Konfigurationen des Unheimlichen: Medien und die Verkehrung von Leben und Tod in Elfriede Jelineks Theatertexten 9783839437346

Elfriede Jelinek and the uncanny - this book reveals the virtuous play with relations of popularity in her theatre work

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Konfigurationen des Unheimlichen: Medien und die Verkehrung von Leben und Tod in Elfriede Jelineks Theatertexten
 9783839437346

Table of contents :
Inhalt
I. Einleitung
II. Konzeptionen des Unheimlichen
III. Elfriede Jelineks Theatertexte der frühen und mittleren Werkphase
IV. Bambiland (2003)
V. Babel (2004)
VI. Fazit und Ausblick
Anhang
Dank

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Elisabeth Günther Konfigurationen des Unheimlichen

Theater | Band 93

für Heinz J. Kersting für Malina und Jim, die mein Leben jeden Tag reicher machen

Elisabeth Günther (Dr. phil.), Literaturwissenschaftlerin, studierte, lehrte und promovierte an der Universität Hamburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Gegenwartsdramatik, Dramentheorie sowie aktuelle Kulturtheorien.

Elisabeth Günther

Konfigurationen des Unheimlichen Medien und die Verkehrung von Leben und Tod in Elfriede Jelineks Theatertexten

Die Arbeit wurde gefördert durch ein Promotionsstipendium der Universität Hamburg und den Deutschen Akademischen Austausch Dienst

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Daniel Kunzfeld, 2014 Lektorat: Babette Jonas & Moira Mertens Satz: Götz Zuber-Goos Druck: docupoint GmbH, Magdeburg Print-ISBN 978-3-8376-3734-2 PDF-ISBN 978-3-8394-3734-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

I.

Einleitung | 9

1.

Thesenentwicklung | 9 1.1 Thesen und Ausgangspunkte | 18 1.2 Zur Forschung | 26

II. Konzeptionen des Unheimlichen | 33

1. 2.

3.

4. 5.

Diskursive Veränderungen | 33 1.1 Zur Begrifflichkeit | 36 Zu den Anfängen des Unheimlichen: Ernst Jentsch vs. Sigmund Freud | 40 2.1 Fragliche Belebtheitsverhältnisse als Auslöser des Unheimlichen (E. Jentsch) | 42 Exkurs: Zum Konzept des „Uncanny Valley“ | 46 2.2 Sigmund Freuds Aufsatz zum Unheimlichen in der Kritik | 48 Der Lustaspekt im Unheimlichen | 55 3.1 Freuds Theorie der Todestriebe als Erweiterung des Unheimlichen | 56 3.2 Kein Tod im Todestrieb? | 61 3.3 Das unheimliche Subjekt zwischen Lebens- und Todestrieben | 63 Das Unheimliche als Oberflächenstruktur im postmodernen Kontext | 70 Das Unheimliche zwischen Erhabenem und Ekel | 75 5.1 Das Erhabene als Verdrängungsfigur des Unheimlichen | 81 5.2 Zum Ekel: Das Abjekte als Ausdruck des Todestriebs im Organischen | 90

III. Elfriede Jelineks Theatertexte der frühen und mittleren Werkphase | 101

1. 2. 3.

4.

Zum Unheimlichen im Theater: Mediale Voraussetzungen der theatralen Form | 101 Elfriede Jelineks Theaterästhetik zwischen ‚nicht mehr dramatischem Theatertext‘ und postdramatischem Theater | 108 Krankheit oder Moderne Frauen (1984) | 114 3.1 Das vampirische Zwischenleben als Unentschlossenheit des Körpers | 116 3.2 Der Körper im Prozess seiner Verflüssigung | 121 3.3 Der Schauspielerkörper als Verweissystem in der Fläche | 127 3.4 Der simulierte Körper als Oberflächenkonstrukt | 133 Wolken.Heim. (1988) | 140 4.1 Das Eigenleben der Sprache in den Textflächen und das „Nachleben“ der zitierten Rede | 143 4.2 Das thanatologische Streben der simulierten Sprache | 150

Exkurs: Das Unheimliche erhält seinen Auftritt: Das Chorische in Einar Schleefs Inszenierung von Ein Sportstück (1998) | 155 IV. Bambiland (2003) | 159

1. 2.

3.

4. 5.

Zum theoretisch-diskursiven Hintergrund von Bambiland und Babel | 168 1.1 Der Irakkrieg als Krieg der Bilder in Bambiland | 174 Textorganisation. Der „vielstimmige Polylog“ Bambilands als Textmodus des ‚Zapping‘ | 179 2.1 Zu den Sprecherpositionen. Entfremdung der Rede im „Echoraum“ | 182 2.2 Direkte Adressierungen eines Gegenübers. Phantasmatischer Adressat als Drahtzieher und Zeuge des Geschehens | 187 Darstellungsproblematik und Botenfunktion. Das Unheimliche medialer Irritationen | 195 3.1 Botenbericht aus unsteter Perspektive. Zwischen erhabener Sicht und Rhetorik der fehlenden Abstände | 198 3.2 Zerfaserung des Botenberichts. Versagen im linearen Vorankommen des Berichtens | 206 3.3 Das scheinbare Jetzt und Hier der Botenrede. Das Unheimliche der seriellen Beobachtungsschleife | 210 3.4 Der Bote ist die Botschaft. Der Sprecher als Effekt seiner Rede | 216 3.5 Die Autorinnenfiktion Elfriede Jelinek als ultimative Botin ihres Textes | 220 3.6 Die Verkehrung der Belebtheitsverhältnisse im Medium | 229 Im (Ohn-)Machtsraum von Darstellung. Die „graue, grauenhafte Anwesenheit“ (IM) der Macht des Fernsehers wird im Theater ansichtig | 233 Von Cyborgs | 244 5.1 Rhetorische Anthropomorphisierung der Kriegstechnologie | 249 5.2 Das Erhabene der Technik | 253 5.3 Unheimliche Selbstgeburtsphantasmen. Die Überwindung des Menschen durch die Technik | 258

V. Babel (2004) | 265

1.

Irm sagt und Margit sagt | 270 1.1 Zur untoten Sprecherposition: Der Märtyrertod als Verlängerung des Lebens | 272 1.2 Der Märtyrer-Topos in psychoanalytischer Deutung: Infantilisierte Mütter und regressive Söhne „auf dem Topferl“ (MS 108) | 275

2.

Peter sagt | 288 2.1 Sprecherpositionen, Bauweise und Themen | 288 2.2 Die Adressierung des „liebe[n] users“ (PS 143): Das kybernetische Verhältnis zwischen Medium und ‚Nutzer‘ | 294 2.3 Zum Unheimlichen des Bildes in Peter sagt | 297 2.3.1 Der Bild-Topos im Kontext von Oberflächenspiel und Flussmetapher | 305 Exkurs: Fluss- und Bergmetapher im Kontext von Paul Celans Gespräch im Gebirg | 310 2.3.2 Der Mensch im „Ausnahmezustand, eigentlich: Aufnahmezustand“ (PS 197) | 316 2.3.3 Zum Leben der Bilder im Zeitalter ihrer biokybernetischen Reproduzierbarkeit | 327 2.3.4 Bildverbreitung und mediale Kommunikationsprozesse unter den Prämissen von Immunisierung und Ansteckung | 341 2.3.5 Krise durch Ansteckung: Die Abstände, die in den Medien getilgt werden, im Theater wiederherstellen | 360

VI. Fazit und Ausblick | 367 Anhang | 375

Siglenverzeichnis | 375 Literatur | 376 Dank | 407

I. Einleitung

1. T HESENENTWICKLUNG Elfriede Jelineks Werk ist thematisch von dem Motiv der Untoten geprägt.1 Durch ihre Texte geistern Zombies, Vampire, Gespenster und andere Arten von Wiedergängern. Dies nimmt seinen Anfang in den zwanghaft sprechenden Vampirinnen in Krankheit oder Moderne Frauen2 über den mumifizierten Alpenkönig im allegorischen Zwischenspiel in Burgtheater3 bis zu der körperlosen Stimme eines untoten deutschen Wir in Wolken.Heim.4 Ihr opus magnum, der Roman Die Kinder der Toten5 ist eine „barocke Todesfuge“, in der „Unlebendige über Leichen gehen und Untote fröhlich ‚Urständ‘ feiern“.6 Schließlich dominieren die schweigenden Gespensterbilder von Opfern des österreichischen Neonazi-Terrors die Szenerie von Stecken, Stab und Stangl7 und der untote Bodybuilder Andi treibt neben zahlreichen 1

2 3 4 5 6

7

Andreas Heimann stellt in seiner Studie zum untoten Subjekt in Jelineks Werk die These auf, dass die „Figur des Untoten Systemcharakter beanspruchen kann.“ Andreas Heimann: Die Zerstörung des Ichs: Das untote Subjekt im Werk Elfriede Jelineks, Bielefeld 2015, S. 14. Elfriede Jelinek: Krankheit oder Moderne Frauen, in: dies.: Theaterstücke, hrsg. von Regine Friedrich, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 191-265. Elfriede Jelinek: Burgtheater, in: dies.: Theaterstücke, hrsg. von Ute Nyssen, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 129-190. Elfriede Jelinek: Wolken.Heim, in: dies.: Stecken, Stab und Stangl. Raststätte oder sie machens alle. Wolken.Heim.: Neue Theaterstücke, Reinbek bei Hamburg 1997, S. 135-158. Elfriede Jelinek: Die Kinder der Toten, Reinbek bei Hamburg 1997. Löffler schreibt weiter, dass Österreich in dem Roman als „scheinbelebte Nekropole“ inszeniert würde, „ein sich selbst negierender Bereich toten Lebens. Dass diese Spukhaftigkeit des Landes etwas mit der verdrängten Vergangenheit zu tun habe, tönt als Cantus firmus durch den ganzen Text.“ Sigrid Löffler: Herrin der Unholde und der Gespenster, in: Literaturen, 12 (2004), S. 7-15, hier S. 15. Elfriede Jelinek: Stecken, Stab und Stangl, in: dies. Neue Theaterstücke, Reinbek 1997, S. 15-68.

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Wiedergängerinnen der Autorin in Ein Sportstück sein Unwesen.8 Auch in den Stücken seit 2000, in denen Jelinek ihre Absage an die figurale Rede noch einmal radikalisiert zu haben scheint,9 sind es meist Untote, die das Wort ergreifen; die Opfer der Brandkatastrophe im Tunnel von Kaprun in dem Theatertext In den Alpen oder die Stimme des Selbstmordattentäters Mohammed Attas von 9/11 und eines im Irak-Krieg getöteten Blackwater-Söldners in Babel. Schon diese kursorische Aufzählung verdeutlicht den leitmotivischen Charakter des Untoten in Elfriede Jelineks Werk. Jelinek selbst bezeichnet ihr Schreiben als dem Genre der ‚Gothic tales‘ und der Gespenstergeschichten zugehörig.10 Diese inhaltliche Fokussierung korrespondiert mit der formalästhetischen Ebene von Jelineks Theatertexten. So sind ihre Stücke radikal dekonstruktivistisch und ihr spezifisches Verfahren der Intertextualität dekuvriert den Doppelcharakter des Zitierens als Mortifikation und Neubelebung der Vergangenheit.11 Jelinek lässt nicht nur gespensterhafte Gestalten durch ihre Theaterstücke wandeln, sondern inszeniert auch einen „Sprachspuk“12 auf struktureller Ebene. [...] her theater is a non-theater, her themes are non-themes, the structure of her texts is decentralized, and the differences between main text and subtext are undermined. Thus the non, the un, the de- prefices of her un-live practice begin to render her textual practice [...]

13

Die Vorsilbe des Un-toten erstreckt sich in Jelineks Theatertexten also auf die unterschiedlichsten Ebenen. Inhaltlich wie auch strukturell, über die Figuren ihrer Stücke bis zur Negativität ihrer Theaterästhetik wird das Untote zum Thema.

8 9

10 11

12 13

Elfriede Jelinek: Ein Sportstück, Reinbek bei Hamburg 1999. Was sich nicht notwendigerweise durch fehlende Sprecherangaben zeigt. Diese sind häufig noch vorhanden, wenn auch sehr allgemein gehalten, wie beispielsweise in dem Stück In den Alpen mit den Sprechern Helfer, Kind, Mann und auf den letzten Seiten des Stücks A und B, oder die Überschreibungen der drei Babel-Monologe mit Irm sagt, Margit sagt, Peter sagt, die mehr Titel als Sprecherangaben darstellen. Jede Sprecherangabe fungiert dabei als ein Hinweis auf ihre eigene Dekonstruktion und Durchstreichung als Figur. Vgl. Löffler 2004, S. 15. Evelyn Annuß arbeitet in Anlehnung an Walter Benjamin das Theater Jelineks als ein „Theater des Nachlebens“ heraus, in dem sich der Doppelcharakter von Mortifikation und Neubelebung des Zitierens zeigt. Vgl. Evelyn Annuß: Elfriede Jelinek. Theater des Nachlebens, München 2005. Christina Schmidt: SPRECHEN SEIN. Elfriede Jelineks Theater der Sprachflächen, in: Sprache im technischen Zeitalter 153 (2000), S. 65-74. Sigrid Berka: ‚Das bissigste Stück der Saison‘: The Textual and Sexual Politics of Vampirism in Elfriede Jelinek’s Krankheit oder Moderne Frauen, in: The German Quarterly, 68 (1995), H. 4, S. 372-388, hier S. 384.

E INLEITUNG

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Dabei geht die vorliegende Studie davon aus, dass Jelineks Fokus auf das Untote zu großen Teilen mit Medialität zusammenhängt. Die spirituell-religiöse Auffassung des Mediums als einer Person, die sich anbietet und befähigt ist, die Toten durch sich hindurch mit den Lebenden sprechen zu lassen und umgekehrt, legt den Zusammenhang des Medialen zum Untoten bereits nahe. In Jelineks Texten spielt Medialität eine bedeutende Rolle, und die These der vorliegenden Arbeit ist, dass sie im Horizont des Medialen eine Auslotung von Belebtheitsverhältnissen vornimmt, die mit dem Unheimlichen beschreibbar wird. Denn Jelinek fokussiert den Aspekt des Medialen, Belebtheitsverhältnisse umzukehren und die Unklarheit darüber, ob etwas belebt oder unbelebt ist, wird in der vorliegenden Arbeit als grundlegendes Motiv des Unheimlichen begriffen. Eine eindeutige Definition des Unheimlichen stellt sich dabei als schwierig heraus und seine Begriffsgenese als disparat. Das Gros der Forschungsansätze geht zwar von Sigmund Freuds Aufsatz Das Unheimliche14 aus, schon dessen Deutung jedoch fällt höchst unterschiedlich aus, und der Begriff unterliegt seitdem einem beständigen Wandel. Diese indefinite Position des Unheimlichen birgt den Nachteil, dass es dem theoretischen Zugriff leicht zu entgleiten droht. In der Ambivalenz jedoch entfaltet das Unheimliche auch sein Potential als ein Begriff, an dem sich gesellschaftliche Veränderungen ablesen lassen. Daraus, wie der Begriff des Unheimlichen also gedeutet und welche Schwerpunkte gesetzt werden, lassen sich Rückschlüsse auf das gesellschaftliche Verständnis von Leben und Tod ziehen. In diesem Sinne leistet die vorliegende Arbeit nicht nur einen Beitrag zur Erschließung von Elfriede Jelineks Werk; darüber hinaus soll sie Aufschluss über die gegenwärtig herrschende Verunsicherung bezüglich der eindeutigen Definition von Leben und Tod geben. An dieser Stelle wird der Begriff der Medien relevant. Die Konjunktur, die das Unheimliche seit den 1980er-Jahren erlebt, ist im Zusammenhang mit der fortschreitenden Medialisierung unserer Gesellschaft zu verstehen. Darin wird das Unheimliche zur prinzipiellen Grundstimmung in der Postmoderne15 als einer Epoche, die sich mit ihrem Präfix ‚post‘ dadurch auszeichnet, das Ende aller möglichen Gewissheiten auszurufen (das Ende der Geschichte, des Subjekts, des Theaters etc.). Die vielfältigen ‚Post-ismen‘ in gegenwärtigen Diskursen korrespondieren sowohl mit dem Untoten als auch mit der allumfassenden Medialisierung. Die Nachträglichkeit und Mittelbarkeit, die damit ins Spiel gebracht wird, lässt den Menschen zum Zitat seiner selbst werden und stellt so seine eindeu-

14 Sigmund Freud: Das Unheimliche (1919), in: Ders.: Gesammelte Werke, Bd. 12, Frankfurt/Main 1986. S. 229-268. 15 Vgl. Helga Lutz: Zur Inszenierung von Unheimlichkeit in den Arbeiten von Jane und Louise Wilson, in Antja Krause-Wahl/Heike Oehlschlägel/Serioscha Wiemer (Hg.): Affekte. Analysen ästhetisch-medialer Prozesse, Bielefeld 2006. S. 116-129, hier S. 119.

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tige Belebtheit in Frage.16 Dieser Subjektentwurf spiegelt sich in Jelineks Werken wider und begründet deren unheimlichen Gehalt und unheimliche Wirkung. Für die vorliegende Untersuchung bedarf es einer genaueren Definition und Kontextualisierung des Medienbegriffs in Jelineks Werk. Ist oben so lapidar von der fortschreitenden Medialisierung der Gesellschaft die Rede, bringt dies eine Reihe von Problemen und Ungenauigkeiten mit sich. Die Diskussion darüber, was ein Medium ist, scheint unerschöpflich;17 in Jelineks Texten werden die unterschiedlichsten Medien relevant, und die unterschiedlichsten Begriffe davon, was ein Medium ist, deutlich. Jelinek setzt insbesondere in aktuellen Stücken die Figur des Boten zur Übermittlung ihrer Rede ein, neben dem Chor, der ebenfalls als beliebtes Stilelement ihrer Theatertexte gilt, ist der Bote klassisches Medium des antiken Theaters. Ihre Texte fokussieren die Medien des Theaters, den Schauspieler, dessen Körper, aber auch die Stimme und die Sprache des Textes. Schließlich greift Jelinek inhaltlich wie auch formalästhetisch die ubiquitäre Durchsetzung der elektronischen Massenmedien seit Mitte des 20. Jahrhunderts auf, die im Zuge der Digitalisierung mit dem Computer und dem Internet unter dem Schlagwort der ‚Neuen Medien‘18

16 Dieser Gedanke geht auf eine Anregung von Evelyn Annuß zurück, die auf der Tagung Epistemologien des Untoten in Berlin (8.-9. Juni 2012) die Frage in den Raum stellte, ob die Konjunktur des Untoten als Reaktion auf die diversen Post-Feststellungen unserer Zeit gelesen werden kann, in der wir uns ständig als Zitat empfinden und somit als Untote. 17 Der gleichnamige Band sucht der Frage ‚Was ist ein Medium?‘ mit Antworten aus den unterschiedlichsten Disziplinen zu begegnen. Im Vorwort konstatieren Stefan Münker und Alexander Roesler die zunehmende Entgrenzung des Begriffs, der von einem Stuhl, einem Rad oder Spiegel bei Marshall McLuhan über das Grammophon, Film, Typewriter des gleichnamigen Buchs von Friedrich Kittler bis zu Kunst, Glaube und Liebe bei Niklas Luhmann alles bedeuten kann. Vgl. Stefan Münker/Alexander Roesler (Hg): Was ist ein Medium?, Frankfurt/Main 2008, S. 11. 18 Der Begriff der Neuen Medien ist selbstverständlich relativ. Zunächst wurde das Radio so bezeichnet, in den Anfängen des Fernsehens galt der Ausdruck meist diesem, und seit Mitte der 1990er-Jahre wird er für alle elektronischen, digitalen und interaktiven Medien gebraucht, insbesondere den Computer. Norbert Bolz beschreibt in seiner Theorie der Neuen Medien die Verabschiedung des Buches als Leitmedium, heute hauptsächlich durch den Computer. Im Kontext der vorliegenden Untersuchung meint der Begriff die elektronischen, digitalen Medien seit Erfindung des Fernsehens, auch wenn das Fernsehen in der jüngsten Vergangenheit vom Medium Internet einverleibt zu werden scheint bzw. seine Funktionsweisen ändert und ändern muss, um konkurrenzfähig zu bleiben. Vgl. hierzu Norbert Bolz: Theorie der Neuen Medien, München 1990. Vgl. hierzu auch: Klaus Arnold/Christoph Neuberger (Hg.): Alte Medien – neue Medien. Theorieperspektiven, Medienprofile, Einsatzfelder, Wiesbaden 2005.

E INLEITUNG

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eine allumfassende Präsenz besitzen.19 Es geht in ihren Texten insofern nicht so sehr um verschiedene, voneinander abgrenzbare und konkrete Einzelmedien. Vielmehr setzt Jelinek diese ein, um Medialität als elementare Dimension und Funktionsweise „unserer menschlichen Lebensform und kulturell geprägten Welt“20 zu verdeutlichen. Dabei macht Jelinek auch außerhalb ihrer Texte die elektronisch-digitalen Medien vielfach zum Thema. Gab sie von jeher ein stilisiertes Bild ihrer Person ab, entwickelte sie im Laufe der Zeit mehr und mehr Geschick darin, sich in der Öffentlichkeit zu inszenieren und ein Versteckspiel anhand ihrer Person zu spielen. Höhepunkt dieser Strategie ist ihre Rede zum Nobelpreis, die sie bekanntlich nicht in Persona hielt, sondern statt ihrer selbst eine Videoaufnahme ihrer Rede nach Stockholm schickte. An diesem Ereignis wird der Mechanismus des Medialen deutlich, der das Medium im Horizont des Unheimlichen verortet: der Entzug der Präsenz in der Darstellung bzw. der Präsenz. Hans-Friedrich Bormann hält in Anlehnung an Friedrich Kittler fest: Medien sind Instrumente des Unheimlichen, und dies umso mehr, als sie sich als artifizielle Konstruktionen nicht ohne weiteres zu erkennen geben: Sie erzeugen und garantieren ‚Wirklichkeit‘. In dem Maße, wie sich Medialität insgesamt als blinder Fleck der Wahrnehmung 21

erweist, bleiben ihre strukturellen Voraussetzungen unsichtbar.

Jelinek sucht eben diese „strukturellen Voraussetzungen“ sichtbar zu machen und weist in ihren Texten exzessiv auf die Medialität hin. Am Beispiel ihrer medial vermittelten Annahme des Nobelpreises wird deutlich, was auch für ihre Theaterstücke zutrifft: Mit dem Hervortreten und der Betonung der Medialität des Ereignisses wird das dargestellte Ereignis hier mehr und mehr zu einem gespenstischen Akt. Als Phantasma, das sich als Anwesendes erst in seiner Abwesenheit beweist, tritt das Ereignis im Kontext seiner medialen Darstellung in eine unheimliche Dynamik. Bezüglich Jelineks Nobelpreisrede ist hier von Bedeutung, dass sie gerade wegen und nicht trotz ihrer Medialität eine gesteigerte Aufmerksamkeit erregte. Jelinek erlangte ihre Präsenz über ihre körperliche Abwesenheit als ‚Figur‘ in den

19 Am ausführlichsten und explizit geht Jelinek schon in dem Roman von 1972, Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft, auf die Folgen und Funktionsmechanismen der Massenmedien ein. 20 Sybille Krämer: Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität, Frankfurt/Main 2008, S. 103. 21 Hans-Friedrich Bormann: Der unheimliche Beobachter. Chris Burden, 1975: Performance als Dokument, in: Erika Fischer-Lichte/Christian Horn/Sandra Umathum/Matthias Warstat (Hg.): Wahrnehmung und Medialität, Tübingen/Basel 2001, S. 403-419, hier S. 417.

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Medien, derweil auch die Aufmerksamkeit als Medien-Echo stattfand.22 Diese Performance der Autorin, ob als solche intendiert oder nicht, ist beispielhaft für das, was sie in ihren Stücken bezüglich der für das Theater zentralen Kategorien der Darstellung, des Ereignisses und der Präsenz thematisiert. Aus dieser Perspektive des Medialen wird die besondere Bedeutung der dramatischen Form in Bezug auf die Diskursivierung des Untoten deutlich.23 Evelyn Annuß verweist darauf, dass das Untoten-Motiv, gleichwohl es in den Prosatexten, wie dem frühen Vampirtext DER FREMDE! störenfried der ruhe eines sommerabends der ruhe eines friedhofs24 von 1969 oder im Roman Die Kinder der Toten aus dem Jahre 1995, eine markante Rolle einnimmt, es aber insbesondere in den Theatertexten eine ästhetische Voraussetzung ihrer Texte bildet.25 Dies hängt mit der spezifischen Medialität des Theaters zusammen. Herausragendes Strukturelement des Theaters ist die szenische Lektüre und Verkörperung des Textes durch den Schauspieler. Die Frage nach der An- und Abwesenheit des Körpers stellt sich im szenisch angelegten Dialog des Theatertextes durch seine Hör- und Sichtbarkeit stärker als im Prosatext, und so bietet sich die dramatische Form vielleicht stärker für die Beschäftigung mit Belebtheitsverhältnissen und deren Verkehrung an.26 Zentraler Angriffspunkt von Jelineks negativer Theaterästhetik ist dabei die illusionistische Verlebendigung der Figur im traditionellen Repräsentationstheater. Damit wird der Schauspieler als Medium problematisiert. In seiner Funktion, den zu übermittelnden Text nicht lediglich zu verkünden, sondern mimetisch eine Rolle nachzuahmen und dieser Leben einzuhauchen, neutralisiert er sich als gut funktionierendes Medium.27 Diesen Prozess zu unterbrechen und einen „Kurzschluss zwi22 Zu dem teils boshaften Medien-Echo auf Jelineks Nobelpreisverleihung und ihre deutlich als medial markierte Annahme des Preises vgl. den Band von Pia Janke (Hg.): Literaturnobelpreis Elfriede Jelinek, Wien 2005. 23 Vgl. für eine komprimierte und doch alle relevanten Aspekte der Untoten-Thematik nennende Darstellung Moira Mertens: Untote, in: Pia Janke (Hg.): Jelinek-Handbuch, Stuttgart 2013, S. 292-300, hier S. 292. 24 Elfriede Jelinek: DER FREMDE! störenfried der ruhe eines sommerabends der ruhe eines friedhofs, in: Peter Handke (Hg.): Der gewöhnliche Schrecken. Horrorgeschichten, Salzburg 1969, S. 146-160. 25 Vgl. Evelyn Annuß: Im Jenseits des Dramas. Zur Theaterästhetik Elfriede Jelineks, in: Text+Kritik: Elfriede Jelinek, H. 117 (1999), S. 45-50, hier S. 46 und Evelyn Annuß: Zwischen Life Sciences und Live Studies. Elfriede Jelineks literarische Figurationen des Untoten, in: JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek-Forschungszentrum 2013, S. 24-37. 26 Vgl. Annuß 1999, S. 47. 27 Eine grundlegende Einsicht in die Funktionsweise des Mediums, die im Kontext des Unheimlichen offensichtlich von elementarer Bedeutung ist, ist die paradoxale Struktur der „‚Abwesenheit in der Anwesenheit‘. Der Vollzug von Medien zehrt von ihrem Entzug.“ Vgl. Krämer 2008, S. 28.

E INLEITUNG

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schen den unterschiedlichen Ebenen“28 herbeizuführen, ist Jelineks primäres Anliegen.29 In ihrem theaterästhetischen Essay Ich möchte seicht sein schreibt sie: Ich will nicht das Kräftespiel dieses ‚gut gefetteten Muskels‘ (Roland Barthes) aus Sprache und Bewegung – den sogenannten ‚Ausdruck‘ eines gelernten Schauspielers sehen. [...] Der Schauspieler ahmt sinnlos den Menschen nach, er differenziert im Ausdruck und zerrt eine andere Person dabei aus seinem Mund hervor, die ein Schicksal hat, welches ausgebreitet wird. Ich will keine fremden Leute vor den Zuschauern zum Leben erwecken. Ich weiß auch nicht, aber ich will keinen sakralen Geschmack von göttlichem zum Leben Erwecken auf der Bühne haben.

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Jelineks Theaterprogrammatik steht so der gängigen Vorgehensweise, auf der Bühne Leben zu erzeugen, diametral entgegen. Vielmehr möchte sie das Theater als Medium stören und „Unbelebtes erzeugen“, oder in Jelineks Worten: „Ich will dem Theater das Leben austreiben. Ich will kein Theater.“31 Jelineks vorrangige Strategie, um der Verlebendigung ihrer Figuren schon im Text entgegenzuarbeiten, liegt dabei in der konsequenten Verflachung des Körpers, der Sprache und der Figur. In dieser ‚Poetologie der Oberfläche‘32 kommt zum einen das Unheimliche zum Tragen und wird zum anderen die Verortung des Unheimlichen im Medium bzw. im Medialen deutlich. Jelineks Fokus auf die Oberflächenstrukturen ist die Frage nach dem Medium als Schnittstelle, an der die Verlebendigung stattfindet, bereits inhärent. Medien sind ihrer grundlegenden Funktion nach Oberflächenkonstruktionen, da sie sich dadurch definieren, dass sie etwas verlautbaren oder ansichtig werden lassen und also an die Oberfläche (ihrer selbst) vermitteln. Die Rhetorik von Jelineks vielfach zitierter Forderung bezüglich des Schauspielers, „Klopfen wir sie platt zu Zelluloid!“33, macht mit der Anspielung auf die Materialität des Films den 28 Wie Bormann es für Chris Burdens Arbeit mit den Medien attestiert. Vgl. Bormann 2001, S. 410. 29 Und schließlich schreibt Jelinek – neben einem stetig wachsenden Essay-Werk – schwerpunktmäßig Theaterstücke bzw. Texte für das Theater, abgesehen von ihrem Internetroman Neid, der sich aber eben auch durch seine besondere Form der Medialität und Verbreitung auszeichnet. 30 Elfriede Jelinek: Ich möchte seicht sein, in: Christa Gürtler (Hg.): Gegen den schönen Schein. Texte zu Elfriede Jelinek, Frankfurt 1990, S. 157-161, hier S. 157. Im Folgenden Jelinek: Seicht 1990. 31 Jelinek, Elfriede: ‚Ich will kein Theater – ich will ein anderes Theater‘, in: Theater Heute, 8 (1989), S. 30-33. Im Folgenden: Jelinek: kein Theater 1989. 32 Vgl. den Band Lob der Oberfläche, darin insbesondere den Aufsatz von Juliane Vogel: „Ich möchte seicht sein.“ Flächenkonzepte in Texten Elfriede Jelineks, in: Thomas Eder/Juliane Vogel (Hg): Lob der Oberfläche. Zum Werk von Elfriede Jelinek, München 2010, S. 9-18. 33 Jelinek: Seicht 1990, S. 160,

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Ausgangspunkt ihrer Oberflächenauslotungen deutlich. Jelineks Kritik an der theatralen Form ist als intermedialer Verweis auf die elektronischen bzw. digitalen Medien zu verstehen. Dabei ahmt sie nicht einfach deren Funktionsweisen nach. Franziska Schößler hebt hervor, dass ein Medium als „Reflexionsinstanz eines anderen fungiert, dass es dessen ‚utopisches‘ Potential (Interaktivität) und Defizite (Aufkündigung der face-à-face-Relation, Manipulation etc.) freilegen kann“.34 In diesem Sinne befragt und erprobt Jelinek das Medium Theater35 stets im Rückbezug auf die technischen (Kommunikations-)Medien. Aus der Perspektive des Unheimlichen richtet sich die Frage bzw. das In-FrageStellen dabei auf den Menschen als Subjekt in Abgrenzung zu ‚seinen‘ Objekten und inwiefern diese Abgrenzung insbesondere in der fortschreitenden Entwicklung technischer Medien zunehmend schwierig wird.36 „Unter dem Gesichtspunkt der Technik ist Welt hergestellte Wirklichkeit, deren Hergestelltheit kulturformierend zurückschlägt.“37 Jelineks implizite These von der Verflachung des Menschen als Rückkoppelungseffekt der technischen Medien zeigt die wechselseitige Einflussnahme von Mensch und Maschine auf. Während deren Homologie kein neues Problem darstellt, ist die unklare Grenzziehung zwischen Mensch und Maschine im Horizont des Medialen Ausdruck des Unheimlichen, wie es uns gegenwärtig begegnet. So formuliert die aktuelle Medienforschung Zweifel gegenüber der defini-

34 Franziska Schößler: Intermediale Verhandlungen: Theater und elektronische Medien, in: Togil-munhak. Koreanische Zeitschrift für Germanistik/Han'guk Togo Tongmun Hakhoe. Seoul: Koreanische Ges. für Germanistik, vol. 106, 2008, S. 9-29, hier S. 11. 35 Zum Medienstatus des Theaters gibt es Gegenstimmen. Aufgrund der leiblichen Co-Präsenz von Schauspieler und Zuschauer sowie der Unmittelbarkeit des Theaterereignisses stellt dieses als Medienereignis eine grundsätzlich andere Realität dar als beispielsweise das Fernsehereignis, argumentiert der Theaterwissenschaftler Joachim Fiebach. Dabei scheint das Theater eine ähnliche Problematik im Mediendiskurs anzusprechen wie der Computer, insofern es plurimedial ist, also verschiedenste Medien in sich zu vereinen mag. Die vorliegende Studie operiert fraglos mit einem sehr viel weiter gefassten Medienbegriff. Gerade in den Unterschieden zwischen Theater und den technischen Medien bezüglich ihrer Medialität wird hier das Potential vermutet, beider Funktionsweisen genauer beschreiben zu können, wie mit Schößler oben angemerkt. Vgl. S. 6. Zur Frage nach dem Medienstatus des Theaters vgl. Julia Pfahl: Robert Lepage ist (k)ein Zauberer! Intermedialität als theatraler Wahrnehmungsmodus, in: Nadja Elia-Borer/Samuel Sieber/Georg Christoph Tholen (Hg.) Blickregime und Dispositive audiovisueller Medien, Bielefeld 2011, S. 73-85, hier S. 75ff. 36 Jean Baudrillard spricht in diesem Zusammenhang von einem „Zustand anthropologischer Ungewißheit“, in dem wir uns zunehmend befinden. Vgl. Jean Baudrillard: Videowelt und fraktales Subjekt, in: Karlheinz Barck/Peter Gente u.a. (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1990, S. 252-264, hier S. 260. 37 Vgl. Christa Karpenstein-Eßbach: Einführung in die Kulturwissenschaft der Medien, Paderborn 2004, S. 11.

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ten Lokalisierbarkeit des Maschinellen und stellt die Frage, ob „es noch außerhalb oder schon innerhalb des Menschen“38 liege. Der entscheidende Faktor, der das Ausgreifen der Technik in die Sphäre des Menschen begünstigt, ist die Performativität des Medialen. Die Kategorie des Performativen schreibt dem Medium eine aktive Rolle zu; dieses übermittelt nicht lediglich, sondern stellt im Übermittlungsprozess das zu Übermittelnde zuallererst her. Mit dem Fokus des Unheimlichen gelangt die Analyse von Jelineks Texten zu eben dieser Frage nach der Performativität des Medialen. Wenn Evelyn Annuß in ihrer für die Theaterästhetik Jelineks grundlegenden Studie Theater des Nachlebens feststellt, Jelineks Werk erschließe sich über die Form mit der entscheidenden Frage danach, „welches Wer da spricht?“,39 so meint dies die Unbeantwortbarkeit der Frage im Sinne der Performativität von Sprache. Ganz im Sinne des Marshall McLuhanschen Mottos ‚The Medium is the Message‘ heißt es in Jelineks Roman Lust: „Die Sprache selbst will jetzt sprechen gehen!“40 Die ‚Sprachflächen‘41 ihrer Texte zeugen von der Hervorbringung des Mediums durch die Botschaft und dem Eigenleben, das die Sprache darin gewinnt. In diesem Spiel mit den Medien bringt Jelinek die traditionellen Rollen und Zuständigkeiten ins Wanken. Plötzlich scheint offen, wer Sender, wer Übermittler und wer Empfänger ist;42 und mehr noch, wird diese Trinität43 als reiner Effekt der Botschaft reflektiert, erscheint die Botschaft plötzlich als Souverän der Kommunikationssituation. Wenn Sybille Krämer aus der Fremdbestimmtheit des Boten ableitet, dass es stets ein Außerhalb von Medien gebe,44 so bedeutet die Souveränität der Botschaft über ihre Akteure die Negation eines Außerhalb von Medien. Mehr auf struktureller als auf inhaltlicher Ebene inszeniert Jelinek eine derartige Medienwelt; mit den Textflächen, den Körperflächen und verflachten, entkernten Figuren stellt sie die 38 Vgl. Karpenstein-Eßbach 2004, S. 14. 39 Der Fokus auf die Frage nach der sprechenden Instanz geht auf eine Äußerung Jelineks zurück, die in einem Interview sagte, wenn sie eine Doktorarbeit über sich schreiben würde, „würde sie versuchen herauszufinden, welches Wer da spricht“. Vgl. Annuß 2005, S. 11. 40 Elfriede Jelinek: Lust, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 28. 41 Jelinek brachte den Begriff der Sprachflächen in dem bereits genannten Interview mit Anke Roeder an. Vgl. Roeder 1989, S. 153. Hier sei er zunächst einmal unkritisch angeführt. Im Folgenden wird wiederholt auf diesen Begriff eingegangen. 42 Krämer spricht von der „Fragilität der Boteninstitution, die ihn zur Kippfigur prädestiniert: Gerade weil die Kommunizierenden füreinander unerreichbar sind, wird die Frage von Belang, ob der Bote seinen heteronormen Status und die darin angelegte Neutralität wahrt, oder ob er sich doch als Souverän und Manipulator ‚seiner‘ Nachrichten ‚geriert‘, mithin weglässt, verzerrt oder erfindet.“ Vgl. Krämer 2008, S. 115f. 43 Krämer formuliert die Dreiheit als eine elementare Dimension der Boteninstitution. Vgl. Krämer 2008, S. 115. 44 Krämer 2008, S. 114.

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Verankerung dieser Medien und ihrer Botschaften in einer empirischen Realität in Frage. Das Unheimliche zeigt sich hier vielschichtig, richtet sich letztendlich jedoch stets danach, ob und auf welche Weise sich die Verhältnisse zwischen Belebtem und Unbelebtem darin verkehren. Eben diesen Verkehrungen will die vorliegende Studie auf den Grund gehen. 1.1 Thesen und Ausgangspunkte Als Einstieg in die Arbeit soll zunächst ein kursorischer Überblick über aktuelle Tendenzen bezüglich des Unheimlichen gegeben werden. Der Begriff erfreut sich seit den 1980er-Jahren zunehmender Beliebtheit. Gleichzeitig fand mit der Konjunktur des Unheimlichen eine Akzentverschiebung des Begriffs statt, die hier mit einem Wandel des Fokus von konkreten Figuren und Repräsentationen des Unheimlichen hin zu seiner Bedeutung als prinzipieller Grundstimmung in der Postmoderne beschrieben werden soll. Eine Arbeit, die sich mit dem Unheimlichen in Elfriede Jelineks Theatertexten beschäftigt, steht vor dem Problem der Gegenstandsdefinition und muss zunächst einmal klären, was sie unter dem Begriff versteht. Da das Unheimliche ursprünglich aus dem Alltagsgebrauch stammt und seine Bedeutung von der Wortebene ausgehend entfaltet, erfolgt zunächst eine nähere Begriffsbestimmung des Unheimlichen. Daran schließt sich die Diskussion von Freuds Aufsatz zum Unheimlichen und der 10 Jahre vorher veröffentlichten Abhandlung des Mediziners Ernst Jentsch an. In seinem 1906 in der Psychiatrisch-Neurologischen Wochenschrift erschienenen Aufsatz Zur Psychologie des Unheimlichen45 erläutert Jentsch, dass das Unheimliche durch die „intellectuelle Unsicherheit“46 gegenüber der Belebtheit oder Unbelebtheit eines Wesens oder Dings entsteht. In der Verbindung mit Freuds Ansatz, der die Erzeugung des Unheimlichen auf das Auftauchen verdrängter Inhalte oder infantiler Komplexe zurückführt, die nicht an die Grenze des Bewusstseins hätten gelangen sollen,47 lässt sich der Ausgangspunkt des Unheimlichen für die vorliegende Arbeit beschreiben. Das Unheimliche wird hier auf die fragliche Belebtheit zurückgeführt, die als ein verdrängter Inhalt in der Vorstellung des Menschen existiert und im Erinnern das Unheimliche hervorruft.

45 Ernst Jentsch: Zur Psychologie des Unheimlichen, in: Psychiatrisch-Neurologische Wochenschrift, Nr. 22/23 (1906), S. 195-198 und 203-205. 46 Jentsch 1906, S. 196. 47 „Das Unheimliche des Erlebens kommt zustande, wenn verdrängte infantile Komplexe durch einen Eindruck wieder belebt werden, oder wenn überwundene primitive Überzeugungen wieder bestätigt scheinen.“ Freud 1986, S. 263.

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Die synthetisierende Untersuchung von Jentschs und Freuds Denkansätzen führt zu Freuds in Jenseits des Lustprinzips48 entwickelter These von den Todestrieben, die hier als Erweiterung seiner Erörterungen zum Unheimlichen herangezogen werden soll. In Freuds Theorie der Todestriebe zeigt sich seine Nähe zu Jentschs These der fraglichen Belebtheit. Außerdem gilt es in diesem Kontext, die lustvolle Komponente des Unheimlichen herauszuarbeiten, die schließlich seine faszinierende Wirkung begründet. Im Anschluss soll Jacques Lacans Theorie des Spiegelstadiums49 erläutert werden, um eine genauere Bestimmung der Entstehungsbedingungen des Subjekts vorzunehmen. Von Bedeutung ist hier Lacans Verknüpfung der Subjektwerdung mit dem Austritt des Kindes aus der symbiotischen Beziehung mit der Mutter und einer damit einsetzenden allgemeinen Unterscheidungsfähigkeit, die das Kind wiederum in die symbolische Ordnung einführt und es befähigt, zwischen belebten und unbelebten Gegenständen zu unterscheiden.50 Da Lacan jedoch die Bedingungen und die Wesensart des Kindes vor dem Spiegelstadium ausklammert und eben diese für das Unheimliche relevant sind, wird hier Julia Kristevas Begriff vom ‚Subjekt im Prozess‘ näher erläutert. Geht Lacan von der notwendigen und endgültigen Überwindung des Spiegelstadiums aus, soll mit Kristeva eingewendet werden, dass sich das Subjekt in einem lebenslangen Prozess zwischen vorsubjektiv und subjektiv befindet. Kristeva versteht das Vorsubjektive nicht als eine Phase in der menschlichen Genese, sondern als eine subjektimmanente Modalität, die sie mit dem Begriff des Semiotischen51 bezeichnet. In diesem dezentrierten Subjektverständnis von Kristeva stellt sich das Unheimliche als ein integraler Bestandteil des Subjekts heraus. Dabei gilt die Annahme, dass das Unheimliche an dem Umschlagsmoment von semiotisch zu symbolisch entsteht, da die Belebtheitsverhältnisse im Sinne eines (selbst)bewussten Subjekts in der Modalität des Semiotischen unklar sind. Schließlich erfolgt die Einordnung des Unheimlichen in einen postmodernen Kontext. Hierbei wird Jean Baudrillards These des Simulakrums als der unheimliche Subjektentwurf einer medial geprägten Gesellschaft im Zentrum des Interesses stehen. Dabei soll die Homologie zwischen dem Simulakrum und dem Semioti-

48 Sigmund Freud: Jenseits des Lustprinzips (1920), in: Ders.: Gesammelte Werke. Studienausgabe, hrsg. von Alexander Mitscherlich, Bd. III, Frankfurt/Main 1975, S. 213-272. 49 Jacques Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion. Wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint, in: Ders : Schriften I, hrsg. von Norbert Haas, Frankfurt/Main 1975. S. 61-71. 50 Indem das Baby versucht, die Aufmerksamkeit seiner Umgebung zu erregen, erwirbt es die grundsätzliche Unterscheidung zwischen belebt und unbelebt. Dies geschieht im Kontext einer allgemeinen Befähigung zur Differenzierung. Vgl. Anzieu, Didier: Das Haut-Ich, Frankfurt/Main, 1985, S. 78. 51 Vgl. Julia Kristeva: Die Revolution der poetischen Sprache, Frankfurt/Main 1978.

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schen im Horizont ihrer Oberflächenstruktur erörtert werden. Sowohl das Semiotische als auch das Simulakrum zeichnen sich durch eine Zweidimensionalität aus, die die Belebtheit des Subjekts in Frage stellt. Die dyadische Struktur im Gegensatz zum dreidimensionalen Raum ist der Knotenpunkt, an dem das Unheimliche als Struktur und Funktionsweise von Medialität beschreibbar wird; hier gilt die These, dass die digital-elektronischen Medien Welt simulieren und nicht abbilden. Darüber hinaus ist die Flächigkeit Ausgangspunkt, um das Unheimliche (des Medialen) in Elfriede Jelineks Theatertexten festzumachen. Die letzten beiden Kapitel zur Begriffsklärung des Unheimlichen untersuchen das Erhabene und den Ekel im Hinblick auf deren Überschneidungen – und Abgrenzungen – zum Unheimlichen. Ausgehend von Hans-Thies Lehmanns These „Das Erhabene ist das Unheimliche, die Theorien des Erhabenen Figuren seiner Verdrängung“52 wird das Erhabene in seiner Überwältigungsstruktur als die ästhetische Kategorie schlechthin aufgezeigt, um aktuellen Fragen der (Un-)Darstellbarkeit, Präsenz und Performativität im Theater-Diskurs nachzugehen. So erfährt der Begriff des Unheimlichen über den Diskurs des Erhabenen entscheidende Erweiterungen, die ihn im Feld der Ästhetik und insbesondere des Theaters verorten. Der Ekel wird schließlich anhand von Julia Kristevas Begriff des Abjekten in Beziehung zum Unheimlichen und zu Freuds Theorie der Todestriebe untersucht. Der zweite Teil der Untersuchung beginnt mit einer schematischen Darstellung des Unheimlichen in der Geschichte des Theaters und einigen einleitenden Überlegungen zu den strukturellen Voraussetzungen des Theaters, die seine Untersuchung mit dem Unheimlichen-Begriff nahe legen. Die These lautet hier, dass in den aktuelleren Tendenzen des Theaters seine per se unheimliche Struktur im Horizont seiner Medialität deutlich wird. Die anschließende Untersuchung der Theatertexte Krankheit oder Moderne Frauen (1984), Wolken.Heim. (1988) und Ein Sportstück (1998) arbeitet die jeweiligen Oberflächenauslotungen zielführend heraus. Dabei geht es vornehmlich um die Perspektivierung des Unheimlichen bezüglich Körper, Figur und Sprache. In der paradigmatischen Analyse von Krankheit oder Moderne Frauen liegt der Fokus auf den Verflachungstendenzen in der Darstellung des Körpers. Auch anhand Jelineks theaterästhetischer Essays und der Sportlerfigur Andi aus Ein Sportstück werden die unterschiedlichen Körperkonzepte erarbeitet. Ob untot, verflüssigt und ineinander übergehend oder roboterhaft maschinengleich agierend, sollen die in den Texten vorherrschenden Körperkonzepte im Horizont ihrer flächigen Beschaffenheit analysiert werden. Ohnehin als unheimliche Figuren markiert, gilt hier die Annahme, dass das Unheimliche im Hinblick auf die Theatralität der Texte noch gesteigert wird, indem die Konfrontation der zweidimensio52 Hans-Thies Lehmann: Das Erhabene ist das Unheimliche. Zur Theorie einer Kunst des Ereignisses, in: Ders.: Das Politische Schreiben, Theater der Zeit: Recherchen 12, Berlin 2002, S. 59-74, hier S. 67.

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nalen Körperflächen mit dem Schauspielkörper im dreidimensionalen Raum der Bühne als Intention des Textes einkalkuliert ist. Die hier getroffene Auswahl verhältnismäßig früher Stücke zur Analyse der Oberflächenthematik in Jelineks Werk bietet sich insofern an als sie den Übergang vom dramatischen zum „nicht mehr dramatischen“53 Theater Jelineks markieren. Dabei sei betont, dass diese Entwicklung keiner linearen Chronologie folgt, da Jelinek eher mit den Kategorien des Dramatischen und Nicht-, bzw. Postdramatischen spielt, als sich einer Form zu verschreiben.54 Was sich jedoch in Wolken.Heim. eindeutig zeigt und in Krankheit oder Moderne Frauen bereits andeutet, ist die „Priorisierung der Sprache gegenüber den Instanzen der Verlautbarung“.55 In Wolken.Heim. zeugen schon die fehlenden Sprecherangaben von der performativen Eigendynamik des Wortes, das sich vollends einer Figur entledigt hat. Während Krankheit oder Moderne Frauen noch einem primär mythenkritischen Ansatz nachgeht und das Ziel verfolgt, heteronormative Geschlechterrollen am Mythos Körper zu dekonstruieren, ersetzt in Wolken.Heim. ein als „Geraune“56 daherkommender ideologisch aufgeladener Diskurs die Sprachhandlung; lässt das frühere Stück die von außen stattfindende Figuration als Nicht-Funktionieren der performativen Sprachhandlung beobachtbar werden, ist das spätere Stück quasi über dieses Stadium hinausgewachsen und präsentiert die Sprache als der Figuration Vorgängiges. Ein Sportstück stellt wiederum eine Weiterentwicklung hinsichtlich des Körperkonzepts von Krankheit oder Moderne Frauen dar, bzw. scheint Krankheit oder Moderne Frauen mit seiner maschinellen Rhetorik in Bezug auf den Körper der Figuren dem „posttechnischen Körper“57 Andis aus Ein Sportstück vorzugreifen. Trotz, vielleicht auch gerade wegen der stark typisierten Sprecherangaben (Mann, Frau, alte Frau, Sportler, Anderer Sportler, ein Anderer, das Opfer, der Chor, Achill etc.) betont 53 Gerda Poschmann spricht hinsichtlich Jelineks Theatertexte anstatt vom postdramatischen vom nicht mehr dramatischen Theatertext. Vgl. Gerda Poschmann: Der nicht mehr dramatische Theatertext. Aktuelle Bühnenstücke und ihre dramaturgische Analyse, Tübingen 1997. 54 Poschmann zeigt die zirkuläre Bewegung von Jelineks Theaterästhetik auf, da sie nach der radikalen Absage an die Figurenrede in Wolken.Heim. mit Totenauberg die figurale Rede wieder aufgreift, wenn auch nur auf formaler Ebene, da die Figuren in Totenauberg lediglich als Sprachschablonen fungieren. Mit KM sieht Poschmann das Ende der Sprache als „Transportunternehmen“, da sie, ebenso wie das Bild, sie selbst werde. Vgl. Poschmann 1997, S. 197-199. 55 Simon Aeberhard: Theater am Nullpunkt. Penthesileas illokutionärer Selbstmord bei Kleist und Jelinek. Freiburg i. Brsg. 2012 (= Reihe Rombach Litterae 122), S. 358. 56 Annuß 2005, S. 242. 57 Ulrike Haß: Sinn egal. Körper zwecklos. Anmerkungen zur Figur des Chores bei Elfriede Jelinek anläßlich Einar Schleefs Inszenierung von „Ein Sportstück“, in: Text+Kritik: Elfriede Jelinek, hrsg. von Arnold, Heinz Ludwig, (1999), H. 117, S. 51-62, hier S. 56. Im Folgenden mit: Haß: Sinn 1999 angeführt.

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das Stück das Eigenleben der Sprache. Dieses Stilelement bestimmt von nun an Jelineks sprachliche Form und die Figuren treten dementsprechend deutlich als reine Medien der Rede in Erscheinung. Insofern ist die kongeniale chorische Inszenierung Einar Schleefs als Variante des kollektiven Wir aus Wolken.Heim. lesbar. Im vierten Teil der vorliegenden Studie erfolgt die Untersuchung der im Zusammenhang mit den Ereignissen von 9/11, des Irakkriegs und der Folterbilder von Abu Ghraib entstandenen Theatertexte Bambiland und Babel. Die Stücke gehören einer Generation von Texten in Jelineks Werkgenese an, in der, wie Simon Aeberhard formuliert, „restlos alles Theater wird oder werden kann“.58 Hatte Jelinek schon immer politische Debatten und aktuelles Tagesgeschehen in ihren Texten verarbeitet, werden die Ereignisse nun nicht mehr „als Handlungsparadigmen zu Theater, sondern als zeitgeschichtliche Daten, als öffentliche Diskurs-, qua intellektueller Konkursmasse, der Jelinek ihre Ideologie, ihre subjekthaften Hypostasierungen und Intentionalitätsunterstellungen austreibt“.59 Der Diskurs wird in den Stücken seit der Jahrtausendwende zur „Allmacht, welche anfangs- und endlos, beginn- und ursprungslos regiert“.60 Und in Bambiland und Babel ist es der Mediendiskurs, die Berichterstattung über den Irakkrieg, der die Texte beherrscht. Die beiden Stücke stellen auch im Hinblick auf die Genese des Unheimlichen eine Zäsur dar, weshalb sich ihre eingehende Untersuchung hier auf doppelte Weise anbietet. Mit den Terroranschlägen von 9/11 findet eine Verschiebung des Unheimlichen in die Medien statt, die durch die Einstürze der zwei Hochhäuser des World Trade Centers als Trauma der westlichen Gesellschaften markiert ist. Die einschneidende Verunsicherung, die mit dem Trauma von 9/11 einherging, fand in den Medien statt, und steht paradigmatisch für den Wandel des Wirkungsbereichs des Unheimlichen.61 Bambiland und Babel werden aus dieser Perspektive des Unheimlichen im Hinblick auf ihre Thematisierung des Medialen untersucht. Während sich die Analyse der früheren Stücke weitestgehend paradigmatisch auf die Oberflächenauslotungen der Texte konzentriert, geht die Untersuchung des Unheimlichen in Bambiland und Babel umfassender vor. Insofern erscheint das Unheimliche hier vielfältig und fungiert zum einen als Stichwortgeber und inhaltliche Klammer der vorliegenden Studie, um den Momenten der Verkehrung von Belebtheitsverhältnissen in den Texten nachzugehen, und zum anderen ist das Unheimliche den Texten als Diskurs und Deutungsmuster zugrunde gelegt. Wiederholt ‚stößt‘ die vorliegende Arbeit im 58 59 60 61

Aeberhard 2012, S. 380. Ebd., S. 381. Ebd., S. 380. Vgl. Anneleen Masschelein: Flesh World. On the uncanny. Rezension zu Dylan Trigg: The Memory of Place. A Phenomenology of the Uncanny, 17.08.2012, http://lareviewofbooks. org/review/flesh-world-on-the-new-uncanny, letzter Zugriff: 19.05.2017.

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Gang der Untersuchung auf Sinngebungen im gedanklichen Feld des Unheimlichen, die von den Texten selbst vorgenommen werden. Dasselbe gilt für Denkansätze des Erhabenen und des Abjekten, die Jelinek aufgreift, mit denen sie spielt und die sie in ihre Texte webt. Darüber hinaus untersucht die vorliegende Studie das Unheimliche in der Struktur der Texte. Inhalt und Form sind bei Jelinek kaum voneinander zu trennen. Das eine verweist stets auf das andere und so beginnt die Untersuchung von Bambiland, nach einigen Ausführungen zum theoretisch-diskursiven Hintergrund der Texte, mit einer Analyse der Bauweise des Textes und den Charakteristika der Rede. Dabei zeigt sich bereits in der Struktur der Redeanordnungen das Phantasmatische als zentraler Fokus des Textes. Strukturell wie auch inhaltlich setzt Bambiland die Fernsehberichterstattung über den Irakkrieg in einen phantasmatischen Bezug und stellt die Frage nach der (Un-)Eigentlichkeit des (Medien-)Ereignisses. Anhand der im Text virulenten Botenfigur wird in einem nächsten Schritt nachgezeichnet, wie Jelinek vehement auf das Medium und die Medialität als grundlegende Voraussetzung des Berichtens sowohl im Fernsehen wie auch auf dem Theater hinweist. Dabei setzt sie der ausgewiesenen Medialität des Geschehens den Entzug und die Verdrängung des eigentlichen Ereignisses (ins Off des Theaters) entgegen. Hier ist Jelineks intermedialer Ansatz zu verorten, da sie im Medium Theater für den Zuschauer erfahrbar macht, was noch drastischer für das Medium Fernsehen gilt: Der Entzug und gleichzeitig die Auratisierung des Ereignisses in seiner medial vermittelten Darstellung. So weisen die Stimmen des Textes sich selbst als Effekte ihrer Medialität aus, ebenso wie jede Handlung und jedes Ereignis, je nachdrücklicher seine Unmittelbarkeit und Authentizität deklariert wird, umso deutlicher als auf seine Medialität Beschränktes in Erscheinung tritt. Das Unheimliche wird dabei an den Verkehrungen der unterschiedlichen Ebenen und Komponenten des medialen Ereignisses festgemacht; dort also, wo nicht nur die Unterscheidung zwischen Darstellung und Ereignis unsicher wird, sondern sich darüber hinaus die Positionen von Sender, Übermittler und Empfänger verkehren. Schließlich wird in einer Aufschlüsselung von Bambilands intertextuellem Verweis auf Friedrich Nietzsches Wille zur Macht und Derridas Philosophem der Spur die Thematisierung der Machtverhältnisse im Horizont medialer Darstellungsprozesse im Text untersucht. Die Einsicht, dass sich das darzustellende Ereignis in der medialen Darstellung phantasmatisch entzieht, wirft schließlich die Frage danach auf, in welchen Machtkonstellationen mediale Wirklichkeit hergestellt wird. Das letzte Kapitel zu Bambiland widmet sich dem Phänomen des Cyborgs. Die hybride Figur aus Mensch und Maschine ist eine der Ikonen des Unheimlichen und tritt vielfach in Jelineks Texten auf. Aus diesen Gründen holt die vorliegende Studie an dieser Stelle etwas weiter aus, legt die unterschiedlichen theoretischen Denkansätze zur Cyborg-Figur dar, um diese schließlich in Jelineks Texten zu analysieren. Für Bambiland kann hier der Fernsehzuschauer in seinem Verschmelzen mit dem Fern-

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sehgerät als Cyborg plausibel gemacht werden. Darüber hinaus wird dargelegt, wie der Text in seiner Parodie auf die rhetorische Anthropomorphisierung der Kriegstechnologie deren Fetischisierung als einen Prozess des Leben-Gebens ins Absurde überführt. Mit der Kategorie des Erhabenen wird die Lust an der Überlegenheit der Technik verdeutlicht; spätestens im Gewahrwerden, dass die Bestimmung dieser (Kriegs-)Technik darin besteht, den Menschen zu töten, wird das Unheimliche dieser Lust offensichtlich. Bambiland deutet die Technikbegeisterung und die rhetorische Anthropomorphisierung der Technik ins Unheimliche, da sie, als identifizierende Selbstbespiegelung des Menschen entlarvt, im Text in Phantasmen von Ganzheit, Selbstoptimierung und schließlich der Selbsterschaffung münden. Die Untersuchung der drei Monologe Babels geht chronologisch vor. Dabei werden die ersten beiden, kürzeren Monologe Irm sagt und Margit sagt in der Analyse zusammengefasst. Im Zentrum der Texte steht der Märtyrertod, über den die Selbstmordattentäter von 9/11 mit Jesus Christus gleichgesetzt werden. Die Verknüpfung von Religion und Krieg wird aus Sicht der untoten Märtyrer-Mutter mit von Gewalt und Lust durchkreuzten inzestuösen Phantasien der gegenseitigen Vereinnahmung und des Verschlingens von Körpern gepaart, für deren Beschreibungen und Deutungen Jelinek auf Texte des Freud-Schülers Otto Gross zurückgreift. Es soll gezeigt werden, wie die Texte den Märtyrertod als Phantasma des Todestriebs inszenieren, in dem religiös gefärbte Vorstellungen vom paradiesischen Leben nach dem Tod mit regressiven Wunschvorstellungen von der Rückkehr in den Mutterleib in eins fallen. An diesem Punkt der Untersuchung wird auch die Frage erörtert, ob und inwiefern das Unheimliche eine Wirkung zeitigen kann, wenn es von den Texten selbst quasi als Interpretationsfolie (zur Deutung des Märtyrertods) herangezogen wird. Peter sagt, der dritte Monolog Babels, knüpft inhaltlich stärker als die ersten beiden Monologe wieder an Bambiland an. Während Bambiland jedoch die Fernsehberichterstattung zum Irakkrieg thematisiert, nimmt Peter sagt das Medium Computer und die Verbreitung von Bildern über das Internet in der Folge des Irakkriegs in den Blick. Vornehmlich referiert der Text auf die Fotos des Folterskandals von Abu Ghraib und der gelynchten US-Söldner in Falludscha. Die leitende These im Hinblick auf das Unheimliche lautet dabei, dass der Text das Verhältnis zwischen Mediennutzer und Medium als ein kybernetisches inszeniert, in dem in einer wechselseitigen, unbewusst bzw. automatisiert ablaufenden Beeinflussung von Mensch und Maschine (mediale) Realität entsteht. Die vorliegende Arbeit untersucht, wie Peter sagt das Verhältnis zwischen den Bildern als eigentlichen Akteuren und den ihnen zunehmend passiv gegenüber gestellten Menschen inszeniert. Zunächst wird dieser Zusammenhang anhand der Oberflächenerkundungen im Text untersucht; Peter sagt geht der medialen Oberfläche in ihrer ambivalenten Funktion als Grenze und Übertragungsstelle in einem nach. Unter der Oberfläche des Fotos wird der Körper des Abgebildeten in seiner Verflüssigung beschrieben und kann als Abjektes plausibel gemacht werden, das gleichsam danach strebt,

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seine Begrenzungen zu überschreiten und seine Umgebung zu vereinnahmen (im übertragenen Sinne also den Betrachter zu affizieren). Gleichzeitig doppelt der Text die Oberfläche des Fotos mit der Haut und Netzhaut des Menschen. Dabei wird nicht nur das Bild vom Foto als Medium auf den Menschen als Medium übertragen, darüber hinaus inszeniert Peter sagt, wie sich die Bedingungen von Belebtheit im Medium verkehren. Der Text greift eine biologistische Rhetorik auf und beschreibt anhand dieser nicht nur den abgebildeten Menschen, sondern auch die Abbildung selbst und das Medium, in dem sie entsteht, vervielfältigt und verbreitet wird. Während dabei die Bedingungen des Menschen in Rekurs auf Giorgio Agambens Thesen als medialer Ausnahmezustand dargelegt werden, indem der Mensch darin zunehmend auf sein nacktes Leben reduziert wird, erweckt der Text das Bild buchstäblich zum Leben und lotet damit zum Einen aktuelle Denkansätze der Bildforschung aus und greift zum Anderen die biologistische Rhetorik in Bezug auf die Herstellung und Generierung von digitalen Bildern im Computer und deren Verbreitung über das Internet auf. So schließt das Kapitel mit der Untersuchung der im Text virulenten Metapher des Immunsystems und der Ansteckung. Hierbei wird zunächst dem Erzählstrang von der Autoimmunisierung des Mediennutzers im Sinne der Abstumpfung gegenüber Kriegsbildern nachgegangen. Es kann jedoch gezeigt werden, dass Jelinek darüber hinaus die mediale Wahrnehmung im biologischen Diskurs unter der Prämisse der Ansteckung beschreibt, und damit einhergehend die Realitätsdarstellung analog zur Funktionsweise des Immunsystems als vollständig denaturalisiert markiert. In der Übertragung des Immunisierungsprozesses auf die Bildverbreitung im Internet stellt Peter sagt die objektive Übermittlerfunktion des Internets radikal in Frage; d.h. auch, dass in Bezug auf das Medium Computer, samt seinen Vernetzungen über das Internet, der Darstellungsmodus der Repräsentation endgültig abgedankt hat. Dem gegenüber – so die These der vorliegenden Untersuchung – lässt sich aus Peter sagt ein Verständnis von Medialität ableiten, das unter der Prämisse der Ansteckung funktioniert. Dies kann anhand aktueller Denkansätze der Medienforschung ausgeführt werden, die versuchen, das Medium als Körper zu verstehen. Schon die Rhetorik des Informatikdiskurses, die ihre Begriffe zum Großteil dem medizinischen Vokabular entlehnt, wirft Fragen in diese Richtung auf. Im Horizont des Unheimlichen wird hier nicht nur die Verkehrung der Belebtheitsverhältnisse deutlich. Darüber hinaus kann gezeigt werden, dass Peter sagt einen Zusammenhang zwischen der Verkehrung von Belebtheitsverhältnissen im Medialen und der Frage nach Darstellbarkeit herstellt, der Text also die Frage aufwirft, was ein Verständnis vom Medium als Körper und insbesondere als Virus für die Auffassung von medialer Repräsentation (von Realität) bedeutet. Diese Frage kann in besonderem Maße für das Theater geltend gemacht werden, das schließlich auf der Ko-Präsenz der Körper von Schauspieler und Zuschauer basiert. So zeigt die vorliegende

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Untersuchung, wie Peter sagt – und hier steht der Text beispielhaft für Jelineks Theatertexte – das Modell der Ansteckung als Funktionsweise des Computers im Medium Theater reflektiert. Als Text für das Theater, das als Medium eine materiale und organische Präsenz mit sich bringt, eignet sich Peter sagt auf besondere Weise, den Erfahrungsverlust, der mit der zunehmenden technischen Medialisierung einhergeht, erfahrbar zu machen. Zusammengefasst untersucht die vorliegende Studie mit dem Fokus des Unheimlichen in Elfriede Jelineks Theatertexten deren Strategien, die Belebtheitsverhältnisse im Kontext des Medialen zu verkehren. Anhand einer Auswahl von frühen bis aktuellen Theatertexten kann insbesondere der Zusammenhang zwischen der Verkehrung von belebt und unbelebt und dem zweifelhaften Status der Darstellung im Medium erarbeitet werden. Der Untoten-Status der Figur, ihrer Rede und ihres Körpers, wird in Jelineks Texten auf ihre Medialität zurückgeführt. Mit dieser Lesart leistet die vorliegende Arbeit eine umfassende und bisher ausstehende Analyse der in Jelineks Texten zentralen Topoi von der Verkehrung des Lebens in den Untod und der Dinghaftigkeit ins Leben einerseits und der damit kontextualisierten Frage nach der Darstellbarkeit im Medium andererseits. 1.2 Zur Forschung Auch wenn der Zusammenhang zwischen Jelineks Werk und dem Unheimlichen vereinzelt in der Forschung Erwähnung findet, liegt bisher keine diesbezügliche Untersuchung vor. Gleichwohl ist eine Tendenz in der aktuellen Jelinek-Forschung zu beobachten, sich des Untoten-Topos’ in ihrem Werk anzunehmen, und in diesem Forschungszusammenhang ist die vorliegende Untersuchung anzusiedeln. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die für die vorliegende Studie relevanten Arbeiten zu Jelinek gegeben werden. Dabei gilt insbesondere für die Sekundärliteratur, die in den letzten beiden großen Kapiteln zu Bambiland und Babel verwendet wird, dass diese in den jeweiligen Kapiteln selbst ausgeführt wird und deshalb an dieser Stelle gar nicht oder nur kurz genannt werden soll. Auf einen Überblick zur Unheimlichen-Forschung wird an dieser Stelle ebenfalls verzichtet, da in Kapitel I ausführlich auf die grundlegenden Denkansätze zum Unheimlichen eingegangen wird. Die Relevanz des Untoten in Jelineks Werk wird nicht zuletzt durch die Tatsache bestätigt, dass das jüngst erschienene Handbuch zu Elfriede Jelinek dem Untoten einen der zehn Artikel des Kapitels Zentrale Themen und Diskurse zuordnet.62 Moira Mertens fasst hier die unterschiedlichen Kontexte, in denen das Untote in Jelineks Texten auftaucht, literarische Traditionen, in denen es steht und Zwecke, für die es eingesetzt wird, zusammen. Dabei findet auch das Unheimliche kurze Erwähnung. Andreas Heimann geht in seiner 2015 erschienenen Studie Die Zerstö62 Moira Mertens: Untote, in: Janke 2013, S. 292-300.

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rung des Ichs: Das untote Subjekt im Werk Elfriede Jelineks63der Frage nach dem Stubjektstatus in Jelineks Werk in einer poststrukturalistischen Lesart nach mit dem Fokus auf Jelineks vorherrschenden Einsatz untoter Figuren. Dabei nimmt Heimann auch das Unheimliche in den Blick und arbeitet heraus – vornehmlich anhand Die Kinder der Toten –, wie Jelinek das Unheimliche als Unterseite der Realität inszeniert. Er deutet Die Kinder der Toten zwar wie das Gros der Forschung auch als Erinnerungsprojekt, betont jedoch den Begriff des Phantasmas und liest den Text als ein Durchqueren desselben in psychoanalytischer Manier.64 Liefert Heimann interessante Ansätze zum Unheimlichen bei Jelinek, so ist sein zu einigen Teilen durch Lacan und Zizek geprägter Denkansatz zum einen dem Verdrängungsaspekt im Unheimlichen (also der Seite des Unheimeligen im Unheimlichen) verschrieben und zum anderen widmet er sich mit dem Fokus auf Die Kinder der Toten zum Großteil der Prosa Jelineks und beschreitet so einen sich doch stark von der vorliegenden Studie unterscheidenden Weg. Im Jahr 2011 veranstalteten Moira Mertens und Elisabeth Günther den Forschungsworkshop „Ich will kein Leben.“ Elfriede Jelineks Ästhetik des Untoten.65 In diesem Zusammenhang entstanden Aufsätze zum Untoten-Diskurs bei Jelinek von Evelyn Annuß66, Natalie Bloch67 und Moira Mertens68. Julie Miess’ 2008 erschienene, komparatistische Dissertation Neue Monster. Postmoderne Horrortexte und ihre Autorinnen69 geht dem Horror- und Gothic-Genre unter anderem in Die Kinder der Toten nach. 2007 erschien Bärbel Lückes Monographie Jelineks Ge-

63 Andreas Heimann: Die Zerstörung des Ichs. Das untote Subjekt im Werk Elfriede Jelineks, Bielefeld 2015. Da Heimanns Studie nach der Abgabe der vorliegenden Dissertation erschienen ist, findet sein Buch zwar wiederholt Erwähnung, ist jedoch nicht in den eigentlichen Denkprozess meiner Arbeit eingebunden gewesen. 64 Vgl. Heimann 2015, S. 184. 65 Der Workshop fand statt beim Kongress der Kulturstiftung des Bundes Die Untoten – Life Sciences & Pulp Fiction, inszeniert von Hannah Hurtzig/Mobile Akademie: http://www. untot.info/, letzter Zugriff 19.05.2017. Der Vortrag Zombietheater von Evelyn Annuß als Key-Note-Speakerin ist einsehbar unter: http://www.untot.info/170-0-ZOMBIETHEATER. html, letzter Zugriff 19.05.2017. Vgl. den Tagungsbericht: Elisabeth Günther/Moira Mertens: Ich will kein Leben. Elfriede Jelineks Ästhetik des Untoten, in: JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek-Forschungszentrum 2012, S. 104-126. 66 Annuß 2013. 67 Natalie Bloch: Kapital, Religion, Gewalt. Die Untoten und Zombie-Stimmen in Elfriede Jelineks Babel, in: Sprachkunst, XL II. 2011, 1. Halbband, S. 49-67. 68 Moira Mertens: Untote, Zombies und VampirInnen. Die Kritik der Bio-Macht in Elfriede Jelineks Texten, in: Bloch, Natalie/Heimböckel, Dieter (Hg.): Elfriede Jelinek. Begegnungen im Grenzgebiet, Trier 2014, S. 37-52. 69 Julie Miess: Neue Monster. Postmoderne Horrortexte und ihre Autorinnen, Köln u.a. 2008.

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spenster. Grenzgänge zwischen Politik, Philosophie und Poesie,70 in der die Autorin vornehmlich eine Überblendung von Jelineks Texten mit Jacques Derridas Schriften vornimmt. Evelyn Annuß’ 2005 erschienenes Werk Theater des Nachlebens71 ist hier als erste groß angelegte Studie zu nennen, die sich der Frage des Unbelebten in Jelineks (Theater)texten annimmt. Annuß arbeitet den Doppelcharakter von Mortifikation und Neubelebung in der Zitierpraxis heraus und leistet damit wichtige Ansätze, um Jelineks Theaterstücke in einem Spannungsfeld der fraglichen Belebtheit zu untersuchen. Weitere Aufsätze zum Untoten in Jelineks Werk erschienen von Heide Helwig72, die die Selbstbezogenheit der Figuren in Jelineks Theaterstücken herausarbeitet, sowie Sabine Treude73, die dem Motiv des Gespenstischen nachgeht. Astrid Deuber-Mankowsky74 untersucht den Auftritt des Todes als Scheinlebendigen auf der Bühne und Susann Neuenfeldt75 geht dem Zusammenhang von Weiblichkeit und Tod nach. Neben den Untersuchungen zum Untoten gibt es eine Reihe von Arbeiten, auf der die vorliegende Studie aufbaut. Zunächst sei hier auf die Tendenz der Forschung seit Marlies Janz’76 Interventionen Anfang der Neunziger-Jahre hingewiesen, Roland Barthes’ Mythen des Alltags77 (im französischen Original: Mythologies, erschienen 1957) zum Ausgangspunkt der Analyse zu machen. Hinsichtlich Jelineks Verarbeitung des frühen Barthes in ihrem Essay Die endlose Unschuldigkeit78 von 1970 wird ihr Zitierverfahren, unter Berufung auf das Selbstverständnis der

70 Bärbel Lücke: Jelineks Gespenster. Grenzgänge zwischen Politik, Philosophie und Poesie, Wien 2007a. 71 Annuß 2005. 72 Heide Helwig: Mitteilungen von Untoten. Selbstreferenz der Figuren und demontierte Identität in Hörspiel und Theaterstücken Elfriede Jelineks, in: Sprachkunst. Beiträge zur Literaturwissenschaft, Nr. 25 (1994), H. 2, S. 389-402. 73 Sabine Treude: Die Kinder der Toten oder: Eine Verwicklung der Geschichten mit einer Geschichte, die fehlt, in: Text+Kritik: Elfriede Jelinek, hrsg. von Arnold, Heinz Ludwig, (1999), H. 117, S. 100-109. 74 Astrid Deuber-Mankowsky: Der lebt ja so gern in seinem Grab mit den Toten! Zu Elfriede Jelineks er nicht als er (zu, mit Robert Walser), in: Sprache im technischen Zeitalter, 38 (2000), H. 153, S. 50-64. 75 Susann Neuenfeldt: Tödliche Perspektiven. Die toten sprechenden Frauen in Elfriede Jelineks Dramoletten ‚Der Tod und das Mädchen I-V‘, in: Sprachkunst. Beiträge zur Literaturwissenschaft, Nr. 36 (2005), H. 1, S. 147-163. 76 Marlies Janz: Elfriede Jelinek, Stuttgart/Weimar 1995. 77 Roland Barthes: Mythen des Alltags. Frankfurt/Main 1964. 78 Jelinek 1970.

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Autorin, entsprechend als mythenkritisches gelesen.79 So ist die Jelinek-Rezeption bis einschließlich der Veröffentlichungen im Jahr 1991 von einer ideologiekritischen und feministischen Lesart bestimmt, während in den folgenden Jahren die Sprachkonzeption ihrer Werke im Vordergrund steht. Eine Ausnahme stellt Georg Stanitzeks Aufsatz Kuckuck80 dar, in dem der Autor sich schon 1991 gegen eine mythenkritische Lesart ausspricht. Stanitzek verweist darauf, dass sich Jelineks Zitierpraxis gegen eine auktoriale Position in der Lektüre sperrt und sich dem vermeintlichen Endpunkt der Kritik widersetzt. Er verknüpft Jelineks Zitierweise mit der Prosopopoiia in den poetologischen Texten, worauf Evelyn Annuß dann in Theater des Nachlebens aufbaut. Für die vorliegende Studie sind insbesondere die Untersuchungen von Bedeutung, die mit dem Fokus auf die Theatertexte die Frage nach der sprechenden Instanz ins Zentrum stellen und den Folgen und Umständen der nicht-protagonistischen Rede nachgehen. In den theatralen Kontext gesetzt, geht mit dem Zweifel am Sprecher die Frage nach der Figur im Theater(text) einher. Christina Schmidt hatte in ihrem Aufsatz Sprechen sein81 den von Jelinek aufgeworfenen Begriff der ‚Sprachflächen‘ etabliert.82 Der Begriff ist bei Jelinek selbst, die in der Vorrede zu Ulrike Maria Stuart von den „berühmten, [ihr] inzwischen längst lästigen Sprachflächen“83 spricht, wie auch in der Forschung kritisch hinterfragt worden, da er Jelineks Kritik an der theatralen Figur außer Acht lässt. Ulrike Hass schreibt, dass in der Auffassung, „die Figuren würden „gleichsam platt wie Texte auftreten“ lediglich eine „Umbenennung“ stattfände, sodass die vermeintlichen ‚Sprachflächen‘ in der Aufführung wieder zu Figuren personalisiert würden.84 In ihrer Dissertation Tragödie als Bühnenform, in der Schmidt unter anderem auf den Zusammenhang zwischen Jelineks Form der Rede und Einar Schleefs Figur des Chores eingeht, ist 79 Auf Janz aufbauend, lassen sich Maria Elisabeth Brunner, Annette Doll und Christa Gürtler nennen, die den mythenkritischen Ansatz auch auf Jelineks Theatertexte angewandt haben. Vgl. Brunner, Marie Elisabeth: Die Mythenzertrümmerung der Elfriede Jelinek, Neuried 1997; Annette Doll: Mythos, Natur und Geschichte bei Elfriede Jelinek. Eine Untersuchung ihrer literarischen Intentionen, Stuttgart 1994; Christa Gürtler: Die Entschleierung der Mythen von Natur und Sexualität, in: dies. (Hg.): Gegen den schönen Schein. Texte zu Elfriede Jelinek, Frankfurt/Main 1990, S. 120-134. 80 Georg Stanitzek: Kuckuck, in: Dirk Baecker/Rembert Hüser u.a. (Hg.): Gelegenheit, Diebe. 3 X deutsche Motive, Bielefeld 1991, S. 11-80. 81 Schmidt 2000. 82 Jelinek brachte den Begriff in dem bereits genannten Interview mit Anke Roeder an. Vgl. Roeder 1989, S. 153. 83 Elfriede Jelinek: ULRIKE MARIA STUART. Königinnendrama, in: http://www.elfriede jelinek.com/, 27.2.2006, letzter Zugriff 19.05.2017 (= Elfriede Jelinek Homepage, Rubrik: Theatertexte). 84 Vgl. Ulrike Hass: Theaterästhetik, in: Janke 2013, S. 62-68, hier S. 66.

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dementsprechend von „Sprachfiguren“ die Rede.85 In der vorliegenden Arbeit wird jedoch der ebenfalls von Elfriede Jelinek ins Spiel gebrachte Begriff der „Textflächen“ bevorzugt.86 Neben Evelyn Annuß’ Analysen stellen die mannigfachen Untersuchungen von Ulrike Haß einen wichtigen Bezugspunkt der vorliegenden Studie dar. Haß veröffentlichte zwei Aufsätze in der zweiten Auflage des zu Jelinek erschienenen Sammelbands der Reihe Text+Kritik, in denen sie die Auflösungserscheinungen der Figur reflektiert.87 Von besonderer Bedeutung sind ihre Überlegungen zur Figur des Chors als mögliche Darstellung der ‚Sprachflächen‘ auf der Bühne.88 Hier ist auch Doris Kolesch zu nennen, die den Chor in Einar Schleefs Inszenierung von Jelineks Ein Sportstück mit Rekurs auf das Semiotische nach Kristeva untersucht.89 Schließlich geht Haß den Bedingungen des Sehens in der gegenwärtigen Medienwelt in Jelineks Bambiland nach.90 Zur Untersuchung des Unheimlichen in Bambiland und Babel sind auch die diversen Essays und Aufsätze von Bärbel Lücke zu nennen, die das dekonstruktive Verfahren der Texte offenlegt und die mannigfachen intertextuellen Bezüge erläutert.91

85 Christina Schmidt: Tragödie als Bühnenform. Einar Schleefs Chor-Theater, Bielefeld 2010, S. 44. 86 Vgl. Elfriede Jelinek: Textflächen, 2013, in: http://www.elfriedejelinek.com/, letzter Zugriff 19.05.2017 (= Elfriede Jelinek Homepage, Rubrik: zum Theater). 87 Vgl. Ulrike Haß: Grausige Bilder. Große Musik. Zu den Theaterstücken Elfriede Jelineks, in: Text+Kritik: Elfriede Jelinek, hrsg. von Heinz Ludwig Arnold, (1999), H. 117, S. 35-44. Im Folgenden mit: Haß: Grausige Bilder 1999 zitiert. 88 Vgl. Haß: Sinn 1999. 89 Vgl. Doris Kolesch: Ästhetik der Präsenz. Die Stimme in EIN SPORTSTÜCK (Einar Schleef) und GIULIO CESARE (Socìetas Raffaello Sazio), in: Erika Fischer-Lichte/Doris Kolesch/Christel Weiler (Hg.): Transformationen. Theater der Neunziger Jahre, hrsg. von Theater der Zeit, Berlin 1999. S. 57-69. 90 Ulrike Haß: Mediale Historiographien. Elfriede Jelineks ‚Bambiland’, in: Kathrin Tiedemann/Frank M. Raddatz (Hg.): Reality Strikes Back II. Tod der Repräsentation. Die Zukunft der Vorstellungskraft in einer globalisierten Welt, Berlin 2010, S. 74-89. [ebenfalls erschienen in: JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek-Forschungszentrum 2010, S. 241-256.] 91 Bärbel Lücke: Terror, Irak-Krieg, Folter. Elfriede Jelineks ‚Moralkunstwerk‘ ‚Bambiland/Babel (Irm – Margit – Peter)‘, in: Ulrich Kinzel (Hg.): An den Rändern der Moral. Studien zur literarischen Ethik, Würzburg 2008, S. 172-184. Bärbel Lücke: Zu ‚Bambiland‘ und ‚Babel‘. Essay, in: Jelinek, Elfriede: Bambiland Babel. Zwei Theatertexte, Reinbek bei Hamburg 2004a, S. 229-270. Bärbel Lücke: „And they took pictures of everything“: Der Irakkrieg, die Folter, die Bilder – die Folterbilder im ‚Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit‘. Elfriede Jelineks dritter Monolog zu ‚Bambiland/Babel: Peter sagt‘, in: manuskripte. Zeitschrift für Literatur, 166 (2004b), S. 4-27. Bärbel Lücke: Der Krieg im Irak als literarisches Ereignis: Vom Freudschen Vatermord über das Mutterrecht zum islamistischen

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Natalie Blochs 2011 erschienene Dissertation zum Verhältnis von Sprache und Gewalt legt die Ortlosigkeit der Rede in Babel dar und stellt mit ihrer ausführlichen und genauen Analyse des Theatertextes einen wichtigen Bezugspunkt meiner Studie dar; ebenso Simon Aeberhards 2012 publizierte Dissertation Theater am Nullpunkt92 zu Heinrich von Kleist, in der Jelinek quasi als Fluchtpunkt bezüglich eines formvollendeten Scheiterns von Performativität herangezogen wird. Antje Johannings Studie Körperstücke93 von 2004 reflektiert vornehmlich die Stellung und Funktion des Körpers in Jelineks Theatertexten und trägt dabei auch dem Aspekt der Belebung der Figur durch den Schauspieler Rechnung. Gerda Poschmanns Der nicht mehr dramatische Theatertext94 von 1997 untersucht die Stellung des Theatertextes im postdramatischen Theater, das lange Zeit in der Abwendung vom Text verstanden wurde. Maja Sybille Pflüger veröffentlichte 1996 ihre Dissertation Vom Dialog zur Dialogizität95, die sich mit den textuellen Modalitäten von Jelineks Theaterarbeit auseinandersetzt. Unter Rekurs auf Derridas Begriff der ‚soufflierten Rede‘ und Bachtins Konzeption der Dialogizität fokussiert sie die Intertextualität als Grundmuster von Jelineks Theatertexten, die mittels Einbeziehung fremder Texte neue Bedeutungen generieren. Corinna Caduffs 1991 erschienene Dissertation Ich gedeihe inmitten von Seuchen96 geht mit Bezug auf Lehmanns Konzept des postdramatischen Theaters auf die Performativität und das Phänomen der Präsenz in Jelineks Theater ein. Dabei fokussiert sie die radikale Position Jelineks in Bezug auf die Subjektkonstitution der Figur durch ihr Sprechen. Caduffs Analyse ist für die vorliegende Arbeit insofern von Bedeutung als sie erstmals Julia Kristevas Begriff des Semiotischen auf die Sprache von Jelineks Figuren anwendet. Dagmar von Hoff und Marianne Leuzinger-Bohleber schrieben sowohl einen Aufsatz über Jelineks Roman Lust als auch über das Unheimliche aus psychoanalytischer Perspektive.97 Die Arbeit der beiden Autorinnen ist hier von großer Bedeu-

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Märtyrer. Elfriede Jelineks ‚Bambiland und zwei Monologe‘. Eine dekonstruktivistischpsychoanalytische Analyse, in: Weimarer Beiträge, 50 (2004c), S. 362-381. Aeberhard 2012. Antje Johanning: Körperstücke. Der Körper als Medium in den Theaterstücken Elfriede Jelineks, Dresden 2004. Poschmann 1997. Maja Sybille Pflüger: Vom Dialog zur Dialogizität. Die Theaterästhetik von Elfriede Jelinek, Tübingen/Basel 1996. Corina Caduff: Ich gedeihe inmitten von Seuchen. Elfriede Jelinek – Theatertexte, Bern/Berlin 1991. Vgl. Dagmar von Hoff/Marianne Leuzinger-Bohleber: Versuch einer Begegnung. Psychoanalytische und textanalytische Verständigungen zu Elfriede Jelineks ‚Lust‘, in: Psyche, 51 (1997), S. 763-800; dies.: Travestie des Unheimlichen, in: Klaus Herding/Gerlinde Gehrig (Hg.): Unheimliche Orte, Göttingen 2006, S. 95-114. Außerdem widmet sich Dagmar Hoff den veränderten Bedingungen von Jelineks Theater in einer globalisierten Welt

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tung, da sie sich sowohl mit dem Unheimlichen als auch mit Elfriede Jelineks Texten auseinandersetzen. Auch wenn eine Verknüpfung der beiden Themen ausbleibt und sie keine direkte Analyse des Unheimlichen in Elfriede Jelineks Werk unternehmen, so leisten sie doch einige Vorarbeit dazu.

der Postmoderne: Vgl. Dagmar von Hoff: Straße. Bühne. Internet. Die Dramatikerin Elfriede Jelinek, in: Ästhetik und Kommunikation (2000), H. 110, S. 43-49.

II. Konzeptionen des Unheimlichen

1. D ISKURSIVE V ERÄNDERUNGEN In den letzten Jahrzehnten ließ sich eine zunehmende Aufmerksamkeit gegenüber dem Unheimlichen feststellen. Gerade in den letzten Jahren hat die Zahl der klassischen Mystery-Fernsehserien, wie auch insbesondere solcher Fernseh- und Filmformate, deren Protagonisten Untote wie Vampire, Zombies, aber auch Cyborgs darstellen, deutlich zugenommen;1 und auch auf dem Büchermarkt ist ein kontinuierlicher Anstieg der Neuerscheinungen im Fantasy- und Mystery-Genre zu verbuchen, die dem Wirkungsbereich des Unheimlichen zuzuordnen sind.2 Auch in der Wissenschaft besteht seit ca. dreißig Jahren ein zunehmendes Interesse am Unheimlichen. Nach Freuds Aufsatz wurde es zunächst still um den Begriff, in den 1970er bis 1980er-Jahren entstanden dann ausführliche Analysen und unterschiedliche Lesarten von Freuds Aufsatz. Am Beispiel der Dissertation von Wolfgang Zuse zum Unheimlichen im Werk von Nathaniel Hawthorne,3 die Mitte der 1970er-Jahre erschien, lässt sich verdeutlichen, in welchem Zusammenhang das Unheimliche in den Fokus der Aufmerksam-

1 Neben den bekannten von großen amerikanischen Sendern produzierten Serien wie The Vampire Diaries, True Blood, The Walking Dead oder Hollywood-Produktionen wie World War Z, die Twilight-Saga nach den Büchern von Stephanie Meyer oder Her sind im Kontext des Unheimlichen insbesondere kleinere Produktionen von Interesse, wie die Serie Real Life, die eine Utopie entwirft, in der das selbstverständliche Miteinander-Leben von Menschen und Cyborgs längst Realität geworden ist, oder die französische Mystery-Serie Les Revenants, in der die Wiederkehr von Toten völlig unblutig und unspektakulär, dafür umso unheimlicher beschrieben wird. 2 Vgl. Hendrik Werner: Drachenblut und Satansbrut – Der Fantasy-Boom, in: Welt-Online. Kultur, 20. März 2007, http://www.welt.de/kultur/article768769/Drachenblut_und_Satans brut_-_Der_Fantasy-Boom.html, letzter Zugriff: 19.05.2017. 3 Wolfgang Zuse: Darstellung und Funktion des Unheimlichen in den Erzählungen Nathaniel Hawthornes, Göttingen 1974.

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keit gelangte. Denn Zuse stellte noch fest, dass die Wirkung des Unheimlichen auf den modernen Menschen nachlasse,4 er prognostizierte dem Unheimlichen also eine schwindende Wirkung. Je moderner und aufgeklärter der Mensch, desto weniger ‚anfällig‘ sei er für die Empfindung des Unheimlichen. Zuse sollte jedoch nicht Recht behalten. In den 1980er-Jahren erfuhr der Begriff eine wahre Renaissance.5 Zu einem Schlüsselbegriff der Postmoderne avanciert, veranlasst der inflationäre Gebrauch des Unheimlichen z.B. Martin Jay dazu, die ‚uncanny nineties‘ auszurufen, und Helga Lutz bedauert in ihrem 2006 erschienenen Aufsatz die mittlerweile erfolgte Kanonisierung des Unheimlichen.6 Jedoch unterlag der Begriff im Laufe der Zeit einem steten Wandel. Das Unheimliche im Verständnis von Zuse, der noch vom ‚modernen Menschen‘ ausgeht, scheint sich bis zu Lutz’ Begriff des Unheimlichen als prinzipielle Grundstimmung in der Postmoderne zu einem anderen entwickelt zu haben. Während Zuse noch von (konkreten) Wesen wie Geistern, Vampiren und Kobolden ausgeht, avanciert das Unheimliche mit den 1980er-Jahren zu einem abstrakten Begriff für eine schwer greifbare Befindlichkeit einer ganzen Gesellschaft. Dies steht in engem Zusammenhang mit technischen Innovationen. Mit dem Aufkommen des Films schien die Erfahrung des Unheimlichen geradezu mit seinen medialen Bedingungen verbunden.7 So fragt Lutz nach dem medialen Apriori des Unheimlichen und verortet es dort, wo „das im diegetischen Raum inszenierte Phantasma von Identität und Einheit gestört“8 erscheint. Da dieser Zusammenhang aufs Engste mit der Erzeugung von Wirklichkeitsreferenz verbunden ist, verändern sich mit dem Medium (Film, Literatur, Photographie oder Theater) auch die Bedingungen und Mittel für die Wirkung des Unheimlichen. Das Unheimliche geht mit dem Zeitgeist, wenn es, wie Lutz darlegt, nicht mehr, wie noch in der Romantik, „als die dunkle Unterseite einer Wirklichkeit“9 fungiert, sondern umgekehrt nunmehr als allgegenwärtiger, wenn auch schwer greifbarer, Teil der Realität erscheint: Während die Fantastische Literatur die Dichotomie von ‚Realität‘ und dem darin einbrechenden ‚Unwirklichen‘ facettenreich durchdekliniert hat, erscheint das Subjekt nun, in seinem

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Zuse 1974, S. 10. Vgl. Lutz 2006, hier S. 116. Vgl. ebd. Vgl. Leslie Stern: ‚I think Sebastian, therefore… I sommersault‘. Film and the Uncanny, http://www.australianhumanitiesreview.org/archive/Issue-November-1997/stern2.html, letzter Zugriff 19.05.2017. 8 Lutz 2006, S. 126. 9 Ebd., S. 119.

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Taumel durch die Scheinwelten, dem Unheimlichen noch gnadenloser und unwiderruflicher 10

ausgeliefert.

In dieser Entwicklung wird die Historizität des Unheimlichen deutlich. Während sich das ‚moderne Subjekt‘ mit Konzepten des Doppelgängers oder der Automate in der Literatur auseinandersetzte, sehen wir uns heute tagtäglich mit der Diskussion um das Klonen von Menschen, der künstlichen Verlängerung des Lebens oder dem Phänomen der Cyborgs konfrontiert.11 Unter dem gegenwärtig virulenten Schlagwort des ‚Posthumanen‘ lässt sich die wachsende Selbstverständlichkeit der Modellierung des Körpers bis hin zu künstlichen Körperteilen und die stetig steigende Anzahl von Robotern in unserer Alltagswelt fassen.12 Dass das Unheimliche auch seit seiner Kanonisierung in den 1990er-Jahren weiterhin zu Untersuchungen anregt, zeigt sich neben den zahlreichen Monographien und Sammelbänden seit 200013 beispielsweise an der internationalen Konferenz Phantasmata – Techniques of the Uncanny, die 2009 in Berlin stattfand und kulturwissenschaftliche, literaturwissenschaftliche, historische und philosophische Ansätze

10 Ebd. 11 Vgl. Michael Arnzen: The Return of the Uncanny, in: PARADOXA, 3 (1997), Nr. 3-4, https://www.academia.edu/1992805/The_return_of_the_uncanny, letzter Zugriff: 19.05.2017. 12 Eine Studie der United Nations (UN) von 2004 besagt, dass die Anzahl der erworbenen Roboter Ende 2003 600.000 betrug und bis Ende 2007 auf 4 Millionen steigen soll. Vgl. Julie Carpenter/Matt Eliot/Daniel Schultheis: Machine or friend: understanding users’ preferences for and expectations of a humanoid robot companion, research paper, http://www. jgcarpenter.com/pdfs/carpenter_de2006.pdf, letzter Zugriff: 19.05.2017. 13 Hier sei für den deutschsprachigen Raum insbesondere auf den von Klaus Herding und Gerlinde Gehrig herausgegebenen Sammelband Unheimliche Orte als eine der originellsten Publikationen der letzten Jahre verwiesen. Darin kommen Psychologen, Literaturwissenschaftler und vor allem Kunsthistoriker zu Wort. Inhaltlich sind die Untersuchungen in drei Kategorien unterteilt. Im ersten Teil des Bandes versammeln sich AutorInnen, die sich mit dem Unheimlichen im Text auseinandersetzen, die zweite Kategorie wendet sich der Phänomenologie des Unheimlichen zu und im letzten Abschnitt schließlich finden sich Aufsätze über das Unheimliche in der bildenden Kunst. Will man diese Aufsätze auf einen gemeinsamen Nenner bringen, so zeichnen sie sich alle durch eine eher spielerische Umgangsweise mit Freuds Thesen aus. Während sie die paradoxe Rede von dem unvertraut Vertrautem als fruchtbar nutzen, wird die These von dem kindlichen Kastrationskomplex nur sehr bedingt aufrecht erhalten. Für weitere Angaben zur Forschungsliteratur vgl. Anneleen Masschelein: The Unconcept. The Freudian Uncanny in Late-Twentieth-Century Theory, New York 2011b, S. 4ff.

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zur Sprache brachte.14 Anneleen Masschelein, die in ihrer 2011 erschienenen Dissertation The Unconcept. The Freudian Uncanny in Late-Twentieth-Century Theory15 eine Genealogie des Unheimlichen unternimmt, beschreibt die Dissemination des Unheimlichen in die unterschiedlichsten Bereiche und Disziplinen, die auf die Kanonisierung des Begriffs in den 1990er-Jahren folgte. Sie untergliedert diese Entwicklung grob entlang der beiden Achsen des „postromantic/aesthetic“ einerseits und der Tradition des „existential/post-Marxist“ andererseits. Während sich die erste Tradition mit der Bedeutung des Transzendenten, des Übernatürlichen und des Okkulten befasst, steht die zweite in einer semantischen Linie mit „alienation, strangeness, and angst“16 und kontextualisiert das Unheimliche in seiner Relation zu Gesellschaft, Politik und Ethik. Die vorliegende Arbeit und ihre Auseinandersetzung mit dem Unheimlichen in Elfriede Jelineks Werk folgt zum Großteil der ästhetischen Linie; zugleich spielen mit Jelineks Fokus auf gesellschaftspolitische Themen auch Aspekte der zweitgenannten Tradition in die Untersuchung mit hinein. 1.1 Zur Begrifflichkeit Eine klare Begriffsdefinition des Unheimlichen stellt sich als schwierig heraus, da es sich in seiner Wesenlosigkeit gerade durch die Untergrabung von feststehenden Bedeutungen und Definitionen auszeichnet.17 Gerade in der Ambivalenz des Begriffs scheint jedoch seine diskursantreibende Kraft zu liegen, weshalb im Folgenden der paradoxe Versuch unternommen wird, eine Definition des Unheimlichen zu formulieren, die einer Vereindeutigung entgegensteht. Der aus dem Mittelhochdeutschen stammende Begriff des Unheimlichen entstand als Negativbildung zu dem schon vorher bestehenden Ausdruck ‚heimlich‘ und bezeichnete zunächst nur das „nicht zum Heim gehörige, nicht Vertraute, das Fremde“.18 Ab dem 16. Jahrhundert wird der Begriff ‚unheimlich‘ als Synonym für ‚ungeheuer‘ im Zusammenhang mit Geistererscheinungen gebraucht.19 Erst ab dem Ende des 18. Jahrhunderts gewinnt das Unheimliche zusätzlich einen Bezug zum menschlichen Gefühlsleben und umfasst alles Angsterregende in seinen unter-

14 Aus der Konferenz ging ein Sammelband hervor: Martin Doll/Rupert Gaderer/Fabio Camiletti/Jan Niklas Howe (Hg.): Phantasmata. Techniken des Unheimlichen, Wien/Berlin 2011. 15 Masschelein 2011b. 16 Ebd., S. 131. 17 Vgl. Lutz 2006, S. 116. 18 Oskar Schade: Altdeutsches Wörterbuch, 2. Bd, Halle/Saale 1882, S. 124. 19 Zuse 1974, S. 4.

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schiedlichen Ausformungen und Intensitäten.20 Das Unheimliche scheint sich besonders in seiner angsterregenden Komponente einer eindeutigen Definition zu entziehen. So verlieren sich die lexikalischen Bestimmungen des Begriffs stets in einer Vielzahl von Synonymen und Umschreibungen, wie bereits ein Blick ins Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm zeigt, in dem das Unheimliche als „[…] Schauder, Angst, Entsetzen, Furcht, Beklemmung, Unbehagen, Befangenheit, Abneigung u.a. verursachend“21 beschrieben wird. An dieser Auflistung lässt sich darüber hinaus eine Unklarheit in der Unterscheidung ablesen, ob das Unheimliche der Auslöser für Gefühle wie Angst, Unbehagen etc. ist, oder ob es eine besondere Form der Angst ist, also auf der Wirkungsebene anzusiedeln ist. Das Unheimliche umfasst damit zum einen Bedingungen, Umstände und Konstellationen, zum anderen beschreibt es die emotionale Reaktion auf eben diese. Die Vieldeutigkeit und das Ungreifbare des Unheimlichen betont auch Freud in seinen Überlegungen zur lexikalischen Bedeutung des Unheimlichen als Begriff. In seinem 1919 erschienenen Aufsatz legt er dar, dass bereits dem positiven Ausdruck ‚heimlich‘ im Sinne von ‚vertraut‘ auch eine dem Antonym verwandte negative Bedeutung wie ‚geheim‘, ‚verborgen‘, ‚undurchdringlich‘ und ‚hinterlistig‘ anhafte. So schließt Freud seine philologischen Überlegungen mit dem in Bezug auf die Begrifflichkeit des Unheimlichen elementaren Satz: Also heimlich ist ein Wort, das seine Bedeutung nach einer Ambivalenz hin entwickelt, bis es 22

endlich mit seinem Gegensatz unheimlich zusammenfällt.

Hier zeigt sich schon auf der Wortebene die Ambivalenz des Heimelig-Unheimlichen, die Masschelein dazu bringt von einem „Unbegriff“23 zu sprechen und die sich auch auf der semantischen Ebene als ein Hauptcharakteristikum des Unheimlichen herauskristallisiert. Aus Sicht der Psychoanalyse ist diese Ambivalenz wenig problematisch, da das Unheimliche geprägt ist vom Unbewussten und dieses weder Negation noch Widersprüche kennt. Freud schreibt, dass die Vorsilbe ‚un‘ nicht lediglich eine sprachliche Verneinung darstellt, sondern auf die „Marke der Verdrängung“24 im Unheimlichen hinweise. Im Verdrängungsprozess wird ein Inhalt ins Unterbewusste abgeschoben, für das Bewusstsein unsichtbar gemacht und gleich-

20 Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Band XI, III (24), Leipzig 1936, Spalte 1055. 21 Ebd., Spalte 1056. 22 Freud 1986, S. 237. 23 Anneleen Masschelein: Zwischen Animismus und Computeranimation. Das Unheimliche als Unbegriff im 20. und 21. Jahrhundert, in: Doll, Martin (Hg.): Phantasmata. Techniken des Unheimlichen, Wien 2011, S. 19-44. Im Folgenden: Masschelein 2011a. 24 Freud 1986, 259.

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zeitig im Akt der Verdrängung heraufbeschworen. Masschelein schreibt: „Daher kann etwas durchaus zugleich vertraut und unvertraut oder fremd sein. Wie der Begriff des Unbewussten ist auch der des Unheimlichen performativ, insofern er das soeben Dargelegte in sprachlicher Form manifestiert.“25 Auch der Versuch, das Unheimliche über erste formale Kategorisierungen zu fassen, bleibt vage. Es kann nicht eindeutig bestimmt werden, ob dem Unheimlichen ein ästhetisch-theoretisches Konzept zugrunde liegt, wie dem Erhabenen, dem Schönen oder dem Grotesken, oder ob es, eher dem Alltäglichen zugehörig, den Affekten bzw. Begriffen wie Angst, Unbehagen oder Grauen zuzuordnen ist. In diesem Zusammenhang stellt sich deshalb die Frage nach seiner Zugehörigkeit zur Ästhetik oder zu den Affekten. Schon Freud war sich darüber nicht im Klaren und siedelte es zwar bei dem „Schreckhaften, Angst- und Grauenerregenden“26 an, im Kontext seiner Ausführungen über das Phänomen der Angst jedoch findet das Unheimliche dann keinerlei Erwähnung. Dieser unidirektionale Gebrauch des Unheimlichen spricht gegen Freuds Zuordnung zu den Affekten.27 Auch in den Abhandlungen anderer Autoren entzieht sich das Unheimliche der eindeutigen Kategorisierung. Während Hans-Thies Lehmann es dem Erhabenen, also dem Ästhetischen, zuordnet,28 findet es sich bei Jacques Lacan in seinen Abhandlungen über die Angst wieder.29 Anneleen Masschelein tritt in diesem Zusammenhang für eine Unterscheidung zwischen einer psychologischen Auffassung von Effekt als individuellem Gefühl eines Menschen und dem Affekt als ästhetischer Kategorie ein.30 Auch wenn diese Frage somit nicht eindeutig geklärt werden kann, lässt sich festhalten, dass die aktuelle Forschung dazu neigt, das Unheimliche dem Bereich der Ästhetik zuzuordnen;31 jedoch ist es darin selbstredend als Reaktion auf die Alltags-

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Masschelein 2011a, S. 36. Ebd., S. 243. Vgl. Lutz 2006, S. 117. Vgl. Hans-Thies Lehmann: Das Erhabene ist das Unheimliche. Zur Theorie einer Kunst des Ereignisses, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, hrsg. von Bohrer, Karl Heinz, 485 (1989), S. 751-761. 29 Vgl. Lutz 2006, S. 118. 30 Masschelein greift an dieser Stelle die von Gilles Deleuze und Félix Guattari vorgenommene Unterteilung zwischen Affekt und ästhetischem Konzept auf und führt sie weiter aus. Vgl. Masschelein 2011b, S. 9ff. 31 Vgl. u.a. Masschelein, Anneleen: A Homeless Concept. Shapes of the Uncanny in Twentieth-Century Theory and Culture, in: Image & Narrative. Online Magazine of the Visual Narrative, Issue 5: The Uncanny, (2003), http://www.image-andnarr-ative.be/in-ar-chive/un canny/anneleenmasschelein.htm, letzter Zugriff 19.05.2017, S. 2 und Lutz 2006, S. 117. Die Zuordnung des Unheimlichen scheint auch regionalen Aspekten untergeordnet zu sein. So wird der Begriff ‚uncanny‘ in den USA hauptsächlich als ästhetisches Konzept behandelt,

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welt zu verstehen. Die zunehmende Beschäftigung mit dem Unheimlichen in künstlerischen, philosophischen und wissenschaftlichen Diskursen kann und muss also als Reaktion auf eine verstärkt als unheimlich wahrgenommene Welt gelesen werden und bewegt sich damit im psychologisch-soziologischen Bereich. An diesen Fragen zeigt sich bereits die Schwierigkeit einer allgemeingültigen Bestimmung des Begriffs, die jedoch gleichzeitig die spezifische Qualität des Unheimlichen begründet. Der Diskurs über das Unheimliche bleibt, wie Masschelein schreibt, „von kritischen Reflexionen und Fragen über dessen begrifflichen Status durchzogen, und zwar in einem solchen Maße, dass Ambiguität und Unbestimmtheit integraler Bestandteil der Begriffsfestlegung und Definition geworden sind.“32 Folgerichtig beschreibt Masschelein das Unheimliche als „homeless concept“33 bzw. wendet sie die Vorsilbe ‚un‘ auch auf die Konzeptualisierung an und spricht vom „unconcept“.34 Darin ist die paradoxe Struktur des Unheimlichen inbegriffen, als Konzept seine Konzeptualisierung im traditionellen Verständnis, als klar umrissene Einheit, selbst zu problematisieren. Masschelein schreibt: „Every successful conceptualization of the uncanny is doubled and also determined by failing conceptualizations.“35 Auch aufgrund dieser selbstreflexiven Eigenschaft ist das Unheimliche auf besondere Art und Weise geeignet, auf Phänomene, Diskurse und Topoi der Postmoderne zu reagieren und diese zu beschreiben.36 Als ein auf gewisse Weise inkonsistentes, sich auf der Schwelle in einem Dazwischen befindendes Konzept, das dabei stets eben diesen Schwellenstatus mitreflektiert, korrespondiert das Unheimliche mit Denkansätzen postmoderner Philosophen wie beispielsweise Jacques Derrida, Francois Lyotard oder Julia Kristeva, um nur einige zu nennen;37 gleichzeitig ist es geeignet, gesellschaftlich-politische Entwicklungen zu beschreiben, wie etwa solche, die weitestgehend unter dem Schlagwort der Globalisierung subsumiert werden oder mit technischen Innovationen einhergehen. Von den Anfängen bei Freud und dessen Kontrahenten Ernst Jentsch, auf beide wird im Folgenden näher eingegangen, nahm das Unheimliche seinen Weg bis ins

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während der Begriff ‚unheimlich‘ in Deutschland durchaus im alltäglichen Sprachgebrauch als Gefühlsregung unabhängig von ästhetischen Begebenheiten benutzt wird. Masschelein 2011a, S. 37. Vgl. Masschelein 2003. Vgl. Masschelein 2011b. Masschelein 2011b, S. 11. Masschelein bezeichnet es als ein Konzept des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Vgl. Masschelein 2011b, S. 147ff. So geschieht es, dass Nicholas Royles Abhandlung das Unheimliche mehr oder minder mit Derridas Begriff der Dekonstruktion gleichsetzt, wie Masschelein bemerkt. Nicholas Royle: The Uncanny, Manchester 2003. Vgl. ebenso: Masschelein 2011b, S. 2.

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21. Jahrhundert und hat insbesondere in den letzten dreißig Jahren weitreichende Beachtung gefunden.38 Dabei ist das Unheimliche, wie es sich Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts gestaltet, ein anderes als es noch zu Freuds Zeiten war. Gleichwohl lassen sich aus dem jeweiligen Verständnis des Begriffs Rückschlüsse auf die Spezifika seiner Zeit ziehen, sodass das Unheimliche Gradmesser seiner Zeit ist. Masschelein spricht von einer Leere im Kern des Unheimlichen-Konzepts, die seinen prekären Status begründet und es zum „subject to fashion“ werden lässt.39 Mit dieser Schwierigkeit des prekären Status des Unheimlichen muss auch die vorliegende Arbeit umgehen; allerdings trägt dies zum doppelt formulierten Ziel der Arbeit bei, nicht lediglich einen Beitrag zur Analyse von Elfriede Jelineks Werk zu leisten, in dem Sinne, ein zunächst klar definiertes Konzept des Unheimlichen in ihren Texten zu untersuchen, sondern darüber hinaus einen Beitrag zur Erforschung der Genese des Unheimlichen beizutragen. Auch wenn sich der Bezug zum Unheimlichen bei Elfriede Jelinek vielleicht weniger offensichtlich gestaltet als bei Schriftstellern wie Haruki Murakami, W.G. Sebald, Paul Auster oder Mark Z. Danielewski, reagiert die Autorin in ihren Texten doch ohne Zweifel sensibel auf gesellschaftliche Veränderungen im Bereich der Belebtheitsverhältnisse wie auch in der Auffassung von Realität und Fiktion.40 Beide Bereiche gehören dem elementaren Wirkungsfeld des Unheimlichen an. In diesem Sinne trägt Jelinek als eine der prominentesten deutschsprachigen Schriftstellerinnen des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts (insbesondere im Theaterbereich) zu einer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Unheimlichen bei.

2. Z U DEN ANFÄNGEN DES U NHEIMLICHEN : E RNST J ENTSCH VS . S IGMUND F REUD Auch wenn der Begriff des Unheimlichen aus dem alltäglichen Sprachgebrauch stammt und somit in seinem Ursprung schwer zu bestimmen ist, fungiert in der wissenschaftlichen Beschäftigung meist Freuds Aufsatz über das Unheimliche als Ausgangstext.41 Obwohl Freud in seiner Untersuchung die Thesen von Friedrich Schel38 Besonders in den USA hat der Begriff ‚uncanny‘ weite Kreise gezogen. Vgl. Lutz 2006, S. 116. 39 Masschelein 2011b, S. 15. 40 Vgl. hierzu Masscheleins Abschnitt über das Unheimliche in der gegenwärtigen Kultur. Masschelein 2011b, S. 147-153. Insbesondere sei hier auf Mark Z. Danielewskis Roman House of Leaves (2000) verwiesen, der poststrukturalistischer Theorie folgend ein Hybrid aus Fiktion und wissenschaftlicher Abhandlung ist, dabei höchst fragmentarisch bleibt und eine unzuverlässige Erzählebene aufweist. 41 Vgl. Masschelein 2003.

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ling und dem Psychologen Ernst Jentsch ebenso als Bezugspunkte erwähnt wie die zahlreichen literarischen Beispiele, beschreibt er eine theoretische Vorstellung des Unheimlichen, die bis heute diskursbestimmend ist. Von Schelling zitiert Freud die maßgebliche Passage zum Unheimlichen als etwas, das im „Geheimnis, im Verborgenen […] bleiben sollte und hervorgetreten ist“.42 Dieser Satz ist grundlegend für Freuds Überlegungen zum Unheimlichen und kehrt als Leitmotiv wiederholt in dem Aufsatz wieder.43 Darüber hinaus findet Schelling jedoch keine weitere Erwähnung. Jentschs Artikel Zur Psychologie des Unheimlichen,44 der 1906, also 13 Jahre vor Freuds Aufsatz erschien, hingegen fungiert im Text quasi als Gegenspieler Freuds. Freud baut seine Analyse in dialektischem Widerstreit mit Jentsch auf: „Von Seiten der ärztlich-psychologischen Literatur kenne ich nur die eine, inhaltsreiche, aber nicht erschöpfende Abhandlung von E. Jentsch.“45 Obwohl Freud betont, dass er von Jentschs Ausführungen nicht „voll überzeugt“ sei, möchte er seine Untersuchung „an ihn anknüpfen“,46 um dann über diese hinauszugehen. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass Freud Jentschs These von der intellektuellen Unsicherheit als Faktor für das Unheimliche nicht anerkennt, und sein Aufsatz eher als Versuch gelesen werden kann, Jentsch zu widerlegen.47 Die vorliegende Arbeit will indes Jentschs Thesen stärken. Dass Jentschs Artikel 1995 ins Englische übersetzt wurde, kann als Indiz für seine (wiedergewonnene) Bedeutung interpretiert werden.48 Seine Ausführungen zur fraglichen Belebtheit sind insbesondere bezüglich gegenwärtig virulenter Topoi in medizinischen Diskursen wie beispielsweise der Prothetik und der Genetik, aber auch in der Robotik und anderen Bereichen von Bedeutung, sobald es um die Bestimmung des Menschli42 Freud 1986, S. 235. 43 Vgl. Anthony Vidler: UnHEIMlich. Über das Unbehagen in der modernen Architektur, Hamburg 2002, S. 47. 44 Ernst Jentsch: Zur Psychologie des Unheimlichen, in: Psychiatrisch-Neurologische Wochen-schrift, Nr. 22/23, (1906), S. 195-198 und 203-205. 45 Freud 1986, S. 230. 46 Ebd. 237f. 47 Vgl. Michiel Scharpé: A Trail of Disorientation: Blurred boundaries in Der Sandmann, in: Image & Narrative. Online Magazine of the visual narrative, Issue 5: The Uncanny, 2003, http://www.imageandnarrative.be/inarchive/uncanny/michielscharpe.htm, letzter Zugriff: 19.05.2017. Hélène Cixous führt Freuds lange Liste an Beispielen und Variationen zum Unheimlichen auf seinen Kampf gegen die von Jentsch postulierte intellektuelle Unsicherheit zurück. Vgl. Hélène Cixous: Die Fiktion und ihre Geister, in: Klaus Herding/Gerlinde Gehrig (Hg.): Orte des Unheimlichen, Göttingen 2006, S. 39. Auch Masschelein betont das mögliche Konkurrenzverhältnis zwischen beiden Autoren. Masschelein 2011a, S. 19. 48 Vgl. Ernst Jentsch: On the Psychology of The Uncanny, in: Angelaki 2 (1995), S. 7-16. Der Aufsatz ist vollständig im Internet einsehbar unter http://www.art3idea.psu.edu/locus/ Jentsch_uncanny.pdf, letzter Zugriff 19.05.2017.

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chen geht. Des Weiteren soll hier Freud beim Wort genommen werden, indem sein Aufsatz tatsächlich als Weiterführung von Jentschs Thesen gelesen wird. Es gilt also beide Ansätze miteinander zu verbinden. 2.1 Fragliche Belebtheitsverhältnisse als Auslöser des Unheimlichen (E. Jentsch) In seinem Aufsatz Zur Psychologie des Unheimlichen49 setzt sich Jentsch aus medizinischer Sicht mit der Entstehung des Unheimlichen auseinander. Seine Hauptthese bezieht sich dabei auf die Psychologie des Menschen im „alltäglichen Leben“,50 im zweiten Schritt geht er dann auf die unheimliche Wirkung von Literatur ein. Das Unheimliche führt Jentsch auf die „intellectuelle Unsicherheit“51 des Menschen zurück, die bei der Begegnung des Individuums mit dem Fremden entsteht: Dies erklärt sich zum großen Theile aus der Schwierigkeit, die Ideenverbindungen, die das Object zu dem bisherigen Vorstellungsbereich des Individuums anstrebt, also die Herrschaft des Intellects über das neue Ding, rasch und vollständig herzustellen.

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Das Fremde verursacht nach Jentsch eine geistige Desorientierung, die wiederum ein Gefühl des Unheimlichen in demjenigen auslöse, der mit diesem konfrontiert wird. Als heilende Maßnahme rät Jentsch deshalb zur genauen Untersuchung des fremden Gegenstandes, „wodurch eine Art intellectueller Classificirung des affecterregenden Objects […] vorgenommen und dieses gleichzeitig zu einem bekannten gemacht wird, welches […] leicht seine Schrecken verliert.“53 Die unheimliche Wirkung des Fremden wird laut Jentsch also dadurch gebannt, dass es in den Vorstellungsbereich des Individuums eingegliedert und so Teil eines nun wieder geschlossenen Weltbildes wird. Im Kontext des Fremden kommt Freud seinem Vorhaben nach, über Jentschs Überlegungen hinauszugehen. Während Jentsch die Beschaffenheit des Fremden nicht weiter spezifiziert, unterscheidet Freud das Fremde im Bereich des Unheimlichen als ein ehemals Heimeliges, dann jedoch im Verdrängungsprozess Entfremdetes.54 In Rekurs auf Freuds erste Zuordnung des Unheimlichen zum Schrecken- und Angsterregenden lässt sich hier eine wichtige Differenzierung ableiten. Während das

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Jentsch 1906. Ebd., S. 195. Ebd., S. 196. Ebd. Ebd., S. 198. Vgl. Freud 1986, S. 254.

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Fremde Angst oder Schrecken hervorrufen kann, entsteht das Unheimliche nach Freud durch das Auftauchen eines fremd gewordenen, also ehemals Vertrauten. Von der noch recht allgemein gehaltenen These der intellektuellen Unsicherheit geht Jentsch in seiner Argumentation weiter und hebt die intellektuelle Unsicherheit in Bezug auf die Belebtheit eines Dings als besonders geeigneten Fall für die Evokation des Unheimlichen hervor: Unter allen psychischen Unsicherheiten, die zur Entstehungsursache des Gefühls des Unheimlichen werden können, ist es ganz besonders eine, die eine ziemlich regelmässige, kräftige und sehr allgemeine Wirkung zu entfalten im Stande ist, nämlich der Zweifel an der Beseelung eines anscheinend lebendigen Wesens und umgekehrt darüber, ob ein lebloser Gegenstand nicht etwa beseelt sei […].

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Dieser Satz vom Zweifel an der Beseeltheit und Belebtheit eines scheinbar Lebendigen als grundlegende Ursache für die Wirkung des Unheimlichen bildet den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit. Dabei gilt ebenso der Umkehrschluss, dass die unerwartete Belebung eines Dings eine unheimliche Wirkung zeitigt. Jentsch nennt eine Reihe von Beispielen für den „Zweifel an der Beseelung“56 wie die Vogelscheuche, die ersten „Lokomotiven in den Augen von Wilden“57 oder den unheimlichen Eindruck, den Wachsfiguren erzeugen können. Zum Letzteren macht er eine relevante Beobachtung, die auch als Überleitung zur Kunst fungiert: „[…] ein wirkliches anatomisches Leichenpräparat braucht nicht entfernt so widerwärtig auszusehen, als die entsprechende Modellierung in Wachs.“58 Nicht das tatsächlich Tote also ist unheimlich, sondern das Tote in seiner Nachahmung des Lebendigen und umgekehrt. Hier zeigt sich wieder die Ambivalenz des Unheimlichen, das nur in der Bewegung zwischen den Polen ‚belebt‘ und ‚unbelebt‘ entsteht, nicht aber in der Eindeutigkeit des Todes. In seinen Überlegungen zum Unheimlichen in der Kunst hebt Jentsch den Eindruck von automatischen Figuren hervor und nennt E.T.A. Hoffmann, der „in seinen Phantasiestücken dieses psychologische Manöver wiederholt mit Erfolg zur Geltung gebracht“ habe.59 Hier setzt Freud seine Kritik an Jentsch an. Obwohl Jentsch dies an keiner Stelle erwähnt, unterstellt Freud, dass er sich auf den Automaten Olimpia in E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann60 als Auslöser für 55 56 57 58 59 60

Jentsch 1906, S. 197. Ebd., S. 197. Ebd. Ebd., S. 198. Ebd., S. 203. E.T.A. Hoffmann: Der Sandmann, in: E.T.A. Hoffmanns Erzählungen, ausgewählt und vorgestellt von Hans Pleschinski, München 2000, S. 224-261.

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das unheimliche Gefühl beziehe. Genau genommen ist sogar anzunehmen, dass Jentsch sich nicht auf Der Sandmann bezieht, da er von den „Phantasiestücken“ E.T.A. Hoffmanns ausgeht, Der Sandmann aber bekanntlich zu den „Nachtstücken“ gehört. Zum anderen verkürzt Freud den Gedankengang von Jentsch, wenn er ihn auf die Darstellung konkreter Automaten in der Literatur reduziert. Freud unterstützt seine Ausführungen mit einem Zitat aus Jentschs Aufsatz, das isoliert betrachtet tatsächlich in seiner Argumentation etwas verflacht erscheint: Einer der sichersten Kunstgriffe, leicht unheimliche Wirkungen durch Erzählungen hervorzurufen […] beruht nun darauf, daß man den Leser im Ungewissen darüber lässt, ob er in einer bestimmten Figur eine Person oder etwa einen Automaten vor sich habe, und zwar so, dass diese Unsicherheit nicht direkt in den Brennpunkt seiner Aufmerksamkeit tritt, damit er nicht veranlaßt werde, die Sache sofort zu untersuchen und klarzustellen, da hiedurch, wie gesagt, die besondere Gefühlswirkung leicht schwindet […]

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Schon im nächsten Satz differenziert Jentsch die Eindeutigkeit der Automatenfigur, indem er von einer „Unsicherheit über die psychische Beschaffenheit der entsprechenden dichterischen Figur“ als Auslöser für das Unheimliche ausgeht.62 Die Betonung liegt hier wieder auf dem Begriff der Unsicherheit, die im Falle Olimpias aus Der Sandmann nicht gegeben ist, da sie sich im Laufe der Erzählung eindeutig als Automat herausstellt. Außerdem steht die Frage nach ihrer Belebtheit durchaus im Mittelpunkt des Interesses, was zusätzlich gegen Freuds Behauptung steht, Jentsch sehe in ihr das Moment des Unheimlichen. Jentschs Begriff des Unheimlichen ist hingegen durchaus differenzierter als Freud glauben machen möchte. Jentsch entwirft in seiner Studie einen Begriff des Unheimlichen, der sich auf ein Spannungsfeld innerhalb der ‚psychischen Beschaffenheit‘ des Menschen bezieht, das nicht als eindeutig belebt bezeichnet werden kann. Dabei erweitert er den Begriff der fraglichen Belebtheit um mechanische Abläufe im Menschen, die im Gewahrwerden eine unheimliche Wirkung entfalten würden, indem sie dem Unbelebten zugeordnet würden. Um diese unheimliche Wirkung zu erläutern, argumentiert er von menschlichen Dysfunktionen aus und hebt die Epilepsie als eine Krankheit hervor, die einen höchst unheimlichen Eindruck hinterlasse: […] denn der epileptische Krampfanfall enthüllt dem Beschauer den unter normalen Verhältnissen so sinnreich, zweckentsprechend und einheitlich unter Leitung seines Bewusstseins functionierenden menschlichen Körper als einen ungeheuer complicierten und feinen Mechanismus.

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61 Freud 1986, S. 238. 62 Jentsch 1906, S. 203. 63 Ebd., S. 205.

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Jentsch schließt den hysterischen Anfall von der unheimlichen Wirkung mit der Erklärung aus, dass der Betroffene hierbei bei Bewusstsein bleibe, und impliziert damit die Nähe zwischen Bewusstlosigkeit und Unbelebtem. In diesen Überlegungen zeigt Jentsch seinen weit gefassten Begriff von Unbelebtheit, da er diesem auch unbewusste und mechanische Funktionsweisen im Menschen zuordnet. Gleichzeitig wirft er Fragen um die Beschaffenheit des Individuums im Hinblick auf die ‚Einheitlichkeit seiner Psyche‘ und letztlich seiner Autonomie und Selbstbestimmtheit auf. Er greift damit aktuelle Diskurse seiner Zeit auf, wenn er die Existenz mechanischer, also unbewusst ablaufender, psychischer Prozesse im Menschen betont. Schließlich ist er ein Zeitgenosse Freuds, der mit der ‚Entdeckung‘ des Unbewussten die Ansicht vorantrieb, dass der Mensch sich selbst zu großen Teilen als terra incognita präsentiere.64 Obwohl er die Natürlichkeit eines psychisch-unbewussten Mechanischen im Menschen hervorhebt, betont Jentsch mit Recht seine unheimliche Wirkung: Der unheimliche Effect, den der Einblick in das Wahnsystem eines Kranken bei den meisten Menschen hervorruft, beruht zweifellos darauf, dass eine mehr oder weniger deutliche Vorstellung von dem Vorhandensein eines gewissen Associationszwanges (Mechanismus) im Menschen auftritt, die im Widerspruche mit der gewöhnlichen Anschauung von der psychischen Freiheit stehend an der Ueberzeugung der Beseelung des Individuums in voreiliger und ungeschickter Weise zu rütteln anfängt.

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Jentsch geht also von der Existenz mechanischer (im Sinne von automatisch ablaufender) Prozesse, sowohl auf körperlicher als auch auf geistiger Ebene, im Menschen aus. Ihre unheimliche Wirkung speise sich aus der Unwissenheit des Menschen, der sich der Existenz eines unkontrollierbaren, automatisch funktionierenden Anteils in sich selbst nicht bewusst sei. So betont Jentsch, dass bei einem „Sachkundigen“ die unheimliche Wirkung gering ausfallen würde, „[…] denn ihm sind die mechanischen Prozesse in der menschlichen Seele keine Neuigkeit mehr“.66 Von besonderem Interesse ist hier die Selbstverständlichkeit mit der Jentsch von der Existenz des Mechanischen, das er mit dem Unbelebten assoziiert, ausgeht und die daraus resultierende Spaltung im Menschen. Wie oben bereits im Kontext des epileptischen Anfalls erläutert, geht Jentsch von einem trügerischen Selbstbild des Menschen aus, das sich durch Einheitlichkeit und Bewusstheit auszeichne. Erst 64 Lacan greift das Unheimliche an dem Bewusstsein über die Existenz eines Unbewussten im Menschen auf, wenn er formuliert: „Der Mensch ist nicht Herr im eigenen Haus.“ (L’homme n’est pas ici maître chez lui.) Vgl. Peter W. Zima: Theorie des Subjekts. Subjektivität und Identität zwischen Moderne und Postmoderne, Tübingen/Basel 2000, S. 254. 65 Jentsch 1906, S. 205. 66 Ebd.

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durch die Konfrontation mit den automatischen Mechanismen im Selbst werde sich der Mensch seiner Spaltung in bewusst kontrollierbare und unbewusst ablaufende ‚mechanische‘ Prozesse gewahr. In diesem Aspekt antizipiert Jentsch zum einen Jacques Lacans Konzept der eingebildeten körperlichen Ganzheit im Spiegelstadium (vgl. II.3.3). Zum anderen nimmt er hier die Unterteilung in einen bewussten und einen unbewussten Bereich des Selbst vor, wobei er das Unbewusste mit dem Mechanischen und dieses wiederum mit dem Unbelebten assoziiert. Jentschs Begriff der fraglichen Belebtheit eines Wesens und damit des Unheimlichen bezieht sich also keineswegs auf eindeutig unbelebte Phänomene, sondern geht vornehmlich von einer Ambivalenz des Menschen aus, der belebte und unbelebte Aspekte in sich berge. Das Unheimliche entstehe nach Jentsch in dem Moment, in dem sich diese Spaltung und damit das Spannungsfeld zwischen Belebtund Unbelebtheit offenbarten. Exkurs: Zum Konzept des „Uncanny Valley“ In Rezeption von Jentschs These des Unheimlichen entstand in den 1970er-Jahren die Hypothese vom „Uncanny Valley“, dem ‚unheimlichen Tal‘.67 Dieses von dem japanischen Roboterforscher Masahiro Mori entwickelte Konzept beschäftigt sich mit der emotionalen Resonanz des Menschen auf Roboter und andere unbelebte Wesen. Nach Mori steige die positive emotionale Reaktion des Menschen auf einen Roboter proportional mit dessen menschenähnlichem Erscheinen bis zu einem bestimmten Punkt, an dem sie in Abscheu umschlage. „I have noticed that, as robots appear more humanlike, our sense of their familiarity increases until we come to a valley. I call this relation the ‚Uncanny Valley‘.“68 Mori verdeutlicht seine Theorie am Beispiel einer Handprothese, die durch die Diskrepanz zwischen ihrer äußeren Erscheinung und ihrer tatsächlichen Beschaffenheit ein unheimliches Gefühl provoziere. Um ein Gefühl der Vertrautheit im Betrachter hervorzurufen, werde die Handprothese so menschenähnlich wie möglich nachgebildet. Bei der Berührung entstehe dann jedoch ein unheimliches Gefühl, wenn die Hand in ihren taktilen Eigenschaften nicht der einer belebten Menschenhand entspreche.

67 Zum Bezug zwischen beiden Thesen vgl. Scott G. Eberle: Exploring The Uncanny Valley to Find The Edge of Play, in: American Journal of Play, 2 (2), 2009, http://www.jour nalofplay.org/sites/www.journalofplay.org/files/pdf-articles/2-2-article-uncanny-valley edge-of-play.pdf, letzter Zugriff: 19.05.2017, S. 167-195, hier S. 169 und 175. Die Bezugnahme auf Freuds Aufsatz, d.h. Moris tatsächliche Kenntnis des Aufsatzes bleibt umstritten, vgl. Masschelein 2011b, S. 180, dort: Fußnote 20. 68 Masahiro Mori: The Uncanny Valley, in: Energy 7, 1970, H. 4, S. 33-35, hier S. 33.

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In einem Diagramm zum „Uncanny Valley“ unterscheidet Mori zwischen bewegungslosen und bewegten Gegenständen und Wesen, wobei die unheimliche Wirkung über Bewegung verstärkt scheint.

Abbildung 1: Masahiro Mori: The Uncanny Valley

Die These des „Uncanny Valley“ bezeichnet also den Moment, in dem die Ähnlichkeit zwischen der unbelebten Nachahmung und dem belebten Vorbild so groß ist, dass der Betrachter sie kaum noch unterscheiden kann, er aber doch eines Unterschieds gewahr wird. Der Moment des Gewahrwerdens evoziert das Unheimliche. Solange die Prothese – oder der Roboter – ihre Eigenschaft als Prothese nicht verbirgt, ist sie dem Menschen vielleicht fremd, jedoch nicht unheimlich. In ihrer Nachahmung eines Belebten evoziert sie jedoch in dem Moment ein unheimliches Gefühl, in dem ihre Maskerade entdeckt wird, da der Betrachter für kurze Zeit zwischen dem Eindruck von belebt und unbelebt schwankt. Durch die Erfindung und Perfektionierung menschlicher Roboter kann Jentschs These von der fraglichen Belebtheit als Auslöser unheimlicher Gefühle in der Praxis erprobt werden. So kann in Moris Konzept des „Uncanny Valley“ zum einen eine Verifikation von Jentschs These zum anderen eine Bestätigung ihrer aktuellen Bedeutung gesehen werden. Die Annahme eines „Uncanny Valley“ lässt im Kontext der Robotik Überlegungen aktuell werden, wie Jentsch sie in Verbindung mit dem Unheimlichen anstellte. Dabei wird die Identitätskrise des Menschen angesichts der zunehmend menschlicher werdenden Roboter deutlich. Christopher John-

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son beschreibt eine Verschiebung des Belebten hin zum Programmierten in der heutigen Zeit: „[W]e are animated and agitated by a power or program that seems to violate our most intuitive sense of selfdetermination.“69 Oder wie der Roboteringenieur David Hanson formuliert: „If we can mechanize what makes us human, that will make us feel like a mechanism [...].“70 In diesem Sinne wird deutlich, dass Jentschs These davon, dass das Unbelebt-Mechanische im Menschen einen Angriff auf seine Autonomie darstelle, neue Bedeutung in der Gegenwart erhält. 2.2 Sigmund Freuds Aufsatz zum Unheimlichen in der Kritik Freud gliedert seinen Aufsatz Das Unheimliche in drei Teile. Im ersten Abschnitt nimmt er eine semantische Analyse der Wörter ‚heimlich‘ und ‚unheimlich‘ vor und lässt diese in seine These vom wiederkehrenden Verdrängten münden. Darauf folgt seine Analyse von E.T.A. Hoffmanns „Nachtstück“ Der Sandmann, aus der er die Kastrationsangst als elementaren Auslöser für das Gefühl des Unheimlichen ableitet. Im dritten Teil des Aufsatzes führt er eine Reihe von Motiven und Beispielen an, um verschiedene Kategorisierungen des Unheimlichen vorzunehmen. Fraglos stellt Freud eine Reihe relevanter Überlegungen zum Unheimlichen an; sein Fokus auf die infantile Kastrationsangst jedoch hat sich zu Recht in der Rezeption seines Aufsatzes nicht durchgesetzt. Klaus Herding betont in seiner Einleitung zu seinem 2006 erschienenen Sammelband zum Unheimlichen den spielerischen Umgang der aktuellen Forschung mit Freuds Aufsatz, der darin besteht, seine eigentliche Hauptthese der infantilen Kastrationsangst eher vernachlässigend, die paradoxe Rede vom unvertraut Vertrauten aufzugreifen und als Haupt-Charakteristikum des Unheimlichen zu vertiefen.71 Darüber hinaus liegt eine Erweiterung des Unheimlichen um Freuds Theorie der Todestriebe nahe, wie sie auch in der vorliegenden Arbeit unternommen wird, wodurch darüber hinaus auch Jentschs Thesen wieder relevant werden. Zunächst gilt es jedoch Freuds Überlegungen nachzugehen. Wie bereits gesagt, ist die grundlegende Ambivalenz des Unheimlichen, die sich als ein stetes Streben nach seinem Gegenteil zeigt, schon auf lexikalischer Ebene zu finden. In der Bewegung zu seinem Antonym, dem Heimeligen, wie auch dem Heimlichen markiert Freud die Bedeutung des Unheimlichen auf der Wortebene. Diese Immanenz des Fremden im Vertrauten transferiert Freud von der lexikalischen auf die inhaltliche Ebene und wendet sie ins Psychoanalytische. Mit der Anspielung auf verdrängte Erlebnisse in der Kindheit, formuliert er so seine Bestimmung des Unheimlichen als 69 Christopher Johnson: Ambient Technologies, Uncanny Signs, in: Oxford Literary Review, 21, (1999), S. 117-134. 70 David Hanson zitiert nach Masschelein 2011b, S. 151. 71 Vgl. Klaus Herding/Gerlinde Gehrig: Orte des Unheimlichen, Göttingen 2006, S. 10.

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„jene Art des Schreckhaften, die auf das Altbekannte, Längstvertraute“72 zurückzuführen sei. Damit bestätigt Freud die oben erwähnte Definition von Schelling: „Unheimlich nennt man Alles, was im Geheimnis, im Verborgenen [...] bleiben sollte und hervorgetreten ist.“73 Schließlich erweitert Freud im Laufe seiner Argumentation die These des „Längstvertrauten“ im Unheimlichen, indem er es als ein „Verdrängtes“ spezifiziert: […] wenn die psychoanalytische Theorie in der Behauptung recht hat, daß jeder Affekt einer Gefühlsregung, gleichgültig von welcher Art, durch die Verdrängung in Angst verwandelt wird, so muß es unter den Fällen des Ängstlichen eine Gruppe geben, in der sich zeigen lässt, dass dies Ängstliche etwas wiederkehrendes Verdrängtes ist. Diese Art des Ängstlichen wäre eben das Unheimliche und dabei muß es gleichgültig sein, ob es ursprünglich selbst ängstlich war oder von einem anderen Affekt getragen.

74

Freud erweitert hier Jentschs These vom Unheimlichen, das in der Konfrontation mit dem Fremden entstehe, um die paradoxe Wendung des gleichzeitig Fremden und Vertrauten. Der Fokus liegt bei Freud auf dem Verdrängungsprozess, der das ehemals Vertraute „entfremdet“75 und im Wiederauftauchen unheimlich werden lässt. Darüber erhält das Unheimliche indes seine bewegliche, ambivalente und prozessuale Prägung. An dieser Stelle lässt sich darüber hinaus Jentschs These, dass das Sichtbarwerden des Mechanischen – also Unbelebten – im Menschen ein unheimliches Gefühl hervorrufe, in die Überlegungen miteinbeziehen. Geht Jentsch davon aus, dass das Unbelebte ein selbstverständlicher Teil des Menschen sei, der jedoch verdrängt werde, so ist dieser Umstand mit Freuds Verweis auf die Wiederkehr des Bekannten als prädestinierter Fall des Unheimlichen zu verstehen. Die Erkenntnis über einen unbelebten Anteil im belebten Organismus des Menschen ist dann insofern unheimlich als sie sich auf eine bekannte, jedoch verdrängte Tatsache bezieht. Im zweiten Teil seines Aufsatzes unternimmt Freud eine Deutung von E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann, in der er das Unheimliche der Erzählung mit der Figur des Sandmanns und der mit ihm einhergehenden Vorstellung des Augenverlusts verknüpft. Freud erläutert im Rückgriff auf seine Traum- und Mythenstudien, dass die Angst vor dem Verlust der Augen nur eine Verschiebung der Kastrationsangst sei und resümiert schließlich – hier stark verkürzt wiedergegeben –, dass die eigentliche Bedeutung der Erzählung sich erst dann erschließe, wenn für den Sandmann der gefürchtete Vater eingesetzt werde, von dem die Kastration erwartet

72 73 74 75

Freud 1986, S. 231. Ebd., S. 232. Freud 1986, S. 254. Ebd.

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werde.76 Freuds Deutung von Der Sandmann liest sich damit weitestgehend als Fallanalyse des neurotischen Protagonisten Nathanael, dessen ambivalentes Verhältnis zu seinem Vater sich in der Erzählung als dessen Spaltung und mehrfache Verdoppelung in einen guten und einen schlechten Vater (sein eigentlicher Vater/Spalanzani und Coppelius/Coppola) manifestiert.77 Nathanaels Geliebte, der Automat Olimpia, wird in diesem Zusammenhang kurzerhand als Projektion und Komplex seiner weiblichen Einstellung dem Vater gegenüber interpretiert.78 Neben dem Fokus auf die Kastrationsangst und den sich daraus ableitenden Ödipuskomplex, wird die Relevanz des Doppelgängers in diesem Abschnitt von Freuds Aufsatz deutlich. Anhand der Figur des Doppelgängers stellt er Überlegungen zur Auffassung des Menschen zum Tod an. Dabei wird deutlich, dass Freud in der Frage nach dem Verhältnis des Menschen zum Tod nicht so weit von Jentschs Überlegungen entfernt ist, wie er selbst betont. Ebenso wie Jentsch geht der davon aus, dass der Mensch keinen Raum für die Vorstellung der eigenen Sterblichkeit habe. Niemand würde sie rational bestreiten und doch leuchte sie keinem ein. Der Glaube an das „Sichtbarwerden der Verstorbenen als Seelen“79 werde von offizieller Seite her negiert und so sei die „ursprünglich höchst zweideutige, ambivalente Gefühlseinstellung zum Toten […] für die höheren Schichten des Seelenlebens zur eindeutigen der Pietät abgeschwächt worden.“80 Freud geht also auch von einem ambivalenten Verhältnis des Menschen zum Tod aus, das jedoch im Verdrängungsprozess einer Neutralisierung anheimfällt. In der Figur des Doppelgängers kehrt jedoch die begriffliche Ambivalenz des Unheimlichen als „die Vorstellung der eigenen Sterblichkeit“81 zurück. Freud versteht den Doppelgänger als eine Figur der Ich-Spaltung (im Grunde eine Verdoppelung des Ichs), die ursprünglich keinen beunruhigenden Effekt auf den Menschen habe, im Prozess der Verdrängung jedoch eine unheimliche Wirkung entfalte: Aber diese Vorstellungen [des Doppelgängers E.G.] sind auf dem Boden der uneingeschränkten Selbstliebe entstanden, des primären Narzissmus, welcher das Seelenleben des Kindes wie des Primitiven beherrscht, und mit der Überwindung dieser Phase ändert sich das Vorzeichen des Doppelgängers, aus einer Versicherung des Fortlebens wird er zum unheimlichen Vorboten des Todes.

76 77 78 79 80 81 82

82

Vgl. Freud 1986, S. 243. Masschelein 2011, S. 25. Vgl. Freud 1986, S. 244. Freud 1986, S. 256. Freud 1986, S. 256. Ebd. Ebd., S. 247.

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Freud betont, dass „[…] der Doppelgänger eine den überwundenen seelischen Urzeiten angehörige Bildung ist, die damals allerdings einen freundlicheren Sinn hatte“.83 Der Doppelgänger an sich ist also nicht das unheimliche Moment, sondern seine Wiederkehr aus der Verdrängung lässt ihn zum „Schreckbild“84 werden. Die Figur des Doppelgängers ist ein Beispiel für Freuds oben beschriebenen Begriff des Unheimlichen in der Wiederkehr verdrängter infantiler Komplexe. Die Verdoppelung im Spiegelbild stellt während der narzisstischen Phase eine Grundvoraussetzung für die Konstituierung des Kindes dar, da es sich erst über dieses Abbild seiner Selbst erkennen kann. Freud unterstreicht die Notwendigkeit dieser Bespiegelung in seiner Theorie des Narzissmus. Sobald das Kind die Phase des Narzissmus jedoch durchlaufen habe, scheine dieses Doppel seiner Selbst eine Bedrohung für seine Belebtheit darzustellen.85 Freud spart eine Erklärung darüber aus, wie das Vorzeichen des Doppelgängers ins Negative umschlägt, bzw. ergibt sich dies im Kontext seiner Überlegungen zum Unheimlichen aus der Verdrängung. Ursprünglich als Abspaltung, also Teil des Menschen, wird der Doppelgänger nach der narzisstischen Phase nicht mehr als Bildung des eigenen Selbst erkannt, sondern als dessen Nachahmung im Außen verstanden. Diese Reproduktion des Selbst entfaltet dann ihre unheimliche Wirkung, weil sie, indem sie den Menschen doppelt, seine Einzigartigkeit und Belebtheit anzweifelt. In der Figur des Doppelgängers lässt sich der Begriff des Unheimlichen also in einer wechselseitigen Ergänzung von Freud und Jentsch in der vorliegenden Untersuchung erweitern. Das Unheimliche des Doppelgängers erklärt sich dementsprechend daraus, dass er als verdrängte Figur des Narzissmus wieder in das Bewusstsein des Menschen gelangt und darin seine Belebtheit infrage stellt, indem er ihn verdoppelt bzw. spaltet. Den dritten Teil seiner Untersuchung beginnt Freud mit dem Eingeständnis, das „Rätsel des Unheimlichen nicht gelöst“86 zu haben. Er beschränkt sich hier auf die Akkumulation von Beispielen des Unheimlichen, ohne das Unheimliche wirklich fassen zu können. Schließlich unternimmt er am Ende seiner Untersuchung eine Klassifizierung der Auslöser für das Unheimliche, die sich in zwei ineinander verwobene Kategorien einteilen lässt. Einerseits unterscheidet er zwischen der Wiederkehr von überwunden geglaubten primitiven Überzeugungen und verdrängter infantiler Komplexe, andererseits arbeitet er die Unterschiede zwischen dem Unheimlichen des Erlebens und dem Unheimlichen der Fiktion heraus. Zu den für überwunden geglaubten primitiven Überzeugungen zählt nach Freud z.B. der Glaube an die Wiederkehr der Toten. Diese von den Urahnen des modernen Menschen noch für möglich gehaltene Vorstellung gelte in unserer zivilisierten 83 84 85 86

Ebd., S. 248. Ebd. Vgl. Freud 1986, S. 247f. Freud 1986, S. 259.

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Welt als überwunden, jedoch ließen Reste eines Glaubens daran all das unheimlich erscheinen, was an die Wiederkehr der Toten mahne.87 Das Unheimliche hängt also von dem Realitätsgehalt ab, den wir den Dingen zusprechen. Verschwimmen die Grenzen zwischen Phantasie und Realität oder findet nach Freud gar eine „Überbetonung der psychischen Realität“88 im Vergleich zur materiellen statt, so werde dies als unheimlich empfunden. Während im Erfahrungshorizont alltagspraktischer Gewissheiten das Unheimliche aus dem Unzuverlässigwerden der ‚Realität‘ entsteht, tritt das Unheimliche der (künstlerischen) Fiktion in Erfahrungshorizonten jenseits der Alltagspraxis auf, die durch den Autor des jeweiligen Werkes gesetzt werden. So geht Freud davon aus, dass der fiktionale Text alles, was im Leben unheimlich wirke, auch für seinen Text nutzen könne. Dies gelte besonders dann, wenn er wie in der realistischen Erzählhaltung das wirkliche Leben nachahme. Darüber hinaus könne der Autor aber auch neue und andere Möglichkeiten des unheimlichen Gefühls erschaffen, wenn er den Leser in plausible Welten führe, in denen ‚Realität‘ neu und anders parametrisiert ist als in der Alltagswelt.89 Die oben erwähnte Kastrationsangst und das Doppelgängermotiv wiederum sind der Wiederkehr verdrängter infantiler Komplexe zuzuordnen – genauer dem primären Narzissmus.90 Da es sich bei den infantilen Komplexen per se um psychische und nicht materielle Realitäten handelt, greife die Unterscheidung zwischen dem Unheimlichen des Erlebens und der Fiktion hier nicht. Freud nennt die verdrängten infantilen Komplexe „resistenter“,91 da sie in der Dichtung ebenso unheimlich blieben wie im Erleben. Es lässt sich zusammenfassen, dass Freuds Untersuchung des Unheimlichen von einer Unsicherheit gegenüber dem Begriff gekennzeichnet ist, die ihn immer wieder in recht willkürliche Aufzählungen ausschweifen lässt. Die eher motivische Ver87 Ebd. S. 260. 88 Ebd., S. 260f. 89 Auf dieser These des Unheimlichen durch die Verschiebung von Realitäten bauen viele Lesarten des Unheimlichen auf, die das Unheimliche auf strukturelle Merkmale des Erzählens zurückführen. So kann durch die Erzählstrategie des unzuverlässigen Erzählens eine unheimliche Wirkung erzielt werden. Zur unzuverlässigen Erzählstrategie vgl. Ansgar Nünning: Unreliable Narration: Studien zur Theorie und Praxis unglaubwürdigen Erzählens in der englischsprachigen Erzählliteratur, Trier 1998. Freud ignoriert Hoffmanns unzuverlässige Erzählerstrategie in Der Sandmann und neutralisiert die Ambivalenz der Erzählung. Damit unterschlägt er das Unheimliche, das nach Jürgen Walter in der Mehrperspektivität der Erzählung liege. Vgl. Jürgen Walter: Das Unheimliche als Wirkungsfunktion. Eine rezeptionsästhetische Analyse von E.T.A. Hoffmans Erzählung Der Sandmann, in: Mitteilungen der E.T.A. Hoffmann Gesellschaft, 30 (1984), S. 15-33. 90 Vgl. Weber 1981, S. 126. 91 Freud 1986, S. 266.

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wendung des Begriffs im Sinne von unheimlichen Gegenständen oder Begebenheiten steht unkommentiert neben der reinen Gefühlsqualität des Unheimlichen. Einen konzeptionellen Charakter nehmen seine Ausführungen einzig in seiner These des wiederkehrenden Verdrängten an, weshalb sich dieser Aspekt wohl auch bis heute als eine Grundkonstituente des Unheimlichen durchgesetzt hat.92 So unentschieden sich Freud durch seine Analyse arbeitet, so abrupt lässt er sie schließlich enden. Er scheint sie mehr abzubrechen, als abzuschließen, wodurch er den fragmentarischen Charakter seiner Abhandlung noch unterstreicht.93 Freud bietet in seiner Analyse also kein in sich geschlossenes Konzept des Unheimlichen an. Wie weiter oben bereits dargelegt, verschließt sich der Begriff des Unheimlichen jedoch auch gegenüber allzu eindeutigen Festlegungen und läßt sich nicht in einem einzigen Konzept fassen.94 Es bleibt darauf hinzuweisen, dass, auch wenn Freud die These Jentschs zu widerlegen suchte, seine Definition des Unheimlichen implizit den Zusammenhang zur fraglichen Belebtheit nahe legt. David Ellison95 deutet Freuds aggressive Ablehnung von Jentschs Theorien als eigenes Symptom spezifischer Unheimlichkeit. Als sein eigentlicher Doppelgänger im Geiste müsse sich Freud von Jentsch abgrenzen, da er die intellektuelle Unsicherheit sowohl in Der Sandmann als auch im Unheimlichen nicht kontrollieren könne.96 Ellison führt aus, dass mit den beiden Aufsätzen La fiction et ses fantômes97 von Hélène Cixous und The Double and the Devil98 von Sarah Kofman Mitte der 1970er-Jahre eine Wende in der Rezeption von Freuds Aufsatz stattfand. Freuds Abhandlung wurde seitdem nicht mehr als diskursiver Text über das Unheimliche gelesen, sondern fiel nun in der Rezeption mit seinem Gegenstand zusammen: Der Aufsatz selbst wurde in seiner Struktur der Verdrängung als unheimlich entlarvt.99 Gegenstand seiner Verdrängung sei die eigene

92 Vgl. Lutz 2006, S. 117. 93 Vgl. Samuel Weber: Das Unheimliche als dichterische Struktur: Freud, Hoffmann, Villiers de l‘Isle-Adam, in: Kahane, Claire (Hg. ): Psychoanalyse und das Unheimliche. Essays aus der amerikanischen Literaturkritik, Bonn 1981, S. 122-147, hier S. 127. 94 Zur Kritik am Konzeptuellen von Konzepten im Allgemeinen und zum Konzept des Unheimlichen im Besonderen vgl. Masschelein 2003. 95 David Ellison: Ethics and Aesthetics in European modernist Literature, Cambridge 2001. 96 Vgl. ebd., S. 56-62. 97 Hélène Cixous: La fiction et ses fantômes. Une lecture de l’Unheimliche de Freud, in: Poétique, Nr. 10 (1972), S. 199-216. 98 Sarah Kofman: The Double and the Devil. The Uncanniness of ‚The Sandman‘, in: Revue Française De Psychanalyse. XXXVIII, 1974, S. 25-56. 99 Vgl. Ellison 2001, S. 53.

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Sterblichkeit, von der Freud selbst ja behauptete, dass der Mensch keinen Raum in seiner Vorstellung für sie besäße.100 Hélène Cixous liest Freud mit Freud, wenn sie seine Abhandlung über das Unheimliche um seine Theorie der Todestriebe erweitert.101 Damit zeichnet sie den Weg der vorliegenden Arbeit vor; denn in Freuds Ausführungen zu den Todestrieben findet m. E. eine Annäherung an Jentschs Verständnis des Unheimlichen statt. Darüber hinaus wird das Unheimliche letztlich erst in seiner Erweiterung durch die Theorie zu den Todestrieben für die Untersuchung von Jelineks Texten interessant. Cixous interpretiert Freuds Aufsatz als fiktionalen Text, der selbst unheimlich wird, da „der Autor sein Doppelgänger in einem unauflösbaren Spiel am Rande seines eigenen Textes ist“.102 Sie versteht das literarische Werk als Doppelgänger des Unheimlichen, „als Aussonderung des Todes und gespensterhafte Gestalt der NichtErfüllung“,103 die zwischen lebend und tot schwebe. In diesem „Zwischen“ erkennt sie eine strukturelle Parallele des Unheimlichen zum Tod. So wie das Unheimliche zeichne sich auch der Tod durch seine Ungreifbarkeit aus. „Den Tod zu sagen, das ist sterben. Die Kastration zu sagen, ist entweder sie überwinden (sie also annullieren, sie kastrieren) oder sie durchführen.“104 In Anlehnung an Freuds Definition des Doppelgängers als Vorboten des Todes erklärt sie das Unheimliche zum Vorboten des Todestriebs.105 Durch ihre kritische Lektüre gab Cixous, wie auch Kofman, den Anstoß zu einem flexiblen Umgang mit Freuds Aufsatz. Darüber hinaus brachte sie das Unheimliche in Verbindung mit der Theorie der Todestriebe. Auch wenn Freud mit seinem Aufsatz den Fokus von der fraglichen Belebtheit zur Kastrationsangst lenken wollte, so zeigt ein Blick auf die Rezeptionsgeschichte seiner Schriften in eine andere Richtung. Diese Entwicklung geht so weit, dass Hans-Thies Lehmann ohne nähere Erläuterungen schreibt: „Die Kategorie des Unheimlichen, die sich seit Freud vor allem auf die[se] Problematik der Grenzverwischung zwischen Belebtem und Unbelebtem bezieht […]“.106 Ob Lehmann hier ungenau gelesen hat oder aber Freuds Auflehnung gegen Jentschs These schlichtweg als überholt übergeht, sei dahingestellt. Wichtig ist, dass in der jüngeren Rezeptionsgeschichte der Zusammenhang zwischen der fraglichen Belebtheit und dem Unheimlichen verstärkt ins Blickfeld geraten ist. 100 Vgl. Freud 1986, S. 255. 101 Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit Cixous’ Aufsatz vgl. Masschelein 2011b, S. 95-123. 102 Cixous 2006, S. 58f. 103 Ebd., S. 38. 104 Ebd., S. 59. 105 Vgl. ebd., S. 51. 106 Lehmann 2005, S. 384.

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3. D ER L USTASPEKT

IM

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Während das Unheimliche bis hierhin in tendenziell negativer Konnotation beschrieben wurde, als ein der Angst und dem Schrecken zugeordnetes Gefühlskonzept, besitzt der Begriff ohne Zweifel auch eine faszinierende Wirkung und lustvolle Komponente: Zu allen Zeiten ist neben Furcht aber auch Faszination vom Unheimlichen ausgegangen. In ihr mischen sich zwei konträre Tendenzen: die bedrohlich-abstoßende und die reizvoll-anziehende, es mischen sich aber auch Neugier gegenüber dem Geheimnisvollen und Sehnsucht, der allzu planen Alltagswirklichkeit zu entfliehen. Gerade in der Ambivalenz des Unheimli107

chen liegt seine große Anziehung auf den Menschen begründet […].

In Anbetracht dessen, dass von unheimlichen Kontexten eine spezifisch destabilisierende Wirkung ausgeht, da in ihnen grundlegende Dichotomien wie Leben und Tod, Realität und Fiktion, Subjekt und Objekt, ich und du etc. verunsichert und nivelliert werden, ist davon auszugehen, dass diese Destabilisierung neben ihrer negativen Komponente auch eine affirmative besitzen muss. In diesem Zusammenhang ist wieder die Verunsicherung gegenüber der Belebtheit/Unbelebtheit eines Gegenstandes oder Wesens als herausragender Fall des Unheimlichen zu betonen und Jentschs Schlussfolgerung, dass der Betrachter dabei an seine eigenen mechanisch-unbelebten Anteile erinnert werde. Auf die Irritation der Grenze zwischen Leben und Tod folgen weitere: die Unterscheidung zwischen dem Selbst und dem Anderen, und damit auch Subjekt und Objekt, beispielsweise ist Voraussetzung für ein (psychisch bewusstes) Leben. Werden diese kategorialen Grenzen labil, hat dies weitreichende Folgen. Überspitzt formuliert, ist die Lust am Unheimlichen also die Lust an der Auflösung des Selbst, an der Grenzüberschreitung zum Tod hin. Theoretisch lässt sich dies mit der Erweiterung des Unheimlichen durch Freuds Theorie der Todestriebe108 grundlegend darlegen. Die Thesen Freuds zur Neigung des Menschen nicht nur zu identitätsstiftenden, sondern eben auch identitätslabilisierenden Wirkungen sind gegenwärtig vielleicht aktueller als noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bzw. sind sie allgegenwärtig zu beobachten, wenn auch schwer zu fassen. Freud schrieb seine Theorie der Todestriebe unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs. In dieser Zeit waren die Menschen ständig mit dem Tod konfrontiert, gleichwohl übte der Krieg insbesondere zu Anfang große Begeisterung und Faszination auf viele Menschen aus. Diese

107 Zuse 1974, S. 10. 108 Freud entwickelte seine Thesen zu den Todestrieben in Jenseits des Lustprinzips. Vgl. Freud: Jenseits 1975.

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Lust am Krieg, und damit indirekt auch am Tod, fließt in Freuds Theorie der Todestriebe ein. Heute können seine Thesen herangezogen werden, um eine omnipräsente, jedoch kaum eindeutig zu definierende Dezentrierung des Subjekts und Labilisierung von Identität zu beschreiben. Postmoderne und poststrukturelle Denkansätze wie die von Jacques Derrida, Jean-Françoise Lyotard, Judith Butler und Julia Kristeva, und radikaler vielleicht noch von Jean Baudrillard, sind darauf zurückzuführen, und damit sind nur einige wenige genannt, deren Thesen in der vorliegenden Arbeit eine Rolle spielen. Schließlich arbeiten Elfriede Jelineks Texte mit und an der Dezentrierung des Subjekts und setzten dieses insbesondere in den neueren Texten auf radikale Weise voraus. 3.1 Freuds Theorie der Todestriebe als Erweiterung des Unheimlichen In seiner These der Todestriebe kehrt Freud zu der ambivalenten Position zurück, aus der heraus er das Unheimliche als heimelig-unheimlich bestimmte. Im Tod äußert sich ein Zustand, den alle Menschen teilen, und den doch niemand erleben kann. Er ist also jedem bekannt und doch fremd. Diese per se schon ambivalente Struktur verstärkt Freud, indem er dem Menschen eine Triebstruktur zum Tode unterstellt, obwohl dieser doch sein Ende bedeute. Durch diese ambivalent-paradoxe Struktur leistet die Theorie der Todestriebe allzu eindeutigen Feststellungen zum Unheimlichen Vorschub, wie z.B. Freuds These der Kastrationsangst. Freud entwickelte die Theorie der Todestriebe in der 1920 publizierten Abhandlung Jenseits des Lustprinzips.109 Schon dessen Erscheinungsdatum legt ein Ineinandergreifen der Überlegungen zum Todestrieb und zum Unheimlichen nahe. Während Freud Teile seines 1919 erschienenen Aufsatzes zum Unheimlichen wohl schon lange vor dessen Publikation geschrieben hatte, gibt es Hinweise darauf, dass er andere Aspekte zum Unheimlichen erst nach dem ersten Entwurf zu Jenseits des Lust-

109 Freud: Jenseits 1975.

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prinzips entwickelt hat.110 Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass Freud die volle Bedeutung des Unheimlichen erst im Kontext der Todestriebe erkannte.111 Im Jahre 1926 setzt Freud die Todesangst in seiner Abhandlung Hemmung, Symptom, Angst112 analog zur Kastrationsangst, da er davon ausgeht, dass der Tod auf der Ebene des Unbewussten nicht vorkomme und deshalb nur in der Gestalt der Kastrationsangst auftauchen könne.113 Liest man Freud mit Freud, lässt sich seine Reduktion des Unheimlichen auf die Kastrationsangst also um die Angst vor dem Tode erweitern. Unter Hinzunahme seiner Theorie der Todestriebe erhält die Angst vor dem Tod des Weiteren eine Ambivalenz, indem sie in ihr Gegenteil, in ein Streben zum Tode kippt. Die Einführung der Todestriebe fällt nicht zufällig in eine Zeit, die als „Wende der 20er Jahre“114 in Freuds Denken bezeichnet wird. Julia Kristeva sieht in dem Unheimlichen eine Ankündigung ‚dieses zweiten Freud‘.115 Von 1920 an arbeitete er eine Konzeption der Persönlichkeit aus, die in abgekürzter Form als ‚zweites topisches Modell‘116 bezeichnet wird. Während die erste topische Konzeption des psychischen Apparats zwischen ‚unbewusst‘, ‚vorbewusst‘ und ‚bewusst‘ unterschied, führte Freud in der zweiten Topik die Instanzen Es, Ich117 und Über-Ich ein.118 Hierbei stellt das Es den Triebpol des Subjekts dar, das Ich gilt als Instanz, die die Interessen der Gesamtpersönlichkeit repräsentiert und das Über-Ich lässt 110 Obwohl Jenseits des Lustprinzips erst ein Jahr nach Freuds Aufsatz zum Unheimlichen publiziert wurde, verweist er schon in Das Unheimliche darauf und fasst die Kernidee dort kurz zusammen, was vermuten lässt, dass er zumindest Teile davon zu diesem Zeitpunkt schon geschrieben hatte. Auch wenn die Entstehungszusammenhänge beider Aufsätze nicht eindeutig geklärt werden können, zeigt sich ihre gegenseitige Nähe. Vgl. Freud: Jenseits 1975. Editorische Vorbemerkung, S. 215. Zur Verortung des UnheimlichenAufsatzes in Freuds Œuvre allgemein, wie auch in Bezug auf Jenseits des Lustprinzips vgl. Masschelein 2011b, S. 17-48. 111 Vgl. Margaret Iversen: Im blinden Feld: Hopper und das Unheimliche, in:: Klaus Herding/Gerlinde Gehrig: Orte des Unheimlichen, Göttingen 2006, S. 272-299, hier S. 283. 112 Sigmund Freud: Hemmung, Symptom, Angst (1926), in: Ders.: Ges. Werke, hrsg. von Alexander Mitscherlich, Bd. XIV, Frankfurt/Main 1975, S. 111-205. 113 Vgl. Jean Laplanche: Leben und Tod in der Psychoanalyse, Freiburg 1985, S. 164. 114 Jean Laplanche: Das Vokabular der Psychoanalyse, 2. Bde., Frankfurt/Main 1977, S. 196. 115 Auch Kristeva verknüpft das Unheimliche ganz selbstverständlich mit den Todestrieben, wenn sie es als Projektion und gleichzeitig erste Bearbeitung des Todestriebes bezeichnet. Vgl. Julia Kristeva: Fremde sind wir uns selbst, Frankfurt/Main 1999, S. 209f. 116 Vgl. Laplanche 1977, S. 507. 117 Im Folgenden werde ich das Ich kursiv setzen, wenn die auf Freud basierende Instanz des Ichs in der Abgrenzung zu Es und Über-Ich gemeint ist. 118 Vgl. Laplanche 1977, S. 507.

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sich als Verbotssystem zusammenfassen.119 Das Ich differenziert sich vom Es ausgehend durch den Kontakt mit der äußeren Realität und erhält eine besondere Position in der menschlichen Psyche, da es als Mittler zwischen dem Es und der Welt einerseits und dem Über-Ich und dem Es andererseits auftritt.120 So fungiert das Ich sowohl als Vermittler zwischen Innen und Außen, als auch innerhalb des Subjekts zwischen den verschiedenen Instanzen seiner Identität. Um die Theorie der Todestriebe zu verstehen, ist von Bedeutung, dass Freud an dieser Stelle die Spaltung des Subjekts einführt, indem er den psychischen Apparat in drei Instanzen untergliedert. Demnach setzt Freud das Ich nicht mit dem Subjekt gleich, sondern ordnet ihm lediglich eine Position in demselben zu. Er begreift das Subjekt also als ein Disparates, dessen Ich nicht von vorneherein gegeben ist, sondern das sich als das „Endergebnis einer langen Evolution des adaptiven Apparats“ 121 versteht. Obwohl Freud die Kategorie der Todestriebe bis zum Ende seines Wirkens immer wieder bestätigte, konnte sie sich bei seinen Nachfolgern nicht im gleichen Maße durchsetzen wie die meisten anderen seiner begrifflichen Beiträge, und bleibt bis heute eine der umstrittensten Kategorien unter Psychoanalytikern.122 Dabei stellt Freuds Theorie der Todestriebe […] im Rahmen der letzten Freudschen Triebtheorie eine fundamentale Kategorie der Triebe [dar], die im Gegensatz zu den Lebenstrieben stehen und nach der vollständigen Aufhebung der Spannung streben, d.h. danach, das Lebewesen in den anorganischen Zustand zurückzuführen. Die Todestriebe, die sich zunächst nach innen wenden und nach der Selbstdestruktion streben, werden sekundär nach außen gerichtet und äußern sich nun in Form des Aggressions123

und Destruktionstriebs.

Freud begründet seine Triebtheorie biologistisch, wenn er postuliert, dass „[…] alles Lebende aus inneren Ursachen stirbt, ins Anorganische zurückkehrt“.124 Herbert Stein, der sich dem Begriff des Todestriebs aus der philosophisch-mythologischen Perspektive nähert, unterstreicht den Konservatismus des Triebs, da sein letztes Ziel in der Wiederherstellung des Urzustandes liege.125 Dieser regressive Charakter veranlasste Freud dazu, den Todestrieb als den Trieb par excellence zu bezeichnen 119 Vgl. ebd., S. 196. 120 Vgl. ebd., S. 184. 121 Ebd., S. 198. 122 Vgl. ebd., S. 495. 123 Ebd. 124 Freud: Jenseits 1975, S. 248. 125 Vgl. Herbert Stein: Freuds letzte Lehre oder Eros und die Linien des Affen Azint, Heidelberg 1993, S. 15.

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und sein Bestehen vor dem der Lebenstriebe zu verorten.126 „Das Ziel alles Lebens ist der Tod, und zurückgreifend: Das Leblose war fürher da als das Lebende.“127 schreibt Freud. Aus der evolutionistischen Perspektive, die Freud hier einnimmt, kann diese regressive Tendenz nur danach trachten, weniger differenzierte und organisierte Formen wiederherzustellen, zwischen denen letzten Endes keine energetischen Niveauunterschiede mehr bestehen. Der Todestrieb strebt also nach der Destruktion der lebenden Einheiten, einem radikalen Ausgleich der Spannungen und der absoluten Ruhe, die in dem anorganischen Zustand besteht. Freud entwickelte seine Theorie der Todestriebe in Opposition zu den Lebenstrieben. In Das ökonomische Problem des Masochismus128 schreibt Freud, dass die Libido als antreibende, psychische Energie des Lebenstriebs in (vielzelligen) Lebewesen auf den dort herrschenden Todes- oder Destruktionstrieb [trifft], welcher dies Zellenwesen zersetzen und jeden einzelnen Elementarorganismus in den Zustand 129

der anorganischen Stabilität (wenn dies auch nur relativ sein mag) überführen möchte.

Während der Lebenstrieb darauf abzielt, immer differenziertere und höher organisierte Formen von Leben zu begründen und aufrechtzuerhalten, stehen die Todestriebe im Dienste eines Spannungsausgleiches, der Stabilität begründet. Das Streben der Lebenstriebe hingegen gilt der Erhöhung (oder zumindest Konstanz) der energetischen Niveauunterschiede zwischen dem Organismus und der Umgebung.130 Hier klingt ein zweiter Dualismus an, dem Freud seine Kategorien der Todesund Lebenstriebe zugeordnet hat: das Konstanz- und das Nirwanaprinzip. Während das Konstanzprinzip den Lebenstrieben zugrunde liegt, drückt das Nirwanaprinzip die Tendenz des Todestriebes aus.131 Laplanche weist auf Freuds unklaren Gebrauch der beiden Prinzipien hin, der sich darin äußere, dass er die Begriffe ‚Null‘ und ‚Konstanz‘ oft in einem Kontinuum gebrauche, indem er entweder eine unscharfe Synonymie herstelle oder die Tendenz zur Konstanz als einen Notbehelf verstehe, der die absolute Reduktion der Spannungen ersetze.132

126 Als Grundstruktur des Triebes überhaupt definierte Freud das Streben nach seinem Urzustand. Vgl. Laplanche 1977, S. 496. 127 Freud: Jenseits 1975, S. 248. 128 Sigmund Freud: Das ökonomische Problem des Masochismus (1924), in: Ders.: Gesammelte Werke. Studienausgabe, hrsg. von Alexander Mitscherlich, Bd. III, Frankfurt/Main 1975, S. 343-354. 129 Freud: Masochismus 1975, S. 347. 130 Vgl. Laplanche 1977, S. 280. 131 Vgl. Freud: Masochismus 1975, S. 344. 132 Vgl. Laplanche 1985, S. 167.

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Diese Unklarheit Freuds tritt im Kontext des Lustprinzips noch deutlicher zum Vorschein. Hier zeigt er sich höchst uneindeutig, ob er die Todestriebe jenseits oder im Lustprinzip ansiedelt. Schon der Titel Jenseits des Lustprinzips deutet an, dass der Todestrieb – obwohl doch als ursprünglich bezeichnet – ex negativo, von Tatsachen ausgehend postuliert wird, die das Lustprinzip infrage stellen sollen. Gleichzeitig resümiert Freud: „Das Lustprinzip scheint geradezu im Dienste der Todestriebe zu stehen.“133 Insofern bleibt die Frage offen, ob die Todestriebe nun jenseits des Lustprinzips anzusiedeln sind oder ob sie dessen Kulminationspunkt darstellen. Laplanche beantwortet dies zugunsten der Todestriebe. Er sieht die Behauptung des „Primats der Null vor der Konstanz“134 in Jenseits des Lustprinzips bestätigt, und weist darauf hin, dass das Lustprinzip im ganzen Text mit „seiner Modifikation, dem Realitätsprinzip“135 behandelt wird. Laplanche zufolge heißt das zumindest für das Zeitfenster von Jenseits des Lustprinzips und somit auch für den Aufsatz zum Unheimlichen, dass Freud das Lustprinzip aufseiten der Konstanz ansiedelte, die sich als Kompromiss zwischen Nirwanaprinzip und Realitätsprinzip versteht. Das Lustprinzip scheint sich zum Nirwanaprinzip – Lust- und Nirwanaprinzip setzte Freud seit Jenseits des Lustprinzips auf diese Weise gegeneinander – so zu verhalten wie der Begriff ‚heimlich‘ zu ‚unheimlich‘: „Seine ‚radikalste Gestalt‘ oder sein ‚Jenseits‘ bestätigt als Nirwanaprinzip die Priorität der Tendenz zur absoluten Null oder des Todestriebs.“136 Eine klare Abgrenzung zwischen Lust- und Nirwanaprinzip hat in Freuds Werk nicht stattgefunden. Es ist hier jedoch wichtig zu erläutern, was unter dem Begriff der Lust verstanden wird. Laplanche folgend soll die Lust als ökonomische Kategorie aufgefasst werden, d.h. „Unlust als die subjektive Wahrnehmung einer Spannungserhöhung und die Lust als Anzeichen für die Verminderung dieser Spannung verstanden werden [...].“137 Die Wandlung des Begriffs Nullprinzip zu Nirwana133 Vgl. Freud: Jenseits 1975, S. 271. 134 Laplanche 1985, S. 171. 135 Ebd., S. 172. 136 Ebd. 137 Vgl. Laplanche 1977, S. 261. Freuds Begriff von Lust ist hier in seiner Bedeutung als Vermeidung von Unlust aufgrund von Spannung zu verstehen. Während Fechner, von dem Freud die Kategorie Lustprinzip übernahm, noch zwischen Lustprinzip und Stabilitätsprinzip unterschied, übernahm Freud nur letzteres und behielt das so formulierte Lustprinzip ohne große Änderungen bis zum Ende seines Werkes bei. Er unterstrich die Schwierigkeit, die sich daraus ergäbe, dass das System Wahrnehmung-Bewusstsein die ganze Vielfalt der von der Außenwelt kommenden Erregungen wahrnehmen kann, während es von innen nur Spannungserhöhungen und -verminderungen wahrnimmt, die sich einzig in der qualitativen Größe von Lust und Unlust ausdrückt. Vgl. Laplanche 1977, S. 298.

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prinzip, die mit dem Aufsatz Jenseits des Lustprinzips einsetzt, legt eine tiefe Bindung zwischen Lust und Vernichtung nahe, die für Freud problematisch geblieben ist,138 für die lustvolle Komponente im Unheimlichen jedoch maßgebend. Hier zeigt sich der Bogen, den die Todestriebe zwischen dem Unheimlichen und der Lust spannen. Dabei sei nochmals betont, dass es bei den Todestrieben nicht um den Tod als Tatsache geht, sondern um das Heraufbeschwören des Todestriebes, der schließlich zu einem lustvollen Gefühl des Unheimlichen führt.139 3.2 Kein Tod im Todestrieb? Die Assoziation mit dem Nirwana bringt zwei grundlegende Aspekte des Todestriebs auf den Punkt: Zum einen wird deutlich, dass es sich dabei um ein imaginäres Phantasma und mitnichten um die Lust am faktischen Tod handelt. Das Heraufbeschwören des Todestriebes führt zu einem lustvollen Gefühl des Unheimlichen.140 Hélène Cixous formuliert – in Anlehnung an Freud – die Unmöglichkeit, vom tatsächlichen Tod zu wissen: ‚Der Tod‘ hat im Leben keine Gestalt. Unser Unbewusstes hat keinen Raum für die ‚Vorstellung der eigenen Sterblichkeit‘. Als unmögliche Vorstellung ist der Tod das, was, aufgrund eben dieser Unmöglichkeit, eine Realität des Todes nachahmt. […] Signifikat ohne Signifikant. Absolutes Geheimnis, absolut Neues, das im Verborgenen bleiben sollte, denn, wenn es sich mir äußert, bin ich gestorben: Allein die Toten kennen das Geheimnis des Todes. Der Tod wird uns kennen; wir werden ihn nicht kennen.

141

Die Vorstellung vom Tod, die sich in Freuds Theorie des Todestriebs äußert, hängt zum anderen unmittelbar mit der Sehnsucht nach der Aufhebung jeglicher Grenzen und Unterschiede zusammen. Beide Aspekte, der imaginäre Charakter und die Sehnsucht nach Ununterscheidbarkeit, begründen den regressiven Charakter des Todestriebs innerhalb des psychoanalytischen Denkansatzes. In diesem Sinne wurden Freuds Thesen zum Großteil in Abwandlung seiner biologistischen Perspektive (Rückkehr zum Anorganischen)142 weiterentwickelt.

138 Vgl. ebd., S. 334. 139 Vgl. Iversen 2006, S. 287. 140 Ebd. 141 Cixous 2006, S. 54. 142 Das Gros der auf Freuds Theorie des Todestriebs folgenden Denkansätze transferierte diese in andere Systeme. Jacques Lacan beispielsweise ordnete den Todestrieb der symbolischen Ordnung zu. Vgl. Dylan Evans: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse, Wien 1989, S. 307.

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Peter Zagermann führt die Todestriebe in Eros und Thanatos143 als exklusiv psychisches Streben aus und verortet sie vornehmlich in der Subjekt/Objekt-Relation. Ideal intendiertes Ziel der Todestriebe sei folgerichtig die Aufhebung der „Nichtidentität des Ichs mit dem bedürfnisbefriedigenden Objekt“144 in einem fusionären Phantasma mit der Mutter, die gleichsam die Aufhebung des Ichs bedeute. In diesem paradiesischen Urzustand wäre schließlich der Ausgleich jeder Unlust erzeugenden Spannung erreicht.145 Damit beschreibt das Unheimliche in seiner Erweiterung durch die Theorie der Todestriebe die Regression auf die narzisstische Position, in der sich das Ich lediglich im Anderen selbst spiegelt. Doch schon in dieser Formulierung tritt eine definitorische Schwierigkeit zutage. Wie oben im Zusammenhang mit der Doppelgängerfigur bereits dargelegt, setzt der Narzissmus die Bildung eines Ichs voraus. Andererseits formuliert sich in den Todestrieben jedoch die Lust an der Auflösung der Ich-Grenzen, was die Rückkehr zu einer Position vor dem Narzissmus bedeuten würde. Hier zeigt sich die Schwierigkeit und Ambivalenz des Unheimlichen – wie auch der Todestriebe – denn, wenn der Begriff auch ein Streben zur Auflösung der Ich-Grenzen umfasst, so kann dies nur aus der Position des Ichs heraus geschehen, da ohne Ich kein geistiges Leben, also auch kein Streben – ganz gleich welcher Art – auszumachen ist. Insofern wird es unmöglich, das zu benennen, was im vorsubjektiven Raum liegt. Das Streben der Todestriebe zielt insofern nicht auf das Stadium des Narzissmus‘ ab, sondern auf eine Position vor diesem, die Freud als Autoerotismus bezeichnet. Laut Freud entwickelt sich die Libido vom Autoerotismus ausgehend, zum Narzissmus über die homosexuelle oder heterosexuellen Objektwahl. Während eine dem Ich vergleichbare Einheit nicht von Anfang an vorhanden ist, sind die autoerotischen Triebe mit Laplanche uranfänglich.146 Im Fehlen eines Ichs sind sie von einer zerstückelten Selbstwahrnehmung geprägt. Die Libidobesetzung der eigenen Person ist nach Freud jedoch nur über das Ich möglich. Um von dem zerstückelten Funktionieren des Autoerotismus zur Libidobesetzung des Ichs im Narzissmus zu gelangen, muss also „eine neue psychische Aktion“147 hinzukommen, in der sich das Ich herausbildet. Diese Entstehung des Ichs ist bei Freud jedoch nicht hinlänglich erklärt. Hingegen lässt sich an dieser Stelle Jacques Lacans geläufige

143 Peter Zagermann: Eros und Thanatos. Psychoanalytische Untersuchungen zu einer Objektbeziehungstheorie der Triebe, Darmstadt 1988. 144 Vgl. ebd., S. 5. 145 Vgl. ebd., S. 3. 146 Vgl. Laplanche 1985, S. 109. 147 Vgl. Cordelia Schmidt-Hellerau: Lebenstrieb und Todestrieb. Libido und Lethe. Ein formalisiertes konsistentes Modell der psychoanalytischen Trieb- und Strukturtheorie, Gießen 2003, S. 184.

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These des Spiegelstadiums verorten, in der er den Übergang vom zerstückelten Autoerotismus zum Narzissmus beschreibt.148 3.3 Das unheimliche Subjekt zwischen Lebens- und Todestrieben Insofern sich der Lust-Aspekt des Unheimlichen über den Todestrieb in der Destabilisierung und dem Angriff auf die Ich-Identität äußert, ist es wichtig, nicht nur den Punkt der Ich-Werdung, sondern auch die in der Psychoanalyse vorherrschenden Vorstellungen von der Phase und dem Stadium vor der Entstehung des Ichs zu untersuchen, da der Todestrieb schließlich auf diese abzielt. In der Theorie des Spiegelstadiums beschreibt Jacques Lacan die Ich-Werdung des Subjekts durch das Gewahrwerden seiner Selbst im Gegenüber als Spiegel(bild). Lacan geht davon aus, dass das Infans zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat sein Spiegelbild als eine totale Form erkenne, die im Gegensatz zu der empfundenen Dispersion seines eigenen Körpers stehe. Mit Überraschung begrüße das Kind dieses Bild von sich selbst als ein geschlossenes und ganzheitliches Wesen mit einer „jubilatorischen Geste“.149 Fortan stellt das Bild einer optischen Ganzheit die Matrix seiner Entwicklung dar. Bis zu diesem Punkt bewegt sich die These vom Spiegelstadium im Verständnis von Freuds Definition der Lebenstriebe, da das Subjekt seine geschlossene und klar umrissene Identität im Spiegel deutlich affirmativ bewertet.150 In einem nächsten Schritt betont Lacan jedoch die Äußerlichkeit dieses totalen Bildes. Die innerlich empfundene Dispersion des Subjekts bleibe dabei bestehen, insofern ihm die Ganzheit nur in einem Außerhalb gegeben ist. In diesem Gegensatz zwischen innerem Empfinden und äußerer Wahrnehmung präfiguriere sich die entfremdende Bestimmung des Ichs.151 Auf diese spiegelverkehrende Weise tilgt das Ich eine reale Zerrissenheit. Das ganzheitliche Spiegelbild kann nur das Objekt des Begehrens darstellen, nicht aber die Spiegelung des Selbst. So entsteht das Ich in einem verkennenden Akt der narzisstischen Liebe, der das Ich zum Phantom seiner selbst werden lässt.152

148 Vgl. Laplanche 1985, S. 121. 149 Lacan 1975, S. 63. 150 Ebd., S. 63f. 151 Ebd., S. 65. 152 Vgl. Friedrich A. Kittler: ‚Das Phantom unseres Ichs‘ und die Literaturpsychologie: Hoffmann – Freud – Lacan, in: Klaus Peter (Hg.): Romantikforschung seit 1945, Königstein/ Taunus 1980, 335-356, hier S. 343.

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Mit der Subjektwerdung des Ichs153 zieht also seine Entfremdung und Verkennung in das Subjekt ein, die Lacan zu der paradoxen Formel führt: „Das ich (je) ist nicht das Ich (moi)“.154 Mit dieser Unterscheidung begründet das cartesianische ‚Ich denke, also bin ich‘ (Cogito ergo sum) laut Lacan nicht mehr die Einheit des Subjekts, sondern bezeugt vielmehr seine Spaltung. So zieht mit der Entstehung des Ichs eine Kluft in das Subjekt ein, die es von seinem ursprünglichen Sein trennt und die die reflexive, gedachte Ich-Einheit als imaginäre Schöpfung bestimmt.155 Das Spiegel-Ich ist also weniger der Funktion des sich Erkennens, als vielmehr des sich Verkennens verhaftet. Diese Gedankenfigur kann als eine indirekte Bestätigung der These des Todestriebs in Lacans Werk gelesen werden. Mit dem Begriff des Begehrens nach dem Objekt a beschreibt Lacan das Streben des Subjekts, die ideale Einheit mit der Mutter-Imago vor dem Eintritt in das Spiegelstadium wiederherzustellen.156 Denn, wenn das Infans auch sein ganzheitliches Spiegelbild begeistert begrüßt, so bedeutet die Autonomie seines Körpers doch auch den Austritt aus der symbiotischen Einheit mit der Mutter und auch im Denken Lacans strebt das Subjekt danach, diese Trennung wieder rückgängig zu machen.157 So lässt sich Lacans Theorie des Spiegelstadiums auf Freuds Konzept der Lebenstriebe zurückführen, während sein Begriff des Begehrens nach dem Objekt a mit den Todestrieben korrespondiert. Dabei betrachtet auch Lacan das Begehren nach dem Objekt a als uranfänglich. Darüber hinaus setzt er dessen Fehlen mit dem Tod gleich. Als Subjekt des Mangels definiert es sich bei Lacan über sein Begehren: „Die höchste Angst, die Angst, nicht (mehr) zu sein, ist Angst um ein Erlöschen des Begehrens – Aphanisis – und ein Schwinden, ‚fading‘ des Subjekts.“158 Auch wenn Lacan indirekt Freuds Theorie der Todestriebe bestätigt, zeigt sich an dieser Stelle ein entscheidender Unterschied, den Dagmar von Hoff und Marianne Leuzinger-Bohleber wie folgt zusammenfas153 Ich schließe mich hier Zima an, der den Eintritt in die symbolische Ordnung mit dem Spiegelstadium als seine erste Stufe, als Subjektwerdung des Ichs bezeichnet. Vgl. Zima 2000, S. 257. 154 Vgl. Jacques Lacan: Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse (1954-1955), in: Ders.: Das Seminar, Buch II, hrsg. von Norbert Haas, Olten/Freiburg 1980, S. 9. 155 Vgl. Gerda Pagel: Lacan: Einführender Überblick über einen schwierigen Denker und Erörterung einiger Kritiken und Kontroversen, in: Bernhard Taureck (Hg.): Psychoanalyse und Philosophie, Wien 1990, S. 32-59, hier S. 36. 156 Hierzu sei angemerkt, dass Lacan den Begriff des Begehrens fast zwei Jahrzehnte nach der Spiegelabhandlung diskutiert. Vgl. Pagel 1990, S. 32. 157 Vgl. ebd., S. 37. 158 Vgl. Jacques Lacan: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, in: Ders: Seminar XI, hrsg. von Norbert Haas, Olten/Freiburg 1978, S. 218 und 230.

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sen: „Während bei Freud die Trennung von der Mutter mit Angst verbunden ist, findet sich ein grundsätzlicher Unterschied bei Jacques Lacan, der gerade das Fehlen der Trennung als Grund für Angst postuliert.“159 Das Unheimliche repräsentiert nach Lacan den Teil des Unbehagens, der das Ich, über die Angst hinaus, zur Depersonalisation führt. In Ermangelung des Mangels droht es das Begehren zu stillen und somit das Subjekt auszulöschen.160 Lacan bestimmt das Unheimliche also über seine identitätslabilisierende Wirkung und impliziert damit die Todestriebe. Jedoch klammert er die lustvolle Komponente aus und definiert es von der Angst her. Auch wenn Lacans Begriff des Begehrens inhaltlich in der Nähe der Todestriebe anzusiedeln ist, gibt es in seinem Werk kein Äquivalent für diese.161 Dies ist vor allem deshalb verwunderlich, weil Lacan die mit dem Spiegelstadium einhergehende Entfremdung des Subjekts und den Mangel als Ausgangspunkt des Begehrens betont. Samuel Weber weist darauf hin, dass das Spiegelstadium nicht nur ein genetisches Moment darstellt, sondern vielmehr eine […] Wendung, die sich immerfort notwendigerweise wiederholen wird und die nach dem Schema verläuft, dessen Momente Unzulänglichkeit, Antizipation und Panzerung sind und dessen Resultate eine nicht so sehr entfremdete als entfremdende Identität ist, gefangen in der unerschöpflichen ‚Quadratur der Ich-Bestätigungen‘.

162

Auch im Denken Lacans fehlt der negative Gesichtspunkt des Spiegelstadiums also nicht, den Weber hier mit der Panzerung des Ichs zu denken gibt, und der Lacan zu seinem Begriff des Begehrens führt. Auch wenn Lacan dem Unheimlichen keine gesonderte Abhandlung gewidmet hat, entwirft er im Kontext seiner Ausführungen zur Angst jedoch einen eigenen 159 Dagmar von Hoff/Marianne Leuzinger-Bohleber: Travestie des Unheimlichen, in: Klaus Herding/Gerlinde Gehrig (Hg.): Unheimliche Orte, Göttingen 2006, S. 104. 160 Vgl. ebd. 161 Auch wenn Lacan keine äquivalente Theorie zu den Todestrieben entwickelt hat, bestätigt und erweitert er indirekt Freuds Theorie, indem er in Abgrenzung zu Heidegger eine enge Verbindung von Tod und Genießen (jouissance) einführt, wenn er den Freudschen Mythos vom Vatermord entmythologisiert und „auf den strukturalen Kern einer Äquivalenz des toten Vaters und des Genießens zurückführt […].“ Bedenkt man, dass der Vater für den Austritt aus der symbiotischen Dyade des Kindes mit der Mutter steht, im Umkehrschluss sein Tod also die Verschmelzung mit derselben zum Ziel hat (Begehren nach Objekt a), so klingt hier die Theorie der Todestriebe an. Vgl. Hans-Dieter Gondek: Die Angst als ‚das, was nicht täuscht‘, in: Bernhard H.F. Taureck (Hg.): Psychoanalyse und Philosophie: Lacan in der Diskussion, Frankfurt/Main 1992, S. 116. 162 Weber, Samuel: Rückkehr zu Freud. Jacques Lacans Entstellung der Psychoanalyse, Wien 2000, S. 31.

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Begriff des Unheimlichen.163 Dabei übernimmt er die Ambivalenz des Begriffs von Freud, spitzt diese jedoch auf die verschwimmenden Grenzen von Innen und Außen zu. In Ermangelung eines französischen Äquivalents ersetzt er den Begriff des Unheimlichen durch den der ‚Extimität‘ (extimité).164 Als eine Art künstlicher Gegensatz zu dem Begriff der Intimität stört die Dimension der ‚Extimität‘ die klare Trennung zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit. Sie verweist weder auf das Innere noch auf das Äußere, sondern ist dort lokalisiert, wo die intimste Innerlichkeit mit dem Äußeren koinzidiert und auf diese Weise bedrohlich wird.165 An dieser Stelle wird die Parallele zu Freud und seiner ambivalenten Bestimmung des Heimelig-Unheimlichen wieder deutlich. Darüber hinaus bezieht Lacan seinen begrifflich etwas sperrigen Ausdruck des Unheimlichen wiederum auf das Begehren. Durch das Begehren nach dem Objekt a gerät das Subjekt in eine ambivalente Position bezüglich seiner Grenzen zwischen Innen und Außen: „Der Mensch findet sein Heim in einem Punkt, der im Anderen gelegen ist, jenseits des Bildes, aus dem wir gemacht sind, und dieser Platz repräsentiert die Abwesenheit, in der wir sind.“166 Hoff/Bohleber fassen zusammen: „In jenem Moment, in welchem das Objekt sich nicht mehr entzieht oder verschleiert und geheimnisvoll ist, da es auf den Mangel verweist, sondern offen daliegt, kann es seine katastrophale Wirkung entfalten.“167 Die „katastrophale Wirkung“ liegt also in der Erfüllung des Begehrens nach dem Objekt a, welche die Auflösung des Subjekts mit sich bringt. In dem Moment, in dem sich das Subjekt durch die Verschmelzung mit dem Objekt a im Äußeren realisiert, fällt sein Inneres mit dem Äußeren zusammen, Außen und Innen werden eins. An eben diesem Punkt entsteht nach Lacan das Unheimliche. Die Erfüllung des Begehrens würde die Aufgabe des Ichs bedeuten, indem das Subjekt auf die Position vor dem Spiegelstadium gelangen würde und damit an den Ort, an dem es noch keine Unterscheidung zum Objekt a gab, dort, wo es noch keine Grenze zwischen Innen und Außen gab. So ist Lacans Begriff des Unheimlichen wie Freuds Begriff der Todestriebe nicht von dem Punkt aus zu denken, der sein Ziel darstellt. Wie die Todestriebe ist auch das Begehren nach Lacan in seiner Bewegung und nicht in seiner Erfüllung zu fassen. Das Unheimliche tritt schließlich in der Androhung seiner Erfüllung zum Vorschein. 163 Vgl. Jacques Lacan: Die Angst. Seminar X, 1962/63, dt. Übersetzung, Manuskriptfassung. Zitiert nach Hoff/Bohleber 2006, S. 104. 164 Vgl. Julia Bernard: Unheimliche Bilder im (post)romantischen Text: Balzac, die Brüder Goncourt, Zola, in: Klaus Herding/Gerlinde Gehrig (Hg.): Unheimliche Orte, Göttingen 2006, S. 60-73, hier S. 72. 165 Vgl. Mladen Dolar: ‚I Shall be with you on your wedding-night‘: Lacan and the uncanny, in: October, 16 (1991), S. 5-23, hier S. 6. 166 Lacan 1962/63. Zitiert nach Hoff/Bohleber 2006, S. 104. 167 Ebd.

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Diese Bewegung zwischen den Todes- und den Lebenstrieben nach Freud, oder auch zwischen dem Begehren und der Angst nach Lacan, lässt sich mit Julia Kristevas Ausdruck des ‚Subjekt-im-Prozeß‘ genauer fassen.168 In Kristevas Subjektverständnis zeigt sich durch die Verbindung des Spiegelstadiums mit der Theorie der Todestriebe eine Synthese wie auch gegenseitige Ergänzung von Freud und Lacan.169 Für das fusionäre Phantasma vor dem Spiegelstadium entwirft Kristeva in Die Revolution der poetischen Sprache den Begriff der „semiotischen ‚chora‘“170 als Bezeichnung der Phase oder Modalität des Vorsprachlichen. Kristeva unterscheidet zwei Modalitäten im Sinngebungsprozess: Das Semiotische und das Symbolische. Mit dem Semiotischen umreißt sie die Modalität, die in die Zeit vor dem Spiegelstadium zurückreicht,171 die Phase also, nach der die Todestriebe im Subjekt streben. John Lechte schreibt dazu: „The semiotic englobes a region where boundaries are yet to be drawn and a (self-)conscious, signifying subject is yet to emerge.“172 Lechte weist hier auf die Beziehung zwischen der Fähigkeit zur Unterscheidung und dem Bedeutungsprozess hin. Denn erst in der Unterscheidung kann Bedeutung im Sinne symbolischer Ordnung entstehen. Folgerichtig kann das Semiotische nie unmittelbar wahrgenommen werden. Es ist immer durch das Symbolische vermittelt, nur vor dem Hintergrund des Symbolischen 173

sichtbar und immer schon durch die Einwirkung von Symbolischem geprägt.

Den vorsubjektiven Ort des Semiotischen jedoch sieht Kristeva von den Primärvorgängen bestimmt, bei welchen sich Energie sowie deren Einschreibungen verschieben und verdichten. Hier durchlaufen Energiemengen den Körper des späteren Subjekts und bilden das, was Kristeva die chora nennt. Diese Energien stehen jedoch nicht im Dienste der Bedeutung. Als „ausdruckslose Totalität“174 ist die chora 168 Ann Rosalind Jones übersetzt en procès mit „on trial, in process, called into question“. Vgl. Ann Rosalind Jones: Julia Kristeva on femininity: the limits of a semiotic politics, in: Feminist Review, Nr. 18, (1984), S. 56-73, hier S. 59. 169 Nach Suchsland kann der Großteil von Kristevas Arbeit als Versuch gelesen werden die Tragweite der Revolution, die Freuds Theorie der Todestriebe für sie darstellt, zu erkunden. Vgl. Inge Suchsland: Julia Kristeva zur Einführung, Hamburg 1992, S. 96. 170 Kristeva 1978, S. 35. Kristeva schreibt: „Die semiotische chora ist für das Subjekt, dessen Geburtsort sie ist, gleichzeitig der Ort seiner Negation, an dem seine Einheit dem Prozeß von Ladungen und Stasen weicht, der diese Einheit allererst herbeiführt […].“ (ebd. S. 39) 171 Vgl. Suchsland 1992, S. 88. 172 Vgl. John Lechte/Mary Zournazi: Introduction, in: John Lechte (Hg.): The Kristeva critical reader, Edinburgh 2003, S. 5. 173 Vgl. Suchsland 1992, S. 89. 174 Kristeva 1978, S. 36.

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vorsymbolisch und nicht durch Bedeutung strukturiert. Dennoch wird die semiotische chora im Verschieben und Verdichten von Energien durch das „Prinzip von Metonymie und Metapher“175 bestimmt. Auch wenn diese Begriffe aus dem Kontext der symbolischen Ordnung stammen, stehen sie hier ausdrücklich nicht im Dienste des Sinngebungsprozesses, sondern stellen eine Bewegung und vielleicht auch Kommunikationsform des Subjekts außerhalb der symbolischen Ordnung dar. Die Subjektbildung mündet schließlich auch bei Kristeva, nachdem der Ödipuskomplex durchlebt wurde, in die Eroberung einer Position in der symbolischen Ordnung: Die Entdeckung der Kastration befreit das Subjekt aus der Abhängigkeit von der Mutter und überführt wegen dieses Mangels die phallische in eine symbolische Funktion – in die symbolische Funktion schlechthin. Entscheidender und folgenschwerer Augenblick: das Subjekt, das seine Identität im Symbolischen findet, löst sich aus der Mutterbindung […] und leitet die semiotische Bewegung über in die symbolische Ordnung. […] Es geht um die Abhängigkeit von der Mutter: diese Abhängigkeit wird unterbrochen und in die symbolische Beziehung mit einem Anderen umgewandelt – die Konstituierung des Anderen ist für die Kommunikation 176

mit dem Anderen unumgänglich.

Hier wird die Unterscheidungsfähigkeit als Grundvoraussetzung zur Kommunikation auf einer symbolischen Bedeutungsebene deutlich. Wichtig ist dabei, dass die Fähigkeit zur Unterscheidung – ob positiv oder negativ gewendet – als unhintergehbarer Automatismus verstanden wird. Mit der ersten Differenzierung gehen also alle weiteren binären Oppositionen wie Innen/Außen, Subjekt/Objekt, wie auch belebt/unbelebt einher. Aus der äußerlichen Position heraus (v)erkennt das Subjekt seine Unterscheidung und Begrenzung zum Objekt, und es wird ihm möglich, und zwangsläufig, die Mutter(imago) als ein Getrenntes zu erkennen. Kristeva folgt also Lacans Setzung, nach der die Subjektbildung mit dem Spracherwerb (Symbolisierung) einhergeht. Subjektbildung und symbolische Ordnung hängen aufs Engste miteinander zusammen, da sie sich gegenseitig erst ermöglichen und strukturieren.177 Jedoch betont Kristeva unter Bezugnahme auf die Todestriebe, dass beim Eintritt in die symbolische Ordnung – deren Anfang das Spiegelstadium, als erstes Bollwerk gegen die Todestriebe, begründet – etwas zurückbleiben müsse. Auch Kristeva versteht die Loslösung des Infans aus der mütterlichen chora als eine Befreiung, jedoch weist sie darauf hin, dass diese Befreiung nur um den Preis einer äußerst schmerzlichen Trennung erlangt werde. Dieser Schmerz bestehe hauptsächlich darin, dass das Subjekt, um Subjekt zu sein, das Getrennt-Sein akzeptieren müsse. 175 Ebd., S. 39. 176 Ebd., S. 56f. 177 Vgl. Suchsland 1992, S. 87.

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Aus dem Schmerz leitet Kristeva die notwendige Existenz der Todestriebe ab und aus deren Zusammenspiel mit den Lebenstrieben die Unmöglichkeit einer stabilen Position des Subjekts. Stets nach der mütterlichen chora strebend, könne es doch nie hinter den Punkt, den das Spiegelstadium markiere, gelangen.178 Der Einbruch des Vorsymbolischen wird bei Kristeva jedoch nicht mehr als pathologischer Rückfall des Subjekts aufgefasst. Lacan stellte zwar den verkennenden Charakter der symbolischen Ordnung fest, wertete diese jedoch stets im Vergleich zum Vorsprachlichen auf, und imaginierte eine gelungene Integration ins Sprachliche.179 Kristeva hingegen begreift beide Modalitäten als dialogisches Verhältnis zweier heterogener, aber gleichberechtigter Ordnungen und somit als konstitutives Element einer heterogenen und dialogisch verstandenen Subjektivität.180 Aus dieser Perspektive lässt sich die Frage nach der Autonomie und eindeutigen Belebtheit des Subjekts ganz anders stellen, da hier die ganzheitliche Identität des Subjekts als verkennende Perspektive betrachtet werden muss. Denn es zeigt sich, dass die symbolische Ordnung der Sprache ebenso entfremdet ist und entfremdend wirkt wie das Imaginäre des vorsprachlichen Stadiums. Keine der beiden Modalitäten fungiert als ultimative Daseinsform des Subjekts, vielmehr bedingt die eine die andere. Joël Dor bemerkt: „Gerade durch den Eintritt des Subjekts ins Symbolische wird sein Rückfall (rechute) ins Imaginäre ermöglicht, der im Erscheinen des Moi gipfelt.“181 An eben diesem Punkt des Rückfalls ist das wesentlich Unheimliche des Subjekts zu verorten, wenn sich die Frage nach seiner Identität in Ambivalenz ergeht. Dabei zeigt sich das Unheimliche in dem Moment, in dem das thanatologische Streben des Subjekts offenbar wird, da es seine Tendenz zum Unbelebten preisgibt.

178 Vgl. Suchsland 1992, S. 96f. 179 So spricht er im Gegensatz zu Kristeva freudianisch von einer Regression, „die bisweilen bis ins Spiegelstadium reicht“. Jaques Lacan: Ecrits, Paris 1966. Zitiert nach Zima 2000, S. 266. In dieser einseitigen Aufwertung des Symbolischen gegenüber dem Imaginären verortet Peter V. Zima die Schwachstelle in Lacans Diskurs. Zima weist darauf hin, dass Lacan zwar als Dekonstruktivist zu verstehen sei, da er die beiden Momente der Subjektkrise, die strukturelle Unterwerfung und den sprachlichen bedingten Zerfall zusammendenke, trotzdem aber kein postmoderner Autor sei, da er nicht auf den Subjektbegriff verzichte. So verortet Zima, wie auch Althusser und Foucault, Lacan als strukturalen Denker, der an der Schwelle zur Postmoderne die Übermacht der Struktur und die Unterwerfung des Einzelnen unter diese Struktur analysiere. Vgl. Zima 2000, S. 268 und S. 255. 180 Vgl. ebd., S. 292. 181 Joël Dor: Introduction à la lecture de Lacan, 1: L’Inconscient structuré comme un langage, Paris 1985, S. 156, zitiert nach Zima 2000, S. 266.

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4. D AS U NHEIMLICHE

ALS O BERFLÄCHENSTRUKTUR IM POSTMODERNEN K ONTEXT

Die bis hierhin angeführten psychoanalytischen Denkansätze zu Subjektivität und Identität und deren Verortung im Unheimlichen ließen die spezifische Ausprägung des Unheimlichen in der Postmoderne weitestgehend außer Acht. Gleichwohl legt das Wiedererstarken des Begriffs seit den 1980er Jahren einen Zusammenhang nahe. Da das Unheimliche verstärkt in den unterschiedlichsten gegenwärtigen Diskursen und Debatten auftaucht, kann davon ausgegangen werden, dass in vielfältigen Bereichen die Verhältnisse als unheimlich wahrgenommen werden bzw. dass eben dieser Begriff angemessen erscheint, um Ereignisse, Entwicklungen und Begebenheiten unserer Gegenwart zu beschreiben. Dabei kommt das Unheimliche hier als ein Moment der Gesellschaft zum Vorschein, an dem sich diverse Unsicherheiten bzw. Krisen äußern, die als Spezifika der Postmoderne gelten. Neben der Verunsicherung der Eindeutigkeit von Belebtheitsverhältnissen ist im Zusammenhang mit dem Unheimlichen insbesondere die Krise der im Horizont zunehmender Medialisierung zu nennen. Nicholas Royle, der 2003 die erste Monographie über das Unheimliche schrieb, bezeichnet die Vorstellung von Automatisierung, Technologie und Programmierung der Welt als Spezifikum im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Verständnis des Unheimlichen.182 Alle drei Aspekte greift Jelinek in ihren Texten auf; suchend und assoziativ arbeitend spielt sie ihre Wirkungen und Konsequenzen inhaltlich durch, figuriert sie auf formalästhetischer Ebene und fragt nach den Medien, die ihnen zugrunde liegen. Übergeordnet geht es beim Unheimlichen, wie es sich heute präsentiert, zu einem Großteil um die Frage nach der (Un-)Angemessenheit von Darstellung und Repräsentation in den unterschiedlichen Medien. Dies jedoch in einem sehr weit gefassten Sinn. So sind hier sowohl ganz augenscheinliche Repräsentationen gemeint, wie die medial vermittelten Realitäten in Film, Fernsehen und Internet, aber auch beispielsweise (menschenähnliche) Prothesen, Klone, manipuliertes Genmaterial (als Übertragungsmedium des menschlichen Erbguts) oder Roboter, die zunehmend ausdifferenziertere Aufgaben des Menschen übernehmen. Entscheidender Fluchtpunkt für das Unheimliche ist dabei der Zusammenhang zwischen Repräsentation und Verunsicherung der Belebtheitsverhältnisse. Um diese gegenwärtige Spezifik des Unheimlichen greifbarer zu machen, und hier wird auch der Bezug zur Postmoderne deutlich, lässt sich der Repräsentation als Paradigma der Moderne die Simulation als postmoderne Funktionsweise entgegensetzen. In einer Gesellschaft der Simulation nimmt das Unheimliche den Status

182 Vgl. Royle 2003.

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einer Grundbefindlichkeit an, da die technische Machbarkeit und Formbarkeit von Menschen und Dingen ins Grenzenlose zu wachsen scheint.183 Das dezentrierte Subjektverständnis, für das Freud und Lacan mit der Betonung des Unbewussten und der Theorie vom Spiegelstadium den Grundstein legten, wird in der These von einer umfassenden Simuliertheit zunehmender Bereiche der Gesellschaft radikalisiert. In diesem Zusammenhang ist insbesondere der Medienkritiker und Philosoph Jean Baudrillard zu nennen, der von einem gegenwärtigen Zeitalter der Simulation ausgeht.184 Die Simulation bezeichnet Modelle der Wirklichkeitsdarstellung, die sich nicht mehr auf die materielle Welt, sondern weitestgehend referenzlos nur wieder auf andere Simulakren beziehen. Die Zeichen sind nach diesem Verständnis nicht mehr als Repräsentanten eines natürlichen Gegenstandes zu verstehen, sondern verweisen lediglich auf sich selbst, werden selbstreferenziell. In diesem Kontext verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Illusion.185 Baudrillard führt den drastischen Anstieg der Simulakren (dt. Trugbilder) auf die zunehmende Medialisierung in unserer gegenwärtigen Gesellschaft zurück. In der oberflächlichen Scheinlogik der Massenmedien und der Informationstechnologie verschwimmen die Grenzen zwischen materieller und simulierter Wirklichkeit und damit schließlich die Raumzeit als letztes Referenzsystem: Auch bezieht sich die Simulation nicht mehr auf ein Territorium, ein referentielles Wesen oder auf eine Substanz. Vielmehr bedient sie sich verschiedener Modelle zur Generierung eines Realen ohne Ursprung oder Realität, d.h. eines Hyperrealen.

186

Jacques Derrida, als einer der Vertreter postmodernen Denkens schlechthin, nimmt in seiner Kapitalismuskritik Marx’ Gespenster den Gedanken des Simulakrums auf und setzt ihn explizit in einen Kontext des Unheimlichen, wenn er darin die Menschheit mit einer Horde von Gespenstern vergleicht, die er nur noch als Simu183 Vgl. Lutz 2006, S. 119. 184 Grundlegend ist hier die frühe Schrift: Jean Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod, München 1982. Hinsichtlich des Medienbezugs vgl. u.a.: Jean Baudrillard: Requiem für die Medien, in: Ders.: Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen. Berlin 1978. Neben Jean Baudrillard ist hier insbesondere unter dem Schlagwort der Virtualität auf Paul Virilio zu verweisen. Vgl. u.a. Paul Virilio: Der negative Horizont. Bewegung, Geschwindigkeit, Beschleunigung, München 1998. 185 Vgl. Georg Christoph Tholen: Das Unheimliche an der Realität und die Realität des Unheimlichen [http://sammelpunkt.philo.at:8080/354/1/9047.0.thounheimlich.pdf, letzter Zugriff: 19.05.2017] Ebenfalls erschienen in: Fragmente. Schriftenreihe zur Psycho– analyse, Nr. 11, Kassel 1984, S. 6-19. 186 Jean Baudrillard: Agonie des Realen, Berlin 1978, S. 7f.

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lakren von Identität versteht.187 Als Begriff der ‚irreduziblen Heimsuchung‘, werde sich der Mensch in dieser Welt selbst „das Unheimlichste aller Gespenster“.188 Ein herausragendes Strukturmerkmal des simulierten Hyperrealen ist dabei seine Oberflächenstruktur. Da sich das Simulakrum nur noch im Verweis auf ein jeweils nebenstehendes anderes Simulakrum konstituiert, ist es in einer unabschließbaren Vereinnahmung mit seiner Umgebung in der Fläche begriffen, entbehrt dabei jedoch jeglicher Tiefenstruktur. Das Spezifische des postmodernen Gespensts ist demnach, dass es nicht so sehr als Hohlkörper, sondern vielmehr als reine Oberfläche in Erscheinung tritt. Der mediale Bezug wird hier auch über den Hinweis auf die Oberfläche des Computer- oder Fernsehbildschirms als Schnittstelle der Wahrnehmung von simulierten Wirklichkeiten deutlich. Die Relevanz der Oberflächenstruktur in der gegenwärtigen Mediengesellschaft wird insofern deutlich, wenn man bedenkt, dass der Mensch einen Großteil seiner ‚Erfahrungen‘ nur noch vermittelt durch einen Bildschirm macht. So wird sein Alltag und seine Wahrnehmung der Welt von der Darstellung durch den Bildschirm verflacht. Über die Oberflächenstruktur lässt sich eine Parallele von der Simulation als Funktionsweise und dem Semiotischen nach Kristeva ziehen, wie auch zu Derridas postmoderner Rationalismuskritik. Grundlegend ist dabei die dreistellige Struktur symbolischer Ordnung zu bedenken, die nach der Repräsentationslogik funktioniert, im Kontrast zum dyadischen Gefüge der Simulation, des Semiotischen, wie auch Derridas Philosophem der Dekonstruktion. Es soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern die Oberflächenstruktur ohne Tiefe mit der dyadischen Struktur korrespondiert, und sich darüber eine Art unheimliche Struktur ableiten lässt, wenn dort, wo Tiefe und Räumlichkeit erwartet wird, die reine Oberfläche vorherrscht. Lacan betont, dass das Imaginäre, dem er das Spiegelstadium und das Begehren nach dem Objekt a, zuordnet, dual organisiert sei. Hingegen markiert das Symbolische mit dem Auftauchen einer dritten Instanz den Austritt aus der Dyade zwischen Mutter und Kind.189 Erst das Auftauchen der Vaterimago als Tertium Comparationis macht die verschlingende Spaltungsimago (im fusionären Phantasma mit der Mutter) unnötig, indem sie dem Subjekt die Möglichkeit zur Differenzierung und Unterscheidung offenbart.190 Das Symbolische ist in seiner dreistelligen Struktur 187 Jacques Derrida: Marx’ Gespenster. Der verschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue Internationale, Frankfurt/Main 1995, S. 217. Die Nähe von Derridas Denken zum Begriff des Unheimlichen wird auch darin deutlich, dass er im Jahr 1993 noch überlegte sein Werk ‚Marx – das Unheimliche‘ zu nennen. Vgl. Royle 2003, S. 4. 188 Vgl. Derrida 1995, S. 229. 189 So weist Kittler darauf hin, dass der Ödipuskomplex in Lacans Lesart die Öffnung der Dyade auf einen Dritten hin ist, da die Hominisation eine Dreierbeziehung voraussetzt. Vgl. Kittler 1980, S. 344f. 190 Vgl. Janine Chasseguet-Smirgel: Vorwort, in: Zagermann 1988, S. XIV.

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organisiert wie eine Sprache. So setzt sich ein sprachliches Zeichen im Verständnis der strukturalistischen Linguistik aus Signifikant und Signifikat sowie deren Verknüpfung in der Referenz zusammen. Damit bildet das Zeichen eine dreistellige Struktur, die sich in einem Dreieck darstellen lässt.191 Eine symbolisch bedeutende Struktur ist demnach nur auf der Ebene von Dreistelligkeit möglich. In diesem Verständnis ist Bedeutung als Tiefe im Sinne eines dreidimensionalen Raums zu verstehen, in dem sich Signifikant, Signifikat und Referenz in einer triangulären Struktur anordnen. Hingegen ist das Semiotische in seiner Zweistelligkeit als Fläche zu verstehen, die (noch) nicht durch ein tertium comparationis gegliedert ist. Wie oben dargelegt, empfindet sich das Subjekt in dieser Struktur in einer indifferenten Position gegenüber dem, was sich an seinen Grenzen befindet. Es existiert in einer Dyade mit der Mutter(imago) und findet so in einer unbegrenzten Ausbreitung in der Fläche statt. Im fusionären Phantasma mit seiner Umgebung begriffen, erhält es darüber hinaus einen verschlingenden Charakter. So lässt sich die dreistellige Struktur der symbolischen Ordnung als Räumlichkeit und die zweistellige Anordnung des Semiotischen als Flächigkeit und darüber hinaus als sich stetig ausbreitende, bewegliche Oberflächenstruktur denken. Hier gilt der Umkehrschluss, dass ein simuliertes, verflachtes Subjekt dem Semiotischen zuzuordnen ist. Im Semiotischen begriffen, entwickelt es seine thanatologische Wirkung, da es nach Indifferenz, A-Identität bzw. Identität mit seiner Umgebung und also dessen Vereinnahmung strebt. In seiner Eigenschaft als Verweissystem ohne Ursprung korreliert das Simulakrum mit Derridas Begriff der Dekonstruktion. Peter Engelmann zeigt die enge Verknüpfung der Begriffe Postmoderne und Dekonstruktion (als Ausformung des Poststrukturalismus) auf und verknüpft sie mit den Autoren Jean-François Lyotard und Jacques Derrida.192 Engelmann fasst Lyotards Begriff der Postmoderne zusammen: Daraus ergibt sich, daß es Lyotard darauf ankommen muß, Heterogenität wieder zur Geltung zu verhelfen und auf der Basis anerkannter Heterogenität Formen des Zusammenhangs zu denken und zu entwickeln. Lyotards Kritik richtet sich also nicht gegen Rationalität im allgemeinen […], sondern gegen eine bestimmte geschichtliche Gestalt von Rationalität, die auf der Ausgrenzung des Heterogenen beruht.

193

Derrida führt den Ansatz Lyotards weiter, wenn er die Ausgrenzung des Differenten nicht als Auswirkung einer neuzeitlichen, subjektzentrischen Philosophie versteht, 191 Vgl. Ferdinand de Saussure: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin 1967. 192 Vgl. Engelmann 1990, S. 6. 193 Ebd., S. 16.

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sondern auf „das Ganze der metaphysisch strukturierten Sprache“194 bezieht. Er entwirft einen Textbegriff, der alles als Text auffasst und legt dies als fundamentale Handlung der Dekonstruktion zugrunde: Das, was ich also Text nenne, ist alles, ist praktisch alles. Es ist alles, das heißt, es gibt einen Text, sobald es eine Spur gibt, eine differentielle Verweisung von einer Spur auf die andere. Und diese Verweise bleiben nie stehen. […] Ich habe geglaubt, daß es notwendig wäre, diese Erweiterung, diese strategische Verallgemeinerung des Begriffs des Textes durchzuführen, um der Dekonstruktion ihre Möglichkeit zu geben […] Der Text ist kein Zentrum. Der Text ist diese Offenheit ohne Grenzen der differentiellen Verweisung.

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Die Auffassung der Welt als Text ist also nicht nur Bedingung, sondern selbst schon grundlegende Handlung der Dekonstruktion, die Engelmann eher als Haltung, denn als Methode verstanden wissen will. Im Begriff der Dekonstruktion tritt die Verweisstruktur an die Stelle eines transzendentalen Signifikats oder Textes. Darin besteht Derridas grundlegende These, die er anhand des Begriffs der différance entwickelt. In seinem Werk Grammatologie196 arbeitet er die Thematik des Zeichens in seiner Eigenschaft als différance heraus. Das Zeichen im Verständnis nach Saussure197 werde nach Derrida „von seiner Wurzel her problematisch“,198 da jedes Signifikat auch die Rolle eines Signifikanten spiele, wodurch ihre Trennung im Zeichen unmöglich werde. Damit spricht er sich gegen die symbolische Funktion der Sprache aus und formuliert ein radikales Verständnis des Zeichens als Verweissystem: „Kein Element kann je die Funktion eines Zeichens haben, ohne auf ein anderes Element, das selbst nicht einfach präsent ist, zu verweisen.“199 Da194 Ebd., S. 17. 195 Jacques Derrida in einem Rundfunkgespräch mit Peter Engelmann. Vgl. Peter Engelmann: Jacques Derridas Randgänge der Philosophie, in: Jeff Bernard (Hg.): Semiotica Austriaca, Wien 1987, S. 105-118, hier S. 107f. 196 Jacques Derrida: Grammatologie, Frankfurt/Main 1974. 197 Derrida betont die Schwierigkeit der Trennung von Signifikant und Signifikat, die Saussure auch nur „mangels eines Besseren“ eingeführt habe, da sich daraus „von Rechts wegen“ die Möglichkeit ergibt „einen Begriff zu denken, der in sich selbst Signifikat ist“. Damit erfülle Saussure indirekt die Forderung nach einem „transzendentalen Signifikat, das von seinem Wesen her nicht auf einen Signifikanten verweist, sondern über die Signifikantenkette hinausgeht, und das von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr die Funktion eines Signifikanten hat“. Vgl. Jacques Derrida: Semiologie und Grammatologie. Ein Gespräch mit Julia Kristeva, in: Peter Engelmann (Hg.): Postmoderne und Dekonstruktion, Stuttgart 1990, S. 140-164. Im Folgenden: Derrida: Grammatologie 1990. 198 Vgl. Derrida: Grammatologie 1990, S. 143. 199 Vgl. ebd., S. 150.

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bei betont auch Derrida den ausufernd-vereinnahmenden Charakter dieser Zeichenstruktur, wenn er in der obigen Passage betont: „Und diese Verweise bleiben nie stehen.“ (s. Zitat oben) In Opposition zum Zeichensystem der symbolischen Ordnung, das Bedeutung festzustellen versucht, plädiert Derrida für einen beweglichen Begriff von Textverständnis, der unabschließbar stets im Prozess bleibt.200 So entwirft Derrida einen Begriff von Bedeutung, der nicht in der Struktur einer symbolischen Ordnung operiert, sondern in einer Verweisstruktur. Dies bringt eine Verschiebung des Sinngebungsprozesses vom dreidimensionalen Raum der Repräsentation auf die Zweidimensionalität des Verweises und der Simulation. Bedeutung generiert sich in diesem Verständnis nicht mehr in der Tiefe, sondern in der Fläche. Das sprachliche Zeichen repräsentiert kein hinter ihm liegendes transzendentales Signifikat, sondern verweist auf ein angrenzendes Zeichen, das wiederum nur im Verweis und in der Differenz zu einem anderen angrenzenden Zeichen besteht. Das simulierte Subjekt, als radikale Form der Dezentrierung des Subjekts, stellt m. E. die Hauptfigur des Unheimlichen in der Postmoderne dar. In dem Begriff des Simulakrums fügen sich die in der vorliegenden Arbeit entworfenen Gedankengänge zu einem Begriff des Unheimlichen in der Postmoderne zusammen. So entfaltet das simulierte Subjekt seine unheimliche Wirkung durch sein thanatologisches Streben, das mit dem Zweifel an seinem originären Ursprung seine Belebtheit infrage stellt. Mit seiner unendlichen Verweisstruktur geht ein Angriff des Simulakrums auf die symbolische Ordnung einher, da es sich als Verweissystem in der Fläche auf der zweidimensionalen Ebene des Semiotischen bewegt, die in Abschnitt II.3.3 als unheimliche Komponente des Subjekts erarbeitet wurde.

5. D AS U NHEIMLICHE

ZWISCHEN

E RHABENEM

UND

E KEL

Das Unheimliche gehört nicht nur der grammatischen Form nach, sondern auch auf semantischer Ebene zum Feld substantivierter Adjektive wie das Erhabene, das Dämonische, das Groteske und Fantastische, oder auch das Fremde und das Ab-

200 Engelmann schreibt, dass Derrida mit seinem Begriff der Dekonstruktion für ein Lesen von Texten plädiere, das diesen möglichst wenig Gewalt antue. Die Lektüre solle in jedem Moment so offen und differenziert wie möglich sein und stehe darin im Gegensatz zu unserer hermeneutischen Kultur, die sich durch das Bestreben auszeichne, in jedem Text einen letzten, zugrunde liegenden Sinn zu vermuten und diesen formulieren zu wollen. Anders als die herrschende hermeneutische Praxis meine Derrida, dass jeder Text in einem Kontext stehe und damit vielfältigen Einflüssen ausgesetzt sei, die ihn zu einem vielschichtigen Gebilde machen. Vgl. Engelmann 1990, S. 30f.

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jekte.201 Insbesondere das Erhabene und der Ekel stellen dabei zwei Kategorien dar, die nicht nur an das Unheimliche grenzen, sondern eine Reihe von Überschneidungen mit dem Begriff aufweisen, wie er in der vorliegenden Untersuchung erarbeitet wurde. Auch das Fremde oder Groteske beispielsweise weisen sicherlich eine Reihe von Überschneidungen mit dem Unheimlichen auf; mit dem Erhabenen und dem Ekel lassen sich jedoch die hier bereits aufgeworfenen Fragen nach Status und Modus von Repräsentation und Simulation weiter ergründen. Beide Begriffe hängen mit der Frage von Darstellbarkeit und Authentizität zusammen und lassen sich insofern an dieser Stelle der Untersuchung gewinnbringend als Erweiterung des Unheimlichen lesen. Torsten Hoffmann beginnt seine Untersuchung zum Erhabenen202 mit einem Verweis auf Dieter Roths Bild Kleiner Sonnenuntergang von 1968. In der Mitte des horizontal in zwei Hälften geteilten Bildes befindet sich ein runder Gegenstand, um den sich gleichmäßig gelbe Kreise bis fast zum Bildrand ziehen. Der untere Teil des Bildes besteht aus einer blauen, der obere aus einer weißen Fläche. Mit etwas Abstand betrachtet scheint das Bild eine im Meer untergehende Sonne abzubilden. Bei näherer Betrachtung jedoch entpuppt sich die Sonne als eine von „gelblichen Fettaureolen umgebene schimmelnde Wurstscheibe“.203

201 Vgl. Masschelein 2011b, S. 131. 202 Torsten Hoffmann: Konfigurationen des Erhabenen. Zur Produktivität einer ästhetischen Kategorie in der Literatur des ausgehenden 20. Jahrhunderts (Handke, Ransmayr, Schrott, Strauß), Berlin/New York 2006, S. 1. 203 Ebd.

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Abb.2: Dieter Roth: Kleiner Sonnenuntergang (1968), Wurst auf Papier (in Plastiktasche), 43 x 32 cm.

Das kleine Format (43x32 cm) unterstützt den intendierten Vexierbild-Charakter von Dieter Roths Bild, da erst ein sehr nahes Herantreten die Identifizierung der tatsächlichen Beschaffenheit des Bildes ermöglicht. Während der Sonnenuntergang im Meer zu einem der einschlägigsten Beispiele des erhabenen Eindrucks gehört, bleibt bei dem von Holger Liebs in der Süddeutschen Zeitung als „Salamidämme-

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rung“ bezeichneten Bild bei genauerer Untersuchung „von Erhabenheit freilich nicht mal die kleinste Spur übrig“.204 Torsten Hoffmann denkt kurz die Möglichkeit an, dass Roths Bild dafür stehen könnte, dass das Erhabene in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur mehr in ironisierter Form in der Kunst Anwendung finden kann. Diesen Gedanken greift Hoffmann jedoch nur auf, um das Gegenteil als grundlegende These seiner Untersuchung zu entfalten. Während in den 1970er-Jahren von der „Entaktualisierung der Kategorie des Erhabenen“ die Rede war, stellt Hoffmann richtig fest, dass das Erhabene spätestens seit den 1980er-Jahren wieder eine Renaissance erlebte.205 Der Anstoß dazu kam von Jean-François Lyotard, der der Frage nach der Postmoderne mit Überlegungen zum Erhabenen begegnete.206 Spätestens mit seinem 1984 veröffentlichten Aufsatz Das Erhabene und die Avantgarde207 setzt ein internationaler Forschungsboom ein, der zu einer mittlerweile unüberschaubaren Flut an Veröffentlichungen geführt hat.208 Der 1989 von Christine Pries herausgegebene Sammelband Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn ist Beweis dieser Entwicklung und spricht für die bereits Ende der 1980er-Jahre eingetretene Kanonisierung des Begriffs. Hier verläuft die Begriffsgeschichte des Erhabenen zeitlich also parallel zu der des Unheimlichen, bzw. fand die Konjunktur des Unheimlichen im Fahrtwind des gesteigerten Interesses am Erhabenen statt.209 Auch die Kategorie des Ekels hat seit den 1980er-Jahren eine entscheidende Wende erfahren. Mit Julia Kristevas 1980 veröffentlichten Studie Pouvoirs de 204 Holger Liebs: Salamidämmerung. Das Nichts geht um in der Kunst – Die Ausstellung ‚Big Nothing‘ in Baden Baden, in: Süddeutsche Zeitung, 29.01.2001, S. 14. Zitiert nach Hoffmann 2006, S. 1. 205 Ebd., S. 2. 206 Vgl. Jean-Françoise Lyotard: Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?, in: Peter Engelmann (Hg.): Lyotard. Postmoderne für Kinder. Briefe aus den Jahren 1982-1985, Wien 1996, S. 11-31. 207 Jean-François Lyotard: Das Erhabene und die Avantgarde, in: Merkur, 2 (1984), S. 151164, auch in: Gérard Raulet/Jacques Le Rider (Hg.): Verabschiedung der (Post-)Moderne? Tübingen 1987, S. 251-269. 208 Die einschlägige Forschungsliteratur sowie eine tragfähige Grundskizze zur Geschichte des Erhabenen liefern die drei Lexikon-Artikel: Renate Homann/Armin Müller/Giorgio Tonelli: Artikel Erhaben, das Erhabene, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritter, Basel 1972, Bd. 2, Sp. 624-635; Christine Pries/Craig Kal– lendorf/Carsten Zelle: Das Erhabene, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hrsg. von Gert Ueding, Tübingen 1994, Bd. 2, Sp. 1357-1389; Jörg Heininger: Erhaben, in: Ästhetische Grundbegriffe, hrsg. von Karlheinz Barck u.a., Stuttgart/Weimar 2001, S. 275-310. 209 Masschelein 2011b, S. 132.

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l’Horreur210 erhielt der Ekel eine neue Leitchiffre: ‚abjection‘. So schreibt Winfried Menninghaus über Kristevas Werk: Obwohl ein außerordentlich anspruchsvolles Buch […] funktionierte diese Arbeit nach der Publikation einer englischen Übersetzung (1982) als der treffende Funken, der heterogenen Problemlagen zu einer evokativen und anschlußfähigen Artikulation verhalf. In Deutschland, wo es bis heute keine Übersetzung von Kristevas einflußreichem Buch gibt, ist das ‚Paradigma‘ der Abjektion nicht anders angekommen als manche andere theoretische Entwicklung der zurückliegenden Dekaden: als der verspätete Reflex einer US-amerikanischen Rezeption einer französischen Intellektuellen.

211

In dieser Passage spricht Menninghaus zwei Punkte bezüglich Kristevas Begriff des Abjekten an, die eine parallele Genese zum Erhabenen und Unheimlichen vermuten lassen. Zum einen wurden alle drei Begriffe – zumindest in ihren Erscheinungsformen seit den 1980er-Jahren – als Kategorien genutzt, um die immer komplexer werdenden und sich eindeutigen Zuschreibungen entziehenden Erscheinungen zu greifen. Phänomene also, die seit der aufkommenden Diskussion um und in der Postmoderne seit Anfang der 1980er-Jahre auftraten; oder anders gesagt, die seit dem Aufkommen postmoderner Denkansätze als heterogen und uneindeutig betrachtet und verstanden wurden. Auch die zweite Aussage Menninghaus’ trifft sowohl auf den Ekel als auch auf das Erhabene zu, denn beide Begriffe wurden durch einen französischen Intellektuellen ‚wiederentdeckt‘. Hat Julia Kristeva den Ekel wieder in die Diskussion gebracht, so gilt der französische Philosoph und Literaturtheoretiker Jean François Lyotard als Initiator sowohl für das postmoderne Denken als auch für die Wiedereinführung des Erhabenen im postmodernen Kontext.212 Trotz ihrer inhaltlichen Divergenz fällt die Renaissance aller drei Begriffe nicht zufällig in die Anfänge postmoderner Denkansätze. Die „interne und grundlegende Pluralität“ des Erhabenen deckt sich mit einer Konzeption von Postmoderne, die dort beginnt, „wo das Ganze aufhört und sie als Verfassung radikaler Pluralität versteht“.213 Im vorangegangenen Kapitel wurde die besondere Eignung des Unheimlichen aufgezeigt, postmoderne Phänomene und Denkansätze zu fassen und zu arti210 Julia Kristeva: Pouvoirs de l’Horreur. Essai sur l’abjection, Paris 1980. Hier rezipiert in der englischen Übersetzung: Julia Kristeva: Powers of Horror. An Essay on Abjection, New York 1982. 211 Winfried Menninghaus: Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung, Frankfurt/Main 1999, S. 518. 212 Lyotards Frage nach dem Begriff der Postmoderne liegt letztlich die Frage nach dem Erhabenen zugrunde. Vgl. Lyotard 1996, S. 11-31. 213 Christine Pries (Hg.): Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn, Weinheim 1989, S. 26.

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kulieren. Diese ‚Fähigkeit‘ kann auch dem Begriff des Erhabenen und dem des Ekels zugesprochen werden, wodurch sich auch ihre Renaissance seit den 1980erJahren erklärt. Dieter Roths Bild Kleiner Sonnenuntergang aus den 1960er-Jahren findet deshalb hier Erwähnung, weil sich an ihm der Umschlag vom Erhabenen zum Ekel demonstrieren lässt. Durch ein näheres Herantreten an das Bild bleibt nicht nur nichts mehr übrig von der Erhabenheit des Sonnenuntergangs, wie Torsten Hoffmann richtig bemerkt, darüber hinaus schlägt das erhabene Gefühl plötzlich um in sein Gegenteil: in ein Gefühl des Ekels. Das Bild lässt den Betrachter also die Erfahrung machen, wie derselbe Gegenstand sowohl das Erhabene als auch den Ekel hervorrufen kann. Entscheidend sind dabei die Perspektive und die räumliche Distanz. Legt diese Interpretation von Dieter Roths Bild einen gemeinsamen Ursprungsgegenstand von dem Gefühl des Erhabenen und des Ekels nahe, so lässt sich dies als These vielleicht schwer verifizieren. Auch wenn sich aus den Parallelen zwischen den beiden Begriffen kein systematischer Ansatz ableiten lässt, kann die Engführung beider Konzepte als Gedankenspiel im Horizont des Unheimlichen einige relevante Denkanstöße geben. Darüber hinaus bietet sich ihre Untersuchung auch insofern an, als Jelineks Texte sowohl das Erhabene als auch den Ekel vielfach und vielgestaltig aufgreifen. Den gemeinsamen Nenner zwischen Erhabenem und Ekel stellt dabei der Hinweis auf eine Darstellungsproblematik dar. Im Falle des Erhabenen ist diese bereits in Kants Überlegungen von Bedeutung. Wie im Folgenden näher erläutert werden soll, spricht Lyotard dann in seiner Relektüre von Kant von dem Versuch, im Erhabenen „darzustellen, dass es ein Nicht-Darstellbares gibt“.214 Und Hans-Thies Lehmann sperrt sich noch gegen diese versöhnende Losung Lyotards, indem er dafür plädiert, das Unheimliche an dem Undarstellbaren nicht wiederum in einer Darstellung des Undarstellbaren zu bannen. In Bezug auf den Ekel lässt sich der Zusammenhang zur Darstellungsproblematik zunächst schwerer herstellen. In II.5.2 soll jedoch gezeigt werden, wie der Begriff des Ekels in seiner Ausformulierung durch das Abjekte nach Kristeva das Nicht-Objekt, das „unrettbar aus der symbolischen Ordnung gefallen ist“215 bezeichnet. In diesem Sinne weist auch das Abjekte auf eine Darstellungsproblematik hin, da es auf etwas verweist, das sich nicht symbolisch abbilden lässt und sich im Modus des Semiotischen (vgl. II.3.3) befindet.

214 Lyotard 1987, S. 253. 215 Menninghaus 1999, S. 528.

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5.1 Das Erhabene als Verdrängungsfigur des Unheimlichen In dem 1989 im Merkur erschienenen Aufsatz Das Erhabene ist das Unheimliche setzt Hans-Thies Lehmann das Unheimliche mit dem Erhabenen gleich und definiert die Theorien des Erhabenen mit Blick auf die Todestriebe als Verdrängungsfiguren des Unheimlichen.216 Von besonderem Interesse ist Lehmanns Ansatz auch im Hinblick darauf, dass er seine Überlegungen zum Unheimlich-Erhabenen in die Ästhetik des Szenischen transferiert. So lässt sich an dieser Stelle nicht nur eine Verbindung zwischen dem Erhabenen und dem Unheimlichen herstellen, sondern überdies das Unheimliche an der Struktur des Theaters – über die Brücke des Erhabenen – aufzeigen. Entscheidender Bezugspunkt der Auseinandersetzung mit dem Erhabenen ist Immanuel Kants Kritik der Urteilskraft (1790),217 in der sich Kant – ganz der Kunsttheorie des 18. Jahrhunderts entsprechend – dem Erhabenen in seiner Opposition zum Schönen zuwendet. Lyotard brachte in den 1980er-Jahren nicht nur das Erhabene wieder zum Vorschein, sondern installierte durch seine Relektüre von Kants Schriften diesen als Ausgangspunkt der Forschung zum Erhabenen. Dieser Fokus hat bis heute angehalten. Der Grund für diese ‚Wiederentdeckung‘ von Kants Thesen liegt in seiner oben schon erwähnten Fokussierung auf den Undarstellbarkeitstopos im Erhabenen, die Lyotard aufgreift, um das Erhabene in der historischen Avantgarde herauszuarbeiten. Zunächst ist festzuhalten, dass Kant das Erhabene als Gefühlsregung eines Betrachters versteht, die auf eine Darstellungsproblematik im Gegenstand der Betrachtung hinweist. Nicht die Gegenstände selbst also sind erhaben, sie besitzen nur die Anlage, ein Gefühl des Erhabenen im Betrachter hervorzurufen. Denn das Erhabene „trifft nur Ideen der Vernunft: welche, obgleich keine ihnen angemessene Darstellung möglich ist, eben durch diese Unangemessenheit, welche sich sinnlich darstellen läßt, rege gemacht und ins Gemüt gerufen werden.“218 Schon die Verortung des Erhabenen in der Gefühlswelt des Betrachters und nicht in der Beschaffenheit des betrachteten Objekts zeigt eine erste Parallele zum Unheimlichen auf. Die Begriffsgeschichte des Erhabenen erweist sich somit über den rezeptionsästhetischen Charakter des Begriffs als ebenso flexibel wie die des Unheimlichen. In

216 Lehmann 1989, hier S. 758. 13 Jahre nach Erscheinen des Aufsatzes im Merkur – inzwischen hat Lehmann den theaterästhetischen Diskurs mit seinem 1999 erschienenen Werk Postdramatisches Theater geprägt – erfolgt ein identischer Wiederabdruck von Lehmanns Aufsatz, der im Folgenden zitiert wird. Lehmann 2002. 217 Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft und Schriften der Naturphilosophie, in: Werke in sechs Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Bd. 5, Darmstadt 1957. 218 Kant 1957, S. 330.

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beiden Fällen ist dies zu großen Teilen auf ihre Eigenschaft als ambivalente Gefühlsregung zurückzuführen. Diese Ambivalenz, die schon den Kern von Kants Definition des Erhabenen darstellt, ist der Knotenpunkt zwischen dem Unheimlichen und dem Erhabenen. Beide Begriffe treffen sich darin, dass sie sich zwischen den beiden Polen Lust und Unlust bewegen, und die zentrale Frage richtet sich auf den Moment des Umschlags von dem einen Gefühl in sein Gegenteil. Kants Vorhaben in der Kritik der Urteilskraft besteht darin, Verstand (Kritik der reinen Vernunft) und Vernunft (Kritik der praktischen Vernunft) über die Untersuchung der „Zweckmäßigkeit“219 des Schönen und des Erhabenen miteinander zu verbinden. Mithilfe der reflektierenden ästhetischen Urteilskraft soll die Vermittlung zwischen „Naturkausalität und Kausalität aus Freiheit“220 gelingen. Zwischen den Naturzwängen und der Freiheit hatte sich im Laufe seiner Studien für Kant eine Kluft aufgetan, die er nun mittels des Schönen und des Erhabenen zu überwinden suchte. Ob ihm dieser Übergang gelungen ist, bleibt bis heute strittig und soll hier nicht Gegenstand der Untersuchung sein. Wichtig ist, dass Kant seine Suche nach dieser Verbindung in dem sinnlichen Vermögen der Einbildungskraft unternahm. Im Fall des Erhabenen findet eine Überforderung der sinnlichen – und damit endlichen – Einbildungskraft statt, die laut Jörg Heininger zwangsläufig zu einem Urteilen ohne Begriff führt. Heininger bemerkt, dass diese Urteilskraft „bloß auf Begriffe an[spielt], nur ausgestattet mit dem subjektiven Prinzip a priori der ‚Zweckmäßigkeit‘“: Nur subjektiv heißt, daß sie keine Erkenntnis vermittelt. Der Platz ist von der ‚reinen Vernunft‘ besetzt. Und a priori heißt, daß das Prinzip der Zweckmäßigkeit oder auch ‚Angemessenheit‘ nicht aus der Erfahrung erborgt werden kann.

221

Das Erhabene entsteht also ‚subjektiv‘ im Menschen aufgrund einer Überforderung seiner Sinne; und dies geschieht ereignishaft. Es stellt sich die Frage nach der Beschaffenheit des Gegenstandes, der zu einer derartigen Überforderung führt und – ein viel diskutierter Punkt – nach der Lust, die aus dem per se doch negativen Gefühl der Überforderung im Erhabenen mitschwingt. Für Kant ist das Erhabene ein Gefühlsverhalten, das auf das ÜbermenschlichGroße und Übermächtige reagiert. Die Natur stellt sich laut Kant als „Chaos“, „regelloseste Unordnung“, die Welt als „formlos“, „zweckwidrig“, „unförmig“ und als ein Gegenstand der „Furcht und des Schreckens“222 dar. Als Beispiel für das Allererhabenste nennt er die Aufschrift über dem Tempel der Isis (der Mutter Natur): 219 Pries 1989, S. 8. 220 Heininger 2001, S. 293. 221 Heininger 2001, S. 293. 222 Alle Zitate aus Kant 1957, S. 331 ff.

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„Ich bin alles, was da ist, was da war und was da sein wird, und meinen Schleier hat kein Sterblicher aufgedeckt.“223 Mit dem Beispiel der Göttin Isis weist Kant dem Gegenstand, der das Erhabene evoziert, eine Unmöglichkeit der Darstellung zu. Er formuliert für das Erhabene die „Darstellung des Unendlichen, welche zwar eben darum niemals anders als bloß negative Darstellung sein kann, die aber doch die Seele erweitert“.224 An diesem Punkt berührt das Erhabene eine zentrale Funktionsperspektive von Kunst und Literatur, die auch die Moderne und insbesondere die historischen Avantgardebewegungen und die Postmoderne im Kern beschäftigt. Denn wie Erich Kleinschmidt treffend zusammenfasst: „Das Unvergleichliche hat keine signifikative Entsprechung.“225 Von dem Göttlichen wie auch der Natur lässt sich kein Bild machen, geschweige denn ein Begriff finden, der sie fassen könnte, ihnen angemessen wäre.226 Bevor näher auf die Bedeutung des Erhabenen für die Zeichenpraxis eingegangen wird, gilt es zunächst die Frage nach dem Lustaspekt zu klären, die das vordringliche Interesse der philosophischen Beschäftigung mit dem Erhabenen darstellt. In der Frage, wie es zur „Affirmation des Kontingenten, des Negativen, des Unbegreiflichen kommt“,227 liegt laut Torsten Hoffmann der Kern der begriffsgeschichtlichen Veränderung des Erhabenen auch in Bezug auf den zeitgenössischen Diskurs.228 Schon Kant definiert das Erhabene als ein ambivalentes und zwiespältiges Gefühl, das sich aus den beiden gegensätzlichen Gefühlsmomenten Unlust und Lust zusammensetzt.229 Auf das Gefühl der Unlust, das aus dem Scheitern der Einbil223 Kant 1957, S. 417. 224 Kant 1957, S. 365. 225 Erich Kleinschmidt: Die Krypta des Erhabenen. Zum Ort des Sublimen in der ‚Moderne‘, in: Hartmut Kirchner/Maria Klanska/Erich Kleinschmidt (Hg.): Avantgarden in Ost und West, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 37-56, S. 41. 226 Als erhabenste Stelle im Gesetzbuch der Juden führt Kant das Gebot an: „Du sollst Dir kein Bildnis machen, noch irgend ein Gleichnis, weder dessen was im Himmel, noch auf der Erden, noch unter der Erden ist u.s.w.“ Vgl. Kant 1957, S. 365. 227 Martin Seel: Gerechtigkeit gegenüber dem Heterogenen? Ein neuer Sammelband über das Erhabene, in: Merkur, 9/10 (1989), S. 916-922, zitiert nach Hoffmann 2006, S. 7. 228 Hoffmann 2006, S. 7. 229 „Das Gefühl des Erhabenen ist also ein Gefühl der Unlust, aus der Unangemessenheit der Einbildungskraft in der ästhetischen Größenschätzung, zu der Schätzung durch die Vernunft, und eine dabei zugleich erweckte Lust, aus der Übereinstimmung eben dieses Urteils der Unangemessenheit des größten sinnlichen Vermögens mit Vernunftideen, sofern die Bestrebung zu denselben doch für uns Gesetzt ist.“ Kant 1957, S. 344f. Vgl. dazu auch Schiller, der das Erhabene als ein „gemischtes Gefühl“ beschreibt, als eine „Zusammensetzung von Wehsein, das sch in seinem höchsten Grad als ein Schauer äußert,

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dungskraft resultiert, folgt eine Phase der weiteren Reflexion, in der das Subjekt ein Bewusstsein darüber erlangt, dass selbst die größte Naturmacht verschwindend klein wird, gemessen am unendlichen Ideenvermögen (der Vernunft) des Menschen. Hier entsteht laut Kant die Lust am Erhabenen. Erst die Ohnmacht gegenüber der zweckwidrigen Natur führt zur Erhebung über dieselbe. Damit offenbart sich das Erhabene als ein in sich irreduzibel plurales, gespaltenes Gefühl.230 Der Widerstreit von Einbildungskraft und Vernunft im Erhabenen ist elementar, da die Größe der Vernunft erst durch das vorangegangene Versagen der Sinne entsteht und seinem Ursprung weiterhin Rechnung trägt.231 Denn in diesem Prozess entsteht eine „negative Darstellung“232 des Unendlichen, der Idee. So erkennt der Mensch im Erhabenen, nur über den Umweg der Überforderung seines Vorstellungsvermögens, seine der Natur überlegene Fähigkeit (zur Vernunft). Im Erhabenen wird sich der Mensch gleichsam als intelligibles Vernunft-Wesen bewusst. Er erkennt die Überlegenheit, wenn auch nicht seiner selbst als Individuum, so doch der „Menschheit in unserer Person“, die von der individuellen „physischen Ohnmacht“233 unerniedrigt bleibt. Kant schreibt: Also ist das Gefühl des Erhabenen in der Natur Achtung für unsere eigene Bestimmung, die wir einem Objekte der Natur durch eine gewisses Subreption (Verwechslung einer Achtung für das Objekt, statt der für die Idee der Menschheit in unserem Subjekte) beweisen, welches uns die Überlegenheit der Vernunftbestimmung unserer Erkenntnisvermögen über das größte 234

Vermögen der Sinnlichkeit gleichsam anschaulich macht.

In dieser Passage wird zum einen die moralische Wendung deutlich, die Kant in das Erhabene einarbeitet und in der er den lustvollen Aspekt des Erhabenen verankert. Die Vernunftideen von Freiheit und Sittlichkeit stellen die Verpflichtung des Menschen dar, die Natur moralisch zu übersteigen. Wobei mit Natur auch die Natur des Menschen gemeint ist. In der Herrschaft über die innere und äußere Natur entsteht die Lust im Erhabenen. Kant versteht das Gefühl der Lust hier also als ein Moment und von Frohsein, das bis zum Entzücken steigen kann [...].“ Schiller trug wesentlich zur Popularisierung von Kants Thesen bei und führte diese an verschiedenen Stellen weiter. Vgl. Friedrich Schiller: Über das Erhabene, in: Ders.: Sämtliche Werke, hrsg. von Wolfgang Riedel, Bd. 5, München 2004, S. 218. 230 Vgl. Pries 1989, S. 25. 231 Pries schreibt: „Die Vernunft greift der scheiternden Einbildungskraft gleichsam hilfreich unter die Arme, so daß sich in der Zweckwidrigkeit der Natur eine höhere Zweck– mäßigkeit zu erkennen gibt […].“ Vgl. Pries 1989, S. 25. 232 Kant 1957, S. 365. 233 Kant 1957, S. 350. 234 Kant 1957, S. 344.

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der Macht, das auf die Ohnmacht folgt. Zum anderen klingt in dieser Textpassage die Mimesis an, die am Erhabenen teilhat. Das Subjekt wird sich erst durch ein mimetisches Anschmiegen an das Objekt seiner eigenen Potenz und Größe bewusst. Es hat Teil an der es überfordernden Größe des Objekts und überträgt diese in einem zweiten Schritt auf sich selbst. Als Grundvoraussetzung für eine derartige Reflexion führt Kant jedoch den sicheren Abstand zum sonst furcht- und angsteinflößenden Objekt an. Die direkte Konfrontation mit einer Naturkatastrophe würde die für das Erhabene notwendige Distanz aufheben. Solange wir uns jedoch in Sicherheit wissen, empfinden wir nicht wirkliche Furcht, sondern nur ein[en] Versuch, uns mit der Einbildungskraft darauf einzulassen, um die Macht ebendesselben Vermögens zu fühlen, die dadurch erregte Bewegung des Gemüts mit dem Ruhestande desselben zu verbinden und so der Natur in uns selbst, mithin auch der außer uns, sofern sie auf das Gefühl unseres Wohlbefindens Einfluß haben kann, 235

überlegen zu sein.

Die unbedingte Distanz zum Objekt ordnet das Erhabene der Ästhetik zu; im Erhabenen liegt die Notwendigkeit, dass sich das Subjekt ästhetisch distanziert. In diesem Sinne geht es nicht vornehmlich um eine räumliche Entfernung, sondern vielmehr um die mimetische Struktur, die Inszeniertheit des Gegenstandes, die erst zum Erhabenen führen kann. Das Erhabene findet also vornehmlich jenseits des Realen statt und verweist auf das Imaginäre. Nur so kann die Unlust der Überwältigungserfahrung des Subjekts in die Lust der Erhebung über die Natur umschlagen. Ein Blick in die gegenwärtige Interpretation des Lustaspekts im Erhabenen zeigt jedoch, dass Kant zwar bis heute eine wichtige Rolle spielt, insbesondere aber seine postulierte Überlegenheitserfahrung gegenüber der Natur nicht nur in Frage gestellt, sondern geradezu in ihr Gegenteil gekehrt wird. „Als einschränkende Instanz erscheint nun nicht mehr die Natur, sondern gerade der kognitive Apparat des Menschen.“236 In dieser Umwertung Kants wird das Freiheitsgefühl als Moment des Erhabenen beibehalten, nun jedoch dort verortet, wo dieser noch den Zwang sah. Während sich der Mensch bei Kant (und diesem folgend Friedrich Schiller) durch seinen freien Willen von den Zwängen der inneren und äußeren Natur befreit, stellt sich die Emanzipation des Menschen seit Adornos Interventionen in der Ästhetischen Theorie „im Bewußtsein seiner Naturähnlichkeit“237 dar. Strebte Kant nach der Befreiung des Menschen von der Natur mithilfe der Vernunft, sucht der Mensch des 20. Jahrhunderts im Erhabenen nach einer Entbindung von Vernunft und Ratio mithilfe der Natur. Von Adorno bis Lyotard liegt der Genuss der Freiheit des Erha235 Kant 1957, S. 359. 236 Hoffmann 2006, S. 64. 237 Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Frankfurt/Main 2003, S. 410.

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benen in der Abwesenheit von Teleologie und Ratio. Anstatt sich über die sinnliche Welt zu erheben, hat der Mensch für einen Moment das Gefühl, „sich in der Welt, in der amorphen Unübersichtlichkeit der Natur zu verlieren“.238 Die (ästhetische) Distanz als Notwendigkeit des Erhabenen ist in dieser Umdeutung aufgehoben. Damit gehen zwei Veränderungen des Begriffs vom Erhabenen einher, die ihn in die Nähe des Unheimlichen rücken. Die lustvolle Erfahrung entsteht in dieser Deutung nicht erst in der Überwindung der Ohnmachtserfahrung, sondern diese selbst wird als ambivalent erlebt. Bestürzung und Faszination angesichts des Aussetzens der eigenen Denk- und Wahrnehmungsstrukturen finden nicht mehr hintereinander, in einer „vertikalen Ordnung des gemischten Gefühls“ statt, sondern in einer „horizontalen Gleichzeitigkeit“,239 als Pendelbewegung zwischen den emotionalen Polen. Des Weiteren zeigt sich das Erhabene in dieser Deutung als eine passive Erfahrung des Subjekts und setzt nicht mehr, wie noch bei Kant und Schiller, eine aktive Haltung des Subjekts in der Zurückeroberung seiner Souveränität als Moment des Erhabenen ein. In dieser Deutung tritt die Nähe des Erhabenen zum Unheimlichen zutage. Während sich die lustvolle Komponente an der Subjektauflösung im Erhabenen öffentlich und offensichtlich preisgibt, wird sie im Unheimlichen jedoch verschwiegen. Dies führt Hans-Thies Lehmann zu seiner These: „Das Erhabene ist das Unheimliche, die Theorien des Erhabenen [sind] Figuren seiner Verdrängung.“240 Er führt Hölderlin ins Feld, dessen „Sprache sich am weitesten in das Niemandsland zwischen Unheimlichkeit und Erhabenem, zwischen erschütterndem Pathos und gefährlichem Wahn vorwagte“.241 In seiner zweiten Fassung des Gedichts Stimme des Volks ergreife die „erhaben-heldenhaft kämpfenden“ Bewohner der belagerten Stadt Xanthos das „wunderbare Sehnen dem Abgrund zu“, eine „Todeslust“.242 Hier erweise sich das Erhabene als untrennbar vom Unheimlichen der Todestriebe, die wiederum der Grund für die Verdrängung im Unheimlichen seien.243 Mit den Todestrieben verankert Lehmann den Kern des Unheimlichen in der Angst vor bzw. der Lust an der drohenden und zugleich verlockenden Regression auf die narzisstische Position. Den damit einhergehenden Angriff auf die Ich-Grenze spezifiziert Lehmann als einen Angriff auf „die Stabilität des rationalen Diskurses selbst“.244 Schließlich, so beklagt Lehmann, habe die systematische Ästhetik die Ambivalenz des Erhabenen zwischen Überwältigung und Bewältigung eindeutig zugunsten 238 Hoffmann 2006, S. 66. 239 Beide ebd. S. 67. 240 Lehmann 2002, S. 67. 241 Ebd. 242 Ebd., S. 66. 243 Ebd., S. 67. 244 Ebd., S. 66.

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der letzteren aufgelöst, worin Lehmann einen Kunstbegriff eingeführt sieht, der die „theatrale[...] Szene des Ästhetischen zum Verstummen brachte.“245 Alles war in dieser Szene versammelt, was heutige Kunsttheorie bewegt: die Frage nach dem, was uns in Kunst widerfährt (die Rezeption); die Suspension der begrifflichen Orientierung; die Diskontinuität von Signifikant und Signifikat; die Themen des Unbegrenzten, Ungeformten, Abstrakten; das plötzliche „Ereignis“ eines Schocks. Doch in all dem wurde eine Unheimlichkeit registriert, die von der nüchternen Arbeit des Begriffs besiegt werden sollte.

246

Das Unheimliche ist also nicht nur das Verdrängte des Erhabenen, sondern zugleich verantwortlich für seine Wiederentdeckung. In einer affirmativen Deutung ist das Erhabene in Moderne und Postmoderne kaum noch anwendbar;247 als Undarstellbares, unerfüllbare Leerstelle und Ausdruck von Indifferenz jedoch gelangen seine Theorien als Figuren des Unheimlichen zu neuer Bedeutung. Die Problematisierung zutreffender Repräsentanz – und damit eindeutiger Signifikanz – resultiert im Erhabenen aus seinem mimetischen Moment. Schon in der auf die Jahre 30-25 v. Chr. datierten Schrift Peri Hypsous248 wird das Erhabene im Blickfeld der Rhetorik untersucht. Dabei erkennt der Verfasser des Textes, dass es die rhetorischen Stilmittel (bei Longinus „Figuren“ genannt) sind, die eine erhabene Wirkung erzielten.249 In der Rhetorik des Erhabenen steht der Signifikant also jenseits seiner bedeutenden Funktion im Mittelpunkt. Erst durch die ästhetische Wirkung des Signifikanten kann eine mimetische Verschmelzung zwischen Redner und Zuhörer phantasiert werden, eine buchstäbliche Identifikation, die erst zur erhabenen Wirkung führt.250 Darin wird die Seele des Hörers „mit stolzer Freude erfüllt,

245 Ebd. 246 Ebd. 247 Erich Kleinschmidt weist darauf hin, dass ein „transzendentales Weltbild und ein feudal begründetes Schönheitsempfinden als bedingende Rahmungen überholt sind“. Er unterstreicht den Begriff des Sublimen, der, in seiner Anspielung auf die Sphäre des Ungeheuren, Formlosen und mimetisch Undarstellbaren, das Erhabene „über seine metaphysischen und geschmacklichen Konnotate hinaus bündelt“. Vgl. Kleinschmidt 2002, S. 45. 248 Der Verfasser der Schrift ist unbekannt, wie Otto Schönberger in seinem Nachwort schreibt. Im Inhaltsverzeichnis der Schrift steht: „Von Dionysios oder Longinos“. Die vorliegende Arbeit verwendet im Folgenden den Namen Longinus. Vgl. Longinus: Vom Erhabenen, Griechisch-deutsch übers. und hrsg. von Otto Schönberger, Stuttgart 1988, S. 135. 249 Vgl. Longinus 1988, S. 55. 250 Lehmann 2002, S. 63.

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als hätte sie selbst geschaffen, was sie hörte“.251 Die Mimesis bedroht als Akt aus „Einswerden, Anverwandlung und Selbstverlust“252 die rationale Distinktion, die zur Begriffsbildung notwendig ist. Eben dieses Fehlen der Unterscheidung, insbesondere zwischen Ich und Nicht-Ich, war es laut Lehmann auch, was Platon an der Mimesis des Theaters bekämpfte.253 Die Verlockung, die durch die symbiotische Vereinigung in der Aufhebung der Trennung – und damit wieder der Todestriebe – liegt, führt also auf der einen Seite zu der anziehenden Strahlkraft des Erhabenen. Auf der anderen Seite ist die Angst vor Auflösung und Selbstverlust in der Symbiose verantwortlich für die Verdrängung der Ambivalenz des Erhabenen in seiner Nähe zum Unheimlichen. Es ist folglich das Unheimliche, das für die Bedrohung der rationalen Sprache im Erhabenen verantwortlich zu machen ist. Dabei ging schon Longinus soweit,

die Erschütterung der zu diesem Zeitpunkt als natürlich geltenden Syntax als Beispiel einer erhabenen Wirkung anzuführen.254 Hier klingt das oben erläuterte Modell des Semiotischen der Sprache (Kristeva) an. Rhythmus, Puls und Klang stehen darin gegen ihre bedeutende Funktion. Der Einbruch des Semiotischen spricht die Unangemessenheit von Signifikant und Signifikat aus und führt zu einem erhaben-unheimlichen Moment von Begriffslosigkeit. In dieser Form erst konnte das Erhabene ‚wiederentdeckt‘ werden; als Einbruch eines Sprachlosen und Undarstellbaren und nicht mehr, wie noch bei Kant, für die Erhebung über diesen, gewinnt das Erhabene seine aktuelle Bedeutung. Lehmann weist auf die sich damit wandelnde Rolle des Unheimlichen hin: Dann aber wäre das Unheimliche viel mehr als eine spezifische Gattung von Kunst oder realen Erlebnissen: Es wäre konstitutiv für jede Zeichenpraxis, die im Prozess ihrer Artikulation die Möglichkeit identifizierender Repräsentation und eindeutiger Grenzen selbst zum Pro255

blem macht, konstitutiv für die ästhetische Zeichenpraxis.

Lehmann nimmt hier implizit Derridas Gedanken der Dekonstruktion auf und geht der Frage nach, was sich angesichts der nicht zuletzt zeichentheoretischen Problematisierung der Repräsentation in den Künsten verändert. Insbesondere in Bezug auf das Theater, in dessen Theoretisierungen die Begriffe der Repräsentation, Mimesis und Ereignis elementar sind, erhält das Erhabene in seiner Ausprägung als das Unheimliche so einige Relevanz. 251 Longinus zitiert nach Lehmann 2002, S. 63. Lehmann gibt keine Seitenzahlen an, nach der in der vorliegenden Arbeit verwendeten Ausgabe Longinus 1988, S. 17. 252 Lehmann 2002, S. 63. 253 Vgl. Lehmann 2002, S. 63. 254 Vgl. Lyotard 1987, S. 257. 255 Lehmann 2002, S. 69.

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Aufbauend auf Lyotards Studium des Erhabenen im Horizont der historischen Avantgarde diagnostiziert Lehmann einen aktuellen Trend zur Abwendung von der Werkästhetik und zur „Entliterarisierung der Künste“.256 An die Stelle des Werks trete jetzt ein „offenes Kraftfeld“,257 und das Paradigma der in diesem Sinne zum Umdenken aufgeforderten Theorie ist das Ereignis mit den Begriffen der Performance, Präsenz und dem Augenblick der Szene. Hier setzt auch die Diskussion darüber ein, ob Elfriede Jelineks Theatertexte dem von Lehmann aus diesen Denkansätzen abgeleiteten Begriff des postdramatischen Theaters zuzuordnen sind oder nicht (vgl. III.2). Lehmann geht von einer „Theatralisierung der Künste aus“,258 indem nicht nur das Theater, sondern auch die bildende Kunst und die Musik ihr „Werk“ als Ereignis inszenieren. Sein Verständnis des Ereignisbegriffs gründet dabei auf Lyotard. Dieser bindet das Ereignis an die Zeiterfahrung, indem er in dem „Now“ der historischen Avantgarde, das „nicht dargestellt werden kann, gleichwohl aber darzustellen bleibt“259, das Erhabene erkennt. Indem sie von dem Undarstellbaren Zeugnis ablegt, gesteht die Kunst der historischen Avantgardebewegungen eine Blöße ein, die sie erhaben macht. Sie verortet das Undarstellbare nicht im Jenseits, sondern darin, dass „es geschieht, daß etwas geschieht“.260 Das Skandalöse dieser Zeitlichkeit des ‚Now‘ liegt darin, dass es das Bewusstsein aus der Fassung bringt, indem es die Möglichkeit aufzeigt, dass nichts geschieht. Das Ereignis – performativ und in Präsenz – stellt ein Heraustreten aus der Vorstellung einer linearen und homogenen Zeit dar.261 Die Drohung des Nichts, des Aussetzens der Zeit ist Drohung des Todes, und insofern ist Lehmanns Frage berechtigt, wie Lyotard „die Verknüpfung Avantgarde/Erhabene ohne eine Dekonstruktion der ‚récuperation‘ der unheimlichen Erfahrung in den Theorien des Erhabenen herstellen kann“.262 Lehmann kritisiert Lyotards positive Auflösung des Erhabenen – und der damit einhergehenden Verdrängung des Unheimlichen – in seiner Forderung nach der Darstellung des Undarstellbaren: „Das Gespenst ist gebannt, das Bedrohliche an der Auflösung der Grenze von Symbol und Symbolisierung, die Schwebe über dem Abgrund eines NichtSinns ist beendet mit der Wiederkehr der Grenzziehung zwischen Darstellbarem und Undarstellbarem.“263 Lehmann hingegen plädiert dafür, das unheimliche Wesen im Erhabenen nicht zu bannen und wirft die Frage auf, ob das Erhabene nicht 256 Lehmann 2002, S. 71. 257 Lehmann 2002, S. 72. 258 Ebd. 259 Ebd. 260 Lyotard 1987, S. 254. 261 Hoffmann 2006, S. 32. 262 Lehmann 2002, S. 73. 263 Ebd.

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allein im Übergang zwischen dem Gegenstand und der abstrakten Vernunftidee festzumachen sei. Er fragt: Wenn der Ton, das Bild, das Wort, die Szene, die hier und jetzt in eine beängstigende und berauschende Schwebe führt – wenn diese Erfahrung eben das Vorübergleiten des Wahns wäre, des Selbstverlusts, ein Vorbeistreifen, das sogleich – auch vom erlebenden Subjekt selbst – aufatmend in einer begrifflichen Artikulation dingfest gemacht, dadurch aber zugleich in seiner Realität verfälscht, aufgehoben, „erhaben“ gemacht wird?

264

In dem von Lehmann hier entworfenen Szenario des Ereignisses erhält das Unheimlich-Erhabene eine gespenstische, phantomhafte Konnotation. Als unfassbare und undarstellbare Erfahrung ist der Selbstverlust des Subjekts, der Einbruch des Realen und das Wirken der Todestriebe als Phantom nicht im Symbol – sei es sprachliches Signifikat, dramatische Repräsentation oder eine andere Art der ‚Verdinglichung‘ – zu arretieren. Indem der gegenwärtige (post)dramatische Diskurs Begriffe wie Ereignis, Performanz und Präsenz fokussiert, gewährt er dem Unheimlich-Erhabenen Raum. Sowohl die Inszenierungspraxis, als auch der dramatische Text – wie im Falle Elfriede Jelineks – zeigen eine Tendenz auf, die von der Repräsentation – als Kategorie des traditionellen Theaters, wie auch der Schrift – wegführt und in Richtung eines Theaters zeigt, das viel eher dem Modus der Dekonstruktion folgt und der Simulation, im Sinne eines demonstrativen Hinweisens auf die Performativität und Theatralität des Ereignisses. 5.2 Zum Ekel: Das Abjekte als Ausdruck des Todestriebs im Organischen Das Erhabene und der Ekel sind als zwei Seiten einer Medaille lesbar. Während Kant von der Erhebung über die Natur spricht, deutet Nietzsche diesen zweiten Schritt des ‚gemischten Gefühls‘ nicht als authentische Überwindung der Natur, sondern in zunehmendem Maße als Täuschung über die Natur. Dabei stellt er Natur und Wahrheit auf eine Stufe. So heißt es in Die Geburt der Tragödie: In der Bewusstheit der einmal geschauten Wahrheit sieht jetzt der Mensch überall nur das Entsetzliche oder Absurde des Seins [...]: es ekelt ihn. Hier, in dieser höchsten Gefahr des Willens, naht sich, als rettende, heilkundige Zauberin, die Kunst; sie allein vermag jene Ekelgedanken über das Entsetzliche oder Absurde des Daseins in Vorstellungen umzubiegen, mit

264 Lehmann 2002, S. 73.

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denen sich leben lässt: diese sind das Erhabene als die künstlerische Bändigung des Entsetzlichen und das Komische als die künstlerische Entladung vom Ekel des Absurden.

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In Also sprach Zarathustra wird Nietzsches Tenor gegen das Erhabene eindeutiger und aggressiver, wenn er es zum „Mantel des Hässlichen“266 erklärt. Dabei tritt das Erhabene als Mittel der Dissimulation auf, die eine korrekte Signifikanz zugunsten eines effektiven Pathos umwertet. Erich Kleinschmidt weist auf den traditionellen Anhaltspunkt dieses zunächst modern anmutenden Topos hin. So stehen die figuralen Stilmittel des Pathos schon bei Longinus stets im Verdacht, nur Mittel für „Hinterhalt, Betrug, Täuschung“267 zu sein. Stefan Bollmann sieht die einzigartige Bedeutung von Nietzsches Existenzialphilosophie im Versuch begründet, „den Menschen in die Natur aller Dinge zurückzuübersetzen und in der über- und hinterweltlich gewordenen Metaphysik wider die immerwährende Physis der Welt und die große Vernunft des Leibes als das Grundlegende und Immerseiende und Wiederkehrende zur Anerkennung zu bringen“.268 Tatsächlich verweigert Nietzsche dem Menschen die Möglichkeit zur Transzendenz, die noch Kants Erhabenen-Begriff prägte, und lässt ihn in Also sprach Zarathustra wieder zum „Naturding unter den Naturdingen in der Ordnung der Naturdinge“269 werden. In seiner Wendung des Erhabenen in Ekel antizipiert Nietzsche damit den später für die Postmoderne formulierten Erhabenen-Begriff, der, wie oben dargelegt, auf dem Unheimlichen basiert; die Lust zeigt sich darin nicht mehr in der Erhebung über die Natur, sondern in der Erfahrung des Seins in der Natur, die gleichsam als Undarstellbares und rational nicht Fassbares verstanden wird. Der Erhabenen-Begriff in postmoderner Auslegung und der Ekel scheinen hier also eine Parallele aufzuweisen. Im Folgenden soll zunächst der Begriff des Ekels in seiner Genese kurz aufgezeigt werden. Hierbei liegt der Fokus auf den Aspekten, in denen sich eine Nähe zum Erhabenen und zum Unheimlichen zeigt. Es geht mir in Bezug auf den Ekel einerseits um die Diskursivierung der Todeslust, die in seinen theoretischen Denkansätzen wiederholt thematisiert wird und andererseits um die Gleichsetzung des Ekels mit dem Originären und Wahren. Beide Aspekte stehen im Zusammenhang 265 Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie. Oder: Griechenthum und Pessimismus, mit einem Nachwort von Günther Wohlfart, Ditzingen 2010, S. 51. (ND Stuttgart 1993) 266 Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra, in: Ders.: Werke, hrsg. von Ivo Frenzel, Frankfurt/Main 1999, S. 575. (ND München/Wien 1981) 267 Longinus 1988, S. 55. 268 Stefan Bollmann: Vom erhabenen zum komischen, vom geschichtlichen zum kosmologischen Denken. Botho Strauß im Kontext, in: Pries 1989, S. 253-274, hier S. 259. 269 Bollmann ordnet Also sprach Zarathustra der dritten Periode Nietzsches zu, in der sich dieser als „Lehrer der ewigen Wiederkunft“ versteht. Vgl. Bollmann 1989, S. 261.

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miteinander, was in Rekurs auf Julia Kristevas Theorem des Abjekten gezeigt werden soll, das Freud folgend den Todestrieb als grundlegend für den Menschen setzt, also als uranfänglichen, wahren Trieb. Die von Kristeva postulierten Kategorien des Semiotischen und Symbolischen sollen hier mit dem Begriff des Abjekten noch einmal aufgegriffen und unter dem Stichwort des Essentialismus kritisch diskutiert werden. Des Weiteren kann über den Abjekt-Begriff der Diskurs über Natürlichkeit/Authentizität und Künstlichkeit/Simulation eingeführt werden, der in Jelineks Werk über das Unheimliche virulent wird. Im Kontext des Bildes von Dieter Roth ließ sich der Umschlag vom Erhabenen zum Ekel – und vice versa – hier im Wechselspiel von Nähe und Distanz ausmachen. Während das Erhabene im Kant’schen Sinne Distanz zum Anschauungsobjekt voraussetzt, kann im Umkehrschluss vom Ekel als einer Erfahrung der Nahsinne gesprochen werden. Etwas riecht oder schmeckt ekelhaft, fühlt sich ekelhaft an oder sieht ekelhaft aus.270 Aus der Nähe als wesentlichem Bestandteil und Voraussetzung des Ekels leitet sich die Unmittelbarkeit des Ekelgefühls ab. Als sinnliche Erfahrung äußern sich das Schockartige und die Gewaltsamkeit dieser Empfindung durch die „Abwesenheit längerer intellektueller Reflexionsketten“,271 wie sie im Erhabenen notwendig sind. Das Ekelmoment findet also unmittelbar und eher plötzlich statt, indem sich ein Objekt in ungewollter Nähe aufdrängt, geradezu anklebt und damit die Drohung der Einverleibung mit sich führt. Insofern trägt der Ekel einen Handlungs-Imperativ in sich, indem das sich aufdrängende Objekt ferngehalten, vom Eindringen abgehalten werden soll und dessen Vollzug in Erbrechen oder Abwendung besteht. Nichtsdestotrotz übt das ekelerregende Objekt eine Faszination und Anziehungskraft aus, die den Begriff in seiner Ambivalenz markiert. So beschreibt Winfried Menninghaus als „begriffsdefinitorische Ausgangsbasis“ seiner Abhandlung über den Ekel die folgenden drei elementaren Merkmale: [D]ie heftige Abwehr (1) einer physischen Präsenz bzw. eines uns nahe angehenden Phänomens (2), von dem in unterschiedlichen Graden zugleich eine unterbewußte Attraktion bis 272

offene Faszination ausgehen kann (3).

Aurel Kolnai, der 1929 eine grundlegende Studie zum Ekel vorlegte,273 führt zum einen die Faszination des Ekels auf eine verborgene Todeslust des Menschen zu270 Menninghaus 1999, S. 60. Diese Reihung der „Ekel-Sinne“, die auf Aurel Kolnai zurückgeht, findet in abfallender Reihenfolge statt. Vgl. Menninghaus 1999, S. 29. 271 Ebd., S. 66. 272 Menninghaus 1999, S. 13. 273 Aurel Kolnai: Der Ekel, in: Moritz Geiger: Beiträge zur Phänomenologie des ästhetischen Genusses, 2. unveränderte Aufl., Tübingen 1974. Die erste Auflage erschien in: Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Bd. 10 (1929), S. 515–569.

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rück (wenn er diese auch nicht näher spezifiziert) und stellt damit eine Verbindung zum Unheimlichen her.274 Zum anderen stellt er den Körper in seiner Materialität ins Zentrum seiner Untersuchung. In diesem Ansatz antizipiert Kolnai Kristevas Überlegungen zum Abjekt. Kolnai sieht im Gegenstand des Ekels eine [...]‚perverse‘ Nähe von Elementen, eine durchgängige Nähe, die zugleich Lebensschwüle und Verneinung der lebensformenden Spannungen bedeutet, enthalten: eine Nähe, die aus ihrer innersten Natur heraus auf Ausbreitung, auf lawinenartiges Anschwellen abgestimmt 275

ist.

Des Weiteren spezifiziert er diese ‚perverse Nähe‘ als eine „Lebensüppigkeit“, die in ihrem „hemmungslosen, qualitätsgleichgültige[n] Wuchern“ dem Geist – und darunter versteht Kolnai ein strukturiertes und individuell von „Sonderwesen“276 geführtes Leben – entgegensteht. In dem „Mehr-Leben selber“ wohne das „Nicht-Leben“, wodurch sich dessen „todesschwangerer Charakter“277 offenbare. Kolnai begründet dies damit, dass in der „überbetonten Fülle“ immer eine „Desertion aus dem Gesamtgefüge des Lebens“ liege. „Die intentionalen Hintergründe, die Blickperspektiven, der Ganzheitscharakter fehlen dabei, das Leben wird in ein wesenhaft gleichförmiges ‚Fluidum‘ des Lebens hineingepreßt.“278 Das hier von Kolnai beschriebene Kippen einer Fülle an Leben in einen Mangel an demselben deckt sich mit Freuds Theorie des Todestriebs als Kulminationspunkt des Lustprinzips. Als Beispiele nennt Kolnai die „Fäulnis mit ihrem unendlichen Ausbreitungsund Homogeneisierungsdrang [sic!]; [...] die Ekelelemente der Feuchtigkeit, Breiartigkeit, Klebrigkeit“ und betont, dass es sich in den Ekel auslösenden Ansammlungen nicht um „ein Aufgreifen, Umarmen, Wesenserleben des fremden Seins handelt [...], sondern um ein Dahinschmelzen, ein Aufhören [...] der Sonderwesen“279 bzw. um feste Bindung gehe, „sondern um ein hemmungsloses Mit- und Durcheinander, dessen Kehrseite Zerfall, Verstauben, universelle Gleichgültigkeit sind (Gewimmel)“.280 Als Intention dieser willkürlichen Form der Vereinigung folgert Kolnai nicht das Leben, sondern den Tod, der sich im Phänomen des Ekelhaften ankündige:

274 Vgl. Kolnai 1974, S. 158ff. 275 Kolnai 1974, S. 164. 276 Kolnai 1974, S. 158f. Menninghaus weist mit Recht darauf hin, dass Kolnai aus Sicht einer kulturkonservativen Präferenz für das Männliche, Feste, Maßvolle, Gestalthafte, Zielgerichtete argumentiert. Menninghaus 1999, S. 32. 277 Kolnai 1974, S. 160. 278 Ebd., S. 159. 279 Kolnai 1974, S. 159. 280 Ebd.

94 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN Für die Todesintention im Ekelanlaß ist dies am bezeichnendsten, daß sie überall seiner Lebensintention selber innewohnt, als führte das an ihm hervortretende Mehr-Leben gleichsam kurzschlußmäßig in den Tod über, als entspränge dieses potenzierte und verdichtete Leben einer ungeduldigen Todessehnsucht, einem Verschwenden-, Verausgabenwollen der Lebensenergie, einer makabren Ausschweifungslust der Materie.

281

Kolnais Überlegungen sind insofern bedeutsam, als er die „Todesfratze“ im Ekel ausmacht, diese jedoch nicht mit Angst besetzt, sondern vielmehr als ein Mahnen an „unsere eigene Todesaffinität, unsere Todesunterworfenheit, unsere geheime Todeslust“282 und damit auf den Todestrieb im Ekel rekurriert. Bis hierhin eröffnet Kolnai, abgesehen von der Verschränkung von Ekel und Todeslust, allerdings keine wirkliche Neuerung in Bezug auf das Unheimliche. Die Verortung der Todessehnsucht im Körperlichen als „makabre [...] Ausschweifungslust der Materie“283 jedoch setzt einen Schwerpunkt des Ekels, der insbesondere mit Blick auf Jelineks Inszenierungen des Körpers interessant wird. Der Ekel fokussiert damit das Unheimliche des Körpermaterials, des Fleisches in seiner „Wesensbotmäßigkeit dem Tod gegenüber, unser Bestehen aus todgeweihter, man könnte sagen todestrunkener, verwesungsbereiter Materie“.284 Als markantes Merkmal des Ekels beschreibt Kolnai folglich das Wechselspiel zwischen Leben und Tod im Körper. Nicht die tote Materie des Körpers evoziert Ekel, sondern das Leben und die Bewegung, die ihn in seiner Hinwendung zum Tode, in seiner ‚Verwesungsbereitschaft‘ ausmachen. Der Ekel bezieht sich nie auf Anorganisches, Lebensfreies; die gammelnde Salami auf Gerhard Roths Bild ekelt durch ihr Fortleben im Verwesungsprozess des Fleisches. Die sich über das Bild erstreckenden Fettaureolen und der sich ausbreitende Schimmel im Verwesungsprozess markieren den expansiven Charakter des untoten Fleisches. Die Anschauung des verwesenden Körpermaterials schockiert (und fasziniert) unmittelbar und unausweichlich ob ihrer ‚untoten‘ Beschaffenheit. Dazu Kolnai: Das Ekelhafte hält uns keine Sanduhr, sondern einen Vexierspiegel vors Auge; und nicht den Totenschädel in seiner trockenen Ewigkeit, sondern gerade das, was am Totenschädel nicht mehr dran ist, in seiner triefenden Verwesung.

285

Während der Tod in seinem geistigen Weiterleben – in den unterschiedlichen Ausformulierungen als Märtyrer, Legende, Mythos oder andere Arten immaterieller 281 Ebd. 282 Ebd., S. 162. 283 Ebd., S. 159. 284 Ebd., S. 162f. 285 Kolnai 1974, S. 163.

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‚Gespenster‘ – die Ewigkeit des Geistes in der Erinnerung der Lebenden postuliert und in dieser transzendentalen Überlegenheit über den Tod des Einzelnen das Erhabene anspricht, ruft „die danse macabre der Belebtheit bei Aufhören des eigentlichen ‚person‘-mäßigen Lebens“286 Ekel hervor. Unheimlich sind beide Phänomene, da sie den Tod als Grenze des Lebens aufheben, also eine Unsicherheit bezüglich der Verhältnisse von Leben und Tod markieren. Anhand dieser Unterscheidung zwischen dem Unheimlich-Erhabenen eines geistigen und dem Unheimlich-Ekelhaften eines körperlichen Fortlebens des Toten kann das Unheimliche an seinen entgegengesetzten Enden im Erhabenen einerseits und im Ekel andererseits bestimmt werden. Seine definitorische Abgrenzung von den beiden Begriffen ist insofern eher als Übergang und wechselseitige Befruchtung zu verstehen. Eine der häufigsten Konnotationen des Ekels besteht in der Matrix diffamierter Weiblichkeit. Winfried Menninghaus hält fest, dass „eine schon in der Antike traditionsmächtige Chiffre: diejenige der ekelhaften alten Frau“287 sei. „Sie ist der Inbegriff alles Tabuierten: abstoßender Haut- und Formdefekte, ekelhafter Ausscheidungen und sogar sexueller Praktiken – ein obszöner, verwesender Leichnam schon zu Lebzeiten.“288 Folgerichtig bezeichnet Menninghaus seine Studie über den Ekel als ein „Buch über die männliche Imagination der vetula, der ekelhaften alten Frau“, da der Ekelgegenstand bei allen Autoren (Kant, Nietzsche, Freud, Bataille) weiblichen Geschlechts und hohen Alters sei.289 Auch Julia Kristevas Begriff des Abjekten steht in dieser Tradition, wenn sie jede Abjektion auf die Verwerfung des mütterlichen Körpers zurückführt. Der Umgang mit dem Ekel jedoch – und damit auch mit dem tabuierten, verworfenen Körper der Mutter – unterlag stets erheblichen Veränderungen. Menninghaus entwirft ein grobes Panorama der „Diskursivierung des Ekels“ in den letzten drei Jahrhunderten: [D]as 18. Jahrhundert gibt weithin dem Ekel ‚recht‘, propagiert die Erziehung zum Ekel als Fortschritt der Menschheit und der Zivilisation und feiert die Etablierung des ekelfreien ästhetischen Körpers; das 19. und das frühe 20. Jahrhundert entdecken sowohl die Kosten dieser Erziehung als auch die (verbotenen) Reize des Ekelhaften; Ende des 20. wird die Erziehung zum Ekel selbst brüchig und gleichzeitig – als seien die (repressiven) Ekelschranken mächtiger denn je – das Terrain des Verworfenen geradezu programmatisch zum gelobten Land an290

gestrengter Entekelung in künstlerischer, politischer und akademischer Arbeit.

286 Ebd., S. 158. 287 Menninghaus 1999, S. 16. 288 Ebd. 289 Ebd. 290 Ebd., S. 27.

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Kristevas Konzeption des Abjekten hat wesentlich zu der von Menninghaus diagnostizierten ‚Heiligsprechung‘ des verworfenen Ortes beigetragen. Auch wenn sie in Pouvoirs de l’Horreur die Notwendigkeit der Abjektion betont, stellt sich diese doch als Verwerfung und Verdrängung eines Urzustands dar. Ohne die Anerkennung des Abjekts in der Verwerfung des mütterlichen Körpers kann das Kleinkind, gefangen in der mütterlichen chora, Subjektivität zwar nicht ausbilden, trotzdem heißt es in Pouvoirs de l’Horreur: The abject [...] takes the ego back to its source on the abominable limits from which, in order to be, the ego has broken away – it assigns it a source in the non-ego, drive, and death. Abjection is a resurrection that has gone through death (of the ego). It is an alchemy that trans291

forms death drive into a start of life, of new significance.

Mit dem Begriff des Abjekten intendiert Kristeva ein Aufdecken von Hinweisen auf das Verworfene bzw. das Verdrängte. Sie konkretisiert das Abjekte anhand der Vorstellung des mütterlichen Körpers in seiner Relation zur symbolischen Ordnung. Der mit Symbiose gleichzeitig drohende und lockende Körper der Mutter ist von einer derartig zersetzenden Nähe geprägt, dass er im Ekel als Abjektes verworfen werden muss. Im Horizont der symbolischen Ordnung ist demnach der Modus von Kristevas Semiotischen dem Abjekten zuzuordnen, was wiederum den Ekel als Impuls definiert, das Semiotische zu verwerfen. Wie oben bereits ausgeführt ist die Verwerfung des prädifferentiellen und begriffslosen Zustandes des Semiotischen notwendig, damit sich die Identität konstituieren kann. Erst in diesem Prozess der Abgrenzung von der Subjekt-Objekt-Verschmelzung findet die Enkulturation statt, die ein kulturelles Ich, das Subjekt, erzeugt. Gleichzeitig setzt Kristeva das Abjekte als Ursprung des Menschen voraus, und so gilt auch der Umkehrschluss: Der entgegengesetzte Weg der Abjektion führt zurück zum Ursprung, zu der prädifferentiellen Mutter-Kind-Dyade und suggeriert mit dieser Ursprünglichkeit eine Authentizität, Unmittelbarkeit und Natürlichkeit des Abjekten, die dazu verführt, es als ‚das Wahre‘ zu verstehen. Hinsichtlich der eingangs aufgestellten These von der Parallelität zwischen dem Erhabenen und dem Ekel in ihrem Hinweisen auf eine Darstellungsproblematik, sei an dieser Stelle betont, dass ‚das Wahre‘ hier im Jenseits symbolischer Bedeutungsfunktion, mit Kristeva gesprochen im Modus des Semiotischen besteht. Der Vorgang der Abjektion, wie ihn Kristeva beschreibt, lässt also den Eindruck entstehen, dass das Aufdecken des Verworfenen und Verdrängten zum Kern des Menschen führt, der sich nicht symbolisch darstellen lässt. Die Auffassung vom Ekel, der auf ‚das Wahre‘ verweist, findet sich bereits bei Nietzsche, der, wie oben ausgeführt, im Ekelerregenden das Eigentliche der menschlichen Natur verortet. So dient der Ekel seit 291 Kristeva 1982, S. 15. (Es wird die englische Übersetzung Powers of Horror zitiert.)

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Nietzsche als „Signatur unmittelbarer Erkenntnis“292. Bestimmend für den EkelDiskurs ist laut Menninghaus nun nicht mehr seine Verwerfung, sondern die „Verwerfung seiner Verwerfung“, die schließlich seine Integration in eine „Ökonomie der Lust und der Erkenntnis“ anstrebt: Gerade als das Skandalöse, Unassimilierbare, schlechthin Heterogene, als die Transgression der zivilisatorischen Verbote, als die (analsadistische) Destruktion der schönen Form und die lachende Transzendenz der symbolischen Ordnung avanciert das Ekelhafte in die verwaisten Positionen des unverfügbaren „Realen“ und der quasi-metaphysischen Wahrheit. Das Wahre 293

ist das Ekelhafte, das Ekelhafte ist das Wahre, ja das „Ding an sich“.

Indem der Ekel einen Weg zum Authentischen aufzuzeigen scheint, entfaltet er seine Attraktivität, gibt jedoch gleichsam Anlass zur Kritik aus poststrukturalistisch-dekonstruktivistischer Sicht. So muss sich Kristeva aufgrund ihrer Vorstellungen vom Abjekten den Vorwurf gefallen lassen, einer essentialistischen Position das Wort zu führen. In Pouvoirs de l’Horreur geht Kristeva über Lacan zurück zu Freud, indem sie ihren Überlegungen dessen Triebtheorie nicht nur zugrunde legt, sondern sie darüber hinaus als gesetzt versteht. In ihrer Beschreibung des Abjekten klingt Freuds Definition des Unheimlichen wortwörtlich an: A massive and emergence of uncanniness, which, familiar as it might have been in an opaque and forgotten life, now harries me as radically separate, loathsome. No me. Not that. But not nothing either.

294

Als Verworfenes, jedoch ehemals Vertrautes und dem Menschen Zugehöriges, ist das Abjekte unheimlich, da es weder als dem Selbst zugehörig noch eindeutig außerhalb desselben definiert werden kann. Einst vertraut ist es nun entfremdet – unheimelig – und befindet sich damit auf der Schwelle zwischen Eigenem und Anderem. An diesem Verständnis des Abjekten als ein primär Eigenes, erst sekundär Verdrängtes wird deutlich, inwiefern sich Kristevas Überlegungen von poststrukturalistisch-dekonstruktivistischen Denkansätzen unterscheiden. Freuds Doktrin der Triebe als metalinguistischen Urtext verwendend, werden bei Kristeva alle Unterscheidungs- und Symbolisierungssysteme zu Zeichen der unterschiedlichen Grade der „Fähigkeit einer Kultur, das Mütterliche und das Mörderische zu unterdrücken“.295 So ist Menninghaus darin zuzustimmen, dass Kristeva Freuds Theorie des 292 Menninghaus 1999, S. 20. 293 Menninghaus 1999, S. 20f. 294 Kristeva 1982, S. 2. 295 Juliet Flower MacCannell: Kristeva’s Horror, in: John Lechte/Mary Zournazi (Hg.): The Kristeva Critical Reader, Edinburgh 2003, S. 69-97, hier S. 81. Im Original heißt es:

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Todestriebs ausschließlich aus der Verwerfung der Mutter ableitet.296 Damit erhält der prädifferentielle und präsymbolische Zustand in der Fusion mit dem mütterlichen Körper einen quasi ontologischen Status des Eigentlichen und Ursprünglichen in Kristevas Ausführungen. An diesem Punkt setzt Judith Butlers Kritik an Kristevas Konzept des Semiotischen und Abjekten an. Neben dem Vorwurf der unentschlossenen Positionierung gegenüber dem Semiotischen – hier scheint Kristeva Freuds Unsicherheit gegenüber seiner Theorie des Todestriebs zu übernehmen – widmet Butler sich in ihrer Studie Das Unbehagen der Geschlechter297 (im Original: Gender Trouble) dem Essentialismus-Problem des mütterlichen Körpers in Kristevas Ausführungen. Butler fokussiert das Verhältnis zwischen dem Vordiskursiven und dem Symbolischen und kritisiert, dass Kristevas Begriff des Weiblichen von vornherein anatomisch konzipiert und einer mütterlichen Teleologie verschrieben sei. Kristeva verstehe den mütterlichen Körper als vorgängig, wodurch es unmöglich werde, das Mütterliche selbst als Bedeutung zu betrachten, die für „kulturelle Veränderlichkeit“298 offen wäre: Niemals stellt Kristeva ernsthaft die strukturalistische Prämisse in Frage, daß das prohibitive Gesetz des Vaters für die Kultur als solche grundlegend ist. Daher kann die Subversion der durch das väterliche Gesetz sanktionierten Kultur nicht aus einem anderen Kulturtypus hervorgehen, sondern nur aus dem verdrängten Inneren der Kultur, aus der Heterogenität der Triebe, die die verborgene Grundlage der Kultur bilden.

299

Butlers primäre Kritik bezieht sich also darauf, dass Kristeva die Vorstellung von der Kultur als väterliche Struktur beibehält und die Mütterlichkeit als vorkulturelle Realität davon abgrenzt. Den daraus resultierenden Ursprungs- und Natürlichkeitsstatus des mütterlichen Körpers sucht Butler mit Thesen von Michel Foucault auszuhebeln: Während Kristeva einen Körper der Mutter vor dem Diskurs ansetzt, der in der Struktur der Triebe seine eigene kausale Kraft ausübt, würde Foucault zweifellos die These vertreten, daß die diskursive Produktion des mütterlichen Körpers als vordiskursives Phänomen nur eine

„Divisions, separations, exclusions and rites of defilement become signs, in her reading, of the varying degrees of a culture’s ability to repress the maternal and the murderous.“ 296 Menninghaus 1999, S. 531. 297 Butler 1991. 298 Butler 1991, S. 138. 299 Ebd., S. 131.

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Taktik der Selbst-Erweiterung und Verschleierung jener spezifischen Machtbeziehungen ist, welche die Trope des ‚Körpers der Mutter‘ hervorbringt.

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Butlers Ansicht nach bietet Foucaults diskurstheoretischer Rahmen die Möglichkeit, „einige der epistemologischen und politischen Schwierigkeiten, die aus Kristevas Sichtweise des weiblichen Körper entspringen, zu lösen“.301 In ihrer Kritik von Kristevas Konzept des Abjekten hält Butler fest, dass der Körper der Mutter nicht mehr auf der einen Seite als das Verworfene und auf der anderen als der verborgene Grund aller Bedeutung und Kultur in Erscheinung trete, sondern im Gegenteil als Effekt derselben. Sie kritisiert, dass das Abjekte und die Abjektion auf ein Sexualitätssystem verwiesen, das die Mutterschaft als Wesensbestimmung des weiblichen Körpers verlange. Als der eigentliche Grund für die Setzung eines vordiskursiven Körpers der Mutter erscheine also der von Machtbeziehungen durchzogene Diskurs der Sexualität. Butler resümiert die grundlegende Umkehrung von Kristevas Formulierung: Das Symbolische und das Semiotische werden nicht mehr als Dimensionen der Sprache gedeutet, die entweder auf der Repression oder umgekehrt auf dem Zutagetreten der mütterlichen Libido-Ökonomie beruhen. Statt dessen stellt sich diese ganze Ökonomie nun als Verdinglichung dar, die die Institution Mutterschaft als Zwangssystem für die Frauen ausdehnt und zugleich verschleiert.

302

Butlers Kritik an Kristevas Begriff des Semiotischen und des Abjekten gibt auch bezüglich des Unheimlichen zu denken. Denn, wie oben dargelegt, ist Lyotards Begriff vom Erhabenen als Zustand im Ungreifbaren ebenfalls mit Assoziationen des Natürlichen und Ursprünglichen besetzt, wodurch auch hier der Essentialismusvorwurf gilt. Und auch das Unheimliche in seiner Erweiterung durch Freuds These von den Todestrieben ist selbstredend essentialistischer Natur, wenn Freud die Regression zum mütterlichen Schoß hin als omnipräsenten Trieb des Menschen setzt. Gleichwohl wird in der vorliegenden Arbeit ein Begriff des Unheimlichen deutlich, der im Horizont des Medialen an die Zunahme von virtuellen Welten und Realitäten geknüpft ist. Die Simulations-These von Baudrillard ist definitiv nicht essentialistisch zu verstehen. Das Unheimliche, wie es hier definiert wird, zeigt sich auch an dieser Stelle in seiner radikalen Ambivalenz und seiner Eigenschaft, im Extrem mit seinem Gegenteil zusammenzufallen und so eine Spannung zwischen den Polen herzustellen. Es erschöpft sich nicht in der These der Todestriebe oder des Abjekten als Streben 300 Butler 1991, S. 140. 301 Ebd. 302 Ebd.

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nach seinem Ursprungsort, sondern eben dieser Ort kippt im Unheimlichen in sein Gegenteil, in die reine Simulation als radikale Künstlichkeit. Wenn sich das Semiotische auf der Funktionsebene über die dyadische Struktur mit der Simulation trifft, ist ein paradoxer Modus formuliert, der den Körper und sein künstliches Pendant aufs Unheimlichste zusammendenkt. Der für die vorliegende Arbeit formulierte Begriff des Unheimlichen betont diese Ambivalenz von Natürlichkeit und Künstlichkeit, Lebendigkeit und Unbelebtheit als diskursstimulierende Dynamik. Auch die in den folgenden Kapiteln vorgenommene Untersuchung des Unheimlichen in Elfriede Jelineks Theaterstücken geht dem Begriff in dieser Ambiguität und Offenheit nach. Wie die vorliegende Studie zeigt, besitzt das Unheimliche viele Facetten und treibt in seiner begrifflichen Offenheit theoretische Diskursivierungen auf produktive Weise voran. In Bezug auf den Zusammenhang von Erhabenem, Ekel und Unheimlichem bleibt insbesondere ihr dynamisches Verhältnis festzuhalten. Sowohl das Unheimliche als Hintergrund des Erhabenen in Lehmanns Lesart als auch der Ekel, den Nietzsche mit wahrer Erkenntnis gleichsetzt, die wiederum im Erhabenen verdeckt werde und schließlich die Todestriebe, die in den Theoretisierungen aller drei Begriffe eine Rolle spielen, all diese Denkfiguren sind aufgrund ihrer spannungsreichen und dynamischen Eigenschaft relevant für die vorliegende Arbeit und treten in eben dieser Form in Jelineks Texten auf. Auch wenn, wie noch zu zeigen sein wird, Jelinek das Erhabene und den Ekel vornehmlich in parodierender Form aufgreift, sind diese Begriffe in ihrer Bewegung und ihrem ineinander-Kippen von einiger Bedeutung für ihre Texte. Mit dem Fokus auf das Unheimliche wird es in der Untersuchung von Jelineks Texten dabei stets um die Verunsicherung von Belebtheitsverhältnissen gehen. Auch in Anbetracht der für die vorliegende Arbeit formulierten Ausgangsthese, dass das Unheimliche in Jelineks Theatertexten zu großen Teilen im Zusammenhang mit Prozessen und Voraussetzungen des Medialen steht, ist der Fokus auf die Verkehrung der Verhältnisse von belebt und unbelebt bedeutsam.

III. Elfriede Jelineks Theatertexte der frühen und mittleren Werkphase

1. Z UM U NHEIMLICHEN IM T HEATER : M EDIALE V ORAUSSETZUNGEN DER THEATRALEN F ORM Nachdem im zweiten Teil der Arbeit der philosophisch-psychoanalytische Diskurs zum Unheimlichen vorgestellt wurde, soll im folgenden dritten Teil das Unheimliche im Theater und im Speziellen in Elfriede Jelineks Theaterkonzeption eingehend untersucht werden. Das Unheimliche hat auf vielfache Weise seinen Platz in der Geschichte des Theaters eingenommen. Schon seinen kultischen, prädramatischen Wurzeln gemäß gilt das Theater als ein Ort der Vergegenwärtigung der Toten.1 Von Klytaimnestras Schatten in den Eumeniden des Aischylos über das Vatergespenst in Shakespeares Hamlet bis zu den Geistern der Toten im barocken Trauerspiel gehören Untote zu den klassischen Sujets im Theater.2 In seiner Inklination zum Untoten-Motiv artikuliert sich darüber hinaus ein Strukturmerkmal des Theaters, das sich mit dem Begriff des Unheimlichen fassen lässt: Gemeint ist das Spannungsverhältnis von Belebtheit und Unbelebtheit, das im Theater durch das Verhältnis zwischen Schauspieler und Rolle besteht. Denn szenisch lässt sich das Theater als Schau- und Hörplatz des lebendigen Körpers im Raum bestimmen, der den Abwesenden Präsenz verleiht. Der Schauspieler ist dabei das primäre Medium im Theater; so wird die Grenze zwischen dem lebendigen Schauspieler und der abstrakten, unbelebten Figur bei näherer Betrachtung am Körper des Schauspielers artikuliert. Der Körper zeichnet sich gemeinhin in seiner ambivalenten Verortung als sowohl innerlich wie äußerlich aus, indem er sowohl ‚Ich‘ als auch Ding der Außenwelt ist. Er ist die Nahtstelle zwischen der Welt der Dinge und der Subjekte, da er 1 2

Annuß 1999, S. 46. Vgl. Egon Treppmann: Besuche aus dem Jenseits. Geistererscheinungen auf dem deutschen Theater im Barock, Konstanz 1999.

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Sehender und Gesehener zugleich ist.3 Auf der Bühne wird diese dem Körper per se schon innewohnende Ambivalenz durch das Verhältnis zwischen Darsteller und Zuschauer noch verstärkt. Im theatralen Raum sind zum einen die Dinge (durch ihre Semantisierung) auf rätselhafte Weise nicht einfach tot, zum anderen wird der lebendige Schauspielerkörper vergegenständlicht, zum Ding gemacht.4 So kann ein Stuhl auf der Bühne als Symbol für eine rettende Insel im Meer fungieren und der Schauspieler gibt sich in all seiner Körperlichkeit hin, um seine Rolle zu verkörpern. Schon Hegel bezeichnet die paradoxe Aufgabe des Schauspielers in diesem Sinn als „beseeltes Skulpturbild“,5 da er erst selbst unbelebt werden müsse, um dann vom Text (re-)animiert werden zu können. Während im barocken Theater die Körper der Schauspieler auch von den heftigsten sprachlichen Affekten unberührt blieben, entwickelte sich im 18. Jahrhundert aus der Verschränkung von Rhetorik und Physiognomik eine „psychophysiologische Schauspielkunst“,6 die auf eine personale Identität der Rollen abzielte. So stellt das Theater einen illusorischen Zusammenhang zwischen dem körperlichen Außen des Schauspielers und der Figurenrede als seinem verlautbarten Inneren her.7 Die explizite Verkündung der Rede von Toten im antiken Theater ist letztlich aufgrund ihrer klaren Verhältnismäßigkeit nicht als unheimlich zu bezeichnen. Auch im bürgerlichen Repräsentationstheater tritt das Unheimliche solange nicht auf den Plan, wie die Illusion der Identität von Figur und Schauspieler aufrechterhalten bleibt. Das Medium macht sich hier erfolgreich vergessen.8 Erst in dem Moment, in dem dies Vergessen-Machen sabotiert wird, und die Medialität wie in der Antike als eine ehemals bekannte Gewissheit des Zuschauers oder wie im illusionistischen Repräsentationstheater einem Verdrängungsprozess anheimfällt und heute als entfremdete wieder an die Oberfläche des Bewusstseins geholt wird, erst in diesem Moment wird das Verhältnis der Medialität zur Realität ein unheimliches. Insofern liegt die Vermutung nahe, dass das Unheimliche des Gegenwartstheaters mit seinen Verfahren verknüpft ist, auf den unterschiedlichsten Ebenen seine Medi3 4 5

6 7 8

Vgl. Gerald Siegmund: Theater als Gedächtnis: Semiotische und psychoanalytische Untersuchungen zur Funktion des Dramas, Tübingen 1996, S. 102. Vgl. Lehmann 2005, S. 382. Vgl. Claus Pias: Die Welt als Wille und Wechselstrom, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.12.2000. [http://www.uni-essen.de/~bj0063/texte/duchenne.html, letzter Zugriff: 19.05.2017]. Vgl. Pias 2000, und Erika Fischer-Lichte/Doris Kolesch/Matthias Warstat (Hg.): Metzler Lexikon. Theatertheorie, Stuttgart 2005, S. 79. Vgl. Annuß 2005, S. 26. Dieter Mersch weist nachdrücklich darauf hin, dass sich das Medium für den störungsfreien Vollzug verbergen muss. Vgl. Dieter Mersch: Wort, Bild, Ton, Zahl. Eine Einleitung in die Medienphilosophie, in: Theresa Georgen (Hg.): Kunst und Medium, Gestalt und Diskurs, Kiel 2002, S. 131-254, hier 132 ff.

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alität zu exponieren und dem Rezipienten bewusst zu machen. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass der selbstreflexive Gestus des Theaters auf seine Medialität hin nur dann unheimlich wird, wenn sich Prozesse an der theatralen Struktur ablesen lassen, die sich auf die außertheatrale Realität beziehen. In anderen Worten: Medialität und deren Verschleierung scheinen im aktuellen Theater ein relevantes Thema darzustellen. Die Verwirrung der Belebtheitsverhältnisse, die darin stattfindet, verbindet Medialität mit dem Unheimlichen. Den Übergang vom Drama zum ‚Postdrama‘ beschreibt Erika Fischer-Lichte anhand des sich wandelnden Subjektbegriffs. Das moderne Drama nach Peter Szondi gehe von einem neuzeitlichen zu sich selbst kommenden Subjekt in neo-hegelscher Manier aus. Mit dem Ende des 19. Jahrhunderts sehe sich das Theater laut Fischer-Lichte jedoch mit dem Dilemma konfrontiert, dass die Voraussetzungen für die Autonomie des Subjekts aus philosophischer, soziologischer und psychologischer Sicht fraglich geworden sind.9 Als Reaktion auf diese Verunsicherung gegenüber der zentralen Stellung des Subjekts entstanden um 1900 etliche Theaterkonzeptionen, die das Bühnengeschehen nicht mehr als realistisches Abbild verstanden und sich unter dem Begriff der historischen Avantgarde subsumieren lassen.10 Den Grundstein für diese das 20. Jahrhundert hindurch wirkenden Bewegung legten Adolphe Appia, Edward Gordon Craig und Georg Fuchs.11 Während schon Appia einen höchstmöglichen Grad von Entpersönlichung forderte, entwarf Craig eine „Utopie der Über-Marionette“.12 In seinem Aufsatz Der Schauspieler und die ÜberMarionette (1908)13 thematisiert er den Aspekt des Unbelebten auf der Bühne: Der schauspieler muss das theater räumen, und seinen platz wird die unbelebte figur einnehmen – wir nennen sie die über-marionette, bis sie sich selbst einen besseren namen erworben hat. […] die über-marionette wird nicht mit dem leben wetteifern, sie wird über das leben 9 Vgl. Fischer-Lichte 2005, S. 77. 10 Für einen ersten Überblick der Theaterreform um 1900 vgl. Peter Simhandl: Theatergeschichte in einem Band, Berlin 2001, hier S. 356. Zum Begriff der Avantgarde im Allgemeinen vgl. Erika Fischer-Lichte/Klaus Schwind (Hg.): Avantgarde und Postmoderne. Prozesse struktureller und funktioneller Veränderungen, Tübingen 1991; zu einzelnen Stücken, unter anderem auch Jelineks Stecken, Stab und Stangl vgl. Kurt Bartsch (Hg.): Avantgarde und Traditionalismus. Kein Widerspruch in der Postmoderne?, Innsbruck 2000. 11 Simhandl 2001, S. 356. 12 Craigs Aufsatz Der Schauspieler und die Über-Marionette lässt sich mit einem einleitenden Text von Jens Roselt zum Tod des Schauspielers in dem Band Seelen mit Methode nachlesen. Vgl. Jens Roselt (Hg.): Seelen mit Methode. Schauspieltheorien vom Barock bis zum postdramatischen Theater, Berlin 2005, S. 252-273. 13 Edward Gordon Craig: Der Schauspieler und die Über-Marionette (1908). In: Manfred Brauneck (Hg.): Theater im 20. Jahrhundert. Programmschriften, Stilperioden, Reformmodelle, Hamburg 1993, S. 55-60.

104 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN hinausgehen. Ihr vorbild wird nicht der mensch aus fleisch und blut, sondern der körper in trance sein; sie wird sich in eine schönheit hüllen, die dem tode ähnlich ist, und doch lebendigen geist ausstrahlen.

14

Craigs Polemisierung gegen den Schauspieler greift Jelineks Forderung von der ‚Abschaffung‘ des Schauspielers vor; im Gegensatz zu Jelinek jedoch setzt er dem Schauspieler das utopische Moment der Über-Marionette als „abbild eines gottes“ entgegen.15 Als „dem tode ähnlich“ und doch einen „lebendigen geist“ ausstrahlend, entspricht Craigs Vorstellung von der Arbeit des Schauspielers auf der Bühne der ambivalenten Bewegung des Unheimlichen.16 Neben Craigs Entwurf der Über-Marionette stehen die theaterästhetischen Überlegungen Ödön von Horváths und Berthold Brechts in enger Verbindung zum Unheimlichen. Horváth ist der einzige, der das Unheimliche explizit für das Theater einfordert. Im 6. Punkt seiner Gebrauchsanweisung heißt es: „Das Unheimliche muss da sein.“17 In Horváths Theater zeigt sich die Dimension des Unheimlichen in der Verbindung von Eros und Thanatos, indem sich das Bedrohliche des Heimlichen bedient. Dies sei in der Liebesbeziehung als heimlichste aller Beziehungen zu verorten.18 Dabei artikuliere sich das Unheimliche in der Demaskierung, die Horváth wiederum als höchstes Ziel des Theaters formuliert.19 Als Entlarvung eines ständigen Maskenspiels – und eben nicht als einmaliges Herunterreißen der Maske – schreibe sich die Demaskierung als Dynamik von Verschiebung und Verstellung in den Text ein.20 Ingrid Haag verdeutlicht dieses Verfahren von Horváth an der Figur Oskars aus dem Volksstück Geschichten aus dem Wiener Wald,21 dessen 14 Ebd., S. 59f. 15 Ebd., S. 59. 16 Die Beziehung von Marionette und Schauspieler thematisierte schon Kleist in seinem Aufsatz Über das Marionettentheater. Darin diskutiert er die Überlegenheit der leblosen Marionette in ihrer vollendeten Grazie gegenüber dem Schauspieler als Mensch aus Fleisch und Blut. Vgl. Heinrich von Kleist: Über das Marionettentheater, in: ders: Sämtliche Werke und Briefe, hrsg. von Helmut Sembdner, München 1970. Zum Zusammenhang von Kleists Aufsatz und dem Unheimlichen vgl. Margret Schaefer: Kleists ‚Über das Marionettentheater‘ und der Narzißmus des Künstlers, in: Claire Kahane (Hg.): Psychoanalyse und das Unheimliche. Essays aus der amerikanischen Literaturkritik, Bonn 1981, S. 265-292. 17 Ödön von Horváth: Gebrauchsanweisung, in: Krischke, Traugott (Hg.): Materialien zu Ödön von Horváth, Frankfurt/Main 1970, S. 51-56, hier S. 55. 18 Vgl. Ingrid Haag: Horváth und Freud. Vom ‚Unbehagen in der Kultur‘ zur Dramaturgie des Unheimlichen, in: Traugott Krischke (Hg.): Horváths Stücke, Frankfurt/Main 1988, S. 6683, hier S. 67. 19 Vgl. Horváth 1970, S. 52. 20 Vgl. Haag 1988, S. 67. 21 Vgl. Ödön von Horváth: Geschichten aus dem Wiener Wald, Frankfurt/Main 1977.

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„wahres Gesicht“ nicht eindeutig zu benennen sei. Als dynamisches Prinzip permanenter Verstellung konstituiere sich die Figur laut Haag als mobile Konstellation mit den Prinzipien der Verdrängung und der Wiederkehr des Verdrängten immer wieder neu. So stellt sich heraus, dass der Text im Theater Horváths nur Masken zeigen kann, da es darüber hinaus nichts zu sehen gibt.22 Wie Horváth bricht auch das epische Theater Brechts mit der Vorstellung von der natürlichen Geste und setzt der gestalthaften Verkörperung der Bühnenperson deren maskenhafte Belebung im gestischen Zitat entgegen. Evelyn Annuß betont Jelineks Nähe zu Brechts Theaterästhetik der Verfremdung im exponierten Zitatcharakter des szenischen Sprechens. Im Kontext der Prosopopoiia beschreibt sie Brechts Figur als „nachlebende Fiktion“, die im Gegensatz zur „verlebendigten persona“ des dramatischen Theaters stehe.23 Der Verfremdungseffekt, als unerlässlicher Bestandteil des epischen Theaters, sieht die Exponierung des Darstellens vor, indem die Figuren sich selbst vorstellen oder selbstreflexiv von sich in der dritten Person sprechen.24 So formuliert Brecht die Anforderung an den Schauspieler: „Er hat seine Figur lediglich zu zeigen oder, besser gesagt, nicht nur lediglich zu erleben.“25 Im postdramatischen Theater wird die Frage nach der Medialität im Horizont der Wechselwirkung von menschlichem Körper und Objektwelt – mit Emphase auf der Verwandtschaft von Puppe, Marionette und Leib – neubelebt und radikalisiert. An diesem Punkt setzt Lehmann den Begriff des Unheimlichen für das postdramatische Theater an: Die Kategorie des Unheimlichen, die sich seit Freud vor allem auf diese Problematik der Grenzverwischung zwischen Belebtem und Unbelebtem bezieht, könnte dazu beitragen, das postdramatische Theater, zumal sein Spiel von Medienkörper und realem Körper, in diesem Lichte zu beschreiben: Was ist mein Ich, wenn es in sich selbst das Fremde, das Andere, das Objekt, von dem es sich kategorial trennen will, schon vorfindet? Dieses Ich scheint dann ver-rückt, seine Rationalität steht auf dem Spiel.

26

22 Haag 1988, S. 79f. 23 Annuß 2005, S. 46f. 24 Vgl. Bertolt Brecht: Zur Theorie des Lehrstücks, in: Manfred Brauneck (Hg.): Theater im 20. Jahrhundert. Programmschriften, Stilperioden, Reformmodelle, Hamburg 1993, S. 275f., hier S. 276. 25 Bertolt Brecht: Kleines Organon für das Theater, in: Sinn und Form, Sonderheft: Bert Brecht, Potsdam 1949, S. 17. Zitiert nach Peter Szondi: Theorie des modernen Dramas (1880-1950), Frankfurt/Main 1965, S. 119. 26 Lehmann 2005, S. 385.

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Es fällt auf, dass Lehmann das Unheimliche nach Freud unter anderem auf die „Grenzverwischung zwischen Belebtem und Unbelebtem“ bezieht, obgleich diese These von Jentsch stammt und Freud sich ausdrücklich dagegen ausspricht. Ohne Lehmann eine ungenaue Lektüre unterstellen zu wollen, sehe ich darin eine Bekräftigung für den der vorliegenden Studie zugrunde gelegten Ansatz, das Unheimliche in seinem Spannungsverhältnis von Belebtheit und Unbelebtheit zu untersuchen, da sich dieser Aspekt offenbar durchgesetzt hat. So verortet Lehmann die Relevanz der Frage nach den Belebtheitsverhältnissen in der Postmoderne und den damit veränderten Bedingungen des Subjekts. Das postdramatische Theater trägt in seiner Radikalisierung der avantgardistischen Ästhetik27 dem Wandel des Weltbezugs Rechnung, der sich vom Zweifel an der objektiven Beschreibbarkeit der Wirklichkeit bis hin zum Wirklichkeitsverlust im Medienzeitalter erstreckt.28 In diesem Wirklichkeitsverlust liegt die gemeinsame Bestimmung des Präfixes von Postmoderne und Postdrama im Unheimlichen. Ein Theater der Demaskierung, das kein Echtes mehr hinter der Maske zum Vorschein bringen kann, ist im Kontext von Baudrillards oben erläutertem Begriff der simulierten Gesellschaft zu verstehen. Im Angriff auf die dreistellige Verkörperung im Raum verunmöglicht die simulierte Subjektivität wiederum das Illusionstheater der Repräsentation.29 Seitdem das Prinzip der Wirklichkeitserzeugung sein adäquates Medium in Kino und Fernsehen gefunden hat, scheint es zumindest für einen Teil des Theaters nicht mehr zu funktionieren. Jelineks Theaterproduktion ist in diesem Kontext zu verorten. Ihre Texte arbeiten an der Liquidierung der repräsentierenden Funktion von geschlossener Figur und rationaler Sprache. Durch seine These von der Neustrukturierung des menschlichen Körpers zur Objektwelt macht Lehmann die Grenzüberschreitung zwischen Belebtem und Unbelebtem für das postdramatische Theater fruchtbar und verortet es im Unheimlichen. Während im dramatischen Theater die Verstrickung des Körpers in die Dingwelt unterdrückt blieb, tritt diese nun offen zutage. Durch diese Wiederbelebung der fremd gewordenen Erfahrung der Dinghaftigkeit im menschlichen Körper gewinnt das postdramatische Theater ein neues Spielfeld im Bereich der Maschinen. Lehmann verweist sowohl auf Tadeusz Kantors „skurrile[] Liebes- und Todesma-

27 Es zielt wohl in dieselbe Richtung, wenn Fischer-Lichte das postdramatische Theater als Radikalisierung von Szondis Perspektive der ‚Krise des modernen Dramas‘ beschreibt, während Poschmann von einer Neubelebung der avantgardistischen Ästhetik durch das postmoderne Theater spricht. Fischer-Lichte 2005, S. 79 und Poschmann 1997, S. 32. 28 Zum Zusammenhang des ästhetischen Paradigmenwechsels der Moderne als Krise der Repräsentation vgl. Poschmann 1997, S. 22-27. 29 Vgl. dazu: David Barnett/Moray McGowan u.a. (Hg.): Das Analoge sträubt sich gegen das Digitale?! Materialitäten des Deutschen Theaters in einer Welt des Virtuellen, Theater der Zeit: Recherchen 37, Berlin 2006.

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schinen“, wie auch auf das High Tech Theatre oder die großformatigen Veranstaltungen mit Maschinen statt menschlichen Akteuren im Bereich des Objekttheaters.30 Subtilere Formen der Verquickung von Mensch und Maschine äußern sich in Robert Wilsons Theater, das laut Heiner Müller die Einheit von Mensch und Maschine als nächsten Schritt der Evolution antizipiere.31 Obwohl die Identifizierung des Menschen mit einer Maschine keine Idee der Postmoderne darstellt, haben sich ihre Bedingungen in der Gegenwart verändert. Lehmann erklärt diesen Wandel: Es will tatsächlich scheinen, daß die immer raschere Technologisierung und mit ihr die tendenzielle Verwandlung des Körpers aus einem ‚Schicksal‘ in ein steuerbares und wählbares Gerät, einen programmierbaren Techno-Körper, eine anthropologische Mutation anzeigt, deren erste Erschütterungen genauer in den Künsten als in den rasch veraltenden juridischen und politischen Diskursen registriert werden.

32

In einer Podiumsdiskussion zur Uraufführung von Jelineks Krankheit oder Moderne Frauen bezeichnet Heiner Müller das Sprechen von Jelineks Figuren als „eine Sprache von Figuren, die an eine Maschine angeschlossen sind“.33 An dieser Aussage ist die Nähe zwischen Heiner Müller und Elfriede Jelinek abzulesen, da sie beide das Untoten-Motiv mit der Wiederentdeckung des Körpers im Theater verknüpfen.34 Wie zu zeigen sein wird, übertrifft Jelineks Theater jedoch dasjenige von Heiner Müller an Radikalität, indem sie die Dekonstruktion des Körpers und der Sprache, als elementare Bestandteile des Theaters, auf allen Ebenen vorantreibt. In Bezug auf das postdramatische Theater lässt sich zusammenfassen, dass es insofern mit dem Unheimlichen im Zusammenhang steht als es auf den Prozess des Leben-Nehmens und des Leben-Gebens in der Repräsentationsfunktion hinweist. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Medialität, dem Spannungsverhältnis zwischen Schauspieler und Figur, wenn die postdramatischen Theaterformen die

30 Vgl. ebd., S. 386. 31 Vgl. Frank Hörnigk (Hg.): Heiner Müller Material. Texte und Kommentare, Göttingen 1989, S. 50. Zitiert nach Lehmann 2005, S. 386. 32 Ebd. 33 Heiner Müller: Widerstand gegen das ‚Genau-wie-Otto-Theater‘, Schauspiel Bonn 3, S. 36. Zitiert nach Annuß 2005, S. 27. 34 Vgl. Annuß 1999, S. 47. Oliver Claes wirft den Begriff eines ‚postmortalen Theaters‘ für die Umschreibung von Jelineks Stück Krankheit oder Moderne Frauen (KM) auf, da das Vampirmotiv die Lebenskraft auf der Bühne unterwandert. Er verweist ebenfalls auf Heiner Müller und seine ‚Universität der Toten‘ in Hamletmaschine. Vgl. Oliver Claes: Fremde. Vampire: Sexualität, Tod und Kunst bei Elfriede Jelinek und Adolf Muschg, Bielefeld 1994, S. 64.

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Wechselwirkung zwischen Dingwelt und menschlichem Körper neu zu beleben und zu radikalisieren suchen.

2. E LFRIEDE J ELINEKS T HEATERÄSTHETIK ZWISCHEN ‚ NICHT MEHR DRAMATISCHEM T HEATERTEXT ‘ UND POSTDRAMATISCHEM T HEATER Ob Elfriedelineks Theatertexte dem postdramatischen Theater zuzuordnen sind, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Schon der Terminus des Postdramatischen, der seit Hans-Thies Lehmanns Studie35 zur Bezeichnung einer Reihe von neuen Theatertendenzen in den 1980/1990er Jahren insbesondere als Schlagwort populär geworden ist, wird durchaus kritisch reflektiert.36 Ein Umstand, der Jelineks Arbeit in die Nähe des Postdramatischen rückt,37 ist die radikale Abkehr von der Tradition des Dramas, die Wirklichkeit auf der Bühne mimetisch darstellen zu wollen. Jedoch ist dieser Gestus bereits den Theaterreformen der historischen Avantgarde seit 1900 inhärent. Einer der Gründe, weshalb Jelineks Theaterwerk kaum Erwähnung in Lehmanns Studie findet, liegt sicherlich darin begründet, dass sich dieser darin explizit auf „die Mittel des Theaters konzentriert, auf die Aspekte der Inszenierung“, wie er im Vorwort zur dritten Auflage des Bandes betont und hinzufügt: „Der Vielfalt neuer Schreibweisen kann oder soll sie in keiner Weise gerecht werden.“38 Trotzdem bleibt die Ausklammerung einer auch die Inszenierungspraxis seit den 1980er, spätestens 1990er Jahren, prägenden Autorin ein eklatantes Versäumnis. Denn selbstverständlich findet im Theaterprozess eine wechselseitige Einflussnahme von Text und Inszenierung statt, wie Franziska Schößler festhält: Die komplexe Sprachbehandlung, die Simultaneität von Informationen und ihre widersprüchliche Organisation, die Fragmentierung von kohärenzbildenden Makrostrukturen, Sprachskepsis, die Desemantisierung und Rhythmisierung der Sprache, die Trennung von Körper und Rede – diese Merkmale einer postdramatischen Inszenierungspraxis prägen vielfach auch

35 Ich beziehe mich hier stets auf die dritte Auflage aus dem Jahr 2005. Vgl. Hans-Thies Lehmann: Postdramatisches Theater, Frankfurt/Main 2005. 36 Vgl. hierzu insbesondere Bernd Stegemann: Kritik des Theaters, Berlin 2013. 37 Vgl. hierzu Gabriele Dürbeck: Ideologiekritik im postdramatischen Theater: Thirza Brunckens Uraufführung von Elfriede Jelineks Stecken, Stab und Stangl, in: Gegenwartsliteratur. Ein germanistisches Jahrbuch, Schwerpunkt Elfriede Jelinek, hrsg. von Paul Michael Lützeler, 5 (2006), S. 102-121, hier S. 104. 38 Lehmann 2005.

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die Theatertexte der 90er Jahre, und zwar meist auch diejenigen, die sich einem sozialen An39

liegen verschrieben haben.

Jelineks Texte arbeiten gegen Individualitätskonzepte an, indem sie im Jenseits von „Handlungsverläufen oder Charakterentwicklungen konsistenter Figuren“40 agieren. Sie verunmöglichen also eine dramatische Inszenierung im traditionellen Sinne. In ihrer spezifischen Form von Intertextualität, die nicht so sehr Montagecharakter besitzt,41 sondern vielmehr Prätexte nutzt, um diese zu verfremden und neu zu kontextualisieren, radikalisiert Jelinek Derridas Begriff der Dekonstruktion, weshalb ihre Theaterarbeit häufig auch als dekonstruktives Theater bezeichnet wird.42 Ohne Zweifel sind Jelineks Texte über ihre poststrukturalistische Sprachauffassung wie auch ihren radikal dezentrierten Subjektbegriff im postmodernen Denken beheimatet.43 Vielleicht gilt Peter Engelmanns Einschätzung zum Begriff der Postmoderne auch für das Postdramatische, dass seine Bedeutung weniger darin liege, „daß er eine konkrete Alternative darstellt, bedeutend ist eher die erreichte Signalwirkung.“44 Die schon in Peter Szondis Theorie des modernen Dramas45 angelegte Krise des Dramas ist in dem Begriff des Postdramatischen expliziert und verortet

39 Franziska Schößler: Augen-Blicke. Erinnerung, Zeit und Geschichte in Dramen der neunziger Jahre, Tübingen 2004, S. 21. 40 Bloch 2011, S. 213. 41 Gegen den Montagecharakter ihrer Texte spricht Jelinek sich in folgendem Interview aus: Vgl. Lea Müller-Dannhausen: Zwischen Pop und Politik. Elfriede Jelineks intertextuelle Poetik in „wir sind lockvögel baby!“. Berlin 2011 (= Literaturwissenschaft 24) 42 Vgl. Michael Wetzel: Was ist Prosopopoiia? Rez. zu: Evelyn Annuß: Elfriede Jelinek – Theater des Nachlebens, in: Zeitschrift für deutsche Philologie, Nr. 125 (2006), H. 2, S. 309ff. Birgit Brüster geht in ihrer Studie Das Finale der Agonie auf die Dekonstruktion von Jelineks Theater im Dienste der Figurenauflösung und der Dekonstruktion sprachlicher Diskurse ein. Laut Brüster stelle die Dekonstruktion seit Krankheit oder Moderne Frauen einen wichtigen Bestandteil von Jelineks Theatertexten dar. In den Sprachflächen Jelineks sieht sie einen Höhepunkt erreicht und hält eine „Entwicklung nach diesem Grad der Dekonstruktion“ für schwer vorstellbar. Vgl. Birgit Brüster: Das Finale der Agonie: Funktionen des „Metadramas“ im deutschsprachigen Drama der 80er Jahre, Frankfurt/Main u.a. 1993, S. 168. Bärbel Lücke erarbeitet in zahlreichen Einzelanalysen sehr detailreich den dekonstruktiven Charakter von Jelineks Sprache. 43 Doris Kolesch betont Jelineks Status als postdramatische Autorin, da ihre Texte „zum herausragenden Repertoire der deutschsprachigen Postmoderne“ zählen. Vgl. Kolesch 1999, S. 61. 44 Engelmann 1990, S. 7. 45 Szondi 1965.

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sich in seiner Begrifflichkeit in dem ebenfalls schwer zu fassenden Begriff der Postmoderne.46 Diese ungenaue Bestimmung des Postdramatischen hat Kritik nach sich gezogen. So bemängelt Benno Wirz Lehmanns Entwurf aufgrund seiner Negativität, da das einzige gemeinsame Bestimmungsmoment in der Abhebung vom dramatischen Theater liege,47 was er wiederum als Aufführung eines Textes zuspitzt.48 Tatsächlich stellt sich die Frage, inwieweit die Klassifizierung in Dramen und Postdramen analytische Erkenntnisse hervorbringen kann.49 Nach Wirz entpuppt sich Lehmanns Lektüre selbst als eine „unheimliche Position“, da sie sich in einer Vielzahl von Phänomenen und Erfahrungen ergehe, die Lehmann beschreibe; sobald es aber darum gehe, Postdramatisches als ein neues Theater zu fassen, es zu fixieren und auf den Punkt zu bringen, entziehe es sich dem Zugriff.50 Auch unter Berücksichtigung von Lehmanns oben ausgeführten Darlegungen zum Unheimlichen im Erhabenen stellt sich hier jedoch die Frage, ob die fehlende Möglichkeit der Vereinheitlichung und Fixierung nicht ein Wesensmerkmal der Phänomene des gegenwärtigen postdramatischen Theaters darstellt. Auch wenn Jelineks Texte in vielerlei Hinsicht postdramatische Tendenzen aufweisen – hier steht sicherlich die Ersetzung der Figur durch die typisch Jelinekschen Textflächen im Vordergrund – sperrt sich ihr exzessiver Sprachgebrauch einerseits und ihr steter Bezug auf gesellschaftspolitische Realitäten und Diskurse andererseits gegen Lehmanns Prägung des Postdramatischen. Ingo Breuer rückt Jelineks Ästhetik – trotz Autonomie der verschiedenen theatralen Ebenen in postdramatischer Manier – in die Nähe des politischen und künstlerischen Avantgardekonzepts.51 Den Schwerpunkt seiner Argumentation bildet dabei die „anachronistische Dominanz“ des Textes gegenüber den anderen theatralen Ebenen.52 Auch wenn Breuer Jelineks Theatertexten einen „anti-theatralischen Impetus“ beimisst, so blie46 Poschmann weist darauf hin, dass seit der „Krise des Dramas […] eine Vielfalt unterschiedlicher Textformen nebeneinander [besteht], deren Bezeichnung als Dramen Gemeinsamkeit suggeriert“, die faktisch nicht auszumachen ist. Vgl. Poschmann 1997, S. 4. 47 Vgl. Benno Wirz: Das Problem des postdramatischen Theaters, in: Forum Modernes Theater, Bd. 20 (2005), H. 2, S. 117-132, S. 122. 48 Vgl. ebd., S. 119. 49 Gerda Poschmann bezeichnet Lehmanns Begriff des Postdramatischen Theaters als eine Hilfskonstruktion und versucht die Phänomene des gegenwärtigen Theaters positiv zu bezeichnen. Vgl. Poschmann 1997, S. 5. 50 Vgl. Wirz 2005, S. 125. 51 Vgl. Ingo Breuer: Zwischen ‚posttheatraler Dramatik‘ und ‚postdramatischem Theater‘. Elfriede Jelineks Stücke der neunziger Jahre, in: Trans.Internet – Zeitschrift für Kulturwissenschaften, 9 (2001). [http://www.inst.at/trans/9Nr/breuer9.htm, letzter Zugriff: 19.05.2017] 52 Ebd., S. 8.

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ben sie seiner Ansicht nach doch einer Diskursivität verhaftet, indem der Schauspieler „zur Sprechmaschine und zum Sprachrohr von Diskursen“53 werde. Mit ihrem Fokus auf Sprache und Text stellt Jelinek keine Ausnahme im Theater der 1980/1990er Jahre dar. Parallel zu postdramatischen Theaterformen, die sich explizit von textlichen Grundlagen abwenden, stellt Schößler für die 1990er Jahre eine neuerliche Hinwendung zum Erzählen fest. Hierbei gehe es jedoch mitnichten um die Rückkehr der Fabel, „sondern um ein Erzählen, das seine eigene Kontingenz ausstellt, sich unterbricht, sich nicht innerhalb eines übergreifenden historiographischen oder biographischen Zusammenhangs situiert.“54 In Anbetracht der wiedergewonnenen Bedeutung des Textes im Theater fordert Gerda Poschmann eine neue Definition der Sprache im Theater jenseits des Dramas.55 Poschmann nennt als Resultate der Emanzipation des Theaters vom Text einerseits das Regietheater – bis hin zum Theater gegen den Text in der Klassikerzertrümmerung – und andererseits das postdramatische Theater ohne Text. Dabei gliedert sie Jelinek durchaus in diese Tradition ein, da sie schon in ihren Texten Regisseurin sei, z.B. im Kontext der Klassikerdekonstruktion, die in ihrer spezifischen Form der Intertextualität bereits innerhalb des Textes vorgenommen werde.56 So lässt sich auch Heiner Müllers Prognose, „daß die Zeit des Textes im Theater erst kommen wird“57, verstehen. Die Sprache, auf die Müller hier rekurriert, ist jenseits ihrer repräsentationalen Funktion aufzufassen. Poschmann zeigt den möglichen Weg einer postdramatischen Sprache auf: Das Theater der Postmoderne belebt avantgardistische Ästhetik neu und akzentuiert sie um: Experimente mit der Desemantisierung (Abstraktion) der Verbalsprache, mit der Dekonstruktion des sprachlichen Zeichensystems und der Nutzung vorwiegend lautlicher Qualitäten 58

– Klang und Rhythmus – der Signifikanten werden im zeitgenössischen Theater fortgeführt.

53 Ebd. 54 Schößler 2004, S.20. 55 Entgegen Poschmanns These einer Aufwertung des Textes verortet Lehmann den „doppelten Distanzierungsschub“ des Theaters von der politischen Aussage im Speziellen und der dramatischen Literatur im Allgemeinen in den Jahren um 1980. Vgl. Poschmann 1997, S. 37 und Lehmann 2005, S. 291. 56 Vgl. Poschmann 1997, S. 20. Als Weiterentwicklung ist hier Jelineks in den letzten Jahren innovativ entwickelte Form des „Sekundärdramas“ und „Parasitärdramas“ zu nennen. Vgl. hierzu ihre theaterästhetischen Essays Elfriede Jelinek: Anmerkungen zum Sekundärdrama, http://www.elfriedejelinek.com/fsekundaer.htm, letzter Zugriff 19.05.2017; Elfriede Jelinek: Das Parasitärdrama, http://www.elfriedejelinek.com/fparasitaer.htm, letzter Zugriff 19.05.2017. 57 Ebd., S. 37. 58 Ebd., S. 32.

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So unterstreicht Poschmann die Möglichkeit des schriftlichen Textes, die für das zeitgenössische Theater spezifische Theatralität zu konstituieren, „indem die Texte selbst postdramatisch werden. So wird der Status des Textes im Theater verteidigt, indem er neu definiert wird: jenseits des Dramas.“59 Auch wenn Poschmanns Formulierung vom ‚nicht mehr dramatischen Theatertext‘ etwas umständlich ist, trifft sie die Spezifik aktueller Theatertexte, und ganz sicher die Texte von Elfriede Jelinek, besser als Lehmanns griffige Formel des postdramatischen Theaters. Die für Jelinek charakteristische Abschaffung der Figur - Andreas Blödorn fasst ihre neuartige Theatralität mit den Schlagworten „Handlungslosigkeit, entindividualisierte Schwundfiguren (Sprachflächen) und monologische Gestaltung“60 zusammen – ist dabei formal durchaus nicht als lineare Entwicklung in ihrem Schaffen zu beschreiben. Zunächst erweckt es zwar diesen Eindruck. Während in ihrem frühen, nahezu programmatischen Stück Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften61 (UA 1979) zwar die Zitathaftigkeit der Rede bereits im Titel deutlich wird, die unterschiedlichen Zitatebenen jedoch jeweils an eine Figur gebunden bleiben, werden in den folgenden Stücken Texteinheiten miteinander kombiniert, die auf verschiedene Zitatebenen verweisen.62 So unterwandert die für Jelinek typische intertextuelle Verweisstruktur in Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften zwar die illusionistische Repräsentationsfunktion, die Figuren ‚schrumpfen‘ zum Zitat, verbleiben inhaltlich jedoch innerhalb eines Sinnzusammenhangs. Die Figur Nora ist das gesamte Stück über Nora, wenn auch als Zitat „aus dem gleichnamigen Stück von Ibsen“,63 wie sie selbst zu Anfang betont. In Krankheit oder Moderne Frauen. Wie ein Stück (UA 1987) radikalisiert Jelinek ihre Abkehr vom Repräsentationstheater und setzt teils sehr inkohärente Textblöcke ohne jede Figurenbindung gegeneinander. So markiert Krankheit oder Moderne Frauen, trotz figuralem Aufbau und dialogischer Form, Jelineks Abwendung von der Bindung eines Inhalts an die Figur. In Wolken.Heim. (UA 1988) schließlich verzichtet sie auf jegliche Form der Narration und Figuration und realisiert so ein

59 Ebd., S. 36. 60 Andreas Blödorn: Paradoxie und Performanz in Elfriede Jelineks postdramatischen Texten, in: Text und Kontext (2005), S. 209-234, hier S. 213. 61 Elfriede Jelinek: Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften, in: dies.: Theaterstücke, hrsg. von Ute Nyssen, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 7-78. 62 Benedikt Descourvières: Elfriede Jelineks Theatertexte – eine ‚Schneise der Ordnung im Chaos des Schreckens‘, in: Benedikt Descourvières/Peter W. Marx u.a. (Hg.): Mein Drama findet nicht mehr statt. Deutschsprachige Theater-Texte im 20. Jahrhundert, Frankfurt/Main 2006, S. 259-276, hier S. 260. 63 Jelinek: Nora 1992, S. 9.

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polyphones Wir, in dem verschiedenste Sprachebenen regellos miteinander verbunden werden. Für Präsident Abendwind. Ein Dramolett, sehr frei nach J. Nestroy 64 (UA 1992) und Raststätte oder Sie machens alle. Eine Komödie 65 (UA 1994) kehrt Jelinek jedoch formal zur dramatisch-dialogischen Form zurück, um zwei Jahre später mit Stecken, Stab und Stangl. Eine Handarbeit (UA 1996) und Ein Sportstück (UA 1998) wieder zwei Stücke in Textblockform zu präsentieren. Auch wenn den Texten Sprecherangaben vorangestellt sind, wie beispielsweise bei den drei Monologen Babels, die mit Irm sagt, Margit sagt und Peter sagt überschrieben sind, so sind diese mitnichten Ausdruck figuraler Rede. Die jeweiligen SprecherInnen sind Prototypen, „stehen für viele andere“, wie es in Der Tod und das Mädchen heißt66 oder stellen derart typisierte Klischeefiguren („Der Jäger“, „Prinzessin“, „Zwerg“, „Fürstin“, „Commandante“) dar, dass jedes individualisierte Sprechen von vornherein als Illusion markiert ist. Es bleibt festzuhalten, dass Jelineks Theatertexte vielfach der postdramatischen Ästhetik entsprechen, auch wenn sich diese im Lehmannschen Sinne auf die Inszenierungspraxis bezieht. Der Impetus ihrer Texte, weitgehende Autonomie der theatralen Ebenen auf der Bühne herzustellen, die Entindividualisierung der Rede in den Sprach -bzw. Textflächen und der damit einhergehende antiillusionistische Zug ihres Theaterwerks weist sie einerseits als postdramatische Autorin aus. Andererseits geht es in ihrer Arbeit weder um rituelle Grenzerfahrungen, wie sie das postdramatische Theater nach Lehmann anstrebt, noch geht es um ein reines Spiel der Signifikanten. Jelineks Texte sind stets auf gesellschaftliche Missstände bezogen, prangern diese an, indem sie die Realität zwar nicht auf der Bühne abbilden, jedoch stets auf ihre Zusammenhänge und Verhältnisse hinweisen. Für das Unheimliche ist hier von besonderer Bedeutung, dass ihre Texte vielfach auf mediale Realitäten und deren Funktionsweisen hinweisen. Dabei suchen diese selbstredend kein weiteres Abbild des medialen Abbildes zu entwerfen, sondern vielmehr – wie im Folgenden gezeigt werden soll – die Bedingungen dieser Realitäten für den Zuschauer erfahrbar zu machen.

64 Elfriede Jelinek: Präsident Abendwind. Ein Dramolett, sehr frei nach J. Nestroy, in: Text+Kritik. Elfriede Jelinek, (1999), H. 117, S. 3-20. 65 Elfriede Jelinek: Raststätte oder Sie machens alle. Eine Komödie, in: dies.: Neue Theaterstücke, Reinbek bei Hamburg 1997, S. 69-134. 66 Elfriede Jelinek: Der Tod und das Mädchen I-V. Prinzessinnendramen, Berlin 2003, S. 103.

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3. K RANKHEIT

ODER

M ODERNE F RAUEN (1984)

Der Theatertext Krankheit oder Moderne Frauen gehört mit Nora und Clara S. musikalische Tragödie zu den frühen Stücken Jelineks, in denen weibliche Heldinnen im Zentrum des Handlungsgeschehens stehen.67 Wie bereits erwähnt, ist Krankheit oder Moderne Frauen – wie im Übrigen auch Nora und Clara S. – noch im Horizont einer traditionellen Dramenform geschrieben. Der Text besitzt Haupt- und Nebentext und die gesamte darzustellende Handlung wird durch die zum Großteil dialogisch strukturierte Rede geboten. Das Stück ist in zwei Akte gegliedert, wobei der erste Akt auf fünf, der zweite Akt auf sechs Szenen verteilt ist. Zunächst in manuskripte68 erschienen (1984), wurde der Text, versehen mit einem Nachwort von Regine Friedrich, zusammen mit Nora, Clara S. und Burgtheater 1987 in einem Band publiziert und im selben Jahr durch den Regisseur Hans Hollmann in Bonn uraufgeführt. Jelinek montiert in Krankheit oder Moderne Frauen unterschiedlichste Texte und Texttypen aneinander und lässt dieses sprachliche Gewebe von den weitestgehend ausgehöhlten, als dramatis personae toten Figuren nachplappern.69 Diese intertextuelle Referentialität legt sie schon über die Figurennamen der beiden Protagonistinnen Emily, „Krankenschwester und Vampir“, und Carmilla, „Hausfrau, Mutter und Vampir, österr.“ (KM 192) an, die im ersten Fall auf Emily Brontës Roman Wuthering Heights (1847) und im zweiten Fall auf Sheridan Le Fanus Novelle Carmilla (1872), die von einer Vampirin handelt, anspielen. Den weiblichen Figuren sind ihre Ehemänner beigeordnet, zum einen der „Facharzt für Frauenund Kieferheilkunde“ (KM 192) Dr. Heidkliff als ironisierende Anspielung auf Heathcliff aus Brontës Roman und zum anderen Benno Hundekoffer, „Steuerberater und Carmillas Mann“ (KM 192). Außerdem zitiert Jelinek in Krankheit oder Moderne Frauen aus Gedichten von Ingeborg Bachmann aus dem Band Anrufung des Großen Bären (1956) und verweist in ihrer Danksagung weiterhin auf „Jean Baudrillard, Robert Walser, Roland Barthes, Joseph Goebbels, Bram Stoker, Joseph Sheridan La Fanu, Der Spiegel, Der Hörfunk, Das Fernsehen u.v.a.“. (KM 192)

67 So stellen frühere Forschungsarbeiten, wie beispielsweise Corina Caduff: Ich gedeihe inmitten von Seuchen. Elfriede Jelinek – Theatertexte, Bern/Berlin 1991 einen Kontext zum feministischen Diskurs her, während aktuellere Ansätze darüber hinaus den dekonstruktiven Charakter der Stücke in Bezug auf die Geschlechterkodierung betonen. Vgl. hierzu beispielsweise Nele Hempel: Geschlechterdifferenz. Elfriede Jelineks Drama ‚Krankheit oder Moderne Frauen‘, in: Gegenwartsliteratur. Ein germanistisches Jahrbuch 5 (2006), S. 50-73, hier S. 51. 68 Elfriede Jelinek: Krankheit oder Moderne Frauen. Wie ein Stück. Für Eva Meyer, in: Manuskripte, 85 (1984), S. 3-22. Im weiteren als Sigle KM zitiert. 69 Vgl. Hoff 2000, S. 45.

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Während die männlichen Figuren unablässig Freuds Psychoanalyse betreffende „Allgemeinplätze“ von sich geben, scheinen die Frauen alle möglichen männlichen Projektionen in sich aufzunehmen.70 Nachdem Carmilla kurz vor der Geburt ihres sechsten Kindes im Gynäkologenstuhl von Dr. Heidkliff stirbt, wird sie von der lesbischen Vampirin Emily gebissen und so ebenfalls zur Vampirin. Die beiden treten nun als Liebespaar auf, und Carmilla wird zur Medea-Figur, indem sie ihre Kinder aussaugt, zerstückelt und in der Tiefkühltruhe verwahrt. Bei dem Versuch, Heidkliff und Hundekoffer auszusaugen, stellen sie deren Blutleere fest, und das Stück endet damit, dass die beiden männlichen Figuren Emily und Carmilla, die derweil zu einem Doppelgeschöpf mutiert sind, erschießen. In Bezug auf Krankheit oder Moderne Frauen soll im Folgenden vornehmlich die Darstellung des Körpers von Interesse sein. Diese Schwerpunktsetzung sowohl des Stücks als auch der vorliegenden Arbeit findet ihr Pendant in der Fokussierung auf die Sprache in der Analyse von Wolken.Heim.. Diese Vorgehensweise bietet sich insofern an, da die Belebtheit der Körper in Krankheit oder Moderne Frauen schon durch Jelineks Wahl der Figuren infrage gestellt ist. Als Vampirinnen bewegen sich Carmilla und Emily jenseits eindeutiger Zuschreibungen von Belebt- oder Unbelebtheit. Dagegen sticht in Wolken.Heim. die konsequente Abschaffung der Figurenrede als charakteristisches Merkmal heraus und lädt so zur näheren Analyse ein. Die ohnehin paradigmatische Untersuchung der Texte wird an verschiedenen Stellen durch zugespitzte Analysen von Ein Sportstück erweitert. Das Unheimliche der Theatertexte ist dabei in der Darstellung von Flächigkeit an den Punkten, an denen der Rezipient Tiefe erwartet, zu verorten. Während sich das Unheimliche in Krankheit oder Moderne Frauen durch die körperliche Flächigkeit der Figuren äußert, entsteht es in Wolken.Heim. durch die Auflösung der Figur zu Gunsten von Textflächen. Der verflachte Status des Körpers auf der Bühne verdeutlicht dabei Jelineks theaterästhetische Vorstellungen von dem Verhältnis des Schauspielers zu seiner Rolle. So gilt es, die Strategien Jelineks zu fokussieren, mithilfe derer sie an der Verflachung der Figur, und damit korrelierend des Körpers und der Sprache, arbeitet. In dieser ästhetischen Praxis der Verflachung spiegelt sich die Simulationsthese wider und zeigt das Unheimliche der Texte an. Während die Untersuchung von Bambiland und Babel in den letzten beiden Kapiteln dieser Arbeit breiter angelegt ist, auch einige Thesen zum Unheimlichen aus den Analysen der früheren Stücke aufgreift und theoretisch fundiert und vertieft, geht es im Folgenden vornehmlich darum, die Oberflächenstruktur als poetisch-ästhetisches Formprinzip von Jelineks Theatertexten zu bestimmen.

70 Vgl. Dagmar von Hoff: Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften; Clara S.; Krankheit oder Moderne Frauen, in: Pia Janke (Hg.): Jelinek-Handbuch, Wien 2013, S. 131-137, hier S. 135.

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3.1 Das vampirische Zwischenleben als Unentschlossenheit des Körpers Die Frage nach der Belebtheit des Körpers im Theater wird in Krankheit oder Moderne Frauen durch das Vampirmotiv auf der Bühne expliziert. Die postmortalen Figuren Carmilla und Emily unterwandern mit ihrer fraglichen Belebtheit die Lebenskraft auf der Bühne.71 So verdoppelt das Stück die per se vorhandene Problematik der ambivalenten Belebtheit auf der Bühne, indem es sie auf der figuralen Ebene wiederholt. Das Vampirmotiv in Krankheit oder Moderne Frauen ist vielfach gedeutet worden. Dabei lässt sich die Forschung unterteilen in eine poststrukturalistische Lesart, die die Vampirin im Hinblick auf die Konzeptualisierung von Weiblichkeit untersucht,72 und in Ansätze, die das Vampirmotiv als Metapher für Autorschaft und Jelineks intertextuelle Sprachpraxis verstehen.73 Die vorliegende Arbeit baut auf der feministisch-strukturalistischen Lesart von Sigrid Berka auf, welche die Figur der Vampirin mit der Seinsweise der Frau in einem Ort des ‚Dazwischen‘ gleichsetzt.74 Dabei dient die Untersuchung des Vampirmotivs75 in Krankheit oder Moderne Frauen vornehmlich der Etablierung von drei Aspekten, die näher ausgeführt werden sollen: 1. der Unentschlossenheit der Materie in einer (Nicht-)Existenz des ‚Dazwischen‘ 2. der damit einhergehenden symbiotischen Existenz des Doppelgeschöpfs, die in dem fehlenden Spiegelbild der Vampirinnen verkehrend variiert wird und 3. der Diskursivierung des weiblichen Körpers in seiner Verflüssigung im Stück. Sigrid Berka interpretiert das fehlende Spiegelbild der Vampirinnen als Motiv für das Fehlen eines männlichen Blicks. Mit Luce Irigarays Auslegung von Lacan definiert sie die Frau als „the sex which is not one (Irigaray), not none“.76 Dieses 71 Vgl. Claes 1994, S. 64. 72 Corinna Caduff verweist auf die Parallele zwischen Krankheit oder Moderne Frauen und den theoretischen Überlegungen der bedeutendsten französischen Poststrukturalistinnen Luce Irigaray, Julia Kristeva und Hélène Cixous auf. Indem sie Versatzstücke von Krankheit oder Moderne Frauen den Aussagen dieser Theoretikerinnen gegenüberstellt zeigt sie deren Übereinstimmungen auf. Vgl. Caduff 1991, S. 111. 73 Jelinek selbst bezeichnet das Stück als Hommage an Emily Brontë, deren Leben zwischen „vitaler Literatur“ und „fast völligem Lebensverzicht“ sie als „vampirisches Zwischenleben“ bezeichnet. Elfriede Jelinek,: Dieses vampirische Zwischenleben. Interview mit Dieter Bandhauer, in: Die Tageszeitung, 09.05.1990. Im Folgenden: Jelinek: Zwischenleben 1990. 74 Vgl. Berka 1995, S. 380. 75 Für eine breitere Untersuchung des Vampirmotivs im Allgemeinen und bezüglich des Stücks Krankheit oder Moderne Frauen im Besonderen vgl. Claes 1994 und Susanne Pütz: Vampire und ihre Opfer: Der Blutsauger als literarische Figur, Bielefeld 1992. 76 Berka 1995, S. 380.

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Motiv des weiblichen ‚Dazwischen‘ findet sich in verfremdeter Form bei Emily wieder, die von sich sagt: „Ich bin nichts Halbes und nichts Ganzes. Ich bin dazwischen.“ (KM 201) Berka parallelisiert die Position der Frau in ihrer Existenz des ‚Dazwischen‘ wiederum mit der Figur des Untoten. Als exzentrischer Rest, sind sowohl Emily als auch Carmilla nicht in binären Oppositionen zu fassen, sie bewegen sich vielmehr zwischen Existenz und Nicht-Existenz.77 Im Bewusstsein um diese Beschaffenheit formuliert Emily selbstreflexiv: Ich bin nicht abstrakt, dennoch tauche ich an dem einen und sofort an dem anderen Ort auf. Dann wieder bin ich absolut fort. (KM 210)

Emily versucht wiederholt Carmilla auf ihre vampirische Existenz im ‚Dazwischen‘ aufmerksam zu machen: Emily: Carmilla, versteh doch, wir sind und sind nicht […] Wir sind und nicht. (KM S. 230)

Schon Eva Meyers vielfach gedeutetes Zitat zu Beginn des Stücks weist auf die ‚twilight zone‘ hin, in der sich sowohl die Frau als auch der Vampir bewegen:78 […] Die Frau ist kein großer Meister. Deshalb wird ihr Verschwinden nie vollkommen sein. Sie taucht wieder auf, beschäftigt wie sie ist, mit dem Verschwinden. (KM 192).

Im Hinblick auf das Unheimliche erhält die Figur des Vampirs eine besondere Relevanz, da sie nicht nur einen Angriff auf das Leben, sondern auch auf den Tod – das Verschwinden – bedeutet. In einem Interview deutet Jelinek Eva Meyers Zitat als eine Metapher für die weibliche Existenz. Dabei bezieht sie sich auf Emily Brontë als Namensgeberin der Figur im Stück:

77 Ebd. 78 In der Figur der Vampirin findet eine Doppelung statt, da schon der Vampir als Wesen eines ‚Dazwischen’ – zwischen Leben und Tod – gilt und auch die Frau in ihrer Seinsweise im ‚Dazwischen’ definiert ist. Der männliche Vampir hingegen ist in Bezug auf seine geschlechtliche Zuschreibung in seinem Element, als Ausbeuter und Inhaber der Macht über den Anderen. Claes legt die Entwicklung des Vampirmotivs in Jelineks Werk dar und weist auf die noch unentschlossene geschlechtliche Zuschreibung in DER FREMDE! hin. Claes 1994, S. 66-71. Auch in Krankheit oder Moderne Frauen lässt sich die Figur der Vampirin als stets scheiternder Versuch der Umkehrung verstehen. Denn auch Carmilla und Emily sind zumindest in Bezug auf Benno und Heidkliff unfähig ihr Vampirwesen auszuleben, da diese sich als blutleer entpuppen. Vgl. KM, S. 249f.

118 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN Dieses Nicht-ganz-da- und Nicht-ganz-weg-Sein, dieses vampirische Zwischenleben […] als Kreativität der Frau, die eben keinen anderen Ort hat, wo sie Subjekt sein kann. Deswegen also Emily als kleines Zitat und ihr Verlobter Dr. Heidkliff noch dazu, der natürlich eine Karikatur des Heathcliff ist.79

Auf die körperliche Ebene transferiert, lässt sich die Existenz des ‚Dazwischen‘ als unentschlossene Materie begreifen, die sich nicht eindeutig bekennt, weder zum Leben noch zum Tod.80 So Emily: „Ich bin der Anfang und das Ende. Dazwischen komme ich auch noch öfter vor.“ (KM 196) Die nicht vollendete Existenz ist im Motiv der Vampirin als vollendete Existenz des ‚Dazwischen‘ auf die Spitze getrieben und schlägt schließlich um „in ein Sein, weil es keine Rückkehr mehr gibt“.81 So blitzt die vampirische Existenz des ‚Dazwischen‘ kurz als utopisches Moment in dem Stück auf,82 wenn Emily spricht: „Ich habe Zeit genug. Ich war ursprünglich Materie, jetzt gehe und komme ich nach meiner freien Wahl.“ (KM 223) Der positiv gewendete Lebensentwurf in der Nicht-Existenz entlarvt sich jedoch als Trugschluss: Emily: Wir sind die Untoten, Carmilla! Merk dir das endlich! Wir können uns nicht kräftig offenbaren. Unsere Existenz ist auf ärgerliche Weise stillos. Wir sind nur Pseudotote. Wir sind die Schlimmsten. Du bist bei der Geburt deines sechsten Kindes gestorben! Merk dir das! Wir sind nicht Tod nicht Leben! Uns kann man nicht so einfach auferwecken. (KM 230)

Mit der vampirischen Existenz des ‚Dazwischen‘ geht eine Ortsbestimmung in der Bewegung einher, die durch die Fluktuation zwischen einem Untoten und Nichtlebendigen gekennzeichnet ist.83 Durch Zusammenfall und Wechselspiel von Anfang und Ende, Geburt und Tod und deren Unabschließbarkeit zeigt sich in der Figur der Vampirin eine Parallele zu Kristevas Begriff des ‚Subjekts im Prozess‘84. So konfrontiert das Stück den Rezipienten in den vampirischen Figuren Emily und

79 Jelinek: Zwischenleben 1990. 80 Ich beziehe mich hier auf einen Satz von Heidkliff, der über Emily sagt: „Sie nährt sich von Menschen und weint nicht einmal. Ihre Materie ist unentschlossen […]“. (KM 239) 81 Vgl. Claes 1994, S. 96. 82 Damit korrespondiert die alternative Existenzform ironisch als ein Leben in Krankheit, das ja ebenfalls zum Tod hin tendiert. 83 Vgl. Caduff 1991, S. 130. 84 Vgl. Kristeva 1978, S. 35.

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Carmilla mit einem Subjektentwurf, der sich in der Bewegung zwischen Lebensund Todestrieben85 definiert und dadurch unheimlich wird. In dem Doppelgeschöpf am Ende des Stücks wird die Figur der Vampirin als Existenz des ‚Dazwischen‘ und die damit einhergehende Unentschlossenheit der Materie noch einmal expliziert. Als „siamesischer Zwilling Emily/Carmilla, in einem gemeinsamen Kostüm eingenäht“ (so die Regieanweisung, KM 261) trinkt es Blut aus einer Doppelliter-Weinflasche und nagt an einem Kinderbein. Hier wird zum einen die symbiotische Komponente der Beziehung zwischen Emily und Carmilla grotesk auf die Spitze getrieben und zum anderen das ‚Flüssig-Werden‘ im Ineinanderübergehen ihrer Körper verdeutlicht. Der Wunsch nach einer symbiotischen Existenz im Mutterleib deutet sich, wenn auch negativ gewendet, schon in der Fixierung von Benno und Heidkliff auf Carmillas Unterleib an. Während der Geburt erstattet Benno permanent Bericht über das Geschehen in Carmillas Unterleib: Benno beugt sich über ihren Unterleib: Schau, der Kopf zeigt sich schon im Abfluß. Starrt ihr zwischen die Beine. […] Hoppla! Da sitzt ja einer im Ausguck! Dieser Ort ist Wien, das heißt Österreich. Es kommt! Es kommt! Hervorragend! (KM 206)

In der vierten Szene wird Carmillas Unterleib verstärkt ins Zentrum des Geschehens gerückt, wenn Heidkliff die verschiedensten Gegenstände zwischen ihren Beinen hervorholt. Zunächst handelt es sich um Organe, dann jedoch: „Er zieht jetzt schlaffe, aufblasbare Gummitiere aus Carmilla hervor. Ein, zwei Kinder erwachen halb und beginnen, die Tiere wie in Trance aufzublasen. Schwimmtiere, Enten, Frösche, Schwäne etc. Heidkliff wirft den Kindern die Schwimmtiere zu.“ (KM 216) Schließlich erscheinen aufblasbare Organe „amorph und braun“ aus Carmillas Unterleib, die Heidkliff kopfschüttelnd weglegt und spricht: „Ich liebe die Natur.“ (KM 217) Der Dialog zwischen Benno und Heidkliff wird in dieser Szene durch ihr abwechselndes und gemeinsames Wühlen in Carmillas Unterleib strukturiert. Zum Abschluss gibt Heidkliff Benno den Rat: „Wenn Sie sich wieder hineinbegeben, müssen Sie zuvor natürlich einen Faden am Eingang festbinden. Damit Sie wieder zurückfinden. Sie Mann vom alten Schlag!“ (KM 218) In der Fixierung der männlichen Figuren auf den Unterleib Carmillas – zumal während der Entbindung und schließlich nach ihrem Tod – lässt Jelinek die Figuren Freuds These vom Todestrieb auf der Handlungsebene ausagieren. Die Gleichsetzung des weiblichen Genitals mit einem Abfluss spielt dabei auf dessen Konnotation mit dem Abjekten an. Dadurch, dass die Szene vom Geburts85 Jelinek weist in diese Richtung, wenn sie die Särge der Vampirinnen „als Symbol für Mutterschoß, Erde, Loch, Tod und Leben gleichzeitig“ bezeichnet. Vgl. Jelinek: kein Theater 1989, S. 146.

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vorgang geprägt bzw. begleitet wird, bezieht sich die abjekte Konnotation nicht nur auf das weibliche Geschlecht, sondern spielt der Text darüber hinaus auf die regressive Geste an, die der Abjektion zugrunde liegt. Von besonderer Bedeutung ist hier, dass dem als abjekt konnotierten weiblichen Geschlecht schließlich Gummitiere entspringen. So wendet Jelinek das Abjekt-Organische des mütterlichen Schoßes ins Paradoxe, wenn diesem aufblasbare Tiere aus Plastik entnommen werden, ein Material, das über seine quasi nicht verrottbare Qualität nicht weiter vom Organischen entfernt sein könnte. Carmillas Körper wird hier unheimlich, da in ihm die diametralen Gegensätze des abjekt konnotierten Mutterschoßes und Plastiktiere als Ausdruck extremer Künstlichkeit ineinanderfallen. Stärker als bei den männlichen Figuren, äußert sich der Symbiose-Wunsch in Krankheit oder Moderne Frauen in der Liebesbeziehung der beiden Vampirinnen. So fordert Emily von Carmilla: „Ich will jetzt gern in dir wohnen. Laß mich rein!“ (KM 211) Die weibliche Subjektwerdung zeigt sich in der Figur des Doppelgeschöpfes schließlich (im ‚Dazwischen‘) als gescheitert, und Emily und Carmilla sind zur Handlungsunfähigkeit in der Symbiose verdammt. Als Doppelgeschöpf bringen sie ihren Kontrahenten Benno und Heidkliff keinerlei Gegenwehr mehr entgegen. Schwerfällig und ungerührt – in der Regieanweisung heißt es: „sie kann auch ausgestopft sein“ (KM 261) – bewegt das Doppelgeschöpf sich über die Waffen und Abfälle hinweg und wird schließlich von den Männern „abgeballert“, „Das Geschöpf kippt um, zuckt, bleibt still liegen.“ (KM 265) Das Doppelgeschöpf leistet also keinerlei Gegenwehr und verhält sich selbst im Angesicht seines Todes passiv. Das Motiv des leeren Spiegels, als Begleiterscheinung der vampirischen Existenz, weist im Text auf Lacans These vom Spiegelstadium hin. Durch das fehlende Spiegelbild der Vampirin hindurch wird der Blick buchstäblich frei für das Semiotische, das vor oder jenseits der Trennung vom Anderen im Spiegelstadium steht (vgl. II.3.3). So weist Emily über das Vampirmotiv im fehlenden Spiegelbild hinaus, wenn sie sagt: „Ich möchte so gern einmal in einem Spiegel durch mich hindurch auf etwas anderes sehen. Doch das ist mir leider versagt. Danke schön.“ (KM 221) Das, was Emily auf der anderen Seite des Spiegels ersehnt, ist im theoretischen Kontext des Spiegelstadiums als das verkennende Bild ihrer Selbst zu verstehen. Durch die Verweigerung eines Spiegelbildes bleibt ihr der Eintritt in die dreistellige Struktur der symbolischen Ordnung versagt.86 Es fehlt die Position des Tertium Comparationis, um sie aus der semiotischen chora (vgl. II.3.3) zu lösen. So

86 Heimann schreibt: „Doch scheitern die Vampirinnen des Krankheits-Textes. [...] Trotz aller Abgrenzungs- und Emanzipationsversuche bleibt die Frau gefangen in einer dominierenden, heterosexuell männlichen Matrix.“ Im ‚Schweigen’ der Figuren erkennt Heimann ein Durchbrechen der symbolischen Machtstrukturen, das laut Lacan letztlich nur im Raum der Phantastik vonstatten gehen kann. Heimann 2015, S. 300.

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ist das fehlende Spiegelbild von Emily und Carmilla als Vorbote ihrer symbiotischen Vereinigung in der Figur des Doppelgeschöpfes zu verstehen. 3.2 Der Körper im Prozess seiner Verflüssigung In Krankheit oder Moderne Frauen werden die Figuren in ihrer Körperlichkeit ausgestellt. Dabei findet eine Reduktion des Körpers auf sein Material statt, was paradoxerweise nicht in der Betonung des natürlichen Körpers im Sinne eines „Apriori des Leibes“87 mündet, sondern, im Gegenteil, den Körper als Konstrukt in seiner Künstlichkeit freilegt. Dabei unterscheidet sich die Darstellung des Körpers der männlichen Figuren von derjenigen der weiblichen Figuren. Während Heidkliff und Benno ihren Körper aus einem ärztlichen bis technischen Verständnis88 heraus als gut funktionierende Maschine beschreiben, entwickelt sich die Darstellung des weiblichen Körpers vom Naturwesen Frau zu ihrer Technisierung als Gebärmaschine. Bei beiden Geschlechtern verkehrt sich ihre vorgeblich natürlichste Funktion (zum Klischee oder zur Trivialmythe verkommen) in ihrem Extrem in Künstlichkeit: Die sportliche Betätigung und der körperliche Drill des Mannes sowie die Gebärfunktion der Frau führen jeweils zur Mechanisierung ihres Körpers. In diesen Kontextualisierungen spricht der Text das Unheimliche eines Körperverständnisses an, das diesen, quasi entkoppelt vom Ich, auf sein Funktionieren reduziert. Dabei konfrontiert der Text die Darstellung des Körpers als Maschine mit seiner Verflüssigung;89 beide, wenn auch auf den ersten Blick opponierend erscheinende Darstellungen beschreiben den Körper in seiner Unheimlichkeit als verflacht und sich in der Fläche ausbreitend. In seinem Eingangsmonolog definiert sich Heidkliff über seinen gut funktionierenden Körper als umgrenztes Material: „ich bin gut zusammengesetzt“ sagt er über sich. (KM 197) […] Es hält mich. Es hält dicht. […] Ich schaue aus mir heraus und sehe an meinen Begrenzungsmauern hinunter. Ich entstehe durch das, was sich an meine Mittelachse angelagert hat: Material. […] Ich reiche von unten nach oben. (KM 195)

Die Feststellung „Es hält dicht“ deutet auf eine flüssige Konsistenz seines Körpers innerhalb seiner „Begrenzungsmauern“ hin. Außerdem scheint der Körper hier jen-

87 Johanning 2004, S. 230. 88 Zum mechanistischen Körperverständnis des Arztes in Heidkliffs Eingangsmonolog vgl. Poschmann 1997, S. 117. 89 Ulrike Haß erarbeitet die These vom ‚Flüssig-Werden‘ des Körpers für Ein Sportstück. Vgl. Haß: Sinn 1999.

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seits seiner qualitativen Eigenschaften auf seine räumliche Ausdehnung reduziert.90 Als ordentlich funktionierende Körpermaschine scheint die Beherrschung und Disziplinierung im Vordergrund des männlichen Körperverständnisses zu stehen. Heidkliff spricht in einer gesteigert selbstreflexiven Distanziertheit von seinem eigenen Körper, als wäre dieser eine zu betätigende Maschine: Ich bin ich. Bewegung! Wenn ich will rasch, wenn ich will langsam. Herrlich. Gelenke habe ich an so vielen Stellen und hebe damit schwere Lasten wie Arme und Beine. Wunderbar […] Ich bin gut zusammengesetzt. Ich funktioniere. Wenn nötig inmitten von Duft und Natur. (KM 197)

Höchste Ausdrucksform des funktionierenden Körpers ist für Heidkliff die sportliche Betätigung: O Sport, Sport! Supersport! Leistungssport! Für dich, o Sport, weiche ich sogar von einem Weg ab! Du wunderbares und noch nicht verschmutztes Gewässer! Ich will in dir versinken. Mit geübten Bewegungen halte ich mir jedoch den Ausweg in die Luft offen. (KM 199)

Während sich Heidkliff über die Ertüchtigung und Stählung seines Körpers definiert, tritt Benno vornehmlich über seine Funktion als Erzeuger in Erscheinung.91 Auch hier dominiert eine Rhetorik aus dem technisch-maschinellen Diskurs, wenn Carmilla seine Produktionsleistung lobt: „Du bist so partnerschaftlich gewesen und hast die ganze Herstellung übernommen. Ich erinnere mich: An jenem bewussten Abend bist du bis spät in die Nacht aufgesessen.“ (KM 206) Im Hinblick auf die identitätsbildende Komponente des Sports sind sich die männlichen Figuren einig. So setzt sich Benno schlichtweg mit seinen sportlichen Aktivitäten gleich: „Wir sportieren. Wir segelfliegen. Wir radfahren. Wir tennis.“ (KM 237) Das Verschmelzen der Figur mit ihrer körperlichen Tätigkeit lässt hier mitnichten eine Einheit von Körper und Geist, ein Leben des Ichs im Körper anklingen; vielmehr deutet sich in den Formulierungen eine Ersetzung und Reduzierung auf den Sport an. Während Jelinek das Sport-Motiv in Krankheit oder Moderne Frauen nur als einen Aspekt neben anderen zur körperlichen Bestimmung der männlichen Figuren einsetzt – Heidkliff definiert sich beispielsweise auch über seinen Beruf als Arzt –

90 Vgl. Poschmann 1997, S. 117. 91 So Claes: „Während Dr. Heidkliff ein Theoretiker der Sexualität und des anderen Geschlechts ist, bestimmt sich Benno Hundekoffer, der Figur gewordene Durchschnittsmann, über seine praktischen Leistungen auf diesem Gebiet, als Erzeuger seiner Kinder und Vermehrer seiner selbst.“ Claes 1994, S. 103.

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avanciert es in Ein Sportstück zum Hauptmotiv.92 Im Monolog Andi inszeniert Jelinek Sport als Technik zur Optimierung des Körpers und fokussiert die entgrenzenden Eigenschaften des Körperdrills. Ulrike Haß deutet die scheinbar grenzenlose Formbarkeit des Körpers durch immer höher entwickelte Technologien der Leistungsoptimierung mit dem Begriff des ‚Flüssig-Werdens‘.93 Sie nennt Arnold Schwarzenegger, Michael Jackson und Madonna als „vollständig assimilierte DingKörper, deren Ablichtungen weltweit verehrt werden.“94 So klingt in der Figur Andi nicht nur der steirische Kraftsportler Andreas Münzer an, der an den Folgen seines Anabolika-Missbrauchs starb, sondern auch sein Vorbild Arnold Schwarzenegger, der für die Erfolgsstory des individuell wandelbaren Körpers steht, der mithilfe der Biotechnologie jede Grenze überschreiten kann und so quasi zum selbstgezeugten Körper wird. In Ein Sportstück realisiert und reflektiert Andi post mortem, dass seine biotechnische Verhärtung nur noch zur „Ummäntelung seiner Zukunft des Flüssig-Werdens“ diente.95 Dieser Chemiebaukasten, den ich mir zugeführt habe, sollte mich ganz neu aufbauen. Doch im Gegenteil, diese Nahrung hat mich restlos abgebaut. […] indem ich langsam, wie eine Flüssigkeit, in mir, dem einzigen Gefäß, das ich hatte, hochstieg, bis zum Rand. (ES 99 und 88)

Zu spät erkennt Andi als untoter Sprecher, dass sich die angestrebte Metamorphose als Amorphose bzw. Defiguration entpuppt, da sie ihren Gegenstand weniger verwandelt als vielmehr zersetzet bzw. liquidiert.96 Haß setzt den Begriff des ‚Flüssig-Werdens‘ des Körpers in den Kontext der „entgrenzenden Tele-Visionsmedien“, denen gegenüber er sich wie ein „abstrakter Rest, verborgen unter den Stereotypen [seiner] Ablichtungen“97 verhalte. Gleichwohl ließen die körperlosen Digitalwelten den Körper als ein undefinierbares Reales zurück. Der Körper werde zu einem nicht „einzugliedernden ‚Ding‘; er ist jetzt frei, jede beliebige Gestalt anzunehmen, und kann als Daten- oder Materialbank be-

92 Jelinek bezeichnet Sport als „Hieroglyphe der Gegenwart“ in dem Text Death of a not-forladies’ man, der dem Monolog Andi zugrunde liegt und die Geschichte des steirischen Kraftsportlers Andreas Münzer erzählt. Vgl. Jelinek, Elfriede: Death of a not-for-ladies’ man, in: Meteor, Texte zum Laufbild, No.4 (1996), S. 3-10. 93 Haß: Sinn 1999, S. 56. 94 Ebd. 95 Ebd., S. 58. 96 Vgl. hierzu auch Juliane Vogel: Wasser, hinunter, wohin. Elfriede Jelineks ‚Die Kinder der Toten‘ – ein Flüssigtext, in: Literaturmagazin. Der neue amerikanische Roman, hrsg. von Martin Lüdke/Delf Schmidt, 39 (1997), S. 172-180, hier S. 178. 97 Haß: Sinn 1999, S. 57.

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griffen werden“.98 In dem Begriff des ‚Flüssig-Werdens‘ wird die Ambivalenz eines derartig von (Bio-)Technik durchdrungenen Körpers deutlich. Zum einen wird der Körper als Material aufgefasst, das sich als letzte fassbare Substanz äußert, zum anderen wird der Körper gerade durch die Reduzierung auf seine Materialität zum objektivierten Ding. Das Unheimliche an den mechanisierten Körpern in Krankheit oder Moderne Frauen bis zu den biotechnisch durchdrungenen Körpern in Ein Sportstück äußert sich bei den männlichen Figuren durch die nahtlose Verbindung von Mensch und Maschine in der wortwörtlichen Instrumentalisierung des Körpers. Die Beschreibung des biotechnisch optimierten Körpers in seinem Flüssig-Werden macht auf die Schatten-, bzw. Rückseite der körperlichen Verhärtung aufmerksam; hier durchkreuzt das Abjekte als flüssig formlose Innerlichkeit den unheimlichen maschinenähnlichen Körper. Bei den weiblichen Figuren in Krankheit oder Moderne Frauen ist die flüssige Konsistenz der Körper schon auf der inhaltlichen Ebene thematisiert. Das oben angesprochene Motiv des fehlenden Spiegelbildes der untoten Vampirinnen wird im Horizont der Spiegelstadium-These als Zeichen ihrer körperlich nicht festen Verfasstheit gedeutet. Benno sagt: „Die Nichttoten schauen aus den Spiegeln hervor als das Nichts, das sie sind. Schleim.“ (KM 255) Im zweiten Teil des Satzes macht Benno hier deutlich, dass die im Modus des Semiotischen existierenden Frauen nicht nichts sind – sondern nicht fest, fließend sind. Sie sind „tropfendes Körperfragment“ (KM 241) und offenbaren sich darin als das Ungegliederte des Semiotischen. Heidkliff beschreibt die Frauen: „Sie sind ländlich-wäßrig. Ungegliedert. Sie haben keinen Fixpunkt im All. Linien enden mit ihnen nirgendwo.“ (KM 220) Hier spielt Jelinek auf ein doppeltes Stereotyp des Weiblichen an: zum einen auf das von der Frau als Naturwesen und zum anderen auf den weiblichen Körper als weich, fließend und unbegrenzt. Die Konnotation mit dem Abjekten ist dabei unübersehbar. Die mit der „biologischen Funktion der Frau assoziierte Undichte des Körpers“99 weist nicht nur auf ihr Flüssig-Sein100 hin, sondern auch auf die Versehrtheit und Vergänglichkeit ihres Körpers:

98 99

Ebd. Yvonne Spielmann: Ein unerhörtes Sprachlabor. Feministische Aspekte im Werk Elfriede Jelineks, in: Kurt Bartsch/Günther A. (Hg.): Dossier 2: Elfriede Jelinek, Graz/Wien 1991, S. 30. 100 Die weiblichen Figuren in KM werden verstärkt im Zusammenhang mit Blut gesetzt. Neben der häufigen Thematisierung der Regelblutung der Frau, wird auch ihre Essgewohnheit als Vampirin, der Verzehr von (flüssigem) Blut zu einem Leitmotiv. In dem Blut-Motiv wird der Umschlag natürlicher Komponenten in künstliche schon

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Carmilla: Es herrscht Nebel. Es herrscht die Regel. Warum muß ich nur auf einmal hartnäckig an einen Friedhof denken? (KM 202) Krank zu sein bedarf es wenig. Ich kann es, und ich fühle mich sehr, sehr schlecht. Gesundheit ist nicht alles, und mein Körper hält sie nun gar nicht aus. Angesichts von Gesundheiten verwandle ich mich in ein Sieb, das alles durchfallen lässt (KM 233)

Die Krankheitsmetapher für die weibliche Existenz – Carmilla: „Ich bin krank, daher bin ich.“ (KM 232) verweist auf das verdrängte Todesprinzip.101 Rosa Rigendinger verdeutlicht, dass sich die Natur in Jelineks Werk immer in ihrer Komponente der Verwesung offenbart. Dementsprechend verweist die als Naturwesen definierte Frau stets auf ihre Sterblichkeit: Sind sie doch mit unverkennbarer Obsession alle gleich gezeichnet, diese Frauen: das unten Gespaltene, innen Hohle, Schwärende: Natur – die sterbende. […] Die Nachtseite der Natur, das Grausame, das Grauen vor ihr, angesichts von Verwesung und Tod – vorgeführt am weiblichen Körper.102

Der natürliche, lebendige Körper spricht plötzlich die Todesseite der fragilen individuellen Existenz des Menschen an. Die verdrängte Sterblichkeit kehrt als Bedrohung wieder, die sich in Krankheit oder Moderne Frauen an der Frau, an den Verwesungsbildern des weiblichen Körpers festmacht.103 Der als natürlich kodierte weibliche Körper führt im Falle Carmillas folglich nicht zu Gesundheit und einem Leben im Einklang mit der Natur, sondern – in der Steigerung der Krankheitsmetapher104 – gegen die ‚natürliche Bestimmung‘ der Frau als Mutter, wenn sie als

101 102 103 104

vorweggenommen, wenn Emily sich primär von Blutkonserven, die wie Wein oder Saft getrunken werden, anstatt von lebenden Menschen ernährt. Vgl. Spielmann 1991, S. 30. Rosa Rigendinger: Eigentor, in: Text+Kritik. Elfriede Jelinek, hrsg. von Heinz Ludwig Arnold, (1999), H. 117, S. 63-69, hier S. 67. Vgl. ebd., S. 68. Claes versteht die Vampirexistenz als konsequente Fortsetzung der Krankheitsmetapher. Die Krankheit der Frau als Form des Widerstandes wird zur einzigen Existenz– berechtigung und treibt Carmilla wieder in ein Leben in Abhängigkeit und Isolation. Insofern könne nach Claes nur die tödliche Krankheit befreiend wirken, jedoch um den Preis, das zu zerstören, was zu retten gewesen wäre. Insofern sieht er in der vampirischen Existenz die Fortführung der Krankheitsmetapher, da die Untote zwar stirbt, jedoch so, dass sie den Erkenntnisgewinn des Krankseins nicht aufgeben muss. Vgl. Claes 1994, S. 95.

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Vampirin das Blut ihrer eigenen Kinder trinkt und ihnen damit das Leben nimmt, anstatt es ihnen zu geben.105 In der Reduktion auf ihre Gebärfunktion wird die Frau als „Reproduktions-Maschine“ ausgestellt106 – Carmilla: „Ich liefere Ware.“ (KM 203) Der weibliche Körper verkommt zum bloßen Gefäß, das die männliche Fortpflanzung ermöglicht. So beansprucht der Mann die aktive Seite des Reproduktionsvorgangs: Benno: Ich war recht konzentriert bei der Sache. Ich habe genau mich selbst noch einmal gemacht. Ich habe dieses genau wie die anderen geschaffen. (KM 204)

Dass Carmilla nach der Geburt stirbt, scheint nebensächlich angesichts der Tatsache, dass sie ihren „Auftrag ausgeführt hat“. (KM 215) Ihr Unterleib erweist sich post mortem, wie bereits oben angesprochen, als Herberge unzusammenhängender und undefinierter Organe sowie aufblasbarer Gummitiere: Heidkliff wühlt in Carmilla, wirft Gummitiere: […] Die Nachgeburt ist also weg. Aber vielleicht finde ich noch was Interessantes! Benno: Wo ich nichts gefunden habe? Wo ich mich in ihr auskenne wie auf meinem Klo? Das möchte ich bezweifeln. Dann wären Sie schlauer als ich! Heidkliff: Wer suchet der findet. Wir müssen im Stande sein, die Frau als Ganzheit zu sehen. Er nimmt ein besonders großes aufblasbares Organ heraus, es ist amorph und braun, und legt es kopfschüttelnd weg: Ich liebe die Natur […]. (KM 203)

An dieser Stelle erweist sich nicht nur Carmillas Körper als hohler „Innenraum“ (KM 203), sondern auch als Träger ebenfalls hohler, da aufblasbarer, Gegenstände. Im Kontext der Gebärfunktion zeigt sich die Ambivalenz des weiblichen Körperverständnisses als einerseits passiv umgebende Natur und andererseits produzierender Körper. So stellt Emily fest: „Natur bin ich, erinnere daher oft an Kunst.“ (KM 195) Wenn Emily diagnostiziert: „Ich bin nicht Fäulnis“ (KM 195), so kann sie durch ihre vampirische Existenz vielleicht der „direkten Linie des weiblichen Körpers zu Fäulnis und Verwesung“107 entgehen, jedoch zahlt sie den Preis einer untoten Existenz. Emilys Verweis auf die Künstlichkeit von Natur – und umgekehrt der Natürlichkeit von Kunst – lässt sich in diesem Kontext als Umschlagsmoment lesen, an dem das Natürliche in seiner extremen Ausformung (als Trivialmythe) in Künstlichkeit wechselt. Dementsprechend wird die Frau in ihrer Eigenschaft als 105 Auch hier steht mit dem Blut wieder eine Flüssigkeit des Körpers im Vordergrund, und das Töten der eigenen Kinder ist gleichsam als saugendes Verschmelzen der Körper inszeniert. 106 Vgl. Berka 1995, S. 378. 107 Spielmann 1991, S. 27.

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Mutter als absolut gesetzte Bestimmung der weiblichen Natur zur Reproduktionsmaschine degradiert. In Anspielung auf die Tradition der Aufklärung, die den weiblichen Körper in der Sphäre der Natur verortet, offenbart und konstituiert Krankheit oder Moderne Frauen so Brüche in den binären Unterscheidungen, die den abendländischen Diskurs über den Körper – wie seinen Subjekt/Objekt-Status und seine Natürlich- bzw. Künstlichkeit – prägen.108 Die körperliche Bestimmung zwischen diesen binären Oppositionen lässt sich mit dem Unheimlichen beschreiben, das die Wendung vom natürlich-belebten zum künstlich-unbelebten Körper benennt. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die männlichen Figuren durch die Steigerung der natürlichen Bestimmung des Mannes zu Selbstbestimmtheit und Disziplinierung seines Körpers als Körpermaschinen ausgestellt werden. In einer parallelen Entwicklung werden die weiblichen Figuren durch die Steigerung – und die darin liegende Reduzierung – ihrer Gebärfunktion als Körpermaschinen exponiert. Sowohl bei den männlichen als auch bei den weiblichen Figuren entlarvt der Text die Maschinenhaftigkeit und Verhärtung der Körper als Ummantelung ihrer eigentlichen Verfasstheit des ‚Flüssig-Werdens‘. 3.3 Der Schauspielerkörper als Verweissystem in der Fläche Neben dem Körperkonzept des ‚Flüssig-Werdens‘ kommt in Krankheit oder Moderne Frauen das Darstellungsprinzip der Körperflächen zum Tragen. Die Verflachung des Körpers besitzt dabei einen programmatischen Charakter in Jelineks Theaterästhetik und ist von elementarer Bedeutung in Bezug auf das Unheimliche; der Entwurf eines verflachten, simulierten Körpers wird schließlich mit der Belebtheit des Schauspielkörpers im dreidimensionalen Raum der Theaterbühne konfrontiert, wodurch Fragen zum Belebtheitsstatus des Körpers in den Raum gestellt werden. Antje Johanning begreift die Körper in Krankheit oder Moderne Frauen als „Oberflächenkonstrukte, als substanzlose Seifenblasen, die jeden Moment zerplatzen können“109. Johanning beschreibt die männlichen Figuren als „absolut hohl“ (KM 250), während der weibliche Körper unter dem Aspekt der Krankheit und des Vampirismus als „Attrappe“ vorgeführt wird.110 So kann laut Johanning trotz der Betonung des Körpermaterials nicht von einer Rückkehr des Körpers gesprochen werden, wie sie im Sinne der originären Repräsentation für Artauds Theater der Grausamkeit auszumachen sei.111 Hier ist Jelineks Theaterästhetik klar von derjenigen der historischen Avantgarde abzugrenzen, indem ihr Werk sich gegen jede Form von Essentialismus sperrt. Die Körper in Jelineks Theater sind vielmehr in 108 109 110 111

Vgl. Johanning 2004, S. 5. Johanning 2004, S. 124. Ebd., S. 123. Vgl. ebd., S. 127.

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der oben beschriebenen Ambivalenz des technologisch erweiterten Körpers zwischen dem Zurschaustellen seiner (belebten) Materie und der Reduzierung zum (unbelebten) Material zu fassen. Die Betonung der Körperlichkeit der Figuren entpuppt sich insofern nicht als Rückkehr zum natürlichen Leib, sondern stellt mit Johanning gesprochen „permanent aus, dass sie [die Figuren, E.G.] Repräsentationen von etwas sind, das nicht von ‚Präsenz‘ bestimmt ist, sondern als trügerischer Schein entlarvt wird. Sie sind Repräsentationen von Repräsentationen.“112 In diesem Sinne sind die Körper in Krankheit oder Moderne Frauen, wie auch in den anderen Theatertexten Jelineks, in ihrer Flächigkeit zu bestimmen, indem sie in einer televisionär verflachten Präsenz jeweils neben sich zeigen, jedoch keine Konsistenz hinter sich aufweisen können. Bezüglich der semiotischen Ebene des Körpers im Theater zeigt sich der Körper in Krankheit oder Moderne Frauen eher als Verweissystem denn als Bedeutungsträger. Jelinek hat ihre ‚Kritik‘ an der Funktion des Schauspielers im Laufe ihres Schaffens vielfach geäußert. Als besonders prominent sind in diesem Kontext die beiden theaterästhetischen Essays Sinn egal. Körper zwecklos (1996)113 und Ich möchte seicht sein (1983, 1986)114 zu nennen. Während Jelinek explizit die Verflachung des Schauspiel(körp)ers einfordert, bleibt dies kein Lippenbekenntnis, wenn die Autorin darüber hinaus in ihren Texten verstärkt an der Verflachung der Figur arbeitet. Entscheidende Momente sind dabei die fehlende Psychologie der Figuren und ihre damit einhergehende Serialität. Auch wenn diese Zusammenhänge bereits vielfach Gegenstand der Forschung darstellen, sollen sie im Folgenden näher erläutert werden, um ihre Bedeutung für das Unheimliche zu erläutern. Das dramatische Theater basiert, wie jedes bedeutende Repräsentationssystem, auf der Zuordnung von Signifikat und Signifikant. Dabei stellt der Schauspielkörper den wichtigsten Bedeutungsträger im Theater dar.115 Im Gegensatz zu anderen im

112 Ebd. 113 Erstveröffentlichung: Sinn egal. Körper zwecklos, 1996 (auf der Rückseite des Plakats zum Symposium der Ausstellung: Elfriede Jelinek – Echos und Masken, des Literaturhauses Wien = Elfriede Jelinek: Sinn egal. Körper zwecklos, in: dies.: Neue Theaterstücke, Reinbek bei Hamburg 1997, S. 7-13. Im Folgenden: Jelinek: Sinn 1997. 114 Erstfassung: Elfriede Jelinek: Ich möchte seicht sein. In: Theater 1983. Jahrbuch der Zeitschrift Theater heute, S. 102. Erweiterte Fassung: Ich möchte seicht sein, in: Schreiben 29/30 (1986), S. 74 = dies.: Ich möchte seicht sein, in: Christa Gürtler (Hg.): Gegen den schönen Schein. Texte zu Elfriede Jelinek, Frankfurt/Main 1990, S. 157-160. Im Folgenden: Jelinek: Seicht 1990. 115 Erika Fischer-Lichte betont das Apriori des Leibes im Theater: „ohne den Schauspieler, ohne seine körperliche Gegenwart, ist Theater […] nicht möglich. Der Körper des Schauspielers stellt sozusagen die Bedingung der Möglichkeit von Theater dar.“ Vgl. Erika Fi-

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Theaterprozess verwendeten Medien ist er gleichzeitig Subjekt und Objekt seiner Produktion, da er sich fast ausschließlich seiner eigenen Physis bedient und so mit dem Material des Darzustellenden – der Figur – übereinstimmt.116 Die im Repräsentationstheater angestrebte Einheit von Figur und Schauspieler prangert Elfriede Jelinek in Ich möchte seicht sein an: Leute sollen nicht etwas sagen und so tun, als ob sie lebten. Ich möchte nicht sehen, wie sich in Schauspielgesichtern eine falsche Einheit spiegelt: die des Lebens. Ich will nicht das Kräftespiel dieses ‚gut gefetteten Muskels‘ (Roland Barthes) aus Sprache und Bewegung – den sogenannten ‚Ausdruck‘ eines gelernten Schauspielers sehen117

Jelineks Theaterästhetik spielt mit der Lebendigkeit der Körper von Figur und Schauspieler im Theater, indem sie das zur Erscheinung bringt, was das Repräsentationstheater zu verschleiern sucht. Sie fordert den lebendigen Körper des Schauspielers für ihr Theater ein, der im Repräsentationstheater getilgt werden soll.118 Dementsprechend formuliert Jelinek die gängige Theaterarbeit als Akt der Lebensberaubung: „Dann ermordet er [der Regisseur, E.G.] alles, was war, und seine Inszenierung, die doch ihrerseits auf Wiederholung gegründet ist, wird zum Einzigen, das sein kann.“119 Auf dem Gedanken der Vernichtung des Schauspielkörpers im Akt der Verlebendigung der Figur fußend baut Evelyn Annuß ihre These des Nachlebens im Theater auf.120 In dem vermeintlich theatralen Körperexorzismus von Elfriede Jelinek sieht sie im Gegensatz dazu einen Verweis auf den lebendigen Körper in seiner Materialität (als hör- und sichtbarer Körper im Raum). Durch die Aufhebung der künstlichen Einheit zwischen Schauspieler und Rolle mache Jelinek in brechtscher Nachfolge121 den Riss zwischen Schauspieler und Text wahrnehmbar und lege den

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scher-Lichte: Semiotik des Theaters. Eine Einführung, Bd. 1: Das System der theatralischen Zeichen, Tübingen 1983, S. 98. Vgl. Caduff 1991, S. 250 Jelinek: Seicht 1990, S. 158. Vgl. Dagmar von Hoff: Stücke für das Theater. Überlegungen zu Elfriede Jelineks Methode der Destruktion, in: Christa Gürtler (Hg.): Gegen den schönen Schein. Texte zu Elfriede Jelinek, Frankfurt/Main 1990, S. 112-119, hier S. 114. Im Folgenden: Hoff: Stücke 1990. Jelinek: Seicht 1990, S. 159. Vgl. Annuß 2005. Durch die Verkürzung ihrer Figuren zu „vergrößerten oder verkleinerten Typen“ steht Jelinek in der Nachfolge Brechts. Vgl. Poschmann 1997, S. 195. Annuß stellt Jelineks Nora in die Tradition von Brechts Lehrstückpraxis, wobei sie herausarbeitet, dass Jelinek das Formprinzip der „geregelten Maskenhaftigkeit der personae in Brechts gestischem Theater“ zitierend ausstellt sowie auch die „unkontrollierbare Potenz zukünftiger

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Akt des Leben-Verleihens, der dem Nachleben der Toten auf der Bühne zu Grunde liegt, offen.122 So thematisiert Jelinek den Vernichtungsakt des Schauspielkörpers, welcher mit dem Prozess der Verlebendigung der Figur einhergeht und im dramatischen Illusionstheater verhüllt wird. Bei aller Nähe zu Brechts Spielmodell des Lehrstücks geht Jelinek jedoch einen entscheidenden Schritt weiter, indem sie die personale Referenz in der Rede verunmöglicht. So ist die Unbeantwortbarkeit der Frage, „welches Wer da spricht?“123 ein zentrales Leitmotiv beispielsweise des Theatertextes Wolken.Heim.. Schon in Krankheit oder Moderne Frauen steht Jelineks Theater durch den Verzicht auf ein darstellerisches Theater des episierenden Präsentierens von Personen eher unter dem Formprinzip die „Sprache zum Sprechen zu bringen“.124 In dem bereits erwähnten Interview Ich will kein Theater. Ich will ein anderes Theater beschreibt Jelinek ihre Theaterarbeit als Versuch, den Schauspieler zu einer „Sprachtafel“ zu verflachen, „um die Wiederholbarkeit oder Einräumigkeit eines theatralischen Ereignisses sichtbar zu machen“.. Nicht der Schauspieler solle sich über seine Sprache als Figur konstituieren, sondern „[…] das Sprechen sucht eine Hülle“.125 Daraus resultiert dann Jelineks in Sinn egal. Körper zwecklos formulierte Formel: „Die Schauspieler SIND das Sprechen, sie sprechen nicht.“126 Mit der autonomen Stellung der Sprache geht der Tod der Figur einher. Wiederum in dem oben genannten Interview beschreibt Jelinek eine „gewisse Lebensfeindlichkeit“ an sich selbst, die sie zum Theater gebracht habe: Den Wunsch, Leben zu erzeugen auf dem Theater, der fast alle Schriftsteller angezogen hat, lehne ich ab. Ich will genau das Entgegengesetzte: Unbelebtes erzeugen. Ich will dem Theater das Leben austreiben. Ich will kein Theater.127

Das Paradoxon ihres Theaterschaffens – zwischen kategorischer Ablehnung und kontinuierlicher Produktion neuer Theatertexte – lässt sich an dieser Stelle auf die unbelebte Belebtheit des Repräsentationstheaters beziehen, und ist im Kontext und als Erweiterung der oben ausgeführten Spezifität von Jelineks Theaterästhetik zu

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Veränderung, die der Praxis des Zitierens innewohnt und die der Fiktion einer finalen Aussage über ‚das Ganze‘ immer schon widerspricht.“ Annuß 2005, S. 46-58, Zitat: S. 55. Vgl. ebd., S. 47. Annuß 2005, S. 11. Elfriede Jelinek: ‚Ich schlage sozusagen mit der Axt drein‘, in: Spectaculum 43 (1986), S. 228-229, hier S. 229. (= unveränderter Wiederabdruck aus Theaterzeitschrift, 7 (1984), S. 14-16). Im Folgenden: Jelinek: Axt 1986. Jelinek: kein Theater 1989, S. 31. Dies.: Sinn 1997, S. 9. Dies.: kein Theater 1989, S. 31.

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verstehen. Jelineks Theater wendet sich gegen eine Verlebendigung der Figur im Sinne einer Psychologisierung und arbeitet stattdessen unermüdlich an ihrer Verflachung. In einer „Art Holzschnittechnik“128 entwirft sie Figuren, die zu reinen Prototypen von Personen schrumpfen. Ihr angestrebtes Ziel besteht dabei in Figuren, die sich durch eine „Marionetten- oder Schablonenhaftigkeit“129 auszeichnen. Die darin liegende Ästhetik der Verflachung des Schauspiel(körp)ers gipfelt in der Forderung: Klopfen wir sie platt zu Zelluloid! Wir machen vielleicht einfach einen Film aus ihnen […]. Sie werden einfach aus unserem Leben verbannt und auf Lochstreifen gestanzt, die wacklige Melodien winseln. Fallen aus unserer Körperbetrachtung und werden zur Fläche, die vor uns abläuft.130

Im Horizont der Dekonstruktion kontextualisiert, lässt sich die Programmatik der Verflachung des Schauspielkörpers nicht nur als ein Anarbeiten Jelineks gegen eine Tiefendimension und einen psychologischen Aufbau der Figur verstehen, sondern allgemeiner gefasst gegen die Funktion figuraler Repräsentation insgesamt (korrelierend mit dem Verhältnis von Signifikant und Signifikat, das Derrida dekonstruiert). Dem bedeutenden Körper als Medium der Figur setzt Jelinek ein Konzept des Körpers als Verweissystem entgegen und stellt ihn in seiner Funktion als Projektionsfläche aus. In diesem Sinne ist Johannings oben zitierte Bestimmung der Figuren als Repräsentanten von Repräsentanten zu verstehen.131 Und hier wird die Nähe zur Dekonstruktion, in deren Verständnis, verkürzt formuliert, der Signifikant auf den ihm neben gelegenen Signifikanten und nicht auf das ihm zugrunde liegende Signifikat verweist, deutlich. Indem Jelinek Figuren entwirft, die nicht mit sich selbst identisch sind, wird der Schauspieler auf sich selbst zurückgeworfen und spielt einen Schauspieler, der einen Schauspieler spielt.132 Die Figur erscheint damit

128 Jelinek 1986, S. 228. 129 Dies.: Zwischenleben 1990, S. 2. 130 Dies.: Seicht 1990, S. 160. Dabei ist anzumerken, dass Jelinek diese Forderung bereits in der ersten Fassung des Essays, also 1983, stellte. (Vgl. Fußnote 115, S. 114) Zu diesem Zeitpunkt lagen erst die beiden Theatertexte Nora und Clara S. von ihr vor. 131 Vgl. Johanning 2004, S. 127. 132 Wie Gabriele Klein im Kontext der Uraufführung von Ulrike Maria Stuart feststellte: „Die Schauspieler sind dabei einem Paradox ausgeliefert: Damit vertraut, Texte über die Figur, die spricht, zu verstehen, fordern Jelineks Texte auf, an Figuren zu arbeiten, die keine sind, weil sie mit sich nicht identisch sind. Als Konsequenz daraus fordert Stemann einen selbstreflexiven Umgang der Schauspieler mit der Figur: Sie spielen Schauspieler, die Schauspieler spielen, die z.B. mal Ulrike Meinhof oder Maria Stuart heißen. Vgl. Gabriele Klein: Der entzogene Text. Performativität im zeitgenössischen Theater, in: Ortrud

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verflacht, indem sie ihre eigene Herstellung und ihr Funktionieren in einem zweidimensionalen Verweissystem auf der Bühne exponiert. Jelineks Ästhetik der verflachten Figur als Verweissystem steht jedoch stets der organische Schauspielkörper in seiner totalen und dreidimensionalen Erscheinung entgegen. Caduff weist auf die Unmöglichkeit eines physischen Nullzustands des Schauspielkörpers hin, da der Schauspieler den Textkörper mittels seiner individuellen Physis und eines schauspielerischen Codes auf die Bühne bringen müsse. Als funktionierender Organismus sei der Körper natürlich und zeige sich bezüglich der Ernährung, Hygiene und Bewegungskultur als Produkt seiner kulturellen Verhältnisse.133 Der Körper auf der Bühne kann niemals nicht bedeuten. So polemisiert Jelinek vor allem gegen den Schauspieler, der als ikonisches Zeichen par excellence134 der Verflachung und Heterogenisierung seines Körpers im Wege steht: Doch nun zu unseren Mitarbeitern: Wie entfernen wir diese Schmutzflecken Schauspieler aus dem Theater […]? Denn diese Leute sinds doch, die sich verkleiden und mit Attributen behängen, die sich ein Doppelleben anmaßen. […] Ja, sie spielen nicht einmal mit ihrem Sein herum! Sie sind ja immer dasselbe, nie brechen sie durch den Boden oder erheben sich in die Luft. Sie bleiben belanglos.135

An dieser Stelle verdeutlicht sich die Thematik des belebten Körpers auf der Bühne in Elfriede Jelineks Theaterarbeit: In seiner Ganzheit ist der Körper natürlichen Grenzen unterworfen; er kann sich nicht verdoppeln oder halbieren, kann nicht unvermittelt erscheinen oder verschwinden. Als konstanter und begrenzter Körper hemmt er dadurch den sprachlich angelegten Auflösungsprozess der Figuren. Das In-Szene-Setzen des Stücks wird vom Text als dienstbarer Akt einkalkuliert; erst darüber können sich die Hauptdifferenzen entfalten zwischen Repräsentation und Präsenz, zwischen der verflachten, sprachlichen Verfasstheit der Figur und dem dreidimensionalen Körper des Schauspielers auf der Bühne.

Gutjahr (Hg.): Ulrike Maria Stuart von Elfriede Jelinek, uraufgeführt am Thalia Theater Hamburg in der Inszenierung von Nicolas Stemann, Würzburg 2007, S. 65-80, hier S. 74. 133 Vgl. Caduff 1991, S. 250. 134 Der Schauspieler ist als ikonisches Zeichen par excellence zu verstehen, da er als ‚wirklicher‘ Mensch ein Zeichen für einen Menschen geworden ist. Vgl. Yasmin Hoffmann: ‚Noch immer riecht es hier nach Blut‘. Zu Elfriede Jelineks Stück Krankheit oder Moderne Frauen, in: Cahiers d’études germaniques (1991), S. 191-204, hier S. 194. Im Folgenden: Hoffmann: Blut 1991. 135 Jelinek: Seicht 1990, S. 160.

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3.4 Der simulierte Körper als Oberflächenkonstrukt Der technisierte Körper in Krankheit oder Moderne Frauen und stärker noch der untote Techno-Körper Andis in Ein Sportstück sind Beispiele von Jelineks Auseinandersetzung mit der Wechselbeziehung zwischen lebendigem Körper und digitaler Technik. Indem Jelinek die Figur in ihrer Flächigkeit auf ihre Funktion als Verweissystem von Repräsentant zu Repräsentant ohne Tiefe reduziert, nimmt sie dem Theater den Schauspieler als Zeichen für einen wirklichen Menschen und bringt damit das Theater um sein ureigenstes Bestimmungsmoment.136 Die Flächigkeit der Figur liegt in Krankheit oder Moderne Frauen maßgeblich in einer fehlenden psychologischen Tiefendimension begründet, die eine individuelle wie auch historische Verortung durch Erfahrung verhindert. In Wechselwirkung damit steht die Austauschbarkeit und Serialität der Figuren. Auch wenn Krankheit oder Moderne Frauen in der frühen Schaffensphase Jelineks entstand, ist hier die Auseinandersetzung der Autorin mit den Medien, die bestimmend für ihre spätere Theaterarbeit ist, bereits evident. Eine wesentliche Strategie Jelineks zur Verflachung der Figur besteht in einer Art gesteigerter Autoreflektion. Dabei trägt die dramatische Figur ihre Selbstdefinition und -reflektion bereits an der Oberfläche mit sich und hat damit ihren Interpretationshorizont stets schon inne.137 Dementsprechend wird ihr mögliches psychologisches Inventar – ihre Tiefendimension – als Oberflächenkonstruktion demontiert.138 So definiert sich Benno in einem Stakkato der Eigenschaften: Ich bin erklärter Gegner von dramatischen Szenen. Ich würde niemals in ein Glas hineinspritzen. Ich bin nicht leidenschaftlich. Ich bin besorgt. Ich fühle mich berufen. Schwätzer bin ich keiner. […] Ein Zählen stellt sich in meinem Kopf ein. Grüß Gott. Ich bin vernünftig. Ich liege flach und unkompliziert auf meiner Matratze. (KM 213f.)

Benno offenbart hier seine zweidimensionale Beschaffenheit, wenn er alles, was er ist – und in der Reflexion eines Gegenübers sein könnte – ausspricht. Er liegt „flach“ auf der Matratze, bar jeglichen Geheimnisses.139 In dem Eingangsmonolog

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Vgl. Hoff 2000, S. 44. Ebd., S. 112. Vgl. Ebd., S. 113. Jelinek verweist auf die Unmenschlichkeit (Unbelebtheit) einer Figur, die ihr Inneres auf sprachlichem Wege vollkommen nach außen trägt, ohne ein Jegliches zu verbergen: „Vielleicht will ich einmal nur Tätigkeiten ausstellen, die man ausüben kann, um etwas darzustellen, aber ohne höheren Sinn. Die Schauspieler sollen sagen, was sonst kein Mensch sagt, denn es ist ja nicht Leben. Sie sollen Arbeit zeigen. Sie sollen sagen, was los ist, aber niemals soll von ihnen behauptet werden können, in ihnen gehe etwas ganz

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von Heidkliff ist die Selbstpräsentation der Figur in einer Art „Hyperbewusstsein“140 als Dialog mit sich selbst – dem jedoch ein Selbst fehlt – auf die Spitze getrieben: Ich biete einen Anblick. In mir Ruhe. Ich schaue aus mir heraus und sehe an meinen Begrenzungsmauern hinunter. […] Ich bin aus nächster Nähe wie aus der Ferne sichtbar. […] Ich spreche jetzt. Ich könnte keine Unarten von mir benennen. Ich zahle. Ich bilde ein Muster auf dem Boden. Ordnung wird von mir eingehalten. Ich reiche von unten nach oben. Die Schwerkraft hält mich. Jetzt spreche ich. […] Du bist mir wie eine Mehrheitsentscheidung: widerwillig aufgezwungen. Aber nun liebe ich dich auch schon. Brav. (KM 193f.)

In der Figur, die nichts mehr zu erklären oder zu verraten hat, bleibt der Schauspieler als Schauobjekt zurück. Ihre Existenz ist kein Ausdruck von Erfahrung (der Einsamkeit, der Sterblichkeit), sondern jenseits davon nichts als ihre sichtbare Kontur,141 wodurch sie die zweidimensionale Flächigkeit eines Bildes annimmt. Dabei scheint vornehmlich den weiblichen Figuren in Krankheit oder Moderne Frauen die Fähigkeit zur körperlichen Erfahrung genommen. Emily zeigt einen Mangel an Schmerzempfinden, wenn die Pflöcke in ihrem vampirischen Körper keinerlei Spuren hinterlassen: „Sie trägt eine schicke Krankenschwesteruniform, aus der in Höhe der Brust (nicht aber aus dem Herzen!) elegant zwei, drei Pflöcke ragen. Keine Spur Blut.“ (KM 206) Auf Heidkliffs äußerst gewalttätige Behandlung ihrer Vampirzähne reagiert sie zwar mit einem Ausdruck des Schmerzes, doch steht dieser in keinem Verhältnis zur Brutalität des Vorganges: Emily: Und wie kriege ich die Zähne wieder in den Kiefer zurück? Heidkliff: Mittels eines Griffs zum Unerlaubten. Zum Hammer. Ein Tiefschlag. Emily: Wie was warum wozu? Zischt furchtbar. Heidkliff: Der Läufer übergibt. Er schlägt ihr mit dem Hammer auf den Kopf.

anderes vor, das man indirekt von ihrem Gesicht und ihrem Körper ablesen könne.“ Jelinek: Seicht 1990, S. 157f. 140 Gabriele Schwab benutzt den Begriff der ‚Hyperrealität‘ als Folge einer Distanzierung des Selbst vom eigenen Körper, um die Figuren in Samuel Becketts Endspiel zu beschreiben. Das „gedankliche Substrat“ ihrer Dialoge erweckt nicht den Eindruck einer gesteigerten Bewusstheit, da eher Alltägliches und normalerweise automatisierte Vorgänge mit Bewusstheit belegt werden. Vgl. Gabriele Schwab: Samuel Becketts ‚Endspiel‘ mit der Subjektivität. Entwurf einer Psychoästhetik des modernen Theaters, Stuttgart 1981, S. 78. 141 Damit korrespondierend definiert Haß die Bühne nicht als Raum, sondern als „Fläche, die Anblicke ermöglicht wie ein Spiegel“. Allerdings stellt sich diese Bühne als Spiegel in Anlehnung an Roland Barthes als Spiegel heraus, „der nichts faßt als andre Spiegel“. Vgl. Haß: Grausige Bilder 1999, S. 41f.

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Emily brüllt, ihr Kopf wird zurückgerissen: Au! Auweh! Auweh! Heidkliff: Zu Hause sitze ich wenig. Ich schaue fleißig herum. (KM 225)

Auch Carmillas körperliche Anstrengungen unter der Geburt – die sich durchaus in vereinzelten Regieanweisungen in Form von Ächzen und Stöhnen bemerkbar machen – hat keinerlei Auswirkungen auf ihr Sprechen: „Benno fesselt sie immer fester an den Stuhl, Carmilla kämpft gegen die Fesseln. Aber der Gesprächston bleibt beiläufig, konversationshaft.“ (KM 201) In ihrer Gelassenheit gegenüber körperlichen Grausamkeiten und Deformationen zeichnen sich die Figuren als figurale Oberflächenkonstrukte ohne eigentlichen Bezug zu ihrem ‚Leben‘ als Figuren. Mit der Unfähigkeit zur Erfahrung geht eine fehlende Verortung in Herkunft und Geschichte einher – Carmilla: „Wo bin ich? Ich grüße artig. Ich liefere Ware […].“ und „Wie heiße ich doch gleich? Ich vergesse es immer wieder.“ (KM 203 und 205). Im Jenseits von Erfahrung und Geschichte erscheint der Körper als Abstraktum und entbehrt jeglicher Substanz, die es zu verkörpern gelte.142 Ohne psychologische Tiefendimension scheinen die Figuren einer seriellen Produktion zu entspringen und sind der Austauschbarkeit ausgesetzt. In Carmillas Rede über ihre Kinder zeigt sich der Ursprung der Serialität: „Ihre Gesichter sind noch nie auf dem Bildschirm aufgetaucht. Sie sind noch nicht Figuren einer Serie.“ (KM 204) Ulrike Haß betont den medialen Zusammenhang, unter dessen Bedingungen Jelineks Figuren zu verstehen sind, und definiert diesen Kontext mit Wolfgang Müller-Funk als „spezifische und diesseitige Tele-Vision, die damit zu kämpfen hat, daß die Erdenbürger nur unter Abstraktion ihrer Körperlichkeit Weltbürger sein können“.143 In dieser Welt der Tele-Vision trete laut Haß das „Gesetz der Serie (mit der Fernsehserie als Modell)“144 an die Stelle der Figuren. Hier beherrschen von Anfang an die Mächte der Entdifferenzierung das Geschehen, ohne dass dem eine Phase der Differenz im Sinne eines originären Subjekts vorausgegangen wäre.145 Jelinek äußert ihr Verständnis der „Bühnenmenschen“ wie folgt: Ja, sie treten an die Stelle der Personen, die sie darstellen sollen und werden zum Ornament, zu Darstellern von Darstellern, in endloser Kette, und das Ornament, wird auf der Bühne das

142 Haß weist auf die Gewalt hin, die mit der nackten Sichtbarkeit des Körpers einhergeht: „Da stehen sie nun, sichtbar. Jetzt beginnt ihre eigentliche Qual. Sie haben nichts zu verkörpern.“ Haß: Grausige Bilder 1999, S. 41. 143 Wolfgang Müller-Funk: Ouvertüren zu einer Medialität des Menschen, in: Ders./Hans-Ulrich Reck (Hg.): Inszenierte Imagination. Beiträge zu einer historischen Anthropologie der Medien, Wien/New York 1996, S. 63-86, hier S. 74. Zitiert nach Haß: Sinn 1999, S. 53. 144 Haß: Sinn, 1999, S. 53. 145 Vgl. Vogel 1997, S. 179.

136 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN Eigentliche. Und das Eigentliche wird, Platz! Zurück!, zur Zierde, zum Effekt. Ohne sich um die Wirklichkeit zu kümmern, wird der Effekt zur Realität.146

In dieser Passage äußert sich der Gedanke von der seriellen Figur als Ausdruck von Uneigentlichkeit und Unwirklichkeit. In den Stoffen der Fernsehserie wiederholen sich die Themen um Identitätssuche und Individualisierung, ohne Wirkung zu zeigen. An die Stelle eines Gefühls tritt hier ein Stereotyp.147 Ausdruck einer solchen Rede ist der Dialog zwischen Heidkliff und Benno, in dem sie sich wechselseitig in Abgrenzung voneinander und in Verbindung miteinander zu definieren suchen. In dieser sich leer laufenden Konversation der austauschbaren Rede gerät die Frage nach ihrer individuellen Subjektivität zur Aporie: Heidkliff zu Benno: Ich sehe zwar: Wir sind austauschbar. Aber ich bin ich! Wir verdienen etwa gleich viel. Wie sollten wir also das, was wir sprechen, untereinander gerecht aufteilen? Es geht nicht. Wir sind total unterschiedliche Individuen. Wir sind total dasselbe. Wir sprechen nicht mit Unterschieden. Sogar unsere Tennisschläger sind ungleich! Sie sind gleich. Man hört verschiedene Stimmen. Man hört immer nur uns. Man stört uns daher nicht. Benno: Wir sind moderne Personen. Wir sind ungleich, aber ohnegleichen. Wir sind dasselbe. Wir tragen Stehleitern und stellen uns, wo es uns gefällt, darauf. Wir sind unsresgleichen. Heidkliff: Unser insgesamt Blut könnte man oft austauschen. Wer nimmt Notiz? Wir haben dieselben Interessen, aber zwei verschiedene Frauen. Wir haben nicht geteilte Meinungen. Wir sind miteinander identisch. Wir haben gemeinsame Vorlieben. Daraus entstehen uns keine gemeinsamen Nachteile. Benno: Wir sind angenehme Erscheinungsformen von ein und derselben Sache. Heidkliff: Wir sind jeder anders gekleidet. Aber von ein und derselben Qualität sind unsere Gehirne. Wir sind eins. Wir sind wir. Benno: Am Urinoir gemeinsam stehen. Reihe machen. Nicht speien! Froh brunzen wir vor uns hin. Alle für einen. Einer für alle. Eins und einer. (KM 213 f.)

In der Länge des Zitats wird der Leerlauf des Dialogs in den beschwörend wirkenden Wiederholungen des Immergleichen deutlich. Anstatt die oppositionellen Positionen in den verschiedenen Figuren zu verankern, unterläuft Jelinek die Möglichkeit zum Dialog, indem sie die Haltungen von den Figuren abkoppelt. So löst sich die Frage nach der Einheit oder Einzigartigkeit der Figuren in Indifferenz auf, wenn Heidkliff und Benno Hundekoffer die konträren Positionen als Ununterschiedene hintereinander abspulen. Die Unbeantwortbarkeit der Frage nach dem Ich wird hier deutlich. Die Definitionswut in den nachdrücklichen Selbstbehauptungen des Ichs

146 Jelinek: Seicht 1990, S. 161. 147 Vgl. Haß: Sinn 1999, S. 53.

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wird hier als Krisensignal deutlich und beherrscht das Sprechen aller Figuren.148 Dabei wird das rabiate „ich bin ich“ in der gesteigerten Abfolge seiner Identitätsentwürfe kompatibel mit dem Wir-Bewusstsein von Heidkliff und Hundekoffer und so zum „Wir sind wir“.149 Die Rede vom Ich steigert sich zur Interjektion und wird zur Schlussapotheose in Heidkliffs Aussage: „Ich bewundere mich. Irre. Irreparabel.“ (KM 264) Die männlichen Figuren in Krankheit oder Moderne Frauen verbarrikadieren sich hinter der „ich bin ich“-Position, wodurch ihre Selbstbestimmung zur Tautologie wird.150 In dem Ich, das sich mit Vehemenz ausspricht und seine Einzigartigkeit mit sprachlicher Gebrauchtware bekundet, verweigert Jelineks Figurenkonzept jegliches Bewusstsein für seine Fraglichkeit und somit auch für seine Bestimmung. Denn die Tautologie stellt mit Roland Barthes gesprochen die „arrogante Androhung einer Ordnung [dar], in der man nicht denken würde“.151 Im Bewusstsein, dass das Ich ausgedient hat, funktioniert es in Jelineks Texten weiter,152 allerdings in seiner tautologischen Bestimmung unter dem Gesetz der Serie. Aus ihrer medienkritischen Position heraus untergräbt Jelinek das Verständnis von Identität, indem sie alles, was zu seiner Konstituierung beitragen könnte, der simulierten Welt der Waren und dem Massenkonsum unterstellt.153 Dergestalt strukturierte Figuren entfalten ihre unheimliche Wirkung durch die grenzenlose Ausweitung ihrer seriellen Körper in der Fläche. Wenn die Figur des Heiligen in Krankheit oder Moderne Frauen feststellt: „Jeder kann ein anderer sein und von einem Dritten dargestellt werden, der mit einem Vierten identisch ist, ohne daß es jemandem auffiele. Sagt ein Mann. Sagt die Frau.“ (KM 226)154 weist er auf die Austauschbarkeit nicht nur der dramatischen Figur hin; an dieser jedoch verdeut148 In Heide Helwigs Verständnis der Definition als Sprachstörung wird die Definitionswut von Jelineks Figuren deutlich. Die Definition als solche ist mit Fritz Mauthner gesprochen „eine Hemmung im regelmäßigen, behaglichen Gebrauch der Worte“. So deutet die Suche nach einer Definition des Ichs seine Krise an. Fritz Mauthner: Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Bd. 3 Zur Grammatik und Logik, 3. Aufl., Leipzig 1923, S. 295. Zitiert nach Helwig 1994, S. 396. 149 Vgl. ebd., S. 398. 150 Vgl. ebd. 151 Mit Roland Barthes (Mythen des Alltags) definiert Helwig die Tautologie als aggressiven Akt, da sie immer einen wütenden Bruch der Intelligenz mit dem Objekt darstelle. Vgl. Helwig 1994, S. 398. 152 Vgl. ebd. 153 Vgl. hierzu Yasmin Hoffmann, die das ‚simulierte Subjekt‘ in Jelineks Prosa untersucht. Yasmin Hoffmann: Elfriede Jelinek. Sprache und Kulturkritik im Erzählwerk, Opladen/Wiesbaden 1999. 154 In der Bezeichnung „ein Mann“ und „die Frau“ ohne Eigennamen zeigt sich die Reduzierung der Figur auf einen (lediglich geschlechtlich kodierten) Typus in Serie.

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licht Jelinek in einem quasi intermedialen Verfahren das Ausgreifen der Simulationsmechanismen von den elektronischen Medien in das ‚empirische‘ Leben des Menschen. Als Ununterscheidbare stehen die als simulierte TV-Figuren ausgestellten Theaterpersonae in einem Verhältnis der wechselseitigen Vereinnahmung mit ihrer Umgebung, da die eine jederzeit den Platz der anderen einnehmen kann. Das Subjekt wird hier ohne umgrenzte Identität in einer undifferenzierten Verbundenheit mit dem anderen, ihm nicht Eigenen, begriffen, da ihm das Eigene im Sinne einer psychologischen Tiefendimension per se fehlt. In diesem Zustand der Entdifferenzierung befinden sich Jelineks Figuren nach Aussage der Autorin in einem „Vor-Ich-oder ‚Post-Ich‘-Zustand. Sie sind alles oder nichts. Sie sind kein Ich.“155 Mit diesem Figurenentwurf verweist Jelinek auf das Semiotische als Stadium und Modalität im Subjekt, das jenseits eines fest umgrenzten Ichs operiert. Die flächigen Figuren entfalten ihre unheimliche Wirkung im thanatologischen Streben des Semiotischen nach Ausweitung und Vereinnahmung in der Fläche. Im Hinblick auf die Theatralität der Texte156 wird ihr selbstreflexiver Gestus bezüglich ‚ihres‘ Mediums Theater deutlich. Die ungegliederte Figur eines ‚Prä- oder Post-Ichs‘ befindet sich außerhalb der symbolischen Struktur und stellt damit gleichwohl einen Angriff auf die Repräsentationsstruktur des Theaters dar.157 Darin äußert sich der dekonstruktive Charakter von Jelineks Theaterästhetik. Die Entleerung der Figur als Fläche entwickelt dabei eine unheimliche Dynamik im Zuschauer, da er gezwungen wird, sich mit dieser anorganischen Masse der simulierten Figur zu arrangieren.158 Dagmar von Hoff und Marianne Leuzinger-Bohleber legen schlüssig dar, dass das Unheimliche von Oberflächenkonstrukten dadurch entstehe, dass wir in das Unproportionierte eingehen, wenn uns alles, was es sonst noch zu identifizieren gäbe, systematisch entzogen würde. So stellen sie im Hinblick auf die Bilder von Fernando Botero fest:

155 Jelinek: kein Theater, S. 31. 156 Dabei geht es lediglich um die „Bezogenheit der Komposition diese[s] Texte[s] auf die Darstellungsstruktur des Theaters“. Vgl. hierzu Theresia Birkenhauer: Zwischen Rede und Sprache, Drama und Text, in: Hans-Peter Bayerdorfer u.a. (Hg): Vom Drama zum Theatertext? Zur Situation der Dramatik in Ländern Mitteleuropas, Tübingen 2007, S. 1523, hier S. 18, Fußnote 13. 157 Vgl. Poschmann 1997, S. 32. Hoff/Leuzinger-Bohleber führen den unheimlichen Effekt von Boteros überbordenden Figuren darauf zurück, „dass letztlich nichts mehr repräsentiert werden kann“. Vgl. Hoff/Leuzinger-Bohleber 2006, S. 113. 158 Vgl. ebd., S. 107.

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Die Vorstellungen von Geschichte und Identität werden letztlich aufgelöst, und die Bilder erzeugen bei der Betrachtung eine seltsame Amnesie. Ja, für einen Moment befürchtet man, keine Erinnerung zu haben.159

Auf Jelineks Figurenkonzeption übertragen, bedeutet dies, dass sich das Unheimliche ihres Theaters aus der Gefahr für den Zuschauer speist, mit seiner eigenen Flächigkeit, seiner eigenen Leere und schließlich seiner Unbelebtheit konfrontiert zu werden. Wenn Botero mit Pinsel und Farbe an der Entleerung seiner Figuren arbeitet, tut Jelinek dies mit Papier und Stift zugunsten einer Fülle von Text- und Sprachspielen. So suggeriert auch ihr Theater, dass es „kein Geheimnis mehr unter der Oberfläche“160 gibt. Am Ende dieses Abschnitts soll ein Gedanke Derridas angeführt werden, um die unheimliche Wirkung von Jelineks Figuren der Körperflächen zusammenzufassen. In Marx’ Gespenster umreißt Derrida den Begriff der Eskamotage als Technik des „Verschwindenmachens. […] Tatsächlich vervielfältigt sich eine Eskamotage, sie überstürzt sich selbst und entfesselt sich serienmäßig.“ Ihr Ziel besteht darin verschwinden zu machen, indem man ‚Erscheinungen‘ produziert, was justament nur dem Anschein nach einen Widerspruch darstellt, da man verschwinden macht, indem man Halluzinationen provoziert oder Visionen gibt.161

Diesen Prozess der halluzinatorischen Simulation im Verschwinden bringt Jelinek auf die Bühne, indem sie auf die Verflachung der Figur ihre unabsehbare, serielle Vervielfältigung folgen lässt. Jelineks Theater wird hier zum einen in seiner kritischen Haltung gegenüber der zunehmenden medialen Prägung unserer Wahrnehmung deutlich. Zum anderen sperren sich ihre Texte gegen die gängige Praxis im Repräsentationstheater, das sich der Eskamotage bedient, dies jedoch zu verschleiern sucht. Jelinek verweist auf den Körper, der zum Medienereignis wird, zum Bild in Serie, und doch in seiner organischen Ganzheit auf der Bühne als belebter bestehen bleibt. Da Zuschauer und Schauspieler im Theater einen gemeinsamen ‚ZeitRaum‘ der Sterblichkeit teilen, fordert die szenische Darstellung im Theater als performativer Akt dazu heraus, sich auf den Tod wie auch auf die Lebendigkeit des Lebens, einzulassen.162

159 160 161 162

Ebd. Hoff/Leuzinger-Bohleber 2006, S. 107. Vgl. Derrida 1995, S. 202. Vgl. Lehmann 2005, S. 410.

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4. W OLKEN .H EIM . (1988) Wolken.Heim. entstand anlässlich von Kleists 110. Geburtstag (was zugleich der 10. Todestag der Stammheimer RAF-Gefangenen war) im Auftrag des Bonner Schauspiels im Zusammenhang des Zyklus Wir Deutschen, in dessen Rahmen der Text unter der Regie von Hans Hoffer 1988 uraufgeführt wurde. 1990 erschien Wolken.Heim. in einem Band mit dem Essay Sinn egal. Körper zwecklos, und den Stücken Stecken, Stab und Stangl und Raststätte oder Sie machens alle. Der Text stellt in vielerlei Hinsicht eine Weiterentwicklung zu Krankheit oder Moderne Frauen dar. Wurde das Motiv der Untoten in Krankheit oder Moderne Frauen noch auf inhaltlicher Ebene in den Vampirinnen Emily und Carmilla etabliert, entfaltet Wolken.Heim. die unheimliche Wirkung auf subtilere Weise. Zum einen präsentiert sich das 1988 entstandene Stück auf formaler Ebene als radikale Abwendung vom klassischen Dramentext. Während Krankheit oder Moderne Frauen noch an der Dispersion von Schauspieler und Rolle arbeitete, befindet sich Wolken.Heim. jenseits dieser Bemühungen, indem der Text die Figur samt ihrer Rede abschafft.163 Gleichwohl gestaltet sich das Stück nicht monologisch, denn auch der Monolog benötigt ja einen Sprecher. In Wolken.Heim. ist jedoch nicht nur das Konzept der Bühnenfigur im Sinne eines miteinander agierenden und im Dialog stehenden Gefüges abgeschafft, es fehlt jegliche Angabe eines Sprechers.164 Diese formale Leerstelle wiederholt sich inhaltlich, wenn die Frage danach, „welches Wer da spricht?“165 zur rhetorischen Floskel und ihre Unbeantwortbarkeit zur Programmatik des Textes wird. Die Frage nach dem Sprecher weiß um die Unmöglichkeit ihrer Beantwortung 163 Caduff sieht die in Krankheit oder Moderne Frauen schon angelegte Dezentralisierung der Figurenidentitäten in Wolken.Heim. durch die Negierung des Dialogs und den Verzicht auf ein symbolisches Figurensubjekt folgerichtig radikalisiert. Als Konsequenz einer theatralischen Dezentrierung sei das Stück geprägt von Handlungslosigkeit, formalinhaltlich durchgehender Gleichförmigkeit und dem Verzicht auf die symbolische Figurenrede. So schreibe Jelinek in Wolken.Heim. durch den Schauspielkörper und den Theaterapparat hindurch. Vgl. Caduff 1991, S. 269f. 164 Poschmann bezeichnet Wolken.Heim. zunächst als Mono- bzw. Solilog, um den Begriff des Monologs dann aufgrund der angelegten Mehrstimmigkeit zu verwerfen. Vgl. Poschmann 1997, S. 180 und 275. Annuß konstatiert, dass es sich weder um einen Monolog noch um ein Stück handelt, das chorisches Sprechen vorsieht, sondern eher um einen Text einer zerstreuten Masse, die den Rahmen sowohl des textuellen Gefüges als auch der herkömmlichen Szene – des Guckkastens – sprengt. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass ein chorisches Sprechen ebenfalls im Dienste gegen die symbolische Ordnung sowohl des Textes als auch des Theaters genutzt werden kann. Vgl. Evelyn Annuß: Zwangsleben und Schweigen in Elfriede Jelineks ‚Wolken.Heim.‘, in: Sprache im technischen Zeitalter 38 (2000), H. 153, Stuttgart, S. 32-49. 165 Annuß 2005. S. 11.

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und ergeht sich so in ihrer Funktion, den Sprecher an sich infrage zu stellen. In dieser fehlenden Referenz der Rede entfaltet Wolken.Heim. schließlich seine unheimliche Wirkung. In der ersten Person Plural beschwört die Rede in Wolken.Heim. eine Gemeinschaft der Deutschen. Im sakralen Singsang positioniert sich das Wir mit seiner tautologischen Formel „Wir sind wir“ (WH 139) in den Abwandlungen „Wir sind hier. Uns gehören wir.“ (WH 138), immer wieder in sich selbst und setzt die Frage nach dem Wir so von Neuem in Gang. Die Rede bleibt in ihren Themen wie auch in ihrem Sprechen abstrakt und scheint, die Welt aus der Vogelperspektive betrachtend, der Alltagswelt entrückt. Während sich die dem Text vorangestellte Danksagung an „Leonhard Schmeiser (‚Das Gedächtnis des Bodens‘) und Daniel Eckert“ (WH 136) richtet, heißt es im Postskriptum: „Die verwendeten Texte sind unter anderem von: Hölderlin, Hegel, Heidegger, Fichte, Kleist und aus den Briefen der RAF von 1937-1977.“ (WH 158)166 So schichtet Jelinek Aussagen von RAFMitgliedern um Versatzstücke des deutschen Idealismus des 18. und 19. Jahrhunderts herum. Wolken.Heim. thematisiert den Scheintod deutscher Vergangenheit und umkreist die Begriffe Geschichte, Heimat und Tod. Das Motiv Deutschlands, als Land der Dichter und Denker, sowie in der zweiten Hälfte des Stücks die Blut und Boden-Thematik werden derart überhöht, dass der Text einen „sakralen Beigeschmack“167 erhält: Wir sind in uns, und sogar Gott bleibt draußen, er donnert und wird nicht erkannt. Wir brauchen ihn nicht. Für unseren Geist muß Gott mehr als ein Donnerer sein. Er geht mit uns, er gehört uns, oder er kann gehen. […] Das natürliche Greisenalter ist Schwäche, das Greisenalter des Geistes aber ist seine vollkommene Reife, in welcher er zurückgeht zur Einheit, aber als Geist. Wir sind bei uns, unser Eigentum. (WH 141f.)

166 Evelyn Annuß weist im Zusammenhang des in Wolken.Heim. und vielen anderen Stücken Jelineks verwendeten Postskriptums auf die Gedankenfigur der Metalepse, „der Bestimmung des Vorangestellten durch das Nachfolgende. Wer spricht, wird anders als im dramatischen Text also nicht vor dem Einsatz der Rede beantwortet, sondern als nachträgliche Referenzbildung zu denken gegeben.“ Evelyn Annuß: Wolken.Heim. in: Janke 2013, S. 147-160, hier S. 148. 167 Jelinek benutzt den Ausdruck in ihrer Wendung gegen die Verschmelzung von Schauspieler und Rolle: „Ich weiß auch nicht, aber ich will keinen sakralen Geschmack von göttlichem zum Leben Erwecken auf der Bühne haben.“ In dieser Passage wird der ironische Gebrauch des Duktus des Heiligen in der Sprache deutlich. Vgl. Jelinek: Seicht 1990, S. 157.

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Das intertextuelle Verfahren von Wolken.Heim. ist hier als Mythendekonstruktion lesbar.168 Das Wir der deutschen Dichter und Denker wird in seiner Gleichsetzung mit Gott, die gleichsam dessen Entledigung zum Ziel hat – „Wir brauchen ihn nicht“ – entmenschlicht und in seinem Größenwahn dekuvriert. Gleichwohl bleibt die Frage nach dem Sprecher der Rede offen. Die Sprache selbst wirkt in ihrer Abstraktion und Überhöhung unmenschlich, unbelebt und entfaltet eine unheimliche Wirkung. Während sich das Unheimliche in Krankheit oder Moderne Frauen durch die Wechselwirkung zwischen belebtem Schauspielkörper und verflachter, in ihrer Belebtheit fraglich gewordener Figur herstellte, existiert in Wolken.Heim. nur noch Sprache. Hinzu kommt, dass diese Sprache unbelebt anmutet, sie scheint sich eines jeglichen Sprechers wie auch jedes möglichen Orts der Verlautbarung entledigt zu haben. Der Körper als individuell unterschiedener und vom anderen abgegrenzter, der in Krankheit oder Moderne Frauen in Zweifel gezogen wurde, steht in Wolken.Heim. überhaupt nicht mehr zur Debatte. Das Unheimliche in Wolken.Heim. geht vornehmlich aus dem Phänomen der Textflächen hervor. Durch das Zitierverfahren Jelineks, das mit Evelyn Annuß zwischen Neubelebung und Mortifikation verortet werden kann,169 äußert sich die Sprache in Wolken.Heim. als Verweissystem in der Fläche. Die Rede wird zum ausschließlichen Handlungsträger in dem Stück und nimmt so fast körperliche Gestalt an. Mitnichten ist sie jedoch Träger von Sinn. Im derridaschen Zeichenverständnis der Differenz setzt Wolken.Heim. die Haltung der Dekonstruktion poetisch um, indem der Text die verweisende Funktion der Sprache an die Stelle ihrer repräsentierenden Funktion setzt.

168 In dem schon erwähnten Sammelband von Bartsch/Höfler sei hier auf die Studie Montage und Mimikry von Margarethe Kohlenbach hingewiesen, die gegen den Aufschrei der Kritik argumentiert, Jelinek würde mit Wolken.Heim. Klassiker wie Hölderlin und Kleist dem faschistoiden Diskurs der Deutschen zu- und unterordnen. Kohlenbach setzt dem gängigen Verständnis der Denunziation und Destruktion den Verweis auf das Original entgegen. Den Subjektentwurf sieht sie in der Negation gerade festgehalten. Georg Stanitzek beschreibt Jelineks Zitationsverfahren in seinem Aufsatz Kuckuck als Beobachtung zweiter Ordnung und deutet es als „Autopsieaufforderung an den Leser“. Er betont, dass Wolken.Heim als Metadiskurs über das Zitieren selbst gelesen werden muss. Vgl. Margarete Kohlenbach: Montage und Mimikry. Zu Elfriede Jelineks ‚Wolken.Heim‘, in: Bartsch/Höfler 1991, S. 121-153; Stanitzek 1991, S. XX. 169 Annuß 2005, S. 21.

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4.1 Das Eigenleben der Sprache in den Textflächen und 170 das „Nachleben“ der zitierten Rede In Jakob von Gunten schreibt Robert Walser: „Wir erfassen eines ums andere, und haben wir etwas erfasst, so besitzt es uns quasi. Nicht wir besitzen es, sondern im Gegenteil, was wir scheinbar zu unserem Besitz gemacht haben, herrscht dann über uns.“171 Auf die Sprache der theatralen Figur bezogen, lässt sich dieser Satz Walsers dem sprachlichen Auftritt von Jelineks Figuren als Motto voranstellen. Das Wir in Wolken.Heim. ist so gewendet nicht Besitzer der Sprache, sondern umgekehrt werden die Figuren zu Besessenen ihrer Sprache.172 Damit folgt der Text der dekonstruktivistischen Sprachauffassung, die das Paradigma Bewusstsein durch das der Sprache ersetzt.173 Das dezentrierte Subjekt wird in Wolken.Heim. dem Diskurs nachgeordnet und die Sprache wird dahingehend reflektiert und ausgestellt, dass sie nicht mehr als Kommunikationsmittel fungiert, sondern Eigenwert und Eigenleben erhält, indem sie das Subjekt dominiert.174 Die Sprache avanciert zum selbständigen Akteur175 und zeigt sich bis zur „Kenntlichkeit entstellt“176, indem die „symbolischrepräsentationale[n] Regeln ständig durch ihren poetisch-autoreflexiven, ‚semiotische‘ Qualitäten mobilisierenden Gebrauch durchbrochen“177 werden. Auf diese Weise entsteht die typisch Jelineksche Eigendynamik im Text, indem die Sprache „‚sich selbst spricht‘, wie ein Motor.“178 In dieser Verkehrung der Belebtheitsverhältnisse liegt das Unheimliche des Textes begründet. Gleichzeitig erschließt sich diese Verkehrung über die Eigenschaft Wolken.Heim.s als Textfläche. Die Ersetzung der Figur durch Text- oder Sprachflächen ist für Jelineks Theatertexte weitestgehend in der Forschung etabliert, und die Gültigkeit dieser These wurde auch für frühere Stücke wie Krankheit oder Moderne Frauen erarbeitet.179 Jedoch treten die Textflächen in Wolken.Heim. auf eine spezifische Weise auf. Gilt in Krankheit oder Moderne Frauen die Konstituierung der Figur durch Sprache im Sinne eines ‚Ich spreche, also bin ich.‘ (in Abwandlung von Descartes’ ‚Ich denke, also bin ich.‘), so könnte dies für Wolken.Heim. umformuliert werden zu: „Ich spre-

170 171 172 173 174 175 176

Vgl. Annuß 2005. Robert Walser: Jakob von Gunten, Frankfurt/Main 1985, S. 65. Vgl. Helwig 1994, S. 400. Vgl. Poschmann 1997, S. 250. Vgl. Poschmann 1997, 178. Vgl. Dürbeck 2006, S. 106. Jelinek im Gespräch mit Achim Roscher, in: Neue deutsche Literatur, 39 (1991), H. 459 (3/1991), S. 41-56, hier: S. 122. Zitiert nach Poschmann 1997, S. 205. 177 Vgl. Poschmann 1997, S. 205. 178 Haß: Grausige Bilder 1999, S. 43. 179 Vgl. Brüster 1993, S. 198.

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che, also bin ich nicht.“180 Während sich die Figur in Krankheit oder Moderne Frauen über die Sprache, wenn auch in einer flächigen Beschaffenheit, konstituiert, ist sie in Wolken.Heim. durch die Textflächen ersetzt. Die Textflächen symbolisieren keine Wirklichkeit mehr außerhalb ihrer selbst, sondern verweisen auf ihr eigenes Material.181 Über „Alliterationen, Assonanzen, Assoziationen, Wortspiele und Kalauer“182 bahnt sich die Sprache ihren Weg durch den Text, und sie tut dies in einer Bewegung von Zeichen zu Zeichen, woraus sich ihre Zweidimensionalität als Struktur ergibt. Für die Musikalität in Jelineks Sprache entwirft Gabriele Dürbeck den Begriff des „Jelinek-Sounds“.183 In ihrem „kompositorischen Umgang“ mit den Textcollagen könnten die Textflächen demnach auch als „Klangflächen“ verstanden werden, die „verschiedene Sprachmelodien und Sprachrhythmen“184 aufweisen. Ein bestimmendes Motiv ist dabei das Wir, das sich 362 mal185 in dem nur 21 Seiten umfassenden Stück wiederholt und die unterschiedlichsten Variationen erhält, in denen es sich kreisförmig um seine Begrenzung und Ausdehnung bewegt. So beginnt Wolken.Heim. unvermittelt mit den Worten: „Da glauben wir immer, wir wären ganz außerhalb. Und dann stehen wir plötzlich in der Mitte.“ (WH 137) und endet mit: „Wir aber. Wir aber. Wir schauen mit offenen Augen und suchen immer nur uns. Wachsen und werden zum Wald.“ (WH 158) Während der erste Abschnitt von Wolken.Heim. noch ohne Zitate auskommt,186 rekurriert der Text mit dem letzten Satz auf die 1800 entstandene Ode Die Liebe187 von Hölderlin. Evelyn Annuß bezeichnet die Szene als „narzisstische Blickkonstruktion“188 eines immer nur sich selbst suchenden offenen Auges. Der letzte Satz der Passage „Wachsen und werden zum Wald.“ verdeutliche dabei, dass hier kein „anthropomorphes Spiegelbild des Wir vor Augen“ gestelllt werde, sondern vielmehr der „Auftritt des Wir als räumlich imaginierte Naturwerdung erscheine[]“.189 Bedeutsam in Bezug auf das Unheimliche ist hier die inkonsistente Beschaffenheit des Wir, das keine Begren180 181 182 183 184 185

186 187

188 189

Neuenfeldt 2005, S. 161. Vgl. Hoff 1990, S. 113. Poschmann 1997, S. 204. Dürbeck 2006, S. 106. Ebd., S. 106. Vgl. Tilman Raabke/Jossi Wieler: Unsichtbare Familien. Gespenster. Der Dramaturg und sein Regisseur über Jossi Wielers Inszenierungen von ‚Wolken.Heim.‘, ‚er nicht als er (zu, mit Robert Walser)‘ und ‚Macht nichts‘, in: stets das Ihre. Elfriede Jelinek, hrsg. von Brigitte Landes, Theater der Zeit, Arbeitsbuch (2006), S. 10-15, hier S. 10. Vgl. Annuß 2005, S. 158. Friedrich Hölderlin: Die Liebe, in: ders.: Sämtliche Werke, Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe, hrsg. von Friedrich Beissner, Bd. 5, Stuttgart 1984, S. 520f. Zitiert nach Annuß 2005, S. 181. Ebd., S. 183. Ebd. S. 183.

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zung im Spiegelbild finden kann und folglich um sich greift und ins Grenzenlose ausufert. Diese Thematik wiederholt sich in dem ‚Blut und Boden‘-Motiv. Das Wir nimmt beides in sich auf, ist sowohl Boden als auch das den Boden tränkende Blut. Der Boden fasst uns alle, und, mit unsern Körpern getränkt, nehmen wir ihn uns wieder. […] Mit Wolken tränkt das Gewitter dich, du dunkler Boden, Ruhestätte, aber mit Blut der Mensch. […] Bei uns, im Boden sind wir heimisch. (WH 145f.)

Hier findet eine gegenseitige Verschlingung der Begriffe Boden und Blut im Wir statt. Das Gleiten zwischen Adressat und Sprecher, Ziel und Ursprung deutet auf ein bereits vollzogenes ‚Flüssig-Werden‘ nach Haß hin. Während die Figuren in Krankheit oder Moderne Frauen und Ein Sportstück ihrer Zukunft des ‚FlüssigWerdens‘ entgegensehen, scheint das Wir aus Wolken.Heim. bereits im ‚FlüssigSein‘ angekommen: „Die Freiheit. Die Materie hat ihre Substanz außer ihr, der Geist aber ist das Bei sich selbst Sein. Wie wir. Wie wir. Zuhaus sein. Bei sich sein.“ (WH 138) In Ermangelung eines Körpers ist es der Text, der der ausufernden Zersetzung des ‚Flüssig-Seins‘ anheimfällt. So bewegen sich die Textflächen in einer amorphen Struktur des Textes. „Mal stoßen sie frontal aufeinander, mal fließen sie ineinander und verknüpfen sich. Das Sprechen kann zerfasern und sich im Raum zerstreuen, aber auch eine chorische Funktion innehaben.“190 Was sich in Wolken.Heim. äußert, ist eine ausufernde Rede, der gleichwohl jegliche Erinnerung an ein Ufer fehlt. So entsteht ein amorphes Geflecht von Stimmen, das sich mit Evelyn Annuß als „unabsehbares Raunen“191 bezeichnen lässt. Jelinek selbst charakterisiert Wolken.Heim. als ein „Fugenthema“192, womit sie sowohl auf die musikalische Qualität als auch auf die Intertextualität des Stücks referiert. Die Fuge stellt ein musikalisches Kompositionsprinzip dar, das durch eine besondere Anordnung von Imitationen gekennzeichnet ist. In der musikalischen Nomenklatur verbleibend, stellt Jelinek Wolken.Heim. ihr drei Jahre später entstandenes Stück Totenauberg193 als „kontrapunktische Verarbeitung“ entgegen. In beiden Stücken habe sie „die großen klassischen Texte selbst sprechen lassen“, einmal als Zitat in Wolken.Heim. und einmal als Verarbeitung in Totenauberg.194 So zeichnet sich Wolken.Heim. als ein Text aus, der formal mit dem Zitieren arbeitet, ein 190 Hoff 2000, S. 45. 191 Annuß betitelt ihren Abschnitt zu Wolken.Heim. mit „Unabsehbares Raunen“. Annuß 2005, S. 137. 192 Vgl. Elfriede Jelinek in einem unveröffentlichten Gespräch mit Anke Roeder: „Ich mache Theater für Schuldige“, (1992), S. 1. Zitiert nach Poschmann 1997, S. 205. 193 Elfriede Jelinek: Totenauberg, Reinbek bei Hamburg 1991. 194 Vgl. Poschmann 1997, S. 277.

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Text, in dem der Text ‚selbst spricht‘, und der jenseits dieser Form nicht zu erschließen ist. In kaum einem anderen Theatertext verwendet Jelinek ein so vielfältiges Geflecht von Fremdtexten wie in Wolken.Heim.195 Die Bedeutung dieser ausufernden Zitierpraxis für das Unheimliche Wolken.Heim.s lässt sich zu großen Teilen mit Evelyn Annuß’ Untersuchung Theater des Nachlebens196 erklären, in der sie höchst aufschlussreich Jelineks intertextuelles Verfahren mit der rhetorischen Trope der Prosopopoiia zu fassen sucht. Da Annuß’ Ansatz hier von großer Relevanz ist, soll er im Folgenden ausführlich dargelegt werden. Indem Annuß in Anlehnung an Walter Benjamin den Doppelcharakter von Mortifikation und Nachleben im Zitat reflektiert, erhält die Frage nach dem „Welches Wer da spricht“197 eine unheimliche Dimension. Mit der Prosopopoiia, die, als Verstehensfigur im Sinne von Paul de Man, Figuren nicht nur ein Gesicht – in seiner ambivalenten Funktion als Maske –, sondern auch eine Stimme verleiht, macht Annuß den Begriff des Nachlebens für Wolken.Heim. fruchtbar. Mit Benjamin gesprochen, versteht Annuß das Nachleben als eine „posthume Vergegenwärtigung im Zitat […], die das Verwendete rekontextualisiert, damit verwandelt und als Mortifiziertes fortdauern lässt“.198 Indem sie den Doppelcharakter von Mortifikation und Neubelebung des Zitierens hervorhebt, setzt Annuß das Theater Jelineks in einen Kontext des Unheimlichen.199 Annuß’ Ansatz folgend, steht hier nicht mehr die Frage der Referenz und Autorschaft der Zitate im Zentrum des Interesses, sondern vielmehr die Frage danach, wie das Zusammenspiel der Textflächen das Moment des Unbelebten im Zitat ausstellt. Dadurch, dass die Textur in Wolken.Heim. einen schier unrekonstruierbaren Grad erreicht, werde deutlich, dass der Text „über den mythendestruierenden Umgang mit dem [...] Gehalt des Zitierten hinausweist“200 und vielmehr an dem My195 Stephanie Kratz markiert die vorsichtigen Formulierungen der bis dato erschienenen Forschungsliteratur zur Intertextualität in Wolken.Heim. und resümiert „Keine noch so präzise und ausgiebige Recherche des professionellen Texterkennungsdienstes namens Literaturwissenschaft kann letztlich angeben, ob zum Beispiel neben Fichteschen, Kleistschen und Hegelschen Worten auch Jelineksche Worte unter dem Titel „Wolken.Heim“ versammelt sind […].“ Vgl. Stephanie Kratz: Undichte Dichtungen. Texttheater und Theaterlektüren bei Elfriede Jelinek, Diss., Köln 1999, S. 90f. 196 Annuß 2005. 197 Ebd., S. 11. 198 Ebd., S. 21. 199 Auch Pflüger beschreibt Jelineks Intertextualität als eine „unheimliche ‚Erweckung der Toten‘“, da sie im Zitieren tote Texte der Vergangenheit zu neuem Leben erwecke. Pflüger 1996, S. 210. 200 Annuß sieht in Wolken.Heim. die ideologiekritische Lesart von Jelineks Zitierpraxis infrage gestellt, da Jelinek hier das Zitieren selbst in seiner Nachträglichkeit

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thos von einem ‚Original‘-Text selbst arbeitet. Dabei geht es im Kontext des Unheimlichen nicht so sehr um die Beantwortung der Frage ‚Wer spricht?‘, sondern vielmehr um die Frage nach der Belebtheit dieses ‚Wer‘. Und es wird deutlich, dass, indem die Sprache als tautologische Formel selbst an ihren Ausgangspunkt tritt, wie das „Wir sind wir“ (WH 139) des Textes, hier etwas „von fraglicher Belebtheit“201 ins Zentrum rückt und den Text unheimlich werden lässt. Diese Offenheit der Bedeutungen, die Wolken.Heim. provozierend ausstellt, verdeutlicht Evelyn Annuß besonders eindrücklich an einer Passage des neunten Textabschnitts, in der das Nachleben des darin enthaltenen Hölderlin-Zitats offen zutage tritt. Geh zu deinen Freunden, die du dir gewählt, dort steht ein Mensch, den kenn ich! Aber komm wieder! O nehmt uns, nehmt uns mit in die Reihen auf, damit wir einst nicht sterben gemeinen Tods! Umsonst zu sterben lieben wir nicht, doch lieben wir, zu fallen am Opferhügel fürs Vaterland, zu bluten des Herzens Blut fürs Vaterland – und bald ist’s geschehen! Zu euch, ihr Teuern! Komm ich, die mich leben lehrten und sterben, zu euch hinunter! Der Boden fasst uns alle, und, mit unsern Körpern getränkt, nehmen wir ihn uns wieder. Laßt uns schreien, denn wir wollen wiedergeboren werden! Aus der Erde, die uns gehört, nachdem wir die Nacht verjagt haben. Sie gehört uns! Wir wohnen hier! Brüderlich ist’s hier unten bei uns und Siegesboten kommen herab von euch. Lebe droben, o Vaterland, wir hier unten achten auf dich und stoßen die Schätze des Bodens mit unsren müden Füßen ans Licht. Zähle nicht die Toten! Dir, Vaterland, Liebes ist nicht einer zu viel gefallen. Zu lang schon walten wir unter den Füßen der andern, jetzt ist es Zeit, du in der dunklen Wolke, Gott der Zeit! (WH 145, Hervorhebungen zitiert nach Annuß 2005, S. 178)

Wolken.Heim. zitiert hier aus den letzten vier Strophen von Hölderlins rhapsodischem Odenentwurf Die Schlacht/Der Tod fürs Vaterland.202 Annuß führt an, dass Jelinek die erste Strophe unterschlage, die das Gedicht laut der gängigen Forschungsmeinung als Revolutionsgedicht gegen das feudale Herrschaftssystem ausweise.203 Darin bezeichne das apostrophierte Vaterland ein republikanisches Ideal

problematisiert. Daraus schließt Annuß, dass es ihr um eine Kritik des eigenen Verfahrens gehe und nicht um eine Kritik am zitierten Material. Vgl. Annuß 2005, S. 168. 201 Poschmann 1997, S. 178. Jelinek selbst betont den untoten Charakter des Sprechers, wenn sie sich Wolken.Heim. aus einem „kleinen Volksempfänger gesendet, wie von einer Maschine gesprochen“ imaginiert. Jelinek: kein Theater, S. 32. 202 Friedrich Hölderlin: Die Schlacht/Der Tod fürs Vaterland, in: ders.: Sämtliche Werke, Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe, hrsg. von Friedrich Beissner, Bd. 5, Stuttgart 1984, S. 403411. Zitiert nach Annuß 2005, S. 178f. 203 Zur Textgeschichte und zu den unterschiedlichen Fassungen der Ode vgl. Hölderlin 1984, S. 403-411. Zitiert nach Annuß 2005, S. 178f.

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in der Hoffnung, die bürgerliche Revolution ließe sich von Frankreich auf den deutschen Kontext übertragen.204 Indem Jelinek jedoch den Anfang auslasse, bringe sie das Gedicht um diesen möglichen politischen Bezug, so Annuß. Stattdessen schließt Jelinek eine Passage an, die auf einem Zitat aus Fichtes Reden an die deutsche Nation205 basiert: Jetzt kommen wir und sind zuhaus dort unten. Die Erde bebt. Wir zittern dort in unsrer eigenen Kälte und wärmen unsre Körper aneinander. Hier sind wir alle. Und einmal treten dann endlich wir in vollendeter Klarheit heraus. Leben das Neue oder lassen das Nichtige wenigstens entschieden fallen und stehen aufmerksam da, ob irgendwo der Fluß des Lebens uns ergreifen wird oder, falls wir nicht so weit wären, die Freiheit wenigstens ahnen und sie nicht hassen oder vor ihr erschrecken, sondern sie lieben. Wir wir wir! All diese ursprünglichen Menschen wie wir, ein Urvolk, das Volk schlechtweg. Deutsche! Deutsche! Deutsche! (WH 145, Hervorhebungen zitiert nach Annuß 2005, S. 161)

In diesem Zitat nimmt Jelinek wieder eine entscheidende Unterlassung vor. Annuß verdeutlicht, wie Jelinek den relativierenden Konditionalsatz in Fichtes Text übergehen lässt: „alle diese sind ursprüngliche Menschen, sie sind, wenn sie als ein Volk betrachtet werden, ein Urvolk, das Volk schlechtweg, Deutsche.“206 Indem sie Fichtes Einschränkung auslasse, überführe Jelinek in Wolken.Heim. laut Annuß die Geste des Ausschlusses vom Thematischen ins Rhetorische.207 Dafür füge sie ein dreimaliges Wir ein, setze Fichtes Nennung der Deutschen ebenfalls in eine dreimalige Wiederholung und verwandele sie durch die syntaktische Änderung in eine Apostrophe. Weiter beobachtet Annuß, dass, während in Fichtes Text der Nennung der Deutschen ein Komma vorangehe, Jelinek hier einen Punkt setze und den anrufenden Charakter durch Ausrufezeichen unterstreiche. Diese Passage des Fichte-Zitats, die die Apostrophierung der Deutschen in den Text einführt und den bisherigen Redefluss mit dieser Anrufung deutlich unterbricht,208 öffnet den vorher verwendeten Hölderlin-Text für einen anderen Kontext.

204 Vgl. Annuß 2005, S. 179. 205 Johann Gottlieb Fichte: Reden and die deutsche Nation, 5. durchgesehene Auflage nach dem Erstdruck von 1808, mit neuer Einleitung von Reinhard Lauth, Hamburg 1978, S. 121. Zitiert nach Annuß 2005, S. 161. 206 Fichte 1978, S. 121. Zitiert nach Annuß 2005, S. 161f. 207 Vgl. Annuß 2005, S. 162. 208 Die zweite Zäsur im Text verortet Kohlenbach nach dem zweiten Drittel von Wolken.Heim. im ersten Auftauchen der Briefe von inhaftierten Mitgliedern der Roten Armee Fraktion. In diesen Zitaten werde die hohe Ebene des bisher herangezogenen klassischen und philosophischen Sprachmaterials verlassen. Vgl. Kohlenbach 1991, S. 123.

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Annuß stellt fest, dass Wolken.Heim. durch die Anordnung der Zitate und deren klangliches Gewicht eine Verwandtschaft zwischen Hölderlins stark veränderter Ode und einer nationalistischen Vorstellung von Vaterlandsliebe fingiere, wie sie bei Fichte unter dem Eindruck der napoleonischen Besetzung die Kritik des Feudalismus ersetze. Laut Annuß erscheine Hölderlin so im Kontext eines „endogamen Phantasmas“, das in Tod fürs Vaterland selbst so nicht angelegt sei.209 Annuß verdeutlicht in ihrer Studie die im Prozess des Zitierens stattfindende Mortifikation und Neubelebung der angeführten Rede und beschreibt Jelineks Zitierverfahren als „transtextuelles Reflexionsprojekt, das wie das Echo die Zuschreibung des Verlauteten an eine Gestalt mittels Prosopopoiia in Frage stellt“.210 So betone der Text das Gespenstische und Unheimliche an der Zitierpraxis selbst.211 Darüber hinaus ist von Bedeutung, dass der Begriff von Intertextualität, der in Wolken.Heim. offenbar wird, mit Jelineks theaterästhetischer Programmatik gegen die Verlebendigung der Figur korrespondiert, da es den letalen Charakter des Zitierens betont. Annuß betont, dass Jelinek in Wolken.Heim. statt der zwischenmenschlichen die zwischentextlichen Beziehungen zur Sprache bringe, sie übertrage also das Zeigen des Zeigens als Bestimmungsmoment des epischen Theaters im Konzept ihrer Textflächen auf das rhetorische Feld.212 Während Krankheit oder Moderne Frauen darauf verweist, dass ein Schauspieler einen Schauspieler spielt, gibt es in Wolken.Heim. nicht einmal mehr die Rollenfigur des Schauspielers. Dementsprechend schließt Wolken.Heim. an das Unheimliche im Theater von Brecht und Horváth an (vgl. III.1). Jelinek überträgt die Demaskierung als Entlarvung eines ständigen Maskenspiels jedoch vom Schauspieler auf das Feld der Textflächen. Das Stück fingiert gerade keine intersubjektive Gesprächsszene mehr, innerhalb derer die Figur als Maske einer Maske entlarvt würde, sondern „inszeniert und provoziert nicht zu kalkulierende, kommende Lesarten im offenen Schallraum zwischen den Texten“, wie Annuß schreibt.213 Das Unheimliche speist sich in Wolken.Heim. also aus den ursprungslosen Textflächen, in denen sich die Sprache über ihre spezifische Zitierpraxis selbst spricht.

209 Annuß 2005, S. 179. Wolken.Heim. ist jedoch keineswegs als Denunziation von Hölderlins Werk in eindeutiger Zuschreibung als deutsch-nationales Gedröhn zu verstehen. Vgl. Pflüger 1996, S. 252. Vielmehr tritt Wolken.Heim. auch an dieser Stelle als Kritik an der Praxis des Zitierens auf, indem es eine mögliche Form des Nachlebens von Hölderlins Werk aufzeigt. 210 Ebd., S. 186. 211 Vgl. Rainer Just: Zeichenleichen – Reflexionen über das Untote im Werk Elfriede Jelineks (2007), http://jelinetz.com/2007/05/21/rainer-just-zeichenleichen-reflexionen-uber-das-untote-im-werk-elfriede-jelineks/, letzter Zugriff: 19.05.2017. 212 Vgl. Annuß 2005, S. 49. 213 Ebd., S. 185f.

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Dabei begründet zum einen die darin stattfindende Verkehrung der Belebtheitsverhältnisse zwischen Sprecher und Sprache das Unheimliche und zum anderen wird dieses über die von Evelyn Annuß für Jelineks Theatertexte fruchtbar gemachten Mechanismen der Mortifikation und Neubelebung beschreibbar. Im Folgenden soll die Frage danach vertieft werden, wie das Eigenleben der Sprache, das bis hierhin mehrfach behauptet wurde, in Wolken.Heim. charakterisiert ist. 4.2 Das thanatologische Streben der simulierten Sprache Die Vielstimmigkeit der Rede ist in Wolken.Heim. durch den inflationären Gebrauch von Fremdtexten derart gesteigert, dass sie in einen Bereich der infiniten Bedeutungsmöglichkeiten eintritt. Maja Pflüger verbindet Derridas Vorstellung von der ‚soufflierten Rede‘ mit Bachtins Begriff der Dialogizität. Dabei erscheint eine durch die dekonstruktive Bewegung dynamisierte Intertextualität als Grundmuster von Jelineks textuellem Verfahren, das mittels der Einbeziehung fremder Texte neue Bedeutungen generiert.214 Hier wäre der ebenfalls von Pflüger aufgeworfene Ausdruck der ‚Mehrstimmigkeit‘ dem Begriff der ‚Dialogizität‘ vorzuziehen, da er die Unabschließbarkeit der Rede betont, ohne von einer dialogischen Bezogenheit der Sprecher aufeinander auszugehen. Die Mehrstimmigkeit betont durch den Verweis auf die Stimme außerdem die klangliche Qualität der Sprache und lässt daher den Raum für ihre rhythmische Struktur jenseits der symbolischen Ordnung offen. Pflüger betont in Rekurs auf Derrida: „Die Bedeutung der Rede kann nie vollständig gesteuert werden, denn sie verschiebt sich unter der Hand, da andere Stimmen sich einmischen. Weder der Interpret noch der Autor verfügen über den Text.“215 Indem Wolken.Heim. eine infinite Bedeutungsvielfalt der Rede offenbart, gibt das Stück die beglaubigende Funktion von Autorschaft zugunsten des Materialcharakters der Texte auf216 und betont damit noch einmal die oben formulierte Programmatik der Sprache, die sich selbst spricht. In Wolken.Heim. radikalisiert Jelinek den Eigenwert der Sprache derart, dass nicht mehr die Maxime: „Die Schauspieler SIND das Sprechen“217 gilt, sondern vielmehr: Die Sprache ist das Sprechen. Dieser Höhepunkt der Selbstreflexivität der Sprache steht jedoch vielmehr im Zeichen ihres Umschlags in die Absenz von Reflektion. So kippt die Sprache gleich der Formel des „Wir sind wir“ (WH 139) in die Tautologie, die Roland Barthes als „arrogante Androhung einer Ordnung, in der man nicht denken

214 215 216 217

Vgl. Pflüger 1996, S. 17. Ebd., S. 46. Vgl. Annuß 2005, S. 208. Jelinek: Sinn 1997, S. 9.

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würde“218 beschreibt. In der Unmöglichkeit, eine oder auch mehrere Bedeutungen im Text zu arretieren, erscheint Wolken.Heim. als ein ständiges Spiel von „SinnVerschiebungen“219 und unterhöhlt damit die symbolische Sinngebungspraxis. So droht die rationale Sprache in Wolken.Heim., ebenso wie der Körper in Krankheit oder Moderne Frauen, dem ‚Flüssig-Werden‘ anheimzufallen. Hier findet sich die inhaltliche Thematisierung eines flüssigen allumfassenden Wir (vgl. III.3.2) auf der strukturellen Ebene in den unbegrenzten Möglichkeiten der Modellierung von sprachlicher Bedeutung wieder. In einer gewaltigen Bildkraft zeichnet Wolken.Heim. seine eigene sprachliche Strategie nach: Und unser Wort ist am Boden festgebunden, in uns. Wir werden geschichtet, Gerippe der Geschichten, zu Bergen, über die rauschend die Wasser stürzen, wie werden wir, die gewaltigen Massen, emporgeschichtet, wo sammelt der Bergstrom seine Wasserfülle, die aus geheimer Kluft mächtig hervorbricht? Was hält uns zusammen, bevor wir hinausschießen, Wasserfluten, in die Ebene. (WH 147f.)

Diese Passage kann sowohl im Hinblick auf Jelineks Zitierpraxis als auch auf ihr stilistisches Verfahren der Anhäufung von bedeutungsgleichen Wörtern (Pleonasmen) verstanden werden. In ihrer Eigenbewegung weiten sich die Textflächen über unzählige Wiederholungen und Variationen von Wörtern oder Sentenzen auf der zweidimensionalen Ebene aus. Hierbei scheinen sie jedoch eher ihrem musikalischsemiotischen Charakter zu folgen, als einer symbolischen Deutung den Weg zu bahnen.220 Sie gewinnen nicht an Tiefe, sondern stellen die Vielfalt ihrer Bedeutungen als Produktion in Serie aus, wenn es in schier ewiger Doppelung heißt: „Wir aber, wir lassen alle ruhen auf ewig. Wir aber stehn wieder auf. Wir gehören her und pflegen mit sorgender Liebe. Wir sind nicht die andren. Wir sind in uns […].“ (WH 141) Wie bereits in III.3.2 erwähnt, wird das Semiotische trotz seines jenseits des Symbolischen operierenden Modus durch das „Prinzip von Metonymie und Metapher“221 bestimmt. Jedoch stehen diese Prinzipien hier nicht im Dienste der Bedeutung, wie sie es in der dreistelligen Struktur der symbolischen Ordnung mit der Fähigkeit zur Unterscheidung tun. In Wolken.Heim. funktioniert eine ganze Reihe von Sätzen nach diesem Verständnis der Metapher jenseits der herkömmlichen Sinngebung: „Da können sich noch so viele Schienen überkreuzen, wir liegen übersicht218 Roland Barthes: Mythen des Alltags. Frankfurt/Main 1964. Hier zitiert nach Helwig 1994, S. 398. 219 Poschmann bezeichnet diesen Prozess-Charakter von Wolken.Heim. als „unbequem“ und „unheimlich“. Vgl. Poschmann 1997, S. 281. 220 Vgl. Caduff 1991, S. 270. 221 Kristeva 1978, S. 39.

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lich vor uns und den anderen Wanderern, gute, markierte Wege.“ (WH 137) Auch wenn die Metapher von „Schienen überkreuzen“ und auch „markierte Wege“ als Bilder für Personen dienen können, zeigt sich an dieser Passage die Schwierigkeit, aus den verwendeten Metaphern einen eindeutigen Sinn abzuleiten. Auf den gesamten Text gemünzt, wird deutlich, dass die symbolische Ausdeutung der verwendeten Metaphern zu keinem Textsinn führt. Metaphorisch überladene Ausdrücke, wie „unsre geselligen Füße“ (WH 140) machen das Prinzip der Sinnentstellung in Opposition zur Sinngebung deutlich. Wolken.Heim. bedient sich also sprachlicher Prinzipien, die auf den ersten Blick der symbolischen Ordnung zuzuordnen sind, nur um sie derart sinnentstellend zu gebrauchen, dass sie sich diesem Kontext wieder entziehen. So lässt sich, wie oben bereits angedeutet, eine Betonung des Semiotischen im Sprachgebrauch von Wolken.Heim. ausmachen, die sich vorwiegend durch die Akzentuierung ihrer klanglich-rhythmischen Qualität gegenüber ihrer bedeutenden Funktion ergibt.222 Hieraus speist sich ein Teil der unheimlichen Wirkung, da Wolken.Heim. in seiner amorph ausufernden Rede auf das Semiotische als Modus im Subjekt anspielt. Als ein verdrängtes infantiles Stadium ist das Semiotische der thanatologischen Bewegung im Subjekt zuzuordnen. Oder wie das Wir mit „einer Silbe ins Unendliche“ spricht: „Wir haben diesen Glauben an den Tod […].“ (WH 146) So entfaltet die Rede von Wolken.Heim. eher im Rhythmus der Sprache als auf inhaltlicher Ebene seine unheimliche Wirkung. In Anbetracht seiner Aufführungsbezogenheit als Text für das Theater ist die Bedeutung der klanglichen Qualität dieses organisch pulsierenden, fließenden Textes im Kontext des Unheimlichen zu unterstreichen. Im Hinblick auf die Zuordnung von Jelineks Werk zu Denkansätzen der Postmoderne, lässt sich ihre Sprachpraxis dabei mit Derridas poststrukturalistischer Auffassung des Zeichensystems als Struktur von Differenzen erklären. Das unheimliche Potential der Sprache bzw. der Sprach- oder Textflächen speist sich aus ihrer oben schon angedeuteten Serialität und Flächigkeit, die in ihrer Simuliertheit mit den seriellen Körpern aus Krankheit oder Moderne Frauen korrespondieren. In ihrer Eigenschaft als Verweissystem im zweidimensionalen und nicht dreidimensionalen Raum – von Signifikant zu Signifikant, und nicht von Signifikant zu Signifikat weisend – operiert die Sprache von Wolken.Heim. parallel zu Derridas Begriff der Dekonstruktion.223

222 Zum Semiotischen in Jelineks Sprache vgl. vor allem Caduff 1991. 223 Zu diesem Schluss kommt auch Andreas Heimann, der bezüglich des Unheimlichen in Die Kinder der Toten resümiert: „Die Sprache selbst wird immer wieder in ihrer künstlihcen Setzung entlarvt.“ Heimann 2015, S. 185.

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Derrida versteht jeden Bezeichnungsvorgang als ein formales Spiel von Differenzen, in dem sich jedes Element aufgrund „der in ihm vorhandenen Spur der anderen Elemente der Kette oder des Systems konstituiert“.224 Das Spiel der Differenzen setzt in der Tat Synthesen und Verweise voraus, die es verbieten, daß zu irgendeinem Zeitpunkt, in irgendeinem Sinn, ein einfaches Element als solches präsent wäre […]. Kein Element kann je die Funktion eines Zeichens haben, ohne auf ein anderes Element, das selbst nicht einfach präsent ist, zu verweisen […]. Aus dieser Verkettung folgt, daß sich jedes ‚Element‘ – Phonem oder Graphem – aufgrund der in ihm vorhandenen Spur der anderen Elemente der Kette oder des Systems konstituiert. Diese Verkettung, dieses Gewebe ist der Text, welcher nur aus der Transformation eines anderen Textes hervorgeht.

225

Derridas Zeichen- und Textbegriff scheint in Jelineks Sprache sowohl bezüglich ihrer Intertextualität als auch auf der Wortebene seine poetische Umsetzung gefunden zu haben. Die Sprache entpuppt sich hier in ihrer Zweidimensionalität als Projektion.226 Yasmin Hoffmann vergleicht Jelineks Texte mit „Skeletten […], die in einem hypertrophierten Verhältnis zum Signifikanten stehen, die eigentlich nur noch die Materialität des Signifikanten widerspiegeln, von einem zum anderen gleiten und durch das Gleiten Sinn erzeugen.“227 Durch die Nutzung semantischer Differenzen bei gleichzeitiger phonetischer Identität (oder großer Ähnlichkeit) entsteht in Wolken.Heim. mehr „Sinn-Effekt“228 denn Sinn: „Wir wären uns gewohnt und wohnten unter uns. Wir glauben uns.“ (WH 138) Mittels minimaler „metathetischer Verschiebungen“,229 Alliterationen und Assonanzen wird Sinn aus der Fortbewegung von einem Lautkörper zum anderen simuliert.230

224 225 226 227 228 229 230

Derrida: Semiologie 1990, S. 150. Ebd. Blödorn 2005, S. 210. Hoffmann 1991, S. 52. Poschmann 1997, S. 250. Spielmann 1991, S. 52. Spielmann verdeutlicht den Unterschied zwischen Unsinn und dem Vortäuschen von Bedeutung, indem der Sinn durch einen „Sinn-Effekt“ substituiert wird und exemplifiziert dies an dem Satz: „Solchen Blicken ist sie [Erika] seit Jahren aus dem Weg gegangen, indem sie einhäusig blieb“ aus Die Klavierspielerin. Zitiert nach Spielmann 1991, S. 52. Hoffmann versucht auf den Spuren der (botanischen) Wortbedeutung und der allegorischen Bedeutung der „weiblichen Häuslichkeit“ eine Bedeutung herauszufiltern, kommt jedoch in der Verkoppelung von „einhäusig bleiben und „aushäusig saufen“ zu dem Schluss, dass hier ein Sinn entsteht, „den es in der Wirklichkeit nicht gibt und nicht zu geben braucht“. Hier verkommt die Innerlichkeit laut Hoffmann zur „sprachlichen Chimäre“. Vgl. Hoffmann 1991, S. 52ff.

154 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN Die Hand strecken wir nach dem Nachbarn aus, um seine Wege in die sträubenden Wolken zu lenken und uns an seine Stelle zu setzen und auszuruhn. Wir brauchen Raum. Wir brauchen Ruhm! Wir sind noch nicht fertig. Es gehört uns, wir sind nicht von gestern. (WH 140)

Der erste Satz kann als Metapher für den folgenden Gang der Sprache gelesen werden: Die Sprache „streckt die Hand nach ihrem Nachbarn aus“ und setzt das Wort „Raum“ an die Stelle von „auszuruhn“, etabliert dabei den Satzanfang mit „Wir“, behält dies bei und vertauscht ein ‚n‘ mit einem ‚m‘ und ein ‚a‘ mit einem ‚h‘, schon ist sie bei „Ruhm“ angelangt, um mit dem „Wir“ im Satzanfang weiter voranzuschreiten - doch auch dann ist sie, die Sprache, „noch nicht fertig“. Wolken.Heim. legt seine Produktionsweise als eine unendlich weiterzuführende Serie von sprachlichen Zeichen dar: Signifikanten erzeugen Signifikanten erzeugen Signifikanten.231 So gipfelt die Simuliertheit von Jelineks Sprache in dem Paradox, dass die Ver-Körperung von Sprache zu einer entkörperten Sprache führt.232 In dieser Negation der fixierbaren Bedeutung entspricht das sprachliche Verständnis von Wolken.Heim. Derridas Begriff der Differenz und bewegt sich damit im Rahmen der poststrukturalen Zeichentheorie, welche die Bedeutung von Zeichen nicht aus einer Identität zwischen Signifikat und Signifikant ableitet, sondern allein aufgrund der Differenz zu anderen Zeichen.233 Das sprachliche Zeichen ist folgerichtig nicht Ausdruck eines hinter ihm stehenden Subjekts, vollzieht sich nicht im dreidimensionalen Raum der Tiefe, sondern operiert an der Oberfläche im Verweis auf sein Nebenstehendes (oben: „Nachbarn“), das wiederum auf sein Nebenstehendes verweist bzw. aus ihm entsteht. Darin führt Jelinek das Unheimliche dieser poststrukturalistischen Sprachauffassung vor. Denn, wie Derrida ausführt: Da die Spur kein Anwesen ist, sondern das Simulacrum eines Anwesens, das sich auflöst, 234

verschiebt, verweist, eigentlich nicht stattfindet, gehört das Erlöschen zu ihrer Struktur.

Die simulierte Sprache bringt also das Unheimliche in ihrem thanatologischen Streben unweigerlich mit sich. So richtet sich die Ankündigung aus Jelineks Roman Lust: „[…] hören Sie! Die Sprache selbst will jetzt sprechen gehen!“235 letztendlich gegen das ‚Selbst‘ der Sprache.236 Die Prosopopoiia als sprachliche Figur verstellt ihre eigene Figurativität, indem sie das von ihr Produzierte – die durch die Stimme 231 232 233 234

Vgl. Kratz 1999, S. 214. Vgl. Blödorn 2005, S. 210. Vgl. Derrida: Semiologie 1990, S. 154. Jaques Derrida: Die différance, in: Peter Engelmann (Hg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart, Stuttgart 1990, S. 107. 235 Elfriede Jelinek: Lust, Reinbek bei Hamburg 1989, S. 28. 236 Vgl. Kratz 1999, S. 9.

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konstituierte ‚Person‘ – als vorgängig erscheinen lässt.237 Entledigt sich der Text Wolken.Heim. im Verweis auf seine Materialität der Textflächen diesem vorgängigen Subjekt, so enthebt er sich in der Liquidierung seines Sprechers letzten Endes seiner selbst. Denn wenn die Instanzen der Rede zum Verschwinden und Verstummen gebracht werden, dann verschwindet und verstummt mit ihnen der Text und letzten Endes die Sprache selbst.238 In diesem Sinne führt das Eigenleben der Sprache in Wolken.Heim. auf paradoxe Weise zu ihrem eigenen Tod bzw. Untod und trägt damit zu einer weiteren Drehung des Unheimlichen im Text bei. Die Sprache geriert sich in ihrem dekonstruktivistischen Verständnis als simulierte, gleichsam thanatologisch agierende, da grenzenlos in ihrer Ausbreitung und vereinnahmend in der Fläche. Exkurs: Das Unheimliche erhält seinen Auftritt: Das Chorische in Einar Schleefs Inszenierung von Ein Sportstück (1998) Bis hierhin wurde das Unheimliche in Jelineks Theatertexten vornehmlich hinsichtlich der Strategien untersucht, wie Körper, Figur und Sprache in Oberflächenstrukturen gefasst werden. In diesen flächigen Konzepten (von Körper, Figur und Sprache) steht die semiotische Kraft im Zentrum des Interesses – im Gegensatz zur traditionellen symbolischen Repräsentationsfunktion und als Wirkung gegen diese. Es hat sich gezeigt, dass die Textflächen als dekonstruktive Haltung ihre thanatologische und somit unheimliche Wirkung entfalten. Berücksichtigt man die Theatralität der Texte, stellt sich die Frage nach den Inszenierungsmöglichkeiten der Textflächen.239 Die Forschung spricht von der Undarstellbarkeit Jelinekscher Theatertexte, es herrscht Einigkeit über ihre anti-repräsentative, anti-mimetische Theaterästhetik.240 Trotzdem finden Theatertexte wie Wolken.Heim. ihren Weg auf die Bühne und sind explizit für diese geschrieben. Die Regisseure sind gezwungen, die Rede einem Sprecher zuzuordnen, den Text als Monolog zu präsentieren, der Mehrstimmigkeit in szenischem Sprechen Rechnung zu tragen oder sie im Chor aufgehen zu lassen. Die Entscheidung der Regisseurin oder des Regisseurs über die Form der Rede ist hier schon Ausdruck für die Interpretation des Textes, da die Form in Jelineks Theatertexten mit ihrem Inhalt zusammenfällt. Die chorische Darstellung ist dabei eine 237 Vgl. Bettine Menke: Prosopopoiia. Die Stimme des Textes – die Figur des ‚sprechenden Gesichts‘, in: Gerhard Neumann (Hg.): Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft, Stuttgart/Weimar 1997 (= DFG-Symposion 1995), S. 226-251, hier S. 234. 238 Vgl. Kratz 1999, S. 9. 239 Z ur Frage nach den Aufführungsmöglichkeiten von Wolken.Heim. vgl. Schmidt 2000. 240 Vgl. unter anderem Annuß 1999, S. 45f.

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Form, die das semiotische Potential von Jelineks Sprache betont. Indem der Chor die rhythmischen Qualitäten der Sprache favorisiert und gegen die Unterscheidbarkeit der individuellen Stimme anarbeitet, spiegelt der Chor das thanatologische Moment der Textflächen wider. 1998 wird Ein Sportstück am Wiener Burgtheater in der Regie von Einar Schleef uraufgeführt. In Schleefs Inszenierung kommt über seine Betonung des Chorischen das Semiotische besonders deutlich zum Tragen, weshalb sie hier als Beispiel für eine Inszenierungspraxis des Unheimlichen herangezogen wird. Der Chor bietet sich als Ausdrucksform von Jelineks Textflächen an und betont gleichsam sein entgrenzendes Moment.241 Die Chöre in Schleefs Inszenierung unterscheiden sich von traditionellen Chorimitationen dadurch, dass sie in einem Theater stattfinden, das sich von den Semantiken der Darstellung umfassend und systematisch verabschiedet hat. So tritt die den Handlungsablauf kommentierende Rolle des antiken Chors hier in den Hintergrund.242 Statt neben den Figuren zu agieren, tritt der Chor in Schleefs Inszenierung an die Stelle der protagonistischen Rede.243 Doris Kolesch betont, dass Schleefs Inszenierung den Transformationen des Theaters im digitalen Zeitalter Rechnung trägt, da sie die militärisch-sportlichen Techniken der Körperdisziplinierung bis zur Erschöpfung sowohl der Schauspieler als auch des Publikums vorführt.244 Um einen Eindruck der Inszenierung zu vermitteln, zitiere ich hier eine Passage aus Koleschs Schilderung, in der die markantesten Spezifika der Inszenierung angesprochen sind: Lange Passagen der Inszenierung von Ein Sportstück führen Chöre vor: Sprechchöre, singende Chöre, Männer-, Frauen- und gemischte Chöre, deren Körper zudem uniform gekleidet sind. Chöre, die nicht nur synchron sprechen, schreien oder singen, sondern auch synchron agieren, an Trainingseinheiten gemahnende Bewegungen ausführen, hin und her rennen oder sich Bälle zuspielen. Wir sehen keine Schauspieler, die Sportler spielen, sondern Schauspieler, die sich als und wie Sportler bewegen, die über die Bühne hasten und an die Grenzen ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit kommen. Der Chor stürzt an die Rampe, etwa 40 zumeist jüngere Frauen und Männer, alle in schwarze Kutten gewandet, schmettern zum Ton des Deutschlandlieds die Hymne: ‚Gott erhalte, Gott beschütze unsern Kaiser, unser Land.‘ Dann

241 Vgl. Kolesch 1999 und Ulrike Haß: ‚Der Chor wird eher gehört als gesehen‘. Im Körper des Chores. Zur Uraufführung von Elfriede Jelineks Ein Sportstück am Burgtheater durch Einar Schleef, in: Erika Fischer-Lichte/Doris Kolesch/Christel Weiler (Hg.): Transformationen. Theater der neunziger Jahre. Beiträge des 3. Kongresses der Gesellschaft für Theaterwissenschaft in Berlin 1998, Berlin 1999, S. 71-82. Im Folgenden: Haß: Sportstück 1999. 242 Vgl. Hoffmann: Blut 1991, S. 196. 243 Haß: Sinn 1999, S. 52. 244 Vgl. Kolesch 1999, S. 65.

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verfliegt die Melodie, der Chor skandiert, ausgerichtet auf eine im Rang postierte Chorführerin, verschiedene Texte über den Zusammenhang von Sport und Krieg, von Körperdressur 245

und Disziplin.

Bedenkt man die Länge der Aufführung – die Dauer der Vorstellungen variierte von fünf bis sieben Stunden – wird Schleefs Konzept deutlich. Indem er die Schauspieler solange über die Bühne hetzt, bis sich ihre Erschöpfung als physische Erscheinung äußert, legt er ihre körperliche Begrenztheit offen. Mit dieser Methode spricht Schleef den skandalösen Status der Figur in Jelineks Texten an. Während der Körper in dem Text Ein Sportstück im ‚Flüssig-Werden‘ begriffen ist und dergestalt entgrenzt und unbelebt wird, tritt in der Theateraufführung ein Körper auf die Bühne, der seine Leistungs- und Belastungsgrenzen offen präsentiert. In diesem Kontrast zwischen der Figur des Textes und dem Körper auf der Bühne inszeniert Schleef eine Spannung zwischen Belebtheit und Unbelebtheit auf der Bühne. Durch die Betonung des Chores in der Inszenierung findet eine weitere Brechung des Körper-Themas statt. Ulrike Haß ordnet dem im ‚Flüssig-Werden‘ begriffenen „Ding-Körper“ aus dem Text Ein Sportstück den Begriff des „Chor-Körpers“ in der Aufführung bei. Gleichwohl Text und Inszenierung chorische Körper veröffentlichen, unterscheiden sie sich laut Haß in der Art und Weise, wie ihre Körper dem ‚Flüssig-Werden‘ ausgesetzt sind.246 Während sich der Ding-Körper in Ein Sportstück alleine seines ‚Flüssig-Werdens‘ hingibt, vollzieht der Chor-Körper sein ‚Flüssig-Werden‘ in der Gemeinschaft. Haß nimmt hier Bezug auf Schleefs Essay Droge Faust Parsifal247, in dem er den Begriff der Droge als unerlässliche Komponente für die Chor-Bildung entwickelt. Schleef ersetzt René Girards Begriff der kollektiven Übertragung durch die Metapher der Droge und zeigt auf, dass die gemeinsame Drogeneinnahme einen kultischen Zusammenhang begründet. Ebenso wie der christliche Abendmahlritus verbinde sie diejenigen miteinander, die sie einnehmen. Darüber hinaus verbinde diese Gemeinschaft nichts miteinander. Es entstehe nach Haß ein Gemeinschafts-Körper, der nicht aus vielen Einzelkörpern bestehe, sondern dem ein gemeinsamer, unter der Haut mit den anderen geteilter Körper zugrunde liege.248 In der chorischen Inszenierung Schleefs findet so eine Irritation der Identitätsgrenzen und Belebtheitsverhältnisse statt, wenn dem begrenzten Schauspielkörper der entgrenzte Chor-Körper entgegengesetzt wird.

245 Ebd., S. 62f. 246 Vgl. Haß: Sportstück 1999, S. 74. 247 Einar Schleef: Droge Faust Parsifal, Frankfurt/Main 1998. Zitiert nach Haß: Sportstück 1999, S. 74. 248 Haß: Sportstück 1999, S. 74.

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In dem Verständnis des Chores als Gemeinschafts-Körper spürt Schleefs Inszenierung den Figuren eines „Vor-Ich- oder ‚Post-Ich‘-Zustand[s]“249 nach, wie Jelinek sie programmatisch für das Theater formuliert. In diesem Sinne greift Doris Kolesch den Begriff der semiotischen chora von Kristeva auf, um den Chor in Schleefs Inszenierung zu deuten. Durch seine Ausrichtung auf eine Chorführerin vergegenwärtige der Chor die Struktur der semiotischen chora, die durch den Körper der Mutter rhythmisiert und reglementiert werde.250 So bewegt sich die Inszenierung in einem vordiskursiven Raum und scheint das zu verwirklichen, was Jelinek über ihre Figuren aussagt: Sie konstituieren sich nur durch das Sprechen, und sie sprechen, was sie sonst nicht sprechen. Es spricht aus ihnen. Sie haben kein Ich, sondern sie sind alle Es – auch im Freudschen Sinne.

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In seiner rhythmischen und klanglichen Ausrichtung agiert der Chor in Schleefs Inszenierung jenseits der symbolischen Ordnung und spricht damit das aus, was sonst unausgesprochen bleibt.252 So ist die Sprache Konstitutionselement des Chores, jedoch in ihrer rhythmischen und nicht symbolischen Qualität.253 Damit vollzieht sich ein thanatologisches Sprechen auf der Bühne, das in seiner entgrenzenden Qualität das Unheimliche hervorruft.

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Jelinek: kein Theater, S. 31. Kolesch 1999, S. 65. Jelinek: kein Theater, S. 31. Kolesch verdeutlicht die Betonung der Sprache jenseits ihrer symbolischen Bedeutungsebene in Ein Sportstück anhand der Szene, in der Schleef über ein auf der Bühne ausgebreitetes riesiges weißes Tuch, das eine Buchseite darstellt, schreitet und dabei den Schlussmonolog „spricht, brüllt, schreit“. „Sein rechter Arm gibt den Sprechrhythmus, die Hebungen und Senkungen der Intonation vor und begleitet sie zugleich. Schleef artikuliert betont asemantisch, hält sich nicht an Satzeinheiten und Sinnzusammenhänge.“ Die Szene ist als Ausdruck dafür zu lesen, dass Schleef „nicht Herr ist im Haus seiner Sprache. […] Die Artikulation des Textes ist zugleich die Überschreitung einer verständlichen, einer verstehbaren Sprache im musikalisierten Rhythmus des Sprechens.“ Vgl. Kolesch 1999, S. 58. 253 In der Betonung des Auditiven schließt Schleefs Inszenierung an die obigen Betrachtungen zu Wolken.Heim. an. Annuß schreibt in diesem Zusammenhang, dass das von Jelinek fingierte Geraune ineinander verschränkter, nachlebender körperloser Stimmen das Theater als zukünftigen Raum des Verlautbarens und Hörens herausfordere. Vgl. Annuß 2005, S. 189.

IV. Bambiland (2003)

Bambiland ist Elfriede Jelineks medienkritischer Kommentar zur Berichterstattung über den zweiten US-amerikanischen Irakkrieg im Frühjahr 2003. Aus Sicht der „Embedded Couch-Potatoes“1 wie Christoph Schlingensief in seinem Vorwort zu Bambiland und Babel schreibt, ist der Text gleichsam aus einer Beobachterposition der Beobachter geschrieben: Bambiland, das ist jetzt der Kriegsbericht nicht aus Sicht der Sieger (Welcher Sieger?), nicht aus Sicht der Verlierer (Welcher Verlierer?), sondern aus der Kameraperspektive der mitkriegenden Beobachter und der Beobachter der Beobachter – uns.2

Es handelt sich bei dem Text also nicht um ein Stück über den Irakkrieg, reflektiert wird vielmehr die Rede über den Krieg. Von der Autorin als ein „Amalgam aus Medienberichten zum Irak“3 bezeichnet, wird in Bambiland das Ereignis des Krieges selbst zum „Kriegsnebenschauplatz“.4 Im Vordergrund steht der Krieg der Bilder, das Phänomen des „wartainment[s]“,5 „infotainment[s]“6 und „To(d)tainment[s]“,7 das

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Christoph Schlingensief: Unnobles Dynamit. Vorwort, in: Jelinek 2004, S. 7-12, hier S. 10. Ebd. Zitiert nach Bärbel Lücke: Zu Bambiland und Babel. Essay, in: Elfriede Jelinek: Bambiland. Babel. Zwei Theatertexte, Reinbek bei Hamburg 2004a, S. 229-270, hier S. 230. Schlingensief 2004, S. 9. Vgl. Joachim Lux: „Ja, ich öffne Ihnen jetzt die Augen.“ Durchs Dickicht von Babel, in: Programmheft zur Uraufführung von ‚Babel‘ des Burgtheaters Wien, 2005, ohne Seitenangaben. Ebenso gebraucht Kati Röttger den Begriff ‚wartainment‘, den sie einerseits auf die Inszenierung des Krieges als Unterhaltungsprogramm bezieht, andererseits auf die „Perfektion der Kontrolle, die aus der Perspektive der Siegermächte über die Berichterstattung ausgeübt wurde.“ Dabei sieht Röttger die Berichterstattung unter theatertechnischen Gesichtspunkten als „Dramatisierung eines sauberen Krieges auf dem Fernsehbildschirm nach den klassischen Gesetzen des Illusionstheaters“. Kati Röttger: Bilder-Schlachten im Bambiland. Zur Politik des Sehens im Theater, in: Kati Röttger/Alexander Jackob (Hg.): Theater und

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der Text ironisch kommentiert und persifliert. Das Stück entwirft einen „medialen Echo-Raum“8 für die Bühne, in dem die Sprache der Medien in ihrer Verschränkung von Krieg, Sex und Religion offenbar wird.9 In einem „Lobgesang auf Waffen und Technik“10 – „die ist ja das eigentliche Wunderwerk, dagegen ist der Mensch ein Dreck“ (B 26) – wird ein Bild des Krieges heraufbeschworen, das diesen als Kreuzzug des „Jesus W. Bush“ (B 26) gegen die „Barbaren“ (B 42, 52), die „Sandneger“ (B 35, 38) und insofern als „gerecht“ (B 32) kennzeichnet.11 Zunächst in Theater heute12 erschienen, wurde Bambiland im Dezember 2003 von Christoph Schlingensief am Wiener Burgtheater uraufgeführt. Es folgten die beiden Monologe Irm sagt und Margit sagt, die Jelinek für Schlingensiefs Installation Attabambi-Pornoland. Die Reise durchs Schwein im Februar 2004 schrieb, und die mit dem letzten Monolog Peter sagt unter dem Titel Babel zusammengefasst Bild. Inszenierungen des Sehens, Bielefeld 2009, S. 61-75, hier S. 63ff. Vgl. ebenfalls Günther A. Höfler: Medien/Krieg in deutschsprachigen Stücken des 21. Jahrhunderts am Beispiel von Elfriede Jelineks Bambiland/Babel und Werner Fritschs Hydra Krieg, in: Claudia Glunz/Artur Pełka/Thomas F. Schneider (Hg): Information Warfare. Die Rolle der Medien (Literatur, Kunst, Photographie, Film, Fernsehen, Theater, Presse, Korrespondenz) bei der Kriegsdarstellung und -deutung, Osnabrück 2006, S. 501-512, hier S. 502. 6 Bärbel Lücke: Bambiland; Babel; Parsifal: (Laß o Welt o Schreck laß nach!); Todkrank.Doc (für Christoph Schlingensief, in: Pia Janke (Hg.): Jelinek-Handbuch. Stuttgart 2013, S. 190-198, hier S. 190. 7 Bärbel Lücke: „And they took pictures of everything“: Der Irakkrieg, die Folter, die Bilder – die Folterbilder im ‚Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit‘. Elfriede Jelineks dritter Monolog zu ‚Bambiland/Babel: Peter sagt‘, in: manuskripte. Zeitschrift für Literatur, 166 (2004b), S. 4-27, hier S. 12. 8 Eva Kormann: Die Bühne als medialer Echo-Raum, in: Franziska Schößler/Christine Bähr (Hg.): Ökonomie im Theater der Gegenwart. Ästhetik, Produktion, Institution, Bielefeld 2009, S. 343-356, hier S. 344. 9 Vgl. Bärbel Lücke: Der Krieg im Irak als literarisches Ereignis: Vom Freudschen Vatermord über das Mutterrecht zum islamistischen Märtyrer. Elfriede Jelineks ‚Bambiland und zwei Monologe‘. Eine dekonstruktivistisch-psychoanalytische Analyse, in: Weimarer Beiträge, 50 (2004c), S. 362-381, hier S. 369. 10 Bloch, Natalie: Legitimierte Gewalt. Zum Verhältnis von Sprache und Gewalt bei Neil LaBute und Elfriede Jelinek, Bielefeld 2011, S. 220. 11 Zur Kriegsrhetorik George W. Bushs, insbesondere den religiösen Anleihen seiner Reden vgl. Stefanie Dietzsch/Ursula Kocher: „... to fight freedom’s fight.“ George W. Bushs Kriegsrhetorik, in: Thomas Rahn (Hg.): Krieg und Rhetorik, Tübingen 2003, S. 117-130. 12 Elfriede Jelinek: Bambiland, in: Theater heute, 44 (2003), H. 6, S. 49-59. Der Text erschien zuerst auf Jelineks Homepage im April 2003, wo er als work in progress mehrfach verändert bis heute einzusehen ist: Elfriede Jelinek: Bambiland, http://www.elfriedejelinek.com /fbambi.htm, letzter Zugriff 19.05.2017, datiert mit 02.04.2003, (aktualisiert am 05.04.2003, 05.05.2004).

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wurden. 2004 folgte die Buchveröffentlichung beider Theatertexte in einem Band unter dem Titel Bambiland. Dabei lässt sich Babel als eine Erweiterung zu Bambiland lesen, oder wie es die Autorin in musikalischer Terminologie beschreibt: als „Durchführung dieses Themas [...], Durchführung mit Variationen“.13 Auch Babel ist als Medienkritik lesbar (insbesondere der dritte Monolog Peter sagt), jedoch wendet sich der Text als Nachkriegsbetrachtung – „Nachkriegstrauma-Protokoll“,14 wie Franz Wille treffend schreibt – eher den (religiösen, gesellschaftlichen, wie individuellen) Hintergründen und Gründen für den Krieg zu und lotet gesellschaftliche Machtverhältnisse aus. Die Bezugnahme von Elfriede Jelineks Werk auf Phänomene, Funktionsweisen und Folgen der zunehmenden Medialisierung unserer gegenwärtigen ‚westlichen‘ Gesellschaft ist evident. Schon in ihrem 1970 entstandenen und für das Verständnis ihrer Texte grundlegenden Essay Die endlose Unschuldigkeit15 legt Jelinek ihr Verständnis der Medien als Ort der Reproduktion und Verfestigung von Trivialmythen dar. Auch ihre frühen Romane, wie der als poetische Umsetzung des Essays zu verstehende Roman Wir sind lockvögel baby!16 oder Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft17 thematisieren bereits die Einflussnahme der Medien auf die Wahrnehmung und das Selbstverständnis des Menschen und zitieren aus Hochglanzmagazinen, Hörfunk, Film und Fernsehen, um diese Zitate mittels der Dekonstruktion auf ihre mythischen und ideologischen Inhalte hin zu entlarven.18 Auch auf formalästhetischer Ebene begegnen die Texte den Funktionsweisen der Medien, wie in den vorangehenden Kapiteln dargelegt. Jelineks sprachliche Verfahren, wie die ‚Textflächen‘, aber auch die figurale Konzeption im Sinne der ‚Figur in Serie‘ sind als Reaktion auf die Darstellungsformen des Fernsehens zu verstehen. So ist die zunehmende Medialisierung der gegenwärtigen Gesellschaft sowohl inhaltlich als auch formalästhetisch ein eminenter Bezugspunkt in Jelineks Werk. Dabei entbergen die Texte das Unheimliche an der Medialisierung, indem sie auf die darin stattfindende Verwirrung der Belebtheitsverhältnisse hinweisen. Kon13 So Jelinek in einem Interview im Nachrichtenmagazin profil: Schneeberger, Peter: „Bis ich am Boden aufschlage“. Elfriede Jelinek über ihr neues Stück ‚Babel‘, den Irak-Feldzug, USPräsident George W. Bush, die Abu-Ghraib-Folterfotos und die Pornoästhetik des Krieges, in: profil, 07.03.2005, http://www.profil.at/articles/0509/560/106647/interview-bis-boden, letzter Zugriff: 19.05.2017. 14 Franz Wille: Der wüste Sturm, in: Theater heute, 05 (2005), S. 6. 15 Jelinek 1970. 16 Elfriede Jelinek: wir sind lockvögel baby!, Reinbek bei Hamburg 1970. 17 Elfriede Jelinek: Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft, Reinbek bei Hamburg 1972. 18 Zur Montagetechnik und Mythoskritik in Jelineks frühen Werken vgl. Janz 1995, sowie: Lea Müller-Dannhausen: Zwischen Pop und Politik. Elfriede Jelineks intertextuelle Poetik in „wir sind lockvögel baby!“, Berlin 2011.

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zepte wie die ‚Figur in Serie‘ und die ‚Sprachfläche‘ tragen ihren Status als simulierte offen zur Schau und verleihen so einem Zweifel an der Lebendigkeit des Menschen Ausdruck, der derart mit virtuellen Realitäten konfrontiert ist, wie es heute der Fall ist. Anneleen Masschelein bezeichnet das Unheimliche trotz seiner Wurzeln im 19. Jahrhundert schließlich als ein Konzept des späten 20. Jahrhunderts; gleichwohl betont sie, dass die Terroranschläge auf das World Trade Center von 9/11 „reinforced the call for a stronger, more fully developed notion of the uncanny as it relates to trauma“.19 Masschelein beschreibt eine Akzentverschiebung von Repräsentationen des Unheimlichen in der Kunst, die stets auch das Lustvolle des Konzepts beton(t)en, hin zu der Erfahrung einer unheimlich gewordenen Welt.20 Dabei finde die Traumatisierung des Menschen heute in den Medien statt.21 In diesem Zusammenhang ist das Unheimliche in Bambiland (und Babel) anzusiedeln, und Jelinek beweist hier einmal mehr ihre Gabe, äußerst hellsichtig Veränderungen in der Medienwelt auf die Frage nach dem Leben (und dem Tod) zu beziehen; beide Texte stehen nicht nur inhaltlich im Zusammenhang mit den Ereignissen von 9/11 und dem darauf folgenden Irakkrieg, in ihnen steckt auch formalästhetisch die Erfahrung dieses medialen Traumas. Auch wenn Jelinek also von Anbeginn ihres Schaffens die Auswirkungen der Medien, insbesondere des Fernsehens fokussierte, insofern das Unheimliche auch in ihren frühen Texten nach Masscheleins Unterscheidung nicht auf der Ebene der Repräsentationen stattfindet, sondern als Erfahrung den Texten inhärent ist,22 besitzen ihre ab Anfang des 21. Jahrhunderts verfassten Texte eine andere Qualität bzw. Intensität bezüglich ihrer Auseinandersetzung mit den Medien. Insbesondere in Bambiland und Babel ist die Frage nach Wirklichkeit, Virtualisierung, Simulation und in diesem Zusammenhang Fiktion und Faktizität noch einmal verdichtet; in krasser Zuspitzung versprachlicht der Text die Berichterstattung zum Irakkrieg und verdeutlicht dessen zunehmende Unsichtbarkeit im Spektakel der Bilder.23 Das Trauma von 9/11, und in seiner Folge der sogenannte ‚war on terror‘,

19 Masschelein: Flesh World 2012. 20 In diesem Kontext siedelt Masschelein Triggs phänomenologische Studie zum Unheimlichen des Ortes an. Vgl. Masschelein: Flesh World 2012. Zum Zäsurcharakter von 9/11 – nicht im expliziten Zusammenhang zum Unheimlichen – vgl. Sandra Poppe/Thorsten Schüller/Sascha Seiler (Hg.): 9/11 als kulturelle Zäsur. Repräsentationen des 11. September 2001 in kulturellen Diskursen, Literatur und visuellen Medien, Bielefeld 2009. 21 Masschelein: Flesh World 2012. 22 Die Ortlosigkeit der Figur, des Körpers und der Sprache, die als Simulierte quasi ihr Heim, ihren Ursprung verloren haben, weisen Figur, Körper und Sprache als Medien aus, in denen eine Verkehrung von Belebtheitsverhältnissen stattfindet. 23 Vgl. hierzu u.a. Cyrus Shahan, die behauptet, Jelineks Texte „are particularly relevant since the events of September 11, 2001.“ Cyrus Shahan: The Real and Illusory after September

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unter dessen Schlagwort der zweite Irakkrieg geführt wurde,24 hat in und mit den Medien stattgefunden, mitnichten wurde es lediglich durch sie vermittelt. In diesem Sinne ist die Beschreibung von 9/11 durch den Komponisten Karlheinz Stockhausen als „Luzifers größtes Kunstwerk“25 zwar moralisch fragwürdig, inhaltlich jedoch durchaus berechtigt. Der Entzug des Ereignisses durch seine absolut gesetzte und kalkulierte Medialisierung, die es gleichzeitig gerade darin zum absolut schockierenden, spektakulären und einzigartigen Ereignis werden lässt, bezeichnet die Verschwisterung des Unheimlichen mit dem Medialen: „Der Terror der Selbstmordanschläge klagt das Unmittelbare der Erfahrung ein, wie er auf die Vermittlung angewiesen bleibt.“26 Dabei ist das Theater als Teil der „mythenproduzierenden Medienmaschinerie einerseits und „Medium öffentlicher Diskussionen“ andererseits dafür prädestiniert und dazu herausgefordert, die Aporie des Medialen zu erkunden,27

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11, 2001, in Elfriede Jelineks Bambiland and Babel, in: German Quarterly, Vol 85, Nr. 3, Summer 2012, S. 310-327, hier S. 311. So heißt es in einer Rede George W. Bushs vom 1. Mai 2003: „The battle of Iraq is one victory in a war on terror that began on September the 11, 2001 – and still goes on.“ Zitiert nach Bash, Dana/Mount, Mike/Loughlin, Sean: Bush: Iraq is one victory in war on terror, http://edition.cnn.com/2003/ALLPOLITICS/05/01/sprj.irq.bush.speech/, letzter Zugriff 19.05.2017. Vgl. zu Bushs Rhetorik während des Irakkrieges: Stefanie Dietzsch/Ursula Kocher: „... to fight freedom’s fight.“ George W. Bushs Kriegsrhetorik, in: Rahn, Thomas (Hg.): Krieg und Rhetorik, Tübingen 2003, S. 117-130. Mitchell zitiert zu den Umständen von Stockhausens Äußerung die gegenwärtig nicht mehr existierende Stockhausen-Webseite. Demnach habe Stockhausen auf einer Hamburger Pressekonferenz im Jahr 2001 gesagt, „dass er glaube, dass das zerstörerische Treiben Luzifers (des Teufels) in der heutigen Welt offensichtlich sei, so z.B. in New York. Als er darum gebeten wurde, genauer zu werden, sagte Stockhausen, dass der Terroranschlag auf das World Trade Center Luzifers größtes Kunstwerk sei.“ Diese Äußerung wurde in der Presse verkürzt wiedergegeben und löste eine hitzige Debatte aus. Zitiert nach W.J.T. Mitchell: Das Leben der Bilder, München 2008, Anmerkung 31, S. 231. Vgl. hierzu ebenso Christine Battersbys Studie zum Zusammenhang von Terror und dem Erhabenen, die 9/11 unter Rekurs auf Stockhausens Äußerung, wie auch den Irakkrieg in den Medien unter der Perspektive der Performance-Künste untersucht. Vgl. Christine Battersby: The Sublime, Terror, and Human Difference, London/New York 2007, S. 21. Manuel Köppen: Das Entsetzen des Beobachters. Krieg und Medien im 19. und 20. Jahrhundert. Heidelberg 2005, S. 375. In Klaus Theweleits Worten klingt das Erhaben-Unheimliche des medialen Traumas von 9/11 an: „Entsetzen und ungläubige Bewunderung für die bildliche Souveränität dieses Terrorakts, der in seiner medialen Hyperkonstruiertheit als Nie-Gesehenes in die Augen fuhr, ins Hirn sich einbrannte und ins Herz.“ Vgl. Klaus Theweleit: Der Knall: 11. September, das Verschwinden der Realität und ein Kriegsmodell, Frankfurt/Main 2002, S. 261. Wiebke von Bernstorff: Die Macht der Bilder. Terror statt Toleranz. Theaterstücke von Kathrin Röggla, Elfriede Jelinek und Ali Jalaly, in: Romana Weiershausen/Insa Wilke/Nina

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die darin liegt, dass die Ereignisse einerseits erst durch die Medien wahrnehmbar werden, andererseits in ihrer Darstellung verschwinden.28 So beobachtet Wiebke von Bernstorff, dass insbesondere Theaterstücke, die auf „Gewalt- und Terrorereignisse wie den 11. September 2001 oder den Irakkrieg reagieren“ eine „Tendenz zur medialen Selbstreflexion“ aufweisen.29 Bambiland und Babel sind in dieser Generation von Theatertexten zu verorten.30 Sie thematisieren Medialität in einem umfassenden Sinn; vom Theater als Medium über die Sprache, die Botenfigur in Referenz auf Aischylos’ Perser, dem Schauspieler auf der Bühne bis hin zu Fernsehen und Internet als omnipräsente Medien unserer Zeit. Mit der Perspektive des Unheimlichen geht es dabei stets um die Frage nach der Performativität des Mediums.31 Mit einem performativen Verständnis vom Medium wird schließlich nicht nur die (mediale) Darstellung als Repräsentation eines dem Medium vorgängigen bzw. sich außerhalb des medialen Rahmens befindlichen Ereignisses in Zweifel gezogen; darüber hinaus – so die These der Untersuchung – verkehren die Texte in ihrem radikal performativen Verständnis des Medi-

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Gölcher (Hg): Aufgeklärte Zeiten? Religiöse Toleranz und Literatur, Berlin 2011, S. 157174, hier S. 157. Denn, wie Günther A. Höfler formuliert, „[…] die Bilder deuten sich in einer autologischen Verstehensschleife selbst, schotten sich gegen heterologische Interpretationen ab und verabsolutieren somit ihre Geltung. Zum Ikon kondensiert ersetzen die Bilder die Berichte.“ Günther A. Höfler: Medien/Krieg in deutschsprachigen Stücken des 21. Jahrhunderts am Beispiel von Elfriede Jelineks ‚Bambiland‘/‚Babel‘ und Werner Fritschs ‚Hydra Krieg‘, in: Claudia Glunz/Artur Pełka/Thomas F. Schneider (Hg): Information Warfare. Die Rolle der Medien (Literatur, Kunst, Photographie, Film, Fernsehen, Theater, Presse, Korrespondenz) bei der Kriegsdarstellung und -deutung, Osnabrück 2006, S. 501-512, hier S. 501. Vgl. hierzu auch Matthias Naumann: Krieg im Theater als Fortsetzung/Unterbrechung des Mediendiskurses. Die massenmediale Darstellung des Irakkrieges 2003 in Elfriede Jelineks Bambiland und Falk Richters Hotel Palestine, in: Claudia Glunz (Hg.): Information Warfare: die Rolle der Medien (Literatur, Kunst, Photographie, Film, Fernsehen, Theater, Presse, Korrespondenz) bei der Kriegsdarstellung und -deutung, Göttingen 2007, S. 490500, hier S. 491. Bernstorff 2011, S. 157. In diesem Zusammenhang sind insbesondere noch die Stücke fake reports von Kathrin Röggla, Hotel Palestine von Falk Richter und Hydra Krieg von Werner Fritsch zu nennen. Grundlegend zum Zusammenhang von Performativität und Medialität vgl. Sybille Krämer: Performativität und Medialität, München 2004. Weiterführend vgl. insbesondere den von Arno Böhler und Susanne Granzer herausgegebenen Band: Ereignis Denken. TheatRealität – Performanz – Ereignis, Wien 2009. Außerdem Klaus W. Hempfer (Hg.): Theorien des Performativen. Sprache – Wissen – Praxis. Eine kritische Bestandsaufnahme, Bielefeld 2011. Für den Theaterkontext darin insbesondere den Aufsatz von Torsten Jost: Zum Zusammenspiel von Medialität und Performativität. Oder: Warum noch Hoffnung für das Theater besteht, in: Hempfer 2011, S. 97-114.

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ums die Belebtheits- und Machtverhältnisse zwischen den Akteuren des Ereignisses und dem Medium der Vermittlung. In der Attribuierung von Performanz steckt die Assoziation mit dem Leben; werden dem Medium performative, seinen Gegenstand also hervorbringende und konstituierende Kräfte beigemessen, liegt sein Status als aktiv schöpferisch handelnde Größe nahe.32 Wie zu zeigen sein wird, findet dies in den Texten in einem Spektrum statt, das von der Heteronomität der Rede der traditionellen Botenfigur auf dem Theater über die „Nullperformativität“33 der Figur bis zum Leben der Bilder (in Babel) durch ihre „biokybernetische[] Reproduzierbarkeit“34 in unserem gegenwärtigen digitalen Zeitalter reicht. Neben dem Fokus auf die Verkehrung der Belebtheitsverhältnisse im Zusammenhang mit dem Medialen sind bezüglich des Unheimlichen die phantasmatischen Größenphantasien, die in Bambiland wie auch in den beiden Monologen Irm sagt und Margit sagt stets in religiös-regressiv infantile Allmachtsphantasien kippen, von Bedeutung. Dieser Zusammenhang wird bereits in dem „vielfach übercodierten“35 Titel Bambiland angedeutet. Zum einen weist dieser eine Parallele zu Babylon auf, die sich weiter über die Nennung des „Babyloniervolk[s]“ (B 16) als erste geografisch verwertbare Information des Textes bestätigt und die schließlich mit Babel wieder aufgenommen wird. Kormann macht die metaphorische Bedeutung Babylons neben der geografischen Bestimmung des heutigen Iraks stark, die für Hybris und Sprachverwirrung und damit für Jelineks eigene Schreibweise stehe.36 In der Anspielung auf Felix Saltens Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde, das von Walt Disney verfilmt wurde, rekurriert der Titel zum anderen auf die „Entertainisierung“37 der Darstellung des Irakkrieges, die mit der fortschreitenden „Dis32 Bettina Brandl-Risis räsoniert sinngemäß zum Zusammenhang von Leben und Performanz: „Dass den Bildern, die leben (oder ‚leben‘) und als solche Akte vollziehen, Performanz attribuiert wird, liegt nahe.“ Vgl. Bettina Brandl-Risi: Tableau vivant – Die Wirklichkeit des Bildes in der Aufführung, in: Ludger Schwarte (Hg.): Bild-Performanz, München 2011, S. 285-303, hier S. 285. 33 Ein Begriff, den Simon Aeberhard für die Untersuchung von Jelineks Theatertexten fruchtbar macht. Vgl. Aeberhard 2012, S. 391. 34 Vgl. Mitchell 2008, S. 191. 35 Lücke 2013, S. 190. 36 Kormann zitiert hierzu aus Sinn egal. Körper zwecklos: „Ich will natürlich zu mehreren und größer sein als ich bin; so kommen sie daher, so kommen sie mir gerade recht, die Nachbarskinder Fichte, Hegel, Hölderlin, und bilden eine babylonische Mauer mit mir.“ Vgl. Kormann: 2009, S. 346. 37 Gerhard Paul führt an, dass das Pentagon bereits seit Ende der 1990er-Jahre eine Reihe von Maßnahmen zur Entertainisierung des Krieges erließ. So erhielten Filmgesellschaften technische und materielle Unterstützung für die Produktion neuer Kriegsfilme, wofür diese im Gegenzug im November 2001 eine Unterstützungskampagne für die Regierung in Form von Werbe- und Unterhaltungsfilmen sowie Live-Auftritten von Unterhaltungskünstlern vor

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neyization“38 der amerikanischen Gesellschaft zusammenhängt. Walt Disneys sentimentalisierende Verfilmung von Saltens Tierfabel um das Rehkitz Bambi,39 das bei einer Treibjagd seine Mutter verliert und schließlich seines Vaters Stellung als mächtigster Rehbock des Waldes einnimmt, ist ein Musterbeispiel für die Idyllisierung von Gewalt- und Machtverhältnissen in der Traumfabrik Hollywood.40 Bambiland spricht insofern schon im Titel seine These aus, dass der Irakkrieg mit den Mitteln der Unterhaltungsindustrie als spektakuläres Event für eine infantilisierte Zuschauerschaft inszeniert wird.41 In diese Richtung weist auch die Referenz auf den gleichnamigen Vergnügungspark, den Marko Miloševiç in Pozarevac im Sommer 2000 eröffnete und dem gegenüber seine Villa liegt, die bis heute von seiner ersten Frau Milica Gajic mit ihrem Sohn bewohnt wird, während sich Marko Miloševiç aus Angst vor Strafverfolgung in seiner Heimat Serbien in Moskau aufhält. Haß weist auf den im Titel anklingenden Zusammenhang des politischen Verbrechens mit Disneyland als Metapher für den Über-Ich-Befehl zum Genuss hin, den derartige Vergnügungsparks verheißen. Sie führt Slavoj Zizek an, der beschreibt wie sich unter den gegenwärti-

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Soldaten planten. Im Vorfeld des Angriffs auf den Irak wurde sogar die Produktion einer Reality-Soap von der Front geplant, um dem Zuschauer die persönliche Seite des Krieges näherzubringen. Des Weiteren fanden bei der Planung des Krieges „dramaturgische Prinzipien des Kinos und die Bedürfnisse des Fernsehens Berücksichtigung.“ Vgl. Gerhard Paul: Der Bilderkrieg. Inszenierungen, Bilder und Perspektiven der „Operation Irakische Freiheit“, Göttingen 2005, S. 28. Alan Bryman beschreibt, wie fortschreitende Bereiche der Gesellschaft und der Wirtschaft durch den Prozess der „Disneyization“ infiltriert werden. Er schreibt: „By Disneyization I mean: the process by which the principles of the Disney theme parks are coming to dominate more and more sectors of American society as well as the rest of the world.“ Vgl. Alan Bryman: The Disneyization of Society, Los Angeles/London/New Delhi/Singapore 2004, S. 5. Die Anspielung auf das Kindliche steckt bereits gedoppelt im Titel, da sich Bambi vom italienischen ‚bambino‘ für Kind ableitet, wie Ulrike Haß anmerkt. Vgl. Ulrike Haß: Mediale Historiographien. Elfriede Jelineks ‚Bambiland‘, in: Kathrin Tiedemann/Frank M. Raddatz (Hg.): Reality Strikes Back II. Tod der Repräsentation. Die Zukunft der Vorstellungskraft in einer globalisierten Welt, Berlin 2010, S. 74-89, hier S. 78. [Außerdem erschienen in: JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek-Forschungszentrum 2010, S. 241-256.] Zur Bedeutung von Felix Saltens Biografie, der seit 1935 mit Arbeitsverbot belegt und so völlig verarmt im Jahr 1945 starb, während Disneys Bambi bis heute einer der weltweit erfolgreichsten Filme darstellt und zur Diskrepanz zwischen literarischem Original und Filmadaption, vgl. Haß 2010, S. 244-247. Vgl. hierzu auch Heimann 2015, u.a. S. 207, wo er auf Bambiland rekurriert. In dem Kapitel Wie aus Auschwitz Disneyland wird widmet er sich der gegenwärtigen (Medien)Praktik (historische) Ereignisse in einem Spektakelcharakter auf- bzw. untergehen zu lassen. S. 195-212.

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gen postpolitischen Bedingungen dieser Befehl entforme, ohne jedoch seine Wirkungen zu verlieren. Im Gegensatz zu früheren Formen explizit ideologischer Anrufungen, fehlt heute der Bezug, wodurch sich der Imperativ des Genießens nur mehr auf ein „obskures Unbenennbares“ beziehe, das sich sprachlich in eben der Vergnügungspark-Formel äußere, „endlich mal etwas stressfrei zu genießen“. Unter eben dieser Voraussetzung sei laut Haß heute die Frage der Darstellung des Irakkrieges aufzuwerfen.42 Für das Unheimliche ist dieser Zusammenhang insofern von Bedeutung, als er den phantasmatischen Bezug der Kriegsdarstellung in einen infantil geprägten Imaginationsraum rückt. Die Darstellungsformen richten sich am Spaßfaktor aus und scheinen auf regressiv entgrenzte Begehren der Zuschauer zu reagieren bzw. diese zu generieren, die über die sich darin offenbarenden Todestriebe unheimlich werden. Neben den Medienstimmen und -bildern verwendet Bambiland Passagen, Topoi und Strukturelemente von Aischylos’ Tragödie Die Perser, und Schlagworte wie Gedankenfiguren aus Friedrich Nietzsches Philosophie. So heißt es in der den Text einleitenden Danksagung: Meinen Dank an Aischylos und die ‚Perser‘, übersetzt von Oskar Werner. Von mir aus können Sie auch noch eine Prise Nietzsche nehmen. Der Rest ist auch nicht von mir. Er ist von schlechten Eltern. Er ist von den Medien. (B 15)

Mit der Referenz auf Die Perser aus dem Jahr 472 v. Chr. spannt Jelinek einen zeitlichen Bogen theatraler Darstellung des Krieges zu der ältesten vollständig überlieferten Tragödie des Abendlandes. Darin berichtet Aischylos aus Sicht der Perser von ihrer Niederlage gegen die Griechen in der Schlacht von Salamis 8 Jahre zuvor (480 v. Chr.). Zahlenmäßig weit überlegen wurde die Flotte des persischen Großkönigs Xerxes von den Griechen in einen Hinterhalt gelockt und vernichtend geschlagen. Diese Niederlage markierte das Ende der persischen Expansion nach Westen und sicherte gleichsam den Fortbestand der griechischen Kultur.43 Die Bezugspunkte zwischen Bambiland und Die Perser sind vielfach und offenkundig. Aischylos’ Verfahren, die persische Expansionspolitik als einen Generationenkonflikt darzustellen, die Hybris Xerxes’ als Motiv seines Handelns und Auslöser des tragischen Verlaufs, die David-gegen-Goliath-Konstellation der Kriegstreibenden und die antagonistische Schilderung östlicher versus westlicher Kultur sind nur ei42 Haß 2010, S. 77. 43 Zu Die Perser und dem historischen Kontext des Stücks vgl. insbesondere Sabine Föllinger: Aischylos. Meister der griechischen Tragödie, München 2009. Ebenso: Wolfgang Schadewaldt: Die griechische Tragödie. Tübinger Vorlesungen Band 4, Frankfurt/Main 1992.

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nige Aspekte, die Jelinek aufgreift.44 Wie üblich bei Jelineks intertextuellem Verfahren, geht es dabei keineswegs um eine Parallelisierung beider Stücke. Die Autorin selbst formuliert in einem Interview, sie habe „Aischylos als Schrittmacher engagiert“,45 sodass der attischen Tragödie eine rhythmisierende Funktion für den Text zukommt. Als Negativfolie, in die sich Bambiland einschreibt, trägt die Tragödie den Hinweis auf die „Wiederkehr des Immergleichen“46 in Jelineks Stück ein und vollzieht gleichzeitig (unmögliche) Sprünge auf der Raum-Zeit-Koordinate. Dabei dienen Die Perser als Instrument, um die Berichterstattung über den Irakkrieg in Bambiland zu entmythologisieren. Indem der Text die Berichte der USamerikanischen Sender mit Aischylos’ Tragödie konfrontiert, lässt er diese als Fiktion im Licht tragischer Seifenopern ob ihrer Objektivität kollabieren.

1. Z UM

THEORETISCH - DISKURSIVEN VON B AMBILAND UND B ABEL

H INTERGRUND

Sowohl der erste als auch der zweite Irakkrieg wurden in einem bis dahin unbekannten Ausmaß als Spektakel der Bilder inszeniert,47 wodurch sich die Berichterstattung vielfach den Vorwurf einhandelte, das Ereignis des Krieges mehr zu verdecken denn darzustellen. Schon der erste Irakkrieg zeitigte einen einschneidenden 44 Zur Analysegenese der Perser hin bis zur gegenwärtig vorherrschenden Deutung vgl. Anton Bierl: Zwischen dem Selbst und dem Anderen. Aischylos’ ‚Perser‘ und das Politische in der antiken Tragödie, in: Erika Fischer-Lichte/Matthias Dreyer (Hg.): Antike Tragödie heute. Vorträge und Materialien zum Antiken-Projekt des deutschen Theaters, Berlin 2007, S. 4962. Sowie zu gegenwärtigen Aufführungspraxen des Textes vgl. Matthias Dreyer: Fremde Zeit. Aufführungen der ‚Perser‘ und die historische Distanz im Theater der Gegenwart; beide erschienen in: Fischer-Lichte/Dreyer (Hg.) 2007, S. 153-168. 45 So Jelinek im Interview mit Peter Schneeberger. Darin äußert sie sich ebenso über die entmythologisierende Funktion ihrer Intertexte: „Dieser Krieg ist so sehr als LiveÜbertragung dahergekommen, dass ein Abstraktionsvorgang durch vielfältige Assoziationen, von der Antike bis zu andren Mythen, von der Psychoanalyse bis zu Aischylos, von politischer Analyse bis zur Philosophie Nietzsches, vielleicht die Wahrheit eher herausbringt als dieses sogenannte ‚in Echtzeit dabei sein‘ […].“ Schneeberger: „Bis ich am Boden aufschlage“ 2005. 46 Vgl. Bärbel Lücke 2004a, S. 236. In Anlehnung an Nietzsche heißt es am Ende des Stücks: „Alles kommt immer wieder, vor allem die Kriege. Aber dass sie immer wiederkommen, ist eben die extremste Annäherung dieser Welt des Werdens an die des Seins.“ (B 84) 47 Zum Phänomen des Kriegs der Bilder vgl. insbesondere die Studie von Gerhard Paul 2005 und Herfried Münkler: Die Rolle der Medien in den Neuen Kriegen, in: Erika FischerLichte/Clemens Risi (Hrsg.): Kunst der Aufführung – Aufführung der Kunst, Berlin 2004.

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Schritt hin zu einer weltweiten televisuell geprägten Kriegsberichterstattung, indem, so Gerhard Paul, der „Übergang der Kriegsberichterstattung aus dem Zeitalter der Zensur in das der Desinformation durch Überthematisierung sowie die Etablierung des Mediums Fernsehen als neue medial-militärische Eingreifmacht“ stattfand.48 Während Bush Senior jedoch noch auf die Inszenierung eines gleichsam „entkörperlichte[n] High-Tech-Krieg[s]“49 abgezielt hatte, der durch präzise Luftschläge scheinbar weitestgehend ohne Opfer und sauber vonstatten ging, verfolgte das Pentagon im zweiten Golfkrieg eine gegensätzliche Strategie. Kommunikationsstrategen hatten im Nachhinein die fehlenden Identifikationsangebote des scheinbar antiseptischen Golfkriegs von 1991 beklagt, weil sich dadurch die Bereitschaft des heimischen Publikums minimiere, dem Krieg zu folgen.50 Dem sollte im zweiten Irakkrieg entgegengewirkt werden, indem verstärkt auf Homestorys, eine Nähe zu den eingesetzten Soldaten und auf die Faszination für die moderne Waffen- und Bildtechnik gesetzt wurde. Damit galt die oberste Maxime nicht der Informationsübermittlung, sondern der Unterhaltung des Zuschauers. Dabei fiel den PR-Strategen des zweiten Irakkrieges auch die Aufgabe zu, den neuen medienpolitischen und -technologischen Bedingungen und Konstellationen Rechnung zu tragen. Zum einen musste neben den US-regierungsfreundlichen Netzwerken wie CNN, Fox News, MSNBC nun auch mit unabhängigen bzw. staatsfinanzierten Sendern des Mittleren Ostens gerechnet werden, die das globale Publikum mit unkontrollierbaren Nachrichten versorgten.51 Zum anderen standen den Journalisten aller Seiten neue Bildaufzeichnungs-, Übertragungs- und Kommunikationstechnologien zur Verfügung, die beispielsweise erstmals die Live-Übertragung vom Schlachtfeld in größerem Umfang gestatteten und die Verbreitungsmöglichkeiten über das World Wide Web ermöglichten.52 Unter diesen Umständen, die einen Kontrollverlust über die Bilder bedeuteten, wurde es wichtiger denn je, die Inszenierung 48 49 50 51

Paul 2005, S. 19. Ebd., S. 21. Ebd., S. 22. Hierbei galt es insbesondere dem Umstand Rechnung zu tragen und entgegenzuwirken, dass in asymmetrischen Kriegen – wie es der Irakkrieg war – eine sachlich-nüchterne Beschreibung fast zwangsläufig in die Parteinahme für die unterlegene Partei umschlägt, zumal wenn diese versucht, ihre Rolle als Opfer politisch auszubeuten, wie es im Irakkrieg der Fall war. Vgl. hierzu Herfried Münkler: Vom Krieg zum Terror. Das Ende des klassischen Krieges, Zürich 2006, S. 73f. 52 Paul 2005, S. 23f. Zu den Besonderheiten der sogenannten Neuen Medien vgl.: Friedrich Kittler: Das Neue an den Neuen Medien, in: Klaus Peter Dencker (Hg.): Die Politik der Maschine, Hamburg 2002, S. 46-53. Interessant ist hier auch die von Kittler beobachtete Verbindung zwischen Krieg und Medien: „Seit Napoleon die moderne Strategie begründete, hat jeder große Krieg zumal bei den Übertragungsmedien einen Innovationsschub ausgelöst.“ Ebd., S. 47.

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des zweiten Irakkriegs auf die Bindung des Zuschauers an die eigene Darstellung hin zu gestalten.53 Infolge der veränderten Rolle der Medien seit dem ersten Irakkrieg setzte in den 1990er-Jahren ein Paradigmenwechsel bezüglich medialer Darstellung ein, der sich, in der Beantwortung durchaus uneins, der Frage nach der Wahrnehmung des Rezipienten zuwandte.54 Dabei sind die Positionen von Jean Baudrillard, Jacques Derrida und Susan Sontag als theoretisch-diskursiver Rahmen von Bambiland von besonderer Bedeutung und sollen hier kurz umrissen werden. Indem Baudrillard den Irakkrieg von 1991 als eine „Orgie der Simulation“55 bezeichnete, setzte er die Diskussion um die Reduktion des Krieges auf sein Zeichen in Gang. Auf die Frage, ob der Zuschauer bei der Betrachtung der Bilder die „Wirklichkeit oder nur Täuschung und Simulation“ sehe, antwortete er in einem Spiegel-Interview: „Das Medium macht die Wirklichkeit virtuell, das heißt, es übersetzt sie in flüchtige, austauschbare elektronische Bilder, die sich der Erfahrbarkeit entziehen.“56 Er unterstreicht den Spielfilmcharakter des ersten Irakkrieges – „Man erlebt alles wie ein Drehbuch. Wir sind in einer großen Produktion.“57 –, in dem der Krieg als erfahrbares Ereignis verschwindet: „Mit gewissem zeitlichen Abstand oder schon jetzt [...] wird man Der Golfkrieg hat nicht stattgefunden wie eine Science-Fiction-Geschichte lesen können.“58 Derrida nimmt in seinem Vortrag Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen direkten Bezug auf diese Aussage Baudrillards und widerspricht:

53 Die Relevanz des Rückhalts der eigenen Bevölkerung für den Ausgang kriegerischer Handlungen ist dabei kein Novum. Schon Carl von Clausewitz vertrat in seinem Textfragment Vom Kriege die These, dass Napoleon seine Kriege nicht nur aufgrund seines militärischen Könnens, sondern vornehmlich durch die Begeisterung des Volkes habe gewinnen können. Vgl.: Carl von Clausewitz: Vom Kriege, Pfaffenhofen 1969, S. 29. Die USA hatte dies in umgekehrter Weise im Vietnam-Krieg erlebt, von dem behauptet wurde, er sei nicht in den Dschungeln Südostasiens verloren worden, sondern an der Heimatfront selbst. Der damalige Präsident Richard Nixon formulierte im Hinblick auf die mediale Mobilmachung gegen den Vietnam-Krieg: „Our worst enemy seems to be the press.“ Vgl.: William M. Hammond: Reporting Vietnam. Media and Military at War, Kansas 1998, S. IX. 54 Vgl. zu den medientheoretischen Abhandlungen dieser Zeit auch Christian Schenkermayr: „Gegen die babylonische Bilderflut“. Literarische Projektionen vom Irakkrieg, in: JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek-Forschungszentrum 2011, S. 185-196, hier S. 186. 55 Jean Baudrillard: Die Illusion des Krieges. Den Krieg durch die Zeichen des Krieges ersetzen, in: Ders.: Die Illusion des Endes oder der Streik der Ereignisse, Berlin 1994, S. 101. 56 Jean Baudrillard: „Der Feind ist verschwunden“, in: Der Spiegel, 04.02.1991, S. 220. 57 Ebd., S. 220. 58 Baudrillard 1994, S. 103.

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Ich habe betont, dass das, was da passiert ist, das, was man uns angeblich direkt übertragen hat, sich keineswegs auf diese interpretierende Information, auf diese Trans-Information beschränkte; ebenso wenig beschränkte es sich auf ein Simulakrum. [...] Das Ereignis, das sich schlussendlich nicht auf die mediale Aneignung oder Verarbeitung reduzieren lässt, besteht darin, dass es tausende von Toten gab. Das sind jedes Mal singuläre Ereignisse, die keine Mitteilung von Wissen, keine Information reduzieren oder neutralisieren kann. [...] Ereignishaftes, das sich vielleicht mit Worten gar nicht sagen lässt. Das ist das Unsagbare: das sind die Toten, zum Beispiel die Toten.59

Auch Susan Sontag bezieht vehement Position gegen Baudrillard. Dabei tadelt sie seinen verengten und, wie sie schreibt, „auf atemberaubende Weise provinziell[en]“ Blick auf die „Sehgewohnheiten einer kleinen, gebildeten Gruppe von Menschen, die im reichen Teil der Welt leben, wo man die Nachrichten in Unterhaltung verwandelt hat“.60 Ich möchte hier kurz auf Sontags Vorwurf gegen Baudrillard eingehen, da er sich ebenso gegen Jelineks Texte Bambiland und Babel richten könnte und in ähnlicher Weise formuliert wurde. In einem Gespräch mit dem im Hinblick auf das Unheimliche bedeutsamen Titel In this text we are not even ghosts spricht die irakische Schriftstellerin und Aktivistin Haifa Zangana treffend von der fehlenden Rede über die Iraker in Bambiland: „Noone (sic!), including maybe the multinarrators, see people while talking fondly and nicely about weapons, even treating them like humans. The Apache is human, the radar is human, and the tank is human. But Iraqi people are not.“61 Der Vorwurf des Provinzialismus lässt sich bei genauer Betrachtung jedoch positiv umdeuten, denn insbesondere im Hinblick auf Jelineks Werk ist der Fokus auf die westliche Perspektive nicht als Ignoranz zu verstehen, sondern im Gegenteil als notwendige Einsicht in die Beschränktheit der eigenen Perspektive. Der Theaterautor und -regisseur Falk Richter bringt die notwendige Einengung auf die persönliche Perspektive auf den Punkt:

59 Jacques Derrida: Eine gewisse unmögliche Möglichkeit vom Ereignis zu sprechen, Berlin 2003, S. 58f. 60 Susan Sontag: Das Leiden anderer betrachten, München 2003, S. 127 und 128. 61 Thomas Schmidinger: „In this text we are not even ghosts.“ Gespräch mit Samir und Haifa Zangana, in: JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek-Forschungszentrum 2010, 265-275, hier S. 266.

172 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN […] ich sitze ja vorm Fernsehgerät, und da sehe ich eben immer nur die falschen gefälschten manipulierten gelogenen Bilder, aber die anderen Bilder sehe ich nicht. […] die kann ich bislang nur erahnen oder erkennen an ihrer Abwesenheit.62

In diesem Sinne ist die Fokussierung Jelineks auf den westlichen Fernsehzuschauer als Gegenstand und Adressat der Rede in Bambiland und Babel keineswegs als ignorante Verkürzung eines westlich geprägten Blicks zu verstehen. Vielmehr lässt sich daran die Reflektion der eigenen Beschränktheit bezüglich der Perspektive ablesen, die jede direkte Rede über die irakische Bevölkerung selbst als anmaßende Aneignung markiert; anders gesagt: Jelinek macht in Bambiland das zum Thema, wozu sie Zugang hat – die Bilder und die Rede über den Krieg. Sie ist, wie ihre Übersetzerin Gitta Honegger bemerkt „‚provinziell‘ im besten Sinne der intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur und ihrer Kenntnis“.63 Die Medien, ihre Darstellungsweisen und das Rezipientenverhalten sind grundlegender Bestandteil dieser Kultur und insofern, wie bereits gesagt, zentrales Thema in Jelineks Schaffen. Das Ereignis des Krieges im Irak, die irakische Bevölkerung und seine Opfer, all dies entzieht sich ihrem Zugriff, weshalb das zentrale Anliegen des Textes nicht darin liegen kann, dieses zu ergründen und so eine weitere Darstellung der Darstellung des Irakkrieges zu produzieren; vielmehr sucht Bambiland die Funktionsweisen der Darstellung selbst zu ergründen. Das Unheimliche zeigt sich dabei zum einen in den Formen der Darstellung des Irakkrieges, zum anderen aber auch in dem steten Entzug des Ereignisses hinter der Darstellung. Unabhängig davon, ob man Baudrillards These vom Verschwinden des Ereignisses hinter seiner medialen Repräsentation bzw. Inszenierung oder Derridas Position der Unhintergehbarkeit des Ereignisses zustimmt, wird das Unheimliche an diesen Problemstellungen deutlich. Beide Autoren konstatieren die Vervielfältigung der Kriegsereignisse (und letztendlich von Welt) durch ihre televisuelle Verarbeitung. Aus der zunehmenden Undarstellbarkeit der „neuen Kriege“64 leitet sich ihre leichtere Manipulierbarkeit zum einen und die Notwendigkeit derselben zum ande-

62 Falk Richter: Das System. Eine Einführung. Frankfurt/Main 2004, http://www.falkrichter. com/ckfinder/userfiles/files/PDF/Theatre%20plays/Das%20System.pdf, letzter Zugriff 19.05. 2017, S. 6. 63 Gitta Honegger im Gespräch mit Peter Clar: Diese AutorInnen sind „provinziell“ im besten Sinne. Zum Übersetzen von Jelineks Texten, in: JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede JelinekForschungszentrum 2012, S. 157-164, hier S. 161. 64 Herfried Münkler erarbeitet drei signifikante Unterscheidungsmerkmale der sogenannten neuen Kriege zu den klassischen Kriegen, die als Diskurse durch Bambiland und Babel mäandern: 1. Entstaatlichung bzw. Privatisierung kriegerischer Gewalt, die eine Kommerzialisierung des Krieges mit sich bringt, 2. Starke Asymmetrien in Fähigkeit und Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt, 3. Entmilitarisierung des Krieges. Vgl. Münkler 2004, S. 246.

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ren ab. In einem bis dahin unbekannten Ausmaß wurde der Irakkrieg zu einem Krieg um Bilder, deren emotionalisierendes Potential von allen Seiten genutzt wie gefürchtet wurde. Martin Walser schreibt in seinem Aufsatz für den Spiegel mit dem bezeichnenden Titel Der Bilderkrieg: „Der Krieg der Bilder ist erklärt. Die Bilder werden in beiden Lagern zum Scharfmachen derer, die töten sollen, eingesetzt. Das Medium Bild, das unsere äußerste Teilnahme erregt, motiviert die Handelnden zum immer Schlimmeren.“65 Die Relevanz des Rückhalts der eigenen Bevölkerung für den Ausgang kriegerischer Handlungen ist dabei kein Novum. Schon Carl von Clausewitz vertrat in seinem Textfragment Vom Kriege66 die These, dass Napoleon seine Kriege nicht nur aufgrund seines militärischen Könnens, sondern vornehmlich durch die Begeisterung des Volkes habe gewinnen können. Die USA hatte dies in umgekehrter Weise im Vietnamkrieg erlebt, von dem behauptet wurde, er sei nicht in den Dschungeln Südostasiens verloren worden, sondern an der Heimatfront selbst. Der damalige Präsident Richard Nixon formulierte im Hinblick auf die mediale Mobilmachung gegen den Vietnamkrieg: „Our worst enemy seems to be the press.“67 Die PR-Strategen der US-Regierung versuchten indes nicht nur die eigene Bevölkerung von der Notwendigkeit des Krieges gegen den Irak zu überzeugen, sondern auch, die jeden Krieg begleitende Grausamkeit in den Hintergrund zu drängen; dies heißt letztendlich den Tod als unweigerliche Konsequenz des Krieges vergessen zu machen. Herfried Münkler beschreibt die besondere „Anfälligkeit“ postheroischer Gesellschaften für Bilder der Gewalt. Gesellschaften, die über „Tausch und Arbeit und nicht über Gewaltanwendung und Ehre integriert sind“, imaginierten den Frieden als Norm und Gewalt als ein Zeichen von Unvernunft.68 Insofern war die Notwendigkeit, Bilder von Gewalt und Tod zu vermeiden, eine grundlegende für das Pentagon, um der eigenen Bevölkerung den Boden zu bereiten, sich, mit

65 66 67 68

In der Medienwissenschaft herrscht Einigkeit darüber, dass insbesondere die ‚neuen Kriege‘ aufgrund ihres hohen technischen Entwicklungsgrades für die Medien letztlich unsichtbar bleiben. So resümiert Knut Hickethier: „Seit ferngelenkte Waffen das Kriegsgeschehen zentral beeinflussen, Satelliten die Aufmarschgebiete permanent unter Kontrolle halten, der Einsatz von Hightech-Waffen der Zivilbevölkerung Tod und Verderben bringen, ist das Kriegsgeschehen medial immer weniger darstellbar geworden.“ Vgl. Knut Hickethier: „Denn wie man sich bettet, so liegt man...“ Strategien der Fernsehberichterstattung, in: https://www.lmz-bw.de/fileadmin/user_upload/Medienbildung_MCO/fileadmin/bibliothek/ hickethier_strategien/hickethier_strategien.pdf, letzter Zugriff 19.05.2017. Vgl.: Martin Walser: Der Bilderkrieg, in: Der Spiegel, Nr. 21, 17.05.2004, http://www. spiegel.de/spiegel/print/d-30917718.html, letzter Zugriff 19.05.2017. Vgl. Clausewitz 1969, S. 29. Vgl. William M. Hammond: Reporting Vietnam. Media and Military at War, Kansas 1998, S. IX. Münkler 2004, S. 248.

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diesem Krieg identifizierend, weiterhin als zivilisierte und rational agierende Nation verstehen zu können. Diese impliziten Rechtfertigungsstrategien parodiert Bambiland in den Ansprachen eines kollektiven Wir, dessen Bedürfnis deutlich wird, sich seiner moralischen Überlegenheit zu versichern: „Wir sind doch die Guten.“ (B 40) 1.1 Der Irakkrieg als Krieg der Bilder in Bambiland Bambiland greift den Krieg der Bilder als spezifische Funktionsweise des Irakkrieges auf. Der Einsatz des „Fernsehgerät[s]“ als Waffe wird ironisch kommentiert, wenn es heißt: „Es ist ein praktisches Zusatzgerät zu all diesen Bomben. [...] So können Sie sie wenigstens verfolgen, die Bomben, aber einholen werden Sie sie nicht.“ (B 82) Die Gleichsetzung von Fernseher und Waffe weist auf einen Richtungswechsel des anvisierten Feindes hin. Denn Ziel der Berichterstattung als Krieg der Bilder ist nur sekundär der deklarierte Kriegsgegner, sondern vielmehr der Zuschauer im eigenen Land,69 was Bambiland ins Bewusstsein ruft, wenn es über die Bilder heißt: „[...] deren Zweck nur der, abgeschickt zu werden ins Heim. Heim.“ (B 24) Und weiter das Bild als Instrument markiert wird, um das Kriegsdiktum zu begründen und zu legitimieren: „Wieso will der diese Stadt erbeuten? Wir sagen es ihm, und wir schicken ihm die Bilder dazu, damit er auch versteht, was wir ihm sagen.“ (B 25). Dabei wird die antizipierte Funktion des Zuschauers als passiver und affirmativer Konsument der dargestellten Ereignisse gekennzeichnet; ein tiefergehendes Verständnis des Kriegsgeschehens und seiner Hintergründe bis hin zu einer eventuellen Einflussnahme auf dasselbe wird mit dem oben zitierten Passus „einholen werden Sie sie nicht“ (B 82) negiert. In den Sequenzen, die Fernsehbilder beschreiben und so auf die visualisierende Vorstellungskraft des Rezipienten abzielen, übernimmt der Text zunächst die Bildhaftigkeit der Medienberichterstattung. Dabei tragen diese Bild- bzw. Szenenbeschreibung ihren Subtext und ihre Interpretation bereits an der Oberfläche.70 Die insofern nur scheinbaren Bildbeschreibungen sind vielmehr Deutungen einer Szene

69 So schreibt Monika Szczepaniak: „Das Medium als Waffe in der Epoche der „Echtzeit“ (Virilio), bzw. in der „Ära der Simulation“ (Baudrillard) richtet sich nicht nur gegen den Feind, den man durch Technik zu überlisten sucht. Der Zuschauer wird dabei zum Opfer des Krieges als TV-Reality.“ Vgl.: Monika Szczepaniak: „Der Krieg findet ja nicht im Bild statt“. Zu Elfriede Jelineks Bambiland und Dea Lohers Land ohne Worte, in: Carsten Gansel/Heinrich Kaulen (Hg.): Kriegsdiskurse in Literatur und Medien nach 1989, Göttingen 2011, S. 297-309, hier S. 298. 70 Jelinek formuliert diese Strategie in Bambiland wie folgt: „Der Text hat seinen Subtext und seinen Hypertext sozusagen im Rucksack und trägt ihn also quasi mit sich herum.“ Leiprecht, Helga: Die elektronische Schrifstellerin. Elfriede Jelinek im Gespräch mit Helga Leiprecht, in: Du 700, S. 2-5, hier S. 3.

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oder eines Bildes auf seinen manipulativen Wert hin. So spitzt die folgende Passage die Inszenierung George W. Bushs als Heilsbringer in einer Gleichsetzung mit Jesus zu, die an das Bild einer gleichsam beschützend wie patriarchalen Geste gebunden ist: [...] Jesus ist mit ihnen, der fährt immer mit ihnen mit, der, der zusätzlich aber noch seine Hand auf eine schöne Frau in einem dunkelgrünen Pashminaschal legt, um sie zu beschützen. Der glaubt, Jesus ist mit ihm, der glaubt, Jesus ist mit ihnen allen, nur so fühlt er sich wohl, nur so fühlt sich die Frau wohl. So beschützt nur Jesus uns, wie der Mann, dieser Präsident, seine schöne Frau da beschützt und rein in den Hubschrauber! Zart die Treppe rauf. Federnd. (B 25-26)71

Auffällig an den bildbeschreibenden Passagen ist der Mangel an aufklärungsrelevanter Information. Der inszenierte und ästhetisierende Charakter der Szene wird insbesondere über das „[z]art die Treppe rauf. Federnd.“ deutlich, was wie eine Regieanweisung anmutet. Indem der Text „Jesus W. Bushs“ (B 26) schützende Geste gegenüber seiner Frau auf ein allgemeines, den Rezipienten einschließendes „uns“ überträgt, bettet er die Botschaft des Bildes in das Bild selbst ein und reduziert es sogleich auf dieselbe. So entlarvt die Textpassage die dahinter liegende Intention, den Mythos von der moralischen Überlegenheit und Schutz bietenden Stärke der Person George W. Bush als amerikanischem Heilsbringer zu etablieren. Dabei erscheinen die Akteure der Szene gespenstisch schablonenhaft und ihr Handeln auf die Performance der Bildbotschaft reduziert. In der parodierenden Gleichsetzung von George W. Bush und Jesus wird dessen Symbolcharakter entlarvt, der gleichzeitig auf die Diskrepanz zwischen Darstellung und Dargestelltem hinweist; derart aufgeladen erscheint „dieser Präsident“ als medialisierte Kippfigur, die über ihre Symbolhaftigkeit mühelos vom christlichen Heilsbringer zum kriegstreibenden Präsidenten der USA changiert und dadurch in ihrer selbsternannten Heilsbringerfunktion ironisiert wird. An anderer Stelle spielt der Text auf die Verselbständigung des Bildes in seiner seriellen Schaltung als Folge ihrer Instrumentalisierung im Krieg der Bilder an.

71 Eine korrespondierende Passage nimmt das Bild der USA als Heilsbringer wieder auf und konfrontiert es in einer ironischen Überspitzung mit der Verlogenheit des naiven Glaubens an die gerechten Absichten der sogenannten „Operation Iraqi Freedom“: „Wir sind gekommen, um uns zu weihn dieser Städte Niederwurf. Da kommen welche in Zivil und mit so weißen Fahnen, gelt, die wagen sie zu tragen, und dann schießen die auf uns! Die schießen auf uns! Zuerst tragen sie weiße Fahnen, und dann schießen sie auf uns. Darüber tragen sie weiße Überwürfe, und darunter tragen sie eine Uniform. Und sie schießen auf uns. Da lernen wir auf dem Meer zu gehen, da lernen wir auf der Wüste zu fahren, da lernen wir aus der Luft zu werfen, und dann das! Es ist nicht gerecht. Es ist kein gerechter Krieg.“ (B 27)

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Auch hier zeigt sich wieder die Oberflächenstruktur der in Bambiland in Szene gesetzten Bilder, die eine ironisierende Deutung ihrer Intention und Wirkung explizit aussprechen. Ehrlich, ich glaube, dem Kind ist das schon über, in jedem Krieg muß es herhalten, in jedem Krieg wird es hergehalten, in jedem Krieg wird es in die Kameras gehalten, nein, nicht immer dasselbe Kind, Idiot, jedes Mal ein andres Kind, aber das Kind, das universelle Kind muß immer herhalten, damit wir ein Gefühl aus uns pressen können [...]. Aber herauspressen lassen wir uns Gefühle nur von einem Kind, und zwar von diesem hier, von dem nicht mehr viel übrig ist. Das ganze Blut. Wir nehmen es auf. [...] Wir haben schon eins, das wir blutend und zerfetzt fotografiert haben, wir haben es jetzt auf der Festplatte. Noch eins brauchen wir nicht. (B 53-54)

Im dreimalig variierenden Ansetzen des Sprechers („in jedem Krieg ...“) wiederholt sich die Wiederholung, die das Kind vor der Fernsehkamera darstellt. Als universelles Kind ist es nicht einzigartiger Repräsentant aller Kinder, sondern Symbol und damit im Jelinekschen Verständnis Abbild aus serieller Produktion, das auf seine Instrumentalisierung durch die Medien reduziert ist. Die Intention des Bildes, Beschützerinstinkte im Zuschauer hervorzurufen, steht im Text vor der eigentlichen Beschreibung des Bildes bzw. ersetzt diese. Weiter markiert der Text die Übertragung dieser Gefühle auf das Wir in Bambiland, wenn es heißt: „[...] Sie können das Kind ruhig loslassen, wir beschützen auch das Kind, wir sagen doch, wir beschützen Ihr Kind [...].“ (B 55) Der Subtext des Bildes wird hier ironisierend auf das Kalkül derjenigen zugespitzt, die das Bild einsetzen, um „ein Gefühl aus uns pressen [zu] können“. Dabei macht der Text deutlich, dass der Einsatz des Bildes auf die Übertragungsleistung des Zuschauers setzt, das universelle Kind mit dem eigenen zu identifizieren. Deutlich wird hier das ‚Flüssig-Werden‘ des Bildgegenstandes; das universelle Kind wird zum seriellen und wandert durch die massenhaften Bildversionen kriegsversehrter Kinder. Bambiland zeichnet so die (kalkulierte) Verselbständigung des Bildes über eine ironisierende Offenlegung des Subtextes nach, in der die Entkoppelung von Darstellung und Dargestelltem thematisiert wird. Ein Zusammenhang, den Peter sagt weiter ausführt. (vgl. V.2.3.3) So produziert Bambiland Bilder, die insofern unheimlich werden als sie merkwürdig verflacht ihren Subtext schon an der Oberfläche bei sich tragen und ihre Serialität selbst aussprechen. Die Akteure dieser Bilder erscheinen folgerichtig als gespenstische Darsteller der Szenen, die gleichfalls als simulierte den Status von Untoten erhalten. Auch inhaltlich spielt der Text mehrfach auf den Darstellungscharakter der Akteure und damit auf die Inszeniertheit der beschriebenen Bildszenen an: „Wir machen eh, was wir wollen. Aber deshalb führen wir uns längst nicht auf. Wir sind echt.“ (B 17) Oder das Unheimliche am plötzlichen Aufscheinen des ‚Wahren‘ hinter der Verkleidung aufnehmend: „Manchmal verkleidet der Freund sich als

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Feind und der Feind sich als Freund, das ist nicht sehr geschmackvoll, diese Verkleidung, wenn Sie mich fragen. Sie lodert, sie wurde gewebt, sie lodert noch lauter, die Verkleidung, dann verbrennt sie, Menschen heulen laut, und hinter der Verkleidung wird für eine Sekunde die alte Tapete sichtbar: wie grauenhaft! Wie grauenhaft!“ (B 70) Die im Text virulente Freund-Feind Thematik wird an dieser Stelle als Vexierbild gefasst, das aufgrund seiner stetig changierenden Identität als klassisches Motiv des Unheimlichen gilt. Der Informationswert und das Verstehen der Bilder spielt im Krieg der Bilder eine untergeordnete Rolle, was der Text deutlich macht, wenn er die Frage nach der Bedeutung des Bildes ins Leere laufen lässt: Wäre es Ihnen bitte möglich, mir dieses Bild jetzt genauer zu erklären? Ich sehe, daß diese Frau zurückgedrängt wird, aber ich kann mir keinen Reim drauf machen. Ich sehe, daß diese sieben Frauen samt Kindern, ich weiß nicht wie viele von welcher Sorte, jetzt in dem Kleinbus erschossen worden sind. Manche sprechen von zehn. Aber ich kann mir keinen Reim drauf machen.72 (B 68)

Die Unzulänglichkeit des Visuellen wird über die wiederholte Gegenüberstellung von „Ich sehe“ und „keinen Reim drauf machen“ verdeutlicht; Sehen setzt der Text stets in Opposition zum Verstehen und bringt darin zum Ausdruck, dass der Großteil der Bilder des Irakkrieges nicht nur keinen Aufklärungswert in sich trug, sondern letztlich auch eher zur Verschleierung der Ereignisse eingesetzt wurde. Die Forderung nach Erklärungen wird schließlich als Naivität abgetan: „Das Bild erklären? Aber echt? Natürlich sind Bilder nicht allein bestimmend, aber sie sind doch ziemlich wichtig, was wollen Sie denn da erklärt haben? Das ist ja, wie wenn ein Kind sich für einen Beruf vorstellen kommt.“ (B 69) Der mahnend-belehrende Ton, der in Reaktion auf die Nachfrage nach dem Bild angeschlagen wird, steigert sich im Folgenden und findet Bestätigung in der Herabsetzung des Gegenübers durch den Wechsel in der Adressierung von der Höflichkeitsform des „Sie“ zum „du“: „Das ist eine Spielzeugbombe, und das dort drüben, ja, den darfst du angreifen, das ist ein zahmer Delphin, der jetzt Minen sucht. [...] Du darfst dieses Spielzeug ja auch nicht berühren. Sonst fliegen uns hier die Trümmer um die Ohren.“ (B 69) Im Zusammenhang mit der Verharmlosung („Spielzeugbombe“) und dem gleichsam gebietenden wie beschützenden Gestus der Rede suggeriert die Adressierung mit „du“ ein kindliches Gegenüber, das mit der Inszenierung des Krieges als Spiel abgelenkt werden soll, damit es keine „dummen Fragen“ stellt. Hierin legt der Text 72 Die Passage spielt auf einen Vorfall an einem Kontrollposten in der Nähe von Nadschaf an, bei dem US-Soldaten einen Kleinbus mit 13 Zivilisten und dabei zwischen sieben und zehn Frauen und Kinder töteten. Das Fahrzeug hatte trotz Warnschüssen nicht gestoppt und die Soldaten befürchteten einen Selbstmordangriff.

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die Darstellungsmodi des Kriegs der Bilder offen, die eher dem Genre der RealityShow als der Informationsvermittlung entlehnt sind und den Irakkrieg als virtuelles (Computer-)Spiel erscheinen lassen; gleichzeitig spielt der Text auf die Infantilisierung des Zuschauers als Folge wie auch Bedingung dieser Entwicklung an. Werden die bildbeschreibenden Szenen in Bambiland durch das Ausloten ihrer Oberflächenstruktur unheimlich, so wird die unheimliche Wirkung noch gesteigert, indem der Text auf die spezifische Gestaltung der Inszenierung des Kriegs der Bilder im Format der Unterhaltungskultur hinweist.73 Nicht nur werden die realen Toten in einer virtuellen Spielzeug-Version des Irakkrieges ausgeklammert und durchkreuzen so als Untote den Text; eine derartige Version des Krieges lässt darüber hinaus Rückschlüsse auf die gegenwärtige Mediengesellschaft zu, die Bambiland insofern als unheimlich markiert, als der infantile Anspruch auf eindimensionale Anschaulichkeit, als Voraussetzung unterhaltender Zerstreuung, im Vordergrund steht. Die sich darin spiegelnde Diagnose Jelineks von der „Infantilgesellschaft“74 steht über das sich darin ausdrückende narzisstisch-regressive Begehren im Zusammenhang mit dem Unheimlichen, da der Allmachtsanspruch dieser infantilen Konsumorientierung jede Individualität eingemeindet, wie der Text weiß: „Ich habe ja nicht einmal einen Begriff von Person oder Individuum“, und gleichsam in einen religiösen Kontext versetzt: „Jesus zum Beispiel und seine Schüler waren eins, weil sie sich so liebgehabt haben wie die Rehmutter ihr Kitz. Wie wir unser Land. Jeder hat sich lieb und seins lieb.“ (B 76) Über das narzisstische Symbiosebegehren des Todestriebs wird hier das Funktionieren des Kriegs der Bilder mit religiösem und nationalem Glauben identifiziert und gedeutet.

73 Gerhard Paul führt an, dass das Pentagon bereits seit Ende der 1990er-Jahre eine Reihe von Maßnahmen zur Entertainisierung des Krieges erließ. So erhielten Filmgesellschaften technische und materielle Unterstützung für die Produktion neuer Kriegsfilme, wofür diese im Gegenzug im November 2001 eine Unterstützungskampagne für die Regierung in Form von Werbe- und Unterhaltungsfilmen sowie Live-Auftritten von Unterhaltungskünstlern vor Soldaten planten. Im Vorfeld des Angriffs auf den Irak wurde sogar die Produktion einer Reality-Soap von der Front geplant, um dem Zuschauer die persönliche Seite des Krieges näherzubringen. Des Weiteren fanden bei der Planung des Krieges „dramaturgische Prinzipien des Kinos und die Bedürfnisse des Fernsehens Berücksichtigung.“ Vgl. Paul 2005, S. 28. 74 Vgl. Jelinek 1972.

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2. T EXTORGANISATION . D ER „ VIELSTIMMIGE P OLYLOG “ B AMBILANDS ALS T EXTMODUS DES ‚Z APPING ‘ Auf formaler Ebene spiegelt sich diese Entindividualisierung im Text wider. Bambiland ist ein langer Monolog, der lediglich durch Absätze segmentiert ist. Im Gegensatz zu Babel, das seine drei großen Monologe mit den Angaben Irm sagt, Margit sagt, Peter sagt betitelt, entbehrt Bambiland jeglicher Sprecherangaben. Der Text ist Parabase,75 Botenbericht und chorische Anordnung in einem. Es ist die Rede einer „chorisch-monologischen Diskussion“, wie Ulrike Haß schreibt, eines Chores, „[d]er nichts Genaues weiß und wechselnder Meinung ist. Er fragt, hofft, bittet, zürnt, rät, wird von Unruhe erfasst, sagt Ich oder Wir oder beides in einem. [...] Er ist Bote und Zeuge, Künder und Kunde, die einzige Figur der öffentlichen Rede, über die das Theater verfügt [...].“76 In diesem „vielstimmige[n] Polylog“77 lässt sich kein kollektives Wir mehr ausmachen, wie noch in Wolken.Heim. Ständig beziehen neue Redeinstanzen Position, die sich in Wir- oder Ich-Form äußern; oder aber eine nicht weiter zu identifizierende Stimme verkündet allgemein gehaltene Meinungen wie „Wenn alle gleich sind, ist weniger Stolz für jeden da [...]“ (B 65).78 Dabei wenden sich die Stimmen des Textes immer wieder in unterschiedlichen Ansprachen, Ermahnungen und Fragen an ein nicht näher gekennzeichnetes, fiktives Gegenüber. Wie das Gros der Jelinekschen Theaterstücke folgt Bambiland keiner klassischen Dramaturgie mit Anfang, Klimax und Ende. Die Textblöcke scheinen beliebig aneinander gereiht und untereinander austauschbar. Tatsächlich richtet sich die Anordnung nicht nach dramaturgischen Gesichtspunkten, sondern folgt den Geschehnissen, wie sie am Bildschirm verfolgt werden konnten und erweckt damit den Eindruck der Latenz. Die scheinbar zufällige Folge der in den Text eingewobenen 75 Karpenstein-Eßbach klassifiziert Bambiland als Parabase, „die die weiterlaufende verdeckte Handlung des Krieges satirisch kommentiert.“ Karpenstein-Eßbach 2011, S. 128. 76 Haß 2010, S. 80. 77 Lücke 2004c, S. 364. Im Folgenden soll der Begriff des Polylogs gegenüber dem des Monologs für alle Texte aus Bambiland und Babel verwendet werden, da hier letztlich nicht von Monologen gesprochen werden kann. 78 Damit knüpft Bambiland auch formal an Die Perser an, deren prädramatische „Performance“ Anton Bierl als „polyphon, multiperspektivisch und ambivalent“ bezeichnet. Er schreibt: „In einer prädramatischen Performance wird das Ereignis des acht Jahre zurückliegenden David-gegen-Goliath-Sieges anhand von Bildern und Symbolen, die allesamt im Klageritual, Tod und Opfer gründen, ins kollektive Gedächtnis überführt. Das Geschehen wird im Rahmen des Dionysosfestes in seiner ganzen Gewalt und auflösenden Energie ästhetisierend, performativ und pathetisch in vielen Stimmen und Perspektivierungen in der charakteristischen dynamischen Oszillation zwischen dem Anderen und dem Selbst durchgespielt.“ Vgl. Bierl 2007, S. 54 und 62.

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Ereignisse – stets in ihrer medialen Aufbereitung parodiert – fußt also auf der Chronologie der tatsächlichen Ereignisse, wodurch der Eindruck unterstützt wird, man blicke als Rezipient der Autorin beim Fernsehen über die Schulter. Diese Form des Textes doppelt die Strategie der Fernsehsender, mit dem Einsatz der Embedded Journalists den Fernsehzuschauern das Gefühl zu vermitteln, bei militärischen Einsätzen live dabei zu sein. Insbesondere bei den bildbeschreibenden Passagen scheint der Rezipient eingebettet in Jelineks ‚Einsatz‘ vor dem Fernseher. Insofern ahmt Bambiland die Rezeptionsweise des Fernsehzuschauers nach, der sich durch die verschiedenen Angebote der Fernsehsender ‚zappt‘, und stellt dieses unheimliche Vermögen des Fernsehens aus, seine Zuschauer gleichsam identitäts- und körperlos auf eine Reise zu schicken, die den Koordinaten des Raumes und der Zeit enthoben zu sein scheint. Die Regisseurin Claudia Bosse, die Bambiland 2008 im Zusammenhang des theatercombinats in einer „choreographischen Stadtkomposition“ vom 15.10.– 04.11.2008 umsetzte, bezeichnet in einem Radiointerview die Rede des Textes als eine „freudsche oder kapitalistische schizophrene Auflösung des in dieser medialisierten Gesellschaft informierten Einzelnen“.79 Damit steht die Frage nach der identitätsauflösenden Kraft des Fernsehens im Raum, die Bambiland sowohl inhaltlich als auch über die Struktur des Textes zu stellen versucht. Die Vielstimmigkeit von Bambiland zielt mitnichten auf eine besonders sorgfältige Ausleuchtung ihrer Inhalte; vielmehr zerstört sie „jedwede Möglichkeit eines glaubhaften, in und mit sich identischen Subjekts“80 und spielt damit auf die Funktionsweise des Fernsehens an, Informationen eher zu zerstreuen, denn zu bündeln, und damit korrespondierend eine labilisierende Wirkung auf das Identitätsempfinden des Zuschauers zu zeitigen. Jelinek ahmt in Bambiland jedoch keineswegs einfach nur Medienstimmen nach.81 Zum einen entlarven, wie im vorangehenden Abschnitt dargelegt, die im Text in Szene gesetzten Medienbilder ihren Subtext über ihre spezifische Form der 79 Herbert Gnauer: Bambiland 08. Radiointerview mit Claudia Bosse am 23.10.2008, in: Radio Dispositiv/Radio Orange 94,0, http://cba.fro.at/72826, letzter Zugriff 19.05.2017. Zur Veranstaltung selbst, sowie den Videoaufnahmen von Bambiland 08 vgl. http://www.theatercombinat.com/projekte/bambi/, letzter Zugriff 19.05.2017. 80 Allyson Fiddler: Im Netz der Moral. Monologe, Massenmedien und Mythologie in Elfriede Jelineks BABEL, in: David Barnett/Moray McGowan (Hg.): Das Analoge sträubt sich gegen das Digitale? Materialitäten des deutschen Theaters in einer Welt des Virtuellen, Dublin 2006, S. 101-111, hier S. 103. 81 Wie beispielsweise Robert Menasse behauptet: „Ich habe manchmal beim Schreiben Lust, einen Text zu schreiben, der so lallt, wie die Mediensoße lallt. Aber dann denke ich wieder, wenn ich Elfriede Jelinek lese, die auf diese Weise arbeitet, dass das nicht funktioniert, weil es ein tautologischer Akt ist.“ Vgl. Robert Menasse: Wir brauchen Ketzer, in: DIE ZEIT, Nr. 11 vom 4. März 2004, S. 54.

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Oberflächenstruktur; die Szenenbeschreibungen ergehen sich demnach mitnichten in reiner Abbildfunktion. Zum anderen wird der Textfluss immer wieder auf Abwege geführt, die stets eingebunden in Assoziationsketten in philosophische Betrachtungen mäandern, an Aischylos’ Perser anknüpfen oder den Text kommentieren.82 So weist der Text eine rhizomatische Struktur auf.83 Seine Bauweise stellt, mit Lücke gesprochen, eine „Absage an ein erkenntnistheoretisch-ontologisches Repräsentationsmodell“ dar: [...] die Absage an die starke Metaphysik des logisch-vernünftigen Subjekts – aufs Theater übertragen. Das Theater soll nicht mehr Abbildung von menschlicher Wirklichkeit und darin gespiegelter göttlich-vernünftiger Wahrheit sein, menschliche Rede soll ihren Grund nicht mehr im einheitlich-göttlichen logos haben.84

Blochs Lesart, diese Textorganisation einer „sinnlose[n] Ordnungsstruktur“ mit der „Metapher des ‚Rhizoms‘“ zu beschreiben, „die für das poststrukturalistische Modell der Wissensorganisation vorgeschlagen wird“85, ist einleuchtend und verdeutlicht gleichsam die unheimliche Struktur des Textes. Der ‚Stream of Consciousness‘ in Bambiland drückt den Zweifel an der Souveränität und Rationalität des sprechenden sowie rezipierenden Subjekts aus. Die ständigen und sich größtenteils abrupt vollziehenden Perspektiv- und Sprecherwechsel versetzen den Rezipienten in eine unheimliche Position, da dieser – quasi seiner materiellen Physis entledigt – beliebige Sprünge nicht nur in Raum und Zeit unternimmt. Durch die direkten Adressierungen im Text („Glauben Sie mir!“ (B 73)) gehen nicht nur die Sprecher nahtlos von einer Position in die andere über, auch die Adressaten ändern immer wieder ihre Identität und werden damit zu unheimlich-amorphen Figuren. Dabei scheinen die Sprecher längst nicht mehr Herr ihrer Rede, die geäußerten Gedanken, Bilder und Anschauungen fallen eher von außen in sie ein; nicht selten stehen die Sprecher ihnen ratlos gegenüber. So wird die Rede zum Teil als ein „Ringen um die Diskursherrschaft“86 inszeniert, letztlich geht jedoch auch dieses stets zugunsten eines munter vor sich hin

82 Bosse weist darauf hin, dass der Text zwar bestimmte Themen und Objekte einführt, die quasi plötzlich vom Himmel fallen, dabei jedoch Brüche zwischen den Sätzen vermeidet, sodass der Rhythmus des Textes durch assoziative Verbindungen stets im Fluss bleibt. Vgl. Gnauer 2008. 83 Wie Bloch in Bezug auf Babel feststellt. Bloch 2011, S. 226. 84 Lücke 2004a, hier S. 231. 85 Bloch 2011, S. 226. 86 Andreas Blödorn: Medialisierung des Krieges: Mit Susan Sontag in Elfriede Jelineks Bambiland, in: Paul Michael Lützeler/Stephan K. Schindler (Hg.): Gegenwartsliteratur. Ein germanistisches Jahrbuch, Schwerpunkt: Elfriede Jelinek, 5 (2006), S. 143-164, hier S. 158.

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plappernden Sprachflusses aus, das die ohnmächtig-unheimliche Position der Sprecher wie auch der Angesprochenen markiert. Trotz aller eingestandenen Ahnungslosigkeit des Sprechers und angesichts größter Paradoxa fließt die Rede stetig weiter: „Woanders verstecken sie sich vor den Tornados, hier brauchen sie sie, und sie machen sie einfach kaputt, obwohl die woanders ja noch gebraucht würden, wo man sich vor ihnen vielleicht noch viel mehr fürchten würde. Ach, ich weiß nicht. Das ist also dieser Herrscher, sie wissen eh, wen ich meine [...]“ (B 52). Der Einschub „Ach, ich weiß nicht“ zeitigt keine weiteren Überlegungen oder ein Innehalten der Rede, sondern lässt den Sprecher lediglich einen anderen ‚Gesprächsfaden‘ wieder aufnehmen, der wiederum an anderer Stelle fallengelassen wird. Die äußere Erscheinungsweise von Bambiland als klotzartiges Sprachgebilde spiegelt also eine Sprachmacht wider, die jede individuelle Stimme in ihren Sprachfluss einebnet; auch in Bambiland wird also auf den ersten Blick deutlich, dass sich das Unheimliche des Textes aus der Frage nach dem Wer, das dort spricht (und dem Wer, das angesprochen wird), ableitet. Dieses Wer steht in Bambiland in einem expliziten Zusammenhang der Fernsehstimmen zum Irakkrieg. 2.1 Zu den Sprecherpositionen. Entfremdung der Rede im „Echoraum“ Es gilt nun die verschiedenen Sprecherpositionen87 in den Blick zu nehmen. Dabei spielt die phantasmatische bzw. performative Erzeugung eines (sich ständig wandelnden und doch stets gleich bleibenden) Sprechers ebenso eine Rolle wie die des Gegenübers. Bambiland spannt den Rezipienten in eine unheimliche Form des Selbstgesprächs, in dem die Stimmen ihren kollektiven Ort des Wir verlassen, um sich zu Gegenreden in Ich-Form aufzuschwingen, nur um wieder im Wir aufzugehen. Der ständig wechselnde Ton der Rede, die mal den erhabenen Ton aus Die Perser imitiert, dann in eine trivial-derbe Fernsehsprache umschlägt, um sich dann als scheinbar authentisch verzweifelte Metastimme vom Rest des Textes abzusetzen, dieser wechselnde Ton unterstützt den unheimlichen Eindruck, hier sprechen viele in einem oder einer in vielen. Das Ineinanderfallen von Sprechendem und Angesprochenem bringt Bosse mit dem Ausdruck einer zeitgenössischen Schizophrenie auf den Punkt:

87 Jelinek gebraucht den Begriff der Sprecherpositionen in einem Gespräch, um zu verdeutlichen, dass sie der „eigenen Sprecherposition“ nie verhaftet gewesen sei; statt dessen springe sie ständig zwischen „verschiedenen Sprachrhythmen“, zwischen verschiedenen „Sprecherpositionen“. Vgl. Hans-Jürgen Heinrichs: Gespräch mit Elfriede Jelinek, in: Sinn und Form 6 (2004), S. 760-783, hier S. 766.

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[...] eine Stimme, als Fläche, die die vielen Medienstimmen aufsaugt und wiedergibt. Zeitgenössische Schizophrenie, wo eigentlich fast kein gesellschaftlicher Chor mehr existiert, vielleicht, heute. Sondern nur noch im Subjekt, in einer Rede, das aber aufsaugt, beschriftet ist von ganz vielen Sprachen und dann eigentlich in eine Gegenredesituation mit sich selbst gerät. Aber diese Rede ständig fragt, adressiert, befragt, denjenigen, der dieser Rede eigentlich zuhört [...].88

Auch wenn die Sprecher des Textes nicht auszumachen sind, so lassen sie sich zumindest andeutungsweise in Gruppen zusammenfassen. Den sicherlich größten Anteil der Rede übernimmt die Kollektivfigur des (US-amerikanischen) Fernsehzuschauers in der 1. Person Plural, der gleichzeitig antizipierter Adressat der Rede ist.89 Dieses Wir variiert zwar seine Identität und lässt sich mit Lücke als „Kippfigur“90 bezeichnen, jedoch verbleibt es innerhalb dieses Rahmens als kollektive Figur des Fernsehzuschauers in seiner Relation und Mitschuld am Krieg im Irak: Mal liegt der Schwerpunkt auf dem US-Bürger als Ölkonsument [„[d]eswegen brauchen wir ja das ganze Öl“ (B 37), „wir alle Kunden“ (B 43)], als Christ [„[d]afür sind wir schließlich Christen“ (B 39) „wir kommen im Namen Gottes“ (B 52)] und moralisch auf der richtigen Seite der Freiheit Stehendem [„[w]ir sind doch die Guten“ (B 40); „[d]ie wir jede Fremdherrschaft ablehnen [...]“ (B 37)]. Als Technikbegeisterte [„[w]as wir aber lieben, ist das Sklavenjoch der Technik, dessen Herren wir sind […]“ (B 62)] führt es als Vertreter seines Landes gleichsam die Waffe vom Fernsehsessel aus [„[d]en Weg geht das Geschoß geschickt, ich meine, es ist sowieso geschickt, auch wenn wir es geschickt haben [...]“ (B 63)]. Auch die Kriegsgegner werden über ihren kolonialen Gestus den als „Sandnegern“ (B 35) bezeichneten Opfern gegenüber als dem Wir der Eroberer zugehörig markiert [„O aller Erde Stadtgemeinden ihr, wir adoptieren euch jetzt, wir von der Friedensbewegung adoptieren euch jetzt.“ (B 42)]. Dabei konstituiert sich das ‚Wir‘ über seine kulturell-nationale Zugehörigkeit [„[w]ir sind ein Amerikaner.“ (B 73),

88 Gnauer 2008. 89 Zur Vielstimmigkeit dieser Kollektivfigur vgl. auch Lücke: „Die verschränkten, aufgelösten, parodierten Sprach- und Stimmfiguren sind die unbewusst-triebgesteuerten und spaßideologisch-manipulierten, TV-verdummten Stimmen eines jeden von uns.“ Lücke, Bärbel: Elfriede Jelineks ästhetische Verfahren und das Theater der Dekonstruktion. Von Bambiland/Babel über Parsifal (Laß o Welt o Schreck laß nach) (für Christoph Schlingensiefs „Area 7“) zum ‚Königinnendrama‘ Ulrike Maria Stuart, in: Pia Janke (Hg.): Elfriede Jelinek: „Ich will kein Theater“. Mediale Überschreitungen, Wien 2007b, S. 61-85, hier S. 73. 90 Vgl. Lücke 2004c, S. 366.

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„wir im Westen“ (B 16)] und über die Markierung des Anderen (die Menschen im Irak) als „dubioses bis feindliches Gegenüber“91: Wir haben einen Begriff von der Zivilisation, und wir haben eine Polizei, die uns regiert, das ist schon richtig, aber was machen diese Sandneger, die so originell sind, dass sie keine Kultur mehr brauchen, weil sie schon eine gehabt haben, lang lang ists her? (B 35)

Weiter erhält die Presse selbst das Wort – „Da sind auch wir und senden die Bilder, wir kleben uns dran, wir sind die Marken unserer Bilder, deren Zweck nur der, abgeschickt zu werden ins Heim.“ (B 24) – und die Soldaten aus den Reihen der ‚Koalition der Willigen‘92: „[...] wir liegen absolut innerhalb unseres Zeitlimits, wir wollten hier tagelang festsitzen und bitte, wir sitzen hier schon tagelang fest, genau 90 km vor Bagdad“. (B 32) Aus dem Redefluss dieses kollektiven Wir, der in sich disparaten Fernsehstimmen meldet sich immer wieder eine Stimme in der 1. Person Singular Präsens zu Wort, die ebenfalls in mehrere Redepositionen aufgefächert ist. Dem kollektiven Wir zugeordnet, schaltet sich diese Stimme auf einer scheinbaren Metaebene in die Kommunikation zwischen Textgeschehen und Rezipient ein. Über ihre erklärendkommentierende Funktion inszeniert sich die Ich-Stimme als Erzähler- bzw. BotenIch: Schauen Sie, ich will es in einfachen Worten erklären, warum: Die Energie, die ein Geschoß enthält, bezieht es aus Geschwindigkeit und Masse. Es kann ja keinen Marsriegel essen, nicht wahr. Es kann ja keinen Müsliriegel essen und keine Kindermilchschnitte, um verbrauchte Energie zurückzugewinnen [...]. (B 17)

Dabei wird deutlich, dass das Erzähler-Ich zwar immer wieder zu Erklärungen und Kommentaren ansetzt, diese sich jedoch in kalauernd-absurden Assoziationsketten (Energie – Marsriegel – Müsliriegel – Kindermilchschnitte) verlaufen und so die den Erzählvorgang steuernde Funktion eines auktorialen Erzählers parodistisch unterlaufen. Hinzu kommt, dass das Ich relativierende Wendungen wie „ich glaube“ und „ich meine“93 anhäuft, die das Gesagte als unsicheren Standpunkt charakterisieren. Schließlich betont es immer wieder, wie bereits angedeutet, seine eigene Unsi91 Kormann 2009, S. 349. Haß beschreibt die Signatur des formlosen ‚Wir‘ im Text, „die sich in Bambiland weniger lesen als wahrnehmen lässt“, treffend als das „westliche Überlegenheitsgefühl als kollektives Unbewusstes.“ Vgl. Haß 2010, S. 81. 92 Der Ausdruck von der ‚Koalition der Willigen‘ wurde zur Bezeichnung der Länder, die Bush im Feldzug gegen die ‚Achse des Bösen‘, also im Irakkrieg unterstützten. 93 Neunmal relativiert das Ich seine Aussage mit „ich glaube“ (Vgl. B S. 22, 25, 26, 33, 35, 53, 57, 65, 74) und elfmal mit „ich meine“ (B S. 19, 25, 29, 55, 57, 63, 64, 65, 78, 79, 83, 84).

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cherheit und Zerstreutheit. So beginnt das Stück in den kursiv gesetzten Regieanweisungen94 mit den Worten „Ich weiß nicht ich weiß nicht.“ (B 15) und führt diese Exponierung des Nicht-Wissens an neun weiteren Stellen des Textes fort.95 Einschübe, wie „Was wollte ich sagen. Ja.“ (B 20) oder „[...] was wollte ich sagen. Egal, [...]“ (B 21) lassen nicht nur das Gesagte scheinbar beliebig werden, sondern berauben auch der Erzählerposition ihres souveränen Status’. So ist es diese verunsicherte Ich-Stimme, die den Zweifel in den Text einträgt, indem sie auf die Heteronomie des Sprechens nicht nur in Bezug auf die Kollektivfigur des Fernsehzuschauers, sondern auch in Bezug auf die eigene Rede hinweist. Indem Bambiland immer wieder den Eindruck entstehen lässt, dass die Themen und Diskurse von Außen in den Sprecher einfallen, um von diesem dann meist recht unvermittelt einfach weitergegeben zu werden, reflektiert der Text auf struktureller Ebene die Frage nach dem Unheimlichen der Rede, die auch inhaltlich thematisiert wird. Diese setzt der Text in einen medialen Kontext und präsentiert so „eine Geschichte von medial vermittelten Diskursen über den (Irak-)Krieg in einem medialen Echoraum.“96 Der Begriff des „Echoraums“ verdeutlicht noch einmal das Unheimliche dieses Sprechens, da er die Aussetzung bzw. Verschiebung der ZeitRaum-Koordinate thematisiert, worüber die Rede gespenstische Züge erhält; das Echo verfremdet die Rede im klassisch unheimlichen Sinne, da einem die eigene Stimme als fremd gewordene entgegenhallt. Bambiland formuliert diese Entfremdung mit dem Echo als Metapher für das Fernsehen, wenn es heißt: „Das mindeste ist doch, daß wir den frommen Sang der Barbaren zurückschleudern gegen den Fels, von wo er gekommen, der neue Song, gekommen als Echo. Als Echo des Herren der Welt.“ (B 52) Im Echo wird der „fromme[] Sang“ zum „neue[n] Song“ –

94 Wie Ulrike Haß hinweist, gibt es in Jelineks Stücken kaum Inszenierungsvorgaben, sodass der Nebentext gleichsam als Haupttext zu lesen ist: „[…] kursiv gesetzt, wie früher die sogenannten Regieanweisungen, in denen Angaben zu Personal, Ort und Szene erfolgten.“ Haß 2010, S. 80. Simon Aeberhard geht ausführlich auf die Funktion der Nebentexte in Jelineks Theaterwerk ein und versteht sie zutreffend als „‚Erzählerkommentar‘, der die ganze Problematik der Hypostasierung dieser Figur ausbreitet.“ Aeberhard 2012, S. 400. Die Bambiland vorangestellte Passage gibt sich nur noch formal als Regieanweisung zu erkennen. Vielmehr erfüllt sie die Funktion eines AutorInnen-Kommentars und gibt (scheinbare) Hinweise auf den Entstehungskontext des Stückes. So wird die Adressierung in das äußere Kommunikationssystem zwischen Bühne und Zuschauer bzw. Text und Leser verlagert, anstatt sich „auf eine imaginär vorgängige, konstativ zu beschreibende fiktionale Welt“ zu beziehen. Vgl. Aeberhard 2012, S. 401. Im ‚Haupttext‘ spiegelt sich diese Funktion in der IchStimme einer inszenierten Autorschaft. 95 Vgl. Bambiland S. 20, 23, 29, 37, 52 (2x), 68, 78. 96 Kormann 2009, S. 344.

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mit der Anspielung auf den Musikpreis Echo und seine Übertragung im Fernsehen.97 Die Metapher des „Echoraums“ reflektiert darüber hinaus die Eigendynamik der Medien, in denen sich die Relation von Aktivität und Passivität in Bezug auf die Rede, die Diskurse und die Bilder, und somit die Entstehung von Realität, verkehren. Wenn laut Andreas Blödorn die Sprache in Bambiland den Sprecher unterwirft,98 so findet eine Subjektivierung und Verlebendigung der Rede bei gleichzeitiger Objektivierung und Passiv-Setzung des Sprechers statt, die in beide Richtungen unheimlich ist, da zum einen der Sprecher seinen Belebtheitsstatus unterschreitet und zum anderen die Sprache als aktive Instanz ihren ‚Unbelebtheitsstatus‘ überschreitet. Im obigen Zitat wird dieser Wandel der Modi im Richtungswechsel deutlich, wenn der Text zunächst die Bewegung vom Wir des Textes ausgehend im ‚[Z]urückschleudern‘ des ‚frommen Sang‘ formuliert, dieser dann jedoch als im Echo gekommener erscheint, also dem Zurückschleudern zeitlich vorgeschaltet, gleichzeitig nachgeordnet, da er als ‚neuer Song‘ daherkommt. Hier wird nicht nur die zeitliche und räumliche Enthebung der Rede im Echo deutlich, sondern eben auch die Frage nach dem Ursprung der Rede, der sich im Echo verliert; die EchoMetapher reflektiert schließlich die Aktivität des Sprechens und des Sprechers kritisch, wenn das Wir des Textes im selben Modus wie der Fels den „Sang“ zurückschleudert und damit passiv gesetzt wird, während es im Echo die Rede selbst ist, die sich in Bewegung zeigt. In dem medialen Echoraum, den der Text inszeniert, wird das Unheimliche der Rede deutlich, wie es eingangs in der vorliegenden Studie formuliert wurde. So fordert Bambiland über die fluktuierenden Redeanordnungen und deren mediale Verortung vehement die Frage danach ein, „welches Wer da spricht“99, und markiert es gleichsam als unheimlich, dass da Wer spricht.100

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Die Differenz, die im Medien-Echo entsteht, wird schließlich als Verlust (des Mitgefühls) formuliert: „Nun werfen wir das alles in den Abgrund tiefer Betrübnis. Dort liegt es gut. Dort liegt es gut. Da fehlt mir was. Ich weiß nicht was. Aber irgendwas fehlt mir.“ (B 52) 98 Blödorn 2006, S. 149f. 99 Vgl. S. 8 der vorliegenden Arbeit, Fußnote 38 (Annuß 2005, S. 11.) 100 In einer Rede zur Wiedereröffnung zum Wiener Psychoanalytischen Ambulatorium betont Jelinek: „[...] unheimlich ist eben Das Was spricht oder etwas sprechen heißt.“, in: http://www.elfriedejelinek.com/fbroch-w.htm, letzter Zugriff 19.05.2017.

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2.2 Direkte Adressierungen eines Gegenübers. Phantasmatischer Adressat als Drahtzieher und Zeuge des Geschehens Ebenfalls mit der Metapher des Echoraums zu beschreiben sind die direkten Ansprachen in Bambiland. Regelmäßig wendet sich die Rede „an ein nicht näher gekennzeichnetes Gegenüber“101 mit der Höflichkeitsform ‚Sie‘. So wird der Raum der Rede zumindest scheinbar für eine dialogische Form geöffnet. Die Adressatenschaft nimmt dabei zwar immer wieder unterschiedliche Rollen ein, letztendlich steht sie aber für eine ominöse Weltöffentlichkeit, die scheinbar als antizipierter Ansprechpartner von der Richtigkeit des Irakkrieges überzeugt werden soll (sei es in seiner moralischen, politischen, religiösen oder ethischen Legitimation). Für das Unheimliche ist die Redeanordnung der direkten Adressierungen in Bambiland auf vielfache Weise von Bedeutung. Zunächst einmal erweist sich die Adressierung wie auch das adressierte Gegenüber als phantasmatisch; der scheinbare Dialog zeigt sich ganz offensichtlich als inszenierter. Die emphatische Betonung eines Adressaten im Text weist dabei auf struktureller Ebene auf die wechselseitige Beeinflussung und Verkehrung von Sprecher und Adressat im Kontext der televisionären Darstellung eines Ereignisses hin. Hier inszeniert der Text das Thema von Bambiland – die mediale Darstellung des Irakkrieges im Horizont des Fernsehens und seiner Zuschauer – auf formaler Ebene und macht das Unheimliche eines Realitätsverlusts in der medialen Darstellung für den Rezipienten erfahrbar. In der ambivalenten Eigenschaft als Zeuge, der neben der passiven Seite auch eine „schöpferische Dimension“102 innehat, erscheint der Adressat in Bambiland auf paradoxe Art als Akteur der Darstellung. Die Verhältnisse kehren sich hier nicht nur in Bezug auf das Ereignis und seine Darstellung, sondern auch in Bezug auf den Darstellenden und den Adressaten der Darstellung um. Das Unheimliche zeigt sich dabei im Gewahrwerden der wechselseitigen performativen Konstitution von Sprecher, Adressat und Ereignis. Zunächst einmal verdeutlichen die Häufigkeit und der dringliche Ton der Adressierungen die Abhängigkeit der Rede von einem Gegenüber. Trotz des teils harschen Tons fällt auf, dass über den Gebrauch nach Zustimmung heischender Wendungen, rhetorischer Fragen oder über ein verallgemeinerndes „wir“ oder „man“ darauf abgezielt wird, eine Gemeinschaft zu den potentiellen Adressaten herzustellen.103 In Formulierungen wie „[…] finden Sie nicht?“ (B 40), „Kennen 101 Natalie Bloch stellt diese Form der Rede für Babel fest. Vgl. Bloch 2011, S. 243ff. 102 Hans-Thies Lehmann: Prädramatische und postdramatische Theater-Stimmen. Zur Erfahrung der Stimme in der Live-Performance, in: Doris Kolesch/Jenny Schrödl (Hg.): KunstStimmen, Berlin 2004, S. 40-66, hier S. 47. 103 Bloch stellt dies für Irm sagt und Margit sagt fest. Vgl. Bloch 2011, S. 243.

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Sie den schon?“ (B 20), „Können Sie sich das vorstellen […]?“ (B 43, 44), „Und, sagen Sie mal […]“ (B 47), „[…] wenn Sie mich fragen […]“ (B 47) weist der Sprecher immer wieder auf die Gerichtetheit seiner Rede an ein Gegenüber hin. Dabei nimmt das Gesagte häufig einen selbstgerecht-belehrenden Duktus an: „[…] das werden wohl sogar Sie kapieren“ (B 34), „Vergessen bitte auch Sie das nicht“ (B 36) „Was stammeln Sie da?“ (B 39), und weiter: „Sie werden schon sehen, was passiert!“ (B 45). Das adressierte Gegenüber wird als zu Belehrendes und Maßzuregelndes antizipiert, dessen Aufmerksamkeit beständig eingefordert werden muss: „Hören Sie zu, das haben Sie ja schon oft gemacht […]“ (B 29), „Schauen Sie einen andren Moment einmal her, wenn Sie einen übrig haben […]“ (B 47). Interessant ist dabei, dass eben nicht nur das Gehör, sondern auch der Blick des Rezipienten eingefordert wird. Damit findet zum einen wieder eine situative Verortung der Rede vor dem Fernsehbildschirm statt, zum anderen aber auch ein Verweis auf die Theatralität des Textes. In den Adressierungen verdeutlicht sich nicht nur ein Begehren nach einem gemeinsamen akustischen Raum (wie in Bosses Klanginstallation realisiert), sondern auch nach einem gemeinsamen visuellen Raum (wie er im Theater gegeben ist). In dem ständigen Werben um die Aufmerksamkeit des Adressaten nimmt der Text auf die marktwirtschaftlichen Funktionsweisen der Medienbranche Bezug, in der einzig die Zuschauerquote zählt. So geht es in den direkten Adressierungen des Textes in erster Linie darum, „die Hörerschaft am Ball zu halten und zum Kaufen und Konsumieren (von was auch immer) zu animieren.“104 Bambiland weist damit auf den Umstand hin, dass mediale Wirklichkeiten stets „im Hinblick auf die Erwartungen der Rezipienten (direkt) sowie der Werbewirtschaft als Hauptfinanzierer (indirekt) konstruier[t]“105 werden, woraus sich wiederum die aktive Rolle bzw. Mittäterschaft der Berichterstattung erklärt.106 Gleichzeitig resultiert „aus der vielfältigen permanenten Wechselwirkung des Kriegsjournalismus mit dem System seiner Umwelt […] seine prinzipielle Reaktivität.“107 Der Zuschauer wird also zum Mitproduzenten der Berichterstattung, da diese in Reaktion (und Antizipation) auf

104 Wie Bloch für Babel feststellt. Vgl. Bloch 2011, S. 244. 105 Vgl. Jan Staiger: Selbstorganisation, Nicht-Linearität, Viabilität. Eine konstruktivistischsozialsystemische Perspektive auf Kriegsberichterstattung, in: Christer Petersen/Jeanne Rion (Hg.): Zeichen des Krieges in Literatur, Film und den Medien, Bd. III: Terror, Kiel 2008, S. 145-168, hier S. 164. 106 „Kriegsberichterstattung wirkt stets auf den Krieg zurück, ist als ein (Umwelt-)Faktor an dessen Entstehung und Entwicklung beteiligt. Die journalistische Beobachtung des Krieges verändert den Krieg – und damit auch das Ergebnis der Beobachtung.“ Staiger 2008, S. 167. 107 Ebd., S. 167.

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dessen Aufmerksamkeitsökonomie entsteht.108 In den sich wiederholenden Passagen von Bambiland, in denen ein Verkaufsgespräch über den im Irakkrieg eingesetzten Marschflugkörper, die „Tomahawk-Gewaltige“ (B 27), inszeniert wird, erhält die marktwirtschaftliche Orientierung groteske Züge und verdeutlicht gleichzeitig die phantasmatische Inszenierung und Annektierung des Gegenübers: […] werfen Sie Ihren Blick auch auf das hocheffiziente Turboverdichter-Strahltriebwerk, sowas hätten Sie auch gern, was? Im Gegensatz zu Ihnen, die Sie leider oft am Ziel vorbeischießen, besteht hier eine geringe Abschussgefahr durch ein sehr kleines Radarprofil (Stealth) und die niedrige Flughöhe von 15-100 Metern, wir werden noch hören, warum das ein Risiko ist (hohe Winkelgeschwindigkeit, kurze Vorwarnzeit), Lieferzeit bei Stückzahlen unter 100 sofort, falls Sie jetzt gleich eine brauchen, Stückpreis der Standardausführung (ohne Warhead, ja, leider ohne Warhead, der kostet extra, da kann man nix machen): $ 650 000. Größere Stückzahlen auf Anfrage. Rückgabe bei Nichtgefallen, natürlich ungebraucht. Also das muß ich doch wohl nicht eigens erwähnen. Ich könnte noch viel mehr zur Kurssteuerung sagen, aber das hebe ich mir noch auf. Sie können derweil überlegen, wie viel Stück Sie kaufen wollen. (B 28)

Der Text parodiert hier die Gepflogenheit amerikanischer Fernsehsender, Werbematerial für die neueste Kriegstechnik in ihre Berichterstattung einzubauen, deren Informations- und Aufklärungswert zweifelhaft ist. Diese absurde Praxis der vorgeblichen Nachrichtensendungen verdeutlicht, wie sich die Berichterstattung über den Irakkrieg zum einen nach den Interessen der Zuschauer richtete, was im Kontext der Waffenbegeisterung großer Teile der amerikanischen Bevölkerung durchaus realistisch ist, zum anderen, wie die Interessen der Zuschauer durch die mediale Berichterstattung gelenkt oder allererst hervorgebracht werden. Indem Bambiland die Berichterstattung hier situativ als Verkaufsgespräch verortet, parodiert der Text diese Praxis der Medien. Dabei wird das Flüssig-Werden der Wirklichkeiten deutlich, die in ihrer Eigenschaft als Ware beliebig beworben werden können, solange sie nur Aufmerksamkeit garantieren. So werden auch gegensätzliche Aussagen im Text vereinbar, wenn es beispielsweise heißt: „Es ist nicht gerecht. Es ist kein gerechter Krieg. Es ist ein ungerechter Krieg.“ (B 27) und weiter unten: „Nur der Krieg ist gerecht. Also dieser jedenfalls ganz sicher.“ (B 32). Zum anderen wird das „kapitalistische Einverleiben […] sprachlich wiederholt, denn auch das Sprechen annektiert problemlos jedes Gegenüber“109 und wird darin nicht nur aufgrund seines vereinnahmenden Charakters unheimlich, sondern auch, insofern sich das Gegenüber als beliebig formbare Leerstelle präsentiert. Dies thematisiert der Text wie folgt: 108 Blödorn erarbeitet die Mittäterschaft des Fernsehzuschauers über das voyeuristische Moment. Vgl. hierzu Blödorn 2006, S. 156. 109 Bloch 2011, S. 246.

190 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN Immer spreche ich selbst. Hier spreche ich. Sprechen Sie doch woanders! Auf die Unruhe Ihrer Gefühle kann ich mich immer verlassen, und genau dort schmeichle ich mich jetzt ein. Glauben Sie mir! Antworten Sie mir! (B 73)

Selbst eine potentielle Gegenrede wird hier über den sprachmächtigen Herrschaftsanspruch eines „Hier spreche ich“ sogleich als eigene Rede entkräftet. Das Gegenüber erscheint als leicht zu manipulieren, und so ist es folgerichtig, dass der Sprecher keine (Gegen-)Rede erwartet, wenn der Redefluss eine Seite später zwar plötzlich durch die Frage unterbrochen wird: „Wollten Sie nicht auch was beitragen zu unserer Diskussion?“ (B 74), nur um dann unverändert in seinem Sprechen fortzufahren. Die fehlende Gegenrede gilt schließlich auch für die Passagen des Textes, die scheinbar auf die Rede eines Gegenübers reagieren: „Was stammeln Sie da? Man hat ihnen gesagt, es gibt eine, Sie haben sie erst vorhin persönlich gesehen, die Opposition, bitte, wo ist sie dann?“ (B 41) Die Passagen scheinbaren Dialogs, in denen die Gegenrede vom Sprecher wiederholt wird, nur um sie dann nahtlos und ohne jede Konsequenz in den eigenen Redefluss einzustampfen, verdeutlichen insofern einmal mehr das Gespenstisch-Phantasmatische des Adressaten. Dieser wird zwar vom Sprecher herbeigerufen, teilweise geradezu heraufbeschworen, fungiert dabei jedoch lediglich als Spiegelbild bzw. Echo des Sprechers. So inszeniert der Text einen Echoraum phantasmatischer Rede und Gegenrede, indem nicht nur die Identität des Sprechers, sondern auch die des Angesprochenen zur Disposition steht. Im Hinblick darauf, dass Bambiland ein Theatertext ist, im weitesten Sinne also für die Bühne konzipiert,110 wird die Frage nach dem medialen Ereignis (des Irakkrieges) im Theaterereignis, das ja ebenfalls ein medial vermitteltes ist, gedoppelt und, so die These der Untersuchung, darin für den Zuschauer erfahrbar gemacht; dabei wird davon ausgegangen, dass sich diese Erfahrbarkeit des einen Mediums über das andere insbesondere über die Unterschiede zwischen Theater und Fernsehen ergibt. In Bezug auf die direkten Adressierungen im Text bedeutet dies zunächst, dass diese im Theater auf lebendige Körper treffen; ob hier die Schauspieler die Zuschauer direkt ansprechen, die Rede auf mehrere Schauspieler aufgeteilt wird oder die direkten Adressierungen in die Leere der Bühne gesprochen werden, bleibt dabei offen. In der Bambiland-Inszenierung von Christoph Schlingensief beispielsweise kommt der Text selbst kaum vor. Schlingensief denkt vielmehr die

110 Dabei geht es lediglich um die „Bezogenheit der Komposition diese[s] Texte[s] auf die Darstellungsstruktur des Theaters“. Keinesfalls ist damit gemeint, dass Bambiland eine Inszenierung bereits implizit wäre. Vgl. hierzu Theresia Birkenhauer: Zwischen Rede und Sprache, Drama und Text, in: Hans-Peter Bayerdorfer u.a. (Hg): Vom Drama zum Theatertext? Zur Situation der Dramatik in Ländern Mitteleuropas, Tübingen 2007, S. 1523, hier S. 18, Fußnote 13.

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dem Text zugrunde liegende Frage nach der Medialität des Ereignisses weiter und lässt die direkten Adressierungen insofern strukturell in die Aufführung ein, als diese insgesamt als mehr oder minder direkte Kommunikation zwischen Bühne und Publikum, man könnte auch sagen als Attacke auf den Zuschauer,111 konzipiert ist. Schlingensief selbst sitzt zu Beginn der Inszenierung wie ein Talkmaster auf einem Sofa auf der Bühne, die Zuschauer werden wiederholt direkt angesprochen, und in ihrem pompös-orchestralen Stil ist die Inszenierung ohnehin als Angriff und Überforderung der Sinne des Zuschauers angelegt. Unabhängig von der jeweiligen Inszenierung des Textes wird das Phantasmatische der Adressierungen in der Konfrontation mit dem individuellen Körper auf der Bühne und im Zuschauerraum, insbesondere in seiner unheimlichen Dimension, für den Theaterzuschauer erfahrbar. Außerdem gestaltet sich die Situation der Zeugenschaft durch die leibliche Ko-Präsenz von Schauspieler und Zuschauer im Theater anders als vor dem Fernseher. Während der Fernsehzuschauer ständig und vielfach Zeuge von Ereignissen wird, die sich in anderen räumlichen und zeitlichen Koordinaten abspielen und ihn insofern quasi von der Verantwortung entbinden, vom Erfahrenen Zeugnis abzulegen,112 ist dem Theaterzuschauer ein Eingreifen in das Geschehen möglich (und sei es durch Verlassen des Raums). Hans-Thies Lehmann betont dabei, dass „diese Zeugenschaft [...] nicht die ethische Schwere [hat] wie die reale. Kein Zeugnis wird verlangt, keine letztlich einklagbare Verantwortung übernommen.“113 Dieser Aspekt der Zeugenschaft wird insbesondere durch die Performance-Künste immer wieder neu ausgelotet und die Grenzen seiner Gültigkeit neu bestimmt. Wenn die Akteure beispielsweise sich oder anderen körperliches Leid zufügen, übersteigt das Theaterereignis den ästhetischen Rahmen und fordert die Verantwortung des bezeugenden Zuschauers heraus. Seit der historischen Avantgarde ist die Aktivierung des Publikums auf unterschiedlichste Weise Thema und Ziel ‚neuer‘ Theaterformen. Wenn in Bambiland die Zuschauer direkt angesprochen werden, so öffnet sich zumindest scheinbar die vierte Wand im Theater, die dem Zuschauer letztlich seine stumme Beobachterposition – wie vor dem Fernseher – ermöglicht. Der Text zitiert damit jene (meist postdramatischen) Theaterpraxen, die versuchen, das Verhältnis von Authentizität im Theater in Opposition zu elektronischen bzw. digitalen Medien auszuloten. Da die Gesprächssituation mit dem Zuschauer als eine höchst arti111 Diese Angriffsstruktur liegt schon dem Text zugrunde, wie Karpenstein-Eßbach feststellt: „Dieser Hegungsleistung [der Medien, Anmerkung E.G.] durch eine spezifische Formierung der Emotion setzt das Stück die enthegte Rede über den Krieg in einer Sprache des Angriffs entgegen.“ Vgl. Karpenstein-Eßbach 2011, S. 130. 112 Woraus Lehmann die These einer „umfassenden Ästhetisierung der Politik“ ableitet. Vgl. Lehmann 2004, S. 46. 113 Lehmann 2004, S. 49.

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fizielle und fiktive inszeniert wird,114 weist der Text jedoch auch auf die Doppelbödigkeit postdramatischer Theatralität hin, die sich als „Situation akzentuiert, nicht als Fiktion.“115 Findet sich der Zuschauer von Bambiland mit der Rolle eines Waffenkäufers oder, wie in Margit sagt als Kannibale des eigenen Sohnes konfrontiert, wird über die Unmöglichkeit, sich mit dieser Rolle zu identifizieren, das Spiel des Textes mit den Realitäts- und Fiktionsebenen für den Zuschauer erfahrbar und die Reflexion in Gang gesetzt. Der eventuelle Anspruch des Theaters auf Authentizität wird in diesen absurden Adressierungen parodiert, und das Unheimliche wird am Zuschauer selbst deutlich. Jelinek greift hier Formen des postdramatischen Theaters auf, deren Kritik „sich nicht vordergründig auf politische Ungerechtigkeiten [richtet], durch welche das freie Subjekt unterdrückt werde, sondern an Vorstellungen authentischer Subjektivität überhaupt.“116 Stehen beispielsweise in den Inszenierungen von Rimini-Protokoll scheinbar Privatpersonen auf der Bühne, schaffen sich auch diese eine Bühnen-Identität und so wird deutlich, dass auch hier bestenfalls von „Authentizitätseffekte[n]“ die Rede sein kann.117 Diesen unheimlichen Effekt inszenierter Authentizität überträgt die Redeanordnung in Bambiland auf den Zuschauer, der sich in den direkten Adressierungen mit ständig wechselnden und teils vollkommen absurden Rollenangeboten konfrontiert sieht. Das Unheimliche wird hier insofern noch einmal stärker erlebbar gemacht als in der Inszenierung phantasmatischer Figuren auf der Bühne, da sich der Zuschauer hier selbst im Spiel scheinbarer Identitäten verliert und dieses nicht lediglich auf der Bühne beobachtet. Der Text spielt dabei mit seiner eigenen Medialität und macht sie für den Zuschauer erfahrbar – stets im Verweis und Vergleich auf das Medium Fernsehen –; denn wie Kittler mit Wagner gesprochen verdeutlicht: „Medien sind Technologien, die auf Effekt zielen, nach einem bösen Wort Wagners mithin auf ‚Wirkungen ohne Ursache‘.“118 Diese Eigenschaft des Medialen führt Bambiland

114 Theresia Birkenhauer weist darauf hin, dass auch im postdramatischen Theater die unilaterale Adressierung bestehen bleibt. Vgl. Birkenhauer 2007. 115 Lehmann 2005, S. 231. 116 Vgl. die Einleitung von Jan Deck zu dem Band: Jan Deck: Zur Einleitung. Rollen des Zuschauens im postdramatischen Theater, in: Jan Deck/Angelika Sieburg (Hg.): Paradoxie des Zuschauens. Die Rolle des Publikums im zeitgenössischen Theater, Bielefeld 2008, S. 9-19, hier S. 11. 117 Vgl. Deck 2008, S. 11. 118 Richard Wagner: Oper und Drama, hrsg. und kommentiert von Klaus Kropfinger, Stuttgart 1994, S. 101, zitiert nach Friedrich Kittler: Illusion versus Simulation. Techniken des Theaters und der Maschine, in: Martina Leecker (Hg.): Maschinen, Medien, Performances. Theater an der Schnittstelle zu digitalen Welten, Berlin 2001, S. 718-731, hier S. 718.

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mit seinen direkten Adressierungen eines Gegenübers vor, das sich offensichtlich in seiner Eigenschaft als Effekt der Adressierung erschöpft. Des Weiteren liegt dem Fokus auf das Gegenüber ein auffordernder Gestus inne, der im Kontext der Zeugenfunktion des Zuschauers zu verstehen ist. Lehmann verbindet den ambivalenten Status des bezeugenden Zuschauers als „Ko-Produzent“119 des Theaterereignisses mit dem des im Beobachten Beobachteten. Das Bewusstsein, selbst im Beobachten beobachtet zu werden, vertiefe den Status des Zeugen. Die Umkehrung des Blicks von der Bühne in die Zuschauerränge, aber auch innerhalb des Publikums, verstärke dabei insbesondere das Gefühl der Verantwortung für die Situation.120 Diesen Aspekt macht Schlingensief in seiner Inszenierung von Bambiland stark, und knüpft ihn, wie bereits im Text über die direkten Adressierungen angelegt, an die Frage nach dem Medium (der Darstellung). Seine Inszenierung enthält zum Teil pornografische Szenen, die nicht nur auf der Bühne stattfinden und dabei gefilmt werden, sondern auch außerhalb des Theaters, live übertragen auf einer großen Leinwand auf der Bühne und so für den Zuschauer während der Aufführung mit wahrnehmbar. Dabei wird für den Zuschauer der Unterschied der Medien Film und Theater in Bezug auf seine Möglichkeiten der aktiven Teilhabe am Geschehen deutlich. Während die Handlungen auf der Bühne jederzeit durch den Zuschauer beeinflusst werden können, besteht diese Möglichkeit beim Film nicht. Darüber hinaus wird dem Gros des Publikums beim (unfreiwilligen) Betrachten pornographischer Szenen die Anwesenheit der anderen Zuschauer und Akteure auf der Bühne peinlich bewusst. Vielleicht mehr noch als im Falle von Gewaltszenen fühlt der Zuschauer sich hier nicht nur seines Voyeurismus überführt – bzw. angeklagt –, sondern darüber auch aufgefordert zu reagieren, sich über die Einigkeit mit seiner Umgebung rückzuversichern, dass das Betrachten der Szenen unfreiwillig geschieht; vielleicht auch, dass man über derlei Provokationen seitens des Regisseurs steht, oder, ganz im Gegenteil, empört den Raum zu verlassen. In jedem Fall wird sich der Zuschauer beim Betrachten grenzüberschreitender Darstellungen auf der Bühne der ihn umgebenden Augen bewusst, die nicht nur sehen, was er/sie sieht, sondern auch ihn/sie beim Beobachten beobachtet. In dieser Umkehrung des Blicks wird die Verkehrung der Rollen (von Subjekt und Objekt) ansichtig, die Jelinek vielfach in ihren Theatertexten, sowohl inhaltlich, wie auch strukturell vornimmt. Lehmann führt in diesem Zusammenhang Rilkes berühmtes Sonett Archaïscher Torso Apollos an, das diese unheimliche Umkehrung des Blicks fasst und sie als Imperativ deutet: „[…] denn da ist keine Stelle, / die dich nicht sieht. Du mußt dein

119 Vgl. Lehmann 2004, S. 49. 120 Vgl. Lehmann 2004, S. 49.

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Leben ändern.“121 Dieses „Erblicktsein im Erblicken“122 ist im Theater faktische Begebenheit. In den direkten Adressierungen erzeugt Bambiland, wie im Übrigen auch Babel diesen Rückkoppelungseffekt, den der Rezipient im Theater noch direkter erfährt als in der bildenden Kunst (archaischer Torso), da er es hier mit lebendigen Schauspielern und Zuschauern zu tun hat. Die Darstellung wird als eine im Wechselverhältnis zwischen Darstellern und Zuschauern hergestellte deutlich, wodurch dem Zuschauer als Zeugen eine Handlungsmacht und -notwendigkeit zukommt. Er wird zum Einspruch aufgefordert, indem die Adressierungen als phantasmatische und damit stets verkennende, jedoch auch veränderbare, markiert sind; der Prozess der performativen Herstellung des Gegenübers wird ansichtig. Schon die formale Struktur von Bambiland ist also eine unheimliche. Mit seiner rhizomatischen Bauweise, seinen wechselnden Sprecherpositionen und den als Phantasmen gekennzeichneten Ansprechpartnern inszeniert der Text einen Echoraum, in dem Sprecher und Adressaten in ihrer Belebtheit fragwürdig erscheinen. Damit rekurriert der Text auf die Form der Medien, wie sie sich dem Rezipienten darstellen: als unstrukturiert vielstimmig (rhizomatisch) und phantasmatisch in ihrer Gerichtetheit an ein Gegenüber, wie auch in Bezug auf sich selbst. Stellt der Text die Medien über seine Form bereits in einen Horizont des Unheimlichen, passiert dies auch auf der inhaltlichen Ebene,123 in der weiteren Befragung und Ausleuchtung der ‚Medien‘, wobei dem Begriff in seinen vielfachen Ausformulierungen nachgegangen wird; im Kontext der Figur des Boten auf dem Theater, des Schauspielers und immer wieder des Fernsehers als Medium der Gegenwart schlechthin.124 Mit der Perspektive des Unheimlichen gelangt die Lektüre von Bambiland 121 Rainer-Maria Rilke: Archaïscher Torso Apollos, zitiert nach Lehmann 2004, S. 50. Lehmann lässt hier genaue Angaben zum Sonett aus. Es ist das erste Gedicht in Der neuen Gedichte anderer Teil , 1908 im Hanser Verlag in München erschienen. Vgl. Rainer Maria Rilke: Gesammelte Gedichte, Frankfurt/Main 1962, S. 313. 122 Lehmann 2004, S. 50. 123 Die Unterscheidung zwischen Inhalt und Form ist stets eine schwierige und meist unsaubere, insbesondere im Kontext von Jelineks Texten, in denen Inhalt und Form stets ineinander übergehen und sich gegenseitig ergänzen bzw. irritieren. So wird im Folgenden immer wieder auf formale Aspekte von Bambiland eingegangen werden, wie beispielsweise die teichoskopische Form der Rede im folgenden Abschnitt. Die Unterscheidung bezeichnet insofern vielmehr eine Tendenz und meint hier mit Form einen offensichtlichen und ersten Eindruck vom Aufbau des Textes (als vielstimmiger Monolog, Redepositionen, Adressierungen etc.) 124 Dies gilt zumindest sicherlich noch für die Zeit der Entstehung von Bambiland und die Berichterstattung über den Irakkrieg. Gegenwärtig nehmen andere Medien, insbesondere das Internet mit seinen Verbreitungsmöglichkeiten über Computer, mobiles Telefon etc. eine immer größere Rolle ein, wohingegen das Fernsehen zumindest im traditionellen Format – ein bestimmtes Programm zu festen Zeiten auszustrahlen – an Bedeutung verliert. In

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stets zu der Frage nach dem Ereignis (des Irakkrieges, seiner Berichterstattung, des Textes selbst) und seiner Darstellbarkeit (im Fernsehen, auf dem Theater, im Text). Das Medium zeugt dabei im Text zuvorderst von der Unmöglichkeit der Darstellung und dem Entzug des Ereignisses. In der Diskrepanz zu dem wortgewaltigen Berichten und Bereden und dem daraus resultierenden Fokus auf das Medium der Rede ist das Unheimliche im Text anzusiedeln.

3. D ARSTELLUNGSPROBLEMATIK UND B OTENFUNKTION . D AS U NHEIMLICHE MEDIALER I RRITATIONEN Bambiland beginnt mit einem Verweis auf die Botenfunktion: „Schon durchdringt schon dringt hindurch die Sonne, erster Bote des Leids […]“ (B 15) sind die ersten Worte des Texts. An einigen weiteren Stellen gibt sich das recht zerstreut auftretende Erzähler-Ich ebenfalls als Botenfigur zu erkennen: „Ich künd es euch.“ (an zwei Stellen auf S. 21); „Weh mir, wie leidvoll, erster Bote sein des Leids!“ (B 42) und „[…] ich wär ein geflügelter Unglücksbote anstatt bloß Überbringer schlechter Nachrichten bei UPS […]“ (B 64).125 Mit dieser Selbstbezeichnung des Sprechers als Bote knüpft Bambiland an den Botenbericht aus Die Perser an. Das die antike Tragödie bestimmende Ereignis, die Schlacht bei Salamis, wird in Die Perser ausschließlich in der Rede des Boten vermittelt. Des Weiteren ist Bambiland insgesamt als – wenn auch eigenwillige – Form des Botenberichts inszeniert, indem der Text sich den Anschein gibt, Mauerschau zu sein.126 Während sich im klassischen Drama der Bote zu Anfang des Stücks als dieser zu erkennen gibt, um im weiteren Verlauf hinter seinen Bericht zurückzutreten, jedoch in Form einer „invisible presence of the messenger“127 präsent zu bleiben, ergeht sich die Botenstimme in Bambiland in selbstbezüglichen Reflektionen über seine Funktion und dekonstruiert sich damit selbst als Figur. Durchgehend thematisiert und reflektiert der Text das Berichten selbst und entwirft anhand der Institution des Boten einen Spannungsbogen von der Funktion der Botenfigur in der antiken

Peter sagt ist diesem Umstand bereits Rechnung getragen, indem die Verbreitung und Bedeutung von Bildern im Internet zum Thema gemacht wird. 125 Korrespondierend dazu spricht der Bote zu Anfang seines Berichts in Die Perser: „Weh! Schlimm, als erster Schlimmes melden. Dennoch muß ich alles Leid enthüllen, Perser, das uns traf […]“ Aischylos: Die Perser, in: Ders. Die Perser. Sieben gegen Theben, Stuttgart 2010, S. 16. 126 Dies wiederum steht im Gegensatz zum Prätext, in dem der Botenbericht als ein Bericht von Vergangenem verfasst ist. 127 Irene J. F. de Jong: Narrative in Drama. The Art of the Euripidean Messenger-Speech, Leiden/New York 1991, S. 21.

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Tragödie bis zur medialen Berichterstattung über den Irakkrieg. So wird das Verständnis vom Medium der Darstellung in der Theatersituation wie vor dem Fernseher gleichermaßen befragt. Dabei ist für das Unheimliche von besonderer Bedeutung, dass Aischylos aus seinen eigenen Erfahrungen aus der Seeschlacht von Salamis (480 v. Chr.) schöpfen konnte – und bezeichnenderweise die Perspektive der Verlierer des Krieges einnimmt –, während Jelinek aus der Perspektive einer fernsehenden Beobachterin des Krieges schreibt. Aischylos, der die Schlacht von Salamis direkt miterlebt hatte, weist hin auf die Perspektive der Autorin, die ebenso teilhat am Krieg wie er, der Schauplatz des Krieges jedoch vom Irak in ihr Wohnzimmer vor dem Fernsehgerät versetzt ist.128 Mit dem Botenbericht aus Die Perser als Kontrastfolie verdeutlicht Bambiland das Fehlen der zeitlichen wie auch räumlichen Distanz in den Berichterstattungen zum Irakkrieg, die Voraussetzung für eine deutend-reflektierende Darstellung wäre, einerseits, und verweist andererseits auf die Medialität der Darstellung, die in der attischen Tragödie durch die Figur des Boten deutlich markiert ist, in den Fernsehberichterstattungen der Gegenwart jedoch nach Möglichkeit unterschlagen wird. Der Figur des Boten wird in der Untersuchung also deshalb so viel Platz eingeräumt, weil davon ausgegangen wird, dass der Bote den Reflexionen über Medien und Medialität im Stück Pate steht; er ist das ‚Ur‘-Medium129 und insofern grundlegend für die Untersuchung ihrer Funktionsweisen. Die Figur des Boten besitzt einige Relevanz in Jelineks Werk;130 an ihr verdichten sich Themen des Unheimlichen, insofern sie auf die Vermitteltheit jedes „‚medialen‘ Erlebens“131 hinweist – in Bambiland mit ironischem Blick auf die Embedded Journalists und die Dauer-Live-Sendungen zum Irakkrieg, die Unmittelbarkeit suggerieren, als mediale Ereignisse jedoch nur vermittelt erlebbar sind. Die Grund128 So wie Bambiland an den von Christoph Schlingensief als „embedded Couch-Potatoes“ betitelten Fernsehzuschauer gerichtet wird, ist das Stück gleichzeitig aus dessen Perspektive geschrieben. Vgl. Schlingensief 2004, S. 10. 129 Auf ähnliche Weise wie Sybille Krämer den Boten als „Urszene“ für ihre Untersuchung zum Medium begreift: „Er steht unseren Reflexionen über Medien Pate, und der Anspruch ist, dass in der Perspektive dieser Patenschaft – gemessen am gegenwärtigen Stand der Debatte über Medien – ein neues Licht auf Phänomen und Begriff der Medien fällt.“ Vgl. Krämer 2008, S. 10. 130 In Rechnitz (Der Würgeengel) schickt Jelinek schließlich nur noch Boten auf die Bühne. So heißt es in der als Regieanweisung ausgegebenen Vorrede von Rechnitz: „Ein Schloß in Österreich. Jagdtrophäen an den Wänden. Boten und Botinnen kommen von überall her […]. Es sprechen nur die Botinnen und Boten (es kann auch nur einer oder eine allein sein, das bleibt der Regie überlassen).“ Elfriede Jelinek: Rechnitz (Der Würgeengel), in: Die Kontrakte des Kaufmanns. Rechnitz (Der Würgeengel). Über Tiere, Reinbek bei Hamburg 2009, S. 53-205, hier S. 55. 131 Vgl. Kormann 2009, S. 354.

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funktion des Boten ist es, zwischen heterogenen Welten zu vermitteln, „indem er Botschaften überträgt“132, wie Sybille Krämer in ihrer grundlegenden Studie über das Botenmodell festhält. In der Betonung der Botenfunktion ist die Kommunikationssituation in Bambiland also schon in ihrer Vermitteltheit markiert. Im wechselweisen Hinweisen auf diese Vermitteltheit von Ereignissen und deren nur scheinbarer Unmittelbarkeit liegt der Fokus des Textes auf der Medialität. Der Botenbericht ist die primäre Sprechsituation der antiken Tragödie und die „primäre Funktion des Schauspielers in der frühen Zeit war die des Boten“.133 Seine Relevanz für das Theater ist evident und besitzt stets auch eine technische Dimension, was ihn m. E. als Reflexionsfigur interessant werden lässt für Elfriede Jelineks Arbeiten. Denn der Bote weist letztlich immer auf die Unmöglichkeit von Darstellung hin, da er in seiner eigentlichen Funktion nur dann eingesetzt wird, wenn etwas berichtet werden soll, das (auf der Bühne) nicht dargestellt werden kann.134 So weist der Bote im Theater in seinem bloßen Auftreten nicht nur auf die Vermitteltheit des Ereignisses, sondern letztlich auf dessen Entzug hin. Sobald die Botenfigur auf die Bühne tritt, ist das klassische Theaterspiel unterbrochen. Mit der Perspektive des Unheimlichen geht es dabei stets um die ambivalente ‚Wirkung‘ des Boten, dessen Eigenschaft als Medium es einerseits ist, sich im störungsfreien Vollzug zu verbergen;135 andererseits wirkt das Medium im Verborgenen höchst effektiv weiter und entwickelt so ein Eigenleben jenseits seiner Botschaft. Diese Verkehrungen von Aktivitäts- und Passivitätsverhältnissen im Horizont des Boten bzw. des Mediums gilt es in Bambiland zu erkunden. Dabei soll zunächst ein genauerer Blick auf die Bewegung des Berichtens im Text erfolgen. Beispielhaft sei hier eine ausführliche Analyse der ersten Passage von Bambiland angeschlossen. Schon darin tritt die Frage nach der Distanz des Boten zum Gegenstand des Berichts als eine „Dimension“136 des Botenmodells in den Vordergrund.

132 Krämer 2008, S. 110. 133 Schadewaldt bezeichnet das Empfangen einer Botschaft mithin als eine „bedeutende menschliche Grundsituation.“ Vgl. Schadewaldt 1991, S. 50. 134 Als dramaturgische Motivation für den Botenbericht in der antiken Tragödie gibt de Jong u.a. die Unmöglichkeit an, Massenszenen, Wunder bzw. Naturereignisse oder Morde darzustellen. Vgl. Jong 1991, S. 118. 135 Vgl. Mersch 2002, S. 132 ff. 136 Krämer erarbeitet fünf „Dimensionen am ‚Botenmodell‘ [...]: Distanz, Heteronomie, Drittheit, Materialität und schließlich Indifferenz.“ Diese Dimensionen sollen hier nicht modellhaft an Bambiland abgearbeitet werden; jede von ihnen wird jedoch – wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung – im Stück thematisiert. Die Art und Weise, wie der Text mit diesen Kategorien umgeht, verortet die Kommunikation im Feld des Unheimlichen, weshalb sie hier zumindest genannt sein sollen, um kursorisch auf sie zurückzukommen. Vgl. Krämer 2008, S. 110.

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Dabei wird das Unheimliche an dem Spiel mit den räumlichen Abständen137 über die Kategorie des Erhabenen und des Ekels beschreibbar. 3.1 Botenbericht aus unsteter Perspektive. Zwischen erhabener Sicht und Rhetorik der fehlenden Abstände Bambiland beginnt mit der teichoskopischen Beschreibung einer Eroberungsszene, die in Duktus und Inhalt direkt auf den Botenbericht aus Die Perser abhebt. Gleichsam ist die Szene als Kamerafahrt markiert, wodurch sie mit den Live-Berichten des Fernsehens assoziiert ist. Die Medialität der Darstellung tritt also schon in den ersten Sätzen des Textes in den Vordergrund: Schon durchdringt schon dringt hindurch die Sonne, erster Bote des Leids, zu dem Herrn wie heißt er nur, jeder weiß, wie er heißt, schon durchdringt das Heer die Stadt, an Masse mächtig das Heer, doch nicht mächtig genug, durch Hungernde, Durstende würgt sichs hindurch, das Heer, auch durch die auf dem Weg drohende Stadt voller Menschen, allzu groß, maßlos an Zahl, so bös ihre Taten, kleiner nicht ist, was sie duldet, die Stadt, anheimelnd im Grund, wie sie da liegt in der Wüste, die Einwohner von der Sonne längst zum Tonheer gebrannt. (B 15-16)

Die Wendung „Sonne, erster Bote des Leids“ spielt auf die Kriegslist des Themistokles an, der den Perserkönig Xerxes in einen Hinterhalt lockt, indem er ihn von der angeblichen Zerstrittenheit und Vorbereitung zur Flucht der Griechen erfahren läßt. Xerxes weist seine Flotten an, in „der Finsternis der schwarzen Nacht“138 in See zu stechen, um die fliehenden Griechen zu überwältigen. Bei Anbruch des nächsten Tages jedoch überraschen die Griechen „Wohlaufgereiht, in guter Ordnung“139 die persische Flotte mit einem Angriff und schlagen sie vernichtend. In der korrespondierenden Passage berichtet der Bote in Die Perser: Dann aber, als mit leuchtendem Gespann der Tag Das ganze Land beherrschte, glanzvoll anzuschaun, Erscholl zuerst mit Brausen von den Griechen wie

137 Hier sei angemerkt, dass Krämers Dimension der Distanz im Botenmodell sich nicht auf die räumliche Distanz beschränkt, sondern vornehmlich die Heterogentität der Kommunizierenden und ihrer Welten bezeichnet. „Mitteilung […] setzt die Teilung und Spaltung voraus. Wir sind im Miteinander zugleich immer auseinander und Einzelne.“ Vgl. Krämer 2008, S. 110. 138 Aischylos: Perser 2010, S. 20. 139 Aischylos: Perser 2010, S. 21.

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Gesang ein Tönen, und das Echo schlug sogleich Den hellen Laut von Inselfelsen her zurück. 140

Ist Bambiland schon im ersten Satz in seiner Form als Botenbericht gekennzeichnet (schließlich auch über die Nennung des Boten, hier die ‚Sonne, erster Bote des Leids‘), treten hier doch insbesondere die Differenzen zum Botenbericht der Perser in den Vordergrund. Im Gegensatz zu der Botenrede in Die Perser, die in raumzeitlicher Distanz in Vergangenheitsform stattfindet, steigt Bambiland direkt mit einem scheinbar simultan mit dem Geschehen stattfindenden Bericht im Präsens in den Text ein. Gleichzeitig wird die Vielstimmigkeit des bzw. der Berichterstattenden, wie auch die Vielheit der möglichen Situationen und Assoziationen deutlich. Wenn die Kommentatorstimmen fragen „wie heißt er nur“, um sich gleich scheinbar zu belehren: „jeder weiß, wie er heißt“, und die Frage doch unbeantwortet bleibt, wird über allem anderen deutlich, dass der Sprecher hier viele ist und viele unterschiedliche sein könnte (ein US-amerikanischer Soldat im Gebet, ein Ungläubiger, der ihm antwortet, eine Kommentatorstimme?).141 Des Weiteren wechselt das Subjekt des Durchdringens – der eigentlichen ‚Handlung‘ bzw. Bewegung der Szene – von der Sonne zum Heer, wodurch eine Vielzahl von Anspielungen und Assoziationen angesiedelt und freigesetzt wird, die nicht nur schon das Thema des Stücks benennt, sondern auch einen linearen Verlauf des Textes, des Berichtens, wie auch der Rezeption verunmöglicht. Die Sonne kann hier, wie oben im Kontext des Perser-Zitats nahe gelegt, als Zeichen für den Sonnenaufgang gedeutet werden (hier wiederum mit einer weiteren Assoziationskette von Ost/West – Leid/Wohlstand – Feind/Freund). Ebenso kann sie jedoch als „philosophische Metapher für die Ratio“ und als „religiös-mythische Metapher matriarchalischer Urzeit“ fungieren und schließlich kann sie im Zusammenhang mit der Augenmetaphorik gelesen werden. Lücke verweist hier auf die „ironische Konnotation im Sinne der Rationalismuskritik“ im Hinblick auf die Sonnen-Augenmetaphorik, die eine zentrale Rolle spiele „als Kritik an unserem apparatisierten, vollkommen rationalisierten, seelenlosen Sehen, das sich seiner verdrängten Triebgesteuertheit aber gerade nicht bewusst ist. Das ist auch die cartesianische Körpermaschine, die nur dem göttlichen Cogito Beseeltheit zugesteht, nur dem immateriellen Denken, aber nicht dem Leib (man denke an E.T.A. Hoffmanns Puppe Olimpia).“142All diese Bedeutungsstränge werden im weiteren Verlauf des Textes wiederaufgenommen und können so ihre Bestätigung finden.

140 Aischylos: Perser 2010, S. 21. 141 Lücke legt den Assoziationsraum der ersten Sätze von Bambiland offen und führt eine Reihe möglicher Bedeutungsfäden an. Vgl. Lücke 2007b, S. 72. 142 Vgl. Ebd., S. 72f.

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Mit der Bewegung des Durchdringens, die vom anfänglichen Handlungsträger Sonne zum Heer gleitet und so beide miteinander identifiziert, wird darüber hinaus die Assoziation der Kamera freigesetzt. In ihrer Funktion als „erster Bote des Leids“ (B 15, s. Zitat oben) bringt sie als Sonne und Auge Licht ins Dunkel und durchdringt, als Embedded Journalist, dem Heer ihr Auge leihend, die Stadt. Bambiland greift die Assoziationskette von Licht/Schein und Fernsehen vielfach und stets ironisierend im weiteren Verlauf des Textes auf. So heißt es beispielsweise nur wenige Seiten später über den „Fernseher“: „[…] unsren Altar, der darf nicht spurlos fort, der ist doch die Spur! Der ist unsre Leuchtspurmunition, damit wir im Dunkeln sehen können.“ (B 17). Gleichzeitig ruft die variierende Wiederholung von ‚Spur‘ Derridas dekonstruktives Verständnis von Sinnkonstitution auf den Plan, wodurch wiederum die Konnotation des abendländisch-aufklärerischen Verständnisses von Ratio als ‚Licht der Erkenntnis‘ unterwandert wird. Auch diese Assoziation wird einige Seiten später weiter verfolgt, wenn es heißt: „Nie spurlos fort unserer Gottheit Bilder, die wir dort sehn, die nur wir dort sehn auf dem leuchtenden Schirm.“ (B 19) Hier erscheint das Licht der Erkenntnis bereits im Sinne von Gottesglauben, wodurch die logozentrische Aufklärung in ihr Gegenteil verkehrt auftritt. Gegen Ende von Bambiland kulminieren diese Assoziationsketten in der an Nietzsche anschließenden Passage, die aus der Gottesperspektive gesprochen ist: „Das Sein ist immer nur ein Grad von Scheinbarkeit, und der Schein kommt aus diesem Fernsehgerät, welches ich ebenfalls erschaffen habe. Es ist ein praktisches Zusatzgerät zu all diesen Bomben.“ (B 82) An dieser Stelle verschaltet Bambiland dann die bereits zu Beginn des Textes als Assoziationsketten ausgelegten Diskursstränge und lässt sie in die quasi-medientheoretische These münden, dass die virtuellen Realitäten letztendlich nur über den Glauben der Fernsehzuschauer an deren Existenz funktionieren.143 Schon in den ersten Sätzen von Bambiland wird also die mediale Berichterstattung als die das Stück bestimmende Thematik in unzähligen und durch die Begriffe und Metaphern gleitenden Bedeutungssträngen auf der Inhaltsebene entfaltet. Gleichzeitig ist die Rede der ersten Passage des Textes als Kamerafahrt markiert, die einen abrupten Wechsel der Perspektive vollzieht von einem involvierten Standpunkt inmitten der Ereignisse (gekennzeichnet durch die dreimalige Wiederholung des Verbs ‚durchdringen‘ und seiner Variation ‚durchwürgen‘) zu einem distanziert-erhabenen (Über-)Blick.144 Erst aus diesem heraus kann die Stadt, die aus der 143 Zur Relation zwischen Bilderglauben und aufgeklärter Bildrezeption in der gegenwärtigen Gesellschaft vgl. Hans Belting: Das echte Bild. Bilder als Glaubensfragen, München 2005, S. 7ff. 144 Zu diesen beiden antagonistischen Sichtweisen, die klassischerweise in der Literatur über den Krieg vorherrschen, vgl. Köppen 2005, S. 13-18. Blödorn spricht bezüglich der ersten Passage in Bambiland von einer „kosmische[n] Perspektive“, aus der das Leid der Opfer

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involvierten Perspektive noch „allzu groß, maßlos an Zahl“ erschien, als „anheimelnd“ wahrgenommen werden, was sich wiederum spätestens über die „zum Tonheer gebrannt[en]“ (B 16, s. Zitat oben) Einwohner als unheimlich zeigt. Die gleichzeitige Attribuierung der Stadt als „groß, maßlos an Zahl“ und „anheimelnd“ lässt aufgrund der Gleichsetzung des wesenhaften Gegensatzes von groß und klein aufmerken und richtet den Blick auf die Perspektive der Betrachtung. Diese zeichnet hier verantwortlich für die paradoxe Identifikation. Dabei wird deutlich, dass die erhabene Perspektive die Szene auf ein beschreibbares Maß zusammenschrumpfen lässt, und der Text wiederum in das Extrem münden lässt, dass die im Krieg liegende Stadt paradoxerweise zur anheimelnd-unbelebten Idylle wird.145 Das paradoxe Zusammenspiel von Krieg und Idylle spiegelt die von Jürgen Joachimsthaler formulierte „Idylle als Form der Gewalt.“146 In der erhabenen Sichtweise findet eine gewaltsame Reduktion des Darzustellenden (in der Idylle) statt. Dies ist im Kontext des Unheimlichen von besonderem Interesse, da hier das Erhabene das Lebendige der Szene zu tilgen scheint. In der Wendung ‚zum Tonheer gebrannt‘ werden die Einwohner zum einen als Keramikerzeugnisse zu statisch unbelebten Figuren. Zum anderen beinhaltet der Begriff des Tonheeres die Bedeutung

des Krieges „sichtbar und hörbar“ gemacht werde. Ob der Blick ‚von oben‘ im Text tatsächlich für eine kritische Reflektion der Geschehnisse steht, ist dabei fraglich bzw. gehe ich davon aus, dass der Text ein Spiel mit den Abständen unterhält, in dem sowohl die distanzierte als auch die nahe Perspektive in ihren ambivalenten Eigenschaften ausgeleuchtet wird. Das, worauf der Text letztlich den Blick lenkt, ist die Perspektivität selbst. Blödorn 2006, S. 145. 145 Zum Zusammenhang von Idylle und Krieg vgl. den für Bambiland äußerst aufschlussreichen Aufsatz Die Idylle im Krieg von Jürgen Joachimsthaler, der nicht nur die Medien-Inszenierung des Irakkriegs als Beispiel für die propagandistische Nutzung der Idylle heranzieht, sondern auch Jelineks „entlarvende Sprache“, die die „falsche Idylle, falsche Ganzheitlichkeit“ aufdecke, wie sich bereits im Titel zeige. Vgl. Joachimsthaler, Jürgen: Die Idylle im Krieg, in: Glunz 2007, S. 81-101, hier S. 81 und 94. Zu Jelineks ‚Anti-Idyllen‘ vgl. in diesem Zusammenhang: Monika Szczepaniak: kennen Sie dieses SCHÖNE land? Elfriede Jelineks Anti-Idyllen, in: Claus Zittel/Marian Holona (Hg): Positionen der Jelinek-Forschung. Beiträge zur Polnisch-Deutschen Elfriede Jelinek-Konferenz Olsztyn 2005, Bern u.a. 2008, S. 219-237. 146 „Idylle lebt von Ausblendung und mithin von einer Reduzierung der in ihr angesiedelten Figuren zu problemreduzierten Figuren.“ Die zum ‚Tonheer‘ erstarrten Figuren in der ersten Passage von Bambiland fallen sicherlich in diese Kategorie. Dadurch ergibt sich das von Joachimsthaler diagnostizierte Verhältnis von ‚oben‘ und ‚unten‘: Die Unterlegenheit des Idyllenbewohners bewährt sich in der Macht des Beobachters über ihn, die im konkreten Fall eine über Leben und Tod ist. Vgl. Joachimsthaler 2007, S. 93. Folgerichtig spricht Joachimsthaler von der „Idylle als Form der Gewalt.“ Vgl. Joachimsthaler 2007, S. 92.

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aus dem Musikgenre, so wurde sie von Jacob und Wilhelm Grimm in dem Satz festgehalten: „(eine symphonie), wo sich die ganze welttragik des menschenherzens in streitenden tonheeren auskämpft.“147 In beiden Lesarten zielt die Rede aus der erhabenen Perspektive ins Feld der Ästhetik. Die Akteure werden in ihrer figürlichabstrakten Eigenschaft markiert, gleichwohl konterkarieren sich die Konnotationen gegenseitig über ihre Gegensätzlichkeit. Das Plastisch-Erdverbundene der Tonmasse steht in der Figur des Tonheeres dem Abstrakt-Luftigen der Klangfülle entgegen, wodurch die Wendung ihre vexierbildhafte Spannung erhält. Der erhabene Ton, der immer wieder im Text angeschlagen wird, weist ebenfalls auf den Zusammenhang von Krieg und Ästhetik hin.148 Bambiland spielt damit auf den Umstand an, dass uns das Ereignis des Irakkrieges nur als ästhetisiertes begegnet, im ursprünglichen Verständnis des Terminus als „sinnlich vermittelte Wahrnehmung“149. In den Begriff der ‚Aisthetisierung‘ geht ein, „dass es sich im Wechselverhältnis von Ereignis und Wahrnehmung um ein ‚in Szene gesetztes‘ Geschehen handelt, welches Akteur- und Betrachterrollen einschließt“.150 Der Hinweis auf die Ästhetisierung bestärkt so die aktive Rolle des Betrachters und betont seine Einflussnahme auf das vordergründig lediglich beobachtete Geschehen; der ästhetisch Betrachtende bildet interpretierend seinen Gegenstand. Indem Bambiland wiederholt einen pathetisch erhabenen Ton anschlägt, parodiert der Text die offensichtlich ästhetisierenden Strategien der Berichterstattung über den Irakkrieg, wie sie sich beispielsweise in der Feuerwerkästhetik des Angriffs auf Bagdad151 oder den ausführlichen und glorifizierenden Berichten über die Kriegstechnologie zeigten. Die vorherrschende Kategorie, um den Krieg in die Ästhetik zu überführen, ist seit

147 Vgl. Eintrag zu ‚Tonheer‘ in: Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 21, bearbeitet von Matthias Lexer, Dietrich Kralik u. d. Arbeitsstelle d. Dt. Wörterbuches, München (Nachdr. d. Erstausg.) 1935-1984. 148 Für diesen Zusammenhang vgl. Köppen 2005, S. 14-50. 149 Womit deutlich wird, dass es sich beim Ästhetischen nicht um „sekundäre, nachträgliche Realitäten“ handelt, sondern das „Ästhetische schon zur Grundschicht von Erkenntnis und Wirklichkeit gehört“. Karlheinz Barck/Dieter Kliche: Ästhetik/ästhetisch, in: Karlheinz Barck (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Stuttgart/Weimar 2000, S. 308-400, hier S. 316. 150 Sybille Krämer: Was haben ‚Performativität‘ und ‚Medialität‘ miteinander zu tun? Plädoyer für eine in der ‚Aisthetisierung‘ gründende Konzeption des Performativen. Zur Einführung in diesen Band, in: dies. (Hg.): Performativität und Medialität, München 2004, S. 13-32, hier S. 14. 151 Paul beschreibt die Invasion im Irak als „Feuerwerk und Sport-Show“. Vgl. Paul 2005. S. 47.

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Kant das Erhabene.152 In Anbetracht dessen, dass jede Form „exzessiver Gewalt“ wie auch „allzu große Nähe niederer Leiblichkeit“ die Erfahrung des Erhabenen gefährdet,153 verwundert dessen verleugnende Komponente nicht; sind doch Gewalt und der Einsatz von Leiblichkeit feste Bestandteile des Krieges, die in der erhabenen Darstellung jedoch ausgeklammert werden müssen. Bambiland greift das Erhabene in seiner Eigenschaft auf, sich Unfassbares (scheinbar) zu eigen zu machen und dieses jedoch in der erhabenen Darstellung wiederum zu verbergen. Die Eingangsszene des Textes wirkt wie eine Parodie auf Kants Verständnis des Erhabenen als Reaktion auf eine Überwältigung der Sinne, wie in II.5.1 erläutert. Der Kategorie des Erhabenen war stets auch ein „wahrnehmungstheoretisches Problem“ inhärent. Das Erhabene muss zum einen die „Wahrnehmung eines ‚Unendlichen‘ [...] gewährleisten“, zum anderen jedoch für den Menschen kognitiv zu bewältigen sein.154 Es ging um die Frage, wie der Gegenstand, der als erhaben erfahren werden soll, zu messen ist, zumal sich das Maß unter allen Umständen als unzureichend erweisen muß, um die für den Eindruck des Erhabenen notwendige Wahrnehmung eines „Unendlichen“ zu gewährleisten. Kants Lösung besteht in einer Trennung des Prozesses von Wahrnehmung als Erfassung eines Gegenstandes durch die Sinne und kognitiver Bewältigung als Vereinigung des Mannigfaltigen zu einer Einheit.155

Kants Wendung, die überfordernde Größe des Angeschauten im Inneren des Menschen selbst zu spiegeln und sich schließlich über sie zu erheben, indem der Mensch sich seiner kognitiven Fähigkeiten (Ideenkraft) bedient und bewusst wird, trifft Bambiland mit der Attribuierung „anheimelnd“ im Kern; schon auf der Wortebene klingt das Unheimliche an, als Antipode von anheimelnd und damit hier als Synonym für „allzu groß, maßlos an Zahl“ (B 16, s. Zitat oben).156 In der erhabenen Per-

152 Schließlich galt der Krieg „unter bestimmten Voraussetzungen als höchster Ausdruck von Kultur“, wie Köppen schreibt. Vgl. Köppen 2005, S. 19. 153 Ebd., S. 21. 154 Ebd., S. 35. 155 Ebd., S. 35. 156 Der Begriff vom Heim als Ort der Sehnsucht und in einem reduzierend-idyllisierenden Verständnis als das Eigene, Bekannte, Geliebte im Kontrast zum Fremden und Feindlichen taucht sinngemäß an vielen Stellen des Textes auf. Im Folgenden in parodierend bedeutungsschwangerer Doppelung: „Da sind auch wir und senden die Bilder, […] deren Zweck nur der, abgeschickt zu werden ins Heim. Heim. Wir sind das Äußerste. Geschicktere gibt es nicht, daher schicken wir ja die Bilder.“ (B 24) Dabei steht der Topos von Heim/eigen versus fremd offensichtlich im Kontext des Unheimlichen in dem Sinne, dass das Fremde und der Fremde als Nicht-Heimeliger bekämpft wird. Die Parodie des

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spektive wird das Unheimliche der überfordernden Größe in sein Gegenteil überführt, wird zum Anheimelnden. So spitzt der Text die Kategorie des Erhabenen auf eine Strategie des Subjekts zu, sich Unfassbares anzueignen; das Unfassbare, Unheimliche wird mit Hilfe des Erhabenen heimelig, zum Eigenen gemacht. Es ist offensichtlich, dass Bambiland das Erhabene nicht affirmativ einzusetzen sucht, um dem Krieg eine ästhetische Komponente beizumischen.157 Im Gegenteil lässt es der Text vielmehr scheitern, um seine performative Hervorbringung und Instrumentalisierung zu verdeutlichen und auf das dahinter liegende Unheimliche hinzuweisen.158 Die im Krieg liegende Stadt scheint das betrachtende Subjekt zu übersteigen und derart bedrohlich, dass dieses mit der Strategie des Erhabenen versucht, die Überforderung zu bewältigen. Und eben diesen Prozess führt der Text vor. Bambiland zitiert Bilder des Erhabenen, lässt sie qua ihrer immanenten Spannung bzw. Paradoxie implodieren und stellt sie derart auf ihre Rhetorizität reduziert als reine Effekte aus. Der Text weist so einerseits auf die Unfassbarkeit des angeschauten Objekts hin und verdeutlicht andererseits die Tilgung desselben in seiner Darstellung als Erhabenes. Damit ist just der Punkt im Erhabenen angesprochen, der Hans-Thies Lehmann zu seiner These veranlasste: „Das Erhabene ist das Unheimliche, die Theorien des Erhabenen Figuren seiner Verdrängung.“159 Wie bereits dargelegt, verortet Lehmann das Unheimliche am Erhabenen in dessen Überwältigungsstruktur. Die Bewältigung der Überwältigung indessen versteht er als Verdrängungsfigur des Unheimlichen.160 Insofern lässt das Scheitern des Erhabenen in Bambiland das Un-

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dichotomischen Verständnisses von Heim/eigen und fremd wird dabei an vielen Stellen offenbar. Wie Erich Kleinschmidt feststellt, ist das Erhabene für die Moderne „nicht mehr akzeptabel, weil ein transzendentales Weltbild und ein feudal begründetes Schönheitsempfinden als bedingende Rahmungen überholt sind“. Hingegen fungiert das Erhabene in Bambiland in eben dem Sinne, wie Kleinschmidt es für die Gegenwart definiert: „Es ist die Sphäre des Ungeheuren, Formlosen und mimetisch Undarstellbaren, die der Vorstellungskomplex des Erhabenen über seine metaphysischen und geschmacklichen Konnotate hinaus bündelt.“ Vgl. Kleinschmidt 2002, S. 45. Auf ähnliche Weise setzt Jelinek Pathos in ihren Texten ein, nur um dies im Trivialen münden zu lassen und so beider Rhetorizität darzulegen. In Das Werk spricht sie vom „hohlen Pathos“, an dem noch gearbeitet werden müsse, „daß das Pathos etwas voller wird“. Vgl. Elfriede Jelinek: Das Werk, in: dies: In den Alpen, Berlin 2002, S. 159. Lehmann 2002, S. 67. In derselben Funktion definiert Hans Blumenberg den Mythos, was an dieser Stelle zumindest erwähnt sei in Anbetracht der Relevanz des Mythos und der Mythoskritik in Jelineks Werken. Die Idylle, das Erhabene oder der Mythos als elementare ‚Bausteine‘ Jelinekscher Textproduktion folgen allesamt der Strategie, das Unheimliche zu bannen. Nach Blumenberg habe der Mythos das Amt inne, „die fremdartigen und unheimlichen

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heimliche ex negativo aufscheinen; die Idylle der ‚anheimelnd im Grund‘ liegenden Stadt – und mit ihr der Krieg, von dem berichtet werden soll – wird im Kollabieren der erhabenen Perspektive in ihrer eigentlichen Unfassbarkeit und Unheimlichkeit deutlich. Mehr noch unterstreicht der Text das Unheimliche der Ästhetisierung des Krieges – mit dem Erhabenen als ihre bevorzugte Kategorie –, indem er den Lebennehmenden Effekt auf die Akteure hervorkehrt, die in erhabener Perspektive zu Spielfiguren werden – sei es als Tonheer einer Symphonie oder Keramikfiguren – und somit als Untote ihren unheimlichen Auftritt erhalten. Bambiland lässt also schon in der ersten Passage den Topos der Wahrnehmungs- und Darstellungsproblematik in den Text ein und kontextualisiert ihn im Horizont des Unheimlichen. Indem das Erhabene mit der Idylle identifiziert wird zeigt sich sein Gestus der „Hierarchisierung, der Unterscheidung, der Gewalt“161 und das Erhabene tritt im Text demnach als Indikator dafür auf, dass „in einer begrifflichen Artikulation dingfest gemacht“ wird, was sich ansonsten dieser entzieht, „dadurch aber zugleich in seiner Realität verfälscht, aufgehoben, ‚erhaben‘ gemacht wird“.162 Suggeriert diese Formulierung, dass es eine Möglichkeit gäbe, den Gegenstand der Darstellung bzw. des Berichtens adäquat abzubilden, indem die erhabene Perspektive aufgegeben würde, so negiert der Text diese Option entschieden, indem eine Perspektive der Nähe keine besseren Ergebnisse erzielt. Im Hinblick auf die permanenten Live-Schaltungen der Berichterstattung über den Irakkrieg schreibt Ulrike Haß: Die Medien und ihre neueste Erfindung der ‚embedded journalists‘ lassen das traditionelle Spiel der Abstände nicht mehr zu. Indem sie uns permanent adressieren, setzen sie eine Vernichtung der Abstände durch, indem sie im 24-Stunden-Nachrichtenformat, ohne Unterbrechung und ohne Alternative zu unserer Umgebung werden. Sie ersetzen das Zwischen, das ehedem zwischen Ereignissen und Betrachtern, die nicht am Ort waren, einen Abstand herstellte.163

Erscheinungen zu besprechen und, wenn nicht zu erklären, so doch zu depotenzieren.“ Vgl. Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos, Frankfurt/Main 1979, S. 32-33. 161 „Durch diese quasi eingebaute Überlegenheit [des Beobachters, E.G.], die Idylle jedem verleiht, der mit ihren Augen auf ihre Figuren blickt, ist Idylle ihrem eigenen Personal gegenüber bei aller scheinbaren Freundlichkeit seiner Behandlung ein Genre der Hierarchisierung, der Unterscheidung, der Gewalt.“ Vgl. Joachims-thaler 2007, S. 93. 162 Lehmann hatte dies als Frage in den Raum gestellt, ob das Erhabene den „Ton, das Bild, das Wort, die Szene, die hier und jetzt in eine beängstigende und berauschende Schwebe führt“, ob diese Szene im Erhabenen eben lediglich festgehalten und in eine unangemessene Signifikation überführt werden solle. Vgl. Lehmann 2002, S. 73. (Vgl. zum Zitat S. 80 der vorliegenden Arbeit). 163 Haß 2010, S. 75.

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Bambiland trägt dieser Position der fehlenden Abstände Rechnung, indem der Text aus der Mitte des Kriegs der Bilder heraus geschrieben ist, jedoch über Brüche im Text versucht, Abstände wieder herzustellen. Der fliegende Perspektivwechsel vom erhabenen Standpunkt zur involvierten Perspektive und umgekehrt weist auf die Medialität hin, die in beiden Fällen das Ereignis (des Krieges) mehr verstellt als darstellt. Die Perspektive zeichnet sich entweder durch eine zu große Nähe aus, in der das Fehlen der Abstände die Wahrnehmung verstellt oder durch eine erhabene Sicht, die in Jelineks Texten stets einen verkennenden Charakter aufweist. Dabei macht Bambiland über den fliegenden Perspektivwechsel deutlich, dass der Blick auf das Ereignis hier kein menschlicher ist. Wie bereits gesagt, ist der Text an dieser Stelle aus der Kameraperspektive geschrieben bzw. als Zuschauerblick auf den Fernsehbildschirm inszeniert, der es einem ermöglicht, mühelos und in Sekundenschnelle von einem Ort zum anderen zu wechseln. Wieder weist der Text im Kontext des Medialen auf die Effekthaftigkeit des Ereignisses hin, an dieser Stelle mit den Funktionsweisen des Erhabenen. Diese Überblendung des menschlichen Blicks mit dem technischen (des Kameraauges)164 wird aufgrund seiner cyborghaften Anatomie unheimlich. Der Rezipient findet sich in dieses technische Spiel der Perspektive genötigt und erfährt darin deren Unzuverlässigkeit. Dabei entsteht jedoch nicht der Eindruck eines von allen Seiten betrachteten Ereignisses, sondern im Gegenteil deckt die Multiperspektivität eklatante Widersprüche des Darzustellenden und somit von Darstellung an sich auf. 3.2 Zerfaserung des Botenberichts. Versagen im linearen Vorankommen des Berichtens Die Problematisierung der Darstellung über die Figur des Unheimlich-Erhabenen in der ersten Passage von Bambiland zeitigt ihre Konsequenzen auf den weiteren Verlauf des Berichts und Berichtens. Korrespondierend zu der Markierung der Unmöglichkeit angemessener Darstellung, zerfasert die Berichterstattung zunehmend und ergeht sich in Erzählsprüngen, Wiederholungsschleifen und Abschweifungen in theoretische oder privat gefärbte Assoziationsketten jeglicher Art. So findet der tragende Ton der obigen Passage im Fortlauf des Textes einen abrupten Bruch. Der Inhalt bleibt zwar aus Die Perser entlehnt, wird jedoch im Hinblick auf die Klage ins Gegenteil verkehrt. Die saloppe Ausdrucksweise scheint gegenwärtigen Stamm164 Ähnlich wie in Bambiland umgesetzt, beschreibt Klaus Bartels im Kontext einer hyperkinetischen Erhabenheit, dass der erhabene Blick aus dem Flugzeug nicht menschlich, sondern technisch sei und die Gegenstände als „Bestandteile einer kindischen Spielkultur“ denunziere. Vgl. Klaus Bartels: Über das Technisch-Erhabene, in: Christine Pries (Hg.): Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn, Weinheim 1989, S. 295-316, hier S. 311.

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tischrunden entnommen und steht im scharfen Kontrast zum erhabenen Duktus der vorangehenden Passage: Was man auch sagt, die brüllen nur Wasser nur Wasser nur Wasser, nur Essen, nur Essen. Mein Sohn, mein Sohn, meine zwei Söhne, meine drei Söhne, meine vier Söhne. Alle weg. Alle weg. Am liebsten beides gemeinsam: Wasser und Essen. Pakete mit Nahrung […] (B 16)

In Die Perser berichtet der Bote von den Entbehrungen der geschlagenen Perser, derer viele auf der Flucht durch Durst und Hunger umkommen. Hier stehen Empathie für die Überlebenden und die Klage um die Toten im Vordergrund:165 Die aber überleben und gerettet sind | Ziehn mühsam durch der Thraker Land mit vieler Not | Und kommen nun als Flüchtige – nicht viele mehr – | Zum heimischen Herd, so, daß die Stadt der Perser | stöhnt, | Die sich nach ihres Lands geliebter Jugend sehnt.

166

Im Vergleich der beiden Passagen wird der unbarmherzige Blick in Bambiland auf die Opfer des Krieges deutlich. Dieser entspricht der gegenwärtigen Perspektive und Darstellung der Opfer (beispielsweise) des Irakkrieges, deren Opfer-Status allein schon eine Forderung nach Hilfe implizieren muss in einer Gesellschaft, die christliche Grundwerte wie Barmherzigkeit für sich beansprucht. In der zitierten Passage tritt nur mehr die Abwehr dieser Forderung (nach Wasser, Essen und Anteilnahme ob des Verlusts der Kinder) in Erscheinung; die Perspektive, aus der gesprochen wird, weist in ihrer Indifferenz auf die Abnutzungserscheinungen der Rezipienten gegenüber Leiddarstellungen hin, die im Kontrast steht zur Klage als Konstitutionsmerkmal der Tragödie. Die Klage erscheint hier als ungerechtfertigtes und lästig empfundenes Gebrüll. Schließlich schlägt die Rede in eine direkte Ansprache um, gerichtet an die Akteure des Beobachteten und zu Berichtenden: […] los ihr, runter von den Wagen, etwas schneller bitte, sonst schlagen, nicht mehr benetzt vom Wasser, die Städter der erwählten Schar des Herrn noch die Schädel ein und damit eine ganze Welt der Gefühle, wie nur wir nur wir im Westen sie kennen und eine Welle des Hasses, wie nur die dort sie kennen. (B 16)

165 Bierl betont in Bezug auf Die Perser die „rituelle Einbindung in den Dionysoskult“, wodurch „Rituale wie die Klage oder das Opfer […] ein performatives, ikonisches und sprachliches Repertoire [liefern], aus dem das Psychodrama sein Potential schöpft“. Vgl. Bierl 2007, S. 45f. 166 Aischylos: Perser 2010, S. 25.

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In diesem Wechsel des Sprachduktus, der Perspektive und Richtung der Rede fährt der Text in seiner kommentierenden Beobachtung auf den nächsten Seiten fort. Jedoch gerät der Bericht immer wieder ins Stocken, verliert sich in absurden Assoziationsketten und fragt immer wieder nach, als würde aus dem zu beobachtenden Raum – quasi hinter der Mauer der Mauerschau – zu ihm gesprochen werden: „Was? Was? Die wollen gar nicht verstanden werden?“ (B 17). Dass die Rede mit ihrem Bericht vom Krieg nicht wirklich vorankommt, zeigt sich in der variierenden Wiederholung der Anfangssentenz im Verlauf des Texts. So kommt die Rede an zwei weiteren Stellen auf das Thema des Hindurchdringens vom Textanfang zurück, nur um sich sogleich wieder im Sprachtaumel zu verlieren. Formal präsentieren sich die ersten sieben Seiten von Bambiland als ein Textklotz ohne Absätze. Die Wiederholung des Themas stellt insofern eine Rhytmisierung dar. Es hindurchdringt also des Kronherrn jeder Stadt drohendes also jetzt kommen all die Namen, die wir kennen oder nicht, egal, Arabien oder wie es heißt strotzt nur so vor Namen, manche davon kennt jeder, niemand kennt keinen, auch der, der keine Person kennt, kennt mindestens einen, der eine Person kennt […]. (B 19).

Auch hier beginnt der Text im erhabenen Ton, der jedoch sofort in sein Gegenteil umschlägt (fast stolpert der Rezipient noch unverminderter über das Umschlagen des Tons aufgrund des fehlenden Kommas vor dem zweiten ‚also‘). Der Textblock auf den ersten sieben Seiten wird schließlich auf der achten Seite des Stücks durch einen kurzen Absatz unterbrochen, in dem der Erzähler-Bote in einer absurden Mauerschau völlig aus dem Zusammenhang gerissen verkündet: „O je, ich sehe etwas Entsetzliches, es trifft auch Eltern und Frauen […]“ (B 22), um dann in einem nächsten Absatz das Motiv vom Durchdringen wieder aufzunehmen: Schon durchdringt das goldne Heer, wir sehen gar nicht, wie groß es ist, ich glaube, es wird uns auch absichtlich verschwiegen, wir wissen auch nicht genau, wo es ist, wir wissen jeden Moment, wo es ist, wo ist es denn, es ist in der Natur, obwohl es keine Natur gibt, das Heer, obwohl es sehr groß ist und dennoch zu klein zu klein, gewogen und für zu klein befunden, das Heer, und furchtbar in die Augen zu schauen, derzeit stehts da im Glanz seiner Wehr, soll ich es etwa persönlich auch noch zählen, nicht einmal das Fernsehen könnte das von mir verlangen […]“ (B 22-23)

In der Länge der Zitate zeigt sich die Zerfaserung des Inhalts und die Selbstbezüglichkeit der Rede des Botenberichts. Die Beschreibungen sind durch Metakommentare „perforiert“,167 die das Beobachten und Berichten reflektieren. Dabei kommt die Rede meist nicht über den ersten Halbsatz hinaus, schon wird das vorher 167 Bloch 2011, S. 225.

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Gesagte relativiert – in der ersten Passage über den lapidaren Hinweis „jetzt kommen all die Namen, die wir kennen oder nicht, egal“, in der zweiten Passage über die Kommentierung des eingeschränkten (visuellen) Zugangs zum Objekt der Beschreibung „wir sehen gar nicht, wie groß es ist“. Der selbstbezügliche Kommentar verliert sich dann in der simultanen (bzw. seriellen) Behauptung von unvereinbaren Gegensätzen („wir wissen auch nicht genau, wo es ist, wir wissen jeden Moment, wo es ist“ steht der Behauptung gegenüber: „es ist in der Natur, obwohl es keine Natur gibt“), die eine „semantische Entleerung“168 bewirkt. So wird das Wissen – hier über den Standort des Heeres – zur Leerstelle; bezeichnenderweise wird das Heer auch noch im Unort Natur verortet, die es ja gar nicht gibt, wie der Text weiß, und die im Jelinekschen Verständnis, als Paradebeispiel für den Mythos, ohnehin eine sehr zweifelhafte Existenz führt.169 So wird das Wissen über das Heer gleich mehrfach in Zweifel gezogen. Dabei gilt auch für Jelinek, was Daniela Langer für Nietzsche und sein Verfahren der semantischen Entleerung schreibt: „Es ist diese Leerstelle, die die eigentliche Kritik ‚enthält‘, ohne sie direkt sagen zu können.“170 Die Schlussfolgerung, der Text negiere einen Begriff des Wissens, würde Bambiland verfehlen.171 Über die

168 Daniela Langer untersucht dies als zentrale Verfahrensweise Nietzsches. Vgl. Daniela Langer: Wie man wird, was man schreibt. Sprache, Subjekt und Autobiographie bei Nietzsche und Barthes, München 2005, S. 315. 169 Vgl. den älteren jedoch grundlegenden Text: Christa Gürtler: Die Entschleierung der Mythen von Natur und Sexualität, in: dies. (Hg.): Gegen den schönen Schein. Texte zu Elfriede Jelinek, Frankfurt/Main 1990, S. 120-134. Wie auch den JelinekHandbuchartikel von Christian van der Steeg, der zusammenfasst, „dass Natur bei Jelinek ein äußerst vielfältiger ideologischer Verhandlungsgegenstand ist, der Gewaltbeziehungen verschiedenster Art impliziert und der mit diversen und zum Teil divergenten Themengebieten wie Tourismus, Sport, Umweltschutz, Medien, Mythos, Geschlechterkampf, Holocaust oder eben der Philosophie verflochten ist.“ Christian van der Steeg: Natur, in: Janke 2013, S. 282-285, hier S. 282. 170 Langer 2005, S. 315. 171 Wenn Jelinek beispielsweise in Rechnitz (Der Würgeengel) die mittlerweile zur Binsenweisheit über die Dekonstruktion verkommene Aussage „Denn Wahr und Falsch gibt es auch nicht mehr, es gibt auch hier nur noch ein Dazwischen.“ (Re 85) anbringt, ist dies weder rein affirmativ, noch als Kritik zu werten – wie Maria-Regina Kecht es tut, wenn sie daraus eine Forderung Jelineks nach einer klaren Unterscheidung von Gut und Böse ableitet. Vielmehr ‚enthalten‘ derartige Sätze die für Jelinek typische Kritik mithilfe der semantischen Entleerung, in der dann das Dazwischen als Floskel kritisiert, in seinem Inhalt jedoch auch wieder bestätigt wird. So gebe ich Kecht recht, sicherlich geht es sowohl in Rechnitz als auch in Bambiland darum, Täter beim Namen zu nennen. Gleichzeitig schwingt das Bewusstsein in den Texten mit, dass darüber keine Wahrheit gesprochen wird. Vgl. Maria-Regina Kecht: Elfriede Jelineks Botenbericht(e) aus, über

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semantische Entleerung des Begriffs wird jedoch ein Nachdenken über unser Verständnis von diesem provoziert; im Falle des obigen Zitats über unser Wissen über den Standort des Heeres, was auf den ersten Blick trivial klingt, auf einen zweiten jedoch wesentlich ist. Die paradoxe Behauptung, dass wir nicht wissen, wo das Heer ist, gleichzeitig jeden Moment wissen, wo es ist, trifft die paradoxe Form des Wissens aufgrund medialer Vermittlung im Kern. Wir sehen das Heer auf dem Fernsehbildschirm, befinden uns inmitten desselben und bleiben als Fernsehzuschauer doch orientierungslos. Die variierten Wiederholungen in Bambiland fungieren insofern nicht als eine Betonung ihres Inhalts, sondern zeigen vielmehr Zweifel an. Sie stehen für das Versagen im linearen Vorankommen des Berichtens wie auch des Textes. Es wird deutlich, dass der Bericht auf der inhaltlichen Ebene auf der Stelle tritt; das, was immer wieder thematisiert wird, ist das Berichten selbst – wenn auch das Thema des Berichtens mehr umkreist denn fokussiert wird. 3.3 Das scheinbare Jetzt und Hier der Botenrede. Das Unheimliche der seriellen Beobachtungsschleife Im antiken Drama begründet die (Augen)Zeugenschaft des Boten sein raison d’être auf dem Theater.172 Das Sehen als Fernsehen ist bestimmendes Thema in Bambiland. Die Funktion des Boten besteht darin, von vergangenem Geschehen zu berichten, dem er selbst beigewohnt hat oder in der Mauerschau von dem zu berichten, was hinter der Mauer passiert, und sich dem Sichtkreis des Zuschauers entzieht. Sein Wissen ist insofern begrenzt, als er nur das erzählen kann (und soll), was er sieht bzw. gesehen hat, das Innenleben der anderen Figuren bleibt ihm durch seinen Blick von Außen unzugänglich.173 Auch das Geschehene nachzuvollziehen oder gar zu deuten, gehört nicht zu seinen Aufgaben.174 In Die Perser fungiert die Zeugenschaft des Boten als Verbürgung für das Gesagte. Der Bote versichert: „Ich war dabei, ihr Perser. | Nicht nach andrer Wort Erzähl ich, welch ein | Unglück uns bereitet ward.“175 Der Bote weist hier auf die Ver-

172 173 174

175

und rund um Rechnitz, in: Pia Janke u.a. (Hg.): ‚Die endlose Unschuldigkeit.‘ Elfriede Jelineks Rechnitz (Der Würgeengel), Wien 2010, S. 194-213, hier S. 209. de Jong 1991, S. 8. de Jong 1991, S. 12. de Jong 1991, S. 14-15. Was die Botenrede in Rechnitz (Der Würgeengel) ironisch kommentiert: „Bitte um Entschuldigung, das Gewinnen von Erkenntnissen ist nicht die Aufgabe des Boten, das ist Aufgabe des Empfängers der Nachricht.“ (Re 178) Aischylos: Perser 2010, S. 17. In der freien Übersetzung von Durs Grünbein wird die Augenzeugenschaft noch deutlicher: „Nicht etwa Märchen erzähl ich. Nein, ich war

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mitteltheit des Berichteten durch ihn hin, bürgt aber gleichzeitig mit seiner Person als Zeuge des zu Berichtenden für dessen Wahrhaftigkeit. In Bambiland hingegen wird deutlich, dass die Zeugenschaft sich immer auf ein bereits medial vermitteltes Ereignis bezieht. Das durch den Boten vermittelte Ereignis zeigt sich als wiederum bereits vermitteltes, wodurch die Verbürgung durch das Boten-Ich hinfällig wird. Am Beispiel der Rede über die beiden ältesten Söhne Saddam Husseins, Udai und Qusai Hussein, führt der Text dies vor: Das sind Unmenschen. Das ist eine Höllenbrut. Das sind Mörder und Vergewaltiger. Ehrlich wahr. Ich habe persönlich mehrmals gesehen und gehört und gelesen, wie sie gemordet und vergewaltigt haben. (B 50)

Die Authentizitätsversicherung über das Adjektiv „persönlich“ wird über die in Bezug auf die unmittelbare Erfahrung abfallende Reihung des „gesehen und gehört und gelesen“ ad absurdum geführt. Etwas persönlich zu sehen, suggeriert eine Unmittelbarkeit, die über die Gleichsetzung mit dem persönlich „gehört und gelesen“ nicht nur in der Wortkombination merkwürdig wird, sondern spätestens in Verbindung mit Mord und Vergewaltigung als eine vermittelte Erfahrung ausgestellt ist. Ihre Ironie entwickelt die Passage über die Ausstellung der naiven Verleugnung der Vermitteltheit zum einen über das Adjektiv persönlich, zum anderen über den konstatierenden Stakkato-Charakter der vorangehenden Sätze „[d]as sind Unmenschen. Das ist eine Höllenbrut. Das sind Mörder und Vergewaltiger“, die keine Zweifel an der Richtigkeit ihrer Aussage zulassen. Ihre Bekräftigung als „[e]hrlich wahr“ mit der darauf folgenden Relativierung der Aussagen aufgrund der Vermitteltheit des ‚Erlebten‘ bezeugt ihr Gegenteil und korrespondiert mit der paradoxen Aussage: „Es ist alles wahr, was Sie sehen, aber es ist nicht richtig.“ (B 82), die bezüglich des Themas Sehen dem Text als inhaltlicher Leitfaden gilt. Darin wird deutlich, dass es der Text nicht darauf anlegt, die Gräueltaten der Hussein-Söhne zu negieren; der Text stellt nicht die Frage nach den ‚tatsächlichen‘ Geschehnissen hinter der Darstellung, sondern zielt ab auf die Funktionsweisen der Darstellung und ihrer Rezipienten. An dieser Stelle befindet sich in Bambiland die Figur des Einspruchs, die auf das Unheimliche einer Darstellung hinweist, die gleichzeitig wahr und nicht richtig ist. Der Text weist auf ein Unsagbares hin, das in eben dieser Diskrepanz zwischen wahr und richtig liegt und streut den Zweifel, der dem Fernseh-Ich abgeht: „Aber meine Zweifel lastend nicht überwiegen. Ich bin sicher, das sind Verbrecher, alle beide.“ (B 50) Die beschreibenden Passagen in Bambiland sind zum einen durchgehend als Mauerschau inszeniert, zum anderen reflektiert der Text seine teichoskopische wirklich dabei. Mit eigenen Augen sah ich das ganze Ausmaß des Übels.“ Vgl. Aischylos: Die Perser. Übers. von Durs Grünbein. Frankfurt/Main 2001, S. 17.

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Form der Beschreibung und zeitigt dadurch einen dekonstruktiven Effekt. Dabei reflektiert die Botenstimme ihre Augenzeugenschaft als eine Beschränkung auf den visuellen Sinn, der ein Verstehen entgegen gesetzt wird: Ich sehe, daß diese Frau zurückgedrängt wird, aber ich kann mir keinen Reim drauf machen. Ich sehe, daß diese sieben Frauen samt Kindern, ich weiß nicht wie viele von welcher Sorte, jetzt in dem Kleinbus erschossen worden sind. Manche sprechen von zehn. Aber ich kann mir keinen Reim drauf machen. (B 68)

Die Botenfigur überschreitet hier ihren Rahmen, indem sie ihre Funktion, die in der Begrenzung auf das Berichten von Sinneseindrücken, und der Unmöglichkeit (bzw. Unnötigkeit) des Verstehens liegt, reflektiert (‚ich sehe […] ich kann mir keinen Reim drauf machen‘), sodass das „Dispositiv […] des Zuschauens und des Berichtens in der Rede beobachtbar“ gemacht wird.176 Während sich im klassischen Drama der Bote zu Anfang des Stücks als dieser zu erkennen gibt, um im weiteren Verlauf hinter seinem Bericht zurückzutreten, jedoch in Form einer „invisible presence of the messenger“177 präsent zu bleiben, weist die Botenstimme in Bambiland in ihren merkwürdig selbstbezüglichen Reflektionen fortwährend auf ihre Funktion hin, kann diese aber im Gegensatz zur Botenfigur in Die Perser nicht (mehr) ausfüllen. Über die Behauptung „ich sehe“ als Teichoskopie ausgegeben, transportiert die Berichterstattung keinen für den Textverlauf relevanten Inhalt, wodurch die selbstbezügliche Rede einen dekonstruktiven Effekt in Bezug auf die Botenfunktion zeitigt. In der oben angeführten Passage wird deutlich, dass es nicht primär darum geht, was die Ich-Stimmen sehen, sondern eher darum, „wie sie sehen: größtenteils eben, dass sie nicht verstehen, was sie sehen“.178 Mehrfach wird in Bambiland die teichoskopische Rede vollständig ad absurdum geführt, indem sie, als reine Form angewandt, ihren Inhalt auslöscht. Wenn es heißt: „O je, ich sehe etwas Entsetzliches, es trifft auch Eltern und Frauen, es trifft auch Kinder und Greise, es trifft sie die Buße.“ (B 22) wird deutlich, dass der Sprecher letzten Endes nicht(s) sieht. Als abstrakte Begebenheit ist die Buße visuell nicht wahrnehmbar. Darin wird offensichtlich, dass die Beobachtung, die dem teichoskopischen Bericht als Bedingung vorausgeht bzw. mit diesem einhergeht, nicht stattfindet. In dem „ich sehe“ überführt sich das Ich selbst der Lüge und macht deutlich, dass es letztlich nichts sieht und seine Funktion als Berichterstattender so in den wesentlichen Punkten unterschreitet. 176 Aeberhard erarbeitet dies in Bezug auf Kleists Penthesilea, dessen Form er als eine permanente Mauerschau begreift. Vgl. Aeberhard 2012, S. 280. 177 de Jong 1991, S. 21. 178 Das konstatiert Aeberhard für die Figuren von Kleists Penthesilea. Vgl. Aeberhard 2012, S. 277.

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Die „Dramaturgie der Mauerschau“179 in Bambiland spielt offensichtlich auf die Live-Berichte des Fernsehens an, die im Irakkrieg wenig Inhalt transportierten, dem Zuschauer aber das Gefühl vermittelten, live dabei zu sein. Indem das Stück diese Eigenschaft des Fernsehens in die Öffentlichkeit des Theaterraumes transponiert,180 kommt das zur Anschauung, was im privat vereinzelten Rezeptionsmodus des Fernsehens unterschlagen wird: die Vermitteltheit der Ereignisse, die zeitliche und räumliche Diskrepanz zwischen dem Ereignis und seiner Darstellung und damit einhergehend schließlich seine (zumindest als Möglichkeit gegebene) Fiktionalität in der Verdoppelung. Die besondere Eignung des Theaters, Medialität und Virtualität von Fernsehwirklichkeiten aufzudecken, ergibt sich dabei aus seinen Unterschieden zum Fernsehen. „Die gleichsam erdverhaftete Körperlichkeit, die die Tätigkeit im Theater bestimmt, schafft eine wesentlich andere kommunikative Situation und vermittelt andere Erfahrungen als Mediatisierung“181, wie Joachim Fiebach schreibt. In der Differenz der Erfahrung zwischen Theater-Ereignis und FernsehEreignis werden beide in ihrer spezifischen medialen Beschaffenheit deutlich. Indem die eigentliche Handlung von Bambiland in einem „imaginären dritten Schauplatz, der sich dem Zuschauerblick strukturell entzieht“182 stattfindet, wird das Phantasmatische, das letztlich jeder Darstellung von ‚Realität‘ per se anhaftet, offensichtlich. Die Darstellung des Irakkrieges im Fernsehen wird im Text als Phantasmagorie eines Unfassbaren inszeniert,183 indem die Repräsentation von Handlung auf der Bühne, als ‚Normalfall‘ des Theaters, in einer permanenten Mauerschau aufgehoben wird, aber das, was hinter der Mauer geschieht jedoch schlichtweg keinen Sinn ergibt. Dabei ist der Umgang mit Raum im Theater per se ein utopischer. „Über den realen Raum wird ein imaginärer projiziert, um Orte jenseits der Wirklichkeit zu

179 So Helmut J. Schneider in Bezug auf Kleists Penthesilea, Vgl. Helmut J. Schneider: Entzug der Sichtbarkeit. Kleists Penthesilea und die klassische Humanitätsdramaturgie, in: Rüdiger Campe (Hg): Penthesileas Versprechen. Exemplarische Studien über die literarische Referenz, Freiburg 2008, S. 127-151, hier S. 132. 180 Vgl. Karpenstein-Eßbach 2011, S. 128. 181 Auch wenn der These Fiebachs, dass Theater aufgrund dessen nicht als Medium gewertet werden könne, nicht zuzustimmen ist. Vgl. Joachim Fiebach: Kommunikation und Theater. Diskurse zur Situation im 20. Jahrhundert, in: Ders. (Hg): Keine Hoffnung, keine Verzweiflung. Versuche um Theaterkunst und Theatralität, Berlin 1998, S. 85-181, S. 167. 182 Das stellt Aeberhard für Kleists Penthesilea fest. Vgl. Aeberhard 2012, S. 276. 183 Jelinek zitierend behauptet Hass, dass es darum gehe, „dass der ‚Rohstoff Welt‘ für uns unfassbar geworden ist. Jelinek spricht im Hinblick auf ihre Arbeiten von einem Versuch: ‚Keine Ahnung, ob das gelingen kann‘, sagt sie, ‚aber man muss auf jeden Fall versuchen, das Unfassbare irgendwie zu fassen.‘“ Vgl. Haß 2010, S. 76. Zitate Jelineks aus: Schneeberger: „Bis ich am Boden aufschlage“ 2005.

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suggerieren, selbst wenn sie den realen Orten oft ziemlich ähnlich sind.“184 Gleichsam gründet die theatrale Situation in der „raum-zeitlichen leiblichen Kopräsenz von Akteuren und Rezipienten“185 und zeichnet sich dadurch auf besondere Art und Weise durch Unmittelbarkeit aus. Kati Röttger schreibt Joachim Fiebach zitierend: Denn keine Kunstform hat bisher die Rede von Unmittelbarkeit, Lebendigkeit oder Präsenz des Körpers so hartnäckig hervorgebracht wie das Theater, sitzen doch während des Vollzugs des theatralen Ereignisses im Allgemeinen lebendige Zuschauer lebendigen Schauspielern innerhalb einer begrenzten Zeit an ein und demselben Ort gegenüber. Gerade in einer Welt, die von Simulakren bestimmt zu sein scheint, wird das Theater deshalb gerne mit dem Signum der Unmittelbarkeit vor allen anderen visuellen Medien ausgezeichnet, „als unmittelbare interpersonale Tätigkeit, als Gesellung menschlicher Körper, die kommunizieren, ohne daß sich jene Apparate zwischen sie setzen, die mit ihren (vor) konstruierten Bild-Ton-Welten alle Wahrnehmung besetzen.“186

Peter Handkes Publikumsbeschimpfung machte diese Eigenschaft des Theaters zum Thema, was Jelinek in Bambiland wiederum zitiert. Handkes Stück suggeriert Unmittelbarkeit im Ereignis der Theateraufführung und thematisiert die Suche nach neuen Formen für das Theater explizit im Text: „Das ist kein Drama. Hier wird keine Handlung wiederholt, die schon geschehen ist, Hier gibt es nur ein Jetzt und ein Jetzt und ein Jetzt.“187 An das Publikum gerichtet, heißt es: „Sie haben die Mustervorstellung, daß hier oben ist, und daß bei Ihnen unten ist. Sie haben die Vorstellung von zwei Welten. Sie haben die Mustervorstellung von der Welt des Theaters.“188 In Bambiland parodiert Jelinek Handke auf der formalen Ebene durch die ausgewiesene Inszeniertheit ihrer Publikumsadressierungen, wie auch inhaltlich mit der mehrdeutigen Mustermetapher: „Dieses Muster hält auf Dauer keiner aus. Es fällt uns auf, es fällt uns unangenehm auf. Es fällt uns ins Auge, aber es ist kein Balken. Es ist eben: eine Verkleidung, und sie ist jetzt eh weg.“ (B 71) Ging es in der Publikumsbeschimpfung darum, dass die Zuschauer ihre „Erwartungshaltung als

184 Deck 2008, S. 16. 185 Vgl. Julia Pfahl: Robert Lepage ist (k)ein Zauberer! Intermedialität als theatraler Wahrnehmungsmodus, in: Nadja Elia-Borer/Samuel Sieber/Georg-Christoph Tholen (Hg.): Blickregime und Dispositive audiovisueller Medien, Bielefeld 2011, S. 73-86, hier S. 75. 186 Fiebach 1998, S. 162. 187 Peter Handke: Publikumsbeschimpfung, in: Ders.: Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke, Frankfurt/Main 1966, S. 5-48, hier S. 25. 188 Peter Handke: Publikumsbeschimpfung, in: Ders.: Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke, Frankfurt/Main 1966, S. 21.

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(un)bewusstes Resultat der symbolischen Ordnung […] begreifen“189 sollten, als ihr Wahrnehmungsmuster, so trivialisiert Jelinek diesen schulmeisterlichen Aufklärergestus Handkes, indem sie vom „abscheulichen Tapetenmuster“ (B 71) spricht und die angebliche Authentizität und Unmittelbarkeit des Theaterereignisses ad absurdum führt, wenn sie die Angesprochenen als Phantasmen der Rede markiert und der unmittelbaren Rede zwischen Schauspieler und Zuschauer mittels Teichoskopie ein dritter imaginärer Raum entgegengesetzt wird; da wird das aufklärerische Hinweisen auf die Verhaltens- und Rezeptionsmuster des Zuschauers doch zum Balken im Auge, zur Verkleidung, die sogleich als abwesend („und sie ist jetzt eh weg“) markiert wird. Handkes Publikumsbeschimpfung kann das Spiel des Theaters nicht auflösen, das verlautbarte ‚Jetzt‘ bleibt ein fiktives, da die Beschimpfungen das Publikum nicht direkt treffen, „sondern im Modus der Beobachtungsbeobachtung“ imaginäres sprachliches Handeln bleiben.190 Bambiland weist auf dieses Scheitern hin und versucht nun gerade nicht, den Modus der Beobachtungsbeobachtung im Theater aufzulösen, sondern im Gegenteil – und im Gegensatz zu Handke – auf ihn hinzuweisen, indem sie ihn in der permanenten Mauerschau des Textes verdoppelt und emphatisch betont.191 Jelinek zieht die vierte Wand hoch, jedoch nicht vor, sondern hinter der Bühne, sodass die ‚Handlung‘ des Stücks im Abseits192 des Theaterraums stattfindet, die Figuren auf der Bühne somit allesamt aus dem Off sprechen.193 Die eigentliche Bühne bleibt also entzogen, und das, was der Zuschauer sieht, ist der beobachtende und berichtende Bote. Diese Konstellation der Beobachterbeobachtung doppelt und parodiert die Fernsehsituation, in der ebenfalls von letztlich nicht Sichtbarem berichtet wird. Die ästhetisierende und klischierte Beschaffenheit der szenischen Beschreibungen unterstützt den Eindruck des televisuellen Bezugs. In der teichoskopischen Beschreibung der Beerdigung eines im Krieg verunglückten Mechanikers wird diese serielle Schaltung der Beobachterbeobachtungen im Text erfahrbar: […] Sie armer Bub, daher dürfen Sie Ihrem Begräbnis jetzt persönlich beiwohnen. Ihr Helm hängt einsam an einem Ast, und Ihre Kameraden weinen scheu, und wie ein Wehschrei um-

189 Andreas Englhart: Auf der Suche nach der verlorenen ‚Realität‘. Das avancierte Theaterstück im Closed Circuit der Medien-Bilder, in: Hans-Peter Bayerdörfer (Hg.): Vom Drama zum Theatertext?, Tübingen 2007, S. 52-63, hier S. 52. 190 Vgl. Aeberhard 2012, S. 443. 191 Vgl. hierzu Aeberhard 2012, S. 435. 192 Wie Jelineks Nobelpreisrede Im Abseits in einer Videoaufzeichnung stattfand. Vgl. Elfriede Jelinek: Im Abseits, 2004, http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/literature/ laureates/2004/ jelinek-lecture-g.html, letzter Zugriff 19.05.2017. 193 Vgl. Aeberhard 2012, S. 435.

216 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN fängt sie salzige Meersflut, wenn sie nah genug bei der Küste sind. Meistens nicht. Wüste. Der Sandsturm hat sich jetzt niedergelegt, die Sicht ist wieder besser. (B 66)

Ergriff im Sportstück der nachlebende Andi als Bub das Wort, um aus nach-subjektiver Perspektive seine „traumatische Geschichte vom Ende her“ zu erzählen,194 tritt die Beobachtung in Bambiland in eine weitere Schleife, wenn der arme Bub in der Beobachtung seiner Beerdigung wiederum beobachtet wird. Der Sprecher (auf der Bühne) berichtet nicht, wie noch Andi, von seiner eigenen Beerdigung, die im Abseits der Bühne wie auch des Lebens stattfindet; in Bambiland berichtet der Sprecher von seiner Beobachtung der Beobachtung einer wiederum derart klischierten Darstellung einer Beerdigungsszene, dass auch noch deren Originalität unmöglich gemacht wird. Die Serialität von Beobachtung scheint hier kein Ende zu nehmen. Die durch die Praxis der Mauerschau per se schon im „imaginären dritten Ort im Jenseits der sichtbaren Szene“195 stattfindende Handlung wird bis zur Unkenntlichkeit entgrenzt und ist als diese nicht mehr greifbar. Das, was im Text deutlich wird, ist hingegen die Medialität jedes Ereignisses und jeder Handlung, die beschrieben wird. Dabei wird die Medialität – insbesondere in ihrer Eigenschaft als serielle Beobachtungsschleife – durch die Konfrontation mit der verkündeten Unmittelbarkeit des Hier und Jetzt im Text als unheimlich markiert. Das Live-Prinzip als Strategie des Fernsehens wie auch des Theaters wird in seinem Kollabieren auf bzw. hinter der Bühne vorgeführt. Die Situierung des Rezipienten inmitten der Ereignisse wird als scheinbare deutlich und weist auf ihr Gegenteil hin; dass der Rezipient schließlich nicht in die Ereignisse involviert ist, dass er letztendlich nicht einmal über das Stattfinden der Ereignisse Sicherheit erlangen kann. 3.4 Der Bote ist die Botschaft. Der Sprecher als Effekt seiner Rede Findet das Ereignis, die Handlung in Bambiland lediglich als besprochenes im Off des Theaters statt, wird das Sprechen der Figuren zur eigentlichen bzw. einzigen Handlung auf der Bühne. Indem die Figur durch die Ausschließlichkeit von Botenbericht und Mauerschau ihrer Rede als dramatische persona depraviert wird, wird

194 „Die auftretenden Figuren berichten nach-subjektiv von ihrer abgeschlossenen Existenz, stehen auf der Bühne gewissermaßen bereits hinter den Kulissen des Lebens und erzählen ihre traumatische Geschichte vom Ende her; sie sagen Texte und Textlektüren auf und verkörpern dabei nichts. Ihren eigenen Tod als Voraussetzung, gleichsam von außerhalb ihrer raumzeitlichen Begrenzung, sprengen sie mit ihrer Rede den Rahmen der theatralen Szene.“ Aeberhard 2012, S. 425. 195 Aeberhard 2012, S. 440.

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der Blick frei für die Medialität ihrer Konstitution.196 In ihrem theaterästhetischen Essay Sinn egal. Körper zwecklos äußert sich Jelinek zu dem Verhältnis von Bote und Botschaft, was, auch wenn sie sich hier auf den Schauspieler als Boten ihrer Texte bezieht und nicht auf die Figur des Boten im Theater, einigen Aufschluss über die Botenfunktion in Bambiland geben kann. Jelinek führt aus, dass die Aufgabe des Schauspielers darin liege, dem Zuschauer etwas zu „bestellen“. Den Inhalt dieser Bestellung spezifiziert sie weiter: […] eine Nachricht die Anfänger, eine Botschaft die Fortgeschrittenen. Und dann merken sie, daß sie selber ihre eigene Botschaft sind. Schon haben sie etwas falsch gemacht und müssen noch einmal würfeln, um sich nicht in der Ferne verlieren zu müssen. […] Die Schauspieler SIND das Sprechen, sie sprechen nicht. Aber da sie ja zu mehreren, zu vielen sind und mich mühelos ausknocken und auszählen können, muß ich sie verwirren, disparat machen, ihnen ein fremdes Sagen unterschieben […].197

Um die Identifikation des Schauspielers mit ihrem Text zu verhindern, verunmöglicht Jelinek jegliche Identifikationsmöglichkeit der Rede, das zur Darstellung einer einheitlichen Figur führen könnte, und spaltet diese zum einen in disparate und vielfache Positionen auf. Zum anderen führt sie die Rede in ihrer fehlenden Tiefenstruktur bzw. in der Eigenschaft ihren Subtext bereits an der Oberfläche zu tragen als eine Sprechpraxis vor, die keiner ‚natürlichen‘ Alltagssprache entspricht. Wie in den vorangehenden Kapiteln bereits dargelegt, werden in ihren Stücken Textflächen über- und aneinandergereiht, die einen eindeutig zuzuordnenden Sprecher entbehren. Jelineks Präferenz für die Botenfigur (das Theater mit seinen Schauspielern als Boten des Textes) ist sicherlich über die ausgewiesene Heteronomität seiner Rede zu verstehen. „Der Bote ist ‚von außen gesteuert‘.“198 Seine Tätigkeit „entspringt nicht selbstbewusster Spontaneität, sondern untersteht fremder Weisung; seine ‚Souveränität‘ kann lediglich den Raum des Heteronomen erkunden.“199 Dies fällt im Text insbesondere dann ins Auge, wenn die Botenstimme persönliche Ansichten ankündigt, die dann jedoch umso stärker als Zitat markiert sind und sich auch im Sprachduktus eindeutig unterscheiden: „Bei dieser Gelegenheit möchte ich einfügen, was mir grade einfällt: O aller Erde Stadtgemeinden ihr, wir adoptieren euch jetzt, wir von der Friedensbewegung adoptieren euch jetzt.“ (B 42)200 Jelineks 196 197 198 199 200

Vgl. Aeberhard 2012, S. 440. Jelinek: Sinn egal, S. 9. Vgl. Krämer 2008, S. 112. Vgl. Ebd., S. 114. Auch die nicht als Zitat erkennbaren Passagen von Jelineks Stücken sind nicht als ‚eigenes‘, subjektives Sprechen markiert. Jelinek selbst sagt im Gespräch mit Riki Winter,

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Skepsis gegenüber der Sprache (und letzten Endes wohl jedes Zeichensystems) im Sinne eines originären und authentischen Ausdrucks des Subjekts prädestiniert die Funktion des Boten, der sein ‚fremdes‘ Reden offen zur Schau stellt, für die ‚Bestellung‘ ihrer Texte. Die Rede auf der Bühne als Botenbericht zu gestalten, ist also als Konsequenz und Ausdruck eines Sprachverständnisses zu deuten, das die Souveränität des Sprechers anzweifelt und diesen letztendlich in seiner Ohnmacht gegenüber dem Sprechen selbst ausstellt.201 Büßen die Sprecher in Jelineks Theatertexten ihren Status als souveräne Akteure der Sprachhandlungen ein, werden sie stattdessen in ihrer performativen Hervorbringung über das Sprechen markiert. Der Sprecher wird als „Leerstelle“202 deutlich und die Mechanismen im traditionellen Theater wie auch in der ‚Theatralität des Alltags‘ werden offen sichtbar. Der Bote ist hier also im radikalsten Sinne heteronom, da er ausschließlich in und durch seine Botschaft besteht. Simon Aeberhard beschreibt Jelineks Theater schlüssig als „Performance ohne Performanz“:203 Sie [Jelinek, E.G.] koppelt […] den Ort der Rede vom Ort der Handlung ab, schickt gewissermaßen nur noch Boten auf die Bühne, welche keine personalen Vehikel ihrer Botschaft mehr sind, sondern nur noch deren Effekt. In den (negativen) Blick rücken damit diejenigen vorsubjektiven, gesellschaftskonstitutiven Machtprozesse, welche uns als autonome Subjekte mit eigener Agenda erscheinen lassen.204

201

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dass ihre eigene Person, wenn überhaupt, nur verschlüsselt in den Texten vorkomme, um unauffindbar zu sein. Vgl. Riki Winter: Gespräch mit Elfriede Jelinek. In: Bartsch/Höfler 1991, S. 9-19. In Bambiland ist das ‚fremde‘ Sprechen wie in den meisten Texten von Jelinek Programm, wenn es in der einleitenden Passage zu den Quellen des Textes heißt: „Der Rest ist auch nicht von mir. Er ist von schlechten Eltern. Er ist von den Medien.“ (B 15) Selbstverständlich untersteht die Botenfigur bei Jelinek auch anderen Funktionen, wie beispielsweise der Vermittlung mit dem Jenseits als eine häufig verwendete Figur. So übernehmen die Boten und Botinnen in Rechnitz die Aufgabe für und von den Ermordeten in Rechnitz zu sprechen. Die Ariel-Figur in Die Kinder der Toten kann ebenfalls in diesem Sinne als Anspielung auf den Engel als Bote zwischen Jenseits und Diesseits gelesen werden. Vgl. Elfriede Jelinek: Die Kinder der Toten, S. 442, wie auch Krämer 2008 zur Botenfunktion der Engel, S. 122-138. Bloch 2011, S. 240. Aeberhard 2012, S. 394. Ebd., S. 390-391.

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Aeberhard überträgt Judith Butlers Konzept der performativen Herstellung von Zweigeschlechtlichkeit205 auf die Subjektkonstitution im Allgemeinen und beschreibt Jelineks Theater in seiner Funktion, die „diskursive Herstellung einer vordiskursiven Essenz“206 auf dem Vergrößerungsglas der Bühne beobachtbar werden zu lassen;207 das auszustellen also, was Jelinek wie folgt beschreibt: „Ohne sich um die Wirklichkeit zu kümmern, wird der Effekt zur Realität.“208 Die Realität als Effekt und deren Ununterscheidbarkeit voneinander und damit einhergehend das Subjekt der Rede als Bote im Sinne des reinen Effekts seiner Botschaft (und deren Ununterscheidbarkeit voneinander) sind Topoi des Unheimlichen, wie sie mehr oder weniger von allen Theaterstücken Jelineks ins Spiel gebracht werden. In Bambiland (und Babel) wird die Effekthaftigkeit primär an das (Fernseh-)Bild gekoppelt, als dessen Produkt das Wir des Textes dann erscheint: Da sind auch wir und senden die Bilder, wir kleben uns dran, wir sind die Marken unserer Bilder, deren Zweck nur der, abgeschickt zu werden ins Heim. Heim. Wir sind das Äußerste. Geschicktere gibt es nicht, daher schicken wir ja die Bilder. Damit wir nicht selber geschickt werden müssen. (B 24)

205 Vgl. hierzu Judith Butler: Performative Acts and Gender Constitution. An Essay in Phenomenology and Feminist Theory, in: Henry Bial (Hg.): The Performance Study Reader, Abingdon/Oxon: Routledge 2007, S. 187-199. Wie auch: Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter [Gender Trouble, 1990], aus dem Amerikanischen von Katharina Menke, Frankfurt/Main 1991. 206 Aeberhard 2012, S. 394. 207 Dies ließe sich ebenso mit Donna Haraway beschreiben, die sich insofern von Butler abgrenzt, als sie deren Privilegierung des Diskurses kritisiert und hingegen den Blick für eine größere Bandbreite an ‚Akteuren‘ für die Konstitution von Identität offenhalten möchte. Haraway geht es dabei zuvorderst um die Interaktionen und Beziehungen zwischen Objekten (bzw. und Subjekten). Mit Blick auf die Sprachmacht und -fülle von Jelineks Arbeit liegt die Analyse mit Butler sicherlich nahe. Haraways Ansatz ist jedoch insofern interessant, als sie den Aspekt der Materialität, Körperlichkeit und Dinglichkeit mit ins Spiel bringt und die Interaktion des Subjekts mit diesen Formen seiner selbst wie auch des anderen betont. Vielleicht ließe sich Jelineks Verständnis der Sprache, ihre Form des Umgangs, die Sprache als Material, als Fleisch und Körper behandelt, als eine Synthese von Butler und Haraway lesen. In jedem Fall werde ich im Folgenden immer wieder auf Haraway zurückkommen – insbesondere im Abschnitt über die Cyborgs –, und sehe mit der Perspektive des Unheimlichen einige ihrer Thesen in Jelineks Texten erprobt. Vgl. Donna Haraway: „Wir sind immer mittendrin.“ Ein Interview mit Donna Haraway, Übersetzung: Anne Scheidhauer und Carmen Hammer, in: dies.: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, hrsg. und eingeleitet v. Carmen Hammer und Immanuel Stieß, Frankfurt/New York, 1995, S. 98-122, hier S. 108f. 208 Jelinek: Seicht 1990.

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Als Marke der Bilder wird das Wir im Kontext des Mediums Bild als Effekt desselben in seiner reinen Äußerlichkeit besprochen (‚wir sind das Äußerste‘). Dabei wird es auch hier an die Botenfunktion gebunden. Als Bildbotschafter auf das Äußerste, d.h. in diesem Kontext auch auf die Oberfläche (des Bildes) reduziert, und als ‚Geschickte‘ auf die Heteronomität des Boten anspielend, wird die Oberflächenstruktur, auch in Anspielung auf das Bild als Oberfläche, der Figur ebenso deutlich, wie auch damit einhergehend die Richtung aus der diese konstituiert wird. Hier weist Bambiland auf den Konstitutionszusammenhang der Botenfigur hin, den der Text im Zusammenspiel der Oberflächenstruktur und der Gerichtetheit von Außen verortet. Nicht nur über die „Tiefenlosigkeit“209 wird der Bote in seiner Unheimlichkeit deutlich, diese korrespondiert mit einer Fremdheit, einer ‚Unheimeligkeit‘ der Rede. Als Marke der Bilder wird der Bote zu seiner Botschaft. In diesem Sinne besteht Jelinek auf dem antinaturalistischen Impetus des Theaters und betont emphatisch die artifizielle Konstruktion des Theaters: „Ich bin fasziniert von der Idee des Ortes, wo man Sprache und Figuren öffentlich ausstellen kann. Wo Sprache und Figuren, ähnlich wie schon beim antiken Theater, diese Übergröße in der Präsenz bekommen können, die sie im Film nicht haben. […] Nur das Theater wäre der Ort der allergrößten Wirklichkeit und der allergrößten Künstlichkeit.“210 Am eindrücklichsten – und unheimlichsten – zeigt sich dies an der scheinbar authentischen Autorinnenstimme im Text. 3.5 Die Autorinnenfiktion Elfriede Jelinek als ultimative Botin ihres Textes Ulrike Haß schreibt, dass in Bambiland nicht, wie noch im Falle von Die Perser eine Botenfigur die „Sprache des Autors spricht“, sondern die Autorin selbst sich als „Botin verwenden muss.“211 Indem Jelinek verlauten ließ, der Text sei „mitgeschrieben mit der Berichterstattung über den Krieg“,212 lieferte sie eine Schreibszene zu Bambiland und versicherte und authentifizierte sich im Außerhalb des Textes als Botin, die quasi in einer Beobachtung zweiter Ordnung von der Berichterstattung im Fernsehen Kunde gibt. Die Verwendung der Personaldeiktika „ich“, „wir“ und „Sie“, die teichoskopische Rede und die direkten Adressierungen unterstützen den Eindruck eines „spontanen Hier und Jetzt“213 der Rede im Text und ver209 Aeberhard 2012, S. 360. 210 Peter von Becker: „Wir leben auf einem Berg von Leichen und Schmerz“. Gespräch mit Elfriede Jelinek, in: Theater heute 9 (1992), S. 2. 211 Haß 2010, S. 75. 212 Jelinek, zitiert aus Schneeberger: „Bis ich am Boden aufschlage“ 2005. 213 Silke Catrin Zimmermann: Das Ich und sein Gegenüber, Köln 1994, S. 58, zitiert nach Bloch 2011, S. 251.

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setzen den Rezipienten in ein persönliches Verhältnis zum Gesprochenen.214 Schon über diese situative Verortung der Rede wird, wie bereits dargelegt, eine Authentizität der Rede suggeriert, nur um diese sogleich umso deutlicher als inszenierte aufscheinen zu lassen. Eine Reihe von Passagen lassen das Erzähler- bzw. Boten-Ich in Bambiland mit der empirischen Autorin Elfriede Jelinek assoziieren. Am deutlichsten wird dies in den Passagen, die das Schreiben des Textes selbst kommentieren. Wiederholt und teilweise mitten im Satz unterbricht eine scheinbar authentische Stimme den Textfluss und schaltet sich zwischen Text und Rezipient: „[…] Scheiße, wie komm ich jetzt von den Gewinnern zu den Verlierern, wie komm ich jetzt von den Verlierern zu der Technik, wo ich eigentlich hinwill […].“ (B 27) Auf diesen Einbruch bzw. Ausbruch des schreibenden Ichs folgt eine Passage über die Technik der Tomahawk – der Text folgt hier also tatsächlich dem Vorhaben der Autorinnenstimme, die ja von der Technik berichten wollte –, die eine Seite später aufs Neue durch die auktoriale Kommentatorstimme unterbrochen wird: Wie immer will ich von den Verlierern reden und lande doch begeistert bei den Siegern, aber das will doch jeder, daher lenke ich verzweifelt in die andre Richtung, doch mein Lenkrad gehorcht mir nicht: in die andre Richtung! Wirds bald! Und nur diese Kurve muß ich noch nehmen, das muß ich schriftlich hinkriegen. Jetzt weiß ich doch nicht mehr, wer wir sagen darf und wer nicht. […] auf der Verliererstraße, die für mich bereits asphaltiert worden ist, eigens für mich, damit ich ja keine andre Straße nehme. Haltaus, Moment mal, da stehn ja schon Hunderttausende und schreien Frieden Frieden. Also hier muß ich auch schnellstens wieder weg. Auch hier bin ich falsch, bin überall falsch. […] Ich bin so fern im Westen […]. (B 29)

Auch wenn sich das Ich dieser Passage als Verfasserin des Textes zu erkennen gibt, kann das hier Zitierte natürlich nicht als Aussage Elfriede Jelineks gedeutet werden. Vielmehr wird hier eine „Alter-Ego-Stimme der Autorin“215 in Szene gesetzt, die sich von dem fiktionalen Sprechen abzuheben sucht, um auf einer Meta-Ebene den Schreibprozess zu reflektieren. Hier mögen durchaus authentische Inhalte zum Ausdruck kommen. Die Problematik der Legitimation des Sprechens im Namen anderer („[j]etzt weiß ich doch nicht mehr, wer wir sagen darf und wer nicht“), die Unmöglichkeit eines genuinen Ausdrucks („da stehn ja schon Hunderttausende“) und die daraus resultierende Fremdbestimmtheit und Fremdheit eines jeden Sprechens („bin überall falsch“) stellen durchaus Probleme dar, die den Diskurs über Kriegsdarstellung und den Schreibprozess generell prägen. Auch Bambiland, als Text über die mediale Darstellung des Irakkrieges, stellt sich diesen Fragen. Der Text tut dies jedoch über seine Form, indem er Brüche in die unterschiedlichen 214 Bloch 2011, S. 251. 215 Bloch 2011, S. 238.

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Identitäten auf der Bühne – vornehmlich der Figur, des Sprechens, der Szene und der Bildbeschreibungen – bringt und damit den Prozess von Darstellung im Allgemeinen problematisiert, indem er ihn unterbricht und unterwandert.216 Die Inszenierung einer Autorinnenstimme ist dabei als Störung besonders wirkungsvoll, da sie auf besondere Weise Authentizität vermittelt.217 Indem Elfriede Jelinek ihre eigene Stimme im Text inszeniert, verdoppelt sie sich und spaltet sich gleichzeitig auf. Eine Autorin, die von sich selbst behauptet, „unglaublich verlogen“218 zu sein, ist per se eine unzuverlässige Quelle; gegenüber einer als Kunstfigur inszenierten Doppelgängerin bzw. Abspaltung der Autorin wächst nicht nur das Misstrauen, sondern auch ihr unheimliches Potential. Hinzu kommt, dass sich auch die Ich-Stimme der inszenierten Autorinnenrede als Kippfigur wieder in mehrere Redepositionen verdoppelt bzw. aufspaltet.219 Jelinek hatte 1995 ihren Rückzug aus der österreichischen Öffentlichkeit bekannt gegeben; in der Nachbemerkung zu ihrer 1999 erschienenen Trilogie Macht nichts. Eine kleine Trilogie des Todes endet sie: „Die Autorin ist weg, sie ist nicht der Weg.“220 und tatsächlich zeigt sich ein sukzessiver, wenn auch weder steter noch kompletter Rückzug aus der medialen Öffentlichkeit. Während sie in den 1980er-Jahren noch beredt Auskunft über ihr Werk und ihre politischen Ansichten gab, wurde sie mit Aussagen insbesondere zu ihrer Person zunehmend vorsichtiger und führte, wenn sie sich zu ihrem Privatleben äußerte, sich selbst stets (auch) als

216 Jelinek äußert sich auf die Frage nach der Autorschaft im Theater wie folgt: „Das Theater kann aber doch endlos viele Bilder und Deutungen erschaffen, es kann ja sogar ein Regisseur, eine Regisseurin aus ein und demselben Stück vollkommen unterschiedliche Stücke erzeugen. Das ist ja das Faszinierende dran. Nichts ist fest gefügt, auch wenn mit einem fest gefügten Text gearbeitet wird. Unter diesen Bildern und Diskursen kann man sehr gut vampirisch verschwinden, ab und zu wieder auftauchen (als Autorin) und dann wieder verschwinden. Diesen vampirischen Akt des schreibenden Subjekts, das sich gegen die Bilderflut des Theaters mit seinem armen kleinen blutenden Text stemmt, das interessiert mich.“ Vgl. Sonja Anders/Benjamin Blomberg: „Vier Stück Frau“. Vom Fließen des Sprachstroms. Einige Antworten von Elfriede Jelinek, in: Programmheft des Thalia Theaters Hamburg zu Elfriede Jelineks Ulrike Maria Stuart, 2006. 217 Interessant ist hierbei Aeberhards Bemerkung in Bezug auf Ein Sportstück, dass die Autorinnenstimme paradoxerweise allein durch die Kapitulation vor der Sinngebung der Textvorlage (in diesem Fall Kleists Penthesilea) Autonomie gewinne. Vgl. Aeberhard 2012, S. 407. 218 Georg Biron: Wahrscheinlich wäre ich ein Lustmörder. Ein Gespräch mit der Schriftstellerin Elfriede Jelinek, in: Die Zeit, 28.9.1984, S. 48. 219 Dies zeigt sich in Babel besonders in der einen Passage, in der die Autorinnenstimme zur Mutterstimme wird, die über ihren Sohn lamentiert, der ihr das Schreiben nicht gönnt. 220 Elfriede Jelinek: Macht nichts. Eine kleine Trilogie des Todes, Reinbek bei Hamburg 1999, S. 90.

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fiktive Figur vor.221 Diese beredte Form des Verschwindens zeigt sich in seiner unheimlichen Bewegung auf besondere Weise in Jelineks Annahme des Nobelpreises. Indem sie statt ihrer Person eine Videoaufnahme von sich nach Stockholm schickt, entzieht sie sich in einem sich gleichsam verdoppelnden Gestus der Szene.222 Zu beobachten ist, dass die Autorin im Zuge ihres Rückzugs aus der medialen Öffentlichkeit wieder vermehrt in ihren Texten auftaucht,223 dies jedoch folgerichtig als medial inszenierte Autorinnenfigur. Insbesondere in Das Sportstück wird diese Kippfigur einer Autorin exzessiv erprobt;224 hier lässt sich DIE FRAU als Autorin beschimpfen, gleichsam tritt ELFIE

221 Wie sich beispielsweise und höchst eindrucksvoll in ihrem Interview mit André Müller zeigt, vgl. André Müller: Ich bin die Liebesmüllabfuhr. Der Journalist und Autor im Gespräch mit der Schriftstellerin über den Nobelpreis, das Kaffeehaus als Körperverletzung und andere Kränkungen, in: Brigitte Landes (Hg.): Stets das Ihre – Elfriede Jelinek. Arbeitsbuch 2006, S. 21-28, S. 22. Hier fallen Sätze wie: „Das Schreiben war mein Rettungsboot, aber befreit hat es mich nicht.“ Es drängt sich die Serialität der Aussagen auf. Das Leid der Tochter Elfriede Jelinek, das sie durch ihre Mutter erfahren hat ist insbesondere seit der Veröffentlichung Die Klavierspielerin Thema der feuilletonistischen Rezeption gewesen, und die genannten Zitate wurden so häufig formuliert, zitiert und rezitiert, dass ihr authentischer Inhalt kaum noch Gegenstand des Interesses sein kann. Vielmehr fällt eben ihre Inszeniertheit ins Auge. Zu Jelineks widersprüchlichem ‚Verhalten‘ in Interviews und Gesprächen bzw. zu ihrer Selbstinszenierung in diesen vgl. Ursula Geitner: „The real thing“. Selbst, Leben, Schreiben bei Elfriede Jelinek, in: Jörg Dünne/Christian Moser (Hg.): Automedialität. Subjektkonstitution in Schrift, Bild und neuen Medien, Paderborn 2008, S. 99- 127, hier S. 117. 222 Wie der Titel ihrer Rede schon den utopischen Gestus ihres Sprechens Im Abseits verortet. Zu dem ambivalenten Phänomen des Verschwindens der empirischen Autorin bei einer gleichzeitigen „Ikonisierung der Jelinek“ vgl. auch Peter Clar: „Was bleibt ist fort“ – Die Autorinnenfigur in Elfriede Jelineks Dramen, http://jelinetz.com/2009/10/01/peter-clarwas-bleibt-ist-fort-die-autorinnenfigur-in-elfriede-jelineks-dramen/, letzter Zugriff 19.05. 2017. Zur Nobelpreisrede und ihrem anspielungsreichen Titel vgl. insbesondere: Konstanze Fliedl: Im Abseits. Elfriede Jelineks Nobelpreisrede, in: Françoise Rétif/Johann Sonnleitner (Hg.): Elfriede Jelinek. Sprache, Geschlecht und Herrschaft, Würzburg 2008, S. 19-31. 223 Vgl. hierzu Aeberhard 2012, S. 41. 224 Aeberhard versteht Jelineks Einschreiben ihrer Person als Autorin von Ein Sportstück in den Text als Reaktion auf Frank Castorfs Inszenierung von Jelineks Stück Raststätte oder Sie machens alle von 1995 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg sieht, in der eine lebensgroße als Elfriede Jelinek kenntlich gemachte Sexpuppe auf der Bühne ihren Auftritt erhält. Aeberhard deutet Castorfs Regie hier zutreffend als eine Anspielung auf die autobiographische Rezeption von Jelineks Werk und nicht auf die empirische Autorin. Vgl. Aeberhard 2012, S. 39. Zur Wiedereinführung der Autorin als Fiktion von Autorschaf

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ELEKTRA auf und erhält in den Regieanweisungen die Autorisierung, die Figur DIE AUTORIN zu vertreten.225 Indem die Autorinnenrede als Kunstfigur deutlich wird, wird auch die Metaebene, auf der sie zu agieren scheint, als inszenierte deutlich.226 Hier ist kein Alter Ego Jelineks subtil in den Text verwoben, das uns quasi unter der Hand, und eine Ebene über den Figuren, ihre eigentlichen Ansichten verraten würde. Aeberhard spricht vielmehr treffend von der „Marke Jelinek“, einer „Diskursfiguration aus der Rezeption ihrer Werke“, die jede Form von Authentizität und Autorität von Autorschaft untergräbt: „Die psychologischen Diagnosen wandern aus der Deutung der vermeintlichen Autobiographie heraus und in die Texte selbst wieder hinein. Der kategoriale Fehlschluss vom Werk auf die psychische Disposition der Autorin wird durch eine auktoriale Verwechslung der Kategorien überboten, die zum Effekt hat, dass die Autorin als Persona in ihrem Werk auftaucht.“227 Der Auftritt der Autorin fungiert insofern als „Intervention gegen den Überbietungsgestus mythischer Logiken“228, indem sie diesen an der Fiktion ihrer eigenen Person ansichtig werden lässt. Wie in Ein Sportstück, zielt auch in Bambiland die Inszenierung der Autorinnenrede darauf ab, „den Ausgriff des Mythos auf eine vordiskursive und deswegen ‚natürliche‘ Sphäre“229 zu korrigieren. Wenn es im Kontext von Öl-Förderung plötzlich heißt: „[…] warum fördert dann niemand mich? Bin ich es nicht wert? Nein, ich bin es nicht wert. Ich hab ja nicht einmal ein Auto.“ (B 35) oder an anderer Stelle im Kontext einer auf die Perser anspielenden Szene von dem „Weibsvolk“, das sich in der Klage die Kleider zerreißt:230 „Ich täte meine Kleider auch nicht zerreißen, wenn ich sie wäre. Meine Kleider sind mir alles. Meine Kleider sind mein Alles. Bitte, wem andren kann sein Kind alles sein, doch ich habe kein Kind. Habe nur meine Kleider.“ (B 36-37)231, so spiegelt dies Bilder wider, „welche

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in Ein Sportstück vgl. auch Georg Stanitzek: Elfriede Jelinek: Fiktion und Adresse, in: Text+Kritik 2: Elfriede Jelinek, hrsg. von Arnold, Heinz Ludwig, (1999), H. 117, S. 8-16. So heißt es zu ihrem das Stück abschließenden Monolog: Die Autorin tritt hinkend und desolat wieder auf. Sie kann sich auch von Elfie Elektra vertreten lassen. (ES 184) Zum Phänomen der Enthierarchisierung der Stimmen in Babel, das über die Autorinnenfiktion besonders deutlich wird, vgl. auch Bloch 2011, S. 237 ff. Aeberhard 2012, S. 39. Aeberhard 2012, S. 42. So Aeberhard in Bezug auf Ein Sportstück. Aeberhard 2012, S. 43. Interessant sind hier auch Bierls Darlegungen zu der in den Perser[n] inszenierten Verweiblichung der Perser durch ihre überbordende Klage in Die Perser, die traditionell eine typisch weibliche Kategorie darstellt und „den Männern nicht zuträglich und für die Polis nicht tolerierbar“ ist. Vgl. Bierl 2007, S. 55. An späterer Stelle wird das Modemotiv noch einmal aufgenommen und in einen gänzlich absurden Kontext gestellt: „Und wie weit haben mich diese sorgfältigen Berichte gebracht? Nicht weit. Ich bin bescheiden. Mein Ziel ist der Sturz der Regierung und eine

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sich die Publizistik im Rückschluss auf trivialmythische und populärpsychologische Stereotypen der Autorin macht“.232 Jelineks Kinderlosigkeit und ihr Mode-Bewusstsein sind immer wieder Thema in der öffentlichen Rezeption ihrer Person gewesen.233 Beide Topoi evidenzlogisch zu verschalten, ist dabei ein klassisches Beispiel für den Mythos einerseits von der Natürlichkeit der Mutterrolle für die Frau und dementsprechend die Unnatürlichkeit und Unweiblichkeit der Autorin, andererseits für den Mythos, modisches Interesse sei ein typisch weibliches Phänomen (wiederum populärpsychologisch als Sublimation für die Kinderlosigkeit gedeutet).234 Auf die Schreibszene in Bambiland abhebend, die Jelinek, wie oben bereits gesagt, vor dem Fernseher verortet, gibt die Autorinnenstimme scheinbar ihre Quellen preis: „[…] wie heißt er, wie heißt er, ich geh sofort zum Fernseher, damit ich erfahre, wie der Hafen heißt […].“ (B 67) Hier greift der Text den häufig an die Autorin gerichteten Vorwurf auf, sie würde die Welt nur aus dem Fernseher kennen.235 Über die Etablierung der Schreibszene wird dem Rezipienten der Eindruck vermittelt, er würde der empirischen Autorin beim Schreiben über die Schulter gucken. Dieser scheinbare Einblick in den Schreibprozess des Textes zeitigt jedoch kein gefülltes Zentrum der Rede, vielmehr ist er Ausdruck des Versteckspiels, das Jelinek hier an ihrer Person vorführt, und das jegliche Konzeption von Originalität in unter-

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Neuordnung von jedem, der da neu geordnet werden will. O je. Da meldet sich gleich mein Kleiderschrank zu Wort, der sonst nie was sagt, wird jetzt die UNO in diese Neuordnung eingebunden werden oder nicht?“ (B 64-65) Aeberhard 2012, S. 40. Jelineks Essay Mode lässt sich insofern auch als ironischer Kommentar verstehen auf die vielfache Besprechung ihres modischen Bewusstseins. Elfriede Jelinek: Mode, in: Süddeutsche Zeitung, 24.3.2000. Peter Clar beobachtet richtig, dass „[k]aum ein Artikel über Jelinek [erscheint], der ohne den Hinweis auf Jelineks Frisur, ihr Gewand oder ihre Schminke auskommt und mit den entsprechenden Fotos illustriert wird.“ Peter Clar: Selbstpräsentation, in: Janke 2013, S. 21-26, hier S. 24. Zum Verhältnis von Mode und Tod in Jelineks Stück Jackie vgl. Uwe Wirth: Lob der oberfläche! Der Tod und die Mode in Elfriede Jelineks „Jackie“, in: Eder 2010, S. 71-85. Marlies Janz erläutert diesen Zusammenhang ausführlich für die Autorinnenfigur in Ein Sportstück. Vgl. Marlies Janz: Mütter, Amazonen und Elfi Elektra. Zur Selbstinszenierung der Autorin in Elfriede Jelineks Sportstück, in: Bettina Gruber/Heinz-Peter Preußer (Hg.): Weiblichkeit als politisches Programm? Sexualität, Macht und Mythos, Würzburg 2005, S. 87-96. Besonders prominent von Iris Radisch im Zusammenhang der Nobelpreisverleihung vorgebracht. Vgl. Iris Radisch: Die Heilige der Schlachthöfe, in: DIE ZEIT, 14.10.2004.

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schiedlichen Masken eines öffentlichen, von außen her kommenden Bildes bzw. Mythos ihrer Person aufgehen lässt.236 Das einige Seiten später vehement behauptete „Immer spreche ich selbst. Hier spreche ich. Sprechen Sie doch woanders!“ (B 72) weist insofern auf das Gegenteil dieser Aussage hin, nämlich, dass es nicht wirklich ein ‚Ich‘ ist, das hier spricht. In Jelineks Roman Gier spricht ganz ähnlich, ebenfalls in Ich-Form, eine Autorin im Text: „Ruhe. Jetzt spreche ICH. Und ich spreche als Frau. Ich möchte auch einmal etwas sagen dürfen, wenn ich schon die ganze Zeit schreiben muß, denn das Sagen des Unsagbaren gehört dazu.“237 Die Autorschaftsthematik wird hier in ihrer Anbindung an die Frage nach weiblicher Autorschaft evident.238 Ihre Position gegenüber Ansätzen, die ein ‚weibliches Schreiben‘ als unmittelbare und authentische Ausdrucksform propagieren, macht Jelinek schon 1977 in ihrem Essay Eine Versammlung anlässlich des Frauen-Kongresses Die kritischen Tage der Frau in Berlin deutlich. Die „pathetisch-komische“ Eröffnungspassage des Essays stellt dabei ein eher „fragwürdiges Versprechen“239 dar: „Ich werde jetzt immer ICH sagen, wenn ich ICH meine. Auf der Versammlung hat man mir gesagt, das soll gut und ehrlich sein.“240 In den ersten Sätzen des Essays parodiert Jelinek hier schon das ICH als Ausdruck eines inneren (weiblichen) Selbst.241 Die Zuordnung weiblicher Produktivität als „organische, non-mediale“242 wird parodierend in Zweifel gezogen. Der emphatische Verweis auf die Authentizität und Unmittelbarkeit des Sprechens ist (spätestens seit den 1970er-Jahren) in Jelineks Texten stets als Hinweis auf sein Gegenteil zu verstehen, auf die mediale Geprägtheit und deren Ausblendung. Die Autorin als ultimative Botenfigur kann in Bambiland nicht für das Gesagte bürgen, da es auch ihrer Performance, wie den anderen Stimmen im Text an Performanz mangelt. An ihr wird der Kunstcharakter jeder vordiskursiven Subjektivität auf besondere Weise deutlich, da der Rezipient hier vermeintlich eine Stimme aus dem Jenseits der Fiktion des Textes vernimmt, diese ihm dann jedoch umso schmerzlicher in ihrer Inszeniertheit aufstößt. Entscheidend für den Kontext des 236 Aeberhard schreibt hierzu: „Dass diese Demaskierung ausgerechnet als Maskenspiel stattfindet, markiert die besondere Pointe von Jelineks dekonstruktiver Mythenkorrektur, den ‚Jelinek-Effekt‘ […].“ Aeberhard 2012, S. 40. 237 Elfriede Jelinek: Gier, Reinbek bei Hamburg 2000, S. 137f. Die Passage korrespondiert mit Elfie Elektras Monolog-Eröffnung mit „Endlich Ruhe.“ (ES 8) 238 Vgl. Geitner 2008 zur Frage nach Autorschaft unter Berücksichtigung insbesondere der Frage nach weiblicher Autorschaft. 239 Geitner 2008, S. 99. 240 Elfriede Jelinek: Eine Versammlung, in: Die Schwarze Botin 2 (1977), S. 30-31, hier S. 30. 241 Wie in ihren Theaterstücken markiert sie ihre eigene Rede hier schon als eine aus dem Off kommende. 242 Geitner 2008, S. 127.

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Unheimlichen ist dabei die fragliche Belebtheit, die in der Opposition der empirischen Autorin und ihrer medialen Abkömmlinge im Text eklatant hervortritt; die Autorin ist nicht nur ultimative Botin des Textes, sie ist auch die ultimative Untote, die postsubjektiv als Nachlebende und Zitat ihrer selbst ihre eigenen Texte durchkreuzt.243 Dabei wird über die Inszenierung der Autorin aus der Rezeption ihrer Rezeption heraus die exzentrische Position des Menschen per se deutlich, gleichzeitig auf seine Medialität zugespitzt.244 Gilt dies für die Autorin Elfriede Jelinek aufgrund ihres Bekanntheitsgrades in besonderem Maße, geht es hier auch darum, die Theatralität des Alltags, die Inszeniertheit und die menschliche Kondition der „vermittelten Unmittelbarkeit“245 vorzuführen. Wie Aeberhard treffend festhält, bringt Jelinek „[d]en dramatischen Monolog […] um seine produktive zweite Phase, in welcher das Sprechersubjekt Einsicht in seine eigene Spaltung gewinnt und sich genau dadurch (als Einheit der Differenz zwischen ausgesagtem und aussagendem Subjekt) autonomisiert“.246 Die Figuren Jelineks bleiben ausgesagte Subjekte; das Sprechen der Autorinnenfiktion kommt von außen, ist als ein Sprechen über sie markiert, wodurch ihr Selbst als „bloße Fremdreferenz“247 deutlich wird. Damit lässt der Text jedoch keinesfalls ein Urteil über die Richtigkeit des Ausgesagten oder der Aussagenden verlauten, sondern bleibt dem oben vorangestellten paradoxen Motto „Es ist alles wahr, was sie sehen, aber es ist nicht richtig.“ (B 82)

243 Evelyn Annuß stellte während des Kongresses Epistemologien des Untoten in Berlin (8.-9. Juni 2012), die Frage in den Raum, ob Jelineks untote Figuren als Reaktionen auf die diversen Post-Feststellungen unserer Zeit gelesen werden können. Annuß stellt also einen Zusammenhang her zwischen den diversen Feststellungen vom Ende der Moderne beispielsweise, aber auch des Theater oder der Geschichte und dem Selbstempfinden des Menschens als Zitat und untot. Da das postdramatische Theater das Dramatische nur noch im Zitat verwenden kann, nimmt es dem Drama auf gewisse Weise ‚sein Leben‘. Heide Helwig spricht von der Unausweichlichkeit des Zitats, „genauer gesagt: unausweichlich ist das Bewusstsein um die Unausweichlichkeit des Zitats, ein Befund, der spielerisch, resignativ oder geradezu als Symptom eines Zeitalters der Post-Originalität gefasst werden kann.“ Helwig 1994, S. 391. 244 Helmuth Plessner leitet aus der exzentrischen Position des Menschen nicht nur seine „natürliche Künstlichkeit“, und seinen im wörtlichen Sinne u-topischen Standort ab, sondern auch seine „vermittelte Unmittelbarkeit“. Alle drei Aspekte – oder anthropologische Gesetze, wie Plessner es nennt – siedeln den Menschen im Unheimlichen an. Die grundlegende Notwendigkeit des Menschen zur Medialität begründet seine Heimatlosigkeit, seine Unheimlichkeit. Vgl. Ernst Oldemeyer: Leben & Technik. Lebensphilosophische Positionen von Nietzsche zu Plessner, München 2007, S. 121 und 128. 245 Oldemeyer 2007, S. 128. 246 Vgl. Aeberhard 2012, S. 436. Diese Autonomisierung käme mit Plessner gesprochen dem Bewusstsein über die eigene Aufspaltung in ein Innen- und ein Außenfeld gleich. 247 Geitner 2008, S. 111.

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verhaftet, und verortet die Konstitution der Autorinnenfigur im Medialen. Als Rede der medial inszenierten Autorin Elfriede Jelinek markiert, wird diese ja keineswegs falsch. Sie wird zwar als eine von außen an sie herangetragene deutlich, wodurch sie weder unmittelbar noch innerlich ist, ob die Inszenierung der Autorin jedoch nicht trotzdem das Innere ihrer Person trifft, bleibt letztlich unentscheidbar. Im Text geht es eben darum, diese Unmöglichkeit einer eindeutigen Zuordnung der Rede als Flüssig-Werden von Sinn hervorzukehren. Für das Unheimliche ist die Inszenierung der medial inszenierten Autorin in den Texten Jelineks insofern von großer Relevanz, als darin nicht nur die Medialität und somit Effekthaftigkeit der Autorinnenfigur besonders deutlich wird; darüber hinaus schreibt Jelinek die Ohnmachtserfahrung in die Urheberschaft ein. Sybille Krämer hält fest, dass die „Vorstellung von Urheberschaft […] nirgendwo selbstverständlicher [scheint], als im Verhältnis von Künstler und Werk“. Sie deutet die Performance-Künste als kritische Herausforderung, als ein skeptischer Kommentar zur Handlungsmacht des Künstlers […]. Mit der Säkularisierung wanderte die Idee des handwerklich versierten Schöpfergottes (Demiurg) ein in das Selbstbild des menschlichen Subjekts; und hat dann die neuzeitliche Künstlerfigur – changierend zwischen Ingenieur und Genie – als Inkarnation von Autorschaft und Gestaltungsmacht affiziert.248

Über die ausgewiesene Künstlichkeit und innere Leere bzw. Hohlheit der Autorinnenfigur als letztes Residuum von Authentizität, von der der Rezipient hofft, nun endlich authentische Inhalte vermittelt zu bekommen, nicht zuletzt die Wahrheit über den Text, wird das Unheimliche des Medialen besonders deutlich. Das Scheitern der Performanz in der Performance tritt im Kontext der Autorschaftsthematik eklatant ins Auge, da die Autorin als Verfasserin des Textes, der sie letztlich demontiert und zur medialen Kunstfigur degradiert, dem Rezipienten vor Augen ist. Als medialer Effekt auch ihrer Texte verunmöglicht die Autorinnenfigur ihre Urheberschaft. Allzu eindeutige Kunstfiguren könnten diesen Effekt nicht zeitigen. Indem das (belebte) Original als Horizont (noch) vorhanden ist, so wie die Medienfigur Elfriede Jelinek auf die empirische Autorin verweist, wird diese Inszenierung unheimlich und arbeitet gegen die Ausblendung des Medialen an.

248 Sybille Krämer: Performanz – Aisthesis. Überlegungen zu einer aisthetischen Akzentuierung im Performanzkonzept, in: Arno Böhler/Susanne Valerie (Hg.): Ereignis Denken. Theatralität – Performanz – Ereignis, Wien 2009, S. 131-155, hier S. 139.

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3.6 Die Verkehrung der Belebtheitsverhältnisse im Medium Ist bis hierhin deutlich geworden, dass Bambiland die Eigenschaft des Mediums in den Vordergrund stellt, Effekte zu produzieren – mehr denn Inhalte zu vermitteln –, so betont der Text des Weiteren die technische Beschaffenheit des Mediums Fernsehen bzw. der Kamera. Dies ist insofern für das Unheimliche relevant, als der Text ein stetes Ineinandergreifen von Technik und Mensch inszeniert. Die bereits erwähnte Rede von dem merkwürdig veralteten Begriff des „Fernsehgerät[s]“ [Hervorhebung E.G.] als „praktisches Zusatzgerät zu all diesen Bomben“ (B 82) betont nicht nur die außerordentliche Relevanz der ‚Realitätsmaschine‘ Fernsehen in Zeiten postmoderner Kriegführung, sondern weist ebenfalls darauf hin, dass das, was den Realitätseffekt herstellt und dem Menschen scheinbar einen Eindruck von der Welt in der Ferne vermittelt, ein Gerät, eine unbelebte Maschine ist. Der Impetus des Textes liegt dabei darin, darauf aufmerksam zu machen, dass der Blick des Fernsehzuschauers ein uneingeschränkt technischer ist. Jedem Sehen in Bambiland ist stets der Fernseher bzw. die Kamera vorgeschaltet; jenseits dessen gibt es nichts zu sehen: Niemand hat so etwas Schreckliches je gesehen, deswegen sehe auch ich es jetzt nicht, und niemand andrer wird es auch nicht sehen und aus. Doch nein, halt! Eine ist da! Gleichwohl tuts not, ganz enthüllen, was uns und sie traf: die Presse! Ganz zugrunde geht der Barbaren Heer, und die Kamera erfasst es. Wir fassen es nicht, doch die Kamera fasst es. Sie erfasst es sogar schneller als wir, was da geschieht. (B 42-43).

Bambiland verweist hier auf das Medium Kamera als technische Erweiterung des menschlichen Sehorgans. Die Kamera fungiert als Verlängerung und gleichzeitige Ersetzung des Auges, insbesondere um räumliche und zeitliche Abstände zu überbrücken. Sie sieht, was für den Menschen ohne mediale Erweiterung nicht sichtbar ist: „Die Straßen der Fremden, nur das Kameraauge, das unbestechliche, sieht sie.“ (B 46-47) Die Suggestion einer neutralen Übermittlung durch die Kamera wird dabei über ihre ironisch konnotierte Attribuierung als „unbestechlich[]“ parodiert. Jelinek spielt hier auf die unbewusste Ineinssetzung von menschlichem Auge und Kamera an, das Spiel mit der Mehrdeutigkeit von ‚erfassen‘ im Sinne von aufnehmen/abbilden und ‚nicht fassen können‘ im Sinne von nicht begreifen, nicht verarbeiten können, verdeutlicht dabei die Diskrepanz zwischen menschlicher und technischer Wahrnehmung. Um das Fernsehen als postmoderne Kriegswaffe einsetzen zu können, bedarf es der Unterschlagung der Medialität; der Zuschauer muss den technischen Blick der Kamera als seinen eigenen verkennen. Kati Röttger und Alexander Jackob machen darauf aufmerksam, dass es schließlich nicht die Bilder selbst sind, die die Wirk-

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lichkeit verstellen, sondern „die (unsichtbaren) Mechanismen ihrer medialen Vermittlung.“249 Im wortwörtlichen (Miss)verständnis von fernsehen inszeniert Bambiland dieses ‚verstellte‘ Sehen: „[…] die Augen haben derweil ferngeschaut, ich meine, sie haben in die Ferne gesehen.“ (B 84) Die naive Gleichsetzung von ‚fernschauen‘ und ‚in die Ferne sehen‘ weist auf ihre eigentliche Diskrepanz hin. Der Satz lässt auch dadurch aufmerken, dass die gewohnte Wendung von ‚fernsehen‘ und ‚in die Ferne‘ schauen vertauscht wird. Die Formulierung, dass die Augen ferngeschaut haben, fragmentiert des Weiteren den menschlichen Körper, lässt die Augen als quasi loslösbare Teile erscheinen, die durch die Maschine ersetzt bzw. mit ihrer Hilfe in Lichtgeschwindigkeit auf die Reise geschickt werden können. Hier spielt der Text auf die unheimliche Eigenschaft des Fernsehgeräts an, den Menschen quasi entkörperlicht auf beliebige Reisen in Zeit und Raum zu schicken; wie gesagt jedoch nur unter der Prämisse sich mit der Maschine (Fernsehen) derart zu verbinden, dass deren Einfluss als medial-maschineller Rückkoppelungseffekt auf das Organische unabsehbar wird. Die Entkoppelung der Augen vom fernsehenden Zuschauer findet an anderer Stelle eine verkehrte Korrespondenz wenn diese als Augen der Nacht die Kamera ersetzen bzw. unterschlagen. Dabei wird die Nacht zur aktiven Größe: „Die Nacht betrachtet sie, ausnahmsweise mit hellen Augen, sonst sind sie dunkel. Die Nacht sieht, ob Sie das Kind mitgenommen haben und wohin.“ (B 55) Der Text spielt hier auf die Kamera mit ihrer Nachtsichtfunktion an, wie sie zahllos und effekthaschend in der Berichterstattung über den Irakkrieg zum Einsatz kam. Das Vergessen (und Vergessenmachen) des Mediums wird in der verkehrten Attribuierung inszeniert und ansichtig. Die Nacht kann weder sehen noch betrachten, es ist der Kameramann und mit ihm der Zuschauer, der in der Nacht sehen kann. Medusenhaft kehrt sich der Blick des Fernsehers um, unklar wird nicht nur, wer hier wen anschaut, damit einher geht eine Umkehrung der Aktivitäts- und Passivitätsattribuierung, die in ihrer Labilisierung der Belebtheitsverhältnisse unheimlich ist.250 Diese Umkehrung und Pervertierung der Verhältnisse ist dabei als Folge eines derart naiven Umgangs mit Medien zu verstehen, wie ihn Marshall McLuhan dem „technischen Dummkopf“ attestiert, der die Bedeutung des Mediums zugunsten seines Inhalts vernach-

249 Kati Röttger/Alexander Jackob: Wem gehören die Bilder? Bildpolitik und Medienkritik im Theater: eine Frage der Gewalten-Teilung, in: Forum Modernes Theater, Bd. 22/1 (2007), Tübingen, S. 47-60, hier S. 49. 250 Das Unheimliche des Blicks der Medusa ist letztlich in der Verkehrung der Belebt– heitsverhältnisse im Sinne von Aktivität/Passivität des Blickenden und des Angeblickten zu verorten.

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lässigt;251 den Rückkoppelungseffekt der Maschine auf den Menschen also unterschlägt. In einer Kultur wie der unseren, die es schon lange gewohnt ist, alle Dinge, um sie unter Kontrolle zu bekommen, aufzusplittern und zu teilen, wirkt es fast schockartig, wenn man daran erinnert wird, daß in seiner Funktion und praktischen Anwendung das Medium die Botschaft ist. Das soll nur heißen, daß die persönlichen und sozialen Auswirkungen jedes Mediums – das heißt jeder Ausweitung unserer eigenen Person – sich aus dem neuen Maßstab ergeben, der durch jede Ausweitung unserer eigenen Person oder durch jede neue Technik eingeführt wird.252

Bambiland liegt inhaltlich das McLuhansche Diktum „The Medium is the message“253 zugrunde, was Jelinek in Bezug auf Babel formuliert, wenn sie sagt, dass „dieser Krieg die Berichterstattung über ihn IST“ und wir „etwas anderes über ihn nicht wissen“.254 Ist der Irakkrieg auf das Unheimlichste zum Effekt seiner Berichterstattung geworden, so zeitigt diese Auswirkung des Mediums ihre Wirkung im Text. Während die Klage um die Toten im Zentrum von Aischylos’ Die Perser steht,255 tritt diese in Bambiland nur mehr als Zitat ihrer selbst auf. Indem das Zitat der Klage jedoch weder versucht Empathie zu zeitigen, noch dies vermöchte, macht es gerade auf ihr Fehlen (im medialen Diskurs um den Irakkrieg) aufmerksam.256 251 Marschall McLuhan: Die magischen Kanäle – Understanding Media, Düsseldorf/Wien 1992, S. 29. 252 Ebd., S. 17. 253 Vgl. unter anderem sein Kapitel Das Medium ist die Botschaft in: McLuhan 1992, S. 1734. 254 Peter Schneeberger: „Es geht um Medien, Pornographie und Krieg“. Elfriede Jelinek über ‚Babel‘, in: profil, 7.3.2005, zitiert nach Programmheft des Wiener Burgtheaters zu Elfriede Jelineks Babel, 2005. 255 Vgl. zur zentralen Rolle der Klage in der Tragödie neben Bierls Ausführungen (Bierl 2007) Karl-Heinz Bohrer: Das Tragische. Erscheinung, Pathos, Klage, München 2009. 256 Ähnlich beobachtet Juliane Vogel, dass Jelineks Interesse am Mythos der Atriden (vornehmlich der Elektra-Figur) im Kontext von Ein Sportstück ein „Erlöschen“ voraussetze, „wenn nicht des Mythos, so doch des Interesses, der Aufmerksamkeit und der Empfindlichkeit. […] Jelinek korrigiert nichts, sie vergißt aber auch nichts. Vielmehr konfrontiert sie sich der Langeweile und der Gereiztheit, die ein Mythos hervorruft, der immer noch da ist und nicht verschwinden will, – sowie ihre Arbeit ganz im allgemeinen jenen Phänomenen und Figuren gilt, die nicht verschwinden können.“ Vgl. Juliane Vogel: Elektra vor dem Palast. Elfriede Jelinek und die Atriden, in: Martin Vöhler/Bernd Seidensticker (Hg.): Mythenkorrekturen. Zu einer paradoxalen Form der Mythenrezeption, Berlin/New York 2005, S. 437-448, hier S. 447.

232 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN Voll sind von Leichen schlimmen Tods Gestorbener die Städte, o weh, umherirrende Leiber, zum Teil auf der Flucht, zum Teil schon abgeschossen und tot. Und da schießt der auch noch einen Flugkörper ab! Als gäbe es nicht schon genug Tote, also wirklich! (B 44)

Der Klageruf ‚o weh‘ als Zitat aus Die Perser wirkt in Bambiland deplatziert und inszeniert. Die Gleichsetzung der menschlichen (belebten) Körper mit dem ‚Flugkörper‘ einer Rakete und der Umstand, dass die Trauer um diese auf ein und derselben Stufe angesiedelt wird, weist überdeutlich auf das fehlende Bewusstsein um den Tod und die Toten in der medialen Darstellung (des Irakkrieges) hin. Im zugespitzten Vergleich mit Die Perser wird nicht nur der Tod als das nicht Sag- oder Fassbare deutlich, der sich als das ‚Ereignishafte‘, wie Derrida es ausdrückt, der Darstellung entzieht; darüber hinaus wird die Pervertierung und Verkehrung der Rezeption als Konsequenz der Medialität ansichtig. In der Medialität der Darstellung des Nichtdarstellbaren geht die Eigentlichkeit der Empfindung verloren, wie der Text schon im Zusammenhang mit der EchoMetapher für die Medien formulierte. „Nun werfen wir das alles in den Abgrund tiefer Betrübnis. Dort liegt es gut. Dort liegt es gut. Da fehlt mir was. Ich weiß nicht was. Aber irgendwas fehlt mir.“ (B 52) Folgerichtig treten die Toten des Krieges im obigen Zitat als Untote auf, als ‚umherirrende Leiber, zum Teil auf der Flucht, zum Teil schon abgeschossen und tot‘, die Rakete hingegen wird als Flugkörper vermenschlicht.257 So schreibt der Text dem Medium (an erster Stelle dem technischen Medium Fernsehen) einen verkehrenden Effekt in Bezug auf die Belebtheitsverhältnisse zu. Dabei geht es selbstredend nicht so sehr um die Belebtheitsverhältnisse im wortwörtlichen Sinne, sondern vielmehr um die Wertvorstellungen gegenüber dem Leben (im Vergleich zur Technik), wie auch um die Verkehrung von Aktivitäts- und Passivitätsattribuierung als Folge des technischen Mediums. Im Zentrum steht die Frage danach, inwiefern der Mensch zunehmend nicht mehr als Akteur der Szene erscheint, nicht mehr Bediener der Maschine Kamera oder Fernsehgerät ist, sondern vielmehr als sein Objekt in Erscheinung tritt. Bambiland verdeutlicht dies, indem das Funktionieren von Darstellung im Text selbst scheitert und als Effekt von Realität gekennzeichnet wird. Von der Zerfaserung des Botenberichts, als der Bambiland zu verstehen ist, sind wir in der hier vorgeschlagenen Lesart zur Dekonstruktion der (selbstverständlich per se nie als kohärent existenten) Botenfigur gelangt, die in ihrem selbstreflexiven Verweis nichts kündet, bzw. Sinnfälliges kündet, und so, über das Ausbleiben eines Angebots zur Sinnstiftung für den Rezipienten, die Aufmerksamkeit auf die Botenfunktion selbst, auf die Medialität, richtet. Im Gang der Untersuchung – und, so die These, auch in Bambiland – weist die ‚Figur‘ des Boten auf die Wechselwirkungen 257 Zur Vermenschlichung der Rakete vgl. Blödorn 2006, S. 160 und die Ausführungen in Kapitel IV.1.5

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zwischen Medium, medial Vermitteltem und Adressat hin. Dabei fokussiert der Text das Unheimliche dieses Beziehungsgeflechts zum einen, indem er das Ineinandergreifen von Mensch und Technik in der Unterschlagung des Medialen inszeniert und zum anderen die Auswirkungen dessen in einer Labilisierung der Eindeutigkeit von Belebtheitsverhältnissen verortet.

4. I M (O HN -)M ACHTSRAUM VON D ARSTELLUNG . D IE „ GRAUE , GRAUENHAFTE ANWESENHEIT “ (IM) DER M ACHT DES F ERNSEHERS WIRD IM T HEATER ANSICHTIG Ein zentraler Aspekt in der Betrachtung des Medialen liegt in der Frage nach dessen Macht und Ohnmacht begründet. Die Einsicht, dass sich der Irakkrieg als Ereignis dem westlichen Fernsehzuschauer entzieht, bringt die Frage nach den Machtverhältnissen, in denen die Darstellung desselben entsteht, mit sich. Wird die Botenfigur in Bambiland zu großen Teilen in ihrer diskursiven Ohnmacht258 inszeniert, zollt sie gleichsam dem welterzeugenden Charakter des Medialen ihren Tribut. Krämer schreibt, dass Boten „immer auch Teil einer ‚Telekommunikation der Macht‘“ sind, indem sie „Herrschaftsräume sicherstellen.“259 Diese Ambivalenz des Boten, sein Fremdgesteuertsein einerseits und seine Machtkompetenz andererseits macht sich Bambiland zunutze und fächert die unterschiedlichen Positionen im Text auf. Wie in allen Texten Jelineks wird auch in Bambiland und Babel jede Möglichkeit zu einem individuellen und authentischen Sprechen als Scheitern vollzogen. Die Machterschließung der Figuren als Boten funktioniert nicht und wird darüber ansichtig. Einerseits geht es auch in Bambiland darum, „‚die Macht‘ subjektkonstitutiver Protokolle ex negativo zur Darstellung“260 zu bringen, andererseits konzentriert sich der Text insbesondere auf die „graue, grauenhafte Anwesenheit“ der Macht des Mediums Fernsehen, wie sie von Jelinek in ihrem Essay In Medienge-

258 Vgl. Krämer 2008, S. 119. Auch Aeberhard schreibt in diesem Sinne, dass anstelle der Darstellung „(und: als Effekt dieses Verzichts)“ in den Texten Jelineks „Diskurs in Autonomie inszeniert“ wird. Vgl. Aeberhard 2012, S. 389. 259 Hierbei bezieht Krämer sich auf Peter Sloterdijk: Sphären II: Globen, Frankfurt/Main 1999, S. 667. Krämer schreibt weiter: „Das althochdeutsche ‚biotan‘ und mittelhochdeutsche ‚bieten‘, von dem sich ‚Bote‘ ableitet, nehmen bald schon Konnotationen von befehlen, gebieten, verbieten an und kristallisieren sich aus zum ‚Gebot‘ und zum ‚Verbot‘.“ Vgl. Krämer 2008, S. 113. 260 Ebd., S. 390.

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wittern261 gedeutet wird. Die Formulierung bringt das Unheimliche der Macht des Fernsehens in Jelineks Verständnis auf den Punkt. Ihre Anwesenheit hat verheerenden, „grauenhaften“ Charakter, bleibt dabei jedoch unfassbar; als weder schwarz noch weiß bleibt sie im Verborgenen des Grau(en)s. Jelinek hält in ihrem Essay die „Erdherrschaft“ des Fernsehers fest – „Zuhause stellt einem der Fernseher vor, was ist bzw. was der Fernseher dafür hält.“ (IM) – und formuliert ihr performatives Verständnis der Darstellung, wie auch von Macht: Aus dem Fernseher sprechen die vielen Stimmen und Bilder, die die Welt umkreisen, ohne sie je zu verstehen, denn sie umkreisen in Wirklichkeit nur die Macht, der sie dienen, immer, und ihr Zweck ist, dass wir uns mit dieser Macht abfinden, indem man sie uns unaufhörlich, aber nur scheinbar erklärt. (IM)

In dieser Auffassung wird der Fernseher vom „Spiegel der Ereignisse“ zum „Entscheidungsraum“;262 nicht jedoch darüber, ob eine Darstellung wahr oder falsch ist, sondern darüber, ob sie der Macht dient oder nicht.263 Denn, so weiß Peter sagt: „[…] es ist da, das Ereignis, es betrifft einen sogar persönlich […], aber man sieht es nicht, man sieht es nicht mehr.“ (PS 156)264 Das Theater zeigt dabei sein medienkritisches Potential, da es aufgrund seiner „zeitlichen und räumlichen Begrenztheit“ auf besondere Art und Weise dazu geeignet ist, die Macht sichtbar und beobachtbar zu machen:265 Die Macht will sich selbst auf Personen aufteilen. Sie will nicht, daß ein Autor das tut. Dagegen kann sie sich aber nicht wehren. Jetzt spreche ich. Jetzt sage ich, was ich sagen will. Daß ein Theaterstück anfängt und wieder aufhört, ist ja schon subversiv, keine Macht kann je erreichen, dass sie anfängt und wieder aufhört, sie ist immer da, wie der Ewige. Und da zwingt ein Autor sie anzufangen. Einfangen kann man sie nicht, aber man kann sie zwingen anzufangen und aufzuhören. Weil sie einen Anfang hat. Warum muss sie überhaupt anfangen?

261 So Jelinek in ihrem Essay In Mediengewittern. Elfriede Jelinek: In Mediengewittern, 28.04.2003, http://www.elfriedejelinek.com/fblitz.htm, letzter Zugriff 19.05.2017. Im Folgenden IM. 262 So Karl Prümm in seinem Aufsatz mit dem programmatischen Titel: Die Historiographie der ‚neuen Kriege‘ muss Mediengeschichte sein, in: Zeithistorische Forschungen 2 (2005), S. 100-104, hier S. 101. 263 Vgl. zur Performativität des Fernsehens und seiner Bilder im Kontext von Jelineks Theaterstücken: Peter Weibel: Performative Medien. Von der Simulation zum Fake, in: JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek-Forschungszentrum 2011, S. 155-168. 264 Dies wohlgemerkt gesprochen aus der Perspektive eines (un)toten Abu-Ghraib-Hälftlings. 265 Vgl. Karen Jürs-Munby: Der fremde, faszinierende, paradoxe Ort Theater, in: JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek-Forschungszentrum 2011, S. 85-102, hier S. 89.

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Weil wir sie brauchen? Ihr ist jedes Mittel recht, um da sein und sich über uns legen zu dürfen. Aber das Mittel Theater ist ihr gar nicht so recht, in diesem blinden Spiegel will sie sich nicht betrachten. Sie will sich nicht selbst anschauen. Sie will aus dem Fernsehapparat herausschauen und lieber uns betrachten, damit sie sich unserer bemächtigen und uns übermächtigen kann. (IM)

In ihrem Essay formuliert Jelinek die Macht des Fernsehens als darin begründet, sich als Medium vergessen zu machen und damit seine Inhalte als vordiskursive Realität erscheinen zu lassen. Im Theater Jelineks soll nun die Umkehrung dieses Vorgangs erfolgen, indem die diskursive Herstellung dieser angeblich vordiskursiven Essenz – und dass diese Herstellung immer im Kontext von Machtverhältnissen geschieht, setzt der Text als Erkenntnis voraus – beobachtbar gemacht werden soll.266 Indem im Theater gezeigt wird, dass die Macht etwas ‚Gemachtes‘ ist, wird sie untergraben: „Die Macht wird durch das Machen (und das Gemachte) sozusagen ausgehöhlt. […] Als etwas, das man sich nehmen kann, nicht als etwas, das ist. Die Macht herrscht nicht mehr über die ganze Welt, sondern nur noch über einen abgegrenzten Raum, und daher kann man anfangen, mit ihr zu spielen.“ (IM) Dieses Spielen vollzieht Jelinek über die „Nullperformativität“ ihrer Texte, wie Aeberhard herausarbeitet. „Im gerahmten Setting des Theaters lässt sich von der privilegierten Sprecherposition der Bühne aus, vom prominenten Schauraum der Szene aus, besonders explizit darstellen, dass nichts passiert (wo etwas passieren müsste) […].“267 In Bambiland zeigt sich dies beispielsweise in der Folgenlosigkeit und dem leeren Klang der Klage um die Toten, jeder Ausdruck von Emotionen im Text bringt die fehlende Performanz besonders eklatant zum Vorschein. Des Weiteren greift der Text die in dem Essay formulierte Programmatik der Aushöhlung der Macht über das Machen inhaltlich auf und verknüpft sie gen Ende des Textes mit Nietzsches Philosophem vom Willen zur Macht.268 Der Wille und die Macht tauchen dabei in scheinbarer Doppelung aufeinander bezogen auf:

266 Vgl. Aeberhard 2013, S. 394. 267 Ebd., S. 391. 268 Friedrich Nietzsche: Der Wille zur Macht. Versuch einer Umwerthung aller Werthe. Aus dem Nachlaß 1884/88, [Nietzsches Werke: Bd. IX, Taschen Ausgabe], Leipzig 1922. Der Wille zur Macht stellt eine erst Anfang des 20. Jahrhunderts zusammengestellte Kompilation von Nietzsches Aphorismen aus den Jahren 1884 bis 1888 dar. Da dieser Nachlass von Nietzsche selbst nie als abgeschlossenes Werk gedacht war, ist der Der Wille zur Macht nie als Titel vom Autor gedacht gewesen, sondern eher als programmatisches Stichwort. Indem Bambiland wiederholt, wenn auch verklausuliert, den Titel zitiert, referiert Jelinek hier also nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die aneignende Rezeption, die Nietzsches Aphorismen unter dem Schlagwort vom Willen zur Macht zusammenfasste.

236 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN Dann wird das schon unsere Macht geworden sein. Weil wir sie gewollt haben. Einer muß sie ja wollen, da liegt sie am Boden, alle steigen drauf, sie ist schon ganz dreckig geworden, einer muß sie ja wollen, einer muß sie ja nehmen, und dann hat er sie auch schon. Einer hat sie sich genommen. Bravo. Applaus. Weil er sie gewollt hat, hat er sie sich genommen. So hab ich mir das auch vorgestellt mit meinem Willen. Er kann ja immer noch sagen, ich hätte es ihm gesagt, er solle sie sich nehmen, die Macht. Das geht immer. (B 83)

Die Passage spielt auf den notwendigen Zusammenfall von Wille und Macht bei Nietzsche im „sich wirklich vollziehenden Wollen […] [an], das immer schon mit Macht ausgestattet sein muß, um überhaupt als Wollen kenntlich zu werden.“269 Das Futurum Exactum des ersten Satzes weist diesen stets erst in der Nachträglichkeit beobachtbaren Willen im Vollzug der Macht aus. In der scheinbaren Redundanz der Formel, insofern der Wille immer schon eine sich real entfaltende Macht darstellen muss, um ansichtig zu werden, und umgekehrt jedes Machtgeschehen eine Verkörperung des Willens ist, in dieser Redundanz also und Gleichsetzung der Begriffe wird die im Willen zur Macht bezeichnete „Einheit von Innen und Außen anschaulich.“270 Bambiland spaltet nun eben diese Einheit wieder auf – bringt die Darstellung um ihre zweite Ebene, auf der sie als Performance (mit Performanz) nicht lediglich ausgesprochen bliebe, sondern sich vollzöge –, was der Text über das Bild von der am Boden liegenden Macht, dreckig und mit Füßen getreten, bildhaft inszeniert. Der Zusammenhang von Darstellung und der etwas missverständlichen Formel vom Willem zur Macht in Nietzsches Denken bedarf weiterer Erläuterung. Häufig als politisches Schlagwort rezipiert,271 besitzt der Wille zur Macht neben seiner naheliegenden psychologischen Deutung als jedem Handeln und Lebendig-Sein zugrunde liegendes Motiv des Strebens nach Macht, einen „weitreichenden ästhetischkulturellen Anspruch“.272 Indem Nietzsche Wahrheit lediglich als eine „lebensdienliche“273 Fiktion und Funktion des Willens zur Macht versteht, bringt die Formel den Verlust einer objektiv bestehenden und beschreibbaren Welt mit sich: „Das Philosophem des ‚Willens zur Macht‘ bezeichnet jene Relations-Welt des Werdens, von der sich der Perspektivismus und die Interpretativität herleiten und die eine Revidierung und Neubesetzung der überlieferten Erkenntnistheorie unabdingbar ma-

269 Volker Gerhardt: Wille zur Macht, in: Henning Ottmann (Hg.): Nietzsche-Handbuch, Stuttgart 2000, S. 351-355, hier S. 353. 270 Ebd. 271 Ebd., S. 355. 272 Ebd., S. 351. 273 Wolfgang Schiller: Wahrheit, in: Ottmann 2000, S. 350-351, hier S. 350.

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chen.“274 Indem Bambiland die Perspektive der Fernsehkamera absolut setzt, wird diese zum gottgleichen Richter über die Wahrheit: Das Sein ist immer nur ein Grad von Scheinbarkeit, und der Schein kommt aus diesem Fernsehgerät, welches ich ebenfalls erschaffen habe. Es ist ein praktisches Zusatzgerät zu all diesen Bomben. […] Sein und Schein, die beide eins sind auch das habe ich bewirkt, indem ich das Fernsehen erfunden habe, ist aber schon lange her, aber seither ist es doch so, seien wir ehrlich: Sein und Schein ergibt noch nicht Sein. Manchmal ergibt auch der Schein von Nichtsein ein Sein. Realität ist graduell nur Scheinbarkeit, und zwar gemessen an der Stärke des Anteils, den wir dem Schein geben. Aus. Ich habe meinen ganzen Anteil dem Schein gegeben. (B 82-83)

Neben der Anspielung auf das Begriffspaar von Schein und Sein als klassischem Theater-Topos,275 referiert der Text an dieser Stelle auf Nietzsches Erkenntniskritik, die in ihrem radikalen Perspektivismus die Frage nach der Wahrheit auf den Willen zur Macht zurückführt.276 Dabei macht der Text klar, dass mit der Erfindung des Fernsehens die Ununterscheidbarkeit des Oppositionspaares Schein/Sein einhergeht. Die korrespondierende Passage in Nietzsches Der Wille zur Macht lautet: Sein und Schein, psychologisch nachgerechnet, ergiebt kein ‚Sein an sich‘, keine Kriterien für ‚Realität‘, sondern nur für Grade der Scheinbarkeit gemessen an der Stärke des Antheils, den wir einem Schein geben.277

Jelinek münzt Nietzsches Frage nach Realität auf den Fernseher, der in seiner Eigenschaft der perfekten Illusionsbildung Realität performativ herstellt; so wird der Schein des Fernsehgerätes – auch in Anspielung auf den Lichtschein als technische Bedingung des Geräts – zum Sein. Während in Nietzsches Philosophie der Begriff des Scheins insofern eine Aufwertung erfährt als die Welt zwangsläufig aus Scheinbarkeiten bestehe, was sich aus ihrer ausschließlich perspektivischen Wahrnehmung ergibt, setzt Jelinek die Alleinherrschaft des Fernsehgeräts in Szene, weshalb es auch nicht mehr wie in Nietzsches Passage ein Schein heißt, sondern der Schein, nämlich exklusiv der des Fernsehers.

274 Elisabeth Kuhn: Nihilismus, in: Ottmann 2000, S. 293-298, hier S. 293. 275 In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass Nietzsche dem Theater im Kontext der Dualität von Schein und Sein, die ja einen klassischen Theatertopos darstellt, die Funktion zukommen ließ, den Zuschauer von dem Scheincharakter auf der Bühne schließlich auf die Scheinbarkeit der Welt schließen zu lassen. Vgl. Claus Zittel: Irrtum und Schein, in: Ottmann 2000, S. 257-259, hier S. 258. 276 Peter Köster: Religion, in: Ottmann 2000, S. 309-311, hier S. 310. 277 Nietzsche 1922, S. 447.

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In diesem Sinne wird der Bildschirm „zum eigentlichen Bild Gottes“278 und Bambiland überträgt gleichsam Nietzsches Kritik am Christentum, das dieser als eine „phantasievolle Ausgestaltung einer Moral der Schwäche“279 versteht, auf die Mediengesellschaft, die als gläubige „Horde, äh, Herde“ (B 23) im Text erscheint. Im letzten Drittel von Bambiland kündigt eine typographisch vom Rest des Textes abgesetzte Passage in Majuskeln parodierend den Auftritt Gottes an: GOTT WELCHER AUCH IMMER ERSCHEINT IN EINER WOLKE UND SAGT ENDLICH DIE WAHRHEIT DIE WIR SCHON VERMISST HATTEN NA DIE HABEN WIR NOCH GEBRAUCHT! (B 77-78)

Während es fünf Seiten vorher noch hieß: „Dies ist die Wahrheit. Ich schmettere auf sie drauf wie ein Gott, der ich nun gewiß nicht bin.“ (B 72), findet auf den nun folgenden letzten sieben Seiten des Stücks eine Identifikation der Ich-Stimme mit Gott statt: „Ich als Gott“ (B 78); „Ich bin ja nur ein Mensch, der so etwas erfinden kann, ich bin ja nur Mensch geworden, nein, ich bin trotzdem Gott.“ (B 79). Mit dieser Zuschreibung spricht jedoch wieder eine ganze Garnitur an Stimmen als „ewige Wiederkunft“ (B 79) Gottes durcheinander, gleich der Vielstimmigkeit der medialen Bilder. Das, was diese Stimmen zumindest zu großen Teilen thematisch eint und sie als Stimmen Gottes unterstreicht, ist die ab der obigen Passage vorherrschende scheinbar erhabene Perspektive. „[Ich] sehe das von hier oben sehr gut und kann es nur bestätigen.“ (B 78), heißt es nun, und das Ich legt einen unverhohlenen Schöpfer-Gestus an den Tag: „Die sie bedienen sind ja auch noch ganz konventionelle Menschen, nicht wahr. Auch die hab ich gemacht, deshalb weiß ich es so genau.“ (B 81) Neben der Anspielung auf die bereits angeführte Parodie der göttlichen Autorschaftsposition spielt der Text hier – ebenfalls parodierend – auf die gottgleiche Position des Fernsehers an. Es wäre zu viel gesagt, dass der formal nicht klar zuzuordnende Abschnitt vom Erscheinen des die Wahrheit sprechenden Gottes einen eklatanten Wandel im Text mit sich bringe. Jedoch leitet die Passage eine anhaltende Bezugnahme des Textes auf Nietzsches Philosophie ein, die sich auch auf die Aussagen der Ich-Stimmen niederschlägt, deren Schöpfungsgestus als ironisierende Zitation von Nietzsches radikalem Perspektivismus gelesen werden kann. Der Text nimmt hier Nietzsches Gedanken von der Ähnlichkeit zwischen dem Glauben an Gott und dem an Wahrheit auf. In Die fröhliche Wissenschaft geht Nietzsche der Frage nach, was es bedeuten würde, wenn „[…] auch wir Erkennenden von heute, wir Gottlosen und Metaphysiker, auch unser Feuer noch von dem Brande nehmen, den ein jahrtausendealter Glaube entzündet hat, jener Christenglaube, der auch der Glaube Platos war, 278 Lücke 2004a, S. 245. 279 Jörg Salaquarda: Christentum, in: Ottmann 2000, S. 207-212, hier S. 211.

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dass Gott die Wahrheit ist, dass die Wahrheit göttlich ist […].“280 Als eine göttliche erschließt sich die Wahrheit nicht, wie vorderhand angenommen, über den Logos, sondern über den Glauben bzw. wird die Glaubensstruktur des Logos deutlich. Diese Rationalismuskritik greift Jelinek schon weiter vorn im Text mit Derridas Philosophem der Spur281 auf. Als eigentliche Religion unserer Zeit zeigt sich dabei der Glaube an die Medienbilder:282 An unser Haus können sie den Brand legen, aber nicht […] an unseren Fernseher, den behalten wir, unsren Altar, der darf nicht spurlos fort, der ist doch die Spur! Der ist unsre Leuchtspurmunition, damit wir im Dunkeln sehen können. (B 17)

Die Spur bedeutet im Denken Derridas bekanntermaßen gerade nicht die (er)leuchtende Erkenntnis, die uns aus der dunklen Unwissenheit führt, wie der Text hier auf den ersten Blick suggeriert. Im Gegenteil zeigt die Spur in ihrem antiaufklärerischen Gestus die Abwesenheit von Sinn im logozentrischen Verständnis auf. Sie ist nicht als Konkretum oder Zeichen zu verstehen. Als System von Unterschieden (différance), mit dessen Hilfe die sukzessive Bedeutungsproduktion in der Sprache verstanden wird, ist die Spur vielmehr eine Funktion, die auf etwas absolut Abwesendes, nie Gewesenes hinweist.283 So markiert Bambiland über die Bezeich-

280 Friedrich Nietzsche: Fröhliche Wissenschaft, fünftes Buch: Wir Furchtlosen, in: Ders. (Hg.): Werke, Frankfurt/Main 1999, S. 491. [=Nachdruck der zweibändigen Ausgabe der Hanser Bibliothek, 1967, 1981] Zum Zusammenhang von Christentum und Logos vgl. insbesondere Christina von Brauns Aufsatz: Gen und Bit als „Corpus Christi Mysticum“, in dem sie insbesondere die Gentechnologie auf ihre christlichen Ursprünge und Metaphoriken hin untersucht, was im Kontext des Unheimlichen von besonderem Interesse ist, als es hier um die Selbstentwerfung des Menschen geht, in äußerster Konsequenz, wie es von Braun beschreibt, die jungfräuliche (künstliche) Empfängnis, die bereits in konkreter Praxis ausgeführt wird, in der sich Wissenschaft und Christentum auf pervertierte Art und Weise verbinden. Vgl. Christina von Braun: Gen und Bit als „Corpus Christi Mysticum“, in: Die Politik der Maschine, hrsg. von Klaus Peter Dencker im Auftrag der Kulturbehörde Hamburg (Bd. 5. der INTERFACE-Reihe; Redaktion: Ute Hagel), Hamburg 2002, S. 501-511. 281 Zum Begriff der Spur bei Derrida vgl. Jacques Derrida: Die différance, in: Engelmann, Peter (Hg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart, Stuttgart 1999, S. 76-113. Ich beziehe mich hier vornehmlich auf: Jacques Derrida: Freud und der Schauplatz der Schrift, in: Ders.: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt/Main 1976, S. 302-350. 282 Vgl. Bernstorff 2011, S. 164. 283 Vgl. Gisela Brude-Firnau: Die Theorie als Muse. Levinas, Derrida und das Konzept „Spur“ in den Romanen von Klaas Huizing, in: Henk Harbers (Hg.): Postmoderne

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nung des Fernsehers als Spur das Fernsehbild als gleichzeitig anwesend und abwesend und bindet seine Existenz an den Glauben des Zuschauers. Der Absolutheitsgestus dieses Glaubens wird einige Seiten später noch vehementer eingefordert: […] nur wir kennen Gott und haben erkannt, wir wollen ihn nicht, wir Verführer von niemand, wir Verführer des Bildes allein. Wenn wir ins Haus gekommen, dann drehn wir das Bild sofort auf. Das muß funktionieren. Und es funktioniert auch. Sofort. Nie spurlos fort unserer Gottheit Bilder, die wir dort sehn, die nur wir dort sehn auf dem leuchtenden Schirm. So, wir entfernen dieses Volk vom Glauben, geben ihm dafür endlich unser Bild und aus. (B 18-19)

An die Stelle des religiösen Glaubens ist der Fernseher als Fetisch und Ersatzreligion getreten. Auch die Fortführung des Missionsgedankens klingt hier ironisch an; ist es nun nicht mehr der christliche Glaube, der unter den fremden Völkern als Allheilmittel verbreitet werden soll, parodiert der Text den angeblichen Atheismus des Westens als Medienfetischismus, in dem gleichsam die Ratio, verstanden als (auch selbst-)kritische Reflexion, auf dem Altar Fernsehen geopfert wird. Der Suchtcharakter des Bildes (‚Das muß funktionieren.‘) enttarnt das Informationsbedürfnis des Fernsehzuschauers als Voyeurismus, was einen zunehmenden kollektiven Realitätsverlust markiert.284 Das Begehren zu sehen wird in der gegenwärtigen medialen Dauerpräsenz von allen möglichen Bildern als quasi religiöse Praktik gefeiert. Das eingemeindete Wir des Textes ist dabei Verführer und Verführter des Bildes in einem.285 Literatur in deutscher Sprache: Eine Ästhetik des Widerstands?, Amsterdam 2000 [Amsterdamer Beiträge zur neuen Germanistik, Bd. 49], S. 353- 370, hier S. 355ff. 284 Blödorn 2006, S. 156. 285 Darüber hinaus parodiert Bambiland hier die religiösen Anleihen George W. Bushs in seinen Ansprachen zum Irakkrieg. In einer Rede zum Jahrestag von 9/11 machte sich dieser zum Sprachrohr des Propheten Jesaja: „To the captives, ‚come out‘, - and to those in darkness, ‚be free‘.“, was Jelinek hier ob der Größenphantasie Bushs als von Gott Gesandter und seines Sprachrohrs wiederum – des Fernsehers – in seiner Absurdität verdeutlicht. Die korrespondierende Passage bei Jesaja sei hier zitiert, da sie weitere Anleihen in Bambiland verbürgt: „Ich, der Herr, habe dich gerufen in Gerechtigkeit und halte dich bei der Hand und behüte dich und mache dich zum Bund für das Volk, zum Licht der Heiden, daß du die Augen der Blinden öffnen sollst und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker.“ (Jesaja 42, 1) Der Text verdoppelt die Selbstdarstellung Bushs als göttliches Sprachrohr in der Inszenierung des Fernsehers als Altar und Medium, durch den ‚unserer Gottheit Bilder‘ erst ansichtig werden. Interessant ist hier auch wieder der variierte Topos des Mediums, das gleichsam seriell geschaltet wird, indem der Fernseher als Medium der Bilder erscheint, gleichzeitig auf die mediale Selbstinszenierung Bushs als Sprachrohr und Medium des Jesaja

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Der Text ist hier Ideologiekritik und Mythoskritik.286 An die Stelle des religiösen Glaubens setzt Bambiland ironisch den Glauben an das Bild. Der Ideologie wie auch dem Mythos ist eigen, „Dingen eine Klarheit [zu geben], die nicht die der Erklärung ist, sondern die der Feststellung.“287 Eben diese Strategie des Mythos parodiert Jelinek, indem sie sie auf die Spitze treibt und pervertiert, indem sie das Fernsehen als Gottesfiguration auftreten lässt. Auch wenn Jelineks Schreibverfahren der Mythendekonstruktion ein gängiger Topos älterer Forschung ist,288 soll er in diesem Kontext kurz angeführt werden, da Bambiland einerseits selbst auf den Zusammenhang des unschuldigen, sprich mythischen Sprechens referiert und andererseits eine bedeutende Facette der Mythoskritik in der Tilgung des Unheimlichen über das Erhabene liegt. Schließlich zielt Jelineks Verfahren der Mythendekonstruktion darauf ab, die Machtkonstellationen hinter der Darstellung ansichtig werden zu lassen, indem diese als „angeschaute Naivität“289 denunziert wird. In ihrem oben zitierten Essay In Mediengewittern schließt sie also an ihren frühen medienkritischen Essay Die endlose Unschuldigkeit290 an, in dem sie bereits den Machtgestus der Mythosmaschine Fernsehen zu entlarven sucht. In Bambiland nimmt sie direkten Bezug auf den Essay, wenn es heißt: „Große Dinge verlangen, daß man von ihnen schweigt oder groß redet, das heißt: mit Unschuld.“ (B 33) Indem sie auf diesen frühen Essay referiert, gibt Jelinek zunächst einen Hinweis auf ihre eigene Schreibweise der Mythendekonstruktion, die sie in Rekurs auf Roland

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verwiesen wird, der als Prophet wiederum ein Medium Gottes darstellt. Zu den religiösen Anleihen W. Bushs vgl. Dietzsch 2003, S. 125f. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Essays und Aufsätze von Bärbel Lücke zu Bambiland, wie auch Babel zu verweisen, auf die die vorliegende Arbeit wiederholt Bezug nimmt, und die mit unterschiedlicher Gewichtung in einer dekonstruktiven Lesart das mythenkritische Vorgehen der Texte offenlegen. Hanno Balz/Tanja Maier: Konventionen der Sichtbarkeit. Medien, Geschlechterkonventionen und die Ideologie des ‚Krieges gegen den Terror‘, in: Stephan Jaeger/Christer Petersen (Hg.): Zeichen des Krieges in Literatur, Film und den Medien, Bd. 2: Ideologie und Ideologisierung, Kiel 2006, S. 13-34, hier S. 16. Ich verwende in meiner Arbeit den Begriff der Mythendekonstruktion und nicht der Mythendestruktion im Bewusstsein, dass Jelineks Verfahren zwischen beiden schwankt, wie Uta Degner festhält. Janz gebraucht zwar den Begriff der Mythendestruktion, meint letztlich aber die Dekonstruktion im Sinne einer Analyse und Aufdeckung des Mythos. Vgl. Janz 1995, sowie den Handbuchartikel von Uta Degner: Mythendekonstruktion, in: Janke 2013, S. 41-46. Hier S. 45f. Janz beschreibt Jelineks Verfahren der Mythendestruktion als Konstruktion eines ‚künstlichen Mythos‘, der den ideologischen Mythos übertreibt und pervertiert, um ihn mit Barthes gesprochen als „angeschaute Naivität“ zu denunzieren. Vgl. Janz 1995, S. 15. Jelinek 1970.

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Barthes291 darin erstmalig entwickelte. In dem Essay bezieht sich ihre Kritik weitestgehend auf die Trivialmythen im engeren Sinne – also die Massenmedien und die ‚Kulturindustrie‘.292 Der Fernseher als „repressive[...] ‚Vater-Instanz‘“293 spricht im Mythos die Sprache der Macht; mit Roland Barthes versteht Jelinek den Mythos als „entpolitisierende und enthistorisierende Aussage, die Geschichtliches als Natur zu begründen und damit politisch veränderndes Handeln niederzuhalten versucht“.294 Jelineks Mythoskritik liegt mit Barthes formuliert darin, das „Bild einer unbeweglichen Menschheit“ zu zerstören, „die durch eine unendlich wiederholte Identität definiert wird“.295 In Bambiland schließt sie an diesen Fokus an und verortet die Berichterstattung über den Irakkrieg im mythischen Sprechen. Wenn hier die Rede davon ist, über große Dinge mit Unschuld zu sprechen, so meint dies, sie im Mythos zu arretieren, sie zu naturalisieren.296 Gleichzeitig wird hier eine Parallele zur erhabenen Rhetorik deutlich, wenn im Angesicht der großen Dinge geschwiegen werden soll (Kants Überforderung der Sinne) oder aber groß geredet, „das heißt mit Unschuld“. Das Erhabene und der Mythos werden hier also miteinander identifiziert. Zwei Seiten später wird der thematische Faden wieder aufgenommen, die „großen Dinge“ kehren wieder in der Formulierung: „Außerhalb von uns ist nichts. Das ist so groß. Das macht mir Angst, aber wir müssen tun, was wir tun.“ (B 35) Hier wird die Größe aus der Passage weiter oben mit dem Nichts assoziiert – bezeichnenderweise in umgekehrter Folge: Zunächst wird ein Außerhalb des kollektivierenden Sprechers negiert, nur um es dann über seine überwältigende Größe plastisch erscheinen zu lassen und damit wieder herbeizurufen. Insbesondere im Zusammenlesen beider Textstellen wird das Unheimliche des Erhabenen hier gewissermaßen als Kehrseite des unschuldigen bzw. mythischen Sprechens deutlich. Über das Attribut der Größe miteinander in Verbindung gesetzt, erscheinen die „großen Dinge“ des ersten Zitats im Zweiten als nichts und erhalten nicht nur, wie im Text expliziert, eine angsteinflößende, sondern auch unheimliche Konnotation. Wenn Lehmann das Unheimliche als „Suspension der begrifflichen Orientierung; die begriffliche Diskontinuität von Signifikant und Signifikat; die

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Barthes, Roland: Mythen des Alltags, Frankfurt/Main 1964. Janz 1995, S. 10. Ebd., S. 9. Ebd., S. 9. Barthes 1964, S. 130. Zwei Seiten später wird die Natur direkt angesprochen, wenn auch in einem anderen Kontext: „Es fehlt mir beim Wort Öl der Begriff Natur. Es ist ein Naturprodukt. Es gehört allen. Die Natur gehört allen, außer Sie haben kein eigenes Haus am Wörthersee […].“ (B 35) Hier wird die mythische Rede vom Öl deutlich, die den Irakkrieg stets begleitete und derart aufgeladen unumstößlich für Wohlstand zu stehen scheint.

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Themen des Unbegrenzten, Ungeformten, Abstrakten“297 betreffend beschreibt (vgl. II.5.1), so verweist Jelinek auf eben diese Definition des Unheimlichen als Kehrseite bzw. Auslöser der erhabenen Rhetorik wie auch des unschuldigen, mythischen Sprechens. Wurde oben mit Röttger und Jackob festgestellt, dass es nicht die Bilder sind, die die Wirklichkeit verstellen, sondern die Verschleierung ihrer medialen Vermittlung, kann bezüglich der göttlichen Medialität des Fernsehers in Bambiland die notwendige Ununterscheidbarkeit zwischen virtueller und empirischer Realität seitens der Zuschauerschaft als Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren seiner Macht festgehalten werden; d.h., damit die Macht des Fernsehens als ‚graue, grauenhafte Anwesenheit‘ gottgleich walten kann, muss die Zuschauerschaft an die Äquivalenz seines Scheins mit dem Sein glauben und seine Anwesenheit als Medium letztlich unterschlagen. Als neutrales Übermittlungsmedium ist der Fernseher in diesem Zusammenhang parodiert. Als Medium wird er seiner religiösen Anleihen überführt298 und als Mythosmaschine deutlich, die das Unheimliche der Darstellung bzw. das, was sich eben der Darstellbarkeit entzieht, im unschuldigen Sprechen zu bannen sucht. Dabei ist von Bedeutung, dass der ideologische Diskurs die Dinge nicht notwendigerweise leugnet, „seine Funktion besteht auch darin, von ihnen zu sprechen. Er dekontextualisiert sie; er macht sie ‚unschuldig‘; er gründet sie als Natur und Ewigkeit; […]“299 Im inhaltlichen Hinweisen wie auch strukturellen Ausweisen der Medialität, der Vermitteltheit jedes Ereignisses im Text (auch das der Subjektivität) geht der Text gegen diese Strategie an, lässt die Machtverhältnisse ansichtig werden, die hinter (je)der Darstellung stehen und weist gleichsam auf das Unheimliche als ihre Kehrseite und Negativfolie hin. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Bambiland im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zum Genre der Kriegsliteratur formal wie auch inhaltlich als Reaktion auf unterschiedliche Veränderungen in der Kriegsführung und -berichterstattung lesbar wird, die im Zusammenhang mit dem Unheimlichen stehen. Die neuen Kriege funktionieren nicht mehr im traditionellen Sinne der Schlachtführung an der Front für Kinder und Frauen im zivilen Leben jenseits des Schlachtfeldes. Vielmehr treten Schlagworte wie virale Kriegführung und Terror in den Vordergrund, die Ausdruck einer umfassenden Verunsicherung traditioneller Dichotomien wie Krieg/Frieden, Soldat/Zivilist, Feind/Freund etc. sind. Bambiland greift diesen Zusammenbruch von Kontinuität und Kohärenz strukturell wie auch inhaltlich auf und weist darüber hinaus darauf hin, dass die Fernsehberichterstattung über den Irakkrieg weitestgehend unbeeindruckt seine traditionellen Darstellungsweisen beibehielt. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der phantasmatischen Herstellung eines 297 Lehmann 2002, S. 66. 298 Vgl. Krämers Kapitel zum Engel als Medium: Krämer 2008, S. 122-138. 299 Balz/Maier 2006, S. 16.

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Kriegsszenarios, das als gleichsam Anwesendes wie auch Abwesendes markiert ist, wie Bambiland im steten Exponieren der Medialität und Vermitteltheit der Ereignisse deutlich macht. Das, von dem die ‚embedded journalists‘ berichten, ist nicht als Lüge zu entlarven, jedoch scheint es nicht das Wesentliche des Irakkriegs zu vermitteln. Die Mechanismen des Terrors sind gleichsam auf allen Seiten schwieriger zu fassen und entziehen sich der Darstellbarkeit. Auf diesen Rahmen der phantasmatischen Darstellungsweisen heben auch die vielfachen Beschreibungen der im Irakkrieg glorifizierten Kriegstechnologie in Bambiland ab. Hierbei parodiert der Text vornehmlich das Begehren, das sich an der Identifikation des Menschen mit der Waffe und dem Phantasma der Mensch-Maschine ablesen lässt, und das im Folgenden anhand der (Denk-)Figur des Cyborgs untersucht werden soll.

5. V ON C YBORGS Bambiland ist durchdrungen von dem Diskurs über die Verschmelzung von Mensch und Maschine. Die Faszination für diese Figur ist sowohl ein massenkulturelles Phänomen als auch auf dem Sektor der bio- und informationstechnologischen Entwicklungen virulent. Der Cyborg ist als die postmoderne Ikone in unserer von der Idee der Replikation besessenen Zeit beschrieben worden.300 Er ist dem Diskurs vom posthumanen Subjekt301 zugehörig und bewegt sich im Feld aktueller Debatten um die Bewirtschaftung302 oder das Design des eigenen Lebens und ist insofern unheimlich, als er sich zwischen Unsterblichkeitsphantasien und dem Begehren bewegt, das eigene Leben als Virtualität und Projekt zu denken, um die Gestaltungs-

300 Vgl. Anne Balsamo: Reading Cyborgs Writing Feminism, in: Jenny Wolmark (Hg.): Cybersexualities. A Reader on Feminist Theory, Cyborgs and Cyberspace, Edinburgh 2000, S. 145-156, hier S. 146. Ursprünglich prägten Manfred Clynes und Nathan Kline den Neologismus im Kontext der Weltraumforschung, um die im evolutionstechnischen Sinne verstandene technische Anpassung des menschlichen Körpers an die Mondsphäre zu beschreiben. Vgl. Manfred Clynes/Nathan Kline: Cyborgs and Space, in: Astronautics, September 1960. 301 Zum Begriff des posthumanen Subjekts vgl. insbesondere Katherine N. Hayles: How We Became Posthuman. Virtual Bodies in Cybernetics, Literature and Informatics, London/Chicago 1999. Außerdem Chris Hables Gray: Cyborg Citizen. Politics in the Posthuman Age, New York 2002. Gray behandelt explizit den Zusammenhang zwischen Cyborgs und Krieg. 302 Vgl. hierzu Vittoria Borsò: Biopolitik, Bioökonomie, Bio-Poetik im Zeichen der Krisis. Über die Kunst das Leben zu „bewirtschaften“, in: dies./Michele Cometa (Hg.): Die Kunst, das Leben zu „bewirtschaften“. Biós zwischen Politik, Ökonomie und Ästhetik, Bielefeld 2013, S. 13-35.

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macht darüber phantasmatisch herzustellen.303 Dabei kann sich die Auseinandersetzung mit dem „Cyborg-Phänomen […] auf ganz Verschiedenes beziehen“, wie Margot Brink richtig schreibt. Er ist nicht nur eine „Science-Fiction-Phantasie, sondern ein reales technologisches Artefakt, er ist ‚imaginäre Figur und […] gelebte Erfahrung‘, diskursive Konstruktion und technologische Entität in einem.“304 Der Begriff bringt also einige Unklarheiten mit sich. Es bleibt strittig, ob er den (post)modernen Menschen generell beschreibt, da dieser unwiederbringlich auf die ihn umgebende Technik angewiesen ist oder ob er tatsächlichen materiellen Verbindungen zwischen Mensch und Maschine vorbehalten bleiben sollte. Als Denkfigur weist der Cyborg auf die Notwendigkeit hin, „das Phänomen des Technischen anthropologisch neu [zu] denk[en]“.305 Und in eben diesem Sinne erscheint der Cyborg insbesondere im Kontext des Unheimlichen interessant: als Denkfigur, anhand derer Diskurse um die wechselseitige Abgrenzung und Beeinflussung von belebtem Organismus und unbelebter Technik ins Blickfeld treten. In Bambiland tritt die Frage nach der Vermischung von Mensch und Technik hauptsächlich an zwei den Text bestimmenden Diskursen auf. Zum einen nimmt der Text, wie oben bereits ausgeführt, die technisch basierten Formen der medialen Vermittlung in den Blick und markiert den Fernsehzuschauer dabei in seiner undefinierbaren Verbindung mit der Maschine Fernsehen als Cyborg. Zum anderen greift Bambiland exzessiv die Rhetorik der Anthropomorphisierung der Raketensysteme in der Berichterstattung über den Irakkrieg auf und lässt diese parodistisch kollabieren. Dies zumeist in einer Gegenüberstellung mit dem Menschen, in der deutlich wird, dass die Verlebendigung der Maschine einen Prozess mit sich bringt, in dem der Mensch an Leben verliert. Hier geht es also nicht um den Cyborg als Artefakt, sondern um eine rhetorische Verlebendigung der Technik und deren Wir-

303 Vgl. hierzu insbesondere die Überlegungen von Vilém Flusser: Vom Subjekt zum Projekt, in: Ders.: Schriften, hrsg. von Stefan Bollmann und Edith Flusser, Bd. 3, Bensheim, Düsseldorf 1994. Darin insbesondere das Kapitel Körper entwerfen, S. 89-105. 304 Vgl. Margot Brink: Von Cyborgs, Monstern und der Hochkonjunktur des Hybriden in der Theorie, in: Gisela Febel/Cerstin Bauer-Funke (Hg.): Menschenkonstruktionen. Künstliche Menschen in Literatur, Film, Theater und Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts [Querelles. Jahrbuch für Frauen und Geschlechterforschung, Bd. 9] Göttingen 2004, S. 183-202, hier S. 196-197 305 Bernhard Irrgang spricht von der „Kränkung des Humanismus“ durch „DesignerMenschen, Cyborgs, Künstliche Intelligenz, Cyberspace und autonom agierende Roboter“, durch die sich „die Aufgabe einer adäquaten Anthropologie als Grundlage einer zeitgemäßen Humanität [formuliert], die das Phänomen des Technischen anthropologisch neu denkt […].“ Vgl. Bernhard Irrgang: Posthumanes Menschsein? Künstliche Intelligenz, Cyberspace, Roboter, Cyborgs und Designer-Menschen – Anthropologie des künstlichen Menschen im 21. Jahrhundert, Wiesbaden 2005, S. 7.

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kungen auf die Lebendigkeit des Menschen.306 Der Topos von der Maschine, die dem Menschen durch ihre selbsttätige Bewegung belebt erscheint, hat eine lange Tradition;307 Bambiland spitzt die anthropomorphisierende Rede über die Waffe als Faszinosum und Fetisch des Menschen derart zu, dass ihre Absurdität deutlich hervortritt. Auch wenn der Text an keiner Stelle explizit auf den Cyborg verweist, soll dieser hier als Denkfigur herangezogen werden, um die vermenschlichende Rede über die Kriegstechnologie im Horizont des Unheimlichen zu perspektivieren. Der Mensch als Hybrid zwischen Organismus und Maschine ist dabei schon seit den frühesten Texten Thema in Jelineks Werk. Ob in der Darstellung der Vampirin Emily als untote Gebärmaschine in Krankheit oder Moderne Frauen, den durch Anabolika erweiterten Körper des Bodybuilders Andi in Ein Sportstück oder der alte Mann im Gestell, „eigentlich eine Art Körper-Moulage“,308 wie Jelinek in den Regieanweisungen zu Totenauberg schreibt; all diese Figuren sind in ihrer Eigenschaft als hybride Wesen zwischen Mensch und Maschine ausgestellt und schon über diesen Status fraglicher Belebtheit unheimlich. Es ist jedoch nicht allein die Hybridität, die fragliche Belebtheit der Figuren, die das Unheimliche hier evoziert. Hinzu kommt, dass die Texte – und dies gilt vielleicht in besonderem Maße für Bambiland und Babel, da diese explizit die Verknüpfung von Krieg und Medien thematisieren – darüber phantasmatische Ursprungszenarien und Erlösungsphantasien thematisieren, wie Donna Haraway sie in ihrem Manifest für Cyborgs309 beschreibt. Durch den Fokus in Bambiland auf die mediale Darstellung rückt der Cyborg-Topos ins Feld der Ästhetik, wodurch ohnehin die Frage nach dem phantasmatischen Anteil an dieser Figur aufkommt.

306 Auch in dem ganz konkreten Sinne, dass die automatisierte Waffe dem Menschen als ihrem Ziel das Leben nimmt. 307 Wie sich beispielsweise in den Aufzeichnungen des jüngeren Moltkes zeigt, der beim Anblick des Schlachtschiffes Nassau von einem „Lebewesen“ spricht, in dem die „Nervenstränge durch elektrische Leitungen“ ersetzt sind: „[M]it derselben Leichtigkeit, mit der wir einen Arm ausstrecken oder ein Bein heben, bewegt das Schiff seine Riesengeschütze rechts und links, hinauf und hinab und setzt seine Maschinen in Tätigkeit.“ Vgl. den Brief vom 22. Juli 1910, in: Helmuth von Moltke: Erinnerungen. Briefe. Dokumente. 1877-1916, hrsg. von Eliza von Moltke, Stuttgart 1922, S. 357. Zitiert nach Köppen 2005, S. 201. Köppen verweist hier auf den Futurismus als „ästhetische Synthese der scheinbar so gegensätzlichen militärischen Doktrin, der Inspirierung durch barbarische Instinkte und der Beherrschung der Technik in der Rolle von ‚Maschinengöttern‘ (Nietzsche) […].“ Vgl. Köppen 2005, S. 203. 308 Elfriede Jelinek: Totenauberg, Reinbek bei Hamburg 1991, S. 9. 309 Donna Haraway: Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften, in: dies.: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, hrsg. und eingeleitet von Carmen Hammer und Immanuel Stieß, Frankfurt/New York 1995.

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Haraways Verwendung der Cyborg-Figur ist eine doppelte, indem sie zum einen den Cyborg-Status des gegenwärtigen Menschen als einen „Grenzkrieg“310 zwischen Organismus und Maschine beschreibt, der in der Tradition des „rassistischen und patriarchalen Kapitalismus [steht], des Fortschritts und der Aneignung der Natur als Mittel für die Hervorbringung von Kultur, in der Tradition der Reproduktion des Selbst durch die Reflexion im Anderen“.311 In dieser Lesart schreibt die Figur des Cyborgs Dichotomien wie Ich/Anderer, Natur/Kultur, Mensch/Maschine etc. fest und geht von einer „Ursprungsgeschichte im ‚westlichen‘, humanistischen Sinn“ aus, die „auf dem Mythos ursprünglicher Einheit, Vollkommenheit, Glückseligkeit und des Terrors [beruht], der durch die phallische Mutter repräsentiert wird, von der sich alle Menschen lösen müssen […]“.312 Zum Verhältnis von Dichotomie und Ureinheit führt Haraway Hilary Klein an, die „argumentiert, daß sowohl Marxismus als auch Psychoanalyse in ihren Konzeptionen der Arbeit, der Individuation und Hervorbringung von Gender auf einem Erzählmuster beruhen, in dem Differenz aus einem Zustand ursprünglicher Einheit hervorgebracht werden muß, um im Drama eskalierender Herrschaft über Frau/Natur eine Rolle einzunehmen.“313 Haraway akzentuiert und kritisiert also den (männlichen) Herrschaftsanspruch, der mit der Vorstellung von der Ureinheit, aus der heraus erst sekundär die Differenzierung entsteht, einhergeht. Diesen Aspekt der Differenzbildung nimmt später Peter sagt im Kontext des Begriffs vom Immunsystem wieder auf. (vgl. PS 135) Zum anderen entwirft Haraway eine feministische Utopie, in der eben diese Dichotomien mit Hilfe der Cyborg überwunden werden sollen, hier kommt der Manifestcharakter ihres Essays zum Tragen, und hier wird auch das Unheimliche ihres Ansatzes deutlich.314 Sie plädiert dafür, die „Verwischung“ der Grenzen zwischen Mensch und Technik, zwischen Mann und Frau zu „genießen und Verantwortung bei ihrer Konstruktion zu übernehmen“.315 Da die Cyborg die „Stufe ursprünglicher Einheit“ überspringt, bewegt sie sich als hybride Form jenseits dichotomer Zuschreibungen. „Nichts verbindet sie mehr mit Bisexualität, präödipaler Symbiose, nichtentfremdeter Arbeit oder anderen Versuchungen, organische Ganzheit durch die endgültige Unterwerfung der Macht aller Teile unter ein höheres Ganzes zu er-

310 311 312 313 314

Ebd., S. 35. Ebd., S. 34. Ebd., S. 35. Ebd., S. 35. In der vorliegenden deutschen Übersetzung wird Haraways doppelter Verwendungsweise der Figur des Cyborgs Rechnung getragen, indem es dort, wo eindeutig diese „oppositionelle feministische Erzählfigur“ gemeint ist, der weibliche Artikel gebraucht wird. Vgl. Haraway 1995, S. 202, Fußnote 2. 315 Ebd., S. 35.

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reichen.“316 Dieses gilt es als Potential zu nutzen, um mit der Cyborg als Denkfigur traditionelle Zuschreibungen zu unterwandern. Gleichzeitig liegt darin die „finale Ironie“ des/der Cyborg begründet, da er/sie einerseits ein Denken jenseits der Heilsgeschichte eröffnet, andererseits seine/ihre Ontogenese auf dieser beruht: In diesem Sinn besitzt die Cyborg keine Ursprungsgeschichte im westlichen Verständnis – eine ‚finale‘ Ironie, denn der Cyborg stellt auch das furchtbare apokalyptische Telos der eskalierenden, ‚westlichen‘ Herrschaftsform der abstrakten Individuation eines zu guter Letzt von jeder Abhängigkeit entbundenen, endgültigen Selbst dar: der Mann in den Weiten des Weltraums.317

In dieser Eigenschaft als Kippfigur wird die/der Cyborg in Haraways Deutung unheimlich, da sie den Mythos der Ureinigkeit des Menschen gleichzeitig hinter sich lässt und auf ihn hin ausgerichtet ist. In Jelineks Texten spiegelt sich diese Ambivalenz der Cyborg-Figur in dem Verhältnis zwischen Mensch und Maschine wider, weshalb ein Lesen ihrer Texte mit Haraways Thesen naheliegt. So wird der CyborgTopos stets mit dem Begehren nach der Ureinheit bzw. der dyadischen Beziehung mit der Mutterimago oder dessen Abwehr kontextualisiert und ironisiert, letztendlich also in den Kontext des Unheimlichen im Sinne von Freuds Theorie der Todestriebe gesetzt. In Krankheit oder Moderne Frauen wird das Ineinandergreifen der Körper von den Figuren selbst thematisiert und auf das phantasmatische Begehren nach Symbiose als Ursehnsucht des Menschen zurückgeführt. Dass das Stück eine Parodie dieser (psychoanalytischen) Deutung unternimmt, zeigt sich nicht zuletzt in dem Auftritt des grotesken Doppelgeschöpfs aus den beiden Figuren Emily und Carmilla gen Ende des Textes und des überzogenen Rückfalls in die Vorsprachlichkeit der männlichen Gegenspieler Heidcliff und Hundekoffer, deren Rede zunehmend in Hundebellen übergeht. Auch Andis körperlicher Auflösung in Ein Sportstück wird die Sehnsucht nach der Rückkehr in den mütterlichen Körper als grundlegendes Motiv beigelegt. Gleichzeitig machen die Texte die (organische) Geburt des Menschen und die von den „Prozessen der organischen Reproduktion entkoppelt[e]“318 Replikation des Cyborgs zum Thema. Die Handlung von Krankheit oder Moderne Frauen konzentriert sich im Wesentlichen auf den Vorgang der Geburt (Emily), der derartig von dem männlichen Protagonisten Heidcliff und seiner Instrumente gestört wird, dass er tödliche Folgen für die Gebärende hat und diese zur untoten Vampirin werden lässt. Das Begehr der männlichen Protagonisten, die (organische) Geburt des Menschen durch die Frau mittels ‚künstlicher‘ Replikation abzulösen, 316 Ebd. 317 Ebd. 318 Ebd., S. 34.

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wird dabei offensichtlich. Auch in dem Monolog Andis wird das Vorhaben des Sprechers parodiert, sich selbst (als Doppelgänger Arnold Schwarzeneggers) neu zu erschaffen, ebenfalls mit (un-)tödlichen Folgen. Jelineks Texte bringen zu großen Teilen eine negative Einschätzung der Verbindung von Mensch und Maschine zum Ausdruck und führen diese im Sinne Haraways auf das phantasmatische und unheimliche Begehren nach Ureinheit zurück. Gleichzeitig lässt sich eine Verbindung herstellen zwischen Jelineks ironischer Haltung gegenüber dem Phantasma bzw. Mythos der Ureinheit sowie ihrem sprachlichen Verfahren der Dekonstruktion und Haraways positivem Entwurf der Cyborg. Durch die Verunsicherung ihrer Identitätsposition ist die Cyborg zu partialen Sichtweisen befähigt, die eine vielstimmige „kollektive Subjektposition“ bilden, wie sie die Redepositionen in Jelineks Theatertexten bekleiden. Jelinek setzt in ihrer Schreibpraxis das um, was sich Haraway mit ihrer Vision von einer hybriden Selbstbestimmung und dem damit einhergehenden erkenntnistheoretischen Standpunkt erhofft: „Wir suchen nach Wissen, das nicht vom Phallogozentrismus (jener Wehmut nach der Präsenz des einen wahren Wortes) und von entkörperter Vision beherrscht ist, sondern von partialer Sicht und einer begrenzten Stimme.“ 319 In Bambiland und den ersten beiden Monologen in Babel werden die Replikation einerseits und die (organische) Geburt andererseits zu einem wichtigen Motiv. Die Reproduktion fungiert als Klammer beider Texte, indem Bambiland die künstliche Erschaffung der im Stück als Cyborgs markierten ‚intelligenten‘ Raketen thematisiert, was die Monologe Irm sagt und Margit sagt wieder aufnehmen, indem sich die Rede hier exzessiv an der organischen Fortpflanzung und ihren Komponenten Befruchtung, Schwangerschaft und Geburt abarbeitet. Über den Topos der Geburt wird die in Bambiland parodierte Rhetorik der Anthropomorphisierung der ‚intelligenten‘ Raketensysteme mit den Selbstmordattentätern in ihrer Funktion als menschliche Waffen in den ersten beiden Babel-Monologen miteinander in Verbindung gesetzt und kontrastiert. Während die Rede in Bambiland die Grenzen des Lebendigen überschreitet, indem sie der Waffe menschliche Züge verleiht, findet in Babel eine Funktionalisierung des Menschen zur Waffe statt, die das Lebendige unterschreitet. 5.1 Rhetorische Anthropomorphisierung der Kriegstechnologie Das Cyborghafte der Kriegstechnologie formuliert sich in Bambiland auf doppelte Weise. Zum einen ist die Waffe in ihrer Eigenschaft als Medium mit McLuhan gesprochen als technische Ausweitung des Menschen zu verstehen. Wir haben es hier somit per se mit einer hybriden Mensch-Maschine zu tun. Das Gewehr als Ausweitung des Auges und der Zähne korrespondiert mit der Kamera, da beide als 319 Ebd., S. 91.

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„Erweiterung des Sehvermögens in der Zivilisation“320 fungieren, was im Hinblick auf Bambiland insofern interessant ist, als der Text die Medien wie oben dargelegt in ihrer Funktion als „Zusatzgerät zu all diesen Bomben“ (B 82) darstellt. Die im Irakkrieg vornehmlich verwendeten intelligenten Raketensysteme stellen des Weiteren mit ihrem programmierten, scheinbar selbsttätigen ‚Handeln‘ eine Ausweitung des Zentralnervensystems dar, wodurch hier eher von der Verdoppelung, bzw. Ersetzung des Menschen gesprochen werden kann, als einer bloßen Verlängerung seiner Sinne.321 Zum anderen schlägt sich diese Verdoppelung des Menschen durch intelligente Raketensysteme in der Rede über dieselben nieder, und hier setzt Bambiland den Fokus. Der Text geht der anthropomorphisierenden Rede über die Waffe nach, nicht ihrer Phänomenalität als Cyborg; bewegt sich also im Feld der Ästhetik. Auch wenn sich diese beiden Aspekte nicht eindeutig voneinander trennen lassen, ist die Unterscheidung doch wichtig und in Anbetracht des übergeordneten Themas von Bambiland folgerichtig; handelt der Text doch von der medialen Darstellung, dementsprechend von der Rede über den Krieg und formuliert die Einsicht, dass sich das ‚eigentliche‘ Ereignis des Krieges einem unmittelbaren Zugriff verwehrt. Bedenken wir also, dass Bambiland die Berichterstattung über den Irakkrieg zum Ereignis des Textes macht, kann sich eine Untersuchung der Figur des Cyborgs am Text nur auf ihre rhetorische Herstellung beziehen und nicht auf ihre Ontologie. Die Beschreibungen der Kriegstechnologie nehmen schon rein quantitativ eine prominente Rolle in Bambiland ein. Das Heer erhält Akteur-Status, wird dabei maßgeblich auf die Technik reduziert, die, scheinbar ohne menschlichen Einsatz an der Front, Krieg führt. Der menschliche Soldat kommt im Text nicht vor. Bevorzugter Gegenstand der Beschreibungen ist indessen der in den Irakkriegen von den USA eingesetzte sogenannte Marschflugkörper Tomahawk. Von diesem unbemannten, sich selbsttätig ins Ziel steuernden Raketentyp wurden während der Operation Iraqi Freedom fast drei mal so viele wie noch im Einsatz 1991 abgefeuert; in beiden Kriegen kam er vornehmlich in der ersten Angriffswelle zum Einsatz, um – so die Rhetorik des Pentagon – mit möglichst geringem Risiko für die eigenen Truppen die irakische Flugabwehr zu zerstören.322 Der Marschflugkörper zeichnet

320 McLuhan: Die magischen Kanäle 1992, S. 387. 321 Ebenso die Kamera, die programmiert und automatisiert aufzeichnet, wie Bambiland in den oben zitierten Formulierungen andeutet, wenn die Kamera im Gegensatz zum Menschen Dinge erfasst und noch deutlicher das ‚Kameraauge‘ die Straßen der Fremden sieht, das Wir des Textes jedoch nicht. McLuhan beschreibt die Technik der Elektrizität – und diese liegt den intelligenten Waffensystemen letztendlich zugrunde – als Ausweitung des Zentralnervensystems. Vgl. beispielsweise McLuhan 1992, S. 391. 322 Auch wenn im zweiten Irakkrieg vermehrt auf selbststeuernde Waffensysteme gesetzt wurde, – laut Gerhard Paul kündigten die USA an, sie werden in den ersten drei Tagen

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sich durch seinen permanenten Antrieb während des Flugs – hieraus ergibt sich der Wortteil ‚marsch‘ – und seine selbständige Zielerkennung mit Hilfe von Bodenradarsystemen aus.323 Aufgrund dieser Eigenschaft wird der Tomahawk als intelligentes Raketensystem bezeichnet, da er sein Ziel scheinbar selbsttätig auffindet. Dass sich die ‚Intelligenz‘ der Rakete auf das Aufspüren eines vom Menschen programmierten Zieles beschränkt, tritt in dieser Rhetorik in den Hintergrund. Im Fokus steht eine scheinbar bewusst handelnde und damit menschlich anmutende Rakete.324 Diese anthropomorphisierenden Bezeichnungen als Marschflugkörper und intelligente Raketensysteme nimmt Bambiland auf und parodiert sie in unterschiedlichen Variationen. Als „fliegender Körper“, „Wuchtkörper“ (B 80) oder „teure[...] Marsch-Fug-und-Rechtkörper“ (B 64) bezeichnet, wie auch als „klug“ (B 79) und „intellektuelle Bombe“ (B 80), überführt der Text die Rhetorik der Anthropomorphisierung der Kriegstechnologie ihrer Absurdität, indem er sie wörtlich nimmt: Nein, reiten tun die nicht, die marschieren, nein, die fahren, nein, die marschieren ordentlich, die schönen Flugkörper […]. Geschosse, die schrittweis zu Fuß gehen, vor ihren Schützen her, wer hätte sowas je gesehn. Taktische Flugkörper, die marschieren. Müssen selber gehen, die Ärmsten. (B 41)

Der semantische Widerspruch zwischen den einzelnen Wortteilen wird expliziert, wenn es heißt: „[…] den marschierenden Flugkörper, was an sich schon absurd ist, denn wenn er fliegen kann, warum sollte er dann marschieren? Geht ja viel schnel3.000 Präzisionsbomben und Raketen gegen die irakische Luftabwehr abfeuern – dominierten immer noch die konventionellen Waffen, was im Gegensatz zur medialen Darstellung stand, die die Präzisionswaffen in beiden Kriegen in den Fokus stellte, wodurch deren symbolische Bedeutung offenbar wird. Außerdem bestätigte die US-Luftwaffe nach dem Ende der Hauptkampfhandlungen, dass sie „wesentlich weniger Präzisionswaffen als ursprünglich angekündigt, eingesetzt hatte.“ Paul 2005, S. 41 und S. 54. 323 Zu den technischen Daten und detaillierter Beschreibungen der technischen Funktions– weise der Tomahawk vgl. Andreas Parsch: Raytheon (General Dynamics) AGM/BGM/ RGM /UGM-109 Tomahawk, 29.09.2004, http://www.designation-systems.net/dusrm/ m109.html, letzter Zugriff 19.05.2017. 324 Die Rhetorik des menschlichen Flugkörpers ist bereits bei den Futuristen zu finden und so markant und in der Vision „eines technologischen Übermenschen“ dem, worauf Bambiland parodistisch hinweist, so ähnlich, dass sie hier Erwähnung finden soll. Als „Symbiosen des Organischen und des Mechanischen, ebenso Sinnbilder der Synergie von Mensch und Maschinen wie Visionen eines technologischen Übermenschen“ beschreibt sie Köppen. Als vehementesten Vertreter einer Kriegsbegeisterung, die sich mit kultisch-dionysischen Elementen paarte, führt er Marinetti an. „In Mafarka le futuriste wird sich der Fleugzeugmensch (sic!) Gazourmah über seinen Schöpfer erheben und die überalterte Menschheit in Chaos zurücklassen, indes er Richtung Mars schwebt.“ Vgl. Köppen 2005, S. 205.

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ler, das Fliegen!“ (B 43) Was Bambiland in diesen Passagen jenseits und mittels des Wortspiels zum Ausdruck bringt ist die in der anthropomorphisierenden Bezeichnung stattfindende rhetorische Belebung der (Kriegs-)Technik. Indem der Tomahawk ‚reitet‘, ‚marschiert‘, ‚geht‘ und ‚fliegt‘, wird er als selbsttätig agierender, intelligenter Körper konstruiert, was der Text mit der Feststellung kontrastiert und auf die Spitze treibt: „Es kann ja keinen Müsliriegel essen und keine Kindermilchschnitte, um verbrauchte Energie zurückzugewinnen und Energie, die es nicht hat, das Geschoß, zu bekommen. Es kann und muß überhaupt nicht essen, da hat es Glück gehabt.“ (B 17-18) Zwar mit menschlichen Eigenschaften ausgestattet, wird die Waffe schließlich über ihre technische Bedingtheit als diesem überlegen dargestellt (da sie von keiner Nahrungszufuhr abhängig ist). In endlosen, sich durch den gesamten Text ziehenden Beschreibungen wird sie ob ihrer Präzision und Eigenständigkeit angepriesen. Schon die reine Quantität der detaillierten Technikbeschreibungen ist für einen literarischen Text ungewöhnlich, noch dazu für einen, der für ein Sprechen auf der Bühne konzipiert ist. Des Weiteren irritiert die Form der Rede, die den Rezipienten – und hier sicherlich den Theaterzuschauer stärker als den Leser – in ein Verkaufsgespräch325 verwickelt, in dem das Primat der Technik über den Menschen parodiert wird: Was die Tomahawk macht, das weiß sie jedenfalls. Ist ja auch das Wichtigste. Hohe Zielgenauigkeit (50% Treffer in einem 2 qm Zielfenster) durch Kombination mehrerer Navigationsund Zielerkennungssysteme, und da fliegt sie, echt, da fliegt sie und weiß sogar genau wohin! Das können Sie von sich nicht behaupten! […] werfen Sie Ihren Blick auch auf das hocheffiziente Turboverdichter-Strahltriebwerk, sowas hätten Sie auch gern, was? Im Gegensatz zu Ihnen, die Sie leider oft am Ziel vorbeischießen, besteht hier eine geringe Abschussgefahr durch ein sehr kleines Radarprofil (Stealth) und die niedrige Flughöhe von 15-100 Metern, wir werden noch hören, warum das ein Risiko ist (hohe Winkelgeschwindigkeit, kurze Vorwarnzeit), Lieferzeit bei Stückzahlen unter 100 sofort, falls Sie jetzt gleich eine brauchen, Stückpreis der Standardausführung (ohne Warhead, ja, leider ohne Warhead, der kostet extra, da kann man nix machen): $650 000. Größere Stückzahlen auf Anfrage. Rückgabe bei Nichtgefallen, natürlich ungebraucht. Also das muß ich doch wohl nicht eigens erwähnen. Ich könnte noch viel mehr zur Kurssteuerung sagen, aber das hebe ich mir noch auf. Sie können derweil überlegen, wie viel Stück Sie kaufen wollen. (B 28)

325 Zum Verfremdungseffekt dieser absurden Form von „Verkaufsveranstaltungen“, die sowohl in Bambiland als auch Babel wiederholt suggeriert werden und bei denen dem Rezipienten vollkommen unwahrscheinliche ‚Objekte‘ zum Kauf angeboten werden, um einen omnipräsenten Konsumzusammenhang im Text herzustellen, vgl. Bloch 2011, S. 243-246.

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Die technischen Daten der Tomahawk werden hier zum Dreh- und Angelpunkt der Rede über den Krieg. Durch Quantität und Qualität der Beschreibungen wird die Waffe als Fetisch des Menschen offenbar. Nicht nur wird dem Rezipienten in einem ganz selbstverständlichen Tonfall eines der teuersten Kriegsraketensysteme zum Kauf angeboten, der Adressat wird weiterhin einem absurden Vergleich mit diesem unterzogen, der ihn stets als unterlegen markiert. 5.2 Das Erhabene der Technik Neben diesen im Stile einer Verkaufsveranstaltung präsentierten detaillierten Beschreibungen und dem Anpreisen der Tomahawk, dominieren Passagen in Bambiland, die ihre ästhetisierende Darstellung in der Berichterstattung über den Krieg parodieren. Der Text übernimmt hier die distanzierte Perspektive einer Kameraeinstellung, die darauf aus ist, das Darzustellende als erhaben erscheinen zu lassen; für die erhabene Darstellung des Krieges gilt insbesondere das Gebot der Distanz und des Überblicks als Grundvoraussetzung, um die Erfahrung des Erhabenen nicht durch die Konfrontation mit dem versehrten Körper der Schlacht zu gefährden.326 Die detaillierten Technikbeschreibungen, gewissermaßen als ein Blick aus der Nähe auf das ‚Innenleben‘ des Tomahawks, weichen einem Blick auf die äußere Erscheinung. Mit Attributen der Größe und Überlegenheit wird das Raketenheer als erhabene Anordnung beschrieben: Gleich gegenüber vom Festland treffen sie jetzt ein, eilen ordnend, das große Heer, die Tomahawk-Gewaltigen, jeder ein kleiner König, dem Großkönig untertan, Scheiße […] wie komm ich jetzt von den Verlierern zu der Technik, wo ich eigentlich hinwill, die ist ja das eigentliche Wunderwerk, dagegen ist der Mensch ein Dreck. (B 27)

Auch hier steht die anthropomorphisierende Rhetorik im Fokus. Das Heer der Tomahawks übernimmt die Aktivität, der Mensch scheint wieder aus der Szene verdrängt, durch seine Waffe ersetzt. Gleichzeitig werden über die Beschreibung der „Tomahawk-Gewaltigen“ als groß, ordnend und königlich Bilder der Erhabenheit und Ästhetisierung des Krieges aufgerufen, wie oben im Kapitel zur erhabenen Perspektive in der Einleitungspassage von Bambiland ausgeführt. (vgl. IV.3.1) Dadurch, dass der Text sich zum einen in exzessiven Beschreibungen der Waffentech326 Köppen beschreibt die Bedingungen für das „ästhetische Erleben des Krieges selbst wie für dessen Repräsentation“: „Um den sinnlichen Reiz als Antipode der reinen vernunftgeleiteten Erkenntnis auszuschließen, muß das Kriegserlebnis, als reales wie repräsentiertes, Distanz und Überblick gewährleisten und gleichzeitig jede Form exzessiver Gewalt ausschließen, welche die Erfahrung des Erhabenen durch allzu große Nähe niederer Leiblichkeit gefährden könnte.“ Köppen 2005, S. 21.

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nik ergeht und zum anderen die Waffe auf absurde Weise überhöht, spielt er darauf an und parodiert, dass das eigentliche Faszinosum und der bevorzugte Gegenstand medialer Darstellung im Irakkrieg die Kriegstechnik mit ihren spektakulären Neuerungen war, sowohl die der medialen Übertragung als auch und insbesondere die der Waffen.327 Bambiland greift die ästhetisierende Beschreibung der Kriegstechnologie auf, um die Rhetorizität der erhabenen, dem Menschen überlegenen Waffentechnologie in der Berichterstattung zu dekuvrieren. Dies tut der Text, indem er eine wortwörtliche Lesart bzw. Überspitzung der Formulierungen ausführt. So ist es die Übersteigung des Menschen, die den Tomahawk in der oben zitierten Passage zum Gegenstand des Erhabenen werden lässt: seine Größe, Ordnung und Gewaltigkeit. Durch diese Eigenschaften wird er zum „eigentlichen Wunderwerk“, gegen das der Mensch „ein Dreck“ ist. Doch in eben dieser Formulierung kollabiert die Überlegenheit der Tomahawk über den Menschen, da zwangsläufig die Frage danach aufkommt, wessen (Wunder)werk er ist, und die Frage nach seiner Urheberschaft letztendlich immer zum Menschen zurückführt. Hier tritt die „lächerliche[...] Verkennung kategorialer Grenzen und Abstände“ zutage, die Lehmann dem Erhabenen über die „Erfahrung des mimetischen Einswerdens“ beiordnet und in der das Erhabene unheimlich wird: „Dicht liegt die erhabene oder tragische Erschütterung (angesichts etwa der moralischen Überlegenheit des Kriegers bei Kant) neben der phantasierten libidinösen Verschmelzung mit seiner Macht.“328 In den glorifizierenden Beschreibungen des Tomahawks und anderer ‚intelligenter‘ Waffensysteme in Bambiland wird eben dieses mimetische Anschmiegen an die Überlegenheit der Technik deutlich. Gleichzeitig wird die Erhabenheit des Tomahawks in ihrer Rhetorizität als Effekt im Betrachter offensichtlich.329 Bambiland zeigt also an, dass es einerseits die ‚Menschenähnlichkeit‘ ist, über die das Erhabene der Waffentechnik hergestellt bzw. behauptet wird; eben diese Parallelisierung gibt der Text aber auch der Lächerlichkeit preis, wenn der Mensch als Urheber der Technik im Vergleich mit derselben als Dreck erscheint. Auf das Unheimliche spielt der Text hier über die Verkennung der Grenzen zwischen Mensch und Maschine bzw. die phantasmatische Verschmelzung des Menschen mit der Maschine in der Rhetorik des Erhabenen an. Im Kontext des Erhabenen und der anthropomorphisierenden Rhetorik sei auf eine Beobachtung Jean Pauls bezüglich neuer Kriegstechnologien verwiesen. Er schreibt, dass der Krieg „endlich selber am Kriege um[komme]“, indem seine technische Vervollkommnung zumindest die

327 Vgl. Paul 2005, u.a. S. 26. 328 Lehmann 1989, S. 66. 329 Wie oben bereits ausgeführt, ordnete schon Pseudo-Longinos das Erhabene dem Feld der Rhetorik zu. Vgl. Longinus 1988, S. 55.

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Wirkung eines erhabenen Schauspiels vernichte.330 Ein Krieg, der ausschließlich von Maschinen ausgeführt wird, mutet wohl eher unheimlich denn erhaben an. So liegt die Vermutung nahe, dass die anthropomorphisierende Rhetorik über die Kriegstechnik tatsächlich eine Strategie der Belebung des Krieges ist, um der unheimlichen Wirkung virtueller Kriege entgegenzuwirken und den Krieg als ein Ereignis darzustellen, mit dem sich der ‚Zuschauer‘ identifizieren kann. Schließlich waren die PR-Strategen im zweiten Irakkrieg bemüht, den Eindruck eines antiseptischen, sauberen Krieges, wie die Rede über den ersten Irakkrieg noch lautete, zu vermeiden.331 Bambiland weist auf unterschiedliche Konsequenzen der rhetorischen Überhöhung und Erhebung der Technik über den Menschen hin, die sich im Kontext des Unheimlichen zeitigen. Zunächst wird beständig die makabre Absurdität der rhetorischen Anthropomorphisierung und Überhöhung von Waffen durchgespielt, die deren primäre Funktion, den Menschen zu töten, ausblendet. Die Ironie wird spürbar, wenn die Zerstörung eines Tomahawks größeres Entsetzen hervorruft als der Tod unzähliger Menschen durch eben diese oder ähnliche Kriegsraketen: „Als gäbe es nicht schon genug Tote, also wirklich! […] dann nimmt dieser Untermensch einfach eine Pistolette gegen unseren lieb und treu dahinmarschierenden Flugkörper, ist das zu fassen. […] Also ich könnte so eine Grausamkeit nicht. Die unschuldigen Körper abschießen, wie sie da marschieren.“ (B 44-45) Die Bezeichnung des Tomahawks als unschuldiger Körper ist hier besonders interessant, bezeichnet Unschuld im Jelinekschen Gedankenkosmos der Mythoskritik bekanntermaßen ein vorgebliches Fehlen von Geschichte und also eine vorgebliche Natürlichkeit, was die konstruierte Natur bzw. Natürlichkeit des Tomahawks parodiert. Ebenso schreibt Haraway: „Ein Cyborg-Körper ist nicht unschuldig, Cyborgs sind in keinem Eden geboren, sie suchen sich keine eindeutige Identität und erzeugen somit keine antagonistischen Dualismen ohne Ende (oder bis ans Ende aller Tage).“332 Die eigentliche ‚Grausamkeit‘ wird in dieser Textstelle paradoxerweise in der Zerstörung der Waffe verortet, deren Zweck selbst ja ausschließlich in der Zerstörung liegt, wie der Text dann einräumt: „Bitte, er ist ja nur dafür erzogen worden, daß er wieder kaputt macht, aber deswegen müssen Sie doch nicht ihn kaputtmachen!“ (B

330 Vgl. Jean Paul: Dämmerungen für Deutschland, in: Ders.: Werke in zwölf Bänden, hrsg. von Norbert Miller, Bd. 10, München/Wien 1975, S. 961, zitiert nach Koeppen 2005, S. 38. Allerdings stand Jean Paul der erhabenen Wirkung des Kriegs ohnehin skeptisch gegenüber. So schrieb er, in seiner Kriegs-Erklärung gegen den Krieg, der Krieg sei „so gut erhaben als die Pest in Athen oder Marseille“ (S. 979) und kommentiert die Erfindung einer Flinte, die 14 Schüsse hintereinander abgeben konnte wie folgt: „[W]elche Zeit wird hier dem Morden erspart und dem Leben genommen!“ (S. 961) 331 Paul 2005, S. 25ff. 332 Haraway 1995, S. 70.

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45) Dass es schließlich ökonomische Gesichtspunkte sind, die hier Werte bestimmen und den Tomahawk über dem Menschen ansiedeln, wird ebenfalls deutlich: „Wissen Sie, was der Tomahawk gekostet hat?“ (B 44) Des Weiteren formuliert der Text die Lust des Menschen an der Überlegenheit der Technik. Friedrich Kittler zeigt an, dass mit der Automatisierung der Waffe und damit ihrer ‚Belebung‘ notwendigerweise ein in Bezug auf seine Lebendigkeit fragwürdig werdender Mensch einhergeht: „Die automatischen Waffen anstehender Weltkriege forderten gleichermaßen automatisierte Durchschnittsmenschen als ‚Apparate‘ […]“.333 Bambiland hebt auf das lustvolle Erleben der eigenen ‚Apparathaftigkeit‘, der Ohnmacht gegenüber der Technik an: Was wir aber lieben, ist das Sklavenjoch der Technik, dessen Herren wir sind, aber wer sind die Sklaven? Das haben wir noch nicht rausbekommen. Das System, das von anderen geschickt wurde und soviel Wesens um sich macht und soviel Wesen erzeugt und so viele Wesen auch wieder wegmacht und überhaupt, also das System ist in der Lage, die jeweiligen Geländebedingungen zu analysieren und den Flugkörper über einen kurvenreichen Weg zu lenken, den Sie zu Fuß nie gehen würden […] (B 62-63)

Als Herren über das ‚Sklavenjoch der Technik‘, nicht über die Technik, ist das Wir der Rede, interessanterweise über die Liebe zur Technik, als deren Sklave markiert. Akteur der Szene ist das System, das die Aktivität des Menschen ersetzt, indem es den Flugkörper an seiner statt auf den Weg schickt. Dabei wird der Mensch in seiner naiven Haltung gegenüber dem Wandel von Machtprozessen, der mit den technischen Erweiterungen und Ersetzungen des Menschen einhergeht, parodiert. Bambiland nimmt hier Überlegungen zu den Folgen der Einführung neuer (insbesondere technischer) Medien auf, wie sie insbesondere von McLuhan formuliert wurden und die insofern im Feld des Unheimlichen anzusiedeln sind, als McLuhan nicht nur, wie oben ausgeführt die Umkehrung der Machtverhältnisse durch die Medien thematisiert, sondern damit einhergehend auch deren „unterschwellige Energie“334 als eigendynamische Prozesse betont. Die Verbindung des Menschen mit technischen Medien – gleichgültig welcher Art, ob Fernseher oder Waffe als prominenteste Beispiele in Bambiland – sind in diesem Medienverständnis unheimlich, da ihre transformatorischen Kräfte unsichtbar und in ihrer wuchernden Qualität kaum abzusehen sind. Der Mensch gerät in eine unheimliche Position, als zum einen seine Grenzen gegenüber dem technischen Medium unklar erscheinen, zum anderen seine souveräne Position als ‚Bediener der Maschine‘ in Zweifel gerät.335 Im Kontext der 333 Friedrich Kittler: Grammophon Film Typewriter, Berlin 1986, S. 210. 334 McLuhan 1992, S. 31. 335 McLuhan schreibt hierzu: „Unsere übliche Antwort, mit der wir alle Medien abtun, nämlich, daß es darauf ankomme, wie wir sie verwenden, ist die befangene Haltung des

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Kriegstechnik wird die Verunsicherung der machthabenden Position des Menschen insbesondere unheimlich wenn die Rede von Waffen ist, die der „menschlichen Intelligenz nur noch als Initialzündung bedürfen, um sodann die Welt in eine virtuelle Realität, ein globales Computergame zu verwandeln, in dem es vor allem um das Auffinden von Spuren des Menschlichen geht […].“336 Auf dieses unheimliche Szenario des Krieges „der Maschinen gegen das Menschliche“337 spielt der Text in der Beschreibung des Systems, das ‚so viele Wesen auch wieder wegmacht‘ an.338 In der oben zitierten Passage formuliert Bambiland die Unklarheit darüber, wer im Verhältnis zwischen Mensch und Technik Herr, und wer Sklave ist. Gleichzeitig deutet die Formulierung von der ‚Liebe zum Sklavenjoch der Technik‘ auf den lustvollen Aspekt nicht nur an der Verbindung, sondern auch an der Unterordnung unter die Technik hin. Das Unheimliche ist hier evident, insofern sich nicht nur die Aktivitäts- und damit Belebtheitsverhältnisse umkehren, sondern diese Umkehrung des Weiteren mit Lust besetzt wird. In der Rhetorik der Anthropomorphisierung der Waffe wird nicht nur diese zum Hybrid aus Maschine und Mensch; in einer Art Rückkoppelungseffekt zeigt sich auch der Mensch von der Technik durchdrungen und dominiert, bzw. in seiner lebendigen, aktiven Rolle gegenüber der Technik labilisiert.339 In dem Genießen des Auflösens der Grenzen zwischen Mensch und Maschine, der lustvollen Unterordnung unter die Technik zeigt sich das Unheimliche dieses Wechselverhältnisses, dem der Text ein Begehren des Menschen nach der Regression auf eine infantil-ohnmächtige Position zugrunde legt, wie Freud sie in seinen Theorien zum Todestrieb beschreibt.

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technischen Dummkopfs. Denn der ‚Inhalt‘ eines Mediums ist mit dem saftigen Stück Fleisch vergleichbar, das der Einbrecher mit sich führt, um die Aufmerksamkeit des Wachhundes abzulenken.“ McLuhan 1992, S. 29. Georg Seeßlen/Markus Metz: Krieg der Bilder – Bilder des Krieges. Abhandlung über die Katastrophe und die mediale Wirklichkeit, Berlin 2002, S. 17-18. Seeßlen/Metz 2002, S. 18. Köppen verdeutlicht das sich weitestgehend unabhängig vom Menschen selbstregu– lierende System eines Kampfhubschraubers im Irakkrieg: „Die Maschine sieht besser und mehr als die Besatzung. und (sic!) ihre Waffensysteme werden von den Informationen gelenkt, welche die bordeigenen Geräte liefern, wie sie sich wieder auf die Informationen stützen, die von anderen Beobachtungsstationen geliefert werden.“ Vgl. Köppen 2005, S. 368. Dazu Haraway: „Die Maschinen des späten 20. Jahrhunderts haben die Differenz von natürlich und künstlich, Körper und Geist, selbstgelenkter und außengesteuerter Entwicklung sowie viele andere Unterscheidungen, die Organismen und Maschinen zu trennen vermochten, höchst zweideutig werden lassen. Unsere Maschinen erscheinen auf verwirrende Weise quicklebendig – wir selbst dagegen aber beängstigend träge.“ Vgl. Haraway 1995, S. 37.

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5.3 Unheimliche Selbstgeburtsphantasmen. Die Überwindung des Menschen durch die Technik Diesem Grund der anthropomorphisierenden Rhetorik folgend, stellt der Text die Frage nach dem Ursprung und der Reproduktion des Tomahawks und setzt die Rede über den Krieg damit endgültig in den Kontext eines unheimlichen „TechnikMythos der Materialschlacht, in der sich männliche Maschinenkörper selbst erzeugen.“340 Die organische Geburt durch die Mutter wird in dem an Frankensteins Monster mahnenden Phantasma der Selbstschöpfung verdrängt: Der hat schließlich auch eine Mutter, viele Mütter und Väter, nein, er hat eher doch nur Väter, denke ich mir, Väter, die um ihn weinen, so lang haben sie ihn entwickelt, und dann haben sie seine Entwicklung weiter im Auge behalten, und jetzt ist er hin, dieser fliegende Körper, der mehr kann als alle andren! (B 44)

In dieser Passage wird deutlich, dass Bambiland mittels des Tomahawks als rhetorisch hergestellter Cyborg auf die diffuse Erlösungsmetaphorik in der Rede über die Kriegstechnologie anspielt, die in dem Selbstgeburtsphantasma des Mannes gipfelt. Die Überwindung der organischen Geburt durch die Mutter stellt in Bambiland den Höhepunkt der Parodie des Technik-Mythos dar und legt gleichzeitig sein Unheimliches offen. Der Text verdeutlicht das Phantasmatische an dem von Haraway als „Erlösungsdrama“ bezeichneten „Metanarrativ der Moderne“341, das die „technologischen Möglichkeiten auf affirmative Weise […] zur Überwindung des als defizitär bestimmten menschlichen Körpers“342 versteht. „[A]n keiner Mutter Hand“ geht das „Geschoß“ ins Ziel, interessanterweise jedoch „zu einer Mutter Hand, der reißt es das Kind aus dem Arm“ (B 63). Der Text verweist hier auf die im Technik-Mythos stattfindende Verwerfung des mütterlichen Körpers und verortet diesen Vor-

340 Doerte Bischoff verweist unter anderem auf die Aufhebung des „Weiblichen als Differenz“ in dem Phantasma von der „apokalyptische[n] Selbstschöpfung im Krieg“. Vgl. Doerte Bischoff: Krieger, Mütter, Cyborgs. Apokalypse und Geschlechterperformanz im Diskurs um den Ersten Weltkrieg, in: Maria Moog-Grünewald/Verena Olejniczak-Lobsien (Hg.): Apokalypse. Der Anfang im Ende, Heidelberg 2003, S. 203-230, hier S. 205. 341 Pritsch 2001, S. 193. 342 Brink 2004, S. hier S. 196-197. Brink bezieht sich an dieser Stelle auf den Cyber- und Performancekünstler Stelarc, der als Vertreter der kybernetischen Body Art die Erweiterung und Optimierung des menschlichen Körpers auslotet und deren Potential einseitig betont, anstatt, wie Haraway, „die technologisch-wissenschaftlichen Symbolisierungsformen und die Mechanismen, die die Tatsache der Konstruiertheit naturwissenschaftlicher ‚Wahrheit‘ verschleiern“, kritisch zu reflektieren. Vgl. Brink 2004, S. 183 und S. 196.

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gang im Unheimlichen. Der Tomahawk hat im Text nur Väter, keine Mutter. Seine Produktion findet im Jenseits des Körpers statt, er umgeht die Geburt durch die Mutter. Hat nach Blumenberg der Mythos das „Amt inne“, „die fremdartigen und unheimlichen Erscheinungen zu besprechen und, wenn nicht zu erklären, so doch zu depotenzieren“,343 führt Bambiland eben diesen Prozess im Technik-Mythos vor. Die Geburt des Menschen ist unheimlich im Wortsinne, da sie die Heterogenität des Menschen begründet, sie ihm fremd und unbekannt, also unheimelig bleibt und doch seinen Ursprung, sein ‚Heimlichstes‘ darstellt.344 Darin ist sie dem Unheimlichen des Todes gleich, der ja ebenfalls allen Menschen gemein, sich der Erfahrbarkeit bzw. der Erinnerung entzieht. Freuds Theorie der Todestriebe, die ebenfalls nicht auf den tatsächlichen Tod verweisen, sondern das Begehren nach der Rückkehr in den mütterlichen Schoß beschreiben – als eine Art Aufhebung der Geburt –, stehen Pate für diese Parallele zwischen Geburt und Tod. Indem Bambiland nun die anthropomorphisierende Rede über die Kriegstechnik mit der phantasmatischen Aufhebung der Geburt kontextualisiert, legt der Text die Deutung nahe, dass der Mensch im Technik-Mythos versuche, das Unheimliche seines Ursprungs zu tilgen. Gleichzeitig weist der Text, wie oben an Hand der Wendung von der Liebe zum Sklavenjoch der Technik aufgezeigt, auf die Sehnsucht des Menschen hin, „auf die Stufe seiner Ohnmacht, gleichsam in die archaische Resignation, zurückzusinken“.345 In dem Selbstgeburtsphantasma wird jedoch nicht nur die Verdrängung des Unheimlichen der Geburt deutlich. Bambiland lässt aus diesem überdies ein Körperkonzept hervorgehen, das insofern unheimlich ist, als es mit der Befreiung vom mütterlichen Körper auch auf die Befreiung vom Organischen des Körpers überhaupt abzielt. Der Überwindung des Organischen ist der Gedanke der Unsterblichkeit beigeordnet; der Körper, der nicht aus Fleisch und Blut ist, der nicht geboren wird, kann und muss nicht sterben. So verdeutlicht Bambiland das Unheimliche des der anthropomorphisierenden Rede über die Waffentechnologie zugrunde liegenden Körperkonzepts, in dem die Waffe zum (Marschflug-)Körper wird, während der menschliche Körper sich auf die Abschaffung seiner Organizität hin bewegt. Hier spiegelt sich Haraways negative Vision des Cyborgs wider, in der das Begehren nach Unsterblichkeit und der Abschaffung des organischen und nicht kalkulierbaren Körpers dominieren: 343 Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos, Frankfurt/Main 1979, hier S. 32-33. 344 Blumenberg beschreibt den Grundkonflikt des Menschen, „der darin besteht oder daraus entsteht, dass ein Subjekt aus einem physischen Prozeß hervorgeht und von seiner Selbstkonstitution eben dadurch nichts erfährt, diese vielmehr aus dem Besitz der einzigen absoluten Evidenz des Cogito sum als heterogen erschließt.“ Blumenberg 1979, S. 298. 345 Blumenberg 1979, S. 15.

260 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN Aus einer Perspektive könnte das Cyborguniversum dem Planeten ein endgültiges Koordinatensystem der Kontrolle aufzwingen, die endgültige Abstraktion, verkörpert in der Apokalypse des im Namen der Verteidigung geführten Kriegs der Sterne, die restlose Aneignung der Körper der Frauen in einer männlichen Orgie des Kriegs.346

Diese Vision der absoluten Unabhängigkeit und Unsterblichkeit des (männlichen) Subjekts führt der Text als Abwehrstrategie vor, die seine tatsächliche Fragmenthaftigkeit und Sterblichkeit verdecken soll.347 Der Tomahawk erscheint als präzisiert perfektionierter Doppelgänger des Menschen, als mutterloses Retortenbaby, das für den Mann und an seiner statt in den Krieg zieht. Dem gegenüber stellt der Text den Menschen in seiner Unzulänglichkeit, Sterblichkeit und Fremdbestimmtheit aus und verdeutlicht so den Zusammenhang zwischen Überhöhung der Technik und dem Gefühl der Unvollständigkeit des Menschen. Der sprachlich-performativen Herstellung des dem Menschen zwar ähnlichen, diesen jedoch in Kraft, Präzision und Größe übertreffenden Geschosses wird die Angst vor der tatsächlich empfundenen Unvollständigkeit des Subjekts zugrunde gelegt und damit der unheimliche Diskurs um die phantasmatische Komplettierung des fragmentarischen Subjekts in der Ganzheit des technischen Doppelgängers angesprochen. Bambiland spielt die Ambivalenz des Technik-Mythos parodierend durch und begründet sie darin, dass die Technik den Menschen zum einen optimieren soll, ihn präziser, besser wiederholt, und zum anderen eben dieses holistische Begehren ihn seiner regressiven Tendenz überführt. Schließlich verdeutlicht der Text, indem er auf die Rhetorizität der Waffe als technischer Doppelgänger des Menschen hinweist, „dass Selbsterschaffung im Kern immer wieder auf ein ästhetisches Geschäft der Selbstdarstellung hinausläuft“, wie Blumenberg schreibt: „Nur ästhetisch lässt sich der Wunsch erfüllen, nicht so zu sein, wie man ist.“348 So wird die Heroisierung des Tomahawks in ihrem Scheitern als ästhetisches, also medial vermitteltes Phänomen verdeutlicht, in dem ihre anhaltenden Zuschreibungen ob ihrer Absurdität dekuvriert werden. In Anspielung auf

346 Haraway 1995, S. 40. 347 Haraways positiver Entwurf des Cyborg-Universums verdeutlicht gleichzeitig genau das, was mit der oben angeführten Cyborgwelt vermieden werden soll: „Aus einer anderen Perspektive könnte die Cyborgwelt gelebte soziale und körperliche Wirklichkeiten bedeuten, in der niemand mehr seine Verbundenheit und Nähe zu Tieren und Maschinen zu fürchten braucht und niemand mehr vor dauerhaft partiellen Identitäten und widersprüchlichen Positionen zurückschrecken muß. Der politische Kampf besteht darin, beide Blickwinkel zugleich einzunehmen, denn beide machen sowohl Herrschaftsverhältnisse als auch Möglichkeiten sichtbar, die aus der jeweils anderen Perspektive unvorstellbar sind. Haraway 1995, S. 40. 348 Blumenberg 1979, S. 299.

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eine fehlgeleitete Rakete, die auf einem belebten Marktplatz im Norden Bagdads niederging und mehr als 40 Zivilisten das Leben kostete, heißt es:349 […] und dann schlägt sie ein, wumm! Daneben! Schon wieder daneben. Dafür gibt es keine Erklärung. Die verirren sich trotzdem. Dafür gibt es keine rationale Erklärung […]. Zweifel an der Präzisionsmunition der Armee? Nein, keine Zweifel an der Präzisionsmunition. Wir zweifeln eher am Gegner als an uns. Der ist nicht dort, wo wir ihn vermutet haben. Kein Wunder, daß die Tomahawks manchmal daneben gehen, wenn auch der Gegner woanders ist, als er sein sollte. Logisch. Dabei haben wir die Technik so verbessert! Das darf doch nicht wahr sein, daß die auf den Markt geflogen ist, diese Idiotin! Stundenlang haben wir ihr die Landkarte eingebleut, und jetzt fliegt sie auf den Markt! Was wollte sie einkaufen, die liebe Tomahawk? Wollte sie vielleicht auch was essen? (B 30)

Die Glorifizierung der intelligenten Präzisionswaffen persiflierend, scheint sich die Redeposition nicht so sehr über den Fehleinschlag der Tomahawk, sondern vielmehr über die anhaltende Zuschreibung von Intelligenz im Kontext der Raketensysteme zu wundern: „Was fliegt die eigens dorthin? Wenn man bedenkt, daß jedes dieser Geschosse intelligenter ist als ein Mensch, kann man da nur staunen.“ (B 31) Das Staunen ist hier mehrfach zu verstehen, als ein Staunen über die Attribuierung von ‚intelligent‘ im Kontext einer Rakete, über die Folgenlosigkeit bezüglich dieser Zuschreibung trotz wiederholter Fehltreffer der Raketen oder aber als Verdachtsäußerung, die den angeblichen Fehltreffer als kalkulierte Zielführung entlarvt.350 Im Nachstehenden folgt eine andere Form der Menschwerdung des Tomahawk, indem sie hier seinen Abstieg bedeutet im Vergleich zu der ansonsten den Text dominierenden Heroisierung des Tomahawks über seine Vermenschlichung. Der Ton ändert sich, die Glorifizierung weicht der Stimme eines gestrengen Vaters: Diese Flugroute ist aber ab sofort gestrichen. Ohne Strafe können wir das den Geschossen nicht durchgehen lassen. Die machen das doch sonst immer wieder. Die dürfen jetzt dort nicht mehr fliegen und aus. Was höre ich? Drei sogar in der Osttürkei niedergegangen? Also Touristen haben sie dort sicher nicht absetzen wollen, die Deppen. Also da hört sich ja alles auf. Der Krieg aber nicht. Der kriegt den Hals nicht voll, der kriegt den Arsch jetzt voll. (B 31)

349 Gerhard Paul bezeichnet diesen Fehleinschlag als ein Signal, „dass auch dieser Krieg keineswegs wie ein Action-Film aus Hollywood ablief, sondern weiterhin unschuldige Zivilisten das Leben kostete […].“ Paul 2005, S. 54. 350 So geht der ZDF-Korrespondent Ulrich Tilgner von einer gezielten Vertreibung der Zivilbevölkerung aus und konstatiert: „Wenn die USA treffen wollen, treffen sie ganz genau.“ Vgl. Heinz-B. Heller: „Wir warten auf die Bilder ...“ Beobachtungen und Anmerkungen zur Irakkriegs-Berichterstattung 2003, in: Heinz-Peter Preußer (Hg.): Krieg in den Medien, Amsterdam 2005, S. 227-240, hier, S. 237.

262 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN

In diesen Passagen parodiert Bambiland den scheinbar unumstößlichen Glauben an die Technik, der so weit geht, die Schuld bei den Opfern des fehlgegangenen Tomahawks zu suchen. Die anthropomorphisierende Rhetorik erhält hier schließlich eine andere Färbung, der Tomahawk gerät vom ‚Wunderwerk‘ zum ‚Deppen‘. Der Text verhöhnt einerseits die angebliche Präzision, die trotz gegenteiliger Erfahrung in der Rhetorik über die Waffensysteme vorherrscht und andererseits die Beschuldigung der Waffen, wenn diese, doch nicht so präzise wie verkündet, ihr Ziel verfehlen. Deutlich wird hier nicht nur das Phantasmatische der anthropomorphisierenden Rede, diese kollidiert in ihrer Verharmlosung in dem Moment mit dem ‚realen‘ Ereignis des Krieges im Irak, in dem die realen Toten ins Gedächtnis gerufen werden. Indem der Text den Fehlgang des Tomahawk auf dem Al-Nasser-Markt in Bagdad – als konkretes Ereignis im Gegensatz zu der abstrakten Rede über den Irakkrieg – mit seinen zivilen Opfern aufruft, spielt er auf die Diskrepanz zwischen dem Fernsehereignis des Irakkrieges und dem im Irak stattfindenden Krieg an, also darauf, dass der Irakkrieg sich nicht auf sein Simulakrum beschränkt, wie Derrida im oben zitierten Ereignis-Aufsatz betont, und es, trotz ihrer Aussparung in der Berichterstattung, Tote gegeben hat.351 Eine Struktur des Textes liegt darin, zwischen konkreten (und tatsächlich stattgefundenen) Ereignissen des Irakkrieges und abstrakten theoretisch-philosophischen Erörterungen zum Krieg, seiner Darstellbarkeit o.ä. zu wechseln. Im Kontrast fällt das Ereignishafte in seinem Verweis auf reale Geschehnisse auf. Auch wenn die Toten hier mit keiner Silbe genannt werden, treten sie eben in dieser offensichtlichen Aussparung ex negativo umso deutlicher in Erscheinung, da sie das eigentliche Skandalon des Fehleinschlags auf dem Al-Nasser-Markt darstellten. Auffällig ist auf das gesamte Stück bezogen, dass die Toten des Krieges kaum Erwähnung finden. In diesem Sinne treten sie mit Derrida gesprochen auf als „Ereignishaftes, das sich vielleicht mit Worten gar nicht sagen lässt. Das ist das Unsagbare: das sind die Toten, zum Beispiel die Toten.“352 Im Aufrufen dieses einzelnen Ereignisses, denn nur in diesem lässt sich laut Derrida Ereignishaftes erfahren, spielt Bambiland auf das Fehlen der Klage um die Toten in der Rede über den Irakkrieg an und stellt die Frage nach dem Ereignis des Krieges bzw. der Berichterstattung über diesen. Im Kontrast zur vermenschlichenden Rede über die Waffe fällt das fehlende Bewusstsein über die Toten in der Rede über den Krieg besonders drastisch ins Auge. Abschließend sei hier festgehalten, dass sich das Verhältnis von Mensch und Maschine in Bambiland im Horizont der Kriegstechnologie als ein unheimliches 351 Paul weist darauf hin, dass die Journalisten im Irakkrieg direkte Weisungen hatten, keine Toten darzustellen. Vgl. Paul 2005, S. 58 f. 352 Derrida, Jacques: Eine gewisse unmögliche Möglichkeit vom Ereignis zu sprechen, Berlin 2003, S. 58f.

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zeigt. Die anthropomorphisierende Rhetorik über die Waffe wird als Narration der Technikbegeisterten entlarvt; in ihrer Parodie greift der Text Deutungen auf, die das phantasmatische Begehren des sich als fragmentarisch und unzulänglich empfindenden Subjekts nach Ganzheit im Technik-Mythos betonen. Damit legt der Text der Technikbegeisterung des Menschen das Unheimliche als Diskurs zugrunde, der stets auf das Phantasma der Ganzheit, der Perfektionierung und Maschinisierung des Menschen hinweist.

V. Babel (2004)

Babel stellt in vielerlei Hinsicht eine Erweiterung und Intensivierung von Bambiland dar. Wie bereits gesagt, bezieht sich der im April 2005 von Nicolas Stemann im Wiener Akademietheater uraufgeführte Text thematisch wie Bambiland auf die Ereignisse rund um den 11. September und den Irakkrieg, reflektiert dabei jedoch vermehrt deren Hintergründe und Gründe. Während Irm sagt und Margit sagt, die ersten beiden Polyloge Babels, Gewalt im Allgemeinen einerseits und das Martyrium der Selbstmordattentäter von 9/11 andererseits thematisieren und mit psychoanalytischen Inzesttheorien engführen, schließt Peter sagt inhaltlich an Bambiland an, indem der Text weitestgehend Bilder des Irakkrieges zum Ausgang seiner Rede macht. Neben der Reflektion der Entstehungs- und Verbreitungsbedingungen der Folterbilder aus dem Gefängnis in Abu Ghraib und der Aufnahmen von den in Falludscha gelynchten und an einer Brücke aufgehängten amerikanischen BlackwaterSöldner, bringt Peter sagt Theoreme und Thesen von Walter Benjamin, Luis Buñuel, Salvador Dalí, René Magritte und Giorgio Agamben ins Spiel, sowie mythologische Bezüge vom musikalischen Wettstreit zwischen Apoll und Marsyas, in diesem Zusammenhang Athene, Prometheus und Amfortas. Auch wenn die drei Texte unter einem Titel zusammengefasst sind und zweifelsohne zusammengehören, weisen die ersten beiden, wesentlich kürzeren Polyloge eindeutige Korrespondenzen untereinander auf, während der dritte, mit über 94 Seiten weitaus längste Text thematisch für sich steht. Schon die Entstehungsbedingungen legen dies nahe. Während Irm sagt und Margit sagt, wie oben erwähnt, für Schlingensiefs Attabambi-Pornoland geschrieben wurden – und dementsprechend den Fokus auf eine sexualisierte und pornographische Sicht legen –, entstand Peter sagt im zeitlichen Abstand zu den ersten Polylogen. Dieser Gewichtung entsprechend, werde ich im Folgenden zunächst Irm sagt und Margit sagt weitestgehend zusammen untersuchen, um dann gesondert auf Peter sagt einzugehen. Der Titel Babel legt einen ähnlich hohen Assoziationsreichtum frei wie Bambiland, zugleich verweisen beide Titel aufeinander. Zunächst weist Jelinek auf die gleichnamige von Udai Hussein herausgegebene Sportzeitschrift hin: „Wir bleiben

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also mit unseren braven Körpern beim Sport, ob wir wollen oder nicht“,1 sagt sie im Interview. Der mythologische Bezug des Titels fungiert als roter Faden sowohl Bambilands als auch Babels. So stellen die Hybris einerseits und die Sprachverwirrung, verstanden auch als Unangemessenheit symbolischer Repräsentationssysteme andererseits wichtige Aspekte beider Texte dar und fungieren darüber hinaus als Klammer für das Unheimliche. Schließlich deuten die Texte Hybris zum Großteil als narzisstische Größenphantasien. Diese Betonung des Phantasmatischen markiert den Fokus der Texte auf das Unheimliche und problematisiert gleichsam Darstellung und Darstellbarkeit im Horizont des Medialen. In diesem Rahmen siedelt die vorliegende Arbeit also weitestgehend das Unheimliche von Bambiland und Babel an. Die metaphorische Bedeutung Babels geht auf eine Beschreibung im ersten Buch Mose (Kapitel 11) zurück, die davon erzählt, wie die bis dahin einer gemeinsamen Sprache mächtigen Menschen einen spiralförmig spitz zulaufenden Turm bauen wollten, der bis zum Himmel reichen sollte. Gott strafte diese menschliche Anmaßung an das Göttliche mit der Verwirrung der Sprachen, sodass sich die Menschen untereinander nicht mehr verstehen konnten und sich über alle Länder zerstreuten. In diesem Kontext ist Jelineks Titel als „metasprachlicher Kommentar“2 auf die hybriden Sprecherstimmen der Texte zu deuten, in denen sich Positionen verwirren, gegenüberstehen, ineinander fallen und gegenseitig auslöschen, und so ein babylonisches Sprachgewirr ergeben.3 Beide Titel, Bambiland und Babel, sind mit Lücke als „erkenntnistheoretischpoetologische Metaphern einer poeta docta-philosophica zu lesen, deren Thema gleichsam in Fortführung von Heidegger über Horkheimer/Adorno bis zu Derrida und Vattimo eine Kritik des abendländischen Rationalismus und seiner Überbordung, seines Umschlagens in den Mythos, mit poetischen Mitteln ist – auch und gerade in der zitathaft-ironischen Umsetzung der Ereignisse in den Mythos [...]“.4 So kann den Texten die Aufforderung zu einer Lesepraxis unterstellt werden, die das Sprachgewirr affirmativ einbezieht. Allyson Fiddler zitiert Roland Barthes, der

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Elfriede Jelinek im Interview: Schneeberger: „Bis ich am Boden aufschlage“ 2005. Natalie Bloch 2011, S. 221. Ausführlicher zu den unterschiedlichen kulturellen Ausdeutungen des Mythos vgl.: Ester Saletta: Brochs und Jelineks Babel: Ein geschlossenes Wertesystem, in: Trans. Internetzeitschrift für Kulturwissenschaften, 16 (Mai 2006), hrsg. von Manuel Durand-Barthez, www.inst.at/trans/16Nr/05_4/saletta16.htm, letzter Zugriff 05.10.2014. Bloch weist darauf hin, dass in der hebräischen Fassung der Bibel ‚Babel‘ als Wortspiel übersetzt, das „‚Geplapper‘ oder ‚Wirrsal‘“ bedeute. Bloch 2011, S. 221. Bärbel Lücke: Terror, Irak-Krieg, Folter. Elfriede Jelineks ‚Moralkunstwerk‘ Bambiland/ Babel (Irm – Margit – Peter), in: Ulrich Kinzel (Hg.): An den Rändern der Moral. Studien zur literarischen Ethik, Würzburg 2008, S. 172-184, hier S. 172.

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diesbezüglich von der Verkehrung des biblischen Mythos’ spricht: „[...] die Verwirrung der Sprachen ist keine Strafe mehr, das Subjekt gelangt zur Wollust durch die Kohabitation der Sprachen, die nebeneinander arbeiten: der Text der Lust, das ist das glückliche Babel.“5 ‚Babel‘ ist also auch als Metapher für die Sehnsucht nach der Rückkehr zu einer Universalsprache lesbar; als Aufhebung des göttlichen Fluchs und Rückkehr in den paradiesischen Zustand sprachlicher Vereintheit. Der Titel spielt hier auf Sehnsüchte und Visionen an, wie sie sich insbesondere in einigen hochgestimmten Thesen aus der Anfangsphase des Internets finden ließen, die von der „Erfüllung des alten gnostischen Traums von einer universellen Kommunikation zwischen Mensch, Materie und Kosmos“6 sprachen oder – etwas gemäßigter – vom Zusammenschrumpfen der Welt zum „globalen Dorf“.7 Mit dem Internet sollten alle Kommunikationsbarrieren in einer vernetzten Universalsprache aufgehoben werden; dass sich die Sprache darin selbst aufhebt, um den Bildern – als eigentliche Währung des Internets – Platz zu machen, dies ist eine der Thesen bzw. Fragen, die Jelinek mit dem Titel Babel aufwirft und der sie mit dem Fokus auf das Bild in Peter sagt nachgeht. Der Titel Babel gibt also bereits einen ersten Hinweis auf das Unheimliche, indem er das regressive Begehren anklingen lässt, das sich in der Sehnsucht nach einer globalen Verständigung und Vereinigung äußert. Wolfgang Welsch hält fest, dass der Traum vom Paradies ein doppelter ist: [R]ückwärts bezieht er sich auf einen verlorenen Zustand vom Anbeginn der Zeiten, vorwärts zielt er auf einen neuen, utopischen Glückszustand, auf ein neues Paradies, das durch die menschliche Geschichte erreicht werden soll.

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Welsch führt Kleist an, der sagte, dass „wir ein zweites Mal ‚von dem Baum der Erkenntnis essen‘ müßten, um das Paradies wiederzugewinnen; dies werde das ‚letzte Kapitel von der Geschichte der Welt‘ sein“.9 Das Begehren, das sich an den 5 6 7

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Roland Barthes: Die Lust am Text, Frankfurt/Main 1974, S. 8. Zitiert nach: Fiddler 2006, S. 111. Wolfgang Welsch: Eine Doppelfigur der Gegenwart. Virtualisierung und Revalidierung, in: Ders./Gianni Vattimo (Hg.): Medien-Welten Wirklichkeiten, München 1998, hier S. 229. McLuhan prägte den Begriff vom globalen Dorf bereits in seinem 1962 erschienenen Buch Die Gutenberg-Galaxis (The Gutenberg Galaxy) und formulierte sie schließlich im gleichnamigen Buch aus. Vgl. Marshall McLuhan: Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters, Düsseldorf 1968; Marshall McLuhan/Bruce R. Powers: The Global Village. Der Weg der Mediengesellschaft in das 21. Jahrhundert, Paderborn 1995. Zum Zusammenhang der Medien und der Babel-Metapher vgl. den Essay von Lorenz Engell: Ausfahrt Babylon. Die Genese der Medienkultur aus Einheit und Vielheit, in: Ders.: Ausfahrt nach Babylon. Essais und Vorträge zur Kritik der Medienkultur, Weimar 2000, S. 263-304. Welsch 1998, S. 229. Ebd.

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Utopien und Visionen des Internetzeitalters ablesen lässt, greift Babel auf und entbirgt das Unheimliche daran. 9/11 und der Irakkrieg sind auf das Engste mit ihrer Medialität verknüpft, ihre Akteure rechnen mit ihr, nutzen sie und sind gleichzeitig immer auch Spielbälle ihrer unberechenbaren Funktionsweisen. Die Todespiloten von 9/11 treten in Irm sagt und Margit sagt als apokalyptische Antwort auf den Traum von Babel auf; als Mensch gewordene Todestriebe wird ihre Vision vom paradiesischen Leben durch den Tod als regressiv-narzisstisches Begehren nach der Rückkehr in den Mutterleib inszeniert. Ebenso wird in Peter sagt die Babel-Metapher kritisch eingesetzt; im Fokus auf die Bilder von Abu-Ghraib und Falludscha kippt die Vision einer weltumspannenden Kommunikation über das Internet in ihren pervertierten Alptraum vom Terror der Bilder. Indem Jelinek in Peter sagt nun die über das Medium Internet verbreiteten Bilder ins Zentrum ihrer Ausführungen stellt und nicht mehr, wie in Bambiland das Fernsehen, reagiert sie auf die „Wende im Bilderkrieg“,10 die gleichzeitig einen Medienwechsel mit sich brachte. Gerhard Paul bezeichnet die Publikation der Folterbilder von Abu Ghraib als den „absoluten Gau: den größten anzunehmenden Unfall“ für die USA.11 Der Hoffnung, dass das Internet als für jeden zugängliches, quasi demokratisches Medium12 eine neue Ordnung herstellen würde und sich nun das „authentische Gesicht des Krieges“ zeige,13 dieser Hoffnung begegnet Jelinek mit einer poetisch-theoretischen Ausleuchtung und Inszenierung der vollkommenen Entfesselung der Bilder, die sich längst von ihrem Gegenstand als Ursprung gelöst zu haben scheinen und somit mitnichten als authentisch zu bezeichnen sind. Dabei greift Babel die von Paul beobachtete Tendenz einer zunehmenden Körperlichkeit der Bilder auf;14 alle drei Polyloge fokussieren den Körper, seine Grenzen, Übergänge, sein Flüssig-Werden, wie auch seine Panzerung und Verhärtung. Im Hinblick auf die oben vorgenommene Kontextualisierung des Unheimlichen mit dem Erhabenen und dem Abjekten lässt sich formulieren, dass Bambiland das Erhabene als rhetorische Strategie zur Beschreibung des Irakkrieges in den Text einlässt, durchspielt und entlarvt, während Babel den Körper fokussiert. Bambiland steht im Zeichen des Hightech-Krieges, der Bilder eines virtuellen und körperlosen Irakkrieges, die diesen zu abstrahieren suchen. In Babel hingegen herrschen Szenen des Abjekten vor, die das Überschreiten und Verletzen von Körpergrenzen in allen erdenklichen Formen inszenieren, und schließlich wird auch die im Text vorherr10 Paul 2005, S. 181. 11 Ebd. 12 Vgl. hierzu beispielsweise den Band: Bundeszetrale für politische Bildung (Hg.): Digitale Demokratie. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte 7 (2012). 13 Wie Paul vorsichtig andeutet. Vgl. Paul 2005, S. 181. 14 Ebd.

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schende Frage nach der Medialität im Horizont des Körperlichen verhandelt. In theoretischen (expliziten) Anleihen an Walter Benjamin (wie auch impliziten an Jean Baudrillard und W.J.T. Mitchell) geht der Text dem „Leben der Bilder“15 nach und inszeniert dabei die schwindende Lebendigkeit des Menschen als dessen Kehrseite. Es wird zu zeigen sein, inwiefern Peter sagt der fortschreitenden Selbsttätigkeit der Bilder (insbesondere im Medium Internet) die zunehmende Ohnmachtsstellung des Menschen entgegensetzt. Bis hierhin kommentarlos wiedergegeben, bedürfen die merkwürdigen Überschreibungen der drei Polyloge in Babel einiger Erläuterungen, insbesondere da in ihnen ein wichtiges Strukturelement aus Bambiland wiederaufgenommen und quasi angewendet wird. Unentscheidbar ob Titel oder Sprecherangabe beziehen sich Irm sagt, Margit sagt und Peter sagt auf die Schauspieler/innen Irm Hermann, Margit Carstensen und Peter Kern, die allesamt in der Bambiland-Inszenierung von Christoph Schlingensief mitwirkten. Dass es sich hier um Sprecherangaben handelt, legt der Doppelpunkt nahe; der Zusatz ‚sagt‘ irritiert dann wiederum, da er indirekte Rede erwarten lässt. Schließlich wird in den Texten selbst wieder deutlich, dass hier nicht einer spricht, sondern ein Stimmenmeer und eine Assoziationskette zu Wort kommt, die sicherlich nicht auf einen Personennamen zu reduzieren ist. Die Überschreibungen bringen insofern von Anbeginn eine Irritation nicht nur bezüglich eines personalen Sprechers ein, sondern geben auch in Bezug auf die Frage nach der Unmittelbarkeit der Rede zu denken (über die Spannung zwischen dem direkte Rede suggerierenden Doppelpunkt und den Wendungen ‚Irm/Margit/Peter sagt‘, denen indirekte Rede folgt). Durch die Überschreibung mit Eigennamen ist die Rede schließlich im Theaterkontext als Figurenrede markiert, entlarvt dies jedoch sofort als medialen Effekt, indem auf die Überschreibung „Irm sagt:“ nicht die Rede einer Figur folgt, sondern ein rhizomatisches Geflecht von Stimmen, die der Funktionsweise eines „stream of consciousness“16 folgen. Laut Sybille Krämer zeige die „Institution des Eigennamens, durch die uns vor aller Individualisierung eine unverwechselbare geschlechtlich spezifizierte Identität allein durch einen performativen sprachlichen Akt verliehen wird“, dass der „Mensch immer schon durch das Wechselspiel von natürlichem Leib und symbolischem Körper charakterisiert“ sei.17 In Babel zeigt sich das Scheitern des performativen Akts der Namensgebung. Verstärkt noch durch die Referenz 15 So der Titel von W.J.T. Mitchells Studie, die Benjamins These vom Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit um das Zeitalter der biokybernetischen Reproduzierbarkeit fortführt. So lautet denn auch die Überschrift des abschließenden Kapitels von: W.J.T. Mitchell 2008. 16 Vgl. Fiddler 2006, S. 103. 17 Sybille Krämer: Medien – Körper – Performance. Zwischen Person und ‚persona‘ – ein Gespräch, in: Leecker 2001, S. 471-479, hier S. 477.

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auf die Schauspieler/innen der Bambiland-Inszenierung, die ja bereits Medien eines anderen auf der Bühne verlautbarten Textes waren und nun in Babel wiederkehren und von der Autorin als Überschriften im Text manifest werden, wird hier das Spiel mit den Authentizitätsrollen, das Jelinek schon in Bambiland spielte, deutlich. In Weiterführung von Jelineks Nora-Figur18 verweisen die Überschreibungen in Babel auf ihre leere Medialität, darauf dass sie Zitat einer fremden Rede sind, die sie als Rolle überhaupt nicht ausfüllen wollen. Schon in den Titeln macht Jelinek so auf die Medialität als Theatralität in dem Sinne aufmerksam, dass hier keine Person als unverwechselbares Individuum spricht, sondern eine persona als inszenierte Rolle. In diesem Sinne sind die Titel als „Durchführung dieses Themas“19 von Bambiland zu lesen, da sie dessen Fokus auf die Effekthaftigkeit des Medialen quasi über die Struktur von Babel erfahrbar machen.

1. I RM

SAGT UND

M ARGIT

SAGT

Irm sagt und Margit sagt treten als monolithische Redeklötze auf, die völlig ohne Absätze auskommen. In Irm sagt gibt sich die Sprecherposition zunächst unpersönlich und beobachtend. So beginnt der Text mit den Worten: „Tausende Menschen sind in der Verlegenheit, rechtzeitig, ehe es zu spät ist, ihre Körper aus der Tasche ziehen und benutzen zu müssen.“ (IS 87) Aus dieser – wenn auch inhaltlich höchst ungewöhnlichen – Allgemeinheiten formulierenden Position heraus meldet sich eine zunächst noch unsichere Ich-Stimme. Deren emotionale Verstrickung mit ihrem „Herr[n]“ (IS 93), die sowohl religiös als auch sexuell und beides in einem konnotiert wird, tritt im Verlauf des Textes deutlich hervor, gibt sich jedoch als ambivalent in Bezug auf die Beurteilung dieser Beziehung zu erkennen. So schwankt sie zwischen dem Preisen, „[…] der Jägersmann. […] dieser Mensch, an dem ich so hänge, den ich anbete“ (IS 89) und der aggressiven Abwehr seiner Macht: „Jetzt aber jetzt aber, jetzt bin ich dir eben leider noch ausgeliefert, du Trottel Gott, was traust du deiner Natur alles zu!“ (IS 94) Stets scheint hier eine weibliche Stimme in Abgrenzung (und Hinwendung) zu einem männlichen Gegenüber zu sprechen: „Der große Mann, der Repräsentant, der Herrscher […].“ (IS 93) Inhaltlich findet in Irm sagt eine Überblendung von Sexualität und Krieg statt,20 in der der „Geschlechtsapparat“ zum „Jagdapparat“ (IS 88) wird und in der den ent-

18 Die sich selbst, wie bereits aufgeführt, als Zitat aus einem anderen Theaterstück markiert. 19 Vgl. Jelinek im Interview mit Schneeberger, S. 125 der vorliegenden Arbeit, Fußnote 13. 20 Worin Irm sagt im Übrigen an Bambiland anschließt, das auf seinen letzten Seiten schon die sexuelle Aufladung einer Sprache anprangert, die in ihrer Sensationslust und Technikbegeisterung den Krieg als überwältigendes Spektakel feiert. Bambiland endet mit den Wor-

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scheidenden und letzten Endes gleichgesetzten Fragen nachgegangen wird: „Warum bitte ist dieser Krieg ausgebrochen? Warum will ich, daß Sie mich ficken und niemand andren?“ (IS 95) Die ersten beiden Polyloge in Babel rücken den Körper und sein Fleisch ins Zentrum. Dabei fokussiert Irm sagt den Körper in seiner medialen Nutzbarmachung und Abbildbarkeit („Es ist Bild. Es ist Fleisch. Es ist Fleisch auf einem Bild.“ [B 97]) und konstatiert die Vormachtstellung des voyeuristischen Interesses am erotisch aufgeladenen Körper in der medialen Darstellung: „Die Berichterstattung von Taten ist der Berichterstattung über Titten gewichen, sie hat Platz gemacht. Titten und Mösen machen jetzt Geschichte […]“ (IS 90), denn: „Heute zählt nur noch der Körper, der Körper ist der Bahnbrecher, nicht das Denken.“ (IS 97) Dabei werden die Themen um den Körper, das Fleisch und seine mediale Zurichtung im Wechsel der Perspektiven einmal aus distanzierter Beobachterposition, ein anderes Mal aus Sicht des involvierten Körpers – quasi aus der Innenperspektive – behandelt.21 Die Perspektivwechsel zeitigen jedoch letztlich keinen Wandel der Betrachtungen, sondern werden allesamt in den Textfluss eingeebnet. Auch die kommentierende, scheinbare Erzähler- bzw. Autorenstimme wird, wie bereits in Bambiland und den anderen Babel-Texten, nahtlos eingefügt. In Margit sagt tritt die in Irm sagt bereits eingeführte, religiöse Aufladung des Fleisches und seine (Selbst-)Opferung im Martyrium Jesu wie auch des Selbstmordattentäters Mohammed Attas, aus dessen Testament der Text vielfach zitiert,22 in den Mittelpunkt. Die Verknüpfung von Religion und Krieg wird mit von Gewalt und Lust durchkreuzten inzestuösen Phantasien der gegenseitigen Vereinnahmung und des Verschlingens von Körpern gepaart, für dessen Beschreibungen und Deutungen Jelinek auf Texte des Freud-Schülers Otto Gross zurückgreift.23 In Margit sagt spricht die universale Mutterfigur, eine „Kippfigur“,24 die Maria, die heilige

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ten: „Na endlich spritzt der ab. Ich hab schon geglaubt, er kommt überhaupt nicht mehr. So. Jetzt ist auch das erledigt.“ (B 84) Vgl. Bloch 2011, S. 232ff. Attas Testament ist einsehbar unter Atta, Mohammed: „Im Namen Gottes, des Allmächtigen“. Das Testament des Terrorpiloten Mohammed Atta, in: Der Spiegel, 40 (2001), http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-20240157.html, letzter 19.05.2017. Wie Jelinek in ihrer typischen Form der Danksagung am Ende von Margit sagt expliziert: „(Tausend Dank, lieber Herr Dr. Otto Gross, ich wollte immer ein Mann sein und homosexuell, damit ist aber nicht das Minderwertigkeitsgefühl, eine Frau zu sein, in mich eingedrungen, wie ich immer geglaubt habe, sondern, ach, ich weiß nicht recht, ist es wirklich der Wunsch, von der mit infantilem Material belasteten Heterosexualität und deren Destruktionssymbolik freizukommen? Könnte gut sein. Ich werde nie an mir festhalten, da such ich mir schon was Festeres aus!)“ (MS 134) Bärbel Lücke bringt an verschiedenen Stellen ihrer Untersuchungen zu Elfriede Jelineks Werk den Begriff der ‚Kippfigur‘ für die Sprecherpositionen der Texte ins Spiel. Sie begründet dies treffend: „Wenn man dennoch von Figuren (in einem differentiell verschobe-

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Mutter-Gottes, wie auch jede andere Märtyrer-Mutter (insbesondere jedoch die Mohammed Attas) in sich vereint, gleichzeitig schon im Namen auf die matriarchalische Muttergöttin ‚Mari‘ verweist, in deren religiösem Opfer-Erlöser-Ritual Kastration und Kannibalismus einen festen Bestandteil darstellen.25 Dass der Text hier die christliche und islamische Kultur und Religion ausgerechnet über die Märtyrersöhne und ihre Mütter engführt, ist als besondere Pointe und Provokation zu verstehen. Die Kippfigur des „Jesus W. Bush“ (B 26) aus Bambiland, die auf die Hybris von Bushs Heilsversprechen anspielte, wird hier – in klassisch Jelinekscher Manier der immer auch parodistischen und fragenden Zuspitzung – um eine Parallelisierung des christlichen Märtyrers mit den Selbstmordattentätern von 9/11 erweitert. So deutet der Text die christliche ebenso wie die islamische Religion über ihre Heilsversprechen als manipulierende Strategien, die auf das narzisstische Begehren des Menschen abheben, wie Lücke schreibt: „Denn jedes Erfüllungsversprechen bleibt im Imaginären, ist ein bloßer Mechanismus von Autoimmunisierung, ist narzisstische Bespiegelung seiner selbst.“26 1.1 Zur untoten Sprecherposition: Der Märtyrertod als Verlängerung des Lebens Schon im ersten Satz von Margit sagt weist sich die Maria-Märtyrer-Mutter als untote Sprecherin aus und bekleidet damit als sprechende Tote eine für Jelineks Theatertexte recht geläufige Sprecherposition:27 „Ich bin ausgerechnet auf meinem bevorzugten Wunder-wunden-Wanderweg zu Gott getötet worden […].“ (MS 99). Wenn es weiter heißt: „Aber kaum hatte ich mich danach umgeschaut, was Gott mit nen Sinn) sprechen kann und muss, dann deshalb, weil wir es zwar mit vexierbildhaft angelegten Kippfiguren zu tun haben (der Begriff stammt aus der Wahrnehmungstheorie), die aber dennoch jeweils mehr oder weniger deutlich identifizierbar werden – um identifizierbar zu sein, quer durch den Text collagiert werden müssen – und die sich an uns, den Leser, wenden, fragend, appellierend, so daß sich trotz aller sprachlich-formalen und figuralen Auflösungsstrategien ein Potential aristotelischer Katharsis entfalten kann […].“ Vgl. Lücke 2008, S. 173. Für eine detaillierte Untersuchung der Sprecherpositionen der drei Babel-Monologe vgl. Bloch 2011, S. 231-242. 25 Vgl. Lücke 2004c, S. 376. Zur ‚Mari‘-Figur vgl. außerdem: Barbara Walker: Das geheime Wissen der Frauen. Ein Lexikon, Frankfurt/Main 1993, S. 662ff. 26 Lücke 2004c, S. 374. 27 Die untote Mutter‚figur‘ kann als Fortführung der Vampirin Carmilla aus Krankheit oder Moderne Frauen gelesen werden, wie sie ohnehin in eine „etablierte Tradition von Vampiren- und monströsen Frauengestalten in Jelineks Werk“ gesetzt werden kann bzw. in einer solchen verstanden werden muss, wie Fiddler bemerkt. Fiddler stellt darüber hinaus die These auf, dass dies die einzige Form von Machtausübung der weiblichen Positionen in Jelineks Texten darstelle. Vgl. Fiddler 2006, S. 104f.

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mir gemacht hat, war mir schon sein Sohn geboren worden. Ist mir einfach so rausgerutscht“ (MS 99), wird die Parallelisierung von Geschlechtsakt, Geburt und Tod zum einen und das problemlose Weiterleben nach dem Tod zum anderen deutlich. Schließlich nimmt Maria-Margit ihren Tod wieder zurück oder zieht ihn zumindest in Zweifel: „Ob das vielleicht Töten war, was der Gott mit mir gemacht hat? Nein. Es scheint etwas anderes gewesen zu sein, allerdings ähnlich gewaltsam.“ (MS 99) In diesen ersten Sätzen schon führt der Text sein bestimmendes Thema ein: den Mythos vom Tod als Verlängerung und scheinbare Steigerung des Lebens. Wie Natalie Bloch darlegt, tritt der Tod in Margit sagt nicht als das unbeschreibbare „ganz ‚Andere‘ der herrschenden Ordnung“28 auf, sondern stellt dar, dass der Tod nur als Mythos in die „symbolische Ordnung integriert werden kann, wenn er sein scheinbares Gegenteil verheißt, die Steigerung des Lebens“.29 In Bezug auf Bambiland konnte in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden, dass der Text den Tod als unweigerlichen Begleiter des Krieges weitestgehend ausklammert, und dies eben auch als These des Textes zur Berichterstattung zu verstehen ist. In Irm sagt und Margit sagt – und schließlich auch in Peter sagt – findet wiederum eine exzessive Fokussierung auf den Tod statt. Letztlich weist diese jedoch wiederum auf seine Unfassbarkeit als tatsächliches Ereignis hin, wenn der Tod als Metapher vom Paradies in Irm sagt und Margit sagt überdeutlich ins Feld des Symbolischen verschoben erscheint. Der Text führt hier die christlichen und islamischen Vorstellungen von einem Leben nach dem Tod eng, wenn er die untote Märtyrer-Mutter-Stimme ihr Recht einklagen lässt: „Wo ist das helle Licht, das mir ausdrücklich für den Todesfall versprochen wurde, und wo ist dieser ominöse, aber umso berühmtere Tunnel? Krieg ich die nicht, dann sterb ich auch nicht! Extra nicht!“ (MS 100) Indem Tod und Sterben als „jederzeit revidierbare Zustände erscheinen“,30 wird die religiöse Aufladung bzw. Umdeutung des Todes mit Denkfiguren wie der Wiederauferstehung, Unsterblichkeit und den Vorstellungen vom Paradies ironisch aufgenommen. Man soll diejenigen, die auf der Strecke blieben, die auf dem Weg Gottes, oder gar von ihm selbst, getötet wurden, nicht voreilig für tot halten. Sie sind vielmehr lebendig, lebendiger als lebendig, und zwar bei ihrem Herrn, und sie werden versorgt und verpflegt, auch wenn sie selbst erst mal Verpflegung werden müssen, egal wo, egal wofür, man sagt im Himmel. (MS 100)

Verhandelt wird nicht der Tod selbst als tatsächliche Bedrohung des Lebens, sondern die Sehnsüchte und Ängste, die zu seinen unterschiedlichen Mythisierungen 28 Bloch 2011, S. 230. 29 Ebd. S. 231. 30 Ebd.

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und damit zu seiner Verdrängung führen. Dabei wird vornehmlich, wie schon gesagt, die Märtyrer-Thematik in den Blick genommen31 und deren Heilsversprechen mit psychoanalytischen Thesen von Otto Gross, Sigmund Freud bis Jacques Lacan persiflierend ausgedeutet. Als Motiv für und Vorstellung vom Märtyrertod wird hier die Sehnsucht nach der „semantisch unmöglichen Steigerung des Absolutadjektivs“32 „lebendiger als lebendig“ genannt. Diese unmögliche Steigerung des Lebens wird im Religiösen verankert, indem sie zum einen über die Lokalisierung „bei ihrem Herrn“ und „im Himmel“ und zum anderen über die absolute Bedürfnisbefriedigung („sie werden versorgt und verpflegt“) auf Vorstellungen vom Paradies (als Verheißung für das Selbstopfer im Martyrium) anspielen. Die Formel des Lebendiger-als-Lebendig-Seins korrespondiert schon auf der Wortebene mit dem Unheimlichen. Der Topos der Steigerung bzw. Optimierung des Lebens ist in Jelineks Werk virulent und mündet stets in einen unheimlichen Status des Untoten wie beispielsweise die Figur des Sportlers Andi in Ein Sportstück, der infolge der übermäßigen Einnahme von Anabolika sein Leben ließ. Aus der Perspektive des Nachlebens heraus beschreibt er den Prozess der lebens- und leistungssteigernden Optimierung seines Körpers, der als unbegrenzte Erweiterung des Lebens nur im ‚Untod‘ enden kann. Hierbei speist sich das Unheimliche nicht so sehr aus der untoten Perspektive der unterschiedlichen Sprecher;33 die Vorstellung von einem Leben, das ‚lebendiger als lebendig‘ ist, bezeichnet vielmehr den Funktionsmechanismus des Unheimlichen, wie ihn Freud über die lexikalische Bestimmung des Begriffs herleitete. Wie bereits dargelegt, bezeichnet das Unheimliche die Steigerung seines Gegenteils ins Extrem. Das Heimelige kippt zu guter Letzt ins Unheimliche. Und nach Freud ist die Urszene des Menschen, sein Allerheimeligstes, die Symbiose mit der Mutter. Indem Margit sagt das Sterben für Gott ironisch umformuliert in das paradiesische Phantasma eines lebendigeren Lebens, das wiederum unweigerlich in den Untod mündet, greift der Text diesen Funktionsmechanismus des Unheimlichen auf und führt ihn vor. Das Unheimliche des ‚lebendiger als lebendigen‘ Menschen liegt darin begründet, dass ihm der Tod

31 Dies wird im weiteren Verlauf des oben Zitierten in der Anspielung auf Jesus am Kreuz noch deutlicher: „Was sagt uns der Himmel […]. Ich höre: Der Nächste muß jünger sein und nicht so fett! Können Sie sich etwa einen fetten Mann am Kreuz vorstellen? Da reißen ihm ja die Nägel die Hände in der Mitte auseinander! Der fällt uns noch vom Kreuz, wenn wir nicht aufpassen!“ (MS 100) 32 Bloch 2011, S. 231. 33 Das „ort- und körperlose […] Sprechen“ der untoten Figuren ist sicherlich eines der markantesten Momente des Unheimlichen in Jelineks Werk, wie bereits mehrfach konstatiert. Im Hinblick auf Babel vgl. Bloch 2011, S. 230.

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scheinbar kein Ende setzen kann.34 So wird in Margit sagt der Tod als unumstößliche und für den Menschen unfassbare Grenze des Lebens über die Vorstellung vom Paradies negiert bzw. durch den Untod ersetzt. Damit bedient sich der Text hier eines klassischen Topos des Unheimlichen. Die Metaphorik des Untoten scheint sich dabei als Formprinzip des Unheimlichen auf andere Bereiche auszuweiten. Nicht nur die oben bereits genannten Kippfiguren, die sich jederzeit in ihr Gegenteil verkehren können, auch die damit einhergehenden abrupten ‚Meinungswechsel‘ des Textes, der „unvermittelte Bruch in Ton, Bezugnahme und Perspektive“35 wird in diesem Sinne unheimlich und steht im Zusammenhang mit der Aufhebung des Todes, der eigentlich als unumstößliche Tatsache im menschlichen Denken fungiert. Dass alles Leben einmal sterben muss, ist eine der letzten Wahrheiten des Menschen, und so beängstigend wie der Tod im Einzelfall ist, so beunruhigend ist doch der Zweifel an seiner generellen Gültigkeit. Die Aufhebung des Todes zieht demnach andere Aufhebungen nach sich. Dies führt dazu, dass „das Sprechen als solches unberechenbar wird“.36 Es findet eine ‚Pervertierung‘37 aller Positionen statt, die der oben genannten Eigenschaft des Unheimlichen gleichkommt, in der absoluten Steigerung (des Heimlich-Heimeligen) mit seinem Gegenteil zusammenzufallen. So entsteht ein sich „wechselseitig ergänzendes und widersprechendes Konglomerat von Stimmen“,38 das, nach der Prämisse des Unheimlichen funktionierend, unvereinbare Positionen, Meinungen und Seinsarten ineinander umschlagen lässt. Indem Jelinek dieses Formprinzip der Rede an die Figur des Untoten bindet, setzt sie beides in einen kausalen Zusammenhang; das permanente Ineinanderfallen von Gegensätzen weist hin auf eine fundamentale Verunsicherung gegenüber den Belebtheitsverhältnissen. 1.2 Der Märtyrer-Topos in psychoanalytischer Deutung: Infantilisierte Mütter und regressive Söhne „auf dem Topferl“ (MS 108) Margit sagt schließt die religiösen Auffassungen von einem Leben nach dem Tod, insbesondere diejenige von einem paradiesischen Zustand der unmittelbaren Be34 Auf die Gefahr hin, reinen Wortspielereien nachzugehen, könnte formuliert werden, dass das Lebendige seine Bedeutung nach der Eindeutigkeit des Todes hin entwickelt, bis es endlich mit diesem als seinem Gegensatz zusammenfällt, während sich das ‚Lebendiger-alsLebendige‘ zu seiner Ambivalenz des Untoten hin entwickelt, bis es endlich mit diesem zusammenfällt. 35 Bloch 2011, S. 233. 36 Ebd. 37 Wie unter anderem Lücke feststellt. Vgl. Lücke 2004c, S. 365. 38 Bloch 2011, S. 233.

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dürfnisbefriedigung und Ununterschiedenheit zwischen den Menschen, an die Psychoanalyse an und deutet sie mit Freuds Theorie des primärem Narzissmus und der Todestriebe sowie Lacans These des Spiegelstadiums aus. Grundlegend für den psychoanalytischen Kontext von Margit sagt ist außerdem der Text Über Destruktionssymbolik39 von dem Freud-Schüler Otto Gross, aus dem Jelinek an vielen Stellen direkt zitiert. Wie Freud geht auch Gross davon aus, dass Heterosexualität und das Ereignis der Geburt im Unbewussten des erwachsenen Menschen mit „infantilem Material“ belastet sind. Jelinek nimmt hier insbesondere Gross’ These der „Destruktionssymbolik“ auf, nach der der „Geschlechtsverkehr in der Vorstellung der Kinder habituell in dem Bilde einer Vergewaltigung welcher Art auch immer der Frau durch den Mann“ entsteht und „Geburt und Schwangerschaft im infantilen Vorstellungsleben als Krankheit, Operation, Verwundung oder Tod projizieren.“40 Die „ursprünglich harmonisch einheitlichen Triebkomponenten, […] sich selbst nicht vergewaltigen lassen und andere nicht vergewaltigen wollen“, sieht Gross in der erst „sekundäre[n], erworbene[n] Gegensatzstellung der egoistischen und altruistischen Tropismen“ entstellt: Es ist die Konsequenz der Gegensatzstellung, der gegenseitigen Reibung im inneren Konflikt, dass beide antagonistisch geordneten Triebkomponenten durch Überkompensation immer mehr entstellt und hypertrophisch werden. Infolgedessen äussert sich das Kräftespiel des Nichtvergewaltigtwerdenwollens und Nichtvergewaltigenwollens in modifizierter Form der beiden Impulse als innerer Konflikt von Willen zur Macht und Selbstaufhebung.

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Margit sagt greift die im Patriarchat zum Sado-Maso-Muster „‚Wille zur Macht‘ (im Sinne Alfred Adlers) und ‚Selbstaufhebung‘“42 pervertierten Triebe auf, spitzt

39 Otto Gross: Über Destruktionssymbolik, in: Zentralblatt für Psychoanalyse und Psychotherapie, 4 (1914), S. 525-534. 40 Gross 1914, S. 525f. Für eine ausführliche Untersuchung von Gross’ Thesen in Margit sagt vgl. Bloch 2011, S. 263 ff. 41 Gross 1914, S. 531. 42 Vgl. Lücke 2008, S. 183. Gross begründet die gesellschaftliche Abwertung der Frau, die er als Wurzel für „das innere Leiden der Menschheit an sich selber“ (Gross 1915, S. 532.) ausmacht, mit dem Verlust des Mutterrechts; zugleich stellt dies die Ursache für die von Vergewaltigungs- und Destruktionssymbolik belastete Sexualität dar. Er geht von einer ursprünglich matriarchalen Gesellschaftsordnung aus – was, wie Bloch anmerkt, eine nicht bewiesene These ist (Bloch 2011 S. 265) –, die das Mutterrecht als höchstes Gut betrachtete und in der die materielle Versorgung der Frau durch alle Männer gewährleistet wurde. Die „bestehende Form der Ehe [habe] als sogenannte Raubehe ihren Ursprung genommen“, woraus sich erklären ließe, „dass die bestehende Familienordnung auf den Verzicht auf Freiheit der Frau gestellt ist, und dass diese Tatsache im inneren sexuellen Konflikt, genauer gesagt,

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sie auf ein vereinfachtes Entweder-oder-Prinzip zu und lässt sie schließlich in Kannibalismus münden: Bevor der Mörder sich vergewaltigen und schlachten läßt, vergewaltigt und schlachtet er lieber jemand anderen, dorthin spaziert jetzt also gemütlich seine Triebkomponente […] und hofft auf die richtige, die wahre, die einzige Aussicht, in diesem schrecklichen Kampf zwischen Machtwillen und Selbstaufhebung jemand anderen aufheben, genau anschauen, kaputtmachen und anschließend aufessen zu dürfen. (MS 102)

Über die einverleibend kannibalistische Umdeutung wird der Machtwille schließlich der verschlingenden Märtyrer-Mutter zugeordnet: „Bitte, die ethische Komponente klebt noch nicht richtig, die sagt noch nein, die Triebkomponente klebt schon sehr fest, also die kriegen Sie nicht mehr runter von meinem frisch gesaugten Mutterboden!“ (MS 102) Im kalauernden Wortspiel wird die ‚Selbstaufhebung‘ auf den Gross’schen Mythos von der Mutterschaft bezogen: „Wer freut sich nicht, wenn er sich aufheben darf oder zumindest aufgehoben fühlen? Nur der, der in anderen herumwüten kann! Und dabei kämpft es ohnedies schon so stark in der Frau, werde ich Mutter, oder bleibe ich individuell, aber dafür rastlos tätig?“ (MS 102f.) Margit sagt hebt hier auf Gross’ These vom „Trieb zum Muttersein in der Frau“ als „angeborener und unveräusserlicher Grundinstinkt“ an, und kommentiert an anderer Stelle ironisch: „Eine Frau, was ist das schon! Eine Mutter ist auf jeden Fall mehr, hier haben Sie ein Geburtsmotiv, das Junge gleich daneben […].“ (MS 113) Gross zufolge befinde sich die Frau in der „bestehenden […] Ordnung des Vaterrechts“ in dem Konflikt „zwischen den beiden essentiellen Grundinstinkten […]: des spezifisch weiblichen Triebes zum Mutterwerden und des allgemein menschlichen zur Aufrechterhaltung der eigenen unabhängigen Individualität.“43 Dabei geht er von einer ursprünglich matriarchalen Gesellschaftsordnung aus,44 in der die materielle Versorgung der Frau durch alle Männer geleistet wurde, was die Frau vor der Abhängigkeit von dem einzelnen Mann bewahrt hätte.45 Das von Gross beschworene Mutterrecht wird in Margit sagt jedoch zu einer gesteigerten Abhängigkeit der Frau, indem diese nun auf alle Männer ausgeweitet wird:

in der sexuellen Vergewaltigungs- und Destruktionssymbolik ihren notwendigen psychologischen Ausdruck findet.“ Vgl. Gross 1914, S. 533. 43 Gross 1914, S. 533. 44 Das ist, wie Bloch anmerkt, eine nicht bewiesene These. Vgl. Bloch 2011, S. 265. 45 Vgl. Gross 1914, S. 533.

278 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN Und über jeder Frau hängt ja zumindest eine gewisse Zeit das Fallbeil, ich meine, der Fall, der durch die Mutterschaft eintritt, sie aber dafür, ich meine: davor bewahrt, Eigentum eines einzelnen Mannes zu werden. Sie wird Eigentum aller Männer, indem sie Mutter wird. (MS 113)

In der Rede von Margit sagt wird die von Gross stilisierte Mutterschaft eben gerade über das von ihm propagierte Mutterrecht zum Genickbruch und Fall der Frau, indem sie darüber zum Eigentum aller Männer wird. So lokalisiert Margit sagt die Verdinglichung und Unfreiheit der Frau in der Stilisierung des überhöhenden Muttermythos von Gross und kann somit als „Gegenschrift“ zu seinem psychoanalytischen Modell gelesen werden, nach welchem einzig die unabhängige Mutterschaft der Frau zu ihrem Recht verhelfen könne.46 Hier klingt die oben, im Kontext der Mutterschaft zitierte semantische Vielfalt der „Selbstaufhebung“ wieder an, die sowohl das Gefühl des Versorgt- und Geborgen-Seins umfasst, als auch die damit einhergehende bzw. die Kehrseite des Versorgt-Werdens darstellende Auslöschung des Selbst im Sinne von Autonomie und Individualität. Eine weitere semantische Drehung erhält der in Margit sagt zentrale Ausdruck der Selbstaufhebung im Kontext der Mutter-Sohn-Konstellation. Die Selbstaufopferung, die der Mutterrolle per se eingeschrieben ist, wird im Text über das Martyrium auf den eigenen Sohn ausgeweitet und provoziert zugleich eine neue Täterschaft, indem die Mutter ihre Opferrolle über die ‚Opferung‘ ihres Sohns zu kompensieren sucht.47 Als „Heldenmutter und Gotteskriegerin“ bringt sie ihr Anliegen klar zur Sprache: So gehört es sich für eine Mutter, die bestrebt ist, sich selbst aufzuopfern. Ich bin eher bestrebt, meinen Sohn zu opfern, damit ich berühmt werde, den Sohn zu opfern – das ist auch nicht gerade wenig, der Märtyrertod soll ihm schmackhaft gemacht werden, so wie er in seinem rotglühenden Rohr nun selber schmackhaft werden und lernen soll, sein eigenes Rohr richtig zu gebrauchen. (MS 112)

Die Selbstaufopferung der Frau in ihrer Mutterrolle wird in Margit sagt verkehrt in die Opferung des Sohnes, der buchstäblich – als „blutige Bubenwurst“ (MS 134) – von ihr verzehrt wird. Dem immer wieder im Text auftauchenden ‚Rohr‘ kommt dabei in seiner ambivalenten Eigenschaft als Hohlkörper einerseits und als „Stange“ (MS 107) andererseits besondere Bedeutung zu. Es ist das Bratenrohr, in dem der Märtyrer-Sohn in Anspielung auf die christliche Eucharistie zum Gericht wird,48 46 Vgl. Bloch 2011, S. 266. 47 Ebd. 48 Auch das Gericht kommt in seinen unterschiedlichen Bedeutung zur Sprache: als Speise, wie auch weltliches oder ‚Jüngstes‘ Gericht: „Er ist sein Leben lang gesund gewesen, mein kleiner Gardeoffizier […] doch nur Gericht wird, nicht einmal vors Gericht kommt, Gericht

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zugleich das Geschlecht und der Leib der Mutter, der den Sohn bis zu seiner Geburt in sich trägt und auf das Leben – außerhalb ihres Leibes – vor- bzw. zubereitet und gleichzeitig als stete Lockung der paradiesischen Symbiose als Belohnung für den Märtyrertod besteht, wie im Folgenden noch einmal deutlich wird: […] töten, in dem Wissen, daß der Himmel schon wartet, die elektronische Steuerung hat den Ofen schon eine Stunde vor Versterben des Bratguts vorgeheizt, und der Märtyrer muß nur noch ins Rohr zu den vielen anderen, […] er muß also nur noch reingeschoben werden, damit er dort endlich das bessere Leben führen kann, auf das er schon so lange wartet. (MS 106)

Schließlich kippt das weiblich konnotierte Rohr als Hohlkörper in sein männliches Pendant: „[…] also der Herr mitsamt seinem Gesellen, der da aufgeregt neben, ich meine vor ihm steht, läßt die Kundin schon mal behutsam auf sein dickes Rohr gleiten, während sich der Meister höchstpersönlich um ihre Rosette kümmert.“ Die sexuelle Konnotation wird als Vergewaltigungsszene deutlich und führt Gross’ alternativlose Gegenüberstellung von Vergewaltigen oder Vergewaltigt-Werden ins Absurde bzw. lässt beides ineinander übergehen und sich bedingen: Während der Geselle vorsichtig die Stange ein wenig zurückzieht, setzt Gott sein meisterliches Gerät an und bohrt es Zentimeter um Zentimeter in den Darmkanal oder den Oderkanal oder den andren Kanal oder wie das heißt, wo es bei mir rinnt und der Herrgott einen Abfluß gelassen hat. Ich zögere noch ein wenig, ob ich das jetzt mit mir machen lasse, aber ich muß es ja lernen, wenn ich es dann später mit meinem Sohn selber machen möchte […]. (MS 107)

Margit sagt lässt hier über die Metaphorik des Rohrs nicht nur Innen und Außen ineinanderfallen – das Innere des Rohrs ist gleichzeitig ein Äußeres; im Kontext der sexuellen Konnotation inszeniert der Text mit dem Rohr das stete Ineinandergleiten des Weiblichen mit dem Männlichen. Dies korrespondiert mit der MärtyrermutterRolle, die auf eine Rhetorik seit dem Ersten Weltkrieg anspielt, in der die Mutterschaft als „Inbegriff weiblicher Schöpfungsleistung“ und „zentraler Aspekt weiblicher Kriegsbeteiligung stilisiert wird.“49 Die darin statthabende Transformation des Weiblichkeitsbildes spielt Margit sagt anhand der Rohr-Metapher durch. Der für den Krieg geopferte Sohn wird wortwörtlich zum Phallus der Mutter, wodurch wiederum die Mutter über die Taten ihres Sohnes in einer gleichzeitigen Täter- wie auch Opferrolle markiert ist. Über den Sohn hat sie Teil an der männlich konnotierten Macht (des Krieges), bleibt jedoch auf diesen verwiesen und wortwörtlich wird, obwohl bestens ausgebildet. […] Oder hat er dieses Gericht hergestellt, damit er vor das andere Gericht kommen kann? Nein, da ist für das Gericht nichts mehr übrig.“ (MS 108f.) 49 Bischoff 2003, S. 209.

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von ihm durchdrungen bzw. penetriert. Die Rohr-Szenen werden insofern nicht nur aufgrund ihrer thematischen Rahmung durch die inzestuösen Verschmelzungsphantasien unheimlich, sondern darüber hinaus durch die Inszenierung eines dynamischen Vertauschens und Ineinanderumschlagens von Gegensätzen. Die Suche nach einem Ursprung oder Grund (der sexuellen Gewalt, der Inzestphantasien, des Martyriums wie auch des Terrorismus), so wie eindeutige (geschlechtsspezifische) Schuldzuweisungen werden obsolet. Das, was der Text an die Oberfläche befördert, scheint der pure Trieb nach Verschmelzung, der aus der Mutterperspektive in kannibalistische Verschlingungsphantasmen kippt. Allgegenwärtig umkreist das mütterliche Sprechen den Märtyrer-Sohn in einem religiös aufgeladenen, im Wortsinn einverleibenden Blick, der den Sohn vom Jäger, Märtyrer und Kannibalen zum Gericht (im doppelten Sinne) werden lässt: […] ich werde diesen Sohn verzehren, während er sich nach der Wunde des Heiligsten Herzen Jesu oder irgendeines andren von diesen billigen blutigen Gaunern verzehrt. Hier bin ich, die Mutter! Dort ist der Braten, mein Sohn, auf den ich mich immer schon ganz konzentriert habe. Dabei haben sich meine sexuellen Wünsche nach ihm schon sehr verstärkt, das muß ich sagen. Ich habe also zusätzlich die Grillfunktion eingeschaltet, damit er schön resch wird, wie er da liegt in seinem Männertraum. Der wollte alles weghaben. Ich will alles haben. (MS 126)

Das inzestuös Verschlingende der symbiotischen Mutter-Kind Beziehung erhält über die plastischen Beschreibungen vom Verzehr bzw. der kulinarischen Zubereitung des Körpers seine Drastik und der Text bringt damit das Abjekte, das Kristeva mit der Chiffre der Verwerfung des mütterlichen Körpers beschreibt, ins Spiel. Wie bereits dargelegt, ist das Abjekte in seiner psychoanalytischen Deutung auf eine zu große Nähe – letztendlich diejenige der Einheit mit dem mütterlichen Körper im intrauterinen Stadium – zurückzuführen und stellt insofern eine Zuspitzung des Unheimlichen auf der körperlichen Ebene dar. Jelinek nimmt in Irm sagt und stärker noch in Margit sagt die regressiven Tendenzen, die oben als Schnittmenge des Abjekten und Unheimlichen dargelegt worden sind, beim Wort und setzt sie in einer Reihe sexuell konnotierter Kannibalismus- und Einverleibungsphantasmagorien höchst plastisch und fleischlich in Szene.50

50 Auch Andreas Heimann geht im Kontext seiner Ausführungen zum Ekel in Bezug auf Die Kinder der Toten auf die Verbindung von Inzestthematik, Nekrophilie und Kannibalismus ein. Dabei handelt es sich in dem Roman um die Beschreibung eines „nekrophilen, homosexuellen Inzest zwischen zwei Brüdern, der auch kannibalische Züge in sich trägt.“ Wenn auch die Ekel-Poetik in Die Kinder der Toten andere Nuancen besitzt als die in Babel, so fokussiert auch Heimann die Begriffe der Auflösung, des Unbegrenzten und der Verwerfung. Vgl. Heimann 2015, S. 230 f.

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Im Fokus auf die Mutter-Sohn-Konstellation geht der Text mit Freud (und Lacan) der ungelösten Verstrickung von Mutter und Sohn als Ursache für den Märtyrertod nach. Dabei attestieren die Texte sowohl Mohammed Atta und seinem Selbstmordkommando auf das World Trade Center, wie auch ‚Jesus W. Bush‘, der sich beim Angriff auf den Irak damit brüstete, im „göttlichen Auftrag“51 zu handeln, eine offensichtlich unzureichend abgeschlossene Loslösung von der Mutter, woraufhin sie ihren Allmachtsphantasien im Angriff auf die Ikone des westlichen Kapitals bzw. im Irakkrieg freien Lauf lassen.52 Mutter und Sohn werden in Margit sagt beide in ihrem „Sowohl-Täter-als-auch-Opfer-Sein“ (MS 118)53 offenbar. Das Problem der Frau – wie auch des Sohnes – wird nicht wie bei Gross in den schlechten Rahmenbedingungen der Mutterschaft lokalisiert, sondern in der MutterSohn-Konstellation und der Mutterschaft selbst. Diese führt in beiden Fällen aufgrund von zu großer Nähe – „Es wird mir so nah kommen wie nichts, dieses Kind, es wird endlich in mich hineinkommen […]“ (MS 132) – zu einer Infantilisierung auf beiden Seiten. So heißt es zum einen: „[…] ich möchte die Möglichkeit in mir auslöschen, einen Sohn bekommen zu können […] und damit selber wieder zum Kind zu werden. Infantilisiert durch Kind und Kindhaben und Kindliebhaben, pfui Teufel.“ (MS 116) Zum anderen spricht die Märtyrer-Mutter-Stimme den Söhnen ab, je erwachsen zu werden: „Und ich passe auf sie auf, sie werden ja nie erwachsen, deshalb nennt man sie Söhne, stöhn. […] mein Todespilot, mein Märtyrer, der noch auf dem Topferl sitzt und nach Erlösung schreit und schließlich doch nur Gericht wird […].“ (MS 108) Mutter und Sohn sind sich gegenseitig Täter, wie auch Opfer; über die narzisstische Selbstbespiegelung im Anderen nie hinausgekommen, sind sie unfähig, den anderen nicht lediglich als Spiegelbild und Erweiterung ihrer selbst wahrzunehmen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Mutter ihren Sohn aus narzisstischer Ruhmsucht opfert, wie sie in dem obigen Zitat offen ausspricht, „meinen Sohn zu opfern, damit ich berühmt werde“ (MS 116). Hier wird die Rolle Marias, der ‚heiligen Mutter Gottes‘ pervertiert, die über das Martyrium ihres Sohnes, also einzig über ihre Mutterschaft, zur Heiligen avanciert. Die Eigenschaft der Mutter, sich mit dem Martyrium ihres Sohnes zu brüsten und ihn dabei in eigener narzisstischer Verblen-

51 Gegenüber hochrangigen palästinensischen Politikern soll George W. Bush erklärt haben, dass er von Gott den Befehl erhalten habe, in den Irak wie auch in Afghanistan einzumarschieren. Vgl. den Spiegel-Artikel N.N.: Verwirrung um Bushs göttlichen Auftrag, http://www.spiegel.de/politik/ausland/anti-terror-kriege-verwirrung-um-bushs-goettlichenauftrag-a-378493.html, letzter Zugriff 19.05.2017. 52 Lücke weist wiederholt auf die psychoanalytische Deutung kriegerischer Größen- und Allmachtsphantasien als narzisstische Störung hin, u.a. in Lücke 2004c, S. 374. 53 Zum gleichzeitigen Täter-Opfer-Verhältnis im gesamten Babel-Text, also auch in Peter sagt vgl. Bloch 2011, S. 252-272.

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dung zu verkennen und zu vernachlässigen, wird im Kontext der Trauerfeier zu Ehren ihres Sohnes noch deutlicher. Anstatt den psychologischen Beweggründen von dessen Tat nachzugehen, bejaht sie sein Selbstmordattentat emphatisch und kreist lediglich um den narzisstischen Gewinn, den sie über die unverhoffte Aufmerksamkeit zu erhalten hofft: „Um niemanden als um ihn hätte ich mich kümmern sollen. Das hätte ihm so gepasst! Hoffentlich kommt wer, hoffentlich kommen möglichst viele, damit ich mich als Märtyrermutter im Fernsehn auch anständig zeigen kann, denn so anständig wie eine Märtyrermutter ist ja niemand.“ (MS 130) Die Forderung bzw. Anklage, sich nicht genug um ihren Sohn gekümmert zu haben, aggressiv zurückweisend (als Reaktion auf den impliziten Vorwurf, der an jede Mutter gerichtet wird, deren Sohn zu so trauriger Berühmtheit gelangte, wie Mohammed Atta es tat), richtet sich die mütterliche Aufmerksamkeit wie in nervöser Vorbereitung auf ein Fest eher auf die Anzahl der Gäste, die sie in einem guten Licht erscheinen lassen sollen. Das Bild ihrer selbst – noch dazu im Fernsehen! – wird hier zum alles entscheidenden Faktor.54 An dieser Stelle ist noch einmal die Perspektive, aus der in Irm sagt und Margit sagt gesprochen wird, zu betonen. Wenn auch die Sprecherinnen viele sind, so ist es doch durchgehend eine Mutterstimme, die spricht, und die Rolle und Perspektive der Mutter, die entlang unterschiedlicher psychoanalytischer Deutung diskursiviert wird. Wenn Lücke also schreibt, dass Margit sagt die „erlösungssüchtigen Märtyrer und Gotteskrieger, die frauenverachtend-faschistischen ‚reinen‘ Gottesmänner“ parodiert und sie als „nicht abgelöste [...] Muttersöhnchen, die immer noch ‚auf dem Topferl‘ sitzen und ‚nach Erlösung‘ schreien“55 darstellt, so ist ihr nur bedingt zuzustimmen bzw. geht ihre Analyse an einem entscheidenden Punkt fehl, da sie die Perspektive aus der gesprochen wird, und die besprochen wird, unterschlägt. Zwar sind es die Taten der Söhne, die in den Texten verhandelt werden (der Anschlag auf das WTC und der Irakkrieg), die Söhne selbst kommen jedoch nicht zu Wort. Nicht umsonst zieht Jelinek hier Otto Gross’ Thesen heran, der sich expliziter mit der Mutterrolle im Horizont der regressiven Tendenzen auseinandersetzt als sein ideologischer Vater Freud (oder auch Lacan). So bringt der Text einen Abstand nicht nur zu den Ereignissen, sondern auch zu den ‚eigentlichen‘ Akteuren ein, verdeutlicht wieder die Vermitteltheit, in der wir von ihnen erfahren, denn die Söhne kommen lediglich in der indirekten Rede – zitiert von der Mutter – zu Wort. Die

54 Dies spielt auch auf Mohammed Attas testamentarische Verfügung an, keine Frau solle zu seinem Grab und somit zu seiner Beerdigung kommen, was der Text an anderer Stelle aufgreift: „[…] obwohl du nie wolltest, daß Frauen an dein Grab kommen. Ich bin doch wohl eine Ausnahme, oder? Ich bin doch wohl keine Frau, oder?“ (MS 133) Zu Attas Testament vgl. Gerhard Wisnewski: Operation 9/11. Angriff auf den Globus. München 2003, S. 70ff. 55 Lücke 2008, S. 183.

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Söhne selbst bleiben ungreifbar, werden zwar emsig von der Mutter besprochen, letztlich bleibt jedoch auch sie uneins und fragend in der Interpretation ihrer Taten: Dann will er Gott, den Vater, töten, beseitigen, wegmachen, keine Ahnung warum. Wo er doch schon so müde ist von alldem! Gott sieht man eh nicht, also bitte, warum will er sich dann noch die Mühe machen und seinen Vater unbedingt umbringen? (MS 128)

Im Hinblick auf das Unheimliche sind hier zwei Unterscheidungen zu treffen. Zum einen sind die im Text virulenten religiös-regressiven Phantasmen vom Paradies, im Zusammenhang mit der untoten Perspektive, aus der gesprochen wird, zu betonen. Nicht jede untote Figur (oder Sprecherfunktion) ist unheimlich; insbesondere nicht im Theater, wo nachlebende Figuren und Geister jeder Art nichts Außergewöhnliches darstellen, und solange sie für den Rezipienten eindeutig als Untote zu identifizieren und dem fiktiven Bereich zuzuordnen sind, sind sie nicht zwingend unheimlich.56 Erst indem Margit sagt die Untoten-Metaphorik mit infantilen Regressionsphantasien assoziiert, wird sie unheimlich bzw. deutet der Text sie mit dem Unheimlichen. Und hier ist die zweite Unterscheidung vorzunehmen, denn die Mutterstimme legt ganz explizit den Zusammenhang zwischen primärem Narzissmus und Todestrieb im Hinblick auf ihren Märtyrer-Sohn offen und spricht damit das Unheimliche ihrer Beziehung nach psychoanalytischer Deutung offen aus. Aus ihrer Perspektive ist der Sohn zu Todestrieb und Todesliebe verdammt: Also ich drohe ihm zusätzlich noch mit dem Verlust des Geliebtwerdens und daß er sich ein andres Objekt suchen soll, vielleicht wird ihn das dann lieben, aber wahrscheinlich eher nicht. So wie ich ihn sehe, wird nur der Tod ihn lieben, und er wird auch nur den Tod lieben. Der Sohn. Der Sohn. (MS 120)

Der Text leitet hier das Martyrium aus der Unfähigkeit ab, sich von der Mutter als dem Primärobjekt, und damit aus der Freudschen Urszene, zu lösen – an anderer Stelle spricht die Märtyrer-Mutter eben dies explizit aus: „Ja, es ist leider nötig, daß du mich als Primärobjekt aufgibst […].“ (MS 130) Die Wendung ‚so wie ich ihn sehe‘ – als kaum wahrnehmbare Abwandlung von ‚so wie ich es sehe‘ – verdeutlicht die Exklusivität des mütterlich-einverleibenden Blicks, der nur durch die Todessehnsucht bzw. -liebe kompensiert und ersetzt werden kann; nur der Tod wird den Sohn auf dieselbe Art und Weise lieben, wie die Mutter ihn sieht. Auf die terroristischen ‚Schläfer‘ anspielend, wird der unheimliche Untoten-Status der per se todgeweihten Selbstmordattentäter-Märtyrer vor ihrem Tod explizit: „Wenn Gott die Menschen aus ihren Gräbern endlich aufstehen läßt, wo sie sich schon so lang herumwälzen, weil sie längst ausgeschlafen sind, aber nicht rausdürfen, […]“ (MS 56 Wie Freud bereits an der Figur Olimpia verdeutlicht. Vgl. II.2.3

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120).57 Die kannibalistische Einverleibung des Sohnes wird als Umkehrung und wortwörtliche Umsetzung dessen regressiver Sehnsucht nach dem Mutterleib und damit des Todestriebes gedeutet: „Endlich ist er genießbar, mein Sohn. Es gibt kein Zurück für ihn, nur ein Vorwärts, durch meine Zähne.“ (MS 120)58 In der dann folgenden Formel: „Erlösung durch Verzehr […]“ (MS 121) wird die religiöse Konnotation des Kannibalismus freigelegt. Und einige Seiten später wird das Inzestverbot nicht nur zum Grund und Motiv kannibalistischer Einverleibungsphantasien, sondern, Freuds Totem und Tabu59 zitierend, zum Ursprung von Religion: […] ich sage es hier noch mal: Mutter, hat er selber gesagt, es gibt kein Zurück für mich, nur ein Vorwärts, durch deine Zähne! Ehrenwort, das hat er selber gesagt, das erfinde ich nicht! Sowas könnte ich gar nicht erfinden. Merken Sie was? Können Sie an diesen Worten etwas erkennen? Er hat sich feindselig gezeigt, zuerst gegen Gott, seinen Vater, wahrscheinlich kommt jetzt daher diese Fixierung, daß er für seinen Vater plötzlich sterben möchte. Entsteht so Religion? Entsteht so etwas Größeres als wir? Mich hat er nicht pudern dürfen, so will er für den Vater wenigstens sterben. (MS 127)

Freud setzt den Vatermord durch die Söhne, die sein Weibchenmonopol brechen wollen, an den Anfang der Religion. In der „darwinistischen Urhorde“ behielt der Vater alle ‚Weibchen‘ für sich und vertrieb die heranwachsenden Söhne.60 Die Kastration und der Verzehr des Vaters nach seiner Ermordung (die erste Totemmahlzeit) werden als kannibalistischer Akt ebenfalls in Margit sagt zitiert. Indem der Text den religiös motivierten Märtyrertod lediglich als Sublimierung des Inzests mit der Mutter inszeniert, wird jede erhabene Konnotation des Märtyrertodes getilgt, und mehr noch, in seiner Ausformulierung als inzestuöses Begehren ins Abjekte verkehrt und im Unheimlichen (des Todestriebs) begründet. Die zitierte Passage zeigt hier paradigmatisch die beiden Seiten des Unheimlichen, das Erhabene der Religion als etwas den Menschen Übersteigendes (‚Entsteht so etwas Größeres als 57 Auf der folgenden Seite findet sich der auf das Untoten-Motiv der aus den Gräbern steigenden Vampire verweisende Versprecher: „[…] Trans-, ich meine Pennsylvania […]“ (MS 121). 58 Schon in Irm sagt heißt es: „Die Schwänze wollen springen wie die Lachse, es treibt sie was zurück zur Mama, es treibt sie die Stiegen rauf, die Stiegen nie mehr runter, sie hüpfen aus sich heraus, werden dabei immer hässlicher, von Stufe zu Stufe, namenlos in den Tod geschleudert […]“. (IS 87) 59 Vgl. dazu Sigmund Freud: Totem und Tabu, in: Ders.: Studienausgabe, Bd. IX: Fragen der Gesellschaft und Ursprünge der Religion, Frankfurt/Main 2000. 60 Vgl. Freud: Totem und Tabu 2000, S. 425f. Wenn es in dem zitierten Abschnitt heißt, „Ehrenwort, das hat er selber gesagt, das erfinde ich nicht“ (MS 127), gehe ich davon aus, dass sich der Text hier auf Freud bezieht; den Rezipienten also direkt anspricht und auf die Absurdität, oder besser gesagt den Phantasiereichtum Freuds anspielt.

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wir?‘), das letztendlich im Abjekten des Inzestwunsches begründet (‚Mich hat er nicht pudern dürfen‘), auch sprachlich abfällt. Lücke zufolge gewinnen die „kannibalistischen Kastrations- und Fressszenarien erst durch die Überblendung mit Lacans Inzesttheorie“ ihre eigentliche Brisanz.61 Aus dem Begehren nach dem Heilen und Ganzen leitet sie die Abwehr all desjenigen und derjenigen ab, die diesem nicht entsprechen: „Und er, der Kind-Mensch, der Narziß, wird immer das bekämpfen müssen – mit Ausschließung und Ausgrenzung, mit Terror, Mord und Selbstmord –, was ihm als das Nicht-Vollkommene (Böse) ‚erscheint‘ – den verdrängten nach außen projizierten Selbstvorwurf – und was ihn von der Erlangung oder Herstellung dieses Phantasmatisch-Heilen abhalten könnte.“62 Während Lücke zuzustimmen ist, dass diese Deutung der Ereignisse von 9/11 und dem Irakkrieg Jelineks Texten zugrunde liegt, läuft ihre Interpretation dieser Deutung insbesondere im Hinblick auf Irm sagt und Margit sagt merkwürdig leer. Die beiden Texte greifen derart offensichtlich auf die gängigen psychoanalytischen Interpretationsmuster im Sinne des primären Narzissmus zurück, dass vielmehr deren Mythos-Werden im Text anschaulich wird, und die wiederum psychoanalytische Deutung dieser ja im Text bereits vollzogenen Deutung eine fast tautologische Wirkung zeitigt. Im Hinblick auf das Unheimliche ist festzuhalten, dass die Texte wiederholt auf das Unheimliche als Interpretationsfolie und Horizont zurückgreifen, indem sie die Symbiose zwischen Neugeborenem und Mutter als Lockung, wie auch als Drohung, zum Ausgangspunkt jeder Handlung markieren: Jeder will schließlich was kaputtmachen, das ist schön, das ist schön, und in der Zerstörung des anderen, die nichts als Selbstzerstörung ist, weil das Kind sich und andere ja noch nicht auseinanderhalten kann, verschmilzt der Mensch mit Gott, verschmilzt der Trieb, der ihn peinigt, mit dem Willen, Macht über einen anderen zu bekommen. Ihn sich einzuverleiben. Was sagt er sich dazu vor? Daß er dem anderen damit das Ewige Leben rettet, indem er ihn sich einverleibt? (MS 110)

Zerstörungswut und die Verklärung derselben, wie sie im Martyrium der Selbstmordattentate und auch im Kontext des Irakkrieges stattfand, wird hier explizit mit der dyadischen Struktur der ‚Urszene‘ assoziiert und auf das Heilsversprechen der Religion, Erlösung und ewiges Leben in Gott zu finden, angewendet.63 Sicherlich 61 Vgl. Lücke 2008, S. 183. Anstatt von Lacans Inzesttheorie ist hier wohl eher von einer Überblendung von Lacans Theorie vom Spiegelstadium und Freuds Inzesttheorie die Rede. 62 Lücke 2008, S. 183. 63 Lücke schreibt hierzu, auf Derrida Bezug nehmend: „Das phantasmatische Begehren der Aufhebung des (Ur)Mangels und der ‚Trieb des Heilen‘, Zeugnis Derridascher ‚Autoimmunisierung‘ […] setzt sie mit Freud-Gross-Lacan in ‚Szene‘ oder eher in Bilder von schockierender Destruktion: Genau darin korrespondieren sie nicht nur der Psychoanalyse und De-

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liegt darin eine These des Textes, die tatsächlich beim Wort zu nehmen ist; aufschlussreicher scheint hier jedoch insbesondere im Hinblick auf das Unheimliche das erzählerische Verfahren Jelineks, jede inhaltliche Deutung des Textes bereits an der Oberfläche zu tragen und damit zu verabgründen. Im Hinblick auf die Psychoanalyse hat Jelinek dieses Verfahren insbesondere in Die Klavierspielerin64 durchexerziert. Wie Marlies Janz richtig herausstellt, spricht der Text selbst die Psychoanalyse der Figuren aus und lässt sie zu deren Figurationen werden. Daraus leitet Janz wiederum die Flächigkeit der Figuren ab. „Die Figuren sind das ganz nach außen gekehrte Innere, sind Personifikationen und Inkarnationen von Phantasien und Phantasmen.“65 An dieser Stelle gilt es jedoch besonders genau zu sein, denn die Deutung der Figur ist nicht gleichzusetzen mit ihrem Inneren, bzw. indem Jelinek dies gleichsetzt, führt sie dem Rezipienten vor, wie die Interpretation einer Figur diese vielmehr verdeckt und nicht hervorbringt; denn in Die Klavierspielerin werden die Figuren an sich überhaupt nicht greifbar, es sind ihre Deutungsansätze, die ihnen stets vorgeschoben werden und quasi ihr Menschwerden verhindern. Nicht das Innere der Figuren also kehrt sich nach außen, wird im Wortsinne veräußert, dies wäre letztlich weniger bemerkenswert für einen literarischen Text. Es wird vielmehr auf die Vertauschung und Verkennung hingewiesen, die dann stattfindet, wenn die Interpretation der Figur, als von außen an diese herangetragen mit ihrem Inneren gleichgesetzt wird. Die Figuren tragen also ihre Analyse auf der Zunge bzw. an der Oberfläche, nicht ihr Inneres oder ihre tatsächliche Psychologie. In Bambiland und Babel gibt es keine Figurenrede mehr, die Texte sind nach dieser Logik über die Verflachung der Figur hinausgewachsen.66 Was hier verflacht erscheint, ist vielmehr der Diskurs selbst.67 Im Hinblick auf die Theatralität der Texte und das Unheimliche ist von einer Intensivierung der Entfremdung und künstlichen Wirkung auszugehen, sobald diese auf der Bühne an den Schauspieler gebunden werden. Wenn die Texte in ihrer derart übersteigert analytischen Manier

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struktionssymbolik etwa des einstigen Freud-Mitarbeiters Dr. Otto Gross, sondern eben auch der destruktiven Realität von Terror, Folter und Krieg. Vgl. Lücke 2008, S. 184. Elfriede Jelinek: Die Klavierspielerin, Reinbek bei Hamburg 1983. Janz 1995, S. 72. Was, wie bereits gesagt, keine Entwicklung in Jelineks Werk hin zu rein monologischen bzw. polylogischen Theatertexten suggerieren soll. Für Bambiland und Babel bietet sich diese Form aufgrund des Fokus’ auf die Medien an. Ob figurale Rede oder nicht, macht im Hinblick auf Jelineks Texte kaum noch einen Unterschied, bzw. bestehen ihre Figuren schließlich hauptsächlich darin, auf ihre fehlende Figurenhaftigkeit im Sinne von Natürlichkeit hinzuweisen, wie beispielsweise anhand der Botenfigur erläutert. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht nicht darum, dass die Deutungen, die Irm sagt und Margit sagt austragen und miteinander ins Spiel bringen, keine Gültigkeit besäßen, sie bedürfen letztlich jedoch kaum einer weiteren inhaltlichen Interpretation.

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im Theater von realen Menschen gesprochen werden, zeigt sich, deutlicher noch als beim Lesen, die Diskrepanz zur menschlichen Rede. Denn auch wenn es keine ausgewiesene Figurenrede gibt, ist der Großteil der analytischen Ausführungen der Texte in der ersten Person Singular formuliert und wird erst über diese Anbindung an ein menschliches Subjekt unheimlich. Aus dem Munde der Schauspieler klingt die derart selbstverständlich und ausschließlich Theorien und Thesen bezüglich ihrer Figur von sich gebende Rede nicht nach Innenschau; vielmehr wird offenbar, dass diese Rede letztlich von außen kommt und aus dieser externen Perspektive heraus ein Inneres zu besprechen vorgibt. Das Unheimliche fungiert in Irm sagt und Margit sagt also zum einen als Horizont, um den Irakkrieg und die Selbstmordattentate von 9/11 aus der Perspektive narzisstischer Größenphantasien in ihren sexuellen, kannibalistischen wie auch religiösen Phantasmen zu deuten. Eine unheimliche Wirkung zeitigen diese Passagen jedoch nur an den Stellen, an denen diese Deutung nicht expliziert und damit eben als Deutung offensichtlich wird, sondern lediglich im Hintergrund besteht. Zum Großteil treibt die Rede jedoch ins Wortwörtliche der Theorie, parodiert diese und lässt das Unheimliche ins Lächerliche kippen.68 Auf der strukturellen Ebene ist das Unheimliche als Wirkung jedoch insbesondere im Hinblick auf die Theatralität der Texte auszumachen; denn indem Irm sagt und Margit sagt die psychoanalytischen Deutungen und Zusammenhänge zwar in der ersten Person Singular formulieren, sie gleichwohl ihrem Charakter nach offensichtlich Figuranalysen darstellen, prallen hier nicht nur die Ebenen von Innerlichkeit und Äußerlichkeit aufeinander. Die Ununterscheidbarkeit zwischen Oberfläche und Tiefenstruktur zeitigt eine unheimliche Wirkung, insofern die Rede dem Sprecher hier quasi sein Leben nimmt. Das im Text permanent behauptete Ich kann keineswegs dasjenige eines belebten Menschen sein, vielmehr ist es das Klischee-Ich einer psychoanalytischen Deutung. In derart theoretisierter und schablonenhafter Form nimmt das Ich einen Untoten-Status an; als Ich des Textes behauptet es sich einerseits als belebter Mensch, andererseits entlarvt der Text es als leblose Schablone der psychoanalytischen Theorie. Der Schauspielkörper als belebter steht dabei der auf ihre Deutung reduzierten Figur entgegen und markiert sie noch einmal als Untote. Aus dieser Dynamik zwischen belebt und unbelebt resultiert hier das Unheimliche. Der Untoten-Status der IchStimme in den Texten korrespondiert mit diesem ästhetischen Entwurf des Untoten, der sich über die Entwicklung der ‚Figur‘ als auf ihre Deutung reduzierte herstellt.

68 Vgl. zum Zusammenhang des Erhabenen und Lächerlichen Rolf-Peter Janz: Erhaben und lächerlich – eine Denkwürdige Allianz, in: Hans Richard Brittnacher/Thomas Koebner (Hg.): Vom Erhabenen und vom Komischen. Über eine prekäre Konstellation, Würzburg 2010, S. 15-23.

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2. P ETER SAGT 2.1 Sprecherpositionen, Bauweise und Themen Wie in Margit sagt weist sich auch die Sprecherposition in Peter sagt bereits in den ersten Sätzen als eine nachlebende, untote aus: „[…] den Toten, die wir wieder neu hereinbekommen haben. Ich gehöre jetzt schon zu ihnen.“ (PS 135) Der Text wird mit der förmlichen Begrüßungsformel „Sehr geehrter Mann, sehr geehrte Frau, […]“ (PS 135) eingeleitet, was ihn als Fernsehansprache, Brief oder Rede aus dem Jenseits markiert, zugleich wieder eine Adressierung anzeigt, deren mögliche persönliche Note (als Brief) jedoch durch die allgemein und neutral gehaltene Ansprache sogleich wieder aufgehoben wird. Auch wenn in Bezug auf Peter sagt von einem „morphing“69 oder einem „fliegende[n] Wechsel der Redeperspektive“70 gesprochen werden kann – die persönliche Anrede also selbstverständlich nicht auf einen Verfasser schließen lässt –, leitet die Ansprache zu Beginn des Textes bei aller thematischen Nähe doch eine veränderte Form der Beschäftigung mit dem Irakkrieg im Vergleich zu Bambiland ein, die von größerer Distanz und Reflexion geprägt ist. Dies schließt an die oben angeführte Bezeichnung für Babel als „Nachkriegstrauma-Protokoll“71 an. Dass der dritte Monolog in Babel männlich überschrieben ist, kann zwar keineswegs als eindeutig männliche Markierung der Rede gelesen werden – es kommen auch weibliche Stimmen zu Wort –, gibt aber doch eine Richtung an, und diese Richtung gibt gleichzeitig zu denken. Während Irm sagt und Margit sagt nicht nur zum Großteil weibliche Stimmen versammeln – insbesondere die der sexuell bzw. religiös instrumentalisierten und pornographisch abgebildeten Frau und die der vielfach und widersprüchlich konnotierten Mutterfigur – sondern darin eben auch klischeehaft dem Weiblichen zugeordnete Diskurse verhandelt werden, ist die Stimme in Peter sagt nicht nur zum Großteil eine männliche, auch scheinen die Diskurse dementsprechend einer typisiert männlichen Perspektive zuordenbar zu sein. Zugespitzt formuliert, kann der Mutterperspektive aus Margit sagt hier die Stimme des Sohnes gegenübergestellt werden. Dominiert das Thema des Abjekten die beiden weiblich überschriebenen Monologe, und formuliert sich die mütterliche Macht als eine vereinnahmende und 69 Evelyn Annuß zeigt auf, wie das „morphing der fictio personae“ die „imaginäre Rückbindbarkeit an die körperbildliche Kontur des Schauspielers zur plastischen Darstellung einer menschlichen Gestalt unterminiert.“ Evelyn Annuß: Flache Figuren – kollektive Körper, in: Thomas Eder/Juliane Vogel (Hg.): Lob der Oberfläche. Zum Werk von Elfriede Jelinek, München 2010, S. 49-69, hier S. 60. 70 Bloch 2011, S. 236f. 71 So Franz Wille, vgl. S. 125 der vorliegenden Arbeit Fußnote 14.

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verschlingende, so kreist die Rede in Peter sagt im Kontext der Macht um die Frage nach dem Souverän und seinen Entstehungsbedingungen (im Rekurs auf Nietzsche und Agamben). Ohne dieser Zuordnung zu viel Bedeutung beimessen zu wollen, da derartige Kategorisierungen in Bezug auf Jelineks Texte meist in die Irre führen oder wenig Erkenntniswert beisteuern, lässt sich doch festhalten, dass die weiblichen bzw. männlichen Überschreibungen der Monologe auf die klischierten Rollen der Geschlechter in den unterschiedlichen Diskursen hinweisen bzw. dass schon die Auswahl der Diskurse – Sexualität, Pornographie und Mutterschaft in Irm sagt und Margit sagt und der Blick/das Bild, Folter, archaische Mythen, Söldner u.a. in Peter sagt – klischierte Rollenbilder zitiert. Die Rede ist in Peter sagt fast ausschließlich in der 1. Person Singular verfasst. Dabei changiert die Sprecher-Kippfigur zu großen Teilen zwischen Selbstzuschreibungen als untoter Toter, der als Soldat bzw. Häftling im Krieg gehäutet und seiner Organe beraubt wurde [„Sie haben sich also meine Haut angeeignet, darunter ich, riesige Wunde, gräßlich, […] (PS 149)] und der mythischen Figur des Marsyas, der dem Mythos nach ebenfalls gehäutet wurde, nachdem er sich der Hybris schuldig machte, sich mit Apoll im Flötenspiel zu messen und – durch eine List Apolls – gegen ihn zu verlieren: „[…] daß Apoll viel besser spielt als ich, und zwar nur, weil er falsch spielt, das muß der Midas doch hören […].“ (PS 189). An die Figur des Apoll, „de[n] Helle[n]“ (PS 189), schließt sich die Figur des verkohlten Torsos eines an einer Brücke in Falludscha aufgehängten Blackwater-Söldners an: „Und was bekomme jetzt ich, der Verlierer? Einst hell, jetzt verkohlt. […] ein Rumpftorso, ganz vollkommen total schwarz. Liegt da auf der Brücke rum, wird gleich am Geländer hängen.“ (PS 189f.) Die Gleichgültigkeit des Sprechers/der Sprecher gegenüber Genus und Numerus verdeutlicht einmal mehr die Strategie des Textes, die Bezugnahme der Rede auf eine definite persona zu verunmöglichen. So kippt die männliche Sprecherposition unvermittelt in eine weibliche Kollektivfigur, die auf die drei GIs anspielt, welche an den Folteraufnahmen in Abu Ghraib beteiligt waren: „Wir drei Fauen, Lynndie, Sabrina und Megan, bitte vor unsere Kameras!“ (PS 152) Schließlich erhält eine Reihe vereinzelter, sich untereinander häufig widersprechender Stimmen das Wort. So meldet sich ANDI aus Ein Sportstück als doppelt untote Wiedergänger-Stimme zu Wort und verschmilzt mit der Häutungs-Thematik des Marsyas-Mythos: „Ach, ich armer dicker, unsportlicher Bub, der aus seiner eigenen Haut gezogen worden ist, ehe er das Versehen oder Vergehen hätte erkennen können […].“ (PS 144) Ist ANDI schon in Ein Sportstück als untote Stimme markiert worden, wird dieser Status quasi wiederholt, und das Gespenstische an ihr intensiviert, wenn die Stimme des „dicke[n] unsportliche[n] Bub[s]“ in Babel nur über die Referenz auf Ein Sportstück als ANDI erkennbar wird.72 Die Zuschreibung funktioniert also ausschließlich 72 Auch in Bambiland taucht die Stimme Andis auf. (vgl. Kap. IV.1.3.3)

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innerhalb des Jelinekschen ‚Textkosmos‘, und in diesem entwickelt die Stimme ein merkwürdig dematerialisiertes Eigenleben. In diesem Nachleben eines bereits Nachlebenden vollzieht die Stimme die geisternde Bewegung des Untoten, das nicht zur Ruhe finden kann. An späterer Stelle wird der untote Bub wiederum zum Ich eines „ältere[n] Bürger[s] mit Glatze“. (PS 175) Es wird deutlich, dass auch die Stimmen und Sprecher in Peter sagt kaum unter einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind, ihre Gemeinsamkeit ist vielleicht am besten noch mit ihrer „Verweis- und Kontrastfunktion“73 beschrieben. Thematisch bewegt sich das Gros der Stimmen im Feld der medialen Bilder des Krieges und ihrer Verbreitung, sowie einer Kontextualisierung mit archaischen Mythen (Apoll, Marsyas, Athene). Neben diesen disparaten Ich-Stimmen, die sich zwar permanent widersprechen, im weitestgehend gleichbleibenden Sprachduktus ihre Positionen und Gegenpositionen jedoch immer wieder auch einebnen und bestätigen, ist auch Peter sagt von einer kommentierenden Meta-Stimme durchzogen, die auf einer scheinbar übergeordneten Ebene die Ereignisse und behandelten Themen kommentiert und zusammenführt. (Vgl. IV.2.1) Charakteristisch ist dabei ihr ablehnender und sich von den beschriebenen Grausamkeiten distanzierender Gestus, wie beispielsweise in der Rede über Charles Graner, Freund von Lynndie England, der im Verdacht steht, der geistige Drahtzieher hinter den Folterfotos zu sein: „[…] Charles Graner, das ist ein Mensch, der sollte nie mehr einen grünen Wald erblicken, wenn Sie mich fragen […] jeden Tag sollte der Charles Graner seinen Tod sehen, wenn’s nach mir ginge, nach mir, dem unheilbaren Moralisten […].“ (PS 152f.) Eine auktoriale Erzählsituation fingierend, versucht sich diese Stimme von dem fiktionalen Text abzugrenzen und so ihre Authentizität zu verbürgen. Wie schon in Bambiland reüssiert auch in Babel diese Meta-Stimme als inszenierte Autorinnenstimme über das Schreiben selbst: „Das Spielen ist mein Sprechen, jawohl meine Sprache ist das Spiel, hier spiele ich also auf all den Verwesungsgerüchen herum, ich hab mich auf Dauerfeuer geschaltet […].“ (PS 137) und gibt sich auch hier einen resigniert-finalistischen Anschein: „So weit sind wir gekommen. Ich höre auf. Schluss, aus, Flattermann, Sensenmann.“ (PS 167) Auch hier erweist sich die scheinbare Stimme der Autorin, die Authentizität suggeriert, lediglich als erweitertes Spiel mit den Textebenen, nur um die Inszeniertheit und rein sprachliche Verfasstheit desto deutlicher zu machen. Erliegt der Rezipient dem Spiel des Textes und meint er mit der Autorinnenstimme nun endlich eine authentisch-verlässliche Quelle gefunden zu haben, trifft ihn das „Dauerfeuer“ des Textes und steigen ihm die „Verwesungsgerüche“ der scheinbar natürlichen, identischen Sprecher in die Nase. Die Rede der Autorinnenfiktion vollzieht dementsprechend strukturell das, was sie inhaltlich verspricht, indem sie dem Rezipienten seine ei73 Bloch 2011, S. 236.

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gene Konstituierungsleistung eines Gegenübers – insbesondere in der Theatersituation – spiegelt und sie damit letzten Endes zerstört; im Scheitern lässt der Text den Rezipienten erfahren, wie er die empirische Autorin Elfriede Jelinek in den Text hineinliest, um eine organische, mit ihrer Rede identische Sprecherposition auszumachen. Im Spiel des Textes wird die scheinbar reale Meta-Ebene jedoch in die Fiktionsebene des Textes eingeebnet. Was bleibt ist der ‚Verwesungsgeruch‘ der empirischen Autorin Jelinek im bzw. als Zitat. Neben den kommentierenden Meta-Stimmen gibt es in Peter sagt noch eine Reihe englischer Stimmen, die schon aufgrund ihrer Fremdsprachigkeit aus dem Textfluss fallen. Dabei fällt insbesondere der, wie Bloch schreibt, „leitmotivische“ Satz: „And they took pictures of everything“74 ins Auge. Bei den englischsprachigen Passagen handelt es sich um Zitate ehemaliger Abu Ghraib-Häftlinge,75 und nicht nur aufgrund ihrer Fremdsprachlichkeit unterbrechen und stören sie den Textfluss. Ihnen ist auch, wie Bloch treffend feststellt, ein anderer Sprachduktus inne, indem sie jeglicher Ironie entbehren und einen sachlich kargen Ton anschlagen:76 They said we will make you wish to die and it will not happen. They stripped me naked. One of them told me he would rape me. He drew a picture of a woman to my back and makes me stand in shameful position holding my buttocks. Und so weiter und so fort, […]. (PS 175)

Da die englischsprachigen Passagen durchgehend Folter- bzw. Gefängnisszenen beschreiben, nehmen sie eine parallele Rolle zu den im Text zitierten Folter-Fotos von Lynndie England ein, die letztendlich nicht direkt im Text beschrieben werden müssen, da vorausgesetzt werden kann, dass sie dem Rezipienten hinreichend bekannt sind und der Hinweis beispielsweise auf die „Menschenpyramiden“ (PS 154) ausreicht, um die Fotos von den Demütigungen in Abu Ghraib aufzurufen. Auf den ersten Blick scheinen die englischen Zitate eine „reale, nicht sprachlich verfremdete Ebene in den Text zu bringen“, wie Bloch schreibt.77 Sicherlich suggerieren die Passagen Authentizität im Vergleich zur ansonsten tendenziell artifiziellen Rede des Textes; auch das leicht gebrochene, fehlerhafte Englisch verstärkt formal den Eindruck einer gesprochenen, kolloquialen und damit authentischen Rede.

74 Bloch zählt ihn genau fünfmal im Text. Vgl. Bloch 2011, S. 239. 75 Der leitmotivische Satz „And the took pictures of everything“ „stammt aus einer Reihe von Zeugnissen, die im Januar 2004 von dreizehn ehemaligen Häftlingen von Abu Ghraib abgelegt und ausschnitweise in der Ausgabe der Washington Post vom 21.5.2004 abgedruckt wurden.“ Sarah Neelsen: Intertextualität und Sinnstiftung. Anmerkungen zu Elfriede Jelineks Babel, in: Janke 2007, S. 86-99, hier S. 93. 76 Bloch 2011, S. 239. 77 Ebd.

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Bedenkt man jedoch, dass es sich hier ausschließlich um Bildbeschreibungen handelt und Peter sagt auf verschiedene Weisen sein Misstrauen gegenüber der Authentizität des Bildes ausdrückt, scheint auch hier ein weiteres Spiel mit den Ebenen von Authentizität und Fiktion im Text vorzuliegen. Schließlich zeitigen auch die englischsprachigen Stimmen keine Wirkung im Text und bleiben ohne nachhaltigen Kommentar.78 Wie in Bambiland, markiert der „fliegende[...] Perspektiv- und Stimmwechsel“ in Peter sagt den Ort des Sprechens als Leerstelle, „die im Schnittpunkt bestimmter Diskurse situiert ist und unzählige, sich mitunter in Frage stellende Positionierungen und Stimmen produziert.“79 Wie Bloch im Rekurs auf Franziska Schößler weiter feststellt, wird damit im thematischen Feld des Irakkrieges auf Formen struktureller Gewalt verwiesen, bzw. korrespondieren „[s]ubjektloses Sprechen“ und strukturelle Gewalt,80 wodurch deutlich wird, dass es nicht mehr um die Suche nach „individuell Schuldigen“ gehen kann.81 Trotzdem verweist der Text immer wieder auf das Individuum als Akteur, denn, wie Bloch es auf den Punkt bringt: „Systeme denken und handeln nicht.“82 An dieser Anordnung der Rede, die sich im Inhaltlichen spiegelt, lässt sich das Unheimliche für Peter sagt spezifizieren. Ist das subjektlose Sprechen, Jelineks dekonstruktivistisches Verfahren der Textproduktion per se unheimlich, da es das Subjekt des Sprechens im Sprechen

78 Immerhin schließt der oben zitierte Kommentar: „So weit sind wir gekommen […]“ (PS 167) an eine englische Schilderung eines Fotos an: „Another photograph shows a prisoner handcuffed to the outside of a celldoor. He repeatedly slams his head into the green metal, leaving streaks of blood before he ultimately collapses at the feet of a cameraman.“ (PS 167) Diese Passage gibt zu denken und dies vielleicht in dem oben beschriebenen Sinne nach der Frage von Authentizität. Denn nachdem von einem Foto die Rede ist, das anscheinend in der Passage beschrieben wird, folgt doch die Beschreibung einer bewegten Szene. Der Gebrauch des präsentischen Tempus spricht dagegen, dass hier die Beschreibung dessen vorliegt, was vor der Aufnahme des Fotos stattfand. Die Beschreibung mutet merkwürdig an und kann m.E. als Hinweis auf die Unzuverlässigkeit bzw. Unstimmigkeit dieser Bildbeschreibungen gelesen werden. 79 Bloch 2011, S. 240. Bloch hält weiterhin fest, dass das Sprechen für Babel jedoch nicht mehr als ortlos bezeichnet werden kann, wie beispielsweise noch in Wolken.Heim., „sondern es agiert auf dem Feld des Krieges, auf dem es sich ständig neue Orte und Identitäten gebiert und sich an immer neuen Ansprechpartnern erprobt, ohne jedoch eine neue ‚Tonart‘ anzuschlagen.“ Bloch 2011, S. 251. 80 Franziska Schößler: Gewalt und Macht im Gegenwartsdrama, in: Freia Anders u.a. (Hg.): Herausforderungen des staatlichen Gewaltmonopols. Recht und politisch motivierte Gewalt am Ende des 20. Jahrhunderts, Frankfurt/Main 2006, S. 258-278, hier S. 263. Zitiert nach Bloch 2011, S. 240. 81 Ebd. 82 Ebd., S. 241.

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konstituiert und gleichzeitig in seiner Identität durchstreicht, wird diese Form der Subjektkonstitution bzw. -dekonstruktion in Peter sagt mit dem Diskurs des Bildes und des Blicks kontextualisiert. Denn gemeinsame Matrix fast aller Sprecher ist, dass sie Objekte des Blicks sind oder sich in dem Begehren nach dem Blick beschreiben. Sie kreisen inhaltlich um das Unheimliche im Bild-Diskurs, indem sie von dem Schmerz erzählen, der einerseits darin liegt, Angeblickte zu sein und damit in eine phantasmatische Ganzheit gebannt zu werden (die verkennende Seite des Blicks), und andererseits in ihrer Angst davor, nicht gesehen zu werden (und insofern im Horizont von Sichtbarkeit nicht vorhanden). Dabei geht es stets um die ambivalente Beschaffenheit des Subjekts aufgrund seiner innerlichen wie auch äußerlichen Konstitutionsbedingungen, wie sie Lacan in seiner These vom Spiegelstadium als Verkennen im Erkennen beschrieb. Das Ich in diesem Text, das vom Ausnahmezustand als Aufnahmezustand spricht, verliert seine Kontrolle und Übersicht über die Bilder. Es sieht nicht mehr alles, wird zweifelnd, unsicher, zweideutig. […] Es widerspricht sich und findet keinen imaginären Körper, an den es 83

sich binden lässt.

Die Vielstimmigkeit ist in Peter sagt dementsprechend an einen Diskurs vom Bild gebunden, der diese im Visuellen widerspiegelt. Die Rede, die zwar ständig Ich sagt, jedoch jede potentielle Stabilität eines Ich untergräbt, torpediert seine „Verklammerung mit einem möglichen imaginierten visuellen Bild.“84 Damit verweist der Text auf das unheimliche Moment der ‚Bildwerdung‘, das einerseits im Umschlagsmoment und der Ambivalenz von Erkennen und Verkennen begründet liegt – also in der Ambivalenz von Identität per se, wie sie seit Lacan formuliert werden kann85 – und andererseits in der Funktion und Macht des Bildes, ins (mediale) Leben zu rufen wie auch aus diesem verschwinden zu lassen. Indem Peter sagt ebenfalls als vielstimmiger Polylog inszeniert ist, fallen in Bezug auf die Struktur des Textes auf den ersten Blick und rein äußerlich vornehmlich die Parallelen zu Bambiland ins Auge. Ein entscheidender Unterschied zwischen

83 Ulrike Haß: Durch den Text gehen. Zum Theater der Elfriede Jelinek, in: Inge Arteel, Heidy Margrit Müller (Hg.): Elfriede Jelinek. Stücke für oder gegen das Theater? Koninklijke Vlaamse Academie van Belgie voor Wetenschappen en Kunsten. Brüssel 2008, S. 15-28, hier S. 22. 84 Ebd. 85 Wie Haß schreibt: „Es ist die alte, in dieser Form von der Psychoanalytik des Freud-Lesers Lacan aufgeworfenen Frage, auf die in der Beschäftigung mit den Texten Jelineks immer wieder zurück zu kommen ist, die zu konkretisieren, schärfer auszuleuchten und neu auf das Sprechen der Sprache im Theater zu beziehen ist. Was ist das für ein Sprechen und welches Ich spricht […]?“ Vgl. Haß 2008, S. 22.

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den Texten liegt jedoch darin, dass in Bambiland zu großen Teilen Fernsehstimmen arrangiert werden, in Peter sagt das fokussierte Medium jedoch nicht mehr so sehr der Fernseher ist, sondern vielmehr das Bild und seine Verbreitung über das Internet. 2.2 Die Adressierung des „liebe[n] users“ (PS 143): Das kybernetische Verhältnis zwischen Medium und ‚Nutzer‘ Entsprechend des fluktuierenden Sprechers, spaltet sich auch der Adressat des Textes in viele auf; analog zu Bambiland richtet sich der Text zwar mit allerlei Aufforderungen, Ankündigungen und Ratschlägen an ein Gegenüber: „Sie haben ein Immunsystem, das ist wie ein Instrument, also benutzen Sie es bitte auch!“ (PS 135), auch einer der Schlüsselsätze des Textes kommt als Ankündigung daher: „Ich öffne Ihnen jetzt die Augen.“ (PS 137). Antworten oder Reaktionen des Gegenübers bleiben jedoch aus, werden dafür an anderer Stelle recht zusammenhangslos antizipiert: „Ja, diese Haut war meine, sehr richtig: die ganze! Alles, was Sie da sehen, ist meine Haut!“ (PS 225) Wie in den anderen Texten wird hier eine fiktive Gemeinschaft hergestellt,86 die sich jedoch als äußerst disparat erweist. So adressiert Peter sagt eine ganze Reihe von Figuren. Vom vielfach verwendeten „Herrn Doktor“ (u.a. PS 148), der schon in Bambiland und Margit sagt (s)eine Rolle spielte87 über die unbestimmt bleibende „schöne Frau“ (PS 176), die zur Folter animiert wird, zu dem mehrfach angesprochenen und frenetisch beschimpften Apoll: „Apoll, so einen Idioten wie dich habe ich ja überhaupt noch nicht gesehen.“ (PS 187) Schließlich adressiert der Text verschiedenste Verbände, Organisationen und Firmen, wie die Söldnerfirma Blackwater, die hier als Kollektivfigur paradigmatisch für die Privatisierung des Krieges und seine kommerziellen Nutznießer steht: „Blackwater. Wir haben volles Vertrauen in die Qualität Ihrer Arbeit, Sie Firma.“ (PS 178).88 Der omnipräsente, die anderen Adressaten subsumierende und den Rezipienten des Textes einschließende Ansprechpartner ist dabei der „liebe User“ (PS 143), der im

86 Vgl. Bloch 2011, S. 247. 87 Bloch stellt über die vielfache Nennung von „Heil“ im Zusammenhang mit der devoten Ansprache an den Doktor den Kontext zum Nationalsozialismus und der fatalen Rolle, die Ärzte darin spielten her. Vgl. Bloch 2011, S. 249. 88 Zuvor heißt es: „[…] daß die Firma Blackwater gleich daneben auch was bauen wird. Sie ist ja Teil einer neuen florierenden Industrie, der Industrie, die Sicherheit verspricht und dir die Hand hält, wenn du deinen verbrannten und verstümmelten Körper auf dem Highway wieder findest, […] auf einem Highway in Falludscha […] aber 21 Millionen, das ist auch schon die Höchstsumme, andere geben es billiger, die meisten gibt’s umsonst. Umso wichtiger, daß man die fetten Aufträge an Land zieht und den Fisch, den man da an Land gezogen hat, möglichst rasch zerteilt […].“ (PS 177-178)

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Kontext als willenloser und unersättlicher Bild-Konsument erschlossen werden kann: Sie können wohl selber den Hals nicht vollkriegen?! […] Etwas können Sie aber doch: das von überall Herrennen und Bilder Anschauen, Sie weilen ja noch unter den Lebenden und wandeln eigens mit Intel unter den Intelligenten, verlassen Sie sich drauf, daß Sie immer alles, alles mit all seinen Ungenauigkeiten sehen können, alles, was Sie wollen, auch wenn es manchmal unscharf ist! (PS 143)

Im Fokus auf die Internetuser findet, wie gesagt, im Vergleich zu Bambiland eine Akzentverschiebung von Sprecher und Adressat statt. Peter sagt perspektiviert die medialen Entstehungs- und Verbreitungsbedingungen von Bildern im Hinblick auf die Involvierung des Gegenübers und im größeren Kontext des Irakkrieges.89 Indem das adressierte Gegenüber als „lieber User“ identifiziert wird, kommt ihm in der Vielfalt der deutschen Bedeutung des Wortes als Benutzer, Anwender, Konsument wie auch ‚Drogensüchtiger im Horizont des thematischen Zusammenhangs des Bildes einerseits eine im Vergleich zum Fernsehzuschauer aktivere Rolle zu, denn der Internetuser wählt aus, recherchiert und speichert Bilder. Andererseits bezeichnet der Terminus die Seite des Begehrens und der Abhängigkeit und weist damit wiederum auf die Passivität des Internetusers hin, der, süchtig nach virtuellen, imaginären Welten, durch die Maschine Internet manipuliert und gesteuert wird. War schon in Bezug auf die Adressierung des Gegenübers in Bambiland die Rede von der Herstellung eines fiktiven Gegenübers bzw. einer fiktiven Wirklichkeit, so trifft dies in besonderem Maße für die Auslotung des Verhältnisses des Einzelnen zu den Medien in Peter sagt zu. Dies hängt mit der Akzentverschiebung des fokussierten Mediums zusammen, da sich beim Internetnutzer das „kybernetische Verhältnis zwischen Mensch und Medien-Bildern“90 im Vergleich zum Fernsehzuschauer noch verstärkt. Andreas Englhart verdeutlicht das „kybernetische Wahrnehmungsmuster eines Medien-Nutzers“91 als ‚closed circuit‘ am Beispiel der Installation Eye Vision Bot des Medienkünstlers Nam June Paik, das in der Samm-

89 Hierbei ist interessant, dass sich die beschriebenen und zitierten Bilder ausschließlich auf ‚Begleiterscheinungen‘ des ‚eigentlichen‘ Krieges beziehen, wie die Fotos von drangsalierten Inhaftierten in Abu Ghraib (Stichwort Lynndie Evans) und des an einer Brücke in Falludscha aufgehängten, verkohlten Leichnams eines Blackwater-Söldners. Daran lässt sich letztlich ein Standpunkt ablesen, der diese ‚Randphänomene‘ des Krieges ins Zentrum rückt und in einen größeren Zusammenhang setzt, indem sie mit theoretischen Konzepten wie Giorgio Agambens These vom nackten Leben und des Ausnahmezustandes und Walter Benjamins Kritik der Gewalt verschränkt werden. 90 Englhart 2007, S. 56. 91 Ebd.

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lung des ZKM Karlsruhe zu sehen ist. Dies soll hier zur Verdeutlichung des Funktionsmechanismus der Blickerfassung im Medium Internet, wie er in Peter sagt reflektiert wird, kurz erläutert werden: Der Besucher betritt einen Raum, in dem sich ein Tisch samt Stuhl und ein überdimensionaler Wandschirm befindet. Dieser Wandschirm zeigt eine Projektion vieler wie in einem Schachspiel angeordneter Bilder, welche als Zufallsauswahl aus einer Datenbank oder dem Internet entnommen werden. Mit einer selbstkalibrierenden Blickerfassungseinheit wird der genaue Blick auf das Bilderfeld registriert, so dass das jeweilige Bild im Moment des Anblicks auf Kosten der Größe der anderen Bilder ‚heranrückt‘. Darüber hinaus speichert die Maschine diese Auswahl sowie das Interesse, gemessen an der Verweildauer des Blicks. Mit jeder weiteren Blickauswahl verbessert der Computer über einen Algorithmus das gespeicherte Geschmacksprofil des Betrachters und optimiert über ein Ähnlichkeitsprogramm die Auswahl der projizierten Bilder. So begegnet dem Betrachter zunehmend eine Auswahl von Bildern, die seinen (un)bewussten Vorlieben entgegen kommen.

92

Die Struktur der Installation Eye Vision Bot macht die aktive Teilhabe des MedienNutzers als Betrachter von Bildern nicht nur anschaulich, sondern zur genuinen Erfahrung des Rezipienten der Installation. Die dargestellten Bilder werden im Verlauf der ‚Teilnahme‘ an der Installation mehr und mehr zum Spiegel seiner Wahrnehmung. Dies zeitigt einen unheimlichen, entfremdenden Effekt, da sich der Rezipient faktisch im Außen der Bilder befindet, gleichsam sein Gegenüber das, was er lediglich zu beobachten meint, jedoch als Phantasma und Doppelgänger seiner selbst, als Spiegel seines Inneren bzw. seiner ‚Maschine‘ Wahrnehmung aufscheint. Die Erweiterung des Menschen durch das Medium wird hier erfahrbar. Seine inneren Wahrnehmungsprozesse werden im Außen ansichtig. Dabei ist für das Unheimliche entscheidend, dass die Auswahl der Bilder unterbewusst geschieht, der Besucher wählt nicht direkt aus, sondern wirft seinen Blick nach ihm selbst unbewussten und unbekannten Kriterien des Imaginären auf die jeweiligen Bilder. Das wiederum begründet die Ambivalenz, wie oben im Hinblick auf den Terminus ‚user‘ dargelegt. Der Beobachter ist einerseits aktiv an dem Beobachteten beteiligt, entwirft es mit seinen Blicken, dies geschieht jedoch aus seinem unbewussten Impuls und Begehren, das wiederum durch seine Seh- und Bildgewohnheiten geprägt ist (also wiederum von den Bildern, die er scheinbar nur betrachtet). Was Paiks Installation entstehen lässt, ist ein Bildraum, der nicht nur aus dem Imaginären des Beobachters entsteht, sondern wiederum Einfluss auf das Imaginäre ausübt und so in konstanter Veränderung beweglich bleibt und die Bewegung und das ständige Kippen der Subjekt/Objekt-Relation und der Aktivität/Passivität in Bezug auf Bild und Betrachter spürbar macht. 92 Ebd., S. 57.

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Im steten Fokus auf ein phantasmatisches Gegenüber evoziert und reflektiert Peter sagt dieses kybernetische Verhältnis zwischen Leser und Text und überträgt dies auf das Verhältnis zwischen Zuschauer und Aufführung. Im Scheitern der dialogischen Form (insbesondere auf der Bühne) wird das, was Englhart als „postdialogische Kultur und als Ver-Wirklichung der Medien“93 bezeichnet, deutlich. Der Text führt einen Kurzschluss in der dialogischen Kommunikation her, wenn der Rezipient „in verschiedene dialogische Beziehungen hineingezogen und zugleich durch ihren fliegenden Wechsel immer wieder aus ihnen herausgekickt wird [...].“94 Hinzu kommt, dass die angebotenen Zuschreibungen auch in Peter sagt wenig positives Identifikationspotential für den sich als ‚aufgeklärt‘ verstehenden westlichen Zuschauer bereithalten, wenn der Adressat in seiner Freude an der Folter oder seiner voyeuristischen Bildversessenheit angesprochen wird. Mit diesem Kurzschluss wird die dialogische Form jedoch nicht einfach hinfällig (und damit zum Monolog bzw. Polylog); als phantasmatischer Dialog weist die Rede das Dialogische als Dialogizität95 aus, als Zitat (und damit als postdialogisch, das Dialogische kritisch kommentierend, nicht jedoch abschaffend). Der Dialog ist hier als nachlebender begriffen, der die Rede heimsucht und im Hinblick auf den inhaltlichen Fokus des Textes auf das Sehen und die Bilder – samt deren Verbreitungsmechanismen über das Internet – deren kybernetisches Verhältnis zum gegenwärtigen Mediennutzer formalästhetisch figuriert und kommentiert.96 2.3 Zum Unheimlichen des Bildes in Peter sagt Peter sagt thematisiert Folter, Mord und Misshandlungen im Zusammenhang mit dem Irakkrieg. Die Gewalt wird dabei stets mit ihrer medialen Vermittlung in Beziehung gesetzt, genauer gesagt mit dem Bild im Medium. Dabei reflektiert der Text die zeitgenössischen Möglichkeiten und Funktionsweisen der digitalen Bildtechnik in Bezug auf das Verhältnis zwischen Original und Abbild einerseits und auf die Verbreitung des Bildes andererseits; mit anderen Worten geht es zum einen um das Bild als symbolische Einheit97 und zum anderen um das Bild als Artefakt in

93 Englhart 2007, S. 56. 94 Bloch 2011, S. 251. 95 Die Dialogizität von Jelineks Werken im Hinblick auf ihre intertextuelle Dimension (vgl. Pflüger 1996) wird hier um eine weitere Ebene ergänzt. 96 Damit wirft der Text auch über seine Form die Frage danach auf, inwiefern von Kommunikation über Medien noch gesprochen werden kann bzw. ob vielmehr von einer Kommunikation mit Medien im Sinne einer Selbstbespiegelung des Menschen im Medium gesprochen werden muss. 97 Vgl. Hans Belting: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001, S. 11.

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seiner Verbreitung über oder seinem Verhältnis zum Medium Internet. Der Text führt diese beiden Aspekte auf eine Art und Weise zusammen, die insofern das Unheimliche auf den Plan ruft als sie die Belebtheitsverhältnisse oszillieren lässt. Während das Original im Zuge seiner Abbildung zunehmend an Leben verliert, scheint das Abbild selbst (und das Abbild des Abbilds) in einen höchst vitalen Kreislauf viraler Verbreitung zu treten. Dies sind dann auch die beiden inhaltlichen Stränge, an denen sich die Analyse in diesem Kapitel orientiert. Das genuin Unheimliche des Bildes liegt m. E. in dem Umstand, dass wir als Betrachter – mit Freud formuliert – nicht Herr über diese sind. Ebenso wie Freuds Erkenntnis, dass das Ich nicht Herr im eigenen Haus ist, das Unheimliche auf den Punkt bringt, so verhält es sich mit dem Bild, das zum ‚Akteur‘98 wird. Aus dieser Perspektive ergibt sich eine Reihe von Fragen an das Bild, die dann ebenso dem Unheimlichen zuarbeiten bzw. den Fokus des Unheimlichen auf das Bild bezeugen: Die Frage nach dem Leben der Bilder, die J.W.T Mitchell stellt und damit die Grenze zum Dingstatus des Bildes überschreitet,99 die Frage damit nach dem Subjekt/Objektstatus von Bild und Betrachter, nach den Rollen der Aktivität und Passivität. Peter sagt geht eben diesen Denkansätzen nach und fragt danach, was die Bilder mit uns machen und eben nicht danach, was wir mit den Bildern machen. Die Belebung des Bildes wird in der jüngsten Forschung schlüssig an den Begriff der Performanz gekoppelt, so stellt Gertrud Koch die These auf: „Die Performanz des Bildes besteht darin, sich aus seinem Objektstatus heraus in unserem eigenen Handeln zu implementieren. In seinen kommunikativen Aspekten erzeugt es folglich Verzahnungen mit dem Handeln des Rezipienten, die weder kausalistisch als Verursacher zu fassen sind, noch einfach projektive Operationen des Rezipienten sind.“100 Dieser Fokus auf das Leben und die Lebendigkeit des Bildes mit der Kehrseite der zunehmenden Unbelebtheit des Menschen (als Betrachter des Bildes, wie auch als Abgebildeter) ist bereits als These von Peter sagt zum Unheimlichen zu lesen. Dabei doppelt dieses Bildverständnis Jelineks poetische Programmatik davon, „die Sprache zum Sprechen zu bringen“101. Die These vom Eigenleben der Bilder ist demnach parallel zu lesen zu Jelineks These vom Eigenleben der Sprache, das sie in ihren Texten zum Ausdruck bringt.

98

Vgl. Sybille Krämer: Gibt es eine Performanz des Bildlichen? Reflexionen über Blickakte, in: Schwarte 2011, S. 53-90, hier S. 71. 99 Hans Belting betont in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe von Mitchells Untersuchung Das Leben der Bilder, dass bereits der englische Titel „What do pictures want?“ die Grenze zwischen Artefakt und Leben überschreite. Vgl. Hans Beltings Einleitung in: Mitchell 2008, S. 8. 100 Gertrud Koch: Was machen Filme mit uns, was machen wir mit ihnen? – Oer was lassen wir die Dinge mit uns machen?, in: Schwarte 2011, S. 230-244, hier S. 233. 101 Vgl. Jelinek: Axt 1986, S. 229.

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Die Medialität bzw. der Fokus auf das Medium ist dabei von großer Bedeutung. Hans Belting verdeutlicht, dass sich das Bild stets im Medium äußert bzw. nur über ein Trägermedium als Bild in Erscheinung treten kann. Medien bieten dem Bild dabei eine Oberfläche – ein Punkt, der in Bezug auf das Unheimliche in Jelineks Texten selbstverständlich von zentraler Bedeutung ist – und „bestimmen dadurch zugleich die medialen Eigenschaften oder die Sprachform des Bildes mit“.102 Hierbei ist Beltings Unterscheidung von äußeren und inneren Bildern entscheidend, wobei im Falle der inneren Bilder der Körper des Menschen zum Medium wird.103 Jackob und Röttger schreiben dazu: „Als lebendiges Trägermedium und ‚Ort der Bilder‘ ist er [der menschliche Körper, Anm. E.G.] es, der im Akt der Animation das ‚opake Medium‘ transparent für das Bild macht, das es trägt. Erst so wird das Bild lebendig für den Betrachter.“104 Es ist diese Achse Bild-Körper-Medium, die Peter sagt quasi als Spielfläche eröffnet, um ihre Wechselwirkungen als Bewegung und Arretierung zu ergründen und der Frage nach den Belebtheitsverhältnissen nachzugehen. Aus diesem Bildverständnis heraus lässt sich auch der Grund für den Fokus des Textes auf den Körper und das Körperliche ableiten. Bis hierhin wurde bereits eine Reihe von Aspekten, die das Bild betreffen, angesprochen. In der Analyse zu Bambiland konnte gezeigt werden, inwiefern der Text den klassischen Bild- und auch Theatertopos von Schein und Sein am bewegten Bild des Fernsehens auslotet. Auf unterschiedlichen Ebenen und an verschiedenen Stellen von Bambiland wie auch Babel spielt dabei das phantasmatische Begehren nach Ganzheit in der Interpretationsfolie von Lacans These zum Spiegelstadium eine Rolle. Wiederholt wird das Bild und das Begehren des Menschen, das sich im Bild und über das Bild artikuliert also im Kontext des Ganzheit und symbiotische Vereinigung suggerierenden Phantasmas lacanscher jouissance inszeniert. Dies zeigt sich bereits sowohl an dem Titel Bambiland mit seiner assoziativen Anlehnung an die Wunschfabrik Hollywood und Disneyland, wie auch an Babel, das nicht zuletzt für das Phantasma einer weltumspannenden Verständigung zwischen den Menschen (durch das Bild?) steht; die Hybris stellt dabei einen beständigen Bezugspunkt dieser unterschiedlichen narzisstischen Größenphantasien dar. Mit Peter sagt wurde des Weiteren quasi die Kehrseite dieses phantasmatischen Begehrens in

102 Alexander Jackob/Kati Röttger: Ab der Schwelle zum Sichtbaren. Zu einer neuen Theorie des Bildes im Medium Theater, in: Christoph Ernst/Petra Gropp/Karl Anton Sprengard (Hg.): Perspektiven interdisziplinärer Medienphilosophie, Bielefeld 2003, S. 243-257, hier S. 247. 103 Röttger und Jackob sprechen davon, dass Belting den menschlichen Körper als ‚Ort der Bilder‘ als Missing Link in die Relation Medium und Bild in die Diskussion einbringt. Vgl. ebd., S. 246. 104 Ebd., S. 248.

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der Produktion von nacktem Leben bzw. dem Flüssig-Werden und der Verwerfung (Abjektion) des Körpers als Folge der allumfassenden Medialisierung festgemacht. Bezüglich des Zusammenhangs zwischen dem Unheimlichen und dem Bild ist zunächst ganz allgemein festzuhalten, dass das Bild, sei es Schatten, Spiegelbild, Gemälde, Fotografie oder bewegtes Bild (analog wie digital), mit dem Tod zu tun hat. Diese Beziehung zeichnet sich im Kontext der Fotografie bereits historisch ab, wenn aufgrund der zunächst sehr langen Belichtungszeiten nicht nur der tote Körper aus rein technischen Gründen zum bevorzugten Objekt der fotografischen Abbildung wurde, auch mussten die belebten Fotomotive sich quasi zum ‚still‘ (so die englische Bezeichnung für Foto) verwandeln, um im Foto verewigt zu werden. Beim Betrachten von Fotografien aus der Anfangszeit der Technik fällt daher auch deren toter Ausdruck auf. Die Körper sind ebenso in starrer Haltung gefangen, wie die Gesichter ohne Mimik, weshalb Roland Barthes davon spricht, dass die Fotografie das Subjekt nicht nur zum Objekt gemacht habe, sondern „wenn man so sagen kann, zum Museumsobjekt“.105 So verwundert es wenig, dass im Fortschreiten der Technik das Moment, mittels der Fotografie Bewegungen einzufangen, die für das menschliche Auge zu schnell vonstatten gehen, besondere Faszination hervorzurufen vermag. Bildtheoretisch lässt sich bereits an der Rhetorik über das Foto die ambivalente Position zwischen Leben und Tod ablesen, wenn beispielsweise davon die Rede ist, sich im Foto zu verewigen oder einen Moment mit der Kamera einzufangen. Das Bild – und das Foto ist dabei im Kontext des Unheimlichen von größerem Interesse als beispielsweise das Gemälde, da das Foto eher dazu neigt, sich als Medium vergessen zu machen,106 – das Bild also verhilft dem Menschen im Abbild

105 Barthes erläutert weiter: „für die ersten Porträtaufnahmen (um 1840) war es erforderlich, daß der Abzubildende in langen Sitzungen unter einem Glasdach in vollem Sonnenlicht ausharrte; Objekt werden hieß wie unter einem chirurgischen Eingriff leiden; man erfand daher einen Apparat, Kopfhalter genannt, eine Art Prothese, die für das Objektiv unsichtbar war; sie gab dem Körper bei seinem Übergang in die Unbeweglichkeit Halt und hielt ihn fest: dieser Kopfhalter war der Sockel der Statue, die ich werden sollte, das Korsett meines imaginären Wesens.“ Dass die Geschichte der Fotografie damit beginnt, den Menschen in eine Apparatur zu fassen, seinen Körper um eine für die Augen der Kamera unsichtbare Prothese zu erweitern und ihn so zu verdinglichen, ist im Hinblick auf das Unheimliche selbstverständlich von großem Interesse. Vgl. Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie, Frankfurt/Main 1989, S. 21f. 106 Barthes versucht in Die helle Kammer das Spezifische der Fotografie in Abgrenzung zur Malerei zu erarbeiten, wesentlich scheint hierbei die Eigenschaft des Fotos, sich als Medium vergessen zu machen und sich unmittelbar identisch mit dem Referenten zu zeigen: „Was immer auch ein Photo dem Auge zeigt und wie immer es gestaltet sein mag, es ist doch allemal unsichtbar: es ist nicht das Photo, das man sieht.“ Vgl. Barthes 1989, S. 14.

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einerseits zu ewigem Leben, andererseits mortifiziert es diesen bereits vor seinem Tode, wie Iris Därmann ausführt: Sofern das Bild im Sinne eines äußeren Gedächtnisses zwischen Leben und Tod steht, das Leben anhält und auf Dauer einstellt wider den Tod, und in diesem Anhalt den Tod selbst schon vorwegnimmt, indem es das Leben vorträglich mortifiziert, stellt es als Bild des Todes 107

immer auch sein Gegen-Bild ein.

Das Bild fungiert als Schutzschild gegen den Tod und verspricht Unsterblichkeit. Die Gegenseite von Unsterblichkeit jedoch ist das Schicksal des Untoten, wie auch der Sprecher in Peter sagt im Hinblick auf seinen prekären Status als ständig Abgebildeter weiß: „Wir sind lebende Tote.“ (PS 182) Dieser mortifizierende Mechanismus des Bildes im gleichzeitigen Erheben des Abgebildeten in die ewige Ahnenreihe der unsterblichen (Ab-)Bilder ist vielfach Gegenstand der Forschung zur Fotografie wie zur Bildtheorie. Roland Barthes spricht vom „etwas unheimlichen Beigeschmack [...], der jeder Photographie eigen ist: die Wiederkehr der Toten“.108 Dietmar Kamper sieht im Bild die einzige Chance des Menschen gegen die Todesangst, die jedoch gleichzeitig sein gegenwärtiges Schicksal besiegele, „als Lebende schon tot zu sein“.109 Eben diesen Mechanismus der Bildwerdung greift Jelinek vielfach in ihren Werken auf, am Eindringlichsten figuriert in Andi aus Ein Sportstück. In Peter sagt wird für die Sprecher im Text, die allesamt um ihr Schicksal als Abgebildete kreisen, das Bild als lebensverlängernde Maßnahme und Todesurteil zugleich deutlich. Indem Peter sagt diese Ambivalenz des Bildes vorführt, legt der Text Zeugnis ab von der Krise der Darstellung.110 Georg Christoph Tholen erläutert die Abkehr in 107 Iris Därmann: Tod und Bild. Eine phänomenologische Mediengeschichte, München 1995, S. 181. 108 Barthes 1989, S. 17. Barthes beschreibt den Vorgang der Mortifikation in der Fotografie virtuos: „[...].doch wenn ich mich auf dem aus dieser Operation hervorgegangenen Gebilde erblicke, so sehe ich, daß ich GANZ UND GAR BILD geworden bin, das heißt der TOD in Person; die anderen – der ANDERE – entäußern mich meines Selbst, machen mich blindwütig zum Objekt, halten mich in ihrer Gewalt, verfügbar, eingereiht in eine Kartei, präpariert für jegliche Form von subtilem Schwindel [...].“ Ebd. S. 23. 109 „Sich ein Bild von einem Menschenkörper zu machen, heißt ihn unsterblich machen, heißt ihn einreihen in die Phalanx der lebendigen Toten, der Gespenster und Phantome. Das Bild an der Stelle der Wunde der Sterblichkeit steht, in Wunder und Zeichen zu verwandeln, die ewig sind, ist pure Illusion.“ Vgl. Dietmar Kamper: Bild, in: Christoph Wulf (Hg.): Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, Weinheim/Basel 1997, S. 589-595, hier S. 592. 110 Diese Krise zeigt sich bekanntlich nicht nur in Bezug auf das Medium Bild, sondern ist insbesondere ein Diskurs des Theaters und spiegelte sich schon im Theater der

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der neueren Bild-Forschung von der klassischen semiotischen Bestimmung des Bildes als Abbild und Zeichen eines anderen im Schema eines primären Urbildes und dementsprechend sekundären Abbildes: „Es ist diese – in der Begriffsgeschichte von der Antike über die Renaissance bis zur Moderne dominant gebliebene – Abbildtheorie visueller Repräsentation, deren Gültigkeit in der neueren Bild-Forschung ebenso in Frage gestellt wird wie der referentielle Status von Bildern überhaupt.“111 Dass Peter sagt ein letztlich anti-mimetisches Verständnis des Bildes vertritt, verwundert indes nicht weiter bzw. korreliert mit Jelineks Anschreiben gegen ein naives Verständnis von Repräsentation. Ebenso wie die Funktion der Botenfigur in Bambiland letztlich nicht darin besteht, eine Botschaft zu überbringen, sondern vielmehr in redundanter Selbstbezüglichkeit ihre Medialität auszustellen, (vgl. IV.3.4) geht es auch beim Bild darum, seine Medialität im Text ansichtig werden zu lassen und auszuweisen, und das heißt, sein Unheimliches hervorzukehren. Denn im Horizont des Medialen schwingt immer die Frage nach dessen Konstitutionsleistung mit,112 und diese steht der mimetischen Abbildungsfunktion entgegen und betont das Phantasmatische am Bild. Dies führt zu der Frage, ob das Hinweisen auf die Medialität des Bildes bereits sein Unheimliches offenbart. Wie oben anhand von Paiks Installation beschrieben (vgl. V.2.2), wird in der Ambivalenz des Mediums zwischen Instrument der Übertragung bzw. Abbildung und seiner Konstitutionsleistung das Unheimliche erfahrbar. Im Bewusstsein von Medialität steckt die Frage nach der Fiktion von Realität, und im Hinblick auf das Verhältnis von Medium und Bild gilt, dass Medien nicht nur Träger von Bildern sind, sondern diese zugleich auch inszenieren.113 Zur näheren Erörterung des Zusammenhangs vom Unheimlichen und dem Begriffspaar Medium/Bild soll an dieser Stelle Freuds Spiegel-Anekdote herangezogen werden. In einer Fußnote seines Aufsatzes zum Unheimlichen erzählt Freud wie sich während einer Zugfahrt durch ein Rucken unvorhergesehen die Tür zur Toilette des Schlafwagenabteils öffnet und er mit seinem Spiegelbild konfrontiert historischen Avantgarde wider und zeigt sich letztlich auf vielfachen Ebenen im postdramatischen Theater. Lehmanns Studie zum postdramatischen Theater lässt sich auch mit dem Fokus auf die Abwendung und Ausleuchtung der klassischen Mechanismen von Darstellung lesen. Nicht umsonst handelt schließlich das letzte Kapitel von der Frage nach Darstellbarkeit und Darstellung. Vgl. Lehmann 2005, S. 440-447. 111 Georg Christoph Tholen: Auge, Blick und Bild. Zur Intermedialität der Blickregime, in: Nadja Elia-Borer/Samuel Sieber/Georg Christoph Tholen (Hg.): Blickregime und Dispositive audiovisueller Medien, Bielefeld 2011, S. 19-30, hier S. 20. 112 Zur Frage der Konstitutionsleistung der Medien vgl.: Sybille Krämer: Erfüllen Medien eine Konstitutionsleistung? Thesen über die Rolle medientheoretischer Erwägungen beim Philosophieren, in: Stefan Münkler/Alexander Roesler/Mike Sandbothe (Hg.): Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs, Frankfurt/Main 2003, S. 78-90. 113 Jackob/Röttger 2003, S. 248.

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wird, dies zunächst jedoch nicht erkennt und dem scheinbar Fremden aus seinem Abteil verhelfen will, bis er sein eigenes Bild im Spiegel identifiziert. Freud beschreibt seine negative Reaktion auf das Gegenüber: „Ich weiß noch, daß mir die Erscheinung gründlich mißfallen hatte. Anstatt also über den Doppelgänger zu erschrecken, hatte [...] ich [...] ihn einfach nicht agnosziert.“ Freud fragt sich weiter: „Ob aber das Mißfallen dabei nicht doch ein Rest jener archaischen Reaktion war, die den Doppelgänger als unheimlich empfindet?“114 Hans-Friedrich Bormann zieht Freuds Spiegelanekdote heran, um darin die Erfahrung des Unheimlichen im Medialen zu erklären: Der Spiegel, der dem reisenden Autor einen unangenehmen Doppelgänger zeigt, ist das Medium einer Darstellung, die eben als Darstellung (respektive Fiktion) nicht mehr erkennbar ist. Der Spiegel zeigt nicht mehr als einen Ausschnitt aus der scheinbar vertrauten Wirklichkeit, gerade deren plötzliche Erscheinung aber ist es, die Schrecken hervorruft. Was hier für den Spiegel formuliert ist, müsste auch für dessen technologische Fortführungen gelten: Fotografie, Film und besonders Video (als räumlich-zeitlicher, real-virtueller Spiegel) partizipieren an dieser Struktur einer unheimlichen Verdoppelung.

115

An Freuds Anekdote lässt sich im Hinblick auf das Unheimliche ableiten, dass das Gewahrwerden des eigenen Doppelgängers nur solange die Erfahrung des Unheimlichen evoziert, wie Unklarheit über seine Medialität herrscht. Mit den Begrifflichkeiten des Bildes gesagt also solange, wie der Betrachter es als Original seiner selbst ansieht. Sobald ich mein Spiegelbild als eben dieses identifiziere, und das heißt im Kontext des Bildes, sobald ich das Bild in seiner Medialität erkenne, verliert es seine unheimliche Wirkung. Und doch ist an dieser Stelle sogleich eine Einschränkung vorzunehmen bzw. die Frage zu formulieren, der Peter sagt im Hinblick auf das Bild m. E. nachgeht. Denn eben diese Einschätzung, dass das Bewusstsein über die Medialität des Bildes (in Freuds Fall des Spiegelbildes) das Unheimliche restlos tilgen würde, eben dieser aufklärerische Ansatz wird weder dem Unheimlichen gerecht, noch trifft er auf das Bildverständnis in Jelineks Texten zu. Mitchell spricht davon, dass er weder die Bilder ob ihrer Falschheit entlarven, noch ihren Status als Lebewesen bekräftigen möchte, sondern einen dritten Weg begehen möchte, „der in Nietzsches Götzendämmerung vorgeschlagen wird: ‚die Götzen‘ mit der ‚Stimmgabel‘ der Sprache der Kritik bzw. der Sprache der Philosophie ‚auszuhorchen‘ und zum Klingen zu bringen“.116 Auf diese Weise scheint auch Jelinek vorzugehen, wenn sich die Bilder in Peter sagt verflüssigen, wie Viren verbreiten und auf die ein oder andere Art und Weise belebt erscheinen, „sie gehen überall 114 Freud 1986, S. 263. 115 Bormann 2001, S. 417. 116 Mitchell 2008, S. 24.

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spazieren, sie flanieren, sie kursieren, und sie stehen ziemlich hoch im Kurs“. (PS, S. 207) Der Text hängt dabei weder einem naiven Glauben an einen magischen Animismus des Bildes an, noch einem – man möchte sagen ebenso magischen – Glauben an die totale Repräsentation im Bild. Kamper bestimmt diese Mehrdeutigkeit des Bildes im „Zusammen- und Gegeneinanderspiel von Präsenz, Repräsentation und Simulation“ und erklärt: „‚Präsenz‘ ist die magische Dimension, ‚Repräsentation‘ versammelt die Kräfte der Mimesis, die Fähigkeiten, Bilder als Bilder zu setzen, das gesamte Arsenal der erfindungsreichen Fiktionen, und ‚Simulation‘ ist eine Angelegenheit der Täuschung unter Einschluß der Selbsttäuschung, die im Kontakt mit den Gesetzen des Marktes und der Tauschabstraktion derzeit Hochkonjunktur hat.“117 Daraus ergibt sich die bereits formulierte Frage nach den Funktionsmechanismen des Bildes, die Peter sagt im Spektrum des Lebendigen ansiedelt. Während in der Abbildtheorie visueller Repräsentation das Bild alles sichtbar werden lässt, führt die gegenwärtig anhaltende „Krise des Bildbewusstseins“ laut Tholen zu einem „nicht-okularen bzw. ab-okularen Begriff des Bildes“. Diese „Einsicht in das nicht-abbildbare Unsichtbare“ führe zu einer „Kehre im Bild-Denken: Unser Sehen verdankt sich einem blinden Fleck, den wir notgedrungen übersehen, wenn wir etwas als etwas sehen. Sichtbares zeigt sich nur, wenn Unsichtbares entzogen bleibt.“118 Dieser blinde Fleck im Sehen ist verantwortlich für die Erfahrung des Unheimlichen im Bild. In dem Moment, in dem Freud sich im Spiegelbild sieht, er sich jedoch (noch) nicht erkennt, ist er sich selbst fremd, da sein Sehen das Medium – den Spiegel – unterschlägt; das Erkennen seiner selbst fällt mit dem Gewahrwerden des Mediums zusammen, und dies ist der entscheidende Moment des Unheimlichen, wenn sein Spiegelbild vom Fremden zum Vertrauten wird und doch darin das Fremde bestehen bleibt. Dieser Moment des Übergangs ist es m. E., der das Bild unheimlich werden lässt bzw. das Unheimliche des Bildes darstellt. Es hat mit dem Potential des Fremden im Bild des Eigenen zu tun, und darin liegt eine höchst bedeutsame und ungeklärte Frage des Bildes begründet, der Peter sagt nachgeht. Aktuelle Diskurse um die Performativität des Medialen119 wie auch des Bil120 des lassen sich dementsprechend an das Unheimliche anschließen bzw. damit erschließen; die in der Bildtheorie virulente Frage nach der Objektivierung des

117 Kamper 1997, S. 593. 118 Tholen 2011, S. 21. 119 Vgl. hierzu insbesondere den Band von Sybille Krämer (Hg.): Performativität und Medialität, München 2004. 120 Vgl. Ludger Schwarte (Hg.): Bild-Performanz, München 2011.

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Subjekts in der Abbildung121 zeigt in diese Richtung und selbstredend geht die Frage nach dem Leben der Bilder, die Mitchell stellt, damit einher, und also die Frage, ob die Bilder dieses Leben ihrem Gegenstand nehmen. Im Folgenden soll zunächst die Flussmetapher in Peter sagt untersucht werden. Hier lässt sich zunächst das Ausloten des Textes von Oberflächen- und Tiefenstrukturen im Horizont des Bildes darlegen, um dann der Frage nachzugehen, inwiefern Peter sagt das Flüssig-Werden des abgebildeten Körpers im Foto mit Thesen Giorgio Agambens vom Ausnahmezustand verbindet. Der Text bezieht Agambens Theorem des Ausnahmezustands, als grundlegende Bezugsgröße unserer Rechtskultur, auf die permanente bildliche Medialisierung der Gegenwart. Dieses unheimliche Szenario einer allumfassenden Bildwerdung des Menschen stellt schließlich den Rahmen der Auseinandersetzung des Textes mit dem Bild dar. 2.3.1 Der Bild-Topos im Kontext von Oberflächenspiel und Flussmetapher Der Fluss taucht in Peter sagt als vielstimmige Metapher auf. Durch den Text mäandernd, erfüllt die Metapher die Bewegung ihres Gegenstands und geht in ihrer Bedeutung darüber hinaus. Sie erschöpft sich also nicht in einem selbstreflexiven Gestus des Textes auf seine mäandernde Erzählform; wiederholt bespricht die untote Redeperspektive ihr Fluss-Werden als Todesmetapher und markiert es als Kehrseite der permanenten und absoluten Bildwerdung des Menschen. An eine Passage über das „abenteuerliche[...] Behagen“ beim Betrachten des Leids anderer auf dem Foto im „Segen-, ich meine im Wohlzimmer“ anschließend, heißt es: Es muß ja immer alles an den Tag gelegt werden, und dann muß es trockengelegt werden, aber es macht sich gleich wieder naß, und es muß wieder mal ein Schirm drübergehalten werden. So, all die Tränenmeere müssen unverzüglich trockengelegt werden, befehle ich, wir brauchen sie nämlich, damit wir diesen schönen großen Fluß hineinleiten können, der hat heute noch kein Bett für die Nacht, er irrt noch aus meinem Fleisch heraus und irrt herum und irrt herum und irrt sich zu oft dabei, er findet nicht mehr in sein Bett, da brauchen wir den Tränenfluß dazu, daß der Mäandros, ja so heißt er, ich habe ihn eigens gefragt, endlich in sein Bett findet, der Tränenfluß soll ihn bitte anleiten, wenn nötig, aber es sollte nicht nötig sein, es geht ja immer nur bergab, und da brauchen wir auch die feuchte Erde, die drücken wir aus wie einen Schwamm, jetzt hat sie Platz, damit sie sich auch irgendwohin entleeren kann, die 121 Roland Barthes beschreibt in dem Vorgang des Fotografiertwerdens „jenen äußerst subtilen Moment [...], in dem ich eigentlich weder Subjekt noch Objekt, sondern vielmehr ein Subjekt bin, das sich Objekt werden fühlt: ich erfahre dabei im Kleinen das Ereignis des Todes (der Ausklammerung): ich werde wirklich zum Gespenst.“ Barthes 1989, S. 22. Vgl. außerdem Krämer 2011, S. 69f.

306 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN muß ja auch mal aufs Klo [...], dort aus der Kloschüssel mit extra viel Wasserspülung, da irrt nun das Blut, da irren die Tränen herum, und wir machen das Flußbett erst mal sauber und leer, und dann legen wir die Tränen schön ordentlich hinein, eine nach der andren. Sie sollen diesmal nicht so drängen wie vorhin.“ (PS 156f.)

In dieser anspielungsreichen Passage fungiert der mäandernde Fluss als paradox gewendete Metapher für ein Ausloten von Oberflächenstrukturen, das im Kontext des Fotos zu verstehen ist. Bei genauerer Betrachtung der Bewegung des mäandernden Flusses wird deutlich, dass dessen Schlingen dadurch entstehen, dass das Flussbett von der ausbuchtenden Seite auf die Innenseite der Mäanderschlinge transportiert wird. Somit steht der mäandernde Fluss als Metapher nicht nur für ein umwegiges und ausuferndes Erzählen, dass sich in Nebensträngen und Assoziationen verliert, wie es für Jelineks Texte als poetisches Prinzip gilt, sondern auch für die Umwälzung von Oberflächenschichten. Im Mäandern trägt der Fluss seinen Untergrund, sein Bett, an die Oberfläche, wodurch er es verliert, denn als an die Oberfläche getragenes Material ist es kein Flussbett mehr. Peter sagt spielt hier mit dem Gegensatzpaar Oberfläche/Grund und lässt die scheinbaren Antagonisten ineinander übergehen; damit einher geht ein Changieren von Leere und Fülle, wenn die Tränenmeere trockengelegt werden sollen, um den Fluss dann in diese zu leiten. Auch hier fallen die Gegensätze ineinander, wenn Leere und Fülle ununterscheidbar werden ob des Paradoxons, dass einerseits das Meer sein eigener Inhalt ist – es ist das Wasser, welches das Meer zum Meer macht, sein Inhalt, nicht sein Becken – und andererseits seine Fülle sich ohnehin aus den Flüssen speist. Mit der FlussMetapher spielt Jelinek hier nicht nur die Gegensätze von Untergrund, Tiefe und Oberfläche gegeneinander aus, sondern verdeutlicht auch das Ineinandergreifen der Materien. Hinzu kommt in der obigen Passage die Parallelisierung des Flusses mit dem Sprecher, aus dessen Fleisch heraus der Fluss „irrt“. So wird der Fluss in seinem Flüssigen und seinem Fließen zu Blut, Kot und wieder zu Tränen, die in der Kloschüssel herumirren. Der Mensch wird zum Fluss und der Fluss wird zum menschlichen Fluidum (Blut, Kot, Tränen). In dieser Passage wird das Spiel mit den Materien und Oberflächen im Horizont des Abjekten deutlich. Festes (Fleisch) wird flüssig, Feuchtes trocken, Fülle verflüssigt sich, indem sie „trockengelegt“ wird und kehrt doch in einem scheinbar ewigen Fließen wieder, wobei auch der sprachliche Abgrund zwischen „Tränenmeer“ und „Kloschüssel“ scheinbar mühelos überquert wird. Die relevanten Oberflächen in der Passage sind dabei der „Schirm“, im Kontext von Bambiland und Babel als Bildschirm zu verstehen, und das Foto. Beides sind Benutzerschnittstellen und werden als diese in ihrer Funktion als Grenze und Schutzbarriere wie auch als Übergangsschwelle und Kontaktstelle zwischen Betrachter und dem, was sich hinter bzw. unter der Oberfläche bewegt, ausgeleuchtet; denn darauf spielt die oben zitierte Passage an, auf das sich stets Verflüssigende,

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Organisch-Lebendige, das sich im Foto entzieht, und dass das Foto gleichzeitig als sein Abjektes verwirft. Indem der Text die abjekten, mit Ekel besetzten Stoffe Kot und Blut auf den Plan ruft, konnotiert er den Untergrund einerseits als einen, der stets droht zu vereinnahmen und die Grenzen seiner Oberfläche zu überschreiten, andererseits wird mit dem Abjekten immer auch die Gegenbewegung, die Reaktion, die es evoziert, aufgerufen, das Verwerfen und Verdrängen des Organischen, wodurch es zuallererst zum Abjekten wird.122 Dass die oben zitierte Passage ihre Bedeutung im Kontext des Fotos entfaltet, wird aufgrund ihrer Position im Text deutlich. So ist sie von Szenen eingerahmt, in denen der untote Söldner-Marsyas die Reaktionen der Betrachter seines toten Körpers beschreibt. So heißt es vor der oben zitierten Passage: „[...] mein Herz, mein Herz, mein Herz! Alles ringsherum in Tränen, die heulen so, daß sie gar nicht merken, daß sie ja nur mein Foto in der Hand halten, auf dem sich das Herz selbstverständlich unterirdisch befindet!“ (PS 156) Hier leitet der Text mit der paradoxen Verortung des Herzens im gleichzeitigen und für den Leser unentscheidbaren Außerhalb und Innerhalb des Menschen wie auch des Fotos, das Ausloten der Oberflächen/Untergrund-Struktur im Horizont von Bild und (menschlichem) Objekt der Abbildung ein. Über die wiederholte Anspielung auf die Haut und die Häutung des Marsyas im Zusammenhang mit der Foto-Oberfläche wird die Frage nach der Verortung des Selbst auf den Plan gerufen, wie sie im Kontext neuer Technologien, die die Haut imitieren, erweitern und ersetzen, gestellt wird.123 Im Anschluss an die oben zitierte Fluss-Passage wird diese Foto-Szene wieder aufgenommen und das Ausgreifen des Fotos auf seinen Betrachter weiterentwickelt:

122 Diese ‚Bewegung‘, die dem Abjekten innewohnt bzw. die es erst zum Abjekten macht, ist dieselbe wie diejenige, die das nackte Leben begründet. In beiden Fällen geht es nicht um ein dem Diskurs Vorgängiges, Natürliches, sondern um eine Kategorisierung, die vorgenommen wird, die interessegeleitet ist. Die Bestimmung, dass etwas als abjekt empfunden bzw. kategorisiert wird, ist ebenso kulturell geprägt und ‚gemacht‘, wie die ‚Produktion‘ von nacktem Leben, worauf ich in V.2.2.2.2 näher eingehen werde. 123 Der Medien-Performance-Künstler Stelarc, der bekanntlich seine eigenen Körpergrenzen für die Technik öffnet, schreibt: „Als Oberfläche war die Haut einst zugleich Beginn der Welt und Grenze zum Selbst. Heutzutage, da die Haut von Technologie gespannt, durchbohrt und penetriert wird, ist sie nicht mehr die glatte und sinnliche Oberfläche einer fixen Entität, gleichsam deren Fenster zur inneren und äußeren Welt. Haut bedeutet nicht mehr Abgeschlossenheit. Die Durchbrechung von Oberflächen, und Haut läuft auf die Tilgung des Unterschiedes von Innen und Außen hinaus.“ Vgl. Stelarc: ParasitenVisionen. Split body zwischen ferngesteuerter und selbstbestimmter Erfahrung, in: Leecker 2001, S. 706717, hier S. 708.

308 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN Also ich mache das nicht, damit auch Sie bewegt sind, ich bemühe mich ja extra, mich nicht zu bewegen, damit das Bild nicht verwackelt, damit nicht Sie in das Bild verwickelt werden, ich halte still, aber das Bild nicht, es zittert in Ihren Händen, aber ich halte mich recht gut, ich halte mich ruhig, während Sie sich in aller Ruhe das Foto von meinem Körper anschauen, der vor kurzem noch in seiner guten Haut gesteckt hat! (PS 157)

Nicht nur wird hier die Oberfläche des Fotos in Anspielung auf die abgezogene Haut der Marsyas-Figur als Oberfläche des Menschen gedoppelt,124 in der variierenden Bedeutung des Wortes ‚bewegen‘ wird auf die Wirkung von Fotos hingewiesen. Dabei korreliert die emotionale Bewegung des Betrachters, ausgelöst durch das Foto der versehrten Söldner-Marsyas-Figur, mit dessen Bewegungslosigkeit, „ich halte still“ – was wiederum mit der englischen Bedeutung ‚still‘ für Foto/Standbild unterstrichen wird und die Stillstellung im Foto betont. Im folgenden Satz wendet der Text die Bewegung des Fotos dann zunächst aktivisch („ich halte still, aber das Bild nicht“), um dann jedoch den Akteur der Bewegung mit der zitternden Hand des Betrachters wieder ins rechte Bild zu setzen. Nicht das Foto selbst bewegt sich, sondern die menschliche Hand ist es, die dieses aufgrund einer inneren Bewegtheit bewegt – die Hand des Betrachters zittert. Auch in dieser Passage werden Gegensätze in Fluss und in Bewegung gebracht. Selbstverständliche Annahmen auch über die Belebtheit von Betrachter und Gegenstand der Betrachtung werden über ein Oszillieren und Ineinander-Gleiten aktiver Bewegung und passivem Geschehen-Lassens verkehrt, münden jedoch am Ende des Absatzes im Stillstand des Fotos, dessen Betrachtung dann eine voyeuristisch-pornographische Konnotation erhält, wenn vom Anschauen des Körpers die Rede ist, der mehr als nackt, noch nicht einmal mehr eine Haut besitzt.125 Peter sagt bringt den Fluss also als Metapher zur Auslotung von Oberfläche und Untergrund im Hinblick auf das Foto (als die Figur der Verflachung schlechthin) und dem darauf abgebildeten Körper ins Spiel, der in seiner Auflösung begriffen ist (er ist nicht nur tot, sein Herz liegt offen und seine Haut fehlt) und in seiner abjekten Verflüssigung seine Grenzen zu überschreiten droht; seine organischen, kutanen

124 Bloch weist auf den Zusammenhang des Marsyas-Mythos in Peter sagt hin, die Häutung als einen symbolischen Akt auf den „Prozess der Enteignung im medialen Sinne“ zu übertragen. Vgl. Bloch 2011, S. 297f. 125 Die Deutung der Bilder in ihrem pornographischen Bezug wird mehrfach im Text deutlich. So beispielsweise wenn es im Kontext der Fotos von Häftlingen heißt, die von Hunden bedroht werden: „Auf diesem Foto haben sich zwei Hundeführer, ja, zwei Hunde und zwei Führer, einen regelrechten Wettbewerb geliefert, wer mehr Häftlinge dazu bringt, aus Angst vor den Hundis zu urinieren. Hat gut geklappt. Scharfe Hunde. Scharfe Fotos.“ Zum pornographischen Kontext bzw. dem Warencharakter der Bilder vgl. Bloch 2011, S. 276ff.

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Grenzen einerseits und die seiner Abbildung, seines Fotos, mit der Haut als metaphorischen Beschreibung von Oberfläche andererseits. Die Überschreitung der Grenzen des Körpers wie des Fotos zeigt der Text schließlich ganz faktisch in der körperlichen Reaktion des Betrachters. Das Zittern seiner Hand als Ausdruck einer inneren Bewegtheit ist hier poetische Umsetzung der Überschreitung von körperlichen Grenzen, dem Ausgriff des Fotos auf den menschlichen Körper. Der abjekte, gelynchte Körper des Söldners greift durch die Oberfläche – den Schutzschirm – des Fotos hindurch auf den Körper des Betrachters aus. Der Text setzt hier eine Kommunikation auf Körperebene in Szene, die sich als ein Ineinandergreifen bzw. fließen artikuliert. Dabei findet eine Markierung der Medien, die das Bild ‚tragen‘ bzw. inszenieren statt; zunächst wird die Flächigkeit des Fotos über den Hinweis auf den fehlenden Einblick in die Tiefe des Abgebildeten illustriert. Mit Jean-Luc Nancys Begriff der Frontalität lässt sich an dieser Stelle verdeutlichen, inwiefern Peter sagt hier auf den Mangel im evidenten Sehen hinzeigt, auf das, was sich dem Blick entzieht. Nancy führt dies am Phänomen des Würfels aus: „Die Tiefe (oder Vollständigkeit) des Würfels offenbart sich nicht dem sog. evidenten Sehen. Der Würfel erhält seine Vollständigkeit erst in der gedachten Wahrnehmung.“126 In Bezug auf die obige Passage bedeutet dies den Entzug des Lebens im Sehen; das, was dem Betrachter entzogen bleibt, ist das Leben des abgebildeten Objekts: sein Herz. Gleichzeitig stellt der Text hier den aktiven Anteil des Betrachters an diesem Abzug des Lebens aus, indem er das Betrachten des Fotos als Vereinnahmung inszeniert, zum einen über die pornographische Konnotation der Betrachtungsszene, zum anderen über den Klageruf „mein Herz, mein Herz“, der den Verlust desselben im Moment des Angeblicktwerdens (durch den Anderen) markiert. Die Szene entwirft also den Vorgang des Sehens im Fokus auf die Medien; dies geschieht im Horizont von Oberflächen- und Tiefenstruktur. In Beltings oben angeführter Unterscheidung zwischen inneren (mentalen) und äußeren (physikalischen) Bildern „sind äußere Bilder nicht von Medien und innere Bilder nicht vom menschlichen Körper zu trennen“, wie Jackob und Röttger schreiben, wobei „die äußeren Bilder durch die Wahrnehmung von einem Medium abgelöst und dadurch zu inneren Bildern werden.“127 Peter sagt inszeniert eben diesen Vorgang, und fokussiert dabei das unheimliche Oszillieren der Belebtheitsverhältnisse, den Prozess des Abzugs an Leben vom abgebildeten und betrachteten Objekt (seinen Übergang vom Subjekt zum Objekt im Verlust seines Herzens als dem Organ der Lebendigkeit schlechthin), das Wandern des Bildes vom einen Medium (Foto) zum anderen (Körper des Betrachters) in der Wahrnehmung im Sinne Beltings. Gleichzeitig be-

126 Jackob/Röttger 2003, S. 242. 127 Jackob/Röttger 2003, S. 248.

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tont der Text hier dasjenige, das sich im Bild entzieht: die Tiefe bzw. Vollständigkeit des abgebildeten Subjekts in seinem Übergang zum Objekt. Im Folgenden soll zunächst dem Flussmotiv weiter nachgegangen werden. Die Selbstattribuierung des untoten Sprechers als Fluss, wird im Verlauf des Textes wiederholt mit dem Bild des an einer Brücke über einem Fluss hängenden Blackwater-Söldners verknüpft: „[...] ich bin ja jetzt ein Fluß, nein, doch nicht, jedenfalls noch nicht!, ich werde vorher noch aus mir geborgen und an die Brücke geheftet, am Brückengeländer befestigt, völlig ohne mein frisches Aussehen [...].“ (PS 162) Hier steht der Fluss nicht nur als Metapher für den Tod, sondern bezeichnet ebenso den tatsächlichen Ort der Erhängung der drei Blackwater-Söldner an einer Brücke in Falludscha. An anderer Stelle wird der Fluss als Todesmetapher in einen mythologischen Kontext gesetzt: „[...] und der ideale Soldat, der bis jetzt durchgehalten hat, stürzt mitsamt seinem Felsen in den Todesfluß. [...] und der Tartaros war auch schon da, den Fluß hast du auch nicht unbedingt erschaffen brauchen, der war ja vorher schon da!“ (PS 175) Galt der Tartaros in der griechischen Mythologie als ein personifizierter Teil der Unterwelt, der noch unter dem Hades liegt, wird hier die Assoziation des Flusses mit dem Tod noch verstärkt.128 Exkurs: Fluss- und Bergmetapher im Kontext von Paul Celans Gespräch im Gebirg Schließlich kontextualisiert Peter sagt die Fluss-Metapher in einer Gegenüberstellung mit dem Berg im gedanklichen Horizont von Paul Celans poetologischem Text Gespräch im Gebirg (1959). Ist Celans Text bereits in den Theaterstücken In den Alpen (2002) und Wolken.Heim. virulent und erschließt insbesondere in Winterreise (2011) den Zusammenhang des „Fortleben[s] nationalsozialistischer Gewaltgeschichte“129 im Kontext biopolitischer Diskurse, greift Peter sagt diesen Diskurs im Hinblick auf die Folterbilder von Abu Ghraib auf. Evelyn Annuß liest Celans Gespräch im Gebirg als Frage danach, „in wessen Namen das lyrische Ich nach der

128 Im Tartaros wurden die Titanen nach ihrer Niederlage gegen Zeus eingesperrt. Der Tartaros liegt so tief unter der Erde, wie die Erde vom Himmel entfernt ist. „ein Amboß fällt neun Nächte und neun Tage vom Himmel herab und erreicht am zehnten die Erde; neune Nächte und neun Tage fällt er auch von der Erde herab und errecht am zehnten Tag den Tartaros. Eine eherne Mauer zieht sich um den Tartators. Dreifach lagert sich die Nacht um den Hals dieser Feste.“ Karl Kerényi: Die Mythologie der Griechen. Band I: Die Götter- und Menschheitsgeschichten, München 1999, S. 27. An folgender Stelle findet wiederum eine abermalige Anspielung auf das Abjekte im Kontext des Flusses statt: „[…] nur nehmen Sie mich bitte sofort von dieser Brücke fort, ich bin nicht schwindelfrei, wenn ich jetzt meinen Kopf noch hätte, würde ich glatt in den Fluß kotzen.“ (PS 199) 129 Annuß 2013, hier S. 34.

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Shoah überhaupt noch das Wort ergreifen kann; so betrachtet reflektiert er [der Text, Anmerkung E.G.] die historisch bedingte Uneinigkeit jener Figur, die in Celans Arbeit für die Ermordeten zeugen soll“.130 Annuß beobachtet richtig, dass es in Winterreise nun nicht (mehr), wie noch in Gespräch im Gebirg die Perspektive des Überlebenden ist, die eingenommen wird, sondern die des Toten bzw. des untoten Sprechers. Dies drückt sich über die Verortung des Sprechers als aus dem Fluss stammend aus. So heißt es aus der untoten Vater-Perspektive in Winterreise: „Nein, vom Gebirge komm ich diesmal nicht, früher oft, aber diesmal nicht, ich komm aus dem Fluß.“ (W 88)131 In Rekurs auf Celans Selbstmord in der Seine spielt der Text hier laut Annuß auf ein anderes Zeugenschaftsproblem an als es Celans Text thematisiert, und zwar, wie Annuß richtig feststellt, auf „die nachträgliche Zeugenschaft für das Zeugenschaftsproblem der Überlebenden.“132 Dieses Zeugenschaftsproblem Celans, dessen Selbstmord in der Seine im Kontext seines Überlebens der Shoah zu verorten ist, verquickt Jelinek in Winterreise mit der Verwahrung des demenzkranken Vaters im Heim durch die Angehörigen bzw., in Anlehnung an ihren eigenen Vater, durch Mutter und Tochter: „Sie haben mich abgeschoben. Mein Verstand ist mir schon längst vorausmarschiert, einholen kann ich ihn nicht mehr. [...] Ich hab ihnen geglaubt. Ich habe meiner Frau und meiner Tochter geglaubt, dass ich nur auf Erholung fahre.“ (W 75) So übernimmt der „tote Papa, der angeblich nicht aus dem Gebirg stammt, sondern – wie Celan – aus dem Fluss, [...] die Zeugenschaft für die soziale Mortifikation der Überlebenden. Als Gespenst allegorisiert er den historischen Kontext politischer Schließungsmechanismen [...]“133 und bringt die „mortifizierende Gewaltförmigkeit“ „unsere[r] alltägliche[n] Rede im Namen der sprachlosen oder eine andere Sprache sprechenden ‚Unpersonen‘“134 zutage. Annuß macht plausibel, dass Jelinek in Winterreise über die demenzkranke Vaterfigur die „großen biopolitischen Streitthemen, die, an Medienspektakel geknüpft, so leicht aus unserem Alltag ausgelagert werden können, ins Private“135 übersetzt. In Peter sagt findet sich die Referenz auf Celan im Kontext der Folter-Fotos aus Abu Ghraib. Im Rekurs auf eine Reihe von Fotos, die mehrere Häftlinge nackt

130 Ebd., S. 31. 131 An späterer Stelle heißt es in Winterreise: „ich erinnere mich doch nicht mehr, woher ich bin, weiß nur, ich komme von woanders her, vom Gebirge? Komm ich vom Gebirge her? Ich sagte schon: diesmal nicht, ich wäre sonst vielmehr außer Atem.“ (W 96) 132 Annuß 2013, S. 31. 133 Ebd., S. 32. 134 Ebd., S. 34. 135 Ebd.

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übereinander gestapelt zeigen,136 ist im Text vom „Springen auf einen Berg nackter Häftlinge“ (PS 147), und von „Menschenhaufen“ (PS 218) die Rede. Ruft die Beschreibung von Menschenbergen Bilder der Shoah in Erinnerung, thematisiert Peter sagt die Folterungen und Erniedrigungen in Abu Ghraib im Zusammenhang mit deren medialer Aufbereitung. Der Text problematisiert die Medien als Zeugen, weist sowohl auf die Wirkmacht des Bildes als auch auf die Ohnmacht des Wortes hin. Ironisierend heißt es mit Blick auf das Wort (hier ist sicherlich auch das Wort der Autorin gemeint): „Sie alle sind meine Zeugen, daß ich das oft gesagt habe. Wen kümmerts? Mich.“ (PS 160) In Anspielung auf Lynndie England, die aufgrund ihrer offensichtlichen Abhängigkeit von ihrem damaligen Freund, dem Drahtzieher der Folterungen in Abu Ghraib, Charles Graner, nur bedingt und höchst ambivalent als für ihre Taten verantwortlich erscheint, heißt es: [...] das Wasser hat sie als Spiegel genommen, damit nachher nichts davon bleibt, damit keine Zeugen übrig bleiben, und sie kann alles leugnen, weil das Wasser kein Bild je behalten hat, es gibt das Bild sofort wieder von sich, aber es sind natürlich diese Fotos übriggeblieben, und die waren eh das Wichtigste von allen, [...] wie soll ich sagen, die war furchtbar erschrocken, als sie sich gesehen hat, wie andre, wohlgemerkt: nicht einmal sie, andre das Instrument an die Lippen gesetzt und einen Ton von sich gegeben haben! (PS 219)

Die Beschreibung rekurriert auf eine Reihe von Fotos, die Häftlinge beim Akt erzwungener Fellatio an anderen Häftlingen zeigen. Das Instrument/die Flöte wird im Text wiederholt mit dem männlichen Geschlechtsorgan parallelisiert, hier taucht am Ende von Peter sagt das Rohr aus Margit sagt als Flöte und Phallus des Marsyas wieder auf. Die Selbstbespiegelung im Wasser wird in ihrer flüchtigen Eigenschaft deutlich und kontrastiert das Foto als Zeuge der Ereignisse.137 Der Text spielt an dieser Stelle mit dem konservierenden Begriff des Bildes, der dieses zur „Kehrseite des Spiegels macht: das Bild wäre dann ein Speichermedium, während der Spiegel ein Übertragungsmedium wäre.“138 Die hier scheinbar aufgemachte Opposition

136 Für eine große Auswahl der Fotos von dem Folter-Skandal in Abu Ghraib vgl. http:// commons.wikimedia.org/wiki/Category:Abu_Ghraib_prisoner_abuse?uselang=de, letzter Zugriff 19.05.2017. 137 In der oben bereits mit Annuß argumentierten ambivalenten Funktion des Fotos, das einerseits verfälschend eingesetzt werden kann, andererseits Zeugnis ablegen kann jenseits des Hier und Jetzt. Im Kontext des Abu Ghraib-Folterskandals erhalten die Fotos eine enorme Bedeutung als Zeugen der Ereignisse, denn ohne das exhibitionistische Begehren der Akteure wäre der Fall wahrscheinlich nie öffentlich bekannt geworden. 138 Slavko Kacunko: Spiegel – Medium – Kunst. Zur Geschichte des Spiegels im Zeitalter des Bildes, München 2010, S. 494f.

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zwischen flüchtiger Selbstbespiegelung der Lynndie-Figur und der Manifestation ihrer Taten im Bild fällt indes in eins, da das Wasser im Text zwar „kein Bild je behalten hat“, es diese jedoch als Übertragungsmedium im wortwörtlichen Sinne weiterträgt, sodass am Ende die Fotos als Zeugen der Ereignisse zu einer nicht zu überblickenden Verbreitung fanden.139 Schließlich nimmt der Text das Motiv des Fluss-Werdens des Sprechers von oben wieder auf, markiert es als Folge der fatalen Selbstbespiegelung der Lynndie-Athene140 in den Folterbildern und setzt es in Rekurs auf Celan und die Folterbilder von Abu Ghraib in Kontrast zum Berg: Ja spinnst du jetzt komplett, Lynndie? Schau dich doch an, wie du ausschaust mit deinen aufgeblasenen Pummelbacken, und ich muß es jetzt in diesem Fluß bis zur Neige ausbaden, zu dem du mich gemacht hast, Göttin Lynndie, also wie heiß ich jetzt noch gleich? Mäander. Ja, auch der wird jetzt von allen Seiten abfotografiert. […] Das ist, weil mein Körper nicht mehr hart und jung ist, sondern weich. Deshalb ist er ein Fluß geworden. Lieber wäre er ein Berg geworden, da kann man nichts machen. Ein Fluß also. (PS 219)

Das Flüssig-Werden des Körpers ist hier deutlich als sein Tod gekennzeichnet.141 Der Berg kann an dieser Stelle vielfach gedeutet werden, er ist jedoch sicherlich in seiner Kontrastierung zum Fluss im Kontext von Celans Gespräch im Gebirg deutbar. Peter sagt spielt damit auf den problematischen Status des Zeugen an und betont dessen Leid als Überlebender. Einige Zeilen später bestätigt die Kippfigur dann als Marsyas den Berg als Ort der Verlautbarung – und des Gehört-Werdens: „Und ich beherrsche mich jetzt immer noch, während ich bereits auf diesen wunderbaren Berg steige und mein Instrument spiele, bis die Herden vor Verzweiflung weinen.“ (PS 220) Die (un)tote Sprecherposition des Söldners macht dabei auf die grundlegende Lücke aufmerksam, die in der Zeugenschaft der Überlebenden klafft, seien es Söldner, Inhaftierte aus Abu Ghraib oder im Kontext von Celans Gespräch im Gebirg Überlebende der Shoah; das beredte Zeugnisablegen aus der untoten Perspektive weist darauf hin, dass die Überlebenden stets ein Zeugnis ablegen, das fehlt und somit selbst Zeugnis ablegen von der Unmöglichkeit, Zeugnis abzulegen.142

139 Hier findet quasi eine Befragung und Ausleuchtung der unterschiedlichen Medien im Text statt; die Flüchtigkeit des Spiegels steht im Kontrast zum Foto, das wiederum im Medium Internet ebenso flüchtig und zufällig in seinem Bestehen erscheint. 140 Diese Überblendung in der Figur macht den Kontext zum Spiegel und zur Bespiegelung noch einmal deutlich. 141 Die Verflüssigung des Körpers als letale Nebenwirkung seiner Abbildung ist ja bereits in Ein Sportstück bestimmendes Thema. Vgl. III.3.2 142 Auf dieser Struktur des Zeugnisses errichtete Agamben seine Ethik. Vgl. Eva Geulen: Giorgio Agamben, Hamburg 2005.

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Dabei ist nicht zu vergessen, dass der thematische Rahmen des Textes die mediale Zeugenschaft ist. In diesem Kontext ist insbesondere von Bedeutung, dass dem Foto als Medium der Erinnerung eine Absage erteilt wird, indem es als Spiegelbild auf seine Funktion der narzisstischen Selbstbespiegelung erscheint. Absurderweise sind es die hässlichen Pausbacken Athene-Lynndies im Spiegelbild des Flusses, auf die das Fluss-Werden des Sprechers folgt. Die Kippfigur der Göttin Athene und Lynndie England findet wiederholt ihren Auftritt in Peter sagt und steht im Zusammenhang mit dem Marsyas-Mythos. Athene warf dem Mythos zufolge ihre Flöte weg, nachdem sie sich entsetzt über ihr hässliches Antlitz mit vom Flötenspiel aufgeblasenen Wangen im Spiegelbild sah, und verfluchte jeden, der sie aufheben sollte.143 Marsyas fand die Flöte, erfreute seine Umgebung mit seinem Spiel, was schließlich zu seinem musikalischen Wettstreit mit Apoll und seiner Häutung als Strafe für die begangene Hybris führte.144 Das Fluss-Werden Marsyas – aus dem Blute des Marsyas entstand der Sage nach ein gleichnamiger Fluss – steht also im kausalen Zusammenhang mit Athenes Eitelkeit und wird hier derart kontextualisiert zum Zeichen für den Zusammenhang von Lynndie Englands Begehren, abgebildet zu werden und der Produktion von nacktem Leben. Insbesondere in den Anspielungen auf die Folterfotos mit Lynndie England pointiert Peter sagt die Ambivalenz universaler und globaler Medien- und Bildpräsenz im Internetzeitalter und spitzt sie ironisch zu, wenn die Folterfotos zum einen als Selbstzweck vorgeführt werden – die zugerichteten Körper also als Garant für die Medienpräsenz der Aufnahmen fungieren – und zum anderen deutlich wird, dass die Bilder stets den Einspruch gegen das, was auf ihnen abgebildet wird, in sich tragen und zuallererst ermöglichen, wie Evelyn Annuß betont: Dabei macht Babel sowohl thematisch als auch über das rhetorisch inszenierte morphing der sprechenden Instanz auf die zeitgenössischen Möglichkeiten der digitalen Bildtechnik sowie ihrer umstandslosen Übertragung aufmerksam – auf jenen „Aufnahmezustand“ also, der den Ausnahmezustand von Abu Ghraib zum einen mitbedingt, zum anderen aber auch erst offen145

bart und dadurch Einspruch ermöglicht.

Die Folterfotos von Lynndie England sind treffendes Exempel für diese Ambivalenz, da die auf ihnen abgebildete Szene Folge ihrer Abbildung ist; ihr Posieren mit 143 Was Peter sagt wie folgt kommentiert: „Schon die Flötenbläserin Athene hat ihr Spiegelbild in dem See, wo die olympischen Segelwettbewerbe stattgefunden haben werden, gehaßt, diese aufgepausten und wieder wegradierten Backen, aus denen die Luft ins Rohr fließt.“ (PS 196) 144 Zum Marsyas-Mythos vgl. Robert Ranke-Graves: Griechische Mythologie. Quellen und Deutung, Reinbek bei Hamburg 1974, S. 65ff. 145 Annuß 2010, S. 61.

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einem Häftling an der Leine ist als klassische Domina-Darstellung eindeutig für das Foto inszeniert;146 ein guter Teil der Folter-Bilder aus Abu Ghraib zeigt die fröhlich in die Kamera grinsenden Peiniger, die mit hochgerecktem Daumen in Sieger-Haltung neben ihren Opfern für das Foto posieren,147 was Peter sagt ironisch kommentiert: „And they took pictures of everything. Ich fühle mich geschmeichelt, denn auch ich war ihnen diese Fotos wert, vielleicht bin ich überhaupt nur für die Fotos so schön hergerichtet?“ (PS 199) In diesem Fall wird die Abbildung zur eigentlichen Ursache für die Inszenierung des Bildes selbst. Allerdings hätten höchstwahrscheinlich auch ohne die exhibitionistische Lust der Akteure solche oder andere Folterszenen in Abu Ghraib stattgefunden, weshalb die Bilder als Dokumente und Zeugen der Szene, wie Annuß schreibt, überhaupt erst Einspruch gegen derlei Vorgehen ermöglichen. Das Bild in seiner Funktion (auch) als Spiegelbild wird in Peter sagt insofern in seiner doppelten Funktion sowohl als Zeuge für die Folterereignisse in Abu Ghraib, als auch als deren Ursache und Auslöser in Szene gesetzt. Weist Evelyn Annuß mit Recht darauf hin, dass biopolitische Katastrophen in ihrer medialen Ausschlachtung der Gefahr ausgesetzt sind, unsichtbar zu werden, anstatt auf sich aufmerksam zu machen, inszeniert Peter sagt eben gerade die mediale Inszenierung selbst (welchen Ereignisses auch immer) in diesem Sinne als die biopolitische Katastrophe schlechthin und setzt die Folterungen im Gefängnis von Abu Ghraib und die Lynchmorde in Falludscha gerade im Kontext ihrer medialen Spektakularisierung in Szene. Dabei wird deutlich, dass der allumfassende Eingriff und Ausgriff auf den menschlichen Körper zuvorderst in der absoluten Durchdringung unseres Lebens durch die Medien stattfindet.

146 Vgl. hierzu das 9. Bild im Bambiland-Text auf Jelineks Homepage. http://www.elfriede jelinek.com/fbambi.htm, letzter Zugriff: 19.05.2017. 147 Susan Sontag wie auch Christina von Braun machen nicht nur auf die pornographische Dimension des Großteils der Bilder aufmerksam, sondern verweisen auch auf den historischen Kontext solcher als Trophäen gehandelter Fotos, wie es sie auch im 2. Weltkrieg gegeben hatte, wenn deutsche Soldaten Schnappschüsse von ihren Gräueltaten, die sie in Polen oder Russland begangen hatten, aufnahmen und in der Brusttasche herumtrugen. Das Ablichten der Täter mit ihren Opfern jedoch ist ein seltenes Phänomen, wie Sontag festhält, und erinnert vornehmlich an Aufnahmen schwarzer Lynchopfer während der Kolonialzeit in der Zeit von 1880-1930. Vgl. Susan Sontag: Regarding the Torture of Others, in: The New York Times Magazine, 23.05.2004 und Christina von Braun: Das Bild als Trophäe, in: Frankfurter Rundschau, 24.05.2004.

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2.3.2 Der Mensch im „Ausnahmezustand, eigentlich: Aufnahmezustand“ (PS 197) Peter sagt zitiert in einer Reihe von Passagen den italienischen Philosophen Giorgio Agamben, der sich, wenn auch durchaus kontrovers diskutiert,148 mit seiner These vom Lager als nómos der Moderne und den Theoremen des Ausnahmezustands, des nackten Lebens (homo sacer) und dem gegenüberstehend des Souveräns, einen Namen gemacht hat.149 In seinem Homo sacer-Projekt untersucht Agamben den Zusammenhang zwischen dem Ausnahmezustand und der Produktion nackten Lebens: „Im Lager erhält der Ausnahmezustand, der vom Wesen her eine zeitliche Aufhebung der Rechtsordnung auf der Basis einer faktischen Gefahrensituation war, eine dauerhafte räumliche Einrichtung, die als solche jedoch ständig außerhalb der normalen Ordnung bleibt.“150 Im Lager wird dabei systematisch nacktes Leben produziert, indem die Insassen jedes Rechts beraubt sind. Dabei interessiert Agamben nicht so sehr das Lager selbst, sondern vielmehr die „juridischpolitische Struktur, die solche Ereignisse möglich macht“, um schließlich das Lager nicht als „Anomalie anzusehen, die [...] der Vergangenheit angehört, sondern in gewisser Weise als verborgene Matrix, als nómos des politischen Raumes, in dem wir auch heute noch leben.“151 Im Kontext der politischen Reaktion auf den 11. September seitens der USA mit dem Irakkrieg als außenpolitischer Spitze des Eisbergs finden einige Thesen Agambens ihre reale Entsprechung; insbesondere das im rechtlichen Niemandsland befindliche Gefangenenlager auf Guantánamo Bay bestätigte auf gespenstische Weise Agambens Thesen. Peter sagt kontextualisiert seine Thesen vom Ausnahmezustand und dem nackten Leben im Kontext der Folterereignisse im Gefängnis von Abu Ghraib und der Lynchmorde der BlackwaterSöldnern in Falludscha. Gleichzeitig lotet der Text die Bedingungen und Zusammenhänge aus der Perspektive der Opfer aus.

148 Mitte der 1990er-Jahre löste Agamben mit seinem Buch Homo sacer eine weit verzweigte Debatte aus, eine deutsche Ausgabe erschien erst im Jahr 2002. Das skandalöse Potential seines Denkens ist neben einer Reihe von Vergleichen wohl vornehmlich in der These zu verorten, dass auch in demokratischen Rechtsordnungen Unrecht vorherrschen könne. Vgl. Thomas Assheuer: Das nackte Leben, in: DIE ZEIT 01.07.2004. 149 Für den Kontext von Peter sagt, wo es zuvorderst um die Begriffe des Ausnahmezustandes, des Souveräns und des homo sacer (nackte Leben) geht, sind insbesondere folgende Bände Giorgio Agambens von Bedeutung: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt/Main 2002 (ital. 1995) und: Ausnahmezustand (= Homo sacer II.1), Frankfurt/Main 2004 (ital. 2003). 150 Agamben 2002, S. 177f. [kursiv im Original] 151 Ebd., S. 175.

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Dabei ist entscheidend, dass der Text nicht so sehr die Ereignisse selbst thematisiert, sondern vielmehr ihren medialen Kontext bzw. ihr mediales Nachleben, aus dem heraus die Rede als eine Rede von Untoten stattfindet. Die Ereignisse selbst treten nur als mediatisierte in Erscheinung und weisen explizit auf diesen Umstand hin. Der untote Marsyas-Söldner bespricht sein Bildwerden als verkohlter Torso, der an der Brücke in Falludscha hängt; die Rede über die „Geisterhäftlinge in ihrem Gespensterreich“ (PS 146) bezieht sich entweder auf die im Internet kursierenden Folter-Bilder aus Abu Ghraib (so wie sie dem Rezipienten des Textes als bekannt vorausgesetzt werden können) oder zitiert nachträgliche Zeugenaussagen von Inhaftierten, die über ihre Zitation im englischen Original ebenso deutlich als vermittelte markiert sind. Insofern ist die folgende Passage als programmatischer Leitfaden des Textes zu verstehen, mit der Agambens Paradigma der Aussetzung des Rechts im Ausnahmezustand durch den Austausch des Präfixes mit der allumfassenden Medialisierung unserer Gesellschaft kontextualisiert wird: „Sie werden kein Recht finden, das in diesen Ausnahmezustand, eigentlich: Aufnahmezustand, in dem ich mich befinde hineinwill.“ (PS 197) In der Rede des untoten BlackwaterSöldners wird hier der Zusammenhang zwischen dem Ausnahmezustand, in dem er sich als privater Söldner im Krieg nicht erst durch seinen Tod befindet,152 und der Situation seiner Abbildung deutlich; anders gesagt: Das, was Peter sagt als eigentlichen Ausnahmezustand kennzeichnet, sind die Bedingungen und Kontexte einer allumfassenden Bildwerdung.153 Die Rede vom Ausnahmezustand als Aufnahmezustand weiterführend, expliziert der untote Söldner den Zustand der Rechtsfreiheit: Das Recht rennt als erstes schaudernd davon, wenn es mich sieht. Bitte, der Staat muß, er soll, er darf sich verteidigen, aber in dieser saugenden Leere, wo die Luft durch meinen Brustkorb streicht und pfeift und über meine bloßliegenden, bloßgestellten Sehnen streicht und geigt, als wären sie Riemen und gleichzeitig das Rasiermesser, das sich selber schärfen möchte, da ja auch alle Bestimmungen sehr verschärft worden sind, also in dieser Leere, da gilt überhaupt nichts mehr, kein Recht, das man wiederherstellen könnte, keine Krankheit, die man herbeiführen könnte, [...] keine Verteidigung, die irgendwen schützen könnte, keine Norm, die man einsetzen, kein Normenverstoß, den man aussetzen, kein Notstand, den man beenden könnte, wenn Not am Mann ist [...]. (PS 197)

152 Wie der Text an folgender Stelle – ebenfalls aus der Perspektive des Söldners gesprochen – verdeutlicht: „[...] also ich liege in einem Bereich jenseits des Rechtsbereichs, weil ich nicht zur regulären Truppe gehöre, sondern privatisiert worden bin, wie der ganze Krieg insgesamt.“ (PS 193) 153 Annuß schreibt treffend von der „Herstellung eines globalisierten Aufnahmezustands“ als „Kehrseite des gegenwärtig tobenden ‚Kriegs der Bilder‘“. Annuß 2010, S. 64.

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Indem Jelinek das personifizierte Recht schaudernd davonrennen lässt, persifliert sie die staatliche Rechtfertigungsrhetorik, die die Aussetzung des Rechts mit dem Kampf für das Recht verteidigt.154 Diese Aussetzung des Rechts wird zur ‚saugenden Leere‘ im verkohlten Torso des Söldners, wodurch sein Tod als konkrete Auswirkung des Ausnahmezustands auf den Körper inszeniert wird. Über die Nennung des Rasiermessers wird der mediale Kontext wieder in Erinnerung gerufen und das in Anlehnung an Buñuels/Dalís Film Ein andalusischer Hund formulierte Diktum des Textes: „Ja, ich öffne Ihnen jetzt die Augen.“ (PS 137) Der Ausnahmezustand als Aufnahmezustand wird schließlich als unumkehrbarer, permanenter Notstand beschrieben, der sich nicht aufheben lässt, wenn als Folge seiner selbst ‚Not am Mann‘ ist. Hier spielt die Rede auf die ambivalente Position des Söldners gegenüber dem Recht und dessen Aussetzung an. An späterer Stelle wird diese expliziert: [...] aber nun, da ich verkohlt an der Brücke hänge und jeden Millimeter Boden preisgeben mußte, ist niemand für mich zuständig, liege ich jenseits des Rechts, bin ich hingehängt worden in den rechtsfreien Raum, in dem ich mich bis jetzt eigentlich recht gern bewegt habe. Nein, fürchten Sie sich nicht, dieser rechtsfreie Raum ist keine Diktatur, er ist die Zone des Jenseits, und genau dort bin ich jetzt angelangt. Es ist ein Ort, wo einen jeder angreifen kann, und man kann sich nicht mehr dagegen wehren. (PS 195)

Anhand der untoten Söldner-Figur lässt sich die Gleichzeitigkeit von Täter-/ Opfersein auf besondere Weise darstellen, wie Bloch richtig bemerkt, da die als besonders rau und brutal geltenden Blackwater-Mitarbeiter, die laut Augenzeugenberichten bei Schießereien wahllos um sich feuern und als hochbezahlte Folterknechte in Einrichtungen wie Abu Ghraib problemlos ihre Folterdienste leisten, [...] weder der Jurisdiktion der US-Army noch der des Stationierungslandes unterstellt [seien]. [...] Doch auch für die Einsätze, die für staatliche Soldaten zu gefährlich oder verboten sind, werden private Söldner gekauft und eingesetzt, daher werden sie häufig zu Zielscheiben von Attentätern.

155

Die Ambivalenz des Söldners im Hinblick auf seinen Status als Täter bzw. Opfer findet ihre Entsprechung in Agambens These der Korrespondenz von Souverän und homo sacer im rechtsfreien Raum: Hier entfaltet die strukturelle Analogie zwischen souveräner Ausnahme und sacratio ihre volle Bedeutung. An den beiden äußersten Grenzen der Ordnung stellen der Souverän und der homo sacer zwei symmetrische Figuren dar, die dieselbe Struktur haben und korreliert sind: 154 An anderer Stelle heißt es dazu variierend: „Wenn man die Demokratie erst mal schützen muß, ist sie schon keine mehr.“ (PS 210) 155 Bloch 2011, S. 256f.

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Souverän ist derjenige, dem gegenüber alle Menschen potentiell homines sacri sind, und homo sacer ist derjenige, dem gegenüber alle Menschen als Souveräne handeln.

156

Der Söldner vereinigt demzufolge die beiden Enden des rechtsfreien Raums, er ist dessen Nutznießer, kann aber ebenso schnell sein Opfer werden, wie sich im Fall der Blackwater-Söldner in Falludscha zeigte. Diese Eigenschaft ist es, die die Figur des Söldners für den Text und für das Unheimliche so interessant werden lässt. Peter sagt betont in den zitierten Passagen das Ineinanderfallen der Gegensätze von Souverän und homo sacer in der Söldner-Figur, gleichzeitig verdeutlicht der Text die Konstruiertheit dieser Kategorien und somit auch des rechtsfreien Raums, in dem sie sich bewegen. Suggeriert der rechtsfreie Raum zunächst die Vorstellung eines naturähnlichen, wilden und nicht hierarchisierten Zustandes, so geht es Jelinek wie auch Agamben gerade darum, diese Naturähnlichkeit ob ihrer interessegeleiteten Konstruktion – als Mythos – zu entlarven. Der Söldner weiß: „Die stellen das so dar, daß der rechtsfeindliche Raum, in dem ich hänge, Natur wäre, da es ja kein Recht gibt, das ihnen das erlauben würde. Aber der Raum ist nichts, und ich bin auch nichts mehr.“ (PS 206) Schon die Formulierung vom „rechtsfeindlichen“ statt rechtsfreien Raum verdeutlicht die Kritik an der scheinheiligen Haltung, die Aussetzung des Rechts als ein dem Recht vorgängiges, natürliches Stadium zu inszenieren. Es gibt keinen rechtsfreien Raum, nur einen rechtsfeindlichen, so macht der Text deutlich, d. h. die dem rechtsfeindlichen Raum zugeordneten Personen werden ihres Rechts beraubt, unterliegen damit aber umso mehr eben dieser fatalen Rechtsprechung, die sie zu nacktem Leben erklärt. Mit Agamben verdeutlicht Peter sagt so die Naturalisierung des rechtsfreien Raumes als Instrument, um den politischen Kontext von Gewaltausübung, „die biopolitische Maschine, die Leben und Recht miteinander verschaltet“, zu verschleiern.157 Um den Status von Souverän und homo sacer zu erklären, setzt Agamben die Denkfigur eines einschließenden Ausschlusses im Horizont der Gemeinschaft an, die diese Sphäre des ‚Jenseits‘, wie es in dem obigen Zitat aus Peter sagt heißt, unheimlich werden lässt. Agamben formuliert das Paradox des einschließenden Ausschlusses in Rekurs auf Carl Schmitt, der den Souverän dadurch definiert, dass er die Macht besitze, den Ausnahmezustand auszurufen, wodurch dieser wiederum als politisches Instrument – und nicht als natürliche Zone der Rechtsfreiheit – deutlich wird: „Der Souverän, der die legale Macht innehat, die Geltung des Rechts aufzu156 Agamben 2002, S. 94. 157 „Die Rechtfertigung des Ausnahmezustandes läuft über dessen Naturalisierung, indem Gewalt betrachtet wird, als wäre sie ein Naturprodukt, dessen Verwendung keiner Problematik unterliege. Dies verschleiert (nach Agamben) die biopolitische Maschine, die Leben und Recht miteinander verschaltet. Vgl. Bloch 2011, S. 320.

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heben, setzt sich legal außerhalb des Rechts. [...] oder: ‚Ich, der Souverän, der ich außerhalb des Rechts stehe, erkläre, daß es kein Außerhalb des Rechts gibt.‘“158 Dazu witzelt Peter sagt: „[...] wo das Recht versucht, selbst seine eigene Abwesenheit noch mit einzuschließen, aber wer will schon mit dem Recht zusammen eingeschlossen werden?“ (PS 216)159 Auch der homo sacer entsteht über dieses Verfahren eines inkludierenden Ausschlusses, indem der Souverän einen Bann über ihn ausspricht und ihn so als nacktes Leben klassifiziert.160 Keineswegs ist das nackte Leben also als ein kreatürliches, auf die Natur des Menschen reduziertes Leben zu verstehen.161 „Dasjenige, was unter Bann gestellt wird, ist der eigenen Abgesondertheit überlassen und zugleich dem ausgeliefert, der es verbannt und verlässt, zugleich ausgeschlossen und eingeschlossen, entlassen und gleichzeitig festgesetzt.“162 Hier wird die Parallele zwischen dem Abjekten und dem nackten Leben deutlich; in beiden Theoremen findet sich das Paradoxon des einschließenden Ausschlusses. Ebenso wie das Abjekte wird das nackte Leben verworfen – unter Bann gestellt –, und erst in dieser Bewegung vollzieht sich sein Status. 158 Agamben 2002, S. 25. 159 Agambens Verständnis des Ausnahmezustandes zeichnet sich auch aufgrund seines Ursprungscharakters als unheimlich aus, da sich dieser nicht nur in keinem klaren Verhältnis des Ausschlusses aus der Norm befindet, sondern vielmehr – so Agamben – erst die Begründung, den Ursprung der Norm darstelle: „Denn bei der souveränen Ausnahme geht es [...] zuallererst um die Schaffung und Bestimmung des Raumes selbst, in dem die juridisch-politische Ordnung überhaupt gelten kann. Sie ist in diesem Sinne die fundamentale Ortung, die sich nicht darauf beschränkt, zwischen dem, was außen, und dem, was innen ist, zwischen normaler Situation und Chaos zu unterscheiden; sie zieht dazwischen eine Schwelle (den Ausnahmezustand), von der aus Innen und Außen in jene komplexen topologischen Beziehungen treten, welche die Gültigkeit der Rechtsordnung ermöglichen.“ Die Ausnahme steht damit in einem Verhältnis der einschließenden Ausschließung dem Recht und dem Normalfall gegenüber. Außerhalb der Regel begründet sie diese und ist damit heiliger Ursprung und Tabu in einem, wodurch das Verhältnis ein unheimliches nicht nur in dem Sinne der Ununterscheidbarkeit ist, sondern auch im Sinne eines verdrängten Ursprungs, der laut Agamben im Zuge der Biopolitik in Form des nackten Lebens vermehrt an die Oberfläche tritt. Agamben 2002, S. 28f. 160 „Der Bann ist im strengen Sinn die zugleich anziehende und abstoßende Kraft, welche die beiden Pole der souveränen Ausnahme verbindet: das nackte Leben und die Macht, den homo sacer und den Souverän. Nur deswegen kann der Bann sowohl das Banner der Souveränität [...] als auch den Ausschluß aus der Gemeinschaft bedeuten.“ Agamben 2002, S. 120f. 161 „Das dem Recht oft als vorgängig angenommene, eigentlich aber, so argumentiert Agamben, von ihm qua Herausnahme erst konstituierte Phänomen ist also das bloße Leben. Das nackte oder bloße (und entblößte) Leben ist nicht eine vorgängige Substanz, sondern ein nach Abzug aller Formen verbleibender Rest.“ Geulen 2005, S. 93. 162 Agamben 2002, S. 119.

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In Bezug auf das Unheimliche sind hierbei zwei Dinge von Bedeutung. Zum einen wird über die Parallele zum Abjekten das Spezifische des Ursprunghaften im Begriff des nackten Lebens deutlich. Agamben schreibt: Denn bei der souveränen Ausnahme geht es [...] zuallererst um die Schaffung und Bestimmung des Raumes selbst, in dem die juridisch-politische Ordnung überhaupt gelten kann. Sie ist in diesem Sinne die fundamentale Ortung, die sich nicht darauf beschränkt, zwischen dem, was außen, und dem, was innen ist, zwischen normaler Situation und Chaos zu unterscheiden; sie zieht dazwischen eine Schwelle (den Ausnahmezustand), von der aus Innen und Außen in jene komplexen topologischen Beziehungen treten, welche die Gültigkeit der Rechtsordnung ermöglichen.

163

Als „fundamentale Ortung“ ist der Ausnahmezustand – und damit das nackte Leben – das Ureigenste des Rechts; ganz dem Paradox des Unheimlichen folgend, welches das ‚Allerheimeligste‘ als gleichzeitig Fremdes in sich einschließt. In Korrespondenz mit dem Abjekten lässt sich der Ausnahmezustand als die Verwerfung des Rechts, aus welcher heraus jedoch zuallererst das Recht entsteht, beschreiben. Im Hinblick auf die oben konzipierte Korrespondenz zwischen Abjektem und Erhabenem im Horizont des Unheimlichen ist an dieser Stelle anzumerken, dass das nackte Leben „als pathetische Leerstelle“ in Agambens Denken, „an der alle Bestimmungen schweigen und alle Begriffskohorten sich in Demut verneigen müssen“, ebenso erhabene Züge annimmt.164 Auf der anderen Seite – und daraus resultierend – wird hier die paradoxe Verortung einer gleichzeitigen An- und Abwesenheit des Rechts als Phantasma unheimlich, was Peter sagt eben mit der ‚Zone des Jenseits‘ auf den Punkt bringt und zugleich mit dem Tod assoziiert. Die Figur des Söldners befindet sich also nicht nur in Bezug auf das Recht in einer Zone des Jenseits, sondern als (Un-)Toter auch in einem Jenseits des Lebens; als untote Figur ist sie prädestiniert über die Ambivalenz des nackten Lebens zu sprechen. So wie das Jenseits des Rechts das Recht mit einschließt und begründet, begründet der Söldner im Text sein Leben vom Tode her. Dass dies nur in Form eines Nachlebens funktionieren kann, bezeugt den unheimlichen Status der Figur. Die vorgeblich beruhigende Formel des Satzes „Nein, fürchten Sie sich nicht, dieser rechtsfreie Raum ist keine Diktatur, er ist die Zone des Jenseits“ meint somit das Gegenteil und weist erst recht auf das Unheimliche dieser jenseitigen Zone hin, denn ungleich zur Diktatur kann einen hier jeder angreifen, „und man kann sich nicht mehr dagegen wehren“. (PS 195) Worauf der Text an dieser Stelle verweist, ist Michel Foucaults Unterscheidung zwischen souveräner Macht und Biomacht, 163 Ebd., S. 28f. 164 Assheuer 2004.

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die Agamben für seine Überlegungen aufgreift. Vereinfacht gesagt lässt sich diese Unterscheidung mit dem älteren Recht „sterben zu machen oder leben zu lassen“ und dem der modernen Biomacht „leben zu machen und sterben zu lassen“ beschreiben.165 Während sich im ersten Fall das Recht über Leben und Tod im Akt der Tötung vollzieht – Foucault bezeichnet es wesentlich als ein „Recht des Schwertes“166 –, richtet sich die Biomacht auf das Leben des Menschen; hier jedoch nicht so sehr auf das Individuum, sondern auf den Menschen als „Lebe- und Gattungswesen, als Teil einer Population“, wie Geulen schreibt. „Die ersten Wissensgegenstände dieser neuen Biomacht sind Geburtenrate, Sterberate und statistische Erhebungen zur Lebensdauer.“167 Die Untergliederung in souveräne Macht und Biomacht ist schon bei Foucault nicht primär kontrastiv zu verstehen, sondern bezeichnet letztlich zwei Seiten ein und derselben Sache. Im Horizont des Unheimlichen lässt sich die diskursive Hinwendung zum Begriff des Lebens mit Matthias Korn als „Reaktion auf das Unheimliche des Todes“ beschreiben, in deren Zuge es „zu dessen verinnerlichter Auslagerung infolge eines jahrhundertelangen, auf biopolitischen Maßnahmen beruhenden und für das einzelne Individuum unmerklichen Entwöhnungs- oder Ausschleichungsprozesses [kommt], den Philippe Ariès die ‚Ausbürgerung des Todes‘ genannt hat“.168 Agamben nun fokussiert die souveräne Tötungsmacht als Fundament der Biopolitik (und nicht als ihr Gegenspieler) anhand des Lagers als dem „absoluteste[n] biopolitische[n] Raum, der je in die Realität umgesetzt worden ist“.169 Gleichzeitig ist das (nackte) Leben im Lager eben gerade aufs Extremste der souveränen Tötungsmacht ausgeliefert. Der homo sacer ist in diesem Sinne der Nexus zwischen souveräner Macht und Biomacht, und so ist in das biopolitische Diktum, sich dem Leben zu widmen, stets auch die Möglichkeit der Tötung des Lebens involviert. Agamben spricht von der „Politisierung des Todes“170 und weist darauf hin, dass Leben und Tod „nicht eigentlich wissenschaftliche Konzepte sind, sondern politische, die als solche nur durch eine Entscheidung eine präzise Bedeutung annehmen“.171 Insofern sind die Grenzen biopolitische Grenzen.

165 Michel Foucault: Leben machen und sterben lassen. Die Geburt des Rassismus, in: Sebastian Reinfeldt /Richard Schwarz (Hg.): Biomacht, Duisburg 1992, S. 28. 166 Foucault 1992, S. 28. 167 Geulen 2005, S. 96. 168 Matthias Korn: Wie wir unseren Tod verloren. Biopolitik, Raum und Unheimlichkeit zwischen Neuzeit und Moderne, in: Phantasmata 2011, S. 221-239, hier S. 238. 169 Agamben 2002, S. 180. Und so schreibt Geulen: „‚Souveränitätspolitik war immer schon Biopolitik‘ ist die Botschaft des homo sacer.“ Geulen 2005, S. 147. 170 So lautet die Überschrift des 6. Kapitels Homo Sacers. Agamben 2002, S. 169. 171 Vgl. Agamben 2002, S. 173.

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Das Unheimliche dieses Diskurses wird an den Begrifflichkeiten für Komapatienten deutlich. Hier ist von „neomorts“ (Neutoten) und „faux vivants“ (falschen Lebenden) die Rede, was die Verunsicherung gegenüber den Grenzen zwischen Tod und Leben schon auf der sprachlichen Ebene deutlich macht.172 Peter sagt akzentuiert das Unheimliche am Gedanken der Biomacht, indem der Text die Beibehaltung der souveränen Machtausübung lediglich unter anderen Vorzeichen, nämlich denen der Demokratie, betont; unheimlich daran ist, dass Gewalt und Kontrolle eben nicht mehr wie in der Diktatur greif- und sichtbar erscheinen, sondern als Phantasma im Kleid der Lebenshilfe bzw. der Erfassung des Lebens.173 In diesem Sinne definiert Matthias Korn das „moderne Todesdispositiv“ im gedanklichen Horizont des Unheimlichen als „die Gesamtheit all jener Praktiken und Institutionen, die dem Tod Widerstand leisten“.174 Haftet dem Lager als Faktum, mit seiner Produktion von nacktem Leben, den homines sacri, und seinem juridisch jenseitigen Zustand bereits ein unheimlicher Nimbus an, so ist Agambens These vom Lager als biopolitischem Paradigma unserer Zeit um ein vielfaches unheimlicher, weil wir darin „alle virtuell homines sacri“ sind.175 Peter sagt greift diese These von der allmählichen und unbemerkten Ausweitung des nackten Lebens auf alle Bevölkerungsschichten auf und – das ist das Entscheidende und quasi als These des Textes zu lesen – wendet es auf die Medialisierung unserer Gesellschaft an. Zunächst im Hinblick auf den unheimlichen Status der Söldner heißt es: „Wir sind lebende Tote. Wir hatten auch gestern schon das Recht zu leben nicht mehr, denn jede Entschädigung für unsere Kriegsschäden 172 Ebd. 173 Foucault spricht von der andauernden Medikalisierung der Gesellschaft und, dass es darum gehe, „das Leben zu erfassen, die biologischen Prozesse der Spezies Mensch“. Foucault 1992, S. 34. Agambens düstere Diagnose unserer Zeit lautet dabei wie folgt: „Und nur weil das biologische Leben mit seinen Bedürfnissen überall zum politisch entscheidenden Faktum geworden ist, besteht überhaupt die Möglichkeit, die sonst unerklärliche Geschwindigkeit zu begreifen, mit der in unserem Jahrhundert die parlamentarischen Demokratien in totalitäre Staaten haben umstürzen und die totalitären Staaten sich beinahe ohne Übergangslösung in parlamentarische Demokratien haben umwandeln können. In beiden Fällen vollzogen sich die Umbrüche in einem Umfeld, wo die Politik sich schon seit längerem in Biopolitik verwandelt hatte und wo der Einsatz nunmehr bloß darin bestand, zu bestimmen, welche Organisationsform sich für die Pflege, die Kontrolle und den Genuß des nackten Lebens am wirksamsten erweisen würde.“ Agamben 2002, S. 130. 174 Korn 2011, S. 238. In Abweichung von Xavier Bichats Diktum: „Das Leben ist das Ensemble all derjenigen Funktionen, die dem Tode Widerstand leisten.“ Xavier Bichat: Recherches physiologiques sur la vie et la mort, Paris 1822, S. 2, zitiert nach Korn 2011, S. 236. 175 Agamben 2002, S. 124.

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wurde, ja auch rückwirkend, abgelehnt.“ Dann erweitert der Text den Radius der Adressierten: „Vielleicht haben wir alle schon die Leine um den Hals, und Lynndie zieht daran, weil sie denkt, es sehe einfach lustig aus.“ (PS 182) Das unheimliche Potential speist sich hier aus den beiden Komponenten der Unwissenheit über ‚unseren‘ eigentlichen Status als homines sacri mit der Leine um den Hals einerseits und der lapidaren Begründung für diesen, es sehe lustig aus, andererseits. Der Text legt also nicht nur nahe, wir alle seien mittlerweile lebende Tote, er verortet darüber hinaus die Ursache dafür in dem scheinbar harmlosen Sektor der Unterhaltungsindustrie. Findet der eigentliche Krieg in den Medien statt, bedeutet dies eine besondere Form der Privatisierung des Krieges – in einer paradoxen Parallelisierung des Textes mit der politischen Privatisierung des Krieges durch den Einsatz privater Söldnerfirmen:176 [...] nein, ein Schlachtfeld ist es auf jeden Fall nicht, wo ich hier gefallen bin, hier fällt keiner außer mir! Es ist ein Einmann-Schlachtfeld. Ich bin in einem Bereich, der allem entzogen ist, nur nicht dem Fotoapparat, der das Wesen, das ich habe bestimmt, denn für eine Blutgruppenoder DNA-Analyse ist es viel zu spät [...].“ (PS 188f.)

Das Fehlen eines traditionellen Schlachtfeldes lässt sich hier sowohl auf die Einsätze postmoderner Kriege beziehen als auch auf den ‚Einsatzort Medien‘ mit dem vereinzelten Zuschauer vor dem Fernseher. Es geht dem Text an dieser Stelle jedoch nicht primär um die politische Dimension des Kriegs der Bilder. Aus der lapidaren Bemerkung, dass der Fotoapparat das Wesen des sprechenden Ichs bestimmt, ist die eigentliche kriegerische Handlung abzulesen. Wenn die Wesensbestimmung durch den Fotoapparat an die Stelle von Blutgruppen- und DNA-Test tritt, wird die Deutung der Medien als Instrumentarien einer Machtausübung auf den Körper im Sinne von Foucaults Begriff der Biomacht durch den Text offenbar. Agambens zentrales Anliegen, den angeblichen Fokus der Biomacht auf das Leben dahingehend zu überführen, dass sie sich eigentlich vielmehr als souveräne Tötungsmacht präsentiere, wird dabei in seiner Übertragbarkeit auf die Medien deutlich. In diesem Kontext sind die oben ausgeführten Beschreibungen des FlüssigWerdens des Körpers als Folge einer Medialisierung zu verstehen, die Peter sagt im Horizont der Biomacht deutet. Oder anders gesagt: Der Text stellt der (permanen176 In Bezug auf die obige Passage ist im Kontext des Ausnahmezustands als Aufnahmezustand interessant, dass die Grausamkeit der jenseitigen Zone sofort wieder relativiert wird: „Aber es ist dort auch wieder nicht so schlimm, wie Sie vielleicht glauben, es ist irgendwie, wie soll ich sagen: unangenehm und ungewöhnlich.“ (PS 195). Hier wird spätestens deutlich, dass es nicht um die Erfahrung des Todes gehen kann – insbesondere nicht im Fall der Falludscha-Söldner, die einen extrem grausamen Tod erlitten –, sondern um die des medialen Nachlebens.

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ten) Abbildung des Körpers sein Flüssig-Werden gegenüber. Das Nachleben im Bild scheint dem ‚Original‘ Leben zu nehmen. Die Passagen über das Fluss-Werden der Redeposition, die Betonung und ausführliche Besprechung seiner liquiden Ausscheidungen sind im Text als Konsequenz einer Biomacht gedeutet, die über einen permanenten medialen Ausnahmezustand nacktes Leben produziert: [...] Hauptsache, er ist nackt, aber das ist er nur für sich, ist ja klar. Nein, das ist nicht klar, denn jetzt ist er auch für uns nackt. Nackter als nackt geht nicht. Häuten wäre die Lösung, aber wer will sich das schon antun? Vor einer Kamera noch dazu? Aber immer! Jeder! Weil wir ihn ansehen. Indem wir ihn ansehen, nehmen wir ihm sein Ansehen. Das Aussehen bleibt ihm, das lassen wir ihm, das beeinträchtigen wir zwar etwas, aber wir lassen es ihm grundsätzlich. (PS 161)

Die Rede kippt hier von der rhetorischen Frage danach, wer sich denn etwa vor der Kamera häuten lassen wolle, in ihre emphatische Bejahung, die mit einer exhibitionistischen Lust des abgebildeten Objekts begründet wird. Damit wird nicht nur die Verantwortung für die Abbildung unklar bzw. findet hier wieder ein Ineinanderkippen von Opfer und Täter statt, was in einer weiteren Passage zum Zusammenfall jeglicher Gegensätze und zu einem allgemeinen Zustand der Indifferenz zu führen scheint: Furchtbare Sachen passieren dann unseren Augen, ich meine durch unsere Augen. Ich meine gar nichts mehr. Ich heiße nichts mehr. Es ist unstatthaft, und es ist grauenhaft. Es ist aber auch: schön. Wenn Sie mich in meinem ganz privaten gemütlichen Aufnahmezustand hier so sehen, Kamera läuft, Ton hinterher und ab, würden sogar Sie mir wünschen, ich sähe anders aus als im Original, das ich aber nie gewesen bin.“ (PS 208f.)

Die Rezipienten der Bilder sind zunächst als Opfer des Erblickten, dann stante pede als Urheber desselben markiert, was die gleichzeitig aktive wie passive Rolle jeden Mitgliedes der Mediengesellschaft in ihrer Ambivalenz ausdeutet (als die Figur des sowohl-Täter-als-auch-Opfer-Seins schlechthin). In dieser Zone des Aufnahmezustands kann die Redeposition keinen Standpunkt mehr einnehmen, wie der Text klar macht, wenn das, was unstatthaft und grauenhaft ist, gleichzeitig als schön bezeichnet wird. Schließlich richtet sich der Blick in einer Art Rückkoppelungseffekt auf den Betrachter.177 Der Adressat des Textes sieht hier unverhofft den Sprecher in seinem „ganz privaten gemütlichen Aufnahmezustand“; das was im Text erblickt wird, fluktuiert also von den furchtbaren Sachen, die den Augen passieren zu dem Betrachter selbst und verdeutlicht darin den ‚closed circuit‘, in dem sich Betrachter 177 Wie oben bereits auf struktureller Ebene des Textes im Kontext der direkten Adressierungen erarbeitet. (vgl. IV.2.2.1)

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und Objekt der Betrachtung befinden.178 Folgerichtig ist es im Text nicht nur das abgebildete Objekt – der Blackwater-Söldner oder die Häftlinge von Abu Ghraib samt ihrer Peiniger –, das hier dem Flüssig-Werden ausgesetzt ist bzw. auf sein nacktes Leben reduziert; auch der Zuschauer vor dem Fernseher unterliegt diesen Bedingungen, wie Peter sagt in der Rede über das fehlende Original in Anlehnung an Benjamins Kunstwerk-Aufsatz am Ende der Passage verdeutlicht.179 Der Text zeigt hier zum einen, dass das Flüssig-Werden als Kehrseite der Abbildung – in Benjamins Nomenklatur der technischen Reproduzierbarkeit – nicht nur das Objekt der Abbildung betrifft, sondern auch auf den Betrachter ausgreift; jeder ist potentiell abgebildet und abbildbar, sowie sein Begehren sich eben danach richtet. Zum anderen geht der Text der These nach, dass der Mensch eben in seinem Begehren sich zu zeigen, gesehen zu werden und sich und seine Umwelt ständig und überall abzubilden, an seiner eigenen Liquidation arbeitet, die Reduktion auf sein nacktes Leben letztendlich also selbst herstellt: Jetzt mit diesen Bildhandys, mit diesen Fotohandys können Sie sich endlich selber fotografieren! Sie können jetzt Ihren eigenen Totenschein ausstellen und gleichzeitig beweisen, daß Sie tot sind! [...] Endlich sind diese Dinger bezahlbar, diese Fotohandys, die Sie, wie alles, gegen sich selbst richten können. Sie brauchen überhaupt keine weitere Person außer Ihnen mehr, um auch ganz sicher tot zu sein. Jeder ein Apparat und mit einem Apparat und selber Apparat.“ (PS 168)

Hier hebt der Text wie schon in Ein Sportstück auf die Selbst-Liquidierung des Menschen im Begehren nach seiner (perfekten) Abbildung ab. Thesen vom Ausgreifen des Apparats auf seinen Nutzer, wie in der Medientheorie von McLuhan mit dem Diktum ‚The medium is the message‘ vertreten, klingen hier wieder an. Bärbel Lücke spricht in diesem Kontext treffend von „Autoaffektation statt Selbstreflexion“:180 „Abu Ghraib war schon, Abu Ghraib ist überall“, schreibt sie, und: „der verdrahtete Kapuzenmann – kein schwarzer Engel, kein Christus – sind wir: Vernetzt und verdrahtet hängen wir an den Bildschirmen und Bildhandys, und was wir sehen, gilt uns gleich viel, Hauptsache, wir sehen uns, wenn auch ohne (uns) zu erkennen. Hauptsache, wir sehen uns abgebildet – als letzten ‚Kick‘ im Augenblick

178 Bärbel Lücke bezeichnet Jelineks multiperspektivisches Verfahren als „Spiel der Bedeutungsverschiebungen“, das „nicht nur Bild und Gegenstand, sondern auch Bild und Betrachter […] zum Gegenstand der Reflexion macht.“ Vgl. Lücke 2004b, S. 7. 179 Dies wird noch durch den anschließenden Textblock unterstützt, der die Rede von Original und Kopie wieder aufgreift, wenn es heißt: „[I]ch bin eine Kopie einer Kopie. Ich bin eine Kopie als Ausnahme.“ (PS 209) 180 Lücke 2004a, S. 253.

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unserer Selbstliquidation [...]“.181 Im Horizont des Unheimlichen wird der paradoxe Konnex von Stillstellung und Verflüssigung im Bild in Peter sagt deutlich; als entscheidenden Moment markiert der Text hier die Autoaffektation und verdeutlicht diese als quasi leere und entleerende Selbstbespiegelung, die dem Betrachter wie dem Abgebildeten Leben nimmt. Noch einmal zu Peter sagt: Hier wird die Thematisierung von Innen und Außen, von Tiefe und Oberfläche im Horizont der Selbstbespiegelung im lacanschen Sinne deutlich: Sie halten das Gerät gegen sich, und dann häuten Sie sich davor, das heißt, falls Sie dann noch eine Hand frei haben. Wenn dieser Mensch in sich, wenn er noch in seiner Haut steckt, dann sieht er sich ja selber nicht. Deswegen braucht er ja das Foto. Alle brauchen immer Fotos. Dafür sind die Bildhandys, diese Fotohandys ja erfunden worden. Es ist alles jederzeit festzuhalten, bevor es wegrennt. Dieser Mensch will sich amüsieren! Er muß einmal ordentlich aus sich herausgehen, damit er das kann. (PS 170)

Indem Peter sagt das Begehren nach dieser Art der Selbstbespiegelung in den Vordergrund rückt, erscheint dies als verquerer Ausdruck des Todestriebs, da das Subjekt hier seine eigene Auflösung im narzisstischen Rausch ersehnt. Über die Anknüpfung an Celan und Agamben verschärft der Text den Schrecken und das Unheimliche dieses Szenarios, wenn er es zu einem kollektiven Begehren nach dem medialen Ausnahmezustand (mit dem Lager als dessen permanente Einrichtung) und der Selbstauslöschung des Menschen zuspitzt.182 2.3.3 Zum Leben der Bilder im Zeitalter ihrer biokybernetischen Reproduzierbarkeit Einen wichtigen intertextuellen Bezugspunkt in Peter sagt stellt Walter Benjamins 1935/36 verfasster Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit dar. Benjamin geht darin den gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen nach, die aus der technischen Reproduzierbarkeit resultieren, wie auch dessen Einfluss auf das ästhetische Empfinden und die Veränderung der Sehgewohnheiten. Eine Reihe von Aspekten, die er bereits in seinem Aufsatz prognostiziert, verarbeitet Jelinek in meist zugespitzter Form in ihren Texten. Ihre bereits 181 Lücke 2004a, S. 255. 182 Dabei bewegt sich der Text im Gedankenspektrum Walter Benjamins, der in Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit prophezeit, dass die Menschheit dazu fähig sei, ihre eigene Zerstörung als eine ästhetische Erfahrung erster Ordnung zu betrachten, wie Mitchell schreibt. Vgl. Mitchell 2008, S. 208. 182 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1935/36), Frankfurt/Main 2003, S. 14.

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analysierte Konzeption der ‚Figur in Serie‘ (vgl. III.3.4) und deren Verflüssigung und Aufhebung durch ihre massenweise Reproduktion lassen sich im Kontext des Kunstwerk-Aufsatzes lesen, in dem Benjamin von einer „umfassenden Liquidation“183 des Kunstwerks durch den Film spricht. Er benennt die Simulation des Hier und Jetzt insbesondere durch den Film als ultimativen Angriff auf das Original, das sich über eben dies verbürge („Das Hier und Jetzt des Originals macht den Begriff seiner Echtheit aus.“184), was Jelinek beispielsweise in den teichoskopischen Beschreibungen von Bambiland ins Absurde überführt und ins Bewusstsein ruft. Schließlich sind Benjamins Reflektionen zu Natur und Künstlichkeit im Horizont der Wahrnehmung von besonderer Bedeutung für eine Reihe von Themen, die Jelinek in ihren Texten wiederholt aufgreift. Für das Unheimliche ist dieser Kontext insofern von gesteigertem Interesse, als es hierbei um das Ineinandergreifen von Natur und Kunst geht. Benjamin reflektiert die Unterschlagung des „Aufnahmeapparats“ im Film, die im Kontrast zu dessen eigentlichem tiefen Eindringen in die Wirklichkeit steht, sodass die „illusionäre Natur“ des Films zur „Natur zweiten Grades“ werde: Im Filmatelier ist die Apparatur derart tief in die Wirklichkeit eingedrungen, daß deren reiner, vom Fremdkörper der Apparatur freier Aspekt das Ergebnis einer besonderen Prozedur, nämlich der Aufnahme durch den eigens eingestellten photographischen Apparat und ihrer Mon185

tierung mit anderen Aufnahmen von der gleichen Art ist.

Der Film verbirgt also seine Künstlichkeit – seine technische Hergestelltheit – und gibt sich als Natur aus, woraus Benjamin folgert: „Der apparatfreie Aspekt der Realität ist hier zu ihrem künstlichsten geworden und der Anblick der unmittelbaren Wirklichkeit zur blauen Blume im Land der Technik.“186 Die Charakterisierung des Blicks als ein von der Technik geleiteter in Bambiland, figuriert diesen Aspekt, wie beispielsweise anhand der Analyse der Eingangspassage des Stücks verdeutlicht. (vgl. IV.3.1) Auch Jelineks Anarbeiten gegen den „natürlichkeitsschleim“187 fußt auf diesem Gedanken, und das Konstatieren in Peter sagt: „Jeder ein Apparat und mit einem Apparat und selber Apparat“ (PS 168), weist nicht nur auf die Omnipräsenz der Technik hin, sondern auch auf deren Eindringen in den Menschen, genauer gesagt auf das Verschmelzen des menschlichen Wahrnehmungsapparats mit der 183 184 185 186 187

Ebd., S. 14. Ebd., S. 12. Benjamin 2003, S. 31. Ebd. Schon in ihrem frühen Essay Die endlose Unschuldigkeit formuliert Jelinek ihre Intention, gegen diese „art von natürlichkeitsschleim, der alles überzieht und verklebt“ im Sinne der Barthesschen Mythoskritik anzuschreiben. Jelinek 1980, S. 56.

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Kamera. Dieser Eingriff hat weitreichende Konsequenzen, die Benjamin bereits in seinem Aufsatz anspricht und Peter sagt im Hinblick auf die veränderte Medienlage radikalisiert; schließlich beziehen sich Benjamins Überlegungen auf die Medien Film und Foto, die heute schon fast zu einer älteren Generation von Medien gezählt werden können, während insbesondere der Computer und das Internet differente Maßstäbe setzen. Bloch spricht davon, dass Jelinek Benjamins These von der „Entwertung des Originals“ in eine umfassende „Entwertung der Realität, zur Auslöschung jeglicher Bezeugung“ überführe: „Reales Leid existiert nicht mehr, was zählt, ist der Sensationswert der medialen Abbildung, die nicht mehr unmittelbar an das reale Kriegsgeschehen gebunden zu sein scheint.“188 Dies hängt mit der Entwicklung der Medien zusammen. Während zu den Hochzeiten des Fernsehens der Sensations- bzw. Unterhaltungswert des Dargestellten zwar ebenfalls schon eine entscheidende Rolle spielte, zeigte sich der Einfluss des Rezipienten auf das Dargestellte langsamer und indirekter als im Kontext des Computers (Einschaltquoten müssen sich schließlich erst errechnen und prognostizieren lassen, außerdem unterliegt das Fernsehen einer Politik der Sendeanstalt, die zumindest potentiell als Reflektionsmoment zwischen Sendung und Zuschauer geschaltet ist). Im Medium Computer bzw. Internet189 hingegen entscheidet die Quantität der Klicks unmittelbar über den Erfolg eines Bildes oder einer Nachricht; das also wird zu unserer Wahrheit und Realität als Internetuser, was von der breiten Masse am häufigsten angeklickt wird. (vgl. hierzu die Analyse von Paiks Installation in V.2.2) Mit der Perspektive des Unheimlichen soll dem benannten Realitätsverlust nachgegangen werden; dabei wird sich zeigen, dass Peter sagt Benjamin in seiner These von der Selbständigkeit der technischen Reproduktion weiterführt, indem der Text das Foto als zum Leben Erwecktes inszeniert.190 Das Bild erfährt vielfache 188 Bloch 2011, S. 283. 189 An dieser Stelle sei nur kurz festgestellt, dass Computer und Internet hier insofern in eins gesetzt erscheinen, als der Computer erst mit dem Aufkommen des Internets seinen medialen Charakter voll entwickelte bzw. dieser ins öffentliche Bewusstsein trat. Hartmut Winkler weist darauf hin, dass der Computer erst über seine Verkabelung mit anderen Computern und, weil er der Kommunikation von Menschen dient, als Medium hervortritt und nicht mit einer einfachen Rechenmaschine verwechselt wird. Darüber hinaus stellt er fest, dass die Medienwissenschaft es fast vierzig Jahre versäumte, den Computer als ein Medium zu erkennen. Vgl. Hartmut Winkler: Medium Computer. Zehn populäre Thesen zum Thema und warum sie möglicherweise falsch sind, in: Lorenz Engell/Britta Neitzel (Hg.): Das Gesicht der Welt. Medien in der digitalen Kultur, München 2003, S. 203-213, hier S. 203f. 190 Während Benjamin vom Kunstwerk spricht, bezieht Peter sagt seine Thesen auf das Foto. Dies soll an dieser Stelle lediglich bemerkt werden, zeitigt m. E. jedoch keinerlei inhaltliche Konsequenzen oder Unterschiede.

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rhetorische Belebungen in Peter sagt. So heißt es: „[...] schon kam das Bild und setzte sich hin, als wärs hier zu Hause [...] (PS 145), oder: „Aber dieses Bild ist auf einmal so still geworden. Denkt es jetzt nach? Denkt es nach, wie es weitergeht?“ (PS 149). An anderer Stelle wird es „[...] im Fernsehen zu einer Persönlichkeit ausgerufen, das bloße Foto, aber die dazugehörige völlig bloße Person ist weg.“ (PS 159), womit der Text auf Benjamins These vom Autoritätsverlust des Originals gegenüber seiner technischen Reproduktion referiert, die dieser in seinem KunstwerkAufsatz ausführt. Dieser Gedanke wird schließlich weitergeführt und in den Internet-Kontext gesetzt, wenn davon die Rede ist, „[...] daß die Bilder laufen gelernt haben, sonst kämen sie nie woanders hin, aber jetzt reisen sie schon schneller als wir [...]“ (PS 175). Benjamin erklärt den Autoritätsverlust des Originals durch die Möglichkeit der technischen Reproduzierbarkeit damit, dass sich die technische Reproduktion im Gegensatz zur manuellen als „selbständiger“ erweise. Seine Wortwahl lässt hier im Hinblick auf den Fokus der vorliegenden Arbeit auf die Belebtheit und damit Unheimlichkeit des Bildes bereits aufmerken. Er führt weiter aus: Sie [die technische Reproduktion, Anm. E.G.] kann, beispielsweise, in der Photographie Ansichten des Originals hervorheben, die nur der verstellbaren und ihren Blickpunkt willkürlich wählenden Linse, nicht aber dem menschlichen Auge zugänglich sind, oder mit Hilfe gewisser Verfahren wie der Vergrößerung oder der Zeitlupe Bilder festhalten, die sich der natürlichen Optik schlechtweg entziehen. Das ist das Erste. Sie kann zudem zweitens das Abbild des Originals in Situationen bringen, die dem Original selbst nicht erreichbar sind. Vor allem macht sie ihm möglich, dem Aufnehmenden entgegenzukommen, sei es in Gestalt der Photographie, sei es in der der Schallplatte.

191

Mit seinen Überlegungen zur Selbständigkeit der technischen Reproduktion, die dem Original schließlich in ihren Eigenschaften überlegen scheint, bereitet Benjamin die Grundlage für die These von der Belebtheit des (Ab-)Bildes. Peter sagt überspitzt die Selbständigkeit des Kunstwerks in der Formulierung und setzt sie mehrfach in Relation zum Unheimlichen: „Das Kunstwerk selbst [...] zieht in unsere Ohren ein und läßt sich dort häuslich nieder.“ (PS 222) Die Passage steht im Zusammenhang des musikalischen Wettstreits zwischen Marsyas und Apoll und ist insofern von besonderem Interesse, als hier nicht nur die Verlebendigung des Kunstwerks thematisiert wird, sondern der Text darüber hinaus das Eindringen eines Fremden ins Innere des Menschen im Vorgang des Hörens als einen unheimlichen Vorgang markiert; in seiner Wortwahl vom häuslichen Niederlassen weist der Text hin auf den un-heimeligen Aspekt der Akustik, des Hörens wie auch des Verlautbarens. Das Unheimliche an akustischen Signalen und deren Wahrnehmung 191 Benjamin 2003, S. 12f.

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lässt sich leichter nachvollziehen als das Unheimliche von Bildern und dem Sehen. Die Verselbständigung der Stimme, ihre Abkopplung vom Körper wie auch die Omnipräsenz und Unausweichlichkeit akustischer Signale sind direkt ersichtlich. Das Unheimliche lässt sich daraus leicht ableiten, stehen die Belebtheit, das Eigenleben der Stimme, des musikalischen Kunstwerks bis hin zum einfachen akustischen Signal hier doch zur Diskussion.192 Der eindringende Charakter von Lauten trägt noch zum Unheimlichen bei: Der Hörende kann sich diesen kaum entziehen, als Phantasma ist der Ton überall anwesend und lässt sich doch weder greifen, noch kann man ihm entfliehen. Im Gegensatz zu den Augen lassen sich die Ohren nicht vollständig schließen.193 An anderer Stelle spricht Peter sagt ebenfalls den vereinnahmenden Charakter im Kunstwerk-Bezug an: „und ich mit meinem blöden Kunstwerk [...] an meiner eigenen Stelle, die man mir ebenfalls genommen hat, ein Bild hat sie eingenommen, kaum verließ ich sie, schon kam das Bild und setzte sich hin, als wärs hier zu Hause, und ich?“ (PS 145) Hier geht es um das Abbild und dessen Eigenschaft, das Original zu ersetzen bzw. zu verdrängen; interessant ist an dieser Stelle wieder der Wortgebrauch, der abermalig auf das Unheimliche hinweist. Das Bild nimmt die Rolle des Menschen an, vertreibt ihn aus seinem Zuhause; mit dem Anklang an Freuds Formulierung, ist er nicht mehr Herr im eigenen Haus, und die Verhältnisse von Aktivität/Passivität, belebt/unbelebt und Macht/Ohnmacht verkehren sich. Das ‚unheimelig-Werden‘ des Menschen ist Folge des ‚heimelig-Werdens‘ des Bildes, was im Text in direktem Zusammenhang mit der Verkehrung der Belebtheitsverhältnisse von Bild und Abgebildetem steht. Diesen Umstand inszeniert der Text ebenfalls in folgender Passage, die wiederum auf Benjamin anspielt: „Ich bin eine Kopie einer Kopie. Ich bin eine Kopie als Ausnahme. Deswegen reicht es im Grunde, wenn ich nur mehr als Foto vorhanden bin“, worauf eine Ausführung folgt, in der die Frage nach der Belebtheit ausgelotet wird: Ich bin ein atmendes Weidenrohr! Schauen Sie mich an! Ja. Diese Weide kann jederzeit gebrochen werden wie ein Röslein, sie kann schließlich nicht von selbst atmen, erst wenn ich ins Rohr blase, entsteht der Ton. Wie man in die Menschen hineinbläst, so hallt es einem von dort zurück. (PS 209)

192 Wie bereits dargelegt thematisiert Bambiland das Echo in diesem unheimlichen Sinne der Abkopplung des akustischen Signals von seinem Ursprung(sort). (Vgl. S. 171f der voliegenden Arbeit) 193 Zum Unheimlichen der Stimme vgl. Micheala Wünsch: „Der Lebensatem ist ihre Quelle“ – Die Stimme als Objekt des Unheimlichen und der Angst, in: JELINEK[JAHR]BUCH. Elfriede Jelinek-Forschungszentrum 2013, S. 218-225.

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Über den Atem als Symbol des Belebten spielt der Text hier mit einer Reihe von Zuschreibungen und lässt sie oszillieren. Das atmende Weidenrohr, zu dem das Foto im zweiten Teil der Passage wird, ist als Hohlkörper sowohl von innen als auch von außen mit einer Oberfläche ausgestattet. Es ‚atmet‘ einerseits, gleichzeitig strömt die Luft lediglich durch es hindurch. Es ist also aktiv und passiv zugleich. Ebenso entsteht der Ton der Flöte (zu der das Rohr wird) aus ihr selbst, wie auch durch den Menschen, der durch seinen Atem den Ton der Flöte entstehen lässt. Jelineks Vorliebe für das Motiv des Rohrs speist sich aus dieser Ambivalenz, die es sowohl zum Akteur als auch zum passiven Empfänger macht. Ob als Phallus in Margit sagt, der sich als Symbol in sein Gegenteil spaltet, da er als Rohr neben seiner eindringenden Funktion ebenso seine Eigenschaft des Empfangens verdeutlicht (vgl. V.1.2) oder als Flöte des Marsyas, wobei die phallische Konnotation auch hier weitergetragen wird. In diesem Horizont ist die obige Passage zu verstehen, und das Foto als Kopie in Serie wird über das Motiv des Rohrs in seiner ambivalenten Eigenschaft als Medium markiert, das einerseits lediglich als Vermittler fungiert, andererseits darin ein Eigenleben entwickelt. Das Foto als Weidenrohr „atmet“, es ist belebt, gleichzeitig wird ihm erst durch den Menschen Leben eingehaucht, erst durch den Atem entsteht sein Ton, wird sein Produkt Kunstwerk. Diese ambivalente Position bezüglich der Belebtheit des Fotos lässt Peter sagt als Aporie im Text bestehen. Er referiert hier auf die Selbständigkeit der technischen Reproduktion im Sinne Benjamins, geht jedoch einen Schritt weiter, und dies in eine Richtung, die insbesondere für das Unheimliche von Bedeutung ist. Während Benjamin die Selbständigkeit der Reproduktion im Wesentlichen auf seine technische Hergestelltheit zurückführt, geht Peter sagt den umgekehrten Weg, und betont eben gerade die biologische Komponente der Reproduktion, wie in der obigen Auflistung biologisierender Attribuierung des Bildes, das sich hinsetzt, Laufen lernt etc. gezeigt. Alle drei Monologe in Babel setzen einen Fokus auf den Aspekt des Bios, sei dies in Form des Organischen des Körpers, des Abjekten oder als These vom nackten Leben als Kehrseite der Verbildlichung. Ausgehend von Benjamins Thesen zur technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks, spielt Peter sagt ein Szenario vom Leben der Bilder durch, und koppelt dies darüber hinaus an die Frage nach der Wahrnehmung. Bevor dem Aspekt der Wahrnehmung, dem im Text virulenten Thema des Sehens, weiter nachgegangen wird, soll hier Mitchells These von der biokybernetischen Reproduzierbarkeit als Weiterführung Benjamins dargelegt werden. Schon am Titel zeigt sich das Unheimliche seines Denkansatzes; Mitchells Studie Das Leben der Bilder (im Original: What Do Pictures Want? The Lives and Loves of Images) überschreitet die Grenze zwischen „Artefakt und Leben“,194 indem er nach dem Begehren der Bilder fragt und diese somit im Horizont des Belebten verortet. 194 So Hans Belting in seinem Vorwort zu dem Band, vgl. Mitchell 2008, S. 8.

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Im Hinblick auf die gegenwärtigen Reproduktionstechniken führt er aus, dass die „Materialien nun organische Substanzen, Protein, Zellen und DNS-Moleküle“ sind, während die „formenden, gießenden Verfahren [...] alle rechnergestützt“ seien. Daraus folgert er: „Wir befinden uns im Zeitalter der biokybernetischen Reproduzierbarkeit, in einer Ära, in der (wie wir annehmen) Bilder tatsächlich lebendig werden und einen eigenen Willen entwickeln.“195 Mit seiner dialektischen Formel der biokybernetischen Reproduzierbarkeit versucht Mitchell die Gegenwart als eine „Epoche des Kontrollverlusts“196 zu beschreiben. Neben der Kybernetik als „Disziplin der Kontrolle und Leitung“ bringt er mit dem Terminus Bios den Bereich lebender Organismen ins Spiel, die sich der Kontrolle widersetzen und „ein ‚selbstbestimmtes Leben‘ für sich in Anspruch nehmen“.197 Dazu noch einmal Mitchell: Ich möchte, anders gesagt, die Ansicht in Frage stellen, wonach unsere Zeit zutreffend als Informationszeitalter, als digitales Zeitalter oder das Zeitalter des Computers beschrieben werden kann, und meinerseits ein komplexeres und konfliktreicheres Modell vorschlagen, in dem all diese Kalkulations- und Kontrollmodelle konfrontiert werden mit neuen Formen der Unkalkulierbarkeit und Unkontrollierbarkeit, von Computerviren bis hin zum Terrorismus. [...] Kurz, das digitale Zeitalter brütet – weit davon entfernt, in irgendeiner direkten Weise durch Computer oder das Internet technisch determiniert zu sein – neue Formen fleischlicher, analoger und nicht-digitaler Erfahrungen aus.

198

Offensichtlich arbeitet Mitchell mit einem sehr weit gefassten Begriff des Bildes. Tatsächlich trifft dieses Verständnis die Art und Weise, wie Peter sagt das Bild thematisiert. Es geht zum einen ganz konkret um die Bilder, die im Kontext des Irakkrieges und seiner Folgen insbesondere im Internet kursierten, zum anderen geht es um das Bild als dem zunehmend lebensweltlichen Horizont und Erschließungsraum für den Menschen, denn, wie Kamper schreibt, leben die Menschen zunehmend „in ihren Bildern, in den Bildern, die sie sich von der Welt, von sich selbst und von den anderen Menschen gemacht haben [...] und sie leben eher schlecht als recht in dieser imaginären Immanenz“.199 Um seine These des „lebendigen Bildes“

195 196 197 198 199

Mitchell 2008, S. 193. Ebd., S. 196. Ebd., S. 195f. Ebd., S. 196. Für den Kontext des Unheimlichen aufschlussreich, an dieser Stelle jedoch in eine andere Richtung weisend, führt Kamper weiter aus: „Sie sterben daran. Es gibt beim Höchststand der Bildproduktion massive Störungen. Es gibt Bildstörungen, die das Leben in den Bildern und das Sterben daran enorm zweideutig werden lassen. Ein Zustand wie ‚Lebend-Totsein‘, wie ‚abgestorbenes Leben‘ breitet sich aus. Diese Unentscheidbarkeit, ob man noch lebendig oder schon gestorben ist, haftet den Bildern an, zumindest seit dem

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zu erarbeiten, referiert Mitchell auf das geklonte Schaf Dolly, das zur „globalen Ikone der Gentechnik“ wurde, wie auch auf die zwei Türme des World Trade Centers, die zunächst als Ikonen für Globalisierung und Kapitalismus fungierten, nach ihrer Zerstörung in einem beispiellosen Akt des Ikonoklasmus durch islamische Selbstmordattentäter dann als Ikonen für ebendiesen Ikonoklasmus ins Gedächtnis der ganzen Welt eingingen.200 Während im Falle des geklonten Schafs Dolly der organisch belebte Aspekt auf den ersten Blick ersichtlich ist, gilt die Belebtheitsthese für das WTC gleichermaßen. Eine elementare Rolle schreibt Mitchell dabei den Medien zu, ohne die das Leben der Bilder nicht stattfinden könnte, insofern sie „die Lebensräume oder Ökosysteme dar[stellen], in denen Bilder lebendig werden“. Und weiter: Es versteht sich von selbst, dass all die Bilder und Objekte, die wir bislang erörtert haben, in irgendeinem Medium existieren. In der Tat ist die Verknüpfung von Bild und Objekt, die Verknüpfung einer virtuellen Erscheinung oder Illusion mit einem Trägermedium unsere ge201

wöhnliche Art und Weise zu spezifizieren, was ein Medium ist.

Peter sagt greift diese Verklammerung von Bild und Objekt in der folgenden Passage in einem intermedialen Bezug auf René Magrittes Bild Ceci n’est pas une pipe auf: Warum trennen Sie ausgerechnet mich von mir selbst? Why tear me from myself? Oh, I repent! I’m not worth a pipe! A pipe like me is not worth the price! Wir sind doch zusammengewachsen, ich und ich! Ja, ich bin wirklich eine Pfeife, aber die andren sind auch alle Pfeifen. Diese Trennung tut ehrlich und entsetzlich weh, können Sie sich das nicht vorstellen? Zeitpunkt ihrer puren Simulation ohne Referenz. Der Aufforderung, sie wie Intensivstationen der Erfahrung zu benutzen, kann nur vorübergehend entsprochen werden. Ein auf Dauer gestelltes Oszillieren ist schwer erträglich.“ Kamper, S. 591. 200 Vgl. Mitchell 2008, S. 27ff. Interessant in Bezug auf diese beiden Beispiele im Horizont des Unheimlichen ist auch Mitchells weitere Beobachtung: „Dolly und das World Trade Center besitzen jedoch eine zusätzliche Dimension von Vitalität, indem sie als Symbole für Lebensformen fungieren, die in dem Lebensprozess mitwirken, für den sie stehen [...]. Sie ‚bezeichnen‘ diese Lebensformen nicht nur in irgendeinem arbiträren oder rein konventionellen Sinne, wie es die bloßen Worte Biotechnologie oder globaler Kapitalismus leisten. Beide stehen für das und treten als Symptome dessen auf, was sie bezeichnen. Die Zwillingstürme waren nicht nur abstrakte Zeichen des Weltkapitals, sondern das, was Coleridge ‚lebendige Symbole‘ nannte; etwas, das eine ‚organische‘ Verbindung mit seinem Referenten eingeht und eher Gegenstand einer Biografie als der Geschichte ist.“ Vgl. Eric Darton: Divided we stand: A Biography of New York’s World Trade Center, New York 1999, zitiert nach Mitchell 2008, S. 31. 201 Mitchell 2008, S. 162.

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Sogar den Bildern tut es noch weh, und man wird sie in Zukunft nicht mehr von ihrem jeweiligen Betrachter trennen können, der eigentlich Kurzweil wollte [...]. Alle Betrachter werden gezwungen werden, sich an diese Bilder zu klammern, und wenn sie es nicht tun, dann klammern die Bilder sich eben an sie. Da kommt ein Bild und wirft sich mir an den Hals, aber die wahre Liebe vorhin, die hat es nicht erkannt, es ist vorbeigerannt, es ist nicht zu fassen! [...] Die Bilder klammern sich ja an Sie, und Sie glauben immer noch, daß Sie der Klammer202

affe sind [...]. (PS 144f.)

Hier spricht der „arme[] dicke[], unsportliche[] Bub“ aus Ein Sportstück, „der aus seiner eigenen Haut gezogen worden ist“ und nun in einer surrealistischen Wendung des Textes die Trennung von sich selbst im Prozess seiner Bildwerdung „äußerst lebhaft, mit größtem Engagement schreiend“ (PS 144) beklagt. Neben der Andi-Figur, macht an anderen Stellen des Textes die Redeposition des Abu-GhraibHäftlings, des Blackwater-Söldners wie auch die Stimme Marsyas die Trennung von sich selbst in der Bildwerdung zum Thema, wobei über die Doppelung der kutanen Körpergrenzen und der Bildoberfläche der Schmerz als körperlicher inszeniert wird. So wenn es heißt: „[...] Sie können von mir aus meine Haut von mir trennen, aber nicht diese Fotos!“ (PS 158) oder noch drastischer: „Nackter als nackt geht nicht. Häuten wäre die Lösung, aber wer will sich das schon antun? Vor einer Kamera noch dazu? Aber immer! Jeder! Weil wir ihn ansehen. Indem wir ihn ansehen, nehmen wir ihm sein Ansehen.“ (PS 161) Magrittes Intention, die A-Identität von Gegenstand und Abbild bzw. dem Seienden und dem Sichtbaren zu verdeutlichen, kann analog zu Benjamins (und Jelineks) Verständnis vom Verhältnis medialer Reproduktion und Realität gelesen werden.203 Auch im Werk Magrittes geht es um die Unangemessenheit der Darstellung gegenüber seinem Gegenstand. Hingegen ist der Ausgangspunkt Magrittes ein anderer als derjenige Jelineks. Magrittes Verständnis von Wahrnehmung hatte sich 202 Die englischen Zeilen sind im Übrigen ein intertextueller Bezug auf die englische Übersetzung von Ovids Metamorphosen (6,382): „Someone recalled the Satyr who had lost to Latous the context when he played Tritonia’s [Athene’s] pipe, and paid the penalty. ‚No! No!‘ he screamed, ‚Why tear me from myself? Oh, I repent! A pipe’s not worth the price!‘ and as he screamed Apollo stripped his skin;“ 203 Auch der Kontrast von Schrift und Bild, den Magritte hier thematisch öffnet, ist für Peter sagt von Bedeutung, verhandelt und beklagt der Text doch mehrfach die gegenwärtige Dominanz des Bildes über die Schrift, wie sie im Schlagwort des Iconic turn festgehalten wird. So zum Beispiel in folgender Passage, die das Bild über die Nennung der Unschuld an den Mythos koppelt: „Wir sind sowieso für das Bild. Wir sind schon für das Bild, noch bevor wir es überhaupt gesehen haben, bevor wir es uns überhaupt gemacht haben. Wir sind immer unschuldig gewesen, also entscheiden wir uns, wie es sich gehört, wie es dazugehört, für das Bild, nicht für die Buchstaben. Die führen sich oft so herrisch auf, und wir sind hier die Herren! Wir sind doch hier die Herren!“ (PS 166f.)

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noch gegen eine Auffassung durchzusetzen, die den unbewussten und traumhaften Anteil an dem Wahrnehmungsprozess weitestgehend ausblendete, und er suchte insofern zunächst einmal einen Zweifel in die Identität von Bild und Gegenstand einzubringen.204 Jelinek hingegen bewegt sich bereits in einem komplexen Verständnis von Wahrnehmungsprozessen, das sich über die Inkohärenz von Original und Reproduktion weitestgehend einig ist. So will Peter sagt sicherlich zunächst darauf hinweisen, dass die Bilder vom Krieg im Irak nicht mit dessen Realität verwechselt werden dürfen. Der Text verweigert weiter zweifelsohne jedes Verständnis eines Originals, das, wie der Sprecher in Rekurs auf Benjamin festhält, „ich aber nie gewesen bin“. (PS 209)205 Darüber hinaus jedoch lässt Peter sagt die Bilder als Folge ihrer Reproduktion lebendig werden. In der oben zitierten Passage wird den Bildern einerseits parallel zum Objekt der Abbildung die Fähigkeit zum Schmerz bei der Trennung vom ‚Original‘ zugesprochen („sogar den Bildern tut es noch weh“), andererseits werden sie in der Folge buchstäblich aktiv, indem sie sich, ihres Gegenstandes beraubt, nun an den Betrachter „klammern“. Das Leben der Bilder ist hier also im Rahmen ihrer Medialität inszeniert, bzw. das Bild wird in seinem Bedürfnis nach einem Medium offenbar, wenn es sich nach der wohlgemerkt gewaltsamen Trennung von seinem (ursprünglichen?) Objekt dem Nächstbesten an den Hals wirft („Da kommt ein Bild und wirft sich mir an den Hals“). An dieser Formulierung ist zum einen bemerkenswert, dass der Text das Begehren im Sinne Mitchells im Bild verortet, nicht im Betrachter, wie gemeinhin angenommen wird („Sie glauben immer noch, daß Sie der Klammeraffe sind“), andererseits wird über das Begehren der Mangel im Bild offengelegt. Mitchell erläutert diesen Aspekt, indem er neben der Macht der Bilder ihre „Ohnmacht, ihren Jammer“206 benennt, und die Frage ableitet, „was es ist, woran es ihnen mangelt, was es ist, was sie nicht besitzen, was ihnen nicht beigemessen werden kann“.207 Peter sagt beantwortet diese Frage so ironisch wie eindeutig mit dem Betrachter, an den sich das Bild klammert. In dieser Szene scheint eine Umkehrung des Spiegelstadiums stattzufinden, in der sich nicht nur der Betrachter in der scheinbaren Ganzheit seines Gegenübers als Bild imaginiert, sondern eben dieses Bild den Blick zurückwirft und gleichsam den Betrachter ob seiner Komplettierung durch diesen begehrt.

204 Vgl. auch Bloch 2011, S. 288. 205 Hierauf folgt die bereits zitierte Passage in Anlehnung an Benjamin „Ich bin eine Kopie einer Kopie. [...]“ (PS 209) 206 Mitchell 2008, S. 25. 207 Ebd., S. 26.

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Im Leben der Bilder findet insofern eine Umkehrung des Blicks statt, die unheimlich ist.208 Das Ausmaß wie auch die Beschaffenheit des Realitätsentzugs, den der Text markiert, wird hier deutlich. Die Trennung der Reproduktion von ihrem Ausgangsobjekt ist derart absolut, dass dieses nicht einmal mehr als Ursprung (gewiss) erscheint. Als von seinem Gegenstand Getrenntes, scheint das Bild losgelöst und einzig im Begehren nach einem beliebigen Betrachter umherzutreiben. Über diesen Zusammenhang wird auch deutlich, dass „das Foto deswegen noch lange nicht zum Original geworden“ ist, wie Bloch treffend schreibt, „sondern der Fake ist vielmehr umfassend, einzig ein ‚Knopf‘ als Signum der Technik beweist ‚Echtheit‘ wie Jelinek in äußerster Ironie formuliert“:209 Das ist eine glatte Lüge, so glatt wie dieses Foto! Jedes Foto ist eine Lüge. Jede Tatsache ist eine. Alles ist eine Lüge, was Sie hören, nur die Musik in Ihren Ohren, die ist echt, dafür sorgt ja der Knopf, aus dem sie kommt. (PS 225)

Bloch stellt die Überlegung an, ob diese Passage als „selbstreflexive[...] Betrachtung [...] jelineksche[r] Sprachmusik verstanden werden“ kann, „die echt ist, weil sie mit dem Zusammenspiel der verschiedenen Diskurse und Sprechweisen eine Musik erzeugt, die entlarvenden und damit ‚echten‘ Charakter besitzt“.210 Derart essentialistische Ansätze sind m. E. in Bezug auf Jelineks Texte jedoch mit Vorsicht zu formulieren, und ich möchte hier, wiederum mit dem Hinweis auf die Medialität, einen anderen Ansatz vorschlagen.211 Die Verbürgung der Authentizität speist sich in der Passage mit dem Verweis auf den „Knopf“, aus dem die Musik kommt, schließlich aus ihrer technischen Vermitteltheit: Die Musik ist im Bewusstsein um ihre Medialität echt, was sie eben nicht als Original ausweist, diesen Maßstab hat Peter sagt längst hinter sich gelassen. Vielmehr verdeutlicht diese Passage die Erkenntnis, dass ein umfassend mediales Verständnis von Welt und dem darin stattfindenden Leben der Bilder der Wahrheit vielleicht am nächsten kommt. 208 Nietzsche impliziert in Die Geburt der Tragödie das Unheimliche der Blickumkehrung in der daraus folgenden Verschmelzung der theatralen Akteure, was hier als Denkfigur mit einfließt und per se eine Strategie des Textes darstellt: „[...] denn in jenem Zustande ist er [der Genius], wunderbarer Weise, dem unheimlichen Bild des Mährchens gleich, das die Augen drehn und sich selber anschaun kann; jetzt ist er zugleich Subject und Object, zugleich Dichter, Schauspieler und Zuschauer.“ Vgl. Nietzsche 2010, S. 42. 209 Bloch 2011, S. 288. 210 Ebd. 211 Ein Punkt, der m. E. dagegen spricht sie als letzte Bastion von Authentizität zu verstehen, ist, dass die Musik aus dem Knopf in Peter sagt auf die Praxis des Militärs anspielt, sich mit harter Musik für den Einsatz aufzupeitschen. „Mit rasenden, unablässig jaulenden Panzergeschützen fährt die reguläre Truppe umher und jagt die Musik in sich hinein.“ (PS 226)

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Die Gültigkeit dessen im Hinblick auf die Funktionsweise der Bilder macht der Text im steten Hinweisen auf die unterschiedlichsten Medien ihrer Verbreitung deutlich. [...] dann kommen Sie her, kommen Sie her zu mir, stürmen Sie diese Bilder [...] Dies alles ist darauf ausgerichtet, daß Sie wie ein Kompaß immer dorthin zeigen, von wo, wie gesagt, die Post abgeht an diejenigen, die längst keine Post mehr erwarten. Es wird ihnen alles persönlich mitgeteilt. Sie brauchen keine Botenstoffe. Sie sollen sie bekommen, ihre Ahnung. Ihre Ahnung von keiner Wirklichkeit. (PS 141)

„Post“ und „Botenstoffe“ als klassische Übertragungsmedien stehen Pate für die „Ahnung von keiner Wirklichkeit“, die Peter sagt im Hinblick auf die Bilder ins Bewusstsein zu rufen sucht. Diese mediale Wirklichkeit, deren Hauptmerkmal ihre Negation darstellt, zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich nach dem spektakulärsten Ereignis richtet, nach dem Unterhaltungswert der Nachricht, nicht nach dem Wahrheitswert; die Bilder antizipieren das Begehren des Betrachters nach dem Spektakel, dass sein Kompass stets dorthin zeigt „von wo, wie gesagt, die Post abgeht“. Die Eigenschaft der Medien, insbesondere des Fotos, ihre Medialität zu unterschlagen, suggeriert Unmittelbarkeit („Es wird ihnen alles persönlich mitgeteilt“), diese entlarvt der Text jedoch als Trugschluss, der sich wiederum am Körper des Betrachters ablesen lässt. Wieder in Anspielung auf Benjamins Kunstwerk-Aufsatz heißt es kurz vor der oben zitierten Passage: Dazu ist anzumerken, daß ich direkt, wie am eigenen Leib, aber eben nur wie, fühle, wie gemein jemand zu einem anderen ist und der dann wieder zu einem anderen und so weiter und so fort. Ich spüre das, das geht wirklich bis ins Körperliche hinein bei mir und auch wieder 212

heraus, echt. (PS 140)

Peter sagt karikiert hier die Kurzlebigkeit eines empathischen Sehens, bei dem der Betrachter den Schmerz anderer körperlich nachempfindet, diesen jedoch ebenso schnell wieder vergisst. Der Text betont den Unterschied zwischen der tatsächlichen Empfindung am eigenen Leib und dem „wie am eigenen Leib, aber eben nur wie“. In diesem Sinne lässt sich die merkwürdige Formulierung der „Ahnung von keiner Wirklichkeit“ (in Abwandlung und als Gegensatz zu ‚keiner Ahnung von der Wirklichkeit‘) als Bewusstsein über das Eigenleben der Bilder in den Medien verstehen. Diese Bilder stellen eine Realität dar, indem sie sie herstellen, deren 212 Weiter unten variiert der Text den Zusammenhang der scheinbaren Unmittelbarkeit: „Ich fühle direkt, ich fühle alle Arten von Grausamkeit direkt am eigenen Leib, ohne sie je spüren zu müssen. Es ist grauenhaft, sich das Grauen vorstellen zu müssen. Ja, das geht wirklich bis ins Körperliche hinein, echt, aber zum Glück doch nicht echt.“ (PS 142)

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Schmerz wir gleichzeitig empfinden und nicht empfinden; eine Realität, die als Phantasma gleichzeitig anwesend und abwesend ist. Wie der Phantomschmerz eines amputierten Körperteils fühlen wir den Schmerz des im Bild Stattfindenden körperlich, jedoch nicht am eigenen Leib. Auch diese paradoxe Aporie lässt der Text bestehen bzw. wirft er auf. Die Erkenntnis über das Bewusstsein des Medialen erscheint zunächst trivialer als sie ist; in ihr steckt der Hinweis auf einen Wahrnehmungsverlust, der das Unsichtbare und Undarstellbare fokussiert, das sich über den ebenfalls nicht wahrnehmbaren „Rand der mediengeprägten Bild- und Blickverhältnisse“213 ereignet, wie der Medientheoretiker Georg Christoph Tholen schreibt. Bezeichnenderweise erwähnt Tholen in diesem Zusammenhang den Diskurs um das Erhabene, der „nicht von ungefähr mit einer undarstellbaren ‚Bildstörung‘ zu tun“214 hat. Die Medialität der Bilder markiert ihre Präsenz als Absenz, ihren gespenstischen Status als Phantasmen, und insofern trägt der Hinweis auf die Medialität des Bildes sein Unheimliches bereits an die Oberfläche. „Augenblicke des Unheimlichen sind solche, die sich nicht zeigen, wenn sie sich zeigen. Sie treten hervor, unwillkürlich und gleichsam ohne Existenzausweis“,215 schreibt Tholen, und benennt damit gleichsam das Paradox des Lebens der Bilder wie Peter sagt es inszeniert, als aktivisches Hervortreten ohne Existenzausweis. Der Funktionsmechanismus des Medialen, Realität als gottgleiche Schöpfungsinstanz mehr zu entwerfen, denn zu übermitteln wurde bezüglich des Fernsehens für Bambiland bereits analysiert. Die Betonung des Mediums ist ein wiederkehrendes Motiv in Jelineks Theatertexten; insbesondere mit dem Fokus des Unheimlichen läuft die Analyse wiederholt auf diesen Aspekt hinaus. In Peter sagt werden die Medien wie oben mit Mitchell formuliert als ‚Ökosysteme der Bilder‘ inszeniert, in denen diese lebendig werden. Dabei definiert der Text die Belebtheit des Bildes über sein Begehren.216 Das Bild erscheint analog zum Menschen als Mangelwesen, und in diesem Kontext erklärt sich nicht nur seine phantasmatische Beschaffenheit im Sinne der Präsenz als Absenz, sondern ebenso seine phantasmatische Verbreitung. Für das Bild gilt in Peter sagt dasselbe wie für den Menschen, zu dem Tholen

213 Georg Christoph Tholen: Die Zäsur der Medien: Kulturphilosophische Konturen. Frankfurt am Main 2002, S. 12. 214 Wie zur Erläuterung von Jelineks Wendung von der „Ahnung von keiner Wirklichkeit“ hält Tholen ein „Plädoyer für das Unsichtbare, welches nicht der Gegensatz zum Sichtbaren ist“. Ebd., S. 13. 215 Tholen 2002, S. 92. 216 Peter sagt steht hier im Kontext von Mitchells Bildverständnis, der schreibt: „Anstatt dies alles als eine Frage von Sinn und Macht zu begreifen, fasse ich es als eine Frage des Begehrens auf und suche herauszufinden, was Bilder wollen, und nicht, welchen Sinn sie in sich tragen oder was sie bewirken.“ Mitchell 2008, S. 25.

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im Kontext des Unheimlichen schreibt: „Der Mangel-an-Sein ist die Ur-Sache aller verhüllenden Imaginationen und Phantasmen, mit denen das [...] Kind um seine paradoxe Anerkennung im triangulären Geflecht mit den Eltern ringt.“217 Das Bild ohne Ursprung versucht in Peter sagt seinen Verlust über die zahllose Produktion von Phantasmen zu kompensieren. Den verkennenden Charakter dieses ‚Sehens‘ markiert der Text in dem letzten Satz der oben zitierten Passage über die entfesselten und lebendig gewordenen Bilder: „Da kommt ein Bild und wirft sich mir an den Hals, aber die wahre Liebe vorhin, die hat es nicht erkannt, es ist vorbeigerannt, es ist nicht zu fassen!“ (PS 144f.) Denn, wie Lacan ausführt, den Tholen hier heranzieht, beziehen sich die Phantasmen auf „keinen wirklichen Körper [...], sondern auf ein heteroklites Mannequin, eine barocke Puppe, eine Gliedertrophäe“.218 Indem Peter sagt die Verkehrung des Blicks (im Begehren der Bilder nach dem Betrachter) mit seinem verkennenden Charakter zusammenführt, wird das Unheimliche des Bildes im Text deutlich; das Geflecht, in das Mensch und Bild verstrickt sind – vom Blick auf das Bild und dem Blick, den dieses dem Betrachter zurückwirft im Horizont von Erkennen und Verkennen – zeigt Peter sagt in seiner höchst problematischen Eigenschaft, nämlich dem Menschen Leben zu nehmen und ihn – mit Lacans Worten – zum Mannequin, zur Puppe oder Gliedertrophäe zu machen. Ist bis hierhin deutlich geworden, dass Peter sagt die mediale Realität im Hinblick darauf inszeniert, dass sie durch das Begehren der Bilder strukturiert ist, so scheint es nur folgerichtig, den menschlichen Wahrnehmungsapparat, auf den die von ihrem Ursprungsobjekt entfesselten Bilder quasi losgehen, als Immunsystem zu beschreiben, das nur mehr passiv auf die Bilderflut reagiert. Der Mensch tritt dabei eben nicht (mehr) als Agens des Geschehens in Erscheinung – Lücke spricht davon, dass wir zu „bloßen Robotern des Sehens geworden sind“.219 Gleichzeitig beschreibt der Text den Computer und das Internet mit dem Immunsystem als Metapher für deren Funktionsweise als mediale Biosphäre des Bildes. In Anbetracht der zunehmenden Ungreifbarkeit des Bildes im Zeitalter des Digitalen liegt es nahe, den Fokus auf die Medien zu richten.220 Mit der These vom Computer als Biosphäre des Bildes wird jedoch auch die Greifbarkeit des Mediums hier zweifelhaft; bringt doch der Bios das Unkalkulierbare, nicht eindeutig Feststellbare ins Spiel

217 Tholen 2002, S. 99. 218 Jacques Lacan (1938): Die Familie, in: ders.: Schriften III, Olten/Freiburg i. Br. 1980, S. 39-100, hier S. 69. Zitiert nach Tholen 2002, S. 98. 219 Lücke 2004b, S. 13. 220 Kati Röttger und Alexander Jackob beschreiben, wie „wir Bilder immer weniger als Gegenstände, sondern zunehmend als unberührbare Bestandteile von elektronischen Bildersphären wahrnehmen [...]. Damit kommen zwangsläufig die Medien ins Spiel, in denen Bilder in Erscheinung treten.“ Vgl.: Vgl.: Röttger/Jackob 2007, S. 47.

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(Mitchell). Im Folgenden soll gezeigt werden, wie der Text entlang der Metapher des Immunsystems einerseits das Mechanische der menschlichen Wahrnehmung fokussiert und andererseits die Verlebendigung des Mediums Computer in den Blick nimmt. Im Feld zwischen diesen thematischen Polen erschließt sich das Unheimliche bzw. erschließt sich dieses Feld mit der Perspektive des Unheimlichen. 2.3.4 Bildverbreitung und mediale Kommunikationsprozesse unter den Prämissen von Immunisierung und Ansteckung Peter sagt beginnt mit einer längeren Rede zum Immunsystem und greift diese gen Ende des Textes wieder auf; auch dazwischen spielt der Text wiederholt auf den biologischen bzw. pharmakologischen Diskurs im Kontext der menschlichen Wahrnehmung einerseits und des Computers andererseits an. In der Eingangspassage des Textes wird das Immunsystem als Metapher für ein Kommunikationssystem zwischen Sprecher und Adressat eingeführt, im weiteren Verlauf steht die Rhetorik der Immunisierung im Sinne der Abstumpfung gegenüber den Kriegsbildern im Vordergrund und schließlich wird über die Metapher des Immunsystems das Verhältnis von Mensch und Technik in Szene gesetzt. Peter sagt beginnt mit den Worten: Sehr geehrter Mann, sehr geehrte Frau, Sie haben ein Immunsystem, das ist wie ein Instrument, also benutzen Sie es bitte auch! Und ich nehme meins, einverstanden, dann können wir gleichzeitig unsere Systeme aktivieren, und ich spreche spreche spreche jetzt, ohne Ende, indem ich drauf spiele, auf meinem intakten Immunsystem, […] meins ist am Krieg getestet worden, an den Toten, die wir wieder neu hereinbekommen haben. Ich gehöre jetzt schon zu ihnen. Komisch. Die haben bis heute nicht darauf reagiert, daß ihr Tod eigentlich hätte abgewehrt werden sollen. Ein Defekt? Sie haben nicht auf die Gefahren reagiert, die dem Körper unter Umständen drohen können, die außerhalb seines Einflußbereichs liegen, nämlich körperfremde Lebewesen, also faktisch alle, und dazu noch die Bakterien, Viren und Pilze, einund mehrzellige Tiere, also faktisch alle, allgemein körperfremdes Eiweiß und entartete körpereigene Zellen, also faktisch alle. (PS 135)

Zunächst erscheint das Immunsystem hier als Kommunikationssystem zwischen Ich-Stimme und dem Adressaten des Textes, der hier direkt angesprochen wird. Erst wenn beide Immunsysteme gleichzeitig aktiviert sind, folgt das Sprechen, das gleichsam als ein Spielen auf dem Immunsystem bezeichnet wird. Über das rhetorische Bild der ‚Aktivierung‘ beider Systeme zum Zweck der Verständigung etabliert der Text bereits den Diskurs über technisch vermittelte Kommunikation und legt mit der Bezeichnung von aktivierten Systemen die Assoziation mit dem Computer nahe. Es scheint kein direktes Sprechen möglich, die Kommunikation zwischen

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Sprecher und Adressat ist an technische (Immun-)Systeme gekoppelt, die ihnen vorgeschaltet scheinen. Mit der Rede von „körperfremde[n] Lebewesen“ wird dabei die elementare Funktion des Immunsystems angesprochen, die darin besteht, vor Krankheit und Tod zu schützen, indem es zwischen dem Selbst und dem Anderen unterscheidet. Haraway stellt ihrem Aufsatz Die Biopolitik postmoderner Körper den Satz Edward S. Golub voran: „Das Immunsystem muß das Selbst auf irgendeine Weise erkennen, um auf etwas Fremdes reagieren zu können.“221 In diesem Mechanismus steckt das Potential des Immunsystems als Denkfigur. In radikalisierter Form führt die Bestimmung des Selbst über die Abgrenzung vom Anderen zu Rassismus und Fremdenhass, wie Jelinek in Bambiland und Babel im Hinblick auf die westliche Rhetorik von der ‚Achse des Bösen‘ und der pauschalen Assoziation aller Islamisten mit Terroristen aufgreift. Dieser Mechanismus der Fremderkennung wird in der Passage als Selbsttoleranz bezeichnet, ein Begriff, den Peter sagt im Verlauf des Textes wiederholt aufgreift. Dabei scheint die Selbsttoleranz in ihrer Funktion als Schutzmechanismus im Text von vorneherein pervertiert, da sich die Sprecherinstanz hier bereits als untot zu erkennen gibt, das Immunsystem seiner Aufgabe, den Körper vor Krankheit und Tod zu schützen also nicht nachgekommen ist. Es stellt sich die Frage nach der Funktion des Immunsystems für einen untoten Sprecher. Dadurch, dass sich das Bekenntnis zum Untoten-Dasein direkt an die Aussage anschließt, dass ihr Immunsystem an den Toten des Krieges getestet wurde, wird die Deutung nahe gelegt, dass es sich um eine „Gefühls-Immunisierung gegen staatlich sanktionierte und medial vermittelte Gewalt“222 handelt, die den Medienmensch zum untoten Wahrnehmungs-Roboter werden lässt. Im Hinblick auf Jelineks pornographische Deutung der Kriegsbilder heißt es an anderer Stelle in diesem Sinne: „Man wird ganz stumpf mit der Zeit, wenn man zu oft spitz gewesen ist […].“ (PS 203) Die Verführungskraft der Bilder macht den Betrachter unempfindlich gegen das dargestellte Leid, tötet jegliche Mitleidsregung ab, sodass „wir zwar sehen, aber nicht richtig wahrnehmen, nicht erleben können.“223

221 Vgl. Edward S. Golub: Immunology. A Synthesis, Sunderland, Mass. 1987, S. 484, zitiert nach: Donna Haraway: Die Biopolitik postmoderner Körper: Konstitutionen des Selbst im Diskurs des Immunsystems, in: dies.: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, hrsg. und eingeleitet v. Carmen Hammer und Immanuel Stieß, Frankfurt/New York 1995b, S. 160-199, S. 160. 222 Bärbel Lücke: Elfriede Jelinek. Eine Einführung in das Werk, Paderborn 2008, S. 141. 223 So Monica Szczepaniak, die dann aus Bambiland zitiert: „Die Gefühle sind jetzt wirklich alle tot, echt alle? Weil sie so viel Entsetzliches und soviel Leid erblicken mußten oder was oder warum?“ (B 18) Szczepaniak 2011, S. 302.

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Diesen Zusammenhang eines immunisierten Sehens lotet Peter sagt wiederholt aus; einerseits anhand der Metapher des Immunsystems, andererseits in der intertextuellen Anspielung auf die berühmte Szene des Schnitts durch das Auge in dem surrealistischen Film Der andalusische Hund (1929) von Salvador Dalí und Luis Buñuel: „Ja, ich öffne Ihnen jetzt die Augen. Und nein, Sie können es sich nicht selbst aus den Augen wieder herausschneiden, das Messer nähert sich, es nähert sich in unendlich kleinen Schritten […].“ (PS 137) Das Messer aus Buñuels Film wird im Anschluss variiert und zum Eisberg, scharf wie eine Rasierklinge […] und jetzt ist alles Eis, ja, auch innen drinnen. Alles Eis. Kälte, Wasser. Schreien. […] und dabei sehen Sie den Schnitt, den Sie selber, mitsamt Ihrem eigenen, erigierten, engagierten Messer, in Ihr eigenes Auge hineingemacht haben, machen Sie das sofort wieder weg! Aber es ist dieser Einschnitt da, der in Sie gemacht wurde, in den Teil von Ihnen, der sehen kann, und jetzt sieht dieser Teil nur noch den Schnitt. (PS 138)

Der surrealistische Anspruch von Dalís/Buñuels Film, „eine traumgleiche Wahrnehmung“224 und damit das Unbewusste zu aktivieren, schlägt in Peter sagt um, wenn „innen drinnen“ nur noch „Eis. Kälte, Wasser“ herrscht. Das Immunsystem hat offensichtlich seinen Dienst getan, und den Menschen derart unempfindlich gegen das Leid anderer gemacht, dass er sogar den Krieg als schön empfindet:225 „Es zerspringt nicht, das gute Immuno-System. Bitte, das ist doch der Beweis, daß im Krieg und nur im Krieg der Mensch gegen die innere Abwehr-Maschine seiner selbst gewinnen kann, wenn er will. Wir sind dagegen, daß man den Krieg häßlich nennt. Er ist schön.“ (PS 136) Dank des Immunsystems führt die Zunahme von Schreckensbildern, wie es im Krieg der Fall ist, nicht etwa zur Abwehr gegen den Krieg, sondern vielmehr zum Ausfall der „innere[n] Abwehr-Maschine“, was die Auffassung begründet, der Krieg sei schön. Über die Metapher des Immunsystems spitzt der Text die These von der narzisstischen Selbstbespiegelung zu, wenn der Betrachter nur noch den Schnitt seines „eigenen, erigierten Messers“ in seinem eigenen Auge sieht. Hier greift Peter sagt die oben im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand dargelegte Autoaffektation (vgl. V.2.3.2) auf. Mit dem Verweis auf Dalís und Buñuels Film weist der Text auf den Narzissmus als „soziologische Diagnose“226 unserer Zeit hin. Gerhard Preusser 224 Bloch 2011, S. 289. 225 Hier ist nicht nur wiederum die voyeuristisch-pornografische Komponente der Kriegsbilder angesprochen, auch die in Bambiland bereits angesprochene Ästhetisierung des Krieges bis hin zur erhabenen Darstellung klingt hier wieder an. 226 Gerhard Preusser: Selbstbebilderung. Matthias Hartmann inszeniert Tschechows ‚Iwanow‘ in Bochum, in: Theater heute, 02 (2005), S. 24-25, hier S. 24, zitiert nach: Bloch 2011, S. 290, Fußnote 19.

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resumiert diesbezüglich: „Narzissmus ist die Norm, ist die Form von Realitätsverlust, die die Wirklichkeit uns heute nahe legt.“227 Der Zusammenhang zum Unheimlichen dieser Diagnose unserer gegenwärtig zunehmend narzisstisch geprägten Wahrnehmung liegt auf der Hand und ist bis hierhin bereits mehrfach Thema gewesen. Über die Metapher des Immunsystems jedoch bringt der Text den Körper ins Spiel. In einer Überblendung von Körper und Computer findet schließlich eine Inszenierung von Kommunikation als Ansteckung im Text statt, die ob ihrer selbsttätigen Funktionsweise die Belebtheitsverhältnisse von Kommunizierenden und Medium ins Wanken bringt. Die Parallelisierung von Medium und Körper bringt somit eine bedeutende Facette des Unheimlichen in den Text, die im Folgenden näher ausgeführt werden soll. Zunächst einmal führt die Deutung der Immunsystem-Metapher im Hinblick auf die Autoimmunisierung des Betrachters zu Derrida, der in seinem Aufsatz Glaube und Wissen228 und in dem Essay-Band über den Krieg gegen den Terrorismus Schurken. Zwei Essays über die Vernunft229 die Notwendigkeit des Schutzes vor dem Selbstschutz ausführt.230 Derrida schreibt: Wir befinden uns in einem Bereich, in dem jeder Selbstschutz des Gesunden und Geschützten, des Heil(ig)en und Sakralen (holy) sich gegen den eigenen Schutz schützen muß, gegen die eigene Polizei, gegen die eigene Abwehrmacht, gegen das Eigene schlechthin, will sagen: 231

gegen die eigene Immunität.

Insbesondere Derridas Übertragung ins Politische macht den Begriff für Peter sagt fruchtbar. In den Schurken-Essays geht Derrida dem selbstzerstörerisch-souveränen Schutzmechanismus der Demokratie nach, dessen Pointe Peter sagt in dem oben im Kontext des Ausnahmezustands bereits zitierten Satz formuliert: „Wenn man die Demokratie erst mal schützen muß, ist sie schon keine mehr.“ (PS 210, vgl. S. 316 der vorliegenden Arbeit, Fußnote 1158) Derrida beschreibt die Tendenz westlicher Demokratien seit dem 11. September, die Freiheit um der Freiheit Willen einzuschränken als einen „Akt der Selbstzerstörung“, der der „biologischen Autoimmu-

227 Ebd. 228 Jacques Derrida: Glaube und Wissen. Die beiden Quellen der ‚Religion‘ an den Grenzen der bloßen Vernunft, in: Ders./Gianni Vattimo (Hg.): Die Religion, Frankfurt/Main 2001, S. 9-106. 229 Jacques Derrida: Schurken. Zwei Essays über die Vernunft, Frankfurt/Main 2003. 230 Worauf insbesondere Bärbel Lücke in ihren Aufsätzen zu Babel hinweist. Vgl. u.a. Lücke 2004c, S. 374; Lücke 2008, S. 176ff. 231 Derrida 2001, S. 71.

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nisierung eines Organismus“ gleichkomme.232 Peter sagt lässt diesen politischen Verweis über die Anspielung auf Derrida mit in den Text einfließen, bezieht die Metapher der Autoimmunisierung jedoch vornehmlich auf die Körper der medialen Akteure, denn: Egal wer siegt, es siegt doch auch der Krieg durch Metallverwandlung der Körper, die Blei in den Hosen haben, die Blei auf dem Fuß haben anstatt auf dem Herzen. So sind wir also haltbar und brauchen unser Immunsystem gar nicht mehr. (PS 137)

Die „Metallverwandlung“ als Bedingung und Folge der ‚Haltbarkeit‘ des Menschen setzt seine emotionale Abstumpfung wieder in Zusammenhang mit seiner „Maschinisierung“233, wie auch seinem Untoten-Status als Preis für die Autoimmunisierung; nicht zuletzt die Attribuierung als „haltbar“ führt die Assoziationen weg vom Menschlichen. Über den Begriff des Netzes findet schließlich eine Überblendung in Peter sagt von Immunsystem, Netzhaut (also Sehen) und Internet(z) statt. Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, dass der Text über Derridas Verständnis der Autoimmunisierung hinaus geht, indem die mediale Wahrnehmung im biologischen Diskurs unter der Prämisse der Ansteckung beschrieben wird, und Peter sagt damit einhergehend die Realitätsbildung analog zur Funktionsweise des Immunsystems (und zum Körper) als vollständig denaturalisiert im Sinne Donna Haraways markiert. Haraway analysiert anhand der Diskurse der Immunologie die Gemachtheit von Organismen: „Körper werden [...]nicht geboren; sie werden gemacht. Ebenso wie Zeichen, Kontext und Zeit sind Körper im späten 20. Jahrhundert vollständig denaturalisiert.“234 Die Bedeutung der Rede vom Immunsystem in Peter sagt geht also über die Bedingung der narzisstischen Selbstbezüglichkeit und Autoaffektation hinaus, und spielt insbesondere bezüglich Medialität auf die „Figur der konstituierenden Immunisierung“235 und ihres subversiven Potentials an.236

232 „Um sich gegen Bedrohungen zu schützen, bedrohen Demokratien sich selbst.“ Isabell Lorey: Figuren des Immunen. Elemente einer politischen Theorie. Zürich 2011, S. 7. 233 Lücke 2004b, S. 14. 234 Haraway 1995b, S. 170. 235 Lorey 2011, S. 14. Lorey spricht die Verengung des Begriffsfelds des Immunen bei Derrida an, das mit der „Autoimmunisierung als Instrument zur Beschreibung von Herrschaftsdynamiken keineswegs zur Gänze ausgeschöpft“ sei. Lorey 2011, S. 7. 236 In diesem Zusammenhang ist von besonderer Bedeutung, dass Haraway keinerlei Einbußen bezüglich der Wirkung durch die Gemachtheit ausmacht, da „die Welt für uns völlig denaturiert sein [kann], doch ist sie darum nicht weniger folgenreich.“ Vgl. Haraway 1995b, S. 171.

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Peter sagt bringt das ‚Netz‘ im Kontext der Selbsttoleranz als Funktion des Immunsystems ins Spiel: […] eine herausragende Strategie des Immunsystems, von dem wir hier ja sprechen wollen, ist eben diese Selbsttoleranz. Die ist wie ein Netz, das eigentlich nur bei Fremdkörpern andocken und diese bekämpfen, den eigenen Körper aber verschonen soll. Und dieses Netz ziehen wir, voll mit Bildern, jetzt ein. Die Bilder im Netz sind unsere Beute. So, die Selbsttoleranz wäre damit etabliert. Schauen wir mal, was passiert! Wahrscheinlich gar nichts, weil das dumme Immunsystem, ist es erst einmal fertig ausgebildet, nichts hereinlässt, nicht einmal mehr uns selbst. Dabei sind wir doch einmal mehr wir selbst! Recht hat es, das Immunsystem! (PS 158)

Die Selbsttoleranz tritt hier wieder im narzisstischen und derridaschen Verständnis in Erscheinung; alles Fremde, was wiederum nicht zum Selbst gehört, verfängt sich im Netz und wird so im Außen gehalten, was zur totalen Ereignislosigkeit führt. Interessant ist hier, dass die absolute Abschottung vom Fremden, Nicht-Eigenen nicht nur verhindert, dass etwas passiert, sondern gleichsam die Begegnung mit dem Selbst verhindert. Funktioniert das Immunsystem im vollen Umfang lässt es nichts mehr herein, „nicht einmal mehr uns selbst.“ Die narzisstische Selbstbespiegelung scheint komplett, eine tatsächliche Begegnung mit dem Selbst – was immer dies auch bedeuten würde – ist verhindert. Gleichzeitig findet in der Passage eine Überblendung von Immunsystem, Auge und Internet über den Begriff des Netzes statt. Über die Bilder im Internet(z), die sich an die Netzhaut der ‚User‘ werfen (vgl. PS 144, S. 333 der vorliegenden Arbeit) formt sich dessen Vorstellung von Realität bzw. das, was in die eigene Vorstellungswelt hineinpasst und auch im Folgenden den Mechanismus der Selbsttoleranz passieren wird. Diese Rede über die menschliche Wahrnehmung zeugt von einem Verständnis des Immunsystems als quasi militärische Abwehrmacht, die ein zentral gesteuertes Selbst zu verteidigen sucht. Haraway beschreibt die Phantasie einer bis zum äußersten getriebenen Verteidigung des Selbst in einem Körper, der eine automatisierte Militärfabrik ist und mit dem dieses ultimative Selbst wie ein vollautomatischer Feldherr einem Feind (d.h. dem Nicht-Selbst) gegenübertritt, der in Form von Bits mit fremder Information den Körper angreift und damit droht, den zentralen Steuerungskode zu übernehmen.

237

Die Auffassung von einem immunen Selbst wird hier derart auf die Spitze getrieben als Autoaffektation persifliert und fungiert so als Negativfolie, um den Fehler, das Unberechenbare und Unkontrollierbare als das Lebendige des Körpers ins Spiel zu 237 Haraway 1995b, S. 178.

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bringen; hier zeigt sich das subversive Potential der Immunisierung in ihrem Fehlgang.238 Wie bereits mit Mitchell ausgeführt, lässt sich durch den Bios der Kontrollverlust, der Fehlgang in die scheinbare Berechenbarkeit und Kontrolle durch die Technik einbringen. In Peter sagt findet sich neben den Beschreibungen von der absoluten Schutzherrschaft des Immunsystems das Wissen um die Störkraft des Körpers: „Wie in alle biologischen Systeme können sich auch im Immunsystem nach und nach Fehler einschließen. Kann ich aus eigener Anschauung voll bestätigen: Der Fehler bin nämlich: ich.“ (PS 225) Indem mit dem ich, das sich selbst als Fehler bezeichnet, (zumindest auch) die Stimme der Autorin gemeint ist, sowie jede Gegenrede, die den Selbstschutz unterwandert und stört, wird die affirmative Deutung des Fehlers im Immunsystem deutlich. Der Text schließt hier an die oben im Kontext der Autoimmunisierung zitierten Passagen an und stellt quasi ihr Gegenstück dar, indem jede Störung des Immunisierungsprozesses der „Metallverwandlung der Körper“ (PS 137) vorbeugt. Dabei deutet insbesondere die Formulierung des Einschlusses des Fehlers ins System auf die Denkfigur des phármakons hin; leicht ließe sich hier bei einem oberflächlichen Lesen die gängige Formulierung vom Fehler, der sich in ein System einschleicht einsetzen. Über den Begriff des Einschlusses wird das selbsttätige Weiterwirken des Fehlers im System angedeutet. Einmal ins Immunsystem gelangt, wird der Fehler konstitutiver Bestandteil des Systems und verändert es. Derrida spezifiziert das phármakon in eben dieser Eigenschaft, sich seinem Anderen entgegenzusetzen, „nicht, indem es dieses ausschließt, sondern es einschließt und als sein Stellvertreter ersetzt.“239 Der Logik des phármakons folgend erscheint der Fehler in Peter sagt als Virus, der im Prozess der Immunisierung vom Fremdkörper zum Selbst wird; das Immunsystem verwandelt als „vielgestaltiger Trickster“240, wie Haraway schreibt, das Gift in sein eigenes Gegenmittel, indem es das Gift selbst nachahmt. „Das phármakon ist zugleich das Übel und das, was sich ihm widersetzt, indem es sich seiner Logik beugt. Es selbst als das Andere und das Andere als es

238 Wie bereits in IV.1.5 ausgeführt, lotet Haraway die beiden in der Cyborg-Figur anklingenden Konzepte von phantasmatischer Einheits- und Ursprungssehnsucht einerseits und dem subversiven Potential der Figur, eben diese Phantasie zu unterwandern, andererseits aus; dies bestimmt den Manifestcharakter ihres Textes, sie legt das Potential der Cyborg dar, Grenzen zu überschreiten. Mit dem Fokus auf das Körperliche bringt Peter sagt diesen zweiten Aspekt ins Spiel. 239 Vgl. Roberto Esposito: Immunitas. Schutz und Negation des Lebens, Berlin 2004, S. 178. Zum Begriff des pharmákons vgl. Jacques Derrida: Platons Pharmazie, in: Ders.: Dissemination, hrsg. von Peter Engelmann, Wien 1995, S. 69-192. 240 Haraway 1995b, S. 171.

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selbst.“241 Der Körper wird dabei zum „Netzwerk-Körper“242, dessen Kohärenz vom Immunsystem stets aufs neue hergestellt werden muss. In diesem Sinne verdeutlicht Peter sagt die Uneinigkeit darüber, ob der Körper das Immunsystem, oder das Immunsystem den Körper herstellt: […] das heißt, daß während seiner Entwicklung ununterbrochen spezielle Zellen gebildet werden, in die der Mensch dann als Ganzes hineingeworfen wird, nein, umgekehrt, Zellen, die jeweils einen Antikörper an ihrer Oberfläche ausbilden, also noch mehr Zellen, immer mehr Zellen, oder?“ […] Mein Zellengitter bindet sich an meine Körperzellen, nein, umgekehrt, meine Körperzellen binden sich an das Zellengitter, nein, ganz anders: Es wird eine ganze Menge Zellengitter hergestellt, die sich jeweils nur in diesem einen Antikörper unterscheiden, der ich selber bin. (PS 223)

Das Immunsystem scheint hier unentscheidbar im Außen und gleichzeitig im Innen des Menschen zu liegen; im Horizont des Immundiskurses wendet der Text die Genese des Körpers paradox, wenn er sich nicht entscheiden kann, ob der Mensch in das Zellengitter geworfen wird oder eben dieses Zellengitter selbst ist. Hier wird das Unheimliche des Begriffs vom Immunsystem, wie Peter sagt ihn ausdeutet, offenbar. Werden in den Diskursen der Immunologie die Grenzen eines Organismus konstruiert,243 spielt Peter sagt in diesem Kontext nicht nur auf die Gefahren einer erfolgreichen Autoimmunisierung im Sinne der seelischen Panzerung des Menschen an, der alles ‚Fremde‘ ablehnt. Darüber hinaus setzt der Text diesem sein (postmodernes) Verständnis des Körpers entgegen, in welchem die Gegensätze zwischen fremd und eigen, organisch und technisch (in der Cyborg-Figur) zur Debatte gestellt werden und gibt dies nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Medialität des Körpers zu bedenken. An diesem Punkt stellt sich die Frage, was die Überblendung von Körper und Medium am Knotenpunkt des Immunsystems im Text herstellt. Die Relevanz der Immunsystem-Metapher ist für Jelineks unheimliche Deutung des Körpers offensichtlich, insofern sich seine Denaturalisierung als Ursprungslosigkeit zeigt. Der im Sinne Haraways gemachte und nicht geborene Körper (vgl. IV.5.3) ist auf vielfache Weise unheimlich. Einer permanenten Konstitutionsleistung unterworfen, bringt der Körper sich selbst stets aufs Neue hervor, definiert seine Grenzen permanent neu und steht in einem fließenden und interaktiven Verhältnis zu seiner Umgebung. Indem sich das Immunsystem an die Stelle der organischen Geburt des Menschen setzt, wird nicht nur der konstante Wandel des Selbst deutlich, darüber hinaus, und 241 „Was ihm durch Nachahmung widersteht und es, ihm gehorchend, bekämpft, ebenso wie das antike katéchon angesichts der Anomie.“ Vgl. Esposito 2004, S. 178. 242 Haraway 1995b, S. 182f. 243 Haraway 1995b, S. 170.

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dies ist in einem gesteigerten Maße unheimlich, basiert der Mensch dieser Logik folgend auf einem mechanisch handelnden System, das er gleichsam selbst ist. Des Weiteren überblendet Peter sagt die Diskurse des Immunsystems und des Medialen und knüpft damit an die Frage von Sybille Krämer an, was passieren würde, wenn wir den Körper als Medium verstünden. Krämer geht der Frage nach, „ob die Begrifflichkeiten ‚Körper‘ und ‚Körperlichkeit‘ einen Maßstab abgeben können für das, was ein Medium ist.“244 Mitchells Ansatz vom Leben der Bilder mit seiner These von der biokybernetischen Reproduzierbarkeit, die die rein technische ablöst, zeigt in diese Denkrichtung und stellt den Aspekt der Lebendigkeit als Selbsttätigkeit in den Vordergrund. Jelineks Texte zeugen von der Verlebendigung im Medium, wie Mitchell es treffend formuliert: „Heutzutage lautet der Leitspruch also nicht mehr: ‚Die Dinge fallen auseinander‘, sondern: ‚Die Dinge werden lebendig.‘“245 Diese Verlebendigung deutet Peter sagt im Hinblick auf die Bilderwelten (des Irakkriegs) poetisch aus. Dabei geht es nicht so sehr um eine Analogisierung von Mensch und Technik. Diese Sicht entlarvt bereits Bambiland mit seiner Parodie der rhetorischen Anthropomorphisierung der Waffe als „anthropomorphe[s] Bild von Technik.“246 Krämer macht im Gegensatz zu dieser anthropozentrischen Sicht die Fähigkeit der technischen und insbesondere digitalen Medien stark, künstliche Welten herzustellen, in denen wir wiederum „Erkenntnisse sammeln, Erfahrungen machen und Erlebnisse haben können, die uns ohne technische Instrumente nicht zur Verfügung stehen würden.“247 Der entscheidende Punkt ist hier im Hinblick auf das Unheimliche in Peter sagt die Möglichkeit zur Erfahrung in diesen Welten, denn diese schließt den Körper mit ein und macht die vielschichtige Interaktion von Mensch und technischem Medium deutlich. Wie bereits gesagt, fokussiert Peter sagt das Körperliche; sein Material (Haut, Leber, Auge, Penis) und seine Beschaffenheit (hart, flüssig, weich), wie auch seine Fähigkeit und Unfähigkeit zur Erfahrung und emotionalen Reaktion. Schon dieser Fokus auf das Körperliche kann als Anzeichen dafür gelesen werden, dass der Text der gängigen These von der Immaterialisierung durch die moderne Informationstechnologie entgegensteht. Peter sagt betont den Unterschied zwischen Datenkörper und Leib und wendet sich so gegen die allgegenwärtige „Rhetorik einer Verabschiedung des Körperlichen oder seiner technischen Exteriorisierung in die digita-

244 Krämer setzt hier eine neue Forschungsrichtung an, deren Feld zu erschließen bleibt. Vgl. Sybille Krämer: Medien – Körper – Performance. Zwischen Person und ‚persona‘ – ein Gespräch, in: Leecker 2001, S. 471-479, hier S. 475. 245 Mitchell 2008, S. 133. 246 Krämer 2001, S. 474. 247 Ebd.

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len Welten“.248 Der Text akzentuiert das Leibliche zur Unterscheidung zwischen ‚realen‘ Erfahrungen und medial vermittelten Ereignissen. Als Variation zur oben bereits zitierten Passage (vgl. PS S. 140, S. 336 der vorliegenden Arbeit): Ich fühle direkt, ich fühle alle Arten von Grausamkeit direkt am eigenen Leib, ohne sie je spüren zu müssen. Es ist grauenhaft, sich das Grauen vorstellen zu müssen. Ja, das geht wirklich bis ins Körperliche hinein, echt, aber zum Glück doch nicht echt. (PS 142)

Auch in Anspielung auf die Unterscheidung der Begriffe ‚Leib‘ und ‚Körper‘249 macht der Text hier den Unterschied zwischen dem unmittelbar am eigenen Leib erfahrenen Schmerz und dem (im Medium vermittelten) Leiden Anderer deutlich. Darüber hinaus betont der Text in der oben bereits zitierten Passage von der zitternden Hand, die das Foto hält (vgl. PS 157, S. 306 der vorliegenden Arbeit), die Körperlichkeit der Reaktion auf das medial abgebildete Leiden Anderer, und macht so die körperliche Reaktion auf das Medienereignis zum eigentlichen Ereignis.250 So thematisiert Peter sagt zunächst einmal die Involvierung des Körpers trotz und in der medial vermittelten Welt. Darüber hinaus inszeniert der Text im Zusammenhang mit dem Immunsystem eine Kommunikation der Ansteckung, wodurch der Kommunikationsprozess insgesamt in der Metaphorik somatischer Vorgänge betont wird. Die Bilder vom Irak-

248 Krämer argumentiert anhand von „Phobien, die in unserem Soma verkörpert sind, wie etwa Höhen- oder Platzangst, und deren Erleben durch und durch vegetativ abläuft als Herzklopfen, Angstzustände und Schwitzen“, die jedoch „durch virtuelle Installationen nicht nur ausgelöst, sondern dort zugleich auch therapiert werden“ können. Das Entscheidende sei „dabei offensichtlich die Übertragung der Bewegung des wirklichen Körpers auf den Datenkörper […]. Der physische Leib bleibt dabei die Bedingung der Möglichkeit, daß der virtuelle Körper agieren kann.“ Vgl. Krämer 2001, S. 471f. 249 Die Unterscheidung von Körper und Leib ist hier im Hinblick auf die Thematik der Unmittelbarkeit von Erfahrung im Medien-Kontext insofern interessant, als sie die Frage nach der Innerlichkeit bzw. Äußerlichkeit des Leibes bzw. des Körpers aus der Perspektive des Selbst mit sich bringt. „Körper haben oder Leib sein – diese bekannte Gegenüberstellung der philosophischen Anthropologie unterscheidet nicht nur Körper und Leib, sondern auch Haben und Sein.“ Dass der Leib etymologisch mit dem Leben und der Körper mit dem Leichnam zusammenhängt ist hier im Zusammenhang des Unheimlichen außerdem von Bedeutung. Vgl. Thomas Fuchs: Körper haben oder Leib sein, in: Scheidewege - Jahresschrift für skeptisches Denken, hrsg. von der Max HimmelheberStiftung, 41 (2011/2012), S. 122-137, hier S. 122. 250 Dabei tritt die Haut als Oberfläche des Körpers, wie auch des Fotos mehr als Schaltstelle und Übertragungsmedium in Erscheinung denn als „Demarkationslinie […] zwischen einem biologischen Innen und einem technisch und kulturell geformten Außen […].“ Vgl. Krämer 2001, S. 475.

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krieg treten als Viren in Erscheinung, die nicht nur den medialen Akteur infizieren, sondern auch ihr Medium der Verbreitung, den Computer und das Internet. So geht der Text nicht nur den Auswirkungen medialer Darstellungen auf den Körper nach – das Zittern der Hand als körperlicher Affekt –, sondern inszeniert, insbesondere im Spiel mit dem pharmakologischen Diskurs von der Ansteckung, das Medium selbst als Körper; deutlich wird darin auch noch einmal die Umkehrung: der Körper als Medium. An zwei Textpassagen soll im Folgenden gezeigt werden, wie Peter sagt diese zirkuläre Kommunikation via Internet nach der Funktionsweise des Virus inszeniert: […] Sie kommen hier nicht mehr weg! Dafür komme ich mir abhanden. Nur haben Sie nicht mehr viel davon, von diesem spannenden Urlaub, weil Sie sich jetzt den Darm infiziert haben, sie haben eine Infektion, aber man kann schließlich nicht alles haben. Wofür haben Sie eigentlich Ihr Immunsystem? Ich habe Ihnen doch gesagt, sie sollen es einsetzen! Aber richtig! Jetzt haben Sie es: Zweitausend Fotos und eine recht unangenehme Infektion. Aber wer Fotos anschaut, der ist hilflos, er weiß nicht, was er mit seinen Händen machen soll. Aber auch für die gibt’s noch Abnehmer. (PS 173)

Mit der Perspektive auf das Mediale wird deutlich, dass der Text hier zunächst auf die unmögliche Möglichkeit verweist, im technischen Medium zu ‚reisen‘. So lässt sich die paradoxe Rede davon deuten, nicht mehr weg zu kommen, sich abhanden zu kommen und schließlich nichts mehr vom Urlaub zu haben, aufgrund einer Infektion, die auf das Anschauen von Fotos zurückgeführt wird. Auf virtuellen Reisen vor dem heimischen Computer kann sich der Mensch schließlich keinen Krankheitserreger im traditionellen Verständnis einhandeln. Die Gefahren sind hier anders gelagert. Indem Peter sagt das Betrachten von Bildern mit der Ansteckung durch ein Virus parallelisiert, spielt der Text wieder auf die Figur des phármakons an, das je nach Dosis im Horizont der Immunisierung als Gift oder als Heilmittel wirkt;251 so scheint es die reine Quantität der zweitausend Fotos zu sein, die den Betrachter erkranken lassen. (Der Logik des phármakons folgend hätte eine geringere Dosis im Sinne von Heilmittel hingegen zu seiner Immunisierung beigetragen.) An anderer Stelle führt der Text anhand der pharmakologischen Nomenklatur auf höchst zynische Weise den Computer mit dem Menschen eng. Peter sagt greift hier die anthropomorphisierende Rhetorik im Informatikdiskurs auf und nimmt sie wörtlich, wenn der Mensch als ‚User‘ zum Virus für den Computer wird:

251 „Das Heilmittel des Übels besteht darin, es in Formen und Dosierungen einzunehmen, die so beschaffen sind, daß sie endgültig dagegen immunisieren“, schreibt Esposito in Referenz auf Paracelsus, Vgl. Esposito 2004, S. 176.

352 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN Was, Sie können es ohne eigene Regierung, ich meine Regung mitansehen, wie dieser liebe Server jetzt unter Ihrem Wüsten-Sturm zusammengekracht ist? Und obwohl der Server bereits unter all den Fettspritzern aus Menschenfleisch zusammengebrochen ist, rennen Sie immer noch daher, um den langsam Geköpften zu sehen, in diesem Augenblick crasht jetzt auch meine Einbildungskraft. [...] Tut mir so leid, der Server hat auch seine Immunopillen nicht eingenommen, ganze Städte sind eingenommen worden, aber dieser Server war dem Ansturm von Ihnen, lieber User, Sie ausbeuterischer Bazillenschwarm, nicht gewachsen, er hat sein Medikament gegen uns nicht eingenommen und ist daher eingegangen, ganz von selber. (PS 143)

Im Zusammenlesen beider Passagen lässt sich das Unheimliche der Perspektive des Textes auf die Medien im Horizont des Diskurses von Immunsystem und Ansteckung festmachen. Während die erste Passage die Infizierung des Betrachters durch das Bild inszeniert, ist es in der zweiten Passage umgekehrt der Betrachter, der das Medium infiziert; der Text spielt hier auf die virale Verbreitung der Enthauptungsvideos im Zusammenhang des Irakkriegs an, vornehmlich das des Amerikaners Nicholas Berg.252 Wird im ersten Zitat die Belebtheit des Menschen im Sinne seiner Autonomie unterschritten, ist es im zweiten die Dinghaftigkeit und Unbelebtheit des Computers, die überschritten wird. Damit ist das Feld des Unheimlichen umfasst, wie es der Text im Horizont der Medien abschreitet. Die Reichweite dieses Zusammenhangs wird im Kontext des Diskurses vom Bild und vom Blick als Hauptangelpunkte des Textes im Zusammenhang des Mediums Computer samt seiner digitalen Bilderwelten deutlich. Nicht erst im Kontext der lebendigen Bilder, die sich an den Betrachter „klammern“, wurde die Fokussierung des passiven Status‘ des Bildbetrachters in Peter sagt quasi als Kehrseite der zunehmenden Belebung des Bildes in der vorliegenden Untersuchung dargelegt; die direkten Adressierungen des Textes konnten in diesem Sinne bereits als Umkehrung des Blicks plausibel gemacht werden (vgl. IV.2.2 und V.2.2) und auch im Zusammenhang der Verflüssigung durch den medialen Ausnahmezustand wurde bereits auf den ‚Rückkoppelungseffekt‘ des Blicks aufmerksam gemacht (vgl. V.2.3.2). Versucht der Text also in den unterschiedlichsten Kontexten das klassische Übertragungsmodell von Sender und Empfänger zu unterlaufen, so spitzt er mit seiner Rhetorik von der Ansteckung seine Kritik an dem traditionellen Verständnis von aktivem Produzenten auf der einen Seite und bloß passivem Rezipienten auf der anderen Seite noch einmal zu und reflektiert und the-

252 Zu den spezifischen Authentizitätseffekten von Enthauptungsvideos im Allgemeinen und dem von Nicholas Berg im Besonderen vgl. Jörg Lehmann: Schwellenkunde. Enthauptungsvideos als Konsumgut, in: Martin Löffelholz (Hg.): Krieg als Medienereignis II: Krisenkommunikation im 21. Jahrhundert, Wiesbaden 2004, S. 306-323. Zu Bergs Enthauptung vgl. insbesondere S. 317ff.

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oretisiert auch die eigene Schreibpraxis der Ersetzung des klassisch Dialogischen durch eine zirkulierende, selbsttätige Form der Kommunikation. Offensichtlich referiert Peter sagt hier auf eine Reihe bildwissenschaftlicher und medientheoretischer Ansätze, die versuchen, die Figur der Ansteckung nicht nur für „Fragen nach Bedeutungsbildung, -zuschreibung und -übertragung“ fruchtbar zu machen, sondern Ansteckung ebenso als Metapher zur Beschreibung von „Transfigurationen des Körpers“253 zu nutzen, wie bereits im Hinblick auf Donna Haraways Thesen zum postmodernen Körper erläutert. Die Radikalität des Ansteckungsmodells liegt darin begründet, dass es die „unfreiwillige Körperlichkeit ästhetischer Aneignungsprozesse“254 (kursiv im Original) zu fassen sucht. Die in der ersten oben zitierten Textpassage konstatierte Hilflosigkeit desjenigen, der Fotos betrachtet, spielt auf den Aspekt der „Widerfahrnis“255 in der Rezeption an, sobald man diese unter dem Aspekt der Ansteckung versteht; über die Somatizität wird das Unbewusste in der Bildbetrachtung betont, die Beeinflussung schleicht sich unbemerkt und unsichtbar quasi am bewussten Blick vorbei und nistet sich im Körper ein – dass der Text ausgerechnet auf eine Darminfektion abhebt ist im Hinblick auf das Abjekte, wie auch auf den übertragenen Sinn von Verdauen im Sinne psychischen Verarbeitens als besondere Pointe zu verstehen, mit der die virale Logik ins Groteske gekehrt wird. Indem Peter sagt also die Kommunikation via Computer mit dem Ansteckungsmodell beschreibt, greift der Text die „Zufälligkeit, die Unmittelbarkeit, die Plötzlichkeit auf, aber auch die innere Notwendigkeit, die Unvermeidlichkeit“,256 die hier in den Prozess mit hinein spielen: Wir haben nicht die Wahl, wir können uns nicht bewußt für oder gegen das ‚Angesteckt-‘, ‚Fasziniert-‘, ‚Berührt-Werden‘ entscheiden. Ansteckung im Sinne eines unvermittelten Affi-

253 Hier sind insbesondere Derridas Theorie des Parasiten zu nennen und Michel Serres, dessen „Ausführungen über das Semantische des Sprechens als ein Überschuß, der wie ein ‚Agent‘ der Irritation, Entzündung, Erhitzung wirken kann“, für das Unheimliche von besonderer Bedeutung ist, da er darüber hinaus „Ansteckung als Ereignis einer universellen Proliferation von Ideen, Informationen, Affekten und Sensationen [versteht], die geeignet ist, mit der Dingwelt zu verschmelzen.“Vgl. Mirjam Schaub/Nicola Suthor: Einleitung, in: Mirjam Schaub/Nicola Suthor/Erika Fischer-Lichte (Hg.): Ansteckung. Zur Körperlichkeit eines ästhetischen Prinzips, München 2005, S. 9-21, hier S. 11. 254 Vgl. Schaub/Suthor 2005, S. 9. 255 Kathrin Busch: Ansteckung und Widerfahrnis. Für eine Ästhetik des Pathischen, in: Kathrin Busch/Iris Därmann (Hg.): „pathos“. Konturen eines kulturwissenschaftlichen Grundbegriffs, Bielefeld 2007, S. 51-74, hier S. 51. 256 Vgl. Schaub/Suthor 2005, S. 9.

354 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN ziert-Werdens findet statt (oder auch nicht statt), gehört mithin in die Ordnung von Ereignissen, die immer auch akzidentellen Charakter haben.

257

Was der Text hier somit inszeniert ist die ohnmächtige Position des Mediennutzers. Die zweite oben zitierte Passage verdeutlicht dann die „weiterverbreitende Bewegung“258 des Ansteckungsprinzips, wenn hier nun der mediale Akteur als Bazillenschwarm den Computer infiziert. Infektionskrankheiten zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich nicht nur unsichtbar, sondern auch selbsttätig und unkontrolliert ausbreiten. Das Virus befällt den Körper, verändert ihn und nimmt ihn in der Folge als Vermehrungs- und Ausgangsort, um von dort aus wiederum auf weitere Körper überzugehen.259 Von Interesse ist im Kontext des Unheimlichen insbesondere die Grenzen verschiebende und auflösende Kraft des Virus; im Hinblick auf die Frage nach dem Verhältnis von Medium, medialem Akteur und dem zu vermittelnden Inhalt verdeutlicht das Ansteckungsmodell die Unmöglichkeit der definiten Abgrenzung und Bestimmung. Aus der Perspektive des Virus werden in Peter sagt der Körper des Betrachters wie auch der Computer gleichermaßen als Wirt des Virus und Ausgangsort seiner Weiterverbreitung inszeniert. Gleichzeitig zeigt sich, dass der mediale Akteur mehr als nur Wirt ist, wenn er selbst zum Bazillenschwarm wird. McLuhans Diktum vom Boten, der selbst seine Botschaft ist, tritt in der viral verstandenen Kommunikation in Kraft: Die Botschaft zeitigt sich als Wirkung auf den Körper bzw. das Medium; den Inhalt der Botschaft markiert Peter sagt als ihre den Körper transformierenden Kraft. In diesem Zusammenhang ist die besondere Form der Medialität des Computers von Bedeutung. Denn, nicht zufällig bedient sich der Informatikdiskurs pharmakologischer Rhetoriken, und nicht zufällig greift Jelinek das Modell der Ansteckung ausgerechnet in Peter sagt auf, dem Text, der sich dem Medium Computer widmet – und nicht wie Bambiland dem Fernseher. Im Hinblick auf das Unheimliche stellt der Computer eine Steigerung vorgängiger Medien dar. Er vereint gewissermaßen die Funktionen des Fernsehens und des Telefons, diejenigen Medien, die den Alltag

257 Ebd. 258 Schaub und Suthor geben diese Bewegung der Weiterverbreitung, Jacques Cheyronnaud zitierend, als „contact communicant“ zu denken. Vgl. Jacques Cheyronnaud: Introduction, in: Communications, Nr. 66, La Contagion. Numéro dirigé par Jacques Cheyronnaud, Philippe Roussin et Georges Vigarello, Paris 1998, S. 5. Zitiert nach Schaub/Suthor 2005, S. 9. 259 „Vom Standpunkt des infizierten Körpers kommen die Krankheitserreger von außen, überbrücken eine Distanz zwischen einem ‚Infektionsherd‘, dem sie entstammen, und dem zukünftigen ‚Wirt‘, der dann seinerseits in einen Infektionsherd verwandelt wird.“ Vgl. Krämer 2008, S. 139.

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der Menschen bis dato am stärksten beeinflussten, indem er die Abbildfunktion des Fernsehens mit der Interaktivität und Multidirektionalität des Telefons vereint.260 Dabei ist von Bedeutung, dass die Rechner selbst mit „Bildern wenig anfangen können“, wie Hartmut Winkler schreibt. „Bilder sind ein Modus der Ausgabe; der Rechner bleibt stehen und wartet auf die Beurteilung durch den Benutzer.“ 261 So sprechen wir von Fotos im Internet, jedoch unterliegen diese als digitale, rechnergestützte Bilder anderen Entstehungsbedingungen und anderer Beschaffenheit als analoge Fotos: Mit den entsprechenden Editorprogrammen lassen sich die Elemente, aus denen das digitale Bild besteht, wie die Buchstaben einer Schrift austauschen, verschieben und verändern. Bilder werden so zu flexibel redigierbaren Skripturen. Im digitalen Modus verliert das Bild sei262

nen ausgezeichneten Status als Abbildung von Wirklichkeit.

Darin liegt die herausragende Eigenschaft des Computers, dass er über seine Verkabelung via Internet die Fähigkeit besitzt, mit anderen Computern zu kommunizieren.263 Die Virtualität der Funktionsweise des Computers verbunden mit seiner Fähigkeit zur uneingeschränkten und instantanen Vernetzung mit anderen Computern ist Grund für die Viralität, die im Zuge des Computers und seines digitalen Zeitalters Einzug in die Rhetorik seiner Diskurse erhält. Baudrillard spricht von der Auflösung von „Sinn und Bedeutung der Kommunikation“ und betont dabei den Zusammenhang von Virtualität und Viralität: Jetzt taucht eine Viralität auf, die nicht mehr mit den großen Komplexen verbunden ist und gegen die wir gar keine Mittel besitzen, weil wir es nicht mehr mit demselben Feind zu tun

260 Sandbothe betont die Kommunikationssituation des Fernsehens als Einbahnstraße, „die Informationen bewegen sich unidrektional ausschließlich von der prgrammächtigen Institution der Sendeanstalt zum passiven Fernsehkonsumenten“ und setzt dem das Internet als „interaktives und multidirektionales Medium“ entgegen. „Jeder Empfänger ist ein potentieller Sender.“ Vgl. Sandbothe 1997, S. 66. 261 Winkler 2004, S. 206. 262 Mike Sandbothe: Interaktivität – Hypertextualität – Transversalität. Eine medien– philosophische Analyse des Internet, in: Stefan Münkler/Alexander Roesler (Hg.): Mythos Internet, Frankfurt/Main 1997, S. 56-82, hier S. 75. 263 In dieser Fähigkeit zur Kommunikation sieht Winkler die Eignung des Computers als Medium zu allererst hergestellt bzw. findet der Computer in seiner Kommunikationsfähigkeit seine letzte Bestätigung als Medium. Vgl. Winkler 2004, S. 204.

356 | KONFIGURATIONEN DES U NHEIMLICHEN haben. Früher war der Feind noch sichtbar, heute ist das nicht mehr so, weil die Prozesse sich 264

auf der Mikroebene abspielen, vor allem aber weil sie virtuell sind.

Auch wenn Baudrillards Aussage hier etwas allgemein bleibt, spricht sie den zunächst paradox anmutenden Zusammenhang von Virtualität und Viralität an, wie Peter sagt ihn für die Bilder im Internet herstellt. Dabei bezieht der Text den Zusammenhang deutlich auf das Internet, wenn es zunächst heißt: „[…] wir haben es, das schöne große Netz, und das ziehen wir voll mit Bildern ein, die ziehen wir uns rein […]“, sich dann jedoch flugs der Akteur der Szene verkehrt und es nun heißt: „[…] und das Netz zieht uns auch mit, das nimmt uns mit, ob wir wollen oder nicht […].“ und schließlich der Suchtcharakter des Bilderbetrachtens noch einmal betont wird: „[…] ich könnte nie, auch wenn ich wollte, ich könnte nie woanders hinschauen.“ (PS 146) So setzt Peter sagt ein Verständnis vom Leben der Bilder im Internet in Szene, das über die Einsicht in eine allgemeine Performanz des Bildes hinausgeht. Das Bewusstsein über das Fehlen eines „Ursprungstext[es]“265 der Bilder bringt die Einsicht in ihre „Eigendynamik“266 mit sich. Alexander Roesler schlägt diese als Alternative zur anthropomorphisierenden Perspektive vor […], um Medien zu begreifen – nicht mehr in Analogie zum Menschen, sondern von der je spezifischen Bewegung her ver267

stehen, könnte das Motto sein […].

Die unheimliche Konsequenz eines eigendynamischen Funktionierens von Medien stellt dabei die zunehmende Randständigkeit des Menschen dar.268 Peter sagt

264 Jean Baudrillard: Viralität und Virulenz. Im Gespräch mit Florian Rötzer, in: Florian Rötzer (Hg.): Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien, Frankfurt/Main 1996, S. 81-92, hier S. 84. 265 Sandbothe beschreibt die notwendige Eigenschaft des „Netz-Navigator[s] oder Cybernaut[s]“ […], sich in der rhizomatischen Flut von Hypertextlinks zurechtzufinden. Er weiß, daß es keinen Ursprungstext, kein ‚eigentliches‘ Dokument gibt, auf das alle anderen Dokumente zu beziehen wären. Er hat durchschaut, daß es im Netz in erster Linie darum geht, aus den vielfältigen und verstreuten Textbausteinen kleine Maschinen, kreative Textgestalten, sinnhafte Bilder zu formen. Die Seinsweise dieser Maschinen, Gestalten und Bilder, die vorher so nicht existiert haben und in Zukunft so nicht weiterexistieren werden, ist vom Typus des Übergangs.“ Vgl. Sandbothe 1997, S. 76. 266 Alexander Roesler: Anthropomorphisierung oder Eigendynamik? Probleme der Medientheorie am Beispiel von McLuhan und Flusser, in: Leecker 2001, S. 435-450, hier S. 435. 267 Ebd.

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formuliert dies wie folgt: „[...] wir sind Anhänger und Anhängsel der Bilder.“ (PS 166), wobei der Begriff Anhängsel sowohl die Randständigkeit des Bilderkonsumenten wie auch seine Ohnmacht als bildsüchtiger ‚User‘ auf den Punkt bringt. Der Text folgt mit dieser Inszenierung von medialer Kommunikation unter der Prämisse des Ansteckungsmodells Denkansätzen, die den Begriff der Automatismen als „Entwicklungsmodell“ stark machen, „das in Spannung zur bewussten Gestaltung und zu geplanten Prozessen steht.“269 Es wird deutlich, dass Peter sagt eine Perspektive auf das Medium Computer und seine netzbasierte Funktionsweise einnimmt, die über seine Qualitäten als ‚Rechner’ weit hinausgeht; das Internet mit seiner unüberschaubar verteilten Nutzeraktivität ist das Medium, in dem Prozesse stattfinden und Strukturen entstehen, die jenseits von Berechenbarkeit und bewusster Planung – „quasi im Rücken der Beteiligten“270 – operieren. Grundlegend für die Beschäftigung mit dem Gegenstand der ‚Automatismen‘ ist die Beobachtung, dass ein immer größerer Anteil der gesellschaftlich relevanten Strukturen dort entsteht, wo der Raum bewusster Planung endet. Dies gilt für technische Entwicklungen ebenso wie im Prozess allgemeiner kultureller Evolution. […] Allgemein scheinen alle diejenigen Erklärungsansätze in eine Krise geraten, die – top down – auf zentrale, verantwortlich handelnde Instanzen verweisen.

271

Die Zunahme solcher Prozesse zeichnet verantwortlich für die eingangs aufgegriffene These vom Unheimlichen als „Grundbefindlichkeit“272 in der Gegenwart (vgl. II.4) und Peter sagt greift diese auf, indem der Text die Eigendynamik im Horizont medialer Prozesse betont und ihr die zunehmend mechanische Handlungsweise des Menschen entgegensetzt. Der Irakkrieg stellt dabei im Hinblick auf die Kriegsberichterstattung eine mediale Zäsur dar, insofern die Berichterstattung zunehmend außer Kontrolle geriet bzw. aufgrund der Möglichkeiten des Mobilfunks und des World Wide Web in die Hände einer Vielzahl unterschiedlichster Akteure fiel, wie Zivilisten und Soldaten mit ihren Fotohandys auf der einen Seite und einer undefinierbaren Masse an Bildbetrachtern vor den Computerbildschirmen auf der anderen. Die Formulierung eines Journalisten der Frankfurter Rundschau bringt die Eigendynamik als Spezifikum

268 Winkler konstatiert diese zunehmende Randständigkeit des Menschen in den Ausführungen zu seiner These, dass die menschliche Kommunikation durch die Kommunikation von Maschinen ersetzt wird. Vgl. Winkler 2004, S. 205. 269 Hannelore Bublitz, Roman Marek, Christina L. Steinmann, Hartmut Winkler: Einleitung, in: dies. (Hg.): Automatismen, München 2010, S. 9-16, hier S. 9. 270 Bubltiz u.a. 2010, S. 9. 271 Bublitz u.a. 2010, S. 9. 272 Lutz 2006, S. 119.

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dieses Medienwandels auf den Punkt: „Der Fotograf wird nicht mehr gebraucht, um den Krieg zu fotografieren, der Krieg fotografiert sich mit der Hand der Soldaten gewissermaßen selbst.“273 Die virale Verbreitung und Wirkung der digitalen Bilder im Internet in der Konnotation von körperlicher Transformation, die Maschinisierung des medialen Akteurs und die Verlebendigung der Bilder im Netz, all diese im Kontext des Medialen in Peter sagt in Szene gesetzten Vorgänge funktionieren unter der Prämisse von Automatismen; damit inszeniert der Text sie als unheimliche bzw. betont das Unheimliche an ihnen, denn, so Hartmut Winkler: „Automatismen stehen in Spannung zum freien Willen, zu Kontrolle und Selbstkontrolle und zum Bewusstsein“274, wodurch sie wiederum geeignet scheinen, um die „Grenze zwischen dem Technisch-Maschinenhaften und der Sphäre des Lebendigen, Unbewussten zu irritieren und damit auch die Frage des Selbst in ein ‚Dazwischen‘ zu verorten.“275 Die Überblendung in Peter sagt von Medium und Körper, Computer und medialem Nutzer an der Schnittstelle der Netzmetaphorik zielt auf eben diesen paradoxen Zusammenhang von Organizität und Technik ab. Oliver Lerone Schultz, der herausarbeitet, dass McLuhan bereits das Ansteckungsmodell für seine Medientheorie fruchtbar machte, schreibt: All dies kann auch im Sinne einer ‚neuen Organizität’ bzw. der organischen Qualität der elektrischen Gesellschaft gesehen werden, die durch immer dichtere Felder der Wechselwirkung und eine ‚massenhafte Gleichzeitigkeit‘ gekennzeichnet ist (welche bei Walter Benjamin bereits als ‚Zerstreuung‘ angesprochen ist.) Strukturähnlich zur Realität des menschlichen Körpers, welcher sich gerade für die Medizin in seiner inneren Komplexität zeigt, stellt sich die industrialisierte, elektrifizierte und vernetzte Gesellschaft deutlicher als vorhergehende Gesellschaften in ihrem Wirkungsgefüge als ‚organische Einheit von ineinandergrei276

fenden Abläufen‘ dar.

Im Blickwinkel der Frage nach den Belebtheitsverhältnissen fokussiert Peter sagt die Nichtlinearität von Reaktionen im Medium Computer, deren Effekt in einer

273 Sebastian Moll: Amateure am Drücker, in: Frankfurter Rundschau v. 27.5.2005, zitiert nach Paul 2005, S. 187. 274 So lautet die erste von Hartmut Winkler formulierte These zum Thesenbaukasten zu Eigenschaften, Funktionsweisen und Funtionen von Automatismen, in: Bublitz u.a. 2010, S. 17-38, hier S. 17. 275 Winkler 2010, S. 18. 276 Oliver Lerone Schultz: McLuhan, Pasteur des Medienzeitalters. Kausalität als Ansteckung – Zur Diagnose der (elektrischen) Medienkultur, in: Schaub/Suthor/Fischer-Lichte 2005, S. 331-350, hier S. 335f. Darin zitiert: Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle. Understanding Media, Wien 1995, S. 523.

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Rückkoppelung auf die Ursache zurückwirkt. Über das Modell der Ansteckung und der biologistischen Rhetorik vom Immunsystem spielt der Text die Parallelisierung von Computer und lebenden Systemen facettenreich durch. Während sich selbst regulierende Prozesse für lebende Systeme gängig sind, zeitigen sie auf technische Geräte übertragen jedoch eine unheimliche Wirkung, auf die Peter sagt anspielt. Auch wenn mit dem Modell der Ansteckung, wie auch der Automatismen, der Mensch in einer zunehmend randständigen Position im Hinblick auf die Medien markiert wird und Peter sagt eben diesen Umstand in Szene setzt, so ist dies mitnichten als eine Entbindung des Menschen aus der Verantwortung als Mediennutzer zu verstehen. Es geht in Jelineks Texten zwar darum, den Aspekt der Widerfahrnis des Menschen im Zusammenhang mit Medien sichtbar zu machen, im Hinblick auf visuelle Medien seine passive „Primärerfahrung des ‚Angeblicktwerdens‘“277 offen zu legen. Freuds These vom Ich, das nicht Herr im eigenen Haus ist, erfährt im Hinblick auf die Medien eine Erweiterung, indem deutlich wird, dass das Ich „auch nicht Herr in der von ihm gestalteten – technischen und sozialen – Welt ist.“278 Peter sagt zeigt die Gefahr für den Rezipienten auf, das Medium als Spiegel der Wirklichkeit aufzufassen, während die Funktionsweise insbesondere des Computers weitestgehend eigendynamischen Prozessen unterliegt und damit letztlich unkontrollierbar und undurchsichtig bleibt. In diesem Gestus ist der Imperativ des Textes auszumachen, sich der Medialität und ihrer unabsehbaren Prozesse bewusst zu werden. Der entscheidende Faktor, den Peter sagt dabei auf den unterschiedlichsten Ebenen stark macht, ist der Mangel an Distanz. Mit der Rhetorik von der Ansteckung greift Peter sagt die Eigenschaft der technischen Medien auf, die Abstände zwischen den Kommunizierenden wie auch zwischen den vermittelten Ereignissen und dem Rezipienten aufzuheben. Ulrike Haß räsoniert: „Es gibt hier überhaupt kein Gegenüber, sondern nur ein Inmitten.“279 Die 277 Krämer verortet in eben diesem Aspekt des Angeblicktwerdens den „radikalen Impuls im Denken des Performativen, der darin besteht, menschliche Tätigkeiten (auch) in ihrer Geschehensdimension und ihrem Widerfahrnischarakter sichtbar zu machen.“ Sie schreibt weiter, und darin wird Jelineks Radikalität in Bezug auf ihr performatives Verständnis, wie bereits für die Figurenkonzeption ihrer Theatertexte, deutlich, und es zeigt sich noch einmal, dass Jelineks Programmatik, „die Sprache zum Sprechen zu bringen“ (Jelinek: Axt 1986, S. 229) auch für das Bild gilt: „Daher ist eine performative Betrachtung von Bildern genau dann eröffnet, wenn nicht das ‚Sehen‘, vielmehr das ‚Blicken‘ und zwar verstanden als – auch ‚passive‘ – Primärerfahrung des ‚Angeblicktwerdens‘ zum Ausgangspunkt unserer Bildbeziehung wird. Im Anschluss an Sartre bilden den Nukleus der Blickbeziehung Blickverhältnisse zwischen Menschen im Wechselspiel von Affekt und Berührung, Macht und Entmächtigung.“ Vgl. Krämer 2011, S. 82. 278 Hannelore Bublitz/Irina Kaldrack/Theo Röhle/Mirna Zeman: Einleitung, in: Dies.: Automatismen – Selbsttechnologien, München 2013, S. 9- 41, hier S. 20. 279 Haß 2010, S. 242.

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sprachliche Wendung der viralen Verbreitung von Bildern über das Internet ist Ausdruck für die mühelose Überbrückung von Distanzen, denn Ansteckung setzt Kontakt und Nähe voraus.280 Gleichsam ist sie Symptom eines Mangels an Abständen als grundlegende Voraussetzung für Bewusstheit und Reflexion. 2.3.5 Krise durch Ansteckung: Die Abstände, die in den Medien getilgt werden, im Theater wiederherstellen Die vorliegende Studie hat an unterschiedlichen Stellen herausgearbeitet, wie Bambiland und Babel ein Spiel mit den Abständen im Horizont des Medialen inszenieren. So wurde die Anfangsszene Bambilands als perspektivisches Spiel zwischen erhabener Sicht und involvierter Position des Inmitten gedeutet (vgl. IV.3.1), die permanente Adressierung eines Gegenübers in beiden Stücken konnte als rhetorische Figuration der im Irakkrieg eingesetzten Embedded Journalists kenntlich gemacht werden, deren kritisch-reflektierende Funktion durch ihre ‚Einbettung‘ in die Ereignisse untergraben wurde, die teichoskopischen Beschreibungen wurden als Doppelung der Strategie gedeutet, dem Zuschauer das Gefühl eines unvermittelten Dabeiseins im Hier und Jetzt des dargestellten Ereignisses zu vermitteln. (vgl. IV.3.3) Indem Jelinek in Peter sagt mediale Verständigung unter der Prämisse von Ansteckung inszeniert, bringt sie nun das Unheimliche einer Kommunikation auf den Punkt, die von einer zu großen Nähe geprägt ist, deren Vermittlung jede Distanz tilgt. Dabei verdeutlicht der Text nicht nur, dass jede Möglichkeit zur Reflektion in einer viral funktionierenden Kommunikation unmöglich gemacht wird, sondern inszeniert darüber hinaus die vielfache Verkehrung von Verhältnissen, die darin stattfindet; am unheimlichsten ist dabei diejenige der Belebtheitsverhältnisse. Als Gegenpol zu dem im Text thematisierten wie auch inszenierten Ansteckungsmodell von Kommunikation stellen Bambiland und Babel im steten Verweisen auf die Medialität den Abstand zu den Medien und ihrer Darstellungen wieder her, um sie zuallererst ansichtig werden zu lassen. Durch das permanente Hinweisen auf die Botenfigur und auf die Perspektivhaftigkeit und Vermitteltheit jeder Darstellung fokussieren die Texte Medialität auf eine Art und Weise, dass zunächst

280 Hieran schließen sich Paul Virilios Untersuchungen zur Dromologie an, die er mit seinem Essay Geschwindigkeit und Politik einleitete und in vielen folgenden weiterführte. Virilios Denkansätze sind äußerst fruchtbar für das Unheimliche, die immaterielle Transposition des Menschen von einem Ort an einen anderen hängt schließlich mit einer ungehemmten Beschleunigung zusammen; die Neubestimmung von Raum und Zeit ist elementarer Bestandteil der unheimlichen Grundbefindlichkeit in der (Post-)Moderne. Für das Unheimliche in Jelineks Texten, geht es jedoch primär um den Zustand der Umstellung des Menschen durch die Medien, weshalb Virilio hier nur kurz genannt werden soll. Vgl. Paul Virilio: Geschwindigkeit und Politik. Ein Essay zur Dromologie, Berlin 1980.

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ein Bruch im Darstellungsprozess hergestellt wird und darüber der Rezipient wiederum zur Reflexion herausgefordert wird. Das Bewusstsein über Medialität erscheint dabei als erste Voraussetzung, um aus dem Kreislauf der Selbstaffektation herauszutreten und einen Moment der Selbstreflexion zu ermöglichen. Dieser Moment der Sebstreflexion wiederum würde darin bestehen, sich über seine eigene unheimliche Position in Bezug auf Medien bewusst zu werden. Im Hinblick auf ein derartiges Medienverständnis, das der Text transportiert, wird die Ironie des Titels Babel deutlich. Der Text erteilt der positiven Vision von einer weltumspannenden Kommunikation, in der mit Hilfe des Internets die Welt zum ‚globalen Dorf‘ schrumpft und sich alle Menschen miteinander verbunden fühlen, auch im übertragenen Sinne dieselbe Sprache sprechen – die der Bilder – dieser Vision erteilt der Text eine deutliche Absage, indem er der angeblich neutralen Informationsübermittlung die Bildersucht des Betrachters als Ausgangspunkt zu Grunde legt. Die ‚Nähe‘, die das Internet herzustellen vermag, mündet in Peter sagt nicht etwa in einer Form tatsächlichen Kontakts zwischen den Menschen, sondern, wie bereits gesagt, im fehlenden Überblick aufgrund mangelnder Distanz. Jedoch lässt der Text schon mit der Auswahl der thematisierten Bilder und der Betonung des subversiven Potentials der viralen Kommunikation auch das Vermögen des Internets, herrschende Ordnungen zu unterwandern, nicht aus.281 So greift Peter sagt ausschließlich auf Bilder zurück, die jenseits der traditionellen Berichterstattung über das Internet Verbreitung fanden; mit den Folterbildern von Abu Ghraib oder denen der Lynchmorde in Falludscha handelt es sich um Bilder, die die Strategien der westlichen ‚Koalition der Willigen‘ unterwanderten. Es waren vornehmlich diese Bilder, die die Asymmetrie des Irakrieges zumindest auf der Ebene des Kriegs der Bilder aufhoben, indem sie den von Bush inszenierten Mythos vom ‚Krieg gegen das Böse‘ als unglaubwürdig entlarvten.282 Der Text setzt im Kontext 281 So ist wohl auch Jelineks Internet-Affinität nicht zufällig. Ein Großteil ihrer Texte ist auf ihrer Homepage frei einsehbar. Ihr Internetroman Neid schließlich trägt den ironischen Untertitel Privatroman. http://www.elfriedejelinek.com/, letzter Zugriff 19.05.2017. (Elfriede Jelinek Homepage, Rubrik Prosa) 282 Dass die US-amerikanischen PR-Strategen über die Bedeutung derartiger „Sekundärerzählungen“ im Vergleich zum klassischen Kriegsnarrativ mit dem Helden an der Erzählspitze durchaus bewusst waren, bezeugt beispielsweise die dramatisch inszenierte ‚Rettung‘ der Gefreiten Jessica Lynch, die darauf setzte, den ansonsten durch Bilder eines technisch dominierten Krieges eine menschliche Note zu geben. Vgl. Köppen 2005, S. 374f. Paul führt aus, dass mit den asymmetrischen Kriegen der Gegenwart die Gewaltbilder der militärisch unterlegenen Kriegspartei eine neue Qualität erhielten. „[…] in Echtzeit erreichen diese nun immer auch die Bevölkerung des Gegners und fordern ihn zum Handeln heraus. […] Vor allem das World Wide Web hat dem Irak-Krieg seinen Stempel aufgedrückt und nicht unwesentlich zur Niederlage der USA im Bilderkrieg beigetragen. Per Weblogs und mit Hilfe von unabhängigen Internet-Diensten konnten sich

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des Diskurses von viraler Kommunikation also auch auf den Fehler, der sich als Virus in das System einschließt und es verändert, hofft auf die „Festplatte […], ob sie nicht endlich krank geworden ist und mal was anderes leiert“ (PS 201). In dem Modell der Ansteckung, das eine Unberechenbarkeit mit sich bringt und die Irritation als Infizierung zu nutzen vermag, liegt auch ein selbstreflexiver Hinweis auf Peter sagt als Text, der für das Medium Theater konzipiert ist.283 Es spricht einiges dafür, dass der Begriff der Ansteckung für das Theater heute wichtiger wird als der von Aristoteles in die Theater- und Kunsttheorie eingeführte Begriff der Katharsis.284 Erika Fischer-Lichte beschreibt den Wandel des Begriffs, der mit der historischen Avantgarde die für das 19. Jahrhundert zentrale Kategorie der Einfühlung ablöste und insbesondere in den Schriften Antonin Artauds virulent ist. Ansteckung erscheint in diesem Kontext als ein höchst ambivalenter Begriff, der sich im Hinblick auf das Theater als eine Art „Kontra-Infektion“ versteht, die den bereits an einer anderen Krankheit leidenden Menschen befällt. Die Hauptübel macht Artaud dabei im Logozentrismus, Rationalismus und Individualismus aus, von denen das Theater, das ansteckend wirke wie die Pest, entweder heile oder aber den Tod bringe.285 Im Theater und der Performancekunst seit den 1960er-Jahren wurde der Fokus auf die Körperlichkeit der Darstellung wie auch der Erfahrung weiter intensiviert. Erika Fischer-Lichte fasst zusammen: Der Begriff der Ansteckung scheint also in besonderer Weise geeignet, das Spezifische ästhetischer Erfahrung, wie es für die Kunst der letzten vierzig Jahre und vor allem für Theater und Performance Kunst charakteristisch ist, zu erfassen und zu beschreiben, denn er zielt auf ästhetische Erfahrung einerseits als einen somatischen Vorgang und andererseits als eine Schwellenerfahrung. Der Zuschauer wird in ihr/durch sie in einen Zustand des ‚Zwischen‘ versetzt. Während der Begriff der Katharsis – wie immer er auch im Laufe seiner zweitausendjährigen Geschichte definiert wurde – auf Reinigung, Heilung, Wiederherstellung, eine restitutio in integrum zielt, meint der Begriff der Ansteckung einen Zwischenzustand, der

User erstmals weltweit jenseits der Kanäle der konventionellen Berichterstattung über die ‚anderen‘ Seiten des Krieges informieren und/oder ihre eigenen Sichtweisen ins Netz stellen.“ Vgl. Paul 2005, S. 217. 283 Die oben bereits zitierte Passage „Wie in alle biologischen Systeme können sich auch im Immunsystem nach und nach Fehler einschließen. Kann ich aus eigener Anschauung voll bestätigen: Der Fehler bin nämlich: ich.“ (PS 225) ist in diese Richtung deutbar, dass hier die Funktion des Textes als Fehler, der das System stören und infizieren soll, angesprochen wird. 284 Erika Fischer-Lichte: Zuschauen als Ansteckung, in: Schaub/Suthor/Fischer-Lichte 2005, 35-50, hier S. 50. 285 Ebd., S. 43.

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zwar auch zur Heilung führen kann, aber ebenso zu Verfall, Auflösung, Tod. Er intendiert die 286

Destabilisierung, die Krise.

Auch wenn Fischer-Lichte hier auf Inszenierungen und Performances abhebt,287 sind auch die Theatertexte von diesen Entwicklungen in der Aufführungskunst nicht unberührt geblieben,288 wie nicht nur im Hinblick auf Jelineks Texte ersichtlich. Postdramatische Theatertexte zeichnen sich ebenso durch ihren antimimetischen Gestus aus, sie sperren sich gegen ihre Inszenierung als Darstellung von Wirklichkeit; im Falle Jelineks, indem sie ihre Rede, wie auch ihre Figuren in ihrer Zitathaftigkeit, ihrem Authentizitätseffekt markieren und damit permanent auf ihre Medialität hinweisen. Eine kathartische Wirkung kann mit derartigen Texten, vollkommen unabhängig von ihrer Inszenierung, nicht erzielt werden. Jelineks Theatertexte zielen vielmehr mit Fischer-Lichte gesagt auf „Destabilisierung“ und „Krise“ seitens des Zuschauers ab. Im Hinblick auf Peter sagt geschieht dies insbesondere in Bezug auf das Bild in den elektronischen Medien. Der Text versucht sich als Kontra-Infektion (im Sinne des phármakons) gegen die Immunität der Menschen gegenüber dem abgebildeten Leid.289 Die Krankheit, an der die Menschen leiden, und gegen die Peter sagt im

286 Ebd., S. 49. 287 Fischer-Lichte zieht hier die Performance Imponderabilia (1977 in der Galleria Communale d’Arte Moderna in Bolgna) von Marina Abramovic und Ulay heran, in der diese nackt so voreinander im Türrahmen standen, sodass jeder, der den Raum betreten wollte, sie berühren musste. „Körperlichkeit und Liminalität traten hier als conditiones sine quibus non der ästhetischen Erfahrung hervor – einmal im unmittelbaren Erleben bei der Passage über die Schwelle, die nicht nur von den unterschiedlichsten Gefühlen begleitet wurde, sondern auch Entscheidungen verlangte, wen der beiden man berühren, ob man sie anblicken der den Blick niederschlagen wollte […]. Was der Begriff der Ansteckung intendiert, Körperlichkeit und Liminalität der ästhetischen Erfahrung, wurde in dieser Performance von Abramovic und Ulay zugleich vorgeführt, ausgestellt, gezeigt und vollzogen.“ Vgl. Ebd., S. 50. 288 Franziska Schößler verdeutlicht, dass nicht nur Regisseure, sondern auch Theatertexte auf die Medienrevolution reagieren, „indem sie ihre narrativen Strukturen im Sinne einer Postdramatik verändern, die die traditionsreichen Einheiten von Handlung, Charakter, Raum und Zeit aufkündigt.“ Franziska Schößler: Intermediale Verhandlungen: Theater und elektronische Medien, http://kgg.german.or.kr/kr/kzg/kzgtxt/kzgtxt106/106-01.pdf, S. 10, letzter Zugriff 13.06.2014, [erschienen in: Togilmunhak. Koreanische Zeitschrift für Germanistik/Han'guk Togo Tongmun Hakhoe. Seoul: Koreanische Ges. für Germanistik, vol. 106, 2008, S. 9-29.] 289 Kati Röttger beschreibt Bambilands ‚Bilder-Schlachten‘ im Sinne des Neologismus’ Iconoclash und hebt hervor, dass Bruno Latour im Kontext ikonoklastischer Vorgänge be-

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Sinne Artauds als Kontra-Infektion fungiert, ist also ihre Unempfindlichkeit gegenüber abgebildetem Leid, ihr voyeuristischer Blick, der ein reflektierendes Sehen verstellt. An dieser Stelle versucht der Text, das Moment der Krise einzubringen und eine destabilisierende Wirkung zu zeitigen. Sein Vorgehen liegt dabei darin, die Abstände, die in den neuen Medien zunehmend verloren gehen, wieder zu installieren. Dies geschieht nicht nur inhaltlich, wenn der Text vehement auf die Medialität und Vermitteltheit hinweist und so über das Bewusstsein der medialen Vermitteltheit die Distanz zum dargestellten Gegenstand verdeutlicht, sondern auch über die Struktur ihrer Texte bringt Jelinek über die Brüche Abstände ein. Wenn die Stimme der Autorin als Effekt von Authentizität vorgeführt wird, die Texte über ihre „hypertextuelle Verdichtung des Sprachlichen“ als rhizomatische Struktur die Funktionsweise der neuen Medien nachahmt,290 so simuliert Jelinek nicht einfach die Funktionsweisen eines Mediums in einem anderen, sondern übt im Medium Theater Kritik an den neuen Medien. Wie eingangs in der vorliegenden Arbeit mit Franziska Schößler formuliert, nutzt Jelinek das Medium Theater als „Reflexionsinstanz“291, um die Funktionsweisen der technischen Kommunikationsmedien freizulegen. Schößler nennt hier die Interaktivität als das utopische Potenzial und die Manipulation sowie die „Aufkündigung der face-à-face-Relation“292 als die Defizite der neuen Medien. Mit der Inszenierung der medialen Kommunikation unter der Ansteckungs-Prämisse greift Peter sagt das utopische Potenzial und die Defizite gleichermaßen auf. Dabei verdeutlicht der Text die Manipulation des Betrachters, der im Ansteckungsmodell die Funktion des Wirts übernimmt und vom Virus zu seinen Zwecken transformiert wird. Für das Unheimliche ist dieser Prozess auch deshalb von besonderem Interesse, da Organizität und Virtualität ineinandergreifen bzw. Peter sagt die Eigenschaft eines organischen Lebewesens in die Sphäre des Virtuellen überträgt und damit die Grenze zwischen beiden Bereichen unscharf werden lässt. Peter sagt ahmt den medialen Krieg der Bilder nach, indem der Text den Theaterzuschauer ebenso ins Dauerfeuer nimmt, den Blick von der Bühne zurückwirft und ihm damit seine eigene Funktion als Medium verdeutlicht. Im Bewusstsein darüber, nach dem Ansteckungsprinzip Träger des Bildes zu werden, das er sieht (Belting), liegt meines Erachtens die Verantwortung, die Peter sagt, wie auch Bambiland für den Zuschauer erfahrbar werden lässt. Beschreibbar ist sie letztlich in der tont, dass die Zerstörung von Ikonen stets die „unweigerliche Herstellung neuer Bilder impliziert.“ Vgl. Röttger 2009, S. 65. 290 Ganz abgesehen davon, dass das Fehlen jeglicher Figurenrede die Verkörperung des Textes durch den Schauspieler von vorneherein untergräbt und vielmehr der Schauspieler stets seinen Charakter als Medium ausweist. 291 Vgl. S. 7 der vorliegenden Arbeit, Fußnote 33. (Schößler 2008, S. 11.) 292 Ebd.

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Spannung zwischen Immunisierung durch die Bilder und Kontra-Infektion durch die Bewusstheit der Medialität, die die Einsicht in die Distanz zwischen Ereignis und Darstellung mit sich bringt. Im Hinblick auf das Unheimliche ist dabei vornehmlich die sich offenbarende Eigendynamik des Medialen von Bedeutung, die sich in dem Doppelcharakter performativer Prozesse äußert, „in denen Akte des Gestaltens, des Eingreifens und Manipulierens stets einhergehen und verbunden sind mit solchen des Sich-Einfügens, des Geschehenlassens und Erleidens.“293 Jelinek fordert ein Nachdenken über die Spielräume menschlicher agency insbesondere im gegenwärtigen technischen Medienzeitalter heraus und thematisiert deren Grenzen. In der Überblendung von Medialität und Performativität zeigen ihre Texte das Unheimliche der damit einhergehenden Verunsicherung der Belebtheitsverhältnisse auf. Darüber hinaus verdeutlichen ihre Texte als Theatertexte auf besondere Art und Weise den Erfahrungsverlust, der mit der zunehmenden Technisierung und Medialisierung unserer Welt einhergeht.294 Dabei nutzt der Text die Differenz zwischen Theater und Computer insbesondere hinsichtlich ihres analogen Charakters einerseits und des digitalen andererseits, um das oben ausgeführte Fehlen der Abstände in der Kommunikation via Computer auf der Bühne deutlich zu machen. Im Horizont neuer Medien scheint durchgängig Distanzlosigkeit zu herrschen. Das Theater, das sich mit dem Schauspieler eines organischen Mediums bedient, und über seine Grundsituation der leiblichen KoPräsenz von Schauspieler und Zuschauer die an die „Materialität der Sinne gebundene Erfahrung“295 restituiert, ist dazu privilegiert, von dem Verlust dieser Körperlichkeit der Erfahrung zu handeln und die fehlenden Abstände im medialen Prozess zu denken zu geben. Jelineks Theatertexte machen sich die körperliche Schwerfälligkeit, die Gebundenheit des Genres an die Materialität des Körpers zu Nutze, um die Zunahme des Phantasmatischen proportional zur Digitalisierung in ihrer unheimlichen Entgrenzung offenzulegen.

293 Vgl. Jost 2011, S. 97-114, hier S. 110. 294 Köppen umreißt den theoretisierenden Kontext dieses Erfahrungsverlust: „Bei Benjamin wird sie eingeklagt, bei Jünger heroisch restituiert, bei Adorno als unteilbare ästhetischer (sic!) Erfahrung beschrieben, bei Lyotard durch die Anspielung auf ein NichtDarstellbares ersetzt, um schließlich bei Baudrillard und Virilio endgültig verabschiedet zu werden.“ Vgl. Köppen 2005, S. 372. 295 Köppen beschreibt Mediengeschichte „von der Telegraphie bis zur satellitengestützen Datenübertragung. Es ist ein Prozeß der Beschleunigung, in dem nicht nur Räume verschwinden, sondern auch eine an die Materialität der Sinne gebundene Erfahrung.“ Köppen 2005, S. 372.

VI. Fazit und Ausblick

Eingangs wurde der Anspruch für die vorliegende Arbeit formuliert, nicht nur Elfriede Jelineks Texte im Hinblick auf das Unheimliche zu untersuchen, sondern darüber hinaus bzw. mit dieser Untersuchung auch einen Beitrag zur Erforschung des Unheimlichen zu leisten. Auch wenn Jelinek sich nicht explizit auf den Begriff des Unheimlichen bezieht, sind ihre Texte von zentralen Topoi des Unheimlichen durchzogen. Dabei sind es nicht nur die untoten Figuren, sondern insbesondere die unterschiedlichen Auslotungen von Medialität, die im Kontext des Unheimlichen relevant werden. Die beiden Theatertexte Bambiland und Babel fokussieren das Medium Fernsehen einerseits und den Computer mit seinen Kommunikationswegen über das Internet andererseits und betonen dabei die Prozesse des jeweiligen Mediums, die traditionellen Zuschreibungen von Belebtheitsverhältnissen zu verunsichern. Die Stücke sind im Zusammenhang des zweiten Irakkrieges entstanden und handeln von der Berichterstattung über diesen. Dabei steht die Kommunikation über den Irakkrieg exemplarisch für das Unheimliche der Funktionsweise von technischen Kommunikationsmedien, ein Eigenleben zu entwickeln. Wenn Jelinek in Babel die Verbreitung der Folterbilder aus dem irakischen Gefängnis von Abu Ghraib als wortwörtliche Belebung der Bilder im Medium Internet inszeniert, weist dies über den Kontext des Irakkrieges hinaus. Ebenso könnte hier von anderen Bildern die Rede sein, solange sie nur einen entsprechenden Sensationswert besitzen, der zu ihrer quasi eigenständigen, viralen Verbreitung führt. Der signifikante Faktor für das Unheimliche liegt dabei in der Belebung der Bilder, die in den Medien stattfindet. Jelineks Texte fokussieren also das Unheimliche insbesondere technischer Medien und stehen damit im Zusammenhang aktueller Denkansätze, die das Unheimliche seit den traumatischen Ereignissen von 9/11 in den Medien verorten. Auf eine bis zu diesem Zeitpunkt einmalige Weise verdeutlichten die Selbstmordattentate und der Einsturz des World Trade Centers das Ineinandergreifen von Medium und Ereignis. Das Geschehen wurde nicht lediglich durch die Medien übertragen, sondern vielmehr für und von diesen inszeniert. Die anschließende Verbreitung der

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Bilder und Videos vom Einsturz des WTC’s übers Internet passierte durchweg unkontrollierbar und quasi selbsttätig und ist nicht vom Ereignis selbst zu trennen. Diese Eigendynamik des Medialen wird in Bambiland und Babel figuriert. Damit bringen die Texte ein Verständnis von Medialität unter der Prämisse von Performativität zum Ausdruck bzw. radikalisieren es. Die paradoxe Grundstruktur von Medien, das zuallererst (performativ) hervorzubringen, was sie abbilden, begründet schließlich das Unheimliche an ihnen. In der Darstellung entzieht sich das Ereignis als Präsentes und wird zum Repräsentierten. Medien sind insofern „Instrumente[n] des Unheimlichen“1, da sie als Vermittlungsinstanzen diesen Entzug der Präsenz begründen, gleichsam sich im Darstellungsprozess vergessen machen und die Darstellung illusionär mit dem Dargestellten gleichsetzen. So erhält die mediale Darstellung einen phantasmatischen Bezug, der unheimlich ist. Diesen phantasmatischen Aspekt des Medialen exponieren Jelineks Texte und betonen die damit einhergehende Verkehrung der Belebtheitsverhältnisse. Um das Unheimliche am Medialen hervorzukehren, nutzen Jelineks Stücke ihre Spezifität als Theatertexte. Als diese sind sie im weitesten Sinne zur Verlautbarung auf einer Bühne durch den Schauspieler als Medium der Rede geschrieben und können die Prozesse des Medialen auf besondere Weise veranschaulichen. In diesem Sinne ist Jelineks antitheatraler Gestus nicht als Absage an das Theater zu verstehen, – schließlich hat sie in den letzten 15 Jahren neben ihrem umfassenden Essay-Werk vornehmlich Theatertexte geschrieben – sondern vielmehr als ein Reflektieren und Exponieren seiner medialen Voraussetzungen. Und dies ist ohne Zweifel im Zusammenhang des tiefgreifenden medialen Wandels zu verstehen, der mit dem Bedeutungsgewinn des Fernsehens einsetzte und sich im gegenwärtigen Siegeszug von Internet und multimedialer Kommunikation fortführt. Die Figuren in Jelineks Texten stellen sich selbst folgerichtig als Medienfiguren aus, sie sind keine konsistenten dramatis personae mit plausibler Psychologie und einem Körper aus Fleisch und Blut im dreidimensionalen Raum. Jelinek erprobt an ihnen eine Neuparametisierung, die auf ihren medialen Ursprung hinweist; sie sind als reine Effekte exponiert, als Oberflächenkonstruktionen, denen jede Tiefe, jede organisch-authentische Belebtheit abgeht. Das verflachte Formprinzip ihrer Texte bezieht sich sowohl auf den Körper als auch auf die Sprache der Figuren bzw. wird anhand dieser Parameter die Verflachung der Figur vorangetrieben. In dem frühen Stück Krankheit oder Moderne Frauen ist noch Figurenrede vorhanden, jedoch gleichsam nur, um deren Auflösungsprozess sprachgewaltig ansichtig werden zu lassen. Das Stück stellt den Körper in seinem Prozess der Verflüssigung ins Zentrum. Jelinek parodiert hier die rhetorische Herstellung des weiblichen Körpers als Gebärmaschine einerseits, sowie des männlichen Körpers als gestählte Sportmaschine andererseits. Dieser Ma1

Bormann 2001, S. 417.

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schinenhaftigkeit der Körper wird im Text die innerliche Verflüssigung entgegengesetzt, die mit dem theoretischen Konzept des Abjekten korrespondiert. Die Kategorie des Abjekten stellt dabei eine produktive Erweiterung des Unheimlichen dar. Sie nimmt den im Unheimlichen virulenten Todestrieb wörtlich und buchstabiert ihn ins Körperliche. So steht das Abjekte im Horizont des Unheimlichen für die lockende wie auch drohende Symbiose mit dem mütterlichen Körper, für die Rückkehr in den Mutterschoß. Die damit einhergehende Verunsicherung der körperlichen Grenzen figuriert Jelinek in Krankheit oder Moderne Frauen im Auftreten des Doppelgeschöpfs am Ende des Stücks. Die beiden weiblichen Figuren, als Untote und Vampirinnen ohnehin unheimliche Grenzgängerinnen zwischen Leben und Tod, treten als „siamesiche[r] Zwilling Emily/Carmilla, in ein gemeinsames Kostüm eingenäht“ (KM 261) auf und besiegeln damit eine körperliche Unentschlossenheit der Materie, die als gestaltlose, abjekte Masse ihre Grenzen stets zu überschreiten, und ihre Umgebung zu vereinnahmen droht. In Krankheit oder Moderne Frauen geht es mit dem Fokus auf den Körper und seine Grenzen vornehmlich um die Dekonstruktion der Geschlechterzuordnungen, die der Text über die weibliche Chiffre des Gebärens und die männliche Chiffre des Sports verhandelt. Mit dem 1988 erschienenen Stück Wolken.Heim. verschiebt sich der Schwerpunkt vom Körper auf die Sprache. Nicht nur gibt es hier keine Figurenrede mehr, darüber hinaus entwickelt die Sprache ein Eigenleben und tritt als eigentlicher Akteur in den Vordergrund. In fließenden Assoziationsketten gleitet sie von Wort zu Wort und entwirft so ein Gegenmodell zur symbolisierenden Zeichenpraxis. Jelineks Sprache funktioniert nicht mehr in der räumlichen Tiefe symbolischer Bedeutung, sondern wird als Oberflächenkonstrukt beobachtbar. In ihrem spezifischen intertextuellen Verfahren, Fremdtexte stets unausgewiesen und mit mal gravierenden, mal nur leichten Variationen und Veränderungen zu zitieren, wird darüber hinaus das Eigenleben der Sprache als Nachleben exponiert. Der Prozess des Zitierens wird in seinem doppelten Charakter von Mortifikation und Neubelebung ausgestellt. Im Horizont des Unheimlichen wird deutlich, dass Jelineks Formprinzip der Oberfläche an ein thanatologisches Streben geknüpft ist. Je lebendiger die Textflächen in ihrer begehrlichen Selbstbewegung auftreten, desto mehr scheint der Sprecher im Text an Leben zu verlieren. So verdeckt die eigendynamisch funktionierende Sprache ihren Sprecher mehr als ihn zu figurieren und die flüssig-verflachten Körper enden in symbiotischer Verschlingung und negieren damit ebenso ein individuell-authentisches Leben der Figur. Bezüglich der Aufführungsebene ist Einar Schleefs Inszenierung von Jelineks Ein Sportstück als herausragendes Beispiel zu nennen. Schleef setzt das Unheimliche von Jelineks Poetik der Oberfläche in seinen chorischen Formationen szenisch um und macht es so für den Zuschauer erfahrbar. Anstatt das im Text angelegte Flächenprinzip der Rede aufzulösen und wieder in Figurenrede zurückzuübersetzen, bringt er es in seinen Chor-Anordnungen betont auf die Bühne. Die Stimme des

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Einzelnen geht in der Kollektivstimme des Chores auf, gleichzeitig wird die Musikalität der Sprache betont. In langen Passagen singen die Schauspieler den Text, skandieren ihn und lassen ihn dann wieder im Stimmengewirr völlig unverständlich werden. Damit exponiert Schleef das Unheimliche von Jelineks Sprache, die jenseits ihrer symbolischen Bedeutungsfunktion agiert. Als Klangteppich entwickelt sie eine Eigendynamik, die den Parametern Rhythmus und Melodie untersteht. Schleef greift das entgrenzende Moment dieser Sprache auf und überführt es in den kollektiven Chor-Körper auf der Bühne. Die Verhältnismäßigkeiten zwischen Sprecher, Text, Schauspieler, Rolle, Körper und Stimme sind vom Zuschauer kaum eindeutig zuzuordnen und so wird unsicher, wem hier die Handlungsmacht obliegt. Während die vorliegende Studie in Bezug auf die Stücke Krankheit oder Moderne Frauen, Wolken.Heim. und Ein Sportstück die Verflachung und Verflüssigung der Figur im Kontext des Medialen untersucht, ist für die Analyse von Bambiland und Babel ein umfassenderes Vorgehen geboten. Da sich die Texte explizit mit der Medienberichterstattung auseinandersetzen, liegt die besondere Relevanz der beiden Texte für das Unheimliche nahe. Formalästhetisch sind beide Stücke als Polyloge aufgebaut. In Bambiland sind es Stimmen der Botenfigur aus Aischylos’ Die Perser, die in abgewandelter Form zu Wort kommen und die mit Fernsehstimmen über den Irakkrieg konfrontiert werden. Des Weiteren treten Versatzstücke und Schlagworte von Nietzsche und Derrida im Text auf. Irm sagt und Margit sagt referieren auf Texte des Freud-Schülers Otto Gross und sind aus der untoten Mutterperspektive des Selbstmordattentäters Mohammed Attas geschrieben. Peter sagt macht die Folter-Fotos von Abu Ghraib und die Abbildungen der gelynchten Söldner in Falludscha, die in der Folge des Irakkrieges im Internet kursierten, zum Thema. Die Stimmen der auf diesen Fotos Abgebildeten werden hier mit dem Marsyas-Mythos überblendet, und es wird ein theoretischer Bezug zu Giorgio Agambens Begriff des Ausnahmezustandes und Walter Benjamins Kunstwerk-Aufsatz hergestellt. Diese Vielstimmigkeit ist im Text jedoch nicht als dialogische Struktur inszeniert, sondern weist vielmehr den Ort der Rede als Leerstelle aus und betont ihren phantasmatischen Bezug. Dieser tritt insbesondere in den direkten Adressierungen, die der Text wiederholt einsetzt, zu Tage, wenn ein nicht vorhandenes Gegenüber scheinbar antizipiert wird, jedoch auch dieses letztlich keine Gestalt annimmt. Was der Text hier im Scheitern ansichtig werden lässt, ist die Performativität der Rede. Indem sie keine Konsequenzen zeitigt, den Adressaten also nicht herzustellen vermag, wird sie als Mechanismus des Medialen beobachtbar. Diesen Zusammenhang zwischen Medialität und Performativität, der das Phantasmatische und Effekthafte des Medialen betont, greifen die Texte neben der strukturellen Ebene auch im Inhaltlichen auf. Bambiland kontrastiert das Medium Fernsehen mit der antiken Botenrede aus Die Perser und macht darüber die Verschleierungsmechanismen gegenwärtiger Medienpraktiken deutlich. Die teichoskopische Rede Bambilands doppelt die Berichterstattung über den Irakkrieg und ex-

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poniert die scheinbare Unmittelbarkeit als Entzug des Ereignisses. Die Suggestion der Embedded Journalists, den Fernsehzuschauer live und unmittelbar am Irakkrieg teilhaben zu lassen, wird in der Mauerschau, die das Geschehen ins Off der Bühne verschiebt, als Schein entlarvt. Ist das Ereignis dem Zuschauerblick entzogen, richtet sich der Fokus auf das Medium der Verlautbarung. Dieses wiederum entzieht sich, der Jelinekschen Figurenlogik entsprechend, jedoch ebenso dem Zugriff wie das Ereignis. In der Betonung ihrer Medialität entlarvt sich die Boten-Figur bzw. -Rede in Bambiland ebenfalls als Medieneffekt. So konfrontiert der Text den Rezipienten letztlich auf allen Ebenen mit dem Phantasmatischen des Medialen und macht darüber hinaus deutlich, dass es kein Außerhalb des Medialen gibt. Besonders eindrücklich zeigt Jelinek dies anhand der vielfachen Inszenierungen ihrer Person als Autorinnenfiktion. Die Suggestion einer authentischen Rede, in der die reale Stimme der Autorin zu Wort komme, lässt den Rezipienten schließlich nur umso deutlicher spüren, dass jede Unmittelbarkeit und Authentizität im Text medialer Effekt ist; auch die Stimme der Autorin kann nicht für den Text bürgen, auch sie erscheint als medial hergestellt. Ist das Unheimliche Bambilands vornehmlich darin zu verorten, diese selbsttätige Dynamik des medialen Darstellungsprozesses auf vielfache Weise ansichtig und erfahrbar zu machen, weist der Text des Weiteren darauf hin, dass diese Prozesse keineswegs in einem Machtvakuum stattfinden. In Rekurs auf ihren Essay In Mediengewittern und Nietzsches Theorem vom ‚Willen zur Macht‘ verweist Jelinek hier auf die „graue, grauenhafte Anwesenheit“ (IM) der Macht des Mediums Fernsehen und formuliert damit die Programmatik für Bambiland, diese Macht im Theater sichtbar werden zu lassen. In Peter sagt greift Jelinek die unheimliche Dynamik des medialen Darstellungsprozesses ebenfalls auf. Während sich Bambiland inhaltlich auf die Fernsehberichterstattung konzentriert, steht in dem dritten Monolog Babels nun der Computer und seine Verbreitungs- und Kommunikationsform über das Internet im Zentrum des Interesses. Die Verbreitung der Folterfotos aus dem irakischen Gefängnis in Abu Ghraib und der verkohlten Torsi amerikanischer Söldner inszeniert der Text als Verlebendigung des Bildes. In Rekurs auf Walter Benjamins Kunstwerk-Aufsatz spürt der Text dem Unheimlichen der Verlebendigung des Bildes nach und ist vor dem Hintergrund von Mitchells medienkritischer Diagnose zu verstehen, dass der Leitspruch heutzutage nicht mehr laute, dass die Dinge auseinanderfallen, sondern dass die Dinge lebendig werden.2 Ging Benjamin davon aus, dass die technische Reproduzierbarkeit eine unkontrollierbare Eigenbewegung des Kunstwerks nach sich ziehe, erweitert Mitchell Benjamins These mit Blick auf Neuerungen nicht nur in der Medientechnik, sondern auch anderen Feldern der Technik, wie auch in der Biologie, Medizin etc. und spricht von der biokybernetischen Reproduzierbarkeit. Die Insze-

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Vgl. Mitchell 2008, S. 133.

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nierung des lebendig gewordenen Bildes in Peter sagt ist in der vorliegenden Studie als Ausdruck von Mitchells These analysiert worden. Dem Leben der Bilder setzt der Text dabei ein Schwinden an Leben auf der Seite des Menschen entgegen. Erscheinen die Bilder hier als eigentliche Akteure des Geschehens, treten die Menschen in diesem Zusammenhang als zunehmend passiv in Erscheinung. Die Schnittstelle, an der diese Verkehrung der Belebtheitsverhältnisse stattfindet, ist das Medium; sowohl der Mensch als Träger des Bildes als auch der Computer. Im Medium findet die biokybernetische Reproduktion statt und mit dem Aspekt des Bios wie auch der Kybernetik ist das Unheimliche des medialen Prozesses, wie es im Text auftritt, benannt. In diesem Sinne erprobt Peter sagt anhand der Metapher des Immunsystems und einem Kommunikationsmodell, das nach dem Prinzip der Ansteckung funktioniert, ein Szenario, in dem das Medium als Körper aufgefasst wird. Im Hinblick auf das Unheimliche ist das Ansteckungsmodell insofern von großer Relevanz, weil es den Aspekt der Widerfahrnis in der Rezeption betont. Ansteckung geht unsichtbar und ungewollt von statten, sie versetzt den Rezipienten als Infizierten in einen passiven Modus. In Bezug auf Peter sagt bedeutet dies, dass der Betrachter von Bildern unvermittelt von diesen affiziert wird. Somit betont der Text mit dem Ansteckungsmodell den Aspekt der Widerfahrnis auf Seiten des Rezipienten im Gegensatz zum lebendig, viral agierenden Bild. Im Hinblick auf die Erklärung und Deutung von Rezeptionsprozessen wird das Ansteckungsmodell insbesondere für die Theatertheorie interessant. Ob die These von Erika Fischer-Lichte zutrifft, dass das Ansteckungsmodell heute für das Theater wichtiger sei als der Katharsis-Begriff, wird sich zeigen. In jedem Fall ist davon auszugehen, dass Jelineks Diskursivierung der Metapher vom Immunsystem und der Ansteckung in Peter sagt als Reaktion auf die sich wandelnden Voraussetzungen von Medialität einerseits und als selbstreflexiver Gestus auf ihre Texte andererseits zu verstehen ist. Die Medien waren von Beginn an Knoten- und Angriffspunkt von Jelineks Schaffen, und das Unheimliche dabei ein steter Bezugspunkt. Dabei spielen die Oberflächenauslotungen, die ihre Werke durchgehend charakterisieren, zwar auch in den aktuellen Stücken eine große Rolle, hinzu kommt hier jedoch eine schwerpunktmäßige Inszenierung und poetische Ausleuchtung von Medialität unter der Prämisse von Körperlichkeit. Inszeniert Peter sagt das Lebendig-Werden der Bilder anhand des Ansteckungsmodells im Kontext gegenwärtiger Medientechnologien und hebt darüber hinaus auf die wahrnehmungstheoretische Dimension im Theater ab, so liegt die Vermutung nahe, dass sich hier ein Formprinzip äußert, das auch in anderen Texten Jelineks Verwendung findet. Auch wenn dies weitere Untersuchungen voraussetzt, zeigt schon ein erster Blick beispielsweise auf Jelineks Theatertext zur Finanzkrise, Die Kontrakte des Kaufmanns, dass die rhetorische Verlebendigung des Geldes (verstanden als Medium), die darin wortreich formuliert wird, analog zum Leben der Bilder in Peter sagt funktioniert. Das Ansteckungsmodell scheint geeignet, um

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eine Poetologie von Jelineks Theatertexten zu beschreiben; schließlich funktioniert auch ihre Sprache nach diesem Modus. Und in Bezug auf das Unheimliche wird deutlich, dass insbesondere in den aktuellen Texten Jelineks die Belebung von per se Unbelebtem im Kontext von Medialität verstärkt im Fokus steht. Dieser ist dabei stets der Mensch und sein Verlust an Leben gegenübergestellt.

Anhang

S IGLENVERZEICHNIS Bambiland

B

Irm sagt

IS

Margit sagt

MS

Peter sagt

PS

Ein Sportstück

ES

In Mediengewittern

IM

Krankheit oder Moderne Frauen

KM

Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaften

N

Winterreise

W

Wolken.Heim.

WH

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Dank

Ich möchte an dieser Stelle allen danken, die auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichen Stadien zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben. Insbesondere danke ich Claudia Benthien, die meine Doktorarbeit mit stukturierendem Auge, kreativen Ideen und produktiver Kritik betreut hat und mir darüber hinaus immer wieder nicht nur mit motivierenden Worten, sondern auch steter Unterstützung in allen organisatorischen Belangen, die die Arbeit an einer Dissertation zuallererst ermöglichen, zur Seite stand. Als Zweitgutachterin hat mich Gabriele Dürbeck besonders in den Anfängen der Arbeit eng betreut und unterstützt. Allen Teilnehmenden des Forschungskolloquiums Literaturwissenschaft und Kulturtheorie danke ich für die kontinuierliche Begleitung und den fachlichen Austausch. Bei der Universität Hamburg möchte ich mich für die finanzielle Unterstützung in den Jahren 2009 bis 2012 ganz herzlich bedanken. Auch dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der meinen Aufenthalt am Elfriede Jelinek Forschungszentrum in Wien im Jahre 2009 ermöglichte, gilt mein Dank. Schließlich danke ich dem Elfriede Jelinek Forschungszentrum und seiner Leiterin Dr. Pia Janke und seinen damaligen Mitarbeitern Peter Clar und Christian Schenkermayr für die Ermöglichung meines Aufenthalts. Julia Freytag und auch Johanna Langmaack haben sich in vielen Gesprächen und in ausdauernder Lektüre intensiv mit meiner Arbeit auseinandergesetzt und mich inhaltlich wie auch freundschaftlich sehr unterstützt. Moira Mertens danke ich für ihre genaue Lektüre und ihre vielfachen Inspirationen, so auch Mathias Heimann, Michèle Rothenberg und Sabine Großkopf. Götz Zuber-Goos danke ich für die Gestaltung des Layouts der Druckvorlage. Meine Mutter Waltraud Hornmann war in ihrer Rolle als Oma und unermüdliche Korrekturleserin von unschätzbarem Wert. Auch meinem Vater Werner Günther danke ich für seine vielfache Unterstützung. Mein großer Dank gilt meiner Familie, Jan Günther, Carla Malina Günther und Jim Leonard Günther, die immer für mich da waren, viele Entbehrungen hinnehmen mussten und mich so vieles gelehrt haben.

Theater- und Tanzwissenschaft Gabriele Klein (Hg.)

Choreografischer Baukasten Das Buch 2015, 280 S., kart., zahlr. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3186-9 E-Book PDF: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3186-3

Susanne Quinten, Stephanie Schroedter (Hg.)

Tanzpraxis in der Forschung — Tanz als Forschungspraxis Choreographie, Improvisation, Exploration. Jahrbuch TanzForschung 2016 2016, 248 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3602-4 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation ISBN 978-3-8394-3602-8

Marion Leuthner

Performance als Lebensform Zur Verbindung von Theorie und Praxis in der Performance-Kunst. Linda Montano, Genesis P-Orridge und Stelarc 2016, 384 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3742-7 E-Book PDF: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3742-1

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Theater- und Tanzwissenschaft Milena Cairo, Moritz Hannemann, Ulrike Haß, Judith Schäfer (Hg.)

Episteme des Theaters Aktuelle Kontexte von Wissenschaft, Kunst und Öffentlichkeit (unter Mitarbeit von Sarah Wessels) 2016, 664 S., kart., zahlr. Abb. 39,99 € (DE), 978-3-8376-3603-1 E-Book PDF: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3603-5

Katharina Kelter, Timo Skrandies (Hg.)

Bewegungsmaterial Produktion und Materialität in Tanz und Performance 2016, 396 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 39,99 € (DE), 978-3-8376-3420-4 E-Book PDF: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3420-8

Tania Meyer

Gegenstimmbildung Strategien rassismuskritischer Theaterarbeit 2016, 414 S., kart., zahlr. Abb. 39,99 € (DE), 978-3-8376-3520-1 E-Book PDF: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3520-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de