Die Wirtschaft des Römischen Reiches (1.–3. Jahrhundert): Eine Einführung 9783050077215, 9783050034300

Die Erforschung der Wirtschaftsgeschichte des römischen Kaiserreiches ist seit nahezu hundert Jahren von der Kontroverse

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Die Wirtschaft des Römischen Reiches (1.–3. Jahrhundert): Eine Einführung
 9783050077215, 9783050034300

Table of contents :
I. Darstellung
1. Einführung
1.1 Die Wirtschaft der römischen Kaiserzeit in der modernen Deutung
1.2 Geographische und demographische Voraussetzungen
1.3 Politische Voraussetzungen
2. Staat und Wirtschaft
2.1 Gab es eine Wirtschaftspolitik?
2.2 Geld
2.3 Staatshaushalt
2.3.1 Staatliche und kaiserliche Einkünfte
2.3.2 Staatsausgaben
3. Die Landwirtschaft
3.1 Qualität der Bodenbewirtschaftung
3.2 Ertragslage
3.3 Bewässerungswirtschaft, Garten-, Öl- und Weinanbau
3.4 Reichsweiter Landesausbau
3.5 Organisation der Bodenbewirtschaftung
3.6 Subsistenzwirtschaft oder Marktorientierung?
3.7 Mißernten und Ressourcenmanagement
4. Handwerk
4.1 Produktionsformen
4.2 Juristischer Rahmen
4.3 Organisation der gewerblichen Produktion
4.4 Spezialisierung
4.5Ausbildung
5. Handel
5.1 Örtlicher Handel
5.2 Interregionaler Handel
5.3 Außen- und Fernhandel
5.3.1 Nordhandel
5.3.2 Osthandel
5.4 Landtransport
5.5 Fluß-/Seetransport
5.6 Zölle
6. Banken und sonstige Dienstleistungen
6.1 Banken
6.2 Unterhaltungsgewerbe
6.3 Prostitution
6.4 Bildungswesen
6.5 Ärzte
6.6 Juristen
7. Lebensstandard
7.1 Reichtum/Armut
7.2 Preise/Löhne
7.3 Lebenserwartung/Familienstruktur
7.4 Ernährung
8. Das dritte Jahrhundert
II. Materialteil
1. Staat und Wirtschaft
a) Geld
b) Steuern und Liturgien
c) Versorgung Roms und anderer Städte
d) Heer und Wirtschaft
e) Kaiser und Wirtschaft
f) Eingriffe des Staates
g) Weitere Ausgaben
h) Bergwerke und Steinbrüche
2. Landwirtschaft
a) Großgrundbesitz
b) Subsistenzwirtschaft
c) Landpacht
d) Arbeitskräfte
e) Technologie
3. Gewerbe
a) Kleingewerbe/Handwerk (alltäglicher Bedarf)
b) Massenproduktion
c) Kunstgewerbe
d) Ausbildung
e) Arbeitskräfte
f) Technologie
g) Kollegien
h) Verpachtung wirtschaftlich nutzbarer Räume
4. Handel
a) Örtlicher Handel
b) Interprovinzieller Handel
c) Außen- und Fernhandel
d) Transport
e) Zölle
5. Banken und Dienstleistungen
6. Lebensstandard
a) Reichtum
b) Armut
c) Löhne und Preise
d) Lebenserwartung/Familienstruktur
e) Ernährung
7. Wirtschaftsethik
8. Wirtschaft im 3. Jh
a) Geldwert- und Kaufkraftverfall
b) Arbeitskräfte
c) Landwirtschaft
III. Anhang
1. Glossar
2. Verzeichnis der abgekürzt zitierten Zeitschriften und Reihen
3. Literaturverzeichnis
4. Abbildungsverzeichnis
5. Indices

Citation preview

Drexhage/Konen/Ruffing Die Wirtschaft des Römischen Reiches (1.-3. Jh.)

STUDIENBÜCHER Geschichte und Kultur der Alten Welt Herausgegeben von Klaus Bringmann Elisabeth Erdmann Klaus M. Girardet Gustav Adolf Lehmann Ulrich Sinn Karl Strobel (Verantwortlicher Herausgeber dieses Bandes)

Hans-Joachim Drexhage Heinrich Konen Kai Ruffing

Die Wirtschaft des Römischen Reiches (1.-3. Jahrhundert) Eine Einführung

Akademie Verlag

Abbildung auf dem Einband: Neumagener Weinschiff (Landesmuseum Trier)

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. ISBN 3-05-003430-0

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2002 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN / ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form-durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesonderevonDatenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragenoderübersetzt werden. Einbandgestaltung: Günter Schorcht, Schildow Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany

Vorwort der Herausgeber

Es ist paradox, daß auf dem Wege Deutschlands in ein geeintes Europa den gemeinsamen Wurzeln dieses Europas in seinem Bildungssystem immer weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dem erklärten politischen Willen, ein geeintes Europa zu schaffen, steht ein zielstrebiger Abbau des tragenden Geschichtsbildes und des Wissens um sein kulturelles Werden gegenüber. Damit werden aber gerade jene Bereiche im allgemeinen Bewußtsein abgebaut, die auf dem Weg der Einigung Europas das notwendige mentale, identitätsstiftende Fundament über die wirtschaftlichen Komponenten und ökonomischen Interessen hinaus zu geben vermögen; denn letztere besitzen durchaus ein Konfliktpotential für das gewollte Zusammenwachsen. Es ist bei der Entwicklung der schulischen Lehrpläne in den verschiedenen Bundesländern festzustellen, daß gerade das Wissen um jene Perioden abgebaut wurde, ja noch weiter reduziert werden soll, aus denen Europa konkret als Einheit zu begreifen ist. Gegenüber der Antike, dem Werden des Abendlandes in der Schwellenphase von Spätantike und Frühmittelalter und schließlich dem Mittelalter selbst wird genau jene Epoche in den Vordergrund gestellt, in der sich Europa durch Nationalismus, Imperialismus und wirtschaftliche Konkurrenz zu einem erbitterten Gegeneinander entwickelt hat. Geschichte in der Schule vermittelt keine europäische Perspektive, sondern wird zur nationalen Nabelschau. Dagegen werden die Phänomene zurückgedrängt, in denen sich eine völker-, sprachen- und kulturübergreifende Symbiose verwirklicht hatte, wie wir dies im Hellenismus, zu dem auch das republikanische Rom und der westliche Mittelmeerraum gehörten, und im Imperium Romanum vor Augen haben. Gerade hier sind Multikulturalität und Kulturationsprozesse, Innovation und Beharren sowie wirtschaftliche, kulturelle und soziale Interferenzen beispielhaft zu verfolgen, also die Sinnhaftigkeit des Phänomens, das wir mit dem Schlagwort Europa meist nur vage ansprechen, nachzuvollziehen. Daß es für diese Vergangenheiten unserer Gegenwart eine breite Nachfrage nach Information gibt, das zeigt nicht nur die umfangreiche Produktion von Sachbüchern, sondern auch das Interesse an Medienproduktionen zu Themen von Archäologie und Antike. Die

6

Vorwort der Herausgeber Folgen der skizzierten Entwicklung auf dem Feld der Schulbildung werden noch dadurch verstärkt, daß sich der Zugang zu den Zeugnissen des Altertums über die Quellensprachen immer mehr verengt. Dabei darf nicht übersehen werden, daß das Griechische für die „römische Welt" als allgemein verbreitete und den Osten des Imperium Romanum prägende Sprache zu dem Gesamtphänomen gehört, ja den Zugang zu den Quellen für die aktuellsten Fragestellungen nach dem sozialen und wirtschaftlichen Alltag eröffnet, von seiner prägenden Kraft als Kirchensprache ganz abgesehen. Der nur auf die Gegenwart hin funktionalisierte schulische Unterricht kann die Bedürfnisse nach stabiler Orientierung und Identität nicht befriedigen, er macht gerade anfällig für Ideologien und .einfache Lösungen'. Die Verengung im schulischen Unterricht wirkt in komplexer Weise auf die akademische Ausbildung zurück, in den fehlenden Vorkenntnissen der Studierenden ebenso wie in der Strukturierung des Studiums oder einer .Verschlankung' der Lehrerausbildung. Fördernder schulischer Unterricht sowie qualifizierte, problemorientierte Medientätigkeit setzen aber Kompetenz voraus. Aus der fachlichen und methodischen Qualifikation erwachsen Autorität, eigenes Einsichtsvermögen und damit die Voraussetzungen für kreative Vermittlung von Inhalten. Die Fähigkeit zur Erklärung von komplexen, übergreifenden Phänomenen bedarf des eigenen vertieften Zuganges. Die Reihe „Studienbücher Geschichte und Kultur der Alten Welt" möchte zu einer Antwort auf die angesprochenen Probleme beitragen. Die einzelnen Bände sollen in der Breite wie in der Konzentration der gebotenen Inhalte ein fundiertes Informationsmedium und ein in die Vertiefung von Fragestellungen wie Methoden führendes Arbeitsinstrument darstellen. Sie sollen nicht nur auf den akademischen Unterricht und das Studium ausgerichtet sein, auch wenn dies eine wesentliche Zielsetzung bildet, sondern ebenso auf die Bereiche von Lehrerfortbildung, Unterrichtsvorbereitung oder Projektunterricht, auf die Nachbarwissenschaften und auf den breiten Kreis interessierter Leser. Die Bände der Reihe werden zum einen in einer chronologischen Gliederung einzelne Abschnitte der geschichtlichen Entwicklungen zum Gegenstand haben, zum anderen thematisch aufgebaut sein. Dabei soll besonders auf die Uberwindung traditioneller Schematismen hingewiesen werden. Das inhaltliche Spektrum und die Vertiefung der Darstellung sind gegenüber bisherigen Quellensammlungen, auch solchen des angelsächsischen Raumes, entscheidend erweitert. Nicht die Vielzahl der vorgelegten Quellen, sondern deren exemplarischer Charakter und beispielhafte Erschließung stehen im Mittelpunkt. Darstellung, Kommentierung, Glossar und Bibliographie sollen die einzelnen Bände zu Arbeitsinstrumenten machen, die den Zugang zu Diskussionsstand und Verständnis der behandelten Phänomene bieten. Dabei sollen literarische wie nichtliterarische Textquellen, antike Bildmedien und archäologische Befunde gleichberechtigt

Vorwort der Herausgeber nebeneinandertreten. Abbildungen dienen nicht der Illustration, sondern stellen Quellen dar, die in Aussage wie Problematik erschlossen werden. Die Herausgeber hoffen, durch die neue Reihe eine Lücke in den Instrumenten zur Vermittlung vertieften Wissens und Verständnisses für das Altertum als Grundlage unserer europäisch geprägten Welt zu schließen und zu einem breiten, nicht auf die Zeitgeschichte verengten Geschichtsbild beizutragen. Daß die Textquellen dabei in einer auf ihre Begrifflichkeit hin geprüften Ubersetzung geboten werden, soll nicht als Zugeständnis an den „Zeitgeist" mißverstanden werden; die Kenntnis der Quellensprachen bleibt unverzichtbar. Es ist vielmehr das Ziel, den Zugang zu den Textquellen für die breiten Kreise zu öffnen, die in der universitären, schulischen und gesellschaftlichen Allgemeinheit nicht über Kenntnisse der klassischen europäischen oder gar der altoritentalischen Sprachen verfügen, ebenso für jene Studierenden, die sich ihre Kenntnisse erst an der Universität aneignen und nicht mehr über eine breite schulische Textlektüre verfügen. Die antike Begrifflichkeit soll durch die Übersetzung nicht ausgeklammert, sondern als quellensprachlicher Schlüssel herausgestellt werden. So sind zugleich die begriffsgeschichtlichen Vorgaben der Terminologien zu erhellen, die wir in allen Bereichen benutzen und die sich auch in Neuschöpfungen aus der antiken Sprachlichkeit ableiten. Die Tatsache, daß die lateinische Begrifflichkeit den gesamten romanischen Raum prägt, ist dabei sicher eher im Bewußtsein als ihre Präsenz auch im Englischen. Daß Sprache und Begriffe unser Denken wie die mentalen Strukturen unserer Wahrnehmung formen, ist dabei ins Gedächtnis zu rufen. Die Herausgeber hoffen, daß die Reihe „Studienbücher Geschichte und Kultur der Alten Welt" durch die Breite der Themen und die Vielfalt der vorgestellten Quellen die antike Welt in dem Reichtum ihrer Aspekte, in der Pluralität ihrer Lebenswelten und in der Modernität vieler Fragestellungen bewußt werden läßt. Die Welt der Antike ist in der Gegenwart stets präsent; sie hat aus der griechischen Welt den Gedanken einer politischen Partizipation des Bürgers, die von einem Gemeinwesen der Bürger getragene politische und soziale Ordnung eingebracht, aus dem Imperium Romanum die Ordnung auf der Grundlage des Bürgerrechts und der in den größeren politischen Verband integrierten kommunalen und regionalen Selbstverwaltungseinheiten. Ohne sie hätte der mehr als .schlanke Staat' des Imperium Romanum nie funktioniert, nie die tragende Akzeptanz gewonnen, ja nie in seiner Multi-Ethnizität und Multikulturalität so dauerhaft existiert. Dabei ist gerade diese Existenz des Imperium Romanum die Voraussetzung für die Ausbreitung des Christentums, für die Ausbildung des Abendlandes und der Moderne, ja für die Formung des Begriffes „Europa" gewesen. Die Herausgeber

7

Für EVA, JOHANNA, LEA, LISA, MARZIA, SABINE, SARA, SONJA, ULRIKE und

ALEX

Vorwort der Verfasser

Die Erforschung der antiken Wirtschaft hat in den letzten drei Jahrzehnten eine dynamische Entwicklung genommen. Gerade in den letzten Jahren wurden vermehrt Stimmen laut, die zumindest eine Modifizierung des Finleyschen Dogmas von der .Primitivität' der antiken Wirtschaft forderten. Insbesondere die Wirtschaft des Imperium Romanum hat gelehrtes Interesse auf sich gezogen, was sich in einer kaum mehr zu überschauenden Detailforschung, aber auch in den Versuchen, kompakte Einführungen und zusammenfassende Darstellungen vorzulegen, dokumentiert. Wir verstehen unsere Äußerungen als Einführung in eine verblüffend komplexe und faszinierende Materie. Gern sind wir der Intention der Reihe Studienbücher. Geschichte und Kultur der Alten Welt gefolgt, den Leser quellennah und -intensiv zu informieren. Unser Bemühen war es, auf sehr begrenztem Raum sowohl in der Darstellung als auch im Materialteil allen Uberlieferungssträngen (antike Literatur, griechische und lateinische Inschriften, Papyri, Münzen und archäologisches Material) zumindest ansatzweise gerecht zu werden. Dem möglichen Vorwurf, eine positivistische Arbeit geleistet zu haben, sehen wir gelassen entgegen, weil gerade in der Auseinandersetzung mit der antiken Wirtschaft Theorien und Theoreme mit vielen Quellen kollidieren. Andererseits sind wir uns auch bewußt, eine Sicht der Dinge zu haben, die zur Betonung einzelner Quellen und/oder zur Hervorhebung bestimmter Quellengruppen führt. Wir gehen also nicht davon aus, in Konkurrenz zu anderen Bemühungen um die reichsrömische Wirtschaft das Richtige oder nur das Richtigere zu sagen; eher stellen wir die Frage: Könnte es so gewesen sein? Noch ein Wort zu unserer Quellenwahl! Dem informierten Leser werden eine Reihe hier aufgenommener Quellen durchaus bekannt sein. Von der idealen Absicht, an dieser Stelle hauptsächlich wenig beachtetes oder sogar unbeachtetes Material vorzulegen, mußten wir schnell Abschied nehmen: Erstens hätten wir uns selbst ζ. T. um aussagekräftiges Material gebracht und zweitens hätten wir einem interessierten, aber nicht einschlägig (vor-) informierten Leser einen Nachvollzug u. U. schwieriger gemacht. In den hier

12

Vorwort der Verfasser vorgelegten Quellenübersetzungen haben wir uns in der Regel an schon vorhandenen Ubersetzungen orientiert. Dennoch haben wir hier und da sprachliche Veränderungen, Auslassungen etc. vorgenommen; in diesen Fällen ist jeweils namentlich deutlich gemacht, wessen Übersetzung grundlegend war. Ist dies nicht kenntlich gemacht, stammt die Ubersetzung von uns. Die Einvernahme von Forschungsliteratur reicht nur in wenigen Fällen in das Jahr 2000. Vielen sind wir zu Dank verpflichtet. An erster Stelle ist Prof. Dr. Karl Strobel (Klagenfurt) zu nennen, der uns von Anfang an mit vielen Hinweisen und konstruktiver Kritik zur Seite stand; Prof. Dr. Elisabeth Erdmann (Erlangen-Nürnberg) hat uns nach der Lektüre des ganzen Manuskripts auf Unebenheiten aufmerksam gemacht, die ohne ihre kritische Sicht nicht ausgeräumt worden wären. Für vielfältige Hinweise, erhellende Gespräche, geduldiges Zuhören und andere Hilfeleistungen danken wir Ingrid Kuhn, Barbara Stiewe, Florian Krüpe Μ. Α., Andreas Reinbott, HD Dr. Hans-Ulrich Wiemer (alle Marburg) und Björn Onken (Kassel). Hans-Joachim Drexhage (Marburg) Heinrich Konen (Regensburg) Kai Ruffing (Marburg)

Inhaltsverzeichnis

I.

Darstellung

1.

Einführung 1.1 Die Wirtschaft der römischen Kaiserzeit in der modernen Deutung 1.2 Geographische und demographische Voraussetzungen 1.3 Politische Voraussetzungen

19 21 24

2.

Staat und Wirtschaft 2.1 Gab es eine Wirtschaftspolitik? 2.2 Geld 2.3 Staatshaushalt 2.3.1 Staatliche und kaiserliche Einkünfte 2.3.2 Staatsausgaben

27 27 37 42 43 48

3.

Die 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7

59 61 66 68 72 84 93 96

4.

Handwerk 4.1 Produktionsformen 4.2 Juristischer Rahmen 4.3 Organisation der gewerblichen Produktion 4.4 Spezialisierung 4.5 Ausbildung

Landwirtschaft Qualität der Bodenbewirtschaftung Ertragslage Bewässerungswirtschaft, Garten-, Öl- und Weinanbau Reichsweiter Landesausbau Organisation der Bodenbewirtschaftung Subsistenzwirtschaft oder Marktorientierung? Mißernten und Ressourcenmanagement

19

101 101 105 108 113 114

14

Inhalt 5.

Handel 5.1 Örtlicher Handel 5.2 Interregionaler Handel 5.3 Außen- und Fernhandel 5.3.1 Nordhandel 5.3.2 Osthandel 5.4 Landtransport 5.5 Fluß-/Seetransport 5.6 Zölle

119 120 126 134 134 136 138 141 145

6.

Banken und sonstige Dienstleistungen 6.1 Banken 6.2 Unterhaltungsgewerbe 6.3 Prostitution 6.4 Bildungswesen 6.5 Ärzte 6.6 Juristen

149 149 156 157 158 159 159

7.

Lebensstandard 7.1 Reichtum/ Armut 7.2 Preise/Löhne 7.3 Lebenserwartung/Familienstruktur 7.4 Ernährung

161 163 177 183 186

8.

Das dritte Jahrhundert

193

II. Materialteil 1.

2.

Staat und Wirtschaft a) Geld b) Steuern und Liturgien c) Versorgung Roms und anderer Städte d) Heer und Wirtschaft e) Kaiser und Wirtschaft f) Eingriffe des Staates g) Weitere Ausgaben h) Bergwerke und Steinbrüche

205 205 207 210 213 216 218 220 222

Landwirtschaft

229

a)

Großgrundbesitz

229

b) c)

Subsistenzwirtschaft Landpacht

232 235

Inhalt d) e)

Arbeitskräfte Technologie

237 238

3.

Gewerbe a) Kleingewerbe/Handwerk (alltäglicher Bedarf) b) Massenproduktion c) Kunstgewerbe d) Ausbildung e) Arbeitskräfte f) Technologie g) Kollegien h) Verpachtung wirtschaftlich nutzbarer Räume

241 241 243 246 248 250 251 252 255

4.

Handel a) Örtlicher Handel b) Interprovinzieller Handel c) Außen- und Fernhandel d) Transport e) Zölle

259 259 262 264 265 268

5.

Banken und Dienstleistungen

271

6.

Lebensstandard a) Reichtum b) Armut c) Löhne und Preise d) Lebenserwartung/Familienstruktur e) Ernährung

275 275 279 282 291 295

7.

Wirtschaftsethik

301

8.

Wirtschaft im 3. Jh a) Geldwert- und Kaufkraftverfall b) Arbeitskräfte c) Landwirtschaft

305 305 306 308

III. A n h a n g 1.

Glossar

313

2.

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Zeitschriften und Reihen

325

3.

Literaturverzeichnis

327

4.

Abbildungsverzeichnis

375

5.

Indices

377

15

I. Darstellung

1.

Einführung

1.1 Die Wirtschaft der römischen Kaiserzeit in der modernen Deutung D i e E r f o r s c h u n g der Wirtschaftsgeschichte des römischen Kaiserreiches ist seit nahezu hundert J a h r e n v o n der K o n t r o v e r s e zweier „ S c h u l e n " geprägt: auf der einen Seite die der „ M o d e r n i s t e n " , auf der anderen die der „Primi tivis t e n " . Z u R e c h t wird diese K o n t r o v e r s e auch in der neueren F o r s c h u n g als die „ J a h r h u n d e r t - D e b a t t e " qualifiziert (vgl. dazu WOLTERS 1999, 3 A n m . 4; TSCHIRNER 1994; JACQUES/SCHEID 1998, 3 1 7 - 3 2 1 ; PLEKET 1990, 3 2 - 4 8 . ) . J e n e geht z u r ü c k auf die von K . B ü c h e r und E . M e y e r b e g o n n e n e Diskussion ü b e r den allgemeinen C h a r a k t e r der antiken W i r t s c h a f t (vgl. MEYER 1924 a; D e r s . 1924 b; BÜCHER 1893; zusammenfassend TSCHIRNER 1994,

37-49).

Betrachtete M e y e r diese als ein Pendant der ö k o n o m i s c h e n E n t w i c k l u n g des ausgehenden 19. J h . , indem er etwa den H a n d e l als Hauptquelle des R e i c h tums bezeichnete, war sie nach A n s i c h t B ü c h e r s durch die „geschlossene H a u s w i r t s c h a f t " besonders gekennzeichnet, die er als eine Phase der wirtschaftsgeschichtlichen

E n t w i c k l u n g E u r o p a s begriff. A u f jene folgten

in

seinem K o n z e p t die der „Stadtwirtschaft" des Mittelalters und schließlich jene der „ V o l k s w i r t s c h a f t " der m o d e r n e n Nationalstaaten. G a n z im G e g e n satz dazu entwickelte M . R o s t o v t z e f f in seinen beiden großen Veröffentlichungen zur W i r t s c h a f t der hellenistischen Zeit und des r ö m i s c h e n Kaiserreiches ein für seine Zeit äußerst m o d e r n anmutendes Bild der sozialen und wirtschaftlichen Realitäten der antiken W e l t (vgl. ROSTOVTZEFF 1926; DERS. 1941). H i e r ist die R e d e von einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, die sich

schon

dem

Stadium

des

industriellen

Kapitalismus

näherte

(vgl.

ROSTOVTZEFF 1957, 3), dann aber mit den Krisen der Kaiserzeit und dem „Klassenkampf"

zwischen Stadt und Land unterging. E i n e

fundamentale

K r i t i k des R o s t o v t z e f f ' s c h e n Ansatzes findet sich schon in den Schriften M a x W e b e r s , die allerdings bis in die 60er J a h r e des letzten J a h r h u n d e r t s weitgehend unbeachtet blieben (vgl. WEBER 1924). W e b e r verfocht v o r allem die T h e s e der parasitären „ K o n s u m e n t e n s t a d t " , der er die „ P r o d u z e n t e n s t a d t " des Mittelalters

gegenüberstellte

(vgl. zur D i s k u s s i o n

TSCHIRNER

1994,

4 9 - 6 1 ) . D i e gesellschaftliche Position der in H a n d e l und H a n d w e r k tätigen P e r s o n e n blieb nach seiner A n s i c h t in der A n t i k e einem niedrigen sozialen

20

Darstellung/Einführung Milieu verhaftet. „Arbeit" wurde durch die Oberschicht geradezu als Zeichen gesellschaftlicher Minderwertigkeit begriffen (Cic. off. 1,151). Entsprechend gering ist in seiner Konzeption das Engagement der Oberschichten in wirtschaftlichen Abläufen bewertet. Das in seiner Wirkung stärkste Konzept der antiken Wirtschaft ist indes das von M. I. Finley vertretene, der auf frühere Ansätze (u. a. auch die von J. Hasebroek und K. Polanyi) aufbauend, eine „(neo)primitivistische" Sichtweise vorlegte (vgl. FINLEY 1973; 2. Aufl. 1985; HASEBROEK 1923; DERS. 1 9 2 6 ; DERS. 1 9 2 8 ; DERS. 1 9 3 1 ; P O L A N Y I 1 9 4 4 ; DERS. 1 9 7 9 ) . E r , u n d i n s e i n e r

Nachfolge die Angehörigen der sog. „Cambridger Schule", betonten die Bestimmung der antiken Wirtschaft durch soziale und politische Gegebenheiten (vgl. etwa die im Literaturverzeichnis aufgeführten Werke von GARNSEY und WHITTAKER). Ihrer Meinung nach determinierte die Rechtsstellung die Mentalität; beide bestimmten wiederum das wirtschaftliche Handeln. So sei den Führungsschichten der Begriff wirtschaftlicher Rationalität völlig unbekannt gewesen und aus Mentalitätsgründen habe die Investition in Grund und Boden die sicherste und seriöseste Form der Geldanlage dargestellt. M. a. W.: Handel und Gewerbe sollen in ihren Überlegungen keinerlei Rolle gespielt haben. Darüber hinaus fehle eine marktorientierte Wirtschaftsweise, Handel habe es zwar gegeben, aber es sei der Austausch von Luxusgütern gewesen, die nur von einer kleinen, vermögenden Gruppe konsumiert wurden (vgl. dazu SCHLEICH 1983, 7 5 - 8 2 u. ö.; JACQUES/SCHEID

1998, 3 1 8 - 3 2 0 ; zum gesamten wirtschaftshistorischen Werk Finleys TSCHIRNER 1994, 136-295). Die Mentalität der Führungsschichten hätte auch jedem technischen Fortschritt und der Rationalisierung von Produktionsabläufen im Wege gestanden. Mit Recht wurde gegen diese Position jüngst geltend gemacht, daß sie in der Auseinandersetzung mit dem „Modernismus" lediglich aufzeige, was die antike Wirtschaft nicht gewesen sei (vgl. PLEKET 1990, 3 2 - 5 5 ; JACQUES/SCHEID 1998, 320). Die Andersartigkeit dieser Wirtschaft gegenüber der Modernen stehe zwar außer Frage, aber es führe zu weit, sie in allen Ebenen als strukturell extrem unterentwickelt zu sehen. So zog H. W. Pieket die Wirtschaft anderer vorindustrieller Gesellschaften (namentlich die der frühen Neuzeit) als vergleichende Folie für seine Darstellung der reichsrömischen Ökonomie heran (vgl. 1990, 5 5 - 1 6 0 ) . Gerade zur frühen Neuzeit vermochte er zahlreiche Parallelen und Affinitäten aufzuzeigen. Er war in der Lage, die Beteiligung der reichsrömischen Eliten an Handel und Gewerbe nachzuweisen. Darüber hinaus konstatierte er die Existenz interdependenter Märkte, welche die Produktion in einigen Zonen maßgeblich beeinflußten. Ihr Entstehen sei nicht zuletzt auf den Aufschwung des Städtewesens bzw. der starken Urbanisierung des Reiches in den ersten beiden Jahrhunderten n. Chr. und auf die Konsum-

Geographische und demographische Voraussetzungen Bedürfnisse eines gut besoldeten Heeres zurückzuführen. Der Staat selbst sei durch die Effizienz der Steuereintreibung in der Lage gewesen, auf vielen Ebenen Geld zu investieren. Ferner schuf er durch den konsequenten fiskalischen Zugriff auf die Reichsbevölkerung die Grundvoraussetzung für eine weitgehende Monetarisierung des Reiches (vgl. HOPKINS 1980a; s.u. S. 37-39 sowie M 4 u. M 5). Das Ziel dieser Darstellung soll nicht sein, einen neuen theoretischen Entwurf zum Charakter der kaiserzeitlichen Wirtschaft vorzulegen. Vielmehr haben wir uns darum bemüht, auf der Grundlage aller zur Verfügung stehenden Quellengruppen Aussagen zu liefern, ohne diese einem Modell zuzuordnen. Selbstverständlich werden im folgenden besondere Schwerpunkte gesetzt, die nicht zuletzt aus der Auseinandersetzung mit den primitivistischen Thesen resultieren. Keinesfalls wollen wir aber der modernistischen Sicht der Dinge das Wort reden. Vielmehr ist es das Ziel, dem interessierten Leser die Quellen selbst samt Leitlinien und Erträgen der modernen Forschung an die Hand zu geben.

1.2 Geographische und demographische Voraussetzungen Das römische Reich umfaßte schon zur Zeit des Augustus eine Fläche von über 6 Mio. km 2 (einschl. Mittelmeer und Schwarzes Meer). Es vereinte in sich hinsichtlich ihrer Geomorphologie unterschiedliche Regionen: darunter die Wüsten Nordafrikas, die steppenartigen Zonen Judäas und Syriens, die durch Gebirge stark gekammerten Landschaften Kleinasiens und Griechenlands sowie die durch waldreiche Hoch- und Mittelgebirgsbereiche und weite Ebenen gekennzeichneten Gebiete Nord- und Mitteleuropas. Seine NordSüdausdehnung reichte von den subtropischen Zonen Afrikas bis hin zu den g e m ä ß i g t e n K l i m a t a N o r d w e s t e u r o p a s (vgl. TLCHY 1 9 9 0 ; H E R Z 1 9 8 8 , 1 3 - 1 5 ) .

Die unterschiedlichen Landschafts- wie auch Klimaformen wirkten sich selbstverständlich auf die Wirtschaft aus. Insbesondere wurden die Produktionsmethoden der Landwirtschaft hiervon entscheidend geprägt. So muß derjenige, der sich mit der Wirtschaftsgeschichte des römischen Kaiserreiches beschäftigt, immer vor Augen haben, daß etwa der Getreideanbau in Britannien anderen Gesetzmäßigkeiten unterlag als jener in den Steppenzonen Syriens, und sich die Viehwirtschaft im Alpenraum anders als etwa im römischen Ägypten gestaltete. Auch die Verfügbarkeit von bestimmten Materialien und Ressourcen war höchst unterschiedlich. Der Mangel an Wasser bzw. der Versuch, die vorhandenen Mengen optimal zu nutzen, bestimmte ζ. B. die Lebensabläufe in den südlichen Trockenzonen, während in den Flußniede-

21

22

Darstellung/Einführung rungen Norditaliens, Galliens und Britanniens eher das Bemühen um Entwässerung und Trockenlegung von Agrarflächen im Vordergrund stand. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung waren die geomorphologischen Voraussetzungen für das Verkehrswesen. Das einende Element war das Mittelmeer, welches die administrativen und ökonomischen Zentren des Reiches miteinander verband. Nicht ohne Grund können wir einen konsequenten Ausbau der Häfen des Mediterraneums in der Kaiserzeit konstatieren (s. u. S. 31; M 53). Zwei große Flüsse, Rhone und Nil, gewährleisten zudem die Anbindung von weiter entfernten Regionen an das Mittelmeer. Hinzu kommt ein weiterer Sachverhalt: Der relativ niedrige Tiefgang antiker Flußschiffe erlaubt es, auch kleine Flüße als Wassertransportwege zu nutzen. Darüber hinaus existierte in anderen Gebieten - etwa in Gallien, Spanien, im Balkanraum und Norditalien - ein weitverzweigtes Gewässernetz, welches konsquent für den Waren und Güterverkehr nutzbar gemacht worden ist und für eine Verkehrsanbindung an die geschilderten Kernzonen sorgte (s. u. S. 141 f.; M 56). Hinzu trat das immer weiter ausgebaute Straßensystem, durch das selbst hohe und ausgedehnte Gebirgszüge wie etwa die Alpen und Pyrenäen passierbar gemacht wurden (vgl. ζ. B. WALSER 1984; s. u. S. 28 u. 138), oder aber entlegene Villenbetriebe an das Verkehrsnetz angebunden wurden. Selbst in den Wüstengebieten des Reiches können wir von einem regelmäßigen Verkehr auf relativ gut gesicherten und logistisch erschlossenen Wüstentracks ausgehen (vgl. etwa SlDEBOTHAM 1986).

GERMANIA ¡¿ugdunensisT·*·"0™^· ;Ì A l

Das Römische Reich im 2. Jahrhundert n. Chr.

Abb. 1: Handelswege in der römischen Kaiserzeit

Geographische und demographische Voraussetzungen Diese Verkehrswege sorgten insgesamt für eine Vernetzung der Städte und Dörfer des Reiches. Ohne Zweifel bildeten erstere das administrative und ökonomische Rückgrat. In diesen ca. 2.000 Urbanen Gebilden (vgl. dazu AUSBÜTTEL 1998, 39 mit weiterer Lit. im Anhang) fand sich einerseits eine starke Konsumentenschicht, die auch über weite Distanzen verhandelte Waren abnahm; andererseits konzentrierte sich in erster Linie dort die handwerkliche Produktion, die ζ. T. auch exportorientiert arbeitete (s. u. S. 101 — 105; M 3 4 , 3 5 , 3 9 ) . Unter den zahlreichen Städten des Reiches befanden sich auch einige ausgesprochene Großstädte; hier ist natürlich in erster Linie an R o m selbst zu denken, dessen Einwohnerzahl deutlich über 1 Mio. gelegen haben dürfte; aber auch Städte wie Alexandreia, Antiocheia am Orontes, Karthago und vielleicht sogar Ephesos vereinigten in ihren Mauern mehrere hundertausend Einwohner (vgl. JACQUES/SCHEID 1998, 326 f.; KOLB 1995, 4 4 8 - 4 5 7 ; DERS. 1984, bes. 191 f.; ECK 1995a, 1 8 3 - 1 8 5 ; DUNCAN-JONES 1982, 2 5 9 - 2 7 7 ) . Selbst überschaubare urbane Gebilde wie die mittelägyptische Gaumetropole Oxyrhynchos verfügten über eine Einwohnerzahl von 30.000 Seelen (vgl. KRÜGER 1990, 6 7 - 6 9 ) . Mit der Errichtung des Prinzipates setzte ein Prozeß der Urbanisierung ein, der nun vor allem die nördlichen und westlichen Provinzen des Reiches sowie die Donauländer und den Balkan betraf. Darf der Osten des Reiches unter Augustus schon als urbanisiert gelten, wurden im Verlauf der Kaiserzeit dennoch die bestehenden Tendenzen verstärkt (KOLB 1984, 1 6 9 - 2 0 3 ) . Freilich machte die Bevölkerung der Städte nur einen geringen Teil der Gesamtbevölkerung des Reiches aus, der in einigen Gegenden (Kampanien, Kleinasien, Südspanien) aber deutlich höher zu veranschlagen ist, als man gemeinhin geneigt ist zuzubilligen (vgl. PLEKET 1990, 146). Gleichwohl fällt es schwer, hier seriöse Zahlenangaben zu liefern, weil uns das Quellenmaterial weitgehend im Stich läßt (vgl. JACQUES/SCHEID 1998, 321 f.). Nicht

ohne Grund

ist die konkrete

Einwohnerzahl

des

römischen Reiches wie auch einzelner Regionen und Städte in der F o r schung stark umstritten (vgl. den Überblick bei SALMON 1974,

23-40;

CHRIST 1995, 373; spez. zu Ägypten BAGNALL/FRIER 1994, 5 3 - 5 6 ) . Den Ende des 19. J h . vorgelegten Zahlen von J. Beloch ist bis heute wenig hinzuzufügen. Jener nahm für den Beginn der römischen Kaiserzeit eine Gesamtbevölkerung ca. 54 Mio. Menschen an bzw. für den Beginn des 3. nachchristlichen J h . eine Zahl von ca. 100 Mio., d . h . er ging fast von einer Verdoppelung der Bevölkerung aus (vgl. BELOCH 1886, bes. 5 0 1 - 5 0 7 ) . Andere Forscher wie etwa die Franzosen F. Jacques und J . Scheid befürworten dagegen für die ersten eineinhalb Jahrhunderte einen Bevölkerungszuwachs von nicht weniger als 2 5 - 3 0 % (1998, 328). Gestützt wird der in der Forschung (überwiegend) postulierte Bevölkerungszuwachs durch die festzustellende verstärkte Landnahme sowie das Wachstum und den Ausbau der Städte.

23

24

Darstellung/Einführung Ausdehnung und Bevölkerung des Reiches ca. 14 n. C h r . nach AuSBÜTTEL 1998, 2 Region

Fläche in km 2

Bevölkerung in Mio nach Beloch

neuere Schätzungen

Einwohner pro k m

Europa Italien Sizilien Sardinien/Korsika Hispanien Gallien

635.000

6 4,9

Donauländer

430.000

2

Griechenland

267.000

3

2.231.000

23

23,1(-45,1)

10,3(-20,2)

11 3-4,3

20,1-23,8 27,5-55 54

14,5-15,8

21,8-29,3

insgesamt

6 0,6 0,5

7(-14)

250.000 26.000 33.000 590.000

24(-56) 23 15,1 10,1

5(-20)

7,7(-31,5)

2

4,7 7,5-11,2

Asien Kleinasien Syrien Zypern

547.000 109.000 9.500

13 6 0,5

insgesamt

665.500

19,5

28.000

5 0,5

4,75

169-178,6 33,3

6

3-4

7,5-15

Afrika Ägypten Kyrenaika Africa (Provinz)

15.000 400.000

insgesamt

443.000

R o m . Reich

3.339.500

11,5 54

8,25-9,25 45,85(-70,15)

18,6-25,9 13,7(-21)

1.3 Politische Voraussetzungen Wie in allen anderen Lebensbereichen bedeutete die Errichtung des Prinzipates durch den nachmaligen Augustus und dessen Konsolidierung durch seine Nachfolger einen tiefgreifenden Einschnitt. Er lieferte günstige Voraussetzungen für die Entwicklung der Wirtschaft. Zu denken ist in diesem Kontext nicht nur an den schon oben angedeuteten Ausbau der Verkehrswege und der Verkehrsinfrastruktur, auch wurde für alle Bewohner des Reiches eine gewisse Rechtssicherheit gewährleistet, Eigentum und Besitz wurden garantiert. V o n Gibraltar bis zum Kaukasus, vom südlichen Schottland bis an die Grenze der Sahara war eine Währungseinheit geschaffen (s. u. S. 3 7 - 4 2 ) . Insgesamt betrachtet herrschte ein dauernder Friede, den man unter dem Schlagwort der Pax Romana

subsumieren kann (vgl. CHRIST 1995, 4 8 1 - 4 8 6 ;

KLOFT 1992, 1 8 6 - 2 1 9 ; JACQUES/SCHEID 1998, 4 1 3 - 4 3 3 ) . V o n welcher B e -

Politische Voraussetzungen deutung dieser relative Friedenszustand im Inneren des Reiches war, zeigen die Berichte der antiken Autoren über die Auswirkungen der Bürgerkriege in den J a h r e n 6 8 - 6 9 und 1 9 3 - 1 9 6 . A u c h große Volksaufstände, etwa jene der J u d e n in den J a h r e n 6 6 - 7 0 , 1 1 5 - 1 1 7 und 1 3 0 - 1 3 5 , führten regional und sogar darüber hinaus zu ernsthaften Störungen (vgl. PEKÁRY 1987). D a s stehende H e e r , das schon unter Augustus ca. 3 0 0 . 0 0 0 M a n n umfaßte, garantierte nicht nur Sicherheit nach innen und außen, sondern gab auch in den G r e n z provinzen

entscheidende

Impulse für H a n d w e r k

und Handel.

Zugleich

sorgten die R e i c h s - und Provinzflotten im Mittel- und Schwarzmeerraum und an der nördlichen Peripherie (Ärmelkanalgebiet, Rhein, D o n a u ) für einen weitgehend störungsfreien See- und Flußverkehr. D i e

Etablierung

fester Versorgungslinien für das H e e r (etwa von der Baetica in die germanischen Provinzen; vgl. REMESAL RODRÍGUEZ 1997) ermöglichte nicht nur eine stetige Bedarfsdeckung der Truppe, sondern schuf auch die Voraussetzungen für die Schaffung von interprovinziellen Handelsrouten. D a r ü b e r hinaus war das H e e r für den P r o z e ß der Akkulturation (sprich: Romanisierung) ein bedeutender F a k t o r . J e n e wiederum konnte nicht ohne Auswirkungen auf die Wirtschaft bleiben, da sie erst einen M a r k t für bestimmte P r o d u k t e (Olivenöl, W e i n , Fischsaucen etc.) schuf und zur Entfaltung einer regen Bautätigkeit führte. N a c h und nach fanden auch die Produkte aus den Provinzen A b n e h mer in R o m selbst und darüber hinaus in weit entfernten Regionen (s. u. S. 70, 72, 74, 1 2 6 - 1 3 4 ) .

25

2.

Staat und Wirtschaft

2.1 Gab es eine Wirtschaftspolitik? Bei der Frage, wie sich das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft gestaltete, stößt man schnell auf die dieser Thematik innewohnenden Schwierigkeiten. Da wir über keine entsprechenden ökonomischen Schriften aus der Prinzipatszeit verfügen, Regierungs- und Absichtserklärungen der Kaiser nicht überliefert sind und die antiken Autoren es weitgehend vermeiden, näher auf das staatliche oder kaiserliche Interesse an wirtschaftlichen Dingen einzugehen, steht immer wieder die Interpretation von Einzelzeugnissen und -befunden im Vordergrund. Dabei wissen wir kaum etwas über die Sachkompetenz der Kaiser und ihrer Berater, ihr allgemeines Interesse an ökonomischen Belangen und die näheren Hintergründe, vor denen sie wirtschaftlich relevante Entscheidungen fällten. Ferner kommt man nicht umhin, bei der Beurteilung der Zustände eine mehr oder minder eindeutige Entscheidung zwischen zwei Denkrichtungen vorzunehmen: Die eine läuft darauf hinaus, daß sich die reichsrömische Staatlichkeit über fast drei Jahrhunderte an konkreten wirtschaftspolitischen Leitlinien orientiert hat. Initiativ und reaktiv sind relativ günstige Rahmenbedingungen und Freiräume für ökonomische Aktivitäten geschaffen worden, um der Landwirtschaft, der gewerblichen Produktion und dem Handel weitere Impulse zu geben und die Untertanen in den Stand zu versetzen, ihre Aufgaben gegenüber Staat und Gesellschaft zu erfüllen. Nach der anderen Denkrichtung hat sich der Staat praktisch kaum und ohne ein erkennbares Konzept in das Wirtschaftsgeschehen eingemischt. Zu Eingriffen kam es eigentlich nur aus drei Gründen: a) um die Kontinuität der Steuereintreibung (in Geld und/oder Naturalien) zu gewährleisten, b) um sich weiterer Geld-, Sach- und Dienstleistungen (Munera/Liturgien) durch die Reichsbevölkerung zu versichern, und c), um die Privilegien der stadtrömischen Bevölkerung - d. h. ihr Anrecht auf kostenlose bzw. verbilligte Lebensmittel - zu wahren. In der Forschung wird fast einhellig der letztgenannten Denkrichtung der Vorzug gegeben. Zugleich überwiegt die Neigung, zukunftsorientierte' Initiativen entweder gänzlich zu negieren oder ausschließlich in einen fiska-

28

Darstellung/Staat und Wirtschaft lisch bzw. politisch-militärisch orientierten Kontext zu stellen. Bei näherer Betrachtung ergeben sich allerdings Zweifel an dieser sehr einseitigen Interpretation. Bei ihr stellt sich ζ. B. die Frage, warum auf Geheiß des Kaisers oder mit staatlicher Unterstützung im ganzen Reich bis in das 3. Jh. hinein fast unentwegt Straßen - allein das staatliche Straßennetz umfaßte schließlich 80-100.000 km! - , Brücken, Häfen und Kanäle angelegt oder ausgebaut wurden. Gerade in diesem Bereich fielen nämlich ungemein hohe Kosten an. So lassen mehrere italische Inschriften vermuten, daß für den Neubau einer Straßentrasse im 1. und 2. Jh. im Schnitt 500.000 Sesterzen (HS) pro röm. Meile (1,48 km) aufgewendet werden mußten und selbst für die bloße Ausbesserung eines entsprechend langen Teilstückes noch rund 100.000 HS ( C I L I X 6 0 7 5 = I L S 5 8 7 5 , C I L I 2 2 5 3 7 , X I 3 3 8 4 und p. 1 3 3 7 , C I L X I 6 1 2 6 ;

vgl. PEKÁRY 1968, 93-97). Die Reparatur eines 23,6 km langen Abschnittes der via Appio, verschlang im Jahre 123 n. Chr. z. B. die Summe von 1.726.100 HS, von denen der Kaiser 1.157.000 HS beisteuerte und die anliegenden Grundbesitzer 569.100 HS (CIL I X 6075 = ILS 5875. Die Inschrift bezeugt auch das hohe finanzielle Engagement der Kaiser im Straßenbau; vgl. ECK 1979, 6 9 - 7 9 ; anders PEKÁRY 1968, 97-135). Ferner würde dann zu klären sein, warum mit der Billigung des Kaisers bzw. auf seine Veranlassung hin immer neue städtische und ländliche Märkte entstanden und er die steuerliche Belastung für Einzelne wie auch Gruppen oder Städte in ökonomischen Krisensituationen stark reduzieren konnte. Darüber hinaus wissen wir um das Bemühen, doppelte Verzollung zu vermeiden (s. u. S. 146), und schließlich von gelegentlichen Versuchen, bei Versorgungsengpässen regulierend auf das Marktgeschehen einzuwirken. Man fragt sich wohl zu Recht, ob nicht zumindest einige dieser Sachverhalte heute ohne Bedenken dem Bereich einer gezielten Strukturförderung zugeordnet werden sollten. Zugleich müssen wir uns im folgenden stets eines vor Augen halten: Wenn wir von ,Staat und Wirtschaft' sprechen, sind damit vornehmlich die Amtshandlungen von Personen gemeint, d. h. im wesentlichen die des Kaisers und seines Beraterstabes und der Provinzstatthalter bzw. weiterer staatlicher Funktionsträger. Zum anderen waren in der reichsrömischen Gesellschaft mit ihren vorindustriellen Wirtschaftsstrukturen und Marktmechanismen Eingriffe in ökonomische Abläufe nicht immer dringend erforderlich. Viele Kaiser im 1. und 2. Jh. hatten einfach das Glück, in einer Zeit relativer Stabilität zu leben, die nicht von globalen oder überregionalen Agrarkrisen, Mißernten oder Hungersnöten gekennzeichnet war. Sie werden daher wenig Anlaß gesehen haben, in massiver Form mit Gesetzen, Edikten und Maßnahmen in das ökonomische Geschehen einzugreifen. Der Umstand, daß einige von ihnen ohne erkennbare fiskalische oder politisch-militärische Ambitionen dennoch zu dem Mittel staatlicher Reglementierung bzw. Intervention griffen, läßt dann natürlich aufhorchen. Es

Gab es eine Wirtschaftspolitik? stellt sich die Frage, warum und mit welcher Zielrichtung sie in dieser Weise handelten. Nehmen wir ζ. B. das gemeinhin dem Kaiser Hadrian zugewiesene Reskript gegen unnötige Preissteigerungen auf dem athenischen Fischmarkt: Es garantierte den Fischern aus Eleusis Abgabenbefreiung, sofern sie ihren Fang direkt auf dem heimischen Markt verkauften, und drohte zugleich jenen Strafen an, die erhebliche Gewinne durch Zwischenhandel einstreichen wollten (IG II/III 2 1103 = Freís 1984, Nr. 89). Selbstverständlich kann man behaupten, dieses Reskript hätte nur vordergründig etwas mit dem Interesse des Kaisers am Marktgeschehen zu tun; es handele sich in Wahrheit um ein Zeugnis, das den Philhellenismus des Kaisers und seine amtsimmanente Wohltäterrolle dokumentiere. Aber ist es denn völlig abwegig, sich vorzustellen, daß der Kaiser und seine Berater konkret daran dachten, wie sie dem athenischen Marktgeschehen auf die Zukunft orientierte Impulse verleihen könnten? Dies gilt zumal, wenn wir das unter Hadrian erlassene Gesetz bezüglich des Olverkaufs in Athen in die Überlegungen einbeziehen, da es zugunsten der heimischen Märkte auf eine Drosselung der attischen Olexporte abzielte (IG II/III 2 1100 = Freís ebd. Nr. 85). Vielleicht hat uns die Überlieferung bislang weitere diesbezügliche Reskripte, Gesetze und Maßnahmen vorenthalten, die insgesamt ein Konzept erkennen lassen, wie man sich in hadrianischer Zeit das geordnete Funktionieren der Wirtschaft in und um Athen vorgestellt hat. Eines kann man aber sicher sagen: In beiden Quellen geht es nicht um die Bewältigung einer Notsituation und nicht unmittelbar um die Befriedigung fiskalischer Gelüste. In die gleiche Richtung weist wohl auch die Gründung des thrakischen Handelsplatzes Pizus durch Septimius Severus und Caracalla (202 n. Chr.; FREIS 1984, Nr. 125). In einem hierauf bezugnehmenden Edikt des thrakischen Statthalters Q. Sicinnius Clarus wird ausdrücklich die Absicht bekundet, durch die Gründung des Emporions dem Marktleben der Provinz ,Impulse zu verleihen', eine Absicht übrigens, die durch die für jene Zeit nachweisbaren Gründungen von sechs weiteren thrakischen Emporia sehr konsequent in die Tat umgesetzt worden ist (vgl. DE LlGT 1993, 123 f.). Ein anderes Beispiel führt uns wieder in die hadrianische Zeit, diesmal nach Ägypten: 136 n. Chr. (oder wenig später) erging nach zwei dürftigen Nilüberflutungen und entsprechenden Minderernten ein kaiserliches Edikt für verschiedene Regionen der Provinz, in welchem den Bauern ein Teil der Abgaben erlassen bzw. die Möglichkeit zur Ratenzahlung eingeräumt wurde. Interessant ist dabei die Vermutung, daß es in Rom von Hadrian mitformuliert worden ist (vgl. P. Heid. 7/396; bes. die Einleitung). Dies wirft ein Licht auf die Fülle der Informationen, die dem Kaiser zugänglich waren, und seine Fähigkeit, sich im Bedarfsfall aktiv an der Regelung wirtschaftlicher Unebenheiten zu beteiligen. Anzumerken wäre noch, daß der Tenor der Verfügung

29

30

Darstellung/Staat und Wirtschaft keine besonders bedrohliche Notsituation der Bauern erkennen läßt, zumal die Ernten der Vorjahre als ausgezeichnet beschrieben werden. Selbst von nur kurzzeitig regierenden Kaisern sind Maßnahmen überliefert, die auf ein durchdachtes ökonomisches Konzept zur Beseitigung wirtschaftlicher und sozialer Mißstände hindeuten: Nerva etwa ließ durch eine Senatskommission für 60 Mio. HS (wahrscheinlich) brachliegendes Land in Italien aufkaufen, es parzellieren und an arme (stadtrömische?) Bürger übereignen (Cass. Dio 68,2,1; Plin. ep. 7,31,4). Ebenso begann er mit der Organisation der Alimentarstiftungen für Kinder aus armen Familien (vgl. M 24). Obwohl es hier zunächst darum ging, über den zu erwartenden Geburtenanstieg die Rekrutierungsbasis für das Heer im italischen Kernland zu erweitern (vgl. WLKRSCHOWSKI 1998), sollte ein möglicher inhaltlicher Bezug zu der ersten Maßnahme nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Das Institut der Alimentarstiftung (s. den Komm, zu M 2 4 ) bot den italischen Landbesitzern auch die Möglichkeit, günstige Kredite aufzunehmen. Zugleich entlastete man die ärmeren Familien durch das ,Kindergeld' und erhöhte die Zahl der Kleinbauern durch die oben skizzierte Landkaufmaßnahme. Könnte es der Kaiser insgesamt nicht doch auf eine Stärkung des Bauernstandes im Kernland abgesehen haben, was ja zugleich ein traditionelles sozialpolitisches Anliegen in Rom war? In dem Fall handelte es sich vielleicht um eine wohldurchdachte Wirtschafts- und Sozialpolitik. Sie sollte womöglich auch viele der Ärmsten in der Hauptstadt von der Straße holen und so zugleich den Empfängerkreis für die kostenaufwendigen kaiserlichen Getreide- und Geldschenkungen reduzieren (vgl. M 8 u. 18). Heute würde jede Regierung für ihre wirtschaftspolitische Weisheit gefeiert werden, der es gelänge, den Haushalt bei gleichzeitiger Finanzierung einer Existenzgründung für Tausende von Menschen zu entlasten! Klug waren auch die Regelungen für die Kultivierung brachliegender oder noch nicht urbar gemachter Flächen auf den kaiserlichen Domänen. Wir kennen sie durch die lex Hadriana de rudibus agris et iis, qui per X annos continuos inculti sunt, die bis in das 3. Jh. n. Chr. Gültigkeit hatte (revidierter Text bei FLACH 1978, 486-488). Den Kleinpächtern (coloni) wurde für die in Kultur genommene Fläche Besitzrecht, Nutznießung und Vererbbarkeit garantiert und auf Jahre Abgabenfreiheit gewährt. Weitaus umfassender scheinen noch die Vorstellungen des nur wenige Monate regierenden Kaisers Pertinax gewesen zu sein. Nach Herodian (2,4,6) konnte jeder Reichsbewohner ungenutztes, brachliegendes Land, sei es privates oder staatliches Eigentum, unter seinen Pflug nehmen. Die Steuerfreiheit sollte 10 Jahre gelten, und das so bebaute Land schließlich als Erbpacht dem Bebauer übertragen werden. Es mag durchaus sein, daß Herodian in überschwenglicher Formulierung eigentlich nur die o. g. Regelungen auf den kaiserlichen Domänen gemeint hat; aber auf jeden Fall wird auch hier wieder

Gab es eine Wirtschaftspolitik? erkennbar, wie sehr sich die Kaiser über Generationen hinweg den speziellen Problemen der Landwirtschaft zugewandt haben und nach effizienten L ö sungen strebten (weitere Beispiele bei Q u ASS 1996). Auch die Baupolitik wird in all ihren Erscheinungsformen vornehmlich als Mittel der kaiserlichen Propaganda und Selbstdarstellung aufgefaßt und weniger als ein Instrument der aktiven Beeinflussung der Wirtschaft. Den Ausschlag für diese Denkrichtung gibt das sicherlich erstrangige Interesse der Kaiser an prestigeträchtigen Bauprojekten, die ihnen „die stets gewünschte Möglichkeit zur Selbstdarstellung eröffneten, und die einhergingen mit der epigraphischen Monumentalisierung der kaiserlichen Wohltaten" (WINTER 1998, 148). Aber wissen wir deshalb genau, ob die Kaiser deswegen die Sparte der ökonomisch nutzbringenden Bauten vernachlässigten? Es ist schließlich bekannt, daß sie recht großzügig bei der Einrichtung und Ausgestaltung von Markt- und Geschäftsanlagen waren, in denen Hunderte von

tabernae

(Läden und Werkstätten) integriert sein konnten (vgl. ζ. B. die Mercati Traianei in Rom), und sie nicht zögerten, gewaltige Summen in den Ausbau des Straßen- und Brückensystems zu investieren und sich ebenso daranmachten, Häfen und Emporia zu bauen oder auszubauen sowie Kanäle für den Schiffsverkehr anzulegen (vgl. dazu KUHOFF 1993, 1 5 0 - 1 7 0 ; WINTER 1 9 9 6 , 1 5 3 f . u. 1 8 5 - 1 8 7 ; GLASER 1999, 233). Im übrigen dürfen die wirtschaftlichen Folgen aller von Kaiser und Staat initiierten Bauvorhaben, über die sich die Forschung nur sehr zurückhaltend äußert, nicht

übersehen werden

(vgl. z . B .

BOATWRIGHT

1989,

270f.;

THORNTON 1 9 7 5 , 1 6 9 - 1 7 5 ; BEISTER 1978; THORNTON 1989 [s. dazu kritisch SCHÄFER 1990]; WINTER 1996, 1 2 8 - 1 3 1 ) . Es ist wohl nicht in Frage zu stellen, daß im Zuge der gigantischen und nicht zuletzt auch aus Prestigegründen begonnenen Projekte, die etwa die Kaiser Claudius, Nero, Vespasian, Domitian und Trajan in und um R o m in die Wege leiteten, das Baugewerbe und die damit verbundenen Zweige einen enormen Aufschwung genommen haben müssen. Sie werden allein bei der Errichtung von zwei Aquädukten (der aqua

Claudia

und des Anw novus), für die unter Claudius

die gewaltige Summe von 350 Mio. H S verausgabt wurde (Plin. nat. 36,122), mit einer Fülle von Großaufträgen bedacht worden sein. U n d sicher verschlang auch der Bau des berühmten Claudiushafens in Ostia, der mit gewaltigen Erdaushebungen und der Errichtung riesiger Molenkomplexe aus Gußbeton verbunden war (Suet. Claud. 20,3; ILS 207), Summen in ähnlicher Größenordnung. In Anbetracht solcher Unternehmungen, die sich über zwei Jahrhunderte hinweg fast nahtlos aneinanderreihten (vgl. KOLB 1995, 3 3 0 - 3 9 9 ) , gab es selbstverständlich auch einen gewaltigen Bedarf an Arbeitskräften. Dies unterstreicht etwa der unter Claudius errichtete Entwässerungskanal des Fucinersees, an dem elf Jahre lang 30.000 Menschen ununterbrochen gearbeitet

31

32

Darstellung/Staat und Wirtschaft haben sollen (Suet. Claud. 20,2). Wir müssen daher annehmen, daß bei der Initiierung vieler Bauprojekte der Aspekt der Arbeitsbeschaffung aus der Sicht der Kaiser eine erhebliche Rolle spielte. Dies deutet auch eine vielbeachtete Anekdote bei dem Kaiserbiographen Sueton an. Der Kaiser Vespasian hatte einem Ingenieur, der ihm eine kostensenkende Erfindung zum Transport riesiger Säulen auf das Kapitol vorstellte, zwar eine große Belohnung überreicht, den Einsatz der Erfindung aber mit der Bemerkung verweigert, „er möge ihm gestatten, den kleinen Leuten (plebicula) ihren Lebensunterhalt zu verschaffen" (Suet. Vesp. 18). In der Forschung gibt es allerdings konträre Ansichten darüber, wie man das Schlüsselwort dieses Abschnittes, plebicula, zu verstehen habe. Nach L. POLVERINI (1964, 271) spielt Sueton hier auf Sklaven an, nach St. MROZEK (1989, 95 f.) hingegen auf freie römische Bürger. Seiner Auffassung ist wohl der Vorzug zu geben (vgl. auch WINTER 1996, 130). Darüber hinaus fragt man sich zu Recht, ob es sich dabei lediglich um den Hinweis auf eine „Art von Gelegenheitsarbeit" handelt, wie M. I. Finley behauptet (1977, 82 f.). Eher sollten wir hier die Sorge des Kaisers um den Arbeitsmarkt in Rom im Auge behalten, zumal sehr detaillierte und fundierte Schätzungen darauf hinauslaufen, daß „zusammen mit den von ihnen ernährten Familienmitgliedern [...] mindestens 100.000-150.000 Stadtbewohner ihren Lebensunterhalt aus dem Baugewerbe bezogen haben" (vgl. KOLB 1995, 483-485). Das eben angesprochene Motiv der Arbeitsbeschaffung leitete gemäß Flavius Josephus übrigens auch die Baupolitik des jüdischen Königs Agrippa I (40-44 η. Chr.). Dieser entschied sich auf Druck der

Abb. 2: Verkehrsanbindungen Roms Jerusalemer Bevölkerung zur Durchführung von Straßenbaumaßnahmen, als angeblich etwa 18.000 Menschen, die vorher in dem umfangreichen Tempelbauprogramm seines Vorgängers Herodes tätig waren, arbeitslos zu werden drohten (los. ant. lud. 20,219-222). Obwohl die hier genannten Zeugnisse für gezielte Arbeitsbeschaffung in der Uberlieferung Einzelbeispiele sind, bleibt die Überlegung bedenkenswert und plausibel, daß ein erheblicher Teil der

G a b es eine Wirtschaftspolitik?

Abb. 3: Die Häfen von Ostia/Portus staatlichen und kommunalen B a u m a ß n a h m e n u. a. Beschäftigung

sichern

sollte. T r o t z der eben aufgeführten Beispiele und Sachverhalte gehörte es aber nicht zu den üblichen Verpflichtungen eines Kaisers, jenseits von R o m unmittelbar in das Wirtschaftsgefüge einzugreifen. H i e r traten die Provinzstatthalter, kaiserliche Sonderemissäre, Prokuratoren und Präfekten, die dabei j e d o c h häufig im kaiserlichen Auftrag handelten, sowie die Verantwortlichen in den sich selbstverwaltenden Städten und Gemeinden in

Erscheinung.

W e n n der Kaiser selbst einschritt, dann zumeist nur auf Bitten Einzelner oder von Gesandtschaften, auf Anfragen ζ. B. der Statthalter oder aufgrund persönlicher Motive. D i e Anliegen waren natürlich vielfältig, doch in der Regel ging es u m die Beseitigung von Mißständen und Schulden, u m Steuererlasse, die Vergabe von Privilegien und Abgabenforderungen. D a die Kaiser sehr oft zu ad-hoc-Entscheidungen gezwungen wurden und in ihrer Regierungspraxis unterschiedliche Schwerpunkte setzten, verbietet es sich sicher, im Imperium R o m a n u m eine Staatlichkeit zu sehen, die über Jahrhunderte mit stringenten wirtschaftspolitischen Leitlinien agiert hat. M a n sollte sich aber nicht scheuen, die Eingriffe mancher Kaiser als E l e mente einer von dem Streben nach Prosperität geleiteten W i r t s c h a f t s p o l i t i k ' zu charakterisieren. D i e Gesetze und Verordnungen eines D o m i t i a n oder Hadrian in bezug auf die F o r m der Landnutzung, die R e c h t e der K o l o n e n und die unbestellten Ländereien bzw. subseciva

zeigen dies zur Genüge. E s

gibt auch keinen Zweifel, daß die Kaiser über geeignete

Instrumentarien

verfügten, um zu agieren und zu reagieren (vgl. zu ihren Handlungsspielräumen und ihrem Regierungstil bes. BLEICKEN 1998). I m übrigen hatte das staatliche bzw. kaiserliche Archivwesen einen genügend hohen Stand (vgl. PREMERSTEIN 1900, 7 3 5 - 7 5 9 ; WOLTERS 1999, 184. 1 9 6 - 2 0 0 ) . A u c h waren

33

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Darstellung/Staat und Wirtschaft die persönlichen Berater und leitenden Beamten in Rom hinreichend instruiert und geschult, um den Kaisern, falls sie dies wünschten, genaue Informationen über die Folgen ihrer Entscheidungen zu liefern. Jeder von ihnen konnte in Erfahrung bringen, welche Auswirkungen ein übermäßiger Steuerdruck hatte; jeder konnte wissen, daß moderate Zölle dem Handel innerhalb des Reiches nicht abträglich waren, oder feststellen, daß die Versorgung des Heeres mit Geld auf die lokale Landwirtschaft und gewerbliche Produktion bzw. den regionalen und überregionalen Handel positive Auswirkungen hatte (aufschlußreich dazu BLEICKEN 1998, 852-861). Insgesamt dürfen wir in bezug auf die Person des Kaisers oder seinen Beraterstab grundlegende Kenntnisse über Marktmechanismen voraussetzen, die aber auf Erfahrung fußten und nicht Ergebnisse theoretischer Durchdringung der ,Wirtschaft' waren. Wie schon angedeutet, ist im Zusammenhang mit der hier angesprochenen Thematik auch der Aspekt ,Provinzstatthalter (samt Beraterstab) und Wirtschaft' von Bedeutung. Ungeachtet der Eindrücke, die der Briefwechsel des jüngeren Plinius mit Trajan vermittelt, der sich aus dem jeweiligen Provinzreglement ergebenden Zwänge und der Instruktionen {mandata), die die Kaiser ihnen für gewöhnlich mit auf den Weg gaben, verfügten die Provinzstatthalter innerhalb ihres Verwaltungssprengels über sehr weitgehende Kontroll- und Aktionsmöglichkeiten (vgl. JACQUES/SCHEID 1998, 1 9 2 - 1 9 6 ; MILLAR 1977, 3 1 3 - 3 2 8 ) . In bezug auf die ökonomischen Belange kam ihrem Wirken also eine besondere Bedeutung zu, auch wenn viele Statthalter danach trachteten, relevante Entscheidungen und Maßnahmen mit dem Kaiser abzustimmen (vgl. WINTER 1996,148 f.). Wichtig war z. B. ihr Aufsichtsrecht über die Finanzen. Der Provinzstatthalter genehmigte - selbstverständlich letztlich mit kaiserlicher Zustimmung - die Einführung von Lokalsteuern, Zöllen und anderer Abgaben (vgl. etwa Cod. Iust. 4,62,1; I G R R I 1183 = FREÍS 1984, Nr. 63: Tarif von Koptos) und die Auszahlung von Gehältern, Vergütungen etc. Auch die Verpachtung des Landbesitzes der Städte, die Verwahrung ihrer Geldbestände und die Abrechnungen der Magistrate unterlagen seiner Aufsicht. Ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt war die Kontrolle der kaiserlichen und öffentlichen Bauvorhaben (vgl. WINTER 1996, 149-155). So scheint es, daß alle wichtigeren kommunalen Projekte, die mehrere Millionen HS verschlangen, der Genehmigung durch Kaiser und Statthalter bedurften. Der jüngere Plinius war wegen der allgemeinen Mißwirtschaft in vielen bithynischen Städten in seiner Eigenschaft als Sonderemissär (zu seiner Amtstellung siehe ILS 2927; ALFOLDY 1999) ferner damit betraut, die Finanzierung der kommunalen Bauten, ihre Durchführung und ihre Qualität genauestens zu prüfen. Dabei ergriff er auch eigene Initiativen, wie z. B. sein gegenüber Trajan geäußerter Vorschlag, einen Kanal bei Nikomedeia zu erbauen, der der Stadt einen schiff-

Gab es eine Wirtschaftspolitik? baren Zugang zur See eröffnen sollte, offenbart (ep. 10,41). Ähnlich verhielt sich übrigens der obergermanische Konsularlegat L. Vetus, der mit Hilfe der ihm unterstellten Truppen eine Kanalverbindung zwischen Saône und Mosel herstellen wollte, um den Warenverkehr zu erleichtern (vgl. M 56). Das hier erkennbare Bemühen um eine Verbesserung oder Erhaltung der Infrastruktur wird noch durch weitere Inschriften dokumentiert (vgl. WINTER 1996, 185-187). Interessant ist der erfolgreiche Versuch des Statthalters der Mauretania Caesariensis, Varius Clemens, für den Bau der Wasserleitung von Saldae Experten aus dem Militär der Nachbarprovinz heranzuziehen (CIL VIII 2728 = FREÍS 1984, Nr. 101; nach 152/3 n. Chr.). Bemerkenswert ist auch ein in das Jahr 146/147 zu datierender Erlaß des Prokonsuls der Provinz Asia, L. Antonius Albus, der das Zuschneiden von Stein und die Lagerung von Holz in unmittelbarer Nähe des Hafenbeckens der Stadt Ephesos untersagte, um dessen Verlandung zu verhindern (FREIS ebd. Nr. 100; s. zur Sorge der Statthalter für diesen Hafen auch Tac. ann. 16,23). Statthalterliche Eingriffe in das wirtschaftliche Geschehen reduzieren sich aber nicht allein auf das bereits Gesagte. Anzuführen ist auch, daß sie durch die Gewährung von Markttagen oder Marktrechten Einfluß auf die Warenund Geldströme nehmen konnten und so dazu beitrugen, der Wirtschaft auf dem Lande Impulse zu verleihen. Ein wichtiges Zeugnis für dieses öfter dokumentierte Vorgehen bietet das von einem weiteren Statthalter der Asia, Q. Caecilius Secundus Servilianus, gewährte Marktrecht für den Ort Mandragoreis (vgl. M 50). Dirigistische Eingriffe in das Marktgeschehen kamen dagegen eher selten und nur in Notlagen vor. In einem dieser Fälle setzte ein Prokonsul, wiederum der Provinz Asia, seine Machtmittel ein, um Bäcker in Ephesos zur Ordnung zu rufen, die sich aus einem uns unbekannten Grund geweigert hatten, Brot an das Volk auszuliefern (vgl. BUCKLER 1923, 3 0 - 3 3 ) . Ein weiterer klassischer Fall ist das in die 90er Jahre des 1. Jh. n. Chr. datierte Edikt des kappadokischen Statthalters Antistius Rusticus, welches für die Stadt Antiocheia in Pisidien eine befristete Höchstpreisfestsetzung und eine Deklarationspflicht für Getreidevorräte vorsah (vgl. M 80). Ahnlich verfuhr man im Jahre 191 in Ägypten, wo Larcius Memor als praefectus Aegypti für den Gau und die Stadt Oxyrhynchos die Registrierung aller Kornvorräte anordnete, um Preiswucher zu vermeiden (vgl. P. Oxy. 47/3339; HERZ 1988, 186f.). Entsprechende Schritte wird schließlich auch jener Prokurator in Aelium Coela auf der Thrakischen Chersonesos unternommen haben, der gemäß einer Inschrift „in der Zeit der sehr ernsten Lebensmittelknappheit mit Eifer für die Bedürfnisse aller gesorgt" hatte (I. Eph. VII 1, Nr. 3048). Trotz der hier vorgelegten Zeugnisse für ein „ökonomisch" motiviertes Handeln der Provinzstatthalter müssen wir aber einräumen, daß ihrer Verwaltungstätigkeit Grenzen gesetzt waren. Die Größe vieler Provinzen und

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Darstellung/Staat und Wirtschaft deren Städtereichtum verbot es, überall prüfend und regulierend aufzutreten. Wegen der im Laufe des 2. Jh. stärker werdenden finanziellen Probleme vieler Städte setzte die Regierung daher immer häufiger Beauftragte ein, die in den einzelnen Kommunen oder ganzen Regionen nach dem Rechten sahen. Diese zumeist aus dem Ritter- und Senatorenstand stammenden curatores rei publicae (griech. logistai) oder correctores übten ihr Amt nur befristet aus, um chronische Finanzmiseren der Städte zu beheben und Wohlstand und Ruhe in den Gemeinden wiederherzustellen. Dennoch übernahmen sie bei ihrem Vorgehen gegen Mißwirtschaft und Korruption und die allgemeine Ohnmacht der städtischen Organe nach und nach wesentliche Aufgabenbereiche des Provinzstatthalters (vgl. WINTER 1996,160-166). Bevor wir von den Organen, die kontrollierend und lenkend in die Wirtschaft eingreifen konnten und in Ansätzen eine .Wirtschaftspolitik' betrieben, zu der ökonomischen Bedeutung des früh- und hochkaiserzeitlichen Währungssystems übergehen, sei noch kurz einiges zu dem Anteil der Juristen an der wirtschaftlichen Entwicklung im frühen und hohen Prinzipat gesagt. Im wesentlichen sollen dabei nur Aspekte des Handelsrechts zur Sprache kommen, die für das Geschäftsleben von besonderer Bedeutung waren (vgl. dazu GARNSEY/SALLER 1989, 80 f.). Eine Kernfrage unter Handelspartnern war, ob ein Anteileigner in einem Unternehmen mit mehreren Partnern (societas) beim Vertragsschluß mit einer dritten Partei als unabhängiger Handelsvertreter zu gelten habe oder auch im Namen seiner Partner agiert. Nach dem römischen Recht war zunächst nur Ersteres möglich, was den Geschäftsverkehr u. U. stark einschränkte. Diese Sachlage wandelte sich aber seit der späten Republik grundlegend auf zwei Gebieten: Erstens galt ein Zusammenschluß von Staatspächtern (publicum) fortan als Quasi-Firma; die Publicanengesellschaft besaß gemeinsames Eigentum und eine gemeinsame Kasse, gegen die Forderungen einer dritten Partei zulässig waren. Zweitens konnte jeder Teilhaber einer societas nun wegen eines Vertrages verklagt werden, den einer der Geschäftspartner geschlossen hatte. Damit war bei vielen Geschäftskontakten'eine Vertrauensbasis zwischen den Parteien hergestellt, die umfassendere und komplexere Handelsunternehmungen ermöglichte. Im Laufe des Prinzipats wurde der Gedanke, daß die Verträge eines Teilhabers auch seine Partner binden, durch Einzelentscheidungen noch erweitert und verallgemeinert (s. z. B. Dig. 14,3,13,2, Ulpian). Bedeutender waren in dieser Zeit aber die Neuerungen zur Frage der Handelsvertretung. Ihre ökonomische Bedeutung liegt auf der Hand. Wo Geschäfte von Mittelsmännern überwacht und getätigt werden konnten, nahmen Schnelligkeit und Volumen des Handelsaustausches zu. Ohne gesetzliche Vorschriften, die zwischen einem Geschäftsinhaber und einer dritten Partei vertragliche Verpflichtungen festlegten, war der Tätigkeit solcher Agenten allerdings der Boden entzogen. Schon die spätrepublikanischen Juristen veränderten die Rechtslage dahinge-

Geld hend, daß die Beschäftigung von Handelsvertretern in Gestalt von Familienabhängigen möglich wurde, die keine eigene Rechts- und Geschäftsfähigkeit besaßen. Deshalb sind die Belege für den Einsatz von Sklaven, die geschäftlich im Namen ihrer Herren tätig waren, so überaus zahlreich. Mit der Einführung zusätzlicher Rechtsmittel (aniones adiectitiae qualitatis), die einen Geschäftsinhaber für die Schulden seines auftragsgemäß handelnden Geschäftsführers oder Schiffskapitäns haftbar machten, erweiterte sich die Bandbreite der kommerziellen schließlich um die sog. Geschäftsführer-' und ,Reederei-'Geschäfte. Diese Entwicklung wurde durch die kaiserzeitlichen Juristen noch weiter vorangetrieben. Sie erweiterten etwa den ,Geschäftsführungs'-Begriff (Dig. 14,3,5,7, Labeo) und machten damit praktisch jeden haftbar, der einen Vertreter bevollmächtigte, ein bestimmtes Geschäft abzuschließen (Dig. 14,3,19, praef.; 19,1,13,25, Papinian). Kurz hinzugefügt sei noch, daß die Juristen sich auch um die Belange der staatlichen Annona, d. h. vor allem der stadtrömischen Getreideversorgung, in besonderer Weise kümmerten. Nach und nach wurden hier bis ins kleinste Detail die Rechte und Pflichten der Reeder und Händler, die Lieferungsverträge mit der Annonarpräfektur abgeschlossen hatten, festgelegt und die Kompetenzen und Aufgaben ihrer Vereinigungen umrissen (vgl. HERZ 1988, passim). Zahlreich sind auch die Rechtsentscheide in bezug auf die Berufskollegien (vgl. M 96), zum Vertrags-, Vermögens-, Erb- und zum Seerecht. Sie konnten, wie wir im weiteren sehen werden, nachhaltige Folgen für ökonomische Abläufe haben. Insgesamt zeigt sich also auch im Bereich der Rechtsprechung der Wille, jeglichen Formen von Willkür und Mißständen entgegenzuwirken.

2.2 Geld Mit der reichsweiten Etablierung des römischen Währungssystems unter Augustus (vgl. M 3) zirkulierte in diesem riesigen Staatsgebiet für rund 250 Jahre Geld mit einer im geschichtlichen Vergleich erstaunlichen Wertstabilität. Aus allen Teilen des Imperiums besitzen wir Informationen, die schlüssig die Akzeptanz und den Gebrauch der römischen Münzen dokumentieren. War man in der älteren Forschung eher der Meinung, die Monetarisierung habe sich auf die Städte, größeren Orte und Militärstandorte konzentriert, ist man heute von einer Durchdringung auch der ländlichen Gebiete mehr und mehr überzeugt. Unstrittig ist aber die zentrale Position der Siedlungszentren für den Verlauf der Monetarisierung, und ebenso sind die Unterschiede in den Phasen und der Qualität dieses Vorgangs zu beachten. Im übrigen konnte man im griechischen Osten des Reiches bei Beginn der Kaiserzeit schon auf einen z. T. Jahrhunderte währenden Gebrauch des

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Darstellung/Staat und Wirtschaft Geldes zurückblicken (vgl. BOGAERT 1976 b), während in den neu eroberten und meist sehr dünn besiedelten Gebieten des Westens und Nordens die Tauschwirtschaft mehr oder weniger dominierte, obwohl keltische Prägungen sich ζ. T. den römischen Münzstandards angenähert hatten (vgl. ζ. B. R.-ALFOLDI 1 9 7 8 , 1 2 7 - 1 4 3 ) . Es wird auch immer wieder vorgebracht, daß das im ländlich-kleinbäuerlichen Bereich verfochtene Prinzip der Eigenversorgung mit dem Lebensnotwendigen gegen eine durchgängige Monetarisierung spreche. Das ist allerdings mehr ein theoretischer als ein auf Quellen basierender Einwand. So konstatiert E. Frézouls in bezug auf Gallien und das römische Germanien: „Das Geld gehörte bis in den geringsten vicus oder den geringsten Hof hinein zum täglichen Leben" (vgl. FRÉZOULS 1990, 474). Gemäß der Münzfunde auf dem Lande traf dies ebenfalls für Britannien (vgl. REECE 1989, 3 4 - 4 1 ) , Dakien (vgl. GUDEA 1994), den griechischen Raum, Nordafrika, Judäa zu (vgl. HOWGEGO 1992) und in besonderer Weise für den italischen Raum ( z . B . LLOYD 1991). Auf die Alltäglichkeit des Geldgebrauchs, den Tausende von Papyri aus Ägypten und auch die aus dem mesopotamischen Raum (vgl. zu diesen FEISSEL/GASCOU 1995; FEISSEL U. a. 1997; P. Dura) dokumentieren, muß wohl nicht besonders verwiesen werden. Wie wurden nun Stadt und Land mit Münzen versorgt? Zunächst: Seit Augustus übte der Kaiser das Münzrecht allein aus. Daher konzentrierte sich die Produktion von römischen Münzen immer stärker auf die zentrale Münzstätte in Rom. Bis Nero (64 n. Chr.) scheinen aber auch die Emissionen aus Lugdunum eine wichtige Rolle für die Geldversorgung im Nordwesten bzw. für die gesamte Edelmetallprägung des Reiches gespielt zu haben; nach der Verlegung der Münzstätte für Edelmetall nach Rom spielte Lugdunum weiterhin eine wichtige Rolle bei der Prägung von Bronzemünzen (vgl. WLGG 1997, 2 8 4 - 2 8 7 ; WOLTERS 1999, 6 1 - 8 5 , bes. 83), wenngleich hierzu in der Forschung auch andere Bewertungen vorliegen (vgl. KAENEL 1994, 46). Im Osten wurden ältere Traditionen der Münzprägung fortgesetzt. Silbermünzen, wie die Kistophoren aus Asia und die syrischen und alexandrinischen Drachmen, wurden bis in das 3. Jh. n. Chr. ausgeprägt (vgl. die Beiträge in NOLLE U. a. 1997; CHRISTIANSEN 1987/1988). Diese östlichen Silbermünzen

unterstanden

allerdings ebenfalls dem

kaiserlichen

Münzrecht und hatten zur dominierenden Silbermünze des Reiches, dem Denar, einen festen Kurs (vgl. M 3). Alexandreia und Ägypten stellten innerhalb des Reiches hingegen ein geschlossenes Währungsgebiet dar; es wurde durch die Münzstätte in Alexandreia in genügender Weise mit fiduzärem Silbergeld (der ägyptischen Drachme) und kupfernem Kleingeld (Obolen) versorgt. Ein Kleingeldmangel hat in Ägypten allem Anschein nach nie bestanden, und wohl auch nie im kleinasiatischen Raum, da die Stadtprägungen hier

Geld größtenteils in Kleingeld erfolgten. Im Westen werden wir allerdings mit den Anzeichen eines zeitweisen Mangels konfrontiert, der sich u. a. in der Halbierung kleiner Nominale (HS, As) und in der Produktion von GeldImitationen äußerte, die man staatlicherseits mehr oder weniger duldete (vgl. HOWGEGO 1992, 18; WOLTERS 1999, 368 mit Anm. 96). Ähnliches läßt sich für den palästinensischen Raum auch durch verschiedene Äußerungen in der rabbinischen Literatur erschließen (vgl. STROBEL 1989 a, 24). Grundsätzliche Probleme scheint dieses Phänomen aber nicht bereitet zu haben, was auch die Tatsache unterstreicht, daß unter Nero bis zum Jahre 63/64 n. Chr. keine neuen /les-Nominale mehr ausgeprägt wurden. Man ließ bis dahin lediglich das ältere Kleingeld auf seine Umlauffähigkeit überprüfen und die noch guten Münzen mit den Initialen N C APR (= Nero Caesar Augustus probavit) überstempeln, während die Abgegriffenen für spätere Ausprägungen einbehalten wurden. Als Erklärung für dieses Verhalten bietet sich ein Umlaufvolumen früherer Emissionen an, das nach Meinung der Verantwortlichen den Notwendigkeiten entsprach (vgl. HASLER 1980,108-110). Eingriffe in das Währungssystem seitens der kaiserlichen Zentrale bezogen sich bis in das 3. Jh. lediglich auf Gewichtsveränderungen der Münzen und Edelmetallverknappungen, die aber allein die Silberprägungen betrafen (vgl. M 2). Bemerkenswert sind allerdings die beträchtlichen Gewichtsschwankungen der einzelnen Nominale. Dies zeigt ζ. B. die Variationsbreite der unter Antoninus Pius (138-161) ausgeprägten Münzen: Aurei von 5,38 g bis 7,78 g, denarii von 2,46 g bis 4,02 g, sestertii von 14,5 g bis 41,5 g, dupondii von 7,5 g bis 18,0 g und asses von 7,0 g bis 15,5 g (vgl. HASLER ebd. 13 mit weiteren Beispielen). Trotz solcher Auffälligkeiten blieben die Wertrelationen innerhalb des Währungssystems unverändert. Oft werden in die Veränderungen von Gewicht und Feingehalt auch politische und ökonomische Hintergründe hineininterpretiert. Sie haben aber mit der damaligen Realität zumeist nichts gemein. Hier sei nur auf die Denarprägung Trajans seit 107 n. Chr. verwiesen: Trajan habe, so argumentieren einige Forscher in .modernistischer' Manier, unter dem Eindruck eines gewaltigen Goldzuflußes durch den 2. Dakerkrieg (104/105 n. Chr.) und dem folgenden Verfall des Wertverhältnisses zwischen den Gold- und Silbermünzen eine Stabilisierung durch die Verschlechterung der Silberdenare erreichen wollen (vgl. z. B. BEYER 1995 a, 64-66). Wie jüngst plausibel vorgetragen wurde, war der höhere Anteil unedlen Metalls in den neuen Denaren aber keinesfalls Ausdruck einer Stabilisierung, sondern nur Erbteil der alten, einbehaltenen Denare (u. a. der Legionsdenare des Marcus Antonius). Die neuen Münzen sind nämlich ohne Veredelung aus diesem Material wieder ausgeprägt worden (vgl. WEISER 1 9 9 9 ) .

Letztlich unbeantwortbar bleibt indes die Frage nach der im Reich kursierenden Geldmenge, obwohl in der numismatischen Forschung und mittels

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Darstellung/Staat und Wirtschaft theoretischer Ansätze mannigfaltige Versuche unternommen worden sind, sie in etwa zu fixieren (vgl. z. B . G ö B L 1978, 2 3 2 - 2 3 9 ; CHRISTIANSEN 1988, 1 1 - 1 6 ) . Interessant ist eine Studie, die auf der Auswertung von 9 0 . 0 0 0 Silbermünzen aus verschiedenen Regionen des Imperiums fußt (Britannien bis Syrien). Sie zeigt, „... that, for roughly a hundred and fifty years (A. D . 5 0 - 2 0 0 ) , increases and decreases in the volume of coins, minted b y each emperor, were similarly reflected in different and widely separate regions of the empire" (HOPKINS 1 9 8 0 a , 113; vgl. dazu WOLTERS 1999, 3 9 6 - 3 9 9 ) . D i e Schwankungen im Geldangebot waren demnach nicht ein lokales Phänomen, sondern monetäre Entscheidungen in der Zentrale R o m hatten eine reichsweite W i r k u n g . O b man deshalb von einer echten ,Geldpolitik' sprechen kann, müssen die Forschungen der nächsten J a h r e ergeben. W i r sind aber nach dem derzeitigen Stand geneigt, den Verantwortlichen in R o m aufgrund von praktischen Erfahrungen zumindest Kenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Geldmenge und Preisniveau zu unterstellen (vgl. auch BEYER 1995 b). In der Bezahlung und Versorgung des Heeres, der Fürsorge für R o m und der Administration sind aber die zentralen Anliegen des Reiches zu sehen, und zweifellos stellte die kaiserliche Regierung zur Erfüllung dieser Aufgaben das fiskalische Interesse in den Mittelpunkt. W e l c h e Staatlichkeit freilich hat bis in unsere Tage hinein nicht diese Leitlinien befolgt, und welcher w ü r den wir deshalb grundsätzlich Ahnungslosigkeit in monetären Dingen zubilligen? Im übrigen stellt sich zu R e c h t die Frage, o b an leitender Stelle in R o m wirklich niemand im Laufe der J a h r z e h n t e bzw. Jahrhunderte gemerkt hat, in welchem M a ß e ein stabiler Geldwert und eine möglichst flächendeckende Monetarisierung den fiskalischen Interessen des Staates entgegenkamen. D e r mögliche Einwand, die antike Literatur enthalte hierauf keine Hinweise, weshalb man die Frage verneinen müsse, ist jedenfalls unberechtigt. E s verwundert daher nicht, daß in der Forschungsliteratur seit geraumer Zeit ein relativ großer Kenntnisstand in währungs- und steuertechnischen

Dingen

angedeutet oder vorausgesetzt wird (vgl. PLEK.ET 1990, 39 mit A n m . 36. 151 mit A n m . 16 u. 17; FREYBERG 1989; BEYER 1995 a; DERS. 1995 b). A u f welchen Wegen gelangte nun das durch Steuern eingenommene oder prägefrische Geld in die H ä n d e der Bevölkerung? O h n e den späteren A u s führungen im Quellenteil vorzugreifen (vgl. M 1 0 u. 1 1 ) , sei schon gesagt, daß ein ganz erheblicher Teil als Soldauszahlung zu den Militärstandorten transferiert wurde. D i e H ö h e dieser Zahlungen ist aber schwer abzuschätzen, da die Soldaten nur einen Teil ihres Soldes direkt ausgehändigt bekamen (s. u. S. 4 2 ) und die zu den Lagern gelieferten Versorgungsgüter sehr oft Naturalsteuern darstellten, die nicht eingekauft werden mußten (vgl. WLERSCHOWSKI 1984, 1 5 1 - 1 6 0 u. 172). Ungeachtet dessen bündelte sich in den H ä n d e n der häufiger auch mit erheblichen Donativen beschenkten Soldaten (ingesamt ca.

Geld 300.000-400.000 Mann) eine immense Kaufkraft, die die Umgebung der Militärlager maßgeblich beeinflußte (vgl. WlERSCHOWSKl ebd. 125-147; STROBEL 1999, 26; M 11). Über die Bezahlung der Administration auf Reichs- wie auf Provinzebene gelangten zusätzlich größere Geldsummen in den Kreislauf (s. u. S. 52 f.). Der Staat förderte den Geldumlauf ferner durch den Ankauf von Lebensmitteln, die in erster Linie dem Heer zugeführt wurden (vgl. WlERSCHOWSKl 1984, 151-172), durch unregelmäßige - aber im Volumen beträchtliche - Sonderausschüttungen an die Bevölkerung Roms (ιcongiaria, liberalitates; s. u. S. 53 f.) und die italischen Alimentarstiftungen (vgl. KAENEL 1994, 58-60; M 24). Auch die kaiserliche Bautätigkeit, von der vor allem Rom und seine Umgebung profitierten, brachte Unmengen von Geld in Umlauf, sei es in Form von Lohnauszahlungen für die im Bausektor tätigen Menschen oder durch Überweisungen an die mannigfaltigen Materiallieferanten (vgl. KAENEL ebd. 61-63). Es scheint ferner, daß die Landpächter (coloni) auf den über das gesamte Reich verteilten kaiserlichen Besitzungen Teile ihrer Agrarproduktion an die Domänenverwalter verkauften, und so in den Besitz von Geld kamen (vgl. 0RSTED 1997). War nun genug Geld im Umlauf? - Für die Bezahlung der Soldaten und die anderen hier aufgeführten Staatsausgaben scheinen die zur Verfügung stehenden Mittel bis in das 3. Jh. n. Chr. hinein ausgereicht zu haben! Im vorliegenden Zusammenhang ist damit die Frage aber nicht beantwortet. Es geht schließlich darum, ob die umlaufenden Münzen und der sich fortsetzende Geldausstoß im Volumen in etwa auf die gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeiten zugeschnitten waren. Hiermit bewegen wir uns wieder in der Grundsatzdiskussion über die ,Primitivität' oder ,Modernität' der antiken Wirtschaft. Oben ist schon auf die Unmöglichkeit der Geldmengenbestimmung hingewiesen worden. Dennoch vertritt der überwiegende Teil der Forschung die Überzeugung, daß trotz einer allmählichen Steigerung des gesamten Geldvolumens bis zum Ende des 2. Jh. die Geldmenge in der Regel knapp war (vgl. HOPKINS 1980 a, 115; WOLTERS 1999, 166). Zumeist wurde dieses Urteil auch als Argument für die engen Grenzen wirtschaftlicher Entwicklung oder Entfaltung herangezogen. Nach dem jetzigen Stand der Forschung kann man sich aber nicht mehr sicher sein, ob die Kreditgeldschöpfung nicht doch in erheblicherem Umfang als früher angenommen die ,Geldmenge' vergrößerte (s. u. S. 149-156; MROZEK 1985; DERS. 1998). Auf jeden Fall beruhte das Geldangebot nicht zu 100% auf Münzbasis (FREYBERG 1988, 93). Es kommt aber noch etwas anderes hinzu. Man ist offensichtlich zu sehr von dem rein modernen Gedanken befangen, der gesamten produzierten Warenmenge müßte eine entsprechende monetäre Größe entgegengestellt werden. Da aber die Masse der Waren aus landwirtschaftlichen Produkten bestand und das Prinzip der Eigenversorgung die Wirtschaft maßgeblich

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Darstellung/Staat und Wirtschaft prägte, ist diese Vorstellung äußerst brüchig. Ferner muß darauf verwiesen werden, daß auch staatlicherseits der Umgang mit Zahlen das eine war, der Umgang mit Münzen das andere. Folgendes Beispiel mag dies verdeutlichen: Im Jahre 81 n. Chr. bekam der Soldat Q. Iulius Proculus in drei Stipendien seinen Jahressold in Höhe von 742,5 Drachmen gutgeschrieben; abgezogen wurden ihm aber 535,5 Drachmen für Nahrung, Kleidung, Ausrüstung und andere das Standlager betreffende Angelegenheiten (vgl. FlNK 1971, Nr. 68). Sein Nettoeinkommen betrug also ,nur' 207 Drachmen, und es ist fraglich, ob er selbst über dieses nach seinem Gutdünken verfügen konnte (vgl. WLERSCHOWSKI 1984, 223). Darüber hinaus können wir von einem reichsweiten Verrechnungssystem, das zumindest einen Großteil der Heeresversorgung betroffen hat, ausgehen (vgl. REMESAL RODRÍGUEZ 1997, 66 f.). Kurzum, wir dürfen daraus schließen: Die gesamte Hartgeldmenge mag überschaubar oder gar knapp gewesen sein; man verfügte aber über Möglichkeiten, neben dem in Münzen real existierenden Finanzvolumen über Kreditgeldschöpfung und Verrechnungssysteme wirtschaftlich zu agieren. So gesehen gab es im Grunde auch keine Geldknappheit. In Anbetracht der eingangs erwähnten Stabilität der Preise und Löhne bis tief in das 3. Jh. n. Chr. scheint Münzgeld daher eher in adäquater Menge vorhanden gewesen zu sein.

2.3 Staatshaushalt Wenn das zentrale Indiz für einen gesunden Staatshaushalt die Ausgewogenheit zwischen Einnahmen und Ausgaben ist, können wir von einem solchen bis zum Ende des 2. Jh. n. Chr. sprechen. Dies war aber nicht das durchgängige Verdienst der Kaiser. Unter diesen gab es Sparsame und Pragmatiker (z. B. Tiberius, Vespasian und Antoninus Pius) und Verschwender (z. B. Caligula, Nero, Vitellius und Commodus), wobei Nero sich in finanz- und wirtschaftspolitischen Dingen aber engagierter und vernünftiger verhielt, als die über ihn berichtenden antiken Autoren vermuten lassen. Vereinfacht könnte man sagen: Für die erstaunlich lange währende Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben können ein insgesamt gut funktionierendes Regierungs- und Verwaltungssystem und relativ stabile Rahmenbedingungen (trotz einiger größerer Grenzkriege und des Bürgerkrieges im Jahre 68/69) verantwortlich gemacht werden. Das heißt jedoch nicht, es habe in diesem Zeitraum keine starken Belastungen für den Staatshaushalt gegeben. Uber Staatseinnahmen und -ausgaben sind im Laufe der letzten Jahrzehnte viele Berechnungen angestellt worden (Vgl. WOLTERS 1999, 2 0 2 - 2 3 4 ; AUSBÜTTEL 1 9 9 8 , 74F.; D U N C A N - J O N E S 1 9 9 4 , 3 3 - 4 6 ; CHANTRAINE

1982;

HOPKINS 1 9 8 0 a; PEKÁRY 1 9 7 9 , 1 0 4 f.; FRANK 1 9 4 0 , 4 - 1 8 ) . Sie d i f f e r i e r e n

zum Teil erheblich, weil einfach die Quellen fehlen, um speziell für die Ein-

Staatshaushalt nahmenseite einigermaßen verläßliche Größenordnungen zu erarbeiten. Für die Rekonstruktion der Staatsausgaben - insbesondere der Militärausgaben stehen jedoch Materialien zur Verfügung, die recht konkrete Annäherungen erlauben.

2.3.1 Staatliche und kaiserliche Einkünfte An der Spitze der Steuererhebung stand stets der Kaiser, der durch die in Rom vorhandenen Verwaltungsarchive und Finanzbehörden bei Bedarf genauestens über alle Eingänge bzw. Steuerrückstände und den Stand in den Provinzkassen in Kenntnis gesetzt werden konnte (vgl. ALPERS 1995, 260-263; WOLTERS 1999, 198-202). Hiervon zeugt einerseits das von Augustus verfaßte breviarium totius imperii, in dem u. a. die Erträge aller direkten und indirekten Steuern und die verschiedenen Ausgabenposten aufgelistet waren (Suet. Aug. 101,4; Tac. ann. 1,11,3 f.; vgl. KLENAST 1999, 147 u. Anm. 233; 382), und andererseits der bei Statius in poetischen Worten beschriebene Kompetenzbereich des Chefs der kaiserlichen Finanzverwaltung, des sog. a rationibus (vgl. Stat. silv. 3,3,86-105). Die fiskalischen Direktiven aus der Zentrale wurden dann in den Provinzen von den Statthaltern und Finanzprokuratoren umgesetzt. Diese erfüllten ansonsten aber eher Kontrollfunktionen, weil die konkrete Steuererhebung ein Vorgang war, der in den Provinzen im wesentlichen von den städtischen Oberschichten oder der Aristokratie einer Stammesgemeinde (civitas) bzw. von lokalen oder (wie in Ägypten) von liturgischen Amtsträgern organisiert und abgewickelt wurde (vgl. M 6 u. 7). Mit Hilfe dieser grob skizzierten Verfahrensweisen war es schließlich möglich, unter erstaunlich geringem Verwaltungsaufwand reichsweit eine wirkungsvolle Steuererhebung durchzuführen. Sie scheint trotz aller Hinweise auf Korruption und Willkür seitens der Steuereinnehmer (vgl. MACMULLEN 1987) und Belege für Steuerflucht (in Ägypten: vgl. BRAUNERT 1964, 153 f. 166 f.) von den meisten Steuerzahlern als erträglich empfunden worden zu sein (vgl. HOPKINS 1980a, 116-124). Die großen Einnahmepositionen setzten sich aus direkten Steuern in Geld und Naturalien (hauptsächlich Weizen) und (weniger) aus indirekten Steuern (z. B. Zölle; s. u. S. 145-147) zusammen (vgl. NEESEN 1980; DUNCAN-JONES 1990, 187-198). Die wichtigsten von ihnen, das tributum soli, eine teils in Geld, teils in Naturalien erhobene Grundsteuer, und das tributum capitis, eine unter Augustus in Ägypten (und später auch in anderen Provinzen) eingeführte Kopfsteuer, wurden von der zahlenmäßig weit überwiegenden Provinzialbevölkerung aufgebracht. Inhaber des römischen Bürgerrechts waren indes von der Kopfsteuer befreit, von der Grundsteuer aber nur dann,

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Darstellung/Staat und Wirtschaft wenn sie ihren Grundbesitz in Italien oder in entsprechend privilegierten Städten in den Provinzen hatten. Im ganzen Reich ging der Steuerveranlagung eine sehr genaue Erfassung des Grund und Bodens und der Einwohner voraus (vgl. M 4, 5 u. 8 6 ; im folgenden auch AUSBÜTTEL 1998, 7 8 - 8 2 ; NEESEN 1980, 3 0 - 6 1 ) . Solche Provinzialzensus erfolgten aber nicht einheitlich, sondern eher provinzweise und in unterschiedlichen zeitlichen Abständen. Zwischenzeitliche Veränderungen im Grundbesitz - auch im mobilen Eigentum: Vieh, Sklaven etc. - mußten umgehend den örtlichen Behörden mitgeteilt werden, ebenso die Todesfälle von Steuerpflichtigen. Die Höhe der Grund- und Kopfsteuer war von Provinz zu Provinz unterschiedlich. Der Jahressatz für die Kopfsteuer variierte in den Provinzen und Unterbezirken und sogar zwischen Stadt und Land. In Ägypten wurden in den verschiedenen Gegenden und Ortschaften ζ. B. Summen zwischen 10 und 40 Drachmen eingefordert (vgl. NEESEN ebd. 128-130; ZUCKER 1958). Diese Erhebung betraf aber nur die männliche Bevölkerung über 14 Jahre, während in anderen Provinzen auch die Frauen in gleicher Höhe wie die Männer oder zu einem etwas reduzierten Anteil der Kopfsteuer unterworfen waren. Römische Bürger mußten hingegen seit 6 n. Chr. eine fünfprozentige Erbschaftssteuer (vicésima hereditatium) und eine ebenso hohe Freilassungssteuer (vicésima libertatis) entrichten (vgl. auch SCHRÖMBGES 1987, 4 - 6 ) . Reichsweit gab es unter Augustus und Tiberius ferner eine Verkaufs- oder Verbrauchssteuer von 1% und eine vierprozentige Sklavenverkaufssteuer (vgl. ebd.). Zumindest für Ägypten lassen sich obendrein noch zahlreiche weitere Abgaben nachweisen (vgl. WALLACE 1938). Sie erstreckten sich auf beinahe jegliche Form der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aktivität, und bisweilen sogar auf so seltsame Anliegen wie die Finanzierung oder Errichtung von Kaiserstatuen (merismos andriantos; vgl. WALLACE ebd. 159-162). In der Finanzplanung der Kaiser spielten neben den Erträgen aus den eben genannten Steuern aber auch noch andere Abgaben und Einkünfte (auch solche, die in das eigentlich dem Senat unterstehende aerarium Saturni einflössen) eine erhebliche Rolle. Nicht unerheblich waren z. B. die offiziellen Geldgeschenke (collationes) der römischen Bürger und Reichsuntertanen an die Herrscher (vgl. MILLAR 1977, 139-144). Dies galt besonders für das bei Regierungsantritten oder Triumphen fällige aurum coronarium (Kranzgold). Augustus lehnte 29 v. Chr. 35.000 römische Pfund Kranzgold von den italischen Städten ab, ohne aber die entsprechenden Gaben der Provinzialen zu verschmähen. Tiberius, Titus, Trajan, Hadrian, Antoninus Pius und Mark Aurel verfuhren ebenso, oder sie verzichteten sogar ganz auf das aurum coronarium. Seit der Herrschaft des Commodus wurde diese freiwillig' entrichtete Spende dann aber immer mehr zu einer lästigen Pflicht der Provinzialen, und unter Elagabal sogar zu einer quälenden Last (vgl. KLAUSER 1944,

Staatshaushalt 139-141; WALLACE 1938, 281-284). Eine andere Geschenkform waren die strenuae, vom römischen Volk stets zu Neujahr erbrachte Geldgeschenke, die seit Claudius aber nur noch wenige Kaiser entgegennahmen sowie die bei Regierungsjubiläen, Kaisergeburtstagen, militärischen Siegen und Feiern in der kaiserlichen Familie fälligen Spenden an das Kaiserhaus (vgl. NEESEN 1980,146). Beute und Gewinn brachten dem Staat in den ersten zwei nachchristlichen Jahrhunderten natürlich auch die gelegentlichen Kriege und Gebietserweiterungen. So erlaubte die Annexion von Kappadokien 17 n. Chr. die Halbierung der als sehr drückend empfundenen centesima rerum venalium, d. h. der einprozentigen Verkaufs- und Verbrauchssteuer (Tac. ann. 2, 42,4). Die schon erwähnte Kriegsbeute Trajans nach den dakischen Kriegen schlug weit mehr zu Buche. Allein an Gold und Silber sollen 165.000 bzw. 331.000 kg (!) in die Hände des Kaisers gelangt sein, falls die Konjektur von A. Momigliano zu einer - noch mehr übertreibenden - Textstelle bei Johannes Lydos (de mag. 2, 28) richtig ist (vgl. dazu STROBEL 1984, 221). Dazu kamen noch die Erlöse aus dem Verkauf von ca. 50.000 Kriegsgefangenen und die fortan ständigen Einnahmen aus den berühmten dakischen Goldbergwerken bei Apulum und Alburnus maior (vgl. MROZEK 1977). Laufende und sehr beträchtliche Einnahmeposten bildeten ferner die bona vacantia, bona caduca und bona damnatorum, d. h. Güter ohne Besitzer und Güter, deren Besitzer wegen strafrechtlicher Vergehen abgeurteilt worden waren (vgl. MILLAR 1977, 158-174). Zudem wurden die Kaiser immer wieder als Erben bedacht (ebd. 153-158). Wir wissen beispielsweise, daß Augustus im Laufe von 20 Jahren 1.400 Mio. HS aus den Vermächtnissen von Freunden erhielt (Suet. Aug. 101), und Tiberius aus dem Erbe des Cn. Cornelius Lentulus allein 400 Mio. HS (Sen. benef. 2,27,1 u. Suet. Tib. 49,1; s. allg. ROGERS 1 9 4 7 ; BUND 1 9 7 8 ) .

Schließlich muß an die Einkünfte aus dem gewaltigen kaiserlichen Privatvermögen (Patrimonium Caesaris) erinnert werden. Schon Augustus hatte hier mit den Konfiskationen und Proskriptionen in der ausgehenden Bürgerkriegszeit, mit Beutegewinnen, Enteignungen (vor allem von Kronland in Ägypten) und den Erbschaften, die ihm - beginnend mit den Besitztümern Caesars - zuflössen, ein solides Fundament gelegt. Unter seinen Nachfolgern, die ebenfalls massiv von Erbschaften und Legaten profitierten sowie in teilweise erheblichem Umfang Güter konfiszierten, dehnte sich der kaiserliche Besitz dann stetig weiter aus, zumal nun die Phase der Majestätsprozesse und damit einhergehenden Vermögenseinziehungen einsetzte (vgl. CRAWFORD 1976; JACQUES/SCHEID 1998, 179f.). Berüchtigt war z. B. das Vorgehen Caligulas gegen die gallischen Magnaten und Neros gegen jene sechs Großgrundbesitzer, die nach dem älteren Plinius zuvor „die Hälfte von Africa" besaßen (vgl. Plin. nat. 18,35). Ebenso einschneidend war die unter

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46

Darstellung/Staat und Wirtschaft Hadrian resp. Septimius Severus einsetzende Güterakkumulation im kleinasiatischen Binnenland bzw. in Südspanien (vgl. MITCHELL 1993, 143-164; SHA Sept. Sev. 12,1-5). In Zahlen läßt sich der Umfang des über das gesamte Reich verstreuten kaiserlichen Besitzes aber kaum näher ausdrücken (vgl. CRAWFORD 1976, 57-70). Ungeachtet dessen spricht eines für sich: Nach dem Tatenbericht des Augustus war schon der erste Princeps in der Lage, im Laufe seiner 44-jährigen Alleinherrschaft aus eigenem Vermögen 2,4 Milliarden HS für Geldgeschenke, Einlagen in staatliche Kassen und Landaufkäufe etc. aufzuwenden (vgl. Res gestae divi Aug., Anhang 1; FRANK 1933)! Bekannt ist auch, daß der kaiserliche Besitz im quellenmäßig gut dokumentierten ägyptischen Gau Arsinoites gebietsweise 40% des bestellten Bodens umfaßte (vgl. PARÁSSOGLOU 1978, 3 5 - 4 4 ) und große Regionen Zentralkleinasiens (vor allem in Phrygien und Kappadokien) und Nordafrikas im ausgehenden 2. Jh. n. Chr. von riesigen, zusammenhängenden Güterkomplexen geprägt waren (vgl. MITCHELL 1993, 165-197; KEHOE 1988a; CRAWFORD 1976, 5 7 - 5 9 u. 64-66). Selbst im italischen Kernland wuchs der zur Zeit des Tiberius noch spärlich erscheinende kaiserliche Besitz (vgl. Tac. ann. 4,6,4: rari per Italiani Caesaris agri) bis zum Beginn des 2. Jh. um ein beträchtliches Maß (so etwa auf ein Zehntel der Landgüter bei Ligures Baebiani in der Nähe von Benevent; vgl. DUNCAN-JONES 1990,122). Über die hier entscheidende Frage, wieviele Sesterzen oder Überschüsse der kaiserliche Besitz jährlich erbrachte, liegen aber keine Nachrichten vor. Offenkundig waren die Kaiser jedoch bestrebt, ihre Landgüter so gut wie möglich zu nutzen. Einerseits wurde für eine straffe Verwaltung und Kont r o l l e der B e s i t z u n g e n g e s o r g t (vgl. K E H O E 1 9 8 8 a; DERS. 1 9 9 2 ; BOULVERT

1970), andererseits auf Mustersatzungen und Pachtverträge zurückgegriffen, um den Kolonen und Großpächtern eine gewisse Rechtssicherheit zu vermitteln und ihre Bereitschaft zur bestmöglichen Bodenbestellung zu stärken (s. u. S. 86 f.). Noch klarer tritt dieses Ziel bei den in kaiserlichem Besitz befindlichen Bergwerken zutage. Bezeichnend hierfür sind Tenor und Inhalt der berühmten Bergwerksordnungen aus dem staatlich verwalteten Silberminengebiet um Vipasca in Südportugal (vgl. M 22), die für das Leben der Bergleute in den dakischen Minengebieten instruktiven Wachstafeln aus Alburnus maior (vgl. M 7 3 ; MROZEK 1968) und die beim älteren Plinius überlieferten Neuverpachtungen von vorher stillgelegten baetischen Bleigruben (vgl. M 21). Gewiß gab der große Finanzbedarf auch den Ausschlag dafür, daß die Römer nach der Eroberung Nordwestspaniens gleich mit der Ausbeutung der dortigen Goldminen begannen (Flor. epit. 2,33,60; vgl. KLENAST 1999, 402). Sie entwickelten in Asturien, Gallizien und Lusitanien mit dem RiverMining-Verfahren ein System, mit dem laut Plinius jährlich ca. 6549 kg Gold ausgewaschen werden konnten (Plin. nat. 33,78). Auch andernorts zögerten

Staatshaushalt Augustus und seine Nachfolger nicht, sich die Minenbezirke unterworfener Völkerschaften (etwa der Gallier, Noriker, Pannonier, Britannier und Daker) umgehend anzueignen und unter zusätzlichem technischen Know-how ausz u b e u t e n (vgl. W O L T E R S 1 9 9 9 , 5 3 - 5 5 ; SCHNEIDER 1 9 9 2 , 7 5 - 9 5 ;

KIENAST

1999, 402 f.). Dabei war ihr Interesse an den Gold- und Silberminen, die nach und nach im ganzen Reich in staatlichen bzw. kaiserlichen Besitz überführt wurden und einen überaus großen Teil der Rohstoffe für die Münzprägung lieferten, besonders groß (Tac. ann. 6,19,1; Suet. Tib. 49,2; Strab. 3,2,10c; vgl. SCHRÖMBGES 1 9 8 7 , 7 f.; HLRSCHFELD 1 9 0 5 , 1 4 8 f.; z u d e n M i n e n e r t r ä g e n u n d

der Münzprägung WOLTERS 1999, 5 3 - 5 7 ) . Aber auch die anderen Metalle wurden nicht verschmäht. Die Silber-, Blei- und Zinkvorkommen in den Mendip Hills sind z. B. schon unmittelbar nach der Annexion Britanniens zu kaiserlichem Besitz erklärt und ausgebeutet worden (vgl. TODD 1996). Dabei konnte die Form der Nutzung indirekt geschehen, d. h. durch die Verpachtung der Claims und Stollen an Grubenpächter oder Bergwerksgesellschaften, oder direkt, indem Lohnarbeiter, Sträflinge und Sklaven unter Aufsicht von kaiserlichen Funktionären oder Soldaten den Erzabbau besorgten (vgl. M 22). Interessant ist auch der Hinweis bei Vitruv (7,9,4), daß die von (römischen) Steuerpächtern betriebenen Zinnoberhütten bei Ephesos nach der Entdeckung weiterer reicher Zinnobervorkommen in Südspanien nach Rom verlegt wurden. Das begehrte Roherz (allein aus Spanien kamen davon gemäß dem älteren Plinius jährlich 2.000 römische Pfund) durfte fortan erst hier verarbeitet und zu einem staatlich fixierten Preis von 70 HS pro Pfund verkauft werden (Plin. nat. 33,118). Das vorrangige Ziel dieser - wohl vom Kaiser veranlaßten - Maßnahme lag also im Bereich der Produktionskontrolle und Einnahmesicherung. Nachrangig ging es aber auch darum, die Verarbeitung des Erzes zu rationalisieren und das Gewerbe in Rom insgesamt zu stärken. Noch völlig im dunkeln tappen wir in bezug auf die Frage, welche Einkünfte die Kaiser aus den ihnen gehörenden Steinbrüchen, Ziegeleien und Waldbeständen erzielten. Bislang wissen wir nur, daß der Abbau von hochwertigem Marmor in Dokimeion, Simitthus-Chemtou, Luna-Carrara, Prokonnesos etc. aufs genaueste kontrolliert und ein erheblicher Teil des Steinmaterials zu den kaiserlichen Großbaustellen nach Rom verschickt wurde (vgl. M 2 3 ; MAISCHBERGER 1997). Daneben gelangten halbfertige Architekturglieder oder Sarkophage auch auf den freien Markt, ohne daß genau bekannt ist, in welcher Form die Kaiser hiervon finanziell profitierten. Da die kaiserlichen Steinbrüche im 1. und 2. Jh. n. Chr. noch auf der Basis eines pachtähnlichen Systems ausgebeutet wurden (vgl. MAISCHBERGER ebd., 52), scheinen vorwiegend regelmäßige Pachterträge in die kaiserliche Kasse geflossen zu sein.

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48

Darstellung/Staat und Wirtschaft Ungeachtet solcher Unsicherheiten ist sich die Forschung unter dem Eindruck der ständig steigenden Staatsausgaben (s. u.) aber weitgehend darin einig, daß sich die staatlichen und kaiserlichen Einkünfte seit den Anfängen des Prinzipats bis in die spätseverische Zeit hinein nach und nach erhöhten. Ohne die Einkünfte der lokalen Selbstverwaltungen einzubeziehen, können wir sie zur Zeit der iulisch-claudischen Kaiser bei ca. 670 Mio. HS veranschlagen (vgl. DUNCAN-JONES 1994, 46; ähnlich CHANTRAINE 1982). Vespasian vermochte diese Summe durch den Wegfall von Steuerimmunitäten für einzelne Provinzen und Städte und durch weitere Steuererhöhungen noch um ca. 20% auf über 800 Mio. HS zu steigern (DUNCAN-JONES 1994, 12 u. 46). Um das Jahr 150 waren Ausgaben von schätzungsweise 832-983 Millionen HS bezahlbar, und - infolge von neuen oder höheren Steuern und Zöllen bzw. von Konfiskationen - im Jahre 215 von ca. 1,462 oder 1,613 Milliarden HS (vgl. ebd.).

2.3.2 Staatsausgaben Quellenmäßig weitaus besser faßbar ist die Höhe der vom Staat bzw. dem Kaiser getätigten Ausgaben. Gleichwohl gilt auch hier die Einschränkung, daß viele Kalkulationen, die die Forschung in diesem Zusammenhang in den letzten Jahrzehnten vorgenommen hat, auf einer Reihe von Unsicherheiten beruhen. Unklarheit besteht ζ. B. über die exakte Stärke des gesamten Militärapparates, den der Kaiser bzw. der Staat seit dem Beginn des Prinzipats und der Einführung eines Berufsheeres zu finanzieren hatte, zumal hier im Laufe der Jahrzehnte beträchtliche Schwankungen zu registrieren sind (vgl. überblikkend JACQUES/SCHEID 1998, 139-155). So steigerte sich die theoretische Gesamtstärke allein der Legionen von ca. 137.000-150.000 im Jahr 14 n. Chr. auf 165.000-180.000 im 2. Jh. und 180.000-200.000 zu Beginn des 3. Jh. Die Anzahl der Truppenkörper wird dabei von L. Wierschowski für das 1. Jh. n. Chr. auf ca. 28 Legionen (à 6.000 Mann) und rund 325 Auxiliareinheiten veranschlagt (vgl. WIERSCHOWSKI 1984, 212-214). Dazu kamen noch ca. 5.000 (-10.000) Prätorianer, 1.500 Soldaten der cohortes urbanae und 3.500 (oder 7.000?) Angehörige der vor allem als Feuerwehr dienenden cohortes vigilum (in Rom), ferner die Verbände der italischen Hauptflotten in Misenum und Ravenna sowie verschiedene Provinzflotten (insgesamt vielleicht 40.000-45.000 Mann; vgl. LE BOHEC 1993, 36f.) und - seit dem ausgehenden 1. Jh. - zehn alae miliariae (ca. 1.000 Mann starke Reitereinheiten). In bezug auf die Besoldung der Hilfstruppensoldaten herrscht mittlerweile weitgehende Einigkeit darüber, daß Kohortensoldaten 5/6 des Normalgehai-

Staatshaushalt tes von Legionssoldaten b e z o g e n (vgl. SPEIDEL 1992, 92). E s ist derzeit nur fraglich, o b wir auch bei den Marinesoldaten von dieser Relation ausgehen k ö n n e n (dies eher bejahend WlERSCHOWSKl 1984, 2 8 7 A n m . 925). D a wir umgekehrt

über

die

Bezahlung

der

Legionssoldaten

und

der

höheren

Dienstränge in den Legionsverbänden genaue Kenntnisse haben, ist somit zumindest was die L e g i o n e n und Auxilien betrifft - folgende Auflistung der Soldzahlungen möglich:

Soldzahlungen an die römischen Soldaten in HS pro Jahr [nach SPEIDEL 1992,106] Rang/Einheit

Augustus Domitian (83/84 n. Chr.)

Severus Caracalla Max. Thrax (197 n. Chr.) (212 n. Chr.) (235 n. Chr.)

Legionen miles legionis eques legionis centurie legionis centurie primi ordinis Primus pilus

900 1.050 13.500 27.000

1.200 1.400 18.000 36.000

2.400 2.800 36.000 72.000

3.600 4.200 54.000 108.000

7.200 8.400 108.000 216.000

54.000

72.000

144.000

216.000

432.000

750 900 1.050 3.750 4.500 5.250

1.000 1.200 1.400 5.000 6.000 7.000

2.000 2.400 2.800 10.000 12.000 14.000

3.000 3.600 4.200 15.000 18.000 21.000

6.000 7.200 8.400 30.000 36.000 42.000

.

Auxilia miles cohortis eques cohortis eques alae centurio cohortis decurio cohortis decurio alae

D e u t l i c h ist hierbei der sehr ,moderate' Anstieg der B e s o l d u n g von A u g u stus bis z u m J a h r e 197 n. C h r . Praktisch stieg der Sold eines miles und analog dazu die Besoldung anderer Dienstränge -

legionis

-

im Laufe v o n ca.

2 0 0 J a h r e n u m nur 3 3 , 3 % . D i e s e E n t w i c k l u n g kann man getrost als A u s d r u c k recht guter R a h m e n b e d i n g u n g e n werten. In den folgenden 4 0 J a h r e n hatte der Staatshaushalt dann aber eine politisch gewollte Steigerung der Soldausgaben u m 3 0 0 % zu verkraften, was o h n e Zweifel gravierende Folgen für das gesamte wirtschaftliche G e f ü g e haben mußte. In einer kürzlich erschienenen Studie, die die gesamte einschlägige F o r schung einvernimmt, sind übrigens weitere detaillierte Berechnungen angestellt w o r d e n (vgl. SPEIDEL 1996, 74 f.). Sie beziehen sich auf die Soldzahlungen an eine L e g i o n und drei ihr zugeordnete Hilfstruppen in den J a h r e n v o r der Solderhöhung unter D o m i t i a n . D i e folgenden Tabellen sind dieser Studie entnommen:

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50

Darstellung/Staat und Wirtschaft Die anzunehmenden jährlichen Soldkosten für eine vollbesetzte Legion vor dem Jahre 83/84 (in HS) Rang

Zahl

Einfache Soldaten und Gefreite Reiter Soldaten mit l,5fachem Sold Soldaten mit 2fachem Sold Zenturionen Primi ordines Primuspilus Praefectus castrorum

ca. 4.800 120 ca. 280 ca. 200 54 5 1 1

Insgesamt:

X X X X X X X X

Jahressold

Zusammen

900 1.050 1.350 1.800 13.500 27.000 54.000 54.000

ca. 4.320.000 126.000 ca. 378.000 ca. 360.000 729.000 135.000 54.000 54.000

= = = = = = = =

ca. 6.156.000

ca. 5461

Vermutliche jährliche Soldkosten für eine vollbesetzte Infanteriekohorte (cohors peditata) vor dem Jahre 83/84 (in HS) Rang

Zahl

Einfache Soldaten Soldaten mit l,5fachem Sold Soldaten mit 2fachem Sold Zenturionen

ca. 450 ca. 15 ca. 15 6

Insgesamt:

ca. 486

X X X X

Sold

Zusammen

750 1.125 1.500 3.750

ca. 337.500 16.875 22.500 22.500 ca. 399.375

Vermutliche jährliche Soldkosten für eine vollbesetzte cohors equitata vor dem Jahre 83/84 (in HS) Rang

Zahl

Soldkosten der Fußsoldaten (vgl. oben) Einfache Reiter Reiter mit l,5fachem Sold Reiter mit 2fachem Sold Decurionen

ca. 110 4 4 4

Insgesamt:

ca. 608

Sold

Zusammen ca. 399.375

X X X X

900 1.350 1.800 4.500

ca. 99.000 5.400 7.200 18.000 ca. 528.975

Vermutliche jährliche Soldkosten für eine vollbesetzte ala quingenaria Jahre 83/84 (in HS) Rang

Zahl

Einfache Reiter Reiter mit l,5fachem Sold Reiter mit 2fachem Sold Decurionen

ca. 450 19 19 16

Insgesamt:

ca. 504

Sold X X X X

1.050 1.575 2.100 5.250

vor dem

Zusammen 472.500 29.925 39.900 84.000 ca. 626.325

Staatshaushalt Nach der 83/84 vollzogenen Solderhöhung um ein Drittel belief sich der Jahressold für eine Legion auf ca. 8 Mio. HS und für die hier genannten Auxilien auf 534.000, 706.000 bzw. 840.000 HS. Wenn man tatsächlich davon ausgeht, daß die gesamte Löhnung der Soldaten, der senatorischen sowie ritterlichen Tribunen und der Legionslegaten an die jeweiligen Militärstandorte gelangte (vgl. zuletzt - mit nicht ganz stichhaltiger Begründung SPEIDEL 1996, 7 3 - 7 6 ; vgl. ferner WOLTERS 1999, 59), muß auch der Geldmengentransfer von den Münzprägestätten und staatlichen bzw. kaiserlichen Kassen beträchtlich gewesen sein. Bei dem Garnisonsort Vindonissa (CH), der in den Jahren 30 bis 69 n. Chr. mit einer Legion und vermutlich einer cohors peditata und einer cohors equitata belegt war, ist - wie die Tabellen belegen - mit einem Zugang von 8 Mio. HS (oder 2 Mio. Denare) pro Jahr zu rechnen, ohne daß hier mögliche Geldgeschenke des Kaisers an die Soldaten (donativo) oder Entlassungsgelder in die Schätzung miteinbezogen worden sind. Wäre diese Summe in Silbermünzen (denarii) in das Lager gekommen, läge allein das Münzgewicht bei jährlich 8,1 t (vgl. SPEIDEL 1996, 75 f.) und im Falle von Goldmünzen (aurei) immer noch bei 0,656 t. Einen weiteren großen Ausgabeposten bildeten Soldzahlungen an die 5-10.000 Prätorianer (ca. 15-30.000.000 HS jährlich; vgl. WOLTERS 1999, 2 1 4 - 2 1 5 ) und die Entlassungsgelder für die Legionssoldaten, die zunächst nach 20jähriger, dann (seit 6 n. Chr.) nach 25jähriger Dienstzeit fällig wurden. Augustus hatte zur Finanzierung dieser praemia militiae eine besondere Staatskasse, das aerarium militare, geschaffen und mit einem Anfangskapital von 170 Mio. HS ausgestattet (Res gestae divi Aug. 17; KLENAST 1999, 405 f.). Sie füllte sich danach aus den Erträgen der nun eingeführten einprozentigen Verkaufsteuer und der fünfprozentigen Erbschaftssteuer (s. o. S. 44). Das Entlassungsgeld für den einfachen Legionssoldaten betrug von Augustus bis Caracalla 12.000 HS (Cass. Dio 55,23,1), während die höher chargierten Soldaten mit Summen pro gradu cuiusque (Suet. Aug. 49,2) abgefunden wurden. Da nun statistisch pro Jahr und Legion ca. 250 Soldaten in den ehrenhaften Veteranenstand überwechselten, kamen im entsprechenden Zeitraum also weit über 3 Mio. HS bei jedem einzelnen Truppenverband dieser Kategorie zur Auszahlung (vgl. WLERSCHOWSKI 1984,214-217). Die kaiserlichen Geldgeschenke an die Legionssoldaten und die ohnehin schon sehr gut bezahlten Prätorianer schlugen ebenfalls beträchtlich zu Buche. Diese donativa ergingen zwar unregelmäßig - etwa beim Regierungsantritt eines Kaisers - , konnten aber bei raschen Regierungswechseln die zur Verfügung stehenden Edelmetallreserven und Finanzmittel schnell zur Gänze dahinschwinden lassen (vgl. die Liste bei LE BOHEC 1993, 2 4 5 - 2 5 0 ; DUNCAN-JONES 1994, 41. 257). So wissen wir, daß selbst unter dem sparsamen Tiberius Donative in Höhe von ca. 160 bis 180 Mio. HS ausgestreut worden

51

52

Darstellung/Staat und Wirtschaft sind und während der Regentschaft des Claudius ca. 200 Mio. (vgl. WlERSCHOWSKI 1 9 8 4 , 2 1 7 f.).

Fernerhin müssen wir zu diesen Aufwendungen noch die Materialkosten für den gesamten militärischen Apparat und die allgemeine Heeresversorgung hinzufügen. Da ein großer Teil dieser Kosten mit den Abzügen vom ,Bruttosold' finanziert worden ist, relativierte sich zwar diese Gesamtsumme, aber sicher wird die Beschaffung von Pferden, Troßtieren, Baumaterialien für die Lager, Schiffen und anderem technischem Gerät, von Waffen und Ausrüstung, von Textilien und weiteren speziellen Nachschubgütern jährlich mit vielen Millionen Sesterzen zu Buche geschlagen haben (vgl. dazu HERZ 1992, bes. 5 9 - 7 3 ; WLERSCHOWSKI 1 9 8 4 , 2 1 9 ) .

Alles in allem errechnet sich aus den hier genannten Posten der Militäretat der frühen und hohen Kaiserzeit. Da aber viele Details der Besoldung, Materialbeschaffung und der Vergabe von Entlassungsgeldern und Donativen nicht geklärt sind, sind die von verschiedenen Forschern gebotenen Etatziffern notgedrungen nicht identisch."" Wir halten es indes für angemessen, für die Zeit zwischen 14 und 84 n. Chr. mit durchschnittlichen jährlichen Militärausgaben von etwa 500 Mio. HS pro Jahr zu kalkulieren (vgl. WlERSCHOWSKI ebd. 220; anders WOLTERS 1999, 219). Unter Septimius Severus dürften sich diese Ausgaben dann verdoppelt und ab der Regierungszeit Caracallas vielleicht sogar verdreifacht haben, zumal wir im ansteigenden Maße seit dem 2. Jh. noch mit sich ständig ausweitenden Zahlungen für die Anwerbung von Söldnern aus dem Barbaricum zu rechnen haben (vgl. SOUTHERN 1 9 8 9 ) .

Nach den Ausgaben für das Militär war auch die Besoldung der Verwaltungsträger ein bedeutender Etatposten. Hierüber sind wir allerdings sehr viel schlechter unterrichtet. Erstens wissen wir nicht, in welchem Umfang auch untergeordnete Chargen wie etwa die Mitglieder der Provinzstatthalterstäbe Löhnung erhielten, und zweitens haben wir kaum Informationen über die Einkünfte der senatorischen Amtsträger. Am besten sind wir noch über die Bezahlung der ritterlichen Prokuratoren unterrichtet. Sie lassen sich der Ranggruppe der sexagenarii (Jahresgehalt: 60.000 HS), centenarii (100.000 HS), ducenarii (200.000 HS) und, seit Mark Aurel, der trecenarii (300.000 HS) zuordnen. Unter Trajan gab es etwa 29 sexagenarii, 34 centenarii und 34 ducenarii, deren Gesamtbesoldung sich somit auf fast 12 Mio. HS belief. Die ranghöchsten ritterlichen Präfekten Vgl. AUSBÜTTEL 1998, 75: 445 Mio. ( + / - 50 Mio.) HS (1. Jh.); DUNCAN-JONES 1994, 36: 493 oder 554 Mio. (vor 83/4 n. Chr), später (bis Severus) 643 oder 704 Mio. HS, dann (zw. 202 und 212 n. Chr.) 847 oder 908 Mio. und (n. 212) 1.127 oder 1.188 Mio. HS; LE BOHEC 1993, 243: 259 Mio. (vor 83/4 n. Chr.), 344,8 Mio. (bis Severus); 520 Mio. (bis Caracalla); 780 Mio. (bis Diokletian); HOPKINS 1980a, 125 (wie Ausbüttel); FRANK 1940, 4f.: ca. 275 Mio. HS (unter Augustus).

Staatshaushalt (i. e. der praefectus praetorio und praefectus Aegypti) haben weit höhere Gehälter bezogen - vielleicht 500.000 HS (vgl. ALFÖLDY 1981, 188). Insgesamt sind die fixen Staatsausgaben für die ritterlichen Verwaltungsträger und Präfekten unaufhörlich gestiegen, vor allem weil sich die Anzahl der entsprechenden Posten von 100 n. bis 200 n. Chr. verdoppelte (vgl. ALFÖLDY ebd. 213). Dennoch blieb der Personalaufwand gemessen an der Größe des Reiches bescheiden. Auch alle senatorischen Amtsinhaber, deren Gesamtzahl über fast drei Jahrhunderte beinahe konstant blieb (vgl. ALFÖLDY ebd. 213), bezogen feste Gehälter, sofern sie außerhalb von Rom tätig waren. Ob dies vor der Regierungszeit Hadrians auch für jene galt, die eine Stellung in der Reichshauptstadt innehatten, ist aber noch nicht geklärt (vgl. ebd. 183 f. Anm. 80). Zudem gibt es nur wenige konkrete Gehaltsangaben. Das höchste Salär bezog wahrscheinlich der praefectus urbi (der Stellvertreter des Kaisers in Rom). Nach ihm folgten die Prokonsuln von Asia und Africa mit einer jährlichen Vergütung von jeweils 1 Mio. HS. Die anderen konsularen Reichsbeamten (stadtrömische Kuratoren, Provinzlegaten) werden Gehälter von wahrscheinlich mehr als 600.000 und weniger als 1 Mio. HS bekommen haben, während die rangniederen prätorischen Amtsträger scheinbar mit Bezügen zwischen 200.000 und 500.000 HS rechnen durften, (vgl. ebd. 183-190). Insgesamt können wir gemäß der Kalkulation von R. Duncan-Jones die Gehälter der senatorischen Legaten und Statthalter für das 2. Jh. n. Chr. auf jährlich ca. 4 3 , 5 M i o . H S v e r a n s c h l a g e n (vgl. D U N C A N - J O N E S 1 9 9 4 , 3 7 - 3 9 ) .

Mit staatlichen oder kaiserlichen Geldzuweisungen, die allerdings unregelmäßig auftraten, wurde auch die stadtrömische Bevölkerung bedacht. Diese congiuriti resp. (seit dem 2. Jh. n. Chr.) liberalitates wurden von den Kaisern vor allem anläßlich ihres Regierungsbeginns, von Triumphen, Designierungen von Nachfolgern, Herrscherjubiläen (decennalia, vicennalia etc.) und aufgrund testamentarischer Verfügung an das römische Volk verteilt (vgl. KLOFT 1970). Die Anzahl der Empfänger war bis zum Jahre 5 v. Chr. von 250.000 auf 320.000 gestiegen. Nach einem recensus im Jahr 2 v. Chr. wird man in den folgenden beiden Jahrhunderten von rund 200.000 congiarz'D-Empfängern ausgehen können (vgl. VAN BERCHEM 1939, 2 6 - 3 1 ) . Allein von 29 v. bis 2 v. Chr. verteilte Augustus 424,8 Millionen HS (vgl. WOLTERS 1988, 199). Uber die Höhe der einzelnen Geldzuwendungen sind wir nicht durchgehend informiert. Die nachfolgende Tabelle läßt aber in etwa die finanziellen Größenordnungen solcher Schenkungsmaßnahmen erkennen. Durch die congiaria gelangten somit ohne Zweifel ungeheure Summen in den großstädtischen Geldkreislauf. Wenn z. B. der Kaiser Antoninus Pius (138-161 n. Chr.) in neun congiaria jedem der 200.000 empfangsberechtigten römischen Bürger 825 Denare zukommen läßt, ergeben sich insgesamt Aufwendungen von 165 Mio. Denaren. Damit konnte man gemäß den oben

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54

Darstellung/Staat und W i r t s c h a f t Die Höhe der von den Kaisern zwischen 14 n. und 235 n. Chr. ausgegebenen congiaria (in HS) Herrscher

Anzahl der congiaria

Geschätze Geldausschüttung pro Kopf

Pro Kopfausgaben pro Regierungsjahr

Totale Kosten pro Regierungsjahr (Mio.)

Gesamtausschüttung (Mio.)

Tiberius Claudius Nero Vespasian Domitian Trajan Hadrian Antoninus Pius Mark Aurel Commodus Septimius Severus Caracalla Elagabalus Severus Alexander

4 2 1 1 3 3 7 9 7 6 6 4 4 5

1.040 600 400 300 900 1.500 3.000 3.300 3.200 3.360 4.000 2.400 2.400 3.000

45 44 29 32 60 77 147 146 168 263 226 388 630 231

7 7 4 5 9 12 22 22 25 39 41 70 113 42

208 120 80 60 180 300 600 660 640 672 800 480 480 600

176 200

26 30

120 60 80 120

Kurze Herrschaften Caligula Nerva Pertinax Macrinus

2 1 1 1

600 (300) 400 600

-

513

-

92

Die Belege sind entnommen bei VAN BERCHEM 1939; DUNCAN-JONES 1994, S. 249 Tab. A.l. angeführten A n g a b e n z u m Militärhaushalt zu dieser Zeit ca. 8 0 L e g i o n e n für ein J a h r besolden (s. o. S. 5 1 ) ! A u c h gewichtsmäßig stößt man in neue D i mensionen vor. N ä h m e n wir ζ. B . an, alle v o n A n t o n i n u s Pius ausgegebenen congiaria

seien samt und sonders in D e n a r e n ausbezahlt w o r d e n und u n -

terstellen dabei zusätzlich ein Eigengewicht von durchschnittlich 3 , 2 4 g p r o S i l b e r m ü n z e (s. o. S. 39), würde sich allein das M ü n z g e w i c h t der so ausgezahlten G e l d e r auf 5 3 4 , 6 t belaufen! E i n privilegierter Teil der stadtrömischen B e v ö l k e r u n g (seit 2 v. C h r . ca. 2 0 0 . 0 0 0 M e n s c h e n ) erhielt obendrein ein ansehnliches monatliches Q u a n t u m an Getreide, jährlich insgesamt ca. 12 M i o . modii, zugeteilt. In G e l d ist diese sich wesentlich aus Naturalsteuern und Pachterträgen

zusammensetzende

G e t r e i d e m e n g e natürlich nur schwer u m z u r e c h n e n . W e n n man analog zu einigen Preisangaben aus Asien und Afrika den modius

mit lediglich 2 Vi H S

festlegt (vgl. DUNCAN-JONES 1990, 150), beziffern sich die K o s t e n für die frumentationes

allerdings schon auf 30 M i o . H S . D a überdies n o c h beträcht-

Staatshaushalt liehe Mittel für die Beschaffung und Verteilung des Getreides aufzuwenden waren, scheinen die jährlichen Ausgaben auf diesem Sektor im 1. und 2. Jh. wohl ebenfalls einen Wert von 50 Mio. HS überschritten zu haben (vgl. auch CHRIST 1 9 9 5 , 4 4 1 ) .

Damit fand die Freigebigkeit der Kaiser gegenüber der stadtrömischen Bevölkerung aber noch kein Ende. Sehr viel Aufsehen erregte ζ. B. das bei vielen Herrschern (bes. Caligula, Nero, Titus und Domitian) praktizierte Verfahren, missilia (Wurfgeschenke) in die Menschenmenge zu schleudern. Millionen von Sesterzen in Form von Sachgeschenken, später auch Geld, Edelmetall, Preziosen, Anweisungen auf Landgüter, Haustiere, Schiffe und Häuser wurden so blindlings unter das Volk gestreut (vgl. PRELL 1997, 286). Ebenso maßlos konnten die Ausgaben für außerordentliche Lebensmittelverteilungen, großangelegte Kleiderspenden, Verlosungen und Massenbankette sein (die bis zu 10 Mio. HS kosteten; vgl. Sen. cons. ad Helv. 10,4; PRELL ebd. 286), oder für die Ausrichtung von Gladiatoren- und Zirkusspielen. Diese schlugen schon in Normaljahren mit wenigstens 2 Mio. H S zu Buche, müssen bisweilen aber astronomische Summen verschlungen haben (vgl. FRANK 1940, 5). Für letzteres sei nur auf die 123-tägigen Spiele Trajans nach dem 2. Dakerkrieg verwiesen, bei denen 10.000 Gladiatoren antraten und 11.000 wilde Tiere getötet worden sein sollen (Cass. Dio 68,15,1), oder auf die - allerdings selten veranstalteten - Naumachien, bei denen ganze Flotten auf z. T. künstlich hergerichteten Seen gegeneinander kämpften (vgl. etwa Cass. Dio 55,10,7; Res gestae divi Aug. 23; Suet. Aug. 43,1; Tac. ann. 12,56,2-3; Suet. Claud. 21,6; Cass. Dio 66,25,2-4; 67,8,2-4). Gleichfalls nur annähernd abzuschätzen sind die kaiserlichen und staatlichen Ausgaben für die Erstellung und Erhaltung von N u t z - und Repräsentationsbauten. Domitian etwa soll für öffentliche Bauten im Laufe seiner Regierungszeit jährlich ca. 2 0 - 6 0 Mio. H S aufgewendet haben (vgl. DUNCAN-JONES 1994, 42). Sicherlich standen ihm andere Kaiser, wie etwa Claudius, dessen Großprojekte z. T. mehrere hundert Millionen Sesterzen verschlangen (s. o. S. 31), oder Trajan und Hadrian in dieser Hinsicht in nichts nach (vgl. MILLAR 1977, 189-201; KUHOFF 1993, 143-214). Andererseits wissen w i r aber auch von Herrschern, die sich bei den Bauausgaben sehr zurückhielten ( z . B . Tiberius; vgl. Cass. Dio 57,10,1 f.; Suet. Tib. 4; SCHRÖMBGES 1987, 2 3 ) .

Ein anderer, sich ständig ausweitender Kostenbereich betraf die zur Erhaltung des äußeren Friedens bzw. im Rahmen regulärer diplomatischer Beziehungen ausgestreuten Subsidien für ,befreundete' und/oder feindliche' Stammesführer und Regenten (vgl. GORDON 1949; WOLTERS 1999, 225f.). Hinweise auf die Höhe dieser Zahlungen werden allerdings nur selten geboten. Offenkundig passierte der größte Teil aller ,Stillhaltegelder' die Donaugrenze. Der berühmt-berüchtigte Dakerkönig Decebalus soll für seine

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Darstellung/Staat und Wirtschaft Friedensbereitschaft von Domitian eine jährliche Summe von „zwei Obolen pro Römer" verlangt haben, was nach einer Hochrechnung jährlich einer Geldmenge von 8 Mio. HS entsprach (vgl. SCARDIGLI 1998, 647 f.). Zahlungen an andere Völkerschaften entlang der Nordgrenze sind von fast allen römischen Kaisern, die auf Domitian folgten, geleistet worden (vgl. ebd.; WOLTERS 1991, 116-121). Es steht auch außer Zweifel, daß die Zahlungen gegen Ende des 2. Jh. eine beträchtliche H ö h e erreicht hatten (vgl. etwa Cass. Dio 74,6,1; Herodian. 6,7,9); Cassius Dios Behauptung, Caracalla habe den Barbaren ebenso hohe Summen wie dem römischen Heer gezahlt, dürfte aber weit an der Wirklichkeit vorbeiführen (79,17,3). Analog hierzu versuchte Rom auch an der Ostgrenze mit Geldern und Geschenken die Geschicke in seinem Sinne zu steuern. Schon die von Augustus bzw. Tiberius unterstützten parthischen Thronprätendenten Vonones und Phraates sind mit erheblichen Geldmitteln ausgestattet worden (vgl. Tac. ann. 2,2,1; 6,32,1). Später, im Jahre 38 n. Chr., soll Antiochos IV. bei seiner Inthronisierung als Klientelkönig des kleinen Euphratreiches Kommagene 100 Mio. HS von Caligula erhalten haben (Suet. Cal. 16,3). Unter dem nur kurz regierenden Kaiser Macrinus (217-218 n. Chr.) ist nach einem unglücklich verlaufenden römischen Partherfeldzug sogar von einer Entschädigungszahlung in H ö h e von 50 Mio. Denaren die Rede (Cass. Dio 79,27,1). Zahlungen dieser Art lassen sich aber schon dem Sektor der gelegentlich auftretenden Ausgabenposten zuordnen. Hierzu gehörten auch die Staatsbegräbnisse. Wie sehr diese bei Todesfällen innerhalb der kaiserlichen Familie den Staatssäckel belasteten, zeigt Suetons Hinweis auf das Begräbnis Vespasiani, für welches die Summe von 10 Mio. HS aufgewendet worden sei (Suet. Vesp. 19,2). Ähnlich unregelmäßig waren die Zuwendungen der Kaiser an verarmte Senatoren und Ritter, um ihren Verbleib in den jeweiligen ordines zu sichern (vgl. Veil. 2,129,3; Tac. ann. 2,37-38; Suet. Tib. 47), oder ganz allgemein ihre Schenkungen an Günstlinge. Nero z. B. soll gemäß Tacitus (hist. 1,20) in den 14 Jahren seiner Regentschaft auf diese Weise über 2,2 Milliarden HS ausgegeben haben! Auch so manche Notfallmaßnahme war mit großen Ausgaben verbunden. Bei Großbränden, Erdbeben, Mißernten oder Finanzkrisen wurden nicht selten hohe zweistellige oder gar dreistellige Millionenbeträge aufgewendet. Tiberius spendete 100 Mio. HS, als in Rom das Aventingelände niederbrannte (Cass. Dio 58,26,5; Tac. ann. 6,45,1; Suet. Tib. 48,1), ferner 10 Mio. HS und einen fünfjährigen Steuererlass für die von einem Erdbeben zerstörte Stadt Sardis (der übrigens auch elf anderen kleinasiatischen Städten zugestanden wurde; vgl. Tac. ann. 2,47; WINTER 1996, 97-100). N o c h bekannter ist sein erfolgreiches Einschreiten anläßlich einer Geldknappheit in Italien, die im Jahre 33 n. Chr. eintrat. Der Kaiser übergab den Wechselbanken ein Kapital von 100 Mio. HS mit der Auflage, dieses zur Ausgabe zinsloser Darlehen an

Staatshaushalt verschuldete Landeigentümer zu verwenden (Tac. ann. 6,16-17; vgl. BEYER 1995 b, 9-11). Die Störungen auf dem Kapitalmarkt und im Geldumlauf konnten so überwunden werden. Weitere beträchtliche Belastungen für den Haushalt brachten die Schuldenerlasse mancher Kaiser, vereinzelte agrarpolitische Initiativen und die Finanzierung der staatlichen Alimentarstiftungen. In bezug auf ersteres sind zwei Aktionen herausragend. Die erste datiert in das Jahr 118 n. Chr., als Hadrian mit einem Schlag die Staatsschulden aller römischen Bürger aus den vergangenen 16 Jahren mit einer Gesamtsumme von 980 Mio. HS erließ (vgl. R I C II, Hadrian, N r . 590-593; ILS 309; SHA Hadr. 7,6), die zweite in das Jahr 178, als Mark Aurel eine ähnlich umfassende Kassation von Schulden anordnete (vgl. Cass. Dio 72,32,2; H A Marc. 23,3). Im finanziellen Umfang geringer einzuordnen ist indes die schon erwähnte Landbeschaffungsaktion Kaiser Nervas (96-98 n. Chr.). Die Ankäufe erreichten ,lediglich' ein Volumen von 60 Mio. HS. Für die Einrichtung der Alimentarstiftungen, die unter dem gleichen Princeps ihren Anfang nahmen und unter Trajan erheblich ausgeweitet wurden, wird man nach neueren Schätzungen dagegen von einem staatlichen Geldeinsatz von ca. 400 Mio. HS ausgehen dürfen (vgl. WlERSCHOWSKl 1998, 762). Insgesamt bleibt aber das Fazit, daß die anstehenden Ausgaben trotz der verschwenderischen Gebaren einzelner Kaiser offensichtlich finanzierbar waren.

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3.

Landwirtschaft

F ü r die Beurteilung der Ö k o n o m i e einer jeden vorindustriellen Gesellschaft ist der Blick auf den Zustand der Landwirtschaft unabdingbar. Schließlich fand hier die große Mehrheit der Bevölkerung ihr A u s k o m m e n und es mußten hier jene U b e r s c h ü s s e erwirtschaftet werden, die die Existenz aller anderen gesellschaftlichen G r u p p e n sicherstellten. D e r U m s t a n d , daß sich das Imperium über drei Kontinente mit - auch kleinräumig - sehr unterschiedlichen K l i m a z o n e n und Bodenqualitäten erstreckte, und eine insgesamt dürftige Quellenlage machen es überaus schwer, ein einheitliches Bild über das Agrarwesen der frühen und hohen Kaiserzeit zu entwickeln. Daher verwundert es nicht, wenn zentrale Fragen, wie die nach den Bewirtschaftungsformen, der Intensität der B o d e n n u t z u n g , der konjunkturellen Entwicklung in den einzelnen geographischen Zonen und dem Ressourcenmanagement in der F o r s c h u n g heute noch kontrovers diskutiert werden. Wir sind durch die Ergebnisse neuerer Detailstudien allerdings in der Lage, jenseits aller Theorien von ,Modernisten' und ,Primitivisten' (die die Landwirtschaft pauschal als marktorientiert und fortschrittlich oder als rückständig und wenig diversifiziert charakterisieren; s. o. S. 1 9 - 2 1 ) über wichtige A s p e k t e ein ausgewogeneres Urteil zu fällen. Dieser erfreuliche Trend in der F o r s c h u n g hat verschiedene Ursachen. Ein G r u n d ist sicher, daß man die „griechische" oder „ r ö m i s c h e " Landwirtschaft nun weniger global beleuchtet. Indem stattdessen die besonderen Bedingungen in einzelnen Zeitphasen herausgestrichen werden, lassen sich auch die Ursachen und G r e n z e n des Wachstums der A g r a r p r o d u k t i o n in den ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderten klarer umreißen. Parallel dazu wächst das Interesse an der agrarischen Entwicklung der einzelnen Provinzen (vgl. die umfangreichen Literaturangaben bei BECHERT 1999). D i e

regionalen

Entwicklungsschübe werden dadurch deutlicher erkennbar, und auch die Heterogenität und Komplexität des Geschehens rückt nun stärker ins Bewußtsein. Hierdurch lassen sich die Schablonen und Theorien, an denen man sich bisher orientierte, immer mehr durch differenzierte Beurteilungen und Verweise auf konkrete Vorgänge ersetzen. Eine noch wichtigere Triebfeder

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Darstellung/Landwirtschaft für die Erkenntnisgewinne der letzten Jahrzehnte war aber, daß sich die Agrar- und Wirtschaftshistoriker von einer zu engen Quellenbasis lösten und immer mehr den Weg zur interdisziplinären Zusammenarbeit beschreiten. Tatsächlich beschränkte man sich bis dahin zu sehr auf die literarische Überlieferung (v. a. Cato, Varrò, Columella, Plinius der Altere bzw. Jüngere, Palladius), auf verschiedene Rechtsgutachten und -entscheidungen hochkaiserzeitlicher römischer Juristen (z. B. Gaius, Ulpian, Modestinus, Papinian) sowie einen beschränkten Fundus an Inschriften und archäologischen Zeugnissen. Italien und (mit Abstrichen) Afrika rückten somit in jeder Studie zur römischen Landwirtschaft automatisch in den Vordergrund, ebenso die Beschäftigung mit der römischen Guts- und Domänenwirtschaft bzw. dem Kolonat (vgl. zu Recht die Kritik von JÖRDENS 1993, 4 9 - 8 1 an FLACH 1990). Daß hiermit jedoch nur ein Teil der Materie beleuchtet wird, zeigen die Quellen, die nun ergänzend Berücksichtigung finden. Anführen muß man besonders die Papyri und Ostraka, die bis vor kurzem allzugern mit dem Hinweis, sie seien nur für die Zustände in der einen Sonderweg beschreitenden Provinz Ägypten von Belang, aus der Betrachtung ausgeklammert w u r den. Weil nun auch entsprechende Zeugnisse und Holztafeln mit Schriftinhalten, die die Sphäre der Landwirtschaft berühren, aus Tunesien, Palästina, Mesopotamien und sogar Britannien vorliegen (vgl. COURTOIS u. a. 1952; C O T T O N u . a . 1 9 9 5 ; BOWMAN/THOMAS 1 9 8 3 / 1 9 9 4 / 1 9 9 6 ; BIRLEY u . a .

1993;

FEISSEL/GASCOU 1995; FEISSEL u . a . 1997), geht die Tendenz jetzt eher dahin, anhand der aus Ägypten überlieferten Verwalterarchive, Steuerbzw. Landlisten und Pachtverträge den rechtlichen und organisatorischen Rahmen der antiken Landwirtschaft näher zu konturieren. Noch konsequenter wurde (bzw. wird) indes an der reichhaltigen rabbinischen Uberlieferung aus Palästina vorbeigesehen, namentlich an den um 200 bzw. 220 n. Chr. redigierten religiösen Lehrwerken der Mischna und Tosefta (vgl. zum Charakter dieser Quellen STROBEL 1991 a, 4 9 - 5 3 ; zu Textausgaben und Übersetzungen S t r a c k / S t e m b e r g E R 1982, bes. l l l f . ) . Dies ist besonders zu bedauern, weil in den hierin enthaltenen Vorschriften, Diskussionen und Kommentaren immer wieder Fragen und Probleme des Bodenanbaus und der Viehhaltung angesprochen werden (vgl. BEN-DAVID 1974; SAFRAI 1994). Im Gegensatz dazu gehören die Bemühungen, archäologische Erkenntnisse in die Untersuchung einzubeziehen, mittlerweile zum allgemeinen Standard (vgl. GREENE 1986, 9 8 - 1 4 1 ) . Hervorzuheben sind die Versuche, durch Geländeprospektionen in Verbindung mit gezielten Grabungen und Luftbildauswertungen großräumige Siedlungsbilder zu entwerfen und die Relikte römerzeitlicher Flurvermessungen aufzudecken (vgl. etwa AGACHE 1975; AGACHE 1978; BECHERT 1999, 13 f. u. ö. [weitere Lit.]). Vielerorts gelang es auch, die bauliche Gestalt und Struktur von Landgütern, kleinen Gehöften

Qualität der Bodenbewirtschaftung und Siedlungen zu ermitteln und sich Einblicke in die Wirtschaftsform, mit der man hier ein Auskommen zu finden suchte, zu verschaffen (vgl. etwa d i e B e i t r ä g e in B E N D E R / W O L F F 1994; f e r n e r PERCIVAL 1976; FLACH 1990,

215-249). Bemerkenswert sind ferner die Forschungsergebnisse der Paläobotaniker, Osteoarchäologen und Anthropologen, durch die wir für zahlreiche Fundplätze Hinweise auf die Verbreitung bestimmter Kulturpflanzen und Haustierarten erhalten und Einblicke in das allgemeine Ernährungsverhalten bzw. den Versorgungsstand gewinnen (vgl. KÜSTER 1994; die Beiträge in VAN ZEIST U. a. 1991; BENECKE 1 9 9 4 a ; DERS. 1 9 9 4 b ; KREUZ 1 9 9 4 / 1 9 9 5 ;

BECHERT 1999, 34 f. [weitere Lit.]). In eine andere Richtung gehen die Versuche, aufgemalte Beschriftungen (tituli picti) und weitere Vermerke auf den nahezu überall aufgefundenen Amphoren zu entschlüsseln und einem systematischen Vergleich zu unterz i e h e n (vgl. PEACOCK/WILLIAMS

1986; BECHERT 1999, 3 7 [ m i t

weiterer

Lit.]; BLÁZQUEZ MARTÍNEZ u. a. 1994). Hier wird - auch unter Anwendung petrochemischer Analysen - darauf abgezielt, in bezug auf Wein, Ol und Fischsaucen (und einiger weiterer hochwertiger Lebensmittel, die in Amphoren transportiert wurden) die wesentlichen Produktionsorte ausfindig zu machen und zu ermitteln, für welche Absatzmärkte diese Güter bestimmt waren (vgl. etwa MARTIN-KILCHER 1987; DIES. 1994a). Es braucht im übrigen nicht weiter kommentiert zu werden, daß nach wie vor auch die klassischen Fundstücke der Archäologie von den Forschern berücksichtigt werden, d. h. die bei Grabungen entdeckten landwirtschaftlichen Geräte und Maschinen, die Dokumente der antiken Bildkunst (etwa Reliefs und Mosaiken mit Szenen aus der Landwirtschaft) und Betriebseinheiten wie Mühlen, Pressen, Scheunen usw. (vgl. GREENE 1986, 98-141; WHITE 1967; DERS. 1975).

3.1 Qualität der Bodenbewirtschaftung Bei dem Versuch, Aufschlüsse über die Qualität der Landwirtschaft zu gewinnen, ist es zunächst naheliegend, auf die Formen der Bodenbewirtschaftung einzugehen. Dabei wird nicht unbedingt das vieldiskutierte Problem der Saat-Ertragsrelationen bei Getreide im Vordergrund stehen, das ohnehin überbewertet wird, weil auch andere Lebensmittel, insbesondere Hülsenfrüchte, Gemüsepflanzen, Olivenöl, Obst, Fleisch- und Fischprodukte eine wichtige Rolle im Speiseplan der Menschen spielten (s. u. S. 186-191). Es gilt eher zu klären, ob man imstande war, durch eine Verfeinerung der Ackerbaumethoden die Bodenerschöpfung und die Brachezeiten zu minimieren. Gerade hier setzt nämlich ein Kritikpunkt an den dem ,Primitivismus' zuneigenden Wirtschaftshistorikern an. Sie unterstellen, die Römer

61

62

Darstellung/Landwirtschaft hätten noch eine ganz einfache, den Boden weizenmonokultur mit entsprechend geringen im Mittelalter sei in dieser Hinsicht mit der wirtschaft ein wirklicher Fortschritt erzielt

einseitig erschöpfende SaatErträgen betrieben, und erst Einführung der Dreifelderworden (vgl. etwa WHITE

1962; DUBY 1962). V o r d e m H i n t e r g r u n d der Studien v o n M . S . SPURR (1986, 1 1 7 - 1 2 0 ) u n d H . W .

PLEKET (1990, 71 f. 7 5 - 7 9 ) b e d ü r f e n

solche

Folgerungen aber einer eingehenden Prüfung, zumal einige neuere Abhandlungen zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Agrargeschichte keinesfalls das Bild einer durchweg fortschrittlichen, dynamischen und von großen Ertragsüberschüssen geprägten Landwirtschaft vermitteln (vgl. GRIGG

1982; VERHULST

1988, 2 3 9 - 2 4 3 ;

RÖSENER

1992). W i r

können

unter dem Eindruck verschiedener Einzelstudien zur römischen Landwirtschaft in Afrika, Syrien und Kleinasien sogar noch weiter gehen und die provozierende Frage in den Raum stellen, ob das Produktionsniveau in den außereuropäischen Regionen des Reiches vor dem 20. Jh. überhaupt jemals wieder einen so hohen Stand wie in der frühen und hohen Kaiserzeit erreicht hat (vgl. zu Afrika MATTINGLY/HITCHNER 1995, 189-198; zu Syrien TATE

1997, 5 5 - 7 1 ;

zu

Kleinasien

MITCHELL

1993,

143-197.

257-259;

STROBEL 1996, 7 0 - 9 8 ) .

Ein wichtiges Indiz für die Sorgfalt, mit der man unter dem Druck einer wachsenden Bevölkerung und steigender Bedürfnisse der städtischen und militärischen Konsumzentren in dieser Zeit Landwirtschaft betrieb, stellt vielleicht schon die Vielzahl der Getreidearten dar, die im Reich unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten angebaut wurden (vgl. KREUZ 1994/1995, 74-78; SALLARES 1998, 1029-1038 [mit weiterer Lit.]). Saatweizen, der in erster Linie wegen seiner Eigenschaft, gutes Mehl für Brot zu liefern, zur Kultur kam, aber gegen Krankheitserreger und Schädlingsbefall sehr anfällig war und einen hohen Nährstoffbedarf hatte, herrschte z. B. nur dort vor, wo Klima und Böden dies auch wirklich zuließen, d. h. vor allem im Pontosraum, in Gallien und Norditalien (vgl. SALLARES ebd. 1031 f.). In den trockeneren Gegenden dominierte dagegen der ergiebigere und - in bezug auf den Wasserbedarf - genügsamere Emmer (triticum dicoccum) oder Hartweizen (triticum durum), während in den feuchtkalten Zonen der krankheitsresistentere und witterungsbeständige Dinkel bevorzugt wurde, der auch höhere Stroherträge lieferte (vgl. ebd. 1033 f.; KREUZ 1994/1995, 76 f.). Weit häufiger als angenommen säte man auch Gerste ein, die - obgleich es sich bei ihr um ein Sommergetreide handelte - nicht nur hohe Erträge brachte und beim Anbau weniger Arbeitsaufwand erforderte, sondern - als Folgefrucht auf Weizen - auch die Bodenerschöpfung minderte (vgl. SALLARES ebd. 1034 f., WILLERDING 1998, 136f.). Das sind wohlgemerkt nur einige Beispiele, die sich durch Zitate aus dem 18. Buch der Naturgeschichte des älteren Plinius und im 2. Buch des landwirtschaftlichen Lehrwerkes von Columella mannig-

Qualität der Bodenbewirtschaftung fach ergänzen lassen. Durch diese Autoren (aber auch durch Geop. 2,16; Varrò rust. 1,52) sowie durch Papyrustexte und Zitate in der rabbinischen Literatur wissen wir auch, daß man bei der Wahl der Aussaat große Sorgfalt walten ließ, um eine Degeneration des Getreides zu verhindern, und bisweilen sogar einen schwunghaften Handel mit Saatgetreide führte (vgl. SCHNEBEL 1925, 121; BEN-DAVID 1974, 103; SPURR 1986, 41 f.). Es überrascht zugleich, wie kenntnisreich und differenziert sich der ältere Plinius und die Fachschriftsteller zu den verschiedenen Sorten äußern. Somit war die Bereitschaft, zugunsten besserer Erträge auf andere Saaten zurückzugreifen, bei engagierten Gutsbesitzern wohl doch größer, als heute gemeinhin angenommen wird. Auf Irrtümern beruht auch die Auffassung, die Römer hätten sich wegen der von ihnen verwendeten Pflüge stets auf die Bewirtschaftung leichter, sandiger Böden beschränkt (vgl. RAUSING 1987, 1 2 1 - 1 2 4 ) . Den

besten

Gegenbeweis bietet wieder der ältere Plinius, der für die frühe Kaiserzeit die Einführung zahlreicher neuer Pflugtypen überliefert und darunter ausdrücklich solche mit messerförmigem Eisensech erwähnt, die gut in der Lage waren, schwere Böden zu bearbeiten (vgl. M 3 3 ) . M. S. Spurr konnte es in seiner Studie zum Ackerbau im römischen Italien sogar wahrscheinlich machen, daß die Fruchtbarkeit der Böden in vielen Gegenden durch intensiveres und tieferes Pflügen nachhaltig gesteigert worden ist (SPURR 1986, 2 3 - 4 0 ) . Damit scheint der Ratschlag Catos (agr. 61,1) beherzigt worden zu sein, der sorgfältiges Pflügen als eine wesentliche Vorraussetzung für erfolgreichen Feldbau betrachtete: „Was heißt, den Acker gut bebauen? Gut pflügen; was ist das Zweite? Pflügen; was kommt drittens? Düngen!"

(Übers, nach D . FLACH).

Die Schlußsentenz verdeutlicht, daß bei dem Versuch, der Bodenerschöpfung zu begegnen, auch Wert auf ausreichende Düngung gelegt wurde. Recht anschaulich werden die damals üblichen Methoden und die damit erzielten Effekte bei Vergil beschrieben (Verg. georg. 1 , 7 1 - 8 5 ) : „Alle zwei Jahre auch laß nach der Ernte ruhen das Brachfeld / und den ermüdeten Boden durch Liegen sich härten und stärken; / hat sich gewandelt des Jahres Gestirn, so säe den gelben / Speltweizen dort, w o du Hülsenfrucht sonst mit rasselnder Schote/oder zierlicher Wicken Frucht und herbe Lupinen / bärgest, zerbrechliche Halme und dichte, rauschende Büschel. / Leinsaat dörrt den Boden dir aus, es dörrt ihn der Hafer, / dörrend entsaugt ihm Mohn den Schlaftrunk des Vergessens. / Fruchtwechsel aber macht leicht auch diese Mühsal, nur darfst du / dich nicht scheuen, mit kräftigem Mist den Boden zu düngen / und auf erschöpfte Äcker die schmutzige Asche zu streuen. / So erholen sich auch durch den Wechsel der Feldfrucht die Fluren, / bleibt

63

64

Darstellung/Landwirtschaft inzwischen auch ungepflügt

nicht fruchtlos die Erde. / Oft auch half es

ertragloses Land in Flammen zu setzen / u n d die t r o c k e n e n Stoppeln prasselnder Glut z u v e r b r e n n e n "

in

( Ü b e r s , n a c h J . GOTTE).

Die Empfehlung, dennoch alle zwei Jahre den Boden brach liegen zu lassen, weist allerdings auf ein gravierendes Problem der kaiserzeitlichen Landwirtschaft hin: den Mangel an tierischem Dünger. Die in weiten Teilen des Mittelmeerraumes übliche Transhumanz, d. h. Weidewirtschaft, bei der das Vieh oft über große Entfernungen zu den jeweils genutzten Weideflächen getrieben wird, hatte zur Folge, daß es keine größeren Viehherden in der Nähe der Höfe gab und so als tierische Düngemittel nur die Ausscheidungen der Arbeitstiere und der Geflügelzucht zur Verfügung standen (vgl. WHITE 1970, 125-144; spez. z. Transhumanz FRAYN 1979, 3 4 - 4 6 ; die Beiträge in WHITTAKER 1988). Da zugleich der Anbau von Hülsenfrüchten und Lupinen, durch die sich Stickstoff im Boden anreichern konnte, wegen der geringen Niederschläge im Frühjahr und Sommer erschwert wurde und oftmals an die Existenz von künstlichen Bewässerungsanlagen (s. u. S. 65 f. u. 68 f.) gebunden war, blieben längere Brachezeiten häufig unausweichlich. Dennoch gab es Regionen, in denen die Düngung so weit optimiert werden konnte, daß die Erholungsphasen wesentlich kürzer waren oder gar ganz wegfielen. In Palästina w a r es ζ. B. üblich, die Felder innerhalb eines Siebenjahreszyklus nur zwei Jahre unbestellt liegen zu lassen (vgl. BEN-DAVID 1974, 97f.). Hier strebten die Bauern auch auf jede erdenkliche Weise danach, an den Mist der Tiere zu kommen (indem sie etwa Sammelbeutel an deren Körperende befestigten), und sie bemühten sich, ergänzend Baumlaub, Mergel, Salpeter, Weintrester und Olschaum auf die Acker zu bringen (vgl. ebd. 9 3 - 9 6 ) . Sicher waren diese Methoden auch in den anderen intensiv bewirtschafteten Gebieten entlang des Mittelmeerbeckens üblich (Cato agr. 37,2; Colum. r.r. 2,1,7; 2 , 1 3 f.; 2 , 1 4 , 6 e t c . ; v g l . SPURR

1986,

126-132;

CHRISTMANN

1997,

8 3 1 f.;

FLACH 1990, 251 f.). Dort scheint der pflanzliche Kompost aber in erster Linie dem intensiv betriebenen Gartenbau zugute gekommen zu sein (vgl. CHRISTMANN 1998, 738-741), auf dessen wesentliche Bedeutung weiter unten noch einzugehen ist. In einigen Gebieten genügte indes schon die gute Bodenqualität und hinreichende Bewässerung, um die Dreifelderwirtschaft oder Fruchtwechselsysteme mit noch geringerer Brachezeit zu praktizieren. So überliefern die Agrarschriftsteller, daß auf den Vulkanerdeböden Kampaniens das ganze Jahr über Feldfrüchte angebaut wurden (Plin. nat. 18,111; weitere Belege bei WHITE 1970, 47. 121; LÜNING 1980, 1 1 7 - 1 2 0 ) . Ä h n l i c h e s darf m a n a u c h f ü r

die fruchtbaren Teile Etruriens (Yarro rust. 1,9,6) und der Poebene (Pol. 2,15,7; Strab. 5,1,12) erwarten und für jene Bereiche Siziliens, Griechenlands, Syriens, Afrikas und Südspaniens, die Varrò und Plinius als besonders ertrag-

Qualität der Bodenbewirtschaftung reich erachten (Varrò rust. 1,44; Plin. nat. 18,94f.). Ferner war der ständige, aber regelmäßig rotierende A n b a u von Blatt- und Halmfrüchten auf den jährlich vom N i l s c h l a m m gedüngten B ö d e n Ägyptens wohl selbstverständlich (vgl. SCHNEBEL 1925, 2 1 8 - 2 3 9 ) .

In Norditalien und

Südwestgallien

wurde das Fehlen ausreichenden Frühjahrs- und Sommerregens z. T . auch dadurch kompensiert, daß man in der Fruchtfolge im F r ü h j a h r anstelle der H a c k - und Blattfrüchte H i r s e einsäte (vgl. SPURR 1986, 8 9 - 1 0 2 ) . Sie besaß einen kurzen Wachstumszyklus, benötigte relativ wenig Feuchtigkeit und Nährsalz und lieferte bei einer vergleichsweise geringen M e n g e an Saatgut obendrein noch einen befriedigenden Ertrag (Aussaat-Ernterelation:

1:10;

vgl. PLEKET 1990, 76). Viel mehr tierischer D ü n g e r scheint hingegen in Zentralanatolien und in den N o r d p r o v i n z e n des Reiches zur Verfügung gestanden zu haben. H i e r läßt sich auf den G ü t e r n ein relativ hoher V i e h besatz und die Praxis der Winteraufstallung nachweisen (vgl. zu Anatolien: STROBEL 1996, 82. 96f.; zu den N o r d p r o v i n z e n : JUNKELMANN 1997, 187; spez. zu Raetien: CZYSZ 1995 b, 2 3 2 f.; spez. zur Wetterau: KREUZ 1 9 9 4 / 1 9 9 5 , 64); daneben ist für verschiedene Gebiete Galliens und Britanniens die M e r geldüngung bezeugt (Plin. nat. 1 7 , 4 2 - 4 8 ) . E i n Landbau mit systematischem Fruchtwechsel zur Verkürzung der Brachezeit kann daher zumindest auf den guten B ö d e n des Nordwestens, w o den S o m m e r über genügend Regen zur Einsaat von Sommergetreide oder stickstoffspendenden H a c k - und G r ü n früchten fiel, praktiziert worden sein (vgl. PLEKET 1990, 77; KÜSTER 1994, 28). In diese Richtung weist auch die Häufigkeit, mit der bei der Auswertung und Auszählung von B o d e n p r o b e n aus antiken F u n d k o n t e x t e n die archäologisch nicht einfach nachzuweisenden Reste von Hülsenfrüchten und von Blatt- und Wurzelgemüse auftreten (vgl. JUNKELMANN 1997, 1 3 7 - 1 4 1 . 187; SPITZING 1 9 8 8 , 1 4 0 - 1 4 2 ) . W i e bereits angedeutet, hängt die Möglichkeit, Leguminosen, Lupinen und Luzerne in die Fruchtfolge einzuschalten, von einer ausreichenden Bewässerung des Feldes im F r ü h j a h r und S o m m e r ab. D a im mediterranen R a u m nur an wenigen Stellen genügend Regen fiel, war der Aufbau künstlicher Bewässerungssysteme zumeist unabdingbar, um intensiven Feld- und Gartenbau mit Fruchtwechsel zu betreiben. In der F o r s c h u n g werden solche Systeme indes in erster Linie mit O b s t - bzw. Gemüsegärten und Wiesen in V e r b i n dung gebracht, kaum hingegen mit Getreidefeldern (vgl. WHITE 1970, 155; RATHBONE 1997, 607). Vielleicht aber ist der B l i c k hier zu sehr durch die detaillierten Ausführungen der lateinischen und griechischen A u t o r e n zum bewässerungsintensiven Gartenbau getrübt (vgl. C o l u m . r.r. 5 , 1 0 - 1 1 ;

10;

11,3; 12; Plin. nat. 1 4 - 1 5 ; 17; 19; G e o p . 9 - 1 2 ; Pali, agrie. 2, 14f.) und dadurch, daß diese vorwiegend auf die im mittelmeerischen Vergleich noch relativ niederschlagsreichen Gebiete Italiens und Griechenlands Bezug nehmen. In Palästina, w o die einstigen Agrarverhältnisse durch archäologische

65

66

Darstellung/Landwirtschaft Untersuchungen und zahllose Hinweise im Talmud recht genau rekonstruierbar sind, wurde die Feuchtbodenwirtschaft jedenfalls auch auf Getreideflächen ausgedehnt (vgl. BEN-DAVID 1974, 84 f.); einige Indizien weisen vor allem in bezug auf den Olivenanbau auf ähnliche Praktiken in Syrien und Nordafrika hin (vgl. TATE 1997, 6 2 - 6 4 ; MATTINGLY/HITCHNER 1995, 187 f.; s. u. S. 6 8 , 73, 8 1 - 8 3 ) .

Alles in allem kann entgegen der verbreiteten Lehrmeinung also nicht pauschal von der Zweifelderwirtschaft als alleinige Bodennutzungsform gesprochen werden (vgl. auch PLEKET 1990, 75-77). Ähnlich wie im Mittelalter und der frühen Neuzeit, in denen sich in vielen Gegenden Europas ein Fortbestehen dieser extensiven Wirtschaftsweise neben der Dreifelder- oder Fruchtwechselwirtschaft feststellen läßt (vgl. RÖSENER 1992, 6f. 20. 34. 55f.), müssen wir viel mehr von einer heterogenen Agrarkultur ausgehen, die sehr stark von den Konsumbedürfnissen der umliegenden militärischen und Urbanen Zentren geprägt war.

3.2 Ertragslage Aus diesem Grunde läßt sich auch die Frage nach den durchschnittlichen Erträgen kaum exakt beantworten. Und sicher war selbst Columella nicht dazu in der Lage, der indes behauptet, er könne sich kaum an Zeiten erinnern, „in denen Getreidesaaten, wenigstens im größeren Teile Italiens, das vierte Korn (d. h. den vierfachen Ertrag) gebracht haben" (vgl. Colum. r.r. 3,3,4; bei einer Weizensaatmenge von ca. 2 7 - 3 4 kg pro iugerum [r.r. 2,9,1] ergäbe dies einen Hektarertrag von 4 2 0 - 5 4 0 kg). Viele Forscher, zumal die Verfechter der .primitivistischen' Lehrmeinung, billigen seiner Aussage bei der Beschreibung der antiken Agrarverhältnisse aber dennoch eine Schlüsselfunktion zu (vgl. RUSCHENBUSCH 1983, 187-189; RICKMAN 1980b, 103f.; DUNCAN-JONES 1982, 49 Anm. 4; HERZ 1988, 182; EVANS 1981). Wie problematisch dies ist, zeigt auch der Kontext des Zitates. Columella war hier stark daran interessiert, die Alternativen zu dem - in seinen Augen lukrativeren - Weinanbau herabzusetzen und den Leser von der Nachlässigkeit vieler zeitgenössischer Grundeigentümer zu überzeugen. Im übrigen wird seine bewußt pessimistisch gehaltene Aussage durch die Bemerkungen anderer Literaten konterkariert. Varrò etwa überliefert für besonders fruchtbare Gegenden Etruriens zehn- bis fünfzehnfache Erträge und Cicero für die Vulkanerdeböden um das sizilische Leontini eine acht- bis zehnfache Erntemenge in Relation zur Saat (Varrò rust. 1,44,1; Cic. Verr. 2,3,112). Aus weiteren Bemerkungen Varros und des älteren Plinius sowie neueren Untersuchungen ergibt sich ferner, daß ähnliche oder noch höhere Werte in den fruchtbaren Gegenden der Baetica, Nordafrikas (bes. in der sog.

Ertragslage ,Byzacena'), Syriens und erst Recht in Ägypten erreicht werden konnten (Varrò rust. 1,44,1; Plin. nat. 18,94 f.; vgl. zu Ägypten FORABOSCHI 1981). Die genannten Autoren führen hierbei aber völlig übertriebene Ertragsraten an (1:100 bzw. 150 und mehr), die wesentlich nach unten zu korrigieren sind. Ebenfalls nicht genau zu beziffern, gleichwohl aber sehr hoch anzusetzen sind die Getreideerträge in Pamphylien und Zentralanatolien. Pamphylien profitierte besonders von den fruchtbaren Schwemmlandebenen des Melas, Eurymedon und Kestros, die schon seit Jahrhunderten intensiv bebaut wurden und das Land in der Kaiserzeit zu einem wichtigen Getreideexportgebiet machten (vgl. NOLLE 1983, 119-129). Für das inneranatolische Galatien, das zu Unrecht den Ruf einer schon in antiker Zeit verödeten Steppenlandschaft genießt (s. u. S. 80 f.), war offenkundig das hordeum Galaticum - eine witterungsresistente und hochwertige Sommergerstenart - der Garant für hohe Erträge und eine sehr erfolgreiche Feldbestellung (vgl. STROBEL 1996, 9 5 f.). Vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Aussagen Columellas, Varros und des älteren Plinius lohnt es sich auch, auf gut dokumentierte Untersuchungsergebnisse aus der jüngeren Vergangenheit zurückzugreifen (vgl. dazu BUTZ/SCHRÖDER 1985, 167-170). So liefern die Ergebnisse eines Langzeitversuchs bei Rothamsted (England; von 1847 bis 1897) einen gewissen Richtwert für maximale Ernteergebnisse auf ungedüngten Böden von guter Qualität. Physiologisch bedingt lag die Ertragsgrenze bei einer Relation von etwa 1:8 (ganz selten auch 1:12; vgl. BUTZ/SCHRÖDER ebd. 167). Alle darüberhinausgehenden Ergebnisse scheinen auf besondere Formen der Düngung zurückzugehen. Die damit erreichbaren Quoten werden ähnlich oder etwas niedriger gewesen sein wie auf einigen Mustergütern in Apulien (um 1600) und Friesland (um 1800), wo beim Weizenanbau auf kleinen Flächen Spitzenerträge von 1:20 bzw. maximal 1:30 erzielt werden konnten (vgl. ebd. 196). Natürlich kann bei der Nachlässigkeit, mit der viele Grundbesitzer und Pachtbauern die Landwirtschaft betrieben (vgl. etwa Colum. r.r. 1, praef. 3 - 4 ; 1,1,18ff. u. ö.; Plin. nat. 18,21; 18,35f.; Plin. ep. 9,37) nicht überall eine glänzende Ertragslage angenommen werden. Einige Forscher beurteilen die Situation in besser dokumentierten Teilregionen aber äußerst günstig. A. BenDavid gelangte nach der Auswertung der Zeugnisse aus Palästina zu dem Ergebnis, daß dort eine siebenfache Ernte als normal angesehen wurde (BENDAVID 1974, 103-105), und J. Jardé rechnet für das antike Griechenland mit einem Saatgut-Ernte Verhältnis von 1:4,5 bis 1:7 (JARDÉ 1925, 34. 60). Eine ähnlich günstige Prognose wagt F. de Martino (DE MARTINO 1991, 17f.). Sehr positiv beurteilt F. Kolb auch die Agrarproduktion Italiens in der frühen und hohen Kaiserzeit, die mit 4- bis 15fachen Erträgen „wohl wesentlich höher als noch im Spätmittelalter" war (KOLB 1984, 244; vgl. auch GARNSEY/SALLER 1989, 112-120). Für H . W . Pieket kommen hier im Schnitt sechs- bis acht-

67

68

Darstellung/Landwirtschaft fache Erträge in Frage, wobei für Südspanien noch höhere Raten zu erwarten seien (PLEKET 1990, 78 f.)· Eher zu pessimistisch dürfte dagegen die Bewertung von L. Wierschowski sein, der für das Hinterland der Rheingrenze ein mittleres Saatgut-Ernte-Verhältnis von 1:5 vorgibt (vgl. WLERSCHOWSKL 1984, 169 f. mit Anm. 697; anders KREUZ 1994/1995, 79, die für die Wetterau mit ansprechenden Argumenten eine Relation von 1:10 und Erträge von 800 kg/ha zugrundelegt).

3.3 Bewässerungswirtschaft, Garten-, Öl- und Weinanbau Wie schon angedeutet wurde, liefern die hier genannten Prognosen und Zahlen allerdings nur bedingt Einblicke in die Versorgungslage der städtischen und ländlichen Bevölkerung. Der Anteil der Getreidefluren an den Gesamtflächen läßt sich ζ. B. nicht exakt bemessen; ebenso wird hierdurch die Bedeutung der oftmals intensiv bewässerten Gemüse-, Obst- und Weingärten bzw. Olivenhaine verschleiert. Wie sehr aber gerade dieser Bereich bei der Skizzierung der Landwirtschaft Berücksichtigung finden muß, zeigt die Vielzahl der heute noch vorhandenen Spuren und Uberreste von römerzeitlichen Bewässerungskanälen, Zisternen und Schöpfgeräten (vgl. TREVOR HODGE 1 9 9 2 , 2 4 6 - 2 5 3 ; WILSON 1 9 9 6 , 2 5 f . ; FOSSEY 1 9 8 1 / 1 9 8 2 ; VAN BUREN

1956,

12-16). Offenkundig war die Kaiserzeit bis in das 3. Jh. n. Chr. auch eine Blütephase der arbeits- und kostenaufwendigen, und somit zwangsläufig auf hohe Erträge abzielenden Feuchtbodenkultur! In vielen Gegenden, etwa im Umfeld von Jericho, im Negev und Transjordangebiet, der Region um Emesa und Damaskus oder in den Steppen Tunesiens, Ostalgeriens und Tripolitaniens, wurde an bereits bestehende Traditionen der Feldbewässerung angeknüpft oder es wurden neue - oft mehrere Tausend Hektar umfassende Flächen in Bewässerungsland umgewandelt (vgl. die Lit. auf S. 66; ferner SHAW 1984; HEICHELHEIM 1938, 140-144). Die Bauern machten selbst vor den Gebirgsregionen keinen Halt, indem sie - wie im jüdischen Bergland und im Negev - zum Terassenanbau übergingen und den in großen Zisternen gespeicherten Winterregen bzw. Quellwasser über ausgeklügelte Kanalsysteme auf die Felder verteilten (vgl. BEN-DAVID 1974, 81-93). Parallel dazu konnte mit dem nun massenhaften Einsatz von wassergetriebenen Schöpfrädern - Sâkîjen - und archimedischen Schrauben die Effizienz der Wasserhebetechniken entscheidend verbessert werden (vgl. RATHBONE 1997, 607). Die Aussicht auf eine erhebliche Produktionssteigerung führte übrigens auch in Ägypten, wo der Nil schon von alleine für die Überflutung und sein fruchtbarer Schlamm für die Düngung der Flußuferzone und großer Teile des Deltas sorgte, zum neuerlichen Ausbau der künstlichen Bewässerung.

Bewässerungswirtschaft, Garten-, Öl- und Weinanbau Augustus ließ das unter den frühen Ptolemäern ausgeweitete Kanal- und Wasserhebesystem sorgsam wiederherstellen (Suet. Aug. 18,2; vgl. BONNEAU 1993; DIES. 1971; ECK 1995 b; GARBRECHT/JARITZ 1990; HABERMANN 1997,

213 f.). Er ermöglichte damit die agrarische Ausbeutung des gesamten Niltals und des Fajum (d. h. auch der von der Nilflut nicht erreichten Zonen), so daß die Provinz über Jahrhunderte ihren legendären Ruf als erstrangiges Getreideexportland wahren konnte (s. auch Plin. nat. 18,95; 21,86; los. bell. lud. 4,605; Plin. paneg. 31,3; Tac. hist. 3,48; ann. 12,43; Aur.Vict. epit. Caes. 1,6). Der auf das Heranziehen von Obst und Gemüse ausgerichtete Gartenbau profitierte im Urbanen Umfeld zudem sehr stark von Abzweigungen aus den neu entstehenden Aquädukten (vgl. [für Rom] Front, aqu. 14,4; 93; Plin. nat. 31,42; KOLB 1995, 328f. 542-544; ECK 1995 a, 244 f.; EVANS 1994, 140). Sein hoher Stellenwert innerhalb der Landwirtschaft wird u. a. durch die langen Ausführungen der Agrarschriftsteller zur Hortikultur unterstrichen (vgl. die Belege bei CHRISTMANN 1998, 738-740). Ebenso aufschlußreich sind Bemerkungen wie jene Ciceros, wonach der Garten die „zweite Speckseite" darstelle, oder des älteren Plinius, der Garten sei der „Acker des Armen" und „Unterhalt" der Plebs (Cic. Cato 56; Plin. nat. 19,51 f.). Diese Wertungen zeigen, daß die stark eiweißhaltigen und daher oft die teuere Fleischkost ersetzenden Hülsenfrüchte (Bohnen, Erbsen, Kichererbsen, Linsen etc.), Blattgemüse (vor allem Kohl), Knollengewächse (Sellerie, Zwiebeln etc.) und Salate für Teile der Unterschicht zum billigen Hauptnahrungsmittel geworden waren, und selbst für die Reicheren zur täglich konsumierten Kost gehörten (vgl. GUTSFELD 1998, 902 f.; RUFFING 1998 a, 9 0 3 f.; PRELL 1997,

83-85. 93-95; DREXHAGE 1990a). Für gewöhnlich waren die Gärten eng an das Wohnhaus angegliedert, aber es gab auch mehr oder weniger abgesonderte Gartenkulturen vor den Städten (vgl. RUFFING 1998 a, 904; zu den Intensivkulturen im Umfeld Roms KOLB 1995, 317-319). Sehr viel stärker und erfolgreicher als im Ackerbau wurden auf ihnen neue Fruchtsorten ausprobiert und Versuche unternommen, den Zwang zur Brache aufzuheben (vgl. CHRISTMANN 1998, 740 f.). Die Düngung war in der Regel äußerst intensiv und die Fruchtfolge so ausgeklügelt, daß bei ständiger Bewässerung eine ganzjährige Bepflanzung möglich wurde. Es gibt Schätzungen, wonach bereits eine Gartenfläche von 40 m2 ausreichte, um den Gemüsebedarf einer Familie (ca. 8 - 1 0 Personen) zu decken (vgl. KÖDER 1993, 69)! Zugleich läßt sich in den Gärten im Umfeld der großen Metropolen (etwa von Rom und Alexandreia) ein Trend zur Spezialisierung erkennen (vgl. CHRISTMANN 1998, 739f., KOLB 1995, 317-319). Hier ging der profitorientierte Bewirtschafter dazu über, sich für den Verkauf auf dem Markt auf wenige Gemüsesorten zu beschränken, oder er züchtete Blumen und legte Wein- bzw. Olivenhaine an. Noch mehr Gewinn brachte offenkundig die Aufzucht von delikaten Süß- und Salzwasserfischen oder wilden und exo-

69

70

Darstellung/Landwirtschaft tischen Tieren wie Fasanen, Pfauen und Hühner (vgl. die Zeugnisse bei ebd. 699 Anm. 3).

KOLB

Der Anbau von Oliven - als Rohstoff für Speiseöl, Körperlotion und Lampenöl - wurde aber nicht nur in Stadtnähe und in kleinen Gärten betrieben; er beherrschte seit der ausgehenden Republik auch ganze Landstriche rund um das Mittelmeer (vgl. M A T T I N G L Y 1 9 8 8 , 3 3 - 5 6 ; A M O U R E T T I / B R U N 1 9 9 3 ) . Untersuchungen an den Stempeln und Aufschriften von Ölamphoren ergaben, daß sich die Produktion ζ. T. auf weit entfernte Absatzmärkte ausrichtete (vgl. die Lit. zu M 36 u. 37; B E Z E C Z K Y 1 9 9 8 ) . Zumindest in den wichtigsten westlichen Anbauzentren, d. h. in Apulien, Istrien, Tripolitanien, Zentraltunesien und am Guadalquivir zwischen Cordoba und Sevilla, scheint diese Entwicklung nicht von kleinen Bauern getragen worden zu sein, sondern von den grundbesitzenden Eliten der Region (vgl. M A T T I N G L Y ebd. 5 0 - 5 2 ; B E Z E C Z K Y ebd.). Nur diese konnten hohe Investitionen für die Anlage ausgedehnter Ölbaumkulturen und Bewässerungssysteme tätigen und die Güter mit dem notwendigen Inventar, ζ. B. leistungsfähige Ölpressen und Brennöfen zur Fertigung von Ölamphoren, ausstatten; nur sie waren in der Lage, ein leistungsfähiges Vertriebsnetz aufzubauen und die Marktentwicklung in entfernteren Gegenden zu verfolgen. O b die Produktion auch im Osten, etwa im syrisch-palästinensischen Raum, auf Zypern und im Agäisraum, von dieser Betriebsform dominiert wurde, läßt sich noch nicht abschließend entscheiden. Wir wissen aber, daß zumindest der sagenhaft reiche Ti. Claudius Hipparchus aus Athen und sein noch vermögenderer Sohn Ti. Claudius Atticus Herodes ( 1 0 1 / 3 - 1 7 7 n. Chr.) einen bedeutenden Teil ihrer Einkünfte aus den Erträgen von Olivenplantagen und dem Export von Olivenöl erzielten (vgl. M 67; zum Olivenanbau in Kleinasien S C H U L E R 1 9 9 8 , 9 1 - 9 3 ; in Ägypten S C H N E B E L 1 9 2 5 , 3 0 2 - 3 3 4 ; zum exportorientierten Olivenanbau in Nordsyrien und Palästina C A L L O T 1 9 8 4 ; S A F R A I 1 9 9 4 , 1 1 8 — 126). Im übrigen gab es im Osten, insbesondere in den Oasen und Flußtälern Ägyptens und des syrisch-palästinensischen Raumes, bemerkenswerte Kulturen von Datteln, Feigen und Zitrusfrüchten, deren Erträge weit über den lokalen Rahmen hinaus bis in die entferntesten Winkel des Westens gelangten (vgl. H E I C H E L H E I M 1 9 3 8 , 1 3 6 - 1 3 8 ; B E N - D A V I D 1 9 7 4 , 1 1 5 - 1 2 1 ;

HOHLWEIN

1 9 3 9 ; zu i h r e m E x p o r t DREXHAGE 1 9 9 8 , 1 9 2 - 1 9 4 ) .

Ein anderer, z. T. stark marktorientierter und mit hohem Kapitaleinsatz betriebener Zweig der Landwirtschaft war die Weinkultur (vgl. TCHERNIA 1986; F L A C H 1990, 2 7 4 - 2 8 3 ; M A R T I N - K I L C H E R 1994a). Sie dominierte in manchen Regionen Italiens seit dem 2. Jh. v. Chr. und expandierte mit dem Beginn der Kaiserzeit auch in Spanien und Südfrankreich (vgl. J A C Q U E S / S C H E I D 1 9 9 8 , 4 2 7 - 4 3 2 ) . Im hellenistischen Osten scheinen hingegen die Inseln und Küsten der Ägäis und der nordsyrische Küstenraum um Laodikeia und Berytos Produktionszentren qualitätsvoller Exportweine geblieben zu

Bewässerungswirtschaft, Garten-, Öl- und Weinanbau sein (vgl. BROUGHTON 1938, 6 0 9 - 6 1 1 ; HEICHELHEIM 1938, 1 3 8 - 1 4 0 ) . D e r

ältere Plinius, die Agrarschriftsteller und der amphorologische Befund lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß die italische Halbinsel und Sizilien bis weit ins 1. Jh. n. Chr. die Hauptausfuhrregionen von Wein gewesen sind und weitgehend den gewaltigen Bedarf der Hauptstadt deckten (Plin. nat. 14 u. 17; C o l u m . r.r. B u c h 3 - 5 , 7 ; vgl. TCHERNIA 1986).

Die Neigung der dortigen Gutsbesitzer, sich intensiv der Rebkultur zuzuwenden, resultiert auch aus dem Bemühen der Kaiser, die Getreideversorgung Roms durch Naturalsteuern und subventionierte Importe aus den überseeischen Provinzen (in erster Linie Afrika und Ägypten) sicherzustellen und die Brotpreise gering zu halten (vgl. M 8). Wer im Landbau ansehnliche Gewinne einstreichen wollte, verzichtete daher auf den Getreideanbau und konzentrierte sich vornehmlich auf andere Produkte. Entschied man sich für die Anlage von Weingärten, mußte noch mehr als bei der Einrichtung von Olivenpflanzungen ein erhebliches Maß an Kapital zum Kauf von Setzlingen, Kelteranlagen, Pressen, weiterer Spezialgerätschaft und - ζ. T. auch - Sklaven bereitstehen und eine Geduldsphase von mehreren Jahren überwunden werden, bis die Reben erste Früchte trugen (vgl. dazu FLACH 1990, 274-283). Dafür waren die Erträge aber offenkundig sehr hoch. Nach den Informationen, die Columella bietet, gehörte es zur Normalität, wenn ein Weinberg auf guten Böden und im gepflegten Zustand mindestens drei cullei (ca. 1.570 1) Wein pro iugerum hergab (Colum. r.r. 3,3 - darin bes. § 1 1 ; vgl. auch die Belege bei DE MARTINO 1991, llOf.). Die Gewinne gestalteten sich (zunächst) entsprechend, selbst wenn wir Columellas Musterkalkulation für eine Rebkultur von sieben iugera (1,8 ha), die bei einer Ernte von drei cullei pro iugerum eine Rendite von 4.351 HS jährlich vorsieht, beiseite schieben müssen, weil er verschiedene Posten auf der Ausgabenseite außer Acht gelassen hat (vgl. dazu DUNCAN-JONES 1982, 39-44). Es reicht im Grunde schon, auf die hohen Preise für Rebland (vgl. ebd. 46 f.) und auf die Tüchtigkeit des Weinbauexperten Acilius Sthenelus hinzuweisen. Er soll es um die Mitte des 1. Jh. n. Chr. fertigbracht haben, die Erträge eines für 600.000 HS angekauften Gutes bei Rom derart zu steigern, daß die Trauben am Stock schon im achten Jahr für 400.000 HS(!) verkauft werden konnten (Plin. nat. 14,50f.). Der Umfang, den die Rebkultur in Italien und andernorts schließlich erreichte, wird auch durch das 90 oder 92 n. Chr. erlassene Weinbauedikt Domitians erkennbar (vgl. Suet. Dom. 7,2; WLEMER 1997, 214-217). Sueton skizziert das typische Bild einer Uberproduktionskrise, die der Kaiser durch restriktive Maßnahmen, die zugleich den Getreideanbau fördern sollten, zu meistern gedachte. Diese gingen eindeutig zu Lasten der Provinzialen, die die Rebkulturen mindestens auf die Hälfte zu reduzieren hatten, und weniger der italischen Produzenten, die lediglich keine neuen Rebstöcke mehr setzen durften.

71

72

Darstellung/Landwirtschaft Offenkundig beabsichtigte Domitian, den Interessen der italischen Weingutbesitzer nachzukommen, deren Gewinnquoten auf dem heimischen, d. h. vor allem stadtrömischen, Markt durch zunehmende ausländische Importe geschmälert wurden (vgl. WLEMER ebd. 2 1 2 - 2 1 5 ) . Seine letztlich nur halbherzig durchgeführte Maßnahme (das Edikt wurde noch vor Inkrafttreten in der Provinz Asia aufgehoben; vgl. Philostr. soph. 520; Αρ. 6,42) konnte die Marktkonkurrenz aus den Provinzen freilich nicht eindämmen. Gemäß den Amphorenfunden rückten hierbei im Westen zunächst die spanischen Produktionsgebiete in der Taraconnensis und der Baetica in den Vordergrund, von wo aus schon im frühen 1. Jh. n. Chr. erhebliche Mengen in den Nordwesten, nach Afrika und nach R o m gelangten (Plin. nat. 14,71; Mart. 13,118; vgl. TCHERNIA 1 9 8 6 , 1 4 0 - 1 4 6 . 1 7 9 - 1 8 4 . 2 4 4 f . ) . Seit ca. 5 0 n. C h r . etablierten

sich schließlich die Rebsorten aus Südgallien, die am Ende des 1. Jh. in Rom, und - in Fässern transportiert - bis zur Mitte des 3. J h . besonders in Gallien und Germanien marktführend wurden (vgl. LAUBENHEIMER 1985). Seit dem 3. Jh. n. Chr. muß der Grad der Eigenversorgung im Rhein-/Moselgebiet allerdings sehr hoch gewesen sein, wie mehrere inzwischen entdeckte Kelteranlagen (bes. an der Mosel) dokumentieren (vgl. GILLES 1995, 4 - 5 9 ; DERS. 1996). Im Osten hatten die Weine aus der Ägäis seit jeher einen besonderen Ruf (vgl. LAMBERT-GOCS 1990 u. die Lit. auf S. 71). Hier wurde die Produktion, von der kleinere Mengen bis zum ausgehenden 2. J h . n. Chr. kontinuierlich auf die Märkte im Westen gelangten, zu Beginn des 3. Jh. wohl noch weiter ausgeweitet. Nach den jüngsten Grabungen in Ostia scheint der Zustrom nach R o m um 230/40 jedenfalls den gleichen Umfang erreicht zu haben wie der der gallischen und mauretanischen Weine zusammen (vgl. JACQUES/SCHEID 1 9 9 8 , 4 3 3 ) .

3.4 Reichsweiter Landesausbau Die hier angesprochenen Wandlungen zeigen schon an, daß sich die Agrarverhältnisse im Laufe der Kaiserzeit schrittweise veränderten. Für Italien ζ. B., wo solche Prozesse am besten faßbar sind, läßt sich im 2. und zu Beginn des 3. Jh. ein begrenztes Villensterben und eine teilweise Neustrukturierung der Produktion feststellen. Landgüter in Apulien und Etrurien, die sich vordem auf die Wein- und Olproduktion spezialisiert hatten, wurden wegen der sinkenden Gewinne aufgegeben, während andere nun eine extensivere Landwirtschaft betrieben (vgl. JACQUES/SCHEID 1998, 428 mit weiterer Lit.). Sie basierte wahrscheinlich auf der Schweinezucht und dem Getreidebau, der eine g r ö ß e r e N u t z f l ä c h e erforderte. D a f ü r entstanden i m U m f e l d v o n R o m

(Veii, Cures), in Kampanien, der Poebene und andernorts Villen, die sich so stark auf Schweinezucht spezialisierten, daß K. D . White geradezu von „Fa-

Reichsweiter Landesausbau brikproduktion" spricht (vgl. WHITE 1970, 320 f.; ferner: POTTER 1979; PLEKET 1990, 58 u. 81; RINKEWITZ 1984, 198). Beliefert wurden einerseits die Städte im Nahbereich andererseits die Märkte in R o m , wohin aber auch gepökeltes Schweinefleisch aus der Narbonensis und sogar aus dem Gebiet der Sequaner und Menapier in Gallien gelangte (Varrò rust. 2,4,10; Strab. 4,3,2; 4,4,3; Mart. 13,54; Edict. Diocl. IV 8). Die extensive Form der Viehzucht, die Transhumanz, blühte in Italien hingegen schon seit Jahrhunderten im Süden und in den Gebirgsregionen (vgl. die Lit. auf S. 64). Wolle aus Apulien mit dem Zentrum Canosa, Kalabrien mit Tarent und im Norden aus der Gegend um Modena und Parma bzw. Altinum erfreute sich einer starken Nachfrage (vgl. FRAYN 1984; DE MARTINO 1991, 266 u. 614 mit Quellenverweisen). Dies erklärt, warum sich manche Großgrundbesitzer sträubten, ihre Latifundien intensiver in Kultur zu nehmen. Der Hinweis auf die gallischen Pökelfleischimporte zeigt erneut, daß sich die italischen Produzenten den stadtrömischen Markt zunehmend mit Konkurrenz aus den Provinzen teilen mußten. Und gerade hier vollzog sich im Agrarsektor im Laufe der ersten beiden Jahrhunderte eine entscheidende Entwicklung. Wir können ganz global von einer enormen Ausdehnung der Kulturflächen und einer Intensivierung der Produktion sprechen. Für Nordafrika, wo eine regelrechte Stadtlandschaft mit mehr als 200 Mittel- und Kleinstädten und der großen Metropole Karthago entstand, wurde ja bereits auf die sich ausweitenden Bewässerungskulturen für O l pflanzungen in Zentraltunesien und in Tripolitanien hingewiesen. Zugleich scheint der Getreideanbau auf den großen Gütern und Domänen der Africa Proconsularis, Numidiens und Mauretaniens erheblich ausgeweitet worden zu sein (vgl. zusammenfassend BECHERT 1999, 86 f. 158 mit Lit.; MATTINGLY/HITCHNER 1995, 1 8 9 - 1 9 8 ) . Das Resultat war, daß diese Gegenden schon im ausgehenden 1. Jh. n. Chr. zwei Drittel des überseeischen Getreidebedarfs von R o m decken konnten (los. bell. lud. 2,382). Auch die vielfach diskutierten Regelungen der lex Manciana

und Verordnungen in den kaiser-

lichen Domänen der Africa Proconsularis lassen das Bestreben der G r o ß grundbesitzer erkennen, die Landnutzung auszuweiten (vgl. FLACH 1978; DERS. 1982; WEBER 1983, 3 1 9 - 3 3 9 ; KEHOE 1988a). Sie ermunterten ihre Hauptpächter (conductores) und Unterpächter (coloni),

an die der Großteil

der Betriebsflächen verpachtet worden war, auch die „Zwickel" (subseciva) in Kultur zu nehmen, d. h. das bei der Landvermessung einst ausgesparte und den Pächtern der Domänen nicht zugewiesene Land. Zugleich sorgte man sich mancherorts um die richtige Feldbestellung. Auf den kaiserlichen Gütern im nordafrikanischen Bagradas-Tal wurden die Pächter z. B . dazu bewogen, nach der Getreideernte Wicken als stickstoffhaltige Dünge- und Futterpflanzen einzusäen, anstatt die Felder jedes zweite Jahr völlig brach und ungenutzt liegen zu lassen (vgl. KEHOE 1985,152).

73

74

Darstellung/Landwirtschaft

Abb. 4: Villa rustica (Idealansicht n. D. Baatz)

Analog dazu hatte sich schon seit dem Beginn der Kaiserzeit in Teilen der iberischen Halbinsel

Landwirtschaft

etabliert

(vgl. BLÄZQUEZ 1990, 5 2 1 - 5 2 4 ; DE MARTINO 1991, 4 9 4 - 4 9 7 ;

eine exportorientierte

BüLOW

1993, 3 9 - 4 3 ; BECHERT 1999, 6 8 - 7 0 ) . Herausragend war die stark romanisierte Provinz Hispania Baetica am Guadalquivir und entlang der südspanischen Küste, in der die Olivenkultur und die Produktion von Fischsaucen (bes. Garum) mit besonderer Intensität betrieben wurde (vgl. PONSICH 1 9 7 4 - 1 9 9 1 ; SÁEZ FERNÁNDEZ 1987; CURTIS 1991, 4 6 - 6 4 ) . Daneben gab es hier Weinanbau. Dieser nahm aber in der Küstenzone zwischen Tarragona und den Pyrenäen noch viel bedeutendere Formen an. Wein aus diesen Gegenden trug sogar wesentlich zur Bedarfsdeckung in den nordwestlichen Provinzen und R o m bei (s. o. S. 72). Von der frühen Kaiserzeit bis um die Mitte des 3. Jh. scheint sich die Villenwirtschaft im iberischen Raum schließlich vollends durchgesetzt zu haben (vgl. BüLOW 1993, 3 9 - 4 3 ) . Es entstand ein engmaschiges Netz von Gutshöfen, deren Betriebsflächen in den weniger intensiv bewirtschafteten Gegenden Zentralspaniens mehr als 500 ha umfassen konnten, im nordöstlichen Küstengebiet und in der Baetica im Schnitt aber relativ klein blieben. Davon abgesehen konnten in der Baetica aber auch zahlreiche kleinere Höfe festgestellt werden. Man vermutet, daß es sich hier um Pachtstellen handelte und sich die Villenbesitzer auf die hier etablierten Kolonen stützten, um in der arbeitsreichen Erntezeit die Früchte einzufahren (vgl. PLEKET 1990, 116 Anm. 135).

Reichsweiter Landesausbau In bezug auf das gesamte Gebiet der fast 600.000 km 2 umfassenden iberischen Halbinsel sind flächendeckende Aussagen zum ländlichen Siedlungsmuster aber noch riskant. Sehr viel besser sind wir dagegen über die Zahl, Gestalt und Struktur der römischen Landgüter in den Nordwestprovinzen informiert (vgl. die Beiträge in BENDER/WOLFF 1994 u. TODD 1978; ferner: BECHERT 1 9 8 2 , 1 5 6 - 1 6 6 ; BECHERT 1 9 9 9 , 2 5 f. 5 4 f . 166 m i t L i t . ) . D i e r ö m i -

sche Administration scheint hier seit der augusteischen Zeit systematische Schritte unternommen zu haben, die nach der Eroberung ödliegenden Gebiete zu kolonisieren und agrarisch wiederzubeleben. Dazu schritt man zumindest in den fruchtbaren Zonen im unmittelbaren und weiteren Hinterland der Heeresstandorte zu einer gründlichen Vermessung und Parzellierung des L a n d e s (vgl. O x É

1 9 2 3 ; HEIMBERG 1 9 7 7 ; FRÉZOULS 1 9 9 0 , 4 4 9 f.; BÜLOW

1993, 26f.; MEYER-MAURER 1998). Die Besitztümer sollten steuerlich erfaßt werden und in ihrer Größe zugleich so zugeschnitten sein, daß der neue Eigentümer ein leistungsfähiges Bauerngut aufzurichten imstande war (vgl. d a z u WLERSCHOWSKI 1 9 8 4 , 1 6 1 - 1 7 2 ; JUNKELMANN 1 9 9 7 , 7 6 - 7 9 ;

PLEKET

1990, 90. 106). Die charakteristische Form des ländlichen Anwesens war fortan die bereits für Spanien erwähnte villa rustica, ein Gutshof mit mehr oder weniger repräsentativem Hauptgebäude und verschiedenen

Neben-

gebäuden, die gewöhnlich von einer Mauer umgeben waren (vgl. Abb. 4; BECHERT 1999, 4 2 - 4 4 mit weiterer Lit.). Nach allem, was uns die Quellen überliefern und aus archäologischen Untersuchungen, etwa von den vorzüglich ausgegrabenen Villen im Hambacher Forst (Krs. Düren; vgl. GAITZSCH 1986; DERS. 1988; DERS. 1991) bekannt ist, handelte es sich bei ihnen um agrarische Unternehmen, die mit ,moderner' Technologie ausgestattet und auf Überschußproduktion für den Markt, d. h. die städtischen und militärischen Konsumentenzentren

in der Umgebung,

ausgerichtet waren

(vgl.

bes.

JUNKELMANN 1997; PLEKET 1990; CZYSZ 1978, 70 f.). Ihre Zahl wird mittlerweile allein im römischen Deutschland auf über 15.000 veranschlagt. Die heutigen Aussiedlerhöfen vergleichbaren, weit über die Landschaft verstreuten Villen, setzten ein hohes Maß an Sicherheit im Innern und entlang der Grenzen voraus. Dies macht es erklärlich, daß sie immer erst mit einer gewissen Verzögerung nach der Inbesitznahme des Territoriums in Erscheinung zu treten pflegten. Wichtig für ihre Plazierung war offenkundig eine günstige Verkehrslage in der Nähe von Flüssen oder Straßen, um die Absatzmärkte leichter erreichen zu können. Die Betriebsgrößen konnten stark schwanken, doch die große Mehrheit der Landgüter im Rhein- und Limesgebiet scheint Betriebsgrößen zwischen 50 und 200 ha aufgewiesen zu

haben

(vgl.

MOOSBAUER

1997,

156-158

mit

Lit.;

WlERSCHOWSKI

1984, 270 Anm. 693; DRUMMOND/NELSON 1994, 50f.), während sich im weiteren gallischen Hinterland auch größere Güter feststellen lassen (s. u. S. 88).

75

76

Darstellung/Landwirtschaft Über die Wirtschaftsweise auf solchen Gütern erhält man vielleicht am ehesten einen profunden Einblick, wenn man sich detailliert den Verhältnissen in einer gut untersuchten Provinz zuwendet, in diesem Falle der Provinz Raetien am Oberlauf der Donau (vgl. im folgenden CZYSZ 1995b, 228-236; FISCHER 1994 a). Hier dominierten nach dem heutigen Stand der Forschung Mischbetriebe, die sich auf Feldbau und Viehwirtschaft zugleich konzentrierten. Paläobotanische Untersuchungen von Pflanzenresten, Kernen oder Sämereien vermitteln eine erstaunliche Artenfülle zum Teil heimischer, zum Teil aus dem Mittelmeerraum eingeführter Nutzpflanzen. Die Abhängigkeit des Siedlungssystems von der Beschaffenheit und Bonität der Böden wird hingegen aus der Lagebeziehung der Gutshöfe zu leichten Böden und Lößböden deutlich. Hochwertiges landwirtschaftliches Gerät weist überdies auf einen intensiven Ackerbau hin. Bezeichnend hierfür ist der Hinweis des älteren Plinius auf den in Raetien gebräuchlichen Pflug mit Messersech, spatenförmiger Schar, Streichbrett und zwei Stelzrädern am Pflugbaum (vgl. M 33). Dessen messerfömiges Eisensech erleichterte die Spurführung als Voraussetzung für wirksames Parallel-, Längs-, Quer- und Diagonalpflügen, während die Stelzräder die Führung des Grindels stabilisierten und eine gleichbleibende Pflugtiefe sicherstellten. Auf den hierdurch sehr intensiv durchgepflügten Ackern gedieh in erster Linie Dinkel (triticum spelta). Außerdem wurden in geringerem Maße Emmer und Einkorn als weitere Wintergetreide angebaut, und - an ungünstigen Orten, wo der Getreideanbau an seine klimatischen Grenzen stieß - bisweilen schon Hafer. Ferner war der Anbau von Gerste als Tierfutter verbreitet, und später immer mehr der von Roggen und Saatweizen, die nicht wie Dinkel, Einkorn und Emmer entspelzt und gedörrt werden mußten und obendrein relativ hohe Erträge brachten (vgl. KöRBER-GROHNE 1987, 2 6 - 8 6 . 321-330). Das Getreide wurde normalerweise mit der Handsichel (falx) am Korn unter der Ähre, am Mittelhalm oder bodennah über der Wurzel geschnitten, je nachdem, ob Stroh benötigt wurde oder nicht."' Nachweisbar ist aber auch die Entwicklung meterlanger Sensenblätter {falces messoriae), womit der Schnittradius bei der Heumahd enorm erweitert und im Endeffekt eine erheblich größere Menge Tierfutter in die Scheunen eingefahren werden konnte. Dies war für die Uberwinterung größerer Viehbestände unabdingbar. Bemerkenswert sind auch die Funde von größeren Mühlrädern in einigen Villen. Sie weisen auf die Installation von Göpelmühlen und somit auf eine beschränkte Mechanisierung von Betrieben hin, die ihr Getreide offenkundig in gemahlener Form in den Handel brachten. Selbst Wassermühlen müssen im Einsatz gewesen sein, wie der Hinweis auf die proDer Einsatz der berühmten nordgallischen Erntemaschine ist übrigens bezeugt; vgl. dazu Plin. nat. 18,296; Pali, agrie. 7 , 2 , 2 - 4 .

nicht

Reichsweiter Landesausbau fessionellen Wassermüller in einer Inschrift aus Günzburg verdeutlicht (IBR 198). Ebenso aufschlußreich ist ein jüngst bei Avenches (CH) entdeckter Wassermühlenkomplex aus der Zeit zwischen 57/58-80 n.Chr., der sich im Umfeld eines stadtnah gelegenen Gutshofes befand (CASTELLA 1998, 61 f.; vgl. zu entsprechenden Mühlen in der Moselregion NEYSES 1983).

Ferner spielte in Raetien der Anbau von Ölpflanzen und von Gemüse eine große Rolle (vgl. auch KÜSTER 1992). Leindotter, Mohn, Lein und Hanf sollten nicht allein eine dem Olivenöl entsprechende Flüssigkeit liefern; sie dienten auch zur Gewinnung von Flachsfasern für Textilien und Seile. Gemüsepflanzen und hierunter besonders die Hülsenfrüchte (Feldbohne, Erbse, Linse) sind betreffs ihrer Bedeutung für den menschlichen Ernährungsplan bereits gewürdigt worden. Für Rätien und die N o r d westprovinzen läßt sich hier auch die Einführung neuer Sorten aus dem Mittelmeerraum nachweisen, etwa der Gartenmelde, des römische Sauerampfers und Portulaks. Zusammen mit den aus wildem Vorkommen stammenden Möhren, dem Porree, Feldkohl, Fenchel, Ackersalat, Dill, Sellerie, der Pastinake und der (bislang nur literarisch bezeugten) Kohlrübe, dem Rettich, Kerbel, Senf, Spargel und der Küchenzwiebel war das Sortiment an Gemüse somit schon recht beträchtlich. Gleiches galt für die Gewürzund Heilpflanzen, wie Funde von Pimpinelle, Thymian, Minze, Wiesenkümmel, Kerbel, Bohnenkraut, wilder Malve, Weinraute, Bilsenkraut und Heilbetonie und der Arznei-Haarstrang verdeutlichen. Der ebenfalls vornehmlich im Gartenbereich der villae rusticae betriebene Obstbau konzentrierte sich aus klimatischen Gründen auf Pflaumen-, Apfel-, Birnen und Süßkirschenbäume sowie Schlehen, wozu schließlich vielleicht noch der aus dem Süden importierte kleine primitive Pfirsich trat (vgl. KÜSTER 1995, 18-20). Ferner sind Kastanien, Hasel- und Walnüsse und Bucheckern nachweisbar. Viehzucht (pecuaria) und Weidewirtschaft bildeten einen weiteren Produktions- und Erwerbsschwerpunkt. Die Rinderzucht stand - nach den Knochenfunden zu urteilen - an erster Stelle. Es spricht für die hohe Kompetenz der rätischen Villenbesitzer und -Verwalter und für insgesamt recht gute Haltungsbedingungen, daß die Tiere Widerristhöhen von ca. 1,48 m erreichten. Sie übertrafen damit bei weitem die kleinwüchsige Rasse im Alpenvorland, die ein Stockmaß von ca. 1,00 m hatte. Die in der Forschung gängige Ansicht, in dieser Zeit seien die Zuchtbemühungen des Mittelalters weit in den Schatten gestellt worden, ist somit zweifellos berechtigt (vgl. PETERS 1998; ferner BENECKE 1994b, 166-168; DERS. 1994a, 176). Die Rinder dienten aber vorwiegend als Fleischlieferanten und Zugvieh für Wagen und Pflug und weniger dazu, Milch zu geben. Sie wurden - wie auch die Pferde - über den Winter hinweg eingestallt und mit Heu durchgefüttert,

77

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Darstellung/Landwirtschaft weshalb der Ertrag an Mist als wertvollem Dünger für die Äcker (s. o. S. 64) nicht unbedeutend war. Die Pferde- und Maultierzucht war das zweite Standbein, da das am Limes stationierte Militär (in Rätien um die Mitte des 2. J h . immerhin schon fast 11.000 Soldaten; vgl. D L E T Z 1995, 126f.) einen hohen Bedarf an Reit-, Last- und Zugtieren hatte (vgl. S T O L L 1997,172-180). Auch hier lassen sich gemäß den Knochenfunden beachtliche Stockmaße (zw. 1,28 und 1,55 m) feststellen. An dritter Stelle stand die Produktion von Schweinefleisch, das sich offenbar besonders bei den Soldaten großer Beliebtheit erfreute (vgl. JUNKELMANN 1997, 158f. mit Lit.). Die hochbeinigschlanken und behaarten Schweine, die zur Eichelmast hauptsächlich in die Wälder getrieben wurden, unterschieden sich in ihrer Gestalt aber noch wesentlich von unseren heutigen Rassen. Auch Schafe und Ziegen wurden gehalten; ihre Zucht war aber nicht so sehr vom Fleischbedarf bestimmt. Sie erfolgte eher wegen der Milch, aus der man auch guten Käse machte (vgl. SHA Pius 12,4: Alpium caseum\ ferner H E R Z 1997, 39 f.), und der Wolle, die erstere lieferten. Schließlich bezeugen Knochenfunde, die auf die Haltung von Hühnern, Hausgänsen und -enten, Tauben und Pfauen hinweisen, den Stellenwert der Geflügelzucht auf den süddeutschen Villen (vgl. OLIVE/DESCHLER-ERB 1999, 35-38); ohne Zweifel muß auch Bienenzucht betrieben worden sein - nicht allein des Honigs wegen, der als Süßstoff gebraucht wurde, sondern auch für die Wachsgewinnung. Die Frage, warum die Landwirtschaft in Rätien ähnlich wie in den anderen Provinzen an Rhein und Donau sowie in Britannien in kurzer Zeit ein so hohes Niveau erreichte, ist eigentlich schon mehrfach beantwortet worden. Es war vor allem die Gegenwart des am Limes stationierten Provinzheeres, die zu verstärkter Produktion anreizte, dann aber auch die Existenz vieler prosperierender Lagerdörfer im Umfeld der Garnisonen und einiger aufblühender Städte wie etwa Augusta Vindelicum (Augsburg) und Cambodunum (Kempten) (vgl. hierzu C Z Y S Z 1995b, 198-214). Kaufkräftige Soldaten und ihre Angehörigen, Stadtbewohner und Handwerker sowie der Staat, der im Rahmen der coemptio Aufkäufe für die Truppe vornahm (vgl. dazu K L S S E L 1995, 130f.), trugen aber nicht allein zur Belebung bei. Auch die im Um- und Hinterland übliche Einforderung von Naturalsteuern, die direkt an die Standorte weiter transferiert wurden, wird die Intensität der Feldbebauung gesteigert haben (vgl. dazu W L E R S C H O W S K I 1984, 151-161; H E R Z 1992, 46). Möglicherweise profitierten jene Soldaten, die als Veteranen mit einem Flurstück bedacht wurden, bei dem Einstieg in die Landwirtschaft auch von der Solidarität ihrer früheren Militäreinheit bzw. noch aktiver Kameraden. Baumaterialien (Ziegel, Steine, Holz), die sehr oft aber auch im direkten Umfeld der Villen gefertigt bzw. besorgt wurden (vgl. M O O S B A U E R 1999), könnten für sie abgestellt worden sein, aber auch Hilfskräfte für die Errichtung der Hofanlage.

Reichsweiter Landesausbau Ungeachtet des eben gezeichneten Bildes liefern der archäologische Befund und andere Quellen Anhaltspunkte dafür, daß viele Villenbesitzer in den Nordwestprovinzen besondere Schwerpunkte in der Produktion setzten. Getreideanbau scheint in den Lößzonen Nordgalliens und Belgiens dominiert zu haben (vgl. Plin. nat. 18,296; Pali, agrie. 7 , 2 , 2 - 4 ; WHITTAKER 1994, 119 mit Abb. 33; BAKELS 1991, 2 9 0 - 2 9 3 ) , während einheimische Landwirte in den Deltazonen von Rhein, Maas und Scheide vornehmlich Viehzucht betrieb e n (vgl. WHITTAKER ebd.; BLOEMERS 1 9 9 4 , 131; BECHERT 1 9 8 2 , 1 6 8 - 1 7 0 ) .

Entlang der Mosel etablierten sich im 3. Jh. schließlich leistungsfähige Weingüter, die wesentlich zur Bedarfsdeckung im belgisch-germanischen Raum beigetragen haben dürften (vgl. GILLES 1995). Durchaus charakteristisch ist auch

der

Befund

auf dem

Hofgelände

der

großen

Villa

von

Köln-

Müngersdorf, weil er die Bereitschaft der Besitzer offenbart, sich hinsichtlich der Produktion den Gegebenheiten auf den nahegelegenen Märkten der ca. 30.000 Menschen zählenden Rheinmetropole anzupassen (vgl. BÜLOW 1993, 30; SPIEGEL 1987, 502 f.). So weisen vier große Viehställe (u. a. für Schweine, Rinder und Schafe) und eine große Scheune für das 2. Jh. n. Chr. auf ein verstärktes Interesse des Besitzers an der vielleicht sehr lukrativen Tierzucht und -mast hin. Als später in den Wirren des 3. Jh. ein Viehstall ausbrannte, errichtete man stattdessen einen neuen Getreidespeicher; ein weiterer Stall wurde ebenfalls zu einem Getreidesilo umgebaut und nur noch ein Schweinestall weiter benutzt. Wohl in Reaktion auf eine neue Marktlage in Köln (stockende Getreidezufuhren aus entfernteren Regionen) wurde auf dem Gut somit offenkundig viel mehr Getreide als vorher produziert. Im Gegensatz zum Hinterland entlang der Rheingrenze bildete sich analog zu dem etwas später einsetzenden Aufbau einer statischen Verteidigungslinie mit dauerhaften Garnisonsorten - im Donauraum erst im weiteren Verlauf des 1. Jh. n. Chr. das Villensystem aus (vgl. die Beiträge von GENSER, GABLER, VISY, BENDER, HENNING u. GUDEA in: B E N D E R / W O L F F

1994, 3 3 1 - 5 1 6 ) . Untersuchungen im ungarischen Grenzraum zeigen, daß die landwirtschaftlich nutzbaren Gebiete seither dicht mit rationell geführten Villen besetzt waren (vgl. THOMAS 1964; BÜLOW 1993, 4 4 - 5 2 ) . In den Provinzen O b e r - und Niedermösien und Thrakien könnte indes noch bis weit ins 2. Jh. n. Chr. hinein der bäuerliche Kleinproduzent, der in geschlossenen Siedlungen lebte, die organisatorische Basis für die landwirtschaftliche Produktion gebildet haben (vgl. BüLOW ebd.). Dann aber prägte auch hier der römische Gutsbetrieb das Agrarwesen in den fruchtbaren Zonen, vor allem den Lößgebieten im nördlichen Vorland des Balkangebirges und in der thrakischen Tiefebene bei Augusta Traiana (Stara Zagora) und Serdica (Sofia) (vgl. BENDER 1 9 9 4 , 4 5 1 - 4 6 1 ; HENNING 1 9 9 4 , 4 6 1 - 5 0 3 ) . E s ist gut m ö g l i c h ,

daß die Villenagglomeration bei Augusta Traiana und Serdica mit der Existenz der großen Militärstraße zusammenhing, die von Perinthos nach Phil-

79

80

Darstellung/Landwirtschaft ippopolis (Plovdif), Serdica und Nai'ssus (Nisch) in Richtung Viminacium führte. D a hier zunächst recht häufig und seit der severischen Zeit nahezu unentwegt Truppenkontingente durchzogen, u m über den Hellespont zu den Grenzheeren an der D o n a u bzw. am Euphrat zu gelangen, gab es aus versorgungstechnischen G r ü n d e n sicher ein staatliches Interesse, das Niveau der Landwirtschaft zu heben. D i e von Septimius Severus initiierte G r ü n d u n g des entlang dieser Straße liegenden E m p o r i u m s von Pizus weist jedenfalls klar in diese Richtung (FREIS 1984, N r . 125 [202 n. Chr.]; vgl. KLSSEL 1995, 7 5 - 7 7 ) . Agrarischer Landesausbau und Intensivierung kennzeichnen

auch

die

Entwicklung der Landwirtschaft Kleinasiens in den ersten beiden J a h r h u n derten n. C h r . (vgl. MITCHELL 1993, 1 4 6 - 1 9 7 . 2 4 5 - 2 5 0 . 257; STROBEL 1996, 7 0 - 9 8 ) . D i e klimatisch und geographisch sehr vielschichtige

Großregion,

die zu Beginn des 3. J h . sechs Provinzen mit einer Gesamtfläche

von

547.000 k m 2 umfaßte, läßt sich weitergehend aber kaum angemessen

be-

schreiben. Dies gilt auch, weil die Siedlungsformen, Besitzverhältnisse und B o d e n n u t z u n g s m e t h o d e n - auch kleinräumig - sehr verschieden waren (vgl. SCHULER 1998). Ferner müssen ältere Ansichten, die von einer rundum feudal strukturierten Landwirtschaft ausgehen und das allgemeine Elend auf dem Lande gegenüber der glänzenden Pracht in den Städten hervorheben (vgl. etwa PEKÁRY 1980, 6 0 7 f . mit weiterer Lit.), in Teilen revidiert werden."' E i n e jüngst erschienene Studie konnte vielmehr aufzeigen, daß die D ö r f e r , o b w o h l sie zumeist einem Großgrundbesitz, einer kaiserlichen D o m ä n e oder einer Stadt zugeordnet waren und die in ihnen lebenden Menschen rechtlich oft nur den Status der Halbfreiheit genossen, durchweg prosperierten und von einer selbstbewußten und wirtschaftlich gesicherten Grundbesitzer- und Bauernschicht verwaltet wurden (vgl. SCHULER 1998). N e b e n Weilern und Einzelgehöften waren es übrigens gerade diese D ö r f e r , die weite Kleinasiens

prägten. A u f eine erfolgreiche Ausdehnung

der

Zonen

agrarischen

Ressourcen deutet auch der Aufschwung der Städte und die Zunahme ihrer Gesamtanzahl auf mehr als 3 5 0 in der Mitte des 2. J h . hin (vgl. BROUGHTON 1938, 6 9 6 - 8 1 6 ; BECHERT 1999, 91). Ansonsten ist die Beweislage für den von der F o r s c h u n g unterstellten Agraraufschwung aber eher dünn. So ist es n o c h nicht gelungen, flächendeckend die Uberreste von Terrassenanlagen, die in den Gebirgsregionen entdeckt wurden, zu datieren, o b w o h l für viele gemäß der archäologischen Surveys in Zentrallykien eine Zuordnung in die ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderte naheliegend ist (vgl. SCHULER

Damit ist aber nicht gemeint, daß der im 2. Jh. lebende Arzt Galen ganz zu Unrecht auf die schonungslose Ausbeutung der mysischen Bauernfamilien durch die städtischen Grundbesitzer hinweist (vgl. M 90) und Philostrat und Dion v. Prusa mit ihren Angaben zur ökonomisch motivierten Selbstversklavung in Kleinasien übertreiben (Philostr. Ap. 8,7,12; Dion Chrys. or. 15,22 f.).

Reichsweiter Landesausbau 1998, 131 Anm. 171). Auch die durch kaiserzeitliche Inschriften bezeugten Bewässerungssysteme im pisidischen Hochland und etwas westlich davon in Kibyra (vgl. BRANDT 1992, 131; ECK 1995 a, 246) sind keine Beweise, da sie u. U. schon Jahrhunderte vorher angelegt worden sind. Kaum mehr Aussagekraft haben die Hinweise von Galen und Basileios von Kappadokien auf die Verbreitung spezieller, an die anatolischen Klimaverhältnisse angepaßter Getreidesorten (vgl. MITCHELL 1993, 167-169). Dennoch hält es St. Mitchell in bezug auf das anatolische Hochland für angebracht, von einer durch den langen Frieden und stabile innere Verhältnisse getragenen agrarischen Aufschwungphase zu sprechen (vgl. ebd. 245-250 u. 257; ferner STROBEL 1996, 70-98, der aber zu Recht MITCHELLS These von einer grundsätzlichen Umformung der ökonomischen und sozialen Strukturen gegenüber der hellenistischen Zeit kritisiert). Der Getreideanbau und die Viehzucht, die auch Wolle und Leder für die aufblühende Textilproduktion im phrygischen Hierapolis, in Laodikeia, Milet und Galatien bereitstellte, sei auf ein Niveau vorangeschritten, das nach dem Niedergang im 6. und 7. Jh. erst im Laufe des 19. Jh. wieder erreicht werden konnte. Uber die Entwicklung in den fruchtbaren Tälern Westkleinasiens und den Schwemmlandebenen liegen hingegen keine Studien vor. Nach den Untersuchungen von H. Brandt zu den Agrarverhältnissen in Pamphylien und Pisidien darf man aber auch hier mit einem Aufschwung rechnen (vgl. BRANDT 1992, bes. 120-133; KlSSEL 1995, 102-105). Dafür sprechen auch die Exporte von Getreide und Ol nach Syrien (zur Armeeversorgung) und bisweilen sogar nach Ägypten (vgl. KlSSEL ebd. u. IGRR III 409). Selbst die Krisenzeit um 260-275 scheint diese Entwicklung nicht sonderlich gehemmt zu haben, wie verschiedene Angaben im Höchstpreisedikt Diokletians (301 n. Chr.) und einer ca. 60 Jahre später (von einem nahöstlichen Händler) verfaßten Handelsgeographie, der Expositio totius mundi, nahelegen. Textil- und Lederprodukte (u. a. auch Leinenerzeugnisse aus Tarsos und Tralleis) sowie Getreide, Ol und Wein aus Westkleinasien und Pamphylien waren hiernach auch noch im 4. Jh. kleinasiatische Handelsgüter von erstrangiger Bedeutung (vgl. Edict. Diocl. XIX 37-40, X X 4, XXI 2, XXII 20 u. 22, XXVI 26 u. ö.; Expos, tot. mundi XL, XLI, XLII, XLV, XLVII, XLVIII, XLIX). Analog zu der Entwicklung in Kleinasien erlebte die Landwirtschaft in Syrien eine Zeit des Aufschwungs (vgl. MARCONE 1997, 193-197; TATE 1997, 55-71). Dafür sorgte auch der Bedarf der am Euphrat und limes Arabicas stehenden Grenztruppen (im 2. Jh. u. a. sechs Legionen!; vgl. KlSSEL 1995, 25) und der wachsenden Städte (allen voran Antiocheia, aber auch Apameia, Chalkis, Emesa, Palmyra und Beroia; vgl. TATE 1997, 64), in deren Nähe die Feldkultur durch den Aufbau weiterer Bewässerungssysteme naturgemäß besonders intensiv betrieben wurde (vgl. HEICHELHEIM 1938, 141 f.). Wir

81

82

Darstellung/Landwirtschaft haben für Syrien mit den relativ ausführlichen Zustandsberichten Strabons (Geographie Buch 16) und des älteren Plinius (verstreut in Buch 5 und 7 der Naturgeschichte) einen guten Einblick in den Entwicklungsstand der Agrikultur zur Zeit des frühen und mittleren 1. Jh. und weiterhin eine Vielzahl von Zeugnissen, die die Lage in der hohen Kaiserzeit und Spätantike beleuchten (vgl. TATE 1997; GAWLIKOWSKI 1997, 3 7 - 5 4 ) . Hierdurch lassen sich eklatante Unterschiede fassen: Zur Zeit des Augustus scheint sich die Seßhaftigkeit im Norden noch auf die Flußtäler des Orontes und Euphrat und die Küstenlandstriche beschränkt zu haben, und im Süden auf Phönizien und das Gebiet westlich des Jordan. Die übrigen Gebiete waren von Nomadenstämmen okkupiert, die nun nach und nach seßhaft (gemacht) wurden oder in die Wüste zurückwichen. In dem breiten Steppengürtel und den Bergregionen östlich und nordöstlich des Orontes bis hin zum Euphrat vollzog sich begleitend dazu ein grundlegender Wandel. Das flache Land wurde zunehmend erschlossen urbar gemacht. Im ausgedehnten

Kalksteinmassiv

Nordsyriens

und

lag das

Schwergewicht der Landwirtschaft seitdem auf der Olivenkultur (vgl. TATE 1992, 51-56; CALLOT 1984), während weiter südlich (fast bis zur 200 mm Niederschlagslinie) der Getreidebau dominierte (vgl. TATE 1997, 66 f.). Die Viehwirtschaft war nach wie vor in allen Landesteilen von Bedeutung (teilweise ist auch Stallhaltung bezeugt!), prägte aber nur noch hart am Rande der Wüste und in den bergigeren Teilen das Geschehen (vgl. ebd.). Vielerorts ist auch Weinanbau feststellbar, vor allem entlang der Küste und dort, wo man Feldbewässerung betrieb (vgl. HEICHELHEIM 1938, 1 3 8 - 1 4 0 ) . Die Hydrokultur wurde übrigens nicht allein entlang der Ufer des O r o n tes und Euphrat und ihrer Nebenflüsse ausgeweitet, sondern auch im Umfeld der Oasen und zeitweilig wasserführender Wadis praktiziert (vgl. TATE 1997, 6 2 - 6 4 ) . Speicherseen und komplexe Bewässerungssysteme, die auch Fruchtbaumkulturen und Gemüsebeete versorgten, sind in einigen Gegenden noch heute leicht wiederzuerkennen (vgl. ebd. 62 mit Fig. 3). Besonders eindrucksvoll sind die wohl ins 1. nachchristliche Jh. zu datierenden Anlagen bei der berühmten Oasenstadt Palmyra. Hier wurde der Wadi el-Barde durch einen Staudamm von 345 m Breite, 30 m Höhe und 18 m Dicke abgesperrt und das gespeicherte Wasser über einen Hauptkanal, der auch eine Mühlenanlage in Bewegung setzte, und ein seitlich ausfächerndes Grabensystem über ein viele Quadratkilometer

umfassendes

Areal

mit

Gartenkulturen

verteilt

(vgl.

SCHLUMBERGER 1986). Schon sehr viel länger existierten dagegen die ausgedehnten Bewässerungssysteme in den Oasen um Jericho und Damaskus. Sie waren für ihre Sonderkulturen (Granatäpfel, Aprikosen, Mandeln, Datteln, Wein, Gemüsepflanzen etc.) berühmt und seit jeher Inbegriff großer Fruchtbarkeit (vgl. BEN-DAVID 1974, 84 f.; WEBER 1989). Im Laufe der Kaiserzeit traten zu diesen Palmoasen aber noch die Hydrokulturen im Umfeld des

Reichsweiter Landesausbau Hauran, im Bereich des Negev, im Westjordanland und bei Petra hinzu, die wesentlich von in Zisternen gesammeltem Regenwasser gespeist und bis ins 7. Jh. hinein sorgsam in Stand gehalten wurden (vgl. BRAEMER 1990; BENDAVID ebd. 8 5 - 9 3 ; MAYERSON 1960; LINDNER 1997). Ansonsten dominierte in den Steppen östlich des Libanongebirges und des Jordans seit dem 2. Jh. der Anbau von Getreide auf unbewässerten Feldern. Dieser Vorgang wurde durch die Einverleibung der Provinz Arabia und die Entstehung des gegen räuberische Wüstenstämme gerichteten limes Arabiens gewiss noch gefördert, da nun römisches Militär ins Land zog, welches einerseits für Sicherheit sorgte und andererseits kontinuierlich verpflegt werden mußte (vgl. GRAF 1997, 1 2 3 - 1 3 1 ) .

Insgesamt wirkte also auch in Syrien der Staat sehr konkret auf den Prozeß des Landesausbaus ein. Die wichtigste Leistung war zweifellos, daß mit dem Beginn der Kaiserzeit relativer Frieden und Stabilität ins Land einkehrte. Dies ergab sich aus den Bemühungen, die Führungsschicht der allerorts in Syrien herumstreifenden Beduinenstämme in das System des Reiches einzugliedern und einen Teil der Stämme nach Südosten abzudrängen (vgl. TATE 1997, 55-58). Nicht ohne Impulse blieben ferner die Landvermessungen und -Zuteilungen (vgl. ebd. 60-62). Behördlicherseits scheint man weiter versucht zu haben, die Bauern in den Formen der lex Maneiana und lex Hadriana de rudibus agris zum Anbau von bisher unbestellten Flächen zu bewegen (vgl. ebd. 60). Wie sehr die Sorge um eine optimale Bodennutzung ein Anliegen der um die Steuererträge besorgten römischen Verwaltung war, offenbart schließlich ein Schreiben Kaiser Domitians an einen seiner Prokuratoren in Syrien. Hier heißt es, in der Anweisung, unrechtmäßige Requirierungen abzustellen, wörtlich: „denn wenn die Bauern (von der Arbeit) abgezogen werden, bleibt das Land unbebaut" (IGLS V 1998, Z. 2 8 - 3 0 ) . Allenthalben zeigt sich an den hier ausgewählten Großregionen, daß die landwirtschaftlichen Ressourcen des Reiches im Laufe der Kaiserzeit maßgeblich erweitert worden sind und wohl auch mit dem nicht unbeträchtlichen Bevölkerungswachstum bis zur Zeit Mark Aurels schritthielten. Die meisten Provinzen, zumindest die kleinasiatischen, syrischen und afrikanischen, scheinen sogar bis in die severische Zeit hinein keine wesentlichen Rückschläge erlitten zu haben. In Italien und Griechenland, wo der Agrarsektor in Anklang an einige antike Stellungnahmen (vgl. für Italien Colum. r.r. I praef. 1 - 2 0 u. ö.; Plin. nat. 18,21; 18,35f. u. ö.; Plin. ep. 3,19; 9,37; Tac. ann. 4,6,4; für Griechenland Cic. ad fam. 4,5,6; Strab. 8,8,1 ff.; 9,1,16; Paus. 1,20,7; Sen. ep. 91,10) von vielen Vertretern der Forschung mit dem Etikett „Niedergang" versehen wurde, wendete sich die Lage wohl nur dergestalt, daß die Situtation insgesamt stagnierte und die Länder in ihrer Bedeutung gegenüber den anderen Regionen zurücktraten (vgl. DE MARTINO 1991, 2 5 6 - 2 9 3 u. 520-555; JACQUES/SCHEID 1998, 498). Wie oben schon angedeutet wurde,

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84

Darstellung/Landwirtschaft lief die Produktion in Italien in einigen Gegenden noch auf hohem Niveau, aber es gab auch Regionen, wo sich die Grundbesitzer aus geschäftlichem Kalkül einer extensiveren Bodennutzung zuwandten, die vor allem auf der zumeist sehr gewinnträchtigen Viehzucht basierte (vgl. JACQUES/SCHEID ebd. 428).

3.5 Organisation der Bodenbewirtschaftung D e r Hinweis auf das ökonomische Denken der Grundbesitzer eröffnet die Frage nach den Betriebssystemen und den Formen der Bodenbewirtschaftung. Im allgemeinen geht die Forschung in Anlehnung an die berühmte Äußerung in Plin. nat. 18,35 ( l a t i f u n d i a perdidere

Italiani)

davon aus, daß

sich der Großgrundbesitz im Reich nach und nach voll entfaltete und das freie Kleinbauerntum wesentlich zurückdrängte (vgl. DE MARTINO 1991, 268f.; JOHNE 1983, 51 Anm. 1. 82. 88. 97. 105 f. u. ö.). Dieser Prozeß der ständigen Ausweitung und damit einhergehenden Konzentration der landwirtschaftlichen Produktion bei nur wenigen Eigentümern ist vielfach belegt (vgl. M 2 4 ) . Seneca der Jüngere, der schwerbegüterte

Erzieher

Neros,

schreibt zum Beispiel in mahnenden Worten (ep. 89, 20): „Wie weit wollt ihr die Grenzen eurer Besitzungen ausdehnen? Ein Acker, der ein Volk getragen hat, Ist für einen einzigen Herrn zu eng. Wie weit werdet ihr euch mit euren Pflügen ausdehnen, nicht einmal dann zufrieden, wenn ihr mit der Bestellung ganzer Provinzen umschreibt eurer Ländereien Maß? Berühmter Flüsse Lauf führt über privates Gebiet, und große Ströme, Grenzen großer Völker, sind von der Quelle bis zur Mündung euer Besitz. Auch das ist zu wenig, wenn ihr nicht mit eurem Landbesitz Meere umfangt, wenn nicht jenseits von Adria, Ionischem und Ägäischem Meer euer Verwalter herrscht, wenn nicht Inseln, Wohnstätten großer Feldherren, zu den wohlfeilsten Dingen gerechnet werden. Besitzt so viel, wie ihr wollt, ein Landgut sei, was einst ein Reich genannt wurde; macht zu eurem Eigentum, was immer ihr könnt, solange es noch mehr gibt, was euch nicht gehört". (Übers, nach M. ROSENBACH) Großgrundbesitz, der insgesamt viele Tausend Hektar umfassen konnte, wurde in der Regel aber nicht als geschlossene Wirtschaftseinheit geführt. Er war viel öfter in kleinere, häufig weit auseinanderliegende Güter von ca. 2 5 - 1 2 5 ha aufgeteilt (vgl. FELLMETH 1998, 54f. Anm. 10; RATHBONE 1998 b, 1245 mit weiterer Lit.). Diese wiederum wurden zumeist nur dann direkt bewirtschaftet, wenn die zugehörigen Betriebsflächen überwiegend der Viehzucht und Weidewirtschaft dienten, oder die Nähe zu einem Konsumentenzentrum (Stadt bzw. Militärlager) zur Intensivierung und strengen

Organisation der Bodenbewirtschaftung Kontrolle der Produktion anreizte (vgl. schon Cato agr. 1,3). Ansonsten ging man zum System der Verpachtung über, besonders der Kleinpacht (vgl. ausführlich JOHNE 1983; JOHNE 1993 b, 64-82). Dabei konnte das Gesamtareal eines Latifundiums in größere Komplexe aufgegliedert sein, die von einem Großpächter (conductor) oder Geschäftsführer {actor) bewirtschaftet wurden, oder es wurde noch weiter aufgeteilt und an zahlreiche Kleinpächter vergeben. Manchmal wählte man auch eine Kombination beider Möglichkeiten, indem der zentrale Teil eines Gutes einem conductor anvertraut wurde, und der Rest an Kleinpächter ging (s. u. S. 86 f.). Bei diesen coloni handelte es sich häufig um wirtschaftlich ruinierte bzw. verarmte Bauern, die auf weiteres Pachtland als Existenzgrundlage angewiesen waren, oder nicht erbende Bauernsöhne. Bisweilen finden sich unter ihnen auch Freigelassene oder Sklaven, denen als ,Quasi-Kolonen' Land zu pachtähnlicher Nutzung übergeben wurde (vgl. KöHN 1983, 190 f.), ferner Peregrine, die durch Landkonfiskationen bzw. Domänengründungen um ihr Eigentum gebracht worden waren (vgl. JOHNE 1993 b, 66). Kolonen finden seit der Mitte des 1. Jh. v. Chr. zunehmend in der Literatur Erwähnung - so bei Cicero, Caesar, Sallust, Varrò und Horaz, später bei Seneca, Columella, Frontin, Martial, Tacitus und dem jüngeren Plinius - , ferner in weit über 100 in den Digesten erhaltenen Fragmenten von Werken römischer Juristen und seit dem Anfang der Kaiserzeit in weit mehr als 100 inschriftlichen Zeugnissen (vgl. JOHNE u. a. 1983). Es gab für sie verschiedene Pachtformen, wobei im wesentlichen zwischen der festen Pacht in Naturalien oder Bargeld und der Praxis der Ernteteilung, der sog. Teilpacht, zu unterscheiden ist (vgl. die Belege bei JOHNE 1983, 143 f.). In ihrer Funktion als Verpächter legten die Grundbesitzer unterschiedliche Verhaltensweisen an den Tag. Während viele ein reines Rentierdasein pflegten und sich nicht sonderlich um ihre Güter kümmerten (s. etwa Colum. r.r. 1, praef. 3. 12. 14f. 19f.), waren andere so engagiert, daß sie die Arbeit der Kolonen genau überwachten. Sie stellten dem Pächter zum Teil sogar Sklaven, Tiere und Gerät zur Verfügung (vgl. JAQUES/SCHEID 1998, 409). Gewöhnlich wurde Pachtland nur auf fünf Jahre vergeben. Um die Pachtnehmer dennoch zu Investitionen anzuspornen und dem Raubbau entgegenzuwirken (s. dazu Plin. ep. 9,37,1-2), garantierten die Grundbesitzer ihnen vielfach eine etwas gesichertere Situation, einem Rat Columellas (r.r. 1,7,3) folgend, „am einträglichsten sei ein Gut, das alteingesessene Pächter habe...". Ferner dürfen wir annehmen, daß sie Pachtrückstände weniger als Anlaß zur Vertreibung eines Kolonen ansahen, denn als Gelegenheit, ihn und seine Nachkommen zum Verbleiben auf der Pachtstelle zu bewegen (vgl. Colum. r.r. l,7,2f.; Plin. ep. 3,19,5ff.; 9,37,2 f.; 10,8,5). Dieses Verfahren barg aber auch Risiken in sich, wie die Erwägungen des jüngeren Plinius in ep. 9,37 zeigen, der sich als Gutsbesitzer auf Grund von Verlusten gezwungen sah, die Verpachtung seiner Güter für mehrere Jahre neu zu ordnen:

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Darstellung/Landwirtschaft „Denn

im vergangenen

Lustrum

[Zeitraum

von

fünf Jahren]

sind

die

Rückstände [meiner K o l o n e n ] trotz starker Nachlässe angewachsen; deshalb bemühen sich manche schon gar nicht mehr, ihre Schulden abzuzahlen, weil sie daran verzweifeln, sie überhaupt jemals abtragen zu können; ja, sie treiben Raubbau und verzehren alles was wächst, weil sie meinen, es k o m m e doch nicht ihnen zugute, w e n n sie sparten. Es gilt also, den steigenden Übelständen zu begegnen und ihnen abzuhelfen. Die einzige Möglichkeit der Abhilfe wäre, w e n n ich nicht gegen Zahlung einer Geldsumme, sondern gegen Ablieferung eines Teils des Ertrages verpachtete und dann aus meinem Personal ein paar Aufseher einsetzte und den Ertrag überwachen ließe... Freilich erfordert das unbedingte Zuverlässigkeit, scharfe A u g e n und zahlreiche Hände.

(Übers, nach H. KASTEN) Ungeachtet dieser Verluste und Probleme stellte sich die Einkommenslage für Plinius, dessen auf ca. 20 Mio. HS geschätztes Vermögen „fast ganz" in Landgüter investiert war, am Ende gar nicht so dramatisch dar. Er war immerhin zu reichen Stiftungen und Schenkungen imstande und zugleich in der Lage, ohne Probleme ein 3 Mio. HS teures Gut zu erwerben (vgl. Plin. ep. 3,19). Entsprechend schätzt K. D. White seinen Besitz auf ca. 8.700 ha (WHITE 1970, 406) und R. Duncan-Jones seine jährlichen Einkünfte auf 1,1 Mio. HS (DUNCAN-JONES 1982, 21). Auch Plinius' Absicht, statt der in Italien bis dahin üblichen Geldpacht ein Teilpachtsystem einzuführen, war, wie der allgemeine Trend hin zu dieser Vertragsform anzeigt, erfolgversprechend (vgl. JOHNE 1993 b, 6 6 - 7 4 ) . Sie zeugt zugleich von einem „ökonomischen Rationalismus", der antiken Grundbesitzern gemäß dem Verdikt von M. I. Finley eigentlich nicht zu eigen war (vgl. gegen FINLEY 1977, 138 zu Recht FELLMETH 1998). Auch auf den großen kaiserlichen Domänen in der Provinz Africa Proconsularis war die Teilpacht das prägende Element. Uber die innere Organisation dieser Güter im 2. Jh. sind wir durch mehrere umfangreiche Inschriften aus dem zentraltunesischen Bagradastal gut informiert, namentlich durch die Domänenordnung von der Villa Magna Variana von Henchir Mettich (vgl. C I L VIII 25902 = FLACH 1978, 477-84), die Pachtordnungen von Ain Quassel und Ain el-Djemala (CIL VIII 26416 und 25943 = ebd. 4 8 4 - 4 8 9 ) und den Beschwerdebrief der Kolonen von Souk-el-Kremis (CIL VIII 10570 = ebd. 489-492). Danach war der Status der Pachtbauern durch die wohl auch auf den Privatdomänen gültige lex Manciana und verschiedene kaiserliche Ordnungen (besonders von Hadrian) näher fixiert (vgl. KOLENDO 1976; FLACH 1982). Aus der Domänenordnung der Villa Magna Variana (um 116/117 n. Chr.) läßt sich anhand einzelner Bestimmungen überdies ein vergleichsweise privilegierter Status der Pächter herauslesen. So war der bei der Ernteteilung als Naturalsteuer und Pacht abzuführende Anteil genau festgelegt.

Organisation der Bodenbewirtschaftung Die Quote bei Getreide, Wein und Oliven lag insgesamt bei einem Drittel der Ernte, während bei Bohnen ein Viertel oder Fünftel der Früchte einbehalten wurde. Auch die Ablieferungsmodalitäten waren detailliert geregelt, um die Kolonen möglichst umfassend vor der Willkür mancher Pachteintreiber zu schützen. Man ging sogar noch weiter und verlieh ihnen die erbliche possessio über ihre Pachtstellen, ohne sie andererseits in ihrer Freizügigkeit, d. h. am Verlassen der Hofstelle, zu hindern. Vermutlich resultierten die in der Verordnung gewährten Konzessionen und Sicherheiten aus einem Mangel an Arbeitskräften. Darauf scheinen auch die in den Inschriften angesprochenen Frondienste hinzudeuten, die auf insgesamt nur sechs Tage pro Jahr festgelegt waren. Es handelte sich hierbei um Arbeitseinsätze auf dem ausgedehnten Gemeinschaftsgut der Domäne, die in der Regel während der Frühjahrseinsaat, der sommerlichen Ernte und des herbstlichen Pflügens zu absolvieren waren. Sie kamen dem „Großpächter" (conductor) zugute, der dieses Gemeinschaftsgut auf fünf Jahre gepachtet hatte und zugleich für die Einziehung der von den Kolonen zu entrichtenden Pachtzinsen verantwortlich war. Diese Praxis erklärt auch, warum sich später gerade die conductores zu Peinigern der Kolonen entwikkelten und von diesen mit der Rückendeckung der ihnen übergeordneten kaiserlichen Prokuratoren, die man bestochen hatte, unzulässige Dienste e r p r e s s t e n (vgl. C I L V I I I 1 0 5 7 0 u . 1 4 4 2 8 ) .

Bei der Darlegung der Wirtschaftsweise der Großgrundbesitzer ergibt sich auch die Frage, wie weit die in Italien (einschließlich Dalmatien und Sizilien) und Nordafrika (ohne Ägypten) reichlich dokumentierte Kolonenwirtschaft (vgl. W E B E R

1 9 8 3 , 2 6 1 - 2 8 0 . 2 8 9 - 3 4 3 ) in d e n a n d e r e n G r o ß r e g i o n e n

des

Reiches verbreitet war. Sie läßt sich, um die Antwort vorwegzunehmen, nur schwer beantworten. Für die iberische Halbinsel gibt es beispielsweise fast keine Zeugnisse für Kolonen, obwohl sich dort eine ausgeprägte Villenwirtschaft nachweisen läßt, und die Tendenz zur Ausbildung von Großgütern bestand, die man eigentlich nur durch Landverpachtungen sinnvoll verwalten konnte. Auch in bezug auf Gallien und das Rheinland gibt es Unklarheiten über die Organisation des Großgrundbesitzes. Der massenhafte Gebrauch von Sklaven kann nördlich der Provinz Gallia Narbonensis aber weitgehend a u s g e s c h l o s s e n w e r d e n (vgl. PLEKET 1 9 9 0 , 9 6 ; WHITTAKER 1 9 8 0 ) . V i e l l e i c h t

spielte hier eher der Einsatz von halbfreien Bauern und eines gefolgschaftsähnlichen Gesindes (WHITTAKER ebd.) sowie die Lohnarbeit (s. u. S. 91) eine tragende Rolle. Einige größere Güter bzw. Großvillen und Domänen scheinen aber parzelliert und an Pächter vergeben worden zu sein, wie jene beiden Komplexe in der Nordeifel und im Erftkreis, die aus einem großen Anwesen und einer Anzahl zugeordneter kleinerer Höfe bestanden (vgl. HINZ 1969, 58 f.; JOHNE 1993 b, 79 f.), oder die fundi im Sommebecken (AGACHE 1978, 279-387). Oft wohnten die Pächter auch in kleinen, zum

87

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Darstellung/Landwirtschaft Gutsbezirk gehörenden Dörfern (CIL XIII 6365; IL TROIS GAULES Nr. 379; vgl. BROCKMEYER 1968, 235-241; JOHNE 1993b, 80-82). Dies verdeutlicht eine auf dem Gebiet der Treverer gefundene Inschrift (CIL XIII 4228), die von den Pächtern des Crutisionischen Gutes (coloni Crutisiones) durch ihren dannus (kelt.: Richter, Dorfvorsteher) Giamillus geweiht wurde. Ferner scheint in diesem Raum im frühen 3. Jh. die Verpachtung gegen Geld und Naturalien nebeneinander existiert zu haben, da Reliefs aus Arlon und Neumagen Pächter darstellen, die ihre Abgaben an den Gutsverwalter mal in Naturalien und mal in Bargeld entrichten (vgl. JOHNE u. a. 1983, Taf. I A b b . 1 u. 2; BALTZER 1983, 9 9 N r . 33).

Auf eine allgemeine Verbreitung des Pachtwesens in Gallien scheint aber nur der in den Panegyrici Latini für die Zeit um 286 n. Chr. erwähnte Bagaudenaufstand hinzudeuten, der von ignari agricolae, aratores, pastores und rustici getragen wurde und erst nach erbitterten Kämpfen von regulären römischen Streitkräften niedergeschlagen werden konnte (Paneg. lat. 10,[2],4,3; vgl. WHITTAKER 1980, 84 f.). Es könnte sich hierbei aber auch um Sklaven und Knechte freien oder halbfreien Standes handeln, die auf großen Landgütern mit riesigen Gesindekomplexen wie etwa Chiragan an der Garonne, Montmaurin bei Toulouse und Anthée bei Namur tätig waren (vgl. WHITTAKER ebd. 81. 84; FOUET 1969, 32. 4 3 - 4 6 . 291 zu M o n t m a u r i n ; GRENIER

1934, 843-837 u. 850-858 zu Chiragan; ebd. 843-849 zu Anthée). Blickt man nach Osten auf die großen Güter in Griechenland, Kleinasien und Palästina, lassen sich des öfteren Formen des Pachtwesens, die denen in Nordafrika ähneln, beobachten. Dies gilt in Kleinasien sowohl für die privaten Besitztümer, die sich in den Händen der seit Augustus eingewanderten römischen Kolonisten befanden sowie der autochthonen Oberschichten bzw. Eliten der griechischen (oder nach griechischem Vorbild organisierten) Städte, als auch für die seit der hadrianischen Zeit mächtig ausgedehnten und vermehrten kaiserlichen Domänen (vgl. dazu MITCHELL 1993, 162-164). In Teilen Palästinas scheint die breite Schicht der jüdischen Kleinbauern erst mit dem großen Aufstand 6 6 - 7 0 n. Chr. enteignet und in den Status von Kolonen herabgedrückt worden zu sein. Hier gab es später mehrere Kategorien von Pächtern, etwa die sozial höher gestellten Choker und Socher, die auf der Basis der Teil- oder Geldpacht größere Flächen bewirtschafteten, oder die Aris, Kleinpächter, die in den Formen der Teilpacht ein Viertel, ein Drittel oder die Hälfte des Ernteertrages an den privaten oder staatlichen Grundherrn abzuführen hatten (Vgl. BEN-DAVID 1974, 61-65; SAFRAI 1994, 334-337). Die reichsweite Bedeutung der Bodenpacht tritt schließlich klar hervor, wenn man noch berücksichtigt, daß die Bodenpacht in der Form der Anpachtung von Parzellen bis zu 10 Aruren auch in Ägypten weit verbreitet war und als Betriebsweise sowohl im staatlichen wie auch privaten Großgrundbesitz eine Rolle spielte (vgl. zu einigen Hundert papyrologisch über-

Organisation der Bodenbewirtschaftung lieferten Pachtverträgen

aus der K a i s e r z e i t :

HERRMANN 1 9 5 8 ; HENNIG

DREXHAGE

1 9 6 7 ; PARÁSSOGLOU

1991A,

140-191,

1 9 7 8 ; RATHBONE

1991,

1 7 5 - 1 9 5 ; KEHOE 1992, 3 0 - 3 5 . 1 2 1 - 1 6 7 ) .

Welche Schlüsse lassen sich aber hieraus ziehen? Ist es z. B. berechtigt, in Anlehnung an die Praefatio zum 1. Buch Columellas (vgl. M 3 2 ) auf ein Uberwiegen von Großgrundbesitzern zu schließen, die in erster Linie an den Einnahmen aus Pachterträgen interessiert waren und sich weniger um die Verwaltung ihrer Güter kümmerten (vgl. PLEKET 1990, 90f. mit Anm. 123)? Unseres Erachtens wohl nicht, denn es ist offenkundig, daß die Produktion für die städtischen Märkte im ökonomischen Denken der Großgrundbesitzer eine sehr wichtige Rolle spielte. Da sie für ein standesgemäßes Leben, welches die Bewerbung um Amter und ihre Bekleidung, die Errichtung aufwendiger Bauten und Luxuskonsum einschloß, enorme Geldsummen benötigten (s. u. S. 164 f.), mußte notgedrungen alles daran gesetzt werden, die Einkünfte aus der Landwirtschaft zu maximieren. Dieses Streben wird auch dadurch faßbar, daß in der Antike meist nur der Wert und Ertrag einzelner Güter angegeben wurde, aber nicht ihre Fläche (vgl. RATHBONE 1998 b, 1248). Ferner ist ein starkes Engagement von Großgrundbesitzern in der Verwaltung ihrer Güter sehr wohl bezeugt. Aelius Nikon, der Vater des berühmten pergamenischen Arztes Galen, führte auf den heimischen Besitztümern in Mysien (Asia minor) z. B. umfangreiche Experimente mit Kulturpflanzen durch, um die Erträge zu steigern (vgl. Gal. 6, 552). Ahnlich aufgeschlossen zeigte sich der Grammatiker Remmius Palaemon, der auf seinem für 600.000 HS erworbenen Weingut dank des bereits erwähnten Experten Acilius Sthelenus im achten Jahr die Ernte für nicht weniger als 400.000 HS auf dem Stock verkaufen konnte (Plin. nat. 14,50 f.). L. Tarius Rufus soll sich durch maßlose Investitionen in seinen picenischen Gutsbesitz sogar nachhaltig ruiniert haben (Plin. nat. 18,37). Auch die Fortschritte im Weinbau und in der Weinerzeugung dürfen nicht übersehen werden (vgl. SCHNEIDER 1992, 6 2 - 6 5 . 70f.; GARNSEY/SALLER 1 9 8 9 , 85 f.; GILLES 1 9 9 5 ) u n d die z a h l r e i c h e n F a c h s c h r i f t e n

über die Verwaltung von Landgütern, die es ohne ein großes öffentliches Interesse nicht gegeben hätte. Selbst die These von der Primitivität der antiken Buchführung erscheint abwegig, wenn die Aussage darauf hinausläuft, daß der Standard der Buchführung und Kalkulation in den Betrieben der frühen Neuzeit höher war (vgl. PLEKET 1990, 96-98). Ein Gegenbeispiel liefert die - durch das HeroninosArchiv gut dokumentierte - Verwaltung der ausgedehnten ägyptischen Ländereien des Aurelios Appianos (vgl. RATHBONE 1991; DERS. 1998 a, 484). Sein um 2 5 0 - 2 6 0 in verschiedene Verwaltungseinheiten aufgeteilter Besitz im Gau Arsinoites war absatzorientiert und derart verwaltet, daß unter der Oberaufsicht eines Ratsherrn aus der Region jeweils Aufseher (phrontistai) einen Gutskomplex leiteten. Sie hatten genau über die geschäftlichen Transaktionen

89

90

Darstellung/Landwirtschaft und Zahlungsein- und -ausgänge Buch zu führen. Dabei kamen verschiedene Formen des Kredits und der Finanztransaktion durch Banken zur Anwendung. Man führte auch Konten für die Arbeitskräfte mit einem Haben für die Lohnzahlungen und einem Soll für Aus- und Abgaben. Uber alle Geldeingänge und -auszahlungen wurde penibel Buch geführt, ferner über Ernteerträge, Betriebskosten und Verkaufserlöse. Um die Leistungsfähigkeit und Rentabilität einer jeden Verwaltungseinheit festzustellen, trug man all diese Posten schließlich in standardisierten Jahresbilanzen zusammen, die dann der Zentralverwaltung vorgelegt wurden. Ferner existierte für sämtliche Verwaltungseinheiten ein zentraler Fuhrhof, der alle anfallenden Transporte erledigte. Vorbildlich war nach den Archiveinträgen auch die Sorge um den Bestand des Bewässerungssystems. Wie sehr übrigens die Produktions- und Arbeitsformen beim Großgrundbesitz auf die allgemeine Marktlage reagierten, zeigen die Güter und Gutshöfe in der Nähe der Städte bzw. in den Gebieten, deren Produktion auf ferne Absatzmärkte zielte. Hier dominierte oftmals die Sklavenarbeit, weil Sklaven nach damaliger Anschauung die rentabelste Form der Betriebsführung ermöglichten (Plin. ep. 3,19,7; Colum. r.r. 1,7,5-7; vgl. JACQUES/ SCHEID

1998,

403-407;

JOHNE

1983,

145-148;

GUMMERUS

1906,

80f.;

BROCKMEYER 1968, 137-157). Die Ausführungen des älteren Cato und Columellas weisen dabei aber zugleich auf die absolute Notwendigkeit hin, die Sklaven gut zu kontrollieren und die Arbeitsorganisation zu perfektionieren (vgl. v. a. Colum. r.r. 1,7,5-7; 1,8,1-15; 1,9; 12,3,5-9). Spezialisierung, Arbeitsteilung und Kooperation bestimmten daher die Produktion auf den Sklavengütern, die durch vereinzelte technische Innovationen noch einen zusätzlichen Schub erhielt (vgl. M 3 3 ) . Hierbei waren die Sklaven für die Grundbesitzer nur bloßes Zubehör des Gutes. Diesen Standpunkt hat am deutlichsten Varrò vertreten, der sie als sprechendes Inventar bezeichnet und damit dem Vieh als stimmbegabten Inventar und den Geräten als stummen Inventar gleichstellte (Varrò rust. 1,17,1). Dennoch scheint es zahlreichen Sklaven entgegen allen Klischeevorstellungen materiell gesehen nicht schlechter als vielen Pächtern und Tagelöhnern ergangen zu sein (Varrò rust. 1,17,2; vgl. ALFOLDY 1984, 123 f.). So gab es neben den armen Kreaturen, die noch in Ketten auf den Ackern und Weinbergen schufteten (etwa im frühen 2. Jh. auf den toskanischen Domänen; vgl. Mart. 9,22,4; Juv. 8,180), auch die über große Unabhängigkeit verfügenden Schäfer (Fronto, Ad M. Caes. 2,12) und solche, die als zuverlässig galten und sich frei auf dem Gut bewegen konnten (Colum. r.r. 1,8,15-18; 1,9). Ferner dürfen wir nicht die privilegierte Schicht der Verwalter und Vorarbeiter vergessen, d. h. die procuratores und die rangniederen vilici, actores und monitores (vgl. SCHÄFER 1998) sowie jene teuren Fachkräfte, die für ihre Kenntnisse z. T. sogar allgemeine Berühmtheit erlangten (vgl. Plin. nat. 14,47-51; Colum.

Organisation der Bodenbewirtschaftung r.r. 3,3,8)· Aus Rentabilitätsgründen war die Zahl der Sklaven auf dem Gut im allgemeinen minimiert. Für Arbeitsspitzen, etwa während der Ernte, mußten daher freie Lohnarbeiter angeworben werden, oder Kolonen einspringen, die auf den verpachteten Flächen des Gutes wohnten (s. o. S. 87). Bei den Lohnarbeitern, denen nicht selten ein Teil der Ernte überlassen wurde (vgl. Cat. agr. 136. 144), handelte es sich zumeist um Kleinbauern aus der Umgebung, Bewohner der Nachbarstädte oder saisonale Wanderarbeiter, die - wie die Erntehelfer in Nordafrika (ILS 7457) - in organisierten Trupps auftreten konnten (vgl. auch Mt. 20,1-14; Dig. 43,24,15,1, Ulpian; Colum. r.r. 2,2,12). Reichsweit muß der Umfang der Sklaverei und ihre Bedeutung für die Gutsbewirtschaftung allerdings relativiert werden. Sie spielte vermutlich nur in einigen Gegenden Italiens (Latium, Kampanien, Etrurien, Lukanien, Apulien und Kalabrien), Südspaniens, Griechenlands und Südfrankreichs eine mehr oder weniger wichtige Rolle, und gemäß den Äußerungen von Apuleius und Achilles Tatios vielleicht auch in Tripolitanien und im Umfeld der großen Städte Westkleinasiens (Apul. apol. 93,3 f.; Ach. Tat. 5,17; vgl. DE MARTINO 1991, 294-325). Dagegen wird der Stellenwert der Lohnarbeit durch die jahrzehntelang ausgetragenen Kontroversen über die ,Sklavenhalterordnung' und ihrer ,Krise' sehr oft unterschätzt (vgl. JACQUES/SCHEID 1998, 403. 405; GARNSEY 1980b). Auf ihre Bedeutung weisen aber die Verhältnisse auf den Gütern in Ägypten (vgl. RATHBONE 1991, 9 1 - 1 7 4 ) in gleicher Weise hin wie zahlreiche Angaben im Talmud (vgl. BEN-DAVID 1974, 6 5 - 6 9 ) , und vielleicht sind auch die Hinweise Dions von Prusa auf die Großgrundbesitzer in Euböa, die freien Lohnarbeitern ihre Herden anvertrauten, aufschlußreich (Dion Chrys. or. 7,11). Ferner können wir nicht ausschließen, daß sich das Gesinde auf den bereits erwähnten, mittelgroßen villae rusticae im Limeshinterland vornehmlich aus freien Menschen zusammensetzte. Obwohl die umfangreichen Funde von technischem Gerät in den näher untersuchten Villenkomplexen auf eine direkte Bewirtschaftung hindeuten, scheint die Anzahl der hier Beschäftigten wesentlich geringer gewesen zu sein als vielfach angenommen wird (gegen HINZ 1969, 70 vgl. WLERSCHOWSKI 1 9 8 4 , 1 7 0 u. CZYSZ 1 9 9 5 b , 2 2 6 , die v o n 5 0 B e w o h n e r n p r o

Villa ausgehen; zu Recht die Berechnungen von KREUZ 1994/1995, 8 0 - 8 2 u. SPITZING 1988, 147; zum technischen Gerät BECHERT 1982, 164-166; CZYSZ 1 9 9 5 b , 2 2 9 ; W H I T E 1 9 7 5 ; REES 1 9 7 9 ) .

Eine weitere Form des Rückgriffs auf Arbeitskräfte war die Heranziehung von Schuldnern und Abhängigen bzw. Halbfreien. Varrò erwähnt bei der Aufzählung der Kategorien von Arbeitern z. B. jene der „Zahlungsunfähigen" (obaerarii), die „auch in Asien noch zahlreich sind, ebenso in Ägypten und Illyrien" (rust. 1,17,2). Columella spricht sogar von „gebundenen" römischen Bürgern, die Seite an Seite mit Sklaven auf den Domänen arbeiteten

91

92

Darstellung/Landwirtschaft (r.r. 1,3,12). Da für die frühe Kaiserzeit in Italien sogar die willkürliche Verschleppung von Freien in die ergastula (gutseigene Sklavenkerker) vorkam (Suet. Aug. 32,1; Tib. 8), sollte man diese Formen der Knechtschaft selbst im Kernland nicht unterschätzen. Andernorts läßt sich der Status von Halb- und Unfreien noch weniger genau umreißen. Dies gilt etwa für die gallischen obaerati, die in einer ungeklärten Form der Abhängigkeit zum grundbesitzenden Adel standen (vgl. HERZ 1992, 43; WHITTAKER 1980, 80 f.), und für einige kleinasiatische Stämme, die - wie die Mariandynoi auf dem Territorium von Herakleia Pontiké - von alten griechischen Koloniestädten in einen sklavenähnlichen, hörigen Status herabgedrückt worden waren (vgl. Strab. 12,3,4; SCHULER

1998,

198-207;

STROBEL 1 9 9 8 ) . D e u t l i c h e r

faßbar

wird

die Abhängigkeit hingegen auf einigen mit riesigem Grundbesitz ausgestatteten Heiligtümern in Pontos und Kappadokien. Diese wurden nach Strabon von hieroduloi („Tempelsklaven") bewirtschaftet. Er beziffert ihre Anzahl für Komana in Pontos und Komana in Kappadokien auf jeweils 6.000, während in der kappadokische Kultstätte von Venasa 3.000 Abhängige den Boden bearbeitet haben sollen (Strab. 12,2,3 u. 6; 12,3,34; vgl. DEBORD 1982; M I T C H E L L 1 9 9 3 , 1 7 6 f.).

Analog zum Großgrundbesitz war auch der mittlere und kleine Besitz, den es nach wie vor noch im beträchtlichen Maße gab (vgl. EVANS 1980; KÖHN 1983, 181), heterogen strukturiert. Vorfinden konnte man ihn in praktisch allen Gebieten des Reiches (s. u. S. 93). Kleinere Bauern traten sogar noch dort auf, wo die mit Sklaven bewirtschafteten Güter dominierten, denn sie stellten hier in Phasen höchster Produktion sehr oft die zusätzlich benötigten Arbeitskräfte (vgl. RATHBONE 1981). Wenn die eigenen Betriebsflächen nicht zum Uberleben reichten, trachteten freie Bauern auch danach, ein Stück Land eines größeren Gutes hinzuzupachten (vgl. KÖHN 1983, 181). Somit sind mit den in den Quellen genannten Kolonen nicht immer reine Pachtbauern gemeint. Im Hinblick auf die Frage, wieviel Land ein Bauer benötigte, um sich und seiner Familie das Auskommen zu sichern, können wir natürlich keine exakten Zahlen liefern. Hier hing vieles von der Beschaffenheit und Fruchtbarkeit der Böden und der Art ihrer Bebauung ab sowie von der Möglichkeit, eventuell über die Nutzung von Dorfwiesen und Wäldern - etwa durch Viehzucht - oder die Ausübung eines Handwerks zusätzliche Einkommen zu erzielen. Unter Berücksichtigung der Quellen für Italien, die dank der Landverteilungsdebatten während der ausgehenden Republik recht umfangreich sind (vgl. auch PRELL 1997, 271-278), ist aber davon auszugehen, daß 6 - 2 0 iugera (ca. 1,5-5 ha) im allgemeinen zum Überleben ausreichten (vgl. GARNSEY 1980b, 37). In Gegenden mit besonders fruchtbaren Böden wie dem Niltal, die einen permanenten Anbau erlaubten und hohe Erträge brachten, werden entsprechende Besitztümer indes schon stattlich gewesen sein.

Subsistenzwirtschaft oder Marktorientierung? Allgemein läßt sich auch die Zahl der kleinen landwirtschaftlichen Betriebe kaum abschätzen. D a s italische Kleinbauerntum konnte sich in vielen unzugänglichen und abgelegenen Regionen (etwa in Nordapulien, Südetrurien, Norditalien) aber halten und vorherrschend bleiben, da der Zugriff kapitalkräftiger Grundeigentümer hier weniger zu spüren war (vgl. GARNSEY ebd. 35 f.). Natürlich begegnen kleinere H ö f e auch in den Gebieten, in denen Augustus und seine N a c h f o l g e r Landlose an römische Veteranen und Bürger verteilen ließen. I m Ansatz zeigen dies sogar n o c h die berühmten Alimentartafeln von Veleia und Benevent, die zwar für den Zeitraum zwischen A u g u stus und T r a j a n eine K o n z e n t r a t i o n des Grundbesitzes in der ländlichen U m g e b u n g dokumentieren, aber selbst noch für das frühe 2. J h . Hinweise für relativ kleine G ü t e r von 7 - 1 0 ha bieten (vgl. M 2 4 ; DE MARTINO 1991, 268). Analog zu diesen italischen Zuständen gab es auch in den Provinzen mehr oder minder freie Kleinbauern. Sie konnten als Veteranen auf den Landlosen neugegründeter römischer Koloniestädte sitzen (vgl. Res gestae divi Aug. 3; 16f.; 28; Suet. Aug. 46; BRUNT 1971, 2 5 9 - 2 6 1 ) , Ackerbürger einer griechischen Polis sein (vgl. ALCOCK 1993, 5 8 - 6 3 ) , gerade erst angesiedelte N o m a den (wie in N o r d a f r i k a und Syrien; vgl. DE MARTINO 1991, 499; TATE 1997, GAWLIKOWSKI 1997, 41—45), oder — wie viele Bauern in Lydien und T h r a k i e n - in geschlossenen dörflichen Siedlungen leben (vgl. MITCHELL 1993, 162; BÜLOW 1993, 44). A u c h in Ägypten waren freie Bauern die Regel, wie das Soterichos-Archiv und zahlreiche weitere Papyrustexte verdeutlichen (vgl. M 2 9 ; BIEZUNSKA-MALOWIST 1 9 7 3 , 2 5 3 - 2 6 5 ) .

3.6 Subsistenzwirtschaft oder Marktorientierung? I m allgemeinen wird die Wirtschaftsweise dieser Bauern mit dem Terminus ,Subsistenzwirtschaft' umrissen, dem B e m ü h e n also, möglichst alle z u m L e ben notwendigen P r o d u k t e selbst zu erzeugen oder durch Tausch zu erwerben (vgl. M 2 6 ) . M a n fragt sich allerdings, o b sich dies so leicht bewerkstelligen ließ und die Bereitschaft zur Spezialisierung nicht doch vorhanden war, wenn Steuern zumeist in G e l d bezahlt werden mußten (vgl. NEESEN 1980; HOPKINS 1980a) und man auf dem nächstgelegenen M a r k t einen guten Preis für ein bestimmtes Produkt erzielen konnte. In neueren Studien wird daher für Bauern dieser Kategorie ein begrenzter Zugang z u m M a r k t unterstellt (vgl. PRELL 1997, 9 8 f . ; PLEKET 1990, 8 6 - 8 8 ; HOPKINS 1978, 7 - 1 5 ; DERS. 1980 a). Diese Auffassung vertritt für den italischen Bereich auch M . S. SPURR (1986, 1 3 3 - 1 4 8 ) . Sie betont zugleich die M a r k t f u n k t i o n der bäuerlichen G e meinden, in denen die Erzeuger ihre geringen Uberschüsse an Lokalhändler weiter veräußern oder selbst anbieten konnten. D a die Versorgung der Städte

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94

Darstellung/Landwirtschaft

Abb. 5: Idealisierende Reliefdarstellung aus augusteischer Zeit (Glyptothek München Inv.-455). Kleinbauer auf dem Weg zum Markt. Auf das Rind sind zwei Schafe gebunden. Der Landmann schultert einen Hasen, in der Rechten hält er einen Korb mit Früchten überwiegend aus dem N a h b e r e i c h erfolgte, wird der kleine Bauer oder K o l o ne (bzw. ein Angehöriger seiner Familie) auch hier recht häufig mit einem kleinen Warensortiment zugegen gewesen sein (vgl. Verg. georg. 1 , 2 7 3 - 2 7 5 ; Plin. nat. 18,79; Calp. ecl. 4 , 2 5 f . ; Verg. ecl. 1 , 3 3 - 3 5 und A b b . 5). D i e Bedeutung der ländlichen M ä r k t e für diese Produzentengruppe und das Ausgreifen der Geldwirtschaft

wird ferner in dem N e t z

von dörflichen

nundinae

(Markttagen) ersichtlich, das in der Prinzipatszeit nach und nach im westlichen Kleinasien geknüpft wurde (vgl. NOLLE 1982; DERS. 1999). A u f diese Weise wurde dem Güteraustausch zwischen den größeren Städten und der entfernteren ländlichen U m g e b u n g gewiß ein kräftiger Impuls gegeben, der die dort lebenden Bauern zu verstärkten Produktionsleistungen anspornen konnte. D a ß Westkleinasien nicht als Sonderfall zu betrachten ist, zeigen die Verhältnisse in Afrika, w o ähnliche M ä r k t e eingerichtet wurden (vgl. SHAW 1981, 3 7 - 4 2 ) und in Gallien, w o man in den prosperierenden vici, die oft an wichtigen Straßenkreuzungen oder Straßen lagen, O r t e des lokalen W a r e n austausches gegen Bargeld erkennen m ö c h t e (vgl. FRÉZOULS 1990, 4 5 9 u. 489; PETRIKOVITS 1985, 314f.; KOLB 1984, 2 2 5 f. 253; zur entsprechenden F u n k tion einiger thessalischer D ö r f e r MILLAR 1981, bes. 72 f.). Es gab also auch in der kleinbäuerlichen Sphäre den organisierten A u s tausch von W a r e n gegen Geld. Dieser war naturgemäß im engeren U m k r e i s der Städte, zumal der größeren, am intensivsten, so daß gerade hier die G a r ten- und Baumkultur (s. o. S. 69 f.) aufblühen mußte. Eine Quelle für V e r mögensbildung wurde B o d e n in der N ä h e einer Stadt aber nur, wenn sein U m f a n g deutlich über die 2 0 iugera-Grenze

hinausging. Dies zeigt der B l i c k

Subsistenzwirtschaft oder Marktorientierung? auf das vorindustrielle Frankreich, wo ein Bauer erst mit 12 ha Landbesitz in der Lage war, aus Markterlösen größere Rücklagen zu bilden (vgl. Lis/SOLY 1979, 4. 6. 41). Daß es auch in der Antike Höfe in diesen Dimensionen (umgerechnet ca. 50 iugera) gab, offenbaren für Italien verschiedene Landzuweisungen an Veteranen, die Alimentartafeln von Veleia und Benevent (vgl. M 2 4 ) und die bekannten Gütergrößen in Luceria und Luni (PLEKET 1990, 89 mit Anm. 103), für die Provinzen etwa die zahlreichen Bodenkataster mit entsprechenden Flurgrößen (vgl. FLACH 1990, 1 - 2 8 mit Taf. 1 - 5 ) . Unbestritten konnte auf solchen Gütern schon eine Spezialisierung auf Ol- und Weinanbau oder sonst eine Feldfrucht bzw. eine bestimmte Form der Viehhaltung erfolgen (vgl. PLEKET 1990, 89 f.). Erst die Besitzer von ν ¿Ila e rusticae, deren Umfang über 80 iugera hinausging, scheinen ihre Produktion auf weitentfernte Exportmärkte ausgerichtet zu haben (vgl. PLEKET ebd. 89f.). Nur sie waren imstande, aus den Betriebserlösen zusätzliches Land aufzukaufen, Geld in dessen Bebauung zu investieren und eine möglichst rationalisierte Produktion in Gang zu setzen (vgl. PLEKET ebd. 90). Bei der Skizzierung der villae rusticae im Nordwesten des Reiches wurde bereits auf deren hohen Leistungsstand hingewiesen (s. o. S. 75-79). Sie kamen sogar ohne Kaufsklaven aus, die noch Columella für die italischen Güter mit marktorientierter Produktion für unverzichtbar hielt. Allerdings offenbaren dessen Ausführungen zur Wein- und Olproduktion, daß größere Gutshöfe (weit über 60 ha) die Ideallösung darstellten, sofern der Besitzer fachkundig und stets anwesend war und für eine straffe Kontrolle und Organisation der Arbeitskraft Sorge trug (Colum. r.r. 1,1,19 f.; vgl. zur ungefähren Größe der von ihm beschriebenen villa JOHNE 1983, 89 f.). Anhand des archäologischen Befundes in den Villenregionen Kampaniens, Latiums und Etruriens (vgl. dazu den Uberblick von FLACH 1990, 2 1 5 - 2 4 7 ) wird diese Auffassung noch weiter untermauert. Evident ist hier eine enorme technische Ausstattung der Gutskomplexe mit Schraubenpressen, Mühlen etc. Zugleich darf die Leistungskraft der ganz großen Landgüter und Domänen nicht unterschätzt werden. Großgrundbesitzer, die sicher sehr gut in der Lage waren, Lebensmittel zu horten und bei passender Marktlage abzusetzen,"' haben sich in der Mehrheit gewiß um den Absatz ihrer Produkte gekümmert (s.o. S. 89f.). Sie bevorzugten aber eine an die Gegebenheiten ihres Großbesitzes angepaßte Wirtschaftsform: Mischwirtschaft auf zusammenhängendem Besitz oder verstreuter Landbesitz, um die Witterungsrisiken und Kriegseinflüsse möglichst gering zu halten; Pachtwirtschaft, um der Belastung, mehrere Güter selbst bewirtschaften zu müssen, zu entgehen; Auf diese Praxis weisen auch die häufigen Klagen über Wuchergeschäfte hin; vgl. HERZ 1988, 1 0 8 - i n u. ö.

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96

Darstellung/Landwirtschaft Modifikationen im Pachtsystem (Wahl der Geld oder Naturalpacht, Abgabenfreiheit bei Inkulturnahme von unbebautem Land), um den Raubbau von Boden zu verhindern (vgl. Plin. ep. 9 , 3 7 , 1 - 2 ; F E L L M E T H 1 9 9 8 ) . So wird man davon ausgehen können, daß es - trotz aller Beschwerden, die von antiken Autoren geäußert werden (vgl. M 3 2 ) - um die Produktivität der Landwirtschaft im allgemeinen besser bestellt war, als heute vielfach angenommen wird. Nennenswerte Defizite im Vergleich zum Agrarwesen des Mittelalters und der frühen Neuzeit sind jedenfalls nicht feststellbar (vgl. auch P L E K E T 1 9 9 0 , 7 0 - 1 0 2 ) .

3.7 Mißernten und Ressourcenmanagement Ungeachtet dessen war die kaiserzeitliche Landwirtschaft - wie jede vorindustrielle - sehr störanfällig (vgl. G A R N S E Y 1998). Eine Versorgung für alle war zumeist nur dann gesichert, wenn die Wetterdaten stimmten, der Schädlingsbefall gering blieb und die politischen und öffentlichen Rahmenbedingungen eine ungestörte Feldkultur zuließen. In dieser Hinsicht sprechen viele historisch überlieferte Einzelfälle und die neuzeitlichen Erfahrungswerte aus verschiedenen Regionen des Reiches eine deutliche Sprache: Es mußte häufiger mit einer Schmälerung der Ernteerträge und daraus resultierenden Versorgungsengpässen gerechnet werden, und zwar in erster Linie wegen ausbleibenden Regens, unvorhergesehener Kälteeinbrüche, einer Heuschrecken- oder Schädlingsplage oder sonst eines Naturereignisses (vgl. G A R N S E Y ebd.; ferner die Belege bei Z L E G L E R 1977; K O H N S 1994, bes. 865-868). So sprechen Statistiken aus dem frühen 20. Jh. für Kleinasien, wo sich das Klima im großen und ganzen im Laufe von 2000 Jahren kaum geändert hat, eine deutliche Sprache: Grob gesagt läßt sich hier in den einzelnen Regionen in einem 7-Jahres-Rhythmus eine durch geringe Niederschläge oder ungewöhnliche Kälteeinbrüche verursachte Mißernte feststellen, die in der Regel aber nur begrenzte Zonen Kleinasiens umfaßte (vgl. H Ü T T E R O T H 1982, bes. 121-127 u. 131-133. K O H N S ebd. 842 unterstellt für Griechenland dagegen alle vier bis fünf Jahre eine Mißernte). Trotz des ausgezeichneten Straßennetzes in der hohen Kaiserzeit (vgl. M I T C H E L L 1993, 124-135) hatte dies zumindest im Landesinneren, wo allein Ochsenkarren und Maulesel die Transporte besorgten, gravierende Auswirkungen. Ein Zeugnis für die N o t , die dann auch in den Städten um sich griff, liefert das Getreidepreisedikt des kleinasiatischen Statthalters L. Antistius Rusticus (vgl. M 80). Es deutet auch an, daß gerade die Armen am meisten unter der Teuerung litten (vgl. auch KOHNS 1988, 112-114). Die Bauern und Grundbesitzer dagegen, die imstande waren, über den eigenen Jahresbedarf hinaus Getreidevorräte anzulegen, heimsten ungeach-

Mißernten und Ressourcenmanagement tet des vom Statthalter befohlenen Höchstpreises wohl noch

Gewinne

ein. Gerade durch ihr Verhalten scheint sich übrigens im kleinasiatischen Raum (und sicher auch anderorts) die Versorgungslage häufiger zugespitzt zu haben (vgl. HERZ 1 9 8 8 , 1 0 7 - 1 1 0 ) . Ein klassischer Beleg dafür ist die 46. Rede Dions von Prusa, der sich in der Volksversammlung seiner bithynischen Heimatstadt als begüterter Mann den Vorwurf gefallen lassen mußte, mit Getreide zu spekulieren. Dion erwidert zwar, er habe nie das meiste Korn angebaut und solches nicht unter Verschluß gehalten, um damit die Preise hochzutreiben, er vermittelt aber auch den Eindruck, daß einige in der Stadt durchaus so handelten, während andere sich durch Geldverleih an die von der Teuerung Betroffenen bereicherten (or. 46,8). Zugleich weigert er sich mit dem indirekten Hinweis auf diese Geldverleiher, Mittel für den Ankauf von Getreide zur Verfügung zu stellen, zumal der Preis - wenn man Vergleiche zu anderen Städten zöge - noch nicht unerträglich hoch sei (or. 46,10; vgl. zur ganzen Rede auch JONES 1978, 1 9 - 2 5 ) . Aber nicht allein durch seine Argumentation wird die in der Forschung so hochgehandelte These vom Euergetismus der vermögenden Honoratioren der Städte gegenüber den Normalbürgern und Armen stark relativiert. In die gleiche Richtung weist Philostrats fiktive Vita des Apollonios von Tyana. Hier kann Apollonios die Vermögenden bzw. Mächtigen von Aspendos nur deshalb zur Freigabe von gehortetem Getreide veranlassen, weil die Bevölkerung der Stadt damit droht, den aus ihren Reihen stammenden obersten Magistrat zu töten (vgl. Philostr. Ap. 1,15). Großhändler taten in Fällen von Getreideknappheit dann noch ein übriges, um die Lage zu verschlimmern. Denn häufig trieben sie in der Hoffnung, die Ware später mit größerem Gewinn veräußern zu können, durch massive Aufkäufe die Preise noch weiter in die Höhe (aufschlußreich: Dig. 48,12,2, Ulpian [zur lex Iulia de annona

gegen Kornwucher und Preistreibe-

rei]; vgl. ferner HERZ 1988, 81 - 8 5 ) . Während sich die leidtragende Stadtbevölkerung in einem gewissen Rahmen noch gegen diese Praktiken wehren konnte, weil die zumeist landbesitzenden Honoratioren den Volkszorn fürchteten und so zu „großzügigen" Lebensmittelspenden oder Getreideaufkäufen bereit waren (vgl. M 9), scheint das Los der Landbevölkerung bei Mißernten und Nahrungsmittelengpässen vielfach

schwerer gewesen

zu sein

(vgl. M 9 0 ;

PRELL

1997,

99-101;

GARNSEY 1988, 29. 33f. 4 3 - 6 8 zu ihren Überlebensstrategien). Zahlreiche Pächter, die auf den Schollen der Großgrundbesitzer ihr Leben fristeten, waren schon in Normaljahren kaum in der Lage, die Steuerquote zu erbringen und die Pacht zu zahlen (vgl. M 9 5 u. Plin. ep. 3,19,6; 9,37,2; 10,8,5 u. ö.). Ahnlich erging es wohl auch vielen freien Bauern, die sich durch den Steuerdruck und andere Widrigkeiten verschuldet hatten. Dies lassen die Angaben Philons zur Lage der ägyptischen Bauern (de spec. leg. 3 , 1 5 9 - 1 6 3 ) und ver-

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98

Darstellung/Landwirtschaft schiedene Hinweise in der rabbinischen Überlieferung (M Gittin IV-9; TJ Gittin IV-9-46b; TB Gittin 46b-47a; vgl. BEN-DAVID 1974, 58f. 317-319) vermuten."" Wenn die Ernte zu gering war, mußten sie zunächst auf reserviertes Saatgut zurückgreifen, gegebenfalls neue Schulden machen und wertvolles Vieh schlachten. Nicht selten trat danach das Szenario ein, welches der Arzt Galen (129-199 n. Chr.) in einer oft zitierten Passage am Beginn seiner Schrift „ Über die gesunden und ungesunden Eigenschaften von Nahrungsmitteln" schildert (vgl. M 90; ferner GARNSEY/SALLER 1989, 139f.). Unausweichlich mußte es infolge solcher Katastrophen auch zu Fluchtbewegungen und demographischen Einbrüchen kommen, die sich nachteilig auf das Niveau der Bodennutzung auswirkten (vgl. GARNSEY 1998, bes. 280-285). Situationen existenzieller Not auf dem Lande lassen sich auch in Ägypten fassen, wo die Ernten in Normaljahren reichlich ausfielen. Nach D. Bonneau, die die überlieferten Nilschwellen und ihre Auswirkungen auf den Agrarbereich näher untersuchte, müssen wir davon ausgehen, daß infolge eines extremen Anstiegs des Flutpegels oder einer zu geringen Überflutung fast alle zwei Jahre ein nicht zufriedenstellendes Ernteergebnis erzielt wurde (vgl. BONNEAU 1 9 7 1 ; anders HABERMANN 1 9 9 7 , 2 1 4 , d e r auf die ü b e r l i e f e r t e n

Nilschwellen zw. dem 7. u. 15. Jh. hinweist, von denen 73% als „normal" eingestuft wurden). Eine solche Minderernte wirkte sich sofort auf die örtlichen Getreidepreise aus, die immer wieder starken Schwankungen ausgesetzt waren (vgl. DREXHAGE 1991a, 10-27; DUNCAN-JONES 1990, 143-155). Selbst die Befürchtung einer Mißernte führte zu Preissteigerungen, so ζ. B. geschehen im Tebtynis (Arsinoites) des Jahres 45 n. Chr., wo sich der Marktpreis pro Artabe Weizen infolge einer zu hohen Nilschwelle (vgl. BONNEAU 1971, 235) vom 7. bis 24. September dieses Jahres von 4,4 auf 8 Drachmen erhöhte (P. Mich. 2/127 Kol. 1). Solch eine Teuerung belastete natürlich auch die kleinen Bauern, die in der Regel nicht die Möglichkeit hatten, für Mangeljahre Vorräte anzulegen. Sie mußten u. U. ihr letztes Hab und Gut zur Existenzsicherung aufopfern und ruinöse Kredite aufnehmen, um das Saatgut für das nachfolgende Jahr und die Steuern bezahlen zu können (vgl. TENGER 1993,201-209. 252-259). Die reichsweite Bedeutung der Nilschwellen wird übrigens gerade in der Zeit zwischen 45 und 51 n. Chr. evident. Durch mehrere katastrophale Tiefoder Hochstände war Ägypten schließlich nicht mehr in der Lage, die Stadt Rom und Italien, geschweige denn die anderen Städte im Osten, zu beliefern (vgl. Plin. nat. 5 , 5 8 ; BONNEAU 1 9 7 1 , 1 6 1 . 2 3 5 ; CASANOVA 1 9 8 4 ) . I n d e r

In vielen antiken Texten wird aber auch ein positiveres, eher sozialromantisch gefärbtes Bild vermittelt. Das Leben auf dem Lande sei zwar karg und hart, aber es verspreche auch Gesundheit; vgl. Muson. 18 A / B ; Vergil (Hirtengedichte/ Geórgica); Mart. 1,55,1 ff.; PRELL 1997, 9 3 - 1 0 2 (mit weiteren Belegen).

Mißernten und Ressourcenmanagement Hauptstadt, die damals laut Sueton nur noch Vorräte für 12 Tage besaß (nach Tacitus für 15 Tage), sah sich Kaiser Claudius daher zu durchschlagenden Veränderungen in der Getreideversorgung gezwungen (vgl. M 8 ; Tac. ann. 12,42 [ζ. J. 51 η. Chr.]; Oros. 7,7 [Hungersnot in Italien]). In Griechenland und Palästina scheint der Hunger noch viel gravierender gewütet zu haben (Eus. Chron. [ed. Helm] 181 [Hungersnot in Griechenland]; los. ant. lud. 20,101 u. Apg 11,27 u. 29f. [Hungersnot in Palästina um 4 6 - 4 8 bzw. z. Zt. des Claudius]; vgl. GAPP 1935). Globale Mißernten oder Versorgungsprobleme ereigneten sich aber sehr selten (vgl. GARNSEY 1988, 21 f.). Auch scheint sich für R o m im Laufe des 1. Jh. n. Chr. zunehmend die Möglichkeit ergeben zu haben, auf die afrikanischen Getreideüberschüsse zurückzugreifen (vgl. RLCKMAN 1980b, 2 3 1 - 2 3 5 ) . Bezeichnenderweise konnten im Jahre 99 n. Chr. die Folgen einer Mißernte in Ägypten etwas abgefedert werden, indem das kürzlich von hier nach R o m gelieferte Steuergetreide wieder nach Alexandreia zurückgeschickt wurde (Plin. paneg. 30f.; vgl. auch P. Oxy. 41/2958; zu gelegentlichen Getreidelieferungen von Kleinasien nach Ägypten I G R R III 409 u. KLSSEL 1995,100). Die Abhängigkeit des Ostens von den ägyptischen Kornvorräten wird indes besonders an der großen Hungersnot in Palästina und Teilen Syriens im Jahre 25/24 v. Chr. ersichtlich. D e r jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus (gest. nach 100 n. Chr.) liefert darüber einen genauen Bericht (ant. lud. 1 5 , 9 , 1 - 2 ) und offenbart zugleich, wie sehr geschicktes staatliches Management zur Beseitigung der Krise beitragen konnte: „Als nun die Ernte dieses Jahres samt den Vorräten aus früheren Jahren ganz aufgezehrt war ... blieb keine Hoffnung mehr übrig. Denn da selbst das aufbewahrte Saatgut verzehrt war, war auch für das kommende Jahr auf keinen Ertrag zu rechnen ... Selbst der König litt Mangel, da er keine Abgaben von der Ernte ... empfing ... Gleichwohl sann Herodes (d. Gr.) in dieser traurigen Lage auf Mittel, um die Not zu lindern. Das war indes schwierig, teils weil die Nachbarvölker selbst am Notwendigsten Mangel litten, teils weil ihm ... das Geld dazu fehlte. Da er es aber für billig hielt, nichts unversucht zu lassen, um dem Elend abzuhelfen, ließ er alles, was sich an Gold- und Silbergerät im Palast vorfand, zusammenschmelzen ... Das so erhaltene Geld schickte er dann nach Ägypten, dessen Verwaltung Petronius im Namen des (Augustus) Caesar führte ... (Petronius) gestattete ... Getreide auszuführen, und war...beim Ankauf und der Ausfuhr desselben ... behilflich ... Als nun die Abgesandten mit dem Getreide (in Judäa) ankamen, sorgte Herodes zunächst dafür, daß das Volk diese Hilfe nur ihm zuschrieb ... Nachdem er das alles besorgt hatte, gedachte er auch den benachbarten Städten Hilfe zu leisten, indem er die Bewohner Syriens mit Saatgut versah, eine Maßregel, die den höchsten Nutzen versprach, weil hierdurch die Fruchtbarkeit des Landes wieder hinreichend

99

100

Darstellung/Landwirtschaft gesichert war, so daß der Mangel an Lebensmitteln gesteuert werden konnte. Als nun die Erntezeit herangekommen war, schickte er 50.000 Menschen, welche er ernährt hatte, im Lande umher und half auf diese Weise nicht nur seinem eigenen schwer bedrängten Reiche wieder auf, sondern gewährte auch den Nachbarn, die in gleicher Not waren, seine Unterstützung ... So verteilte er an auswärtige Notleidende 10.000 Koren Getreide (ca. 520.000 1) und in seinem eigenen Reiche 80.000 Koren".

(Übers, nach H . CLEMENTZ)

Das Vorgehen des römischen Klientelkönigs kann mit Fug und Recht als vorbildlich gelten. Und es scheint, daß in der Folgezeit zumindest die Städte im Osten häufiger den Kaiser bzw. den praefectus annonae

Aegypti

oder

praefectus

um Ausfuhrkonzessionen aus Ägypten angingen und diese auch

erhielten (vgl. M 9). Sie waren aber wohl in erster Linie auf die eigenen Ressourcen, die es entsprechend intensiv zu nutzen galt, und Einkäufe aus anderen Uberschußregionen (die Kyrenaika, Pamphylien, den Schwarzmeerraum) angewiesen (vgl. KOHNS 1994, 6 6 5 - 6 6 7 ) . Direkte materielle oder finanzielle Hilfe wurde durch den Staat oder den Kaiser indes nur in seltenen Fällen gewährt (vgl. WÖRRLE 1971). Dennoch griff auch der Kaiser bisweilen bewußt regulierend und fördernd in die landwirtschaftliche Produktion ein (vgl. o. S. 30f.; 68 f. u. 83; DE MARTINO 1991, 2 7 6 - 2 8 6 ) . Beispiele dafür sind die Steuer- und Pachtnachlässe, die die Kaiser bzw. ihre Statthalter in Ägypten in Jahren ungünstiger Nilschwellen bewilligten (vgl. HABERMANN 1997, 2 2 0 - 2 7 2 ) , die Verfügung Domitians in bezug auf den Besitz der subsetiva

(die Zwickel, die Bauern okkupiert

hatten und bestellten und die der Kaiser jetzt in ihr Eigentum überführte; vgl. Römische Feldmesser I 8,22; I 20,22; I 54,11; I 82,2; I 111,6; I 133,12), die auf die Nutzung von Brachland abzielende lex Hadriana

de rudibus

agris (vgl.

FLACH 1978, 4 8 4 - 4 8 8 ) oder das ebenfalls schon erwähnte Weinbauedikt Domitians, das u. a. auf eine verstärkte Getreideproduktion abzielte (Suet. Dom. 7,2). Daneben darf nicht die Sorge des Kaisers um das Wohl der auf seinen oder den staatlichen Gütern sitzenden Kolonen vergessen werden, die insbesondere im Bescheid des Commodus an die Pachtbauern des Burunitanus

saltus

(Nordafrika) und die sich gegen willkürliche Requirierungen

wendenden mandata

Domitians an den syrischen Prokurator Claudius Athe-

nodorus zum Ausdruck gebracht wird (vgl. F I R A 2 I N r . 103; FLACH 1982, 4 2 7 - 4 7 3 ; I G L S V 1998). Und ganz allgemein gilt es schließlich daran zu erinnern, daß der Kaiser mit Hilfe des Militärs und lokaler Ordnungskräfte einen weitgehenden Frieden zu Wasser und zu Lande garantierte. Indem im 1. und 2. Jh. auch die Verkehrsinfrastruktur entscheidend verbessert wurde, waren somit wesentliche Grundvoraussetzungen für die Entstehung von exportorientierten Produktionszonen und den massenhaften Transport von agrarischen Gütern erfüllt (vgl. S. 31, 138 u. M 5 6 ) .

4.

Handwerk

O b w o h l ohne Zweifel die Landwirtschaft die Grundlage der Ökonomie des Imperium Romanum bildete, nahmen Handel und Gewerbe nach dem Ende der Bürgerkriege und der Begründung des Augusteischen Prinzipats einen starken Aufschwung. Dieser hielt -

von Beeinträchtigungen

bestimmter

Landschaften durch kriegerische Auseinandersetzungen einmal abgesehen bis tief in das dritte nachchristliche Jahrhundert an. Auch wenn der im Reich herrschende Friede häufiger durch Unruhen und kriminelle Umtriebe gestört wurde (vgl. PEKÄRY 1987; PRELL 1997, 2 4 5 - 2 5 8 ) , schufen doch mehrere Faktoren einen Rahmen, unter dem das Gewerbe gedeihen konnte. Zu nennen wären hier insbesondere: a) die Schaffung einer mehr oder minder wohlgeordneten Provinzverwaltung, b) die zunehmende Urbanisierung vor allem des Westens des Reiches - im Osten vorhandene Tendenzen wurden verstärkt - (KOLB 1984, 1 6 9 - 2 3 8 ) , c) damit verbunden die Schaffung einer vergleichsweise konsumkräftigen Schicht in den Städten, d) die Stationierung von Militär in den Grenzprovinzen und e) das Vorhandensein, der Ausbau und die Instandhaltung eines ausdifferenzierten Straßennetzes und des Verkehrswesens überhaupt.

4.1

Produktionsformen

Freilich gilt es hinsichtlich dieser Rahmenbedingungen zu differenzieren: Die Palette der handwerklichen Produktion reicht vom einzelnen, möglicherweise saisonal arbeitenden Handwerker im dörflichen Kontext (vgl. KUDLIEN 1984; zur Situation im Nordwesten des Reiches ferner die Beiträge in POLFER 1999), bis hin zur Massenproduktion und Gewerbebetreibenden, die man mit einigem Recht als Unternehmer bezeichnen kann (vgl. PLEKET 1990, 1 2 3 - 1 2 4 ) . Gleiches gilt für den persönlichen juristischen Status der jeweiligen Handwerker: Dieser reicht vom Sklaven über den Freigelassenen bis hin zum freien römischen Bürger. Insbesondere bei Sklaven und Freigelassenen lassen sich auch Abhängigkeiten vom Herrn bzw. Patron feststellen. Mit anderen

102

Darstellung/Handwerk Worten bedeutet dies, daß die Oberschichten über ihre Klienten in die gewerbliche Produktion investierten und auch Einkünfte aus dieser zogen (PLEKET ebd. 1 2 3 - 1 2 6 ) . Zudem gab ihnen noch die Verpachtung von Werkstätten und Läden die Möglichkeit, weitere Einkünfte zu erzielen (vgl. M 4 7 u. 4 8 ; PLEKET ebd.). Auch die auf die gewerbliche Produktion einwirkenden Standortfaktoren unterschieden sich von Fall zu Fall stark: Große Städte wie insbesondere Rom, aber auch Alexandreia (vgl. HUZAR 1988, 6 4 7 - 6 4 8 ) oder Ephesos gaben wegen der Kapitalkraft ihrer Oberschichten andere Impulse für das Handwerk als kleine Landstädte in den Provinzen, wo man nicht mit einem großen Umfang der Produktion und einer breiten Palette handwerklicher Produkte zu rechnen hat. Damit allein nicht genug: Die dörfliche und kleinstädtische handwerkliche Produktion dürfte vornehmlich der Bedarfsdeckung in einem engen geographischen Kontext gedient haben, ein Sachverhalt, der auch für zahlreiche Gewerbe in den großen Städten des Reiches gilt. Umgekehrt fehlt es auch nicht an Quellen, die eine Exportorientiertheit einzelner handwerklicher Betriebe dokumentieren, die sich auf andere Provinzen des Reiches richtete (vgl. etwa FÜLLE 1997) und deren Waren unter U m ständen auch als Exporte in Gebiete jenseits der Grenzen des Römischen Reiches gelangten (vgl. etwa MEYER 1992 zum nach Afrika, Arabien und Indien verhandelten römischen Glas). Hinzuweisen ist in diesem Kontext auch auf Handwerkeransiedlungen, die zum Kern einer Urbanen Entwicklung werden konnten. Im Westen des Reiches war dies ζ. B. bei den canabae Umfeld

der Legionslager

der Fall

(KOLB

1984,

185-186;

PLSO

im 1991,

1 3 7 - 1 5 5 ; STROBEL 1991b, 19 Anm. 5). Auch der Rechtsstatus der in den handwerklichen Berufen tätigen Personen konnte sich je nach O r t unterscheiden: So waren in R o m scheinbar hauptsächlich Freigelassene in handwerklichen Berufen tätig, während im Rest Italiens und in den Provinzen freie Personen dieses Gewerbe betrieben. Allerdings mag das Bild, welches uns die stadtrömischen Inschriften vermitteln, insofern täuschen, als römische Bürger dort weniger Bereitschaft als die liberti zeigten, den ausgeübten Beruf inschriftlich zu verewigen (vgl. KOLB 1995, 4 7 6 - 4 7 8 ) . Andererseits lebten und arbeiteten Sklaven, Freigelassene und Freie in den Werkstätten mit Sicherheit neben- und miteinander, ohne daß aus der Sicht des Produktionsprozesses ein großer Unterschied zwischen diesen Personen geherrscht hätte. Mit anderen Worten: Eine Betrachtung des Handwerks im Imperium Romanum hat stets die je nach Zeit und O r t veränderten strukturellen Bedingungen zu berücksichtigen. Darüber hinaus war die Ausübung eines Handwerkes nicht auf den zivilen Sektor beschränkt, sondern auch das Militär verfügte über eigene Werkstätten, in denen Berufe verschiedener Art vertreten waren: Schmiede, Zimmerleute, Angehörige des Baugewerbes, Maler und vieles mehr (vgl. M 1 1 u. 1 2 ) . Gleichwohl versorgte sich die Armee keineswegs zur Gänze selbst mit ge-

Produktionsformen werblichen Produkten; vielmehr stellte die Anwesenheit größerer Einheiten eine Stimulanz für das Handwerk dar (vgl. WlERSCHOWSKI 1984, 127-133 u. 139-151). Bei der Bedarfsdeckung in einem regionalen Kontext dürfte vor allem in Kleinstädten und Dörfern das Kleingewerbe vorherrschend gewesen sein, bei der der Handwerker seine Erzeugnisse selbst verkaufte. Diese ,Produzentenhändler' fertigten in der Regel auf Bestellung an. Die von ihnen betriebenen Werkstätten (tabernae) befanden sich in Rom unter anderem in den Portiken (FUR 79 u. 37) und in den Erdgeschossen der zahllosen, mehrstöckigen Mietshäuser (insulae) (FUR 169 u. 178; vgl. KOLB 1995, 497). Die architektonische Integration der tabernae gestaltete sich in den anderen Städten des Reiches in entsprechender Weise. Das Beispiel Pompeji demonstriert dies genauso eindrucksvoll wie der im Quellenteil angeführte Mietvertrag für ein Haus mit fünf Werkstätten, der aus der ägyptischen Stadt Oxyrhynchos stammt (vgl. M 4 7 u. GASSNER 1986, 9; M 48). Eine Konzentration des Handwerks in bestimmten Stadtbereichen läßt sich ebenfalls beobachten, obwohl dies keine feste Regel darstellte. In Rom etwa hatten umweltbelastende Betriebe wie ζ. B. Gerbereien häufig an der Peripherie, aber gleichwohl noch in dicht besiedelten Arealen ihren Platz. Einzelne Gewerbe zeigten auch die Tendenz, sich in bestimmten Vierteln zu konzentrieren. So existierte etwa ein Holzviertel (vicus materarius) und eine Treppenstraße der Ringverkäufer (scalae anulariae) (vgl. KOLB 1995, 496-507). Ebenso war es in Ephesos, wo verschiedene von Handwerksbezeichnungen abgeleitete Toponyme existierten (I. Eph. II Nr. 547: Platz der Silberschmiede; I. Eph. II Nr. 549: Platz der Zimmerleute). Zugleich wurde in den Städten des Reiches durch die Errichtung von Marktarealen für den Handel und das Gewerbe gesorgt. In Rom sind dies etwa die macella (vgl. KOLB ebd. 500), in denen vor allem Händler tätig waren. Ein anderes Beispiel liefert der Markt am Serapeion in Oxyrhynchos, wo neben Lebensmittelhändlern Schneider, Schuhmacher, Zinnschmiede und andere Gewerbetreibende ihr Betätigungsfeld hatten (SB 16/12695,143 n. Chr.). Beispiele hierfür fehlen auch in Pompeji nicht. Die auf die Geschäfte des Bankiers L. Caecilius Iucundus hinweisenden Wachstafeln (s. u. S. 153 f.) dokumentieren z. B. die Verpachtung von Werkstätten, die sich im Besitz der öffentlichen Hand befanden (vgl. GASSNER 1986, 13). Wie bereits angedeutet, waren solche Handwerker keine Unternehmer, die über große Werkstätten und eine entsprechende Absatzorganisation für ihre Waren verfügten. Ihre Betriebe, die das Gewerbe im Imperium Romanum eindeutig dominierten, deckten eher den lokalen Bedarf ab. Dies wird nochmals am Beispiel Pompeji evident: In der 79 n. Chr. verschütteten Stadt sind nicht weniger als 650 tabernae nachgewiesen. Die in ihnen entwickelten geschäftlichen Aktivitäten waren beinahe ausschließlich auf die lokale Nachfrage ausgerichtet, wobei augenscheinlich die Verhandlung von Agrarpro-

103

104

Darstellung/Handwerk

Abb. 6: Werkstatt des Walkers M. Vecilius Verecundus aus Pompeji. Darstellung eines in verschiedene Arbeitsgänge aufgeteilten Produktionsprozesses von links nach rechts dukten und Lebensmitteln im V o r d e r g r u n d stand. D a n e b e n scheint allein das T e x t i l g e w e r b e v o n einer gewissen B e d e u t u n g gewesen zu sein, wie sich an den rund 2 5 nachgewiesenen G e r b e r e i e n und W a l k e r e i e n ablesen läßt. H i n z u treten die Läden v o n zwei Kleiderhändlern sowie der eines Leinenhändlers. D e n Stellenwert der ,Bekleidungsindustrie' demonstriert ferner das „ H a u s der E u m a c h i a " , das als ein G r o ß m a r k t für T e x t i l p r o d u k t e gedient haben dürfte. D a r ü b e r hinaus gestaltet sich der B e f u n d überschaubar. Nachgewiesen werden k o n n t e n zehn W e r k s t ä t t e n des metallverarbeitenden G e w e r b e s sowie drei T a b e r n e n , in denen man dem T ö p f e r e i g e w e r b e nachging, darunter auch eine kleine L a m p e n f a b r i k . D i e E x i s t e n z von Schreinern, Parfümherstellern und eines Flickschusters ist epigraphisch bezeugt. D a z u k o m m t n o c h die W e r k s t a t t eines Schusters (vgl. GASSNER ebd. 2 1 - 2 3 ) . A u f der anderen Seite mangelte es im R e i c h nicht an B e t r i e b e n , die exportorientiert produzierten. E i n Beispiel hierfür mag die W e r k s t a t t des G l a s m a chers E n n i o n aus Sidon in Syrien sein, dessen W a r e n in Ä g y p t e n , Z y p e r n , Italien und im südlichen R u ß l a n d archäologisch nachgewiesen sind. M ö g licherweise verlegte er später seine gesamte P r o d u k t i o n nach R o m

(vgl.

HEICHELHEIM 1 9 3 8 , 1 8 9 f.; SARTRE 1 9 9 1 , 3 5 0 ) . D a s P h ä n o m e n der ü b e r weite Strecken verhandelten W a r e n und der G r ü n d u n g von Filialbetrieben läßt sich insbesondere auf dem S e k t o r der in Massen produzierten T e r r a k o t t a l a m p e n , Ziegel und T e r r a Sigillata ( T S ) erschließen, die v o r allem im ländlichen K o n t e x t hergestellt wurden (AuBERT 1993, 173 f.). K o m m e n wir zunächst zu den römischen die aufgrund v o n Stempeln

bestimmten

Herstellern

Terrakottalampen,

zugewiesen

werden

k ö n n e n (vgl. dazu HARRIS 1980). D i e s e zeigen verschiedene Verbreitungstypen, nämlich solche, die a) nur v o r O r t in G e b r a u c h waren, b) eine regionale V e r b r e i t u n g hatten und c) überregional nachgewiesen sind. T a t sächlich sind L a m p e n , deren Stempelungen auf eine P r o d u k t i o n in N o r d italien verweisen, in den gallischen und germanischen Provinzen gefunden w o r d e n , ferner an der oberen D o n a u , in Dalmatien, Zentral- und Norditalien, Spanien, D a k i e n und M o e s i e n . Falls es in weit entfernten G e b i e t e n

eine

Juristischer Rahmen massenhafte Nachfrage nach solchen Keramikprodukten gab, konnte die Produktion oder ein Teil von ihr aber auch zu den Märkten

verlegt

werden. Der Handel über weite Stecken spielte hier aber nach wie vor eine große Rolle. In der Nähe der Balearen wurde beispielsweise ein Schiffswrack entdeckt, das ca. 100 frischgefertigte italische

Terrakotta-

lampen an Bord hatte (vgl. HARRIS 1980). Bei einer starken und dauernden Nachfrage nach einem gewerblichen Produkt war die Gründung von Filialen indes eher die Regel. Diese wurden durch Sklaven und Freigelassene eingerichtet. Ein Produktionsschwerpunkt für Terra Sigillata im Römischen Reich war zunächst Arezzo in der Toskana, das seine hochwertigen Feinkeramikerzeugnisse vorwiegend in die nordwestlichen Provinzen, aber auch in andere Regionen des Reiches exportierte. Angesichts der kommerziellen Erfolge griff man dann zu dem Mittel der Filialgründung, um den Abnehmern der Waren näher zu sein. In bezug auf die arretinische Terra Sigillata hieß das konkret, daß die Betriebseigentümer zunächst Zweigproduktionen in Pisa, Lyon und La Graufesenque gründeten. N o c h bemerkenswerter ist die Aufteilung von Marktsegmenten unter diesen Filialen: In Arezzo scheint man in der Hauptsache für den italischen Bereich produziert zu haben, in Pisa für den Absatz der Ware über See, in Gallien für die Verhandlung der Ware an den Rhein. Offen bleibt allerdings, inwieweit die einzelnen Filialbetriebe vom „Mutterhaus" abhängig waren (vgl. FÜLLE 1997,141-142).

4.2 Juristischer Rahmen Die sehr häufig bezeugte Einrichtung von Werkstätten und Filialbetrieben durch Sklaven und Freigelassene führt zu der Frage, auf welcher juristischen Basis dieser Vorgang beruhte. Hier gilt es weiter auszuholen und kurz auf die juristischen Grundlagen einzugehen, die dem Handwerk in der römischen Kaiserzeit ihr Gepräge gaben (vgl. dazu BEHRENDS 1981, auf dessen Beitrag die folgenden Ausführungen zu Handwerk und Recht beruhen). Zunächst sind zwei Rechtsbereiche zu unterscheiden: der hauswirtschaftliche und verkehrsrechtlich-vertragliche. Ersterer bezieht sich auf alle Hausangehörigen, die der juristischen K o m petenz des pater familias

unterworfen waren, d. h. auf Sklaven, Freigelassene,

Hauskinder und sonstige Gewaltunterworfene. Sie alle konnten im Gewerbe tätig sein oder bei fremden Lehrherrn ausgebildet werden. Die Ausbildung von Sklaven im eigenen Betrieb oder bei fremden Lehrherrn ist vor allem in der papyrologischen Überlieferung bezeugt (vgl. BERGAMASCO 1995, 9 6 - 9 8 u. 1 6 2 - 1 6 7 mit einer Auflistung der Lehrverträge und Angaben

105

106

Darstellung/Handwerk zum juristischen Status der Lehrlinge), aber auch in den juristischen und epigraphischen Quellen (vgl. GUMMERUS 1916, 1494). Ein aus Oxyrhynchos stammender Lehrvertrag macht uns ζ. B. mit dem Sachverhalt vertraut, daß ein Sklavenmädchen für vier Jahre bei einem Weber in die Lehre gegeben wurde (vgl. M 41). Die Digesten überliefern ferner den Fall eines Handwerkers, der im Auftrage eines Freundes einen Sklaven kaufte, diesen ausbildete und für den doppelten Preis wieder verkaufte (Dig. 17,1,26,8). Eine Grabinschrift aus Rom konfrontiert uns schließlich mit einem Sklaven, der von seinem Herrn in eine Goldschmiedelehre gegeben worden war, jedoch schon im zarten Alter von 12 Jahren verstarb (CIL VI 9437). Der in einem Handwerksberuf ausgebildete Sklave konnte dann im Betrieb seines Herrn arbeiten oder von diesem vermietet werden (vgl. M 41). Andererseits wurden viele dieser Sklaven vom Dominus mit einer eigenen Werkstatt ausgestattet. Da dieser Betrieb juristisch nicht von dem Vermögen des Herrn abgetrennt war, haftete dieser aber für alle eventuell entstehenden Verbindlichkeiten. In solchen Fällen war der Sklave ein institor, der nur im Namen seines Herrn eine Werkstatt betrieb. Gehörte die entsprechende Werkstatt zum Sondervermögen des Sklaven {peculium), war der Herr aber nur mit diesem haftbar. Wenn Freigelassene (liberti) eine Werkstatt betrieben, gestaltete sich die Lage etwas komplizierter. Obwohl diese durch die manumissio eine weitgehende personenrechtliche und wirtschaftliche Autonomie erlangten, blieben sie doch ihrem Freilasser verpflichtet, da mit der Freilassung keinesfalls eine Loslösung der Patronatsgewalt des Herrn verbunden war. Der libertus schuldete diesem nach wie vor Ehrendienste, sogenannte operae officiates. Obwohl dies dem Prinzip der Freilassung als solcher zuwiderlief, verschaffte sich der Herr durch solche Dienste zumeist auch materielle Vorteile. Zur rechtlichen Absicherung seines Anliegens ließ er den (Noch-) Sklaven einen Eid leisten, durch den dieser die Ableistung wirtschaftlich relevanter Dienste versprach {operae). Später wurde die Dienstleistungspflicht des libertus damit begründet, daß man den Sklaven untentgeltlich freigelassen habe. Für diesen sei also die Pflicht entfallen, sich mit den Erträgen, die er durch sein Sondervermögen erwirtschaftet hatte, freizukaufen. Eine andere auf P. Rutilius Rufus (dem Konsul von 105 v. Chr.) zurückgehende Regelung sicherte dem Freilasser die Hälfte der Tagwerke seines ehemaligen Sklaven zu, und somit auch die Hälfte der Erträge eines von einem Freigelassenen geführten Betriebes. Mit Servius Sulpicius (gest. 43 v. Chr.) griff dann ein neues System. Darin wurde der Freigelassene auch ökonomisch völlig frei, jedoch banden ihn Dankespflichten an seinen ehemaligen Herrn. Grundsätzlich mußte der Freilasser mit der Hälfte des erwirtschafteten Vermögens im Testament bedacht werden, wenn dieser sich

Juristischer Rahmen bereits vorher an dem Betrieb finanziell oder durch Stellung des notwendigen Equipments beteiligt hatte. Die eventuell vom (Noch-)Sklaven versprochenen Tagewerke wurden hingegen als Ehrendienste angesehen. Der Patron konnte daher nicht die Arbeitskraft seines Freigelassenen vermieten, wie es unter den zuvor geschilderten Umständen bei Sklaven der Fall war. Mit der Sabianischen Rechtsschule (zurückgehend auf den unter Tiberius lebenden Juristen Massurius Sabinus) trat dahingehend eine neue Rechtsauffassung in den Vordergrund, daß es dem Patron jetzt gestattet wurde, die Tagewerke seines ehemaligen Sklaven zu vermieten (vgl. über BEHRENDS hinaus KÄSER 1971, 299-301; DERS. 1975, 140f.; WOLF

1991; QUADRATO

1 9 9 6 ; SALSANO

1 9 9 8 ; SCHIEMANN

1998,

654-656). Der zweite für das Gewerbe juristisch relevante Bereich ist der der Privatverträge, die im Gewerbe abgeschlossen werden konnten. Soweit es sich nicht um den Verkauf einer Sache handelte, wurde der gesamte Bereich des Leistungsaustausches gegen Geld durch das System der locatio/conductio erfaßt. Im Prinzip stellte hier die eine Vertragspartei eine Sache zur Verfügung, während die andere Partei diese unter vertraglich näher zu regelnden Bestimmungen nutzte oder bearbeitete. Der Terminus locatio umfaßt dabei ersteres, während mit conductio die zu übernehmende Sache gemeint ist. In den Bereich der locatio/conductio fielen somit Pacht- (locatio/conductio rei), Werk- (locatio/conductio operis faciendi) und Arbeitsverträge (locatio/conductio operarum)

(vgl. ü b e r BEHRENDS h i n a u s B E N K E 1 9 8 7 ; RAINER 1 9 9 0 ; DERS.

1992). Dieses juristische Instrumentarium bildete den Rahmen, innerhalb dessen auch die Beteiligung der Eliten an der gewerblichen Produktion möglich war. Hinzu kommt noch die in den Quellen nur schwer zu erfassende Stellung des freien institor, der (wie bereits angedeutet) der Sache nach einen Verwalter mit fest umrissenen Kompetenzen darstellte, die auch schriftlich niedergelegt werden konnten. Die Frage nach den institores berührt auch den Kontext der Verwaltung von gewerblichen Betrieben, sofern diese nicht dem Eigentümer direkt unterlagen. Hier sind uns aus den lateinischen Quellen zunächst verschiedene Bezeichnungen für den Verwalter überliefert. Es sind dies abgesehen vom schon erwähnten Terminus die Bezeichnungen procurator, actor, vilicus und subvilicus. Konkret geben diese Begriffe graduelle Unterschiede wider, d. h. die einzelnen Bezeichnungen stehen für die Umfänglichkeit der zu erfüllenden Pflichten bei der Verwaltung eines oder mehrerer Betriebe. Die tiefere Unterscheidung zwischen dem institor und den übrigen Chargen hatte dagegen seinen Grund in Fragen der Haftbarkeit. Dies legt jedenfalls eine Stelle in den Digesten nahe, die zeigt, daß der Eigentümer eines Betriebes im Falle der Bestellung eines institor juristisch für dessen Tun und Lassen voll haftbar gemacht wurde, während bei

107

108

Darstellung/Handwerk der Bestellung eines procurator seine Haftbarkeit beschränkt war (Dig. 14,3,5,10, Ulpian). Dieser, bzw. der actor, vilicus resp. subvilicus dürfte also als Agent von Eigentümern oder Pächtern größerer Betriebe gearbeitet haben, die somit nicht direkt mit der Verwaltung und Ausbeutung gewerblicher Kapazitäten konfrontiert waren (vgl. dazu AuBERT 1993; GASSNER 1986,11).

4.3 Organisation der gewerblichen Produktion Dies führt nun zu der Frage der Organisation der gewerblichen Produktion überhaupt. Vorherrschend war im gesamten Imperium Romanum der Kleinbetrieb, in dem mehrere Angehörige einer Familie arbeiteten (vgl. o. S. 103). Auch der Einsatz abhängiger Arbeitskräfte, seien sie nun Lohnarbeiter oder zur familia des Eigentümers gehörende Sklaven, war nicht untypisch. Diese kleinen Gewerbetreibenden konnten nun als Eigentümer von Werkstätten auftreten oder aber die Räumlichkeiten und Arbeitsgerät von anderen, oftmals Angehörigen der Oberschicht, pachten. In dieser Form ergab sich für die gesellschaftliche Elite also eine weitere Möglichkeit, am Gewerbe zu partizipieren, und offenbar wurde hiervon auch reichlich Gebrauch gemacht. So wissen wir aus der späten römischen Republik, daß Personen vom Schlage eines Crassus und Cicero Mietshäuser bzw. Mietshauskomplexe (insulae) mit tabernae besaßen (vgl. Plut. Crass. 2; Cic. Att. 14, 9, 1). In der Kaiserzeit ist die Verpachtung gewerblich nutzbarer Räume an Privatpersonen dann ein in vielen Städten bezeugtes Phänomen (vgl. M 4 7 u. 48). Aus anderen Quellen kennen wir die Verpachtung von voll ausgestatteten Betrieben. Solch ein Sachverhalt wird durch drei Verträge aus Ägypten dokumentiert, die Töpfereien betreffen: Der erste von ihnen (P. Oxy. 50/3595), ein aus dem Jahr 243 n. Chr. stammender Vertrag, hat eine Laufzeit von zwei Jahren. Der Pächter verpflichete sich, pro Jahr 15.300 Gefäße verschiedenen Fassungsinhaltes herzustellen und zu verpichen sowie die Aufsicht über das Personal zu führen. Die Verpächterinnen stellten alle Materialien, die für die Produktion benötigt wurden. Der Pächter erhielt pro 100 hergestellter Gefäße 32 Drachmen sowie eine Sonderzahlung in Naturalien pro 10.000 hergestellter Gefäße. Darüber hinaus behielten sich die Verpächterinnen das Recht vor, die etwaige Uberschußproduktion aufzukaufen. Ahnliche Verfügungen enthält P. Oxy. 50/3596, der aus den Jahren zwischen 219 und 255 n. Chr. stammt. Hier wurde der vierte Teil einer Töpferei auf ein Jahr gepachtet; der Pächter verpflichtete sich in dieser Zeit insgesamt 4.115 verschiedene Behältnisse für Wein zu produzieren. Wiederum stellte

Organisation der gewerblichen Produktion die Verpächterin das gesamte für den Produktionsprozeß benötigte Material; der Pächter erhielt 36 Drachmen pro 100 fertiggestellter Gefäße sowie verschiedene Sonderzahlungen in Form von Naturalien. P. O x y .

50/3597

aus dem Jahr

260

n. Chr. konfrontiert uns mit vergleich-

baren Bedingungen: Ein Drittel einer Töpferei wurde von wahrscheinlich demselben Pächter wie im vorherigen Vertrag auf ein Jahr gepachtet; in diesem Zeitraum sollte der Pächter insgesamt 8.130 Gefäße herstellen, wobei der Verpächter die Materialien zu liefern und für je 100 fertiggestellte Gefäße 32 Drachmen zu entrichten hatte. Wiederum wurde die Zahlung von Sonderabgaben in Form von Naturalien an den Pächter vereinbart

(vgl. zu

diesen Verträgen

COCKLE

S T R O B E L 1 9 8 7 , 9 2 - 9 6 ; DERS. 1 9 9 2 ; H E N G S T L 1 9 8 3 ;

1981).

An den Verträgen sind folgende Sachverhalte besonders bemerkenswert: Erstens handelt es sich bei ihnen nur formaljuristisch um Pachtverträge, die die Überlassung des Besitzes, d. h. das Ausüben der tatsächlichen Gewalt über eine Sache, an den Pächter beinhalten. Tatsächlich sind es aber eher Arbeitsverträge, wenn wir auf das ökonomische Ergebnis schauen. Die Pächter erhielten ja einen Lohn pro Mengeneinheit fertiggestellter Gefäße und bekamen darüber hinaus alle Materialien für die Produktion sowie das nötige Equipment gestellt. Andererseits durfte und konnte der Pächter über die vertraglich vereinbarte Menge hinaus Ware produzieren, für die dann die Verpächterinnen das Vorkaufsrecht hatten (P. Oxy.

50/3595,

Z. 2 7 f f . ) . Hier-

durch wird der Vertrag nun wieder näher in den Bereich der Pacht gerückt. Zweitens wird in P. Oxy. ein Drittel einer Töpferei

50/3596

„verpachtet".

u.

3597

jeweils ein Viertel bzw.

Hier liegt der

Umkehrschluß

nahe, daß der Rest der jeweiligen Töpferei an mindestens einen weiteren Töpfer verpachtet gewesen sein muß. Drittens hat der Pächter in P. Oxy. 50/3595

die Aufsicht über weiteres in der Töpferei vorhandenes Personal

zu führen, was andere Formen abhängiger Arbeit nahelegt. Viertens handelt es sich in P. Oxy.

50/3596

und P. Oxy.

50/3597

wahrscheinlich um

denselben Pächter. In dem Fall gab es also Personen, die sich auf die Ausübung eines bestimmten Gewerbes spezialisiert hatten, dieses aber nicht eigenständig ausübten, sondern als quasi in einem Lohnverhältnis stehende Pächter. Wie stellt sich nun die Organisation der Massenproduktion in den anderen Provinzen oder im italischen Mutterland dar, Regionen, für die wir keine vergleichbaren Dokumente besitzen? Lassen sich hier ähnliche Strukturen feststellen? Die hauptsächlichen Quellen sind hier die unzähligen Stempel auf gewerblich hergestellter Ware, die Zuweisungen zu bestimmten Werkstätten und sogar Personen erlauben. Zu klären wäre vorweg allerdings, warum überhaupt solche gewerblichen Produkte gestempelt wurden. Dahingehend gewähren die Vermerke auf Terra Sigillata resp. Keramik und auf Ziegel noch

109

110

Darstellung/Handwerk die meisten Aufschlüsse. So macht G. FÜLLE (1997, 115) betreffs der Terra Sigillata folgende Gründe für die Stempelung geltend: 1.) die Indikation des Eigentums, 2.) die Erfüllung der (vereinbarten) Arbeitsleistungen, 3.) die öffentliche Kontrolle von Produktion und Produzent, 4.) Werbung für das Produkt und 5.) die Information über die Organisation der Produktion und den Verkauf der Ware. Ganz ähnliche Gründe für die Stempelung von Ziegeln führt auch M. STEINBY (1993, 141) an. Vorherrschend sei auch hier der Wille, die Produkte einzelner Werkstattbetreiber und die Produktqualität zu kennzeichnen, wobei es häufig auch darum gehe, Ziegel von verschiedenen Ziegeleien (die derselben Administration unterstellt waren) zu unterscheiden, oder klar zu stellen, welchen Eigentümern verschiedene Warenposten in einem größeren Lager gehörten. In beiden Fällen wird aber sichtbar, daß die Stempel für die „innerbetriebliche" Organisation von Bedeutung waren und somit durchaus Aufschluß über die Betriebsstruktur geben können. Im Falle der Herstellung von Terra Sigillata in Arezzo wurde in der älteren Forschung die Ansicht vertreten, daß diese in manufakturartigen G r o ß betrieben in einem arbeitsteilig organisierten Produktionsprozeß hergestellt worden sei. Dies wurde von G. Fülle jüngst schlüssig widerlegt (vgl. FÜLLE 1997, 1 3 9 - 1 4 1 ) . Es ist vielmehr davon auszugehen, daß in den Formen einer „nucleated workshop industry" produziert worden ist, d. h. in mehreren Töpfereien, die über nur wenige Arbeiter und eine zentrale Brennstelle verfügten (vgl. ebd. 1 2 7 - 1 3 5 ) ; diese Töpfereien mochten jedoch durchaus das Eigentum eines Großgrundbesitzers sein. Dennoch zeigen uns die überlieferten Stempel sowohl auf Terra Sigillata als auch auf Ziegeln, daß unter den auf ihnen genannten Personen verschiedene Abhängigkeitsverhältnisse existierten. So können auf den Ziegelstempeln die Eigentümer der Betriebe (,domini figlinae),

die Betreiber des Betriebes ( o f f i c i n a t o r e s figlinae)

sowie die

von ihnen abhängigen Arbeitskräfte nachgewiesen werden (vgl. STEINBY 1993). Ahnliches läßt sich aufgrund der überlieferten Stempel und Brennlisten

über

die Terra

Sigillata-Betriebe

in

La

Graufesenque

sagen,

ja

sogar noch mehr: Hier haben wir - auch unter Anwendung des Modelles, das die o. g. Pachtverträge aus Ägypten zeigen - den Nachweis, daß Eigentümer ihre Betriebe verpachteten und die Pächter wiederum über eigenes Personal verfügten oder die Betriebe weiter unterverpachteteten. Zudem lassen sich noch deutliche Spezialisierungstendenzen bei den verschiedenen Unternehmern und Töpfern ablesen (vgl. STROBEL 1987, bes.

106-108;

STROBEL 1992). In ein Organigramm übertragen kann man somit folgendes Bild über die Organisation der Massenproduktion im römischen Reich gewinnen, bei dem es sich freilich nur um ein grundsätzliches handelt, das unter Anwendung der genannten Instrumentarien zahlreiche Modifikationen zuläßt:

Organisation der gewerblichen P r o d u k t i o n

Instruktiv für die Organisation des G e w e r b e s ist auch das Beispiel des ephesischen Silberschmiedes D e m e t r i o s aus dem N e u e n Testament: Dieser hatte sich auf die Herstellung von Devotionalien für den T e m p e l der Artemis in Ephesos spezialisiert, w o f ü r er H a n d w e r k e r beschäftigte, die ihrerseits (wiederum) über gemietete Arbeitskräfte verfügten (Apg 1 9 , 2 3 - 2 8 ) . Somit deutet sich hier sogar die A n w e n d u n g eines Verlagssystems an, das auf dem S e k t o r der Textilproduktion möglicherweise auch in Ägypten und Gallien Verbreitung fand (vgl. VAN MINNEN 1987, 5 6 - 5 8 ; MEHL 1997, bes. 68f.; WLLD 1999). In diesem Fall werden H a n d w e r k e r oder Händler resp. A n g e h ö rige der Provinzialelite insofern eine leitende Rolle im Geschäft gespielt haben, als sie in ihrer Region andere H a n d w e r k e r mit Rohmaterialien versorgten, die Produktion

koordinierten

und die Vermarktung

der

Produkte

betrieben. O f f e n b a r verfügte auch der ägyptische Stratege Apollonios über einen so strukturierten Betrieb: Abhängige Sklavinnen spannen das G a r n , das dann an W e b e r , die in Heimarbeit tätig waren, weitergegeben wurde (vgl. WLPSZYCKA 1966, 2 f. mit A n m . 1). Betrachten wir das sich uns darbietende Bild insgesamt, ist folgender Schluß erlaubt: Es gab z u m einen den selbständigen H a n d w e r k e r mit eigenem Betrieb, in dem auch Familienangehörige und einige Sklaven tätig sein konnten, z u m anderen aber auch Bestrebungen der Eliten, ebenfalls an H a n d w e r k und G e w e r b e zu verdienen. Dies geschah sowohl durch die V e r mietung von Geschäftsräumen und Werkstätten als auch durch die Ausbildung von Sklaven. Sie wurden als Facharbeiter vermietet, mit einer Werkstatt versehen oder mit der Leitung eines größeren Betriebes betraut. D a b e i profitierte man selbst nach der Freilassung der Sklaven von deren ö k o n o m i s c h e n Erfolg, wobei die H ö h e des Profits von den Modalitäten der Manumittierung und der jeweils gültigen Rechtsauffassung abhing. Schließlich ließen sich n o c h mit dem Mittel der Verpachtung kompletter, d. h. auch mit Gerät und Personal ausgestatteter Produktionsstätten oder durch die Einsetzung von dafür zuständigen Verwaltern Einkünfte erzielen. So spielten senatorische und ritterliche Kreise bis in die severische Zeit hinein eine wichtige Rolle auf dem G e b i e t der stadtrömischen Ziegelproduktion (vgl. STEINBY 1993, 141). Diese unterließen es auch nicht, Freigelassene und Sklaven im Baugewerbe

111

112

Darstellung/Handwerk und bei der Textilherstellung einzusetzen und an ihren Verdiensten zu partizipieren. Die Freigelassenen bildeten übrigens eine gesellschaftliche Gruppe, die sich auf dem Sektor der handwerklichen Produktion und des Handels mit großem Erfolg behauptete. Aus ihrem Kreis formierten sich im Westen des Reiches sogar die städtischen Pseudoeliten der Augustalen, aus deren Reihen in den nachfolgenden Generationen vielen Männern, denen nun der Makel der unfreien Herkunft fehlte, der Sprung in den Dekurionen- oder Ritterstand gelang (vgl. OSTROW 1985, bes. 70). Beispielhaft für das erfolgreiche ökonomische Wirken der liberti ist der bereits erwähnte Remmius Palaemon (s. o. S. 89), der seinen erheblichen Reichtum u. a. auf den Besitz mehrerer Werkstätten zur Herstellung von Kleid u n g g r ü n d e t e (vgl. PLEKET 1 9 9 0 , 1 2 4 - 1 2 5 ; M R A T S C H E K - H A L F M A N N

Nr.

1993,

184).

Personen libertinen Standes waren es auch, die ihren Stolz auf das Erreichte gern durch die Setzung von Inschriften dokumentierten (vgl. KOLB 1995, 476-478). Dieser Stolz ist ferner an den von ihnen in Auftrag gegebenen Reliefs ablesbar, und zwar vor allem an dem bemerkenswerten Wandel der Darstellungsformen zwischen der späten Republik und dem Prinzipat. Denn während sie sich im 1. Jh. v.Chr. noch in der Toga als Hinweis auf das - freilich eingeschränkte - Bürgerrecht abbilden ließen, war es im 1. Jh. n. Chr. ihr Bestreben, sich in der Arbeitskleidung zu präsentieren (vgl. ZIMMER 1985, 215. 218). Unbeschadet des Snobismus, den antike Literaten gegenüber dem „schmutzigen" Handwerk an den Tag legten (vgl. M 92), standen für diese Personengruppe also die Arbeitswelt und das erfolgreiche Wirken darin im Vordergrund. Das ökonomische Gefüge war freilich in der Realität weitaus komplexer, als es hier angedeutet wurde. So sind durchaus auch mittelgroße handwerkliche Betriebe bekannt, die über eine Reihe von Sklaven und Lehrlingen verfügten. Darüber hinaus ist in der Kaiserzeit mit der Existenz von Betrieben zu rechnen, die zumindest einen Teil der von ihnen gefertigten Produkte an spezialisierte Händler weiterreichten (vgl. PETRIKOVITS 1981, 73). Gleichwohl ist unser Wissen um die Absatzorganisation in solchen Fällen noch sehr gering. Im dörflichen Kontext wie auch in kleineren Städten, die über keine bedarfsdeckende handwerkliche Produktion verfügten, wurde die Nachfrage aber wohl durch Wanderhändler (circitores) befriedigt. Auch können wir davon ausgehen, daß der Warenaustausch zwischen benachbarten Dörfern eine gewisse Rolle gespielt hat (vgl. VAN MINNEN 1987, 40). Anders stellte sich die Lage in den größeren Städten dar, wo der Bedarf durch spezialisierten Handel und durch ein stark ausdifferenziertes heimisches Gewerbe gedeckt wurde (vgl. PLEKET 1990, 127-129).

Spezialisierung

4.4 Spezialisierung In bezug auf dieses städtische Gewerbe fällt es aber schwer, genauere Konturen zu zeichnen, obwohl uns die literarische, epigraphische und papyrologische Überlieferung mit zahlreichen Berufsbezeichnungen konfrontiert und in einzelnen Gewerbezweigen (bes. im Metall-, Textil und Lederhandwerk) auf eine weitgehende Spezialisierung der darin tätigen Menschen hindeutet. So werden in den Grabinschriften aus Rom über 200 verschiedene Gewerbe überliefert, von denen mehr als 160 auf Lohnarbeiter, Handwerker, Ladenund Werkstattbesitzer Bezug nehmen. Allein auf dem Sektor des Handwerkes sind 40 berufliche Vereinigungen bezeugt, und im ganzen sind ca. 500 lateinische Ausdrücke, die verschiedene Gewerbe bezeichnen, bekannt (vgl. KOLB 1995, 466; PLEKET 1990, 121). Es ist dabei häufig aber unklar, ob diese Termini Händler oder Handwerker mit eigenen Verkauf der Produkte bezeichnen, und ebenso häufig läßt sich nicht klären, ob Berufsbezeichnungen im eigentlichen Sinne gemeint sind - d. h. die Ausübung eines bestimmten Handwerkes oder Gewerbes über einen längeren Zeitraum hinweg - , oder es sich um bloße Tätigkeitsbezeichnungen handelt. Dies demonstriert etwa ein aus Pompeji stammender Graffito mit einem freilich sehr polemisierenden Text (CIL IV 10150): „ N a c h d e m du achtmal gescheitert bist, bleibt dir übrig, sechszehnmal

zu

scheitern. Du hast auf Wirt gemacht, du hast auf Geschirrverkäufer gemacht, du hast auf W u r s t w a r e n gemacht, du hast auf Bäcker gemacht. Du bist Bauer gewesen. Du hast Kleinbronzen verhökert und bist Trödler gewesen. Jetzt stellst du kleine Flaschen h e r . . . "

(Übers, nach K. W. WEEBER). Man sollte also nicht alle in den Quellen überlieferten Berufsangaben allzu wörtlich nehmen, da sie häufig als reine Tätigkeitsbezeichnung zu verstehen sind. Trotz dieser Einschränkung muß man an einer starken Spezialisierung in Handwerk und Gewerbe festhalten (vgl. zu dieser PETRIKOVITS 1981, bes. 83-130 mit den Listen der belegten Berufsbezeichnungen). Häufig wird hierfür ein Überangebot an Arbeitskräften verantwortlich gemacht; die zur Verfügung stehende knapp bemessene Arbeit sei aufgeteilt worden, um einer möglichst großen Anzahl von Personen Arbeit und damit Brot zu geben. Mehr Plausibilität hat hingegen die These, daß ganz im Gegenteil eine starke berufliche Spezialisierung eine große Nachfrage nach Produkten auf dem betreffenden Sektor widerspiegelt (vgl. KOLB 1995, 467-469). Ein weiterer Aspekt verdient in diesem Zusammenhang Beachtung: Gerade in Rom ist - wie oben schon bemerkt - anhand der Toponyme eine Konzentration bestimmter Gewerbe in einzelnen Teilen

113

114

Darstellung/Handwerk der Stadt festzustellen. Eine Spezialisierung in einem Handwerk war daher vielleicht auch die Antwort auf die in solchen Vierteln herrschende K o n kurrenz, da die Konzentration auf bestimmte Produkte mit einer Qualitätssteigerung und Wettbewerbsvorteilen einhergehen konnte (vgl. KUDLIEN 1994, bes. 15). Einen besonderen Impuls für die berufliche Spezialisierung dürfte die Ausbildung von (in einem gewissen Maße) arbeitsteilig organisierten G r o ß betrieben geliefert haben, auch wenn wir die Organisation der Betriebe auf der Grundlage des gegenwärtigen Uberlieferungsstandes

nicht eindeutig

nachvollziehen können. Jedoch dürfen wir vor allem im metallverarbeitenden Handwerk von der Existenz solcher Betriebe ausgehen (vgl. PETRIKOVITS 1981,71-73).

4.5 Ausbildung D e r gerade genannte pompejanische Graffito macht noch auf einen weiteren Aspekt des Berufswesens aufmerksam: Man brauchte offensichtlich für viele Berufe keine dezidierte Ausbildung. Gleichwohl sind Lehr- und Ausbildungsverhältnisse in zahlreichen Berufen belegt. Die Papyri aus dem römischen Ägypten nennen vor allem den Beruf des Webers, ferner den Nagelschmied,

Flötenspieler,

spezialisierten

Bauhandwerker,

Leinenweber,

Korbmacher, Kupferschmied, Leichenbestatter, Kurzschriftlehrer und den Frisör (vgl. die Auflistung bei BERGAMASCO 1995, 1 6 2 - 1 6 7 ) . Lateinische Inschriften nennen weitere Berufe, in denen eine Lehrlingsausbildung möglich war: Spiegelmacher, Steinmetze, Walker, Dachdecker oder Ziegelhersteller, Goldschmiede, Berufe im Bauwesen, Bäcker, Mosaikarbeiter und Ziergärtner (vgl. SCHULZ-FALKENTHAL 1972, 2 1 0 - 2 1 1 ) . Daß eine Lehrlingsausbildung auch bei Schustern möglich war, verdeutlicht hingegen ein in den Digesten geschilderter Unglücksfall: Ein Schuster hatte seinem Lehrling mit dem Schusterleisten einen herben Schlag versetzt, der zum Verlust eines Auges führte (Dig. 19,2,13,4, Ulpian; Dig. 9,2,5,3, Ulpian; zu den technischen Seiten des Unglücks vgl. SCHUBERT 1975). Eine weitere Stelle in den Digesten bezieht sich auf die Berufsausbildung bei Walkern (Dig. 14,3,5,10, Ulpian); sie zeigt auch, daß Lehrlinge, die in ihrer Ausbildung weiter fortgeschritten waren, zumindest zeitweise mit der Führung des Betriebes beauftragt werden konnten (vgl. S c h u l z - F a l k e n T H A L 1972, 206 f.). Zugleich deutet die papyrologische Uberlieferung auf die Praxis hin, den Erfolg der Ausbildung am Ende zu überprüfen. Diese „Gesellenprüfung" konnte von einer ad hoc gebildeten G r u p p e v o n H a n d w e r k e r n a b g e n o m m e n werden. N o c h wichtiger

ist, daß offenbar auch die Berufsvereine eine Rolle bei der Lehrlingsausbildung spielten, was bislang nur den mittelalterlichen Gilden und Zünften

Ausbildung zugebilligt wurde. So erwähnt ein aus dem 2. Jh. n. Chr. stammender Text eine Geldsumme, die der Vorsteher des Vereines der Weber für die Uberprüfung der Lehrlinge gezahlt hat (SB 20/15023). Diese Zahlung erging wahrscheinlich an Vertreter der staatlichen Verwaltung, weshalb u. U. auch der Staat eine Rolle in diesem Prüfungsprocedere spielte (vgl. dazu VAN MINNEN 1987, 70-71). Zudem wird in der Forschung die Ausstellung eines schriftlichen Zeugnisses vermutet (vgl. SCHULZ-FALKENTHAL 1972, 209). Insgesamt scheinen die Berufsvereine und -kollegien in der römischen Kaiserzeit damit wohl eine größere Rolle auf dem ökonomischen Sektor gespielt zu haben, als man ihnen gemeinhin geneigt ist zuzubilligen (vgl. M 4 5 u. 46). Das Faktum der Lehrlingsausbildung in vielen Berufszweigen deutet zugleich auf ein mancherorts sehr breites Reservoir an qualifizierten Arbeitskräften hin und es liefert eine weitere Erklärung für die insgesamt recht hohe Leistungsfähigkeit des Handwerks in der römischen Kaiserzeit. Auch versprach das Erlernen eines Handwerkes offenkundig eine gewisse ökonomische Sicherheit, wie eine Äußerung Petrons im Satyrikon nahelegt: Das erlernte Handwerk könne einem nur durch den Tod genommen werden und schütze vor Hunger (Petron. 46, 7-8). Eine ähnliche Auffassung findet sich übrigens in der jüdischen Überlieferung (vgl. BENDAVID 1974,169). Nicht nur Männer betrieben ein Handwerk oder wurden in diesem unterwiesen. Ostia und Pompeji liefern Beispiele für die Tätigkeit von Frauen auf dem handwerklichen Sektor. Wir kennen Flickschneiderinnen, Goldwirkerinnen oder Schuhmacherinnen, aber auch Herstellerinnen von Bleiröhren. In den Inschriften beziehen sich die Berufsangaben meist auf Sklavinnen und Freigelassene (vgl. GÜNTHER 1987). Darüber hinaus ist von einer Beteiligung von Frauen an der handwerklichen Produktion in den Werkstätten ihrer Ehemänner auszugehen, ohne daß man hierfür freilich direkte Angaben in den Quellen besäße (vgl. KOLB 1995, 488 f. 491; HERZIG 1983, 8 1 82; KRAUSE 1994b, 130-154). Frauen der Oberschicht waren ebenso wie ihre männlichen Pendants auf dem Sektor der Massenproduktion beteiligt, und zwar als Eigentümerinnen von Ziegeleien und Fertigungsstätten von Bleiröhren, was insbesondere für die Hafenstadt Ostia und Betriebe in der Umgebung von Rom bezeugt ist (vgl. HERZIG 1983, 81; KOLB 1995, 320). Aus dem römischen Ägypten sind Beispiele bekannt, in denen Frauen in einem Handwerk ausgebildet wurden. So ließ ein gewisser Herakleon seine Sklavin Helene in der Kunst des Webens unterweisen (P. Mich. 5/346 a; 13 n. Chr.). Gleiches gilt für die Sklavin Taorsenouphis, die im Jahr 150 n. Chr. von ihrer Eigentümerin dem Weber Pausiris für 1 Jahr und 2 Monate überstellt wurde (SPP 22/40), bzw. für die Sklavin Thermouthion, mit der gegen Ende des 2. Jh. vergleichbar verfahren wurde (P. Oxy. 14/1647

115

116

Darstellung/Handwerk und die Übersicht über weitere einschlägige D o k u m e n t e bei BERGAMASCO 1995, 162-167). Hier überrascht es allerdings, daß sich nahezu alle Belege auf Sklavinnen beziehen. Freie scheinen dagegen ausschließlich in den für die Zeit vor der industriellen Revolution für Frauen typischen Berufen tätig gewesen zu sein. Soweit es den Sektor des Handwerkes betrifft, ist in diesem Kontext vor allem die Textilproduktion zu nennen (vgl. KOLB 1995, 492; KRAUSE 1994 b , 1 3 0 - 1 4 4 ) .

Darüber hinaus verdiente der Staat durch die steuerliche Veranlagung der Handwerker am Gewerbe, und man sollte die Rolle nicht unterschätzen, die das H a n d w e r k in den städtischen Einkünften spielen konnte. Insbesondere ist es wiederum die Provinz Ägypten, die hierzu Aufschlüsse gewährt. Zunächst zu den Steuern: Handwerker unterschieden sich von anderen Bewohnern der Provinz dahingehend, daß sie über die üblichen Staatsabgaben hinaus auch eine cheironaxion

oder chrysargyron

genannte Steuer abzuführen hatten. Sie

stellte eine Art Lizenzgebühr dar, die nicht auf den Verdienst oder das bestehende Vermögen erhoben wurde, sondern als fixe S u m m e ohne Rücksicht auf den ökonomischen Erfolg oder den Ausbildungsstand des jeweiligen Gewerbetreibenden. Darüber hinaus galt es seitens der Handwerker (etwa jener im Textilgewerbe), gegen ein gewisses, aber niedriges Entgelt die Bedürfnisse der Armee zu befriedigen (vgl. WlPSZYCKA 1966, 3 - 1 2 mit weiteren Beispielen). Die H ö h e der oben angesprochenen Gebühr war je nach H a n d werkszweig verschieden, was mit den Gewinnerwartungen in den einzelnen H a n d w e r k e n zu tun haben mag. Es könnte am Ende auf staatlicher Seite also doch Ansätze eines Steuersystems gegeben haben, welches je nach den Einkommensmöglichkeiten progressiv gestaffelt war. In diesem Falle ließe sich u. U . auch der Status von einzelnen Berufsgruppen im H a n d w e r k näher unterscheiden (vgl. VAN MINNEN 1 9 8 7 , 4 3 - 4 4 ) . Weiter gilt es zu bedenken, daß die Gewerbetreibenden auch direkt die Einkünfte der Städte mehrten. O b e n ist schon auf das Archiv des Caecilius Iucundus aus Pompeji hingewiesen worden (s. o. S. 103). Danach verfügte die Stadt über Räumlichkeiten, in denen Werkstätten untergebracht waren, die gegen eine Gebühr an H a n d w e r k e r vermietet wurden. Sie b e z o g somit auch über den Gewerbesektor einen Teil ihrer öffentlichen Einkünfte. N o c h deutlicher sehen wir dies am Beispiel des Serapeions von O x y r h y n c h o s . Die Handwerker zahlten dort wahrscheinlich Miete für die N u t z u n g ihrer auf dem Markt gelegenen Werkstätten und gewiß entrichteten sie auch die m o natlich erhobenen Marktgebühren (SB 16/12695; 143 n. Chr.; vgl. VAN MINNEN ebd. 7 9 - 8 0 ) . Abschließend sei kurz auf das Phänomen der Lohnarbeit in H a n d w e r k und G e w e r b e eingegangen (vgl. dazu auch M 38; 41 u. 43). A u c h diese konnte unabhängig v o m juristischen Status einer Person geleistet werden. Sklaven konnten gleichberechtigt neben Freigelassenen und Freien in einem

Ausbildung Arbeitsverhältnis gegen L o h n stehen."' Da die Quellen hierzu größtenteils schweigen, ist die Lohnarbeit indes nur schwer zu fassen. Sie scheint aber wie im Bereich der Landwirtschaft - insbesondere in saisonalen Kontexten vorgekommen zu sein. Konkret ist dabei an das starken Konjunkturschwankungen unterworfene Baugewerbe zu denken. Es sei dabei nur an die schon erwähnte Sueton-Stelle zum Verhalten Vespasians erinnert (s. o. S. 32; zur Struktur des Baugewerbes auch RAINER 1990). N o c h schwieriger ist es, in anderen Branchen des Handwerks und Gewerbes Erkenntnisse über die Beschäftigung von Lohnarbeitern zu erlangen. Hinzuweisen wäre hier aber auf die aus den dakischen Bergwerken stammenden Arbeitsverträge, die zugleich konkrete Löhne überliefern (vgl. M 7 3 ) . Ferner bietet der Talmud Belege dafür, daß im römischen Palästina Handwerker für Tagelohn bzw. Stücklohn arbeiteten oder Akkordaufträge ausführten (vgl. BEN-DAVID 1974, 176). Für Ägypten existieren, dies sei am Ende noch gesagt, ebenfalls Belege, die eine entsprechende Beschäftigung dokumentieren. Ein hervorragendes Beispiel hierfür sind die Tageslöhne, die Schiffszimmerleute und Sägearbeiter nach Auskunft eines Dokuments aus dem 3. J h . n. Chr. erhielten (P. Flor. 1 / 6 9 ; Vgl. C A S S O N I 9 9 0 b , 1 7 ) .

Die von BÜRGE (1990) geäußerte Ansicht, daß die in den lateinischen Quellen genannten mercennarii (Lohnarbeiter) grundsätzlich unfrei waren, wurde von MÖLLER (1993) erfolgreich widerlegt!

117

5.

Handel

Über die quantitative und qualitative Einordnung des Handels in die kaiserzeitliche Wirtschaft wird seit Jahrzehnten vehement diskutiert (s. o. S. 1 9 - 2 1 ) ; ein Ende dieser Debatte ist nicht abzusehen. In jüngster Zeit mehren sich allerdings die Stimmen, die eine differenzierte Beschreibung dieser Wirtschaftssparte fordern und ζ. T. auch vorlegen. Man kann heute wohl sagen: Nach Quellenlage und Forschungsstand befriedigen weder die ,primitivistische' noch die ,modernistische' Position dieser Jahrhundertdebatte, weil man auf beiden Seiten der selbst auferlegten Pauschalisierung unterliegt. Es muß aber deutlich gesagt werden: Jedwede Beschäftigung mit der kaiserzeitlichen Wirtschaftsgeschichte im allgemeinen und der Handelsgeschichte im besonderen hat von dieser Debatte profitiert und wird auch weiter Nutzen daraus ziehen. Allgemein wird heute akzeptiert, daß mit der äußeren und inneren Organisation des Römischen Reiches unter Augustus und seinen Nachfolgern eine neue Epoche der Handelsgeschichte begann. Der relative Friede an den Grenzen und im Innern, die demographische Stabilisierung, die den meisten Menschen zugestandene Freizügigkeit, ein allgemein akzeptiertes und stabiles Währungssystem, eine Staatlichkeit, die einerseits die Abschöpfungsnotwendigkeit konsequent - aber auch differenziert - durchsetzte und andererseits möglichst wenig in das Wirtschaftsgeschehen eingriff, wirkten, wie schon mehrfach angedeutet wurde, positiv. Mit diesen Schlagworten, die um einige vermehrt werden könnten, sollen keine paradiesischen' Zustände suggeriert werden, um etwa die Kluft zwischen Armut und Reichtum zu relativieren. Es handelt sich nur um die Rahmenbedingungen innerhalb der sich sehr viele Menschen mit unterschiedlichem Erfolg ihre Existenz in diesem Metier zu sichern suchten. An dieser Stelle muß nochmals hervorgehoben werden, daß die Landwirtschaft die Grundlage der kaiserzeitlichen Wirtschaft darstellte. Es ist daher unstrittig, in der Distribution landwirtschaftlicher Produkte die wichtigste Funktion des Handels zu sehen. Das betrifft den örtlichen Handel sowie die

120

Darstellung/Handel massenhafte Verschiebung von Grundnahrungsmitteln für die Versorgung des Militärs und der Stadt Rom, der aber an dieser Stelle keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird (vgl. M 8 u. 11).

5.1 Örtlicher Handel Das Gros des gesamten Handelsgeschehens spielte sich in und um den unzähligen Städten und Dörfern des Imperiums ab. Man wird davon ausgehen können, daß Produzenten landwirtschaftlicher wie (klein)gewerblicher Produkte als Verkäufer ihrer Ware den lokalen Handel weitgehend bestimmten. Die Differenzierung dieses Handels ist mit den jeweiligen lokalen und regionalen Bedingungen verknüpft. Hier sei nur auf folgende Sachverhalte hingewiesen: Regionen mit einem relativ engmaschigen Netz von Dörfern und Städten, die zudem durch ein gut begeh- bzw. befahrbares Wege- und Straßensystem (vielleicht sogar Flußsystem) verbunden waren, haben auch dem örtlichen Handel,eigene' Prägungen gegeben. Inwieweit sich der lokale Handel ausdifferenzieren konnte, bestimmte zudem die Zahl der Dorf- bzw. Stadtbevölkerung (Ort und unmittelbares Umland) samt der Kaufkraft, die wiederum mit dem Umfang der umgebenden landwirtschaftlichen Produktion in konkretem Zusammenhang stand. Das soll heißen: War die umgebende Landwirtschaft in der Lage, mehr oder weniger regelmäßig Uberschüsse für die Ernährung der Ortsbevölkerung zu produzieren, konnte überschüssiges Geld mehr oder weniger regelmäßig in andere Dinge investiert werden. Einblicke in örtliches Produktions- und Handelsgeschehen vermitteln die Berufsbezeichnungen, die die epigraphische und papyrologische Uberlieferung bereithält und die mit entsprechenden Informationen aus der antiken Literatur ergänzt werden können. Dennoch kann bei vielen lateinischen und griechischen Berufsbezeichnungen nicht entschieden werden, ob es sich um den Produzenten oder Verteiler einer Ware handelt. Hier nur einige Beispiele aus lateinischen Inschriften: Lanarius kann den Wollhandwerker wie den Wollhändler bezeichnen, sagarius den Hersteller von und/oder den Händler mit kurzen Mänteln bzw. Umhängen {saga), vasc(u)larius den Hersteller und/oder Verteiler von Metallgefäßen (vgl. P E T R I K O V I T S 1981), saponarias den Hersteller und/oder Händler mit Seife, seplasiarius den Hersteller von und/oder Händler mit Salben (vgl. W L S S E M A N N 1984). Für den griechischsprachigen Teil des Reiches offenbart sich die gleiche Problematik - auch dafür einige Beispiele: In den hier thematisierten ersten drei Jahrhunderten tauchen zunehmend Berufsbezeichnungen mit dem Suffix -as auf, von einer Ausbreitung dieses Phänomens kann man allerdings erst seit dem 4. Jh. n. Chr. sprechen. In der papyrologischen Überlieferung ist öfter der Terminus ornithas dokumentiert, der in der

Örtlicher Handel Forschung als ,Geflügelhändler, -Züchter, Vogelhändler, Hühnerzüchter; poulterer, poultry-dealer, chicken-man' aufgefaßt worden ist (z. B. P. Bad. 2/31; vgl. VAN MINNEN 1993, 122; P. Oxy. 59/3979; CPR 17 A/3 usw.). Nicht eindeutiger sind die Berufsbezeichnungen mit der Endung -poios (wörtl. übersetzt: -macher, -hersteiler). So wird ζ. B. der Bierbrauer im ptolemäisch-römischen Ägypten mit zytopoios bezeichnet (vgl. Belegliste in C P R 13/S. 82-84); dieser wird sein hoffentlich schmackhaftes Produkt auch verkauft haben, obwohl neben ihm der zytopoles und später der zytas agierte (vgl. DREXHAGE 1997 b). Man ist eher geneigt, die beiden Letztgenannten als Händler aufzufassen, was aber vor weitere Probleme stellt. Können wir etwa annehmen, daß es in den Dörfern im römischen Ägypten - oder in den anderen Provinzen - neben dem Produzentenhandel eine so strikte Trennung zwischen örtlicher Produktion und örtlichem Handel gegeben hat, wie es die Terminologie suggeriert? Ist also ζ. B. ein elaiopoles (vgl. die Belege in C P R 13/S. 6 9 - 7 1 u. DREXHAGE 1991b, 9f.) nur der Händler mit Öl und auf keinen Fall auch der Produzent dieser begehrten Ware gewesen? Eine allgemein orientierte Antwort wird man nicht formulieren können. Es ist aber wohl naheliegender, eine Trennung zwischen lokaler Produktion und lokalem Handel eher im städtischen Milieu anzunehmen. Auf einen anderen Aspekt sei ebenfalls nur kurz eingegangen. Man neigt in der Forschung dazu, den Hinweis auf Berufsbezeichnungen - etwa auf den Grabinschriften und in den sehr unterschiedlichen Papyri (ζ. B. Briefe, Steuerlisten, Verträge etc.) - auf Individuen zu beziehen, die in dem genannten Metier mehr oder weniger ein Leben lang tätig gewesen sind. Das ist nicht grundsätzlich falsch; es kann aber auch anders gewesen sein, wie der schon zitierte Graffito aus Pompeji verdeutlicht (s. o. S. 103). Ein Individuum, das mit unterschiedlichen Berufen überliefert ist, kennen wir auch aus dem römischen Ägypten: Ein gewisser Onesimos war in der Zeit von ca. 170 bis 206 n. Chr. sowohl als choiridiemporos (wörtl.: Ferkelgroßhändler) als auch als mageiros (hier im Sinne von ,Metzger') tätig; ebenso ist Onesimos zeitweise als kreopoles kai tarici) e ute s (Fleischhändler und Einpökler) aufgetreten (zu Onesimos vgl. DREXHAGE 1991c, 33-36). Einen solchen Einblick in das Berufsleben eines Individuums können wir von der epigraphischen Uberlieferung nicht erwarten, gerade weil sie ja mit der Informationsdichte der papyrologischen Überlieferung nicht konkurrieren kann. Diese so weit auseinanderklaffende Informationsqualität kann im Bereich des örtlichen Handels sehr deutlich gemacht werden. Nach dem Wortindex der Inschriften von Ephesos (I. Eph. VIII 1) sind aus dieser antiken Weltstadt nur eine Handvoll spezialisierter Händler überliefert. Aus vielen ansehnlichen Städten Kleinasiens haben wir keinen epigraphischen Beleg über eine Berufsbezeichnung, die auf -poles, -prates endet (ζ. Β. Parion, lasos, Mylasa, Selge). Dagegen verfügen wir

121

122

Darstellung/Handel über

weitaus

einschlägigere

Informationen

aus vielen

Dörfern

Ägyp-

tens. Hat man sich in der Forschung bislang mehr oder weniger einhellig gescheut, die erkennbaren wirtschaftlichen Abläufe eines römisch-ägyptischen Dorfes quasi als Modell für andere Regionen des Imperium Romanum heranzuziehen, wird in jüngerer Zeit immer deutlicher, daß es in vielen Gebieten des Reiches ein lebhafteres dörfliches Handelsgeschehen gegeben haben muß, als es Verfechter oder Anhänger der primitivistischen Sicht des antiken Handels wahrhaben wollen. In manchen Gegenden scheinen sich die Dörfer durch Produktion und lokalen Handel von den Städten emanzipiert zu haben. Dies ist ζ. B. für die dakischen Provinzen nachvollziehbar (vgl. GUDEA 1994). Im Donauraum kann man sogar von einer wirtschaftlichen Konkurrenz der Dörfer zu den Städten sprechen (vgl. In einer jüngst vorgelegten Studie

(SCHULER

SUCEVEANU

1992).

1998) sind ebenfalls für den

vorliegenden Zusammenhang interessante Fakten für Kleinasien gebündelt worden. Offensichtlich verfügten viele(?) Dörfer in diesem Raum über ein ,eigenes' Marktgeschehen, das von einem dörflichen Agoranomos organisiert bzw. verwaltet worden ist. Zudem dürfen wir von einer Vielzahl unterschiedlicher ländlicher Märkte in Kleinasien ausgehen, die nicht nur der Warenzirkulation zwischen Stadt und Land dienen sollten, sondern auch eine gewisse Unabhängigkeit ländlichen Handelsgeschehens von der Stadt ermöglichten (vgl. NOLLE 1999). Dies zeigt etwa die Gewährung

der

Marktrechte für die Ortschaft Mandragoreis bei Magnesia am Mäander im Jahre 209 n. Chr.; weitere Dörfer in dieser Gegend besaßen schon das Recht, mehrmals pro Monat Märkte abzuhalten (vgl. M 5 0 ) . Auch Jahrmärkte (panegyreis)

sind in den kaiserzeitlichen Dörfern Kleinasiens ab-

gehalten worden. Im Jahre 136 n. Chr. erhielt etwa das D o r f der Arinelloi das Recht, einen siebentägigen Jahrmarkt zu veranstalten. Dies wird nicht nur auf die in dieser Gegend ,reisenden' Händler, sondern auch auf den ortsansässigen

Produzentenhandel

stimulierend

eingewirkt

haben

(vgl.

SCHULER 1998, 2 6 5 - 2 7 2 zu dörflichen Märkten und Festen). Vergleichbare Eigenständigkeiten der nichtstädtischen Siedlungen scheinen auch schon während des hier interessierenden Zeitrahmens im syrischen Raum existiert zu haben (vgl. BEYER 1998). Auch dort haben wir von einem engen Geflecht ländlicher und kleinstädtischer Märkte auszugehen, wie wir es auch aus dem italischen Raum (vgl. MACMULLEN 1970) und aus manchen Regionen Nordafrikas (vgl. SHAW 1981) anhand mehrerer Dokumente kennen (vgl.

DE LLGT

1993). In größeren Ortschaften und Städten konnte sich - wie schon erwähnt ein äußerst differenzierter Lokalhandel etablieren. U m diesen zu beschreiben, müssen allerdings die besonderen Begebenheiten zugrunde gelegt werden. In Hafenstädten konnten Kaufwillige sowohl bei ortsansässigen Produzenten-

Örtlicher Handel händlern, bei Handeltreibenden aus dem Hinterland und auch bei Überseehändlern Waren erstehen (ζ. B. Taraceo, Rom, Karthago, Antiocheia, Alexandreia). In Städten mit regionalen bis ,weltweit' bekannten Kultstätten konnten sich spezialisierte Handwerker auf spezifische Kundenwünsche einstellen (z. B. die Silberschmiede von Ephesos in der Apostelgeschichte). Ortschaften in unmittelbarer Nachbarschaft von Militärstandorten profitierten von der Kaufkraft der Legionen und Auxiliareinheiten (z. B. die Colonia Ulpia Traiana bei Xanten oder Mainz, Ravenna und Carnuntum). Anstöße für den lokalen Handel kamen - vielleicht sollte man pointierter sagen: .mußten kommen' - in erheblichem Maße von kapitalkräftigen Persönlichkeiten, die z. T. unmittelbar davon profitierten. Auf solche Anstöße seitens der Kaiser oder Statthalter ist schon eingegangen worden (s. o. S. 29). Jetzt kann nur auf einige Beispiele verwiesen werden: In der pannonischen Colonia Aelia Mursa errichtete ein gewisser Aemilius Homullinus 50 Ladenlokale (tabernae), in denen nach Ausweis der Inschrift „Handel betrieben werden sollte" (CIL III 3288). Aus dem römischen Nordafrika kennen wir eine Reihe solcher Stiftungen. In Madauros ließ ein Q. Calpurnius Donatus auf eigene Kosten einen Lebensmittelmarkt (macellum) erbauen (ILAlg. I 2052); einen solchen stiftete auch der römische Ritter M. Plotius Faustus mit seiner Frau für seine Heimatstadt Thamugadi (diese und weitere Beispiele aus den afrikanischen Provinzen bei WESCH-KLEIN 1989). In der Person des Gaius Iulius Demosthenes hatte auch die kleinasiatische Stadt Oinoanda einen reichen Gönner, der seiner Heimatstadt nicht nur regelmäßig (zumindest über einen längeren Zeitraum) Getreide zu Verfügung stellte, um die Angebotslage zu entspannen, sondern auch einen Lebensmittelmarkt (agora biotike) in der Stadt - wahrscheinlich im Zentrum - erbauen ließ. Darüber hinaus stiftete er einen vierjährig stattfindenden Agon; auf diesem 23tägigen Festmarkt sollten alle Waren steuerfrei sein (vgl. WÖRRLE 1988). Welche Folgen für den lokalen Handel eine Stiftung zweier Agoranomen im kleinasiatischen Tralleis hatte, läßt sich schwer abschätzen. Diese beiden vermögenden Amtsträger errichteten eine überdachte Wandelhalle am Markt, ein Amtslokal für Agoranomen, eine dorische Säulenhalle mit Vorratsräumen und 100 Werkstätten/Ladenlokalen (ergasteria); die Einkünfte aus der Vermietung der ergasteria sollten zur Unterhaltung der Gesamtanlage verwendet werden (I. K. 36,1, Nr. 146). Wir müssen doch unterstellen, daß diese beiden Persönlichkeiten, die ja ihres Amtes wegen mit den lokalen Produktions- und Handelsverhältnissen vertraut gewesen sind, die Errichtung von 100 Gewerberäumen für,marktgerecht' hielten. Die privaten Aufwendungen für die Förderung des lokalen Handels müssen aber gar nicht so umfänglich gewesen sein, um für die Nachwelt festgehalten zu werden. Einem verdienten Bürger von Tralleis wurde etwa die

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124

Darstellung/Handel Stiftung von 12 Marmortischen samt Basen auf (oder in dem) städtischen Fischmarkt hoch angerechnet (I. K. 36,1, Nr. 77). Konkrete Informationen über städtisches Handelsleben liefert der archäologische Befund in Pompeji. Bislang sind in dieser kampanischen Landstadt, deren Einwohnerzahl von F. K O L B (1984, 242) auf ca. 10.000 geschätzt wird, ca. 650 Ladenlokale/Betriebe bekannt (s. o. S. 103). Bei nur ca. 20% läßt sich eruieren, welche Waren in ihnen produziert bzw. gehandelt wurden ( G A S S N E R 1986, 2 1 - 2 3 ) . In der Regel sind diese tabernae von den Gewerbetreibenden bzw. Händlern gepachtet worden. Das heißt wiederum, daß sehr viele Hausbesitzer bei der Anlage von Neubauten oder Umbauten sehr wohl darauf bedacht waren, von den Möglichkeiten des lokalen Handels zu profitieren (vgl. M 47 u. 48). Wahrscheinlich befanden sich eine Reihe von Immobilien mit tabernae im öffentlichen Besitz, deren Pachtgelder auch von Privatpersonen eingezogen worden sind; u. U. war in Pompeji der vielseitige Geschäftsmann L. Caecilius Iucundus auch mit solchen Angelegenheiten betraut (vgl. C I L IV T C 141-144; zu C. Caecilius Iucundus s.u. S. 154). In den Städten lastete ζ. T. ein erheblicher Konkurrenzdruck auf den lokalen Produzenten und Händlern. In Rom lebten und arbeiteten nicht wenige Handwerker in unmittelbarer Nachbarschaft - etwa an der via sacra oder in der 1 4 . Region ultra Tiberim. R. M A C M U L L E N ( 1 9 7 4 , 1 8 4 Anm. 2 ) weist z. B. darauf hin, daß in der Hauptstadt ca. 300 Hersteller von Damenpantoffeln gleichzeitig produziert hätten. Selbst in der Handelssiedlung auf dem Magdalensberg in der Provinz Noricum agierten in einem kurzen Zeitraum mehr als 3 0 0 „traders in iron" (vgl. M A C M U L L E N ebd.). Verschiedene Ansätze, diesen Druck abzufedern, sind überliefert. Man konnte versuchen, ein privates Monopol zu schaffen. Dies geht etwa aus einem Brief aus dem römischen Ägypten hervor: Ein Schreiber beauftragte seinen Geschäftspartner', möglichst alle Pfirsiche, die sich offensichtlich großer Beliebtheit erfreuten, in einer Ortschaft bzw. Gegend aufzukaufen (P. Ross. Georg. 3/3, 3 . Jh. n. Chr. = H E N G S T L 1 9 7 8 , Nr. 1 2 1 ) . Auch der Zusammenschluß von Handwerkern und Händlern in Kollegien (collegium, griech. koinon, synhodos), denen - wie schon erwähnt - die Forschung die Verfolgung wirtschaftlicher Ziele weithin abspricht (anders V A N M I N N E N 1 9 8 7 , 5 1 ff. u. P L E K E T 1990, 121 f.), konnte dem Abmildern des Konkurrenzdruckes dienen, wie etwa die Ubereinkünfte der Salzhändler von Tebtynis zeigen (vgl. M 46). Endlich konnte man lästige Konkurrenten übertrumpfen, herabsetzen und verleumden (vgl. zu allen Aspekten K U D L I E N 1 9 9 4 ) . Hier drängt sich nun die Frage nach dem Verdienst und der ökonomischen Situation lokaler Produzentenhändler auf. Mit dieser Frage stoßen wir an die Grenzen des Erkennbaren. Obwohl in dem Kapitel Lebensstandard' einiges an Material zusammengetragen ist (s. u. S. 181 f.), sei hier kurz die Situation

Örtlicher Handel kleiner Händler dargestellt. Auf den städtischen wie ländlichen Märkten wurden sowohl Verkaufssteuern als auch Standgebühren erhoben, wenn nicht durch Stiftungen oder Privilegien besondere Situationen geschaffen worden sind. Die Standgebühren scheinen moderat gewesen zu sein, wie etwa P. Köln 4/195 (Arsinoites, 2./3. Jh. n. Chr.) zeigt: je Händler pro Tag 1 Oboi. Diese Gebühr könnte auch in der Gauhauptstadt Oxyrhynchos gegolten haben (vgl. M 49). Für ständige - d. h. tägliche - Märkte in den Städten ist eine Jahresgebühr vorstellbar, die für die verschiedenen Marktbeschicker unterschiedlich hoch festgesetzt worden ist. So zahlten auf dem Markt am Serapaion in Oxyrhynchos um die Mitte des 2. Jh. n. Chr. die Vereinigung der Gemüsehändler 108, die Getreidehändler (pro Person?) 40 und die Wollhändler (pro Person?) 44 Drachmen (SB 16/12695). Vieles an diesem Dokument ist noch unklar; so werden etwa für die hier aufgeführten Händler unterschiedliche Termini verwendet: lachanopolai, sitokapeloi, eriemporoi. Nach gängiger Auffassung bezeichnet der Terminus kapelos einen Klein-/Detailhändler, der Terminus emporos den Großhändler, was aber zumindest für den papyrologischen Befund nicht zwingend ist (vgl. DREXHAGE 1991c). Desweiteren schlug für die Händler eine Verkaufssteuer zu Buche, die reichsweit 1% - zeit- und gebietsweise vielleicht auch 0,5% - betragen haben könnte (vgl. DE LlGT 1993, 205-211). Vielleicht haben im Osten des Reiches andere, kompliziertere Verhältnisse geherrscht; M. Wörrle spricht von einem ,sehr komplexen Nebeneinander von z. T. warenspezifischen Umsatzsteuern, Standgebühren und Händlerlizenzen' bei der Marktbesteuerung in griechischen Städten (vgl. WÖRRLE 1988, 212 f.). Wie nun die Kalkulation der Händler aussah, verrät uns keine Quelle. Selbstverständlich haben die Individuen Vorstellungen über die Preise der jeweiligen Waren gehabt. Entscheidend war aber, ob der Verbraucher diesen Preis akzeptierte. Ein Brief, der um 160/70 n. Chr. im Gau Oxyrhynchites(?) geschrieben worden ist, veranschaulicht diese Situation prägnant (P. land. 6/93): Man habe einige Töpfe/Krüge zum vorher festgelegten Preis verkaufen können, die anderen fanden aber zu diesem Preis keine Abnehmer mehr. Gewiß würde man versuchen, den alten Preis weiter geltend zu machen; dennoch werde man aber verkaufen, zu welchem Preis es gerade möglich sei (weitere Belege bei DREXHAGE 1988, 9f.). Vorausschauende Händler werden jedoch bei ihren Preisvorstellungen Spielräume einbezogen haben, um dem Bedürfnis der Kundschaft zu feilschen entgegenzukommen (vgl. M 78). Was sich aber letztlich in der Tageskasse irgendeines lokalen Händlers befunden hat, wissen wir nicht. Allerdings wird in dem Geldbefund des Wirtshauses (caupona) des L. Vetutius Placidus in Pompeji (Regio I, Insula 8, 8 - 9 ) die Tageseinnahme des Wirtes vermutet. 1704 Geldstücke in einem Gesamtwert von ca. 600 HS sind dort an das Tageslicht gekommen. Nur

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126

Darstellung/Handel ca. 250 Stücke sind Sesterzen, das Gros besteht aus kleineren Münzeinheiten (CASTIGLIONE M O R E L L I DEL F R A N C O / V I T A L E 1 9 8 9 , 1 9 6 f.). U n b e s t r e i t b a r

paßt dieser Befund kleiner Umlaufmünzen in das alltägliche Milieu dieser Stadt (vgl. ETIENNE 1974, 139-220); ob es sich aber um das monetäre Ergebnis eines Arbeitstages gehandelt hat, beweist der Befund nicht. Insgesamt können wir davon ausgehen, daß von den Abertausenden der lokalen Produzenten- und Kleinhändler im römischen Reich nur wenige zu Vermögen oder gar Reichtum gelangt sind. Hervorzuheben ist noch die bedeutende Rolle der Frauen im lokalen Handel. Darauf verweist vor allem der epigraphische und ikonographische B e f u n d (vgl. z . B . KAMPEN 1 9 8 1 ; G Ü N T H E R 1 9 8 7 , 1 2 6 - 1 3 0 ;

EICHENAUER

1988, 83-89). Für ihren Eintritt in diese Berufswelt, die keineswegs mit den bürgerlichen Idealen einer römischen Frau in Einklang zu bringen war, gaben zumeist Abhängigkeitsverhältnisse - als Sklavinnen oder Freigelassene - und eine prekäre ökonomische Situation den Ausschlag. Wie sich im Westen des Reiches lateinische feminine Berufsbezeichnungen in diesem Metier gebildet haben, so ist das ebenso im Osten der Fall. Nach dem papyrologischen Befund lassen sich solche Bezeichnungen in folgenden Sparten nachweisen: a) in Produktion und Vertrieb von Lebensmitteln; b) in Produktion und Vertrieb von Textilien; c) im örtlichen Kleinhandel mit verschiedenen Produkten (vgl. D R E X H A G E 1 9 9 2 ; KRAUSE 1 9 9 4 b , 1 2 3 - 1 6 0 ) .

5.2 Interregionaler Handel Der interregionale Handel konnte sehr unterschiedliche Dimensionen haben. Das betrifft die Wegstrecken, die Händler oder Transporteure mit den Waren bewältigten, und das Volumen der transportierten Waren. Ebenso verschiedenartig waren die Händler, die uns in den Quellen entgegentreten. Ein auf eher lokaler Ebene tätiger Vertreter dieser Sparte war Aristomenes aus Aigion, der in den Metamorphosen des Apuleius (1,5,2) wie folgt dargestellt wird: „Ihr sollt auch hören, mit welchem Gewerbe ich mich am Leben halte: mit Honig, Käse und derartigen Waren für Schenken ziehe ich hin und her durch Thessalien, Ätolien und Boiotien". (Übers, nach R. HELM) Wir mögen Aristomenes als kleinen Krämer empfinden; man kann ihn aber auf keinen Fall als .Produzentenhändler' oder Händler, der seinem Metier in einer Ortschaft und dem angrenzenden Territorium nachgegangen ist, einstufen. Von gänzlich anderem Kaliber muß M. Sennius Metilus gewesen sein, der in Lyon sein Grab gefunden hat:

Interregionaler Handel „ D e n M a n e n des Marcus Sennius Metilus von Trier. Dem Handelsmann in der ruhmreichen Gesellschaft der Händler diesseits und jenseits der A l p e n

deren Vorsteher... "

und

(CIL X I I I 2 0 2 9 ) .

Dieser Mann agierte zunächst im gallisch-germanischen Wirtschaftsraum; seine Geschäftsbeziehungen reichten aber durch die Zugehörigkeit zum corpus negotiatorum Cisalpinorum et Transalpinorum (d. h. der „Vereinigung der dies- und jenseits der Alpen agierenden Händler") bis hin nach Italien. Wiederum ein anderer Typus war im 3. Jh. n. Chr. der porphyropoles (lat. purpurarius) M. Aurelius Alexander Moschianus im phrygischen Hierapolis, der auch Mitglied des dortigen Stadtrates (boule) war. Das setzte eine Vermögenslage voraus, die diesen Mann eher als .Großhändler/Exporteur' auffassen läßt (vgl. PLEKET 1990, 129 mit Anm. 53). Diese Vereinbarkeit von Handelsgeschäften und Zugehörigkeit zu den städtischen Oberschichten kennen wir auch aus dem Westen des Reiches. Hier sei neben anderen aus den gallischen Provinzen nur auf Q. Otacilius Pollinus hingewiesen, der nach der municipalen Karriere und als Angehöriger des gallischen Landtages auch noch als Patron eines corpus venaliciorum (Vereinigung der Sklavenhändler) fungierte (vgl. FREI-STOLBA 1988). Man kann es durchaus so formulieren: Angehörige des ordo decurionum bzw. der boule im Osten haben sich am überregionalen Handel beteiligt (vgl. PLEKET 1984), wie es auch die Angehörigen des Ritter- und Senatorenstandes taten (s.u. S. 165-167). Bei diesem Typus - unabhängig ob er sich konkret und ohne Fassade diesen Geschäften widmete oder im Hintergrund (d. h. für uns: ohne epigraphischen Beleg) agierte - können wir ja ein kraftvolles Kapital voraussetzen und gewinnträchtige Verbindungen zu Angehörigen seines Standes in anderen Städten unterstellen. Einige Zeugnisse geben sogar der Vermutung Raum, daß diese geschäftlichen Beziehungen in familiäre Verbindungen mündeten (vgl. WLERSCHOWSKI 1992). Einen anderen Händlertypus stellt uns Philostrat in seiner vita Apollonii (5,20) vor: Ein Kaufmann belud im Piräus sein eigenes Schiff mit wertvollen Götterbildern, um sie in Ionien (d. h. in Westkleinasien) zu verkaufen. - Es bleibt allerdings offen, ob er einen oder eine Reihe von Häfen anlaufen wollte, und es erhebt sich die Frage: Wie nutzte er den Frachtraum des leer werdenden Schiffs in Ionien? Wir werden in diesem emporos einen unspezialisierten Seehändler vermuten dürfen, der je nach Marktlage Waren an- und verkaufte. An dieser Stelle hätte Philostrat statt emporos auch den Terminus naukleros verwenden können. Der epigraphische Befund der naukleroi im östlichen Mittelmeerbereich und im pontischen Raum legt es in der Regel nahe, in diesen Schiffseigner, Kapitäne, Befrachter und eben Händler in Personalunion zu sehen (vgl. HOLTHEIDE 1982). Daneben verfügen wir über reichlich Informationen aus dem Westen wie aus dem Osten des Imperiums,

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Darstellung/Handel die eine Trennung von Schiffseignern und Händlern dokumentieren (vgl. etwa PLEKET 1990,129). Schiffseigner bzw. Reeder standen für den Transport fiskalischer Güter teilweise im Dienste des Staates, hatten aber bis tief in das 3. Jh. auch immer den Handlungsspielraum für private Geschäfte. Der epigraphische Befund ζ. B. des antiken Arles erlaubt tiefe Einblicke in die Organisation der navicularii. Diese waren ζ. T. eng mit den Transporteuren auf den nahen Flüssen verbunden. So war ein navicularius marinus in Arles nicht nur curator dieser Körperschaft, sondern auch patronus nautarum ... et utriclariorum (CIL X I I 982; vgl. SCHLIPPSCHUH 1974, 8 6 - 1 0 8 ; KNEISSL 1981).

Noch ein Wort zur Terminologie überregionaler Händler: Im Westen und Norden des Römischen Reiches können wir davon ausgehen, in den fast ausschließlich inschriftlich erwähnten negotiatores Handeltreibende größeren Stils zu sehen. In .nennenswerter Häufigkeit' begegnet in Italien dann noch der Begriff mercator, der in der frühen Kaiserzeit eher im überschaubaren geschäftlichen Umfang tätig gewesen ist. Allerdings gab es stets Ausnahmen, wie es zwei Brüder (?) aus Puteoli dokumentieren, die als mercatores Handelsbeziehungen bis nach Alexandreia, Kleinasien und Syrien pflegten (CIL X 1797; vgl. KNEISSL 1983). Im Osten erlaubt die griechische Begrifflichkeit nicht unbedingt solche globalen Zuweisungen. Zwar verbindet man in der Forschung den Terminus emporos mit Großhandel (zur See) und kontrastiert diesen mit dem kapelos dem Kleinhändler/Krämer - , wir kennen aber auch kapeloi, die ebenfalls im Seehandel tätig gewesen sind (vgl. ROUGÉ 1966, 270-274). Zudem läßt der papyrologische Befund im dörflichen Milieu emporoi erkennen, deren ökonomischer Standort sich nicht erkennbar von dem der kapeloi abgehoben hat (vgl. DREXHAGE 1991c). Vergleichbare Zuweisungsschwierigkeiten haben wir bei den griechischen Berufsbezeichnungen, die aus Komposita mit den Endungen -poles/-prates bestehen. Es bereitet aber keine Probleme, in dem schon erwähnten porphyropoles M. Aurelius Alexander Moschianus einen Händler gehobenen Stils zu sehen. Er hatte Vermögen und handelte mit einem Luxusprodukt. Bei vielen anderen spezialisierten Händlern ist jeweils eine gesonderte Betrachtung vonnöten, wie es jüngst mit den Weinhändlern {oinemporoi, oinopolai, oinopratai) geschehen ist (vgl. RUFFING 1997, 131-134). Wie oben angedeutet, schlössen sich Händler in collegia bzw. corpora zusammen. Gemeinhin werden als Hauptanliegen solcher Vereinigungen die Pflege religiöser Bedürfnisse und der Geselligkeit angeführt. Ebenso - man kann schon sagen: rituell - wird in einem Nachsatz zumindest nicht in Abrede gestellt, daß auch wirtschaftliche Ziele im Interesse der Mitglieder verfolgt wurden (vgl. ζ. B. SCHLIPPSCHUH 1974, 122f.). Drehen wir doch die Sache einfach um: Uberregionale Händler neigten zu Vereinsbildungen, um

Interregionaler Handel wirtschaftliche Interessen zu verfolgen; in ihren Vereinshäusern und anläßlich ihrer Treffen wurde selbstverständlich die Geselligkeit gepflegt, und analog zu allgegenwärtigen antiken Gepflogenheiten, stiftete man Tempel und Statuen, verrichtete Opfer usw. Es soll hier nur angedeutet werden, daß in manchen Regionen des Reiches eine weitläufige Vernetzung des Handels eindeutig dokumentiert ist (vgl. zu den Vereinen der Händler im Nordwesten SCHLIPPSCHUH ebd. 109-123; weitere Beispiele bei PLEKET 1990,132f.). Eine Vernetzung des überregionalen Handels zeigt sich auch in der Betriebsamkeit einzelner familiae. Die händlerische Aktivität eines Sextus Fadius Secundus Musa umspannte Rom, Ostia, Spanien und die Gallia Narbonensis. Sein Name und der seiner Freigelassenen befinden sich auf südspanischen Amphoren, die in Rom auf dem Monte Testaccio (vgl. RODRÍGUEZ ALMEIDA 1984) gelandet sind und auf Inschriften in Ostia (vgl. D'ARMS 1990, 381). Solche .associations familiales' können wir auch in den Angehörigen der Olitii, die in Rom und Narbonne bezeugt sind, und in den mit Narbonne und Sizilien verbundenen Aponii sehen (PLEKET 1990, 41 mit weiteren Beispielen). An dieser Stelle darf ein Hinweis auf den berühmten .Piazzale delle Corporazioni' in Ostia nicht fehlen. Hier befand sich offenbar ein ,Handelshof' mit Geschäftsräumen von über 60 Büros(?), in denen offensichtlich Aufträge und sonstige Geschäfte, jedoch kein Waren transfer, abgewickelt wurden. Mosaike vor diesen Räumen geben Informationen über Heimatorte der Niederlassungen (vgl. z. B. MEIGGS 1973,283-287; HABERMANN 1982,41). Selbstverständlich kennen wir auch solche Verflechtungen/Vernetzungen des überregionalen Handels im Osten des Reiches. Alexandrinische Uberseehändler etwa unterhielten in der westpontischen Hafenstadt Tomis ein „Haus der Alexandriner" (oikos ton Alexandreon·, ISM II 153); Reedervereinigungen, die über eigene „Häuser" verfügten, kennen wir außer in Tomis auch in Nikomedeia und Amastris (vgl. HOLTHEIDE 1982 mit weiteren Beispielen). Die Frage nach dem Umfang dieses weitflächigen Handels kann man mit den bisher vorgestellten Quellen nicht einmal ansatzweise beantworten. Erst die systematische Einbeziehung des archäologischen Befundes läßt Konturen zeichnen. Insbesondere der Amphorenbefund, dem seit einigen Jahren intensive Aufmerksamkeit zuteil geworden ist, erhellt viele Aspekte des weitläufigen Handels. In der einschlägigen Forschung geht es hauptsächlich um die Typologie, die Herkunft und Verbreitung der unterschiedlichen Tonbehälter. Aufschriften und Stempel erlauben Einblicke in ihre Produktion und auch über die Organisation des Handels (vgl. M 36). Mit naturwissenschaftlichen Analysen kann man vielfach die Herkunft von Amphoren klären und ebenso die Inhalte bestimmen. Wenn wir uns nochmals vor Augen halten, daß es sich auch im überregionalen Handel zu sehr großen Teilen um die Distribution von Lebensmitteln gehandelt hat, wird der Wert dieser Quellen noch deutlicher (vgl. PEACOCK/WILLIAMS 1986).

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Darstellung/Handel Sehr nützliche Ergebnisse liefert jeweils der auf Ortschaften, Städte, Militäransiedlungen konzentrierte Befund. Hier können nur wenige Beispiele gegeben werden. So stellen sich etwa die Lebensmittelimporte in Äugst/ Kaiseraugst wie folgt dar: 5 2 % aller Behälter (d. h. unterschiedliche Amphorentypen) belegen Importe von der iberischen Halbinsel (Ol, Wein, Fischsaucen, eingelegte Oliven); in 3 8 % der Behälter wurden gallische Produkte eingeführt (Wein, Fischsaucen, Oliven); 3 % stammen aus Italien (Wein, Olivenöl, Fischsaucen); 6 % der Behälter dokumentieren Importe aus dem Ostmittelmeerraum (Weine aus Kos, Rhodos, Kreta, Knidos und Kleinasien; Datteln, Feigen); weniger als 1 % der Amphoren weist auf Importe aus Nordafrika (vgl. MARTIN-KILCHER 1994 a, 478-493). In Carnuntum erfolgte nach dem amphorologischen Befund die Versorgung auf anderen Wegen: Im 1. und frühen 2. Jh. wurde Wein aus Süditalien und Rhodos, Olivenöl aus dem istrischen bzw. norditalischen Raum eingeführt; Fischsaucen und Olivenöl in kleinen Mengen - kamen aus Südspanien; im 3. Jh. n. Chr. erfolgten Importe auch vereinzelt aus Nordafrika und dem östlichen Mittelmeerraum (vgl. GASSNER 1 9 8 9 ) .

Interessant ist auch die Beobachtung der Distribution bestimmter Waren hier: ihrer Transportbehälter - im gesamten Reich. Wein aus Kreta wurde in leicht erkennbaren Amphoren (Formen: Knossos 1/AC 1 u. Dressel 43/AC 2) verhandelt. Diese Amphoren sind an der Küste Nordafrikas, in Italien, Gallien, im Oberrhein-und Moselraum, Britannien, vereinzelt auch in Griechenland, an der westlichen Pontosküste und der Westküste Kleinasiens sowie auf Zypern gefunden worden (vgl. MARTIN-KILCHER 1994 b, 115 u. Abb. 8). Uber sehr weite Strecken sind hauptsächlich Datteln, aber auch Feigen und Oliven in der kleinen spitz zulaufenden Amphore vom Typ Camulodunum 189 transportiert worden - möglicherweise von Ägypten bis nach Gallien, Germanien und in erstaunlichen Mengen nach Britannien (vgl. M 37). Ebenso aufschlußreich ist die Amphorenanalyse einigermaßen fest umrissener Regionen. So wurde in Nordwestgallien Wein aus Italien, Spanien, Gallien, Griechenland, Nordafrika und dem östlichen Mittelmeer konsumiert; rund zwei Dutzend Amphorentypen bestätigen seinen Import. Fischsaucen kamen in diesen Raum vor allem aus der Baetica und Marokko in ca. 1 5 T y p e n v o n A m p h o r e n (vgl. B A U D O U X 1 9 9 6 ) .

Das in den bauchigen Amphoren vom Typ Dressel 20 (vgl. M 3 6 ) vertriebene baetische Olivenöl spielte eine herausragende Rolle. Im 2. Jh. wog diese Amphore gefüllt etwa 100 kg, wovon das Fassungsvermögen etwa 70 kg betrug. Allein von diesen Amphoren sind vermutlich mehr als 40.000 während des ca. 30jährigen Aufenthaltes der legio X Gemina nach Nimwegen gelangt (JACOBSEN 1995, 153); ungefähr 50.000 mögen in den ersten drei Jahrhunderten die Colonia Augusta Rauricorum erreicht haben (MARTIN-

Interregionaler Handel KILCHER 1987, 193-196). Auf den ersten Blick sind das ungeheure Quantitäten, die sich allerdings auch wieder relativieren, wenn wir bedenken, daß nach dieser Hochrechnung ,nur' ca. alle 2 Tage über eine Zeitspanne von 250 Jahren eine Dressel 20-Amphore in die Kolonie gelangte. Solche Hochrechnungen sind selbstverständlich vielfach angestellt worden. Eine weitere sei in diesem Zusammenhang noch genannt: Der jährliche Import italischen Weines in Gallien soll in spätrepublikanischer und früher Kaiserzeit 120.000 hl umfaßt haben. Dieser wurde fast ausschließlich in Amphoren des Typs Dressel 1A abgehandelt, welche 20 bis 25 1 Fassungsvermögen hatten. Danach mußten also jährlich mindestens 480.000 solcher Transportgefäße produziert werden. Bei einer angenommenen Schiffsladung mit 5000 Amphoren hätten jährlich 96 Frachter von Italien zu den südgallischen Häfen den Transport bewältigt (JACOBSEN 1995, 27 f.). Vielfältige weitere archäologische Befunde ermöglichen es uns, Handelsrichtungen im Römischen Reich zu eruieren. So stammen etwa die nachgewiesenen Importe im Bereich der Schwarzmeerküste - von Odessos bis zum Donaudelta - aus Griechenland, Kleinasien, Syrien und Ägypten, während weiter landeinwärts entlang der unteren Donau hauptsächlich Produkte italischer Werkstätten gefunden wurden (vgl. BOUNEGRU 1988).

Die imposante Distribution von Terra Sigillata ist ebenso erhellend (s. o. S. 105). So war in der römischen Hafenstadt Baelo Claudia (heute: Belo) an der Straße von Gibraltar im 1. Jh. n. Chr. Terra Sigillata aus dem südgallischen La Graufesenque (vgl. M 44) marktführend; im 2. Jh. herrschte dort afrikanische Terra Sigillata vor. Auch im landeinwärts gelegenen Coimbra im Westen der hispanischen Halbinsel ist die südgallische Terra Sigillata zeitweise führend vertreten (30% von insgesamt 5281 gefundenen Gefäßen). Während Belo ausschließlich über See mit dieser Ware (wohl als Beiladung anderer Fracht) versorgt worden ist, gelangte die Terra Sigillata nach Coimbra (zumindest teilweise) auf dem Landwege (vgl. BOURGEOIS/MAYET 1991). Südgallische Keramik hatte im späten 1. Jh. n. Chr. auch in Britannien eine marktführende Position erreicht (vgl. MARSH 1981, 207). Die Palette der Keramikprodukte, die über weite Strecken verhandelt worden sind, ist ungemein vielfältig. Dabei muß es sich nicht unbedingt um hochwertige - z. T. luxuriös anmutende - Terra Sigillata aus marktbeherrschenden Werkstätten gehandelt haben (Arezzo, La Graufesenque, Lezoux, Rheinzabern, Westerndorf). Ebenso wurden einfache Produkte, die allerdings in keinem Haushalt fehlen durften, millionenfach hergestellt und in großen Kapazitäten weiträumig verteilt. Zu diesen zählten die Ollampen: Hier seien nur die Produkte eines Gaius Iunius Draco aus Nordafrika genannt, die in unzähligen Häusern auf der hispanischen Halbinsel Licht spendeten (vgl. HALEY 1990).

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Darstellung/Handel Auch mehr oder weniger wertvolle Baugesteine und Baumaterialien gehörten zu den Handelsgütern. Das ist um so erwähnenswerter, als es sich um Güter mit hohem Transportwiderstand handelt. Immerhin waren manche Materialien begehrenswert' genug, um für Händler einen aufwendigen Transport gewinnorientiert zu organisieren. Schiffswracks aus dem gesamten Mittelmeer bezeugen dieses händlerische Engagement, das in diesen Fällen allerdings nicht den gewünschten Erfolg zeitigte (vgl. M 23). Eindeutig ist im römischen London ägyptisches Gestein verbaut worden. Porphyr aus der östlichen Wüste Ägyptens gelangte schon im späten 1. Jh. n. Chr. nach Colchester; andere Gesteine aus ägyptischen Steinbrüchen sind ebenfalls nachweisbar. Bei diesen extremen Entfernungen kann man allerdings nicht von einem Direktimport von Alexandreia - via Straße von Gibraltar - bis London ausgehen. Wir wissen von Lagerstätten für wertvolles Gestein aus dem ganzen Imperium in Ostia und Rom (vgl. MAISCHBERGER 1997). Uberschüsse, die nicht der Verbauung in Rom dienten, scheinen dann weiter versandt worden zu sein, und gelangten so in überschaubaren Kapazitäten nach Britannien (vgl. PRITCHARD 1986; ferner DREXHAGE 1998, 194 f.). Produktion und überregionaler Vertrieb von Textilien bzw. Kleidungsstücken ist nach vorliegendem Quellenbestand in umfangreichem Maße betrieben worden. Die Organisation von der Beschaffung der Rohwolle und -fasern bis zum Vertrieb der Endprodukte kann bisweilen mit einem ,Heimarbeits- und Verlagssystem' verglichen werden, wie es die Sockelreliefs der Igeler Säule und Papyrustexte aus Ägypten nahelegen (vgl. MEHL 1997; oben S. 111). Die Secundinii aus Trier waren zweifellos vermögende Leute. Beispiele für erfolgreiche Persönlichkeiten im Textilgewerbe/-handel besitzen wir aber auch noch aus vielen weiteren Regionen des Imperiums. Aus Augsburg stammt die Inschrift eines negotiator (artis) vestiariae et lintiariae (i. e. eines Händlers mit Kleidern und Leinen), der selbst dem städtischen Rat angehörte; sein Sohn avancierte in den Ritterstand (vgl. KUHOFF 1984, 91 f.). Freigelassene erwirtschafteten etwa als purpurarii (Purpurstoffhändler) Vermögen, die ihren Nachkommen den sozialen Aufstieg ermöglichten (PLEKET 1990, 130f.). Vielseitig war ζ. B. der Freigelassene Q. Remmius Palaemon (vgl. MRATSCHEK-HALFMANN 1993, Nr. 184); er zog sein Vermögen aus einer Grammatikschule (schola), aus Weingärten bei Nomentum und aus „Werkstätten für die Herstellung von für den Markt bestimmten Gewändern". Dieser Mann wird gewiß auch den Handel mit seinen Textilprodukten in der Hand gehabt haben. Ob sich die Geschäfte für gallische Textilhändler in Italien oder für italische Branchenkollegen in Gallien ebenso gelohnt haben, wissen wir nicht, obwohl einige Belege für solche kommerziellen Kontakte vorliegen (vgl. WLERSCHOWSKI 1995, 127).

Interregionaler Handel Die Geschäftsbeziehungen der überregionalen Textil-/Kleiderhändler erstreckten sich über viel weitere Distanzen. In Lyon war ein negotiator Laudecenaurius namens Iulius Verecundus ansässig (vgl. ROUGÉ 1977); seine Ware - Gewänder - wird er höchstwahrscheinlich aus dem phrygischen Laodikeia bezogen haben (PLEKET 1990, 130). Beziehungen bis Syrien kann man einem negotiator artis purpurariae im römischen Augsburg unterstellen; erstens war er selbst syrischer Abstammung, und zweitens weist seine Ware in den Osten des Reiches (KuHOFF 1984, 92 f.). Über den Umfang des Warenumschlages in diesem Metier gibt es nur Vermutungen. Man ist aber gut beraten, ihn nicht als gering einzuschätzen, was vehement auch H.-W. PLEKET vertritt (1990 passim). Hier sei nur auf die ägyptische Gaumetropole Oxyrhynchos verwiesen, in der nach einer bedenkenswerten Interpretation eines Papyrustextes (P. Oxy. Hels. 40, 2./3. Jh. n. Chr.) pro Jahr ca. 100.000 einfache Kleidungsstücke produziert worden sein sollen (vgl. VAN MINNEN 1986).

Bislang sind mehr oder weniger spektakuläre Informationen für die Skizzierung des überregionalen Handels herangezogen worden. Wir müssen uns aber vor Augen halten, daß jede größere Ortschaft in irgendeiner Form Anteil am Warenaustausch hatte. Dies gilt ebenso für die unzähligen kleinen Inseln im Ägäisraum, die ja alle zumindest den theoretischen Vorteil hatten, als Zwischenstationen oder als Exporteure wie als Importeure am Seehandel zu partizipieren. Hier sei die kleine Vulkaninsel Nisyros - zwischen Kos und Rhodos gelegen - erwähnt. Strabon schrieb, dieses Inselchen sei reich an Mühlsteinen, weswegen die Nachbarn reiche Zufuhr von solchen Steinen hätten; zudem verfüge Nisyros über einen Hafen (Strab. 10,5,16). Diese Mühlsteine werden mehrmals in der antiken Uberlieferung erwähnt (ζ. B. Anth. Pal. 9, 21); sie hatten also einen gewissen Bekanntheitsgrad. Und in der Tat gelangte schon im 4. Jh. v. Chr. ein solcher Mühlstein auf einem griechischen Handelsschiff bis Mallorca, wo der Frachter havarierte (vgl. WILLIAMS-THORPE/THORPE 1990). In römischer Zeit können wir nach dem sehr überschaubaren Befund konkret von einem Handel sprechen. Mühlsteine aus Nisyros wurden in Nekromanteon und Nikopolis (Westgriechenland) und Thasos (Nordgriechenland) gefunden (vgl. WILLIAMS-THORPE 1988, 282f. 285. 293. 301). Der Bimsstein von Nisyros gehörte nach dem älteren Plinius zu den begehrtesten Gebrauchsgesteinen in der römischen Welt (Plin. nat. 36,154); seine vielfachen Verwendungsmöglichkeiten (vgl. BLÜMNER 1897, 473 f.) lassen an eine weitläufige Verbreitung denken. Ebenso kannte Plinius eine Heilpflanze von Nisyros, die bei verschiedenen Beschwerden Anwendung finden konnte (Plin. nat. 24,112 f.). Auch mit diesem Naturprodukt ist eine Beteiligung am überregionalen Handel vorstellbar (vgl. zum Medikamentenhandel etwa HÄNDEL 1985b). Weitere Güter sind denkbar bzw. nachweisbar - z . B .

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Darstellung/Handel Obsidian von der nahegelegenen Insel Giali, Wein von dem fruchtbaren vulkanischen Boden usw. Wir wissen auch um die Präsenz von Nisyrenern auf verschiedenen Inseln in der Ägäis, auf dem kleinasiatischen Festland und im ptolemäischen Ägypten; das deutet zwar nicht unbedingt auf Handel, zeugt aber zumindest von einer Migrationsfreudigkeit der Inselbewohner. Kurz - unsere Kenntnisse über die ,Feinvernetzung' des überregionalen Handels sind nur oberflächlicher Natur.

5.3 Außen- bzw. Fernhandel 5.3.1 Nordhandel Hierunter verstehen wir den Güteraustausch entlang des Rheins, des Limes und der Donau bis zum Schwarzen Meer. Insbesondere der Handel mit der Germania libera hat in vielfältigen Quellen seinen Niederschlag gefunden. Unsere Kenntnisse über die Importe in das Römische Reich fußen hauptsächlich auf der literarischen Uberlieferung. Die Importe kann man in Produkte des .kleinen Grenzverkehrs' und (in der Regel) luxuriöse Produkte, die in das Innere des Reiches gelangten, einteilen. Zu den ersten gehörten vor allem Getreide, das auch als Tributforderung die Grenze passierte (vgl. ζ. B. Cass. Dio 73,2), und Nutzvieh, das nach Tacitus unansehnlich und von geringer Größe war (Tac. ann. 4,72,2; vgl. STOLL 1997). Beide Produkte scheinen vornehmlich der Versorgung der in diesen Grenzräumen stationierten römischen Truppen gedient zu haben. Zu den Waren, die bis tief in das Reich gelangten, gehörten etwa Haarfärbemittel und blondes Haar, das - zu Perükken verarbeitet -

eine Zeitlang in der Stadt R o m hoch in Mode war

(TAUSEND 1987, 222 f.). In geringem Maße haben germanischer Schinken oder eine eßbare Pflanze namens siser den Weg nach R o m gefunden (Mart. 13,54; Plin. nat. 19,90; Hör. sat. 2,8,9). Pelzimporte über oder aus dem freien Germanien sind im größeren Maße erst seit der Spätantike erfolgt (TAUSEND ebd. 2 2 0 - 2 2 2 ) . Über den Umfang der Einfuhr germanischer Sklaven, auf die indirekt wohl auch der in Köln verstorbene mango

(Sklavenhändler)

C. Aiacius hinweist (vgl. C I L X I I I 8348, 1. Jh. n. Chr.), gibt es verschiedene Vorstellungen. Fest steht nur, daß sie als Leibwächter, Sänftenträger und Gladiatoren eingesetzt wurden (TAUSEND ebd. 2 2 4 - 2 2 6 ) . Das wohl wichtigste und wertvollste Importgut stellte der Bernstein dar. Aus diesem wurden Gefäße, Schmuck und Amulette gefertigt. Berühmt ist die Expedition unter Führung eines römischen Ritters zur Ostsee, um für die Ausrichtung von Spielen zur Zeit Neros größere Mengen dieses kostspieligen Materials nach R o m zu bringen (Plin. nat. 3 7 , 4 3 - 4 5 ) . Obwohl das Unternehmen nicht als Handelsexpedition zu verstehen ist, dokumentiert

Außen- bzw. Fernhandel es doch die Wertschätzung dieses Importgutes. Die Organisation des Bernsteinhandels oblag bis zur Reichsgrenze (hier Carnuntum) germanischen Händlern (Plin. ebd.). Uber Aquileia gelangte das begehrte Gut nach Italien ( v g l . Ζ. Β. WLELOWIEJSKI 1984).

Der Export in die Germania libera und darüber hinaus war nach dem archäologischen Befund vielfältiger und voluminöser. Dieses Faktum wirft allerdings ein Problem auf. Womit .bezahlten' die Empfänger römischer Importware im freien Germanien? Zu einem Teil sicher mit den genannten Waren, zum Teil aber auch mit römischem Geld. Dieses selbst - vor allem Silberprägung - kam als .Ware' über die nördliche Reichsgrenze. In erheblichem Umfang gelangten auch Subsidien in diesen Raum (s. o. S. 55 f.); ebenso sind bezahlte Dienstleistungen eine Geldquelle gewesen (vgl. WOLTERS 1991, 106-116). Münzhorte in weiten Teilen des gesamten germanischen Raumes zeigen überdies, daß das .Verhalten' der dort lebenden Menschen - besonders im 2. Jh. n. Chr. - gegenüber dem Geld nicht grundsätzlich von dem innerhalb der Reichsgrenzen abgewichen ist (vgl. WOLTERS/STOESS 1985). Man spricht auch von einer .sekundären Geldwirtschaft', in deren Rahmen römische Denare als Zahlungsmittel in das Römische Reich zurückflössen (LUND HANSEN 1987, 230). Insofern könnte man von einer ausgeglichenen .Handelsbilanz' während der ersten beiden Jahrhunderte sprechen. Was gelangte nun an wichtigen Waren in die Germania libera, in die Gebiete nördlich der Donau und in den skandinavischen Raum? Ohne daß die Reihenfolge eine Wertigkeit beinhalten soll, waren es Keramikprodukte vom einfachen Haushaltsgeschirr bis zu hochwertiger Terra Sigillata, die weiter streute, wobei die Herkunft dieser Ware sehr unterschiedlich war. Es finden sich sehr wenige Stücke italischer Herkunft; süd- und mittelgallische Sigillaten stellten größere Kapazitäten, ferner die Erzeugnisse aus Trier, Rheinzabern und Westerndorf (vgl. BERKE 1990, 51-69; LUND HANSEN ebd. 182-185); Bronzegefäße, die insbesondere in germanischen Nekropolen gefunden wurden, und Glasprodukte gehörten zu den Luxusgütern (BERKE ebd. 2 - 5 0 ; LUND HANSEN ebd. passim; KUNOW 1983, passim). Diese Waren mußten sich nicht gegen einheimische Konkurrenz durchsetzen, wie es ζ. B. den nach Germanien exportierten Fibeln nur teilweise gelang (vgl. COSACK 1979). Als weitere Waren sind noch Silbergeschirr (-löffei), Waffen, Bronzestatuetten, Fingerringe und Textilien anzuführen (vgl. LUND HANSEN ebd. 224-229). Von wem der Handel in der Germania libera getragen wurde, wird unterschiedlich beantwortet. J. Kunow plädiert für eine große Beteiligung römis c h e r H ä n d l e r (KUNOW 1983; DERS. 1985 b), U . LUND HANSEN d a g e g e n f ü r

das Modell einer schrittweisen Distribution durch Germanen (Geschenkvergabe, Tauschhandel; vgl. LUND HANSEN 1987, 216-218; M 54).

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Darstellung/Handel

5.3.2 Osthandel Noch besser sind die Handelsbeziehungen des Reiches mit Arabien, Indien und China dokumentiert und entsprechend haben sie erhebliche Forschungsinteressen auf sich gezogen (vgl. ζ. B. die Bibliographie bei RASCHKE 1978, 1076-1213). Über die größere Intensität gegenüber dem Nordhandel besteht in der Forschung Einigkeit. Während über den Nordhandel außer Bernstein luxuriöse Produkte bzw. Waren in sehr überschaubarem Umfang in das Reich gelangten, wurden aus dem Osten eine Reihe von Waren importiert, die als luxuriös bezeichnet werden müssen. Bisweilen wird versucht, die Qualität mancher Waren zu relativieren, indem man sie der Alltäglichkeit zuzuordnen sucht. Gewiß fand Weihrauch im Kultbetrieb des ganzen Reiches Verwendung (vgl. MÜLLER 1978); es ist auch richtig, daß Pfeffer samt anderen Gewürzen in horrea piperataria (Pfeffer-/Gewürzspeicher) in Rom sachgerecht gelagert wurde (vgl. RLCKMAN 1971, 104-106), um bis in den Norden und Westen des Reiches weiterverhandelt zu werden (vgl. ζ. B. SCHWINDEN 1985). Die allgemeine Verwendung nimmt aber diesen Waren nicht ihre Exklusivität. Der Handel erfolgte zu Lande und zu Wasser, wobei in römischer Zeit die Landrouten schon seit Jahrhunderten bekannt waren und von den jeweilig ansässigen Völkern kontrolliert worden sind (vgl. HAUSSIG 1983). Die Funktion dieser Völker als .middlemen' bzw. Transithändler wird bisweilen bestritten oder relativiert (vgl. RASCHKE 1978, 637-650); diese Meinung hat sich aber nicht durchgesetzt. Mit der Erschließung der Monsunrouten gegen Ende des 2. Jh. v. Chr. bekam der Fernhandel mit Indien und Ceylon eine neue Dimension. Nach dem älteren Plinius gab es drei Schiffahrtswege: 1. von Syagron, einem Vorgebirge an der Südküste Arabiens, nach Patale an der Indusmündung; 2. von Syagron nach Zigeros (südlich vom heutigen Bombay); 3. von Okelis nach Muziris (an der Küste von Malabar; vgl. Plin. nat. 6,100f.; 6,104). Von den Häfen am Roten Meer - bes. Myos Hormos - wurden die Waren mit Kamelen nach Koptos am Nil und dann weiter nach Alexandria transportiert (vgl. Strab. 17,1,45; Plin. nat. 6,102 f.). Eine Hin- und Rückreise wird ca. ein halbes Jahr in Anspruch genommen haben (vgl. CASSON 1 9 8 4 b, 1 9 0 - 1 9 2 ) .

Waren aus China nahm man in der Regel in den westindischen Häfen auf; direkte Kontakte mit China - über den Land- bzw. Seeweg - werden nur selten vorgekommen sein. Berühmt ist die Information aus chinesischen Quellen, daß zur Zeit Mark Aurels erstmalig Römer bis zur chinesischen Hauptstadt vorgedrungen seien und die Behinderung des Handels durch die Parther beklagt hätten (vgl. FERGUSON 1978, 594 f.). Andererseits waren durchaus Kenntnisse über den hinterindischen Seeraum vorhanden, die aber allem Anschein nach nicht oder nur in geringem Umfang von aus dem

Außen- bzw. Fernhandel Mediterraneum stammenden Händlern kommerziell genutzt worden sind (vgl. D I H L E 1 9 7 8 , 5 7 4 - 5 8 0 ) .

Eine zentrale Rolle im Handel auf dem Landweg spielte Palmyra. Kaufleute dieser Stadt haben im 1. und 2. Jh. n. Chr. den Karawanenhandel umfassend organisiert. Sie beherrschten das Handelsgeschehen vom Persischen Golf an, hatten Handelsniederlassungen etwa in Seleukeia, Babylon, Vologesias und Spasinou Charax und auch am Roten Meer. Wahrscheinlich einmal pro Jahr wurde eine Karawane mit Hunderten von Kamelen und begleitendem Personal finanziert; der erfolgreiche Abschluß eines solchen Unternehmens - d. h. die Rückkehr der Karawane nach Palmyra - fand in Ehrungen für die Verantwortlichen seinen Niederschlag (Inschriften, Statuen). Nach dem Gesamtbefund kann das 2. Jh. n. Chr. als die große Zeit des palmyrenischen Karawanenhandels gelten (zu allen Aspekten R. DREXHAGE 1988). Die importierten Waren sind - wie oben schon angesprochen - Luxusgüter für den privaten und .öffentlichen' Gebrauch gewesen (zu Weihrauch, Aromata, Gewürze vgl. MILLER 1969). Die große Nachfrage nach Seide wurde ausschließlich über den Ostimport gedeckt (RASCHKE 1978, 606-637). Elfenbein mußte vor allem aus Indien eingeführt werden (vgl. KOLLWITZ 1959).

Uber die Waren, die im Gegenzug in den fernen Osten exportiert worden sind, gibt eindrucksvoll der Periplus maris Erythraei Auskunft (vgl. CASSON 1989). Landwirtschaftliche Produkte (Ol, Oliven, Getreide, Wein) und Textilien wurden regelmäßig nach Indien verfrachtet. Außerdem ist durch archäologische Funde in Indien ein nicht unerheblicher römischer Export von Keramik-, Metall- und Glasprodukten nachgewiesen (BEGLEY/DE PUMA 1991). Insbesondere der Indienhandel wird bisweilen als ausgeglichen erachtet (vgl. z. B. DLHLE 1998, 27); aber schon in der Antike wurden Gegenstimmen laut. Der Edelmetallabfluß bereitete Sorge. Nach dem älteren Plinius (nat. 12,84; vgl. 6,101) wurden wegen des Luxusbedürfnisses der römischen Frauen jährlich 100 Mio. HS für Waren aus Indien, China und Arabien aufgewendet. In gewisser Weise bestätigen reiche Funde römischer Münzen vor allem in Südindien (Emissionen seit Augustus) und Ceylon (Emissionen seit Claudius) diese Sicht (vgl. TURNER 1989; WALBURG 1985).

Uber das Volumen des römischen Osthandels kann man durchaus sehr unterschiedlicher Meinung sein. Vor allem fehlen uns konkrete Maßstäbe. Von größtem Interesse ist deshalb der Papyrus SB 18/13167 aus dem 2. Jh. n. Chr. (vgl. M 55), der die bislang einzige Quelle über den Wert einer Schiffsladung indischer Waren ist. Bedenkt man in diesem Zusammenhang die Bemerkung Strabons, schon in augusteischer Zeit seien jährlich 120 Schiffe von Myos Hormos nach Indien gefahren (Strab. 2,5,12), hat man eine vage Vorstellung. Hinzu kommen die auf Kamelen via Palmyra und aus

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Darstellung/Handel Arabien transportierten Güter. Als Käufer kamen natürlich nur die Angehörigen der Oberschichten in Frage, die bereit und in der Lage waren, horrende Preise zu bezahlen, die nach dem älteren Plinius das Hundertfache der Preise in Indien betragen haben sollen (Plin. nat. 6,101).

5.4 Landtransport Die Diskussion über die Rolle des Landtransportes in der antiken Wirtschaft ist von gewichtigerer Bedeutung, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Eine Beschreibung seiner Ineffizienz liefert Argumente im Sinne Finleys und die Infragestellung dieser Ineffizienz könnte zum Vorwurf führen, der Sicht Rostovtzeffs über die kaiserzeitliche Wirtschaft neues Terrain zu ebnen. Im allgemeinen geht man in den letzten Jahren von einer Leistungsschwäche und Unwirtschaftlichkeit des Landtransportes aus, um damit nicht nur die Grenzen des Handels, sondern allgemein auch der Ökonomie zu markieren. Es mehren sich aber - immer noch vereinzelt - Stimmen, die mit der allgemeinen Forschungssicht nicht harmonieren. So stellt sich die ζ. B. die Frage, ob bei der Anlage aller viae publicae politisch-militärische Motive im Vordergrund standen. Weitgehend ausschließen können wir solches schon für die Staatsstraßen auf regionaler und lokaler Ebene, für deren Bau und Unterhaltung die Kommunen gänzlich aufkommen mußten (vgl. dazu AUSBÜTTEL 1998, 101103), und völlig für die unzähligen ungepflasterten Dorfstraßen, Trassen, Wege und Trampelpfade. Obwohl solche .Nebenstraßen und -wege' bislang wenig erforscht sind, steht eines fest: In beinahe allen Regionen des Imperiums existierte ein engmaschiges Streckennetz, welches einen regionalen und auch überregionalen Handel zu Lande enorm begünstigte (vgl. CHEVALLIER 1997; SCHNEIDER 1992,180 Lit.). Grundsätzlich gab es ja nur drei Möglichkeiten, Waren zu Lande zu bewegen: durch Menschen als Lastträger, Esel, Maultiere und Kamele als Lasttiere und Wagen mit Zugtieren. Im örtlichen Handel mag vornehmlich der Mensch als Lastträger fungiert haben. Uber kurze Strecken kann ein Mann durchaus 50 kg bewältigen; seine Belastbarkeit vermindert sich dann aber sehr schnell. Ungleich effektiver waren da schon Lasttiere. Uber die Tragekapazitäten von Eseln und Kamelen in den Wüstengebieten des Imperiums sind wir recht gut durch den papyrologischen Befund, aber auch durch die zoologische Literatur informiert: Das übliche Lastgewicht für einen Esel betrug ca. 90 kg, für ein Kamel ca. 180 kg und für ein Maultier 9 0 - 1 2 0 kg (vgl. HABERMANN 1 9 9 0 ) .

Konnte ein so belasteter Esel durchaus 45 km pro Tag auf ebenem Terrain bewältigen, absolvierten Maultiere in den nördlichen Regionen des Reiches problemlos größere Distanzen. Am langsamsten waren die Ochsengespanne,

Landtransport die je nach Beladung des Wagens ca. 10 km pro Tag bewältigen konnten (vgl. etwa YEO 1946; SCHNEIDER 1982); andere Forscher gehen allerdings von einer höheren Tagesleistung aus -z.B.

16 km bei 5 Stunden pro Tag (vgl.

HOPKINS 1983, 104). Ein hartnäckiger Mythos bis in die jüngste Forschung ist, daß man in römischer Zeit keine geeigneten Anspannmethoden für Pferde entwickelt habe, um ihre größere Zugkraft zu nutzen und dem Landtransport mehr .Schnelligkeit' zu verleihen. Dieses mit bestimmter Zielrichtung gebrauchte

Argument

hat sich

inzwischen

als falsch

RAPSAET 1982, 2 1 5 - 2 5 1 ) . Ebenso falsch ist die antike Verordnungen zum cursus

clavularis

herausgestellt

(vgl.

maßgeblich auf spät-

(staatlicher

Transportdienst)

fußende - Meinung, die hölzernen Achsschenkel und Achsen hätten das Ladegewicht der Wagen auf maximal eine halbe Tonne begrenzt und so den Verkehr zu Lande zusätzlich beeinträchtigt (vgl. zu Cod. Theod. 8,5,17 u. 30 [364 bzw. 368 n. Chr.] POLFER 1991, 2 7 4 - 2 7 6 ) . Eine Reihe von römischen Wagentypen war nach M. Polfer im Gegenteil sogar solide und effizient genug konstruiert, um Lasten von einer Tonne pro Pferdegespann über längere Strecken zu befördern (vgl. ebd. 2 7 6 - 2 8 4 ) . U m die Unwirtschaftlichkeit des Landtransportes zu .beweisen', wird stereotyp auf den von Cato beschriebenen Transport einer Ölmühle verwiesen (agr. 22,3). Nach den dort gelieferten Informationen verdoppelte sich der Preis für die Mühle schon nach einem Transport von rund 100 km (vgl. PEKÁRY 1994 b, 184; andere Ergebnisse bei SCHNEIDER 1982, 89 mit Anm. 25). Als weitere Berechnungsgrundlage dienten immer wieder die entsprechenden Angaben im Höchstpreisedikt Diokletians aus dem Jahre 301 n. Chr. Darauf basierend verdoppelte sich nach M. I. FINLEY (1977, 148) der Preis für eine Wagenladung Weizen bereits nach einer Wegstrecke von ca. 500 km. Die von R. DUNCAN-JONES getätigten Berechnungen mit Vergleichen aus England (1982, 3 6 6 - 3 6 9 ) führten zu folgendem Ergebnis: Die Kosten von See-: Fluß-: Landtransport stehen in einem Verhältnis von 1:4,9:28-56;

im England des

18. Jahrhunderts

habe dieses

Verhältnis

1 : 4 , 7 : 2 2 , 6 betragen. Alle diese Ergebnisse sind gewiss anregend, aber - wie im Falle der Berechnungen von DuNCAN-JONES - auf sachliche Einwände gestoßen (vgl. PEKÁRY 1994b, 184f.; POLFER 1991, 2 8 8 - 2 9 0 ) . Wirklich entscheidend ist jedoch die Frage: Was haben diese Rechenexempel mit der (vermutlichen) antiken Realität zu tun? Man kann zunächst erörtern: Wie repräsentativ ist der Transport einer sperrigen und schweren Ölpresse für den antiken Handel? Als eine typische Ware wird man sie keinesfalls bezeichnen dürfen, und außerdem - ein Gutsbesitzer vom Typ Catos sah die wie auch immer hohen Transportkosten doch nicht isoliert. Er brauchte die Ölpresse, um seine Olivenernte mit der Aussicht auf Gewinn verarbeiten zu können; er investierte also mit der Hoffnung, vielleicht sogar dem Wissen, auf schnelle Amortisation.

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Darstellung/Handel N u n zu der immer wieder zitierten A u s s a g e Finleys (Verdopplung des Weizenpreises nach einem Wagentransport über 500 km)! M a n kann auch hier einwenden: Wer hatte denn Interesse daran, eine solche Ware auf dem L a n d w e g so weit zu transportieren? Einfache Händler wären schlicht überfordert gewesen. Getreidespekulanten hätten andere Wege genommen. D i e zentrale Frage, die sich aber anschließt, ist: W o im Imperium R o m a n u m mußte man denn überhaupt eine Ware über 500 km ohne Möglichkeiten einer Fluß- b z w . Seeanbindung transportieren? Spontan fällt einem in diesem Z u sammenhang nur der durch Wüsten führende Weg von K o p t o s z u m H a f e n ort Berenike ein, ein Weg übrigens, der nach dem älteren Plinius (nat. 6,101) über die D i s t a n z von 257 röm. Meilen (ca. 380 k m ) ging und v o n den K a m e l karawanen in 12 T a g e n bewältigt werden konnte. Unstrittig spielte sich das G r o s des H a n d e l s in sehr überschaubaren R ä u m e n ab, und er fußte hier vornehmlich auf dem Landtransport. D a z u sei nur auf das Marktgeschehen in der U m g e b u n g v o n Magnesia am Mäander hingewiesen (vgl. M 5 0 ) . N a c h J . NOLLE (1982, 2 0 - 2 2 ) waren die Entfernungen zwischen den D ö r f e r n A t tukleis, Mandragoreis und der Stadt Magnesia, w o in drei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils ein Markttag abgehalten wurde, selbst für Händler mit schwerfälligen Ochsengespannen gering genug, u m rechtzeitig von einem O r t an den anderen zu gelangen. D a s heißt: Eine H o c h r e c h n u n g der Verteuerung des Weizens infolge eines Wagentransportes über 25, vielleicht auch 50 k m wäre vor diesem Hintergrund viel sachgemäßer. Z u m Schluß noch ein W o r t zu dem v o n Duncan-Jones

erarbeiteten

Kostenindex! N i e m a n d wird bestreiten, daß gegenüber dem See- und Flußtransport die Verschiebung von Waren zu L a n d e kostenintensiver gewesen ist; insofern löst der Index 1 : 4 , 9 : 2 8 - 5 6 keine Verwunderung aus. Was soll man mit diesem Index aber konkret anfangen? Ist ein solcher Index ebenso auf den T r a n s p o r t eines Würfels aus parischem M a r m o r mit einer Kantenlänge von 50 cm anwendbar wie auf den von - sagen wir - 25 hochwertigen G l a s p r o d u k t e n aus einer alexandrinischen Werkstatt im Gesamtgewicht v o n 10 kg? Kann man überhaupt davon ausgehen, eine Ware sei über eine große Entfernung nur zu L a n d e oder zu Wasser transportiert w o r d e n ? Wenn man nicht davon ausgeht - was ja nicht heißen muß, es sei nicht doch bisweilen geschehen - , verliert dieser Index jegliche Aussagekraft. H a t nach irgendeiner antiken Q u e l l e ein Handelsartikel, der von einer zahlungskräftigen Persönlichkeit begehrt war und aus welchen G r ü n d e n auch immer zu großen Teilen nur zu L a n d e transportiert werden konnte, den Kaufwilligen nicht erreicht? M a n könnte noch weitere Fragen anhängen! - E s soll hier aber lediglich geäußert werden, daß man gegen vereinfachende und hypothetische Berechnungen im Dienste der primitivistischen Sicht erhebliche Einwände geltend machen kann. Vor dem Hintergrund der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse, d. h. angesichts der K l u f t zwischen Reichtum und A r m u t und der

Fluß-/Seetransport damit verbundenen Kaufkraftunterschiede, aber auch wegen der Überschaubarkeit der Bevölkerung in den meisten Städten des Imperiums und der in Umfang und Anzahl wohl höher einzuschätzenden städtischen Gebrauchsgüterproduktion wird man die Möglichkeiten des Landtransportes daher als angemessen bezeichnen können (vgl. etwa KOLB 1984, 243 f.).

5.5 Fluß-/Seetransport Eine größere Darstellung über die Binnenschiffahrt bzw. den Flußtransport steht noch aus. Inzwischen ist man aber der Meinung, die Bedeutung der Flußsysteme als Verkehrswege sehr hoch einschätzen zu müssen. Die großen Ströme Rhein und Donau spielten als natürliche Grenzen zwar im militärisch-politischen Bereich eine herausragende Rolle, unstrittig gehörten sie aber auch zu den wichtigsten Verkehrsadern während der Kaiserzeit - trotz der durch Stromschnellen, gelegentliche Hochwasser und Frostperioden hervorgerufenen Beeinträchtigungen für die Schiffahrt (vgl. dazu besonders KONEN 1997 u . SWOBODA 1939, 9 2 - 1 1 4 ) . M a n c h e R e g i o n e n d e s I m p e r i u m s

waren durch ihr Flußsystem geradezu begünstigt. Vor allem darf man an den gallisch-germanischen Raum denken, dessen Wasserstraßen ein fast ideales Verkehrsnetz darstellten, somit für den Handel des gesamten nordwestlichen Raumes des Reiches zentrale Bedeutung hatten (vgl. ζ. B. JACOBSEN 1995, passim). Eine herausragende Bedeutung für das ganze Reich muß man auch dem Flußsystem der südspanischen Provinz Baetica zumessen. Ohne die Befahrbarkeit des Baetis (Guadalquivir) und seiner Nebenflüsse wäre die Versorgung der westlichen Reichshälfte mit Olivenöl zumindest in dieser Form nicht möglich gewesen (vgl. CHIC GARCÍA 1990). Von reichsweiter Wichtigkeit war auch der Nil in seiner Funktion als Verkehrsader, auf dem das für Rom und andere Städte lebensnotwendige Getreide zunächst nach Alexandreia transportiert worden ist (vgl. die Lit. ζ. Β. bei BONNEAU 1993; MEYER-TERMEER 1978). Unkenntnisse und Unsicherheiten bestehen besonders in der Frage nach der Befahrbarkeit kleinerer Flüsse im römischen Reich. Warnte man vor einigen Jahren noch davor, übertriebene Vorstellungen von der Flußschiffahrt zu entwickeln, so meint man heute, auch an eine Nutzung der Flüsse denken zu können, die im Mittelalter aus verschiedenen Gründen (u. a. wegen der Errichtung von Mühlwehren und aufgrund von Veränderungen der Flußläufe) nicht mehr befahren wurden (vgl. JACOBSEN 1995, 17; GERLACH 1995). Diese neuere Sicht wird zunehmend d u r c h D e t a i l s t u d i e n g e s t ü t z t ( v g l . ANTICO GALLINA 1995; DORIGO 1994; FREITAG 1 9 9 8 ) .

Eine umfassende Untersuchung über geplante und tatsächlich durchgeführte Kanalbauten im römischen Reich stellt ebenfalls ein Desiderat dar.

141

142

Darstellung/Handel Viele dieser Bauten gehören in den Kontext der Heereslogistik; andere werden mit ausschließlich ziviler Absicht geplant worden sein. Eindeutig wirtschaftliche Gründe bestimmten das Kanalprojekt des jüngeren Plinius während seiner Statthalterschaft in Bithynien und Pontos. Insbesondere die Provinzhauptstadt Nikomedeia hätte aus diesem Projekt, das über das Planungsstadium wohl nicht hinausgekommen ist, Nutzen gezogen (Plin. ep. 10,41 u. 42 u. 61; s. a. M 5 6 ; ferner HANEL 1995). An dieser Stelle ist auch daran zu erinnern, daß die Umleitung von Flußabschnitten und die Umgehung schwieriger Flußverläufe (Felsbarrieren, Katarakte etc.) technisch machbar gewesen sind. Dies geschah etwa vor dem 1. Dakerkrieg Trajans an der Donau (vgl. SASEL 1973 - mit der Inschrift A E 1973, 475) oder am Orontes, der im späten 1. Jh. n. Chr. zwischen Antiocheia und Seleukeia umgeleitet w o r d e n ist (vgl. VAN BERCHEM 1985, 5 3 - 6 1 ) .

Auch die Ikonographie vermittelt anschaulich, wie differenziert die römische Schiffsbautechnologie auf die besonderen Bedingungen, die die Bewältigung der Flußsysteme stellte, einging (vgl. z. B. PEKÁRY 1985; HÖCKMANN 1994). Insgesamt müssen wir uns aber die Typenvielfalt der Transportmittel weit umfangreicher vorstellen als es dieser bildliche Befund dokumentiert. Sie reichte von Einbäumen und Flößen bis hin zu erstaunlich großen Frachtkähn e n (vgl. K O N E N 2 0 0 0 , 2 2 9 - 2 4 3 ) .

S o m a ß das b e k a n n t e B l u s s u s s c h i f f

am

Rhein vielleicht 10 m in der Länge und ca. 1,50 m in der Breite, was auf eine Zuladekapazität von etwa sieben Tonnen schließen läßt (vgl. ELLMERS 1969, 86 f.). Ein Neufund am Niederrhein brachte einen Prahm von mehr als dreifacher Länge ans Tageslicht; dieser wird der 2. Hälfte des 3. Jh. zugewiesen (vgl. OBLADEN-KAUDER 1994) und mit mehr als 100 t Traglast als eines der größten römerzeitlichen Schiffe nördlich der Alpen gehandelt. Andere Boote dieses im Rheingebiet offenbar sehr verbreiteten Typs hatten wiederum Kapazitäten von ca. 35 t (vgl. dazu den Kommentar zu M 5 6 ) . Eine enorme Größen- und Typenvielfalt vermittelt der papyrologische Befund auch für das Niltal. In der Regel werden hier nur Ladekapazitäten und selten die Maße der Schiffe angegeben. Immerhin sind Umrechnungen möglich (vgl. POLL 1996, 131-133). Danach weist eine Ladekapazität von 200 Artaben (ca. 5 t) auf ein Schiff von ungefähr 10 m Länge hin. Die Kapazitätsangaben variieren für die römische Zeit zwischen 50 und 4000 Artaben. Nach I. Poll dürfen wir also mit Frachtschiffen von 50 m Länge auf dem Nil rechnen. Die Relevanz des Flußtransportes hat sich auch im epigraphischen Befund niedergeschlagen, wobei der gallisch-germanische Raum die meisten Dokumente liefert. Die zahlreichen negotiatores aus diesem Raum, die - wie schon angeführt - in der Regel als Händler im größeren Stil mit einer erheblichen Mobilität verstanden werden (vgl. KNEISSL 1983), haben ihre Geschäfte mit Sicherheit unter Ausnutzung des Flußsystems getätigt. Wir verfügen über

Fluß-/Seetransport eine Reihe epigraphischer Zeugnisse, die die Beziehungen von mit

Binnenschiffern

dokumentieren

(vgl.

SCHLIPPSCHUH

negotiatores

1974,

86-108;

KNEISSL 1981). Sowohl Händler wie auch Binnenschiffer bildeten Vereine, denen - wie schon mehrfach erwähnt - keinesfalls nur soziale Funktionen zugebilligt werden sollten (vgl. SCHLIPPSCHUH ebd. 109-123). Wir können ferner davon ausgehen, daß viele Personen Händler und Binnenschiffer zugleich waren, wie es die Grabinschrift eines negotiator et caudicarius (i. e. Händlers und Flußtransporteurs) aus Worms vermuten läßt (vgl. BOPPERT 1994).

Konkrete Angaben über die Kosten des Flußtransports besitzen wir nicht; die Vorbehalte gegen den Index (See-: Fluß-: Landtransport) sind ja schon geäußert worden. Darüber hinaus gilt es noch, an einen weiteren Sachverhalt zu erinnern: Beim Flußtransport muß klar zwischen der aufwendigen ,Bergfahrt' (die zumeist nur mit Schub- oder Zugkraft möglich war) und der bequemen .Talfahrt' unterschieden werden. Unstrittig ist aber die insgesamt deutlich günstigere Wirtschaftlichkeit gegenüber dem Landtransport. In bezug auf die Frachtkosten ermöglichen einige papyrologisch überlieferte Frachtkontrakte zudem vage Annäherungen. Hier nur ein Beispiel: Aus Oxyrhynchos stammt eine Abrechnung, die einen staatlichen Getreidetransport bis Alexandreia betraf (P. Oxy. 3/522, 2. Jh. n. Chr.). Das Schiff wurde mit 3400 Artaben Weizen beladen. Die Vergütung bestand aus 21 Drachmen pro 100 Artaben und einer Sonderzahlung von vier Drachmen pro 1000 Artaben. Die Wegstrecke betrug (stromabwärts) ca. 450 km und war in vier Tagen gut zu bewältigen. D. h. der Schiffseigner hatte eine Einnahme von knapp unter 690 Drachmen. Was der Kontrakt allerdings nicht verrät, ist die Dauer des Be- und Entladens und die Besatzungsstärke des Schiffs (weitere Beispiele bei DREXHAGE 1991 a, 327-337). Die größten bekannten Hochseeschiffe haben die oben erwähnten großen Nilfrachtschiffe in den Ausmaßen noch übertroffen. Das von Lukian im 2. Jh. n. Chr. beschriebene Getreideschiff, das von Alexandreia kommend nach Piräus verschlagen worden ist (navig. 5 f.), hat nach modernen Berechnungen eine Länge von 55 m, eine Breite von 13 m und eine Deckhöhe (über dem Kiel) von 13,25 m. Es konnte eine Ladung von 1228 t aufnehmen (vgl. CASSON 1986 a, 186-189). Das für den Transport des vatikanischen Obelisken gebaute Schiff zur Zeit des Caligula wird eine Ladekapazität von ca. 1.300 t gehabt haben (vgl. Plin. nat. 16,201 f.; SCHNEIDER 1992, 147f.). Solche Superfrachter stellten aber die Ausnahme dar; vielmehr weist der gesamte Quellenbefund auf normale Ladekapazitäten zwischen 100 bis 450 t hin (vgl. M 58). Schiffseigner die zur Zeit Mark Aurels ein Fahrzeug mit einer Ladekapazität von 50.000 modii (ca. 340 t) für die Versorgung der Stadt Rom zur Verfügung stellten, kamen in den Genuß der vacatio muneris publici („Freiheit von der Pflicht, öffentliche Dienste zu leisten"; Dig. 50,5,3, Scaevola).

143

144

Darstellung/Handel Geht man von einer jährlichen Getreidelieferung von Alexandreia nach R o m im Umfang von 80.000 t aus (ein Drittel des Gesamtbedarfs, vgl. SCHNEIDER 1992, 148), hätten etwa 250 Frachtschiffe dieser Größenordnung genügt (zur stadtrömischen Versorgung siehe etwa HABERMANN 1982). Wurde Getreide in der Regel in Säcken an Bord verstaut, gestaltete sich der Seetransport

von

Wein

und

Ol

bekanntermaßen

anders

-

nämlich

in

Amphoren. H. SCHNEIDER (ebd. 148) weist darauf hin, daß eine 25 Liter fassende Amphore ein Eigengewicht von ca. 18 kg gehabt habe; mithin also das Amphorengewicht bei einem Transport von 75.000 1 Wein allein 50 t (3000 Amphoren) ausmachte. In diesem Falle wäre schon ein Schiff mit einer Ladekapazität von ca. 140 t vonnöten gewesen. Wir kennen allerdings Schiffe, die 10.000 Amphoren an Bord hatten (vgl. CASSON 1986 a, 172 Anm. 25). Die zentrale Frage an dieser Stelle ist aber die nach den Kosten bzw. der Wirtschaftlichkeit des Seetransports. Darüber sind eine Reihe von Berechnungen angestellt worden, die auf den Angaben des diokletianischen Höchstpreisediktes fußen und zu dem schon mehrfach zitierten Kostenverhältnis zur Flußschiffahrt und zum Landtransport führten. Sehr ausführlich und (entsprechend) hypothetisch hat das K. HOPKINS getan (1983). Man muß sich allerdings fragen, was man etwa mit dem Ergebnis, Getreide habe sich über eine Beförderungsstrecke zur See von 1250 km wahrscheinlich um etwas mehr als 1 0 % , aber kaum um 2 0 % verteuert (vgl. FREYBERG 1989, 63), anfangen kann? Nicht viel oder fast nichts! Wir wissen lediglich wieder einmal, daß Seetransport um vieles effektiver war, als der Landtransport. Aber war er das wirklich in diesem Ausmaß? Mit Recht wird immer wieder auf andere den seefahrenden Händlern entstehende Kosten hingewiesen: Das Be- und Entladen des Schiffes verlangte Zeit und Geld, die Mannschaft mußte bezahlt und das Schiff unterhalten werden, Zölle und Hafengebühren waren einzukalkulieren usw. (vgl. PEKÁRY 1994 b, 184 f.). Und wie teuer waren wohl die jeweiligen Schiffe? Kann man den Berechnungen von K. HOPKINS (1983, 9 6 - 1 0 2 ) folgen, der - ohne konkrete Quellen zu besitzen - vorschlägt, für einen 400-Tonnen-Frachter 300.000 H S anzusetzen, und unterstellt, die Einsatzzeit würde sich auf 20 Jahre belaufen und die jährliche Fahrtstrecke (vollbeladen) auf rund 4000 km, so daß jährliche Betriebskosten von 30.000 HS entstünden? Nichts gegen Modelle! Die Gefahr ist nur: Sie gewinnen hin und wieder ein Eigenleben. Wahrscheinlich besaßen die meisten Händler kein eigenes Schiff, folglich mieteten sie Frachtraum an. Viele mußten ein Seedarlehen aufnehmen, das wegen der großen Risiken, die mit der Handelsschiffahrt verbunden waren, bis zu 3 0 - 3 3 % verzinst worden ist (vgl. ROUGÉ 1966, 3 4 5 - 3 6 0 ; M 5 3 ) . Viele Belege aus der antiken Literatur (vgl. z. B. CASSON 1976, 1 8 3 - 1 8 7 ) und die uns jetzt schon bekannten Wracks römischer Handelsschiffe (PARKER 1992)

Zölle zeigen deutlich, daß händlerisches Engagement sehr oft im Desaster endete. Insofern müßten wir uns über das Glück des Händlers Flavius Zeuxis geradezu wundern, der die Strecke Kleinasien-Italien 72 mal (hin und zurück) lebend überstanden hat. Seine Grabinschrift im phrygischen Hierapolis gibt aber keinen Hinweis, ob sich dies auch finanziell gelohnt hat (Syll3. III 1229). Zusammenfassend kann nur gesagt werden: Der Seetransport war zweifellos am wirtschaftlichsten, allerdings nicht in dem Maße, wie es große Teile der Forschung hervorheben.

5.6 Zölle Wenn an dieser Stelle die Zölle betrachtet werden - also nicht im Kapitel .Staatliche und kaiserliche Einfkünfte' - , bedarf es einer kurzen Begründung: Hier soll der Frage nachgegangen werden, ob das Zollwesen den Warenverkehr eher belastet hat oder von Seiten der Administration mehr oder weniger moderate Ansprüche geltend gemacht worden sind. Die Grundzüge des Zollwesens sind seit geraumer Zeit bekannt (vgl. DE LAET 1949; VLTTLNGHOFF 1953). Das Reich war in große Zollbezirke geteilt, die in der Regel mehrere Provinzen einbezogen. So umfaßte das publicum portorium Illyrici den gesamten Donauraum und zeitweise 11 Provinzen; in die quadragesima Galliarum gehörten die gallischen und später noch (seit Trajan?) die germanischen Provinzen; die Provinzen Africa, Numidia und vielleicht beide Mauretanien bildeten die quattuor publicae Africae. Die Provinzen Kleinasiens wurden in der quadragesima portuum Asiae {et Bithyniae) zusammengefaßt. Daneben bezog sich die Zollverwaltung auch auf einzelne Provinzen (Ägypten, Syrien, Sizilien usw.). Italien war seit Augustus zollfrei, wenngleich auf bestimmte Waren in Rom ein Stadtzoll erhoben wurde (vgl. DE LAET ebd. 345-349). Mehrfachverzollung von Waren, die über mehrere Zollgrenzen verhandelt wurden, wurde durch eine Verplombung derselben vermieden; durch das Anbringen der Plomben an den Waren dürfte eine Art Transitrecht in den jeweiligen Zollbezirken gewährleistet gewesen sein (vgl. DE L A E T

1949,

168-170;

SCHÄFER

1991,

1 9 7 f.; D R E X H A G E

1 9 9 4 a, 5 f.)

Es herrscht im großen und ganzen in der Forschung über die Höhe des Binnenzolls Einigkeit: Er betrug 2,5% des Warenwertes. Letztlich ist die Diskussion aber noch nicht beendet (vgl. DREXHAGE 1994 a, 8 mit Anm. 33). O b diese Zollhöhe ein Handelshemmnis darstellte, wird bisweilen deutlich bejaht (vgl. JACOBSEN 1995, 178 f.), vermehrt wird aber auf die moderate Belastung hingewiesen (vgl. etwa FREYBERG 1989, 56-60). Nicht zu bestreiten ist indes der hohe organisatorische und personelle Aufwand, mit dem der Staat oder die von ihm bestellten Zolleinnehmer den Schmuggel an den Zollgrenzen zu unterbinden gedachten, und die Sorgfalt der Kontrollen (vgl. M 5 9 u. 60).

145

146

Darstellung/Handel Unabhängig davon richteten sich Fernhändler bei der Gestaltung ihrer Geschäfte wohl nicht unbedingt nach Zollgrenzen, sondern zunächst nach der naturräumlichen Gliederung der Handelswege, wie es jüngst am Beispiel des Fernhandels mit Lebensmitteln erarbeitet worden ist (vgl. MARTIN-KILCHER 1994 b). Anders gebärdete sich die Administration indes an den Reichsgrenzen. An der Ostgrenze bestand der ptolemäische Außenhandelszoll in Höhe von 25% des Warenwertes weiter (vgl. HARRAUER/SIJPESTEIJN 1985). Die so verteuerten Waren wurden dennoch von Angehörigen der vermögenden Schichten erworben (s. o. S. 136-138 u. M 55). In den letzten Jahren ist durch Neufunde vornehmlich aus dem griechischsprachigen Osten deutlicher geworden, daß auf Reichsebene und in den einzelnen Zollbezirken ein Geflecht aus Sonderregelungen, Privilegien und Immunitäten bestand. Unbelastet von Zollgebühren waren nach dem Zollgesetz der Provinz Asia ζ. Β. Güter, die der Heeresversorgung, der stadtrömischen Annona und der kaiserlichen Hofhaltung dienten (vgl. ζ. B. ENGELMANN/KNIBBE 1989, § 25 f.). Privilegien hatten auch hohe Amts- und Würdenträger (ebd. § 40), Militärs (ebd. § 25 f.), Angehörige der Zollverwaltung (ebd. § 33) und Bürger ganzer Städte (ebd. § 44; und ζ. B. HOOGENDIJK/VAN MINNEN 1987, 48-58 [Text B]). Darüber hinaus verfügte die Administration über ein Instrumentarium, um sowohl dem fiskalischen Begehren zu entsprechen als auch dem lokalen, provinzialen und sogar interprovinziellen Handel gewisse Impulse zu geben. Anläßlich unzähliger Feste wurde Abgabenfreiheit (d. h. auch Zollfreiheit) gewährt (vgl. etwa ENGELM A N N / K N I B B E 1 9 8 9 , § 57; W Ö R R L E 1988, 2 0 9 - 2 1 5 ; DE LLGT 1993, p a s s i m ) .

Man bemühte sich ferner, eine doppelte Verzollung zu vermeiden. So wurden nach einer Inschrift aus dem kleinasiatischen Myra (2. Jh. n. Chr.) Importwaren bei Nichtverkauf und deshalb anstehendem Export nicht nochmals belangt (vgl. ENGELMANN 1985). In diesem Sinne ist auch eine Inschrift aus Kaunos zu interpretieren: Händler zahlten einen Importzoll, durften die Waren 20 oder 30 Tage auf dem städtischen Markt anbieten, um sie dann ohne weitere Belastung wieder ausführen zu können (vgl. BRANDT 1987). Diese zwanzig- oder dreißigtägige Aufenthaltsbegrenzung kam zudem der Warenzirkulation in umliegenden Märkten bzw. Städten zugute. Eine solche Flexibilität dokumentiert auch der seit langem bekannte Zolltarif von Zaraï in Numidien (Anf. 3. Jh. n. Chr.), wonach Vieh für den Wochenmarkt und Zugtiere zollfrei bleiben sollten (vgl. C I L VIII 4508 mit 18643). Es ist damit zu rechnen, daß sich solche Zeugnisse mehren werden. Immerhin machen diese jetzt schon eines deutlich: Die Administration versuchte ihr Abschöpfungsbegehren nicht starr durchzusetzen und durch Anreize und Sonderregelungen nicht kontraproduktiv zu wirken. Wie sich die jeweiligen Zollbedingungen in der händlerischen Kalkulation niederschlugen, wissen wir nicht. Gewährte Vorteile könnten aber durchaus

Zölle von den Händlern an die Käufer durch entsprechende Preisreduzierungen weitergegeben worden sein. Vielleicht kann man so den bemerkenswerten Befund der Keramikerzeugnisse aus der Töpferei Westerndorf interpretieren. Diese lag im illyrischen nahe an der Grenze zum gallischen Zollbezirk; die Erzeugnisse sind offensichtlich kaum über diese Zollgrenze verhandelt worden. Es ist durchaus denkbar, daß die Händler so den kleinen Preisvorteil nutzen konnten, um gegenüber importierter Keramik konkurrenzfähig zu b l e i b e n (vgl. G A B L E R 1 9 8 5 ; D R E X H A G E 1 9 9 4 a, 13 f.).

147

6.

Banken und sonstige Dienstleistungen

A l s Dienstleistungen bezeichnet man jene Tätigkeiten im E r w e r b s l e b e n , die sich nicht auf die Agrar- oder handwerkliche (heute auch industrielle) P r o duktion, d. h. den primären und sekundären S e k t o r der W i r t s c h a f t , richten. Sie bilden somit den tertiären Sektor, der heute in bezug auf die Zahl der Beschäftigten den wichtigsten B e r e i c h der W i r t s c h a f t darstellt. D a in der A n t i k e die meisten M e n s c h e n in den ersten S e k t o r e n tätig waren, war der tertiäre S e k t o r wie in allen vorindustriellen Gesellschaften in vergleichsweise geringem M a ß e entwickelt. D e n n o c h spielte auch er eine gewisse R o l l e im r ö m i s c h e n Wirtschaftsleben und b o t Angehörigen verschiedener Berufe ein A u s k o m m e n , welches ihnen zumindest teilweise ein angenehmes L e b e n jenseits der bedrückenden ö k o n o m i s c h e n U m s t ä n d e ermöglichte. So wird im folgenden zunächst auf das B a n k w e s e n und seine Bedeutung für das gesamtökonomische

G e s c h e h e n einzugehen

sein, u m im A n s c h l u ß

daran

kurz

andere Bereiche zu streifen, wie das „ U n t e r h a l t u n g s g e w e r b e " , Prostituierte, L e h r e r , Ä r z t e und Juristen, o h n e hier aber A n s p r u c h auf Vollständigkeit zu erheben.

6.1 Banken D i e U r s p r ü n g e des antiken B a n k w e s e n s gehen auf die in klassischer und hellenistischer Zeit vorhandene N o t w e n d i g k e i t zurück, die zahlreich kursierenden M ü n z e n , die auf verschiedenen M ü n z f ü ß e n beruhten, zu wechseln. N i c h t o h n e G r u n d leitet sich trapezites1"',

die griechische B e r u f s b e z e i c h n u n g

für den B a n k i e r , wie auch das seltener belegte lateinische Pendant

mensarius

v o n den in den jeweiligen Sprachen gebräuchlichen Begriffen für „ T i s c h " ab. A n diesem sitzend gingen nämlich die Geldwechsler, aus deren B e r u f sich das Kreditwesen maßgeblich entwickelte, ihren Geschäften nach. So nahm dann *

Alternativ dazu kursierte für den Bankier im griech. Osten auch die Bezeichnung kolybistes; vgl. BOGAERT 1983, 61 f.; DERS. 1968, 3 9 - 4 1 .

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Darstellung/Banken und sonstige Dienstleistungen auch im Griechischen das Wort für (Wechsel-)tisch (trapeza) die Bedeutung „Bank" an. Im Gegensatz dazu wurden die Banken im Lateinischen als tabernae argentariae, tabernae nummulariae oder einfach als argentariae und nummulariae bezeichnet (vgl. ANDREAU 1987, 447 f.). Zu Beginn des 4. Jh. v. Chr. vollzog sich aber schon der Ubergang vom Geldwechsler zum Bankier und seit dieser Zeit können wir das Vorhandensein von professionellen Bankiers in der antiken Welt konstatieren (vgl. BOGAERT/HARTMANN 1980, 14-16). Allerdings lassen sich die von ihnen geführten Institutionen nur sehr begrenzt mit den modernen Kreditinstituten vergleichen. Folglich ist es angebracht, zunächst einige Worte über das, was in der Antike unter dem Begriff „Bank" bzw. „Bankier" zu verstehen ist, und allgemein über die Kreditgeber zu verlieren. Das Spektrum der Bankiers war vielfältig: Sicher gehörte der Geldumtausch und die Münzprüfung für viele noch zum Hauptgeschäftsbereich. Daneben trat seit dem 4. Jh. v. Chr. das Depositgeschäft, worunter die zinslose Einlage von Geldern zur Sicherheit und zur Auszahlung an Dritte zu verstehen ist. Spätestens seit dem 2. Jh. v. Chr. ist das Kreditgeschäft belegt. Letzteres umfaßte nicht nur die Gewährung von Darlehen gegen Zins sondern auch das Vorstrecken von Kaufsummen bei Auktionen (vgl. ANDREAU 1987, 9 - 1 7 ; GRÖSCHLER 1997, 38f.). Die in der Prinzipatszeit bis zu einem Höchstzinssatz von 12,5% vergebenen Kredite (vgl. KOLB 1995, 507) wurden freilich nicht allein von Bankinhabern gewährt. Im römischen Ägypten lassen sich anhand der überlieferten Darlehensverträge alle Bevölkerungsgruppen als Geber und Nehmer von Krediten nachweisen (vgl. TENGER 1993, 140-230). Zugleich gab es die hauptberuflichen Geldverleiher, sog. faeneratores, die als Sklaven und Freigelassene im Auftrage vermögender Privatleute Darlehen gewährten (vgl. MRATSCHEK-HALFMANN 1993, 177f.). Ferner traten die Senatoren als Geldgeber hervor, obwohl ihnen solches seit Caesar eigentlich verboten war. Ihre Aktivität in diesem Geschäft war so stark, daß anläßlich der Finanzkrise des Jahres 33 n. Chr. wegen ihres Treibens auf dem Kreditmarkt eine Senatssitzung anberaumt werden mußte (Tac. ann. 6,16,1-3; vgl. MRATSCHEK-HALFMANN 1993, 105 f.). Gleiches galt für die Ritter. Sie nahmen teilweise sogar Geld zu einem niedrigeren Zins auf, um es zu einem höheren weiter zu verleihen (Suet. Aug. 39). Ein drastisches Beispiel für das Verhalten von Freigelassenen mag der im Satyrikon Petrons agierende Trimalchio sein, der sich nach erfolgreichen Handelsgeschäften u. a. auf den Geldverleih verlegte, den er wiederum mit Hilfe eigener liberti betrieb (Petron. 76,9). Gegenüber diesen Gruppen, die z. T. riesige Summen vorstreckten, scheint die Kreditvergabe der professionellen Bankiers sogar ein Faktor von untergeordneter Bedeutung gewesen zu sein. Bezeichnenderweise weist der epigraphische Befund darauf hin, daß in Rom und Italien hauptsächlich Sklaven

Banken und Freigelassene als Bankiers in Erscheinung treten (vgl. GRÖSCHLER 1997, 43). Sie und ihre freigeborenen Kollegen traten unter verschiedenen Berufsbezeichnungen auf, die auf verschiedene Tätigkeitsschwerpunkte hindeuten. So sind zunächst einmal die argentarli zu nennen, deren Berufsbezeichnung sich vom Lateinischen argentum, d. h. Silber, herleitet. Die argentarli befaßten sich in der Hauptsache mit der Abwicklung von Zahlungen, der Verwaltung von eingelegten Geldbeträgen und der Vergabe von Krediten. Seit dem 2. Jh. v. Chr. waren sie auch bei Versteigerungen tätig, indem sie an Kaufwillige Darlehen vergaben (vgl. ANDREAU 1987, 9 3 - 1 3 7 ; DERS. 1996; GRÖSCHLER ebd. 51). Auf eben diesem Sektor lag auch das Hauptbetätigungsfeld der coactores argentarli, deren Bezeichnung sich aus dem Begriff coactor (Versteigerer; Eintreiber) und argentarías entwickelte. Angehörige dieses Berufsstandes führten im Auftrag Dritter Versteigerungen durch. Hierfür erhoben sie eine Gebühr, die sich meist auf 1 % des erzielten Gewinnes belief. Zugleich vergaben auch sie Kredite für den Erwerb der auf der Versteigerung angebotenen Waren und Liegenschaften (vgl. ANDREAU 1987, 139-167; DERS. 1997a; GRÖSCHLER 1997, 54-56). In dieselbe Richtung weist auch die Berufsbezeichnung stipulator argentarías, die im dritten nachchristlichen Jahrhundert auftaucht, jedoch läßt das überlieferte Quellenmaterial keine eindeutige Aussage zu (vgl. ANDREAU 1987, 169-176). Schließlich existierten im Bankgewerbe noch die nummularii, die sich von nummus, Münze, herleiten. Diese waren zunächst als Geldwechsler und -prüfer tätig, um im 2. Jh. n. Chr. dann auch die Gebiete der Kreditvergabe und der Verwaltung von Deposita für sich zu erschließen (vgl. ANDREAU ebd. 177-219; GRÖSCHLER 1997, 52-54). Eine Voraussetzung für die Tätigkeit des Bankiers war der ihm zur Verfügung stehende Kapitalstock, der sich aus den Geldanlagen der Kunden zusammensetzte. Nur mit Hilfe dieser hinterlegten Gelder, sog. Deposita, war es ihm in der Regel möglich, Kredite gegen Zinsen zu vergeben und Geschäfte zu machen. Die römischen Juristen unterschieden dabei zwei Arten von Deposita: Das „geschlossene" Depositum bezeichnete Gelder, die bei einem Bankier hinterlegt waren, aber nicht mit den übrigen Bankeinlagen vermischt wurden. Ihre Verwahrung erfolgte daher bisweilen auch in einem versiegelten Sack. Bei dem „offenen" Depositum (depositum irreguläre) handelte es sich hingegen um Bankeinlagen, die von den anderen Geldern nicht getrennt aufbewahrt wurden. Von diesen verzinslichen Deposita konnte der Bankier also für die Vergabe von Krediten Gebrauch machen (vgl. dazu GRÖSCHLER ebd. 44-49). Die diversen Konten der Einleger mußten durch die Bankiers auch verwaltet werden. M. a. W. bedeutete dies, daß Gutschriften oder Abzüge vorgenommen und entsprechend registriert wurden. Dies war nicht nur in der Provinz Ägypten der Fall, wo das Quellenmaterial entsprechende Praktiken

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Darstellung/Banken und sonstige Dienstleistungen nahelegt, sondern nach den Digesten (bes. Buch 2,13,4,1) auch im übrigen Reich (vgl. zur Buchführungspraxis GRÖSCHLER ebd. 199-273). Von besonderer ökonomischer Relevanz ist dabei die Frage, wie weit der bargeldlose Zahlungsverkehr über Konten abgewickelt werden konnte. Grundsätzlich ist diese Verfahrensweise aus dem römischen Ägypten eindeutig belegt, wie die nachfolgenden Beispiele bezeugen: Zu nennen sind hier zunächst jene Zahlungsanweisungen, die an den Halter einer Bank gerichtet sind und den Überbringer, ähnlich wie bei den heutigen Barschecks, zum Empfang einer gewissen Summe Geldes berechtigten. Die im Quellenanhang (M 6 3 u. 6 5 ) aufgeführten Texte P. Brem. 46 und 47 sind für diese Praxis exemplarisch (vgl. BAGNALL/BOGAERT 1994, 2 3 9 - 2 4 1 mit Anm. 83). Auch war der bargeldlose Zahlungsverkehr im Sinne des Abzuges eines Geldbetrages von einem Konto bei gleichzeitiger Gutschrift auf ein anderes üblich (vgl. PREISIGKE 1910, 1 8 5 - 1 8 7 ; GRÖSCHLER 1997, 2 9 8 - 3 0 7 ) . Weitere Dokumente aus dem Nilland zeigen, daß selbst der Zahlungsverkehr zwischen verschiedenen Banken keine Probleme bereitete. So wies im Jahr 10 oder 11 n. Chr. ein gewisser Iulius Lepos den Bankier Archibios an, von seinem dortigen Konto 1.953 Silberdrachmen auf ein weiteres zu zahlen, das er bei einem Bankier namens Harpochration besaß (P. Oxy. 36/2772). Ein ähnlicher Vorgang wird in einem Papyrus aus dem Jahr 18 n.Chr. dokumentiert: Ein gewisser Harpochration wies seinen Bankier Dorion an, den Kleiderhändlern Amphon und Galates für die Lieferung von Textilien die Summe von 540 Silberdrachmen zu zahlen. Einer der beiden transferierte den genannten Betrag wiederum auf ein Konto bei dem Bankier Onesikrates (SB 12/10793). O b es in der Praxis dann so aussah, daß die zu transferierenden Beträge in bar von einer Bank zur anderen getragen wurden, also somit kein organisiertes Abrechnungssystem zwischen einzelnen Banken existierte, läßt sich freilich nicht ausschließen. Ein Indiz für den bargeldlosen Transfer stellen aber die Zeugnisse aus ptolemäischer Zeit dar, wo Bankiers neben Konten bei ihrer eigenen Bank Konten bei anderen besaßen (vgl. BOGAERT 1994 b, 251 f.). F. Preisigke, der dies ohne weiteres annimmt, hält sogar den bargeldlosen Zahlungsverkehr zwischen Banken, die räumlich weiter voneinander entfernt sind, für möglich (vgl. PREISIGKE 1910, 2 6 5 - 2 7 1 ) . Wie steht es nun mit dem bargeldlosen Zahlungsverkehr außerhalb Ägyptens? Da die Dokumentation unzureichend ist, lassen sich dafür leider nur wenige Indizien anführen. Immerhin gibt es Anzeichen für Zahlungen per Scheck in den Gebieten des östlichen Mittelmeerraumes (vgl. BAGNALL/ BOGAERT 1994, 240 mit Anm. 82; ANDREAU 1987, 561-563 verneint aber diese Praxis für den Westen des Reiches; vgl. ferner BOGAERT 1968, 338-341). O b der bargeldlose Zahlungsverkehr im Geltungsbereich des römischen Rechtes möglich bzw. üblich war, bleibt indes umstritten (vgl. GRÖSCHLER 1997, 326f. mit Anm. 87-90). Eine solche Praxis innerhalb einer

Banken Bank und zwischen den Banken einer Stadt hat aber eine gewisse Plausibilität (vgl. ANDREAU 1987, 564; DERS. 1997, 435). Es dürfte sich allerdings hemmend auf den Giroverkehr ausgewirkt haben, daß nach der Rechtsetzung der Juristen durch die bloße Gutschrift auf ein Konto ζ. B. im Falle eines Kredites weder ein Schuldverhältnis begründet, noch im Falle eines Kaufes eine Schuld getilgt werden konnte (vgl. GRÖSCHLER 1997, 3 2 6 - 3 4 0 , der aber auch auf juristische Konstruktionen, die dies dennoch ermöglichten, hinweist). Wenden wir uns aber wieder der Realität zu: Führten Großhändler oder ihre Vertreter auf Reisen stets erhebliche Mengen an Bargeld mit sich? Hat es Möglichkeiten gegeben, Zahlungen auch auf andere Weise zu tätigen bzw. Gewinne mit geringem Aufwand zu transferieren? Wie handhabte ζ. B. der gallische Großhändler C. Sentius Regulianus seine Geldangelegenheiten, der Rom zu seinem Aufenthaltsort wählte, und hier den Vertrieb von heimischen Wein und Ol aus der Baetica besorgte (vgl. M 52). Da die Forschung zu Recht annimmt, daß Sentius auch im Autrag seiner Lyoner Händlerkollegen Wein verkaufte, sind die ihnen zustehenden Geschäftserlöse vielleicht in erster Linie auf dem Bankwege übermittelt worden und ebenso wird man diese Form des Zahlungsverkehrs mit den baetischen Olproduzenten unterstellen dürfen. In diesem Zusammenhang ist auch das Seedarlehen SB 18/13167 (recto) aus dem 2. Jh. n. Chr. von Belang, in dem eine Zahlung von mehr als 170 Talenten an einen Transportunternehmer erwähnt wird. Ist eine Auszahlung dieser Summe in bar - es würde sich um mehrere Tonnen Silberbzw. mehrere Zentner Goldmünzen handeln! - wirklich realistisch? Wenngleich dies unseres Erachtens kaum bejaht werden kann, bleibt es hier aber bei der Feststellung: Letzte Sicherheit läßt sich aus diesen Indizien für die Praxis des bargeldlosen Verkehrs im Wirtschaftsleben nicht gewinnen. Die Holztäfelchen aus Pompeji und Herculaneum informieren uns über die geschäftlichen Aktivitäten der „Bankhäuser" des L. Caecilius Iucundus und der Familie der Sulpizier. Die Geldgeschäfte der Sulpicii lassen sich in den überlieferten Urkunden (TPSulp.) sogar über drei Generationen verfolgen. Ihr Bankhaus scheint ungeachtet des Fundortes der Täfelchen bei Pompeji in der großen Hafenstadt Puteoli ansässig gewesen zu sein. Bemerkenswert ist ferner, daß in der jeweiligen Generation offenbar ein Freigelassener des Vorgängers die Geschäfte hauptamtlich führte. Soweit die Quellen erkennen lassen, lag das Volumen der einzelnen Bankgeschäfte zwischen 1.000 und der stattlichen Summe von 120.000 HS. und das Gesamtvolumen der in den Urkunden dokumentierten Transaktionen bei 1.280.000 HS. Als Kunden des Hauses traten dabei vornehmlich Freigelassene, Peregrine und Sklaven in Erscheinung. Abgesehen von Kontoführung und Kreditgeschäft waren die Sulpizier auch auf dem Gebiet der Versteigerung und der Kreditvergabe tätig; ferner gewährten sie Bankbürgschaften. Die Kredite waren in der Hauptsache ,Konsumkredite', in zwei Fällen sind ,Geschäftskredite' an Getreidehändler

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Darstellung/Banken und sonstige Dienstleistungen vergeben worden (TPSulp. 51 u. 52; vgl. GRÖSCHLER 1997, 6 2 - 6 6 ; CAMODECA 1999, 2 2 - 2 6 ) . In das Geschäftsleben des Freigelassenen L. Caecilius Iucundus gewähren 153 in Pompeji gefundene Wachstafeln Einblick (vgl. ANDREAU

1974,

5 3 - 2 7 1 ; DERS. 1997b). Jener scheint hauptsächlich als Versteigerer und Kreditgeber auf Auktionen tätig gewesen zu sein. Darüber hinaus beglich Iucundus für seinen sich aus Freien, Freigelassenen, Sklaven und Peregrinen zusammensetzenden

Kundenkreis

häufiger

Pachtgebühren,

die

der

Stadt

Pompeji geschuldet wurden. Im einzelnen handelt es sich um die Pacht einer Walkerei, die Steuerpacht für Weideland, die eines Gutes sowie die der Gebühren für die Abhaltung lokaler Märkte. Die Höhe der von ihm entrichteten Pachtabgaben lag zwischen 1.652 HS und 6.000 HS, das Volumen seiner bei Auktionen getätigten Geschäfte zwischen 520 und 38.079 HS. Dessen ungeachtet fällt es schwer, die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Iucundus und der Sulpizier zu taxieren. Vielleicht erlauben hier einige Überlegungen zu den Geschäften des Iucundus eine gewisse Orientierung. Betrachten wir zunächst die von J. Andreau gebotene Ubersicht über seine Auktionsergebnisse (vgl. ANDREAU 1974, 89 f.): Iucundus konnte bei einer Auktion einen Esel für 520 HS verkaufen. Aus dem Erlös des Verkaufes standen ihm als Auktionator 1 % des Versteigerungspreises zu, also 5,2 HS. Bei einer anderen Versteigerung war es Iucundus immerhin möglich, einen Erlös von 38.079 HS zu erzielen, so daß sein Verdienst hier zunächst mit rund 381 H S zu Buche schlug. Wenn wir dazu einige Tageslohnangaben aus Pompeji aus der Zeit vor dem Vulkanausbruch im August 79 n. Chr. in Relation setzen - sie bewegen sich bei 1,25 HS (wohl mit Verköstigung) und 4 H S (vgl. M 74) - , sind die Einnahmen zweifellos respektabel. Iucundus wird demnach ein solides Auskommen gefunden haben, falls er von seiner Kundschaft häufiger im Jahr mit der Durchführung einer Versteigerung beauftragt wurde und nebenher noch weitere geschäftliche Aktivitäten entwickeln konnte. Letztere bezeugen u. a. die auf den Wachstafeln überlieferten Kreditvergaben. Sie hatten bei Laufzeiten zwischen 16 Tagen und 10 oder 11 Monaten ein durchschnittliches Volumen von 7.300 HS (vgl. ANDREAU 1974, 101 f.). Bei einer Verzinsung von 12% und der Zugrundelegung eines einjährigen Kreditzeitraumes würde ein solches Darlehen zusätzliche 876 HS pro Jahr bringen. Wenngleich von den beim Kreditgeschäft erwirtschafteten Summen u. U. noch die zu zahlenden Zinsen für offene Deposita der Bankeinleger abzuziehen sind, hat der Bankier Iucundus wahrscheinlich in sehr angenehmen finanziellen Verhältnissen leben können. Sein Bankhaus hat aber, was die Finanzkraft betraf, sicher nicht im entferntesten mit den Handlungsspielräumen der großen senatorischen und ritterlichen Darlehensgeber konkurrieren können. Neben den Privatbanken existierten im Imperium Romanum noch öffentliche Banken und Tempelbanken. Als öffentliche Banken werden solche an-

Banken gesehen, die durch die Inhaber einer Konzession betrieben wurden und ein Monopol für den Wechsel von Münzen in einer Stadt besaßen. Ein anderer Typus ist dadurch gekennzeichnet, daß das Institut durch Magistrate geleitet wurde und der Staat und seine Organe die sie betreffenden Geschäfte über diese Banken abwickelten (vgl. B O G A E R T 1968, 401). Öffentliche Banken im ersten Sinn existierten im Osten des römischen Reiches (vgl. ebd. 401 f.). Im lateinischsprachigen Westen fehlen Anzeichen für solche Institute. Allerdings gab es auch hier Spezialisten auf dem Gebiet von Kredit und Kontoführung, die für den Staat, die Provinz oder einzelne Städte arbeiteten (vgl. A N D R E A U 1987, 634-640). Der Typus der „Staatsbank", der - beginnend mit der Gründung der Girobank von Venedig im Jahre 1587 - in Westeuropa Einzug hielt, ist im römischen Reich nicht zu belegen, obwohl zumindest in Ägypten öffentliche Banken (demosiai trapezai) existierten, über die die Zahlung von Steuern geregelt wurde (vgl. B O G A E R T 1995, 134 f.). Ebenfalls nur im Osten des Reiches existierte schließlich noch das Institut der Tempelbank. Berühmte Heiligtümer, wie etwa das Artemision von Ephesos (vgl. M 61), erfüllten sowohl die Funktion einer Depositarbank als auch die einer Kreditbank. Gleichwohl muß eingestanden werden, daß sich die Funktionen der Tempelbanken in der Hauptsache auf die Aufbewahrung von Geldern erstreckte, da die anderen Bankgeschäfte vornehmlich von Privatbanken und privaten Darlehengebern abgewickelt wurden (vgl. B R O U G H T O N 1938, 888-891). Banken waren flächendeckend im Imperium verbreitet, aber im Westen und im italischen Kernland vornehmlich in den Häfen und Städten, die eine zentrale Funktion auf den Gebieten von Verwaltung, Militär, Handel und Religion hatten, anzutreffen (vgl. A N D R E A U 1987, 327 u. 329). Ähnliches läßt sich im Osten des Reiches feststellen (vgl. B O G A E R T 1968, 61-275). Selbst kleinste urbane Gebilde und in Ägypten sogar viele Dörfer verfügten über Banken, wie dies z. B. die Grabinschrift für den Bankier Licinius Euporistus von der Ägäis-Insel Nisyros und der papyrologische Befund veranschaulicht (vgl. B O G A E R T 1976 a, Nr. 16; D E R S . 1995, 136-173). Dennoch läßt sich der Stellenwert des Bankwesens im ökonomischen Gefüge der frühen und hohen Kaiserzeit kaum exakt umreißen. Die wichtigste Funktion der Banken war sicherlich die Kreditvergabe, durch die Bargeld in die Hände der Produzenten und Konsumenten gelangte und der Geldumlauf neue Impulse erhielt. Bei den Krediten selbst handelte es sich hauptsächlich um ,Konsumkredite', aber auch um ,Geschäftskredite', worunter z. T. auch die bei Versteigerungen gewährten Darlehen zu fassen sind. Die zur Verfügung stehenden Quellen vermitteln insgesamt den Eindruck, daß die Geschäftskredite der professionellen Bankiers eher dem lokalen Handel zugute kamen und einen vergleichsweise überschaubaren Rahmen hatten. Für die ganz großen Geschäftskredite, die etwa im Großhandel, bei Immobilienkäufen und Steuer-

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Darstellung/Banken und sonstige Dienstleistungen Pachtungen aufzunehmen waren, standen als Kreditgeber in erster Linie die Oberschichten des Reiches zur Verfügung. Aber auch bei diesen Geschäften konnten die Bankiers eine Vermittlerrolle spielen (vgl. ANDREAU 1987, 6 6 6 - 6 6 8 ) .

6.2 Unterhaltungsgewerbe Einen weiteren wichtigen Dienstleistungsbereich stellte das Unterhaltungsgewerbe in seinem weitesten Sinne dar. Im ganzen Reich profitierten tausende von Athleten, Schauspielern, Musikern und Wettkämpfern (Gladiatoren und Wagenlenker eingeschlossen) und noch weit mehr Betreuer, Agenten, Ärzte und Domestiken von den seit Beginn der Kaiserzeit immer prächtiger und aufwendiger werdenden öffentlichen Spielen und Schaukämpfen. In Rom alimentierte die Staatskasse seit dieser Zeit ζ. B. die ludi Apollinares mit jährlich 380.000 HS, die ludi Plebei mit 600.000 HS und die ludi Romani sogar mit 760.000 HS, wobei die für die Ausrichtung der Spiele zuständigen Prätoren selbst noch größere Summen für die Darbietungen beisteuerten (vgl. KOLB 1995, 588 f.). Hohe Gagen und Personalkosten verschlang auch der in fast allen Städten blühende Theaterbetrieb (vgl. WEEBER 1994, 107 f.; LEPPIN 1992, 84-90; PERPILLOU-THOMAS 1993, 228-238). Noch teurer waren indes die Gladiatorenspiele und Tierhetzen. Ihre Ausrichtung war nicht allein Sache des Kaisers, sondern (vor allem in den Provinzen) auch von lokalen Amtsträgern, die sich die Gunst ihrer Wähler sichern oder erhalten wollten (vgl. WEEBER ebd. 14-18). Bei diesen Aufführungen trugen nicht allein Verbrecher und Kriegsgefangene ihre Haut zu Markte, sondern auch professionelle Fechter, die z. T. sehr hohe Gagen bezogen (vgl. Suet. Tib. 7,1). Besonders einträglich scheinen aber die Geschäfte der großen Rennställe gewesen zu sein, die gegen Bezahlung durch die Spielgeber alles für die Ausrichtung der Rennen Notwendige lieferten. Einblicke in die teilweise enormen Verdienste der bei ihnen angestellten (besonders erfolgreichen) Wagenlenker liefern einige stadtrömische Inschriften: C. Appuleius Diocles, der sich um 150 n. Chr. nach 4.240 Rennen auf das Altenteil zurückzog, brachte es auf ein Preisgeld von insgesamt 35.863.120 HS(!),* und ein gewisser Crescens schon i m A l t e r v o n 2 2 J a h r e n auf 1 . 5 5 8 . 3 4 6 H S ( C I L V I

1 0 0 4 8 u. 1 0 0 5 0 ; vgl.

HORSMANN 1 9 9 8 , 1 4 7 - 1 6 6 ) .

Der Gewinn der Wagenlenker, die ihre Karriere fast immer als Sklaven der Rennstalleigentümer begannen, floß im hohen Maße natürlich auch diesen und den „Renn-AGs" (factiones) zu, denen sie zugordnet waren. Letztere wiederum hatten noch zahlreiches Personal auf ihren Lohnlisten (Trainer, Stallmeister, Wagenbauer, Agenten, Boten, Arzte, Schuhmacher, Schneider etc.).

Prostitution Im Unterhaltungsbereich spielte darüber hinaus natürlich auch der Bedarf der Privatleute an Sängern, Musikern und Tänzern eine große Rolle (vgl. zur Bandbreite dieser Berufe ζ. B. PERPILLOU-THOMAS 1993, 2 2 6 - 2 3 0 . 233-241). Für Angehörige dieser Berufssparten war der häufige Ortswechsel in der Regel unvermeidbar, zumal sie auch dem Festkalender einzelner Provinzen folgen mußten, um ihr Geld zu verdienen (vgl. zu den gallischen Verhältnissen WLERSCHOWSKI 1995, 220 u. 224). Zu Leichenzügen (pompae fúnebres), Festmählern oder im Rahmen eines convivium mit anschließendem Trinkgelage engagierte man gerne eine dem Anlaß entsprechende Unterhaltungstruppe. Bei Gelagen waren vor allem die saltatores bzw. saltatrices gerne gesehen, um die Gäste mit ihren Tänzen zu erfreuen. Besonderen Zuspruchs erfreuten sich in Rom die Mädchen aus dem spanischen Gades, die unter Kastagnetten- oder Flötenbegleitung „ihre üppigen Hüften lüstern kreisen ließen" (Mart. 5,78,25ff.; Juv. 11,162ff.). Auch Festredner erhielten bei solchen Veranstaltungen nicht geringe Summen (vgl. M 65).

6.3 Prostitution Für viele Frauen, aber auch für Männer bot die Prostitution einen Weg, der bitteren Armut zu entrinnen (vgl. M 6 6 ; ferner STUMPP 1998, 3 7 - 4 2 ) . Jedoch wurden nicht alle aus freien Stücken Prostituierte, sondern viele auch unter Anwendung von Zwang. Besonders Sklaven und Sklavinnen waren sehr oft Leidtragende der kommerziellen Prostitution, ferner Kinder und die Opfer des organisierten Menschenraubes (vgl. ebd. 2 5 - 3 7 ) . Fragt man nach dem ökonomischen Erfolg von Prostituierten, reichen die Zeugnisse über das Dasein von Edelkurtisanen, die von ihren Liebhabern ausgehalten wurden, zu den gemeinen Prostituierten, die ihren Kunden gegen geringstes Entgelt in dunklen Ecken Befriedigung verschafften. Dazwischen existieren zahlreiche Zwischentöne (vgl. ebd. 5 2 - 7 3 ) . Preise für sexuelle Dienstleistungen, an denen natürlich auch zahllose Zuhälter und Bordellwirte partizipierten, sind aus verschiedenen Regionen überliefert. Im palmyrenischen Steuertarif werden für den Verkehr mit Prostituierten Summen von 6 und 8 As sowie einem Denar genannt (CIS II 3, 3913). Eine Inschrift aus Aesernia beinhaltet die Abrechnung einer Wirtin, in der dem Gast für das „Mädchen" 8 As in Rechnung gestellt wurden (CIL I X 2689 = ILS 7478). In Pompeji schwanken die Preise nach den zahlreichen Graffiti zwischen 2 und 23 As (vgl. dazu STUMPP ebd. 214-229). Der Staat und die Kommunen verdienten ebenfalls am ,ältesten Gewerbe'. Caligula ζ. Β. führte eine Steuer ein (vgl. zu ihrer Höhe ebd. 350 f.; BAGNALE 1991, 11). Bemerkenswert sind auch ägyptische Dokumente, nach denen Prostituierte eine amtliche Erlaubnis

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Darstellung/Banken und sonstige Dienstleistungen für ihre Tätigkeit benötigten, falls sie diese an einem anderen als dem gewohnten O r t auszuüben gedachten ( W O

1157; S B 6/9545 N r . 33; S B

4/7399). Selbst Betreiber von Bordellen wurden zur Kasse gebeten, wie der Markttarif aus der mittelägyptischen Gaumetropole Oxyrhynchos offenbart (SB 16/12695).

6.4 Bildungswesen Unterricht, gleichwie auf welchem Niveau und in welcher Form, wurde im Römischen Reich nur ganz bedingt als staatliche Aufgabe angesehen. Stattdessen dominierte die Wissensvermittlung durch Hauslehrer und der oft von Sklaven und Freigelassenen getragene private Schulbetrieb, der in der Regel in gemieteten Tabernen, H ö f e n und Portiken stattfand. Ein nicht unerheblicher Prozentsatz der Stadtbevölkerung scheint zumindest im Rechnen, Lesen und Schreiben Basiskenntnisse erworben zu haben (vgl. KOLB 1995, 5 8 1 - 5 8 5 ; CURCHIN 1995). Passend zu den Ansprüchen, die das Marktgeschehen oder Handwerk stellten, war man mithin in der Lage, Zahlen aufzureihen, Additionen oder Subtraktionen durchzuführen. N e b e n diesem durch die Elementarschulen vermittelten Wissen trat ergänzend die nur den Vermögenderen vorbehaltene Unterweisung in Literatur und Sprache und, darauf weiter aufbauend, das Studium in Rhetorik und öffentlicher Rede (vgl. CRIBIORE 1996, 13). Auf jeder dieser Ebenen waren professionelle Lehrer und auch Lehrerinnen (vgl. A E 161-170).

Ihr

1994, 1903; CRIBIORE ebd. 22 f.) tätig (vgl. auch Einkommen

war

generell

recht

schmal

bemessen

ebd. und

hing zugleich von dem Niveau, auf dem der Unterricht erteilt wurde, ab. N o c h

relativ glücklich konnte

sich ein gewisser

Lucius

Memmius

Probus in Spanien schätzen, der für seine Dienste als öffentlich

besol-

deter Lateinlehrer ein Gehalt von 1.100 Denaren erhielt ( C I L II 2892 mit A E 1987, 617). Die meisten verfügten über viel geringere Einkommen (vgl. CRIBIORE ebd. 21 f.), die sich aber durch die Aufsetzung

von

Testa-

menten und rechtsverbindlichen Texten für andere Personen steigern ließen ( C I L X 3969 = I L S 7763). Zumindest in Ägypten scheinen Lehrer auch häufiger in Naturalien entlohnt worden zu sein (P. O s l o 3/156; P. O x y . 47/3366), was gleichfalls nicht gerade für einen hohen

Lebensstandard

spricht. Die Spitzenverdiener unter den Lehrern kennen wir indes aus R o m . So zahlte Augustus einem Grammatiker, der eine Schule auf dem Palatin eingerichtet hatte, 100.000 H S , weil dort auch seine Enkel unterwiesen wurden (vgl. KOLB 1995, 584), und ebenso viel erhielten unter Vespasian die staatlich

besoldeten

Sprache (ebd.).

Rhetoriklehrer

für

die

griechische

und

lateinische

Juristen

6.5 Ärzte Sehr unterschiedlich waren auch das Einkommen und die Lebenswirklichkeit der Arzte. Ihr personenrechtlicher Status reichte vom römischen Bürger über den Peregrinen und Freigelassenen bis hin zum Sklaven (vgl. KUDLIEN 1986, 13-152). Die stadtrömische Oberschicht hielt sich, wie auch die Kaiser, häufiger Sklaven, die im Arztberuf ausgebildet waren und im wahrsten Sinne des Worte als Hausärzte fungierten (vgl. ebd. 100-104). Diesen wurde im Rahmen des peculium bisweilen sogar eine Praxis eingerichtet, wo sie gegen ein entsprechendes Entgelt Freunde und Klienten des Dominus behandelten (ebd. 115). Natürlich gab es auch unter den Ärzten prominente Spitzenverdiener. Für die kaiserlichen Leibärzte sind aus der Zeit des beginnenden Prinzipats Gehälter in Höhe von jährlich 250.000 und 500.000 HS bezeugt ( P l i n . n a t . 2 9 , 7 - 8 ; vgl. MRATSCHEK-HALFMANN 1 9 9 3 , N r . 1 4 3 ) . E i n

Ein-

kommen von 250.000 HS bezog auch der Arzt des Kaisers Claudius, Arruntius, der seinen Erben die stattliche Summe von 30 Mio. HS hinterlassen haben soll (Plin. nat. 29,7; vgl. MRATSCHEK-HALFMANN ebd. Nr. 298). Selbst in Privatpraxen liefen die Geschäfte bisweilen ausgezeichnet (vgl. KOLB 1995, 579 f.). So soll Quintus Stertinius in Rom pro Jahr 600.000 HS verdient haben (Plin. nat. 29,7 f.; vgl. MRATSCHEK-HALFMANN ebd. 297 f.). Später wurde er wie sein Bruder kaiserlicher Leibarzt, der sich rühmte, für das geringere Gehalt von 500.000 HS auf das hohe Einkommen aus seiner Privatpraxis verzichtet zu haben. Rein ökonomisch betrachtet gehörten viele Ärzte mithin zur Oberschicht des Imperium Romanum. Am anderen Ende der Skala standen indes Vertreter wie der von Martial verhöhnte Diaulos, der sich wegen seiner Erfolglosigkeit schließlich als Leichenbestatter betätigen mußte (Mart. 1,47), oder jener Arzt, der sich aus dem gleichen Grund als Gladiator verdingte (Mart. 8,74; vgl. KUDLIEN 1986, 182 f.).

6.6 Juristen Dienstleistungen verrichteten ferner die Juristen. Die Spitze bildeten jene, die das ins respondendi hatten, d. h. das Recht, rechtswirksame Gutachten zu verfassen. Diese entstammten in den ersten beiden Jahrhunderten meist dem ordo senatorias (vgl. KUNKEL 1952, 280-285). Andererseits konnten auch Senatoren nicht unerhebliche Summen als Gerichtsredner verdienen, da deren Bezahlung mit einem Höchstbetrag von bis zu 10.000 HS im ersten nachchristlichen Jahrhundert legalisiert wurde (vgl. ebd. 287 mit Anm. 609). Seit den Antoninen ist hingegen die Tendenz zu beobachten, daß die Juristen vornehmlich dem ordo equester entstammen und die gut besoldeten Ämter in der prokuratorischen Laufbahn bekleiden (vgl. ebd. 290-304). Abgesehen

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Darstellung/Banken und sonstige Dienstleistungen von diesen führenden Juristen, die einen bestimmenden Einfluß auf die Rechtsfindung und -Setzung ausübten und in gewisser Weise der Sorge u m ö k o n o m i s c h e Belange enthoben waren, finden sich in den Quellen Personen, die diesem B e r u f als B r o t e r w e r b nachgehen mußten. Als solche sind wie auch i m m e r juristisch gebildete Laien festzustellen, aber auch hochbezahlte „Staranwälte". Betätigungsfelder für Juristen jeder C o u l e u r waren die Abfassung von U r k u n d e n und Verträgen, die Prokuratur, d. h. die Verwaltung von Eigentum, das Auftreten als Anwalt vor Gericht, die besoldete Tätigkeit als Assessor bei Beamten, die ein Jurisdiktionsrecht innehatten, und schließlich der Rechtsunterricht (vgl. ebd. 3 1 8 - 3 4 5 ) . D e r gesamte Bereich des Dienstleistungsektors ist mit den hier vorgestellten Berufen natürlich bei weitem nicht abgedeckt. Z u berücksichtigen wären hier etwa noch die Verwaltung, das T r a n s p o r t - und Magazinwesen, welches allein in R o m viele tausend M e n s c h e n an sich band (vgl. KOLB 1995, 585 f.), der Bereich der Kindererziehung ( A m m e n , Betreuerinnen usw.) und der riesige S e k t o r der G a s t r o n o m i e . Gleichwohl zeigen schon die wenigen - hier freilich

nur andeutungsweise

behandelten -

Tätigkeitsbereiche,

daß

der

Dienstleistungsbereich sehr vielen Menschen im R ö m i s c h e n Reich ein A u s k o m m e n bot, welches z u m Teil erheblich war und somit auch die finanziellen Voraussetzungen

für

einen

sozialen

Aufstieg

schuf

(vgl.

MRATSCHEK-

HALFMANN 1993, 2 1 4 f . ) . T r o t z d e m stellen solche Fälle eher die Ausnahme dar.

7.

Lebensstandard

Bisher sind schon viele Informationen über die alltäglichen Lebensverhältnisse geliefert worden. Den Lebensstandard der reichsrömischen Bevölkerung skizzieren zu wollen, stellt allerdings vor gravierende Probleme. Zunächst gehört der Begriff .Lebensstandard' zum eingschlägigen Vokabular der modernen Marktforschung, in der er als ideeller Bedarfsfaktor bzw. Bedürfnisformer verstanden wird. Der Bedarfsfaktor setzt sich jeweils aus verschiedenen Elementen zusammen: Verbrauchsgewohnheiten als Folge von Tradition, Zeitgeschmack, kulturellem und/oder zivilisatorischem Standard usw.; Einkommen von Individuen und/oder Haushalten; naturräumlichen Bedingungen, die verbrauchsbestimmend sind; Verbrauchserfahrungen mit verschiedenen Erzeugnissen. Alle diese Elemente .definieren' den ideellen Lebensstandard eines Individuums mit seinen Vorstellungen darüber, wie seine Existenz und seine Umwelt gestaltet sein sollten bzw. müßten, damit er seinen Wünschen gemäß Herkunft, Fähigkeiten, Ausbildung bzw. Bildung als angemessen erscheint. Danach liegt es auf der Hand, daß die Frage nach dem Lebensstandard im Imperium Romanum eigentlich nicht beantwortbar ist. Die riesige Ausdehnung des Reiches, die vielfältigen Völker und Ethnien mit - trotz voranschreitender Romanisierung - unterschiedlichen Traditionen, der unausgewogene zivilisatorische Standard (ζ. B. der von Britannien verglichen mit dem des westlichen Kleinasien), die naturräumlichen Unterschiede einschließlich der klimatischen Verhältnisse (ζ. B. Germanien im Vergleich zu Ägypten) und vieles mehr lassen eine Gesamtschau nicht zu. Hinzu kommt in besonderer Weise das Dilemma der gesamten Uberlieferung. Tendenziös kann formuliert werden: Reichtum - das heißt hier hoher Lebensstandard - hinterläßt Quellen, Armut - also niedriger Lebensstandard - hinterläßt kaum Quellen. Insbesondere betrifft das die schriftliche Uberlieferung. Die kaiserzeitlichen lateinischen und griechischen Autoren sind in der Regel zumindest einer lokalen Oberschicht zuzuordnen, womit nicht unbedingt ihr rechtlicher, sondern ihr sozialer Status gemeint ist. Das heißt, ihre persönliche Lebensweise und -erfahrung ist mehr oder weniger weit von der Armut entfernt,

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Darstellung/Lebensstandard was noch durch die verschiedenen Genres der verfaßten Literatur pointiert wird. Das Anliegen eines Tacitus oder Cassius Dio war es nicht, den Lebensverhältnissen unterer Bevölkerungsschichten Aufmerksamkeit zu widmen. Gewiß schimmern diese durch - aber nur, wenn sie in die Dramaturgie oder Komposition ihrer Darstellungen paßten. So bewegte sich der senatorische Briefeschreiber und -empfänger Plinius der Jüngere literarisch mehr oder weniger ausschließlich in seinem gesellschaftlichen Milieu. Komplexere Informationen über die hier interessierenden Lebensbereiche liefern indes die Romanautoren und Satiriker, die ihre Geschichten nicht nur im Umfeld der Reichen und Bevorrechtigten ansiedelten. Es mag der Hinweis auf Apuleius' Metamorphosen und verschiedene literarische Zeugnisse des Satirikers Lukian (beide 2. Jh. n. Chr.; vgl. M 7 5 u. 7 9 ) genügen. Selbst die epigraphische Uberlieferung, die ansonsten unzählige Informationen für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte bietet, informiert in der Regel oberhalb der .Armutsgrenze'. Man kann auch hier zum besseren Verständnis tendenziös formulieren: Wer einen einfachen Grabstein hinterlassen konnte, war nicht ganz mittellos. Die Papyri und Ostraka aus dem römischen Ägypten sind ebenfalls mit gewisser Zurückhaltung heranzuziehen. Einerseits bieten diese Quellen in erstaunlicher Dichte die Möglichkeit, den Lebensstandard großer Bevölkerungskreise im städtischen wie dörflich/ländlichen Milieu zu skizzieren, andererseits fehlen in der gesamten papyrologischen Überlieferung unmittelbare Äußerungen - besser: Beschreibungen - der ökonomischen Situation des Schreibers. So gibt es keinen Privatbrief etwa folgenden Inhalts: ,Mir geht es sehr schlecht, weil niemand meine Keramikprodukte kauft. Ich weiß nicht, wie ich die Steuern bezahlen soll. Es reicht hinten und vorne nicht mehr. Auch war die Ernte aus meinem angepachteten Garten katastrophal. Aber das betrifft ja viele hier im Ort, denn der Nil führte in diesem Jahr kaum Wasser. Deshalb steigen hier auch die Preise für Nahrungsmittel von Tag zu Tag. Außerdem drückt mich das Darlehen, das bald fällig ist. Ich befürchte, man wird mir bald das Haus wegpfänden. Dann bleibt mir nur noch, nach Alexa n d r i a zu gehen, um mein Glück als Tagelöhner in der Stadt zu suchen.' Die in diesem konstruierten Brief angeführten Sachverhalte (Steuerlast, Mißernten, zu niedriger Nilstand, Preissteigerungen, Verschuldung, Pfändung von mobilem und immobilem Besitz, Ortswechsel oder Flucht aufgrund der bedrängenden Verhältnisse) sind vielfach belegt und zumeist monographisch untersucht bzw. dargestellt worden ( z . B . BONNEAU 1993; DIES. 1971; D R E X H A G E 1 9 9 1 a; T E N G E R 1 9 9 3 ; BRAUNERT 1 9 6 4 ) . A n g e s i c h t s d e r V i e l z a h l

bislang edierter Privatbriefe aus dieser Zeit (ca. 2.100; vgl. HABERMANN 1998, 156 Abb. 10) ist das Nichtvorhandensein solcher oder ähnlicher Äußerungen erstaunlich, zumal alle einschlägigen wirtschaftsgeschichtlichen Untersuchungen mindestens darin übereinstimmen, große Teile der ägyptischen

Reichtum/Armut Bevölkerung hätten nahe dem Existenzminimum leben müssen. Es bleibt aber doch zu bedenken, daß allein die Literalität der Briefschreiber - um bei dem Typus dieser Quellengruppe zu bleiben - nicht unmittelbar an total verarmte Bevölkerungskreise denken läßt.* Auch die archäologische - hier besonders die provinzialarchäologische Uberlieferung ist nicht so gestaltet, über die Lebenssituation aller Bevölkerungskreise in gleichwertiger und ausgewogener Weise Aussagen zuzulassen. In Anlehnung an oben vorgebrachte Formulierungen gilt cum grano salis der Satz: Reichtum hat eine Archäologie, Armut keine. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Uber die villae rusticae - ihre Anlage, ihre Areale, ihre Betriebs- und Produktionsweise usw. - sind wir für einige Regionen auf reichsrömischem Gebiet erstaunlich gut informiert (s. o. S. 7 5 - 7 9 ) . Alle diesbezüglichen Informationen weisen auf eine gehobene und ökonomisch gut fundierte Lebenssituation ihrer Eigentümer hin. Kein Zweifel herrscht indes darüber, daß es gleichzeitig kleine Bauernstellen gab, auf denen die Menschen Subsistenzwirtschaft betrieben. Ihre Lebenssituation ist schwer faßbar. Sicher ist nur Dreierlei: a) Der Abstand zur ökonomischen Situation der Villenbesitzer war ungeheuer groß; b) diese Menschen waren jedweden Veränderungen mit Negativfolgen in besonderem Maße ausgesetzt; c) sie konnten schnell in wie auch immer geartete Abhängigkeitsverhältnisse zu einem benachbarten Villenbesitzer geraten. Beschreibt etwa ein möglicher Befund einer kleinen Bauernstelle in Verbindung mit den Informationen, die das pseudovergilianische ,Moretum' bietet (vgl. M 26), und anderen Daten aus weiteren Quellengruppen die Lebenssituation einigermaßen realistisch? Eine aufrichtige Antwort kann nur lauten: Nach dem jetzigen Quellen- und Forschungsstand sind lediglich Annäherungen möglich, die sehr unterschiedliche Qualitäten - je nach Region und Zeitstellung - haben; und die Unsicherheiten, die Annäherungen nun einmal beinhalten, betreffen auch die Beschreibungsversuche der Lebensverhältnisse unterer Bevölkerungskreise in den Städten des Reiches. Im folgenden können deshalb nicht genau konturierte Lebensstandards vorgelegt werden; die genannten Zahlenmaterialien sind lediglich als Rahmendaten aufzufassen, innerhalb derer sich das Leben gestaltete.

7.1 Reichtum/Armut Auf den kaiserlichen Reichtum und die daraus erwachsenen Gestaltungsmöglichkeiten ist schon oben eingegangen worden (s. o. S. 4 3 - 5 7 ) . Hier wenden wir uns zunächst einigen Daten zu, die Mitglieder der ordines, d. h. *

Vgl. zu verschiedenen Aspekten der Literalität CRIBIORE 1996.

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Darstellung/Lebensstandard der senatorischen und ritterlichen Führungsschicht des Reiches, und die regionalen Eliten betreffen. Bekanntlich stellten 1 Mio. HS und 400.000 HS das Mindestvermögen für einen Angehörigen des Senatoren- bzw. Ritterstandes dar. Zu einer Qualifizierung als Mitglied des ordo decurionum in den römisch organisierten Städten führte in der Regel der Nachweis eines Vermögens im Umfang von 100.000 HS; in einigen Städten war die Qualifikation allerdings niedriger - etwa 20.000 HS in den kleinen Municipien Nordafrikas. Wir können allerdings davon ausgehen, daß die meisten der seit augusteischer Zeit amtierenden 600 Senatsmitglieder erheblich größere Vermögen besaßen. Zu den reichsten Persönlichkeiten seiner Zeit gehörte ohne Zweifel der Erzieher Neros und Philosoph L. Annaeus Seneca, dessen Vermögen auf 300 Mio. HS geschätzt wurde (Tac. ann. 13,42,4). Den Grundstock bildete die Hinterlassenschaft seines Vaters (vgl. MRATSCHEK-HALFMANN 1993, Nr. 77). Senecas Einnahmen aus großangelegter Wein-, Öl- und Olivenproduktion, die er auf eigenen Gütern in Italien und Hispanien betreiben ließ, stellten nur einen Teil seiner Einkünfte dar. Er besaß auch umfangreichen Grundbesitz in Ägypten und wahrscheinlich auch im kleinasiatischen Galatien. Allein sein ägyptischer Besitz umfaßte 2.500 Aruren (= 689 ha), was ihn nach dem Kaiser zum größten Grundbesitzer in jener Provinz machte. Immense Einkünfte sind ihm ferner aus Darlehensvergaben zugeflossen. Die unmittelbaren kaiserlichen Zuwendungen - als Ausdruck der regia amicitia Neros - werden die Größenordnung seines Gesamtvermögens wesentlich bestimmt haben (vgl. MRATSCHEK-HALFMANN ebd. Nr. 128 mit Quellen u. Lit.). Fast bescheiden nehmen sich dagegen die Vermögensverhältnisse des jüngeren Plinius aus, der in seinen Briefen vielfältige Informationen über seine Besitzungen und sein Geschäftsgebaren hinterlassen hat. Sein in der Forschung auf ca. 20 Mio. HS geschätztes Vermögen betrachtete Plinius selbst als modicae facultates („bescheidene Vermögensverhältnisse"). Grundbesitz und mehrere Villen konzentrierte er auf den italischen Raum und Rom. Einkünfte aus diesen Ländereien, Geldverleih und Erbschaften - diese allein im Umfang von 1,45 Mio. HS - ermöglichten es ihm, der Allgemeinheit Stiftungen im Wert von ca. 5 Mio. HS zukommen zu lassen (vgl. MRATSCHEK-HALFMANN, Nr. 281). Stellte sich Plinius in seinen Briefen als maßvoller Mensch dar, dessen Tages- und Lebenslauf auf Erfüllung aufgetragener und selbst auferlegter Pflichten abzielte und das ständige Bemühen, in rechtem Maß auf alle Eventualitäten zu reagieren, kommt er doch in seinen berühmten Villenbriefen (ep. 2,17 u. 5,6) ins Schwärmen, wenn er die Annehmlichkeiten standesgemäß e n W o h n e n s f o r m u l i e r t (vgl. FÖRTSCH 1 9 9 3 ) .

Insgesamt muß man den Senatoren des 1. und 2. Jh.s n. Chr. eine ungemeine Baufreude attestieren, die bisweilen völlig ausartete. Seneca kannte

Reichtum/Armut weit und breit keinen See und keinen Golf mehr, der nicht das landschaftlich angemessene Ambiente für die palastartigen Villen seiner Standesgenossen bot (Sen. ep. 89,20 f.); er selbst soll in seinem Bauluxus sogar die Pracht kaiserlicher Villen übertroffen haben (vgl. Tac. ann. 14,52,2). Geradezu ruinös war indes die Bauwut der Cretonii oder Caetronii (Vater und Sohn) in julisch-claudischer Zeit (vgl. MRATSCHEK-HALFMANN ebd. Nr. 84). Hatte der Vater schon durch die Anlage marmorner Villen in verschiedenen Gegenden Italiens sein Vermögen stark strapaziert, ruinierte sich der Sohn, der durch Verwendung „besseren Marmors" offensichtlich seinen Vater noch übertreffen wollte (luv. 14,86-95). Dieser aufwendige Lebensstil mußte finanziert werden! In der Forschung sind oft die Einkünfte aus der Landwirtschaft so in den Mittelpunkt gerückt worden, daß andere Ressourcen der Vermögensmaximierung eine mehr oder weniger randständige Bedeutung erhielten. Hierbei spielten Bemühungen, wirtschaftliche Äußerungen mit vermuteten oder unterstellten Wirtschaftsmentalitäten und .Lebensrealitäten' auf einen Nenner zu bringen, eine erhebliche Rolle. Nach dem heutigen Stand der Forschung muß man aber davon ausgehen, daß von vielen Angehörigen des Senatorenstandes jede Möglichkeit der Bereicherung wahrgenommen worden ist. Wenn Senatoren mit den ausschließlichen Einkünften aus der Landwirtschaft zufrieden waren, war das lediglich eine individuelle Entscheidung, die den Vorteil hatte, mit traditionellen Verhaltensnormen übereinzustimmen. Andere zeigten sich ungeachtet der Kritik mancher Standesgenossen um weitere Profite bemüht. Senatoren waren z. B. offen am Holzhandel beteiligt, ferner an der Ausbeutung von Minen und Steinbrüchen, an der Ziegelproduktion, an groß angelegter Textilproduktion, an Finanzgeschäften jeder Art (Darlehensgeber, -nehmer, Kapitalbeteiligung am Seehandel usw.), am Wohnungsbau, an den Mieteinnahmen städtischer Gebäudekomplexe und sogar am Sklavenhandel (s. etwa S. 108, 111, 155 f., 167). Man kann es nicht deutlich genug betonen: Vermischte Einkünfte beschreiben eher die Struktur senatorischen Wirtschaftsengagements als ausschließliche Einkünfte aus ihrem Großgrundbesitz (vgl. insgesamt MRATSCHEK-HALFMANN 1993, 9 5 - 1 3 2 ) . In der Forschung werden oft .Strohmänner' beschworen, die die Beteiligung von Senatoren in allen Wirtschaftssparten - auf diese Weise ethische und juristische Hindernisse umgehend - organisiert hätten. In diesem Zusammenhang wurden und werden Freigelassene infolge der besonderen Klientel-, Patronats- und Verpflichtungsverhältnisse in der Kaiserzeit als besonders prädestiniert für solche Funktionen erachtet (vgl. z. B. SCHLEICH 1983; DERS. 1984). Will man damit u. U. suggerieren, diese seien in verschiedenen Geschäftsbereichen aufgetreten, um die Öffentlichkeit über die Kapitalgeber im Unklaren zu lassen? Es mag sein, daß damals Sondierungen des Marktes und erste konkret ausformulierte Geschäftskontakte über Dritte

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Darstellung/Lebensstandard liefen, die den senatorischen Damen und Herren bei Bedarf oder regelmäßig Bericht erstatteten, um danach neuen Direktiven Folge zu leisten. Der Versuch, sich an groß angelegten Unternehmungen auf Dauer .heimlich' zu beteiligen, hätte bei Licht betrachtet aber gar keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Denken wir nur an die engen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verflechtungen der senatorischen Familien, den Klatsch und Tratsch, den man übereinander in Rom zu verbreiten pflegte. Wenn man es darauf anlegte, konnte man jeden kennenlernen und über jeden etwas Anstößiges in Erfahrung bringen, und zwar auf allen Kommunikationsebenen, die eine senatorische familia oder clientela bot. Daß die Quellen über solche Anstößigkeiten schweigen, darf indes nicht verwundern. Wirtschaftliche und geschäftliche Interna, die nicht unmittelbar die Landwirtschaft betrafen, waren einfach nicht literaturwürdig. Daraus die dogmatische Folgerung zu ziehen, generell sei auch der Versuch, aus dem Handel und Gewerbe Gewinne zu ziehen, als unehrenhaft empfunden und daher selten unternommen worden, führt jedoch zu weit und an der Wirklichkeit vorbei. Einerseits vergleichbar und andererseits doch zu unterscheiden sind die Vermögen und Geschäftsgebaren der Angehörigen des ordo equester. Zunächst hat die berühmte Maecenasrede bei Cassius Dio, wonach den Rittern die Finanzverwaltung und Wirtschaft des Reiches in die Hände gelegt worden sei (Cass. Dio 52,25,1 ff.), vielfach zu der Sicht geführt, man könne die vermögende ,Spitze' der reichsrömischen Gesellschaft nach dem Kaiser in zwei Gruppen teilen: in eine senatorische Grundbesitzerschicht mit einem ausgeprägten Rentierverhalten und eine ritterliche Unternehmerschicht, die im Verbund mit dem Staat oder aus privatem Engagement eine .pressuregroup' darstellte. Unstrittig wurden die Staatsfinanzen bis weit ins 2. Jh. n. Chr. zu großen Teilen von Rittern verwaltet und von den ihnen unterstehenden Helfern eingetrieben; aber nicht zuletzt G. Alföldy hat darauf hingewiesen, daß man nur sehr eingeschränkt von einer ritterlichen Domäne angesichts der senatorischen Macht- und Verwaltungsbefugnisse und der über allem stehenden kaiserlichen Autorität sprechen kann (vgl. ALFÖLDY 1981, 174-176). Die Vermögenslage der Ritter ist heterogener als die der Senatoren. Wir haben es ja nicht mehr mit einigen hundert Individuen zu tun, sondern mit zunehmend mehr als 20.000 im 1. und 2. Jh. n. Chr. (vgl. ALFÖLDY 1984, 106). Das für die Zugehörigkeit zum ordo equester vorgeschriebene Mindestvermögen von 400.000 HS war für viele keine schwere Hürde. Einige bekannte ritterliche Vermögen standen senatorischen in nichts nach, und man kann nach jetzigem Quellenbestand annehmen, daß Ritter ohne Befürchtungen um ihre Standeswürde in allen Sparten des Wirtschaftslebens ihren Profit suchten. Kann es daher nicht so sein: Da wir mehr Quellen (v. a. Inschriften) über das wirtschaftliche Gebaren von mehr als 20.000 ritterlichen Individuen haben,

Reichtum/Armut besitzen wir auch mehr Informationen über ihre verschiedenen wirtschaftlichen Aktivitäten, die zu mehr oder weniger großen Teilen für senatorisches Wirtschaftsengagement (noch) nicht belegt sind. Ein schon erwähntes Zeugnis mag dies verdeutlichen: Im Jahre 42 oder 43 n. Chr. ist der Prokonsul der Asia, C. Sallustius Crispus Passienus (höchstwahrscheinlich) als Patron der Sklavenhändler von Ephesos geehrt worden, was seine Beteiligung am Sklavenhandel nahelegt (I. Eph. V I I 1 N r . 3025; vgl. MRATSCHEK-HALFMANN,

1993, 103 und Nr. 90). Wenn unsere Vermutung nach dieser zugegebenermaßen fragmentarischen Inschrift richtig ist, muß auf jeden Fall die unbefangene Zurschaustellung seiner Aktivitäten in dieser eher unrühmlichen Sparte des Handels überraschen. Gemeinhin nämlich würden wir solche Praktiken zur Gewinnmaximierung nur Angehörigen des Ritterstandes zutrauen. Grundsätzlich verhielten sich reich gewordene Ritter genauso wie Senatoren. Sie investierten in Landbesitz und sicherten so ihr Vermögen. Was hätten sie auch sonst tun sollen? Für recht wenige Ritter - gemessen an der vermutlichen Gesamtzahl - eröffnete der Staatsdienst erhebliche Einnahmen. Die prokuratorischen Jahresgehälter von 60.000, 100.000 und 200.000 HS (seit Mark Aurel auch 300.000 HS und im Falle des Präfekten von Ägypten und der Prätorianergarde noch mehr; s. o. S. 52 f.) zeigen zunächst nur die ungeheure Kluft zwischen niedrigen und hohen Einkommen. Wir wissen ja nicht, welche Summen die den Ämtern entspringenden Verpflichtungen verschlangen. Tatsache ist aber, daß bei erfolgreichem Karriereverlauf sich wiederum weitere Einkunftsmöglichkeiten für die Ritter (und grundsätzlich auch für senatorische Amtsträger) eröffneten - sei es durch kaiserliche Dotationen oder durch allgemeine Erweiterung der wirtschaftlichen Gestaltungsräume. Wie im Senatorenstand spielten bei der Vermögenskumulierung im ordo equester Erbschaften, Adoptionen und Heiraten eine wichtige Rolle. Seltener kann man aber im ritterlichen Milieu Vermögensentwicklungen über mehrere Generationen beobachten. Die Karrieren vieler engagierter Ritter führten in den Senatorenstand. Diese Individuen verfügten also wenigstens über das für die Zugehörigkeit zu diesem ordo vorgeschriebene Mindestvermögen von 1 Mio. HS. Die meisten Ritter begnügten sich aber mit dem Privileg der Zugehörigkeit zum ordo equester, um frei von den Verpflichtungen, die jede Karriere nun einmal mit sich brachte, auf provinzialer und lokaler Ebene mit ihrem Vermögen und ihren Verbindungen zu wirken und zu wirtschaften. Gewiß wurden sie im Vergleich zu den Reichsspitzen z. T. als ,arm' angesehen. Diese standesbezogene, also relative paupertas kennen wir aber auch bei Senatoren (vgl. MRATSCHEK-HALFMANN 1 9 9 3 , 1 2 7 - 3 2 ) .

Der Reichtum der lokalen Eliten, bei denen Ritter die vermögende Spitze darstellten, ist noch differenzierter zu betrachten. Aus den Vermögenden

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Darstellung/Lebensstandard der rund 2.000 Städte im Reich rekrutierte sich im 1. und 2. Jh. die selbständige Körperschaft des ordo decurionum.

Wie schon erwähnt, mußte dafür in

den größeren Städten ein Vermögensnachweis über 100.000 H S erbracht werden, während in kleineren Städten schon 20.000 H S ausreichen konnten (s. o. S. 164). Dieser ordo

bestand in der Regel aus 100 Männern, sofern so

viele Einwohner in einer Stadt über das erforderliche Mindestvermögen verfügten. In großen Städten, die durch eine günstige Lage und ein ertragreiches Territorium privilegiert waren, hätten indes schon viele Dekurionen der ritterlichen Vermögensqualifikation genügen können (z. B. Tarraco, Karthago, Lyon). Andererseits werden wohl die meisten Dekurionen in den kleineren Städten nur im lokalen bzw. regionalen Vergleich ,reich' gewesen sein. Selbstverständlich gehörte diesen Männern bzw. Familien der weitaus größte Teil des Grund und Bodens in den Städten und den umgebenden Territorien und ebenso selbstverständlich suchten diese weiteren Profit in den Wirtschaftssparten zu machen, die ihre Lebenswelt bot, i. e. bei der Vermarktung landwirtschaftlicher Uberschußproduktion, der Verpachtung von eigenem Land, der Vermietung von gewerblich nutzbaren Räumen, bei Geldgeschäften und unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligungen an Produktion und Handel. Die Masse der Dekurionen, die reichsweit auf ca. 100.000 bis 150.000 Individuen geschätzt wird (vgl. ALFÖLDY 1984, 110), konnte sich zwar nie der Hoffnung hingeben, irgendwann ganz oben in der Skala des Reichtums zu stehen, aber die von ihnen ausgehenden wirtschaftlichen Impulse und Leistungen sind keinesfalls zu unterschätzen. Sie organisierten die städtischen Finanzen (vgl. LANGHAMMER 1973, 9 5 - 1 4 7 ) und sie gestalteten mit ihrem Vermögen in vielfältiger Weise das Stadtbild und das öffentliche Leben in der Kommune. Durch ihre soziale Position ergaben sich auch Verbindungen zu den ori/o-Angehörigen anderer Städte und zu Persönlichkeiten der höheren Stände bis hin zum Kaiserhaus, die wirtschaftlich nutzbar waren (vgl. ZIETHEN 1994). Es läßt sich nicht verleugnen, daß sich in diesem System von Verpflichtung und Freiwilligkeit viele finanziell überforderten. Entscheidend ist aber: Dieses System funktionierte ohne großflächige Einbrüche bis zum Ende des 2. Jh.s, weil - vereinfacht gesagt - die Rahmenbedingungen stabil waren. Handgreiflicher Ausdruck des Engagements und der ökonomischen Potenz unzähliger Dekurionen sind die vielen Zeugnisse über das Stiftungswesen. Sie offenbaren ein vergleichbares Verhalten wie das der Kaiser, Senatoren und Ritter auf Reichs- und Provinzebene. Uber die Motive und Absichten dieser Verhaltensweise sollte allerdings von Fall zu Fall diskutiert werden. In der Forschung wird der Euergetismus (i. e. das .Wohltätertum') immer noch mehr oder weniger ausschließlich ,als Basis gesellschaftlicher Reputation und Macht' aufgefaßt, der durch die Konkurrenz in der ostentativen Freigebigkeit die ökonomischen Möglichkeiten der lokalen Eliten mehr und mehr überstrapazierte (vgl. GEHRKE 1998).

Reichtum/Armut Das ist insofern eine eingeschränkte Sichtweise, als nur die gesamtwirtschaftlichen Folgen des Scheiterns dieses .Systems' gesehen werden, nicht aber die auch zu vermutenden - ökonomischen Absichten und Erwartungen der jeweiligen Euergeten. Es geht hier nicht darum, eine andere Hierarchie der Motive fordern zu wollen, sondern lediglich darum zu fragen, ob denn die antike Wirtschaft in allen Details und Aspekten wirklich so anders war, d. h. jede Nähe zu neuzeitlichen (modernen) Verhaltensweisen, Abläufen und beabsichtigten oder absehbaren Folgen a priori disqualifizierend ist. Es ist interessant sich vorzustellen, was eigentlich passierte, wenn sich ein vermögender Bürger in einer Stadt - ob gedrängt oder .ostentativ' freiwillig bereit erklärte, ζ. B. 500.000 HS für die Errichtung eines Gebäudes zu spenden. Man muß sich doch fragen: Konnte er frei entscheiden, was für ein Gebäude errichtet werden sollte (Tempel, Theater, Thermen usw.)? Wurden anläßlich sicher stattgefundener Gespräche mit dem Stadtrat oder Exponenten des Stadtrates Kalkulationen aufgestellt, wenn man sich für eine konkrete Baumaßnahme entschieden hatte? Wurden sekundäre Funktionen einer Baumaßnahme ins Auge gefaßt? Wurde die Frage etwaiger Folgekosten angerissen bzw. geregelt? Inwieweit hat das Wissen um das verfügbare Arbeitskräftepotential für die Errichtung eines Gebäudes eine Rolle gespielt? Usw., usw. - Und schließlich kann man erörtern, ob es den Stiftern nie in den Sinn kam, aus ihren Stiftungen wieder Kapital zu schlagen. Stellen wir uns doch einmal folgende Situation vor: Ein Stadtrat und ein stiftungsbereiter Bürger einer Stadt, der ja mit recht großer Wahrscheinlichkeit - wenn er kein Freigelassener war - Mitglied des Stadtrates war, kommen darin überein, die Stadt müsse endlich eine adäquate Thermenanlage haben. Beide einigen sich auf folgende Verfahrensweise: Die Stadt stellt per decretum decurionum den Baugrund, der Stiftungswillige zahlt die Errichtungskosten (Planung, Material, Arbeitskräfte) und sichert sich die Einnahmen aus der Gesamtbewirtschaftung, um im Gegenzug die Unterhaltungskosten zu übernehmen. Ein solches Verfahren konnte ihm durchaus Vorteile bringen. Vielleicht rechnete er damit, das Kapital durch verschiedene Einkommensposten nach und nach zurück zu erwirtschaften, etwa durch Eintrittsgelder, Gastronomie-Einnahmen, Verpachtung von Räumen an Gaderobiers oder Masseure, den Verkauf oder Verleih von Badeutensilien und die Vermietung von in den Thermenkomplex integrierten Läden und Räumen etwa für gesellige Zusammenkünfte, Feiern u. dergl. (vgl. dazu NIELSEN 1990, 119-146). Ohne sich von der Wahrheit grundsätzlich zu entfernen, konnte der Stadtrat dem Stifter dennoch eine ehrende und dankende Inschrift anfertigen lassen, die die Freigebigkeit (liberalitas) des Gönners in üblicher Form würdigte. Natürlich wird in keiner solchen Inschrift erwähnt, wie zäh u. U. die Verhandlungen bis zum ersten Spatenstich verlaufen sind; ebensowenig werden wir regel-

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Darstellung/Lebensstandard mäßig Interna über die vereinbarten Bewirtschaftungsmodalitäten erwarten können, insbesondere wenn sie die Uneigennützigkeit des Wohltäters auch nur ansatzweise in Frage stellten. Weiterhin sind auch keine Informationen über eine eventuelle Hebung der wirtschaftlichen Attraktivität einer Stadt infolge der Baustiftungen zu erwarten. Bisweilen schimmern solche Interna aber doch durch, wofür hier nur ein Hinweis genügen soll: Zum Ende des 2. Jh. wurde ein Gönner der südkleinasiatischen Stadt Perge inschriftlich geehrt. Er hatte sich um Bauten und Ausbauten schon vorhandener Gebäude sehr verdient gemacht. Hervorgehoben wird, daß er die Einkünfte aus einem von ihm gestifteten Ballspielplatz im Gymnasium der Vaterstadt zur Verfügung gestellt hat (I. K. 54, Nr. 193). - Zumindest liegt es nahe, daß sonst die Einkünfte in die Tasche des selbstlosen Stifters geflossen wären. Wie schon gesagt, geht es aber nicht darum, die hier in den Raum gestellten Motive für gewisse Stiftungen gegenüber anderen in den Vordergrund zu stellen; es kann nur darum gehen, den Horizont der Befragungsmöglichkeiten zu erweitern, wie dies jüngst W. Eck konsequent getan hat (vgl. ECK 1997). Nun aber zurück zum .Reichtum'! Neben vermögenden Angehörigen der ordines gibt es eine soziale Gruppe in der reichsrömischen Gesellschaft, die immer reiche Individuen stellte: die Freigelassenen. Dieser Sozialtypus hat sehr intensives Forschungsinteresse erfahren, weil er erstens das ,Anderssein' antiker Gesellschaft deutlich macht und zweitens sehr häufig in den epigraphischen und literarischen Quellen erwähnt wird. Gerade die hohe Präsenz in den Quellen, zudem noch in solchen, die wirtschaftsgeschichtlich interessante Informationen beinhalten, verführt oft dazu, den Freigelassenen einen zu hohen Stellenwert im Wirtschaftsgefüge zuzuweisen. Kein Zweifel herrscht indes darüber, daß die Freigelassenen in der Kaiserzeit zeitlich und räumlich verschieden stark präsent waren. Wir können, vereinfacht gesagt, folgendes annehmen: Regionen, die im 1. Jh. n. Chr. einen hohen Stand römischer Zivilisation aufwiesen (d. h. reich an Städten und wirtschaftlich potenten Bürgern waren), besaßen ein höheres Sklavenpotential, was nach allen Erkenntnissen im 1. und 2. Jh. n. Chr. auch zu einer größeren Zahl von Freigelassenen führte. Daher spielten Freigelassene im italischen Raum dieser Zeit sicher eine wichtigere Rolle im Wirtschaftsleben als in Gallien, auf der iberischen Halbinsel oder gar in Britannien. Die diesbezüglichen Verhältnisse in den Ostprovinzen müssen wiederum gesondert betrachtet werden. So kann etwa die Bedeutung der Sklaven und demnach auch die der Freigelassenen im quellenmäßig gut dokumentierten römischen Ägypten als nachrangig eingeo r d n e t w e r d e n (vgl. BIEZUNSKA-MALOWIST 1 9 7 7 ) .

In der Regel entsprachen die ökonomischen Gestaltungsräume der Freigelassenen denen zur Zeit ihres Sklavendaseins, oder anders formuliert: Einem Freigelassenen aus einem senatorischen Haushalt in Italien - im Ver-

Reichtum/Armut bunde mit seinen Fähigkeiten, seinen Aufgaben und Funktionen und möglicher Bildung bzw. Ausbildung, die ihm als Sklave zuteil geworden ist eröffneten sich gänzlich andere Möglichkeiten als etwa einem Freigelassenen eines Webers in einem römisch-ägyptischen Dorf, eines Händlers im antiken London, einer recht vermögenden Frau in Nordafrika (etwa vom Typus der Aemilia Pudentilla - vgl. MRATSCHEK-HALFMANN 1993, Nr. 313). Was die armen wie reichen Freigelassenen aber einte, war die Tatsache, daß sie von der Gesellschaft einerseits nicht systematisch ausgegrenzt, andererseits aber auch nicht vollständig integriert worden sind. Genau diese ambivalente Situation ist wohl der Grund für ihre hohe Präsenz in den Quellen: Der ökonomische Erfolg samt seiner Zurschaustellung, die sich im Grunde durch nichts von der entsprechenden Selbstdarstellung senatorischer Kreise oder der lokalen Eliten unterschied, war die einzige Möglichkeit, den mehr oder minder alltäglich spürbaren Animositäten, Zurück- oder Zurechtweisungen, Handlungszwängen, -pflichten, -grenzen und traumatischen Erinnerungen an das eigene Sklavendasein etwas entgegenzusetzen; und man konnte dokumentieren, daß man willens und in der Lage war, dem Wertesystem der Gesellschaft zu entsprechen (vgl. zur Bewertung der liberti ANDREAU 1991). Grundsätzlich gilt dieses Verhalten auch für die extrem reichen kaiserlichen Freigelassenen, die durch Zugehörigkeit zur familia Caesaris und vielfältige bzw. zentrale Funktionen in der Verwaltung des kaiserlichen Haushalts und Reiches exponierte Positionen einnahmen. Dies machte einige von ihnen zeitweise zu Mitherrschern des Reiches, namentlich die berüchtigten Günstlinge Pallas und Narcissus unter Claudius. Beide besaßen - Grund und Boden in Rom, Italien und Ägypten eingeschlossen - riesige Vermögen im Umfang von 300 und 400 Mio. HS. Ihre Besitzstruktur unterschied sich nicht von der der vermögenden Senatoren; sie hoben sich lediglich in ihren zusätzlichen Einkommensmöglichkeiten, die sich aus ihrer Funktion als Chef der kaiserlichen Finanzverwaltung bzw. Korrespondenz ergaben, von diesen ab (vgl. MRATSCHEK-HALFMANN 1 9 9 3 , N r . 1 0 9 u. 1 2 2 ) .

Aber auch geschickt eingesetzte Bildung konnte zu erstaunlichem Reichtum führen. Dieses lebte der schon mehrfach erwähnte Q. Remmius Palaemon vor, der unter Tiberius und Claudius als insignis grammaticus wirkte und dessen Jahreseinkommen 800.000 HS betrug. Er war ein wendiger Mann, der als ,Lehrer', Unternehmer in der Textilbranche und Besitzer von Weinbergen großen Erfolg hatte (s. o. S. 89,112 u. 132). In vielen Städten Italiens und in den Provinzen erarbeiteten Freigelassene z. T. Vermögen, die denen der lokalen Eliten ebenbürtig waren, und sie traten wie diese als Wohltäter hervor. Berühmt ist die Grabinschrift des Freigelassenen Publius Decimius Eros Merula aus dem römischen Assisi, der schon als Sklave durch seine Kenntnisse als clinicus chirurgus und ocularius 50.000 HS

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Darstellung/Lebensstandard für seine Freilassung erwirtschaften konnte. Er stieg in den Sevirat auf, wofür er sich mit 2.000 HS an die Gemeindekasse .bedankte'. Insgesamt 37.000 HS spendete er noch für Straßenpflasterungen und die statuarische Ausstattung eines Tempels. Sein hinterlassenes Vermögen betrug mindestens 500.000, vielleicht 800.000 HS (CIL X I 5400 = ILS 7812). Ob Eros Merula vergleichbare Ehrungen durch Dekurionenbeschluß wie dem Freigelassenen Lucius Urvineius Philomusus im italischen Praeneste zuteil geworden sind, entzieht sich indes unserer Kenntnis. Dieser hatte nämlich testamentarisch verfügt, dem populus der Stadt auf drei Jahre unentgeltlich Eintritt in die Bäder zu gewähren, zehn Gladiatorenpaare bereitzustellen, der Fortuna Primigenia einen 1 Pfund schweren goldenen Kranz zu stiften und fünftägige Spiele im Wert von 40.000 HS zu veranstalten. Dafür ehrte der ordo decurionum den Wohltäter mit einer Begräbnisstelle und einem Platz für eine Statue auf dem Forum (vgl. ECK/HEINRICHS 1993, Nr. 344). Auch Frauen aus dem Freigelassenenmilieu sind als Stifterinnen bekannt (vgl. ebd. Nr. 346). Auffällig ist, daß vor allem im italischen Raum Stifter oft als Angehörige der Sevirate und als Augustalen erkennbar sind. Es ist keineswegs abwegig, in diesen Herren einen städtischen Mittelstand zu erblicken, der maßgeblich mit seinem Vermögen innerstädtische Abläufe mitgestaltete (vgl. ABRAMENKO 1993, bes. 142-154). Die Frage ist dann aber: Wie ordnen wir die Stadtbewohner ein, die durch Tätigkeiten in Produktion und/oder Handel und Dienstleistungen im weitesten Sinne über mehr oder weniger regelmäßige Einnahmen verfügten und sich bescheidene Annehmlichkeiten leisten konnten? Darauf ist nach der jetzigen Quellenlage kaum eine befriedigende Antwort zu geben. Schwer wiegt hier auch - wie so oft - die Unmöglichkeit zu quantifizieren. Wieviele Freigelassene waren z. B. im antiken Assisi Zeitgenossen des oben genannten Arztes Eros Merula, die es ihm kraft ihres unterschiedlichen Vermögens und ihrer spezifischen Bereitschaft' zur Wohltätigkeit gleichtun konnten? Oder - was können wir damit anfangen, daß es im Jahre 7 v. Chr. 215 römische Bürger in der Kyrenaika gab, die ein Vermögen von mehr als 10.000 HS deklariert haben (vgl. zu den Kyrene-Edikten KLENAST 1999, 466 f. 493)? Letztlich können wir nur sagen: Zwischen den divites et praepotentes und den Glücklichen, deren ökonomische Situation es ermöglichte, als Stifter auf Inschriften verewigt zu werden, und den unzähligen Armen, die immer am Existenzminimum leben mußten und stets die ersten Opfer z. B. saisonaler Preisschwankungen waren, lebten Menschen, die ein leidliches Auskommen fanden und sogar mehr oder minder bescheidene Rücklagen bilden konnten (vgl. M 69). Weitgehend einig ist man sich in der Forschung über die bedrückenden Lebensverhältnisse der meisten Menschen im römischen Reich. Von verschiedenen Seiten haben sich Gelehrte diesem Fakt genähert und uns Blicke auf die Schattenseite antiker Lebensrealität ermöglicht. Erst jüngst ist eine

Reichtum/Armut zusammenfassende Arbeit vorgelegt worden, die grundsätzlichen Charakter hat, was die Vernetzung der literarischen Überlieferung betrifft (vgl. PRELL 1997). Im vorliegenden Zusammenhang kann nur die materielle Armut beleuchtet werden. Die .relative Armut', die ja auch Angehörige der

ordines

betreffen konnte (s. o. S. 56), soll hier nur als Schlagwort erwähnt werden. Auch in Bezug auf die ,soziale Armut' müssen wir es mit dieser Auskunft belassen: Die Armen genossen keinerlei Wertschätzung. Tacitus etwa stellte sie auf eine Stufe mit niederen Sklaven und Verbrechern und sprach ihnen jegliche Fähigkeiten ab (Tac. hist. 4,1,2) und Horaz meinte, ohne Geld hätten alle Tugenden keinen Nutzen (Hör. ep. 1,1,58 f.; vgl. zur Be- bzw. Verurteilung der Armut z. B. BOLKESTEIN/KALSBACH

1950; HANDS

1968,

62-76).

Im landläufigen Sinne ist der materiell „arme" Mensch nicht in der Lage, sich selbst ausreichend und regelmäßig mit Nahrung, Kleidung und Obdach zu versorgen. D o c h auch hier existiert ein Unterschied zwischen jenen, bei denen der Mangel durch eigene Tätigkeit und/oder Unterstützung etwas abgemildert wird, und denen, die in weitaus elenderen Verhältnissen vegetieren. Diese sind der „absoluten Armut" anheimgefallen, zumeist obdachlos und stets der Gefahr des Hungertodes ausgesetzt. Als armutsgefährdete Gruppen in der reichsrömischen Gesellschaft sind auf dem Land zu bezeichnen: Kleinbauern mit ihren Familien, die durch eine Mißernte ruiniert werden konnten, landlose Tagelöhner und Pächter von kleinen Parzellen. In den Städten war das Potential der gefährdeten Gruppen nicht geringer: Tagelöhner und einfache Handwerker, deren Produkte im Falle einer Nahrungsmittelteuerung nicht mehr nachgefragt waren, fernerhin auch Kleinhändler (wenn die Geschäfte schlecht liefen), Alte, Kranke, Witwen und Waisen. Diese Menschen waren auch deshalb so stark gefährdet, weil es - vielleicht abgesehen von der religiös fundierten jüdischen und erst nach und nach wirksam werdenden christlichen Armenfürsorge (vgl. BEN-DAVID 1974, 3 0 6 - 3 0 9 ; SCHWER 1978, 6 9 2 - 6 9 8 ) resp. den für Italien bezeugten Alimentarstiftungen seit der Zeit Nervas (s. o. S. 30, 57 u. M 24) - reichsweit keine systematische soziale Sicherung - weder staatlich/städtisch noch aufgrund privater Initiative - gegeben hat. Uber Einrichtungen .sozialer' Fürsorge, Sozialmaßnahmen usw. ist in den letzten Jahrzehnten dennoch recht intensiv geforscht worden und genauso über die Randgruppen der kaiserzeitlichen Gesellschaft (vgl. z. B. KLOFT 1988; WEILER 1988; KRAUSE 1994 a; DERS. 1994b; GNILKA 1985). Danach ist ein allgemeinverbindlicher Wille, Arme und Randgruppen ökonomisch und sozial zu integrieren, nicht zu erkennen. Aber ist damit jede weitere Überlegung überflüssig und a priori falsch? Zunächst muß man zugestehen, daß kaiserliche Maßnahmen, die sehr wohl sozialpolitische Zielsetzungen hatten, die Armen nicht als ausschließliche Zielgruppe anvisierten.

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174

Darstellung/Lebensstandard Hierbei sei nur an die staatliche Getreideverteilung in Rom, die liberalitas principis und nochmals an die Alimentarstiftungen erinnert (vgl. PRELL 1997, 270-292). Erstaunlicherweise kamen die unzähligen Stiftungen, die ja zu großen Teilen aus Geld- und Naturalverteilungen bestanden, in erster Linie denen zugute, die nicht auf solche Zuwendungen angewiesen waren. So war es keineswegs üblich, alle Bürger einer Stadt in den Genuß von sportulae kommen zu lassen, wie es ζ. B. in Tuficum in Umbrien einmal geschehen ist, wo die Männer und Frauen(!) ein öffentliches Essen im Wert von je vier und die Dekurionen eines im Wert von je acht HS erhielten (CIL XI 5716). Eher wurden solche Stiftungen auf die sowieso schon vermögenden Empfänger konzentriert, weshalb man ernsthaft in Erwägung gezogen hat, die Ratsherren seien grundsätzlich auf diese Weise alimentiert worden (vgl. etwa WESCH-KLEIN 1990, 3 4 - 3 7 ) . Kurzum, die Regel war offenkundig: Wer schon hatte, bekam noch dazu. Das aber erstaunt insofern, als man - wenigstens aus unserer Sicht - immer die Erwartung hegt, daß die tatsächlich Bedürftigen expressis verbis in das Wohltätigkeitssystem einbezogen werden. Wir müssen hier also unsere Denkhaltung korrigieren und die Frage stellen, ob wir nicht zuviel von den einschlägigen Quellen erwarten. Ein weiterer, breit dokumentierter Sachverhalt soll hier ebenfalls angesprochen werden. Literarische, epigraphische und papyrologische Quellen belegen vielfach das staatlich/städtische und private Bemühen, in Zeiten der Nahrungsmittelteuerung helfend und regulierend einzugreifen (vgl. M 9 u. 80). Besonders interessant wird dies, wenn dabei konkrete Summen überliefert werden oder detaillierte Preis- bzw. Mengenangaben vorliegen, bzw. Berichte, die auf eine besondere Dramatik der Situation hinweisen. Dazu sei ein Beispiel angeführt: In der Zeit zwischen 180 und 200 n.Chr. ließ im nordafrikanischen Thuburnica ein zweifelsohne sehr begüterter Bürger 10.000 modii Weizen austeilen, wobei der Wohltäter laut unserer Quelle 10 Denare (= 40 HS) pro modius aufgewendet haben soll (vgl. WESCH-KLEIN 1990, 208f.: Thuburnica Nr. 1). Der Geldwert für diese Getreidemenge betrug also 400.000 HS, was im afrikanischen Vergleich zu den umfänglichsten Spenden überhaupt zu zählen ist (vgl. DUNCAN-JONES 1982, 63-119). Richtigerweise äußert G. Wesch-Klein mit Blick auf die Berechnungen von R. Duncan-Jones, daß der Preis von 40 HS pro modius auf eine außergewöhnliche Teuerung bzw. großen Mangel hindeute. Wenn tatsächlich R. Duncan-Jones' Vorstellungen zutreffen und der modius Weizen normalerweise' für zwei bis vier HS zu haben war, hatte sich der Preis also verzehnoder verzwanzigfacht, was ohne Zweifel auf eine katastrophale Versorgungssituation hindeutet. Aber was können wir nach diesen Informationen über die Armen in Thuburnica sagen? Vielleicht ergab sich im Vorfeld dieser Maßnahme folgendes: Die Verteuerung der zentralen Lebensmittel in dieser Größenordnung war nicht über Nacht gekommen. Man wußte um die spar-

Reichtum/ Armut liehen Ernteerträge des laufenden Jahres und des Vorjahres. Es war bekannt, daß die Stadt nicht hinreichend für eine Bevorratung gesorgt hatte; Angst befiel mehr und mehr die Menschen, die ein unregelmäßiges, nur bei normalen Preisen ausreichendes Einkommen hatten; die Bewegungen auf dem ,Getreidemarkt' in der Stadt und Umgebung wurden dann hektischer; im Stadtrat gab es lange Beratungen, wie man der weiteren Entwicklung begegnen könnte; inzwischen hatte sich der Preis für Getreide schon vervielfacht; viele Menschen konnten es nicht mehr erwerben; die Preise für andere Lebensmittel stiegen ebenfalls; kleine Handwerker und Gewerbetreibende, die mit ihren Produkten und Dienstleistungen der an sich schon überschaubaren Nachfrage der unteren - besser: der nicht vermögenden - Bevölkerungskreise der Stadt entsprochen hatten, bekamen nun keine Aufträge mehr, so daß die Not immer weitere Kreise zog; einige Tage/Wochen später begann das soziale Gefüge der Stadt zusammenzubrechen; Hunger trieb die Menschen durch die Straßen und die Umgebung, und alles, was eßbar erschien, wurde gierig verschlungen, selbst wenn der Genuß die schon angeschlagene Konstitution der Menschen weiter schwächte. Erst jetzt - in diesem auch durch römerzeitliche Quellen beschriebenen Szenario (vgl. M 9 1 ) - war endlich die Rettung durch die großzügige Getreidespende gekommen. Die Frage, die sich nun stellt, ist: Wurden die ,Armen' in Thuburnica auch in solchen Situationen systematisch von jeglicher Hilfeleistung seitens der Vermögenden ausgeschlossen? Unabhängig zu welcher Beantwortung man neigt, zeigt sich noch eine andere Problematik: Waren die Vermögenden einer Stadt oder Region überhaupt in der Lage, entsprechend auf eine solche Situation zu reagieren? Halten wir uns nur die 10.000 modii Getreide vor Augen, die verteilt wurden. Wenn wir davon ausgehen, daß ein erwachsener Mensch ca. 4 modii pro Monat benötigte (vgl. FOXHALL/FORBES 1982), hätte diese Getreidemenge rund 2.500 Personen einen Monat lang die Existenz gesichert. Aber was dann? - Und zugleich eröffnen sich noch weitere Fragen: Der hier zur Debatte stehenden Inschrift kann man entnehmen, der Wohltäter habe für diese Verteilung 400.000 HS aufgewendet, doch wir wissen nicht, wie die Unterstützungsmaßnahme konkret ablief. Wann ζ. B. entschloß sich dieser, helfend einzuspringen? Stand er mit ,flüssigen' 400.000 HS bereit, als etwa nach den Ernteergebnissen die Gefahr einer Teuerung drohte? Oder wurde er erst tätig, als die Situation eskalierte? Woher kam eigentlich das Getreide? Wie schnell ließ es sich herantransportieren? Muß man sich vorstellen, daß dem Stadtrat Informationen über die jeweiligen Ernteerträge der näheren und ferneren Umgebung zur Verfügung standen? Sind diese ca. 67 to Getreide in einem Hilfskonvoi in die Stadt gelangt oder erfolgten mehrere verschieden große Transporte über einen längeren Zeitraum hinweg? Und wie schließlich geht man mit der Information um, jeder modius habe 10 Denare gekostet?

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Darstellung/Lebensstandard Die aufgeworfenen Fragen betreffen nur die technische oder organisatorische Seite der Hilfeleistung, falls sie überhaupt so oder ähnlich abgewickelt werden mußte. Denn schließlich ist hier noch eine andere Variante der Hilfeleistung denkbar. Vielleicht hat der Wohltäter angesichts der sich anbahnenden Katastrophe auch nur seine eigenen Getreidespeicher geöffnet - zu einem Zeitpunkt, als Getreidespekulanten schon hofften, 10 Denare für einen modius erpressen zu können. In dem Fall hätten sich alle oben angestellten Überlegungen erübrigt, und wir müßten uns auch keine Gedanken mehr darüber zu machen, wie bei der Beschaffungsaktion der Bezahlungsablauf - es wäre ja eine Summe von umgerechnet 4.000 aurei oder 100.000 Silberdenaren zu transferieren gewesen! - vonstatten ging. Entscheidend ist neben den technischen Problemen einer ad-hocHilfsmaßnahme bei Versorgungsengpässen auch die Frage, ob das gesamte Vermögen der städtischen Oberschicht (i. e. Grundbesitz, bevorratete Erträge aus der Landwirtschaft, Bargeld, Liegenschaften etc.) überhaupt ausreichte, um ein Sicherungssystem zu schaffen, das auch den Armen und nicht ganz Armen - also der ersten und zweiten Opferwelle in Notzeiten - Schutz gewährte. Man wird wohl auf keinen Widerspruch stoßen, wenn man hier Skepsis an den Tag legt. Dafür spricht auch eine kleine Studie von E. Ruschenbusch (vgl. RUSCHENBUSCH 1988). Er verglich alle Daten aus der Antike und Neuzeit der Agäis-Insel Amorgos (Einwohnerzahlen, Hofgrößen, archäologische Reste jeglicher Bebauung und moderne Siedlungsstruktur etc.) und kam zu folgendem Schluß: Auf Amorgos müssen in der Antike „Armut und Not zu Hause gewesen sein ... mit 78% ... der Einwohner am Rande oder weit unter dem Existenzminimum. Für Fürsorgemaßnahmen, die das Maß von gelegentlichen Spenden übersteigen, fehlte es an einer ausreichenden Schicht, die diese Maßnahme hätte finanzieren können". Man mag Unbehagen gegenüber dieser Bewertung haben und zu recht anmerken, daß eine 124 km 2 große griechische Insel nicht mit den Verhältnissen in Nordafrika, Italien, Gallien oder Britannien in der Friedenszeit des 1. und 2. Jh. n. Chr. in Beziehung gesetzt werden kann. Aber zumindest im krisengeschüttelten Palästina, wo die rabbinische Überlieferung die gleiche soziale und wirtschaftliche Realität widerspiegelt (vgl. BEN-DAVID 1974, 316-325), verhielt es sich nicht anders, und es bleibt der Eindruck bestehen: Das Römische Reich konnte kein alle Bewohner gleich vereinnahmender Wohlfahrtsstaat sein. Die Bereitschaft der Reichen, wohltätig zu sein, ist gerade gegenüber den Armen eher gering gewesen. Millionen von Menschen werden somit eher ein elendes und hoffnungsloses Leben im Imperium gefristet haben, ein Leben, welches wohl sehr oft mit einem frühen Tod durch Hunger oder infolge chronischer Mangelernährung endete.

Preise/Löhne

7.2 Preise/Löhne Die Einbeziehung von Preis- und Lohndaten bei der Rekonstruktion der Lebensverhältnisse ist unerläßlich. Die einschlägige Uberlieferung wirft allerdings einige Probleme auf, die den Aussagewert vieler Daten schmälern: Die antiken Autoren haben nie konkret das Preis- und Lohngefüge ihrer Zeit thematisiert. Solche Dinge interessierten sie einfach nicht. Gewiß besitzen wir eine Reihe von Preisangaben aus der antiken Literatur, doch handelt es sich hier sehr oft um Außergewöhnlichkeiten, d. h. um sehr (bis extrem) hohe bzw. niedrige Getreidepreise. Auch die diesbezügliche epigraphische Uberlieferung hat ihre Tücken, wenngleich sie ungleich mehr Material liefert. Die meisten hieraus gewonnenen Zahlen sind keine konkreten

Preisangaben,

sondern Beträge, die nur sehr schwer in den allgemeinen Kontext eingeordnet werden können. Ein Beispiel soll die Problematik verdeutlichen: D e m Genius der Stadt Lambaesis ist in der Zeit von 190 bis 235 n. Chr. ein Tempel errichtet worden, der insgesamt 600.000 HS gekostet hat (vgl. DUNCAN-JONES 1982, 90 Nr. 1). Ein Tempel für die Mater

Magna

hat 72 n. Chr. in Leptis

Magna dagegen 200.000 H S verschlungen (vgl. ebd. 90 Nr. 3). Wenn kein Ausgrabungsbefund die beiden Summen greifbarer macht, ist ihr Aussagewert eher begrenzt. Man kann vor dem Hintergrund möglicher Preisveränderungen und -unterschiede nicht einmal sagen, daß der dreimal teurere Tempel in Lambaesis die größere Anlage war. Dennoch sind solche Informationen unersetzlich für den größten Teil des gesamten Reiches, weil ansonsten kaum oder keine anderen Materialien zur Verfügung stehen. Die meisten und prägnantesten Informationen liefern die Papyri und Ostraka aus dem römischen Ägypten. Mit ihnen können wir für Teile der Provinz recht genau das Preis- und Lohngefüge bzw. die Preis- und Lohnentwicklung fassen. Eine vergleichbare Informationsdichte könnten auch die Holztäfelchen, die in der ganzen römischen Welt als alltägliche Schriftträger Verwendung fanden, aufweisen (vgl. ECK 1998); allerdings haben die bodenklimatischen Verhältnisse eine massenhafte Uberlieferung verhindert. Insofern sind die Funde solcher Schreibtäfelchen im nordbritannischen Vindolanda eine Sensation. Erst einige hundert Täfelchen sind ediert worden (hauptsächlich in Tab.Vindol. I + II), die aber jetzt schon einen wichtigen Informationszuwachs geliefert haben (vgl. BOWMAN/THOMAS 1996, 306 f.; DREXHAGE 1 9 9 7 C).

Grundsätzlich kreisen alle Untersuchungen und Darstellungen zum Themenbereich Preise - Löhne um die Frage nach dem Existenzminimum und dem Lebensstandard der Menschen, die durch mehr oder weniger qualifizierte Arbeit ihre Existenz zu sichern suchten (vgl. M 7 3 - 8 3 ) . Im fortgeschrittenen 2. Jh. n . C h r . (ca. 1 5 0 - 1 7 0 ) scheint man nach der juristischen Uberlieferung folgenden Etat in Italien für ausreichend gehalten

177

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Darstellung/Lebensstandard zu haben: Die Ernährung eines Erwachsenen erfordere jährlich rund 500 HS, für Kleidung seien weitere 100 bis 200 H S zu veranschlagen. Für Kinder würde ca. die Hälfte dieser Größenordnung ausreichen (JACQUES/SCHEID 1998, 338). Das sind allerdings zeitgenössische Vorstellungen, die weitere Ausgabenposten und bestimmte Unwägbarkeiten noch nicht in die Kalkulation einbezogen haben, etwa Ausgaben für Miete, Hausrat, Brennholz bzw. -Stoff, Bädereintritt, Arzt-

bzw. Arzneikosten,

Mehraufwendungen

bei

Teuerungen und natürlich die auf den Schultern der Provinzialbevölkerung lastenden Steuern. Vielfach wird in der Forschung versucht, den Kalorienbedarf mit dem Nährwert bestimmter Grundnahrungsmittel (vor allem Weizen) und den entsprechenden Preisangaben in Beziehung zu setzen (vgl. FOXHALL/FORBES 1982). M. PRELL stellt folgende Berechnung vor, bei der für einen erwachsenen Mann ein Bedarf von 3600 und für eine Frau bzw. ein Kind ein solcher von 2200 resp. 2000 kcal sowie das Niveau der in der Forschung gehandelten Weizenpreise in R o m und Italien (1. Jh. n. Chr.) zugrundgelegt wird: Haushalts große

Mann Ehepaar 3 4 5 6 7

Personen-Haushalt Personen-Haushalt Personen-Haushalt Personen-Haushalt Personen-Haushalt

Kalorienbedarf (kcal)

3.600 5.800 7.800 9.800 11.800 13.800 15.800

Notwendige Weizenmenge (kg)

1,2 1,9 2,6 3,2 3,9 4,6 5,2

Weizenmenge in Geldeinheiten (HS)

Notwendige Geldmenge bei E r h a l t staatl. Getreides (HS)

0,9 1,4 2,0 2,4 2,9 3,5 3,9

_ 0,6 1,1 1,6 2,1 2,6 3,1

Weizenbedarf eines 1- bis 7köpfigen Haushalts und Kosten der Bedarfsdeckung (nach PRELL 1997, 189 U . A b b . 7)

Es versteht sich von selbst, daß solche hypothetischen Rechnungen allenfalls einen ungefähren Richtwert geben. Nach Prelis Rechnung würde aber ein monatlicher Verdienst von 30 HS einem Mann gerade das Uberleben sichern. Die Daten aus den bisher veröffentlichten Holztafeln von Vindolanda lassen dagegen folgende Vermutung zu: U m 100 n. Chr. scheint die physische Existenz im Umfeld dieses nordbritannischen Militärlagers mit einem Geldaufwand von ca. 8 Denaren (= 32 H S ) mehr als gesichert gewesen zu sein. Für dieses Geld konnte man außer fünf modii

Gerste, 15 Pfund Speck,

30 Eier, 60 Liter Bier und eine kleine Menge Salz erwerben (vgl. DREXHAGE 1997c). Das hier sichtbar werdende Preisgefälle wird noch deutlicher, wenn wir uns einigen Daten aus dem römischen Ägypten zuwenden. Folgt man dem Vorschlag, ein körperlich anstrengend arbeitender Mann hätte sich

Preise/Löhne ausschließlich über einen Monat mit Weizen unterhalten müssen und legt durchschnittliche Weizenpreise zu Grunde, ergibt sich folgende Tendenz der monatlichen Geldaufwendung: 1. Jh. n. Chr.: 12,19 Drachmen; 2. Jh. n. Chr.: 16,58 Drachmen; 3. Jh. n. Chr: 23,18 Drachmen (1 Drachme = 1 HS) (vgl. DREXHAGE 1991a, 4 4 0 - 4 4 2 ) . Auf den hypothetischen Charakter solcher Berechnungen kann nicht oft genug hingewiesen werden, zumal selbst in .normalen' Zeiten die jeweilige Marktsituation das Preisgefüge sehr schnell ändern konnte. Beispielhaft zeigt dies ein Papyrus aus dem ägyptischen Tebtynis, wonach die Weizenpreise vor O r t in 17 Tagen um über 8 0 % stiegen, um sich dann wieder leicht zu entspannen (vgl. DREXHAGE ebd. 13 u. 18; s. o. S. 98). Für reichsweite Vergleiche indes ist man gezwungen, auf die in der nachfolgenden Tabelle erkennbare Soldentwicklung im römischen Heer (hier der einfache Legionärssold) hinzuweisen: Bis 8 3 / 4 n. Chr.

900 HS

84 bis 197 n. Chr.

1.200 H S

197 bis 212 n. Chr.

2.400 H S

212 bis 2 3 5 n . C h r .

3.600 H S

(vgl. die Tabelle auf S. 4 9 )

Hierbei handelt es sich aber nicht um Nettolöhne, denn eine Reihe von Abzügen seitens der Militärverwaltung (für die tägliche Ernährung, Schuhwerk, Kleidung, verschiedene Feste und Fonds) schlugen deutlich zu Buche. Übrig blieb aber dennoch eine beträchtliche Summe, die sich im Laufe einer 20jährigen Dienstzeit zu einer respektablen Spareinlage entwickeln konnte (vgl. FINK 1971, Nr. 68). Interessant ist, daß den in Ägypten stationierten Legionären im Jahre 81 n. Chr. jährlich 240 Drachmen (= 240 HS) für Ernährung abgezogen worden sind (vgl. ebd.). Die römische Militärverwaltung hielt also 20 Drachmen pro Monat für angemessen. Das hört sich nicht sehr üppig an - gemessen an den oben dargestellten hypothetischen Rechnungen. Wir wissen aber, die Logistik war nicht an die regional und zeitlich unterschiedlichen Marktpreise gebunden. U m das tägliche ,Brot' mußten sich römische Soldaten jedenfalls nicht sorgen. Sehr vereinzelt besitzen wir einige Preisangaben für weitere Lebensmittel und Dinge des täglichen Gebrauchs aus dem Westen des Reiches und Italien. Ein sextarius

(0,547 1) mittelmäßigen Weines wird in normalen Jahren in der

hohen Kaiserzeit überall im Mittelmeerraum für 1 bis 3 As zu haben gewesen sein. Wahrscheinlich kostete ein Pfund (327,45 gr.) Olivenöl einmal in Pompeji 4 AS ( C I L I V 4000). Für dieses neben Weizen wichtigste Lebensmittel im gesamten mediterranen Raum war im römischen Ägypten die Preislage durchaus ähnlich: 1. Jh. n. Chr. ca. 0,66 Drachmen (= 0,66 HS) pro Kotyle

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Darstellung/Lebensstandard (0,25 1); 2. Jh. η. Chr. ca. 0,88 Drachmen (= 0,88 HS); 3. Jh. n. Chr. ca. 1,82 Drachmen (= 1,82 HS). Selbstverständlich gestalteten sich Preise für Ol je nach Qualität und Marktsituation sehr unterschiedlich (vgl. M 8 2 ) . Preisangaben für Textilien, die für die meisten Menschen überhaupt in Betracht kamen, sind ebenfalls rar. Das typische Kleidungsstück eines einfachen Mannes - die Tunika - war einmal in Pompeji für 15 HS zu haben (CIL IV 9108). Man muß sich vor Augen halten, daß der Erwerb neuer Kleidung für sehr viele unmöglich war. So lange es ging, wurde dieses einfache Kleidungsstück getragen, bis es nicht mehr geflickt werden konnte (vgl. PRELL 1997, 106-114). Wer sich, wie in Pompeji geschehen, das Reinigen seiner Tunika 1 Denar kosten lassen konnte (CIL IV 1392), gehörte nicht mehr zu den Armen. Im Vergleich dazu ging es drei Gärtnern in der Germania superior gar nicht so schlecht; jedem sollten pro Jahr 60 modii Weizen und 20 oder 30 Denare Kleidungsgeld zugestanden werden (CIL X I I I 5708; 2. Jh. n. Chr.). Mit einem einfachen Chiton mußten sich die meisten Menschen im römischen Ägypten zufrieden geben. Ein Weberlehrling bekam einmal jährlich einen Chiton als Teil des Lohnes (P. Oxy. 4/725; 183 n. Chr.). Die durchschnittlichen Preise für diese Textilie, gemessen an den durchschnittlichen Monatslöhnen, erschöpften das Monatsbudget fast oder gänzlich (vgl. DREXHAGE 1991 a, 3 5 4 - 3 7 0 ) . Sobald man es sich leisten konnte, kleidete man sich aufwendiger. Ehe- und Scheidungsverträge und Testamente geben Einblicke über den Umfang und den Wert der Kleidungsstücke in einigen Familien: 300 Drachmen ( B G U 3/729; 144 n. Chr.); 560 Drachmen (P. Oxy. 3/496; 127 n.); 800 Drachmen (CPR 1/22; ca. 150 n.); 5.000 Drachmen (P. Coli. Youtie 2/67; 260/261 n.). Einen Sklaven erwerben zu wollen, mag für antike Menschen ein Traum gewesen sein. Nach den überlieferten Preisen war dies aber für die meisten unmöglich. Columella hielt einen für die Winzerarbeit ausgebildeten Sklaven mit 8.000 HS nicht für überbezahlt (Colum. r.r. 3,3,8); auf 4.000 HS belief sich nach C I L X I I 2522 indes der Wert eines Sklaven in der Gallia Narbonensis im 2. Jh. n. Chr., und nach den Geschäftsunterlagen des schon mehrfach erwähnten L. Caecilius Iucundus haben in Pompeji(?) um die Mitte des 1. Jh. n. Chr. zwei Sklaven für 5.300 HS den Besitzer gewechselt (CIL IV T C 49). Konkreter sind die Informationen aus dem römischen Ägypten, denn die dort erhaltenen Sklavenkaufverträge beinhalten eine Beschreibung der ,Ware' Mensch. Eigenartigerweise sind in keinem uns bekannten Kaufvertrag Aussagen über die beruflichen Fähigkeiten und Fertigkeiten aufgenommen, die ganz wesentlich den Preis mitbestimmt haben werden. Andere Motive des Sklavenerwerbs werden ebenso berücksichtigt werden müssen. Letztlich wissen wir aber nicht, warum im Jahre 154 n. Chr. in Alexandreia ein Sklave nur 1.400 Drachmen, ein anderer 17jähriger hausgeborener Sklave 2.800 Drachmen gekostet hat (SB 3/6016; SB 5/7555).

Preise/Löhne Wie die Lehrverträge zeigen (vgl. M 4 1 ) , wurde manchem jungen Sklaven eine Ausbildung zuteil, die dem neuen Besitzer eine zügige Amortisierung seiner Investition in Aussicht stellte, denn der Anteil sehr junger Sklaven ist nach jetzigem Quellenbestand recht hoch: Ein 8jähriges Mädchen wurde 77 n. Chr. in Oxyrhynchos für 640 Drachmen gehandelt (P. Oxy. 2/263), im Arsinoites ein gleichaltriger Junge für 700 Drachmen (BGU 1/193; 136 n.). Einige Informationen über Einkünfte (Prokuratorengehälter, Legionärssold usw.) sind schon oben vorgelegt worden (s. o. S. 4 8 - 5 3 ; M 1 0 u. 17). Hier sei aber nochmals auf die vielfältigen Posten in der römischen Militärhierarchie mit sehr unterschiedlichen Jahresbesoldungen hingewiesen: Im 2. Jh. n. Chr. bezog ein Legionscenturio 18.000 HS, Centurionen der stadtrömischen cohortes vigilum und der Prätorianerkohorten brachten es wahrscheinlich auf 40.000 HS, ritterliche Kohortenpräfekten (je nach der Stärke der von ihnen geführten Truppe) auf 18.000 oder 36.000 HS, Alenpräfekten auf 60.000 HS und die Präfekten der alae milliariae immerhin auf 100.000 HS (vgl. SPEIDEL 1992, 100-104). Zwar sind einzelne Bezüge immer noch umstritten, aber in ihrer Gesamtheit doch aufschlußreiche Zeugnisse für die krassen ökonomischen Unterschiede auch innerhalb des Heerwesens. Kaum Informationen besitzen wir indes über die Einnahmen im Verwaltungsbereich unterhalb der Prokuratorenebene. In der Reichs-, Provinz- und in den Stadtverwaltungen des gesamten Reiches werden ständige Mitarbeiter feste Jahresgehälter bezogen haben. Im großen und ganzen wird hier immer wieder auf das überlieferte Stadtrecht der südspanischen Stadt Urso verwiesen (ILS 6087; 44 ν. Chr.). Danach verdienten der Sekretär des Bürgermeisters 1.200 HS, ein Amtsdiener 600 HS und ein .Archivar' 300 HS pro Jahr. Was konnte aber ein Handwerker oder Kleinhändler in den vielen Städten und unzähligen Dörfern des Imperiums verdienen? Einige kaiserzeitliche Autoren und wenige andere Zeugnisse geben uns sporadisch einige Materialien an die Hand (vgl. M 6 6 u. M 7 3 - 7 6 ) . Zumeist können wir aber nur vage Vermutungen äußern. Wie hoch mögen etwa die Einkünfte der Töpfer in und um Lezoux gewesen sein, die mit ihren millionenfach hergestellten Produkten über mehrere Jahrzehnte marktbeherrschend waren? Wahrscheinlich eher gering, denn nach dem archäologischen Befund ist Lezoux eine kleine Siedlung ,ohne die leiseste Andeutung eines individuellen oder allgemeinen Wohlstandes' gewesen (vgl. SCHNEIDER 1992, 99). Oder - wie stand es um das (durchschnittliche) Einkommen eines gewissen Aprius, der im nordgriechischen Philippi einen Laden (taberna) betrieb, in dem ein angestellter' Sklave als Verkäufer gearbeitet hat (ILS 7479)? Ein wohl auch hinsichtlich seiner ökonomischen Situation zufriedenes Leben hat offensichtlich der Silberschmied L. P(raecilius) Fortunatus im numidischen Cirta geführt, der seine metrische Grabinschrift selbst(!) verfaßt hat und resümiert: „Helle Tage genoß ich und Glück in reichlicher Fülle" (vgl. GEIST/PFOHL 1969, Nr. 191).

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Darstellung/Lebensstandard Und gewiß können wir auch dem Schiffszimmermann P. Longidienus unterstellen, durch Fleiß und Ausnutzung des günstigen Standortes für sein Handwerk (Ravenna) zu einem vergleichsweise vermögenden Mann geworden zu sein (vgl. ZIMMER 1982, 143 f.). Sehr viele solcher Beispiele könnte man auflisten und dabei allerdings Gefahr laufen, die Einkommenssituation der Handwerker in den Städten rosiger darzustellen als sie tatsächlich gewesen ist. Zweifelos haben z. B. spezialisierte (Kunst-)Handwerker mittels ihrer ars/techne gut verdient, wie wir es etwa für die beiden Bronzegefäßhersteller Lucius Ansius Epaphroditus und Publius Cipius Polybius aus Capua annehmen können (vgl. KUNOW 1985 a). Was ist aber mit den unzähligen Menschen, die in bescheidenem Umfang - d. h. für den unmittelbar umgebenden ,Markt' - einfache Produkte hergestellt und in der Regel auch verkauft haben? Wie schon erwähnt, bietet das gesamte Quellenmaterial kaum konkrete Angaben. Wieder ist man gehalten, Umwege zu gehen. Hier ein Beispiel aus Pompeji: Die im Quellenanhang aufgeführte Abrechnung über die täglichen Ausgaben eines Haushaltes ( M 89) verzeichnet auch einige Ankäufe von einfachen Keramikprodukten: einen Breitopf bzw. ein Töpfchen für 1 As, einen Teller für 1 As, eine Lampe für 1 As und ein Eimer/Krug für 9 As. Gehen wir davon aus, es handelt sich um übliche Preise für derlei Produkte, die zudem von einem Produzenten hergestellt und zum Verkauf angeboten worden sind, dann können wir folgende hypothetische Rechnung aufmachen: Ein solcher Produzentenhändler mußte pro Tag etwa acht Teller, acht Lampen und acht Töpfchen verkaufen, um spärliche 6 HS in seiner Tageskasse vorzufinden. Ob er mit einem solchen Tagesumsatz seine Kosten (Material, u. U. Miete für den Verkaufsraum usw.) und seine tägliche Ernährung bestreiten konnte (vorausgesetzt, er arbeitete und lebte allein), ist zumindest nicht für unmöglich zu erachten. Wenn man dies akzeptiert, müßte sich der tägliche Umsatz je nach Familiengröße entsprechend erhöhen. Dann könnte der tägliche Verkauf von 50 Keramikartikeln (= ein Umsatz von 12,5 HS) einer vierköpfigen Familie eine ausreichende Lebensgrundlage geboten haben. Man könnte diese über neun Tage gehende Ausgabenliste auch für einen anderen Gedankengang heranziehen. Stellen wir uns vor, dieser Haushalt sei repräsentativ für seine Ankäufe von einfachen Keramikprodukten, wenn er insgesamt 12 As (= 3 HS) über diesen Zeitraum aufwendete. Dann mußten 18 solcher Haushalte bei diesem Produzenten ihre Einkäufe tätigen, um ihm den oben genannten Tagesumsatz von 6 HS zu ermöglichen. Noch schwieriger wird die Betrachtung, wenn wir die Einkommens- bzw. Verdienstmöglichkeiten auf dem Lande zu beschreiben suchen. Als glücklich werden sicher schon die Kleinbauern samt ihren Familien zu bezeichnen sein, die über längere Zeiträume keinen Hunger befürchten mußten. Die Einnahmen durch den Verkauf der überschüssigen Produktion werden angesichts

Lebenserwartung/Familienstruktur der Konkurrenz, die von den marktorientierten Villenwirtschaften und vom Großgrundbesitz ausging, vielerorts sehr überschaubar gewesen sein. Wir besitzen auch kein Zeugnis (wenn wir vom römischen Ägypten absehen), das uns konkrete Daten über Einkommen von Landpächtern liefert. Daß die Gefahr der Verschuldung stets drohte, dokumentiert sehr deutlich der jüngere Plinius, der in einem Brief erörtert, wie er Teile seines Grundbesitzes am problemlosesten bewirtschaften könne (Plin. ep. 3,19,6 f.). Ob es den Pächtern auf kaiserlichen Gütern in Nordafrika gut oder schlecht ging, können wir gleichfalls nur vermuten. Wir wissen immerhin, sie hatten im 2. Jh. n. Chr. ein Drittel der Getreideernte, des Weines und des Olivenöls abzuliefern (CIL VIII 25902 = FLACH 1978, 4 7 7 - 4 8 0 I 2 0 - 3 0 sowie C I L VIII 25943 u. 26416 = FLACH ebd., 4 8 6 - 4 8 8 III 2 - 3 ) . Selbst eine sehr gute Ernte konnte Kleinbauern und Landpächter in Schwierigkeiten bringen. Das Überangebot senkte die Getreidepreise oft in solchem Maße, daß die Geldsteuerforderungen nicht erfüllt werden konnten (vgl. M 81). Dennoch - aus dem römischen Ägypten besitzen wir Tausende in diesem Zusammenhang verwertbarer Daten. Hier nur einige: Im Baugewerbe hat etwa ein Maurer (oikodomos) bis ins 2. Jh. n. Chr. mit einem täglichen Lohn von einer Drachme (= 1 HS) vorlieb nehmen müssen, manche verdienten in dieser Zeit auch zwei Drachmen; für die Zeit um 255 n. Chr. sind indes mehrfach vier Drachmen pro Tag belegt. Hilfsarbeiter auf dem Bau (hypourgoi) verdienten wohl etwas mehr als jeweils die Hälfte. Die Lohnentwicklung des Zimmermanns (tekton) ist identisch gewesen (vgl. DREXHAGE 1991a, 119-124). Höher spezialisierte Arbeiter haben mehr verdienen können. So stehen die Tageslöhne der Schiffsbauer (naupegoi) und Sägearbeiter auf Werften (pristai) von sieben bzw. acht Drachmen ohne Vergleich da (P. Flor. 1/69; 3. Jh. n. Chr.).

7.3 Lebenserwartung/Familienstruktur Vor dem Hintergrund der extrem unterschiedlichen Lebensverhältnisse im Imperium Romanum die durchschnittliche Lebenserwartung festmachen zu wollen, ist nach wie vor illusorisch. Allerdings sind in den letzten Jahren mit neuen Methoden Annäherungswerte erarbeitet worden, die als Verhandlungsgrundlage dienen können. Bis vor einigen Jahrzehnten galten die Altersangaben auf Tausenden von Grabinschriften als Basis für Berechnungen. Die Schwächen dieses Materials sind übermächtig. Man denke nur an die Zufälligkeit des Befundes, an unsere Unkenntnis über die Quote der Säuglingssterblichkeit, die antike Unkenntnis des Lebensalters, unterschiedliche Repräsentation der sozialen Schichten und Geschlechter sowie die regionalen Unterschiede in der epigraphischen Praxis (vgl. CLAUSS 1973).

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Darstellung/Lebensstandard A u f Heutige mag die U n k e n n t n i s des eigenen Lebensalters unverständlich wirken. F ü r antike Menschen war dessen schnelle Ermittlung aber viel aufwendiger, zumal angesichts des allgemein geringen Bildungsstandes und der weit verbreiteten Illiteralität. Dies mag ein Beispiel verdeutlichen: N e h m e n wir an, ein Individuum weiß, daß es im 20. Lebensjahr des Kaisers Tiberius das L i c h t der W e l t erblickt hat und m ö c h t e nun als alter M e n s c h seine L e bensjahre genau ermitteln. Es müßte dafür eine klare Vorstellung über die Kaiserchronologie der letzten 5 0 - 8 0 J a h r e haben, um die eigene Lebensspanne zu errechnen, und w o m ö g l i c h auch einen U b e r b l i c k über die in der G e gend geltende Provinzära bzw. die Abfolge der eponymen Beamten seiner Heimatstadt oder der Stadt R o m . D a ß sich angesichts dessen Fehler bei der Altersangabe auf den Inschriftentexten einschleichen, nimmt somit

nicht

wunder. F ü r die oft zu beobachtende Häufung der Altersauf- b z w . - a b rundungen (ζ. B. 10, 15, 20, 25, 30 J a h r e etc.) könnte man dagegen auch den alle fünf J a h r e stattfindenden Zensus in Italien und den Provinzen mitverantwortlich machen (vgl. DUNCAN-JONES 1990, 7 9 - 9 2 ) . W e n n wir die Säuglings- bzw. Kindersterblichkeit, deren Q u o t e ohnehin nur geschätzt werden kann (vgl. JACQUES/SCHEID 1998, 322), außer acht lassen, wird die Lebensdauer sehr unterschiedlich gewesen sein. D i e physischen und psychischen F o l g e n einer latenten Mangelernährung und das F e h len einer medizinischen Versorgung mit geringer Lebenserwartung als u n mittelbare Folge sind aber nur selten in den Quellen faßbar (vgl. M 8 4 ; 8 6 ; 9 0 u. 9 1 ) . A u ß e r d e m kann Fehlernährung und medizinische Fehlversorgung auch in den oberen Schichten das Alter reduziert haben. In den

Groß-

städten sind ferner die mangelhaften hygienischen und sanitären Verhältnisse, in denen das G r o s leben mußte, in entsprechende Kalkulationen (mit) einzubeziehen (vgl. SCOBIE 1986). G a n z und gar ungeklärt bleibt, wieviele O p f e r Seuchen und Epidemien gekostet haben. Dabei werden gerade die .Pestwellen' zur Zeit M a r k Aurels ( 1 6 1 - 1 8 0 ) mit gravierenden demographischen brüchen in Verbindung gebracht und für den ö k o n o m i s c h e n des Reiches

mitverantwortlich

gemacht

(vgl.

GILLIAM

1961;

Ein-

Niedergang DUNCAN-

JONES 1996; interessant sind die Bemerkungen zu D u n c a n - J o n e s von EHMIG 1998). Einige Quellen geben zur Frage der durchschnittlichen Lebenserwartung dennoch einen genaueren Einblick. Insbesondere die Zensuserklärungen aus dem römischen Ägypten gelten in der F o r s c h u n g als aussagekräftige D o k u mente (vgl. HOPKINS 1980 b). N a c h diesen Materialien plädieren R. S. Bagnali und B . W . Frier betreffs der Mädchen für eine durchschnittliche Lebenserwartung z. Zt. der G e b u r t von 2 0 bis 25 Jahren; hatten diese das 10. L e b e n s jahr erreicht, kamen sie im Schnitt auf 34,5 bis 37,5 Jahre. M ä n n e r k o n n t e n z. Zt. ihrer G e b u r t durchschnittlich mit 22,5 bis 25 Jahren rechnen (vgl. BAGNALL/FRIER 1994, 7 5 - 1 1 0 ) .

Lebenserwarmng/Familienstruktur Ein interessantes Zeugnis für diese Fragestellung ist auch das album der Ratsmitglieder der süditalischen Stadt Canusium aus dem Jahre 223 n. Chr. (CIL I X 338). R. P. Duncan-Jones hält es danach für wahrscheinlich, daß Angehörige der Oberschicht in den süditalischen Städten ζ. Z. ihrer Geburt Aussicht auf eine Lebensspanne von durchschnittlich 32 Jahren hatten (vgl. DUNCAN-JONES 1990, 93-104). Hierzu und zu den errechneten Werten aus den Zensusangaben passen übrigens auch einige näher untersuchte Skelettf u n d e (vgl. ζ. B . F R I E R 1 9 8 3 ; PRELL 1 9 9 7 , 1 0 2 A n m . 1 7 5 ) , die - w a s die allge-

meine Lebenserwartung betrifft - aber insgesamt noch keinen repräsentativen Datenrahmen ergeben. Nach einer Schätzung wurden nur 10% eines Jahrgangs älter als 60 Jahre (vgl. JACQUES/SCHEID 1998, 323). Vor diesem Hintergrund währte das Leben ζ. B. des Kitharöden Gaius Nymphius, der mit 76 Jahren in Rom bestattet worden ist, schon außergewöhnlich lang (ILS 5242); nochmals um 21 Jahre älter wurde der Freigelassene L. Aemilius Euhodus in Tarraco, und zwar ohne jemals krank gewesen zu sein - wie auf seinem Grabstein besonders erwähnt wird (CIL II 4319). Machen diese Altersangaben einen relativ glaubwürdigen Eindruck, so wird man den extrem hohen Angaben, die der ältere Plinius nach offiziellen Unterlagen aufführt, keinen Glauben schenken können: In Parma seien zu seiner Zeit drei Personen 120, zwei weitere 125, eine Frau in Faventia 130 und ein Mann in Bononia 135 Jahre alt geworden. Anläßlich der gleichen Volkszählung hätte es in der Stadt Veleia sechs Personen im Alter von 110, vier mit 120 und einen gewissen M. Mucius Felix mit 150 Jahren gegeben (Plin. nat. 7 , 1 6 2 - 1 6 4 ) . Uber die Größen der einzelnen Familien sind wir ebenfalls nur unzulänglich unterrichtet. Zumindest können wir von festen Beziehungen der meisten Menschen in recht jungen Jahren ausgehen, die wir der Einfachheit halber als ,Ehen' bezeichnen wollen. Selbstverständlich gab es für die römischen Bürger ganz eindeutige gesetzliche Regelungen für ein iustum matrimonium (etwa Altersregelungen für Mädchen und Jungen, oder die durch die Ehegesetze des Augustus definierten Vorgaben bezügl. des Vormundschafts-, Erb- und Vermögensrechtes; vgl. METTE-DITTMANN 1991). Das Gros der Bevölkerung hat aber in Ehegemeinschaften gelebt, die auf mündlichen Vereinbarungen fußten und nicht von staatlicher Sanktionierung' abhängig waren. Man wird dabei unterstellen können, daß ein Paar oft so viele Kinder zeugte, wie die weibliche Fruchtbarkeit zuließ, ζ. T. aber auch danach trachtete, mit den allgemein bekannten Methoden der Empfängnisverhütung, mit Schwangerschaftsabbruch und Kindesaussetzung (vgl. M 84 u. 72) eine ,Familienplanung' zu betreiben. Im Verbünde mit der hohen Kindersterblichkeit, die selbst die kaiserliche Familie treffen konnte (vgl. AMELING 1992), sollten wir deshalb eher von kleinen Haushalten ausgehen (vgl. zu allen Aspekten WLERSCHOWSKI 1 9 9 4 ; DERS. 1 9 9 6 ) .

185

186

Darstellung/Lebensstandard Inwieweit Kindesaussetzung - besonders von Mädchen - die Größe der Haushalte mitbestimmt hat, ist übrigens völlig unklar. Es wird in der jüngeren Forschung davor gewarnt, der expositio von Kindern einen zu großen Stellenwert einzuräumen (vgl. KRAUSE 1994 a, 48 f.). Zudem ließ die niedrige Lebenserwartung wahrscheinlich nur recht selten einen ,Drei-Generationen-Haushalt' zu. Eine große Familie - im Sinne der römischen familia·, einschließlich nahe Verwandte, Sklaven und Freigelassene - ist eher ein von den Oberschichten glorifiziertes, aber nur teilweise gelebtes Ideal gewesen. Schließlich ist auch die Wiederverheiratung - bzw. das Eingehen einer weiteren Lebensgemeinschaft - nicht Folge einer verbreiteten Scheidungsbereitschaft gewesen, sondern vorrangig auf den frühen Tod eines Partners zurückzuführen. Frauen waren durch andauernde Schwangerschaften und die Gefahren im Kindbett besonders gefährdet. Dies zeigt die metrische Grabinschrift der Veturia Grata aus Rom in aller Deutlichkeit: Sie lebte nur 21 Jahre und sieben Monate, gebar drei Kinder und verstarb im achten Monat ihrer vierten Schwangerschaft (CIL VI 28753). Die Größenordnung der Ubersterblichkeit von Frauen im gebärfähigen Alter, die sich, wie K. Hopkins zu Recht betont, aus den Inschriften allein nicht erschließen läßt (vgl. HOPKINS 1966/67, 260-262), wird derzeit in der Forschung aber unterschiedlich gewichtet (vgl. KRAUSE 1994a, 4 0 - 4 5 ) .

7.4 Ernährung In weiten Teilen der Öffentlichkeit herrscht immer noch das Bild des an der Tafel schwelgenden Römers als kennzeichnenden Typus kaiserzeitlicher Lebensweise vor. In der Tat ist der Tafelluxus der Kaiser (vgl. M 8 7 ) und einzelner Vertreter der Oberschichten von zeitgenössischen Autoren kritisiert worden. Aber schon L. Friedländer schlug vor, den antiken Quellen über und gegen den Tafelluxus mit Distanz zu begegnen (vgl. FRIEDLÄNDER 1922, 285-315). Einen locus classicus der Kritik an der Prasserei hat Seneca hinterlassen (dial. 11,10,3): „Von überall lassen sie alles Bemerkenswerte für ihren verwöhnten Gaumen herbeischaffen. Was ihr von Schlemmerei erschöpfter Magen kaum noch aufnehmen kann, das wird aus weiter Ferne hergebracht, vom Weltmeer. Sie speien, um zu fressen, sie fressen, um zu speien, und die Genüsse, die sie auf der ganzen Welt zusammensuchen, geruhen sie nicht einmal zu verdauen". (Übers, nach G. FlNK) Ohne Zweifel flössen infolge des relativen Friedens im mediterranen Raum und der sich bis nach Indien erstreckenden Kontakte Nahrungsmittel nach

Ernährung Rom, die alle Kriterien einer luxuriösen Exotik und Außergewöhnlichkeit erfüllt haben. Die enorme Kaufkraft der in Rom residierenden senatorischen Familien, des kaiserlichen Haushaltes, hoher Militärs und Verwaltungsträger eröffnete einen Markt, der seinesgleichen in der Welt nicht kannte. Der ältere Plinius urteilt daher zu Recht, der Tiber sei der friedlichste Handelsherr für das Herbeischaffen aller Erzeugnisse vom ganzen Erdkreis, was zur Folge hatte, daß man in Rom die Erzeugnisse aller Völker begutachten könne (Plin. nat. 3,54 u. 11,240). Die Nachfrage nach .neuartigen' und luxuriösen Nahrungsmitteln zeitigte seit der späten Republik aber noch eine weitere Folge, i. e. die Etablierung fremder Tiere und Pflanzen im italischen Raum. Unter Tiberius wurde etwa ein begehrter Speisefisch, der ansonsten ausschließlich im östlichen Mittelmeer vorgekommen sein soll, an der Küste zwischen Ostia und Kampanien nach mehrjähriger Schonzeit heimisch (Plin. nat. 9,62 f.), und Autoren wie Varrò, Columella und der ältere Plinius liefern zahlreiche Belege, in denen auf nach Italien importierte Kulturpflanzen hingewiesen wird (vgl. W H I T E 1 9 7 0 , 2 5 8 f.; FRIEDLÄNDER 1 9 2 2 , 3 0 7 ) .

Gewiß ist es in den vermögenden Kreisen bei unzähligen Gelagen auch hoch hergegangen, was dann - oft ganz nach dem Willen der Initiatoren zum Stadtgespräch wurde (vgl. z. B. Sen. ep. 122; Mart. 12,41). Manche Gastgeber spülten sogar ostentativ edelste Lebensmittel mit exquisitem Wein hinunter, während ihren Gästen Minderwertiges vorgesetzt wurde (vgl. z. B. Mart. 9,2; luv. 5,24-173). Auch der jüngere Plinius bestätigt solche, in seinen Augen schändliche Verhaltensweisen (Plin. ep. 2,6). Die römische Kochkunst hat in dieser Schickeriaszene natürlich höchste Vollendung gefunden. Der Koch des Trimalchio wird von Petronius als wahrer Künstler beschrieben; er war in der Lage, den Gästen seines neureichen Herrn Gänse aus Schweinefleisch, Tauben aus Schweinefilet und Hühner aus Pastetenteig aufzutischen (Petron. 69 f.). So etwas scheint nie auf die kaiserliche Tafel Trajans gelangt zu sein (vgl. etwa Plin. ep. 6,31,13); und man darf auch sonst vermuten, daß die tägliche Kost der Senatoren, Ritter und Ratsherren zwar standesgemäß, aber nicht übertrieben delikat und aufwendig gewesen ist. Wie so oft muß auch hier der jüngere Plinius als Gewährsmann herhalten. Er selbst hatte sich offensichtlich eine maßvolle Lebensweise auferlegt, war aber dennoch einem ordentlichen Essen bisweilen nicht abgeneigt. In zweien seiner Briefe bedankt er sich ausdrücklich für die Zusendung von Krammetsvögeln und eines fetten Huhns (Plin. ep. 5,21,1; 7,21,4). Eine Einladung bei einem senatorischen Standesgenossen nahm er einmal aber nur unter der Bedingung an, die cena solle schlicht gehalten sein und das rechte Maß der Zurüstung, des Aufwandes und der Zeit haben (Plin. ep. 3,12,1 u. 4). Wohl nicht in jedem Detail ernst zu nehmen, ist indes sein Brief an den Ritter Septicius Clarus, der unter Hadrian zum praefectus praetorio avancieren sollte. Plinius schilderte diesem, was er bei einem Essen, zu dem er ihn eingeladen hatte, versäumt habe: einen

187

188

Darstellung/Lebensstandard K o p f Salat, drei Weinbergschnecken, zwei Eier, Grießpudding mit H o n i g seim, Oliven, Mangold, G u r k e n , Zwiebeln und einiges mehr (Plin. ep. 1,15). Spiegelt dies nun die Alltäglichkeit wieder? - W i r wissen es nicht! Ist das mit erlesenen Fleischgerichten und Saucen gespickte M e n ü für sieben Gäste, das Martial einmal detailliert beschreibt (Mart. 10,48), für ihn ein ausgesprochenes Festessen gewesen oder fügte es sich eher in seine gewohnte L e b e n s weise? - A u c h das entzieht sich unserer Kenntnis. Selbst das berühmte K o c h b u c h , das u. U . dem in der tiberischen Zeit lebenden Schlemmer und Feinschmecker M . Gavius Apicius zuzuschreiben ist (vgl. M . MRATSCHEK-HALFMANN 1993, 192f.; BODE 1999, 6 - 2 0 ) , bietet in diesem Zusammenhang keine klare A n t w o r t . H i e r nämlich finden sich einfache und aufwendige Speisen nebeneinandergereiht, ohne zu verdeutlichen, ob

die

Rezepte

in

der

Gesamtheit

ein

ausgesprochenes

Oberschicht-

Verhalten illustrieren (vgl. BODE ebd. bes. 141). A u c h den O b e r s c h i c h t e n in den vielen Städten können wir nicht richtig auf die Tafel schauen. Zwar schildern manche kaiserzeitliche Autoren deren E ß - und Trinkgewohnheiten, aber es scheint angeraten, die einzelnen Aussagen recht kritisch zu beurteilen. So mag die Schilderung eines Gelages bei einer vermögenden Gastgeberin in Apuleius' M e t a m o r p h o s e n (Apul. met. 2 , 1 9 ff.) in seinen Detailinformationen zwar stimmig sein, aber sie könnte in G ä n z e auch der Dramaturgie des gesamten R o m a n s unterliegen und eine reine F i k t i o n darstellen. A u c h die Klage des Clemens von Alexandrien über das Luxusverhalten der großstädtischen O b e r s c h i c h t (vgl. M 8 8 ) ist gewiß grundsätzlich berechtigt gewesen; ihr Quellenwert wird aber durch die A u f nahme literarischer T o p o i und die .Intention' des Bischofs (christliche Kritik an heidnischer U m w e l t ) gleich in zweifacher Weise relativiert. U m Ernährungsverhalten und Ernährungssituation in den Weiten des Imperiums konturieren zu können, sind wir daher eher auf die Archäologie angewiesen, wobei der pflanzliche und osteologische B e f u n d im Vordergrund steht. Es ist o b e n schon angedeutet worden (s. o. S. 61 [Lit.], 7 6 - 7 8 ) , daß sich die Masse der in dieser Hinsicht einschlägigen Untersuchungen nicht auf das italische Kernland und die mediterranen Provinzen bezieht, sondern auf die in dieser Hinsicht gut erforschten nordwestlichen Provinzen (Britannien, die beiden Germanien, Rätien, N o r i c u m ) . H i e r traten mit der Etablierung der römischen M a c h t zwei Getreidearten für die menschliche Ernährung in den Vordergrund: der vor allem in Zentral- und Südgallien angebaute Saatweizen und der weiter nördlich kultivierte D i n k e l , der sich hier als winterharte, ertragreiche und besonders fett- und eiweißhaltige Spelzweizenart bewährte und - wie der Saatweizen - ein hochwertiges Backmehl lieferte. Somit scheint der K o n s u m von B r o t - vor allem G r a u - und S c h w a r z b r o t - gegenüber dem hier vorher üblichen V e r z e h r von Breien (wie in Italien seit dem 2. J h . v. C h r . ) m e h r und mehr in den Vordergrund gerückt zu sein. F ü r Breie und

Ernährung zum Bierbrauen wurden des weiteren die - auch als Tierfutter wichtige Gerste sowie die Rispenhirse verwendet. Nach den paläobotanischen Befunden gehörten in den Nordprovinzen auch Gemüsesorten und Hülsenfrüchte zum Grundbestand der Ernährung, ferner einige heimisch gemachte Pflanzen aus dem Mittelmeerraum (darunter diverse Obst- und Nußbaumarten und Kräuter; vgl. oben S. 77). Besonders in diesen Provinzen war der etwas stärkere Verzehr von tierischen Nahrungsmitteln üblich, worauf die hohe Bedeutung der Tierzucht auf den Höfen und Villen zurückgehen dürfte (vgl. BENECKE 1994b, 1 4 2 - 1 8 1 u. oben S. 65 u. 7 7 - 7 9 ) . Neben diesen Produkten spielten noch Honig, Käse und Fisch eine Rolle, und im militärischen und städtischem bzw. gehobenen gesellschaftlichen Kontext Mollusken, Olivenöle, Weine und Importfrüchte bzw. -gewürze, wie Feigen, Mandeln, Kümmel und Pfeffer (vgl. KÜSTER 1995, 1 1 - 1 6 . 20). Insgesamt bietet sich, was die Palette der Lebensmittel betrifft, ein recht buntes Bild. Allem Anschein nach litt die hier lebende Bevölkerung in der frühen und hohen Kaiserzeit im wesentlichen nicht unter einer ausgesprochenen Mangelversorgung. Die Papyri und Ostraka liefern indes vielfältige und sehr konkrete Informationen über die Ernährungslage in Ägypten. Die Speisen der meisten Menschen waren hier größtenteils vegetabilisch. So dokumentieren zahlreiche Haushaltsabrechungen neben dem Weizen- bzw. Brotverzehr einen hohen Verbrauch an Leguminosen und weiteren pflanzlichen Nahrungsmitteln (vgl. z . B . DREXHAGE 1991a, 5 - 1 0 ; DERS. 1990a; KONEN 1995; RUFFING 1995). Fische aus dem Nil und dessen natürlichen und künstlichen Verästelungen waren wichtige und vor allem preiswerte Eiweißlieferanten (vgl. DREXHAGE 1991a, 5 0 - 5 3 ) , und mit gewissem Abstand galt dies auch für Schaf- und Ziegenkäse (vgl. DERS. 1996). Fleisch und Fleischprodukte waren zwar sehr begehrt, aber zumeist für die Allgemeinheit unerschwinglich (vgl. DERS. 1997 a). Interessant ist ferner, daß die römische Sauce (garum), die sonst schnell im römischen Einflußbereich Verbreitung fand, in Ägypten erst im Laufe des 3. J h . spürbarer nachgefragt wurde (vgl. DERS. 1993). Zu Lasten des Bierverbrauchs, für den die Ägypter ursprünglich bekannt waren, setzte sich in den ersten drei Jahrhunderten n. Chr. der Weinanbau und -verzehr durch (vgl. DERS. 1997 b; RUFFING 1998 b). Die Olivenproduktion in Ägypten hat offensichtlich der Nachfrage genügt; von Importen dieses zentralen Lebensmittels in die Chora

hören wir jedenfalls kaum etwas, obgleich um-

fangreiche Importe nach Alexandreia(?) seit jüngerer Zeit belegt sind (P. BINGEN 77; 2. J h . n. Chr.). Wer es sich leisten konnte, verzehrte hochwertiges Olivenöl (elaion chreston);

doch die meisten Menschen mußten mit anderen

Ölen vorlieb nehmen (vgl. REIL 1913, 1 3 6 - 1 4 4 ; SCHNEBEL 1925, 1 9 7 - 2 0 3 . 3 0 2 - 3 1 1 ; DREXHAGE 1991a, 4 3 - 5 0 ) . Für Palästina lassen sich dank mannigfaltiger Äußerungen in der rabbinischen Literatur ebenfalls recht konkrete

189

190

Darstellung/Lebensstandard Aussagen zur Ernährungslage treffen. Sie stimmen weitgehend mit der der Situation in Ä g y p t e n überein. A u c h hier wird, was die ,kleinen

Leute'

betrifft, nicht allein auf W e i z e n - oder G e r s t e n b r o t , W e i n und O l als H a u p t bestandteile der N a h r u n g verwiesen, sondern auch auf H ü l s e n f r ü c h t e (zumeist Linsen, E r b s e n und Saubohnen), O b s t (vor allem getrocknete Feigen) und (seltener) G e m ü s e und Fische. D e r G e n u ß von Fleisch blieb dagegen den O b e r s c h i c h t e n und den seltenen Festtagen vorbehalten (vgl. BEN-DAVID 1974, 3 0 6 - 3 1 0 ) . In der G r u n d s t r u k t u r ist die Ernährungssituation im gesamten mediterranen R a u m mit der im römischen Ä g y p t e n und in Palästina vergleichbar. D e r durch die papyrologische und rabbinische Uberlieferung eindeutig d o k u mentierte h o h e V e r z e h r v o n G e m ü s e , H ü l s e n f r ü c h t e n usw., der ja auch v o n antiken A u t o r e n m e h r oder weniger bestätigt wird (etwa H ö r . sat. 2 , 3 , 1 8 2 ; Plin. nat. 18,50. 117; 2 2 , 1 5 4 ; vgl. ANDRÉ 1998, 1 7 - 4 1 ) , sollte gemahnen, in B e z u g auf die Ernährungsweise v o n der Vorstellung der .mediterranen T r i a s ' (Getreide, Olivenföl], W e i n ) zugunsten eines ,mediterranen Q u a r t e t t s ' a b z u r ü c k e n (vgl. RUFFING 1998 a, 903). D i e s ist jüngst auch für die griechische W e l t weit früherer Zeit mit guten G r ü n d e n vorgetragen w o r d e n (SARPAKI 1992). Zugleich wäre damit ein H i n w e i s gegeben, daß bei dem allgemein akzeptierten

zurückhaltenden

F l e i s c h k o n s u m die P r o t e i n l ü c k e

zumindest

teilweise geschlossen werden konnte. So verweist A . Sarpaki auf eine B e r e c h nung, w o n a c h ein H e k t a r H ü l s e n f r ü c h t e ca. 190 kg Proteine hervorbringen k ö n n e , ein H e k t a r G e r s t e resp. W e i z e n indes nur ca. 83 b z w . ca. 70 kg (vgl. ebd. 74). A m E n d e sei n o c h kurz auf die Ernährungssituation der Soldaten eingegangen, weil wir hierüber recht gut informiert sind. I h r e Versorgungslage während eines Feldzuges hat sich bei aller Sorgfalt, die man auf dem S e k t o r der Logistik walten ließ, bisweilen äußerst kritisch gestaltet (vgl. KLSSEL 1995, passim); aber es war den meisten Soldaten ü b e r die längste Zeit hinweg doch vergönnt, an den G r e n z e n und in der E t a p p e ein ruhiges und auskömmliches G a r n i s o n s l e b e n zu führen. I m U m f e l d der vielen Kastelle und Standlager entstand so ein Wirtschaftsgefüge, das sich auf ihre Bedürfnisse und ihre Kaufkraft konzentrierte (vgl. M 1 1 ) . W i e gut es ihnen dank der v o m H e e r garantierten Grundversorgung mit Getreide, W e i n Speck, Käse usw. und dank ihres Soldatensoldes ging, verdeutlichen zahlreiche Papyri sowie o s t e o logische und paläobotanische

Untersuchungen

(vgl. JUNKELMANN

1997,

passim). K e i n e größere gesellschaftliche G r u p p e im R e i c h scheint sich hiernach ähnlich umfangreich verköstigt zu haben. D a v o n zeugen nun auch die in Vindolanda am Hadrianswall entdeckten Schreibtäfelchen. N a c h TAB. VLNDOL. I I 190 u. 191 gelangten innerhalb weniger T a g e unterschiedliche Fleischsorten ( L a m m , Schwein, R i n d , Ziege, Spanferkel, W i l d ) , aber auch G e w ü r z e , F i s c h sauce, W e i n verschiedener Qualität, Essig und B i e r auf die T i s c h e der Solda-

Ernährung ten. Diese Vielfalt mag eine Ausnahme gewesen sein oder sich auf höhere Chargen des Kastells bezogen haben. Uber deren Ernährungsgebaren geben auch Latrinenanalysen Auskunft. Nach einem solchen Befund war der Speisezettel eines Centurio im heutigen Alphen aan den Rijn zur Mitte des 1. Jh.s. n. Chr. recht üppig: Hier fanden sich neben Getreideresten u. a. Feldbohnen, Fenchel, Pimpinelle, Kerbel, Nüsse, Hagebutten, Koriander, Dill, Sellerie, Äpfel, Birnen und Pflaumen, und ferner aus dem Süden importierte Oliven, Feigen, Weintrauben und Pfirsiche. Der Verzehr tierischer Nahrungsmittel läßt sich in Exkrementsresten selten nachweisen. Immerhin sind in den Latrinen von Alphen, die offenbar auch als Abfallgruben dienten, Gräten und Schuppen verschiedener Flußfische eruiert worden sowie Austernschalen ( v g l . JUNKELMANN 1 9 9 7 , 2 6 - 2 9 ) .

Insgesamt ist die Ernährung gegenüber der Trostlosigkeit, die Galen u. a. für breite Kreise der Stadt- und Landbevölkerung vermitteln (Gal. 6, 486. 491. 498 f. 507. 523 [K.] u. ö.; ähnlich Hör. sat. 2,3,182; Lukian. sat. 28), vielfach reichhaltiger, abwechslungsreicher und proteinhaltiger gewesen. Im Vergleich zum Mittelalter, wo die Menschen in Europa seit dem 14. Jh. wiederholt von apokalyptischen Hungerkatastrophen heimgesucht wurden (vgl. MOLLAT 1987), und der Krisenzeit zwischen 1750 und 1850 scheint zumindest in einigen Gebieten des Reiches die Versorgungslage besser gewesen zu sein. Dies gilt nicht so sehr für den Osten des Reiches, wo wir häufiger von Hungerkrisen hören (vgl. GARNSEY 1988, 218-227), sondern eher für Rom und Italien (vgl. PRELL 1997, 90 f.) und die europäischen Provinzen im Westen, wo nach der Okkupationsphase bis ins 3. Jh. von Hungersnöten nur im Zusammenhang mit Aufstandsbewegungen die Rede ist. Hier liefern anthropologische Untersuchungen übrigens zusätzliche Indizien (vgl. JUNKELMANN 1997, 20 f.; JANSSENS 1977, 150). Obwohl bislang nur wenige aussagekräftige Befunde vorliegen, deutet sich z. B. an, daß viele Menschen im Rheingebiet und in Nordwestgallien in der Prinzipatszeit erheblich größer als jene im Mittelalter und der Neuzeit (bis ca. 1850) gewesen sind. Dies setzt eine kalorien- und eiweißreichere Ernährung voraus. Zugleich ergaben Untersuchungen von T. S. Constandse-Westermann an Skeletten von verschiedenen zivilen Fundplätzen in Italien Hinweise auf die Durchschnittsgröße der dort in spätrepublikanischer Zeit lebenden männlichen Bewohner. Sie könnte sich bei Erwachsenen auf etwa 1,65 m belaufen haben (vgl. CONSTANDSE-WESTERMANN 1 9 8 2 , 1 5 2 ; s. a. BISEL 1 9 8 8 ) . G e m e s s e n a n s p ä t e -

ren Zeiten ist dies sicher beachtlich und bestätigt das von M. Prell entwickelte Bild eines ernährungsmäßig relativ gut versorgten Kernlandes im Imperium R o m a n u m (vgl. PRELL 1997, 100 f.).

191

8. Das dritte Jahrhundert

Seit der Zeit M a r k Aurels sah sich das R ö m i s c h e Reich zunehmend unter außenpolitischem und damit militärischem D r u c k . Dieser sollte im 3. J h . n. C h r . seinen H ö h e p u n k t erreichen und zumindest einen der Hauptgründe für die strukturellen Veränderungen in der Zeit der „Reichskrise" darstellen (zum Krisenbegriff vgl. STROBEL 1993, 2 9 9 - 3 4 8 ; WLTSCHEL 1999, 7 - 1 9 ) . J e n e „ K r i s e " deutet sich schon seit der Mitte des 2. nachchristlichen J h . an. M a r c Aurel der „Philosoph auf dem K a i s e r t h r o n " , hatte schwere K ä m p f e gegen die nördlich der D o n a u siedelnden Völkerschaften

(Markomannen,

Q u a d e n , J a z y g e n etc.) und das Partherreich im O s t e n zu bestehen. Zudem sorgte der A u s b r u c h der sog. „Antoninischen P e s t " für

demographische

Einbrüche. Sie wurde von all' jenen Folgeerscheinungen begleitet, die wir auch aus dem Spätmittelalter kennen. Insbesondere ist hier an Wüstungen zu denken, wie sie etwa im ägyptischen Gau von Mendes dokumentiert sind: G a n z e D ö r f e r fielen der Pest, aber auch inneren U n r u h e n z u m O p f e r (vgl. P. T h m o u i s 1, S. 28 f.). Die Seuche brach im Verlauf des 3. J h . immer wieder aus und verschärfte somit die durch innere und äußere kriegerische Auseinandersetzungen hervorgerufenen Krisenerscheinungen. D i e außenpolitische und militärische Situation sollte sich insbesondere im 3. J h . eklatant verschärfen. D e m Reich entstanden in germanischen Stammesverbänden wie etwa den Alamannen und Franken im Westen, den G o t e n an der unteren D o n a u sowie den Sasaniden im O s t e n neue, militärisch potente Gegner, die an den jeweiligen G r e n z e n starken D r u c k ausübten (vgl. DEMOUGEOT 1969; STROBEL 1 9 9 3 , 2 8 5 - 2 9 7 ) . Innenpolitisch bildete der T o d des C o m m o d u s (192 η. C h r . ) eine Zäsur: E r leitete in die sog. E p o c h e der „Soldatenkaiser" über, o b w o h l die politische Lage durch die Dynastie der Severer ( 1 9 3 - 2 3 5 ) nochmals einigermaßen stabilisiert werden konnte. Das römische H e e r wurde nach ihnen zum ausschlaggebenden F a k t o r der Kaisererhebung (vgl. HARTMANN 1982). Beinahe jeder der nur kurz regierenden Kaiser sah sich Usurpationen

gegenüber;

schließlich bildeten sich sogar Sonderreiche auf reichsrömischem

Gebiet

(Gallisches Sonderreich zw. 2 6 0 - 2 7 4 ; Palmyrenisches Sonderreich zw. 2 6 7 / 8

194

Darstellung/Das dritte J a h r h u n d e r t und 2 7 2 ) . Zwischen dem T o d des Severus Alexander (235 n. C h r . ) und dem des Carinus ( 2 8 5 ) gab es nicht weniger als 26 Kaiser, 3 Caesaren - M i t r e g e n ten von untergeordneter Bedeutung - und 41 U s u r p a t o r e n (vgl. die Kaisertabelle v o n KLENAST 1996). D a s R e i c h sah sich somit im I n n e r n wie auch nach außen stärksten Belastungs- und Z e r r e i ß p r o b e n ausgesetzt, die n u n m e h r die R a h m e n b e d i n g u n g e n für die ö k o n o m i s c h e E n t w i c k l u n g bildeten (vgl. zur politischen E n t w i c k l u n g CHRIST 1995, 6 0 0 - 7 0 2 ; DEMANDT 1998, 1 9 - 2 9 ) . O b w o h l sich m o n o k a u s a l e E r k l ä r u n g e n für diese „ K r i s e " eo ipso verbieten (zu den verschiedenen Deutungsversuchen vgl. DEMANDT 1984), darf man d o c h aus der R o l l e des H e e r e s bei den Kaisererhebungen sowie seiner starken Beanspruchung

in den Verteidigungskämpfen

eines folgern:

Die

Heeresausgaben, die ja auch in den ruhigeren Zeiten in den ersten beiden Jahrhunderten

einen H a u p t p o s t e n

der Staatsausgaben

darstellten,

stiegen

dramatisch an (s. o. S. 52). Dies geschah nicht nur aufgrund der erhöhten A u f w e n d u n g e n für laufende O p e r a t i o n e n , sondern auch wegen der verstärkten N o t w e n d i g k e i t für die Kaiser, sich die G u n s t des H e e r e s durch Solderh ö h u n g e n und D o n a t i v e zu erkaufen. D i e militärischen Belastungen werden s c h o n unter der Regierung des Septimius Severus deutlich. J e n e r Kaiser hatte in den J a h r e n 193 und 199 n. C h r . nicht weniger als fünf militärische Auseinandersetzungen zu bestehen, v o n denen allerdings nur zwei gegen einen äußeren Feind geführt wurden und n o c h dazu Angriffskriege waren (vgl. CHRIST 1995, 6 0 0 - 6 0 9 ) . Zeit 193 193194195197-

194 196 197 199

Offizieller Feldzugname

Gegner

expeditio expeditio expeditio expeditio expeditio

Didius Iulianus Pescennius Niger Parther Clodius Albinus Parther

urbica Asiana Parthica Gallica Parthica

Tabelle nach LE BOHEC 1993, 218 D i e s e Feldzüge verschlangen immense S u m m e n und nicht ohne G r u n d wird Septimius Severus der an seine S ö h n e G e t a und Caracalla gerichtete Ausspruch zugeschrieben, man solle die Soldaten bereichern und sich u m alles andere nicht k ü m m e r n (Cass. D i o 77,15,2; vgl. CHRIST 1995, 611). D a r über hinaus wurden die Soldaten durch die Schaffung der annona

militaris

nun mit allem L e b e n s n o t w e n d i g e n versorgt (Kleidung, N a h r u n g etc.), o h n e dafür, wie v o r h e r üblich, Soldabzüge in K a u f n e h m e n zu müssen (vgl. R O T H 1999, 2 4 0 f . ; KlSSEL 1995, 1 7 0 - 1 7 5 ) . D i e s e Ausgaben mußten durch das S t e u e r a u f k o m m e n finanziert werden (vgl. dazu ROTH ebd. 2 3 6 - 2 3 8 ; KlSSEL ebd. 1 1 3 - 1 1 9 ) , was den i m m e r k o n sequenteren Zugriff des Staates auf seine Steuersubjekte erforderte.

Dies

Das dritte Jahrhundert bedurfte wiederum des weiteren Ausbaus der Finanzverwaltung, der nun noch eine zusätzliche Belastung des Staatshaushaltes bedeutete. Folgerichtig sind unter Septimius Severus die ritterlichen Prokuratorenstellen um 40 erhöht worden (vgl. CHRIST ebd. 612). Gegen Ende des 2. Jh. wurden die privaten Zollgesellschaften abgeschafft; ihre Aufgaben nahm in der Folgezeit der Staat wahr, woraus die Notwendigkeit, einen weiteren Beamtenapparat zu b e s o l d e n , resultierte (vgl. DE LAET 1949, 4 0 3 - 4 2 4 ; VLTTLNGHOFF 1953, 3 9 2 394).

Das Bemühen um eine Garantie des Steueraufkommens äußerte sich jedoch noch auf einem anderen Sektor. Den Städten wuchsen neue bedrückende Aufgaben zu. Die lokalen Oberschichten im Osten wie auch im Westen wurden zunehmend seit der 2. Hälfte des 2. Jh. für das gesamte Aufkommen an Steuern und Gefällen haftbar gemacht (vgl. LANGHAMMER 1973, 255 f.; weitere Lit. bei WLTSCHEL 1999, 118 Anm. 2). Gleichzeitig wurden neben den Veteranen, die schon unter Augustus privilegiert wurden, weite Personenkreise (Schiffsreeder, die staatliche Lasten übernahmen, Priester, Athleten, öffentliche Ärzte und Lehrer, Architekten usw.) zunehmend von der Übernahme munizipaler Lasten freigestellt (vgl. LANGHAMMER ebd. 262-277; DRECOLL 1997, 43-73). Hierdurch wuchs der ökonomisch-fiskalische Druck auf die lokalen Oberschichten in bedeutender Weise (vgl. CHRIST 1995, 614; DE MARTINO 1 9 9 1 , 4 1 6 - 4 1 8 ; s k e p t i s c h e r WEBER 1993 b, 3 0 6 - 3 1 1 ) .

Wie aber wirkten sich nun diese politischen und militärischen Entwicklungen auf die Wirtschaft aus? Eine Antwort darauf zu geben fällt nicht leicht, zumal wir für die Zeit ab 235 n. Chr., in der sich die Krisensymptome in verschärfter Form zeigten, nur wenig Quellen besitzen. Erschwert wird eine Darstellung der Vorgänge noch durch einen weiteren Sachverhalt. Viele strukturelle Änderungen in der Wirtschaft, die in dieser Zeit ihren Ausgangspunkt gehabt haben mögen, lassen sich erst unter Diokletian und Konstantin nachweisen. Fraglich ist jedoch, inwieweit diese Änderungen eine Reaktion auf oder ein Ausdruck der Krisen des 3. Jh. gewesen sind oder ob sie am Ende einer längerfristigen strukturellen Entwicklung standen (vgl. HERZ 1988, 184; zur Quellenlage allgemein WlTSCHEL 1999, 25-117). Ein Beispiel hierfür mag der Kolonat sein, d. h. die Bindung der Pachtbauern an die Scholle. Jener wird mit einem unterstellten Arbeitskräftemangel im 3. Jh. in Verbindung gebracht und als Antwort des Staates auf ihn verstanden (vgl. DE MARTINO 1991, 419). Belegt ist die Bindung der Bauern jedoch erst seit der Zeit Konstantins (Cod. Theod. 5,17,1; vgl. auch den Kommentar zu M 9 5 sowie WlTSCHEL 1999, 174). Ähnliches gilt auch für das Kollegienwesen, wo wir erst im 4. Jh. n. Chr. die Zwangsmitgliedschaft konstatieren können (vgl. M 9 6 mit Kommentar). Schließlich ist noch ein weiteres Problem zu nennen: Die „Krise" vollzog sich auf wirtschaftlichem Gebiet nicht reichsweit zur selben Zeit und in der-

195

196

Darstellung/Das dritte Jahrhundert selben Schärfe. Somit fällt es schwer, überhaupt Aussagen zu treffen, die für das gesamte Imperium Geltung haben. So seien die folgenden Äußerungen zum 3. Jh. auf das beschränkt, was wir im zeitgenössischen Quellenmaterial in der Tat fassen können: Der seit den Severern zunehmende Steuerdruck läßt sich selbst für das sonst so quellenreiche Ägypten kaum nachvollziehen. Unter Septimius Severus wurde aber eine maßgebliche Änderung in der Steuererhebungspraxis vollzogen. Er führte die boule (d. h. den Stadtrat) auch für die Gaumetropolen ein, deren Mitglieder nun für die Einziehung der Steuern verantwortlich gemacht worden sind. Konkret bekannt ist eine Erhöhung einzelner Steuern auf Gartenland (vgl. WALLACE 1938, 348f.). Doch selbst über die Entwicklung der Kopfsteuern wissen wir fast nichts. Sicher ist nur soviel, daß sie auch nach der Constitutio Antoniniana im Jahre 212, durch die fast alle Bewohner des Reiches zu römischen Bürgern erhoben wurden und somit ja kopfsteuerfrei gewesen wären, weiter existiert hat (die letzte Kopfsteuerquittung datiert ins Jahr 248; vgl. BAGNALL/FRIER 1994, 10f.; NEESEN 1980, 128-130). Erst aus der Regierungszeit des Probus (276-282 n. Chr.) haben wir weitere Hinweise auf Steuererhöhungen (vgl. WALLACE 1938, 349). In und außerhalb Ägyptens läßt sich noch ein weiteres Mittel kaiserlicher Fiskalpolitik nachweisen. Abgesehen von der schon genannten annona militaris, die besonders die Bevölkerung in den Durchmarschzonen des Militärs bedrückte, ging man verstärkt zu der Praxis über, zusätzliche Abgaben zu erheben. An dieser Stelle ist das schon oben (s. o. S. 44) erwähnte aurum coronarium (Kranzgold) zu nennen, welches im 3. Jh. offenbar im gesamten Reichsgebiet eingezogen wurde (vgl. NEESEN 1980, 144f.). Schwer einzuschätzen in ihren fiskalischen Auswirkungen ist die bereits erwähnte Constitutio Antoniniana. Nach Cassius Dio (78,9,4 f.) sei die Hauptintention dieser Maßnahme gewesen, die Zahl der Personen, die qua Inhabe des römischen Bürgerrechts für die Entrichtung der Erbschafts- und Sklavenfreilassungssteuer veranlagt waren, zu erhöhen; zudem hatte Caracalla beide Steuersätze vorher verdoppelt (vgl. zu den Beweggründen auch JACQUES/SCHEID 1998, 312 f.). Als ein weiteres Krisenphänomen wird häufig ein im 3. Jh. entstehender Arbeitskräftemangel geltend gemacht, der zum einen aus einem drastischem Bevölkerungsrückgang und zum anderen aus dem sich in dieser Zeit bemerkbar machenden Mangel an Sklaven resultiere (vgl. etwa DE MARTINO 1991, 411. 415. 419; JOHNE 1993 b, 83; bes. den ausführlichen Überblick bei DEMANDT 1984, 352-365). Dem kann mehreres entgegengehalten werden: Als ein Grund für den Mangel an Arbeitskräften werden die demographischen Einbrüche im Gefolge der Epidemien genannt, die jeweils in der Mitte des 2. und 3. Jh.s wüteten (vgl. etwa L o CASCIO 1982, 149; BOAK 1955). Obgleich diese ohne Zweifel in einzelnen Orten und Gegenden furchtbare

Das dritte Jahrhundert Folgen hatten, scheint eine rasche Regenerierung der Bevölkerung möglich gewesen zu sein (vgl. BAGNALL/FRIER 1994, 1 7 3 - 1 7 8 am Beispiel der „Pest" des Jahres 166 n. Chr.; KRAUSE 1987, 229 mit Anm. 407). Auch die kriegerischen Einwirkungen müssen keinen deutlichen Rückgang verursacht haben, sondern zeitigten allenfalls starke Auswirkungen in den unmittelbar betroffenen Gebieten (vgl. VLTTINGHOFF 1990 a, 22). Erschwert wird eine Beurteilung der These, massive demographische Einbrüche seien ein wichtiges M o ment der Krise gewesen, durch den Mangel an verläßlichen Quellen, die eine Bevölkerungsentwicklung des Reiches aufzeigen könnten. Wenn überhaupt, bezeugen diese einen quantitativen Rückgang der Oberschichten, die gegenüber dem Gros der Bevölkerung in den epigraphischen Quellen einigermaßen faßbar sind (vgl. DEMANDT 1984, 577f.). Auch der oft unterstellte Sklavenmangel ist nicht ohne weiteres konstatierbar. Während zur Zeit der späten Republik noch die Kriegsgefangenen das Hauptkontingent an neuen Sklaven bildeten, waren dies in der Kaiserzeit vornehmlich die „hausgeborenen Sklaven" ( v e r n a e / o i k o g e n e i s ; vgl. zu diesen und ihrer ökonomischen Funktion HERRMANN-OTTO 1994, bes. 4 0 0 - 4 0 3 ) . Selbstverständlich gelangten auch während dieser Zeit sehr viele Menschen im Gefolge äußerer (Donaukriege, Partherkriege etc.) und innerer Kriege (vgl. etwa die Judenaufstände) oder aufgrund von Verurteilungen in die Sklaverei (vgl. JACQUES/SCHEID 1 9 9 8 , 4 0 5 f.; WESTERMANN 1 9 3 5 , 9 9 4 - 9 9 6 ) . Aber alle Belege über die Sklaverei lassen keine quantitativen Angaben für irgendeinen Reichsteil oder gar das Gesamtreich zu. In der neueren Forschung wird die vorherrschende Rolle der Sklaverei selbst in der Landwirtschaft des italischen Kernlandes in Frage gestellt (s. o. S. 8 4 - 9 2 ; vgl. ferner PLEKET 1990, 9 9 - 1 0 2 ; WESTERMANN 1935, 1 0 2 1 - 1 0 3 4 ) . In der einschlägigen Ü b e r lieferung gibt es allerdings Erscheinungen, die gegen einen Rückgang der Sklaverei im 3. Jh. sprechen könnten. Obwohl die Gesamtzahl der Papyrusdokumente in dieser Zeit gegenüber dem vorhergehenden Jahrhundert stark rückläufig ist (1. Jh. n. Chr.: 2478; 2. Jh.: 8435; 3. Jh.: 5880; vgl. HABERMANN 1998, 147 Abb. 1), stammt der größte Teil der Sklavenkaufverträge aus dem 3. Jahrhundert (vgl. DREXHAGE 1991a, 249). Wie ist ein solcher Befund mit der Annahme eines Rückganges der Sklavenwirtschaft in Beziehung zu setzen? Insgesamt ist es also problematisch, den eigentlich unterstellten Bevölkerungsrückgang und den Rückgang der Sklavenzahlen als Krisenfaktor in den Vordergrund zu schieben (vgl. JACQUES/SCHEID 1998, 328; WLESEHÖFER 1997, 602; anders WLERSCHOWSKI 1994). Wir wissen auch aus den Erträgen der archäologischen Forschung über das Siedlungsbild in vielen Regionen, daß sich die seit der frühen Kaiserzeit bestehenden Tendenzen (Ausweitung der Siedlungsflächen und der Zahl der Gutsbetriebe) bis in die ausgehende severische Epoche kaum veränderten. So gestaltete sich die Landwirtschaft in Thrakien und Niedermösien im 3. Jh.

197

198

Darstellung/Das dritte Jahrhundert keineswegs ungünstig. Ganz im Gegenteil entstand ein großer Teil der Villen in diesen Provinzen in dieser Zeit. Sie wurden zwar durch die Einfälle der Goten stark in Mitleidenschaft gezogen, aber nur wenige scheinen infolge der Zerstörungen gänzlich aufgegeben worden zu sein. Eher können wir einen Wiederaufbau zerstörter Villen konstatieren, der häufig mit einer Vergrößerung des Wohn- und Wirtschaftstraktes verbunden war. Parallel hierzu wurden im späteren 3. Jh. sogar Villen neugegründet (vgl. BüLOW 1993, 51 f.; HENNING 1 9 9 4 ) .

In den germanischen Provinzen, Teilen der Belgica, in Raetien und Noricum, die gleichsam Frontgebiet waren, stellte sich die Lage freilich weniger rosig dar. Hier sorgten die seit etwa 254 n. Chr. einsetzenden massiven Angriffe der Franken, Alamannen und Juthungen für großräumige Zerstörungen (vgl. BüLOW 1993, 5 5 - 5 7 ; relativierend WiTSCHEL 1999, 2 1 0 - 2 1 7 ) . In der Limeszone zwische Rhein und Donau und im Flußdeltabereich von Scheide, Maas und Rhein läßt sich sich für die Zeit nach 260 bzw. nach 275 sogar ein völliger Siedlungsabbruch feststellen (vgl. WiTSCHEL ebd. 3 3 9 - 3 6 1 mit Lit.). In Syrien oder richtiger im nördlichen Kalkmassiv ist bis 250 n. Chr. eine Ausweitung der landwirtschaftliche Produktion festzustellen. Sie wurde nach den Kriegswirren zwischen 253 und 270 wieder aufgenommen, um in den 30er Jahren des 4. Jh. wieder die alte Intensität zu erreichen (vgl. TATE 1992, 297-301). Erstaunlich stabil waren bis in die 60er Jahre auch die Verhältnisse in der Provinz Ägypten. Besonders eindrucksvoll demonstriert das schon erwähnte Heroninos-Archiv, das die Verwaltung von Großgrundbesitz im Arsinoites betrifft, ökonomische Prosperität: Zwar bemühte man sich um eine gewisse Autarkie, was den Zukauf von Produkten und vor allem den Einsatz von Vieh betraf; gleichwohl aber produzierte man noch für den Markt, was insbesondere für den Weinbau galt. Insgesamt lassen sich aus diesem Archiv keine Anzeichen für eine ökonomische Krise gewinnen (vgl. RATHBONE 1991; s. o. S. 89f.). In Hispanien wurde die Villenwirtschaft erst im Gefolge der Barbareneinfälle im 2. Drittel des 3. Jh. in Mitleidenschaft gezogen. In den Jahren nach 260 überschritten einzelne Gruppen der vom Rhein anrückenden Germanen die Pyrenäen, um über mehrere Jahre hinweg besonders den Norden und Nordosten der iberischen Halbinsel heimzusuchen. Diese Einfälle manifestieren sich gemäß der spanischen Provinzialforschung in der Zerstörung zahlreicher Villen (vgl. den Überblick bei BÜLOW 1993, 4 1 - 4 4 ; sehr viel vorsichtiger urteilt WiTSCHEL 1999, 262 f.). Als Folge dieser Einbrüche wird häufig auch ein Abbrechen der Olexporte aus der Baetica nach Rom geltend gemacht, das sich im Fehlen von Amphoren des Typs Dressel 20 auf dem Monte Testaccio seit 268 n. Chr. manifestiere (vgl. BÜLOW 1993 ebd.). Allerdings macht hier J . Remesal Rodríguez berechtigte Einwände geltend.

Das dritte Jahrhundert Er verweist auf den Gebrauch des neuen Amphorentyps Dressel 23 und den Umstand einer Abfall-Lagerung der Amphoren an anderen Punkten der

Stadt

(vgl.

REMESAL

RODRÍGUEZ

1991;

vgl.

auch

WLTSCHEL

ebd.,

264-271). Der Rückgang des Handels wird als weiteres Krisensymptom oft ins Feld geführt. Zunächst ist ein grundsätzlicher Einwand gegen diese Vorstellung vorzubringen: Das Mittelmeer als einendes Element des gesamten Imperium ist in der 1. Hälfte dieses Jh. von den kriegerischen Zuständen an den Grenzen des Reiches so gut wie gar nicht berührt worden. Der Wrackbefund im westlichen Mittelmeerbecken läßt einen Rückgang des Seeverkehrs in dieser Zeit gegenüber dem ausgehenden 2. Jh. (hier ist die Zahl der datierten Wracks allerdings schon deutlich geringer als in der vorhergehenden Jahrhunderthälfte!) nicht erkennen. Ein deutlicher Rückgang ist erst für die zweite Hälfte des 3. Jh. festzustellen, wobei die Fundstatistik durch die unterschiedlich stark untersuchten Küstenzonen und Seegebiete durchaus einen falschen Eindruck vermitteln kann (vgl. zu PARKER 1992, Fig. 5 die Ausführungen bei WlTSCHEL ebd. 1 1 5 f. m i t A n m . 6 0 u. 6 1 ) .

Analog zu diesem Bild liefern die zahlreichen Händlerinschriften aus dem Dea Nehalennia-Heiligtum bei Colijnsplaat (NL) den Eindruck einer ungebrochenen Handelstätigkeit auf dem Ärmelkanal und im Rheinmündungsbereich bis in die 30er Jahre des 3. Jh. (vgl. MÓCSY 1984; STUART/BOGAERS 1971).

Zumindest für den westlichen Pontus-Raum wird man ebenfalls von einer kontinuierlichen Seehandelstätigkeit bis zur Mitte des Jahrhunderts ausgehen können; die unter Umständen schon seit den 40er Jahren spürbare Verminderung dieser Handelstätigkeit ist jedoch nicht in Störungen begründet, sondern im Aufblühen der lokalen Produktion etwa in der Scythia Minor (vgl. BOUNEGRU 1 9 8 8 , 85).

Selbst der Seehandel mit Indien wurde aufrechtzuerhalten versucht; allerdings wird man in diesem Fall nach dem bescheidenen Quellenbefund und den Vermutungen in der einschlägigen Forschung von einer deutlichen Einschränkung ausgehen müssen (vgl. DlHLE 1998, 29). Auch von einer allgemeinen Verminderung des Handels zu Lande als Krisensymptom sollte man in dieser undifferenzierten Weise nicht ausgehen. Hier greift ein grundsätzlicher Einwand: In der neueren Forschung herrscht Einhelligkeit darüber, daß sich das Gros des gesamten Landhandelsgeschehens in überschaubaren regionalen Räumen abspielte (vgl. oben S. 120-126). Insofern haben in den Gebieten, die nicht unmittelbar in die militärischen Turbulenzen einbezogen waren, die lokalen und regionalen Handelsstrukturen grundsätzlich weiter existiert. Störungen des interregionalen Handels in die Kriegsgebiete bzw. aus den betroffenen Regionen heraus liegen allerdings auf der Hand. Analog zu den Verhältnissen auf dem Sektor der Landwirt-

199

200

Darstellung/Das dritte Jahrhundert schaft wird man aber von einem erstaunlich nahen Nebeneinander von R e gionen wirtschaftlicher Prosperität und Rezession ausgehen können - selbst in einzelnen Provinzen (vgl. WALSER/PEKARY 1962, 85). Hier sei z. B. an das bemerkenswerte Aufblühen einiger Städte an der kleinasiatischen Südküste (Side, Perge) erinnert (vgl. NOLLE 1993, 8 0 - 9 5 ) , und daran, daß Britannien bis weit in das 3. Jahrhundert hinein eine relativ ungestörte innere Entwicklung erlebte; im römischen Ägypten ist ein markanter Rückgang des innerprovinziellen Handels nicht feststellbar. Auch die Texte des NebuchelosArchivs ( S E G V I I 3 8 1 - 4 3 0 ) aus dem Dura Europos der Jahre 2 3 5 - 2 4 0 lassen auf einen intakten regionalen Handel schließen. Diese Texte dokumentieren zugleich Kontinuitäten des über die Reichsgrenzen hinausgehenden Osthandels (vgl. RUFFING 2000), der zumindest teilweise weiterhin über Palmyra abgewickelt wurde (vgl. R. DREXHAGE 1988, 1 3 9 - 1 4 1 ) . Die Beispiele für wirtschaftliche Kontinuitäten im 3. Jh. ließen sich vermehren. Es sollte lediglich folgendes deutlich gemacht werden: Von einer allgemeinen Wirtschaftskrise des Reiches kann bis zur Mitte dieses Jahrhunderts nicht geredet werden. Von einer wirklichen Krise im landläufigen Sinne des Wortes kann erst mit dem Kollaps des Währungssystems gesprochen werden. Nach der traditionellen Forschungsauffassung gab es durch die stetige Reduzierung des Feingehaltes des Denars (vgl. M 2 ) schon seit dem Ende des 2. Jh. stärkere inflationäre Tendenzen. Zusammenbruch

der

Unter

Gallienus

Währung

sei

es schließlich

gekommen

(vgl.

DE

zum

absoluten

MARTINO

1991,

3 9 1 - 4 0 9 ) . Diese Annahme gründet sich allein auf der Analyse des Feingehaltes der Denare, bei denen es sich somit um ein ausschließliches Realwertgeld gehandelt haben müßte (vgl. dazu M 2 u. 9 4 ; STROBEL 1989 a, 15 f.). Tatsächlich ist aber die Vermehrung des Geldvolumens verbunden mit einer Verknappung des Silbergehaltes nicht alleinige Ursache für Inflation im Sinne eines beschleunigten Kaufkraftverfalls, mit anderen Worten einer starken Erhöhung der Preise in einem kurzen Zeitraum. D e r Wert der Währung beruhte in erster Linie auf dem Vertrauen der Bevölkerung. Dieses war nur gewährleistet, wenn der Staat als Wertgarant der Münzen Akzeptanz bei der Bevölkerung fand (vgl. STROBEL 1989a, 1 8 - 2 0 , bes. auch zu den verschieden Funktionen des Geldes; HASLER 1980, 1 2 8 - 1 3 0 ) . Eine Betrachtung der Inflation des 3. Jh. bedarf somit zwingend der Analyse der Preise für Waren und Dienstleistungen. In einer größeren Dichte sind uns diese allein aus Ägypten überliefert. Die in den Papyri festgehaltenen Preise lassen aber nur einen Schluß zu: Bis tief in die 60er Jahre hinein kann von Inflation keine Rede sein, sondern nur von einem Preisanstieg wie im 1. und 2. Jh. n. Chr. (vgl. DREXHAGE 1991a und die Belege in M 9 4 ) . Erst danach setzt ein starker Anstieg ein (vgl. ebd.; ferner DREXHAGE 1987; STROBEL 1989a,

15; DERS. 1993, 2 7 0 - 2 7 9 ) .

Ist Ägypten, dessen

Wäh-

Das dritte Jahrhundert rung ja mit der Reichs Währung kompatibel war, in diesem Zusammenhang ein Sonderfall? Wir meinen nein, da auch die jüdische Uberlieferung bis zum besagten Zeitpunkt keine nennenswerte Verteuerung dokumentiert (vgl. STROBEL 1989 a, 26 mit Anm. 80). Die Preise, die uns in dem schon genannten Nebuchelos-Archiv entgegentreten, lassen für Dura Europos in der Zeit zwischen 235 und 240 ebenfalls keine solche erkennen (vgl. WELLES 1933, 142 f.). Auch die Preisangaben in drei um die Mitte des Jahrhunderts aufgesetzten Sklavenkaufverträgen aus dem Gebiet des mittleren Euphrats fügen sich fast nahtlos in das Bild der ägyptischen Sklavenpreise der Zeit zwischen 2 0 7 - 2 5 3 n. Chr. ein (vgl. M 94). Das Eintreten der Inflation in Ägypten in den 70er Jahren des 3. Jh. dürfte kein Zufall gewesen sein, korreliert es doch in auffälliger Weise mit der Errichtung des Palmyrenischen Sonderreiches in der Nilprovinz. So vermag man hieran exemplarisch aufzuzeigen, inwieweit psychologische Faktoren den Wert der Währung bestimmten. Denn offensichtlich erst mit dem Zusammenbruch der römischen Staatsgewalt in der Nilprovinz verlor die Bevölkerung das Vertrauen in die kursierenden, seit Tiberius gleichsam nur noch einen symbolischen Silberanteil enthaltenden Tetradrachmen. Als der römische Staat sichtbar nicht mehr als Garant des Wertes der fiduzären Währung auftreten konnte, rückt der Materialwert der Münzen wieder in den Vordergrund. Erst in diesen Jahren setzten massive Preissteigerungen ein (vgl. STROBEL 1 9 9 3 , 2 7 0 - 2 7 9 ) .

201

II. Material

1. Staat und Wirtschaft

a) Geld M 1: Das antike Geld war im Gegensatz zu unserem heutigen Kreditgeld zunächst ein Realwertgeld; dies bedeutet, daß sich der Wert einer Münze ausschließlich durch ihren Gehalt an Edelmetall definierte. Wertrelationen zwischen einzelnen Nominalen wurden durch den Münzfuß und Feingehalt sowie die Art des verwendeten Metalls ausgedrückt.

Abb. 7: RIC I S. 145, Nr. 13: unter Nero geprägter ein Portrait des Kaisers, der einen Lorbeer trägt, Claud(ius) Divi Claud(i) F(ilius) Caesar Aug(ustus) Revers ein Portrait der Mutter Neros Agrippina mit Augusta Mater Augusti (54-55 η. Chr.)

Denar. Auf dem Avers mit der Legende Nero Germani(cus). Auf dem der Legende Agrippina

Allerdings geht der Geldbegriff in der römischen Kaiserzeit noch weiter. Zwar kam nach Ansicht des Juristen Paulus dem Stoff, aus dem das Geld bestand, eine besondere Funktion zu (Dig. 18,1,1; vgl. HASLER 1980, 113-122), die Hauptsache im ökonomischen Leben war aber das dem Geld entgegengebrachte Vertrauen, d. h. der Staat hatte die Prägehoheit und garantierte durch die Prägung, daß die Münzen wertmäßig eine bestimmte Einheit darstellten (vgl. HASLER 1980, 113-122; anders BEYER 1995a, 145-147). M 2: Daher hatte auch die allmähliche Verschlechterung des Feinmetallgehaltes des Denars über viele Jahrzehnte hinweg keine inflationären Tendenzen zur Folge. Dies läßt sich auch an den Münzhorten aus dem 3. Jh. ablesen, in denen auch das „schlechte" Geld vertreten ist, welches somit ebenfalls eine Wertaufbewahrungsfunktion besaß (vgl. STROBEL 1989a, 17 mit

206

Material/Staat und W i r t s c h a f t Κ oí

A n m . 37). D i e in der F o r s c h u n g oft als knapp bezeichnete G e l d m e n g e w u r d e im übrigen n o c h durch Kreditgeld .vermehrt'. D i e s e mengenmäßig

nicht

bezifferbare V e r m e h r u n g resultierte aus dem Geldverleih gegen Zins, der für gewöhnlich 1 2 %

betrug, sowie der Kapitalschöpfung aus Stiftungen und

Bankgeschäften (vgl. dazu MROZEK 1985). M 3:

D i e staatlicherseits ausgeprägten N o m i n a l e standen im R ö m i s c h e n

R e i c h seit den T a g e n des Augustus bis tief ins 3. J h . hinein in folgender W e r t relation zueinander: Metall

Gold

Silber

Bronze/ Messing

Kupfer

Kupfer

Kupfer

Nominal Relation aureus Relation denarius Relation sestertius

Aurei 1

Denarii 25 1

Sestertii 100 4 1

Dupondii 200 8 2

Asses 400 16 4

Quadrantes 1600 64 16

N e b e n diesen R e i c h s w ä h r u n g e n existierte in den P r o v i n z e n des O s t e n s bis in das 3. J h . hinein eine Vielzahl von Provinzial- und Lokalprägungen, die mit der Reichsprägung in einem bestimmten Wechselverhältnis standen. Z u nennen wären hier etwa die K i s t o p h o r e n (Silbermünzen), die unter Augustus, Claudius, Vespasian bis Hadrian und zuletzt unter Septimius Severus und Caracalla mit einem W e r t von drei D e n a r e n geprägt wurden (vgl. W O O D -

M 4 WARD 1956; SUTHERLAND 1970). Die Provinz Ägypten bildete einen gesonderten Währungsraum. Hier war die Drachme vom Wert her dem römischen Sesterz gleichgesetzt. Die kursierenden Währungen, aber auch die einzelnen Nominale der Reichswährung zu wechseln, fiel in den Aufgabenbereich der Bankiers ( s . o . S. 149f.). Sie erhoben hierfür eine Wechselgebühr, die sich beim Umtausch eines Denars in Asse bzw. von Assen in Denare in Pergamon zur Zeit Hadrians ζ. B. auf ein bzw. zwei Asse pro Denar belief (vgl. FREÍS 1984, N r . 87; ferner ANDREAU 1987, 5 0 6 - 5 2 1 ) . Ein erster Wandel im hier beschriebenen Gefüge der Reichswährung trat dann im Jahre 215 mit der Einführung des Antoninianus

ein. Dieser war eine

von Caracalla neben dem Denar eingeführte Silbermünze, die mit ca. 5 g Gewicht gegenüber dem Denar ein 1 1/2-faches Gewicht besaß, aber als Doppeldenar behandelt wurde. Damit war ein Nominalwert eingeführt worden, der für jedermann offensichtlich keinen passenden Sachwert gegenüber dem normalen Denar hatte. Ungeachtet dessen blieb das Vertrauen gegenüber dem Staat als Wertgarant der Währung bis zum Ende der 60er Jahre des 3. Jh.s ungebrochen (vgl. M 9 4 ) . Literatur: ANDREAU 1987; BEYER 1995 a; FREYBERG 1989; HASLER 1980; MROZEK 1985; PEKÁRY 1959; DERS. 1994 a; STROBEL 1989 a; DERS. 1993, 2 7 0 - 2 7 9 ; SUTHERLAND 1970; WOODWARD 1956.

b)

Steuern und Liturgien

M 4:

Dig. 50, 15, 4 (Ulpian)

Bei der formalen steuerlichen Veranlagung wird darauf geachtet, daß ein landwirtschaftlich genutztes Areal so im Kataster geführt wird: Der Name eines jeden Grundstückes, in welcher Stadt und in welchem Gau es sich befindet und welche beiden Nachbarn es als nächstliegende hat und der Acker, welcher in den nächsten zehn Jahren besät sein wird; wie viele iugera er hat. Weingarten: [Wie viele iugera er hat] und wieviele Rebstöcke er hat. Olivenhain: wie viele iugera und wie viele Bäume er hat. Wiese, die innerhalb der nächsten zehn Jahre geschnitten wird: Wie viele iugera sie hat. Weideland: Wie viele iugera es zu haben scheint. Ebenso im Falle von haubaren Wäldern. Alles muß der, der es angibt, selbst schätzen. Die Digesten, die zwischen 530 und 533 n. Chr. von einer 17köpfigen K o m mission auf Veranlassung des Kaisers Iustinian ( 5 2 7 - 5 6 5 ) erstellt wurden, sind eine Sammlung bzw. Kompilation von Texten des klassischen Juristenrechts. In ihnen wird in Zitaten ein geringer Teil der ursprünglich umfangrei-

207

208

Material/Staat und Wirtschaft chen klassischen Rechtsliteratur überliefert. Das vorliegende Zitat stammt von Ulpian (+ 223 n. Chr.), der gegen Ende des 2. Jh. als Assessor des Prätorianerpräfekten Papinian juristische Werke zu verfassen begann, seine meisten Schriften aber unter Caracalla (211-217) veröffentlichte. Ulpian verdeutlicht, wie genau der Staat die Lage, Größe und agrarische Nutzung von landwirtschaftlichen Arealen erfaßte. Auf welche Weise der Staat die Steuern auf Grund und Boden veranlagte, wird aus einem Text Hygins offenbar:

M 5: Römische Feldmesser I 205, 9-16 Die steuerpflichtigen landwirtschaftlichen Areale sind aber in vielerlei Weise verfaßt. In bestimmten Provinzen liefern sie einen bestimmten Teil des Ertrages, die einen den fünften, die anderen den siebten (Teil), wieder andere liefern Geld; und dies geschieht durch Schätzung des Bodens. Es sind [nämlich] bestimmte Werte für die landwirtschaftlich genutzten Flächen festgesetzt, wie zum Beispiel in Pannonien Ackerland erster Güte, Ackerland zweiter Güte, Wiesen, Eicheln tragende Wälder, allgemein zugängliche Wälder und Weideland. Auf all' diesen landwirtschaftlich genutzten Flächen liegt eine Steuer nach dem Maß ihrer Fruchtbarkeit, das für die einzelnen iugera festgesetzt ist. Der in der Regierungszeit Trajans (98-117) lebende Hygin (genannt Gromaticus) gehört zum Kreis derjenigen römischen Fachschriftsteller, die sich der Vermessungskunde widmeten. Von ihm stammen mehrere Lehrschriften über die Feldmeßkunst. Der hieraus entnommene Text demonstriert, auf welche Weise Grund und Boden im Römischen Reich steuerlich erfaßt wurde. Ferner nennt er die beiden Grundarten von Steuern, nämlich die Zahlung einer Naturalabgabe und die Zahlung in Geld, die sich nach dem Wert eines Grundstückes richtete. Im allgemeinen übernahmen die Römer in den neueroberten Gebieten das bereits existierende Steuersystem, ohne freilich ganz auf Modifikationen und neue Abgaben zu verzichten (vgl. SCHRÖMBGES 1987, 4 f. u. 2 6 - 3 9 ) . Wichtig für die Steuerveranlagung waren die zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Abständen von den Provinzialverwaltungen und Städten durchgeführten .Census' (siehe etwa die Weihnachtsgeschichte bei Lk 2,1-3). Hierbei wurden die Steuerpflichtigen (subiecti) systematisch erfaßt und bei gleichzeitiger Schätzung ihres Vermögens in Steuerlisten eingetragen. Literatur: 1938.

HOPKINS

1 9 8 0 a; N E E S E N

1 9 8 0 ; SCHWAHN

1939;

WALLACE

M 7

M 6: I.K. 49, Nr. 47

Kaiserzeit

Der Rat und das Volk der Laodikener ehrten (?) Neikomachos, den Sohn des..., Gymnasiarch der Stadt und Exetastes und Sitones und Dekaprotos und Aufseher über öffentliche Länder der Stadt [...]. Dieser Rest einer Inschrift ehrt einen Mann, der zahlreiche hohe Amter in der siidwestkleinasiatischen Stadt Laodikeia am Lykos innehatte. Er war Gymnasiarch (Leiter der Übungs- und Ausbildungsstätte der Jugend), Exetastes („Rechnungsprüfer"), Sitones (d. h. der Beamte, der für den Kauf von Getreide zu einem günstigen Preis zu sorgen hatte; vgl. STRUBBE 1987), Dekaprotos (d. h. für die Steuereinnahmen gegenüber der Reichsverwaltung verantwortlich und haftbar; vgl. den Komm. z. St. in I. K. 49, Nr. 47) und Epimeletes chorion demosion tes poleos. Die zuletzt angeführte Stellung beschreibt ihn als zuständigen Beamten für die Verwaltung und Verpachtung der städtischen L ä n d e r e i e n (vgl. ebd., z u den L ä n d e r e i e n LlEBENAM 1900, 3 1 2 - 3 1 8 ) .

M 7: P. Monac. 3/108

Theadelphia 15. 6. 145 n. Chr.

(1. Hand:) Im 8. Jahr des Imperator Caesar Titus Aelius Hadrianus Antoninus Augustus Pius. Es hat in der Erfüllung der Deicharbeiten in demselben 8. Jahr (2. Hand:) vom 17. bis zum 21. Pauni am Psinaleitis-Kanal für Theadelphia Panesneus, Sohn des Horos, des Sohnes des Panesneus, und der Tamares, gearbeitet. (3. Hand:) Ich,..., Katasporeus, habe ausgestellt. (Übers, nach D. HAGEDORN) Der Text ist eine für einen Bewohner von Theadelphia im Arsinoites ausgestellte Penthemeros-Quittung. Bestätigt wird die Durchführung einer jährlich abzuleistenden, fünftägigen Pflichtarbeit zur Reparatur und Reinigung von Dämmen und Kanälen. Die drei Schriften auf dem Formular weisen a) den im Büro des für die Arbeiten zuständigen Aufsehers vorgeschriebenen Quittungstext auf (1. Hand), b) dessen Vermerk zum Datum, zur Länge der Arbeitszeit, zum Arbeitsort und Namen des Pflichtdienstleistenden (2. Hand) und c) die Unterschrift des wohl die unmittelbare Aufsicht innehabenden Katasporeus (vgl. ausführlich SljPESTEljN 1964; zuletzt A b d - E l G h a n y 1990, 107-113).

Stellvertretend für eine Unzahl weiterer Quellen offenbaren beide Zeugnisse ( M 6 u. 7), daß die Anforderungen des Staates sich noch auf einen weiteren, sich einer Quantifizierung völlig entziehenden Bereich erstreckten. Die Reichsbewohner waren in ein vielschichtiges Verpflichtungssystem eingebunden. Verschiedenartige Dienste, muñera bzw. Liturgien, mußten teils dem

209

210

Material/Staat und Wirtschaft Reich, teils den Gemeinden (Städte, civitates etc.) geleistet werden. So blieben den unterschiedlichen Ebenen der Verwaltung Ausgaben erspart, die heutzutage wie selbstverständlich von der öffentlichen Hand wahrgenommen werden. Diese Dienste beschränkten sich in der Regel auf ein Jahr oder bis zur Erledigung einer Aufgabe. Nach Prüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit konnten den Bewohnern Leistungen in Geld, Naturalien oder eben Dienste abverlangt werden (muñera patrimoniorum, vgl. LANGHAMMER 1973, 250-261), weniger Bemittelte hatten muñera personalia zu leisten, die, wie die zweite Quelle dokumentiert, unmittelbar mit physischen Anstrengungen verbunden waren (vgl. ebd. 245-250). Eine vergleichbare Leistung wird im ganzen Reich etwa für den Straßenerhalt abverlangt worden sein (vgl. PEKÁRY 1968,119-121). Die Frage, ob die Gesamtbelastungen (Steuern und wj^era/Liturgien) die Bevölkerung bedrängt haben, ist eigentlich nicht beantwortbar. Klar ist nur eines: Bis tief in das 2. Jh. n. Chr. hat dieses System relativ problemlos funktioniert. Wir können aber gewiß sein, daß für große Teile der Bevölkerung der Steuer- und Dienstleistungsdruck immens war (s.o. S. 4 3 - 4 5 ) . Viele Kleinbauern in Ägypten sahen sich schon nach einer schlechten Ernte gezwungen, ruinöse Kredite für die Steuerzahlung aufzunehmen (vgl. TENGER 1993 u. oben S. 97 f.). Für sie konnte sogar eine Spitzenernte Probleme bereiten, wie ein Brief aus dem 2. oder 3. Jh. n. Chr. verdeutlicht (vgl. M 81): Infolge der guten Ernte fiel nämlich der Getreidepreis, weshalb die Bauern/ Pächter z. T. (noch) nicht in der Lage waren, für die Entrichtung fälliger oder überfälliger Steuern entsprechende Gelder zu erwirtschaften. Insofern verstehen wir auch, daß die vielen Gruppen und Individuen zugesprochenen Steuerprivilegien und Dienstbefreiungen nicht nur das soziale Prestige der Nutznießer gehoben haben, sondern auch zu einer Verbesserung der jeweiligen ökonomischen Situation führten (vgl. dazu z. B. LANGHAMMER 1973, 262-277; DRECOLL 1997, 4 3 - 7 7 ) . L i t e r a t u r : DRECOLL 1 9 9 7 ; LANGHAMMER 1 9 7 3 ; LLEBENAM 1 9 0 0 ; NEESEN

1981.

c)

Versorgung Roms und anderer Städte

M 8: Suet. Claud. 18f. Um die Stadt Rom und ihre Lebensmittelversorgung hat er (Claudius) sich immer sehr sorgfältig gekümmert. [...] Als er während einer erheblichen Teuerung infolge ständiger Mißernten (in den Belieferungsgebieten) einmal mitten auf dem Markt von einer Menschenmenge festgehalten und mit

M 8 Schimpfworten und zugleich mit Brotbrocken so überschüttet wurde, daß er nur mit M ü h e und nur durch eine Hintertür in den Palast gelangen konnte, erdachte er alle möglichen Maßnahmen, um selbst im Winter Lebensmittel einzuführen. Zum einen stellte er nämlich den Händlern sicheren G e w i n n in Aussicht, da er den Schaden übernehmen wollte, falls jemand während der Stürme Unglück haben sollte, zum anderen verschaffte er denjenigen, die zu Handelszwecken Schiffe bauten, große Vorteile, je nach der besonderen Lage eines jeden einzelnen: Einem römischen Bürger die Vorteile des Gesetzes des Papius und Poppaeus, einem Latiner das römische Bürgerrecht und Frauen das Recht der Mütter von vier Kindern. Alles dies wurde damals festgesetzt und gilt noch heute.

(Übers, nach O . WITTSTOCK)

Augustus hatte durch die Übernahme der cura annonae im Jahre 22 v. Chr. die Getreideversorgung Roms praktisch zur „Chefsache" erklärt. Die Kaiser trugen fortan die Bürde, die plebs frumentaria (ca. 200.000 männliche Personen) kostenlos mit Getreide (monatlich 5 modii pro Person) zu beliefern* und eine reibungslose Versorgung der fast 1 Million Einwohner zählenden Hauptstadt mit preisgünstigen Lebensmitteln zu gewährleisten. Dafür wurde 6 n. Chr. der Posten eines praefectus annonae mit einem umfangreichen Stab an Mitarbeitern und Bediensteten geschaffen und nach und nach der Ausbau der Versorgungshäfen von Puteoli und Ostia-Portus (vgl. Abb. 3) vorangetrieben. Schiffsreedern und Händlern oblag es indes, das v. a. in Afrika und Ägypten bereitgestellte Getreide (insges. ca. 40 Mio. modii) und weitere Güter nach R o m zu befördern (vgl. RLCKMAN 1 9 8 0 b , 8 - 2 0 . 6 4 - 1 5 5 ; HERZ 1988, 5 6 - 2 0 3 ; SLRKS 1991, 2 4 - 1 4 5 ; RODRÍGUEZ ALMEIDA 1 9 8 4 * * ) .

Sueton, der unter Hadrian tätige Kanzleichef und spätere Verfasser der Kaiserviten von Caesar bis Domitian, zeigt in der „Lebensgeschichte des Claudius" (s. den Text), daß Händler und Reeder nicht allein durch Frachtgelder zur Mitarbeit angeregt wurden, sondern auch durch die gezielte Vergabe von Privilegien (vgl. bes. HERZ 1988a, 9 0 - 9 9 u. ö.; SlRKS 1991, 3 7 - 4 5 u. ö.). Diese waren gemäß der juristischen Qualität der genannten Personengruppen in Zusicherungen Vermögens- bzw. erb- und standesrechtlicher Art abgestuft (vgl. auch SlRKS ebd. 283-293 und die Präzisierung Ulpians in Inst. 1, 32 C., wonach ein Latinus aufgrund dieses Ediktes nur dann das Bürgerrecht erreichen könne, wenn er ein Schiff mit mehr als 10.000 modii Traglast gebaut und sechs Jahre lang im Korntransport nach Rom eingesetzt *

Seit etwa 200 bzw. 2 7 0 - 2 7 5 n. Chr. auch mit Olivenöl resp. Schweinefleisch und Wein! * * Dieser befaßt sich näher mit dem aus den Scherben von mehr als 50 Mio. Amphoren gebildeten Monte Testaccio. Die Scherben enthalten Stempel und tituli picti, die wesentliche Hinweise zum staatlich organisierten Olivenöltransport nach Rom liefern.

211

212

Material/Staat und Wirtschaft habe). Die im Text erwähnte Ausfallbürgschaft für die Händler hatte wohl nur kurzzeitige Geltung. Diese (und die Reeder) wurden später v. a. mit der Freistellung von muñera und der Verleihung der Steuerfreiheit für die zur Belieferung Roms eingesetzten Handelsschiffe gewonnen (vgl. Dig. 50,6,6 passim [Callistratus]; Tac. ann. 13,51,2).

M 9:

I.K. 36/1, Nr. 8 0

1 1 7 - 1 3 8 η. Chr.

Die in Tralleis ansässigen Römer ehren Aulus Phabrikios Charmosynos, der freiwillig Stratege der Stadt war. Er hat die „Sitonia" für das ägyptische Getreide übernommen, das seiner Vaterstadt von dem Herrn Caesar Traianus Hadrianus Augustus gewährt wurde, 6 0 . 0 0 0 modii, und er streckte den Preis des

Getreides

entstandenen

von

seinem

Aufwendungen.

eigenen Ein

Vermögen

guter

und

vor

und

alle

vaterlandsliebender

bis

hier

Mann,

geschmückt mit jeglicher Tugend und Rechtschaffenheit, wie seine Vaterstadt es ihm durch die Ehre, die ihm in den Beschlüssen von Rat und Volk oftmals gewährt wurde, bezeugt hat. Geschehen unter der Stephanephoreis Claudia ( d e r e p o n y m e n B e a m t i n d e r Stadt), Tochter des [...].

In den übrigen Städten des Reiches blieb die Sicherstellung der Versorgung den lokalen Amtsträgern und Eliten überlassen und stets ein akutes Problem (vgl. GARNSEY 1988, 244-266; WöRRLE 1971, 325-340). Diese Ehreninschrift aus dem kleinasiatischen Tralleis (vgl. auch MlGEOTTE 1984, Nr. 314 f.) dokumentiert die „Stiftungsgesinnung" der kapitalkräftigen Bürger (vgl. GARNSEY 1988, 257. 262-266, und - speziell zu dem in Kleinasien verbreiteten Amt der Sitonia - STRUBBE 1987, 45-82 [Inschriftenkatalog], DERS. 1989, 99-122 [Analyse]). Getreideimporte aus Ägypten, das vorrangig Rom zu versorgen hatte, bedurften der kaiserlichen Genehmigung (vgl. WÖRRLE 1971, 333-340) oder der Zustimmung des praefectus Aegypti (los. ant. lud. 15,305 ff.) bzw. des praefectus annonae (Epikt. 1,10,10). Kaiserliche Getreideschenkungen an notleidende Städte sind indes nur selten belegt, ebenso staatliche Eingriffe in das Marktgeschehen (vgl. dazu M 16). L i t e r a t u r : GARNSEY 1988; H E R Z 1988; RLCKMAN 1 9 8 0 a ; DERS. 1 9 8 0 b ; RODRIGUEZ ALMEIDA 1984; SIRKS 1991; STRUBBE 1987; DERS. 1989; WÖRRLE

1971.

MIO

d)

Heer und Wirtschaft

M 10: Suet. Dom. 12, 1 - 2 Als Domitian durch seine Aufwendungen für Bauten und Spiele und die den Soldaten gewährte Soldzulage finanziell vollständig ruiniert war, versuchte er, die militärischen Ausgaben durch eine Reduktion des Heeres herabzusetzen. Da er aber sah, daß er sich dadurch Barbareneinfällen aussetzen und trotzdem nicht aus seinen Geldschwierigkeiten herauskommen werde, scheute er sich nicht mehr, auf jede Art und Weise auf Raub auszugehen. Der Besitz der Lebenden und der Gestorbenen wurde auf die geringste Anschuldigung Irgendeines Anklägers hin ohne weiteres beschlagnahmt. Es genügte schon der Vorwurf irgendeiner Tat oder eines Wortes gegen die Majestät des Kaisers. Man konfiszierte Erbschaften vollkommen fremder Personen, wenn auch nur einer auftrat, der sagen konnte, er habe gehört, wie der Verstorbene zu seinen Lebzeiten den Kaiser zum Erben bestimmt habe. Besonders hart verfuhr man mit der Eintreibung der Judensteuer: ihr wurden Leute unterworfen, die entweder, ohne sich zur jüdischen Religion zu bekennen, doch nach jüdischem Ritus lebten oder die Abstammung verheimlicht und so die ihrem Volk auferlegten Abgaben nicht entrichtet hatten. (Übers, nach A. LAMBERT) Ohne Zweifel waren drei das Militär betreffende Sachverhalte für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung von großer Bedeutung: 1) dessen Verdienst, über mehr als zweieinhalb Jahrhunderte einen relativen inneren und zumeist auch äußeren Frieden für das Reich garantiert zu haben, 2) dessen produktiver Einsatz im infrastrukturellen Bereich und auf dem administrativen Sektor (vgl. dazu M 12), und 3) der Umstand, daß ca. 75% des Staatsbudgets für den Unterhalt und die Besoldung von Heer und Flotte aufgewendet werden m u ß t e n ( v g l . d a z u D U N C A N - J O N E S 1 9 9 4 , 3 3 - 4 6 , b e s . 4 5 f . T a b . 3 . 7 ; WLER-

SCHOWSKI 1984). Der daraus erwachsende Steuerdruck hatte mehrere Effekte: Einerseits wurde die ohnehin schon geringe Kaufkraft des weitaus größten Teils der Land- und Stadtbevölkerung (vgl. M 7 0 - 7 7 ) hierdurch noch weiter geschmälert, andererseits scheint es, als habe eine insgesamt noch erträgliche, regelmäßige Besteuerung die Produktion stimuliert und zu einer allgemeinen Verbesserung der Markt- und Versorgungslage geführt (vgl. HOPKINS 1980 a; PLEKET 1990, 43 u. 46). Im übrigen trugen die mit erheblichen Barmitteln versorgten Soldaten und Offiziere sowie die Truppenverbände in ihrer Gesamtheit durch eine starke Nachfrage nach mannigfaltigen Gütern und Dienstleistungen entscheidend zur Schaffung neuer Märkte an den zu Stationierungsorten auserkorenen Peripherien des Reiches bei (s. o. S. 40 f.; M 11).

213

214

Material/Staat und Wirtschaft Die vorliegende Suetonstelle z u Domitian, in der freilich auch die antike T y r a n n e n t o p i k anklingt und der negativen Darstellung dieses Kaisers in der literarischen Tradition gefolgt w i r d , gibt Einblicke in die Methoden, mit denen einige Kaiser bei plötzlich hochschnellenden Militärausgaben ihre Finanznot zu beseitigen trachteten. Domitians Solderhöhungen im J a h r 83/84 n. C h r . (s. o. S. 51) hatten nach den Berechnungen von R . DUNCAN-JONES den Militäretat von mindestens 493 Mio. H S auf mindestens 643 Mio. H S pro J a h r ansteigen lassen (vgl. DUNCAN-JONES 1994, 3 3 - 3 6 ) . Die angestrebte Kompensation dieser Mehrausgaben durch Truppenreduzierungen scheiterte aber w e g e n der schweren Kämpfe, die seit 85 n. C h r . an der Donau gegen die Daker, Sarmaten, Q u a d e n und M a r k o m a n n e n auszufechten w a r e n (vgl. STROBEL 1989b, 3 5 - 1 0 9 ) . Der Kaiser verlegte sich daher auf die rigorose Eintreibung von Sondersteuern (wie der hier erwähnten Judensteuer, die Vespasian eingeführt hatte: vgl. Cass. Dio 66,7,2; los. bell. l u d . 7,6,6; SMALLWOOD 1976, 371) und - sehr z u m Leidwesen der reichen Senatoren und Ritter - auf die Einziehung angeblicher Vermächtnisse an seine Person b z w . das bei Fällen von Hochverrat und Majestätsbeleidigung übliche Mittel der Güterkonfiskation (vgl. dazu ROGERS 1984, 75 f.).

M11:Tab. Vindol. II 302

um 100 n. Chr.

Gestampfte Bohnen, zwei modii, Hühner, 20, 100 Äpfel, wenn Du schöne findest, 100 oder 200 Eier, wenn sie da zu einem guten Preis zu kaufen sind. ... 8 sextarii Fischsauce [...] ein modius Oliven [...] (Rückseite) An ... (den Sklaven?) des (Präfekten) Verecundus.

Tab. Vindol. II 343

um 100 n. Chr.

Octavius an [...] Candidus, Grüße. [...] Ich habe Dir mehrfach geschrieben, daß ich etwa 5.000 modii Kornähren gekauft habe, weswegen ich Bargeld benötige. Wenn Du mir nicht mindestens 500 Denare schickst, wird die Folge sein, daß ich verlieren werde, was ich bereits vorgeschossen habe, etwa 300 Denare, und dann bin ich aufgeschmissen. So bitte ich Dich also, mir so bald wie möglich Bargeld zuzusenden. Die Häute, von denen Du schriebst, sie seien in Cataractonium - schreib, daß sie mir zusammen mit dem Wagen ( z u m Antransport) gegeben werden. Und schreib mir, was mit dem Wagen los ist. Ich hätte sie (i. e. die Häute) dort schon eingesammelt, aber ich wollte wegen der schlechten Wege nicht das Zugvieh quälen. Sehe gemeinsam mit Tertius nach den 8 1/2 Denaren, welche er von Fatalis erhalten hat; er hat sie nämlich nicht auf mein Konto überschrieben. Wisse, daß ich 170 Häute bei-

M12 sammen habe und über 119 modii an gedroschener brads ( d . h . eine nicht

näher bekannte Getreidesorte) verfüge. [...]. Mach's gut. (Rückseite) (stelle zu nach) Vindolanda. Beide Texte deuten direkt und indirekt auf die Rolle des Militärs als „Wirtschaftsmotor" der Grenzprovinzen hin. Sie stammen aus dem Fundus der hölzernen Schreibtafeln vom Kastellort Vindolanda (Nordengland), der bislang auf über 1000 mehr oder weniger fragmentarische Dokumente angewachsen

ist

(BOWMAN/THOMAS

1983;

DIES.

1994;

BIRLEY

U. a.

1993;

BOWMAN 1994). Der „Einkaufszettel" für Verecundus, den Präfekten der vor Ort stationierten 1. Auxiliarkohorte der Tungrer (TAB. VINDOL. II 302), zeigt, daß auf dem nahegelegenen(?) Markt u. a. mediterrane Importwaren (Oliven, Fischsauce und - nach TAB. VLNDOL. II 190 - auch Wein) angeboten wurden. Der zweite Text bezeugt umfangreiche Getreide- und Ledereinkäufe. Sie scheinen gemäß dem Zustellungsort des Briefes und den Gütermengen im Zusammenhang mit der vor Ort stationierten Truppe und ihrem Nachschubbedarf zu stehen. In Cataractonium (heute Catterick) konnte für die besagte Zeit auch archäologisch eine in militärischer Regie betriebene Lohgerberei festgestellt werden (vgl. BURNHAM/WACHER 1990, 111-117). Sie wird die umliegenden Garnisonen mit Ausrüstungsteilen und Schuhwerk beliefert h a b e n (vgl. BOWMAN u. a. 1990, bes. 4 2 f.; TAB. VLNDOL. II 155,2:

Hinweis auf 12 Schuster, die von der Garnison für eine Werkstätte abgestellt worden sind). Daher dürfen wir zumindest in dem Adressaten Candidus einen für das Lager zuständigen Versorgungsoffizier erkennen, zumal sein Name auch in anderen - ihn noch eindeutiger als Soldaten ausweisenden Texten aus Vindolanda auftaucht (vgl. TAB. VlNDOL. II 180 u. 181; ferner BIRLEY U. a. 1993, 60). Octavius kann ebenfalls ein höherrangiger Soldat gewesen sein, der mit dem Aufkauf von Getreide und Leder beauftragt war. Vielleicht war er aber auch ein ziviler Truppenlieferant (vgl. den Komm, zu TAB. VlNDOL. II 180). Auffällig ist weiter, in welchem Maße die in dieser gerade erst okkupierten Grenzregion stationierten Truppen wirtschaftliche Aktivitäten entfalteten und ihre Geschäfte mit Bargeld abwickelten (vgl. z u s a m m e n f a s s e n d STROBEL 1991 b; DERS. 1999).

M 12: Dig. 50,6,7, Tarruntenus Paternus Der Status gewisser Leute garantiert ihnen Befreiung von beschwerlicheren Tätigkeiten; in diese Kategorie gehören Feldmesser [...] Erdarbeiter für den Grabenbau, Glasmacher,

Hufschmiede, Schmiede,

Schindelmacher,

Architekten, [...]

Schiffssteuerleute,

Bronzearbeiter,

Schwertschmiede,

Schiffbauer

Helmmacher,

Wasserbautechniker,

[...]

Wagenbauer, [...]

Grobschmiede, Maurer, Kalkbrenner, Holzfäller und Köhler [...].

Klempner,

215

216

Material/Staat und Wirtschaft Urheber dieser in die Digesten eingegangenen Bestimmung ist der um 180 n. Chr. amtierende Prätorianerpräfekt Tarruntenus Paternus. Seine Auflistung der Fachkräfte innerhalb der Legionen offenbart, weshalb gerade das Militär, welches zuweilen auch als „Berufs- und Ingenieurschule" des Imperium Romanum bezeichnet wird, das notwendige Know-how für die infrastrukturelle und ökonomische Erschließung der Grenzregionen besaß und entscheidenden Anteil hieran hatte (STROBEL 1999, 26). Nachweisen läßt sich dessen massive Mitarbeit u. a. beim Straßen-, Brücken- und Kanalbau, in Verwaltungsangelegenheiten, bei städtischen Bauprojekten (Wasserleitungen, Marktplätze, Verwaltungsgebäude, Stadtmauern etc.) und bei der Beschaffung bzw. Produktion von Baumaterialien (Steine, Ziegel, Holz, Metalle etc.). Daneben stellte es gut ausgebildete Spezialisten für zivile oder staatliche Projekte zur Verfügung, etwa Steinbruchleiter, Ingenieure u. Architekten (vgl. STROBEL

1991b;

DAVIES

1989,

51-57.

63-65;

MACMULLEN

1959,

2 0 7 - 2 1 8 , bes. 218; SAXER 1967, 6 3 - 1 0 9 . 126-131). L i t e r a t u r : BLAGG 1 9 8 0 ; D E R S . / K I N G

1 9 8 4 ; CAMPBELL

1994,

110-127;

DAVIES 1 9 7 4 ; OERS. 1 9 8 9 ; D U N C A N - J O N E S 1 9 9 4 ; KISSEL 1 9 9 5 ; M A C M U L L E N 1959;

MACMULLEN

SMALLWOOD

1976;

1963, SPEIDEL

23-48; 1992;

PETRIKOVITS STROBEL

1991b;

1974; DERS.

SAXER

1967;

1999;

WLER-

SCHOWSKI 1 9 8 4 .

e)

Kaiser und Wirtschaft

M 13: CIL X 6081 = ILS 1483 Den unterirdischen Göttern. Für Acastus, Freigelassener des Augustus, procurator der Provinz Mauretania und des tractus Kampaniens, (hat) seine Gattin Nonia Crispinilla (dieses Grabmal errichtet), für den Gatten, der es verdient. Die aus Formia - dem Ort, wo Cicero seinen Tod fand - stammende Inschrift beleuchtet einerseits die Verwaltung des kaiserlichen Grundbesitzes in personaler Hinsicht, andererseits die Gliederung desselben in verschiedene regionale Einheiten. Der im Text genannte Begriff tractus ist bei dieser auf provinzialer Ebene die größte territoriale Einheit, die in einzelne regiones zerfällt, die wiederum aus saltus bestehen. Nicht zufällig ist der in der Inschrift erwähnte Dahingeschiedene ein kaiserlicher Freigelassener; diese spielten v. a. in der frühen Kaiserzeit (julisch-claudische Dynastie) die Hauptrolle bei der Verwaltung der kaiserlichen Domänen. Der kaiserliche Besitz war im gesamten Imperium verbreitet. Er erstreckte sich über Afrika, Ägypten, Syrien, Kleinasien, Thrakien, Griechenland,

M14 Istrien, Pannonien, Ligurien, Italien, Spanien, Gallien und Germanien (s. o. S. 45 f. Der umfängliche Grundbesitz der Kaiser in Italien wird auch durch die zahlreichen Ziegelstempel dokumentiert (vgl. dazu C I L XV).

M 14: P. Ryl. 2/157

135 n. Chr.

Eudaemonis, alias Tetes, und Soëris, alias Souerous, beide Töchter von Herodes alias Tiberius, Sohn des Heron, [es folgt die Nennung ihrer Ehemänner als Geschlechtsvormünder] entbieten sich gegenseitig Grüße. Wir zeigen an, daß wir ab jetzt zwischen uns den Weingarten, der zum kaiserlichen Land gehört und den wir in der Nähe von Thrage, in der Toparchie Peri Polin Ano gepachtet haben und der zum Kleros des Xenon gehört, geteilt haben, [es folgt die Ausstattung des Weingartens] und daß Soëris alias Souerous den südlichen Teil erhalten und für die Auswahl sofort 210 Silberdrachmen an Eudaemonis gezahlt hat. [Es folgen sehr detailliert die Abmessungen des Grundstückes], Die Wiederherstellung der nun wiederaufgebauten Mauern wird aus unseren gemeinsamen Einkünften bezahlt werden. [Es folgen weitere Regelungen bezüglich der Rechte und Pflichten der beiden Vertragsparteien]. Im 19. Jahr des Imperator Caesar Traianus Hadrianus Augustus, 24. Epeiph. [Es folgt die Unterschrift von Eudaemonis],

am

Das Dokument stammt aus dem Gau Hermopolites in Mittelägypten. Gegenstand der Besitzteilung zwischen zwei Schwestern ist ein Weingarten in der Nähe des Dorfes Thrage; der Weingarten ist Domanialland, das an die im Dokument erwähnten Schwestern verpachtet wurde; die Bewirtschaftung des kaiserlichen Besitzes durch Pächter war in Ägypten üblich. In Ägypten, wie auch anderswo, waren diese Güter zunächst kaiserliches Privateigentum. Jedoch haben Augustus und seine Nachfolger große Güter (ιousiai) Freunden bzw. Mitgliedern der Familie zum Geschenk gemacht. Die Pächter von kaiserlichem Land wurden in Ägypten von bestimmten anderen Verpflichtungen gegenüber dem Staat befreit. Freilich bildete das Eigentum an landwirtschaftlich nutzbarem Boden nicht den ausschließlichen Besitz der Kaiser. Ziegelstempel belegen die Existenz von gewerblichen Betrieben in ihrem Eigentum (vgl. CIL XV, S. 2 0 4 - 2 0 5 mit einer Ubersicht; ferner die Literatur zu M 38). Ein noch größeres ökonomisches Gewicht hatte die allmähliche Konzentration von Bergwerken, Steinbrüchen, Schwefelgruben und Salinen in ihren Händen. Diese wurden gleichfalls entweder direkt oder durch Verpachtung bewirtschaftet (s. o. S. 4 6 - 4 8 ; M 2 0 - 2 3 ) .

217

218

Material/Staat und Wirtschaft L i t e r a t u r : CRAWFORD 1976; FITZLER 1910; FLACH 1978; DERS. 1979; DERS. 1982; HELEN 1975; HIRSCHFELD 1913; KEHOE 1 9 8 8 a ; DERS. 1992; KLEIN 1988; MILLAR 1977, 1 3 3 - 2 0 1 ; 0RSTED 1997; PARÄSSOGLOU 1975; DERS. 1978; ROWLANDSON 1996, 2 7 - 6 9 ;

SLJPESTEIJN 1985; DERS.

1986;

STRUBBE 1975; THOMPSON 1990.

f)

Eingriffe des Staates

M 15: CIL X 1401 = ILS 6043

45/6 η. Chr.

Unter dem Konsulat des Gnaeus Hosidius Geta und Lucius Vagellius, am 10. Tag vor den Kaienden des Oktober. Beschluß des Senates. Da die Weitsicht unseres besten Princeps auch für die Häuser unserer Stadt und für die Unvergänglichkeit ganz Italiens gesorgt hat, denen er nicht nur durch eine äußerst erhabene Vorschrift, sondern auch durch sein Beispiel genützt hat, und da es mit dem Glück des bevorstehenden

Zeitalters

übereinstimmt, Fürsorge nach Maßgabe der öffentlichen Bauten auch für die privaten Bauten zu treffen, und sich alle dieser äußerst scheußlichen Art Geschäfte zu machen enthalten müssen und im Frieden nicht einen gräßlichen Anblick durch die Ruinen von Häusern und Landhäusern herbeiführen dürfen, ergeht folgender Beschluß: Daß, wenn irgendeiner irgendein Bauwerk kauft, um Geschäfte zu treiben und um durch den Abriß mehr Geld zu erwerben, als für wieviel er es gekauft hat, die doppelte Summe des Kaufpreises an das Aerarium gezahlt wird und daß über ihn nichtsdestoweniger Bericht an den Senat erstattet wird. Und da es sich ebensowenig

gehört, nach einem

schlechten Beispiel zu verkaufen wie zu kaufen, ergeht folgender Beschluß, damit auch die Verkäufer bestraft werden, die wissentlich in übler Absicht entgegen diesem Beschluß des Senates verkauft haben: Solche Verkäufe werden ungültig. Im übrigen versichert der Senat, daß nichts hinsichtlich der Eigentümer beschlossen wird, die als zukünftige Eigentümer ihrer Dinge irgendwelche Teile dieser verändern, solange dies nicht um des Geschäftemachens willen geschieht. Es wurde abgestimmt. Im Senat waren 383 anwesend. D e r hier a n g e f ü h r t e T e i l e i n e r I n s c h r i f t a u s H e r c u l a n e u m b e i n h a l t e t e i n e n S e n a t s b e s c h l u ß , d e r e i n e m w e i t e r e n S e n a t s b e s c h l u ß a u s d e m J a h r e 56 n. C h r . v o r a n g e s t e l l t ist u n d in e n g e m B e z u g d a z u steht. In l e t z t e r e m ließ sich eine g e w i s s e A l l i a t o r i a C e l s i l l a ihr R e c h t b e s t ä t i g e n , G e b ä u d e auf e i n e m G r u n d s t ü c k in der N ä h e v o n Mutina abzureißen b z w . das L a n d w e i t e r z u v e r k a u f e n , o h n e d a ß d i e s e s als V e r g e h e n g e g e n d a s - h i e r a u f g e f ü h r t e - Senatus Consultant ( S C ) g e w e r t e t w u r d e .

M16 Bauspekulation, gegen die sich dieses SC richtete, war spätestens seit der ausgehenden römischen Republik eine gängige Art des Gelderwerbs. Das bekannteste Beispiel dafür bietet M. Licinius Crassus Dives (115-53 ν. Chr.), dessen Geschäftspraktiken eindringlich von Plutarch geschildert werden (Plut. Crass. 2,4-5). Er soll, wie Plutarch sicherlich übertreibend schildert, das halbe Rom in seinen Besitz gebracht haben. Jedoch dürften dessen Machenschaften nur die Spitze eines Eisberges gebildet haben, da sich die Belege für Bauspekulation vermehren lassen. Das Motiv des Kaisers Claudius, ein solches SC zu veranlassen, geht wohl in erster Linie auf den Wunsch zurück, den in Rom zur Verfügung stehenden Wohnraum nicht noch weiter zu verknappen und damit die Miet- und Immobilienpreise in die H ö h e zu treiben. Dies hätte wahrscheinlich Unruhe unter der Bevölkerung hervorgerufen. Zu weit dürfte indes die Annahme gehen, durch die Verknappung des Wohnraumes sei ein Bevölkerungsrückgang und demnach eine Schmälerung der Rekrutierungsbasis für das Heer befürchtet worden (vgl. in diesem Sinne LEVICK 1990, 114). L i t e r a t u r : GARNSEY 1976; KOLB 1995, 4 4 4 - 4 4 6 ; PHILLIPS 1973.

M 16: P. Oxy. 42/3048

246 η. Chr.

Auf Anweisung des Aurelius Tiberius, vir egregius, des luridicus. Alle die, die Getreide in der Stadt ( O x y r h y n c h o s ? ) oder im Gau haben, müssen es registrieren lassen, damit nicht nur die Stadt ihre Versorgung hat, sondern auch alle öffentlichen Notwendigkeiten erfüllt werden können, - und zwar morgen, am 22. Phamenoth - wobei man keinen Verlust erleidet, da man den Preis erhalten wird, den unser Präfekt, vir clarissimus, auf 6 Denare festgesetzt hat, in dem Wissen, daß wenn irgendeiner gefunden wird, der es nicht hat registrieren lassen, nicht nur das Getreide, sondern auch das Haus, w o es gefunden worden ist, staatlicherseits beschlagnahmt wird. Im 3. Jahr, am 21. Phamenoth.

[Es folgt eine am nächsten Tag ausgestellte Getreidedeklaration] Der luridicus war in der Zentralverwaltung der Provinz der für die Rechtsprechung zuständige Beamte. Er fungierte zugleich als Stellvertreter des praefectus Aegypti. Motiviert wurde seine Proklamation in diesem Fall offensichtlich durch einen Getreidemangel im Umfeld der Stadt Oxyrhynchos. U m Spekulationen vorzubeugen, d. h. der Hortung von Getreide, um den Kaufpreis in die H ö h e zu treiben, wird einerseits verfügt, alle Getreidevorräte zu deklarieren und andererseits ein Höchstpreis von 6 Denaren für das Getreide festgesetzt. Solche Eingriffe des Staates in das Marktgeschehen wurden

219

220

Material/Staat und Wirtschaft in ähnlichen Situationen auch in anderen Provinzen vorgenommen (vgl. M 80 u. oben S. 35). Sie sind aber insgesamt noch recht selten bezeugt (vgl. GARNSEY 1988, 2 5 7 - 2 5 9 ; ZLEGLER 1977, 3 0 f . m i t A n m . 8 u . 16) L i t e r a t u r : CHRIST 1995, 4 8 1 - 4 8 6 ;

GARNSEY 1988;

GARNSEY/SALLER

1989, 1 2 1 - 1 5 0 ; H E R Z 1988; KOLB 1995, 4 2 5 - 4 4 7 . 5 1 4 - 5 3 9 ; WINTER 1996; VLRLOUVET 1985; DIES. 1995; LE RAVITAILLEMENT 1994.

g)

Weitere Ausgaben

M 17: CIL V11624 = XIV 170

247 n. Chr.

Dem Lucius Mussius Aemilianus, aus Laurentium Lavinatium, der die vier ( r i t t e r l i c h e n ) militärischen Dienststellungen absolviert hat, [...] dem Leiter der

vehiculatio (i. e. des staatlichen Kurier- und Transportwesens) der drei gallischen Provinzen Lugdunensis, Narbonensis und Aquitania mit Jahresgehalt von 6 0 0 0 0 HS, dem Prokurator für Alexandrien, Pelusion und P(haros?) mit Jahresgehalt von 100 0 0 0 HS, dem Prokurator der beiden Häfen ( v o n O s t i a ) mit Jahresgehalt von 2 0 0 0 0 0 HS, dem rechtschaffenen Manne. Die (auf d e m Tiber

fahrenden)

Flußschiffer

und

Schiffseigner

(navicularii)

der

fünf

Korporationen (in O s t i a ) wegen seines hervorragenden Wohlwollens ihnen gegenüber und wegen seiner einzigartigen Uneigennützigkeit.

Mussius Aemilianus, dessen ritterliche Dienstlaufbahn in dieser Ehreninschrift in Teilen vorgestellt ist, stieg um 259 zum praefectus Aegypti auf (vgl. PFLAUM 1960/61, Suppl. 1982, Nr. 349). Er wurde im Jahre 261 wegen seiner Unterstützung der Usurpation der Macriani von Gallienus beseitigt (vgl. STROBEL 1993, 201 Anm. 105). Um 247 fungierte er nach der Bekleidung verschiedener Offiziersposten und Prokuraturen unter dem vorgesetzten praefectus annonae in Rom als (ritterlicher) Verwalter der Häfen von Ostia (vgl. Abb. 3). Hier war er wie zuvor in den Häfen von Alexandreia mit der technischen Abwicklung des Güterumschlags für die annona und der Bezahlung der dafür tätigen Schiffseigner betraut (vgl. PAVIS D'ESCURAC 1976, 418). Seine in aufsteigender Rangfolge aufgelisteten Verwaltungsämter mit Gehaltsangaben bereichern das aus vielen Inschriften gewonnene Bild über die Reichsadministration und die zur Besoldung der hohen Funktionsträger benötigten Geldmittel. Auffällig ist, daß sich die Zahl der ritterlichen Prokuraturen seit Augustus bis weit ins 3. Jh. hinein enorm erhöhte und zu entsprechenden Mehrausgaben des Staates führte. Gleichwohl blieb die Gesamtzahl der Verwaltungsträger gemessen an der Größe des Reiches insgesamt recht überschaubar (s. dazu und zu den Gehältern der senatorischen Legaten und Statthalter oben S. 52 f.; PFLAUM 1950, 105 f.).

M 19

M 18: Suet. Dom. 4,5 bis 5 An Spenden (congiaria) gab er dem Volk dreimal je 300 HS (pro Kopf) sowie während der Spiele ein äußerst reichliches Festgelage. Nachdem er am heiligen Fest der Sieben Hügel (11. Dez.) an den Senat und die Ritter Speisekörbe, an das Volk Körbchen mit Zukost verteilt hatte, gab er selbst das Zeichen zum Beginn des Essens. Und am Tage darauf ließ er alle möglichen Dinge (gemeint sind „Gutscheinbällchen" für die Zuschauer im Theater) auswerfen [...]. Eine große Zahl überaus gewaltiger, durch Feuer vernichteter Bauwerke stellte er wieder her, darunter das Kapitol, das abermals verbrannt war [...]. Neu errichtete er den Tempel auf dem Kapitol für den Bewachenden Jupiter und ein Forum, das jetzt Nervaforum heißt, desgleichen einen Tempel des Flavischen Geschlechts, ein Stadion, eine Halle für musische Darbietungen und eine Naumachie, aus deren Steinen später der Circus Maximus gebaut wurde, da dessen beide Seiten abgebrannt waren. (Übers, nach O. WLTTSTOCK.) Suetons Bericht zeigt, daß nicht nur die regelmäßigen frumentationes für ca. 200.000 stadtrömische Bürger einen erheblichen Posten im Staatshaushalt darstellten. Auch die der Bevölkerung Roms zugute kommenden congiaria, die parallel an die Soldaten ausgeschütteten donativa und weitere unregelmäßige Zuwendungen der Kaiser belasteten das Budget, ferner die enormen Bauausgaben in Rom und die Aufwendungen für öffentliche Spiele, d. h. Gladiatorenkämpfe, Naumachien, Tierhetzen usw. (s.o. S. 5 1 - 5 5 ) . Diese Ausgaben steigerten sich im 2. Jh. n. Chr. wohl noch beträchtlich (vgl. DUNCAN-JONES 1994, Tab. 3.6 u. Appendix 1 u. 7 [zu den congiaria u. donativo]·, Cass. Dio 68,15,1 [zu den öffentlichen Spielen im J. 107 n. Chr.]). Die extrem hohen Bauausgaben Domitians werden von R. DUNCAN-JONES auf ca. 60 Mio. HS/Jahr veranschlagt (vgl. ebd. 42).

M 19: Paus. 8,43,4 In Lykien und Karien zerstörte ein heftiges Erdbeben die Städte und auch Kos und Rhodos; der Kaiser Antoninos stellte auch diese wieder her durch reichliche Aufwendungen und Eifer beim Wiederaufbau. Wieviel Geldspenden er den Griechen und Barbaren, die darum baten, gab, und seine Bauten in Griechenland und Ionien und bei Karthago und in Syrien (gekostet haben), haben andere genauestens beschrieben. (Übers, nach E. MAYER)

221

222

Material/Staat und Wirtschaft Die Bauausgaben und - oft in Form befristeter Steuererlasse gewährten Katastrophenhilfen der Kaiser für die außeritalischen Regionen und Städte scheinen im 2. Jh. n. Chr. drastisch gestiegen zu sein (vgl. HORSTER 1997, bes. Tab. I: Quellen; WINTER 1997, bes. 232 f.). Der kurze Vermerk des griechischen Reiseschriftstellers Pausanias (um 150 n.Chr.) bietet dabei Hinweise auf entsprechende Leistungen des zwischen 138 und 161 n. Chr. regierenden Kaisers Antoninus Pius (vgl. auch SHA Pius 8,1-4; 9,1-2). L i t e r a t u r : CHANTRAINE 1 9 8 2 ; DUNCAN-JONES 1 9 9 4 ; HOPKINS 1 9 8 0 a; KOLB 1 9 9 5 ; PFLAUM 1 9 5 0 ; PLEKET 1 9 9 0 , 3 0 . 4 3 . 4 6 f . ; SCHRÖMBGES 1 9 8 7 ; WLERSCHOWSKI 1 9 8 4 .

h)

Bergwerke und Steinbrüche

M 20: Tac. ann. 6,19,1 Nach

ihnen

Blutschande

wird mit

Sextus seiner

Marius, Tochter

der

reichste

verklagt

und

Mann vom

Spaniens,

wegen

Tarpejischen

Felsen

herabgestürzt. U n d damit kein Zweifel übrigbleibt, d a ß ihn sein gewaltiger Reichtum

ins

Unglück

gebracht

hatte,

behielt

Tiberius

seine

Gold-

und

Silbergruben für sich, o b w o h l sie Staatseigentum w u r d e n .

(Übers, nach C. HOFFMANN) Wegen des großen Bedarfes an Metallen für Werkzeuge und Geräte und der überragenden ökonomischen Bedeutung der Edelmetalle (Geldfunktion) spielte der Bergbau für die kaiserzeitliche Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Bergwerke (metallo) lassen sich außer in Italien in fast allen Provinzen feststellen, wobei Spanien, Britannien (seit 43 n. Chr.) und Dakien (seit 106) als die wichtigsten metallfördernden Gebiete der Prinzipatszeit zu betrachten sind. Die kaiserliche Politik scheint durch mehr oder weniger rechtmäßige Konfiskationen, für die der 33 n. Chr. angestrengte Prozeß gegen Sextus Marius ein Beispiel gibt (vgl. auch Cass. Dio 58,22,2), darauf abgezielt zu haben, sich nach und nach viele Bodenschätze des Reiches - besonders die Gold- und Silbervorkommen - anzueignen (vgl. HLRSCHFELD 1905, 146-180). Dies führte allerdings nicht ganz zum Verschwinden privat betriebener Bergwerke (vgl. Dig. 7,1,13,5 u. 24,3,7,14, Ulpian). Der Grubenbesitz des Sextus Marius in Südspanien ist übrigens mehrfach bezeugt (vgl. ILS 1591: Nennung eines proc(urator) montis Mariani in Hispalis; Plin. nat. 34,4: Lob auf das aesj Marianum [...], quod et Cordubense dicitur; ferner CIL II 2269 u. Ptol. Geogr. 12,4,15). Zur Bedeutung der Bergwerke als staatliche Einnahmequelle vgl. die folgende Quelle und Cass. Dio 52,28,4.

M 22

M 21: Plin. nat. 34,164f. Schwarzes Blei verwenden wir für Röhren und Bleche; es wird ziemlich mühevoll in Spanien und ganz Gallien ausgegraben, in Britannien aber aus der obersten Erdschicht in solcher Menge, daß dort sogar ein Gesetz bestehen soll, wonach nicht mehr als eine bestimmte Menge gewonnen werden darf [...]. Merkwürdig ist allein bei diesen Gruben, daß sie sich, wenn sie aufgelassen wurden, reichlicher wieder erholen [...]. Kürzlich hat man dies in der Baetica in der samariensischen Grube festgestellt, die gewöhnlich zu 200.000 Denaren pro Jahr verpachtet war, nachdem sie stillgelegt war, aber zu 255.000 Denaren verpachtet wurde. Auf ähnliche Weise erreichte die antonianische Grube in derselben Provinz von einer gleichen Pacht 400.000 HS Einkünfte [...]. (Übers, nach R. KÖNIG) Gesichert wurde die Ausbeute einerseits durch das hier und in der sog. lex metallis dicta angesprochene locatio/conductio-System, d. h. die Verpachtung der Claims und Stollen an publicani und conductores, andererseits durch direkte staatliche Ubernahmen der Gruben. In diesem Fall erfolgte die Erzgewinnung durch Soldaten (vgl. Tac. ann. 11,20,3) oder durch Arbeiter resp. Kolonen bzw. durch Zwangsarbeiter und Sträflinge, deren Arbeit jeweils von Soldaten und staatlichen Funktionären geleitet und kontrolliert wurde (vgl. zu diesen Organisationsformen DOMERGUE 1990, 3 0 2 - 3 0 7 speziell zu S p a n i e n ; TÄCKHOLM 1937, 9 9 - 1 1 5 ; DUSANIC 1977). G l e i c h z e i t i g w u r d e n

-

worauf die im Text genannten Steigerungen der Pachterträge indirekt hinzuweisen scheinen - neue Verfahren der Grubenentwässerung und des hydraulischen Abbaus goldhaltiger Flußsedimente eingeführt und die Abbaumethoden

verbessert

(vgl.

HEALY

1978;

ROSUMEK

1982;

DOMERGUE

1990,

387-510). Plinius liefert in Buch 33 u. 34 seiner Naturgeschichte einen umfassenden Uberblick über die in seiner Zeit üblichen Techniken zur Gold-, Silber-, Eisen- und Bleigewinnung bzw. -Verarbeitung.

M 22:

FIRA

I2 104 =

FLACH

1979, 403-405

1. Jh. n. Chr.

Wenn es ein Sklave ist, der Erz (im Bergwerksdistrikt von Vipasca) gestohlen hat, soll ihn der Prokurator (d. h. der Leiter des Bergwerksdistrikts) auspeitschen lassen und mit der Auflage verkaufen, daß er immer in Ketten bleibt und sich in keinen Bergwerken oder Bergwerksbezirken mehr aufhält. Der Preis für den Sklaven soll seinem Herrn gehören. Bei einem Freien soll der Prokurator das Vermögen beschlagnahmen und ihn für immer von dem Bergwerksgelände entfernen. (Übers, nach D. FLACH 1979, 406)

223

224

Material/Staat und Wirtschaft Der Text ist ein Auszug aus einem unvollständig erhaltenen Bergwerksgesetz, der sog. lex metallis dicta (hier §10; vgl. FLACH 1979, 399-407). Es bezieht sich auf den staatlichen Minendistrikt von Vipasca (Südportugal), aus dem auch die (ebenfalls auf einer Bronzetafel enthaltene) lex metalli Vipascensis (ebf. 1. Jh. n. Chr.) stammt (vgl. FLACH ebd. 407-413). Werden in letzterer die Rechte und Pflichten der im Distrikt tätigen Monopolpächter von Servicebetrieben oder -leistungen (i. e. von Badehausbesitzern, Schustern, Barbieren, Walkern usw.) festgehalten, so regelt erstere das Geschäftsverhältnis der Grubenpächter mit der Grubenverwaltung und dem Fiskus (vgl. FLACH ebd. 413-446). Die Bestimmungen beider Gesetze und besonders der hier zitierte Passus (der als Strafe für Erzraub die Ausweisung aus der Minenregion vorsieht) deuten auf erträgliche Lebens- und Arbeitsbedingungen für die in den Gruben und Verhüttungsbetrieben von Vispasca beschäftigten Sklaven und Lohnarbeiter hin. Ahnlich scheint die Situation der in den dakischen Goldbergwerken tätigen Menschen gewesen zu sein (vgl. NOESKE 1977; MROZEK 1968; DERS. 1977). Sonst aber liegen fast nur Berichte über die unerträgliche Lage der Bergwerkssklaven und damnati (ad metalla) vor (vgl. Diod. 3,12,14; Strab. 12,3,40; Lucr. 6,806; Dig. 48,19,28, Callistratus; Cypr. e p . 76; H E A L Y 1 9 7 8 , 1 3 5 - 1 3 8 ; TÄCKHOLM 1 9 3 7 , 1 2 2 - 1 4 0 ) .

M 2 3 : Seit der julisch-claudischen Zeit scheinen die Kaiser auch die Hand auf die wichtigsten Steinbrüche mit Qualitätsgestein gelegt zu haben (vgl. DODGE 1991, 32-34; MAISCHBERGER 1997, 18f.). Ein großer Teil dieser Produktion kam natürlich den Bedürfnissen der Kaiser und den von ihnen vorangetriebenen Bauprojekten zu, ein bedeutender Teil gelangte aber auch in den Handel. Uber die Ausmaße des Marmortransports und die Verbreitung mancher Steinsorten gewährt die nachfolgende Aufstellung aus der Schiffswrackliste von A.-J. PARKER (1992) einen guten Eindruck: PARKER Nr.

Wrackfundort

Datierung

Steinladung

163

Camarina A (Sizilien)

Ca. 175-200 (?) n. Chr.

u. a. Säulen aus numidischem Marmor u. Sandsteine

222

C a p o Cimiti (Kalabrien)

„Römische Zeit"

Fünf Marmorsäulen und Teil einer weiteren aus den Brüchen von Karystos (Euböa)

229

C a p o Granitola A (Westspitze v. Sizilien)

Ca. 2 2 5 - 2 7 5 n. Chr.

60 Marmorblöcke aus Prokonnesos (Maße: 3 χ 1 χ 1 m)

Angegeben wird nur das mutmaßliche Gesamtladung!

Gewicht*

Ca. 350 t

Gewicht der Steinladung, nicht

der

M 23 PARKER Nr.

Wrackfundort

Datierung

Steinladung

Gewicht*

256

Capo Taormina (Ostsizilien)

„Kaiserzeit"

3 7 Marmorsäulen und zwei Steinblöcke aus grünem Marmor

90 - 1 0 0 t

288

Cavlena (kroatische Küste)

„Römische Zeit?"

Marmorsäulen und andere Steine

378

Dramont I (Südküste Frankreichs)

„Römische Zeit"

Steinblöcke (Maße 4 χ 1 χ 1 m)

443

Giardini (Ostküste Siziliens)

3. Jh. n. Chr.

24 Marmorsäulen und Blöcke aus Karystos u. 13 rektanguläre Blöcke aus weißem ägäischen Marmor

Ca. 95 t

522

Isola delle Correnti (Südostsizilien)

3-/4. Jh. n. Chr.(?)

Marmorblöcke aus den Brüchen von Prokonnesos

Ca. 350 t (oder mehr)

566

Ladispoli Β (Etrurische Küste)

25-100 n. Chr. (?)

Neun Marmorsäulen

604

Lixouri (südwestl. von Kephalonia)

„Römische Zeit"

Sechs Statuen; zwei ionische Kapitelle u. vier Halbsäulenbasen

653

Margarina (kroatische Küste)

„Römische Kaiserzeit" (?)

Steinblöcke und elf Säulen von unterschiedlicher Größe

670

Marzamemi A (Südostsizilien)

Ca. 200- 250 n. Chr.

Mindestens 15 Blöcke aus Insg. ca. attischem Marmor (teilw. als 172 t Säulen oder Architrave ausgearbeitet)

695

Methone C Ca. 200- 250 (Südwestspitze n. Chr. der Peloponnes)

20 Fragmente von ägyptischen(?) oder griechischen(?) Granitsäulen

696

Methone D (ebd.)

Vier halbfertige Girlandensarkophage aus den Brüchen von Assos

743

Nicotera (West- Spät. 1. Jh. küste Kalabriv. Chr.(?) ens)

2-/3. Jh. n. Chr.

Ca. 131,5 t

Steine

Angegeben wird nur das mutmaßliche Gewicht der Steinladung, nicht der Gesamtladung!

225

226

Material/Staat u n d W i r t s c h a f t PARKER Nr.

Wrackfundort

Datierung

Steinladung

926

Punta del Milagro (bei Tarragona)

„Römische Zeit"

Säulentrommeln

959

Punta Sardegna Frühe röm. (Sardinien) Kaiserz. (?)

Säulen aus Capo TestaGranit

965

Punta Scifo A bei Krotone (Kalabrien)

Säulen, Basen, Blöcke, Kapitelle, Statuen aus Marmor von den Brüchen in Dokimeion und Prokonnesos

Mindestens 150 t

1008

2. Jh. n. Chr. St. Tropez A (Südfrankreich) (?)

Zwölf große Marmorteile (Luna-Marmor), u. a. Säulentrommeln u. -basen und ein Architravblock

Ca. 200-230 t

1014

Salakta (OstFrühes 3. Jh. küste Tunesiens) n. Chr. (?)

Marmorblöcke, Architrave, Pilaster

1037

Sapientza (Südwestgriechenland)

Römische Zeit

Weiß-graue Marmorblöcke

1088

Sile (türkische Schwarzmeerküste)

Ca. 100-125 n. Chr. (?)

Säulen, Säulenbasen, Kapitelle, Blöcke, ein Sarkophag, eine Kolossalstatue etc. aus thessalischem u. prokonnesischem Marmor)

1153

Torre Chianca (Südapulien)

Mitte 3. Jh. n. Chr. (?)

Fünf Marmorsäulen aus den Brüchen von Karystos

1163

Torre Sgarrata (Südapulien)

Ca. 180-205 n. Chr.

18 halbfertige Marmorsarkophage aus Thasos und 23 große Alabasterblöcke aus Kleinasien

Frühes 3. Jh. n. Chr.

Gewicht"'

Mindestens 300 t

Mindestens 160 t

D e r A b b a u u n d H a n d e l v o n M a r m o r u n d h o c h w e r t i g e m G r a n i t ist d u r c h archäologische Zeugnisse u n d L e i s t u n g s v e r m e r k e , die im S t e i n b r u c h o d e r Lager d i r e k t in d e n Stein gemeißelt w u r d e n , gut b e k a n n t (vgl. FANT 1993, 1 5 7 - 1 6 3 ; MAISCHBERGER 1997, 1 9 - 2 4 ) . F ü r b e s t i m m t e Sorten läßt sich ein massiver E x p o r t feststellen, a u c h w e n n sich d e r T r a n s p o r t w i e im Falle des P o r p h y r s u n d G r a n i t s aus d e n ägyptischen B r ü c h e n des mons b z w . mons Claudianus

Porphyrites

u n d des M a r m o r s v o n D o k i m e i o n ( P h r y g i e n ) als a u f -

Angegeben wird nur das mutmaßliche Gewicht der Steinladung, nicht der Gesamtladung!

M 23

wendig und schwierig erwies (vgl. dazu KLEIN 1988, 4 9 - 9 1 ; FANT 1989). Die wichtigsten Steinbrüche im Westen befanden sich in Luna-Carrara, dessen weißer Marmor bis zum Ende des 2. Jh. in vielen Gegenden Südeuropas und Afrikas Verbreitung fand (vgl. DOLCI 1988), und in Simitthus-Chemtou (Tunesien), wo der gelbe „numidische Marmor" gebrochen wurde (vgl. RÖDER 1993; KRAUS 1993; KHANOUSSI 1 9 9 3 ; H O R N 1979). I m O s t e n w a r e n

neben Ägypten und Kleinasien Griechenland und der Agäisraum die Hauptlieferanten (vgl. WARD-PERKINS 1 9 9 2 , 1 5 3 - 1 5 9 ; DWORAKOWSKA 1 9 8 3 ; FANT

1993, 162 f.). Bestimmte Sorten waren so verbreitet, daß sie schon banal wurden, wie der leicht zu transportierende Marmor von der Insel Prokonnesos im Marmara-Meer. Die Steingewinnung in den kaiserlichen Brüchen wurde streng überwacht. Inschriften auf den Blöcken geben nicht nur die Abbaustelle an. Sie verweisen z. T. auch auf die für die Extraktion zuständigen Techniker und Werkstätten und den aufsichtsführenden Zenturionen (vgl. MAISCHBERGER 1997, 1 9 - 2 3 ; FANT 1993,157-162). In Dokimeion führte man noch die Namen des für den Versand verantwortlichen Prokurators und die Nummer des Warenpostens hinzu (vgl. MAISCHBERGER ebd.). Üblich war auch die Normierung und Vorfertigung von Architekturteilen, Sarkophagen und Altären, um die Transportkosten zu verringern und die Produktion zu steigern (vgl. WARDPERKINS 1980; DODGE 1991, 3 6 - 3 8 ) . Eine Fülle von Informationen zu administrativen, organisatorischen und technischen Fragen liefert jetzt auch der Fund von über 6200 griechischen, 200 lateinischen und 20 demotischen Ostraka auf dem Steinbruchgelände des mons Claudianus (vgl. zusammenfassend STROBEL 1991 b, 2 4 - 2 8 ; DERS. 1995, 104f.). Sie weisen auf eine staatlich - auf der Basis militärischer Strukturen - organisierte Verbundarbeit in den ca. 130 dort nachgewiesenen Brüchen hin. Gemäß dem Namenmaterial waren vornehmlich griechisch-ägyptische Lohnarbeiter und Fachleute unter der Anleitung kompetenter Heeresoffiziere mit dem Abbau des Gesteins befaßt, während sich das Militär um die Absicherung des zur Sperrzone erklärten Geländes, der dorthin führenden Transportwege und administrative und versorgungstechnische Belange kümmerte. Der von Aelius Aristides (or. 36,67) für den mons Porphyrites überlieferte Einsatz von Zwangsarbeitern und Verurteilten spielte dagegen kaum eine Rolle. Die Lohnarbeiter waren straff in nummeri (und arithmoi als kleinere Untereinheiten) organisiert. Gemäß den Listen der Wasserversorgung wird in einem Fall die Zahl von 894 auf dem Steinbruchgelände tätigen Menschen faßbar, darunter 348 Soldaten. Unterstellt war der in der Regel von einem Legionscenturio geleitete Steinbruch dem wohl in Alexandreia residierenden procurator metallorum, der die Finanzverwaltung und Oberaufsicht über alle kaiserlichen Brüche in Ägypten ausgeübt haben dürfte (vgl. KLEIN 1988, 25-27).

227

228

Material/Staat und Wirtschaft Weniger kostspielige Steinsorten, die als Baumaterialien benötigt wurden, wurden hingegen soweit wie irgend möglich in direkter Nähe der Baustellen gewonnen. Hier konnte derAbbau auf zivile oder städtische Initiative zurückgehen, oder - vor allem in den Grenzgebieten - die des Militärs (vgl. mit w e i t e r e r Lit.: STOLL 1 9 9 2 ; BEDON 1 9 8 4 ; DWORAKOWSKA 1 9 8 3 ; SAXER 1 9 6 7 , 7 4 - 7 9 u. ö.).

Literatur: (zum Bergbau) DOMERGUE 1990; DuSANlC 1977; FLTZLER 1 9 1 0 ; FLACH 1 9 7 9 ; HEALY 1 9 7 8 ; HIRSCHFELD 1 9 0 5 , 1 4 5 - 1 8 0 ; KLEIN 1 9 S 8 ; MROZEK 1 9 6 8 ; OERS. 1 9 7 7 ; NOESKE 1 9 7 7 ; ROSUMEK 1 9 8 2 ; SCHNEIDER 1 9 9 2 , 7 1 - 9 5 ; TÄCKHOLM

1937; (zum Steinbruchwesen)

1991; DWORAKOWSKA

BEDON

1984;

DODGE

1 9 8 3 ; FANT 1 9 8 9 ; DIES. 1993; H O R N 1 9 7 9 ;

KHA-

NOUSSI 1 9 9 3 ; KRAUS 1 9 9 3 ; MAISCHBERGER 1 9 9 7 ; R Ö D E R 1 9 9 3 ; SAXER 1 9 6 7 ; STOLL 1 9 9 2 ; STROBEL 1 9 9 1 b; DERS. 1995; WARD-PERKINS 1 9 8 0 .

2. Landwirtschaft

a)

Großgrundbesitz

M 24: CIL X11147, I 64-91 (= C R I N I T I 1991)

102/114 η. Chr.

Marcus Aurelius Priscus ließ Landgüter eintragen im Wert von 233.080 HS: er muß

18.028

HS empfangen

und fundi verpfänden,

nämlich zwei,

den

Antonianischen und den Cornelianischen, gelegen im Gebiet von Veleia in der Albensischen Gemarkung im Dorf Secenia; Nachbarn sind Antonia Vera und er selbst. Diese ließ er eintragen für 23.000 HS für eine Anleihe von 2.000 HS. Ebenso die fundi Alboniani und Vibulliani an derselben Stelle: Nachbarn sind Aulus Priscus und die Obengenannten. Ferner die zwei fundi Antoniani an derselben Stelle: Nachbarn sind Antonia Sabina und Vera und das Volk, die er für 18.000 HS eintragen ließ; und den fundus Vetutianus Acutianus, Nachbarn sind Calidius Proculus und das Volk, am oben genannten Ort; und den fundus Ancharianus, am oben genannten Ort, Nachbarn sind Calidius Priscus und Antonia Vera und das Volk. Er ließ sie in mehreren Summen für (insgesamt) 43.658 HS eintragen, für eine Anleihe von 4.000 HS. Ebenso den fundus Calidianus Licinianus in derselben Gemarkung beim Dorf Blondelia: Nachbarn sind Antonius Sabinus und Calidius Priscus; ferner den fundus Calidianus Sarvellianus Papirianus in demselben Gebiet: Nachbarn sind Calidius Verus und Calidius Proculus und das Volk. Und die zwei fundi Viriani Calidiani Salviani in demselben Gebiet: Nachbarn sind Antonius Sabinus und Calidius Vibius. Er ließ diese in mehreren Summen mit einem Wert von insgesamt 23.830 HS eintragen für eine Anleihe im Wert von 2.028 HS. Ebenso die fundi Valiani Antoniani Messiani Caturniani in demselben Gebiet: Nachbarn sind Virius Severus und Albius Secundus und Gaius Cominius und das Volk; diese ließ er eintragen mit einem Wert von (insgesamt) 32.000 HS, für die er eine Anleihe von 3.000 HS erhielt. Ebenso den fundus Bassiiianus Caturnianus in demselben Gebiet: Nachbarn sind Atilius Firmus, die Gebrüder Annius und das Volk; und den fundus Atilianus im obengenannten Gebiet: Nachbarn sind Atilius Firmus und das Volk;

ebenso

den

fundus

Saccuasicus

Sextianus

in demselben

Gebiet:

Nachbarn sind die Gebrüder Anni, Lucius und Gaius; und den fundus Atilianus

230

Material/Landwirtschaft mit den G e m e i n d e w ä l d e r n : Nachbarn sind die G e b r ü d e r A n n i u s u n d Atilius Firmus. Diese ließ er in mehreren Beträgen eintragen für 4 6 . 0 0 0 HS, für die er eine A n l e i h e von 4 . 0 0 0 HS erhielt. Ebenso d e n f u n d u s Ennianus in demselben Gebiet oder in der G e m a r k u n g Domitius: Nachbarn sind Virius Severus u n d Albius Secundus und das Volk. Diesen ließ er eintragen für 3 5 . 0 0 0 HS, für eine A n l e i h e v o n 3 . 0 0 0 HS.

Die Alimentarstiftungen zugunsten italischer Kinder tauchen im späten 1. Jh. n. Chr. auf. Ihre Träger waren meist die Kaiser, häufig auch wohlhabende Persönlichkeiten in den jeweiligen Städten, wie der jüngere Plinius (vgl. SHERWIN-WHITE 1 9 6 6 , 4 2 2 - 4 2 4 ) . D e r V o r g a n g d e r A l i m e n t a r s t i f t u n g

ge-

staltete sich wie folgt: Die Kaiser oder aber Privatpersonen liehen Geld an lokale Landeigentümer aus, die dafür Ländereien verpfändeten und den fälligen Zins für das gewährte Darlehen an die nahegelegene Kommune abführten. Mit diesen Einnahmen finanzierte jene wiederum die alimenta für die Empfänger. Diese Unterstützung zum Lebensunterhalt lag in Veleia in Norditalien zwischen 1 0 - 1 6 HS pro Monat, (vgl. dazu BOURNE 1960; W O O L F 1 9 9 0 ; JONGMAN 1 9 9 6 ) . I n d e r A l i m e n t a r t a f e l aus V e l e i a w e r d e n in

51 Verpfändungen 323 Grundstücke beliehen, die jeweils durch die Eigennamen ihrer früheren Eigentümer gekennzeichnet sind. Dies zeigt sehr deutlich, daß in der Kaiserzeit eine Tendenz zur Konzentration des Grundeigentums in den Händen Weniger bestand. Da wahrscheinlich die zur Kennzeichnung der Grundstücke verwendeten Eigennamen auf einen Zensus unter Augustus zurückgehen, bedeutet dies: Von 323 Gütern (fundi) in augusteischer Zeit waren unter Traian nur noch 48 (drei Personen sind in jeweils zwei Verpfändungen genannt) übrig. Die Zahl der Eigentümer verringerte sich also auf ein Sechstel. Einen entsprechenden Befund liefert auch eine sehr ähnliche Inschrift aus Benevent (CIL I X 1455). Nach diesem Text verringerte sich die Zahl der Eigentümer um die Hälfte. Gleichzeitig wird durch die genannten Texte jedoch auch die Existenz kleinerer Betriebe dokumentiert. Jedoch bestand der Großgrundbesitz nicht aus ,Plantagen', die unter dem Einsatz einer großen Masse von Sklaven bewirtschaftet wurden, sondern aus einer Vielzahl einzelner fundi bzw. einzelner Parzellen. Der reichste Landeigentümer in den Alimentartafeln von Veleia, ein gewisser M. Mommeius Persicus, verfügte über 34 fundi mit einem Gesamtwert von 1.2 Mio. HS. M 25: Plin. ep. 3,19 C. Plinius grüßt seinen Calvisius. W i e ich es stets zu tun pflege, ziehe ich Dich in V e r m ö g e n s a n g e l e g e n h e i t e n als Ratgeber

heran.

Meinem

Land

(agris)

benachbarte

und

auch

darin

eingesprenkelte G r u n d b e s i t z u n g e n (praedia) stehen z u m Verkauf an. Vieles

M 25 reizt mich an diesen und

manches,

nicht geringeres schreckt

mich

ab.

Zunächst reizt mich gerade die Trefflichkeit der Arrondierung; zweitens, was ebenso nützlich wie ergötzlich ist, sie mit derselben M ü h e und demselben Kostenaufwand für die Reise besuchen zu können, sie unter procurator

und

denselben

actores

bewirtschaften

zu

können,

demselben eine

villa

bewohnen und ausschmücken zu können, die andere nur zu erhalten. Zu dieser

Aufrechnung

gehören

die

Kosten

für

den

Hausrat,

Hausmeister,

Gärtner, Handwerker und auch das Jagdgerät; es macht nämlich sehr viel aus, ob man es an einem Ort zusammen hat oder es auf verschiedene verstreut. Dagegen fürchte ich, daß es unvorsichtig ist, eine so große Sache denselben Witterungseinflüssen, denselben Zufälligkeiten auszusetzen. Sicherer scheint es zu sein, den Unsicherheiten des Schicksals durch die Verschiedenheit der Besitzungen zu begegnen. A u c h besitzt ein Wechsel der Landschaft und des Klimas

viel

Angenehmes

sowie

überhaupt

das

Reisen

zwischen

den

Besitzungen. Nun das, was der Hauptpunkt meiner Überlegungen ist: Die Ländereien sind fruchtbar, fett und gut bewässert; sie bestehen aus Feldern, Weingärten und Wäldern, die Bauholz liefern und aus diesem ein ebenso maßvolles wie festes Einkommen.

[Im folgenden geht Plinius auf die durch die früheren Eigentümer zugrundegerichteten Pächter ein, weswegen der Besitz, der vorher 5 Mio. HS wert gewesen sei, für 3 Mio. HS zum Verkauf anstehe] Du fragst, ob ich diese 3 Mio. selbst leicht aufbringen kann. Freilich, beinahe mein ganzes Vermögen liegt in Grundeigentum fest, jedoch auch etwas in Krediten und es wird nicht schwer sein, etwas zu leihen. [...]

Der jüngere Plinius (Gaius Plinius Caecilius Secundus (61/2 - ca. 113 n. Chr.) - Adoptivsohn des 79 n. Chr. beim Ausbruch des Vesuvs verstorbenen .älteren' Plinius - gibt durch seine „Korrespondenz" einen tiefen Einblick in das ökonomische Verhalten der Senatorenschicht der hohen Kaiserzeit, obgleich er nach damaligen Maßstäben nur ein überschaubares Vermögen sein eigen nennen konnte (s. o. S. 164). Die zehn Bücher seiner Briefe umfassen 247 Privatbriefe sowie die aus 121 Briefen bestehende Korrespondenz mit Trajan. Plinius schlug den senatorischen cursus honorum ein (CIL V 5262 = SCHUMACHER 1988, N r . 101) u n d erreichte 100 n . C h r . das Konsulat. 112/113

n. Chr. starb er als Statthalter von Bithynien und Pontus, die er wahrscheinlich seit 110 n . C h r . verwaltete. Sein Brief demonstriert anschaulich, durch welche Überlegungen sich ein Angehöriger des höchsten Bevölkerungskreises beim Erwerb eines Landgutes leiten ließ: Lage des Besitzes und daraus resultierende administrative Vorteile, private Erwägungen wie die Angenehm-

231

232

Material/Landwirtschaft heit des Reisens z w i s c h e n d e n B e s i t z u n g e n sowie schließlich die Risiken, die d e n Vorteilen g e g e n ü b e r s t e h e n . O b g l e i c h Plinius sein G e l d meist in G r u n d besitz festgelegt hatte, scheint f ü r ihn das P r o b l e m d e r K a p i t a l b e s c h a f f u n g d a n k f i n a n z k r ä f t i g e r K r e d i t g e b e r u n d eigener Reserven kein s c h w e r w i e g e n des gewesen z u sein. L i t e r a t u r : CHRIST 1995, 4 8 6 - 4 9 4 ; EVANS 1980; FLACH 1990, 1 6 5 - 1 8 3 . 1 9 8 - 2 0 4 ; FELLMETH 1998; FRANK 1940, 1 6 8 - 1 7 5 ; GARNSEY/SALLER 1989, 9 4 - 1 0 8 ; KEHOE 1988 b; DERS. 1989; DERS. 1992; DERS. 1993; MARTIN 1981, 1 9 9 - 2 0 7 ; D E MARTINO 1991, 2 4 9 - 2 9 3 ; MRATSCHEK-HALFMANN

1993,

9 5 - 1 2 7 ; DE NEEVE 1990; PARÁSSOGLOU 1978, 6 5 - 6 8 ; PEKÁRY 1979, 7 8 - 9 1 ; DERS. 1994b, 1 7 9 f . ; PLEKET 1990, 8 6 - 1 1 8 ; SCHEIDEL 1990; DERS. 1993a; DERS. 1993b; WHITE 1970, 3 8 4 - 3 8 8 ; DERS. 1976.

b)

Subsistenzwirtschaft

M 26: Moretum Schon hatte die Nacht zwei Mal fünf winterliche Stunden durchlaufen und der geflügelte Wächter durch seinen Gesang den Tag angekündigt, als Slmulus, ländlicher Bebauer eines kleinen Ackers den traurigen Hunger des kommenden Tages fürchtend die Glieder langsam vom ärmlichen Lager herabließ und aufstand und mit unruhiger Hand das träge machende Dunkel erforscht und den Ofen sucht, den er, nachdem er sich gestoßen hat, endlich fühlt [Simulus z ü n d e t eine L a m p e a m H e r d f e u e r an u n d ö f f n e t eine K a m m e r ] Auf dem Boden verstreut war ein kleiner Haufen Getreide: Von diesem nahm er sich soviel, wie in das Maß hineinging, das an Gewicht zweimal acht Pfund faßt [Simulus begibt sich zu einer M ü h l e ] Dann befreit er seine beiden Arme von der Kleidung und mit dem Fell der zottigen Ziege gegürtet fegt er mit dem Schwanz die Steine und das Innere der Mühle [Simulus bereitet das moretum

zu, ein K r ä u t e r k ä s e g e r i c h t , das v o r allem aus

G e t r e i d e besteht. H i e r b e i hilft i h m seine afrikanische Sklavin] Simulus bleibt inzwischen nicht müßig, sondern sucht sich eine weitere Zutat, damit nicht Ceres (sc. G e t r e i d e ) allein dem Gaumen mißfalle, bereitet er einen Brei, den er hinzufügt. Er hat kein Fleisch neben dem Herd aufgehängt und es

M 26 fehlt ihm der in Salz gehärtete Schweinerücken [+ crux], aber ein Käse, mittendrin

durch

Pfriemgras

durchbohrt,

und

ein

altes

Bündel

von

getrocknetem Dill hing da, also macht er sich eine andere Zutat, ein sparsamer Herr. Verbunden mit der Hütte war ein kleiner Garten, den wenige Ruten und lebendiges Rohr mit leichtem Halm schützten, knapp an Raum, aber fruchtbar an verschiedenen Kräutern. Nichts fehlte ihm, was für den Armen erforderlich ist. Bisweilen holte sich der Reiche einiges vom Armen. All das kostete ihn nichts, sondern mehrte sein Vermögen. Wenn irgendwann einmal Regen oder ein Festtag ihn, dann von Arbeit frei, in der Hütte zurückhielten, w e n n zufällig die Arbeit mit dem Pflug ruhte, ließ er sich seinen Garten angelegen sein. Er verstand sich darauf, verschiedene Pflanzen in Reihen zu setzen und Samen in die dunkle Erde zu geben und in geeigneter Weise die ringsherum fließenden Bäche darüberzuleiten,

[Es folgt eine Aufzählung der angebauten Produkte: Kohl, Mangold, Ampher, Malve, Alant, Pastinak, Lauch, Mohn (?), Lattich, Flaschenkürbis] Aber dieser (sc. G a r t e n )

dient nicht seinem Herrn -

wer nämlich

lebt

bescheidener als jener? - sondern dem Volk: A n den Markttagen trug er auf den Schultern die Bündel zum Verkauf in die Stadt, von dort kehrte er unbeschwert im Nacken, jedoch beschwert vom Gelde zurück, kaum jemals zusammen mit einer Ware vom städtischen Fleischmarkt.

[Es folgt die weitere Zubereitung des moretum und der Verzehr desselben] Unter das Joch mit den Riemen zwingt er die gehorsamen Rinder und treibt sie auf das Feld und senkt den Pflug in die Erde.

Unter dem Namen des augusteischen Dichters Vergil sind verschiedene kleine Gedichte in die Überlieferung eingegangen, die als die ,Appendix Vergiliana' bekannt sind. Eines von diesen unechten, d. h. nicht von Vergil verfaßten Gedichten ist das Moretum (,Kräuterkäsegericht'). Wahrscheinlich in augusteischer Zeit entstanden schildert es ausführlich den beschwerlichen Alltag eines italischen Bauern, dessen vornehmliches ökonomisches Ziel nach M. I. FINLEY (1977, 1 2 0 - 1 2 3 ) u n d vielen Forschern vor u n d nach ihm die

gänzliche Eigenversorgung (,Subsistenzwirtschaft') war. Allerdings zeigt der Hinweis auf den Garten und die dort wachsenden Früchte, die auf dem Markt verkauft werden, wie sehr auch dieser danach trachtete, einen Teil seiner Erträge zu monetarisieren (s. o. S. 93 f.). Da die Inhaber kleiner Höfe gemäß den Kalkulationen Columellas (r.r. 2,12) nicht das ganze Jahr mit der Bewirtschaftung ihres Landes beschäftigt waren,

233

234

Material/Landwirtschaft k o n n t e n sie sich n o c h weitere Q u e l l e n zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes erschließen. Z u denken ist hier an die J a g d ( D i o n C h r y s . or. 7), die Sammlung wildwachsender pflanzlicher N a h r u n g s m i t t e l ( C o l u m . r.r. 12, 7, 1), die Z u pacht von L a n d und die A u f n a h m e einer befristeten

Tagelöhnertätigkeit.

Tatsächlich scheinen die Kleinbauern einen beachtlichen T e i l der auf den größeren G ü t e r n zur Feldbestellung und E r n t e benötigten

Zusatzarbeits-

kräfte gestellt zu haben (s. o. S. 91 f.). Das Beispiel des im 1. J h . n. C h r . in Ä g y p t e n lebenden Bauern Soterichos, ü b e r dessen L e b e n wir durch eine A n z a h l Papyri Kenntnis haben (P. Soterichos), zeigt, daß dieser sogar o h n e eigenen Landbesitz wirtschaften k o n n t e ; jedenfalls ist kein D o k u m e n t überliefert, das ihn als Landeigentümer nennt. J e d o c h war er bei seinem T o d h o c h verschuldet und vererbte diese Schulden seiner G e m a h l i n .

M 2 7 : luv. 14, 1 6 6 - 1 7 2 [In den Versen zuvor führt Iuvenal aus, daß man in früheren Zeiten Veteranen mit zwei iugera L a n d beschenkte. E r nennt bei dieser Gelegenheit die Punischen Kriege und den Krieg gegen P y r r h u s ] Eine solche kleine Scholle (sc. zwei iugera) sättigte den Vater und die Schar im Hause, in dem die Gattin schwanger darniederlag und vier Kinder spielten, eines ein hausgeborener Sklave, drei die Herren; aber für ihre großen Brüder, die von der Grube oder Furche (d. h. v o m A c k e r ) zurückkehrten, dampften eine zweite, größere Mahlzeit und große Schüsseln mit Brei (puls). Nun reicht die Größe des Ackers nicht für unseren Garten aus. D e r römische Satiriker Juvenal ( D e c i m u s Iunius Iuvenalis) lebte zwischen ca. 60 und 1 3 0 / 1 4 0 n. C h r . Sein W e r k u m f a ß t 16 Satiren, von denen die letzte unvollendet ist. Als Satiriker war er ein K r i t i k e r der gesellschaftlichen Z u stände seiner Zeit, die er mit schärfsten W o r t e n beschrieb. In diesen R a h m e n paßt auch die 14. Satire, in der er den Sittenverfall u. a. daran zeigt, daß ein G r u n d s t ü c k , das in früheren Zeiten für den Lebensunterhalt einer ganzen Familie ausreichte, in seiner Zeit gerade die Fläche eines Gartens bildete. O b w o h l die Satire zweifellos ein Zerrbild liefert, entbehren die hier geschilderten L e b e n s u m s t ä n d e einer kleinbäuerlichen Familie nicht einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Literatur: EVANS 1 9 8 0 ; F R A Y N

1979; GARNSEY/SALLER

1989,

GARNSEY 1979; PLEKET 1990, 8 6 - 8 9 ; W H I T E 1970, 3 3 6 - 3 4 5 ; P. S.

17-23.

109-119; Soterichos,

M 28

c)

Landpacht

M 28: CIL VI 33840 = FIRA III2 Nr. 147

227 η. Chr.

[Text mit den Verbesserungen von RÖHLE 1987. Zur Inschrift vgl. auch MOMMSEN 1887.]

Da ich der Pächter der Gemüsegärten bin, die an der Via Ostiensis Eigentum des .collegium magnum arcarum divarum Faustiniarum matris et Piae' sind, und als Großpächter (colens in asse) sie für jährlich 26.000 HS* bewirtschafte ... bitte ich inständig um Deine Gerechtigkeit, dominus Salvius ..., daß Du zustimmst, daß ich am Fuße des Berges ein kleines Grabmal - 20 Fuß im Quadrat - errichte. Ich werde Eurem Genius Dank abstatten, wenn die Erinnerung an mich für immer Bestand haben wird und einen Zugang und ein Gelände haben wird. Gegeben von dem Pächter Geminius Eutyches. Euphrata und Salvius den Quaestoren Chrysopaes, Pudentionus, Yacinthus, Sophronis und den Schreibern Basilius und Hypurgus zum Gruß. Die Abschrift der uns von dem Pächter Geminius Eutyches gegebenen Bittschrift haben wir zu den Akten genommen. Und Ihr werdet, da es satzungsgemäß ist und anderen Pächtern bereits zugestanden worden ist, dafür Sorge tragen** darauf zu achten, daß er kein größeres Areal mit seinem Grabmal bebaut, als er selbst in seiner Bittschrift angezeigt hat. Gegeben am achten Tag vor den Kaienden des August unter dem Konsulat des Albinus und Maximus. Gegenstand der aus der Umgebung von Rom stammenden Inschrift ist nicht die Verpachtung von Land, sondern die Bewilligung eines Platzes für ein Grabmal; dieser Platz befand sich im Eigentum eines Kollegiums, dessen Vorsitzende (quinquennales) die Genehmigung für die Anlage des Grabes erteilen. Der Text dokumentiert jedoch anschaulich eine Funktion, die der Verpachtung von Land zukam, nämlich die der Verrentung von Kapital, das an verschiedene Institutionen gestiftet wurde. Die obige Inschrift dokumentiert diesen Fall. Geminius Eutyches hatte Gemüsegärten gepachtet, die Eigentum eines Kollegiums waren. Dieses Kollegium erhielt von ihm einen Pachtzins von 26.000 HS. Es hatte die Verwaltung einer Stiftung inne, die die Kaiser Antoninus Pius und Marcus Aurelius zu Ehren ihrer Gattinnen gemacht hatten. Wie auch in anderen Fällen, bestand die Stiftung aus Land. Das Motiv der Verrentung liegt auch bei der Bewirtschaftung von Staats- und * PEYRAS 1983, 236 Anm. 112 übersetzt Zahlzeichen und Zahl mit 26 HS, vgl. aber zu R e c h t R Ö H L E 1987, 4 4 1 - 4 4 6 .

** Text nach RÖHLE 1987, 4 3 8 - 4 3 9 .

235

236

Material/Landwirtschaft Tempelland zugrunde. Jedoch mußte die Pacht nicht zwangsläufig gegen Geld erfolgen, sie konnte auch gegen einen Naturalzins vorgenommen werden (vgl. die Lit. im Anhang von M 29).

M 29: P. Soterichos 2

71 η. Chr.

Im dritten Jahr des Imperator Caesar Vespasianus Augustus, am 25. des Monats Kaisareios, in Theadelphia im Themistes-Bezirk des Gaues Arsinoites. Thermoutharion, Tochter des Sarapion, [es folgt eine nähere Beschreibung der Person und ihr juristischer Status] hat an Soterichos, den Sohn des Lykos, [es folgt eine nähere Beschreibung der Person und ihr juristischer Status] den ihr in der Nähe des Dorfes gehörenden Weingarten mit an Bäumen gezogenen Reben, eine halbe Arure oder wieviel es sein mag, verpachtet. Die Pacht dauert drei Jahre vom Beginn des kommenden vierten Jahres unter der Bedingung, daß der Pächter ein Drittel der jährlichen Trauben und Weinerträge frei von allen Staatsabgaben und Steuern bekommt und die gesamten Ausgaben für die Weinherstellung und den Most, der beim Keltern getrunken wird, gemeinsam getragen und abgezogen werden. Der Pächter darf den Vertrag nicht innerhalb der Laufzeit kündigen. [Es folgt eine detaillierte Aufzählung aller im Weingarten durchzuführenden Arbeiten (u.a Hacken des Bodens im Weingarten, Beschneidung der Rebstöcke, Düngung des Landes, Instandhaltung der Rebunterstützung, Bewässerung). Ferner werden die Abgaben bezüglich der Zwischenkulturen auf dem Weinland (u. a. von Apfelbäumen und Thymian) geregelt.] Und nach Ablauf der Pacht soll der Pächter den Weingarten frei von Binsen, Feldgras und jedem Unkraut mit intakten Mauern zurückgeben. Wenn der Pächter eine Bestimmung übertritt, soll er den Schaden und die Kosten in doppelter Höhe ersetzen und fünf Kupfertalente Strafe zahlen und der Vertrag nicht weniger gelten. Unter diesen Bedingungen soll Thermoutharion den Vertrag garantieren, frei von allen Staatsabgaben. Dieser Vertrag sei der maßgebliche. [Es folgen die Unterschriften der Vertragsparteien] Eine Abschrift des Vertrages ist registriert, im dritten Jahr des Imperator Vespas i a n i Augustus, am 25. des Monats Kaisareios. (Übers, nach S. OMAR) Der Text dieses zum Soterichos-Archiv gehörenden Teilpachtvertrages (Verpachtung von Land gegen einen Anteil aus dem Ertrag, der dem Verpächter abzuliefern ist, in diesem Falle zwei Drittel) stammt aus dem Dorf Theadelphia im nordwestlichen Teil des Arsinoites. Er demonstriert die sehr genauen vertraglichen Regelungen, die zwischen Pächtern und Verpächtern landwirtschaftlich nutzbaren Bodens getroffen wurden. Im privaten Bereich war die Verpachtung von Land aus verschiedenen Gründen die gegebene Alternative zur Eigenwirtschaft bzw. zur Bewirf-

M 31 schaftung durch Sklaven, die einem Verwalter unterstellt waren. Grundsätzlich stand jeder Grundeigentümer vor dem Problem, die Produktionsfähigkeit seines Landes zu erhalten und es kontinuierlich zu bewirtschaften. Eine Bewirtschaftung durch den Eigentümer selbst konnte etwa dadurch unmöglich gemacht werden, daß dieser nicht vor Ort ansässig war (sog. ,absentee ownership') oder die entsprechende Parzelle eine ungünstige Lage zum übrigen Besitz hatte. Hinsichtlich der ökonomischen Motivationen für die Verpachtung von Land war das Bestreben der Eigentümer bestimmend, unter Vermeidung bzw. Minimierung des eigenen ökonomischen Risikos ein möglichst langfristig garantiertes Einkommen aus ihrem Besitz zu erhalten. Schließlich konnte die Verpachtung von Land dem Eigentümer helfen, Kosten, die im Falle der Eigenwirtschaft entstanden, zu vermeiden und die so frei werdenden finanziellen Ressourcen für die Erschließung anderer Einkommensquellen zu verwenden. Gleichwohl mag die Realität häufig anders ausgesehen haben. Da Pächter aufgrund äußerer Einflüsse wie Dürren, Unwetter etc. außerstande waren, den Pachtzins zu zahlen, mußten manche Verpächter doch eventuelle Verluste tragen (vgl. etwa Plin. ep. 3,19,6-7). L i t e r a t u r : D R E X H A G E 1 9 9 1 a , 1 5 5 - 2 4 8 ; H E N N I G 1 9 6 7 ; HERRMANN 1 9 5 8 ; JOHNE u . a .

1983; KEHOE

1 9 8 8 a ; DERS. 1 9 8 8 b ;

DERS. 1 9 8 9 ; DERS.

1992,

1 1 9 - 1 6 7 ; L o CASCIO 1 9 9 3 ; DE N E E V E 1 9 8 4 ; 0 R S T E D 1 9 9 7 ; PARÁSSOGLOU 1 9 7 8 , 5 0 - 6 4 ; ROWLANDSON 1 9 9 6 , 2 0 2 - 2 7 2 ; SCHEIDEL 1 9 9 4 , 2 7 - 1 4 9 ; DERS.

1993 a.

d)

Arbeitskräfte

M 30: CIL IV 6672

vor 79 n. Chr.

Die Weinlesearbeiter erbitten Casellius als Aedll. Der aus Pompeji stammende Graffito illustriert das Vorhandensein saisonaler Arbeitstrupps, die für personalintensive Vorgänge in der Landwirtschaft gegen Lohn herangezogen wurden. Ihre personenrechtliche Stellung bleibt nach dem Text ungeklärt, da sie jedoch „Wahlwerbung" betreiben, könnte es sich um freie Personen handeln.

M 31: Dig. 33,7,12,8 Ulpian Wenn Sklaven zu irgendeiner Zeit des Jahres das Vieh weiden, zu irgendeiner Zeit des Jahres das Futter von ihnen eingebracht wird oder wenn durch sie zu

237

238

Material/Landwirtschaft irgendeiner Zeit des Jahres der Acker bestellt wird und sie zu irgendeiner Zeit des Jahres gegen Lohn weggeschickt werden, gehören sie nichts desto weniger zur Ausstattung (instrumentum: Hausrat des Eigentümers). Wie die hier angeführte Stelle aus den Digesten (vgl. den Komm, zu M 4 ) zeigt, konnten auch Sklaven Lohnarbeit verrichten. Diese kam jedoch nicht unbedingt ihnen selbst zugute, sondern in der Regel Sklavenhaltern und Unternehmern, die in der Vermietung von Arbeitskräften ihr Auskommen zu sichern suchten. Insgesamt weist auch dieser Text wie der obige auf den vielfach noch ungeklärten Status der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft hin (s. o. S. 8 7 - 9 3 ) . Literatur: DREXHAGE 1991a, 4 0 2 - 4 3 9 ; GARNSEY 1980b; KEHOE 1992; DE MARTINO 1991, 2 9 4 - 3 2 5 ; RATHBONE 1991, 8 8 - 2 1 1 ; SCHEIDEL 1994, 1 5 1 - 2 2 4 ; DERS. 1993a; WHITE 1970, 3 3 2 - 3 8 3 ; WHITTAKER 1980.

e)

Technologie

M 32: Colum. r.r. 1 praef. 3 - 4 Demnach glaube Ich, [...] daß eher wir selber daran (an den schlechten Bodenerträgen auf den Gütern) schuld sind, die wir die Landwirtschaft dem allerschlechtesten der Sklaven [...] auszuliefern pflegen, während doch von unseren Vorfahren stets gerade die Besten sich nach ihrem besten Vermögen ihr gewidmet haben. Und ich kann mich nicht genug wundern, wieso zwar Leute, die reden lernen möchten, einen Redner auswählen, um dessen Beredsamkeit nachzueifern, wieso diejenigen, die nach den Regeln Messens

und

Rechnens forschen,

einem

Lehrer des

ihnen

des

zusagenden

Wissenszweiges sich anschließen, Tanz- und Musikbeflissene mit aller Sorgfalt einen Ton- und Gesangsmeister oder einen Meister der Bewegung suchen, Baulustige die Handwerker und Architekten zu Hilfe rufen [...], einzig aber die Landwirtschaft, die doch ohne Zweifel der Weisheit sehr nahe steht und ihr sozusagen blutsverwandt ist, der Lernenden wie der Lehrenden ermangelt. Bisher nämlich habe ich wohl gehört und habe es sogar selbst gesehen, daß es Rednerschulen und - ich sagte es schon - Schulen für Mathematiker und Musiker

gibt

[...],

für

den

Landbau

jedoch

habe

ich

weder

Lehrer

kennengelernt, die sich als solche zur Verfügung stellten, noch Schüler. (Übers, nach K. AHRENS) Der technische Entwicklungsstand in der Landwirtschaft war uneinheitlich. Während die Kleinbauern und Kolonen weitgehend an althergebrachten

M 33 Anbaumethoden und Geräten festhielten, wurde auf vielen Gutsbetrieben und im Gartenbau eine Intensivierung der Produktion angestrebt (s. o. S. 68-93). Allerdings galt hier für die Mehrheit der Innovationsbereiten noch der Rat Varros (rust. 1,18,8) „andere nach(zu)ahmen und (nur) manches probeweise anders zu machen". Dazu zählten nicht zuletzt die Versuche, neue Fruchtwechsel- und Düngemethoden einzusetzen (vgl. ebd.). Ferner gab es Fortschritte in der Wein- und Ölproduktion (vgl. SCHNEIDER 1992, 63-66), bei den Veredelungsverfahren, der Sortenauswahl (vgl. Varrò rust. 1,40,6; 41,5f.; Colum. r.r. 4,29; 5,9-11; 13-15; Plin. nat. 14,21-47; 15,47-56; 18,55; WHITE 1970, 258 f.) und in der Haustierhaltung bzw. Tierzucht (s. o. S. 77). Daß hiervon der Ausstattungsbereich nicht ausgenommen war, zeigt vor allem das 18. Buch der Naturgeschichte des älteren Plinius. Weiterer Ausdruck dieser Innovationsbereitschaft war die landwirtschaftliche Fachschriftstellerei, die in der ausführlichen Abhandlung Columellas (De re rustica; Mitte 1. Jh. n. Chr.) gipfelte. Aber gerade dieser führt in der Einleitung seines Werkes mit dem Hinweis auf das Desinteresse der italischen Großgrundbesitzer an ihren Gütern und ihr mangelndes agrarisches Fachwissen mögliche Ursachen an, warum dem agrartechnischen Fortschritt insgesamt Grenzen gesetzt waren (vgl. PLEKET 1990, 152-157).

M 33: Plin. nat. hist. 18, 172f. Bei der vierten A r t ist diese ( P f l u g s c h a r an d e r S p i t z e ) breiter u n d schärfer z u einer Schneide zugespitzt; sie spaltet mit demselben Schwert den Boden u n d schneidet mit ihren scharfen Seiten die W u r z e l n des Unkrauts durch. V o r nicht langer Zeit hat man im rätischen Gallien die Erfindung gemacht, an einer solchen

Pflugschar z w e i

kleine

Räder anzubringen;

man nennt diese

Art

„ p l a u m o r a t u m " . Die Spitze (der S c h a r ) hat die Form eines Spatens. M a n sät auf diese Weise nur auf geackertes u n d fast jungfräuliches Land. Die Breite der Pflugschar w e n d e t d e n Rasen um. Dann w i r f t m a n sogleich d e n Samen aus und zieht mit der gezackten Egge darüber. Die auf diese Weise angesäten Felder

müssen

nicht

gejätet werden;

man

muß

aber

mit z w e i

bis

drei

G e s p a n n e n pflügen. M i t einem einzigen Joch Ochsen schätzt man g e w ö h n l i c h im Jahr bei leichtem Boden 4 0 M o r g e n , bei s c h w e r e m Boden 3 0

Morgen

(bearbeiten zu können). (Übers, nach R. KÖNIG) Der hier beschriebene Räderpflug ermöglichte eine genaue Furchenführung und das Wenden der Schollen in eine Richtung. Nach R. MARTIN (1971, 76 f.) besaß er weder Pflugeisen noch Streichbrett, die Plinius in der Tat nicht er-

239

240

Material/Landwirtschaft wähnt. Von Rätien aus gelangte das Gerät später nach Norditalien, wo es für die Zeit um 400 bezeugt ist (vgl. Serv. georg. 1,174). Zu anderen gerätetechnischen Neuerungen, etwa der Entwicklung eines Dreschwagens, leistungsfähiger Weinpressen und der gallischen „Erntemaschine" vgl. Varrò rust. 1,52,1; Plin. nat. 18,317; 18,296 u. Pali, agrie. 7,2,2-4. Einblicke in die Ausweitung des Weinbaus nach Norden und die im Moselraum errichteten Kelteranlagen liefert n u n der Band von M. MATHEUS (1997). L i t e r a t u r : BENECKE 1994 a; DERS. 1994 b; BRUNT 1972; GREENE

1986,

6 7 - 1 4 1 ; DERS. 1992; HUMPHREY 1998, 7 5 - 1 3 9 ; MARTIN 1971; PLEKET 1990, 1 5 2 - 1 5 7 ; SCHNEIDER 1992; SPURR 1986; W H I T E 1970; DERS. 1975.

3.

Gewerbe

a)

Kleingewerbe/Handwerk (alltäglicher Bedarf)

M 34: Tausende von griechischen und lateinischen Inschriften überliefern Berufs- bzw. Tätigkeitsbezeichnungen von Frauen und Männern. Zumeist handelt es sich um Grabsteine mit einer sehr kurzen Inschrift (Name, vielleicht Statusangabe, Berufsbezeichnung, u. U . weitere Kurzinformationen). Hier einige Beispiele: • Titus Statilius Nicepor, Maurer (ILS 7623, R o m ) • Gaius Pomponius Apollonius, Spiegelschleifer, er lebte 45 Jahre (ILS 7646,

Rom)

• Dem Primius Franto, Gastwirt aus Trier, haben die Freunde auf eigene Kosten den Grabstein gesetzt (ILS 7475, Sens) • Primigenius, Schlosser, liegt hier, er lebte 40 Jahre, 3 Monate, 9 Tage (CIL

VIII 21103, Caesarea, Mauretanien).

• Calliste, Schneiderin, sie lebte 21 Jahre. Die Schwester hat (den Grabstein) gesetzt (CIL VI 9876, R o m ) • Aurelia Nais, Freigelassene des Gaius, Fischerin (Fischhändlerin) an den Speichern des Galba. Ihr Patron C. Aurelius Phileros, Freigelassener des Gaius, L. Valerius Secundus, Freigelassener des Lucius (CIL VI 9801, Rom).

Diese Inschriften spiegeln eine ungemein differenzierte Berufswelt in den Städten des Imperiums wider und dokumentieren zugleich die hohe Beteiligung von Frauen in der alltäglichen Berufswelt. Die Notwendigkeit der Existenzsicherung zwang freie wie freigelassene Menschen in gleichem Maße, einer Betätigung nachzugehen. Dabei beschränke sich die handwerkliche Tätigkeit natürlich nicht nur auf die Sphäre der Städte. Auf den Bauernhöfen und im Umfeld der Gutsbetriebe und Militärlager etablierte sich neben dem Handwerk, das der Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Produktion diente oder zum häuslichen Leben gehörte, vielerorts ein rein kommerziellen Zwecken dienendes Handwerk, das u. U. arbeitsteilig betrieben wurde (vgl. zur ländlichen Textil-, Keramik-, Ziegel- und Metallwarenproduktion im Nordwesten des Imperiums z. B. die Beiträge in PoLFER 1999).

242

Material/Gewerbe M 3 5 : Der papyrologische Befund bietet weit mehr Informationen über die Berufsstruktur bis hinab auf die Dorfebene. Eine zusammenfassende Darstellung ist noch nicht vorgelegt worden. Sehr viel Material besitzen wir aus der Gauhauptstadt Oxyrhynchos; allein die Bände P. Oxy. 1 - 6 5 (1898-1998) beinhalten 4493 zumeist dokumentarische Papyri aus dieser Stadt und dem Gau Oxyrhynchites. Ein sehr interessantes Dokument über die „Berufswelt" von Hausbesitzern und -bewohnern stellt P. Oxy. 46/3300 aus dem späten 3. Jh. n. Chr. dar; es handelt sich um die Erfassung der Besitzverhältnisse und der Anwohner seitens der Stadtverwaltung:

P. Oxy. 46/3300

3. Jh. n. Chr.

Beginnend vom Haus des Diogenes: Diogenes, Dionysios, (sein) Bruder. Als nächstes westlich: Haus des Herakleides, Herakleides selbst. Südlich gewandt: Haus, das früher dem An... gehörte: Aranais, Garderobier (im öffentlichen? Bad), Aquilianus. Als nächstes nördlich (wohl südlich gemeint?): Haus des Thonios: Thonis, Fischer. Als nächstes südlich: Pasois, Fischer. Als nächstes südlich: (Haus) des Ptolemaios, Sohn des Amois: Phileas und Isidoras, Apoll(...) und Horos. Als nächstes südlich: Harpokr(...), Maurer. Als nächstes südlich: (Haus) des Aphynchios, Sticker: Aphynchos selbst, Thonis, sein Bruder. Als nächstes südlich: (Haus) des Aniketos, Färber: Aniketos selbst. Als nächstes südlich: (Haus) des Philammon, Gemüsehändler: unbewohnt. Als nächstes südlich: (Haus) des Sarapias: Herakles. Als nächstes südlich: (Haus) des Diog(...), Leineweber: Areios. Als nächstes südlich: (Haus) des Herakl(...): Herakl(...) selbst. Als nächstes südlich: (Haus) des/der My...: Paysas, Sohn des/der Achill(...), Heraiskos, ein weiterer. Östlich gewandt: (Haus) des Dionysios: ...las, Zimmermann. Als nächstes östlich: (Haus) des Apol(...): Kichois. Nördlich gewandt: (Haus) des Sarapias: Pagas. Nördlich gewandt: Bäckerei. Keine der hier genannten Berufsbezeichnungen läßt auf einen gehobenen sozialen und ökonomischen Standort schließen; man hat den Eindruck eines klar konturierten Milieus bestehend aus „kleinen" Handwerkern, Gewerbetreibenden und Dienstleistenden. Warum ein großer Teil der Personen ohne Berufsangabe notiert worden ist, läßt sich nicht beantworten. Man könnte vermuten, daß diese keinen spezialisierten Tätigkeiten nachgingen, also etwa Tagelöhner gewesen sind; vielleicht sind es aber auch Pächter und Bearbeiter nahe gelegener Parzellen gewesen, für die keine verbindliche Berufs- bzw. Tätigkeitsbezeichnung vonnöten war. Ein vergleichbares Zeugnis stellt der umfangreiche Papyrus Beri. Bork aus Panopolis (ca. 300 n. Chr.) dar. Literatur: 1992;

EICHENAUER 1 9 8 8 ; DREXHAGE 1 9 9 1 b ; DERS. 1 9 9 1 c ;

GÜNTHER

1987;

HÄNDEL

1 9 8 5 a; PETRIKOVITZ

RUFFING 1 9 9 7 ; WISSEMANN 1 9 8 4 ; ZIMMER 1 9 8 2 .

1981;

REIL

DERS. 1913;

M 36

b)

Massenproduktion

M 3 6 . Zu den wichtigsten archäologischen Zeugnissen, die Rekonstruktionsversuche der kaiserzeitlichen Produktion und Distribution ermöglichen, gehören neben vielen anderen Keramikprodukten (vgl. M 4 4 ) die Amphoren, die hauptsächlichen Transportbehälter der Antike. Sie sind unmittelbare Zeugnisse über Produktion und Verteilung von Lebensmitteln (Wein, Ol, Saucen, konservierte Vegetabilien). Mit naturwissenschaftlichen Methoden sind in den letzten Jahren die Kenntnisse über die Herkunft, d. h. Produktionsorte, dieser Behälter ver-

Abb. 9: Amphore des Typs Dressel 20 mit Aufpinselungen (nach Rodríguez Almeida 1984, 176 fig. 71): a Leergewicht β Name des Händlers γ Gewicht des abgefüllten Òls δ ausführlicher Zollkontrollvermerk ε (vermutlich) Ladeoder Speichervermerk

243

244

Material/Gewerbe vielfacht und präzisiert worden. Von den sehr geformten Stücken gehört die hier abgebildete 20' zu den verbreitetsten, d. h. millionenfach wurde das südspanische Olivenöl transportiert 1983; DERS. 1986; DERS. 1997).

unterschiedlich großen und bauchige Amphore .Dressel hergestellten Typen. In ihr (vgl. REMESAL RODRÍGUEZ

M 3 7 : Weniger Interesse der Forschung haben kleinere Typen gefunden, die zudem nach der Fundsituation der letzten 100 Jahre nicht unter die massenhaft produzierten Amphoren zu fallen schienen. Ohne definieren zu wollen, was Masse in diesem Zusammenhang meint, zählt die kleine, 40-50 cm hohe und zwei bis drei Liter fassende Amphore Camulodunum 189 (vgl. PEACOCK/WLLLIAMS 1986,109 f.) zu den weniger beachteten:

Abb. 10: Amphoren Neath-1)

des Typs Camulodunum

189 (Fundorte:

Horath-1;

M 38 Sie ist spitz zulaufend, hat oft nur einen angedeuteten zylindrischen Hals, die halbkreisförmigen O s e n h e n k e l setzen in der R e g e l knapp unter dem R a n d an. Auffällig sind die horizontalen o d e r spiralig umlaufenden Rillen auf der W a n d u n g . Insgesamt haben alle A m p h o r e n dieses T y p s ein m ö h r e n f ö r m i g e s Aussehen ( „ C a r r o t A m p h o r a " ) . D e r sich auf die nordwestlichen P r o v i n z e n konzentrierende B e f u n d ( G a l lien, G e r m a n i e n , Britannien) ist schon länger bekannt (vgl. ζ. B . REUSCH 1970). D i e s e A m p h o r e ist in erstaunlich h o h e r A n z a h l seit ca. der M i t t e des 1. J h . n. C h r . nach Britannien gelangt u n d stellt etwa in F i s h b o u r n e einen sehr verbreiteten T y p u s dar. D i e östliche und auf W ü s t e n g e b i e t e weisende H e r k u n f t ist häufig vermutet worden. Seit kurzer Zeit ist Ä g y p t e n als P r o d u k t i onsraum der A m p h o r e favorisiert (TOMLIN 1992). D e r D a t e n r a h m e n des G e s a m t b e f u n d e s konzentriert sich auf das 1. J h . n. C h r . ; nur wenige Stücke sind früher oder später einzuordnen. D a t t e l n , Feigen und andere hochwertige Lebensmittel, die in den nordwestlichen R e g i o n e n nicht kultiviert werden k o n n t e n , stellten die Inhalte dieses Transportgefäßes dar. L i t e r a t u r : AMPHORES 1989; PEACOCK/WILLIAMS 1986; REMESAL RODRÍGUEZ 1986; DERS. 1997; REUSCH 1970; TOMLIN 1992; VLPARD 1995.

M 38: SPP 22/35

8. 3. 50 n. Chr.

Das 10. Jahr des Herrschers Tiberius Claudius Caesar, 12. Phamenoth, in Soknopaiou

Nesos

in der Herakleidou

Meris

des Arsinoites.

Tsenouphis,

4 0 Jahre, mit einer Narbe auf dem kleinen Finger der linken Hand, und Stotoetis, 30 Jahre, mit einer Narbe mitten auf der Nase, beide Perser von Abstammung, die einander Bürgschaft leisten, bestätigen Tesenuphis, Sohn des Horos, 4 8 Jahre, mit einer Narbe auf dem rechten Schienbein, von ihm den Lohn für die Herstellung von 65.000 Ziegeln (schon) erhalten zu haben, und stimmen mit der Notwendigkeit überein, bei Tesenuphis zu bleiben, um die Ziegel in der Ziegelei des obengenannten Dorfes im Laufe eines Jahres vom gegenwärtigen Tag an herzustellen. Ohne Zeit zu vergeuden und ohne einen Tag die Arbeit zu versäumen, werden sie die Ziegel für Tesenuphis herstellen. Falls sie doch

die Arbeit

versäumen,

werden

die Vertragsparteien

dem

Tesenuphis pro Tag zwei Silberdrachmen zahlen, bis die obengenannte Anzahl von Ziegeln - nämlich 65.000 - hergestellt sein wird [...]. I m Zuge der U r b a n i s i e r u n g in den ersten beiden J a h r h u n d e r t e n sind u n zählige Ziegel - das sind: Ziegelsteine und D a c h z i e g e l - verbaut worden. D i e P r o d u k t i o n dieser Baumaterialien war nicht nur ein lohnenendes Geschäft kapitalkräftiger Ziegeleibesitzer und B a u u n t e r n e h m e r . Sie sicherte ferner die

245

246

Material/Gewerbe Existenz zahlloser (wohl unausgebildeter) Arbeiter und vieler Kleinhandwerker. Die Ziegelstempel geben Einblick in die Besitzverhältnisse der Ziegeleien; in R o m und Italien traten Ritter, Senatoren, Angehörige der kaiserlichen Familie und die Kaiser selbst als Produzenten - besser Unternehmer großen Stils auf (vgl. STEINBY 1978; KOLB 1995, 319f.). Aber auch für Gebäude in unzähligen Dörfern des Reiches mußten Ziegel produziert, transportiert und verbaut werden. Vielfältige Informationen über die Arbeitsorganisation enthält der hier angeführte Vertrag. Die beiden Arbeiter hatten ihren Stücklohn für die Herstellung von 65.000 Ziegeln schon entgegengenommen und verpflichteten sich nun auf 1 Jahr zur Abarbeitung. Da eine Regelung für arbeitsfreie Tage nicht vorgenommen worden ist (vgl. M 4 1 ) , hätte jeder der beiden pro Tag ca. 90 Ziegel bei 360 Arbeitstagen formen müssen. Aus dem Vertrag geht nicht hervor, ob die Ziegel noch gebrannt werden mußten, da im römischen Ägypten vielfach sonnengetrocknete Ziegel verbaut worden sind (vgl. DREXHAGE 1994 b). Vergleichszahlen aus dem ptolemäischen Ägypten und anderen Regionen des Imperium Romanum zeigen, daß diese beiden Arbeiter mit ihren durchschnittlich 180 Ziegeln pro Tag deutlich unter den möglichen Tagesproduktionskapazitäten lagen (etwa 180 bis 220 Ziegel pro Mann und Tag; vgl. DREXHAGE ebd. 2 6 9 ) . L i t e r a t u r : DREXHAGE 1994 b; STEINBY 1978; DIES. 1993.

c)

Kunstgewerbe

M 39: Plin. nat. 33,139f. Die Unbeständigkeit menschlicher Sinnesart unterwirft auf sonderbare Weise die Gefäße aus Silber einem dauernden Wechsel, da man auf lange Zeit keinen Werkstattstil bevorzugt. Bald verlangen wir nach furnianischen, bald nach clodianischen, bald nach gratianischen ( G e f ä ß e n ) - denn wir übernehmen die ( N a m e n der) Läden auch auf unsere Tische -, bald nach ziselierten Arbeiten und nach einer unebenen Oberfläche, die durch Vertiefung um die Konturen der Darstellungen entstanden sind; schon belasten wir sogar mit tischförmigen Aufsätzen

die Tablette zum Tragen der Beilagen

und versehen

andere

( G e r ä t e ) mit durchbrochener Arbeit [...]. Der Redner Calvus jammert laut, daß man Kochgeschirre aus Silber herstelle; wir aber haben erfunden, Karossen in erhabener Silberarbeit auszuführen, und zu unserer Zeit ließ Poppaea, die Gattin des Kaisers Nero, ihren Lieblingszugtieren auch noch Schuhe aus Gold anziehen.

(Übers, nach R . KÖNIG)

M 40 Wie die anderen Gewerbe nahm auch das Kunstgewerbe im 1. u. 2. Jh. n. Chr. einen enormen Aufschwung. Dies offenbart u. a. die weitere Ausdifferenzierung seiner Berufszweige, etwa im Steinmetzwesen und im Kunstschmiedehandwerk (vgl. PETRIKOVITS 1981, Liste 1 u. 2). Wichtige Impulse gaben dazu a) die Neigung der Kommunen und des Staates, für Fora, Tempel, Theater usw. viel Geld auszugeben und b) der demonstrative Luxus der vermögenden Schichten (vgl. Vitr. 6,5,2; KOLB 1984, 1 7 6 - 1 7 8 u. ö.; KLOFT 1992, 234f.; WEEBER 1995, 3 0 3 - 3 0 6 ) . Die vorherrschende Organisationsform war der Handwerksbetrieb mit Eigenverkauf (s. o. S. 103 f.). Daneben entwickelten sich aber auch größere, spezialisierte Werkstätten mit hochgradig arbeitsteiliger und normierter Produktion, die auf die Vermarktung bzw. den Export von Bronze- oder Marmorkopien (klassischer Bild- u. Kunstwerke), Sarkophagen, Votivgaben, reichdekorierten Metallwaren und Kleinkunsterzeugnissen (Gemmen, Geschmeide, Glaswaren etc.) ausgerichtet waren (vgl. ζ. B. Plin. nat. 34,11; Aug. civ. 7,4; ZLMMER 1990, 125 f.; WARD-PERKINS 1980; NEUDECKER 1988; KOCH 1993). Plinius d. A. beleuchtet hier den Einfluß von Modetrends auf den Absatz. Furnianische...clodianische...gratianische

Gefäße:

Benannt nach den Läden

stadtrömischer Silberschmiede und Ziselierkiinster, wo man diese kaufen konnte (vgl. KOLB 1995, 469). Licinius Macer Calvus: Berühmter römischer Redner ( 8 2 - 4 7 v. Chr.). Poppaea Sabina: Seit 62 n. Chr. mit Nero verheiratet, war sie wegen ihres Lebenswandels berüchtigt (vgl. Plin. nat. 11, 238; 28, 183).

M 4 0 : CALABI LIMENTANI, Nr. 7 7

2 . J h . η. C h r .

Mein, des Zenon, höchst gesegnetes Vaterland ist Aphrodisias (in Kleinasien). Ich habe viele Städte besucht auf meine (Bildhauer-)Kunst vertrauend [...]. Ich baute dieses Grab und stellte den Grabstein auf für meinen Sohn Zenon, der gerade gestorben ist; ich selbst habe den Stein gebrochen und das Relief gearbeitet und habe so dieses bemerkenswerte Werk mit eigener Hand hergestellt, und drinnen habe ich ein Grab für meine Frau und alle unsere Nachkommen gebaut. (Übers, nach W. FELTEN [in: BURFORD 1985, 216]) Fehlten Käufer fertiger Waren im Laden oder auf dem Markt (vgl. etwa P. Giss. 47 zum regen Markttreiben im oberägyptischen Koptos; 115 n. Chr.), gab es keinen privaten Kunden, der Spezialbestellungen aufgab, oder ein offizielles Komitee, das im Namen einer Gemeinschaft Werke in Auftrag gab, war die N o t des Handwerkers nicht gering (vgl. Vitr. 3 praef. 2). Für die von der schwankenden Auftragslage besonders betroffenen Bildhauer, Steinmetze

247

248

Material/Gewerbe und Bronzegießer bot dann nur der Wohnortswechsel einen Ausweg (vgl. ζ. B. Plin. nat. 34,45; BURFORD 1985, 7 7 - 8 0 ) . Diese Inschrift aus R o m liefert dafür ein Beispiel. D e r in ihr durchschimmernde Berufsstolz des älteren Zenon war übrigens vielen Kunsthandwerkern (auch Sklaven und liberti)

eigen

(vgl. DREXHAGE 1990b, 2 8 - 4 0 ) . Literatur: BURFORD 1985; CALABI LIMENTANI 1958; DE MARTINO 1991, 338f.; DREXHAGE 1990b; KOLB 1995, 4 6 6 - 4 6 9 . 4 8 0 - 4 8 5 u. ö.; NEESEN 1989, 1 3 1 - 1 4 1 . 1 9 5 - 2 0 8 . 2 2 6 - 2 2 9 u. ö.; PETRIKOVITS 1981; WEEBER 1995, 3 0 3 - 3 0 6 ; ZIMMER 1982.

d)

Ausbildung

M 41: P. Oxy. 14/1647

2. Jh. n. Chr.

Miteinander vereinbart haben Piatonis, auch genannt Ophelia, Tochter des Horion, aus der Stadt Oxyrhynchos,

mit (ihrem) Geschlechtsvormund

-

ihrem Bruder - Piaton und Lukios, Sohn des Ision und der Tisasis, Weber vom Aphrodision in der kleinen Oase (folgendes): Piatonis, auch genannt Ophelia, hat dem Lukios ihre minderjährige Sklavin Thermouthion

über-

geben zur Erlernung des Weberhandwerks auf einen Zeitraum von vier Jahren vom ersten Tag des kommenden Monats Tybi des gegenwärtigen Jahres. Während dieses Zeitraumes ernährt und kleidet sie (d. h. Piatonis) das Mädchen und sorgt dafür, daß (das Mädchen) dem Lehrherrn täglich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zur Verfügung steht und alles ausführt, was ihr von ihm als zu dem genannten Handwerk gehörig aufgetragen wird. (Die Lohnvereinbarungen sind die folgenden): Im 1. Jahr 8 Drachmen monatlich, im zweiten Jahr 12 Drachmen monatlich, im 3. Jahr 16 Drachmen monatlich und im 4. Jahr 20 Drachmen monatlich. Dem Mädchen sollen jährlich 18 arbeitsfreie Tage für die Teilnahme an Festen gewährt werden. Falls sie aber an irgendwelchen Tagen nicht arbeitet oder krank ist, soll sie die gleiche Anzahl von Tagen bei dem Lehrherrn nach der Vertragszeit verbleiben. Die Gewerbesteuer und die A b g a b e n für die Ausbildung gehen zu Lasten des Lehrherrn [...]. Nach all' unseren Informationen erfolgte eine Ausbildung in spezialisierten Gewerben sehr oft innerhalb der Familie. Allgemein verbindliche Regeln für die Berufsausbildung gab es nicht. Da auch keine Schulpflicht bestand, sind junge Menschen schon im Kindesalter in einen Berufs- bzw. Ausbildungsprozeß einbezogen worden (vgl. PETERMANDL 1997). Bemerkenswert ist, daß

M 42

die Lebenswirklichkeit für junge Freie wie für Sklaven vergleichbar war, wie es die ζ. T. sehr neuzeitlich anmutenden Ausbildungsverträge aus dem römischen Ägypten zeigen. Wie der überwiegende Teil dieser Verträge läßt sich auch das oben aufgeführte Zeugnis dem Textilhandwerk zuordnen (vgl. H E N G S T L 1972, 83-95). Die Verpflichtungen von Vormund bzw. Eltern, Lehrherrn, was die Entlohnung, Ernährung, Steuern etc. betraf, wurden zwischen den Parteien frei vereinbart; dieses geschah wohl im ganzen Imperium zumindest in vergleichbarer Form. Faßt man den vorliegenden Vertrag „modernistisch" auf, handelt die Besitzerin des Sklavenmädchens ökonomisch richtig: Der Unterhalt des Mädchens ist durch die jährlich steigenden Monatslöhne größtenteils gedeckt. Nach der Ausbildung kann die Arbeitskraft der nun ausgebildeten Weberin gewinnorientiert eingesetzt werden (vgl. ζ. Β. P. Lug. Bat. 16/5; 186 n. Chr.: Ein Sklavenbesitzer verdingt seine Sklavin auf 1 Jahr bei einem Weber für 420 Drachmen).

M 4 2 : C I L XIII 5 1 5 4 = WALSER 1 9 8 0 II N r . 1 1 7

1./2. J h . n . C h r .

D e n unterirdischen G ö t t e r n . Für C a m i l l u s Polynices, v o n H e r k u n f t Lyder, v o m H a n d w e r k G o l d s c h m i e d , v o n der K o r p o r a t i o n der Z i m m e r l e u t e , der bei ihnen alle E h r e n ä m t e r

innehatte

[und mit A u s z e i c h n u n g e n g e e h r t w o r d e n ist], lebte 6 0 (+x) Jahre, u n d C a m i l l u s Paulus, seinen Sohn, der d e n s e l b e n Beruf a u s ü b t e u n d derselben K o r p o r a t i o n a n g e h ö r t e , der 3 3 Jahre lebte.

(Übers, nach G.

WALSER)

Die inschriftliche Uberlieferung hat wie üblich nicht die Informationsdichte der Papyri. Sie läßt aber die Berufstradition einzelner Familien besonders in hochspezialisierten und kunstgewerblichen Berufen gut erkennen. In dieser Inschrift aus Aventicum trat der Sohn ganz in die Fußstapfen seines Vaters, er folgte ihm auch in das Kollegium (vgl. M 45 u. 46), dem Camillus Polynices mit großem Engagement angehört hatte. Diese Korporationen der Zimmerleute (corpus fabrorum tignariorum) sind uns aus vielen Städten bekannt. Sie setzen sich aus Vertretern verschiedener Berufe zusammen und hatten öffentliche Funktionen - wie die Organisation des Feuerlöschwesens - inne (vgl. A U S B Ü T T E L 1982). Literatur: MANDL

1997.

BURFORD

1985, 1 0 4 - 1 0 9 .

191-197;

HENGSTL

1972;

PETER-

249

250

Material/Gewerbe

e)

Arbeitskräfte

M 43: Aretaios 3,3,6 Ein Zimmerman war in seinem Geschäft ein tüchtiger Mann. Er verstand es sehr gut, das Holz abzumessen, zu spalten, zu glätten, mit Nägeln zu befestigen, aneinanderzufügen, ein Gebäude mit viel Geschick aufzubauen, mit dem Lohnherrn zu verhandeln, einen Vertrag abzuschließen und für die Arbeiten den gerechten Lohn auszuhandeln. Befand er sich auf dem Bauplatz, war er bei vollem Verstand. Wenn er aber auf den Markt oder in das Bad oder irgendwo anders hingehen wollte, legte er sein Werkzeug weg, seufzte erst einmal und zog dann beim Fortgehen die Schultern in die Höhe. Hatte er sich nun aus dem Gesicht der Diener entfernt, von seiner Arbeit und dem Arbeitsplatz, so verfiel er in vollste Raserei. (Übers, nach A. MANN) Aretaios, ein aus Kappadokien stammender Arzt, lebte im 1. Jh. n. Chr. Diese Stelle aus seinem Werk stammt aus einer Abhandlung über die Ursachen und Kennzeichen chronischer Krankheiten. Sie illustriert exemplarisch die Tätigkeit eines freien Gewerbetreibenden im Bauhandwerk, der einen Kleinstbetrieb führt. Unsere Kenntnis der Organisation des Gewerbes in der römischen Kaiserzeit ist gering. Die übliche Produktionsform waren kleine und mittlere Betriebe auf der einen und manufakturartige Großbetriebe auf der anderen Seite. Üblicherweise wird mit Bezug auf die Zahl der Arbeitskräfte folgende Reihung vorgenommen: • • • •

1 Handwerker 1 Handwerker 1 Handwerker 1 Handwerker

+ höchsten 2 Arbeitskräfte = Kleinstbetrieb + 3 - 1 0 Arbeitskräfte = Kleinbetrieb + 1 1 - 3 0 A r b e i t s k r ä f t e Mittlerer Betrieb + 30 + X Arbeitskräfte = Großbetrieb

Neben den Angehörigen bzw. Familien aus höchsten Schichten, die vielfältig in geschäftliche Unternehmungen investierten, kennen wir die auf eigene Rechnung arbeitenden freien Kleinhandwerker, die in der epigraphischen und papyrologischen Überlieferung vielfältig präsent sind. U m einen solchen handelt es sich in der angeführten Aretaeus-Stelle. In einzelnen Handwerksbetrieben dürften abgesehen von Sklaven auch Tagelöhner beschäftigt gewesen sein (Apul. met. 9,5-6; Sen. benef. 6,17,1). Auffällig ist bei den im Gewerbe tätigen Personen auch die extreme Spezialisierung

der A r b e i t s k r ä f t e (vgl. d a z u

PETRIKOVITS

1981,

83-130).

In der Forschung ist oft ein Überangebot an Arbeitskräften dafür verantwortlich gemacht worden. Es kann aber auch überlegt werden, ob die Stan-

M 44

dardisierung vieler Arbeitsvorgänge - eine Folge hoher Spezialisierung auch ungelernte Arbeitskräfte in den Produktionsprozeß einzufügen vermochte. L i t e r a t u r : AUBERT 1 9 9 3 ; FRANK 1 9 4 0 , 1 8 5 - 2 1 7 ; HÄNDEL 1 9 8 5 a; JOSHEL 1 9 7 7 ; DIES. 1 9 9 2 ; K O L B 1 9 9 5 , 4 6 4 - 5 0 7 ; DE MARTINO 1 9 9 1 , 3 3 8 - 3 5 5 ; M O R E L 1 9 9 1 ; PETRIKOVITS 1 9 8 1 ; PRACHNER

1 9 8 0 , 1 8 8 - 2 0 2 ; DE ROBERTIS

1963;

TREGGIARI 1 9 8 0 .

f)

Technologie

M 4 4 : Im vorliegenden Beispiel La Graufesenque gestaltet sich das Bild der Terra Sigillata-Herstellung folgendermaßen: Die Produktionsstätten wurden vom Eigentümer verpachtet. Die Pächter (conductores figlìnae) führten einen Teil der Produktion selbstständig durch und verpachteten darüber hinaus an selbständige Töpfer unter oder aber an Subunternehmer. Gebrannt wurde die Ware dann an zentraler Stelle in Ofen wie dem hier abgebildeten, wobei ein solcher Ofen bei einem Brennvorgang mit ca. 30.000 Gefäßen von unterschiedlicher Form und Größe beschickt werden konnte (vgl. dazu STROBEL 1 9 8 7 , 1 0 6 - 1 0 7 ; DERS. 1 9 9 2 ) .

Man kann davon ausgehen, daß der Großteil der Gewerbe im Imperium Romanum nur zu einem sehr geringen Teil technisiert war, obwohl etwa bei der Herstellung von Töpferwaren, Glas, Textilien, der Metallverarbeitung und dem Bäckerwesen von der Existenz arbeitsteilig organisierter, manufakturähnlicher Betriebe auszugehen ist. In La Graufesenque, einem der Zentren der gallischen TS-Produktion, sind Texte gefunden worden, die Verzeichnisse der von Töpfern zum Brennen abgegebenen Gefäße beinhalten. Die höchste in einem solchen Verzeichnis genannte Zahl beträgt 30.000. Jedoch waren solche Betriebe die Ausnahme. Der Großteil der gewerblichen Produktion im Imperium Romanum wurde nicht mechanisiert. Produktionssteigerungen wurden in der Regel durch die Bereitstellung zusätzlicher Arbeitskräfte bewirkt. Die Ursachen für das geringe Interesse der Eigentümer gewerblicher Betriebe an produktionssteigernden Techniken bzw. Technologien lassen sich nur schwer ermitteln (vgl. SCHNEIDER 1992, 2 5 - 3 0 ) . L i t e r a t u r : FINLEY 1 9 8 1 ; KIECHLE 1 9 6 9 ; MANNING 1 9 9 0 ; PLEKET 1 9 7 3 ; DERS. 1 9 9 0 , 1 1 9 - 1 4 2 . 1 5 2 - 1 5 7 ; PRACHNER 1 9 8 0 ; SCHNEIDER 1 9 9 2 , 9 5 - 1 2 9 ; WHITE 1981.

251

252

Material/Gewerbe

Abb. 11: Der Töpferofen von La Graufesenque

g)

Kollegien

M 45: CIL III 14165 8 = ILS 6987

201 η. Chr.

[Claudius l?]ulianus grüßt die navicularii marini der fünf Kollegien von Arelate. Ich habe befohlen, daß das, was ich, nachdem ich Euren Beschluß gelesen habe, an [ — ] , den procurator, der Augusti geschrieben habe, unten angefügt wird. Ich wünsche, daß Ihr Euch äußerst glücklich und wohl befindet. Abschrift des Briefes Eine Abschrift des Beschlusses der fünf Kollegien der navicularii marini aus Arelate und ebenfalls dessen, was vor mir verhandelt worden ist, habe ich

M 45

unten angefügt. Und da der Streit weiter seinen Lauf nimmt - wobei auch andere die Hilfe der Gerechtigkeit erflehen und dabei in gewisser Weise drohen, von ihren Pflichten zurückzutreten, wenn das Unrecht fortdauert fordere ich darum, daß ebenso für die Unverletzlichkeit der Abrechnung (d. h. Garantie gegen finanzielle Verluste) wie für die Sicherheit der Menschen gesorgt wird, die der Getreideversorgung der Stadt dienen, und daß du befiehlst, daß mit einem Brennstab eiserne Schilder eingeprägt werden und daß für Begleiter aus Deinem Stab gesorgt wird, die in der Stadt (Rom) das Gewicht, das sie übernommen haben, angeben. Die in Beirut gefundene, auf einer Bronzetafel verfaßte Inschrift ist ein Schreiben des praefectus

annonae

Claudius Iulianus, das die Abschrift eines Briefes an

den ihn unterstellten procurator

annonae*

in Ostia enthält. Die aus der süd-

französischen Hafenstadt Arles stammenden navicularii, richtet ist, waren im Rahmen der annona

an die der Brief ge-

urbis mit dem Transport von Getreide

aus der Provinz Gallia Narbonensis nach R o m beschäftigt. Sie gliederten sich, wie wir hier sehen, in insgesamt fünf Kollegien. Besonders interessant ist hier die Drohung, ihre Tätigkeit für die Getreideversorgung einzustellen, falls das gegen sie begangene Unrecht weiter Bestand haben würde. Offensichtlich war es zu Unregelmäßigkeiten bei der Abrechung im Zuge der Lieferung des Getreides gekommen (vgl. im Detail HERZ 1988, 161). Kollegien hatten somit nicht nur soziale und religiöse Funktionen zu erfüllen, sondern durchaus auch ökonomische Interessen ihrer Mitglieder wahrzunehmen. Die corpora/collegia

naviculariorum

nahmen aufgrund ihrer Tätigkeit auf

dem sensiblen Gebiet der stadtrömischen Getreideversorgung eine eigentümliche Stellung ein. Seit Claudius wurden die Schiffseigner, die ihre Schiffe für den Transport von Getreide im Rahmen einer vertraglichen Regelung zur Verfügung stellten, privilegiert (vgl. M 8). Der Vertragspartner des Staates war hier der einzelne navicularius.

Das Kollegium dieser Berufsgruppe war

einerseits ein Verein mit allen seinen sozialen Implikationen, andererseits aber auch ein Vehikel, über das der Staat auf die ihm angehörende Person zugreifen konnte, da die Mitgliedschaft in ihm einen juristischen Sonderstatus mit sich bringen konnte. Am Ende der Entwicklung steht dann zu Beginn des 4. J h . n. Chr. der halbstaatliche Verein, der die Aufträge des Staates übernimmt (vgl. M 9 6 ) . Literatur: HERZ 1988, 1 3 6 - 1 4 7 . 1 5 1 - 1 5 5 . 1 6 0 - 1 6 2 ; DE SALVO 1992; SLRKS 1991. Dieser dürfte in Ostia mit der der technischen Abwicklung in den Häfen und der Entladung und Bezahlung der für die Annona tätigen navicularii betraut gewesen sein (vgl. HERZ 1988, 140).

253

254

Material/Gewerbe

M 46: P. Mich. 5/245

47 η. Chr.

Im 7. Jahr des Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus Imperator, am 25. Kaisareios. Die unterzeichnenden Männer, Salzhändler von Tebtynis, sind zusammengekommen und haben übereinstimmend entschieden, einen von ihnen, einen guten Mann, Apynches, Sohn des Orseus, sowohl als Aufseher als auch als Eintreiber der öffentlichen Steuern für das kommende 8. Jahr des Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus Imperator auszuwählen, wobei Apynches alle öffentlichen Abgaben für eben diesen Handel und eben dieses kommende Jahr bezahlt, und daß alle in gleicher Weise Salz in dem genannten Ort Tebtynis verkaufen werden und daß Orseus allein durch das Los das Recht erhalten hat, Gips in dem genannten Tebtynis und den umliegenden Orten zu verkaufen, wofür er abgesehen von dem Anteil an den öffentlichen Abgaben, der auf ihn fällt, weitere 66 Silberdrachmen zu bezahlen hat, und daß der genannte Orseus durch das Los Kerkesis erhalten hat, um darin allein Salz zu verkaufen, wofür er ebenfalls zusätzliche 8 Silberdrachmen zahlen wird, und daß Harmiousis alias Belies, Sohn des Harmiousis, durch das Los das alleinige Recht erhalten hat, Salz und Gips in der Ortschaft Tristomou, auch Boukolou genannt, zu verkaufen, wofür er abgesehen von seinem Anteil an den öffentlichen Abgaben weitere 5 Silberdrachmen zahlen wird unter der Bedingung, daß sie das gute Salz für 2,5 Obolen verkaufen, das der Qualität nach geringe Salz für 2 Obolen und das der Qualität nach noch geringere Salz für 1 Oboi nach unserem Maß oder dem des Staatsspeichers. Und wenn irgend jemand es für einen geringeren Preis als diesen verkaufen wird, solle er als Strafe an die Vereinigung 8 Silberdrachmen bezahlen und ebensoviel an die Staatskasse. Und wenn von irgend jemandem ruchbar wird, daß er mehr Salz an einen Kaufmann (emporos) verkauft hat, als ein Stater wert ist, soll er als Strafe 8 Silberdrachmen an die Vereinigung und dasselbe an die Staatskasse zahlen; aber wenn der Kaufmann im Sinn haben sollte, mehr als im Wert von 4 Drachmen zu kaufen, müssen es ihm alle gemeinsam verkaufen. Und wenn irgend jemand Gips einführen wird und es vorhaben wird, ihn außerhalb zu verkaufen, muß dieser (Gips) auf dem Grundstück des Orseus, Sohn des Harmiousis, gelagert werden, bis er ihn abtransportiert und ihn verkauft. Es ist eine Bedingung, daß sie regelmäßig am 25. eines jeden Monats jeder einen Chous Bier trinken [Lücke. Sinn etwa: wenn einer fern bleibt, muß er] in der Ortschaft 1 Drachme, außerhalb 4 Drachmen und in der Metropole 8 Drachmen bezahlen. Aber wenn irgend jemand in Verzug ist und es unterläßt, irgendeine öffentliche Verpflichtung zur Genüge zu erfüllen oder irgendeinen der Ansprüche, die gegen ihn gemacht werden, soll es für denselben Apynches

M 47 erlaubt sein, diesen auf der Hauptstraße oder in seinem Haus oder auf seinem Feld festzusetzen u n d ihn z u übergeben, w i e o b e n gesagt. L i t e r a t u r : BOAK 1937. D i e Verordnung der Salzhändler stammt aus T e b t y n i s im ägyptischen Gau Arsinoites. Sie beinhaltet die W a h l eines Oberhauptes der Vereinigung der Salzhändler, die v o m Staat die Erlaubnis erhalten hatten, in T e b t y n i s und den umliegenden Ortschaften Salz und Gips zu verkaufen. D a s O b e r h a u p t war für die Sammlung und Zahlung der öffentlichen A b g a b e n sowie für die D i s ziplinierung der Mitglieder zuständig. D e n Mitgliedern, die sich monatlich z u m Symposion einzufinden hatten, wurde ein fester Geschäftsbezirk zuerkannt. F ü r einzelne

Salzqualitäten

wurden Preise (offenbar Mindestpreise) festgesetzt und H ö c h s t m e n g e n , die die Mitglieder verkaufen durften. D e r T e x t zeigt sehr deutlich die ö k o n o m i s c h e F u n k t i o n der Kollegien. E s handelt sich bei dem Zusammenschluß dieser Händlern eindeutig nicht u m einen „Geselligkeitsverein". Als solche werden die in jeder Stadt existierenden Berufskollegien von Teilen der Forschung oft beschrieben (vgl. ζ. B . FINLEY 1985, 138). D i e römischen Berufsvereine dürfen aber auch nicht mit mittelalterlichen Zünften gleichgesetzt werden. Zweifellos spielten sie aber für die soziale Integration unzähliger Gewerbetreibender und Händler eine ungemein wichtige Rolle. Ö k o n o m i s c h e A m b i t i o n e n , die über Kollegieninterna (Kassen für Symposien, Hilfe der Mitglieder untereinander etc.) hinausgehen, sind mit P. M i c h . 5 / 2 4 5 augenfällig. L i t e r a t u r : AUSBÜTTEL 1982; VAN MINNEN 1987, 6 0 - 7 2 ; PLEKET 1990, 1 1 9 - 1 2 7 ; WALTZING 1895.

h) Verpachtung wirtschaftlich nutzbarer Räume M 4 7 : CIL IV 1 1 3 6 In den Besitzungen der lulia Felix, Tochter des Spurius, w e r d e n ein höchst elegantes u n d b e q u e m e s Bad*, Läden mit R ä u m e n im D a c h g e s c h o ß

und

W o h n u n g e n im O b e r g e s c h o ß von den Iden des k o m m e n d e n A u g u s t bis z u m

Zur Übersetzung dieser Passage vgl. MAIURI 1948, 1 5 4 - 1 5 9 . Diesem Werk ist auch der hier abgebildete Gebäudeplan entnommen (vgl. ebd. 155).

255

256

Material/Gewerbe 1. August des 6. Jahres für 5 Jahre vermietet. W e n n der Zeitraum von 5 Jahren abgelaufen ist, endet der Vertrag ohne Übereinkunft. D e r aus P o m p e j i stammende T e x t bietet interessante E i n b l i c k e in die Praxis der V e r m i e t u n g gewerblich nutzbarer R ä u m e , in diesem Falle von Läden. D e r G e b ä u d e k o m p l e x , auf den er sich bezieht, ist die hier abgebildete p o m p e j a n i -

Abb. 12: Pompejanische Insula II 4.2 (Praedia der Iulia Felix) D a s in dem T e x t angesprochene B a d , für dessen B e n u t z u n g der M i e t e r möglicherweise Eintrittsgeld verlangt hatte, ist auf dem G r u n d r i ß n o c h erkennbar: Eingang, ( N r . 7), Vestibül ( N r . 2 5 - 2 7 ? ) , R ä u m e für die A u f b e w a h rung und B e w a c h u n g von Kleidung und Gegenstände der B e n u t z e r ( N r . 2 8

+ 30), apodyterium

(Nr. 32), frigidarium

(Nr. 39), tepidarium (Nr. 41), calda-

rium ( N r . 4 2 - 4 3 ) . Abgesehen v o n dem B a d werden im T e x t auch Läden und W o h n u n g e n genannt, die zur Vermietung anstehen. H i e r d u r c h werden wir mit der Tatsache k o n f r o n t i e r t , daß auch nicht unvermögende Personen, zu denen Iulia Felix o h n e Zweifel zählte, nicht zögerten, Teile ihres Privathauses durch V e r m i e t u n g einer wie auch immer gearteten gewerblichen N u t z u n g zuzuführen. O f f e n s i c h t l i c h hatte sich Iulia Felix aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen Krise, die P o m p e j i nach dem E r d b e b e n im J a h r 62 n. C h r . betraf (vgl. ETIENNE 1974, 1 1 - 2 0 ; WALLACE-HADRILL 1 9 9 4 , 123), dazu entschlossen, aus einem Teil ihres recht umfänglichen Besitzes durch V e r mietung E i n k ü n f t e zu erzielen.

M 48

M 4 8 : P. TURNER 3 7

2 7 0 Η. C h r .

An Aurelios Sarapion Eusebios, Alexandriner und was er sonst an Titeln führen mag, von Aurelios Deios, Sohn des Serenos, aus dem Gymnasiumsbezirk (von Arsinoe). Ich will von dir das dir gehörige, in der Gauhauptstadt (Arsinoe) im Tameionbezirk gegenüber dem Gott Sarapammon gelegene Haus, in dem sich drei Werkstätten befinden, die zur Straße hin liegen, und zwei an den Seiten, auf drei Jahre von dem gegenwärtigen Monat Mesore ab zu einem Mietpreis von achtzig Drachmen monatlich für das ganze Haus mieten, und es wird mir auf keine Weise möglich sein, den Mietvertrag innerhalb dieser Zeit vorzeitig zu kündigen, und die Miete werde ich jeden Monat am 9. ohne Abzug abliefern, wobei notwendige bauliche Erneuerung zu deinen, des Besitzers, Lasten geht, die Unterhaltungspflicht und -sorge aber mir, dem Mieter, obliegt, und nach Ablauf der Zeit werde ich das Haus mit allen dazugehörigen Türen und Schlüsseln übergeben, und auf Befragen habe ich meine Zustimmung gegeben. (2. Hand) Ich, Aurelios Sarapion alias Eusebios, habe vermietet wie oben ausgeführt. (1. Hand) Im 2. Jahr unseres Herrn Claudius Augustus am 28. Mesore. (Übers, nach R . HÜBNER) H i e r ist die Sache komplizierter: D e r Eigentümer des Hauses, das G e g e n stand der vertraglichen Vereinbarung ist, ist Bürger von Alexandreia und darf somit einer gehobenen Bevölkerungsschicht

der Nilprovinz

zugerechnet

werden. D i e Vermietung erfolgt an einen Bürger der G a u m e t r o p o l e des Arsinoites. Gerade Bürger der Gaumetropolen traten häufig als Pächter bzw. Mieter des Eigentums von Alexandrinern auf, u m dieses ihrerseits zu verpachten oder zu vermieten. W i r dürfen deshalb davon ausgehen, daß die im T e x t genannten fünf Werkstätten v o m Mieter seinerseits

untervermietet

wurden. R e c h t instruktiv ist auch P. M i c h . 1 1 / 6 2 0 aus den Jahren 2 3 9 - 2 4 0 n. C h r . B e i diesem D o k u m e n t handelt es sich um eine längere A b r e c h n u n g eines Landgutes, zu dem zwei größere Wirtschaftsgebäude gehörten. Das Landgut war Eigentum eines gewissen Valerius Titianus, eines ehemaligen vigilum.

praefectus

In beiden Wirtschaftsgebäuden waren gewerblich nutzbare R ä u m e

vermietet (Z. 1 0 - 1 3 ; 46). Literatur:

DREXHAGE

1991a,

91-109;

AUBERT

1993;

PLEKET 1990, 124 f.; DERS. 1984; SCHLEICH 1983; DERS. 1984.

HELEN

1975;

257

4. Handel

a)

Örtlicher Handel

M 49: P. Köln 5/228

176 η. Chr.

Von Ammonas, dem Sohn des Pauseirion, und Herodes und ihren Partnern, den Aufsehern über die Steuerpacht der Marktverwaltung des Sarapeion des gegenwärtigen 16. Regierungsjahres des Aurelius Antoninus Caesar, des Herrn. Monatsübersicht über die durch Handel in die genannte Steuerpacht eingegangenen Einnahmen vom 1. bis zum 30. Einschließlich des vergangenen Monats Epeiph, wie folgt: Gurkenhändler: Turbon, vier Tage, am 1., 3., 6., 8. Hermaios, ebenso Tage Petel... Epaphr( ) , ebenso Kastor, ebenso Tage Apion, ebenso Tage macht für diese Spezies Kürbishändler: Sarap( ), ebenso Tage (Übers, nach D. HAGEDORN) Bei diesem Papyrus handelt es sich um das Fragment eines Berichtes über Einnahmen der Stadt Oxyrhynchos aus der Vermietung von Marktständen oder aus einer Platzgebühr auf dem städtischen Markt am Sarapisheiligtum, wo auch die Banken der Stadt konzentriert waren (vgl. KRÜGER 1990, 101). Nach der spezialisierten Händlerbezeichnung - hier Gurken- und Kürbishändler - folgt die namentliche Auflistung samt der Anzahl und der konkreten Datierung der Tage, an denen die Händler ihre Waren anboten. Leider ist die Stand-/Platzgebühr in diesem Text nicht überliefert; ein vergleichbarer Text aus dem Arsinoites(?) aus dem 2. oder 3. Jh. n. Chr. (P. Köln 4/195) nennt aber eine Gebühr pro Händler und Tag von 1 Oboi, was als moderat

260

Material/Handel anzusehen ist und u. U. an die entsprechende Realität in Oxyrhynchos angelehnt werden kann. Die zentrale Funktion dieses Marktes für die Stadt Oxyrhynchos mit ihren ca. 30.000 Einwohnern in römischer Zeit (vgl. KRÜGER ebd. 6 7 - 6 9 ) lehrt SB 16/12695 (2. Jh. n. Chr.). Danach konnten die Stadtbewohner hier offensichtlich alle Lebensbedürfnisse befriedigen: Lebensmittel (Getreide, verschiedene Brotsorten, Früchte, Oliven, Datteln, Gemüse, Fleisch), Wolle, Textilien, Schuhe, Holz, Gegenstände aus Zinn und Keramikprodukte usw. wurden angeboten. Händler und Marktbesucher waren offensichtlich nicht nur Bewohner der Stadt. Der nahe Nil ermöglichte eine problemlose Anfahrt wie Abfahrt auch über die Gaugrenzen hinaus. Daß in diesem bunten Treiben Prostituierte und Bordellwirte ebenfalls Gewinn suchten, nimmt nicht wunder (vgl. die ed. pr. von SB 16/12695 von J. REA 1982). Literatur: JÖRDENS 1995, 3 7 - 4 4 .

M

5 0 : NOLLÉ 1 9 8 2 , D o k . 1 , S . 1 1 - 5 8 ( Ζ . 1 - 1 9 )

u m 2 0 9 η.

Chr.

[An den Proconsul der Provinz Asia ist nachstehende Bitte herangetragen worden. Q. Caecilius Secundus Servilianus entsprach diesem Wunsch:] [...] weil ja von Dir und den Procónsules vor Dir auch schon andere Dörfer gleichfalls einen Markttag erlangt haben. Unter diesen hat auch Attukleis, das Nachbardorf, das Recht, an drei Tagen pro Monat je einen Tag lang Markt abzuhalten, und zwar am 8., 18. und 29. Tag eines jeden Monats. Von Attukleis ziehen die Händler dann zur Stadt selbst, zum hochprächtigen Magnesia, weiter. Ein Tag liegt zwischen dem Markttag in Attukleis und dem städtischen Markttag, und der Weg der Händler führt unumgänglich durch das Dorf Mandragoreis. Diese dazwischen liegenden und noch freien Tage, mein Gebieter, zwischen den Markttagen, die in Attukleis stattfinden, und den Markttagen, die in der Stadt abgehalten werden, erbitte ich als Markttage für Mandragoreis zugebilligt zu erhalten, und zwar den 9., 19. und 30. eines jeden Monats. Daraus entsteht weder der Stadt noch dem hochheiligen Fiscus ein Nachteil. Ich wünsche Dir, mein Herr, Gesundheit und Wohlfahrt. (Übers, nach J. NOLLE) Zunächst zeigt der Text, neben den anderen, die J. NOLLÉ ediert, daß die Städte bzw. die römische Verwaltung eine sinnvolle Organisation der Märkte betrieben haben. Der „Strom" der Händler konnte also in einem festen Gebiet kaufen und verkaufen. So wurden die Märkte beschickt und ein möglichst

M 51

breites Warenangebot gesichert. Die städtischen Interessen hatten natürlich Vorrang; diese waren offensichtlich nicht gefährdet. Die Marktsteuern in Magnesia flössen weiter und die Eintreibung der zusätzlichen Gebühren in Mandragoreis brachte weiteren Gewinn für den ,Fiscus' - d. h. für die zentrale Provinzialkasse der Provinz Asia (vgl. zu den Provinzialkassen ALPERS 1995, 259-307). Tausende solcher Märkte in ländlichen Gebieten sind abgehalten worden (vgl. MACMULLEN 1970; DE LIGT 1993). Unter Umständen wird man sogar von einer gewissen Unabhängigkeit des Landes von der Stadt ausgehen können. Nebenbei ist aus dem Kontext zu erkennen, daß zumindest auf Provinzebene (also beim Statthalter) jegliche Informationen über Marktrechte, Termine der Markttage, Entfernung der Märkte voneinander(P), schon erbrachte Marktgebühren etc. vorhanden waren. L i t e r a t u r : NOLLE 1982; MACMULLEN 1970; D E LIGT 1993.

M 51: CIL IV 138

t.a.q. 24. 08. 79 n. Chr.

In der Insula „Arriana Polliana" des Cn. Allius Nigidius Maius sind ab dem kommenden 1. Juli zu vermieten: Läden mit ihren Vorbauten und luxuriöse Wohnungen (cenacula: eigentlich die im oberen Stockwerk befindlichen Speisezimmer oder die oberen Stockwerke) in den oberen Stockwerken und ein Haus. Der Mietwillige soll sich mit Primus, dem Sklaven des Cn. Allius Nigidius Maius in Verbindung setzen. Neben den zentralen Märkten gab es in den Stadtbezirken Läden und Werkstätten, die den Einwohnern einen bequemen Erwerb alltäglicher Bedarfsgüter ermöglichten. Zahlreiche Bilddarstellungen - etwa aus Pompeji - vermitteln uns sehr konkrete Vorstellungen eines differenzierten Kleinhandels und Dienstleistungsgewerbes (vgl. GASSNER 1986). In manchen Stadtteilen Roms scheinen die Stände und Auslagen der Händler die Straßen für den laufenden Verkehr schwer passierbar gemacht zu haben (Mart. 7, 61). Viele Bauherren haben innerstädtische Gebäude mit anzumietenden Ladenlokalen versehen lassen (vgl. M 47), wie die hier angeführte Annonce aus Pompeji dokumentiert. Solche Sachverhalte (s.a. CIL IV 1136: Vermietung von Läden auf 5 Jahre) vermitteln uns auch die Papyri (vgl. M 48). Interessant ist vor allem P. Oxy 17/2109 (261 n. Chr.): Für eine Werkstatt in Oxyrhynchos wurde ein Pachtangebot gemacht; der Pächter hatte vor, das ergasterion in einen Krämerladen/Kneipe (kapeleion) umzufunktionieren.

261

262

Material/Handel

b) Interprovinzieller Handel M 52: CIL VI 29722

Flavisch-antoninische Zeit

Den Totengeistern geweiht. Für Gaius Sentius Regulianus, den Angehörigen des Ritterstandes, den Ölvertreiber (diffusor olearius) aus der (Provinz Hispania) Baetica, den Vorsteher (curator) ebenjener Korporation (der baetischen diffusores olearii), den in den Canabae in Lyon ansässigen Weinhändler, den Vorsteher und Patron ebenjener Korporation, den SaôneSchiffer und Patron ebenjener Korporation, den Patron der in Lyon beheimateten Seviri Augustales [...] haben Lucius Silenius Reginus [...] und Ulattia Metrodora diesen Stein errichten lassen. Durch die Herausbildung einer zahlungskräftigen Konsumentenschicht in den allerorts entstehenden oder aufblühenden Städten und die enorme Kaufkraft in den Heeresstandorten entlang der Grenzen erlangte der überregionale Warenaustausch ein bis dahin unerreichtes Niveau. Nun wurden neben Luxuswaren auch agrarische Güter, Baumaterialien, Textilien, Keramikerzeugnisse und weitere gewerbliche Produkte gehandelt. Sichtbar macht dies u. a. die Grabinschrift in Rom verstorbenen Kaufmanns Gaius Sentius Regulianus. Sie offenbart auch die besondere Bedeutung Lyons als Drehscheibe des Güterverkehrs zwischen den Nordwestprovinzen, v. a. den Militärzonen am Rhein, und dem mediterranen Raum. Regulianus war dank seiner Zugehörigkeit zum ordo equester, den daraus erwachsenden finanziellen und politischen Einflußmöglichkeiten und wegen seines Engagements in einem weitumfassenden Ol- und Weinhandel (zwischen Spanien, Gallien und Italien) als Vorsteher und/oder Patron gewiß der geeignete Interessenvertreter der angesehenen corpora (Berufsvereine) der olearii (Ölhändler) ex Baetica und vinarii (Weinhändler). Diese wickelten in ihren Sparten den Großhandel im Rhonetal und weiter nach Norden zu den Städten und Truppenlagern der Rheinprovinzen und Britanniens ab (vgl. KNEISSL 1988, 2 4 2 - 2 4 4 . 2 4 8 f . ; REMESAL RODRÍGUEZ

1983,

104f.).

Dafür spricht auch die Betätigung des Regulianus und weiterer Weinhändler (vgl. CIL XIII 1911; 1954; 2033) im Transportwesen auf der Saône. Aufschlüsse über die mitgliederstarke Vereinigung der Rhône- und Saôneschiffer und ihre Tätigkeit bieten CIL XII 3316 u. 3317 (vgl. ferner SCHLIPPSCHUH 1974, 96-99). Lyon war übrigens auch ein wichtiges Produktionszentrum von frühkaiserzeitlicher Terra Sigillata, die zur Rheinlinie transferiert wurde, und von Amphoren (vgl. JACOBSEN 1995,112-122 u. ö.).

M 53

M 53: Philostr. Ap. 4,32 Aber gibt es deiner Ansicht nach überhaupt unglückseligere Leute als Händler und Schiffseigner? Erstens reisen sie umher, halten mit Mühe und Not Ausschau nach einem Absatzmarkt für ihre Waren. Dann pflegen sie Umgang mit ihren Interessenvertretern und Kleinhändlern, kaufen und verkaufen, verpfänden ihren Kopf für ungerechte Zinsen und sind nur darauf bedacht, ihr altes Stammkapital zu verdoppeln. Wenn sich ihre Geschäfte gut abgewickelt haben, und das Schiff eine glückliche Fahrt gehabt hat, erzählen sie lang und breit, wie sie dies um keinen Preis, weder mit noch gegen ihren Willen, hätten zerstören können. Wenn aber der Gewinn die Schulden nicht aufwiegt, steigen sie in ihre Schleppboote um, lassen das richtige Schiff stranden und berauben andere auf die gottloseste Weise mit voller Absicht ihrer Habe, indem sie alles dem Schicksal zur Last legen. (Übers, nach V . Mumprecht) Neben den im Großhandel und der staatlichen Getreideversorgung tätigen Reedern und Befrachtern dominierten Kleinhändler und herumziehende Handelskapitäne (naukleroi planetoi) den Warenhandel im Mittelmeer (vgl. HOLTHEIDE 1 9 8 2 ; u n d allg. z u r Seehandelsorganisation R O U G É 1 9 6 6 , 2 2 9 - 3 1 9 ) . G e -

gen diese richtet sich der griechische Biograph Philostrat um 200 n. Chr. in einer Rede, die dem angeblichen Wunderheiligen Apollonius von Tyana in den Mund gelegt ist. Die hier bezeugte Neigung der Kapitäne und Händler, bei Geschäftsverlusten u. U. das eigene oder befrachtete Schiff zu versenken, findet im Institut der Seedarlehen (faenus nauticum; pecunia traiecticia) eine Erklärung (vgl. zum Vertragsformular Dig. 45,1,122,1; allg. ROUGÉ ebd. 345-360). Die auf das Ende des Geschäftsjahres terminierte Rückerstattung der vor der Handelssaison aufgenommenen Darlehenssummen (vgl. dazu PEKÁRY 1979, 137) mitsamt den vereinbarten Zinszuschlägen (zw. 1 0 - 3 3 % ! ) wurde bei unverschuldetem Verlust von Schiff und/oder Ladung hinfällig. Auf den allgemeinen Aufschwung des Seeverkehrs im 1. und 2. Jh. n. Chr. verweisen übrigens nicht nur die antiken Autoren (Plin. nat. 2,118; Suet. Aug. 98,2; Strab. 3,2,5; Aristeid. or. 26, 10-13). Aufschlußreich sind durch ihre Häufigkeit auch die bisher aufgefundenen Handelsschiffswracks aus dieser Zeit (vgl. PARKER 1992, bes. 8 - 1 9 mit Fig. 3 - 7 ) , ferner großzügige Hafenausbauten (z. B. in Ostia, Puteoli, Centumcellae, Leptis Magna, Caesarea in P a l ä s t i n a ; vgl. L E H M A N N - H A R T L E B E N 1 9 2 3 ; BLACKMAN 1 9 8 2 ) u n d a r c h ä o -

logische Dokumente wie etwa der Platz der Korporationen in Ostia mit den Niederlassungen zahlreicher Schiffseigner- und Händlerverbände aus fast allen M i t t e l m e e r r e g i o n e n (vgl. MEIGGS 1 9 7 3 , 3 1 1 - 3 1 6 ; HABERMANN

1982;

POHL 1978). L i t e r a t u r : D E MARTINO 1991, 3 5 6 - 3 7 6 ; DUNCAN-JONES 1990; SEY u . a .

1 9 8 3 ; JACOBSEN 1 9 9 5 ; H O L T H E I D E

1 9 8 2 ; KNEISSL 1 9 8 8 ;

GARNMAR-

263

264

Material/Handel TIN-KILCHER

1994 a; DIES.

1994 b; PARKER

1992;

PEACOCK/WILLIAMS

1986; PLEKET 1984; REMESAL RODRÍGUEZ 1983; RLCKMAN 1980a; ROUGÉ 1966.

c)

Außen- und Fernhandel

M 54: AE 1978, Nr. 635

1. Jh. n. Chr.

Quintus Atilius, Sohn des Spurius, aus der Tribus Voturia, Primus, Dolmetscher der XV. Legion, derselbe Centurio, Händler, 80 Jahre alt, ist hier begraben. Die Erben Quintus Atilius Cogitatus, Atilia, Freigelassene des Quintus, Fausta und Martialis haben (den Grabstein) aufgestellt. Die 1976 in Matka Bozia in der heutigen Slowakei auf dem linken Donauufer gefundene und 1978 von T. KOLNIK publizierte Inschrift ist ein wichtiges Zeugnis für den Handel zwischen der Germania libera (das heutige Mitteleuropa, Ostmitteleuropa und Skandinavien) und dem Imperium Romanum. Offensichtlich war der verstorbene Soldat Q . Atilius Primus während seiner aktiven Dienstzeit in dieser Legion in seiner Eigenschaft als Dolmetscher mit der Überwachung der Kontakte zwischen der römischen Provinz und dem Barbaricum beschäftigt. Nach seiner Dienstzeit nutzte er seine Kenntnisse, um sich auf dem Gebiet des Handels mit der Germania libera zu betätigen. D e r Handel im Vorfeld der Grenze entlang dem Rhein und der Donau, die auch nach Schaffung der Limesbefestigungen nicht hermetisch abgeschlossen war, dürfte hauptsächlich anläßlich des Besuches germanischer (Produzenten-) Händler auf römischen Märkten nahe der Grenze vonstatten gegangen sein. Dieser war an der Donaugrenze die Regel und dürfte auch an der Rheingrenze nicht unüblich gewesen sein (Tac. Germ. 5,3; 17,1; 23; 41,1; Tac. hist. 4,63,2; 64,1; 65,3; Cass. Dio 72,11,3; 72,15,1; 72,16,1; 72,19). Besonders bemerkenswert in dieser Hinsicht ist ein in den heutigen Niederlanden gefundener Kaufvertrag über ein Rind, der zwischen einem Römer und einem Friesen geschlossen wurde und mit der Versorgung des Militärs in den germanischen Provinzen in Zusammenhang steht ( B R G K 17,1927, Nr. 372).

M 55: SB 18/13167 (verso) Kol. II

2. Jh. n. Chr.

[Auszug aus den Notizen eines im Indienhandel tätigen Kaufmanns. Vorher werden einzelne Warenposten genannt, die zu verzollen waren] Das macht von den Stoffballen 8 Talente 5882 Drachmen 3 Obolen. Das macht vom Preis des Elfenbeins 76 Talente 5675 Drachmen. Das macht von

M 56 den sechs Frachtteilen, die im Schiff des Hermapollon transportiert worden sind, als Ladegut an Silber 1154 Talente 2852 Drachmen. D a s 1985 v o n P . J. SIJPESTEIJN u n d H . HARRAUER v e r ö f f e n t l i c h t e D o k u m e n t

wirft ein helles Licht auf den Handel zwischen dem Imperium Romanum u n d I n d i e n (vgl. d a z u a u c h CASSON 1986 b; THÜR 1987; DERS. 1988). D a s

Recto des Dokumentes beinhaltet einen im indischen Muziris geschlossenen Darlehensvertrag, der den Weg schildert, den die Waren von Indien bis hin nach Alexandreia nahmen. Von dort erfolgte die weitere Distribution in das Römische Reich. Das hier auszugsweise vorgestellte Verso der Urkunde hat die Auflistung von Waren zum Inhalt, die in Alexandria verzollt werden mußten. Es handelt sich jedoch nicht um ein offizielles Zolldokument, sondern um private Notizen des Kaufmannes. Der Wert der genannten Güter aus Indien betrug also 1.154 Talente 2.852 Drachmen (= 6.926.852 Drachmen!). Hiervon hätten ungefähr 30.600 Individuen ein Jahr lang existieren können (vgl. zu den Lebenshaltungskosten DREXHAGE 1991a, 453). Dieser Vergleich zeigt eindringlich, welche Dimensionen der Handel zwischen dem Imperium Romanum und Indien hatte. Daher scheint auch die Aussage des älteren Plinius, jährlich flössen 50.000.000 HS nach Indien ab (Plin. nat. 6,101), glaubhaft. Man darf also von einem bemerkenswerten Volumen des Ost- und Südhandels sprechen (s. a. S. 136-138). L i t e r a t u r : BEGLEY/DE PUMA 1991; BERGHAUS 1989; BERKE 1988; DERS. 1990; BOWERSOCK 1983; CASSON 1984a; DERS. 1989; CHANTRAINE DIHLE

1978; DERS.

1992; DERS.

1998, 2 5 - 3 2 ;

DLTTRICH

1987;

1985; DREX-

HAGE, R . 1988; EGGERS 1951; FUNKE 1989, 2. 1 2 - 1 4 ; GODLOWSKI 1985; GRÜNERT 1976; KORTENBEUTEL 1931; K U N O W 1983; DERS. 1985 b; DERS. 1986; DERS. 1989; L U N D HANSEN 1987; MAREK 1993, 1 2 5 - 1 3 8 ; MILLER 1969; PETRIKOVITS 1985; RASCHKE 1978; RATHBONE 1983; DE ROMANIS 1996; ROSTOWZEW

1908; SCHMID 1985; SLDEBOTHAM 1986; DERS. 1996;

STUPPERICH 1988; TAUSEND 1987; TEIXIDOR 1984; TURNER 1989; T U R N E R / CRIBB 1996; WARMINGTON 1974; WLELOWIEJSKI 1984; WOLTERS 1990; DERS.

1991.

d)

Transport

M 56: Tac. a n n . 13, 5 3 Paulinus Pompeius und L. Vetus befehligten zu dieser Zeit (56/58 n. Chr.) das (am Niederrhein bzw. Oberrhein stationierte Grenz-)Heer. Um aber die Soldaten (wegen des anhaltenden Friedens) nicht träge werden zu lassen [...]

265

266

Material/Handel (traf) Vetus [...] Vorkehrungen, Mosel und Saône durch den Bau eines Kanals zwischen beiden miteinander zu verbinden, damit die Waren, die über das Meer und dann durch Rhône und Saône hinaufbefördert wurden, auf diesem Kanal und dann über die Mosel zum Rhein und von da zum Ozean hinabgelangen könnten und unter Umgehung der Schwierigkeiten auf dem Landweg ein Schiffsverkehr zwischen der westlichen und der nördlichen Küste (d. h. vom Mittelmeer zur Nordsee) möglich würde. Aelius Gracilis, der

Legat der (an der rheinischen Militärzone angrenzenden Provinz) Belgica

betrachtete das Werk eifersüchtig; um Vetus davon abzuhalten, Legionen in eine fremde Provinz zu führen und in Gallien Zuneigung zu gewinnen, behauptete er immer wieder, das sei dem Kaiser suspekt, wodurch sehr häufig ehrenwerte Versuche

scheiterte).

unterbunden werden (und

das

Projekt

(Übers, nach

K.-W.

letztlich WELWEI)

Zwei Faktoren begünstigten sicher den Aufschwung des Handels und Güterverkehrs: 1) das durch stetige Winde und gutes Wetter (im Sommer!) sehr verkehrsfreundliche Mittelmeer und 2) die durch die enormen Streckenleistungen der Schiffe und ihre hohen Ladekapazitäten erreichten niedrigen Kosten des See- und Flußtransports (s. o. S. 141-145). Daher lagen fast alle großen Metropolen des Reiches an oder in der Nähe des Meeres, oder sie waren über größere Flüsse und Kanäle mit ihm verbunden. Im vorliegenden Text aus dem 13. Buch der Annalen des römischen Historikers Tacitus (ca. 55-116/20 n. Chr.) werden die Vorteile des Schiffsverkehrs (gegenüber dem - durch den massiven Ausbau des Straßennetzes - vom Volumen her ebenfalls stark zunehmenden Landtransport; vgl. H A R R I S (1993 b, 27 f.) deutlich herausgestellt. Die darin angesprochenen „Schwierigkeiten auf dem Landweg" ergaben sich auf einer ca. 30 km langen Strecke zwischen den Oberläufen von Saône und Mosel (vgl. E C K O L D T 1981; zu den Verfahrensweisen der antiken Binnenschiffahrt vgl. H Ö C K M A N N 1985, 136-143; R O U G É 1988, 87-93). Für römerzeitliche Nil- und Rheinkähne sind durch Papyri oder Wrackfunde Tragfähigkeiten von 4.000 Artaben (rd. 100 t) bzw. 35-105/110 t bezeugt ( P O L L 1996; D E W E E R D 1988, 209f.; D E R S . 1993, 429). Eine Ubersicht über die nicht geringe Anzahl weiterer - wenn auch oft gescheiterter - kaiserzeitlicher Kanalprojekte bietet P E T R I K O V I T S 1984, 217. 220 f. Von wesentlicher Bedeutung waren die Leistungen des Militärs beim Aufbau der Verkehrsinfrastruktur; vgl. B E N D E R 1989, 108-120; K L S S E L 1995, 8 f.)

M 5 7 : Plin. n a t . 1 9 , 4 f . Was gibt es für ein größeres Wunder als eine Pflanze (i. e. den Flachs, aus dem Leinensegel gefertigt werden), die Ägypten so nahe an Italien heran-

M 58 rückt, daß (der unter Tiberius amtierende Präfekt von Ägypten) Galerius von der Sizilischen Meerenge in sieben Tagen, (T. Claudius) Balbillus, ebenfalls ein Statthalter (noch unter Nero), in sechs nach Alexandrien gelangte, im anschließenden Sommer aber Valerius Marianus, einer aus dem Kreis der Senatoren prätorischen Ranges die Strecke von Puteoli aus trotz äußerst schwachen Windes in neun Tagen schaffte? Daß es eine Pflanze gibt, die Gades (Cádiz) [...] auf eine Distanz von sieben Tagen an Ostia heranrückt, das diesseitige Spanien auf eine von vier Tagen, die narbonensische Provinz auf drei und Afrika auf zwei Tage, wie es C. Flavius, dem Legaten des Prokonsuls (von Afrika) Vibius Crispus (kurz nach 70 n. Chr.) sogar bei schwächstem Wind gelang? [...] Man sät etwas, um Wind und Stürme einzufangen, und es genügt (heute) nicht, allein mit der Strömung zu fahren; ja auch Segel, größer als die Schiffe, genügen nicht, und obgleich man für die großen Segelstangen ganze Bäume braucht, fügt man über die Segel noch weitere Segel hinzu, weitere noch am Bug und am Heck. [...] (Übers, nach R. KÖNIG) Plinius d. A. bezieht sich auf Rekordfahrten bei günstigen Winden; sonst scheinen Segelschiffe statt der erreichbaren 4 - 6 Knoten (etwa 7 , 4 - 1 1 km/h) im Schnitt nur halb so schnell oder noch langsamer gewesen zu sein (vgl. CASSON 1986a, 282-291). Mit den Fortschritten in der Segeltechnik sind die Einführung eines Marssegels (über dem mittschiffs plazierten Rahsegel), des Klüvers (am Bug) und Briggsegels (am Heck) gemeint (vgl. ebd. 2 3 9 - 4 5 ) . Gegenüber den genannten Streckenleistungen (täglich ca. 2 0 0 - 2 5 0 km) ist bei der Treidelfahrt (flußaufwärts) mit Distanzen von ca. 10 km/Tag (JOHNSTONE 1980, 168) zu rechnen, bei stromaufwärts gerichteten Nilfahrten (mit Windunterstützung!) mit ca. 40 km/Tag (Plin. nat. 6,102). Der mediterrane Seeverkehr blieb aber wetterbedingt auf die Zeit zwischen März und N o v e m b e r konzentriert (vgl. Veg. mil. 4, 39; ROUGÉ 1952; zu Ausnahmefällen M 8).

M 58: Dig. 50,5,3 (Scaevola) Denen, die Seeschiffe von nicht weniger als 50.000 modii (ca. 340 t) oder mehrere Schiffe von je nicht weniger als 10.000 modii (ca. 68 t) gebaut und für die Lebensmittelversorgung des römischen Volkes zur Verfügung gestellt haben, wird, solange wie diese Schiffe oder andere an ihrer Stelle fahren, die Befreiung von (sonst zu verrichtenden) Dienstleistungen für die Öffentlichkeit gewährt. Die in den Digesten festgehaltene Rechtsentscheidung des Juristen Cervidius Scaevola (um 170 n. Chr.) beinhaltet die Privilegierung der f ü r die annona

267

268

Material/Handel tätigen Schiffseigner. Sie liefert wichtige Informationen zu den Ladekapazitäten der mittelmeerischen Seefrachtschiffe. Daß die genannten Werte nicht über das normale Maß hinausgehen, bestätigen Wrackuntersuchungen (vgl. CASSON 1986a, 172 Anm. 25, 2 1 4 - 2 1 6 u. POMEY/TCHERNIA 1978 die antike Wracks mit Tragfähigkeiten von 100-450 t aufführen). Literatur: BENDER 1989; CASSON 1986 a; ECKOLDT 1980; DERS. GELSDORF 1994; HARRIS 1993 a; HÖCKMANN 1985; HUMPHREY 409-511; JOHNSTONE 1980; PETRIKOVITS 1984; POLFER 1991; POLL POMEY/TCHERNIA 1978; ROUGE 1952; DERS. 1966; DE WEERD 208-210; DERS. 1993.

e)

1981; 1998, 1996; 1988,

Zölle

M 59: AE 1989, Nr. 334 Dem unbesiegten [Gott Mithras] | Bassus [Haussklave unseres Kaisers] | Patroullienbediensteter der quadragesima Galliarum an der Station Augusta | Pra[etoria gab es zum Geschenk], Die aus dem heutigen in Nordwest-Italien liegenden Aosta (Augusta Praetoria) stammende Inschrift bezeugt die Existenz einer Zollstation der quadragesima Galliarum (2,5%iger Zoll auf die Einführung von Waren in die gallischen Provinzen) auf italischem Gebiet. Von Augusta Praetoria führten zwei wichtige Straßen in Richtung Gallien und Germanien. Dies zeigt, daß Zollstationen vor allem nach geographischen und daraus resultierenden verkehrstechnischen Gesichtspunkten angelegt wurden, m. a. W. dort, w o durch Straßenverlauf und natürliche Voraussetzungen ein reger Verkehr gegeben war. Aufmerksamkeit verdient die Tätigkeitsbezeichnung der Person, die die Inschrift setzte: circitor. Es dürfte sich u m jemanden handeln, der an dieser Station eine Art Patroulliendienst versah, was zur Vermeidung von Schmuggel geschah (vgl. die adnotatio zur Inschrift; RUGGIERO, Diz. Ep. II 1, s. v., 239). Der Schmuggel war an den Zollgrenzen im Reich nicht ungewöhnlich, wie die folgende Deklamation Ps. Quintilians zeigt. Literatur: WALSER 1994

M 60: Ps. Quint, deci. 359 Abgesehen von den Ausrüstungsgegenständen für die Reise gebühren alle Dinge dem Zöllner als 2,5%iger Zoll. Dem Zöllner ist es erlaubt, eine

M 60

Durchsuchung durchzuführen. Was einer nicht deklariert hat, soll er verlieren. Es soll nicht erlaubt sein, eine Matrone zu berühren. Als eine Matrone auf der Reise zu einem Zöllner kam, verbarg sie 400 Perlen, die sie dabei hatte, in ihrem Gewand. Als der Zöllner nach diesen suchte, gab ihm die Matrone die Möglichkeit, sie zu durchsuchen. Der Zöllner wollte nicht durchsuchen. Er beschlagnahmte die geschmuggelten (Perlen) und bezeichnete sie als die seinen. Der Redelehrer Marcus Fabius Quintiiianus lebte von ca. 35 n. Chr. bis gegen Ende des 1. Jh. n. Chr. Unter seinem Namen sind zwei Sammlungen von Schulreden ( d e c l a m a t i o n e s ) überliefert; die kleinere Sammlung enthält 19 umfangreiche Reden, wohingegen sich in der größeren Sammlung 145 von einst 388 Skizzen zu Schulreden finden. In dieser Sammlung folgen auf eine Themenstellung Anweisungen, wie der Fall zu behandeln ist bzw. welche Punkte in einer Rede aufgegriffen werden müssen. Darauf folgt dann in einigen Fällen die eigentliche Rede. Die hier angeführte Stelle ist eine solche Themenstellung, bei der es um einen Fall von Schmuggel geht. Die juristische Relevanz des Falles liegt vor allem in der Frage nach dem, was als unverzichtbare Reiseausrüstung zu gelten hatte; jene mußte beim Uberschreiten einer Zollgrenze zwar deklariert, jedoch nicht verzollt werden. Von juristischer Bedeutung in diesem Fall ist ferner, daß es sich bei der Schmugglerin um eine Matrone handelt, deren Tat der Zöllner offensichtlich aufdeckte. Zur allgemeinen Organisation des Zollwesens s. o. S. 1 4 5 - 1 4 7 . Literatur: BEYER-FUSCO 2000; DREXHAGE 1982; DERS. 1994 a; DE LAET 1949; HABERMANN 1989; DERS. 1990; KUDLIEN 2000; SIJPESTEIJN 1987; VLTTINGHOFF 1953.

269

5. Banken und Dienstleistungen

M 61: Dion Chrys. or. 31,54 Ihr wißt ja wohl, daß die Ephesier große Summen Geldes in ihrer Stadt bergen. Es wird im Artemistempel aufgehoben. Zum Teil gehört es einzelnen Bürgern, aber nicht nur Ephesern, sondern auch Fremden und Leuten aus aller Welt, zum Teil Völkern und Königen, und alle lassen es dort aufbewahren um der Sicherheit willen. (Übers, nach W. ELLIGER) Uber Jahrhunderte fungierte der Artemistempel in Ephesos als Depositarbank. Wir können davon ausgehen, daß mit diesen Geldern auch Geschäfte betrieben worden sind (vgl. BoGAERT 1968, 2 4 5 - 2 5 4 ) . Der Reichtum und die Pracht des Artemisions (beides geradezu sagenhaft: s. ζ. B. Paus. 7,5,4) gründete sich in großem Stil auf weitere Einnahmequellen. Nach Ulpian konnte die Diana Ephesia in Testamenten als Erbe eingesetzt werden ( F I R A II 285); umfangreiche Ländereien waren im Besitz der Artemis, wie Grenzsteine des Tempellandes dokumentieren. Hinzu kamen Einkünfte aus Steinbrüchen, Salinen und so weiter (vgl. DREXHAGE 1981, 1 9 - 2 1 ) . Zudem profitierten das Artemision und auch ein großer Teil der Bevölkerung von Ephesus von den Pilgerströmen, die aus aller Welt kommend der Göttin huldigen wollten (vgl. etwa die tumultartige Reaktion der Silberschmiede von Ephesus auf den missionarischen Eifer des Paulus: Apg 1 9 , 2 3 - 4 0 ) . Eine zusammenfassende Darstellung des Themenbereichs „Antikes Religionswesen und Wirtschaft" steht nach wie vor aus; unstrittig ist aber die Verquickung von antiken Kultbetrieben und umgebender Wirtschaft (vgl. DREXHAGE ebd. 2 1 - 2 6 ) . Literatur: BOGAERT 1968; DREXHAGE 1981.

272

Material/Banken und Dienstleistungen

M 62: CIL VI 9183 = ILS 7501

zw. 59-120 n. Chr.*

Für Lucius Calpurnius Daphnus, Bankier des großen Fleischmarktes, haben Tiberius Claudius Apelles, Freigelassener des Augustus, und Asconia Quarta (das Grabmal) für ihren allerliebsten Freund errichtet. Die aus R o m stammende Inschrift eines Bankiers (argentarius) dokumentiert einen der Tätigkeitsbereiche, denen man im antiken Bankgeschäft nachging. Die auf dem Stein zusätzlich zur Inschrift dargestellte Szene zeigt den Bankier Daphnus bei einer Fischversteigerung, w o er mit einiger Wahrscheinlichkeit als Geldverleiher an Großhändler tätig war.

M 63: P. Brem. 47

118 η. Chr.

Ν . Ν . grüßt den [Bankier] Ep[agathos], Zahle an Phibis und Ν . N . , Sohn des Dioskoros, und Ν . N . , die drei Eseltreiber, die die Spreu für die Heizräume der Bäder am Gymnasium transportieren und das übrige gemäß ihres Lohnvertrages tun, wie sie auch zu anderen Zeiten schon durch Scheck angewiesen wurden, als Lohn für den Monat Hathyr, für dieses und ihre Esel, vierundsechzig Drachmen, macht 64 Dr., und nimm ihre Quittung entgegen. Im 3. Jahr des Imperator CaesarTraianus Hadrianus Augustus am 10. Hathyr... (Übers, nach U. WlLCKEN) Abgesehen von den Texten aus den vom Vesuvausbruch 79 n. Chr. verschütteten Städten Pompeji und Herculaneum (s. o. S. 153 f.), dokumentieren vor allem die Papyri aus dem römischen Ägypten Interna des antiken Bankwesens. Der hier aufgeführte Text, der wahrscheinlich aus dem in Mittelägypten liegenden Hermupolis, dem heutigen al-Asmunein, stammt, zeigt exemplarisch, wie man die Auszahlung von einem Konto mittels „Scheck" handhabte. Literatur: ANDREAU 1974; DERS. 1987; DERS. 1997c; BOGAERT 1995; GROSCHLER 1997; KOLB 1995, 506F.; TENGER 1993.

M 6 4 : P.

Corn.

9 = HENGSTL

Nr.

94

206 η.

Chr.

An Isidora, Kastagnettentänzerin, von Artemisia, aus dem Dorf Philadelpheia. Ich will dich mit zwei anderen Kastagnettentänzerinnen bei mir für 6 Tage ab dem 24. Pauni alter Zeitrechnung engagieren, wobei ihr als Bezahlung täglich Vgl. zur Datierung der Inschrift ANDREAU 1987, 287

M 66 36 Drachmen empfangt und für alle Tage 4 Artaben Gerste und 20 Paar Brote erhaltet. Was auch immer ihr an Kleidung und Goldschmuck mitbringt, werden wir bewachen, wir werden Euch, wenn ihr herabkommt, zwei Esel geben, und, wenn ihr zurückkehrt, dieselben. Im 14. Jahr des Lucius Septimius Severus Pius Pertinax und des Marcus Aurelius Antoninus Pius Augustus und des Publius Septimius Geta Caesar Augustus, am 16. Pauni. (Übers, nach

J.

HENGSTL)

Das D o k u m e n t stammt aus Philadelpheia, einem Dorf im Arsinoites. Es zeigt, wie aufwendig auch private Festlichkeiten begangen wurden. Gleichzeitig gewinnen wir Einblick in die entsprechenden Verdienstmöglichkeiten. Jede Tänzerin bekam also durchschnittlich 12 Drachmen p r o Tag, ca. 1 Paar Brote und über 6 Liter Gerste; im Vergleich handelt es sich u m eine recht hohe Bezahlung (vgl. M 76).

M

65:

P.

Brem. 46 =

HENGSTL

Nr. 153

110 n. Chr.

Mnesitheos, Sohn des Mnesitheos, grüßt Epagathos, den Halter der Bank [...]. Zahle Licinius, Sohn des Dr[...], dem Redner, das ihm Zustehende für die Reden, mit denen Aurelios [...] am 12. Phaophi im Gymnasion im großen Serapeion geehrt wurde, 400 Silberdrachmen, macht 400 Drachmen. Im 14. Jahr des Imperator Caesar Nerva Traianus Augustus Germanicus Dacicus, am 23. Phaophi. [Es folgt die Bestätigung des Licinius, daß er das Geld empfangen hat.] (Übers, n a c h j . HENGSTL) Das aus Hermupolis in Mittelägypten stammende D o k u m e n t bietet einen interessanten Beleg f ü r eine weitere Art von Dienstleistung, nämlich das Halten von Festreden durch einen berufsmäßigen Redner. Das f ü r diesen festgelegte Salär von 400 Drachmen erscheint recht hoch und dem Grad seiner Ausbildung angemessen (s. o. S. 158). Immerhin ließ sich dafür bei Zugrundelegung der damaligen Marktpreise ( s . o . S. 178-180) über zwei Jahre hinweg der Bedarf an Getreide decken.

M 66: Lukian. dial, meretr. 6 Denn auf andere Weise (als mit Prostitution) können wir mit dem Leben nicht fertig werden, liebe Tochter. Weißt du nicht, wie kümmerlich wir uns die zwei Jahre, seit dein seliger Vater tot ist, haben durchschlagen müssen? Als er noch lebte, da hatten wir von allem zur Genüge. Er war ja Kupferschmied und

273

274

Material/Banken und Dienstleistungen stand groß da im Piräus und noch jetzt kannst du alle Leute schwören hören „nach Philinos gibt es keinen anderen (d. h. gleichrangigen) Kupferschmied mehr". Nach seinem Tod verkaufte ich zunächst seine Zangen und den Amboß und seinen Hammer für 2 Minen und davon lebten wir für die nächsten sieben Monate. Dann webte ich, krempelte Wolle oder spann und verdiente uns mühselig das tägliche Brot. Obwohl Lukian (ca. 120-180 n. Chr.) nicht in jedem Detail seiner Hetärengespräche zu folgen ist, sind seine atmosphärischen Schilderungen und Dialoge doch als realitätsnah anzusehen. Im vorliegenden Text schildert eine Mutter ihrer Tochter, die vor einer Laufbahn als Prostituierte steht, nochmals die vorherige Lebenssituation. Der verstorbene Philinos wird als ungemein versierter, und wohl auch gut verdienender Kupferschmied beschrieben. Seine Witwe verkaufte nach dessen Hinscheiden seine Werkzeuge für 200 Drachmen (= 2 Minen), von denen sie samt Tochter sieben Monate leben mußte. Beide hatten also im Schnitt etwas mehr als 28 Drachmen pro Monat (= 168 Obolen) für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung, was sich im Vergleich mit anderen Angaben bei Lukian zumindest an der Grenze des Existenzminimums bewegte (vgl. M 75; zur ökonomischen Situation von Witwen und Waisen KRAUSE 1994 b). Nach Aufzehrung dieser Mittel versuchte die Witwe vergeblich, sich und ihre Tochter mit Spinnen und Weberarbeiten ehrbar dem völligen Ruin zu entziehen. Diese Arbeiten werden oft als „Hungerberuf" bezeichnet (z.B. Anth. Gr. 6,47 u. 48 u. 283-285). Die Not zwang nun die Mutter, ihrer Tochter die einträglichere Prostitution anzuraten (s. o. S. 157f.). Literatur: BAGNALL 1991; CRIBIORE 1996; DREXHAGE 1991A, 440-454; GARDNER 1995, 243-257; HENGSTL 1972, 4 5 - 5 1 . 6 1 - 6 9 ; KLOFT 1984; KOLB 1995, 465-496. 577-587; KuDLIEN 1986; KUNKEL 1952; PERPILLOUTHOMAS 1993; DIES. 1995; STUMPP 1998.

6.

Lebensstandard

a)

Reichtum

M 6 7 : PEEK,

Grabgedichte, Nr.

247

Herodes aus Marathon, des Attikos Sohn, dem dies alles gehört, ruht in diesem Grabe; allerorten wird sein Name genannt. Diese bescheidene Grabinschrift wurde von der Stadt Athen einem der reichsten, wenn nicht dem reichsten Mann im Imperium Romanum gesetzt. Der Verstorbene war L. Vibullus Hipparchus Ti. Claudius Atticus Herodes (= Herodes Atticus), Sophist und Milliardär, geb. 101/103 n. Chr., 143 n. Chr. consul Ordinarius, befreundet mit den Kaisern Mark Aurel und L. Verus, gest. 177 n. Chr. Sein Besitz umfaßte Paläste und Villen in Rom, Italien und Athen und Grundbesitz in Attika, Sparta und auf einigen Inseln (vgl. GRAINDOR 1930, 115 Anm. 1; AMELING 1983, 163 f.; TOBIN 1997, passim). Seine Bautätigkeit und seine Stiftungen in Geld waren schon zu seinen Lebzeiten berühmt; Kleinasien, Italien, Athen, auch Olympia, Delphi und Korinth kamen in den Genuß seiner Großzügigkeit. An mindestens 12.000 ärmere Bürger Athens ließ er einmal je 5 Minen (= 500 Drachmen) auszahlen (zur Zahl der Empfänger vgl. AMELING 1983, 63 f.), die allerdings mit den Schulden, die viele (?) Athener bei ihm oder seiner Famile hatten, verrechnet wurden (vgl. ebd. 67). Sophisten gewährte er großzügige Zuwendungen: dem M. Antonius Polemo 250.000 Drachmen, dem Alexander Peloplaton 120.000 Drachmen in Gold und eine weitere Summe in Silber, Packtieren und Sklaven. Grundstock seines Reichtums waren das Erbe seines Vaters und weitere Hinterlassenschaften. Der Export von Agrarprodukten, teilweise Ausbeutung der Steinbrüche im Gebiet des Pelikon und Bankgeschäfte mehrten seinen außergewöhnlichen Reichtum. In seinen letzten Lebensjahren bezog er zudem jährlich 10.000 Drachmen für seine Lehrtätigkeit als Rhetor in Athen, was im Vergleich zu seinen anderen Einkünften kaum ins Gewicht fällt (vgl. MRATSCHEK-HALFMANN 1 9 9 3 , N r . 3 3 0 , z u m V e r m ö g e n e b d . N r . 3 0 8 ) . Literatur:

AMELING 1 9 8 3 ; G R A I N D O R

1993; TOBIN 1997.

1930;

MRATSCHEK-HALFMANN

276

Material/Lebensstandard

M 68: Apuleius apol. 87,1 Of. Wir hatten es so beschlossen, lieber auf dem Landgut vor der Stadt die Heirat stattfinden zu lassen, damit die Mitbürger nicht aufs neue herbeiströmten, um Geschenke zu erhalten - Pudentilla hatte eben erst aus ihrem Vermögen 50.000 HS für das Volk ausgegeben an dem Tage, da Pontianus heiratete und dieser Knabe in die Männertoga gehüllt wurde - , außerdem auch, um den vielen Schmausereien und Belästigungen zu entgehen, die in der Regel junge Eheleute nach dem Herkommen über sich ergehen lassen müssen.

Apuleius apol. 101,4-8 Auch den folgenden Vorwurf, der mir fälschlich gemacht ist, will ich, um gar nichts zu übergehen, noch widerlegen, bevor ich schließe. Ihr habt behauptet, ich hätte für teures Geld, das meiner Frau gehört, ein sehr schönens Gut auf meinen Namen gekauft. Ich dagegen behaupte, ein winziges Gütchen ist für 60.000 HS gekauft worden, auch das nicht von mir, sondern von Pudentilla in ihrem Namen. Pudentlllas Name steht Im Vertrag, In Pudentillas Namen wird für das kleine Feld die Steuer entrichtet. Hier ist der Finanzbeamte zugegen, an den sie entrichtet ist, der hochangesehene Corvinius Celer; es Ist auch der Vertreter und Verwalter meiner Frau anwesend, der würdige, unantastbare, mit allen Ehren von mir zu nennende Cassius Longinus. Frag ihn, Maximus, welchen Kauf er getätigt hat, welches Spottgeld die reiche Frau verwandt hat, um dafür das kleine Grundstück für sich zu erwerben. [Zeugenaussage des Verwalters Cassius Longinus und des Finanzbeamten Corvinius Clemens.] Ist es so, wie ich gesagt habe? Ist irgendwo in diesem Kaufvertrag mein Name eingetragen? Ist etwa die Summe für das Gütchen selber beneidenswert hoch, ist etwa wenigstens dieser Betrag mir zugewandt? (Übers, nach

R.

HELM)

Die Struktur größerer Vermögen vieler römischer Bürger in den Provinzen unterschied sich grundsätzlich nicht von denen reicher Senatoren. W e n n Angehörige dieser ö k o n o m i s c h e n „Schicht" auch als Literaten tätig waren, besitzen wir recht genaue Informationen, wie anhand dieser beiden Texte zu sehen ist. Apuleius, geb. ca. 125 n. C h r . in Madauros im heutigen Algerien, w a r schon zu seinen Lebzeiten als R h e t o r u n d Literat berühmt; noch zu seinen Lebzeiten w u r d e er mit Statuen geehrt (Apul. flor. 16,36 ff.). Ü b e r seine E i n k ü n f t e aus literarischer u n d rhetorischer Tätigkeit ist nichts bekannt. Zwischen 140 u n d 150 n. C h r . erbte er mit seinem Bruder ein Vermögen v o n ca. 2 Mio. H S (vgl. M R A T S C H E K - H A L F M A N N 1 9 9 3 , N r . 3 0 9 ) . Anläßlich seiner Heirat mit der Witwe Aemilia Pudentilla im nordafrikanischen O e a klagte

M 69 man ihn an, Magie eingesetzt zu haben, um durch die Heirat an das Vermögen seiner Frau zu gelangen, welches sie von ihrem ersten Mann geerbt hatte. 158/9 n. Chr. kam es zum Prozeß. In der von Apuleius vorgetragenen Verteidigungsrede entwirft er ein konkretes Bild der Vermögensverhältnisse der Aemilia Pudentilla: Ihr Vermögen umfaßte insgesamt 4 Mio. HS (apol. 74,1), das größtenteils aus fruchtbarem Land in Nordafrika bestand (apol. 87,7 u. 93,4). Die Einkünfte aus Grundbesitz wurden durch Geldgeschäfte ergänzt (apol. 20,3). Ihre Geldmittel erlaubten ihr den Kauf eines kleinen Gutes bei Oea für 60.000 HS und sie konnte dem populus von Oea Zuwendungen im Umfang von 50.000 HS zukommen lassen; ferner fand sie ihre Söhne mit Grund- und Hausbesitz, 400 Sklaven und Vieh aus dem Familienvermögen ab. Literatur: MRATSCHEK-HALFMANN 1993, N r . 313.

M 69: CPR 6/1

125 n. Chr.

„(1.H.) Im neunten Jahr des Kaisers Caesar Traianus Hadrianus Augustus, 27. Mechir. (2.H.) Im neunten Jahr des Kaisers Caesar Traianus Hadrianus Augustus, 27. (Tag) des Monats Xandikos, 27. Mechir in Ptolemais Euergetis im Arsinoitischen Gau. Dies Testament stellte auf im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte Ammonios, Sohn des Apion, Enkel des Theon, mit Isarus, Tochter des Horion als Mutter, registriert im Bezirk ..., etwa ... Jahre alt ... Es sei mir vergönnt, gesund und wohlbehalten meinen Besitz verwalten zu können durch Verkauf, Verpfändung oder Änderung meines Testaments und meine Güter zu bewirtschaften, wie es mir beliebt. Für den Fall aber, daß ich sterbe, (setze ich als Erben ein ...) meine Kinder von meiner Frau Aphrodeitus, Tochter des Neilos ... (Ich vermache ihnen ...) in der Hauptstadt im Bezirk der Bithynier und Umgebung mein Haus und Hof, in der Gegend des Dorfes Kerkesoucha ... fünf Aruren und eine Arure Ölbaumhain und eine halbe Arure Palmenhain, im ganzen sechs und eine halbe Arure oder wieviel es ist... und was ich weiter an Besitz hinterlasse und was daran auf welche Weise auch immer noch hinzukommen wird; ferner... meiner Frau Aphrodeitus vermache ich Hab und Gut und den Hausrat und die Einrichtung und die Kleidung, die ich hinterlassen werde, und das Recht, solange sie lebt und unverheiratet bleibt, in dem Haus und dem Hof zu wohnen, die ich, wie oben ausgeführt, an meine Kinder vermache, im Bezirk der Bithynier und Umgebung ... Sollte ich aber sterben, bevor sie 20 Jahre alt sind, (ist) meine Frau Vormund ... für die noch nicht erwachsenen Kinder, die wir miteinander haben, bis sie volljährig sind, ohne daß für sie ein Vormund eingesetzt wird und ohne daß sie der Rechenschaftslegung unterworfen ist ... (unterdessen ist es ihr nicht erlaubt)

277

278

Material/Lebensstandard auf welche Art auch immer von dem, was den Kindern gehört, etwas zu veräußern oder darüber zu verfügen ... (wenn sie volljährig geworden sind), muß

ihre

Mutter

Aphrodeitus

den

Kindern

den

Besitz

frei

von

allen

öffentlichen Steuern und allen Unkosten übertragen ... Meine Frau (muß sorgen für) ... mein Begräbnis, mein Grab und die Einbalsamierung gemäß einheimischer Sitte, w o f ü r sie 400 Silberdrachmen verwenden soll für die Priesterin (?). Ich will, daß die 3.200 Silberdrachmen, die ich als Depositum bei der Bank des Pappos stehen habe, für den Ankauf eines tauglichen (Objektes) auf den Namen meiner Kinder gebucht werden, während nur mein Bruder Theon die Aufsicht führen soll über alles, was die Vormundschaft und den Ankauf betrifft. Bei dem Geld, das mir geschuldet wird, befindet sich auch ein Darlehen von 1.000 Silberdrachmen meiner Mutter Isarus, das mit einer Bürgschaft auf den Namen meines Bruders Theon abgeschlossen ist..." (Übers, nach S. M . E. VAN LITH) W e i t unter dem ö k o n o m i s c h e n Niveau des Apuleius samt seiner Familie und den meisten Angehörigen der städtischen O b e r s c h i c h t e n haben M e n s c h e n in auskömmlichen Verhältnissen gelebt. Dies verdeutlichen auch die Testamente aus dem römischen Ägypten (vgl. RUPPRECHT 1994, l l l f . ) , die ausgezeichnete D o k u m e n t e über die Vermögensverhältnisse der Erblasser darstellen. C P R 6/1 beinhaltet den letzten Willen eines Einwohners der arsinoitischen Gaumetropole. Seine beiden offensichtlich noch minderjährigen Kinder sind die Haupterben, seine Frau erhält W o h n r e c h t bis zu einer möglichen Wiederverheiratung, Einrichtungsgegenstände und seine Kleidung. Sie sollte für den Fall seines frühen Ablebens auch die Vormundschaft über die Kinder ausüben. Zunächst besaß der Erblasser Haus und H o f in oder in der N ä h e eines bestimmten Stadtbezirkes. D e r W e r t der Immobilie kann allerdings nicht eingeschätzt werden (vgl. zu dieser Problematik, zu Häuserpreisen und B a u kosten etc. DREXHAGE 1 9 9 1 a , 7 4 - 9 1 ) . In die Erbmasse fielen insgesamt 6,5 Aruren Land (ca. 17.914 m ), das unterschiedlich genutzt wurde: 1 A r u r e (ca. 2 7 5 6 m 2 ) war mit Olivenbäumen besetzt, eine halbe mit Dattelpalmen; die restlichen 5 dürften dem Getreideanbau gedient haben. Diese differenzierte Ausnutzung des eigenen Grundbesitzes mag die Anfälligkeit eines ausschließlichen Getreidebaus relativiert haben (vgl. zu den Preisen für G e treide, Datteln, Feigen und Oliven bzw. Ö l DREXHAGE 1991 a, 1 0 - 2 7 . 3 4 - 3 6 . 4 3 - 5 0 ) . Leider ist nicht deutlich, w o der Besitz anzusiedeln ist, da wir m e h rere D ö r f e r mit dem N a m e n Kerkesoucha im arsinoitischen G a u kennen (vgl. P. Petaus, Einl. 2 5 - 2 7 ) . D i e Lokalisierung wäre insofern von Interesse, als man überlegen könnte, o b die Parzellen für die Eigenbewirtschaftung erreichbar waren oder generell verpachtet werden mußten. Allgemein werden die Erträge dieser 6,5 Aruren in normalen Erntejahren aber einer vierköpfigen Familie die Existenz gesichert haben (vgl. zu den Pachthöhen für D a t t e l -

M 70

und Olivenhaine DREXHAGE ebd. 183-186 u. allg. 192-223). Interessant sind auch die Rücklagen bzw. Außenstände des Erblassers: 3.200 Drachmen hatte er als Depositum bei einem Bankier hinterlegt, das im Falle seines Todes in Immobilien umgesetzt werden sollte. Die Summe war zu dieser Zeit erheblich. Ein guter Tageslohn in der Landwirtschaft war ungefähr zu dieser Zeit und in diesem Gau 1 Drachme (vgl. P. Coli. Youtie 1/24, 121/2 n. Chr.), was auch die 1.000 Drachmen, die der Erblasser seiner Mutter als Darlehen gewährt hat, ansatzweise konturiert (zu Darlehenshöhen vgl. TENGER 1993, 1 8 - 1 9 . 3 6 - 3 7 . 5 4 - 5 5 . 75).

Es ist nur zu vermuten, ob der Testamentar noch einem anderen Gelderwerb nachging, der mehr in das Milieu einer Gaumetropole paßt. Eine gewerbliche und/oder händlerische Betätigung ist zunächst vorstellbar. Insgesamt macht der Erblasser einen ökonomisch saturierten Eindruck. Literatur: DREXHAGE 1991 a; TENGER 1993.

b) Armut M 70: Dion Chrys. or. 7,105 f. Für die Armen ist es gewiß nicht leicht, in den Städten Arbeit zu finden, und sie sind auf fremde Mittel angewiesen, wenn sie zur Miete wohnen und alles kaufen müssen, nicht nur Kleider und Hausgerät und Essen, sondern sogar das Brennholz für den täglichen Bedarf; und wenn sie einmal Reisig, Laub oder eine andere Kleinigkeit brauchen, müssen sie alles, das Wasser ausgenommen, für teures Geld kaufen, da alles verschlossen und nichts frei zugänglich ist außer den vielen teuren zum Verkauf angebotenen Artikeln, versteht sich. ( Ü b e r s , n a c h W . ELLIGER)

Die in der Regel hohe soziale Stellung, die ökonomische Situation und die grundsätzliche Identifizierung mit dem gesellschaftlichen und politischen System verstellten den kaiserzeitlichen Autoren den Blick für die Lebensrealität des größten Teiles der Reichsbevölkerung. Aelius Aristides ging Mitte des 2. Jh. n. Chr. allen Ernstes von einer „umfassenden und rühmlichen Gleichheit des Geringen mit dem Mächtigen, des Unbekannten mit dem Bekannten, des Bedürftigen mit dem Reichen, des Einfachen mit dem Reichen" aus (or. 26, 39). Erst jüngst ist eine Monographie erschienen, die neben anderen Quellen die verstreuten Bemerkungen der kaiserzeitlichen Autoren erfaßt und auswertet (PRELL 1997). Als locus classicus kann die hier angeführte Äußerung des Dion Chrysostomos (ca. 4 0 - 1 2 0 n.Chr.) betrachtet werden. Im folgenden ist dieser aber der Meinung, jeder, der mit seinen Hän-

279

280

Material/Lebensstandard den arbeiten wolle (Dion Chrys. or. 7,125), könne wegen des differenzierten Arbeitsangebots in den Städten auch seinen Lebensunterhalt verdienen (or. 7,109 ff.). Dion übersah aber nicht die Grundproblematik unausgebildeter Stadtbewohner, die in einer durchmonetarisierten Alltagswelt leben mußten. Diese waren auf entsprechende Arbeitsangebote - etwa durch staatliche/ städtische oder private Baumaßnahmen, Schaffung einer Infrastruktur durch Dienstleistungen und Gewerbe usw. - angewiesen, um nicht völlig von Almosen abhängig zu sein. Zudem stand der innere Frieden durch die weitverbreitete Armut auch in der allgemein prosperierenden Zeit bis ca. Mitte des 2. Jh. n. Chr. auf tönernen Füßen. Das Räuberunwesen, das erstaunlich breit dokumentiert ist, liegt zum großen Teil in den bedrängenden ökonomischen Verhältnissen begründet. Bezeichnend ist der Ausspruch „Die Armut zwingt uns in diesen Beruf", den Apuleius einem Räuber in den Mund legt (Apul. met. 4,23,4; vgl. G r Ü N E W A L D 1999; Shaw 1991; P E K Á R Y 1987).

M 71: CIL V 938

1.Jh. n. Chr.

Lucius Trebius, des Titus Sohn, Lucius Trebius, des Lucius Sohn, Ruso Vater ließ (das Grabmal) errichten Geboren bin ich in größter Armut, dann habe ich als Flottensoldat gedient, (davon) 17 Jahre in nächster Umgebung des Kaisers. Ohne jemals Haß auszulösen und Anstoß zu erregen, bin ich wirklich ehrenhaft entlassen worden. Die Grabanlage umfaßt 16 Fuß. Epigraphische Zeugnisse von Menschen, die in Armut ihr Leben zubringen mußten, existieren nicht: Sie selbst hatten nicht die Mittel, um sich in einem Grabstein zu dokumentieren. Inschriftlich sind lediglich Zeugnisse von Menschen überliefert, die sich durch Arbeit oder Karriere aus der Armut befreien konnten. Flottensoldaten, wie der hier genannte ältere Lucius Trebius, hatten kein großes Sozialprestige; sie rekrutierten sich aus unteren Bevölkerungskreisen und stammten größtenteils aus den östlichen Provinzen - etwa Ägypten - , was ihr Ansehen noch mehr verringerte (vgl. REDDE 1986, 532). Über ihre Besoldung haben wir keine konkreten Informationen (s. o. S. 49). Einige von ihnen - und wohl auch L. Trebius, dessen Grabmal beachtliche Ausmaße hatte - verfügten aber über nicht unerhebliche Geldmittel. So konnte in Ravenna ein Marineangehöriger 2.500 HS für den Kauf einer Sklavin bezahlen (SB 3/6304, 2. Jh. n. Chr.; weitere Beispiele liefert WlERSCHOWSKI 1984, 3 3 - 3 5 . 57. 83f. 107). Ein berühmtes Zeugnis für den Aufstieg aus der Armut liefert die „Schnitterinschrift" aus Mactar (Nordafrika; 3. Jh. n. Chr.). Sie schildert den

M 72 Lebensweg eines Mannes von ärmlicher Kindheit bis zu höchsten Ehrenämtern im Dekurionenstand (CIL VIII 11824; vgl. PLKHAUS 1987,184). Zu bedenken ist aber, daß der Gebrauch der Begriffe ,Armut' - ,Arm-sein' usw. sowohl in der antiken Literatur als auch in der epigraphischen Uberlieferung auch die Funktion zukam, den Kontrast z u m erworbenen Wohlstand deutlich zu formulieren (vgl. dazu MRATSCHEK-HALFMANN 1993, 1 - 1 2 . 228-249).

M 72: P. Oxy. 4/744 (mit BL Konkordanz 142 + BL 9/181) 1 v. Chr. Hilarión, Sohn des Hilarión, an Alis, seine Schwester, viele Grüße - auch an meine Herrin Berus und Apollinarion. Wisse, daß wir jetzt noch in Alexandreia sind. Habe keine Angst, wenn alle anderen heimkehren und ich noch in Alexandreia bleibe. Ich bitte Dich - ja ich flehe Dich an - sorge Dich um das Kindchen. Und sobald wir unseren Lohn erhalten, schicke ich ihn Dir hinauf (d. h. von Alexandreia nach Oxyrhynchos). Wenn Du niederkommst, was nunmehr höchst wahrscheinlich ist, laß es leben (d. h. behalte es), falls es männlich ist; wenn es weiblich ist, setze es aus. Du hast der Aphrodision aufgetragen (mir z u sagen): Vergiß mich nicht! - Wie könnte ich Dich vergessen? - Ich bitte Dich also, nicht ängstlich zu sein! Jahr 29 des Kaisers, am 23. Pauni. (Vs) Hilarión an Alis, gib es dort ab. Eigenartigerweise liefern auch die Papyri nur selten genauere Berichte über die A r m u t von Individuen und Familien (s. o. S. 162 f.). Einzeluntersuchungen zu den Themen Lebensstandard, Verschuldung und Steuer- oder Landflucht zeigen aber deutlich, daß sehr viele Menschen in Ägypten stets an der Grenze zur völligen A r m u t gelebt haben. In diesem Zusammenhang kann man den hier zitierten Brief sehen. Hilarión, der mit seiner Schwester in ehelicher Gemeinschaft lebte, war offenbar gezwungen, bis in die Weltstadt Alexandreia zu gehen, um den Lebensunterhalt zu verdienen (vgl. NEESEN 1989, 113-176, bes. 153 zu den Arbeitskräften aus dem ägyptischen Hinterland). Offensichtlich war seine schwangere Frau, mit der er schon ein kleines Kind hatte, mittellos; er versprach, möglichst schnell Geld zu schicken. Seine dringende Aufforderung, einen weiblichen Säugling auszusetzen, spiegelt sicher eine außerordentliche Notlage wider. Hiermit verband sich gewiß auch die H o f f n u n g , dieses Kind könnte aufgefunden und aufgezogen werden (vgl. RUPPRECHT 1 9 9 4 , 1 2 5 f.; BIEZUNSKA-MALOWIST 1 9 7 7 , 2 1 - 2 6 ) . Literatur:

BIEZUNSKA-MALOWIST

1977;

DREXHAGE

1990 b;

KRAUSE

1 9 9 4 b ; MRATSCHEK-HALFMANN 1993; NEESEN 1989; PEKÁRY 1987; PlKHAUS 1987; PRELL 1997; REDDE 1986; SHAW 1991; STUMPP 1998; WIERSCHOWSKI 1984.

281

282

Material/Lebensstandard

c)

Löhne und Preise

M 73: CIL III p. 948 TC X

164 n. Chr.

Unter dem Konsulat des Macrinus und Celsus, am 13. Tag vor den Kaienden des Juni (20. Mai). Ich, Flavius Secundinus, habe dies geschrieben auf Bitten des Memmius, Sohn des Asklepios, weil er verneint hat, schreiben zu können. Er (Memmius) erklärte, daß er sich verdingt habe, und er verdingte sich (als Arbeiter) in der Goldmine an Aurelius Adiutor von heute bis zu - den nächsten Iden des November (also 20. 0 5 . - 1 3 . 1 1 . 164 n. Chr.) für 70 Denare und Verpflegung. Er soll den Lohn erhalten an (festgesetzten) Daten ( b z w . Tagen). Er soll seine Arbeit leisten wie die eines gesunden Arbeiters und zum Nutzen des oben erwähnten conductor (d. h. zum Nutzen des Aurelius Adiutor). W e n n er sich entziehen oder (seine Arbeit) unterbrechen sollte gegen den Willen des conductor, soll er 5 HS für jeden Tag zahlen, die vom Lohn abgezogen werden. Sollte eine Überflutung (die Arbeit) verhindern, wird er mit einer entsprechenden Verringerung (des Lohnes) zu rechnen haben. Sollte der conductor eine Verringerung der Lohnzahlung vornehmen, wird dieser in gleicher

Weise

bestraft,

(eine

Lohnverzögerung

über)

drei Tage

soll

ausgenommen sein (von Strafe). Dieser Vertrag wurde aufgesetzt in Immenosum Maior. (Drei Unterschriften) Zu den seltenen Zeugnissen über konkrete Lohnangaben aus dem Imperium außerhalb Ägyptens gehören einige auf Wachstafeln festgehaltene Arbeitsverträge, die aus dem Gebiet der dakischen Goldbergwerke stammen. Längerandauernde Arbeitsverhältnisse sind also - wie in Ägypten - im ganzen Reich schriftlich fixiert worden. Die juristischen Aspekte und Hintergründe dieser Vereinbarungen sind oft untersucht worden, den wirtschaftshistorisch relevanten Inhalten ist bislang weniger Aufmerksamkeit zuteil geworden (vgl. MROZEK 1977).

Der hier vereinbarte Arbeitslohn für die Zeit zwischen den Kaienden des Juni und den Iden des November (178 Tage) entsprach einem durchschnittlichen Tagesverdienst von ca. 1,5 HS (= 6 As); hinzu kamen noch die Lebensmittelzuwendungen, die vermutlich seinen Grundbedarf abgedeckt haben. Nach einem weiteren Kontrakt aus dem Goldbergwerksbereich ( C I L III p. 949 T C X I ; 131/167 n. Chr.) verdiente ein anderer Arbeiter durchschnittlich ca. 2,25 HS (= 9 As) pro Tag - allerdings ohne Lebensmittelzuwendungen. Man kann mit aller Vorsicht nach diesen beiden Vertragsregelungen vermuten, daß eine durchschnittliche tägliche Aufwendung von 3 As den Grundbedarf an Lebensmitteln gedeckt haben könnte. Ohne Zweifel haben

M 75 beide Arbeiter ein bescheidenes Leben führen müssen. Der Vorteil gegenüber Tagelöhnern ist aber die Perspektive, über einen längeren Zeitraum Arbeit und Einkünfte zu haben. Die Realhöhe dieser Löhne konkreter konturieren zu wollen, ist schwer möglich. Lediglich C I L III p. 953 T C X V (138/167 n. Chr.) bietet einige Anhaltspunkte; dort sind Preise für ein Lamm und ein Ferkel in Höhe von ca. 14 und 20 HS genannt. Erscheint bei sparsamster Lebensführung der Kauf solcher Tiere nicht aussichtslos, wird der Wunsch, einen Sklaven zu erwerben, immer Illusion geblieben sein, denn C I L III p. 9 3 6 - 9 3 9 T C V I (139 n. Chr.) nennt einen Preis von 205 Denaren für eine sechsjährige Sklavin und C I L III p. 959 T C X X V (160 n. Chr.) den von 420 Denaren für eine erwachsene(P) Sklavin (vgl. zu den Preisen MROZEK 1975, 6 9 - 8 2 ) . Literatur: MROZEK 1975; DERS. 1977. M 7 4 : Tagelohnangaben aus dem Westen des Imperiums sind so gut wie gar nicht überliefert. Aus Pompeji besitzen wir einige Angaben, die als Tagelöhne aufgefaßt werden können: CIL I V 4 0 0 0

diaria (?) V (asses)

CIL I V 6 8 7 7

operari(i)s pane(m) denarium

=1,25 HS = 4 HS

CIL IV 8 5 6 6 , 1 1

XI K(alendas) accepi denarium I

= 4 HS

Eine Datierung dieser Angaben ist nur insoweit vorzunehmen, als sie vor dem katastrophalen Untergang der Stadt im August 79 n. Chr. niedergeschrieben worden sind. Die Vermutungen in der einschlägigen Forschung gehen dahin, mit dieser Entlohnung gerade ein Leben an der Grenze des Existenzminimums für möglich zu erachten, zumal nicht von einer täglichen Beschäftigung der Lohnarbeiter ausgegangen werden kann (vgl. PEKÁRY 1979, 111). Nach St. MROZEK genügten 2 HS (8 As) pro Tag für eine recht abwechslungsreiche Ernährung (MROZEK 1989, 111). Er hält zu dieser Zeit sogar ein (Uber-) Leben in der Stadt R o m mit 3 bis 4 As für möglich (vgl. ebd.). Nach M. PRELL, der auch die Mieten und andere Einzelposten in die Kalkulation aufnimmt, benötigte eine Kleinfamilie dort aber mindestens 3 - 4 H S ( 1 2 - 1 6 As) täglich, und dies trotz einer kostenlosen Getreideration von 5 modii pro Monat (vgl. PRELL 1 9 9 7 , 1 8 5 - 1 9 1 ) .

M 75: Lukian. Gall. 22 (Der Hahn tröstet den unzufriedenen Schuster Mikyllus:) [...] aber wenn du deine Sandale fertig und dafür deine 7 Obolen eingestrichen hast, machst du dich am späten Nachmittag auf, badest, wenn du Lust hast, kaufst dir

283

284

Material/Lebensstandard einen Hering oder Sardellen oder ein paar Zwiebeln, trällerst häufig vergnügt vor dich hin und hängst dabei in glücklicher Armut deinen Gedanken nach. Daher bist du auch gesund und stark und die Kälte macht dir nichts aus: denn die Arbeit stählt Dich [...].

Die Preise und Lohnangaben, die antike Autoren überliefern, sind jeweils nach der Intention des Autors zu beurteilen. Dies gilt insbesondere bei Satirikern, zu denen Lukian (ca. 120-180 n. Chr.) zu zählen ist. An dieser Stelle spricht Lukian von einer „glücklichen Armut", was doch heißen muß: Der Schuster ist mit einem Tagesverdienst von 7 Obolen von existenzieller N o t befreit; er hat zwar keine Hoffnung auf Reichtum, kann aber infolge seiner inneren Einstellung - etwa Freisein von Habgier und Neid - ein „glücklicher" armer Mensch sein. MROZEK (1971) hat herausgearbeitet, daß sich die Angaben bei Lukian höchstwahrscheinlich an die Lebensrealitäten anlehnen. Allerdings berichtet Lukian nichts über die Betriebskosten dieses Schusters: Leder, weitere Materialien, Geräte, laufende Kosten einer möglichen Werkstatt etc. Man muß also einiges von diesen 7 Obolen abziehen, um den Nettoverdienst des Schusters zu ermitteln. Vielleicht war er ein wenig besser gestellt als Landarbeiter, die als Lohn für Hackarbeit auf dem Felde täglich 4 Obolen (wahrscheinlich noch Nahrungsmittel) bekamen (Lukian. Tim. 6 und 12). An anderer Stelle beschreibt Lukian (sat. 21), daß 4 Obolen täglich gerade für trockenes Brot oder Gerstenbrei und billiges Gemüse reichten (vgl. MROZEK 1989, 105f.). Literatur: MROZEK 1971. M 7 6 : Aus dem römischen Ägypten besitzen wir eine Reihe von Tagelohnangaben, die größtenteils das Niveau in der Landwirtschaft spiegeln. Ausgesprochen ergiebig sind die Abrechnungen großer Güter, die dichte Informationen über Arbeitsvorgänge, Einnahmen, Ausgaben und eben Löhne über längere Zeiträume verzeichnen. Berühmt ist das Heroneinos-Archiv aus der Mitte des 3. Jh. n. Chr., das in der Forschung vielfache Beachtung gefunden hat (vgl. ζ. B. RATHBONE 1991). Aus dem 1. Jh. n. Chr. ist die umfängliche Abrechnung SB 8/9699 zu nennen und für das 2. Jh. bieten etwa die als P. Mil. Vogl. 4/214 und P. Mil. Vogl. 7/305, 306 und 308 veröffentlichten Stücke vielfache Hinweise. Die entsprechenden Einträge aus P. Mil. Vogl. 7/305 sind in folgender Aufstellung zusammengefaßt: Kol. 2

1 Mann für das Schneiden von Rohr

7 Ob.

1 1 Ί 1

7 1 5 7

Mann Mann Mann Mann

für für für für

Deicharbeiten Feldbewässerung Transportarbeiten Säarbeiten

Ob. Dr. Ob. 0b.

M 76

Kol. 3

Kol. 4

Kol. 5

Kol. 6 Kol. 7

1 M a n n für Entwässerungsarbeiten

7 0b.

Ί 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

7 0b. 7 Ob.; 8 Ob. 12 Ob. 10 Ob.; 12 0 b . ; 17 Ob 6 Ob.; 7 Ob. 7 Ob. 6 Ob.; 7 Ob. 6 0b.; 7 0b. 7 0b. 7 Ob. 4 0b. 6 0b. 7 Ob. 14 0 b . 8 0 b . ; 10 0 b . 10 Ob. 6 0b. 8 Ob. 7 Ob.

M a n n für Kanalbau M a n n für Bewässerungsarbeiten M a n n (Schnitter) M a n n (Schnitter) M a n n (Binsenschnitter) M a n n für Feldarbeit M a n n für Deicharbeiten M a n n für Kanalbau M a n n für Bewässerungsarbeiten M a n n für Transportarbeiten M a n n für Pflügearbeiten M a n n für Feldarbeit M a n n für Jätarbeiten M a n n für Mäharbeiten M a n n für Mäharbeiten M a n n für Pflügearbeiten πατς (Kind/Sklave) für Säarbeiten M a n n für Feldarbeiten M a n n für Deicharbeiten

Zwei Besonderheiten fallen bei dieser Auflistung auf. Ein großer Teil der Arbeiten bezog sich auf die Bewässerung. Unzählige Quellen dokumentieren die unablässige Arbeit an Deichen, Kanälen und Bewässerungsanlagen bis hin zur unmittelbaren Bewässerung der verschiedenen Agrarprodukte (vgl. dazu auch M 7 u. oben S. 68 f.). Trotz vieler Hinweise ist es unmöglich, den prozentualen Anteil und den finanziellen Aufwand dieser Arbeiten an dem Gesamtaufwand in der Landwirtschaft einzuschätzen. Weiterhin fällt die Unterschiedlichkeit der Geldangaben zwischen 4 und 17 Ob. auf. Einige Arbeiter waren womöglich nur für einige Stunden am Tag verpflichtet, während andere u. U. für zwei Tage Arbeit entlohnt wurden. Welcher finanzielle Aufwand in Hinblick auf die Löhne bei der Wasserversorgung einer ägyptischen Metropole betrieben worden ist, ist jüngst beleuchtet worden (HABERMANN 2 0 0 0 , 1 4 9 - 1 8 6 u. ö.): Insgesamt stellt sich die Entwicklung der Tagelöhne in den ersten beiden Jahrhunderten so dar: Im 1. Jh. n. Chr. lagen sie in der Regel deutlich unter einer Drachme und im frühen 2. Jh. etwa bei einer Drachme. Gegen Mitte des 2. Jh. gingen die Löhne wohl leicht zurück, um dann in den nächsten Jahrzehnten deutlich über einer Drachme zu liegen. Bis ca. 240 n. Chr. mag der Trend schließlich die 2 Drachmengrenze erreicht oder schon überschritten haben, um ab ca. 250 n. Chr. ζ. T. auf der Höhe von vier Drachmen pro Tag zu liegen. Literatur: DREXHAGE 1991 a, 402-439.

285

286

Material/Lebensstandard

M 77: Plin. nat. 33,164 Die Preise der Materialien, die wir irgendwo angegeben haben, sind, wie wir recht wohl wissen, an anderen Orten wieder andere und ändern sich fast alle Jahre, je nachdem sie auf der Schiffahrt beruhten oder je nach Marktlage oder Preistreiberei irgendeines reichen Unternehmers. (Übers, nach R. KÖNIG) Zu den besonderen Aufgaben des Staates bzw. der Städte ist das Bemühen um eine erträgliche Preisgestaltung für Grundnahrungsmittel, insbesondere Getreide zu zählen. Aedile und Agoranomoi auf den unzähligen städtischen Märkten suchten Wucher zu unterbinden. Höchstpreisfestsetzungen in Zeiten bestehender oder zu befürchtender Versorgungsengpässe, um der vielfach belegten Getreidespekulation vorzubeugen (vgl. dazu z. B. HERZ 1988, 147-152 u. ö.), mußten gewiß öfter vorgenommen werden, als es der gegenwärtige Quellenbefund andeutet (vgl. M 1 6 u. 80). Grundsätzlich ist aber in die Preisgestaltung nicht eingegriffen worden, wie auch die obige Festeilung des älteren Plinius bestätigt. Die Unterschiedlichkeit der Preise konstatieren auch die Juristen (vgl. Dig. 13,4,3, Gaius). Die papyrologische Überlieferung konkretisiert die Äußerung des Plinius insofern, als sie erhebliche Preisschwankungen innerhalb kurzer Zeiträume in einer Ortschaft greifbar macht (vgl. DREXHAGE 1988).

M 78: Corp. Gloss, lat. III 657 c. 13 [...] Ich gehe nun zum Kleiderhändler. „Wieviel kostet der Regenmantel?" „200 Denare." - „Das ist zuviel. Nimm 100!" - „Unmöglich, so hoch kommt es mich beim Einkauf von den Zwischenhändlern zu stehen." - „Was aber soll ich geben?" - „Soviel du meinst." - (Zum Sklaven oder Begleiter): „Gib ihm 125 Denare [...]" (Übers, nach K.-W. WEEBER 1995,150) Wie zu allen Zeiten mußten gewinnorientierte Händler und Produzenten auch in römischer Zeit zu jeweils marktbezogenen Bedingungen Preisformulierungen finden. Dieser in einem frühmittelalterlichen Codex enthaltene Auszug aus einem zum Zweck des Spracherwerbs verfaßten griechischlateinischen Konversationsbuch liefert dafür ein gutes Beispiel. Ob aus bedrängender Notwendigkeit oder selbstauferlegter Sparsamkeit orientierten sich die Kunden überall nach dem besten Angebot. So schrieb Horaz: „Nach Herzenslust

gehe

ich durch

die Straßen,

ganz

allein,

erkundige

mich,

was

Gemüse und Mehl kosten [...]" (Hör. sat. 1,6,11 If.). Da die Händler und Produzenten nicht angehalten waren, ihre Produkte auszuzeichnen - wenn

M 80 wir von Höchstpreismargen für Grundnahrungsmittel absehen - gehörte das Feilschen um den Preis zu den alltäglichen Erfahrungen von Verkäufern und Käufern.

M 79: Apul. met. 1, 5, 2 - 4 Ich bin Aristomenes aus Ä g i o n . Ihr sollt auch hören, mit w e l c h e m G e w e r b e ich mich a m Leben erhalte: Mit Honig, Käse u n d derartigen W a r e n für S c h e n k e n ziehe ich hin u n d her durch Thessalien, Ätolien und Boeotien. Da ich nun v e r n o m m e n habe, d a ß m a n in Hypata, der bedeutendsten Stadt in g a n z Thessalien, frischen u n d g u t s c h m e c k e n d e n Käse für ziemlich g ü n s t i g e n Preis verschleudere, so eilte ich schleunigst dorthin, u m den g a n z e n Vorrat z u kaufen.

Aber,

w i e es so

kommt,

ich w a r

mit d e m

linken

Fuß

zuerst

aufgestanden, u n d die H o f f n u n g auf G e w i n n foppte mich. D e n n die g a n z e Masse hatte der Großhändler Lupus tags zuvor aufgekauft. S o w a r ich denn, m ü d e von der nutzlosen Hast, w i e eben der A b e n d hereinkam, ins Bad gegangen.

(Übers, n a c h R . HELM)

W a r e n günstig zu erwerben war nicht nur ein Anliegen der Endverbraucher; K l e i n - wie G r o ß h ä n d l e r mußten bemüht sein, das Preisniveau ihrer näheren und ferneren U m g e b u n g für Produkte, die sich nach der Marktlage zum gewinnbringenden Verkauf eigneten, zu erfahren und möglichst schnell zu reagieren. Dieser Passus aus den M e t a m o r p h o s e n des Apuleius ist dafür bezeichnend und überdies ein lebendiges Zeugnis der Alltagswelt

antiker

Händler. Zudem sind nochmals bedeutende Preisunterschiede in überschaubaren R ä u m e n beschrieben, die das geschäftliche Interesse professioneller Händler erweckten. D e r mißlungene bzw. gelungene Versuch, sich durch Aufkauf der gesamten W a r e eine private Monopolstellung zu schaffen, ist bemerkenswert, aber keinesfalls einzigartig (s. o. S. 124; M 4 6 ) . Mit dem hier dokumentierten Konkurrenzverhalten wird gleichzeitig ein weiterer Aspekt der Preisbildung angedeutet. W i r wissen, daß in den Städten oft H a n d w e r k e r und Händler, die auf gleiche P r o d u k t e spezialisiert waren, nah beieinander arbeiteten und ζ. T . auch wohnten. Diese N ä h e wird auch die Preisgestaltung berührt haben (vgl. dazu. KUDLIEN 1994, bes. 2 4 f.).

M 80: AE 1925, 126 b

92 o. 93 n. Chr.

Lucius Antistius Rusticus, Legat des Imperator Caesar Domitianus A u g u s t u s G e r m a n i c u s mit praetorischer A m t s g e w a l t , erklärt:

287

288

Material/Lebensstandard Da die duoviri und die decuriones der glanzvollen colonia Antiochensis mir geschrieben haben, daß wegen des strengen Winters ein Mangel an Getreide entstanden sei, und mich gebeten haben, daß die Plebejer die Möglichkeit zu kaufen haben sollen Es möge wohl getan sein: Alle, die entweder Kolonisten oder Einwohner der glanzvollen colonia Antiochensis sind, sollen innerhalb von 30 Tagen nach Anschlag meines Ediktes deklarieren, wieviel Getreide und an welchem Ort (es) ein jeder besitzt und wieviel er als Saatgut oder als Jahresproviant für seine Hausgenossen abzieht, und das gesamte übrige den Käufern der colonia Antiochensis (zum Kauf) anbieten. Als Zeitpunkt des Verkaufes setze ich die nächsten Kaienden des August fest. Wenn aber einer nicht gehorcht, so soll er wissen, daß ich, was immer gegen mein Edikt zurückgehalten werden sollte, konfiszieren werde, wobei denjenigen, die Anzeige erstatten, (als Belohnung) der achte Teil zusteht. Da mir aber versichert wird, daß vor diesem strengen und langen Winter der modius Getreide acht oder neun asses kostete, und es in höchstem Maß ungerecht ist, wenn jemand aus dem Hunger seiner Mitbürger Gewinn zieht, so verbiete ich, daß der Preis des Getreides einen denarius pro modius überschreite. (Übers, nach H.-U. WlEMER) Durch Inschriften ist, was die Nennung von Geldsummen betrifft, zwar erstaunlich viel Zahlenmaterial auf uns gekommen, aber nur selten handelt es sich um konkrete Preisangaben. Hier bildet das Edikt des Statthalters L. Antistius Rusticus aus Antiocheia in Pisidien, welches jüngst H.-U. WlEMER einer erneuten Untersuchung unterzogen hat (vgl. WlEMER 1997), eine bemerkenswerte Ausnahme. Entscheidend sind darin die Zeilen 35 ff. (hier letzter Absatz). Vor dem Winter herrschten offenbar moderate Preise - pro Modius (ca. 6,7 kg Weizen) 8 oder 9 As (= 2 bis 2,25 HS), was wiederum heißen könnte: Eine erwachsene Person war mit einem monatlichen Aufwand von 8 - 9 HS (= 2-2,25 Denare) nicht dem Hunger ausgesetzt. Allerdings müssen wir uns vor Augen halten, daß schon eine Erhöhung um ein As pro Modius die armen Stadtbewohner vor Probleme gestellt haben könnte. Das Edikt erlaubt den Verkäufern aber, bis zu einem Denar (=16 As) pro Modius zu verlangen.

M 81: SB 16/12607

2./3. Jh. n. Chr.

Dionysios grüßt die höchst geachteten (Herren) Hermes und Dioskoras! Ich habe von dem Steuerinspektor [Name] erfahren, daß die meisten von denen, die dringend wegen der Steuer angemahnt worden sind, wegen des niedrigen

M 82 Getreidepreises nicht reagieren. Er sagte nämlich, daß bei Euch der Weizen für 12 Drachmen (pro Artabe) zu haben sei. Und als sie davon hörten, wünschte Theodora „Die Kleine", daß Ihr für sie so viel wie möglich (von dem Weizen) besorgt. Wenn dem so ist, kauft für zwei Talente soviel Artaben Weizen, wie Ihr könnt - aber nur gute, reine Saat; und laßt mich wissen, mit welchem Maß Ihr ihn empfangen habt. Wieviel auch immer Ihr kauft, teilt es mir mit, damit ich den Preis in das Abrechnungsbuch für tägliche Ausgaben in Eurem Namen aufnehmen ... (Vs) An Hermes und Dioskoras, Gutsverwalter.

Der vorliegende Brief unbekannter Herkunft bietet einerseits interessante Information über die Weizenpreise, andererseits aber auch einen Hinweis auf die mangelnde Steuerliquidität der ägyptischen Bauern bei einem durch Spitzenernten verursachten Marktüberangebot (vgl. auch den Kommentar zu M 7). Hier wird zudem nochmals deutlich, wie schnell sich Nachrichten über günstige Preise verbreitet haben (vgl. auch M 79). Die vermögende Theodora hat daraufhin sofort den Ankauf des preiswerten Weizens im Umfang von zwei Talenten (= 12.000 Drachmen) angeordnet, was bei dem erhofften Preis von 12 Drachmen pro Artabe einer Menge von 1.000 Artaben (« 30.000 1) entsprechen würde. Aus dem Kontext des Schreibens geht ferner hervor, daß sie am Bestimmungsort des Briefes flüssiges Kapital freizusetzen vermochte. Vielleicht konnte sie vor Ort auf eine jederzeit abrufbare Bankeinlage zurückgreifen (s. o. S. 152). 1.000 Artaben Weizen sind für eine Einzelperson eine ungeheure Menge - sie hätte einer kleinen Familie eine Lebensgrundlage für mehrere Jahrzehnte gewährt - , aber andererseits ist diese nicht groß genug, um das Preisgefüge in der Ankaufsregion zu verändern. Wenn allerdings weitere kapitalkräftige Aufkäufer aufgetreten sind, wird gewiß der Preis nicht mehr lange so günstig geblieben sein. Wollte Theodora nur in den Besitz kostengünstigen, aber hochwertigen Saatgetreides gelangen oder vielleicht durch den Weiterverkauf des Getreides an ihrem Wohnsitz zu einem deutlich höheren Preis ein Geschäft machen? Das letztgenannte ist durchaus möglich, weil ja die Maxime „billig einkaufen - teu(r)er verkaufen" mehrfach belegt ist (vgl. M 7 8 u. 79). Zur Höhe des Preises von 12 Drachmen pro Artabe ist noch hinzuzufügen, daß diese Summe an dieser Stelle und zu dieser Zeit ungefähr dem in Geld ausgedrückten monatlichen Existenzminimum entsprochen hat (s. o. S. 177-180; M 76). M 8 2 : Besser war schon der gestellt, der sich täglich noch eine kleine Menge Olivenöl leisten konnte, dessen Preis naturgemäß temporär und regional unterschiedlich war, wie es etwa die Briefe SB 12/11127 (88 n.Chr.) und P. Hamb. 2/192 (3. Jh. n. Chr.) deutlich zeigen. Der Hamburger Papyrus hat folgenden Inhalt:

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Material/Lebensstandard

P. Hamb. 2/192 mit BL 4/38

3. Jh. n. Chr.

Demetria grüßt Apia, die süßeste Schwester! Sofort als ich nach Aritinoopolis gekommen war, vergaß ich nicht Deinen Auftrag, sondern sofort - noch ehe die Ladung an Bord getragen war - kaufte ich es. Aber der verfluchte Schiffer war unerwartet (o. grundlos, d. h. verfrüht) abgefahren, (so daß) Ich mich nicht beeilt zu haben schien. Tatsächlich bin ich aber nicht zu tadeln. Ich fand aber jetzt den (d. h. einen anderen Schiffer), der zu Dir flußaufwärts fährt, und schicke Dir durch ihn das Öl, das (nach der Qualität?) Dir gemäß ist. Du mußt aber wissen, daß ein starker Preisanstieg herrscht und ich den Chous (d. h. ca. 2,91) kaum für (d. h. unter) 18 Drachmen bekam - es ist aber Deiner wert. Ich werde Dir auch das Gesalzene für das Fest schicken. Richte der hochverehrten Hellene Grüße aus - auch der Nike, der Rhodine und der Attousl Und Du denke an den Purpurstoff. Ich wünsche Dir Gesundheit, süßeste Schwester. Lebe wohl! (Vs) An Apia von Demetria

(Übers, nach C. VOIGT)

Man ist geneigt, diesen Brief wegen der berichteten Preisentwicklung, in das fortgeschrittene 3. Jh. zu rücken (vgl. M 94). D e r Preis f ü r ca. 2,9 1 Olivenöl in H ö h e von 18 Drachmen ist in der Tat sehr hoch, allein aber kein Beweis f ü r die Einordnung in einen Zeitraum rapiden Geldwertverfalls. Wir kennen nämlich aus früheren Zeiten vergleichbar hohe Preise f ü r Olivenöl (P. Strasb. 4/299 verso, 2. Jh. n. Chr.; P. Amh. 2/125, spätes 1. Jh. n. Chr.). Außerdem können wir aus dem Brief den dringenden Wunsch nach Olivenöl von hoher Qualität ableiten, welches im Vergleich z u m normalen Ö l erheblich teurer w a r (vgl. WITTENBURG 1980; DREXHAGE 1991 a, 4 3 - 5 0 ) .

M 83: P. Petaus 39

183/185 η. Chr.

An Komon ... Von den Priestern von Syron ... Dr., von dem Archephodos von Ptolemais... andere 12 Dr., macht 20 Dr., und von uns..., macht 156 Dr. Am 26. Von Kerkesucha auf Konto der Saatliste nach Fruchtarten 60 Dr., macht 216 Dr., davon an Komon für Ausgaben 28 Dr., bleiben 188 Dr. [[Am 27. 236 Dr.]] Von den Archephodoi der anderen Dörfer 12 Dr., macht 200 Dr. [[Andere 644 Dr. bis zum 30., macht 844 Dr., davon an Komon, als er zur Stadt ging, 440 Dr., bleiben 404 Dr. ...]] Von den Priestern von Syron 20 Dr., von dem Archephodos von Ptolemais bis zum 30. ... 20 Dr., macht 240 Dr. Von den übrigen Archephodoi in Ptolemais 60 Dr., davon an Diodoros in Ptolemais 1 Dr. und in Syron 1 Dr., macht 2 Dr., dem Buchhalter (?) des Wachpostens (?) 2 Dr., macht 4 Dr., bleiben 296 Dr. Vom dem Archephodos von Pal( ) [[24 Dr.]] 6 Dr., davon in Syron für 2 Keramia neuen Wein 6 Dr., an Diodoros in Syron 3 Dr. (Übers, nach D. HAGEDORN)

M 84 D e r papyrologische Befund weist auch Angaben zu den Weinpreisen in Ägypten auf (vgl dazu DREXHAGE 1991a, 58-73). Ihre Beurteilung bereitet aber Probleme, weil das Preisniveau besonders stark von den Leseerträgen, der Qualität des Weines und der Marktsituation abhing (vgl. RUFFING 1998 b, 2 0 - 2 8 ) und die in den Quellen genannten Hohlmaßeinheiten oft nicht eindeutig bestimmbar sind (vgl. aber KRUIT/WORP 1999; DIES. 2000). Die Ägypter galten zwar als ein Volk von Biertrinkern, aber mehr und mehr setzte sich seit dem 3. Jh. v. Chr. der Weinanbau und -verzehr durch (vgl. RUFFING 1999; DREXHAGE 1997 b). Weinpreise tauchen übrigens häufig in Abrechnungen auf, die im Umfeld von Verwaltungsträgern und -Organen niedergeschrieben worden sind (vgl. DREXHAGE 1991 a, 60). Aus dem Archiv eines Dorfschreibers, der nach heutigen Vorstellungen aber eher die Bürgermeisterfunktion ausübte, besitzen wir die hier aufgeführte Aufstellung von Ausgaben und Einnahmen. Die Quelle, die übrigens sehr gut den hohen Verwaltungsaufwand und den Geldverkehr auf der dörflichen Ebene dokumentiert, liefert in der letzten Zeile den Hinweis auf 2 Keramia „neuen" Wein f ü r 6 Drachmen. Unterstellen wir, dieses Keramion habe 18 1 betragen, nimmt sich der Preis gering aus; ein Liter hätte dann ca. 1 O b o i gekostet, was mit der Qualitätsbezeichnung des Weines ,neu' korrespondieren würde. Junger, d. h. von der letzten Lese stammender Wein scheint z. T. erheblich preiswerter gewesen zu sein als sogenannter „alter" (vgl. DREXHAGE ebd. 60). Auf den Markt kam auch mit Wasser verdünnter Wein (vgl. z. B. P. Oxy. 14/1672; 37/41 n. Chr.) und saurer Wein ( B G U 1/14 Kol. 2, 255 n. Chr.), was den Preis weiter deutlich nach unten verschoben hat. Übrigens hat schon im 1. Jh. n. Chr. ein Keramion 3 und mehr Drachmen gekostet (P. Mich. 2/123 [verso] Kol. 6 und 7; SB 8/9699 Kol. 2). Ansonsten dokumentieren die Weinpreise im fortgeschrittenen 3. Jh. n. Chr. ebenso die inflationäre Entwicklung, wie die für Weizen, O l u. a. (z. B. P. O x y . 14/1733: 1 Ker. 160 Drachmen). Literatur: DREXHAGE 1988; DERS. 1991a; DERS. 1997a; DERS. 1997b; KUDLIEN 1994; RUFFING 1998 b ; W E S C H - K L E I N 1990.

d)

Lebenserwartung/Familienstruktur

M 84: CIL III 3572

2./frühes 3. Jh. n. Chr.

Hier liege ich, Veturia nach Abstammung und mit Namen. Dem Fortunatus war ich Ehefrau, mein Vater war Veturius. Traurigerweise lebte ich nur dreimal neun Jahre und war zweimal acht Jahre verheiratet. Nur mit einem Mann schlief ich und war nur eines Mannes Ehefrau. Nachdem ich sechs Kinder geboren hatte, starb ich. Nur ein Kind überlebte mich. Titus lulius Fortunatus, Centurio der legio II adiutrix pia fidelis, der unvergleichlichen und zärtlichen Gattin.

291

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Material/Lebensstandard Wir können, wie bereits angedeutet wurde (s. o. S. 183-186), nur Vermutungen über den Umfang der Kinder- bzw. Säuglingssterblichkeit anstellen. In einigen Familien wurde allerdings das Lebensalter genau im Blick behalten, etwa um die Astrologie in die Lebensplanung miteinzubeziehen. So mußten einmal Eltern ihre Tochter bestatten, die 5 Jahre, χ Monate, 8 Tage, 3 Stunden und 5 Minuten gelebt hatte (CIL VI 36122). Die unterstellbare niedrigere Lebenserwartung von Frauen im gebärfähigen Alter wird in manchen Inschriften besonders deutlich, wie etwa in der gerade aufgeführten, die aus Aquincum (Budapest) stammt: Hiernach hatte Veturia schon mit elf Jahren geheiratet, was gegen die juristische Vorgabe war (vgl. Cod. Iust. 5,4,24: Mindestalter für Mädchen 12 Jahre), aber nach dem epigraphischen Ausweis hin und wieder unterschritten wurde (vgl. SHAW 1987; KRAUSE 1992, 11 mit weiterer Lit.). Das durchschnittliche Heiratsalter wird bei Frauen auf ca. 20 Jahre, bei Männern auf ca. 25/27 Jahre geschätzt. Obwohl Möglichkeiten der Familienplanung bekannt waren (vgl. KRAUSE ebd. 11-14 mit Lit.), teilte Veturia das Los unzähliger Frauen, die vielfache Schwangerschaften, Totgeburten und Säuglingssterblichkeit auf sich nehmen mußten. Einige Forscher sind der Ansicht, daß zur Aufrechterhaltung der Bevölkerung pro Paar fast sechs Kinder geboren werden mußten (vgl. JACQUES/SCHEID 1998, 322). Das erreichte Lebensalter der Veturia von nur 27 Jahren ist für die damaligen Verhältnisse nicht ungewöhnlich: Mehr als ein Drittel der Menschen waren damals unter 15 Jahre alt und vielleicht wurde nur ein Drittel eines jeden Jahrgangs älter als 30 Jahre (vgl. JACQUES/SCHEID ebd. 323).

M 85: CIL XIII 2 0 0 0 = WALSER 1988. N r . 6 7

2. J h . n . C h r .

Den Totengeistern und dem ewigen A n d e n k e n an lulius Alexander,

von

Herkunft aus Afrika, Bürger von Karthago, dem besten Menschen, Künstler im Glasmacher-Beruf. Er lebte 7 5 Jahre, 5 Monate, Ί3 Tage. Mit seiner Gattin Virginia lebte er ohne irgendeine Verletzung der Seele 4 8 Jahre und zeugte mit ihr 3 Söhne und eine Tochter. Von allen diesen sah er Enkel, die ihn überlebten, als er sie verließ. Für die Errichtung dieses Grabhügels

haben

Numonia Bellia, seine Gattin, und lulius Alexius und lulius Felix und lulius Gallonius, seine Söhne, und Numonia Belliosa, seine Tochter, gesorgt, ferner seine Enkel lulius Au...us, lulius Felix, lulius Alexander, lulius Galonius, lulius Leontius, lulius Gal..., lulius Eonius. Sie haben in Liebe dafür gesorgt und ihn unter der Axt geweiht.*

( Ü b e r s , n a c h G . WALSER)

U n t e r der Axt geweiht: Grabformel, die die ungestörte Ruhe des Toten garantieren sollte. In Gallien, bes. in L u g d u n u m , seit dem 2. Jh. verbreitet.

M 86 Ein langes, ausgefülltes Leben dokumentiert indes diese häufig zitierte Inschrift aus Lyon, die den eher seltenen glücklichen Lebenssachverhalt überliefert, daß drei Generationen einer Familie zumindest zeitweise miteinander leben durften. Die Altersangabe des Iulius Alexander scheint exakt zu sein; die durch fünf teilbare Anzahl seiner Lebensjahre könnte aber auch eine Aufrundung sein. Auch seiner verstorbenen ersten Frau war ein vergleichsweise langes Leben beschert. Selbst wenn sie sehr jung Iulius Alexander geehelicht hatte, wird sie wahrscheinlich nach 48jähriger Ehe über 60 Jahre alt geworden sein. Es scheint, daß dieses Paar keine Kinder durch Fehlgeburt oder Kindestod verloren hat, was als außergewöhnlich zu betrachten wäre. In welchem Alter sich Iulius Alexander nach dem Tod seiner Gattin zu der zweiten Ehe entschlossen hat, ist schwer einzuschätzen; auf jeden Fall wird er recht betagt gewesen sein - wahrscheinlich 70 Jahre oder ein wenig älter. Seine drei Söhne und seine Tochter dürften zum Zeitpunkt seines Todes ebenfalls schon vorgerückten Alters gewesen sein - vielleicht zwischen 40 und 50 Jahren. Demnach konnten zumindest einige seiner sieben Enkel schon ins heiratsfähige Alter hereingewachsen sein. Unterstellt man dem Iulius Alexander noch einigen wirtschaftlichen Erfolg in seinem hochspezialisierten Beruf (GRENIER 1937, 626), ist dieses Leben auf den ersten Blick als außergewöhnlich glücklich zu bezeichnen.

M 8 6 : C P R 6, S . 3 m i t BAGNALL/FRIER 1 9 9 4 , 2 2 8

147 n. Chr.

An den Amphodarchos des Bezirkes Moëris, von Polydeukes, Sohn des Sotas, Enkel des Maron und Sohn der Mutter Heraklous, Tochter des Dioskoros, eingetragen in dem Bezirk „Heteron Chenoboskion". Ich besitze in dem Bezirk Moëris einen halben Anteil eines halben väterlichen Anteils eines Hauses, worin ich die unten angeführten Mieter zusätzlich registriere, im Hinblick auf die Zensus-Eingabe des vergangenen 9. Regierungsjahres des Antoninus Caesar, des Herrn, im Bezirk Moëris, wo ich sie im Hinblick auf die ZensusEingabe des 16. Regierungsjahres registriert habe, als da sind: Ptolemaios, Sohn des Mystes, Enkel des N . N . , und Sohn der Mutter Theonis, Schwester seines Vaters, 40 (+?) Jahre alt und seine Frau Thaisas, alias Thasion, Tochter des Dionysios, Enkelin des Didymos, und Tochter der Mutter Thasion, Schwester ihres Vaters, 28 Jahre alt, im 16. Regierungsjahr eingetragen in dem Bezirk Moëris, und der den beiden geborene Sohn Satyros, eingetragen unter den Neugeborenen, 6 Jahre alt, und die Töchter Thaisarion, 3 Jahre alt, und Thasion, 1 Jahr alt. (2. H . ) Ich, Polydeukes, Sohn des Sotas, habe die ZensusEingabe eingereicht, wie oben steht. Im 10. Regierungsjahr des Antoninus Caesar, des Herrn, am 13. Epeiph. (Übers, nach P. J . SIJPESTEIJN/K. A . WORP)

293

294

Material/Lebensstandard Ausgezeichnete Quellen für die Altersstruktur in den Familien, Haushaltsgrößen, Lebenserwartung und nicht zuletzt auch den ökonomischen und sozialen Standort stellen die Zensus-Deklarationen dar, von denen wir ca. 300 - zum Teil sehr fragmentarische - aus dem römischen Ägypten kennen. Sie sind zugleich die Grundlage für detaillierte Erkenntnisse der demographischen Struktur in dieser römischen Provinz (vgl. BAGNALL/FRIER 1994). Kurz - aber fast vollständig - ist diese aus mehreren schon länger bekannten Teilen bestehende Deklaration aus Arsinoe. Der Deklarierende besaß Teile eines Hauses, das er an eine Familie vermietet hatte. Die Altersstruktur dieser Familie ist wie folgt: