken aus allen bedeutenden Sektoren des Geistes- und Erwerbslebens verdrängt zu werden drohten324 • Die Feststellung der Inferiorität sowie das Bemühen, dieses Phänomen zu erklären, führte zu einer allgemeinen Diskussion um die Stellung der Katholiken, wobei zunehmend selbstkritische Töne laut wurden. Es zeigte sich eine Abkehr vom 'ultramontanen' Kurs der 1850er bis 1870er Jahre, während denen entschuldigende Erklärungsversuche die Ursachen des Bildungsdefizits außerhalb des Katholizismus suchten. Hertling wandte sich gegen die bisherige, unnachgiebig konservative Linie innerhalb des Katholizismus, die jegliche Neuerung von vornherein verteufelte. Das Auftreten Hertlings illustriert den Willen, die bisher defensive Orientierung aufzubrechen, indem - zum Beispiel mit der

32'

Vgl. z. B. Hertling, BildungsdefIzit, 393.

Eine eingehende Erläuterung der Diskussion bei Baumeister, Parität und Inferiorität, hier 4044; zu Hertlings Biographie vgl. Becker, Georg von Hertling. 323 Von den bayerischen Professoren waren 1896 43 % katholisch (Bevölkerungsanteil von 71 %), 55 % protestantisch (Bevölkerungsanteil von 28 %), 2 %jüdisch (Bevölkerungsanteil von 1 %), vgl. Hertling, BildungsdefIzit, 383 f.; Brunner, Hofgesel\schaft, 279 f.; Jarausch, Deutsche Studenten, 28; Best, Männer von Bildung und Besitz, 155, 163 f., 439 f.; Boehm, Bildungs- und Hochschulwesen nach der Säkularisation, 20-24; Rösener, Katholisches BildungsdefIzit, 104-107; K1öcker, Katholisches BildungsdefIZit, 80-85. 324 Vgl. Hertling, BildungsdefIZit, 384-391. 322

11. Nordlichterstreit

287

1876 gegründeten Görres-Gesellschaft - versucht wurde, ein positives Verhältnis zu den Wissenschaften zu finden, um die Katholiken aus der "selbstverschuldeten Ghettosituation"32S zu führen. An die Stelle einer teilweise aggressiven Bekämpfung der Wissenschafts freiheit sollte eine positive Mitgestaltung der Wissenschaften treten. Bei der Suche nach den Gründen des Bildungsdefizits rückte katholischerseits, neben dem Hinweis auf die antikatholische staatliche Bildungspolitik, die Säkularisation in den Vordergrund, die als wichtiger Markstein einer, mit der Auflösung des Jesuitenordens 1773 beginnenden Entwicklung gesehen wurde. Mit dem Verweis auf die "verheerende Wirkung"3~6 der Säkularisation, welche die Infrastruktur des katholischen Bildungswesens zerstörte, ist jedoch das Bildungsdefizit nicht allein zu erklärenJ27 • Ebenso brachten strukturelle Gründe gravierende Folgen für die Bildungsund Berufsverhältnisse mit sich, da die Katholiken in überwiegend ländlichkleinstädtischen Gebieten siedelten. Kinder aus ländlichen Räumen hatten es schwieriger, höhere Schulen zu besuchen, die in den Städten lagen. Aufgrund ihrer Sozialstruktur waren Katholiken in höheren akademischen Berufen unterrepräsentiert; dies wirkte sich besonders aus, wenn man die hohe Selbstrekrutierungsquote des Bildungsbürgertums in Betracht zieht. Die Katholiken dominierten in Landwirtschaft und Handwerk; geschlossen katholische Siedlungsgebiete waren weniger industrialisiert als protestantische Gegenden. Die Protestanten zeigten mehr Mobilität, Dynamik und wirtschaftliche Initiative, was durch ehemals protestantische Reichsstädte wie Augsburg oder Nürnberg begünstigt wurde, während die Katholiken dem traditionellen Handwerk sowie dem ländlich-agrarischen Umfeld verhaftet blieben. Diese strukturellen Nachteile und ungünstigen sozialen Rahmenbedingungen wurden verstärkt durch eine antikatholische Politik in protestantischen und paritätischen Staaten, die den Katholiken nicht die gleichen Bildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten einräumten wie den ProtestantenlZB • Eine weitere Ursache für das Bildungsdefizit lag in einer katholischen Bildungs- und Wissenschaftsskepsis begründet, die

32S Brandt, Katholische Universität, 350; Weber, Fall Spahn, 41-58; Horstmann, Katholizismus und modeme Welt, 104; Mooser, Christlicher Beruf, 124 f.; Mooser, Volk, Arbeiter und Bürger in der katholischen Öffentlichkeit, 262 f. 326 Raab, Auswirkung der Säkularisation, 78, vgl. ebd. 63-65, 70-77; Erlinghagen, Katholisches BildungsdefIzit, 18 f., 178-184; Hertling, BildungsdefIzit, 393 f.; Hertling, Ursachen des Zurückbleibens, 568-571; Hertling, Katholicismus und Wissenschaft, in: HPBI 119 (1897),898. J27 Vgl. Boehm, Bildungs- und Hochschulwesen nach der Säkularisation, 19, 28-34, 47-52; Rösener, Katholisches Bildungsdefizit, 107 f., 112-116. 328 Vgl. Maier, Standort des Katholizismus, 41 f.; Baumeister, Parität und Inferiorität, 51 f.; K1öcker, Katholizismus und Bürgertum, 119; Weber, Protestantische Ethik, 17-25; Altennatt, Katholizismus und Modeme, 226-229; Hertling, BildungsdefIZit, 394-397; Hertling, Ursachen des Zurückbleibens, 569.

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D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

sich deutlich vom Bildungsoptimismus des 19. Jahrhunderts unterschied. Gegenüber den profanen Wissenschaften bestand eine erhebliche Scheu, wenn nicht gar Geringschätzung. Daher forderte Hertling eindringlich eine wissenschaftsfreundlichere Einstellung der KatholikenJ29 . Die reservierte Haltung gegenüber wissenschaftlichen Entwicklungen führte zu einem teilweise verbissenen Festhalten an überkommenen Lehrmeinungen. Die katholischen Wissenschaften beschränkten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts großenteils auf die Bewahrung einer konfessionell geprägten Weltanschauung, die durch wissenschaftliche Forschungen nicht umgestoßen werden sollte. Die übermäßige Furcht vor der Anpassung an den als bedrohlich eingeschätzten Zeitgeist und eine grundsätzliche Modernitätsfeindlichkeit, die im Syllabus errorum ihren Ausdruck fand, führte zu einer Stagnation der katholischen Wissenschaften. Die starr defensive Einstellung der Amtskirche trat bei der rigorosen Bestrafung ihrer Kritiker zutageJJO . Ferner hemmte die Fixierung auf theologische Lehrinhalte die Entwicklung der katholischen Wissenschaften, während andere Fachgebiete, vor allem die Naturwissenschaften, vernachlässigt wurden. Bei der Förderung junger Gläubiger stand die Priesterausbildung im Vordergrund. Die katholische Intelligenz strömte einseitig in die theologische, philosophische und pädagogische Richtung, so daß sie in anderen wichtigen Fächern geringer vertreten war. Auf diese Weise gerieten akademisch gebildete Katholiken in den freien Berufen oder in der Staatsverwaltung in eine Minderheitenposition. Verstärkt wurde der Inferioritätseffekt durch das Zölibat, da die Priester als "Zubringergruppe für die katholische Akademikerschaft"JJI ausfielen. Die Inferioritätsdebatte illustriert die Bemühungen, die katholischen Wissenschaften aus einer Sackgasse zu führen, in die sie nicht zuletzt durch eine einseitig 'ultramontane' Orientierung geraten waren. Erst nach dem Kulturkampf konnte sich wieder eine offensivere, wissenschaftsfreundliche Linie im Katholizismus mehr Einfluß verschaffen, welche die Katholiken an die modeme Zeitkultur und aktuelle wissenschaftliche Entwicklungen heranzuführen vermochtem.

329 Vgl. Hertling, Katholicismus und Wissenschaft, in: HPBl 119 (1897), 909, 914-916. JJO Vgl. Rösener, Katholisches BildungsdefIzit, 123-126; Klöcker, Katholizismus und Bürgertum, 128 f., 138; Garhammer, Götzenbild des alleinlehrenden Staates, 118; Baumeister, Parität und Inferiorität, 52. JJI Erlinghagen, Katholisches Bildungsdefizit, 37; vgl. Hertling, Katholicismus und Wissenschaft, in: HPBl 119 (1897), 906-908; AEM Ordinariat 188, Stipendiumsstiftung des Pfarrers Franz, 22.12.1861.

JJ2 Vgl. Hertling, Bildungsdefizit, 399; Hertling, Ursachen des Zurückbleibens, 563, 573; Hertling, Freiheit der Lehre, 37 f.; Hertling, Katholische Wissenschaft, 20, 25 f.; Hertling, Katholicismus und Wissenschaft, in: HPBl 119 (1897), 917.

II. Nordlichterstreit

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Im Nordlichterstreit traten einige Grundzüge des späteren Kulturkampfes auf, wobei bereits zu dieser Zeit grundsätzliche Positionen für das Verhältnis von Kirche und Staat bezogen wurdenJJJ • Außerdem spiegelte der Konflikt exemplarisch die deutsche Diskussion um die katholische Wissenschaftsauffassung während der Mitte des 19. Jahrhunderts wider. Das Hauptgewicht der Erläuterungen über die konfessionell bedingten Wissenschaftsauffassungen konzentrierte sich auf die katholische Seite, da sie auf eine starke konfessionelle Argumentationslinie drängte. Wegen des erheblichen Druckes von außen traten die Katholiken als fest gefügter Block auf. Es wurde auf eine einheitliche Linie und eine straffe Organisation unter dem Dach der Amtskirche geachtet, die klare Vorgaben und unverrückbare Dogmen setzte. Das katholische Deutschland verengte die allgemeine Diskussion um die Bedeutung und Folgen der Wissenschaften auf konfessionelle Belange. Dagegen argumentierten die Protestanten, wie dies im Nordlichterstreit deutlich wurde, weit weniger von der Basis ihres Glaubensbekenntnisses, weil sie sich vielmehr als Wahrer einer unabdingbaren Wissenschaftsfreiheit mit Objektivitätsideal zu etablieren versuchten. Die Katholiken gerieten im Zuge der deutschen Wissenschaftsentwicklung in die Defensive und damit in verstärkten Rechtfertigungszwang. Zur Abwehr des Zeitgeistes zogen sich die Katholiken hinter konfessionelle Schutzmauern zurück, wobei die katholische Umorientierung des Bildungs- und Wissenschaftsbetriebes, der Lehrinhalte und des Lehrpersonals zur obersten Maxime erklärt wurde, um einer antikatholischen Prägung von Schülern und Studenten entgegenzuwirken. Die Pflege konfessioneller Vorbehalte stand in einem Gegensatz zur Politik Maximilians 11., der auf eine Versöhnung zwischen den Konfessionen eines paritätischen Staates hinarbeitete. In der Wissenschaftspolitik Maximilians nahmen konfessionelle Rücksichtnahmen einen weitaus geringeren Stellenwert als bei Ludwig I. ein. Gerade der Vergleich mit der katholischen Ausrichtung der ludovizianischen Politik ließ den katholischen Zeitgenossen die nach konfessioneller Neutralität strebende Berufungspolitik Maximilians 11. als extreme Abkehr von den Prinzipien Ludwigs I. erscheinen, so daß Maximilian 11. in den Verdacht kam, die Münchener Universität, die bislang als "Refugium des Katholizismus "JJ4 galt, entkatholisieren zu wollen.

J3J Vgl. Nipperdey, Machtstaat vor der Demokratie, 364-381; Langewiesche, Liberalismus, 180187; HüTten, Geschichte des Katholizismus, 136-159. JJ4 Dickerhof, "Nordlichter", 280. Gollwitzer, Abel, 596: "Aus den Tagebüchern Ludwigs I. geht hervor, wie sehr der katholische Konservativismus die Kultur- und Hochschulpolitik Max 11. als den Abbruch eines Gebäudes empfand, das unter Ludwig I. errichtet und fortifikatorisch ausgebaut worden war."

19 Sing

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D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

2. Zielkonflikt von bayerischer Eigenstaatlichkeit und deutscher Einheit

Der Erhalt der bayerischen Eigenstaatlichkeit war für Maximilian 11. ein bestimmendes Ziel während der gesamten Regierungszeit . Dies schlug sich in der Konzeption der Triaspolitik nieder, die einer preußischen oder österreichischen Hegemonie entgegenzuwirken versuchte. Auch die Wissenschaftsförderung sollte im Dienst der Trias stehen. Betonte Maximilian 11. das bayerische Nationalgefühl ansonsten überaus stark, trat ein Zwiespalt auf, da sich der bayerische König bei der Planung der Wissenschaftspolitik am preußischen Vorbild orientierte und auch dezidiert preußisch eingestellte Dozenten berief. Die propreußische Ausgestaltung der Wissenschaftspolitik trat in Widerspruch zu einer Außenpolitik, die der Stärkung der bayerischen Unabhängigkeit dienen sollte. Diese Ambivalenz spielte auch im Nordlichterstreit eine große Rolle, als bayerisch-patriotische Kreise zur Verteidigung der Unabhängigkeit Bayerns gegen preußisch-kleindeutsche Bestrebungen aufriefen. Die aktiven Fürsprecher einer kleindeutschen Lösung sahen die Wissenschaften als Mittel an, um politische Ansichten zu verbreiten, indem das Bewußtsein für die deutsche Kulturnation gestärkt, und auf diese Weise der Prozeß der deutschen Einigung vorangetrieben wurde. So plädierte Karl Brater in der Flugschrift Die Münchener Professoren-Berufungen und die Ultramontanen dafür, an den Universitäten die Notwendigkeit einer nationalen Einigung zu verdeutlichen; die Idee der deutschen Einheit hätte an den Universitäten ihren "letzten Zufluchtsort"m gefunden. Die deutschen Liberalen hegten die Hoffnung, daß sich an den Universitäten die Idee der deutschen Einheit verbreitete und von hier aus in das öffentliche Leben dringen würde336 • Das Bewußtsein für die einheitliche Kulturnation und die Notwendigkeit der staatlichen Einigung sollte von den Universitäten aus gefördert werden. Partikularistische Strömungen wirkten störend auf die Ausbildung eines "deutschen Geisteslebens"; hierzu schrieb Brater: "Schließt das preußische Geistesleben auf preußischen, das bayerische auf bayerischen Hochschulen ab, so habt ihr keine deutschen Universitäten mehr - und Deutschland ist um eine Zukunftshoffnung

33S [Brater] anonym, Münchener Professoren-Berufungen, 14. Der Jurist, Publizist und Politiker Kar! Brater (1819 - 1869) wurde nach dem Beginn seiner Beamtenlautbahn 1848 publizistisch tätig; für kurze Zeit war er Bürgermeister von Nördlingen. Zusammen mit Bluntschli gab er seit 1856 das Staats-Wörterbuch heraus, 1859 leitete er die neu geschaffene Süddeutsche Zeitung; politisch betätigte sich Brater als Landtagsabgeordneter und als einer der Führer der bayerischen Fortschrittspartei. Vgl. NDB 2, 538; ADB 3, 261-263. 336 Vgl. Bluntschli, Akademie, in: Bluntschli/Brater Bd. I, 112 f.; Marquardsen, Universitäten, in: Bluntschli/Brater Bd. 10,689 f., 699 f., 726 f.; Held, Universitäten, in: Rotteck/Welcker Bd. 14, 785 f., 789, 800.

II. Nordlichterstreit

291

ärmer! "337 Die partikularistische Selbstbeschränkung der deutschen Einzelstaaten erschien als Hindernis für den Einigungsprozeß. Nach Ansicht der liberalen Berufenen konnte die deutsche Einheit nur gelingen, wenn zwischen den deutschen Ländern ein reger literarischer, kultureller und wissenschaftlicher Austausch stattfand. Daher registrierte Brater in seiner Flugschrift mit Befriedigung, wie München durch die Berufung auswärtiger Gelehrter animiert wurde, sich mit neuen Ideen auseinanderzusetzen, womit die geistigen Kontakte innerhalb Deutschlands intensiviert wurden. Auf diese Weise sei eine geistige Isolation Bayerns aufgebrochen worden, weil sich das Land mit Hilfe der fremden Gelehrten an die "allgemeine Entwicklung des deutschen Geistes"33B anpassen konnte. Aus Perspektive der Berufenen waren die bayerischen Abgrenzungsversuche gegen äußere Einflüsse Ausdruck eines kleinstaatlerischen, bornierten Partikularismus, der lediglich darauf zielte, egoistische Sonderinteressen durchzusetzen. Die bayerische Neigung zur Abschottung gegen fremde Einflüsse bewertete Brater als eine der "absurdesten Verirrungen des deutschen partikularistischen Triebes "339. Für bayerische Patrioten stellten die norddeutschen Berufenen eine Bedrohung der bayerischen Eigenstaatlichkeit dar. In deutschnationalen Ideen wurde vor allem das Streben nach einer preußischen Vorherrschaft erkannt. Ringseis äußerte, daß es weniger die Forderung nach der deutschen Nation oder "Deutschheit" sei, als die nach "Norddeutschheit" und "Borrussismus"340. Das Ziel der deutschen Einheit diene nur dazu, Süddeutschland unter protestantischnorddeutschen Vorzeichen rücksichtslos einem zentralistischen Staatssystem einzuverleiben. Die kleindeutschen Berufenen wurden verdächtigt, Bayern bewußt in preußische Abhängigkeit zu führen. Es kursierten Gerüchte, nach denen preußisch gelenkte Agenten das Land durchsetzten, um Bayern seiner Selbständigkeit zu berauben und an Preußen preiszugeben341 . Die preußische

337 [Brater] anonym, Münchener Professoren-Berufungen, 14 [Hervorhebung im Original]; vgl. auch Bluntschli, Wissenschaft, in: Bluntschli/Brater Bd. 11, 210. 33S [Brater] anonym, Münchener Professoren-Berufungen, 18. 339 Ebd. 13. Nach 1848 wurde der Begriff 'Partikularismus' häufig von kleindeutschen Wortführern benutzt, um die Gegner einer Einheit unter preußischer Hegemonie als eigensinnige und kleingeistige Lokalpatrioten in Mißkredit zu bringen. Dieser negativen Wortbedeutung von mangelndem Gemeinsinn, Absonderung und Eigenbrödlerei versuchten die Anhänger einer großdeutschen und bundesstaatlichen Einigung zu entkommen, indem sie den Begriff 'Föderalisten' zur Eigenbezeichnung benutzten, der das Streben nach regionaler Eigenständigkeit positiver definieren sollte. Vgl. Veit-Brause, Partikularismus, in: GG Bd. 4, 735-737, 753-756, 765 f. 340 HPBI 30 (1852), Ringseis, Historischer Commentar zu den neulichen "Berufungen", 366. 341 Vgl. 81/6/349 (Briefe), [Ringseis], "Ueber verschiedene Gerüchte in Bayern", 1859; BSB Halleriana Vm.3, Haller, Memorabilien zur Zeitgeschichte 3, 8.3.1852; Laible, Doenniges und Max, 267 f.; AZ 13.4.1852 (Doenniges), 1665.

19·

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D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

Regierung liebäugelte durchaus damit, mit Hilfe der Berufenen Einfluß auf politische Entscheidungen zu nehmen, wobei man die Tätigkeit von Doenniges oder Sybel wohlwollend beobachtete. Die Berufenen konnten, vor allem wenn sie enge Kontakte mit Maximilian 11. pflegten, als nützliche Informanten für die Regierung in Berlin dienen342 . Die norddeutschen Einflüsse stießen bei Maximilian auf ein offenes Ohf 43 . Daher schien die Gefahr zu bestehen, daß der König durch die Wissenschafts förderung preußischen Interessen in Bayern den Boden bereitete, indem er "eigenhändig das trojanische Pferd nach München"3" zog, dem auswärtige Gelehrte und Literaten mit der Absicht entstiegen, Bayern zu unterwandern und an Preußen anzubinden. Allerdings wollte Maximilian 11. auf keinen Fall eine zu enge politische Annäherung Bayerns an Preußen, weswegen er bei geplanten Berufungen die politische Einstellung der Gelehrten immer im Auge behielt. Letztendlich gab jedoch bei der Abwägung der Argumente die wissenschaftliche Qualifikation vor politischen Rücksichtnahmen den Ausschlag, so daß auch dezidiert kleindeutsch eingestellte Persönlichkeiten nach Bayern berufen wurden. Maximilian 11., der ansonsten auf eine strikte Bewahrung der bayerischen Eigenstaatlichkeit pochte, war sich offenbar des Zwiespalts seiner Wissenschaftspolitik nicht voll bewußt. Der König achtete darauf, durch die Orientierung am preußischen Vorbild Anschluß an die kulturelle Entwicklung in Deutschland zu finden. Eine politische Vorentscheidung zugunsten einer preußisch dominierten Nationalstaatsbildung fand damit keineswegs statt. Aus der

342 So berichtete der preußische Gesandte in einem chiffrierten Schreiben über ein vertrauliches Gespräch mit Doenniges, in dem der Berater Hoffnungen weckte, "durch preußisch gesinnte, stets dem engsten Anschlusse Bayerns an Preußen das Wort" redende Berufene eine Wende der bayerischen Außenpolitik zugunsten Preußens herbeizuführen, indem "man auch die Stellung des Ministers von der Pfordten unhaltbar zu machen" versuchte. GStAPK HA III 312, Bockelberg an Manteuffel,26.2.1853. 343 Der österreichische Gesandte zitierte den leitenden Minister Karl von Schrenck-Notzing mit den Worten: '''daß der König Max trotz Allem noch eine tiefe Neigung für Preußen bewahrt; ... die Jugenderinnerungen an das Leben auf der Berliner Hochschule, der Umgang mit norddeutschen Gelehrten bis in die neueste Zeit, Höchstdessen Mißtrauen, wirken auf Seine Entschließungen mächtig ein.'" HHStA PA IV 31, Zwierzina an Rechberg, 8.10.1863. 3.. Deuerlein, Preußens geistiges Vordringen, 20. Im Angesicht des Kriegsendes warf Deuerlein 1946 Maximilian 11. vor, durch die propreußische und protestantische Politik den Weg zu einem kleindeutschen Staat unter preußischer Vorherrschaft eröffnet, und Bayern von Österreich entfremdet zu haben. Diese Fehlentscheidung Maximilians 11. habe zu der Niederlage von 1866 unter preußischer Dominanz geführt, die wiederum die Katastrophe zweier Weltkriege und des Nationalsozialismus verursachte. Vgl. ebd. 19-24; Deuerlein, Preußen oder Europa, 265-269; vgl. auch Hanisch, Fürst und Vaterland, 401-403. Mit ähnlicher Tendenz wie Deuerlein äußert Lenk, daß Maximilian 11. den "Sturmtruppen des Liberalismus" die Tore öffnete, wobei der Liberalismus wegen seines Kirchenhasses den Boden für den Nationalsozialismus bereitet habe. Lenk, Katholizismus und Liberalismus, 380.

II. Nordlichterstreit

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geistig-kulturellen Vorbildfunktion Preußens und der Zusammenarbeit mit kleindeutschen Gelehrten sollte keine politische Anbindung an Preußen resultieren. Wenn Maximilian 11. und Ludwig I. im Zuge ihrer wissenschafts- und kulturpolitischen Anstrengungen von Deutschland sprachen, hatten sie in erster Linie die Kulturnation im Blick, ohne hieraus die Notwendigkeit einer politisch geeinten deutschen Staatsnation abzuleitenJ.4'. Selbst partikularistisch eingestellte Bayern teilten im Nordlichterstreit die Idee von der Existenz einer einheitlichen deutschen Kulturnation. Daraus sollte allerdings nicht die Bildung eines zentralistischen Nationalstaates resultieren. Im Nordlichterstreit wurde von den Gegnern der norddeutschen Berufenen das Prinzip der Fremdberufungen grundSätzlich akzeptiert, weil man den Wechsel von Gelehrten zwischen verschiedenen Orten als unabdingbar für ein gedeihliches Hochschulwesen ansah. Wenn jedoch schon fremde Professoren in das Land gerufen wurden, sollten sie sich den allgemeinen Gegebenheiten anpassen und die religiösen wie politischen Verhältnisse respektieren. Der eigenständige Charakter Bayerns dürfe nicht durch Persönlichkeiten angetastet werden, "die das fremdländische über das inländische setzen" und auf ihr Gastland "geringschätzig herabblicken "346. Das bayerische Selbstbewußtsein und 'Nationalgefühl' sollte in keiner Weise durch Fremde in Frage gestellt werden. Die bayerischen Gegner der 'Nordlichter' verwiesen auf die Überfremdungsgefahren einer Berufungspolitik, die Auswärtige so stark bevorzugte, daß Einheimische in eine Minderheitenposition gedrängt wurden, bis sich schließlich eine "Fremdherrschaft"3.7 etablieren konnte. Diese Situation wurde auch bildlich umschrieben: Die Berufenen sitzen wie ein Kuckuck im fremden bayerischen Nest, lassen sich dort durchfüttern und werfen im Lauf ihres Heranwachsens lauthals die anderen Nestbewohner hinaus 3". Im Nordlichterstreit kam es zu einer häufigen Verquickung von politischen mit konfessionellen Argumentationslinien, wobei Protestantismus und Preußenturn gleichgesetzt wurden. So sah man die Bewunderung des bayerischen Königs für die preußische Wissenschaftsentwicklung in enger Verbindung mit dessen angeblichen Neigungen zum Protestantismus J.49. Im Nordlichterstreit

34' Vgl. Alter, Nationalismus, 19-23; Lepsius, Nationalismus, 203 f. 3•• Vb 18.7.1855, 673; vgl. auch HPBI 30 (1852), Ringseis, Historischer Commentar zu den neulichen "Berufungen", 172 f.; Giesebrechts Geschichtsmonopol, 11 f. 347 Sepp, Denkschrift in Sache meiner Quieszierung, 44. 348 Vgl. ebd. 50.

349 Vgl. HHStA PA IV 20, Esterhazy an Schwarzenberg, 30.6.1852; GStAPK HA III 301, Bericht Bockelbergs, 13.1.1849; HPBI 30 (1852), Ringseis, Historischer Commentar zu den neulichen "Berufungen", 251 f., 350 f.; Weber, Katholizismus und protestantischer Bildungsanspruch, 160-162; Blessing, Gottesdienst als Säkularisierung, 228-235.

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D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

manifestierten sich enorme Ängste vor der Bedrohung der katholisch-bayerischen Identität durch die Gründung eines protestantisch-kleindeutschen Staates. Das protestantische Preußen wurde während des 19. Jahrhunderts zunehmend zum kulturellen und politischen Leitbild in Deutschland stilisiert. Die kleindeutsche Nationalbewegung setzte sich nach 1848 zu einem erheblichen Teil aus Protestanten zusammen, während die Katholiken - nicht zuletzt aus Furcht vor der zahlenmäßigen Minderheit in einem kleindeutschen Staat - ihre Hoffnungen auf eine Lösung mit Einbezug des katholischen Österreich richteten. Dagegen schürten die kleindeutschen Interessenvertreter vor allem seit 1859, mit dem Krieg Österreichs gegen die piemontesisch-franzäsische Allianz in Italien, bewußt antiösterreichische Ressentiments. Die Polemik gegen Österreich wurde durch Angriffe auf den Katholizismus ergänztJ"'. Von protestantischer und liberaler Seite wurde der Katholizismus als Gefahr für den kleindeutschen Nationalstaat bezeichnet, da er wegen seiner supranationalen, hierarchisch an Rom ausgerichteten Organisationsstruktur über die Grenzen aller Länder hinausreichte. Die katholische Kirche bildete somit gerade für die unter dem Eindruck des Staatskirchenturns stehenden Protestanten einen eigendynamischen Fremdkörper, der sich der staatlichen Kontrolle entzog. Die länderübergreifende Institution der katholischen Kirche schien den Bestand des Nationalstaates zu bedrohen, zumal die Priester einem ständigen Gewissenskonflikt zwischen dem Staat und der Gehorsamspflicht gegenüber der katholischen Kirche ausgesetzt wärenm. Dieser Effekt wurde durch Bemühungen der Amtskirche verstärkt, die theologischen Fakultäten aus den staatlichen Universitäten herauszulösen, wobei bezüglich der Lehrinhalte "das scholastische, romanisierende, dem Deutschen feindselige Element immer mehr zur Geltung"JSl gekommen sei.

HO Vgl. [Roth von Schreckenstein] anonym, Modeme Geschichtswissenschaft, 60 f.; Best, Männer von Bildung und Besitz, 155, 164; Köhle-Hezinger, Evangelisch-Katholisch, 265; Maier, Soziologie des Katholizismus, 160 f.; Lill, Großdeutsch und kleindeutsch, 41. m Bluntschli warnte in einem Gutachten für Maximilian 11. vor der staatsgefährdenden Haltung des Klerus, GHA NI Max 78/1/114 (2713/4), Bluntschli, "Zur Erinnerung an das Gespraech bei seiner Majestaet über das Verhaeltniß des Staates zur Kirche", 16.2.1856: "daß die konfessionell aufgeregten Parteien leicht über der Konfession den Staat vergessen und eine in exclusiv-kirchlichem Geist enogene Priesterschaft sich um das Staatswohl nicht kümmert sondern im mönchischen und fanatischen Eifer rücksichtslos auch antistaatliche Zwecke verfolgt." Vgl. auch Bluntschli, Religion, in: BiuntschlilBrater Bd. 8, 584; Bluntschli, Ultramontanismlls, in: BluntschlilBrater Bd. 10, 641; Riehl, Klerus, in: RottecklWelcker Bd. 5, 610; Köhle-Hezinger, Evangelisch-Katholisch, 301-303. JSl Frohschammer, Freiheit der Wissenschaft, 139 f.; vgl. auch Verhandlungen der Versammlung katholischer Gelehrten, Döllinger, 28.9.1853, 56-58; Döllinger, Speyerische Seminarfrage, 218220; GHA NI Max 78/11111 (4/18/5), Döllinger, "Ueber das Verfahren gegen den Prof. Frohschammer", 14.4.1863.

11. Nordlichterstreit

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Die zentrale Aufmerksamkeit bei den politischen Aspekten des Nordlichterstreits richtete sich auf das Fach Geschichte und hier besonders auf das Wirken des Historikers Heinrich von Sybel. Sybel zählte wegen seiner dominierenden Stellung bei den Berufenen und beim König von Anfang an zu den von der 'ultramontanen' Presse argwöhnisch beobachteten Persönlichkeiten. Verschärft wurde die Situation durch das konfliktfreudige Auftreten Sybels, der nach Dahns Beobachtung "auch nicht gerade der Mann [war], der die linke Wange darbot, war ihm die rechte unsanft berührt! "m Die großdeutschen und katholischen Vertreter warnten vor der Instrumentali sierung der Historiographie als Kampf- und Argumentationsmittel gegen proösterreichische Lösungsansätze der deutschen Frage. Mit großen Bedenken verwies man auf die geschickte Vorgehensweise Sybels, der seine Anschauungen effektvoll verbreitete, indem er Institutionen errichtete und mit Publikationsorganen wie der Historischen Zeitschrift eine Grundlage schuf, um für die eigenen politischen Ziele vor einem interessierten Publikum zu werben. Dies geschehe vor allem mit der Absicht, zukünftige Studentengenerationen zu beeinflussen, und einseitig auf die kleindeutsch-protestantische Linie einzuschwören. Die enorme Resonanz kleindeutscher Historiker wurde damit erklärt, daß sie sich attraktiv als Träger einer wahrhaft objektiven Wissenschaft zu präsentieren verstanden: "Die Sache ist dahin gekommen, daß diese gothaische Geschichtsauffassung ihre Sätze verkündet wie Axiome. Sie hat das Feld völlig inne, daß sie jeden Zweifel an ihrem Rechte, jeden Beweis ihres Unrechtes zurückweist als einen Zweifel an der Objectivität des Bestehenden. Sie nennt sich die deutsche Geschichtsschreibung. Die Mehrzahl der sogenannten Gebildeten folgt blindlings dieser Spur. "354 Die Historisch-Politischen Blätter setzten sich oftmals mit den Historikern aus dem Kreis Sybels auseinander, wobei die Konzeption der Historischen Zeitschrift besondere Aufmerksamkeit fand. Zu den Hauptkritikpunkten zählte der selbstbewußte Absolutheitsanspruch, mit dem Sybel als "Herausgeber des Organs der Monopolisten"355 seine Auffassungen vortrug. Nach Ansicht seiner Gegner schwang er sich zum Richter über die gesamte Geschichtswissenschaft auf. Dabei würden nur jene Historiker anerkannt, die auf der Linie der Histori-

m Dahn, Erinnerungen Bd. 3, 276.

354 Klopp, Gothaische Geschichtsauffassung, 17. Vgl. auch HPBl46 (1860), Roth von Schrek-

kenstein, Charakteristik der Zeitschrift des Prof. Sybel, 144-146, 151 f., 162, 159: "Niemand wird dem Historiker seinen Einfluß auf die allgemeinen Zustände verkümmern wollen, allein höchst bedenklich wird es allzeit bleiben, wenn das höchste Lehramt, sei es der Geschichte oder einer anderen Wissenschaft, wie ein Mandat Politik zu treiben aufgefaßt werden will." Der Begriff 'Gothaer' bezeichnete preußisch-kleindeutsche Vertreter nach deren Treffen 1849 in Gotha. m HPBl46 (1860), Roth von Schreckenstein, Charakteristik der Zeitschrift des Prof. Sybel,I64.

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D. Öffentlichkeits wirkung der Wissenschaftspolitik

schen Zeitschrift lagen: "Wer nicht unter die Fahne der großen Meister tritt,

der ist ein Finsterling oder als wissenschaftlicher Dilettant rettungslos verloren. "'SO Eine Wissenschaft, die sich einen objektiven Anschein gab, würde dazu mißbraucht, politische Ziele zu propagieren; Sybel wurde vorgeworfen, die Geschichtswissenschaft "als ein Vehikel gothaischer Propaganda "357 zu betreiben. Im Nordlichterstreit verwiesen die großdeutschen Gegner der Berufungspolitik darauf, daß mit Sybel ausgerechnet einer der vehementesten Fürsprecher Preußens an die MÜßchener Universität geholt worden wäre, der keine Gelegenheit für politische Einflußnahme ungenutzt lasse. Somit habe sich auf bayerische Kosten eine "Sekte"Ha in München etablieren können. Ringseis fragte 1859 in seinem Gutachten für Maximilian 11.: "War es sittlich, daß Sybel als bayerischer Unterthan, überdieß als ein von Seiner Majestät König Max mit Wohlthaten überhäufter, für preußische Hegemonie, also für Bayerns Mediatisierung unverschämte Propaganda gemacht hat? Wenn es etwa seine Überzeugung war, daß Preußen zum Wohle Deutschlands die Hegemonie erlange, so dürfte er einen Ruf nach Bayern nicht annehmen. Denn als Erzgothaer bekannt war er schon lange vor seiner Berufung nach Bayern. "319 Die von Sybel an der Münchener Universität und der Historischen Kommission verbreitete Geschichtsauffassung wurde wegen ihrer protestantischen und antikatholischen Grundeinstellung als Gefahr für Bayern betrachtet. Nach Ansicht einheimischer Stimmen schadeten die kleindeutschen 'Nordlichter' in zweifacher Hinsicht, da sie zum einen auf bayerische Kosten lebten und sich zu Lasten bayerischer Talente ausbreiteten; zum anderen liefen sie den außenpolitischen Grundprinzipien Bayerns völlig zuwider60 • Joseph Edmund Jörg wies in den Historisch-Politischen Blättern auf den Widerspruch hin, daß der antikatholische Sybel ausgerechnet an einer katholischen Universität ein gut entlohntes Auskommen genoß. Zwischen den Zeilen ist deutlich der Vorwurf gegen die Regierung herauszulesen, wenn die Frage aufgeworfen wurde, ob es denn nicht gefcihrlich sei, die wichtige Geschichtsprofessur einem exponierten Vertreter des "Gothaismus" anzuvertrauen, der "aus der historischen 'Wissenschaft' eine historische Sekte macht, und zwar eine fanatisch-exclusive"'6'. Ähnlich warnte Döllinger in einem Gutachten für den bayerischen König davor, daß innerhalb der Historischen Kommission die "sogenannte Gothaische

". Ebd. 144 f. 357

Klopp, Gothaische Geschichtsauffassung, 17.

Ha HPBI 42 (1858), Jörg, Zeitläufe, 406.

3S9 GHA NI Max 8116/349 (Briefe), [Ringseis], ·Ueber verschiedene Gerüchte in Bayern", 1859 [Hervorhebung im Original]; vgl. AZ 4.8.1859, 3529 f.; Vb 6.8.1859,753; Vb 25.8.1859,817. '60 Vgl. GHA NI Max 78/1196'/2 (24/9/12), Spruner an Pfistermeister, 17.10.1859. '6' HPBI 42 (1858), Jörg, Zeitläufe, 406. Vgl. auch Dotterweich, Sybel, 260.

11. Nordlichterstreit

297

Geschichtsschreibung"3.2 die Oberhand gewinnen könnte. Die Vertreter der kleindeutschen Geschichtsschreibung unter der Führung Sybels wollten die preußische "Suprematie" und die "Mediatisierung der deutschen Dynastien durch Preußen "363 erreichen. Somit war nach Döllingers Ansicht der von Bayern finanzierten Institution eine gefährliche antibayerische Zielrichtung gegeben, die es zu unterbinden galt. Dazu dichtete das Satireblatt Punsch: "Gothaer Politik macht übel, Bayr'sches Geld verzehrt Herr Sybel. "364 Als teilweise aggressiver Gegner des Katholizismus und Vertreter einer streng preußischen Einstellung, der seine Abneigung gegen Österreich nicht verbarg, gehörte Sybel zu den am heftigsten angegriffenen Persönlichkeiten im Nordlichterstreit. Sybel verstand Geschichte nicht nur als eine Wissenschaft, die zu ihrem Selbstzweck betrieben wird, sondern verband damit politische Intentionen; die aus der Geschichte gewonnenen Erkenntnisse sollten als Argumente in aktuellen politischen Diskussionen eingesetzt werden3.'. Unter dem Eindruck des enormen Widerstands gegen seine Berufung legte Sybel zu Beginn der Münchener Tätigkeit noch politische Enthaltsamkeit an den Tag und agierte lieber unerkannt im Hintergrund. Heftige Reaktionen provozierten allerdings bereits seine verschleierten Äußerungen auf öffentlichen Geschichtsvorträgen, die er auch als Gelegenheit nutzte, um Andeutungen mit politischem Gegenwartsbezug einzuflechten. Der Argwohn der bayerischen Seite wuchs zudem aufgrund von Mutmaßungen über den internen Einfluß Sybels als politischer Ratgeber in der königlichen Umgebung3". Trotz der auferlegten Zurückhaltung bildete Sybel in München einen Hauptträger kleindeutscher Interessen; el versuchte zwar anfänglich, nach außen hin möglichst Distanz gegenüber politischen Aktivitäten zu wahren, aber die Gutachtertätigkeit für Maximilian 11. nahm in tagespolitischen Fragen beachtliche Ausmaße an. Seine Ausführungen zu politischen Problemen wurden vom König aufmerksam und kritisch gelesen. In den Darlegungen verbarg Sybel keines-

362 GHA NI Max 78/1/111 (4/18/3), Gutachten Döllinger, 8.6.1863 [Hervorhebung im Original]; vgl. auch Rall, Geschichtswissenschaftlicher Fortschritt, 150. 363 GHA NI Max 78/1/111 (4/18/3), Gutachten Döllinger, 8.6.1863.

364 Punsch 28.8.1859, 273. In einem ähnlichen Sinn folgten mehrere Anspielungen im Satireblatt, wie eine Karikatur mit einem Geldsack, versehen mit der Aufschrift 25000 f1. - dem Etat der Historischen Kommission - nach dem sich viele Hände ausstreckten; der Untertitel lautete: "Geschichtsforschung nach immerneuen Quellen." Punsch 16.10.1859, 332; vgl. ebd. 23.10.1859, 339. Vgl. auch die Polemik des Münchner Nordlicht-Kalenders 1860, 42. 3.' Vgl. Dotterweich, Sybel, 59, 72-79, 82-86, 126-131.

3" Vgl. die Flugschrift Professor von Sybel's Vortrag, 25; Rechtfertigung Sybels in der AZ 18.5.1857,2195; Vb 28.5.1857,489; AZ 15.11.1858 (Sybel), 5145 f.; GHA NI Max 78/1/96'/2 (24/9/12), Spruner an Pfistermeister, 17.10.1859; HHStA PA IV 27, Zwierzina an Rechberg, 20.4.1860.

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D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

wegs seine kleindeutschen Auffassungen und verurteilte unmißverständlich die Triaspolitik. Maximilian 11. setzte sich zwar eingehend mit den Denkschriften auseinander, auf die konkrete Gestaltung der Regierungspolitik hatten sie aber keinen weiteren Einfluß, da sie in erster Linie als Diskussionsgrundlage dienten. Allerdings gab gerade das geheimnisumwitterte Agieren Sybels hinter den Kulissen zu vielfältigen Spekulationen Anlaß, nach denen Sybel verdächtigt wurde, als Agent für Preußen zu wirken. Das politische Engagement des Historikers für Preußen, besonders seine 1859 ausgesprochene Empfehlung, in den italienischen Auseinandersetzungen Stellung für Frankreich und gegen Österreich zu beziehen, verursachte eine wahre Presselawine, wobei der Volksbote an vorderster Front stand. Zunächst wurde Sybel nicht namentlich genannt, aber mit der Zeit richteten sich die Angriffe immer unverblümter und· härter gegen seine Person. Mit Anspielung auf Sybel warnte der Volksbote vor "Falschwerbern in unserer Mitte", die ein "landesverräterisches Handwerk"3.7 betrieben. Als im Sommer 1859 durch die Allgemeine Zeitung die Äußerung Sybels öffentlich wurde, daß er lieber unter einer französischen als unter einer österreichischen Regierung leben wolle, löste sich in Bayern ein Sturm der Entrüstung 361 . Der Volksbote fühlte sich bestätigt in seinen jahrelangen Warnungen vor den geflihrlichen bayernfeindlichen Auffassungen der 'gothaischen' Berufenen3.' . Die Presseangriffe liefen immer heftiger und deutlicher gegen Sybel, bis schließlich 1861 offen der Vorwurf einer preußischen Agententätigkeit erhoben wurde. Der Volksbote bezog sich dabei auf eine Äußerung Georg von Vinckes in den Beratungen zum Etat des Kultusministeriums vor dem preußischen Abgeordnetenhaus, wo der Abgeordnete auf Sybel als einem preußischen Gelehrten hinwies, der sich besondere Verdienste erworben habe, da er in "Bayern für Preußen mit allen Mitteln wirke"37•. Durch diese Äußerung sah der Volksbote seine Verdächtigungen über die politische Wirksamkeit des Historikers erhärtet. Es dürfe nicht länger eine Persönlichkeit von Bayern bezahlt und in ihrer Arbeit großzügig unterstützt werden, die zum Schaden des Landes und zum Nutzen des preußischen Gegners wirkte; mit deutlichem Seitenhieb auf 3.7 Vb 26.5.1859,514; vgl. auch Roeder, Publizist Zander, 245; HHStA PA IV 27, Schönburg an Rechberg, 14.7.1860. 361 Vgl. AZ 4.8.1859,3529-3531; dazu die Erklärung Sybels In den Neuesten Nachrichten, 14.8.1859, 2617, wo er die Allgemeine Zeitung der Indiskretion und Denunziation bezichtigte, aber nicht von seiner profranzösischen Position abrückte. Die Allgemeine Zeitung brachte diese Erklärung lediglich im Inseratenteil und beteuerte die Echtheit von Sybels Äußerungen, AZ 15.8.1859, 3710. In den Neuesten Nachrichten wiederholte Sybel seinen Einspruch, NN 20.8.1859,2682. 3•• Vgl. Vb 6.8.1859, 753; Vb 17.8.1859, 790; Vb 25.8.1859,832. 37. Vb 30.5.1861, 508.

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den bayerischen König schrieb der Volksbote: "man wird doch hoffentlich hier die Augen nicht länger mehr gewaltsam darüber schließen wollen, daß wir an Herrn v. Sybel in Bayern einen Agenten für Preußen haben, was jedenfalls kurios zu dem Einfluß stimmt, der demselben in Bezug auf bayerische Angelegenheiten eingeräumt worden ist. "m Seit den außenpolitischen Ereignissen des Jahres 1859 engagierte sich Sybel offensiv als Ratgeber und Publizist zugunsten kleindeutscher Interessen. Sybel entwickelte sich für Preußen zu einem der "wichtigsten Vorposten im Zentrum der antipreußischen Agitation "372 , der in München zahlreiche bedeutende Informationsquellen erschloß und nicht nur das politische Geschehen in Bayern analysierte, sondern auch enge Kontakte zum König unterhielt. Wie von seinen Gegnern gemutmaßt wurde, übte Sybel tatsächlich eine Art Agententätigkeit für Preußen aus und verhielt sich gegenüber Maximilian 11. sehr illoyal, weil er über den Inhalt vertraulicher Gespräche sowie über die Rezeption seiner Gutachten durch den König nach Berlin berichtete. Aus dem Briefwechsel mit Max Duncker wird ersichtlich, wie Sybel über Themen und Inhalt seiner politischen Denkschriften für den König Rechenschaft ablegte. Außerdem verfaßte er Berichte über Ansichten und Verhalten des bayerischen Monarchen sowie zur allgemeinen politischen Lage und Stimmung in Bayern373 • Sybels undurchsichtiges Gebaren blieb in Bayern nicht verborgen. Die Widersacher wußten zwar keine genauen Einzelheiten über die Doppelrolle Sybels, aber es kursierten zahlreiche Verdächtigungen, die sich schließlich bewahrheiteten. Obwohl man sich zunächst über sein Wirken nicht ganz im klaren war, ahnte Sybel, welche Folgen die Aufdeckung seines Verhaltens haben würde314 : "Würde man wirkliche Fakta über mich berichten können, es würde denkbar sein, daß man damit den König völlig von seinen wissenschaftlichen Bestrebungen hinwegschreckte. Es ist möglich ... , daß es zum Teil bereits geschehen ist. n Das Jahr 1859

371 Ebd. Dieser Artikel wurde auch als Beispiel für die Eskalation des Nordlichterstreits dem Bericht des österreichischen Gesandten beigelegt, vgl. HHStA PA IV 28, Schönburg an Rechberg, 13.6.1861; vgl. Vb 17.11.1861, 1101 f. 372 Dotterweich, Sybel, 358, vgl. auch ebd. 339-357; Hübinger, Historisches Seminar zu Bonn, 67-70; Franz, Maximilian n. und seine Berater, 232 f. 373 Vgl. z. B. Sybel an Duncker, 16.5.1859 und 28.5.1859, in: Duncker, Briefwechsel, 109, 120 f. Der Politiker und Historiker Max Duncker (1811 - 1886) wurde 1859 Leiter der preußischen Zentralpreßstelle und war zeitweise politischer Berater des Kronprinzen. Vgl. NDB 4, 195 f. Aus Angst vor Öffnung der Briefe formulierte Sybel seine Berichte meistens leicht verschlüsselt, so bezeichnete er Maximilian n. als "meinen Chef" (Duncker, Briefwechsel, 120). Des öfteren unterschrieb er seine Briefe nicht (ebd. 131), oder mit einem Decknamen (z. B. Schulze, ebd. 122, 129); zur damaligen Praxis der Korrespondenzkontrolle, vgl. Siemann, Deutschlands Ruhe, 218220; Dotterweich, Sybel, 358-367. 314 Sybel an Duncker, 1.10.1859, zit. nach Duncker, Briefwechsel, 172.

300

D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

bildete für Sybel eine Zäsur; seine propreußische Einstellung, die sich zu den Ereignissen in Italien manifestierte, stieß auf erbitterten Widerstand, da in Bayern die Stimmung zugunsten Österreichs tendierte. Aus diesen Gründen kam es auch zum Bruch mit der Allgemeinen Zeitung. Sybel wurde ganz im Sinne Preußens aktiv, als er versuchte, Einfluß auf die öffentliche Meinung in Bayern zu nehmen. Als der Versuch mißlang, die Allgemeine Zeitung, die sich hinter die bayerische Annäherung an Österreich stellte, zu einem preußenfreundlichen Kurs zu bewegen, begann Sybel das Augsburger Blatt zu bekämpfen. Er verfaßte ein anonym veröffentlichtes "Sendschreiben" an den Verleger Cotta, in dem er sich "mit tiefem Widerwillen"m von der Allgemeinen Zeitung abwandte. Da keinerlei preußische Einflußnahme auf die Allgemeine Zeitung möglich war, plante Sybel zusammen mit Bluntschli, Brater und Heyse durch die am 1.10.1859 gegründete Süddeutsche Zeitung ein Gegengewicht zu schaffen. Ihre Finanzierung erfolgte durch das preußische Pressebüro; Sybel hatte hierfür die Kontakte geknüpft und bat in der Folgezeit um regelmäßige preußische Unterstützung, denn sobald das Blatt sich durchsetze, werde es "ein sicherer, fester, großer Focus norddeutschen Einflusses im Süden. "376 Obgleich der Historiker maßgeblich mitverantwortlich für die Gründung der Süddeutschen Zeitung war, hielt er sich im Hintergrund und beteiligte sich nicht offiziell an der Zeitung, um keinen endgültigen Bruch mit Maximilian 11. zu provozieren377 • Sybel spürte das gereiztere öffentliche Klima für die 'Gothaer' ; außerdem nahm das Mißtrauen des Königs gegenüber kleindeutsch eingestellten Berufenen merklich zu. Die Regierung beobachtete seit 1859 in den monatlichen Stimmungsberichten mit großer Aufmerksamkeit die "Bestrebungen der Gothaer Parthei"m, wobei auch besonders die Süddeutsche Zeitung ins Visier genommen wurde. Sybels Engagement für die Süddeutsche Zeitung blieb nicht geheim. Der Volksbote mokierte sich im Zusammenhang mit Sybel häufig über die "Sünddeutsche" und deren Anstrengungen um eine "Verpreußung"37'

m (Sybel) anonym, Fälschung der guten Sache durch die Allgemeine Zeitung. Sendschreiben an Baron von Cotta, 64. 37. Sybel an Duncker, 12.11.1859, zit. nach Duncker, Briefwechsel, 137; vgl. auch ebd. 6.8.1859: "Wir werden zunäChst im Feuilleton grimmig interessant sein, mit Artikeln von Liebig, Heyse und ähnlichen braven Leuten ... amüsant und frech auftreten - in der Politik sacht vorangehen, bis wir etwas Fuß haben ... "; vgl. auch Ferres, Sybels Stellung, 34 f. 377 Vgl. BSB Heyse-Archiv VI, Sybel an Heyse, 5.10.1859; Dotterweich, Sybel, 362 f.; Bluntschli, Denkwürdiges, 256, 273, 303. Brater leitete die Redaktion der Süddeutschen Zeitung. m GHA NI Max 74/5/15 c (monatlich), Neumayr an Maximilian 11., "allgemeine Volksstimmung während des Monats Oktober", 18.11.1859; vgl. auch BayHStA MInn 44273/XI, Maximilian 11. an Neumayr, 3.8.1861. 37. Vb 14.6.1861, 554; vgl. Sybel an Duncker, 27.6.1851, in: Duncker, Briefwechsel, 281 f.

11. Nordlichterstreit

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Bayerns. Der Historiker geriet mit seiner politischen Verstrickung zugunsten Preußens in einen Loyalitätskonflikt als Professor in Diensten Maximilians sowie als "Gesinnungsgenosse"380 Preußens. Insgesamt zeigte die politische Aufladung des Streites um den kleindeutschen Historiker die ambivalente Stellung Maximilians, der zwar die politischen Ansichten Sybels verurteilte, aber die abweichende Meinung des Historikers respektierte; besondere Hochachtung brachte der König der wissenschaftlichen Arbeit Sybels entgegen, so daß dieser, kaum behelligt durch die politische Diskussion, in Lehre und Forschung weiterarbeiten konnte. Erst als die öffentliche Debatte zu Beginn der 1860er Jahre eskalierte, entschloß sich der König zu einer Trennung von Sybel. Mit der an Preußen orientierten Wissenschaftspolitik und der auf bayerische Eigenständigkeit achtenden Triaspolitik bestand ein enormer Zwiespalt in der Gesamtkonzeption von Maximilians Regierung. Obwohl die beiden Politikbereiche in einem Gegensatz zueinander standen, wurde die Triaspolitik ebenso vehement betrieben wie die Förderung der Wissenschaften durch die Berufung auswärtiger Gelehrter. Diese Ambivalenz führte zu eigentümlichen Fraktionsbildungen in der öffentlichen Diskussion: die bayerisch-patriotischen Gegner bekämpften zwar erbittert die Wissenschaftspolitik Maximilians 11., stimmten jedoch grundsätzlich mit dessen außenpolitischem Konzept einer Trias überein, während die ansonsten vom König protegierten propreußischen Berufenen sich über die strikt großdeutsch-föderalistische Haltung des bayerischen Königs enttäuscht zeigten. In der Öffentlichkeit kursierte dagegen das Gerücht, daß sich Maximilian 11. von kleindeutsch-preußischen Beratern in seinen politischen Entscheidungen leiten ließ. Die politischen Aspekte des Nordlichterstreits waren eng mit konfessionellen Argumenten verknüpft. Die katholischen Gegner der Berufenen traten für eine großdeutsche, am katholischen Österreich orientierte Deutschlandpolitik ein, um im Falle der deutschen Einigung eine möglichst starke Stellung der Katholiken zu erreichen. Bei den kleindeutschen Berufenen zeigte sich häufig eine stillschweigende Gleichsetzung von Protestantismus und Preußenturn als einem Träger deutscher Wissenschaftlichkeit, die als konstituierender Beitrag für den deutschen Nationalstaat unter preußischer Führung betrachtet wurde. Der politische Schlagabtausch im Nordlichterstreit entzündete sich zu einem erheblichen Teil als Konflikt zwischen kleindeutscher und großdeutscher Geschichtsauffassung. Das effiziente Wirken Sybels als Initiator wissenschaftlicher Projekte, als Forscher, der historische Fragestellungen mit politischen Intentionen verband, als engagierter Hochschullehrer sowie als königlicher Ratgeber alarmierte die Gegner der Wissenschaftspolitik, die in Sybel einen der gefährlichsten propreußischen und antikatholischen Interessenvertreter in München sahen. Mit Blick auf die Konflikte um Sybel verwies

38.,

Sybel an Duncker, 31.12.1860, zit. nach Duncker, Briefwechsel, 252.

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D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

Doenniges in einem Gutachten verallgemeinernd auf das Problem, wenn Gelehrte, die weder tagespolitische Erfahrung besaßen, noch in politische Verantwortung eingebunden waren, als politische Ratgeber tätig wurden. Überhaupt besaßen nach Doenniges' Ansicht Gelehrte kein Talent für die Politik: "Die Gelehrten haben in München bisweilen eine solche Position dadurch erhalten, daß sie von Sr. Majestät zu Fragen über die Tagespolitik herangezogen wurden. Es ist sehr selten, daß Gelehrte, die nie aus ihrer Carriere herausgetreten sind, das Leben und die Politik der Gegenwart richtig beurtheilen. Vielmehr, um einen populären Ausdruck zu gebrauchen, verhauen sie sich meistens oder verschließen sich in einseitigen Anschauungen. Se. Majestät haben diese Erfahrung mit Riehl, Sybel, Fallmereier, und vielen anderen der verschiedensten Richtung gemacht"J&'. Maximilian 11. nahm nach den heftigen Konflikten um das politische Wirken der Berufenen mehr Bedacht auf eine dezidiert bayerische Einstellung seiner Umgebung. Er erkannte in dem intensiven Einbezug propreußischer Gelehrter einen Fehler. Wenngleich die kleindeutsch eingestellten Berater keinen direkten Einfluß auf das politische Tagesgeschäft nahmen, verursachten die Spekulationen um deren politische Wirksamkeit eine enorme Stimmungsverschlechterung gegenüber dem König. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, nahm sich Maximilian zu Beginn der 1860er Jahre vor, verstärkt patriotische Repräsentanten "des ächten Bayernthums" um sich zu scharen; in Stichworten notierte der König seine Vorsätze: "Mir persönliche Freunde zu machen, Mir speziell Personen zu verbinden und sich der spezifischen bayerischen Gelehrten versichern."3&2 Maximilian 11. wollte gegen Ende seiner Regierungszeit eine sichtbare Betonung des Bayerntums, indem er bei seiner Umgebung auf eine bayerische, großdeutsche Haltung achtete, und überhaupt mehr einheimische Kräfte berücksichtigen wollte.

l&' GHA NI Max 77/3/78 (5/1/6), Doenniges an Pfistermeister, 16.7.1861 [Hervorhebung im Original]: "Savigny, Raumer, Dahlmann, Gervinus, Fallmereier, Grimm haben in der Politik mehr oder weniger Fiasco gemacht. Man darf deshalb auch bei weniger bekannten Namen keine erste Rücksicht auf ihre politischen Meinungen nehmen, sondern muß sie gewähren lassen, wenn sie nicht geradezu schädlich wirken. " 3&2 BSB Pfistermeisteriana V.4a, Merkblatt Maximilians 11., "Beilage zu den Hauptpunkten, zu Beachtendes", 21. 9 .1860 unter dem Stichpunkt: "Befestigung Meiner persönlichen Gewalt, persönliche Achtung und Liebe, anerkannt zu werden." Vgl. auch BayHStA MInn 44273.XI, Maximilian 11. an Neumayr, 12.6.1861.

11. Nordlichterstreit

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3. Benachteiligung einheimischer Gelehrter

Durch die Berufungspolitik Maximilians 11. schienen außerbayerische Persönlichkeiten bevorzugt zu werden, so daß in Bayern während der 1850er Jahre StiIrunen laut wurden, die vor einer systematischen Benachteiligung Einheimischer warnten. Die Abgrenzung der 'Fremden' von den alteingesessenen Bayern stand in einer engen Verbindung mit den bisher herausgearbeiteten politischen und konfessionellen Elementen des Nordlichterkonfliktes. Die heftigen Auseinandersetzungen entwickelten in den jeweiligen Streitparteien ein so starkes Solidaritätsgefühl, daß der Eindruck zweier unversöhnlicher Fraktionen entstand: hier die föderalistischen, großdeutschen und katholischen Bayern, dort die zentralistischen, kleindeutschen und evangelischen Zugereisten. Dieses Bild verdeckt allerdings die weitaus differenzierteren Positionen innerhalb der Streitparteien, wo ganz unterschiedliche Akzente auf Politik, Konfession, Geburtsort oder zwischenmenschliche Rivalitäten gesetzt wurden. Im Konfliktfall vermengten sich jedoch die unterschiedlichen Einzelaspekte, bis zwei fest gefügte Fronten gegenüberstanden3•3. Zu bestimmten Anlässen erhielt der Nordlichterstreit besondere Aufmerksamkeit. Die jährlich stattfindenden Rektoratswahlen an der Münchener Universität waren ein Indikator für die wachsende Bedeutung der 'Fremden'. Im Zuge der Rektoratswahlen und einer intensiven Berichterstattung darüber wurde eine allgemeine Diskussion über die angebliche Verdrängung Einheimischer zugunsten Auswärtiger entfacht. Die Rektoratswahlen dienten als "Arena"3" für den Nordlichterstreit und erwiesen sich als regelmäßige Kraftproben zwischen einheimischen und außerbayerischen Professoren. Bei den Rektoratswahlen zu Beginn der 1850er Jahre hatten die Berufenen noch keine Chance, das Rektorat zu erlangen, da die alteingesessenen Professoren die Mehrheit besaßen. Auf diese Lage bezog sich das Satireblatt Punsch im "Monolog der Rektorskette am Tage der Magnificus-Wahl ", um darauf hinzuweisen, daß die Berufenen von der "Zunft" der alten MÜDchener Professoren ausgeschlossen blieben. Der Refrain des Gedichtes lehnt sich an Ernst Moritz Arndts "Was ist des Deut-

3S3 Der aus Bayern stammende Göttinger Mediziner Rudolf Wagner, der mit beiden Konfliktparteien Kontakte unterhielt, hatte am Ende der 1850er Jahre seine Hoffnungen auf eine Versöhnung im Nordlichterstreit aufgegeben; er schrieb an Liebig: "Du weißt, daß ich in München Freunde in beiden Lagern habe und ich bitte Dich, mir zu vertrauen, daß ich als ein aufrichtiger und offener Freund für die nicht völlig in Parthey-Kampf Versteinerten zu Euch komme, ohne den geringsten Wunsch, mich in etwas zu mischen. Wenn ich früher einmal eine kurze Zeit ... den Gedanken hatte, ich könne bei Euch eine vermittelnde Stellung einnehmen, so danke ich Gott, daß es nicht dazu gekommen. Ich wäre zwischen den Partheyen zermalmt worden." BSB Liebigiana II.B, Wagner an Liebig, 23.3.1859. 3" GHA NI Zwehl87, Zwehl an Maximilian 11.,20.7.1859.

304

D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

schen Vaterland?" an: "Habe nun ach Döllinger und Weißbrod, / Und Thiersch und Bayer / Und Gottlob auch Oberndorfer / Geschmückt mit goldenem Schein. / Da häng ich nun, ich cordon d'or / An Stadlbaur, wie zuvor! / ... Und die vielen Berufungen / Bringen die Meinungen entzwei / Denn die alte Schule will nichts wissen / Von fremden Hegelgas-Lichtem, / von Chemikern aus Giessen / Noch Lübecker Dichtem. / Ein ew'ger Haß entzweit das alt' und neue, / Und trägt selbst nach des Geistes Heimathschein. / Und jede Zunft steht in geschloß'ner Reihe, / Und läßt so leicht kein neues Mitglied ein. / Die engen Schlagbäum' , zerstört sie doch - / Des Geistes Zollverein - er lebe hoch! / Was ist der Wissenschaften Vaterland? / Ist's Preussenland, ist's Badenland? / Ist's wo ein Schelling von 'Ideen' spricht, / Ist's wo Gervinus steht vor'm Schwurgericht? / 0 nein, ihr Vaterland muß größer sein! "m Die neuberufenen Dozenten stießen auf deutliche Vorbehalte bei den einheimischen Professoren; die 'Nordlichter' wurden nicht in das Lehrkollegium integriert. Allerdings änderten sich durch die zahlreichen Berufungen bis zur Mitte der 1850er Jahre die Mehrheitsverhältnisse an der Universität, so daß bei der Rektoratswahl des Jahres 1855 zwei beinahe gleichstarke Blöcke gegenüberstanden. Die Berufenen versuchten, einen Kandidaten aus ihren eigenen Reihen in das Rektorat zu bringen. Turnusgemäß stand ein Mitglied der Medizinischen Fakultät zur Wahl. Die Professoren teilten sich in zwei "Heerlager" auf, in "Sieboldianer und Ringseisige"3B6. Die einheimischen Professoren stützten mehrheitlich die Kandidatur von Ringseis, während die Berufenen für den seit 1852 in München lehrenden Anatomen und Zoologen Karl Theodor von Siebold votierten. Den Wahlerfolg Ringseis' kommentierte der Volksbote als überwältigenden Sieg der Einheimischen gegen die "Fremdenlegion", die unterlag, obwohl sie "sich wie Ein [sic] Mann"3B7 hielt. Die Korrespondenten der Allgemeinen Zeitung zeigten sich über den knappen Wahlausgang mit 29 zu 24 Stimmen sehr enttäuscht.. Das Ergebnis wurde jedoch als Beweis für die erfolgreiche Etablierung der Berufenen gewertet, die sich gut an der Universität eingelebt hätten, um nun zum Wohl Bayerns zu wirken. Lediglich in 'ultramontanen' Zeitungen, "die sich zu Repräsentanten des bayerischen Geistes aufblasen möchten "m, werde mit Hetzartikeln der Versuch unternommen, die allseits anerkannten Leistungen der neuen Gelehrten in den Schmutz zu ziehen. Trotz der knappen Wahlniederlage für die Sympa-

m

Punsch 7.8.1853, 254 f.

386

AZ 11.8.1855 (Schleich), 3560.

3S7 Vb 1.8.1855, 721. Der Volksbote wurde wegen diesem Artikel beschlagnahmt, obwohl er einer Ausgabe der Augsburger Postzeitung entnommen worden war, die die Behörden nicht beanstandet hatten. Vgl. Vb 3.8.1855, 729; Roeder, Publizist Zander, 237-240. mAZ 29.7.1855 (Carriere), 3355.

11. Nordlichterstreit

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thisanten der Berufenen interpretierte die Allgemeine Zeitung das Ergebnis dennoch als Wendepunkt in den Münchener Universitätsverhältnissen, da die Berufenen aus ihrer bisherigen Isolation ausbrechen konnten und verstärkt in universitären Ausschüssen, wie dem Senat, vertreten waren. Die Berufenen konnten zunehmenden Einfluß gewinnen, so daß für die Rektoratswahlen des folgenden Jahres gute Chancen prognostiziert wurden, weitere Universitätsämter oder das Rektorat zu erlangen: "Sicherlich werden jene 24 Stimmen, welche in diesem Jahre Pfeufer und Liebig in den Senat gebracht, und Siebold sich zum Rector erkoren, im nächsten Jahre wieder zusammen gehen, und es darf vielleicht schließlich die Hoffnung ausgesprochen werden, daß diese Zahl in Zukunft noch höher seyn werde. Wie es aber auch kommen möge, jedenfalls muß sich auch die Staatsregierung freuen wenn die Minorität, in der sich ihre Neuberufenen befinden, eine so starke ist wie sie sich bei der dießjährigen Rectorswahl zeigte. "389 Auf die Dauer würden sich somit die von "einem wahrhaft wissenschaftlichen Bestreben"390 durchdrungenen Professoren im Münchener Lehrkollegium erfolgreich durchsetzen, womit die Berufungspolitik der Regierung bestätigt werden sollte. Auf der Gegenseite dachte Ringseis bereits nach seinem Wahlsieg an die nächste Rektoratswahl , wo sich die "fremdländisch" gesinnte Fraktion mit der "nationalen" bayerischen Fraktion erneut zu schlagen hatte: "vielleicht schon im nächsten Jahr, wenn es so fortgeht, werden wir unterliegen. Wir werden versuchen, nächstes Jahr Lasaulx zum Rektor zu wählen. "39\ Im Vorfeld solcher universitätsinterner Wahlen wurde mit allen Methoden versucht, Einfluß auf das Ergebnis zu nehmen. Ringseis wollte das Amt als Rektor 1856 ausnutzen, um mit der Festsetzung von Wahlterminen seiner 'Partei' einen Startvorteil einzuräumen. Der Mediziner plante, den Wahlgang erst zu Beginn der Semesterferien im August stattfinden zu lassen, wenn bereits einige der Berufenen ihren Urlaub angetreten hatten. Diese Manipulation sollte dem Kandidaten Ernst von Lasaulx eine bessere Ausgangsposition gegenüber Liebig verschaffen392 • Die Berufenen wollten die Mehrheitsverhältnisse zu ihren Gunsten verändern, indem alteingesessene Professoren pensioniert, und durch neue Dozenten ersetzt wurden. Diese Bemühungen fanden die Unterstützung der Regierung; so schlug Kultusminister Zwehl 1859 vor, noch

389 AZ 2.8.1855 (Friedrich Walther, Professor an der Juristischen Fakultät der Münchener Universität), 3410. 390 Ebd. 39\ Ringseis in einem Brief 1855, zit. nach Ringseis, Erinnerungen Bd. 4, 61.

392 Vgl. GHA NI Zwehl87, Zwehl an Maximilian 11.,24.7.1856: Der Kultusminister unterband die von Ringseis beabsichtigte Terminverschiebung, womit Zwehl dem Chemiker helfen wollte: "Hienach ist kaum mehr zu zweifeln, daß die Wahl auf den Freyherrn von Liebig fallen werde."

20 Sing

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D. Öffentlichkeitswirkung der Wissenschaftspolitik

rechtzeitig zu den Universitätswahlen die "für die Intentionen Euerer königlichen Majestät, ein wissenschaftliches Leben an der Universität aufzufrischen und zu verstärken, schwärmende und aus den jüngeren Lehrkräften gebildete Parthey" dadurch zu stärken, daß Maximilian 11. die geplanten Neuberufungen und Beförderungen noch schnell vor der Wahl unterzeichnete393 . Im Jahr 1856 standen sich die beiden Fraktionen unversöhnlich gegenüber, diesmal vertreten durch den Chemiker Liebig und den 'ultramontanen' Philosophen Lasaulx. Erneut konnten sich die Berufenen nicht durchsetzen, da Liebig mit nur 27 Stimmen unterlag, und auf Lasaulx 32 Stimmen entfielen3". Zu dieser Wahl entscheidung erschien im Punsch eine Karikatur mit dem Titel "Wachablösung", wo der Wächter Ringseis seinem Nachfolger Lasaulx das Schildhäuschen übergab, während im Hintergrund der Chemiker Liebig enttäuscht abzog; die Parole für die Ablösung lautete: "Nur nichts Neues! "395 Auch in der Folgezeit blieben die "Parteiverhältnisse" mit "zwei wohl disziplinierten Lagern"3" innerhalb des Lehrkörpers bestehen. Es gelang der "Fremdenlegion" nicht, innerhalb der Universitätsorgane die Mehrheit zu erringen. In der Presse grübelten die Korrespondenten mit Vorliebe, wie die Ergebnisse bei den Universitätswahlen zustande kamen, und welche Professoren zu welcher Partei zu zählen waren3". Hierbei zeigt sich, daß viele Details zum jeweiligen Wahlgeschehen an die Öffentlichkeit getragen wurden. Für die Beteiligten waren die Rektoratswahlen mehr als nur ein bloßes Kräftemessen, sondern Ausdruck einer grundsätzlichen Frontstellung. Ringseis interpretierte die Wahlen als Ringen zwischen "Autoritätsgläubigen" und "Autoritätsungläubigen" , zu denen die "einflußreichen Neuberufenen"398 zählten. Von diesem Kreis sei ein "fanatisches Parteitreiben gegen alle, die ihren Glauben muthig bekannten" ausgegangen, was mit dem politischen Wirken zum

393 GHA NI Zwehl87, Zwehl an MaximiIian 11.,20.7.1859. Der König lehnte dieses Vorgehen ab: "Es ist Mir nicht ganz angemessen erschienen, auf diese Wahlen Meinerseits irgend welchen Einfluß auszuüben." Vgl. Pauli, Lebenserinnerungen, 192; GHA NI Max 81/6/349 (Briefe), [Ringseis], "Ueber verschiedene Gerüchte in Bayern", 1859; AZ 9.8.1857 (Walther), 3523. 3.. Vgl. AZ 31.7.1856 (Schönchen), 3416; AZ 9.8.1856 (Schönchen), 3564; AZ 27.8.1856 (Prager), 3842. 39S Punsch 24.8.1856, 265. Wegen Spott auf Beamte in dieser Karikatur wurde der Punsch beschlagnahmt. Vgl. AZ 25.8.1856 (Schleich), 3811. Auch der Volksbote, 2.8.1856, der triumphierte, daß Liebig "glänzend durchgefallen" sei, wurde konfisziert; Roeder, Publizist Zander, 243 f. 3.. AZ 9.8.1857 (Walther), 3523; vgl. auch AZ 26.7.1857 (Prager), 3304. Auf diese Artikel bezog sich eine Erwiderung Ringseis', die er im "Namen der 'Unwissenschaftlichen'" unterzeichnete, weil in der Allgemeinen Zeitung vom 9.8.1857 (Walther), 3523, die Berufenen als "wissenschaftliche Parthei" bezeichnet worden waren. AZ 16.8.1857, Ringseis, 3634. 307 Vgl. z. B. AZ 29.7.1860 (Haller), 3512; AZ 31.7.1860 (Haller), 3549; Vb 31.7.1860,711. 398 GHA NI Max 81/6/349 (Briefe), [Ringseis], "Ueber verschiedene Gerüchte in Bayern", 1859.

11. Nordlichterstreit

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Nutzen Preußens ergänzt worden seP". Mit Billigung des Königs habe sich an der bayerischen Landesuniversität eine Gruppe propreußischer und antikatholischer Fremder etablieren können, die danach trachteten, die Universität ganz mit ihren Gesinnungsgenossen systematisch zu durchsetzen1O. Felix Dahn, dessen Vater unter Dingelstedt am Hoftheater wirkte, schrieb in seinen Memoiren, daß sich Dingelstedt "verdienter- und unverdientermaßen zahllose Feinde gemacht"" I habe. Heftige Angriffe zielten nicht nur auf die Theaterarbeit sondern auch gegen den Charakter des Intendanten; so wurde in der Presse eingehend behandelt, wie er 1852 den Journalisten Karl Wilhelm Vogt, der Dingelstedts Ehefrau in einer spöttischen Theaterkritik beleidigt hatte, in der Öffentlichkeit verprügelte. Der Redakteur des Satireblatts Joeus war zwar in München nicht sonderlich angesehen, wurde aber von der 'ultramontanen' Presse als Opfer bemitleidetm. Der Vorfall erregte erheblicJles Aufsehen in der Öffentlichkeit, wobei sich Maximilian 11. demonstrativ mit Maßregeln gegen den Hoftheaterintendanten zurückhielt, obwohl dies von der 'ultramontanen' Presse gefordert worden warm. Die Pressekampagne gegen Dingelstedt nahm kontinuierlich zu; mit

"'" GHA NI Max 81/6/349 (Briefe), [Ringseis], "Ueberverschiedene Gerüchte in Bayern", 1859. Vgl. Doeberl, Entwicklungsgeschichte Bayerns Bd. 3, 317 f.; Dingelstedt, Blätter aus seinem Nachlaß, 118-120; Dingelstedt, Bilderbogen, 58-95; Dirrigl, Maximilian 11. Bd. 2, 1025-1077. 510 Vgl. Grosse, Literarische Ursachen, 351; Grosse, Ursachen und Wirkungen, 267 f.; GHA NI Pfistermeister 7, von der Pfordten an Pfistermeister, 19.12.1855. Vgl. auch die publizistisch hochgespielte Affäre um den Lehrer Bacherl, der behauptete, sein Stück sei plagiiert worden. Vgl. Dingelstedt, Bilderbogen, 157-180; AZ 17.4.1856 (Wagner), 1724; Vb 5.3.1856,230; Dirrigl, Maximilian 11. Bd. 2, 1061-1065. SII Dahn, Erinnerungen Bd. 3, 328 f., vgl. 323 f.; Heyse, lugenderinnerungen, 200, 214 f. m Dingelstedt rechtfertigte sich in einem eineinhalbseitigen gedruckten Schreiben, das er in seinem Bekanntenkreis versandte: Vgl. BSB Pfistermeisteriana m, Beilage zum Schreiben an Pfistermeister, 31.3.1852. Vgl. Jocus 11.4.1852 [beschlagnahmt], 331 f., in: BayHStA Mlnn 45307. Vgl. Vb 4.4.1852,331; Vb 7.4.1852,339 f.; Vb 20.4.1852,379 f.; Vb 3.6.1852,596; Vb 10.7.1852,657; Vb 11.7.1852,661; AZ 9.7.1852 (Prager), 3069; AZ 10.7.1852 (Prager), 3074; AZ 25.2.1853 (Prager), 829; AZ 6.3.1853 (Prager), 1036. m Vgl. Vb 4.4.1852; Roeder, Publizist Zander, 233-235; GHA NI Max 74/5/15b (monatlich), Zwehl an Maximilian 11., "allgemeine Volksstimmung während des Monats Män", 18.4.1852. Dingelstedt schrieb beruhigt in einem Brief: "Der König hat sie [die Prügelei] fest und wacker als das genommen, was sie ist: Privatsache. " BSB Autogr. Dingelstedt, Dingelstedt an Düringer,

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dem Weggang von Doenniges fehlte Dingelstedt ein wichtiger Fürsprecher innerhalb der 'Fremdenlegion', wo der Intendant, der auch von den königlichen Symposien ausgeschlossen blieb, in Isolierung geriet. Nach dem "Gesamtfestspiel" aus Anlaß der Münchener Industrieausstellung von 1854, das durch den Ausbruch der Cholera gestört worden war, kamen Gerüchte um finanzielle Unregelmäßigkeiten in der Theaterkasse auf. Wegen des Haushaltsdefizits geriet Dingelstedt beim König in Ungnade"4. Nach heftigen Angriffen gegen Dingelstedt entließ ihn der König im Januar 1857. Selbst bei den Berufenen blieb das Bedauern um die Entlassung des Theaterintendanten begrenztm . Das allgemeine Presseecho war eher von Verständnis für den König und Schadenfreude gegenüber Dingelstedt gekennzeichnet. Die Entlassung wurde als Indiz für die gewandelte Einstellung Maximilians 11. gewertet, der die Berufenen nun skeptischer beobachtete und zunehmend bemüht war, die schlechte Öffentlichkeit gegenüber den 'Nordlichtern' zu berücksichtigen. Auch die Berufenen sahen im erzwungenen Weggang des Theaterintendanten ein Zeichen für das verschärfte Klima gegenüber ihren Belangen und als weiteren Markstein für die Auflösung der 'Fremdenkolonie'sl •. Der öffentliche Widerstand gegen einzelne Berufene wurde von Maximilian 11. genau registriert. Der König schützte einen Angegriffenen so lange wie möglich, wenn jedoch die 'Volksstimmung' zu stark gefährdet schien, und der Monarch sich persönlich durch einen Berufenen enttäuscht fühlte, setzte eine merkliche Distanzierung ein, bis schließlich ein klarer Schluß strich gezogen, und die Entlassung eingeleitet wurde; diese Vorgehensweise läßt sich auch am Beispiel des Historikers Heinrich von Sybel verdeutlichen. Sybel wirkte auf seine katholischen und bayerischen Gegner geradezu als Paradebeispiel eines selbstherrlichen norddeutschen Gelehrten. Der Historiker wurde wegen seiner betont kämpferischen Haltung zu einem der Feindbilder seitens der 'Ultramontanen' und der Einheimischen"'. Die Bekämpfung der kleindeutschen Geschichtsauffassung und der Vorwurf einer antikatholischen

21.4.1852. SI' Vgl. Dingelstedt, Bilderbogen, 133-141; Roeder, Publizist Zander, 236 f.; GHA NI Max 73/4/8 (20/12/2), Notiz Maximilians 11., "Wünschenswerthe Eigenschaften eines HoftheaterIntendanten", 15.7.1856. m Vgl. AZ 20.1.1857 (Hemsen), 316; AZ 28.1.1857 (Schönchen), 444; Punsch 18.1.1857, 19; Punsch 1.2.1857,34; Punsch 29.3.1857, 101; GHA NI Max 76/6/16 (Briefe), Löher an Pfistermeister, 19.2.1857; BSB Heyse-Archiv 1.39, Heyse Tagebuch 4, 28.1.1857; Moisy, Heyse, 74; Dingelstedt, Bilderbogen, 184-188. SI. Vgl. HHStA PA IV 24, Hartig an Buol-Schauenstein, 4.2.1857; BSB Liebigiana II.B, Doenniges an Liebig, 6.2.1857; Dingelstedt, Bilderbogen, 128. m Vgl. z. B. die anonyme Flugschrift: Professor Sybel's Vortrag, 25, 49 f.; Rechtfertigung Sybels in der AZ 18.5.1857,2195.

ß. Nordlichterstreit

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Wissenschaftspolitik wurde häufig an der Person Sybels exemplifiziert, der beispielsweise auch auf den Katholikentagen als Hauptvertreter einer bedenklichen wissenschaftlichen Entwicklung dargestellt wurdem . 1859 verschärften sich die öffentlichen Angriffe auf Sybel, der in diesem Jahr wegen seiner dezidiert kleindeutschen Einstellung ins Kreuzfeuer der Kritik geriet. Es wurde eine Pressekampagne eröffnet, die das Ziel hatte, den Historiker aus München zu vertreiben. Die Angriffe auf die Berufenen erreichten eine bislang nicht gekannte Schärfe. Den häufigen Klagen über die 'Nordlichter' trug Maximilian 11. Rechnung, indem er den Umgang mit ihnen reduzierte. Zu den Symposien, die bis 1859 mehrmals pro Woche stattgefunden hatten, wurde seit diesem Zeitpunkt nur noch selten und unregelmäßig geladen. Der Monarch nahm Rücksicht auf die Volksstimmung durch eine deutliche Drosselung der Sympathiebekundungen für die auswärtigen Gelehrten'19. Sybel wußte um die Verschlechterung seiner Lage infolge der harten Angriffe. Es ist festzustellen, wie er um Zurückhaltung mit offenen politischen Meinungsäußerungen bemüht war, und sich verstärkt auf die Wissenschaft konzentrierte. Außerdem sah sich der Historiker nach einer neuen Wirkungsstätte in Preußen um, wobei er besonders Berlin im Auge behielt, aber auch an Bonn dachte, als dort durch den Tod Friedrich Christoph Dahlmanns im Dezember 1860 ein Lehrstuhl frei wurqe'20. Die Gerüchte um eine bevorstehende Ruhestandsversetzung des Historikers verstärkten den Wunsch, München den Rücken zu kehren. Sybel fühlte sich einer "Hetzjagd Olm ausgesetzt und spürte, wie Maximilian 11. immer mehr Schwierigkeiten bekam, ihn noch länger zu halten. Es schwang auch ein wenig dramatisierende Opferbereitschaft mit, wenn Sybel schrieb, daß er nur wegen seiner für Preußen so nützlichen Tätigkeit in Bayern ausharre, allerdings "den Bettel hinwerfe", falls man ihm den Bruch aufnötige: "Ich unterschätze den Wert meiner hiesigen Wirksamkeit nicht und werde aushalten so lange wie möglich. Olm Wenn es jedoch in Bayern zu einer politischen Eskalation kommen sollte, meldete er Interesse an einer Ausweichmöglichkeit in Preußen an. Begründet wurde dieser Wunsch nach einer sicheren Zuflucht damit, "daß ich hier im Kampfe stehe, weil ich

m Vgl. z. B. Verhandlungen der katholischen Vereine, Kreuser, 9.9.1861, 62: "München ist sicherlich ein Ort der freien Wissenschaft und wird daselbst in vielen Fächern viel gestribelt, gebibelt und gesiebelt. .. Vgl. auch Schnee, Zeitung "Deutschland", 492 f.; GHA NI Max 81/6/349 (Briefe), [Ringseisl, "Ueber verschiedene Gerüchte", 1859. m Vgl. Sybel an Droysen, 23.10.1859, 26.10.1859, 5.12.1859, in: Droysen, Briefwechsel Bd. 2, 626 f., 632 f., 642 f.; Dotterweich, Sybel, 368 f. '20 Vgl. Hübinger, Historisches Seminar zu Bonn, 71. m Sybel an Duncker, 31.12.1860, zit. nach Duncker, Briefwechsel, 251. m Ebd. 252. 22 Sing

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D. Öffentlichkeits wirkung der Wissenschaftspolitik

zwar ein loyaler Untertan meines Königs, zugleich aber auch ... ein Gesinnungsgenosse Ihrer [preußischen] Regierung bin."m Der einzige Schutz vor öffentlichen Angriffen bestand in der persönlichen Protektion des Monarchen, der allerdings im Lauf der Zeit wegen der zahlreichen Anschuldigungen das Vertrauen in Sybel verlor. Durch sein konfrontationsfreudiges Eingreifen in politische Diskussionen bot Sybel Angriffsflächen. Die mangelnde Zurückhaltung in politischen Fragen bildete gleichsam die Achillesferse des Historikers. Seine Widersacher hatten die verwundbare Stelle bald entdeckt und zielten munter darauf, so daß Sybel in eine unhaltbare Position geriet. Am 13.5.1861 erfolgte eine vertrauliche Anfrage des preußischen Kultusministers Bethmann-Hollweg, ob Sybel bereit sei, einen Ruf nach Bonn anzunehmen~2